Die Leitung und Überwachung der chinesischen und der deutschen Aktiengesellschaft: Ein Rechtsvergleich auch mit Rücksicht auf börsennotierte Tochtergesellschaften [1 ed.] 9783428544455, 9783428144457

Xiao Chen untersucht die Pflichtbindung der Organmitglieder in der chinesischen AG, bei der die konzentrierte Aktionärss

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Die Leitung und Überwachung der chinesischen und der deutschen Aktiengesellschaft: Ein Rechtsvergleich auch mit Rücksicht auf börsennotierte Tochtergesellschaften [1 ed.]
 9783428544455, 9783428144457

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Schriften zum Internationalen Recht Band 199

Die Leitung und Überwachung der chinesischen und der deutschen Aktiengesellschaft Ein Rechtsvergleich auch mit Rücksicht auf börsennotierte Tochtergesellschaften

Von

Xiao Chen

Duncker & Humblot · Berlin

XIAO CHEN

Die Leitung und Überwachung der chinesischen und der deutschen Aktiengesellschaft

Schriften zum Internationalen Recht Band 199

Die Leitung und Überwachung der chinesischen und der deutschen Aktiengesellschaft Ein Rechtsvergleich auch mit Rücksicht auf börsennotierte Tochtergesellschaften

Von

Xiao Chen

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 978-3-428-14445-7 (Print) ISBN 978-3-428-54445-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84445-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2013 / 2014 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Sie wurde in 2014 als eine der besten drei Dissertationen mit dem Promotionspreis der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin gewürdigt. Das Manuskript wurde im Juli 2013 abgeschlossen, wichtige Rechtsprechung sowie Literatur konnten noch bis April 2014 berücksichtigt werden. Gesetzesstand ist der 1.  März 2014. Mein ganz besonderer Dank gilt meiner akademischen Lehrerin, Frau Professor Dr. Christine Windbichler, die mir Freiheit bei Wahl und Ausarbeitung des Promotionsthemas gewährt und die Arbeit mit wertvollen Hinweisen und sanften Mahnungen begleitet und gefördert hat. Herrn Professor Dr. Thomas Raiser danke ich herzlich für die Übernahme und zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie die hilfreichen Anmerkungen. Wertvolle Anregungen und Hinweise für die Arbeit verdanke ich auch Herrn Professor Dr. iur. Dr. rer. pol. Dr. h. c. Christian Kirchner und Herrn Priv.-Doz. Dr. Knut Benjamin Pissler. Ein herzlicher Dank gilt insbesondere auch Herrn Professor Dr. Hans-Peter Benöhr für zahlreiche anregende Diskussionen und Ermutigungen. Schließlich danke ich dem Elsa-Neumann-Stipendium des Landes Berlin für das gewährte Promotionsstipendium und der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung für den bewilligten Druckkostenzuschuss. Für ihre Unterstützung gebührt vielen Studienkollegen, Freunden und Freundinnen mein herzlicher Dank. Besondere Erwähnung verdienen Herr Associate Professor Dr. Poyen Hu, Frau Rebeka Helmke, Frau Susann ­Hoerenz, Frau Sachiko Nagata-Warg und Frau Yen Vu, die meine schwierigen Phasen während des Jurastudiums und der Anfertigung dieser Arbeit miterlebt und mit Humor und Zuspruch den Weg zur Promotion versüßt haben. Ich danke den genannten Freundinnen zudem dafür, dass sie trotz Examensstress die umfangreichen Korrekturarbeiten übernommen haben. Größte Dankbarkeit schulde ich meinen Eltern, die meinen langjährigen Studienaufenthalt in Deutschland mit Liebe, Verständnis, Geduld und Zuversicht unterstützt haben. Ihnen widme ich die Arbeit. Berlin, im Juli 2014

Xiao Chen

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 § 1 Die chinesische Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Die historische Entwicklung der AG in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Das Kapitalgesellschaftsrecht in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 III. Die Organstruktur der chinesischen AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Die viergliedrige Organverfassung der AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 a) Die Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 b) Der Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 c) Der Geschäftsführer und sonstige leitende Manager . . . . . . . . . . 30 d) Der Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Der Vorstand der börsennotierten AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 IV. Zielsetzung der Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 § 2 Die chinesische börsennotierte AG und ihre Corporate Governance . . 43 I. Die börsennotierte AG in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Die Aktionärsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Die börsennotierten AGs in staatlichen Unternehmensgruppen . . . . 46 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Corporate Governance der börsennotierten AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Liberalisierung des Börsenzulassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Abbau der Aufspaltung der Aktien auf dem sekundären Markt . . . 51 3. Kapitalmarktpublizität und die Regelungsdurchsetzung . . . . . . . . . . 54 4. Behördliche Regulierungen der internen Corporate Governance der börsennotierten AGs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 5. Aktienoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 6. Der Übernahmemarkt und das Übernahmerecht . . . . . . . . . . . . . . . . 61 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 § 3 Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 I. Sorgfaltspflichten und Geschäftsleiterermessen im deutschen Recht . . 69 1. Sorgfalt als Verschuldensmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Sorgfältige Wahrnehmung der Organfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 aa) Legalitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 bb) Pflicht zur sorgfältigen Unternehmensleitung . . . . . . . . . . . . 76

8 Inhaltsverzeichnis cc) Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 78 dd) Organisations- und Überwachungspflichten . . . . . . . . . . . . . 80 b) Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 aa) Sorgfältige Erfüllung der Überwachungsaufgabe . . . . . . . . . 82 bb) Pflicht zur Mitarbeit und Zusammenarbeit im Aufsichtsrat und Pflicht zur persönlichen Wahrnehmung des Aufsichts­ ratsamts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 cc) Organisationspflicht und Informationspflicht . . . . . . . . . . . . 85 3. Geschäftsleiterermessen (BJR deutscher Prägung) . . . . . . . . . . . . . . 86 a) Tatbestandsmerkmale im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 aa) Unternehmerische Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 bb) Freiheit von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 cc) Handeln zum Wohle der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (1) Bestandsgefährdende Risiken als Schranke der Ermessens­ausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (2) Konkretisierungen bei der Fallgruppe Kreditvergabe . . . 96 dd) Handeln auf der Grundlage angemessener Information . . . . 98 b) Entsprechende Anwendung der BJR auf Aufsichtsratsmitglieder . 101 c) Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Rahmen der BJR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 II. Sorgfaltspflichten im chinesischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Sorgfaltsstandard im Schrifttum und der Gerichtspraxis . . . . . . . . . 109 2. Die BJR in der Diskussion und in der Gerichtspraxis . . . . . . . . . . . 112 a) Diskussionsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Gerichtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) Fusheng-Kunstfaser-Fall (2007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 bb) Miaoding-Mineralwasser-Fall (2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 cc) Chuanliu Ltd.-Fall (2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 dd) YE, Jianming-Fall (2002)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3. Auffächerung der Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Teilnahmepflicht und Pflicht zur aktiven und eigenverantwortlichen Amtsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Pflicht zur eigenen Urteilsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 c) Informationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 d) Überwachungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Sorgfalt als Verschuldensmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Sorgfältige Wahrnehmung der Organfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3. Einführung und Ausgestaltung der BJR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 a) Funktionen der BJR  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

Inhaltsverzeichnis

9

b) Kodifizierung der BJR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) Ausgestaltung der BJR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 § 4 Treuepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 I. Treuepflichten im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. Ein Überblick zur organschaftlichen Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . 143 2. Interessenkollision – insbesondere Eigengeschäfte . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Gesellschaftsinterne Entscheidungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 aa) Eigengeschäfte der Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (1) Unmittelbare Eigengeschäfte der Vorstandsmitglieder . . 147 (2) Kreditgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (3) Vorstandsvergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 bb) Eigengeschäfte der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Verhaltenspflichten aus der organschaftlichen Treuepflicht und gerichtliche Überprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 c) Rechtswirkung von Entscheidungsregeln und die gerichtliche Überprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Auswirkung von Entscheidungsregeln auf konkrete ­Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (1) Gesetzliche und satzungsmäßige Entscheidungsregeln . . 156 (2) Eigengeschäfte als Missbrauch der Vertretungsmacht . . 157 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 bb) Gerichtliche Überprüfung von Eigengeschäften . . . . . . . . . . 160 (1) Gerichtliche Kontrolle von Rechtsgeschäften . . . . . . . . . 160 (2) Gerichtliche Überprüfung in Haftungsprozessen . . . . . . 160 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3. Pflichtenkollision – insbesondere Mehrfachmandate . . . . . . . . . . . . 163 a) Pflichtenkollision bei Aufsichtsratsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . 163 b) Pflichtenkollision bei Vorstandsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 II. Die Treuepflicht im chinesischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Ein Überblick zu Tatbeständen der Treuepflichtverletzung . . . . . . . 167 2. Regelungen zu Eigengeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Unmittelbare Eigengeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) Kreditgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 c) Manager-Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 d) Verbot von schädlichen related party transactions . . . . . . . . . . . . 173 e) Stimmverbot der befangenen Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . 175 3. Rechtsfolgen der Treuepflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Schadensersatzanspruch und Anspruch auf Herausgabe von Einnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 b) (Un-)Gültigkeit der Rechtsgeschäfte bei Verstoß gegen gesetzliche Zustimmungserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

