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German Pages [434] Year 2021
HEGEL-STUDIEN BEIHEFT 71
Lars Heckenroth
Konkretion der Methode Die Dialektik und ihre teleologische Entwicklung in Hegels Logik
HEGEL-STUDIEN BEIHEFTE
HEGEL-STUDIEN
Beiheft 71
In Verbindung mit Walter Jaeschke und Ludwig Siep herausgegeben von Michael Quante und Birgit Sandkaulen
FELIX MEINER VERL AG HAMBURG
Lars Heckenroth
Konkretion der Methode Die Dialektik und ihre teleologische Entwicklung in Hegels Logik
FELIX MEINER VERL AG HAMBURG
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹https://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-3935-8 ISBN eBook 978-3-7873-3936-5
Umschlagabbildung: © Ruth Tesmar / VG Bild-Kunst 2021 © Felix Meiner Verlag Hamburg 2021. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53, 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: satz&sonders GmbH, Dülmen. Druck: Stückle, Ettenheim. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.
Für Insa
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung: Hegels spekulative Logik als Denken des Denkens . . . . . . .
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Erster Teil: Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik 1. Der Anfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1.1 Die Formbestimmungen des logischen Anfangs . . . . . . . . . . . 1.2 Die Begeisterung des Unmittelbaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Der Fortgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2.1 Die Dialektik und der „bachantische Taumel“ der logischen Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die spezifischen Dialektiktypen in Seins-, Wesens- und Begriffslogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Das Übergehen in Anderes der Seinskategorien . 2.2.2 Das Scheinen im Entgegengesetzten der Wesensbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Die Entwicklung der Begriffsbestimmungen . . .
......
65
. . . . . . 108 . . . . . . 108 . . . . . . 113 . . . . . . 122
3. Das Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5
Das zweite Unmittelbare: Die Vollendung der Dialektik . Der Anfang als konkrete Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . Die konkrete Allgemeinheit als neuer Anfang . . . . . . . . . Die Bedeutung der „Aufhebung“ im spekulativen Denken Bereicherte Rückkehr zu sich: Die geistige Struktur der spekulativen Dialektik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
129 151 158 165
. . . . 168
Zweiter Teil: Die teleologische Selbstexplikation der Methode 1. Die spekulative Dialektik als die innere Gesetzmäßigkeit der logischen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2. Konkretisierte Form: Die prozessuale Natur der Denkbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
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Inhalt
3. Der Fortgang der logischen Entwicklung besteht in der schrittweisen, aber immanenten Konkretisierung ihres Inhalts . . . .
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4. Der Fortgang der logischen Entwicklung besteht in der schrittweisen Ineinsbildung von Methode und Inhalt . . . . . . . . . . . . 233 5. Der Fortgang zum Ende der Entwicklung als der Rückgang in ihren Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 6. Die innere Zweckmäßigkeit der logischen Entwicklung . . . . . . . . . . 271 6.1 Die Methode ist nicht Begriff, sondern Idee . . . . . . . . . . . . . . 271 6.2 Das Verhältnis von Methode und Inhalt als Leben . . . . . . . . . . 306 6.3 Die Entwicklung des logischen Inhalts ist die systematische Selbsteinteilung des reinen Denkens . . . . . . . . . 319
Dritter Teil: Das logische System ist spekulative Metaphysik 1. Diskursivität und intellektuelle Rezeptivität im Denken des Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 2. Das Denken des Denkens als absolute Synthesis . . . . . . . . . . . . . . . 353 3. Die konzentrische Verlaufsform der logischen Entwicklung: Zirkulärer Aufstieg zur Einfachheit des Anfangs . . . . . . . . . . . . . . . . 375 4. Hegels spekulative Logik als Selbsterkenntnis und Selbstkritik des Absoluten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 4.1 Das Denken des Denkens ist Erkenntnis des Absoluten . . . . . . 387 4.2 Die Erkenntnis des Absoluten ist seine spekulativdialektische Selbstkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 4.3 Die Selbsterkenntnis des Absoluten als das Wesen der Philosophiegeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
Resümee: Hegels logischer Konkretismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
Hegel-Studien
Vorwort
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ie vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Sommersemester 2020 als Dissertation anerkannt. Die Arbeit wurde von Herrn Professor Dr. Rainer Schäfer (Bonn) und von Herrn Professor Dr. Klaus Düsing (Köln) betreut. Professor Dr. Rainer Schäfer gebührt mein besonderer Dank für die herzliche Aufnahme in Bonn und für seine inspirierende Lehre, die mir viel Raum für die Entwicklung eigener Gedanken geboten hat. In seinen Lehrveranstaltungen zur klassischen deutschen Philosophie und in zahllosen Gesprächen und Diskussionen habe ich neue, entscheidende Perspektiven auf die Hegelsche Philosophie erhalten. Das Zustandekommen der vorliegenden Arbeit hat Herr Schäfer durch lehrreiche Anregungen und Ratschläge und mit großer Anteilnahme begleitet. Zu danken habe ich auch Professor Dr. Klaus Düsing, der mir während meines Studiums in Köln ein prägender Lehrer war und es dank fortwährender Gespräche bis zum heutigen Tage ist. Der unerschöpfliche Wissensfundus von Herrn Düsing sowie die methodische und systematische Klarheit seines Denkens sind mir von Beginn an ein beeindruckendes Vorbild gewesen. Frau Professor Dr. Claudia Bickmann (†) gebührt mein bleibender Dank dafür, mein Interesse an der klassischen deutschen Philosophie sowie am platonischen und neuplatonischen Denken geweckt und meine Beschäftigung mit diesen Themen von Beginn an gefördert zu haben. Ihre Begeisterung für die Grundlegungsfragen der Metaphysik sowie ihre tiefgreifende philosophische Kenntnis haben mein eigenes Arbeiten nachhaltig geprägt. Herrn Professor Dr. Wouter Goris (Bonn) und Herrn Professor Dr. Michael Forster (Bonn / Chicago), die sich als Mitglieder der Prüfungskommission und im Rahmen der Disputation mit meiner Arbeit auseinandergesetzt haben, danke ich herzlich für ihre freundliche Unterstützung und für zahlreiche gewinnbringende Gespräche. Den Herausgebern der Hegel-Studien Herrn Professor Dr. Dres. h. c. Michael Quante und Frau Professor Dr. Birgit Sandkaulen sowie dem Felix Meiner Verlag danke ich für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe der HegelStudien Beihefte. Zu großem Dank bin ich natürlich auch meiner Familie verpflichtet. Dieter und Ulla Heckenroth, Jana Heckenroth sowie Theo und Brigitte Born haben
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Vorwort
die Entstehung der vorliegenden Arbeit in allen Phasen mit fortwährender Anteilnahme begleitet. Zu guter Letzt und in ganz besonderer Weise danke ich Insa Neuborn, ohne deren liebevolle Unterstützung und einfühlsame Hilfe die vorliegende Arbeit nicht hätte zustande kommen können. Bonn, im Januar 2021
Lars Heckenroth
Hegel-Studien
Einleitung Hegels spekulative Logik als Denken des Denkens
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as Thema der vorliegenden Untersuchung ist das Wesen der spekulativen Dialektik und damit das Wesen derjenigen spezifischen Methode, die für die späte Systemphilosophie G. W. F. Hegels grundlegend ist. Hegels Konzeption der Dialektik war im Laufe seines Schaffens diversen Wandlungen unterworfen. Gegenstand der hier vorliegenden Untersuchung soll jedoch diejenige Konzeption der dialektischen Methode sein, die in Hegels Spätphilosophie maßgeblich ist. 1 Zudem ist der Gegenstand unserer Untersuchung darauf beschränkt, die Struktur, Funktion und konkrete Anwendung der dialektischen Methode im logischen Teil des Hegelschen Systems zu erörtern. Der Grund für diese Fokussierung auf die Dialektik in Hegels Logik besteht, neben der Möglichkeit einer ausführlichen Bewältigung des Unterfangens, darin, dass die logische Wissenschaft schlussendlich zwar in systematischer Einheit mit den beiden anderen Systemteilen, d. h. Naturphilosophie und Philosophie des Geistes, verstanden werden muss, ihr dabei aber zugleich für das gesamte System eine Grundlegungsfunktion zukommt. 2 Der systematische Übergang der Logik in die Naturphilosophie, aus der im abschließenden Teil der Gesamtkonzeption des enzyklopädischen Systems die Philosophie des Geistes folgt, wird von Hegel wesentlich als eine freie Selbstentlassung des Logischen in die „Aeusserlichkeit des Raums und der Zeit“ 3 konzipiert. Dieser Übergang stellt ein eigens zu erörterndes Problem dar. 4 Er wird in der vorliegenden Untersuchung nicht thematisiert werden können, wohl aber werden wir am Schluss unse-
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Zu früheren Dialektikkonzeptionen Hegels und der Entwicklungsgeschichte der späten, letztgültigen Fassung der dialektischen Methode vgl. K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn, 3. Auflage 1995, sowie R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001. Vgl. hierzu die Ausführungen von K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn, 3. Auflage 1995, 327–346 und insbesondere 335 ff. GW, Bd. 12, 253. Vgl. hierzu M. Gabriel: Transcendental Ontology. Essays in German Idealism. New York / London 2011, 117–119. Vgl. zu dieser Thematik zudem die rezente Studie von G. Oswald:
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Einleitung Hegels spekulative Logik als Denken des Denkens
rer Betrachtungen einen Ausblick darauf geben können, wie das allgemeine Verhältnis beschaffen ist, in dem die in der Logik entwickelten Denkbestimmungen zu ihren endlichen, auch raum-zeitlichen Konkretisierungen stehen, welche dann in Natur- und Geistphilosophie thematisiert werden. Die vorliegende Analyse geht von der These aus, dass Hegels Denken sowohl in der „großen“ Logik, d. h. der Wissenschaft der Logik, deren drei Teile 1812, 1813 und 1816 erstmals erschienen sind, als auch in der Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften (1817–1831) einer einheitlichen Methode folgt. Aus diesem Grund werden im Verlauf der Untersuchung Passagen aus der großen und kleinen Logik gleichermaßen herangezogen, um ein kohärentes Bild von Hegels später Methodenkonzeption im Sinne eines werkübergreifenden Argumentationszusammenhangs nachzuzeichnen. 5 Dabei besteht das Spezifische der spekulativ-dialektischen Methode darin, dass sie, wie im Folgenden detailliert zu zeigen sein wird, nicht separat und losgelöst von einem konkreten Inhalt begriffen werden kann, sondern wesentlich die strukturelle Gesetzmäßigkeit ihrer Selbstexplikation darstellt. Es ist, mit anderen Worten, ein integraler Bestandteil der Methode, dass sie sich gemäß ihrer prozessualen Struktur in die unterscheidbaren Bestimmungen und Momente dieser Struktur entfaltet und allein aus sich heraus einen sich vollständig selbst begründenden Entwicklungsprozess anfängt, an dessen Ende sie in abgeleiteter und systematisch explizierter Gestalt selbst thematisch ist und sich selbst erfasst. Die logische Wissenschaft, so die zu belegende These der vorliegenden Untersuchung, ist das teleologische Werden der spekulativ-dialektischen Methode zu sich. Die absolute, spekulativ-dialektische Methode gewinnt und begreift sich dabei selbst, indem sie zunächst allgemeinere und in Hinblick auf ihren Bedeutungsgehalt rudimentärere Konkretionen ihrer selbst durchläuft, diese jedoch zugleich produktiv zu je nächstkonkreteren Bedeutungen weiterführt und am Ende dieses Entwicklungsprozesses der so sich konkretisierende Inhalt sich mit dem Prinzip seiner zurückliegenden Konkretisierung vollständig in eins bildet. Die spekulative Dialektik stellt somit zwar die einheitliche methodische Gesetzmäßigkeit der logischen Wissenschaft dar, expliziert sich dabei jedoch gerade auf die Weise selbst, dass sie sich als Resultat und letztes Glied ei-
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Das freie Sich-Entlassen der logischen Idee in die Natur in Hegels Wissenschaft der Logik. Hamburg 2020. Ein durchgehender Kommentar zur „großen“ Logik, der deren Argumentationsgang kleinschrittig rekonstruiert und dabei erhellend interpretiert und philosophiehistorisch kontextualisiert, ist von Stekeler-Weithofer vorgelegt worden. Vgl. hierzu den ersten bisher erschienenen Teilband dieses Kommentars: P. Stekeler-Weithofer: Hegels Wissenschaft der Logik. Ein dialogischer Kommentar. Band 1: Die objektive Logik. Die Lehre vom Sein. Qualitative Kontraste, Mengen und Maße. Hamburg 2020.
Hegel-Studien
Einleitung Hegels spekulative Logik als Denken des Denkens
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ner Abfolge von allgemeineren und immer konkreter werdenden Bestimmungen ableitet. Hiermit geht, wie wir sehen werden, einher, dass die komplexe Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung sich nicht nur in eine systematische Abfolge unterschiedlich komplexer Bestimmungen entfaltet, sondern auch in eine Abfolge unterschiedlich komplexer dialektischer Vermittlungsstrukturen. Da sie im Zuge ihrer Selbstexplikation hiermit nun aber auch zunächst noch unvollständige Realisierungen ihrer selbst durchläuft, ist auch innerhalb der Struktur der spekulativen Dialektik, welche die allgemeine und einheitliche Gesetzmäßigkeit der logischen Entwicklung darstellt, zugleich ein Kriterium der Differenz mitzudenken, das diesem Durchlaufen abstrakterer dialektischer Prozesse Rechnung trägt und es in die Einheitlichkeit der absoluten Methode integriert. Bezüglich der Charakterisierung der Methode der logischen Wissenschaft als dialektische Methode, wie dies auch der Titel dieser Untersuchung andeutet, ist daher zu erwähnen, dass die Dialektik in Hegels reifer Logikkonzeption zwar einen wesentlichen Bestandteil der Methode darstellt, das Dialektische dabei zugleich aber in einen größeren, über es hinausgehenden Strukturkomplex eingebettet ist. Die Dialektik macht, wie wir sehen werden, das zweite Moment einer jeden Stufe der logischen Entwicklung aus. Dabei liegt sie zunächst begründet in einer anfänglichen Bedeutungseinheit und geht aus ihr hervor, indem die anfängliche Bedeutungseinheit sich zu einer prozessualen und eben dialektischen Vermittlung mit ihrem begrifflichen Gegenteil erweitert, bestimmt und spezifiziert. 6 Die Dialektik liegt also begründet in einer 6
Brandom (R. Brandom: Expressive Vernunft. Begründung, Repräsentation und diskursive Festlegung. Frankfurt am Main 2000, 156 f.) deutet die „semantischen Hauptbegriffe“ dialektischer Begriffsentwicklung, d. h. Vermittlung und bestimmte Negation, vor dem Hintergrund seiner semantischen Inferenztheorie. Dialektische Weiterentwicklung durch bestimmte Negation resultiert hier aus einer wechselseitigen „materiale[n] Inkompatibilität“ von begrifflichen Bedeutungsgehalten untereinander. Aufgrund ihrer Inkompatibilität entfalten sich die Begriffe zu „Netzen von Vermittlungen und bestimmten Negationen“, in denen sie zugleich produktiv „identifiziert und individuiert“ werden. In dieser Theorie der Entwicklung von Begriffen „durch ihre materialen Inferenz- und Inkompatibilitätsrelationen untereinander“ sieht Brandom in der Methode Hegels zum Ausdruck gebracht, was zugleich allgemein als dessen philosophische Motivation anzusehen ist. Der Vollzug von diskursiver Begriffsentwicklung durch eine produktive Freilegung von Bedeutungsinkompatibilitäten, die rein in den Begriffen selbst begründet liegt, entspricht einem Ausgehen von „einem Begriff der Erfahrung als folgernder Tätigkeit“ und einer Situierung der „Entwicklung von Begriffen ganz und gar in diesem Rahmen“. In philosophiehistorischer und entwicklungsgeschichtlicher Perspektive deutet Brandom, dass Hegel durch diese spezielle Methode den „Repräsentationalismus der Aufklärung“ mit den Einsichten „der Expressivisten der Romantik zusammenschließen“ suchte: „Hegel sah in den inferentiellen Auffassungen des Gehalts eine Möglichkeit, den Romantikern gegen den Repräsentationalismus beizupflichten, ohne ihre Vernunftfeindlichkeit zu übernehmen. Heraus kam eine Synthese
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Einleitung Hegels spekulative Logik als Denken des Denkens
vorgängigen logischen Einheit, die als solche zunächst noch undialektisch ist. Allerdings endet die Methode sowie dementsprechend eine gemäß ihrer Struktur gegliederte Stufe der logischen Entwicklung auch nicht mit der Selbstbestimmung einer begrifflichen Bedeutungseinheit zu der ihr spezifisch zugehörigen Dialektik, sondern diese resultiert auch ihrerseits in einem dritten, die Methode abschließenden Schritt. Diese Vollendung der Methode und der Dialektik, die in ihr nach der Bedeutungsunmittelbarkeit des Anfangs das zweite Moment darstellt, ist dasjenige, was Hegel, wie wir sehen werden, das Spekulative nennt. Begriffliche Unmittelbarkeit, dialektische Vermittlung und spekulative Vollendung machen in der Einheit ihrer genetischen Abfolge denjenigen komplexen und in sich differenzierten Strukturzusammenhang aus, der in Hegels spätem Systemdenken spekulatives Denken bedeutet. In diesem Sinne wird sich im Folgenden zeigen, dass die spekulative Methode zwar als eine dialektische Methode zu bezeichnen ist, dabei aber wesentlich eine spezifische Form dialektischen Denkens darstellt, insofern die Dialektik hier weder den Anfang noch das Ende eines durch die Methode strukturierten Prozesses ausmacht, sondern allererst entsteht und sich ebenfalls noch zu einem von ihr unterschiedenen und über sie hinausgehenden, dabei aber unmittelbar aus ihr folgenden Resultat weiterführt. Der spekulative Denkakt ist also ein in sich komplexer, binnendifferenzierter und wesentlich prozessualer Strukturkomplex und setzt sich zusammen aus a) der gedanklichen Erfassung einer anfänglichen Bedeutungseinheit, b) der Explikation ihrer dialektischen Vermittlung und c) der spekulativen Vollendung der Dialektik. Das genaue Verhältnis dieser Momente zueinander, ihre Wechselbeziehungen und Begründungszusammenhänge werden uns insbesondere im ersten Teil unserer Untersuchung beschäftigen. Gerade vor dem Hintergrund der untrennbaren Zusammengehörigkeit und wechselseitigen Begründung der unterschiedenen Stationen des spekulativen Denkaktes legt Hegel, wie wir sehen werden, großen Wert darauf, dass diese Momente selbst sowie auch die ihnen entsprechenden Vermögen Verstand, negative Vernunft und positive Vernunft nicht getrennt voneinander betrachtet werden, sondern stets in dem einheitlichen Zusammenhang begriffen werden, von aufgeklärtem Inferentialismus und romantischem Expressivismus.“ Die Verbindung eines reinen Begriffsdenkens mit einem produktiven, gestalterischen, synthetischen und in diesem Sinne auch expressiven Tätigkeitsmoment vereinigt in Brandoms semantischpragmatischer Lesart das Wesen rationaler „Wahrheitssuche“, d. h. das urteilende und syllogistisch folgernde „Geben und Verlangen von Gründen“ mit dem Moment expressiver und schöpferischer Tätigkeit. Im Rahmen unserer Untersuchung wird dieser Aspekt insbesondere in der Erörterung der Einheit von analytischer und synthetischer Begriffsentwicklung, d. h. von begriffsimmanenter Bedeutungsentfaltung und produktiver Entwicklungsprozessualität, in der spekulativ-dialektischen Methode Hegels thematisiert werden.
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Einleitung Hegels spekulative Logik als Denken des Denkens
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in welchem sie als Momente des spekulativen Denkens zueinander stehen. Bezüglich seiner Methode stellt das spekulative Denken also eine spezifische Form dialektisch verfahrender Begriffsentwicklung dar, wobei das Spezifikum hier vor allem in der spekulativen Vollendung der Dialektik besteht, deren komplexes Zustandekommen im Folgenden detailliert zu erörtern sein wird. Im Verlauf unserer Untersuchung wird dabei bevorzugt von der spekulativdialektischen Methode gesprochen werden, um eben dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die, wie Hegel sich ausgedrückt, „absolute Methode“ 7 zwar eine dialektische, aber eine spezifisch dialektische Struktur beschreibt. Obgleich es wesentlich in den übergeordneten Strukturzusammenhang des spekulativen Denkaktes, dessen zweites Moment es ist, eingebettet ist, macht das „Dialektische“, d. h. die prozessuale Explikation begriffsimmanenter Widersprüche, allerdings den eigentlichen Grund der Produktivität der Entwicklung aus. Auch insofern ist die Präzisierung des Begriffs der spekulativen Methode als spekulativ-dialektische Methode zu rechtfertigen. Zudem kontextualisiert Hegel seine absolute Methode, d. h. die allgemeine Struktur spekulativdialektischen Denkens, mehrfach und auf argumentativ produktive Weise mit in der Philosophiegeschichte vorangegangenen Dialektikkonzeptionen. Dabei stellt er insbesondere die Differenzen zwischen seiner eigenen Auffassung von Dialektik und denen der Tradition heraus, die er – aus argumentativen Gründen, die eigens zu erörtern wären – als noch unvollständige historische Präfigurationen der spekulativen Dialektik interpretiert und wertet. 8 Die Grundthese der vorliegenden Untersuchung lautet, dass die Einheit von Methode und Inhalt in Hegels Logik sich spezifisch als eine teleologisch verfasste Selbstexplikation der Methode vollzieht. Die Komplexität dieses (rein) selbstexplikativen Akts, den das Denken des Denkens darstellt, und dementsprechend die Schwierigkeit seiner Analyse bestehen darin, dass das Denken in der schrittweisen Ausbildung und Entfaltung seiner unterscheidbaren Strukturaspekte, Regeln und Gesetzmäßigkeiten zugleich wesentlich gemäß diesen Strukturen, Regeln und Gesetzmäßigkeiten verfährt. Im Verlauf unserer Untersuchung wird diese Problematik darin Ausdruck finden, dass die Struktur der spekulativen Dialektik, d. h. der vollständig explizierte und kohärente Begriff denkender Selbstbezüglichkeit, sowohl das Ziel ist, auf welches die logische Wissenschaft und damit die schrittweise Ableitung der Denkbestimmungen hingeordnet sind, als auch dabei den alleinigen Grund dieser deduktiven Ausbildung und schlussendlichen Gewinnung ihrer selbst darstellt. 7
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GW, Bd. 12, 241. So der Terminus, mit dem Hegel an einigen Stellen, insbesondere aber im Rahmen der Ausführungen zur absoluten Idee, seine Methode bezeichnet. Vgl. hierzu R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 228–233.
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Zu diesem Zweck wird im ersten Teil unserer Untersuchung zunächst die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik detailliert analysiert werden. Rücksichtlich ihrer übergeordneten Gliederung folgt die Analyse dabei zunächst Hegels eigener Einteilung der spekulativ-dialektischen Methode in die Momente Anfang, Fortgang und Ende. Diese Strukturierung der absoluten Methode findet sich bereits in der Begriffslogik von 1816, genauer: in den Ausführungen zur absoluten Idee, die, wie wir sehen werden, innerhalb der logischen Wissenschaft den Ort der Methodenreflexion markiert, sowie dann ganz explizit im Methodenkapitel der enzyklopädischen Logik (§§ 238–242). Ziel des ersten Teils der Untersuchung ist es, einen kohärenten Begriff der spekulativen Dialektik zu gewinnen. Die – soeben genannten – Stellen, an denen Hegel in der Wissenschaft der Logik sowie in der Enzyklopädie auf die Struktur seiner Methode eingeht, gehören zu den schwersten und gedanklich dichtesten Stellen, die in seinem Werk zu finden sind. Auch kommt hier die Schwierigkeit hinzu, dass zahlreiche weitere, jedoch äußerst wichtige Beschreibungen, Darstellungen und Kontextualisierungen der spekulativ-dialektischen Methode sich nicht in den beiden Abschnitten zur absoluten Idee, sondern an anderen Systemstellen finden und – bisweilen fast beiläufig – deren jeweiligen Inhalten als Verdeutlichung des methodischen Ablaufs beigestellt sind. Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik, die uns im ersten Teil dieser Untersuchung beschäftigen wird, stellt als solche die formale Regelhaftigkeit und Gesetzmäßigkeit dar, gemäß welcher alle Bestimmungen, die in der Logik thematisiert werden, sich auf immanente Weise weiterführen und genetisch auseinander entwickeln. In der Analyse des Fortgangs, d. h. der zweiten Stufe eines durch die spekulative Dialektik methodisch geregelten Entwicklungsprozesses, wird im Anschluss an eine allgemeine Charakterisierung der Struktur des dialektischen Prozesses auch auf die unterschiedenen Dialektiktypen einzugehen sein, die sich in der Logik finden. Schon in der „großen“ Logik und dann noch expliziter in der Enzyklopädie (§ 240) ordnet Hegel den drei Sektionen der logischen Entwicklung, d. h. der Seins-, der Wesens- und der Begriffslogik, jeweils eine spezifische Form des Fortgangs und damit der Dialektik zu. In unserem Vorgehen wird die Abfolge, die der „Gang der Sache“ 9 nach Hegel in der logischen Entwicklung selbst annimmt, zunächst umgekehrt. Während innerhalb der schrittweisen Ausbildung immer komplexer werdender logischer Bedeutungsgehalte erst am Ende dieses Entwicklungsprozesses auf dessen allgemeine Gesetzmäßigkeit, d. h. auf die Methode der logischen Wissenschaft, reflektiert wird – und auch, wie wir sehen werden, erst dann in systematischer Rechtfertigung erfolgen kann –, stellen wir die Erörterung der 9
GW, Bd. 21, 38.
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allgemeinen Form spekulativ-dialektischer Begriffsentwicklung an den Beginn unserer Untersuchung. In erster Linie soll, wie oben erwähnt, so ein kohärenter Begriff der Methode der Logik gewonnen werden, der für den zweiten Teil der Untersuchung, der sich der teleologischen Beziehung zwischen logischer Methode und logischem Inhalt zuwenden wird, die Grund- und Ausgangslage darstellt. Zugleich wird damit jedoch nur das geleistet und eingelöst, was Hegel selbst über die Reflexion auf die Methode bemerkt, so sie vor dem Abschluss der logischen Entwicklung erfolgt, nämlich, dass sie sehr wohl erfolgen kann, nicht aber mit einem Ersatz für die immanente Reflexion auf die Methode verwechselt werden darf. Diese ereignet sich nicht außerhalb, sondern innerhalb der logischen Entwicklung, indem Bedeutung und Struktur der spekulativen Dialektik selbst als höchstes und letztes Resultat des durch sie geregelten und begründeten Entwicklungsprozesses gewonnen werden. Wie wir im Verlauf der Untersuchung sehen werden, ist die spekulative Dialektik zunächst nicht Methode und Form der Entwicklung beliebiger Begriffs- und Bedeutungsgehalte, sondern die gemeinsame und in diesem Sinne allgemeine Struktur der immanenten Weiterführung spezifischer und konkret bestimmter Begriffe. Dieser Umstand, d. h. schlussendlich die konkrete inhaltliche Umgrenzung der Logik, ist dabei nichts, was der Methode selbst auf irgendeine Weise äußerlich wäre. Die Vereinigung der spekulativen Dialektik mit einem konkreten Inhalt liegt vielmehr ganz unmittelbar in ihrer eigenen Struktur begründet, denn die Methode expliziert sich nicht akzidentell, sondern wesentlich selbst und entfaltet sich somit in eine systematische Abfolge ihrer eigenen Bestimmungen. Umgekehrt gilt daher für die in der Logik thematischen Begriffe und Vermittlungsstrukturen, dass sie wesentlich Momente einer teleologisch verfassten Selbsterfassung der Gesetzmäßigkeiten des reinen Denkens sind. Im zweiten Teil der Untersuchung wird daher das komplexe und vielschichtige Verhältnis zu explizieren sein, in welchem die Methode der logischen Wissenschaft und ihr Inhalt zueinander stehen. Die Analyse nimmt dabei ihren Ausgang zunächst von einer Erörterung der fortschreitenden Konkretisierung des logischen Inhalts als eines sich autonom selbst gestaltenden begrifflichen Bedeutungsgehalts. Hier gilt es, die Entwicklung des logischen Inhalts nachzuvollziehen, die in einer schrittweisen Bereicherung und Konkretisierung seines begrifflichen Bedeutungsgehalts besteht. Mit der fortschreitenden Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des einen begrifflichen Inhalts der Logik geht, wie wir sehen werden, ein Übergreifen der allgemeinen Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung auf den gemäß dieser Form sich weiterentwickelnden Inhalt einher. An dieser Stelle der Untersuchung wird auch auf das Verhältnis einzugehen sein, in welchem die übergeordnete spekulativ-dialektische Struktur der logischen
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Entwicklung zu den drei Dialektiktypen in Seins-, Wesens- und Begriffslogik steht. Während diese Dialektiktypen die drei dialektischen Prozessstrukturen beschreiben, als welche sich innerhalb des übergeordneten Verlaufs der Entwicklung auf ihren seinslogischen, wesenslogischen und begriffslogischen Stufen das Moment des Fortgangs jeweils spezifisch manifestiert, geht, wie wir sehen werden, das Fortgehen der Entwicklung, d. h. die fortschreitende Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts, mit einer schrittweisen Annäherung dieser Dialektik der einzelnen Bestimmungen an die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik einher und damit an die prozessuale Struktur des übergeordneten Rahmens, in welchen sie als Stationen der gesamtlogischen Entwicklung wesentlich eingebettet sind. Erst vor dem Hintergrund der Selbstrealisierung der spekulativen Dialektik in einem gemäß ihrer Struktur sich selbst gestaltenden Inhalt wird Hegels bekannter Anspruch, dass das Fortgehen der spekulativen Wissenschaft überhaupt in eins fällt mit einem Rückgang in den Grund des Fortgehens 10, in all seinen Dimensionen begreiflich werden. Auf dieser Grundlage sollen im dritten und abschließenden Teil der Untersuchung die Ergebnisse des ersten und zweiten Teils durch weiterführende Überlegungen ergänzt und kontextualisiert werden. Zentrale Aspekte sowohl der spekulativ-dialektischen Methode in allgemeiner, struktureller Hinsicht als auch ihres vielschichtigen und schlussendlich entelechial-teleologischen Verhältnisses zum Inhalt der logischen Wissenschaft erfahren hier weitere systematische und philosophiegeschichtliche Einordnungen. So soll in diesem letzten Teil der Untersuchung zunächst die wechselseitige Begründung von diskursiver, jedoch rein logischer Begriffsentwicklung und demjenigen Moment der spekulativen Methode weiter ausgeführt werden, das Hegel als ein rein denkendes, innerliches Anschauen bezeichnet. 11 Die Verknüpfung von 10
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Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 57: „Man muß zugeben, daß es eine wesentliche Betrachtung ist, – die sich innerhalb der Logik selbst näher ergeben wird, – daß das Vorwärtsgehen ein Rückgang in den Grund, zu dem Ursprünglichen und Wahrhaften ist, von dem das, womit der Anfang gemacht wurde, abhängt, und in der That hervorgebracht wird.“ Sowie parallel zu dieser vorausblickenden Bemerkung aus dem einleitenden Kapitel „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?“ die entsprechende Formulierung aus den Ausführungen zur absoluten Idee am Ende der Logik; GW, Bd. 12, 251: „Auf diese Weise ist es, daß jeder Schritt des Fortgangs im Weiterbestimmen, indem er von dem unbestimmten Anfang sich entfernt, auch eine Rückannäherung zu demselben ist, daß somit das, was zunächst als verschieden erscheinen mag, das rückwarts gehende Begründen des Anfangs, und das vorwartsgehende Weiterbestimmen desselben in einander fällt und dasselbe ist.“ Vgl. hierzu GW, Bd. 12, 239: „Vors erste aber ist er [d. h. der Anfang der absoluten Methode, L.H.] nicht ein unmittelbares der sinnlichen Anschauung oder der Vorstellung, sondern des Denkens, das man, wegen seiner Unmittelbarkeit auch ein übersinnliches, innerliches Anschauen nennen kann.“
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Einleitung Hegels spekulative Logik als Denken des Denkens
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produktiver Begriffsentwicklung mit einer spezifischen Form der intellektuellen Anschauung macht, wie wir sehen werden, den wesentlichen Kern der Selbstexplikation des reinen Denkens und seiner Methode aus. Während dieses Verhältnis von Diskursivität und intellektueller Rezeptivität 12 uns bereits im ersten Teil der Untersuchung begegnen wird, da das Moment des Anfangs der spekulativ-dialektischen Methode und dessen Beziehung zum Moment des Fortgangs diejenige Stelle darstellen, an welcher diese Thematik innerhalb der Gesamtstruktur der Methode verortet ist, soll in dieser abschließenden Weiterführung insbesondere auf den philosophiegeschichtlichen Hintergrund dieser Dimension der Methode eingegangen werden. Der Umstand, dass die Logik in einer deduktiven und damit diskursiven und produktiven Genese einer systematischen Abfolge von Bestimmungen besteht, dabei aber auf allen Stufen dieses Prozesses allein im Medium des reinen, d. h. nicht-empirischen, Denkens bleibt, übersetzt sich unmittelbar in die Einheit von synthetischer und analytischer Begriffskonstitution, die für Hegel das strukturelle Wesen und Alleinstellungsmerkmal seiner absoluten Methode ausmacht. Insbesondere vor dem Hintergrund der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants und der dort entwickelten Theorie diskursiver Synthesis, die für die folgenden Denker des Deutschen Idealismus einen unmittelbaren Ausgangspunkt für Kritik und konzeptionelle Weiterführungen darstellt, wird im dritten Teil unserer Untersuchung Hegels Theorie einer absoluten Synthesis, die er in Gestalt seiner spekulativ-dialektischen Methode vorlegt, in Relation zu anderen, geschichtlich vorangegangenen Synthesiskonzeptionen darzulegen sein. 13 Die Charakterisierung der Entwicklung des Logischen als 12
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Der Begriff der „intellektuellen Rezeptivität“ hat hier – in Abgrenzung von sinnlicher Rezeptivität etwa im Sinne Kants – die Bedeutung einer voraussetzungs- und vorurteilsfreien Offenheit des Denkens für die Darstellung der Selbstbewegung und immanenten sowie in argumentativer Hinsicht autonomen Selbstkonkretisierung seiner Bestimmungen. Da, wie wir sehen werden, der Fortgang der logischen Entwicklung zugleich einen Rückgang in ihren methodischen Grund darstellt, wird sich dieser Modus der Offenheit, der sich im Denken des Denkens unwillkürlich auf einer jeden seiner Stufen als das Moment des Anfangs reproduziert, als eine Form intelligibler Passivität herausstellen, die ein integrales Moment der Aktivität und Spontaneität des rein sich selbst explizierenden Denkens und seiner Methode ausmacht. Zwecks einer vollständigen Selbstbegründung setzt das reine Denken sich selbst im Modus der Passivität, um auf dieser Grundlage die Resultate, die sich allein hieraus deduzieren lassen, als positive und notwendige Bestimmungen seiner selbst entwickeln zu können. In diesem Kontext bemerkt M. Gabriel: Transcendental Ontology. Essays in German Idealism. New York / London 2011, 105: „One of the characteristic moves in the post-Kantian criticial evaluation of Kant's system at that time was the standard claim that Kant did not clearly identify the principle upon which the whole architectonic of his system was based.“ Die Auseinandersetzung mit dieser Frage steht auch im Zentrum der Überlegungen Düsings (K. Düsing: „Gibt es eine Kantische Kategorienentwicklung aus der Einheit des ‚Ich
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eine spezifische Form synthetischen Denkens und Erkennens, nämlich eines solchen, das zugleich analytisch verfährt, entspricht dabei, wie wir sehen werden, der Stellung des Prinzips der konkreten Allgemeinheit als methodisches Schlüsselprinzip der logischen Wissenschaft. Die logische Wissenschaft ist als eine Abfolge begrifflicher Bedeutungen organisiert, die sich als sich an ihnen selbst konkretisierende Allgemeinheiten genetisch auseinander entwickeln. Der Umstand, dass dieser Fortgang der logischen Entwicklung zusammenfällt mit einem Rückgang in ihren Grund, d. h. mit einer schrittweisen Realisierung der spekulativ-dialektischen Methode in dem einen, gemäß ihrer Struktur sich produktiv weiterbestimmenden Bedeutungsgehalt, hat Hegel dazu veranlasst, die Verlaufsform des logischen Entwicklungsprozesses als einen Kreis von Kreisen zu interpretieren. 14 Im dritten Teil unserer Untersuchung soll auf die Implikationen dieser Verbildlichung eingegangen werden, wobei wir jedoch auch deren Vor- und Nachteile abwägen und auf dieser Grundlage eine alternative Metapher, die einer sich in ihrem Aufstieg nach oben hin verjüngenden Spiralform, vorschlagen werden. Im ersten Teil der Untersuchung werden wir nun also damit beginnen, die allgemeine methodische Struktur der logischen Entwicklung zu analysieren. Hiermit soll das methodische Werkzeug bereitgestellt werden, welches im zweiten und dritten Teil der Studie für die Explikation des teleologischen und entelechialen Verhältnisses, in welchem Methode und Inhalt der Logik zueinander stehen, sowie für die weitere philosophiehistorische und konzeptionelle Kontextualisierung der Ergebnisse benötigt werden wird.
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denke`?“, in: Kategoriendeduktion in der Klassischen Deutschen Philosophie. Berlin 2020, 29–42), auf die wir an entsprechender Stelle zurückkommen werden. Vgl. GW, Bd. 12, 252: „Vermöge der aufgezeigten Natur der Methode stellt sich die Wissenschaft als einen in sich geschlungenen Kreis dar, in dessen Anfang, den einfachen Grund, die Vermittlung das Ende zurückschlingt; dabey ist dieser Kreis ein Kreis von Kreisen; denn jedes einzelne Glied, als Beseeltes der Methode, ist die Reflexion in-sich, die, indem sie in den Anfang zurückkehrt, zugleich der Anfang eines neuen Gliedes ist.“
Hegel-Studien
ERSTER TEIL Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik
1. Der Anfang 1.1 Die Formbestimmungen des logischen Anfangs Die spekulative Dialektik ist das methodische Prinzip, gemäß welchem die Bestimmungen des reinen Denkens ihren jeweiligen noematischen Bedeutungsgehalt im Rahmen eines Prozesses der immanenten Synthesis an ihnen selbst konkretisieren und entwickeln. Dabei werden der Anfang und das Ende dieses Entwicklungsprozesses sowohl miteinander identifiziert, denn die Entwicklung vollzieht sich unmittelbar an den Bestimmungen selbst, als auch voneinander differenziert, da die Identifizierung von Anfang und Ende von der Art ist, dass sie wesentlich mit einer Erweiterung und Bereicherung des Bedeutungsgehalts der jeweiligen Bestimmung einhergeht. Aufgrund dieser Einheit von Identität und Differenz des Anfangs und des Resultats einer jeden Stufe der logischen Entwicklung fällt die Entwicklung als Ganzes unmittelbar in eins mit einer einheitlichen genetischen Deduktion von voneinander spezifisch unterschiedenen Bestimmungen. Die logische Entwicklung ist, mit anderen Worten, eine durchgängige und in sich geschlossene, da sich vollständig selbst begründende Deduktion einer Reihe von Bestimmungen und ihr Resultat demgemäß eine einige, aber binnendifferenzierte noematische Komplexität. Der Anfang der Entwicklung einer reinen Denkbestimmung wird mit ihrer begrifflichen Erfassung in der Form der Unmittelbarkeit gemacht. Diese Form des Anfangs und des Anfangens ist in zweifacher Hinsicht nicht willkürlich. Zunächst verlangt es das Prinzip des Anfangs schon an ihm selbst, dass der Anfang mit einer ihrer Form nach unmittelbaren Bestimmung gemacht wird. Soll eine Denkbestimmung der Anfang der gesamten weiteren Entwicklung sein, so impliziert diese Forderung, mit anderen Worten, dass dieser Bestimmung notwendigerweise die Form der Unmittelbarkeit zukommen muss. Der Gedanke, der dieser methodischen Bestimmung des Anfangs zugrunde liegt, ist das Prinzip der Selbstbegründung. Ein Anfang soll per Definition der alleinige Ursprung eines Entwicklungsprozesses sein und alle weiteren Bestimmungen, Strukturen und Entwicklungsstufen sollen sich als Abgeleitete aus dem Anfang selbst ergeben. 1 Die Bedingungen der Entwicklung und ihrer Resultate müssen 1
Vgl. hierzu U. Guzzoni: Werden zu sich. Eine Untersuchung zu Hegels „Wissenschaft der Logik“. Freiburg / München 1963, 33: „Die Grundbestimmung eines jeden Anfangs überhaupt ist die, daß er ein Unmittelbares ist. Denn als Anfang kann er nicht durch Anderes
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daher jedoch totaliter im Anfang selbst liegen, sodass dieser nicht selbst noch durch eine andere, ursprünglichere Bestimmung vermittelt und somit von dieser abhängig und durch sie begründet sein darf. Wenn der Anfang mit einer vermittelten Bestimmung gemacht wird, dann, so der Gedanke, ist er nicht der eigentliche, d. h. nicht der absolute Anfang. 2 Dass der Anfang unmittelbar ist, folgt somit, wie Hegel in der enzyklopädischen Logik formuliert, „aus dem einfachen Grunde, weil er der Anfang ist“. 3 In Hinblick auf die logische Wissenschaft muss der Anfang auf einer jeden Stufe der Entwicklung der Form nach ein absoluter Anfang sein, d. h. der Grund des weiteren Fortgangs muss den jeweiligen Denkbestimmungen unmittelbar inhärieren, da das Denken des Denkens seine Resultate eben nur aus seinen Bestimmungen selbst deduzieren darf. Bezüglich des Anfangs der logischen Wissenschaft als Ganzer formuliert Hegel die Einsicht, dass der Anfang als solcher ein unmittelbarer sein muss, wie folgt: „So muß der Anfang absoluter oder was hier gleichbedeutend ist, abstracter Anfang seyn; er darf so nichts voraussetzen, muß durch nichts vermittelt seyn, noch einen Grund haben; er soll vielmehr selbst Grund der ganzen Wissenschaft seyn.“ 4 Zudem liegt eine jede Denkbestimmung zunächst in der Form anfänglicher Unmittelbarkeit vor, insofern sie als direktes Resultat der vorangegangenen Bestimmung und deren immanenter Entwicklung hervorgegangen ist. Die Denkbestimmungen werden also, was im Folgenden genauer zu erläutern sein wird, im Augenblick ihrer Genese, im Rahmen derer sie als ein Resultat der Entwicklung deduziert worden sind, nicht einfach willkürlich erneut zum Anfang der weiteren Deduktion gemacht, dem dann als solchem auch wieder die Formbestimmung der Unmittelbarkeit zukommen muss. Vielmehr tragen die Bestimmungen des reinen Denkens, insofern sie Resultate einer einheitlichen und sich vollständig selbst begründenden Entwicklung sind, das Prinzip des unmittelbaren Anfangs, d. h. der sich autonom vollziehenden weiteren Fort-
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vermittelt sein: Woher sein Inhalt auch immer genommen sein mag, wie er auch bestimmt sein und welchen Prozeß er sonst schon durchgemacht haben mag – als Inhalt des Anfangs ist er notwendig unmittelbar. Die Unmittelbarkeit des anfänglichen Inhalts besagt nichts anderes, als daß dieser Inhalt den Anfang einer Bewegung machen soll, daß er überhaupt Anfang, Neubeginn, sein soll.“ Endliche Anfänge können zwar auch ein Ausdruck von Spontaneität sein, nämlich dann, wenn sie Anfänge freier Handlungen sind, bleiben als endliche, mithin nicht absolute Anfänge ungeachtet ihrer freien, selbstursächlichen Form jedoch materialiter noch vermittelt. Endliche Erkenntnisprozesse, die als solche entweder analytisch oder synthetisch verfahren, nehmen ihren Stoff, d. h. die materiale Komponente ihrer Inhalte aus einer ihrer spontanen Aktivität äußerlichen Quelle passiv-rezeptiv auf und endliche Akte der praktisch-normativen Willensbestimmung haben analog dazu einen von ihrer freien, autonomen Form unterschiedenen Inhalt zu ihrem Zweck. GW, Bd. 20, 229. GW, Bd. 21, 56.
Hegel-Studien
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bestimmung der so gewonnen Bedeutung, bereits in sich. 5 Auf diesen Aspekt, d. h. darauf, dass eine jede logische Bestimmung am Ende ihrer Entwicklung zugleich ein neuer Anfang ist und somit das Ende einer jeden Stufe der logischen Entwicklung zugleich den Anfang einer unmittelbar auf sie folgenden Stufe darstellt, hierauf wird in Kapitel 3 des ersten Teils dieser Untersuchung detailliert einzugehen sein. Mit der Formbestimmung der Unmittelbarkeit, die, wie dargelegt, einer jeden Denkbestimmung im Anfang ihrer Entwicklung notwendigerweise zukommt, geht die Formbestimmung der Einfachheit unmittelbar einher. Einfachheit und Unmittelbarkeit sind zwei einander gleichursprüngliche Dimensionen eines jeden absoluten Anfangs. Wäre der Anfang nicht eine ihrer Form nach einfache Bestimmung, sondern etwa eine Identität oder eine Entgegensetzung zweier gleichberechtigt affirmativer Bestimmungen, dann käme dieser in sich komplexen Struktur auch nicht die Form voraussetzungsloser Unmittelbarkeit zu. 6 Jede Form der Zweiheit, so der Gedanke, impliziert bereits, dass zwei Bestimmungen miteinander vermittelt sind. In diesem Sinne ist der Anfang, dessen „Inhalt ein Unmittelbares“ 7 ist, zugleich „von höchst einfacher Natur“ 8. Bezüglich des ersten Anfangs der Logik, der mit dem reinen Sein gemacht werden muss, bemerkt Hegel – die Singularität des Anfangs betonend – dementsprechend: „Er muß daher schlechthin ein Unmittelbares seyn, oder vielmehr nur das Unmittelbare selbst.“ 9 Im Rahmen der Ausführungen zur absoluten Idee, in denen auf die absolute Methode als das Allgemeine der Form des logischen Inhalts 10 und damit auf die allgemeinen Formbestimmungen aller sonst je spezifisch unterschiedenen Denkbestimmungen reflektiert wird, bestimmt Hegel demgemäß den Anfang der Methode als ein der Form nach Einfaches und Unmittelbares. Für den 5
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So überschreibt Nonnenmacher in seiner Studie Hegels Philosophie des Absoluten den Abschnitt, der sich mit diesem charakteristischen Merkmal der spekulativ-dialektischen Methode auseinandersetzt, treffenderweise mit den Worten: „Jeder Anfang ein Resultat und jedes Resultat ein Anfang“. Vgl. hierzu B. Nonnenmacher: Hegels Philosophie des Absoluten. Eine Untersuchung zu Hegels „Wissenschaft der Logik“ und reifem System. Tübingen 2013, 50 ff. Schäfer (R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 239.) bemerkt dementsprechend: „Er [d. h. der Anfang, L.H.] muß zugleich einfach sein, weswegen er keine gegeneinander entwickelten Momente haben darf, aus denen er sich zusammensetzt, da er sonst diese Momente voraussetzen würde und damit nicht voraussetzungslos wäre. In der Voraussetzungslosigkeit des Anfangs ist seine Einfachheit impliziert.“ GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 21, 56. Vgl. hierzu GW, Bd. 12, 237: „Was also hier noch zu betrachten kommt, ist somit nicht ein Inhalt als solcher, sondern das Allgemeine seiner Form, – das ist, die Methode.“
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Anfang eines jeden durch die spekulative Dialektik methodisch-formal geregelten Entwicklungsprozesses gilt: „Weil er der Anfang ist, ist sein Inhalt ein Unmittelbares, aber ein solches, das den Sinn und die Form abstracter Allgemeinheit hat.“ 11 Und weiter: „Der Anfang hat [. . .] für die Methode keine andere Bestimmtheit, als die, das Einfache und Allgemeine zu seyn; diß ist selbst die Bestimmtheit, wegen der er mangelhaft ist.“ 12 Das erste dieser beiden Zitate ergänzt die Formbestimmungen der Unmittelbarkeit und Einfachheit um die der abstrakten Allgemeinheit. Den Bestimmungen des reinen Denkens kommt im Anfang ihrer immanenten und sich an ihnen selbst vollziehenden und darstellenden Entwicklung die Form der abstrakten Allgemeinheit zu, da die ihnen je spezifisch zugehörige Besonderheit und Einzelheit in diesem Stadium des spekulativen Prozesses noch nicht an ihnen gesetzt sind. In dieser Hinsicht teilt eine Denkbestimmung, wie sie im Anfang und noch vor dem Einsetzen des weiteren methodischen Fortgangs als ein formaliter einfacher und unmittelbarer noematischer Bedeutungsgehalt thematisch ist, die Form abstrakter Allgemeinbegriffe, die als Resultate des endlichen, analytischen Erkennens generiert werden. Das Gemeinsame von a) einer Denkbestimmung im Anfang ihrer absoluten, ideellen Entwicklung und b) einer analytischen Allgemeinheit des endlichen, subjektiven Erkennens ist – bei aller Differenz in Hinblick auf ihre Genese –, dass in der Betrachtung beider Begriffsarten die Begriffsbestimmungen der Besonderheit und Einzelheit nicht thematisch sind. In Hinblick auf die Konstitution abstrakter Allgemeinheiten, die das analytische Erkennen leistet, besteht der „Inhalt des Abstracten“ 13 gerade darin, eine Bestimmung zu sein, die von den mannigfaltigen anderen Bestimmungen, die einem konkreten Gegenstand zukommen, differenziert und analysierend hervorgehoben wird, indem alle sonstigen Bestimmungen abstrahiert und weggelassen und damit negiert werden. 14 Das so generierte Allgemeine bestimmt Hegel als ein „vermitteltes, nemlich das Abstracte, dem Besondern und Einzelnen entgegengesetzte Allgemeine“ 15, da seine Genese gerade in der Negation der spezifischen und individuierenden „Eigenschaften des Concreten“ 16 besteht; es ist, mit anderen Worten, diejenige (allgemeine) Bestimmung, die bleibt, wenn die Prinzipien ihrer Spezifikation und Individuation weggelassen werden. So wird in diesem Sinne ein abstrakter Allgemeinbegriff des Dreiecks, etwa die Innenwinkelsumme von 180° für ebene Dreiecke, aus einer Vielheit von spezifischen Dreieckstypen oder konkreten einzelnen Dreiecken, diesen 11 12 13 14 15 16
GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 240. GW, Bd. 12, 34. Vgl. GW, Bd. 12, 34. GW, Bd. 12, 33. GW, Bd. 12, 34.
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auf der Tafel gezeichneten Figuren, gewonnen, indem ihr Gemeinsames – die besagte Innenwinkelsumme – als ein einzelner Begriff vergleichend herausgehoben, alles Spezifische und Individuierende, wonach sie sich in ihrer abstrakten Gemeinsamkeit zugleich unterscheiden, d. h. etwa die Gleichschenkligkeit, die Rechtwinkligkeit, die Farbe der zur Tafelzeichnung verwendeten Kreide, hingegen weggelassen und abstrahiert wird. 17 Obgleich sie in der Logik nicht im Rahmen eines endlichen analytischen Erkenntnisprozesses generiert werden, so teilen die Bestimmungen des reinen Denkens im Anfang ihrer Entwicklung doch das soeben dargelegte Charakteristikum analytischer Allgemeinheiten, die als solche immer auch abstrakte Allgemeinheiten sind, weil ihr noematischer Bedeutungsgehalt durch die Negation, durch das negierende „Weglassen“ 18 der jeweiligen Besonderheit und Einzelheit gewonnen worden ist. Da sie gerade durch die Abstraktion und Weglassung des Spezifischen und Individuierenden gewonnen wurden, müssen diese abstrakten Allgemeinbegriffe zwecks ihrer synthetischen Weiterbestimmung, weiteren Bedeutungsanreicherung und Spezifizierung auf äußerliche Art und Weise mit einem über sie hinausgehenden Bedeutungsgehalt verbunden werden. In diesem Sinn stellen endliche abstrakte Allgemeinbegriffe dann die Grundlage des endlichen synthetischen Erkennens dar, das jene analytisch generierten Allgemeinheiten sodann aufs Neue mit anderen, spezifischeren begrifflichen Bedeutungen produktiv und kreativ verbinden kann, wobei beide „Richtungen“, d. h. vom Konkreten und Spezifischen zum Allgemeinen (analytisches Erkennen) sowie vom Allgemeinen zum Spezifischen und Konkreten (synthetisches Erkennen), hier getrennt und voneinander unterschieden bleiben. Im Gegensatz zu den analytischen Allgemeinheiten des endlichen diskursiven Erkennens liegt für eine zunächst in der Form der Einfachheit und Unmit17
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Vgl. zu dieser Thematik der abstrakten Allgemeinheit Düsings (K. Düsing: „Intuitiver Verstand und spekulative Dialektik. Untersuchungen zu Kants Theorie und zu Hegels metaphysischer Umgestaltung“, in: Il pensiero. Rivista di filosofia, LV, 2016, 9–27, 11.) Ausführungen zu den analytischen Allgemeinheiten des diskursiven Verstands bei Kant. Dieser, so Düsing, „muß die einzelnen, letztlich vorgegebenen Vorstellungsinhalte sukzessiv durchgehen, sie zusammenfügen, um aus ihnen eine diskursive, analytische Allgemeinheit zu gewinnen, nämlich eine gedachte, bewusst vorgestellte analytische Identität von sonst vielfältig verschiedenem, vorgegebenem Besonderen, das als solches darin gerade nicht enthalten ist und von dem abgesehen wird. Eine derartige analytische Allgemeinheit ist z. B. der diskursive Begriff: Baum, in dem nur die analytische Identität, d. h. das gemeinsame Merkmal von sonst vielfältig verschiedenen Baumarten wie Tannen, Fichten, Buchen, Eichen und noch spezifischeren Einzelbäumen gedacht wird, wobei gerade die Besonderheiten und Einzelheiten nicht im Gedanken der bloßen Merkmalsidentität als der analytischen oder abstrakten Allgemeinheit enthalten sind.“ GW, Bd. 12, 34.
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telbarkeit erfasste, abstrakt-allgemeine Denkbestimmung das Prinzip ihrer weiteren Spezifikation und Individuation jedoch nicht in der Äußerlichkeit eines „gegebenen Stoffes“ 19 begründet, aus dem es äußerlich und rezeptiv aufzunehmen wäre, sondern allein im noematischen Bedeutungsgehalt des ursprünglichen abstrakten Allgemeinbegriffs selbst. In diesem Sinne ist die Besonderheit einer (zunächst und anfänglich) formaliter abstrakt-allgemeinen Denkbestimmung nichts anderes als die sich an diesem ursprünglichen, der Form nach unmittelbaren und einfachen Bedeutungsgehalt mit apriorischer Notwendigkeit darstellende Dialektik sowie die Einzelheit nur die Inkorporation der so dialektisch generierten Bedeutungserweiterung einer jeweiligen Bestimmung in die formale Einheit ihres ursprünglichen Anfangs. Diese weiteren Momente der spekulativen Entwicklung – der Übergang des allgemeinen Anfangs zum dialektischen Fortgang und dessen Übergang zum Ende der Entwicklung – werden in den folgenden Kapiteln dieser Untersuchung ausführlich zu untersuchen sein. Die Erweiterung und Bereicherung des anfänglichen Bedeutungsgehalts einer reinen Denkbestimmung kann sich als solche „nur im Elemente des Denkens“ 20, „im Element des frey und für sich seyenden Denkens, im reinen Wissen“ 21 vollziehen und darf „durch nichts vermittelt seyn“ 22. Gerade hierin liegt auch der Unterschied der Entwicklung rein logischer Bestimmungen zu endlichen Erkenntnisprozessen, die als solche immer vermittelt sind, da sie – anders als die Logik – nicht allein „das Denken und die Regeln des Denkens“ 23 zum Gegenstand ihrer Denkakte haben, sondern – zumindest anteilig – eine vom Denken differente Materie. Für die logische Wissenschaft ergibt sich daraus jedoch unmittelbar die methodische Notwendigkeit, dass die logischen Bestimmungen zunächst rein isoliert für sich betrachtet werden müssen, ohne bereits im Vornherein und proleptisch auf den weiteren Fortgang der Entwicklung zu verweisen. Der Anfang ist, mit anderen Worten, zunächst ohne ein Vorausgreifen auf den Fortgang und auf das Ende der Entwicklung zu betrachten. Die Dialektik, d. h. die 19 20 21
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GW, Bd. 12, 203. GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 21, 54. Der Begriff des „reinen Wissens“ bezieht sich hier in doppeltem Sinn sowohl auf die letzte Bewusstseinsgestalt der Phänomenologie des Geistes von 1807, deren Ende systematisch in eins fällt mit dem Anfang der logischen Wissenschaft, als auch auf den „direkten“ Einstieg in die logische Wissenschaft, der mit dem freien Entschluss, nur das Denken zu denken, gemacht wird. Zu dem methodisch-systematischen Umstand, dass diese beiden Einstiege in die spekulative Logik schlussendlich zusammenfallen, vgl. etwa M. Gabriel: Transcendental Ontology. Essays in German Idealism. New York / London 2011, 113 f.: „[. . .] absolute knowing implodes, as it were, into the indeterminate being of the beginning of the Logic [. . .].“ GW, Bd. 21, 56. GW, Bd. 21, 28.
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Darstellung der immanenten begrifflichen Widersprüchlichkeit einer Denkbestimmung, sowie dementsprechend der weitere, darin gründende Schritt der Deduktion einer dialektisch bereicherten und erweiterten noematischen Einzelheit müssen sich an der jeweiligen, in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit gesetzten Bestimmung selbst vollziehen und darstellen. Nur dann, so der Gedanke, ist die Entwicklung eine absolute erkenntniserweiternde Synthesis, die ihre Resultate nicht „als ein gesuchtes Jenseits und unerreichtes Ziel“ 24, als ausserhalb ihrer liegend anvisiert, sondern mit immanentem „Zusammenhang und Nothwendigkeit“ 25 und mit apriorischer Allgemeingültigkeit nur aus sich heraus deduziert. Nicht nur der Anfang der gesamten Logik, der als absoluter, schlechthinniger Anfang mit dem reinen Sein gemacht werden muß, sondern der Form nach auch der Anfang überhaupt einer jeden Stufe der logischen Entwicklung, d. h. der Entwicklung einer jeden spezifisch unterschiedenen Denkbestimmung, muss somit notwendigerweise „absoluter oder was hier gleichbedeutend ist, abstracter Anfang seyn [. . .].“ 26 Da die logische Wissenschaft nicht das Denken eines vom Denken irgendwie unterschiedenen Objekts ist, sie nicht „von einem vorausgesetzten, somit einzelnen, concreten Gegenstande“ 27 anfängt, sondern das Denken des Denkens als „das reine Wissen in dem ganzen Umfange seiner Entwicklung“ 28 darstellt, muss die logische Entwicklung durchgängig von einer sich vollständig selbst begründenden Struktur sein. Dies setzt voraus, dass der Anfang sowohl der logischen Wissenschaft in ihrer Ganzheit als auch der Anfang einer jeden unterscheidbaren Stufe dieser binnendifferenzierten Entwicklung sich an sich selbst und ohne eine äußerliche Anwendung von methodischen Schritten besondert und differenziert. Die Methode dieser Entwicklung, die dem sich entwickelnden und sich schrittweise konkretisierenden Inhalt als eine allgemeine Formtätigkeit, als seine „Seele und Substanz“ 29 unmittelbar inhäriert, kann dabei nur eine spekulative Methode sein, deren Aktivität schlussendlich allein darin besteht, die sich an den Denkbestimmungen selbst vollziehende dialektische Negativität aufzufassen und diese Selbstvermittlung der anfänglichen Unmittelbarkeit affirmativ als deren neue, aber selbst generierte „Wahrheit“ 30 herauszustellen. Notwendige Voraussetzung für dieses Sich-Darstellen und Sich-Vollziehen der dialektischen Prozessualität an den Denkbestimmungen ist, dass diese zunächst – voraussetzungslos – in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit, 24 25 26 27 28 29 30
GW, Bd. 12, 236. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 21, 56. GW, Bd. 12, 203. GW, Bd. 21, 55. GW, Bd. 12, 238. GW, Bd. 12, 248.
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mithin in der Form einer abstrakten Allgemeinheit, die von jeglichem weiteren Fortgang zunächst abstrahiert, betrachtet werden. Dass eine in der Form der abstrakten Allgemeinheit erfasste Denkbestimmung als solche zugleich der Anfang eines sich an dieser Bestimmung selbst vollziehenden Entwicklungsprozesses ist, erweist sich somit streng genommen erst retrospektiv von der Warte des Fortgangs aus, auf der sich die Unmittelbarkeit des Anfangs bereits an sich selbst negiert hat. Vor diesem Hintergrund ist es zwar zutreffend, wenn beispielsweise Düsing festhält, dass der Anfang „notwendig auf den Fortgang bezogen ist“ 31; der Anfang ist als solcher immer Anfang eines Fortgangs. Allerdings muss sich der Übergang von Anfang zu Fortgang im Rahmen eines absoluten und daher spekulativen Entwicklungsprozesses an der anfänglichen Bestimmung selbst darstellen, ohne dass die notwendige Bezogenheit auf ein Fortgehen von vorneherein konstitutiv dafür wäre, dass der Anfang über sich hinausweist. 32 In diesem Sinne spricht Hegel in methodischer Hinsicht davon, dass in der logischen Entwicklung der „Selbstbewegung“ 33 ihres Inhalts nur zuzusehen ist. 34 Die 31
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K. Düsing: „Intuitiver Verstand und spekulative Dialektik. Untersuchungen zu Kants Theorie und zu Hegels metaphysischer Umgestaltung“, in: Il pensiero. Rivista di filosofia, LV, 2016, 9–27, 25. Vgl. zudem K. Düsing: Aufhebung der Tradition im dialektischen Denken. Untersuchungen zu Hegels Logik, Ethik und Ästhetik. München 2012, 204, wo explizit hingewiesen wird auf die Unterscheidung zwischen der immanenten Zusammengehörigkeit von Anfang und Fortgang als Momenten der spekulativ-dialektischen Methode einerseits und der Einfachheit des Anfangs als solchen andererseits, aus dessen Abstraktheit die Resultate des Fortgangs sich allererst synthetisch ausbilden müssen: „Nicht der methodische Begriff des Anfangs, der immer auf den Fortgang bezogen ist, wohl aber der reine noematische Gedankeninhalt von Anfang kann für Hegel als erste Gedankenbestimmung auftreten. Dieser reine Gedankeninhalt muß ohne irgendeine Voraussetzung in sich gänzlich einfach und unmittelbar und ohne weitere Bestimmung sein; er läßt sich also nur als unbestimmte Unmittelbarkeit denken, die für Hegel die grundlegende Bedeutung von ‚Sein`, noch nicht von Seiendem ausmacht [. . .].“ Vgl. hierzu R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 242: „Daß der Anfang tatsächlich in sich bewegt ist, läßt sich nach Hegel aber erst durch den Fortgang erkennen, der aufzeigt, daß der Mangel und die ‚Abstraktheit` des Anfangs bereits jeweils Momente der dialektischen Bewegung sind.“ GW, Bd. 12, 237. Vgl. hierzu die aufschlussreichen Ausführungen aus § 31 der Grundlinien der Philosophie des Rechts bezüglich der Methode des spekulativen Denkens: GW, Bd. 14,1, 47: „Die höhere Dialektik des Begriffes ist, die Bestimmung nicht blos als Schranke und Gegentheil, sondern aus ihr den positiven Inhalt und Resultat hervorzubringen und aufzufassen, als wodurch sie allein Entwicklung und immanentes Fortschreiten ist. Diese Dialektik ist dann nicht äußeres Thun eines subjectiven Denkens, sondern die eigene Seele des Inhalts, die organisch ihre Zweige und Früchte hervortreibt. Dieser Entwicklung der Idee als eigener Thätigkeit ihrer Vernunft sieht das Denken als subjectives, ohne seinerseits eine Zuthat hinzu zu fügen, nur zu.“
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Methode des nur sich selbst denkenden Denkens, das sich darauf beschränkt, allein „sich zu vernehmen“ 35, ist daher Methode nur in der Bedeutung eines „Bewußtseyn[s] über die Form der innern Selbstbewegung ihres Inhalts“. 36 Die vorurteilsfreie Selbsterfassung des reinen Denkens ist ein wesentlicher Bestandteil seiner Methode. Unmittelbarkeit sowie ein voraussetzungsloses Absehen von dogmatischen Vorprägungen und unbewiesenen Antizipationen des Verlaufs der Entwicklung, aber auch Offenheit für eine freie Selbstexplikation eignen daher dem logischen Anfang. Vor diesem Hintergrund mag die bekannte Passage, in der Hegel das logische System als „das Reich der Schatten“ 37 bezeichnet, dahingehend interpretiert werden, dass das Schatten35 36 37
GW, Bd. 12, 237. GW, Bd. 21, 37. GW, Bd. 21, 42. Klaus Düsing danke ich für den Hinweis, dass es sich bei der Charakterisierung des logischen Systems als „Reich der Schatten“ um ein Schiller-Zitat handelt. Hegel bezieht sich damit wohl auf das Gedicht „Das Reich der Schatten“, das 1795 in den Horen erschien und erst 1804 den bekannteren Titel „Das Ideal und das Leben“ erhielt. Auch wurde im Zuge der Überarbeitung der frühere Vers 122 „Wo die Schatten selig wohnen“ in „Wo die reinen Formen wohnen“ umgewandelt, womit offensichtlich die Ideen und Ideale gemeint sind. Vgl. hierzu F. Schiller: Sämtliche Werke (Bd. 1). Hrsg. G. Fricke und H. Göpfert, München 1958, 201 ff. sowie 876. In der Tat verbindet die hier vorgeschlagene Lesart der „Reich der Schatten“-Passage beide Varianten miteinander. In Hegels Logik werden die „reinen Formen“, d. h. die logischen Bestimmungen als die reinen Wesenheiten und konstitutiven Strukturaspekte des rein sich selbst denkenden Denkens, im Zuge einer spekulativen und gänzlich voraussetzungslosen Selbstproduktion genetisch auseinander entwickelt. Gerade deshalb aber muss der Verlauf der logischen Entwicklung, der in seiner voraussetzungslosen Selbstbegründung nichts berücksichtigt, was dem immanenten und eigenen Gang der Sache äußerlich ist, notwendigerweise anfänglich offen sein. Somit gilt auch für die konkreten kategorialen Bedeutungsgehalte, die im Rahmen der Entwicklung ausgebildet werden, dass sie vor ihrer jeweiligen Ableitung und Thematisierung als mit Notwendigkeit resultierende Glieder der Entwicklung noch im Dunklen bleiben müssen. Für eine Ergänzung dieser Interpretation der „Reich-der-Schatten“-Formulierung lässt sich auch die folgende Passage aus der Ascheberg-Nachschrift zu Hegels Ästhetik-Vorlesung aus dem Jahr 1820/21 hinzuziehen, in der Hegel nicht nur explizit auf die Dichtung Schillers eingeht, sondern auch die besagte Änderung ihres Titels philosophisch deutet. Vgl. hierzu GW, Bd. 28,1, 37: „Schiller benannte ein Gedicht: ‚das Ideal`, welches früher betittelt gewesen war: ‚Reich der Schatten`. Dis ist ganz richtig, denn das Ideal ist die Wahrheit, an der die Endlichkeit nur als Schatten da ist, es ist ein Schweben zwischen der rein hervorgehobnen, offenbarten Wahrheit, und zwischen der Endlichkeit, die es beschränkt, die aber abgestreift, ausgeschlossen werden muß.“ Wie wir im weiteren Verlauf der vorliegenden Untersuchung sehen werden, besteht auch die genetische Entwicklung der reinen Denkbestimmungen gerade darin, dass sie sich durch die Explikation ihrer Dialektik, in der sie ihre endliche Beschränkung abstreifen und sich produktiv in ihr begriffliches Gegenteil verkehren, jeweils zu einer ihrer Form nach wieder endlichen und einfachen, dabei aber inhaltlich reicheren und nächsthöherstufigeren Wahrheit konkretisieren. Das dialektische Abstreifen der Endlichkeit sowie das Hervorgehen des positiven Resultats der Dialektik machen die Momente der allgemeinen Gesetzmäßigkeit des logischen Entwicklungsprozesses
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hafte der Logik nicht etwa in einer Unklarheit, Konturlosigkeit oder Falschheit / Uneigentlichkeit ihrer Bestimmungen besteht, sondern darin, dass die logische Entwicklung keinen von vornherein fertigen und feststehend abgesteckten Verlauf hat. 38 Die Voraussetzungslosigkeit, die dem notwendigerweise unmittelbaren Anfang als solchem zukommt, duldet keinen proleptischen Blick nach vorne, sondern die Dunkelheit, in die das Kommende / die Resultate der Entwicklung im Anfang noch gehüllt sind, ist nur schrittweise zu lichten, indem der Selbstbewegung des Inhalts nur zugesehen wird und nur diejenigen Resultate gelten gelassen werden, die aus der Unmittelbarkeit des Anfangs selbst, d. h. im Rückgriff nur auf diejenigen argumentativen Gründe, die in ihm bereits „vorhanden“ 39 sind, abgeleitet werden können. 40 Hieran wird bereits deutlich, dass das Schattenhafte der Logik, d. h. die in der absoluten Voraussetzungslosigkeit ihres Anfangs begründet liegende Offenheit ihres Fortgangs, auch eine positive Dimension hat. Die Offenheit des unmittelbaren Anfangs ist zugleich wesentlich Offenheit für die autonome Darstellung einer immanenten, d. h. apriorisch gültigen Gesetzmäßigkeit, sodass diejenigen Resultate und über die Bedeutung des Anfangs hinausgehenden Strukturen und Bestimmungen, die sich auf dieser Grundlage rein nur aus ihm ableiten, als absolut gewisse, nicht bezweifelbare und wahre „Wesenheiten“ 41
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aus, die sich auf einer jeden seiner Stufen immanent reproduziert und durch die der so in sich strukturierte Inhalt sich zu immer komplexeren Entwicklungsstadien emporhebt. Gabriel (M. Gabriel: Transcendental Ontology. Essays in German Idealism. New York / London 2011, 106.) bemerkt zwar in einem anderen Kontext, aber wohl auch im Sinne unserer hier angestellten Überlegungen, dass der Erfolg der Logik nicht von vornherein garantiert oder antizipiert werden kann: „In this sense the whole Logic can be read as an attempt to define the absolute, an attempt whose success cannot be guaranteed from the outset.“ GW, Bd. 21, 55. Das Absehen von jeglichen bestehenden und vorgefestigten, dabei aber noch nicht eigens gerechtfertigten Inhalten ist also ein konstitutiver Strukturaspekt der spekulativen Methode, denn es ermöglicht allererst die vorurteilsfreie Selbsterfassung des Denkens sowie mithin einen voraussetzungslosen Anfang der logischen Wissenschaft. Dabei geht diese Bedingung der Möglichkeit einer ihrer selbst absolut gewissen Selbstproduktion der Bestimmungen des reinen Denkens unmittelbar einher mit einer schattenhaften Offenheit des weiteren, von diesem voraussetzungslosen und freien Anfang ausgehenden Entwicklungsverlaufs. In der Berliner Antrittsvorlesung von 1818 (TWA, Bd. 10, 416.) verdeutlicht Hegel diese Dimension der „Einsamkeit“ des rein sich selbst darstellenden und sich selbst erkennenden Denkens wie folgt: „Aber es ist natürlich, daß den Geist in seinem Alleinsein mit sich gleichsam ein Grauen befällt; man weiß noch nicht, wo es hinauswolle, wohin man hinkomme. Unter dem, was verschwunden ist, befindet sich vieles, was man um allen Preis der Welt nicht aufgeben wollte, und in der Einsamkeit aber hat es sich noch nicht wiederhergestellt, und man ist ungewiß, ob es sich wiederfinde, wiedergeben werde.“ Vgl. auch die Deutung und Kontextualisierung dieser Passage in der Studie von W. Hogrebe: Das Zwischenreich (τὸ µεταξύ). Frankfurt am Main 2020, 109–119, insb. 118. GW, Bd. 21, 42.
Hegel-Studien
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angesehen werden können. 42 In seiner reinen Introspektion und in dem Vernehmen nur dessen, was sich im Zuge seiner Selbstexplikation mit immanenter Notwendigkeit darstellt und allein aus der Unmittelbarkeit des Anfangs deduziert werden mag, empfängt das reine Denken seiner selbst / der „sein Wesen denkende Geist“ 43 zugleich „die Kraft in sich, die ihn in alle Wahrheit leitet“. 44 Da die vorurteilsfreie und voraussetzungslose Offenheit des logischen Anfangs – des Denkens nur des Denkens, des Denkens „von aller sinnlichen Concretion befreyt“ 45 – somit auch Offenheit für seine freie, immanente und produktive Selbsterkenntnis ist, ist „der Aufenthalt und die Arbeit in diesem Schattenreich [. . .] die absolute Bildung und Zucht des Bewußtseyns“. 46 Denn, indem das Denken „ein von sinnlichen Anschauungen und Zwecken, von Gefühlen, von der bloß gemeynten Vorstellungswelt fernes Geschäfte [treibt]“ 47 und sich allein auf das richtet, was nur aus ihm selbst, aus der anfänglichen Unmittelbarkeit seines Bezugs nur auf sich synthetisch produziert und abgeleitet werden kann, dann stehen das Denken und seine Bestimmungen, die 42
43 44 45 46 47
Eine andere, rein negative Lesart der „Reich der Schatten“-Passage, die somit nicht der unseren entspricht, scheint Gabriel (M. Gabriel: Transcendental Ontology. Essays in German Idealism. New York / London 2011, 117.) zu bevorzugen, wenn er den Begriff allein als eine Umschreibung dessen versteht, was resultiert, wenn der Inhalt der Logik als losgelöst von seiner raum-zeitlichen Konkretion in Natur und Geist aufgefasst wird: „It is crucial, for any reading of Hegel, to recognize that the self-thinking idea needs approval by concrete content. Otherwise it would be reduced to the abstract structure of logical space, the ‚realm of shadows,` as Hegel calls it, thereby inverting the Platonic hierarchical order. In order to attain actuality, the idea is strictly speaking dependent on nature and spirit.“ Richtig dabei ist, dass die spekulative Logik Hegels, wie wir noch sehen werden, einen konkreten Inhalt hat und sich gerade dadurch von einer formalen Logik traditioneller Art unterscheidet. So auch Gabriel: „Logic is not opposed to concrete content, since it is not a purely formal business.“ Dabei ist das Denken des Denkens aber zunächst nicht auf einen äußerlichen, raum-zeitlichen Inhalt angewiesen, sondern entwickelt und konkretisiert sich rein in sich selbst und erhält gerade dadurch in sich einen konkreten Inhalt. Die „Reich der Schatten“-Formulierung interpretieren wir in dieser Richtung als eine Umschreibung der Offenheit dieses Prozesses des Denkens nur seiner selbst, das aufgrund der absoluten begrifflichen Unmittelbarkeit, in die es sich in seiner vollständigen Selbstbegründung zunächst versenken muss, keines seiner Resultate von vornherein bereits antizipieren kann. Zwar bestimmt das Denken des Denkens sich, d. h. seine in der Logik ursprünglich entwickelten Bestimmungen und Gesetzmäßigkeiten, – so die Theorie Hegels – mit immanenter Notwendigkeit schlussendlich zu seiner weiteren Konkretion in Raum und Zeit und damit zu Natur und Geist. Dies ist jedoch ein Schritt, der, wenngleich notwendig, auf die immanente Konkretisierung und inhaltliche Entwicklung des reinen Denkens seiner selbst, d. h. auf die Sphäre der Logik, in systematischer Hinsicht erst folgt. GW, Bd. 21, 8. GW, Bd. 21, 42. GW, Bd. 21, 42. GW, Bd. 21, 42. GW, Bd. 21, 42 f.
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aus dem Anfang resultieren, in cartesischem Sinn 48 auf einem epistemisch gesicherten, gegen Skepsis resistenten Fundament: „Vornehmlich [. . .] gewinnt der Gedanke dadurch Selbstständigkeit und Unabhängigkeit.“ 49 Auf dieser methodischen Grundlage, d. h. in voraussetzungsloser, unmittelbarer Selbsterfassung, die zugleich die Offenheit dafür darstellt, sich selbst weiterzuführen, kritisch zu prüfen und korrigieren zu können, ist es dem Denken möglich, „in unaufhaltsamem, reinem, von Aussen nichts hereinnehmendem Gange, sich zu vollenden“. 50 Voraussetzung hierfür ist aber, wie dargestellt, das reine Beisichsein und Beisichbleiben des Denkens, die Strenge, sich im Verlauf der gesamten Entwicklung und bei einem jeden der darin auftretenden Resultate „vom sinnlichconcreten Vorstellen und vom Räsonniren loszureißen, [. . .] sich [. . .] im abstracten Denken zu üben, Begriffe in ihrer Bestimmtheit festzuhalten und aus ihnen erkennen zu lernen“. 51 In der Tat liegt in Hinblick auf einen spekulativen Anfang damit aber eine paradoxe Struktur vor. So ist die Motivation, fortzugehen und eine Entwicklung der Bestimmungen des reinen Denkens zu beginnen, zum einen überhaupt erst der Grund dafür, dass ein Anfang gemacht wird. Der Anfang der Logik besteht eben in dem „Entschluß, [. . .] daß man das Denken als solches betrachten wolle“ 52 und einen reinen, kohärenten Begriff dessen zu gewinnen, was Denken an sich, noch vor seiner raum-zeitlichen Konkretion bedeutet. 53 Zum anderen aber muss diese Motivation zum Zweck eines absoluten und unmittelbaren Anfangs, an dem die Gesetzmäßigkeiten des Denkens sich objektiv und damit selbstständig darstellen und vollziehen sollen, gleichwohl negiert und aufgehoben werden. Innerhalb der Gesamtstruktur der spekulativdialektischen Methode sind Anfang, Fortgang und Ende somit zwar wesentlich aufeinander bezogen, was schon allein dadurch ersichtlich wird, dass diese Strukturmomente der Methode den Begriffsmomenten Allgemeinheit, 48
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50 51 52 53
Zur Bedeutung der methodischen Skepsis und ihrem Verhältnis zur Genese eines nicht mehr bezweifelbaren epistemischen Fundaments in der Egologie von Descartes vgl. die Studie von R. Schäfer: Zweifel und Sein. Der Ursprung des modernen Selbstbewußtseins in Descartes' cogito. Würzburg 2006. GW, Bd. 21, 43. Zur Stellung und Funktion des skeptischen Denkens innerhalb der spekulativen Dialektik vgl. Kapitel 2.1. des ersten Teils dieser Untersuchung. Die Bestimmungen der Logik werden sich, so viel sei hier bereits gesagt, deswegen als gegenüber einer äußerlichen Skepsis resistent erweisen, weil ihre Genese selbst eine skeptische und kritische Dimension hat. Diese mündet dabei jedoch, wie wir sehen werden, in einem positiven Resultat. GW, Bd. 21, 38. GW, Bd. 21, 41. GW, Bd. 21, 56. ¯ Zum ersten Anfang der Logik und der Bedeutung des reinen Seins vgl. eingehend R. Ohashi: „Hegels Anfang der ‚Seinslogik`: zwischen ‚Sein und Nichts`“, in: Hegels Philosophie des Geistes zwischen endlichem und absolutem Denken. Nordhausen 2016, 43–61.
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Besonderheit und Einzelheit entsprechen, insofern diese „in der Bedeutung als Bestimmungen der Methode“ 54 betrachtet werden. Für die Begriffsbestimmungen gilt in allgemeiner Hinsicht, dass sie Momente eines einheitlichen Denkprozesses darstellen und somit immer nur zusammen sinnvoll zu denken sind, was sodann auch auf ihr wechselseitiges Verhältnis zutrifft, in dem sie als Momente der spekulativen Dialektik zueinander stehen. Auch für die Momente des spekulativen Entwicklungsprozesses gilt also, dass Anfang / Allgemeinheit, Fortgang / Besonderheit und Ende / Einzelheit nicht isoliert voneinander betrachtet werden können, sondern der Fortgang aus dem Anfang sowie das Ende aus dem Fortgang notwendig folgt und auch das Ende wieder ein neuer allgemeiner Anfang ist. Jedes Moment der spekulativen Dialektik ist demnach schlussendlich „der ganze Begriff“ 55 und jede „Unterscheidung [der Momente, L.H.] confondirt sich in der Betrachtung, welche sie isoliren und festhalten soll. Nur die blosse Vorstellung, für welche sie das Abstrahiren isolirt hat, vermag sich das Allgemeine, Besondere und Einzelne fest auseinander zu halten“. 56 Allerdings müssen sich diese Momente des schlussendlich binnendifferenzierten spekulativen Entwicklungsprozesses im Ausgang vom Inhalt des Anfangs an diesem ursprünglich selbst setzen und hervorbringen, müssen sich im Zuge einer „Selbstbewegung“ 57 tätig mitteilen und genetisch selbst produzieren, ohne dass die Trias von Anfang, Fortgang und Ende als ein bereits im Vornherein fertiges methodisches Einteilungskriterium die Entwicklung äußerlich leiten würde. In diesem Sinne bemerkt Hegel, dass mit einem solchen „Bewußtseyn, das den Anfang nur um der Methode willen weiter führen wollte, [. . .] diese ein Formelles, in äusserlicher Reflexion gesetztes [wäre]“. 58 Rücksichtlich der Form des Anfangs reproduziert sich somit auf jeder Stufe der logischen Entwicklung dieselbe Notwendigkeit, die auch schon im ursprünglichen Anfang der Entwicklung als Ganzer wirksam gewesen ist. Soll die logische Wissenschaft Darstellung des Absoluten im Sinne einer genetischen Explikation des „objektive[n] Denken[s]“ 59, der notwendigen „Selbstbewegung“ 60 der Bestimmungen des Denkens und dessen prozessualer Gesetzmäßigkeiten sein, dann, so der Gedanke, sind diese Bestimmungen notwendigerweise unter dem Vorzeichen und der Formbestimmung völliger Unmittelbarkeit und Voraussetzungslosigkeit zu betrachten. Die Entwicklung der Denkbestimmungen, d. h. ihre Einteilung, ihre Differenzierung voneinander 54 55 56 57 58 59 60
GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 51. GW, Bd. 12, 50. GW, Bd. 12, 246. GW, Bd. 12, 240. GW, Bd. 21, 34. GW, Bd. 12, 246.
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und damit auch die Herausbildung der systematischen Verhältnisse, in denen sie zueinander stehen, muss sich als innere Produktivität des logischen Inhalts selbst darstellen und somit aber auch selbst so darstellen können. Notwendige Voraussetzung für die Selbstdarstellung der Prozessualität des reinen Denkens und der Entwicklung seiner Strukturbestimmungen ist demnach, dass das Denken sich – rein introspektiv – zunächst nur selbst passiv betrachtet beziehungsweise dass nur dasjenige aktiv vollzogen wird, was sich an Negativität und Differenzierung mit innerer Notwendigkeit aus den Bestimmungen selbst ableiten lässt und damit als spekulatives Potential im Anfang selbst unmittelbar begründet liegt. Es ist, mit anderen Worten, wie schon im Anfang der logischen Wissenschaft als Ganzer auch auf einer jeden weiteren Stufe der logischen Entwicklung zu anfangs „nichts zu thun, als das zu betrachten oder vielmehr mit Beiseitsetzung aller Reflexionen, aller Meinungen, die man sonst hat, nur aufzunehmen, was vorhanden ist“. 61 Die Unmittelbarkeit und Voraussetzungslosigkeit des Anfangs eröffnet als solche also zugleich den Raum dafür, dass sich frei, d. h. ohne ein äußerliches Hinzutragen von methodischen Schritten, in ihm entfalten kann, „was vorhanden ist“ 62. Bereits aus dem Prinzip des Anfangs selbst ergibt sich somit die Forderung, dass der logische Anfang einfacher und unmittelbarer Anfang sowie seiner Form nach eine abstrakte Allgemeinheit sein muss. Dies ist für Hegel gleichbedeutend mit dem, „was Plato von dem Erkennen foderte, die Dinge an und für sich zu betrachten, [. . .] sie allein vor sich zu haben, und was in ihnen immanent ist, zum Bewußtseyn zu bringen“. 63 Das Prinzip der Entwicklung, der methodische „Quell“ 64 des fortschreitenden Erkennens, kann dementsprechend nur ein dem Inhalt unmittelbar inhärierendes Prinzip sein, aufgrund dessen er sich an sich selbst besondert, einteilt und sich in sich differenziert. Bezüglich dieser dem logischen Inhalt immanenten Produktivität bemerkt Hegel daher, es sei die „Dialektik, die er an ihm selbst hat, welche ihn fortbewegt“. 65
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GW, Bd. 21, 55. In diesem Sinne hält Gadamer (H.-G. Gadamer: „Hegel und die antike Dialektik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 7–30, 19.) bezüglich der spekulativen Entwicklung fest: „Ihr Gegenteil ist der Einfall, das Dazubringen von Vorstellungen, die in einer Bestimmung nicht selbst gesetzt sind, sondern die einem bei ihr einfallen und die eben deshalb in den immanenten Gang solcher Selbstfortbildung der Begriffe störend einfallen. Wie das subjektive Denken, dem etwas einfällt, durch den Einfall aus der Richtung seines bisherigen Denkens fortgelenkt wird, so wird von Hegel auch das Einfallen der äußeren Vorstellung als die Ablenkung von der Vertiefung in den sich selbst fortbestimmenden Begriff gefaßt.“ GW, Bd. 21, 55. GW, Bd. 12, 241 f. GW, Bd. 12, 246. GW, Bd. 21, 38.
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Die Formbestimmung der Einfachheit und Unmittelbarkeit, die einer jeden Denkbestimmung im Anfang ihrer Entwicklung zukommt und die ihr somit zunächst „den Sinn und die Form abstracter Allgemeinheit“ 66 verleiht, soll nun am Beispiel der Daseinskategorie des Etwas und anhand des Anfangs der sich an dieser Bestimmung selbst darstellenden, immanenten Entwicklung nachvollzogen werden. 67 Der Anfang der Entwicklung der Daseinskategorie des Etwas wird mit der gedanklichen Erfassung dieser kategorialen Bestimmung in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit gemacht. Der anfängliche Begriff des Etwas fällt unmittelbar in eins mit der einfachen Negation des Anderen und stellt somit zunächst eine bestimmte abstrakte Allgemeinheit dar. In dieser Form hat das Etwas sich als unmittelbares Resultat der vorangegangenen Stufe der logischen Entwicklung ergeben. Hier wird deutlich, dass die Bestimmung der Unmittelbarkeit und Einfachheit, die dem logischen Inhalt im Anfang seiner weiteren Entwicklung notwendigerweise zukommen muss, wesentlich eine Formbestimmung ist. Inhaltlich ist der anfängliche Begriff des Etwas, d. h. in seiner „einfache[n] seyende[n] Beziehung auf sich“ 68 Negieren des Anderen zu sein, eine in sich komplexe, zweistellige Bestimmung und daher nicht eine reine Unmittelbarkeit. Dieser zweistellige, aus Negationsoperator und negierter Bestimmung bestehende Negationskomplex steht im Anfang seiner weiteren Entwicklung jedoch als Ganzes in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit. Das Andere ist hier, mit anderen Worten, noch keine eigenständige, dem Etwas selbst in der Form der Unmittelbarkeit entgegengesetzte kategoriale Bestimmung, sondern nur die im Zuge der gedanklichen Erfassung des Begriffs des Etwas negierte Bestimmung. Der logische Inhalt, dessen momentane Bestimmung, Etwas zu sein, unmittelbar in eins fällt mit der einfachen Negation des Anderen, hat daher hier zunächst „den Sinn und die Form abstracter Allgemeinheit“ 69. Es wird, metaphorisch gesprochen, nur dabei „zugesehen“, welche (dialektische) Prozessualität und welche weiteren, vom einfachen Etwas unterschiedenen kategorialen Bestimmungen sich allein aufgrund der dem anfänglichen noematischen Bedeutungsgehalt des Etwas inhärierenden Produktivität an diesem selbst hervorbringen und darstellen. Nun ist das Etwas in seiner unmittelbaren Bedeutung, nach der es das einfache, negierende Ausschließen des Anderen ist, von der spezifischen Natur rein 66 67
68 69
GW, Bd. 12, 239. Zur spekulativ-dialektischen Entwicklung der Daseinskategorien Etwas und Anderes unter Berücksichtigung ihres philosophiegeschichtlichen Hintergrundes vgl. K. Düsing: „Ontologische Bestimmungen als Prädikate des Absoluten? Zum Verhältnis von Ontologie und Theologie bei Hegel“, in: Die Logik des Transzendentalen. Festschrift für Jan A. Aertsen zum 65. Geburtstag. Berlin / New York 2003, 676–691, 680 f. GW, Bd. 21, 103. GW, Bd. 12, 239.
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logischer Begriffe, gemäß welcher die negative Struktur seiner unmittelbaren Bedeutung sich als eine reflexive Negativität erweist. 70 In allgemeiner Hinsicht kann dazu gesagt werden, dass eine bestimmte Negation dann und nur dann reflexiv und sich selbst negierend ist, wenn der gesamte, aus Negationsvollzug und negierter Bestimmung bestehende Akt der Negation zu der negierten Bestimmung in exakt der Beziehung steht, die durch die negierte Bestimmung selbst ausgedrückt wird. Die Daseinskategorie des Etwas erfüllt diese Bedingung: Als die Negation des Anderen ist das Etwas selbst das Andere desjenigen Anderen, welches es als Etwas aus sich ausschließt. In der enzyklopädischen Darstellung der Entwicklung der Daseinskategorien beschreibt Hegel diesen Umstand in prägnanter Form: „Etwas ist im Verhältniß zu einem Anderen, selbst schon ein Anderes gegen dasselbe [. . .].“ 71 Mit dieser Einsicht ist das Etwas an ihm selbst werdend zur Kategorie des Anderen übergegangen und von der begrifflichen Erfassung des so gewordenen Anderen nimmt die gesamte weitere Entwicklung ihren Ausgang. Die ursprüngliche Bestimmung des Etwas, nach der es die Negation des Anderen ist, hat sich somit als eine reflexive Negativität erwiesen und sich an ihr selbst negiert. Das skeptische Moment dieses anfänglichen Entwicklungsschrittes besteht darin, dass die gedankliche Fassung des Etwas als Etwas – und damit seine Bestimmung als Negation des Anderen – sich aufgrund der reflexiven Natur dieser bestimmten Negativität als unhaltbar erwiesen hat. Das Resultat der gedanklichen Erfassung des unmittelbaren Bedeutungsgehalts des Etwas ist das synthetische Urteil: „Das Etwas ist nicht die Negation des Anderen, sondern Anderes und damit nicht länger Etwas.“ Dabei hat sich das Andere nicht in dem Sinne als eine eigenständige und eigens begrifflich zu erfassende kategoriale Bestimmung hervorgetan, dass es dem Etwas äußerlich entgegensetzt worden wäre, sondern das Etwas ist an sich selbst und mithin werdend in das Andere übergegangen. Somit ist das synthetische Urteil „Das Etwas ist das Andere“ als ein Urteil des ursprünglichen, unmittelbaren Begriffs des Etwas selbst zu charakterisieren, das darin besteht, dass dieser ursprüngliche Begriff des Etwas sich zunächst in den dialektischen Prozess des Übergehens des Etwas in das Andere eingeteilt hat. Der Anfang eines jeden durch die spekulative Dialektik methodisch-formal geregelten logischen Entwicklungsprozesses muss also mit einer Bestimmung gemacht werden, der die Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit zukommt, sodass diese Bestimmung sich an sich selbst differenzieren und sich mit sich vermitteln kann. 72 Der Inhalt des Anfangs und – umgekehrt – der Anfang der 70
71 72
Vgl. hierzu C. Hackenesch: Die Logik der Andersheit. Eine Untersuchung zu Hegels Begriff der Reflexion. Frankfurt am Main 1987, insb. 212–236. GW, Bd. 20, 131. Im Kontext seiner Analyse der Plotinrezeption Hegels bemerkt Halfwassen (J. Halfwassen: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und
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Entwicklung des logischen Inhalts ist in Hinblick auf eine jede Stufe der logischen Entwicklung „ein Unmittelbares, aber ein solches, das den Sinn und die Form abstracter Allgemeinheit hat“. 73 Diese bereits zuvor zitierte Bestimmung des Inhalts des logischen Anfangs ergänzt Hegel nun wie folgt: „Er sey sonst ein Inhalts des Seyns oder des Wesens oder des Begriffes, so ist er insofern ein aufgenommenes, vorgefundenes, assertorisches, als er ein unmittelbares ist.“ 74 Hier wird zunächst erneut deutlich, dass die spekulative Methode als die allgemeine Form einer jeden Denkbestimmung und ihrer sich an dieser Bestimmung immanent vollziehenden Entwicklung zu begreifen ist. 75 Die absolute Methode ist das Formprinzip der Seins-, der Wesens- sowie der Begriffsbestimmungen gleichermaßen. So ist hier auch das (methodische) Gemeinsame in Hinblick auf den Anfang einer jeden Stufe der gesamtlogischen Entwicklung angegeben, das in allen logischen Anfängen – ungeachtet ihrer inhaltlichen Unterschiedenheit und spezifischen Differenz gegenüber einander, ungeachtet der Komplexität ihrer dialektischen Prozessstruktur 76 – als deren allgemeine Form positiv bestehen bleibt. Vorhin ist die soeben beschriebene einfache und unmittelbare Natur des logischen Anfangs rücksichtlich der Denkbestimmung des Etwas und anhand des inhaltlich spezifisch bestimmten Anfangs der Entwicklung des Etwas, das Negation des Anderen ist, erläutert worden. Als Daseinskategorie ist das Etwas ein „Inhalt des Seyns“ 77 und ist innerhalb der durchgängigen und einheitlichen logischen Entwicklung systematisch in der seinslogischen Sphäre verortet. Trotz seines noch ganz grundlegenden und abstrakten noematischen Bedeutungsgehalts ist das Etwas – wie überhaupt alle in der Logik entwickelten
73 74 75
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77
des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung. Bonn 1999, 366.) dementsprechend: „Das erste Moment der dialektischen Methode und die erste Stufe der Idee, die Hegel bei Plotin wiedererkennt, ist der Anfang als die ursprüngliche, noch unentfaltete Einheit, von der die Selbstentfaltung des seienden Einen ausgeht [. . .].“ GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 21, 239. In diesem Sinne hält Schäfer (R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 243.) fest: „Dasjenige, was Hegel in methodischer Hinsicht als Bestimmung des Anfangs entwickelt, muß auf alle Kategorien zutreffen, die im Rahmen der Logik jeweils den Anfang einer logischen Entwicklung bilden. Das Sein ist allerdings ein paradigmatischer Fall anfangender Dialektik, denn es bildet den Anfang der Logik insgesamt.“ Auch Düsing (K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn, 3. Auflage 1995, 315.) bemerkt in Bezug auf den logischen Anfang dementsprechend: „Zugleich denkt Hegel aber auch an Anfänge einzelner Kategoriengruppen in der Logik selbst wie z. B. Sein, Wesen oder Begriff.“ Zu den verschiedenen Dialektiktypen in Seins-, Wesens- und Begriffslogik vgl. auch Kapitel 2.2. des ersten Teils der vorliegenden Untersuchung. GW, Bd. 12, 239.
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Bestimmungen des reinen Denkens – wesentlich ein Resultat und dies im Sinne einer abgeleiteten Bestimmung, die aus noch grundlegenderen und abstrakteren Denkbestimmungen, in diesem Fall aus dem Prinzip des Werdens als der Einheit von Entstehen und Vergehen, deduziert worden ist. 78 Vor diesem Hintergrund, d. h. unter Berücksichtigung des methodischen Umstands, dass eine jede Denkbestimmung, mit der auf ihrer jeweiligen Stufe der logischen Entwicklung der Anfang gemacht wird, wesentlich das genetisch entwickelte und dialektisch bereicherte Resultat der je vorangegangenen Entwicklungsebene darstellt, scheint es zunächst paradox, dass der Inhalt des Anfangs, so Hegel, für die Methode immer ein „aufgenommenes, vorgefundenes, assertorisches“ 79 ist. Die Bestimmungen des Denkens werden, wie soeben erinnert worden ist, im Rahmen der logischen Entwicklung ursprünglich auseinander deduziert und somit nicht im Rahmen eines endlichen Erkenntnisprozesses analytisch gewonnen, d. h. gerade nicht in einem konkreten Gegenstand vorgefunden und dann durch Abstraktion äußerlich in das Denken aufgenommen. Auch hier zeigt sich wieder, dass die von Hegel verwendeten Attribute als Umschreibungen der Natur des logischen, mithin absoluten Anfangs zu verstehen sind. Wie der Anfang, was bereits zuvor erörtert worden ist, nur den „Sinn und die Form abstracter Allgemeinheit hat“ 80, wobei die Betonung hier auf „Sinn und Form“ gelegt werden soll, ohne eigentlich eine durch Abstraktion gewonnene Allgemeinheit des analytischen Erkennens zu sein, so hat er auch nur den Sinn und die Form einer aufgenommenen, vorgefundenen, assertorischen Bestimmung, ohne aber eigentlich ein äußerlich Aufgenommenes, Vorgefundenes oder schlicht Assertorisches zu sein. Gerade daher bemerkt Hegel, der Anfang sei „insofern ein aufgenommenes, vorgefundenes, assertorisches, als er ein unmittelbares ist“ 81, wobei hier nun die Betonung auf das „insofern“ zu legen ist. Aufgrund seiner Einfachheit und Unmittelbarkeit teilt der logische Anfang einfach nur die Form endlicher unmittelbarer Begriffe, ohne auf dieselbe Art 78
79 80 81
Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 97. „Aus dem Werden geht das Daseyn hervor. Das Daseyn ist das einfache Einsseyn des Seyns und Nichts.“ Diese Bestimmung des Daseins wird – über die Vermittlung der Qualitätsdimensionen Realität und Negation – weiter zum spinozistischen Prinzip der Bestimmtheit als der Einheit von Realität und Negation spezifiziert. Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 102 f.: „An dem Daseyn ist seine Bestimmtheit als Qualität unterschieden worden; an dieser als daseyender ist der Unterschied – der Realität und der Negation. So sehr nun diese Unterschiede an dem Daseyn vorhanden sind, sosehr sind sie auch nichtig und aufgehoben. Die Realität enthält selbst die Negation, ist Daseyn, nicht unbestimmtes, abstractes Seyn. Ebenso ist die Negation Daseyn, nicht das abstract-seynsollende Nichts, sondern hier gesetzt wie es an sich ist, als seyend, dem Daseyn angehörig. So ist die Qualität überhaupt nicht vom Daseyn getrennt, welches nur bestimmtes, qualitatives Seyn ist.“ GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 239.
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und Weise, d. h. etwa empirisch-rezeptiv oder subjektiv-vorstellend, generiert worden zu sein. 82 Die anfängliche Bestimmung eines jeden durch die dialektisch-spekulative Methode immanent geregelten Entwicklungsprozesses muss, wie im Rahmen unserer Untersuchung bisher erörtert worden ist, in der Formbestimmung der Einfachheit und Unmittelbarkeit gefasst werden. Diese methodische Charakterisierung des Anfangs ist gleichbedeutend mit der Einsicht, dass seinem Inhalt die Form einer abstrakten Allgemeinheit zukommt, die als solche noch nicht auf ihre Besonderheit und Einzelheit, noch nicht bereits im Vornherein auf den aus dem Anfang sich ergebenden Fortgang oder auf das schlussendliche Ende der Entwicklung bezogen ist. Diese dreieinige Formbestimmung des logischen Anfangs – Einfachheit, Unmittelbarkeit und abstrakte Allgemeinheit – identifiziert Hegel nun darüber hinaus mit einem rein denkenden Anschauen: Vors erste aber ist er [d. h. der Inhalt des Anfangs, L.H.] nicht ein unmittelbares der sinnlichen Anschauung oder der Vorstellung, sondern des Denkens, das man, wegen seiner Unmittelbarkeit auch ein übersinnliches, innerliches Anschauen nennen kann. 83
Aufgrund der Einfachheit und Unmittelbarkeit, die einer Denkbestimmung im Anfang ihrer Entwicklung notwendigerweise zukommt, entspricht die gedankliche Erfassung ihres Bedeutungsgehalts in dieser ihrer anfänglichen Form einem quasi-anschauenden Erfassen einer unmittelbaren noematischen Bedeutungseinheit. 84 Wie schon bei den zuvor betrachteten Dimensionen der Formbestimmung des Anfangs liegt auch das denkend-intuitive Erfassen der anfänglichen Denkbestimmung in dem Anspruch der logischen Wissenschaft begründet, den immanenten spekulativen Gehalt des logischen Inhalts, die Gesetzmäßigkeiten und Resultate seiner dialektischen „Selbstbewegung“ 85 herauszustellen. Das Prinzip dieser selbstbezüglichen Entwicklung der Denkbe82
83 84
85
Zur Unterscheidung des logischen Anfangs von Anfängen empirischer Erkenntnisprozesse vgl. U. Guzzoni: Werden zu sich. Eine Untersuchung zu Hegels „Wissenschaft der Logik“. Freiburg / München 1963, 32–35. GW, Bd. 12, 239. Zur methodischen Bedeutung des intellektuellen Anschauens innerhalb der spekulativen Dialektik Hegels vgl. auch K. Düsing: „Intuitiver Verstand und spekulative Dialektik. Untersuchungen zu Kants Theorie und zu Hegels metaphysischer Umgestaltung“, in: Il pensiero. Rivista di filosofia, LV, 2016, 9–27, insb. 24 ff. Düsing hebt hier insbesondere Hegels Umdeutung der intellektuellen Anschauung im Ausgang von Kant hervor sowie die damit einhergehende Integration dieses Prinzips in die dialektisch-spekulative Methode, wo sie – als ein Moment des übergeordneten spekulativen Denkaktes und somit in nunmehr restringierter Funktion – dem denkenden Erfassen der Unmittelbarkeit und Einfachheit des Anfangs entspricht. GW, Bd. 12, 246.
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stimmungen, das, wie gezeigt worden ist, zugleich Grund ihrer synthetischen Bereicherung und Bedeutungserweiterung ist, ist die spekulative Dialektik. Als das Allgemeine der Form des Inhalts begründet sie nicht nur die strukturelle Identität der Resultate der logischen Entwicklung untereinander, sondern zugleich ihre gemeinsame und wesentliche Zugehörigkeit zur Gattung der Bestimmungen des reinen Denkens beziehungsweise der logischen Systembestimmungen. Da dieses allgemeine Wesens-was der Denkbestimmungen, wie erörtert worden ist, das Prinzip ihrer inneren Gesetzmäßigkeit und prozessualen Selbstbegründung ist, muss es sich auch unmittelbar an den Bestimmungen selbst vollziehen und darstellen. Damit kann jedoch auch der Anfang desjenigen synthetischen Prozesses, im Rahmen dessen das strukturelle Wesen des Denkens und seiner Bestimmungen – durch die Selbstexplikation dieser wesentlichen Struktur – erkannt und herausgestellt werden soll, kein anderer sein, als ein der Form nach bloß intuitives Erfassen der Denkbestimmungen und ihrer sodann an ihnen selbst hervortreten Entwicklung. In Bezug auf die gesamte logische Entwicklung bemerkt Hegel demnach, dass „kein Uebergehen noch Voraussetzen und überhaupt keine Bestimmtheit, welche nicht flüssig und durchsichtig wäre, in ihr ist, [sie ist] die reine Form des Begriffs, die ihren Inhalt als sich selbst anschaut“. 86 Vor diesem Hintergrund besteht auch das „Speculative oder Positiv-Vernünftige“ 87 der spekulativen Dialektik, welches Anfang und Fortgang im Endresultat der Entwicklung zusammenschließen wird, nur darin, das „Affirmative“ 88 in der dialektischen Transformation der Denkbestimmungen aufzufassen. Die Methode des sich selbst explizierenden Denkens, der νόησις νοήσεως, ist demnach zunächst eine Wesensschau im Sinne eines intuitiven Erfassens derjenigen Prozessstrukturen, die sich mit immanenter Notwendigkeit an den Denkbestimmungen selbst vollziehen und darstellen. Vor diesem Hintergrund wird auch nachvollziehbar, aus welchem Grund Hegel die paradigmatische Form der Unmittelbarkeit, d. h. das reine Sein des Anfangs der Logik, welches nicht nur – wie alle folgenden Denkbestimmungen – formaliter abstrakt, unmittelbar und einfach ist, sondern auch in schlechthinnigem Sinn absolut unbestimmt sein muss, als ein „reine[s], leere[s] Anschauen“ 89 charakterisiert. 90 Das reine Sein zeichnet sich gerade 86 87 88 89 90
GW, Bd. 20, 228. GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 21, 69. Zum systematischen Zusammenhang a) des reinen Anschauens im Kontext des Anfangs der Logik und b) der Wiederkehr des intellektuellen Anschauens in der absoluten Idee, wo es in seiner allgemeinen methodischen Bedeutung erörtert wird, vgl. auch M. Frank: Der unendliche Mangel an Sein. Schellings Hegelkritik und die Anfänge der Marxschen Dialektik. Frankfurt am Main 1975, 80–84. Koch (A. F. Koch: „Das Sein. Erster Abschnitt. Die Qua-
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dadurch aus, als die schlechthinnige unbestimmte Unmittelbarkeit keinerlei Differenz und Negation in sich zu enthalten, wodurch ihm auch keinerlei positive Determination, kein affirmativer Bedeutungsgehalt zukommt. Gerade deswegen ist es noch kein Etwas im – eben späteren – daseinskategorialen Sinn, sodass in seiner absoluten Unbestimmtheit ebenso sehr noch jegliche positive Formbestimmung und jedwede inhaltliche Differenzierung negiert sind. 91 In Anlehnung an die Phänomenologie Edmund Husserls kann man bezüglich der Form des Anfangs der spekulativ-dialektischen Methode somit von einer Epoché (ἐποχή) des reinen Denkens sprechen. Der Anfang muss voraussetzungslos sein, die Form eines Aufgenommenen und Vorgefundenen haben, d. h. alle subjektiven Voraussetzungen und Meinungen hinsichtlich dessen, was Denken wesentlich sei, müssen beiseitegesetzt und eingeklammert werden. Das sich selbst explizierende Denken wird im Anfang dieses selbstbezüglichen Entwicklungsprozesses demnach zunächst auf den Nullpunkt der einen, unbestimmten Unmittelbarkeit reduziert. In seiner Absolutheit ist das Denken des Denkens zunächst die absolute Abstraktion und sein Inhalt das „abstracte höchste Wesen“ 92, über das hinaus nicht mehr zu noch allgemeineren oder abstrakteren Bestimmungen zurückgegangen werden könnte. 93 Diese anfängliche Reflexion, d. h. die Vermittlung, die sich selbst aufhebt 94, ist die notwen-
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92 93
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lität“, in: Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik. Hrsg. M. Quante und N. Mooren, Hamburg 2018, 43–144, 49 ff.) kontextualisiert das Moment des anschauenden Denkens im Anfang der spekulativen Logik mit einem erhellenden Rekurs auf den Aristotelischen Begriff des berührenden Erfassens (thigein) des Einfachen und Unzusammengesetzten. In diesem nicht-diskursiven Erfassen, das Aristoteles nicht nur der sinnlichen Wahrnehmung, sondern auch der Noesis zuschreibt, sind Erkennen und Erkanntes schlechthin vereinigt, was ein irrtums- und täuschungsunanfälliges, unmittelbares und unpropositionales Sagen (thigein kai phanai), d. h. Erkennen, ermöglicht. Bezüglich einer ausführlichen Rekonstruktion der Dialektik des reinen Seins mit besonderem Augenmerk auf den Begriff des Nichts vgl. die lehrreiche Studie von M. Wirtz: Geschichten des Nichts. Hegel, Nietzsche, Heidegger und das Problem der philosophischen Pluralität. Freiburg / München 2006, 169–196. GW, Bd. 12, 204. Das reine Sein des Anfangs von Hegels spekulativer Logik steht in einem vielschichtigen Verhältnis zur philosophiegeschichtlichen Tradition der negativen Theologie. Zur Erörterung dieser Thematik vor dem Hintergrund einer Gegenüberstellung des Hegelschen Denkens mit der Spätphilosophie Schellings vgl. K. Düsing: Subjektivität und Freiheit. Untersuchungen zum Idealismus von Kant bis Hegel. Stuttgart-Bad Cannstatt, 2. Auflage 2013, 181–207. Zu Hegels (Um-)Deutung speziell des Plotinischen transzendenten Einen als reines Sein und allgemein zu Hegels Interpretation der spätantiken negativen Theologie vgl. zudem J. Halfwassen: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung. Bonn 1999, 273–320. Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 56: „Hier ist das Seyn das Anfangende, als durch Vermittlung und zwar durch sie, welche zugleich Aufheben ihrer selbst ist, entstanden, dargestellt; mit der
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dige Form des Ausdrucks der sich selbst begründenden Struktur des Denkens seiner selbst und damit der absoluten Subjektivität. Das Denken des Denkens ist ein absoluter Denkakt, da das Denken in seiner reinen Selbstreferenz nicht von irgendetwas Anderem, von ihm Verschiedenen abhängig ist. Ein Denken, das auf das Erkennen des Absoluten abzielt, d. h. Denken des Absoluten sein soll, ist daher immer Denken des Denkens sowie umgekehrt das Denken des Denkens immer Denken des Absoluten beziehungsweise absolutes Denken ist. Die Erkenntnis des Absoluten muss als solche notwendigerweise denkende Selbsterkenntnis und denkende Selbstdarstellung sein, da eine Verschiedenheit von Noesis und Noema ein Denken des Absoluten unweigerlich unmöglich machen würde. Die Aufhebung eben dieser Differenz, d. h. die Aufhebung der Differenz zwischen Bewusstsein und Gegenstand, ist gerade Ziel und Resultat der Phänomenologie des Geistes gewesen, die das Bewusstsein dadurch propädeutisch zur logischen Wissenschaft hinleitet. 95 Derjenige Erkenntnisprozess, den die logische Wissenschaft leistet, soll Denken nur des Denkens sein, ihr Anfang besteht demnach notwendigerweise allein in dem freien Entschluss, „daß man das Denken als solches betrachten wolle“ 96. Da das Denken des Denkens, wie erläutert, vor dem Hintergrund der durchgängigen Selbstreferentialität dieses Denkaktes, seiner Unabhängigkeit von gegenüber der denkenden Spontaneität heterogenen Erkenntnisquellen, ein absolutes Denken sowie dementsprechend Denken des Absoluten ist, lassen sich in Hinblick auf die Bestimmungen der Methode dieser spezifischen Form des Denkens zugleich Rückschlüsse auf die zugrundeliegende Wahrheitskonzeption schließen. Wahr ist, was sich selbst mit absoluter Notwen-
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Voraussetzung des reinen Wissens als Resultats des endlichen Wissens, des Bewußtseyns.“ Bezüglich der Frage, in welchem Zusammenhang die unbestimmte Unmittelbarkeit des Anfangs der Logik zum Prinzip der Negation steht und um welche spezifische Art von selbstbezüglicher Negativität es sich hierbei handelt, vgl. die Studie von S. Grotz: Negationen des Absoluten. Meister Eckhart, Cusanus, Hegel. Hamburg 2009, 231–326, insb. 258– 272 sowie 282–294. Der Umstand, dass die logische Wissenschaft in diesem Sinne durch die phänomenologische Entwicklung des endlichen Bewusstseins und des erscheinenden Geistes vermittelt ist, schließt die Unmittelbarkeit des logischen Anfangs jedoch nicht aus. Vielmehr stellt der Gang des endlichen Bewusstseins durch die verschiedenen Formen seines Fürwahrhaltens eine Begründung des Anfangs der Logik dar, indem das Denken sich hier in Gestalt eines komplexen und vielschichtigen Aufstiegs zur absoluten Abstraktion reiner denkender Selbstbezüglichkeit entwickelt. Auf dem höchsten Punkt der phänomenologischen Entwicklung, im reinen Wissen, ist sodann auch die zurückliegende Genese dieses höchsten Standpunkts negiert und das Denken in einem gänzlich unmittelbaren Denkakt von jeglicher Vermittlung bereinigt. Zu dieser Thematik und allgemein zum Verhältnis des Anfangs der Logik zur Phänomenologie des Geistes vgl. G. Movia: „Über den Anfang der Hegelschen Logik“, in: G. W. F. Hegel. Wissenschaft der Logik. Berlin 2002, 11–26 und insbesondere 13 ff. GW, Bd. 21, 56.
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digkeit darstellt. Dieser Satz lässt sich ohne Bedeutungsveränderung folgendermaßen umformulieren: Diejenigen noematischen Bestimmungen sind Bestimmungen des Absoluten, die sich im Rahmen eines solchen Entwicklungsprozesses konstituieren, in dessen Vollzug sich zeigt, dass die Totalität der Bedingungen seiner Prozessualität allein in einer unmittelbaren Bedeutungseinheit liegt. Für diese Selbstexplikation der Bestimmungen des Absoluten ist, wie dargelegt, konstitutiv und notwendig, dass sie, um ihrer sich selbst begründenden Struktur Raum zu geben, im Element der reinen Abstraktion und der Unmittelbarkeit absoluter denkender Selbstreferentialität begonnen wird. Nur diejenigen Bestimmungen, die sich als immanente und sich selbst produzierende Negationen dieser anfänglichen Unmittelbarkeit konstituieren, sind wahre Bestimmungen im Sinne ewig-unzeitlicher Notwendigkeiten und Gesetzmäßigkeiten des reinen Denkens, da ihre Genese, wie sich aufgrund ihrer vollständigen apriorischen Selbstbegründung erwiesen hat, nicht von kontingenten, dem Denken äußerlichen Faktoren abhängig ist. 97 Vor diesem Hintergrund bezeichnet Hegel das Prinzip der Selbstproduktion via Negativität, die einem anfänglichen Unmittelbaren immanent ist, als das Wahrheitskriterium seiner spekulativen Philosophie: „Auch die Methode der Wahrheit weiß den Anfang als ein Unvollkommenes, weil er Anfang ist, aber zugleich diß Unvollkommene überhaupt, als ein Nothwendiges, weil die Wahrheit nur das Zu-sich-selbst-kommen durch die Negativität der Unmittelbarkeit ist.“ 98 Für den Anfang des selbstreflexiven Denkens hat dieser Umstand jedoch die bereits dargestellten methodischen Konsequenzen: Der Anfang muss mit der absoluten Abstraktion gemacht werden und darf sich im Zuge seiner Selbstbegründung einzig und allein nur auf die eigene Prozessualität zurückbeugen, mithin nur einfache, ununterschiedene Sichselbstgleichheit sein. Das Denken, das sich selbst denkt, muss in eben diesem Akt der höchsten Spontaneität und Freiheit, rein reflexiv und sich vollständig selbst begründend nur sich 97
98
Vgl. hierzu die folgenden Ausführungen, die Hegel in der Einleitung zu seinen religionsphilosophischen Vorlesungen gemacht hat. TWA, Bd. 16, 28: „Die Philosophie ist nicht Weisheit der Welt, sondern Erkenntnis des Nichtweltlichen, nicht Erkenntnis der äußerlichen Masse, des empirischen Daseins und Lebens, sondern Erkenntnis dessen, was ewig ist, was Gott ist und was aus seiner Natur fließt. Denn diese Natur muss sich offenbaren und entwickeln. [. . .] Als Beschäftigung mit der ewigen Wahrheit, die an und für sich ist, und zwar als Beschäftigung des denkenden Geistes, nicht der Willkür und des besonderen Interesses mit diesem Gegenstande, ist sie dieselbe Tätigkeit, welche die Religion ist; und als philosophierend versenkt sich der Geist mit gleicher Lebendigkeit in diesen Gegenstand und entsagt er ebenso seiner Besonderheit, indem er sein Objekt durchdringt, wie es das religiöse Bewußtsein tut, das auch nicht Eigenes haben, sondern sich nur in diesen Inhalt versenken will.“ GW, Bd. 12, 251.
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selbst erfassen zu wollen, zunächst aller Spontaneität und Aktivität entsagen. Diese Ohnmacht des Denkens, die unmittelbar aus der absoluten Macht resultiert, im Prozess der reinen Selbstreflexion nur von sich selbst abhängig und uneingeschränkt von Anderem zu sein, manifestiert sich in paradigmatischer Ausprägung im reinen Sein des Anfangs der logischen Wissenschaft als Ganzer. 99 Gleichwohl reproduziert sie sich auch auf allen folgenden Stufen der logischen Entwicklung, da eine jede Denkbestimmung in Hinblick auf die Genese ihres Bedeutungsgehalts wesentlich das unmittelbare Resultat der vorangegangenen Entwicklungsstufe, eine inhaltlich bereicherte Ausprägung des vorangegangenen Anfangs darstellt. Der noematische Bedeutungsgehalt einer jeden Denkbestimmung fällt, mit anderen Worten, unmittelbar in eins mit der affirmativen Erfassung desjenigen sich vollständig selbst begründenden Prozesses, im Rahmen dessen die Bestimmung, mit welcher der Anfang der vorangegangenen Stufe der logischen Entwicklung gemacht worden ist, sich an sich selbst differenziert und sich somit dialektisch bereichert hat. Aufgrund dieser durchgängigen Übereinstimmung eines jeden dialektischen Prozess mit sich selbst, deren jeweiliges Resultat unmittelbar den Anfang der nächsten Entwicklungsstufe darstellt, wird die dialektisch generierte noematische Einzelheit, indem sie zunächst wieder rein für sich betrachtet wird, ihrer Form nach wieder zur abstrakten Allgemeinheit und kehrt damit zur Formbestimmung der Einfachheit und Unmittelbarkeit zurück. Jeder Anfang innerhalb der gesamtlogischen Entwicklung, d. h. jede Denkbestimmung im Endpunkt ihrer prozessualen Genese, ist damit nur die in Hinblick auf ihren noematischen Bedeutungsgestalt bereicherte und erweiterte Sichselbstgleichheit des unmittelbar vorangegangenen Anfangs und dessen inhaltlicher Bestimmung. Die logische Entwicklung bleibt also in all ihren Phasen und auf allen ihren unterscheidbaren Entwicklungsstufen „schlechthin im Begriffe“ 100 des anfänglichen reinen Seins. Der Fortgang der Entwicklung besteht, mit anderen Worten, wesentlich darin, dass die für sich genommen absolut-abstrakte und rudimentäre Sichselbstgleichheit des reinen Seins 101 sich in sich selbst konkretisiert, sich in sich verdichtet 102 und damit eine Reihe von gegenüber diesem absolut-abstrakten Anfang komplexeren Seinsbestimmungen im Rahmen eines einheitlichen apriorischen Werdens-, Bildungs- und Gestaltungsprozesses aus 99
100 101 102
Sandkaulen (B. Sandkaulen: „Denken und Nachdenken. Zum Philosophiekonzept Hegels im Kontext der Frage nach ‚Transdisziplinarität`“, in: Die Begründung der Philosophie im Deutschen Idealismus. Würzburg 2011, 19–32, 30.) spricht in verwandtem Sinn davon, dass „der Machtanspruch des Denkens in der Negation aller Voraussetzungen für sich allein völlig leer [ist]“. GW, Bd. 12, 248. Vgl. GW, Bd. 21, 68 f. Vgl. GW, Bd. 12, 250.
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sich heraus deduziert. 103 Dementsprechend ist auch die Differenz, die im Fortgang der Entwicklung aus der inhaltlichen Bestimmung des Anfangs hervorgebracht und an ihr gesetzt werden wird, wesentlich als Differenz des Anfangs zu begreifen. Die Entgegensetzung der so sich aus der Unmittelbarkeit des Anfangs ergebenden Bestimmungen ist, da die der anfänglichen Denkbestimmung inhärierende Selbstaufhebung den alleinigen Grund dieser Entgegensetzung ausmacht, eine dem Anfang immanente Differenz. Die Vermittlungsstruktur des Widerspruchs der sowohl einander entgegengesetzten als auch miteinander identischen Bestimmungen ist vor diesem Hintergrund „das Negative des Ersten“ 104, d. h. das Negative des zunächst in der Formbestimmung der Unmittelbarkeit gesetzten Inhalts des Anfangs. In Hinblick auf die Logik als Ganzes beziehungsweise auf die einheitliche gesamtlogische Entwicklung stellt sich die Sichselbstgleichheit des reinen Seins somit im Anfang einer jeden Stufe der logischen Entwicklung wieder her, jedoch in einer inhaltlich erweiterten und bereicherten Gestalt, d. h. als Form eines durchaus konkret bestimmten logischen Bedeutungsgehalts. Der Anfang einer beliebigen Stufe der logischen Entwicklung wird also nicht ein jedes Mal aufs Neue äußerlich in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit gesetzt, sondern diese Formbestimmung reproduziert sich stets immanent, d. h. aufgrund der Art und Weise der Genese der jeweiligen Denkbestimmung. Jede Denkbestimmung ist, mit anderen Worten, ein „neuer Anfang“ 105, da sie wesentlich das Resultat der sich vollständig selbst begründenden Prozessstruktur der vorangegangenen Entwicklungsstufe und damit eine in Hinblick auf ihren noematischen Bedeutungsgehalt erweiterte und bereicherte Spezifizierung der Unmittelbarkeit des vorangegangenen Anfangs darstellt. Hier ist jedoch zu erinnern, dass, obgleich sich die Dialektik, d. h. das Moment des Fortgangs einer jeden Stufe der logischen Entwicklung, wie 103
104 105
Vgl. hierzu die Bemerkung von Kaehler (K. E. Kaehler: „Hegels Kritik der SubstanzMetaphysik als Vollendung des Prinzips neuzeitlicher Philosophie“, in: Metaphysik und Metaphysikkritik in der Klassischen Deutschen Philosophie. Hamburg 2012, 133–160, 146.), nach der im absolut abstrakten Anfang der logischen Wissenschaft alle „weitere Bestimmung [. . .] präjudiziert [ist] als Setzung des in der absoluten Abstraktion Negierten, eine schrittweise Aufhebung der Unbestimmtheit des ‚Absoluten`, das als wahrer Anfang gerade über sich hinaus drängt zur Setzung seiner Negativität, so dass diese sich auf sich bezieht und dadurch im nächsten Schritt zu setzen ist als bestimmte Negation des Ersten, Unbestimmten. Dieses wiederrum ist darin als Bestimmtes und somit Negiertes zugleich enthalten: Alle Bestimmung ist Fortbestimmung des Selben, der ‚Grundlage`, aus ihr selbst.“ Der Begriff des Präjudizierens mag hier in unserer Lesart auch so verstanden werden, dass das Fortgehen der Entwicklung zu einem über den abstrakten Anfang hinausgehenden Resultat und hin zu seiner Konkretion allein aus der Bedeutung des Anfangs selbst argumentativ gerechtfertigt ist. GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 12, 250.
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im Folgenden noch näher zu erläutern sein wird, auf immanente Weise in die Form einer unmittelbaren und damit auch wieder anfänglichen Bedeutungseinheit zurückführt, die Methode der unmittelbaren Erfassung dieses neu generierten logischen Bedeutungsgehalts zumindest für den menschlichen Logiker aktiv beibehalten werden muss. Für diesen besteht, auch wenn er Denken des Denkens und somit Logik betreibt, immer die Gefahr, sinnliche Bedeutungen oder Vorstellungsinhalte in die Entwicklung aufzunehmen oder bereits antizipierte, aber noch nicht gerechtfertigte, d. h. noch nicht eigens abgeleitete, Denkbestimmungen zu thematisieren und argumentativ auf sie zurückzugreifen. In diesem Sinne muss im Anfang einer jeden Stufe der logischen Entwicklung darauf geachtet werden, nur dasjenige, was sich mit der Vollendung der nächst vorangegangenen Stufe als wieder unmittelbares und einfaches Resultat ihrer Dialektik immanent ergeben hat, „an und für sich selbst zu betrachten“ 106 und sich darauf zu beschränken, im weiteren Gang der Entwicklung allein dasjenige, was dieser Bedeutung „immanent ist, zum Bewußtseyn zu bringen“. 107 Im Anfang einer jeden Entwicklungsstufe der Logik ist also, mit anderen Worten, streng die „Zucht“ 108 zu üben, sich einen „plastischen Sinn des Aufnehmens und Verstehens“ 109 zu bewahren, d. h. wie ein Teilnehmer eines Platonischen Dialogs eine „Selbstverleugnung eigener Reflexionen und Einfälle [zu betreiben, L.H.], womit das Selbstdenken sich zu erweisen ungeduldig ist“ 110. Gleichwohl ist auch dieses Beibehalten eines voraussetzungsfreien und plastischen, für die Darstellung der Selbstbewegung des logischen Inhalts empfänglichen Verstehens nicht eine dem Inhalt äußerliche Methode, sondern entspricht, wie wir gesehen haben, einem Folgen „der Sache selbst“. 111 106 107
108 109 110
111
GW, Bd. 12, 242. GW, Bd. 12, 242. Dass die Offenheit und Empfänglichkeit des Subjekts für eine Selbstdarstellung von Sinn und Bedeutung auch in Hegels Geistphilosophie, etwa in seiner Theorie des subjektiven Geistes und in seinen geschichtsphilosophischen Konzeptionen, konstitutiv für die Objektivität von Erkenntnis ist, dies findet sich überzeugend dargestellt in den Deutungen Hogrebes. Vgl. hierzu beispielsweise W. Hogrebe: Metaphysik und Mantik. Die Deutungsnatur des Menschen (Système orphique de Iéna). Frankfurt am Main 1992, insb. 128 ff. sowie 153–156. GW, Bd. 21, 42. GW, Bd. 21, 18. GW, Bd. 21, 18. Zur Charakterisierung der spekulativen Methode als ein plastisches Aufnehmen vgl. H.-G. Gadamer: „Hegel und die antike Dialektik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 7–30, 19: „‚Rein denken`, das nichts anderes in einer Bestimmung denkt als sie selbst, nichts in ihr mitdenkt, was die Vorstellung mit vorzustellen pflegt, entdeckt also in sich selbst das Fortbestimmende. [. . .] Die spekulative Bewegung wird daher von Hegel als immanent-plastisch bezeichnet, d. h. sie bildet sich aus sich selbst fort.“ GW, Bd. 21, 38.
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1.2 Die Begeisterung des Unmittelbaren Das anfängliche Erfassen einer Denkbestimmung in der Form einer abstrakten Allgemeinheit steht, wie wir nun sehen werden, mit der verständigen Dimension des spekulativen Denkaktes in Verbindung. Hierzu bemerkt Hegel zunächst: „Das Denken als Verstand bleibt bei der festen Bestimmtheit und der Unterschiedenheit derselben gegen andere stehen; ein solches beschränktes Abstractes gilt ihm als für sich bestehend und seyend.“ 112 Analog zu dieser Passage, die dem § 80 der Enzyklopädie entspricht, spricht Hegel auch bereits in der Vorrede zur ersten Ausgabe der Wissenschaft der Logik von 1812 davon, dass dem Verstand wesentlich bestimmende Funktion zukommt und das verständige Denken das Bestimmte festhält. 113 Die logische Grundoperation dieses verständigen Festhaltens einer Bestimmtheit ist die einfache Negation. In der Logik des Daseins ist bereits in einem frühen, seinslogischen Stadium der logischen Entwicklung deduziert worden, dass qualitative Bestimmtheit die Prinzipien der Realität und der Negation unmittelbar in sich vereinigt. Mag die Qualität eines Daseins, d. h. seine Realität, auch zunächst als ein gegenüber der Negation, der Verneinung und dem Mangel Anderes und abhängig von ihnen erscheinen, so erweist sich diese Dimension der qualitativen Bestimmtheit an sich selbst sogleich als eine „Einseitigkeit“ 114. Da die Realität nur insofern „als etwas Positives“ 115 gilt, als dass aus ihr „Verneinung, Beschränktheit, Mangel ausgeschlossen sey“ 116 ist „in der Realität als Qualität mit dem Accente, eine seyende, zu seyn, [. . .] versteckt, daß sie die Bestimmtheit, also auch die Negation enthält“ 117. Ein „Daseyendes, Etwas“ 118 als etwas zu bestimmen heißt demnach wesentlich, zwischen demjenigen, das es ist, und demjenigen, das es nicht ist, eine „Gräntze“ 119 und – insofern mit dieser ein gesolltes Überschreiten verknüpft ist – eine „Schranke“ 120 zu ziehen. Die Bestimmtheit, d. h. die qualitative Realität seines Daseienden, ist demnach der Negation dieses Daseins, d. h. demjenigen, an dem es diesem Daseienden mangelt und an dem es seine Beschränktheit hat, nicht äußerlich entgegengesetzt, sondern die Bestimmtheit ist nichts anderes als „die Negation als affirmativ gesetzt“ 121. 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121
GW, Bd. 20, 118. Vgl. GW, Bd. 21, 8. „Der Verstand bestimmt und hält die Bestimmungen fest; [. . .].“ GW, Bd. 21, 98. GW, Bd. 21, 99. GW, Bd. 21, 99. GW, Bd. 21, 99. GW, Bd. 21, 103. GW, Bd. 21, 98. GW, Bd. 21, 98. GW, Bd. 21, 101.
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Der Verstand, indem er „bestimmt und [. . .] die Bestimmungen fest[hält]“ 122, operiert also mit diesem in der Daseinslogik ursprünglich entwickelten Prinzip der bestimmten Negation. 123 Bestimmen heißt unmittelbar, diejenigen Bestimmungen, die dem Inhalt der Bestimmung spezifisch, als dessen Negation entgegengesetzt sind, zu negieren. Noematische Inhalte, die durch den Verstand bestimmt werden, d. h. verständig fixierte Begriffe, sind daher immer abstrakte Bestimmungen, sind je ein „beschränktes Abstractes“ 124. Die Bestimmtheit der Verstandesbegriffe besteht demnach unmittelbar in ihrer immanenten Beschränkung, in dem abstrahierenden Ausschluss dessen, was sie nicht sind. Die bestimmende Fixierung von Begriffen durch die Operation der abstrahierenden Negation, die, wie beschrieben, der Verstand leistet, identifiziert Hegel auch in seiner Begriffslehre mit dem Prinzip der abstrakten Allgemeinheit: „Wenn vom bestimmten Begriffe die Rede ist, so ist es gewöhnlich rein nur ein solches abstract-Allgemeines, was gemeynt ist. Auch unter dem Begriffe überhaupt, wird meist nur dieser begrifflose Begriff verstanden, und der Verstand bezeichnet das Vermögen solcher Begriffe.“ 125 Die Verstandesbegriffe haben für sich genommen die Form abstrakter Allgemeinheiten, da sie als einfache Negationen in einem bloß negativen Verhältnis zu ihrem begrifflichen Gegenteil stehen, ohne in ihm positiv bestehen zu bleiben und sich darin zu kontinuieren. Hierin besteht die Begriffslosigkeit dieser bloß abstrakten, da einfach-negativen Verstandesbegriffe. Der Begriff im Sinne Hegels, der Ausdruck denkender Selbstbezüglichkeit ist, ist dagegen nicht eine nur abstrakte beziehungsweise bloß verständige Allgemeinheit, sondern ist konkrete Allgemeinheit, die sich in der ihr spezifisch entgegengesetzten Bestimmung konkretisiert und inhaltlich bereichert und erweitert. Für diese Konzeption des Prinzips der konkreten Allgemeinheit bilden, worauf im Folgenden noch näher einzugehen sein wird, das verständige Denken und seine abstrakt-allgemeinen Begriffe dennoch die unmittelbare Grundlage. Diejenige Allgemeinheit ist konkret, die sich in sich selbst konkretisiert, mithin konkret wird, indem sie sich im Ausgang von ihrer ursprünglichen Abstraktheit und einfach-negativen Struktur in sich selbst differenziert und ihre anfängliche Abstraktheit damit im Rahmen eines immanenten Entwicklungsprozesses überwindet. Damit gilt aber für diejenigen abstrakten Allgemeinheiten, die sich im Sinne Hegels zu konkreten Allgemeinheiten entwickeln, d. h. für die 122 123
124 125
GW, Bd. 21, 8. Zur Entwicklung der konkreten Negation aus der unbestimmten Unmittelbarkeit des reinen Seins und zur Differenz zwischen beiden Formen der Negation vgl. erneut M. Wirtz: Geschichten des Nichts. Hegel, Nietzsche, Heidegger und das Problem der philosophischen Pluralität. Freiburg / München 2006, 196–229. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 12, 40.
Hegel-Studien
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reinen Denkbestimmungen, dass sie den Grund dieses Entwicklungsprozesses in ihrer ursprünglichen abstrakten und einfach-negativen verständigen Form bereits enthalten. Die reinen Denkbestimmungen sind also in dem Sinne als konkrete Allgemeinheiten aufzufassen, dass sie die ihnen spezifisch zugehörige Besonderheit und Einzelheit im Rahmen eines immanenten dialektischen Prozesses an ihnen und ihrer ursprünglichen abstrakt-allgemeinen Unmittelbarkeit selbst setzen. Die abstrakt-allgemeinen Verstandesbegriffe sind demnach also bereits „der Begriff, aber als Begriffloses, als Begriff, der nicht als solcher gesetzt ist“. 126 Das „Denken als Verstand“ 127 ist bestimmend tätig, indem es einen Begriff gemäß des daseinslogischen Grundsatzes Omnis determinatio est negatio als eine unmittelbare Einheit von Realität und einfacher Negation, mithin als eine abstrakte Allgemeinheit fixiert, an der ihre Besonderheit und Einzelheit noch nicht gesetzt sind. Das Resultat dieses verständigen Denkens, d. h. die Form der Verstandesbegriffe, umschreibt Hegel zudem mit den Attributen der Festigkeit und der Unveränderlichkeit: Hierher gehört der Umstand, um dessen willen der Verstand in neuern Zeiten gering geachtet und gegen die Vernunft so sehr zurückgesetzt wird; es ist die Festigkeit, welche er den Bestimmtheiten und somit den Endlichkeiten ertheilt. Diß Fixe besteht in der betrachteten Form der abstracten Allgemeinheit; durch sie werden sie unveränderlich. 128
Begriffe, die allein durch den Verstand bestimmt werden, sind unveränderlich, stehen fixiert und bewegungslos fest, da die logische Grundoperation dieser bestimmenden Tätigkeit die einfache Negation ist. Abstrakte Allgemeinheiten überwinden als solche nicht die Grenze zu der ihnen spezifisch entgegengesetzten Bestimmung, von der im Zuge ihres Bestimmt-werdens gerade abstrahiert wird. Auch der Umstand, dass den so verständig fixierten abstrakten Allgemeinbegriffen ihre Grenze unmittelbar inhäriert, d. h. dass 126
127 128
GW, Bd. 12, 40. Dies gilt jedoch nicht nur für die reinen Denkbestimmungen, die, wie dargelegt, an ihnen selbst konkrete Allgemeinheiten sind, sondern auch für endliche diskursive Allgemeinbegriffe. Im Gegensatz zu den reinen Denkbestimmungen müssen die analytischen Allgemeinheiten des endlichen Erkennens, da ihnen das Prinzip ihrer Genese, die Abstraktion, äußerlich ist, auch unter Hinzuziehung äußerlicher Kriterien in Spezifikationen und Individuationen ihrer selbst eingeteilt werden, wenn sie im Rahmen des synthetischen Erkennens wieder mit einer ihnen subordinierten Besonderheit oder Einzelheit vereinigt werden sollen. Auch für dieses synthetische Vorgehen endlicher Erkenntnisprozesse beziehungsweise für die Begriffskonstitution via endlicher Synthesis ist das abstrakte Allgemeine jedoch die unmittelbare Grund- und Ausgangslage. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 12, 41.
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der Bestimmungsprozess gerade in der negierenden, abstrahierenden und ausschließenden Grenzziehung besteht, ändert an dieser Unveränderlichkeit der Verstandesbegriffe nichts. Das „fixe Bestehen“ 129, das der Verstand seinen Bestimmtheiten somit verleiht, entspricht für Hegel zunächst einer „Härte des Seyns“ 130; die Begriffe, die für den Verstand nur einfache Negationen sind, gelten ihm als „für sich bestehend und seyend“ 131, als einfache, unmittelbare und unveränderliche Bedeutungseinheiten. In Hinblick auf das Zusammenspiel von Verstand und negativer beziehungsweise positiver Vernunft innerhalb der einheitlichen Gesamtstruktur der spekulativ-dialektischen Methode erweist sich damit der Verstand jedoch zugleich als das Vermögen des Anfangs. Die „Härte“ 132, Unveränderlichkeit und „Festigkeit“ 133, das „fixe Bestehen“ 134, welche das „Denken als Verstand“ 135 den Denkbestimmungen verleiht, sind erläuternde Umschreibungen der Formbestimmungen der Einfachheit und Unmittelbarkeit, die nach Hegels Methodenlehre einem jeden logischen Anfang, d. h. einer jeden Denkbestimmung im Anfang ihres immanenten Entwicklungsprozesses, zunächst zukommen. Dass ein logischer Bedeutungsgehalt im Anfang seiner spekulativen Entwicklung in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit thematisch ist, bedeutet in dieser Deutung folglich, dass er sich von dem, was er nicht ist, zunächst nur negativ unterscheidet und abgrenzt. Eine logische Bestimmung unmittelbar gedanklich zu erfassen bedeutet dementsprechend, das zu denken, worin ihr begrifflicher Gehalt unmittelbar besteht, wobei diese affirmative Bedeutung sich immer in Abgrenzung von ihrem spezifischen Entgegengesetzten konstituiert. In Bezug auf das Moment des Anfangs der spekulativen Dialektik wird in der Forschung hierbei gelegentlich noch eine Unterscheidung getroffen. Die Frage hierbei ist, ob die negative Unterscheidung und Abgrenzung eines logischen Bedeutungsgehalts von seiner ihm spezifisch entgegengesetzten Negation mit dem einfachen und unmittelbaren Anfang zusammenfällt oder erst aus ihm folgt. Letzteres würde bedeuten, dass ein logischer Anfang zunächst im Sinne negationsloser Affirmation einfach und unmittelbar wäre, was einer gedanklichen Erfassung seines jeweiligen Bedeutungsgehalts nicht in der Form der Daseinskategorie des Etwas, sondern in der Form der Kategorie der Realität entspräche. Die negative Unterscheidung und Abgrenzung vom Entgegengesetzten wäre hierbei dann sozusagen ein Zwischenschritt zwischen Anfang 129 130 131 132 133 134 135
GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 12, 41. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 20, 118.
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und Fortgang beziehungsweise zwischen rein affirmativer und negationsloser Unmittelbarkeit einerseits und dialektischem Prozess andererseits. 136 In dieser Lesart bildet sich die Unmittelbarkeit des Anfangs zunächst, d. h. noch vor dem Einsetzen ihrer Dialektik und damit noch ohne produktive Erweiterung ihres begrifflichen Gehalts, von der Form negationsloser Affirmation (schlechthinnige Unmittelbarkeit, formaliter der Daseinskategorie der Realität entsprechend) zu einer solchen Form aus, in der sie sich von ihrem Entgegengesetzten abgrenzt und sich dadurch nun in der Form der Negation der Negation unmittelbar affirmiert. In jedem Fall aber ist die negative Unterscheidung und Abgrenzung einer logischen Bestimmung von ihrem Entgegengesetzten, wie wir noch detaillierter sehen werden, die unmittelbare Voraussetzung der Dialektik. Zugleich ist die Abgrenzung vom Entgegengesetzten dabei noch nicht selbst explizit dialektisch, denn die Dialektik besteht in mehr, und die negative Unterscheidung eines logischen Bedeutungsgehalts von seinem spezifischen Nichtsein ist, so eine Differenz zwischen ihr und der Unmittelbarkeit des Anfangs überhaupt gemacht wird, in jedem Fall als ein methodischer Schritt vor dem Einsetzen des dialektischen Fortgangs anzusehen und dementsprechend als noch dem Moment des Anfangs zugehörig zu betrachten. In unserer Deutung und im weiteren Verlauf der vorliegenden Untersuchung wird also der unmittelbare Anfang der spekulativen Entwicklung gleichgesetzt werden mit einer Auffassung dessen, worin der einfache Bedeutungsgehalt einer logischen 136
Auch Krijnen (Chr. Krijnen: Philosophie als System. Prinzipientheoretische Untersuchungen zum Systemgedanken bei Hegel, im Neukantianismus und in der Gegenwartsphilosophie. Würzburg 2008, 151.) bringt das Unterscheiden / Negieren des Entgegengesetzten auf diese Weise mit der allgemeinen Struktur des Anfangs in Verbindung. Es liege „mit Blick auf das allgemeine Entwicklungsmuster der Logik nahe, die Negation, die Hegel als Gegenstück zur ‚Realität` einführt, aufzufassen als methodischen Operator der Selbstbewegung des Begriffs [. . .]. Ein thematischer Begriff stünde dann zunächst ‚in der Form des Seins`, der Unmittelbarkeit; durch die Frage nach dem, was das Sein ist, nach seiner Bestimmtheit, präzise: durch die Bestimmtheitsforderung des Begriffs, entsteht eine Negationsbeziehung zu seinem Oppositum, das es nicht ist, durch das es jedoch bestimmt ist: Die Analyse von A zeigt, daß es das Oppositum B enthält und vice versa [. . .].“ Dabei unterscheidet Krijnen also zwischen der Erfassung / Thematisierung eines Begriffs in der Form der Unmittelbarkeit einerseits und der Operation des negativen Unterscheidens dieses Begriffs von seinem Entgegengesetzten. Hier ist die Rede davon, dass die Abgrenzung eines begrifflichen Bedeutungsgehalts von dessen Entgegengesetztem, seine „Negationsbeziehung zu seinem Oppositum“ an der unmittelbaren Form des Begriffs, die im eigentlichen Sinne anfänglich ist, erst „entsteht“. In dieser Deutung ist der Anfang der Entwicklung demnach differenziert in a) die Erfassung eines logischen Bedeutungsgehalts in der Form der Unmittelbarkeit im Sinne noch negationsloser Affirmation, was der Form der Daseinskategorie der Realität entspricht, und b) die (dem nachgängige) Analyse dieser Unmittelbarkeit in eine Abgrenzung des jeweiligen Begriffs von seinem spezifischen Entgegengesetzten. Erst diese Analyse des anfänglich Unmittelbaren in eine negative Unterscheidung von seinem Entgegengesetzten bereitet die Grundlage für das Fortgehen der Entwicklung.
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Bestimmung besteht und worin nicht. Die logische Struktur einer logischen Bestimmung, so sie in der Form anfänglicher Einfachheit und Unmittelbarkeit thematisch ist, ist die Negation der Negation im daseinskategorialen Sinne, nicht die einer negationslosen Affirmation. Diese Unterscheidung betrifft auch die Frage, ob die verständige Dimension des spekulativen Denkens, welche die Abgrenzung einer logischen Bestimmung von ihrem ihr entgegengesetzten begrifflichen Gegenteil leistet, mit dem anfänglichen Erfassen der jeweiligen Bedeutung in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit gleichzusetzen ist. 137 Nun stellt sich auch bei den genannten Formbestimmungen der verständigen Komponente des spekulativen Denkens – Härte, Unveränderlichkeit, Festigkeit, fixes Bestehen – dieselbe Schwierigkeit, die zuvor bereits in Hinblick auf die Formen der Einfachheit und Unmittelbarkeit, insofern diese Formbestimmungen des logischen Anfangs sein sollen, bedacht worden ist. Dabei ist der Gedanke gewesen, dass das seiner Form nach wesentlich Einfache und Unmittelbare als solches nicht schon im Vornherein auf seine dialektische Prozessstruktur und damit auf eine – nicht bloß negative – Vermittlung seiner selbst mit seinem Anderen bezogen werden darf. In Hinblick auf die dialektische Entwicklung der Bestimmungen des reinen Denkens bedeutet dies, dass ihre gedankliche Erfassung in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit, d. h. so, wie sie zunächst als Resultate ihrer jeweiligen, zurückliegenden Genese deduziert worden sind, nicht bereits als Anfang eines kommenden Fortgangs charakterisiert werden dürfen. Zunächst ist die notwendige Bezogenheit des Anfangs auf den Fortgang und schließlich auf das Ende nur für den metareflektierenden Philosophen einsehbar, ohne dass diese Bezogenheit jedoch ein konstitutives Moment der Argumentation und des Einsetzens der weiteren Entwicklung sein darf. Der Anfang ist eben einfach und unmittelbar und eben aus diesem Grund noch nicht mit dem Fortgang und der am Anfang selbst hervortretenden Dialektik vermittelt. Dass eine jeweilige Denkbestimmung, die rücksichtlich ihrer spekulativen Genese zunächst als eine formaliter einfache, unmittelbare und abstrakt-allgemeine noematische Bedeutungseinheit 137
So unterscheidet auch Düsing (K. Düsing: „Intuitiver Verstand und spekulative Dialektik. Untersuchungen zu Kants Theorie und zu Hegels metaphysischer Umgestaltung“, in: Il pensiero. Rivista di filosofia, LV, 2016, 9–27, 26.) einerseits die verständig-fixierende Komponente der spekulativen Dialektik von dem Moment des unmittelbaren Anfangs und schreibt sie andererseits dennoch – im erwähnten Sinne eines Zwischenschritts zwischen Anfang und dialektischem Fortgang – noch der ersten Stufe der Methode zu: „Die erste Stufe ist die noch verständige Setzung, die fixierte endliche Bestimmungen aufstellt. Sie ist nicht identisch mit dem Denken anfänglicher Unmittelbarkeit, das, wie gezeigt, intuitiv und ganzheitlich erfolgt, sondern bildet nur eine unselbständige, aber von Hegel beachtete Vorstufe eigentlichen, spekulativen Denkens. Die zweite Stufe ist die negativdialektische [. . .].“
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thematisch ist, überhaupt „selbst ein neuer Anfang“ 138 einer weiteren Stufe der logischen Entwicklung ist, darf also, mit anderen Worten, nicht vorausgesetzt werden, sondern muss sich mit immanenter Notwendigkeit an dieser resultierten Form der Denkbestimmung selbst darstellen. Diese Forderung stellt sich nun erneut in Bezug auf die obigen Charakterisierungen des Verstandesdenkens, insofern dieses innerhalb der binnendifferenzierten Gesamtstruktur der spekulativ-dialektischen Methode als das Vermögen des Anfangs interpretiert wird. 139 Die „Festigkeit“ 140 und „Härte“ 141, die den verständig erfassten, „für sich bestehend[en] und seyend[en]“ 142 Denkbestimmungen in ihrem „fixe[n] Bestehen“ 143 zukommt, geht, so Hegel, unmittelbar einher mit ihrer Unveränderlichkeit. Die anfängliche Einfachheit und Unmittelbarkeit der Denkbestimmungen, die zunächst, wie dargestellt worden ist, von jeglichem Fortgang noch abstrahieren muss, verleiht den Bestimmungen zugleich die „Form abstracter Allgemeinheit“ 144. Dies liegt darin begründet, dass die Vermittlung der jeweiligen Denkbestimmung mit sich, die dem ihr zugehörigen, inhaltlich spezifisch bestimmten dialektischen Prozess und damit der Darstellung des inneren Widerspruchs ihres Verstandesbegriffs entspricht, an der anfänglichen unmittelbaren Form der Denkbestimmung noch nicht gesetzt ist. Da diese dialektische Vermittlung im weiteren Fortgang der Entwicklung an der anfänglich-verständigen Form der jeweiligen Denkbestimmung selbst hervortreten wird, wird sie nicht als eine äußerliche Vermittlung, sondern als eine immanente Besonderung dieser Denkbestimmung zu charakterisieren sein, im Zuge derer sie sodann ihre wenngleich notwendige, so doch ebenso sehr 138 139
140 141 142 143 144
GW, Bd. 12, 250. Allgemein ist an dieser Stelle bereits auf einen wichtigen Umstand hinzuweisen, der im weiteren Verlauf unserer Untersuchung noch detaillierter herausgestellt werden wird, nämlich, dass die Begriffe Verstand, negative Verunft und positive Vernunft in der Logik nur insofern eine Rolle spielen, als dass sie Momente des gesamten spekulativen Denkaktes darstellen. Als solche sind sie nicht als getrennt voneinander zu begreifen, stellen innerhalb der höheren Einheit, in der sie aufgehoben sind, jedoch unterscheidbare Aspekte derjenigen in sich komplexen und produktiven Prozessualität dar, in welcher ihre Einheit schlussendlich besteht. Wir folgen in unserem Verständnis der Unterscheidung dieser drei Momente also der Einschätzung von R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 217: „Verstand und Vernunft sollen im Rahmen dieses Theorems nicht zum Ausdruck bringen, daß die Logik in einer Vermögenspsychologie begründet ist. Verstand und Vernunft als konkrete Vermögen sind nach Hegel vielmehr in der Geisteslehre als zwei konkrete ‚Tätigkeitsweisen des Geistes` zu verorten.“ GW, Bd. 12, 41. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 12, 239.
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defizitäre Abstraktheit überwinden und damit als eine konkrete Allgemeinheit auch gesetzt sein wird. 145 Die Formbestimmung der Einfachheit und Unmittelbarkeit, die einer jeden Denkbestimmung im Anfang ihrer weiteren Entwicklung zukommt, abstrahiert jedoch noch von dieser wesentlich prozessualen Selbstvermittlung und damit von der Dialektik, die sich als Besonderheit des allgemeinen und unmittelbaren Anfangs an diesem selbst darstellen wird. Die „Form der abstracten Allgemeinheit“ 146, die der anfänglichen, verständigen Fixierung der Denkbestimmungen entspricht und ihnen „Härte“ 147 und „Festigkeit“ 148 verleiht, macht sie „unveränderlich“ 149 und damit beziehungs- und prozesslos. Der immanente Prozess der dialektischen Selbstvermittlung der Denkbestimmungen, der Prozess ihrer Besonderung, im Rahmen derer sie ihren anfänglichen noematischen Bedeutungsgehalt an ihm selbst erweitern und bereichern, mithin sich zu einer komplexeren Form ihrer selbst entwickeln, steht, mit anderen Worten, im Anfang der Entwicklung erst noch bevor. Das „Denken als Verstand“ 150 stellt, wie wir gesehen haben, in Hinblick auf die einheitliche Gesamtstruktur der spekulativ-dialektischen Methode eine Dimension des Moments des Anfangs dar. Es entspricht innerhalb des komplexen spekulativen Denkaktes derjenigen Stufe, auf der die Bestimmungen des reinen Denkens im Moment ihres genetischen Resultierens aus nächstallgemeineren Bestimmungen in der Form der Einfachheit, Unmittelbarkeit und der „abstracten Allgemeinheit“ 151 erfasst werden, und verleiht ihnen damit zunächst eine „Festigkeit“ 152 und Unveränderlichkeit. Bestimmen wir also das Verstandesdenkens innerhalb der Gesamtstruktur der spekulativen Dialektik 145
146 147 148 149 150 151 152
Vgl. hierzu die Ausführungen von Kaehler (K. E. Kaehler: „Hegels Kritik der Substanz-Metaphysik als Vollendung des Prinzips neuzeitlicher Philosophie“, in: Metaphysik und Metaphysikkritik in der Klassischen Deutschen Philosophie. Hamburg 2012, 133–160, 145 f.), der bezüglich der Bedeutung der abstrakten Allgemeinheit innerhalb der spekulativen Begriffsentwicklung festhält, dass „Hegel an[erkennt], dass die abstrakte Allgemeinheit, die als solche indifferent gegen alle Bestimmung und Unterscheidung ist, das grundlegende Element auch des begreifenden Denkens (und damit dessen, was Hegel als ‚dialektische Begriffsentwicklung` systematisch zur Ausführung bringt) sei. Aber er verlangt, dass der Fortgang von diesem Anfang nicht durch Bestimmungen gemacht wird, die außer der Reichweite der Negativität dieser ‚Grundlage` – als absolute Abstraktion von aller Bestimmtheit – lägen; denn dies würde zugleich bedeuten, dass der Anfang nicht radikal, nicht wahrhaft absolut gedacht bzw. gesetzt wäre – nicht als das Ganze in der gehörigen totalen Unbestimmtheit, die seine einzig angemessene Bestimmtheit ist.“ GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 12, 41. GW, Bd. 12, 41. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 12, 41.
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als das Vermögen des Anfangs, so muss für die ihrer Form nach verständige Erfassung der Denkbestimmungen auch das gelten, was Hegel im Rahmen der Methodenreflexion über den Anfang als den alleinigen Grund der dialektischen Entwicklung sagt. Die an sich mangelhafte verständige Form, die den Denkbestimmungen als Resultaten der zurückliegenden Entwicklung zunächst zukommt, muss, mit anderen Worten, zugleich der Grund dafür sein, dass diese sich an ihnen selbst weiterentwickeln, eine eigene, neue dialektische Entwicklung anfangen und ihre anfängliche Abstraktheit und Unmittelbarkeit produktiv überwinden. Das „Unmittelbare des Anfangs“ 153, das verständig als „für sich bestehend und seyend“ 154, als „unveränderlich“ 155, als „ein einfaches“ 156 erfasst wird und damit „den Sinn und die Form abstracter Allgemeinheit hat“ 157, muss also bereits „an ihm selbst das Mangelhafte, und mit dem Triebe begabt seyn, sich weiter zu führen“. 158 In dieser Hinsicht spricht Hegel im Kontext der Ausführungen zur Begriffsbestimmung der Besonderheit davon, dass die verständig-fixierende Dimension des Denkens, indem sie den Bestimmungen des reinen Denkens die besagte „Härte des Seyns“ 159 verleiht, d. h. sie ihrer Form nach als abstrakt-unmittelbare und einfache, vermittlungs- und prozesslose Bedeutungseinheiten bestimmt, die Denkbestimmungen zugleich begeistet: Der Verstand gibt ihnen zwar durch die Form der abstracten Allgemeinheit so zu sagen, eine solche Härte des Seyns, als sie in der qualitativen Sphäre, und in der Sphäre der Reflexion nicht haben; aber durch diese Vereinfachung begeistet er sie zugleich, und schärft sie so zu, daß sie eben nur auf dieser Spitze die Fähigkeit erhalten, sich aufzulösen und in ihr entgegengesetztes überzugehen. 160
Der hier beschriebene Prozess, der sich an der unmittelbaren Form der Denkbestimmungen selbst vollziehen soll und der ihre verständige „Vereinfachung“ 161, d. h. die bewegungslose einfache und unmittelbare Form der Bestimmungen, zu seiner Voraussetzung hat, ist die Dialektik. Dies wird auch an der Wortwahl der zitierten Passage deutlich, auf deren Ende die spätere enzyklopädische Beschreibung des „dialektische[n] oder negativ-vernünftige[n]“ 162 Moments der spekulativen Entwicklung zurückgreifen und zentrale Formulie153 154 155 156 157 158 159 160 161 162
GW, Bd. 12, 240. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 12, 41. GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 240. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 20, 118.
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rungen in den entsprechenden Paragraphen 81 aufnehmen wird: „Das dialektische Moment ist das eigene Sich-Aufheben solcher endlichen Bestimmungen [d. h. der Verstandesbegriffe, L.H.] und ihr Uebergehen in ihre entgegengesetzte.“ 163 Voraussetzung für das Einsetzen des dialektischen Prozesses, im Rahmen dessen eine Denkbestimmung sich auflöst, aufhebt und sich werdend zu der ihr spezifisch entgegengesetzten Bestimmung transformiert, ist demnach, wie oben zitiert worden ist, zunächst die Zuschärfung und Zuspitzung des Unterschieds zwischen a) der in Frage stehenden Denkbestimmungen und b) ihrem Entgegengesetzten. Diese Voraussetzung wird durch das „Denken als Verstand“ 164 erfüllt, welches die Denkbestimmung vereinfacht, indem es sie „als für sich bestehend und seyend“ 165, mithin in der Form der Unmittelbarkeit und der abstrakten Allgemeinheit erfasst. Dabei wird diese „Vereinfachung“ 166 nicht durch das Verstandesdenken an den Denkbestimmungen äußerlich vollbracht, sondern diese stellen sich vielmehr selbst zunächst in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit dar, insofern sie als Resultate der zurückliegenden spekulativen Entwicklung deduziert worden sind. In jedem Fall aber hat die verständige Vereinfachung die doppelte Bedeutung a) von vermittlungs- und prozessloser Einfachheit sowie dementsprechend b) von Beschränktheit, Mangelhaftigkeit und Vorläufigkeit, da im unmittelbaren Anfang der Entwicklung einer Denkbestimmung ihr immanenter Widerspruch, d. h. der ihr subordinierte, spezifisch bestimmte dialektische Prozess, noch nicht an ihr gesetzt ist. Die in diesem doppelten Sinn vereinfachte Bedeutung einer Denkbestimmung sowie dementsprechend die Stellung des endlichen Verstandesdenkens, das diese Erfassung leistet, innerhalb der Gesamtstruktur der spekulativ-dialektischen Methode sind notwendige Bedingung für das Hervortreten der Dialektik, insofern diese richtig, d. h. als die Darstellung des immanenten Widerspruchs der Denkbestimmungen, begriffen werden soll. In diesem Sinn formuliert Hegel rücksichtlich der verständig-unmittelbaren Erfassung der Denkbestimmungen sehr deutlich, dass diese „nur auf dieser Spitze die Fähigkeit erhalten, sich aufzulösen und in ihr entgegengesetztes überzugehen“. 167 Die Betonung kann hierbei, wie parallel dazu auch in Paragraph 81 der enzyklopädischen Logik, erläuternd auf das Sich-Auflösen beziehungsweise auf das Sich-Aufheben gelegt werden. Soll das dialektische und widersprüchliche 163 164 165 166 167
GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 12, 42. Vgl. hierzu auch H.-G. Gadamer: „Hegel und die antike Dialektik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 7–30, 22: „Die Zuspitzung zum Widerspruch ergibt sich also gerade dadurch, daß die entgegengesetzten Bestimmungen in ihrer Abstraktion für sich gedacht werden.“
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Prozessverhältnis, in welches eine Denkbestimmung im Rahmen des Fortgangs der Entwicklung zu der ihr spezifisch entgegengesetzten Bestimmung gesetzt wird, Ausdruck eines immanenten Widerspruchs und Darstellung der dieser Denkbestimmung inhärierenden Dialektik sein, dann, so Gedanke, müssen sich die Denkbestimmungen an ihnen selbst und damit werdend zu ihrer Negation, d. h. zu ihrem jeweiligen Gegenteil, transformieren. Nur so kommen „immanenter Zusammenhang und Nothwendigkeit in den Inhalt der [logischen] Wissenschaft“ 168, sodass die Logik nicht bloß eine mittels äußerlicher Entgegensetzungen oder Identifizierungen angefertigte „Historie von mancherlei zusammengestellten Gedankenbestimmungen [bleibt], die in ihrer Endlichkeit als etwas Unendliches gelten“. 169 Die logischen Bestimmungen müssen daher zunächst in der oben erläuterten verständigen „Vereinfachung“ 170 erfasst werden. Die Form der Einfachheit, Unmittelbarkeit und der abstrakten Allgemeinheit, in welcher ihr noematischer Bedeutungsgehalt sich als Resultat der zurückliegenden Entwicklung ergeben hat, ist streng beizubehalten, um sicherzugehen, dass auch jegliches weitere Resultat, dass sich im Ausgang von diesem neuen Anfang darstellen wird, ein Resultat der mit apriorischer „Nothwendigkeit“ 171 und Gesetzmäßigkeit sich vollziehenden Selbstexplikation des reinen Denkens ist. In diesem Sinne ist auch hier erneut auf das methodische Moment des anschauenden Denkens zu verweisen, wie Hegel den Anfang der spekulativen Dialektik charakterisiert. Die gedankliche Erfassung der Bestimmungen des reinen Denkens – seien sie „ein Inhalt des Seyns oder des Wesens oder des Begriffes“ 172 – zunächst in ihrer im doppelten Sinne vereinfachten und noch unveränderlichen Form entspricht einem anschauenden, aber wesentlich intellektuellen, verständigen Erfassen einer unmittelbaren noematischen Bedeutungseinheit. Die fixierende und bestimmende Tätigkeit des Denkens, das im Anfang der spekulativen Entwicklung einer Denkbestimmung diese zunächst als einen unmittelbaren Inhalt bestimmt, indem es die ihr spezifisch entgegengesetzte Bestimmung negiert, kann man – frei von jeglichen mystizistischen Implikationen – „auch ein übersinnliches, innerliches Anschauen nennen“ 173. Das begriffliche Erfassen einer Denkbestimmung im Anfang ihrer spekulativ-dialektischen Entwicklung hat Anschauungscharakter, da es ein Erfassen einer ihrer Form nach einfachen, unmittelbaren und (noch) dialektikfreien, prozesslosen Bedeutungseinheit ist. Übersinnlich ist diese verständige Denktätigkeit mit Anschauungscharakter 168 169 170 171 172 173
GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 239.