10 Inhaltsverzeichnis aa) Verstoß gegen das Zustimmungserfordernis in § 16 Abs. 2 KgG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 bb) Verstoß gegen § 16 Abs. 1 KgG und das satzungsmäßige Zustimmungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 cc) Zwischenergebnis – Überprüfungspflicht des Sicherungs­ gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 c) Überschreitung der satzungsmäßigen Befugnisse bei Eigen­ geschäften  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 d) Gerichtliche Angemessenheitskontrolle der Eigengeschäfte . . . . 184 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 III. Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Eigengeschäfte der Organmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Gesellschaftsinterne Entscheidungsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) Organkredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 c) Manager-Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 d) Rechtswirkung der gesellschaftsinternen Entscheidungsregel . . . 190 2. Mehrfachmandate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 § 5 Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären . . . 195 I. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Geschäfte mit Aktionären in konzernfreier AG . . . . . . . . . . . . . . . . 196 a) Tatbestand und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 b) Anwendungsfall: Darlehensgewährung und Sicherheitenbestellung zugunsten des Aktionärs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 c) Die Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. Beziehungen mit dem herrschenden Unternehmen im faktischen Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) Instrumente zur Kontrolle der herrschenden Einflussnahme . . . . 205 b) Ausgleichs- und Haftungssystem der §§ 311 ff. AktG . . . . . . . . . 209 aa) Nachteilsausgleichspflicht und Haftung des herrschenden Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 bb) Rechtsstellung des Tochtervorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 c) Anwendungsfall: aufsteigende Darlehen und Sicherheiten . . . . . 214 aa) Nachteiligkeit wegen Ausfallrisikos  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 bb) Nachteiligkeit wegen Liquiditätsrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 cc) Laufende Kontrolle des Kreditrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 dd) Zulässigkeit des zentralen Cash-Managements . . . . . . . . . . . 220 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 d) Qualifizierte Nachteilszufügung – Leistungsgrenze des Einzel­ ausgleichssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 aa) Das zulässige Ausmaß personeller Verflechtung . . . . . . . . . . 223

Inhaltsverzeichnis11 bb) Das zulässige Ausmaß der Konzernintegration . . . . . . . . . . . 226 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 3. Offenlegung von RPTs im Bilanz- und Kapitalmarktrecht . . . . . . . 231 II. Chinesisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 1. Entscheidungs- und Offenlegungsregeln der RPTs . . . . . . . . . . . . . . 234 a) Entscheidungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 aa) Entscheidungsträger, Verfahrensablauf und Stimmverbot . . . 234 bb) Sonderregelungen für day-to-day-RPTs . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 cc) Überprüfungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Offenlegungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 aa) Bilanzrechtliche Offenlegung von RPTs . . . . . . . . . . . . . . . . 240 bb) Offenlegung im Jahresbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 cc) Ad hoc-Mitteilung nach Listing Rules . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Regulierung der „Finanzmittelaneignung durch den Großaktionär“ . 245 a) Regulierungsmaßnahmen der CSRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Das Spannungsverhältnis zum zentralen Cash-Management in (staatlichen) Unternehmensgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 3. Regulatorische Schranken für die Führung von börsennotierten Tochtergesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Das Unabhängigkeitserfordernis der CSRC . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 III. Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 1. Die Zustimmungskompetenz der Hauptversammlung und das Stimmverbot der befangenen Aktionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2. Personelle Verflechtung in Unternehmensgruppen und Minderheitenvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3. Materielle Zulässigkeitsmaßstäbe der herrschenden Einflussnahme . 262 4. Zulässigkeitsgrenze der aufsteigenden Darlehen und Sicherheiten und der Konzernfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 § 6 Durchsetzung der Organpflichten durch Aktionärsklage . . . . . . . . . . . . 272 I. Die Aktionärsklage im deutschen Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Klagemöglichkeiten der Aktionäre gegen pflichtwidriges Organ­ verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 a) Durchsetzung der Schadensersatzansprüche der Gesellschaft . . . 273 b) Die unmittelbare Aktionärsklage auf Schadensersatz . . . . . . . . . 274 c) Die Aktionärsabwehrklage und Feststellungsklage . . . . . . . . . . . 275 2. Das Klagezulassungsverfahren und seine praktische Umsetzung . . 277 3. Die Aktionärsklage im Konzernverhältnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 II. Die Aktionärsklage im chinesischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

12 Inhaltsverzeichnis 1. Die Klagemöglichkeiten der Aktionäre gegen pflichtwidriges ­Organverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 a) Die unmittelbare Aktionärsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 b) Die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen Vorstandsbeschlüsse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 2. Die Klage der Aktionäre aus abgeleitetem Recht und die praktische Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 III. Rechtsvergleichende Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 1. Die unmittelbare Aktionärsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 2. Die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 3. Die abgeleitete Aktionärsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 4. Die analoge Anwendung der abgeleiteten Aktionärsklage auf Haftungsansprüche gegen Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 § 7 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht Abs. Absatz a. E. am Ende a. F. alte(r) Fassung AG Aktiengesellschaft; Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Anh. Anhang Anm. Anmerkung Aufl. Auflage BB Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bd. Band Bearb. Bearbeiter Begr. Begründung BGH Bundgesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BilMoG Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz BJR Business Judgment Rule BT-Drucks. Drucksache des Deutschen Bundestages BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bzw. beziehungsweise CA Companies Act ca. circa CASS Chinese Academy of Social Sciences CBRC China Banking Regulatory Commission CCZ Corporate-Compliance-Zeitschrift CGK Corporate Governance Kodex für börsennotierte Aktiengesellschaften in China CIRC China Insurance Regulatory Commission Corp. Corporation CSR Corporate Social Responsibility CSRC China Securities Regulatory Commission DB Der Betrieb (Zeitschrift) DCGK Deutscher Corporate Governance Kodex ders. derselbe

14 Abkürzungsverzeichnis d. h.

das heißt

dies.

dieselbe, dieselben

D&O

Directors & Officers (-Versicherung)

DStR

Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)

EBOR

European Business Organization Law Review

edit. editors et al.

et alii (und andere)

f.

und folgende (Seite)

ff.

und folgende (Seiten)

Fn. Fußnote FS Festschrift GEM

Growth Enterprise Market

ggf. gegebenenfalls GmbHR GmbH-Rundschau h. L.

herrschende Lehre

h. M.

herrschende Meinung

Hrsg. Herausgeber i. H. v.

in Höhe von

IPO

Initial Public Offerings

i. S. d.

im Sinne des / der

i. V. m.

in Verbindung mit

JZ JuristenZeitung Kap. 

Kapitel

KG Kammergericht KgG

Das Kapitalgesellschaftsgesetz der VR China

KonTraG

Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich

LG Landgericht lit.

litera / Buchstabe

MBO

Management Buy Out

m. E.

meines Erachtens

Mio. Millionen MoMiG

Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen

Mrd. Milliarden m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

n. F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenzeitschrift

NJW-RR

NJW-Rechtsprechung-Report Zivilrecht

Abkürzungsverzeichnis15 Nr. Nummer NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht OLG Oberlandesgericht Para. Paragraph RegE Regierungsentwurf RGZ Entscheidung des Reichsgerichts in Zivilsachen RMBCA Revised Model Business Corporation Act Rn. Randnummer RPT Related Party Transaction RS Rechnungslegungsstandards S.  Satz / Seite SASAC State-owned Assets Supervision and Administration Commission of the State Council Sec. Section SHSE Shanghai Stock Exchange SOA Sarbanes-Oxley-Act SOE State Owned Enterprise sog. sogenannte(n) SZSE Shenzhen Stock Exchange TransPuG Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) u. a. unter anderem / und anderen UEStG Unternehmenseinkommensteuergesetz der VR China UMAG Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts VG Das Vertragsgesetz der VR China vgl. vergleiche Vorb. Vorbemerkung VorstAG Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung WM Wertpapiermitteilungen, Zeitschrift für Wirtschaft und Bankrecht WpG Das Wertpapiergesetz der VR China WpPG Wertpapierprospektgesetz z. B. zum Beispiel ZG Zeitschrift für Gesetzgebung ZGR Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZHR Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziff.  Ziffer ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik

Einleitung Wie in den großen Industrieländern findet die Diskussion über „Corporate Governance“ bereits seit geraumer Zeit in China statt. Mit guter „Corporate Governance“ sollte die Wettbewerbsfähigkeit Chinas in der internationalen Wirtschaftsordnung verbessert werden, weil es Investoren, insbesondere ausländischen institutionellen Investoren, gerade auf eine gute Corporate Governance ankomme.1 Der chinesische Gesetzgeber hat infolgedessen ein Bedürfnis nach besseren internen Kontrollmechanismen und insbesondere einer Verschärfung der Organpflichten und -haftung gesehen, veranlasst einerseits durch die Wirtschaftskrise in Südostasien und die Unternehmensskandale in den USA in der jüngeren Vergangenheit und andererseits durch die Straffälligkeit des Führungspersonals von mehreren chinesischen börsennotierten AGs in den letzten Jahren.2 Auch für die börsennotierten AGs, bei denen die mittels Marktkräfte wirkenden, externen Steuerungsmechanismen als Alternative in Betracht kommen, ist die Regulierung der Unternehmensführung durch das Organisations- und Organhaftungsrecht in China gleichwohl von erheblicher praktischer Bedeutung, weil unter den Gegebenheiten des chinesischen Kapitalmarkts die Marktsteuerung nur sehr begrenzt einsatzfähig ist.3 Das 2005 gründlich reformierte Kapitalgesellschaftsgesetz (KgG) verpflichtet in § 147 Abs. 1 (§ 148 Abs. 1 KgG 2005)4 die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sowie die leitenden Manager ausdrücklich zu Treue und Fleiß. Es ist nunmehr für die Anteilseigner möglich, unter den Voraussetzungen des § 151 (§ 152 KgG 2005) Haftungsansprüche der Gesellschaft gegen die oben genannten Personen im Namen der Gesellschaft einzuklagen. Während die einzelnen Treuebruchtatbestände in § 148 (§ 149 KgG 1  陈清泰 [CHEN, Qingtai], „加入WTO与中国的公司治理改革“ [WTO-Beitritt und Corporate Governance-Reform in China], 《中国经济时报》 [Chinesische Wirtschaftszeitung] (07.06.2002), http: /  / www.china.com.cn / chinese / zhuanti / 169145.htm (abgerufen am 24.06.2013). Der Verfasser war derzeit ein stellvertretender Dirktor des Entwicklungsforschungszentrums des Staatsrats. 2  Vgl. Jiang, in: FS Horn (2006), S. 435, 441. 3  Eingehend § 2 II. 4  Mit der letzten Reform des KgG vom 28.12.2013 haben sich die Paragrafen verändert. Zur Klarstellung werden im Folgenden die Paragrafen der alten und neuen Gesetzesversion zitiert. Soweit die Gesetzesversion nicht erwähnt wird, handelt es sich um die aktuelle.

18 Einleitung

2005) aufgelistet werden, enthält das Gesetz zur Fleiß- bzw. Sorgfaltspflicht weder Definitionen noch Regelbeispiele. Der größte Teil der Veröffentlichungen zur Organhaftung versucht aus den US-amerikanischen Judikaturen die Treue- und Sorgfaltspflichten zu konkretisieren.5 Auch im deutschen Recht ist es gängige Praxis, die generalklauselartige Vorschrift zur Organpflicht des § 93 Abs. 1 AktG durch rechtsvergleichende Verarbeitung des stoffreichen US-amerikanischen Richterrechts zu konkretisieren.6 Aber die Rechtsvergleichung in Deutschland und China unterscheidet sich erheblich in ihren Ausgangspunkten und Zielsetzungen. Während es in Deutschland um die Ausfüllung der haftungsrechtlichen Generalklausel durch punktuelle Aufnahmen der nützlichen ausländischen Rechtsideen im Rahmen des eigenen dogmatisch bereits hinreichend strukturierten Organhaftungsrechts geht, geht es in China darum, die als vage und unbrauchbar wahrgenommene eigene haftungsrechtliche Generalklausel durch umfassende Übertragung des US-amerikanischen Rechts zu erschließen. Es ist aber fraglich, in welcher Weise das Organhaftungsrecht eines Landes, das sich der Technik der Kodifizierung bedient, auf der Grundlage der fremden Fallmaterialien ausgebaut werden kann. Wenn man das US-amerikanische Richterrecht in der Weise „kodifizieren“ würde, dass die Rulings der Leitentscheidungen wie Gesetzesbestimmungen gehandhabt werden,7 bestünde die Gefahr, dass man im inländischen Recht nur Verwirrung anrichten würde. Wenn das Recht des Importlandes außerstande ist, eine dogmatische Struktur anzubieten, in der sich die ausländischen Rechtsinstitute angemessen ansiedeln können, dann wird das geschluckte ausländische Recht ein Fremdkörper bleiben, der eher störend als hilfreich wirkt. Dafür ist der Umgang der chinesischen Gerichtspraxis und des Schrifttums mit der Business Judgment Rule der US-amerikanischen Prägung ein gutes Beispiel.8 Ein Anliegen der vorliegenden Arbeit ist deswegen, mit Hilfe des dogmatisch gut strukturierten deutschen Rechts das chinesische Recht (nicht das Gesetz) zu Organpflichten auszuarbeiten. 5  李燕 [LI, Yan], 《现代法学》 [Moderne Rechtswissenschaft], 01 / 2008, S.  121 ff.; 任自力 [Ren, zili], 《比较法研究》 [Rechtsvergleichende Forschung], 02 / 2007, S. 109 ff.; 汪青松 [WANG, Qingsong], 《东北大学学报》 [Wissenschaftsmagazin der Nordosten-Universität], 09 / 2008, S. 431 ff. 6  Vgl. z. B. Abeltshauser, Leitungshaftung; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen; Knapp, Treuepflicht. 7  Vgl. z. B. bei 李燕 [LI, Yan], 《西南民族大学学报》 [Wissenschaftsmagazine der Südosten-Na7tionalitäten-Universität], 03 / 2009, S. 227, 231, die zur Konkretisierung der Vorstandspflichten in der Übernahmesituation vorschlägt, die Rulings in drei wichtigsten Entscheidungen des Delaware Supreme Court (Unocal Corp. v. Mesa Petroleum Co., Revlon, Inc. v. MacAndrews & Forbes Holdngs, Paramount Communications, Inc. V. Time Inc.) gesetzlich niederzulegen. 8  Dazu näher § 3 II. 2.

Einleitung

19

Wegen der typischerweise konzentrierten Aktionärsstruktur besteht der Prinzipal-Agent-Konflikt bei börsennotierten chinesischen AGs vornehmlich im Verhältnis der Aktionäre untereinander.9 In der Öffentlichkeit besonders negativ wahrgenommen werden die vielfältigen Vermögenszuwendungen der börsennotierten Gesellschaften an ihre Großaktionäre, die häufig in beträchtlichem Maße vorgekommen sind. In den wenigen Fällen, in denen die Minderheitsaktionäre der Gesellschaften mit Klagen Abhilfe schaffen wollten, wurden meistens nur die Großaktionäre und nicht die Organmitglieder als Beklagte in Anspruch genommen.10 Eine Erklärung dafür sieht man in der besseren Bonität der Großaktionäre, die in der Regel ein Unternehmen sind.11 Diese praktische Erwägung ist nachvollziehbar, weil die Vorstellung, ein Unternehmen sei zahlungsfähiger als eine natürliche Person, in der chinesischen öffentlichen Wahrnehmung wohl immer noch gegenwärtig ist. Diese Prämisse lag auch dem § 60 Abs. 3 KgG 1993 zugrunde, der Sicherheitsleistungen im Namen der Gesellschaft für natürliche Personen verbot. Erst im Vorfeld der Gesetzesnovellierung 2005 hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass eine derartige Einschränkung nicht mehr zeitgemäß und für das Risiko des Sicherungsgebers nicht die Identität, sondern die Bonität der Hauptschuldner im konkreten Fall entscheidend ist.12 Eine weitere plausible Erklärung für das äußerst geringe Haftungsrisiko der Organmitglieder wegen Vermögenszuwendungen an Aktionäre können die hohen Schwellen der abgeleiteten Aktionärsklage liefern, die die kleinen Aktionäre der chi­ nesi­schen börsennotierten AGs besonders hart betreffen.13 Vermutlich besteht das Hauptproblem aber in dem noch schwach ausgeprägten Bewusstsein aller beteiligten Akteure darüber, von wessen Interessen sich die Organmitglieder vorrangig leiten lassen müssen. Nicht nur die unabhängigen Vorstandsmitglieder, sondern auch die Organmitglieder als solche und insbesondere diejenigen, die aufgrund der Nominierung eines Großaktionärs in den Vorstand oder Aufsichtsrat gewählt oder als leitende Manager vom Vorstand bestellt sind, sollen Interessenhüter der Gesellschaft sein. Es scheint, dass nicht nur die Aktionäre, sondern auch die Börsenaufsichtsbehörde über dieses Bewusstsein nicht verfügen. Die detaillierten Regelungen der CSRC (China Securities Regulatory Commission) zur Überwachung der related party transactions durch die unabhängigen Vorstands9  Dazu

§ 2 I. 1. Haftungsfällen in China § 6 II. 2. 11  马太广 [MA, Taiguang], 《董事责任》 [Haftung der Vorstandsmitglieder], S. 317. 12  Vgl. 王玉梅 [WANG, Yumei], 《现代法学》 [Moderne Rechtswissenschaft], 04 / 2004, S. 139, 140; 赵旭东 [ZHAO, Xudong], in: 王保树 / 王文宇主编 [WANG, Baoshu / WANG, Wenyu (Hrsg.)], S. 145, 152. 13  Eingehend § 6 II. 2. 10  Zu

20 Einleitung

mitglieder14 erwecken den Eindruck, dass die Kontrolle der Geschäfte mit Aktionären nur Sache der unabhängigen Vorstandsmitglieder sei. Aus diesem Grund bedarf es einer Aufarbeitung der Pflichtenbindung der Organmitglieder bei Geschäften mit Aktionären im chinesischen Recht. Zudem können die Organmitglieder aus der Perspektive der Anspruchsrealisierbarkeit unter Berücksichtigung der Möglichkeit der Inanspruchnahme einer D&O-Versicherung15 unter Umständen bessere Schuldner sein als die Aktionäre, auch dann, wenn die Aktionäre Großunternehmen sind. Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in die Aktiengesellschaft und das Kapitalgesellschaftsrecht in China (§ 1) mit dem Schwerpunkt auf die börsennotierten AGs (§ 2). Dieser Teil dient als Grundlage für die darauf folgende rechtsvergleichende Untersuchung. Der zweite Teil wendet sich den Sorgfalts- und Treuepflichten der Organmitglieder zu. Dabei wird auf die Sorgfaltspflichten, die Business Judgment Rule (§ 3) und die Treuepflichten mit Schwerpunkt auf Eigengeschäfte und Pflichtenkollisionen (Kapitel 4) im deutschen und chinesischen Recht eingegangen. Der dritte Teil widmet sich der Pflichtbindung der Organmitglieder bei Geschäften der Gesellschaft mit Aktionären (§ 5). Dieser Teil ist eine Vertiefung der Organpflichten unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Organmitglieder chinesischer börsennotierter AGs, die typischerweise von einem Großaktionär beherrscht sind, in starken Interessenkonflikten zwischen Groß- und Kleinaktionären stehen. Der letzte Teil gibt zur Abrundung der Untersuchung einen Überblick über die Durchsetzung der Organpflichten durch die Aktionärs­ klage. Das abschließende siebte Kapitel fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen.