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allein dadurch, dass sie ihren unmittelbaren Inhalt nicht rezeptiv aus der sinnlichen Anschauung nimmt, sondern sich rein „im Elemente des Denkens“ 174 vollzieht. 175 Das verständige Fixieren einer Denkbestimmung als eines seiner Form nach voraussetzungslosen und unmittelbaren noematischen Inhalts eröffnet, wie zuvor bereits dargelegt worden ist, allererst die Möglichkeit, rein spekulativ zu erfassen, was mit diesem Inhalt an ihm selbst geschieht, d. h. sich an immanenter synthetischer Prozessualität rein analytisch nur aufgrund der im noematischen Inhalt selbst bereits enthaltenden Produktivität darstellt und entwickelt. 176 174
175
176
GW, Bd. 12, 239. Vgl. hierzu auch: GW, Bd. 21, 54: „Logisch ist der Anfang, indem er im Element des frey für sich seyenden Denkens, im reinen Wissen gemacht werden soll.“ Vgl. hierzu auch erneut die Berliner Antrittsvorlesung (TWA, Bd. 10, 415.), in der Hegel festhält: „In der Philosophie verläßt man allerdings den Boden des [sinnlichen, L.H.] Anschauens, ihre Welt ist im Gedanken; es muß einem Hören und Sehen vergangen sein.“ Hieran zeigt sich sehr deutlich, in welchem Maße sich Hegels Konzeption der intellektuellen Anschauung in der Entwicklung vom Früh- bis zum Spätwerk gewandelt hat. Während Hegel in den Frankfurter Schriften und in den frühen Jenaer Schriften die intellektuelle Anschauung als ein eigenständiges, von Verstand und Reflexion verschiedenes Erkenntnisvermögen annahm, lässt er sie später und insbesondere in der Wissenschaft der Logik vollständig in der spekulativen Dialektik aufgehen. So spricht Hegel etwa in der Differenzschrift noch davon, dass philosophische Reflexion und absolute Anschauung in der Spekulation synthetisiert werden müssen, wenn ein Denken des Absoluten möglich sein soll. Vgl. hierzu GW, Bd. 4, 1–92, insb. 16–34. Zwar erfolgt auch hier die Synthese von Reflexion und Anschauung nicht äußerlich, sondern als ein immanentes Streben der Vernunft, die Einseitigkeit der Reflexion und die Selbstzerrüttung der fixierenden Verstandestätigkeit zu vervollständigen. Jedoch sind Reflexion und Anschauung damit einander zunächst wesentlich entgegengesetzt und ihre Synthese, die das Wesen der Spekulation ausmacht, erst ein (wenngleich immanent notwendiges) Resultat. Gerade diese ursprüngliche Entgegensetzung von Reflexion und Anschauung, auf deren Grundlage sie sich allererst synthetisieren, markiert nun aber den Unterschied zu der späteren Bestimmung ihres Verhältnisses innerhalb der spekulativ-dialektischen Methode. In dieser sind Anschauung und Reflexion unmittelbar miteinander verknüpft, indem der zunächst einfache Anfang an ihm selbst dialektisch wird und folglich das Ideal einer unmittelbaren gedanklichen Bedeutungserfassung, wie wir im Folgenden noch genauer sehen werden, auf spezifische Weise auch über den diskursiven und reflexiv-dialektischen Fortgang der Entwicklung übergreift. Bezüglich des Verhältnisses, in dem das Denken als verständiges Erfassen und als Reflexion einerseits und die intellektuelle Anschauung andererseits zueinander stehen, ist hier die folgende Unterscheidung zu treffen. In der Differenzschrift basiert die Synthese von philosophischer Reflexion und intellektueller Anschauung auf der Einsicht, dass die Einheit von Endlichkeit und Unendlichkeit, wenngleich nicht in Form eines endlichen Begriffs fixierbar, dem Denken des Absoluten dennoch als notwendiges Postulat inhäriert, indem es als solches gerade auf eine gedankliche Erfassung des Unendlichen ausgerichtet ist. Weder, so der Gedanke, darf das Absolute gegenüber dem Denken transzendent bleiben noch einfach nur ein vom Denken subjektiv Gesetztes sein, denn in beiden Fällen wäre es dem Denken entgegengesetzt, mithin ein Beschränktes und gerade nicht das Absolute. Unendlichkeit und Endlichkeit, d. h. das Absolute und dessen gedankliche Erfassung, ste-
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Die fixierende Tätigkeit des verständigen Denkens besteht, wie dargelegt worden ist, in der limitativen Unterscheidung einer reinen Denkbestimmung von ihrem begrifflichen Gegenteil: Das Etwas ist Negieren des Anderen, das Ansichsein ist Negieren des Seins-für-Anderes, die Ursache ist Negieren der Wirkung usf. In diesem Sinne bleibt das Denken auch rücksichtlich der logihen also in einem antinomischen Verhältnis zueinander, indem gilt, dass „insofern eines derselben gesetzt, das andere aufgehoben ist.“ (GW, Bd. 4, 17.) Der adäquate Begriff des Absoluten ist somit jedoch nicht länger der einer Unendlichkeit, die dem Endlichen entgegengesetzt ist, sondern erweitert sich zur Einheit von Endlichkeit und Unendlichkeit sowie zur Einheit von a) reflektierender Erfassung des Absoluten und b) seiner un-abhängigen Vollständigkeit und Autonomie. Die Spekulation, die diesen Begriff des Absoluten in seiner Vollständigkeit zu fassen vermag, kann als ein notwendiges und diskursives Schließen auf eine nicht mehr diskursiv strukturierte Einheit von Entgegengesetzten charakterisiert werden. Sie ist Selbstüberschreitung der Reflexion hin zu einem absoluten Einheitsgrund, in Rückbezug auf welchen alle endlichen Entgegensetzungen (und somit auch die Reflexion selbst) als Beschränkungen dieser Einheit den Grund ihrer Möglichkeit haben. Die Einheit von Reflexion und absoluter Anschauung, die für Hegel hier den Begriff des Spekulativen ausmacht, ist in diesem Sinne die Konstruktion des Absoluten als solchen im reflektierenden Denken. Vgl. hierzu GW, Bd. 4, 16. Die (immanente) Selbstüberschreitung der Reflexion im Denken des Absoluten, d. h. im Denken einer unmittelbaren Einheit von Entgegengesetzten, ist hier also selbst derjenige Gedankeninhalt, dessen Notwendigkeit als eine ursprüngliche Einsicht angeschaut wird, indem sie zwar auf Grundlage des reflektierenden Denkens erschlossen wird, dabei selbst jedoch über die Reflexion hinausgeht. Während das reflektierende Denken, in dem die Dialektik antinomischer Verhältnisse expliziert wird, die Einheit von Identität und Entgegensetzung nur in negativer Form zu verfassen vermag, wird in der Spekulation diese Einheit als eine unmittelbare Einheit und damit positiv postuliert. In der spekulativen Dialektik des Spätwerks hingegen – und dies ist ein zentrales Thema der vorliegenden Untersuchung – durchwirkt das intellektuelle Anschauen in transformierter Gestalt alle Momente des synthetischen Fortgangs immanent, indem dieses Fortgehen unmittelbar mit einer analytischen Selbstbegründung vereinigt ist, und ist somit in allen Phasen der Entwicklung des Denkens vollständig logifiziert. Sowohl in der Differenzschrift als auch in der Wissenschaft der Logik besteht die Spekulation in der Einheit von Reflexion und intellektueller Anschauung. In der Differenzschrift bleiben jedoch beide Erkenntnisvermögen noch dahingehend unterschieden, dass die Reflexion sich hier allererst aufgrund einer ihr immanenten Mangelhaftigkeit mit dem intuitiven Denken zu einer höherstufigeren Form des Erkennens zusammenschließt. Spekulation ist hier die Rückführung einander entgegengesetzter Bestimmungen auf einen absoluten, beide Bestimmungen unmittelbar in sich vereinigenden Einheitsgrund, auf den die endliche Erfassung der Entgegengesetzten und das aus ihr resultierende, die Endlichkeit der Bestimmungen zerstörende Antinomiendenken als dasjenige, was in ihnen zum Ausdruck kommen soll, aber nicht zum Ausdruck kommen kann, immanent verweisen. Während der Verstand nur entweder die Identität oder die Nichtidentität zweier Bestimmungen fixieren kann und die Reflexion die Selbstzerstörung dieser verständigen Endlichkeit im antinomischen Beziehen beider Bestimmungen aufeinander darstellt, besteht die Spekulation in der Identität von Identität und Nichtidentität der Entgegengesetzten. Mit dieser notwendig postulierten positiven Einheit von Identität und Differenz entgegengesetzter Bestimmungen ist sodann auch derjenige Begriff des Absoluten gewonnen, aus dem heraus sowohl das fixierende Verstandesdenken als auch das vernünftige,
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schen Bestimmung zunächst „bei der festen Bestimmtheit und der Unterschiedenheit derselben gegen andere stehen“ 177. Etwas, Ansichsein und Ursache sind zunächst erfasst als die Negation ihrer jeweiligen konkret bestimmten Negation. Die Bestimmtheit ist fest und „unveränderlich“ 178 in dem Sinne, dass die Dialektik dieser Denkbestimmungen, das „eigene Sich-Aufheben solcher endlichen Bestimmungen und ihr Uebergehen in ihre entgegengesetzte“ 179 hier, d. h. im Anfang, noch nicht nachvollzogen worden ist und die unmittelbare Bedeutungseinheit des Anfangs sich noch nicht an ihr selbst zu einem dialektischen Transformationsprozess bestimmt hat. Das Etwas ist noch nicht an ihm selbst zum Anderen geworden, das Ansichsein noch nicht in Seinfür-Anderes übergegangen, denn noch wird von diesem nur im Fixieren des Ansichseins negierend abstrahiert, und die Ursache ist noch nicht selbst als Wirkung (ihres Wirkens) begriffen. Ebenso ist in Hinblick auf die allgemeine Struktur der Entwicklung einer jeden Denkbestimmung der Anfang als solcher gerade dadurch bestimmt, dass er noch nicht fortgegangen, der dialektische Prozess am unmittelbaren Anfang zunächst noch nicht gesetzt ist. Die negierende Grenzziehung zwischen einer Denkbestimmung und der ihr je spezifisch entgegengesetzten Bestimmung, nach der alle Denkbestimmungen im Anfang ihrer dialektisch-spekulativen Entwicklung Negation ihrer Negation, mithin ein spezifisch bestimmtes Etwas sind, lässt sie für das verständige Denken ein „beschränktes Abstractes“ 180 sein, das eben durch die Unterscheidung von seiner jeweiligen Negation als „für sich bestehend und seyend“ 181 gilt. Diese „Härte des Seyns“ 182, zunächst nur die unveränderliche, noch prozess- und dialektikfreie negative Unterscheidung von ihrer Negation zu sein, ist für die Denkbestimmungen zugleich jedoch die besagte Zuschärfung und Zuspitzung, die sie „begeistet“ 183 und dazu befähigt, sich auflösend in die ihnen zunächst nur negativ entgegengesetzte Negation ihrer selbst „überzugehen“. 184
177 178 179 180 181 182 183 184
antinomisch verfahrende Reflektieren regulativ in einem durchgängig bestimmten Begründungshorizont erscheinen. Für eine ausführliche Darstellung des Verhältnisses, in welchem philosophische Reflexion und intellektuelle Anschauung in Hegels früher Jenaer Zeit zueinander stehen, vgl. R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, insb. 41–51, sowie K. Düsing: „Spekulation und Reflexion. Zur Zusammenarbeit Schellings und Hegels in Jena“, in: Hegel-Studien (Bd. 5). Bonn 1969, 95–128. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 12, 41. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 12, 42.
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Da die Aufhebung und Auflösung einer reinen Denkbestimmung, wie dargestellt worden ist, ihre selbstbezügliche Aufhebung sowie ihr „Uebergehen in ihre entgegengesetzte“ 185 daher ein immanenter, mit apriorischer Notwendigkeit sich vollziehender Werdensprozess sein muss, kann der Grund dieser dialektischen Prozessualität auch nur im noematischen Bedeutungsgehalt der zunächst in verständiger Form erfassten Denkbestimmung selbst liegen. Dieser Bedeutungsgehalt einer Denkbestimmung im Anfang ihrer spekulativen Entwicklung ist die negative Unterscheidung von der ihr entgegengesetzten Bestimmung. Hierin besteht ihre endliche, zunächst noch verständige Affirmation. Nun soll der Fortgang der spekulativen Entwicklung einer Denkbestimmung allein durch diese ihre anfängliche, formaliter verständige Fixierung begründet sein, d. h. die „concrete Totalität, welche den Anfang macht, [. . .] als solche in ihr selbst den Anfang des Fortgehens und der Entwicklung“ 186 haben. Dann aber müssen das „Sich-Aufheben“ 187 der verständig erfassten Denkbestimmung und ihre immanente, dialektische Transformation zu der ihr entgegengesetzten Bestimmung allein in dem zunächst nur negativen Verhältnis der jeweiligen Denkbestimmung zu ihrem Entgegengesetzten begründet liegen. Die Selbstaufhebung einer Denkbestimmung, die ihre anfängliche verständige Form negiert und damit den dialektischen Fortgang der Entwicklung einleitet, hat, mit anderen Worten, die Totalität ihrer Bedingungen in dem je spezifisch bestimmten Negationskomplex, der als einfaches Negieren der Negation einer Denkbestimmung zunächst deren verständige Affirmation ausmacht. Das werdende Übergehen des Etwas an ihm selbst zum Anderen, um auf unsere Beispiele zurückzukommen, liegt allein im anfänglichen, verständigen Begriff des Etwas, d. h. im negierenden Ausschließen des Anderen, begründet. Das Übergehen des Ansichseins in das Sein-für-Anderes hat seinen Grund dementsprechend im abstrahierenden Negieren des Seins-für-Anderes, in dem die kategoriale Affirmation des Ansichseins im Anfang seiner spekulativen Entwicklung besteht. Die Transformation der Ursache an ihr selbst zur Wirkung hat ihren Grund im ursprünglichen negierenden Ausschließen der Wirkung aus dem Verstandesbegriff der Ursache als deren Negation. Das Verhältnis dieser konkreten Anfänge und Fortgänge schlägt sich auch in allgemeiner Hinsicht in der Struktur der spekulativen Dialektik nieder. Das Einsetzen des Fortgangs einer spekulativen Entwicklung, wodurch der Anfang seine ursprüngliche Unmittelbarkeit an sich selbst überwindet, ist begründet allein durch das anfängliche negierende Absehen von allem Fortgang und jeglicher dialektischer Vermittlung. 185 186 187
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In diesem Sinne ist das verständige Fixieren der Denkbestimmungen als formaliter unmittelbarer, beziehungsloser Bedeutungseinheiten, das einem intellektuellen Anschauen gleichkommt, zugleich diejenige Tätigkeit, welche die Bestimmungen „begeistet“ 188, sie so zuschärft und zuspitzt, dass sie sich aus sich heraus auflösen und dialektisch in ihr Gegenteil übergehen können. Der Grund des dialektischen Übergehens einer Denkbestimmung in die ihr negativ entgegengesetzte Bestimmung liegt in dem anfänglichen – eben rein negativen – Verhältnis zwischen a) der betreffenden Denkbestimmung und b) der ihr entgegengesetzten Bestimmung. Die verständige Fixierung der in Frage stehenden Denkbestimmung, indem sie gerade in der negativen Grenzziehung zu dem ihr entgegengesetzten Bedeutungsgehalt besteht, bereitet zugleich auch die vollständige Grundlage für den jener Denkbestimmung spezifisch zugehörigen dialektischen Prozess. Das verständige Denken „begeistet“ 189 also die logischen Bestimmungen, indem es in dem soeben beschrieben Sinn die unmittelbare Grundlage für die dialektische beziehungsweise negativ-vernünftige Denktätigkeit darstellt. Soll die dialektische Selbstaufhebung einer Denkbestimmung, mit der ihre synthetische Transformation zu der ihr entgegengesetzten Bestimmung einhergeht, sich rein analytisch aus dem unmittelbaren Bedeutungsgehalt jener Denkbestimmung deduzieren, dann, so der Gedanke, muss dieser Bedeutungsgehalt zunächst an und für sich selbst fixiert werden, damit seine Aufhebung und Transformation sich mit logischer Notwendigkeit, d. h. an ihm selbst, vollziehen und darstellen können. Da die verständige Fixierung des noematischen Bedeutungsgehalts einer Denkbestimmung von limitativer Natur ist, d. h. im negierenden, verneinenden Ausschließen des der Denkbestimmung entgegengesetzten Gegenteils besteht, entspricht diese Fixierung zugleich einer Zuschärfung und Zuspitzung des negativen Verhältnisses zwischen den beiden Entgegengesetzten. Der Sinn und die Bedeutung von Hegels methodischer Aussage, dass das verständige, fixierende Moment der spekulativen Dialektik die logischen Bestimmungen zugleich begeistet, werden an dieser Stelle der Untersuchung nur im Vorausblick auf den weiteren Verlauf des spekulativen Entwicklungsprozesses in Gänze verständlich. Zunächst aber wird nun das zweite Moment der spekulativen Dialektik zu erörtern sein, zu welchem die durch sie geleitete Entwicklung fortgeht, indem ihr unmittelbarer Anfang sich im Zuge seiner immanenten Selbstnegation, seines „eigene[n] Sich-Aufheben[s]“ 190 produktiv zu einem über sein ursprüngliches Stadium sowohl in Struktur als auch in Inhalt hinausgehenden prozessualen Sinn- und Bedeutungszusammenhang bestimmt. 188 189 190
GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 20, 119.
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2. Der Fortgang 2.1 Die Dialektik und der „bachantische Taumel“ der logischen Bestimmungen Der Anfang eines spekulativ-dialektischen Denkaktes besteht in der Logik, wie wir gesehen haben, in der unmittelbaren gedanklichen Erfassung einer begrifflichen Bedeutungseinheit. In dieser unmittelbaren und einfachen Form, mit der das Denken sich und seine Bestimmungen völlig voraussetzungs- und vorurteilsfrei thematisiert, wird noch wesentlich von jeglicher Differenzierung und Spezifizierung der jeweiligen Denkbestimmung abgesehen und der je thematische Begriff zunächst ganz einfach als das aufgefasst, was er ist/was mit seiner Bedeutung zum Ausdruck kommt. Dieser anfängliche Akt einer intuitiven gedanklichen Bedeutungserfassung fällt, wie dargelegt, damit zusammen, dass die jeweilige logische Bestimmung, die am Anfang ihrer Entwicklung in dieser Form vorliegt, sich von dem unterscheidet, was sie in dieser ihrer unmittelbaren Bedeutung unmittelbar nicht ist. Ihr affirmativer Bedeutungsgehalt konstituiert sich damit unmittelbar durch die „Tiefe des Unterschieds“ 1 zwischen ihr und der ihr spezifisch entgegengesetzten Negation ihrer selbst. Beide Entgegengesetzten unterscheiden sich zunächst rein negativ voneinander und ein jedes grenzt sich in seiner affirmativen Bedeutung von dem anderen als von seinem spezifischen Nichtsein ab. Die allgemeine Form eines unmittelbaren Erfassens von begrifflicher Bedeutung, die dem spekulativen Denkakt in seinem Anfangsstadium somit zukommt, ist zudem um weitere, damit gleichursprünglich mitgesetzte Formbestimmungen ergänzt worden: Der Inhalt des Denkens ist hier seiner Form nach ebenso abstrakt-allgemein, denn es wird von möglichen Spezifizierungen / spezifischen Vermittlungen der unmittelbaren Bedeutung noch abgesehen, er ist einfach, denn was unmittelbar ist, kann keine Zweiheit sein, sowie unveränderlich und unprozessual, denn ein Einfaches kann keine prozessuale Relation zwischen zwei Relata ausdrücken. Das Einsetzen eines über diese begriffliche Unmittelbarkeit, Einfachheit und Unveränderlichkeit des Anfangs hinausgehenden Fortgangs setzt nun innerhalb der spekulativen Entwicklung deswegen ein, weil diese anfängliche Form des Denkens sich an ihr selbst als mangelhaft erweist. Zunächst, d. h. im Anfang der Entwicklung, wird, wie dargestellt, ein logischer Bedeutungsgehalt 1
GW, Bd. 12, 41.
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Der Fortgang
von der ihm spezifisch entgegengesetzten Negation seiner selbst unterschieden, von seinem Nicht-sein abgegrenzt und damit einfach und unmittelbar gedanklich erfasst. 2 Die in der Logik entwickelten Bedeutungsgehalte, d. h. diejenigen Bestimmungen, die das Denken in seiner reinen und freien Selbstexplikation thematisiert, weisen nun ein Sinnspezifikum auf, das in ihrer unmittelbaren Erfassung und aufgrund der logischen Struktur dieses intuitiven Denkaktes offenbar wird: Die Bestimmungen des reinen Denkens stehen in ihrer negativen Unterscheidung von ihrem Entgegengesetzten zu diesem zugleich selbst in derjenigen Beziehung, die durch ihr Entgegengesetztes spezifisch zum Ausdruck kommt. Die logischen Bestimmungen enthalten in diesem Sinne den begrifflichen Gehalt ihrer Negation zugleich in sich. 3 Dieser ist eine wesentliche Dimension ihrer eigenen affirmativen Bedeutung, die jedoch erst in und aufgrund der vorgängigen negativen Unterscheidung von ihrem Entgegengesetzten produktiv zutage tritt. Dabei tritt diese Erkenntnis aber nicht äußerlich zu der anfänglichen Erfassung einer logischen Bestimmung in der Form einer unmittelbaren Bedeutungseinheit hinzu, sondern lässt sich allein aus dieser Form deduzieren. Die synthetische Einsicht, dass die Negation einer logischen Bestimmung ihr nicht nur entgegengesetzt ist, sondern beide dabei zugleich im Verhältnis der Identität stehen, markiert, wie wir nun sehen werden, innerhalb der Gesamtstruktur der spekulativen Entwicklung das Einsetzen des Fortgangs und damit unmittelbar die Selbstaufhebung des Moments des Anfangs. Dasjenige, was immanent aus dem unmittelbaren Bedeutungsgehalt einer logischen Bestimmung resultiert, d. h. sich rein aus ihm deduzieren lässt, ist die Identität der jeweiligen Bestimmung mit ihrem Entgegengesetzten. Dieses Resultat, das aus dem unmittelbaren Anfang der Entwicklung folgt, zerrüttet nun jedoch zugleich die Form des Anfangs. Die Einheit von Identität und Entgegensetzung, d. h. die Identität eines logischen Bedeutungsgehalts mit seinem Entgegengesetzten, kann nicht in einem unmittelbaren und einfachen Begriff 2
3
Vgl. hierzu R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 248: „Da das Allgemeine des Anfangs nur darin besteht, daß von etwas abgesehen wird, was es selbst nicht ist – genauer: noch nicht ist – gibt es etwas, was es von sich ausschließt, d. h. negiert.“ In diesem Sinne bemerkt Düsing (K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn, 3. Auflage 1995, 317.) bezüglich des Verhältnisses, in dem die Entgegengesetzten auf der Entwicklungsebene des (dialektischen) Fortgangs zueinander stehen: „Die einander entgegengesetzten Momente machen für Hegel nun nicht nur den Widerspruch der ursprünglichen Einheit oder Allgemeinheit aus, die in solchen entgegengesetzten Bestimmungen ausgedrückt wird; sie sind auch in sich selbst jeweils widersprüchlich. [. . .] Die einander entgegengesetzten Momente verhalten sich wie das ‚Positive` und das ‚Negative` zueinander, die nach Hegel jeweils ihr Gegenteil in ihrer eigenen Bedeutung enthalten.“
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ausgedrückt werden. Unmittelbar und einfach ist der Anfang der Entwicklung, wie wir gesehen haben, gerade deshalb gewesen, weil ein logischer Bedeutungsgehalt dort zunächst nur negativ von der ihm entgegengesetzten Negation seiner selbst / von seinem spezifischen Nicht-sein unterschieden und abgegrenzt worden ist. Darin bestand die unmittelbare Erfassung der anfänglichen Bestimmung, ihre einfache Bedeutung, die sich dadurch konstituiert, das, was sie nicht ist, zu negieren. Da die Identität einer logischen Bedeutung mit ihrem Entgegengesetzten sich nun aber rein aus dieser negativen Unterscheidung beider deduzieren lässt, sie ein immanentes und notwendiges Resultat des Anfangs ist, muss sie in der Bestimmung dessen, was hier gedacht wird, jedoch auch Berücksichtigung finden. Das methodische Dilemma besteht hier demnach darin, dass aus dem unmittelbaren Anfang der Entwicklung ein Resultat folgt, dessen Struktur mit der Form des Anfangs inkompatibel ist. Der Anfang besteht in der negativen Unterscheidung einer logischen Bestimmung von ihrem Entgegengesetzten, das Resultat aber ist, dass beide gerade in ihrer Entgegensetzung auch identisch miteinander sind. Die Lösung, die das Denken für dieses Dilemma findet, ist, den Bedeutungsgehalt derjenigen Bestimmung, mit deren unmittelbarer Erfassung der Anfang gemacht worden ist, zum Bedeutungsgehalt ihres Entgegengesetzten, mit dem sie sich als identisch erwiesen hat, zu korrigieren. Indem eine logische Bestimmung sich in ihrer negativen Unterscheidung und Abgrenzung von der ihr entgegengesetzten Bestimmung als auch identisch mit dieser erweist, folgt aus der unmittelbaren Erfassung des Bedeutungsgehalts der ursprünglichen Bestimmung das synthetische Urteil: „Die ursprüngliche Bestimmung ist als solche, d. h. in und aufgrund der zunächst nur negativen Unterscheidung von ihrer Negation, identisch mit dieser.“ Da dieses Resultat, dem die Struktur eines Urteils zukommt, nicht in einem unmittelbaren Begriff ausgedrückt werden kann, folgt aus dieser widersprüchlichen Einheit von Identität und Entgegensetzung der beiden Bestimmungen des Weiteren das Urteil: „Die ursprüngliche Bestimmung ist nicht (mehr) sie selbst, sondern ihr Entgegengesetztes.“ Dasjenige, was im Anschluss an die Selbstaufhebung der anfänglichen Bestimmung und als Folge der korrektiven Umwandlung ihrer Bedeutung vorliegt und nun affirmativ thematisch ist, ist ihr Entgegengesetztes, dies aber in dem Sinne, dass die ursprüngliche Bestimmung ihre Bedeutung an ihr selbst zu der ihres Entgegengesetzten verändert hat. An diesem Resultat wiederholt sich sodann der zurückliegende, bis hierher unidirektionale Prozess. Was nun unmittelbar erfasst wird, ist der Bedeutungsgehalt des Entgegengesetzten der ursprünglichen Bestimmung, zu dem diese sich immanent verändert hat, und dieser veränderte, transformierte und korrigierte Bedeutungsgehalt wird nun von seinem Entgegengesetzten, d. h. von der ursprünglichen Bestimmung, negativ unterschieden und abgegrenzt. Für diese logische Bestimmung, die nun in der Form begrifflicher
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Einfachheit gedanklich erfasst wird, gilt nun dasselbe wie für die ursprüngliche Bestimmung, aus der sie resultiert: Auch sie steht zu derjenigen Bedeutung, die sie negativ von sich unterscheidet und abgrenzt, d. h. zu der ursprünglichen Bestimmung, selbst in dem Verhältnis, das durch dieses Negierte, Unterschiedene und Abgegrenzte ausgedrückt wird. Da sich auch dieser Pol der dialektischen Bewegung mit dem Bedeutungsgehalt seines Entgegengesetzten, den er als mit seiner eigenen affirmativen Bedeutung unvereinbar aus sich ausschließt, als identisch erweist, korrigiert auch er seine Bedeutung zugunsten der Identität mit seinem Entgegengesetzten. Hiermit vervollständigt sich die Dialektik zu einem zirkulären, bidirektionalen Transformationsprozess, dessen Momente zwei einander entgegengesetzte logische Bedeutungsgehalte ausmachen, die sich kontinuierlich zueinander umwandeln, sobald ihre jeweilige Bedeutung affirmativ erfasst wird. Die dialektische Transformation einer logischen Bestimmung zu ihrem Entgegengesetzten – und folglich, wie dargestellt, dessen Transformation wieder zu jener ersten Bestimmung usf. – vollzieht sich nicht auf äußerliche Art und Weise an den logischen Bedeutungsgehalten, sondern immanent an ihrer jeweiligen unmittelbaren Bedeutung selbst. Hieran zeigt sich, dass der Fortgang der Entwicklung ihren Anfang und dessen Formbestimmungen nicht einfach nur ablöst, sondern vielmehr erweitert. Die Dialektik bestimmt den Anfang zu einer komplexeren Struktur weiter, in der die logische Struktur des Anfangs, d. h. die Erfassung eines affirmativen Bedeutungsgehalts durch negative Unterscheidung von seiner ihm entgegengesetzten Negation, jedoch positiv bestehen bleibt. Diese logische Struktur wird dabei jedoch erstens um das Moment ihrer immanenten Selbstaufhebung erweitert und ergänzt sowie zweitens diese Einheit von a) der unmittelbaren Erfassung einer Bestimmung und b) ihrer Selbstaufhebung auf zwei so konzipierte Bestimmungen ausgeweitet, da mit der Selbstaufhebung einer jeden von ihnen, wie gezeigt worden ist, deren produktive Umwandlung zu der anderen einhergeht. Während der Anfang der Entwicklung darin bestand, einen einfachen Bedeutungsgehalt zu erfassen, ihn von dem, was er in seiner affirmativen Bestimmtheit nicht ist, d. h. von der ihm entgegengesetzten Bedeutung, zu unterscheiden und abzugrenzen, ist die Dialektik, zu welcher der Entwicklungsverlauf sich davon ausgehend weiterführt, das „eigene Sich-Aufheben solcher endlichen Bestimmungen und ihr Uebergehen in ihre entgegengesetzte“. 4 In der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes von 1807 charakterisiert Hegel die dort thematische Dialektik der Bestimmungen des erscheinenden Geistes, d. h. die immanente und produktive Umwandlung einander entgegengesetzter Weisen des Fürwahrhaltens, wie folgt: 4
GW, Bd. 20, 119.
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„Die Erscheinung ist das Entstehen und Vergehen, das selbst nicht entsteht und vergeht, sondern an sich ist, und die Wirklichkeit und Bewegung des Lebens der Wahrheit ausmacht. Das Wahre ist so der bachantische Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist, und weil jedes, indem es sich absondert, ebenso unmittelbar [sich] auflöst, – ist er ebenso die durchsichtige und einfache Ruhe. In dem Gerichte jener Bewegung bestehen zwar die einzelnen Gestalten des Geistes, wie die bestimmten Gedanken nicht, aber sie sind sosehr auch positive nothwendige Momente, als sie negativ und verschwindend sind. – In dem Ganzen der Bewegung, es als Ruhe aufgefaßt, ist dasjenige, was sich in ihr unterscheidet und besonderes Daseyn gibt, als ein solches, das sich erinnert, aufbewahrt, dessen Daseyn das Wissen von sich selbst ist, wie dieses ebenso unmittelbar Daseyn ist.“ 5
Die Bestimmungen der Logik erweitern sich, wie wir gesehen haben, zu einem über ihre unmittelbare und einfache Bedeutung hinausgehenden dialektischen Prozess, indem sie sich in ihrer negativen Unterscheidung und Abgrenzung von ihrem Entgegengesetzten, in der die Struktur ihrer unmittelbaren Bedeutung besteht, mit diesem Unterschiedenen und Abgegrenzten als identisch erweisen. Die zirkuläre Bewegung, die hieraus resultiert, indem auf der Entwicklungsebene des Fortgangs beide der einander entgegengesetzten Bestimmungen sich in die jeweils andere umwandeln, kann nun analog zu dem zitierten Passus aus der Vorrede der Phänomenologie als ein „bachantischer Taumel“ charakterisiert werden; mit dem Unterschied, dass dieser sich in der Logik nicht an Bewusstseinsgestalten des endlichen Geistes, sondern an logischen, rein kategorialen Bestimmungen vollzieht. Die Gemeinsamkeit beider Entwicklungen – von Phänomenologie des Geistes und Wissenschaft der Logik – ist, dass ihr Inhalt dialektischer Natur ist. 6 So besteht, wie wir gesehen haben, auch in der logischen Entwicklung das Moment des Fort5
6
GW, Bd. 9, 35. Zur Dialektik in der Phänomenologie allgemein vgl. auch H.-G. Gadamer: „Hegel – Die verkehrte Welt“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 31–47. Eine ausführliche, in inhaltlicher sowie methodischer Hinsicht äußerst lehrreiche Analyse zur Phänomenologie hat Forster (M. Forster: Hegel's idea of a Phenomenology of spirit. Chicago / London 1998.) vorgelegt. Vgl. hierzu die folgenden Bemerkungen Gadamers (H.-G. Gadamer: „Die Idee der Hegelschen Logik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 49–69, 56.) zu methodischen Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Logik und Phänomenologie: „Hegel selbst hat in seiner Einleitung in die ‚Logik` die Dialektik der Phänomenologie als ein erstes Beispiel seiner dialektischen Methode zitiert. Insofern besteht gewiß kein absoluter Unterschied zwischen der in der ‚Phänomenologie` und der in der ‚Logik` vorliegenden Dialektik. Die frühere Meinung, die durch die spätere ‚Enzyklopädie` geprägt war, wonach die phänomenologische Dialektik ‚noch nicht` die reine Methode der Dialektik darstelle, ist so nicht haltbar.“ Die Differenz zwischen der Phänomenologie des Geistes und der Wissenschaft der Logik ist zwar inhaltlicher, aber weniger, wie wir auch hier sehen, methodischer Natur.
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gangs darin, dass zwei Bestimmungen sich unmittelbar auflösen, wenn sie in ihrer Entgegensetzung voneinander abgegrenzt werden und sich in diesem Sinn voneinander absondern. Dabei resultiert die Auflösung und Selbstaufhebung der Bestimmungen aber nicht in einem leeren Nichts, nicht in ihrem bloß negativ bestimmten Nichtsein, sondern hat ein positives Resultat, indem die Bestimmungen sich gerade deswegen aufheben, weil sie sich mit ihrem Entgegengesetzten als identisch erweisen und dieses dabei selbst einen bestimmten begrifflichen Gehalt hat. Mit der Auflösung der Bestimmungen, die im Fortgang der Entwicklung vonstattengeht, geht somit die Umwandlung ihrer Bedeutung zu der ihres spezifischen Entgegengesetzten einher. Sie hat unmittelbar transformativen und korrektiven, demnach auch positiven Charakter. Die Struktur des Fortgangs der spekulativen Entwicklung ist somit ein „bachantische[r] Taumel“ 7 logischer Bestimmungen, ein zirkulärer Prozess der immanenten Umwandlung zweier entgegengesetzter Bedeutungsgehalte zueinander. Kein Moment dieser Prozessualität ist „nicht trunken“ 8, d. h. keine der beiden Bestimmungen kann unmittelbar erfasst und damit von der anderen unterschieden und abgegrenzt werden, ohne dass daraus die Konsequenz folgt, dass sie gerade in dieser Unterscheidung und Abgrenzung auch identisch mit ihrem Entgegengesetzten ist und ihre jeweilige Bedeutung demnach zu der Bedeutung der anderen Bestimmung zu korrigieren ist. Innerhalb des dialektischen Prozesses „bestehen zwar die einzelnen [. . .] bestimmten Gedanken nicht“ 9, denn ihr Bestehen, das sich durch die Abgrenzung von ihrem Entgegengesetzten konstituiert, resultiert unmittelbar in ihrer Umwandlung zu diesem. Hierbei gilt aber gerade in diesem Sinne auch, dass die beiden einander entgegengesetzten Bestimmungen innerhalb dieses dialektischen Bedeutungswandels „sosehr auch positive nothwendige Momente, als sie negativ und verschwindend sind.“ 10 Und dies sogar in doppelter Weise. Zum einen vollzieht sich das Verschwinden der Bestimmungen, d. h. ihre Auflösung und Aufhebung, an den Bestimmungen selbst beziehungsweise als ein Prozess, der in ihrer jeweiligen unmittelbaren Bedeutung immanent begründet liegt und sich somit rein analytisch, mit „immanenter [. . .] Nothwendigkeit“ 11 und als ein „immanente[s] Hinausgehen“ 12 aus ihnen deduzieren lässt. Die Aufhebung und das Verschwinden, welches die Denkbestimmungen in der Dialektik erfahren, ist ihr „eigene[s] Sich-Aufheben“ 13 und die Dialektik beinhaltet dem7 8 9 10 11 12 13
GW, Bd. 9, 35. GW, Bd. 9, 35. GW, Bd. 9, 35. GW, Bd. 9, 35. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 119.
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nach die unmittelbare, „positive“ 14 Bedeutung der beiden Entgegengesetzten in sich, wenngleich nunmehr nur noch als Momente. Die unmittelbare, positive Bedeutung der logischen Bestimmungen ist eben dasjenige, was sich hier aufhebt. Zum anderen sind die Entgegengesetzten im Prozess ihrer immanenten Transformation zueinander auch deswegen als „positive nothwendige Momente“ 15 aufgehoben, weil ihre positive Bedeutung in der Dialektik unmittelbar, d. h. notwendig, aus der Selbstaufhebung des jeweils anderen resultiert. 16 Innerhalb des dialektischen Prozesses sind beide der sich zueinander transformierenden Bestimmungen das positive und mit Notwendigkeit sich ergebende Resultat der je anderen. Der dialektische Bedeutungswandel, der sich auf der Entwicklungsebene des Fortgangs zwischen zwei einander entgegengesetzten Bestimmungen vollzieht, hat zu seinen beiden Momenten folglich jeweils die unmittelbare Bedeutung eines der Entgegengesetzten, die jedoch um die Dimension ihrer immanenten Selbstaufhebung und der damit einhergehenden Bedeutungskorrektur (zu der Bedeutung der je anderen Bestimmung) ergänzt und erweitert worden ist. Das Ganze des dialektischen Prozesses, d. h. der doppelte, zweidirektionale Bedeutungswandel sowohl von einer Bestimmung zu ihrem Entgegengesetzten als auch von diesem wieder zurück zur ersten Bestimmung usf., vollzieht sich demnach als die immanente
14 15 16
GW, Bd. 9, 35. GW, Bd. 9, 35. Eine erhellende Analyse der Metapher des bachantischen Taumels, im Rahmen derer diese Struktur auch als ein allgemeines Merkmal des dialektischen Prozesses herausgestellt wird, hat Brandom (R. Brandom: A Spirit of Trust. A reading of Hegel's Phenomenology. Cambridge 2019, 695 f.) vorgelegt: „The revel is the process of experience. What matters about the image of their drunkenness is its picturing of the restless, woozy jostling and elbowing of each other as different contents of potential commitments that are incompatible with each other in the company of the others already on board seek a place at the table. Those that are forced out are immediately replaced by others, so the party continues, though with a shifting cast.“ Brandom verweist hierbei auch bereits auf das positive Resultat, das dem bachantischen Taumeln der einander entgegengesetzten und damit sich wechselseitig ausschließenden Bedeutungsgehalte, d. h. der Dialektik als ihrer immanenten Umwandlung zueinander, wesentlich zukommt: „The crucial contribution to the festivities that was made by the departed members, those who at some earlier point slipped insensible beneath the table, is still ‚preserved as recollected,` in the story the later revelers tell about how they got where they are.“ Der dialektische Prozess, der auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung das Moment des Fortgangs ausmacht, ist der unmittelbare Grund der Genese des Beginns der nächstfolgenden Entwicklungsstufe. Deren begrifflicher Bedeutungsgehalt, der auf ihr thematisch ist und in ihrem Fortgang dann dialektisch / taumelnd weiterentwickelt wird, enthält somit den begrifflichen Bedeutungsgehalt der Dialektik der nächstvorangegangenen Entwicklungsstufe in transformierter Form als aufgehoben und aufbewahrt in sich. Auf das in diesem Sinne positive Resultat des bachantischen Taumels werden wir im Folgenden noch zurückkommen.
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Korrektur zweier unmittelbarer Bedeutungen, die sich an ihnen selbst als Mangel erweisen. 17 Den Grund zur Korrektur gibt dabei die Erkenntnis, dass die logischen Bestimmungen zu ihrem Entgegengesetzten, das sie in ihrer unmittelbaren Bedeutung nur negativ von sich unterscheiden und abgrenzen, zugleich im Verhältnis der Identität stehen. Die Mangelhaftigkeit der unmittelbaren Bedeutung der logischen Bestimmungen, die Anlass zu ihrer Korrektur gibt, besteht darin, dass diejenige Einsicht, die immanent aus ihr folgt, d. h. die Identität der jeweiligen Bestimmung mit ihrem Entgegengesetzten, nicht unmittelbar ausgedrückt werden kann. Die Form der Unmittelbarkeit besteht für eine logische Bestimmung gerade darin, dass sie ihr Entgegengesetztes nur negativ von sich unterscheidet. Auf der Entwicklungsebene der Dialektik besteht die Mangelhaftigkeit der Bestimmungen, die an ihnen hervortritt, also nicht nur darin, dass das Fehlende noch nicht an ihnen gesetzt ist, sondern geht so weit, dass dasjenige, an dem es ihnen immanent mangelt, mit ihrer ursprünglichen Bedeutung nicht widerspruchsfrei zusammengedacht werden kann. Das Korrektiv, dass diesen Mangel ausgleichen soll, ist die Umwandlung der Bedeutung der jeweiligen Bestimmung zu der ihres Entgegengesetzten. Da die logischen Bestimmungen sich mit einem Bedeutungsgehalt identisch erweisen, den sie als mit ihrer eigenen Bedeutung unvereinbar aus sich ausschließen, geht mit der Ergänzung ihrer ursprünglichen Bestimmtheit um den immanent an dieser hervortretenden neuen Bedeutungsaspekt zugleich die Selbstaufhebung ihrer ursprünglichen Bedeutung einher. Diese ursprüngliche Bedeutung korrigiert sich daher zugunsten der Identität mit ihrem Entgegengesetzten, die sich an ihr offenbart hat, und liegt sodann – als Resultat ihrer Korrektur – in veränderter und umgewandelter Gestalt vor. Die neue, korrigierte Bedeutung der ursprünglichen Bestimmung ist nun die ihres ehemaligen Entgegengesetzten, wobei sie nun nicht mehr dieses, sondern dessen Entgegengesetztes, d. h. ihre ursprüngliche Bedeutung, negativ von sich unterscheidet und sich dadurch in eben veränderter Bedeutung begrifflich affirmiert. Das Resultat der Korrektur ist somit wieder eine unmittelbare Bedeutung, aber die des Entgegengesetzten der ursprünglichen Bestimmung. Hierbei handelt es sich bei der Dialektik 17
Bezüglich dieses Umstands, dass eine immanente Mangelhaftigkeit den dialektischen und damit synthetischen Fortgang der logischen Bestimmungen – im Sinne einer notwendigen Weiterbestimmung ihres ursprünglich-anfänglichen Bedeutungsgehalts – einleitet, vgl. die Ausführungen von Stekeler-Weithofer (P. Stekeler-Weithofer: „Das Sein. Dritter Abschnitt. Das Maass“, in: Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik. Hrsg. M. Quante und N. Mooren, Hamburg 2018, 219–273, 222 f.) zur Notwendigkeit der logischen Entwicklung: „Das Wort ‚Not-Wendigkeit` steht in solchen Entwicklungen für Problemlösungen, nicht für eine angebliche ‚Alternativlosigkeit`. Eine ‚notwendige Aufhebung` in einer logischexplikativen Analyse besteht also darin, dass eine vorab aufgezeigte Not, eben das bedeutet das Wort ‚problema`, abgewendet wird.“
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um eine immanente Korrektur logischer Bedeutung, da der Grund und der Anlass zur korrektiven Bedeutungsveränderung in den Bestimmungen selbst liegt. Der unmittelbare Begriff der logischen Bestimmungen besteht in der Abgrenzung von ihrem jeweiligen Entgegengesetzten, der Grund zur Korrektur ihrer Bedeutung aber allein darin, dass sie sich im Zuge dieser Abgrenzung als auch identisch mit ihrem Entgegengesetzten erweisen, indem sie in ihrer negativen Unterscheidung von diesem Bedeutungsgehalt zu diesem zugleich in der Beziehung stehen, die durch ihn selbst ausgedrückt wird. Die Form begrifflicher Unmittelbarkeit offenbart sich in der Betrachtung der logischen Bestimmung somit an ihr selbst als mangelhaft, woraus jedoch zugleich folgt, dass das Korrektiv mit dem Erkennen der Mangelhaftigkeit bereits mitgegeben ist oder, anders ausgedrückt, mit Notwendigkeit aus dem Mangel, da er immanenter Mangel ist, folgt. Die Dialektik der logischen Bestimmungen besteht demnach darin, dass sie ihre jeweilige Bedeutung auf immanente Weise zu der ihres Entgegengesetzten umwandeln, indem sie sich gerade in ihrer negativen Unterscheidung von diesem, in der ihre Bedeutung unmittelbar besteht, als auch identisch mit ihm erweisen. In der synthetischen und produktiven Bedeutungsveränderung wird, mit anderen Worten, nur auf solche argumentativen Gründe zurückgegriffen, die in der jeweiligen Bedeutung bereits enthalten sind sowie umgekehrt diese Bedeutung sich an ihr selbst als mangelhaft offenbart und gerade daher den Grund sowie die Mittel ihrer autokorrektiven Veränderung bereits analytisch in sich enthält. Der Bedeutungswandel, der sich in der Dialektik der logischen Bestimmungen an diesen vollzieht, ist somit immanente Korrektur einer an ihnen selbst offenbar werdenden Mangelhaftigkeit und besteht in der Einheit von Selbstaufhebung und produktiver Veränderung. Vor diesem Hintergrund bezeichnet Hegel die Dialektik, d. h. den „bachantische[n] Taumel“ 18 zweier entgegengesetzter Bestimmungen, deren jeweilige Bedeutungen sich immanent und kontinuierlich zueinander umwandeln, als ein Gericht: „In dem Gerichte jener Bewegung bestehen zwar [. . .] die bestimmten Gedanken nicht, aber sie sind sosehr auch positive nothwendige Momente, als sie negativ und verschwindend sind.“ 19 Die Verwendung dieser juristischen Metapher erklärt sich dadurch, dass die Bestimmungen sich auf der Entwicklungsebene der Dialektik gerade aus dem Grund an ihnen selbst aufheben und sich zueinander transformieren, dass, wie dargestellt, ihre unmittelbare Form sich immanent als „mangelhaft“ 20 erweist. Die unmittelbare Form der logischen Bestimmungen, in welcher sie distinkt und 18 19 20
GW, Bd. 9, 35. GW, Bd. 9, 35. GW, Bd. 12, 240.
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„für sich bestehend“ 21 thematisch sind, indem sie ihr Entgegengesetztes so zunächst nur negativ von sich unterscheiden und abgrenzen, hebt sich selbst auf und bestimmt sich zu einem dialektischen Prozess, der hier nun Thema unserer Untersuchung ist, weil die Denkbestimmungen sich gerade in und aufgrund ihrer Abgrenzung von ihrem Entgegengesetzten als auch identisch mit diesem erweisen. Innerhalb des dialektischen Prozesses, d. h. innerhalb der kontinuierlichen und zirkulären Umwandlung beider entgegengesetzter Bedeutungsgehalte zueinander, bleibt diese unmittelbare Form zwar erhalten, denn sie ist dasjenige, was sich hier immanent aufhebt und sich transformiert und umwandelt, jedoch ist sie im Gegensatz zum noch schlechthin unmittelbaren und prozesslosen Anfang der Entwicklung in der Dialektik nur noch ein Moment dieser Prozessualität und somit wesentlich um den Aspekt der Selbstaufhebung und korrektiven Umwandlung ihres jeweiligen begrifflichen Gehalts ergänzt und erweitert worden. Sowohl das ursprüngliche Einsetzen des Fortgangs der Entwicklung, d. h. die erste Aufhebung und Umwandlung der unmittelbaren Bedeutungseinheit des Anfangs, als auch die vollständig entfaltete Struktur des Fortgangs, d. h. der „bachantische Taumel“ 22/der dialektische Prozess, können demnach so beschrieben werden, dass sie in einer immanenten Korrektur desjenigen Geltungsanspruchs bestehen, mit dem die logischen Bestimmungen in ihrer unmittelbaren Form zunächst auftreten. Hieraus folgt, dass die gedankliche Erfassung der Denkbestimmungen in dieser Form einer unmittelbaren Bedeutungseinheit wesentlich damit einhergeht, dass sie im Modus der Offenheit für ihre kritische Prüfung betrachtet werden. 23 Gerade hierin bestand der oben erörterte Anschauungscharakter des Moments des Anfangs der Entwicklung in seiner zweifachen Bedeutung. Wird eine logische Bestimmung – entweder im Anfang der Entwicklung oder auf der Ebene ihres Fortgangs, wo sie jeweils als geworden durch die Selbstaufhebung und Umwandlung ihres Entgegengesetzten thematisch ist, – in der Form einer unmittelbaren, von ihrer Negation nur negativ unterschiedenen Bedeutungseinheit aufgefasst, so geht damit folglich nicht nur einher, dass das Denken sich an und für sich selbst betrachtet, dass es nicht von sich abirrt und nur sich allein vor sich hat 24, sondern auch, dass mit dieser intuitiven, vorurteils- und 21 22 23
24
GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 9, 35. Zu der Thematik, die im Folgenden einen zentralen Bestandteil des Gegenstands unserer Untersuchung ausmachen wird, nämlich dass Hegels spekulative Logik die Entwicklung der Denkbestimmungen wesentlich mit einer kritischen, selbstprüfenden und korrektiven Dimension verbindet, vgl. die Studie von M. Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik. Frankfurt am Main 1978, hier zunächst einleitend 13–19, 15: „Die Hegelsche Logik aber will nichts anderes sein als das Protokoll dieser Selbstuntersuchung der Denkbestimmungen.“ Vgl. GW, Bd. 12, 241 f.
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voraussetzungsfreien Selbsterfassung zugleich der Raum dafür eröffnet wird, dasjenige, was den Denkbestimmungen weiterhin „immanent ist, zum Bewußtseyn zu bringen.“ 25 Das Resultat dieser kritischen Selbstprüfung des Denkens ist, wie dargelegt, zunächst die Dialektik der logischen Bestimmungen. Deren Struktur, d. h. der zirkuläre Prozess der kontinuierlichen Umwandlung zweier einander entgegengesetzter Bedeutungsgehalte zueinander, ist nichts anderes als ein „im Element des frey für sich seyenden Denkens“ 26 sich ereignender Gerichtshof, eine kritische Selbstprüfung der ursprünglich unrestringierten Bedeutungseinheit des Anfangs. Die Erfassung einer logischen Bestimmung in der Form begrifflicher Unmittelbarkeit geht, wie wir gesehen haben, in diesem Sinne einher mit einer kritischen Prüfung ihrer Bedeutung. Im Zuge dieser Prüfung offenbart sich eine immanente Mangelhaftigkeit und die anfängliche Erfassung der jeweiligen Bedeutung resultiert sodann in ihrer dialektischen Umwandlung, d. h. in ihrer Verkehrung in ihr begriffliches Gegenteil. Diese Verkehrung ist vor dem Hintergrund der Art und Weise ihrer Genese, d. h. als Resultat einer begriffs- und bedeutungsimmanenten Prüfung, als ein synthetisches Urteil zu begreifen, das die jeweilige logische Bedeutung aufgrund ihrer immanenten Mangelhaftigkeit an ihr selbst erfährt. Für die Momente des dialektischen Prozesses, d. h. für beide der einander entgegengesetzten und sich immanent zueinander umwandelnden Bestimmungen, gilt demnach, dass sie jeweils das Resultat der kritischen Prüfung ihres Entgegengesetzten sind, welche eben in dessen Selbstaufhebung und Bedeutungsveränderung resultiert, wobei mit ihrem Entstehen zugleich ihre eigene unmittelbare Erfassung und kritische Prüfung beginnt, von der ausgehend sich auch ihre gewordene Bedeutung wieder aufhebt und transformiert usf. Die Dialektik, die das Moment des Fortgangs der spekulativen Entwicklung ausmacht, besteht also in einer prozessualen Vermittlung der anfänglich einfach und unmittelbar thematischen Bestimmung mit dem Bedeutungsgehalt ihres Entgegengesetzten. Hierbei ist die spezifische Struktur der Dialektik die eines in sich transformativen Sinn- und Bedeutungszusammenhangs, dessen Momente, d. h. die einander entgegengesetzten logischen Bestimmungen, sich jeweils als immanent mangelhaft erweisen und sich aufgrund dessen kontinuierlich zueinander umwandeln und verändern. Dieser transformative und produktive Charakter des dialektischen Prozesses ist nun weiterhin als ein immanenter, d. h. sich an den Bestimmungen selbst vollziehender, Korrekturprozess gedeutet worden. Hiermit ist die Formbestimmung logischer Unmittelbarkeit, an welcher die Dialektik sich vollzieht, zugleich um den Aspekt der kritischen Prüfung des in dieser Form gefassten Inhalts ergänzt worden. 25 26
GW, Bd. 12, 242. GW, Bd. 21, 54.
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Das Verhältnis zwischen Anfang und Fortgang der Entwicklung kann daher auch so angegeben werden, dass der Anfang, d. h. die Erfassung einer logischen Bestimmung in der Form einer unmittelbaren Bedeutungseinheit, zugleich die hinreichende Bedingung für die immanente kritische Prüfung des absoluten Geltungsanspruch dieses Inhalts gewesen ist, der dialektische Fortgang hingegen den Vollzug und zugleich das Resultat dieser kritischen Prüfung darstellt. Der Bedeutungsgehalt des Anfangs ist im Fortgang nämlich dahingehend restringiert worden, dass er nun nicht mehr in der Form einer unmittelbaren Bedeutungseinheit thematisch ist, d. h. sich nicht mehr mit absolutem Geltungsanspruch affirmiert, indem er sein Entgegengesetztes nur negativ von sich unterscheidet, sondern sich zu einer in sich bewegten und transformativen Struktur bestimmt hat. In dieser oszilliert der Inhalt der Entwicklung nun zwischen zwei Bedeutungen, zwischen der ursprünglichen Bedeutung und deren Entgegengesetztem, indem beide, so sie im Moment ihres Entstehens aus der Umwandlung der anderen gedanklich erfasst werden, sich als mangelhaft erweisen und ihre Bedeutung wieder zu der ihres Entgegengesetzten korrigieren. 27 Beide Pole dieses zirkulären Prozesses, d. h. beide Stadien / Manifestationen / Bedeutungen, die der logische Inhalt auf dieser Ebene der Entwicklung durchläuft, treten zwar für sich betrachtet jeweils wieder in der Form der Unmittelbarkeit und mit absolutem Geltungsanspruch auf, denn das Resultat der Korrektur und Umwandlung eines jeden Pols ist wieder eine ihrer Form nach unmittelbare Bestimmung, aber das Ganze des dialektischen Prozesses betrachtet sind sie nur Momente, die „negativ und verschwindend sind“ 28, indem ihr absoluter und unmittelbarer Geltungsanspruch eben in ihrer Korrektur und Umwandlung resultiert. Die Dialektik besteht also, wie wir gesehen haben, in einer immanenten Korrektur der unmittelbaren Bedeutung einer logischen Bestimmung. Die Selbstaufhebung der logischen Bestimmungen, die damit wesentlich einhergeht, hat demnach ein positives Resultat, denn sie resultiert in der Umwand27
28
Bezüglich dieser Restringierung des absoluten Geltungsanspruchs, mit dem der unmittelbare Anfang der spekulativen Entwicklung als solcher auftritt, und der damit einhergehenden Erweiterung der anfänglichen Bedeutungseinheit zu einer dialektischen und wesentlich prozessual-tranformativen Vermittlungsstruktur bemerkt J. M. E. McTaggart: Philosophical Studies. London 1934, 200: „A marked peculiarity of the dialectic process is that as is advances it demonstrates the premises from which it started to be only partially true, and to be partially false.“ Bei der Einfachheit des logischen Anfangs und seinem unmittelbaren Geltungsanspruch, die im Vollzug des dialektischen Fortgangs korrigiert und aufgehoben werden, handelt es sich jedoch nicht um eine Falschheit von Gedanken, sondern, wie wir auch im Folgenden noch sehen werden, vielmehr um eine für die Immanenz der logischen Bedeutungsentwicklung notwendige Vorläufigkeit, die als solche ein konstitutives Moment der dialektisch-spekulativen Wahrheit darstellt. GW, Bd. 9, 35.
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lung und Verkehrung des ursprünglichen Bedeutungsgehalts zu seinem spezifischen Entgegengesetzten. 29 Diese Bedeutungsveränderung ereignet sich aber deshalb, weil die jeweilige Denkbestimmung sich in ihrer anfänglichen Abgrenzung von ihrem Entgegengesetzten als auch identisch mit ihm erweist, und da gerade in dieser Abgrenzung vom Entgegengesetzten die unmittelbare Bedeutung der logischen Bestimmung besteht, ist die dialektische Veränderung ihrer Bedeutung Korrektur eines inneren, dem ursprünglichen Bedeutungsgehalt unmittelbar inhärierenden Mangels. Indem die logischen Bestimmungen sich also an ihnen selbst aufheben, sich negieren und ihre Bedeutung zu der ihres Entgegengesetzten, mit dem sie sich als identisch erweisen, umwandeln, transformieren sie sich eigentlich zu einer korrigierten Fassung ihrer selbst, deren konkreter Bedeutungsgehalt sich allein auf Grundlage der immanenten kritischen Prüfung ihrer ursprünglichen unmittelbaren Bedeutung ergibt. Die Dialektik ist also eine zweidirektionale Bedeutungsumwandlung im Sinne eines „doppelten Uebergangs“ 30, eine immanente Wandlung zweier logischer Bedeutungsgehalte zueinander. Die Formulierung des doppelten Übergangs verwendet Hegel am Ende der Entwicklung der Quantitätskategorien, um das dialektische Verhältnis von Quantität und Qualität zu erläutern, stellt den doppelten und insbesondere zirkulären Bedeutungswandel dabei jedoch zugleich als ein allgemeines Strukturmerkmal der absoluten Methode, d. h. der spekulativen Dialektik, heraus: „Daß die Totalität gesetzt sey, dazu gehört der gedoppelte Uebergang, nicht nur der der einen Bestimmtheit in ihre andere, sondern ebenso der Uebergang dieser andern, ihr Rückgang, in die erste. Durch den ersten ist nur erst an sich die Identität beyder vorhanden; – die Qualität ist in der Quantität enthalten, die aber damit noch einseitige Bestimmtheit ist. Daß diese umgekehrt ebenso in der ersten enthalten, sie ebenso nur als aufgehobene ist, ergibt sich im zweyten Uebergang, – 29
30
Dass dem Widerspruch ein positives Resultat zukommt und er konstitutiv für die wissenschaftliche Methode ist, stellt ein Wesensmerkmal von Hegels spekulativem Denken dar. Während er gerade diese positive Dimension des Widerspruchs in philosophiegeschichtlicher Perspektive als ein Spezifikum und Alleinstellungsmerkmal seiner Dialektikkonzeption betrachtet, so erkennt Hegel sie doch auch im Parmenides-Dialog Platons wieder. Vgl. hierzu H.-G. Gadamer: „Hegel und die antike Dialektik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 7–30, insb. 20 f. Gerade bezüglich dieses Dialogs finden sich im Werk Hegels jedoch divergierende Beurteilungen. So bezeichnet er den Parmenides in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes von 1807 als „wohl das größte Kunstwerk der alten Dialektik“ (GW, Bd. 9, 48.), konstatiert jedoch andererseits nur wenig später, nämlich in der Einleitung zur Wissenschaft der Logik: „Auch die platonische Dialektik hat selbst im Parmenides, und anderswo ohnehin noch directer, theils nur die Absicht, beschränkte Behauptungen durch sich selbst aufzulösen und zu widerlegen, theils aber überhaupt das Nichts zum Resultate.“ (GW, Bd. 21, 40.) GW, Bd. 21, 320.
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der Rückkehr in das erste; diese Bemerkung über die Nothwendigkeit des doppelten Uebergangs ist von großer Wichtigkeit für das Ganze der wissenschaftlichen Methode.“ 31
Die Struktur des dialektischen Prozesses ist also nicht nur die Umwandlung einer logischen Bestimmung zu ihrem Entgegengesetzten, sondern ebenso die Rückumwandlung dieses Resultats zur ursprünglichen Bedeutung. Die abstrakte Verlaufsform dieser Prozessualität ist folglich zunächst die Kreisbewegung. Dabei verfährt die Dialektik synthetisch, indem die jeweilige Bedeutung produktiv, d. h. zu einem über sie hinausgehenden, aber wesentlich positiv bestimmten begrifflichen Gehalt, verändert wird, und zugleich analytisch, indem diese Veränderung die Korrektur einer immanenten Mangelhaftigkeit der ursprünglichen Bestimmung darstellt. Die Bedeutungsumwandlung liegt, mit anderen Worten, in nichts anderem begründet liegt als in einer Diskrepanz zwischen a) dem Geltungsanspruch mit dem die jeweilige Bestimmung unmittelbar auftritt, d. h. nur sie selbst und hiermit ihr Entgegengesetztes nicht zu sein, und b) demjenigen Resultat, welches aus eben diesem unmittelbaren Geltungsanspruch mit „Nothwendigkeit“ 32 folgt, sich rein aus ihm deduzieren lässt: die Identität der jeweiligen Bestimmung mit ihrem Entgegengesetzten, in der sie zu ihm steht, gerade indem sie – sich selbst affirmierend – sich von ihm abgrenzt. Der dialektische Prozess hat zu seinen Momenten also immer zwei (einander entgegengesetzte) logische Bedeutungseinheiten, von denen beiden gilt, dass sie sowohl die korrigierte Fassung des jeweils anderen darstellen, d. h. als Resultat von dessen kritischer Prüfung entstanden sind, als auch selbst ihre Bedeutung wieder zu der ihres Entgegengesetzten korrigieren und zurücktransformieren. Obgleich die Selbstaufhebung einer logischen Bestimmung hier nicht in einem leeren Nichts resultiert, sondern mit der produktiven Umwandlung ihrer Bedeutung ein positives Resultat hat, so gilt dabei zugleich, dass dieses Resultat sich ebenfalls wieder aufhebt und seine Bedeutung umwandelt. Die Dialektik, d. h. die Struktur der „zweiten Sphäre“ 33 der spekulativen Entwicklung, stellt somit insofern einen Fortschritt dar, als dass die 31
32 33
GW, Bd. 21, 320. Zum Begriff des doppelten Übergangs vgl. weiterführend R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 301 f. Schäfer verweist auch darauf, dass der doppelte Übergang neben seiner allgemeinen methodischen Bedeutung auch eine kategoriale Spezifizierung der Übergangsdialektik darstellt, als welche sich dieser allgemeine seinslogische Dialektiktypus spezifisch für die Bestimmungen des Maßes realisiert. Zu den verschiedenen Dialektiktypen in der Logik vgl. Kapitel 2.2. des ersten Teils der vorliegenden Untersuchung. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 230.
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logischen Bestimmungen hier nicht mehr in unmittelbarer Einfachheit thematisch sind, sondern sich um denjenigen Bedeutungsaspekt erweitert haben, an dem es ihnen gemessen allein am Maßstab ihrer unmittelbaren Bedeutung noch mangelte. Der „Nachteil“ dabei ist, dass die Dialektik hier noch ein haltloses Ineinanderstürzen zweier Bedeutungseinheiten darstellt, deren begriffliche Erfassung unmittelbar mit ihrer immanenten Korrektur und Selbstaufhebung einhergeht. Die dialektische Selbstaufhebung einer logischen Bestimmung ist also gleichursprünglich sowohl ihr Untergang als auch ihre Umwandlung zu einer korrigierten Bedeutung. In dieser Hinsicht gilt für die logischen Bestimmungen der Satz: „Die höchste Reiffe und Stuffe, die irgend Etwas erreichen kann, ist diejenige, in welcher sein Untergang beginnt.“ 34 Die Dialektik einer logischen Bestimmung besteht zwar in ihrem „Sich-Aufheben“ 35 und in ihrer „Auflösung“ 36, denn sie erweist sich als identisch mit ihrem Entgegengesetzten und damit mit einem solchen Bedeutungsgehalt, der nun ihre ursprüngliche Bedeutung als sein Entgegengesetztes aus sich ausschließt und von sich abgrenzt. Zugleich aber ist diese Verkehrung ins Entgegengesetzte zugleich die „höchste Reiffe und Stuffe“ 37 der sich verkehrenden Bestimmungen, denn sie ist Realisierung und begriffliche Explikation dessen, was mit Notwendigkeit aus ihr folgt. Das immanente Zugrundegehen einer logischen Bestimmung ist somit zugleich Umwandlung ihrer Bedeutung zu einem begrifflichen Gehalt, mit dem ihre ursprüngliche Bedeutung sich an ihr selbst als identisch erwiesen hat, beziehungsweise geht sie gerade deswegen zugrunde, da sie sich mit einem solchen Bedeutungsgehalt als identisch erweist, den ihre ursprüngliche Bedeutung als ihr Entgegengesetztes aus sich ausschließt. Hegels berühmte Formulierung aus den Grundlinien der Philosophie des Rechts abwandelnd ließe sich demnach sagen, dass auch für die Bestimmungen der Logik gilt, dass „die Eule der Minerva [. . .] erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug [beginnt]“ 38, insofern die logischen Bestimmung sich mit ihrer Selbstaufhebung und Selbstnegation wesentlich zu einer korrigierten Wahrheit umwandeln sowie umgekehrt die immanente Korrektur ihrer Bedeutung immer mit der „Auflösung“ 39 ihrer ursprünglichen Bestimmtheit einhergeht. Dabei ist auch hier in dieser Metaphorik von Bedeutung, dass diejenige Einsicht, die eine synthetische und produktive Transformation der bestehenden Verhältnisse einleitet, d. h. der Flug der Eule, zwar in den Abendstunden, aber damit 34 35 36 37 38 39
GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 14,1, 16. GW, Bd. 20, 120.
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immer noch am Tag gewonnen wird. Sie ereignet sich mit den eigenen Mitteln der bestehenden Verhältnisse und ist eine im eigenen Medium des Sich-Verändernden sich vollziehende Veränderung. Die korrektive Umwandlung des Bestehenden vollzieht sich somit nicht auf äußerliche Weise an ihm, sondern auf Grundlage seiner Einsicht in die eigene Mangelhaftigkeit. Die synthetische Transformation ist, anderes gesagt, rein analytisch begründet und ereignet sich autokorrektiv mit den eigenen Mittel der sich wandelnden Bedeutung, sodass das Untergehen ihres Ausgangsstadien zugleich die „höchste Reiffe und Stuffe“ 40 darstellt, die zu erreichen sie im Stande ist. Auch für die logischen Bestimmungen, ist die Dialektik, die ihre jeweilige unmittelbare Bedeutung erfährt, in diesem Sinne eine rein reflexive Korrektur und ihre Selbstaufhebung, die damit einhergeht, kein Mangel, sondern im Gegenteil Ausgleich einer immanent eingesehenen Mangelhaftigkeit und Transformation zu einer positiv bestimmten, veränderten Bedeutung. Auf der Entwicklungsebene der Dialektik besteht die Wahrheit einer logischen Bestimmung also darin, nicht sie selbst, sondern ihr begriffliches Gegenteil zu sein, wobei diese Erkenntnis aber nicht einfach postuliert wird, sondern allererst aus der ursprünglichen Bedeutung der Bestimmung resultiert. Die Wahrheit einer logischen Bestimmung besteht, mit anderen Worten, deswegen darin, ihr Gegenteil zu sein, weil in der negativen Unterscheidung und Abgrenzung von ihm, durch die sich ihre eigene Bedeutung unmittelbar konstituiert, zu ihrem Gegenteil selbst in der Beziehung zu stehen, die durch dieses ausgedrückt wird. Die Identität einer logischen Bestimmung mit ihrem – selbst spezifisch bestimmten – Gegenteil vollzieht sich demnach als ein Werden zu ihm, als ein Prozess, der nicht hintergangen werden kann, sondern der den Bedeutungsgehalt seines Resultats unmittelbar konstituiert. Da sich dieser Prozess auch an dieser umgewandelten Bedeutung erneut reproduziert, besteht die Dialektik, wie wir gesehen haben, im „unendlichen Progreß“ 41 des immanenten Werdens zweier entgegengesetzter logischer Bedeutungsgehalte zueinander. Sie ist eigentlich der kontinuierliche Versuch des logischen Inhalts, seine Bedeutung unmittelbar zu affirmieren und in Abgrenzung von seinem Entgegengesetzten festzustellen, wobei er jedoch immer mit dem Widerspruch konfrontiert wird, sich in der Abgrenzung von seinem Entgegengesetzten als auch identisch mit diesem zu erweisen und damit sich zu ihm zu verkehren. 42 40 41 42
GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 20, 230. Auch dies kann als eine Dimension der „Unrast“ verstanden werden, die Gadamer (H.-G. Gadamer: „Die Idee der Hegelschen Logik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 49–69, 65.) der spekulativen Logik Hegels als dem rein sich selbst explizierenden Denken attestiert. Es stellt, so Gadamer, „die Aufgabe der Logik, das was
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Das Moment des Fortgangs der Entwicklung besteht also in einer Verflüssigung der anfänglichen Bedeutungseinheit, deren begrifflicher Gehalt nun nicht mehr einfach, feststehend und „unveränderlich“ 43 ist, sondern sich zu einem zirkulär-prozessualen Sinn- und Bedeutungszusammenhang erweitert hat, in welchem die ursprüngliche Bestimmung und ihr Entgegengesetztes sich kontinuierlich ineinander verkehren. Wie gezeigt worden ist, ist dieser Prozess dabei wesentlich Ausdruck einer kritischen (Selbst-)Prüfung der jeweiligen Bestimmung und ihrer affirmativen Bedeutung und die Transformation der beiden entgegengesetzten Bestimmungen zueinander damit Resultat der immanenten Korrektur eines Mangels, der im Zuge ihrer unmittelbaren Erfassung an ihnen offenbar wird. 44 Es ist dies nun auch der methodische Hintergrund, vor dem Hegel die Dialektik in § 81 der enzyklopädischen Logik mit dem skeptischen Denken in Verbindung bringt: „Das Dialektische vom Verstande für sich abgesondert genommen, macht insbesondere in wissenschaftlichen Begriffen aufgezeigt den Skepticismus aus; er enthält die bloße Negation als Resultat des Dialektischen.“ 45
Die Dialektik ist eine Form skeptischen Denkens, insofern hier zwei einander entgegengesetzte logische Bestimmungen sich an ihnen selbst aufheben und sich selbst negieren. 46 Da die unmittelbare Bedeutung der Bestimmungen, die in der negativen Unterscheidung und Abgrenzung von ihrem Entgegengesetzten besteht, sich, wie wir gesehen haben, an ihr selbst als mangelhaft erweist, indem die Bestimmungen in der Abgrenzung von ihrem Entgegengesetzten auch identisch mit diesem sind, restringieren sie zunächst den un-
43 44
45 46
‚einen denkt`, von sich aus ‚rein denkend` zu thematisieren, eine unauflösliche Aporie dar. Hegel erfährt und begreift dieselbe als die Unrast des dialektischen Prozesses.“ GW, Bd. 12, 41. Stekeler-Weithofer (P. Stekeler-Weithofer: Hegels Analytische Philosophie. Die Wissenschaft der Logik als kritische Theorie der Bedeutung. Paderborn 1992, 92.) formuliert dies wie folgt: „Die Methode der (‚dialektischen`) Kritik besteht im Aufzeigen von Problemen und Grenzen eines bloß üblichen Gebrauchs, dem Aufweis der Tatsache, daß das bloß Übliche immer auch sinnleer und sinnwidrig werden kann, daß sich die schematische Ratio in das ihr ‚Entgegengesetzte`, den Unverstand und die Unvernunft wendet.“ GW, Bd. 20, 119. Düsing (K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn, 3. Auflage 1995, 322.) sieht einen der Gründe für Hegels Unterscheidung der negativen beziehungsweise dialektischen Komponente des spekulativen Denkaktes von seinem schlussendlichen positiven Resultat in der „Ausbildung eines selbständigen Skeptizismus, der in der Geschichte der Philosophie seine Vorbilder hat und den Hegel selbst früher als negative Seite der Vernunfterkenntnis durchführte“. Der andere Grund besteht, so Düsing, in der „propädeutische[n] Erleichterung des Verständnisses durch die Dreiteilung der Methode in die Momente des Verständigen, des Dialektischen und des Spekulativen“.
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mittelbaren und in diesem Sinne absoluten Geltungsanspruch, mit welchem sie „an und für sich betrachtet“ 47 zunächst thematisch sind. Die Einfachheit der unmittelbaren Bedeutung der logischen Bestimmungen hat sich als eine Unvollständigkeit herausgestellt, die um das Resultat, welches an ihr selbst hervorgetreten ist, d. h. um die Identität mit ihrem Entgegengesetzten, zu ergänzen ist. Da dasjenige, mit dem die logischen Bestimmungen sich als identisch erweisen, d. h. diejenige Bedeutung, um welche ihre eigene zu ergänzen ist, jedoch ihr spezifisches Entgegengesetztes ist, welches sie als mit ihrer eigenen Bedeutung unvereinbar aus sich ausschließen, vollzieht sich die Korrektur der logischen Bestimmungen wesentlich mit einer Selbstaufhebung ihrer jeweiligen Bedeutung. Der Identität einer Bestimmung mit ihrem jeweiligen Entgegengesetzten, d. h. demjenigen Resultat, das an ihrer anfänglichen Bedeutung hervorgetreten ist beziehungsweise sich aus ihrer nur negativen Abgrenzung von ihrem Entgegengesetzten immanent deduzieren ließ, wird demzufolge auf die Weise Rechnung getragen, dass die ursprüngliche Bedeutung sich zu dem ihr entgegengesetzten Bedeutungsgehalt, mit dem sie sich als auch identisch erweisen hat, umwandelt. Die Einheit von Identität und Entgegensetzung, die an der unmittelbaren Bedeutung einer logischen Bestimmung hervortritt, d. h. ihre immanente Widersprüchlichkeit, stellt somit in der Tat den Motor der Dialektik dar. Dabei ist der Widerspruch aber zunächst auf das Ganze des dialektischen Prozesses ausgebreitet, im Rahmen dessen die einander entgegengesetzten Bestimmungen ihre Identität dadurch realisieren, dass sie sich kontinuierlich an ihnen selbst aufheben und zirkulär zueinander umwandeln. Die Dialektik vereinigt also Identität und Entgegensetzung zweier begrifflicher Bedeutungsgehalte in Gestalt eines komplexen skeptisch verfahrenden Denkaktes und stellt somit eine spezifische, da dynamisch-prozessuale Form des Widerspruchs dar. Das Verhältnis der Dialektik zu einer skeptischen Methode stellt sich demnach so dar, dass sie zwar wesentlich die Aufhebung und Negation affirmierter, in „der Form des Unvergänglichen“ 48 feststehender und unmittelbarer Bedeutungsgehalte beinhaltet, damit jedoch ein positives Resultat verbunden ist, indem mit der Selbstaufhebung der logischen Bestimmungen, wie wir gesehen haben, ganz unmittelbar eine Umwandlung ihrer jeweiligen Bedeutung zu einem neuen, wieder affirmativen begrifflichen Gehalt einhergeht. Die Dialektik in Hegels Logik ist demnach zwar durchaus eine Form skeptischen Begriffsdenkens, denn sie beinhaltet wesentlich die Negation, Auflösung und Kritik unmittelbarer und affirmativer Bedeutungen. Dabei stellt die Dialektik jedoch eine spezifische Form skeptischer Methodik dar, indem sie mit der Destruktion feststehender Bedeu47 48
GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 12, 42.
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tungsgehalte eine Umwandlung derselben zu zwar veränderten, aber wieder affirmativen und positiv bestimmten Bestimmungen untrennbar verbindet. Die Kritik und das Restringieren absoluter begrifflicher Geltungsansprüche geht hier unmittelbar einher mit einer Korrektur und Erweiterung der jeweiligen begrifflichen Bestimmung um das in ihrer kritischen Prüfung freigelegte Defizit. 49 Aus dieser Einschränkung erklärt sich nun auch die von Hegel im oben zitierten Passus angestellte negative Charakterisierung eines solchen Verständnisses der Dialektik, das sich darauf beschränkt, diese als reinen Skeptizismus aufzufassen. Eine schlichte Gleichsetzung von Dialektik und Skeptizismus ist falsch, da sie die eigentliche Struktur der Dialektik verkennt beziehungsweise nicht vollständig erfasst. Während der Skeptizismus – zumindest eine solche Auffassung desselben, die Hegel hier vor Augen hat und kritisiert, – nur in der „bloße[n] Negation“ 50 widerlegter Bedeutungen mündet, geht die dialektische Aufhebung der logischen Bestimmungen wesentlich mit einer positiven Transformation und immanenten Korrektur ihrer Bedeutung einher. 51 Demgemäß bezeichnete der Haupttext des § 81 der Enzyklopädie die Dialektik ja nicht nur als „das eigene Sich-Aufheben“ 52 von Bestimmungen, sondern als ihr „eigene[s] Sich-Aufheben und ihr Uebergehen in ihre entgegengesetzte“. 53 Die Dialektik der logischen Bestimmungen resultiert, wie wir gesehen haben, nicht in ihrer „bloße[n] Negation“ 54, sie erschöpft sich nicht darin, eine ursprünglich affirmative Bedeutung einfach zu negieren, d. h. nur zu urteilen, dass das, 49
50 51
52 53 54
Vgl. hierzu auch die Ausführungen von M. Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik. Frankfurt am Main 1978, 66: „Die spekulative Logik ist in der Tat eine Logik der ‚Begriffe` im traditionellen und auch von Tugendhat gemeinten Sinne des Wortes. Aber sie ist dies nur hinsichtlich ihrer kritischen Funktion, das heißt als Kritik eines vergegenständlichenden Denkens, welches das Gedachte von sich loslöst und damit seines inneren Zusammenhangs beraubt.“ GW, Bd. 20, 119. Dieser spezifische, transformativ-prozessuale und selbst positiv bestimmte Gehalt, der dem Widerspruch als dem Resultat der immanenten Selbstaufhebung der logischen Bestimmungen zukommt, wird, wie wir sehen werden, den Grund für den weiteren Fortgang der Entwicklung darstellen und das Zentrum der gesamten spekulativen Methode als solcher ausmachen. Bezüglich der Differenz dieser spezifischen Form von skeptisch-dialektischem Denken zu vergleichbaren Positionen der Philosophiegeschichte bemerkt K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn, 3. Auflage 1995, 324: „Konstitutiv für alle diese Formen früherer Dialektik ist in Hegels Interpretation der Widerspruch von gesetzten endlichen Bestimmungen und die Aufhebung ihrer Gültigkeit. Den positiven, spekulativen Sinn, den er selbst der Dialektik zuschreibt, findet er dagegen allenfalls vereinzelt in der Antike angedeutet, nicht aber begründet und durchgeführt.“ GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 119.
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was ehemals galt, nun nicht mehr gilt. Vielmehr heben sich die logischen Bestimmungen gerade deswegen selbst auf und negieren ihre unmittelbare Bedeutung, weil sie sich in ihrer negativen Unterscheidung von ihrem Entgegengesetzten als auch identisch mit diesem erweisen. 55 Dieses Entgegengesetzte, mit dem sie, wie rein aus ihrer unmittelbaren Bedeutung folgt, identisch sind, stellt zwar jeweils das Nicht-sein / die Negation der logischen Bestimmungen dar, hat jedoch zugleich einen spezifischen, konkret bestimmten und eigenen Bedeutungsgehalt. Derjenige Bedeutungsgehalt, der einer logischen Bestimmung jeweils entgegengesetzt ist und mit dem sie sich als identisch erweist, so die negative Abgrenzung von ihm gedanklich erfasst, ist somit immer von einer spezifischen begrifflichen Natur. Zum einen scheint es sich bei dem Entgegengesetzten einer logischen Bestimmung um ihr kontradiktorisches begriffliches Gegenteil zu handeln, denn es ist ihr Nicht-sein / ihre Negation, d. h. diejenige Bedeutung, von der gilt, dass die negative Unterscheidung und Abgrenzung von ihr die betreffende Bestimmung zureichend und vollständig determiniert. Zugleich aber hat das Entgegengesetzte einer logischen Bestimmung, d. h. ihre Negation, einen positiven spezifischen, von der betreffenden Bestimmung unterschiedenen Bedeutungsgehalt. Beide unterscheiden sich, mit anderen Worten, in ihrem negativen Verhältnis zueinander durch mehr als nur einen Negationsoperator. Das Entgegengesetzte der kategorialen Bestimmung des Etwas, d. h. die Negation des Etwas, durch deren Negieren der unmittelbare Bedeutungsgehalt des Etwas vollständig erfasst ist, ist nicht einfach nur das Nicht-Etwas, sondern die kategoriale Bestimmung des Anderen. Die unmittelbare Bedeutung des Etwas ist demnach die „einfache seyende Beziehung auf sich“ 56 in dem Sinne, nur es selbst und nicht Anderes zu sein. Die Negation der Kategorie des Ansichseins ist spezifisch Sein-für-Anderes. Das Entgegengesetzte der Substanz, d. h. derjenigen logischen Bestimmung, deren Bedeutung das beharrliche Bestehen eines Bleibenden im Wandel seiner unbeständigen, entstehenden und vergehenden Momente ist, sind die Akzidenzien, d. h. eben diese zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit oszillierenden Aspekte des Bestehens der Sub55
56
Auch Vieweg (K. Vieweg: Skepsis und Freiheit. Hegel über den Skeptizismus zwischen Philosophie und Literatur. München 2007, 54.) hebt das positive Resultat hervor, das der kritischprüfenden und skeptischen Dimension der spekulativ-dialektischen Methode wesentlich zukommt, und thematisiert dabei die Wurzeln dieser spezifischen Konzeption in der pyrrhonischen Skepsis: „Es handelt sich bei pyrrhonischen Darstellungen (Hypotyposen, Tropen) um Zwittergestalten zwischen Diskursivem und Narrativem, um Formen der Vorstellung (phantasia), die zwischen Anschauung und Begriff situiert sind. Hegel nimmt sie in ihrer Argument-Form und versteht sie als die paradigmatischen Waffen des prüfenden, freien Denkens, erfolgreich gegen jeglichen Dogmatismus. Nur durch ihre Aufhebung im spekulativen Denken könne die Philosophie Immunität gegen diese Einwände erlangen.“ GW, Bd. 21, 103.
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stanz. Das Entgegengesetzte der Allgemeinheit, durch dessen Ausschluss das Allgemeine als solches zunächst unmittelbar und vollständig bestimmt ist, ist das Besondere und Einzelne, d. h. die spezifizierte und konkretisierte Allgemeinheit, und damit mehr als nur das Nicht-Allgemeine. Bei den logischen Bestimmungen handelt es sich also um eine spezifische Art von Begriffen. Ihr Spezifikum ist, dass sie Verhältnisbestimmungen sind, deren kontradiktorisches Gegenteil zugleich eine Eigenschaft konträrer Entgegensetzung teilt, indem es einen spezifischen, von der betreffenden Bestimmung durch mehr nur als einen Negationsoperator unterschiedenen Bedeutungsgehalt hat. Auch in der zurückliegenden Analyse der Dialektik hat sich gezeigt, dass das Verhältnis einer logischen Bestimmung zu ihrem Entgegengesetzten kontradiktorische und konträre Opposition in sich vereint. Die Struktur der Dialektik hat sich als die immanente Selbstaufhebung unmittelbarer und einfacher Bedeutungsgehalte dargestellt, wobei die begriffliche Einfachheit und Unmittelbarkeit der Bestimmungen hier gerade bedeutet, dass sie durch die Abgrenzung von ihrem Nicht-sein durchgängig bestimmt sind, d. h. nicht nur in einer bestimmten Hinsicht (unter vielen), die sich aus der Abgrenzung von einem nur konträren Gegenteil (unter vielen) ergeben würde. 57 Zugleich aber resultiert die Selbstaufhebung der logischen Bestimmungen, wie wir gesehen haben, in einer produktiven Umwandlung ihrer unmittelbaren Bedeutung zu der ihres Entgegengesetzten als zu einem eigens positiv und konkret bestimmten Bedeutungsgehalt. Aus der spezifischen Natur der Dialektik, in welcher die immanente Selbstaufhebung einfacher Bestimmungen wesentlich verbunden ist mit einer produktiven und nicht nur zerstörenden Umwandlung ihrer Bedeutung, lässt sich demnach ableiten, dass die Entgegensetzung der logischen Bestimmungen Eigenschaften kontradiktorischer und konträrer Opposition in sich vereinigt. 58 Im Subjektivitätskapitel der Begriffslogik geht Hegel hierauf 57
58
Wohl auch in diesem Sinne bemerkt Schäfer (R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 304.) zwar in allgemeiner Hinsicht, jedoch gestützt auf ein Argument, das anhand der Wesensbestimmungen besonders deutlich offenbar wird, dass die „Entgegensetzung, also das jeweilige Nichtsein in den Wesensbestimmungen, [. . .] nicht im Sinne der traditionellen Logik als bloß logisch-kontradiktorische Opposition zu verstehen [ist], sondern es handelt sich, wie auch bei den Entgegensetzungen der Seinskategorien, um eine konträre Opposition, denn das Entgegengesetzte einer Wesensbestimmung soll jeweils ihr spezifisch Entgegengesetztes sein. Die Wesensbestimmungen sollen sich als relative durch ihr konträres Gegenteil bestimmen; läge in der Entgegensetzung der Reflexionsbestimmungen eine bloß logisch-kontradiktorische Opposition im Sinne der traditionellen Logik vor, könnten sich die Wesenskategorien nicht wechselseitig bestimmen.“ Becker (W. Becker: Hegels Begriff der Dialektik und das Prinzip des Idealismus. Zur systematischen Kritik der logischen und phänomenologischen Dialektik. Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1969, insb. 44–95, 86.) deutet, anders als wir, die Einheit von konträrer und kon-
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mit einigem Detail ein. 59 Speziell zu dem Verhältnis, in dem die Begriffsbestimmungen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit zueinander stehen, deren untrennbare Einheit den Begriff des Begriffs und damit den Bedeutungsgehalt einer der höchsten und am weitesten entwickelten Denkbestimmungen ausmachen, hält er fest: „Das Allgemeine erwies sich nicht nur als das Identische, sondern zugleich als das verschiedene oder conträre gegen das Besondere und Einzelne, ferner auch als ihnen entgegengesetzt, oder contradictorisch; in dieser Entgegensetzung aber ist es identisch mit ihnen, und ihr wahrhafter Grund, in welchem sie aufgehoben sind. Ein gleiches gilt von der Besonderheit und Einzelnheit, welche eben so die Totalität der Reflexionsbestimmungen sind.“ 60 Die unmittelbare Bedeutung der Begriffsbestimmung der Allgemeinheit besteht darin, dass sie sich sowohl von der Besonderheit als auch von der Einzelheit negativ unterscheidet. Das Allgemeine ist Allgemeines gerade dadurch, dass es nicht Besonderes oder Einzelnes, d. h. nicht bereits spezifizierte Allgemeinheit oder gar individualisierte Besonderheit, ist. Der allgemeine Begriff des Tieres etwa ist als solcher, d. h. als allgemeiner Begriff, in diesem Sinne weder das vernunftbegabte Tier noch dieser Mensch Sokrates, sondern wird aus diesen gerade durch Abstraktion der spezifischen und individualisierenden Bedeutungsaspekte generiert. Durch diese Unterscheidung ist die unmittelbare Bedeutung des Begriffs des Allgemeinen vollständig bestimmt, die Entgegensetzung ist in dieser Hinsicht kontradiktorischer Natur, wobei Besonderheit und Einzelheit jedoch eine weitere Bedeutung haben als nur das Nicht-Allgemeine zu sein. In dieser Hinsicht ist die Entgegensetzung von Allgemeinheit und Besonderheit beziehungsweise von Allgemeinheit und Einzelheit auch konträrer Natur. 61
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60 61
tradiktorischer Entgegensetzung in der Hegelschen Dialektik als einen „Synkretismus“, der „als Resultat einer gewaltsamen Setzung zu verstehen ist“. Für Becker sind diejenigen „Begriffsinhalte der Kategorien der ‚Wissenschaft der Logik`, die durch die Heranziehung eines konträren Gegensatzes eingebracht werden, auch nur empirisch aufgegriffen“. Nicht nur geht diese Deutung am grundlegenden Charakter der spekulativen Logik Hegels vorbei, sondern bleibt insbesondere in ihrer Begründung hinter der Komplextität der spekulativdialektischen Methode wesentlich zurück. Eine erhellende Analyse der Kritik, die Hegel an einer strikten Trennung von konträrer und kontradiktorischer Entgegensetzung übt, findet sich bei Chr. Iber: Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik. Berlin / New York 1990, 374–377. GW, Bd. 12, 46. Bezüglich des Problems, inwiefern es sich in Hegels spekulativer Logik bei zwei einander entgegengesetzten Denkbestimmungen um eine kontradiktorische und inwiefern um eine konträre Entgegensetzung handelt, vgl. des Weiteren eingehend K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn, 3. Auflage 1995, 180, 222 f. und insb. 248 f.
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Die Dialektik stellt somit zunächst einen „unendlichen Progreß“ 62 dar, von dessen Gliedern keines seine Bedeutung unmittelbar feststellen kann, ohne dass hiermit die dynamische Umwandlung dieser Bedeutung zu ihrem begrifflichen Gegenteil einhergeht, an welchem sich diese Einheit von Bedeutungserfassung, Aufhebung und Umwandlung erneut reproduziert und das Ganze der Dialektik sich zu einem zirkulären Prozess ausbildet. Dass dieses rastlose Taumeln zwischen zwei logischen Bedeutungsgehalten, so es als Ganzes betrachtet wird, zugleich eine in sich geschlossene und in sich ruhende Prozessualität darstellt, wird im Folgenden noch von entscheidender Bedeutung sein. Für den weiteren Verlauf der Entwicklung zu ihrem Ende ist gerade der Umstand zentral, dass die Dialektik, zu welcher ausgehend vom unmittelbaren Anfang, wie hier dargestellt worden ist, zunächst fortgegangen wird, in einer gegenwendigen und doppelten Bedeutungstransformation besteht. Darauf, dass der „bachantische Taumel“ 63 der logischen Bestimmungen „ebenso die durchsichtige und einfache Ruhe“ 64 ist, wird später also noch näher einzugehen sein. Mit dem Einsetzen des Fortgangs der Entwicklung hat sich ihr anfänglicher Inhalt in Form und Bedeutung gewandelt. Während der Anfang der Entwicklung noch darin bestand, den Bedeutungsgehalt einer logischen Bestimmung unmittelbar zu erfassen und ihn somit nur einfach negativ von seiner Negation / seinem Entgegengesetzten zu unterscheiden und abzugrenzen, ist das Resultat, das nun immanent aus diesem Anfang folgt, ein prozessualer Bedeutungszusammenhang, der sich zwischen zwei gleichberechtigten Bestimmungen vollzieht, die gleichermaßen als affirmativ gelten sowie gleichermaßen an ihnen selbst zugrunde gehen. Das Resultat, welches aus dem Anfang folgt, stellt ein immanentes und mit Notwendigkeit sich ergebendes Resultat dar, weil es rein nur aus der Form des Anfangs deduziert worden ist, d. h. ohne dass dabei auf argumentative Gründe zurückgegriffen worden wäre, die nicht bereits vollständig in der Einfachheit und Unmittelbarkeit des Anfangs selbst liegen. Gleichwohl ist dieses immanente Resultat des Anfangs rücksichtlich seiner Struktur zugleich dessen Negation. Anfang und Fortgang schließen sich selbst als Entgegengesetzte wechselseitig aus. Der Ursprung des Resultats, aus dem es folgt, ist der unmittelbare, einfache und unprozessuale Anfang gewesen; die Struktur des Resultats selbst, d. h. die Struktur der Dialektik, ist aber ein zirkulärer Prozess, der zwei gleichberechtigte Bestimmungen miteinander vermittelt. 65 Beide der einander entgegengesetzten Bestimmungen transformieren 62 63 64 65
GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 9, 35. GW, Bd. 9, 35. Dementsprechend bemerkt J. Halfwassen: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung. Bonn 1999, 367: „Das zweite Moment der dialektischen Methode und die zweite
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sich nun immanent zueinander, indem sie ausgehend von ihrer jeweiligen unmittelbaren Erfassung, die in der negativen Unterscheidung und Abgrenzung von der anderen besteht, sich als auch identisch mit dieser erweisen und ihren Bedeutungsgehalt sodann zu dem ihres Entgegengesetzten korrigieren und umwandeln. 66 Das Resultat, zu dem die Entwicklung in ihrem Verlauf zunächst fortgeht, besteht also darin, dass derjenige logische Bedeutungsgehalt, der anfänglich in der Form der Unmittelbarkeit erfasst worden ist, sowie diejenige Bedeutung, die ihm entgegengesetzt ist, sich auf die beschriebene Weise kontinuierlich zueinander umwandeln. Der Inhalt der Entwicklung hat in diesem Stadium demnach die Struktur eines zirkulären Transformationsprozesses. Seine Form ist nicht mehr die einer einfachen Bestimmung, sondern die Bedeutung des Inhalts ist nun als ein immanentes Werden zweier logischer Bedeutungen zueinander konzipiert. Hierbei ist jedoch wichtig, dass diese beiden Bedeutungsgehalte in ihrem Werden zueinander strenggenommen nicht „zugleich“ affirmativ thematisch sind. Vielmehr stellen sie zwei Pole einer zirkulären Bewegung dar, von denen ein jeder erst durch die Selbstaufhebung des anderen entsteht, indem diese nicht einfach in einem leeren Nichts resultiert, sondern in der Korrektur und Umwandlung der Bedeutung derjenigen Bestimmung, die sich aufhebt, zu der ihres Entgegengesetzten. Der Inhalt der Entwicklung teilt sich im Fortgang somit eigentlich nicht in zwei Bestimmungen auf, die sich dann kontinuierlich zueinander wandeln, sondern wird vielmehr an ihm selbst transformativ. Logische Bedeutung ist für Hegel wesentlich ein autokorrektiver und damit autotransformativer Prozess. Es ist die Struktur des logischen Inhalts selbst, die sich im Fortgang der Entwicklung von der ruhigen Einfachheit des Anfangs zur dialektischen Prozessualität wandelt. Damit ist auch die zirkuläre Transformation zweier Bedeutungen zueinander, in der die Struktur des Fortgangs besteht, so zu verstehen, dass es eigentlich nach wie vor der eine Inhalt ist, der sich nun von der einen Bedeutung zur anderen
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Stufe der Idee, die Hegel bei Plotin findet, ist die Entzweiung der Einheit in die Unterschiede, das ‚Urteil der Idee` in ihre entgegengesetzten Momente als aktive Selbstnegation des Anfangs [. . .].“ Hierzu erneut Halfwassen (J. Halfwassen: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung. Bonn 1999, 368.) im Kontext seiner Analyse von Hegels Plotinrezeption: „In Hegels eigener Theorie erfolgt die Unterscheidung und wechselseitige Bestimmung der Besonderheiten jeweils nach dem Grundsatz: ‚omnis determinatio est negatio` durch ihre Entgegensetzung in Antinomie und Widerspruch, die sich innerhalb der Einheit des ursprünglichen Allgemeinen vollzieht und in der sich die einander entgegengesetzten Besonderheiten wechselseitig derart negieren, daß zugleich jedes der beiden negativ aufeinander Bezogenen das jeweils Andere als konstitutives Moment seiner eigenen Bestimmtheit oder als das ‚Andere seiner selbst` an sich selbst hat.“
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wälzt. Auf der Entwicklungsebene des Fortgangs ist der seiner Form nach ehemals unmittelbare, einfache und bewegungslose Inhalt jetzt gänzlich von der Dialektik und ihrer transformativen Struktur durchdrungen. Dies ist, was gemeint ist, wenn die Dialektik als ein immanenter Bedeutungswandel bestimmt wird, als eine Veränderung, die sich am Inhalt der Entwicklung selbst vollzieht. Gerade in dieser Hinsicht ist die Dialektik in Hegels Logik immer als ein Werden zweier Bedeutungsgehalte zueinander zu begreifen und stellt folglich weder eine äußerliche Verknüpfung zweier Bestimmungen noch einen Blick aus dritter Perspektive auf den Prozess ihres Fließens ineinander dar. In eben diesem Sinne hält Hegel fest, dass die Dialektik nicht „als ein subjectives Schaukelsystem von hin- und herübergehendem Raisonnement“ 67 verstanden werden darf. Wollte man die Struktur der Dialektik dennoch auf äußerliche Art und Weise nachverfolgen, so dürften also nicht zwei auseinanderliegende Bestimmungen vorgestellt werden, von denen die eine die andere hervorbringt und hierbei dennoch selbst bestehen bleibt. Da der Bedeutungswandel wesentlich mit der Selbstaufhebung der Bestimmungen eintritt, müsste der zirkuläre Verlauf der Dialektik vielmehr so nachgezeichnet werden, dass alles, was überhaupt thematisch ist, d. h. ein Inhalt, sich kreisförmig zwischen zwei Bedeutungen hin- und her bewegt. Die Nachzeichnung hätte somit sozusagen performativen Charakter, da die jeweilige Bedeutung sich vollständig zu ihrem Entgegengesetzten umwandelt und damit ihr Ausgangsstadium im Moment seiner Aufhebung und Umwandlung eigentlich zu löschen wäre. Die beiden Momente der dialektischen Prozessualität bestehen somit auch nicht einfach nur aus zwei unmittelbaren Bestimmungen, sondern weil sie ein immanentes Werden zweier Bedeutungsgehalte zueinander beschreibt, bestehen die beiden 67
GW, Bd. 20, 119. Zum Begriff des „Raisonnements“ und seiner negativen Bedeutung, in welcher Hegel ihn in seiner Kritik an einer falsch verstandenen Dialektik gebraucht, vgl. auch H.-G. Gadamer: „Hegel und die antike Dialektik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 7–30, 17: „Hegel nennt alle [. . .] Formen des Verstandesurteils mit polemischer Schärfe ‚Raisonnement`. Das Raisonnement hat einmal eine negative Form, die heute noch in der Wortbedeutung von raisonnieren nachklingt. Aus der negativen Einsicht, ‚das dem nicht so sei`, wird nicht ein wirklicher Fortgang der Sache gewonnen, so daß etwa das Positive, das in jeder Negation liegt, zum Inhalt der Betrachtung würde. Vielmehr bleibt das Raisonnieren bei dieser eitlen Negativität stehen und reflektiert sich in sich selbst.“ Gadamer erörtert daraufhin noch eine positive Bedeutung des Begriffs, die denkbar ist, insofern „auch das sogenannte positive Erkennen in dem Sinne Raisonnement ist, daß es das Subjekt zur Basis macht und von einer Vorstellung zur anderen fortläuft, die es auf dieses Subjekt bezieht.“ Er hält jedoch fest, dass für „beide Formen des Raisonnierens [. . .] charakteristisch [ist], daß die Bewegung dieses denkenden Auffassens an der Sache als einer unbewegten und ruhenden verläuft und für sie selbst äußerlich ist“. Die Konklusion dieser Überlegungen, nämlich beides daher dem Wesen der spekulativ-dialektischen Methode und damit dem Programm der Hegelschen Logik entgegenzusetzten, entspricht ganz unserer Lesart: „Dagegen ist das spekulative Denken begreifendes Denken.“
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Pole der Dialektik eigentlich jeweils aus a) der unmittelbaren Erfassung einer logischen Bedeutung, b) ihrer Selbstaufhebung und c) der Korrektur dieser Bedeutung zu der ihres Entgegengesetzten. Die logischen Bestimmungen stehen also zu demjenigen Bedeutungsgehalt, den sie in ihrer unmittelbaren Bedeutung als ihre spezifische Negation wesentlich aus sich ausschließen, zugleich im Verhältnis der Identität. In diesem Umstand besteht die zentrale Stellung des Widerspruchs in der spekulativen Logik. Da zwei einander entgegengesetzte Denkbestimmungen sich nicht nur als solche wechselseitig ausschließen, sondern sich in ihrer Entgegensetzung ebenso sehr als identisch miteinander erweisen, ist das eigentliche Verhältnis, indem sie zueinander stehen, weder nur Entgegensetzung noch nur Identität, sondern die Einheit beider Verhältnisbestimmungen und damit der Widerspruch. 68 Die Struktur des Fortgangs der Entwicklung ist also ein Hin- und Herpendeln zwischen zwei logischen Bestimmungen, die sich in ihrer jeweiligen Thematisierung abwechseln. Die Dialektik besteht hier im zirkulären Prozess der immanenten Transformation zweier entgegengesetzter logischer Bestimmungen zueinander. Dialektisch ist die prozessuale und dynamische Vermittlung zweier sich zueinander transformierender logischer Bedeutungsgehalte, da ein jedes ihrer Relata, d. h. eine jede der sich verändernden Bestimmungen, sich im Widerstreit mit sich selbst befindet. Die Entgegengesetzten transformieren sich zueinander, korrigieren ihren jeweiligen Bedeutungsgehalt zu dem des anderen, da sie als das, was sie unmittelbar für sich betrachtet sind, auch dasjenige sind, was sie in dieser ihrer unmittelbaren Bestimmung gerade nicht sind, d. h. in der Unterscheidung von ihrer Negation / von dem Anderen der beiden Entgegengesetzten sind sie auch identisch mit diesem; oder – anders ausgedrückt – der Bedeutungsgehalt der Negation einer logischen Bestimmung beschreibt selbst dasjenige Verhältnis, in welchem diese zu ihrer Negation steht, indem sie sie in ihrer unmittelbaren Bedeutung von sich abgrenzt. 68
Diese Beziehung findet sich auch an der entsprechenden Stelle in der Wesenslogik wieder, wo der Begriff des Widerspruchs als eine eigene Denkbestimmung explizit thematisch und seine Bedeutung als ein Strukturmoment der spekulativen Entwicklung auch vorangegangener Kategorien somit (entwicklungsimmanent) gerechtfertigt wird. Dabei wird die logische Struktur des Widerspruchs aus den unmittelbar vorangehenden Reflexionsbestimmungen der Identität und des Unterschieds als deren spekulative Einheit genetisch abgeleitet und konkretisiert sich seinerseits weiter zur Reflexionsbestimmung des Grundes. Eine erhellende Erörterung dieser immanenten Entwicklung der wesenslogischen Reflexionsbestimmungen sowie ihrer Bedeutung innerhalb der Theorie der absoluten Subjektivität, die mit der spekulativen Logik vorliegt, liefert der Kommentar von M. Quante: „Die Lehre vom Wesen. Erster Abschnitt. Das Wesen als Reflexion in ihm selbst“, in: Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik. Hrsg. M. Quante und N. Mooren, Hamburg 2018, 275–324, insb. 297–319.
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Die Dialektik besteht also darin, dass eine zunächst in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit erfasste, limitativ bestimmte Denkbestimmung sich als ein reflexiver Negationsakt erweist und sich im Zuge dessen an sich selbst werdend zu der ihr spezifisch entgegengesetzten Bestimmung transformiert. Begriffsimmanente Entgegensetzung zweier gleichberechtigt als affirmativ geltender Bestimmungen, d. h. Entgegensetzung zweier Bestimmungen durch ihre jeweilige Selbstnegation, ist, wie in der Logik gezeigt wird, immer eine Form des Werdens. Dies wird besonders deutlich, wenn Hegel den dialektischen Prozess der Veränderung als „ein bereits concret gewordenes Werden“ 69 charakterisiert. Die basale Prozessbestimmung des Werdens, wie sie zuvor als das Ineinander-übergegangen-sein des reinen Seins und des reinen Nichts thematisch gewesen ist, bleibt in diesem Sinne auch in allen folgenden Denkbestimmungen als allgemeine Form ihrer jeweiligen, inhaltlich spezifisch bestimmten Dialektik positiv bestehen. Der Fortgang der logischen Entwicklung besteht somit eigentlich darin, dass der zunächst noch ganz fundamentale dialektische Prozess des Werdens weiter konkretisiert wird und sich – im Rahmen seines eigenen kontinuierlichen Werdens – schrittweise zu komplexeren Formen seiner selbst entwickelt. Abhängig von der Komplexität und Konkretheit des noematischen Bedeutungsgehalts einer jeweiligen Denkbestimmung kann ihr immanenter Werdensprozess die Struktur des Übergehens in Anderes, des Scheinens im Anderen oder des (entwicklungsdialektischen) Sich-konkretisierens und Sich-bereicherns im Entgegengesetzten annehmen. 70 Wir werden im Folgenden auf diese spezifischen Dialektiktypen und deren Verhältnis zueinander zurückkommen. Die gedankliche Erfassung einer Denkbestimmung in der Form eines endlichen, abstrakten Allgemeinbegriffs ist die erste Stufe eines jeden durch die spekulative Dialektik methodisch-formal geregelten Entwicklungsprozesses. Die logische Grundoperation dieses anfänglichen Moments der Entwicklung ist, wie dargestellt worden ist, die einfache Negation der Negation im Sinn der negativen Unterscheidung einer Denkbestimmung von ihrem Entgegengesetzten; in dieser negativen Unterscheidung besteht je der affirmative Bedeu69 70
GW, Bd. 21, 104. Vgl. hierzu GW, Bd. 20, 230: „Die abstracte Form des Fortgangs ist im Seyn ein Anderes und Uebergehen in ein Anderes, im Wesen Scheinen in dem Entgegengesetzten, im Begriffe die Unterschiedenheit des Einzelnen von der Allgemeinheit, welche sich als solche in das von ihr Unterschiedene continuirt und als Identität mit ihm ist.“ Bereits zuvor unterscheidet Hegel im Paragraphen 161 der Enzyklopädie drei Weisen der dialektischen Selbstexplikation des Begriffs, die hier jedoch noch nicht explizit den drei logischen Systemteilen zugeordnet werden. Vgl. hierzu GW, Bd. 20, 177: „Das Fortgehen des Begriffs ist nicht mehr Uebergehen noch Scheinen in Anderes, sondern Entwicklung, indem das Unterschiedene unmittelbar zugleich als das identische mit einander und mit dem Ganzen gesetzt, die Bestimmtheit als ein freies Seyn des ganzen Begriffes ist.“
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tungsgehalt einer logischen Bestimmung. Die unmittelbare Bedeutung einer Denkbestimmung konstituiert sich also durch die limitativ-negierende Grenzziehung zwischen ihr selbst und der ihr entgegengesetzten Bestimmung. Das Etwas ist daher das Negieren des Anderen, das Ansichsein das Negieren des Seins-für-Anderes, das Ganze das Negieren der Teile, die Ursache das Negieren der Wirkung, der unmittelbare Anfang jeder spekulativen Entwicklung das Negieren der Vermittlung und damit der (vorausblickenden) Bezogenheit auf den dialektischen Fortgangs usf. Der erste Schritt des weiteren Fortgangs der Entwicklung – und damit das Anheben des ihr spezifisch zugehörigen dialektischen Prozesses – ist die Selbstnegation ihres unmittelbaren Anfangs, mithin die reflexive Aufhebung der zunächst einfachen Negation. Die logische Grundoperation des dialektischen Moments der spekulativen Entwicklung ist demnach das Prinzip der reflexiven Negativität. In dieser Hinsicht hat die Dialektik die unmittelbare Bedeutung der logischen Bestimmungen, nach der sie sich zunächst jeweils als Negation ihrer Negation affirmieren, zu ihrer Voraussetzung, in der sie begründet liegt. Für die Bestimmungen des reinen Denkens gilt, dass ihre unmittelbare Bedeutung, mit der sie als die einfache Negation der ihr entgegengesetzten Bestimmung gesetzt werden, die vorvermittelte Potenz ihres jeweiligen dialektischen Prozesses darstellt. Es ist gerade das Spezifikum ihrer spekulativen Prozessstruktur, dass die Denkbestimmungen an ihnen selbst ihre begriffliche Unmittelbarkeit überwinden, indem die logische Struktur dieser Unmittelbarkeit, d. h. das einfache Negieren der eigenen Negation, sich auf sich selbst anwendet und damit in der immanenten Transformation der jeweiligen Bestimmung zu der ihr entgegengesetzten resultiert. Die zweite Stufe der spekulativ-dialektischen Entwicklung ist demnach „das eigene Sich-Aufheben solcher endlichen Bestimmungen und ihr Uebergehen in ihre entgegengesetzte“. 71 Vor dem Hintergrund der Differenz zwischen dem seins-, wesens- und begriffslogischen Dialektiktypus, auf die wir noch eingehen werden, wird deutlich, dass mit dem Terminus „Uebergehen“ hier nicht nur die Übergangsdialektik der Seinskategorien gemeint sein kann. Das dialektische Moment, welches in § 81 der Enzyklopädie in der zitierten, prägnanten Form angegeben ist, macht – wie auch die vorangehende verständige sowie die nachfolgende spekulative Formbestimmung des Logischen – ein Moment, so Hegel, „jedes Logisch-Reellen, das ist jedes Begriffes oder jedes Wahren überhaupt“ 72 aus. Daraus folgt jedoch, dass jener Begriff des dialektischen „Uebergehen[s]“ 73 neben dem Übergehen in Anderes der Seinskategorien ebenso sehr 71 72 73
GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 20, 119.
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die prozessuale Struktur des wesenslogischen Scheinens im Entgegengesetzten sowie der begriffslogischen Entwicklungsdialektik beschreiben muss. Wenn Hegel das Übergehen hier als strukturelle Formbestimmung nicht nur der seinslogischen, sondern auch der wesens- und begriffslogischen dialektischen Prozesse verwendet, muss damit also in einem allgemeineren Sinne das in sich widersprüchliche Verhältnis zwischen zwei einander jeweils entgegengesetzten Denkbestimmungen gemeint sein. Dabei kann dieses in sich bewegte Verhältnis zwischen zwei Denkbestimmungen, das deswegen widersprüchlich ist, da die Bestimmungen nicht nur als sich wechselseitig ausschließend einander entgegengesetzt sind, sondern sich ebenso sehr als identisch miteinander erweisen, durchaus die Struktur des Übergehens im engeren Sinne annehmen. Dies ist dann der Fall, wenn es sich bei der Denkbestimmung, deren Dialektik betrachtet wird, um eine seinslogische Kategorie handelt. Die allgemeine dialektische Struktur des „Uebergehen[s] in ihre entgegengesetzte“ 74 spezifiziert sich mit den Seinskategorien zur Form des „Uebergehen[s] in ein Anderes“ 75. Da die Seinskategorien sich dadurch auszeichnen, dass „ihr Sinn [. . .] als vollendet [erscheint]“ 76, verschwinden sie im Zuge ihrer Selbstaufhebung und ihrer werdenden Transformation zu dem ihnen je spezifisch entgegengesetzten Anderen zugleich in diesem und hören auf zu sein, was sie sind. Das dialektische „Uebergehen“ 77 als eine allgemeine methodisch-formale Bestimmung „des Logischen“ 78 als solchen beziehungsweise als ein Moment „jedes Logisch-Reellen“ 79 und dessen immanenter Entwicklung verweist demnach grundlegend auf das reziproke Verhältnis, in welchem alle Bestimmungen des reinen Denkens, auch die gleichursprünglich-relationalen Bestimmungen der Wesenslogik sowie die Bestimmungen der Begriffslogik, zu ihrem Entgegengesetzten schlussendlich stehen. In dieser seiner allgemeinsten Bedeutung, die allen spezifischen Dialektiktypen zugrunde liegt und positiv in ihnen enthalten ist, besteht „das Dialektische“ 80 im zirkulären Prozess der immanenten Transformation zweier reflexiver Negativitäten zueinander. Diese logische Grundstruktur, zu welcher das „dialektische Moment“ 81 sich im Ausgang von der ursprünglichen Selbstnegation der abstrakten Unmittelbarkeit des Anfangs schlussendlich konkretisiert, lässt sich durchgängig auf allen Stufen der logischen Entwicklung nachvollziehen. Sie ist also ein Moment der spekulativ74 75 76 77 78 79 80 81
GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 21, 109 f. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 12, 242. GW, Bd. 20, 119.
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dialektischen Methode im Sinne einer allgemeinen Formbestimmung des logischen Inhalts und seiner schrittweisen, immanenten Entwicklung. Das dialektische Moment der spekulativen Methode manifestiert sich als die zweite Stufe eines jeden durch die spekulative Dialektik methodisch-formal geregelten Entwicklungsprozesses. Das Dialektische entspricht damit der Begriffsbestimmung der Besonderheit, insofern diese in der Bedeutung als Bestimmung der Methode betrachtet wird. 82 Die Dialektik ist immer ein dialektischer Prozess und damit ein reziprokes Verhältnis zwischen zwei einander entgegengesetzten Denkbestimmungen, deren zunächst abstrakt-einfache Bestimmtheit sich im Zuge ihrer gedanklichen Erfassung als eine reflexive Negativität erweist und die sich mit ihrer jeweiligen Selbstnegation werdend zueinander transformieren. Dies ist der Fortgang der spekulativen Entwicklung der Denkbestimmungen: Ein reziprokes Prozessverhältnis zwischen zwei gleichberechtigten, je reflexiv-negativen Bestimmungen, die im „perennirende[n] Fortsetzen“ 83 ihres wechselseitigen Einander-Herbeiführens und im „unendlichen Progreß“ 84 ihrer werdenden Transformation zueinander wesentlich miteinander vermittelt sind. Allerdings ist der Anfang der Entwicklung, wie wir gesehen haben, zunächst eine ihrer Form nach einfache und unmittelbare Bedeutungseinheit. Da der erste Schritt des Fortgangs, wie gezeigt worden ist, in der Selbstnegation der abstrakt-unmittelbaren und einfach-negativen Bestimmung des Anfangs besteht, ist auch das dialektische Prinzip der reflexiven Negativität zunächst ein singuläres Ereignis. Der eine Anfang ist das sich ursprünglich selbst Aufhebende. Die Dialektik, in welcher der Fortgang eines jeden spekulativen Entwicklungsprozesses besteht, beginnt also, anders ausgedrückt, mit einer reflexiven Negation, nämlich der Selbstnegation des abstrakt-unmittelbaren Anfangs, teilt sich jedoch aufgrund der immanenten Widersprüchlichkeit dieser ursprünglichen sich selbst negierenden Negation schlussendlich in die prozessuale Wechselbeziehung zweier, einander entgegengesetzter reflexiver Negativitäten ein. 85 Methodischer Fortgang und dialektischer Prozess sind in dieser Hinsicht also als genuin diskursiv und synthetisch zu charakterisieren, denn im Ausgang von der immanenten Selbstnegation der anfänglichen Bestimmung wird an dieser etwas gesetzt, das nicht schon von vornherein Teil der Bestimmtheit des Anfangs als Anfang gewesen ist. Dieses Andere des Anfangs, 82 83 84 85
Vgl. GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 20, 131. GW, Bd. 20, 230. Vgl. hierzu die Ausführungen Theunissens (M. Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik. Frankfurt am Main 1978, 397.) zur Bedeutung des Urteils innerhalb der spekulativ-dialektischen Methode: „Im Urteil, als dem substantiell Zweiten, hat der Begriff ‚sich verloren`, was konkret besagt, daß seine Einheit ‚in die Extreme verloren` ist.“
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welches im Zuge der Selbstnegation der anfänglichen Bestimmtheit diese nicht ersetzt, sondern vielmehr zu ihr hinzutritt, sie erweitert und „bereichert“ 86, eben an ihr gesetzt wird, ist vor dem Einsetzen des Fortgangs nur der materiale Gehalt des Anfangs als einfacher Negation gewesen. Um diese Überlegung hinsichtlich der Differenz zwischen Anfang und Fortgang zu erläutern, sei erneut auf die immanente Entwicklung der Daseinskategorie des Etwas verwiesen. Der Anfang der Entwicklung dieser basalen Seinskategorie besteht, wie dargestellt worden ist, in ihrer verständigen Fixierung in der Form der Einfachheit und abstrakten Unmittelbarkeit, mithin als eine einfache Negation. In seiner „einfache[n] seyende[n] Beziehung auf sich“ 87 ist das Etwas (limitativ) bestimmt als die Negation des Anderen, denn als Etwas schließt es alles, das es als Etwas nicht ist, d. h. alle Andersheit, aus sich aus. Ist etwas als etwas bestimmt, so schließt es Anderes aus sich aus. 88 Der Fortgang der Entwicklung besteht in der Selbstnegation dieses Anfangs, was aufgrund dessen privativer Bestimmtheit, Negation des Anderen zu sein, unmittelbar in eins fällt mit der Selbstbezüglichkeit dieser zunächst einfachen Negation. In seiner anfänglichen Bestimmtheit, das Andere zu negieren, ist das Etwas selbst das Andere gegenüber demjenigen Anderen, welches es als Etwas aus sich ausschließt. Das Etwas wird also an ihm selbst zum Anderen, es ist selbst das Andere des Anderen, das „Andersseyn ist nicht ein gleichgültiges außer ihm, sondern sein eigenes Moment.“ 89 Das Resultat der Selbstnegation des anfänglichen abstrakt-unmittelbaren Begriffs des Etwas, d. h. der einfachen Negation des Anderen, ist also das Übergehen des Etwas in das Andere beziehungsweise sein werdendes Verschwinden in ihm. Das Etwas ist nicht länger Etwas, d. h. nicht mehr Negation des Anderen, sondern Anderes und damit aufgehobene Negation des Anderen: „Etwas wird ein Anderes, aber das Andere ist selbst ein Etwas, also wird es gleichfalls ein Anderes und sofort ins Unendliche.“ 90 Der somit am ursprünglichen Begriff des Etwas selbst dargestellte Widerspruch, „den das Endliche enthält, daß es sowohl Etwas ist als sein Anderes“ 91, also „das perennirende Fortsetzen des Wechsels dieser einander herbeiführenden Bestimmungen“ 92 ist die Dialektik des Etwas und in ihm besteht der Fortgang 86 87 88
89 90 91 92
GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 21, 103. Zu Bedeutung und logischer Struktur der Daseinskategorie des Etwas, seiner Beziehung zum Anderen und der weiteren Entwicklung ihres Verhältnisses vgl. den Kommentar von S. Houlgate: „Das Sein. Zweyter Abschnitt. Die Quantität“, in: Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik. Hrsg. M. Quante und N. Mooren, Hamburg 2018, 145–218, 146 ff. GW, Bd. 20, 130. GW, Bd. 20, 130. GW, Bd. 20, 131. GW, Bd. 20, 131.
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der immanenten dialektischen Entwicklung dieser Kategorie. Die Bestimmtheit des logischen Inhalts, die im Anfang der Entwicklung des Etwas nur der abstrakt-unmittelbare Begriff desselben gewesen ist, ist also um das werdende Übergehen des Etwas in das Andere erweitert worden. Dieses ist auch wieder ein „Daseyendes, [also ein] Etwas“ 93, das als solches Anderes aus sich ausschließt, damit aber auch wieder an ihm selbst ein Anderes wird usf. Die Dialektik ist auf dieser Stufe der logischen Entwicklung also in der Tat, wie zuvor in allgemeiner Hinsicht festgehalten worden ist, der zirkuläre Prozess der immanenten Transformation zweier reflexiver Negativitäten zueinander. Die beiden Bewegungspole dieses Prozesses sind je ein Daseiendes oder Etwas, dem das „Andersseyn [. . .] nicht ein gleichgültiges außer ihm, sondern sein eigenes Moment“ 94 ist. Als ein Etwas, dem als solches die „Gränze, Schranke“ 95 und Limitation gegenüber dem Anderen inhäriert, indem es Anderes negierend aus sich ausschließt, fällt die Bestimmtheit beider der einander entgegengesetzten Bestimmungen in ihrer verständigen Fixierung unmittelbar in eins mit der einfachen Negation des Anderen. Da beide Bestimmungen sich, wie dargestellt, aber als das Andere desjenigen Anderen erweisen, das sie in ihrer Bestimmtheit, Etwas zu sein, aus sich ausschließen, erweitert sich sowohl die eine als auch die andere einfache Negation zu der gegenüber dieser verständigen Form komplexeren Struktur einer reflexiven, sich selbst aufhebenden Negativität. Die Dialektik des Etwas ist also inhaltlich spezifisch bestimmt als Veränderung, d. h. als das kontinuierliche und in sich ruhende werdende Übergehen des Etwas in sein Anderes. Dieser dialektische Prozess des Etwas, d. h. die Veränderung, ist die in sich widersprüchliche Einheit der a) Identität des Etwas und des Anderen und b) ihrer sich wechselseitig ausschließenden Entgegensetzung. Sowohl die Identität als auch die Entgegensetzung der Bestimmungen liegt im Prinzip der reflexiven Negativität als der logischen Grundoperation des dialektischen Fortgangs begründet: Das Etwas negiert sich selbst und verschwindet im Anderen; wenn es Etwas ist, ist es nicht Anderes, und wenn Anderes ist, ist es nicht länger Etwas. Dies ist ihre Entgegensetzung. Gleichwohl aber ist auch das so gewordene Andere „selbst ein Etwas“ 96 und wird damit „gleichfalls ein Anderes“ 97. Beide Bestimmungen sind ein Etwas, das zum Anderen wird. Ihre Identität besteht also darin, dass sie einander herbeiführen 98, indem eine jede von ihnen an ihr selbst und damit werdend in die andere übergeht, sich werdend zu dem 93 94 95 96 97 98
GW, Bd. 21, 103. GW, Bd. 20, 130. GW, Bd. 20, 130. GW, Bd. 20, 130. GW, Bd. 20, 130. Vgl. GW, Bd. 20, 131.
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ihr negativ entgegengesetzten Anderen transformiert. Die Einheit dieser prozessualen Vermittlung des Etwas und des Anderen ist also die eine Hinsicht, in der sie sowohl miteinander identisch als auch als sich wechselseitig ausschließende Bestimmungen einander entgegengesetzt sind. Dieser immanente Widerspruch ist schlussendlich die entwickelte Manifestation derjenigen Widersprüchlichkeit, die schon in der ursprünglichen produktiven Selbstnegation des anfänglichen Begriffs des Etwas implizit vorhanden gewesen ist. Der Fortgang der Entwicklung, der seinen Ausgang von der Selbstnegation des anfänglichen abstrakt-unmittelbaren Begriffs des Etwas, d. h. der einfachen Negation des Anderen, nimmt, ist somit „synthetisch, weil in diesem Begriffe dieser Unterschied [des Etwas und des Anderen als zweier, reziprok aufeinander bezogener reflexiver Negativitäten, L.H.] noch nicht gesetzt war“. 99 Zugleich aber ist diese „Erweiterung“ 100 und „Bereicherung“ 101 des anfänglichen Begriffs des Etwas durch nichts anderes an diesem gesetzt worden, als durch diejenige Produktivität, die ihm in derjenigen Form, in der er zu anfangs thematisch gewesen ist, unmittelbar inhärierte. Der anfängliche Begriff des Etwas, d. h. die limitative Bestimmtheit dieser Kategorie, als Etwas unmittelbar die einfache Negation des Anderen zu sein, hat sich an ihm selbst als eine reflexive Negativität und damit als eine sich selbst aufhebende und verändernde Bestimmtheit erwiesen. Es liegt unmittelbar in der Bestimmtheit des Etwas selbst, als Negation des Anderen zugleich das Andere gegenüber diesem Anderen zu sein, das es als Etwas negierend aus sich ausschließt. Der Fortgang vom anfänglichen abstrakt-unmittelbaren Begriff des Etwas über das zunächst singuläre Ereignis seiner Selbstnegation bis hin zur vollständig ausbuchstabierten und manifestierten Dialektik, d. h. zum zirkulären Prozess der immanenten Transformation zweier reflexiver Negativitäten zueinander, ist also nicht nur als synthetisch, sondern ebenso sehr als analytisch zu charakterisieren. Das analytische Moment besteht, wie dargelegt, darin, dass die Dialektik, die im Rahmen des synthetischen Fortgangs am anfänglichen Begriff des Etwas hervortritt, eine diesem Begriff „immanente Dialektik“ 102 ist, deren Bedingungen totaliter in der anfänglichen Bestimmtheit dieser Kategorie liegen. Die Entwicklung bleibt in ihrem Fortgangs und mit der synthetischen Setzung des dialektischen Prozesses der Veränderung also „schlechthin im Begriffe“ 103 des Etwas. Mit dem zirkulären Werden des Etwas zum Anderen, das synthetisch ist, da dieser Prozess in der anfänglichen Bestimmtheit des Etwas, die gerade darin bestand, nicht Anderes zu sein, „noch nicht gesetzt war“, wird also zugleich „nur das 99 100 101 102 103
GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 248.
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gesetzt [. . .], was im unmittelbaren Begriffe [des Etwas, L.H.] enthalten ist“ 104. Die Dialektik kann demnach als Realisierung derjenigen Bestimmtheit angesehen werden, die in der Unmittelbarkeit des Anfangs nicht als eine abstrakte Potenz, sondern – vor dem Hintergrund der sich vollständig selbst begründenden Struktur des dialektischen Fortgangs der Entwicklung – vielmehr als Entelechie „enthalten ist“ 105. Im dialektischen Fortgang der spekulativen Entwicklung werden, wie dargestellt worden ist, zwei einander entgegengesetzte Denkbestimmungen miteinander vermittelt und dies als zwei gleichberechtigte, reziprok aufeinander bezogene reflexive Negativitäten, die sich im Zuge ihrer jeweiligen Selbstnegation zueinander transformieren. Damit stellt die Entwicklungsstufe des Fortgangs das „zweyte“ 106 gegenüber dem wesentlich unmittelbaren Anfang als dem „Ersten“ 107 dar oder, wie Hegel im Methodenkapitel der Enzyklopädie formuliert, die „zweite Sphäre“ 108. In dieser entwickelt sich „die Beziehung der Unterschiednen zu dem, was sie zunächst ist, zum Widerspruche an ihr selbst, – im unendlichen Progreß, – der sich [. . .] in das Ende auflöst, daß das Differente als das gesetzt wird, was es im Begriffe ist“. 109 Die Dialektik entwickelt das Verhältnis der einander entgegengesetzten Bestimmungen also zum Widerspruch. Im „unendlichen Progreß“ 110 transformieren sich die beiden Bestimmungen kontinuierlich zueinander, indem für eine jede von ihnen gilt, dass die Struktur ihrer unmittelbaren, limitativen Bestimmtheit, d. h. die Struktur der spezifisch bestimmten Negation des Entgegengesetzten, sich im Zuge ihrer gedanklichen Erfassung als eine reflexive Negativität erweist. Da beide Bestimmungen in ihrer limitativen Bestimmtheit die jeweils andere als ihr Entgegengesetztes, d. h. als Negiertes, in sich enthalten, geht die Selbstaufhebung der formalen Struktur der einfachen Negation einher mit der Produktion jener ursprünglich negierten Bestimmung als einer affirmativen, eigens begrifflich zu erfassenden Bedeutungseinheit. Dieses Verhältnis zwischen a) der prozessualen Widersprüchlichkeit, die zwischen zwei dialektisch aufeinander bezogenen Denkbestimmungen herrscht, und b) dem Prinzip des unendlichen Progresses wird besonders deutlich anhand der Paragraphen 93 und 94 der Enzyklopädie, in denen die Dialektik des Etwas dargestellt ist, ehe dessen Entwicklung zum Anderen an ihm selbst fortschreitet und sich somit vollendet:
104 105 106 107 108 109 110
GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 12, 245. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230.
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Die Dialektik und der „bachantische Taumel“ der logischen Bestimmungen
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„§. 93. Etwas wird ein Anderes, aber das Andere ist selbst ein Etwas, also wird es gleichfalls ein Anderes und sofort ins Unendliche. §. 94. Diese Unendlichkeit ist die schlechte oder negative Unendlichkeit, indem sie nichts ist, als die Negation des Endlichen, welches aber ebenso wieder entsteht, somit eben so sehr nicht aufgehoben ist, – oder diese Unendlichkeit drückt nur das Sollen des Aufhebens des Endlichen aus. Der Progreß ins Unendliche bleibt bei dem Aussprechen des Widerspruchs stehen, den das Endliche enthält, daß es sowohl Etwas ist als sein Anderes, und ist das perennirende Fortsetzen des Wechsels dieser einander herbeiführenden Bestimmungen.“ 111
Auf der Ebene der Dialektik, d. h. in der „zweite[n] Sphäre“ 112 der spekulativen Entwicklung, kann keine der beiden einander spezifisch entgegengesetzten Bestimmungen fixiert werden, ohne dass sie sich im Rahmen ihrer limitativen begrifflichen Erfassung als identisch mit ihrer entgegengesetzten Bedeutung erweist. Diese Einsicht in die Identität der Entgegengesetzten, d. h. in die Identität einer reinen Denkbestimmung und ihrer Negation, führt, wie dargelegt worden ist, zu der Selbstaufhebung der limitativen beziehungsweise abstrakt-negativen Struktur der Bestimmungen und resultiert damit in ihrer werdenden Transformation zu der ihr entgegengesetzten Bestimmung. Sobald sie limitativ von dem ihnen entgegengesetzten kategorialen Bedeutungsinhalt unterschieden werden, worin das „abstracte oder verständige“ 113 Moment des spekulativen Entwicklungsprozesses besteht, erweisen sich die logischen Bestimmungen zugleich als identisch mit diesem ihnen entgegengesetzten Bedeutungsinhalt. Sie transformieren sich werdend zu ihm, negieren sich damit jedoch unmittelbar selbst, denn dasjenige, mit dem sie sich als identisch erweisen und zu dessen Bedeutungsgehalt sie ihren eigenen, ursprünglichen Bedeutungsgehalt umwandeln und korrigieren, ist eben das ihnen Entgegengesetzte, welches sie als ihr eigenes Nicht-sein, als ihre bestimmte Negation aus sich ausschließen. Die logischen Bestimmungen stehen, mit anderen Worten, zu der ihnen je spezifisch entgegengesetzten Negation ihrer selbst, von der sie sich limitativ abgrenzen und die sie verneinend aus sich ausschließen, zugleich in demjenigen Verhältnis, das durch dieses Entgegengesetzte zum Ausdruck kommt beziehungsweise mit ihm begrifflich fixiert wird. Dies ist ein wesentliches Charakteristikum aller Denkbestimmungen und mithin eine formale 111 112 113
GW, Bd. 20, 130 f. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 118.
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Verhältnisbestimmung eines jeden „Logisch-Reellen“ 114 zu der ihm spezifisch entgegengesetzten Bestimmung. Selbst die Seinskategorien, deren jeweiliges Entgegengesetztes aufgrund ihrer sinnhaften Abgeschlossenheit 115 noch nicht als gleichursprünglich und affirmativ, sondern zunächst nur rein negativ, d. h. als Anderes, in ihrer begrifflichen Fixierung mitthematisch ist, weisen in dieser Hinsicht bereits aufeinander, d. h. auf die ihnen entgegengesetzte Bestimmung, hin 116 und somit über sich hinaus. Damit wird erneut deutlich, inwiefern die verständige Fixierung einer Denkbestimmung konstitutiv für ihre dialektische Selbstaufhebung ist. Da die Selbstaufhebung der logischen Bestimmungen darin begründet liegt, dass diese zu ihrem Entgegengesetzten, das sie in ihrer verständig-unmittelbaren begrifflichen Fixierung zunächst limitativ von sich unterscheiden, zugleich in dem Verhältnis stehen, das durch ihr Entgegengesetztes zum Ausdruck kommt, ist die limitative Unterscheidung zwischen einer Denkbestimmung und der ihr entgegengesetzten Negation ihrer selbst zunächst in aller Schärfe und Zuspitzung zu betrachten. In diesem Sinn ist es, so Hegel, „als die unendliche Kraft des Verstands zu achten, das Concrete in die abstracten Bestimmtheiten zu trennen, und die Tiefe des Unterschieds zu fassen, welche allein zugleich die Macht ist, die ihren Uebergang bewirkt“. 117 Die „Tiefe des Unterschieds“ 118 zwischen einer Denkbestimmung und ihrem Entgegengesetzten zu fassen entspricht dabei unmittelbar dem methodischen Moment des Anfangs der spekulativen Entwicklung dieser Denkbestimmung. Dies ist gerade das Wesen der fixierenden Tätigkeit des „Denken[s] als Verstand“ 119, das die Bestimmungen als affirmativ und zunächst als „für sich bestehend und seyend“ 120 festhält, indem es sie limitativ von ihrer jeweiligen Negation unterscheidet. Die Negation ihrer jeweiligen Negation zu sein, ist, wie gezeigt worden ist, die Form einer jeden Denkbestimmung im Anfang ihrer inhaltlich spezifisch bestimmten spekulativen Entwicklung. Daher ist das Negieren der Negation im Sinne der limitativen Unterscheidung zweier Entgegengesetzter die logische Grundoperation des Anfangs der spekulativen Entwicklung und mithin ebenso sehr der Anfang der prozessualen Struktur der absoluten Subjektivität. Die zunächst unmittelbare und unveränderliche Affirmation einer Denkbestimmung – ihr Bedeutungsgehalt – besteht also in der limitativen Unterscheidung von ihrem Entgegengesetzten. Mit dieser begrifflichen Fixierung wird 114 115 116 117 118 119 120
GW, Bd. 20, 118. Vgl. GW, Bd. 21, 109 f. Vgl. GW, Bd. 21, 109. GW, Bd. 12, 41. GW, Bd. 12, 41. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 20, 118.
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diese Bestimmung nun zugleich „begeistet“ 121 und ihr dialektischer „Uebergang bewirkt“ 122, denn sie ermöglicht es dem Denken zugleich, die Endlichkeit der „Tiefe des Unterschieds“ 123 zwischen der affirmativen Bestimmung und ihrer ihr entgegengesetzten Negation zu erkennen. Der dialektische Fortgang vollzieht sich als die Transformation einer Denkbestimmung zu ihrer Negation. Dieses synthetische Fortschreiten der Entwicklung ist zugleich von der Natur eines analytischen Erkennens, da die Selbstaufhebung der jeweiligen Denkbestimmung, mit der ihre Transformation unmittelbar einhergeht, die Totalität ihrer Bedingungen allein in demjenigen inhaltlich spezifisch bestimmten Verhältnis hat, in welchem die Denkbestimmung an sich, d. h. bereits in ihrer anfänglichen, unmittelbaren Erfassung, zu dem aus ihrem ursprünglichen Bedeutungsgehalt negativ ausgeschlossenen Entgegengesetzten steht. Dies ist es, was gemeint ist, wenn Hegel mehrfach und deutlich festhält, dass es das „Wesentliche ist, daß die absolute Methode die Bestimmung des Allgemeinen in ihm selbst findet und erkennt“. 124 Da eine jede der logischen Bestimmungen sich im Ausgang von ihrer unmittelbaren Fixierung in ihren „unendlichen Progreß“ 125 besondert, im Rahmen dessen sie selbst und die ihr spezifisch entgegengesetzte Bestimmung ihren jeweiligen Bedeutungsgehalt immanent zueinander transformieren, sind die Denkbestimmungen, sofern sie in Hinblick auf ihre verständige Fixierung betrachtet werden, immer auch der Anfang eines ihnen je spezifisch zugehörigen spekulativen Entwicklungsprozesses. Der synthetische Fortgang ist sodann als Besonderung des anfänglichunmittelbaren logischen Bedeutungsgehalts zu bestimmen. Dies ist deshalb der Fall, da der anfängliche Bedeutungsgehalt zum einen im dialektischen Prozess als eines der beiden Momente dieser Bewegung positiv bestehen, „aufbewahrt und erhalten“ 126 bleibt, der dialektische Prozess also wesentlich die immanente Dialektik des Anfangs ist und die Entwicklung – als einheitliche Entwicklung – die durchgängige „Mittheilung“ 127 desselben ist, mithin „schlechthin im Begriffe bleibt“. 128 Zum anderen ist der dialektische Prozess schon als solcher in Hinblick auf seinen Bedeutungsgehalt reicher und komplexer als der unmittelbare und einfache Anfang, aus dem er immanent hervorgegangen und produziert worden ist, denn dieser anfängliche, unmittelbare Bedeutungsgehalt ist im Rahmen des Fortgangs um das Moment der immanenten, sich 121 122 123 124 125 126 127 128
GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 12, 41. GW, Bd. 12, 41. GW, Bd. 12, 241. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 245. GW, Bd. 12, 246. GW, Bd. 12, 248.
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selbst begründenden Transformation zu der ihm entgegengesetzten Bestimmung erweitert und „bereichert“ 129 worden. Das Moment des Fortgangs eines spekulativen Entwicklungsprozesses und der diesem Entwicklungsprozess spezifisch zugehörige dialektische Prozess fallen somit überhaupt unmittelbar in eins. Die beständige Fixierung der logischen Bestimmungen und ihre fließende Transformation zu ihrem Entgegengesetzten, ihre affirmative Selbstbehauptung und ihre dialektische Selbstaufhebung, ihre verständige Unveränderlichkeit und ihre Selbstbewegung machen sich demnach nicht gegenseitig unmöglich, sondern begründen sich vielmehr wechselseitig. 130 Es wird dasjenige begrifflich fixiert, das als Resultat der Selbstnegation seines Entgegengesetzten immanent aus diesem geworden ist, sowie umgekehrt derjenige Bedeutungsgehalt sich an sich selbst negiert, der im Zuge seiner limitativen, verständigen Fixierung bereits über die „Tiefe des Unterschieds“ 131 gegenüber seinem Entgegengesetzten hinaus und damit auf dieses ihm spezifisch Entgegengesetzte hinweist. In diesem Sinn ist es, so Hegel, „nicht die Schuld des Verstandes, wenn nicht weiter gegangen“ 132, d. h. das dialektische Potential der endlichen, limitativen Fixierung der Denkbestimmungen nicht erkannt wird, welches darin besteht, dass diese in dem anfänglichen, negativ-ausschließenden Verhältnis zu ihrem Entgegengesetzten sich zugleich als identisch mit diesem erweisen. Es ist also als ein Fehlgehen im Vollzug des reinen Denkens zu charakterisieren, wenn die unmittelbare, abstrakte Form, in welcher das „Denken als Verstand“ 133 seine Bestimmungen zunächst festhält, als letztgültige, selbst sinnhaft abgeschlossene Wahrheit dieser Bestimmungen charakterisiert wird. Wenn die verständige Fixierung der logischen Bestimmungen sich – entgegen dem in ihr ruhenden spekulativen Potential – sodann überhaupt nicht als 129 130
131 132 133
GW, Bd. 12, 250. In diesem Sinne ist es auch, dass Hegel den fixierenden Verstand und die dialektische, negative Vernunft, die, wie wir gesehen haben, bestehende Bedeutungen auf immanente Weise auflöst und verflüssigt, nicht als getrennt voneinander begreift, sondern als Momente der positiven Vernunft, die in seiner Konzeption mit der logischen Struktur des Prinzips des Geistes zusammenfällt. Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 8: „Aber in ihrer Wahrheit ist die Vernunft Geist, der höher als beydes, verständige Vernunft, oder vernünftiger Verstand ist.“ Daher schreibt Hegel in den unmittelbar auf dieses Zitat folgenden Passagen auch verständige und dialektische Aspekte des spekulativen Denkens einheitlich dem Geist zu und versteht die positive Vernunft als die höhere Einheit, die Verstand und negative Vernunft wesentlich als aufbewahrt in sich enthält, gerade indem sie aus derem Zusammenspiel das Positive herausstellt: „Er [d. h. der Geist, L.H.] ist das Negative, dasjenige, welches die Qualität sowohl, der dialektischen Vernunft, als des Verstandes ausmacht; – er negirt das Einfache, so setzt er den bestimmten Unterschied des Verstandes, er löst ihn eben so sehr auf, so ist er dialektisch.“ GW, Bd. 12, 41. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 20, 118.
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Anfang eines immanenten dialektischen Fortgangs erweist, dann, so Hegel, ist dies kein inhärenter Mangel des logischen Anfangs, sondern muss „vielmehr als eine Unfähigkeit der Vernunft betrachtet werden, sich in ihm [d. h. im Verstand, L.H.] zu erkennen“. 134 Vielmehr findet das „Denken als Verstand“ 135, dessen Tätigkeit zunächst darin besteht, den affirmativen Bedeutungsgehalt der logischen Bestimmungen limitativ, d. h. mittels des negativen Unterscheidens derselben von ihrem spezifischen Entgegengesetzten, zu fixieren, seine eigentliche Vollendung darin, dem dialektischen beziehungsweise negativ-vernünftigen Denken Raum und Grundlage für dessen spezifische Tätigkeit zu geben. Mit dem Einsetzen des dialektischen Prozesses, der sich unmittelbar an den verständig fixierten Bestimmungen abspielt, wird der Verstand somit selbst zur Vernunft beziehungsweise er realisiert mit der Selbstnegation seiner limitativ bestimmten Inhalte das in ihm bereits angelegte, noch ruhende negativ-vernünftige Potential. Umgekehrt enthält die negative Tätigkeit der Vernunft, die eben nur jene limitativ bestimmten Verstandesinhalte sich selbst aufheben und in den ihnen je spezifisch entgegengesetzten Bedeutungsgehalt übergehen lässt, das Denken als Verstand. Die Dialektik, d. h. das „eigene SichAufheben“ 136 der endlichen, verständig fixierten logischen Bestimmungen und deren Transformation zu ihrem jeweiligen Entgegengesetzten, besteht, wie gezeigt worden ist, darin, dass das negative Unterscheiden des affirmativen Bedeutungsgehalts der Bestimmungen von ihrem Entgegengesetzten sich als eine reflexive, sich auf sich beziehende und mithin sich selbst aufhebende negierende Tätigkeit erweist. Die Dialektik der logischen Bestimmungen vollzieht sich also auf der unmittelbaren Grundlage ihrer abstrakt-unmittelbaren, limitativen Feststellung. In diesem Sinn ist, so Hegel, der „bestimmte und abstracte Begriff [. . .] die Bedingung, oder vielmehr wesentliches Moment der Vernunft; er ist begeistete Form, in welcher das Endliche durch die Allgemeinheit, in der es sich auf sich bezieht, sich in sich entzündet, als dialektisch gesetzt und hiemit der Anfang selbst der Erscheinung der Vernunft ist“. 137 Die Bestimmungen des reinen Denkens beziehen sich auf sich, indem sich die unmittelbare Affirmation ihres jeweiligen Bedeutungsgehalts, die zunächst und für sich betrachtet unmittelbar in eins fällt mit dem negierenden Ausschließen der ihnen entgegengesetzten Negation, darüber hinaus ihrer Form nach als ein reflexives, sich selbst negierendes Negieren erweist. 138 Die logischen Bestimmungen sind von der besonderen Art begrifflicher Bedeutungsgehalte, dass sie in und 134 135 136 137 138
GW, Bd. 12, 43. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 12, 43. Zur methodischen Bedeutung, die dem Prinzip der reflexiven Negativität in Hegels spekulativer Logik zukommt, vgl. eingehend Chr. Iber: Metaphysik absoluter Relationalität. Eine
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aufgrund ihrer negativen Unterscheidung von ihrem spezifischen Entgegengesetzten zugleich identisch mit diesem sind. Diese Reflexion der verständigen, limitativen Form der Denkbestimmungen geht, wie gezeigt worden ist, unmittelbar einher mit der Transformation ihrer zunächst als affirmativ geltenden Bedeutung zu dem dieser anfänglichen „festen Bestimmtheit“ 139 entgegengesetzten Bedeutungsgehalt. Da diese Selbstbezüglichkeit der zunächst „für sich bestehend[en] und seyend[en]“ 140 Denkbestimmungen, d. h. die Reflexion der limitativ-negativen Struktur ihres affirmativen Sinns, schlussendlich „die Beziehung der Unterschiednen zu dem, was sie zunächst ist, zum Widerspruche an ihr selbst“ 141 entwickelt, entzündet sie zugleich die der jeweiligen Denkbestimmung spezifisch zugehörige Dialektik. Die Selbstnegation der zunächst in der Form unprozessualer und dialektikfreier Unmittelbarkeit festgestellten Bestimmungen und ihrer abstrakt-negativen, verständigen Struktur erweist sich somit als der eigentliche „Quell“ 142 ihrer immanenten Entwicklung. Die Formbestimmung der reflexiven Negativität, die, wie dargestellt, im zunächst noch nicht reflexiven negativen Unterscheiden und damit im „Denken als Verstand“ 143 gründet, macht somit die logische Grundoperation der Dialektik, mithin das Wesen der „Erscheinung der Vernunft“ 144 und die Struktur der „negativ-vernünftige[n]“ 145 Denktätigkeit aus. Die anfängliche abstraktnegative Struktur einer logischen Bestimmung erweist sich im Zuge dieser unmittelbaren Erfassung ihrer affirmativen Bedeutung als eine reflexive, sich selbst aufhebende Negativität, da diese ihre affirmative Bedeutung zu derjenigen Bestimmung, die zu Anfang nur als ihr Entgegengesetztes aus ihr ausgeschlossen wird, zugleich im Verhältnis der Identität steht. Der Fortgang ist somit in dem Sinn synthetisch, dass eine Bestimmung des reinen Denkens auf die Weise mit ihrem Entgegengesetzten verknüpft wird, dass sie ihre Bedeutung zu der ihres Entgegengesetzten verändert und sich werdend zu diesem transformiert. Darin besteht ihre immanente Dialektik. Damit findet natürlich zunächst eine Bedeutungsveränderung der jeweiligen Denkbestimmung statt. Im weiteren Fortgang zum Ende der Entwicklung, in welchem die einheitliche Ganzheit des schlussendlich zirkulären, unendlichen dialektischen Progresses, d. h. die Transformation beider entgegengesetzter Bestimmungen zueinander,
139 140 141 142 143 144 145
Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik. Berlin / New York 1990, insb. 219–234. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 246. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 12, 43. GW, Bd. 20, 118.
Hegel-Studien
Die Dialektik und der „bachantische Taumel“ der logischen Bestimmungen
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zu einer wieder unmittelbaren noematischen Einzelheit synthetisiert wird, wird die dialektische Bedeutungsveränderung jedoch die Grundlage für die Bedeutungserweiterung der beiden Bestimmungen bilden. Jene Veränderung des ursprünglichen Bedeutungsgehalts – seine immanente Dialektik – wird sodann auf die Art und Weise in diesen ursprünglichen Bedeutungsgehalt inkorporiert werden, dass sie unmittelbar zu der neuen, eben um das Moment der immanenten Bedeutungsveränderung erweiterten affirmativen Realität der jeweiligen Bestimmung erhoben wird. Für die Bestimmungen des reinen Denkens gilt zudem, dass sie die synthetische Erweiterung und Bereicherung ihrer jeweiligen Bedeutung allein aus ihrer anfänglichen, gegenüber dem dann schlussendlich erweiterten und bereicherten Gehalt abstrakteren Bestimmtheit heraus selbst begründen. Da ihr anfängliches, rein negatives Verhältnis zu dem aus ihrem affirmativen Bedeutungsgehalt ausgeschlossenen Entgegengesetzten von der Natur einer reflexiven Negativität ist, fangen die logischen Bestimmungen, mit anderen Worten, den Prozess ihrer dialektischen Entwicklung von selbst an. Im Rahmen dieser synthetischen, ihre ursprüngliche Bedeutung transformierenden und erweiternden Entwicklung realisieren die logischen Bestimmungen somit eigentlich nur dasjenige Potential, welches in ihrer anfänglichen, unmittelbaren Form bereits implizit enthalten, jedoch noch nicht bereits auch an diesem Anfang konkret gesetzt ist. Damit geht einher, dass die Bedingungen der synthetischen Bedeutungserweiterung im unmittelbaren Anfang schon vollständig enthalten sind und der Fortgang der Entwicklung somit nicht nur „synthetisch“ 146 ist, sondern „eben sowohl analytisch, indem durch die immanente Dialektik nur das gesetzt wird, was im unmittelbaren Begriffe enthalten ist“ 147. Mit dem Umstand, dass der synthetische Fortgang der spekulativen Entwicklung ebenso sehr von analytischer Natur ist, ist untrennbar verbunden, dass das ursprüngliche Anheben sowie dann die konkrete Struktur des Fortgangs nicht von vornherein antizipiert oder gar postuliert werden dürfen, sondern sich an den logischen Bestimmungen selbst vollziehen und darstellen müssen. In diesem Sinn muss „das Unmittelbare des Anfangs an ihm selbst das Mangelhafte, und mit dem Triebe begabt seyn, sich weiter zu führen“. 148 Mit der Selbstaufhebung der logischen Bestimmungen beginnt der ihnen je spezifisch zugehörige dialektische Prozess, immanent an ihnen gesetzt zu werden. Es ist dies das Anheben des Fortgangs der spekulativen Entwicklung, der seine Vollendung in der zweiten, dialektischen „Sphäre“ 149 in der 146 147 148 149
GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 240. GW, Bd. 20, 230.
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vollständigen Explikation des prozessualen Widerspruchs, d. h. in der Einheit von Identität und Entgegensetzung zweier gleichsam als affirmativ geltender sowie sich selbst negierender, mithin sich immanent zueinander transformierender Bedeutungsinhalte findet. 150 Die Selbstaufhebung der logischen Bestimmungen liegt darin begründet, dass sie auf ihr Entgegengesetzes, zu dem sie sich dann im Zuge ihrer Selbstnegation auch dialektisch transformieren, bereits hinweisen. Diese reziproke Identität zweier einander spezifisch entgegengesetzter Denkbestimmungen besteht, wie dargestellt, darin, dass eine als affirmativ fixierte Denkbestimmung zu dem ihr entgegengesetzten Bedeutungsgehalt, den sie zunächst nur limitativ und abstrakt-negierend von sich unterscheidet, zugleich an ihrer selbst in demjenigen Verhältnis steht, das durch dieses Negierte, Unterschiedene und Abgegrenzte ausgedrückt wird. Die immanente Widersprüchlichkeit der Denkbestimmungen besteht darin, dass sie ihre Negation sowohl als ihr Entgegengesetztes negierend und limitativ aus sich ausschließen als auch sich im Zuge dieser ihrer limitativen begrifflichen Fixierung als identisch mit ihrem Entgegengesetzten erweisen. Gerade aufgrund dieser immanenten Widersprüchlichkeit besteht der dialektische Prozess auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung in einem „perennierende[n] Fortsetzen des Wechsels dieser [jeweiligen, L.H.] einander herbeiführenden Bestimmungen“. 151 Die sich wechselseitig „herbeiführenden“, sich zueinander transformierenden Bestimmungen werden im Anschluss an ihre dialektische Selbstnegation sodann wieder verständig fixiert und von der ihnen je spezifisch entgegengesetzten Negation, d. h. von ihrem jeweiligen Nichtsein, aus dem sie dialektisch geworden sind, begrifflich abgegrenzt. Dadurch hebt der dialektische Prozess – sozusagen in die entgegengesetzte Richtung – erneut an und vervollständigt sich schließlich zu dem „unendlichen Progreß“ 152 des Widerspruchs. Die Momente dieses prozessualen Widerspruchs bestehen folglich aus zwei einander als ihre jeweilige Negation entgegengesetzten Bestimmungen, die zueinander, d. h. zu ihrem spezifischen Nicht-sein, zugleich im Verhältnis der Identität stehen und damit ihren jeweiligen Bedeutungsgehalt, der im Negieren ihrer Negation besteht, zugunsten einer Transformation zu ihrer Negation, mit der sie sich schließlich als identisch erwiesen haben, 150
151 152
Die immanente Zusammengehörigkeit a) des Prinzips der reflexiven Negativität und b) der Reflexionsbestimmungen Identität, Gegensatz, Widerspruch und Grund, die in der einheitlichen Gesamtstruktur der spekulativ-dialektischen Methode vereinigt sind und zu Beginn der Wesenslogik als unmittelbar aufeinander folgende Denkbestimmungen systematisch auseinander entwickelt werden, ist ausführlich und in großer Klarheit dargestellt worden von Chr. Iber: Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik. Berlin / New York 1990. GW, Bd. 20, 131. GW, Bd. 20, 230.
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korrigieren. Das „dialektische oder negativ-vernünftige“ 153 Moment des spekulativen Entwicklungsprozesses besteht somit eigentlich in der immanenten Unruhe des ersten Moments, d. h. des „Denken[s] als Verstand“ 154, in der Unfähigkeit des Verstandes, die durch ihn abstrakt-limitativ fixierten Bestimmungen auch wirklich als solche, d. h. als unmittelbare, unveränderliche und für sich bestehende Bedeutungsinhalte festhalten zu können. 155 Ein allgemeines Strukturmerkmal der spekulativen Entwicklung besteht, wie wir gesehen haben, darin, dass eine zunächst unmittelbare logische Bedeutungseinheit sich zu einem dialektischen Prozess bestimmt. Während die verschiedenen in der Logik entwickelten Bestimmungen sich also nicht dahingehend unterscheiden, dass ihre unmittelbare Bedeutung sich auf immanente Weise zu einem über sie hinausgehenden dialektischen Bedeutungszusammenhang spezifiziert, so hat der dialektische Prozess in den drei Sektionen der Logik, d. h. in Seins-, Wesens- und Begriffslogik, jedoch eine unterschiedliche Struktur. Der Grund hierfür liegt darin, dass der Bedeutungsgehalt der Bestimmungen komplexer wird, je weiter die logische Entwicklung fortschreitet, und die Dialektik der Bestimmungen, wie wir bereits gesehen haben, wiederum eine immanente und produktive Selbstvermittlung eben dieser (ihrer Form nach zunächst unmittelbaren) logischen Bedeutungsgehalte darstellt. Bevor wir uns dem dritten Moment der spekulativen Entwicklung zuwenden, mit dem sie sich schlussendlich vollenden wird, soll im Folgenden also noch auf die drei Dialektiktypen eingegangen werden, als welche sich das zweite Moment der Entwicklung, d. h. der Fortgang, in Seinslogik, Wesenslogik und Begriffslogik jeweils spezifisch manifestiert.
153 154 155
GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 20, 118. Vgl. hierzu die Analyse von Schäfer (R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 217.) bezüglich des Zusammenspiels der „drei Momente jedes Logisch-Reellen“ innerhalb des einheitlichen, spekulativen Denkaktes: „Der Verstand soll in der Logik [. . .] nur verdeutlichen, daß logische Bestimmungen zunächst abstrakt und trennend einander gegenübergestellt werden. Bereits der reflektierende Verstand bezieht aber nach Hegel in seinen Trennungen die einseitigen Bestimmungen aufeinander, denn um sie voneinander zu trennen, muß er sie miteinander vergleichen. [. . .] Die Dialektik als negativ-vernünftige Erkenntnisweise logischer Bestimmungen ist dagegen nach Hegel in der Lage, einen inneren Zusammenhang der entgegengesetzten Bestimmungen zu erkennen. Durch diesen inneren Zusammenhang wird die verständig trennende Reflexion und ihre einseitigen Bestimmungen zerstört.“
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2.2 Die spezifischen Dialektiktypen in Seins-, Wesens- und Begriffslogik 156 2.2.1 Das Übergehen in Anderes der Seinskategorien Für diejenigen reinen Denkbestimmungen, die in der Seinslogik entwickelt werden, besteht der dialektische Prozess, d. h. der Fortgang ihres durch die spekulative Dialektik methodisch-formal geregelten Entwicklungsprozesses, darin, dass sie in die ihnen jeweils entgegengesetzte Bestimmung übergehen. Den Seinskategorien ist es somit gemeinsam, dass die immanente Selbstaufhebung ihrer unmittelbaren Bedeutung mit einer Bedeutungsumwandlung einhergeht, die von der Art ist, dass die seinslogischen Bestimmungen in ihrem Entgegengesetzten verschwinden. Daher ist, so Hegel, die „abstracte Form des Fortgangs [. . .] im Seyn ein Anderes und Uebergehen in ein Anderes“ 157. Dieser Dialektiktypus unterscheidet die Seinskategorien spezifisch sowohl von den Wesensbestimmungen, deren Dialektik kein Übergehen, sondern ein „Scheinen in dem Entgegengesetzten“ 158 ist, als auch von den in der Begriffslogik entwickelten Bestimmungen, deren Dialektik wesentlich Entwicklung ist und somit in einem Sich-kontinuieren und Sich-besondern der Begriffsbestimmungen im Zuge ihrer Transformation zu ihrem Entgegengesetzten besteht. Es ist ein Charakteristikum der Seinskategorien, dass sie, so Hegel, „als unmittelbar seyend und für sich feststehend“ 159 gelten, „ihr Sinn erscheint als vollendet auch ohne ihr Anderes“. 160 Der begriffliche Gehalt der Seinskategorien ist in ihrer unmittelbaren Bedeutung vollständig erfasst, ohne dass das ihnen entgegengesetzte Andere im Rahmen dessen bereits als eine affirmative kategoriale Bestimmung mitgesetzt ist. Ab der Daseinskategorie des Etwas beziehungsweise des Daseienden hat der Bedeutungsgehalt der Seinsbestimmungen wesentlich die Struktur eines negativ bestimmten Bedeutungskomplexes, d. h. ihre Affirmation und Realität ergeben sich unmittelbar durch die limitative Unterscheidung von ihrem entgegengesetzten Anderen. Da „die reflectirenden Bestimmungen des Seyns, wie Etwas und Anderes, oder das Endliche 156
157 158 159 160
Eine ausführliche Untersuchung von Hegels Unterscheidung dreier Dialektiktypen in der Logik und ihrer systematischen Bedeutung für das Ganze der logischen Entwicklung, auf der die folgenden Überlegungen wesentlich gründen, findet sich bei R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, insb. 295–322. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 21, 109. GW, Bd. 21, 109 f.
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und Unendliche“ 161 demnach „als qualitative für sich bestehend“ 162 gelten, inhäriert ihnen durchaus ihr „Anderes“ 163, jedoch nur als begriffliche Fixierung dessen, was sie je nicht sind, als begriffliche Fixierung ihres je spezifischen Nicht-Seins. Der noematische Bedeutungsgehalt der Kategorie des Etwas, das „Insichseyn“ 164 nur als „einfache seyende Beziehung auf sich“ 165 besteht im negierenden Ausschließen des Anderen, der Sinn des Ansichseins in der negierenden Unterscheidung dieser Kategorie von der des Seins-für-Anderes usf. Obgleich das entgegengesetzte Andere der Seinskategorien in ihrer begrifflichen Fixierung also unmittelbar mitpräsent ist, wird es nur als ihr jeweiliges Nicht-sein, d. h. rein negativ, aus ihnen ausgeschlossen und limitativ von ihnen unterschieden. In der anfänglich-unmittelbaren Erfassung seinslogischer Bedeutungsgehalte kommt ihrem Entgegengesetzten, mit anderen Worten, noch keine affirmative, gleichursprüngliche Bedeutung zu. Die bestimmte Negation einer Seinskategorie, in deren Negieren die affirmative Bedeutung dieser Kategorie unmittelbar besteht, hat (noch) nicht die Stellung eines immanenten Strukturmoments des Bedeutungsgehalts der jeweiligen Kategorie. Dies unterscheidet die logische Struktur der begrifflichen Fixierung der Seinskategorien von den in sich relationalen Wesensbestimmungen und der anfänglichen Fixierung ihres Sinn- und Bedeutungsgehalts. Auf diese Differenz zwischen seins- und wesenslogischen Denkbestimmungen wird im Folgenden noch näher einzugehen sein. So kann die Bedeutung der Kategorie des Etwas, d. h. der Begriff des rudimentären Insichseins als „einfache[r] seyende[r] Beziehung auf sich“ 166, in Hinblick auf ihre logische Struktur beschrieben werden, ohne auf das Andere in bereits affirmativem Sinn zurückzugreifen. Das Etwas ist zunächst nur negierendes Ausschließen des Anderen und – im Anfang seiner spekulativen Entwicklung – in keiner Hinsicht schon selbst ein Anderes. Aus dieser sinnhaften Abgeschlossenheit der Seinskategorien, die darin besteht, dass diese zunächst, d. h. anfänglich, in einem nur negativen Verhältnis zu ihrem Entgegengesetzten stehen, resultiert in Hinblick auf den Fortgang ihrer spekulativen Entwicklung ein spezifischer Typus dialektischer Prozessualität. Da der Bedeutungsgehalt der seinslogischen Bestimmungen abgeschlossen ist und sie „als vollendet“ 167 erscheinen, so gilt dies auch für ihr spezifisches Entgegengesetztes, von dem sie sich in ihrer anfänglichen, unmittelbaren Form zunächst nur negativ unterscheiden. Wandelt sich der Bedeutungsgehalt der 161 162 163 164 165 166 167
GW, Bd. 21, 109. GW, Bd. 21, 109. GW, Bd. 21, 110. GW, Bd. 21, 103. GW, Bd. 21, 103. GW, Bd. 21, 103. GW, Bd. 21, 109 f.
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Seinskategorien im Fortgang ihrer Entwicklung dialektisch zu dem ihres Entgegengesetzten, so transformieren sie sich hiermit demnach zu einer ebenfalls abgeschlossenen, „unmittelbar seyend[en] und für sich bestehend[en]“ 168 Bedeutung. Hieraus folgt, dass diejenige Seinskategorie, die sich transformiert, indem sie sich in der negativen Unterscheidung von ihrem Entgegengesetzten als auch identisch mit diesem erweist, in derjenigen, zu der sie sich transformiert, d. h. in ihrem Entgegengesetzten, nicht länger positiv mitthematisch sein kann. Beide Entgegengesetzten heben sich zwar an ihnen selbst auf und wandeln ihre jeweilige Bedeutung auf immanente Weise zu der des anderen, jedoch sind beide zugleich sinnhaft abgeschlossen und „ihr Sinn erscheint als vollendet“ 169 auch ohne einen positiven Bezug auf „ihr Anderes“ 170. Mit ihrer dialektischen Transformation zu ihrem Entgegengesetzten verschwinden die Seinskategorien somit in einem Bedeutungsgehalt, der gegenüber ihrer ursprünglichen Bedeutung als radikal anders zu beschreiben ist. Diese spezifische Form des dialektischen Werdens zweier entgegengesetzter logischer Bedeutungsgehalte bezeichnet Hegel demnach als „Uebergehen in ein Anderes“ 171. Aufgrund der sinnhaften Abgeschlossenheit der Bestimmungen besteht die Dialektik der Seinskategorien in einem ruckartigen und radikalen Umschlagen zweier entgegengesetzter logischer Bedeutungen ineinander. Beide Entgegengesetzten vernichten ihre Bedeutung im Zuge ihrer Selbstaufhebung völlig und korrigieren sie zugunsten einer ebenfalls sinnhaft abgeschlossenen Bestimmung, in der sie als solcher nicht mehr selbst positiv mitthematisch sein können. Rücksichtlich des Übergehens und Verschwindens der Seinsbestimmungen sagt Hegel dementsprechend: „Uebergehen ist dasselbe als Werden, nur daß in jenem die beyden, von deren einem zum andern übergegangen wird, mehr als aussereinander ruhend und das Uebergehen als zwischen ihnen geschehend vorgestellt wird.“ 172 Obgleich auch die Seinskategorien wesentlich dialektisch sind, d. h. ihre Bedeutung sich im Zuge ihrer unmittelbaren Erfassung zu der ihres Entgegengesetzten wandelt, da sie sich in ihrer Abgrenzung von diesem als auch identisch mit ihm erweisen, so impliziert die erörterte Abgeschlossenheit, Einfachheit und Relationslosigkeit der Seinskategorien jedoch, dass dieses immanente Werden-zum-Entgegengesetzten gerade nicht auch ein Aspekt ihres jeweiligen Bedeutungsgehalts sein kann. Dies ist gemeint, wenn Hegel davon spricht, dass das dialektische Übergehen der Seinskategorien, ihr Werden zu ihrem Entgegengesetzten „zwischen“ 173 den beiden 168 169 170 171 172 173
GW, Bd. 21, 109. GW, Bd. 21, 109 f. GW, Bd. 21, 109 f. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 21, 80. GW, Bd. 21, 80.
Hegel-Studien
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Entgegengesetzten abläuft. 174 Die Kategorie des Etwas, beispielsweise, schließt ihr spezifisches Entgegengesetztes, das Andere, nur aus sich aus, der Sinn des Etwas „erscheint als vollendet“ 175, indem es das Andere nicht bereits in sich enthält, dieses ist in der Bedeutung des Etwas nicht in einem auch positiven Sinn bereits mitthematisiert. Erweist das Etwas sich nun als auch identisch mit dem Anderen, da es in seiner negativen Unterscheidung von ihm selbst das Andere dieses Anderen ist, und wandelt seine Bedeutung hiermit zu der seines Entgegengesetzten, worin die spezifische Dialektik des Etwas besteht, dann ist seine ursprüngliche Bedeutung vollständig in der des Anderen verschwunden. Zwar vollzieht sich die Dialektik auch in der Seinslogik an den Bestimmungen selbst, denn diese heben sich an ihnen selbst auf und transformieren sich auf immanente Art und Weise zu ihrem spezifischen Entgegengesetzten, allerdings ist, wie gezeigt worden ist, der dialektische Prozess hier jeweils ein Übergehen, d. h. ein sprunghaftes Umschlagen und Verschwinden zweier an sich abgeschlossener, nicht schon auch positiv aufeinander bezogener Bedeutungseinheiten ineinander. Da auch die Seinskategorien sich jedoch an ihnen selbst als dialektisch erweisen, d. h. ihr werdendes Übergehen in ihr jeweiliges Entgegengesetztes immanent aus ihrer unmittelbaren Bedeutung resultiert, ist der synthetische Fortgang der logischen Entwicklung auch in der Seinslogik bereits analytischer Natur. 176 Die Dialektik, d. h. der unendliche Progress der 174
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Schäfer (R. Schäfer: Hegel. Einführung und Texte, München 2011, 96.) hält dementsprechend hierzu fest: „Dass der Übergang „zwischen“ den Kategorien des Seins stattfindet, meint, dass das dialektische Übergehen nicht in den Kategorien selbst thematisch gesetzt ist. Und dass sie als „ruhend“ vorgestellt werden, bedeutet, dass die Seinskategorien einfach und sich selbst gleich sind.“ GW, Bd. 21, 109 f. Somit ist es problematisch, wenn Schmitz (H. Schmitz: Hegels Logik. Bonn 1992, 33.) über die Dialektik in der Seinslogik schreibt: „Die Terme des Seins sind in sich undialektisch und fungieren nur als Opfer, an denen der dialektische Prozeß seine Macht erweist; sie eignen sich nicht für den Versuch, ihnen ein spezielles Konzept von Dialektik abzulauschen.“ Hiermit ist wohl gemeint ist, dass die Seinsbestimmungen aufgrund ihrer sinnhaften Abgeschlossenheit nicht als von vornherein schon relational auf ihr Entgegengesetztes bezogen begriffen werden können und ihre Dialektik folglich darin besteht, dass sie, so sie sich aufheben und sich zu ihrem Entgegengesetzten umwandeln, vollständig in diesem verschwinden. Vgl. hierzu Schmitz' Bemerkung wenig früher, 30, welche die Dialektik der Seinsbestimmungen von der der Wesensbestimmungen unterscheidet: „Die Terme des Seins sind eindeutig und verfallen der Aufhebung, indem sich an ihnen eine widersprüchliche Zweideutigkeit herausstellt, an der sie zu Grunde gehen. Die Terme des Wesens sind schon von sich aus zweideutig, Weisen des Scheinens als des Herausgehens aus sich, das ein Anderes übergreift und widersprüchlich in es scheint: des Unterschiedes seiner von sich selbst.“ Diese Unterscheidung ist zutreffend, wie wir insbesondere in der Betrachtung des wesenslogischen Dialektiktypus noch genauer sehen werden. Aus der sinnhaften Abgeschlossenheit der Seinskategorien folgt jedoch nicht, dass sie „undialektisch“ sind oder dass sich aus ihrer „eindeutig[en]“ Bedeutung nicht ein „spezielles Konzept von
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immanenten Transformation zweier entgegengesetzter Denkbestimmungen zueinander, folgt auch hier mit immanenter „Nothwendigkeit“ 177 aus einem unmittelbaren Anfang und somit ohne, dass dabei auf argumentative Gründe zurückgriffen werden würde, die nicht bereits im Bedeutungsgehalt des Anfangs selbst liegen. Da auch die seinslogischen Denkbestimmungen sich in diesem Sinne gemäß der spekulativen Dialektik vollziehen beziehungsweise diese schon in der Seinslogik wesentlich die immanente gestalterische und produktive Form des logischen Inhalts ist, sind auch die rudimentären, relationslosen und „unmittelbar seyend[en] und für sich bestehend[en]“ 178 Bedeutungsgehalte der Seinslogik, insofern sie sich somit selbst bewegen und sich immanent weiterbestimmen, Momente der Selbstexplikation des reinen Denkens und damit Bestimmungen der absoluten Subjektivität. Auch die Entwicklung der seinslogischen Denkbestimmungen besteht, mit anderen Worten, darin, dass erstens von einem unmittelbaren Anfang der Ausgang genommen wird, dieser sich zweitens immanent zu einem dialektischen Prozess bestimmt, besondert und spezifiziert und drittens der Bedeutungsgehalt dieses über die Bedeutung des Anfangs hinausgehenden Vermittlungsprozesses sich in die Form einer wieder unmittelbaren Bedeutungseinheit zurückführt, was den Anfang der nächstfolgenden Entwicklungsstufe markiert. In der Seinslogik ist diese komplexe Struktur der spekulativen Dialektik, die entwicklungsdialektisch ist, da, wie erörtert, ihre Momente Anfang, Fortgang und Ende sich zueinander wie Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit verhalten, also schon die immanente Form des logischen Inhalts und seiner schrittweisen Konkretisierung, jedoch gleichwohl noch Form eines gegenüber dieser Form viel rudimentäreren Inhalts. Diese Diskrepanz zwischen a) der Komplexität des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts und b) der Komplexität seiner immanenten und produktiven Form, gemäß welcher er sich weiterführt, zeigt sich daran, dass die Struktur des dialektischen Prozesses, zu dem sich die seinslogischen Anfänge (entwicklungsdialektisch) spezifizieren und dessen Bedeutungsgehalt im Ende einer jeden Entwicklungsstufe in die Form einer wieder anfänglichen, aber konkreteren Bedeutungseinheit zurückgeführt wird, der hier erörterten Übergangsdialektik entspricht. Die Seinskategorien, deren dialektische Prozesse spezifisch Übergangsdialektik sind, sind schon Momente der Selbstexplikation der spekulativen Dialektik, diese ist immanente Form auch der Entwicklung
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Dialektik“ ableitet. Auch die in der Seinslogik entwickelten Denkbestimmungen heben sich, wie gezeigt worden ist, an ihnen selbst auf und transformieren sich immanent zu der Bedeutung ihres Entgegengesetzten. Aus ihrer sinnhaften Abgeschlossenheit resultiert lediglich, dass sich diese Bedeutungsveränderung als ein vollständiges Übergehen und als ein Verschwinden in einem Anderen vollzieht. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 21, 109.
Hegel-Studien
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der Seinskategorien, jedoch ist diejenige Dialektik, zu welcher sich der Anfang hier jeweils besondert, noch das Ineinander-Umschlagen und Ineinander-Verschwinden von sinnhaft abgeschlossenen und relationslosen Bestimmungen. Die spezifische Struktur der dialektischen Prozesse seinslogischer Kategorien ist, anders ausgedrückt, gegenüber der übergeordneten Struktur der Entwicklung dieser Denkbestimmungen noch unterkomplex. In diesem Sinne spricht Hegel davon, dass in „der Sphäre des Seyns [. . .] das Sich-bestimmen des Begriffs selbst nur erst an sich [ist], so heißt es ein Uebergehen“ 179. Das „Sich-bestimmen des Begriffs“, d. h. die gemäß der spekulativen Dialektik verfahrende und damit für sich wesentlich entwicklungsdialektische Selbstbestimmung des reinen Denkens, ist in der Seinslogik sozusagen bereits am Werk, auch die Seinskategorien sind notwendige und konstitutive Momente der (gesamt-)logischen Entwicklung, allerdings ist die komplexe Struktur der spekulativen Dialektik, d. h. die entwicklungsdialektische Struktur der absoluten Idee, hier noch sehr unvollständig im logischen Inhalt realisiert. Der Umstand, dass die Dialektik der Seinskategorien ein „Uebergehen in ein Anderes“ 180 darstellt, ist hiervon ein Ausdruck. Der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts ist in diesen frühen Stadien seiner Entwicklung und schrittweisen Konkretisierung noch so abstrakt und unbestimmt, dass seine immanente Dialektik hier noch in einem Übergehen sinnhaft abgeschlossener und relationsloser kategorialer Bedeutungseinheiten besteht. Die Übergangsdialektik ist zwar bereits Ausdruck der immanenten Selbstbewegung des logischen Inhalts, jedoch noch nur eine rudimentäre Präfiguration der demgegenüber komplexeren übergeordneten Struktur der logischen Entwicklung. Inwiefern das Übergehen der Seinskategorien in den komplexeren dialektischen Prozessen der Wesens- und Begriffsbestimmungen aufgehoben ist und in welchem genetischen Verhältnis die drei Dialektiktypen zueinander stehen, dies wird im Folgenden zu klären sein. 2.2.2 Das Scheinen im Entgegengesetzten der Wesensbestimmungen Das Spezifikum der Übergangsdialektik der seinslogischen Bestimmungen ist gewesen, dass diese sich mit ihrer immanenten Selbstaufhebung auf die Art und Weise zu ihrem Entgegengesetzten transformieren, dass ihr ursprünglicher Bedeutungsgehalt vollständig in diesem verschwindet. Demgegenüber ist das dialektische Werden der wesenslogischen Bestimmungen, das mit ihrer immanenten Selbstaufhebung einhergeht, von anderer Struktur. Bereits in der 179 180
GW, Bd. 21, 109. GW, Bd. 20, 230.
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Untersuchung der seinslogischen Übergangsdialektik haben wir gesehen, dass zwischen der inhaltlichen Komplexität einer logischen Bestimmung und der Struktur der Dialektik, zu der sich ihre unmittelbare Bedeutung bestimmt und spezifiziert, ein wesentlicher Zusammenhang besteht. Die Seinskategorien gehen gerade deswegen in ein Anderes über und verschwinden in ihm, weil es sich bei ihnen um sinnhaft abgeschlossene Bestimmungen handelt. Demgegenüber sind die in der Wesenslogik thematischen Bestimmungen in sich relational. Dies bedeutet, dass zwar auch ihre unmittelbare Bedeutung sich dadurch konstituiert, dass sie ihr begriffliches Gegenteil von sich abgrenzen, dieses dabei jedoch auch in einem positiven Sinn bereits ein wesentliches und konstitutives Strukturmerkmal dieser unmittelbaren Bedeutung darstellt. Es lässt sich dieses Spezifikum wesenslogischer Bestimmungen, durch welches sie von denen der Seinslogik unterschieden sind, besonders deutlich anhand der Bestimmungen Ursache und Wirkung aufzeigen, die auch Hegel selbst zu diesem Zweck an mehreren Stellen als Beispiel heranzieht. Der unmittelbare Bedeutungsgehalt der Ursache besteht darin, der kausale Grund einer durch sie gesetzten Wirkung zu sein. Die Wirkung ist das Passive und Abhängige gegenüber der Ursache und diese ist „das Ursprüngliche gegen die Wirkung“. 181 Die Wirkung ist somit das spezifische Entgegengesetzte der Ursache und die Bedeutung der Ursache besteht unmittelbar darin, sich von diesem ihrem Entgegengesetzten negativ zu unterscheiden und abzugrenzen. Dabei fällt die Bedeutung der Ursache jedoch unmittelbar damit in eins, zu wirken, d. h. die ihr entgegengesetzte Wirkung aktiv hervorzubringen. Ursache und Wirkung stehen in diesem Sinn immer schon in einem gleichursprünglichen, relationalen Zusammenhang zueinander: „Die Ursache ist nur Ursache, insofern sie eine Wirkung hervorbringt; und die Ursache ist nichts als diese Bestimmung, eine Wirkung zu haben, und die Wirkung nichts, als diß, eine Ursache zu haben. In der Ursache als solcher selbst liegt ihre Wirkung, und in der Wirkung die Ursache; insofern die Ursache noch nicht wirkte, oder insofern sie aufgehört hätte zu wirken, so wäre sie nicht Ursache; – und die Wirkung, insofern ihre Ursache verschwunden ist, ist nicht mehr Wirkung, sondern eine gleichgültige Wirklichkeit.“ 182
Hier, d. h. am Beispiel von Ursache und Wirkung, zeigt sich, inwiefern die Wesensbestimmungen ihr jeweiliges Entgegengesetztes sowohl negativ von sich unterscheiden und abgrenzen als auch dieses bereits in einem auch positiven Sinn mitthematisieren. Die Ursache ist als Ursache nicht die Wirkung, ihre unmittelbare Bedeutung besteht gerade darin, in einer relationalen Beziehung 181 182
GW, Bd. 11, 397. GW, Bd. 11, 398.
Hegel-Studien
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zwischen Ursprünglichem und Gesetztsein das Ursprüngliche und nicht das durch sie Gesetzte zu sein. Gleichwohl aber ist die Ursache Ursprüngliches nur, insofern sie ein Gesetztes hervorbringt, d. h. insofern sie setzend und wirkend tätig ist. Kontrastieren wir die Beziehung dieser wesenslogischen Entgegengesetzten mit der Opposition zweier seinslogischer Bestimmungen, so zeigt sich die Differenz. Auch die unmittelbare Bedeutung der Kategorie des Etwas besteht darin, dass es sein spezifisches Entgegengesetztes, d. h. das Andere, negativ von sich unterscheidet und abgrenzt. Der unmittelbare Bedeutungsgehalt des Etwas besteht darin, in seiner einfachen Beziehung auf sich nur es selbst und nicht Anderes zu sein. Das Prinzip der Selbstbezüglichkeit hat hier somit noch die sehr rudimentäre Bedeutung, dass begriffliche Affirmation darin besteht, sich von Anderem, das das als affirmativ bestimmte Etwas nicht ist, negativ zu unterscheiden und abzugrenzen. Anders als dies in der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung der Fall ist, steht das Etwas in seiner anfänglichen, unmittelbaren Bedeutung zu dem ihm entgegengesetzten Anderen aber noch nicht in einem Bezug, der über ein bloß negatives Verhältnis hinausgeht. Die Bedeutung des Etwas ist in diesem Sinne, wie oben ausgeführt, sinnhaft abgeschlossen, denn obgleich sie unmittelbar in der Abgrenzung von dem Anderen besteht, ist die Bedeutung des Etwas „vollendet auch ohne ihr Anderes“ 183, d. h. ohne dass dieses in der unmittelbaren Bedeutung des Etwas bereits auch positiv enthalten wäre. Für das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung gilt hingegen, dass beide „sosehr sie auch als isolirt seyend genommen werden, [. . .] zugleich keinen Sinn ohne einander [haben]“ 184. Die Wirkung ist ein positiver Strukturaspekt der unmittelbaren Bedeutung der Ursache, denn diese ist von vornherein bestimmt als Wirken, d. h. als das Hervorbringen ihres Entgegengesetzten als Gesetztsein: „So ist im Causalitätsverhältniß Ursache und Wirkung untrennbar; eine Ursache, die keine Wirkung haben sollte, ist nicht Ursache, wie die Wirkung, die keine Ursache hätte, nicht mehr Wirkung.“ 185 Diejenigen logischen Bestimmungen, die den Inhalt der Wesenslogik ausmachen, stehen also zu ihrem jeweiligen Entgegengesetzten in einem von vornherein relationalen, gleichursprünglichen Bedeutungszusammenhang. 186 Das Entgegengesetzte, das eine Wesensbestimmung negativ von sich unterscheidet und abgrenzt, ist zugleich bereits ein immanenter Strukturaspekt ihrer unmittelbaren Bedeutung. Aus diesem Grund gilt auch für zwei einander 183 184 185 186
GW, Bd. 21, 109 f. GW, Bd. 21, 110. GW, Bd. 21, 138. Vgl. hierzu R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 306: „Konstitutiv für eine Wesenskategorie ist es daher, daß in ihr das eigene Nichtsein thematisch gesetzt wird.“
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entgegengesetzte Wesensbestimmungen, dass „an ihnen selbst ihr Scheinen in einander, das Scheinen seines Anderen in jedem, vorhanden [ist]“. 187 Nun besteht auch für die Wesensbestimmungen die Dialektik darin, dass sie sich in der Abgrenzung von ihrem jeweiligen Entgegengesetzten, in der ihre unmittelbare Bedeutung besteht, als auch identisch mit diesem erweisen und ihre Bedeutung an ihnen selbst zu der ihres begrifflichen Gegenteils umwandeln. Dass die logischen Bestimmungen in der negativen Unterscheidung und Abgrenzung von ihrem Entgegengesetzten sich als auch identisch mit diesem erweisen, indem sie in der Abgrenzung von ihrem Entgegengesetzten zu diesem zugleich in der Beziehung stehen, in welcher der Bedeutungsgehalt des Entgegengesetzten besteht, ist, wie oben dargelegt, die allgemeine Struktur der Dialektik. Da der Bedeutungsgehalt der Wesensbestimmungen aber wesentlich relational ist, d. h. sie ihr Entgegengesetztes, von dem sie sich abgrenzen, als einen konstitutiven Strukturaspekt ihrer unmittelbaren Bedeutung immer schon mitthematisieren, vollzieht sich der dialektische Bedeutungswandel wesenslogischer Bestimmung, der mit der Selbstaufhebung ihrer unmittelbaren Bedeutung einhergeht, nicht als ein „Uebergehen in ein Anderes“ 188. Dasjenige, zu dem sich die Wesensbestimmungen in ihrer Dialektik umwandeln, d. h. ihr Entgegengesetztes, ist in ihrer unmittelbaren Bedeutung schon gleichursprünglich mitgesetzt und scheint schon in ihr als eine zwar konstitutive und gleichursprüngliche, aber noch als abhängig und als für sich bestandslos begriffene Dimension ihrer Bedeutung. Die dialektische Bedeutungstransformation zum Entgegengesetzten vollzieht sich für eine Wesensbestimmung daher nicht als ein Übergehen, d. h. die Bedeutung der sich aufhebenden Bestimmung verschwindet nicht in der ihres spezifischen Entgegengesetzten, sondern es ändert sich die gleichursprüngliche, relationale Beziehung zwischen beiden Bedeutungen nur dahingehend, welche von ihnen wesentlich ist und welche darin nur scheint. 189 Die Bestimmungen der Wesenslogik transformieren sich mit ihrer immanenten Selbstaufhebung also auf die Weise zum Bedeutungsgehalt ihrer ihnen entgegengesetzten Negation, dass sich innerhalb des prozessualen Relationsgefüges, in welchem beide entgegengesetzten Bedeutungsgehalte bereits von 187 188 189
GW, Bd. 21, 110. GW, Bd. 20, 230. Vgl. hierzu die Anmerkung Schäfers (R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 303.), nach der aus der Relationalität der Wesensbestimmungen, die deren Stellung zwischen den Seinskategorien und den Bestimmungen der Begriffslogik begründet, eine „spezifische Form der Dialektik [resultiert], die das Wesen auszeichnet, nämlich die Reflexionsdialektik, weil die Wesensbestimmungen in sich relative sind, scheinen sie in ihrem Entgegengesetzten“.
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vornherein, d. h. gleichursprünglich, in einem positiven Sinn thematisch sind, die Akzentuierung verändert, welche der beiden Bedeutungen als positiv, welche als negativ gilt. Während die Übergangsdialektik der Seinslogik aufgrund der jeweiligen sinnhaften Abgeschlossenheit der sich zueinander transformierenden Relata als sprunghaft und ruckartig beschrieben werden kann, so trifft auf die dialektischen Prozesse der Wesenslogik zu, dass mit der immanenten Transformation ihrer beiden Relata zueinander keine Bedeutung verschwindet, sondern dass sich die Relation – als Ganze – nur dahingehend verändert, welcher ihrer beiden Strukturaspekte, d. h. welcher der beiden entgegengesetzten Bedeutungsgehalte, als wesentlich, welcher als abhängig begriffen wird. Der Prozess des dialektischen Werdens beider Entgegengesetzten zueinander bleibt in der Wesenslogik also getragen von der einen relationalen Beziehung zwischen den Entgegengesetzten, von denen beide einander auch in einem positiven Sinn implizieren und jedes das andere, d. h. seine Negation, bereits als einen wesentlichen Strukturaspekt seines eigenen Bedeutungsgehalts mitthematisiert. Der Umstand, dass die wesenslogischen Denkbestimmungen ihr jeweiliges Entgegengesetztes schon als ein positives Strukturmoment ihrer unmittelbaren Bedeutung in dieser mitthematisieren, wird besonders deutlich an der Beziehung zwischen den Bestimmungen Ganzes und Teilen. 190 Die unmittelbare Bedeutung des Ganzen besteht zunächst darin, das „Selbstständige“ 191 gegenüber den Teilen zu sein, die zunächst „nur Momente dieser Einheit“ 192, d. h. des Ganzen, sind. Hierbei fällt aber sogleich auf, dass das Ganze sein Entgegengesetztes, d. h. die Teile, bereits als einen konstitutiven Aspekt seiner eigenen Struktur in sich enthält. Denn das Ganze „besteht aus den Theilen“ 193, es ist die Einheit, die ihr „Bestehen an ihrem Entgegengesetzten, der mannichfaltigen Unmittelbarkeit, den Theilen [hat]“ 194: „Das Ganze besteht daher aus den Theilen; so daß es nicht etwas ist ohne sie.“ 195 Die unmittelbare Bedeutung des Ganzen ist also, in der sich wechselseitig begründenden Einheit von Ganzem und Teilen das „Zusammen“ 196 der Teile zu sein und nicht die Teile als solche, denn „das Zusammen ist das Gegentheil und Negation des Theiles“. 197 190
191 192 193 194 195 196 197
Für eine ausführliche Erörterung dieser wesenslogischen Bestimmungen und ihrer dialektischen Beziehung vgl. D. Heidemann: „Die Lehre vom Wesen. Zweyter Abschnitt. Die Erscheinung“, in: Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik. Hrsg. M. Quante und N. Mooren, Hamburg 2018, 325–386, 373–383. GW, Bd. 11, 355. GW, Bd. 11, 355. GW, Bd. 20, 159. GW, Bd. 11, 355. GW, Bd. 11, 355. GW, Bd. 20, 159. GW, Bd. 20, 159.
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Die Identität des Ganzen mit seinem spezifischen Entgegengesetzten, den Teilen, besteht nun nicht einfach darin, dass das Ganze aus Teilen zusammengesetzt ist. Dies ist bereits die unmittelbare Bedeutung des Ganzen als solchen, die ihr Entgegengesetztes zwar schon gleichursprünglich mitthematisiert, indem das Ganze wesentlich die Einheit von Teilen ist, dieses Entgegengesetzte aber zugleich noch als ihr Nichtsein negativ von sich unterscheidet, indem das Ganze in der gleichursprünglichen Beziehung von Ganzem und Teilen eben das Ganze und nicht die Teile ist. Dass die Identität des Ganzen mit den Teilen und damit die an der unmittelbaren Bedeutung des Ganzen sich hervorbringende Dialektik nicht einfach nur darin besteht, dass das Ganze aus Teilen besteht, formuliert Hegel wie folgt: „Aber ferner ist das Ganze den Theilen gleich; allein nicht denselben als Theilen; das Ganze ist die reflectirte Einheit, die Theile aber machen das bestimmte Moment oder das Andersseyn der Einheit aus, und sind das verschiedene Mannichfaltige. Das Ganze ist ihnen nicht gleich als diesem selbstständigen Verschiedenen, sondern als ihnen zusammen. Diß ihr Zusammen aber ist nichts anderes, als ihre Einheit, das Ganze als solches. Das Ganze ist also in den Theilen nur sich selbst gleich, und die Gleichheit desselben und der Theile drükt nur die Tavtologie aus, daß das Ganze als Ganzes nicht den Theilen, sondern dem Ganzen gleich ist.“ 198 Das Ganze ist identisch mit den Teilen, nicht weil es einfach aus Teilen besteht und aus ihnen zusammengesetzt ist, sondern weil dieses Entgegengesetzte seiner selbst unmittelbar sein Bestehen ausmacht. Es ist dies ein feiner, aber sehr zentraler Unterschied. Weil das Ganze überhaupt nur Ganzes ist, insofern es in sich geteilt ist, ist es identisch mit seinen Teilen: „Das Ganze, das gleichgültig ist gegen die Theile, ist die abstracte, in sich nicht unterschiedene Identität; diese ist Ganzes nur als in sich selbst unterschieden, und zwar so in sich unterschieden, daß diese mannichfaltigen Bestimmungen in sich reflectirt sind und unmittelbare Selbstständigkeit haben.“ 199 Es verschiebt sich hiermit innerhalb des relationalen und gleichursprünglichen Verhältnisses von Ganzem und Teilen die Selbstständigkeit. War zunächst das Ganze, d. h. das Zusammen der Teile, seiner unmittelbaren Bedeutung nach gegenüber den Teilen das Selbstständige sowie diese dementsprechend nur das zwar gleichursprünglich mitgesetzte, aber für sich bestandlose und unwesentliche Moment der Relation, so ist nun, da das Ganze nur Bestehen hat, insofern es geteilt ist, das Entgegengesetzte des Ganzen, d. h. die Teile, das Selbstständige und das Ganze als solches das von den Teilen Abhängige. Auch die Identität der Teile mit dem Ganzen besteht nicht einfach nur darin, dass sie ein geteiltes Ganzes sind. Dies ist vielmehr bereits die unmit198 199
GW, Bd. 11, 356 f. GW, Bd. 11, 357.
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telbare Bedeutung der Teile: „Umgekehrt sind die Theile dem Ganzen gleich; aber weil sie das Moment des Andersseyns an ihnen selbst sind, so sind sie ihm nicht gleich als der Einheit, sondern so daß eine seiner mannichfaltigen Bestimmungen auf den Theil kommt; oder daß sie ihm als mannichfaltigem gleich sind; das heißt, sie sind ihm als getheiltem Ganzen d. i. als den Theilen gleich. Es hiemit dieselbe Tavtologie vorhanden, daß die Theile als Theile, nicht dem Ganzen als solchem, sondern in ihm sich selbst, den Theilen, gleich sind.“ 200 Demgegenüber besteht die eigentliche Identität der Teile mit dem Ganzen, die aus der unmittelbaren Bedeutung der Teile folgt, darin, dass „die Theile als gleichgültig gegen die Einheit des Ganzen, nur das unbezogene Mannichfaltige [sind], das in sich Andre, welches als solches das Andre seiner selbst und sich nur aufhebende ist“. 201 Auch hier verschiebt sich also wieder innerhalb des relationalen Beziehungsgefüges von Ganzem und Teilen das Zentrum der Relation. Diejenige Bedeutung, die zuvor als selbstständig bestimmt worden ist, d. h. die Teile gegenüber dem Ganzen, wird gerade aufgrund ihrer relationalen Beziehung zum Abhängigen, das als gleichursprünglich mitthematisches Relat in ihrem begrifflichen Gehalt konstitutiv enthalten ist und wesentlich darin mitscheint, selbst zum Abhängigen und Unselbstständigen. Die Dialektik der einander entgegengesetzten Bestimmungen Ganzes und Teile, d. h. die Umwandlung der unmittelbaren Bedeutung beider zu der ihres Entgegengesetzten, besteht also nicht darin, dass sie ineinander übergehen und ineinander verschwinden. Beide Bestimmungen enthalten die je andere bereits als einen wesentlichen Strukturaspekt ihrer jeweiligen Bedeutung und haben überhaupt „keinen Sinn ohne einander“ 202. Daher ändert sich die von vornherein relationale und gleichursprüngliche Beziehung zwischen beiden Bestimmungen in ihrer Dialektik nur dahingehend, welche von ihnen darin wesentlich und selbstständig ist und welche unwesentlich und nur scheinend. Es ist, mit Hegels Worten, „das einemal das eine, das andremal das andere das Bestehende, und ebenso jedesmal das andre desselben das Unwesentliche“. 203 Anhand der logischen Bestimmungen Ganzes und Teile ist also aufgezeigt worden, dass und wie ihre unmittelbare Bedeutung sich zu einer dialektischen Vermittlung beider Bedeutungsgehalte spezifiziert, im Rahmen derer beide ihre Bedeutung zu der ihres Entgegengesetzten immanent umwandeln. Zudem haben wir aber gesehen, dass sich die dialektische Bedeutungstransformation für diese wesenslogischen Bestimmungen nicht als ein Übergehen und Ver200 201 202 203
GW, Bd. 11, 357. GW, Bd. 11, 357. GW, Bd. 21, 110. GW, Bd. 20, 160.
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schwinden in Anderes vollzieht, sondern sich ihre vorn vornherein relationale Beziehung, in der beide Bedeutungen gleichursprünglich ineinander mitthematisch sind, dahingehend ändert, welcher ihrer beiden Strukturaspekte das wesentliche und welcher das unwesentliche, nur mitscheinende Moment der Beziehung ist. Sowohl das Ganze als auch die Teile werden in ihrer unmittelbaren Bedeutung, nach der sie in dem gleichursprünglichen Gefüge beider Bestimmungen das Wesentliche und Selbstständige ausmachen und die andere in ihnen nur scheint und mitthematisch ist, mit dem Widerspruch konfrontiert, dass sie in ihrer Selbstständigkeit von ihrem Entgegengesetzten zugleich abhängig sind. 204 Gerade in Hinblick auf die interne Struktur des dialektischen Prozesses, zu dem sich die wesenslogischen Bestimmungen im Ausgang von der intuitiven gedanklichen Erfassung ihres unmittelbaren Bedeutungsgehalt und dessen Selbstaufhebung spezifizieren, zeigt sich also, wie weit der Inhalt der logischen Entwicklung sich in der Wesenslogik schon konkretisiert hat, zu welch fortgeschrittenem Grad des „Insichseyn[s]“ 205 seine Selbstbewegung hier bereits gediehen ist. Die Bestimmungen der Wesenslogik gehen nicht in ihr Entgegengesetztes über, sobald ihre unmittelbare Bedeutung sich an ihr selbst als dialektisch erweist, sie verschwinden nicht in derjenigen Bestimmung, zugunsten welcher sie ihre ursprüngliche Bedeutung dialektisch korrigieren, sondern beide Entgegengesetzten stehen auch in ihrem Werden zueinander in einer Beziehung der Gleichursprünglichkeit und Relationalität. Der Unterschied zwischen der Übergangsdialektik der Seinsbestimmungen und der Dialektik der Wesensbestimmungen kann also auch so angegeben werden, dass die strukturelle Stabilität sich von den Bestimmungen (Seinslogik) zur Gesamtheit des dialektischen Prozesses (Wesenslogik) verschoben hat. In der Wesenslogik findet die Dialektik nicht mehr „zwischen“ 206 den Bestimmungen statt, diese gehen nicht mehr ineinander über / verschwinden nicht mehr ineinander, sondern wandeln sich auf eine solche Weise zu ihrem Entgegengesetzten, dass sich das gesamte, von vornherein relationale Beziehungsgefüge zwischen den beiden Bestimmungen leidglich dahingehend ändert, welche von ihnen der positive Schwerpunkt der Relation ist und wel204
205 206
Heidemann (D. Heidemann: „Die Lehre vom Wesen. Zweyter Abschnitt. Die Erscheinung“, in: Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik. Hrsg. M. Quante und N. Mooren, Hamburg 2018, 325–386, 377.) beschreibt diese Dialektik des Ganzen und der Teile so, dass sie sich in ihrer wechselseitigen Begründung und Beziehung aufeinander kontinuierlich voneinander ablösen und ihre Selbständigkeit zurückerhalten, „ohne sie jedoch jemals an ihnen selbst haben zu können, da sie sich in ihrem Bestehen immer auf das Andere beziehen und somit ‚in sich Andre` sind“. GW, Bd. 21, 103. GW, Bd. 21, 80.
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che darin nur „scheint“, d. h. zwar gleichursprünglich mitthematisch ist, aber dennoch nur als das Negative und Abhängige gilt. Diese Verschiebung der strukturellen Stabilität von den Bestimmungen zu der Gesamtheit des dialektischen Prozesses, der sich an ihnen vollzieht, hat nun für den Bedeutungsgehalt der Bestimmungen eine doppelte Konsequenz. Zum einen verschwindet der Bedeutungsgehalt einer Wesensbestimmung mit seiner Selbstaufhebung und Umwandlung nicht in seinem Entgegengesetzten, sondern es verlagert sich, wie soeben dargelegt, in dem ohnehin bereits relationalen Bedeutungsgehalt der Bestimmung, die ihr Entgegengesetztes immer schon positiv mitthematisiert, nur der Akzent, welches der Entgegengesetzen das Wesentliches, welche das Abhängige, nur Mitscheinende ist. Zum anderen aber sind die beiden einander entgegengesetzten Bestimmungen in der Wesenslogik damit nicht mehr in demselben Sinn sinnhaft abgeschlossenen wie dies noch bei den Seinskategorien der Fall gewesen ist. Die seinslogischen Bestimmungen gelten zunächst als feststehend und absolut stabil, „ihr Sinn erscheint als vollendet auch ohne ihr Anderes“. 207 Diesem Anderen, d. h. dem jeweiligen Entgegengesetzten einer Seinskategorie, kommt somit erst dann eine positive Bedeutung zu, wenn die betreffende Kategorie sich im Rahmen ihrer Dialektik selbst aufhebt und sich zu ihrem Entgegengesetzten umwandelt. Hiergegen gilt für die Bestimmungen der Wesenslogik, dass sie „sosehr sie auch als isoliert seyend genommen werden, [. . .] zugleich keinen Sinn ohne einander [haben]; es ist an ihnen selbst ihr Scheinen in einander, das Scheinen seines Andern in jedem, vorhanden“. 208 Die Bestimmungen der Wesenslogik haben einen wesentlich relationalen Bedeutungsgehalt, der sein Entgegengesetztes, zu dem er sich dialektisch umwandelt, immer schon positiv mitthematisiert, sodass der dialektische Bedeutungswandel für die Bestimmungen hier nicht ein Übergehen und Verschwinden im Entgegengesetzten ist, sondern eine Verschiebung zum anderen Aspekt ihrer von vornherein relationalen Bedeutung. Da die Wesensbestimmungen hierbei aber schon zu Beginn „keinen Sinn“ ohne ihr Entgegengesetztes haben, ihr Nichtsein auch in einer positiven Hinsicht schon ein Aspekt ihrer unmittelbaren Bedeutung ist, kommt ihnen nicht dieselbe Stabilität und sinnhafte Abgeschlossenheit wie den Seinskategorien zu. Die Wesensbestimmungen sind, mit anderen Worten, insofern „stabiler“ als die Seinskategorien, als dass sie mit ihrem dialektischen „Sich-Aufheben“ 209 und der damit einhergehenden Umwandlung ihrer Bedeutung nicht in einem gänzlich Anderen verschwinden, und hierbei zugleich auch „instabiler“ als die Seinskategorien in dem Sinne, dass sie nicht absolut für sich bestehende Begriffe sind, sondern ihr Entgegen207 208 209
GW, Bd. 21, 109 f. GW, Bd. 21, 110. GW, Bd. 20, 119.
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gesetztes als einen wesentlichen Aspekt ihrer Bedeutung bereits enthalten und in dieser Hinsicht von ihm abhängig sind. Die strukturelle Gemeinsamkeit beider Dialektikformen, durch welche sie trotz ihrer Unterschiedenheit spezifische Typen eines allgemeinen Begriffs der Dialektik sind, besteht darin, dass in beiden Fällen zwei einander entgegengesetzte logische Bestimmungen ihre jeweilige unmittelbare Bedeutung an ihnen selbst aufheben und diese zur Bedeutung ihres Entgegengesetzten umwandeln, sodass sich das Ganze des dialektischen Prozesses somit zu einer zirkulären und kontinuierlichen Transformation beider Entgegengesetzten zueinander gestaltet. Die strukturelle Differenz zwischen seins- und wesenslogischer Dialektik besteht demgegenüber darin, dass der immanente Bedeutungswandel, der sich an den Bestimmungen vollzieht, in der Seinslogik ein Übergehen und damit eine völlige Transformation, ein Verschwinden der ursprünglichen Bedeutung in der neuen darstellt, in der Wesenslogik hingegen ein Bedeutungswandel (der Relata) innerhalb eines an sich bestehenbleibenden relationalen Bestimmungszusammenhangs. 2.2.3 Die Entwicklung der Begriffsbestimmungen Auch für die Bestimmungen, die im Rahmen der Lehre vom Begriff, der subjektiven Logik entwickelt werden, besteht das methodische Moment des Fortgangs darin, dass die unmittelbare gedankliche Erfassung ihres formaliter einfachen und noch nicht differenzierten Bedeutungsgehalts sich an ihr selbst zu einem dialektischen Prozess weiterbestimmt. Jedoch ist die innere Struktur des dialektischen Prozesses, zu dem die Begriffsbestimmungen sich im Ausgang von der Erfassung ihres anfänglichen und unmittelbaren Entwicklungsstadiums immanent bestimmen, von anderer Art als dies für die Bestimmungen der beiden vorangehenden Abteilungen der logischen Entwicklung, d. h. für die der Seins- und Wesenslogik, der Fall ist. Auch die Begriffsbestimmungen differenzieren sich mit der immanenten Selbstaufhebung ihres unmittelbaren Anfangs zu einem dynamischen Werdensprozess, der darin besteht, dass der Bedeutungsgehalt des Anfangs und sein Entgegengesetztes sich nun nicht mehr nur negativ voneinander abgrenzen, sondern dadurch, dass sie sich in und aufgrund ihrer anfänglichen, nur negativen Unterscheidung voneinander als auch identisch miteinander erweisen, sich zueinander transformieren. In dieser Hinsicht, d. h. rücksichtlich der allgemeinen Struktur aller spekulativen Entwicklung, unterscheiden sich die Bestimmungen der Begriffslogik nicht von denen der Seins- oder der Wesenslogik. Die Differenz der spezifischen Dialektik, die den Begriffsbestimmungen zukommt, gegenüber den dialektischen Prozessen in Seins- und Wesenslogik besteht darin, dass in der Begriffslogik
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die einander entgegengesetzten Relata sich auf die Art und Weise zueinander transformieren, dass sie im Zuge ihrer dialektischen Transformation zueinander zugleich in demjenigen, zu dem sie sich transformieren, positiv bestehen bleiben und sich darin kontinuieren. In der Seinslogik besteht die Struktur des dialektischen Prozesses, zu dem die logischen Bestimmungen sich im Ausgang von der unmittelbaren gedanklichen Erfassung ihres jeweiligen Bedeutungsgehalts immanent spezifizieren, darin, dass dieser anfängliche Bedeutungsgehalt und sein Entgegengesetztes sich auf die Art und Weise zueinander transformieren, dass sie ineinander verschwinden. Sobald die kategorialen Bestimmungen der Seinslogik sich in und aufgrund ihrer negativen Unterscheidung von ihrem Entgegengesetzten, in der zunächst die anfängliche Affirmation ihres unmittelbaren und einfachen Bedeutungsgehalts besteht, sich als auch identisch mit diesem Entgegengesetzten erweisen und ihre anfängliche Bedeutung damit zu der Bedeutung ihres Entgegengesetzten verändern, hören sie, mit anderen Worten, auf, dasjenige zu sein, was sie ursprünglich sind. Demgegenüber besteht in der Wesenslogik die Dialektik der dort thematischen Bedeutungsgehalte darin, dass sie und ihre spezifische Negation sich auf die Weise immanent zueinander umwandeln, dass sich der relationale Bedeutungszusammenhang, in welchem eine jede Wesensbestimmung besteht, indem sie ihre jeweilige Negation als einen konstitutiven Strukturaspekt ihrer eigenen Bedeutung bereits gleichursprünglich mitthematisiert, dahingehend verändert, welches der beiden Entgegengesetzten das wesentliche, selbstständige und unabhängige Relat darstellt und welches als abhängig, unselbstständig und darin nur mitscheinend begriffen wird. In der Seins- und Wesenslogik besteht der dialektische Prozess also darin, dass die logischen Bestimmungen sich im Rahmen eines zirkulären, „unendlichen Progreß[es]“ 210 kontinuierlich zueinander transformieren. Ein jedes der beiden Relata dieses Transformationsprozess resultiert aus der immanenten Selbstaufhebung des anderen und kehrt im Ausgang von seiner eigenen Selbstaufhebung erneut in dieses zurück. In begriffslogischen dialektischen Prozessen verhält es sich hingegen nicht so, dass die Besonderheit, zu der sich der allgemeine und unmittelbare Anfang im Zuge seiner immanenten Selbstaufhebung bestimmt, sich mit ihrer Selbstaufhebung ebenfalls wieder zu der ursprünglichen Unmittelbarkeit transformiert. Zwar transformiert und bestimmt sich die unmittelbare Allgemeinheit dialektisch zu der ihr zunächst nur negativ entgegengesetzten Besonderheit, deren Dialektik, d. h. das Resultat der immanenten Selbstaufhebung der Besonderheit, ist aber nicht wieder nur ein einfaches Zurückkehren zur unmittelbaren Allgemeinheit des Anfangs. Dies 210
GW, Bd. 20, 230.
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ist ein wesentlicher Unterschied der Dialektik begriffslogischer Bestimmungen gegenüber der Natur der dialektischen Prozesse in Seins- und Wesenslogik. Die Struktur derjenigen dialektischen Prozesse, zu denen sich die seinsund wesenslogischen Denkbestimmungen spezifizieren, ist die Kreisbewegung. Seinsbestimmungen transformieren sich zueinander, indem sie mit der Selbstaufhebung ihrer unmittelbaren Bedeutung in ihr Entgegengesetztes übergehen und darin verschwinden. Wesensbestimmungen verschwinden im Zuge ihrer Transformation zu ihrem Entgegengesetzten nicht, beide Relata sind gleichursprüngliche Relationsbestimmungen, die ihr Anderes als ein wesentliches Strukturmoment ihrer jeweiligen Bedeutung bereits enthalten. Mit der dialektischen Transformation der einander entgegengesetzten Bestimmungen zueinander ändert sich lediglich der Akzent, welche der beiden gleichursprünglichen Relationsbestimmungen als Positives, welche als Negatives thematisch ist. Demgegenüber ist die Struktur des dialektischen Prozesses in der Begriffslogik nicht mehr die einfache Kreisbewegung, deren Relata sich mit ihrer Transformation zueinander nicht auch im je anderen kontinuieren und spezifizieren, sondern die Spiralbewegung. Der begriffslogische dialektische Prozess ist zwar auch zirkulär, da die Bewegung zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt, sie ist jedoch wesentlich spiralförmig zirkulär, da das Resultat, das aus dem unmittelbaren Anfang geworden ist, nur in Hinblick auf seine Form, nicht aber seinen Bedeutungsgehalt zum Anfang zurückkehrt. 211 Das Spezifikum der begriffslogischen Entwicklungsdialektik soll nun anhand der Begriffsbestimmungen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit nachvollzogen werden. Deren prozessuale Einheit macht den Bedeutungsgehalt des Begriffs des Begriffs aus und ist somit für alle in der Begriffslogik thematischen logischen Bedeutungsgehalte grundlegend. Wie dies für alle logischen Bestimmungen gilt, so besteht auch bei der Allgemeinheit die an ihrer unmittelbaren Bedeutung hervortretende Dialektik darin, dass sie mit demjenigen Bedeutungsgehalt, den sie kontradiktorisch von sich abgrenzt und der dabei dennoch eine eigene, konträre Bedeutung hat, in – und allererst aufgrund – dieser negativen Unterscheidung auch identisch ist. Die spezifische Dialektik der Allgemeinheit ist somit, dass sie in ihrer negativen Unterscheidung und Abgrenzung vom Besonderen, in der zunächst ihre unmittelbare affirmative Bedeutung besteht, selbst wesentlich eingebettet ist in den über sie hinausgehenden Strukturzusammenhang dieser Differenzierung (zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen). Die Differenzierung zwischen Allgemeinem und Besonderem ist ein Bedeutungsgehalt, in dem die Allgemein211
Zur Figur des spiralförmigen Aufstiegs als einer adäquaten Verbildlichung des entwicklungsdialektischen Fortgangs vgl. das dritte Kapitel des dritten Teils der vorliegenden Untersuchung.
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heit als eines der differenzierten Relata erhalten bleibt und der dennoch über sie hinausgeht, denn es wird zwischen Allgemeinem und Besonderem differenziert. Die Differenzierung zwischen Allgemeinheit und Besonderheit ist demnach selbst die Besonderheit, zu welcher sich der unmittelbare Begriff der Allgemeinheit selbst bestimmt / spezifiziert / besondert, sodass sie in ihrer negativen Unterscheidung und Abgrenzung von der Besonderheit selbst immanent zur Besonderheit wird und in diesem Sinne als mit ihrem Entgegengesetzten identisch erkannt ist. Die negative Unterscheidung vom Besonderen ist somit sowohl dasjenige, worin die Bedeutung des Allgemeinen unmittelbar besteht, als auch selbst bereits die Besonderheit, die das Allgemeine in sich enthält und zugleich über es hinausgeht, da sie es vom Besonderen unterscheidet. 212 Die unmittelbare Bedeutung des Allgemeinen ist also derart, sich immanent zu dem zu bestimmen, was sie als ihr Nichtsein zunächst aus sich ausschließt, sowie darin nicht nur positiv bestehen zu bleiben, sondern sich sogar zu bereichern, indem sie nun sich selbst als auch ihr Entgegengesetztes in sich fasst beziehungsweise nun bestimmt ist als sich wesentlich selbst zu ihrem Entgegengesetzten bestimmend. Die Allgemeinheit ist als solche also immer schon über sich hinaus, dies jedoch als der Prozess des Über-sich-hinausgehens, der nicht hintergangen werden kann, insofern die Erkenntnis, dass die Allgemeinheit Besonderheit ist, erst aus der zunächst nur negativen Abgrenzung von dieser, aus dem Urteil „Die Allgemeinheit ist nicht Besonderheit.“, folgt. Die Allgemeinheit ist, anders ausgedrückt, in dem Sinne Besonderheit, dass sie sich besondert. 213 Hieraus setzt sich sodann auch die Bedeutung der dritten 212
213
Schäfer (R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 248 f.) deutet dies wie folgt: „Das Unmittelbare, Einfache und Unbestimmte der anfangenden Allgemeinheit ist nur zu denken, wenn von der Bestimmtheit und dem Besonderen abgesehen wird. Da das Allgemeine des Anfangs nur darin besteht, daß von etwas abgesehen wird, was es selbst nicht ist – genauer: noch nicht ist – gibt es etwas, was es von sich ausschließt, d. h. negiert. Dadurch wird der Mangel des Anfangs deutlich, der Anfang soll allgemein sein, in dem Sinne, daß er alles in sich enthält: Alles soll in der ‚objektiven Allgemeinheit` enthalten sein. Zugleich gibt es aber etwas, das sie von sich ausschließt. Dadurch wird die Allgemeinheit zu etwas, das nicht alles in sich befaßt. Dasjenige, was einiges von sich ausschließt, ist nicht Allgemeines, sondern Besonderes. Die Besonderheit ist damit ‚die Wahrheit` der Allgemeinheit.“ In diesem Sinne deutet Schick (F. Schick: „Die Lehre vom Begriff. Erster Abschnitt. Die Subjectivität“, in: Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik. Hrsg. M. Quante und N. Mooren, Hamburg 2018, 457–558, 479.) die Besonderheit als das Resultat der Unterscheidung des Allgemeinen in sich: „Was nämlich heißt es denn, dass das Besondere nichts anderes als die Selbstunterscheidung des Allgemeinen sei? Es kann nur heißen, dass das Allgemeine sich selbst gegenübersteht, einmal als Allgemeines und einmal als das Besondere. So gedoppelt, stellt es sich selbst als ein Glied nicht nur über, sondern auch in die Einteilung [. . .].“
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Begriffsbestimmung, d. h. der Einzelheit, zusammen. Die Bedeutung der Einzelheit besteht in nichts anderem als der Erkenntnis, die sich zuvor am unmittelbaren Begriff der Allgemeinheit dargestellt hat, d. h. dass das Allgemeine, indem es sich negativ vom Besonderen unterscheidet, selbst Besonderes ist. Die Einzelheit ist besonderte Allgemeinheit, d. h. diejenige Allgemeinheit, die an sich gesetzt hat, dass sie zugleich Besonderheit ist, hiermit über sich hinausgegangen ist und dennoch ihre Bedeutung nicht verlassen, sondern sie auf immanente Weise erweitert und bereichert hat. Die Einzelheit stellt somit die Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit dar, indem ihr Bedeutungsgehalt in dem Prozess besteht, der sich an der Allgemeinheit vollzogen hat. Mit der Einzelheit tritt somit eigentlich keine neue Begriffsbestimmung zur Allgemeinheit und Besonderheit hinzu, sondern die Einzelheit ist die aktualisierte Allgemeinheit, d. h. derjenige Begriff des Allgemeinen, der um die Einsicht spezifiziert worden ist, die sich am ursprünglichen Begriff des Allgemeinen selbst dargestellt hat, nämlich, dass die Allgemeinheit in ihrer negativen Unterscheidung vom Besonderen selbst Besonderes ist. Der Bedeutungsgehalt der Einzelheit kann somit so beschrieben werden, dass er in dem Prozess der immanenten Selbstbesonderung der Allgemeinheit besteht, diese Prozessualität nun aber in die Form einer wieder unmittelbaren Bedeutungseinheit zurückgeführt worden ist, die als solche wieder „den Sinn und die Form abstracter Allgemeinheit“ 214 hat, dabei aber aufgrund der Bewahrung des Moments der Selbstbesonderung des ursprünglichen Allgemeinen ein nächstkonkreterer und nächsthöherer „neuer Anfang“ 215 ist. Die Entwicklungsdialektik der Begriffsbestimmungen ist – in, wie wir noch sehen, paradigmatischer Form – bereits wesentlich das Thema des ersten Teils unserer Untersuchung, in dem wir uns hier noch befinden. Denn auch und gerade die allgemeine Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung, die für alle im Rahmen der logischen Wissenschaft genetisch sich auseinander entwickelnden Denkbestimmungen die ihnen an sich unmittelbar inhärierende prozessuale Gesetzmäßigkeit ihrer immanenten Weiterbestimmung darstellt, ist eine entwicklungsdialektische Struktur, deren Momente Anfang, Fortgang und Ende den „Bestimmungen des Begriffes selbst und deren Beziehungen“ 216 entsprechen, die hier dann „in der Bedeutung als Bestimmungen der Methode“ 217 begriffen werden. Vor dem Hintergrund der bisherigen Untersuchung lässt sich feststellen, dass die Entwicklungsdialektik der begriffslogischen Denkbestimmungen 214 215 216 217
GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 239.
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Aspekte der Übergangsdialektik der Seinskategorien sowie der wesenslogischen Dialektik des Scheinens im Entgegengesetzten in sich vereinigt. Während die Dialektik der Seinskategorien darin bestand, dass hier zwei jeweils sinnhaft abgeschlossene Bedeutungsgehalte, die „als vollendet [erscheinen] auch ohne ihr Anderes“ 218, ineinander übergehen und mit der Umwandlung ihrer Bedeutung zu der ihres Entgegengesetzten restlos in diesem verschwinden, war die Dialektik der wesenslogischen Bestimmungen dadurch gekennzeichnet, dass beide Bedeutungsgehalte von vornherein gleichursprünglich positiv thematisch sind und sich mit der Umwandlung des einen zum anderen innerhalb dieses Relationsgefüges allein das Wesentliche / Unabhängige und das Unwesentliche / nur Mitscheinende ineinander verkehren. Die in der Begriffslogik entwickelten Denkbestimmungen bleiben in ihrem jeweiligen Entgegengesetzten, zu welchem sie sich im Zuge ihrer Dialektik umwandeln, positiv bestehen 219, d. h. sie bestimmen sich unmittelbar zu einem über sie hinausgehenden Bedeutungsgehalt, der somit gegenüber dem Ausgangspunkt der Entwicklung nicht als ein Anderes zu begreifen ist, sondern als eine bereicherte, konkretere und spezifischere Ausprägung desselben. Die Dialektik der Seinskategorien sowie die Dialektik der Wesensbestimmungen stellt eine entweder übergangsdialektisch oder relationsdialektisch strukturierte Bedeutungsverkehrung und Bedeutungsveränderung der jeweiligen entgegengesetzten begrifflichen Gehalte zueinander dar. Das affirmative und positive Resultat dieser immanenten und zirkulären Verkehrung beider Bedeutungsgehalte ineinander wird, wie wir im Folgenden noch sehen werden, erst mit der Einsicht generiert wird, dass beide Relata der Dialektik sich in ihrem immanenten Werden zueinander zugleich auch zur Totalität des gesamten dialektischen Prozesses vervollständigen und damit jeweils zu einer konkreteren Ausprägung ihrer ursprünglichen Bedeutung. Dass beide Entgegengesetzten sich dann in ihrer konkreteren und spezifischeren Gestalt zunächst wieder nur negativ voneinander unterscheiden und abgrenzen, stellt dann den neuen Anfang der nächsthöheren Stufe der seins- oder wesenslogischen Entwicklung dar. Demgegenüber handelt es sich bei den Begriffsbestimmungen um solche Bedeutungsgehalte, deren Dialektik nicht mehr nur darin besteht, dass sie und ihr jeweiliges Entgegengesetztes sich zunächst nur zueinander umwandeln, 218 219
GW, Bd. 21, 109 f. Vgl. hierzu R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 313: „Das besondere Signum der Begriffsbestimmungen ist daher die positive Beständigkeit in ihrem Entgegengesetzten. [. . .] Die spezifische Entwicklungsdialektik besteht also in dem positiven Sich-Erhalten einer Bestimmung in ihrer entgegengesetzten. Kontinuierlich erhalten und enthalten sich die Bestimmungen der ‚Lehre vom Begriff` in ihren in ihnen selbst gesetzten Unterscheidungen.“
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verkehren und verändern und das positive Resultat zwar immanent, aber doch in einem zweiten Schritt aus dieser zirkulären Prozessualität erst folgt. Vielmehr sind die Begriffsbestimmungen logische Sinn- und Bedeutungsgehalte, die so konkret sind 220, dass sie sich mit ihrer dialektischen Transformation zu ihrem Entgegengesetzten, in dem sie positiv bestehen bleiben, unmittelbar erweitern und somit in nicht nur bereicherter, sondern konkreterer Gestalt aus ihrer Erweiterung zu sich zurückkehren.
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Der eine logische Bedeutungsgehalt, dessen schrittweise, aber immanent sich vollziehende Konkretisierung das Wesen der logischen Wissenschaft darstellt, hat mit dem Einstieg in die Begriffslogik, d. h. im Rahmen des Gangs durch seine seins- und wesenslogischen Stadien, einen erheblichen Teil seiner Entwicklung bereits durchlaufen.
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3. Das Ende 3.1 Das zweite Unmittelbare: Die Vollendung der Dialektik Der Fortgang des spekulativen Entwicklungsprozesses besteht in der Logik also „im unendlichen Progreß“ 1 der immanenten Transformation zweier entgegengesetzter Denkbestimmungen zueinander. In der Seinslogik nimmt diese immanente und zirkuläre Bedeutungswandlung, wie wir gesehen haben, die Form eines Übergehens und Verschwindens sinnhaft abgeschlossener begrifflicher Gehalte in ihr jeweiliges Entgegengesetztes an. Für die Wesensbestimmungen ist sie ein oszillierendes Scheinen innerhalb eines relationalen Beziehungsgefüges zwischen den Entgegengesetzten, die einander von vornherein gleichursprünglich mitthematisieren. In der Begriffslogik ist sie nicht nur Bedeutungsveränderung und Bedeutungswandlung, sondern geht mit einer Erweiterung der sich wandelnden Bedeutung einher und der zirkuläre Rückgang der Bewegung zu ihrem Ausgangspunkt ist somit lediglich Rückkehr zur Form des Anfangs und dabei zugleich Genese eines inhaltlich konkreteren logischen Bedeutungsgehalts. In allen drei Fällen entspricht der Fortgang dabei aber der am unmittelbaren Anfang hervortretenden Dialektik. Seine Struktur ist eine prozessuale Form des Widerspruchs, da das immanente Werden zweier Bestimmungen zueinander, wie sich gezeigt hat, beide in ein und derselben Hinsicht sowohl in Identität als auch in Entgegensetzung thematisiert. 2 Dieser Widerspruch, der in Hinblick auf die dreigliedrige Struktur des spekulativen Entwicklungsprozesses – nach dem Moment des Anfangs – die „zweite Sphäre“ 3 ausmacht, löst sich, so Hegel, erst in dem Ende der Entwicklung auf. Dabei zeichnet sich das Ende dadurch aus, dass in ihm „das Differen1 2
3
GW, Bd. 20, 230. Dass der für die spekulative Entwicklung konstitutive und produktive Widerspruch nicht durch eine Hinsichtenunterscheidung aufgehoben wird, dies erörtert H.-G. Gadamer: „Hegel und die antike Dialektik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 7–30, 22: „Wer Hegel kennt, wird verstehen, warum Hegel [. . .] eine Forderung, jeweils die Hinsicht auszuzeichnen, unter der etwas identisch oder verschieden ist, nicht hören will. Denn eine solche Forderung widerspricht strikte der eigenen dialektischen Methode Hegels. Diese besteht ja darin, eine Bestimmtheit so an ihr selbst und für sich zu denken, daß sie eben dadurch ihre Einseitigkeit hervortut und ihr Gegenteil zu denken nötigt. Die Zuspitzung zum Widerspruch ergibt sich also gerade dadurch, daß die entgegengesetzten Bestimmungen in ihrer Abstraktion für sich gedacht werden.“ GW, Bd. 20, 230.
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Das Ende
te“ 4, d. h. die Differenz zwischen erster und zweiter Sphäre, zwischen Anfang und Fortgang, wesentlich „als das gesetzt wird, was es im Begriffe ist“. 5 Wie aber vollzieht sich diese Aufhebung der Dialektik und des prozessualen Widerspruchs? Wie wird die innere Differenz, die am allgemeinen Anfang als Resultat seiner Selbstbesonderung hervortritt, im Ende der Entwicklung unter Wahrung der (dialektischen) Bereicherung und Erweiterung des anfänglichen Bedeutungsgehalts wieder in die Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit zurückgeführt? Welchen Ausweg gibt es aus der in sich geschlossenen Zirkularität des dialektischen Prozesses, der, wenngleich mit „immanenter [. . .] Nothwendigkeit“ 6 aus dem unmittelbaren Anfang entstanden, doch für sich betrachtet zunächst einen „unendlichen Progreß“ 7 und, wie Hegel im Rahmen der enzyklopädischen Entwicklung der Daseinskategorien Etwas und Anderes bemerkt, damit eine Form „schlechte[r] oder negative[r] Unendlichkeit“ 8 darstellt? Da die Vollendung des spekulativen Entwicklungsprozesses sich auf immanente Art und Weise an der Dialektik der Denkbestimmungen vollzieht, muss nun noch einmal auf die Struktur des dialektischen Fortgangs der Entwicklung zurückgeblickt werden. Das dialektische Moment des spekulativen Denkaktes besteht, wie zuvor erörtert worden ist, im zirkulären Prozess der immanenten Transformation zweier entgegengesetzter Bestimmungen zueinander. Allgemeine Strukturbestimmung des dialektischen Prozesses ist also, dass die unmittelbare Bedeutung einer logischen Bestimmung in ihrer Selbstaufhebung resultiert, wodurch sie sich zu dem ihr ursprünglich nur negativ entgegengesetzten begrifflichen Bedeutungsgehalt ihrer Negation transformiert. Dieser Bedeutungsgehalt, dem im Anfang zunächst nur negative Geltung zugekommen war, insofern er in der limitativen Bestimmtheit der ursprünglichen Bestimmung dieser entgegengesetzt und ihr abgesprochen wurde, erhält damit selbst eine affirmative Bedeutung und stellt unmittelbar diejenige Denkbestimmung dar, die als die neue, transformierte Gestalt der ursprünglichen Bestimmung nun begrifflich erfasst wird. Im Ausgang von dieser begrifflichen Erfassung hebt der dialektische Prozess, d. h. die Einheit von a) Selbstaufhebung der jeweiligen Bestimmung und b) werdender Transformation zu der ihr entgegengesetzten Negation ihrer selbst, erneut an und vervollständigt sich somit zum „unendlichen Progreß“ 9. Dieser Progress besteht also darin, dass zwei einander entgegengesetzte Bestimmungen sich im Rahmen ihrer jeweiligen begrifflichen 4 5 6 7 8 9
GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 130. GW, Bd. 20, 230.
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Das zweite Unmittelbare: Die Vollendung der Dialektik
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Erfassung ebenso sehr als identisch miteinander erweisen und sich begriffsimmanent zueinander transformieren. Folglich gilt für die „zweite Sphäre“ 10 der spekulativen Entwicklung, d. h. für den dialektischen Prozess, der als Resultat der anfänglichen, unmittelbaren Bedeutung einer jeweiligen Denkbestimmung an dieser „gesetzt wird“ 11, dass „jedes der beiden Unterschiednen sich an ihm selbst betrachtet zur Totalität vollendet, und darin sich zur Einheit mit dem andern bethätigt“. 12 Die logischen Bestimmungen vollenden sich an ihnen selbst zur Totalität, d. h. zur Einheit ihres affirmativen Bedeutungsgehalts mit dem der ihnen je spezifisch entgegengesetzten Bestimmung – als „mit dem andern“ 13 –, indem ihre jeweilige unmittelbare Bedeutung, die gerade in dem limitativen Ausschließen ihres Entgegengesetzten besteht, sich selbst aufhebt und sich damit immanent zu dem Bedeutungsgehalt diesen Entgegengesetzten wandelt. Dass die logischen Bestimmungen wesentlich über ihre immanente Grenze zu ihrem Entgegengesetzten hinaus- und damit auf dieses hinweisen 14, führt dazu, dass sie, sobald sie limitativ bestimmt werden, sich selbst aufheben und sich zu ihrem jeweiligen Entgegengesetzten transformieren. Dieses „SichAufheben der Einseitigkeit beider [der einander spezifisch entgegengesetzten Bestimmungen, L.H.] an ihnen selbst“ 15 lässt somit „die Einheit nicht einseitig werden“ 16, sodass die Einheit der Entgegengesetzten nicht auf Seiten einer der beiden Bedeutungsgehalte, sondern vielmehr in dem sich zwischen ihnen abspielenden dialektischen Prozess, d. h. in ihrer kontinuierlichen, immanenten Transformation zueinander, erreicht ist. 17 Diese – wesentlich prozessuale – Einheit zweier einander entgegengesetzter und gleichsam sich als identisch miteinander erweisender Bestimmungen selbst als affirmativ und als die „Wahrheit“ 18 beider aufzufassen, macht nun das 10 11 12 13 14
15 16 17
18
GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. Diese Formulierung verwendet Hegel bezüglich des Ineinander-übergehens der seinslogischen Kategorien. Trotz der sinnhaften Abgeschlossenheit ihrer Bedeutung sind auch die Bestimmungen der Seinslogik dialektisch, denn auch für sie gilt, dass sie und ihr jeweiliges Entgegengesetztes „wesentlich auf einander hinweisen“. Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 109. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. Vgl. hierzu die Darstellung von R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 268: „Das ‚Recht des Unterschiedes` besteht darin, daß nun die beiden Momente [des dialektischen Prozesses, L.H.] nicht mehr bloß verschieden voneinander sind, sie sind nicht mehr bloß das eine, was das andere nicht ist, sondern jedes der beiden ist einerseits es selbst und andererseits das von ihm Verschiedene. Auf diese Weise totalisieren sich die Momente.“ GW, Bd. 12, 248.
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„Speculative oder Positiv-Vernünftige“ 19 eines spekulativen Entwicklungsprozesses aus. Mit dem aktiven Herausstellen dieser neuen, auf immanente Weise dialektisch generierten Einheit löst die „zweite Sphäre“ 20 der Entwicklung, die im „unendlichen Progreß“ 21 der perennierenden Transformation der entgegengesetzten Bestimmungen zueinander besteht, sich zugleich „in das Ende“ 22 auf. Hierbei ist festzuhalten, dass der dialektische Prozess, so Hegel, zunächst „das Negative des Ersten“ 23 ist. Dieses Erste, gegenüber welchem der dialektische Prozess eben die „zweite Sphäre“ 24 darstellt, ist die unmittelbare, ihre immanente Dialektik noch nicht an sich selbst gesetzt habende unmittelbare Form einer Denkbestimmung. Der dialektische Prozess ist zunächst die Negation dieses Ersten beziehungsweise Anfangenden, da eines seiner Momente gerade in der Selbstnegation der anfänglichen Denkbestimmung und dementsprechend in ihrer Transformation zu dem ihr ursprünglich nur negativ entgegengesetzten Bedeutungsgehalt besteht. Das andere der beiden Momente des dialektischen Prozesses – die zweite, entgegengesetzte Richtung dieser zirkulären Prozessualität – ist dann darauf aufbauend wiederrum die Selbstnegation dieses – nun auch in affirmativer Hinsicht thematischen – Bedeutungsgehalts und dessen Transformation wieder zu der anfänglichen Bestimmung. Mit der Selbstaufhebung des unmittelbaren Anfangs geht also wesentlich einher, dass dieser sich im weiteren Fortgang in das prozessuale Verhältnis der immanenten Transformation zweier Bedeutungseinheiten zueinander einteilt. Der dialektische Prozess ist demnach auch in dem Sinn das „Negative des Ersten“ 25, d. h. die Negation des unmittelbaren Anfangs, dass er eine Vermittlung zweier einander entgegengesetzter und zugleich miteinander identischer Bestimmungen beschreibt. Das Ganze der dialektischen Prozessualität betrachtet, gelten beide Bestimmungen gleichberechtigt als affirmativ, da eine jede von ihnen als notwendiges Resultat aus der immanenten Selbstaufhebung der anderen folgt, und sind einander dennoch als sich wechselseitig ausschließende Bestimmungen entgegengesetzt. Hierin besteht gerade der Widerspruch, zu dem der Fortgang der Entwicklung „die Beziehung der Unterschiednen“ 26 schlussendlich entwickelt. Der Anfang und der dialektische Fortgang eines spekulativen Entwicklungsprozesses entsprechen somit den Formbestimmungen Unmittelbarkeit und Vermittlung und sind ihrer logischen Struktur nach respektive a) als die 19 20 21 22 23 24 25 26
GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 20, 230.
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endlich-limitative Erfassung einer Denkbestimmung und b) als der unendliche Progress der immanenten Transformation dieser Bestimmung und des ihr spezifisch entgegengesetzten Bedeutungsgehalts zueinander zu charakterisieren. Der Anfang und damit die gedankliche Erfassung einer Denkbestimmung als eines unveränderlichen, unmittelbaren Bedeutungsgehalts ist seiner Form nach in diesem Sinne noch ein abstraktes Allgemeines, da er die ihm spezifisch zugehörige Dialektik – als seine Besonderheit und den ersten Schritt seiner immanenten Konkretion – noch nicht an sich selbst produziert hat. Der Anfang als solcher hat sich noch nicht selbst negiert und aufgehoben, sich als unmittelbare Bestimmung noch nicht in den dialektischen Prozess der Transformation zu seinem Entgegengesetzten und der Rückkehr aus diesem eingeteilt. Daher gilt von der Warte der Dialektik aus gesehen umgekehrt: „Weil das Erste oder Unmittelbare der Begriff an sich, daher auch nur an sich das Negative ist, so besteht das dialektische Moment bey ihm darin, daß der Unterschied, den es an sich enthält, in ihm gesetzt wird.“ 27 Der Fortschritt und der Erkenntnisgewinn bestehen im dialektischen Fortgang der Entwicklung demnach darin, dass in der vollständigen Ausbuchstabierung des Verhältnisses, in dem zwei einander spezifisch entgegengesetzte Denkbestimmungen zueinander stehen, d. h. im „Widerspruche“ 28 als der prozessualen Einheit ihrer Identität und ihrer sich wechselseitig ausschließenden Entgegensetzung, explizit gemacht worden ist, was in ihrer jeweiligen unmittelbaren Bedeutung nur implizit bereits vorhanden gewesen ist. Dass dies der Fall ist und die dialektische Vermittlung, die am für sich genommen noch dialektik- und bewegungsfreien Anfang hervortritt, in diesem bereits enthalten und lediglich noch nicht gesetzt ist 29, dies erweist sich von der Warte des Fortgangs aus betrachtet retrospektiv daran, dass dieser allein durch solche produktiven Strukturbestimmungen begründet worden ist, die im unmittelbaren Anfang selbst lagen. Die logischen Bestimmungen heben sich gerade deswegen auf und ihre ursprüngliche, unmittelbare Bedeutung transformiert und korrigiert sich gerade deswegen zu der ihr spezifisch entgegengesetzten Bedeutung, weil die logischen Bestimmungen in und aufgrund der negativen Unterscheidung und Abgrenzung von ihrem Entgegengesetzten, worin ihre anfängliche Erfassung unmittelbar besteht, sich als auch identisch mit diesem erweisen, d. h. zu ihrer Negation selbst in derjenigen Beziehung stehen, die den Bedeutungsgehalt dieser ihrer Negation ausmacht. Hierdurch wird im Fortgang der Entwicklung der logischen Bestimmungen, mit dem ihr ursprünglicher, unmittelbarer Bedeutungsgehalt erweitert und spezifiziert wird, aber nur auf diejenigen argumentativen Gründe zurückgegriffen, die in 27 28 29
GW, Bd. 12, 245 f. GW, Bd. 20, 230. Vgl. hierzu GW, Bd. 20, 230.
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eben diesem unmittelbaren Bedeutungsgehalt des Anfangs und der logischen Struktur seiner intuitiven gedanklichen Erfassung selbst liegen. Dies macht die Begriffsimmanenz des produktiven, bedeutungserweiternden Fortgangs und die analytische Dimension des synthetischen Moments der spekulativen Entwicklung aus. Nichts dem anfänglichen Bedeutungsgehalt Äußerliches ist, mit anderen Worten, an ihn herangetragen oder auf ihn angewendet worden, um seinen Fortgang, d. h. das Setzen seiner dialektischen Vermittlung, anzustoßen. Nur der Entschluss, den Anfang als solchen erfassen zu wollen, ist vorhanden gewesen. 30 Auf die begriffliche „Einfachheit“ 31 des Anfangs folgt also eine über diese Einfachheit hinausgehende „Bestimmtheit“ 32, indem die unmittelbare Bedeutungseinheit des Anfangs sich auf die erörterte Weise zu einem dialektischen Prozess bestimmt. Hierbei ist dieser Bestimmungsprozess ein immanentes Fortgehen, die anfängliche Bedeutungseinheit gibt sich gerade „in ihrer Einfachheit ihre Bestimmtheit [Hervorhebung, L.H.]“ 33, was, wie wir gesehen haben, so zu verstehen ist, dass die begriffliche Einfachheit des Anfangs sich als mangelhaft erweist. Während das Denken in seiner verständig-fixierenden Tätigkeit die „Tiefe des Unterschieds“ 34 zwischen einer Denkbestimmung und ihrem Entgegengesetzten hervorhebt, indem ihre jeweilige unmittelbare Bedeutung sich limitativ und damit in negativer Unterscheidung von dem ihr entgegengesetzten Bedeutungsgehalt bestimmt, besteht das dialektische, negativvernünftige Moment der spekulativen Entwicklung darin, diese unmittelbare Form der Denkbestimmungen als unvollständig zu begreifen. Die negative Vernunft stellt die unmittelbare Affirmation einer logischen Bestimmung, d. h. das negative Unterscheiden ihrer Bedeutung von ihrer spezifischen Negation, als ein sich selbst negierendes Negieren 35 heraus, da die reinen Denkbestimmungen zu ihrem Entgegengesetzten zugleich in dem Verhältnis stehen, das durch dieses Entgegengesetzte ausgedrückt wird. Da die logischen Bestimmungen somit an ihnen selbst schon über die „Tiefe des Unterschieds“ 36 gegenüber 30
31 32 33 34 35
36
Vgl. zu dieser abgewandelten Formulierung die entsprechende Stelle aus dem einleitenden Kapitel „Womit muss der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?“: GW, Bd. 21, 56: „Nur der Entschluß, den man auch für eine Willkühr ansehen kann, nemlich daß man das Denken als solches betrachten wolle, ist vorhanden.“ GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 21, 8. GW, Bd. 12, 41. Zur Stellung, Bedeutung und Funktion des Prinzips der reflexiven Negativität im Gesamtkontext der spekulativ-dialektischen Methode vgl. die Ausführungen von D. Henrich: „Hegels Grundoperation“, in: Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift für Werner Marx zum 65. Geburtstag. Hamburg 1976, 208–230. GW, Bd. 12, 41.
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ihrem Entgegengesetzten hinaus- und damit auch auf dieses in einem affirmativen Sinn hinweisen, ist es das Resultat der Dialektik der jeweiligen Bestimmung, dass ihre ursprüngliche affirmative Bedeutung in ihrem anfänglichen Geltungsanspruch kritisch restringiert, 37 aufgehoben und zugunsten der Identität mit ihrem Entgegengesetzten korrigiert wird. Die Leistung der Dialektik ist es also, nicht ohnmächtig bei der limitativen Bedeutung einer logischen Bestimmung zu verbleiben, sondern diese endliche Form vielmehr in dem Sinn zu vollenden, dass das in ihr ruhende Potential – die Einheit von Entgegensetzung und Identität der jeweiligen Bestimmung und ihrer Negation – auch an ihr gesetzt und damit explizit gemacht wird. Mit dem Fortgang der Entwicklung zum dialektischen Prozess hat sich also die unmittelbare Bedeutung einer logischen Bestimmung an sich selbst aufgehoben. Die einer jeweiligen Denkbestimmung spezifisch zugehörige Dialektik, ihr „Uebergehen in ihre entgegengesetzte“ 38 Bestimmung, ist demnach das „immanente Hinausgehen“ 39 über ihre endliche, limitative Affirmation, „worin die Einseitigkeit und Beschränktheit der Verstandesbestimmungen sich, als das was sie ist, nämlich als ihre Negation darstellt“. 40 Der Fortgang zum dialektischen Prozess, zu dem sich die anfängliche, unmittelbare Form einer Denkbestimmung aufgrund der ihr immanenten produktiven Reflexivität zunächst besondert, stellt also in Hinblick auf diesen unmittelbaren Anfang eine Negation desselben dar. Da es sich bei der Dialektik um ein selbstbezügliches „Sich-Aufheben“ 41 der anfänglichen, unmittelbaren Form der logischen Bestimmungen handelt, d. h. das „Hinausgehen“ 42 eine den Bestimmungen „immanente“ 43 Transformation ist, ist ihre unmittelbare Bedeutung mit dem Fortgehen der Entwicklung zum dialektischen Prozess wesentlich zu ihrer 37
38 39 40 41 42 43
Vgl. hierzu die Erörterungen von Stekeler-Weithofer (P. Stekeler-Weithofer: Hegels Wissenschaft der Logik. Ein dialogischer Kommentar. Band 1: Die objektive Logik. Die Lehre vom Sein. Qualitative Kontraste, Mengen und Maße. Hamburg 2020, 47–73, insb. 64 f.), der die kritische, unmittelbare Geltungsansprüche restringierende Funktion der Dialektik auch in ihrer Bedeutung für Hegels Verständnis der Philosophiegeschichte bedenkt: „Die Funktion der Totalitätsbegriffe und der negativ-dialektischen und auch spekulativen Aussagen über sie in einer philosophischen Logik besteht darin, derartige Provinzialitäten dogmatischer Versicherungen und Glaubensphilosophien sowohl in der traditionellen Theologie als auch in einem logisch kaum aufgeklärten Materialismus und Physikalismus explizit zu machen.“ Dialektik ist demnach Sinnkritik von Totalitätsansprüchen verschiedener Provenienz, die im Zuge des Explizitmachens ihrer internen Defizite zugleich (auto-)korrektiv weiterentwickelt werden. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 119.
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nächsten, dialektisch korrigierten, aber auch bereicherten Wahrheit gekommen. Daher bemerkt Hegel rücksichtlich der einander zunächst nur limitativ entgegengesetzten Bestimmungen, dass während „die begrifflose Betrachtung bey ihrem äusserlichen Verhältnisse stehen bleibt, sie isolirt und als feste Voraussetzungen läßt, so ist es vielmehr der Begriff, der sie selbst ins Auge faßt, als ihre Seele sie bewegt und ihre Dialektik hervorthut“. 44 Der dialektische Fortgang ist also dasjenige Moment der einheitlichen Gesamtstruktur der spekulativen Entwicklung, „nach welchem ein allgemeines Erstes an und für sich betrachtet, sich als das Andre seiner selbst zeigt“. 45 Und weiter: „Ganz allgemein aufgefaßt, kann diese Bestimmung so genommen werden, daß hierin das zuerst Unmittelbare hiemit als Vermitteltes, bezogen auf ein andres, oder daß das Allgemeine als ein Besonderes gesetzt ist.“ 46 Der dialektische Prozess, d. h. die immanente Transformation zweier sowohl identischer als auch einander sich ausschließend entgegengesetzter Denkbestimmungen zueinander, stellt demnach die Besonderheit des seiner Form nach unmittelbaren Anfangs – als einer noch formaliter abstrakten, da dialektik- und prozessfreien Allgemeinheit – dar, mit dem die jeweilige logische Bestimmung noch in ein nur negatives Verhältnis zu ihrem Entgegengesetzten, das sie in ihrer Affirmation ausschließt, gebracht worden war. Obzwar das spekulative Denken in seiner negativ-vernünftigen Tätigkeit, d. h. mit dem Anheben der Dialektik der jeweiligen unmittelbaren Bestimmung, diese anfängliche Form seiner selbst immanent korrigiert, sie mithin an ihr selbst zu ihrer nächsten Wahrheit entwickelt hat, stellt sich nun jedoch das Problem, dass damit doch ebenso sehr auch das verständige, fixierende Denkmoment negiert ist. Dem dialektischen Prozess, der sich im Fortgang der spekulativen Entwicklung zwar auf immanente Weise an den zunächst feststehenden, unveränderlichen und dialektikfreien Denkbestimmungen vollzieht und darstellt, mangelt es, mit anderen Worten, an der Stabilität, „Festigkeit“ 47 und „Härte“ 48, die das „Denken als Verstand“ 49 wesentlich von seinen Bestimmungen verlangt. 50 Die Dialektik, d. h. der unendliche, zirkuläre Progress der immanenten Transformation zweier einander entgegengesetzter Denkbestim44 45 46 47 48 49 50
GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 12, 41. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 20, 118. Vgl. hierzu auch weiterführend die Bemerkung von J. M. E. McTaggart: Philosophical Studies. London 1934, 200: „The dialectic process has been often said to violate the law of contradiction. But it is very far from doing this. On the contrary, its advance depends entirely on the certainty that a contradiction is a mark of error. Otherwise there would be no reason for going on to the synthesis.“
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mungen zueinander, ist in diesem Sinne – und erneut die Formulierung aus der Vorrede der Phänomenologie des Geistes aufgreifend – „der bachantische Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist, und [. . .] jedes, indem es sich absondert, ebenso unmittelbar [sich] auflöst“ 51. Anhand der einheitlichen Gesamtstruktur eines spekulativen Entwicklungsprozesses lässt sich also gut nachvollziehen, inwiefern Verstand, negative Vernunft und positive Vernunft „nicht drei Theile der Logik“ 52 oder des Logischen ausmachen, die isoliert voneinander betrachtet und von denen in der Betrachtung des einen die anderen beiden verlustlos weggelassen und ignoriert werden könnten. Vielmehr stellen sie die notwendig zusammengehörigen, aufeinander aufbauenden und ineinandergreifenden Momente eben des einheitlichen Prozesses der immanenten Entwicklung einer logischen Bestimmung dar. Sie sind, so Hegel, die „Momente jedes Logisch-Reellen, das ist jedes Begriffes oder jedes Wahren überhaupt“. 53 Das spekulative Denken ist demnach eben schlussendlich nur ein beziehungsweise ein einiger, aber binnendifferenzierter Denkakt, der nicht aus gegenüber einander gleichgültigen und verschiedenen Teilen besteht, sondern aus aufeinander organisch aufbauenden Momenten. Von diesen Momenten der einen, nicht zusammengesetzten, sondern organisch strukturierten, prozessualen Einheit, die der spekulative Denkakt ist, produzieren die allgemeineren Momente die komplexeren allein aus sich heraus, indem sie sich immanent zu diesen bestimmen und spezifizieren, und bleiben damit auch positiv in ihnen bestehen und erhalten. So wird das verständige Moment des Denkens an ihm selbst zur negativ-vernünftigen Denktätigkeit, besondert sich in diese, ohne in ihr zu verschwinden, und bleibt in ihr – als in einer komplexeren Manifestation seiner ursprünglichen, eben nur verständigen Form – auch aufbewahrt und tätig. Dasselbe gilt für die Beziehung des negativ-vernünftigen Denkens zur Spekulation, in welcher das Verstandesdenken und die negative Vernunfttätigkeit – unter Wahrung ihrer Differenz – zu einer höheren Einheit verknüpft werden. Verständiges, negativ-vernünftiges und positiv-vernünftiges Denken stehen, mit anderen Worten, zueinander im Verhältnis von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit und ihre jeweilige logische Struktur machen, so Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit „in der Bedeutung als Bestimmungen der Methode“ 54 betrachtet werden, je die logische Grundstruktur von Anfang, Fortgang und Ende eines durch die spekulativ-dialektische Methode geregelten logischen Entwicklungsprozesses aus. Dieses Ineinandergreifen und das wechselseitige Sich-bedingen der drei Mo51 52 53 54
GW, Bd. 9, 35. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 12, 239.
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mente des spekulativen Denkens wird insbesondere in der Betrachtung ihrer Berührungspunkte deutlich, an denen das verständige, das negativ-vernünftige sowie das positiv-vernünftige Moment des spekulativen Denkaktes ineinander übergehen. So ist, wie dargestellt worden ist, das zweite, „dialektische Moment“ 55 nicht als unabhängig von der fixierenden Tätigkeit des „Denken[s] als Verstand“ 56 zu begreifen, sondern besteht wesentlich in dem „eigene[n] SichAufheben“ 57 eben dieser „endlichen“ 58, zunächst als „für sich bestehend und seyend“ 59 geltenden Bestimmungen. 60 Diese Selbstaufhebung der zunächst verständig sich fixierenden Bestimmungen geht dann mit ihrem „Uebergehen in ihre entgegengesetzte“ 61 einher als einer synthetischen Transformation des ursprünglichen fixierten Bedeutungsgehalts, die „eben sowohl analytisch“ 62 ist, da mit ihr eigentlich nur dasjenige dialektische Potential realisiert wird, das in der anfänglich-unmittelbaren Form der jeweiligen Denkbestimmung schon implizit vorhanden, aber „noch nicht gesetzt“ 63 gewesen ist. Das verständige Moment des spekulativen Denkaktes, das zunächst und für sich betrachtet darin besteht, dass der unmittelbare Bedeutungsgehalt einer logischen Bestimmung sich limitativ, d. h. mittels negierend-abstrahierender Unterscheidung von ihrem Entgegengesetzten, affirmiert, wird an ihm selbst zum zweiten, dialektischen Denkmoment, indem seine allgemeine logische Struktur, d. h. das Negieren des Entgegengesetzten, sich als ein sich selbst aufhebendes Negieren erweist. Hebt das Negieren des Entgegengesetzten sich selbst auf, dann, so der Gedanke, geht damit die Wandlung dieses gesamten, aus Negationstätigkeit und negierter Bestimmung bestehenden Negationskomplexes zu der Fixierung jenes (zuvor negierten) Entgegengesetzten einher, welches nun aber im Negieren von dessen Entgegengesetztem besteht. In ihrer vollständig entwickelten Form besteht die Dialektik dann dementsprechend, wie wir gesehen haben, in dem unendlichen Prozess der zirkulären Transformation zweier reflexiv-negativer Bedeutungskomplexe zueinander. Im Übergang vom ersten zum zweiten Moment der spekulativen Dialektik transformiert und erweitert die logische 55 56 57 58 59 60
61 62 63
GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 118. In diesem Sinne bemerkt Fulda (H. F. Fulda: G. W. F. Hegel. München 2003, 125.) bezüglich der methodischen Struktur der spekulativ-dialektischen Entwicklung, dass ihre „Prozessualität sowohl den Charakter des Sich-Auflösens von Trennungen, die der Verstand festzumachen versucht, als auch den des Hervorgehens von Besonderungen aus dem Allgemeinen hat und daß ebendies den Bewegungscharakter des spekulativen Begriffs ausmacht“. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230.
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Grundoperation des verständigen Fixierens sich also an sich selbst zu der logischen Grundoperation der Dialektik, d. h. zu dem Prinzip der reflexiven Negativität, und vervollständigt sich zum in sich widersprüchlichen dialektischen Prozess, der sich zwischen zwei, reziprok aufeinander bezogenen reflexiven Negativitäten vollzieht. Da sich nur dasjenige dialektisch aufhebt und seine Bedeutung damit einhergehend verändert, was zuvor verständig fixiert worden ist, bleiben auch im negativ-vernünftigen Denken, d. h. in der Dialektik als dem immanenten „Hinausgehen über die isolirte Bestimmtheit“ 64, das verständigfixierende Denkmoment sowie die limitative Bestimmtheit zwar erhalten, aber nur als ergänzt und erweitert um ihre immanente Selbstaufhebung und daher nicht „in ihrem isolirten Gelten“ 65. Verständige Fixierung und dialektischer Prozess gehören also auf die erörterte Weise untrennbar zusammen, weshalb es, so Hegel, „in jeder Rücksicht zu verwerfen [ist], Verstand und die Vernunft so, wie gewöhnlich geschieht, zu trennen“. 66 Bis zu dieser Stelle in der Untersuchung der – schlussendlich dreigliedrigen – einheitlichen Gesamtstruktur des spekulativen Entwicklungsprozesses hat sich also das Verhältnis ergeben, in welchem die ersten beiden Momente zueinander stehen. Das erste Moment, d. h. der Verstand, fixiert die logischen Bestimmungen in der Form der Unmittelbarkeit und in nur negativer Abgrenzung von ihrem jeweiligen Entgegengesetzten, während das zweite, d. h. die negative Vernunft, das immanente spekulative Potential dieser verständig fixierten Bestimmungen realisiert, indem es dazu übergeht, die Identität der einander zunächst nur Entgegengesetzten an diesen selbst zu setzen. In dieser strukturellen Zusammengehörigkeit der beiden ersten Momente des spekulativen Denkaktes – als zweier zwar voneinander unterscheidbarer, aber eigentlich doch untrennbarer Strukturbestimmungen eines einheitlichen Entwicklungsprozesses – liegt für Hegel nun der weitere, über die Dialektik hinausgehende Fortgang der Entwicklung begründet. Dass der dialektische Prozess gegenüber dem unmittelbaren Anfang der spekulativen Entwicklung, aus dem (und an dem) er im Rahmen einer immanenten Synthesis produziert worden ist, eine vermittelte Struktur darstellt, ist soeben gezeigt worden. Die einer jeweiligen Denkbestimmung spezifisch zugehörige Dialektik ist durch die ursprüngliche gedankliche Erfassung ihres Bedeutungsgehalts in der Form der Unmittelbarkeit damit sowohl vermittelt, denn der dialektische Prozess ist begründet durch die immanente Selbstaufhebung dieser anfänglichen Formbestimmung an dieser gesetzt worden, als auch überhaupt die Darstellung dieser Vermittlung. Die Struktur des Fortgangs der Entwicklung, welcher im Ausgang von der 64 65 66
GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 12, 42.
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Selbstnegation des unmittelbaren Anfangs anhebt, und der Bedeutungsgehalt dieses Resultats, d. h. des dem je spezifisch bestimmten Anfang spezifisch zugehörigen dialektischen Prozesses, fallen, wie gezeigt worden ist, unmittelbar in eins. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der dialektische Prozess insofern Vermittlung ist, als dass er wesentlich die Selbstvermittlung des unmittelbaren, noch dialektikfreien Anfangs darstellt. In diesem Sinn ist er zwar „das Negative des Unmittelbaren“ 67, denn er ist geworden aus der Selbstnegation des unmittelbaren Anfangs und somit nicht mehr selbst ein Unmittelbares, sondern eine in sich differenzierte Bestimmung von prozessualer, genetisch vermittelter Struktur. Allerdings ist der dialektische Prozess damit nicht ein solches Negatives, das einfach nur einen Mangel ausdrücken würde. Er ist, mit anderen Worten, „wesentlich nicht das leere Negative, das Nichts, das als das gewöhnliche Resultat der Dialektik genommen wird“ 68. Hier zeigt sich, wie die einheitliche Gesamtstruktur des spekulativen Entwicklungsprozesses Hegels Theorie der bestimmten Negation in sich enthält: Der dialektische Prozess ist bestimmte Negation des unmittelbaren Anfangs. Da es sich, wie wir gesehen haben, bei der Dialektik um einen dem unmittelbaren Anfang immanenten Entwicklungs- und Transformationsprozess handelt, geht mit ihr, d. h. mit der Selbstaufhebung des Anfangs, eine „Erweiterung“ 69 und „Bereicherung“ 70 desjenigen Bedeutungsgehalts einher, der eben im Anfang seiner Entwicklung noch in der Formbestimmung der Einfachheit und Unmittelbarkeit betrachtet worden war. Als der unendliche, zirkuläre Progress einer immanenten Transformation, d. h. der Transformation a) der anfänglichen Bestimmung zu ihrem Entgegengesetzten durch ihre Selbstnegation und b) dieses Entgegengesetzten (durch dessen Selbstnegation) wieder zum Bedeutungsgehalt der anfänglichen Bestimmung, enthält der dialektische Prozess den Bedeutungsgehalt des unmittelbaren Anfangs erstens uneingeschränkt in sich. Sinn und Bedeutung des Anfangs sind dem Fortgang und dem dialektischen Prozess „mitgetheilt, unmittelbar in ihm enthalten“. 71 Zweitens ist dieser anfängliche Bedeutungsgehalt jedoch um das Moment seiner Selbstaufhebung und Selbstnegation, mit der seine immanente Transformation zu dem ihm spezifisch entgegengesetzten Bedeutungsgehalt einhergeht, erweitert worden. Neben dem soeben erörterten „Moment der Allgemeinheit und der Mittheilung“ 72, welches darin besteht, dass der Bedeutungsgehalt des Anfangs im dialektischen Fortgang „aufbewahrt
67 68 69 70 71 72
GW, Bd. 12, 245. GW, Bd. 12, 244 f. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 246.
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und erhalten“ 73 bleibt, hat der dialektische Prozess somit „auch die zweyte, negative oder dialektische Seite“. 74 Diese beiden untrennbaren und gleichursprünglichen Seiten oder Momente der spekulativen Entwicklung entsprechen den ebenso sehr gleichursprünglichen Momenten des analytischen und des synthetischen Fortgangs. Die spekulative Entwicklung ist analytischer Natur, da sie von der immanenten Selbstaufhebung des unmittelbaren Anfangs ihren Ausgang nimmt, die resultierenden Differenzen und Bestimmungen wesentlich an diesem setzt und somit auch im weiteren Verlauf „schlechthin im Begriffe“ 75 bleibt, mit dem der Anfang gemacht worden ist. Es ist der Anfang, der sich selbst aufhebt, und sein Bedeutungsgehalt bleibt in der damit einhergehenden Transformation und Veränderung eben dieses Bedeutungsgehalts zu seinem Entgegengesetzten natürlich aufbewahrt und erhalten, wenngleich dieser Transformationsprozess gegenüber dem noch unprozessualen Bedeutungsgehalt des Anfangs wesentlich komplexer ist. Die spekulative Entwicklung ist synthetischer Natur, da dieses sich am Anfang darstellende Resultat schon aufgrund der Weise seines Resultierens beziehungsweise seiner Genese, im Zuge derer der unmittelbare Anfang als solcher sich immanent negiert, über den Bedeutungsgehalt des Anfangs hinausgeht. Eben deshalb bestehen Dialektik und Fortgang in Hinblick auf einen spekulativen Entwicklungsprozess in einer immanenten „Erweiterung“ 76 und „Bereicherung“ 77 der jeweiligen Bestimmung. Die spekulative Erkenntnis ist demnach keine äußerliche Hinzufügung irgendeines Inhalts zu einer für sich bestehenden Grundlage; darin, dass sie dies nicht ist, besteht ihre analytische Dimension. Genauso wenig aber ist sie bloß eine (rein analytische) Zergliederung oder Erläuterung eines Zugrundeliegenden, sondern sie ist inhaltlich produktiv und erkenntniserweiternd und damit synthetisch. Da es sich bei der synthetischen Bedeutungserweiterung, die sich mit dem Fortgang zum dialektischen Prozess am unmittelbaren Anfang ereignet, somit um eine begriffsimmanente Bedeutungserweiterung handelt, deren Bedingungen vollständig im Bedeutungsgehalt des Anfangs liegen, ist der dialektische Prozess nicht nur in Rückblick auf diesen seinen Grund eine vermittelte Bestimmung, sondern im Vorblick auf das Ende der Entwicklung „ferner zugleich die Vermittelnde“. 78 Der dialektische Prozess vermittelt den einfachen und unmittelbaren Anfang mit dem Ende der an ihm immanent anhebenden 73 74 75 76 77 78
GW, Bd. 12, 245. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 248. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 245.
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Entwicklung als einer neuen, in Hinblick auf ihren Bedeutungsgehalt dialektisch erweiterten Ausprägung der anfänglichen Bestimmung. Hinsichtlich den Begriffsbestimmungen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit – insofern diese „in der Bedeutung als Bestimmungen der Methode“ 79 betrachtet werden – entspricht das Ende der Entwicklung in diesem Sinne der Einzelheit. Es vereinigt den allgemeinen Anfang und den aus diesem als dessen immanente Besonderheit hervorgehenden dialektischen Prozess, d. h. den Fortgang, zu einer neuen, höheren einzelnen Bestimmung. Wo der einfache und unmittelbare Anfang als solcher noch „den Sinn und die Form abstracter Allgemeinheit“ 80 hatte, da er seine Dialektik noch nicht an sich gesetzt hatte, ist der Fortgang zur dialektischen Selbstvermittlung des Anfangs zugleich der Prozess der Konkretion des Anfangs. Der spekulative Anfang ist demnach konkrete Allgemeinheit, welche die Besonderheit und Einzelheit in dem Sinn bereits in sich enthält, dass sie diese im Rahmen eines immanenten, sich vollständig selbst begründenden Entwicklungs- und Transformationsprozesses aus ihrer anfänglichen Abstraktheit heraus produziert. 81 Da die Besonderheit in Hinblick auf die logischen Bestimmungen immer deren wesentlich prozessuale Selbstbesonderung ist, die sich im Ausgang von der gedanklichen Erfassung ihres zunächst unmittelbar-einfachen und abstrakt-allgemeinen Bedeutungsgehalts vollzieht, fällt die Besonderheit der Bestimmungen des reinen Denkens unmittelbar in eins mit der Totalität ihres ihnen je spezifisch zugehörigen dialektischen Prozesses. Nun bleibt der Bedeutungsgehalt der anfangenden Bestimmung in der aus ihr auf immanente Weise produzierten und an ihr gesetzten Dialektik – als eine der beiden Bestimmungen, die sich aufgrund der ihnen inhärierenden reflexiven Negativität selbst aufheben und zueinander transformieren – positiv „aufbewahrt und erhalten“ 82. Daher, so der spekulative Gedanke, ist der dialektische Prozess, der zunächst als das Andere des unmittelbaren Anfangs und als dessen einfache Negation erscheint, gerechtfertigter Weise nicht als ein solches Anderes oder rein Negatives, sondern als die neue, dialektisch erweiterte „Wahrheit“ 83 des Anfangs und damit selbst wieder als eine unmittelbare und einfache noematische Einzelheit zu bestimmen. Die
79 80 81
82 83
GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 239. Bezüglich dieser Differenz des Prinzips der konkreten Allgemeinheit, welches der spekulativen Dialektik entspricht, gegenüber nicht-konkreten Allgemeinbegriffen vgl. auch die Ausführungen von R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 233–237, insb. 235 f. GW, Bd. 12, 245. GW, Bd. 12, 248.
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dialektische „Bereicherung“ 84 und „Erweiterung“ 85 des Bedeutungsgehalts des unmittelbaren Anfangs, die sich als Resultat der Selbstbesonderung desselben ergeben und die mit „Nothwendigkeit“ 86 fortgehend an ihm selbst gesetzt worden ist, wird somit als die „reicher[e] und concreter[e]“ 87 Ausprägung des ursprünglichen Anfangs bestimmt. Als solche sowie in Hinblick auf den Weg ihrer Genese als einer durchgängigen, einheitlich organisierten und sprunglos sich vollziehenden Entwicklung stehen Anfang und Resultat, d. h. das Ende der am Anfang selbst anhebenden dialektischen Entwicklung, im Verhältnis der Kontinuität. Anfang und Ende der spekulativen Entwicklung werden also sowohl miteinander identifiziert, d. h. das Ende ist das immanente Resultat des Anfangs, zu welchem dieser sich selbst dialektisch bestimmt und entwickelt hat, als auch voneinander differenziert, da das Resultat, welches am Ende der Entwicklung steht, rücksichtlich seines Bedeutungsgehalts gegenüber dem Anfang wesentlich komplexer, „reicher und concreter“ 88, dialektisch erweitert und „bereichert“ 89 worden ist. Die begriffliche Erfassung der logischen Bestimmungen in der Form der einfachen Unmittelbarkeit ist aufgrund des ihr inhärierenden Potentials, einen synthetisch-dialektischen Fortgang aus sich heraus, d. h. analytisch, zu begründen und anzufangen, eine „Allgemeinheit, welche sich als solche in das von ihr Unterschiedene [d. h. in den ihr spezifisch zugehörigen dialektischen Prozess als in ihre Besonderheit, L.H.] continuiert und als Identität mit ihm ist“. 90 Dieses Moment des spekulativen Entwicklungsprozesses, d. h. die Einsicht, dass der unmittelbare Anfang im dialektischen Prozess als in dem gegenüber seinem ursprünglichen Bedeutungsgehalt komplexeren Resultat seiner Selbstbesonderung positiv bestehen bleibt, mithin identisch mit dieser seiner Negation ist, restituiert nun die anfängliche Formbestimmung der Einfachheit und Unmittelbarkeit in eben dem dialektischen Prozess. Es kommt in diesem Schritt keine inhaltliche Bedeutung zu dem dialektischen Prozess hinzu, der selbst bereits die synthetische Erweiterung des Bedeutungsgehalts des Anfangs darstellt, sondern es ändert sich in diesem weiteren, die Entwicklung abschließenden Fortgang lediglich die Formbestimmung des dialektischen Prozesses. Als der Prozess der immanenten, zirkulären Transformation zweier einander spezifisch entgegengesetzter Bestimmungen zueinander ist der dialektische Fortgang der Entwicklung für sich betrachtet zunächst nicht ein Einzelnes, 84 85 86 87 88 89 90
GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 20, 230.
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nicht ein Unmittelbares, wie es der bewegungs- und dialektikfreie Anfang noch gewesen ist, sondern die haltlose Vermittlung zweier Bestimmungen. Der allgemeine Anfang ist „als ein Besonderes gesetzt“ 91, wobei dieses Besondere sich jedoch zunächst zum „unendlichen Progreß“ 92 entwickelt, d. h. zum prozessualen Widerspruch zweier sowohl miteinander identischer als auch einander sich wechselseitig ausschließender Bestimmungen, die sich eben aufgrund dieser immanenten Widersprüchlichkeit ihrer Beziehung kontinuierlich zueinander transformieren, sobald sie unmittelbar erfasst werden. Der dialektische Prozess, d. h. das Resultat der immanenten Selbstbesonderung des allgemeinen, wesentlich unmittelbaren und einfachen Anfangs, ist aufgrund dieses Umstandes, selbst nicht mehr ein Unmittelbares, sondern zirkuläre Vermittlung zu sein, „somit das Negative des Ersten“ 93. Da der dialektische Prozess rücksichtlich seiner Genese und seines Bedeutungsgehalts, die in eins fallen, zwar die immanente und mit „Nothwendigkeit“ 94 sich vollziehende Selbstvermittlung des allgemeinen, unmittelbaren Anfangs darstellt, so ist er als ein „Vermitteltes“ 95 doch zunächst die einfache Negation des unmittelbaren Anfangs. Dieser Anfang, d. h. das Einfache und Unmittelbare, ist, so Hegel, „nach dieser negativen Seite in dem Andern [als in dem dialektischen Prozess, zu dem er sich bestimmt hat, L.H.] untergegangen“ 96. Obgleich das anfängliche Unmittelbare sich mit seiner Selbstbesonderung und Selbstvermittlung, durch welche „der Unterschied, den es an sich enthält, in ihm [auch] gesetzt wird“ 97, zu seiner Negation bestimmt, ist dieses vermittelte Negative des unmittelbaren Anfangs doch an sich bereits als „das erste Negative“ 98 zu bestimmen. Es wird sich, mit anderen Worten, an dieser Negation des Anfangs, zu welcher er sich aufgrund des ihm inhärierenden Potentials notwendiger, dialektischer Prozessualität zunächst entwickelt, noch eine zweite Negation vollziehen. Der dialektische Prozess als „das Negative des Ersten“ 99 ist demnach „das erste Negative“ 100, insofern „auf den weitern Verlauf zum Voraus Bedacht“ 101 genommen, d. h. die spekulative Entwicklung in der einheitlichen Gesamtstruktur ihrer Prozessualität, als die dreigliedrige Totalität ihrer Momente Anfang, Fortgang und Ende betrachtet wird. Auch in Rücksicht auf die zweite Negation, die sich am 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101
GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 12, 245 f. GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 12, 244.
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dialektischen Prozess als der ersten Negation noch vollziehen wird, gilt jedoch, dass diese nicht äußerlich an den Verlauf der Entwicklung herangetragen und auf ihn angewendet werden darf. Auch hier, d. h. in Bezug auf die Weiterführung des Fortgangs der Entwicklung zu ihrem Ende, der Besonderheit zur Einzelheit, wäre dies nur ein äußerliches Weiterführen des Verlaufs einfach um eines formellen Schemas der Methode willen, nicht eine mit immanenter „Nothwendigkeit“ 102 sich vollführende Selbstbestimmung des logischen Inhalts selbst. Eine solche Äußerlichkeit von Methode und Inhalt, d. h. eine einfache Anwendung der Methode auf von ihr gänzlich unterschiedene Bestimmungen, hatte Hegel bereits zuvor bezüglich des Fortgangs vom unmittelbaren Anfang zu dessen weiterer, dialektischer Differenzierung deutlich abgelehnt: „Aber mit diesem Bewußtseyn, das den Anfang nur um der Methode willen weiter führen wollte, wäre diese ein Formelles, in äusserlicher Reflexion gesetztes.“ 103 Soll hingegen auch der weitere, abschließende Fortgang allein mit immanenter Notwendigkeit, d. h. durch die Produktivität, die der Inhalt „an ihm selbst hat“ 104, begründet werden, so muss auch die Entwicklungsebene der Besonderheit, d. h. der dialektische Prozess, zu welchem der unmittelbare Anfang sich selbst vermittelt und bestimmt hat, bereits an sich „mit dem Triebe begabt seyn, sich weiter zu führen“. 105 Die Dialektik muss also ihren Fortgang zum Ende, in welchem unmittelbarer Anfang und dialektischer Fortgang zu einer wieder unmittelbaren Bestimmung vereinigt werden, allein aus sich heraus vollziehen und begründen, wie dies in Hinblick auf die Setzung der dialektischen Vermittlung am zunächst unmittelbaren Anfang bereits geschehen ist. Der Umstand, dass der dialektische Prozess innerhalb der vollständigen Entwicklungsstruktur die erste Negation darstellt und bereits an sich auf die zweite Negation, d. h. die Negation der ersten Negation, hinweist, ist gleichbedeutend mit seiner Bestimmung, nach welcher er gegenüber dem unmittelbaren Anfang nicht nur Resultat von dessen Selbstvermittlung, also sowohl Vermittlung als auch ein Vermitteltes, sondern ebenso sehr das „Vermittelnde“ 106 ist. Der Grund des immanenten (weiteren) Fortgangs der spekulativen Entwicklung vom Strukturmoment der Besonderheit, d. h. vom nun am Anfang gesetzten dialektischen Prozesses, hin zur Einzelheit, d. h. zum Ende der Entwicklung als der Erfassung des unendlichen, dialektischen Progresses als einer wieder unmittelbaren Bestimmung, besteht nun in dem bereits erörterten positiven Bestehenbleiben des Bedeutungsgehalts des Anfangs in seiner komplexeren, wesentlich prozessualen und vermittelten Dialektik. Hegel formuliert 102 103 104 105 106
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Das Ende
diese Begründung der Vollendung der Entwicklung wie folgt: „Als das Vermittelnde erscheint das Negative, weil es sich selbst und das Unmittelbare in sich schließt, dessen Negation es ist.“ 107 Der dialektische Prozess ist am unmittelbaren Anfang selbst gesetzt und, wie gezeigt worden ist, allein aufgrund der diesem Unmittelbaren inhärierenden reflexiven Negativität, durch welche es sich aufgehoben hat und in sein Entgegengesetztes übergegangen ist, hervorgebracht worden. Dies hat die Konsequenz, dass das negative Verhältnis, in welchem der unmittelbare Anfang und der vermittelte, dialektische Fortgang zueinander stehen, von vornherein derart ist, dass der Anfang in seiner Negation, d. h. im dialektischen Prozess, positiv bestehen bleibt. Hegels Argument für den weiteren Fortgang, d. h. für die Vereinheitlichung der dialektisch-prozessualen Vermittlung zweier einander entgegengesetzter Bestimmungen zu einer wieder unmittelbaren, selbst nicht mehr widersprüchlichen begrifflichen Einzelheit, besteht nun in eben jenem positiven Bestehenbleiben des Anfangs in seiner Dialektik. Dieses „Moment der Allgemeinheit und der Mittheilung“ 108 besteht darin, dass der allgemeine Anfang im dialektischen Prozess, zu dem er sich im Rahmen einer sich vollständig selbst begründenden Synthesis besondert, „aufbewahrt und erhalten“ 109 bleibt, in das von ihm immanent „Unterschiedene“ 110 also nicht übergeht und darin verschwindet, sondern sich in ihm „continuiert und als Identität mit ihm ist“. 111 Der allgemeine, unmittelbare Anfangs und die von ihm unterschiedene, dialektisch-prozessuale Vermittlung seiner selbst mit seinem Entgegengesetzten stehen also im Verhältnis der Identität. Aufgrund dieser Tatsache, d. h. aufgrund der Tatsache, dass die synthetische Bedeutungserweiterung des Anfangs eine immanente, kontinuierlich-sprunglose „Bereicherung“ 112 ein und desselben ursprünglichen Bedeutungsgehalts darstellt, ist das Denken gerechtfertigt, in dem – an sich prozessualen – Resultat dieser Bedeutungserweiterung die Form des Anfangs, d. h. die Form der prozess- und dialektikfreien Einfachheit und Unmittelbarkeit, wiederherzustellen. Das Ende der Entwicklung vereinheitlicht demnach den unmittelbaren Anfang und dessen dialektische Selbstvermittlung zu einer wieder unmittelbaren, aber in Hinblick auf ihren Bedeutungsgehalt dialektisch bereicherten und erweiterten noematischen Einzelheit: „Näher ist nun das Dritte das Unmittelbare aber durch Aufhebung der Vermittlung, das Einfache durch Aufheben des Unterschiedes, das Positive durch Auf107 108 109 110 111 112
GW, Bd. 12, 247. GW, Bd. 12, 246. GW, Bd. 12, 245. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 251.
Hegel-Studien
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heben des Negativen, der Begriff, der sich durch das Andersseyn realisirt, und durch Aufheben dieser Realität mit sich zusammengegangen, und seine absolute Realität, seine einfache Beziehung auf sich hergestellt hat.“ 113
Die „absolute Realität“ 114 des unmittelbaren Anfangs ist demnach das „Aufheben“ 115 derjenigen Realität, zu welcher er sich zunächst bestimmt hatte, und damit das Aufheben des unendlichen Progresses der zweidirektionalen Transformation a) seiner selbst zu seinem Entgegengesetzten und b) dieses Entgegengesetzten wieder zu der ursprünglichen Bestimmung. Negiert wird mit dieser Aufhebung allein die Formbestimmung der prozessualen Vermittlung, die dem dialektischen Prozess als dem „erste[n] Negative[n]“ 116, als dem „Negative[n] des Ersten“ 117, d. h. des unmittelbaren Anfangs, zunächst zugekommen war. Der Bedeutungsgehalt des dialektischen Prozesses, d. h. die Selbstnegation des unmittelbaren Anfangs, die mit dessen immanenter Transformation zu der ihm entgegengesetzten Bestimmung einhergeht, wird mit dem Fortgang zum Ende der Entwicklung hingegen nicht in der Bedeutung der Negation aufgehoben, sondern in der Bedeutung von „aufbewahrt und erhalten“. 118 Im Ende der Entwicklung verliert der dialektische Prozess, d. h. das Resultat der Selbstbesonderung des allgemeinen und unmittelbaren Anfangs, also die Formbestimmung der prozessualen Vermittlung und behält beziehungsweise bewahrt und erhält seinen erweiterten begrifflichen Bedeutungsgehalt. Der Bedeutungsgehalt des dialektischen Prozesses ist in Hinsicht auf Form und Umfang zwar zunächst ein „Anderes“ 119 des unmittelbaren Anfangs. Der dialektische Prozess ist a) formaliter wesentlich Vermittlung und unendlicher Transformationsprogress, der Anfang hingegen einfach, unmittelbar, undialektisch, bewegungs- und prozesslos, und b) inhaltlich wesentlich reicher und weiter als der unmittelbare Anfang, da in diesem das Moment seiner Selbstaufhebung und das damit einhergehende Werden zu seinem Entgegengesetzten noch nicht explizit an ihm gesetzt gewesen ist. Diese Andersheit, die der dialektische Prozess, d. h. der Fortgang der spekulativen Entwicklung, gegenüber dem Anfang somit aufweist, ist aufgrund der absoluten, sich vollständig selbst begründenden und sich auf immanente Weise am Anfang selbst produzierenden Natur seiner Genese ein solches Anderes und Unterschiedenes, in dem
113 114 115 116 117 118 119
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der formaliter unmittelbare und inhaltlich rudimentärere, weniger komplexe Anfang positiv bestehen, „aufbewahrt und erhalten“ 120 bleibt. Aufgrund der durchgängigen Übereinstimmung des Fortgangs der Entwicklung mit sich selbst, d. h. aufgrund der Kontinuität von unmittelbarem Anfang und dialektischer Prozessualität, ist die prozessuale Vermittlung zweier sowohl identischer als auch einander entgegengesetzter Bestimmungen, in welcher der (dialektische) Fortgang zunächst besteht, also wieder in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit zu fassen. Mit dem Fortgang zum dialektischen Prozess, so der Gedanke, bezieht der allgemeine Anfang sich nur auf sich selbst, die Dialektik ist wesentlich das Resultat seiner Selbstvermittlung und Selbstbesonderung. Hieraus folgt, dass die Form der prozessualen Vermittlung, die der Dialektik gemäß ihrer Struktur und Genese zunächst zukommt, den (vollständigen) Grund ihrer Aufhebung, d. h. den Grund der Restitution der Form der Unmittelbarkeit am begrifflichen Gehalt des dialektischen Prozesses, bereits an sich enthält. In diesem Sinn ist die noematische Einzelheit, d. h. das Ende der spekulativen Entwicklung, in welchem der allgemeine und unmittelbare Anfang sowie der dialektische Prozess – der unendliche Progress der immanenten Transformation des anfänglichen Bedeutungsgehalts und seines Entgegengesetzten zueinander – unmittelbar vereinigt sind, „schon durch die Besonderheit gesetzt“ 121. Die Besonderheit ist, wie gezeigt worden ist, innerhalb der einheitlichen Gesamtstruktur der spekulativen Entwicklung die am unmittelbaren und einfachen Anfang sich auf immanente Weise setzende und produzierende Dialektik und der Anfang somit das Allgemeine. Der Grund dieser dialektischen Transformation besteht darin, dass die logischen Bestimmungen sich im Zuge der gedanklichen Erfassung ihres jeweiligen Bedeutungsgehalts in der Form einer unmittelbaren und einfachen Bedeutungseinheit, d. h. in und aufgrund ihrer negativen Unterscheidung und Abgrenzung von ihrem Entgegengesetzten, sich als auch identisch mit diesem erweisen und ihre eigene, ursprüngliche Bedeutung zu der ihres Entgegengesetzten korrigieren, die dann auch wieder unmittelbar erfasst wird, sich aufhebt und korrigiert usf. Im weiteren Fortgang des Entwicklungsprozesses zu seinem Ende wird diese in sich widersprüchliche Prozessstruktur aufgehoben, indem die Identität der beiden Denkbestimmungen, die sich im Zuge ihrer jeweiligen begrifflichen Erfassung als reziprok aufeinander bezogene reflexive Negativitäten zueinander transformieren, als Identität dieses zirkulären und in sich ruhenden Transformationsprozesses mit sich selbst gesetzt wird. Damit geht unmittelbar einher, dass der noematische Bedeutungsgehalt einer jeden 120 121
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der beiden Bestimmungen um das Moment des Übergehens in die entgegengesetzte Bestimmung erweitert und bereichert wird. Da die beiden einander entgegengesetzten Bestimmungen, wie sich in der zweiten, dialektischen Sphäre der Entwicklung an ihrer jeweiligen unmittelbaren Erfassung selbst darstellt, ineinander übergehen, ihre Identität gerade darin besteht, dass sie sich gleichermaßen zueinander transformieren, ist das Resultat der Erweiterung und Bereicherung der beiden Bestimmungen um das Übergehen in die je andere nur eine einzelne neu generierte Denkbestimmung. Es ist, um ein Beispiel heranzuziehen, ein und dasselbe Resultat, wenn die Kategorie des Ansichseins um das Moment ihrer immanenten Transformation zum Sein-für-Anderes erweitert wird oder aber die Kategorie des Seins-für-Anderes um das Moment ihrer immanenten Transformation zum Ansichsein erweitert wird. In beiden Fällen ist das Resultat eine neue Form der Selbstbezüglichkeit, d. h. des Ansichseins, die Sein-für-Anderes nicht mehr negierend aus sich ausschließt, sondern positiv in den Bedeutungsgehalt des Ansichseins inkorporiert hat. Diese neue, bereicherte Form des Ansichseins ist die Kategorie der Bestimmung, deren Bedeutungsgehalt und Selbstbezüglichkeit darin besteht, dasjenige, das noch Sein-für-Anderes ist, d. h. die Beschaffenheit, dem Ansichsein im Rahmen eines Werdens- und Veränderungsprozesses schrittweise gemäß zu machen. Diese neue, bereicherte Form des Ansichseins ist somit nicht länger Negieren des Seins-für-Anderes, sondern Negieren einer ebenso neuen und bereicherten Form des Seins-für-Anderes, d. h. sie ist ausschließendes und von sich unterscheidendes Negieren der Beschaffenheit. Das „Speculative oder Positiv-Vernünftige“ 122 eines durch die spekulative Dialektik methodisch-formal geregelten Entwicklungsprozesses besteht demnach darin, den dialektischen Prozess, zu dem sich eine logische Bestimmung im Zuge ihrer begrifflichen Fixierung bestimmt, selbst als affirmativ, somit als die „Wahrheit“ 123 dieser Bestimmung und als ihren neuen, bereicherten Bedeutungsgehalt aufzufassen. Hegel beschreibt das dritte, spekulative Moment der Methode in diesem Sinne nahezu hymnisch als den „innerste[n] Quell aller Thätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung, [als] die dialektische Seele, die alles Wahre an ihm selbst hat, durch die es allein Wahres ist; denn auf dieser Subjectivität allein ruht das Aufheben des Gegensatzes zwischen Begriff und Realität und die Einheit, welche die Wahrheit ist“. 124 Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik, die sich auf jeder Entwicklungsstufe der Logik gleichermaßen reproduziert, besteht also darin, dass der begriffliche Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts mittels einer dialekti122 123 124
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schen und prozessualen Vermittlung immanent erweitert und bereichert wird, wobei das schlussendliche Resultat dieser Vermittlung eine Rückführung der dialektischen Bedeutungserweiterung in die Form einer wieder unmittelbaren Einheit ist. Hierbei wird auf einer jeden Entwicklungsstufe erstens von einem unmittelbaren und einfachen Anfang der Ausgang genommen, indem der jeweilige Bedeutungsgehalt, zu dem der logische Inhalt sich bis zu dieser Stelle seiner Entwicklung konkretisiert hat, in der Form einer noch nicht weiter spezifizierten Bedeutungseinheit denkend erfasst wird. Der Inhalt liegt deswegen zu Beginn einer jeden Stufe der logischen Entwicklung in dieser Form vor, da jeder Anfang unmittelbar das Ende der nächstvorangegangenen Stufe darstellt, in welchem sie den Gehalt ihrer dialektischen Vermittlung in die Form einer wieder anfänglichen Einheit zurückgeführt hat. Zweitens besondert sich die zunächst einfache und unmittelbare logische Bedeutungseinheit des Anfangs an ihr selbst zu einem dialektischen Prozess, in welchem der Bedeutungsgehalt des Anfangs sowie die Bedeutung der ihm spezifisch entgegengesetzten Bestimmung sich kontinuierlich an ihnen selbst aufheben und sich werdend zueinander transformieren. Da nun für beide Relata dieser transformativen Vermittlung, d. h. für einen jeden der hier einander entgegengesetzten Bedeutungsgehalte, gilt, dass in ihrem Werden zueinander ein jedes von ihnen die Totalität der gesamten Vermittlung an sich setzt, d. h. „sich zur Einheit mit dem andern bethätigt“ 125, führt die Dialektik sich drittens an ihr selbst in die Form einer wieder einfachen Bestimmung zurück. Es ist, mit anderen Worten, auf jeder Seite des dialektischen Transformationsprozesses, d. h. an jeder der sich zueinander transformierenden Bestimmungen, die Einheit beider Bestimmungen vorhanden. 126 Die Wahrheit sowohl der einen als auch der anderen Bestimmung besteht hier nämlich darin, ihre jeweilige Bedeutung um die ihres Entgegengesetzten zu erweitern, sodass schlussendlich nur eine Bedeutung vorliegt, welche beide Entgegengesetzte „als aufgehobene d. i. zugleich als aufbewahrte“ 127 in sich enthält. Eine Stufe der logischen Entwicklung vollendet sich also, indem der dialektische Vermittlungsprozess, der über den unmittelbaren Ausgangspunkt sowohl in Struktur als auch in Bedeutung hinausgeht, 125 126
127
GW, Bd. 20, 230. Gadamer (H.-G. Gadamer: „Hegel und die antike Dialektik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 7–30, 19.) beschreibt diese drei Momente der spekulativen Dialektik und ihr genetisches Verhältnis zueinander wie folgt: „Wenn wir zusammenfassen, so sind es drei Momente, die das Wesen der Dialektik nach Hegel ausmachen. Erstens: Das Denken ist das Denken von etwas an ihm selbst, für sich. Zweitens: Als solches ist es notwendiges Zusammendenken widersprechender Bestimmungen. Drittens: Die Einheit widersprechender Bestimmungen ist dadurch, daß sie sich in ihr aufheben, das eigentliche Selbst.“ GW, Bd. 20, 230.
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sich an ihm selbst in die Form einer wieder unmittelbaren Bedeutungseinheit zurückführt und hiermit den Anfang der nächstfolgenden Entwicklungsstufe markiert. Im Ende einer Stufe der logischen Entwicklung wird „die Einheit der Bestimmungen in ihrer Entgegensetzung auf[gefasst], das Affirmative, das in ihrer Auflösung und ihrem Uebergehen enthalten ist“. 128 Die Auffassung des Affirmativen im „unendlichen Progreß“ 129 der immanenten Transformation der beiden entgegengesetzten Bedeutungen zueinander, bedeutet somit, diesen gesamten dialektischen Prozess selbst als eine einfache und affirmative Bedeutungseinheit zu begreifen. Dies wird, wie dargelegt, dadurch begründet und gerechtfertigt, dass auf Seiten beider Pole der Bewegung, auf Seiten beider Relata des Prozesses, von denen sich ein jedes mit dem anderen vereinigt, da sie sich zueinander transformieren, die vollständige Bedeutung des Prozesses, d. h. die Einheit der Entgegengesetzten, vorhanden ist. In diesem finalen, die Entwicklung vollendenden Schritt wird der dialektische Prozess somit lediglich von der Form der prozessualen Vermittlung und der differenten Zweiheit bereinigt, sein affirmativer Bedeutungsgehalt hingegen beibehalten, „aufbewahrt und erhalten“ 130 und in die Form anfänglicher Einfachheit und begrifflicher Unmittelbarkeit zurückgeführt. Da die beiden einander entgegengesetzten logischen Bestimmungen, die sich auf der Ebene des Fortgangs dialektisch an ihnen selbst aufheben und sich werdend zueinander transformieren, distinkt voneinander sind, d. h. einen je spezifischen Bedeutungsgehalt haben, hat auch die Individuation ihres dialektischen Werdens zueinander zu einer wieder unmittelbaren Bedeutungseinheit, die am Ende dieser spezifischen Stufe der logischen Entwicklung steht, selbst einen konkreten Bedeutungsgehalt. Dieser Bedeutungsgehalt des Endes teilt mit dem Anfang der Entwicklungsstufe die Form anfänglicher Unmittelbarkeit, in welche sich der dialektische Fortgang zurückgeführt hat, ist aber gegenüber jenem Anfang, aus dem er resultiert ist, „reicher und concreter“ 131. 3.2 Der Anfang als konkrete Allgemeinheit Von der Warte des Endes der Entwicklung aus zurückblickend lassen sich also über den Anfang die folgenden Aussagen treffen. Der unmittelbare Anfang der spekulativen Entwicklung, d. h. die gedankliche Erfassung eines logischen, rein noematischen Bedeutungsgehalts in der Form einer einfachen, noch nicht 128 129 130 131
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differenzierten und spezifizierten Einheit, erweitert sich, wie gesehen, zunächst immanent zu einer über ihn hinausgehenden Struktur. Diese Struktur ist der dialektische Prozess, d. h. die prozessuale Vermittlung sowohl des anfänglichen Bedeutungsgehalts als auch seines Entgegengesetzten, von denen sich beide auf dieser zweiten Ebene der Entwicklung kontinuierlich an ihnen selbst aufheben und sich werdend zueinander transformieren. Obwohl der Bedeutungsgehalt des Anfangs nun nicht mehr in der Form der Unmittelbarkeit thematisch ist, sondern im Rahmen des dialektischen Werdensprozesses dynamisch und transformativ mit dem Bedeutungsgehalt seines spezifischen Entgegengesetzten vermittelt wird, bleibt die inhaltliche Bestimmung des Anfangs in diesem Fortgang der Entwicklung dennoch positiv bestehen. Er ist eines der beiden „Differente[n]“ 132, eines der unterschiedenen, sich aufhebenden und sich zueinander transformierenden Relata des dialektischen Prozesses. Der Fortgang der Entwicklung von ihrem Anfang zu dessen immanenter Dialektik ist demnach als eine Erweiterung, Besonderung und Spezifizierung der anfänglichen Bedeutungseinheit zu verstehen. Der Anfang der Entwicklung bestimmt sich mit seinem dialektischen Fortgehen – in Hegels Worten – zwar „zu seinem Andern“ 133, denn der Anfang ist unmittelbar und einfach, die Dialektik hingegen Vermittlung zweier differenter Bestimmungen, jedoch ist diese Vermittlung nur „ein scheinbares Andre[s]“ 134 des unmittelbaren Anfangs. Der Ausgangspunkt der Entwicklung bleibt in seinem Resultat, das rücksichtlich seiner Struktur der Vermittlung „das Negative“ 135 der anfänglichen Unmittelbarkeit darstellt, wesentlich „aufbewahrt und erhalten“. 136 Die Bedeutung des Anfangs ist „dem Reichthume“ ihrer Dialektik, zu der sie sich erweitert hat, zugleich vollständig „mitgetheilt“ 137. Das Fortgehen der Entwicklung von der begrifflichen Bedeutungsunmittelbarkeit ihres Anfangs zu deren Dialektik ist „deswegen nicht als ein Fliessen von einem Andern zu einem Andern zu nehmen“ 138, sondern als eine „Besonderung“ 139, d. h. Spezifizierung, der ursprünglichen logischen Bedeutung. Indem der Anfang der Entwicklung hiermit „den Sinn und die Form abstracter Allgemeinheit“ 140, die ihm aufgrund der unmittelbaren Einfachheit seines Inhalts zunächst noch zugekommen waren, an ihm selbst überwunden hat, d. h. sich zu einer dialektisch-prozessualen 132 133 134 135 136 137 138 139 140
GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 246. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 12, 245. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 239.
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Besonderung / Spezifizierung seiner selbst bestimmt und erweitert hat, kommt ihm, d. h. dem spekulativen Anfang, die Eigenschaft einer synthetischen Produktivität zu, die zugleich von analytischer Natur ist, da sie die Totalität ihrer Bedingungen allein in der Unmittelbarkeit des Anfangs selbst hat. 141 Der Anfang der spekulativen Entwicklung ist, mit anderen Worten, eine spezifische Form der Allgemeinheit, nämlich ein solches begriffliches Allgemeines, das die Gründe seiner Spezifizierung und begrifflichen Differenzierung „in ihm selbst findet und erkennt“. 142 Die unmittelbare Bedeutungseinheit des Anfangs spezifiziert sich demnach immanent und der Anfang ist „an ihm selbst [. . .] mit dem Triebe begabt [. . .] sich weiter zu führen“. 143 Dies bedeutet, dass sich eine über den Anfang der Entwicklung strukturell hinausgehende synthetische Erweiterung seiner Bedeutung rein analytisch aus ihm deduzieren lässt, d. h. ohne auf argumentative Gründe zurückgreifen zu müssen, die „nicht im Anfange selbst“ 144 liegen. Hierin besteht der Umstand, dass der dialektische Fortgang ein „immanente[s] Hinausgehen“ 145 über die Unmittelbarkeit des Anfangs darstellt und das Verhältnis zwischen dem Anfang der Entwicklung und ihrem produktiven, bedeutungserweiternden Fortgehen „immanenter Zusammenhang und Nothwendigkeit“ 146 ist. Die dialektische Erweiterung der Bedeutung des Anfangs, zu welcher dieser sich, wie beschrieben, auf immanente, sich selbst gestaltende Weise bestimmt und spezifiziert, wird im Ende der Entwicklung in die Form begrifflicher Einfachheit und Unmittelbarkeit zurückgeführt. Die Restitution dieser Form des Anfangs der Entwicklung am gegenüber dem Anfang erweiterten Bedeutungsgehalt ihres dialektischen Fortgangs macht die Bedeutungserweiterung, die im Fortgang vollzogen worden ist, zu einer Bedeutungskonkretion. Mit dem Fortgehen des Anfangs zu seiner Dialektik ist die Bedeutung des Inhalts zunächst erweitert worden, die Dialektik ist „Ausdehnung“ 147 der anfänglichen Bedeutungseinheit zu einer formaliter von ihm unterschiedenen zirkulären 141
142 143 144 145 146 147
Vgl. hierzu K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn, 3. Auflage 1995, 315: „Die Erfassung eines anfänglichen Begriffs ebenso wie seiner Entwicklung bedeutet zugleich das Begreifen seiner besonderen Bestimmungen im Zusammenhang; dieses kann als die synthetische Komponente der absoluten Methode angesehen werden. In jedem Anfang und Fortgang ist aber nach Hegel eigentlich die Selbstentfaltung des Allgemeinen, der ‚zugesehen` und die in dem von ihr gestifteten Kontext dargestellt wird, die Methode des Erkennens selbst.“ GW, Bd. 12, 241. GW, Bd. 12, 240. GW, Bd. 12, 240. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 12, 251.
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Das Ende
Vermittlung. Die immanente Rückführung dieses gegenüber dem Anfang erweiterten und ausgedehnten Bedeutungsgehalts des dialektischen Prozesses in eine wieder unmittelbare und einfache Form ist sodann eine Rückkehr des Entwicklungsverlaufs zu seinem Anfang. Hier kehrt „der Verlauf des Erkennens [. . .] in sich selbst zurück“ 148, jedoch ist dies eine Rückkehr, die, wie gezeigt worden ist, sich unter positiver Aufbewahrung der im Fortgang gewonnenen Bedeutungserweiterung vollzieht. Mit seiner Rückkehr zu sich, welche die Entwicklung vollendet, hat sich der Anfang damit nicht nur zu einer erweiterten, sondern darüber hinaus zu einer konkreteren Bestimmtheit entwickelt, was bedeutet, dass Grund und letztendliches Resultat, Anfang und Ende der Entwicklung rücksichtlich ihrer Form identisch, in Hinblick auf den in dieser Form gefassten Bedeutungsgehalt hingegen different sind. Die Konkretion des Bedeutungsgehalts des Anfangs der Entwicklung, die in deren Ende vollzogen worden ist, stellt also eine Zusammenführung von a) der Form des Anfangs und b) des gegenüber dem Anfang erweiterten Bedeutungsgehalts des dialektischen Fortgangs dar. Das Ende der Entwicklung ist in diesem Sinne ein immanentes Zusammenwachsen (concrescere 149) von Anfang und Fortgang, nicht eine äußerliche Verknüpfung beider Momente. Das Ende der Entwicklung entspricht somit in der Tat der Begriffsbestimmung der Einzelheit, denn als Rückführung der im Fortgang gewonnenen und synthetisch generierten Bedeutungserweiterung in die Form anfänglicher Bedeutungseinheit stellt es die Vereinzelung / Individuation des gesamten zurückliegenden Verlaufs der Entwicklung dar. War der erste Schritt des Fortgangs, mit dem der Inhalt sich produktiv zu einer gegenüber seinem Ausgangsstadium komplexeren Struktur bestimmt, in der er jedoch zugleich positiv bestehen bleibt, innerhalb des gesamten Entwicklungsverlaufs „das Moment der Allgemeinheit und der Mittheilung“ 150, so ist der zweite Schritt des Fortgangs, der die Entwicklung vollendet, indem jene gegenüber dem Anfang komplexere und für sich genommen zunächst prozessuale Ausprägung des Inhalts in die Form einer wieder anfänglichen Bedeutungseinheit zurückgeführt wird, „durch die Einzelnheit bestimmt“ 151. Das Ende entspricht der Begriffsbestimmung der Einzelheit, da das Einzelne „die bestimmte Allgemeinheit“ 152 ist, d. h. die Allgemeinheit, die sich beson148 149
150 151 152
GW, Bd. 12, 247. Zu dieser Wortbedeutung des Prinzips der konkreten Allgemeinheit beziehungsweise der konkreten Totalität vgl. auch M. Heidegger: „Hegel und die Griechen“, in: Wegmarken. Frankfurt am Main 1976, 427–444, 431: „Dieser Gang [der Logik, L.H.] versammelt das Ganze der Subjektivität in ihre entfaltete Einheit. Sie wächst so zusammen, con-crescit, wird konkret.“ GW, Bd. 12, 246. GW, Bd. 12, 246. GW, Bd. 12, 49.
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dert / spezifiziert hat, und im Ende der Entwicklung Anfang und Fortgang auf die Weise miteinander vereinigt sind, dass die Form anfänglicher Unmittelbarkeit an der dialektischen Vermittlung, zu welcher der Anfang sich immanent besondert hat, wiederhergestellt wird. Der Anfang der spekulativen Entwicklung erweist sich somit als eine begriffliche Allgemeinheit, die eine ihr spezifisch zugehörige Besonderheit sowie Einzelheit in dem Sinne bereits in sich enthält, dass sie diese über sie hinausgehenden Bestimmungen immanent aus der Abstraktheit ihres Ausgangsstadiums heraus produziert. Diese Produktion von gegenüber der Bedeutung des Anfangs komplexeren Bestimmungen vollzieht sich demnach als eine synthetische Weiterbestimmung des Anfangs, die ebenso sehr analytisch verfährt, weil sich ihr Verlauf mit immanenter Notwendigkeit rein aus der ursprünglichen Bedeutungseinheit selbst vollständig deduzieren lässt. Der Anfang einer jeden Stufe logischen Entwicklung, der immer in der unmittelbaren Erfassung desjenigen spezifischen Bedeutungsgehalts besteht, zu welchem der logische Inhalt sich bis zu dieser Stelle in der gesamtlogischen Entwicklung konkretisiert hat, stellt sich somit als eine sich an ihr selbst konkretisierende, sich immanent weiterführende und spezifizierende Allgemeinheit dar, wobei der Prozess dieser Konkretisierung den gesamten, aus Anfang, Fortgang und Ende bestehenden Verlauf der jeweiligen Entwicklungsstufe ausmacht. Da nun das Resultat der immanenten Spezifizierung und Konkretisierung eines jeden unmittelbaren Entwicklungsstadiums des logischen Inhalts eine ihrer Form nach wieder unmittelbare Bedeutungseinheit darstellt, zugleich aber von dem nächstzurückliegenden Anfang, aus dem es geworden ist, dem Inhalt nach eben spezifischer und konkreter ist, markiert das Ende einer jeden Stufe der logischen Entwicklung zugleich den neuen Anfang der auf sie folgenden Stufe. Mit dem Ende einer jeden Stufe der logischen Entwicklung führt sich, wie gezeigt worden ist, lediglich der Bedeutungsgehalt ihres bisherigen Fortgangs in die Form einer wieder unmittelbaren und anfänglichen begrifflichen Einheit zurück. Da die Vollendung der Entwicklung, d. h. der Schritt von Fortgang zu Ende, somit streng genommen nur formgestaltend, nur formaliter produktiv ist, liegt die inhaltliche Produktivität der Entwicklung, d. h. der Grund des Mehrs an Bedeutung, durch welches Anfang und Ende sich in ihrer formalen Identität zugleich voneinander unterscheiden, nicht ebenfalls im Schritt von Fortgang zu Ende, sondern im Schritt von Anfang zu Fortgang begründet und damit in der Explikation und Ausbuchstabierung der Dialektik der jeweiligen Entwicklungsstufe. Die inhaltliche Produktivität der Entwicklung, d. h. die Erweiterung des Bedeutungsgehalts derjenigen Denkbestimmung, die im Anfang einer Stufe der logischen Entwicklung zunächst in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit gedanklich erfasst wird, beginnt mit der immanenten Selbstaufhebung
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dieses anfänglichen Denkaktes. Dieses Einsetzen des Fortgangs der Entwicklung, der den anfänglichen Bedeutungsgehalt zunächst dialektisch erweitert und im Ende schließlich zu einer neuen, höheren Unmittelbarkeit konkretisiert, besteht, wie gezeigt worden ist, darin, dass die Bestimmungen des reinen Denkens, so sie in ihrer unmittelbaren Erfassung ihr Entgegengesetztes negativ von sich unterscheiden und abgrenzen, sich als auch identisch mit ihm erweisen, da sie zu diesem Unterschiedenen selbst in der Beziehung stehen, welche durch dessen Bedeutungsgehalt ausgedrückt wird. Da das Denken diese Einheit von Identität und Entgegensetzung, d. h. das in sich widersprüchliche Verhältnis der beiden Entgegengesetzten, nicht in einer unmittelbaren Bedeutung zu fassen vermag, bestimmt sich der unmittelbare Anfang zu einer prozessualen Vermittlung der Bestimmungen, auf welche der Widerspruch sozusagen ausgebreitet ist, indem hier die Einheit von Identität und Entgegensetzung als ein prozessuales Struktur- und Relationsgefüge realisiert ist, in welchem sowohl der Bedeutungsgehalt des Anfangs als auch sein Entgegengesetztes, mit dem er sich als auch identisch erwiesen hat, sich kontinuierlich an ihnen selbst aufheben und ihre jeweilige Bedeutung zu der des Anderen korrigieren und wandeln. Der Anfang, d. h. die gedankliche Erfassung des Bedeutungsgehalts einer logischen Bestimmung in der Form einer einfachen und unmittelbaren Bedeutungseinheit, und der Fortgang, d. h. der an dieser anfänglichen Form immanent hervortretende dialektische Prozess, werden somit im Ende der Entwicklung zu einer höheren, selbst wieder unmittelbaren Einheit synthetisiert. Dementsprechend entspricht die so entstehende, dialektisch generierte logische Bestimmung ihrem Inhalt nach dem dialektischen Prozess, die Form dieses Inhalts ist jedoch nicht mehr die einer prozessualen Vermittlung zweier sich zueinander transformierender Bestimmungen, sondern wieder die Einfachheit und Unmittelbarkeit des ursprünglichen Anfangs. Das neue, „zweyte Unmittelbare“ 153, das so entstanden ist, ist also das „Negative des Negativen“ 154, d. h. die Negation des dialektischen Prozesses, zu welchem das erste, ursprüngliche Unmittelbare sich bestimmt hat. Der Widerspruch, der mit dem Fortgang zum dialektischen Prozess als die Besonderheit des allgemeinen Anfangs an diesem selbst gesetzt worden ist und der in der prozessualen Einheit von a) der Identität und b) der sich wechselseitig ausschließenden Entgegensetzung zweier sich durch ihre jeweilige Selbstnegation zueinander transformierender Bestimmungen besteht, wird im Ende der Entwicklung somit aufgehoben. Die Aufhebung des Widerspruchs erfolgt hier jedoch nicht auf die Weise, dass er zugunsten nur einer der beiden 153 154
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einander entgegengesetzten Bestimmungen entschieden wird, sondern so, dass die in sich widersprüchliche, dialektische Transformation einer Bestimmung zu ihrem Entgegengesetzten zum neuen, wieder einfachen und unmittelbaren, mithin nicht mehr prozessualen Bedeutungsgehalt dieser Bestimmung erhoben wird. In eben diesem Sinn ist die Bestimmtheit, die sich zuvor als Resultat der dialektischen Selbstvermittlung des anfänglichen, unmittelbaren Bedeutungsgehalts an diesem selbst hervorgetan hat, d. h. der dialektische Prozess, mit dem weiteren Fortgang zum Ende der Entwicklung in die „Form der Einfachheit [. . .] zusammengegangen“ 155. Wo der dialektische Prozess aufgrund der Vermittlung zweier sich zueinander transformierender Bestimmungen, die in ihm zum Ausdruck kommt, gegenüber dem unmittelbaren Anfang, aus dem er durch dessen ursprüngliche Selbstaufhebung hervorgegangen ist, die erste Negation dargestellt hat, ist das Ende der Entwicklung die zweite Negation oder die Negation der ersten Negation und damit die Wiederherstellung der „Form der Unmittelbarkeit“. 156 Anfang und Ende der Entwicklung, d. h. auch einer jeden Stufe der logischen Entwicklung, haben demnach dieselbe Formbestimmung, nämlich die – bereits zuvor in der Untersuchung des Anfangs ausführlich erörterte – der Einfachheit und Unmittelbarkeit. Die Differenz zwischen Anfang und Ende, die in Hinblick auf ihre begriffliche Form somit miteinander identifiziert werden, besteht in dem logischen Bedeutungsgehalt, der in diesen beiden Entwicklungsstadien jeweils (in der Form begrifflicher Einfachheit) thematisch ist. Die Identität von Anfang und Ende resultiert daher nicht in einer Tautologie. Das seiner Form nach wieder unmittelbare Ende der Entwicklung ist gegenüber dem – formaliter ebenso unmittelbaren – Anfang von reicherem und erweitertem begrifflichen Gehalt. Der Anfang hat sich im Zuge seiner dialektischen Selbstvermittlung, welche im Ende der Entwicklung aufgrund ihrer sich vollständig selbst begründeten Struktur wieder in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit fixiert wird, eben um diese dialektische Selbstvermittlung erweitert und bereichert. Das Ende, d. h. die selbst wieder unmittelbare Einheit a) des anfänglichen Bedeutungsgehalts und b) seiner dialektischen Erweiterung, ist demnach „um der Form der Einfachheit willen [. . .] selbst ein neuer Anfang“ 157, aber dieser neue Anfang ist „von seinem vorhergehenden, durch eben diese Bestimmtheit unterschieden“ 158.
155 156 157 158
GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 248. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 250.
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3.3 Die konkrete Allgemeinheit als neuer Anfang Dem Ende der Entwicklung kommt also wieder die logische Struktur des Anfangs zu, mit dem Unterschied jedoch, dass diese Struktur nun Form eines (dialektisch) erweiterten noematischen Bedeutungsgehalts ist. Ende und Anfang fallen somit zwar rücksichtlich ihrer Form unmittelbar zusammen, jedoch ist ein jedes Ende gegenüber demjenigen Anfang, aus dem es auf immanente Weise geworden ist und dessen Ende es demnach darstellt, ein neuer Anfang. Jedes logische Resultat ist also ein neuer Anfang. 159 Dass die Abfolge der Denkbestimmungen, die in Hegels Logik in dieser Form auseinander deduziert werden, dabei aber keinen infiniten, schlecht-unendlichen Regress darstellt 160, sondern die logische Wissenschaft – als System der Bestimmungen des reinen Denkens – die teleologisch organisierte Entwicklung eines inhaltlich genau umgrenzten einheitsstiftenden Prinzips darstellt, wird im Folgenden noch näher zu untersuchen sein. Es sei an dieser Stelle aber bereits darauf hingewiesen, dass die Erweiterung und Bereicherung des noematischen Bedeutungsgehalts, die im Fortgang des Anfangs zum Ende auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung stattfindet und aufgrund derer jedes Ende gerade in neuer Anfang ist, als schrittweise Realisierung der absoluten Methode (als der gestalterischen Formaktivität) im logischen Inhalts zu verstehen sein wird. Das Ende des spekulativen Entwicklungsprozesses entspricht dem Begriffsmoment der Einzelheit, insofern dieses in seiner Bedeutung als Bestimmung der absoluten Methode begriffen wird. 161 In ihm sind der allgemeine Anfang sowie der dialektische Prozess, den der Anfang immanent an sich gesetzt und zu dem er sich frei, d. h. unabhängig von Anderem, bestimmt und besondert hat, zu einer höheren Einheit verbunden worden. 162 Die Art und Weise die159
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So hält auch Düsing (K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn, 3. Auflage 1995, 320.) bezüglich des Endes der spekulativen Entwicklung fest: „Dieses Resultat ist nach Hegel als Rückkehr zum Anfang auf höherer Stufe eine erneute Unmittelbarkeit.“ Zu einer ausführlichen Untersuchung dieses Verdachts – insbesondere vor dem Hintergrund des methodischen Umstands, dass die zweite, wiederhergestellte Unmittelbarkeit die Wahrheit und Rechtfertigung des ersten, anfänglichen Unmittelbaren darstellt – vgl. M. Frank: Der unendliche Mangel an Sein. Schellings Hegelkritik und die Anfänge der Marxschen Dialektik. Frankfurt am Main 1975, 160–168. Vgl. GW, Bd. 12, 239. Eine detaillierte Analyse derjenigen Konzeption denkender Spontaneität und Freiheit, die uns mit der immanenten Selbstexplikation des Denkens in Hegels spekulativer Logik vorliegt, findet sich bei Chr. Krijnen: „Freiheit als ursprüngliche Einheit der Vernunft. Hegels begriffslogische Lösung eines Kantischen Problems“, in: Natur und Geist. Würzburg 2016, 25–52, 49: „Freiheit ist zwar nach wie vor spontane Tätigkeit, jedoch nicht mehr durch Bestimmungen kausaler Verhältnisse wie Notwendigkeit, Zufälligkeit, Gesetz, Ursache,
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ser Vereinheitlichung von unmittelbarem Anfang und dialektischem Fortgang der Entwicklung bestand darin, dass der begriffliche Gehalt des dialektischen Prozesses, der für sich betrachtet eine in sich widersprüchliche, prozessuale Vermittlung ist, in der anfänglichen Form nicht mehr prozessualer Unmittelbarkeit gefasst worden ist. In dieser Hinsicht erscheinen die „Allgemeinheit und die Besonderheit [. . .] einerseits als die Momente des Werdens der Einzelnheit“. 163 In ihrer methodischen Bedeutung als Ende der spekulativen Entwicklung geht die Einzelheit als Resultat aus der immanenten Selbstbesonderung des allgemeinen Anfangs hervor. Dabei gilt jedoch, wie dargestellt worden ist, dass diese synthetische Entwicklung, im Rahmen derer der Bedeutungsgehalt des Anfangs zunächst dialektisch vermittelt und damit bereichert sowie schließlich – diese Bereicherung bewahrend – wieder formaliter unmittelbar wird, auf allen Stufen ebenso sehr analytisch verfährt. Die beiden Übergänge Allgemeinheit-Besonderheit und Besonderheit-Einzelheit vollziehen sich also auf immanente Weise an diesen unterscheidbaren Stufen der somit durchgängigen, nur binnendifferenzierten Entwicklung selbst. Hieran zeigt sich, dass für Anfang, Fortgang und Ende der spekulativen Entwicklung, eben weil sie den Begriffsbestimmungen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit entsprechen, insofern diese „in der Bedeutung als Bestimmungen der Methode“ 164 betrachtet werden, gilt, dass ein jedes dieser Momente die beiden anderen bereits vollständig in sich enthält. Der Fortgang vom dialektischen Prozess, d. h. vom Resultat der prozessualen Selbstvermittlung des zunächst unmittelbaren Anfangs, zu einer wieder unmittelbaren noematischen Einzelheit besteht eben nur darin, dass der Bedeutungsgehalt der Dialektik, die an der anfänglichen Bestimmung immanent hervorgetreten ist, selbst als affirmativ aufgefasst wird. Da die Dialektik rücksichtlich ihrer Genese nichts anderes ist als die Selbstbesonderung des unmittelbaren Anfangs, aus dem sie auf immanente Weise hervorgegangen ist, erfolgt die Restitution der Form der Unmittelbarkeit an dieser zunächst wesentlich vermittelten dialektischen Prozessualität auf ebenso immanente Weise. Der Bedeutungsgehalt des Anfangs bleibt in seiner Dialektik positiv bestehen, der unmittelbare Anfang verschwindet nicht in dieser prozessualen Vermittlung, sondern „continuiert“ 165 sich in ihr. Solange die Dialektik eines Begriffs, d. h. seine Aufhebung und die synthetische
163 164 165
Wirkung charaktierisiert – die Struktur des spekulativen Begriffs selbst bildet ihr Charakteristikum: Allgemeines, Besonderes, Einzelnes. Das Freie, das der eine Begriff ist, bleibt als Allgemeines, Besonderes, Einzelnes in seiner Tätigkeit durchgängig bei sich und ist zugleich als in sich differenzierte Einheit im anderen seiner Momente. Solches Beisichselbstsein, sich von sich aus, also ‚spontan`, zu sich bestimmen, ist wahrhafte Selbstbestimmung.“ GW, Bd. 12, 49. GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 20, 230.
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Transformation zu seinem Entgegengesetzten, sich rein analytisch aus dem Bedeutungsgehalt dieses Begriffs selbst deduzieren lässt, sich also mit innerer Notwendigkeit aus ihm ergibt, dann, so der Gedanke, ist der dialektische Prozess eigentlich nie etwas anderes als ein formaliter wieder unmittelbarer, aber inhaltlich erweiterter und bereicherter einzelner Begriff. In diesem Sinn bemerkt Hegel, dass die „Einzelnheit [. . .] schon durch die Besonderheit gesetzt [ist]“ 166, denn die Besonderheit, d. h. derjenige dialektische Prozess, zu dem ein unmittelbarer Begriff sich frei, d. h. unabhängig von anderen, ausserhalb seines anfänglichen Bedeutungsgehalts liegenden Gründen, selbst bestimmt hat, ist überhaupt nichts anderes als „die bestimmte Allgemeinheit“ 167. So kann an der Struktur spekulativer Entwicklungsprozesse nachvollzogen werden, dass, obgleich die Abfolge ihrer Stufen für zeitliche Subjekte immer eine Sukzession ist, Anfang, Fortgang und Ende – d. h. a) die anfängliche Unmittelbarkeit, b) die dialektisch-prozessuale Vermittlung dieser Unmittelbarkeit und c) die an dieser Vermittlung wiederhergestellte Unmittelbarkeit – Momente einer Diskursivität darstellen, die sich mit apriorischer und rein begrifflicher Notwendigkeit vollzieht. Schon das Zählen und sukzessive Auflisten von Allgemeinheit / Anfang, Besonderheit / Fortgang und Einzelheit / Ende ist daher, wie Hegel mehrfach betont 168, eigentlich irreführend und seine Unhintergehbarkeit nur dem in Sukzession verhafteten menschlichen Denken geschuldet. Von dieser ganz „oberflächliche[n], äusserliche[n] Seite der Weise des Erkennens“ 169 lässt sich jedoch abstrahieren, wenn eingesehen wird, dass weder die Zahlform noch die zeitlich-sukzessive Form, in der diskursive Erkenntnis sich für uns immer darstellt, für den Fortgang der rein begrifflichen spekulativen Entwicklung und in der logischen Struktur der Prozessualität ihrer Momente eine argumentative Rolle spielen. So gilt: „Das Besondere ist aus demselben Grunde, weil es nur das 166 167 168
169
GW, Bd. 12, 49. GW, Bd. 12, 49. Vgl. hierzu etwa: GW, Bd. 12, 43: „Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelnheit sind nach dem bisherigen die drey bestimmten Begriffe, wenn man sie nemlich zählen will. Es ist schon früher gezeigt worden, daß die Zahl eine unpassende Form ist, um Begriffsbestimmungen darein zu fassen, aber am unpassendsten vollends für Bestimmungen des Begriffs selbst; die Zahl, da sie das Eins zum Princip hat, macht die gezählten zu ganz abgesonderten und einander ganz gleichgültigen.“; GW, Bd. 12, 50: „Wenn an dieser abstracten Bestimmtheit fest gehalten wird, so hat der Begriff die drey besondern Bestimmungen, das Allgemeine, Besondere und Einzelne; [. . .]. Indem die Einzelnheit als die Rückkehr des Begriffs als des Negativen in sich ist, so kann diese Rückkehr selbst von der Abstraction, die darin eigentlich aufgehoben ist, als ein gleichgültiges Moment, neben die andern aufgestellt und gezählt werden.“; GW, Bd. 12, 247: „Diß zweyte Unmittelbare ist im ganzen Verlauffe, wenn man überhaupt zählen will, das Dritte, zum ersten Unmittelbaren und zum Vermittelten. [. . .] Daß es diese Einheit, so wie die ganze Form der Methode eine Triplicität ist, ist zwar ganz nur die oberflächliche, äusserliche Seite der Weise des Erkennens [. . .].“ GW, Bd. 12, 247.
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bestimmte Allgemeine ist, auch Einzelnes, und umgekehrt, weil das Einzelne das bestimmte Allgemeine ist, ist es eben so sehr ein Besonderes.“ 170 Da die Bedingungen des dialektischen Fortgangs vollständig im unmittelbaren Anfang liegen, dieser in seiner Dialektik nicht verschwindet, sondern sich frei zu dieser besondert, ist der dialektische Prozess also nur als eine Spezifikation des Anfangs und damit ebenso wieder als ein seiner Form nach unmittelbarer Bedeutungsgehalt zu begreifen. Dieses „Resultat, hat nun als das in sich gegangene und mit sich identische Ganze, sich die Form der Unmittelbarkeit wieder gegeben“. 171 Das Ganze, von dem hier die Rede ist, ist der unmittelbare Anfang der Entwicklung, der mit seinem immanenten Fortgang zum dialektischen Prozess nicht in einem Anderen verschwindet, sondern mit diesem Fortgehen vielmehr in sich geht, indem er sich zu seiner Dialektik besondert und seinen ursprünglichen Bedeutungsgehalt diesem wesentlich komplexeren, erweiterten Reichtum der dialektischen Prozessstruktur vollständig mitteilt. 172 Diese Identität von unmittelbarem Anfang und dialektischem Fortgang, von Allgemeinheit und Besonderheit macht den dialektischen Prozess, wie dargestellt worden ist, zu einer wieder unmittelbaren, in Hinblick auf ihren Bedeutungsgehalt jedoch wesentlich bereicherten und erweiterten Bestimmung. Das dritte und letzte Moment des spekulativen Denkaktes, d. h. das „Speculative oder Positiv-Vernünftige“ 173, fasst also auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung „die Einheit der Bestimmungen in ihrer Entgegensetzung auf, das Affirmative, das in ihrer Auflösung und ihrem Uebergehen enthalten ist“. 174 Diese Auffassung des Affirmativen in der negativ-vernünftigen Tätigkeit des Denkens, besteht, wie gezeigt worden ist, darin, dass der Bedeutungsgehalt des in sich widersprüchlichen, prozessualen Verhältnisses zweier sowohl identischer als auch sich wechselseitig ausschließender, mithin sich zirkulär zueinander transformierender Bestimmungen selbst wieder als eine unmittelbare, einfache und damit nicht mehr dialektische beziehungsweise prozessuale Vermittlungsstruktur bestimmt wird. 175 Die Rechtfertigung dieses eine jede Entwicklungsstufe abschließenden und vollendenden methodischen Schritts lag darin begründet, dass der dialektische Prozess als Resultat der Selbstvermittlung des unmittelbaren Anfangs an diesem gesetzt worden ist. Die Dialektik, d. h. der dialektische Prozess, ist rücksichtlich ihrer Genese somit immer die 170 171 172 173 174 175
GW, Bd. 12, 50. GW, Bd. 12, 248. Vgl. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 20, 120. Vgl. hierzu TWA, Bd. 16, 30: „Das ist überhaupt das Geschäft der Spekulation, daß sie alle Gegenstände des reinen Gedankens, der Natur und des Geistes in Form des Gedankens und so als Einheit des Unterschiedes auffaßt.“
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immanente Negation eines unmittelbaren Anfangs, d. h. sie ist „Negation von gewissen Bestimmungen [. . .], welche im Resultate eben deswegen enthalten sind, weil diß nicht ein unmittelbares Nichts, sondern ein Resultat ist“. 176 In der Einleitung der Wissenschaft der Logik ist dieser allgemeine methodische Umstand, nach welchem auch der dialektische Fortgang als bestimmte Negation des unmittelbaren Anfangs zu verstehen ist, der als solcher ein positives Resultat zukommt, wie folgt beschrieben: „Das Einzige, um den wissenschaftlichen Fortgang zu gewinnen, und um dessen ganz einfache Einsicht sich wesentlich zu bemühen ist, – ist die Erkenntniß des logischen Satzes, daß das Negative eben so sehr positiv ist, oder daß das sich Widersprechende sich nicht in Null, in das abstracte Nichts auflöst, sondern wesentlich nur in die Negation seines besondern Inhalts, oder daß eine solche Negation nicht alle Negation, sondern die Negation der bestimmten Sache, die sich auflöst, somit bestimmte Negation ist; daß also im Resultate wesentlich das enthalten ist, woraus es resultiert; – was eigentlich eine Tautologie ist, denn sonst wäre es ein Unmittelbares, nicht ein Resultat. Indem das Resultirende, die Negation, bestimmte Negation ist, hat sie einen Inhalt. Sie ist ein neuer Begriff, aber der höhere, reichere Begriff als der vorhergehende; denn sie ist um dessen Negation oder Entgegengesetztes reicher geworden; enthält ihn also, aber auch mehr als ihn, und ist die Einheit seiner und seines Entgegengesetzten.“ 177
Der formaliter unmittelbare Anfang bleibt also im formaliter vermittelten dialektischen Prozess erstens deswegen positiv bestehen und „continuiert“ 178 sich in ihm, weil dieser aus der immanenten, sich vollständig selbst begründenden Auflösung des Anfangs hervorgegangen ist. Aufgrund dieses positiven Bestehenbleibens des Anfangs in seiner Dialektik, d. h. im rastlosen, zirkulären Transformationsprozess zwischen dem anfänglichen Bedeutungsgehalt und seinem Entgegengesetzten, vereinheitlicht dieser dialektische Prozess sich zweitens schon an sich selbst zu einer wieder einfachen, nicht mehr prozessualen begrifflichen Bestimmung. Der Inhalt dieser so neu gewonnenen Denkbestimmung fällt überhaupt unmittelbar in eins mit dem Prozess ihrer Genese. Er besteht, mit anderen Worten, wieder im Bedeutungsgehalt des Anfangs, der jedoch um das Moment der immanenten Transformation zu seinem Entgegengesetzten, mit dem er sich im Rahmen seiner anfänglichen, gedanklichen Erfassung als identisch erwiesen hat, erweitert worden ist. Dieses in sich widersprüchliche Verhältnis, d. h. der dialektische Prozess, wird im Ende der Entwicklung somit aufgehoben 176 177 178
GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 21, 38. GW, Bd. 20, 230.