14  Dazu

siehe § 5 II. 1. a) aa). Zulässigkeit der D&O-Versicherung wurde von der CSRC in § 39 des am 07.01.2002 bekanntgegebenen CGK anerkannt, wonach die börsennotierten AGs mit Zustimmung der Hauptversammlung den Vorstandsmitgliedern D&O-Versicherungen besorgen dürfen. Gleich daraufhin begann China Ping An Insurance Co., Ltd. zusammen mit der chinesischen Tochtergesellschaft des amerikanischen Versicherungskonzerns Chubb den Vertrieb von D&O-Versicherungen. Bis 2011 haben jedoch nur 5 % der börsennotierten AGs, also ca. 100, für ihre Vorstandsmitglieder und leitende Manager D&O-Versicherungen abgeschlossen, wobei 80 % von ihnen dies aus Grund eines beabsichtigten ausländischen Börsengangs getan haben. Dazu siehe den Zeitungbericht „上市公司责任险调查:已披露中报公司62 % ,裸险‘ “ [Untersuchung der D&O-Versicherung der börsennotierten AGs: 63 % der AGs, die den Halbjahresbericht bekannt gegeben haben, sind „nakt“], 《证券日报》 [Wertpapier-Tageszeitung] (21.07.2011), http: /  / zqrb.ccstock.cn / html / 2011-07 / 21 / content_253104.htm (zuletzt abgerufen 24.06.2013). 15  Die

§ 1  Die chinesische Aktiengesellschaft Aktiengesellschaften und Wertpapiermärkte sind in der VR China erst in den 1980er Jahren wieder entstanden. Sie hängen eng mit der chinesischen Wirtschaftsreform und der Reform der staatlichen Unternehmen (SOE) zusammen,1 welche auch die rechtspolitische Zielsetzung des Kapitalgesellschaftsgesetzes (KgG) mit bestimmt hat. Im Folgenden ist nach einer kurzen Schilderung der Entwicklung der AG (I.) eine Übersicht über das KgG (II.) zu geben und anschließend auf die Organstruktur der chinesischen AG (III.) einzugehen.

I. Die historische Entwicklung der AG in China Die chinesische AG entwickelte sich aus dem sog. „anteilsmäßigen Kooperationsunternehmen“. Diese Organisationsform entstand auf dem Land zu Beginn der 80er Jahre, wo die dörflichen Kollektivbetriebe Anteilsscheine an ihre Arbeitnehmer ausgaben, und fand dann Verwendung auf die städtischen Kollektivbetriebe und so dann auf die staatlichen Betriebe. Im Juli 1984 wandelte sich zum ersten Mal ein staatliches Unternehmen, das Kaufhaus Tianqiao in Beijing, in eine Aktiengesellschaft um und gab Aktien an die Betriebsangehörigen aus. Dabei handelt es sich um einen von der Regierung geduldeten eigenen Reformversuch. Für den Aktienhandel wurden OTCMärkte (over the counter) zunächst im August 1986 in Shenyang und im September 1986 in Shanghai zugelassen und später auch in vielen anderen Städten. Für die neue Form von Arbeits- und Kapitalkooperation wurde erstmalig im Dokument Nr. 1 (1985) der Parteizentrale der Begriff „anteilsmäßige Kooperation“ (股份式合作) gebildet. Bei der anteilsmäßigen Kooperation steht die Kapitalsammelfunktion ebenso im Vordergrund wie bei der AG, die man in entwickelten Ländern kennt. Sie stellt aber zugleich einen Zusammenschluss von Kapital und Arbeitskraft in der Form dar, dass die Anteile nur von der Belegschaft gezeichnet werden dürfen. Daher kann man das anteilsmäßige Kooperationsunternehmen als „Anteilsgenossen­schaft“2 bezeichnen. Die AGs, die in der Anfangsphase der Reform durch die Umwandlung der staatlichen Unternehmen entstanden, wiesen dasselbe Kooperationsele1  Vgl. ausführliche Darstellungen bei Bokeloh, Rechtliche Grundlagen, S. 37–54; Comberg, Organisationsverfassung, S. 21–43. 2  So zurecht Comberg, Organisationsverfassung, S. 29.

22

§ 1  Die chinesische Aktiengesellschaft

ment auf. Die Aktien wurden ausschließlich an die eigene Belegschaft ausgegeben. Durch die Zeichnung von Aktien wurden die Arbeitnehmer zu Miteigentümern der staatlichen Unternehmen erhoben und ihre Beteiligung im Unternehmen gestärkt.3 Der Kreis der Zeichnungsberechtigten wurde erst dann auf das Publikum erweitert, als man erkannte, dass ansonsten das riesige Kapitalbedürfnis der zu reformierenden staatlichen Unternehmen nicht befriedigt werden konnte. Die „Anteile“ bzw. „Aktien“, die in dieser Phase ausgegeben wurden, unterschieden sich im Wesentlichen nicht von Schuldverschreibungen. Die „Aktien“ wurden sogar häufig mit einer Garantie der Eigenlagenrückgewähr und fester Dividende ausgegeben.4 Zudem wurde dem „Aktien“-Inhaber häufig kein Stimmrecht gewährt.5 Die im Jahre 1978 eingeleitete SOE-Reform bezweckte die Vitalisierung der staatlichen Betriebe, insbesondere die Trennung der Regierung von der Unternehmung. Bis zur Mitte der 1980er Jahre haben sich zwei Reformansätze entwickelt, nämlich das „Pachtsystem“ (承包制) und das „Anteilssystem“ (股份制). Der erste Ansatz stammt aus den Erfahrungen mit der damals erfolgreich durchgeführten Ackerlandsreform, in der die vertragliche Übertragung der Bewirtschaftung des Ackerlands auf die Bauernfamilien die Produktivität der Agrarwirtschaft erheblich erhöhte. Unter dem Pachtsystem wird die gesamte Betriebsführung der SOEs an ihre Geschäftsleiter übertragen und die Rechte und Pflichten der Geschäftsleiter wurden durch detaillierte Verträge mit der Regierung geregelt. Dieser Ansatz zielt darauf ab, die Unternehmensführung durch die sichergestellte autonome Betriebsführung der SOEs und die klare Verantwortung ihrer Geschäftsleiter zu verbessern. Demgegenüber sieht der Ansatz des Anteilssystems den Weg der Unternehmensreform in der Änderung der Eigentumsstruktur der SOEs. Das Konzept „Unternehmen mit Anteilssystem“ (股份制企业) wurde von dem Ökonomen LI, Yi’ning mit zwei Kollegen entwickelt.6 Danach sollten sich die staatlichen Betriebe zuerst in Kapitalgesellschaften umwandeln, um das Eigentumsrecht und das Betriebsrecht klar voneinander zu trennen. Sodann sollte ein Teil der umgewandelten Unternehmen an die Börse gehen, so dass sie Münzel, in: CEDIDAC (Hrsg.), Chinesisches Wirtschaftsrecht, S. 19, 41. Thümmel, Wirtschaftsreform, S. 3 mit weiteren Hinweisen auf die chinesische Literatur. 5  Dazu Münzel, in: CEDIDAC (Hrsg.), Chinesisches Wirtschaftsrecht, S. 19, 44. 6  Grundlegend 厉以宁 [LI, Yi´ning], „我国所有制改革的设想“ [Überlegungen über die Reform des Eigentumssystems], 《人民日报》 [Volkszeitung] (26.09.1986). Eine zusammenfassende Darstellung der Theorie des Anteilssystems mit umfassenden Literaturhinweisen findet sich in der Mitteilung der Kommission zur Verleihung von Preisen für innovative Wirtschaftstheorien Chinas über die Kandidaten des Jahres 2009, http: / / finance.sina.com.cn / hy / 20090610/01226326603.shtml (zuletzt abgerufen am 23.06.2013). Außerdem gewann die Theorie des Anteilssystems den ersten Preis in diesem Jahr. 3  Vgl.

4  Dazu



I. Die historische Entwicklung der AG in China23

sich einerseits mittels des Kapitalmarkts finanzieren können und andererseits von den Publikumsaktionären kontrolliert werden. Die Theorie des Anteilssystems hat wegen ihres Privatisierungsansatzes eine ideologische Grundsatzdebatte über die Richtung der SOE-Reform in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre ausgelöst.7 Während das liberale Lager die Änderung der Eigentumsstruktur der staatlichen Unternehmen als unausweichlich ansah, beharrte das konservative Lager auf einer Verbesserung der Betriebsführung der SOEs. Trotz der ideologischen Bedenken gegenüber der Theorie des Anteilssystems hat der Staatsrat, die zentrale Regierung, erlaubt, dass die lokalen Regierungen in ausgesuchten großen und mittleren SOEs Experimente mit dem Anteilssystem machen können.8 Die offene Haltung des Staatsrats ging nicht zuletzt darauf zurück, dass der damals amtierende Sekretär der Parteizentrale, HU, Yaobang, der zum liberalen Lager gehörte, das Konzept des Anteilssystems guthieß.9 Die Anti-Liberalismus-Bewegung innerhalb der Partei führte zu seinem Rücktritt im Januar 1987. Damit änderte sich auch die Einstellung des Staatsrats. Im März 1987 untersagte dieser die Aktienemission der SOEs grundsätzlich und beschränkte die Versuche mit dem Anteilssystem auf eine kleine Zahl von Kollektivbetrieben.10 Damit kamen die von der Regierung geleiteten aktienrechtlichen Experimente nahezu vollständig bis zur zweiten Hälfte des Jahres 1990 zum Erliegen.11 Aber die Pilotprojekte mit dem Anteilssystem zwischen 1987 und 1991 zeigten bessere Ergebnisse als das Pachtsystem.12 Die nach dem Pachtmodell reformierten SOEs wiesen eine Steigerung der Produktivität 7  Grundlegend 厉以宁 [LI, Yi’ning], „我国所有制改革的设想“ [Überlegungen über die Reform des Eigentumssystems], 《人民日报》 [Volkszeitung] (26.09.1986). Eine zusammenfassende Darstellung der Theorie des Anteilssystems mit umfassenden Literaturhinweisen findet sich in der Mitteilung der Kommission zur Verleihung von Preisen für innovative Wirtschaftstheorien Chinas über die Kandidaten des Jahres 2009, http: /  / finance.sina.com.cn / hy / 20090610 / 01226326603.shtml (zuletzt abgerufen am 23.06.2013). Außerdem gewann die Theorie des Anteilssystems den ersten Preis in diesem Jahr. 8  Näher zum Streit um die ideologische Zulässigkeit der AG bei Bokeloh, Rechtliche Grundlagen, S. 111 ff. 9  《国务院关于深化企业改革增强企业活力的若干规定》 [Mitteilung des Staatsrats zu einigen Fragen der Vertiefung der Unternehmensreform zur Erhöhung der Effizienz der Unternehmen] (05.12.1986). 10  Vgl. das Interview mit Li, Yi’ning bei 马国川 [MA, Guochuan], „厉以宁:被 耽搁的股份制“ [LI, Yi’Ning: das versäumte Anteilssystem], 《经济观察报》 [Zeitung der Wirtschaftsbeobachtung] (06.05.2008), http: /  / www.eeo.com.cn / observer /  pop_commentary / 2008 / 05 / 06 / 98796_2.html (zuletzt abgerufen am 23.06.2013). 11  国务院 [Staatsrat], 《关于加强股票 / 债券管理的通知》 [Mitteilung über die Verstärkung der Verwaltung von Aktien und Schuldverschreibungen] (28.03.1987). 12  Trotz der Politikänderung wurden neue AGs weiter gegründet. Dazu Comberg, Organisationsverfassung, S.  30 m. w. N.

24

§ 1  Die chinesische Aktiengesellschaft

und der Einkommen der Belegschaft und aber eine Minderung der Ertragsfähigkeit auf.13 Diese unbefriedigende Praxis führte dazu, dass immer mehr Stimmen die Änderung der Eigentumsstruktur der SOEs nach dem Anteilssystem befürworteten. Der ideologische Streit über die Richtung der Wirtschaftsreform wurde durch die berühmte Rede von DENG, Xiaoping über den Aufbau der Marktwirtschaft im Frühling 1992 zum Ende gebracht, mit der klargestellt wurde, dass die Unterscheidung zwischen Planung und Markt nicht den wesentlichen Unterschied zwischen Sozialismus und Kapitalismus ausmacht. Damit wurde das ideologische Hindernis auch für die „Anteilssystem“-Reform überwunden, was die Gesetzgebung eines Kapitalgesellschaftsgesetzes beschleunigte.14

II. Das Kapitalgesellschaftsrecht in China Nachdem mit den „Vorläufigen Regeln der Stadt Shenzhen über die Aktiengesellschaften“ vom 17.03.1992 zunächst auf lokaler Ebene ein umfassendes Aktienrecht entstanden war, schuf der Ausschuss für die Wirtschaftsstrukturreform mit zwei Regelwerken vom 15.05.1992 auf der nationalen Ebene die rechtliche Grundlage für die AGs.15 Mitte Februar 1993 wurde der erste Entwurf für das KgG dem Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses zur Beratung eingereicht. Die zweite und dritte Beratung folgte jeweils Ende Juni und Ende Dezember 1993. Im Beschluss der dritten Plenarsitzung des 14. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas vom 14.11.1993 wurde der Aufbau des modernen Unternehmens als Reformrichtung festgesetzt und die Umwandelung der SOE in die Kapitalgesellschaft als der Weg zum modernen Unternehmen bestätigt. Dadurch demonstrierte die Führungsebene ihre Unterstützung zu der bevorstehenden Verkündung des KgG. Gleichzeitig mit der Verabschiedung des KgG am 29.12.1993 erließ der Staatsrat eine Verordnung über die Aktienemission und den Aktienhandel16 und stellte damit die Rechtsgrundlage für den Börsengang der reformierten SOEs bereit. Die rechtspolitische Zielsetzung des KgG 1993 als Unterstützung der SOE-Reform kam in dessen § 1 klar zum Ausdruck, wonach das Gesetz pri13  汪海波 [WANG, Haibo], „国有企业改革“ [Reform der Staatlichen Unternehmen], http: /  / finance.ifeng.com / opinion / jjsh / 20090902 / 1183159.shtml. 14  Zu empirischen Untersuchungen über die Wirkungen der SOE-Reform bis zu 1993 bei Yuen / Zhang, in: Nakamura (edit.), S. 63, 64. 15  《股份有限公司规范意见》 [Normierungsansichten zur Aktiengesellschaften]; 《股份制企业试点办法》 [Methode für die Pilotenprojekte mit Anteilsunternehmen]. 16  《股票发行与交易管理条例》 [Verordnung zur Verwaltung von Aktienemission und -handel].



II. Das Kapitalgesellschaftsrecht in China25

mär dazu dient, „dem Bedürfnis zum Aufbau der modernen Unternehmen entgegenzukommen“. Das Gesetz hat zwei Regelungsaufgaben, nämlich die Klarstellung der Rechtsbeziehung zwischen dem Staat und den reformierten SOEs und die Kontrolle der Macht der Geschäftsleiter. Im Vorfeld der Gesetzgebung war die Frage über die Zuordnung der Vermögensgegenstände, die der Staat in SOEs investiert, das wichtigste Thema im juristischen Schrifttum. Das Recht der reformierten SOEs an dem Betriebsvermögen wurde ­teilweise als Besitz, teilweise als Nießbrauch und teilweise als „wirtschaft­ liches Eigentum“ im Gegensatz zum „juristischen Eigentum“ des Staats konzipiert.17 Solche Auffassungen haben eines gemeinsam; sie lehnen ein vollständiges Eigentum der reformierten SOEs an dem Betriebsvermögen ab. Damit übereinstimmend wurde in § 4 Satz 3 KgG 1993 das Staatseigentum an den von dem Staat in die Kapitalgesellschaft eingebrachten Vermögensteilen vorgeschrieben und der Begriff „Vermögensrecht juristischer Person“ eingeführt. Nach der Interpretation der damaligen Abteilung zur Verwaltung des staatlichen Vermögens des Staatsrats sei darunter eine Kombination vom Betriebsrecht und juristischer Person zu verstehen.18 Daraus ergibt sich, dass sich der Gesetzgeber des KgG 1993 bei der Ausgestaltung der Eigentumsverhältnisse zwischen Staat und Unternehmen immer noch zwischen dem Eigentums- und Betriebsrechtsansatz schwankte. Für die zweite Regelungsaufgabe setzte das KgG 1993 auf das Organisationsrecht und Haftungsrecht. Es löste die eingliedrige Struktur der Gemeineigentumsunternehmen mit einer viergliedrigen Organstruktur ab und änderte die zentrale Machtstellung des Geschäftsführers.19 Zudem wurde die Binnenstruktur der AG und GmbH im Wesentlichen gleich ausgestaltet. Mit anderen Worten hat das KgG 1993 die GmbH als kleine AG konzipiert. Man sieht den Grund darin, dass in der SOE-Reform die Trennung von Eigentum und Geschäftsführung als ein wesentlicher Vorteil der Kapitalgesellschaft als solche angesehen wurde und es vernachlässigt wurde, dass die GmbH weniger durch diese Trennung geprägt ist als die AG.20 Schließlich wurde die persönliche Haftung der Organmitglieder gegenüber der Kapitalgesellschaft erstmalig anerkannt. Mit der tiefgreifenden Reform des KgG in 2005 wurde klargestellt, dass die weitere Entwicklung des Kapitalgesellschaftsrechts von der SOE-Reform abzukoppeln ist. Der Begriff der „modernen Unternehmen“ in § 1 KgG 1993 war von jeher umstritten.21 Ebenso umstritten war die Wirkung der 17  Siehe

die Darstellung des Meinungsstreits 史际春 [SHI, Jichun], S. 98 f. 史际春 [SHI, Jichun], S. 112. 19  Dazu eingehend gleich unten III. 20  王保树 [WANG, Baoshu], 《现代法学》 [Moderne Rechtswissenschaft], 01 / 2005, S. 39, 43. 21  Eine Übersicht des Meinugnsstreits bei 王红一 [WANG, Hongyi], 《学术研 究》 [Akademische Forschung], 06 / 2001, S. 89, 90. 18  Dazu