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und die sich widersprechenden Bestimmung zu einer höheren Einheit verknüpft, indem der Widerspruch vor dem Hintergrund seiner sich vollständig selbstbegründenden Genese, d. h. als Resultat einer Synthesis, die ebenso sehr analytisch verfährt, als eine mit sich durchgängig identische, positive und somit wieder unmittelbare Bestimmung begriffen wird. Somit reproduziert sich im Ende einer jeden Stufe der logischen Entwicklung nun aber auch die methodische Form der vorurteilfreien, kritisch-prüfenden und ergebnisoffenen gedanklichen Erfassung des an dieser Stelle neugewonnenen Bedeutungsgehalts. 179 Die begriffliche Erfassung dieser neugewonnenen logischen Bestimmung besteht – wie dies schon bei dem vorangegangenen Anfang, dessen Resultat und Ende sie darstellt, der Fall gewesen ist – in der unmittelbaren und einfach-negativen Unterscheidung ihres Bedeutungsgehalts von dessen Entgegengesetztem. Indem der dialektische Prozess im Ende der spekulativen Entwicklung somit zu einer einfachen, wieder unmittelbar zu erfassenden Bedeutungseinheit vereinfacht worden ist, ist sein Bedeutungsgehalt verlustlos aufbewahrt und erhalten worden, während die Form der prozessualen, in sich widersprüchlichen Vermittlung hingegen zugunsten der Unmittelbarkeit, die ihr vor dem Hintergrund ihrer sich vollständig selbst begründenden Genese zukommt, negiert worden ist. Gerinnt ein dialektischer Prozess, zu dem sich ein unmittelbarer Anfang im Zuge einer immanenten Synthesis bestimmt hat, eben aufgrund dieser absoluten Weise seines Werdens im Ende dieser Stufe der logischen Entwicklung wieder zu einer unmittelbaren und einfachen Bestimmung, so besteht die begriffliche Erfassung des Bedeutungsgehalts dieser neuen Bestimmung zunächst auch wieder nur darin, dass sie von ihrer Negation unterschieden wird. Dies aber ist keine in sich widersprüchliche logische Operation. Der prozessuale Widerspruch der dialektischen und transformativen Vermittlung der Entgegengesetzten hat sich hier zu einer wieder 179
Vgl. hierzu die Ausführungen Düsings (K. Düsing: „Intuitiver Verstand und spekulative Dialektik. Untersuchungen zu Kants Theorie und zu Hegels metaphysischer Umgestaltung“, in: Il pensiero. Rivista di filosofia, LV, 2016, 9–27, 25.) bezüglich des intuitiven Charakters der unmittelbaren gedanklichen Erfassung der logischen Anfänge. Diese Denkform reproduziert sich im Anfang einer jeden Stufe der logischen Entwicklung an einem je spezifischen kategorialen Bedeutungsgehalt, ist dabei aufgrund der Einheit von Anfang (einer Entwicklungsstufe) und Ende (der je nächstvorangegangenen Stufe) aber zugleich wesentlich ein Resultat der zurückliegenden Entwicklung: „So kann man die Bedeutung der intellektuellen Anschauung oder des intuitiven Verstandes, die Hegel in der Logik nicht eigens charakterisiert, sondern in verschiedenen kategorialen Kontexten verwendet, als unmittelbares, intellektuelles Aufnehmen einer unmittelbaren, anfänglichen Gedankenbestimmung kennzeichnen, deren interne Einfachheit oder Indifferenz aber selbst Resultat einer gedanklichen Entwicklung ist. Diese einfache Unmittelbarkeit ist methodisches Moment des Denkens innerhalb des Gedankenfortgangs.“
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einfachen Einheit beruhigt, die als eine nächstkonkretere logische Bedeutung in ihrer unmittelbaren Affirmation nun ein ebenso konkreteres begriffliches Gegenteil, eine konkretere Negation von sich abgrenzt und zunächst wieder nur einfach negativ von sich unterscheidet. Aufgrund dieser Form der begrifflichen Einfachheit und Unmittelbarkeit, in welche der dialektische Prozess unter Wahrung seines gegenüber demjenigen Anfang, aus dem er entstanden ist, erweiterten Bedeutungsgehalts, so „zusammengegangen“ 180 ist, ist die so generierte spekulative Bedeutungseinheit „selbst ein neuer Anfang“ 181, an dem die allgemeine Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung als an einer nächstkonkreteren Bestimmtheit des logischen Inhalts sich erneut reproduzieren wird. 182 Das Ende eines spekulativen Entwicklungsprozesses besteht also in der Vereinheitlichung des in sich widersprüchlichen dialektischen Prozesses zu einer wieder unmittelbaren, ihrer Form nach nicht mehr widersprüchlichen Bestimmung, in welcher der Bedeutungsgehalt des dialektischen Prozesses aber verlustlos aufbewahrt bleibt. Diese allgemeine methodische Struktur manifestiert sich auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung als das Ende der Entwicklung desjenigen konkreten logischen Bedeutungsgehalts, der auf der betreffenden Stufe spezifisch thematisch ist. In diesem Sinn bemerkt Hegel zu jenem abschließenden, einen jeden spekulativen Entwicklungsprozess vollendenden methodischen Schritt: „Das Positive in seinem Negativen, den Inhalt der Voraussetzung im Resultate festzuhalten, diß ist das Wichtigste im vernünftigen Erkennen; es gehört zugleich nur die einfachste Reflexion dazu, um sich von der absoluten Wahrheit und Nothwendigkeit dieses Erfordernisses zu überzeugen, und was die Beyspiele von Beweisen hiezu betrifft, so besteht die ganze Logik darin.“ 183
180 181 182
183
GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 250. Bezüglich unserer Deutung, dass mit dem Fortgang der spekulativen Entwicklung ein synthetischer Fortschritt und Erkenntnisgewinn in inhaltlicher Hinsicht einhergeht und die Rückkehr des Entwicklungsverlaufs zu seinem Anfang, in der das Ende besteht und die die Einheitlichkeit der logischen Entwicklung begründet, lediglich eine Rückkehr zur Form der anfänglichen Unmittelbarkeit darstellt, vgl. R. Schäfer: „Hegels Ideenlehre und die dialektische Methode“, in: G. W. F. Hegel. Wissenschaft der Logik. Berlin 2002, 243– 264, 262: „Aufgrund ihrer Herstellung aus der Teilung und Trennung im Fortgang ist die erreichte zweite Unmittelbarkeit nicht mehr die erste Unmittelbarkeit, mit welcher der Prozeß anfing. Wenn dem so wäre, dann könnte mit der dialektischen Methode kein wirklicher Erkenntnisfortschritt erreicht werden, denn man befände sich in einem tautologischen Zirkel.“ GW, Bd. 12, 245.
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Die Bedeutung der „Aufhebung“ im spekulativen Denken
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3.4 Die Bedeutung der „Aufhebung“ im spekulativen Denken Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist das Ende des spekulativen Entwicklungsprozesses also als eine Aufhebung in der berühmten dreifachen Bedeutung dieses Begriffs verstehen. Diese drei Bedeutungen sind Negieren / Zerstören, Aufbewahren / Erhalten sowie Emporheben. 184 Da die Vollendung einer jeden Stufe der logischen Entwicklung, wie gezeigt worden ist, darin besteht, dass der dialektische Prozess, zu dem ihr Anfang sich immanent bestimmt und besondert hat, seinen (gegenüber dem Anfang erweiterten) Bedeutungsgehalt in die Form wieder anfänglicher Unmittelbarkeit zurückführt, ist hiermit zunächst die Form prozessualer Vermittlung, die der Dialektik an sich zunächst zukommt, aufgehoben und dies im Sinne von negiert. Das Ende der Entwicklung ist nicht mehr eine dialektische Prozessstruktur, es besteht nicht mehr „im unendlichen Progreß“ 185 des immanenten Werdens zweier entgegengesetzter Bestimmungen zueinander, sondern die Dialektik vollendet sich gerade dadurch, dass dieses rastlose und zirkuläre Werden sich wieder in „einfache Ruhe“ 186 zurücknimmt, d. h. seinen gegenüber dem Anfang, aus dem es geworden ist, erweiterten Bedeutungsgehalt zwar beibehält, ihn jedoch in die Form anfänglicher Einfachheit zurückführt, in der er nicht mehr explizit prozessual ist. Rücksichtlich dieses Negierens der Form prozessualer Vermittlung, welches der dialektische Prozess im Ende der Entwicklung erfährt, hat das Aufheben die Bedeutung von „aufhören lassen, ein Ende machen“. 187 Der spekulative Entwicklungsprozess – und damit auch eine jede Stufe der logischen Entwicklung – vollendet sich also, indem das Moment des Fortgangs, d. h. der dialektische Prozess, sozusagen aufhört, Prozess zu sein, und die Bedeutung, die in ihm als Ganzem zum Ausdruck kommt, d. h. das Affirmative, das in seiner zirkulären Prozessualität enthalten ist, 188 zu einer wieder unmittelbaren und einzelnen Bedeutungseinheit gerinnen lässt. Das Aufhören der dialektischen Prozessualität entspricht somit einem „ein Ende machen“ 189 in doppeltem Sinn, denn es vollendet zugleich die gesamte Entwicklung. Hierin kündigt sich jedoch bereits die zweite Bedeutung des Begriffs Aufhebung an. Eine jede Stufe der logischen Entwicklung vollendet sich, indem, 184
185 186 187 188 189
Zur „methodische[n] und spekulative[n] Mehrfachbedeutung von ‚Aufhebung` im Sinn von Verneinung, Aufbewahrung und Erhebung auf eine höhere Stufe“ vgl. auch die Ausführungen von R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 257. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 9, 35. GW, Bd. 21, 94. Vgl. GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 21, 94.
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wie soeben erörtert, der dialektische Prozess, d. h. die „zweite Sphäre“ 190 der spekulativen Entwicklung, die Form der zirkulär-prozessualen Vermittlung verliert und die Bedeutung beziehungsweise den Sinnzusammenhang, der in ihr zum Ausdruck kam, zu einer ihrer Form nach wieder unmittelbaren Bedeutungseinheit konzentriert. In der Vollendung der spekulativen Entwicklung, d. h. mit dem Schritt von Fortgang zu Ende, geht somit nur die Form der zirkulären Prozessualität verloren, wohingegen der Inhalt der Dialektik aber beibehalten wird, indem es gerade dieser Inhalt der Dialektik ist, der in die Form einer unmittelbaren Bedeutungseinheit zurückgeführt wird. Der Bedeutungsgehalt des dialektischen Prozesses bleibt somit im Ende der Entwicklung aufgehoben im Sinne von „aufbewahren, erhalten“ 191, denn er wird lediglich von der Form dialektischer Prozessualität befreit, worin die erste, zuvor erläuterte Bedeutung von Aufheben bestand, und hiermit aber ohne inhaltliche Veränderung zu einer wieder einfachen und unmittelbaren logischen Bedeutung bestimmt. Da der Bedeutungsgehalt des dialektischen Prozesses mit dieser Rückführung in die Form begrifflicher Unmittelbarkeit, d. h. „um der Form der Einfachheit willen“ 192, in die er im Ende der Entwicklung „zusammengegangen“ 193 ist, auch wieder „ein neuer Anfang“ 194 ist, stellt die Vollendung einer jeden Stufe der logischen Entwicklung schließlich auch eine Aufhebung ihrer Dialektik im Sinne einer Emporhebung dar. Im Ende einer jeden Stufe der logischen Entwicklung ist der Bedeutungsgehalt des dialektischen Prozesses, zu dem sich ihr Anfang immanent bestimmt und erweitert hat, zugleich auf eine gänzlich neue Stufe der gesamtlogischen Entwicklung erhoben, da er zum einen aufgrund der Form begrifflicher Unmittelbarkeit, in die er sich hier zurückgeführt hat, wieder ein logischer Anfang ist, zum anderen aber wesentlich ein neuer Anfang ist, da er „von seinem vorhergehenden“ 195, aus dem er entstanden ist, dem Inhalt nach unterschieden ist. Der eine Inhalt, dessen Entwicklung die logische Wissenschaft ausmacht, spezifiziert sich somit zu „immer reicher[en] und concreter[en]“ 196 Ausprägungen seiner selbst, indem a) seine unmittelbaren Entwicklungsstadien dialektische Erweiterungen ihrer Bedeutung ausbilden, b) diese Erweiterungen, die für sich betrachtet von prozessualer Struktur sind, sich unter Wahrung des Mehrs an Bedeutung, das sie von ihrem dem Bedeutungsgehalt nach rudimentäreren Grund unter190 191 192 193 194 195 196
GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 21, 94. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 250.
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Die Bedeutung der „Aufhebung“ im spekulativen Denken
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scheidet, in die Form unmittelbarer Bedeutungseinheiten zurückführen und c) dieses Resultat, da es somit ein neues unmittelbares Entwicklungsstadium des logischen Inhalts darstellt, schließlich den konkreteren Anfang der nächstfolgenden Stufe der Entwicklung markiert. Die Naht- und Sprunglosigkeit dieses Fortgehens der logischen Entwicklung besteht also in dem Umstand, dass das Ende einer jeden Stufe der logischen Entwicklung zugleich und gleichursprünglich den neuen, bereicherten und konkreteren Anfang der nächstfolgenden Stufe darstellt. Der Inhalt der Logik ist somit als ein zwar einiges, jedoch in sich wesentlich produktives Prinzip zu begreifen, d. h. als ein Allgemeines, das sich an ihm selbst spezifiziert und besondert und das Resultat einer jeden Spezifizierung und Besonderung zugleich zu einem bereicherten Ausgangspunkt weiterer Spezifizierung erhebt. Das in sich produktive Allgemeine, das der logische Inhalt somit darstellt, „erhebt auf jede Stuffe weiterer Bestimmung die ganze Masse seines vorhergehenden Inhalts, und verliert durch sein dialektisches Fortgehen nicht nur nichts, noch läßt es etwas dahinten, sondern trägt alles Erworbene mit sich, und bereichert und verdichtet sich in sich“. 197 Neben diesen drei von Hegel selbst erläuterten Bedeutungen von Aufhebung/Aufheben sind in der Forschung auch noch weitere angeführt worden. 198 Fulda interpretiert den Fortgang und das Ende der spekulativen Entwicklung auch als ein Aufheben im Sinne von Aufdecken. Dies mag so verstanden werden, dass der unmittelbare Anfang der Entwicklung, indem er sich, wie dargestellt worden ist, an ihm selbst zu einem dialektischen Prozess bestimmt und seine ursprüngliche Bedeutung damit erweitert und bereichert, wesentlich nur dasjenige Potential realisiert beziehungsweise aktualisiert, das in seiner unmittelbaren Form bereits enthalten, aber noch nicht explizit thematisch gewesen ist. Da die synthetische Bedeutungserweiterung, die sich mit dem Fortgehen der Entwicklung von ihrem unmittelbaren Anfang zu seiner Dialektik vollzieht, rein analytisch in der gedanklichen Erfassung der anfänglichen Unmittelbarkeit begründet liegt, d. h. ohne ein äußerliches Hinzunehmen von Argumenten, die nicht bereits im Anfang selbst liegen, sich rein nur aus dessen Bedeutung deduzieren lässt, ist die Selbstaufhebung des unmittelbaren Anfangs, im Zuge derer er sich zu einem dialek197 198
GW, Bd. 12, 250. So versteht etwa Fulda (H. F. Fulda: „Vorbegriff und Begriff von Philosophie bei Hegel“, in: Hegels Logik der Philosophie. Religion und Philosophie in der Theorie des absoluten Geistes. Stuttgart 1984, 13–24, 29 f.) den Begriff der Aufhebung bei Hegel übereinstimmend mit unserer Deutung „als einen Prozeß [. . .], der mindestes fünf Eigenschaften hat: Er nimmt die Bestandteile des Aufzuhebenden aus ihrer unmittelbaren Umgebung hinweg (tollit); er macht mit der Unverträglichkeit disparater Bestandteile des Aufzuhebenden ein Ende (tollit); er deckt auf, wie die Entgegengesetzten eine Einheit miteinander bilden können (detegit); er erhält, was die Entgegengesetzten als Momente des Wahren sein können (conservat); er erhebt die Entgegengesetzten zu ihrer Wahrheit (elevat).“
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tischen Vermittlungsprozess bestimmt, als ein bloßes Aufdecken einer über seine ursprüngliche Form hinausgehenden Bedeutung zu begreifen, die zwar bereits in ihm ruht, aber zunächst noch nicht realisiert / aktualisiert gewesen ist. 199 3.5 Bereicherte Rückkehr zu sich: Die geistige Struktur der spekulativen Dialektik Die hier erörterte Vereinheitlichung des dialektischen Prozesses, der die Vermittlung zweier sich immanent zueinander transformierender entgegengesetzter logischer Bestimmungen ist, zu einer einzelnen, wieder unmittelbaren, dialektikfreien, unprozessualen und damit nicht länger explizit widersprüchlichen Bestimmung entspricht für Hegel der Tätigkeit des Geistes. Dieser ist wesentlich positive Vernunfttätigkeit, indem er die Tätigkeit der negativen Vernunft, d. h. den dialektischen Prozess als die immanente Auflösung der isoliert erfassten Bestimmungen und deren damit unmittelbar einhergehende Transformation zu ihrem jeweiligen Entgegengesetzten, in die Form der begrifflichen Einfachheit und Unmittelbarkeit zurückführt. Das Positive daran ist, dass bei dieser Rückkehr zur Form des logischen Anfangs dessen Bedeutungserweiterung, die sich im Fortgang vollzogen hat, d. h. das Moment der dialektischen Selbstaufhebung und Transformation, bewahrt bleibt. Das Resultat der Entwicklung ist also zwar eine ihrer Form wieder anfänglichunmittelbare Bestimmung, jedoch eine solche, deren Bedeutungsgehalt gegenüber demjenigen des Anfangs, aus dem sie geworden ist, erweitert worden ist. Dies ist das synthetische und produktive, mithin positive Moment der Entwicklung. Mit der Identifizierung a) des spekulativen Moments des logischen Entwicklungsprozesses und b) des Geistprinzips wird deutlich, weshalb Hegel in der ersten Vorrede der Wissenschaft der Logik den Geist als die produktive Einheit des verständigen und des negativ-vernünftigen Denkmoments charakterisiert: Der Verstand bestimmt und hält die Bestimmungen fest; die Vernunft ist negativ und dialektisch, weil sie die Bestimmungen des Verstands in Nichts auflöst; sie ist positiv, weil sie das Allgemeine erzeugt, und das Besondere darin begreift. Wie der Verstand als etwas getrenntes von der Vernunft überhaupt, so pflegt auch die 199
Vgl. speziell hierzu die weiterführenden Ausführungen von H. F. Fulda: „Aufheben“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Darmstadt 1971, 618–620, 619: „Das Aufheben der Gedankenbestimmungen bewahrt diese nur auf, indem es aufdeckt, wie die Entgegengesetzten eine Einheit miteinander bilden; vor allem aber deckt es sie als Momente dieser Einheit dadurch auf, daß es sie zu ihrer Wahrheit erhebt, in der sie mit sich übereinstimmen.“
Hegel-Studien
Bereicherte Rückkehr zu sich: Die geistige Struktur der spekulativen Dialektik
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dialektische Vernunft als etwas getrenntes von der positiven Vernunft genommen zu werden. Aber in ihrer Wahrheit ist die Vernunft Geist, der höher als beydes, verständige Vernunft, oder vernünftiger Verstand ist. 200
Der Geist ist also derjenige einheitliche und spekulative Denkakt, der sich mittels a) der kritischen Prüfung seiner Bestimmungen, b) der Korrektur ihres anfänglichen Bedeutungsgehalts zugunsten derjenigen Bestimmung, mit der sich der Anfang im Zuge seiner unmittelbaren begrifflichen Erfassung als identisch erweist, und c) der produktiven Herausstellung dieses gesamten Korrekturprozesses als einer einzelnen, unmittelbaren Bedeutungseinheit kontinuierlich weiterentwickelt und konkretisiert. Der Geist ist dasjenige Prinzip, welches die Totalität der Bedingungen seiner Konkretion in sich enthält. Dabei entsprechen die drei Ebenen der spekulativen Entwicklung Anfang, Fortgang und Ende, wie wir gesehen haben, jeweils den Momenten, aus denen dieser Konkretionsprozess sich zusammensetzt. Der Anfang ist die unmittelbare Selbsterfassung des Denkens in einem bestimmten Stadium seiner Entwicklung, d. h. in derjenigen Bedeutung, zu welcher der Inhalt der Logik sich bis zu diesem Punkt seiner Entwicklung bereits bestimmt hat. Der dialektische Fortgang ist die immanente Erweiterung dieser Bedeutung im Sinne einer produktiven Realisierung eines in ihr bereits enthaltenden Potentials. Das Ende besteht in der Rückführung dieser erweiterten Bedeutung, die sich auf der Ebene des Fortgangs zunächst in Gestalt eines zirkulären und kontinuierlichen, sich unendlich perennierenden Umschlagens der anfänglichen Bedeutung und ihres Entgegengesetzten ineinander konzipiert, in die Form einer wieder unmittelbaren Bedeutungseinheit. Im Ende der spekulativen Entwicklung wird die Bedeutungserweiterung, die sich auf der vorangehenden Ebene des dialektischen Fortgangs vollzogen hat, zu einer Bedeutungskonkretion, indem dieses schlussendliche Resultat der Entwicklung wieder die Form des Anfangs teilt, rücksichtlich seines Bedeutungsgehalts jedoch erweitert ist. Der Verlauf der spekulativen Entwicklung kann als ein immanentes Fortgehen beschrieben werden, das a) von einer begrifflichen Bedeutungseinheit seinen Ausgang nimmt, b) diese Bedeutungseinheit auflöst, indem es sie allein an ihrem eigenen begrifflichen Geltungsanspruch gemessen als mangelhaft begreift und zu einem erweiterten und korrigierten Bedeutungsgehalt spezifiziert, sowie c) diese erweiterte und korrigierte Bedeutung in die Form einer begrifflichen Bedeutungseinheit zurückführt. Da die Rückkehr des Entwicklungsverlaufs zu seinem Anfang unter Wahrung der Bedeutungserweiterung sattfindet, die sich im Fortgang an ihm vollzogen hat, ist die einheitliche Ganzheit der Entwicklung, wie wir sie bis hierher 200
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im Rahmen unserer Untersuchung erörtert haben, als eine selbstbewusste, sich im Gang durch das (dialektische) Andere seiner selbst bereichernde und in Rückkehr zu sich schließlich konkretisierende Bewegung zu charakterisieren. Die Momente der hier dargelegten allgemeinen Struktur logisch-spekulativer Prozessualität – Allgemeinheit / Anfang, Besonderheit / Fortgang und Einzelheit / Ende – sind somit von einer solchen inneren Zusammengehörigkeit, die es uns erlaubt, auch die logische Entwicklung als eine Form geistiger Selbstbestimmung anzusehen. Dies ist insofern bedenkenswert, als dass der Geistbegriff Hegels in systematischer Hinsicht normalerweise nicht mit der Logik, sondern exklusiv mit dem Systemteil der Philosophie des Geistes und somit dem zweiten Teil der sogenannten Realphilosophie in Verbindung gebracht wird. 201 Diese behandelt die Totalität der logischen Bestimmungen, d. h. die Idee, in Bezug auf ihre Manifestation im Endlichen und Kontingenten, wovon die Logik sich gerade dadurch abhebt und unterscheidet, dass in ihr noch von jeglicher endlichen und empirischen Konkretion des logischen Inhalts abgesehen wird. Der unmittelbare Anfang einer jeden Stufe der logischen Entwicklung bestimmt sich frei, d. h. unabhängig von Anderem, zu einem dialektischen Werdens- und Transformationsprozess, der sich zwischen dem logischen Bedeutungsgehalt des Anfangs und dessen spezifischem Entgegengesetzten vollzieht. Der jeweilige dialektische Prozess, zu dem ein unmittelbarer logischer Anfang sich in diesem Sinne besondert, macht auf einer jeden Stufe der Entwicklung das Moment des Fortgangs aus. Der Fortgang der spekulativen Entwicklung ist, wie dargelegt, zunächst der „bachantische Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist, und [. . .] jedes, indem es sich absondert, ebenso unmittelbar [sich] auflöst“ 202, und gegenüber dem unmittelbaren, noch in sich ruhenden Anfang, aus dem er allererst resultiert ist, indem der Anfang beginnt, die ihm inhärierende Dialektik auch explizit an sich zu setzen, das Haltlose, dessen beiden Glieder sich rastlos zueinander transformieren. Hierin, d. h. in der zirkulären Struktur des dialektischen Werdens- und Transformationsprozesses, liegen die Bedingungen für den weiteren Fortgang, d. h. für die Vollendung der je betrachteten Stufe der logischen Entwicklung, bereits vollständig vor. Der „bachantische Taumel“ 203, zu dem der unmittelbare Anfang sich bestimmt und besondert, ist gerade deshalb eine zirkuläre, in sich beständige Prozessualität, weil beide der hier vermittelten Relata, d. h. sowohl der Bedeutungsgehalt des 201
202 203
Bezüglich einer Bestimmung des Verhältnisses, in welchem Hegels spekulative Logik zum Prinzip des Geistes steht, vgl. die Ausführungen von C. Bickmann: „Hegels Philosophie des Geistes zwischen Sein und Idee“, in: Hegels Philosophie des Geistes zwischen endlichem und absolutem Denken. Nordhausen 2016, 13–28, sowie „Hegels Prinzip des Geistes“, in: HegelJahrbuch 2010. Berlin 2010, 22–27. GW, Bd. 9, 35. GW, Bd. 9, 35.
Hegel-Studien
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Anfangs als auch sein Entgegengesetztes, sich gleichermaßen im Zuge ihrer Absonderung an ihnen selbst auflösen und ihre eigene noematische Bedeutung zu der des Anderen korrigieren. Für das Stadium des Fortgangs gilt also auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung, dass die beiden einander spezifisch entgegengesetzten Bedeutungsgehalte, die nun prozessual, d. h. als Bestimmungen, die sich immanent und werdend zueinander transformieren, miteinander vermittelt werden, gleichgültige und gleichberechtigte Momente einer doch einheitlichen und sich kontinuierlich fortsetzenden – „perennirende[n]“ 204 – Prozessualität sind. Das „Sich-Aufheben der Einseitigkeit beider [der entgegengesetzten Bestimmungen, L.H.] an ihnen selbst läßt die Einheit nicht einseitig werden“ 205, sodass es gerade diese prozessuale Einheit, d. h. der dialektische, sich zwischen den entgegengesetzten Bedeutungsgehalten abspielende Werdensprozess, selbst ist, der sich als ein Beständiges bestimmt, das die sich auflösenden und haltlos ineinander stürzenden Bestimmungen als untergeordneten Momente in sich enthält. Als der „bachantische Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist“ 206, ist der dialektische Prozess, d. h. das Moment des Fortgangs jeder spekulativen Prozessualität, somit gerade deshalb „ebenso die durchsichtige und einfache Ruhe“ 207, weil jedes Glied, „indem es sich absondert, ebenso unmittelbar [sich] auflöst“ 208 oder, anders gesagt, beide Relata in ihrem Werden zueinander ihre Einseitigkeit gleichermaßen aufheben und überwinden. Obgleich der dialektische Prozess für sich betrachtet die dynamisch-fließende Vermittlung zweier einander entgegengesetzter Bedeutungsgehalte und somit „das Negative“ 209 dessen darstellt, aus dem er resultiert ist, d. h. die Negation des unmittelbaren und einfachen Anfangs ist, kommt ihm aufgrund der Zirkularität seiner Struktur also ebenso sehr die Bestimmung „durchsichtige[r] und einfache[r] Ruhe“ 210 zu. Diese Bestimmung einer in sich ruhenden Kreisbewegung, die der dialektischen Transformation der Entgegengesetzten an ihnen selbst zueinander zukommt, stellt nun die immanente Restitution der Form anfänglicher Einfachheit und Unmittelbarkeit an der prozessualen Struktur des Fortgangs dar. Die Beziehung der beiden Entgegengesetzten zueinander, von denen ein jedes im Zuge seiner gedanklichen Erfassung, d. h. „indem es sich absondert“ 211 und sich affirmiert, indem es das Andere li204 205 206 207 208 209 210 211
GW, Bd. 20, 131. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 9, 35. GW, Bd. 9, 35. GW, Bd. 9, 35. GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 9, 35. GW, Bd. 9, 35.
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mitativ von sich unterscheidet, „ebenso unmittelbar [sich] auflöst“ 212 und sich werdend zu seinem Entgegengesetzen verändert, diese transformative und prozessuale Beziehung ist als Ganzes eine unmittelbare, da geschlossen in sich ruhende Bedeutung. Diese immanente Rückkehr des dialektischen Prozesses zur Form des Anfangs, aus dem er resultiert ist, beziehungsweise die Identifizierung von Resultat (Dialektik) und Grund (Anfang) in formaler Hinsicht geht untrennbar einher mit einer Differenzierung beider in Hinblick auf ihren Bedeutungsgehalt. Das methodische Argument für die (immanente) Wiederherstellung der Form anfänglicher Unmittelbarkeit am dialektischen Transformations- und Werdensprozess, der den Bedeutungsgehalt des Anfangs und die ihm entgegengesetzte Bestimmung als sich-aufhebende und sich-zueinander-transformierende Bedeutungen miteinander vermittelt, lautete, dass dieser dialektische Prozess eine in sich ruhende und durchgängig mit sich übereinstimmende Einheit ist. Der dialektische Prozess ist somit zwar als Ganzes eine unmittelbare Bestimmung, nicht aber wieder nur eines der beiden in ihm dynamisch zusammengeschlossenen Relata, da diese, so sie unmittelbar betrachtet werden, „ebenso unmittelbar“ 213 sich auflösen und sich zu ihrem Entgegengesetzten transformieren. Der Bedeutungsgehalt der neuen, wieder unmittelbaren Bestimmung, die dadurch generiert wird, dass der dialektische Prozess sich auf die erörterte Art und Weise, d. h. vor dem Hintergrund seiner in sich ruhenden und zirkulär-prozessualen Einfachheit, immanent in die Form anfänglicher Unmittelbarkeit zurückführt, folgt nun ebenso aus der Struktur des dialektischen Prozesses und der transformativen Beziehung seiner Relata. Aus dem Umstand, dass beide der einander entgegengesetzten Bestimmungen sich auf der Stufe des dialektischen Fortgangs der Entwicklung zueinander transformieren, folgt nicht nur, wie dargelegt, dass der Prozess als Ganzes eine in sich ruhende Prozessualität und somit eine ihrer Form nach unmittelbare Einheit darstellt, sondern weiterhin, dass ein jedes der beiden Entgegengesetzten, d. h. jedes der beiden Relata des dialektischen Transformationsprozesses, sich auch rücksichtlich seines Bedeutungsgehalts „zur Einheit mit dem andern bethätigt“. 214 Die spekulative Dialektik ist, wie dargelegt, die allgemeine, sowohl formaliter gestalterische als auch in Hinblick auf den begrifflichen Bedeutungsgehalt produktive Form des logischen Inhalts, die, indem sie allen Denkbestimmungen unmittelbar inhäriert und deren Bedeutung immanent weiterbestimmt, alle internen Differenzen innerhalb der Logik in einen formaliter einheitlichen Konkretisierungsprozess zurückbindet, wodurch die Denkbe212 213 214
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stimmungen schlussendlich nur als inhaltlich unterscheidbare Stadien in der Entwicklung eines einigen begrifflichen Bedeutungsgehalts zu begreifen sind. Eine geistige Struktur ist die dialektisch-spekulative Prozessualität nun, da, wie sich gezeigt hat, ihre Vollendung, d. h. die Restitution der Form anfänglicher Unmittelbarkeit am gegenüber dem Anfang erweiterten und bereicherten Bedeutungsgehalt des dialektischen Prozesses, darin begründet liegt, dass der unmittelbare Anfang sich im Zuge einer freien Selbstbesonderung zu seiner Dialektik bestimmt. Das Ende der spekulativen Prozessualität, das der Begriffsbestimmung der Einzelheit entspricht, insofern Anfang / Allgemeinheit und dialektischer Fortgang / Besonderheit in ihm vereinigt sind, kann demnach als positives Resultat des prozessualen Streits begriffen werden, zu welchem die logische Unmittelbarkeit des Anfangs sich intern differenziert. Das Ende der Entwicklung ist somit sowohl das Resultat derselben als auch überhaupt dasselbe wie sie als eine in sich bewegte Ganzheit, da der Bedeutungsgehalt des Endes nur darin besteht, dass die Formbestimmung anfänglicher Unmittelbarkeit sich an demjenigen Resultat wiederherstellt, zu welchem der ursprüngliche Anfang – seine anfängliche Abstraktheit überwindend – sich an ihm selbst erweitert und spezifiziert hat. Bekannt ist Hegels Bemerkung, dass es keinen Satz des Heraklit gebe, den er nicht in seine Logik aufgenommen hätte. 215 Vor dem Hintergrund unserer Analyse mag hierzu zumindest festgehalten werden, dass die Einsicht, dass das Wahre wesentlich ein Werden und transformative Flüssigkeit ist, mutatis mutandis in der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik inkorporiert ist. Das Wahre / das Ende / die Vollendung des ganzen Entwicklungsprozesses resultiert hier unmittelbar aus dem internen (dialektischen) Streit (πόλεµος), der sich am noch einfachen, d. h. vordergründig spannungslosen und friedvollen, Anfang immanent hervortut, sobald dessen unmittelbarer Bedeutungsgehalt als solcher gedanklich erfasst wird. Da der Anfang sich somit notwendig, d. h. rein analytisch begründet, als dialektisch bestimmt und seine ursprüngliche Bedeutung synthetisch erweitert und spezifiziert, führt sich diese bereicherte und für sich betrachtet dialektisch-prozessuale Manifestation des Anfangs vor dem Hintergrund ihrer in sich ruhenden, sich vollständig selbst begründenden und durchgängig mit sich übereinstimmenden Struktur 215
Vgl. hierzu und zum Folgenden: TWA, Bd. 18, 320: „Es ist der notwendige Fortschritt, und es ist der, den Heraklit gemacht hat. Das Sein ist das Eine, das Erste; das Zweite ist das Werden, – zu dieser Bestimmung ist er fortgegangen. Das ist das erste Konkrete, das Absolute als in ihm die Einheit Entgegengesetzter. Bei ihm ist also zuerst die philosophische Idee in ihrer spekulativen Form anzutreffen: das Räsonnement des Parmenides und Zenon ist abstrakter Verstand; Heraklit wurde so auch überall als tiefdenkender Philosoph gehalten, ja auch verschrien. Hier sehen wir Land; es ist kein Satz des Heraklit, den ich nicht in meine Logik aufgenommen.“
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schließlich in die Form wieder anfänglicher Einheit und Unmittelbarkeit zurück, die dann den neuen, rücksichtlich seines Bedeutungsgehalts erweiterten Anfang darstellt und den Beginn der nächstfolgenden Stufe der logischen Entwicklung markiert. Insofern das Ende einer jeden Stufe der logischen Entwicklung, das zugleich der Anfang der folgenden Stufe ist, wesentlich darin besteht, dass die Dialektik, zu dem der unmittelbar vorhergehende Anfang sich immanent spezifiziert hat, sich an ihr selbst zu einer wieder einheitlichen und unmittelbaren Bestimmung ausbildet, gilt auch für die genetische Entwicklung der logischen Bestimmungen, dass der Streit / die Dialektik der Grund und die Wahrheit aller Dinge / aller Denkbestimmungen ist: Πόλεµος πάντων µὲν πατήρ ἐστι. Vater (πατήρ) im Sinne von Grund ist die Dialektik, d. h. der prozessuale Widerstreit (πόλεµος) zweier sowohl entgegengesetzter als auch sich als identisch erweisender Bestimmungen, indem alle einfachen logischen Bedeutungsgehalte / alle unmittelbaren Entwicklungsstadien des logischen Inhalts allein dadurch entstehen, dass die immanente Dialektik der vorangehenden Bestimmung / des Anfangs der vorangehenden Entwicklungsstufe ihren – für sich betrachtet prozessualen – Bedeutungsgehalt in die Form wieder anfänglicher Unmittelbarkeit zurückführt. Die Dialektik ist sodann (umgekehrt) auch Wahrheit, insofern ein jeder Anfang sich dann auch wieder an ihm selbst als dialektisch erweist, sich zu dem ihm spezifisch zugehörigen dialektischen Prozess frei bestimmt und besondert und mit diesem Fortgehen wesentlich zu einer dialektisch korrigierten und um das Moment der Korrektur erweiterten Wahrheit seiner selbst fortschreitet. Dieser sich vollständig selbst begründende, d. h. ebenso sehr analytische, Charakter des synthetischen Weiterbestimmens unmittelbarer logischer Bedeutungsgehalte ist sodann auch der Grund, auf dem die dialektische (Selbst-)Vermittlung einer logischen Unmittelbarkeit im weiteren Fortgang der Entwicklung als durchgängig mit sich übereinstimmend und in sich ruhend, mithin selbst als eine unmittelbare und wieder anfängliche Bedeutungseinheit begriffen werden kann. 216 216
Das dritte Moment eines spekulativ-dialektischen Entwicklungsprozesses, mit dem er sich vollendet, kann in diesem Sinne auch so beschrieben werden, dass der „bachantische Taumel“, d. h. das zweite Moment, sich unter Wahrung der mit ihm einhergegangenen Bedeutungserweiterung wieder zu Einfachheit, Ruhe und – metaphorisch gesprochen – zu apollinischer Klarheit zurückführt, d. h. zu derjenigen Form, aus welcher er ursprünglich hervorgegangen ist, indem sie an sich selbst transformativ geworden ist, und die auch nun wieder einen in sich produktiven Anfang (neuer, höherer Stufe) darstellt. Einfachheit (Nicht-Vielheit/A-pollon), Unmittelbarkeit und Ruhe sowie prozessuale Zweiheit, dialektische Vermittlung und produktive Transformation stehen in Hegels spekulativer Dialektik in einem genetischen, sich wechselseitig begründenden Verhältnis zueinander. Bezüglich einer lehrreichen Darstellung des Verhältnisses, in welchem das Bachantische / Dionysos und Apoll im Mythos zueinander stehen, vgl. die Studie von W. F. Otto: Dionysos. Mythos und Kultus. Frankfurt am Main, 5. Auflage 1989, 182–189, 188: „In Apollon ist der ganze
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Anhand der allgemeinen Struktur des spekulativen Entwicklungsprozesses, dessen Momente und deren genetisches Verhältnis zueinander, wie gesehen, den Begriffsbestimmungen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit entsprechen, lässt sich auch das Verhältnis von Identität und Differenz im spekulativen Denken näher erläutern. Identität und Differenz haben in der spekulativen Dialektik eine gleichrangige und sich gegenseitig begründende Bedeutung: Einheit stellt sich an und auf Grundlage der internen Differenzierung einer vorangehenden Einheit wieder her sowie diese Differenzierung wesentlich eine immanente Differenzierung ist, die sich im Medium einer anfänglichen Einheit, als deren rein analytisch begründete Selbstbesonderung vollzieht. Da die (höhere) Einheit, die der unmittelbare Anfang mit der Vollendung / im Ende seiner Entwicklung erreicht, wesentlich die Restitution der Form anfänglicher Einheit und Unmittelbarkeit am Bedeutungsgehalt seiner immanenten Selbstdifferenzierung, d. h. an seiner dialektischen Selbstvermittlung, ist, entwickelt er sich in seinem Zurückkehren zu sich / zur Anfänglichkeit zugleich zu einer zwar wieder unmittelbaren und anfänglichen, rücksichtlich ihrer Bedeutung aber konkreteren und komplexeren Form logischer Einheit. Die Vollendung / das Ende des spekulativen Entwicklungsprozesses besteht in dieser Hinsicht eigentlich in einem Beisichsein des unmittelbaren Anfangs in derjenigen Bedeutung, die er als Resultat seiner Selbstnegation zunächst als sein „Negative[s]“ 217 und scheinbar Anderes hervorgebracht hatte. Der unmittelbare Anfang ist in der – gegenüber seinem Ausgangsstadium komplexeren – Struktur seiner dialektischen Selbstvermittlung, d. h. im dialektischen Prozess, bei sich – und kehrt aus ihm zu sich zurück –, indem der dialektische Prozess sich an ihm selbst in die Form wieder anfänglicher Unmittelbarkeit und Einfachheit zurückführt. Die Wahrheit eines jeden unmittelbaren Entwicklungsstadiums des logischen Inhalts besteht somit nicht in dieser nur anfänglichen Form, da sie, obgleich der Inhalt sich im Ende einer jeden Stufe seiner Ent-
217
Glanz des Olympischen versammelt und den Reichen des ewigen Werdens und Vergehens entgegengestellt. Apollon mit Dionysos, dem trunkenen Reigenführer des Erdenkreises, – das wäre das ganze Ausmaß der Welt. Damit wäre die Dionysische Zweiheit des Irdischen aufgenommen in eine neue, höhere Zweiheit: in den unendlichen Gegensatz des ruhelos kreisenden Lebens und des stillen, fernblickenden Geistes.“ Mutatis mutandis gilt auch für die Welt des Logischen, d. h. für das sich in der autonomen Produktion seiner Bestimmungen selbst denkende Denken, dass sowohl der „bachantische Taumel“ der dialektischen Transformation als auch die beständige Einfachheit, aus welcher das Dialektische immanent hervorgeht und in die es unter Wahrung des mit ihm einhergehenden produktiven Fortschritts auch immer wieder zurückkehrt, das Ganze der strukturellen Gesetzmäßigkeit dieser Welt, d. h. die einheitliche Gesamtstruktur der spekulativen Dialektik sowohl als prozessuale Form als auch als Inhalt der logischen Entwicklung, ausmacht. GW, Bd. 12, 244.
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Das Ende
wicklung immer wieder in sie zurückführt, an ihr selbst „das Mangelhafte“ 218 ist. Vielmehr ist in der logischen Entwicklung „die Wahrheit nur das Zu-sichselbst-kommen durch die Negativität der Unmittelbarkeit“ 219. Das Wahre ist also das Ganze. 220 Der unmittelbare Anfang einer jeden Stufe der logischen Entwicklung vollendet sich dadurch, dass er zu sich / zum Prinzip logischer Anfänglichkeit zurückkehrt, indem die dialektische Selbstvermittlung seines ursprünglichen Bedeutungsgehalts sich unter Wahrung der mit ihr einhergegangenen Bedeutungserweiterung in die Form einer wieder anfänglichen, nun aber konkreteren Einheitsbestimmung zurückführt, die als solche dann den Beginn der nächstfolgenden Entwicklungsstufe ausmacht, an der sich der gesamte, aus immanenter Selbstdifferenzierung und Rückkehr zu einer höheren Einheit bestehende Prozess logischer Bedeutungskonkretisierung sodann reproduzieren kann. Der spekulative Wahrheitsbegriff, der in Hegels Logik im Hintergrund steht, kann also in kurzer, prägnanter Form so charakterisiert werden, dass eine logische Bedeutung, um sich zu ihrer Wahrheit zu vollenden, sich zunächst negieren und zu ihrem Anderen bestimmen muss, um dann in dialektisch korrigierter und bereicherter Form zu sich zurückzukehren, d. h. die Negation ihres Ausgangsstadiums nicht als ein Anderes, sondern als eine 218 219 220
GW, Bd. 12, 240. GW, Bd. 12, 251. Gabriel (M. Gabriel: „Hegels Begriff der Vorstellung und das Form-Inhalt-Problem“, in: Spekulation und Vorstellung in Hegels enzyklopädischem System. Tübingen 2015, 7–27, 19 f.) charakterisiert das Denken von Totalität als ein Wesensmerkmal der Philosophie im Allgemeinen und hebt dabei im Besonderen den spezifischen Charakter des spekulativen Totalitätsdenkens Hegels hervor: „Die Philosophie [. . .] untersucht die Durchführbarkeit von Theorien der Totalität. Sie intendiert eine Theorie der Totalität, die sich gegen skeptische Einwände absichern muss, insbesondere gegen den Verdacht, dass sie nicht einmal wahrheitsfähig ist. Hierbei gilt die besondere Bedingung, dass die Untersuchung der Wahrheitsfähigkeit einer Theorie der Totalität spekulativ ist, d. h. an erster Stelle, dass sie sich nicht auf die Existenz eines Gegenstandes verlassen kann, dessen nähere Bestimmungen in Frage stehen.“ Diejenige Theorie von Totalität, die das Thema unserer Untersuchung darstellt, ist Hegels Konzeption der konkreten Allgemeinheit oder konkreten Totalität, die nicht einen Gegenstand voraussetzt, sondern alle in ihr enthaltenden Bestimmungen als Resultate der immanenten begrifflichen Produktivität des spekulativ-dialektischen Denkens ursprünglich aus sich heraus produziert. Die konkrete Allgemeinheit als die allgemeine strukturelle Gesetzmäßigkeit des rein sich selbst explizierenden Denkens ist zugleich die Verfahrensweise der Produktion unbezweifelbarer Wahrheit, die ihre Resultate im Zuge einer vollständigen, absoluten und methodisch stringenten Selbstbegründung denkend hervorbringt. Weiter Gabriel: „Hegels bis heute unübertroffene Leistung besteht darin, sein gesamtes System als Antwort auf die Frage zu konstruieren, wie eine selbstbezügliche Theorie der Totalität aussehen muss, die ihre eigene Wahrheitsfähigkeit garantiert. Kann sie ihre eigene Wahrheitsfähigkeit garantieren, hat sie damit absolute Gegenstände, nämlich die Bedingungen ihrer Wahrheitsfähigkeit, erkannt und damit sichergestellt, dass es Wahrheit gibt, die wir erkennen können.“
Hegel-Studien
Bereicherte Rückkehr zu sich: Die geistige Struktur der spekulativen Dialektik
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Spezifizierung ihrer selbst zu begreifen. Da das Wahre seiner logischen Struktur nach also als ein „Zu-sich-selbst-kommen“ 221 und Zu-sich-zurückkehren konzipiert ist, ist eine vorgängige Entfremdung des Ursprünglichen, ein Sichanders-werden desselben, wesentlich in dieser Struktur wahrer Bestimmtheit inkorporiert, denn dass der ursprüngliche logische Bedeutungsgehalt, der betrachtet wird, „dialektisch und als Anderer bestimmt [wird]“ 222, ist als Negation des noch dialektikfreien und unmittelbaren Ursprungs gerade der Gang ins Andere, aus welchem der Ursprung – durch eben diesen Gang bereichert – zu sich zurückkehrt. Da die spekulative Entwicklung der logischen Bestimmungen sich somit im Sinne eines Bei-sich-seins der anfänglich-unmittelbaren Bedeutungseinheit in ihrem dialektischen Anderen vollendet, ist auch die allgemeine, methodischformale Struktur der logischen Wissenschaft nicht nur als eine ideelle, sondern auch als eine spezifisch geistige Prozessualität zu verstehen. 223 In Hegels Konzeption der logischen Wissenschaft expliziert und entwickelt das Denken sich, mit anderen Worten, auf die Art und Weise, dass es sich kontinuierlich erweitert und bereichert, indem es sich zu einem „Andern“ 224 bestimmt, d. h. zum einem dialektischen Prozess, der zunächst „das Negative“ 225 des unmit221 222 223
224 225
GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 249. Schäfers (R. Schäfer: Aus der Erstarrung. Hellas und Hesperien im ‚freien Gebrauch des Eigenen` beim späten Hölderlin. Hamburg 2020, insb. 131–161.) Deutung des Prinzips der abendländischen Wendung beim späten Hölderlin abwandelnd, könnte man somit sagen, dass auch das Logische – beziehungsweise, wie von uns soeben erörtert, der Geist, der noch „in den reinen Gedanken eingeschlossen“ ist und noch frei von jeglicher endlichen beziehungsweise empirischen Konkretion „sein Wesen“ denkt, – „die Kolonie liebt“, insofern die Selbstexplikation des reinen Denkens wesentlich einhergeht mit einer (dialektischen) Selbstentfremdung seiner unmittelbaren Entwicklungsstadien und es aus seiner Dialektik in bereicherter und konkreterer Ausprägung zur ruhigen und einfachen Form seines anfänglichen Ausgangspunkt zurückkehrt. In beiden Fällen ist die Überwindung von in sich ruhender Abstraktheit und die Konkretion mittels Selbstentfremdung und bereicherter Rückkehr aus dieser das Leitmotiv geistiger Entwicklung. Die Differenz zwischen beiden Konzeption besteht jedoch darin, dass in Hegels spekulativer Logik das Denken wesentlich in sich ein Anderssein ausbildet und aus diesem in bereicherter, mithin konkretisierter Gestalt zur Form seiner anfänglichen Stabilität und Ruhe zurückkehrt: „[. . .] die Idee ist also nur in dieser Selbstbestimmung, sich zu vernehmen, sie ist in dem reinen Gedanken, worin der Unterschied noch kein Andersseyn [gemeint ist hier wohl die Natur, L.H.], sondern sich vollkommen durchsichtig ist und bleibt.“ Demgegenüber ist für die Bewegung des Geistes in Hölderlins Theorie der abendländischen Wendung, wie Schäfer zeigt, konstitutiv, dass er sich auch in empirischem Sinne konkret mit dem ihm Fremden – Landschaften, Tieren, Pflanzen, Göttern etc. – auseinandersetzt, um so zu einem Gebrauch seiner eigenen Freiheit zurückkehren zu können, der nicht mehr blind regelfolgend verläuft. GW, Bd. 12, 244. GW, Bd. 12, 244.
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telbaren Ausgangspunkts darstellt, in diesem Resultat jedoch in einem zweiten Schritt nicht ein Anderes seiner selbst, sondern eine erweiterte und bereicherte Spezifizierung des Ursprungs erkennt und somit den (erweiterten) Bedeutungsgehalt dieses Resultats zu einem neuen, formaliter wieder unmittelbaren, dem Inhalt nach aber konkreteren Anfangsstadium macht. Das rein sich selbst entwickelnde Denken bildet in diesem Sinne kontinuierlich begriffliche Erweiterungen und dialektisch-prozessuale Ausdehnungen in sich aus, seine unmittelbaren und einfachen Entwicklungsstadien verändern sich an ihnen selbst – und damit unweigerlich – zu über sie hinausgehenden, sie ergänzenden dialektischen Bedeutungszusammenhängen, deren prozessuale Struktur, da sie mit der Form der unmittelbaren Ausgangspunkte unvereinbar ist, zunächst ein Anderes / eine Negation der anfänglichen Unmittelbarkeit darstellt. In dieser Hinsicht sind – die übergeordnete Einheit ihrer Selbstbewegung betrachtend – auch die rudimentärsten und noch abstraktesten logischen Bestimmungen als solche, d. h. als Denkbestimmungen, denen die allgemeine Struktur spekulativer Prozessualität als ihre gestalterische und produktive Form unmittelbar inhäriert, ideelle Strukturen, die sich frei, d. h. unabhängig von Anderem und einer apriorischen Gesetzmäßigkeit folgend, an ihnen selbst entwickeln, weiterbestimmen, spezifizieren und immanent konkretisieren. 226 Die spekulative Logik ist die freie Selbstexplikation des Geistes, der hier „im Element des frey für sich seyenden Denkens, im reinen Wissen“ 227 von „seiner Unmittelbarkeit und äusserlichen Concretion befreyt“ 228 in durchgängiger Regelmäßigkeit sich dialektisch mit sich vermittelt, d. h. die begriffliche Stabilität seines Ausgangspunkts zugunsten einer korrigierten und erweiterten Prozessualität auflöst, in diesem „Andersseyn“ 229 als „in seiner Besonderung“ 230 jedoch ebenso sehr positiv bestehen bleibt und aus ihm in bereicherter Ausprägung wieder zu sich zurückkehrt und „sich in sich“ 231 konkretisiert. Die Stadien und unterscheidbaren, da immer konkreter werdenden Bedeutungsgehalte, die das Denken auf diesem „sich selbst construirenden Wege“ 232 durchläuft und ursprünglich ausbildet, indem es sich in aufsteigender Ab226
227 228 229 230 231 232
Speziell in Hinblick auf das systematische Verhältnis zwischen a) derjenigen Freiheit, die dem reinen Denken seiner selbst in der logischen Wissenschaft zukommt, und dann b) der konkreten Realisierung dieses in der spekulativen Logik ursprünglich gewonnenen Freiheitsbegriffs in der realphilosophischen Sphäre der Sittlichkeit vgl. die Ausführungen von Chr. Krijnen: „Spekulatives Begreifen sittlicher Freiheit“, in: Hegels Philosophie des Geistes zwischen endlichem und absolutem Denken. Nordhausen 2016, 101–118. GW, Bd. 21, 54. GW, Bd. 21, 8. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 21, 8.
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Bereicherte Rückkehr zu sich: Die geistige Struktur der spekulativen Dialektik
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folge genetisch zu ihnen entwickelt, sind die Denkbestimmungen, die „reinen Wesenheiten“ 233. Deren „Selbstbewegung ist ihr geistiges Leben, und ist das, wodurch sich die Wissenschaft constituirt, und dessen Darstellung sie ist“. 234 Die spekulative Dialektik ist die Methode der logischen Wissenschaft im Sinne der allgemeinen und in ihrem Verlauf durchgängig sich reproduzierenden strukturellen Gesetzmäßigkeit, gemäß welcher die genetische Entwicklung der logischen Bestimmungen und damit die Selbstkonkretisierung des reinen Denkens, d. h. sein fortlaufendes dialektisches Sichanderswerden sowie seine bereicherte, spekulative Rückkehr zu sich, in sich organisiert ist.
233 234
GW, Bd. 21, 8. GW, Bd. 21, 8.
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ZWEITER TEIL Die teleologische Selbstexplikation der Methode
Im Verlauf des ersten Teils unserer Untersuchung ist gezeigt worden, dass die logischen Bestimmungen ihren jeweiligen begrifflichen Bedeutungsgehalt im Zuge eines immanenten Gestaltungsprozesses erweitern und bereichern. Hierbei hat sich herausgestellt, dass das Resultat dieses Prozesses unmittelbar in eins fällt mit der Genese einer neuen logischen Bestimmung, die aufgrund der Art und Weise ihres Entstehens als eine spezifischere und konkretere Ausprägung desjenigen Bedeutungsgehalts zu verstehen ist, aus dem sie hervorgegangen ist. Da dieses Resultat der immanenten Bereicherung und Erweiterung einer logischen Bestimmung seiner Form nach wieder eine unmittelbare Bedeutungseinheit darstellt, an der sich der zurückliegende Gestaltungsprozess als an einem nun spezifischeren und konkreteren begrifflichen Gehalt erneut reproduziert, nimmt die logische Entwicklung die Form einer hierarchischen Folge von nicht nur aufeinander aufbauenden, sondern organisch auseinander entstehenden Bestimmungen an. An die zurückliegende Analyse der allgemeinen Struktur und prozessualen Regelhaftigkeit dieser produktiven und dennoch begriffsimmanent verfahrenden Entwicklung ist nun eine Erörterung der Rückschlüsse anzuschließen, die sich auf dieser Grundlage in Hinblick auf die Natur der logischen Wissenschaft ziehen lassen.
1. Die spekulative Dialektik als die innere Gesetzmäßigkeit der logischen Entwicklung
D
er spekulativen Dialektik kommt innerhalb der Deduktion der Denkbestimmungen die Funktion der Methode dieses einheitlichen Entwicklungsprozesses zu. Als solche bestimmt sie die allgemeine strukturelle Form, gemäß welcher sich die Ableitung einer jeden logischen Bestimmung aus dem Bedeutungsgehalt der ihr unmittelbar vorangehenden Bestimmung vollzieht. Methode der logischen Entwicklung ist die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik dabei jedoch in dem Sinne, dass sie dem logischen Inhalt als dessen Form unmittelbar inhäriert, ihm immanent ist und, wie Hegel in vitalistischer Metaphorik anführt, ihm als seine „Seele“ 1 innewohnt und den inneren „Trieb“ 2 darstellt, gemäß dem der Inhalt seinen Bedeutungsgehalt schrittweise weiterentwickelt und konkretisiert. Die logische Wissenschaft hat also keine freischwebende, für sich in einer festgestellten Bedeutung bestehende Methode, die auf einen ebenfalls für sich bestehenden und von ihr unterschiedenen Gegenstand angewendet wird. Dasjenige, was in der logischen Entwicklung deren Methode genannt werden kann, ist vielmehr nur die allgemeine Form des Inhalts, der nie ohne diese Form ist, so wie die Form nie etwas anderes ist als die immanente Form eben dieses Inhalts. Die spekulative Dialektik / die absolute Methode ist, mit anderen Worten, diese produktive und gestalterische Formaktivität, die dem einen sich an sich selbst entwickelnden und sich autonom konkretisierenden Inhalt unmittelbar inhäriert und diese Entwicklung seines Bedeutungsgehalts daher auf immanente Weise begründet und bewirkt. Die spekulative Dialektik als Methode der Logik zu bezeichnen, die auf allen Stufen der Entwicklung gleichermaßen tätig und wirksam ist, ist in diesem Sinne nur dann zutreffend, wenn in der Analyse ihrer allgemeinen Struktur zugleich bedacht wird, dass sie nie freischwebend, d. h. abstrakt, adäquat thematisiert werden kann, sondern immer immanente Form eines konkreten Entwicklungsstadiums des logischen Inhalts ist. Auch hier ist sich also wieder an die bereits oben erörterte Bemerkung Hegels zu erinnern: „Die Exposition dessen aber, was allein die wahrhafte Methode der philosophischen Wissenschaft seyn kann, fällt in die Abhandlung der Logik selbst; denn die
1 2
GW, Bd. 12, 238. GW, Bd. 12, 238.
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Methode ist das Bewußtseyn über die Form der innern Selbstbewegung ihres Inhalts.“ 3 In Hinblick auf das Verhältnis, in welchem Methode und Inhalt der logischen Entwicklung zueinander stehen, scheint sich somit zunächst ein Gegensatz herauszustellen. Auf der einen Seite dieses Gegensatzes stehen die unterscheidbaren Stufen der logischen Entwicklung, mit denen die Struktur der spekulativen Dialektik immer als Form eines so oder so bestimmten und sich entwickelnden noematischen Bedeutungsgehalts konkret realisiert ist. Auf der anderen Seite steht sodann die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik. Als solche, d. h. als allgemeine Struktur, kann sie als die gemeinsame Form jener unterscheidbaren Realisierungen ihrer selbst herausgestellt werden, indem mittels eines Vergleichens der Entwicklungsstufen von all ihren Strukturaspekten, durch die sie sich voneinander unterscheiden, abstrahiert wird. Vom Inhalt der Logik, d. h. von den logischen Bestimmungen, die im Zuge der Entwicklung schrittweise auseinander deduziert werden, sagt Hegel dementsprechend, dass er „die in sich gegangene und in der Identität aufgehobene Formbestimmung so ist, daß diese concrete Identität gegenüber der als Form entwickelten steht“ 4. Insofern macht die spekulative Dialektik als die allgemeine Form des Inhalts zugleich auch „den Gegensatz zum Inhalt“ 5 aus. In diesem Sinn ist die spekulative Dialektik die allgemeine Form des schrittweise sich entwickelnden und sich konkretisierenden logischen Inhalts, die als solche in allen seinen in anderer Hinsicht unterscheidbaren Entwicklungsstadien gegenwärtig ist. Diese Form reproduziert sich auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung, da, wie wir gesehen haben, das jeweilige Ende einer Stufe, das aus ihrem Anfang immanent resultiert ist, zugleich und unmittelbar immer auch den Anfang der nächsten Stufe darstellt. Ein Stadium der logischen Entwicklung vollendet sich, indem der dialektische Prozess, zu dem sich sein unmittelbarer Anfang an ihm selbst bestimmt hat und der für sich betrachtet ein unendlicher Progress der immanenten Transformation zweier entgegengesetzter Bestimmungen zueinander ist, seinen gegenüber dem Anfang komplexeren Bedeutungsgehalt wieder in die Form anfänglicher Einfachheit und Unmittelbarkeit zurückführt. Sowohl die im wahrsten Sinne ursprüngliche Selbstvermittlung und Selbstbesonderung des allgemeinen Anfangs als auch die den Entwicklungsprozess vollendende Wiederherstellung der Formbestimmung anfänglicher Unmittelbarkeit an dem Gehalt dieser spezifischen Selbstvermittlung werden durch die gestalterische und produktive Aktivität der spekulativ-dialektischen Methode begründet. Auch hier ist aber wieder zu 3 4 5
GW, Bd. 21, 37. GW, Bd. 12, 237. GW, Bd. 12, 237.
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bedenken, dass die Methode in der logischen Wissenschaft die Bedeutung der immanenten strukturellen Verfasstheit des logischen Inhalts hat, eben als eines spekulativ-dialektisch sich weiterführenden, d. h. sich an ihm selbst konkretisierenden, einigen Bedeutungsgehalts. Die unterscheidbaren Momente dieser in sich komplexen und binnendifferenzierten Struktur, gemäß welcher der Inhalt der logischen Entwicklung sich immanent konkretisiert, bewirken dabei je die Übergänge Anfang / Allgemeinheit zu Fortgang / Besonderheit sowie Fortgang / Besonderheit zu Ende / Einzelheit und manifestieren sich damit als die Struktur einer jeden Stufe der Entwicklung. Die Vollendung eines spekulativen Entwicklungsprozesses besteht also prinzipiell darin, dass die dem logischen Inhalt inhärierende methodische Form das Resultat ihrer eigenen Aktivität, nämlich den immanenten Fortgang des unmittelbaren Anfangs, im Zuge dessen dieser sich selbst besondert, indem er sich als dialektisch bestimmt, als die neue positive und wieder unmittelbare Bedeutungseinheit herausstellt. Rücksichtlich ihrer prozessualen Struktur hat die spekulative Dialektik sich im zurückliegenden Verlauf der Untersuchung als identisch mit dem in sich bewegten und sich selbst bewegenden Prinzip der konkreten Allgemeinheit erwiesen. Ausgehend von ihrer unmittelbaren Bedeutung spezifizieren sich die logischen Bestimmungen jeweils zu einer dialektischen Vermittlung mit ihrem begrifflichen Gegenteil und führen diese erweiterte Bedeutung ihrer Dialektik anschließend in die Form einer konkreteren Bedeutungseinheit zurück, die als solche den wieder allgemeinen, nun sich weiterspezifizierenden und weiterkonkretisierenden Anfang der nächstfolgenden Stufe der Entwicklung konstituiert. Die logische Entwicklung besteht, wie sich gezeigt hat, darin, dass ein einiger Inhalt sich schrittweise konkretisiert. 6 Die formaliter einfachen und unmittelbaren Entwicklungsstadien, zu denen dieser Inhalt sich in seiner Transformation – nämlich mit der Vollendung einer jeden Stufe der Entwicklung – immer wieder zusammennimmt, erweisen sich an ihnen selbst als dialektisch, differenzieren sich zu einem über ihre unmittelbare Form hinausgehenden zirkulären Vermittlungsprozess und führen diesen unter Wahrung der damit einhergehenden Bedeutungserweiterung in die Form einer wieder unmittelbaren, nun aber inhaltlich konkreteren Einheit zurück. Damit konkretisiert sich der logische Inhalt im Zuge einer immanenten, durchgängigen und sprunglos sich vollziehenden Entwicklung, er „continuiert“ 7 sich in den Resultaten und 6
7
So bestimmt auch Gadamer (H.-G. Gadamer: „Die Idee der Hegelschen Logik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 49–69, 66.) den Verlauf der logischen Entwicklung dahingehend, dass das reine Sein „an dem Anfang dieses Nachdenkens steht und in der vollen Vergegenständlichung seines Gehalts das Ende im Begriff findet“. GW, Bd. 20, 230.
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Bestimmungen, die an ihm gesetzt werden, und verändert sich nur insofern, als dass er „sich in sich [verdichtet]“ 8, sich immanent besondert und spezifiziert. Der Inhalt der Logik ist somit erstens ein einiger, sich auf immanente Weise selbst spezifizierender Inhalt. Zweitens ist die Struktur der spekulativen Dialektik die produktive und gestalterische Form, die dem logischen Inhalt unmittelbar inhäriert und sich als die allgemeine strukturelle Gesetzmäßigkeit seiner Konkretisierung auf allen unterscheidbaren Stadien der Entwicklung einheitlich durchhält und reproduziert. Hieraus ergibt sich, dass neben dieser allgemeinen Form des logischen Inhalts, die seine unterscheidbaren, mehr oder weniger konkreten, jedoch immer konkreter werdenden Entwicklungsstadien eben zu Stationen einer einheitlichen, sprunglos sich vollziehenden Prozessualität zusammenschließt, in der Interpretation der Struktur eben dieser Prozessualität noch ein materialer Strukturaspekt des logischen Inhalts berücksichtigt werden muss. Da das Denken sich in der logischen Wissenschaft „im abstracten Elemente des Denkens“ 9 bewegt, die Logik Denken rein nur des Denkens und dessen innerer Bestimmungen und Gesetzmäßigkeiten ist, kann die materiale Komponente der logischen Entwicklung nicht darin bestehen, dass irgendwelche gegenüber dem Denken heterogene Bedeutungen äußerlich in sie aufgenommen werden. Die logische Entwicklung ist, mit anderen Worten, die Selbstexplikation des reinen Denkens, „von aller sinnlichen Concretion befreyt“. 10 Auf diesen Umstand ist bereits im Rahmen unserer Erörterung der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik, insbesondere in den Erläuterungen zum Moment des Anfangs detailliert eingegangen worden. Dass das Denken, so es rein nur sich selbst denkt, entwickelt und expliziert, nicht von einer außerhalb seiner selbst liegenden Quelle affiziert und materialiter bestimmt wird, bedeutet nun im Umkehrschluss jedoch nicht, dass ihm überhaupt keinerlei materiale Bestimmtheit zukommt. Es gilt lediglich, dass die Logik als Denken des Denkens sich für Hegel nicht darin erschöpft, die kategorialen Formbestimmungen des empirischen denkenden Seinsbezugs zu thematisieren, zu denen demnach noch ein Material der sinnlichen Anschauung hinzutreten müsse, wenn Erkenntnis erlangt werden soll. Gleich zu Beginn der Einleitung zur Wissenschaft der Logik grenzt Hegel seine Konzeption der logischen Wissenschaft sehr deutlich von einer in diesem Sinn formalen Logik ab: „Wenn die Logik als die Wissenschaft des Denkens im Allgemeinen angenommen wird, so wird dabey verstanden, daß diß Denken die bloße Form einer Erkenntniß ausmache, daß die Logik von allem Inhalte abstrahire, und das sogenannte zweyte 8 9 10
GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 20, 61. GW, Bd. 21, 42.
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Bestandstück, das zu einer Erkenntniß gehöre, die Materie, anderswoher gegeben werden müsse, daß somit die Logik, als von welcher diese Materie ganz und gar unabhängig sey, nur die formalen Bedingungen wahrhafter Erkenntniß angeben, nicht aber reale Wahrheit selbst enthalten, noch auch nur der Weg zu realer Wahrheit seyn könne, weil gerade das Wesentliche der Wahrheit, der Inhalt, ausser ihr liege.“ 11
Eine solche Auffassung der Logik beschränkt die Funktion ihres Inhalts, d. h. der logischen Bestimmungen, darauf, die „formalen Bedingungen“ der Möglichkeit „wahrhafter Erkenntniß“ zu thematisieren. Dem Denken mangelt es in dieser Konzeption an und für sich noch an einem bestimmten Gehalt, einer Materie, und erst in Vereinigung mit dieser vervollständigen sich die kategorialen Bestimmungen des Denkens zu einer wahren Erkenntnis. Diese Interpretation der logischen Bestimmung, die traditionellen Logikkonzeptionen zugrunde liegt, ergänzt Hegel sogleich mit einer Kritik: „Vors erste aber ist es schon ungeschikt zu sagen, daß die Logik von allem Inhalte abstrahire, daß sie nur die Regeln des Denkens lehre, ohne auf das Gedachte sich einzulassen und auf dessen Beschaffenheit Rücksicht nehmen zu können. Denn da das Denken und die Regeln des Denkens ihr Gegenstand seyn sollen, so hat sie ja unmittelbar daran ihren eigenthümlichen Inhalt; sie hat daran auch jenes zweyte Bestandstück der Erkenntniß, eine Materie, um deren Beschaffenheit sie sich bekümmert.“ 12
Der Kardinalfehler der formalen Logik besteht für Hegel also darin, dass sie sich sowohl in ihrer Selbsteinschätzung als auch in ihrer Methodik darauf beschränkt, zwar die logischen Gründe der Möglichkeit empirischen Denkens in abstrakter Reinform darzustellen, wahre und gerechtfertigte Erkenntnis aber einer über sie hinausgehenden Verbindung der abstrakten Denkformen mit einer sinnlichen Materie vorzubehalten, d. h. wahre Erkenntnis auf empirische Erkenntnis zu beschränken. Eine formale Logik, die in diesem Sinne nicht anerkennt, dass sie die Bedingungen wahrer Erkenntnis bereits vollständig in sich enthält, versteht sich für Hegel demnach selbst von Grund auf falsch, da sie weit hinter ihren epistemischen Möglichkeiten zurückbleibt. Hierunter fällt für Hegel auch noch die transzendentale Logik Kants, insofern die Kategorien oder reinen Verstandesbegriffe hier und vor dem Hintergrund der kritischen Erkenntnisrestriktion nur dann gerechtfertigte Anwendung finden, wenn sie auf ein gegebenes, d. h. sinnlich rezipiertes, Anschauungsmannigfaltiges bezogen werden. Gerade darin liegt es für Hegel jedoch begründet, dass „der 11 12
GW, Bd. 21, 28. GW, Bd. 21, 28.
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sinnliche Stoff, das Mannichfaltige der Anschauung [. . .] ihm [d. h. Kant, L.H.] zu mächtig [war], um davon weg zur Betrachtung des Begriffs und der Kategorien an und für sich, und zu einem speculativen Philosophiren kommen zu können“. 13 Dass der logischen Wissenschaft im Sinne Hegels, obgleich das Denken hier von jeglicher sinnlichen Affiziertheit abstrahiert, dennoch eine materiale Bestimmtheit zukommt, dies liegt darin begründet, dass das Denken des Denkens die allgemeinen und notwendigen Formbestimmungen eines jeden Denkaktes nicht in Gestalt einer Auflistung oder einer Kategorientafel thematisiert, sondern sie genetisch auseinander entwickelt. 14 Da die Logik, wie dargelegt worden ist, spezifischere aus allgemeineren Denkbestimmungen ableitet und diese daher nicht als etwas Fertiges und von vornherein Bestehendes expliziert, sondern ursprünglich produziert, ist die logische Wissenschaft wesentlich Prozesslogik. Als ein produktiver Gestaltungsprozess, im Rahmen dessen das Denken sich schrittweise expliziert, indem es sich auf immanente Weise spezifiziert und sich selbst in unterscheidbare Bestimmungen und Strukturen einteilt, die erst in ihrer einheitlichen, prozessual zusammenhängenden Ganzheit seine Wahrheit ausmachen, kann die logische Wissenschaft nicht ohne einen in irgendeinem Sinn passiven Strukturaspekt adäquat beschrieben. Auch wenn das Denken, mit anderen Worten, im Rahmen seiner reinen Selbstexplikation, seines denkenden Bezugs nur auf sich, keinen Bedeutungsgehalt äußerlich aufnimmt, keine etwa sinnlichen Empfindungsgehalte rezipiert, so kommt ihm dennoch ein passives Moment zu, gerade weil es als produktive Selbstexplikation ein Gestaltungsprozess ist und demnach auch eine Materie, die gestaltet wird, in sich enthält. 13 14
GW, Bd. 12, 27. Bezüglich Hegels Kritik an Kategorienlehren der Tradition vgl. K. Düsing: „Ontologische Bestimmungen als Prädikate des Absoluten? Zum Verhältnis von Ontologie und Theologie bei Hegel“, in: Die Logik des Transzendentalen. Festschrift für Jan A. Aertsen zum 65. Geburtstag. Berlin / New York 2003, 676–691, 678: „Insbesondere der Kantischen Kategorienlehre als einem reinen Gedankengebäude der Ontologie wirft Hegel ebenso wie die anderen Idealisten mangelnde Systematik und mangelnde methodische Entwicklung vor. Diese Mängel ersetze auch nicht der Umweg über die Urteilstafel. Hegel erkennt hierbei nicht, daß die systematische Orientierung der Kategorientafel an der Urteilstafel Kants grundlegender Konzeption einer urteilslogischen Ontologie entspringt, wie sie sich ansatzweise zuerst bei Aristoteles findet; danach werden Grundbestimmungen des Seienden gemäß den Funktionen des ‚ist`-Sagens entworfen. Hegel verlangt dagegen eine ganz andersartige, nämlich dialektische Methode der Explikation ontologischer Bestimmungen. Vor allem aber ist für Hegel Kants Kategorientafel ebensowenig wie dessen Urteilstafel aus der Einheit der Apperzeption als ihrem Prinzip systematisch entwickelt. Dies trifft in der Tat zu, auch wenn sich in Kants Briefen und Reflexionen, die Hegel nicht kennen konnte, Ansätze zu einer schrittweisen Entfaltung der Urteilstafel und ihr gemäß der Kategorientafel finden.“
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Die Textstellen, in denen sich Hegel unter Verwendung einer Form-Materie-Unterscheidung auf die gesamtlogische Entwicklung, d. h. auf die strukturelle Natur des Denkens des Denkens als solche, bezieht, beschränken sich im Wesentlichen auf die erörterten Passagen aus der Einleitung der Logik. Allerdings hat er sie wohl als wichtig genug und vor allem als zutreffend erachtet, sodass sie sich nicht nur bereits in der ersten Auflage der Seinslogik von 1812 finden, sondern auch Hegels ausgiebige Überarbeitung dieses ersten Teils der Logik überstanden und auch in der zweiten, kurz nach Hegels Tod erschienenen Auflage des Werks noch enthalten sind. 15 Bedeutung, Funktion und Stellung des Materiebegriffs in Hinblick auf die Struktur der gesamtlogischen Entwicklung haben in der Forschungsliteratur bis heute ausgesprochen wenig Beachtung gefunden. Demgegenüber ist auf das Verhältnis von Form und Inhalt vergleichsweise viel eingegangen worden und in der Tat besteht das Wesentliche der Logik darin, dass, wie wir noch detaillierter sehen werden, ihr einiger Inhalt seinen Bedeutungsgehalt schrittweise, aber immanent konkretisiert und dieser sich im Fortgehen seiner Konkretisierung der spekulativen Dialektik als der strukturellen Gesetzmäßigkeit des Entwicklungsprozesses annähert. Da im Inhalt der logischen Entwicklung, der ein sich auf immanente Weise selbst gestaltendendes Prinzip darstellt, somit aber Aktivität und Passivität, Gestaltendes und Gestaltetes, spekulative Dialektik und spekulativdialektisch sich weiterführender Bedeutungsgehalt in eins gebildet sind, ist in der Analyse der logischen Entwicklung die aktive und produktive Dimension des Inhalts von derjenigen zu unterscheiden, nach der er dabei zugleich das Gestaltete, Produzierte, sich Verändernde ist. Das Denken des Denkens hat in dieser Interpretation einen materialen Strukturaspekt nicht aufgrund eines äußerlichen Bestimmtseins durch etwa empirische Sinnesdaten, die den zu denkenden Stoff darstellen würden, sondern weil es prozessuale Selbstexplikation und rein nur denkende Selbstgestaltung ist. 16 Die Entwicklung des einen logischen Inhalts vollzieht sich durchgängig und sprunglos, da das gestalterische Produktionsprinzip, das die Bereicherung und die Konkretisierung seines Bedeutungsgehalts begründet, die dem Inhalt unmittelbar inhärierende Form ist. Diese bleibt auf allen Ebenen der Entwicklung durchgängig bestehen, reproduziert sich auf ihnen und ist daher gerade in und aufgrund ihrer gestalterischen Aktivität als das Bleibende im Wandel des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts zu verstehen. 15 16
Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 15 f. Ein weiteres, in Hegels eigenem Gedankengang bleibendes Argument für die Möglichkeit einer Interpretation der gesamtlogischen Entwicklung mittels einer Form-Materie-Distinktion besteht gerade darin, dass beide Begriffe in der Wesenslogik als Denkbestimmungen thematisiert und entwickelt und damit systematisch in die reine Selbstexplikation des Denkens inkorporiert sind.
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Es muss in der Analyse des Verhältnisses von Methode und Inhalt also zweierlei geleistet werden. Erstens ist darzustellen, dass und wie die komplexe Gesamtstruktur der spekulativen Dialektik als höchste Bestimmtheit, die der logische Inhalt in seiner schrittweisen, aber sprunglosen, durchgängigen und einheitlich zusammenhängenden Entwicklung annimmt, aus allgemeineren und abstrakteren Bestimmungen deduziert wird. Als letztes Resultat eines einheitlichen Deduktionsprozesses liegt die spekulative Methode sodann als ein „abgeleitetes und erwiesenes“ 17 vor, da mit der hierarchischen Folge von allgemeineren Denkbestimmungen und Arten der Selbstbezüglichkeit, aus denen die Struktur der spekulativen Dialektik deduziert wird, zugleich die Totalität ihrer Bedingungen begriffen und angegeben ist. Zweitens muss dabei jedoch berücksichtigt werden, dass die spekulative Dialektik – obgleich nicht von vornherein Bestimmung des logischen Inhalts in dem soeben beschriebenen Sinn, sondern allererst Resultat und Endpunkt seiner Entwicklung und immanenten Spezifizierung – auf allen unterscheidbaren Stufen der Entwicklung bereits Form des logischen Inhalts und seiner inneren Selbstbewegung ist. Die spekulative Dialektik ist, mit anderen Worten, auch bereits Form allgemeinerer, abstrakterer und rudimentärerer Manifestationen des sich entwickelnden Inhalts, die als solche noch nicht in vollständiger Hinsicht die Komplexität und Konkretheit der spekulativen Dialektik selbst, d. h. ihrer Form, erreicht haben. In der Analyse derjenigen Struktur, die dem einen logischen Inhalt in seiner immanenten Spezifizierung und in seiner sprunglosen Entwicklung durch unterscheidbare Entwicklungsstufen hindurch zukommt, muss die Durchgängigkeit und Kontinuität der Form dieser Selbstbewegung, die sich auf allen Entwicklungsstufen reproduziert, also mit einem Kriterium der Differenz zusammen gedacht werden, nach dem jene unterscheidbaren Entwicklungsstufen sowohl voneinander als auch von der ihnen unmittelbar inhärierenden Form, d. h. der allgemeinen Struktur ihrer jeweiligen immanenten Fortführung und Weiterbestimmung, unterschieden werden. Der Anfang einer Stufe der logischen Entwicklung und ihr Ende, das zugleich den Anfang der nächsten Entwicklungsstufe darstellt, unterscheiden sich darin, dass sich der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts im Fortgang von Anfang zu Ende bereichert und konkretisiert hat. Die Erweiterung der Bedeutung vollzog sich dabei mit der immanenten Differenzierung des zunächst einfachen Anfangs in eine dialektische und wesentlich prozessuale Vermittlungsstruktur, die zwei sowohl einander entgegengesetzte als auch sich immanent zueinander transformierende Bestimmungen zu ihren Relata hat. Mit der Rückführung des Bedeutungsgehalts nicht eines dieser beiden Relata, sondern des Bedeutungsgehalts des gesamten zirkulären und in sich ruhenden dialek17
GW, Bd. 12, 249.
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tischen Transformationsprozesses in die Form anfänglicher Einfachheit vervollständigt sich die dialektische Bedeutungserweiterung schließlich zu einer Bedeutungskonkretion. Der Umstand, dass das Ende einer Stufe der logischen Entwicklung gegenüber ihrem Anfang – beziehungsweise der Anfang einer Entwicklungsstufe gegenüber dem der vorangehenden – einen komplexeren Bedeutungsgehalt hat, schlägt sich nun rücksichtlich der logischen Struktur dieser unmittelbaren Entwicklungsstadien nicht in einer formalen, sondern in einer inhaltlichen Differenz nieder. Die aktive, gestalterische und produktive Form der logischen Entwicklung hat, wie wir gesehen haben, nicht nur eine binnendifferenzierte, sondern darüber hinaus auch eine geschichtete Struktur. Die allgemeine und sich auf allen Entwicklungsstufen immanent reproduzierende Form der Selbstbewegung des logischen Inhalts ist die spekulative Dialektik. Die oberste Ebene der absoluten Methode ist die prozessuale Struktur von Anfang, Fortgang und Ende, d. h. der „Bestimmungen des Begriffes [. . .] und deren Beziehungen“ 18, insofern sie „in der Bedeutung als Bestimmungen der Methode“ 19 betrachtet werden. Diese drei Momente der spekulativen Methode entsprechen den drei unterscheidbaren Stadien eines jeden durch sie geregelten Entwicklungsprozesses und reproduzieren sich somit, wie dargelegt worden ist, auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung als die immanente gestalterische Formaktivität eines in Hinblick auf den jeweils thematischen Bedeutungsgehalt spezifisch bestimmten Entwicklungsstadiums des logischen Inhalts. Das Moment des Anfangs der spekulativen Entwicklung besteht zunächst darin, eine logische Bestimmung in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit zu erfassen, d. h. „an und für sich selbst zu betrachten“ 20. Da dieses einfache Erfassen des unmittelbaren Bedeutungsgehalts der Denkbestimmung nun aber unmittelbar in eins fällt mit einer negativen Unterscheidung dieses affirmativen Bedeutungsgehalts von seinem Entgegengesetzten, ist die logische Struktur des Inhalts in diesem Entwicklungsstadium, d. h. noch vor seiner immanenten Differenzierung und seines Fortgehens, die der Negation der Negation im Sinne der negativen Abgrenzung der jeweiligen Bestimmung von ihrer ihr entgegengesetzten Negation. Dass der Bedeutungsgehalt der logischen Bestimmungen hier in der Form noch undifferenzierter Einfachheit vorliegt und daher in diesem Stadium der Entwicklung zunächst nur unmittelbar als das erfasst wird, was er ist und nicht ist, bedeutet rücksichtlich der logischen Struktur dieses intuitiven Denkaktes, dass die logischen Bestimmungen im Anfang ihrer Entwicklung in der Form eines inhaltlich spezifisch bestimmten 18 19 20
GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 242.
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Etwas thematisch sind. So besteht, um einige Beispiele hierfür heranzuziehen, der noch einfache, nicht spezifizierte und unmittelbare Bedeutungsgehalt der Kategorie des Ansichseins darin, negativ von dem ihm spezifisch entgegengesetzten Bedeutungsgehalt, d. h. dem Sein-für-Anderes, unterschieden zu sein: „[. . .] Beziehung auf sich gegen seine Beziehung auf Anderes, als Gleichheit mit sich gegen seine Ungleichheit. Ein solches Seyn ist Ansichseyn.“ 21 Und weiter: „[. . .] insofern Etwas an sich ist, ist es dem Anders-seyn und dem Seyn-für-Anderes entnommen“. 22 Der unmittelbare Bedeutungsgehalt der wesenslogischen Bestimmung des Ganzen fällt unmittelbar damit in eins, Negation der Teile zu sein, von denen das Ganze als „das Selbstständige“ 23 negativ unterschieden ist. Der unmittelbare Bedeutungsgehalt der Substantialität besteht darin, die Akzidentialität als ihr spezifisches Entgegengesetztes negativ von sich zu unterscheiden, d. h. „absolute Macht“ 24 zu sein in Abgrenzung von der Machtlosigkeit ihrer Akzidenzen, die gegenüber der Beständigkeit der Substanz dem Wechsel des Entstehens und Vergehens unterworfen sind. Schließlich besteht in allgemeiner Hinsicht auch der unmittelbare Bedeutungsgehalts des methodischen Moments des Anfangs darin, als anfängliche Unmittelbarkeit von jeglichem Fortgang, jeglicher Spezifizierung und Vermittlung negativ unterschieden zu sein. Hieran zeigt sich, dass die Denkbestimmungen Ansichsein, Ganzes und Substantialität sowie auch das methodische Moment anfänglicher Unmittelbarkeit in allgemeiner Hinsicht im Anfang ihrer spekulativen Entwicklung, wo ihr jeweiliger Bedeutungsgehalt zunächst in der Form noch nicht spezifizierter Einfachheit und Unmittelbarkeit gedanklich erfasst wird, eine inhaltlich konkret bestimmte Form der Negation der Negation darstellen. Den unmittelbaren Bedeutungsgehalt dieser logischen Bestimmungen zu erfassen, bedeutet zunächst nur, sie in diesem Sinne negativ von der ihnen spezifisch entgegengesetzten Negation ihrer selbst zu unterscheiden, abzugrenzen und damit positiv zu bestimmen und zu affirmieren. Die Denkbestimmungen haben im Anfang ihrer Entwicklung die Form eines inhaltlich konkret bestimmten Etwas, insofern ihr unmittelbarer Bedeutungsgehalt, ihre unmittelbare Bedeutung, die ihnen „an sich“ 25 zukommt, also unmittelbar in eins fällt mit ihrer jeweiligen „einfache[n] seyende[n] Beziehung auf sich“ 26. Die logische Struktur dieser unmittelbaren Erfassung logischer Sinn- und Bedeutungsgehalte ist, wie dargelegt, die logische Struktur jeglicher stabilen begrifflichen 21 22 23 24 25 26
GW, Bd. 21, 107. GW, Bd. 21, 107. GW, Bd. 11, 355. GW, Bd. 11, 395. GW, Bd. 12, 245. GW, Bd. 21, 103.
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Affirmation überhaupt, d. h. die „Negation der Negation“ 27 im Sinne der negativen Unterscheidung der Bedeutung von ihrer Negation, ihrem ihr entgegengesetzten Nicht-sein. Aufgrund dieses methodischen Umstands, nach dem die logische Struktur der Negation der Negation – in ihrer Bedeutung als negierendes Unterscheiden einer affirmativen Bedeutung von ihrer Negation – allgemeine Formbestimmung aller Denkbestimmungen im Anfang ihrer spekulativen Entwicklung ist, wird auch noch einmal deutlich, aus welchem Grund und in welchem Sinne Hegel die Daseinskategorie des Etwas als den „Anfang des Subjects“ 28 bezeichnet. Das Prinzip der absoluten Subjektivität besteht schlussendlich darin, dass das reine Denken seiner selbst sich in die systematische Abfolge der logischen Bestimmungen einteilt und diese sich im Zuge eines immanenten Deduktionsprozesses schrittweise bereichern und konkretisieren, bis mit der absoluten Idee schließlich die allgemeine Form dieses gesamten Entwicklungs-, Deduktions- und Einteilungsprozesses selbst als systematischer Endpunkt der Entwicklung deduziert wird. Anfang der Subjektivität und damit der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik ist die Daseinskategorie des Etwas, da mit ihr diejenige logische Struktur ausgebildet und gewonnen worden ist, die innerhalb der einheitlichen Gesamtstruktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung, d. h. für die immanente Entwicklung aller logischen Bestimmungen, die Grundoperation des Moments des Anfangs ausmacht. Im Anfang ihrer spekulativen Entwicklung stellen die logischen Bestimmungen demnach je eine spezifische Manifestation derjenigen strukturellen Form dar, die der vorurteilsfreien und denkend-intuitiven Erfassung ihres unmittelbaren Bedeutungsgehalts zugrunde liegt. Ihrer Form nach bestehen die logischen Bestimmungen in ihrem anfänglichen Entwicklungsstadium somit zunächst darin, die Negation ihrer Negation zu sein, welche sie folglich in ihrer unmittelbaren Affirmation negativ von sich unterscheiden. Die spezifische Differenz, durch welche die Denkbestimmungen sowie dementsprechend die Anfänge der unterschiedlichen Stufen der logischen Entwicklung 27 28
GW, Bd. 21, 103. GW, Bd. 21, 103. Wir begreifen die Charakterisierung des Etwas als „Anfang des Subjects“ im Folgenden so, dass hiermit der Anfang jeglicher Form von Subjektivität gemeint ist, damit jedoch auch und gerade – nämlich in paradigmatischer Weise – der Anfang der absoluten Subjektivität, deren Selbstentwicklung das Denken des Denkens wesentlich ist und in der die logische Struktur auch der endlichen Subjektivität aufgehoben und bewahrt ist. Demgegenüber analysiert Stekeler-Weithofer (P. Stekeler-Weithofer: Hegels Wissenschaft der Logik. Ein dialogischer Kommentar. Band 1: Die objektive Logik. Die Lehre vom Sein. Qualitative Kontraste, Mengen und Maße. Hamburg 2020, 406 ff.) diese Formulierung zunächst mit einem Fokus auf ihre prädikationstheoretische Bedeutung und versteht das Subjekt, dessen Anfang hier bedacht wird, demnach als „das Satzsubjekt, der Satzgegenstand“.
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sich voneinander unterscheiden, besteht also nicht darin, dass der anfängliche Bedeutungsgehalt der Denkbestimmungen sich durch die negative Unterscheidung von seinem Entgegengesetzten konstituiert. Sie unterscheiden sich nicht durch die Form und die logische Struktur der unmittelbaren Erfassung ihrer einfachen Bedeutung, sondern der spezifische Bedeutungsgehalt der logischen Bestimmungen und ihre Unterscheidbarkeit voneinander resultieren aus dem spezifischen Gehalt ihres jeweiligen Entgegengesetzten, dessen Abgrenzung und negatives Ausschließen ihre jeweilige unmittelbare Bedeutung konstituiert. Das zweite Moment der einheitlichen Gesamtstruktur spekulativer Entwicklungsprozesse besteht darin, dass die soeben erörtere Erfassung der logischen Bestimmungen in der Form einfacher und unmittelbarer Bedeutungseinheiten sich an ihr selbst als dialektisch erweist und zu einem zirkulären Transformationsprozess besondert, der sich zwischen dem anfänglichen Bedeutungsgehalt und seinem Entgegengesetzten vollzieht. Mit diesem immanenten Fortgehen der spekulativen Entwicklung erweist sich die ursprünglich unmittelbare Bedeutung wahrhaft als Anfang eines Fortgangs. 29 Da der unmittelbare Anfang sich an ihm selbst, d. h. im Rahmen einer immanenten synthetischen Entwicklung, zu diesem dialektischen Fortgang bestimmt, entspricht dieser der Begriffsbestimmung der Besonderheit in ihrer Bedeutung als Moment der Methode. Rücksichtlich der logischen Struktur des Fortgangs ist zunächst festzuhalten, dass die Struktur des Anfangs, d. h. die allgemeine Form der daseinslogischen Negation der Negation, in der alle Denkbestimmungen im Anfang ihrer Entwicklung unmittelbar thematisch sind, sich mit dem Einsetzen des Fortgangs der spekulativen Entwicklung zu einer selbstbezüglichen Negativität erweitert. 29
Somit gilt auch, dass die unmittelbare Bedeutungseinheit, die am Anfang eines spekulativen Entwicklungsprozesses steht, sich erst im dialektischen Fortgang, in welchem als in einem über ihr ursprüngliches Stadium sowohl in struktureller Komplexität als auch in inhaltlicher Bestimmtheit hinausgehenden Bedeutungsgehalt sie positiv bestehen bleibt, als eine in sich produktive Allgemeinheit erweist. Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 8: „die Vernunft ist negativ und dialektisch, weil sie die Bestimmungen des Verstands in Nichts auflöst; sie ist positiv, weil sie das Allgemeine erzeugt, und das Besondere darin begreift.“ Da das Allgemeine nur Allgemeines ist, insofern es sich besondert, findet sich der Umstand, dass das Allgemeine als solches sowie der Anfang als Anfang allererst hervorgebracht werden, implizit auch in folgender Passage ausgedrückt: GW, Bd. 14,1, 47: „Das bewegende Princip des Begriffs, als die Besonderungen des Allgemeinen nicht nur auflösend, sondern auch hervorbringend, heiße ich die Dialektik.“ Vgl. zu dieser Thematik auch die Ausführungen von K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn, 3. Auflage 1995, 316: „Die anfängliche Bedeutung des Begriffs als Unmittelbarkeit und Allgemeinheit wird durch den notwendigen Fortgang, in Beziehung auf den der Anfang allein Anfang ist, zu einem Anderen [. . .].“
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Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik, die als gestalterische und produktive Formaktivität die Entwicklung und Konkretisierung des logischen Inhalts immanent begründet und leitet, hat sich somit als eine binnendifferenzierte Formbestimmung erwiesen. Die Momente dieser Formaktivität sind a) der allgemeine Anfang, b) der dialektische Fortgang, zu dem die anfängliche Unmittelbarkeit sich an ihr selbst besondert, sowie c) das Ende, mit dem der Bedeutungsgehalt des dialektischen Fortgangs, der als solcher über die Bedeutung des ursprünglichen Anfangs, aus dem er resultiert ist, hinausgeht, selbst wieder in die Form anfänglicher Einfachheit und Unmittelbarkeit zurückgeführt wird, was nahtlos den Beginn der nächsten Entwicklungsstufe markiert. In der Analyse dieser drei Momente der spekulativen Entwicklung konnte gezeigt werden, dass ihnen und der Prozessualität, die mit ihnen zum Ausdruck kommt, logische Strukturen eingelagert sind, die – für sich betrachtet – von seins- beziehungsweise wesenslogischer Komplexität sind. Nun ist diejenige Prozessualität, die einer spekulativen, d. h. durch die spekulative Dialektik methodisch-formal geregelten, Entwicklung zukommt, von wesentlich begriffslogischer Struktur, was schon dadurch deutlich wird, dass Anfang, Fortgang und Ende sich wie Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit zueinander verhalten. Aus diesem Grund haben jene seins- beziehungsweise wesenslogischen Strukturen innerhalb der begriffslogischen Gesamtstruktur der spekulativen Prozessualität nur eine – obgleich zentrale und konstitutive – methodische Bedeutung auf untergeordneter Ebene beziehungsweise als eingebettet in die höhere prozessuale Einheit der begriffslogischen Entwicklungsdialektik der spekulativen Methode. In diesem Sinne ist gezeigt worden, dass das methodische Moment des Anfangs der spekulativen Entwicklung, insofern die logischen Bestimmungen hier, d. h. noch vor dem Einsetzen des diskursiven Fortgangs, in der Form einfacher, noch nicht spezifizierter Bedeutungseinheiten thematisch sind, der logischen Struktur der daseinslogischen Negation der Negation entspricht. Den Bedeutungsgehalt der logischen Bestimmungen in der Form anfänglicher Einfachheit und Unmittelbarkeit aufzufassen, was Hegel mit einer Anspielung auf die Platonische Ideenschau als ein „innerliches Anschauen“ 30 beschreibt, das nicht von sinnlicher Natur ist, sondern sich rein „nur im Elemente des Denkens“ 31 vollzieht, bedeutet, die Denkbestimmungen zunächst nur als das festzuhalten, was sie ihrem unmittelbaren Bedeutungsgehalt nach sind. Die unmittelbare Bedeutung der logischen Bestimmungen konstituiert sich nun aber wesentlich dadurch, dass sie dasjenige, was sie nicht sind, d. h. die ihnen entgegengesetzte Negation ihrer selbst, negativ von sich unterscheiden und 30 31
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abgrenzen. Somit ist der unmittelbare und intuitive Denkakt, der den Anfang der spekulativen Prozessualität markiert und darin besteht, die logischen Bestimmungen „an und für sich selbst zu betrachten“ 32, „sie allein vor sich zu haben“ 33, rücksichtlich seiner logischen Struktur gleichbedeutend damit, die logischen Bestimmungen zunächst als Negation ihrer Negation und damit in der daseinslogischen Form eines inhaltlich spezifisch bestimmten Etwas aufzufassen. 34 Hierbei ist es aber wichtig, festzuhalten, dass die logischen Bestimmungen im Anfang ihrer Entwicklung nicht willkürlich und auf äußerliche Art und Weise unmittelbar aufgefasst und als Negation ihrer Negation bestimmt werden. Ihre jeweilige Genese besteht, wie gezeigt worden ist, vielmehr darin, dass der dialektische Vermittlungsprozess, zu dem sich der vorangegangene unmittelbare Anfang immanent besondert hat, sich an ihm selbst in die Form anfänglicher Unmittelbarkeit und Einfachheit zurückführt und sich sodann zunächst wieder nur negativ von der Negation seines Bedeutungsgehalts unterscheidet. Die Differenzierungen, in welche die unmittelbaren Entwicklungsstadien des logischen Inhalts sich besondern, indem sie sich auf immanente Weise zu dialektischen Vermittlungsprozessen bestimmen, führen sich also an ihnen selbst in die Form anfänglicher Unmittelbarkeit zurück, was das nächste, inhaltlich bereicherte unmittelbare Entwicklungsstadium des logischen Inhalts generiert. Da nun die daseinslogische Negation der Negation die allgemeine logische Struktur dieser Form anfänglicher Unmittelbarkeit darstellt, ist diese Struktur ebenso wenig äußerlich an den Denkbestimmungen im Anfang ihrer spekulativen Entwicklung gesetzt wie die Form anfänglicher Unmittelbarkeit. Die Form der logischen Bestimmungen im Anfang ihrer Entwicklung, die ihrem jeweiligen Bedeutungsgehalt als immanentem Resultat der dialektischen Selbstvermittlung der nächst vorangehenden, abstrakteren Bestimmung zukommt, d. h. die Form wieder anfänglicher Unmittelbarkeit, und die Form der denkenden Erfassung dieses unmittelbaren Bedeutungsgehalts, d. h. die daseinslogische Negation der Negation, fallen schlichtweg unmittelbar in eins. Denken und Inhalt sind in der Entwicklung der Bestimmungen des reinen Denkens auch in dieser Hinsicht als vollkommen in eins gebildet zu begreifen. Die Formbestimmung des Etwas und damit die daseinslogische Negation der Negation machen also die logische Struktur der denkend-intuitiven Erfassung der Denkbestimmungen in der Form einfacher, noch nicht spezifizierter und unmittelbarer Bedeutungseinheiten aus. In dieser Hinsicht stellen 32 33 34
GW, Bd. 12, 242. GW, Bd. 12, 242. Anhand dieser strukturellen Binnendifferenzierung des Moments des Anfangs wird deutlich, inwiefern auch die intuitive Erfassung der logischen Bestimmungen in der spekulativen Dialektik vollständig logifiziert ist.
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sie einen wesentlichen und konstitutiven Aspekt des Moments des Anfangs spekulativer Entwicklungsprozesse dar. Gleichwohl ist festzuhalten, dass das Moment spekulativer Anfänglichkeit sich nicht darin erschöpft, einen logischen Bedeutungsgehalt in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit aufzufassen, wenngleich dies seine unhintergehbare und konstitutive Grundlage ausmacht. Die unmittelbare Bedeutung einer logischen Bestimmung vervollständigt sich vielmehr zu einem über sie hinausgehenden Bedeutungskomplex, der gemäß der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik in sich gegliedert ist und als die Einheit von a) anfänglicher, unmittelbarer Bedeutungseinheit, b) dialektisch-prozessualer Vermittlung, Ausdehnung und Erweiterung sowie c) vollendender Rückführung des erweiterten Bedeutungsgehalts der dialektischen Vermittlung in die Form wieder anfänglicher begrifflicher Unmittelbarkeit jeweils eine inhaltlich spezifisch bestimmte Stufe der logischen Entwicklung ausmacht. Der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts ist, insofern er sich wandelt, als das Individuationsprinzip zu begreifen, durch welches die verschiedenen Entwicklungsstadien, die der Inhalt in seiner immanenten, aber schrittweisen Konkretisierung durchläuft, voneinander unterscheidbar sind. Die einzelnen Denkbestimmungen sowie dementsprechend der Prozess ihrer jeweiligen spekulativen Entwicklung und Weiterbestimmung, der im Ausgang von der Erfassung ihres unmittelbaren Bedeutungsgehalts auf immanente Weise anhebt, sind somit individuell unterscheidbar und gegenüber einander different, insofern sie je eine spezifische Manifestation der allgemeinen Form der Entwicklung darstellen. Die Denkbestimmungen sind in ihrer immanenten Entwicklung also spezifische Manifestationen der spekulativen Dialektik als derjenigen allgemeinen Form, die den Entwicklungsstadien des logischen Inhalts gleichermaßen zukommt, gemäß der sie alle sich gleichermaßen entwickeln und sich an ihnen selbst bereichern und konkretisieren und die sich dementsprechend auf allen – eben inhaltlich spezifisch bestimmten – Entwicklungsstufen gleichermaßen reproduziert. Als spezifische Manifestationen der allgemeinen Form spekulativer Prozessualität sind die Denkbestimmungen also nicht in dem Sinne individualisiert, dass sie separierte und für sich bestehende Bedeutungseinheiten sind. Vielmehr sind sie individualisiert nur als inhaltlich spezifisch bestimmte Momente und unterscheidbare Stadien einer durchgängigen Entwicklung, in welche sie aufgrund ihrer immanenten formalen Identität, in der sie zueinander stehen, einheitlich zurückgebunden und aufgehoben sind. Die gestalterische und produktive Form ist demgegenüber das einheitsstiftende Prinzip, das die in Hinblick auf ihren jeweiligen begrifflichen Bedeutungsgehalt unterscheidbaren und mehr oder weniger konkreten Manifestationen des logischen Inhalts in den Prozess seiner einheitlichen und sprunglos sich vollziehenden Ent-
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wicklung zusammenbindet. Hierbei ist, wie gezeigt worden ist, der entscheidende Punkt, dass das Ende einer Stufe der Entwicklung gleichursprünglich und unmittelbar den Anfang der nächstfolgenden Entwicklungsstufe darstellt. Die Dialektik einer Denkbestimmung besteht, wie gezeigt worden ist, darin, dass ihr anfänglicher Bedeutungsgehalt, dessen affirmative Bestimmtheit in eins fällt mit der Abgrenzung von der ihm entgegengesetzten Negation seiner selbst, sich aufhebt und sich zu dem ihm entgegengesetzten Bedeutungsgehalt transformiert. Was im Zuge des dialektischen Fortgangs der Entwicklung demnach geschieht, ist, dass der anfängliche Bedeutungsgehalt einer Denkbestimmung sich dahingehend ändert, dass er sich zu derjenigen Bestimmung transformiert, die zuvor nur negativ aus ihm ausgeschlossen wurde. Wo der Inhalt, d. h. die jeweilige Denkbestimmung, mit welcher der Anfang gemacht wird, zunächst negierendes Ausschließen seines Entgegengesetzten gewesen ist, besteht seine Dialektik gerade darin, dass er sich an sich selbst zu diesem Entgegengesetzten, mit dem er sich im Zuge seiner unmittelbaren begrifflichen Erfassung als identisch erwiesen hat, transformiert und damit nun nicht länger diesen Bedeutungsgehalt, sondern dessen Entgegengesetztes negativ von sich unterscheidet und limitativ aus sich ausschließt. Die Veränderung des Bedeutungsgehalts einer Denkbestimmung, die sich mit ihrer Selbstaufhebung und ihrer damit einhergehenden Transformation zu ihrem Entgegengesetzten vollzieht, ist also wesentlich eine Veränderung der materialen Struktur dieser Denkbestimmung als eines in Formaktivität und Materie binnendifferenzierten Inhalts. Da der affirmative Bedeutungsgehalt einer Bestimmung unmittelbar in der negativen Abgrenzung von seinem Entgegengesetzten, d. h. von seiner materialen Komponente, besteht, geht mit jener Veränderung der materialen Bestimmung auch eine Veränderung des gesamten Inhalts als solchen unmittelbar einher. Wir können die Ergebnisse dieses Kapitels also wie folgt zusammenfassen. Obwohl derjenige Denkakt, den die logische Wissenschaft nach Hegels Konzeption darstellt, d. h. das Denken rein nur des Denkens, nicht auf einen sinnlichen Stoff, nicht auf empirische Empfindungsdaten zurückgreift, kommt ihm dennoch ein passiver Strukturaspekt zu. Das Gedachte, d. h. der Inhalt, der gemäß den Regeln und Gesetzmäßigkeiten des Denkens strukturiert und geformt wird, ist hier nichts anderes als die Regeln, Gesetzmäßigkeiten und Bestimmungen des Denkens selbst. Folglich wird der Stoff / die Materie des Denkens in der Logik nicht aus einer gegenüber dem Denken äußerlichen Quelle rezipiert. Sowohl rücksichtlich des ersten, ursprünglichen Anfangs, der mit dem reinen Sein gemacht wird, als auch rücksichtlich des Endes einer jeden folgenden Stufe der Entwicklung, mit dem der logische Inhalt sich aus seiner dialektischen Selbstvermittlung in die Form einer wieder anfänglichen
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Unmittelbarkeit zurückführt, besteht der dort anhebende Denkakt allein darin, „aufzunehmen was vorhanden ist“. 35 In dieser Dimension des Anfangs der spekulativ-dialektischen Methode liegt, wie wir insbesondere im ersten Teil unserer Untersuchung gesehen haben, begründet, dass alle Vermittlungen, Erweiterungen und Konkretisierungen, die sich im weiteren Fortgang aus der so aufgefassten unmittelbaren Bedeutungseinheit deduzieren lassen, als Resultate der immanenten Selbstexplikation des Denkens verstanden werden dürfen. Hiermit liegt jedoch zwischen beiden Wegen, die ein Denkakt einschlagen kann, d. h. zwischen a) dem endlichen Denken eines von der denkenden Spontaneität verschiedenen, äußerlich aufgenommenen Stoffes und b) dem Denken nur seiner selbst, d. h. dem Denken rein des Denkens, eine methodisch-formale Identität vor. Diese Identität endlichen und absoluten Denkens, die, wie erörtert, sich bezüglich der Quelle ihrer materialen Strukturkomponente unterscheiden, erläutert Hegel in § 23 ff. der Enzyklopädie. In allgemeiner Hinsicht besteht ein jeder freie, d. h. seiner selbst bewusste, Denkakt darin, dass er in seinem Bezug auf das Gedachte sowohl bei sich ist, d. h. ein „abstractes Sichaufsichbeziehen, ein nach der Subjectivität bestimmungsloses Bei-sich-seyn“ 36 darstellt, als auch „nach dem Inhalte zugleich nur in der Sache und deren Bestimmungen ist“. 37 Beides zusammengenommen macht die Objektivität und Wahrheit des Denk- und Erkenntnisaktes aus. Für empirische Erkenntnisprozesse besteht ihre Objektivität folglich darin, dass sie ihre Materie sinnlich rezipieren und diese Materie im Zuge ihrer sinnlichen Aufnahme zugleich in die Form des Denkens, d. h. in die Form kategorial strukturierter Sinnzusammenhänge, gebracht und dahingehend synthetisiert wird. Empirische Objektivität begründet sich somit zu gleichen Teilen durch a) die allgemeingültige, a priori im denkenden Subjekt begründet liegende kategoriale Form, gemäß welcher ihr Inhalt strukturiert und somit als Erkanntes und Gedachtes der subjektiven Notwendigkeit als zugehörig begriffen wird, und b) der nicht durch subjektive Willkür gesetzten, sondern äußerlich aufgenommenen Materie (zu jener Form), die als sinnlich Gegebenes / Aufgenommenes zwar kontingent ist, aber in Vereinigung mit der allgemeingültigen kategorialen Form gerade deshalb den synthetischen und erkenntniserweiternden Charakter der Erfahrungserkenntnis konstituiert. Dieses Denken ist folglich „dem Inhalte nach in sofern [. . .] wahrhaft [. . .], als es in die Sache vertieft ist, und der Form nach nicht ein besonderes Seyn oder Thun des Subjects, sondern eben diß ist, daß das Bewußtseyn sich als abstractes Ich als von aller Particularität sonstiger Eigenschaften, 35 36 37
GW, Bd. 21, 55. GW, Bd. 20, 66. GW, Bd. 20, 66.
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Zustände u. s. f. befreites verhält und nur das Allgemeine thut, in welchem es mit allen Individuen identisch ist“. 38 Das Zusammenspiel von formal-strukturierender und spontaner Aktivität, die allgemeingültig und notwendig vonstattengeht, und des Rückbezugs dieser allgemeingültig gearteten Formaktivität auf einen Grund, der nicht ebenfalls durch die Aktivität und Spontaneität des Subjekts hervorgebracht wird – und damit in Vereinigung mit dieser allererst objektive Erkenntnis zu versichern mag – ist für Hegel nun nicht auf die Sphäre empirischer Erkenntnis zu beschränken. Vielmehr, so der Gedanke, sind empirische und absolute Erkenntnis, d. h. das Denken sinnlicher Gehalte und das Denken nur des Denkens, in dem Sinne gleich, dass beide objektive Erkenntnis liefern, indem sie allgemeingültige Formaktivität, d. h. die a priori geregelte Strukturierung eines Inhalts, sowie passive Rezeptivität, die subjektive Willkür, Meinung und individuelle Beimischung nicht in der gedachten Sache selbst liegender Bedeutungsgehalte fern- und abhalten soll, in sich vereinigen. Die Differenz zwischen endlicher / empirischer und absoluter / rein denkender Erkenntnis liegt im Sinne Hegels folglich nicht in der subjektiven, nach allgemeingültigen Strukturierungsregeln verfahrenden Formaktivität und auch nicht etwa darin, dass der absoluten Erkenntnis kein passiv-rezeptiver Aspekt zukäme, sondern darin, aus welcher Quelle die materiale Komponente des Denkaktes stammt und demnach von welcher spezifischen Art das passiv-rezeptive Moment der Erkenntnis ist. Das methodische Prinzip objektiver Erkenntnis besteht in der erörterten Hinsicht also erstens darin, dass das Denken sich in allgemeingültiger Form auf seinen Inhalt bezieht, sich in diesem „als abstractes Ich“ 39 selbst erkennt und in ihm bei sich ist, indem jene Form, gemäß welcher es den Inhalt strukturiert, seine eigene, d. h. die des allgemeinen und „allen Individuen identisch[en]“ 40 reinen Denkens, ist. Zweitens ist rücksichtlich des konkreten Bedeutungsgehalts des Gedachten „das besondere Meinen und Dafürhalten fahren zu lassen und die Sache in sich walten zu lassen“. 41 Die Einheit von allgemeingültiger Formaktivität und passiv-materialer Rezeptivität, d. h. von kategorialer Strukturordnung und – in Bezug auf den materialen Aspekt des Bedeutungsgehalts des Gedachten – eines Walten-lassens der Sache selbst, konstituiert objektive Erkenntnis: „Die Gedanken können nach diesen Bestimmungen objective Gedanken genannt werden.“ 42 38 39 40 41 42
GW, Bd. 20, 67. GW, Bd. 20, 67. GW, Bd. 20, 67. GW, Bd. 20, 67. GW, Bd. 20, 67.
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Das methodische Prinzip, „die Sache in sich walten zu lassen“ 43, besteht im Denken des Denkens nicht darin, eine sinnliche Empfindung rezeptiv aufzunehmen und dieses Aufgenommene auf allgemeingültige Weise formal zu strukturieren. Hier ist vielmehr Programm, im synthetischen Weiterbestimmen des anfänglichen Denkinhalts, d. h. des rein begrifflichen Prinzips der unbestimmten, differenzlosen Unmittelbarkeit, nur auf diejenigen argumentativen Gründe zurückzugreifen, die bereits in diesem anfänglichen Denkinhalt selbst analytisch enthalten sind. Es ist somit nichts am begrifflichen Gehalt des logischen Inhalts, das nicht allein durch die Aktivität der ihm inhärierenden Form generiert worden wäre. Die fortschreitende Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des Inhalts der Logik besteht aus der Einheit von a) seiner dialektischen Erweiterung und b) der Vereinheitlichung dieser an sich prozessual-vermittelten Erweiterung zu einer wieder unmittelbaren und damit konkreteren Bestimmung. Die so entstandene Bestimmung ist folglich nichts anderes als das Resultat der Selbstbesonderung der vorhergehenden Bestimmung, das sich die Form anfänglicher Unmittelbarkeit wiedergegeben hat. Das Ende einer Stufe der Entwicklung geht, mit anderen Worten, vollständig darin auf, Resultat der Selbstbestimmung des Anfangs dieser Entwicklungsstufe zu sein. 44 Die inhaltliche Bestimmtheit eines logischen Anfangs, d. h. des Anfangs einer jeden Stufe der logischen Entwicklung, wird demnach immanent und auf vollständige Art und Weise gewonnen aus der dialektischen Selbstvermittlung des unmittelbar vorangehenden Anfangs, indem diese sich an ihr selbst in die Form (wieder) anfänglicher Einfachheit und Unmittelbarkeit zurückführt. Dasjenige, was im Rahmen der spekulativen Logik gedacht und denkend entwickelt wird, ist nicht ein vom Denken auch in nur irgendeiner Weise unterschiedener Inhalt, sondern vielmehr eine Abfolge von Strukturbestimmungen der allgemeinen Form denkender Selbstbezüglichkeit, die in Hinblick auf die Komplexität und Konkretheit ihrer jeweiligen Bedeutung und Vermittlung voneinander unterschieden sind.
43 44
GW, Bd. 20, 67. Vgl. hierzu TWA, Bd. 16, 30: „In dem wahrhaften Objekte aber, das nicht bloß ein Aggregat, eine äußerlich zusammengefügte Vielheit ist, ist der Gegenstand selbst eins mit den unterschiedenen Bestimmungen, und erst die Spekulation ist es, die in dem Gegensatze selbst als solchem die Einheit auffasst. Das ist überhaupt das Geschäft der Spekulation, daß sie alle Gegenstände des reinen Gedankens, der Natur und des Geistes in Form des Gedankens und so als Einheit des Unterschiedes auffaßt.“
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2. Konkretisierte Form: Die prozessuale Natur der Denkbestimmungen
A
uf Grundlage der bisherigen Untersuchung lassen sich rücksichtlich der Natur der logischen Bestimmungen mehrere Schlussfolgerungen ziehen. Zunächst hat sich gezeigt, dass die in der logischen Wissenschaft thematischen Bestimmungen nicht starre, bewegungslose Bedeutungseinheiten darstellen, sondern in einem inneren, deduktiven Verhältnis zueinander stehen. Dabei hat sich dieses deduktive Verhältnis, nach dem die Denkbestimmungen schrittweise auseinander deduziert werden, wie folgt dargestellt. Zunächst resultiert die unmittelbare begriffliche Erfassung einer jeden der logischen Bestimmungen darin, dass sich ihr ursprünglicher Bedeutungsgehalt zu einer gegenüber dieser anfänglichen Bedeutung komplexeren prozessualen Vermittlungsstruktur bestimmt. In einem zweiten Schritt wird diese Vermittlungsstruktur aufgrund der sich vollständig selbst begründenden Natur ihrer Genese sodann als eine wieder unmittelbare Bedeutungseinheit zusammengefasst und stellt als solche die neue, nun eigens gedanklich zu erfassende logische Bestimmung dar, an welcher als an einem erweiterten und konkreteren Ausgangspunkt sich die allgemeine Struktur der Entwicklung sodann erneut reproduziert. 1 Die logische Entwicklung zeichnet sich also dadurch aus, dass ihr eine allgemeine, sich auf allen Entwicklungsstufen regelmäßig reproduzierende Struktur zukommt. Dabei hat sich diese allgemeine Struktur als die dem logischen Inhalt unmittelbar inhärierende Form seiner schrittweisen Entwicklung erwiesen, deren Tätigkeit die Erweiterung, Intensivierung und Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des Inhalts begründet und folglich auch den Übergang einer Entwicklungsstufe zur nächsten bewirkt. Die allgemeine Form, die sich in regelmäßiger Durchgängigkeit auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung wiederherstellt, ist demnach keine bewegungs- und prozesslose Struktur, die,
1
Vgl. hierzu die Charakterisierung der Verlaufsform der spekulativ-dialektischen Methode von H. Kimmerle: „Die allgemeine Struktur der dialektischen Methode“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 33. 1979, 184–209, 206: „Jeder Anfang und jeder Schritt des Fortgangs hat beim wiederholten Durchlaufen der Bewegung eine reichere Bestimmtheit seiner Unmittelbarkeit bzw. seiner Vermittlungsschritte. Der erste Vermittlungsschritt ist jedesmal die bestimmte Negation der Bestimmtheit des Anfangs, der zweite ist jedesmal zurückbezogen auf den ersten Widerspruch, und er entwickelt sich dabei zur höheren Bestimmtheit der nächsten Stufe.“
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so eine logisch-begriffliche Bedeutung einmal durch sie formiert worden ist, endgültig und feststehend objektiviert worden ist, sondern sie ist wesentlich eine produktive und gestalterische Form. In Hinblick auf die gestalterische Produktivität der Form der logischen Entwicklung hat sich jedoch auch gezeigt, dass die begriffliche Erfassung des entwickelten Inhalts in der Form unbeweglicher und prozessloser Einfachheit ein zentrales Moment eben dieser Produktivität darstellt. Die Entwicklung des logischen Inhalts ist eine Entwicklung, die in dem Sinn absolut ist, dass sie durch nichts anderes als durch das dem Inhalt eigene, ihm unmittelbar inhärierende Potential begründet wird. Die Voraussetzung für die Explikation dieser inneren Produktivität und für die Realisierung einer rein sich selbst begründenden Entwicklung des logischen Inhalts ist, wie dargestellt worden ist, dass sein Bedeutungsgehalt zunächst als eine feststehende, nicht bereits im Vornherein auf Anderes bezogene Einheit aufgefasst wird. Nur durch das kontinuierliche Festhalten an dieser Methode kann garantiert werden, dass die Resultate, die sich an dieser unmittelbar aufgefassten Bedeutungseinheit darstellen, tatsächlich Resultate eines notwendigen, sich mit apriorischer Gesetzmäßigkeit vollziehenden Fortgehens sind. Die unmittelbare Erfassung einer logischen Bestimmung, die in diesem Sinne immer den Anfang einer Stufe der logischen Entwicklung macht, besteht darin, dass sich der Bedeutungsgehalt dieser Bestimmung zunächst affirmiert, indem er sich negativ von seinem Entgegengesetzten unterscheidet und abgrenzt. Diese anfängliche Form der limitativen Unterscheidung einer Bestimmung von dem ihr spezifisch entgegengesetzten Bedeutungsgehalt, die unmittelbar in eins fällt mit der Affirmation der Bedeutung der betreffenden Bestimmung, leistet diejenige Dimension des Denkens, die verständig-fixierend tätig ist. Der Fortgang der Entwicklung darf, wie soeben erörtert worden ist, nur aus diesem der Form nach unmittelbaren Bedeutungsgehalt, d. h. aus der intuitiven gedanklichen Erfassung desselben, abgeleitet werden und muss sich demnach allein aus dem zunächst rein negativen Verhältnis, in dem die jeweilige Denkbestimmung zu ihrem Entgegengesetzten steht, ergeben. In Hinblick auf die übergeordnete Gesamtstruktur ihrer Entwicklung stellt eine jede logische Bestimmung also eine Allgemeinheit dar, die eine ihr spezifische Besonderheit in dem Sinne in sich enthält, dass sie sich allein auf Grundlage ihrer ursprünglichen, abstrakt-unmittelbaren Form selbst zu dieser Besonderheit als zu einer spezifischen Manifestation ihrer selbst bestimmt. Damit einhergehend vollzieht sich an dem ursprünglichen Entwicklungsstadium der jeweiligen logischen Bestimmung eine Erweiterung ihres begrifflichen Bedeutungsgehalts, denn dieser ist nun um das Moment seiner Selbstbesonderung und Spezifizierung reicher geworden. Der begriffliche Gehalt der jeweiligen logischen Bestimmung ist, mit anderen Worten, konkretisiert worden, da er
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sein Entgegengesetztes nicht länger einfach nur negativ aus sich ausschließt, sondern sich darüber hinaus im Zuge seiner anfänglichen, verständigen gedanklichen Erfassung auch als identisch mit ihm erwiesen hat. Der Bedeutungsgehalt einer jeden der beiden einander entgegengesetzten Bestimmungen ist nicht länger nur das Negative des anderen, sondern er ist er selbst, jedoch als sich immanent zu seinem Entgegengesetzten transformierend. Da die am unmittelbaren Anfang immanent anhebende und sich darstellende Dialektik somit darin besteht, dass ein jeder der einander entgegengesetzten Pole des Transformationsprozesses „darin sich zur Einheit mit dem andern bethätigt“ 2, wird eben dieser zirkuläre Prozess der immanenten Transformation der beiden entgegengesetzten Bestimmungen zueinander als die Wahrheit beider, mithin für sich genommen als ein einzelner, einheitlicher Bedeutungsgehalt aufgefasst. Dieser einzelne Bedeutungsgehalt, zu dem sich der dialektische Prozess auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung somit an ihm selbst wieder zurückführt, ist die neu generierte und bereicherte logische Bestimmung, die „um der Form der Einfachheit willen, in welche sie zusammengegangen, selbst ein neuer Anfang [ist]“. 3 Der Bedeutungsgehalt dieser deduzierten logischen Bestimmung besteht somit einzig und allein in der wieder in die Form der Unmittelbarkeit zugeführten Dialektik, zu welcher sich der vorangegangene Anfang selbst bestimmt hat, und ist somit in der Tat ein neuer Anfang, der „von seinem vorhergehenden, durch eben diese Bestimmtheit unterschieden ist“ 4. Die logischen Bestimmungen stellen in der soeben beschriebenen Hinsicht je eine konkrete Manifestation der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik dar. Die spekulative Dialektik wiederrum ist umgekehrt das sich auf allen unterscheidbaren Stufen der logischen Entwicklung reproduzierende und in regelmäßiger Durchgängigkeit in ihnen bestehende bleibende allgemeine Formprinzip, das die Differenz, durch welche diese Stufen sich voneinander unterscheiden, in einen formaliter einheitlich sich vollziehenden Entwicklungsprozess zurückbindet. Indem die logischen Bestimmungen ihren anfänglichen Bedeutungsgehalt, sobald dieser gedanklich erfasst wird, an ihnen selbst konkretisieren, entwickeln sie sich im Zuge eines immanenten synthetischen Transformationsprozesses zu einer gegenüber dem Anfang komplexeren Bestimmung. Dabei wird ihre Dialektik, die als die prozessuale Selbstvermittlung des ursprünglich unmittelbaren Anfangs dieser Entwicklung zunächst die Negation desselben darstellt, aufgrund der sich durchgängig selbst begründenden Natur ihrer Genese selbst eine sich nur auf sich beziehende, durchgängig mit sich übereinstimmende Bestimmung aufgefasst. Dies markiert zugleich die 2 3 4
GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 250.
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Wiederherstellung der Form „der ersten Unmittelbarkeit“ 5 am Bedeutungsgehalt jener Dialektik. Da die logischen Bestimmungen sich in ihrer Entwicklung in dem Sinne frei selbst bestimmen, dass der Prozess der Transformation, der Erweiterung und der Konkretisierung ihres Bedeutungsgehalts durch nichts anderes als durch die diesem ursprünglichen Bedeutungsgehalt unmittelbar inhärierende Form begründet wird, kommt ihnen eben in Hinblick auf die allgemeine Form ihrer Entwicklung der Status quasi-subjektiver Strukturen zu. Wie wir im ersten Teil unserer Untersuchung gesehen haben, ist eine jede der in der Logik thematischen Denkbestimmungen ein in sich bewegter Bedeutungskomplex. Die logischen Bestimmungen sind in ihrer schlussendlichen Gestalt also weder nur unmittelbare noch nur dialektische Bedeutungsgehalte, sondern spekulative. Als solche vereinigen sie begriffliche Unmittelbarkeit sowie dialektische Selbstwiderlegung und Transformation in sich. Die Wahrheit einer Denkbestimmung ist ein Resultat, das die immanente Erweiterung ihrer ursprünglichen Bedeutung, die für sich betrachtet zunächst prozessualer Natur ist, in die Form begrifflicher Unmittelbarkeit zurückführt und somit eine neue, zwar wieder unmittelbare, dem Inhalt nach aber konkretere Bestimmung darstellt. Die Stationen der in sich bewegten Struktur einer jeden logischen Bestimmung sind, wie wir gesehen haben, erstens ihre unmittelbare, sich in einfacher negativer Unterscheidung von dem Entgegengesetzten konstituierende Bedeutung (erste Unmittelbarkeit), zweitens die dialektische Vermittlung dieser unmittelbaren Bedeutungseinheit, im Rahmen derer sowohl die anfängliche Bedeutung als auch ihr Entgegengesetztes sich aufgrund der Identität miteinander, die in der gedanklichen Erfassung ihrer jeweiligen Bedeutung offenbar wird, kontinuierlich an ihnen selbst aufheben und zueinander transformieren, und drittens die Restitution der Form begrifflicher Unmittelbarkeit an dem gegenüber dem ursprünglichen Anfang erweiterten und ausgedehnten Bedeutungsgehalt seiner dialektischen Vermittlung. Eine jede logische Bestimmung vervollständigt sich damit an ihr selbst zu einer – inhaltlich konkret bestimmten – Stufe eines einheitlichen Entwicklungsprozesses. Der Inhalt der Logik besteht somit weder aus einer Mannigfaltigkeit unmittelbarer Bestimmungen noch aus einer bloßen Aneinanderreihung in sich bewegter Bedeutungskomplexe, sondern ist eine immanent zusammenhängende Reihe von sich genetisch auseinander ausbildenden Bedeutungskomplexen, die ihrer Form nach allesamt gemäß der spekulativen Dialektik strukturiert sind. Als Ganzes betrachtet besteht die logische Entwicklung demnach zunächst in einer regelmäßigen Abfolge von Stufen, von denen eine jede die spekulativ-dialektische, d. h. sowohl begriffsimmanent verfahrende als auch pro5
GW, Bd. 12, 247.
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duktive, Thematisierung einer spezifischen Denkbestimmung, mithin eines spezifischen logischen Bedeutungsgehalts darstellt. Die allgemeine Struktur, in welche diese Stufen der logischen Entwicklung binnendifferenziert sind, entspricht daher der Abfolge von Anfang, Fortgang und Ende, die im ersten Teil unserer Untersuchung dargestellt und insbesondere rücksichtlich des genetischen Verhältnisses, in welchem diese Momente zueinander stehen, expliziert worden ist. Die zuvor erörterte Struktur der spekulativen Dialektik beschreibt somit sowohl die allgemeine interne Verlaufsform der aufeinanderfolgenden Stufen der logischen Entwicklung, die in Hinblick auf den Bedeutungsgehalt, den sie jeweils thematisieren, unterschiedenen sind, dabei aber genetisch auseinander entstehenden, als auch die prozessuale Natur der logischen Bestimmungen. Diese sind spekulativ-dialektisch strukturierte Bedeutungskomplexe und der Verlauf ihrer jeweiligen immanenten Konkretisierung fällt gerade in dieser Hinsicht in eins mit einer bestimmten Stufe der gesamtlogischen Entwicklung. Dabei urteilt sich immer der unmittelbare Anfang in eine prozessuale Zweiheit, d. h. in die Dialektik als die immanente Umwandlung der anfänglichen Bedeutung und ihres begrifflichen Gegenteils zueinander, und führt sich in einem zweiten Schritt zu einer wieder unmittelbaren Bedeutungseinheit zurück, die das Ende dieser und den Anfang der nächsten Stufe der Entwicklung darstellt, der sich auch wieder urteilen, hiermit spezifizieren und erweitern und ebenso wieder zu einer inhaltlich konkreteren Bedeutungsunmittelbarkeit zurückführen wird usf. Die Wahrheit einer logischen Bestimmung besteht somit darin, nicht ein unmittelbarer, feststehender und unveränderlicher Bedeutungsgehalt zu sein, sondern sich im Rahmen eines immanenten Entwicklungsprozesses weiterzuführen und zu einer nächstkonkreteren Bedeutung zu bestimmen, die als solche den neuen Ausgangspunkt der nächsthöheren Stufe der logischen Entwicklung darstellt. Aufgrund des Umstands, dass die logischen Bestimmungen ihren jeweiligen Bedeutungsgehalt an ihnen selbst weiterführen und konkretisieren sowie auch eine jede von ihnen das Resultat der nächstvorgehenden Bestimmung darstellt, besteht ihre eigentliche Natur darin, Momente eines einheitlichen Entwicklungsprozesses zu sein. Das Ende einer bestimmten Stufe der logischen Entwicklung, wird, wie wir gesehen haben, generiert, indem der dialektische Fortgang dieser Stufe sich in die Form begrifflicher Unmittelbarkeit zurückführt. In dieser Form, in welche sich die Dialektik zurückführt, indem beide ihrer Relata sich im Zuge ihrer immanenten Umwandlung zueinander zum Ganzen des dialektischen Prozesses vervollständigen, ist das Ende einer jeden Entwicklungsstufe zugleich der Anfang der nächstfolgenden. Aufgrund seiner Identität mit dem (neuen, nächstfolgenden) Anfang fungiert das Ende einer Entwicklungsstufe innerhalb des gesamten Entwicklungsverlaufs als die Schnittstelle zwischen zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Stufen
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sowie dementsprechend zwischen den prozessualen Bedeutungskomplexen zweier unmittelbar aufeinanderfolgender logischer Bestimmungen. Die logischen Bestimmungen erschöpfen sich also nicht darin, ein einfacher und unmittelbarer begrifflicher Bedeutungsgehalt zu sein, sondern stellen jeweils einen prozessualen und in sich bewegten Bedeutungskomplex dar, der spekulativ-dialektisch strukturiert ist. Zwar erschöpfen sich die logischen Bestimmungen somit nicht darin, einfache und unmittelbare Begriffe zu sein, jedoch stellt diese Form innerhalb des prozessualen Komplexes, den eine jede logische Bestimmung in ihrer wahren, vollendeten Gestalt schlussendlich darstellt, ein konstitutives Moment dar. So nimmt erstens die dialektische Erweiterung des Bedeutungsgehalts einer logischen Bestimmung, die in ihrer Entwicklung das Moment des Fortgangs ausmacht, ihren Ausgang von dem unmittelbaren und einfachen Begriff der jeweiligen Bestimmung. Zweitens besteht das Ende dieses Prozesses darin, dass der erweiterte Bedeutungsgehalt der Dialektik, zu welchem das unmittelbare Stadium der jeweiligen logischen Bestimmung sich zunächst bestimmt hat, sich in die Form begrifflicher Einfachheit und Unmittelbarkeit zurückführt. Einfache und unmittelbare Bedeutungen, die deswegen unmittelbar sind, weil ihre Affirmation sich zunächst dadurch konstituiert, dass sie ihr Entgegengesetztes / ihr begriffliches Gegenteil nur einfach negativ von sich unterscheiden und abgrenzen, machen demnach innerhalb der vollständigen Struktur der logischen Bestimmungen, die, wie wir gesehen haben, spekulativ-dialektische und damit prozessuale Bedeutungskomplexe sind, sowohl den Anfang als auch das Ende aus. Da diese Bedeutungskomplexe, zu denen sich die logischen Bestimmungen jeweils erweitern und konkretisieren, den aufeinanderfolgenden und sich schrittweise auseinander ausbildenden Stufen der logischen Entwicklung entsprechen, gilt auch für diese Entwicklungsstufen, dass Anfang und Ende ihrer Form nach jeweils eine unmittelbare und einfache begriffliche Bedeutung darstellen. Für den gesamten Verlauf der logischen Entwicklung folgt hieraus, dass er aus einer Abfolge von unmittelbaren Bedeutungseinheiten besteht, die jeweils dem Ende einer Entwicklungsstufe und dem Anfang der nächstfolgenden entsprechen. „Zwischen“ diesen begrifflichen Einheitsbestimmungen und Unmittelbarkeitsstadien, zu denen sich der Inhalt der Logik in seiner Entwicklung somit in regelmäßigem Rhythmus zurückführt, liegt jeweils ein dialektischer Transformationsprozess. Hier wird, wie wir gesehen haben, die anfängliche, zu Beginn der jeweiligen Entwicklungsstufe unmittelbar thematische Bedeutung mit ihrem begrifflichen Gegenteil positiv vermittelt, indem die Einheit von Identität und Entgegensetzung mit der Negation, die sich aus beiden Bedeutungen deduzieren lässt, die Gestalt eines kontinuierlichen und zirkulären Umwandlungsprozesses der Bedeutungen zueinander annimmt. Zwischen dem Anfang einer jeden Stufe der logischen Entwicklung und ihrem Ende, das als eine neue, konkretere Bedeutungsunmittelbarkeit in eins
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fällt mit dem Anfang der nächstfolgenden Stufe, ist also jeweils die Explikation der immanenten Dialektik der anfänglichen Bedeutung zwischengeschaltet, mit der sich deren Spezifizierung, begriffliche Ausdehnung und Erweiterung ereignet und die dann in einem zweiten Schritt, d. h. im Ende der Entwicklungsstufe, sich zu einer konkreteren und höherstufigeren begrifflichen Unmittelbarkeit zurückbestimmt. Für den gesamten, in diese kontinuierlich sich reproduzierende Struktur gegliederten Verlauf der logischen Entwicklung gilt demnach, dass er rücksichtlich des Anfangs und des Endes seiner aufeinander folgenden Stufen aus einer Abfolge von immer konkreter werdenden unmittelbaren Bedeutungseinheiten besteht. Rücksichtlich des Fortgangs, der sich dabei zwischen Anfang und Ende jeweils ereignet, besteht der Verlauf der logischen Entwicklung hingegen aus einer aufsteigenden Abfolge von Bedeutungspaaren, nämlich immer der anfänglichen Bedeutung und ihrem Entgegengesetzten, die sich hier, d. h. nachdem der Anfang sich zu seiner Dialektik spezifiziert hat und bevor er sich zu einer nächstkonkreteren Unmittelbarkeit vollendet, zunächst zirkulär zueinander umwandeln. Fragen wir also danach, worin der Bedeutungsgehalt einer spezifischen logischen Bestimmung im Sinne eines endlichen, fixierbaren Begriffs besteht, so muss von dem dialektischen Moment ihrer Bedeutung abstrahiert werden. Die Dialektik macht, wie wir gesehen haben, auf einer jeden Stufe der einheitlichen logischen Entwicklung das Moment des Fortgangs aus und stellt ihrer vollständigen Struktur nach immer einen zirkulären Prozess dar, im Rahmen dessen ein logischer Bedeutungsgehalt und sein begriffliches Gegenteil sich kontinuierlich an ihnen selbst aufheben und sich zueinander umwandeln. Hierbei „das Dialektische und Vernünftige wegzulassen“ 6 bedeutet nun, innerhalb eines dialektischen Prozesses „das eigene Sich-Aufheben solcher endlichen Bestimmungen und ihr Uebergehen in ihre entgegengesetzte“ 7 nicht zu beachten und beide entgegengesetzten Begriffe sozusagen jeweils vor ihrer Selbstaufhebung und Umwandlung als „für sich bestehend und seyend“ 8 herauszuheben. Dies generiert auf jeder Stufe der logischen Entwicklung zwei spezifisch bestimmte logische Bestimmungen, die so in der Form von endlichen Verstandesbegriffen isoliert festgehalten und fixiert werden können. 9 6 7 8 9
GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 118. In diesem Sinne bemerkt Kaehler (K. E. Kaehler: „Die Ambivalenz des Endlichen: Hegel und die Moderne“, in: Hegels Philosophie des Geistes zwischen endlichem und absolutem Denken. Nordhausen 2016, 119–142, 128.), dass es in den „dialektischen Begriffsentwicklungen der Wissenschaft der Logik [. . .] die jeweils zweiten Glieder [sind], aus deren Fixierung und Isolierung gegen ihre dialektisch zu vermittelnde Position zwischen dem ersten und dem dritten Schritt nicht nur der Standpunkt der Endlichkeit als solcher, sondern auch seine Fixierung und Sperrung gegen seine Aufhebung zu begreifen wäre.“
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3. Der Fortgang der logischen Entwicklung besteht in der schrittweisen, aber immanenten Konkretisierung ihres Inhalts
D
ie spekulative Dialektik hat sich im bisherigen Gang der Analyse als die allgemeine Form aller Denkbestimmungen und ihrer Entwicklung erwiesen. Sie ist das strukturelle Wesen der logischen Bestimmungen als sich immanent weiterführender und produktiv sich mit sich vermittelnder begrifflicher Bedeutungsgehalte. Dabei ist diese Identität der Denkbestimmungen rücksichtlich der Form ihrer prozessualen Struktur nicht bloß eine analytische Merkmalsidentität mehrerer, in sonstiger Hinsicht mannigfaltiger und zusammenhangloser Entitäten. Eine solche Perspektive auf die Allgemeinheit der Form, die gerade nicht dem Verfahren der logischen Wissenschaft entspricht, würde die Bestimmungen des reinen Denkens als von vornherein fertige Gegenstände voraussetzen. Von diesen wäre in dieser Hinsicht ein jeder auch für sich genommen und unabhängig von den anderen unmittelbar vorhanden und die ihnen gemeinsame Form müsste sodann lediglich unter Abstraktion aller Verschiedenheit als ein Abstrakt-Allgemeines aus der Mannigfaltigkeit der Bestimmungen herausgehoben werden. Der Zugang zu den Denkbestimmungen – und damit zu der Natur des Denkens – wäre so ein rein rezeptiver und als ein bloß Aufgenommenes wäre die formale Struktur der Bestimmungen nicht in einen Zusammenhang zu der Aktivität der Analyse beziehungsweise des denkenden Analysierens gebracht. Demgegenüber werden die Bestimmungen des reinen Denkens im Rahmen der logischen Wissenschaft ursprünglich auseinander deduziert. Die Identität der Denkbestimmungen in Hinblick auf ihre strukturelle Form ist also nicht ein analytisch aufgenommenes Merkmalskriterium, sondern Produkt und Resultat eines deduktiven Verfahrens. Die Denkbestimmungen werden gerade nicht als unmittelbare, inhaltlich sowie formaliter an und für sich fertige Bedeutungseinheiten betrachtet, sondern im Rahmen der logischen Wissenschaft ursprünglich auseinander entwickelt. Das Denken des Denkens vollzieht sich demnach im Sinne des genauen Gegenteils des soeben verworfenen, bloß analytischen Verfahrens. Allerdings verläuft die Deduktion der Bestimmungen des reinen Denkens – umgekehrt – auch nicht als eine rein äußerliche Verknüpfung von gegenüber einander gänzlich indifferenten Bedeutungseinheiten. Strukturell komplexere, spezifischere Denkbestimmungen werden nicht
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auf die Weise aus allgemeineren, abstrakteren Bestimmungen deduziert, dass das Einteilungskriterium, durch welches die Differenz zwischen Allgemeinheit und Besonderheit hervorgeht, aus einer gegenüber der allgemeineren Bestimmung äußerlichen Quelle bezogen werden würde. Die spekulative Dialektik ist vielmehr eine dem logischen Inhalt sowohl unmittelbar inhärierende als auch produktive Form, deren Aktivität die synthetische Genese immer komplexerer Bestimmungen zur Folge hat. In dieser Hinsicht vereinigt die durch die spekulative Dialektik methodisch-formal geregelte Entwicklung des logischen Inhalts das analytische und das synthetische Erkennen in sich. Analytische und synthetische Methode würden, wie soeben erörtert worden ist, jede für sich genommen das Denken des Denkens zu einer bloß verständig verfahrenden Wissenschaft machen, da sie – jede in anderer Hinsicht – noch eine Trennung von Bewusstsein und Gegenstand implizieren. Da eine rein analytische Explikation der allgemeinen Form der Denkbestimmungen darauf abzielen würde, diese formale Struktur als eine abstrakte Allgemeinheit aus bereits vorhandenen Bestimmungen herauszuheben, wären diese als dem analysierenden Subjekt äußerliche Entitäten bereits vorausgesetzt. Eine rein synthetisch verfahrende Explikation formal-strukturell identischer Denkbestimmungen würde in ihrem dihairetischen Verfahren hingegen auf ein äußerliches Einteilungskriterium angewiesen bleiben, womit auch hier eine Trennung von Denkendem und Gedachtem beziehungsweise synthetisch Deduziertem bestehen bleiben würde. Die Einheit von analytischem und synthetischem Erkennen in der spekulativ-dialektischen Methode steht demnach in unmittelbarem Zusammenhang mit der Aufhebung der Trennung von Bewusstsein und Gegenstand, Denkendem und Gedachtem, von Noesis und Noema. Dass das Prinzip des synthetischen Fortgangs, der Grund und Quell der Einteilung des logischen Inhalts in spezifisch unterschiedene, aber strukturell gleichförmige Denkbestimmungen, allein im logischen Inhalt selbst liegt, d. h. ihm analytisch inhäriert, dies liegt bereits in der Absolutheit des Anfangs der logischen Entwicklung begründet. Der anfängliche Entschluss, „daß man nur das Denken als solches betrachten wolle“ 1, besteht in der ursprünglichen Negation aller Vermittlung, in der „Beiseitsetzung aller Reflexionen, aller Meinungen, die man sonst hat“ 2 und fällt damit unmittelbar in eins mit einem einfachen und unmittelbaren Aufnehmen dessen, was in diesem Akt der absoluten Reflexion „vorhanden ist“. 3 Dasjenige Denken, das Denken des Denkens ist, sich in seiner spontanen Denkaktivität nur auf sich zurückbeugt und daher alle Vermittlung und Voraussetzung, jeg1 2 3
GW, Bd. 21, 56. GW, Bd. 21, 55. GW, Bd. 21, 55.
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liche Trennung von Bewusstsein und Gegenstand, von Subjekt und Objekt zu negieren hat, bewegt sich rein „im Element des frey und für sich seyenden Denkens“ 4. Dies ist das analytische Moment der spekulativ-dialektischen Methode: Das sich selbst denkende Denken hebt die sich ergebenden Bestimmungen aus sich heraus, analysiert allein sich selbst, ohne im Akt der Analyse auf einen vorausgesetzten, ihm äußerlichen Gegenstand zurückzugreifen. Dass sich überhaupt unterscheidbare Bestimmungen im Ausgang von diesem anfänglichen Akt der absoluten Reflexion ergeben, der Anfang in der Tat an ihm selbst fortgeht und in einem Anderen-seiner-selbst resultiert, dies lässt sich zwar von der Warte des absolut unmittelbaren Anfangs nicht antizipieren. Mit der absoluten Voraussetzungslosigkeit des logischen Anfangs ist jedoch mit ebenso absoluter Notwendigkeit garantiert, dass alle Bestimmungen, Prozesse und Resultate, die an ihm selbst hervortreten sollten, die Totalität der Bedingungen ihrer Genese allein in diesem logischen Anfang und damit in einer sich vollständig selbstbegründenden, mithin absoluten Struktur haben werden. 5 Die logische Wissenschaft enthält in eben diesem Sinne „den Gedanken, insofern er eben so sehr die Sache an sich selbst ist, oder die Sache an sich selbst, insofern sie eben so sehr der reine Gedanke ist“. 6 Da die „Sache“, d. h. diejenigen Bestimmungen, die im synthetischen Fortgang als unterschieden von der Unmittelbarkeit des Anfangs generiert werden, zugleich nur durch den Anfang selbst begründet ist, ist die synthetische Entwicklung nichts anderes als die selbstbezügliche, aber produktive Analyse des ursprünglichen Denkaktes der absoluten Reflexion. Beide Dimensionen der Entwicklung, d. h. analytisches und synthetisches Erkennen, fallen in der sich vollständig selbst begründenden – und dennoch wesentlich prozessualen und diskursiven – Struktur der logischen Wissenschaft unmittelbar in eins. Wie im Rahmen der vorliegenden Untersuchung dargestellt worden ist, verläuft die logische Entwicklung der Denkbestimmungen so, dass ihr jeweiliger Bedeutungsgehalt zunächst unmittelbar, d. h. in unserer Deutung: in einfacher Unterscheidung von seinem Entgegengesetzten, erfasst wird. Da der Bedeutungsgehalt der logischen Bestimmungen dabei jedoch von der Art ist, dass 4 5
6
GW, Bd. 21, 54. Unsere Lesart deckt sich hier mit der Bickmanns (C. Bickmann: „Hegels Philosophie des Geistes zwischen Sein und Idee“, in: Hegels Philosophie des Geistes zwischen endlichem und absolutem Denken. Nordhausen 2016, 13–28, 25 f.), wenn sie rücksichtlich des reinen Seins als der ersten, absolut anfänglichen und unmittelbaren logischen Bedeutung festhält: „So steht am Anfang wie am Ende der Wissenschaft der Logik ein Akt der Freiheit: Das reine unbestimmte Sein wird durch den freien Akt der Negation dieser Negation auf den Weg der freien Selbsterkenntnis gebracht, so dass am Ende dann all diejenigen Kategorien gewonnen sind, die der durchgängig bestimmten Idee, als der ‚Idee in individuo`, als dem durchgängig bestimmten durch Freiheit möglichen Seinsganzen, auch gemäß sind.“ GW, Bd. 21, 33.
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sie sich ausgehend von ihrer unmittelbaren gedanklichen Erfassung als auch identisch mit ihrem Entgegengesetzten erweisen, bestimmt sich der unmittelbare Begriff einer logischen Bestimmung, mit dem, wie soeben beschrieben, der Anfang ihrer Betrachtung gemacht worden ist, zu einer nicht mehr unmittelbaren, nicht mehr einfachen, sondern wesentlich prozessualen Struktur. Diese Struktur besteht darin, dass die jeweilige Bestimmung und ihr Entgegengesetztes, sobald sie durch die negative Abgrenzung gegenüber dem je anderen gedanklich erfasst werden, sich als identisch mit diesem erweisen, ihren unmittelbaren Begriff somit aufheben und sich im Zuge dessen an ihnen selbst werdend zueinander transformieren. Die Einheit, die dieser Prozess des zirkulären Umschlagens zweier entgegengesetzter Bedeutungsgehalte ineinander an sich bereits darstellt, führt beide Pole der Bewegung in einem weiteren Schritt zu dem neuen, wieder einfachen und nächsthöheren unmittelbaren Stadium der Entwicklung zusammen. Eine jede Stufe der logischen Entwicklung gliedert sich also in a) die dialektische Bedeutungserweiterung eines zunächst unmittelbaren begrifflichen Gehalts und b) deren Rückführung in die Form einer wieder unmittelbaren Bedeutungseinheit. Da die Einheit dieser beiden Schritte, wie wir gesehen haben, sich als eine synthetische Weiterbestimmung vollzieht, die zugleich die Totalität ihrer Bedingungen in demjenigen unmittelbaren Bedeutungsgehalt hat, mit dem jeweils der Anfang gemacht wird, besteht eine jede Stufe der logischen Entwicklung wesentlich in der immanenten Spezifizierung dieser ursprünglichen Bedeutung als eines sich selbst bewegenden und produktiven Allgemeinen. Eine jede logische Bestimmung konkretisiert ihren Bedeutungsgehalt somit an sich selbst, indem sie ihn zunächst dialektisch erweitert 7 und diesen gesamten, in sich geschlossenen und sich vollständig selbst begründenden Erweiterungsprozess schließlich als ihre neue, eben dialektisch korrigierte Wahrheit begreift und in die Form anfänglicher Unmittelbarkeit zurückführt. 8 Diese in die Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit zurückgeführte Dialektik, zu welcher sich ein unmittelbarer Anfang an ihm selbst bestimmt hat, ist gegenüber diesem unmittelbaren Anfang jedoch eine neue logische Bestimmung, die, insofern die ihr spezifisch zugehörige Dialektik sich an ihr darstellen wird, auch den Anfang eines neuen spekulativen Entwicklungsprozesses darstellt. Anfang und Ende der Entwicklung sind somit rücksichtlich ihrer Form identisch, beide stellen die gedankliche Erfassung eines einfachen und unmittelbaren Bedeutungsgehalts dar. Jedes Ende ist auch ein Anfang. Jedes Ende ist jedoch wesentlich ein neuer Anfang, da es selbst und der vorangehende An7 8
Vgl. GW, Bd. 12, 251. Siehe hierzu Kapitel 3 des ersten Teils dieser Untersuchung.
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fang, dessen Ende es darstellt und aus dessen Selbstvermittlung es resultiert ist, sich in Hinblick auf die Komplexität ihres Bedeutungsgehalts unterscheiden. Die formale Identität von Anfang und Ende einer jeden Entwicklungsstufe begründet die Durchgängigkeit und Sprunglosigkeit der gesamten logischen Entwicklung: Das Ende einer Entwicklungsstufe ist als solches und in gleichursprünglicher Weise der Anfang der nächsten. Zugleich aber begründet die inhaltliche Differenz von Anfang und Ende einer Stufe der logischen Entwicklung, dass ihre Identifizierung nur in formaler Hinsicht erfolgt und nicht in einer bloßen Tautologie resultiert. Die inhaltliche Differenz von Anfang und Ende konstituiert sich, wie wir gesehen haben, daraus, dass im Ende die Form der Unmittelbarkeit gerade an der dialektischen Erweiterung und Bereicherung des Anfangs wiederhergestellt wird. Identität in formaler und Differenz in inhaltlicher Hinsicht ermöglichen es somit, dass die logische Wissenschaft eine sich selbst begründende und durchgängige Entwicklung eines einheitlichen Inhalts darstellt, mit der aber dennoch ein substantieller Erkenntnisgewinn verbunden ist. Die logische Wissenschaft besteht somit in der fortschreitenden Konkretisierung eines einigen Inhalts. Da die Form dieses Konkretisierungsprozesses, d. h. die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik, sich auf allen Stufen der logischen Entwicklung durchgängig reproduziert, ist dasjenige, was am Inhalt konkretisiert wird, nicht die übergeordnete Form seiner inneren Prozessualität, sondern vielmehr sein sich auf allen seiner Stufen spekulativdialektisch weiterbestimmender begrifflicher Bedeutungsgehalt. Dies wird ersichtlich, wenn man zwei Stufen der logischen Entwicklung rücksichtlich ihrer, wie gezeigt worden ist, formaliter identischen, inhaltlich jedoch unterschiedenen Anfänge miteinander vergleicht. Der Anfang einer jeden Stufen der logischen Entwicklung besteht darin, dass diejenige Bedeutung, zu welcher der logische Inhalt sich in diesem Stadium seiner Entwicklung spezifiziert hat, in der Form der Unmittelbarkeit thematisch ist. Der unmittelbare Bedeutungsgehalt der logischen Bestimmungen besteht – allgemein gesprochen – immer darin, dass der dialektische Prozess, zu dem sich die vorangehende Bestimmung an ihr selbst besondert hat, als eine mit sich identische, positive, mithin wieder unmittelbare Bedeutungseinheit aufgefasst wird. Der unmittelbare Bedeutungsgehalt einer logischen Bestimmung besteht nun ferner darin, dass sie sich als das, was sie ist und was mit ihr Ausdruck kommt, von dem ihr entgegengesetzten Bedeutungsgehalt unterscheidet und abgrenzt. Die begriffliche Erfassung der nächstfolgenden logischen Bestimmung, die, wie dargestellt worden ist, unmittelbar aus der Vereinheitlichung des dialektischen Prozesses der ersten Bestimmung resultiert, besteht hingegen nicht wieder nur im Negieren des Entgegengesetzten dieser ersten Bestimmung. Vielmehr ist nun der Bedeutungsgehalt des dialektischen Prozesses begrifflich zu erfassen,
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der sich an der ersten Bestimmung dargestellt und gesetzt hat. Hiermit wird, wie wir gesehen haben, die erste Bestimmung in ihrer dialektisch erweiterten und konkretisierten Form unmittelbar aufgefasst, in welcher sie ein ebenso erweitertes und konkretisiertes begriffliches Gegenteil negativ von sich unterscheidet und abgrenzt. Allgemein kann hierzu festgehalten werden, dass der Unterschied zwischen dem Bedeutungsgehalt einer jeweiligen logischen Bestimmung und dem der nächst komplexeren, aus ihr resultierenden Bestimmung darin besteht, dass die erste in der zweiten Bestimmung zwar bestehen und erhalten bleibt, ihr begrifflicher Gehalt nun aber um das Moment der Transformation zu seinem Entgegengesetzten bereichert worden ist. Die Anfänge zweier unmittelbar aufeinander folgender Stufen der logischen Entwicklung stehen also in Hinblick auf ihre Form im Verhältnis der Identität. Beide sind ein einfacher Bedeutungsgehalt, dessen Affirmation unmittelbar darin besteht, sich von der ihm entgegengesetzten Bestimmung abzugrenzen und sich negativ von ihr zu unterscheiden. Diese Form kommt, wie dargestellt worden ist, allen logischen Anfängen zu, seien sie „sonst ein Inhalt des Seyns oder des Wesens oder des Begriffes“ 9. Es ist somit ferner eine allgemeine methodische Bestimmung des logischen Anfangs als solchen und damit auch des Anfangs einer jeden seins-, wesens- oder begriffslogischen Stufe der logischen Entwicklung, dass derjenige Bedeutungsgehalt, der jeweils thematisiert wird, sich seiner unmittelbaren Form nach zunächst als ein spezifisch bestimmtes Etwas bestimmt. 10 Dies wird unter anderem daran deutlich, dass Hegel von dem Moment des Anfangs des spekulativen Denkaktes, welches als die Grundlage der dialektischen Prozessualität „Bedingung, oder vielmehr wesentliches Moment der Vernunft“ 11 ist, sagt, dass es den Bestimmungen „eine solche Härte des Seyns [gibt], als sie in der qualitativen Sphäre [haben], und in der Sphäre der Reflexion nicht haben“ 12. Dabei unterscheidet sich der Anfang einer jeden Stufe der logischen Entwicklung von dem der unmittelbar vorangehenden Stufe jedoch dadurch, dass sein Bedeutungsgehalt um das Moment der dialektischen Transformation dieses vorangehenden Anfangs bereichert worden ist. Was sich demnach im Fortgang der logischen Entwicklung von einer ihrer Stufen zu der nächsten verändert, ist der begriffliche Bedeutungsgehalt, der jeweils in dieser, wie soeben erörtert worden ist, identisch bleibenden und sich auf allen Stufen durchhaltenden Form der Entwicklung gefasst wird. Alle logischen Anfänge, 9 10
11 12
GW, Bd. 12, 239. Zur Beziehung zwischen logischer Anfänglichkeit im Allgemeinen und den daseinslogischen Formen der Selbstbezüglichkeit vgl. auch M. Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik. Frankfurt am Main 1978, 401–403. GW, Bd. 12, 43. GW, Bd. 12, 42.