26

§ 1  Die chinesische Aktiengesellschaft

Rechtsform Kapitalgesellschaft für die SOE-Reform. Vor allem wurde unter Wirtschaftsrechtlern vertreten, die Umwandlung in die Kapitalgesellschaft ermögliche den SOEs den Aufbau einer auf einer gemischten Eigentumsstruktur beruhenden, von Machtteilung und Ausgleich geprägten Governance-Struktur, während die Gesellschaftsrechtler überwiegend der Ansicht waren, dass die Rechtsform der Kapitalgesellschaft als solche ein klares Eigentumsverhältnis zwischen dem Staat und den Unternehmen nicht gewährleisten könne.22 In der Novellierungsdebatte mehrten sich die Stimmen für eine Trennung von zwei Problemkomplexen, nämlich Verbesserung des Kapitalgesellschaftsrechts einerseits und Fortsetzung der SOE-Reform andererseits. Zudem solle das Kapitalgesellschaftsrecht nicht der Standardisierung der Umwandlungsreform der SOEs dienen, sondern für alle Marktteilnehmer geeignete Organisationsformen anbieten.23 Die Abkoppelung des KgG von der SOE-Reform zeigt sich in der Abschaffung der die staatlichen Kapitalgesellschaften begünstigenden Regelungen. Durch die Novelle von 2005 wurden mehrere Vorschriften zur Verbesserung der internen Corporate Governance-Mechanismen eingeführt.24 Dazu zählen insbesondere die Stärkung der Rechte der einzelnen Aktionäre und Aktionärsminderheiten. Nennenswert sind u. a. die Befugnis der Aktionärsminderheit auf Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung (§ 101 Nr. 3 KgG 2005), das Recht der Aktionärsminderheit auf Ergänzung der Tagesordnung (§ 103 Abs. 2 KgG 2005) und die Möglichkeit der kumulativen Stimmabgabe bei der Wahl von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern (§ 106 KgG 2005). Weitere wichtige Mechanismen erfassen die Kodifizierung des Rechtsmissbrauchsverbots der Aktionäre und deren Durchgriffshaftung (§ 20 KgG 2005), die Verbesserung der Kontrollinstrumente des Aufsichtsrats (§§ 54, 55, 119 KgG 2005), die zwingende Einführung der unabhängigen Vorstandsmitglieder bei börsennotierten AG (§ 123 KgG 2005), die Normierung der Sorgfaltspflicht der Organmitglieder (§ 148 Abs. 1 KgG 2005) und die Einführung der abgeleiteten Aktionärsklage (§ 152 Abs. 2 KgG 2005). Das KgG hat seine letzten Änderungen im Dezember 2013 erfahren. Dadurch werden die Anforderungen an der Kapitalaufbringung der GmbH und der AG weitgehend gelockert und es wurde u. a. das Mindestkapital 22  王红一 [WANG, Hongyi], 《学术研究》 [Akademische Forschung], 06 / 2001, S. 89, 90. 23  王红一 [WANG, Hongyi], 《学术研究》 [Akademische Forschung], 06 / 2001, S. 89, 91; 王保树 [WANG, Baoshu], 《法学》 [Rechtswissenschaft], 07 / 2004, S. 5. 24  Zur Deregulierung des Kapitalgesellschaftsrechts durch die Novelle von 2005 Jiang, in: FS Horn (2006), S. 437, 439 f. mit einer Übersicht über die neuen dispositiven Regelungen.



III. Die Organstruktur der chinesischen AG27

sowohl bei der GmbH als auch bei der AG grundsätzlich abgeschafft.25 Darauf wird aufgrund der fehlenden Themarelevanz nicht eingegangen.

III. Die Organstruktur der chinesischen AG Die Rechtsform der Kapitalgesellschaft und insbesondere der AG hat im Vergleich zu der herkömmlichen Rechtsform des staatlichen Betriebes mehrere Vorteile. Zuerst ermöglicht sie die Beteiligungen von Privaten, welche das Finanzierungsproblem der staatlichen Unternehmen lösen und den Haushalt des Staats entlasten sollen. Zweitens kann sie eine klarere Trennung der Eigentümer von der Unternehmensführung gewährleisten, weil die Geschäftsführung den dafür vorgesehenen Gesellschaftsorganen zugewiesen ist und die Eigentümer, worunter auch der Staat fällt, formal davon ausgeschlossen sind. Letztlich hat sie eine arbeitsteilige, auf Machtteilung und gegenseitige Kontrolle angelegte Organstruktur, die der Machtkonzen­tration auf eine Person vorbeugt. Die chinesische AG hat eine viergliedrige Organverfassung, in der die Hauptversammlung an der Spitze steht. Die Funktion der Geschäftsleitung und Überwachung wird prinzipiell an den Vorstand und den Aufsichtsrat verteilt, wobei die Führung des Tagesgeschäftes dem Geschäftsführer, der bei AGs ein obligatorisches Organ ist (§ 113 KgG), zugewiesen ist. 1. Die viergliedrige Organverfassung der AG a) Die Hauptversammlung Die Hauptversammlung ist das „Machtorgan“ einer AG, wie es in § 98 KgG genannt ist. Obwohl der Ausdruck „das höchste Machtorgan“, der bis dahin in der kapitalgesellschaftsrechtlichen Regelungen und im Schrifttum verbreitet war, nicht ins KgG 1993 aufgenommen wurde, betrachtet die ganz h. M. diese weiterhin als das höchste Organ.26 Die Machtstellung der Hauptversammlung resultiere daraus, dass diese die Entscheidungen über die wichtigsten Angelegenheiten der Gesellschaft treffe.27 Sie entscheidet 25  Vgl. § 26 Abs. 2 Satz 1 a. F. und § 26 Abs. 2 n. F. KgG (GmbH); § 81 Abs. 3 a. F. und § 80 Abs. 2 Satz 2 n. F. KgG (AG). 26  王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 166; 赵旭东主编 [ZHAO, Xudong (Hrsg.)], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 86; 刘俊海 [LIU, Junhai], 《新 公司法》 [Das neue KgG], S. 367; 蒋大兴 [JIANG, Daxin], in: 王保树 / 王文宇主 编 [WANG, Baoshu / WANG, Wenyu (Hrsg.)], S. 243, 248. 27  王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 166; 蒋大兴 [JIANG, Daxin], in: 王保树 / 王文宇主编 [WANG, Baoshu / WANG, Wenyu (Hrsg.)], S. 243, 248.

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§ 1  Die chinesische Aktiengesellschaft

über das Personal des Vorstandes und Aufsichtsrates (§ 37 Abs. 1 Nr. 2 KgG) und genehmigt den Jahreshaushalt, die Jahresschlussrechnung sowie die Gewinnverteilung(§ 37 Abs. 1 Nr. 5 und 6 KgG). Über diese nachträgliche Kontrolle hinaus hat sie auch einen Gestaltungsspielraum hinsichtlich der künftigen Geschäftsführung und entscheidet über die Geschäftsführungsleitlinien (vgl. § 37 Abs. 1 Nr. 1 KgG). Durch die Novelle von 2005 wird die Zustimmungskompetenz der Hauptversammlung noch erweitert und erstreckt sich auf die Sicherheitenbestellung zugunsten der Aktionäre (§ 16 Abs. 2 KgG) und bei börsennotierten AGs noch auf den Erwerb und die Veräußerung von bedeutenden Vermögensgegenständen sowie Sicherheitenbestellung (vgl. § 121 KgG). In rechtspolitischer Hinsicht wird von einigen prominenten Gesellschaftsrechtlern behauptet, die Entscheidungsmacht der Hauptversammlung sei das beste Mittel gegen die hohen Agenturkosten (angency cost), die unter Geltung des Vorstandszentralismus (董事会中心主 义) durch die Interessendivergenz zwischen dem Vorstand und der Gesellschaft verursacht würden.28 b) Der Vorstand Der Vorstand ist im Schrifttum einhellig als Geschäftsführungsorgan bezeichnet. Seine Aufgaben werden in die Entscheidungsfindung für die alltäglichen Geschäfte und die Ausführung der Hauptversammlungsbeschlüsse eingeteilt.29 Die Ausführung der Vorstandsbeschlüsse und die Erledigung der Tagesgeschäfte fallen hingegen in den Zuständigkeitsbereich des Geschäftsführers (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 KgG). Angesichts seiner Größe ist der Vorstand einer AG, der aus 5 bis 19 Mitgliedern besteht (§ 108 Abs. 1 KgG), für die laufende Geschäftsführung auch nicht geeignet. Dieser ist vielmehr als ein Beschlussorgan, das durch kollektive Entscheidungsfindung in den Sitzungen seine Funktion wahrnimmt,30 konzipiert. Nach § 110 Abs. 1 KgG hat der Vorstand mindestens zweimal im Jahr eine Sitzung abzuhalten.31 Schließlich ist er ein Innenorgan. Die Repräsentationsfunktion [ZHAO, Xudong (Hrsg.)], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 86. [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 178. 30  桂敏杰 / 安建 [GUI, Minjie / AN, Jian], § 115 S. 270; 王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 179; 王保树 [WANG, Baoshu], 《法学研究》 [Rechtswissenschaftliche Forschung], 05 / 1999, S. 63, 68. 31  In den 100 größten chinesischen börsennotierten AGs fanden im Durchschnitt 10,52 Vorstandsitzungen pro Gesellschaft in 2010 statt, dazu 社科院公司治理研究 中心 / 甫瀚咨询 [CG-Forschungszentrum der CASS / Protiviti], „2010年中国上市公 司100强公司治理评价“ [CG-Bewertung der Top 100 von chinesischen börsennitierten AGs in 2010], S. 18, http: /  / www.protiviti.com / zh-CN / Documents / Insights / CN2010-Corporate-Governance-Survey-Report.pdf (zuletzt abgerufen am 23.06.2013). 28  赵旭东主编