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d. h. alle Stufen der Entwicklung in ihrem jeweiligen Anfang, teilen diese Form und logische Struktur, als welche die allgemeine, sich auf allen Stufen einheitlich reproduzierende Struktur der spekulativen Entwicklung in ihrer eben anfänglichen Gestalt zunächst faktisch ist. Der Anfang einer jeden Stufe der logischen Entwicklung, der, wie bereits gezeigt, darin besteht, dass der erweiterte Bedeutungsgehalt der dialektischen Vermittlung des vorangehenden Anfangs wieder in die Form der Unmittelbarkeit zurückgeführt worden ist, hat also die Form der Negation der Negation im Sinne einer negativen Unterscheidung jenes nun thematischen komplexeren Bedeutungsgehalts von der ihm entgegengesetzten Negation seiner selbst. In dieser Form besteht – auch für die Denkbestimmungen – die Affirmation eines jeden Bedeutungsgehalts. Die unterscheidbaren Stufen der logischen Entwicklung sind also rücksichtlich der soeben beschriebenen Form ihres Anfangs identisch miteinander, da ihre Anfänge – immer und der allgemeinen, notwendigen Struktur der spekulativen Dialektik folgend – einen wieder unmittelbaren Bedeutungsgehalt darstellen, zu welchem sich die dialektische Vermittlung des vorangehenden Anfangs an ihr selbst wiederhergestellt hat. Als Individuationsprinzip der Entwicklungsstufen, die also rücksichtlich ihrer Form identisch miteinander sind, ist demnach die dialektische Bedeutungserweiterung zu verstehen, zu welcher sich der Anfang der nächstvorangegangenen Stufe an ihm selbst bestimmt hat und deren Rückführung in die Form begrifflicher Einfachheit und Unmittelbarkeit die neue, spezifischere unmittelbare logische Bedeutung generiert. Der unmittelbare Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts konstituiert sich in der negativen Unterscheidung und Abgrenzung von seinem Entgegengesetzten. Dieser Bedeutungsgehalt erweitert und konkretisiert sich im Verlauf der logischen Entwicklung, indem er sich erstens zu einem dialektischen Prozess spezifiziert, im Rahmen dessen die anfängliche Bedeutung und ihr Entgegengesetztes sich kontinuierlich zueinander umwandeln, und zweitens dieser erweiterte und bereicherte Bedeutungsgehalt der Dialektik sich in die Form begrifflicher Einfachheit und Unmittelbarkeit zurückführt. Da diese wieder unmittelbare Bedeutungseinheit sodann den neuen Ausgangspunkt darstellt, von dem ausgehend jener immanente Erweiterungs- und Konkretisierungsprozess sich an einem komplexeren Begriff erneut reproduziert, besteht der Fortgang der logischen Entwicklung darin, dass ihr Inhalt sich zu immer komplexer werdenden Bedeutungen bestimmt. Der Verlauf der Entwicklung kann demnach so beschrieben werden, dass ihr Inhalt in durchgängiger Regelmäßigkeit dialektische Erweiterungen seiner unmittelbaren Bedeutung ausbildet, diese erweiterte Bedeutung sich in die Form begrifflicher Unmittelbarkeit zurückführt, um dann – wieder anfangend – eine Erweiterung dieser konkreteren Bedeutung auszubilden. Hegel beschreibt diese Struktur der logischen Entwicklung wie folgt:
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„Die Bestimmtheit, welche Resultat war, ist, wie gezeigt worden, um der Form der Einfachheit willen, in welche sie zusammengegangen, selbst ein neuer Anfang; indem er von seinem vorhergehenden, durch eben diese Bestimmtheit unterschieden ist, so wälzt sich das Erkennen von Inhalt zu Inhalt fort. Vors erste bestimmt sich diß Fortgehen darin, daß es von einfachen Bestimmtheiten beginnt, und die folgenden immer reicher und concreter werden.“ 13
Während dieses Verlaufs der immanenten Bedeutungskonkretisierung ist es immer der gesamte Inhalt, der sich zu einem dialektischen Prozess bestimmt und sich in die Form begrifflicher Einfachheit zurückführt. Der Inhalt erhebt, anders ausgedrückt, „auf jede Stuffe weiterer Bestimmung die ganze Masse seines vorhergehenden Inhalts, und verliert durch sein dialektisches Fortgehen nicht nur nichts, noch läßt e[r] etwas dahinten, sondern trägt alles Erworbene mit sich, und bereichert und verdichtet sich in sich“. 14 Gleichwohl lässt sich die fortschreitende Bereicherung des logischen Inhalts, d. h. die Konkretisierung seines begrifflichen Bedeutungsgehalts, zunächst am besten anhand derjenigen Punkte der Entwicklung nachvollziehen, an denen er die bereicherte, aber für sich betrachtet noch prozessuale Bedeutung seiner Dialektik in die Form einer wieder unmittelbaren Bedeutungseinheit zurückführt. Die „Form der Einfachheit“ 15, in welche der Inhalt sich in bereicherter Gestalt aus seiner dialektischen Selbstvermittlung zurücknimmt, besteht, wie wir gesehen haben, darin, dass seine Bedeutung wieder unmittelbar thematisch ist, d. h. sich in einfacher Unterscheidung und Abgrenzung von ihrem spezifischen Entgegengesetzten konstituiert. Die Struktur der Dialektik, zu der die nächstvorangegangene unmittelbare Bedeutung sich bestimmt hat und zu welcher auch die neu generierte unmittelbare Bedeutung sich wieder bestimmen wird, besteht demgegenüber immer darin, dass der jeweilige Bedeutungsgehalt des Inhalts seine Unmittelbarkeit aufhebt und sich zu einem Werdensprozess spezifiziert, in welchem er selbst und sein Entgegengesetztes sich kontinuierlich zueinander umwandeln. Innerhalb der logischen Entwicklung lässt sich demnach eine Abfolge von unmittelbaren und einfachen Entwicklungsstadien erkennen. Diese entsprechen jeweils dem Ende einer bestimmten Stufe der Entwicklung, das, wie gezeigt worden ist, zugleich den Anfang der nächstfolgenden Stufe darstellt. Zwischen diesen aufeinanderfolgenden, ihrer Form nach unmittelbaren Entwicklungsstadien liegt jeweils der dialektische Prozess, zu dem sich ein jeder logische Anfang an ihm selbst bestimmt und spezifiziert und aus welchem er – 13 14 15
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in bereicherter Gestalt – wieder zu sich, d. h. zu der Form anfänglicher Unmittelbarkeit, zurückkehrt. Diese Rückkehr eines jeden Anfangs zu sich vollendet die jeweilige Stufe der Entwicklung auf produktive Weise, da sie, d. h. die Rückkehr ihres Inhalts aus der dialektischen Prozessualität zur Form anfänglicher Unmittelbarkeit, sich unter Wahrung der Bedeutungserweiterung vollzieht, die mit dem Sich-bestimmen des Anfangs zu seiner Dialektik einhergegangen ist. Die Vollendung einer jeden Stufe der logischen Entwicklung ist also beides, sie ist Rückkehr zu sich, aber zu sich als in einer erweiterten Gestalt. Denn zwar kehrt der Anfang jeder Entwicklungsstufe im Ende „in sich selbst zurück“ 16, das Ende ist somit „Herstellung der ersten Unmittelbarkeit“ 17, jedoch ist es wesentlich Wiederherstellung der Form anfänglicher Unmittelbarkeit am Bedeutungsgehalt des dialektischen Prozesses, zu dem das erste Unmittelbare sich an ihm selbst bestimmt und erweitert hat. Somit ist die Rückkehr des Anfangs zu sich – präzisierend – als eine Rückkehr des „Verlauf[s]“ 18 der jeweiligen Entwicklungsstufe zur Form „der ersten Unmittelbarkeit“ 19 zu begreifen, wobei Einfachheit / Unmittelbarkeit / Anfänglichkeit nun jedoch Form eines gegenüber dem ursprünglichen Anfang und dem ersten Unmittelbaren erweiterten und bereicherten Sinn- und Bedeutungsgehalts sind. 20 Auf diese Weise ist es, dass jede „neue Stuffe des Aussersichgehens, das heißt, der weitern Bestimmung, [. . .] auch ein In-sich-gehen, und die grössere Ausdehnung, ebensosehr höhere Intensität [ist]“. 21 Die dialektische „Erweiterung“ 22, die sich im Fortgang einer jeden Stufe der logischen Entwicklung an dem Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts vollzieht, wird durch ihre Rückführung in die Form begrifflicher (und auch wieder anfänglicher) Unmittelbarkeit zu einer nicht nur erweiterten, sondern konkreteren Ausprägung der ursprünglichen Bedeutung. Die Bedeutungskonkretisierung hat hier demnach den Sinn einer Reintegrierung der Bedeutungserweiterung in den rudimentäreren, noch nicht erweiterten Bedeutungsgehalt und besteht darin, dass das Resultat der dia16 17 18 19 20
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lektischen Erweiterung in die Form ihres Ausgangspunkts zurückführt wird. Im Rahmen seiner spekulativ-dialektischen Entwicklung erweitert sich der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts somit nicht nur, d. h. er geht nicht nur außer sich, sondern mit der Restitution der Form anfänglicher Unmittelbarkeit am begrifflichen Gehalt der Erweiterung geht er zugleich in sich als in eine bereicherte und konkretere Ausprägung seiner selbst zurück. Die „höhere Intensität“ 23, die der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts mit jedem Schritt seiner immanenten Konkretisierung, d. h. auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung, somit erlangt, beschreibt Hegel, wie wir oben bereits gesehen haben, in diesem Sinne auch als eine fortschreitende Verdichtung: „Der Begriff, in der absoluten Methode erhält sich in seinem Andersseyn, das Allgemeine in seiner Besonderung, in dem Urtheile und der Realität; es erhebt auf jede Stuffe weiterer Bestimmung die ganze Masse seines vorhergehenden Inhalts, und verliert durch sein dialektisches Fortgehen nicht nur nichts, noch läßt es etwas dahinten, sondern trägt alles Erworbene mit sich, und bereichert und verdichtet sich in sich.“ 24
Der Fortschritt der logischen Entwicklung kann also dahingehend charakterisiert werden, dass sie zwar sehr wohl eine Abfolge von unmittelbaren Bedeutungseinheiten darstellt, hierbei jedoch ein immer konkreterer Bedeutungsgehalt in der Form begrifflicher Unmittelbarkeit vorliegt. Diese schrittweise Konkretisierung des Inhalts der Logik liegt, wie dargestellt worden ist, darin begründet, dass die Stufen der logischen Entwicklung nicht von vornherein fertig und für sich bestehend vorliegen, sondern der Anfang einer jeden Entwicklungsstufe – und damit schlussendlich auch ihr Fortgang und ihr Ende – prozessual generiert wird, indem der dialektische Fortgang der vorangehenden Stufe, der sich an ihrem Anfang immanent gesetzt hat, sich in die Form einer wieder anfänglichen, rücksichtlich ihres Bedeutungsgehalts jedoch gegenüber dem Anfang bereicherten begrifflichen Unmittelbarkeit zurückführt und damit vollendet. Die unterscheidbaren Stufen des logischen Systems liegen also nicht vor, sondern werden im Verlauf einer Entwicklung ursprünglich produziert und ausgebildet. Darüber hinaus wird eine jede Entwicklungsstufe dadurch produziert und ausgebildet, dass der Anfang der vorangehenden Stufe seinen Bedeutungsgehalt erweitert, indem er sich an ihm selbst zu einem dialektischen Prozess bestimmt, und dann dieser prozessuale Sinn- und Bedeutungszusammenhang seinen gegenüber dem Anfang, aus dem er resultiert ist, erweiterten Gehalt in die Form logischer Unmittelbarkeit zurückführt. Da die Form logischer Unmittelbarkeit nun Form einer komplexeren Bedeutung 23 24
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ist, markiert diese Wiederherstellung der Form des Anfangs an seiner Dialektik zugleich und unmittelbar den Anfang der nächsten Stufe der Entwicklung. Betrachten und vergleichen wir nun zwei konkrete und unmittelbar aufeinanderfolgende Stufen der logischen Entwicklung, so stellt sich der Fortschritt, der sich im Übergang von der ersten zur zweiten vollzieht, wie folgt dar. Zwei unmittelbare Bedeutungen des logischen Inhalts, die innerhalb seiner sprunglosen Entwicklung am Ende der Wesenslogik aufeinander folgen, sind die Wesensbestimmungen Substanz und Ursache. Zwischen ihnen liegt derjenige spezifische dialektische Prozess, zu dem sich die unmittelbare Bedeutung der Substanz an ihr selbst bestimmt, erweitert und spezifiziert, und dessen immanente Rückführung in die Form begrifflicher Einfachheit die Genese der unmittelbaren Bedeutung der Ursache markiert. Substanz und Ursache sind in diesem Sinne zwei logische Bestimmungen, von denen die letztere, spezifischere aus der ersteren, allgemeineren abgeleitet wird, indem diese ihre unmittelbare Form aufhebt, sich zu einem dialektischen Prozess erweitert und dessen gegenüber ihrem ursprünglichen Stadium erweiterte Bedeutung in die Form begrifflicher Einfachheit zurückführt. Aufgrund der Begriffsimmanenz dieser produktiven Entwicklung, d. h. aufgrund des Umstands, dass es die Bedeutung der Substanz selbst ist, die sich erweitert und im Gang durch ihre dialektische Vermittlung zur Bedeutung der Ursache konkretisiert, sind Substanz und Ursache eigentlich zutreffender als zwei unmittelbar aufeinanderfolgende Entwicklungsstadien des einen logischen Inhalts zu verstehen, der sich hier immanent weitergeführt und seine Bedeutung dialektisch bereichert und konkretisiert hat. Ist die Entwicklung von der Bestimmung der Substantialität zur Ursächlichkeit fortgegangen, so ist damit der Bedeutungsgehalt des Inhalts der Entwicklung um ein wesentliches Moment erweitert worden. Die Bedeutung des logischen Inhalts besteht nun nicht mehr nur darin, sich als Substanz von zwar konstitutiven und notwendig mitgesetzten, dabei jedoch an und für sich bestandslosen, d. h. akzidentellen, Aspekten seiner Realisation zu unterscheiden. Vielmehr besteht der unmittelbare begriffliche Gehalt der Ursache darin, diejenige Substanz zu sein, die sich selbst im Modus der Akzidentialität setzt, d. h. die Akzidentien ebenfalls als substantiell begreift und sich als ursächliche Substanz von einer akzidentellen Substanz, d. h. der Wirkung, unterscheidet. Dabei wird dieser komplexere, spezifischere Substanzbegriff nicht auf äußerliche Weise aus der allgemeineren Bedeutung der Substanz generiert, sondern ist gemäß der allgemeinen Struktur der Entwicklung der logischen Bestimmungen nichts anderes als der in die Form begrifflicher Einfachheit zurückgeführte Bedeutungsgehalt derjenigen Dialektik, zu welcher sich jene allgemeinere Bedeutung der Substanz an ihr selbst bestimmt, erweitert und spezifiziert hat. Die unmittelbare Bedeutung der Ursache ist also ein Stadium der logischen Entwicklung, das nicht nur einfach – nach irgendeinem äußerli-
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chen Einteilungs- und Spezifizierungskriterium – auf die unmittelbare Bedeutung der Substanz folgt, sondern zu dem sich diese spekulativ-dialektisch selbst bestimmt. Der Bedeutungsgehalt der Ursache ist demnach auch komplexer und konkreter als die Bedeutung der einfachen Substantialität, denn erstens bestand deren Dialektik darin, dass beide der gleichursprünglichen Momente des relationalen Substantialitätsverhältnisses, d. h. Substanz und Akzidentien, sich an ihnen selbst „zur Einheit mit dem andern“ 25 betätigen, indem sie sich in der Abgrenzung von ihrem Entgegengesetzten als auch identisch mit diesem erweisen, ihre unmittelbare affirmative Bedeutung damit aufheben und zu der ihres Entgegengesetzten umwandeln. Zweitens besteht die unmittelbare Bedeutung der Ursache nun in nichts anderem als darin, dass diese Dialektik der nächstvorangegangenen Bestimmung, d. h. die Dialektik der Substantialität, die Form begrifflicher Einfachheit und Unmittelbarkeit an sich wiederherstellt, indem sie sich eben zu jenem zirkulären, „unendlichen Progreß“ 26 entwickelt, dessen beide Momente sich in ihrem Werden zueinander jeweils zur Einheit beider Entgegengesetzten betätigen und sich damit zu einem wieder einfachen, aber bereicherten und konkreteren Bedeutungsgehalt bestimmen. Im Fall der hier herangezogenen Dialektik der Substanz besteht dieser wieder einfache Bedeutungsgehalt somit konkret in einer spezifischen Form der Substantialität, nämlich in einer solchen, die das Resultat der Dialektik des unmittelbaren Substanzbegriffs, d. h. das immanente Werden der Substanz zur Akzidentialität, positiv in sich enthält. Dieser spezifische Substanzbegriff, dessen Spezifikum darin besteht, sich in und aufgrund seiner Substantialität selbst zum Akzidenz zu bestimmen, ist die Ursache. Da der Bedeutungsgehalt dieser neuen, ihrer Form nach wieder einfachen logischen Bestimmung sich unmittelbar dadurch konstituiert, dass sie ihr spezifisches Entgegengesetztes negativ von sich unterscheidet und abgrenzt, wird deutlich, inwiefern mit der Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts die Konkretisierung seines Entgegengesetzten unmittelbar einhergeht. Die Ursache ist, mit anderen Worten, deswegen eine komplexere und spezifische Form der Substantialität, weil ihr affirmativer Bedeutungsgehalt sich nicht wieder einfach nur dadurch konstituiert, die Akzidentialität als solche negativ von sich zu unterscheiden, wie dies noch beim vorangegangenen Begriff der Substanz der Fall gewesen ist, sondern das Entgegengesetzte der ursächlichen Substanz ist die akzidentelle Substanz, d. h. dasjenige Akzidenz, das sich im Rahmen seiner Dialektik zur Einheit mit der Substanz bestimmt hat. Auch dies ist ein Resultat der Dialektik des Substantialitätsverhältnisses gewesen: Die Konkretisierung beider entgegengesetzten Bestimmungen geht Hand in Hand, denn beide heben ihre 25 26
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unmittelbare Bedeutung in der Dialektik an ihnen selbst auf und transformieren sich immanent zur Bedeutung der anderen. Die in sich ruhende und zirkulär geschlossene Ganzheit des dialektischen Prozesses betrachtet, so ist „das Affirmative, das in ihrer Auflösung und ihrem Uebergehen enthalten ist“ 27, demnach die Erkenntnis, dass beide Entgegengesetzten – hier: Substanz und Akzidenz – sich „zur Einheit mit dem andern“ 28 zusammenschließen. Allgemein gesprochen besteht die Dialektik, wie wir gesehen haben, also darin, dass eine ursprüngliche, zunächst unmittelbare logische Bestimmung sich vermittelt, indem sie ihre Bedeutung zu der ihres Entgegengesetzten umwandelt, jedoch dieses ebenso die seinige wieder zurück zur ursprünglichen Bedeutung usf. Das Resultat dieses „unendlichen Progreß[es]“ 29 ist eine wieder unmittelbare Bestimmung, indem eines der beiden Entgegengesetzten nun in seiner dialektisch bereicherten und konkreteren Ausprägung aufgefasst wird. In dieser konkreteren Ausprägung hat es das Resultat seiner Dialektik, d. h. die Identität mit seinem Entgegengesetzten und sein immanentes Werden zu ihm, in seine ursprüngliche Bedeutung inkorporiert. Es affirmiert sich nun zunächst wieder in einfacher negativer Unterscheidung und Abgrenzung von seinem Entgegengesetzten, wobei dessen Bedeutungsgehalt, wie wir gesehen haben, sich ebenso um das Resultat seiner Dialektik bereichert und damit konkretisiert hat. Die Konkretisierung des Bedeutungsgehalts einer logischen Bestimmung konstituiert sich unmittelbar durch die Konkretisierung des Bedeutungsgehalts ihres ihr entgegengesetzten Nichtseins sowie umgekehrt, denn die Dialektik besteht immer darin, dass beide Relata sich in ihrem Werden zueinander an ihnen selbst zur Einheit mit dem anderen vervollständigen. Indem also erstens die Dialektik einer logischen Bestimmung darin besteht, dass ihre Bedeutung sich immanent zu der ihres Entgegengesetzten umwandelt, und zweitens dieser Umwandlungsprozess dabei nicht „einseitig“ 30 bleibt, indem auch das Entgegengesetzte einer Denkbestimmung, in welches sie werdend sich verkehrt hat, seine Bedeutung in umgekehrter Richtung wieder zurück zum ursprünglichen begrifflichen Gehalt wandelt usf., besteht die neue und wieder unmittelbare, aber dialektisch bereicherte Bedeutung der ursprünglichen Bestimmung darin, sich von einem seinerseits dialektisch erweiterten Gegenteil zu unterscheiden. Da auf der Entwicklungsebene des dialektischen Fortgangs für beide der einander entgegengesetzten und sich kontinuierlich zueinander umwandelnden logischen Bedeutungsgehalte gilt, 27 28 29 30
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dass „das Sich-Aufheben der Einseitigkeit beider an ihnen selbst [. . .] die Einheit nicht einseitig werden [läßt]“ 31, ist das schlussendliche Resultat der dialektischen Entwicklung nicht einfach nur die Umwandlung der ursprünglichen Bedeutung zu ihrem Entgegengesetzten. Sie endet hiermit nicht, da, wie wir gesehen haben, auch diese umgewandelte Bedeutung des Inhalts der Entwicklung sich zur ihrem Entgegengesetzten, d. h. zur ursprünglichen Bedeutung, zurücktransformiert und die Dialektik so noch die Struktur eines zirkulären, perennierenden und kontinuierlich sich reproduzierenden „doppelten Uebergangs“ 32 annimmt. Vielmehr findet die immanente Entwicklung einer logischen Bestimmung ihr Ende darin, dass ihre ursprüngliche Bedeutung die ihres Entgegengesetzten in sich integriert und sich in dieser bereicherten Form nun unmittelbar dadurch konstituiert, dass sie eine neue, erweiterte Ausprägung ihres ursprünglichen Entgegengesetzten negativ von sich unterscheidet und abgrenzt. Das Resultat der Dialektik ist in diesem Sinne eine wieder unmittelbare Bedeutungseinheit, die beide Momente des dialektischen Prozesses, d. h. die Momente des doppelten Übergangs beider entgegengesetzter Bestimmungen zueinander, „als aufgehobene d. i. zugleich als aufbewahrte“ 33 in sich enthält. Unmittelbar und einfach ist dieses Resultat, da es seiner Form nach wieder eine logische Bestimmung ist, die sich zunächst wieder unmittelbar dadurch affirmiert, ihr spezifisches Entgegengesetztes von sich unterscheiden. Indem die Dialektik sich hiermit in die „Ruhe“ 34 begrifflicher Einfachheit zurückgeführt hat, stellt diese wieder unmittelbare und unprozessuale logische Bedeutung das Ende einer Stufe der Entwicklung dar. Indem es sich bei diesem Ende aber um eine gegenüber dem Anfang, aus dessen Dialektik es entstanden ist, bereicherte und konkretere unmittelbare Bedeutung handelt, an der somit auch ein neuer und eigener, ebenfalls konkreterer dialektischer Prozess anheben wird, stellt das Ende zugleich den neuen Anfang der nächstfolgenden Stufe der logischen Entwicklung dar. Da die Substanz, um zu unserem Beispiel zurückzukehren, sich im Rahmen ihrer Dialektik zur Identität und Einheit mit den Akzidentien bestimmt hat sowie deren Bedeutung sich zur Identität und Einheit mit der Bedeutung der Substantialität, affirmiert sich der neue, so dialektisch erweiterte Substanzbegriff unmittelbar in einfacher Abgrenzung von der dialektisch erweiterten Bedeutung der Akzidentialität. Die Substanz ist nun ursächliche, sich selbst zur Akzidentialität bestimmende Substanz und unterscheidet sich damit unmittelbar von derjenigen Akzidentialität, die auch Substanz ist, d. h. von der Wir31 32 33 34
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kung, die die als substantiell bestimmte Akzidentialität oder die als Akzidenz bestimmte Substanz ist. Das Substantialitätsverhältnis ist jetzt nicht mehr nur das zwischen Substanz und Akzidentien, sondern konkreter das zwischen Ursache und Wirkung. Hier wird an einem bestimmten Fall deutlich, inwiefern, wie wir zuvor in allgemeiner Hinsicht erörtert haben, mit der Rückführung der an einer logischen Bestimmung gesetzten Dialektik in die Form begrifflicher Unmittelbarkeit einhergeht, dass der Inhalt der Entwicklung „sich in sich [verdichtet]“ 35 und eine „höhere Intensität“ 36 erlangt. Indem die Substanz sich als Resultat ihrer Dialektik zur Ursache bestimmt hat, affirmiert sich ihre Bedeutung nicht mehr in Unterscheidung und Abgrenzung von der Akzidentialität, sondern dieser Bedeutungsgehalt, der ursprünglich das Entgegengesetzte der Substanz gewesen ist, ist in die Bedeutung der Substanz inkorporiert worden. Die Substanz hat sich die Akzidentialität zu eigen gemacht, sodass das Substantialitätsverhältnis nun nicht mehr die relationale Beziehung zwischen den Bestimmungen Substanz und Akzidentien ist, sondern spezifischer und konkreter gefasst ist als die Relation zwischen einer (aktiven) Substanz, deren Substantialität darin besteht, sich selbst zur Akzidentialität zu bestimmen, und einer Akzidentialität, die eben deshalb eine durch sich selbst gesetzte (passive) Substanz ist. Der logische Inhalt hat sich mit dieser Konkretisierung seines Bedeutungsgehalts, d. h. mit der Konkretisierung der Relation zwischen Substanz und Akzidentien zu dem spezifischeren Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung, zu „höhere[r] Intensität“ 37 verdichtet, indem Substantialität und Akzidentialität nun auf Seiten beider Relata enthalten sind beziehungsweise Ursache und Wirkung wesentlich die in Aktivität und Passivität unterschiedenen Momente der einen sich selbst zur Akzidentialität bestimmenden Substanz darstellen. An diesem so ursprünglich generierten und spezifischeren Substanzbegriff, d. h. an der Ursache, die sich in ihrer unmittelbaren begrifflichen Affirmation also nicht wieder nur einfach von der Akzidentialität als solcher, sondern von der Wirkung als ihrem spezifischen Entgegengesetzten unterscheidet, wird im weiteren Verlauf der Entwicklung ein neuer dialektischer Prozess anheben, der nun aber nicht mehr Substanz und Akzidentien, sondern Ursache und Wirkung zu seinen Momenten hat. Anfang und Ende einer Stufe der logischen Entwicklung sind also, wie hier an einem konkreten Fall ersichtlich ist, in Hinblick auf ihre Form identisch, unterscheiden sich jedoch in Hinblick auf ihren begrifflichen Bedeutungsgehalt. Im Anfang einer jeden Stufe der logischen Entwicklung ist die allgemeine Formbestimmung der anfänglichen Unmittelbarkeit somit spezifisch manifes35 36 37
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tiert, indem hier gerade dadurch immer ein spezifischer, vom vorhergehenden Anfang unterschiedener Bedeutungsgehalt in der Form anfänglicher Unmittelbar thematisch ist, dass die Bedeutung des logischen Inhalts sich durch ihre Unterscheidung von einem komplexeren und konkreteren Entgegengesetzten affirmiert. Für unser oben angeführtes Beispiel gilt also das Folgende. Diejenige Stufe der logischen Entwicklung, an deren Anfang die unmittelbare Bedeutung der Ursache steht, ist gegenüber ihrer vorangehenden Entwicklungsstufe, deren Anfang mit der unmittelbaren Bedeutung des Substanzbegriffs gemacht worden ist, „reicher und concreter“ 38. Dies ist in unserer Deutung deshalb der Fall, weil die Anfänge beider Stufen zwar die Form begrifflicher Unmittelbarkeit teilen und die Bedeutung des logischen Inhalts hier beide Male in der Form einer einfachen Bedeutungseinheit thematisch ist, indem er sein spezifisches Entgegengesetztes negativ von sich unterscheidet und abgrenzt, das Entgegengesetzte der Ursache, d. h. die substantielle Akzidentialität oder Wirkung, dabei jedoch konkreter ist als das Entgegengesetzte der Substanz, welches noch nur die Akzidentialität als solche gewesen ist. Die bisherigen Ergebnisse dieses Kapitels können also wie folgt zusammengefasst werden. Erstens besteht das Fortgehen der logischen Entwicklung darin, dass der begriffliche Bedeutungsgehalt ihres Inhalts sich allein aufgrund der ihm unmittelbar inhärierenden, sowohl gestalterischen als auch produktiven Form schrittweise konkretisiert. Da zweitens der Bedeutungsgehalt des Inhalts sich immer in negativer Unterscheidung und Abgrenzung von seinem begrifflichen Gegenteil konstituiert, schlägt sich die fortschreitende Konkretisierung der Bedeutung des Inhalts auch unmittelbar an der Komplexität und Konkretheit seines jeweiligen Entgegengesetzten nieder. Der Anfang der Entwicklung ist immer ein seiner Form nach einfaches Entwicklungsstadium des logischen Inhalts, wobei sich dessen formaliter einfache Bedeutung aber unmittelbar in negativer Unterscheidung und Abgrenzung von seinem Entgegengesetzten konstituiert und gerade durch den spezifischen Bedeutungsgehalt des Entgegengesetzten ist der Anfang einer jeden Entwicklungsstufe eine spezifische, sowohl vom Anfang der vorangehenden als auch vom Anfang der nächstfolgenden Stufe unterschiedene unmittelbare Bedeutungseinheit. Und auch der Fortgang der Entwicklung ist immer der an dieser spezifischen unmittelbaren Bedeutung sich artikulierende dialektische Prozess, die zirkuläre, kontinuierliche Umwandlung dieser Bedeutung und ihres Entgegengesetzten zueinander. Das Ende einer jeden Stufe der logischen Entwicklung besteht, wie wir gesehen haben, in der Wiederherstellung der Form anfänglicher Unmittelbarkeit am für sich betrachtet noch prozessualen und gänzlich dynamischen Bedeutungsgehalt der Dialektik. Das Resultat der Entwicklung ist wieder eine 38
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ihre Form nach unmittelbare und daher auch wieder anfängliche Bedeutung, deren Differenz gegenüber dem Anfang jedoch darin besteht, dass der in dieser Form thematische Bedeutungsgehalt konkreter geworden ist. Die Differenz zwischen Anfang und Ende einer Stufe der logischen Entwicklung schlägt sich somit nicht in ihrer Form nieder, in Bezug auf welche sie identisch sind, sondern darin, dass der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts im Durchlaufen der jeweiligen Entwicklungsstufe konkreter geworden ist. Dabei ist die Bereicherung und Konkretisierung des logischen Inhalts jedoch ebenso sehr durch nichts anderes begründet worden als durch die Produktivität der ihm unmittelbar inhärierenden Form, durch welche sein anfänglicher Bedeutungsgehalt in dialektische Vermittlung zu seinem Entgegengesetzten getreten ist, dabei sich erweitert und bereichert hat und somit im Ende der Entwicklung als eine gegenüber dem Anfang konkretere Bedeutung vorliegt, die ein ebenso konkreteres Entgegengesetztes von sich unterscheidet. Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen stellt der Fortgang der logischen Entwicklung sich zunächst so dar, dass der Bedeutungsgehalt ihres Inhalts sich im Zuge einer produktiven Selbstgestaltung zu immer konkreteren Ausprägungen seiner selbst ausbildet. 39 Ausgehend von seinen unmittelbaren 39
In diesem Sinne charakterisiert auch Halfwassen (J. Halfwassen: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung. Bonn 1999, 372 f.) Hegels Konzept „dialektischer Weiterund Höherentwicklung“ als die fortschreitende „Anreicherung des Inhalts im Fortgang der Kategorienentwicklung“. Er kontrastiert zudem die Idee einer produktiven Anreicherung und Konkretisierung von Bedeutung, die mit der Selbstentfaltung des Inhalts der Logik bei Hegel einhergeht, mit der Henologie Plotins. Hier ist „die Selbstentfaltung des seienden Einen in die Ideen keine Höherentwicklung, sondern ganz im Gegenteil der Abstieg in der Hierarchie der Ideen, bei dem es zu keiner Anreicherung des Inhalts kommt, sondern nur zu dessen Ausfaltung, da bereits das ursprüngliche seiende Eine die ganze Fülle des Seins in der Weise der Einfaltung ist, die durch ihre Ausfaltung nicht vermehrt oder überboten werden kann.“ Demgegenüber hat sich bei Hegel das Verhältnis des einfachen Anfangs zu den aus seiner ursprünglichen Einheit hervorgehenden Bestimmungen so dargestellt, dass er sich nicht in sie als in defizitärere, hierarchisch niedere Manifestationen seiner selbst ausfaltet, sondern sich in seinen Resultaten synthetisch bereichert und konkretisiert. Daher enthält der logische Anfang in Hegels spekulativer Logik die aus ihm folgenden kategorialen Bedeutungsgehalte auch nicht im Sinne einer Einfaltung bereits in sich, sondern bringt sie, wie wir gesehen haben, im Zuge einer produktiven Realisierung derjenigen Sinnund Bedeutungszusammenhänge aus sich heraus vor, in denen er in und aufgrund seiner anfänglichen Einfachheit an sich zwar bereits steht, die er aber gerade als das absolute Einfache zunächst – als unvereinbar mit sich – nur negativ von sich unterscheidet und daher auch noch nicht als Aspekte seiner anfänglichen Bestimmung an dieser gesetzt haben kann. Das Fortgehen des logischen Anfangs bestimmte sich im Verlauf unserer Untersuchung somit als die synthetisch-produktive und doch begriffsimmanent sich vollziehende, d. h. rein analytisch begründete, Selbstbestimmung des reinen Denkens in die unterscheidbaren Bedeutungsmomente und prozessualen Strukturen seiner Selbstvermittlung. Der logische Fortgang ist die autonome und mit innerer Notwendigkeit sich vollziehende Selbstproduk-
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Entwicklungsstadien, in die er sich im Verlauf der Entwicklung immer wieder zurückführt, bildet der logische Inhalt zunächst Erweiterungen seiner Bedeutung aus, indem er sich zu einer dialektischen Prozessstruktur bestimmt, in der seine jeweilige Bedeutung und der ihr entgegengesetzte begriffliche Gehalt sich kontinuierlich selbst aufheben und zueinander umwandeln. In einem zweiten Schritt restituiert diese dialektische Prozessstruktur an ihrer erweiterten Bedeutung die Form begrifflicher Einfachheit und generiert damit zugleich das nächste, konkretere unmittelbare Entwicklungsstadium des logischen Inhalts, an dessen fortgeschrittener Bedeutung der aus dialektischer Erweiterung und Rückführung zu konkreterer Bedeutungseinheit bestehende spekulative Prozess sich erneut reproduziert. In diesem Sinn bestimmt sich das Fortgehen der logischen Entwicklung seiner allgemeinen Struktur nach zunächst „dahin, daß es von einfachen Bestimmtheiten beginnt, und die folgenden immer reicher und concreter werden“. 40 Jedoch haben wir auch bereits gesehen, dass das Maß an Komplexität und Konkretheit, das der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts im Rahmen seiner schrittweisen Entwicklung auf einer ihrer Stufen jeweils erreicht hat, direkte Auswirkung auf die Komplexität und die Struktur der Dialektik hat, zu welcher sich der Anfang der betreffenden Stufe der logischen Entwicklung bestimmt. Der dialektische Prozess stellt immer die Umwandlung einer spezifischen logischen Bestimmung zu ihrem Entgegengesetzten (und umgekehrt) dar, wobei die Bedeutungsumwandlung, wie gezeigt worden ist, wesentlich darin besteht, dass die jeweilige Bestimmung sich in der anfänglichen Abgrenzung von ihrem Entgegengesetzten als auch identisch mit ihm erweist, indem sie in die-
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tion von über den Anfang hinausgehenden Bestimmungen, die sich aber wesentlich im Zuge einer Selbstnegation des Anfangs vollzieht, gerade weil dieser als das Unmittelbare und Einfache zunächst jedwede Vermittlung aus sich ausschließt. Daher aber ist das reine Denken seiner selbst in dieser Konzeption nicht die bloße Ausfaltung einer vorgängigen Einfaltung, in der „die ganze Fülle“ des Inhalts bereits aktualiter vorhanden ist und im Fortgang lediglich in eine andere Form (die der Ausfaltung) gebracht wird. Der Umstand, dass das Fortgehen des Anfangs, d. h. sein Sich-bestimmen zu einer über ihn hinausgehenden Ausprägung seiner selbst, mit einer Selbstnegation des Anfangs einhergeht beziehungsweise unmittelbar in dieser besteht, ist wohl der deutlichste Beleg dafür, dass Vollzug und Bedeutungsgehalt der Dialektik, d. h. des Moments des Fortgangs innerhalb der Gesamtstruktur der spekulativen Dialektik, nicht im Sinne einer Aktualität, die lediglich noch eingefaltet ist, in der anfänglichen Bedeutungsgehalt bereits enthalten sind. Gerade deshalb ist, so Hegel, „der Fortgang [. . .] nicht eine Art von Ueberfluß; er wäre diß, wenn das Anfangende in Wahrheit schon das Absolute wäre.“ Der logische Anfang ist aber als solcher nicht analysierbar und daher besteht das Fortgehen im (alleinigen) Ausgang von ihm „vielmehr darin, daß das Allgemeine sich selbst bestimmt, und für sich das Allgemeine, d. i. ebensosehr Einzelnes und Subject ist. Nur in seiner Vollendung ist es das Absolute.“ Vgl. hierzu GW, Bd. 12, 240 f. sowie zur Nichtanalysierbarkeit des Anfangs GW, Bd. 21, 62. GW, Bd. 12, 250.
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ser Unterscheidung zu dem Unterschiedenen selbst in derjenigen Beziehung steht, die durch dessen eigenen Bedeutungsgehalt ausgedrückt wird. Aus dieser Charakterisierung der allgemeinen Struktur des dialektischen Prozesses folgt zweierlei. Zunächst ist die allgemeine Form der Dialektik nie abstrakt und in diesem Sinne freischwebend und losgelöst vom konkreten Bedeutungsgehalt des Inhalts thematisch, sondern manifestiert sich immer als die Umwandlung eines spezifischen logischen Bedeutungsgehalts zu seinem spezifischen Entgegengesetzten. Die Dialektik der Daseinskategorie des Etwas beispielsweise ist spezifisch die „Veränderung“ 41, indem es hier eben das Etwas ist, welches sich in seiner anfänglichen Abgrenzung vom Anderen, d. h. in seiner unmittelbaren Bedeutung, nur „einfache seyende Beziehung auf sich“ 42 und damit nur es selbst und nicht Anderes zu sein, als auch identisch mit dem Anderen erweist, indem es in dieser Abgrenzung vom Anderen selbst das Andere dieses Anderen ist. Die Dialektik manifestiert sich hier – sowie auf jeder Stufe der Entwicklung – also spezifisch als die immanente Umwandlung eines bestimmten Bedeutungsgehalts zu seinem ebenfalls spezifisch bestimmten Entgegengesetzten, ist beispielsweise Veränderung als das Werden des Etwas zu seinem Anderen oder Wechselwirkung als die Dialektik der Wesensbestimmungen Ursache und Wirkung. Darüber hinaus haben wir bereits in der vorangegangenen Untersuchung der unterschiedlichen Dialektiktypen, als welche sich das Entwicklungsmoment des Fortgangs in Seins-, Wesens- und Begriffslogik jeweils spezifisch manifestiert, gesehen, dass die Struktur und Komplexität des dialektischen Prozesses wesentlich von der jeweiligen Komplexität des logischen Inhalts und der (fortschreitenden) Konkretheit seines Bedeutungsgehalts abhängt. In seiner schrittweisen Entwicklung, d. h. im dargestellten Verlauf der regelmäßigen Abfolge von dialektischer Bedeutungserweiterung und Rückführung des erweiterten Bedeutungsgehalts in eine wieder unmittelbare begriffliche Einheit, schreitet der logische Inhalt zu einem Punkt fort, an dem er ein Stadium erreicht hat, welches so konkret ist, dass er selbst in seiner unmittelbaren Form sein Entgegengesetztes hier nicht mehr nur negativ von sich unterscheidet, sondern es zugleich als einen wesentlichen Strukturaspekt seiner unmittelbaren Bedeutung in sich enthält und gleichursprünglich mitthematisiert. Dies ist derjenige Punkt innerhalb der logischen Entwicklung, an dem sie die Sphäre des Seins verlässt und die Thematisierung der Wesensbestimmungen beginnt. 43 Während der logische Inhalt in der Seinslogik auf einer 41 42 43
GW, Bd. 21, 104. GW, Bd. 21, 103. Zu der Beziehung zwischen a) dem fortschreitend sich konkretisierenden Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts und b) der Komplexität und Struktur seiner dialektischen Selbstver-
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jeden Entwicklungsstufe noch einen sinnhaft abgeschlossenen, unrelationalen Bedeutungsgehalt hat und die Dialektik sich folglich als ein sprunghaftes Übergehen und Verschwinden zweier entgegengesetzter Bestimmungen ineinander darstellt, ist der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts in der Wesenslogik ein relationaler, d. h. er enthält auf einer jeden wesenslogischen Stufe der Entwicklung sein begriffliches Gegenteil bereits in einem auch affirmativen Sinn in sich. Daher stellt die Dialektik der Wesensbestimmungen, wie wir gesehen haben, nicht mehr ein Übergehen zweier sinnhaft abgeschlossener und unmittelbar nur negativ unterschiedener Entgegengesetzter dar, sondern strukturiert sich als ein wechselseitiges Scheinen der Entgegengesetzten ineinander, da beide sich gegenseitig von vornherein in einem relationalen Beziehungsgefüge gleichursprünglich mitthematisieren. Mit dem Einstieg in die Begriffslogik hat der logische Inhalt seinen Bedeutungsgehalt soweit spezifiziert und konkretisiert, dass dort zwischen a) der übergeordneten Gesamtstruktur spekulativer Entwicklung, gemäß welcher alle logischen Bestimmungen sich an ihnen selbst spezifizieren und weiterbestimmen, und b) der internen Struktur des dialektischen Prozesses, zu dem der unmittelbare Anfang sich besondert, keine Diskrepanz mehr herrscht. Der Umstand, dass die hier erörterte Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts mit einer Konkretisierung seiner jeweiligen dialektischen Prozessualität einhergeht, deutet bereits darauf hin, dass die logische Entwicklung nicht ad infinitum verläuft, sondern – wie schon zuvor eine jede ihrer Stufen – auch als Ganzes auf ein abschließendes Ende hingeordnet ist. Alle logischen Bestimmungen, auch die Seins- und Wesensbestimmungen, konkretisieren sich gemäß der spekulativen Dialektik und sind damit, wie wir gesehen haben, in Hinblick auf den übergeordneten Rahmen ihrer immanenten Weiterführung zu immer komplexer werdenden Bedeutungsgehalten entwicklungsdialektisch strukturiert. Die Konkretisierung der Struktur derjenigen mittlung, als welche sich auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung das Moment des Fortgangs jeweils spezifisch manifestiert und die – abhängig von der Konkretheit der jeweiligen Bedeutung – entweder übergangs-, relations- oder entwicklungsdialektisch geartet ist, vgl. die folgende Ausführung von Düsing (K. Düsing: Aufhebung der Tradition im dialektischen Denken. Untersuchungen zu Hegels Logik, Ethik und Ästhetik. München 2012, 209.): „Die dialektische Entwicklung der Kategorien aber bedeutet von Stufe zu Stufe eine Sinnanreicherung, eine Sinndifferenzierung sowie eine Steigerung der Komplexität der Bedeutung von Kategorien. Dies führt dazu, daß die Kategorien des Seins und des Seienden, die in sich einfache, nichtrelationale Bedeutung haben, schließlich in sich selbst Verhältnisse ausbilden und zu Relationskategorien werden. Diese werden von Hegel ausgeführt als Bestimmungen des Wesens. [. . .] Erst wenn diese Kategorien in der Fortentwicklung mit weiterer Bedeutung angereichert werden und wenn die in ihnen gedachte dynamische Relation zur spontanen, selbstbezüglichen Relation des Denkens spezifiziert wird, ist die Sphäre des Begriffs und der Idee erreicht.“
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Dialektik, zu welcher sich die einzelnen Denkbestimmungen als eingebettet in den übergeordneten entwicklungsdialektischen Entwicklungsgang jeweils bestimmen, geht nun mit einer schrittweisen Annäherung an diese entwicklungsdialektische Komplexität der spekulativen Dialektik einher. Im Folgenden wird also noch zu klären sein, aus welchem Grund die schrittweise Bereicherung und Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts nicht ins Unendliche verläuft. Vielmehr wird der Verlauf der gesamtlogischen Entwicklung, d. h. die regelmäßige Abfolge von ursprünglich auseinander entstehenden Entwicklungsstufen, von denen eine jede in Anfang, Fortgang und Ende gegliedert ist, wie wir sehen werden, auf spezifische Weise selbst ein Ende finden. Aus diesem Umstand wird sich auch die folgende Einschränkung erklären, mit der Hegel die zuvor zitierte Charakterisierung der Produktivität des Fortgehens der Logik einleitet: „Vors erste bestimmt sich diß Fortgehen dahin, daß es von einfachen Bestimmtheiten beginnt, und die folgenden immer reicher und concreter werden.“ 44 Während diese Beschreibung einen wesentlichen Aspekt der immanent verfahrenden und dabei dennoch produktiven Entwicklung des logischen Inhalts hervorhebt, so ist sie dabei jedoch auch noch unvollständig. Der Verlauf der Logik bestimmt sich, mit anderen Worten, nur fürs erste als ein Fortgehen zu immer reicheren und konkreteren Bedeutungsgehalten, da er dabei zugleich auf ein Ziel und Ende hingeordnet ist. Obgleich der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts im Fortgang der Entwicklung zunächst immer konkreter wird und fortschreitend „sich in sich [verdichtet]“ 45, kennt seine Entwicklung dennoch ein höchstes Stadium, ein „Reichste[s]“ 46 und „Concreteste[s]“ 47 und eine „höchste zugeschärfteste Spitze“ 48. Um diesen Aspekt wird unsere Untersuchung über die Natur der logischen Entwicklung im Folgenden also noch zu ergänzen sein. Zunächst aber gilt es nun, die Auswirkungen zu erörtern, welche die fortschreitende Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts auf seine innere dialektische Prozessualität hat, d. h. auf die dialektische Struktur, als welche sich auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung das Moment des Fortgangs jeweils konkret manifestiert.
44 45 46 47 48
GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251.
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4. Der Fortgang der logischen Entwicklung besteht in der schrittweisen Ineinsbildung von Methode und Inhalt
D
ie logische Entwicklung besteht, wie wir gesehen haben, darin, dass sich der begriffliche Bedeutungsgehalt ihres Inhalts fortschreitend konkretisiert. Er durchläuft dabei, wie im zweiten Kapitel des ersten Teils der vorliegenden Untersuchung dargestellt worden ist, mit dem seinslogischen Übergehen in Anderes, dem wesenslogischen Scheinen im Entgegengesetzten und der begriffslogischen Entwicklung drei unterschiedene und immer komplexer werdende Arten dialektischer Selbstvermittlung. Die einzelnen Stufen dieser fortschreitenden Konkretisierung des einen, sich an ihm selbst entwickelnden Inhalts entsprechen dem, was Hegel die „reinen Wesenheiten [nennt], die den Inhalt der Logik ausmachen“. 1 Da der Inhalt der logischen Wissenschaft „das Denken als solches“ 2 ist, entsprechen diese reinen Wesenheiten dem Wesen des Denkens, sie zeigen an, welche Strukturen dem Denken als solchem, d. h. jedem möglichen Denkakt, unabhängig von seinem so oder so bestimmten Gegenstand als Bedingungen seiner Möglichkeit eingelagert sind. Vor diesem Hintergrund bezeichnet Hegel – insbesondere in der Enzyklopädie – die in der Logik entwickelten Bestimmungen auch bevorzugt als Denkbestimmungen. 3 Die Erörterung dessen, was Denken wesentlich ist, vollzieht sich in der Logik in Gestalt einer reinen Selbstexplikation des Denkens, die Logik „ist die Wissenschaft der reinen Idee, das ist, der Idee im abstracten Elemente des Denkens“. 4 Dabei sind die Bestimmungen des reinen Denkens, deren Entwicklung und systematische Abfolge den Inhalt der Logik ausmachen, wesentlich prozessuale Bedeutungskomplexe. Obgleich die Form begrifflicher Einfachheit ein wesentliches Moment dieser Prozessualität ausmacht, indem sie hier die Form des Anfangs sowie dann in transformierter Gestalt des Endes darstellt, sind die logischen Bestimmungen in ihrer vollständigen Struktur doch wesentlich solche
1 2 3
4
GW, Bd. 21, 8. GW, Bd. 21, 56. Bezüglich der Frage, in welchem Verhältnis die in Hegels spekulativer Logik entwickelten Denkbestimmungen zum traditionellen Begriff der Kategorie stehen, vgl. M. Gabriel: „Hegels Kategorienkritik“, in: Kategoriendeduktion in der Klassischen Deutschen Philosophie. Berlin 2020, 100–111. GW, Bd. 20, 61.
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Bedeutungsgehalte, die, wie wir gesehen haben, ihre Einfachheit überwinden und sich damit an ihnen selbst synthetisch weiterbestimmen. In dem Prozess der dynamischen Selbstexplikation des Denkens stellt die spekulative Dialektik zunächst die allgemeine Gesetzmäßigkeit dar, gemäß welcher die reinen Denkbestimmungen sich in diesem Sinne immanent weiterentwickeln, mit Bedeutung anreichern und jeweils eine nächstkonkretere, höherstufigere Denkbestimmung aus sich heraus ausbilden. Die Struktur der spekulativen Dialektik reproduziert sich somit zwar – als eine allgemeine Struktur 5 – auf einer jeden Stufe der Entwicklung, stellt dabei aber immer die immanente Form eines konkreten Bedeutungsgehalts dar. Indem sie sich im Verlauf der logischen Entwicklung an einem immer konkreter werdenden Bedeutungsgehalt einheitlich reproduziert, ist die spekulative Dialektik somit eine allgemeine Form, die zugleich immer spezifisch konkretisiert ist. Die spekulative Dialektik kann somit als das strukturelle Wesen aller Stufen der logischen Entwicklung angesehen werden 6, wobei dieses Wesentliche ihnen jedoch deswegen gemeinsam ist, weil seine produktive Aktivität eine jede Entwicklungsstufe zu einer höheren, konkreteren weiterbestimmt und sich dann auf dieser höheren Stufe und an einem konkreteren und komplexeren begrifflichen Bedeutungsgehalt selbst reproduziert. Auch dies ist eine Dimension davon, dass das Fortgehen der logischen Entwicklung, d. h. die schrittweise Konkretisierung des Bedeutungsgehalts ihres Inhalts, sowohl analytisch als auch synthetisch verfährt. Im synthetischen Fortgang ist die spekulative Dialektik einer jeden Stufe der Entwicklung als die strukturelle Form ihrer inneren Prozessualität „mitgetheilt“ 7. Sie ist das synthetisch tätige und produktive Allgemeine, welches das Fortgehen der Entwicklung von einer ihrer Stufen zur nächstfolgenden bewirkt und begründet sowie sich auf allen Stufen – als gleichbleibende Form ihres je spezifischen Inhalts – einheitlich reproduziert. Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik ist der strukturelle rote Faden, der sich durch die gesamte logische Entwicklung zieht, dies jedoch in dem Sinne, dass ihre gestalterische Produktivität die aufeinander folgenden Entwicklungsstadien dabei zugleich ursprünglich ausbildet und sich damit selbst zu immer komplexer werdenden Manifestationen ihrer selbst (als Form) bestimmt und spezifiziert. Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik stellt somit durchaus die ge5 6
7
Vgl. GW, Bd. 12, 237. R. Schäfer (Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 245.) sagt in diesem Sinne von der spekulativen Dialektik, die, wie wir noch erörtern werden, am Ende der Logik selbst als höchster Bedeutungsgehalt des Inhalts abgeleitet wird: „Das Telos der Logik [d. h. die spekulative Dialektik, L.H.] ist zugleich das Eidos der vorangehenden Stufen.“ GW, Bd. 12, 251.
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meinsame Form dar, die alle Stufen der Entwicklung in einen systematischen und hierarchischen Aufbau zurückbindet, wobei jedoch zu beachten ist, dass die Stufen und Stadien dieser systematischen Abfolge nicht von vornherein fertig und festgestellt ist, sondern aus der je vorangehenden / allgemeineren Stufe – allein kraft der ihr inhärierenden produktiven Form – ursprünglich ausgebildet werden. Vor diesem Hintergrund sind die unterscheidbaren Stufen und Stadien des logischen Systems nicht nur als systematisch aufeinander aufbauende Teile, sondern als organisch auseinander entstehende Momente eines einheitlichen und sprunglos sich vollziehenden Bildungsprozesses zu begreifen. Obgleich das synthetische Moment der Entwicklung darin besteht, dass sie in ihrem Verlauf zu immer konkreteren und komplexeren logischen Bedeutungsgehalten fortgeht, ist es, wie wir nun sehen werden, eine wesentliche Dimension dieses synthetisch-produktiven Fortgangs, dass der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts sich im Zuge seiner schrittweisen Konkretisierung der Struktur und dem Bedeutungsgehalt der spekulativen Dialektik allmählich annähert. Das synthetische Fortgehen der Logik ist also auch in dem Sinne von zugleich analytischer Natur, dass die synthetische Bereicherung und Konkretisierung ihres Inhalts auf die vollständige Realisierung desjenigen tätigen Formprinzips ausgerichtet ist, das den synthetischen Fortgang von Anfang an allein begründet und angetrieben hat. Die spekulative Dialektik ist also zum einen das allgemeine, sowohl gestalterische als auch produktive Formprinzip, das dem Inhalt der Logik auf allen Stufen seiner schrittweisen Entwicklung unmittelbar inhäriert, sodass es „der Inhalt in sich [ist], die Dialektik, die er an ihm selbst hat, welche ihn fortbewegt“. 8 Zum anderen ist sie dabei zugleich das Ziel, auf das der Inhalt in der autonomen, allein durch seine Form begründeten Konkretisierung ausgerichtet ist. Dieses höchste und finale Stadium, das der Inhalt der Entwicklung in seiner immanenten Konkretisierung erreicht, besteht folglich nicht mehr darin, sich abermals spekulativ-dialektisch zu einer noch komplexeren und konkreteren Bedeutung weiterzuführen, sondern mit ihm ist das tätige und produktive Formprinzip aller vorangegangen spekulativ-dialektischen Begriffsentwicklung nun selbst dasjenige, worin der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts unmittelbar besteht. Das höchste Entwicklungsstadium, zu welchem der Inhalt der Logik sich in seiner immanenten Konkretisierung selbst weiterführt, stellt also eine vollständige Ineinsbildung a) seiner allgemeinen, gestalterischen und produktiven Form und b) des durch sie strukturierten und produktiv sich konkretisierenden logischen Inhalts dar. Die Struktur der spekulativen Dialektik und der durch sie bewegte und sich durch unterscheidbare, aber immer konkreter werdende Stadien hindurchbe8
GW, Bd. 21, 38.
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wegende begriffliche Bedeutungsgehalt konvergieren, mit anderen Worten, im Ende dieser Entwicklung vollständig. 9 Hieraus folgt, dass das Prinzip der logischen Entwicklung, d. h. die spekulative Dialektik, in einer Hinsicht auf einer jeden Stufe der Entwicklung schon gegenwärtig ist, insofern sie die allgemeine Form darstellt, die dem Inhalt unmittelbar inhäriert und gemäß welcher er seinen Bedeutungsgehalt auf immanente Weise zu immer spezifischeren und konkreteren Ausprägungen weiterführt. In einer anderen Hinsicht ist sie jedoch nicht bereits von vornherein „fertig“, sondern wird, wie beschrieben, erst am Ende der Entwicklung in systematisch abgeleiteter Form selbst als höchste und konkreteste Bedeutung, die der Inhalt in seiner schrittweisen Konkretisierung erreicht, vorliegen. So entwickeln sich auch die rudimentärsten, allgemeinsten und in diesem Sinne noch bedeutungsärmsten Bestimmungen der Logik gemäß der spekulativen Dialektik. Ihre unmittelbare Bedeutung erweitert und spezifiziert / besondert sich zu einer dialektischen Prozessstruktur, im Rahmen derer die ursprüngliche Bedeutung und ihr begriffliches Gegenteil sich zunächst kontinuierlich an ihnen selbst zueinander umwandeln und in einem zweiten Schritt sich zu einer wieder unmittelbaren Bedeutungseinheit zusammenführen, die mit ihrem konkreteren und komplexeren begrifflichen Gehalt sodann unmittelbar den Anfang der nächstfolgenden Stufe der logischen Entwicklung markiert. Für alle Denkbestimmungen gliedert sich der übergeordnete Prozess ihrer immanenten Konkretisierung, an deren Ende ein neuer und ursprünglich generierter logischer Bedeutungsgehalt steht, in drei Momente oder Stationen, die sich wie Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit zueinander verhalten und den Inhalt somit entwicklungsdialektisch weiterführen, immanent spezifizieren und konkretisieren. Alle Stufen der logischen Entwicklung, auch die der Seinsund Wesenslogik, haben, mit anderen Worten, einen zunächst unmittelbaren Anfang, der sich an ihm selbst zu einem dialektischen Prozess erweitert und spezifiziert und sich zu einer ihrer Form nach wieder unmittelbaren, dem Inhalt nach jedoch bereicherten begrifflichen Einzelheit zusammenführt. Dabei gilt für die Bestimmungen, die sich in der Seinslogik auf diese Weise auseinander entwickeln, dass der dialektische Prozess, zu dem sich ihre un9
Vgl. hierzu die Ausführungen von R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 235: „Die dialektische Methode als Entfaltung und höchste Bestimmung der konkreten Allgemeinheit ist in Hegels spekulativer Logik also die absolute Idee. In der absoluten Idee ist die Dialektik die Selbstdarstellung der konkreten, absoluten Subjektivität, die ihre verschiedenen Bestimmungen als ihre eigene, einheitliche Identität weiß und zugleich erkennt, daß sie selbst es ist, welche die besonderen Bestimmungen hervorbringt. Die konkrete oder absolute Subjektivität gründet sich selbst als Einheit in den Bestimmungen, und gleichzeitig werden von ihr die einzelnen Bestimmungen in ihrer Einheit begründet.“
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mittelbare Bedeutung an ihr selbst erweitert und spezifiziert/besondert, gegenüber jener übergeordneten, wesentlich entwicklungsdialektischen Struktur ihrer Entwicklung noch unangemessen ist. Da, wie wir gesehen haben, die Dialektik der Seinskategorien sich als ein „Uebergehen in ein Anderes“ 10 vollzieht und sie im Zuge ihrer dialektischen Umwandlung zur Bedeutung ihres begrifflichen Gegenteils vollständig in diesem verschwinden, kommt den seinslogischen Denkbestimmungen für sich noch nicht die Komplexität desjenigen Entwicklungsprozesses zu, in welchen sie als immanent sich weiterbestimmende begriffliche Bedeutungsgehalte an sich gleichwohl wesentlich eingebettet sind. Dieser übergeordnete Strukturzusammenhang ist die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik, die entwicklungsdialektisch verläuft, indem, wie dargestellt worden ist, ihre Momente Anfang, Fortgang und Ende den Begriffsbestimmungen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit entsprechen, insofern diese „in der Bedeutung als Bestimmungen der Methode“ 11 betrachtet werden. Obgleich auch die Seinskategorien sich also ausgehend von ihrer unmittelbaren und einfachen begrifflichen Form, in welcher sie aus der ihnen je vorangehenden Stufe der logischen Entwicklung resultieren, zu einer dialektisch-prozessualen Bedeutung erweitern und besondern und diese sich zu einer wieder unmittelbaren, aber konkreteren kategorialen Einzelheit zurückbestimmt, ist die Struktur des dialektischen Prozesses, zu welchem sie sich zunächst spezifizieren, viel rudimentärer. Die Seinskategorien sind sinnhaft abgeschlossene logische Bedeutungsgehalte, die ihr begriffliches Gegenteil nur einfach negativ von sich unterscheiden und abgrenzen, und gehen daher, so sie sich in dieser Abgrenzung von ihrem Entgegengesetzten als auch identisch mit ihm erweisen, sich hiermit als dialektisch bestimmen und sich zu ihrem Entgegengesetzten umwandeln, vollständig in dieses über. Die Inadäquatheit der ihrem Bedeutungsgehalt nach noch ganz rudimentären Seinskategorien gegenüber der übergeordneten Struktur ihrer immanenten begrifflichen Weiterentwicklung kann demnach wie folgt auf den Punkt gebracht werden. Die Dialektik einer Seinsbestimmung, d. h. diejenige erweitere Prozessstruktur, zu der ihre unmittelbare Bedeutung sich entwicklungsdialektisch bestimmt und besondert und deren ebenfalls entwicklungsdialektische Rückführung in die Form anfänglicher Unmittelbarkeit die Genese einer gegenüber der ursprünglichen Bedeutung konkreteren Bestimmung markiert, ist ihrer Struktur nach ein übergangsdialektischer Prozess. Anders als den Momenten ihrer übergeordneten Entwicklung kommt den Seinskategorien in ihrer Dialektik nicht die Eigenschaft zu, sich in demjenigen Bedeutungsgehalt, 10 11
GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 239.
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zu dem sie sich im Zuge ihrer immanenten Selbstaufhebung umwandeln, zu kontinuieren und darin zu einer erweiterten Ausprägung ihrer selbst fortzugehen. Vielmehr gehen sie in ihr Entgegengesetztes über und verschwinden in ihm sowie dieses in der ursprünglichen Bestimmung, sodass die innere Struktur des Fortgangs der Entwicklung für Seinskategorien der zirkuläre Prozess eines Ineinanderübergehens zweier sinnhaft abgeschlossener entgegengesetzter Bedeutungen ist. Die Diskrepanz herrscht hier also zwischen a) der übergeordneten dialektischen Struktur der Entwicklung, deren Anfang sich im Fortgang kontinuiert und erweitert und aus dem er im Ende in konkreter Gestalt zu sich zurückkehrt, und b) der internen dialektischen Struktur des Fortgangs. Auch in der Wesenslogik setzt sich diese strukturelle Diskrepanz zwischen dem übergeordneten Entwicklungsverlauf und der internen Dialektik der Bestimmungen fort. Dabei hat der begriffliche Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts sich mit dem Eintritt in die Sphäre des Wesens jedoch so weit konkretisiert, dass er hier auf den unterscheidbaren Stufen seiner Weiterentwicklung sein jeweiliges Entgegengesetztes als einen relationalen und konstitutiven Aspekt seiner Bedeutung bereits gleichursprünglich mitthematisiert. In diesem Sinne gehen die Wesensbestimmungen nicht mehr – wie noch die Seinskategorien – im Rahmen ihrer Dialektik in ihr Entgegengesetztes als in ein Anderes über und verschwinden nicht mehr im Zuge ihrer Selbstaufhebung. Vielmehr ist die dialektische Bedeutungsumwandlung zweier entgegengesetzter Wesensbestimmungen zueinander von der Struktur, dass sich, wie wir gesehen haben, das von vornherein gleichursprüngliche Relationsgefüge zwischen den beiden Bedeutungen lediglich dahingehend verändert, welche von ihnen das Wesentliche und den Schwerpunkt der Relation darstellt und welche von ihnen als davon abhängig und als in seinem Entgegengesetzten nur mitscheinend begriffen wird. Die Dialektik stellt, wie wir gesehen haben, das Moment des Fortgangs einer jeden Stufe der logischen Entwicklung dar. Als solches ist sie diejenige prozessuale Struktur, zu der sich alle unmittelbaren Entwicklungsstadien des logischen Inhalts immanent spezifizieren und aus der er stets in bereicherter und konkreterer Gestalt zur Form begrifflicher Einfachheit zurückkehrt und damit das nächsthöhere unmittelbare Stadium seiner Entwicklung, den neuen Anfang der nächstfolgenden Entwicklungsstufe begründet. Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Überlegungen kann nun die jeweilige strukturelle Komplexität des dialektischen Prozesses zugleich auch als Indikator dafür angesehen werden, zu welchem Maß der Bedeutungsgehalt des Inhalts der logischen Entwicklung sich im Verlauf seiner schrittweisen Konkretisierung der Struktur dieses einheitlichen Entwicklungsverlaufs, d. h. der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik, bereits angenähert hat. Die Dialektik, zu welcher sich eine jede Denkbestimmung, d. h. ein jedes unmittelbares Ent-
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wicklungsstadium des logischen Inhalts, immanent bestimmt und die folglich auf einer jeden Stufe der gesamtlogischen Entwicklung das Moment des Fortgangs ausmacht, ist nichts anderes als die Struktur, als welche die dialektische Selbstvermittlung einer Denkbestimmung sich spezifisch manifestiert. Obgleich also alle logischen Bestimmungen sich gemäß der spekulativen Dialektik auseinander entwickeln, diese ihnen als die allgemeine und produktive Form ihrer „Selbstbewegung“ 12 unmittelbar inhäriert, sodass sie sich an ihnen selbst zur immer konkreteren Bedeutungsgehalten weiterführen, ist die Struktur dieses übergeordneten Entwicklungsverlaufs von derjenigen dialektischen Struktur zu unterscheiden, die den Bestimmungen darin als ihre eigene und spezifische Dialektik jeweils zukommt. Indem die logischen Bestimmungen – als wesentlich eingebettet in den übergeordneten Verlauf der Entwicklung, dessen Momente sie sind, – dabei immer „reicher und concreter“ 13 werden und zudem die Struktur ihres jeweiligen dialektischen Prozesses, wie wir gesehen haben, unmittelbar mit der Konkretheit ihres Bedeutungsgehalts zusammenhängt, geht das Fortgehen der gesamtlogischen Entwicklung damit einher, dass die jeweilige Dialektik der Denkbestimmungen sich der komplexen dialektischen Struktur des übergeordneten Entwicklungsverlaufs schrittweise annähert. Dies kann auch so ausgedrückt werden, dass die interne Struktur des Fortgangs einer jeden Stufe der logischen Entwicklung sich im Fortschreiten des gesamtlogischen Entwicklungsverlaufs schrittweise derjenigen Komplexität annähert, die der gesamten, in Anfang (Allgemeinheit), Fortgang (Besonderheit) und Ende (Einzelheit) gegliederten Struktur aller Entwicklungsstufen zukommt. Rücksichtlich der Natur der logischen Entwicklung sind also drei Aspekte in untrennbarer Einheit zu denken. Erstens inhäriert die allgemeine und produktive Struktur der spekulativen Dialektik allen Bestimmungen, die in der Logik entwickelt werden. Sie ist „die dialektische Seele“ 14 des Inhalts der logischen Entwicklung, „die Dialektik, die er an ihm selbst hat, welche ihn fortbewegt“. 15 Der Inhalt der Logik besteht demnach aus einem begrifflichen Bedeutungsgehalt, der sich an ihm selbst fortschreitend bereichert und konkretisiert. Er folgt dabei einer allgemeinen Struktur, die sich im ganzen Verlauf der Entwicklung einheitlich durchhält und sich auf einer jeden Entwicklungsstufe, d. h. an einem jeden der immer konkreter werdenden Stadien des Inhalts, erneut reproduziert. Eine jede Stufe der gesamtlogischen Entwicklung gliedert sich in 12 13 14 15
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Anfang, Fortgang und Ende und damit in drei Momente, die sich wie Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit zueinander verhalten und demnach in einer wesentlich entwicklungsdialektischen Beziehung zueinander stehen. Zweitens ist dabei zwischen jener übergeordneten Struktur der Entwicklung und derjenigen Dialektik zu unterscheiden, die den einzelnen logischen Bestimmungen darin jeweils an sich zukommt. Auf einer jeden Stufe der gesamtlogischen Entwicklung stellt diese Dialektik jeweils die interne Struktur des Moments des Fortgangs dar. Hieran zeigt sich, dass und wie die Dialektik, die den logischen Bestimmungen – abhängig von der Komplexität und Konkretheit ihres Bedeutungsgehalts – jeweils an sich zukommt, in die entwicklungsdialektische Struktur des übergeordneten, gesamtlogischen Entwicklungsverlaufs immanent integriert ist. Sie ist die spezifische Struktur desjenigen dialektischen Bedeutungsgehalts, zu welchem sich alle Stufen der Entwicklung ausgehend von ihrem unmittelbaren Anfang spezifizieren und besondern und dessen Rückführung in die Form begrifflicher Einfachheit und Unmittelbarkeit den Anfang der nächstfolgenden Entwicklungsstufe generiert. Obgleich alle logischen Bestimmungen sich gemäß der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik an ihnen selbst weiterführen, sich auf immanente Weise zu einem höheren, komplexeren Bedeutungsgehalt konkretisieren und somit eigentlich nur unterscheidbare Momente eines einigen, sich selbst konkretisierenden Inhalts darstellen, ist dabei zwischen dieser übergeordneten Struktur und derjenigen Dialektik, die dem begrifflichen Bedeutungsgehalt des Inhalts in einem bestimmten Stadium seiner einheitlichen Entwicklung zukommt, zu differenzieren. Hierbei stellt diese spezifische, mehr oder weniger komplexe Dialektik aber zugleich diejenige Bedeutung dar, zu welcher die logischen Bestimmungen sich gemäß der übergeordneten Struktur der Entwicklung entwicklungsdialektisch erweitern und spezifizieren / besondern und deren Rückführung in die Form begrifflicher Einfachheit zugleich den Anfang der nächstfolgenden Stufe der gesamten Entwicklung begründet. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Hinsichten auf die Dialektik – einerseits die aus Anfang (Allgemeinheit), Fortgang (Besonderheit) und Ende (Einzelheit) bestehende Struktur der einzelnen Entwicklungsstufen, andererseits darin die interne dialektische Struktur des Fortgangs – kann auch wie folgt beschrieben werden. Alle logischen Bestimmungen gehen im Ausgang von ihrer unmittelbaren Bedeutung, als welche sie jeweils eines der unmittelbaren Entwicklungsstadien des logischen Inhalts ausmachen, dazu fort, sich zu einem dialektischen Prozess zu bestimmen, zu erweitern und zu besondern und kehren aus dieser prozessualen Struktur unter Beibehaltung ihrer erweiterten und bereicherten Bedeutung zur Form begrifflicher Unmittelbarkeit zurück, was das nächste, konkretere unmittelbare Entwicklungsstadium des logischen Inhalts und den neuen Anfang der nächstfolgenden Stufe der logischen Entwicklung darstellt.
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Die interne Struktur des Fortgangs, d. h. die Struktur desjenigen Resultats, zu dem die logischen Bestimmungen sich spezifizieren und dessen Rückführung in die Form begrifflicher Einfachheit die nächstkonkretere Bestimmung generiert, ist jedoch für Seins-, Wesens- und Begriffsbestimmungen jeweils von anderer Komplexität. So gehen zwar alle logischen Bestimmungen entwicklungsdialektisch fort, führen sich als Momente der einheitlichen logischen Entwicklung weiter und konkretisieren sich, jedoch ist dabei die interne „Form des Fortgangs [. . .] im Seyn ein Anderes und Uebergehen in ein Anderes, im Wesen Scheinen in dem Entgegengesetzten, im Begriffe die Unterschiedenheit des Einzelnen von der Allgemeinheit, welche sich als solche in das von ihr Unterschiedene continuirt und als Identität mit ihm ist“. 16 Drittens nähert sich diese interne dialektische Struktur der Denkbestimmungen im Fortgehen der logischen Entwicklung schrittweise der übergeordneten und wesentlich entwicklungsdialektischen Struktur ihrer Selbstbewegung an. Die Dialektik der Seinskategorien ist, wie dargestellt, ihrer Struktur nach ein Übergehen in Anderes und ein Verschwinden im Entgegengesetzten und daher gegenüber der übergeordneten Struktur ihrer Entwicklung, d. h. gegenüber der entwicklungsdialektischen Erweiterung und Spezifizierung ihrer jeweiligen unmittelbaren Bedeutung zu einem über sie hinausgehenden übergangsdialektischen Prozess, aus dem wiederrum entwicklungsdialektisch eine konkretere kategoriale Einzelheit resultiert, noch sehr unangemessen. Daher gilt: „In der Sphäre des Seyns ist das Sich-bestimmen des Begriffs selbst nur erst an sich, so heißt es ein Uebergehen“ 17. In dieser Formulierung finden sich beide der soeben dargestellten Aspekte der logischen Entwicklung berücksichtigt. So sind auch die Seinskategorien wesentliche Momente der Selbstbestimmung des Begriffs, d. h. der Selbstexplikation des reinen Denkens, da sie eingebettet sind in den einheitlichen Prozess der logischen Entwicklung. Das „Sich-bestimmen des Begriffs“ 18 ist hier schon tätig, indem die Seinskategorien Entwicklungsstadien des einen logischen Inhalts ausmachen und als solche ihren jeweiligen Bedeutungsgehalt entwicklungsdialektisch an ihnen selbst konkretisieren und sich immanent zu „immer reicher[en] und concreter[en]“ 19 Bestimmungen weiterführen. Da die Seinskategorien dabei noch sinnhaft abgeschlossene Bedeutungsgehalte darstellen und das einheitliche Fortgehen der logischen Entwicklung mit ihnen noch jeweils von sehr „einfachen Bestimmtheiten beginnt“ 20, ist das Sich-Bestimmen des Begriffs ist hier jedoch noch 16 17 18 19 20
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„nur erst an sich“ 21 manifestiert. 22 Die komplexe und entwicklungsdialektische Struktur ihrer übergeordneten Selbstbesonderung und Konkretisierung ist in der Dialektik, zu der die Seinsbestimmungen sich an ihnen selbst spezifizieren, d. h. in der Struktur des „Uebergehen[s] in ein Anderes“ 23, nur unzureichend realisiert. In der Wesenslogik ist die Dialektik, zu der sich die unmittelbaren Entwicklungsstadien des logischen Inhalts spezifizieren, nicht mehr von der Struktur des Ineinander-übergehens zweier entgegengesetzter Bedeutungsgehalte, sondern, wie wir gesehen haben, von der Struktur des Ineinander-scheinens. In seinem Gang durch die Seinslogik hat der logische Inhalt seinen Bedeutungsgehalt so weit konkretisiert, dass er nun sein begriffliches Gegenteil nicht mehr nur negativ von sich unterscheidet und abgrenzt, sondern es zugleich als einen konstitutiven Aspekt auch seiner unmittelbaren Bedeutung bereits positiv mitthematisiert. Der Inhalt der logischen Entwicklung hat, mit anderen Worten, auf allen Stufen der Wesenslogik den begrifflichen Gehalt eines relationalen Bestimmungsgefüges, sodass die Dialektik hier nicht mehr eine gewissermaßen sprunghafte Umwandlung zweier sinnhaft abgeschlossener Bedeutungsgehalte zueinander darstellt, sondern in einer Akzentverschiebung innerhalb der von vornherein relationalen Beziehung zwischen den beiden Entgegengesetzten resultiert. Auch auf den Entwicklungsstufen der Wesenslogik besteht die Dialektik wieder in der immanenten Umwandlung zweier entgegengesetzter logischer Bedeutungsgehalte zueinander, wobei die Umwandlung hier jedoch so vonstattengeht, dass sich die Relation zwischen den Entgegengesetzten, in der beide immer schon gleichursprünglich thematisch sind, lediglich dahingehend ändert, welche von ihnen das Wesentliche und welche das Mitscheinende ist. Gegenüber der Übergangsdialektik der Seinslogik stellt das oszillierende „Scheinen in dem Entgegengesetzten“ 24 der Wesensbestimmungen eine Annäherung an diejenige übergeordnete und wesentlich entwicklungsdialektische Struktur dar, in welche alle logischen Bestimmungen als sich an ihnen selbst 21 22
23 24
GW, Bd. 21, 109. K. Düsing (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn, 3. Auflage 1995, 329 f.) beschreibt diesen Umstand, d. h. das Verhältnis von übergeordneter Entwicklung und (darin) kategorialem Übergang, wie folgt: „Den Seinskategorien ist nur, sofern sie einfache, in sich beziehungslose Bestimmtheiten sind, die dialektische Methode als synthetische äußerlich. Da sie jedoch allein im methodischen Zusammenhang gedacht werden können, gelten sie selbst nur als Momente der dialektischen Methode; ihre ganze Bedeutung besteht darin, daß sie Punkte bzw. Phasen des ‚Übergehens` bilden. Nach Hegels Programm wird zugleich aus ihnen selbst der Fortgang entwickelt; dies ist dann der analytische, den Kategorien immanente Charakter der Methode.“ GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230.
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konkretisierende Stadien der gesamtlogischen Entwicklung eingebettet sind. Diese besteht auch für die Wesensbestimmungen darin, dass ein zunächst unmittelbarer logischer Bedeutungsgehalt sich zunächst an ihm selbst zu einem dialektischen Prozess erweitert und spezifiziert und dann an diesem erweiterten und für sich betrachtet prozessualen Bedeutungsgehalt die Form begrifflicher Einfachheit wiederherstellt, was eine wieder unmittelbare, aber konkretere logische Bestimmung und hiermit den Anfang der nächstfolgenden Stufe der gesamtlogischen Entwicklung konstituiert. Das Wesentliche dieser entwicklungsdialektischen Struktur der logischen Begriffsentwicklung ist die Einheitlichkeit ihrer in sich differenzierten Prozessualität. Die logischen Bestimmungen erweisen sich rücksichtlich dieser übergeordneten Struktur ihrer immanenten Konkretisierung als Anfänge, die sich allein an ihnen selbst spezifizieren und besondern. Sie bestimmen sich zu einem dialektischen Prozess, der gegenüber ihrer ursprünglichen Form eine erweiterte Bedeutung darstellt, wobei sie sich in ihrer Dialektik aber zugleich auch kontinuieren und in dem Prozess der immanenten Umwandlung ihrer selbst und ihres Entgegengesetzten zueinander „aufbewahrt und erhalten“ 25 bleiben. Die Restitution der Form begrifflicher Einfachheit an diesem erweiterten (dialektischen) Bedeutungsgehalt generiert somit zwar durchaus eine neue und konkretere logische Bestimmung, die von der vorangegangenen Unmittelbarkeit durch eben die dialektische Erweiterung, die diese erfahren hat, unterschieden ist. Da diese dialektische Erweiterung aber im Zuge einer immanenten Spezifizierung der ursprünglichen Bedeutung an dieser gesetzt worden ist, d. h. diese sich an ihr selbst zu einer erweiterten dialektischen Ausprägung ihrer selbst bestimmt hat, und nur dasjenige synthetisch zur ihr hinzugetreten ist, was in ihrer unmittelbaren Bedeutung schon enthalten und lediglich „noch nicht gesetzt war“ 26, ist auch die wieder unmittelbare und nächstkonkretere Bestimmung nichts anderes als eine spezifischere und konkretere Bedeutung der ursprünglichen Bestimmung. Das übergeordnete Fortgehen der logischen Entwicklung, dessen Momente auf einer jeden ihrer Stufen somit einem allgemeinen Anfang, dessen immanenter dialektischer Besonderung sowie einer begrifflichen Einzelheit entsprechen, die zugleich den höheren, nächstkonkreteren Anfang darstellt, ist somit als eine einheitliche Begriffskonkretisierung zu begreifen. Das Fortgehen der logischen Entwicklung ist in diesem Sinne, wie Hegel betont, „nicht als ein Fliessen von einem Andern zu einem Andern zu nehmen“. 27 Da seine Momente, wie dargelegt, den Begriffsbestimmungen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit entsprechen, ist der übergeordnete Verlauf der logischen 25 26 27
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Entwicklung entwicklungsdialektischer Natur. Ein jedes unmittelbares Entwicklungsstadium des logischen Inhalts ist vor diesem Hintergrund das in die Form begrifflicher Einfachheit und Anfänglichkeit zurückgeführte Resultat der immanenten Selbstbesonderung und Erweiterung des nächstvorangegangen unmittelbaren Entwicklungsstadiums. Da nun die Dialektik der Wesensbestimmungen, d. h. das oszillierende „Scheinen in dem Entgegengesetzten“ 28, gegenüber dem seinslogischen Dialektiktypus nicht mehr ein „Uebergehen“ 29 zweier sinnhaft abgeschlossener Entgegengesetzter, d. h. gerade nicht mehr die Umwandlung eines „Andern zu einem Andern“ 30 darstellt, sondern der dialektische Prozess sich hier zu einer Bedeutungsveränderung innerhalb eines einheitlichen, relationalen Bestimmungsgefüges konkretisiert hat, stellt sie eine Annäherung an die entwicklungsdialektische Struktur des übergeordneten Verlaufs der gesamtlogischen Entwicklung dar. Woran es dem wesenslogischen Dialektiktypus gegenüber der Entwicklungsdialektik noch mangelt, ist, dass die Wesensbestimmungen im Zuge der dialektischen Umwandlung ihrer Bedeutung zu der ihres jeweiligen begrifflichen Gegenteils zwar nicht mehr in dieses übergehen und in ihm verschwinden, sich dabei jedoch auch noch nicht in ihm kontinuieren und ihre Bedeutung in ihrer Transformation noch nicht erweitern und bereichern. Auch für die Wesensbestimmungen besteht ihre Dialektik noch darin, dass sie, indem sie sich zu ihrem jeweiligen begrifflichen Gegenteil verkehren, ihre Bedeutung nur verändern, nicht aber erweitern. Die begriffliche Erweiterung und Bereicherung des logischen Bedeutungsgehalts und schlussendlich dessen Konkretisierung zu einer ihrer Form nach wieder unmittelbaren, dem Inhalt nach aber komplexeren Bedeutungseinheit vollzieht sich auch für die Bestimmungen der Wesenslogik noch nur auf der übergeordneten Struktur ihrer Entwicklung, noch nicht in der internen dialektischen Struktur ihres Fortgangs. In Seins- und Wesenslogik herrscht also zwischen der entwicklungsdialektischen Struktur des übergeordneten Verlaufs der einheitlichen und sprunglosen Konkretisierung des logischen Inhalts und der Struktur derjenigen Dialektik, zu welcher die Bestimmungen sich an ihnen selbst bestimmen, noch eine Diskrepanz. Während das „Scheinen in dem Entgegengesetzten“ 31 der Bestimmungen des Wesens, wie wir gesehen haben, gegenüber der Übergangsdialektik der Seinskategorien bereits eine Annäherung an jene übergeordnete dialektische Struktur darstellt, bilden beide Dimensionen der logischen Entwicklung sich 28 29 30 31
GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 20, 230.
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erst in der Begriffslogik völlig in eins. Mit dem Einstieg in die Begriffslogik hat sich der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts so weit konkretisiert, dass er auf den folgenden Stufen der Entwicklung nicht mehr – wie noch in der Wesenslogik – sein Entgegengesetztes nur gleichursprünglich mitthematisiert und in diesem Sinne (nur) relationale Bedeutung hat. Vielmehr hat der logische Inhalt hier seiner Form nach die Bedeutung der Allgemeinheit erreicht, die eine über sie hinausgehende Besonderheit sowie eine Einzelheit, die beide in sich vereint, in dem Sinne in sich enthält, dass sie diese immanent aus sich heraus produziert. In Bezug auf die Komplexität der dialektischen Prozessstruktur herrscht in der Begriffslogik somit keine Diskrepanz mehr zwischen a) der übergeordneten, in Anfang (Allgemeinheit), Fortgang (Besonderheit) und Ende (Einzelheit) gegliederten Struktur der Entwicklung aller Denkbestimmungen und b) der internen dialektischen Struktur des Fortgangs der Begriffsbestimmungen. In der Begriffslogik bestimmen sich die unmittelbaren Entwicklungsstadien des logischen Inhalts, die auch hier noch den Anfang einer jeden Stufe der logischen Entwicklung ausmachen, nicht zu einem dialektischen Prozess des Typus „Uebergehen in ein Anderes“ 32 oder „Scheinen in dem Entgegengesetzten“ 33, sondern sind selbst jeweils eine sich immanent konkretisierende Allgemeinheit, „welche sich als solche in das von ihr Unterschiedene continuiert und als Identität mit ihm ist“. 34 Anders als dies bei den Seinskategorien und den Wesensbestimmungen der Fall ist, ist die Komplexität derjenigen Dialektik, zu der sich die Bestimmungen der Begriffslogik immanent bestimmen, erweiterten und spezifizieren, im Vergleich zur übergeordneten dialektischen Struktur der gesamtlogischen Entwicklung völlig adäquat. Nicht nur die übergeordnete, einheitliche Konkretisierung und Weiterführung aller Denkbestimmungen, sondern auch diejenige Dialektik, die dem Inhalt darin selbst zukommt, verfahren in der Begriffslogik, mit anderen Worten, entwicklungsdialektisch: „Das Fortgehen des Begriffs ist nicht mehr Uebergehen noch Scheinen in Anderes, sondern Entwicklung, indem das Unterschiedene unmittelbar zugleich als das identische mit einander und mit dem Ganzen gesetzt, die Bestimmtheit als ein freies Seyn des ganzen Begriffes ist.“ 35 Wir erinnern uns: Die Bestimmungen der Seins- sowie der Wesenslogik entwickeln sich zwar an sich gemäß dieser Struktur, noch nicht aber auch für sich, da innerhalb ihrer spekulativ-dialektischen Entwicklung das Moment des Fortgangs, d. h. ihr „Fortgehen“, sich selbst nicht als Entwicklung, sondern für Seinskategorien als „Uebergehen“ und für Wesensbestimmungen als „Scheinen in Anderes“ voll32 33 34 35
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zieht. Demgegenüber sind die Bestimmungen der Begriffslogik, indem hier das Moment des Fortgangs jeweils als die dialektische Beziehung eines Allgemeinen, eines Besonderen und eines Einzelnen strukturiert ist, nicht nur an sich, sondern an und für sich Bedeutungsgehalte, die sich entwicklungsdialektisch weiterführen. Die in der Begriffslogik entwickelten Denkbestimmungen sind, mit anderen Worten, Bedeutungsgehalte, die so konkret sind, dass die allgemeine Struktur der spekulativ-dialektischen Bedeutungskonkretisierung und damit der Prozess ihrer immanenten begrifflichen Weiterführung unmittelbar an ihnen gesetzt sind. Die bisherigen Ergebnisse unserer Untersuchung können also wie folgt zusammengefasst werden. Alle Bedeutungsgehalte, die den Inhalt der Logik ausmachen, sind konstitutive Momente eines einheitlichen Entwicklungsprozesses. Eine jede logische Bestimmung bestimmt, erweitert und spezifiziert sich, wie wir gesehen haben, auf immanente Weise zu einem dialektischen Transformationsprozess, im Rahmen dessen sie selbst und ihr begriffliches Gegenteil sich zunächst kontinuierlich an ihnen selbst aufheben und zueinander transformieren. Zudem gilt für diese beiden Relata des jeweiligen dialektischen Prozesses, dass in ihrem in sich ruhenden Werden zueinander ein jedes von ihnen sich zu einer komplexeren, um die Identität mit dem anderen bereicherten Bedeutung vervollständigt. Hierdurch wird eine konkretere begriffliche Einheit generiert, deren Bedeutung sich sodann wieder unmittelbar dadurch konstituiert, dass sie ein ebenfalls konkreteres Entgegengesetztes negativ von sich unterscheidet und abgrenzt. Im Fortgang der logischen Entwicklung „wälzt sich das Erkennen von Inhalt zu Inhalt fort“ 36, indem es „von einfachen Bestimmtheiten beginnt, und die folgenden immer reicher und concreter werden“. 37 Somit gilt für alle logischen Bestimmungen – auch für die der Seins- und Wesenslogik –, dass sie ihren jeweiligen Bedeutungsgehalt auf immanente Weise konkretisieren, was die nächstfolgende logische Bestimmung ursprünglich produziert. Alle logischen Bestimmungen sind daher konstitutive Momente der immanenten Konkretisierung des einigen logischen Inhalts und somit wesentlich eingebettet in die übergeordnete, entwicklungsdialektisch verfahrende Prozessualität der gesamtlogischen Entwicklung. Hierbei herrscht zwischen dieser übergeordneten Struktur der fortschreitenden Konkretisierung des logischen Inhalts und der Dialektik, zu der er sich im Zuge dieser Entwicklung auf einer jeder ihrer Stufen erweitert und die sich in den drei Sektionen der Logik, d. h. in Seins-, Wesens- und Begriffslogik je spezifisch manifestiert, vor dem Eintritt in die Begriffslogik bezüglich der Komplexität ihrer Struktur noch eine Diskrepanz. Da die Komplexität der Dialektik, als welche 36 37
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sich in Hinblick auf die übergeordnete, von vornherein entwicklungsdialektische Struktur der gesamtlogischen Entwicklung auf einer jeder ihrer Stufen das Moment des Fortgangs und der Besonderheit spezifisch manifestiert, unmittelbar mit der Komplexität und Konkretheit des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts zusammenhängt, geht mit der fortschreitenden Konkretisierung desselben auch eine Konkretisierung der Struktur seiner Dialektik einher. Während in der Begriffslogik die Diskrepanz zwischen der übergeordneten Struktur der gesamtlogischen Entwicklung und der dialektischen Struktur des Inhalts selbst sich aufgelöst hat, gilt für die logischen Bestimmungen der Seinslogik sowie der Wesenslogik also das Folgende: „Die vorhergehenden logischen Bestimmungen, die Bestimmungen des Seyns und des Wesens, sind zwar nicht bloße Gedankenbestimmungen, in ihrem Uebergehen, dem dialektischen Momente, und in ihrer Rückkehr in sich und Totalität erweisen sie sich als Begriffe. Aber sie sind [. . .] nur bestimmte Begriffe, Begriffe an sich, oder was dasselbe ist, für uns, indem das Andere, in das jede Bestimmung übergeht oder in welchem sie scheint und damit als relatives ist, nicht als Besonderes, noch ihr Drittes als Einzelnes oder Subject bestimmt, nicht die Identität der Bestimmung in ihrer entgegengesetzten, ihre Freiheit gesetzt ist, weil sie nicht Allgemeinheit ist.“ 38
Demnach sind auch die Bestimmungen der Seins- und Wesenslogik bereits Momente der einheitlichen logischen Entwicklung, die, wie wir gesehen haben, die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik zu ihrer immanenten und produktiven Form hat und daher entwicklungsdialektischer Struktur ist. Alle logischen Bestimmungen erweitern und spezifizieren sich im Ausgang von ihrer unmittelbaren Bedeutung zu einem dialektischen Prozess, haben ein dialektisches Moment, und kehren aus ihrer dialektischen Vermittlung mit ihrem Entgegengesetzten in erweiterter Gestalt „in sich“, d. h. zur Form begrifflicher Unmittelbarkeit, zurück, wodurch sie sich zu einer konkreteren „Totalität“ bestimmen, die als solche den nächstkonkreteren logischen Bedeutungsgehalt sowie das nächste unmittelbare Entwicklungsstadium des logischen Inhalts und den neuen Anfang der nächstfolgenden Stufe der logischen Entwicklung darstellt. Indem der dialektische Prozess, zu dem sie Seins- und Wesensbestimmungen sich ausgehend von ihrer jeweiligen unmittelbaren Bedeutung in diesem Sinne entwicklungsdialektisch erweitern und spezifizieren und aus dem sie entwicklungsdialektisch zu einer ihrer Form nach wieder unmittelbaren, ihrem Inhalt nach aber konkreteren Bedeutungseinheit zurückkehren, selbst nicht von entwicklungsdialektischer Komplexität ist, sondern für Seinskate38
GW, Bd. 20, 178.
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gorien ein Ineinander-übergehen sinnhaft abgeschlossener Bedeutungsgehalte und für Wesensbestimmungen ein oszillierendes Scheinen innerhalb eines relationalen Bedeutungszusammenhangs darstellt, ist das „Sich-bestimmen des Begriffs“ 39 hier noch nur an sich, aber „noch nicht als Fürsich“. 40 Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik stellt also zwar die immanente Form und prozessuale Gesetzmäßigkeit dar, gemäß welcher auch die seinsund wesenslogischen Bestimmungen sich an ihnen selbst konkretisieren und sich zu spezifischeren Bestimmungen weiterentwickeln, ist hierbei in dem erörterten Sinn jedoch noch komplexer als diejenige Dialektik, die dem logischen Inhalt in Seins- und Wesenslogik innerhalb seiner übergeordneten Entwicklung selbst zukommt. Dies ist die Bedeutung der Aussage Hegels, dass auch die Seins- und Wesensbestimmungen „nicht bloße Gedankenbestimmungen“, sondern „Begriffe“ sind, die sich an ihnen selbst dialektisch-spekulativ und damit entwicklungsdialektisch weiterbestimmen, dabei jedoch das Wissen um diesen Status der Bestimmungen noch nur „für uns“ ist. Da die Seinskategorien nur ineinander übergehen und die Wesensbestimmungen nur wechselseitig ineinander scheinen, ist die Struktur ihrer internen Dialektik noch nicht die Selbstbesonderung im Entgegengesetzten. Für die logischen Bestimmungen der objektiven Logik gilt, dass sie im Zuge ihrer dialektischen Selbstaufhebung und Bedeutungsumwandlung zu ihrem begrifflichen Gegenteil sich nicht in diesem kontinuieren, ihre Bedeutung in der Umwandlung nicht bereichern und auch nicht in bereicherter und erweiterter Gestalt zu sich zurückkehren. Eine solche immanente Konkretisierung und Weiterbestimmung ihres Bedeutungsgehalts vollzieht sich für die Bestimmungen der Seins- und Wesenslogik, wie wir gesehen haben, nur auf der übergeordneten, in Anfang (begriffliche Unmittelbarkeit), Fortgang (dialektische Vermittlung) und Ende / neuer Anfang (Wiederherstellung der Form anfänglicher Unmittelbarkeit am Bedeutungsgehalt der dialektischen Vermittlung) gegliederte Ebene ihrer Entwicklung, noch nicht aber in der internen Struktur des Fortgangs selbst. Die Unterscheidung in „an sich“ und „für uns“ bezieht sich demnach darauf, zu welchem Maß die übergeordnete dialektische Prozessualität, gemäß welcher die Bestimmungen ihren jeweiligen Bedeutungsgehalt gesetzmäßig weiterentwickeln, in diesem Bedeutungsgehalt selbst realisiert ist. In Seins- und Wesenslogik ist dieser übergeordnete Entwicklungszusammenhang noch nur „für uns“ in dem Sinne, dass der logische Inhalt hier auf den verschiedenen, aufeinanderfolgenden Stufen seiner Entwicklung seinen Bedeutungsgehalt noch nicht so weit konkretisiert hat, dass ihm in seiner Dialektik auch für sich die Struktur einer sich selbst konkretisierenden Allgemeinheit zukommen würde. 39 40
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Die Aussage, dass die Seins- und Wesensbestimmungen noch nicht für sich Begriffe darstellen, deren interne Momente und Beziehungen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit sind, sondern nur „an sich, oder was dasselbe ist, für uns“, meint demnach nicht, dass in der objektiven Logik noch eine Trennung zwischen logischen Bestimmungen und uns als den Logikern herrschen und wir von einem äußerlichen Standpunkt aus auf den Inhalt der Logik blicken würden. 41 Vielmehr ist die spekulativ-dialektische Entwicklung der seins- und wesenslogischen Bestimmungen nur in dem Sinne für uns, dass der logische Inhalt in dieser frühen beziehungsweise mittleren Phase seiner fortschreitenden Konkretisierung die komplexe Gesetzmäßigkeit dieses immanenten Entwicklungsprozesses, d. h. die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik, noch nicht vollständig an seinem Bedeutungsgehalt gesetzt beziehungsweise dieser sich noch nicht zu einer solchen Komplexität konkretisiert hat. Die Unterscheidung in an sich und für uns aus der Anmerkung zu § 162 der Enzyklopädie ist somit in demselben Kontext zu verstehen wie folgende Passage, die Hegel in der Seinslogik einer Unterscheidung der Seins-, Wesens-, und Begriffsbestimmungen anschließt: „In den verschiedenen Kreisen der Bestimmung und besonders im Fortgange der Exposition, oder näher im Fortgange des Begriffs zu seiner Exposition ist es eine Hauptsache, diß immer wohl zu unterscheiden, was noch an sich und was gesetzt ist, wie die Bestimmungen als im Begriffe und wie sie als gesetzt oder als seyend-für-anderes sind.“ 42
Hier findet sich auch ein Umstand angedeutet, den wir in unserer Untersuchung zuvor bereits betrachtet haben. Obgleich der logische Inhalt mit den einfachen, unrelationalen und sinnhaft abgeschlossenen Bedeutungsgehalten der Seinslogik sowie auch noch mit den zwar relationalen, aber noch nicht sich in sich konkretisierenden Bestimmungsgefügen der Wesenslogik noch nicht eine solche Komplexität erreicht hat, dass er sich in diesen Stadien seiner Entwicklung schon zu einem entwicklungsdialektischen Prozess bestimmen würde, so sind auch diese Entwicklungsstadien wesentlich Momente desjenigen einheitlichen Prozesses, im Rahmen dessen der logische Inhalt seinen Bedeutungsgehalt schrittweise, aber sprunglos konkretisiert. Auch die Seinsund Wesensbestimmungen sind, da sie sich, wie wir gesehen haben, auf immanente Weise dialektisch erweitern und damit jeweils eine höherstufigere 41
42
Zu dieser Unterscheidung und allgemein zu dem Sinn und der Bedeutung von an sich und für uns in der logischen Entwicklung vgl. K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn, 3. Auflage 1995, 333 f. GW, Bd. 21, 110.
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Bestimmung aus sich heraus produzieren, bereits Teil der einheitlichen und sprunglos sich vollziehenden „Exposition“ der logischen Entwicklung. Hegel bemerkt in der soeben zitierten Passage, dass der Fortgang der Exposition, d. h. die Konkretisierung des logischen Inhalts zu immer komplexer werdenden Bedeutungsgehalten, in eins fällt mit dem Fortgang „des Begriffs zu seiner Exposition“. Dies ist zunächst so zu verstehen, dass der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts sich in seiner dialektisch-spekulativen Weiterentwicklung zum Begriff des Begriffs bestimmt. Hiermit ist dasjenige Stadium Entwicklung erreicht, mit dem ihr Inhalt die Sphäre der relationalen Wesensbestimmungen hinter sich lässt und in die Begriffslogik eintritt. Da der begriffliche Gehalt des Inhalts nun – als der Begriff des Begriffs – in dem prozessualen Verhältnis der Bestimmungen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit besteht, ist seine Dialektik nicht mehr von der Struktur des wesenslogischen Ineinander-scheinens, sondern entwicklungsdialektisch verfasst. Wie wir gesehen haben, ist die Struktur und die Komplexität desjenigen dialektischen Prozesses, zu dem sich der logische Inhalt auf einer jeder seiner Entwicklungsstufen erweitert und besondert, unmittelbar davon abhängig, zu welchem Maß er seinen Bedeutungsgehalt im Gang durch die zurückliegenden Stufen der Entwicklung bereits konkretisiert hat. Konkretere und komplexere logische Bedeutungsgehalte haben somit auch eine konkretere und komplexere dialektische Prozessstruktur. Hegels Aussage, dass das Fortgehen der logischen Entwicklung wesentlich den Fortgang „des Begriffs zu seiner Exposition“ darstellt, ist also wie folgt zu verstehen. Erstens erreicht die Entwicklung in inhaltlicher Hinsicht die Exposition des Begriffs. Der logische Inhalt konkretisiert sich im Gang durch die wesenslogischen Stufen seiner Entwicklung schlussendlich zu einem begrifflichen Bedeutungsgehalt, der nicht mehr nur ein relationales Beziehungsgefüge darstellt, dessen Relata einander zwar gleichursprünglich mitthematisieren und sich wechselseitig als einen konstitutiven Strukturaspekt ihrer Bedeutung bereits enthalten. Vielmehr entwickelt der Inhalt sich am Ende der Wesenslogik zu einer Bedeutung, die so konkret ist, dass sie ihr Entgegengesetztes nicht mehr nur gleichursprünglich in sich enthält, sondern sich immanent zu diesem spezifiziert und sich „in das von ihr Unterschiedene continuiert und als Identität mit ihm ist“. 43 Der logische Inhalt hat nun die Bedeutung des Allgemeinen erreicht, dass sich als solches unmittelbar besondert, sodass das Verhältnis, in welchem er zu seinem Entgegengesetzten steht, das der Beziehung zwischen Allgemeinheit und ihrer Besonderung ist. Hieran wird auch deutlich, vor welchem Hintergrund die Logik mit der Lehre vom Sein, vom Wesen und 43
GW, Bd. 20, 230.
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vom Begriff in drei Teile gegliedert ist: Der Inhalt der logischen Entwicklung erhält nicht deswegen die Bedeutung eines nun entwicklungsdialektisch sich weiterbestimmenden begrifflichen Gehalts, weil die Wesenslogik endet, sondern umgekehrt endet die wesenslogische Abteilung der Logik, weil ihr Inhalt sich an ihm selbst zum Begriff des Begriffs konkretisiert hat, dessen weiterer dialektischer Vermittlung nicht mehr die Struktur des Scheinens im Entgegengesetzten zukommt, sondern nun erstmals (auch für sich) die Struktur der Entwicklung zukommt. Zweitens ist das Fortgehen der logischen Entwicklung somit in dem Sinne Fortgehen zur Exposition des Begriffs, dass die Struktur des dialektischen Prozesses, zu dem sich der logische Inhalt auf einer jeden Stufe seiner Entwicklung zunächst bestimmt, mit dem Einstieg in die Begriffslogik die Komplexität der Entwicklungsdialektik erreicht hat. Der Inhalt hat sich nun, wie soeben angeführt, zum Allgemeinen konkretisiert, dessen Bedeutung unmittelbar darin besteht, sich zu spezifizieren und in seinem Entgegengesetzten als in einer gegenüber ihm selbst komplexeren Bestimmung zugleich identisch mit sich zu sein. Aus diesem Grunde herrscht in der Begriffslogik zwischen a) der dialektischen Struktur des übergeordneten Verlaufs der logischen Entwicklung, die sich als die Einheit von Anfang, Fortgang und Ende / neuer Anfang auf einer jeden Stufe der Entwicklung durchgängig reproduziert, und b) darin der dialektischen Struktur des Moments des Fortgangs keine Diskrepanz mehr. Beide Dimensionen der logischen Entwicklung haben sich nun rücksichtlich der Komplexität ihrer dialektischen Struktur vollständig in eins gebildet. Während der logische Inhalt, wie wir gesehen haben, sich zwar auch in der Seins- und Wesenslogik an ihm selbst konkretisiert und sich entwicklungsdialektisch zu immer komplexer werdenden, höherstufigeren Bedeutungen weiterbestimmt, besteht die Bedeutungserweiterung, deren Rückführung in die Form begrifflicher Einfachheit die Genese der nächstkonkreteren Bestimmung darstellt, für die Seins- und Wesensbestimmungen noch darin, dass sie sich zunächst zu einem übergangs- beziehungsweise relationsdialektischen Prozess bestimmen. In der Begriffslogik hingegen hat der logische Inhalt auf einer jeden Stufe seiner Entwicklung einen Bedeutungsgehalt, der so konkret ist, dass auch seine „interne“ Dialektik, d. h. die Struktur des Moments des Fortgangs, von entwicklungsdialektischer Komplexität ist. Die Entwicklung des logischen Inhalts vollzieht sich in der Begriffslogik nicht mehr nur „an sich, oder was dasselbe ist, für uns“ 44 entwicklungsdialektisch, sondern auch in diesem Sinne für sich. Dieser Fortschritt kann auch folgendermaßen ausgedrückt werden. In der Begriffslogik ist der logische Inhalt nicht mehr nur – wie in einem jeden Stadium seiner Entwicklung – ein Bedeutungsgestalt, der sich entwicklungsdia44
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lektisch zu immer komplexer werdenden Bestimmungen konkretisiert, indem er seine Bedeutung zunächst dialektisch ausdehnt und erweitert sowie diese erweiterte Bedeutung dann in die Form begrifflicher Einfachheit zurückführt, was den neuen, konkreteren Ausgangspunkt dieser kontinuierlich sich reproduzierenden, entwicklungsdialektischen Prozessualität konstituiert, sondern auch die dialektische Ausdehnung und Erweiterung seiner Bedeutung hat nun selbst entwicklungsdialektische Struktur. Hiermit liegen nun aber auf den begriffslogischen Stufen der Entwicklung nicht zwei entwicklungsdialektische Prozesse vor – einmal der übergeordnete Entwicklungsverlauf und einmal davon unterschieden die Struktur des Moments des Fortgangs –, sondern die übergeordnete, allen Stadien des Inhalts zukommende entwicklungsdialektische Bedeutungskonkretisierung vollzieht sich in den begriffslogischen Stadien der Entwicklung unmittelbar in beziehungsweise mit der Dialektik des Inhalts, während sie sich in Seins- und Wesenslogik an der (rudimentäreren) dialektischen Struktur des Fortgangs vollzieht. Dies ist auch der eigentliche Sinn der Ineinsbildung von a) spekulativ-dialektischer und damit wesentlich entwicklungsdialektischer Begriffsentwicklung und b) der eigenen Dialektik der so entwickelten Bestimmungen. Während sowohl in der Seinslogik als auch in der Wesenslogik zwischen der entwicklungsdialektischen, in Anfang, Fortgang und Ende gegliederten Struktur der Entwicklungsstufen einerseits und darin der entweder übergangsdialektischen oder relationsdialektischen Struktur des Fortgangs andererseits zu unterscheiden ist, sind diese beiden Dimensionen der Entwicklung in der Begriffslogik nicht nur beide von entwicklungsdialektischer Komplexität, sondern sind überhaupt ein und derselbe Prozess. Mit dem Einstieg in die Begriffslogik fällt somit die Hinsichtenunterscheidung auf die dialektische Struktur der Stufen der logischen Entwicklung weg. Hiergegen musste in der Analyse der seins- und wesenslogischen Entwicklungsstufen noch klärend spezifiziert werden, welche dialektische Prozessualität gemeint ist: die übergeordnete, allgemeine und allen logischen Bestimmungen gemeinsame entwicklungsdialektische Weiterführung oder diejenige Dialektik, die innerhalb der entwicklungsdialektischen Einheit von Anfang, Fortgang und Ende die Struktur des Fortgangs ausmacht und für Seinskategorien ein Übergehen, für Wesensbestimmungen hingegen ein wechselseitiges Scheinen der Entgegengesetzten ineinander darstellt. Drittens ist das Fortgehen der gesamten logischen Entwicklung wesentlich das Fortgehen „des Begriffs zu seiner Exposition“ 45, weil dasjenige, was die fortschreitende Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts begründet, d. h. die spekulative Dialektik als die produktive, aber immanente Form des Inhalts, selbst eine spezifische Begriffsstruktur ist. Hier ist in der 45
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Deutung der zitierten Formulierung also der Akzent auf die Selbstbezüglichkeit des Begriffs zu legen: Der Fortgang der Exposition ist Fortgang des Begriffs zu seiner Exposition. Alle logischen Bestimmungen und ein jedes Entwicklungsstadium des logischen Inhalts entwickeln sich, wie wir gesehen haben, dialektisch-spekulativ weiter und konkretisieren sich gemäß dieser einheitlichen prozessualen Gesetzmäßigkeit, die sich auf jeder Stufe der Entwicklung erneut reproduziert. Da die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik selbst als höchstes begriffslogisches Entwicklungsstadium des logischen Inhalts eigens entwickelt wird, konvergieren am Ende des Entwicklungsverlaufs, d. h. in der absoluten Idee, a) der Bedeutungsgehalt ihres immer konkreter werdenden Inhalts und b) die allgemeine Form der Entwicklung, die auch bereits für die zurückliegenden, abstrakteren Entwicklungsstadien den übergeordneten Rahmen ihrer immanenten Weiterführung dargestellt hat. 46 Bis zu diesem Punkt in unserer Untersuchung lässt sich also das Folgende festhalten. Der Inhalt der logischen Entwicklung konkretisiert seinen begrifflichen Bedeutungsgehalt zu immer komplexer werdenden, höherstufigeren Bestimmungen. Hierbei realisiert sich die allgemeine Struktur dieser fortschreitenden Entwicklung, d. h. die spekulative Dialektik, allmählich in derjenigen dialektischen Struktur, als welche sich das Moment des Fortgangs auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung spezifisch manifestiert. Mit dem Einstieg in die Begriffslogik hat sich diejenige Dialektik, zu der sich die unmittelbaren Entwicklungsstadien des logischen Inhalts auf einer jeden Stufe der Entwicklung spezifizieren, in Hinblick auf ihre strukturelle Komplexität der entwicklungsdialektischen Struktur des übergeordneten Verlaufs der Entwicklung angeglichen. Dies kann auch so formuliert werden, dass diese übergeordnete Form der logischen Entwicklung, d. h. die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik, vollständig über den logischen Inhalt und seine „interne Dialektik“ übergriffen, deren Komplexität der eigenen angeglichen und sich selbst darin realisiert hat. Die vollständige Ineinsbildung von Form und Inhalt der logischen Entwicklung, d. h. von a) der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik und b) des begrifflichen Bedeutungsgehalts ihres durch sie schrittweise konkretisierten Inhalts, wird erst in der absoluten Idee erreicht. Die logische Entwicklung in ihrer einheitlichen Ganzheit ist also darauf ausgerichtet, dass der Bedeutungsgehalt ihres Inhalts sich soweit konkretisiert, dass er schlussendlich ein Entwicklungsstadium erreicht, auf dem zwischen a) der allgemeinen Struktur 46
Unsere Interpretation befindet sich hier in großer Nähe zu der Gabriels (M. Gabriel: Transcendental Ontology. Essays in German Idealism. New York / London 2011, 116.): „The absolute idea is only grasped in the context of a theory of self-constitution of logical space, that is, of the concept in an eminent singular.“
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spekulativer Entwicklung, die als Form allen Stadien des logischen Inhalts und ihrer immanenten Weiterbestimmung zukommt, und b) dem in dieser Form gefassten und gemäß ihrer Regelhaftigkeit weiter zu bestimmenden Bedeutungsgehalt keinerlei Diskrepanz mehr herrscht. Diese höchste Stufe, die der logische Inhalt am Ende seiner immanenten Weiterbestimmung und Konkretisierung erreicht, zeichnet sich demnach dadurch aus, dass diejenige Bedeutung, die sich hier gemäß den Momenten der spekulativen Dialektik – Anfang (Allgemeinheit), Fortgang (Besonderheit) und Ende (Einzelheit) – entwickelt, keine andere mehr ist als das prozessuale Beziehungsgefüge dieser Momente selbst. Während der Anfang einer jeden vorangehenden Entwicklungsstufe darin bestand, dass ein bestimmter allgemeinerer / abstrakterer / rudimentärerer Bedeutungsgehalt in der Form anfänglicher Unmittelbarkeit erfasst wird, besteht der Anfang der höchsten Stufe der logischen Entwicklung wieder darin, das Prinzip anfänglicher Unmittelbarkeit in der Form anfänglicher Unmittelbarkeit zu erfassen. Ein zentraler und allgemeiner methodisch-struktureller Umstand, der die gesamte logische Entwicklung durchzieht und an den auch hier erneut zu erinnern ist, besteht, wie gezeigt worden ist, darin, dass nichts in der Logik einfach postuliert oder vorausgesetzt wird. Vielmehr sind alle Ausprägungen, die der logische Inhalt im Rahmen der Logik annimmt, Resultate des sprunglos sich vollziehenden Prozesses seiner schrittweisen Entwicklung / der immanenten Konkretisierung seines Bedeutungsgehalts und jedes Entwicklungsstadium des logischen Inhalts ist aus allgemeineren Stadien und Stufen abgeleitet und ursprünglich produziert worden. Dies gilt dementsprechend auch für die hier nun thematische höchste – und in gewissem Sinne letzte beziehungsweise finale – Stufe seiner Entwicklung. Der Umstand, dass am Ende der logischen Entwicklung diejenige allgemeine Form eigens betrachtet wird, die als solche auch alle vorangegangenen Entwicklungsstufen durchwirkt und auf immanente Weise weiterbestimmt hat, ist also nicht Folge einer äußerlichen Reflexion auf das Gemeinsame aller logischen Bestimmungen und der Struktur ihrer jeweiligen Selbstbewegung und Weiterbestimmung, sondern selbst immanentes Resultat des gesamtlogischen Entwicklungsverlaufs. Mit dem Erreichen der absoluten Idee ist die spekulativ-dialektische Entwicklung des logischen Inhalts, d. h. die produktive und dabei doch immanent sich vollziehende und sich vollständig selbst begründende Konkretisierung seines begrifflichen Bedeutungsgehalts, nicht nur vollendet, sondern zugleich in ihren Grund zurückgegangen.
Hegel-Studien
5. Der Fortgang zum Ende der Entwicklung als der Rückgang in ihren Grund
W
ie wir gesehen haben, findet ein spekulativer Entwicklungsprozess seinen Abschluss darin, dass eine dialektische Vermittlungsstruktur, zu der sich eine anfängliche unmittelbare Bedeutungseinheit immanent differenziert hat, in die Formbestimmung der Einfachheit und Unmittelbarkeit zurückgeführt wird. Die vorliegende Untersuchung hat ergeben, dass die methodische Rechtfertigung dieses letzten, die Entwicklung abschließenden Moments des Fortgangs darin besteht, dass das erste Moment desselben, d. h. der Übergang des Anfangs zu seiner Dialektik, von absoluter, sich vollständig selbst begründender Natur gewesen ist. Die synthetische Bedeutungserweiterung, die in Gestalt des dialektischen Prozesses, d. h. in Gestalt der zirkulären Transformation zweier entgegengesetzter Bestimmungen zueinander, an der zunächst unmittelbaren begrifflichen Fixierung nur einer dieser beiden Bestimmungen hervorgetreten und an ihr gesetzt worden ist, hat, mit anderen Worten, die Totalität ihrer Bedingungen allein in diesem unmittelbaren Anfang. Der Anfang eines spekulativen Prozesses hat demnach das Potential, eine Reihe von Entwicklungsschritten von selbst anzufangen. Hieraus resultiert jedoch, dass die prozessuale Vermittlungsstruktur, die mit der Dialektik an die Stelle des ursprünglich unmittelbaren, noch unprozessualen und dialektikfreien Anfangs getreten ist, gegenüber diesem nicht eine andere, von ihm losgelöste Bestimmung darstellt. Vielmehr ist die Dialektik das immanente Produkt der sich selbst gestaltenden Tätigkeit des unmittelbaren Anfangs. Sie ist nicht ein Anderes, sondern eine Spezifizierung desselben, die rücksichtlich ihres Bedeutungsgehalts zwar wesentlich reicher und weiter als der noch dialektikfreie Anfang ist, in der dieser jedoch ebenso sehr als der durchgängig mit sich identisch bleibende Ausgangspunkt ihrer Genese positiv bestehen bleibt. Der Anfang kontinuiert sich vor diesem Hintergrund in der ihm spezifisch zugehörigen, reicheren und weiteren Dialektik und stellt sich im Zuge des Fortgehens seiner selbst zu seiner Dialektik somit als eine Allgemeinheit dar, die, indem sie sich als dialektisch bestimmt und erweist, sich selbst besondert. Dieses Sich-Kontinuieren des Anfangs in dem an ihm anhebenden und sich unmittelbar an ihm darstellenden dialektischen Fortgang der Entwicklung bestimmt den dialektischen Prozess als eine noematische Einzelheit im Sinne der Begriffsbestimmungen, d. h. als eine Allgemeinheit, die um das Moment ihrer
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immanenten Besonderung reicher geworden ist. Mit dieser Rückführung der prozessualen Vermittlung, zu der sich der unmittelbare Anfang mit seinem Fortgehen zu seiner Dialektik zunächst bestimmt, zu einer wieder unmittelbaren Bestimmung hat sich der Anfang, als dessen Resultat die so neu gewonnene noematische Bestimmung entstanden ist, also zu einer erweiterten und reicheren Manifestation seiner selbst entwickelt. Das Ende der Entwicklung ist demnach eine in Hinblick auf ihren Bedeutungsgehalt reichere Manifestation des ursprünglichen Anfangs, da in diesem Resultat diejenige Bestimmtheit, die im Anfang noch nicht gesetzt gewesen, im Zuge der Entwicklung aber gleichwohl an ihm gesetzt worden ist, nicht mehr als haltloser, unendlicher Progress, sondern als eine feste und unmittelbare, mithin problemlos verständig fixierbare Bestimmung gegeben ist. Aufgrund des positiven Bestehenbleibens des Anfangs in dem Resultat seiner Selbstvermittlung, d. h. aufgrund der analytischen Dimension des synthetischen Fortschritts der Entwicklung, kommt diesem Resultat, das als dialektische Prozessualität für sich betrachtet zwar zunächst die Negation des unmittelbaren, unprozessualen Anfangs ist, ebenso sehr eine durchgängige Übereinstimmung mit sich zu. Als eine solche, mit sich durchgängig übereinstimmende, da sich vollständig selbst begründende Prozessualität ist die Dialektik, d. h. die Negation eines unmittelbaren Anfangs, die als Resultat von dessen Selbstaufhebung immanent aus ihm produziert worden ist, jedoch auch wieder eine unmittelbare und einfache Bestimmung. Der Fortgang zum Ende der Entwicklung geht somit einher mit der Wiederherstellung „der ersten Unmittelbarkeit, [. . .] denn unmittelbar ist das Andre des Andern, das Negative des Negativen, das Positive, Identische, Allgemeine“. 1 Das Ende der Entwicklung ist also ein einzelner Begriff, da mit ihm die dialektisch-prozessuale Besonderheit, zu der sich der ihm vorangehende Anfang selbst bestimmt hat und in der dieser sich folglich kontinuiert und spezifiziert, zu einer wieder allgemeinen, positiv mit sich übereinstimmenden und mit sich identischen Bedeutungseinheit erhoben worden ist. Vor diesem Hintergrund wird der Unterschied, der sich in der Form des dialektischen Prozesses, d. h. in der Form des unendlichen Progresses der immanenten Transformation zweier entgegengesetzter Bestimmungen zueinander, am unmittelbaren Anfang gesetzt hat, im Ende der Entwicklung wieder „ein fester“ 2. Mit der Vollendung einer Stufe der logischen Entwicklung geht die Einsicht wesentlich einher, dass die auf dieser Entwicklungsstufe spezifisch thematische Denkbestimmung – deren Selbstbewegung und immanente Weiterbestimmung eben den Inhalt dieser Stufe der gesamtlogischen Entwicklung 1 2
GW, Bd. 12, 247. GW, Bd. 12, 51.
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ausmacht – ihrem unmittelbaren Bedeutungsgehalt nach, mit dessen einfacher gedanklicher Erfassung hier der Anfang gemacht worden ist, nur wahr ist beziehungsweise gerechtfertigte Geltung hat, insofern er als ein zwar notwendiges und konstitutives, jedoch an sich unvollständiges Moment eines übergeordneten, komplexeren Bedeutungszusammenhangs begriffen wird. Dieser übergeordnete Bedeutungszusammenhang, in dem der unmittelbare Bedeutungsgehalt einer Denkbestimmung zunächst seine Wahrheit findet, ist der dialektische Prozess, zu dem er sich im Zuge seiner immanenten Selbstaufhebung selbst bestimmt. Die Dialektik besteht, wie dargestellt worden ist, für sich betrachtet im „unendlichen Progreß“ 3 der immanenten Transformation sowohl des Bedeutungsgehalts des Anfangs als auch dessen Entgegengesetzten zueinander, die sich beide in ihrer unmittelbaren Erfassung je selbst aufheben und ihre Bedeutung zu der ihres Entgegengesetzten korrigieren. Da die Entgegengesetzten sich beide immanent aufheben und werdend zueinander transformieren, haben sie hier, d. h. in der Dialektik und damit im Fortgang der spekulativen Entwicklung, Geltung nur noch als Momente des Prozesses ihrer dynamischen Bedeutungstransformation und dieser Prozess in seiner einheitlichen, zirkulären Geschlossenheit, d. h. die prozessuale, ungeachtet ihrer zirkulären Form durchaus konkret bestimmte Vermittlung seiner Relata, hat nunmehr unmittelbare Bedeutung. Der Anfang der spekulativen Entwicklung hat den „Sinn und die Form abstracter Allgemeinheit“ 4, da in der intuitiven Erfassung seines formaliter notwendigerweise einfachen und unmittelbaren Bedeutungsgehalts von jeglicher Vermittlung, die ihm durch ein Verhältnis zu Spezifikationen oder Individuationen seiner selbst zukommen würde, abgesehen werden muss. Nun besteht, wie gezeigt worden ist, der Fortgang der Entwicklung aber gerade darin, dass im Ausgang von der immanenten Selbstaufhebung des unmittelbaren Anfangs dieser sich zu einer über seinen ursprünglichen Bedeutungsgehalt hinausgehenden dialektischen Prozessstruktur spezifiziert, deren absolute, nur im Anfang begründet liegende Genese diese Selbstvermittlung des Anfangs des Weiteren in eine wieder unmittelbare begriffliche Einzelheit aufhebt. Mit diesem Fortgang zum Ende der Entwicklung hat der Anfang demnach an sich selbst den „Sinn und die Form abstracter Allgemeinheit“ 5 überwunden. Es wird nun in der begrifflichen Erfassung des jeweiligen logischen Bedeutungsgehalts gerade nicht mehr von jeglicher Spezifikation / Besonderheit oder Individuation / Einzelheit abgesehen. Das Resultat des gesamten Entwicklungsprozesses besteht vielmehr darin, dass der ursprünglich unmittelbare Anfang eine Be3 4 5
GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 239.
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sonderheit an sich selbst gesetzt, sich zu einer Spezifikation seiner selbst transformiert hat und die damit einhergehende Erweiterung seines ursprünglichen Bedeutungsgehalts zu einer wieder unmittelbaren und anfänglichen noematischen Einzelheit zusammenfasst. Dabei hat sich das ursprüngliche Absehen von jeglicher speziellen oder individuellen Vermittlung, das dem Bedeutungsgehalt des Anfangs den „Sinn und die Form abstracter Allgemeinheit“ 6 verliehen hatte und seine verständige Fixierung einem quasi-anschauenden, intuitiven Erfassen einer unmittelbaren Bedeutungseinheit gleichkommen ließ, als methodische Grundlage „des wissenschaftlichen Fortgehens“ 7 erwiesen. Diese Methode des logischen Anfangs, d. h. das Erfassen eines noematischen Bedeutungsgehalts in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit, ist nämlich Garant dafür gewesen, dass jegliche Vermittlung, Prozessualität, Besonderung und Individuation, so sie sich an diesem Unmittelbaren selbst darstellen, Manifestationen einer immanenten Notwendigkeit 8 und einer selbstevidenten Gesetzmäßigkeit sein würden. Rücksichtlich der dargelegten Struktur ihrer Entwicklung erweisen sich die logischen Bestimmungen im Vollzug dieser Entwicklung also als konkrete Allgemeinheiten. Sie enthalten die Besonderheit / Spezifikation sowie die Einzelheit / Individuation auf die Art und Weise in sich, dass sie diese allein aus ihrem anfänglichen, unmittelbaren Begriff heraus produzieren, indem sie sich zu diesen Formen beziehungsweise Manifestation ihrer selbst bestimmen. Dabei verändern und konkretisieren sie sich gerade in dem Sinn, dass sie im Zuge dieses immanenten Entwicklungsprozesses ihre wenngleich notwendige, so doch gegenüber diesem Resultat wesentlich rudimentärere und mangelhafte Abstraktheit überwinden. Die Vereinheitlichung des dialektischen Prozesses, d. h. der Besonderheit des abstrakt-allgemeinen Anfangs, zu welcher dieser sich entwickelt hat, schließt den spekulativen Entwicklungsprozess ab, da mit ihr ein neuer, erweiterter Allgemeinbegriff generiert worden ist, mit dem die formale Struktur der Entwicklung an einem konkreteren und reicheren Inhalt erneut anheben kann. Die Vereinheitlichung des dialektischen Prozesses zu einer wieder unmittelbaren Bestimmung, die in Rückblick auf ihre Genese noematische Einzelheit sowie in Vorblick auf ihre eigene, an ihr anhebende Entwicklung gleichursprünglich neue Allgemeinheit ist, markiert somit auch den Abschluss der immanenten Konkretion des ursprünglichen Anfangs. Der unmittelbare Anfang der Entwicklung, der ursprünglich in der Form eines abstrakten Allgemeinbegriffes aufgefasst worden ist, konkretisiert sich demnach auf die Weise, dass der dialektische Prozess, zu welchem er sich zunächst 6 7 8
GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 20, 119. Vgl. GW, Bd. 20, 119.
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bestimmt, in seiner durchgängigen Übereinstimmung mit sich selbst, d. h. aufgrund der sich vollständig selbst begründenden Natur seiner Genese, selbst als affirmativ und damit wieder als unmittelbar aufgefasst wird. Das Resultat dieser positiven Dimension der Dialektik, d. h. des zunächst unendlichen Progresses der immanenten Transformation des anfänglichen Bedeutungsgehalts und seines Entgegengesetzten zueinander, besteht in dem Auffassen des „Affirmative[n], das in ihrer Auflösung und ihrem Uebergehen enthalten ist“. 9 Der Bedeutungsgehalt der noematischen Einzelheit, die auf diese Weise als positives Resultat der Dialektik herausgestellt wird und die selbst wieder eine unmittelbare Bestimmung und somit ein „neuer Anfang“ 10 ist, besteht in nichts anderem als in dem Bedeutungsgehalt des dialektischen Prozesses, an dem sich aber nun die Formbestimmung anfänglicher Einfachheit und Unmittelbarkeit wiederhergestellt hat. Das abschließende Resultat beziehungsweise das Ende der spekulativen Entwicklung ist also eine begriffliche Einzelheit, insofern in ihm Anfang / Allgemeinheit und dialektischer Fortgang / Besonderheit in dem Sinne unmittelbar vereinigt sind, dass der Bedeutungsgehalt der Besonderheit in der Form des Anfangs fixiert wird. Mit dem Fortgehen zum Ende der Entwicklung hat sich der für sich genommen zunächst formaliter abstrakt-allgemeine Anfang also auch im Sinne des lateinischen concrescere konkretisiert: Im Ende sind allgemeiner Anfang und dessen dialektische Besonderheit zusammengewachsen, indem an der dialektischen Prozessualität, zu welcher der Anfang sich im Zuge seiner Selbstvermittlung bestimmt hat, die ursprüngliche Form des Anfangs wiederhergestellt worden ist. Zudem sind die Differenz und die Vermittlung, die mit dem Fortgang zur Dialektik, d. h. zum prozessualen Widerspruch als der Einheit von Identität und Entgegensetzung des anfänglichen Bedeutungsgehalts und seiner Negation im zirkulären Werden dieser beiden Momente zueinander, am unmittelbaren Anfang gesetzt worden sind, mit der Aufhebung dieses prozessualen Bedeutungsgehalts in einer ihrer Form nach wieder unmittelbaren und damit nicht mehr prozessualen Bestimmung erneut befestigt worden. Spekulative Entwicklungsprozesse haben also die folgende allgemeine Struktur: Sie nehmen von einem unmittelbaren Anfang ihren Ausgang, gehen über die dialektische Selbstvermittlung dieses Unmittelbaren fort und münden in einem formaliter wieder unmittelbaren, inhaltlich aber bereicherten Resultat. Die Entwicklung entspricht, wie oben dargestellt worden ist, dem Prozess der immanenten Selbstkonkretisierung einer zunächst in der Form abstrakter Allgemeinheit gedanklich erfassten logischen Bestimmung. Dieser Aspekt der immanenten Konkretisierung der logischen Bestimmungen im 9 10
GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 12, 250.
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Zuge ihrer spekulativen Entwicklung geht für Hegel einher mit dem, was er den Rückgang in den Grund nennt: „Auf diese Weise ist es, daß jeder Schritt des Fortgangs im Weiterbestimmen, indem er von dem unbestimmten Anfang sich entfernt, auch eine Rückannäherung zu demselben ist, daß somit das, was zunächst als verschieden erscheinen mag, das rückwarts gehende Begründen des Anfangs, und das vorwartsgehende Weiterbestimmen desselben in einander fällt und dasselbe ist.“ 11
Die spekulative Entwicklung ist, was bereits dargestellt worden ist, ein fortlaufendes „Weiterbestimmen“ eines abstrakt-unmittelbaren Anfangs. Dieser erweist sich aufgrund seiner abstrakt-unmittelbaren Form an sich selbst als dialektisch und bestimmt sich im Zuge eines rein analytisch begründeten synthetischen Vermittlungsprozesses zu einer gegenüber seiner ursprünglichen Bedeutung reicheren und komplexeren noematischen Bestimmung. Diese Bestimmung, die gegenüber dem unmittelbaren Anfang, aus dem sie resultiert ist, von höherer Komplexität ist, stellt aufgrund des Umstands, dass an ihr die Form des Anfangs wiederhergestellt worden ist, wieder ihrerseits den Ausgangspunkt einer weiteren Stufe der logischen Entwicklung dar. Inwiefern soll dieses Weiterbestimmen eines unmittelbaren Anfangs nun aber unmittelbar in eins fallen mit und dasselbe sein wie ein Zurückgehen zu den Gründen eben jenes Anfangs? Für die Klärung dieser Frage ist es übrigens nicht von Bedeutung, ob es sich um den Anfang der Logik als solcher, d. h. das reine Sein, oder aber um den Anfang einer beliebigen Stufe der Logik handelt; ihnen allen kommt die spekulative Dialektik als die ihnen unmittelbar inhärierende methodische Form des Prozesses ihrer Entwicklung und Konkretisierung zu. Die Frage nach der Art und Weise, in welcher der logische Fortgang, der vom unmittelbaren Anfang seinen Ausgang nimmt, zugleich ein Begründen dieses Anfangs ist, stellt, mit anderen Worten, eine methodische Frage beziehungsweise eine Frage nach einer allgemeinen strukturellen Regel der logischen Entwicklung dar. Hegel beginnt die oben zitierte Passage mit „Auf diese Weise“, der Fortgang im Weiterbestimmen des unmittelbaren Anfangs ist also auf eine bestimmte Weise ebenso ein „rückwarts gehende[s] Begründen des Anfangs“. Die vorangegangene Überlegung Hegels, auf welche das „Auf diese Weise“ der Einheit von Fortgehen und Begründen rekurriert, betrifft den methodischen Umstand, dass die logische Entwicklung auf eine definite, spezifische Bestimmung als auf ihren Ziel- und Endpunkt aus- und hingerichtet ist. Die Entwicklung des Logischen ist die Entwicklung dessen, was Denken an und für sich, was reines Denken als Denken nicht irgendeines vom Denken un11
GW, Bd. 12, 251.
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terschiedenen Gegenstandes, sondern als Denken des Denkens wesentlich ist. Dabei besteht das Denken nicht aus einer einzigen Bestimmung im herkömmlichen Sinn, sondern stellt eine wenngleich einheitliche, so doch wesentlich binnendifferenzierte systematische Folge mehrerer unterscheidbarer Denkbestimmungen dar, die, wie wir gesehen haben, im Rahmen der logischen Entwicklung auseinander deduziert werden. Ziel- und Endpunkt dieser Entwicklung, d. h. die letzte und zugleich höchste dieser Denkbestimmungen, ist die absolute Idee. Die absolute Idee stellt zugleich die absolute Methode, d. h. die spekulative Dialektik, dar, insofern deren einheitliche Gesamtstruktur hier nicht mehr länger nur methodisch-formale Bestimmung des logischen Inhalts ist, sondern auch sein Bedeutungsgehalt mit ihr vollständig in eins fällt. Die absolute Idee stellt in diesem Sinne die vollständige Konvergenz von methodisch-formalen / aktiven sowie inhaltlichen / passiven Strukturbestimmungen des reinen Denkens seiner selbst dar und ist Abschluss des Prozesses hin zur vollständigen Ineinsbildung dieser Dimensionen seiner einheitlichen Entwicklung. Was im Zuge der logischen Entwicklung geschieht und was sich auf all ihren Stufen als eine allgemeine methodisch-formale Regelhaftigkeit nachvollziehen lässt, ist, dass eine logische Bestimmung zunächst ihren Bedeutungsgehalt erweitert, indem sie sich an ihr selbst als dialektisch erweist. In einem zweiten Schritt wird sodann die prozessuale Einheit von a) der ursprünglichen Bedeutung und b) deren Erweiterung, d. h. die gesamte Entwicklung als solche, als eine wieder unmittelbare Bestimmung und somit als einen neuen Ausgangpunkt weiterer dialektischer Fortbestimmung aufgefasst. Der erste soeben skizzierte Schritt in der Entwicklung der logischen Bestimmungen, d. h. die Erweiterung eines zunächst in der Form der Unmittelbarkeit erfassten Bedeutungsgehalts, vollzieht sich als dessen werdende Transformation zu seinem Entgegengesetzten, die mit seiner dialektischen Selbstaufhebung einhergeht. Diese Selbstaufhebung der logischen Bestimmungen an ihnen selbst resultiert wiederum daraus, dass sie sich im Zuge der limitativen Unterscheidung von ihrem Entgegengesetzten, in der zunächst die unmittelbare Erfassung ihres anfänglichen affirmativen Bedeutungsgehalts besteht, zugleich als identisch mit diesem Abgegrenzten und negativ Ausgeschlossenen erweisen. Das Wesentliche aller Stufen der logischen Entwicklung ist ihre allgemeine Struktur, die sich als Form einer inhaltlich so oder so bestimmten Bedeutung auf einer jeden Entwicklungsstufe erneut reproduziert. So ist es auch die inhaltliche Bestimmtheit, die jener Form mehr oder weniger angemessen ist, welche die Unterschiedenheit der Entwicklungsstufen begründet und welche die Differenz der formaliter identischen logischen Bestimmungen gegenüber einander ausmacht. Hat der logische Inhalt im Zuge der Entwicklung seinen begrifflichen Bedeutungsgehalt jedoch soweit und dahingehend erweitert und konkretisiert, dass dieser mit der allgemeinen Struktur der methodischen
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Form der Entwicklung vollständig konvergiert, d. h. überhaupt keine Differenz zwischen dem methodisch-formalen und dem inhaltlichen Strukturaspekt der logischen Entwicklung mehr besteht, so kann der Bedeutungsgehalt der mit diesem absoluten Konvergenzpunkt deduzierten logischen Bestimmung, d. h. der Bedeutungsgehalt der absoluten Idee, nichts anderes sein als eben das allen Stufen der Entwicklung gemeinsame Formprinzip anfänglicher Unmittelbarkeit. In diesem Sinn ist die „höchste zugeschärfteste Spitze“ 12, die der logische Inhalt in seiner schrittweisen Entwicklung erreicht zugleich wieder die „Einfachheit, welche die erste Unmittelbarkeit und Allgemeinheit ist“. 13 Das Ende der logischen Entwicklung ist, wie dargestellt worden ist, deswegen deren Ende, da mit ihm die methodisch-formalen Strukturaspekte desjenigen Prinzips, das sich da einheitlich entwickelt, d. h. des einen logischen Inhalts, und dessen begrifflicher Bedeutungsgehalt vollständig konvergieren. Diese höchste und strukturell komplexeste logische Bestimmung, die der spekulativen Dialektik auch inhaltlich adäquat ist, ist demnach nichts anderes als die spekulative Dialektik selbst, insofern diese nun mit dem Inhalt, dessen Form sie ist, vollständig in eins gebildet ist. Für die absolute Idee gilt demnach, dass „die absolute Dialektik“ 14 – und nur diese – „ihre Natur ist“ 15. Der Fortgang der logischen Entwicklung ist demnach, worauf Hegel bereits im einleitenden Kapitel „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?“ verweist, „ein Rückgang in den Grund“ 16. Dies ist deswegen der Fall, da am Ende dieses Entwicklungsgangs dasjenige Prinzip in formaler sowie inhaltlicher Hinsicht deduziert wird, welches das Fortgehen der Entwicklung auf einer jeder ihrer Stufen als die dem logischen Inhalt unmittelbar inhärierende gestalterische Formaktivität bereits methodisch geleitet und angetrieben hat. Das Intensivste und strukturell „Concreteste und Subjectivste“ 17, d. h. die spekulative Dialektik, ist zugleich das „Uebergreiffendste“ 18, da mit ihr dasjenige Prinzip deduziert worden ist, welches auf einer jeden der zurückliegenden Stufen der logischen Entwicklung das Fortgehen derselben begründet und die allgemeine formale Struktur dieses Fortgehen immanent geregelt hat. Als die allgemeine Form des logischen Inhalts 19, die sich auf allen Stufen der logischen Entwicklung einheitlich durchhält, greift die spekulative Dialektik somit auch über alle vorangegangenen, inhaltlich noch defizitäreren logischen 12 13 14 15 16 17 18 19
GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 21, 57. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251. Vgl. GW, Bd. 12, 237.
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Bestimmungen über: Sie ist die allen Stufen der Entwicklung gemeinsame und inhärierende strukturelle Form. Die logische Wissenschaft, im Zuge derer die unterscheidbaren Strukturbestimmungen des Denkens nach einer allgemeinen Regel schrittweise auseinander entwickelt werden, erweist sich im Lichte der obigen Untersuchung als eine formale Logik in der wahrsten Bedeutung dieser Charakterisierung. Hegels Logik ist eine Logik der Form in dem Sinne, dass die Form allen vernünftigen Denkens, d. h. die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik, hier sowohl die Form des logischen Denkaktes als auch seinen durch diese Form strukturierten und geregelten Inhalt ausmacht. 20 Die logische Wissenschaft ist somit als eine absolute Selbstanwendung der Form vernünftigen Denkens zu verstehen, die unter ihren eigenen Regeln stehend sich selbst schrittweise expliziert. 21 Hegels Logik ist in diesem Sinne sehr wohl „die Wissenschaft des Denkens im Allgemeinen“ 22, denn dasjenige, was Denken wesentlich ist, erschließt sich innerhalb dieser Wissenschaft nicht als das Denken irgendeines vom Denken verschiedenen Gegenstands, etwa empirischer Data, sondern als Denken des Denkens. Das Denken ist hier somit „im Allgemeinen“ thematisch, insofern es sich selbst expliziert, indem es sich als eine Allgemeinheit im Sinne der Begriffsbestimmungen selbst bestimmt, d. h. sich in unterscheidbare Strukturaspekte oder Denkbestimmungen besondert und sich damit zugleich als eine durchgängig mit sich übereinstimmende Einzelheit begreift. Als absolute Form, die absolut ist, da sie sich im Zuge einer rein immanenten Synthesisleistung schrittweise selbst als Inhalt expliziert, ist die spekulative Dialektik somit die strukturelle und apriorische Gesetzmäßigkeit desjenigen Prozesses, den Hegel Idee nennt und der den Inhalt der logischen Wissenschaft ausmacht. 23 20
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22 23
In diesem Sinne urteilt auch Stekeler-Weithofer (P. Stekeler-Weithofer: Hegels Wissenschaft der Logik. Ein dialogischer Kommentar. Band 1: Die objektive Logik. Die Lehre vom Sein. Qualitative Kontraste, Mengen und Maße. Hamburg 2020, 25.), dass „alle Ansätze einer Formalisierung von Hegels dialektischer Logik schon im Ansatz verfehlt [sind]“. Den Grund hierfür sieht auch Stekeler-Weithofer im dialektischen Charakter der Hegelschen Logik. Die Logik versteht Hegel demnach als produktiven und prozessual-praktischen Vollzug einer „Explikation des Grundrahmens allen Wissens, sozusagen als logische Topographie unseres begrifflichen Verstehens“. Für diesen dialogisch-explikativen Charakter der dialektischen Logik, in der das aktive Vollziehen der Entwicklungsschritte gerade das Moment der Produktivität ausmacht, gebraucht Stekeler-Weithofer den Begriff eines „kooperativen Sinnverstehens in realen Sprechhandlungen“ und sieht darin eine kategoriale Differenz zu einer „formalen Logik als reiner Ausdrucks- und Regelsemantik“. Zum Verhältnis von Form und Inhalt in Hegels Logik, insbesondere in Beziehung zu klassischen und gegenwärtigen Logikkonzeptionen, vgl. E. Ficara: „Hegel within contemporary logic“, in: Hegel. Sczienza della logica. Pisa 2013, 297–312. GW, Bd. 21, 28. Vgl. hierzu GW, Bd. 20, 61: „Die Logik ist die Wissenschaft der reinen Idee, das ist, der Idee im abstracten Elemente des Denkens.“
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In der Charakterisierung des Fortgangs der logischen Entwicklung als einen Rückgang in den Grund konvergieren also diejenigen Strukturaspekte der Entwicklung, die in den beiden vorangegangen Kapiteln unserer Untersuchung thematisiert worden sind. Hiernach bestand der fortschreitende Verlauf der Entwicklung erstens zunächst in einer schrittweisen, aber immanent sich vollziehenden Konkretisierung eines einigen Bedeutungsgehalts. Zweitens geht hierbei, d. h. mit dieser Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts, wie wir gesehen haben, eine schrittweise Ineinsbildung derjenigen dialektischen Dialektik, die dem Inhalt auf einer jeden Stufe seiner Entwicklung im Moment des Fortgangs jeweils zukommt, mit der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik einher. In dem Umstand, dass das Fortgehen der Entwicklung, d. h. die Weiterbestimmung ihres Inhalts zu immer reicheren und konkreteren Bedeutungsgehalten, weder einfach blind und richtungslos vonstattengeht noch ins Unendliche verläuft, sondern auf das vollständige Konvergieren des sich konkretisierenden Bedeutungsgehalts mit dem immanenten Prinzip seiner Konkretisierung ausgerichtet ist, besteht nun die Einheit von Fortgang und Rückgang in den Grund. Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik, die als solche, d. h. als allgemeine Struktur, Gegenstand des ersten Teils unserer Untersuchung gewesen ist, stellt den methodischen Grund der logischen Entwicklung dar. Sie ist, wie wir gesehen haben, die produktive Form, die dem logischen Inhalt unmittelbar inhäriert, und beschreibt die strukturelle Gesetzmäßigkeit, gemäß welcher sein begrifflicher Bedeutungsgehalt sich zu immer konkreteren und höherstufigeren Stadien ausbildet, an denen sie sich als die Form eines sodann konkreteren Bedeutungsgehalts erneut reproduziert. Der Fortgang der logischen Entwicklung, d. h. die gemäß der spekulativen Dialektik strukturierte Bedeutungskonkretisierung ihres Inhalts, ist nun insofern zugleich ein Rückgang in ihren Grund, dass der logische Inhalt sich schlussendlich, d. h. im letzten Ende seiner Entwicklung und Konkretisierung, mit der spekulativen Dialektik in eins bildet und damit eben gerade mit derjenigen Bedeutung, die in derjenigen prozessualen Gesetzmäßigkeit besteht, gemäß welcher die immanente Bedeutungskonkretisierung und Weiterentwicklung auch der vorangegangenen Entwicklungsstadien des logischen Inhalts bereits verfasst und strukturiert gewesen ist. Der begriffliche Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts durchläuft, wie wir gesehen haben, im Rahmen seiner spekulativ-dialektischen Entwicklung unterschiedliche Stadien. In der Seinslogik besteht der Inhalt auf jeder Entwicklungsstufe in einer einfachen und sinnhaft abgeschlossenen Bedeutung, deren Dialektik daher ein Übergehen in ein Anderes ist. In der Wesenslogik besteht der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts auf allen Stufen der Entwicklung in einem relationalen Beziehungsgefüge zweier gleichursprünglicher begrifflicher Gegenteile und die Dialektik somit nicht mehr in einem Verschwinden und Übergehen
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des einen im anderen, sondern in einer Schwerpunktverschiebung innerhalb der bestehenbleibenden Relation. In der Begriffslogik schließlich hat der Inhalt seine Bedeutung (in seinem nun zurückliegenden Gang durch die Wesenslogik) soweit konkretisiert, dass er auf einer jeden der begriffslogischen Stufen seiner weiteren Entwicklung in einer solchen Bedeutung besteht, die sich mit ihrer immanenten Selbstaufhebung und werdenden Umwandlung zu ihrem begrifflichen Gegenteil – kurz: im Zuge ihrer Dialektik – zugleich unmittelbar bereichert und spezifiziert. Für die Bestimmungen der Seinslogik als auch der Wesenslogik vollzog sich die Erweiterung und Spezifizierung der logischen Bedeutungsgehalte noch nur im Sich-bestimmen des Anfangs zum dialektischen Fortgang, noch nicht aber innerhalb des dialektischen Prozesses selbst, der hier für sich betrachtet nur die – entweder übergangs- oder relationsdialektische – Umwandlung zweier Entgegengesetzter zueinander gewesen ist. Obgleich der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts sowie die Struktur seiner dialektischen Vermittlung im Verlauf der logischen Entwicklung nur schrittweise konkreter und komplexer werden, d. h. zunächst in sehr einfachen und abstrakten Bedeutungen und in noch sehr basalen dialektischen Vermittlungen bestehen, entwickeln auch diese einfachen Bedeutungen sich an sich bereits gemäß der hochkomplexen Struktur der spekulativen Dialektik. Diese ist, mit anderen Worten, von vornherein und schon für die rudimentärsten und abstraktesten Seinskategorien das formale Prinzip ihrer produktiven, aber immanenten Weiterbestimmung und damit der strukturelle Grund der logischen Entwicklung. Wir interpretieren den Rückgang in den Grund also als eine immanente Ineinsbildung von a) der einen sich entwickelnden Bedeutung, die den Inhalt der Logik ausmacht und im Zuge ihrer Entwicklung und Konkretisierung unterschiedliche, eben immer konkreter werdende Bedeutungsgehalte durchläuft, und b) der allgemeinen strukturellen Gesetzmäßigkeit, gemäß welcher alle diese Bedeutungsgehalte sich an ihnen selbst weiterbestimmen, dialektisch bereichern und spekulativ konkretisieren. 24 Mit dem so konzipierten Rückgang in den Grund ist eine weitere Dimension verbunden. Der Fortgang der logischen Entwicklung ist – auf spezifische, nun noch zu erörternde Weise – auch ein Rückgang zu ihrem Ausgangspunkt, d. h. zur unbestimmten Unmittelbarkeit des reinen Seins als derjenigen Bedeutung, in welcher der logische 24
Vgl. hierzu die Ausführungen von T. Dangel: Hegel und die Geistmetaphysik des Aristoteles. Berlin / Boston 2013, 279 f.: „Die logische Wissenschaft vollendet sich in der Erkenntnis der absoluten Idee, die zum einen der vollständig realisierte Begriff und zum anderen die Methode des Logischen als das immanente Formprinzip in allen Gedankenbestimmungen ist – ein Formprinzip, das sich in den Gedankenbestimmungen immer schon produktiv betätigt und am Ende der logischen Wissenschaft als der Anfang und Ursprung des Logischen selber erkannt wird.“
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Der Fortgang zum Ende der Entwicklung als der Rückgang in ihren Grund
Inhalt im Anfangsstadium seines Konkretisierungsprozesses zunächst thematisch gewesen ist. In diesem Sinne hält Hegel fest: „So ist denn auch die Logik in der absoluten Idee zu dieser einfachen Einheit zurückgegangen, welche ihr Anfang ist; die reine Unmittelbarkeit des Seyns, in dem zuerst alle Bestimmung als ausgelöscht oder durch die Abstraction weggelassen erscheint, ist die durch die Vermittlung, nemlich die Aufhebung der Vermittlung zu ihrer entsprechenden Gleichheit mit sich gekommene Idee.“ 25
Vor dem Hintergrund unserer bisherigen Überlegungen scheint dies zunächst paradox. Schließlich besteht der Fortgang der Entwicklung, wie wir gesehen haben, darin, dass ihr Inhalt seinen begrifflichen Bedeutungsgehalt zu immer reicheren und konkreteren Bestimmungen und immer komplexeren dialektischen Vermittlungsstrukturen ausbildet. Zudem endet dieser Prozess damit, dass der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts sich auf der „höchste[n] zugeschärfteste[n] Spitze“ 26 seiner Entwicklung zum „Reichste[n]“ 27 und „Concreteste[n] und Subjectivste[n]“ 28 bestimmt. Dieses höchste Entwicklungsstadium des logischen Inhalts besteht in der „absolute[n] Dialektik“ 29 beziehungsweise – in unserer Lesart – in der allgemeinen Struktur spekulativdialektischer Bedeutungskonkretisierung, die bereits das Produktions- und Entwicklungsprinzip aller vorangegangenen logischen Bestimmungen als solchen gewesen ist, und in diesem Sinne ist der Fortgang der Entwicklung soeben als ein Rückgang in ihren (methodischen) Grund charakterisiert worden. Inwiefern soll nun das Erreichen der höchsten, komplexesten und konkretesten Bedeutung, zu welcher der logische Inhalt sich im Verlauf des Prozesses seiner immanenten Konkretisierung ausbildet, zugleich in eins fallen mit der – hierzu im größten Maße gegenteiligen – Bedeutung des reinen Seins, welches den überhaupt abstraktesten denkbaren begrifflichen Gehalt darstellt? Die Antwort auf diese Frage scheint auf, wenn wir noch einmal bedenken, worin der Bedeutungsgehalt des vollentwickelten Grundes der logischen Entwicklung, in den diese, wie wir gesehen haben, in ihrem Fortgehen zugleich zurück geht, genau besteht. Das letzte Entwicklungsstadium, das der logische Inhalt im Zuge seiner schrittweisen Konkretisierung annimmt, d. h. die absolute Idee als der konkreteste in der Logik thematische Bedeutungsgehalt, besteht in der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik, die nun aber nicht mehr nur die Form der gesetzmäßigen Weiterbestimmung abstrakterer 25 26 27 28 29
GW, Bd. 12, 252. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251.
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Bedeutungsgehalte darstellt, sondern selbst als letztes Glied dieser durch sie formal bereits geregelten und begründeten Abfolge von Bestimmungen abgeleitet worden ist. Auf dieser höchsten und finalen Spitze der logischen Entwicklung wiederholt sich damit aber nun derjenige genetische Entwicklungsprozess in freier Selbstanwendung, der für alle vorangegangenen und auseinander entstehenden Bestimmungen, an denen er sich als Entwicklung eines jeweils nächsthöheren und konkreteren Bedeutungsgehalts immer reproduziert hat, bereits die Form ihrer Weiterentwicklung gewesen ist. Nicht mehr ist die allgemeine Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung hier Form von bestimmten logisch-begrifflichen Bedeutungsgehalten. Sie ist nicht mehr nur immanente Form etwa von Etwas und Anderem, von Ansichsein und Sein-für-Anderes, von Ganzem und Teilen, Innerem und Äußerem, von Substantialität und Akzidentalität oder Ursache und Wirkung, die sich alle spekulativ-dialektisch weiterbestimmen, indem ihre jeweilige unmittelbare Bedeutung dazu fortgeht, sich zu einer dialektisch-prozessualen Vermittlung mit ihrem begrifflichen Gegenteil zu spezifizieren und die damit einhergehende Erweiterung und begriffliche Ausdehnung zu einer wieder unmittelbaren Bedeutungseinheit zurückzuführen. Was im Rahmen dieser spekulativ-dialektischen Entwicklung als deren letztes Stadium gewonnen und somit schrittweise aus einer Abfolge immer konkreter werdender Bestimmungen und immer komplexer werdender dialektischer Vermittlungsstrukturen abgeleitet wird, ist vielmehr die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik als solche, d. h. die Explikation der Momente Anfang, Fortgang und Ende und ihres genetischen Verhältnisses zueinander in allgemeingültiger Reinform und damit so, wie sie den Gegenstand des ersten Teils unserer Untersuchung ausgemacht hat. Dies entspricht der folgenden Formulierung, mit der Hegel die Erörterung des letzten Bedeutungsgehalts, den der Inhalt der logischen Wissenschaft in seiner Entwicklung annimmt, einleitet: „Was also hier noch zu betrachten kommt, ist somit nicht ein Inhalt als solcher, sondern das Allgemeine seiner Form, – das ist, die Methode.“ 30 Hieraus folgt jedoch, dass in der Explikation des Bedeutungsgehalts der absoluten Idee nicht mehr von einer in diesem Sinne bestimmten logischen Bedeutung der Ausgang genommen wird, sondern vom Prinzip der anfänglichen Unmittelbarkeit und begrifflichen Einfachheit als solcher. 31 Anfängliche Einfachheit und Unmittelbarkeit sind nun nicht mehr nur Formbestimmung ei30 31
GW, Bd. 12, 237. Natürlich ist nicht nur die logische Unmittelbarkeit das Thema der absoluten Idee, sondern ebenso die dialektische Vermittlung sowie die spekulative Rückkehr zur höheren Einheit, d. h. die gesamte Struktur der spekulativ-dialektischen Methode, jedoch stellt auch für die absolute Idee die Unmittelbarkeit – und nun als reine Unmittelbarkeit in abgeleiteter Form – zunächst das Moment des Anfangs ihrer Prozessualität dar.
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ner inhaltlich durchaus konkret bestimmten Denkbestimmung, sondern Form und Inhalt haben sich hier – auch und gerade in dieser Hinsicht – vollständig in eins gebildet. 32 Der Umstand, dass die allgemeine Struktur spekulativdialektischer Bedeutungskonkretisierung im Ende der logischen Wissenschaft, d. h. am Ende des zurückliegenden, an sich durch sie bereits geregelten und begründeten Entwicklungsprozesses, als solche, d. h. als allgemeine Struktur, gewonnen wird, resultiert somit zunächst darin, dass das Prinzip des absoluten, rein gedanklichen Anfangs und des Anfangens denkend vollzogen wird. Es kann dieser anfängliche Bedeutungsgehalt der absoluten Idee, der rein nur im voraussetzungslosen und vorurteilsfreien Anfangen selbst besteht, demzufolge auch so charakterisiert werden, dass die Bedeutung der absoluten Idee zunächst in eins fällt mit der Frage: „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?“ 33 Das Fortgehen der logischen Entwicklung besteht demnach zunächst deswegen in einem Rückgang in den Grund, weil, wie wir gesehen haben, die schrittweise Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts in eins fällt mit einem schrittweisen Übergreifen a) der Struktur der Konkretisierung auf b) denjenigen Bedeutungsgehalt, der sich gemäß dieser Struktur immanent konkretisiert. Dieser Rückgang in den in diesem Sinne methodischen Grund des logischen Entwicklungsprozesses ist nun, wie dargelegt, zugleich auch in inhaltlicher Hinsicht ein Rückgang in den Grund. Die Methode des rein nur sich selbst explizierenden Denkens, d. h. die spekulative Dialektik, beinhaltet wesentlich, dass die Bestimmung, mit der der Anfang gemacht wird, wenn er wirklicher, mithin selbst nicht mehr begründeter Anfang sein soll, absolute Unmittelbarkeit sein muss. Steht die spekulative Dialektik nun selbst am Ende der aus dieser reinen anfänglichen Unmittelbarkeit entstehenden logischen Entwicklung, indem sie aus der einheitlichen Abfolge immer konkreter werdender Bedeutungsgehalte als „abgeleitetes und erwiesenes“ 34 eigens hervorgeht, dann folgt aus dem hier Dargelegten, dass die logische Wissen32
33
34
Allen Stufen der logischen Entwicklung ist gemeinsam, dass die unmittelbare gedankliche Erfassung eines jeweiligen, inhaltlich spezifisch bestimmten Bedeutungsgehalts den Anfang einer dialektischen Prozessualität ausmacht. Da die absolute Idee nur die allgemeine Form des logischen Inhalts zu ihrem Bedeutungsgehalt hat, besteht dieser folglich zunächst auch nur wieder in dieser freien Prozessualität des Anfangens. Der Bedeutungsgehalt der absoluten Idee ist also der unmittelbare Anfang, der als solcher von jeglichem Fortgang absieht, sich in seiner Anfänglichkeit und Unmittelbarkeit von jeder Vermittlung, Prozessualität oder Differenz unterscheidet und sich negativ gegenüber dieser Negation seiner selbst abgrenzt. Bezüglich des Rückgangs zum Anfang, den die logische Entwicklung gerade in ihrem Ende erfährt, vgl. eingehend die Ausführungen von H. F. Fulda: Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik. Frankfurt am Main 1965, 275–284. GW, Bd. 12, 249.
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schaft, wie von Hegel konstatiert, in der Tat „einen in sich geschlungenen Kreis dar[stellt], in dessen Anfang, den einfachen Grund, die Vermittlung das Ende zurückschlingt“ 35. Die höchste, konkreteste Denkbestimmung und der erste, abstrakteste logische Bedeutungsgehalt der Logik konvergieren somit nicht aufgrund eines äußerlichen Übergangs oder aufgrund einer nicht gerechtfertigten Identifikation, sondern aus einer inneren Notwendigkeit, die mit dem spezifischen Bedeutungsgehalt jener höchsten und konkretesten logischen Bedeutung selbst zusammenhängt. Die Struktur der absoluten Subjektivität, d. h. die spekulative Dialektik, ist am Ende der logischen Entwicklung allein kraft ihrer eigenen sowohl gestalterischen als auch produktiven Aktivität aus einer zurückliegenden Abfolge abstrakterer, aber an sich bereits gemäß dieser Struktur sich weiterführender Bedeutungsgehalte ausgebildet worden. Für die so zu sich gekommene Struktur der absoluten Subjektivität gilt jedoch, dass der Begriff der reinen denkenden Selbstbezüglichkeit es unmittelbar in sich enthält, zum Zwecke einer voraussetzungslosen und vorurteilsfreien Selbstbegründung nicht mit dem Denken einer in irgendeiner Form vermittelten Bedeutung anfangen zu können, sondern nur mit der gedanklichen Anvisierung desjenigen einen Bedeutungsgehalts, der aufgrund seiner absoluten Unmittelbarkeit alleine als Kandidat für einen nichts mehr voraussetzenden Anfang in Frage kommt. Die absolute Subjektivität ist, mit anderen Worten, nicht akzidentell, sondern als solche das denkende Anfangen mit der unbestimmten Unmittelbarkeit des reinen Seins. 36
35 36
GW, Bd. 12, 252. Vgl. hierzu auch die Schlussbetrachtungen der Studie von W. Goris: Transzendentale Einheit. Leiden / Boston 2015, 499: „Das gänzlich unbestimmte Sein als Anfang der Logik ist nun weder primär der transzendentale Gegenstand, noch ausschließlich das transzendentale Subjekt, sondern beides zugleich: die voll entwickelte absolute Subjektivität, die am Ende des Systems wieder in die Bestimmungslosigkeit des Anfangs umgeschlagen ist.“
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6. Die innere Zweckmäßigkeit der logischen Entwicklung
6.1 Die Methode ist nicht Begriff, sondern Idee Die Wissenschaft der Logik ist die selbstbezügliche Realisierung der spekulativen Dialektik, indem die Entwicklung, die sie darstellt, zwei Eigenschaften gleichursprünglich in sich vereinigt. Erstens stellt die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik die Form des übergeordneten Entwicklungsverlaufs dar, im Rahmen dessen der Inhalt der logischen Entwicklung seinen begrifflichen Gehalt immanent zu immer konkreteren Bedeutungen ausbildet. Die Stationen dieses Konkretisierungsprozesses sind, wie wir gesehen haben, die unterscheidbaren Stufen der logischen Entwicklung. Diese sind alle gemäß der spekulativen Dialektik strukturiert und gliedern sich somit jeweils in die dialektische Erweiterung und prozessuale Ausdehnung einer anfänglichen Bedeutungseinheit sowie in die Rückführung der erweiterten Bedeutung in die Form der anfänglichen Unmittelbarkeit und Einheit. Der Umstand, dass das Ende einer jeden Stufe der Entwicklung somit auch den neuen, da konkreteren Anfang der nächstfolgenden Entwicklungsstufe darstellt, begründet zum einen die Sprunglosigkeit des gesamten Konkretisierungsprozesses und zum anderen, da sich die Form der spekulativ-dialektischen Bedeutungskonkretisierung auch auf jeder neuen Stufe erneut reproduziert, das durchgängige Zugegensein der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik auf allen Entwicklungsstadien des einen logischen Inhalts. Zweitens geht die fortschreitende Konkretisierung des Inhalts der Logik mit einer Annäherung an die Struktur der spekulativen Dialektik einher. Während der logische Inhalt sich auf allen Stufen seiner Entwicklung spekulativ-dialektisch weiterbestimmt, ist dieser übergeordnete Verlauf seiner Bedeutungskonkretisierung bis zum Ende dieses Prozesses noch komplexer als diejenige Dialektik, zu welcher der Inhalt sich in seinen jeweiligen Entwicklungsstadien konkret selbst bestimmt. Obgleich also alle Entwicklungsstufen, die der logische Inhalt in seiner fortschreitenden Konkretisierung durchläuft, gemäß der spekulativen Dialektik strukturiert sind, d. h. sich in Anfang, Fortgang und Ende gliedern, ist das Moment des Fortgangs in der Seins- und der Wesenslogik immer ein von dieser übergeordneten Struktur unterschiedener dialektischer Prozess.
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Der spekulativen Dialektik kommt innerhalb des Verlaufs der logischen Entwicklung also zunächst die Funktion der aktiven, gestalterischen und produktiven Form des Entwicklungsprozesses zu. Sie ist die Methode der logischen Wissenschaft, insofern sie als die allgemeine und auf jedem Entwicklungsstadium sich reproduzierende Gesetzmäßigkeit betrachtet wird, gemäß welcher der logische Inhalt, dessen Form sie ist, seine Bedeutung zu immer konkreteren begrifflichen Gehalten ausbildet. Neben ihrer Funktion als Methode der Logik ist die spekulative Dialektik, wie wir gesehen haben, jedoch auch das Ziel, auf welches der Inhalt der Logik in der schrittweisen Entwicklung und Konkretisierung seines Bedeutungsgehalts ausgerichtet ist. 1 Als Ganzes betrachtet stellt die logische Entwicklung somit die Selbstexplikation ihrer Methode dar. Am Ende der logischen Entwicklung konvergieren in ein und demselben Ableitungsprozess das Ableitungsprinzip, d. h. die spekulative Dialektik als Methode, und das Abgeleitete, d. h. das Endstadium der Konkretisierung des logischen Inhalts und damit der höchste Bedeutungsgehalt, den dieser in der Logik annimmt. Am Ende der Entwicklung ist dasjenige Prinzip, welches für alle vorangegangenen Bedeutungsgehalte schon Struktur und Form ihrer immanenten Konkretisierung und Weiterführung gewesen ist, selbst als ein Bedeutungsgehalt in der Reihe von Bestimmungen abgeleitet worden. Der Verlauf der logischen Entwicklung stellt also den Prozess der autonomen Selbstthematisierung der spekulativen Dialektik dar. Der absoluten Idee kommt vor diesem Hintergrund eine Doppelrolle zu. Zum einen ist sie das höchste und letzte Stadium, das der logische Inhalt in seiner fortschreitenden Entwicklung erreicht. Zum anderen ist der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts auf diesem höchsten Entwicklungsstadium deckungsgleich mit derjenigen allgemeinen Struktur, die auch für die vorangegangen und bedeutungsärmeren Stadien, die der Inhalt auf dem zurückliegenden Verlauf seiner Entwicklung durchlaufen hat, die prozessuale Gesetzmäßigkeit ihrer immanenten Weiterbestimmung gewesen ist. 2 Mit der absoluten Idee 1
2
J. Möller (Der Geist und das Absolute. Zur Grundlegung einer Religionsphilosophie in Begegnung mit Hegels Denkwelt, Paderborn 1951, 31.) formuliert diese doppelte Dimension der Methode – in unserer Deutung: einmal als Form der Selbstbewegung des Inhalts und einmal als deren Ziel – wie folgt: „Bei jeglicher Erörterung über die dialektische Methode muß man stets berücksichtigen, daß sie niemals abstrakt-logisch aufgefaßt werden kann. Sie darf nur als Geschehen des Geistes selbst gedeutet werden. Im begreifenden Denken ist der Begriff das eigene Selbst des Gegenstandes.“ In diesem Sinne führt auch Düsing (K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn, 3. Auflage 1995, 313 f.) aus, dass Hegel „die absolute Idee als Methode in zwei Teilen [entwickelt], nämlich einmal als Form und zum anderen als Inhalt. Die Methode als Form bringt die Bestimmtheit der Kategorien, deren jeweilige Beziehungen auseinander und den Fortgang erst hervor; dadurch ist sie nach Hegel aber dem
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reflektiert die logische Entwicklung somit die Bedingungen ihrer Möglichkeit. Das Besondere dabei ist, dass diese Reflexion auf die allgemeine Struktur spekulativ-dialektischer Begriffsentwicklung sich auf immanente Art und Weise vollzieht, indem diese Struktur nicht außerhalb, sondern innerhalb eines durch sie geregelten Entwicklungsprozesses selbst thematisiert wird. Die spekulative Dialektik ist selbst einer der Bedeutungsgehalte, die im Verlauf der logischen Entwicklung schrittweise auseinander ausgebildet werden. Mit der absoluten Idee reflektieren also nicht wir als die Logiker auf die allgemeine Struktur der logisch-spekulativen Begriffsentwicklung, sondern diese Struktur wird selbst als der letzte derjenigen Bedeutungsgehalte gewonnen, die in dem durch sie geregelten und strukturieren Entwicklungsprozess schrittweise auseinander abgeleitet werden. Die Reflexion auf die Methode der Logik ist hier keine Metareflexion, sondern vielmehr Reflexion der Methode in sich. Die absolute Idee ist somit beides, sie ist sowohl der Endpunkt der einheitlichen, spekulativ-dialektischen Entwicklung des logischen Inhalts und damit der komplexeste Bedeutungsgehalt, den dieser im Zuge seiner schrittweisen Konkretisierung erreicht, als auch die allgemeine Struktur und regelmäßige Gesetzmäßigkeit, gemäß welcher der Inhalt der Entwicklung seinen Bedeutungsgehalt bis hin zu diesem Endpunkt immanent konkretisiert hat. Der begriffliche Bedeutungsgehalt des höchsten Entwicklungsstadiums des logischen Inhalts, d. h. der höchste und komplexeste Bedeutungsgehalt, den der Inhalt in seiner Entwicklung erreicht, besteht also in der binnendifferenzierten Struktur desjenigen Prinzips, welches den zurückliegenden Gang der Entwicklung durch allgemeinere, aber immer konkreter werdende Stadien und Bedeutungsgehalte vollständig begründet hat. Fragen wir nach dem begrifflichen Bedeutungsgehalt der absoluten Idee, so besteht dieser in nichts anderem als dem gesamten zurückliegenden Verlauf der logischen Entwicklung, an dessen Ende er selbst steht. Die Bedeutung der absoluten Idee fällt somit vollständig in eins mit dem Prozess ihrer Genese und ist Darstellung derselben in sozusagen konzentrierter, mikrokosmischer Gestalt. Die logische Wissenschaft ist Denken nur des Denkens. Da das Denken hier „von aller sinnlichen Concretion befreyt“ 3 ist, kann es sich in der Frage nach dem Anfang der logischen Wissenschaft nur auf sich selbst oder, was dasselbe ist, auf die absolute Voraussetzungslosigkeit einfacher Sichselbstgleichheit zurückbeziehen. Die Argumentation, die dem Anfang der Logik zugrunde liegt
3
Inhalt nicht äußerlich, sondern [. . .] dessen innere Bestimmung und Wesen.“ Damit, d. h. als absolute Form, die dem gemäß ihrer Struktur und durch sie sich entwickelnden Inhalt immanent ist, ist die Methode die absolute Subjektivität, „die ihre eigenen inhaltlichen Bestimmungen und deren Beziehungen erzeugt und in ihnen sich selbst begreift“. GW, Bd. 21, 42.
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oder in der, genauer gesagt, der Anfang der Logik unmittelbar besteht, lautet also wie folgt. Das Denken nur des Denkens muss voraussetzungsloses Denken sein und voraussetzungslos ist nur die einfache Unmittelbarkeit des Denkens nicht irgendeines Gegenstands oder irgendeiner Form der Zweiheit, sondern die denkende Approximation differenzloser Einheit. 4 Im Ausgang von diesem dem Inhalt nach völlig voraussetzungsfreien Anfang ist sodann – stets dem Prinzip eines voraussetzungslosen Denkens nur seiner selbst verpflichtet bleibend – darauf zu achten beziehungsweise in voraussetzungsloser Ergebnisoffenheit nur dasjenige als ein Resultat der Selbstexplikation des Denkens gelten zu lassen, was sich rein nur aus dem anfänglichen Prinzip differenzloser Einheit – dem reinen Sein – deduzieren lässt. 5 Gegenüber dieser absoluten Unmittelbarkeit, mit der das Denken des Denkens, wie hier noch einmal kurz dargelegt, aus immanenten Gründen beginnen muss, ist das schlussendliche Resultat der logischen Entwicklung, d. h. die absolute Idee, ein ungleich komplexerer und höchstdifferenzierter begrifflicher Bedeutungsgehalt. Anfang und Ende der logischen Entwicklung divergieren sogar in größtmöglichem Maße. Am Anfang steht das reine Sein, die absolut voraussetzungslose Unmittelbarkeit und differenzlose Einfachheit, am Ende hingegen die absolute Subjektivität, d. h. der Begriff der einheitlichen Gesamtheit der logischen Entwicklung als des sich selbst – und nur sich selbst – schrittweise explizierenden Denkens. Die allgemeine Struktur vernünftigen und in formaler sowie in inhaltlicher Hinsicht sich vollständig selbst begründenden Denkens, d. h. die spekulative Dialektik, beinhaltet es also wesentlich, nicht mit sich selbst in vollständig entwickelter Gestalt anfangen zu können. Vielmehr ist es ein konstitutives Moment der spekulativen Methode, dass das Denken des Denkens sich gerade in seiner Voraussetzungslosigkeit und Unabhängigkeit von Anderem dem Automatismus seiner Selbstexplikation anheimzugeben hat. 6 Beide Dimensionen 4
5
6
Der reine Anfang der Logik wird in diesem Sinne mit dem reinen Sein gemacht, das als das absolut Unbestimmte einer Negation aller Negation (und damit aller Determination) entspricht. Bezüglich einer Analyse dieser Denkfigur, wie sie speziell in der Henologie und der negativen Theologie des Platonismus auftritt, vgl. J. Halfwassen: Der Aufstieg zum Einen. Untersuchungen zu Platon und Plotin. Stuttgart 1992, insb. 400–405. Zur Bedeutung der negatio negationis im Denken des Einen bei Meister Eckhart, der das Absolute als Verneinen des Verneinens, als versagen des versagennes fasst, vgl. W. Goris: Einheit als Prinzip und Ziel. Versuch über die Einheitsmetaphysik des Opus tripartitum Meister Eckharts. Leiden / New York / Köln 1997, 96–105, insb. 103 f. Bezüglich der Problematik des methodischen Anfangs im Denken des Absoluten und seiner Konzeption in der Philosophie des Mittelalters, aber auch bis hin zur frühen Neuzeit und der Klassischen Deutschen Philosophie vgl. W. Goris: Absolute Beginners. Der mittelalterliche Beitrag zu einem Ausgang zum Unbedingten. Leiden / Boston 2007. Somit gilt auch oder vielmehr gerade für die reine Selbstexplikation des Denkens, d. h. für die Entwicklung der logischen Wissenschaft, was Gadamer (H.-G. Gadamer: „Hegel und die
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der spekulativen Dialektik, d. h. die anfängliche Ergebnisoffenheit des Denkens und die daraus unmittelbar resultierende Wahrheit und Unbezweifelbarkeit seiner Resultate, sind im Rahmen unserer Untersuchung anhand der inneren Verflochtenheit der Momente Anfang, Fortgang und Ende nachvollzogen worden. Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik stellt also zunächst den übergeordneten strukturellen Rahmen dar, in den alle logischen Bestimmungen als solche begrifflichen Bedeutungsgehalte, die sich an ihnen selbst weiterführen und sich immanent konkretisieren, wesentlich eingebettet sind. Hierbei ist die Struktur dieses übergeordneten Entwicklungsverlaufs, die sich auf allen Stufen der Entwicklung einheitlich reproduziert, zum einen von der internen dialektischen Struktur der Entwicklungsstufen unterschieden, d. h. das Moment des Fortgangs ist für jede logische Bestimmung und für jede Stufe der logischen Entwicklung ein eigener, mehr oder weniger komplexer dialektischer Prozess. Zum anderen wird der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts im Verlauf seiner Entwicklung immer konkreter, was, wie wir gesehen haben, unmittelbare Auswirkungen auf die Komplexität und Konkretheit der prozessualen Struktur seiner dialektischen Selbstvermittlung hat. Subjekt und Objekt der logischen Entwicklung, d. h. spekulative Dialektik und logischer Inhalt, sind auf einer jeden Stufe der Entwicklung in eins gebildet. Die spekulative Dialektik ist nie etwas anderes als die allgemeine Struktur, gemäß welcher alle Entwicklungsstadien und Bedeutungsgehalte, die der logische Inhalt durchläuft, sich an ihnen selbst weiterbestimmen, erweitern und konkretisieren. Dabei ist die Einheit von Subjekt und Objekt, d. h. von spekulativ-dialektischer Konkretisierung und sich so konkretisierendem Inhalt, jedoch nicht auf allen Stufen der logischen Entwicklung gleichermaßen realisiert. Obgleich alle Stufen der logischen Entwicklung eine Einheit von spekulativer Dialektik und logischem Inhalt darstellen, d. h. der Inhalt sich auf allen Stadien seiner Entwicklung dialektisch-spekulativ weiterbestimmt und zu einer nächsthöherstufigeren Bedeutung konkretisiert, sind beide Dimensionen der Entwicklung nicht auf allen Entwicklungsstufen zu gleichem Maße in eins gebildet. Die logische Entwicklung ist also auf jeder ihrer Stufen SubjektObjekt-Einheit, indem alle Bedeutungen, die der Inhalt der Entwicklung in ihrem Verlauf annimmt, sich gemäß der Struktur der spekulativen Dialektik weiterbestimmen. Alle logischen Bestimmungen, selbst schon die noch ganz antike Dialektik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 7–30, 29.) über die logischen Bestimmungen in allgemeiner Hinsicht, d. h. auch bezüglich ihrer Funktion für das endliche Erkennen, sagt: „Die Gedankenbestimmungen, in denen das Denken sich bewegt, sind, wie Hegel betont, nicht äußere Formen, die wir wie Hilfsmittel auf Vorgegebenes anwenden, sondern sie haben uns immer schon eingenommen, und unser Denken besteht darin, daß wir ihrer Bewegung folgen.“
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abstrakten Seinskategorien, erweitern ihre unmittelbare Bedeutung, indem sie sich erstens zu einem dialektischen Prozess bestimmen, und führen ihre so erweiterte Bedeutung zweitens wieder in die Form eines einfachen Begriffs zurück. Dieses Resultat stellt sodann den seiner Form nach wieder unmittelbaren, dem Inhalt nach jedoch komplexeren Ausgangspunkt dar, an dem als an der nächstkonkreteren logischen Bestimmung dieser Konkretisierungsprozess sich erneut reproduziert. Obwohl Subjekt und Objekt, d. h. spekulativ-dialektische Produktivität und begrifflicher Bedeutungsgehalt, auf keiner Stufe der logischen Entwicklung einander äußerlich sind, sondern alle hier thematischen Bedeutungsgehalte wesentlich spekulativ-dialektischer Natur sind und sich somit an ihnen selbst produktiv weiterführen, ist die Struktur dieser immanenten Bedeutungsentwicklung während des gesamten Entwicklungsverlaufs noch reicher und komplexer als die gemäß dieser Struktur sich immanent weiterbestimmenden Bedeutungen. Wir können diesen Umstand auch so beschreiben, dass die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik für alle Denkbestimmungen, d. h. für alle Stadien, die der logische Inhalt im Zuge seiner – eben spekulativdialektisch strukturierten – Konkretisierung durchläuft, zwar den übergeordneten Entwicklungskontext darstellt, dabei aber noch nicht auch an diesen Bedeutungsgehalten bereits vollständig gesetzt ist. Nun geht die immanente Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts, wie wir gesehen haben, mit einer schrittweisen Ineinsbildung der so sich weiterbestimmenden Bedeutung mit der allgemeinen strukturellen Gesetzmäßigkeit ihrer immanenten Weiterbestimmung und Konkretisierung einher. Dabei durchläuft diese schrittweise Ineinsbildung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts mit der allgemeinen strukturellen Gesetzmäßigkeit seiner immanenten Konkretisierung, deren Darstellung die logische Wissenschaft ist, die folgenden Stadien. Ausgehend von der unbestimmten Unmittelbarkeit des reinen Seins entwickelt der logische Inhalt seinen Bedeutungsgehalt im Rahmen der Seinslogik zunächst zur sich genetisch ausbildenden Abfolge der Seinskategorien, d. h. er durchläuft hier eine Reihe von Entwicklungsstadien, die zwar aufgrund der synthetischen Produktivität der spekulativ-dialektischen Gesetzmäßigkeit ihrer Weiterbestimmung immer komplexer und konkreter werden, dabei aber noch jeweils sinnhaft abgeschlossene logische Bedeutungsgehalte darstellen, deren dialektische Vermittlungsstruktur ein Übergehen in Anderes ist. Am Ende der Seinslogik konkretisiert der logische Inhalt seinen begrifflichen Bedeutungsgehalt schließlich soweit, dass er sich zu einem in sich relationalen Bedeutungszusammenhang zweier einander gleichursprünglich mitthematisierender Entgegengesetzter ausbildet. Dies markiert den Einstieg der logischen Entwicklung in die Sphäre der Wesenslogik, deren Bestimmungen in ihrer genetischen Ausbildung solche
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Entwicklungsstadien des logischen Inhalts darstellen, deren dialektische Vermittlungsstruktur dem relationsdialektischen Scheinen im Entgegengesetzten entspricht. Der Übergang des Substantialitäts-, Kausalitäts- und Wechselwirkungsverhältnisses stellt dann am Ende der Wesenslogik denjenigen systematischen Ort dar, an welchem der logische Inhalt sich zum Prinzip des Begriffs, d. h. zur in sich prozessualen Einheit der Momente Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit, entwickelt und damit zu einem solchen begrifflichen Bedeutungsgehalt, der erstmals nicht nur – wie schon alle vorangegangenen logischen Bestimmungen – sich an sich entwicklungsdialektisch weiterführt, sondern die Komplexität dieser dialektischen Vermittlungsstruktur an und für sich in seinen begrifflichen Gehalt inkorporiert und aufgenommen hat. 7 Die weiteren Vermittlungsschritte, die der logische Inhalt im Zuge der immanenten Konkretisierung seines Bedeutungsgehalts nun in der Begriffslogik durchläuft, bestehen – ausgehend vom Begriff des Begriffs, der den Einstieg in die subjektive Logik markiert, indem die Wechselwirkung der Substanz sich zu ihm vervollständigt – zunächst in der Begriffs-, Urteils- und Schlusslehre. Hierauf folgen die Bestimmungen der Objektivität 8, die sich schließlich zur Vereinigung mit der syllogistischen Vermittlungsstruktur des subjektiven Begriffs vervollständigen, womit der logische Inhalt sich zur Idee konkretisiert und sich davon ausgehend über die Prinzipien lebendiger Selbstbezüglichkeit, des theoretischen und praktisches Erkennens 9 bis hin zur absoluten Idee als der höchsten und konkretesten Denkbestimmung ausbildet. Die absolute Idee, die den Endpunkt von Hegels spekulativer Ideenlehre und damit überhaupt den Schlussstein der logischen Wissenschaft darstellt, ist dasjenige Entwicklungsstadium des logischen Inhalts, in welchem der Prozess der Ineinsbildung von a) spekulativ-dialektischer Methode und b) sich an ihm selbst spekulativ-dialektisch weiterentwickelndem Inhalt schließlich abgeschlossen ist. 7
8
9
Vgl. eingehend K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn, 3. Auflage 1995, 228–243. Eine ausführliche und lehrreiche Analyse des Objektivitätskapitel der Wissenschaft der Logik liefert der Kommentar von D. Moyar: „Die Lehre vom Begriff. Zweyter Abschnitt. Die Objectivität“, in: Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik. Hrsg. M. Quante und N. Mooren, Hamburg 2018, 559–650. Diejenige spezifische und höchste Form von Objektivität, die (in immanenter Vereinigung mit der Subjektivität) in Hegels Begriff der Idee gedacht wird, bleibt hier naturgemäß ausgespart. Bezüglich einer Interpretation desjenigen Verhältnisses, in welchem die Idee des Erkennens und die Idee des Guten zur absoluten Idee stehen, die unmittelbar aus ihnen entwickelt wird, vgl. insbesondere R. Schäfer: „Hegels Ideenlehre und die dialektische Methode“, in: G. W. F. Hegel. Wissenschaft der Logik. Berlin 2002, 243–264, sowie die Ausführungen von M. Gabriel: „What Kind of an Idealist (if any) is Hegel?“, in: Hegel-Bulletin 27/2 (2016), 181– 208, insb. 195–200.
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Da der Inhalt der logischen Wissenschaft, wie wir gesehen haben, einerseits ein sich immanent konkretisierender begrifflicher Gehalt ist, andererseits aber dabei zunächst ganz abstrakte Bedeutungsstadien durchläuft und sich im Fortgehen durch Seins-, Wesens und Begriffslogik nur schrittweise konkretisiert, besteht der Verlauf der logischen Entwicklung in der Tat in der oft angeführten „Arbeit am Begriff“, wobei diese durch nichts anderes bewirkt und begründet wird als durch die synthetische und bedeutungsbildende Produktivität des Begriffs, d. h. der spekulativen Dialektik, selbst. 10 Das Ende der Logik markiert demnach die vollständige Ineinsbildung zweier Strukturaspekte des logischen Inhalts, die von vornherein nicht getrennt voneinander waren, jedoch, obzwar immer schon in eins gebildet, während des gesamten Verlaufs der logischen Entwicklung zueinander nie in einer völligen Übereinstimmung standen. 11 Die absolute Idee ist in diesem Sinne der Abschluss der Selbstgestaltung des logischen Inhalts hin zur vollständigen Übereinstimmung mit der strukturellen Gesetzmäßigkeit seiner Selbstgestaltung, d. h. der Methode. Dabei durchläuft der Inhalt der logischen Wissenschaft vor diesem Abschluss und finalen Endpunkt seiner Entwicklung, wie wir gesehen haben, eine Abfolge immer konkreter werdender Bedeutungen, die sich im Zuge eines (zunächst) linearen Aufstiegs ursprünglich auseinander ausbilden. Diese nicht nur aufeinander aufbauenden, sondern genetisch auseinander entstehenden Stufen der logischen Entwicklung entsprechen den Bestimmungen des reinen Denkens oder Denkbestimmungen. Deren Natur und schlussendliche Gestalt besteht, wie im zweiten Kapitel des zweiten Teils unserer Untersuchung gezeigt worden ist, darin, dass sie sich ausgehend von ihrer unmittelbaren Bedeutung zu einem wesentlich prozessualen und gemäß der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik gegliederten Bedeutungskomplex vervollständigen, der jeweils in einer wieder unmittelbaren, aber konkreteren und höherstufigeren Bedeutung 10
11
Vgl. hierzu GW, Bd. 9, 48: „Wahre Gedanken und wissenschaftliche Einsicht ist nur in der Arbeit des Begriffs zu gewinnen. Er allein kann die Allgemeinheit des Wissens hervorbringen, welche weder die gemeine Unbestimmtheit und Dürftigkeit des gemeinen Menschenverstands, sondern gebildete und vollständige Erkenntniß, – noch die ungemeine Allgemeinheit der durch Trägheit und Eigendünkel von Genie sich verderbenden Anlage der Vernunft, sondern die zu ihrer einheimischen Form gediehene Wahrheit, welche fähig ist, das Eigenthum aller selbstbewußten Vernunft zu seyn.“ Diese Passage aus der – auch für das Spätwerk Hegels programmatischen – Vorrede der Phänomenologie des Geistes von 1807 enthält den Kern unserer Überlegungen unmittelbar in sich. Das Wesen allen spekulativen Denkens, mithin auch das Wesen der logischen Wissenschaft besteht in einer synthetischen Bedeutungsentwicklung, die dabei jedoch rein analytisch im Vollzug der reinen Selbstbezüglichkeit des Denkens begründet liegt. Die Arbeit am Begriff ist wesentlich die Arbeit des Begriffes selbst. Vgl. hierzu die Ausführungen von R. Schäfer: Hegel. Einführung und Texte, München 2011, 94: „Das Absolute macht sich selbst stufenweise explizit.“
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resultiert und gerade hierdurch eine Stufe innerhalb eines einheitlichen Entwicklungsprozesses darstellt. Aufgrund der sprunglosen Einheitlichkeit dieser Entwicklung, die den gesamten Verlauf der logischen Wissenschaft ausmacht, besteht diese, wie wir gesehen haben, schlussendlich in der immanenten, dabei aber produktiven Konkretisierung eines einigen begrifflichen Bedeutungsgehalts. Dieser, d. h. der logische Inhalt beziehungsweise der Inhalt der logischen Entwicklung, durchläuft im Zuge seiner schrittweisen Konkretisierung zunächst ganz allgemeine und abstrakte, sinnhaft abgeschlossene und noch unrelationale Bedeutungsgehalte. Diese machen die Seinskategorien und – das Ganze der logischen Entwicklung betrachtet – die ersten, seinslogischen Entwicklungsstadien des logischen Inhalts aus. Hierauf folgen die Wesensbestimmungen, indem der Inhalt sich im Zuge des ersten Teilabschnitts seiner Konkretisierung, d. h. im aufsteigenden Durchlaufen der Seinslogik, schließlich zu einer solchen Komplexität und Konkretheit ausbildet, dass er ab diesem Punkt in einer Abfolge relationaler Bedeutungszusammenhänge zwischen gleichursprünglichen begrifflichen Relata besteht. Auf diese wesentlich in sich relationalen und folglich auch nicht mehr übergangs- sondern relationsdialektisch verfassten Bedeutungen, die der logische Inhalt in der Wesenslogik durchläuft und ausbildet, folgen schließlich die Bestimmungen der Begriffslogik. Diese stellen nicht mehr nur relationale, sondern sich in sich konkretisierende Bedeutungen dar, die sich somit nicht mehr nur an sich spekulativ-dialektisch weiterbestimmen, wie dies für alle in der Logik entwickelten Bestimmungen gilt, sondern diese entwicklungsdialektische Prozessstruktur an und für sich in ihre Bedeutung inkorporiert haben. Am Ende der Begriffslogik und damit am Ende der gesamten logischen Entwicklung überhaupt steht sodann die absolute Idee als der höchste und konkreteste Bedeutungsgehalt, zu welchem der logische Inhalt sich ausbildet und den es hier im Folgenden in seinen komplexen Dimensionen noch weiter zu erläutern gilt. So sehr die logische Wissenschaft also Idee ist, indem ihr Inhalt den subjektiven, d. h. synthetischen und produktiven, Grund seiner Konkretisierung unmittelbar in sich enthält, so sehr ist sie dabei Prozess. 12 In den allgemeinen, 12
Vgl. hierzu die Ausführungen von R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 233 f.: „Die Identität der Idee ist nicht statisch, sondern ergibt sich aus einer aktiven geistigen Bewegung. Die Negativität wird in der Ideenlehre als das Movens der Begriffsbewegung erkannt: Sie bestimmt die Prozessualität des Begriffs, und der Begriff erkennt seine eigene, positive Identität in ihr. Die Idee als Prozeß meint das Durchlaufen einer Entwicklung, die das Anderswerden des Begriffs als seine eigene Natur erkennt. Entwicklung bedeutet immer auch Veränderung desjenigen Sachverhalts, der sich entwickelt. Dasjenige, was sich entwickelt, wird zu einem anderen. Das Spezifikum in der Entwicklung der Idee besteht darin, daß sie gerade in dieser verändernden Entwicklung ihre Identität hat.“
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einleitenden Bemerkungen zum Ideenbegriff hält Hegel diesen Umstand explizit fest: „Die Identität der Idee mit sich selbst ist eins mit dem Processe; der Gedanke, der die Wirklichkeit von dem Scheine der zwecklosen Veränderlichkeit befreyt und zur Idee verklärt, muß diese Wahrheit der Wirklichkeit nicht als die todte Ruhe, als ein blosses Bild, matt, ohne Trieb und Bewegung, als einen Genius, oder Zahl oder einen abstracten Gedanken vorstellen; die Idee hat, um der Freyheit willen, die der Begriff in ihr erreicht, auch den härtesten Gegensatz in sich; ihre Ruhe besteht in der Sicherheit und Gewißheit, womit sie ihn ewig erzeugt und ewig überwindet, und in ihm mit sich selbst zusammengeht.“ 13
Der wesentlich prozessuale Charakter der logischen Wissenschaft resultiert dabei unmittelbar aus ihrer – im Hegelschen Sinne – ideellen Natur. 14 Denn zum einen bewirkt gerade das Inhärieren der spekulativen Dialektik im logischen Inhalt, wie wir gesehen haben, dass dieser in all seinen Stadien und auf einer jeden Stufe der Logik ein sich an ihm selbst konkretisierender und weiterführender Bedeutungsgehalt ist, dessen unmittelbare Begriffe sich auf immanente Weise zu ihrer jeweiligen Dialektik bestimmen, d. h. sich aufheben und gerade hierdurch aber sich ebenso sehr produktiv entwickeln. Zum anderen ist auch die vollständige Ineinsbildung von spekulativer Dialektik und spekulativ-dialektisch sich weiterbestimmender begrifflicher Bedeutung nicht von vornherein gegeben ist, sondern muss im Gang durch eine Abfolge von zunächst ganz abstrakten und einfachen, aber immer konkreter und komplexer werdenden Bedeutungsgehalten und Vermittlungsstrukturen allererst immanent ausgebildet und in diesem Sinne erst gewonnen und produziert werden. Die Einheit, die in der Logik zwischen Subjektivität und Objektivität, zwischen spekulativdialektischer Methode und logischem Inhalt besteht, ist also zwar wesentlich ihre unmittelbare Verbindung, d. h. das Inhärieren der spekulativen Dialektik im logischen Inhalt auf allen Stufen und in allen Stadien seiner Entwicklung, dabei jedoch ebenso wesentlich der Prozess hin zu ihrer vollständigen Ineinsbildung. Dementsprechend ist der schlussendliche Bedeutungsgehalt, den der Inhalt der logischen Entwicklung in ihrem Verlauf als letztes Resultat annimmt, der Abschluss des Werdens der spekulativ-dialektischen Methode zu sich und zwar ihr genetisches Werden zu sich als wesentlich resultierend aus 13 14
GW, Bd. 12, 177. Zur Prozessualität der Idee bei Hegel vgl. auch die Erörterungen von P. Stekeler-Weithofer: Hegels Wissenschaft der Logik. Ein dialogischer Kommentar. Band 1: Die objektive Logik. Die Lehre vom Sein. Qualitative Kontraste, Mengen und Maße. Hamburg 2020, 86 ff.: „Die Idee ist bei Hegel keine Vorstellung und sollte daher auf Englisch nicht einfach als ‚idea` übersetzt werden, eher als ‚form of realization`, als Vollzugs- oder Seinsform in der realen Welt des Werdens, dem Bereich allen Geschehens.“
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einer zurückliegenden Abfolge immer konkreter werdender, sich ursprünglich auseinander ausbildender logischer Bedeutungsgehalte. 15 Die Ineinsbildung von Methode und Inhalt, die das Wesen der logischen Wissenschaft darstellt und erst mit dem Erreichen der absoluten Idee vollendet ist, vollzieht sich somit nicht plötzlich und schlagartig, sondern allmählich und schrittweise im Zuge eines immanenten Gestaltungs- und Bildungsprozesses. 16 Die komplexe Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung und der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts, der sich gemäß dieser Struktur schrittweise konkretisiert, divergieren während des logischen Entwicklungsprozesses und konvergieren in seinem Ende. Diese Unterscheidung ist jedoch, wie wir gesehen haben, so zu verstehen, dass beide Dimensionen der Entwicklung vor ihrem Abschluss nur teilweise beziehungsweise in gewissem Maße divergieren, da der logische Inhalt seinen Bedeutungsgehalt bereits auf einem jeden Stadium der Entwicklung an sich spekulativ-dialektisch weiterbestimmt. Die spekulative Dialektik ist die immanente produktive Form des logischen Inhalts, sodass Form und Inhalt auf jeder Stufe der Entwicklung auch in gewissem Maße bereits konvergieren, d. h. in eins gebildet sind, und die Differenz zwischen der absoluten Idee und den ihr vorangehenden Entwicklungsstadien des logischen Inhalts allein darin besteht, dass auf diesen immer ein solcher Bedeutungsgehalt thematisch ist, der gegenüber der übergeordneten Struktur seiner immanenten spekulativ-dialektischen Weiterbestimmung noch rudimentärer ist. Das Verhältnis zwischen der Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung und dem auf diese Weise sich immanent konkretisierenden Inhalt stellt sich also vielmehr so dar, dass beide Aspekte der logischen Entwicklung – produktive Form und produzierter Inhalt, Subjekt und Objekt – auf einem jeden Stadium und einer jeden Stufe der Entwicklung konvergieren / in eins gebildet sind, hierbei jedoch anteilig ebenso noch divergieren und erst am Ende des Entwicklungsprozesses vollständig konvergieren beziehungsweise vollständig in eins gebildet sind. Mit der absoluten Idee ist derjenige Punkt in der Entwicklung erreicht, an dem das Wissen um die vollständige Struktur, Form und Gesetzmäßigkeit spe15
16
Vgl. hierzu abermals die prägnante und lehrreiche Studie von U. Guzzoni: Werden zu sich. Eine Untersuchung zu Hegels „Wissenschaft der Logik“. Freiburg / München 1963. Zum wesentlich prozessualen Charakter der spekulativen Logik als der ideellen Selbstexplikation des reinen Denkens seiner selbst, die mit der absoluten Idee ihren vollendenden Abschluss findet, vgl. M. Gabriel: Transcendental Ontology. Essays in German Idealism. New York / London 2011, 114.: „The self-referential comprehension of the absolute idea qua concrete individual reconstructing its position in totality can only be realized if we attempt to determine the absolute as such. But, as we have seen, this act should not be one of external reflection. The determination of the absolute as absolute must be its self-constitution, a constitution that displays itself in the process of the exposition of the absolute.“
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kulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung nicht mehr nur „für uns“ 17 ist, sondern der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts und die Dialektik, zu welcher er sich auf diesem Entwicklungsstadium bestimmt, ganz der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik entsprechen. Vor dem Erreichen dieses Endpunkts der Entwicklung kann die Beziehung zwischen spekulativer Dialektik und logischem Inhalt auch so beschrieben werden, dass dieser zwar auf allen Entwicklungsstufen seinen Bedeutungsgehalt spekulativ-dialektisch konkretisiert, dabei jedoch in eine Struktur – eben die der spekulativ-dialektischen Entwicklung – integriert ist, die über seinen so sich weiterentwickelnden Bedeutungsgehalt und dessen interne Dialektik noch hinausgeht. Das Verhältnis, in dem spekulative Dialektik und logischer Inhalt, d. h. Prinzip und Prinzipiiertes, zueinander stehen, ist also wie folgt zu bestimmen. Beide Aspekte der logischen Entwicklung sind von Beginn an in eins gebildet. Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik ist immer die Form der Selbstbewegung des Inhalts. Auf allen Stufen der Entwicklung besteht der Inhalt in einem begrifflichen Bedeutungsgehalt, der sich „an sich“ 18 dialektisch erweitert und zu einer nächstkonkreteren Bedeutung weiterbestimmt, die dann den Anfang der nächstfolgenden Entwicklungsstufe konstituiert. Es ist, mit anderen Worten, stets der eine „Inhalt in sich, die Dialektik, die er an ihm selbst hat, welche ihn fortbewegt“. 19 Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik, d. h. die in sich bewegte Trias der Momente a) anfängliche unmittelbare Bedeutungseinheit, b) dialektisch-prozessuale Bedeutungserweiterung und c) Rückführung der dialektisch erweiterten Bedeutung in die Form anfänglicher Bedeutungsunmittelbarkeit, ist somit die Form einer jeden Stufe der logischen Entwicklung. Sie stellt den „einfachen Rhythmus“ 20 dar, gemäß welchem die schrittweise Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts strukturiert ist. Indem diese Struktur, die sich auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung als Form eines im Vergleich zur unmittelbar vorangegangen Stufe jeweils konkreteren und höheren Bedeutungsgehalts einheitlich reproduziert, die immanente Form dieser Bestimmungen und Stufen darstellt, fällt das einheitliche, durch ihre synthetische Produktivität begründete Fortgehen des Entwicklungsverlaufs schlechthin in eins mit der schrittweisen Selbstgestaltung desjenigen einen sich in sich selbst konkretisierenden Bedeutungsgehalts, der auf diese Weise den Inhalt der logischen Wissenschaft ausmacht. Die allgemeine Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung ist somit, wie wir gesehen haben, die prozessuale Gesetzmäßigkeit „der innern 17 18 19 20
GW, Bd. 20, 178. GW, Bd. 20, 178. GW, Bd. 21, 38. GW, Bd. 21, 38.
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Selbstbewegung“ 21 des Inhalts der Logik und deren gemäß dieser Struktur geregeltes Fortgehen nichts anderes als „der Gang der Sache selbst“. 22 Während spekulative Dialektik und logischer Inhalt in diesem Sinne auf jeder Stufe der Entwicklung in eins gebildet sind, sind sie dabei zugleich vor der Vollendung der Entwicklung nie vollständig in eins gebildet. In der Bestimmung ihres Verhältnisses sind diese beiden Aspekte wesentlich zusammenzudenken. In dieser Hinsicht stellt die absolute Idee dasjenige Stadium der logischen Entwicklung dar, auf dem der Bedeutungsgehalt ihres Inhalts sich mit der allgemeinen Struktur seiner zurückliegenden immanenten Konkretisierung vollständig in eins gebildet hat. Die absolute Idee ist demnach die Vollendung desjenigen Entwicklungsprozesses, im Rahmen dessen der logische Inhalt die strukturellen Bedingungen seiner Selbstbewegung, d. h. seiner immanenten Weiterbestimmung und Bedeutungskonkretisierung, innerhalb seiner Selbstbewegung und immanenten Konkretisierung schrittweise an sich setzt und expliziert. 23 Der Bedeutungsgehalt der absoluten Idee vereinigt also wesentlich zwei Aspekte in sich. Er besteht zunächst in der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik und damit in der prozessualen Gesetzmäßigkeit und Form, gemäß welcher alle in der Logik thematischen Bestimmungen ihre Bedeutung zuerst dialektisch erweitern und spezifizieren und auf dieser Grundlage sich zu einer nächstkomplexeren Bestimmung konkretisieren. Die logische Wissenschaft schließt demnach mit einer expliziten Thematisierung derjenigen allgemeinen Struktur, die für alle Stufen, Sektionen und Bestimmungen die Regel ihrer immanenten Weiterentwicklung darstellt. Diese Reflexion auf die – in diesem Sinne – Methode der Logik erfolgt jedoch, wie wir gesehen haben, nicht als eine äußerliche Metareflexion, die der eigentlichen Entwicklung noch beigefügt und nachgestellt werden würde. 24 Vielmehr wird die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik selbst als der letzte Bedeutungsgehalt gewonnen, 21 22 23
24
GW, Bd. 21, 37. GW, Bd. 21, 38. Gadamer (H.-G. Gadamer: „Die Idee der Hegelschen Logik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 49–69, 63 f.) interpretiert diesen Aspekt so, dass er die spekulative Logik Hegels mit dem Grundgedanken der Aussagenlogik des Aristoteles kontextualisiert, nach dem „Denken und Sprechen“ wesentlich und vornehmlich darin bestehen, „in universaler Weise vergegenständlichend zu sein“, sowie diese Kontextualisierung durch die prägnante Feststellung ergänzt, dass Hegel „die aristotelische Tradition nicht nur mit Hilfe der Dialektik [radikalisiert], sondern vor allem dadurch, dass er in seiner ‚Logik` die logische Struktur der Dialektik selber zu Begriff bringt“. Vgl. hierzu die Ausführungen Rödls (S. Rödl: „Logic, Being and Nothing“, in: Hegel-Bulletin, 40 (1), 92–120, 101.) bezüglich der absoluten Idee: „The science of logic expounds the concept. This is not a description of something given, a wonderful reality called ‚the concept`. The science of logic does not describe the self-articulation of the concept, an immaterial process witnessed by the logician who then reports his experience. Rather, logic
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der im Rahmen des durch sie geregelten und begründeten Entwicklungsverlaufs abgeleitet wird. Hierin besteht der zweite wesentliche Bedeutungsaspekt der absoluten Idee. Sie ist der Endpunkt und das schlussendliche Resultat ihrer eigenen produktiven Tätigkeit. Betrachten wir diese beiden Bedeutungsaspekte der absoluten Idee zusammen und begreifen sie damit als die Einheit von Grund und Begründetem, d. h. als die Einheit von a) der allgemeinen Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung und b) dem Endstadium des auf diese Weise sich konkretisierenden Inhalts, so tritt daran ein dritter Aspekt der absoluten Idee hervor. Der begriffliche Bedeutungsgehalt, der mit ihr zum Ausdruck kommt, ist die Gesamtheit der logischen Wissenschaft und damit die Gesamtheit desjenigen Entwicklungsprozesses, im Rahmen dessen der logische Inhalt seinen Bedeutungsgehalt schrittweise, aber immanent spekulativ-dialektisch konkretisiert. Das Ende der logischen Entwicklung, d. h. das Wahre, in welchem sie schlussendlich resultiert, ist das Ganze ihres zurückliegenden Verlaufs. Diese nur scheinbar paradoxe Schlusspointe der Logik erklärt sich, wie bereits angedeutet, durch die innere Zusammengehörigkeit der beiden vorgenannten Bedeutungsaspekte der absoluten Idee. Der begriffliche Gehalt dieser höchsten Denkbestimmung fällt in eins mit der allgemeinen Struktur, die allen logischen Bestimmungen als sich selbst weiterführenden und sich an ihnen selbst konkretisierenden Bedeutungsgehalten bereits zugekommen ist. Mit der absoluten Idee ist die spekulative Dialektik nicht mehr nur in methodischformaler, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht thematisch, indem der logische Inhalt sich hier, d. h. im Endpunkt seiner Entwicklung durch abstraktere, aber immer konkreter werdende Bedeutungsgehalte hindurch, zur vollständigen Übereinstimmung mit der allgemeinen Gesetzmäßigkeit seiner Entwicklung ausgebildet hat. 25 Damit zeichnet sich die absolute Idee gegenüber allen vorangegangenen Denkbestimmungen, d. h. gegenüber allen vorangegangenen Entwicklungsstadien des logischen Inhalts, aber dadurch spezifisch aus, dass die allgemeine Struktur spekulativer Bedeutungskonkretisierung hier vollständig sowie als abgeleitet aus allgemeineren Bedeutungsgehalten vorliegt, sodass sie diese allgemeineren logischen Bedeutungsgehalte, d. h. die ihr vorangehenden Denkbestimmungen, als in ihrem eigenen, aus ihnen ursprünglich gewordenen Bedeutungsgehalt aufgehoben in sich enthält.
25
is the self-articulation of the concept. This means that the reading or writing of the science of logic is itself the self-determination of the concept; in this activity, the opposition of the particularity and universality of the subject of thought vanishes.“ Vgl. hierzu die Deutung von H.F. Fulda: G. W. F. Hegel. München 2003, 124: „Der Methodenbegriff, mit dem die Logik endet, ist nicht Begriff von etwas anderem als dem in ihr betätigten Verfahren, sondern ein Begriff dessen, was darin an und für sich vernünftig ist.“
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Nun haben alle logischen Bestimmungen einen jeweils eigenen, spezifischen begrifflichen Gehalt und dies schon allein aufgrund der Tatsache, dass sie, wie wir gesehen haben, dadurch entstehen und ursprünglich produziert werden, dass die nächstallgemeinere Bestimmung sich spekulativ-dialektisch zu einer komplexeren Bedeutung erweitert und konkretisiert. Das Gemeinsame der in Hinblick auf ihren jeweiligen begrifflichen Gehalt unterschiedenen logischen Bestimmungen ist demgegenüber die allgemeine Struktur eben der spekulativ-dialektischen Bedeutungskonkretisierung, gemäß welcher sie alle aus einer allgemeineren Bedeutung genetisch entstehen und auch ihrerseits eine über sie hinausgehende Bedeutung generieren. Die Denkbestimmungen sind untereinander also identisch in Hinblick auf die prozessuale Struktur ihrer immanenten Konkretisierung und different in Hinblick auf ihren jeweiligen (sich immanent konkretisierenden) Bedeutungsgehalt. Diese Einheit von prozessual-struktureller Identität und differierender Bedeutung konstituiert die Stellung der logischen Bestimmungen als Momente eines einigen und doch produktiven Entwicklungsverlaufs sowie demnach als die unterschiedenen Entwicklungsstadien eines einigen begrifflichen Inhalts, der sich im Gang durch diese Entwicklungsstadien schrittweise, aber immanent konkretisiert. 26 Hier und im Folgenden wird somit noch das Spezifikum der absoluten Idee zu bedenken sein sowie die ausgezeichnete Stellung, die ihr als der höchsten und konkretesten Denkbestimmung, die in der spekulativen Logik entwickelt wird, zukommt. Der begriffliche Gehalt der absoluten Idee stellt sich vor dem Hintergrund unserer bisherigen Überlegungen als eine dreifache Bedeutung dar. Die Dimensionen dieser Bedeutung lauten wie folgt. Erstens besteht der Bedeutungsgehalt der absoluten Idee in der allgemeinen Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung. Sie ist in dieser Hinsicht die reine Erfassung und Darstellung des Prinzips der konkreten Allgemeinheit. Das Wesen der konkreten Allgemeinheit besteht darin, eine spezifische Form von Begriff zu sein, nämlich ein solcher, der eine über ihn hinausgehende Besonderheit sowie eine Individuation dieser Besonderheit auf die Art bereits in sich enthält, dass er sie allein aus seinem anfänglichen Bedeutungsgehalt heraus produziert. Der Anfang dieser wesentlich prozessualen Begriffsstruktur ist eine unmittelbare und einfache Bedeutungseinheit, die aufgrund einer internen Mangelhaftigkeit allein aus sich heraus dazu fortgeht, sich dialektisch mit ihrem begrifflichen Gegenteil zu vermitteln, sowie sich dadurch 26
Vgl. hierzu R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 235: „Die konkrete oder absolute Subjektivität gründet sich selbst als Einheit in den Bestimmungen, und gleichzeitig werden von ihr die einzelnen Bestimmungen in ihrer Einheit begründet.“
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vollendet, dass dieser gegenüber dem Anfang erweiterte dialektische Vermittlungsprozess sich in die Form begrifflicher Unmittelbarkeit und Einfachheit zurückführt, was zugleich eine konkretere Bedeutungseinheit generiert, an der als an einem komplexeren, höherstufigeren Bedeutungsgehalt diese Form spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung sich erneut reproduziert. Zweitens ist die absolute Idee der letzte und höchste, d. h. konkreteste, Bedeutungsgehalt, der im Rahmen desjenigen einheitlichen Entwicklungsprozesses generiert wird, dessen Inhalt sich spekulativ-dialektisch weiterbestimmt, d. h. eben die Struktur der spekulativen Dialektik an sich bereits zur Form seiner begrifflichen Verfasstheit hat. 27 Das Wesen des Inhalts der Logik besteht demnach darin, dass er seinen begrifflichen Bedeutungsgehalt in kontinuierlich sich reproduzierender Regelmäßigkeit zu einem dialektischen Prozess spezifiziert, wodurch seine Bedeutung zunächst prozessual ausgedehnt und erweitert wird, und diese erweiterte Bedeutung wieder in die Form begrifflicher Einfachheit zurückführt, was das nächste unmittelbare Stadium der Entwicklung ursprünglich generiert. Dieser Entwicklungsprozess, dessen Darstellung die logische Wissenschaft ist, ist also die kontinuierliche spekulativ-dialektische Bedeutungskonkretisierung eines einigen begrifflichen Gehalts. Er besteht aus einer hierarchisch aufsteigenden Reihe von Entwicklungsstufen, da seine unmittelbaren Entwicklungsstadien sich a) zu einem dialektischen Prozess spezifizieren, differenzieren und erweitern und b) dieses Resultat, zu dem sie sich zunächst bestimmen, sich zu einer solchen Form, nämlich die der begrifflichen Einfachheit und Unmittelbarkeit, zurückführt, die das nächste, zwar wieder unmittelbare, aber wesentlich konkretere Stadium der Entwicklung darstellt. Aus dem Umstand, dass ein jedes unmittelbares Entwicklungsstadium des logischen Inhalts durch eine Vereinheitlichung derjenigen dialektischen Prozessstruktur generiert wird, zu der sich das nächstvorangehende unmittelbare 27
Hiermit gilt somit auch und gerade für die Struktur der spekulativen Dialektik, die sowohl für alle in der Logik entwickelten Bedeutungsgehalte die gesetzmäßige Form ihrer immanenten Konkretisierung und Weiterführung darstellt als auch selbst als letztes Glied im Rahmen dieses Entwicklungsprozesses eigens abgeleitet wird, was Gadamer (H.-G. Gadamer: „Die Idee der Hegelschen Logik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 49–69, 55 f.) in allgemeiner Hinsicht über die Denkbestimmungen bemerkt, nämlich, dass „es einen Unterschied zwischen den operativen Begriffen des Denkens und ihrer Thematisierung gibt“. Er expliziert diesen Umstand insbesondere anhand der Reflexionsbestimmungen Identität und Unterschied, die man in methodischer Hinsicht schon seit dem Anfang der Logik „immer schon gebrauchen muß“, dabei jedoch gerade nicht in auch inhaltlicher Hinsicht zum Anfang selbst machen darf. Selbiges gilt auch, wie wir gesehen haben, für die spekulative Dialektik, welche die Form der Selbstbewegung des logischen Inhalts auf allen Stufen und Stadien seiner Entwicklung ist und in deren Struktur schlussendlich alle Denkbestimmungen, auch die Reflexionsbestimmungen, positiv aufgehoben sind.
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Entwicklungsstadium immanent spezifiziert hat, folgt, dass eine jede dieser Bedeutungseinheiten nicht nur zu ihrer Dialektik, zu der sie sich zunächst bestimmen, sondern auch zu der nächstfolgenden Bedeutungseinheit in einer solchen Beziehung stehen, die dem Verhältnis zwischen einer Allgemeinheit und ihrer Besonderheit entspricht. Der letzte und höchste Bedeutungsgehalt, den der Inhalt im Zuge dieser schrittweisen Entwicklung erreicht und zu dem er sich – in der regelmäßigen Abfolge von a) dialektischer Bedeutungserweiterung und b) Rückführung des erweiterten Bedeutungsgehalts zu einem neuen, konkreteren Ausgangspunkt weiterer Fortbestimmung – selbst ausbildet, ist die absolute Idee. Diese ist die „höchste zugeschärfteste Spitze“ 28 der logischen Entwicklung sowie dementsprechend das „Reichste“ 29 und „Concreteste“ 30 im Verlauf der immanenten Konkretisierung des logischen Inhalts und seines begrifflichen Bedeutungsgehalts. Dass die spekulative Dialektik – in Gestalt der absoluten Idee – wesentlich selbst am Ende eines nur durch sie geregelten und begründeten Entwicklungsprozesses steht, d. h. selbst als letztes Produkt ihrer produktiven und synthetischen Tätigkeit abgeleitet wird, liegt dabei in ihrem eigenen methodischen Bedeutungsgehalt begründet. Wie wir in unserer Analyse der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik gesehen haben, ist der Anfang mit dem Prinzip der absoluten Abstraktion, der unbestimmten Unmittelbarkeit des reinen Seins, aus welcher die höherstufigeren und komplexeren logischen Bestimmungen und damit schlussendlich der gesamte Verlauf der Entwicklung erst hervorgehen, nicht ein beiläufiges, sondern ein wesentliches Moment der Methode der logischen Wissenschaft. Für die Methode des rein sich selbst explizierenden Denkens, d. h. für die spekulative Dialektik, gilt demnach, dass sie zwecks einer durchgängigen begrifflichen Fassung ihrer selbst gerade nicht mit sich als in vollends entwickelter Gestalt anzufangen vermag, sondern sich nur im Rahmen eines Durchlaufens zunächst abstrakterer Begriffe und Vermittlungsstrukturen selbst gewinnen kann. Das Denken des Denkens im Sinne seiner begrifflichen Selbsterfassung nimmt hier notwendigerweise die Form einer sich vollständig selbst begründenden, dabei jedoch wesentlich synthetisch-diskursiven Selbstexplikation des reinen Denkens und seiner Strukturbestimmungen an. Drittens ist mit der absoluten Idee die gesamte logische Wissenschaft auf einen einzelnen Begriff gebracht. Dies ist deswegen der Fall, weil die Bedeutung der absoluten Idee die beiden soeben genannten Aspekte in sich vereinigt. Sie besteht in der allgemeinen Struktur, gemäß welcher auch bereits die von ihr unterschiedenen und ihr vorangehenden Bestimmungen ihren Bedeutungsge28 29 30
GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251.
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halt spekulativ-dialektisch konkretisiert haben, und wird zudem selbst als letztes Glied in eben dieser Reihe der so auseinander entstehenden Bestimmungen entwickelt. 31 Der Bedeutungsgehalt der absoluten Idee besteht somit in der Tat in der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik, wobei diese Bedeutung hier aber insofern thematisch ist, dass sie selbst spekulativ-dialektisch abgeleitet worden ist. Steht die spekulative Dialektik selbst am Ende eines durch sie selbst – und nur durch sie selbst – geregelten und begründeten Entwicklungsprozesses, in welchem auch rudimentärere Bedeutungen durchlaufen worden sind, dann sind diese rudimentäreren Bedeutungen nicht nur Prämissen der Möglichkeit der spekulativen Dialektik im Sinne einer Leiter, die mit dem Erreichen des höchsten Resultats auch weggeworfen werden könnte, sondern sie sind in ihr aufgehoben. Der Bedeutungsgehalt des schlussendlichen Resultats der logischen Entwicklung, d. h. der Bedeutungsgehalt der absoluten Idee, fällt also rücksichtlich dieser seiner dritten Dimension zusammen mit der systematischen Totalität der Denkbestimmungen und besteht somit überhaupt in der Gesamtheit der logischen Entwicklung als desjenigen Prozesses, im Rahmen dessen die Denkbestimmungen genetisch auseinander ausgebildet werden. 32 Hieraus folgt, wie nun abschließend noch zu bedenken ist, dass alle logischen Bestimmungen, die der absoluten Idee vorangehen und aus denen sie, wie dargelegt, als Endresultat einer Abfolge von sich an ihnen selbst konkretisierenden und damit immer komplexer werdenden Bedeutungsgehalten entsteht, als Prädikate angesehen werden können, mit denen über das Denken – im Sinne einer Wesensbestimmung desselben – wahr geurteilt werden kann. 33 In diesem Sinne hält Hegel fest, dass „die logischen Bestimmungen überhaupt [. . .] als Definitionen des Absoluten, als die metaphysischen Definitionen Gottes angesehen werden [können]“ 34. Er 31
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34
In diesem Sinne hält auch Theunissen (M. Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik. Frankfurt am Main 1978, 64.) fest, dass „die im Schlußteil [der Logik] sich manifestierende [Wahrheit] für das Ganze ein[steht], sofern auf sie ja schon die seins- und wesenslogische Gedankenentwicklung zutreibt.“ Vgl. hierzu T. Dangel: Hegel und die Geistmetaphysik des Aristoteles. Berlin / Boston 2013, 278: „Die Vernunft entwickelt sich im Ausgang von den seins- über die wesens- hin zu den begriffslogischen Bestimmungen und vollendet sich in der absoluten Idee, in der die Vernunft zur konkreten Totalität aller Gedankenbestimmungen als den logischen Formen herausgetreten ist. Die Vernunft ist in ihrer Wahrheit folglich nichts anderes als die immanente Prozessualität der absoluten Idee selber, die man daher auch als die Form der Formen ansehen kann und die Hegel absolute Methode nennt [. . .].“ Vgl. hierzu und zum Folgenden eingehend: K. Düsing: „Ontologische Bestimmungen als Prädikate des Absoluten? Zum Verhältnis von Ontologie und Theologie bei Hegel“, in: Die Logik des Transzendentalen. Festschrift für Jan A. Aertsen zum 65. Geburtstag. Berlin / New York 2003, 676–691, insb. 682 ff. GW, Bd. 20, 121. Auch vor diesem Hintergrund wird noch einmal deutlich, dass es sich bei früheren Denkbestimmungen, obgleich sie sich im Fortgehen der Entwicklung autokorrek-
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fügt dem aber hinzu, dass dies „näher jedoch immer nur [für] die erste einfache Bestimmung einer Sphäre, und dann die dritte [gilt], als welche die Rückkehr aus der Differenz zur einfachen Beziehung auf sich ist“. 35 Dass die in der Logik entwickelten Sinn- und Bedeutungsgehalte wahre Definitionen des Absoluten darstellen, gilt somit zunächst für den unmittelbaren Begriff der Denkbestimmungen, der, wie wir gesehen haben, im Anfang ihrer jeweiligen Entwicklung thematisch ist, indem die vorangegangene Entwicklungsstufe sich aus ihrer Dialektik und „Differenz“ in die Form der begrifflichen Einfachheit zurückgeführt hat. Vor dem Hintergrund des § 82 der enzyklopädischen Logik können wir ergänzend hinzufügen, dass der unmittelbare Begriff einer Denkbestimmung auch aus ihrer Dialektik unter Absehung von dem „Dialektische[n]“ 36, d. h. von der immanenten Selbstaufhebung und produktiven Umwandlung ihrer unmittelbaren Bedeutung, abstrahierend gewonnen werden kann. Hier, d. h. vornehmlich im Ende einer jeden Stufe der logischen Entwicklung, das, wie wir gesehen haben, zugleich den Anfang der nächstfolgenden Entwicklungsstufe darstellt, liegt der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts, d. h. des Denkens, innerhalb des Prozesses seiner immanenten Selbstkonkretisierung jeweils in der Form begrifflicher Einfachheit und Unmittelbarkeit vor. In dieser Form kann die Bedeutung, zu welcher sich der Inhalt der Logik auf der jeweiligen Stufe seiner Entwicklung konkret bestimmt hat, dem Denken als Prädikat in einer Definition zugeschrieben werden, deren Form, wie Hegel im Definitionskapitel der Ideenlehre anführt, „der unmittelbare Begriff seyn soll“ 37. Es kann mit den ihrer Form nach unmittelbaren Bedeutungsgehalten, zu denen der logische Inhalt sich im Zuge seiner schrittweisen Konkretisierung im Ende einer jeden Stufe dieses Entwicklungsprozesses immer wieder zurückführt, zwar durchaus wahr über das Denken, das nur sich selbst expliziert, d. h. über das Absolute, geurteilt werden, jedoch nicht vollständig. Das Wahre ist auch hier das Ganze in dem Sinne, dass die unmittelbaren Entwicklungsstadien des logischen Inhalts zwar mit innerer Notwendigkeit sich darstellende Resultate seiner Selbstexplikation und somit konstitutive und wahre Bedeutungsaspekte des schlussendlichen Begriffs des reinen Denkens ausmachen, hierbei aber eben wesentlich nur Momente desselben sind. Aus diesem Umstand erklärt sich auch die Mehrzahl möglicher wahrer Urteile über das Absolute. Eine jede logische Bestimmung, d. h. ein jeder Bedeutungsgehalt, zu welchem das Denken sich im Rahmen des Prozesses seiner immanenten, rein
35 36 37
tiv aufheben und sich weiter spezifizieren und konkretisieren, nicht um falsche Gedanken beziehungsweise um falsche Bestimmungen handeln kann, sondern, wie wir gesehen haben, um genetische Momente der Selbstbildung des Absoluten. GW, Bd. 20, 121. GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 12, 214.
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bei sich bleibenden und dabei dennoch produktiven Selbstexplikation selbst bestimmt, ist ein wahrer, notwendiger und konstitutiver Aspekt seines Begriffs. Gleichwohl aber besteht dieser schlussendlich nicht in nur einer oder in mehreren der logischen Bestimmungen, sondern in ihrer systematischen Totalität. Dasjenige, was es bedeutet, rein zu denken, d. h. der durchgängig bestimmte Begriff des reinen Denkens, besteht damit in nichts anderem als in demjenigen rein reflexiven Denkakt, mit dem das Denken seinen ursprünglichen, noch ganz abstrakten Begriff, mit dem notwendigerweise der Anfang gemacht wird, d. h. das reine Sein, schrittweise, aber immanent zu immer komplexeren und konkreteren Bedeutung ausbildet und am Ende dieser Entwicklung sich selbst in systematischer abgeleiteter Form als das Prinzip seiner Selbstexplikation begreift. 38 Am Ende des allein durch sie begründeten Verlaufs der logischen Entwicklung begreift die spekulative Dialektik sich demnach als wesentlich abgeleitet aus einer Reihe allgemeinerer, aber fortschreitend sich spekulativ-dialektisch konkretisierender und spezifizierender Bestimmungen. Die Vollendung der logischen Entwicklung besteht darin, dass der begriffliche Bedeutungsgehalt ihres Inhalts, wie wir gesehen haben, vollständig mit dem Grund seiner fortschreitenden Konkretisierung, d. h. mit der allgemeinen Struktur spekulativdialektischer Bedeutungskonkretisierung, konvergiert. Hiermit ist jedoch zugleich am Inhalt gesetzt, dass dieser, gerade weil er nun mit dem alleinigen Grund seiner Entwicklung vollständig konvergiert, nur ist, was er ist, d. h. das gewordene Resultat seiner immanenten Konkretisierung, indem er sich zuvor in die Folge der rudimentäreren Bedeutungen und Entwicklungsstadien entfaltet und werdend aus ihnen entsteht. 39 Auch darin besteht der Bedeutungsgehalt der absoluten Idee: Sie ist die allgemeine Struktur spekulativ38
39
In diesem Sinne bemerkt Gabriel (M. Gabriel: Transcendental Ontology. Essays in German Idealism. New York / London 2011, 106.) bezüglich der Charakterisierung der logischen Bestimmungen als Definitionen des Absoluten: „Yet, none of the definitions make the grade but one. In this sense the whole enterprise of the Logic can be read as an attempt to define the absolute, an attempt whose success cannot be guaranteed from the outset. And the essential outcome is that the absolute cannot be defined, lest it were understood as a distinct and distinctive object. As we shall see, the absolute can only be attained as a process of manifestation [. . .]. This process manifests itself [. . .] as a history of transcendental signifieds, which transform the absence of the absolute into the presence of its manifestations in various disguises.“ Dieser Gedanke entspricht der Lesart Halfwassens (J. Halfwassen: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung. Bonn 1999, 366.), der das Wesen der Hegelschen Logikkonzeption darin sieht, dass „sich das absolute Denken seiner selbst, die absolute Idee, durch seine Selbstentfaltung in der Abfolge der logischen Kategorien auf sich selbst bezieht; hierbei aber weiß sich die absolute Idee nicht nur als die Einheit aller Kategorien, sondern sie weiß sich zugleich als das Prinzip der gesamten Kategorienentwicklung, als die dieser
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dialektischer Bedeutungskonkretion als resultierend aus einer aufsteigenden Folge von immer konkreter werdenden und spekulativ-dialektisch sich konkretisierenden Bedeutungsgehalten, deren Form sie somit an sich bereits gewesen ist. 40 Der Unterschied zwischen der absoluten Idee und allen vorangehenden Bestimmungen der Logik ist also darin zu sehen, dass mit dem Ende der logischen Entwicklung, d. h. mit der absoluten Idee als dem konkretesten Entwicklungsstadium des logischen Inhalts, erstmals die allgemeine Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung in Reinform thematisch ist. Alle vorangehenden logischen Bestimmungen waren zwar, wie wir gesehen haben, bereits an sich spekulativ-dialektische Begriffe, die als solche sich dialektisch weiterbestimmen und sich durch Rückführung ihrer jeweiligen Dialektik in die Form begrifflicher Einfachheit zu einer nächstkonkreteren Bestimmung entwickeln. Hierbei waren die Denkbestimmungen jedoch von diesem – wie wir es genannt haben – übergeordneten Verlauf ihrer immanenten Entwicklung noch dahingehend unterschieden, dass ihre interne Dialektik, durch die sie ihre unmittelbare Bedeutung zunächst begrifflich erweitern und deren Rückführung zu einer wieder unmittelbaren Bedeutungseinheit das nächstkonkretere Stadium der Entwicklung und den Anfang der nächstfolgenden Entwicklungsstufe generiert, in Hinblick auf ihre strukturelle Komplexität und ihren begrifflichen Gehalt gegenüber dem spekulativ-dialektischen Verlauf ihrer Konkretisierung und Entwicklung noch rudimentärer und abstrakter gewesen. Als ein fortschreitend und spekulativ-dialektisch sich konkretisierender einheitlicher Bedeutungsgehalt besteht die schlussendliche Bedeutung des logischen Inhalts darin, wesentlich Prozess zu sein und überhaupt vollständig in eins zu fallen mit der Entwicklung und Konkretisierung seiner Bedeutung. Die Struktur dieses Prozesses der immanenten Bedeutungskonkretisierung ist die spekulative Dialektik. Sie ist damit diejenige prozessuale Gesetzmäßigkeit, die sich an jeder Bedeutung, die der Inhalt im Rahmen seiner Konkretisierung annimmt, reproduziert, sodass die Gesamtheit des Entwicklungsverlaufs eine regelmäßige Abfolge gleichförmig strukturierter Stufen darstellt.
40
zugrundeliegende Struktur ihrer Entfaltung, indem sie die Kategorien als von ihr selbst in ihrer Selbstvermittlung hervorgebrachte Momente weiß“. Möller (J. Möller: Der Geist und das Absolute. Zur Grundlegung einer Religionsphilosophie in Begegnung mit Hegels Denkwelt, Paderborn 1951, 124.) beschreibt in seiner theologischen Lesart der Logik diesen Aspekt wie folgt: „In der absoluten Idee als der konkreten Totalität, welche die einzelnen Phasen der Logik in sich vereint, stellt sich die göttliche Gegenwart umfassend dar, nachdem sie den Weg vom Sein über das Wesen zum Begriff zurückgelegt hat. Rückwirkend ist damit gesagt, daß sich im Sein, im Wesen und Begriff doch immer das Ganze, das Göttliche gezeigt hat, ohne sich bisher umfassend dargestellt zu haben, bis es sich schließlich in der absoluten Idee als der sich begreifende Begriff kundtut.“
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Das Fortgehen der logischen Entwicklung stellt sich nun als ein Übergreifen dieser Struktur auf den Bedeutungsgehalt des so, d. h. gemäß dieser Struktur, sich konkretisierenden Inhalts dar. Dieses Übergreifen vollzieht sich demnach als eine Annäherung derjenigen dialektischen Struktur, die innerhalb der übergeordneten, nun als übergreifend bestimmten Struktur auf einer jeden Stufe der Entwicklung das Moment des Fortgangs ausmacht, an deren komplexe, entwicklungsdialektische Form. Das Konvergieren a) der in diesem Sinne internen Dialektik, zu welcher der logische Inhalt sich auf jeder Stufe seiner Entwicklung mit dem Moment des Fortgangs selbst bestimmt, mit b) der übergeordneten Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung, die als die Einheit der Momente Anfang, Fortgang und Ende die allgemeine prozessuale Form jeder Entwicklungsstufe ausmacht, geht, wie wir gesehen haben, unmittelbar mit der fortschreitenden Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts einher. Nun wird dieses schrittweise Übergreifen der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik auf die dialektische Struktur der internen Selbstvermittlung des Inhalts nicht äußerlich vollbracht, sondern vollzieht sich rein innerhalb des übergeordneten, spekulativ-dialektischen Entwicklungsverlaufs. 41 Die Annäherung der dialektischen Struktur des Moments des Fortgangs der einzelnen Entwicklungsstufen an die gesamte, aus Anfang, Fortgang und Ende bestehende Struktur, gemäß welcher alle Entwicklungsstufen in sich organisiert sind, ist, mit anderen Worten, Resultat der immanenten Selbstkonkretisierung des logischen Inhalts als eines sich an ihm selbst konkretisierenden und so sich weiterbestimmenden Bedeutungsgehalts. Vor diesem Hintergrund ist das Übergreifen der allgemeinen Struktur der spekulativ-dialektischen Entwicklung auf die Struktur derjenigen Dialektik, die innerhalb dieses übergeordneten Entwicklungsverlaufs auch bereits explizit am Inhalt gesetzt ist, als Realisierung eines inneren Zwecks zu begreifen. Die logische Entwicklung vereinigt in sich somit zwei zentrale und wechselseitig aufeinander bezogene Dimensionen. Zum einen die allgemeine, in Anfang (Allgemeinheit), Fortgang (Besonderheit) und Ende (Einzelheit) gegliederte Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung und zum 41
Vgl. hierzu die Ausführungen von T. Dangel: Hegel und die Geistmetaphysik des Aristoteles. Berlin / Boston 2013, 277 f.: „Im Denken der Vernunft ist für Hegel die Subjekt-ObjektIdentität verwirklicht, die ontologisch gedachte Wahrheit ist. Aufgrund dieser Identität, die in sich konkret ist, handelt es sich bei der Tätigkeit der Vernunft nicht mehr um das Denken der endlichen, sondern der unendlichen Subjektivität, in der der Begriff über die Objektivität übergreift und sich somit in der Art einer intellektuellen Anschauung in einfacher Einheit mit derselben befindet. Diese intellektuelle Anschauung ist bei Hegel im Unterschied zu Aristoteles aber gerade keine statische Einheit, sondern eine solche, die in sich prozessual verfasst ist.“
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anderen darin die dialektische Struktur des Fortgangs. Diese beiden untrennbaren Aspekte stehen innerhalb des Entwicklungsverlaufs, d. h. in der schrittweisen Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des Inhalts, zueinander im Verhältnis von Subjekt und Objekt beziehungsweise von Zweck und Realisierung. „Übergeordnete“ und „interne“ Dialektik sind in diesem Sinne keine zwei völlig differenten Hinsichten auf die logische Entwicklung und ihre dialektische Prozessstruktur, sondern zwei gleichberechtigte Dimensionen des Inhalts der Entwicklung als eines einigen, sich aber produktiv an ihm selbst konkretisierenden Bedeutungsgehalts. Dasjenige, was wir als die interne Dialektik des logischen Inhalts bezeichnet haben, ist nichts anderes als die Prozessstruktur, als welche sich innerhalb der übergeordneten Struktur der Entwicklung auf einer jeder ihrer Stufen das Moment des Fortgangs spezifisch manifestiert. Die Unterscheidung bezieht hier somit lediglich darauf, dass der Inhalt der Logik sich zwar „an sich“ 42 auf allen Stufen der Entwicklung gemäß der entwicklungsdialektischen Struktur der spekulativen Dialektik immanent weiterführt, aber sein so sich entwickelnder und schrittweise sich konkretisierender Bedeutungsgehalt dabei eben nicht von vornherein bereits von so konkreter Bedeutung ist, dass er die komplexe Struktur seiner spekulativ-dialektischen Weiterführung auch „für sich“ 43 bereits vollständig an sich gesetzt hätte. Es ist in der Analyse der Logik also zwischen derjenigen Dialektik zu unterscheiden, gemäß welcher der Inhalt der Entwicklung an sich und von Beginn an sowie in all seinen Stadien gleichermaßen strukturiert ist, und derjenigen Dialektik, die ihm dabei nicht nur an sich, sondern auch für sich zukommt. In unserer Lesart manifestiert sich diese Differenz zwischen An sich und An und für sich in der logischen Entwicklung in der Diskrepanz zwischen a) der allgemeinen Struktur, nach der alle Entwicklungsstufen isomorph in die Momente Anfang (unmittelbare Bedeutungseinheit), Fortgang (dialektische Vermittlung der anfänglichen Bedeutung mit ihrem begrifflichen Gegenteil) und Ende (Rückführung des erweiterten Bedeutungsgehalt des dialektischen Fortgangs in die Form einer wieder unmittelbaren und auch wieder anfänglichen Bedeutungseinheit) gegliedert sind, und b) der prozessualen Struktur des dialektischen Fortgangs, der nicht nur in Hinblick auf seinen Bedeutungsgehalt für ein jedes Entwicklungsstadium des logischen Inhalts, d. h. auf einer jeden Stufe der Entwicklung und für jede Denkbestimmung, spezifisch bestimmt ist, sondern für seins-, wesens- und begriffslogische Bedeutungsgehalte auch eine spezifische Struktur hat. 44
42 43 44
GW, Bd. 20, 178. GW, Bd. 20, 178. Vgl. hierzu Kapitel 2.2. des ersten Teils der vorliegenden Untersuchung.
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Nun geht, wie wir gesehen haben, das Fortgehen der logischen Entwicklung mit einem dreifachen produktiven und synthetischen Fortschritt einher. Erstens wird der begriffliche Bedeutungsgehalt des Inhalts der Entwicklung „immer reicher und concreter“ 45. Zweitens wird damit auch die Struktur der dialektischen Selbstvermittlung des Inhalts, als welche sich das Moment des Fortgangs einer jeden Stufe der Entwicklung manifestiert, immer konkreter. Drittens nähert diese dialektische Struktur, die auf einer jeden Entwicklungsstufe deren Fortgang darstellt, sich mit ihrer fortschreitenden Konkretisierung und Verdichtung derjenigen dialektischen Struktur an, die allen Entwicklungsstufen in ihrer in sich bewegten Vollständigkeit zukommt und nach der sie jeweils in Anfang (Allgemeinheit), Fortgang (Besonderheit) und Ende (Einzelheit) gegliedert sind. Diese drei Momente der Produktivität der logischen Entwicklung kulminieren also in dem letztgenannten, dritten Moment und damit in der schrittweisen Ineinsbildung von a) der allgemeinen spekulativdialektischen, in Anfang, Fortgang und Ende gegliederten Struktur aller Entwicklungsstufen und b) darin der fortschreitend sich konkretisierenden dialektischen Struktur des Fortgangs. Vor dem Hintergrund unserer Überlegungen ist die Ineinsbildung dieser beiden dialektischen Dimensionen der Entwicklung als ein Übergreifen dessen, was dem Inhalt an sich zukommt, auf das, was ihm nicht nur an sich, sondern auch für sich zukommt, zu verstehen. Das Übergreifen der allgemeinen Struktur der spekulativ-dialektischen Bedeutungskonkretisierung, d. h. das Übergreifen derjenigen Struktur, gemäß welcher der logische Inhalt – als ein sich eben an sich selbst immanent konkretisierender begrifflicher Bedeutungsgehalt – an sich bereits verfasst ist, auf die Struktur derjenigen Dialektik, zu welcher dieser Bedeutungsgehalt sich dabei auf einer jeden Stufe seiner Entwicklung für sich zunächst bestimmt, besondert und erweitert, ist somit als eine schrittweise Selbstbildung des logischen Inhalts zu einer solchen Bedeutung zu begreifen, die mit den Regeln und der methodischen Struktur seiner Selbstbildung vollständig konvergiert. 46 Diese 45 46
GW, Bd. 12, 250. In diesem Sinne besteht in der spekulativen Logik der Bedeutungsgehalt ihres schlussendlichen Resultats in eben derjenigen Struktur, die als Methode die Hervorbringung dieses Resultats, d. h. der höchsten und konkretesten in der Logik thematischen Bedeutung, geleitet und begründet hat. Vgl. hierzu die Ausführungen von Kaehler (K. E. Kaehler: „Hegels Kritik der Substanz-Metaphysik als Vollendung des Prinzips neuzeitlicher Philosophie“, in: Metaphysik und Metaphysikkritik in der Klassischen Deutschen Philosophie. Hamburg 2012, 133– 160, 134 f.), der die Einheit von Methode und Inhalt als ein Spezifikum der Philosophie der Neuzeit herausstellt, das bei Hegel in hochentwickelter Gestalt ausgebildet, aber auch in der frühen Neuzeit bereits wesentlich angelegt ist: „Eine Metaphysik der Substanz kann zwar auch innerhalb der Epoche der neueren Philosophie durchaus verschiedene Gestaltungen und Begründungen erhalten, wie sich an einem Vergleich der Positionen von Descartes, Spinoza und Leibniz leicht erkennen lässt. Zugleich aber ist diesen doch etwas gemeinsam, das
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schrittweise Ineinsbildung von Ansich und Anundfürsich wird, wie wir gesehen haben, nicht äußerlich zustande gebracht. Sie vollzieht sich als eine Annäherung der Struktur des Anundfürsich, d. h. derjenigen Dialektik, als welche sich das Moment des Fortgangs auf einer jeden Stufe der Entwicklung konkret manifestiert, an das Ansich, d. h. an die allgemeine, in Anfang, Fortgang und Ende gegliederte Struktur aller Entwicklungsstufen, die sich aber vollständig im Medium beziehungsweise innerhalb des Ansich ereignet. Die Ineinsbildung von Methode und Inhalt, die das Wesen der logischen Wissenschaft ausmacht, ist somit zwar sehr wohl als ein Übergreifen der Methode auf den Inhalt zu verstehen beziehungsweise – in unserer Interpretation – als ein Übergreifen der Struktur der spekulativ-dialektischen Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des Inhalts auf die Struktur derjenigen dialektischen Selbstvermittlung, die ihm innerhalb jener übergeordneten, spekulativ-dialektischen Struktur an und für sich zukommt. Die Ineinsbildung von Methode und Inhalt vollzieht sich dabei aber sozusagen wesentlich „vom Inhalt her“. Der begriffliche Inhalt der Logik integriert die allgemeine Struktur seiner Entwicklung und Konkretisierung, d. h. die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik, schrittweise in seine Bedeutung, indem diese Bedeutung nicht außerhalb, sondern innerhalb ihrer Entwicklung und Konkretisierung, die an sich bereits spekulativdialektisch verfährt, sich in ihrem Gang durch immer komplexer und konkreter werdende Entwicklungsstadien selbst zur völligen Übereinstimmung mit jenem Prinzip ihrer Entwicklung, d. h. mit der Struktur der spekulativen Dialektik, ausbildet. 47 Als die Selbstrealisierung der allgemeinen Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung in einem gleichsam durch sie geregelten und begründeten Konkretisierungsprozess ist die gesamte logische Entwicklung nun das, was Hegel Idee nennt. Die Logik ist „Subject-Object“ 48, wobei das Sub-
47
48
sie prinzipiell unterscheidet von der klassischen Substanz-Metaphysik in der aristotelischen Tradition. Dieses Gemeinsame ist in der Sache die zunächst noch formale Grundstruktur von Subjektivität als Prinzip der Philosophie, in der Methode aber die prinzipielle Bindung der Entwicklung der Sache an den Weg und die Mittel ihrer Erkenntnis.“ Vgl. hierzu K. Düsing: Aufhebung der Tradition im dialektischen Denken. Untersuchungen zu Hegels Logik, Ethik und Ästhetik. München 2012, 209: „Erst wenn die Kategorien in der Fortentwicklung mit weiterer Bedeutung angereichert werden und wenn die in ihnen gedachte dynamische Relation zur spontanen, selbstbezüglichen Relation des Denkens spezifiziert wird, ist die Sphäre des Begriffs und der Idee erreicht. Diese wird als Weiterführung jener Ontologie [gemeint ist die systematische Abfolge der Seins- und Wesensbestimmungen, L.H.] in der subjektiven Logik expliziert. Sie führt zu dem Ziel, die intellektuelle Spontaneität des Denkens in vollständiger Selbstrelationalität zu entwickeln; dann ‚greift` das reine Denken über die ganze Sphäre der Objektivität ‚über` [. . .] und denkt in der Fülle der Bestimmungen rein sich selbst.“ GW, Bd. 12, 176.
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jekt hier die produktive und aktive Form der spekulativen Dialektik ist und das Objekt der sich schrittweise, aber immanent konkretisierende Inhalt der Entwicklung, derjenige eine Bedeutungsgehalt also, dem die Struktur spekulativ-dialektischer Weiterbestimmung als seine produktive Form unmittelbar inhäriert. Subjekt und Objekt werden in der Logik somit nicht im Rahmen einer äußerlichen Adäquation aufeinander bezogen, wie dies in endlichen, d. h. entweder synthetisch oder analytisch verfahrenden Erkenntnisprozessen der Fall ist, sondern sind, wie wir gesehen haben, von vornherein schlechthin vereinigt / in eins gebildet. Die spekulative Dialektik ist die produktive Form des Inhalts der Entwicklung und dieser daher ein sich an ihm selbst gestaltender und produktiv weiterführender Inhalt. Dabei reproduziert die Form dieser Weiterbestimmung sich aber an einem jeden produktiv generierten Entwicklungsstadium als Form eines immer konkreter werdenden Bedeutungsgehalts und ist somit bei aller Immanenz von Form und Inhalt als eine allgemeine Struktur ebenso von ihren einzelnen spezifischen Manifestationen und Konkretisierungen unterschieden. Hieran wird deutlich, dass die logische Entwicklung a) die allgemeine Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung und b) einen allein durch diese Struktur sich weiterbestimmenden begrifflichen Inhalt zwar durchaus als Subjekt und Objekt vereinigt, Subjektivität und Objektivität dabei jedoch gerade aus dem Grund, dass sie in der Logik nicht äußerlich verknüpft und aufeinander bezogen werden, sondern in eins gebildet sind, eine spezifische Bedeutung haben. Methode und Inhalt, d. h. spekulative Dialektik und spekulativ-dialektisch sich weiterbestimmender Bedeutungsgehalt, stellen, mit anderen Worten, nicht Subjekt und Objekt in allgemeiner Hinsicht dar, nach welcher diese Begriffe auch in der Analyse eines endlichen Erkenntnisprozesses Anwendung finden können, sondern sind spezifischer Subjekt und Objekt nicht in nur erstrebter, erst zustande zu bringender, sondern in immanenter Vereinigung. In eben diesem Sinne unterscheidet sich das Denken des Denkens, das in der spekulativen Logik vollzogen wird, auch von endlichen Erkenntnisprozessen, die als solche auf einen empirischen Stoff und damit zumindest anteilig noch auf ein gegenüber dem Denken Anderes bezogen sind. Dabei wird die logische Struktur dieser endlichen Erkenntnisprozesse, die aufgrund der Differenz von Subjekt und Objekt, die für sie konstitutiv ist, entweder analytisch oder synthetisch verfahren, durchaus in der Logik behandelt. Sie stellt die Thematik der Idee des Erkennens dar, im Rahmen derer auf Grundlage einer zunächst gesonderten Explikation analytischer und dann synthetischer Begriffskonstitutionsverfahren aufgewiesen wird, inwiefern das in diesem Sinne endliche Erkennen – wie alle Denkbestimmungen – sich an sich selbst weiterbestimmt und schlussendlich im Denken des Denkens seine Wahrheit findet, dessen Methode, d. h. die spekulative Dialektik, begriffliche
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Analyse und Synthese als gleichursprüngliche und wechselseitig sich begründende Momente in sich vereinigt. 49 Der Inhalt der logischen Entwicklung, d. h. derjenige eine begriffliche Bedeutungsgehalt, der sich hier fortschreitend konkretisiert, ist zunächst in der Tat das Objekt der Logik. Grund der produktiven Fortbestimmung des Inhalts, die mit den Seinskategorien „von einfachen Bestimmtheiten beginnt“ 50 und ihn im Verlauf der Seins-, Wesens- und Begriffslogik zu Bedeutungen ausbildet, deren unmittelbarer begrifflicher Gehalt sowie dessen dialektische Vermittlung „immer reicher und concreter werden“ 51, ist die allgemeine und mit einheitlicher Regelmäßigkeit sich reproduzierende Struktur der spekulativen Dialektik. Indem diese Struktur der immanenten Bedeutungskonkretisierung allen Entwicklungsstadien, die der logische Inhalt durchläuft, einheitlich „mitgetheilt“ 52 ist, gliedert sich die Logik als Ganzes somit in eine Abfolge von formaliter identischen Stufen. Da die Stadien, die der Inhalt in seiner Entwicklung durchläuft, dabei in Hinblick auf den begrifflichen Bedeutungsgehalt, der hier jeweils thematisch ist, unterschieden sind, ist die allgemeine Struktur der spekulativen Weiterbestimmung, obzwar der Form nach durchgängig sich reproduzierend und damit im Fortgang gleichbleibend, auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung spezifisch manifestiert, konkretisiert und objektiviert. Objekt der logischen Entwicklung ist der begriffliche Bedeutungsgehalt, der in ihr schrittweise konkretisiert und weiterbestimmt wird, somit deshalb, da die Gestalt, die er annimmt, d. h. die aufsteigende Folge immer konkreter werdender Denkbestimmungen, rücksichtlich sowohl ihrer Form als auch ihres Inhalts durch die gestalterische Produktivität des Subjekts der Logik begründet und gesetzt wird. Das Besondere hierbei ist aber, dass dieses Subjekt dem Objekt, dessen Form es gestaltet und dessen Bedeutungsgehalt es produziert, in keiner Hinsicht äußerlich ist, sondern ihm unmittelbar inhäriert. Das Subjekt 49
50 51 52
Vgl. hierzu J. Halfwassen: „Die Einheit des Selbstbewußtseins und der Zirkeleinwand. Zur subjektivitätstheoretischen Bedeutung von Hegels Interpretation der Nouslehre Plotins“, in: Selbst – Singularität – Subjektivität. Vom Neuplatonismus zum Deutschen Idealismus. Amsterdam / Philadelphia 2002, 261–277, 273 f.: „Die vernünftige Erkenntnis der vollständig entwickelten konkreten Allgemeinheit hat somit die Diskursivität des Denkens als ein wesentliches und strukturbestimmendes Moment des Sich-Wissens mit der Einheit der intellektuellen Anschauung in eine einheitliche Methode zusammengeschmolzen. Dieses diskursive Wesensmoment bleibt auch in der Idee als der höchsten und vollkommenen Weise des Sich-Wissens und Sich-Denkens erhalten. Denn die absolute Idee erkennt sich selbst als die entfaltete und zugleich einfache Einheit aller logischen Kategorien in der absoluten Methode; diese aber enthält mit dem analytischen und dem synthetischen Moment der Methode die Diskursivität des endlichen Erkennens als ein aufgehobenes, darin aber zugleich bewahrtes Moment in sich.“ GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 251.
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der Logik ist daher die spekulative Dialektik als Form des Inhalts und somit, wie Hegel sich ausdrückt, der „Quell“ 53 der Selbstgestaltung, der allen Stadien und Bedeutungen, die der Inhalt der Logik im Rahmen seiner Entwicklung annimmt und durchläuft, immanent ist. Die Unterscheidung von Subjekt und Objekt, Grund und Begründetem, Setzendem und Gesetztem macht in der Analyse der logischen Entwicklung somit nur dann Sinn, wenn hierbei bedacht und berücksichtigt wird, dass das Subjekt dem Objekt unmittelbar innewohnt sowie umgekehrt das Objekt selbst subjektiv produktiv und sich selbst gestaltend ist. 54 Gleichwohl ist die Unterscheidung der Logik in einen subjektiven und einen objektiven Strukturaspekt damit nicht hinfällig, sondern notwendig, wenn die Prozessualität des logischen Systems adäquat gefasst werden soll. Die Struktur der Logik stellt sich nämlich, wie wir gesehen haben, so dar, dass ihr Inhalt zwar auf all seinen Stadien und Entwicklungsstufen ein sich selbst gestaltender Inhalt ist, der sich allein aufgrund der „Dialektik, die er an ihm selbst hat, [. . .] fortbewegt“ 55 und zu immer konkreteren Bedeutungen bestimmt, hierbei das Prinzip der spekulativ-dialektischen und subjektiv produktiven Bedeutungskonkretisierung aber auf jeder Stufe der Entwicklung eine spezifisch bestimmte Manifestation erhält. Obgleich der Inhalt der Logik also ein sich subjektiv selbst gestaltender Bedeutungsgehalt ist, so durchläuft seine subjektive Dimension gerade aufgrund ihrer Produktivität dabei wesentlich unterschiedene Objektivierungen. Diese Objektivierungen des subjektiven, tätigen und produktiven Gestaltungsprinzips des Inhalts, d. h. der spekulativen Dialektik, sind die unterscheidbaren Stufen der logischen Entwicklung. Von diesen ist eine jede ein spekulativ-dialektischer Bedeutungskomplex, der in einen allgemeinen Anfang, eine dialektische Besonderung sowie eine konkretere Vollendung gegliedert ist. 56 In Hinblick auf ihre Form und Struktur sind alle Stufen der logischen Entwicklung und damit alle Bedeutungsgehalte, die ihr Inhalt im Rahmen seiner schrittweisen Konkretisierung durchläuft, somit sich rein an ihnen selbst weiterbestim53 54
55 56
GW, Bd. 12, 246. In diesem Sinne hält Bickmann (C. Bickmann: „Hegels Philosophie des Geistes zwischen Sein und Idee“, in: Hegels Philosophie des Geistes zwischen endlichem und absolutem Denken. Nordhausen 2016, 13–28, 26.) bezüglich der absoluten Idee das Folgende fest: „Sowenig darum das Ur-Prinzip als ein bloß Objektives, (Parmenides' Sein, Platons ‚Gutes`, Plotins ‚Eines`, Spinozas absolute Substanz oder Leibniz' Urmonade), diesem sichbestimmenden Prinzip Rechnung tragen kann, sowenig kann es umgekehrt als ein bloß subjektives Prinzip im Sinne Descartes', Kants und Fichtes ausgelegt werden.“ GW, Bd. 21, 38. Vgl. hierzu K. Düsing: Aufhebung der Tradition im dialektischen Denken. Untersuchungen zu Hegels Logik, Ethik und Ästhetik. München 2012, 180: „Sie [d. h. die in der Logik entwickelten Bestimmungen] sind die mannigfaltigen objektiven Einheiten, die die absolute Subjektivität spontan hervorbringt und in denen sie sich denkt.“
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mende Begriffe und damit formaliter „ein Subject, Person, Freyes“ 57. Dabei ist diese Struktur der spekulativ-dialektischen Bedeutungskonkretisierung und Weiterentwicklung aber immer Form der Selbstbewegung eines spezifischen begrifflichen Bedeutungsgehalts. Es ist beispielsweise die Bedeutung des Etwas, die sich spekulativ-dialektisch weiterentwickelt, dialektisch mit ihrem begrifflichen Gegenteil, dem Anderen, vermittelt und sich mit dem Anderen-an-ihmselbst zu einer nächstkonkreteren Bedeutung vollendet, oder – in einem späteren Stadium der Logik – die Bedeutung der Substanz, die sich im Gang durch ihre dialektische Vermittlung mit der Akzidentialität zur Bedeutung der Ursächlichkeit konkretisiert. Die allgemeine Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung, d. h. der subjektive, tätige und synthetischproduktive Grund der logischen Entwicklung, inhäriert also einem einigen, sich somit an ihm selbst konkretisierenden Inhalt. Dabei durchläuft die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik aber wesentlich unterschiedene Manifestationen, an denen als an einem immer konkreter werdenden Bedeutungsgehalt sie sich im Fortgang der Entwicklung einheitlich reproduziert. Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik ist immer Form der immanenten Weiterentwicklung eines spezifischen logischen Bedeutungsgehalts und damit nie abstrakt thematisch, sondern immer in spezifischer Konkretion. Da diese Konkretionen der spekulativen Dialektik hinsichtlich sowohl ihrer Struktur als auch ihres Inhalts zugleich durch nichts anderes generiert werden als eben durch die Produktivität der spekulativen Dialektik selbst, durchläuft das Subjekt der Logik mit seinen unterscheidbaren Manifestationen wesentlich unterscheidbare Objektivierungen seiner selbst. Der logische Inhalt ist vor diesem Hintergrund zwar als das Objekt der logischen Entwicklung zu begreifen, stellt dabei jedoch eine spezifische Art von Objekt dar. 58 Er ist ein einiger, sich an ihm selbst konkretisierender Bedeutungsgehalt, dessen synthetische Weiterbestimmung zu immer spezifischeren und konkreteren Ausprägungen die Totalität ihrer Bedingungen in einem jeden Stadium der Entwicklung allein in dem jeweiligen Begriff findet. 59 Damit ist der 57 58
59
GW, Bd. 12, 246. Vgl. hierzu K. Düsing: Subjektivität und Freiheit. Untersuchungen zum Idealismus von Kant bis Hegel. Stuttgart-Bad Cannstatt, 2. Auflage 2013, 171: „Deshalb ist für Hegel das Objekt nicht – wie für Kant – eine allgemeine, gesetzmäßige Einheit, die im Anschauungsmannigfaltigen konstituiert wird; es ist für ihn vielmehr die ‚objektive Einheit`, die spezifisch ‚die Einheit des Ich mit sich selbst`, nämlich das Gedachte und Erkannte im reinen Denken seiner selbst ist.“ Vgl. hierzu die zwei zentralen Passagen aus dem Kapitel zur absoluten Idee. Einmal GW, Bd. 12, 241: „Das Wesentliche ist, daß die absolute Methode die Bestimmung des Allgemeinen in ihm selbst findet und erkennt.“ sowie kurz darauf GW, Bd. 12, 242: „Daß sie [d. h. die absolute Methode, L.H.] die weitere Bestimmung ihres anfänglichen Allgemeinen ganz allein in ihm findet, ist die absolute Objectivität des Begriffs, deren Gewißheit sie ist.“
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logische Inhalt eine spezifische Form von Objektivität, deren Spezifikum gerade darin besteht, dass der Grund sowohl seiner Form und Struktur als auch seines Bedeutungsgehalts nicht in einem von ihm unterschiedenen Subjekt liegt, sondern allein im begrifflichen Gehalt des logischen Inhalts selbst. Dieser ist somit ein sich subjektiv selbst produzierendes Objekt beziehungsweise Objekt seiner selbst und Resultat seiner Selbstverobjektivierung. 60 Umgekehrt ist auch die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik spezifisch als ein solches Subjekt zu bestimmen, welches sich allein kraft seiner gestalterischen und produktiven Spontaneität in eine systematische Abfolge von unterschiedenen, aber genetisch auseinander entstehenden Bedeutungsgehalten entfaltet. Das Subjekt der Logik, d. h. die spekulative Dialektik, durchläuft mit der Ausbildung der hierarchisch organisierten Folge von immer „reicher und concreter“ 61 werdenden Denkbestimmungen nicht nur (rücksichtlich ihres Bedeutungsgehalts unterschiedene) Objektivierungen seiner selbst, sondern objektiviert sich darin auch in dem Sinne, dass es sich in diesem Entwicklungsprozess schlussendlich selbst als höchste Bestimmung ableitet. Hier stellt sich nun jedoch die Schwierigkeit, dass die spekulative Dialektik, wie wir erörtert haben, dem sich schrittweise konkretisierenden Inhalt der logischen Entwicklung dabei als dessen produktive Form stets unmittelbar inhäriert, d. h. der Inhalt bereits in all seinen Stadien sich an sich spekulativ-dialektisch weiterbestimmt. Die schrittweise Objektivierung der spekulativen Dialektik – in dem Sinne der Ableitung ihres Begriffs selbst als höchstes und letztes Resultat der Entwicklung – vollzieht sich deshalb auf die Weise, dass diejenige Dialektik, die dem Inhalt auf den verschiedenen Stufen seiner Konkretisierung an und für sich zukommt und an ihm gesetzt ist, sich im Fortgehen der Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des Inhalts schrittweise derjenigen Dialektik annähert, gemäß welcher seine Entwicklung an sich auf jeder ihrer Stufen und Stadien bereits strukturiert ist. Es ist in der Logik somit das An sich, d. h. die Organisation einer jeden Entwicklungsstufe gemäß der allgemeinen Struktur der spekulativ-dialektischen Bedeutungskonkretisierung, immer bedeutungsreicher und strukturell komplexer als dasjenige, was dem Inhalt der Entwicklung dabei nicht nur in dieser Hinsicht an sich, sondern darüber hinaus auch für sich zukommt und in seiner jeweiligen Bedeutung selbst gesetzt ist. 62 Das An sich meint somit diejenige dialektische Prozessstruk60
61 62
Demgemäß bestimmt auch Düsing (K. Düsing: Subjektivität und Freiheit. Untersuchungen zum Idealismus von Kant bis Hegel. Stuttgart-Bad Cannstatt, 2. Auflage 2013, 171.) „sich auf sich beziehendes Denken“ als „Darlegung der Selbstobjektivation der reinen Subjektivität“. GW, Bd. 12, 250. In diesem Sinne hält Halfwassen (J. Halfwassen: „Die Einheit des Selbstbewußtseins und der Zirkeleinwand. Zur subjektivitätstheoretischen Bedeutung von Hegels Interpretation der Nouslehre Plotins“, in: Selbst – Singularität – Subjektivität. Vom Neuplatonismus zum Deutschen Idealismus. Amsterdam / Philadelphia 2002, 261–277, 274 f.) fest, dass diejenigen
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tur, gemäß welcher die Entwicklung des Inhalts als solche und von Beginn an strukturiert ist und die sich als die Einheit von unmittelbarem Anfang, dialektischem Fortgang und wieder unmittelbarem, aber konkreterem Ende auf einer jeden Stufe der Entwicklung einheitlich reproduziert. Das An und für sich meint demgegenüber innerhalb dieser allgemeinen, sich auf jeder Stufe einheitlich reproduzierenden und aus Anfang, Fortgang und Ende bestehenden Struktur der Entwicklung, d. h. innerhalb des An sichs, die dialektische Struktur des Fortgangs. In dieser kommt auf jeder Stufe der logischen Entwicklung zum Ausdruck, wie die Dialektik, die dem Inhalt in diesem Stadium seiner Entwicklung und fortschreitenden Konkretisierung, d. h. innerhalb des spekulativdialektisch verfahrenden An sichs, auch für sich zukommt, d. h. an ihm gesetzt ist, sowohl in Bezug auf ihre Struktur als auch in Bezug auf ihren Bedeutungsgehalt konkret geartet ist. Wie wir gesehen haben, geht mit der fortschreitenden Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts eine Ineinsbildung des An und für sichs, d. h. derjenigen Dialektik, die auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung das Moment des Fortgangs konstituiert, mit dem An sich, d. h. mit der übergeordneten, in Anfang, Fortgang und Ende gegliederten Gesamtsstruktur aller Entwicklungsstufen, einher. Diese schrittweise Ineinsbildung des An und für sichs mit dem An sich ist vor dem Hintergrund unserer Überlegungen als eine spezifische Form der Ineinsbildung von logischem Subjekt und logischem Objekt zu begreifen. Da die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik, d. h. der subjektive Grund der synthetischen Konkretisierung und Weiterentwicklung des logischen Inhalts, diesem unmittelbar inhäriert, ist die besagte Ineinsbildung von Subjekt und Objekt, d. h. von spekulativdialektischer Methode und logischem Inhalt, die mit dem Fortschreiten des Entwicklungsprozesses vonstattengeht, von spezifischer Art. Das Spezifikum der Ineinsbildung von Subjekt und Objekt besteht hier darin, dass sie sich nicht als eine äußerliche Adäquation vollzieht, sondern als eine immanente Angleichung zweier Strukturaspekte, die im Inhalt der Logik unmittelbar vereinigt sind. 63 Dabei weisen Subjekt und Objekt / Methode und Inhalt jedoch
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Bedeutungsgehalte, die der Inhalt der logischen Entwicklung vor dem Erreichen der absoluten Idee durchläuft und aus denen er sich zu der absoluten Idee immanent ausbildet, „als solche selber noch keine denkende Selbstbeziehung enthalten, obwohl sie als Momente des absoluten Denkens seiner selbst nach Hegel an sich – aber eben nur an sich – schon der Begriff oder die Idee sind; dieses anfänglich unentfaltete Ansich aber kommt erst durch seine Entfaltung im Vollzug der gesamten dialektischen Kategorienentwicklung wirklich zu sich selbst“. Aus der – wenngleich prozessualen und produktiven – Einheit von Subjekt und Objekt in der Idee und damit in der logischen Entwicklung resultieren unmittelbar auch die folgenden Überlegungen von R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 233:
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während des Verlaufs der Entwicklung durchgehend eine Diskrepanz sowohl in struktureller Komplexität als auch in Bedeutung auf, die sich zwar schrittweise aufhebt, aber erst im finalen Ende des Entwicklungsprozesses, d. h. in der absoluten Idee, gänzlich aufgehoben sein wird. 64 So ist die spekulative Dialektik auf allen Stufen der logischen Entwicklung und von Beginn an aktiv, denn alle Bestimmungen und Bedeutungsgehalte, die der Inhalt in seiner schrittweisen Konkretisierung durchläuft, sind, wie wir gesehen haben, bereits „Begriffe“ 65, die sich „an sich“ 66 spekulativ-dialektisch weiterentwickeln. Der Inhalt der logischen Entwicklung ist auch auf den frühsten und einfachsten Stadien seiner Entwicklung, mit anderen Worten, spekulativ-dialektisch verfasst und erweitert und konkretisiert seine Bedeutung immanent zu immer höherstufigeren, komplexeren und konkreteren Bestimmungen. Allein ist dabei der jeweilige Bedeutungsgehalt, der sich gemäß der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik weiterführt und konkretisiert, während des gesamten Verlaufs dieses Entwicklungsprozesses noch rudimentärer, abstrakter und in diesem Sinne bedeutungsärmer als die Struktur eben jener prozessualen Gesetzmäßigkeit, in welche er an sich wesentlich eingebettet ist. Wie wir gesehen haben, manifestiert sich diese Diskrepanz zwischen a) der allgemeinen Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung und b) den jeweiligen Bedeutungen, die sich gemäß dieser Struktur an ihnen selbst konkretisieren, darin, dass innerhalb des Bedeutungskomplexes, zu dem sich eine jede logische Bedeutung immanent vervollständigt und der gemäß der spekulativen Dialektik strukturiert ist, mit dem Moment des Fortgangs diejenige dialektische Vermittlungsstruktur zum Ausdruck kommt, die der jeweiligen Bedeutung – abhängig vom Maß ihrer Komplexität und Konkretheit – für sich zukommt.
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65 66
„Der Sinn der Dialektik wird verfehlt, wenn entweder das Subjekt oder das Objekt als ein hypokeimenon, als eine ruhende Basis, mißverstanden wird, an welchem die verschiedenen Denkbestimmungen widerspruchsfrei und ebenfalls ruhend angeknüpft sind, und die Dialektik allererst später zu diesem hypokeimenon hinzutritt und im Subjekt, im Objekt und in den Denkbestimmungen die Verwirrung des Widerspruchs stiftet. [. . .] In Hegels Philosophie sind dagegen das denkende Subjekt, das gedachte Objekt und der Denkakt von vornherein selbst der dialektischen Bewegung unterworfen und in dieser vereint.“ Ganz ähnlich beschreibt Bickmann (C. Bickmann: „Hegels Philosophie des Geistes zwischen Sein und Idee“, in: Hegels Philosophie des Geistes zwischen endlichem und absolutem Denken. Nordhausen 2016, 13–28, 20 f.) die Bedeutung, Funktion und Stellung der (absoluten) Idee in der Logik: „Erst die Idee, so Hegel, ist wie Platons höchstes Prinzip, aber auch Kants ‚Ideal der reinen Vernunft` der Fluchtpunkt der Bewegung, auf den die entgegengesetzten Pole im Sich-setzen und Sich-bestimmen des Geistes zurückgebogen sind; mithin also derjenige Ort ihrer Ineinsbildung, der als leitendes Telos seiner Bewegung die gesuchte Übereinstimmung der Pole von fern her lenkt.“ GW, Bd. 20, 178. GW, Bd. 20, 178.
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Obwohl die Logik einen in Hegelschem Sinne ideellen Entwicklungsprozess darstellt, der als solcher Subjekt und Objekt als gleichberechtigte Momente in sich vereinigt, ist sie dennoch als eine Theorie der absoluten Subjektivität zu charakterisieren. 67 Die Einheit von Subjekt und Objekt, d. h. von spekulativdialektischer Methode und logischem Inhalt, die das Wesen der logischen Wissenschaft ausmacht, besteht gerade darin, dass die spekulative Dialektik sich in reiner Selbstexplikation selbst objektiviert. Da sie hierbei aber, wie wir gesehen haben, von vornherein selbst unter ihren eigenen Regeln und der damit verbundenen Notwendigkeit steht, mithin im Verlauf der logischen Entwicklung sich autopoietisch und entelechial selbst realisiert, ist die spekulative Dialektik als das logische Subjekt in ihrer Realisierung und Objektivierung selbst das Leitende. Einheit von Subjekt und Objekt und damit Idee ist zwar, wie wir gesehen haben, die logische Entwicklung auf allen ihren Stadien, d. h. alle Bedeutungsgehalte, die ihr Inhalt in seiner Weiterbestimmung durchläuft, bestimmen sich gerade an ihnen selbst gemäß der spekulativen Dialektik weiter. Dabei ist die logische Entwicklung jedoch zugleich auf ein vollständiges Übergreifen ihrer allgemeinen, mithin von Beginn an wirkenden Struktur und Gesetzmäßigkeit auf den gemäß dieser Struktur sich gesetzmäßig weiterbestimmenden und immanent konkretisierenden Bedeutungsgehalt ausgerichtet. 68 Die logische Wissenschaft ist Idee, gerade indem sie den Prozess der sich vollständig selbst begründenden Selbstbestimmung und Selbsterkenntnis der spekulativ-dialektischen Methode darstellt. 67
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Vgl. hierzu und dem Folgenden: K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn, 3. Auflage 1995, insb. 289–295, 292: „Die Einheit von Subjektivität und Objektivität muß nun nach Hegel selbst als Subjektivität, die absolut und nicht mehr einem Anderen entgegengesetzt ist, verstanden werden. [. . .] Diese Einheit des SubjektObjekts ist also kein unbewegtes Bestehen, kein einfaches Ansichsein und keine Substantialität; Hegel lehnt eine Interpretation dieser Einheit durch Kategorien der objektiven Logik ab. Sie ist vielmehr Subjektivität, die über die Objektivität ‚übergreift`.“ Das Übergreifen der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik auf den gemäß ihrer Gesetzmäßigkeit sich schrittweise konkretisierenden Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts ist demnach als der eine Prozess der Entwicklung und Entfaltung eines produktiven Allgemeinen (der Methode) in einem als dessen Besonderung ursprünglich ausgebildeten Resultat (dem Inhalt) zu verstehen. Vgl. hierzu GW, Bd. 12, 38: „Das Allgemeine als der Begriff, ist es selbst und sein Gegentheil, was wieder es selbst als seine gesetzte Bestimmtheit ist; es greift über dasselbe über, und ist in ihm bey sich. So ist es die Totalität und Princip seiner Verschiedenheit, die ganz nur durch es selbst bestimmt ist.“ Die logische Entwicklung ist als prozessuales Ganzes die Einzelheit, in welcher die allgemeine Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung, d. h. in diesem Sinne die Methode als produktives Allgemeines, und der logische Inhalt, d. h. die systematisch organisierte Abfolge der Denkbestimmungen als Besonderheit, vereinigt und aufgehoben sind. Die logische Wissenschaft ist die autonome Selbstkonkretion der Methode als die prozessuale Einheit ihrer Selbstbestimmung und ihrer Bestimmtheit.
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Das Ziel der logischen Entwicklung, welches in ihrem Vollzug nicht als ein Jenseitiges anvisiert wird, sondern ihr mit der Einheit von Telos und Movens unmittelbar eingeschrieben ist, ist die sich vollständig selbst begründende Realisierung der spekulativen Dialektik als entstehend als letztes Glied einer schrittweisen Abfolge sich genetisch auseinander ausbildender und dabei immer konkreter werdender logischer Bedeutungsgehalte. 69 Die spekulative Dialektik, die sowohl letztes Resultat der logischen Wissenschaft als auch deren immanentes Produktionsprinzip darstellt, fällt somit in eins sowohl mit dem subjektiven, formaliter gestalterischen und inhaltlich produktiven Grund der Entwicklung als auch mit ihrem schlussendlichen Zweck, wobei zwischen diesen und seine vollständige Realisierung kein Mittel zwischengeschaltet ist. Da a) die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik dem Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts auf allen Stufen und Stadien seiner fortschreitenden Entwicklung unmittelbar inhäriert und b) der Inhalt – aufgrund der synthetischen Produktivität dieser seiner Form – in seinem Werden zu immer konkreter werdenden Bedeutungsgehalten, wie wir gesehen haben, zugleich auf eine vollständige Ineinsbildung seiner so sich entwickelnden Bedeutung mit der allgemeinen Gesetzmäßigkeit ihrer Entwicklung ausgerichtet ist, stellt die logische Wissenschaft in Hegels Konzeption als Ganzes eine prozessuale Struktur der inneren Zweckmäßigkeit dar. Die logische Entwicklung ist vor diesem Hintergrund als ein entelechialer Bildungsprozess zu charakterisieren. Die spekulative Dialektik realisiert sich im Fortgang der Logik selbst, indem sie aus allgemeineren Bestimmungen abgeleitet wird und dabei selbst das diesen allgemeineren Bestimmungen unmittelbar inhärierende Formprinzip darstellt, welches ihre Weiterentwicklung und die immanente Ableitung einer nächst spezifischeren Bestimmung aus ihnen begründet. Der gesamte logische Inhalt, d. h. der eine Bedeutungsgehalt, der sich schrittweise konkretisiert, ist somit zweckmäßig organisiert. Erst vor diesem Hintergrund erschließt sich auch die volle Dimension der Identifizierung von Logik und Idee. Die logische Wissenschaft, d. h. die schrittweise, aber immanente Entwicklung und Konkretisierung des logischen Inhalts, ist Subjekt-Objekt-Einheit, nicht als eine äußerliche Adäquation von 69
Bickmann (C. Bickmann: „Sein und Selbst-Sein. Hegels Idee der Selbsterkenntnis zwischen Sich-Bestimmen und Sich-Setzen“, in: Hegel-Jahrbuch 2018. Berlin 2018, 34–39, 37.) erläutert diesen Aspekt der Selbstobjektivierung des reinen Denkens unter dem Gesichtspunkt der damit verbundenen Freiheitskonzeption: „Erst in der Wissenschaft der Logik wird das Denken dann wirklich frei: ist es nicht mehr bloße Form möglicher Seinsgedanken, d. h. auf ein von ihm selbst Verschiedenes gerichtet, mithin nur Wissen für ein erkennendes Bewusstsein, sondern ein Denken, dem das Denken selbst zum Objekt geworden ist. Denken des Denkens ist darum: ‚Objektives Denken`, Analyse des reinen Wissens [. . .]. Dies ist selbstbezügliches Denken – oder ein ‚Sich Wissen im Wissen`.“
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Subjekt und Objekt, sondern als die autonome Selbstrealisierung der spekulativen Dialektik als eines aktiven und produktiven Zwecks in einem allein nach ihren Regeln zweckmäßig organisierten Inhalt, in welchem sie sich schrittweise entfaltet und sich schließlich als ein abgeleitetes, aber sich vollständig selbst begründet habendes Resultat begreift. 70 Die Wissenschaft der Logik ist in diesem Sinne als Verobjektivierung eines subjektiven Denkaktes nur durch sich selbst zu begreifen. Da das Denken in diesem Akt nichts von außen hereinnimmt, in reiner Selbstanwendung nur sich selbst expliziert, stellt die schrittweise Konkretisierung des logischen Inhalts zugleich eine Verobjektivierung des Denkens an und für sich selbst dar. Hierin liegt nicht zuletzt auch die aufklärerische und fundamental humanistische Dimension der Hegelschen Logik begründet. In der reinen und in diesem Sinne freien Selbstexplikation des Denkens wird auch von allen geographischen, kulturellen oder historischen Spezifika abstrahiert, durch welche das Denken in seinem konkreten Vollzug immer konkret individualisiert ist. 71 Der 70
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Die logische Wissenschaft stellt eine Subjekt und Objekt vereinigende, mithin im Hegelschen Sinne ideelle Struktur dar. Eine weitere Deutung des Ideencharakters der spekulativen Logik, die nicht der unsrigen entspricht, legt Heidegger (M. Heidegger: „Hegel und die Griechen“, in: Wegmarken. Frankfurt am Main 1976, 427–444, insb. 430–433.) vor. Heidegger deutet die Seinslogik dahingehend, dass sich hier „das Subjekt als Bewußtsein unmittelbar auf seine Objekte [bezieht]“, während in der Reflexion – und damit wohl in der Wesenslogik – „das Objekt als Objekt für das Subjekt und dieses für sich selbst und d. h. als sich auf das Objekt beziehendes vorgestellt [wird]“. Die Vereinigung beider Sphären in der Begriffslogik und schließlich in der Idee deutet Heidegger sodann wie folgt: „Erst wenn die Thesis des Objekts und die Antithesis des Subjekts in ihrer notwendigen Synthesis erspäht werden, ist die Bewegung der Subjektivität der Objekt-Subjekt-Beziehung vollständig in ihrem Gang.“ Diesen Gedanken weiterführend ist das Programm einer reinen Selbsterkenntnis, Selbstanalyse und Selbstexplikation des Denkens, welches den Kern von Hegels spekulativer Logik darstellt, nicht nur der Rückgang in den Grund der Möglichkeit endlichen Denkens, d. h. reflexiv-intelligible Prämissenanalyse des wissenden und handelnden, auch praktischnormativen Seins- und Weltbezugs im Medium des Empirischen, sondern, wie eigens noch zu klären wäre, damit ebenso sehr unumgängliches Fundament jedweder intersubjektivien und interkulturellen Kommunikation, so sie die Totalität ihrer Bedingungen bewusst in sich integrieren und damit frei sein soll. Nicht mit explizitem Bezug auf Hegel, sondern auf Kant und Fichte, und davon ausgehend in allgemeiner Perspektive erläutert diese Überlegungen C. Bickmann: Immanuel Kants Weltphilosophie. Nordhausen 2006, insb. 113–118, 113: „Mit der Beschreibung dieser logischen und transzendentalen Funktionen der Vernunftbegriffe hat Kant – quasi gebrauchsneutral – diejenigen Formbedingungen unseres Selbst- und Weltbezugs analysiert, die allem menschlichen Denken und Handeln – gleich welcher Herkunft und Kultur – zugrunde liegen, – ihre Sprache, wissenschaftliche, religiöse oder philosophische Herkunft mag im übrigen sein, welche sie wolle. Demgegenüber entstammen die je besonderen Gegenstände und Inhalte unserer empirischen Erfahrung, unseres Wissens und Handelns unseren je besonderen Erfahrungshorizonten, sind darum empirisch kontingent und den Zeiten verpflichtet, in denen sie entwickelt sind.“
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Fortgang der logischen Entwicklung ist wesentlich Rückgang in den Grund der Möglichkeit des Denkens als solchen, aber nicht – jedenfalls zunächst nicht – im Sinne einer Reflexion auf die intelligiblen Formbedingungen endlicher, d. h. materialiter empirisch verfasster, Erkenntnis. Dies leistet vielmehr erst die Explikation der logischen Bestimmungen als wesentlich mit Empirie und sinnlicher Rezeptivität in Interaktion stehend, d. h. der Inhalt des Systemteils des subjektiven Geistes. 72 6.2 Das Verhältnis von Methode und Inhalt als Leben Die einheitliche Gesamtstruktur der logischen Entwicklung, d. h. der Entwicklung der Bestimmungen des reinen Denkens, beschreibt Hegel an mehreren Stellen unter Verwendung vitalistischer Formulierungen. Die wichtigsten Beispiele hierzu finden sich im die Wissenschaft der Logik abschließenden Kapitel zur absoluten Idee. Mit der absoluten Idee ist, wie wir gesehen haben, die vollständige Ineinsbildung der spekulativ-dialektischen Methode und des logischen Inhalts, dessen schrittweise Konkretisierung und Bedeutungserweiterung die absolute Methode auf allen Ebenen der zurückliegenden Entwicklung als die ihm unmittelbar inhärierende Formaktivität geregelt und vorangetrieben hat, realisiert. Da die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik – in ihrer Bedeutung als die produktive, aber immanente Form des logischen Inhalts – dabei zugleich den alleinigen Grund ihrer eigenen Realisierung darstellt, d. h. ihrer schlussendlichen Ableitung als letztes Glied einer hierarchisch organisierten Folge immer konkreter werdender Bedeutungsgehalte, bestimmt sich die logische Entwicklung als eine teleologisch verfasste Selbstrealisierung der spekulativen Methode in einem durch sie innerlich zweckmäßig organisierten Inhalt. Wie wir bereits erörtert haben, kommt der absoluten Idee innerhalb der logischen Entwicklung dabei die doppelte Funktion zu, sowohl Endpunkt der immanenten Selbstrealisierung der spekulativ-dialektischen Methode zu sein als auch – in eben diesem Kontext – diejenige Stelle der logischen Wissenschaft, an der über ihre Methode und die allgemeine Struktur ihrer Prozessualität nicht auf abstrakte Weise, sondern innerhalb der durch sie geleiteten Entwicklung konkret reflektiert wird. Allgemeine (vitalistische) Aussagen über das Verhältnis von Methode und Inhalt der Logik dort anzutreffen, überrascht 72
Hierauf werden wir im Resümee zu unserer Untersuchung noch einmal ausblickhaft zurückkommen. Zu einer ausführlichen Erörterung von Hegels Geistphilosophie, insbesondere des subjektiven Geistes und der Beziehung dieses realphilosophischen Systemteils zur grundlegenden spekulativen Logik vgl. die Studie von J. Rometsch: Hegels Theorie des erkennenden Subjekts. Systematische Untersuchungen zur enzyklopädischen Philosophie des subjektiven Geistes. Würzburg 2007, insb. 20–29.
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vor diesem systematischen Hintergrund des letzten Kapitels der Wissenschaft der Logik also wenig. Vor allem diese Stellen aus den Ausführungen zur absoluten Idee werden demnach im Folgenden zu untersuchen sein, um Hegels Charakterisierung der einheitlichen Gesamtstruktur der logischen Entwicklung als einer spezifischen Form lebendiger Selbstbezüglichkeit verständlich zu machen. Aber auch bereits im Vorfeld der absoluten Idee und insbesondere in den einleitenden, dem eigentlichen Vollzug der Entwicklung der Denkbestimmungen vorangehenden Erläuterungen finden sich einige Passagen, in denen Hegel eben diese Entwicklung als ein logisches Leben bezeichnet. Die Selbstbewegung des logischen Inhalts besteht darin, dass er sich einheitlich entwickelt, indem er kontinuierlich synthetische Erweiterungen seines Bedeutungsgehalts aus sich selbst produziert, diese Erweiterungen wieder in die Form einer einfachen Einheit zurückführt, aus welcher eine weitere immanente Erweiterung hervorgeht usf. Das Logische / der logische Inhalt ist, mit anderen Worten, ein einiges Allgemeines, das sich kontinuierlich in sich selbst besondert, diese Besonderung vereinheitlicht, woraus eine noematische Einzelheit resultiert, die ein neuer, um den begrifflichen Gehalt der Besonderung erweiterter allgemeiner Anfang ist. Vom Leben sagt Hegel im Ideenkapitel nun, es sei „das Bestehen und die immanente Substanz seiner Objectivität, aber als subjective Substanz Trieb, und zwar der specifische Trieb des besondern Unterschiedes, und eben so wesentlich der Eine und allgemeine Trieb des Specifischen, der diese seine Besonderung in die Einheit zurückführt und darin erhält“. 73 Vor dem Hintergrund der obigen Erläuterungen zur allgemeinen Struktur der Entwicklung des logischen Inhalts lässt sich festhalten, dass diese Bestimmung des Lebensprinzips auf eben diese allgemeine Struktur der logischen Entwicklung vollständig zutrifft. Der Fortschritt der Entwicklung besteht, wie gezeigt worden ist, zunächst darin, dass eine jede Denkbestimmung eine über ihren anfänglichen, unmittelbaren Begriff hinausgehende prozessuale Vermittlungsstruktur als ihre Besonderheit beziehungsweise als die ihr spezifisch zugehörige Dialektik aus sich heraus produziert. Das „SichAufheben“ 74 des unmittelbaren Anfangs und die Transformation seines Bedeutungsgehalts zu der ihm „entgegengesetzte[n]“ 75 Bestimmung ist in diesem Sinne als ein „specifische[r] Trieb des besondern Unterschiedes“ 76 zu charakterisieren. Der allgemeine Anfang bleibt im dialektischen Prozess der zirkulären Transformation seiner selbst und seines Entgegengesetzten zueinander positiv bestehen und der Unterschied, der mit der Selbstvermittlung der ursprünglich 73 74 75 76
GW, Bd. 12, 181. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 12, 181.
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unmittelbaren Bestimmung an dieser immanent gesetzt wird, fällt daher in eins mit ihrer Spezifikation oder Besonderung. Das allen unterscheidbaren Instanzen der logischen Entwicklung inhärierende allgemeine Formprinzip, dessen gestalterische Produktivität das immanente Fortgehen von einer Entwicklungsstufe zur nächsten leitet und begründet, d. h. die spekulative Dialektik, ist demnach gerade ein solcher „specifische[r] Trieb des besondern Unterschiedes“ 77. Eine jede Bestimmung des reinen Denkens ist rücksichtlich ihrer Genese die wieder in die Form der Unmittelbarkeit zusammengegangene prozessuale Besonderung der ihr je unmittelbar vorangegangenen Bestimmung, die diese im Zuge eines immanenten synthetischen Urteilens aus sich selbst produziert hat. Die wieder in die Form der Unmittelbarkeit zusammengegangene prozessuale Besonderung eines vorausgehenden Allgemeinen entspricht der Begriffsbestimmung der Einzelheit, die gegenüber diesem vorausgehenden Allgemeinen, aus dessen Selbstbesonderung sie resultiert, ein neues Allgemeines sowie mithin ein neuer, konkreterer Anfang ist. Die logischen Bestimmungen entwickeln sich vor diesem Hintergrund also allesamt als spezifisch unterschiedene Allgemeinheiten, die jeweils eine neue, komplexere Spezifikation ihrer selbst aus sich heraus produzieren und diesen Entwicklungsgang aufgrund seiner sich vollständig selbst begründenden Natur und unter Wahrung der synthetischen Bedeutungserweiterung, die mit ihm einhergeht, wieder in die anfängliche Form der Unmittelbarkeit zurückführen. Bezüglich der Entwicklung der Bestimmungen des reinen Denkens lassen sich also zwei Punkte festhalten. Erstens ist eine jede logische Bestimmung nichts anderes als das in die Form der Unmittelbarkeit zurückgeführte Produkt der Selbstvermittlung der vorangegangenen Bestimmung. Zweitens bleibt diese vorangegangene Bestimmung in diesem Produkt ihrer Selbstvermittlung positiv bestehen, „aufbewahrt und erhalten“ 78, d. h. sie „continuiert“ 79 sich in ihm. Aus diesen beiden methodischen Aspekten der Entwicklung folgt, dass eine jede logische Bestimmung in der auf sie folgenden, nächst komplexeren Bestimmung ebenso sehr positiv bestehen bleibt und sich in ihr kontinuiert. Weiterhin folgt aus dieser Analyse der allgemeinen Struktur der Prozessualität der Denkbestimmungen und ihrer Transformation, dass sie, eben diese allgemeine Form ihrer Entwicklung betrachtend, allesamt gemäß der begriffslogischen Entwicklungsdialektik zu der je nächst komplexeren Bestimmung fortgehen. Eine jede logische Bestimmung verschwindet nicht in der nächst komplexeren, die sie immerhin auf immanente Weise aus nichts anderem als sich selbst heraus 77 78 79
GW, Bd. 12, 181. GW, Bd. 12, 245. GW, Bd. 20, 230.
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produziert, sowie sie in ihrem Resultat nicht bloß im wesenslogischen Sinne scheint. Letzteres wäre dann der Fall, wenn – als eine allgemeine Regel – eine logische Bestimmung in der je nächst komplexeren, auf sie folgenden Bestimmung zwar gleichursprünglich mitthematisch wäre, ohne aber positiv in ihr bestehen zu bleiben und sich in ihr als einer komplexeren Manifestation ihrer selbst zu kontinuieren. Genau dies hat sich aber im Rahmen der Untersuchung der allgemeinen Struktur der Genese der Denkbestimmungen gezeigt. Der Bedeutungsgehalt einer jeden logischen Bestimmung besteht wesentlich darin, dass die Besonderung der vorangegangenen Bestimmung, d. h. das für sich betrachtet prozessuale Resultat ihrer dialektischen Selbstvermittlung, wieder in die Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit zurückgeführt wird. Damit ist das Verhältnis, in dem eine jede logische Bestimmung zu der ihr unmittelbar vorangehenden steht, jedoch das der „Unterschiedenheit des Einzelnen von der Allgemeinheit, welche sich als solche in das von ihr Unterschiedene continuiert und als Identität mit ihm ist“. 80 Die Form des Fortgangs der logischen Entwicklung, deren Fortschritt darin besteht, dass die Bestimmungen des Denkens auf die soeben beschriebene Weise auseinander deduziert werden, ist also nicht das seinslogische „Uebergehen in ein Anderes“ 81 oder das wesenslogische „Scheinen in dem Entgegengesetzen“ 82. Die Form des allgemeinen Fortgangs der logischen Entwicklung ist vielmehr das „Fortgehen des Begriffs“ 83, mithin „Entwicklung, indem das Unterschiedene unmittelbar zugleich als das identische mit einander und mit dem Ganzen gesetzt, die Bestimmtheit als ein freies Seyn des ganzen Begriffes ist“. 84 Andernfalls ließe sich – zumindest im Sinne Hegels – auch überhaupt nicht von einer einheitlichen Entwicklung des Logischen, nicht von einem System der logischen Bestimmungen oder einer einheitlichen logischen Wissenschaft sprechen. Die von der Entwicklung des Begriffs unterschiedenen Dialektiktypen, d. h. das „Uebergehen [in Anderes]“ 85 der Bestimmungen der Seinslogik und das „Scheinen in Anderes“ 86 der wesenslogischen Bestimmungen, finden innerhalb der einheitlichen Gesamtstruktur der logischen Entwicklung, mit welcher die logischen Bestimmungen begriffslogisch, d. h. entwicklungsdialektisch, auseinander deduziert werden, an anderer, untergeordneter Stelle ihre Geltung. Der dialektische Prozess, d. h. der unendliche Progress der immanenten Transformation zweier einander entgegengesetzter logischer Bestimmungen 80 81 82 83 84 85 86
GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 177. GW, Bd. 20, 177. GW, Bd. 20, 177. GW, Bd. 20, 177.
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zueinander, macht, wie zuvor untersucht worden ist, auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung das Moment des Fortgangs aus. Damit entspricht er dem Vollzug der Selbstvermittlung eines anfänglichen, zunächst noch unmittelbaren Begriffs einer Denkbestimmung, zu der diese sich im Zuge eines immanenten Werdensprozesses als zu der ihr spezifischen Besonderheit selbst bestimmt. Die Differenz zwischen seinslogischen, wesenslogischen und begriffslogischen Bestimmungen manifestiert sich – innerhalb der einheitlichen Gesamtstruktur der spekulativ-dialektischen Methode – demnach auf der Stufe des Fortgangs und damit auf der Stufe der Besonderheit in ihrer methodischen Bedeutung. Die Dialektik ist, mit anderen Worten, für alle logischen Bestimmungen das synthetische Resultat der rein analytisch begründeten Selbstaufhebung ihrer ursprünglichen, unmittelbaren Form, zu welchem dieser Anfang sich dementsprechend immanent bestimmt und weiterentwickelt. Der dialektische Prozess ist immer die Besonderheit der unmittelbaren Erfassung einer logischen Bestimmung als eines allgemeinen Anfangs. Dieses Resultat, zu dem sich die Bestimmungen also allesamt nach einer allgemeinen Regel immanent bestimmen und besondern, d. h. der ihnen je spezifisch zugehörige dialektische Prozess, kann jedoch abhängig von der Komplexität des Bedeutungsgehalts der jeweiligen Bestimmung, die da ihre Dialektik an sich setzt, von unterschiedlicher Struktur sein. Die Bestimmungen der Seins-, Wesens- und Begriffslogik unterscheiden sich also in diesem Sinne nicht in Hinblick auf die übergeordnete Gesamtstruktur ihrer Entwicklung, sondern nur hinsichtlich der internen Struktur ihrer dialektischen Selbstvermittlung. Alle Bestimmungen des reinen Denkens bringen diese dialektische Vermittlung ihrer selbst, in der sie sich nicht nur inhaltlich, sondern auch formaliter unterscheiden, jedoch als die immanente Selbstbesonderung ihrer unmittelbaren Bedeutung aus sich hervor und vollenden ihre Entwicklung, indem die prozessuale Struktur ihrer dialektischen Vermittlung sich wieder in die Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit zurückführt. Für die logischen Bestimmungen gilt also als eine allgemeine Formbestimmung der übergeordneten Struktur ihrer Entwicklung, dass ihre unmittelbare begriffliche Bedeutung und somit das bloße gedankliche Auffassen ihres Bedeutungsgehalts als einer unmittelbaren Bedeutungseinheit darin resultiert, dass sie und ihr Entgegengesetztes sich als identisch miteinander erweisen. Die vollständige Explikation dieser relationalen Einheit von Identität und Entgegensetzung ist, wie wir gesehen haben, der „bachantische Taumel“ 87, der zirkuläre Prozess der immanenten Transformation der jeweiligen Denkbestimmung und des ihr entgegengesetzten Bedeutungsgehalts zueinander. Seins-, Wesens- und Begriffsbestimmungen unterscheiden sich sozusagen 87
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lediglich in der Art und Weise ihres dialektischen Taumels und der inneren Struktur der transformativen Flüssigkeit ihres Bedeutungsgehalts, nicht aber darin, dass ihr unmittelbarer Begriff sich auf immanente Weise zu einer solchen prozessualen Vermittlungsstruktur besondert. Dasselbe gilt für den Fortgang zu der nächsten Stufe der logischen Entwicklung, d. h. für die Deduktion einer neuen, erweiterten und bereicherten logischen Bestimmung durch Auffassen des „Affirmative[n]“ 88, das in dem jeweiligen, so oder so gearteten dialektischen Prozess aufgrund der sich vollständig selbst begründenden Natur seiner Genese enthalten ist. Für seinslogische Kategorien besteht das Ende ihrer jeweiligen Entwicklung demnach darin, dass ein dialektischer Prozess des Typus „Uebergehen in ein Anderes“ 89 zur Form der Unmittelbarkeit zurückkehrt, während für wesenslogische Bestimmungen dies für einen dialektischen Prozess des Typus „Scheinen in dem Entgegengesetzten“ 90 geschieht. Der weitere Fortgang von diesem Moment der Entwicklung zu deren Ende, d. h. zur Negation der dialektisch-prozessualen Vermittlung, die als solche schon Negation des unmittelbaren Anfangs ist, vollzieht sich entwicklungsdialektisch. Die Allgemeinheit, d. h. die unmittelbare Bedeutungseinheit des Anfangs, bleibt in ihrer Besonderheit, d. h. in dem dialektischen Prozess, den sie immanent aus sich heraus produziert, positiv bestehen und damit aber auch in der Einzelheit, denn die Einzelheit ist nichts anderes als die Vereinheitlichung der prozessualen, dialektischen Vermittlung des Anfangs, d. h. seiner Besonderheit, zu einer wieder unmittelbaren Bedeutungseinheit. Als ein allgemeines, gestalterisches Formprinzip begründet die spekulativ-dialektische Methode auf allen, auch schon auf den frühsten Stufen der logischen Entwicklung deren Fortgang. Sie inhäriert dabei dem sich einheitlich entwickelnden Inhalt als dessen immanente Struktur, die sich ausgehend von dem anfänglichen, quasi-anschauenden gedanklichen Erfassen des Inhalts als einer ihrer Form nach unmittelbaren und einfachen Bedeutungseinheit mit innerer Notwendigkeit an ihm darstellt. Die spekulative Dialektik als die allgemeine Gesetzmäßigkeit der immanenten, d. h. sich vollständig selbst begründenden Konkretisierung des logischen Inhalts, bestimmt Hegel in diesem Sinne als den „innerste[n] Quell aller Thätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung“ 91. Die Struktur der spekulativen Methode produziert sich somit am Inhalt selbst als dessen dynamische, wesentlich prozessuale Form, verändert und erweitert im Zuge dieses Prozesses den Bedeutungsgehalt des Inhalts, fasst diese immanente Erweiterung als eine wieder einfache und un88 89 90 91
GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 246.
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mittelbare Bestimmung auf und geht somit zu einer neuen Stufe der Entwicklung fort, auf der sie sich als deren Form erneut reproduziert. Im Rahmen unserer Untersuchung hat sich dabei gezeigt, dass die Erweiterung und Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts mit einer schrittweisen Ineinsbildung seiner Bedeutung mit den methodisch-formalen Strukturaspekten des Prozesses seiner immanenten Konkretisierung einhergeht. Dass die spekulativ-dialektische Methode a) die logische Entwicklung von ihrem Beginn an leitet und begründet, d. h. dass sie dem Inhalt, der sich entwickelt und konkretisiert, als dessen aktive und produktive Form unmittelbar inhäriert, und b) sich dennoch im Rahmen dieser Entwicklung schrittweise realisiert, belegt, dass die logische Entwicklung wesentlich den Prozess der absoluten Selbstbestimmung der Methode darstellt. Ungeachtet ihrer durchgängigen produktiven Wirksamkeit ist die absolute Methode also nicht auf allen Stufen der logischen Entwicklung gleichermaßen realisiert und wird in der Tat erst am Endpunkt dieser Entwicklung vollständig realisiert sein. 92 Dass der Bedeutungsgehalt des einigen, sich entwickelnden Inhalts der ihm auf all seinen Entwicklungsstufen inhärierenden Formaktivität mehr oder weniger angemessen sein kann, dies ist die einzige Hinsicht, in der rücksichtlich des Verhältnisses von logischer Methode und logischem Inhalt von einer Transzendenz der Methode gesprochen werden kann. Die Methode ist gegenüber dem Inhalt, mit anderen Worten, nur in dem Sinne transzendent, wie, um ein Beispiel heranzuziehen, welches Hegel selbst verwendet, um seine dialektische Methode anhand einer organischen Entwicklung zu exemplifizieren, das Aufbrechen der pflanzlichen Blüte gegenüber dem Entwicklungsstadium der Knospe transzendent ist. 93 Der Begriff „transzendent“ hat hier also die Bedeutung von „noch nicht vollständig realisiert“, nicht aber von „überhaupt noch nicht realisiert“. Die spekulative Dialektik ist in diesem Sinne sowohl dasjenige, auf dessen vollständige Realisierung die logische Entwicklung immanent ausgerichtet ist, als auch das treibende, produktive Prinzip, das diese Realisierung seiner selbst bewirkt und autonom begründet. Als Entelechie (ἐντελέχεια) im Aristotelischen Sinn ist die logische Entwicklung demnach denkende Energeia (ἐνέργεια), deren selbstbezügliche Tätigkeit darin besteht, die Dynamis (δύναµις) des Bedeutungsgehalts 92
93
Vgl. hierzu R. Schäfer: Hegel. Einführung und Texte, München 2011, 93 f.: „Latent wirkt das Absolute immanent in allen Denkbestimmungen, die in der reifen Logikkonzeption auftreten. Eigentlich gibt es nur ein einziges Wahres, die absolute Idee, in der alles Denken und alle ihr vorangehenden Denkbestimmungen aufgehoben sind, doch dieses reine Absolute ist nicht unmittelbar fertig, sondern wie schon die Vorrede der Phänomenologie lehrt, muss, was geistig ist, erst zu sich werden. Das gilt auch für das Absolute in seiner reinen Form, nämlich für die absolute Idee, die zwar erst am Ende der Logik vollgültig und explizit erreicht wird, aber vorher bereits durchgängig in allen Denkbestimmungen immer schon latent bei der Arbeit der Selbstthematisierung beschäftigt ist.“ Vgl. hierzu GW, Bd. 9, 10.
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ihres Inhalts schrittweise der produktiven Aktivität seiner Form, d. h. der Struktur seiner spekulativ-dialektischen Konkretisierung, anzugleichen und diese somit im Sinne einer vollständigen Ineinsbildung von Form und Inhalt zu realisieren. 94 So legt Hegel mit seiner Konzeption der logischen Wissenschaft eine Umdeutung des Aristotelischen Denkens seiner selbst (νόησις νοήσεως) vor, in der dieses nicht in dem Sinne reine denkende Selbstbezüglichkeit ist, dass es in der absoluten Wirklichkeit seiner Denktätigkeit jedweder passiven Möglichkeit entbehrt. 95 Vielmehr besteht die autopoietische Natur des Logischen darin, dass es sich selbst verwirklicht, indem es die unterscheidbaren Strukturaspekte seiner selbst, d. h. die unterscheidbaren Strukturaspekte der absoluten Methode, in systematischer Ordnung auseinander ableitet und sich somit schrittweise im logischen Inhalt realisiert. Die dargelegte Struktur der logischen Entwicklung erlaubt somit zweierlei Perspektiven auf die spekulative Dialektik. Sie ist sowohl die Methode der Logik, d. h. die produktive Formaktivität, welche die logische Entwicklung durchgängig regelt und vorwärtstreibt, als auch dasjenige Prinzip, welches sich als Inhalt der Logik schrittweise realisiert, indem seine unterscheidbaren Strukturmomente systematisch auseinander deduziert werden. Gerade diese Einheit und Gleichursprünglichkeit von gestalterischer, produktiver Formaktivität einerseits und immanenter Realisierung beziehungsweise Manifestation dieser Form andererseits legen es nahe, das Verhältnis von spekulativ-dialektischer Methode und logischen Inhalt als eine Form lebendiger Selbstbezüglichkeit zu bestimmen. Die spekulativ-dialektische Methode ist im Inhalt der Logik folglich „als Seele in einem Leibe realisirt“ 96, insofern sie sowohl der inhärente Grund der schrittweisen Transformation seines Bedeutungsgehalts ist als auch im Zuge dieses Entwicklungsprozesses nur sich selbst realisiert und bestimmt. Diese beiden Aspekte der Bestimmung der logischen Entwicklung als einer Form lebendiger Selbstbezüglichkeit stehen dabei zueinander in einem reziproken Be94
95
96
Zu Hegels Deutung zentraler Grundbegriffe der Aristotelischen Metaphysik wie etwa Dynamis und Energeia vgl. T. Dangel: Hegel und die Geistmetaphysik des Aristoteles. Berlin / Boston 2013, K. Düsing: „Ontologie bei Aristoteles und Hegel“, in: Hegel-Studien (Bd. 32). Bonn 1997, 61–92, sowie H.-G. Gadamer: „Hegel und die antike Dialektik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 7–30, insb. 14 f. sowie 25–30. Somit geht mit dem Begriff des Absoluten, dessen Selbstbestimmung die logische Entwicklung darstellt, ebenfalls eine ganz entscheidende Abwandlung des aristotelisch-scholastischen Actus purus-Theorems einher. Die Absolutheit der Aktuosität des reinen Denkens seiner selbst bedeutet bei Hegel gerade nicht das Abgehen jeglicher Möglichkeit, sondern sie besteht in der vollständigen Ableitung des Prinzips der denkenden Selbstbezüglichkeit aus abstrakteren, der Möglichkeit nach offeneren Bestimmungen im Zuge einer reinen Selbstanwendung des Denkens. GW, Bd. 20, 219.
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gründungsverhältnis. Die logische Entwicklung ist eine sich selbstbewegende, ihren Fortgang vollständig selbst begründende Prozessualität. Für eine jede Instanz dieser Prozessualität gilt, dass sie die nächste Stufe der Entwicklung als Resultat ihrer autonomen Selbstbestimmung hervorbringt, indem sie erstens sich zu einer gegenüber ihrem ursprünglichen Bedeutungsgehalt erweiterten prozessualen Struktur besondert und zweitens diese Struktur in die Form ihrer ursprünglichen Einheit zurückführt, von der ausgehend diese allgemeine Struktur der Entwicklung sodann aufs Neue beginnt. Die Selbstbewegung des logischen Inhalts, die es uns erlaubt ihn als eine spezifische Form der Lebendigkeit zu bestimmen, besteht, wie wir gesehen haben, in der schrittweisen, aber immanenten Konkretisierung seines Bedeutungsgehalts. Die Entwicklungsdialektik der Idee und lebendige Selbstbezüglichkeit fallen somit zusammen. Die Begriffsimmanenz dieser Entwicklung, nach der es „der Inhalt in sich [ist], die Dialektik, die er an ihm selbst hat, welche ihn fortbewegt“ 97, entspricht unmittelbar der Einheit von begrifflicher Synthese und begrifflicher Analyse, durch welche sich die Methode der Logik wesentlich auszeichnet. Alle Stadien und Bedeutungen, die der Inhalt in seiner Konkretisierung durchläuft, sind solche begrifflichen Bedeutungsgehalte, die sich an ihnen selbst spekulativ-dialektisch weiterbestimmen. Derjenige in sich bewegte und sich selbst bewegende Bedeutungskomplex, den die logische Wissenschaft darstellt, ist zunächst als Leben zu bestimmen, indem ihr Inhalt auf allen Stufen seiner schrittweisen Entwicklung an sich unter reicheren Regeln, Strukturen und Gesetzmäßigkeiten steht als dabei explizit, d. h. an und für sich, an ihm gesetzt ist. Obgleich das synthetische Fortgehen der logischen Entwicklung sich durchgehend allein „im Element des frey für sich seyenden Denkens“ 98 vollzieht, kann in dieser Hinsicht von einer Bewusstlosigkeit des Denkens bezüglich der methodischen Gesetzmäßigkeiten seiner immanenten Entwicklung und Konkretisierung gesprochen werden. Dabei wird diese Bewusstlosigkeit im Verlauf der Entwicklung, d. h. mit der fortschreitenden Weiterbestimmung des logischen Inhalts zu immer konkreteren Bedeutungen und – damit einhergehend – zu immer komplexeren dialektischen Vermittlungsstrukturen, schrittweise aufgelöst. Im Zuge seiner Selbstexplikation erhält das Denken in sich immer mehr Klarheit über die methodischen Bedingungen seiner Selbstexplikation, indem mit der Ausbildung des logischen Inhalts zu immer konkreter werdenden Bedeutungsgehalten zugleich die unterscheidbaren Strukturaspekte der spekulativen Dialektik in einem allein durch die spekulative Dialektik geregelten und begründeten Entwicklungsprozess auseinander abgeleitet werden. Die unterscheidbaren Aspekte der allge97 98
GW, Bd. 21, 38. GW, Bd. 21, 54.
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meinen Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung vervollständigen sich damit im Fortgang der Logik zu einer Totalität, die, wie wir gesehen haben, als der gesamte Verlauf ihrer schrittweisen Ausbildung und genetischen Entwicklung zu verstehen ist. Als die Totalität der Denkbestimmungen in systematischer Anordnung und Organisation – von allgemeineren jeweils zu nächstspezifischeren Bestimmungen fortgehend – konstituiert die Logik als Ganzes dann den vollständigen, in sich komplexen und prozessualen Begriff denkender Selbstbezüglichkeit. Dasjenige, was Denken als solches wesentlich ist, besteht in nichts anderem als in seiner rein sich selbst begründenden Entfaltung in die systematische Anordnung seiner Bestimmungen und damit, wie sich gezeigt hat, überhaupt darin, Logik zu betreiben. Die logische Entwicklung und damit das reine, nur sich selbst explizierende Denken besteht darin, dass der eine begriffliche Bedeutungsgehalt, der den Inhalt der Logik darstellt, sich ausgehend vom reinen Sein und durch die folgenden Seins-, Wesens- und Begriffsbestimmungen hindurch bis hin zur absoluten Idee konkretisiert. Die Charakterisierung der logischen Wissenschaft als Leben liegt argumentativ darin begründet, dass der Inhalt sich hier auf allen Stadien des Entwicklungsprozesses autonom weiterführt und zu komplexeren und konkreteren Ausprägungen seiner selbst spezifiziert. Das reine Denken seiner selbst lässt, mit anderen Worten, auf allen Stufen seiner Selbstexplikation in der synthetischen Weiterbestimmung derjenigen Bedeutung, zu der es sich jeweils bestimmt hat, nur diejenigen argumentativen Gründe gelten, die es allein in dieser begrifflichen Bedeutung selbst findet beziehungsweise allein aus dieser deduzieren kann. Das Zugleich von begriffsimmanenter Analyse und produktiver und bedeutungserweiternder, mithin synthetischer Weiterentwicklung hat sich dabei im Rahmen unserer Untersuchung so dargestellt, dass der logische Inhalt auf allen Stufen seiner Entwicklung so verfasst ist, dass er sich an ihm selbst fortbestimmt, d. h. an sich bereits von prozessualer und spekulativ-dialektischer Natur ist, seine sich gemäß dieser Struktur schrittweise weiterentwickelnde Bedeutung aber nicht im vornherein, sondern erst am Ende ihrer Konkretisierung vollständig mit der allgemeinen Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung konvergiert. Beides zusammengenommen, d. h. die Einheit von begrifflicher Analyse und begrifflicher Synthese in der spekulativ-dialektischen Begriffsentwicklung, macht aber nun gerade die Lebendigkeit des reinen Denkens seiner selbst aus. Diese Charakterisierung ist keine Metapher, sondern die adäquate Fassung der zu endlichen lebendigen Organismen, Tieren und Pflanzen isomorphen Prozessstruktur der Logik. 99 Ein jedes ihrer Glieder, d. h. eine jede Stufe der logischen 99
Bezüglich der Thematik, dass der Begriff des Lebens in der dahingehenden Charakterisierung der Idee und damit der sich genetisch entwickelnden logischen Wissenschaft als
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Entwicklung, im Rahmen derer das Denken sich rein selbst expliziert und entfaltet, ist das unmittelbare Resultat des gesamten zurückliegenden Entwicklungsprozesses, dessen Fortschritte und Gewinne dabei im Resultat verlustlos aufbewahrt sind, und enthält darüber hinaus den Grund der noch folgenden Entwicklung vollständig in sich. In diesem Sinne ist ein jedes Glied der logischen Entwicklung, d. h. eine jede ihrer Stufen, wesentlich die Totalität des gesamten Entwicklungsprozesses, jedoch jeweils in noch (mehr oder weniger) unvollständiger Realisierung und Aktualität. Dies entspricht dem Ergebnis unserer vorangegangenen Untersuchung, nach dem jede Denkbestimmung, d. h. der logische Inhalt auf einem jeden Stadium seiner Entwicklung, sich an sich gemäß der allgemeinen Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung immanent weiterbestimmt, dabei diese Vermittlungsstruktur jedoch in unterschiedlichem (und im Fortgang der Entwicklung zunehmendem) Maß an dem so sich weiterbestimmenden Bedeutungsgehalt auch gesetzt ist. Wie gezeigt worden ist, stellt die spekulative Dialektik zum einen die immanente Form des logischen Inhalts dar, die sich auf allen Stufen seiner schrittweisen Entwicklung reproduziert, sie ist also gleichbleibende Form eines immer konkreter werdenden Bedeutungsgehalts. Zum anderen ist sie eine aktive Form, sie ist Form als eine in formaler Hinsicht gestalterische und in Hinblick auf den von ihr durchwirkten Bedeutungsgehalt produktive Formaktivität, die dem Inhalt nicht nur unmittelbar inhäriert, sondern, weil sie ihm unmittelbar inhäriert, ihn zudem immanent weiterentwickelt. So begründet die gestalterische Produktivität der aktiven Form des logischen Inhalts erstens, dass dieser sich fortlaufend an ihm selbst spezifiziert, indem seine unmittelbaren Entwicklungsstadien, in die er sich im Lauf seiner Entwicklung immer wieder zurücknimmt, sich zu einem dialektischen Werdens- und Transformationsprozess bestimmen und sich damit in Struktur und Bedeutung zunächst erweitern und bereichern. Zweitens begründet die gestalterische Produktivität der spekulativen Dialektik – auf dem Moment der Spezifizierung aufbauend –, dass der logische Inhalt sich fortschreitend konkretisiert, indem die prozessualen Spezifizierungen des Inhalts, die das Moment des dialektischen Fortgangs einer jeden Stufe der Entwicklung ausmachen, sich unter Wahrung der mit ihnen je einhergehenden Bedeutungserweiterung auch wieder zu einer ihrer Form nach wieder unmittelbaren und einfachen Bedeutungseinheit vereinzeln. Diese Rückführung des gegenüber dem Anfang einer Entwicklungsstufe erweiterten Bedeutungsgehalts seiner Dialektik in die Form logischer Unmitsolcher nicht als Metapher zu verstehen ist, sondern das Leben des Logischen für Hegel die eigentliche Lebendigkeit darstellt, vgl. die Studie von A. Sell: Der lebendige Begriff. Leben und Logik bei G. W. F. Hegel. Freiburg / München, 2. Auflage 2014, insb. 196–206.
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telbarkeit stellt sodann das nächstkomplexere unmittelbare Stadium in der Entwicklung des logischen Inhalts dar und markiert damit nahtlos den Anfang der nächstfolgenden Stufe der Entwicklung. Rücksichtlich des Verhältnisses von spekulativer Dialektik und logischem Inhalt sind also zwei Aspekte festzuhalten: a) Die Einheit von spekulativer Dialektik und logischem Inhalt, nach der die spekulative Dialektik dem Inhalt als dessen Form unmittelbar inhäriert und sich als Bleibendes im Wandel seines sich entwickelnden und konkretisierenden Bedeutungsgehalts kontinuierlich reproduziert, sowie b) die gestalterische Produktivität dieser Form, nach der sie es ist, die den begrifflichen Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts zu immer komplexeren und spezifizieren Ausprägungen bildet und konkretisiert. Diese Einheit von immanenter Reproduktion und gestalterischer Produktivität, die der spekulativen Dialektik in ihrem Verhältnis zum logischen Inhalt zukommt, macht verständlich, inwiefern sie, d. h. die allgemeine, produktive Struktur der spekulativen Dialektik, das Prinzip der Selbstbewegung des Inhalts ist beziehungsweise, da dieses Prinzip ihm unmittelbar inhäriert, es „der Inhalt in sich [ist], die Dialektik, die er an ihm selbst hat, welche ihn fortbewegt“. 100 Die spekulative Dialektik kann vor diesem Hintergrund metaphorisch als der Herzschlag des logischen Inhalts und seiner Selbstbewegung angesehen werden. Ihr immanentes und regelmäßiges Sich-reproduzieren auf allen Stufen der Entwicklung, die sich rücksichtlich der Konkretheit und Komplexität ihres Bedeutungsgehalts voneinander unterscheiden, bindet diese Stufen zunächst in die formal-strukturelle Durchgängigkeit eines einheitlichen Entwicklungsprozesses zurück, dessen Momente sie somit sind. Zudem kann die regelmäßige Abfolge von a) der bedeutungserweiternden Differenzierung eines unmittelbaren Anfangs in die zirkuläre Prozessualität des dialektischen Transformationsprozesses, der sich zwischen dem Bedeutungsgehalt des Anfangs und seinem Entgegengesetzten vollzieht, und b) der immanenten Wiederherstellung der Form anfänglicher Unmittelbarkeit an diesem erweiterten, dialektisch-prozessualen Bedeutungsgehalt – im Bild des Herzschlages bleibend – als die pulsierende Einheit von a) begrifflicher „Ausdehnung“ 101 und b) begrifflicher Kontraktion gesehen werden. Das Moment des dialektischen „Aussersichgehens“ 102 ist, indem die gegenüber dem Anfang erweiterte Dialektik sich wieder in die Form einer unmittelbaren Bedeutungseinheit zurückführt und als einen Anfang höherer Stufe bestimmt, zugleich auch „ein In-sich-gehen, und die größere Ausdehnung, ebensosehr höhere Intensität“ 103 und resultiert in einer ihrer 100 101 102 103
GW, Bd. 21, 38. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251.
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Form nach zwar wieder unmittelbaren, rücksichtlich ihres Bedeutungsgehalts aber konkreteren begrifflichen Einheit. Die spekulative Dialektik stellt in diesem Sinne nichts anderes dar als diejenige strukturelle Gesetzmäßigkeit, gemäß welcher der eine begriffliche Bedeutungsgehalt, der so den Inhalt der logischen Wissenschaft ausmacht, sich an ihm selbst erweitert sowie sich in sich konkretisiert und zu immer komplexeren begrifflichen Gehalten ausbildet. Die kontinuierlich, nämlich immer an einer nächstkonkreteren, ursprünglich ausgebildeten Bedeutung, sich reproduzierende Abfolge von dialektisch-prozessualer Ausdehnung einer anfänglichen Bedeutungseinheit und Rückführung dieser erweiterten Prozessualität in diese Form anfänglicher Einheit und Unmittelbarkeit stellt dasjenige Gestaltungsprinzip dar, welches dem begrifflichen Inhalt der logischen Wissenschaft unmittelbar inhäriert. Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik, die mit dieser regelmäßig sich reproduzierenden Abfolge von Bedeutungsdifferenzierung und Rückkehr zu höherer begrifflicher Einheit in eins fällt, ist somit in allen logischen Bedeutungen, die sich gemäß ihr an ihnen selbst weiterbestimmen und konkretisieren, gegenwärtig sowie, wie wir gesehen haben, dabei nicht nur das produktive Movens des gesamten Entwicklungsverlaufs, sondern zugleich das Telos, auf welches dieser Entwicklungsverlauf ausgerichtet und hingeordnet ist. Als ein einiger Bedeutungsgehalt, der sich an ihm selbst spekulativ-dialektisch weiterbestimmt, d. h. sich fortlaufend sowohl spezifiziert als auch konkretisiert, ist der Inhalt der logischen Entwicklung darauf ausgerichtet, seine zunächst abstrakte und allgemeine Bedeutung schrittweise so weit zu konkretisieren und weiterzuentwickeln, dass sie schlussendlich mit der allgemeinen Verlaufsform ihrer Konkretisierung und Weiterentwicklung vollständig konvergiert. Das vollständige Konvergieren von Methode und Inhalt vollzieht sich dabei nicht als ein äußerliches Zustandebringen, sondern immanent als eine Ineinsbildung des sich selbst gestaltenden Inhalts mit dem Strukturprinzip seiner Selbstgestaltung. Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik wird somit nicht außerhalb, sondern innerhalb des Durchlaufens der unterscheidbaren Instanzen des logischen Inhalts gewonnen und thematisiert, d. h. als Endpunkt der ursprünglichen Ausbildung der inhaltlich zunächst differenten, strukturell jedoch gleichförmigen Stufen der logischen Entwicklung, von denen eine jede ihrer Form und prozessualen Struktur nach bereits spekulativ-dialektisch verfasst ist und somit ein „Beseeltes der Methode“ 104 darstellt. Mit dem Erreichen der absoluten Idee, die am Ende einer aufsteigenden Folge von Phasen der allein durch die spekulative Dialektik geregelten und begründeten Entwicklung steht, bildet sich der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts, der im Fortgang von Entwicklungsstufe zu Entwicklungsstufe 104
GW, Bd. 12, 252.
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immer konkreter wird, schließlich mit der allgemeinen Struktur spekulativdialektischer Bedeutungskonkretisierung, d. h. mit der „Seele“ 105 des gesamten Entwicklungsprozesses, vollständig in eins. 106 6.3 Die Entwicklung des logischen Inhalts ist die systematische Selbsteinteilung des reinen Denkens Die Sprunglosigkeit und Durchgängigkeit der logischen Entwicklung besteht darin, dass der Anfang einer jeder ihrer Stufen unmittelbar dadurch generiert wird, dass der Bedeutungsgehalt des dialektischen Prozesses, zu dem der Anfang der vorangegangenen Entwicklungsstufe sich spezifiziert und bestimmt hat, sich in die Form wieder anfänglicher Einfachheit und Unmittelbarkeit zurückführt. Hierbei ist zunächst festzuhalten, dass der unmittelbare Anfang einer Stufe der logischen Entwicklung, d. h. die gedankliche Erfassung einer Denkbestimmung in der Form einer einfachen, noch nicht spezifizierten Bedeutungseinheit, in dem dialektischen Transformationsprozess, zu dem er sich im Fortgang der Entwicklung dann bestimmt, positiv bestehen bleibt und sich darin kontinuiert. Da hierbei der dialektische Prozess, der sich zwischen dem Bedeutungsgehalt des Anfangs und dessen Entgegengesetztem vollzieht, die sich beide kontinuierlich an ihnen selbst aufheben und sich zueinander transformieren, gegenüber dem einfachen Anfang eine erweiterte, bereicherte und komplexere Struktur darstellt, kontinuiert sich der unmittelbare Anfang in seinem Resultat so, dass er sich darin besondert, d. h. spezifiziert, und sich mit dem Fortgang der Entwicklung wesentlich zu einer komplexeren Manifestation 105 106
GW, Bd. 12, 238. Demgemäß beschreibt Bickmann (C. Bickmann: „Hegels Prinzip des Geistes“, in: HegelJahrbuch 2010. Berlin 2010, 22–27, 27.) das Verhältnis von Leben, Geist und Logik wie folgt: „Geist ist werdendes Leben oder Werden des Lebendigen. Nimmt man von diesem Orte, dem Orte der Genesis des Prinzips im Werden und Entfalten des Lebendigen, den Geist als das Movens des Lebendigen – auf dem Wege zur Selbstdurchsichtigkeit des Seinsganzen – auf, so wird in Hegels ‚Logik` dann das Prinzip in seinem eigenen Selbstsein thematisch; aber auch in diesem Selbstsein bleibt es nicht ohne den impliziten Bezug auf seine prozedurale Veränderung, auf die Entäußerung in einem Vorbegrifflichen, die Hegel durch die Genesis von Seins- zur Begriffslogik anzuzeigen sucht: erst im Begriff des Begriffs ist jene Selbstbeziehung denkbar geworden, in der das Sein sich selbst sieht und – urteilend und schließend – sich dann auch in seinem wahren Selbstsein erst begreift.“ Dieses Werden des Denkens zu sich im einheitlichen Entwicklungsgang durch die Seins-, die Wesens- und die Begriffslogik entspricht in unserer Lesart dem schrittweisen, teleologisch organisierten, rein begriffsimmanenten und damit lebendigen Übergreifen der allgemeinen Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung auf den an sich bereits von Beginn an gemäß dieser prozessualen Gesetzmäßigkeit sich immanent weiterbestimmenden logischen Inhalt.
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seiner selbst bestimmt. Diese Einheit von a) dem positiven Bestehenbleiben des Anfangs in seinem Resultat und b) der Bereicherung und strukturellen Erweiterung, die sich hiermit an der Bedeutung des Anfangs vollzieht, entspricht der Einheit von analytischem und synthetischem Erkennen in der spekulativen Entwicklung. Der Fortgang der spekulativen Entwicklung einer logischen Bestimmung ist somit als eine Spezifizierung ihres unmittelbaren Bedeutungsgehalts zu verstehen. Der dialektische Prozess, zu dem sich die Entwicklung in ihrem Fortgehen zunächst ausbildet, ist gegenüber der unmittelbaren, noch dialektikfreien und prozesslosen Bedeutung, mit welcher der Anfang gemacht wird, zwar von wesentlich weiterer und komplexerer Bedeutung. Zugleich aber ist der dialektische Prozess nicht ein Anderes des Anfangs, das zu diesem in keinerlei positiver Beziehung steht, sondern der Anfang kontinuiert sich in seiner Dialektik und bestimmt sich mit seiner ursprünglichen Selbstaufhebung somit zu einer spezifischen, erweiterten Ausprägung seiner selbst. Hinsichtlich des Verhältnisses, in dem Anfang, Fortgang und Ende der spekulativen Entwicklung zueinander stehen, ist dabei Folgendes festzuhalten. Erstens stehen der unmittelbare Anfang und der dialektisch-prozessuale Vermittlungsprozess des Fortgangs, wie dargelegt, zueinander im Verhältnis von Allgemeinheit und Besonderheit. Zweitens besteht das Ende der Entwicklung wesentlich darin, dass die Formbestimmung des Anfangs am erweiterten und bereicherten Bedeutungsgehalt des dialektischen Fortgangs wiederhergestellt wird; negiert wird hiermit die dem dialektischen Prozess an sich zukommende Form, d. h. die Form der dynamisch-zirkulären und transformativen Vermittlung zweier kontinuierlich sich aufhebender und zueinander werdender Relata, aufgehoben und bewahrt bleibt jedoch der Bedeutungsgehalt dieser gegenüber dem unmittelbaren Anfang bereicherten Vermittlungsstruktur. Aus diesen beiden Beobachtungen folgt nun, dass nicht nur Anfang und Fortgang, sondern auch Anfang und Ende sich in Hinblick auf ihren Bedeutungsgehalt wie Allgemeinheit und Besonderheit zueinander verhalten. Das Ende des spekulativen Entwicklungsprozesses, d. h. die Begriffsbestimmung der Einzelheit in ihrer Bedeutung als ein Moment der spekulativen Methode, ist somit sowohl – wie der Fortgang – Besonderheit desjenigen Anfangs, aus dem sie resultiert ist, als auch Allgemeinheit, denn die Genese der Einzelheit / des Endes der Entwicklung besteht wesentlich darin, dass der Bedeutungsgehalt des dialektischen Prozesses, zu dem der Anfang sich immanent bestimmt und besondert hat, unter vollständiger Wahrung seiner erweiterten Bedeutung, aber unter Negation seiner prozessualen Struktur in die Form wieder anfänglicher Unmittelbarkeit und damit Allgemeinheit zurückgeführt wird. Es kann somit interpretiert werden, dass mit dem Einsetzen des Fortgangs, d. h. mit der immanenten Besonderung des unmittelbaren Anfangs, der sich an ihm selbst als dialektisch erweist und sich damit zunächst zu einem zirkulären
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Prozess der immanenten Transformation seines Bedeutungsgehalts und seines Entgegengesetzen zueinander bestimmt, wesentlich die spezifische Differenz ausgebildet wird, durch welche der Anfang, an dem sie gesetzt wird, und der folgende, eben um das Moment dieser Setzung bereicherte Anfang voneinander unterschieden werden. Das Ende der spekulativen Entwicklung besteht darin, das die Differenz, die sich an einer unmittelbaren logischen Bedeutungseinheit, mit deren gedanklicher Erfassung der Anfang gemacht worden ist, gesetzt hat, in die Form wieder anfänglicher Unmittelbarkeit zurückgeführt wird. Diese Differenz ist spezifisch zu nennen, da sie an dem Anfang selbst, als seine Dialektik, die inhaltlich über ihn hinausgeht, in der er aber zugleich auch wesentlich „aufbewahrt und erhalten“ 107 bleibt, gesetzt worden ist, indem der unmittelbare Bedeutungsgehalt des Anfangs sich autonom zu seiner Dialektik bestimmt hat. Der unmittelbare Anfang der spekulativen Entwicklung ist somit eine sich an ihr selbst konkretisierende und sich immanent spezifizierende Allgemeinheit, die ihre Besonderheit / ihre spezifische Differenz sowie ihre Einzelheit, die den neuen, um das Moment der spezifischen Differenz bereicherten Bedeutungsgehalt, zu dem der Anfang sich als produktive Allgemeinheit selbst bestimmt und erweitert hat, in die Form eines neuen Anfangs zurückführt. Das Ende der Entwicklung ist rücksichtlich seines Bedeutungsgehalts und seiner Genese, die, wie dargestellt worden ist, vor dem Hintergrund des vollständig begriffsimmanenten Verlaufs der Entwicklung schlichtweg in eins fallen, also die Einheit der nächsten logischen Gattung, d. h. der nächst abstrakteren Allgemeinheit / des unmittelbar vorangehenden Anfangs, sowie derjenigen Dialektik, zu der sich dieser vorangehende Anfang selbst synthetisch differenziert und spezifiziert hat. Da das Ende einer jeden Stufe der logischen Entwicklung, indem es in der immanenten Restitution der Form anfänglicher Unmittelbarkeit / Allgemeinheit am Bedeutungsgehalt der Dialektik des vorangehenden Anfangs besteht, seine nächste Allgemeinheit und deren spezifische Differenz in sich vereinigt, kann das Resultat des spekulativen Entwicklungsprozesses zunächst als die Definition einer logischen Bestimmung angesehen werden. Die logische Entwicklung besteht demnach aus einer durchgängigen Abfolge von aufeinander aufbauenden Entwicklungsstufen, von denen eine jede einen eigenen, gemäß der spekulativen Dialektik sich vollziehenden Prozess darstellt. Eine jede Entwicklungsstufe hat einen Anfang, der mit der gedanklichen Erfassung eines unmittelbaren logischen Bedeutungsgehalts gemacht wird, einen Fortgang, im Rahmen dessen dieser anfängliche Bedeutungsgehalt seine unmittelbare Form überwindet und das Verhältnis, in dem er und 107
GW, Bd. 12, 245.