29  王保树 / 崔勤之



III. Die Organstruktur der chinesischen AG

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wurde nach dem KgG 1993 dem Vorstandsvorsitzenden zugewiesen. Es wurde durch die Novelle von 2005 dahingehend geändert, dass die Gesellschaftssatzung bestimmt, ob der Vorstandsvorsitzende oder der Geschäftsführer der gesetzliche Repräsentant der juristischen Person – der chinesische Terminus für den organschaftlichen Vertreter – ist (vgl. § 13 KgG). Über die Frage, ob der Vorstand gegenüber der Hauptversammlung weisungsunabhängig ist, schweigt das Gesetz. Im Schrifttum findet man auch kaum eine Äußerung direkt zu der Frage. Ein unscharfes Bild ergibt sich, indem die selbständige Organstellung des Vorstands einerseits und deren Ausführungspflicht gegenüber der Hauptversammlung andererseits häufig hervorgehoben werden. Wenn man eine Ausführungspflicht des Vorstands ohne jegliche Differenzierung hinsichtlich des Zuständigkeitsbereichs der Hauptversammlung annimmt, wird dieser zu einem bloßen Verfolgungsapparat der letzteren gemacht. Der Vorstand wählt mit einfacher Mehrheit einen Vorsitzenden und einen oder mehrere Vizevorsitzende (vgl. § 109 Abs. 1 KgG). Das KgG räumt dem Vorstandsvorsitzenden die Kompetenz zur Einberufung und Leitung der Vorstandssitzungen und zur Kontrolle der Ausführung der Vorstandsbeschlüsse ein (§ 109 Abs. 2 Satz 1 KgG). Unter der Geltung des KgG 1993 hatte der Vorstandsvorsitzende eine besonders starke Machtposition. Der Vorstand durfte nämlich für die Zeit zwischen den Sitzungen den Vorstandsvorsitzenden ermächtigen, Teilbefugnisse des Vorstands auszuüben (§ 120 KgG 1993). Da der Vorstand von Gesetz wegen nur zwei Sitzungen im Kalenderjahr abhalten musste, führte diese Ermächtigungsnorm dazu, dass die Entscheidungen der Geschäftsführung häufig nicht von dem Vorstand als Kollektivorgan sondern von dem Vorsitzenden allein getroffen wurden. Das Problem der Machtkonzentration wurde durch die verbreitete Praxis, in der der Vorstandsvorsitzende gleich der Geschäftsführer war, noch verschärft. Um der „Autokratie“ des Vorstandsvorsitzenden entgegenzuwirken, wurde § 120 KgG 1993 durch die Gesetzesnovellierung 2005 ersatzlos gestrichen.32 Dies bedeutet nicht, dass der Vorstand den Vorsitzenden gar nicht ermächtigen kann. In § 112 Nr. 3 der für börsennotierte AGs geltenden Satzungsanleitung33 ist davon die Rede, dass der Vorstandsvorsitzende die vom Vorstand eingeräumten Befugnisse ausübt, wobei die dauerhafte Ermächtigung oder die Ermächtigung für wiederkehrende Geschäfte einer klaren Bestimmung in der Satzung bedarf.

32  Näher 33  Dazu

刘俊海 [LIU, Junhai], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 359. siehe unten § 2 II. 4.

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§ 1  Die chinesische Aktiengesellschaft

c) Der Geschäftsführer und sonstige leitende Manager Der Geschäftsführer34 ist ein Einpersonen-Amt. Er wird vom Vorstand angestellt und ihm wird die Ausführung der Tagesgeschäfte anvertraut (vgl. § 49 KgG). Auf seinen Vorschlag hin werden ein oder mehrere Vizegeschäftsführer und ein Finanzdirektor vom Vorstand angestellt (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 KgG). Im Vorfeld der Gesetzesnovelle von 2005 wurde die gesetzliche zwingende Bestimmung der Befugnisse des Geschäftsführers vielfach kritisiert und eine Entscheidungsfreiheit des Vorstands diesbezüglich befürwortet.35 Die in § 49 Abs. 2 KgG eingeführte neue Vorschrift bleibt hinter diesem Wunsch zurück und erlaubt lediglich, dass die Gesellschaftssatzung andere Bestimmungen über die Befugnisse des Geschäftsführers treffen kann als das Gesetz. Während unter der Geltung des KgG 1993 eine selbständige Organstellung des Geschäftsführers in seinen gesetzlichen Befugnissen gesehen wurde, hat sich inzwischen die Ansicht durchgesetzt, die – mit abweichenden Formulierungen – seine untergeordnete Stellung gegenüber dem Vorstand hervorhebt.36 Der Geschäftsführer hat die Vertretungsmacht kraft seines Amtes, selbst wenn er nicht als gesetzlicher Repräsentant der Gesellschaft bestimmt wurde.37 Durch die Novelle von 2005 ist der Begriff „leitende Manager“ ins Gesetz aufgenommen worden. Dazu gehören der Geschäftsführer, die Vizegeschäftsführer, der Finanzdirektor und der Vorstandssekretär der börsennotierten AGs (§ 216 Nr. 1 KgG). Nach der dortigen Legaldefinition kann die Gesellschaftssatzung auch weitere Angestellte als leitende Manager bestimmen. Die für die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder und den Geschäftsführer geltenden Pflicht- und Haf34  Dieser ist in der Unternehmenspraxis häufig als Generalmanager (总经理) und bei börsennotierten AGs als Präsident (总裁) oder CEO (首席执行官) bezeichnet. 35  Vgl. 刘俊海 [LIU, Junhai], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 392; 龙卫球, 李清池 [LONG, Weiqiu / LI, Qingchi], 《比较法研究》 [Rechtsvergleichende Forschung], 06 / 2005, S. 58, 59; bereits 郭富清 [GUO, Fuqing], 《法律科学》 [Rechtswissenschaft], 01 / 1995, S. 79, 80. 36  桂敏杰 / 安建 [GUI, Minjie / AN, Jian], § 50 S. 118: „Ausführungsorgan des Vorstands“; 金剑锋 [JIN, Jianfeng], 《法律适用》 [Rechtsanwendung], 1–2 / 2008, S. 10, 12: „Hilfsperson des Vorstands bei der Geschäftsführung“; auch 王保树 / 崔勤 之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 182: „leitender Angestellter der Gesellschaft“. 37  王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 182. Es ist unklar, ob die Vertretungsmacht des Geschäftsführers organschaftlicher oder handelsrechtlicher Natur ist. Im früheren Schrifttum wurde der chinesische Geschäftsführer häufig mit dem deutschen Prokurist verglichen, vgl. 郭富清 [GUO, Fuqing], 《法律科学》 [Rechtswissenschaft], 01 / 1995, S. 79; 范健 / 蒋大兴 [FAN, Jian / JIANG, Daxing], 《南京大 学学报》 [Wissenschaftsmagazin der Nanjing-Universität], 03 / 1998, S. 136, 148. Die zuletzt genannten Autoren vertreten die Auffassung, dass der Geschäftsführer nicht als ein gesetzliches Gesellschaftsorgan, sondern als Prokurist behandelt werden sein soll.



III. Die Organstruktur der chinesischen AG31

tungsvorschriften erstrecken sich auf die leitenden Manager (vgl. §§ 147–152 KgG). Diese Entwicklung deutet auf eine zunehmende Etablierung einer Ausführungsebene unterhalb des Vorstands hin. Der Vorstand kann beschließen, dass ein Mitglied zugleich das Amt des Geschäftsführers übernimmt (§ 114 KgG; § 120 KgG 1993). Das ist in der Praxis stets der Fall. Sehr häufig haben auch die Vize-Geschäftsführer und der Finanzdirektor die Vorstandsmitgliedschaft. Der Normzweck wird in der Absicherung der zentralen Stellung des Vorstands bei der Geschäftsführung gesehen, weil der Vorstand i. S. d. chinesischen Rechts ein Beschlussorgan sei und die einzelnen Vorstandsmitglieder im Vergleich zu anderen Ländern keine Geschäftsführungsbefugnis hätten.38 Die Personenidentität von Geschäftsführer und Vorstandsmitglied dient also zur Vermeidung einer Aushöhlung der Machtstellung des nur beschließenden Vorstands durch den Geschäftsführer, dem die alltägliche Geschäftsführung anvertraut ist. Das KgG verbietet nicht, dass der Vorstandsvorsitzende gleichzeitig das Amt des Geschäftsführers übernimmt.39 d) Der Aufsichtsrat Der Aufsichtsrat ist ein zwingendes Organ der AG (§ 117 Abs. 1 KgG). Obwohl im Vorfeld der Gesetzesnovelle von 2005 heftig über das Verhältnis von Aufsichtsrat und unabhängigen Vorstandsmitgliedern in börsennotierten AGs diskutiert wurde, wurde eine Abschaffung des Aufsichtsratssystems nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Der Aufsichtsrat einer AG besteht mindestens aus drei Personen und mindestens ein Drittel davon muss Arbeitnehmervertreter sein (§ 117 Abs. 1 und 2 KgG). Zwar besteht keine gesetzliche Höchstgrenze, aber die Aufsichtsräte weisen häufig nur das gesetzliche Minimum auf. Selbst unter den Top 100 der chinesischen börsennotierten AGs wird der Aufsichtsrat im Durchschnitt nur mit 5,36 Personen besetzt.40 38  桂敏杰 / 安建 [GUI, Minjie / AN, Jian], § 115 S. 270; Kritisch und für Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse der einzelnen Vorstandsmitglieder 梅慎实 [MEI, Shenshi], S. 443. 39  Für die vom Staat beherrschten Kapitalgesellschaften gilt eine Sonderregelung in § 25 Abs. 1 des Gesetzes über das unternehmerische staatseigene Vermögen, wonach der Vorstandsvorsitzende ohne Zustimmung der Hauptversammlung nicht zugleich der Geschäftsführer sein darf, um die häufig bei staatlichen Unternehmen anzutreffene Machtkonzentration auf eine Person zu vermeiden. Für kleine und mittlere staatliche Unternehmen wurde jedoch von einem solchen Verbot abgesehen. Dazu 史济春等 [SHI, Jichun u. a.], 《企业国有资产法》 [Gesetz über das unternehmerische staatseigene Vermögen], § 25 S. 159 f. 40  社科院公司治理研究中心 / 甫瀚咨询 [CG-Forschungszentrum der CASS / Protiviti], S. 21.