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der ihm spezifisch entgegengesetzte Bedeutungsgehalt zueinander stehen, zum Prozess ihrer immanenten Transformation zueinander entwickelt, sowie ein Ende, mit dem beide der einander entgegengesetzten Bestimmungen, indem in ihrem Werden zueinander eine jede von ihnen „sich zur Einheit mit dem andern bethätigt“ 108 und damit „zur Totalität [des ganzen Transformationsprozesses, L.H.] vollendet“ 109, zu einer wieder unmittelbaren Bestimmung vereinigt werden. Die durchgängige Einheitlichkeit und Sprunglosigkeit der logischen Entwicklung resultiert nun daraus, dass ihre Stufen nicht äußerlich und nachträglich miteinander verknüpft werden müssen, sondern das Ende jeder Entwicklungsstufe – allein aufgrund der Tatsache, dass mit ihm der dialektische Prozess dieser Stufe sich an ihm selbst zu einer wieder unmittelbaren Bedeutungseinheit zurückführt, – zugleich auch einen neuen Anfang darstellt. 110 Aufgrund der Reproduktion der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik (Anfang-Fortgang-Ende / neuer Anfang) auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung – und damit als gleichbleibende prozessuale Form eines immer konkreter werdenden Bedeutungsgehalts – besteht der gesamtlogische Entwicklungsprozess in einer schrittweisen Deduktion von logischen Bedeutungsgehalten. Der eine logische Inhalt führt sich in seiner schrittweisen Entwicklung, die also Bereicherung und Konkretisierung seines Bedeutungsgehalts ist, mit gleichbleibender Regelmäßigkeit immer wieder in die Form einer unmittelbaren Bedeutungseinheit zurück. Dies geschieht, wie wir gesehen haben, immer dann, wenn sich eine Stufe der logischen Entwicklung vollendet, indem der dialektische Prozess, zu dem ihr Anfang sich an ihm selbst spezifiziert hat, sich in die Form einer wieder unmittelbaren Bedeutung zurückführt und hiermit zugleich den Anfang der nächstfolgenden Entwicklungsstufe darstellt. Logische Unmittelbarkeit, die als solche nicht explizit dialektisch und widersprüchlich ist und somit im Zuge eines intuitiven Denkaktes einfach erfasst wird, tritt also immer an einer Schnittstelle zwischen zwei Stufen der Entwicklung auf. Da das Ende einer Stufe zugleich auch der Anfang 108 109 110
GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. Im Rahmen der Einleitung zu den Vorlesungen über die Philosophie der Religion fasst Hegel diese allgemeine Struktur des spekulativen Denkens in prägnanter Form zusammen. Vgl. hierzu TWA, Bd. 16, 30: „Spekulative Philosophie ist das Bewußtsein der Idee, so daß alles als Idee aufgefaßt wird; die Idee aber ist das Wahre im Gedanken, nicht in der bloßen Anschauung oder Vorstellung. Das Wahre im Gedanken ist näher dieses, daß es konkret sei, in sich entzweit gesetzt, und zwar so, daß die zwei Seiten des Entzweiten entgegengesetzte Denkbestimmungen sind, als deren Einheit die Idee gefaßt werden muß. Spekulativ denken heißt, ein Wirkliches auflösen und dieses sich so entgegensetzen, daß die Unterschiede nach Denkbestimmungen entgegengesetzt sind und der Gegenstand als Einheit beider aufgefaßt wird.“
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der nächstfolgenden ist und ihre aus Anfang, Fortgang und Ende bestehende Prozessualität einleitet, ist die Vollendung einer Entwicklungsstufe, d. h. die Form logischer Einfachheit und Unmittelbarkeit, in der von Hegel verwendeten Beschreibung der gesamtlogischen Struktur einer der Punkte, an welchem zwei Kreise innerhalb des (gesamtlogischen) Kreises von Kreisen einander tangieren. Die logische Entwicklung ist also der Prozess der immanenten Konkretisierung eines einigen Inhalts, wobei für ein jedes seiner unmittelbaren Entwicklungsstadien, in die er sich im Zuge seiner Konkretisierung und Selbstvermittlung immer wieder zurückführt, gilt, dass es gegenüber dem nächst vorangehenden unmittelbaren Entwicklungsstadium eine Spezifizierung / Besonderung desselben darstellt. Die logische Entwicklung ist demnach als ein sprungloses Fortgehen von allgemeineren zu spezifischeren (unmittelbaren) Bedeutungseinheiten zu verstehen, wobei dieser Prozess der inhaltlichen Spezifizierung eines unmittelbaren Entwicklungsstadiums allein in diesem selbst begründet liegt. Somit besteht die gesamte Entwicklung wesentlich in der autonomen Einteilung des einen, sich entwickelnden logischen Inhalts in eine untrennbar zusammenhängende Abfolge von Bestimmungen, die sich an ihnen selbst konkretisieren und spezifizieren und mit ihrer immanenten Spezifizierung zugleich jeweils in einer solchen konkreten Bestimmung resultieren, die sich ebenfalls wieder weiter immanent konkretisiert und spezifiziert und damit eine Allgemeinheit höherer Stufe ist. Die Bestimmungen des reinen Denkens, die den Inhalt der logischen Wissenschaft ausmachen, stellen eine spezifische Form von Allgemeinbegriffen dar. Sie sind nämlich von der Art, dass sie ihre anfängliche Abstraktheit und Unmittelbarkeit an ihnen selbst überwinden, d. h. allein kraft der ihrem einfachen Bedeutungsgehalt unmittelbar inhärierenden produktiven Form darauf ausgerichtet sind, „sich weiter zu führen“ 111 und sich zu einem über ihr anfängliches Entwicklungsstadium hinausgehenden, komplexeren Bedeutungsund Sinnzusammenhang zu spezifizieren. Somit gilt für die logischen Bestimmungen, dass ihre jeweilige unmittelbare Bedeutung sich zu einem in sich gemäß der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik gegliederten und damit wesentlich prozessualen Bedeutungskomplex ausbildet. Somit, d. h. als begriffliche Bedeutungsgehalte, die auf diese Weise von prozessualer Natur sind und sich ursprünglich generieren, erweisen sich ihre unmittelbaren Bedeutungen als sich an ihnen selbst konkretisierende Allgemeinheiten. Sie enthalten sowohl eine über ihren anfänglichen Gehalt hinausgehende Spezifikation als auch eine diesen erweiterten Bedeutungsgehalt in sich inkorporierende begriffliche Individuation insofern bereits 111
GW, Bd. 12, 240.
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in sich, dass sie diese Momente im Zuge eines immanenten Erweiterungsund Konkretisierungsprozesses allein aus sich heraus produzieren. In der Ableitung dieser Erweiterung und Konkretisierung der anfänglichen Bedeutung wird dabei nur auf diejenigen argumentativen Gründe zurückgegriffen, die in der anfänglichen Bedeutung – im Sinne einer an ihrem eigenen Geltungsanspruch gemessene, innere Mangelhaftigkeit – selbst liegen. Die logischen Bestimmungen, d. h. die unterschiedenen Bedeutungen, die der eine logische Inhalt in seiner fortschreitenden Konkretisierung durchläuft, enthalten als spekulativ-dialektisch sich weiterbestimmende Allgemeinheiten nicht nur eine Besonderheit, d. h. ihre jeweilige dialektische Vermittlung mit ihrem begrifflichen Gegenteil, sondern auch eine Einzelheit, d. h. eine wieder unmittelbare Individuation ihrer dialektischen Vermittlung, in sich. Es stellt sich hiermit in der Theorie rein logischer Begriffs- und Bedeutungskonstituierung, die Hegel mit seiner spekulativen Logik vorgelegt hat, gerade nicht das seit der Aristotelischen Kritik an der Platonischen Ideenlehre akute Chorismosproblem. 112 Die Kernfrage dieser Problematik, die etwa auch im Zentrum des mittelalterlichen Universalienstreits stand und bis hin zu Kants Konzeption eines kritisch-restringierten diskursiven Verstands in Logik, Ontologie und Epistemologie virulent geblieben ist, lautet: Wie ist der Übergang vom Allgemeinen zum Einzelnen logisch-argumentativ begründbar? Was ist das Prinzip der Individualisierung allgemeiner und universeller Begriffe? Die spekulative Dialektik stellt die gesetzmäßige Struktur der Selbstbewegung des reinen Denkens dar. Sie ist das gestalterische und produktive Formprinzip, gemäß welchem der begriffliche Inhalt der logischen Wissenschaft in regelmäßiger Abfolge a) zunächst eine Besonderung und Spezifizierung seiner unmittelbaren Bedeutung hervorbringt, indem er sich zu einem über diese hinausgehenden dialektischen Vermittlungsprozess bestimmt, und b) daraufhin den gegenüber der ursprünglichen Bedeutung erweiterten begrifflichen Gehalt dieses dialektischen Fortgangs in die Form einer wieder unmittelbaren Bedeutungseinheit zurückführt, an welcher als an einem konkreteren Anfang diese Abfolge von dialektischer Spezifizierung und begrifflicher Konkretisierung sich erneut reproduziert. 113 Indem der eine begriffliche Bedeutungsgehalt, des112
113
Zu den divergierenden Ousia- und Eidoskonzeptionen von Aristoteles und Platon und der daraus resultierenden Kritik, die Aristoteles an Platons übt, vgl. die lehrreiche Studie von D. Fonfara: Die Ousia-Lehren des Aristoteles. Untersuchungen zur Kategorienschrift und zur Metaphysik. Berlin / New York 2003, insb. 25–35 und 59–131. Der logische Inhalt erweist sich somit als ein einiger begrifflicher Bedeutungsgehalt, der sich als ein Allgemeines schrittweise in sich spezifiziert und – indem er das Resultat seiner Spezifizierungen jeweils in die Form der Allgemeinheit zurückführt, in welcher es dann den neuen Ausgangspunkt der nächsten Spezifizierung darstellt, – sich in sich konkretisiert. Demgemäß schreitet der logische Inhalt in der schrittweisen, aber imma-
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sen schrittweise Entwicklung das Wesen der spekulativen, mithin wesentlich prozessualen Logik ausmacht, somit fortlaufend Spezifizierungen seiner Bedeutung hervorbringt und das Resultat der Spezifizierung jeweils in die Form eines neuen Ausgangspunkts zurückführt, d. h. zu einer neuen Allgemeinheit macht, die im weiteren Fortgang sich ihrerseits spezifiziert usf., gilt für diese sich immer an einem komplexeren und konkreteren Bedeutungsgehalt reproduzierende Struktur, d. h. für die spekulative Dialektik, dasjenige, was Hegel in der Einleitung der Grundlinien der Philosophie des Rechts über die Methode seines Denkens festhält: „Das bewegende Princip des Begriffs, als die Besonderungen des Allgemeinen nicht nur auflösend, sondern auch hervorbringend, heiße ich die Dialektik, – [. . .]. Die höhere Dialektik des Begriffes ist, die Bestimmung nicht blos als Schranke und Gegentheil, sondern aus ihr den positiven Inhalt und Resultat hervorzubringen und aufzufassen, als wodurch sie allein Entwicklung und immanentes Fortschreiten ist. Diese Dialektik ist dann nicht äußeres Thun eines subjectiven Denkens, sondern die eigene Seele des Inhalts, die organisch ihre Zweige und Früchte hervortreibt.“ 114
Indem die spekulative Dialektik auf diese Weise die immanente Struktur des Denkens des Denkens darstellt, besteht dessen schlussendliche Gestalt in einer systematischen Abfolge von genetisch auseinander entstehenden Bedeutungskomplexen, d. h. in einer Abfolge von in Hinblick auf ihren Bedeutungsgehalt spezifisch unterschiedenen logischen Bestimmungen, von denen eine jede sich an ihr selbst zu einer in sich bewegten Stufe der gesamtlogischen Entwicklung vervollständigt, deren Ende unmittelbar den Anfang der nächstfolgenden Stufe darstellt. Sowohl die Form des sich schrittweise ausbildenden Systems der Denkbestimmungen als auch deren jeweiliger begrifflicher Bedeutungsgehalt resultieren dabei allein aus der formaliter gestalterischen und inhaltlich produktiven Aktivität der spekulativen Dialektik, d. h. der Methode der Logik, insofern diese die immanente Struktur des – eben auf diese einheitliche Weise – sich selbst konkretisierenden und weiterführenden logischen Inhalts ist.
114
nenten Konkretisierung seines Bedeutungsgehalts zugleich von allgemeineren zu jeweils nächstspezifischeren Stadien fort. Vgl. hierzu die folgende Bemerkung Gadamers (H.-G. Gadamer: „Die Idee der Hegelschen Logik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 49–69, 56.): „Indem der Inhalt sich in die Mannigfaltigkeiten seiner Bestimmtheit entfalten soll, um die Wahrheit des Begriffs zu gewinnen, muß die Wissenschaft mit dem anfangen, worin am wenigsten Bestimmtheit ist. Das ist der Maßstab für den Aufbau der Logik, von dem Allgemeinsten aus, d. h. dem am wenigsten Bestimmten, in dem sozusagen fast noch gar nichts begriffen ist, zu dem vollen Inhalt des Begriffs stetig fortzuschreiten und so den ganzen Inhalt des Denkens zu entfalten.“ GW, Bd. 14,1, 47.
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Das Spezifikum derjenigen Begriffskonstituierungen, die den Inhalt der spekulativen Logik ausmachen, besteht somit in dem analytischen Moment der synthetischen und produktiven Bedeutungsentwicklung. Die Erweiterung, begriffliche Ausdehnung und Spezifizierung sowie die darauf (immanent) folgende Konkretisierung und Vereinzelung der in der Logik thematischen Denkbestimmungen stellen eine synthetische Konstitution von konkret bestimmten Bedeutungsgehalten dar, die aufgrund ihrer analytischen Dimension jedoch nicht empirisch verfährt. Das Prinzip der Individuation einer logischen Bestimmung besteht in der spekulativen Einheit, welche die Dialektik, zu der sich die unmittelbare Bedeutung der jeweiligen Bestimmung zunächst prozessual ausdehnt, erweitert und spezifiziert, an ihr selbst wiederherstellt. Da aber das Resultat der spekulativ-dialektischen Bedeutungskonkretisierung für eine jede logische Bestimmung, wie wir gesehen haben, insofern eine begriffliche Einzelheit darstellt, dass hier die Form der anfänglichen Allgemeinheit am erweiterten Bedeutungsgehalt der Dialektik wiederherstellt ist, ist nun diese Einzelheit, d. h. das Ende und das Resultat der Entwicklung einer logischen Bedeutung, zugleich ein neuer und konkreterer allgemeiner Anfang. Die spezifische Differenz zwischen zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden logischen Anfängen oder unmittelbaren Entwicklungsstadien des logischen Inhalts, d. h. die Differenz einer logischen Bestimmung gegenüber der nächstkonkreteren, ist somit nichts anderes als die Erweiterung und Bereicherung, die ihr unmittelbarer Bedeutungsgehalt an ihm selbst erfährt, indem er sich zu einem dialektischen Transformationsprozess bestimmt, der sich zwischen ihm und seinem begrifflichen Gegenteil vollzieht. Die logische Wissenschaft besteht, wie wir gesehen haben, somit darin, dass ihr Inhalt seinen begrifflichen Gehalt auf immanente Weise zu immer konkreter werdenden Bedeutungen sowie immer konkreter werdenden dialektischen Vermittlungsstrukturen ausbildet. Dabei werden die Stufen dieses Prozesses der genetischen Selbstgestaltung des reinen Denkens auf die Weise ursprünglich ausgebildet, dass eine jede von ihnen sich dialektisch spezifiziert und das bereicherte Resultat seiner immanenten Spezifizierung jeweils zum neuen, aber konkreteren Ausgangspunkt des weiteren Entwicklungsverlaufs macht. Somit ist das Wesen der logischen Wissenschaft der eine Entwicklungsprozess des schrittweise sich in sich spezifizierenden und konkretisierenden Denkens. Das schlussendliche Resultat dieser Entwicklung ist demzufolge nichts anderes als die konkrete Totalität ihrer Momente, d. h. die konkrete Totalität der Denkbestimmungen, die ursprünglich auseinander ausgebildet werden. Da die logischen Bestimmungen, wie wir gesehen haben, aufgrund der allgemeinen Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung, die ihnen als die innere Gesetzmäßigkeit ihrer Weiterbestimmung unmittelbar inhäriert, jeweils eine nächstspezifischere Bedeutung aus sich heraus ausbilden,
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an welcher als an einem nächstkonkreteren Anfangs- und Ausgangspunkt jene produktive Gesetzmäßigkeit sich erneut reproduziert, ist das schlussendliche Resultat der logischen Entwicklung, d. h. die in sich konkrete Totalität der Bestimmungen des reinen Denkens, zugleich „systematische Totalität“ 115 und die logische Wissenschaft als Ganzes wesentlich logisches System. 116
115 116
GW, Bd. 20, 231. Vgl. hierzu die Ausführungen von T. Dangel: Hegel und die Geistmetaphysik des Aristoteles. Berlin / Boston 2013, 287: „Die Vernunft entwickelt sich gemäß ihrer dialektischen Natur in sich zur Einheit und Ganzheit der Vernunftbestimmungen, d. h. sie entwickelt sich zum vollbestimmten System der Vernunft. Weil die absolute Negativität der Grund sowohl des selbstbestimmten Sichinsichunterscheidens als auch der daraus hervorgehenden Einheit der Vernunftbestimmungen ist, handelt es sich Hegel zufolge bei der Vernunft um ein organologisch verfasstes, sich selbst denkendes System.“
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DRITTER TEIL Das logische System ist spekulative Metaphysik
1. Diskursivität und intellektuelle Rezeptivität im Denken des Denkens
I
m Zentrum der theoretischen Transzendentalphilosophie Immanuel Kants steht das Prinzip der kritischen Restriktion menschlicher Erkenntnis. Das argumentative Herzstück der Erkenntnisrestriktion besteht darin, dass die Kategorien oder reinen Verstandesbegriffe nur dann eine gerechtfertigte Anwendung finden, wenn sie auf ein Mannigfaltiges der sinnlichen Anschauung bezogen werden. Objektive Erkenntnis, mit anderen Worten, liegt nur dann vor, wenn sie sich in Rückbezug auf ein empirisch gesichertes Fundament vollzieht, das den apriorischen Formbestimmungen der Erkenntnis und der Synthesisleistung des endlichen Subjekts eine Materie zur Verfügung stellt, die nicht erst durch die Spontaneität des Subjekts eigens hervorgebracht worden ist. 1 Entgegen dem Kantischen Modell empirischer Erkenntnis, nach welchem dem menschlichen Denken nur abstrakte Allgemeinbegriffe zugänglich sind, die mittels nachgängiger Analyse einer vorgängigen Synthesis des Anschauungsmannigfaltigen generiert werden, entwickelt Hegel ein Modell absoluter Erkenntnis. 2 Diese erschöpft sich nicht darin, einen äußerlich aufgenommen / rezipierten Stoff formal zu strukturieren und das Ergebnis dieser endlichen
1
2
Vgl. hierzu K. Düsing: „Spontane, diskursive Synthesis. Kants neue Theorie des Denkens in der kritischen Philosophie“. In: Metaphysik und Metaphysikkritik. Festschrift für Manfred Baum zum 65. Geburtstag. Berlin und New York 2004, 83–107, sowie M. Baum: Die transzendentale Deduktion in Kants Kritiken. Interpretation zur kritischen Philosophie. Köln 1975. In seinen Darstellungen und kritischen Erörterungen der Philosophie Kants reduziert Hegel deren Inhalte bisweilen in hohem Maße auf das endliche Erkennen. Bei Kant selbst werden die metaphysischen Grundbegriffe, obgleich sie hier in kritisch-restringierter Geltung als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung entwickelt werden, mithin wesentliche Strukturbestimmungen der endlichen Subjektivität darstellen und nicht eine Erkenntnis der Dinge an sich ermöglichen, freilich nicht selbst empirisch begründet. So sind etwa die Kategorien als reine Verstandesbegriffe, die Begriffe der praktischen Vernunft oder die Teleologie der Urteilskraft Beispiele für Resultate einer nicht-empirischen Synthesis der sich in ihren Bestimmungen selbst denkenden Vernunft. Auch für Kant müssen sich die Kategorien also nicht erst auf unsere sinnlichen Anschauungen beziehen, um einen Sinn zu erhalten. Wäre dies so, dann wären keine metaphysischen Begriffe wie zum Beispiel die omnitudo realitatum, Freiheit als intelligible Kausalität oder das Reich der Zwecke auch nur denkbar. Was Hegel an der Kantischen Darstellung der metaphysischen Grundbegriffe
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Synthese weiter zu analysieren, sondern absolut ist dieses Erkennen deshalb, da es nicht nur die Form, sondern auch die materiale Komponente seines Inhalts auf eine spezifische Art und Weise ursprünglich produziert. 3 Der Inhalt der logischen Wissenschaft, die dieses Erkennen leistet, besteht demnach aus Begriffen, die eine ihnen zugehörige und über sie hinausgehende Spezifizierung sowie die Totalität der Bedingungen ihrer Individuation bereits vollständig in sich enthalten. Solche Begriffe, die sich an ihnen selbst einteilen und sich in diesem Sinne autonom zu komplexeren Manifestationen ihrer selbst spezifizieren, stehen abstrakten Allgemeinbegriffen gegenüber, die als solche, d. h. rücksichtlich ihrer Genese, die gerade im Abstrahieren des Spezifischen und Individuellen einer Mannigfaltigkeit von Gegenständen besteht, Besonderheit und Einzelheit nicht in sich enthalten können. Schon im einleitenden Kapitel zur allgemeinen Einteilung der Logik weist Hegel auf diese beiden Arten von Allgemeinbegriffen hin. Die Selbsteinteilung, die das Denken in Gestalt der logischen Wissenschaft vollziehen soll, muss, so Hegel, „mit dem Begriffe zusammenhängen, oder vielmehr in ihm selbst liegen“. 4 Sowohl das nur sich selbst explizierende Denken als auch die unterscheidbaren Begriffe, in die es sich systematisch differenziert und einteilt, müssen daher aber von ganz anderer Natur sein als die eben erwähnten nur analytisch generierten Allgemeinbegriffe, die in ihrer Abstraktheit den Grund ihrer weiteren Einteilung in Spezifizierungen ihrer selbst, gerade nicht enthalten. 5 Wie wir gesehen haben, stellt die absolute Methode die allgemeine und strukturelle Form der Denkbestimmungen dar, deren gestalterische und produktive Aktivität die selbstbezügliche Konkretisierung des logischen Inhalts und damit die gesamte Selbstexplikation des reinen Denkens regelt und begründet. Nun wird noch eingehender zu bedenken sein, in welchem Verhältnis diese immanente Diskursivität eines sich an ihm selbst konkretisierenden
3
4 5
jedoch zu Recht vermisst, ist ihre genetische (und für Hegel: spekulativ-dialektische) Entwicklung aus einem einigen Prinzip. Koch (A. F. Koch: Die Evolution des logischen Raums. Aufsätze zu Hegels NichtstandardMetaphysik. Tübingen 2014, 128.) bezeichnet die Wissenschaft der Logik in diesem Sinn als „ein Unternehmen [. . .], das ohne Investitionen theoretischen Profit erwirtschaftet“. GW, Bd. 21, 44. Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 44: „Die Rechtwinklichkeit, Spitzwinklichkeit u. s. f. wie die Gleichseitigkeit u. s. f. nach welchen Bestimmungen die Dreyecke eingetheilt werden, liegt nicht in der Bestimmtheit des Dreyecks selbst, d. h. nicht in dem, was der Begriff des Dreyecks genannt zu werden pflegt, ebenso wenig als in dem, was für den Begriff des Thieres überhaupt, oder es Säugethieres, Vogels u. s. w. [gilt,] die Bestimmungen liegen, nach welchen jenes in Säugethiere, Vögel u. s. w. und diese Classen in weitere Gattungen eingetheilt werden. Solche Bestimmungen werden anderswoher, aus der empirischen Anschauung aufgenommen; sie treten zu jenem sogenannten Begriffe von Aussen hinzu. In der philosophischen Behandlung des Eintheilens, muß der Begriff sich als ihren Ursprung enthaltend zeigen.“
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Inhalts zu dem traditionsreichen erkenntnistheoretischen Prinzip der intellektuellen Anschauung steht. Es wird, anders gesagt, danach zu fragen sein, ob dem reinen Denken seiner selbst, das sich im Zuge der Entfaltung in seine unterscheidbaren Strukturbestimmungen selbst begrifflich deduziert, noch intuitive beziehungsweise rezeptive Momente zukommen können und, wenn ja, wie diese in die übergeordnete Gesamtstruktur der spekulativen Dialektik integriert sind. Die allgemeine Struktur, die der Deduktion der Denkbestimmungen in Hegels Logik zukommt, hat sich im Verlauf unserer Untersuchung wie folgt dargestellt. Der Anfang eines jeden Deduktionsschritts besteht darin, dass eine logische Bestimmung in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit betrachtet wird. In diesem Stadium der Entwicklung wird zunächst „die Tiefe des Unterschieds“ 6 einer Bestimmung gegenüber ihrem Entgegengesetzten erfasst und damit zugleich ihr Bedeutungsgehalt als „für sich bestehend und seyend“ 7 affirmiert. Diese Unmittelbarkeit verleiht den logischen Bestimmungen „den Sinn und die Form abstracter Allgemeinheit“ 8, insofern mit ihr von jeglicher Spezifikation und Individuation der jeweiligen Bestimmung abgesehen wird. Den Anfang einer jeden Stufe der logischen Entwicklung macht also eine Bestimmung, die ihrer Form nach „unveränderlich“ 9 und „unvergänglich“ 10 ist. Das zweite Moment des spekulativen Entwicklungsprozesses besteht darin, dass die unmittelbare Bedeutungseinheit des Anfangs sich in sich selbst differenziert, indem sie sich zu einer zirkulären, dialektischen Prozessualität bestimmt. In diesem Stadium der Entwicklung wird die jeweilige logische Bestimmung nicht mehr nur negativ von der ihr entgegengesetzten Negation ihrer selbst unterschieden und abgegrenzt, da diese beiden Entgegengesetzten gerade als solche, d. h. in ihrer Entgegensetzung, sich auch als identisch miteinander erweisen. Diese Einheit von Identität und Entgegensetzung zu erfassen, ist jedoch nicht möglich, wenn die Entgegengesetzten – wie noch im Entwicklungsstadium des Anfangs – nur abstrakt voneinander unterschieden werden. Da die Identität der Entgegengesetzten sich gerade erst in und aufgrund ihrer Entgegensetzung zeigt, fällt diese aber auch nicht einfach weg, sondern bleibt als ein konstitutives Moment der Identität auch erhalten. Die Einheit von Identität und Entgegensetzung einer logischen Bestimmung und ihrer Negation vervollständigt sich damit zu dem unendlichen, da zirkulären dialektischen Prozesses der immanenten Transformation beider zueinander. 6 7 8 9 10
GW, Bd. 12, 41. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 41. GW, Bd. 12, 41.
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In dieser Hinsicht bestimmt und entwickelt sich ein jeder logischer Anfang, in dem eine Denkbestimmung zunächst in der Form der Unmittelbarkeit thematisch ist, schlussendlich an ihm selbst zum „bachantische[n] Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist, und [. . .] jedes, indem es sich absondert, ebenso unmittelbar [sich] auflößt“ 11. Da dieser Taumel, der sich auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung an ihrem jeweiligen Inhalt reproduziert, aber gerade darin besteht, dass beide der einander entgegengesetzten Bestimmungen sich in ihrer Abgrenzung von der je anderen aufheben, sich selbst negieren und sich zu ihrer Negation transformieren, zeigt sich die konstitutive Bedeutung der ersten Stufe der Methode für die zweite. Der dialektische Fortgang ist wesentlich notwendiges Resultat und Resultat der Selbstbestimmung des Anfangs. Da, anders ausgedrückt, der unmittelbare Anfang die „begeistete Form“ 12 darstellt, in der eine logische Bestimmung „sich in sich entzündet, als dialektisch gesetzt und hiemit der Anfang selbst der Erscheinung der Vernunft ist“ 13, ist es, wie Hegel bemerkt, „in jeder Rücksicht zu verwerfen, Verstand und die Vernunft so, wie gewöhnlich geschieht, zu trennen“. 14 Vielmehr ist der „bestimmte und abstracte Begriff [. . .] die Bedingung, oder vielmehr wesentliches Moment“ 15 der Hegelschen Konzeption negativer Vernunfttätigkeit, insofern diese gerade in der dialektischen Selbstaufhebung von in der Form der Unmittelbarkeit thematischer Denkbestimmungen und ihrer mit ihrer immanenten Selbstaufhebung einhergehenden werdenden Transformation zu ihrem Entgegengesetzten besteht. Erhellend ist diesbezüglich Hegels Bemerkung, dass die „höchste Reiffe und Stuffe, die irgend Etwas erreichen kann, [. . .] diejenige [ist], in welcher sein Untergang beginnt“. 16 Das dritte Moment des spekulativen Entwicklungsprozesses besteht darin, dass der Bedeutungsgehalt des dialektischen Prozesses, zu dem sich der unmittelbare Anfang auf diese Weise an ihm selbst bestimmt hat, sich in die Form einer wieder unmittelbaren, zunächst wieder unprozessualen und dialektikfreien Bedeutungseinheit zurückführt. Der Fortgang der Entwicklung bestand darin, dass sich hier in „der zweiten Sphäre“ 17 des spekulativen Prozesses der seiner Form nach ursprünglich einfache und unmittelbare Bedeutungsgehalt einer Denkbestimmung an ihm selbst zu einem „unendlichen Progreß“ 18 bestimmt, 11 12 13 14 15 16 17 18
GW, Bd. 9, 35. GW, Bd. 12, 43. GW, Bd. 12, 43. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 12, 43. GW, Bd. 12, 42. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230.
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in welchem die jeweilige Bestimmung und ihr Entgegengesetztes sich kontinuierlich selbst aufheben und zueinander transformieren. Da hier somit für beide Pole dieser zirkulären Bewegung gilt, dass sie sich zu der je anderen wandeln, vervollständigt ein jeder Bewegungspol sich an ihm selbst zum Ganzen dieser Bewegung des Werdens, was schlussendlich in einer wieder unmittelbaren, einheitlichen Bestimmung resultiert. Die allgemeine Struktur der spekulativen Methode besteht also in der in sich differenzierten Trias aus Anfang, Fortgang und Ende. Diese Momente des spekulativen Entwicklungsprozesses entsprechen den Begriffsbestimmungen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit, insofern diese „in der Bedeutung als Bestimmungen der Methode“ 19 betrachtet werden. Innerhalb der Logik ist diese wesentlich prozessuale Struktur die Form einer kontinuierlich sich reproduzierenden Diskursivität. Sie besteht darin, dass sich ein anfängliches Unmittelbares an ihm selbst zu einem dialektischen Prozess besondert, womit es seinen Bedeutungsgehalt zunächst „bereichert“ 20. Schließlich wird dieser gegenüber dem unmittelbaren Anfang komplexere Vermittlungsprozess aufgrund der sich vollständig selbst begründenden Natur seiner Genese wieder in die Form anfänglicher Einfachheit zurückführt, womit die Bedeutungserweiterung sich zu einer Bedeutungskonkretion des vorangegangenen Unmittelbaren vervollständigt. Die triadische Struktur von Anfang, Fortgang und Ende der Methode ist also als eine Einheit von Selbstdifferenzierung und aus der Differenzierung zu sich zurückkehrender Selbstbestimmung zu begreifen. Diese allgemeine Struktur spekulativ-dialektischer Prozessualität ist zum einen Form der einheitlichen Gesamtstruktur der logischen Entwicklung. Der unmittelbare Anfang ist dann das reine Sein, der Fortgang die immanente Deduktion aller folgenden Denkbestimmungen und das Ende die absolute Idee, mit der auf die spekulative Methode als das Allgemeine der Form des Inhalts 21 reflektiert wird, indem die Struktur dieser allgemeinen Form selbst als höchste inhaltliche Bestimmung / als höchste Denkbestimmung abgeleitet wird. Dieses Ende der logischen Entwicklung ist dann – gemäß seiner inhaltlichen Bestimmung, die ja nur in der allgemeinen Struktur Anfang-Fortgang-Ende besteht, – „selbst ein neuer Anfang“ 22 und damit Rückkehr zum reinen Sein. Zum anderen reproduziert sich die erörterte allgemeine Struktur spekulativdialektischer Prozessualität aber auch auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung als die durchgängige Form eines jeweils spezifisch bestimmten und mehr oder weniger konkreten Entwicklungsstadiums des Inhalts; sie ist, wie 19 20 21 22
GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 250. Vgl. GW, Bd. 12, 237. GW, Bd. 12, 250.
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soeben erwähnt, in eben diesem Sinne die allgemeine Form des Inhalts. Diese allgemeine Struktur, die sich auf allen unterscheidbaren Entwicklungsstufen durchgängig reproduziert sowie den Übergang von einem Entwicklungsstadium zum nächsten auf immanente Art und Weise begründet, wird dabei selbst als höchstes und letztes, die Entwicklung vollendendes Entwicklungsstadium des logischen Inhalts realisiert. Aus diesem Umstand folgt, dass die selbstbezügliche Reproduktion der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik – als Form allgemeinerer, abstrakterer, aber immer konkreter werdender Entwicklungsstufen – von der Warte der absoluten Idee aus wesentlich als eine freie Selbstbestimmung der Methode zu begreifen ist, die, indem sie sich in eine systematische Ordnung von Denkbestimmungen entfaltet, zugleich wesentlich nur sich selbst bestimmt. 23 Die Trias von allgemeinem Anfang, dialektischem Fortgang und spekulativem Ende ist in diesem Sinne gleichursprünglich methodisches und inhaltliches Prinzip der logischen Wissenschaft oder, anderes gesagt, des absoluten Denkens seiner selbst. Somit ist auch Hegels logische Wissenschaft ein diskursiver Erkenntnisprozess, jedoch nicht ein rein analytisch-diskursiv verfahrendes Erkennen. Seine Diskursivität besteht darin, dass sich die Denkbestimmungen genetisch auseinander entwickeln. Hierbei bestimmt sich eine jede logische Bestimmung zunächst an ihr selbst zu einem dialektischen Prozess, indem sie sich als identisch mit ihrem Entgegengesetzten erweist sowie dieses mit ihr und beide sich in einem „unendlichen Progreß“ 24 immanent aufheben und zueinander transformieren. Die Rückführung des Bedeutungsgehalts dieses dialektischen Prozesses in die Form anfänglicher Einfachheit und Unmittelbarkeit macht sodann die Genese einer neuen logischen Bestimmung aus, die deshalb eine neue Bestimmung sowie ein neuer Anfang ist, indem sie von dem vorangegangenen Unmittelbaren durch das Moment der dialektischen Prozessualität, zu der es sich bestimmt hat, unterschieden ist. Eine jede logische Bestimmung, d. h. ein jeder Anfang einer spezifischen Stufe der logischen Entwicklung, ist also 23
24
Die Freiheit, die der Idee und damit dem Denken des Denkens als einem sich vollständig selbst begründenden, sich zu sich hin entfaltenden Prinzip zukommt, kontextualisiert Stekeler-Weithofer (P. Stekeler-Weithofer: Hegels Analytische Philosophie. Die Wissenschaft der Logik als kritische Theorie der Bedeutung. Paderborn 1992, 415.) mit der praktischnormativen Dimension des logischen Entwicklungsprozesses beziehungsweise analysiert die Freiheit des reinen Denkens seiner selbst vor dem Hintergrund ihrer Grundlegungsfunktion für jegliche freie und autonome Willensbestimmung: „Die absolute Freiheit und zugleich Wahrheit der Idee ist, daß sie handelnde Entwicklung des Wissens ist. In dieser Entwicklung gibt es die Möglichkeit des Entschlusses, Naturwissenschaft unter Abstraktion von allen besonderen praktischen Lebensbezügen dieses Wissens zu betreiben. Thema ist dann das ‚Anderssein` der Idee, d. h. die objektive Welt, in der wir leben: Diese Welt oder Natur ‚spiegelt` sich in der Idee, zeigt sich in unserem praktischen Wissen.“ GW, Bd. 20, 230.
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wesentlich ein in die „Form der Einfachheit [. . .] zusammengegangen[es]“ 25 Resultat derjenigen Dialektik, die am Anfang der vorangegangenen Entwicklungsstufe hervorgetreten und gesetzt worden ist und gerade dadurch von diesem vorangegangenen Anfang „durch eben diese Bestimmtheit unterschieden“ 26. Der Fortgang der logischen Entwicklung ist also nicht in dem Sinne diskursiv, dass die systematisch-hierarchische Organisation der Denkbestimmungen ein Einteilungsprinzip erfordern würde, das in den Bestimmungen nicht selbst bereits enthalten wäre; eine konkretere Bestimmung wird nicht auf die Art und Weise aus der vorangehenden, nächst allgemeineren Bestimmung deduziert, dass zu dieser eine Bedeutung zwecks Spezifizierung extern hinzugefügt werden würde. Vielmehr ist der Fortgang der logischen Entwicklung in dem Sinne diskursiv, dass ein jedes Entwicklungsstadium seine über es hinausgehende, reichere und weitere Spezifizierung und sodann seine konkretere Individuation auf die Art und Weise bereits in sich enthält, dass es sie aus seiner unmittelbaren Form heraus produziert, indem diese sich an ihr selbst als ein Mangel erweist. Die logischen Bestimmungen in der Form der Unmittelbarkeit aufzufassen, als das, was sie ihrem einfachen Bedeutungsgehalt nach sind, sie zunächst nur von ihrer Negation abzugrenzen, ist zugleich der methodische Garant dafür, dass jeglicher weitere Fortgang, alle etwaigen Unterschiede, Bedeutungsveränderungen und Deduktionsschritte, die sich an dieser zunächst unmittelbaren, noch unentfalteten Bedeutungseinheit selbst darstellen werden, als ein Auffassen einer notwendigen Gesetzmäßigkeit begriffen werden können. Diese methodische Dimension des Anfangs der spekulativen Dialektik soll im Folgenden näher untersucht werden. Obwohl in der Logik nichts, das nicht durch die Produktivität des Denkens selbst generiert worden wäre, in den Gang der Entwicklung aufgenommen wird, kann rücksichtlich des unmittelbaren Anfangs einer jeden Entwicklungsstufe dennoch von einer Art intellektuellen Rezeptivität gesprochen werden. Die Erfassung des Bedeutungsgehalts einer logischen Bestimmung in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit, nach welcher er zugleich „den Sinn und die Form abstracter Allgemeinheit hat“ 27, kann, so Hegel, „auch ein übersinnliches, innerliches Anschauen“ 28 genannt werden. Dieses passive Moment der Selbstgestaltung des reinen Denkens entspricht dem methodischen Grundsatz, dass zwecks einer explizierenden Freilegung apriorischer Gesetzmäßigkeiten und notwendiger Strukturen innerhalb des Denkens stets „nichts zu thun 25 26 27 28
GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 239.
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[ist], als das zu betrachten oder vielmehr mit Beiseitsetzung aller Reflexionen, aller Meinungen, die man sonst hat, nur aufzunehmen was vorhanden ist“. 29 Diese Methode der intellektuellen Rezeptivität eröffnet im Anfang einer jeden Stufe der logischen Entwicklung den Raum für die immanente Spezifizierung der Denkbestimmungen, indem sie sicher stellt, dass jeglicher synthetische Fortschritt in der Entwicklung tatsächlich rein analytisch in der unmittelbaren Bedeutungseinheit des Anfangs begründet liegt, auf deren Gehalt hier allein zurückgegriffen wird. Diese intellektuelle Selbstanschauung des reinen Denkens, d. h. die kritische Prüfung seiner zunächst in der Form unmittelbarer Bedeutungseinheiten aufgefassten Bestimmungen, garantiert, mit anderen Worten, dass der Fortgang der Entwicklung nichts anderes ist als die Selbstbestimmung und Selbstvermittlung des jeweiligen Entwicklungsstadiums, das daher nicht in einem heterogenen Anderen resultiert, sondern in einer Spezifizierung / Besonderung seiner selbst. Diese Spielart der intellektuellen Selbstanschauung, die in Hegels reifer, spekulativer Logik somit Methode des Anfangs der Selbsteinteilung des Denkens ist, beschreibt Hegel auch als das, „was Plato von dem Erkennen foderte, die Dinge an und für sich selbst zu betrachten, [. . .] sie allein vor sich zu haben, und was in ihnen immanent ist, zum Bewußtseyn zu bringen“. 30 In allgemeiner Hinsicht ist hier sicher auf die Platonische Ideenschau angespielt, im Besonderen mag die explizierende Freilegung dessen, was den Ideen an und für sich immanent ist, aber auch an die Dialektik der obersten Gattungen des Sophistes erinnern. 31 Für Hegel ist diese Explikation derjenigen Strukturen und Bedeutungsgehalte, die über den unmittelbaren Begriff einer Denkbestimmung hinausgehen, in ihm „noch nicht gesetzt“ 32 und somit allererst synthetisch „zum Bewußtseyn zu bringen“ 33 sind, die Entwicklung der Beziehung, in der eine Denkbestimmung und ihr Entgegengesetztes zueinander zustehen, „zu dem, was sie zunächst ist, zum 29 30 31
32 33
GW, Bd. 21, 55. GW, Bd. 12, 241 f. Deren spekulative Deutung durch Hegel steht in seiner eigenen dialektischen Kategorienentwicklung insbesondere bei den Daseinskategorien des Etwas, des Anderen und des Anderen an ihm selbst im Hintergrund. Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 106. Zu einer Analyse der seinslogischen Übergangsdialektik anhand der Kategorien Etwas und Anderes vgl. R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, 297–303, insbesondere 298 f. Erhellende Rekonstruktionen von Hegels Rezeption und Umdeutung der Platonischen Dialektik finden sich in H.-G. Gadamer: „Hegel und die antike Dialektik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 7–30, sowie K. Düsing: „Dialektikmodelle. Platons Sophistes sowie Hegels und Heideggers Umdeutungen“, in: Das Problem der Dialektik. Hrsg. D. Wandschneider, Bonn 1997, 4–18. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 242.
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Widerspruche an ihr selbst“ 34. Notwendige Bedingung dafür, dass hiermit aber „durch die immanente Dialektik nur das gesetzt wird, was im unmittelbaren Begriffe enthalten ist“ 35 und lediglich „noch nicht gesetzt war“ 36, ist, dass der synthetische Fortgang der Entwicklung sich argumentativ allein darauf stützt, was sich rein analytisch aus dem unmittelbaren Begriff einer Denkbestimmung deduzieren lässt. Die Dialektik, d. h. die Selbstaufhebung einer in der Form einer unmittelbaren Bedeutungseinheit aufgefassten Denkbestimmung und die mit ihrer Selbstaufhebung einhergehende Transformation dieser Denkbestimmung zu ihrem Entgegengesetzten, hat, mit anderen Worten, die Totalität ihrer Bedingungen allein in der ursprünglichen negativen Abgrenzung eines logischen Bedeutungsgehalts von seiner Negation. In dieser Hinsicht wird die Dialektik auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung gerade dadurch eingeleitet, dass die anfängliche Abgrenzung einer Denkbestimmung von der ihr entgegengesetzten Negation ihrer selbst durch das Ziehen eben dieser Grenze, das den Bedeutungsgehalt der Bestimmung gemäß dem in der Daseinslogik deduzierten Grundsatz Omnis determinatio est negatio unmittelbar affirmiert, zugleich auch hinterfragt wird. Die Denkbestimmungen halten dieser kritischen Prüfung nicht stand, da sie sich an diesem Punkt der Entwicklung als Verhältnisbestimmungen erweisen, die zu ihrem Entgegengesetzten, das sie aus sich ausschließen, zugleich auch in dem Verhältnis stehen, das durch dieses Entgegengesetzte ausgedrückt wird, und damit in ihrer Entgegensetzung zu diesem auch identisch mit ihm sind. So ist das Etwas zunächst nur negativ vom Anderen unterschieden, aber in dieser Abgrenzung zugleich selbst das Andere gegenüber diesem Anderen und nicht mehr Etwas. Die Ursache ist zunächst nur negativ von der Wirkung unterschieden, aber zugleich überhaupt nur dadurch Ursache, dass sie eine Wirkung hervorbringt, und damit selbst Wirkung ihres Wirkens. Das abstrakte Allgemeine ist zunächst nur negativ von der Besonderheit und Einzelheit unterschieden, damit aber bereits selbst ein Besonderes eben dieser negativen Unterscheidung. 37
34 35 36 37
GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. Vgl. hierzu GW, Bd. 12, 35 f. und 49. Dies ist, was Hegel den Doppelschein des Allgemeinen nennt: Seine anfängliche Abstraktheit besondert sich auf die beschriebene Weise an ihr selbst, wobei das Allgemeine sich in diesem Anderen seiner selbst ebenso sehr kontinuiert. Da es in der Unterscheidung von dem Besonderen selbst das Besondere ist, ist es „einmal der Schein nach aussen, die Reflexion in anderes; das andremal der Schein nach innen, die Reflexion in sich“. An späterer Stelle fügt Hegel hinzu: „Das Negative am Allgemeinen, wodurch dieses ein Besonderes ist, wurde vorhin als der Doppelschein bestimmt; insofern es Scheinen nach Innen ist, bleibt das Besondere ein Allgemeines; durch das Scheinen nach Aussen ist es bestimmtes; [. . .].“
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Die Methode der anfänglichen, intellektuell-anschauenden Erfassung der logischen Bestimmungen in der Form unmittelbarer und noch undifferenzierter Bedeutungseinheiten ist in der soeben beschrieben Hinsicht „Bedingung oder vielmehr wesentliches Moment der Vernunft“ 38 und der spekulativdialektischen Entwicklung als solcher. Als Bedingung, Grundlage und konstitutives Moment der Dialektik stellt sie sicher, dass „immanenter Zusammenhang und Nothwendigkeit in den Inhalt der Wissenschaft kommt“ 39 und die Selbstexplikation des reinen Denkens – wie in der ersten Vorrede von 1812 programmatisch formuliert wird – den Charakter eines „sich selbst construirenden Wege[s]“ 40 annimmt. Allein auf diese Weise sei die Philosophie, wie Hegel deklariert, fähig, „objective, demonstrirte Wissenschaft zu seyn“. 41 Die Methode der unmittelbaren Erfassung logischer Bedeutungseinheiten ist also konstitutiv für die wissenschaftliche Explikation sich vollständig selbst begründender logischer Gesetzmäßigkeiten, da nur auf ihrer Grundlage der synthetische Prozess der Bedeutungserweiterung / Bedeutungskonkretion der Denkbestimmungen sich als rein analytisch begründet vollziehen kann. Jedoch bringt diese Methode auch einige Schwierigkeiten mit sich. So ist stets darauf zu achten und in aller Strenge beizubehalten, dass im Fortschreiten der Entwicklung nur diejenigen Verhältnisse und Bestimmungen an einem unmittelbaren Anfang gesetzt und mit diesem synthetisiert werden, die sich rein analytisch und mit deduktiver Notwendigkeit aus seinem Bedeutungsgehalt ergeben. Dementsprechend besteht auch das Ende eines spekulativen Entwicklungsprozesses, das Hegel das „Speculative“ 42 beziehungsweise die positive Vernunfttätigkeit nennt, allein darin, „das Affirmative“ 43 in derjenigen Dialektik aufzufassen, zu der sich eine unmittelbare Denkbestimmung mit autonomer Notwendigkeit bestimmt hat, und den Bedeutungsgehalt des dialektischen Prozesses in die Form anfänglicher Unmittelbarkeit zurückzuführen. Eine ganz zentrale methodische Schwierigkeit der Logik besteht also darin, nur darauf zu achten, was in einem unmittelbaren logischen Bedeutungsgehalt zwar „noch nicht gesetzt“ 44, aber schon „enthalten ist“ 45, sodass die Entwicklung nur „an der Nothwendigkeit des Begriffes“ 46 fortgeht, um in einer immanenten Spezifizierung und bereicherten Besonderung dieses Inhalts 38 39 40 41 42 43 44 45 46
GW, Bd. 12, 43. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 21, 8. GW, Bd. 21, 8. GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 251.
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resultieren zu können. Diese geforderte methodische Strenge, die die Wissenschaftlichkeit und Notwendigkeit des Fortgangs der logischen Entwicklung sowie die unbezweifelbare ontologische Stabilität ihrer sich vollständig selbst begründenden Bestimmungen garantieren soll, verlangt, wie Hegel noch in der 1831, wenige Tage vor seinem Tod verfassten Vorrede zur zweiten Auflage der Logik bemerkt, eine spezielle Art von Lesern. Das spekulative Vernehmen, nur diejenigen Entwicklungsschritte gelten zu lassen, die sich aus dem und an dem unmittelbaren Anfang selbst ergeben, „erfodert dann auch einen plastischen Sinn des Aufnehmens und Verstehens“ 47, eine intellektuelle Rezeptivität, die der synthetisierenden Aktivität des rein sich selbst explizierenden Denkens nicht entgegensteht, sondern, indem sie deren Material bereitstellt, ihre unmittelbare Grundlage ausmacht. Hegel fügt hinzu: „[. . .] aber solche plastische[n] Jünglinge und Männer so ruhig mit der Selbstverleugnung eigener Reflexionen und Einfälle, womit das Selbstdenken sich zu erweisen ungeduldig ist, nur der Sache folgende Zuhörer, wie sie Plato dichtet, würden in einem modernen Dialoge nicht aufgestellt werden können; noch weniger dürfte auf solche Leser gezählt werden.“ 48 Diese Anspielung auf die sokratische Mäeutik, die Forderung, nur der Sache selbst zu folgen, unterstreicht die methodische Notwendigkeit, in der Entwicklung des logischen Inhalts nur auf diejenigen Argumente zurückzugreifen, die sich in seinem (jeweiligen) unmittelbaren Bedeutungsgehalt selbst finden. Zum einen folgt hieraus, dass in der Entwicklung einer Denkbestimmung nicht von späteren, noch nicht deduzierten Bestimmungen Gebrauch gemacht werden darf. 49 Dies bringt Hegel auch gegen wohl zwischenzeitlich eingebrachte Einwände seiner Kritiker in Anschlag, gegen das, wie er sich ausdrückt, „üble d. h. ungebildete Benehmen, bey einer Kategorie, die betrachtet wird, etwas Anderes zu denken und nicht diese Kategorie selbst. Diese Bewußtlosigkeit ist um so weniger zu rechtfertigen, als solches Anderes 47 48
49
GW, Bd. 21, 18. GW, Bd. 21, 18. Zum Verhältnis der spekulativen Dialektik Hegels und des Platonischen Dialogs / der Platonischen Dialektik vgl. H.-G. Gadamer: „Hegel und die antike Dialektik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 7–30, 23–25. Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 97 f.: „Es hat hier auf den angegebenen Unterschied aufmerksam gemacht werden sollen; über alles aber, was die Reflexion sich erlauben kann zu bemerken, Rechenschaft zu geben, würde in die Weitläuffigkeit führen, das zu anticipiren, was sich an der Sache selbst ergeben muß. Wenn dergleichen Reflexionen dienen können, die Uebersicht und damit das Verständiß zu erleichtern, so führen sie wohl auch den Nachtheil herbey, als unberechtigte Behauptungen, Gründe und Grundlagen für das Weitere auszusehen. Man soll sie daher für nichts mehr nehmen, als was sie seyn sollen, und sie von dem unterscheiden, was ein Moment im Fortgange der Sache selbst ist.“ Vgl. weiterhin: GW, Bd. 21, 110. „In den verschiedenen Kreisen der Bestimmung und besonders im Fortgange der Exposition, oder näher im Fortgange des Begriffs zu seiner Exposition ist es eine Hauptsache, diß immer wohl zu unterscheiden, was noch an sich und was gesetzt ist, wie die Bestimmungen als im Begriffe und wie sie als gesetzt oder als seyend-für-anderes sind.“
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andere Denkbestimmungen und Begriffe sind, in einem Systeme der Logik aber eben diese andere[n] Kategorien gleichfalls ihre Stelle müßen gefunden haben, und daselbst für sich der Betrachtung werden unterworfen seyn.“ 50 Zum anderen gebietet es die methodische Strenge des spekulativen Denkens, nach der es in der Entwicklung seines Inhalts nur dessen Selbstbewegung folgen darf, dass die Denkbestimmungen nicht weiterbestimmt und spezifiziert werden dürfen, indem die dialektische Methode als ein äußerliches Schema auf sie angewendet wird. Hierzu bemerkt Hegel im Kapitel zur absoluten Idee: „Aber mit diesem Bewußtseyn, das den Anfang nur um der Methode willen weiter führen wollte, wäre diese ein Formelles, in äusserlicher Reflexion gesetztes. Da sie aber die objective, immanente Form ist, so muß das Unmittelbare des Anfangs an ihm selbst das Mangelhafte, und mit dem Triebe begabt seyn, sich weiter zu führen.“ 51 Der intellektuellen Anschauung kommt in Hegels Methode der spekulativen Dialektik also eine restringierte, aber konstitutive Bedeutung zu. 52 Sie ist das methodische Moment des Anfangs eines spekulativen Entwicklungsprozesses, auf dessen Grundlage sich der immanente Fortgang als solcher allein vollziehen kann. In allgemeiner Hinsicht besteht dieses Moment der anfänglichen, intuitiven Selbstanschauung des Denkens darin, dass dieses den Bedeutungsgehalt eines Strukturmoments seiner selbst, d. h. einer logischen Bestimmung, in der Form einer unmittelbaren, noch nicht entfalteten und abstrakt-allgemeinen Bedeutungseinheit erfasst. Der Bedeutungsgehalt einer Denkbestimmung wird hier einfach affirmiert und damit zunächst nur von dem, das er nicht ist, abgegrenzt und negativ von der ihm entgegengesetzten Negation seiner selbst unterschieden. Anschauungscharakter hat dieses unmittelbare Erfassen einer logischen Bedeutungseinheit deswegen, weil mit ihm zugleich der Raum für das Anheben einer immanenten, d. h. rein analytisch begründeten, synthetischen Entwicklung eröffnet wird. Der Anfang des spekulativen Entwicklungsprozesses ist in diesem Sinne Rezeptivität und Offenheit für ein Freilegen und Hervortreten von Spezifizierungen und Konkretionen der jeweiligen Denkbestimmung, die in ihrem unmittelbaren Begriff noch nicht gesetzt, aber dennoch schon in ihm enthalten sind und daher sich mit innerer Notwendigkeit aus ihm ableiten. Das Moment der Rezeptivität und der Anschauung bezieht sich in der logischen Entwicklung also zunächst nicht auf die Genese der Denkbestimmungen. Diese werden nicht passiv aufgenom50 51 52
GW, Bd. 21, 18 f. GW, Bd. 12, 240. Zu der Stellung des intellektuellen Anschauens innerhalb der einheitlichen Gesamtstruktur der spekulativ-dialektischen Methode vgl. auch K. Düsing: „Intuitiver Verstand und spekulative Dialektik. Untersuchungen zu Kants Theorie und zu Hegels metaphysischer Umgestaltung“, in: Il pensiero. Rivista di filosofia, LV, 2016, 9–27, insbesondere 24 ff.
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men, sondern synthetisch deduziert, indem der Bedeutungsgehalt einer jeden logischen Bestimmung unmittelbar daraus resultiert, dass der Bedeutungsgehalt der Dialektik, zudem sich die vorangehende Bestimmung an ihr selbst erweitert hat, in die Form anfänglicher Einfachheit und Unmittelbarkeit zurückgeführt wird. Rezeptivität und Anschauung beziehen sich in eben diesem Sinn vielmehr darauf, dass das Denken nur darauf achtet, welche Resultate rein analytisch und mit apriorischer Notwendigkeit aus den formaliter unmittelbaren Entwicklungsstadien seiner Selbstexplikation deduziert werden können. Vor diesem Hintergrund hält Hegel deutlich fest, dass es das „Wesentliche ist, daß die absolute Methode die Bestimmung des Allgemeinen in ihm selbst findet und erkennt“. 53 Für die Erfassung der Denkbestimmungen in der Form einfacher, noch undifferenzierter Bedeutungseinheiten gilt somit, dass „das Unmittelbare des Anfangs an ihm selbst das Mangelhafte, und mit dem Triebe begabt seyn [muss], sich weiter zu führen“. 54 Intellektuell ist die anfängliche Anschauung, da sie sich rein im Denken vollzieht. Das Anschauungsmaterial wird hier nicht sinnlich-rezeptiv aus einer gegenüber der denkenden Spontaneität äußerlichen Quelle bezogen, sondern das Denken erfasst in den Bestimmungen, in die es sich schrittweise entfaltet und differenziert, nur sich selbst. Innerhalb der Selbstexplikation des Denkens hat das Prinzip der intellektuellen Anschauung also die soeben dargelegte methodische Funktion, mittels einer vorurteilsfreien Erfassung der logischen Bestimmungen in der Form unmittelbarer und noch nicht spezifizierter Bedeutungseinheiten deren dialektischer Entwicklung und immanenter Selbstbewegung Raum zu geben. Damit ist die intellektuelle Anschauung jedoch nicht das alleinige methodische Prinzip der Selbsterfassung des Denkens, diese erschöpft sich nicht darin, dass sich das Denken passiv-rezeptiv und auf unmittelbare Art und Weise seiner selbst gewahr ist. 55 Dies ist nur ein – wenngleich konstitutives und unhintergehbares – Moment der übergeordneten Gesamtstruktur des spekulativen Denkaktes. 56 Die spekulative Dialektik beinhaltet zwar wesentlich die unmit53 54 55
56
GW, Bd. 12, 241. GW, Bd. 12, 240. Vgl. hierzu die Ausführungen von Siep (L. Siep: „Die Lehre vom Begriff. Dritter Abschnitt. Die Idee“, in: Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik. Hrsg. M. Quante und N. Mooren, Hamburg 2018, 651–796, 737.) zum ersten Moment der absoluten Idee und zu der Beziehung, in welcher der spekulative Anfang zur intellektuellen Anschauung steht: „Hegel scheint hier also auch eine Art intellektueller Anschauung zu akzeptieren, wenn sie nicht mit Endgültigkeitsansprüchen aufritt.“ Vor dem Hintergrund der sowohl hier als auch im ersten Teil unserer Untersuchung dargelegten Bedeutung der intellektuellen Anschauung für die Methode von Hegels spekulativer Logik, in welcher sie eine restringierte, jedoch konstitutive Stellung einnimmt, ist den – sonst sehr lehrreichen – Darstellungen Kazitadses zu dieser Thematik (K. Kazitadse: „In-
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telbare Selbsterfassung des Denkens, geht aber als die allgemeine Struktur seiner absoluten Selbstvermittlung zugleich über sie hinaus. Die intuitive Komponente des spekulativen Denkaktes besteht also nicht darin, dass ein logischer Bedeutungsgehalt endgültig als das, was er ist und nicht ist, angeschaut und es sozusagen dabei belassen wird, sondern darin, dass intuitiv erfasst wird, was sich an innerer Diskursivität, synthetischem Fortschritt und immanenter Spezifizierung nur aus jener unmittelbaren logischen Bedeutungseinheit selbst deduzieren lässt. 57 Das intellektuelle Anschauen als ein Moment der spekulativen Dialektik – und hier als der Anfang eines durch sie geregelten Entwicklungsprozesses – ist also nicht in schlechthinnigem Sinne die intuitive Erfassung eines unmittelbaren und differenzlosen Inhalts. Vielmehr ist sie Form einer logischen Bestimmung im Anfang ihrer spekulativen Entwicklung und damit unmittelbare Erfassung eines durchaus konkret bestimmten Bedeutungsgehalts, der sich
57
tellektuelle Anschauung. Der Begriff im Deutschen Idealismus und seine mittelalterlichen Quellen“, in: Selbst – Singularität – Subjektivität. Vom Neuplatonismus zum Deutschen Idealismus. Amsterdam / Philadelphia 2002, 249–260, 259 f.) nicht zuzustimmen, wenn er festhält, dass „Hegel den Begriff der intellektuellen Anschauung [verwirft]“. Richtig hingegen ist, dass, wie wir gesehen haben, der späte Hegel die intellektuelle Anschauung als alleiniges Mittel zur Erkenntnis des Absoluten verwirft, woraus sich seine zahlreichen teils sachlich-kritischen, teils polemischen Äußerungen bezüglich vorangegangenen Konzeptionen dieses Theorems, insbesondere derjenigen Schellings, ableiten. Richtig ist auch die Begründung, die Kazitadse für die (ihm zufolge vollständige) Abkehr von der intellektuellen Anschauung anführt: „[. . .] doch müssen wir den tieferen Grund für Hegels Ablehnung [gegenüber dem Prinzip der intellektuellen Anschauung, L.H.] in seinem Verständnis des Wesens der Philosophie selbst suchen. Dieses Verständnis wurzelt in dem Grundsatz, daß die Philosophie ein Prozeß ist und kein Akt. [. . .] Insofern die Philosophie ein Prozeß ist und kein Akt, sollte sie das Element der Diskursivität beinhalten. Selbstverständlich ist reine Diskursivität kein Verstandeswissen. Sie gehört vielmehr einer höheren Ebene an, ist aber doch diskursiv in dem Sinne, daß sie den Charakter des schrittweisen Ganges, der Prozessualität, des Hinüber- und Herübergehens, des ‚Diskurses` in der ursprünglichen Bedeutung dieses Begriffs trägt.“ Auf Grundlage der Ergebnisse unserer eigenen Untersuchung können wir hingegen anmerken, dass diese sehr zutreffenden Charakterisierungen der Hegelschen Methode vielmehr nur dafür sprechen, die intellektuelle Anschauung nicht als alleiniges methodisches Prinzip der Philosophie zu konzipieren. Andererseits haben wir gesehen, dass die spekulative Dialektik, d. h. das methodische Form- und Strukturprinzip der logischen Wissenschaft, gerade weil sie „reine Diskursivität“ ist, die begriffliche Analyse und produktive begriffliche Synthese als gleichursprüngliche Momente ihrer Prozessualität in sich vereinigt, ebenso sehr eine wesentliche, wenngleich restringierte intellektuellanschauende Komponente beinhaltet. Vgl. hierzu K. Düsing: „Intuitiver Verstand und spekulative Dialektik. Untersuchungen zu Kants Theorie und zu Hegels metaphysischer Umgestaltung“, in: Il pensiero. Rivista di filosofia, LV, 2016, 9–27, 25: „Hegel verwendet somit auch in der Logik intellektuelle Anschauung, allerdings nur im Vollzug des reinen, spekulativen, nicht bloß diskursiven Denkens; sie ist in diesem Vollzug Moment des methodischen Denkens in der Vorstellung anfänglicher Unmittelbarkeit und Einfachheit, die zugleich Ganzheit oder Totalität ist.“
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auf Grundlage dieser unmittelbaren Erfassung so weiter bestimmen und mit sich selbst vermitteln kann, dass hierbei nur auf diejenigen argumentativen Gründe zurückgegriffen wird, die allein in seiner unmittelbaren Bedeutung selbst liegen. Das methodische Moment anfänglicher intuitiver Erfassung eines logischen Bedeutungsgehalts ist also nicht mehr etwa Meister Eckharts stille Wüste, in der es noch nicht einmal die Binnendifferenzierung der Trinität gibt 58, oder Hölderlins noch hinter jegliche Ur-Teilung zurückgehende intellektuale Anschauung 59 beziehungsweise sie restringiert diese absolute Ununterschiedenheit und Vermittlungslosigkeit auf die Form, in der ein konkret bestimmter Bedeutungsgehalt zunächst denkend erfasst wird. Die konkrete Allgemeinheit ist das methodische Schlüsselprinzip der Hegelschen Logik. Die spekulative Entwicklung der logischen Bestimmungen besteht darin, dass die anfängliche Erfassung ihres unmittelbaren Bedeutungsgehalts, die ihm „den Sinn und die Form abstracter Allgemeinheit“ 60 verleiht, sich zu einer bereicherten und prozessualen Spezifikation dieses Bedeutungsgehalts entwickelt und deren Rückführung in die Form anfänglicher Unmittelbarkeit schließlich in der Genese der nächsten, konkreteren logischen Bestimmung resultiert. Diese spezifische Form der Allgemeinheit steht in diesem Sinne nicht von vornherein als „für sich bestehend und seyend“ 61 fest, sondern ist konkrete Allgemeinheit nur, insofern sie ihr anfängliches abstraktes Stadium an ihr selbst überwindet und überhaupt selbst „eins mit dem Processe“ 62 ihrer Konkretion ist. Aus dieser wesentlich prozessualen Struktur, die der Selbstexplikation des Denkens rücksichtlich ihrer allgemeinen Form zukommt, resultiert, dass diese Konzeption des Absoluten, d. h. des absoluten Denkens (nur) seiner selbst, nicht als eine unveränderliche und feststehende Totalität fixiert werden kann. Zu Beginn der enzyklopädischen Seinslogik bemerkt Hegel, dass das „Seyn selbst, so wie die folgenden Bestimmungen nicht nur des Seyns, sondern die logischen Bestimmungen überhaupt [. . .] als Definitionen des Absoluten, als die metaphysischen Definitionen Gottes angesehen werden [können]“ 63. Dennoch folgt aus der immanenten und transformativen Dynamik der logischen Bestimmungen, dass ihre unmittelbare Erfassung nur ein – wenngleich notwendiges und konstitutives – Moment ihrer schlussendlichen Wahrheit darstellt. Die unmittelbare Erfassung des Bedeutungsgehalts einer logischen Bestimmung erweist sich an ihr selbst als dialektisch, sie hebt sich auf, indem sie sich in ihrer anfänglichen Abgrenzung von ihrem Entgegen58 59 60 61 62 63
Vgl. DW, Predigt 48, 419 f. Vgl. StA IV / 1, 216 f. Vgl. GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 12, 177. GW, Bd. 20, 121.
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gesetzten als auch identisch mit diesem erweist. Sie transformiert sich damit zu diesem und entwickelt die Beziehung, in welcher die beiden entgegengesetzten Bedeutungsgehalte zueinander stehen, „zu dem, was sie zunächst ist, zum Widerspruche an ihr selbst“ 64. Die logischen Bestimmungen sind also von wesentlich prozessualer und sich selbst bewegender Natur und können daher nicht einfach definiert werden. Die Wahrheit einer logischen Bestimmung ist nicht ihre verständig fixierbare Definition, sondern diejenige Prozessualität, die sich unmittelbar an dieser darstellt. Die logische Entwicklung schreitend somit sprunglos von „Inhalt zu Inhalt“ 65, von einer Definition des Absoluten zur nächsten fort und deren schlussendliche Wahrheit ist das Ganze der Deduktion der Denkbestimmungen, in der sie dann als Strukturmomente des einen, absoluten Denkaktes, d. h. der absoluten Subjektivität als des sich selbst denkenden Denkens, systematisch eingebettet und aufgehoben sind. Bezüglich der prozessualen, in sich bewegten und sich selbst bewegenden Struktur, die allen logischen Bestimmungen als die ihnen inhärierende, allgemeine Form ihrer spekulativen Entwicklung zukommt, bemerkt Hegel im Definitionskapitel demgemäß, dass die „Selbstständigkeit des Begriffes [. . .] dem Sinne der Definition zuwider [sei], welche der unmittelbare Begriff seyn soll“ 66. Das Wahre ist, mit anderen Worten, nicht eine einzelne logische Bestimmung oder Definition des Absoluten, sondern das Ganze ihrer in sich geschlossenen Entwicklung und damit die Selbsteinteilung des reinen Denkens in die unterscheidbaren Strukturmomente seiner selbst. 67 Als Momente der spekulativ-dialektischen Selbstbestimmung des Absoluten sind die logischen Bestimmungen also von in sich bewegter und sich selbst bewegender Natur. In diesem Umstand liegt es auch begründet, dass ihre logische Struktur, wie Hegel an mehreren Stellen und in verschiedenen Kontexten in der Logik bemerkt, nicht auf adäquate und vollständige Art und Weise in einem Urteil ausgedrückt werden kann. 68 Die allgemeine Struktur spekulativer 64 65 66 67
68
GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 250. GW, Bd. 12, 214. „Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen.“ Anhand des Dargelegten zeigt sich, dass diese grundlegende, methodische Programmatik aus der Vorrede der Phänomenologie des Geistes von 1807 auch bis in die spätesten Entwürfe des Hegelschen Systems bedeutend und konstitutiv bleibt. Vgl. hierzu etwa die zweite Anmerkung zu der anfänglichen Beziehung zwischen reinem Sein und reinem Nichts sowie der höheren Einheit, die beide im Werden finden: GW, Bd. 21, 77 f. „Der Satz [des Werdens, L.H.] enthält somit das Resultat [d. h. das Verschwinden des Unterschieds von Sein und Nichts durch sich selbst, L.H.], er ist dieses an sich selbst. Der Umstand aber, auf den hier aufmerksam zu machen ist, ist der Mangel, daß das Resultat nicht selbst im Satze ausgedrückt ist; es ist eine äußere Reflexion, welche es in ihm erkennt. – Es muß hierüber sogleich im Anfange diese allgemeine Bemer-
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Entwicklungsprozesse besteht darin, dass sich erstens eine ihrer Form nach unmittelbare, noch nicht entfaltete Bedeutungseinheit in einen dialektischen Vermittlungsprozess ur-teilt sowie zweitens Anfang und Fortgang schließlich wieder zusammengeschlossen werden, indem sich die Form anfänglicher Unmittelbarkeit am bereicherten und erweiterten Bedeutungsgehalt des dialektischen Vermittlungsprozesses restituiert. Diese in sich bewegte und sich selbst bewegende logische Struktur ist nicht in adäquater und vollständiger Weise als ein Urteil zu beschreiben. Die strukturelle Form spekulativen Denkens ist vielmehr der Syllogismus. 69 Die Frage, ob das Absolute als solches dem verständigen und urteilenden endlichen Erkennen zugänglich ist und überhaupt prädikativ bestimmt werden kann, stellt bereits für den jungen Hegel eine zentrale Problemfrage dar, die er in seinen theologisch geprägten Früh- und Jugendschriften detailliert behandelt. So thematisiert Hegel, um hierfür ein Beispiel zu nennen, in den Frankfurter Frühschriften zur christlichen Religion den Prolog des Johannes-Evangeliums, der „eine Reihe thetischer Säze [enthalte], die in eigentlicherer Sprache über Gott und Göttliches sich ausdrükken“ 70. Hier wird urteilend über das Göttliche gesprochen. Dieses soll jedoch zugleich über alle endliche Entgegensetzung erhaben sein, sodass hier der Widerspruch auftritt, dass die Reflexion dasjenige, „dem sie die Form des reflektierten gibt, zugleich als nicht reflektirt [supponiert]; einmal als das Einige, in dem keine Theilung, Entgegensezung ist, und zugleich mit der Möglichkeit der Trennung, der unendlichen Theilung
69
70
kung gemacht werden, daß der Satz, in Form eines Urtheils, nicht geschickt ist, speculative Wahrheiten auszudrücken; die Bekanntschaft mit diesem Umstande wäre geeignet, viele Mißverständnisse speculativer Wahrheiten zu beseitigen. Das Urtheil ist eine identische Beziehung zwischen Subject und Prädicat; es wird dabey davon abstrahirt, daß das Subject noch mehrere Bestimmtheiten hat als die des Prädicats, so wie davon, daß das Prädicat weiter ist als das Subject. Ist nun aber der Inhalt speculativ, so ist auch das Nichtidentische des Subjects und Prädicats wesentliches Moment, aber diß ist im Urteile nicht ausgedrückt.“ Auch im letzten Kapitel der Logik wird Hegel auf diesen Punkt zurückkommen. Vgl. hierzu GW, Bd. 12, 245: „Bey dem Urtheile ist gezeigt worden, daß seine Form überhaupt, und am meisten die unmittelbare des positiven Urtheils unfähig ist, das Speculative und die Wahrheit in sich zu fassen.“ Vgl. zu dieser Thematik zudem R. Schäfer: „Hegels identitätstheoretische Deutung des Urteils“, in: Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss. Hrsg. A. Arndt, Chr. Iber und G. Kruck, Berlin 2006, 48–68. Dass die Struktur der dialektischen Methode als ein spekulativer Schluss der Form A-B-E zu interpretieren ist, ist detailliert gezeigt worden von K. Düsing (u. a. „Syllogismus und Dialektik in Hegels spekulativer Logik“, in: Hegels Wissenschaft der Logik: Formation und Rekonstruktion. Hrsg. D. Henrich, Stuttgart 1986, 15–38.) sowie von R. Schäfer (Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik: Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen. Hamburg 2001, insbesondere 219 ff.). GW, Bd. 2, 254.
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des Einigen“ 71. Dieser Widerspruch, der den Verstand „zerrüttet“ 72, resultiert in dieser Frühschrift Hegels darin, dass von Gott „nur mystisch gesprochen werden kan“ 73, die „Rükkehr zur Gottheit“ 74 nur in religiös-empfindsamer Begeisterung zu erfahren ist, worin der Mensch sich „der Engel Anschauen Gottes“ 75 anzunähern vermag, in der, wie Hegel sich ausdrückt, „sehr glüklich viel vereinigt [ist]“ 76. Diese sich im Medium des religiösen Gefühls ereignende Vereinigung mit dem ursprünglich einigen Göttlichen, sieht Hegel im Ritus der Wassertaufe symbolisiert: „Es gibt kein Gefühl, das dem Verlangen nach dem Unendlichen, dem Sehnen, in das Unendliche überzufliessen, so homogen wäre, als das Verlangen, sich in einer Waserfülle zu begraben; der hineinstürzende hat ein Fremdes vor sich, das ihn sogleich ganz umfliest, an jedem Punkte seines Körpers sich zu fühlen giebt; [. . .] er ist nur gefühltes Wasser, das ihn berührt, wo er ist, und er ist nur, wo er es fühlt; es ist in der Wasserfülle keine Lükke, keine Beschränkung, keine Mannichfaltigkeit oder Bestimmung; das Gefühl derselben ist das unzerstreuteste, einfachste [. . .].“ 77
Der entscheidende Unterschied zwischen der Einstellung, die der frühe Hegel zum Prinzip der intellektuellen Anschauung hat, und der erörterten untergeordneten Funktion, die sie später in ihrer Einbettung in die Gesamtstruktur der spekulativen Dialektik findet, besteht darin, dass die unmittelbare, intellektuelle Selbsterfassung hier nicht mehr die alleinstehende Methode darstellt, über die allein eine Erkenntnis des Absoluten möglich ist. 78 Das Absolute ist für den späten Hegel also weder ein von vornherein feststehendes Prinzip, das „einfach“ nur erkannt werden müsste, noch ist es eine jenseitige Transzendenz, die entweder als solche dem menschlichen Wissen, das ihr nur nachspüren kann, ewig sich entziehen muss 79 oder aber ihm geof71 72 73 74 75 76 77 78
79
GW, Bd. 2, 255. GW, Bd. 2, 254. GW, Bd. 2, 257. GW, Bd. 2, 277. GW, Bd. 2, 273. GW, Bd. 2, 273. GW, Bd. 2, 278. Zu der Kritik, die der späte Hegel in diesem Sinne an der Methode der intellektuellen Anschauung vorbringt, vgl. X. Tilliette: Untersuchungen über die intellektuelle Anschauung von Kant bis Hegel. Stuttgart-Bad Cannstatt 2015, 328–356 und insbesondere 348 ff. Hegel konzipiert das Absolute als absolute Subjektiviät und damit als in sich konkrete Totalität. Zu den Differenzen zwischen dieser Position und der platonisch-neuplatonischen Konzeption des Absoluten als absolute Transzendenz vgl. J. Halfwassen: Auf den Spuren des Einen. Studien zur Metaphysik und ihrer Geschichte. Tübingen 2015, 331–349.
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fenbart wird. Letzteres haben insbesondere die christliche Religion 80 und – in demgegenüber freilich ganz anderer Gestaltung – auch noch der späte Heidegger vor Augen. Obgleich Hegel den Grundgedanken seiner logischen Wissenschaft, d. h. die Einheit des reinen Denkens seiner selbst und des Göttlichen / des Absoluten, bekanntlich in der νόησις νοήσεως des Aristoteles historisch präfiguriert sieht, warnt der genuin neuzeitliche Charakter der Hegelschen Logik und ihrer Methode doch vor einer zu raschen Identifizierung der beiden Theoreme. Das Denken des Denkens besteht in Hegels reifer Logikkonzeption, wie erörtert worden ist, in der selbstbezüglichen Differenzierung des Denkens in eine systematische Abfolge von Strukturbestimmungen seiner selbst, die sich als sich an ihnen selbst konkretisierende Begriffe schrittweise auseinander deduzieren. Das Denken des Denkens bewegt grundlegendere, allgemeinere Formen der Selbstbezüglichkeit, die von seiner eigenen komplexeren Struktur unterschieden sind, also nicht wie ein Begehrtes, Erstrebtes oder Geliebtes. 81 Vielmehr ist es in dem Sinne Grund ihrer in sich bewegten Struktur, dass es sie als rudimentärere, aber wesentliche Bedingungen seiner selbst thematisiert, aus denen sein eigener Begriff, die absolute denkende Selbstbezüglichkeit, zwecks einer Erfassung der Totalität seiner Bedingungen allererst zu deduzieren ist, und die daher in der absoluten Subjektivität, in der sie schlussendlich ihre Wahrheit finden, aber ebenso sehr „aufbewahrt und erhalten“ 82 bleiben. Die spekulative Dialektik bewegt die logischen Bestimmungen, indem sie ihnen als eine allgemeine Form unmittelbar inhäriert, wobei die gestalterische Aktivität und Produktivität dieser Form die Bestimmungen über ihren ursprünglichen unmittelbaren Bedeutungsgehalt hinaustreibt und die auf diese Weise an ihm hervortretende Dialektik als einen konkreteren, wieder intuitiv zu erfassenden Bedeutungsgehalt höherer Stufe herausstellt. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung konnte gezeigt werden, auf welche Weise das Prinzip der intellektuellen Anschauung in die komplexe Struktur der spekulativ-dialektischen Methode inkorporiert ist. Die denkendintuitive Erfassung der logischen Bestimmungen in der Form einfacher und noch undifferenzierter Bedeutungseinheiten ist Bedingung für die rein selbstbezügliche Spezifizierung und Individuation der logischen Begriffe und nimmt somit innerhalb der übergeordneten Gesamtstruktur der spekulativen Dialek80
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Gleichwohl ist Hegels Konzeption des Absoluten in der christlichen Religion, die Gott trinitarisch und in Hegels spekulativer Deutung somit als Geist konzipiert, am adäquatesten vorgestellt und dementsprechend in der christlich-religiösen Kunst der romantischen Kunstform in adäquatester Form zur sinnlichen Anschauung gebracht. Vgl. hierzu GW, Bd. 20, 382 f. Vgl. hierzu Aristoteles: Metaphysik. (Buch Lambda) 1072 a–b (nach der Paginierung von Aristotelis opera, Hrsg. J. Bekker, Berlin 1831 ff.). GW, Bd. 12, 245.
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tik eine für das Ganze konstitutive Funktion ein. Das reine Denken seiner selbst ist in diesem Sinne zumindest teilweise introspektiv. Indem der logische Inhalt in denjenigen Stadien seiner Entwicklung, an denen die jüngste dialektische Erweiterung seines Bedeutungsgehalts zu einer formaliter wieder unmittelbaren Einheit zusammengeschlossen worden ist, rein intuitiv als das betrachtet wird, was damit nun vorliegt, wird dieser Bedeutung zugleich der Raum dafür gegeben, sich an ihr selbst weiterbestimmen zu können. In einer methodisch etwas strengeren Formulierung bedeutet dies, dass in der synthetischen Weiterentwicklung und Spezifizierung dieses formaliter unmittelbaren Inhalts nur auf diejenigen argumentativen Gründe zurückgegriffen wird, die rein analytisch in seiner logischen Struktur, d. h. in dem zunächst nur negativen Verhältnis, in welchem er zu seiner Negation steht, selbst liegen. Aufgrund dieser rein analytischen Begründung des synthetischen Fortgehens der logischen Entwicklung stellen die Bestimmungen des reinen Denkens rücksichtlich der allgemeinen Form ihrer Deduktion konkrete Allgemeinheiten dar. Sie enthalten eine über ihren ursprünglichen Begriff hinausgehende Spezifizierung sowie schließlich eine noematische Individuation ihrer selbst bereits in sich und dies auf die Weise, dass ihre ursprünglich-unmittelbare Form sich immanent zu diesen komplexeren Manifestationen ihrer selbst bestimmt. Spekulativ ist die spekulative Entwicklung also, insofern ihr Anfang darin besteht, die Denkbestimmungen unmittelbar zu spekulieren 83, d. h. sie als ihrer Form nach undifferenzierte, nicht bereits in einem positiven Sinn auf Anderes bezogene Bedeutungseinheiten zu erfassen. Spekulative Entwicklung ist sie, da sich auf Grundlage dieser intuitiven Erfassung – und erst mit dieser – ein immanenter diskursiver und synthetischer Transformationsprozess einleitet. Denkende Intuition und Diskursivität sind im Denken des Denkens schlichtweg nicht als unabhängig voneinander zu denken. Auch die (dialektische) Diskursivität, die auf Grundlage der intuitiven Erfassung der ursprünglichen Einheit an dieser anhebt, ist als ein spekulierendes Auffassen einer immanenten, im Medium des Ursprungs bleibenden Notwendigkeit zu begreifen, deren aktives Herausstellen die Einheit der höheren Stufe und damit unmittelbar den bereicherten Inhalt der nächsten intellektuellen Intuition produziert. 84 83
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Vgl. hierzu die Ausführungen Heideggers (M. Heidegger: „Hegel und die Griechen“, in: Wegmarken. Frankfurt am Main 1976, 427–444, 431.), der festhält, dass der Entwicklungsgang der Hegelschen Logik „das Ganze der Subjektivität in ihre entfaltete Einheit [versammelt]. Sie wächst so zusammen, con-crescit, wird konkret. Dergestalt ist die Dialektik spekulativ. Denn speculari heißt erspähen, zu Gesicht bekommen, fassen, be-greifen.“ In diesem Sinne deuten wir den Aspekt des intuitiven Denkens innerhalb der komplexeren, über dieses Moment hinausgehenden Gesamtstruktur der spekulativ-dialektischen Methode als einen Ausdruck der begrifflichen Einheitlichkeit, in deren Medium sich alle produktive Diskursivität in der logischen Entwicklung vollzieht. Vgl. hierzu die Ausfüh-
Hegel-Studien
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Die Einheit von immanenter Diskursivität und intellektueller Rezeptivität / intellektueller Anschauung zeigt sich in paradigmatischer Form an der binnendifferenzierten Struktur des Begriffs des Begriffs. Obzwar dessen Momente Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit erst zu Beginn der subjektiven Logik als Bestimmung des logischen Inhalts explizit thematisch werden, sind sie als Anfang, Fortgang und Ende der spekulativen Prozessualität in allgemeiner und methodischer Hinsicht schon für alle Denkbestimmungen die immanente Form ihrer sich selbst begründenden Entwicklung und Weiterbestimmung. Diese spekulative Diskursivität, deren Struktur, wie dargestellt, als die Trias Allgemeinheit / Anfang, Besonderheit / Fortgang und Einzelheit / Ende zu begreifen ist, ist als die Prozessualität einer sich an ihr selbst konkretisierenden Allgemeinheit zunächst ein nachvollziehbarer Werdensprozess, denn die Form noch abstrakter Unmittelbarkeit wird überwunden und Besonderheit und Einzelheit werden am zunächst noch nicht spezifizierten Anfang gesetzt und ursprünglich produziert. Zugleich aber bleibt diese Diskursivität als immanente Spezifizierung einer zunächst unmittelbaren Bedeutungseinheit in all ihren Phasen wesentlich im Medium des Anfangs, dieser kontinuiert sich in den aus seiner Selbstaufhebung hervorgehenden Resultaten. Vor diesem Hintergrund ist die diskursive Erweiterung und Konkretion des anfänglichen logischen Bedeutungsgehalts als eine in spezifischem Sinn intuitive Erfassung einer mit innerer Notwendigkeit sich vollziehenden Prozessualität zu begreifen, deren drei Momente sich in ihrem reziproken Begründungsverhältnis sowohl synthetisch hervorbringen als auch analytisch bereits vollständig ineinander enthalten. 85 Diese beiden Dimensionen des spekulativen Entwicklungsprozesses, d. h. der sich an ihr selbst konkretisierenden Allgemeinheit, die analytisches und synthetisches Erkennen in sich als in einer absoluten, rein analytisch begründeten Synthesis vereinigt, beschreibt Hegel wie folgt: „Die Allgemeinheit und die Besonderheit erschienen einerseits als die Momente des Werdens der Einzelnheit. Aber es ist schon gezeigt worden, daß sie an ihnen selbst der totale Begriff sind,
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rungen von H. F. Fulda: Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik. Frankfurt am Main 1965, 281: „In der Tat wäre ja ohne einen intuitiven Charakter des reinen Denkens nicht verständlich, wie die verschiedenen Bestimmungen, in denen dieses sich bewegt, zusammengehalten werden.“ Unsere Deutung schließt sich somit Halfwassen (J. Halfwassen: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung. Bonn 1999, 380.) an, der die Einheit von intuitiver Bedeutungserfassung und synthetischer Diskursivität, die in Hegels Prinzip der konkreten Allgemeinheit gedacht wird, wie folgt charakterisiert: „Die vernünftige Erkenntnis der vollständig entwickelten konkreten Allgemeinheit hat somit die Diskursivität des Denkens als ein wesentliches und strukturbestimmendes Moment des Sich-Wissens mit der Einfachheit der intuitiven Anschauung in der Einheit der dialektischen Methode zusammengeschmolzen.“
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somit in der Einzelnheit nicht in ein anderes übergehen, sondern daß darin nur gesetzt ist, was sie an und für sich sind.“ 86 Spekulatives Denken besteht also darin, dass sich eine an sich ungetrennte Einheit in eine prozessuale Zweiheit differenziert und deren gegenüber dem Anfang komplexere Struktur sich an ihr selbst wieder in die Form ungetrennter Einheit zurückführt, was zugleich den konkreteren Anfang der nächsten Entwicklungsstufe generiert. Dass hierbei die Einheit der Vielheit, zu der sie sich bestimmt und in die sie sich entfaltet, der Sache nach vorgängig ist, erinnert an neuplatonisch-henologisches Denken. Dass die ursprüngliche Einheit die Vielheit, Differenz und Vermittlung aber auf die Weise aus sich hervorbringt, dass ihr vorgängiger Einheitscharakter – wenngleich notwendig und unhintergehbar – sich an ihm selbst als einen Mangel erweist, er erst in der Vielheit seine eigentliche Wahrheit findet, markiert einen wesentlichen Unterschied zwischen Hegels spekulativem Denken und einer Henologie neuplatonischen Charakters. 87 Aufstieg zur Wahrheit vollzieht sich bei Hegel demnach durch den immanenten Abstieg der ursprünglichen Einheit in eine Differenz, deren Rückführung in die Form ursprünglicher Unmittelbarkeit dann den Aufstieg zu einer neuen, korrigierten und bereicherten Einheit darstellt. Spekulatives Denken im Sinne Hegels ist somit eine kontinuierliche, diskursive Autokorrektur unmittelbarer Entwicklungsstadien, die aus ihrem immanenten Untergang in bereicherter und konkreterer Gestalt wieder auferstehen. Wahrheit ist hier also als Selbstbewegung und Selbstproduktion eines einigen, sich entwickelnden Inhalts zu begreifen. Dessen Struktur kann metaphorisch mit Goethes „Gingo biloba“ beschrieben werden, d. h. als ein Lebendiges, das sich in sich selbst trennt und diese Trennung aufgrund der wechselseitigen Begründung ihrer Relata zugleich wieder als ein höheres Eines erkennt, oder auch mit Hölderlins Rheinhymne, insofern fließende Transformation und ein durchgängiges Bleiben im Anfang hier unmittelbar zusammenzudenken sind.
86 87
GW, Bd. 12, 49. Vgl. allgemein zu Hegels Rezeption, Aufnahme und Umdeutung neuplatonischen Denkens J. Halfwassen: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung. Bonn 1999. Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden etwa von Hegels spekulativer Dialektik und der Triadik des Proklos vgl. hier insbesondere 432–444.
Hegel-Studien
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ie wir im zurückliegenden Verlauf unserer Untersuchung gesehen haben, fallen in der logischen Wissenschaft, d. h. im rein sich selbst denkenden Denken, Methode und Selbstbewegung des Inhalts schlichtweg in eins. Dasjenige, was als die spekulativ-dialektische Methode der Logik zu bezeichnen ist, entspricht nichts anderem als dem „Bewußtseyn“ 1 und der „Gewißheit“ 2 über die allgemeine Form, Struktur und Gesetzmäßigkeit der Selbstauslegung des Denkens in ein sich ursprünglich ausbildendes System immer konkreter werdender Bestimmungen. In diesem Sinne fällt die Methode der Logik, d. h. die spekulative Dialektik, da sie die immanente Form des sich an ihm selbst konkretisierenden logischen Inhalts darstellt, zusammen mit dem Prinzip der konkreten Allgemeinheit. Die unterschiedenen Bedeutungsgehalte, die in der Logik thematisiert und ursprünglich auseinander entwickelt werden, sind konkrete Allgemeinheiten, die ihre Besonderheit, d. h. ihre jeweilige Dialektik, und ihre Einzelheit, d. h. die nächsthöherstufigere logische Bedeutungseinheit, in dem Sinne bereits in sich enthalten, dass sie diese als Momente ihrer Selbstbestimmung allein aus sich heraus hervorbringen. Auch ist in unserer Untersuchung bereits an mehreren Stellen deutlich geworden, dass die Struktur der spekulativ-dialektischen Bedeutungskonkretisierung, welche die Form des Inhalts der logischen Wissenschaft als eines sich an ihm selbst schrittweise entwickelnden Bedeutungsgehalts darstellt, begriffliche Synthese und begriffliche Analyse als gleichursprüngliche und wechselseitig sich begründende Momente in sich vereinigt. Gerade der Begriff der Synthesis ist bekanntlich einer der zentralen epistemologischen Grundbegriffe der klassischen deutschen Philosophie und hat insbesondere bei Kant und Fichte 3 und eben auch bei Hegel spezifische Aufnahmen und Prägungen erfahren. Im Lichte dieser reichen Begriffsgeschichte soll im Folgenden daher noch detaillierter erörtert werden, welche Art von
1 2 3
GW, Bd. 21, 37. GW, Bd. 12, 242. Zur Synthesiskonzeption in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794/95 vgl. die Studie von R. Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre` von 1794. Darmstadt 2006, insbesondere 74–95 sowie 105–191.
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synthetischer Erkenntnis Hegels spekulative Dialektik und damit die Struktur der schrittweisen Selbstkonkretisierung des reinen Denkens darstellt. Dabei soll die These argumentativ belegt und begründet werden, dass das Denken des Denkens, d. h. die spekulativ-dialektische Ausbildung des in sich geschlossenen Systems der logischen Bestimmungen, als eine spontane, absolute und in formaler sowie in inhaltlicher Hinsicht produktive Synthesis zu begreifen ist. Diese unterschiedenen, dabei aber auch wechselseitig sich begründenden Strukturaspekte desjenigen synthetischen Denkaktes, den die logische Wissenschaft darstellt, werden nun nacheinander zu bedenken sein. Erstens stellt das Denken des Denkens eine spezifische Form des synthetischen Erkennens dar. Es ist ein wesentliches Moment spekulativer Entwicklungsprozesse, dass ihr jeweiliger Inhalt sich mit einem von ihm unterschiedenen und über ihn hinausgehenden Bedeutungsgehalt verbindet und sich somit erweitert. Das synthetische Moment der spekulativen Entwicklung besteht für Hegel darin, dass der seiner Form nach einfache, noch unmittelbare und noch nicht differenzierte / spezifizierte logische Bedeutungsgehalt, mit dem der Anfang einer jeden Entwicklungsstufe gemacht wird, sich zu einem dialektischen Prozess bestimmt, der sowohl den Bedeutungsgehalt des Anfangs als auch dessen Entgegengesetztes als sich an ihnen selbst aufhebende und sich zueinander transformierende Relata miteinander vermittelt. Da die Dialektik somit einen zirkulär-dynamischen, in sich geschlossenen Werdens- und Transformationsprozess darstellt, ist sie nicht mehr eine unmittelbare, ihrer Form nach „unveränderlich[e]“ 4 und „unvergänglich[e]“ 5 Bedeutungseinheit, wie es der Anfang der Entwicklung zunächst noch gewesen ist, sondern sie ist gerade die unendliche Transformation zweier einander entgegengesetzter logischer Bestimmungen, die in dem Sinne vergänglich sind, dass sie sich, indem ihre Bedeutung unmittelbar erfasst wird und sie sich voneinander absondern, zueinander verändern. Das Synthetische an diesem Fortgang der Entwicklung von ihrem Anfang zu der ihm spezifisch zugehörigen Dialektik besteht darin, dass der unmittelbare Anfang, indem er sich immanent zu einer dialektischen Prozessualität bestimmt, sich erweitert und „bereichert“ 6. Der dialektische Prozess beziehungsweise das Moment des Fortgangs der spekulativen Entwicklung enthält gegenüber ihrem Anfang also ein Mehr an logischer Bedeutung und Information. Dieses Mehr an Bedeutung besteht darin, dass der Anfang der Entwicklung mit der gedanklichen Erfassung eines einfachen logischen Bedeutungsgehalts gemacht worden ist, der sich von seinem Entgegengesetzten / seiner Negation nur einfach negativ unterscheidet und abgrenzt, und die 4 5 6
GW, Bd. 12, 41. GW, Bd. 12, 41. GW, Bd. 12, 250.
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Dialektik, zu der sich der Anfang bestimmt, sich demgegenüber dadurch auszeichnet, dass der Bedeutungsgehalt beider Entgegengesetzten in affirmativer und positiver Hinsicht erfasst wird, und dies abwechselnd, nämlich dann, wenn sie sich die Bedeutung des einen Entgegengesetzten aufhebt und werdend zu der des anderen transformiert. Das synthetische Moment, das der Struktur spekulativer Prozessualität zukommt, ist also zunächst spezifisch Bereicherung eines logischen Bedeutungsgehalts, der um das Moment des Werdens zu seinem Entgegengesetzten erweitert wird, in diesem Werdensprozess aber ebenso sehr selbst positiv bestehen bleibt, da sein Entgegengesetztes, sobald dieses positiv thematisch ist, indem es auf die beschriebene Weise geworden ist, sich ebenfalls aufhebt und seine Bedeutung – im Sinne einer Umkehrung des Werdens – sich wieder zur der des ursprünglichen Ausgangspunkts wandelt. Die allgemeine Struktur der logischen Entwicklung ist demnach zunächst deswegen synthetisch, weil sie bedeutungserweiternd ist. Die Erweiterung und Ausdehnung der unmittelbaren Bedeutungseinheit des Anfangs zu einem dialektischen Transformationsprozess vollendet sich, wie wir gesehen haben, aufgrund der Vervollständigung beider Relata des dialektischen Prozesses zur Einheit mit ihrem begrifflichen Gegenteil zu einer wieder einfachen und unmittelbaren, zunächst nicht mehr prozessualen Bedeutungseinheit, die als solche den neuen Anfang der nächstfolgenden Stufe der logischen Entwicklung darstellt. Das synthetische Moment eines spekulativen Denkaktes vollzieht sich somit in zwei Schritten, die zusammengenommen die in sich differenzierte Struktur einer jeden Stufe der logischen Entwicklung ausmachen. Das Synthetische besteht dabei, wie wir gesehen haben, in der Konkretisierung einer anfänglichen Bedeutung auf Grundlage ihrer – zwischen Anfang und (konkretisierter) Vollendung sich ereignenden – dialektischen Erweiterung. Der erste Schritt, d. h. das Fortgehen der anfänglichen Bedeutungseinheit zu ihrer Dialektik, ist dabei in formaler sowie inhaltlicher Hinsicht synthetisch und produktiv. Der seiner Form nach zunächst unmittelbare Bedeutungsgehalt des Anfangs bestimmt sich hier zunächst zu einer dialektischen und prozessualen Vermittlung mit seinem begrifflichen Gegenteil. Dabei geht mit dieser Erweiterung der begrifflichen Form – von Unmittelbarkeit und Einfachheit zu Vermittlung und prozessualer Relation – zugleich eine inhaltliche Erweiterung der anfänglichen Bedeutung einher. Auf diesen Punkt werden wir unten in der Betrachtung der Produktivität der spekulativen Dialektik zurückkommen. Der zweite Schritt des Fortgangs, d. h. das weitere Fortgehen der Entwicklung von der Dialektik, zu welcher sich der Anfang bestimmt hat, zu ihrem Ende, ist in dem Sinne synthetisch und produktiv, dass der gegenüber dem Anfang erweiterte Bedeutungsgehalt des dialektischen Prozesses in die Form begrifflicher Einfachheit und Unmittelbarkeit zurückgeführt wird. Diese Rückkehr
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zur Form des Anfangs geschieht unter Wahrung der Bedeutungserweiterung, die der erste Anfang mit seiner dialektischen Vermittlung erfahren hat, sodass die Bedeutungseinheit, die mit der Vollendung einer jeden Stufe der logischen Entwicklung generiert wird, zwar wieder ein logischer Anfang, aber wesentlich ein neuer, konkreterer Anfang, mithin der Anfang der nächsthöheren Entwicklungsstufe ist. In der spekulativen Logik verbindet / synthetisiert sich das Denken also selbst, indem seine unterscheidbaren Strukturbestimmungen, d. h. die Denkbestimmungen, sich in und aufgrund ihrer zunächst nur negativen Abgrenzung von der ihnen entgegengesetzten Negation ihrer selbst ebenso sehr als identisch mit dieser erweisen und sich zu ihr transformieren. Das Resultat dieser Verbindung, d. h. das Resultat der Einheit von Selbstaufhebung und Werden zum Entgegengesetzten, ist für eine jede logische Bestimmung der zirkuläre dialektische Prozess der immanenten Transformation beider Entgegengesetzten zueinander, die aufgrund der in sich ruhenden und sich vollständig selbst begründenden Natur ihrer Prozessualität zu einem höheren, wieder unmittelbaren und einheitlichen Bedeutungsgehalt synthetisiert wird. Die Einheit von a) dialektischer Erweiterung einer anfänglichen Bedeutung und b) Rückführung des erweiterten begrifflichen Gehalts zu einer konkreteren Ausprägung des Anfangs als solchen macht demnach das synthetische und produktive Moment der spekulativen Dialektik und damit der Selbstentwicklung des reinen Denkens aus. Zweitens ist die logische Synthesis, deren allgemeine formale Struktur die spekulative Dialektik ist, spontan, da ihre Prozessualität, wie sich gezeigt hat, von einer ihrer Form nach selbstursächlichen und selbstanfangenden Natur ist. Das Erfassen einer zunächst einfachen Bedeutungseinheit in der Form abstrakter Unmittelbarkeit leitet an ihm selbst einen dynamischen und transformativen Entwicklungsprozess ein. Das Unmittelbare erweist sich somit an ihm selbst als das „Erste“ 7 einer über es hinausgehenden Reihe von aufeinander aufbauenden Entwicklungsschritten. Anderes ausgedrückt ist eine formaliter einfache und unmittelbare Bedeutungseinheit dadurch, dass sie sich zu komplexeren Spezifikationen ihrer selbst entwickelt, der Anfang eines Fortgangs, in welchem sein ursprünglicher Bedeutungsgehalt jedoch positiv bestehen bleibt. Der Fortgang der Entwicklung, d. h. das Einsetzen der dialektischen Prozessualität, hebt am zunächst unmittelbaren Anfang selbst an und dieser bestimmt und entwickelt sich folglich immanent zum dialektischen Prozess. Hierin besteht nun eine erste Spezifikation der oben dargelegten Charakterisierung der logischen Entwicklung als ein synthetisches Erkennen: In ihrer synthetischen, bedeutungserweiternden Aktivität verfährt die logische Entwicklung zugleich analytisch bezie7
GW, Bd. 12, 245.
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hungsweise ihre gestalterische und produktive Aktivität vereinigt synthetisches und analytisches Erkennen so in sich, dass sie gleichursprüngliche Momente der prozessualen Struktur der Entwicklung sind. Das synthetische Fortgehen der Logik, mit dem, wie dargelegt, eine ursprüngliche, noch nicht spezifizierte Bedeutungseinheit um eine weitere Bestimmung erweitert und bereichert wird, ist somit in dem Sinne auch analytisch, dass es „die weitere Bestimmung ihres anfänglichen Allgemeinen ganz allein in ihm findet“ 8. Es lässt sich also festhalten, dass die logische Entwicklung ihrer allgemeinen Struktur nach sowohl synthetisch als auch analytisch verfährt und beide Erkenntnisweisen und deren jeweilige methodische Verfahrensweise in transformierter Gestalt, als einander gleichursprüngliche und wechselseitig sich bedingende Momente einer übergeordneten und komplexen Prozessstruktur in sich vereinigt. Die synthetische Bedeutungserweiterung, die der zunächst unmittelbare Anfang im Fortgang erfährt, liegt rein analytisch in diesem selbst begründet, d. h. die Erweiterung und Bereicherung seiner ursprünglichen Bedeutung vollzieht sich so, dass in der produktiven Verknüpfung dieser ursprünglichen Bedeutung mit einem über sie hinausgehenden Bedeutungsgehalt nur auf solche argumentativen Ressourcen zurückgegriffen wird, die in der gedanklichen Erfassung des anfänglichen Bedeutungsgehalts und deren logischer Struktur selbst liegen. In der Entwicklung der logischen Bestimmungen besteht das synthetische Fortgehen, mit anderen Worten, nur darin, ihren unmittelbaren und einfachen Bedeutungsgehalt „an und für sich selbst zu betrachten, [. . .] nicht von ihnen abzuirren [. . .], sondern sie allein vor sich zu haben, und was in ihnen immanent ist, zum Bewußtseyn zu bringen“ 9. Daher ist jedoch auch das analytische Moment der spekulativen Entwicklung – umgekehrt – „ebensosehr synthetisch“ 10, denn dasjenige, was hier rein analytisch aus dem zunächst unmittelbaren Bedeutungsgehalt des Anfangs gewonnen wird, ist nicht nur eine bloße Erläuterung dieser anfänglichen Bedeutung, sondern deren synthetische und produktive, d. h. erkenntniserweiternde, Bereicherung. Weder dem analytischen noch dem synthetischen Moment des spekulativen Denkaktes kommt ein Primat zu, sondern die synthetische Erweiterung und produktive Vermittlung einer Denkbestimmung wird analytisch begründet und das synthetische Weiterbestimmen der Bestimmung bleibt vor dem Hintergrund seiner rein analytischen Begründung wesentlich „im [anfänglichen] Begriffe“ 11, in dem die Totalität der Bedingungen des synthetischen Weiterbestimmens bereits latent vorhanden, aber zunächst „noch nicht gesetzt“ 12 8 9 10 11 12
GW, Bd. 12, 242. GW, Bd. 12, 242. GW, Bd. 12, 242. GW, Bd. 12, 248. GW, Bd. 12, 230.
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ist. Aus dieser Vereinigung von synthetischem und analytischem Erkennen in der allgemeinen Prozessstruktur der spekulativen Dialektik resultiert, dass der Fortgang der Logik sich als die durchgängige und sprunglos sich vollziehende Entwicklung eines einigen Inhalts gestaltet. Aufgrund des Umstands, dass das analytische Moment der logischen Entwicklung somit in keiner Hinsicht von dem synthetischen Moment entbunden ist und daher auch nicht als losgelöst und unabhängig von produktiver Bedeutungserweiterung verstanden werden kann, unterscheidet sich die analytische Dimension spekulativen Denkens ganz wesentlich von der Struktur einer reinen Analysis sowie dementsprechend von analytischen Urteilen im Sinne Kants. Der Unterschied zwischen dem nur analytisch verfahrenden Denken und dem synthetischen Erkennen liegt darin, dass mit der synthetischen Entwicklung eines rein logischen oder empirischen Begriffs eine produktive Erweiterung seiner Bedeutung einhergeht, während die Analyse diesen Bedeutungsgehalt als einen „gegebenen“ 13 behandelt und das Gegebene lediglich differenziert. Rein analytisches Erkennen ist somit nur bedeutungserläuternd, nicht aber bedeutungserweiternd und damit auch nicht in diesem Sinne produktiv. Hier kann präzisierend angemerkt werden, dass auch analytische Urteile, die das unmittelbare Resultat der analysierenden Differenzierung eines vorgängig synthetisierten Bedeutungsgehalts darstellen, in formaler Hinsicht durchaus als produktiv und somit als synthetisch betrachtet werden können. Sie bleiben ungeachtet dieser formaliter synthetischen Aktivität jedoch nur bedeutungserläuternd und nicht auch bedeutungserweiternd, da nicht der Bedeutungsgehalt als solcher mit einem weiteren, über den ursprünglichen Begriff hinausgehenden Gehalt synthetisch verknüpft und damit bereichert wird, sondern als eine von vornherein bestehende, da vorgängig synthetisch gewonnene Bedeutung im Zuge der Analyse lediglich in eine komplexere, differenzierte Form gebracht wird. Wenn, um ein Beispiel hierfür heranzuziehen, vom unmittelbaren Begriff „Mensch“ ausgegangen wird und dessen Bedeutung dem erkennenden Subjekt dabei vollständig bekannt ist, so handelt es sich bei dem Satz „Der Mensch ist ein vernünftiges Lebewesen.“ / „Homo est animal rationale.“ um ein nur analytisches, rein erläuterndes Urteil. Dennoch handelt es sich bei der Differenzierung des unmittelbaren und semantisch einfachen Begriffs „Mensch“ in eine Angabe seiner Gattungs- und Artzugehörigkeit beziehungsweise in einen Nexus mit seiner nächsten Gattung und spezifischen Differenz um eine formaliter produktive, mithin formal synthetische Tätigkeit. Drittens ist die spontane logische Synthesis absolut, da weder formale noch materiale Komponenten der Verknüpfung aus einer gegenüber dem spontanen Vollzug äußerlichen Quelle bezogen werden. Auf einer jeden Stufe der 13
GW, Bd. 12, 203.
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logischen Entwicklung besteht, wie soeben erläutert, das synthetische Moment des Fortgangs darin, dass ein seiner Form nach unmittelbarer, noch nicht entfalteter / differenzierter Bedeutungsgehalt sich in einem affirmativen Sinn mit seinem Entgegengesetzten verbindet, indem er sich gerade in der Abgrenzung von diesem als (auch) identisch mit ihm erweist. Eine spontane, aber nicht in dem soeben beschriebenen Sinn auch absolute Synthesis liegt beispielsweise dann vor, wenn Sinneseindrücke, d. h. sinnliches Anschauungsmannigfaltiges, den zu synthetisierenden und einheitlichregelhaft zu strukturierenden Stoff einer Erkenntnisleistung darstellen. Eine solche sinnliche Synthesis ist die Grundlage aller empirischen Erkenntnis. Für Kant stellt eine solche spontane, durch die Einheit des „Ich denke“ vollzogene Strukturierung des Mannigfaltigen einer sinnlichen Anschauung gemäß den Kategorien die unhintergehbare Grundoperation der diskursiv verfahrenden menschlichen Verstandeserkenntnis dar. In diesem Sinne muss, so Kant, eine Vorstellung zunächst einmal vorliegen, d. h. eine sinnliche Anschauung gemäß den kategorialen Formbestimmungen synthetisiert und zu einem Objekt vereinigt sein, um überhaupt analysiert werden zu können. 14 Damit ist die Synthesis nicht nur Bedingung der Möglichkeit jeder Analyse, sondern auch des diskursiven Verstandes, dessen Tätigkeit im Feld des Empirischen genau darin besteht, voneinander verschiedene Inhalte vergleichend auf Identitäten zu überprüfen und diese durch Abstraktion des Differenten als analytische Allgemeinbegriffe herauszustellen. In diesem Sinn kann man bezüglich der Kantischen Philosophie von einem Primat der Synthesis gegenüber der Analysis sprechen, der sich mutatis mutandis auch in Kants Selbstbewusstseinstheorie niederschlägt: „Also nur dadurch, daß ich ein Mannigfaltiges gegebener Vorstellungen in einem Bewußtsein verbinden kann, ist es möglich, daß ich mir die Identität des Be14
KrV, A 77, B 103: „Vor aller Analysis unserer Vorstellungen müssen diese zuvor gegeben sein, und es können keine Begriffe dem Inhalte nach analytisch entspringen. Die Synthesis eines Mannigfaltigen aber (es sei empirisch oder a priori gegeben), bringt zuerst eine Erkenntnis hervor, die zwar anfänglich noch roh und verworren sein kann, und also der Analysis bedarf; allein die Synthesis ist doch dasjenige, was eigentlich die Elemente zu Erkenntnissen sammlet, und zu einem gewissen Inhalte vereinigt; sie ist also das erste, worauf wir Acht zu geben haben, wenn wir über den Ursprung unserer Erkenntnis urteilen wollen.“ Vgl. hierzu auch die Ausführungen von C. Bickmann: Immanuel Kants Weltphilosophie. Nordhausen 2006, 81 f.: „Spontan verknüpfen wir somit das gegebene Mannigfaltige zu möglichen Einheiten; Synthesis des Mannigfaltigen ist darum das Erste, worauf in einer transzendentalen Analyse zu achten ist. Analysis ist darum stets, so muß man betonen, ein nachträglicher Akt; er ist nur möglich und sinnvoll, wenn vorherige Verknüpfungsleistungen das Mannigfaltige zu Einheiten zusammengefügt haben. Die Akte der Synthesis als die Weisen des Wissenserwerbs sind darum auch diejenigen Handlungen, die aller Analysis vorausgehen müssen, wenn diese nicht ohne Gegenstände bleiben sollen.“
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wußtseins in diesen Vorstellungen selbst vorstelle, d. i. die analytische Einheit der Apperzeption ist nur unter der Voraussetzung irgendeiner synthetischen möglich.“ 15
Während Hegel in mehreren Passagen der Wissenschaft der Logik, insbesondere aber in der Begriffslogik, die transzendentale Einheit der Apperzeption als eine Präfiguration seiner eigenen Subjektivitätskonzeption interpretiert und rühmt, dient dieses Kantische Theorem ihm doch zugleich als Ausgangspunkt seiner Kritik. So bemerkt Hegel zu Beginn der subjektiven Logik, es gehöre „zu den tiefsten und richtigsten Einsichten, die sich in der Kritik der Vernunft finden, daß die Einheit, die das Wesen des Begriffs ausmacht, als die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperception, als Einheit des: Ich denke, oder des Selbstbewußtseyns erkannt wird.“ 16 Diese lobende Aufnahme der Kantischen Lehre von der transzendentalen Einheit der Apperzeption, mit welcher die kritische Philosophie gegenüber dem metaphysischen Denken auch der Tätigkeit des erkennenden Subjekts einige wohlberechtigte Wertschätzung hat zukommen lassen, ergänzt Hegel jedoch recht bald durch die Darlegung einer Kritik. Diese Kritik Hegels an der kritischen Philosophie zielt darauf ab, die Vorläufigkeit und Unvollständigkeit offenzulegen, die der Explikation des Begriffs im Rahmen der Transzendentalphilosophie zugekommen sei. Was Hegel an der Lehre von der transzendentalen Einheit der Apperzeption konkret kritisiert, ist ihre – nach Hegels Lesart – Bestimmung des Verstandes als „leere Form“ 17. Der Verstand, so Hegel, greife für Kant in seiner synthetisierenden Tätigkeit immer auf Vorliegendes und außer ihm Liegendes, auf den „empirische[n] Stoff, das Mannichfaltige der Anschauung und Vorstellung“ 18 zurück, sei aber, so der Kritikpunkt, sich nie selbst Materie und Inhalt seiner Synthesisleistung: „[. . .] es ist ein wesentlicher Satz der Kantischen Transcendental-Philosophie, daß die Begriffe ohne Anschauung leer sind, und allein als Beziehungen des durch die Anschauung gegebenen Mannichfaltigen Gültigkeit haben. Zweytens ist der Begriff als das Objective der Erkenntnis angegeben worden, somit als die Wahrheit. Aber auf der andern Seite wird derselbe als etwas bloß subjectives genommen, aus dem sich die Realität, unter welcher, da sie der Subjectivität gegenübergestellt wird, die Objectivität zu verstehen ist, nicht herausklauben lasse; und überhaupt wird der Begriff und das Logische für etwas nur formelles erklärt, das, weil es von dem Inhalt abstrahire, die Wahrheit nicht enthalte.“ 19 15 16 17 18 19
KrV, B 133. GW, Bd. 12, 17 f. GW, Bd. 12, 20. GW, Bd. 12, 20. GW, Bd. 12, 19.
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Bei allen Schwierigkeiten, auf die wir mit der Hinzuziehung dieser Textstelle in Hinblick darauf stoßen, wie Hegel den Kantischen Begriff der Objektivität interpretiert, lässt sich hier doch der Kritikpunkt Hegels deutlich nachvollziehen: Der „Begriff und das Logische“ 20, wie er formuliert, seien sich in ihrem Bezug auf das Gegebene der Anschauung erstens nicht selbst Objekt und enthielten daher zweitens nicht bereits an und für sich den vollständigen Grund wahrer Erkenntnis. Bereits zuvor verweist Hegel auf den Kantischen Objektbegriff und zitiert die entsprechende Stelle aus der Kritik der reinen Vernunft direkt: „Objekt aber ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist.“ 21 Vereinigt ist das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung und dies, wie wir hinzufügen können, unter der regelnden Leitung der Kategorien bzw. der reinen Verstandesbegriffe. Die Einheit, zu der das Mannigfaltige der Anschauung im Objekt verknüpft worden ist, ist eine durch die reinen Verstandesbegriffe geregelte und durch sie formal bestimmte Einheit. Mit den Kategorien als den subjektiven Formbedingungen a priori schreibt der Verstand diejenigen Gesetze vor, unter deren formaler Regel das sinnlich-rezeptiv aufgenommene Material im Objekt vereinigt ist. Dementsprechend bemerkt Hegel im Paragraph 40 der Enzyklopädie zur Funktion der Kategorien bei Kant: „Die Denkbestimmungen oder Verstandesbegriffe machen die Objectivität der Erfahrungs-Erkenntnisse aus.“ 22 Somit bezieht sich das erkennende Subjekt in der kritischen Philosophie Kants nicht – wie in metaphysischen Modellen des Erkenntnisprozesses – auf ein fertiges, d. h. schon materialiter sowie formaliter an sich durchgängig bestimmtes, Objekt der Erkenntnis, nach welchem sich das defizitäre Erkenntnisvermögen des Subjekts ohnmächtig zu richten hat; für Kant ist der Erkenntnisprozess nicht in diesem (metaphysischen) Sinne eine adaequatio intellectus ad rem. Vielmehr ist der Erkenntnisprozess die ursprüngliche Objektkonstitution als die Einheit der durch die Kategorien formal geregelten Synthesisleistung des Subjekts und der sinnlich-rezeptiven Aufnahme empirischer Data. Die Synthesisleistung des „Ich denke“ hat für Kant bei aller Spontaneität doch wesentlich eine empirische Komponente, d. h. dasjenige, was synthetisiert und im Objekt zu einem einheitlichen Begriff verknüpft wird, ist das bloß vorgefundene und empirisch aufgenommene Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung. Dies macht zwar die Synthesis selbst nicht empirisch, doch ist sie, so mit ihr eine empirisch fundierte und gesicherte Erkenntnis einhergehen soll, auf sinnliches Anschauungsmannigfaltiges gerichtet. Aus dem so aufgefundenen sinnlichen 20 21 22
GW, Bd. 12, 19. KrV, B 137. GW, Bd. 20, 78.
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Material werden Besonderheiten oder Arten lediglich im Vergleich vieler gegebener Einzelheiten und über die Angabe von Merkmalsidentitäten analytischdiskursiv herausgehoben. Derselbe Prozess wiederholt sich beim Rückgang von den Besonderheiten zu allgemeineren Gattungsbegriffen. Begriffe, so Kant und Hegels Kritik, seien für unseren endlichen, diskursiven Verstand nur analytische Allgemeinheiten, in denen Besonderheit und Einzelheit, d. h. die spezi sche Differenz und das Prinzip der Individuation, die im Zuge der Dihairesis zum allgemeinen Gattungsbegriff hinzutreten müssen, um das Einzelne in seiner durchgängigen Bestimmtheit zu fassen, nicht enthalten sind. Als die transzendentalen Formbedingungen der Erkenntnis, zu denen im Rahmen des Erkenntnisprozesses und zum Zwecke der Objektkonstitution noch die Materie der Erkenntnis aus kontingenter und für die setzende Tätigkeit des Subjekts unverfügbarer Quelle von außen hinzutreten muss, stehen die reinen Verstandesbegriffe in Bezug auf Anderes. Anschauung und Vorstellung sind das Andere der Synthesisleistung des Subjekts, wobei diese Andersheit – mit der Terminologie Hegels – jedoch absolute Differenz und Verschiedenheit ist, ohne zugleich auch das Moment der Identität zu beinhalten. In ihrer Anwendung sind die Kantischen Kategorien sich also nicht selbst ein Anderes; die Weise ihrer Anwendung ist nicht die Selbstbezüglichkeit. Es ist dies der Punkt, an welchem die Hegelsche Kritik ansetzt und gegenüber Kant eine – letztendlich dialektische – Deduktion der Kategorien vorschlägt, die in ihrer methodischen wie ontologischen Bedeutung über den juristisch geprägten Begriff der Rechtfertigung hinausgeht. 23 Die transzendentale Deduktion der Kategorien ist für Kant in der Tat „die Erklärung der Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen können“ 24, d. h. Ausweisung des Grundes der Möglichkeit des Bezugs der reinen Verstandesbegriffe auf das unmittelbar Gegebene der Anschauung, nicht Klärung der Frage, wie die apriorischen Begriffe auseinander abzuleiten und somit in ein systematisches Verhältnis zueinander zu bringen sind. 25 Hierzu bemerkt Hegel: „Indem nun das Interesse der kantischen Philosophie auf das sogenannte Transcendentale der Denkbestimmungen gerichtet war, ist die Abhandlung derselben selbst leer ausgegangen; was sie an ihnen selbst sind, ohne die abstracte, allen 23
24 25
Bezüglich einer Erörterung der Hegelschen Kritik an Kants Deduktion der Kategorien unter besonderer Berücksichtigung der reflexionslogischen Dimensionen von Hegels spekulativ-dialektischer Methode vgl. A. F. Koch: „Kants transzendentale Deduktion der Kategorien aus der Perspektive der Wissenschaft der Logik“, in: Hegel-Jahrbuch 2016. Berlin 2016, 45–53. KrV, A 85, B 117. Zu dieser Thematik vgl. E. Ficara: „Was ist die Transzendentale Deduktion der Kategorien?“, in: Kategoriendeduktion in der Klassischen Deutschen Philosophie. Berlin 2020, 17–28.
Hegel-Studien
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gleiche Relation auf Ich, ihre Bestimmtheit gegen- und ihr Verhältniß zu einander ist nicht zu einem Gegenstande der Betrachtung gemacht worden; die Erkenntniß ihrer Natur hat sich daher durch diese Philosophie nicht im geringsten gefördert gefunden.“ 26
Über die Einsicht hinaus, dass die Kategorien notwendige subjektive Formbedingungen objektiver Erkenntnis sind, fordert Hegel – wie schon Fichte und Schelling – eine Deduktion der Kategorien im Sinne einer Ableitung derselben aus einem einheitlichen Prinzip. Die spekulative Logik Hegels soll ihrem Anspruch nach eine solche einheitliche Ableitung der Kategorien im Rahmen eines selbstbezüglichen und teleologisch organisierten Entwicklungsprozesses, im Rahmen einer sich selbst begründenden logisch-spekulativen Geschichte des Selbstbewusstseins leisten. Die damit untrennbar verbundene Forderung, die Substanz müsse nicht nur als Subjekt vorgestellt oder postuliert, sondern als Subjekt entwickelt werden 27, findet im Übergang von der objektiven in die subjektive Logik ihre schlussendliche systematische Realisierung 28: Über das Verhältnis von Kausalität und Wechselwirkung hinausgehend ist die „zum Begriffe befreyte Substanz“ 29 nicht Ursache einer ihr wiederum substantiell entgegengesetzten Wirkung, sondern „Ursache ihrer selbst“ 30. Der Begriff ist sich selbst der Inhalt seiner denkenden und synthetisierenden Tätigkeit. Die selbstbezügliche Einteilung des Begriffs ist die schrittweise und einheitliche Deduktion der reinen Denkbestimmungen und die Logik in diesem Sinne Selbstdefinition des reinen Denkens. Die durchgängige Selbstvermittlung des Begriffs in der Einheit seiner Momente ist – wie der Explikation der absoluten Methode zu entnehmen ist – der analytische sowie synthetische Fortgang von der Allgemeinheit über die Besonderheit zu der konkreten Einzelheit als einer in sich differenzierten Totalität der Bestimmungen. Gerade das Fehlen einer so gearteten Selbstbezüglichkeit der Synthesis des „Ich denke“ ist nun aber derjenige systematische Ort, an dem Hegel gegenüber Kant eine Deduktion der reinen Verstandesbegriffe einzuklagen sucht. Die reinen Verstandesbegriffe, d. h. die subjektiven Formbedingungen der Synthesisleistung und Objektkonstitution des „Ich denke“, seien für Kant, so die Hegelsche Kritik, nicht selbst Inhalt ihrer selbstbezüglichen Anwendung. 31 Was Hegel also bei Kant ver26 27 28
29 30 31
GW, Bd. 21, 48. Vgl. hierzu GW, Bd. 9, 18. Vgl. hierzu die Ausführungen von C. Bickmann: „Der Begriff als ‚Wahrheit der Substanz`? Hegels ‚Begriff des Begriffs` im Ausgang von Kants ‚transzendentaler Einheit der Apperzeption`“, in: Hegel-Jahrbuch 2016. Berlin 2016, 143–147. GW, Bd. 12, 16. GW, Bd. 12, 16. Vgl. hierzu F.W. Schmidt: Zum Begriff der Negativität bei Schelling und Hegel. Stuttgart 1971, 17. So bemerkt Schmidt, Kant sei „in der Verabsolutierung des transzendentalen
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misst, ist eine Deduktion der reinen Verstandesbegriffe aus dem Prinzip der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption. 32 Eine solche Deduktion der Kategorien als der Weisen der Synthesis des „Ich denke“ müsste – zumindest der Forderung der Hegelschen Logik gemäß – die Methode der Reflexion als „sich auf sich beziehende[r] Negativität“ 33 in Anspruch nehmen. Die Methode der spekulativen Kategoriendeduktion bei Hegel ist die bestimmte Negation, aufgrund derer die Kategorien sich auf sich selbst anwenden und sich schrittweise auseinander ableiten. Die selbstbezügliche Einteilung des Begriffs ist die schrittweise Setzung von Negationen und spezifischen kategorialen Differenzen in der anfänglichen und zugrundeliegenden negations- und differenzlosen Einheit des reinen Seins. In der logischen Wissenschaft bezieht sich das Denken als Methode auf sich selbst als Inhalt, es ist sich in seiner Selbstvermittlung als Denken Inhalt seiner selbst, nicht als sinnliche Anschauung oder als Vorstellung, wie dies in Kunst und Religion der Fall ist. 34 Auch entwickelt die Wissenschaft der Logik die Kategorien in einem transzendentalen Sinn, d. h. die reinen Denkbestimmungen sind auch als die intelligiblen Formbedingungen des seinsbezogenen Erkenntnisprozess des Geistes zu begreifen, der sich in der Kontingenz des Mannigfaltigen gegebener Anschauungen vollzieht. Aber die spekulative Logik leistet mehr, denn in ihr, da sie die selbstbezügliche Einteilung des Begriffs und sein Urteilen – nicht ein Urteilen über den Begriff – ist 35, ist sich das Denken in ihr selbst die Materie zu seiner Form und Inhalt seiner durch die Kategorien methodisch geregelten Synthesisleistung. Der Begriff des Begriffs ist die kategoriale Manifestation denkender Selbstbezüglichkeit. Sein Selbstbewusstsein ist im Unterschied zur
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33 34
35
Subjekts doch innerhalb der Subjekt-Objekt-Relation stehen geblieben, indem er die reine Form der Erkenntnis mitnichten zum Inhalt ihres eigenen Prinzips erhob“. Vgl. hierzu K. Düsing: Immanuel Kant: Klassiker der Aufklärung. Untersuchungen zur kritischen Philosophie in Erkenntnistheorie, Ethik, Ästhetik und Metaphysik. Hildesheim / Zürich / New York 2013, 60 f. Auch Düsing bemerkt, dass ungeklärt bleibe, wie es möglich sei, das „Ich denke“ sowohl als Ursprung der Kategorien zu begreifen als auch die Art und Weise seiner denkenden Selbstbezüglichkeit durch die Kategorien systematisch näher zu bestimmen. GW, Bd. 11, 250. Bezüglich einer Erörterung spezifisch des Begriffs der Vorstellung bei Hegel, des systematischen Verhältnisses von Anschauung, Vorstellung und begreifendem Denken sowie der daraus sich ergebenden Beziehung zwischen Kunst, Religion und Philosophie vgl. R. Schäfer: „Von der Vorstellung zum Gedanken und zurück? Namen, Gedächtnis und Denken in Hegels Psychologie“, in: Spekulation und Vorstellung in Hegels enzyklopädischen System. Tübingen 2015, 29–53, sowie M. Gabriel: „Hegels Begriff der Vorstellung und das FormInhalt-Problem“, in: Spekulation und Vorstellung in Hegels enzyklopädischen System. Tübingen 2015, 7–27. Vgl. GW, Bd. 21, 44.
Hegel-Studien
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analytischen Einheit der Apperzeption und zur Selbstaffektion des „Ich denke“ bei Kant aber vollständige Selbstvermittlung in dem Sinne, dass der Begriff im synthetischen – wir können auch sagen: synthetisierenden – Vollzug des Denkens seiner selbst auf nichts anderes zurückgreift – weder in formaler noch in materialer Hinsicht –, als auf dasjenige, was analytisch aus seiner eigenen Allgemeinheit herausgehoben und abgeleitet werden kann. 36 Mit der logischen Wissenschaft, die entweder als „Resultat einer jenseits liegenden Wissenschaft“ 37, d. h. begründet durch das bloße Aufnehmen dessen, was im Begriff des reinen Wissens der Phänomenologie des Geistes enthalten ist, oder aber durch den freien Entschluss, das Denken als solches betrachten zu wollen 38, den Anfang macht und den Unterschied zwischen Bewusstsein und Gegenstand prinzipiell negiert und aufgehoben hat, ist uns derjenige Raum erschlossen, in welchem dem Denken eine synthetische Allgemeinheit, die Besonderheit und Einzelheit in sich enthält, als methodische Bestimmung seines Selbstbezugs verfügbar wird. In der Einleitung der Logik spricht Hegel davon, dass die kritische Philosophie „wie der spätere Idealismus [. . .] aus Angst vor dem Object den logischen Bestimmungen eine wesentliche subjective Bedeutung“ 39 zugeschrieben habe; dadurch aber „bleiben sie zugleich mit dem Objecte, das sie flohen, behaftet, und ein Ding-an-sich, ein unendlicher Anstoß, blieb als ein Jenseits an ihnen übrig“. 40 Gegenüber diesem Mangel, den Hegel Kant diagnostiziert, ist es der Anspruch der Hegelschen Philosophie, die subjektive sowie die objektive Seite des Erkenntnisprozesses auf allen systematischen Ebenen in eine einheitliche Geschichte des Selbstbewusstseins einzubetten, um sowohl die Bestimmungen des metaphysischen Denkens als auch die der kritischen Philosophie in einer vollständig logifizierten und einheitlich-systematischen Bewegung des Absoluten aufzuheben. 41 36
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So zumindest Hegels Kritik an Kants Selbstbewusstseinsmodell, wie er es aufnimmt. Bezüglich einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob und wie die Möglichkeit einer Ableitung der reinen Verstandesbegriffe aus der Einheit der Apperzeption bei Kant bereits angelegt ist, vgl. K. Düsing: „Gibt es eine Kantische Kategorienentwicklung aus der Einheit des ‚Ich denke`?“, in: Kategoriendeduktion in der Klassischen Deutschen Philosophie. Berlin 2020, 29–42. GW, Bd. 21, 44. Vgl. GW, Bd. 21, 56. GW, Bd. 21, 35. GW, Bd. 21, 35. Eine erhellende Erörterung der Auseinandersetzung Hegels mit dem Kantischen Begriff des Dings-an-sich findet sich bei D. Heidemann: „Die Lehre vom Wesen. Zweyter Abschnitt. Die Erscheinung“, in: Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik. Hrsg. M. Quante und N. Mooren, Hamburg 2018, 325–386, 346 ff. Das Herzstück einer Untersuchung des Verhältnisses der Transzendentalphilosophie Kants zu den nachkantischen Systemprogrammen des deutschen Idealismus ist vor diesem Hintergrund die Frage, ob sich die Vernunft in ihrem nachkritischen Verabsolutierungsan-
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Viertens stellt die absolute Synthesis, die das rein nur sich selbst explizierende Denken mit der Entwicklung des Logischen vollzieht, einen Gestaltungsprozess dar, der nicht nur in Hinblick auf die Form seines Resultats, sondern auch rücksichtlich dessen inhaltlicher Bestimmtheit produktiv ist. Jede Form der empirischen Synthesis ist als solche nur formaliter, nicht aber auch materialiter produktiv. Sie nimmt den Stoff / die materiale Komponente der Erkenntnis auf, rezipiert sie über die Sinne, strukturiert diesen Stoff aber mittels kategorialer Formbestimmungen auf eine allgemeingültige, notwendige Art und Weise. In dieser Vereinigung des spontanen und des rezeptiven Aspekts des Erkennens besteht für Kant die Konstitution von Objektivität. Empirisch-diskursive Erkenntnis im Sinne Kants besteht natürlich in einem komplexen und vielschichtigen Zusammenspiel von synthetischen und analytischen Leistungen des erkennenden Subjekts. Hierbei stellt die Synthesis der Apprehension, d. h. die ursprüngliche Verbindung eines sinnlich rezipierten Anschauungsmannigfaltigen gemäß den Kategorien oder reinen Verstandesbegriffen, die Grundlage dar. Synthetische Urteile a posteriori, die auf empirischen Synthesisleistungen, d. h. auf der spontanen, kategorialen Verknüpfung von sinnlich rezipiertem Anschauungsmannigfaltigen, beruhen, sind in diesem Sinne zwar erkenntniserweiternd, wobei die Synthesis als solche hier nicht auch in materialer Hinsicht produktiv ist. Erkenntniserweiternd sind synthetische Urteile a posteriori gerade dadurch, dass sie einen Begriff mit einem aufgenommenen, empirischen Bedeutungsgehalt verknüpfen, der als solcher in dem Begriff nicht bereits analytisch enthalten ist. Eine nicht nur formaliter, sondern auch inhaltlich produktive Synthesis ist hingegen eine solche, die ihren Stoff nicht aus einer dem synthetisierenden Subjekt äußerlichen Quelle – etwa, wie soeben beschrieben, empirisch – aufnimmt, sondern ihn im Zuge der Synthesis unmittelbar produziert. Das Resultat einer solchen synthetischen Leistung, die im spekulativen Denken geleistet wird, besteht demnach nicht darin, dass in ihm, d. h. im Resultat, ein äußerlich aufgenommener, etwa sinnlich rezipierter Bedeutungsgehalt mit einem Begriff verbunden worden ist, sondern als eine gestalterische sowie in diesem Sinne produktive Denktätigkeit synthetisiert die spekulative Dialektik einen ursprünglichen Begriff mit einem weiteren, sowohl bereits in ihm enthaltenden als auch über ihn hinausgehenden begrifflichen Bedeutungsgehalt. Da das spekulative Denken – hinsichtlich seines analytischen Moments – im Rahmen spruch über die Grenzen ihrer möglichen und gerechtfertigten Erkenntnis hinaus erhoben hat, oder aber, ob gerade diese Verabsolutierung des Logos es berechtigterweise begründet, dass metaphysisches Denken sowie diejenigen Grenzen, die sich die Vernunft in der kritischen Philosophie mit der Erkenntnisrestriktion selbst gesetzt hat, noch einmal – im Rahmen einer Kritik der Kritik – in eine höhere Einheit aufzuheben sind.
Hegel-Studien
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des gesamten synthetischen Prozesses „schlechthin im Begriffe bleibt“ 42, von dem der Ausgang genommen wird, und auf allen Stationen seiner produktiven Weiterentwicklung zugleich nur „von ihm gehalten [ist]“ 43, unterscheidet sich diese Art des synthetischen Erkennens grundlegend von solchen Synthesisleistungen, die unmittelbar oder mittelbar von empirischer Natur sind. Dem empirischen synthetischen Erkennen kommt das soeben angeführte Moment, in der Synthesis zugleich auch analytisch zu verfahren, nicht zu. Hier ist der Bedeutungsgehalt, mit dem ein Begriff synthetisch verknüpft und um den er produktiv erweitert wird, ein sinnlich-rezipierter Stoff, der nicht im noematischen Begriff selbst schon enthalten ist. Die empirische Synthesis lässt sich folglich auch nicht dahingehend charakterisieren, dass sie nur vom Begriff oder der Spontaneität des denkenden Subjekts „gehalten [ist]“ 44 sowie sie, indem sie wesentlich auf sinnliches Anschauungsmannigfaltiges und Empfindungsgehalte zurückgreift, in ihrer synthetisierenden Aktivität nicht „schlechthin im Begriffe bleibt“. 45 Empirische Synthesis vereinigt also denkende Spontaneität und sinnliche Affektion / Rezeptivität, d. h. sie erweitert noematische Gedankeninhalte um aufgenommene, nicht eigens durch die Spontaneität hervorgebrachte Sinnesdata. Daher gilt jedoch für diese Art des Erkennens nicht, was für Hegel gerade das spekulative Denken wesentlich auszeichnet, nämlich, dass „nur im Elemente des Denkens“ 46 der vollständige, allein kraft seiner selbst über sich hinausgehende Anfang einer synthetisch-produktiven Weiterbestimmung und Entwicklung bereits vorhanden ist, und rein noematische Bedeutungsgehalte auch schon für sich imstande sind, „sich weiter zu führen“. 47 Demgegenüber sind die Denkbestimmungen, die den Inhalt der Hegelschen Logik ausmachen, von der Art, dass sie diese Kriterien einer begriffsimmanenten synthetischen Entwicklung erfüllen. Die gedankliche Erfassung der logischen Bestimmungen in der Form einer einfachen, noch undifferenzierten Bedeutungseinheit leitet selbstständig einen synthetischen Entwicklungsprozess ein, im Zuge dessen der unmittelbare Begriff der logischen Bestimmung rein nur aus sich selbst eine Erweiterung seiner Bedeutung ausbildet und sich somit zu einer komplexeren Ausprägung seiner selbst spezifiziert. Der erste Schritt dieser synthetisch-produktiven und bedeutungserweiternden Spezifizierung der Denkbestimmungen, die sich zugleich als ein rein analytisch begründeter und begriffsimmanenter Spezifizierungsprozess vollzieht, ist für Hegel die Dialektik beziehungsweise – die Gesamtstruktur der spekulativen 42 43 44 45 46 47
GW, Bd. 12, 248. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 248. GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 12, 240.
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Entwicklung betrachtend – das Moment des Fortgangs. Es ist ein Spezifikum der logischen Begriffe / der reinen Denkbestimmungen, dass ihr unmittelbarer Bedeutungsgehalt über sich selbst hinausweist und sich an ihm selbst zu einer komplexeren Spezifizierung seiner selbst weiterbestimmt, indem die Denkbestimmungen in und aufgrund der negativen Unterscheidung und Abgrenzung von ihrem Entgegengesetzten / ihrer Negation / ihrem Nicht-sein, worin ihre Erfassung in der Form einer unmittelbaren Bedeutungseinheit besteht, sich als auch identisch mit ihrem Entgegengesetzten erweisen. Zunächst ist in dieser Interpretation der Hegelschen Dialektik aufgezeigt, wie die unmittelbare gedankliche Erfassung der logischen Bestimmungen, mit der in der spekulativen Entwicklung der Anfang gemacht wird, im dialektischen Fortgang, d. h. der Negation des unmittelbaren Anfangs, positiv inkorporiert, ihm „mitgetheilt“ 48, das „Erste [. . .] somit wesentlich auch im Andern aufbewahrt und erhalten [ist]“ 49. Denn die Dialektik ist „das eigene Sich-Aufheben solcher endlichen Bestimmungen und ihr Uebergehen in ihre entgegengesetzte“ 50, wobei „solcher endlichen Bestimmungen“ sich gerade auf die ursprüngliche und anfängliche gedankliche Erfassung der logischen Bestimmungen bezieht, im Zuge derer sie in „Unterschiedenheit“ 51 von ihrer Negation betrachtet und ihr Bedeutungsgehalt unmittelbar und einfach affirmiert wird, indem sie von ihrem Entgegengesetzten abgegrenzt und negativ unterschieden werden. Der Fortschritt, der das Entwicklungsmoment des Fortgangs und damit die Struktur des dialektischen Prozesses vom unmittelbaren, noch unprozessualen Anfang unterscheidet, ist, dass auch die Struktur der Dialektik die unmittelbare Erfassung der logischen Bestimmungen und ihres Bedeutungsgehalts zwar in sich enthält, nun aber jedoch weitergegangen und die sich wechselseitig ausschließende Differenz der Entgegengesetzten um das Moment ihrer Identität, die sich in ihrer negativen Unterscheidung und im Zuge der begrifflichen Grenzziehung offenbart, ergänzt und erweitert wird. Die obige Interpretation der Dialektik erklärt jedoch nicht nur, wie soeben dargelegt, auf welche Art und Weise der Anfang im Fortgang – die Unmittelbarkeit in der dialektischen Vermittlung – positiv erhalten bleibt. Sie erklärt umgekehrt auch, inwiefern in der Entwicklung logischer, mithin zunächst rein begrifflicher Bedeutungsgehalte der unmittelbare Anfang sich zu einer über ihn sowohl in struktureller Form als auch in Bedeutung hinausgehenden Spezifizierung seiner selbst bestimmt, d. h. zu dem ihm spezifisch zugehörigen dialektischen Prozess, und dies allein kraft seiner selbst, d. h. nur auf me48 49 50 51
GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 12, 245. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 118.
Hegel-Studien
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thodischer und argumentativer Grundlage dessen, was in seiner gedanklichen Erfassung, d. h. in ihm „an und für sich selbst“ 52, bereits vorhanden ist. Der unmittelbare Anfang der spekulativen Entwicklung – und somit auch der Anfang der autonomen, von der spekulativen Dialektik methodisch-formal geregelten Entwicklung der logischen Bestimmungen – bestimmt also seinen zunächst einfachen Bedeutungsgehalt zu einem dialektischen Prozess, in dem sowohl der anfängliche Bedeutungsgehalt als auch der seines Entgegengesetzten in dem Sinne miteinander vermittelt sind, dass beide Bestimmungen sich immanent zueinander transformieren. Der Anfang führt sich so an ihm selbst fort, bestimmt sich weiter und spezifiziert sich zu seiner über ihn hinausgehenden logischen Struktur. Diese wird sowohl mit ihm identifiziert, denn der Anfang bleibt in seiner Dialektik, zu der er sich selbst entwickelt hat, positiv bestehen, als auch von ihm differenziert, da der dialektische Prozess zwei gleichberechtigte Bestimmungen thematisiert, die sich beide werdend zueinander transformieren, und hiermit gegenüber dem unmittelbaren und einfachen Anfang, aus dem er resultiert ist, eine komplexere und insbesondere nun prozessuale Struktur darstellt. Das Moment des Fortgangs, d. h. die Selbstbestimmung des unmittelbaren Anfangs zu einem dialektischen Vermittlungsprozess, stellt rücksichtlich jener Differenz zwischen dem ursprünglichen Anfangsstadium der Entwicklung und der Dialektik einen synthetischen Akt dar. Der zunächst einfache logische Bedeutungsgehalt des Anfangs wird unmittelbar denkend erfasst und damit von dem, was er nicht ist, d. h. von der ihm entgegengesetzten Negation seiner selbst, negativ unterschieden und abgegrenzt. Diese einfache logische Bedeutung – der zunächst unmittelbare Begriff einer Denkbestimmung – erweist sich in der anfänglichen Erfassung dessen, was in ihr zum Ausdruck kommt und mit ihr gedacht wird, d. h. in und aufgrund ihrer Abgrenzung von ihrem Entgegengesetzten, als auch identisch mit dem Bedeutungsgehalt ihrer Negation und entwickelt das Verhältnis, in dem die beiden einander entgegengesetzten Bestimmungen zueinander stehen, zum (dialektischen) Prozess ihres immanenten und kontinuierlichen Werdens zueinander. Die synthetische Erweiterung und Bereicherung, die sich mit dem Fortgehen des zunächst noch unmittelbaren Anfangs zu seiner dialektisch-prozessualen Vermittlung am ursprünglichen Bedeutungsgehalt des Anfangs vollzieht, stellt also insofern eine spezifische Form des synthetischen Erkennens dar, als dass der Begriff, der produktiv erweitert und bereichert wird, den Grund seiner Spezifizierung und Weiterbestimmung bereits vollständig in sich enthält. Gerade darin besteht im spekulativen Denken des Denkens, in der systematischen Explikation der logischen Bestimmungen, das analytische Moment ihrer synthetischen Ent52
GW, Bd. 12, 242.
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wicklung. Die gedankliche Erfassung der Denkbestimmungen in der Form unmittelbarer Bedeutungseinheiten, ihre Erfassung „an und für sich selbst“ 53 in einem einfachen, seiner Form nach intuitiven Denkakt, den man, so Hegel, „wegen seiner Unmittelbarkeit auch ein übersinnliches, innerliches Anschauen nennen kann“ 54, ist hinreichend, um einen über diese unmittelbare Bedeutung der Denkbestimmungen strukturell hinausgehenden, prozessualen Sinn- und Bedeutungszusammenhang, d. h. ihre Dialektik, im Zuge eines „immanente[n] Hinausgehen[s]“ 55 an dieser anfänglichen und unmittelbaren Bedeutungseinheit zu setzen und mit logischer „Nothwendigkeit“ 56 aus ihr abzuleiten. Wir können die zurückliegende Überlegung also wie folgt zusammenfassen. Da es von einem – durch vorgängige Synthesis – gegebenen Bedeutungsgehalt ausgeht und sich darin erschöpft, diesen in Begriffszusammenhänge zu differenzieren, die in seiner unmittelbaren Form bereits positiv enthalten sind, ist das analytische Erkennen nur rücksichtlich der Form seines Inhalts, nicht aber auch in Hinblick auf seinen Bedeutungsgehalt produktiv. Nur in dieser restringierten, rein formal gestalterischen Hinsicht verfährt auch das analytische Erkennen synthetisch. Analytische Urteile erläutern somit die Bedeutung ihres Gegenstands, erweitern ihn jedoch nicht. Demgegenüber ist jede Form des synthetischen Erkennens nicht nur bedeutungserläuternd, sondern bedeutungserweiternd und somit auch rücksichtlich des Bedeutungsgehalts seines jeweiligen Gegenstands produktiv. Die empirische Synthesis erweitert die Bedeutung der logischen Bestimmungen, indem sie sie mit sinnlich rezipiertem, raum-zeitlichen Anschauungsmannigfaltigem verbindet, dieses gemäß den Denkbestimmungen formal strukturiert und ordnet und somit konkrete empirische Begriffe bildet. Empirische Synthesis und synthetische Urteile a posteriori sind in diesem Sinne erkenntniserweiternd, denn es tritt im Zuge der Synthesisleistung ein über den ursprünglichen Begriff hinausgehender Bedeutungsgehalt zu diesem hinzu. Obgleich synthetische Urteile a posteriori – im Gegensatz zu analytischen Urteilen – somit erkenntniserweiternd sind, da sie den Bedeutungsgehalt ihrer Begriffe um einen sinnlichen Anschauungsgehalt bereichern, ist auch die empirische Synthesis nur rücksichtlich der Form ihres Resultats, nicht aber rücksichtlich seines Inhalts im eigentlichen Sinne produktiv. Die produktive Erweiterung des ursprünglichen begrifflichen Bedeutungsgehalts und damit der Erkenntnis, die im Zuge des empirischen synthetischen Erkennens durchaus stattfindet, besteht, wie gesehen, darin, dass ein über den ursprünglichen Begriff hinausgehender und 53 54 55 56
GW, Bd. 12, 242. GW, Bd. 12, 239. GW, Bd. 20, 119. GW, Bd. 20, 119.
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damit diesen erweiternder Bedeutungsgehalt sinnlich rezipiert und auf diese Weise mit dem jeweiligen Begriff synthetisch verknüpft wird. Die Quelle der Bedeutungserweiterung liegt somit aber strenggenommen nicht in der Spontaneität des erkennenden Subjekts, diese ist auch hier nicht in diesem Sinne schöpferisch tätig, sondern beschränkt sich zunächst darauf, einen äußerlich aufgenommenen, „sinnliche[n] Stoff, das Mannichfaltige der Anschauung“ 57, gemäß den logischen Bestimmungen formal zu strukturieren. Neben dem rein analytischen und dem rein synthetischen Erkennen stellt das spekulative Denken eine dritte methodische Verfahrensweise dar, die begriffliche Analysis und Synthesis gleichermaßen in sich vereinigt. Die absolute logische Synthesis ist, wie wir gesehen haben. inhaltlich produktiv, ohne dabei auf ein rezeptiv aufgenommenes, sinnliches Anschauungsmannigfaltiges zurückzugreifen. Sie ist aber dennoch nicht eine Creatio ex nihilo, sondern besteht vielmehr in einer schrittweisen, diskursiven Freilegung und Explikation derjenigen unterscheidbaren Strukturbestimmungen der denkenden Selbstbezüglichkeit, die in der absoluten Reflexion des reinen Denkens seiner selbst, in seinem Zurückbeugen nur auf sich, bereits enthalten, aber noch nicht gesetzt sind. 58 Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik, gemäß welcher der Inhalt der logischen Wissenschaft auf allen Stufen und Stadien seiner Entwicklung seinen begrifflichen Bedeutungsgehalt auf immanente Weise produktiv weiterbestimmt, stellt somit eine spezifische Form des synthetischen Urteilens a priori dar. Die ursprüngliche Selbstaufhebung der Bedeutungseinheit des Anfangs, die das Moment des Fortgangs als „das gesetzte Urtheil der Idee“ 59 einleitet, ist ein produktives und somit synthetisches Urteil, da die anfängliche Bedeutungsunmittelbarkeit sich hiermit, wie wir gesehen haben, zu einem Prozess der immanenten, dialektischen Bedeutungsumwandlung zwischen ihr selbst und ihrem begrifflichen Gegenteil spezifiziert, ausdehnt und erweitert. Dieses synthetische Urteilen der unmittelbaren und einfachen Bedeutungseinheit des Anfangs in die über ihr ursprüngliches Stadium hinausgehende dia57 58
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GW, Bd. 12, 27. Vgl. hierzu die Ausführungen von K. Düsing: „Ontologie und Theorie der Subjektivität. Untersuchungen zum Begründungsproblem in Hegels ‚Wissenschaft der Logik`“, in: Die Begründung der Philosophie im Deutschen Idealismus. Würzburg 2011, 233–244, 240: „Der Begriff oder die denkende Selbstbezüglichkeit bezieht sich nicht wie Kants endliche Apperzeption auf eine vorgegebene Mannigfaltigkeit, in der sie Synthesen zustande bringt; vielmehr bringt sie das Mannigfaltige, auf das sich ihr Denken bezieht, selbst erst hervor, nämlich in den Begriffsbestimmungen des Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen, und zwar zunächst in deren unmittelbarer Einheit, dann in deren Entzweiung und einfacher Beziehung im Urteil und schließlich in deren durch den Begriff selbst als Mittelbegriff vermittelten Beziehung als Schluss.“ GW, Bd. 20, 229.
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lektische und prozessuale Vermittlung kann als ein synthetisches Urteil a priori charakterisiert werden, weil die begriffliche Erweiterung und prozessuale Ausdehnung des anfänglichen Bedeutungsgehalts allein in diesem als solchem begründet liegt. Bei dem Moment des Fortgangs der spekulativen Entwicklung handelt es sich, mit anderen Worten, um die produktive und synthetische Erweiterung eines begrifflichen Bedeutungsgehalts, die ihre Bedingungen vollständig/totaliter in nichts anderem als dem jeweiligen Bedeutungsgehalt selbst hat. Das Urteil des Anfangs, d. h. sein Fortgang zu seiner Dialektik, ist somit kein analytisches, sondern ein synthetisches Urteil, da es den begrifflichen Bedeutungsgehalt des Anfangs nicht nur zergliedert und erläutert, sondern produktiv erweitert. Es ist zudem kein synthetisches Urteil a posteriori, sondern a priori, da die Erweiterung der anfänglichen Bedeutung nicht in einer Verknüpfung ihres begrifflichen Gehalts mit einer sinnlich rezipierten Bedeutung besteht, sondern sich rein analytisch aus ihr selbst deduzieren lässt. Der Fortgang der spekulativen Entwicklung ist, wie wir gesehen haben, produktive Weiterbestimmung der anfänglichen Bedeutung durch Explikation einer immanenten Mangelhaftigkeit, die an der Bedeutungseinheit des Anfangs selbst und als solcher, d. h. in und aufgrund ihrer gedanklichen Erfassung in der Form begrifflicher Einfachheit und Unmittelbarkeit, allererst offenbar wird. Obgleich der Fortgang der spekulativen Entwicklung rein analytisch in ihrem Anfang begründet liegt, ist er dennoch nicht analytisch im Sinne einer bloßen Erläuterung, sondern synthetisch, produktiv und bedeutungserweiternd, da der begriffliche Gehalt des Anfangs sich hier, d. h. mit seinem Fortgehen zu einem Prozess der dialektischen Bedeutungsumwandlung, in ein auch positives Verhältnis zu seiner Negation/zu seinem spezifischen Nichtsein setzt und damit zu einer Bedeutung, die in seiner ursprünglichen Bedeutung als solcher gerade nicht bereits positiv enthalten ist und nur erläutert werden müsste. Das Urtheil 60 des Anfangs, welches zunächst dessen Fortgehen zu seiner Dialektik, schlussendlich aber auch den gesamten weiteren Verlauf der spekulativen Entwicklung einleitet, ist somit ein synthetisches Urteil, welches sich a priori vollzieht, indem es rein analytisch in dem sich urteilenden begrifflichen Bedeutungsgehalt selbst argumentativ begründet liegt. Für eine jede logische Bestimmung gilt, dass ihre „Wahrheit nur das Zusich-selbst-kommen durch die Negativität der Unmittelbarkeit ist“. 61 Da eine jede Denkbestimmung, so sie sich an einem bestimmten Punkt der logischen Entwicklung in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit manifestiert und damit eine Schnittstelle zwischen zwei spezifischen Kreisen innerhalb des gesamtlogischen Kreises von Kreisen bildet, gleichursprünglich sowohl 60 61
GW, Bd. 20, 229. GW, Bd. 12, 251.
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Resultat als auch Anfang ist, hat auch die soeben zitierte Passage zwei Leserichtungen. Eine jede logische Bestimmung ist das „Zu-sich-selbst-kommen“ und damit die „Wahrheit“ der vorangegangenen Unmittelbarkeit, die sich an sich selbst negiert und zu ihrer immanenten Dialektik, zu dem ihr spezifisch zugehörigen dialektischen Prozess bestimmt hat. Ebenso wird aber auch dieses Resultat, dessen Bedeutungsgehalt darin besteht, dass die Dialektik der vorangegangenen Entwicklungsstufe wieder in die Form anfänglicher Unmittelbarkeit zurückgeführt worden ist, sich seinerseits durch seine Transformation zu der ihm immanenten dialektischen Negativität zu seiner „Wahrheit“ bestimmen und in einer nächsten, reicheren und konkreteren Unmittelbarkeit resultieren, die gegenüber ihm nicht ein Anderes, sondern eine Spezifikation seiner selbst darstellt und in der es somit zu sich selbst kommt. Jedes Moment der Selbstbestimmung des Denkens ist, anders ausgedrückt, nichts anderes als der in die Form unmittelbarer und noch undifferenzierter Einheit zurückgeführte Prozess seiner Genese beziehungsweise die Feststellung derjenigen dialektischen Prozessualität, die sich an dem festgestellten Anfang der vorangehenden Entwicklungsstufe dargestellt hat. Auf diese Weise wird in Hegels Logik nichts einfach nur postuliert oder als gegeben vorausgesetzt 62, sondern alle Bestimmungen werden mit Notwendigkeit auseinander abgeleitet und sind Resultate, deren Bedeutungsgehalt jeweils unmittelbar darin besteht, dass der Prozess ihrer immanenten Deduktion aus allgemeineren, weniger konkreten Bestimmungen als eine durchgängig mit sich übereinstimmende Bedeutungseinheit begriffen wird. In diesem Umstand liegt sodann zugleich auch die metaphysische Dimension der logischen Bestimmungen: Als Resultate, die auf die soeben dargelegte Weise genetisch entwickelt werden, kommt ihrem jeweiligen Bedeutungsgehalt ein Wahrheitsanspruch zu, der nicht durch das Denken bezweifelt werden kann. 63 Im Kern besteht das hierzugehörige Argument darin, dass diejenigen Prozessstrukturen und Bedeutungen, die sich selbst, d. h. mit immanenter Notwendigkeit, darstellen, nicht bezweifelbar sind. In ausführlicherer Form liegt eben dieses Argument in der Methode der logischen Entwicklung begründet. Die dargelegte Form der noch nicht differenzierten Einfachheit und Unmittelbarkeit, die dem Anfang einer jeden Stufe der Entwicklung als solchem zukommt, kommt für Hegel nicht nur dem quasi-anschauenden, aber wesentlich intellektuellen Erfassen einer unmittelbaren Bedeutungseinheit gleich, sondern geht auch damit ein62
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Einen solchen Fehler wirft Hegel, wie erwähnt worden ist, Kant vor, der „den bestimmten Zusammenhang, die Verhältnißbegriffe und synthetischen Grundsätze selbst, von der formalen Logik als gegeben“ aufgenommen habe. Vgl. hierzu GW, Bd. 12, 205. Die „Karte“ des Skeptizismus und der skeptisch-kritischen Prüfung ist also „schon gespielt worden“, insofern sie überhaupt der Grund des immanenten Fortgangs der logischen Entwicklung und damit der Selbstbewegung des Denkens ist.
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her, dass dieser seiner Form nach einfache Bedeutungsgehalt im Modus der Offenheit für seine kritische Prüfung betrachtet wird. Die Methode der Hegelschen Logik vereinigt auf die erörterte Weise eine Prozess- mit einer Substanzontologie. Wahrheit und Wesen einer logischen Bestimmung ist es, sich zu einem zirkulären Transformationsprozess zu bestimmen, der sich aufgrund der Vervollständigung beider seiner Relata zur Einheit mit dem jeweils Anderen – und damit zum Ganzen ihrer dialektischen Vermittlung – in die Form einer einfachen und unmittelbaren Bedeutungseinheit zurückführt, an welcher als an einem nächstkonkreteren und nächsthöherstufigeren Ausgangspunkt die allgemeine Struktur und Gesetzmäßigkeit des spekulativ-dialektischen Entwicklungs- und Konkretisierungsprozess sich erneut reproduziert.
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3. Die konzentrische Verlaufsform der logischen Entwicklung: Zirkulärer Aufstieg zur Einfachheit des Anfangs
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ekanntlich beschreibt Hegel die Verlaufsform der logischen Entwicklung, d. h. die Struktur des Systems der Logik, sowie auch die Struktur des enzyklopädischen Systems (Logik-Natur-Geist) als einen Kreis von Kreisen. Dieses Strukturmodell resultiert für Hegel unmittelbar aus dem zuvor erörterten Umstand, dass die logische Entwicklung wesentlich darin besteht, dass die spekulative Dialektik, d. h. die absolute Methode der Selbstexplikation des reinen Denkens, sich nach und nach im Inhalt der Logik realisiert, indem sie ihre komplexe Struktur schrittweise aus einer Reihe von allgemeineren Denkbestimmungen ableitet und sich schließlich selbst als die einheitliche Ganzheit dieses Ableitungsprozesses begreift. Im Ende der logischen Entwicklung hat der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts sich zur allgemeinen Form aller begrifflich rudimentäreren Entwicklungsstufen konkretisiert und ist somit nun nicht wieder eine dieser rudimentäreren Stadien, da im Ende der Logik keine Diskrepanz zwischen ihrer allgemeinen Form und dem Bedeutungsgehalt des Inhalts mehr besteht. Da der gesamte Verlauf der logischen Entwicklung in ihrem Ende, d. h. mit der absoluten Idee, damit auf einen einzelnen Begriff gebracht ist, besteht der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts im Ende seiner Entwicklung, d. h. der Bedeutungsgehalt der absoluten Idee, wieder darin, den (nun zurückliegenden) Verlauf der Entwicklung erneut zu beginnen. Dieses nahtlose Übergehen des Endes der logischen Entwicklung in ihren Anfang, das in dem beschriebenen Sinn aus der Realisierung der allgemeinen Form / Struktur der Entwicklung in ihrem Inhalt resultiert, macht nun für Hegel die Zirkularität der Logik aus: „Vermöge der aufgezeigten Natur der Methode stellt sich die Wissenschaft als einen in sich geschlungenen Kreis dar, in dessen Anfang, den einfachen Grund, die Vermittlung das Ende zurückschlingt; dabey ist dieser Kreis ein Kreis von Kreisen; denn jedes einzelne Glied, als Beseeltes der Methode, ist die Reflexion insich, die, indem sie in den Anfang zurückkehrt, zugleich der Anfang eines neuen Gliedes ist.“ 1
1
GW, Bd. 12, 252.
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Die konzentrische Verlaufsform der logischen Entwicklung
Dass die Zirkularität der Verlaufsform der logischen Entwicklung nicht nur ein Kreis, sondern spezifisch ein Kreis von Kreisen ist, resultiert daraus, dass die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik nicht nur die Form der gesamtlogischen Entwicklung darstellt, sondern, wie gezeigt worden ist, sich auch auf allen Stufen dieser Entwicklung als deren gemeinsame Form reproduziert und gerade durch diese Reproduktion das Fortgehen von einer Entwicklungsstufe zur nächsten begründet. 2 Ein jede Stufe der logischen Entwicklung ist in diesem Sinn ein „Beseeltes der Methode“. Alle Stufen vollziehen ihre interne Prozessstruktur gemäß der spekulativen Dialektik, sodass erstens ihr unmittelbarer Anfang sich immanent zu einem über seinen ursprünglichen Bedeutungsgehalt hinausgehenden dialektischen Prozess erweitert, spezifiziert und bestimmt und zweitens die Form anfänglicher Einfachheit und Unmittelbarkeit sich am erweiterten Bedeutungsgehalt des dialektischen Transformations- und Werdensprozesses restituiert, die Dialektik somit „in den Anfang zurückkehrt“, aber in gegenüber demjenigen Anfang, aus dem sie entstanden ist, wesentlich erweiterter Gestalt zur Form logischer Anfänglichkeit zurückkehrt, sodass die so generierte Anfänglichkeit ein „neuer Anfang“ 3, d. h. „Anfang eines neuen Gliedes [der logischen Entwicklung, L.H.] ist“. Die von Hegel mehrfach angestellte Charakterisierung der Verlaufsform der logischen Entwicklung als eines Kreises von Kreisen, mithin als einer in sich geschlossenen Zirkularität hat nun vor dem Hintergrund der Ergebnisse unserer Untersuchung Vor- und Nachteile. Ein ganz entscheidender Vorzug der kreisförmigen Veranschaulichung der Verlaufsform der Logik besteht darin, dass sie adäquat repräsentiert, dass der Fortgang der logischen Entwicklung eine schrittweise Annäherung an ihren Anfang darstellt. Die kreisförmige Bewegung neigt sich unmittelbar mit ihrem Einsetzen wieder dem Anfang entgegen. 4 Eine Interpretation der Verlaufsform der logischen Entwicklung als Kreisstruktur entspricht demnach genau dem Gedanken, dass der Fortgang Rückgang in den Grund und damit Rückgang zur ursprünglichen Anfänglichkeit ist. Ein Nachteil der kreisförmigen Veranschaulichung der Verlaufsform der Logik kann vor dem Hintergrund unserer Untersuchung nun aber darin ge2
3 4
Vgl. hierzu die Bemerkung von B. Lakebrink: Hegels dialektische Ontologie und die Thomistische Analektik. Ratingen 1968, 71: „Die Triplizität [d. h. die Gliederung der spekulativdialektischen Entwicklung in Anfang, Fortgang und Ende, L.H.] ist das Strukturgesetz des dialektischen Einzelkreises und des aus diesen Einzelkreisen zusammengebauten dialektischen Großkreises.“ GW, Bd. 12, 250. So sagt Kimmerle (H. Kimmerle: „Die allgemeine Struktur der dialektischen Methode“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 33. 1979, 184–209, 205.) von Hegels „Symbol des Kreises“, dass hier „jeder Schritt der Entfernung vom Anfang, von der entgegengesetzten Bewegungsrichtung aus gesehen, eine ‚Rückannäherung zu demselben` bildet“.
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sehen werden, dass die einheitliche Weiterbestimmung des logischen Inhalts, die auf all ihren Stufen durch die spekulative Dialektik als die produktive und aktive Form des Inhalts immanent geregelt und begründet wird, zunächst einen linear aufsteigenden Entwicklungsgang darstellt. Der Anfang sowohl der Logik als Ganzer als auch einer jeder ihrer Stufen entwickelt sich nämlich, wie gezeigt worden ist, zu einer höheren Einheit, indem sein zunächst unmittelbarer und einfacher Bedeutungsgehalt sich zu einer über ihn in Struktur und Bedeutung hinausgehenden dialektischen Prozessualität spezifiziert und dann dieser erweiterte Bedeutungsgehalt der Dialektik sich in die Form einer wieder unmittelbaren, mithin auch wieder anfänglichen begrifflichen Einheit zurückführt. Bestand ein wesentlicher Vorteil der kreisförmigen Veranschaulichung der Struktur und Verlaufsform der logischen Entwicklung darin, dass der Kreis, indem der Ausgang von einem jeden seiner Punkte sich unmittelbar in Richtung des Anfangs zurückneigt, den Gedanken, dass der Fortgang der Logik „Rückannäherung“ 5 zu ihrem Anfang ist, adäquat einfängt, so kann vor dem Hintergrund des Gesagten gerade dieses kontinuierliche Sich-Neigen der Bewegung nun auch als ein Nachteil einer rein kreisförmigen Veranschaulichung angesehen werden. Zudem spiegelt die Binnendifferenzierung des kreisförmigen, Anfang und Ende der Logik zusammenbindenden Verlaufs der Entwicklung in einen Kreis von Kreisen zwar treffend wieder, dass die zirkuläre Struktur der spekulativen Dialektik sich auch auf einer jeden Stufe der Entwicklung reproduziert. Der Fortgang von einer Entwicklungsstufe zur nächstfolgenden wird demnach dadurch erbracht, dass ihr Anfang zu sich zurückkehrt, dabei aber mit bereicherter Bedeutung zu sich zurückkehrt, indem der dialektische Prozess, zudem der Anfang sich bestimmt und erweitert hat, sich an ihm selbst in die Form wieder anfänglicher Unmittelbarkeit zurückführt. Nun wird der von uns zunächst als linear beschriebene Aufstieg der logischen Entwicklung zu immer konkreteren und damit höherstufigeren Bedeutungseinheiten, d. h. die immanente und ursprüngliche Ausbildung immer spezifischerer Entwicklungsstadien des logischen Inhalts, jedoch von der spekulativen Dialektik begründet, die dem Inhalt als dessen sowohl gestalterische als auch produktive Form unmittelbar inhäriert. Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik ist die prozessuale Gesetzmäßigkeit der logischen Entwicklung, die sich auf einer jeden Stufe der Entwicklung reproduziert und ein jedes unmittelbares Entwicklungsstadium ihres Inhalts, zu denen er sich im Ende einer jeden Stufe unter Wahrung der mit dem dialektischen Fortgang einhergegangenen Bedeutungserweiterung immer wieder zurückführt, zu einer weiteren immanenten Spezifizierung weiterbestimmt. Da die spekulative 5
GW, Bd. 12, 251.
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Dialektik, wie wir gesehen haben, von einer zirkulären Struktur ist, sind in der Bestimmung der Verlaufsform der durch sie gesetzmäßig geregelten und organisierten logischen Entwicklung ein linearer Aufstieg (zu zunächst immer konkreter werdenden begrifflichen Bedeutungsgehalten) und eine zirkuläre Prozessualität, d. h. die Rückkehr des Anfangs zu sich unter Wahrung seiner dialektischen Bedeutungserweiterung, einheitlich zusammen zu denken. In der Analyse der Verlaufsform der logischen Entwicklung wird, mit anderen Worten, ein linearer Aufstieg zu immer höheren Entwicklungsstufen zusammengedacht werden müssen mit a) der internen Struktur dieser Stufen, die auch zirkulär ist, indem ihr Anfang aus seiner dialektischen Selbstvermittlung in bereicherter Gestalt zu sich zurückkehrt und gerade dadurch zum (neuen) Anfang der nächstfolgenden, konkreteren Entwicklungsstufe wird, und b) mit dem Umstand, dass der Fortgang der gesamten Entwicklung unmittelbar mit einer Rückannäherung an ihren Anfang einhergeht. Heinz Kimmerle hat in seiner Interpretation der Verlaufsform der logischen Bewegung in diesem Sinne den Versuch unternommen, den zumindest teilweise zirkulären Charakter der spekulativen Dialektik mit dem Aufstieg der logischen Entwicklung zu immer höheren und konkreteren Bedeutungsgehalten, den die spekulative Dialektik, wie dargelegt, immanent begründet, zu vereinigen. Als eine Alternative zu Hegels Charakterisierung dieser Struktur als eines Kreises von Kreisen schlägt Kimmerle demnach die Spirale als eine adäquate graphische Veranschaulichung vor. 6 Wir können die bisherigen Ergebnisse dieses Kapitels also wie folgt zusammenfassen. Die Interpretation der Verlaufsform der logischen Entwicklung als ein spiralförmiger Aufstieg stellt in gewisser Hinsicht eine adäquatere bildliche Veranschaulichung als die des Kreises von Kreisen dar. Zum einen berücksichtigt das Bild der Spiralform ebenfalls – wie der Kreis von Kreisen – die zirkuläre Struktur einer jeden Stufe der Entwicklung, d. h. die Differenzierung und Spezifizierung einer anfänglichen Bedeutungseinheit in einen dialektischen Prozess, aus dem jedoch weiterhin auch wieder die Rückkehr der Entwicklung zur Form anfänglicher Bedeutungseinheit erfolgt. Zum anderen aber korrigiert 6
Vgl. hierzu H. Kimmerle: „Die allgemeine Struktur der dialektischen Methode“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 33. 1979, 184–209, 206: „Die Verlaufsform dieser Bewegung [d. h. der logischen Entwicklung, L.H.] ist die Spirale. Jeder Anfang und jeder Schritt des Fortgangs hat beim wiederholten Durchlaufen der Bewegung eine reichere Bestimmtheit seiner Unmittelbarkeit bzw. seiner Vermittlungsschritte. Der erste Vermittlungsschritt ist jedesmal die bestimmte Negation der Bestimmtheit des Anfangs, der zweite ist jedesmal zurückbezogen auf den ersten Widerspruch, und er entwickelt sich dabei zur höheren Bestimmtheit der nächsten Stufe. Und in rückwärts verlaufender Begründung erfährt der erste Anfang zum zweiten, dritten usw. schließlich vom Ende her eine stets bessere Legitimation sowie auch die Zwischenschritte von jedem folgenden neuen Anfang und definitiv vom Ende her besser begründet werden.“
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die Spiralform das Bild des Kreises von Kreisen um den Strukturaspekt des zunächst linearen Aufstiegs der Entwicklung zu immer konkreteren und damit höheren logischen Bedeutungsgehalten. Zudem ist der strukturelle Umstand, dass das Ende einer jeden Stufe der Entwicklung unmittelbar den Anfang der nächstfolgenden begründet, in der spiralförmigen Verlaufsform deutlicher veranschaulicht. Ein jeder logische Anfang kehrt wesentlich in bereicherter Gestalt zu sich zurück beziehungsweise besteht die Rückkehr des Anfangs zu sich in der immanenten Wiederherstellung der Form anfänglicher Einfachheit und Unmittelbarkeit am gegenüber dem ursprünglichen Anfang erweiterten Bedeutungsgehalt seiner dialektischen Prozessualität, zu der er sich synthetisch und damit bedeutungserweiternd bestimmt und besondert hat. Da der Anfang einer Entwicklungsstufe in ihrem Ende also nicht in schlechthinniger, sondern in formaler Hinsicht zu sich zurückkehrt, ist das Bild von kreisförmig aneinandergefügten Kreisen, von denen ein jeder auch in sich geschlossen ist, irreführend, wohingegen die Spiralform, wie dargelegt, sowohl dem Umstand Rechnung trägt, dass der Anfang zu sich zurückkehrt als auch dabei berücksichtigt, dass es sich bei dieser Rückkehr des Anfangs zu sich um die immanente Wiederherstellung der Form logischer Anfänglichkeit an einem erweiterten Bedeutungsgehalt handelt und der Anfang nach seiner Rückkehr zu sich demnach „ein neuer Anfang“ 7, d. h. ein Anfang höherer Stufe ist. Auch wenn es Hegel natürlich nicht so gemeint hat, kann man, um diesen Punkt ganz deutlich zu machen, sagen, dass das Bild eines Kreises von Kreisen es theoretisch zulassen würde, dass die einzelnen Kreise auf äußerliche Art und Weise zu einer großen, aus voneinander unabhängigen Kreisen bestehenden zirkulären Struktur zusammengeführt worden sind. Die Interpretation der Verlaufsform der logischen Entwicklung als eines spiralförmigen Aufstiegs lässt dies hingegen überhaupt nicht erst zu. Die allgemeine Struktur spekulativer Entwicklungsprozesse ist in der Tat zunächst als eine Kreisbewegung zu begreifen, denn sie besteht darin, dass erstens ein unmittelbarer Anfang sich mit seinem dialektischen Fortgehen zu einem Vermittlungsprozess bestimmt, der sich zwischen dem Bedeutungsgehalt des Anfangs und seinem Entgegengesetzten abspielt, und zweitens dieser dialektische Prozess sich schließlich in die Form anfänglicher Unmittelbarkeit zurückführt. Der dialektische Prozess, zu dem sich der unmittelbare Anfang an ihm selbst besondert, stellt die in sich widersprüchliche Vermittlung des anfänglichen Bedeutungsgehalts und seines Entgegengesetzten dar, die nunmehr nicht mehr bloß negativ voneinander unterschieden werden, sondern sich in ihrer Entgegensetzung ebenso sehr als identisch miteinander erweisen und folglich sich kontinuierlich zueinander transformieren. Als prozessuale 7
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Vermittlungsstruktur ist der dialektische Prozess, d. h. das immanente und kontinuierliche Werden beider Relata zueinander, zunächst die Negation des an sich noch unmittelbaren und unprozessualen Anfangs. Da nun für beide Relata dieser prozessualen und transformativen Vermittlungsstruktur, d. h. sowohl für den Bedeutungsgehalt des Anfangs als auch für sein Entgegengesetztes, gilt, dass in ihrem Werden zueinander ein jedes von ihnen „sich zur Einheit mit dem andern bethätigt“ 8 und sich „an ihm selbst betrachtet zur Totalität [des gesamten Vermittlungsprozesses, L.H.] vollendet“ 9, führt sich diese dialektische Vermittlungsstruktur an ihr selbst wieder in die Form einer einzelnen, somit wieder einfachen und unmittelbaren Bestimmung zurück. Diese Vollendung des Entwicklungsprozesses ist somit im Anschluss an die erste Negation des unmittelbaren Anfangs, d. h. im Anschluss an sein Fortgehen zu einer dialektischen Vermittlungsstruktur, als die zweite Negation oder Negation der ersten Negation begreifen, insofern sie eine Restitution der Form anfänglicher Einfachheit und Unmittelbarkeit am Bedeutungsgehalt des dialektischen Vermittlungsprozesses darstellt. Dieses Zurückkehren des unmittelbaren Anfangs zu sich aus dem ihm spezifisch zugehörigen dialektischen Prozess als seinem Anderen macht zunächst die zirkuläre Struktur spekulativer Entwicklungsprozesse aus. Der unmittelbare Anfang vermittelt sich mit sich und kehrt schlussendlich wieder zur Form der anfänglichen Unmittelbarkeit zurück. Hier ist jedoch eine Spezifizierung vorzunehmen. Zwar ist die allgemeine Struktur spekulativer Entwicklungsprozesse in dem soeben beschriebenen Sinn ein Zurückkehren ihres Anfangs zu sich und somit eine Kreisbewegung. Jedoch ist dieses Zurückkehren des Anfangs zu sich, wie dargestellt, wesentlich die Wiederherstellung der Form anfänglicher Unmittelbarkeit am Bedeutungsgehalt des dialektischen Vermittlungsprozesses, zu dem der Anfang sich zuvor an ihm selbst besondert hatte. Der Bedeutungsgehalt des Anfangs der Entwicklung bleibt in dem Bedeutungsgehalt des dialektischen Vermittlungsprozesses zum einen positiv bestehen, er bestimmt sich an ihm selbst zu diesem, zum anderen aber bestimmt er sich damit ebenso sehr zu einer strukturell erweiterten und bereicherten Spezifikation seiner selbst. Das Ende der Entwicklung ist somit nur in formaler Hinsicht ein Zurückkehren ihres Anfangs zu sich, nicht aber auch in Hinblick auf den in dieser Form anfänglicher Unmittelbarkeit gefassten logischen Bedeutungsgehalt. Das Ende der Entwicklung ist, mit anderen Worten, zwar wieder Anfang, jedoch ein Anfang höherer Stufe, da nun ein gegenüber dem ersten Anfang wesentlich erweiterter Bedeutungsgehalt in der Form anfänglicher Einfachheit und Unmittelbarkeit thematisch ist. Da der 8 9
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Fortgang der spekulativen Entwicklung, der an ihrem unmittelbaren Anfang immanent anhebt, indem dieser sich an ihm selbst als dialektisch erweist, mit einer Erweiterung der ursprünglichen Bedeutung des Anfangs einhergeht und mit dem Ende der Entwicklung dann dieser erweiterte Bedeutungsgehalt in die Form anfänglicher Unmittelbarkeit zurückgeführt wird, ist die Rückkehr des Anfangs zu sich zugleich die Konkretion seines ursprünglichen Bedeutungsgehalts, der das Resultat seiner dialektischen Vermittlung im Zuge dieses vollendenden Schritts in sich intregriert und aufnimmt und auf diese Weise, wie Hegel es formuliert, „sich in sich [verdichtet]“. 10 Die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik, welche die Entwicklung des logischen Inhalts als die ihm inhärierende Formaktivität gesetzmäßig regelt und begründet, ist somit nicht nur in formaler Hinsicht produktiv, d. h. sie gestaltet den logischen Inhalt nicht nur zu einer zirkulären Struktur, sondern ist darüber hinaus auch in Hinblick auf den dabei je thematischen begrifflichen Bedeutungsgehalt produktiv. Die mit dem methodischen Moment des dialektischen Fortgangs einhergehende Erweiterung nicht nur der Form des logischen Inhalts, sondern auch seines begrifflichen Bedeutungsgehalts besteht darin, dass beide Relata des dialektischen Prozesses, beide der sich zueinander transformierenden entgegengesetzten Bestimmungen im Moment ihres Resultierens aus der Selbstaufhebung der je anderen in einer affirmativen und positiven Hinsicht thematisch sind. Demgegenüber bestanden die Einfachheit und Prozesslosigkeit des unmittelbaren Anfangs gerade darin, dass er mit einer Bestimmung gemacht worden ist, die in ihrer einfachen Erfassung von ihrer Negation, d. h. von dem ihr entgegengesetzten Bedeutungsgehalt, nur negativ unterschieden und abgegrenzt worden ist. Mit dem Fortgang dieses unmittelbaren Anfangs zu dem ihm spezifisch zugehörigen dialektischen Prozess kommt jenem ursprünglich nur negativ thematischen Bedeutungsgehalt auch positive Bedeutung zu, nämlich damit, dass der affirmative Bedeutungsgehalt des unmittelbaren Anfangs sich in und aufgrund seiner Abgrenzung von seinem Entgegengesetzten als auch identisch mit diesem erweist und damit seine Bedeutung zugunsten der seiner Negation korrigiert. Die prozesslose Unmittelbarkeit und Einfachheit des Anfangs bestimmt und vermittelt sich somit zu einem dynamischen Werdens- und Transformationsprozess zwischen zwei als affirmativ geltenden Bestimmungen, die sich beide in ihrer negativen Abgrenzung von der je anderen, worin ihre jeweilige Affirmation besteht, als auch identisch mit ihr erweisen, sich selbst aufheben und sich an ihnen selbst zu der je anderen Bestimmung verändern. Die formale sowie inhaltliche Erweiterung, die sich mit dem dialektischen Fortgang der Entwicklung am einfachen Anfang vollzieht, besteht also darin, dass nun nicht mehr nur 10
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eine Bestimmung vorliegt, deren bestimmter Bedeutungsgehalt sich dadurch konstituiert, dass der materiale Strukturaspekt ihrer limitativen Bestimmtheit, d. h. ihr spezifisches Entgegengesetztes, in der Form des negativen Unterscheidens und des verneinenden Ausschließens gefasst wird, sondern dies nun für zwei Bestimmungen gilt, wenngleich diese sich in Hinblick darauf, welche von ihnen als affirmativ gilt und welche negiert wird, kontinuierlich abwechseln. Wird der Bedeutungsgehalt dieses dialektischen Transformationsprozesses, zu dem der unmittelbare und einfache Anfang sich im Ausgang von seiner ursprünglichen Selbstaufhebung erweitert hat, mit dem weiteren Fortgang zum Ende dieser Stufe der logischen Entwicklung sodann in die Form anfänglicher Einfachheit zurückgeführt, da beide seiner Relata sich in ihrem immanenten Werden zueinander zur Totalität des gesamten Prozesses vervollständigen, dann ist dies, wie dargestellt worden ist, zwar ein Zurückkehren zur Form anfänglicher Unmittelbarkeit, jedoch bleibt die Bedeutungsanreicherung des logischen Inhalts dabei bestehen und bewahrt. Es ist nun der Bedeutungsgehalt des dialektischen Prozesses, der im Ende der Entwicklung wieder in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit thematisch ist, nicht mehr der Bedeutungsgehalt des ursprünglichen Anfangs beziehungsweise dieser ursprüngliche Bedeutungsgehalt, insofern er um das Moment des immanenten Werdens zu seinem Entgegengesetzten bereichert worden ist und dieses Werden nun in seine unmittelbare Bedeutung inkorporiert hat. So ist die Kategorie des Etwas im Ende ihrer Entwicklung nicht mehr nur die Negation des Anderen, sondern das sich verändernde Etwas. Die Substanz ist nicht mehr nur die Negation der Akzidentalität, sondern diejenige Substanz, die sich als solche wesentlich selbst zur Akzidentalität bestimmt, d. h. die Ursache. Die Allgemeinheit ist nicht mehr abstrakte Allgemeinheit, sondern hat sich in ihrer Unterscheidung vom Besonderen selbst als ein Besonderes dieses Abstraktionsprozesses erwiesen und ist daher Einzelheit im Sinne eines Allgemeinbegriffs, der seine anfängliche Abstraktheit an ihm selbst überwindet, sich selbst besondert und den ganzen Prozess der sich vollständig selbst begründenden Spezifizierung zu seiner schlussendlichen, formaliter wieder unmittelbaren, dabei jedoch wesentlich komplexeren inhaltlichen Bestimmtheit hat. In unserer Analyse spekulativer Entwicklungsprozesse ist die Charakterisierung ihrer Struktur als Kreisbewegung, d. h. das Zurückkehren des unmittelbaren Anfangs zu sich, nun also um das Moment des Aufstiegs ergänzt worden. In diesem Aufstieg stellen die unmittelbaren Entwicklungsstadien des logischen Inhalts die Schnittstellen zwischen einer Stufe der Entwicklung und der nächstfolgenden, höheren Stufe dar, indem sie in ihrer Unmittelbarkeit gleichursprünglich Ende / Resultat und neuer Anfang sind. Da der Anfang einer jeden Stufe der logischen Entwicklung aus seiner dialektischen Selbstvermittlung auf die Weise zu sich zurückkehrt, dass er den Bedeutungsgehalt
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dieser Selbstvermittlung beibehält und diese, gegenüber der ursprünglichen Bedeutung erweiterte Manifestation seiner selbst in die Form anfänglicher Unmittelbarkeit zurückführt, ist die Vollendung einer Entwicklungsstufe, d. h. ihr zirkuläres Zurückkehren zu ihrem Anfang, zugleich der Beginn der nächsten, höheren Stufe der Entwicklung. Dieser Fortgang der logischen Entwicklung fällt weiterhin, wie wir gesehen haben, zusammen mit einer „Rückannäherung“ 11 an seinen ursprünglichen Anfang. Die allgemeine Struktur des spekulativen Entwicklungsprozesses hat sich somit nicht nur als eine spezifische Form der Kreisbewegung, d. h. als Spiralform, sondern zudem als eine Spezifikation der spiralförmigen Zirkularität dargestellt. Die eigentliche Struktur der logischen Entwicklung ist eine sich in ihrem Aufstieg nach oben hin verjüngende Spiralform. Dass die Verlaufsform der logischen Entwicklung – bildlich gesprochen – sich in ihrem spiralförmigen Aufstieg nach oben hin verjüngt, bedeutet auch, dass der dialektische Prozess, zu dem sich die unmittelbaren Entwicklungsstadien des logischen Inhalts an ihnen selbst vermitteln und spezifizieren und aus dem sie in bereicherter Form wieder zu sich zurückkehren, von fortschreitend konkreterer, immer komplexer werdender Struktur ist. Die Dialektik besteht gemäß ihrer allgemeinen Struktur, d. h. für alle logischen Bestimmungen, darin, dass diese sich im Ausgang von der unmittelbaren Erfassung ihres jeweiligen Bedeutungsgehalts, der sich durch die zunächst nur negative Unterscheidung von seinem Entgegengesetzten konstituiert, in und aufgrund dieser negativen Unterscheidung als auch identisch mit ihrem Entgegengesetzten erweisen und beide der sich ausschließenden Bedeutungsgehalte sich kontinuierlich selbst aufheben und zueinander transformieren. Dabei erweisen sich die logischen Bestimmungen als auch identisch mit ihrem Entgegengesetzten, das sie in ihrer unmittelbaren Form nur aus sich ausschließen, weil gerade ihre anfängliche, negative Unterscheidung von ihm offenbart, dass sie zu ihrem Entgegengesetzten selbst in der Beziehung stehen, die durch dieses ausgedrückt wird. Derjenige Bedeutungsgehalt, der im Anfang der Entwicklung einer logischen Bestimmung als deren Negation von ihr unterschieden wird, bestimmt in dem beschriebenen Sinn also die spezifische Art der Identität zwischen der jeweiligen Bestimmung und ihrem Entgegengesetzten, deren Hervortreten an der nur negativen Unterscheidung beider sodann auch die der jeweiligen Bestimmung spezifische Dialektik einleitet. Nun ist der Fortschritt der logischen Entwicklung zuvor dadurch charakterisiert worden, dass der Bedeutungsgehalt des einen, sich entwickelnden Inhalts sich schrittweise bereichert und konkretisiert. Zudem ist interpretiert worden, dass diese schrittweise Konkretisierung des logischen Inhalts sich wesentlich als eine Konkretisierung seines begrifflichen Bedeu11
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tungsgehalts manifestiert, während seine gestalterische und produktive Form, die jene Konkretisierung bewirkt, auf allen – eben nur dem Bedeutungsgehalt nach differenten – Stufen der Entwicklung gleich bleibt und im Sinne eines einheitsstiftenden Prinzips diese Stufen unterscheidbare Momente eines doch einheitlichen Entwicklungsprozesses sein lässt. Erstens wird die Dialektik auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung dadurch eingeleitet, dass der jeweilige Bedeutungsgehalt, zu dem der logische Inhalt sich bis hier hin konkretisiert hat, sich in seiner unmittelbaren Form, in der er im Anfang der Entwicklungsstufe thematisch ist, d. h. in der einfachen Unterscheidung von seinem Entgegengesetzten, als auch identisch mit diesem erweist. Zweitens erweist sich ein unmittelbarer logischer Bedeutungsgehalt dadurch als identisch mit seinem Entgegengesetzten, dass er gerade in seiner negativen Unterscheidung von diesem, zu ihm selbst in der Beziehung steht, die den Bedeutungsgehalt des Entgegengesetzten ausmacht beziehungsweise mit ihm zum Ausdruck kommt. Mit fortschreitender Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts wird also auch der dialektische Prozess, zu dem die unmittelbaren Entwicklungsstadien des Inhalts sich an ihnen selbst bestimmen, immer konkreter. Die Struktur der dialektischen Prozesse, zu denen sich der logische Inhalt im Laufe seiner Entwicklung immer wieder spezifiziert, nähert sich mit fortschreitender Konkretisierung des je thematischen Bedeutungsgehalts immer mehr der Struktur der komplexesten Form dialektisch verfahrender Selbstbezüglichkeit, d. h. der absoluten Subjektivität, an. Da mit der absoluten Idee die spekulative Dialektik, d. h. die allgemeine Form aller ihr vorangegangenen Entwicklungsstufen, in dem Sinne vollständig im logischen Inhalt realisiert ist, dass hier der begriffliche Bedeutungsgehalt des Inhalts gegenüber dieser seiner gestalterischen Form keinerlei Inadäquatheit mehr aufweist, ist die inhaltliche Bestimmung der absoluten Idee zunächst wieder nur das erste Moment der spekulativen Dialektik, d. h. die denkende Erfassung schlechthinniger anfänglicher Unmittelbarkeit. In ihrem spiralförmigen Aufstieg verjüngt die Struktur der logischen Entwicklung sich also in dem Sinne nach oben hin, dass an ihrem Endpunkt, d. h. mit der vollständigen Realisierung der allgemeinen Form der spekulativen Dialektik im durch sie immanent geregelten und strukturierten Inhalt, dessen Bedeutungsgehalt sich wieder zum anfänglichen Nullpunkt schlechthinniger anfänglicher Unmittelbarkeit, d. h. zur absoluten Abstraktion des reinen Seins, zurückführt. Da die absolute Idee – in systematischer, aus allgemeineren Bestimmungen abgeleiteter Gestalt – die allgemeine Form darstellt, die den Denkbestimmungen in deren immanenter Selbstbewegung unmittelbar inhäriert und ihnen allen gemeinsam ist, ist der anfängliche, unmittelbare Bedeutungsgehalt der absoluten Idee eben diejenige allgemeine Form, die allen logischen Bestimmungen im
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Anfang ihrer jeweiligen Entwicklung zukommt, d. h. die Bestimmung anfänglicher Einfachheit und Unmittelbarkeit. Die Interpretation der Verlaufsform der logischen Entwicklung als eine sich in ihrem Aufstieg nach oben hin verjüngende Spirale behält die Vorteile der von Hegel selbst gebrauchten Verbildlichung der Struktur der Logik als eines Kreises von Kreisen. Auch in dieser Form des spiralförmigen Aufstiegs kommt eine kontinuierliche Rückannäherung an den Anfang der Bewegung zum Ausdruck. Darüber hinaus unterstreicht der Aspekt der fortschreitenden Verjüngung des zirkulären Aufstiegs in der spiralförmigen Struktur treffend, dass die aufeinander aufbauenden Kreise, d. h. die unterschiedenen Stufen der logischen Entwicklung, mit dem Fortschreiten des Entwicklungsgangs zu immer konkreteren zirkulär-prozessualen Bedeutungskomplexen werden. Das Bild des nach oben hin sich verjüngenden spiralförmigen Aufstiegs korrigiert hingegen den Mangel, dass der Kreis von Kreisen nicht berücksichtigt, dass der Verlauf der logischen Entwicklung zunächst ein linearer Aufstieg ist, der sich dadurch auszeichnet, dass er „von einfachen Bestimmtheiten beginnt, und die folgenden immer reicher und concreter werden“. 12 Dass der Fortgang, d. h. der Aufstieg des logischen Inhalts zu immer konkreteren Ausprägungen seiner Bedeutung, zugleich Rückgang in den Grund ist, d. h. eine Annäherung an seinen Ausgangspunkt darstellt, dies ist eine Erkenntnis, die im Verlauf des Denkens des Denkens erst an seinem Ende gewonnen wird. Erst am Ende der Abfolge von auseinander entstehenden und dabei immer konkreter werdenden Denkbestimmungen vollzieht sich, mit anderen Worten, der Rückschlag des Verlaufs der logischen Entwicklung in die unbestimmte Unmittelbarkeit ihres ursprünglichen Anfangs und damit die Rückkehr zum reinen Sein.
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GW, Bd. 12, 250.
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4. Hegels spekulative Logik als Selbsterkenntnis und Selbstkritik des Absoluten
4.1 Das Denken des Denkens ist Erkenntnis des Absoluten Mit der Wissenschaft der Logik verfolgt Hegel das Ziel, die vollständige Konvergenz des λόγος und des Absoluten wissenschaftlich darzustellen. Im bisherigen Verlauf unserer Untersuchung haben wir uns auch der Frage gewidmet, auf welche Weise sich für uns, d. h. für den Menschen, der epistemische Zugang zu dieser Wissenschaft gestaltet. Insbesondere in Hinblick auf das Moment des Anfangs hat sich diese Frage als untrennbar mit der Explikation der Struktur der spekulativ-dialektischen Methode verbunden erwiesen. In Anbetracht des systematischen Anspruchs der logischen Wissenschaft können „Meinen“ und „Glauben“ innerhalb ihres Vollzugs nicht länger relevante Modi des Fürwahrhaltens sein. 1 Sobald das Denken in den Bezirk seiner rein apriorischen Selbstexplikation eingetreten ist, so der Gedanke, hat es diese Instabilitäten und Unvollständigkeiten endlicher Erkenntnisbestrebungen, die darum endlich sind, da sie noch eine Trennung von Bewusstsein und Gegenstand implizieren, hinter sich gelassen. So bemerkt Hegel in der Logik, das Meinen sei „eine Form des Subjectiven, das nicht in diese Reihe der Darstellung gehört“. 2 Die „Reihe der Darstellung“, auf die hier verwiesen wird, ist die einheitliche Folge der Bestimmungen des reinen Denkens, die im Rahmen der logischen Entwicklung schrittweise und mit methodischer Notwendigkeit auseinander deduziert werden. Damit ist dasjenige Erkennen, das die logische Wissenschaft leistet, aber nicht nur vom an und für sich grundlosen Meinen, sondern auch vom nur subjektiv begründeten Glauben wesentlich unterschieden. Doch auch hinsichtlich des dritten Modus des Fürwahrhaltens, d. h. des sowohl subjektiv als auch objektiv zureichend gesicherten Wissens, ist noch eine weitere Differenzierung anzustellen. So ist das apriorische, rein logische Wissen auch nicht von der Natur empirischer Erkenntnis, die in sinnlichen Synthesisleistungen begründet liegt und das Material ihrer synthetischen Urteile stets rezeptiv aus einer gegenüber der Spontaneität des erkennenden Subjekts äußerlichen Quelle bezieht. Seine eigene Theorie der Wahrheit entwickelt Hegel in Abgrenzung zum 1 2
Vgl. hierzu und zu den folgenden Ausführungen des ersten Absatzes: KrV, A 820 ff., B 848 ff. GW, Bd. 21, 79.
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Hegels spekulative Logik als Selbsterkenntnis und Selbstkritik des Absoluten
meinenden und glaubenden Fürwahrhalten sowie zur a posteriorischen Erfahrungserkenntnis. Hegels Konzeption dessen, was eigentliches Wissen bedeutet, sei nun anhand von sechs Punkten vorausblickend und thesenartig skizziert: 1) Eigentliches Wissen ist für Hegel Erkenntnis des Absoluten. 2) Erkenntnis des Absoluten ist als solche nur in Form der Selbstbestimmung und Selbsterkenntnis des Absoluten möglich. 3) Erkenntnis des Absoluten ist als Wissenschaft möglich. 3 4) Erkenntnis des Absoluten ist die mit Gesetzmäßigkeit und methodischer Notwendigkeit sich vollziehende Selbstbestimmung eines einigen, absoluten Prinzips, das sich durch den Menschen hindurch entwickelt. Diejenige Sphäre, in der sich das Absolute selbst erkennt und selbst bestimmt, ist dem Menschen mittels freier Reflexion zugänglich, obgleich seine sonstigen, endlichen Erkenntnisprozesse sich stets nur in Beziehung auf die Kontingenz des empirisch gegebenen Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung vollziehen. 5) Da der Selbsterkenntnis des Absoluten als solcher keine ihrer inhaltlichen Bestimmungen äußerlich bleiben kann, ist diese Erkenntnis für das Animal rationale, das sie denkend vollzieht, auch nicht ein Denken von etwas empirisch Gegebenem, sondern Denken des Denkens, freie Selbstexplikation der rationalen Seite seiner Natur und damit logische Wissenschaft. 6) Die Selbsterkenntnis des Absoluten ist nicht eine Wissensart unter anderen, sondern wahres und eigentliches Wissen, das „objective Wahre, oder das Wahre als solches“ 4, da dieser sich bestimmende Selbstbezug zugleich in eins fällt mit dem absoluten Weltbezug oder, anders ausgedrückt, mit der ursprünglichen Konstitution der ontologischen Grundbestimmungen des Seienden als eines solchen. Diese ontologischen Grundbestimmungen sind allen endlichen, in Hinsicht auf ihre inhaltliche Komponente kontingent bestimmten Erkenntnisprozessen wie auch dementsprechend den regional-ontologischen Wissenschaften als subjektive Formbedingungen der Erkenntnis eingelagert. 5 3
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Gerade diese Einsicht stellt einen wesentlichen Unterschied von Hegels mittleren und späten Systementwürfen gegenüber den frühidealistischen Positionen seiner Früh- und Jugendschriften dar. So schreibt Hegel etwa in den religionsphilosophischen Frankfurter Schriften noch, dass vom Göttlichen nur mystisch gesprochen werden könne. Vgl. hierzu GW, Bd. 2, 257. Zur Entwicklungsgeschichte dieser Thematik innerhalb des Hegelschen Denkens, d. h. zu den Wandlungen bezüglich des Verhältnisses von philosophischer Wissenschaft und Absolutem im Früh- und Spätwerk, vgl. ferner K. Düsing: Subjektivität und Freiheit. Untersuchungen zum Idealismus von Kant bis Hegel. Stuttgart-Bad Cannstatt, 2. Auflage 2013, 181–207, insb. 183. GW, Bd. 12, 173. Diese Formulierung findet sich zu Beginn des Ideenkapitels der Begriffslogik. Die Selbsterkenntnis des Absoluten fällt für Hegel unmittelbar in eins mit der dialektisch-spekulativ sich vollziehenden Selbstbestimmung der (absoluten) Idee. In diesem Sinne bemerkt Bickmann (C. Bickmann: „Sein und Selbst-Sein. Hegels Idee der Selbsterkenntnis zwischen Sich-Bestimmen und Sich-Setzen“, in: Hegel-Jahrbuch 2018.
Hegel-Studien
Das Denken des Denkens ist Erkenntnis des Absoluten
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In neuzeitlich-idealistischer Prägung bedeutet Erkenntnis des Absoluten in Hegels reifer Philosophie somit die (dihairetische) Selbsteinteilung des reinen Denkens in das System seiner Bestimmungen und Gesetze, denen aufgrund der sich vollständig selbst begründenden Natur ihrer Genese zugleich ontologische Bedeutung zukommt. Diese sich vollständig selbst begründende Struktur der logischen Wissenschaft besteht – in nuce – darin, dass sie eine einheitliche Folge spezi sch unterschiedener kategorialer Begriffe darstellt, die sich im Rahmen eines synthetisch-genetischen Prozesses rein analytisch auseinander deduzieren lassen. Die Bedingungen der synthetischen Genese einer spezi schen kategorialen Bestimmung liegen, mit anderen Worten, vollständig im Bedeutungsgehalt der ihr unmittelbar vorgängigen, von ihr jedoch noch wesentlich unterschiedenen Bestimmung und ihrer sich an ihr selbst vollziehenden dialektischen Prozessualität. Dies macht die Absolutheit des logischen Entwicklungsprozesses aus. Hegels spekulative Logik ist ihrem Anspruch nach die ursprüngliche Konstitution eines in sich organisierten Systems rein apriorischer Begriffe. So ist die Hegelsche Logik im Gegensatz zu traditionellen Logikkonzeptionen auch nicht ein Urteilen über das reine Denken, für welches der Begriff letztendlich ein Synonym ist, sondern das Urteil des Begriffs selbst. 6 Wenn Hegel die gesamte Logik demnach im vorletzten Absatz des Werks als „die Wissenschaft [. . .] des göttlichen Begriffs“ 7 charakterisiert, so hat dieser Genetiv nicht nur objektive, sondern unmittelbar auch subjektive Bedeutung. Die ontologisch-kategorialen Bestimmungen der traditionellen generellen Metaphysik werden im Rahmen der logischen Wissenschaft somit nicht erst im Rückgriff auf den empirisch gegebenen Stoff des Anschauungsmannigfaltigen analytisch gewonnen, sondern vielmehr als sich mit Notwendigkeit synthetisch herausbildende Strukturbestimmungen des Denkens in diesem selbst analytisch deduziert. Als ein sich in formaler sowie in inhaltlicher
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Berlin 2018, 34–39, 34.), dass es der Selbsterkenntnis als solcher „in epistemischer und praktischer Hinsicht [wesentlich daran] gelegen ist: in allem Selbst- und Weltbezug unser wissendes und wollendes Selbstverhältnis zu erkunden. Darum wird erneut die Analyse der Formen und Prinzipien zu re-integrieren sein, die in unsere Anschauung, unser Denken und Handeln zwar eingelagert sind, ohne aber durch unser Denken auch durchsichtig geworden zu sein. Diese notwendige reflexive Wende, durch die mit dem Angeschauten und Gewussten auch die Formbedingung des Anschauens und des Wissens zu Bewusstsein gebracht werden kann, hat Kant in einer transzendentalen Analyse und Hegel unter dem Titel des Sich-Wissens im Wissen, des Sich-Bestimmens im Denken und Handeln zur Sprache gebracht, – um damit zugleich erkenntlich zu machen, dass eine rein verobjektivierende Perspektive die dem Menschen eigene Wesensnatur geradezu verfehlen muss.“ Vgl. GW, Bd. 21, 44. Hegel bringt die Idee einer dialektisch-spekulativen Deduktion der Denkbestimmungen insbesondere als Gegenentwurf zu traditionellen Logikkonzeptionen vor, die diese Bestimmungen und deren Systematik bloß angeben, ohne das genetische Verhältnis, in dem sie zueinander stehen, als solches darzustellen. Diese Logiktypen nennt Hegel „bloße Verstandes-Logik[en]“. Vgl. hierzu GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 12, 253.
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Hegels spekulative Logik als Selbsterkenntnis und Selbstkritik des Absoluten
Hinsicht vollständig selbst begründender Denkakt stellt die logische Wissenschaft den neuzeitlich transformierten und idealistisch realisierten Prozess der Selbsterkenntnis des Absoluten dar, den Hegel, wenn auch noch in dogmatischmetaphysischer Form, bereits in der νόησις νοήσεως des Aristoteles historisch prä guriert sieht. Dabei kann die Entwicklung der logischen Wissenschaft zu ihrer Selbstre exion in folgende Beziehung gesetzt werden: a) Das reine Denken bringt im Rahmen seiner selbstbezüglichen Synthesis ein System von Seinsbestimmungen hervor, die als solche und für sich betrachtet noch wesentlich von der Struktur der denkenden Selbstbezüglichkeit unterschieden sind. b) Die Methode dieser Entwicklung, die als die gemeinsame Form aller vorangegangenen, inhaltlich spezifisch unterschiedenen Bestimmungen allererst deren einheitliche Systematik begründet, wird selbst als höchste und letzte Bestimmung des logischen Inhalts deduziert. Das Ende der logischen Wissenschaft stellt in diesem Sinne die vollständige Ineinsbildung von methodischformalen und inhaltlichen Aspekten der logischen Entwicklung dar. 8 Die ontotheologische Verfassung der Hegelschen Philosophie – um auf eine Formulierung Heideggers zurückzugreifen 9 – besteht somit gerade darin, dass die ontologischen Bestimmungen sowohl das Resultat der absoluten Subjektivität und ihrer dihairetischen Selbsteinteilung darstellen als auch sich in ihrer systematischen Einheit schlussendlich als die Totalität der Bedingungen dieses Akts der (absoluten) denkenden Selbstbezüglichkeit erweisen. Das Verhältnis von Denken und Sein, von logischer Methode und ontologischem Begriffssystem, ist in Hinblick auf die logische Wissenschaft, mit anderen Worten, ein Bei-sich-sein-im-Anderen und damit der freie Akt der Selbstbestimmung und Selbsterkenntnis des Absoluten. Eigentliche Erkenntnis besteht demnach in der gesamten und in sich geschlossenen Geschichte der logischen Wissenschaft, deren Anfang in dem 8
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Zum Verhältnis der logischen Bestimmungen zur absoluten Idee vgl. weiterführend auch K. Düsing: „Ontologie und Theorie der Subjektivität. Untersuchungen zum Begründungsproblem in Hegels ‚Wissenschaft der Logik`“, in: Die Begründung der Philosophie im Deutschen Idealismus. Würzburg 2011, 233–244 und insbesondere 243: „Sie [d. h. die νόησις νοήσεως in Hegels neuzeitlich-idealistischer Umdeutung, L.H.] konstituiert spontan, aktiv oder in Freiheit allererst ihre Bestimmungen, in denen sie sich denkt; sie liegen nicht etwa als ewige, schon vorgegebene Ideen vor; sie schafft sich in diesen Bestimmungen vielmehr allererst ein stufenweise komplexer werdendes, vielfältiges Geflecht von bewegten Gedankeninhalten, sich entwickelnden Beziehungen und Selbstbeziehungen, in denen sie sich denkt und erkennt. Alle ontologischen Bestimmungen sind daher letztlich auf dieses dann am Ende erreichte erste Prinzip, das göttliche, spontane Denken seiner selbst, hingeordnet; sie haben nur ontologische Bedeutung, sofern sie durch dieses idealistisch konstituiert werden.“ Vgl. hierzu M. Heidegger: Identität und Differenz. Stuttgart 1957 (14. Auflage, 2014). S. 31– 67.
Hegel-Studien
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freien Entschluss besteht, das Denken als solches betrachten zu wollen. 10 Im Ausgang von diesem freien Akt der Reflexion durchläuft das Denken im Rahmen einer einheitlich fortschreitenden Entwicklung zunächst defizitäre Potenzen seiner eigenen komplexen Struktur. Dabei erweisen sich diese gegenüber der Komplexität des Subjekts noch defizitären Formen seiender Selbstbezüglichkeit im Fortgang der Entwicklung zugleich auch als notwendig zu durchlaufende, da allgemeine und notwendige Bedingungen der absoluten Subjektivität, die jede nicht nur in der je nächstfolgenden, sondern mithin auch in der letzten und höchsten Form der Selbstbezüglichkeit, im Subjekt, positiv bestehen bleiben. So ist bereits das Etwas in diesem Sinne „der Anfang des Subjects“ 11, der im Subjekt enthalten bleibt und eine notwendige Bedingung seiner Struktur ausmacht, an sich aber noch längst nicht selbst Subjekt ist. 12 Wahres Wissen ist demnach die Wissenschaft des reinen Denkens, das sich zum Zwecke der durchgängigen Prämissenanalyse seiner selbstreflexiven Struktur notgedrungen zunächst der Leere des Denkens der unbestimmten Unmittelbarkeit anheimgeben muss. Nur dieser anfängliche methodische Schritt, der in eins fällt mit dem bloßen Aufnehmen dessen, was im absoluten Wissen der Phänomenologie des Geistes enthalten ist, gewährleistet die Negation jeglicher vorgefertigter Meinung über das, was Denken heißen könnte. Eine Annäherung an das Wesens-was des λόγος, die auf eine vorgefestigte Meinung zurückgreifen würde, könnte per se nicht ausschließen, dass Begründungszusammenhänge innerhalb der Struktur des Denkens unaufgehellt bleiben. Gerade dies würde aber die Vollständigkeit der Analyse gefährden. 13 Weniger weit entfernt von diesem eigentlichen Wissen als das Meinen scheint dabei interessanterweise das religiöse Glauben zu sein. So haben Kunst, Religion und Philosophie für Hegel bekanntlich „denselben Inhalt und densel10
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Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 56: „Soll aber keine Voraussetzung gemacht, der Anfang selbst unmittelbar genommen werden, so bestimmt er sich nur dadurch, daß es der Anfang der Logik, des Denkens für sich, seyn soll. Nur der Entschluß, den man auch für eine Willkühr ansehen kann, nemlich daß man das Denken als solches betrachten wolle, ist vorhanden.“ GW, Bd. 21, 103. Umgekehrt lässt sich das Verhältnis von Etwas und Subjekt dahingehend erläutern, dass auch das absolute Subjekt ein Etwas ist, das sich auf sich selbst bezieht, wenngleich es die komplexeste Prozessstruktur darstellt, die der Gattung „Arten kategorialer Selbstbezüglichkeit“ subordiniert ist. Die absolute Subjektivität ist also eine spezifische Form der basalen Selbstbezüglichkeit des Etwas, die in dieser zwar genetisch begründet liegt, in ihr jedoch zugleich, da das Etwas für sich betrachtet von seinem Anderen noch durch eine unüberbrückbare Grenze unterschieden ist, noch (längst) nicht vollständig zum Ausdruck kommt. Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 56: „So muß der Anfang absoluter oder was hier gleichbedeutend ist, abstracter Anfang seyn; er darf so nichts voraussetzen, muß durch nichts vermittelt seyn, noch einen Grund haben; er soll vielmehr selbst Grund der ganzen Wissenschaft seyn.“
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ben Zweck“ 14, da alle drei Disziplinen verschiedene Weisen der Selbsterfassung des Absoluten darstellen. In der Kunstreligion und in ihren Produkten ästhetisch-poietischer Werktätigkeit wird die absolute Idee zur unmittelbaren Anschauung gebracht. In ihrem sinnlichen Scheinen, das für sich genommen aber von der sich selbst bewegenden Struktur dessen, was da scheinend hervortritt, abstrahiert, wird die absolute Idee jedoch unweigerlich objektiviert. 15 Religion und Glaube hingegen stellen das Absolute vor, schließen es aber als ein nur Vorgestelltes, als welches es sich ebenfalls nicht vollständig selbst bestimmt, in die Sphäre des vorstellenden Subjekts ein. Dabei kann die absolute Idee durchaus adäquat vorgestellt sein, wie dies, so Hegel, am vorzüglichsten in der christlichen Religion der Fall ist, die das Absolute wesentlich als Geist und trinitarisch als liebendes Bei-sich-sein Gottes im Menschen konzipiert. Solange das Absolute jedoch nur glaubend vorgestellt wird und mithin vom vorstellenden Subjekt noch unterschieden ist, ermangelt es noch der vollständigen Ineinsbildung von Subjekt und Objekt, die es – seiner inhaltlichen Konzeption nach – doch gerade sein soll. Erst die Philosophie, so Hegel, leistet die ursprüngliche Genese dieses einen ontotheologischen Prinzips, das – einmal objektiviert angeschaut, einmal subjektiv vorgestellt – die Inhalte von Kunst und Religion umspannt. Als philosophische Wissenschaft fällt die Philosophie überhaupt unmittelbar in eins mit der durchgängigen begrifflichen Selbstvermittlung der Idee in die unterscheidbaren Strukturbestimmungen ihrer absoluten Subjektivität. Der Anfangsgrund dieser begrifflichen Selbstvermittlung des Absoluten ist die spekulative Logik. Nach der Methode der Logik – unter besonderer Berücksichtigung ihres Verhältnisses zu den Prinzipien der Kritik und des Skeptizismus – ist demnach in der Analyse des Absoluten und seiner Selbstexplikation in Hegels Spätphilosophie zunächst und wesentlich zu fragen. 16 14 15
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GW, Bd. 12, 236. Nun ist die Kunst als solche in systematischer Hinsicht natürlich nicht etwa in der Sphäre der Objektivität, sondern in der des (ideellen) absoluten Geistes verortet. Dabei ist allerdings zwischen dem Kunstwerk und der ästhetischen Selbsterkenntnis im Kunstwerk zu unterscheiden. Im Kunstwerk ist die absolute Idee als Objekt manifestiert. Die Selbsterkenntnis des werktätig sich bestimmenden Künstlers – und auch die des Betrachters – im Kunstwerk, in seiner gesetzmäßig-harmonischen Form sowie in den dargestellten religiösen Inhalten, stellt hingegen eine im Bereich des sinnlichen Scheinens geistiger Inhalte sich vollziehende Ineinsbildung von Subjekt und Objekt dar und ist damit von wesentlich ideeller und geistiger Struktur. Diese Diskrepanz zwischen der geistig-ideellen Natur der ästhetischen Selbsterkenntnis und der Tatsache, dass diese Erkenntnis sich noch in Beziehung auf einen sinnlichen Gegenstand vollzieht, begründet die weitere systematische Aufhebung der Kunst in die vorstellende Religion. Für eine ausführliche Erörterung der theologischen Dimension der absoluten Idee vgl. auch L. Siep: „Die Lehre vom Begriff. Dritter Abschnitt. Die Idee“, in: Kommentar zu Hegels
Hegel-Studien
Die Erkenntnis des Absoluten ist seine spekulativ-dialektische Selbstkritik
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4.2 Die Erkenntnis des Absoluten ist seine spekulativ-dialektische Selbstkritik In der Phänomenologie des Geistes von 1807 hatte Hegel explizit das Programm eines „sich vollbringende[n] Skepticismus“ 17 verfolgt. Der Weg des natürlichen Bewusstseins, das sich aus der naiven Einstellung seines zunächst nur empirisch-meinenden Weltbezugs schließlich bis zur wissenschaftlichen Explikation seiner selbst bilden soll 18, war hier ein Weg des Zweifels und der Verzweiflung gewesen. 19 Dieser Entwicklung des kontinuierlich an sich selbst verzweifelnden Bewusstseins kam dabei jedoch zugleich die positive Bedeutung zu, Darstellung des Selbstbewusstseins des absoluten Geistes zu sein, dessen absolute Subjektivität gerade darin besteht, sich in die Geschichte seiner defizitären, an ihnen selbst zugrunde gehenden Erscheinungsformen zu entfalten und schließlich sich als den Bestimmungsgrund aller Weisen des Bewusstseins selbst zu erkennen. Da die skeptischen Widerlegungen von einzelnen Bewusstseinsgestalten somit überhaupt die Momente der einen übergeordneten Vollzugsstruktur des sich und seine epistemischen Vermögen prüfenden Geistes darstellen, fällt der telelogisch geordnete Verlauf der Phänomenologie überhaupt in eins mit einer prozessualen Selbstbegründung wahren Wissens und seiner Kriterien. Nun wird in Hegels späterem, enzyklopädischem System der Titel „Phänomenologie des Geistes“ nur noch einem Systemteil zugeschrieben, welches dem subjektiven Geist untergeordnet ist und lediglich die Inhalte der ersten Hälfte des ursprünglichen Werks in reduzierter, eben enzyklopädischer Form behandelt. Die restlichen Inhalte der Phänomenologie von 1807 sind über das ganze enzyklopädische System verteilt. Ihr programmatischer – und genuin idealistischer – Anspruch, die Erkenntnis des Absoluten mittels einer wissenschaftlichen Darstellung der Geschichte des Selbstbewusstseins des Absoluten zu leisten, bleibt hingegen auch für das enzyklopädische System von fundamentaler Bedeutung. 20 Vor diesem Hintergrund ist es eine grundlegende These der vorliegenden Untersuchung, dass die Programmatik eines sich selbst vollbringenden Skeptizismus nicht nur auf die Phänomenologie, sondern ebenso sehr auf die Wissenschaft der Logik zutrifft. Dementsprechend ist im ersten Teil unserer Untersuchung auch zu zeigen gewesen, inwiefern die spekula-
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Wissenschaft der Logik. Hrsg. M. Quante und N. Mooren, Hamburg 2018, 651–796, insb. 734–766. GW, Bd. 9, 56. Vgl. GW, Bd. 9, 56. Vgl. GW, Bd. 9, 56. Überzeugend argumentiert hierfür auch M. Forster: Hegel's idea of a Phenomenology of spirit. Chicago / London 1998, 547–555.
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Hegels spekulative Logik als Selbsterkenntnis und Selbstkritik des Absoluten
tiv-dialektische Methode, welche die Deduktion der logischen Bestimmungen durchgängig regelt und leitet, als eine spezifische Form skeptisch-kritischen Denkens zu begreifen ist. Zu Beginn der enzyklopädischen Fassung der Seinslogik bemerkt Hegel, dass das reine Sein sowie alle folgenden Bestimmungen der Logik als „Definitionen des Absoluten, als die metaphysischen Definitionen Gottes angesehen werden“ 21 können. Mit dem Eintritt in die Betrachtung der Daseinskategorien der Endlichkeit lautet die Definition des Absoluten demgemäß: Das Absolute ist dasjenige Eine, das in seiner „einfache[n] seyende[n] Beziehung auf sich“ 22 alle Andersheit aus sich ausschließt. Diese seinslogische Konzeption des Absoluten erinnert an neuplatonische und mittelalterliche Gottesbegriffe, für die der Non-aliud-Gedanke konstitutiv ist. So sagt etwa Meister Eckhart, dass in Gott kein Anderes ist („In deo enim non est aliud.“ 23), und auch für Nikolaus von Kues ist das Nichtandere ein zentrales Prinzip der Rede über das Wesen Gottes. 24 Hier deutet sich bereits an, was im Folgenden noch näher untersucht werden soll, nämlich, dass für Hegel zwischen den spezifisch unterscheidbaren Stufen der logischen Entwicklung und bestimmten philosophiehistorischen Theologien ein systematischer Zusammenhang zu bestehen scheint. Insofern die reinen Denkbestimmungen als autonome, sich auseinander deduzierende Definitionen des Absoluten angesehen werden können, kommt der logischen Wissenschaft der Charakter einer prinzipientheoretischen Präfiguration der Geschichte der Philosophie im Medium des sich apriorisch selbst bestimmenden reinen Denkens zu. So ist etwa das reine Sein die Definition des Absoluten, die von Parmenides formuliert worden ist und die seiner Henologie zugrunde liegt. 25 Auch diese Definition hat sich negiert, hat sich an sich selbst skeptisch widerlegt und ist historisch-werdend in ihr spezifisches Gegenteil, in das reine Nichts übergegangen, welches Hegel in der zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik mit ostasiatischen Definitionen des Absoluten assoziiert. 26 Wird dieses immanente werdende Übergehen des reinen Seins in das reine Nichts spekulativ in jene erste Definition des Absoluten aufgenommen, so stellt die höhere Einheit der beiden Bestimmungen, d. h. das Werden, diejenige 21 22 23 24 25
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GW, Bd. 20, 121. GW, Bd. 21, 103. Sermo XXIX, n 305, LW IV, 270, 7 f. Vgl. hierzu etwa: Nikolaus von Kues: Vom Nichtanderen (De li non aliud). Hamburg 1987. Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 70: „Den einfachen Gedanken des reinen Seyns haben die Eleaten zuerst, vorzüglich Parmenides als das Absolute und als einzige Wahrheit, und in den übergebliebenen Fragmenten von ihm, mit der reinen Begeisterung des Denkens, das zum erstenmale sich in seiner absoluten Abstraction erfaßt, ausgesprochen: nur das Seyn ist, und das Nichts ist gar nicht.“ Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 70: „In orientalischen Systemen, wesentlich im Buddaismus ist bekanntlich das Nichts, das Leere, das absolute Princip.“
Hegel-Studien
Die Erkenntnis des Absoluten ist seine spekulativ-dialektische Selbstkritik
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Definition des Absoluten dar, die Hegel Heraklit zuschreibt: πάντα ῥεῖ, „Alles ist Werden.“ 27 Die Kategorienfolge der Hegelschen Logik ist demnach eine Sukzession von Definitionen des Absoluten, die sich fortschreitend an sich selbst widerlegen und skeptisch aufheben. Da die absolute Idee, die am Ende des Werks selbst als das letzte Resultat dieser Reihe von Bestimmungen in Erscheinung tritt, dabei bereits auf allen Ebenen der Entwicklung die immanente Methode der dialektischen Widerlegung ausmacht, besteht das logische System eigentlich in der einheitlichen Selbstkritik des reinen Denkens (λόγος, νόησις) als eines einigen holistischen Formprinzips, das sich synthetisch-analysierend schrittweise selbst manifestiert, expliziert und konkretisiert. Alle Kategorien sind – die Einheit ihrer sich selbst bewegenden und sich an ihnen selbst vollziehenden Prozessualität betrachtend – quasisubjektive Strukturen. Ihrer Form nach ist eine jede Kategorie – so sie als eingebettet in den Prozess ihrer immanenten Selbstbewegung betrachtet wird – eine konkrete Allgemeinheit, welche die ihr spezifisch zugehörige Besonderheit, d. h. ihre Dialektik, sowie die neu generierte und bereicherte kategoriale Einzelheit aus ihr selbst hervorbringt. Eine jede Denkbestimmung, die als eine zunächst abstrakte Allgemeinheit jeweils den Anfang der weiteren Entwicklung macht, ist zugleich das Resultat der ihr unmittelbar vorangehenden Bestimmung, die durch ihre eigene Entwicklung hindurchgegangen und somit konkret geworden ist. Dieser methodologische Umstand begründet die Einheit der gesamtlogischen Entwicklung in ihrer formaliter durchgängigen Übereinstimmung mit sich selbst. Dass die Bestimmungen der Seins-, der Wesens- und der Begriffslogik bis zum Erreichen der absoluten Idee dabei gegenüber den methodisch-formalen Strukturbestimmungen ihrer immanenten Prozessualität, die sich auf allen Stufen der gesamtlogischen Entwicklung einheitlich durchhalten, inhaltlich noch je unterbestimmt sind, stellt zugleich den Grund des Fortgangs der weiteren Entwicklung dar. In diesem Sinne ist auch der dialektische Prozess, der auf jeder Stufe der logischen Entwicklung das Moment des Fortgangs ausmacht, und insbesondere die Interpretation der Dialektik als Selbstwiderlegung der Denkbestimmungen zu verstehen. Es handelt sich bei den logischen Bestimmungen, obgleich sie sich selbst negieren und aufheben, nicht um falsche Gedanken oder Irrtümer, sondern die immanente Mangelhaftigkeit, die an ihnen hervortritt, verweist vielmehr auf eine für die Selbstbegründung der Entwicklung notwendige Unterbestimmtheit. Hieraus folgt, dass die Denkbestimmungen im weiteren 27
GW, Bd. 21, 70. Die vollständige Passage, die an die der beiden vorangegangen Fußnoten unmittelbar anschließt, lautet: „Der tiefsinnige Heraklit hob gegen jene einfache und einseitige Abstraction den höhern totalen Begriff des Werdens hervor, und sagte: das Seyn ist so wenig, als das Nichts, oder auch Alles fließt, das heißt, Alles ist Werden.“
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Fortgang der Entwicklung nicht zur Gänze destruiert werden, sondern sich im Zuge ihrer dialektischen Selbstvermittlung zugleich zu einer spezifischeren Ausprägung ihrer ursprünglichen Bedeutung entwickeln. Die Bestimmung der Dialektik als immanente Selbstwiderlegung der logischen Bestimmungen meint demnach nicht, dass ihre Falschheit bewiesen werden würde, sondern vielmehr, dass in ihrer einfachen und unmittelbaren Form, in welcher sie jeweils zunächst und anfänglich thematisch sind, nicht bereits derjenige Bedeutungszusammenhang vollständig zum Ausdruck kommt, in welchem sie gerade in ihrer Einfacheit und Unmittelbarkeit bereits stehen und zu welchem sie sich daher als zu ihrer nächsthöheren Wahrheit aufheben und immanent bestimmen. Die dialektische Selbstwiderlegung einer logischen Bestimmung meint die immanente Widerlegung ihrer anfänglichen einfachen und unmittelbaren Form, die sich nicht äußerlich, sondern als dasjenige, was sie ist, d. h. als ein zunächst notwendigerweise Einfaches und Unmittelbares, als mangelhaft erweist. Dabei wird die konkrete Bedeutung der jeweiligen Denkbestimmung im Prozess der Korrektur dieses Mangels jedoch „aufbewahrt und erhalten“ 28, sie „continuiert“ 29 sich im Resultat ihres Fortgehens und entwickelt sich damit ausgehend von einer anfänglichen Unterbestimmtheit hin zu einer nächstadäquateren Bestimmtheit. Anfängliche Unterbestimmtheit und (notwendige) Vorläufigkeit ist jedoch etwas anderes als Falschheit und eine immanente Selbstkorrektur des Denkens ist, wie sich in der logischen Entwicklung zeigt, vereinbar mit einem schrittweisen Fortschreiten von allgemeineren und abstrakteren Bestimmungen, die an sich bereits wahr sind, zu konkreteren, vollständigeren und adäquateren Manifestationen und Entwicklungsstadien dieser Bestimmungen. 30 Falsche und unwahre Gedanken gibt es in der logischen Entwicklung, d. h. in der immanenten Selbstkonkretisierung des reinen Denkens, 28 29 30
GW, Bd. 12, 245. GW, Bd. 20, 230. In Hinblick auf das Verhältnis, in dem die anfängliche, unmittelbare Form einer logischen Bestimmung zu ihrer weiteren dialektischen Spezifizierung steht, d. h. zu ihrer nächsthöheren Wahrheit, sowie allgemein zu allen weiteren Resultaten der immanent an ihr anhebenden Entwicklung, verhält es sich also ähnlich wie grundsätzlich bei allen Beziehungen zwischen Allgemeinheit und Besonderheit. So ist es beispielsweise nicht falsch, den Menschen als Tier zu bestimmen, denn diese Bedeutung bleibt in seiner Wesensbestimmung als Animal rationale positiv bestehen. Gleichwohl ist seine Bestimmung als Tier jedoch unvollständig beziehungsweise das begriffliche Wesen des Menschen damit noch unterbestimmt, indem die spezifische Differenz der Vernünftigkeit beziehungsweise der Vernunftbegabtheit (animal rationabile), die ihn von anderen Tierarten abhebt, konstitutiv für sein Wesenswas ist. Das Besondere der reinen Denkbestimmungen ist dabei freilich, wie wir gesehen haben, dass diese im Unterschied zu anderen, etwa empirischen Begriffen solche Allgemeinheiten darstellen, die ihre Besonderheit sowie ihre Einzelheit in dem Sinne bereits in sich enthalten, dass sie eine über ihre ursprüngliche Bedeutung hinausgehende dialektisch-prozessuale Spezifizierung sowie eine wieder unmittelbare Einzelheit / Allge-
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somit schlechthin nicht, sondern was es gibt, sind noch vorläufige und noch zu abstrakte kategoriale Bedeutungsgehalte, die, da ihre Konkretisierung sich an ihnen selbst vollziehen muss, jedoch notwendige und konstitutive Momente der genetischen Selbsterfassung des Denkens darstellen. Von Falschheit kann in Bezug auf die logische Entwicklung somit eigentlich nur dann gesprochen werden, wenn der Logiker diese noch einseitigen und noch unterbestimmten Entwicklungsstadien des logischen Inhalts verabsolutiert, d. h. auf äußerliche Weise als den alleinigen und letztgültigen Begriff des Absoluten setzt, womit er, anstatt dem weiteren immanenten, spekulativ-dialektischen „Gang der Sache selbst“ 31 zu folgen, sozusagen das pars pro toto nimmt. 32 Die drei Momente des Logisch-Reellen (§§ 79–82 der Enzyklopädie) können nun als Manifestationen des metaphysischen, kritischen und spekulativ-idea-
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meinheit höherer Stufe allein aus sich heraus produzieren und damit sich auf immanente Weise, d. h. spekulativ, in sich konkretisieren. GW, Bd. 21, 38. Da die Denkbestimmungen, wie wir gesehen haben, den Grund ihrer synthetischen Weiterbestimmung und Konkretisierung vollständig in sich enthalten, enthält eine jede von ihnen auch den gesamten weiteren Entwicklungsverlauf des sich selbst denkenden Denkens sowie die Totalität des logischen Systems bereits in sich. Dies jedoch nicht schon in gänzlich explizierter Vollständigkeit, sondern jeweils in noch nicht vollständig entwickelter Form und als eine – je nach Denkbestimmung – mehr oder weniger realisierte spekulative Potentialität. Die logischen Bestimmungen enthalten das Ganze des logischen Systems, indem für eine jede von ihnen gilt, dass sie sich zu einem nächstkonkreteren Bedeutungsgehalt weiterbestimmen, und die so sich ausbildende Abfolge von genetisch auseinander entstehenden Bestimmungen schließlich den vollständigen Begriff ihrer strukturellen Gesetzmäßigkeit in stringent abgeleiteter und durchgängig begründeter Form gewinnt. Die logischen Bestimmungen sind, anders formuliert, wesentlich Stadien des immanenten Gestaltungs- und Selbstbildungsprozesses des sich selbst denkenden Denkens und damit Momente der absoluten Subjektivität. Sie enthalten das Ganze des logischen Systems nicht in dem Sinne, dass dessen Totalität in einer jeden von ihnen bereits vollständig realisiert ist, sondern indem dieses Ganze sich im schrittweisen Durchlaufen der einzelnen kategorialen Bedeutungsgehalte prozessual selbst vervollständigt und in autonomer Selbstbestimmung genetisch ausbildet. Das Wahre ist also nur das Ganze des logischen Entwicklungsprozesses, dessen Teile, d. h. die Bestimmungen des reinen Denkens, zwar den Grund des weiteren Entwicklungsgangs jeweils vollständig (analytisch) in sich enthalten, dabei jedoch nur Momente dieser Totalität darstellen. Jedes Teil dieses prozessualen Ganzen ist für sich betrachtet nur wahr, insofern es sich immanent zu einer nächstkonkreteren Bedeutung weiterbestimmt und sich somit als ein Glied in das logische System einfügt, dem sein genetisches Werden im Durchlaufen dieser Glieder wesentlich ist. Der hier besprochene Fehler, der in der Logik zu falschen Resultaten führt, wird demnach dann begangen, wenn eine einzelne Denkbestimmung in ihrer noch unentwickelten Form, in welcher sie nur ein Entwicklungsstadium des Ganzen darstellt, als das vollständige Absolute betrachtet und folglich, ohne die weiteren Resultate zu berücksichtigen, die sich eigentlich mit spekulativdialektischer Notwendigkeit aus ihr ergeben, bereits als die Wahrheit und die Vollendung des logischen Systems gesetzt wird.
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Hegels spekulative Logik als Selbsterkenntnis und Selbstkritik des Absoluten
listischen Denkens innerhalb der Gesamtstruktur der dialektisch-spekulativen Methode aufgefasst werden. So wird eine reine Denkbestimmung erstens durch den Verstand und mit metaphysischem Geltungsanspruch als „für sich bestehend und seyend“ 33 gesetzt. Hegel bezeichnet demgemäß die „vormalige Metaphysik, wie sie vor der Kantischen Philosophie bei uns beschaffen war“ 34, als „die bloße VerstandesAnsicht der Vernunft-Gegenstände“. 35 Der Umstand, dass die in sich negative Struktur der abstrakt-allgemeinen Bestimmung sich als eine reflexive Negativität erweist, macht zweitens für sich genommen zunächst die skeptische Selbstwiderlegung dieser Bestimmung und die kritische Restriktion des metaphysischen Geltungsanspruchs ihrer Definition aus. Das Resultat der definierenden, verständigen Fassung einer Denkbestimmung in der Form der Einfachheit und Unmittelbarkeit ist ihre Einteilung in den ihr zugehörigen, inhaltlich spezifisch bestimmten dialektischen Prozess. Dieser dialektische Prozess ist das in sich widersprüchliche Verhältnis, in dem diese Bestimmung zu der ihr spezifisch entgegengesetzten Bestimmung steht. Die Dialektik besteht somit in der prozessualen Einheit von Identität und Entgegensetzung der ursprünglichen Verstandesbestimmung und derjenigen Bestimmung, die sie allein aufgrund der ihr inhärierenden reflexiven Negativität an sich selbst hervorgebracht hat. Diese selbstbezügliche Einteilung, d. h. das Hervortreten des Widerspruchs und der Dialektik an einer Denkbestimmung, ist somit das Resultat ihrer abstrakt-verständigen Definition. Dementsprechend bemerkt Hegel im Rahmen der Ausführungen zur Idee des Erkennens, dass die „Selbstständigkeit des Begriffes [. . .] dem Sinne der Definition zuwider“ 36 sei. Die reinen logischen Denkbestimmungen erweisen sich im Versuch, sie abstrakt-verständig zu definieren, ihrer Form nach als kategoriale Allgemeinbegriffe, die sich in sich selbst einteilen und besondern. Dieses dialektische Moment der spekulativen Entwicklung, das, so Hegel, „insbesondere in wissenschaftlichen Begriffen aufgezeigt den Skepticismus aus[macht]“ 37, ist demnach die Selbstnegation der Verstandesbestimmungen im Sinne einer Selbstwiderlegung ihrer nur gemeinten Einfachheit, Unmittelbarkeit und Abstraktheit. 38 Das Dialektische ist in diesem Sinne 33 34 35 36 37 38
GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 20, 70. GW, Bd. 20, 70. GW, Bd. 12, 214. GW, Bd. 20, 119. Der dialektische Fortgang, der damit einsetzt, dass die Form der Unmittelbarkeit und der noch nicht entfalteten Einfachheit, in der eine Denkbestimmung im Anfang ihrer spekulativen Entwicklung zunächst thematisch ist, sich auf immanente Weise als mangelhaft erweist und selbst widerlegt, kann zunächst als eine Selbstwiderlegung auch der intellektuellen An-
Hegel-Studien
Die Erkenntnis des Absoluten ist seine spekulativ-dialektische Selbstkritik
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Ausdruck eines sich wissenden Skeptizismus, da die dialektische Bereicherung des ursprünglichen Bedeutungsgehalts der Denkbestimmungen, die gerade in dessen Selbstwiderlegung begründet liegt, positiv in diesen ursprünglichen Bedeutungsgehalt inkorporiert wird. Die dialektische Widerlegung ist zudem von der Natur eines sich selbst vollbringenden Skeptizismus, da die Totalität der Bedingungen ihrer Prozessualität allein im anfänglichen abstrakt-unmittelbaren Begriff der Denkbestimmungen und seiner immanenten reflexiv-negativen Struktur selbst liegt. Skeptische Negation sowie Dialektik, Widerspruch und Antinomie haben demnach für die reinen Denkbestimmungen der Logik ein positives Resultat, da sie sich – ohne eine äußerliche Applikation von meschauung – in ihrer hier dargelegten Bedeutung als Moment der spekulativ-dialektischen Methode – charakterisiert werden. Jedoch sind dabei zwei Aspekte zu berücksichtigen. Zum einen ist es ein wesentliches Resultat der anfänglichen unmittelbaren Erfassung der Bestimmungen des reinen Denkens, dass jeglicher weitere, von ihr ausgehende Verlauf der logischen Entwicklung eine rein begriffsimmanent sich vollziehende Bedeutungskonkretisierung darstellt. Indem also das anfängliche Erfassen der logischen Bestimmungen in der Form unmittelbarer Bedeutungseinheiten garantiert, dass jedweder synthetische Fortgang sich in Vereinigung mit einer rein analytischen Begründung dieses Fortgehens vollzieht, greift auch der Anschauungscharakter der logischen Anfänge – wenngleich in transformierter Gestalt – auf den dialektischen Fortgang der Entwicklung über. Die durchgängige Begriffsimmanenz der autonomen, sowohl synthetisch als auch analytisch verfahrenden Weiterbestimmung und sich selbst begründenden Konkretisierung des logischen Inhalts, die durch die Unmittelbarkeit und Voraussetzungslosigkeit des Anfangs gesichert wird, resultiert also darin, dass auch der diskursive Fortgang der Entwicklung den Charakter einer in sich differenzierten Bedeutungstotalität erhält, deren konkreter Gehalt für ein nicht zeitlich verfasstes Denken intuitiv zu erfassen, mithin einheitlich anzuschauen wäre. Vgl. hierzu GW, Bd. 20, 228 f.: „Für sich ist die absolute Idee, weil kein Uebergehen noch Voraussetzen und überhaupt keine Bestimmtheit, welche nicht flüssig und durchsichtig wäre, in ihr ist, die reine Form des Begriffs, die ihren Inhalt als sich selbst anschaut.“ Zum anderen wird das Moment des intellektuellen Anschauens – im Sinne der Form des logischen Anfangs – zwar mit dem Einsetzen des dialektischen Fortgangs zunächst negiert, jedoch stellt sich, wie wir gesehen haben, diese Form begrifflicher Einfachheit und Unmittelbarkeit im Ende einer jeden Stufe der logischen Entwicklung an dem gegenüber ihrem Anfang bereicherten Bedeutungsgehalt der dialektischen Vermittlung wieder her. Die Dialektik als das zweite Moment eines spekulativ-dialektischen Entwicklungsprozesses ist also durchaus die Negation des intellektuellen Anschauens, insofern dieses zunächst der gedanklichen Erfassung der logischen Bestimmungen in der Form unmittelbarer Bedeutungseinheiten entspricht. Dabei ist es aber gerade dieses unmittelbare Erfassen der Denkbestimmungen, das allererst den Raum für ihre streng immanente Weiterbestimmung eröffnet und gewährleistet, dass das synthetische, bedeutungserweiternde Fortgehen des Entwicklungsgangs durchgehend im Medium seines einen begrifflichen Inhalts bleibt. Dies hat zur Folge, dass die Form anfänglicher Unmittelbarkeit sowie auch die ihr entsprechende Form der intellektuellen Anschauung sich am Ende einer jeden Entwicklungsstufe an der in sich ruhenden Struktur der dialektisch-prozessualen Selbstvermittlung des logischen Inhalts wiederherstellt und die produktive Prozessualität der spekulativen Dialektik damit an einer nächstkonkreteren Bedeutungseinheit auf Neue beginnen lässt.
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Hegels spekulative Logik als Selbsterkenntnis und Selbstkritik des Absoluten
thodischen Schritten, die nicht bereits als immanente Formbestimmungen im logischen Inhalt selbst liegen, – unmittelbar an diesen reinen Denkbestimmungen selbst vollziehen und darstellen. Die skeptische Negation ist, mit anderen Worten, in Hinblick auf die logischen Bestimmungen wesentlich deren begriffliche Selbstnegation und die Dialektik daher weder etwas Zufälliges 39 oder dem Inhalt Äußerliches noch nur ein „subjectives Schaukelsystem“ 40. Vielmehr ist die reflexive Negativität, die den Anfang der dialektischen Entwicklung begründet, der „innerste Quell aller Thätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung“ 41 und die Dialektik daher nur Ausdruck der inneren Widersprüchlichkeit der Denkbestimmungen und ihrer antinomischen Natur. Drittens begründet die durchgängige Übereinstimmung der immanenten dialektischen Selbstaufhebung mit sich selbst schließlich die Inkorporation der dialektisch generierten Bedeutungserweiterung in den ursprünglichen noematischen Gehalt der anfänglichen, sich selbst negierenden Bestimmung. Diese wird folglich – in transformierter und bereicherter Gestalt – durch „das Denken als Verstand“ 42 gerechtfertigter Weise erneut als „für sich bestehend und seyend“ 43, mithin mit metaphysischem Geltungsanspruch gesetzt und stellt somit die neue, mittels skeptischer Prüfung korrigierte Definition des Absoluten dar. Die dialektische Selbstnegation der Verstandesbestimmungen korrigiert also den an sich selbst scheiternden Geltungsanspruch des metaphysischen Verstandesdenkens, indem die Stabilität des so entstehenden dialektischen Prozesses als die neue, an den einander entgegengesetzten Verstandesbestimmungen immanent hervorgegangene Bestimmung des Seins beziehungsweise des Absoluten deduziert wird. Im Fortgang der spekulativen Entwicklung wird der noematische Bedeutungsgehalt der ursprünglichen Verstandesbestimmung daher erweitert und bereichert, indem die spezifische Differenz zu der nächst komplexeren Bestimmung durch die dialektische Selbstnegation des verständigen Anfangs an diesem selbst gesetzt wird. Die Positivität des spekulativen Denkens besteht somit darin, in der dialektisch sich hervorbringenden Negativität nicht ein Anderes der anfänglichen Bestimmung zu sehen, sondern eine komplexere Form derselben. In diesem Sinne ist die Vernunft positiv 39 40
41 42 43
Vgl. GW, Bd. 12, 242. GW, Bd. 20, 119. Zu Hegels wiederholter Kritik an einer auf diese Weise falsch verstandenen Dialektik vgl. etwa die folgende Passage aus der Einleitung zur Wissenschaft der Logik: „Gewöhnlich sieht man die Dialektik für ein äußerliches und negatives Thun an, das nicht der Sache selbst angehöre, in bloßer Eitelkeit als einer subjectiven Sucht, sich das Feste und Wahre in Schwanken zu setzen und aufzulösen, seinen Grund habe oder wenigstens zu Nichts führe, als zur Eitelkeit des dialektisch behandelten Gegenstandes.“ (GW, Bd. 21, 40.) GW, Bd. 12, 246. GW, Bd. 20, 118. GW, Bd. 20, 118.
Hegel-Studien
Die Selbsterkenntnis des Absoluten als das Wesen der Philosophiegeschichte
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oder spekulativ, „weil sie das Allgemeine erzeugt, und das Besondere darin begreift“. 44 Das „Speculative oder Positiv-Vernünftige“ 45 hebt demnach aktiv „das Affirmative“ 46 hervor, das in der immanenten dialektischen Selbstnegation der Verstandesbestimmungen und ihrer daraus resultierenden prozessualen Entgegensetzung enthalten ist. Das Spekulative, das, so Hegel, „in dem Fassen des [dialektisch] Entgegengesetzten in seiner Einheit, oder des Positiven im Negativen, besteht“ 47, ist demnach als die höhere – und selbst spekulative – Einheit des ersten und des zweiten Moments der Methode zu begreifen. 4.3 Die Selbsterkenntnis des Absoluten als das Wesen der Philosophiegeschichte Metaphysisches und kritisches Denken sind in Hegels spekulativer Dialektik also zwar durchaus positiv enthalten und bewahrt, aber nur als Momente der übergeordneten Gesamtstruktur der dialektisch-spekulativen Methode. Werden sie hingegen selbst gemäß dem ersten Moment des Logisch-Reellen verständig als für sich bestehende Ontologietypen betrachtet, so erscheinen Metaphysik und kritische Philosophie in derjenigen Differenz, in der sie in der zeitlichen Entwicklung der Menschheits- und Geistesgeschichte als historische Stellungen des Gedankens zur Objektivität 48 aufgetreten sind. Die internen Mängel dieser Weisen, sich theoriebildend auf das Seiende als solches zu beziehen, begründen dabei für Hegel von sich aus und an diesen Ontologietypen selbst, d. h. dialektisch, den weiteren Fortgang ihrer historischen Entwicklung, die, so der systematische Gedanke, als Ganzes letztendlich auf die Selbstreflexion ihrer sich selbst bildenden Prozessualität, d. h. auf das spekulative Denken, teleologisch ausgerichtet ist. 49 Im spekulativen Denken 44 45 46 47 48
49
GW, Bd. 21, 8. GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 20, 120. GW, Bd. 21, 40. Vgl. GW, Bd. 20, 69–118. Dass die entwicklungsgeschichtlichen Wurzeln der Kantischen Transzendentalphilosophie dabei nicht nur in der Philosophie der Neuzeit seit Descartes liegen, sondern die unmittelbaren Gründe ihrer Entstehung – vermittelt über die LeibnizWolff 'sche Metaphysik – bis in das Mittelalter, insbesondere zu Johannes Duns Scotus, nachzuverfolgen sind, dies zeigen die ausführlichen Studien von Honnefelder zu dieser Thematik. Vgl. hierzu etwa L. Honnefelder: Scientia transcendens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit (Duns Scotus – Suárez – Wolff – Kant – Pierce). Hamburg 1990, insb. 403–486. Bezüglich einer prägnanten Darlegung von Hegels Kritik am transzendentalen Idealismus vgl. die Ausführungen von M. Gabriel: „What Kind of an Idealist (if any) is Hegel?“, in: Hegel-Bulletin 27/2 (2016), 181–208, insb. 191–195.
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Hegels spekulative Logik als Selbsterkenntnis und Selbstkritik des Absoluten
sind sowohl die Metaphysik als auch die kritische Philosophie in ihrem jeweiligen metaphysischen Geltungsanspruch, der somit selbst zu einem nur historischen Phänomen depotenziert wird, überwunden. Zugleich stellen metaphysisches und kritisches Denken sowie der absolute Geltungsanspruch, mit dem sie historisch aufgetreten sind und der sich dialektisch an ihnen selbst aufgehoben hat, notwendig zu durchlaufende Positionen dar, welche, wie die Hegelsche Philosophie selbst berücksichtigt und in sich begreift, die historisch-genetische Grundlage des spekulativen Denkens und seines teleologisch organisierten geschichtlichen Werdens ausmachen. Gerade dies spiegelt sich in der zuvor betrachteten Struktur der dialektisch-spekulativen Methode und in dem genetischen Verhältnis wider, in dem die drei Momente des LogischReellen zueinander stehen. Die spekulative Dialektik ist das den Denkbestimmungen inhärierende Formprinzip, seine ihm unmittelbar inhärierende „Seele und Substanz“ 50, deren gestaltende Tätigkeit und Produktivität die anfängliche Einfachheit und Unmittelbarkeit der Bestimmungen als eine Vorläufigkeit des bloßen Verstandesdenkens enttarnt. Dass die Methode es jedoch zugleich an sich selbst verlangt, dass der Anfang in dieser (verständigen) Form gemacht wird, zeigt bereits an, dass das abstrakte Verstandesdenken im spekulativen Denken nicht bloß negiert, sondern zugleich als ein konstitutives Moment in ihm aufgehoben ist. In diesem Sinne ist auch das vernünftige Erkennen für Hegel nicht einfach das jenseitige Andere des verständigen Denkens, sondern „in ihrer Wahrheit ist die Vernunft Geist, der höher als beydes, verständige Vernunft, oder vernünftiger Verstand ist“. 51 Das spekulative beziehungsweise positiv-vernünftige Denken, welches darin besteht, das Positive in der inneren, durchgängig mit sich selbst übereinstimmenden Negativität einer noematischen Bestimmung festzuhalten und aktiv herauszuheben, ist nichts anderes als die höhere, selbst spekulative Einheit von metaphysischem Verstandesdenken einerseits und dessen immanenter und wesentlich prozessualer kritischer Selbstrestriktion andererseits. So bemerkt Hegel etwa in Bezug auf die vorkantische Metaphysik folgerichtig, sie sei „nur in Beziehung auf die Geschichte der Philosophie etwas vormaliges; für sich ist sie überhaupt immer vorhanden, die bloße Verstandes-Ansicht der Vernunft-Gegenstände“. 52 Der dogmatische Realismus des vorneuzeitlichen metaphysischen Denkens bleibt für Hegel in diesem Sinne unvollständig und vorläufig, da er seine Inhalte abstrakt-verständig als „für sich bestehend und seyend“ 53 setzt, ohne über diese Setzung hinauszugehen und die dialektische Selbstnegation seiner (kategoria50 51 52 53
GW, Bd. 12, 238. GW, Bd. 21, 8. GW, Bd. 20, 70. GW, Bd. 20, 118.
Hegel-Studien
Die Selbsterkenntnis des Absoluten als das Wesen der Philosophiegeschichte
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len) metaphysischen Grundbegriffe als notwendiges Resultat dieser Setzung und ihrer immanenten negativen Struktur erkannt zu haben. 54 Wo die Dialektik im vorkritischen Denken auftritt, wie etwa bei dem Eleaten Zenon oder bei Platon, haben sie und der begriffsimmanente Widerspruch, dessen Darstellung sie ist, für Hegel daher immer nur negative, nie aber positive Bedeutung. 55 In der kritischen Philosophie Kants tritt die Dialektik schließlich in transformierter Gestalt als Ausdruck des Widerstreits der Vernunft mit sich selbst auf. Da die drei Gegenstandsbereiche der traditionellen speziellen Metaphysik – Seele, Welt und Gott – sich als notwendige transzendentale Prinzipien erweisen und dennoch für den menschlichen Verstand unerkennbar bleiben, da in der empirischen Anschauung kein ihnen entsprechender Gegenstand angetroffen werden kann, verstrickt sich die Vernunft sowohl notwendigerweise als auch unverschuldet in einen dialektischen Widerstreit. In den aus diesem Widerstreit resultierenden Paralogismen der reinen Vernunft entfaltet die kritische Erkenntnisrestriktion sodann auch in den höchsten Seinsbereichen ihre antinomische Wirkung. Der menschliche diskursive Verstand, so der Gedanke Kants, bleibt bei aller Spontaneität in seinen Synthesisleistungen doch immer notwendig auf das empirisch und unmittelbar gegebene Anschauungsmannigfaltige als den zu synthetisierenden Stoff, mithin die materiale Bedingung von Erkenntnis, angewiesen. Erkenntnis, mit anderen Worten, bleibt in der kritischen Philosophie Erkenntnis von Erscheinungen, nicht von den Dingen an sich. 56 Daran nimmt Hegel – wie alle nachkantischen Idealisten – Anstoß. 54
55
56
Nicht nur in historischer Perspektive, sondern ebenso in prinzipiell-allgemeiner Hinsicht ist das Verbleiben auf dem Standpunkt des endlichen Verstandesdenkens das Prinzip falscher Gedanken, denn das einseitige Fixieren nur abstrakter Begriffe vermag es nicht, deren wahre dialektische und sich selbst bewegende Natur aufzufassen und darzustellen. Vgl. hierzu etwa R. Schäfer: „Das holistisch-systematische Wahrheitskonzept im deutschen Idealismus“. In: Die Geschichte des philosophischen Begriffs der Wahrheit. Berlin / New York 2006, 251–273 und insbesondere 269: „[. . .] falsch ist ein Gedanke dann, wenn er in nur einseitiger, abstrakter Weise bei sich selbst stehenbleibt und sich zu fixieren versucht. Ein solcher einseitiger, falscher Gedanke hebt sich nicht in dem dialektischen Fluß des über Einseitigkeiten Hinaustreibens auf und ist dann nur in defizienter Weise ein Gedanke, nicht im eigentliche Sinne.“ Vgl. hierzu GW, Bd. 12, 243 und 245. In Bezug auf skeptische, eleatische und platonische Dialektikkonzeptionen der Antike bemerkt Hegel kritisch: „Das Grundvorurtheil hiebey ist, daß die Dialektik nur ein negatives Resultat habe [. . .].“ Wenig später wird er in der Darlegung seiner eigenen spekulativen Dialektik erneut – und korrigierend – an dieses entscheidende Defizit vorangegangenen dialektischen Denkens anknüpfen: „Das Positive in seinem Negativen, den Inhalt der Voraussetzung im Resultate festzuhalten, diß ist das Wichtigste im vernünftigen Erkennen; [. . .].“ In der Vorrede zur ersten Auflage der Wissenschaft der Logik von 1812 äußert sich Hegel polemisch zum Kantischen Prinzip der kritischen Erkenntnisrestriktion und ihren (metaphysikkritischen) Konsequenzen für die spezielle Metaphysik. Vgl. hierzu GW, Bd. 21, 5: „Die exoterische Lehre der Kantischen Philosophie, – daß der Verstand die Erfahrung nicht
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Hegels spekulative Logik als Selbsterkenntnis und Selbstkritik des Absoluten
Auch das metaphysikkritische Denken Kants, so wiederum die Hegelsche Kritik, bleibt unvollständig und vorläufig, da es die dialektische, antinomisch in sich scheinende Struktur seiner selbstreflexiven Prämissenanalyse und der sich daraus ergebenden apriorischen Bestimmungen nicht positiv zum produktiven methodischen Prinzip einer durchgängigen und systematischen Selbstexplikation erhebt. Für Hegel mangelt es der kritischen Philosophie also an einem Akt der absoluten Synthesis, im Rahmen derer die kategorialen Bestimmungen der denkenden Spontaneität genetisch auseinander deduziert werden. Darin sieht Hegel den entscheidenden Irrtum der Kantischen Philosophie begründet, der für ihn darin besteht, dass das Prinzip der Erkenntnisrestriktion – sozusagen im Zuge einer ungerechtfertigten Verabsolutierung – auch für den Bereich der apriorischen Selbstexplikation der Vernunft als gültig erachtet wird. Da die reine Vernunft für Kant nicht schon von sich aus, d. h. auch ohne einen Rückbezug auf sinnliche Anschauung, einen zureichenden Grund für Erkenntnis in sich enthält, bleibt das in der diskursiven Synthesis konstituierte Objekt materialiter stets kontingent bestimmt. Zwischen formalen und materialen Bestimmungen des Objekts herrscht in aller endlichen Synthesis somit immer eine Differenz, die verhindert, dass das Denken sich vom Denken eines Objekts zur durchgängigen Ineinsbildung aller formalen sowie materialen Bedingungen der Synthesis und damit zur ideellen Struktur des Denkens des Denkens erhebt. Hegel spricht in diesem Kontext von einer „Angst vor dem Object“ 57, die seiner Ansicht nach im kritischen Denken sowie im subjektiven Idealismus der nachkantischen Zeit herrscht. Unter Abstraktion von aller empirischen Grundlage, d. h. im Rahmen eines rein apriorischen Denkvollzugs, so die Sorge der Transzendentalphilosophie, könne keine gesicherte Erkenntnis möglich sein. Dementsprechend sei auch vor einem vollständigen Übergreifen des Allgemeinen, d. h. der subjektiven Denkbestimmungen, über das Einzelne furchtsam zurückzuschrecken. Nur so könne verhindert werden, dass sich das Denken über die Grenzen möglicher und gerechtfertigter Erkenntnis hinaus erhöht und das Subjekt – wie ein Geisterseher, der in dogmatischem Schlummer „Hirngespinnste“ 58 erträumt, – sich in den Fallstricken metaphysischer Theoriebildung verfängt. Gerade in Kants Theorie der spontanen, diskursiven Synthesis 59 bleibt für Hegel daher „der sinnliche Stoff, das Mannichfaltige der
57 58 59
überfliegen dürfe, sonst werde das Erkenntnißvermögen theoretische Vernunft, welche für sich nichts als Hirngespinste gebähre, hat es von der wissenschaftlichen Seite gerechtfertigt, dem speculativen Denken zu entsagen.“ GW, Bd. 21, 35. GW, Bd. 21, 5. Vgl. hierzu K. Düsing: „Spontane, diskursive Synthesis. Kants neue Theorie des Denkens in der kritischen Philosophie“. In: Metaphysik und Metaphysikkritik. Festschrift für Manfred Baum zum 65. Geburtstag. Berlin und New York 2004, 83–107.
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Anschauung [. . .] zu mächtig, um davon weg zur Betrachtung des Begriffs und der Kategorien an und für sich, und zu einem speculativen Philosophiren kommen zu können“. 60 Die Spontaneität des Subjekts flieht also in diesem Sinne vor dem Objekt 61, wenn sie davor zurückschreckt, sich im Rahmen einer absoluten Deduktion selbst zu objektivieren, dabei jedoch nicht Anderes, sondern nur sich selbst ihrem eigenen Begriff als zu synthetisierendes Material zu unterwerfen. Der apollinische Gedanke des Nosce te ipsum, der auch für die Transzendentalphilosophie von fundamentaler Bedeutung ist, manifestiert sich somit im kritischen Denken in Gestalt einer Selbsterkenntnis, die sich wesentlich im Rahmen eines empirisch gesicherten Weltbezugs, mithin im Horizont einer Welt der Erscheinungen vollzieht. 62 Dabei bringt sich die spontane Synthesis aus Hegelscher Perspektive jedoch auch selbst zu viel Zärtlichkeit entgegen, wenn sie – widerspruchsfrei – stets nur eine von ihr unterschiedene Materie zu einer durch die Kategorien formal geregelten Einheit verknüpft. 63 Wird eine vollständige Ineinsbildung des Denkenden und des Gedachten, wie Hegel sie mit seinem Ideenbegriff ins Auge fasst, nicht geleistet, dann, so der Gedanke, bleibt auch die Differenz von Subjekt und Objekt endgültig und die transzendentalen beziehungsweise subjektiven Idealismen unweigerlich „mit dem Objecte, das sie flohen, behaftet“ 64. Solange die „logischen Bestimmungen“ 65, d. h. die „Denkbestimmungen oder Verstandesbegriffe“ 66, nur die 60 61 62
63
64 65 66
GW, Bd. 12, 27. Vgl. GW, Bd. 21, 35. Dabei ist zu bedenken, dass der Keim einer apriorischen Ineinsbildung aller formalen sowie materialen Bedingungen der Synthesis auch im kritischen Denken selbst bereits durchaus angelegt ist. Der interne Widerstreit der Vernunft besteht, worauf zuvor bereits hingewiesen worden ist, gerade darin, dass auch das kritisch restringierte Denken, obgleich mit Erfahrung beginnend, schon allein aus sich heraus und aufgrund seiner autonomen und synthetischen Spontaneität über die Grenzen des Erfahrbaren hinausweist. So wird in der Kantischen Philosophie mit dem Ideal der reinen Vernunft eine auch materialiter durchgängig mit sich übereinstimmende Omnitudo realitatis und damit in der Tat ein transzendentaler Begriff des Absoluten deduziert, dem, wenn er auch nicht ein Gegenstand möglicher Erkenntnis ist, dennoch innerhalb der kritischen Philosophie die grundlegende Funktion eines einheitsstiftenden Prinzips zukommt. Vgl. hierzu GW, Bd. 12, 204 f.: „Indem Kant die tiefe Bemerkung von synthetischen Grundsätzen à priori aufgestellt und als deren Wurzel die Einheit des Selbstbewußtseyns, also die Identität des Begriffes mit sich, erkannt hat, nimmt er doch den bestimmten Zusammenhang, die Verhältnißbegriffe und synthetischen Grundsätze selbst, von der formalen Logik als gegeben auf; die Deduction derselben hätte die Darstellung des Uebergangs jener einfachen Einheit des Selbstbewußtseyns in diese ihre Bestimmungen und Unterschiede seyn müssen; aber die Aufzeigung dieses wahrhaft synthetischen Fortgehens, des sich selbst producirenden Begriffs, hat Kant sich erspart zu leisten.“ GW, Bd. 21, 35. GW, Bd. 21, 35. GW, Bd. 20, 78.
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Hegels spekulative Logik als Selbsterkenntnis und Selbstkritik des Absoluten
„Objectivität der Erfahrungs-Erkenntnisse“ 67 verbürgen – wobei hier die Betonung auf Erfahrungs-Erkenntnisse liegt –, jedoch nicht im Rahmen einer ideellen Selbstexplikation eigens genetisch entwickelt werden, bleibt, so Hegel, „ein Ding-an-sich, ein unendlicher Anstoß, [. . .] als ein Jenseits an ihnen übrig“. 68 Die kritische Philosophie gibt den Kategorien somit „eine wesentlich subjective Bedeutung“ 69, indem sie der Spontaneität des Subjekts nur dann eine Aussicht auf Erkenntnis einräumt, wenn im Rahmen der synthetischen Objektkonstitution, welche die Kategorien schließlich nur in formaler Hinsicht regeln, noch ein rezeptiv aufgenommenes Material äußerlich hinzutritt. Die letzte Konsequenz dieses „ängstlichen, unvollendeten Standpunkt[s]“ 70 der Kantischen Metaphysikkritik ist für Hegel bekanntlich, dass er „das sonderbare Schauspiel“ 71 herbeiführt, „ein gebildetes Volk ohne Metaphysik zu sehen; – wie einen sonst mannigfaltig ausgeschmückten Tempel ohne Allerheiligstes“. 72 Ein metaphysisches Absolutes in das aufgeklärte kritische Denken zu reintegrieren, ohne aber hinter dessen Errungenschaften zurückzufallen und sich wieder in die Naivität eines bloßen Dogmatismus zu verlieren, dies ist das Kernprogramm der Hegelschen Philosophie. 73 Das Allerheiligste soll daher aber auch nicht einfach wieder von außen in den Tempel zurückgetragen werden. Vielmehr ist zu zeigen, dass es im kritischen Denken von vornherein nur verborgen liegt und sich sogar hatte verbergen müssen, um sodann in reiferer, entwickelter Gestalt einen adäquateren Platz in den Hallen einnehmen zu können, denen die Kantische Philosophie – ohne der Schönheit der Ausschmückung einen Abbruch getan zu haben – nunmehr ein ungleich stabileres Fundament bereitet hat.
67 68 69 70 71 72 73
GW, Bd. 20, 78. GW, Bd. 21, 35. GW, Bd. 21, 35. GW, Bd. 21, 35. GW, Bd. 21, 6. GW, Bd. 21, 6. Vgl. hierzu die Ausführungen von W. Goris: Transzendentale Einheit. Leiden / Boston 2015, 487–499, insb. 494: „Selbstverständlich kehrt Hegel, wie sich am Vorbegriff der Logik in der Enzyklopädie aufzeigen lässt, in der Kant-Kritik nicht einfach zur vormaligen Metaphysik zurück. Kants Kritik der Metaphysik greife nicht tief genug, sie bleibe dem Standpunkt der endlichen Subjektivität verhaftet und versage am Ding an sich.“
Hegel-Studien
Resümee Hegels logischer Konkretismus
I
m Rahmen der vorliegenden Untersuchung konnte gezeigt werden, dass Hegel mit der Wissenschaft der Logik (1812–1831) eine Logikkonzeption entwirft, deren spezifischer Charakter sich aus dem besonderen Verhältnis herleitet, in dem logische Methode und logischer Inhalt zueinander stehen. Im Grunde scheint es für einen jeden Denkakt zwei mögliche Gegenstandsbereiche zu geben: Entweder kann das Denken sich auf etwas beziehen, dass ihm gegenüber heterogen ist, oder aber es bezieht sich auf sich selbst. So kann beispielsweise zwischen empirischen und rein intellektuellen Erkenntnissen, die bei Kant synthetische Urteile a priori heißen, unterschieden werden. Allerdings stellt sich hier bei näherem Hinsehen rasch die Notwendigkeit einer differenzierteren Behandlung des Unterschieds erfahrungsbezogener und apriorischer Erkenntnis ein. Wenn auch Kant den Rückbezug auf Empirie, das Gegebensein einer sinnlichen Anschauung zu einem Begriff als notwendige Bedingung und Grundlage für gerechtfertigte Erkenntnis ansieht, so entwickelt er bekanntlich dennoch eine elaborierte Theorie des sich selbst denkenden Denkens. 1 Es ist gerade das Wesen der Kantischen Transzendentalphilosophie, dass sie ein Denken des Denkens darstellt, das sich vor dem Hintergrund der kritischen Wende als eine Analyse der Bedingungen der Möglichkeit des Denkens als des theoretischen sowie praktisch-normativen empirischen Seinsbezugs versteht. So ist dann etwa auch nicht nur die transzendentale Logik, sondern ebenso die transzendentale Ästhetik, in der die apriorischen Formbestimmungen sinnlicher Anschauung, d. h. Raum und Zeit, deduziert werden, Bestandteil dieser Form des sich selbst denkenden Denkens und die Vereinigung von Logik und Ästhetik stellt den Kern von Kategoriendeduktion und Schematismus dar. 2 Aber auch in Hinblick auf etwa Hegels spekulative Logik muss bedacht werden, dass die „reinen Wesenheiten“ 3 und „reinen Ge-
1
2
3
Vgl. zu dieser Thematik ausführlich die Studie von C. Bickmann: Differenz oder das Denken des Denkens: Topologie der Einheitsorte im Verhältnis von Denken und Sein im Horizont der Transzendentalphilosophie Kants. Hamburg 1996. Vgl. hierzu die Ausführungen von R. Schäfer: „Die Zeit der Einbildungskraft – Die Rolle des Schematismus in Kants Erkenntnistheorie“, in: Kant-Studien (Band 110, Heft 3). Berlin / Boston 2019, 437–462. GW, Bd. 21, 8.
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Resümee: Hegels logischer Konkretismus
danken“ 4, die ihren Inhalt ausmachen, hier eben zunächst nur „im Element des frey für sich seyenden Denkens“ 5 gehalten sind. Die Idee, d. h. das sich selbst explizierende und sich in die unterscheidbaren Strukturbestimmungen seiner selbst entfaltende Denken, ist hier, wie Hegel bemerkt, „noch logisch, sie ist in den reinen Gedanken eingeschlossen“ 6. Dies heißt jedoch nicht, dass die Logik eine rein abstrakte Formenwissenschaft wäre. Das Wesentliche der logischen Entwicklung, der allgemeinen Struktur ihrer Verfahrensweise, ist, wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, dass der logische Inhalt seine unmittelbaren Entwicklungsstadien, denen Hegel „den Sinn und die Form abstracter Allgemeinheit“ 7 zuschreibt, im Zuge eines immanenten, d. h. rein analytisch begründeten, und dennoch auch synthetisch-produktiven Werdensprozesses überwindet. Diese immanente Überwindung der Form anfänglicher und unmittelbarer Bedeutungseinheit vollzieht sich auf einer jeden Stufe der logischen Entwicklung mit dem Einsetzen des Entwicklungsstadiums des Fortgangs, dessen Struktur die Dialektik ist. Indem die hier dialektisch miteinander vermittelten Relata, d. h. der begriffliche Gehalt des Anfangs und sein spezifisches begriffliches Gegenteil, sich in ihrer immanenten Transformation zueinander zugleich jeweils zur Einheit mit ihrem Entgegengesetzten und damit zu einer bereicherten und spezifischeren Ausprägung ihrer Ursprungsbedeutung vervollständigen, führt der dialektische Fortgang seinen gegenüber dem Anfang reicheren und prozessual ausgedehnten Bedeutungsgehalt in einem zweiten Schritt zu einer ihrer Form nach wieder unmittelbaren, dem Inhalt nach jedoch konkreteren Bedeutungseinheit zurück. Dieses spekulative Resultat stellt als solches sodann das nächsthöherstufigere unmittelbare Entwicklungsstadium des logischen Inhalts dar, an welchem als einem nächstkonkreteren Ausgangspunkt die allgemeine Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung sich erneut reproduziert. Die Selbstbewegung und das autonom begründete Weiterbestimmen des logischen Inhalts und seines Bedeutungsgehalts ist in diesem Sinne logischer Konkretismus. Das Wesen der logischen Entwicklung besteht gerade in der schrittweisen, aber durchgängigen Bereicherung und Konkretisierung des logischen Inhalts. Obgleich der eine Inhalt sich im Zuge dieses Prozesses, d. h. mit dem Ende einer jeden Entwicklungsstufe, immer wieder in eine solche Form zurückführt, die einer unmittelbaren Bedeutungseinheit entspricht und damit abstrakt genannt werden kann, insofern mit ihr zugleich von jeglicher Spezifizierung dieser einfachen Bedeutung wesentlich abgesehen wird, ist diese 4 5 6 7
GW, Bd. 21, 8 GW, Bd. 21, 54. GW, Bd. 12, 253. GW, Bd. 12, 239.
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Rückführung in die Form anfänglicher Unmittelbarkeit für den logischen Inhalt ebenso sehr der hinreichende Grund für die daraus resultierende Überwindung seiner immer wieder neu gewonnenen abstrakten Form. Die freie Selbstanalyse des Denkens resultiert hier in einer systematisch organisierten Vielheit von Bestimmungen, die synthetisch und somit ursprünglich auseinander ausgebildet werden. Umgekehrt ist diese synthetische Ausbildung unterscheidbarer Bestimmungen und Strukturen, d. h. der Prozess ihrer genetischen Entwicklung auseinander, nichts anderes als eben die freie Selbstanalyse des Denkens, da dieses – gerade aufgrund seiner reinen Selbstreferentialität – nur dasjenige als Resultat seiner Selbstexplikation und damit als Wesensbestimmung seiner selbst gelten lässt, was allein aus dem ursprünglichen Entschluss, rein nur das Denken denken zu wollen, deduziert werden kann. Das reine Denken seiner selbst verfährt also so, dass es in kontinuierlicher Regelmäßigkeit und einer strikten, d. h. gleichbleibenden, Struktur folgend synthetische Erweiterungen seiner Bedeutung ausbildet und sich schlussendlich zu immer konkreteren begrifflichen Gehalten spezifiziert. Der Grund dieser spezifischen Form von logischer Prozessualität besteht, wie unsere Untersuchung gezeigt hat, darin, dass diese unterschiedenen Bestimmungen, die das Denken im Zuge seiner Selbstexplikation annimmt, von der Art sind, dass sie den Bedeutungsgehalt ihrer jeweiligen Negation – auf spezifische Weise – bereits in sich enthalten. Dieser Umstand ist im Rahmen der Untersuchung so interpretiert worden, dass die logischen Bestimmungen zu ihrer jeweiligen Negation, die sie in ihrer unmittelbaren Bedeutung als ihr spezifisches Entgegengesetztes zunächst nur einfach negativ von sich unterscheiden und abgrenzen, zugleich im Verhältnis der Identität stehen. Diese Erkenntnis tritt nicht äußerlich zu der unmittelbaren Bedeutung einer logischen Bestimmung hinzu, d. h. die Identität zu ihrer ihr entgegengesetzten Negation wird nicht postuliert oder durch einen Rückbezug auf empirische Gegebenheiten argumentativ begründet, sondern resultiert unmittelbar aus der begrifflichen Bedeutung der jeweiligen Bestimmung selbst. Insofern verfährt die Entwicklung analytisch. Die logischen Bestimmungen erweisen sich allein in und aufgrund ihrer negativen Unterscheidung von ihrem Entgegengesetzten, worin ihre eigene Bedeutung zunächst besteht, als auch identisch mit diesem. Sie stehen in ihrer negativen Unterscheidung von ihrem jeweiligen Entgegengesetzten zu diesem zugleich in der Beziehung, die den Bedeutungsgehalt des Entgegengesetzten ausmacht. Dabei tritt die Identität mit der Negation an der unmittelbaren Bedeutung einer logischen Bestimmung erst hervor und war nicht von vornherein bereits an dieser gesetzt. Die logischen Bestimmungen unterscheiden ihr Entgegengesetztes gerade zunächst nur negativ von sich, was ihre unmittelbare Bedeutung als solche wesentlich konstituiert. Wie wir gesehen haben, besteht das Spezifikum der Bestimmungen des reinen Denkens im Folgenden.
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Die logischen Bestimmungen stehen erstens zu ihrem Entgegengesetzten in reicherer und weiterer Beziehung als in ihrer jeweiligen unmittelbaren Bedeutung thematisch ist. Zweitens stellt dies eine innere Mangelhaftigkeit dar, deren Korrektur die Totalität ihrer Bedingungen allein in der jeweiligen unmittelbaren Bedeutung selbst hat. Diese begriffliche Eigenschaft der Bedeutungsgehalte, zu denen sich das Denken in seiner freien Selbstexplikation bestimmt, ist der eigentliche Motor der logischen Entwicklung und schlussendlich der Grund, aus dem diese und ihr Inhalt auf allen Stufen des Entwicklungsprozesses an sich spekulativ-dialektisch verfasst sind. Hegels Wissenschaft der Logik stellt vor diesem Hintergrund in einem dreifachen Sinn eine Konkretion der Methode dar. Erstens ist dasjenige, was in der logischen Wissenschaft als die Methode dieses Entwicklungsprozesses zu bezeichnen ist, die allgemeine Form spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung. Die Methode der Logik besteht damit in der strukturellen Regel- und Gesetzmäßigkeit, gemäß welcher das reine Denken den Begriff seiner selbst schrittweise, aber auf immanente Weise zu immer komplexeren und konkreteren Bedeutungsgehalten weiterbestimmt. Zweitens ist die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik damit auf jeder Stufe der logischen Entwicklung spezifisch konkretisiert. Die spekulative Methode ist, mit anderen Worten, in der Logik nie abstrakt thematisch, sondern immer Form eines konkreten begrifflichen Bedeutungsgehalts, der sich gemäß dieser Struktur an ihm selbst spekulativ-dialektisch weiterbestimmt. Die spekulative Dialektik durchläuft im Fortgehen der logischen Entwicklung also wesentlich eine Reihe von Konkretisierungen ihrer selbst. Diese sind folglich nicht hinsichtlich der Form und Struktur ihrer prozessualen Weiterführung unterschieden, sondern in Hinblick darauf, welcher logische Bedeutungsgehalt es ist, der sich jeweils gemäß dieser allgemeinen Form spekulativdialektisch konkretisiert und weiterbestimmt. Dass die Struktur spekulativdialektischer Bedeutungskonkretisierung im Verlauf der logischen Entwicklung nie in abstrakter Form thematisch ist, sondern Methode der Logik nur ist im Sinne der immanenten Form ihres Inhalts, bedeutet somit, dass es immer ein bestimmter Bedeutungsgehalt ist, der sich a) ausgehend von seinem unmittelbaren Begriff zu einer ihm zugehörigen dialektischen Vermittlung erweitert und spezifiziert und b) mit der Rückführung dieses erweiterten begrifflichen Gehalts in die Form begrifflicher Unmittelbarkeit und Einfachheit den Anfang der nächstfolgenden, aber ebenso wieder konkret bestimmten Stufe der Entwicklung konstituiert. Spekulativ-dialektische Bedeutungskonkretisierung ist in der Logik somit immer die immanente Weiterbestimmung beispielsweise der Denkbestimmungen Etwas und Anderes, von Ansichsein und Sein-für-Anderes, des Verhältnisses von Ganzem und Teilen, von Substanz und Akzidenzien, von Ursache und Wirkung oder – in der Begriffslogik – bestimmter
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Urteils- und Schlussformen, des Prinzips begrifflicher Analyse und begrifflicher Synthese usf. Die logische Entwicklung zeichnet somit eine Immanenz von Form und Inhalt aus, d. h. von spekulativ-dialektisch verfahrender Bedeutungskonkretisierung und so sich immanent weiterführenden, dabei aber konkret bestimmten Bedeutungsgehalten. Aufgrund dieser Immanenz von Form und Inhalt fällt das Wissen über die strukturelle Gemeinsamkeit der Denkbestimmungen, d. h. um die Stellung der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik als Methode der Logik, vor dem Abschluss der Entwicklung zunächst nur in das Bewusstsein des metareflektierenden Logikers. Diese zweite Hinsicht, nach welcher die logische Wissenschaft wesentlich eine Konkretion der Methode darstellt, besagt also, dass die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik den unterscheidbaren Stufen der logischen Entwicklung, d. h. denjenigen Stadien ihres Inhalts, zu denen dieser sich immanent ausbildet, als die strukturelle Form und prozessuale Gesetzmäßigkeit seiner Weiterbestimmung eingeschrieben ist. Als allgemeine Struktur erfährt die spekulative Dialektik somit auf jeder Stufe der logischen Entwicklung eine spezifische Manifestation ihrer selbst. Sie ist immer konkret realisiert als die Form und Struktur der immanenten Weiterführung dieses jeweiligen begrifflichen Bedeutungsgehalts, den sie – als die Form der Weiterführung der nächstvorangegangenen logischen Bedeutung – ursprünglich hervorgebracht hat sowie nun, indem sie sich als die Form dieser neu ausgebildeten Bedeutung aufs Neue reproduziert, ebenfalls konkretisiert und weiterführt. Die unterscheidbaren, nicht nur aufeinander folgenden, sondern sich genetisch auseinander ausbildenden Stufen der logischen Entwicklung, d. h. die immer komplexer werdenden Bedeutungsgehalte, die der logische Inhalt im Zuge seiner Selbstgestaltung und Selbstkonkretisierung durchläuft, stellen vor diesem Hintergrund jeweils ein „Beseeltes der Methode“ 8 dar. Jede Bedeutung, die der logische Inhalt im Verlauf seiner Entwicklung annimmt, erweitert sich ausgehend von ihrem unmittelbaren begrifflichen Gehalt zu einem gemäß der spekulativen Dialektik strukturierten Bedeutungskomplex, d. h. spezifiziert und besondert sich zunächst zu einem Prozess der dialektischen Bedeutungsumwandlung und führt den gegenüber dem Anfang erweiterten und prozessual ausgedehnten Bedeutungsgehalt seiner Spezifizierung in die Form wieder anfänglicher Unmittelbarkeit zurück. Die allgemeine Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungsentwicklung ist somit in der Logik immer konkreten Bedeutungsgehalten eingeschrieben, indem sie sich an den von ihr ausgebildeten Resultaten zugleich erneut reproduziert. Hieraus folgt, dass eine jede dieser Bedeutungen spekulativ-dialektisch verfasst ist, d. h. sich spezifiziert und in bereicherter Gestalt zur Form ihres Ausgangsstadiums zurückführt. Alle logischen Bestimmungen, 8
GW, Bd. 12, 252.
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indem sie sich auf diese Weise zu einem gemäß der spekulativen Dialektik in sich organsierten prozessualen Bedeutungskomplex vervollständigen, sind ein „Glied“ 9 eines einheitlichen Entwicklungsprozesses beziehungsweise ein Moment des Prozesses der immanenten Konkretisierung eines einigen begrifflichen Bedeutungsgehalts. Kraft der spekulativen Dialektik, die, wie wir gesehen haben, für die in der Logik thematischen Denkbestimmungen die strukturelle Form und Gesetzmäßigkeit ihrer inhaltlichen Konkretisierung darstellt, sind alle Denkbestimmungen schlussendlich, d. h. in der Gestalt, zu welcher sie sich spekulativ-dialektisch vervollständigen, eine „Reflexion in-sich, die, indem sie in den Anfang zurückkehrt, zugleich der Anfang eines neuen Gliedes ist“. 10 Drittens stellt die logische Entwicklung wesentlich eine Konkretion der Methode dar, insofern die allgemeine Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung, wie wir gesehen haben, selbst als höchstes Resultat der Logik abgeleitet wird. Der Bedeutungsgehalt des Inhalts der logischen Entwicklung, der sich auf einem jeden Entwicklungsstadium gemäß der Struktur der spekulativen Dialektik immanent weiterbestimmt und zu immer komplexer werdenden Bedeutungen konkretisiert, konvergiert schließlich vollständig mit eben dieser methodischen Struktur. Diejenige Struktur, die allen Denkbestimmungen als die Form ihrer immanenten Weiterentwicklung bereits zukommt, wird im Ende der Entwicklung somit auch in inhaltlicher Hinsicht vollständig thematisiert. Dies lässt sich, wie wir gesehen haben, auch wie folgt formulieren. Derjenige eine Bedeutungsgehalt, dessen fortschreitende Konkretisierung durch nichts anderes als die Produktivität der spekulativen Dialektik als seiner Form begründet wird, entwickelt sich zwar zunächst durch abstraktere Bedeutungen hindurch, ist dabei jedoch zugleich darauf ausgerichtet, sich mit der Struktur der spekulativen Dialektik, d. h. jenem gestalterischen und produktiven Formprinzip, vollständig in eins zu bilden, indem dessen begrifflicher Gehalt und die sich in sich konkretisierende Selbstbezüglichkeit, die in ihm gedacht wird, innerhalb der an sich bereits durch sie geregelten und begründeten genetischen Bestimmungsabfolge selbst als komplexeste, höchste und konkreteste Bedeutung ausgebildet werden. Der Inhalt der logischen Wissenschaft, d. h. das Gedachte, Erkannte und Entwickelte, und ihre Methode, d. h. das Denkende und Erkennende im Sinne des dem Inhalt in einem jeden seiner Stadien unmittelbar inhärierenden Prinzips der Entwicklung, konvergieren somit im Ende der Logik. 11 Die absolute Idee ist vor diesem Hintergrund als der Ab9 10 11
GW, Bd. 12, 252. GW, Bd. 12, 252. Vgl. hierzu die Ausführungen von W. Marx: Hegels Theorie logischer Vermittlung. Kritik der dialektischen Begriffskonstruktion in der ‚Wissenschaft der Logik`. Stuttgart-Bad Cannstatt
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schluss des Prozesses der immanenten Ineinsbildung von Methode und Inhalt gedeutet worden. Sie ist daher die Einheit a) des Resultats der logischen Entwicklung, d. h. des in sich konkreten Systems der ursprünglich sich auseinander ausbildenden Denkbestimmungen, und b) der strukturellen Gesetzmäßigkeit ihrer immanenten und in diesem Sinne lebendigen genetischen Entwicklung. Hier ist es, dass die Teleologie in unsere Analyse der logischen Entwicklung eingetreten ist. Zunächst stellt die allgemeine Struktur der spekulativen Dialektik bereits auf allen Stufen der Entwicklung die gestalterische und produktive Form dar, gemäß welcher der logische Inhalt sich an ihm selbst zu immer konkreteren Bedeutungen ausbildet. Zugleich aber ist der Inhalt der Logik – als ein in diesem Sinne sich einheitlich selbst gestaltender Begriff – wesentlich darauf ausgerichtet, dass sein im Fortgang der Entwicklung immer konkreter werdender Bedeutungsgehalt schlussendlich mit der Form seiner Entwicklung vollständig konvergiert. Betrachten wir beide Aspekte in ihrer Einheit, so bestimmt sich die allgemeine Struktur der spekulativen Bedeutungskonkretisierung, die, wie wir erörtert haben, im Sinne der immanenten, aber produktiven und einheitlich sich reproduzierenden Form des Inhalts die Methode der Logik ausmacht, als ein Zweck, der sich selbst schrittweise realisiert. Die spekulative Dialektik stellt nämlich sowohl den alleinigen Grund der logischen Entwicklung dar als auch das schlussendliche Ziel, auf welches ihr Fortgehen und damit die Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts schlussendlich ausgerichtet und hingeordnet ist. Die Realisierung der Methode im Inhalt erfolgt dabei nicht schlagartig und – eine Kritik Hegels an rein unmittelbaren methodischen Verfahren aufnehmend – „wie aus der Pistole“ 12, sondern als ein in unterscheidbare Stufen gegliederter Entwicklungsprozess, im Rahmen dessen die Struktur der spekulativen Dialektik schrittweise aus einer Reihe von allgemeineren, aber bereits gemäß dieser Struktur sich konkretisierenden und damit im Fortgehen immer spezifischer werdenden Bedeutungsgehalten abgeleitet wird. Der entscheidende Erkenntnisgewinn, der im Fortgang der Logik erreicht wird und erst mit ihrem Abschluss in vollendeter Form vorliegt, besteht demnach darin, dass mit der aufsteigenden Folge von immer konkreter werdenden logischen Bestimmungen, an deren Ende die spekulative Dialektik selbst als höchste und konkreteste Denkbestimmung steht, die Bedingungen der Methode der Entwicklung in systematischer Totalität angegeben sind. Es handelt sich bei der logischen Wissenschaft somit um einen produktiven, d. h. synthetischen, Denkakt, dessen Spezifikum es aber ist, dass sowohl die
12
1972, 63 f.: „Nicht ist die Idee, und dann noch ihr Inhalt. Ihr Sein ist ihre Selbstauslegung im Inhalte, die sie selbst ist. [. . .] Das Medium ist nichts anderes mehr als sein Inhalt. Alles ist Medium.“ GW, Bd. 21, 53.
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formalen als auch die inhaltlichen Komponenten seines schlussendlichen, synthetisch produzierten Resultats vollständig in der Spontaneität des Denkens begründet liegen. Das Resultat des Denkens ist hier nichts anderes als die schrittweise Ausbildung der aufsteigenden Abfolge von immer komplexer werdenden Denkbestimmungen, die als in sich bewegte und sich an ihnen selbst weiterführende Bedeutungskomplexe jeweils eine Stufe der gesamtlogischen Entwicklung ausmachen. Für die Stufen der logischen Entwicklung gilt dabei, wie wir gesehen haben, dass sowohl ihre Form, rücksichtlich welcher sie identisch sind, indem sie alle sich gemäß der allgemeinen Struktur der spekulativen Dialektik weiterführen, als auch ihr jeweiliger Bedeutungsgehalt, nach dem sie sich voneinander unterscheiden, vollständig durch die innere Produktivität des logischen Denkaktes determiniert werden. Aber auch innerhalb einer jeden Entwicklungsstufe wird ihr synthetisches Moment, d. h. zunächst die Erweiterung und dann die Konkretisierung des anfänglichen Bedeutungsgehalts, dadurch begründet, dass dieser sich an ihm selbst zu einem dialektischen Vermittlungsprozess spezifiziert sowie diese erweiterte und prozessuale Bedeutung sich ebenfalls an ihr selbst wieder in Form einer wieder unmittelbaren Bedeutungseinheit zurückführt. Dass das Synthetische und Produktive sich am Inhalt selbst abspielt, bedeutet hier, dass – sowohl im ersten Fortgehen vom unmittelbaren Anfang zu dessen dialektischer Vermittlung als auch im zweiten Schritt des Fortgangs von der Dialektik zu einer der Form nach wieder unmittelbaren und wieder anfänglichen, dem Inhalt nach jedoch konkreteren Bedeutungseinheit – die Methode eine rein spekulative Methode ist. Es wird, mit anderen Worten, im Fortgehen der Entwicklung und in der synthetischen Weiterbestimmung ihres Inhalts nur auf diejenigen argumentativen Gründe zurückgegriffen, die sich aus der gedanklichen Erfassung seines Bedeutungsgehalts – im Sinne der Korrektur einer immanenten Mangelhaftigkeit – selbst deduzieren lassen. Das Synthetische der Entwicklung bestimmt sich vor diesem Hintergrund ebenso sehr als eine Analyse des logischen Inhalts, denn dieser erweitert und konkretisiert sich aufgrund einer kontinuierlichen kritischen Selbstprüfung und die Resultate, zu denen er sich im Fortgang der Entwicklung schrittweise ausbildet, sind jeweils nichts anderes als Korrekturen eines inneren Mangels, der in der spekulativen Prüfung des nächstvorangegangen Entwicklungsstadiums immanent hervorgetreten ist. Das Denken des Denkens vereinigt also begriffliche Analyse und Synthese als gleichursprüngliche und wechselseitig sich begründende Momente in sich. Die Zweckmäßigkeit der logischen Entwicklung, d. h. ihre Ausrichtung auf die vollständige Realisierung der spekulativen Dialektik als höchste Bestimmung des logischen Inhalts, ist vor diesem Hintergrund als eine innere Zweckmäßigkeit zu charakterisieren. Der Grund der Realisierung besteht hier in nichts anderem als der produktiven Aktivität der spekulativen Dialektik selbst.
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Diese ist zwar nicht von vornherein, sondern erst am Ende der logischen Entwicklung in inhaltlicher Hinsicht thematisch, jedoch von Anfang an bereits die Struktur, gemäß welcher der Inhalt der Logik sich an ihm selbst gestaltet und zu immer komplexeren Bedeutungsgehalten weiterbestimmt. Dies kann auch so formuliert werden, dass der eine begriffliche Bedeutungsgehalt, der den Inhalt der Logik ausmacht und dessen schrittweise Konkretisierung das Wesen ihrer Prozessualität darstellt, einerseits erst am Ende seiner Konkretisierung und Entwicklung die Bedeutung der allgemeinen Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung erreicht und während der Entwicklung noch abstraktere und weniger komplexe Bedeutungen und Stadien durchläuft. Andererseits aber konkretisieren sich auch diese gegenüber der Struktur der spekulativen Dialektik abstrakteren und weniger komplexeren Bedeutungsgehalte an sich bereits gemäß dieser Struktur. Zwischen dem Zweck, auf dessen Realisierung die logische Entwicklung ausgerichtet ist, und dem Prozess seiner Realisierung ist somit kein Mittel zwischengeschaltet, wie dies bei der äußerlichen Zweckmäßigkeit der Fall ist. 13 Die spekulative Dialektik wird nicht im logischen Inhalt realisiert, d. h. dessen erster anfänglicher Bedeutungsgehalt (das reine Sein) nicht nach einem äußerlichen Kriterium der Einteilung und Weiterbestimmung zur hochkomplexen Struktur der spekulativ-dialektischen Bedeutungskonkretisierung spezifiziert, sondern auch die abstrakteren und weniger komplexen Entwicklungsstadien des Inhalts sind bereits sich an ihnen selbst weiterführende Bedeutungsgehalte, haben die spekulative Dialektik zur Form ihrer Selbstbewegung und konkretisieren sich gemäß ihrer Struktur. Wie wir im Verlauf unserer Untersuchung gesehen haben, ist in der Analyse der spekulativen Dialektik zwischen ihrer Funktion als allgemeine Form des Inhalts der logischen Entwicklung, der sich von Anfang an und auf allen Entwicklungsstadien, die er durchläuft, gleichermaßen spekulativ-dialektisch weiterführt, und zwischen ihrer Stellung als höchstes und letztes Stadium, in welchem die schrittweise Konkretisierung des Bedeutungsgehalts des logischen Inhalts resultiert und kulminiert, zu unterscheiden. Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung begeht Hegel mit der Einheit von Methode und Inhalt, wie unsere Untersuchung gezeigt hat, auch keine Petitio principii. 14 An keiner Stelle der logischen Entwicklung ist die spekulative Dialektik in dem Sinne das Argument für die Weiterbestimmung und Konkretisierung des logischen Inhalts, dass sie äußerlich auf diesen angewendet 13
14
Bezüglich des Auseinanderfallens des Zwecks und seiner Realisierung in der äußeren Zweckbeziehung vgl. die Darstellung von T. Spies: Die Negativität des Absoluten. Hegel und das Problem der Gottesbeweise. Marburg 2006, 187–191. Zu dieser Thematik vgl. K. Düsing: Subjektivität und Freiheit. Untersuchungen zum Idealismus von Kant bis Hegel. Stuttgart-Bad Cannstatt, 2. Auflage 2013, 173 ff.
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wird. Vielmehr sind die unterscheidbaren Stadien, die der logische Inhalt in seiner fortschreitenden Konkretisierung durchläuft, begriffliche Bedeutungsgehalte, die sich an ihnen selbst weiterentwickeln und gerade daher Momente des spekulativ-dialektischen Entwicklungsverlaufs. Der Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts wird nicht mit Blick darauf konkretisiert, dass er schlussendlich mit der Struktur der spekulativen Dialektik konvergieren soll, sondern er führt sich in seinem Gang durch zunächst ganz abstrakte und einfache, aber immer konkreter und komplexer werdende Stadien selbst zu dieser höchsten, konkretesten und komplexesten Bedeutung hin. Der Garant für diese Selbstproduktion der spekulativen Dialektik liegt dabei unmittelbar in ihrer eigenen Struktur begründet. Es ist gerade das spekulative Moment der spekulativ-dialektischen Methode, dass der Inhalt der Logik, dessen immanente Form sie ist, nicht auf äußerliche Art und Weise – etwa mit Blick auf ein Ziel, das realisiert werden soll, – weiterentwickelt wird. Vielmehr beschränkt sich das Denken, wie wir gesehen haben, in allen Stadien der Entwicklung darauf, nur dasjenige als Resultat synthetischer Weiterbestimmung gelten zu lassen, was sich rein analytisch aus dem unmittelbaren Bedeutungsgehalt seines Inhalts deduzieren lässt. Mit dieser „Zucht“ 15 und Strenge, nur dasjenige als Methode anzuerkennen, was sich im Sinne eines logischen Automatismus selbst darstellt, ist gegenüber einer äußerlichen synthetischen Weiterführung in der Tat der Preis verbunden, sich nicht im vornherein über das schlussendliche Ziel und Resultat der Entwicklung im Klaren sein zu können. Der epistemische Ertrag hingegen, der mit der Zahlung dieses Preises gewonnen wird, besteht darin, dass die Resultate eines in dem beschriebenen Sinne spekulativen Denkaktes, gerade weil sie Produkte einer Selbstproduktion sind, als logische Notwendigkeiten, apriorische Gesetzmäßigkeiten und Struktur- und Bedeutungsaspekte des Denkens an und für sich selbst, als Wesensbestimmungen des Denkens als solchen begriffen werden dürfen. Die Prozessualität der Logik, die wesentlich logische Entwicklung ist, hat darüber hinaus aber auch noch die folgende Konsequenz. 16 Indem es in seiner reinen Selbstexplikation vollständig den eigenen Gesetzmäßigkeiten und Notwendigkeiten unterworfen ist, erfährt das Denken in der Logik im wahrsten Sinne am eigenen Leibe, dass ein durchgängig bestimmter und die Totalität seiner Bedingungen in sich inkludierender Begriff des Denkens nicht in einer unmittelbaren und einfachen Definition bestehen kann. Vielmehr liegt es in 15 16
GW, Bd. 21, 42. Zur Charakterisierung der spekulativen Logik als Prozesslogik vgl. auch die Ausführungen Gadamers (H.-G. Gadamer: „Die Idee der Hegelschen Logik“, in: Hegels Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen 1971, 49–69, 58 f.), der Hegels reife Logikkonzeption hier mit derjenigen Bewegung des Denkens kontrastiert, die in Platons Parmenides-Dialog thematisch ist.
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der Natur des Denkens, dass es zum Zwecke der durchgängigen Explikation seiner selbst einerseits mit dem Denken völlig voraussetzungsloser Unmittelbarkeit, d. h. mit der differenzlosen Einheit des reinen Seins, den Anfang machen muss und andererseits davon ausgehend eine Folge von zwar immer konkreter werdenden, aber durchgehend unterkomplex bleibenden Bedeutungen zu durchlaufen hat, an deren Ende erst ein adäquater Begriff der denkenden Selbstbezüglichkeit gewonnen wird. 17 Aber auch hier stellt sich wieder die positive Kehrseite des Umstands ein, dass das Denken sich nicht von vornherein über sich selbst vollständig im Klaren sein kann, sondern hierfür zuerst eine komplexe und mühevolle „Arbeit am Begriff“ zu vollbringen hat. Der schlussendliche Begriff denkender Selbstbezüglichkeit, der mit der absoluten Idee am Ende der logischen Wissenschaft gewonnen ist, enthält, wie wir gesehen haben, gerade weil er als Höchstes und „Concreteste[s]“ 18 aus einer zurückliegenden Folge von unterschiedenen, sich aber an ihnen selbst konkretisierenden Bedeutungen deduziert worden ist, diese „als aufgehobene d. i. zugleich als aufbewahrte“ 19 in sich. Das reine Denken seiner selbst ist das, was es ist, nur insofern es sich zu einem von ihm zunächst Unterschiedenen, d. h. zum reinen Sein, bestimmt und aus diesem Anderen seiner selbst, d. h. im Gang durch die immer konkreter werdenden Seins-, Wesens- und Begriffsbestimmungen, schlussendlich zu sich kommt. Der Gewinn dieses Verlaufs der logischen Entwicklung beziehungsweise der synthetische Erkenntnisfortschritt, der mit ihrem Fortgehen einhergeht, besteht somit darin, dass das Denken sich am Ende seiner Selbstexplikation als ein „System der Totalität“ 20 begreift, d. h. als eine systematisch organisierte, aber vollständige Hierarchie von rücksichtlich ihres Bedeutungsgehalts unterschiedenen Bestimmungen. Diese Bestimmungen des reinen Denkens sind systematisch organisiert, indem sie sich im Verlauf der Entwicklung spekulativ-dialektisch auseinander ausgebildet haben und hierbei eine jede von ihnen als das Resultat der immanenten Spezifizierung der unmittelbar vorangehenden, nächstallgemeineren Bestimmung ursprünglich 17
18 19 20
In diesem Sinne bemerkt auch Bickmann (C. Bickmann: „Sein und Selbst-Sein. Hegels Idee der Selbsterkenntnis zwischen Sich-Bestimmen und Sich-Setzen“, in: Hegel-Jahrbuch 2018. Berlin 2018, 34–39, 37.) bezüglich der Selbsterkenntnis des Denkens im Medium seiner reinen Selbstexplikation, die sich – in unserer Lesart – mit der vollständigen Ineinsbildung von spekulativ-dialektischer Methode und logischem Inhalt am Ende der logischen Entwicklung und damit mit der Ausbildung der absoluten Idee ereignet, das Folgende: „In diesem dann erst, dem reinen Denken des Denkens, erreicht das Wissen die höchstmögliche Form der Selbstbezüglichkeit, ist nicht mehr bloß ein Sich-fühlen oder Vernehmen im Bewusstsein, sondern Sich-Wissen im Wissen, auf das alle Erkenntnis seiner Möglichkeit nach zurückgeführt werden kann.“ GW, Bd. 12, 251. GW, Bd. 20, 230. GW, Bd. 12, 250.
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generiert worden ist. Die Reihe der Denkbestimmungen ist vollständig, indem sie, wie wir gesehen haben, mit der vollständigen Ineinsbildung von a) der allgemeinen Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung und b) dem sich gemäß dieser Struktur immanent selbst gestaltenden Bedeutungsgehalt des logischen Inhalts ein abschließendes Ende findet. Da der schlussendliche Begriff der denkenden Selbstbezüglichkeit, der am Ende der Logik steht, wesentlich ein „abgeleitetes“ 21 ist, das erst aus einer Folge von abstrakteren Bedeutungsgehalten gewonnen worden ist, besteht der schlussendliche Begriff des Denkens in dem gesamten System der Denkbestimmungen. Etwas und Anderes, Ansichsein und Sein-für-Anderes, die Verhältnisbestimmungen des Inneren und des Äußeren, des Ganzen und der Teile, der Substantialität und der Akzidentialität, das Kausalverhältnis von Ursache und Wirkung, der Begriff des Begriffs, die Anwendung desselben in Urteilen, Syllogismen und in analytischen und synthetischen Erkenntnisprozessen etc., kurzum alle Stadien und Bedeutungen, die der eine Inhalt der logischen Entwicklung im Zuge seiner schrittweisen, aber immanenten Konkretisierung durchläuft, sind diejenige systematisch organisierte und in sich bewegte „Totalität“ 22, in welcher das Denken als solches wesentlich besteht. 23 Die Erfahrung, die das Denken in seiner reinen, d. h. unter Absehung aller empirischen Einflüsse sich vollständig selbst begründenden, Selbstexplikation macht, ist die, nicht ein solches Einfaches zu sein, das unmittelbar definiert werden könnte. Vielmehr ist das Denken ein solches Eines, dessen Absolutheit, d. h. Unabhängigkeit von Anderem, darin besteht, sich a) zunächst in eine Vielheit von unterschiedenen Bestimmungen zu entfalten, die als eine systematisch organisierte Abfolge von Bedeutungen strukturiert ist, die immer komplexer werden und genetisch auseinander entstehen, und b) sich selbst als Schlussstein dieser systematischen Folge allererst zu gewinnen und damit sich wesentlich als die prozessuale Totalität des gesamten Systems zu begreifen. 24 21 22 23
24
GW, Bd. 12, 249. GW, Bd. 12, 250. Vgl. hierzu die Ausführungen von T. Spies: Die Negativität des Absoluten. Hegel und das Problem der Gottesbeweise. Marburg 2006, 207: „Die konkrete Allgemeinheit ist sich wissende Selbstbeziehung, in der alle Bestimmungen, die dem absoluten Subjekt zukommen, in ihrer wohlgeordneten systematischen Stellung erfasst und ausgedrückt sind. Der ganze Reichtum des anfänglichen Substanzbegriffs, die Fülle des Seins überhaupt, ist nun als Struktur des Subjekts für dieses selbst in seiner Immanenz expliziert.“ Vgl. hierzu K. Düsing: Subjektivität und Freiheit. Untersuchungen zum Idealismus von Kant bis Hegel. Stuttgart-Bad Cannstatt, 2. Auflage 2013, 172: „Das reine Ich, das sich selbst objektiviert und sich darin erkennt, muß nach Hegel nicht auf ein vorgegebenes Mannigfaltiges von Vorstellungen rekurrieren; es bringt dieses Mannigfaltige vielmehr selbst erst hervor, indem es sich erkennt. Dies Mannigfaltige besteht nach Hegel zuerst in den Bestimmungen, die dem reinen Begriff, dem reinen Subjekt selbst zugehören.“
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Das Verhältnis von Methode und Inhalt der Logik kann also so auf den Punkt gebracht werden, dass die allgemeine Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung (und das logische Verhältnis ihrer Momente zueinander) selbst in einem Prozess der spekulativ-dialektischen Bedeutungskonkretisierung entwickelt wird. Diese Bestimmung des Verhältnisses von logischer Methode und logischem Inhalt ist, wie wir gesehen haben, nur scheinbar paradox. Sie unterscheidet nämlich zwischen a) solchen Bestimmungen und Bedeutungsgehalten, die sich an sich spekulativ-dialektisch weiterführen und jeweils zu einer nächsthöherstufigeren und nächstkonkreteren Bedeutung spezifizieren, und b) derjenigen einen, letzten und höchsten Bestimmung, deren begrifflicher Bedeutungsgehalt vollständig mit der allgemeinen strukturellen Form dieses Konkretisierungsprozesses konvergiert und somit nicht nur an sich, sondern an und für sich der Struktur spekulativ-dialektischer Bedeutungskonkretisierung entspricht. In der Einsicht, dass in einer vollständigen Selbstbegründung des Denkens der Anfang notwendigerweise mit dem gedanklichen Erfassen einer absolut voraussetzungslosen Bestimmung gemacht werden muss und dieses voraussetzungslose Spekulieren des Inhalts des Denkens auch in allen Phasen der Entwicklung notwendig beizubehalten ist, besteht nun auch der Grund, aus dem das Absolute, d. h. die absolute Idee, im Vorfeld ihres schlussendlichen Zu-sich-Kommens am Ende der Logik zunächst abstraktere und ihr noch unangemessene Bestimmungen durchlaufen muss. Den vollständigen Begriff seiner selbst gewinnt das rein sich selbst explizierende Denken, indem es sich als letztes Glied einer systematischen Abfolge von logischen Bedeutungsgehalten ableitet, die – ausgehend von der abstraktesten, damit jedoch zugleich absolut voraussetzungslosen Bestimmung, d. h. dem reinen Sein, – sich jeweils dialektisch zu immer konkreteren Bedeutungen weiterbestimmen. Mit dem System der auf diese Weise sich genetisch auseinander entwickelnden Denkbestimmungen ist sodann auch die Totalität der Bedingungen der absoluten denkenden Selbstbezüglichkeit entfaltet und im letzten Ende dieses Entwicklungsprozesses, d. h. mit der vollständigen Ineinsbildung des einen, sich kontinuierlich weiterentwickelnden Inhalts mit der allgemeinen strukturellen Gesetzmäßigkeit seiner immanenten Konkretisierung, auf einen einzelnen und höchsten Begriff gebracht. Das Denken des Denkens als absolute Subjektivität ist, mit anderen Worten, wesentlich Werden des Absoluten zu sich. Gerade daher besteht das Absolute jedoch in der Einheit dieses Prozesses seiner rein voraussetzungslosen, nur auf sich selbst zurückgreifenden Selbstexplikation sowie in der Totalität aller logischen Bestimmungen. Diese sind zwar gegenüber der komplexen Struktur der absoluten Idee zunächst noch unangemessen, stellen jedoch wesentlich die konstitutiven Momente des Absoluten dar, die es als dialektische und somit logisch notwendige Resultate seiner voraussetzungs-
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losen Reflexion-in-sich autonom hervorbringt und in denen es sich, indem es sie als Stadien seiner Entwicklung durchläuft und dabei als Manifestationen seiner selbst immanent durchwirkt, schlussendlich in abgeleiteter und vollständig begründeter Form selbst erfasst. 25 Dass das Prinzip der (absoluten) Subjektivität sowie ihre unterscheidbaren Strukturbestimmungen, in die sie sich entfaltet und dadurch denkend sich bestimmt, in der Logik noch „in den reinen Gedanken eingeschlossen“ 26 ist, bedeutet also, dass hier noch von einem empirischen – und in diesem Sinne konkreten – Anwendungsbezug des Denkens abgesehen wird. Die Logik ist Denken rein nur des Denkens, nicht aber Denken in Rückbezug auf einen seiner Spontaneität äußerlichen – etwa sinnlich-rezeptiv aufgenommenen – Stoff. Schlussendlich realisiert sich das Denken auch nach Hegel jedoch immer als ein Bewusstsein endlicher Individuen, die sinnlich wahrnehmen und das Wahrgenommene begrifflich, etwa nach Gesetzen oder De nitionen, strukturieren und systematisch ordnen, als deren Selbstbewusstsein im konkreten, empirisch-kontingenten Seinsbezug, als Strukturen individueller oder gemeinschaftlicher praktisch-normativer Willensbildung in Familie, Gesellschaft und Staat, oder in ästhetischen und religiösen Denkvollzügen. 27 Die genetische Entwicklung dieser Konkretionen des Denkens im Medium des Endlichen, deren Fortgang zugleich mit dem Rückgang in den Grund aller endlichen Bewusstseins- und Selbstbewusstseinsgestalten unmittelbar einhergeht, d. h. mit dem Rückgang in die Logik als in den Raum der freien Selbstexplikation der ihnen inhärierenden Gesetzmäßigkeiten, macht den Inhalt der Hegelschen Philosophie des Geistes aus. Demgegenüber besteht der logische Konkretismus Hegels nun aber darin, dass er auch die logische Wissenschaft als eine immanente Selbstkonkretisierung des Denkens konzipiert, das sich rein autonom in die unterscheidba25
26 27
Die absolute Idee als die Selbsterfassung des Denkens in der vollständig entwickelten Totalität seiner Bestimmungen ist also ein solcher Begriff des Absoluten, dem der Prozess seiner Selbstwerdung und das freie Zu-sich-selbst-kommen aus zunächst noch niederstufigeren Potenzen seiner Tätigkeit immanent ist. Dieser Gedanke, nach dem das Absolute als die Geschichte nicht nur seines Selbstbewusstseins, sondern auch seiner Selbstwerdung zu konzipieren ist und der in der klassischen deutschen Philosophie insbesondere bei Fichte, Schelling und Hegel eine zentrale, systemtragende Stellung einnimmt, steht – wenngleich auf spezifische Weise – in der bis in die Spätantike zurückreichenden Tradition des werdenden, die Notwendigkeit seiner Explicatio in sich enthaltenden Gottes. Vgl. hierzu T. Kobusch: Selbstwerdung und Personalität. Spätantike Philosophie und ihr Einfluß auf die Moderne. Tübingen 2018, 298–315, insb. 314 f. GW, Bd. 12, 253. Speziell zur politischen Philosophie des späten Hegel, d. h. zu seiner enzyklopädischen Konzeption von Recht, Moralität und Sittlichkeit, die als Bestimmungen des objektiven Geistes in dem in der Logik ursprünglichen entwickelten allgemeinen Begriff denkender Freiheit und Autonomie systematisch begründet liegen, vgl. R. Schäfer: Was Freiheit zu Recht macht. Manuale des Politischen. Berlin / Boston 2014, 284–323.
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ren Strukturbestimmungen seiner selbst entfaltet, indem es spezifischere aus allgemeineren Dimensionen seiner schlussendlichen einen Selbstbezüglichkeit systematisch ableitet. Dieser logische Konkretismus schließt nun eine weitergehende Konkretion des Denkens und seiner Bestimmungen, d. h. die Interaktion derselben mit einem sinnlich-rezeptiv hinzutretenden Stoff / Material nicht nur nicht aus, sondern er bedarf dieser Extrapolation des Logischen sogar, wenn dessen – schließlich faktischer – Realisierung im Denken endlicher, anteilig auch empirischer Individuen vollständig Rechnung getragen werden soll. 28 Hegels Philosophie des Geistes besteht in diesem Sinne wesentlich darin, dass das Prinzip der denkenden Selbstbezüglichkeit / der Subjektivität hier als eine in sich differenzierte Formbestimmung betrachtet wird, die in Hinblick auf die materiale Komponente ihrer spontanen Aktivität, d. h. deren Gehalt, nach außen hin offen, d. h. empirisch-rezeptiv, verfasst ist. Endliche Bewusstseinsgestalten wie beispielsweise die Wahrnehmung, das intersubjektive Anerkennungsverhältnis zweier selbstbewusster Individuen, die Weltgeschichte oder die Geschichte von Kunst, Religion und Philosophie werden in der Geistphilosophie der Enzyklopädie (§§ 377–577) in dem soeben beschrieben Sinn konzipiert, d. h. als mehr oder weniger komplexe / konkrete Manifestationen denkender Selbstbezüglichkeit, die als endliche Formbestimmungen empfänglich und wesentlich offen sind für ein rezeptives Hinzutreten ihrer komplementären Strukturkomponente, d. h. der Materie / des Stoffes des jeweiligen Bewusstseinsaktes. Die Philosophie des Geistes ist in diesem Sinne allgemeine Prinzipien- oder Formenwissenschaft endlicher Denkvollzüge, insofern sie das Denken zwar wesentlich als interagierend mit Empirie und Sinnlichkeit begreift, diesen kontingenten Materialaspekt des (endlichen) Denkens jedoch als solchen, d. h. allgemein, thematisiert und das endliche Denken nicht als diesen oder jenen spezifisch bestimmten endlichen Denkakt, sondern als die allgemeine Struktur empirischer, d. h. materialiter kontingent bestimmter, Denkakte behandelt. 29 Somit finden die Inhalte der enzyklopädischen Geistphilosophie, die für sich schon in dem soeben beschriebenen Sinn eine über die logische Wissenschaft hinausgehende Konkretion der Denkbestimmungen darstellen, in Hegels Sys28
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Dies entspricht zumindest prinzipiell den Auffassungen Gabriels (M. Gabriel: Transcendental Ontology. Essays in German Idealism. New York / London 2011, 104 f.), wenn er gegen die Kritik Heideggers an Hegel anführt: „Unlike Heidegger, I do not believe that the concept of the absolute in post-Kantian idalism entails a denial of the finitude that looms large in Kant's own system [. . .].“ In diesem Sinne bemerkt Gabriel (M. Gabriel: „What Kind of an Idealist (if any) is Hegel?“, in: Hegel-Bulletin 27/2 (2016), 181–208, 200.) bezüglich der Enzyklopädie, sie sei „actually the only place where we find a sketch of Hegel's philosophy of mind in its relation to nature in our contemporary sense“.
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tem auch noch eine weitere Konkretisierung. Die Weltgeschichte sowie Kunst, Religion und Philosophie, um hierfür Beispiele heranzuziehen, werden in ihrer jeweiligen Verortung im dritten Systemteil der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften in prinzipientheoretischer Hinsicht behandelt werden, d. h. als allgemeine Formen denkenden Selbstbezugs, die – als Formen endlichen Denkens – wesentlich offen sind für eine materialiter kontingente Konkretisierung und eine spezifische geschichtliche Realisierung. Hierauf aufbauend füllen die Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, über die Ästhetik, über die Philosophie der Religion und über die Geschichte der Philosophie diese prinzipielle materiale Offenheit von Weltgeschichte, Kunst, Religion und Philosophie, die diesen Weisen der denkenden Selbstbezüglichkeit in der enzyklopädischen Geistphilosophie noch zugekommen war, insofern aus, als dass sie Welt-, Kunst-, Religions- und Philosophiegeschichte in ihrer tatsächlichen und faktischen historischen Realisierung thematisieren. Hierbei sind auch diese gänzlich konkretistischen Abhandlungen über die Welt-, Kunst-, Religions- und Philosophiegeschichte natürlich noch philosophische Untersuchungen und gehen über eine bloß historische Darstellung hinaus, indem sie auch die konkrethistorische Abfolge dieser Geistesgestalten in Hinblick auf ihren prinzipientheoretischen und begrifflichen Gehalt als eine mit apriorischer Notwendigkeit sich vollziehende Entwicklung, schlussendlich als eine teleologisch verfasste Selbstverwirklichung des Absoluten in der Realgeschichte erörtern. 30 Eine in diesem Sinne philosophische Darlegung der historisch-konkreten Manifestation allgemeiner geistphilosophischer Strukturen und Formbestimmungen hat Hegel aus leicht einsehbaren Gründen nur für diejenigen Prinzipien ausgearbeitet, deren konkrete, realgeschichtliche Realisierung für alle Individuen vollends gleichgeartet und gemeinsam ist. Während alle Menschen gleichermaßen an der Weltgeschichte sowie – wenngleich bei Hegel mit eurozentrischer 30
In Bezug auf die (Real-)Geschichte der Philosophie wird dieser Gesichtspunkt besonders deutlich in § 13 der Enzyklopädie. Vgl. hierzu: GW, Bd. 20, 54 f. „In der eigenthümlichen Gestalt äußerlicher Geschichte wird die Entstehung und Entwickelung der Philosophie als Geschichte dieser Wissenschaft vorgestellt. Diese Gestalt gibt den Entwickelungs-Stufen der Idee die Form von zufälliger Aufeinanderfolge und etwa von bloßer Verschiedenheit der Principien und ihrer Ausführungen in den Philosophieen. Der Werkmeister aber dieser Arbeit von Jahrtausenden ist der Eine lebendige Geist, dessen denkende Natur es ist, das, was er ist, zu seinem Bewußtseyn zu bringen, und indem diß so Gegenstand geworden, zugleich schon darüber erhoben und eine höhere Stufe in sich zu seyn. Die Geschichte der Philosophie zeigt an den verschieden erscheinenden Philosophieen theils nur Eine Philosophie auf verschiedenen Ausbildungs-Stufen auf, theils daß die besondern Principien, deren eines einem System zu Grunde lag, nur Zweige eines und desselben Ganzen sind. Die der Zeit nach letzte Philosophie ist das Resultat aller vorhergehenden Philosophieen und muß daher die Principien Aller enthalten; sie ist darum, wenn sie anders Philosophie ist, die entfaltetste, reichste und concreteste.“
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Akzentuierung – gleichermaßen an der Kunst-, Religions- und Philosophiegeschichte partizipieren, sind die konkreten Geschichten einzelner Staaten, bürgerlicher Gesellschaften oder gar Individuen, insofern diese keine konstitutive weltgeschichtliche Bedeutung haben, nicht von allgemeingültigem Interesse. Daher sind hierzu auch nicht eigens Vorlesungen zu halten. Nichtsdestotrotz finden natürlich auch diese partikulären Gestalten des subjektiven und objektiven Geistes ihre konkrete historische Realisierung, etwa in spezifischen Familiengeschichten oder individuellen Biographien. 31 Die philosophische Darlegung der Biographie eines Individuums wäre in Hegels Sinn wohl die Darstellung dessen, wie das allgemeine Prinzip des subjektiven Geistes sich in der ihm wesentlichen Interaktion mit kontingenten Begebenheiten konkret-historisch realisiert und manifestiert. Die Bewusstseinsgestalt der Wahrnehmung ist in dieser Hinsicht immer das Wahrnehmen dieses oder jenes konkreten Gegenstands, dieser blauen Blume, die Erinnerung das reproduzierende Wiederaufrufen dieser singulären Anschauung, die in Raum und Zeit stattfand, in das rein innerliche Bewusstsein des erinnernden Subjekts, das systematisierende Denken ist Bestimmen beispielsweise dieser blauen Blume als Kornblume unter Angabe ihrer nächsten Gattung und spezifischen Differenz usf. In diesem Sinne macht nach Hegel der Satz, „daß das Endliche ideell ist, [. . .] den Idealismus aus“. 32 Alles, was ist, ist demnach eine Manifestation der Idee, d. h. eine mehr oder weniger vollständige Realisierung von Freiheit und eine mehr oder weniger vollständige Realisierung des Prinzips der denkenden Selbstbezüglichkeit. Das Ganze des Seins, das Ganze dessen, was ist, besteht in dem Prozess des Zu-sich-Kommens des Denkens, des λόγος. Die Hegelsche Philosophie ist demnach von panlogistischer Natur. Das Wesen des Seins besteht auf einer jeden seiner Konkretionsstufen darin, ein Moment im Prozess der Selbstbildung des Denkens zu sein. Es existiert somit zunächst kein abstraktes Absolutes, kein frei schwebendes reines Denken im Sinne eines ewigen und unveränderlichen Ideenkosmos. Die Kategorien und logischen Gesetzmäßigkeiten sind nur in ihrer Konkretion in Natur und Geist real. Auch die Natur ist Denken, ist λόγος, ist Idee, jedoch die Idee nur „in ihrem Andersseyn“ 33. 31
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Zu einer Theorie des Selbstbewusstseins, die diesen Gedanken einer konkreten Subjektivität in höchster Konsequenz zu Ende denkt und detailliert entfaltet, vgl. die Studie von K. Düsing: Selbstbewusstseinsmodelle. Moderne Kritiken und systematische Entwürfe zur konkreten Subjektivität. München 1997. Es handelt sich dabei um eine Subjektivitätstheorie, die sich an den idealistischen Selbstbewusstseinskonzeptionen der klassischen deutschen Philosophie orientiert, indem sie eine in Stufen gegliederte Idealgenese der sich wissenden Selbstbezüglichkeit entwickelt, dabei jedoch beispielweise auch phänomenologische Entwürfe des 20. Jahrhunderts in sich integriert und mehrere philosophiegeschichtliche Subjektivitätsmodelle in einer strukturreichen Systematik vereinigt. GW, Bd. 21, 142. GW, Bd. 20, 60.
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Die Formen mechanischer, physikalischer, chemischer und organischer Selbstbezüglichkeit sind an sich schon Freiheit und sind Denken, jedoch noch nur in niederen, noch nicht bewussten Potenzen seiner selbst. Der Geist ist die Idee „aus ihrem Andersseyn in sich zurück[ge]kehrt“ 34, als „für sich seyend und an und für sich werdend“ 35. Das Bestreben, Denken, Spontaneität, Geist und schlussendlich auch das Absolute nicht mehr nur in Entgegensetzung zu Sinnlichkeit, Rezeptivität, Natur und Endlichkeit zu konzipieren, kann als ein wesentliches Merkmal des Einheitsdenkens der klassischen deutschen Philosophie bezeichnet werden. 36 Auch für Hegel haben diejenigen reinen Denkbestimmungen, die im Rahmen der spekulativen Logik genetisch auseinander entwickelt werden, ihr Dasein schlussendlich in ihrer endlichen, anteilig kontingent bestimmten Konkretion und stellen sodann hierin die apriorisch gültigen, ewig-unzeitlichen Gesetzmäßigkeiten jeglichen Seienden sowie jeglichen denkenden Seins- und Weltbezugs dar. 37 Die logische Wissenschaft, d. h. die ursprüngliche und systematische Deduktion der unterscheidbaren Bestimmungen und Gesetzmäßigkeiten des Denkens auseinander, ist dabei die freie Reflexion auf die Prinzipien des Seins und des Denkens „an und für sich“ selbst, d. h. ihre Thematisierung „von aller sinnlichen Concretion befreyt“. 38
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GW, Bd. 20, 60. GW, Bd. 20, 60. Zur ästhetisch-konkretistischen Metaphysik, die der späte Hölderlin mit seiner Theorie der abendländischen Wendung ins Auge fasst, vgl. die Studie von R. Schäfer: Aus der Erstarrung. Hellas und Hesperien im ‚freien Gebrauch des Eigenen` beim späten Hölderlin. Hamburg 2019. Rödl (S. Rödl: Selbstbewußtsein und Objektivität. Eine Einführung in den absoluten Idealismus. Berlin 2019, insb. 199–207, 201.) argumentiert bezüglich des Verhältnisses von absoluter und empirischer Erkenntnis gar für eine schlechthinnige Identität beider Erkenntnisformen. Blicken wir auf die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zurück, so ist zwar auch für Hegels Konzeption des Absoluten zutreffend, dass wir „irren [. . .], wenn wir denken, das absolute Wissen sei ein eigenständiger Akt, unberührt von der Gliederung, die das Erfahrungsurteil ausmacht“. Die in der Logik genetisch auseinander entwickelten Denkbestimmungen realisieren sich auch für Hegel schlussendlich in Natur und empirischen Geistvollzügen. Jedoch stellt die logische Wissenschaft gerade die ursprüngliche systematische Explikation der allgemeinen Formbedingungen allen Denkens und jeglicher Erkenntnis dar und zwar an und für sich selbst, d. h. zunächst noch frei von ihrer notwendigen weiteren, dann auch anteilig kontingenten Konkretion. Da das reine Denken seiner selbst, wie unsere Untersuchung gezeigt hat, auch in der freien Selbstexplikation seiner Bestimmungen und Strukturen dabei nicht formal und leer bleibt, sondern sich in sich selbst konkretisiert und den Begriff seiner selbst zu einer konkreten Totalität inhaltlich durchaus spezifisch bestimmter Bedeutungsgehalte ausbildet, gilt somit nicht, dass wir im in diesem Sinne absoluten Wissen „statt der Fülle des Seins überhaupt nichts denken“. GW, Bd. 21, 42.
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Hegels Wissenschaft der Logik beantwortet also die Frage: Was heißt Denken? – und wir müssen, wie vorstehend erläutert, präzisieren: Was heißt reines Denken, Denken nur seiner selbst, noch frei von jeglicher empirischen Konkretion? Dass die logische Wissenschaft in diesem Absehen von sinnlichen Empfindungen, raum-zeitlichen Eindrücken und empirischen Bewusstseinsvollzügen zunächst als die „leichteste [Wissenschaft] angesehen werden [kann], weil der Inhalt nichts als das eigene Denken“ 39 ist, bemerkt Hegel gleich zu Beginn des Vorbegriffs der enzyklopädischen Logik. In der Logik expliziert das Denken nur sich selbst und bringt im Zuge eines rein selbstbezüglichen, mit apriorischer Notwendigkeit sich vollziehenden Vermittlungsprozesses allein diejenigen Bestimmungen und Verhältnisse auf den Begriff, die ihm unmittelbar inhärieren. In der Logik betreibt das Denken, mit anderen Worten, „ein von sinnlichen Anschauungen und Zwecken, von Gefühlen, von der bloß gemeynten Vorstellungswelt fernes Geschäfte“. 40 Gerade aufgrund dieser Freiheit von konkreten sinnlichen Anschauungen, die zu den logischen Begriffen noch hinzutreten können, und von hilfreichen, beispielenden Vorstellungen gilt jedoch auch der Umkehrschluss, dass die Logik, die nur das Denken denkend zu explizieren sucht, zugleich auch „die schwerste Wissenschaft“ 41 darstellt. Gerade weil „sie es nicht mit Anschauungen, nicht einmal wie die Geometrie mit abstracten sinnlichen Vorstellungen, sondern mit reinen Abstractionen zu thun hat, [erfordert sie] eine Kraft und Geübtheit [. . .] sich in den reinen Gedanken zurückzuziehen, ihn festzuhalten und in solchem sich zu bewegen“. 42 Die Schwierigkeit der Logik hängt also unmittelbar mit ihrer Leichtigkeit zusammen. Die Frage: Was heißt Denken? ist nur scheinbar eine leichte und ist in der Tat nur schwer, d. h. auf methodisch äußerst komplexe Weise, zu beantworten. Dem Menschen, der als Animal rationale immer auch der sinnlichen Empfindung und der Möglichkeit des nur vorstellenden Denkens anheimgegeben ist, ist zwar die freie Explikation der rationalen Seite seiner Natur möglich. Auch hat er für Hegel nicht nur Einblick in die „Darstellung Gottes [. . .], wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist“ 43, d. h. nicht nur fallen Philosophie und Gottesdienst, wie Hegel im Kontext seiner Religionsphilosophie bemerkt, unmittelbar in eins 44, son39 40 41
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GW, Bd. 20, 61. GW, Bd. 21, 42 f. GW, Bd. 20, 61. Vgl. hierzu auch die Ausführungen von M. Gabriel: Transcendental Ontology. Essays in German Idealism. New York / London 2011, 115: „[. . .] the absolute idea does not exist outside of its finite manifestations as a given logical order ready to be discovered by finite thinkers who aim to reunite with their origin.“ GW, Bd. 20, 61. GW, Bd. 21, 34. Vgl. hierzu TWA, Bd. 16, 28: „So fällt Religion und Philosophie in eins zusammen; die Philosophie ist in der Tat selbst Gottesdienst, ist Religion, denn sie ist dieselbe Verzichtung
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dern die Philosophie, deren Fundament die logische Wissenschaft darstellt, ist sogar nichts anderes als die Selbsterkenntnis Gottes – im Sinne einer ewigen und apriorischen, alles Sein immanent durchwirkenden und sich darin selbst aktiv manifestierenden Gesetzmäßigkeit – im Menschen. Die Logik als die Sphäre der freien Selbstexplikation dieser Gesetzmäßigkeit, die hierin ihrer selbst bewusst wird, ist zwar das Reich der „Wahrheit, wie sie ohne Hülle an und für sich selbst ist“ 45, für den in Kontingenz und Endlichkeit befangenen Menschen aber, der die Gesetzmäßigkeit und strukturelle Wahrheit des Seins in freier Abstraktion allererst von dieser Hülle befreien muss, ist die strenge Explikation nur des Denkens und der logischen Bestimmungen, die „Welt der einfachen Wesenheiten, von aller sinnlichen Concretion befreyt“ 46, eben aus diesem Grund ein „Reich der Schatten“ 47. Hegels reife Logikkonzeption ist, wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, wesentlich Prozesslogik. Kein Aspekt oder Bestandteil ihres Inhalts, keine Bestimmung, Struktur oder Gesetzmäßigkeit dessen, was Denken heißt, wird in ihr einfach vorausgesetzt, als gegeben angenommen oder auch nur zusammen mit Anderem aufgelistet oder äußerlich zu einzelnen Sektionen zusammengefasst. Vielmehr besteht die Methode der Logik darin, dass die Bestimmungen des reinen Denkens genetisch auseinander entwickelt werden. Jeder Bestandteil der Logik ist demnach Moment eines einheitlichen und deduktiv verfahrenden Entwicklungsprozesses, der nur als Ganzes betrachtet und nur als sich in jene unterscheidbaren Momente entfaltend und differenzierend den wahren und systematisch vollständigen Begriff denkender Selbstbezüglichkeit ausmacht. 48
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auf subjektive Einfälle und Meinungen in der Beschäftigung mit Gott. Die Philosophie ist also identisch mit der Religion; aber der Unterschied ist, daß sie es auf eigentümliche Weise ist, unterschieden von der Weise, die man Religion als solche zu nennen pflegt. Ihr Gemeinsames ist, Religion zu sein; das Unterscheidende fällt nur in die Art und Weise der Religion. In dieser Eigenümlichkeit der Beschäftigung mit Gott unterscheiden sich beide.“ GW, Bd. 21, 34. GW, Bd. 21, 42. GW, Bd. 21, 42. In diesem Sinne hält Halfwassen (J. Halfwassen: „Die Einheit des Selbstbewußtseins und der Zirkeleinwand. Zur subjektivitätstheoretischen Bedeutung von Hegels Interpretation der Nouslehre Plotins“, in: Selbst – Singularität – Subjektivität. Vom Neuplatonismus zum Deutschen Idealismus. Amsterdam / Philadelphia 2002, 261–277, 269 f.) im Kontext seiner Interpretation der Plotinrezeption Hegels fest, dass Denken „für Hegel gerade kein Akt eines zunächst fürsichseienden Subjekts [ist], das sich darin auf ein von ihm getrenntes, gegenüberstehendes Objekt bezieht, so daß unbegreiflich bleiben muß, wie es sich in dieser Beziehung zugleich auf sich selbst beziehen kann; eine solche am Modell der Sinneswahrnehmung orientierte Ansicht des sich auf sich beziehenden Denkens bleibt dessen Einheit vielmehr prinzipiell unangemessen. Das, worauf das reine oder ursprüngliche Denken sich richtet, ist kein von ihm getrenntes Objekt, sondern die Einheit des noetischen Seins [. . .].“
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