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§ 1  Die chinesische Aktiengesellschaft

Die Vorstandsmitglieder und leitenden Manager dürfen nicht gleichzeitig Aufsichtsratsmitglieder sein (§ 117 Abs. 4 KgG). Insoweit gilt auch im chinesischen Recht das Prinzip der Inkompatibilität. In der Praxis kommt der Verstoß dadurch, dass die Vizegeschäftsführer oder der Finanzdirektor gleichzeitig als Aufsichtsratsmitglieder fungieren, immer noch gelegentlich vor. Noch häufiger wird der Inkompatibilitätsgrundsatz umgangen, indem die leitenden Manager die untergeordneten Ableitungsleiter – häufig den Leiter der Buchführungsabteilung oder der Abteilung der internen Kon­ trolle – als Arbeitnehmervertreter bestimmen.41 Dass die chinesischen Aufsichtsräte häufig ausschließlich oder überwiegend mit Angestellten – auch als Aktionärsvertreter – besetzt sind,42 wird als ein Grund der fehlenden Unabhängigkeit des Aufsichtsrats gegenüber dem Management angesehen.43 Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats ergibt sich aus § 53 KgG. In erster Linie ist er für die Kontrolle der Finanzangelegenheiten (§ 53 Nr. 1 KgG) zuständig. Nach § 53 Nr. 2 KgG soll der Aufsichtsrat „das Verhalten von Vorstandsmitgliedern und des Geschäftsführers bei der Ausführung der Dienstpflichten“ daraufhin überwachen, ob es gegen Gesetze, Rechtsverordnungen oder die Gesellschaftssatzung sowie gegen die Beschlüsse der Hauptversammlung verstößt. Daraus ergibt sich eine verhaltensbezogene, auf die Rechtmäßigkeit gerichtete Kontrolle durch den Aufsichtsrat. Im Schrifttum ist es umstritten, ob die Überwachung auch eine Zweckmäßigkeitskontrolle erfasst. Das Meinungsspektrum reicht von Bejahung44 über die Anerkennung als eine Nebenaufgabe45 bis zur Verneinung46. Selbst die befürwortende Stimme gibt keine weitere Erörterung darüber, wie eine Zweckmäßigkeitsprüfung stattfinden soll. In zeitlicher Hinsicht wird die Überwachung durch den Aufsichtsrat unter Berufung auf seine zwei Aufga41  Vgl. 中国证监会深圳监管局 [Dienststelle Shenzhen der CSRC], „深圳辖区上 市公司治理中存在的常见问题“ [Typische Probleme der Corporate Governance der börsennotierten AGs in Shenzhen], http: /  / www.csrc.gov.cn / pub / shenzhen / xxfw /  tzzbh / cjwt / 200803 / t20080303_89064.htm (zuletzt abgerufen am 23.06.2013). 42  Bis 2007 waren keine Aufsichtsräte der Top 100 börsennotierten AGs mit sog. außenstehenden Aufsichtsratsmitgliedern besetzt, also diejenigen, die nicht zugleich Angestellte der Gesellschaft sind. Bis 2010 lag die durchschnittliche Anzahl außenstehender Aufsichtsratsmitglieder bei 2,62, 社科院公司治理研究中心 / 甫瀚咨询 [CG-Forschungszentrum der CASS / Protiviti], S. 21. 43  Vgl. z. B. die Veräußerung der CSRC in: 林坚 [LIN, Jian], 《上海证券报》 [Shanghai-Wertpapiertzeitung] (06.02.2004), http: /  / news.xinhuanet.com / stock / 200402 / 06 / content_1301120.htm (zuletzt abgerufen am 23.06.2013). 44  刘俊海 [LIU, Junhai], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 429. 45  赵旭东主编 [ZHAO, Xudong (Hrsg.)], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 137; 伍坚 [WU, Jian], in: 顾功耘主编 [GU, Gongyun (Hrsg.)] (2002), S. 46, 53. 46  王保树 [WANG, Baoshu], 《法学研究》 [Rechtswissenschaftliche Forschung], 05 / 1999, S. 63, 69.



III. Die Organstruktur der chinesischen AG33

ben, nämlich die Finanzkontrolle und die Rechtswidrigkeitskontrolle, als im Wesentlichen nachträglich angesehen, um eine klarere Abgrenzung zu Aufgaben der unabhängigen Vorstandsmitglieder zu erreichen.47 Es wird erwogen, eine Überwachung der laufenden Vorgänge und somit die Einschaltung des Aufsichtsrats in den Entscheidungsprozess des Vorstandes aus dem Recht der Aufsichtsratsmitglieder auf Teilhabe an der Vorstandssitzung (§ 54 Abs. 1 KgG) und ihrem Untersuchungsrecht (§ 54 Abs. 2 KgG) abzuleiten.48 Es ist jedoch nicht überzeugend, aus dem Untersuchungsrecht eine präventive Überwachung zu folgern, weil davon erst dann Gebrauch gemacht wird, wenn die Geschäftsführung „Ungewöhnlichkeit“, also Unregelmäßigkeiten, aufweist, was häufig die Folge einer oder mehrerer nicht ordnungsgemäßen Geschäftsführungsmaßnahmen ist. Es ist zwar nicht zu leugnen, dass das Recht und die Pflicht zur Teilnahme und Anfrage den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern die Möglichkeit eröffnet, auf die Entscheidungsfindung im Vorstand einzuwirken. Das Gesetz räumt damit dem Aufsichtsrat als Kontrollorgan jedoch keine institutionalisierte Rolle im Entscheidungsprozess einer Geschäftsführungsmaßnahme ein. Es liegt vielmehr im Ermessen seiner Mitglieder – unter Vorbehalt seiner Sorgfaltspflicht, wie sie dieses Überwachungsmittel einsetzen. Daher lässt sich eine zukunftsorientierte Überwachung mit dem Untersuchungsrecht und dem Teilnahme- und Anfragerecht der Aufsichtsratsmitglieder nicht begründen. Die Finanzkontrolle ist eine wichtige Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats. Diesbezüglich bestehen jedoch nicht unerhebliche Unklarheiten. Schon die Zuständigkeitsordnung in Bezug auf den Jahresabschluss ist erklärungsbedürftig. Das KgG schreibt die Erstellung des Jahresfinanzberichts – des chinesischen Jahresabschlusses – als eine Pflicht der Kapitalgesellschaft vor und lässt das oder die zuständigen Organe offen (vgl. § 164 Abs. 1 KgG). Auch das Rechnungslegungsgesetz (1985) sieht nur das Erfordernis nach Unterschrift der zuständigen Personen vor.49 Viele Autoren gehen von der Zuständigkeit des Vorstands aus, weil die Erstellung des Finanzberichts zu der Geschäftsführungsaufgabe des Vorstands gehöre, und 47  Vgl. 王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 197; 赵旭东主编 [ZHAO, Xudong (Hrsg.)], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 137. 48  Vgl. 王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 186; 甘培忠 [GAN, Peizhong], 《当代法学》 [Zeitgenössische Rechtswissenschaft], 05 / 2006, S. 24, 26; 梅慎实 [MEI, Shenshi], S. 297. 49  Nach § 21 Rechnungslegungsgesetz muss der Jahresfinanzbericht von der „für ein Unternehmen verantwortlichen Person“, der „für das Rechnungswesen verantwortlichen Person“ und der „Haupt-Buchhalter“ unterschieben und mit jeweiligen Dienststempeln versehen werden muss. In der Praxis wird ein Jahresfinanzbericht in der Regel vom Haupt-Buchhalter, Finanzdirektor und Geschäftsführer der Gesellschaft unterschrieben.

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§ 1  Die chinesische Aktiengesellschaft

betrachten den Geschäftsführer als dessen Hilfsperson.50 Die Finanzkontrolle erfasst die Einsichtnahme in die Bücher und die Finanzberichte der Gesellschaft und die Überprüfung der Finanzberichte und des Gewinnverteilungsvorschlags, die der Vorstand der Hauptversammlung vorlegt.51 Daraus lässt sich keine Kompetenz des Aufsichtsrats ableiten, den vom Vorstand angefertigten Jahresfinanzbericht zu billigen.52 Manche Autoren folgern aus der Pflicht des Aufsichtsrats, in der ordentlichen Hauptversammlung einen Jahresarbeitsbericht zur Billigung vorzulegen (vgl. § 37 Abs. 1 Nr. 4 KgG), dass dieser der Hauptversammlung einen Bericht über die Überprüfung des Jahresfinanzberichts vorlegen soll.53 Eine Überprüfungs- und Berichterstattungspflicht des Aufsichtsrats ergibt sich jedenfalls aus seiner Pflicht zur Überprüfung von periodischen Berichten nach § 68 Abs. 2 WpG, wozu auch der Jahresfinanzbericht gehört. 2. Der Vorstand der börsennotierten AG Für börsennotierte AGs ist die Bestellung unabhängiger Vorstandsmitglieder zwingend vorgeschrieben (§ 122 KgG). Das Gesetz enthält jedoch keine konkreten Regelungen wie etwa die Anzahl und die Aufgaben, sondern ermächtigt den Staatsrat, in einer Rechtsverordnung konkrete Regelungen zu treffen, was bisher noch nicht geschehen ist. Die gesetzliche Regelung hat nur eine klarstellende Funktion. Bereits im Jahr 2001 hat die CSRC angesichts der zunehmenden Ausbeutung der kleinen Aktionäre in börsennotierten AGs und der Funktionsunfähigkeit der Aufsichtsräte die börsennotierten AGs aufgefordert, bis Ende Juni 2003 ein Drittel der Sitze im Vorstand mit unabhängigen 50  王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 267; 史际春 [SHI, Jichun], S. 411. 51  桂敏杰 / 安建 [GUI, Minjie / AN, Jian], § 55 S. 129; 梅慎实 [MEI, Shenshi], S. 298. 52  Eine andere ungeklärte Frage ist, ob der Jahresfinanzbericht von der Hauptversammlung zu billigen ist, weil in § 37 Abs. 1 Nr. 5 KgG nur von der Genehmigung des Jahresbudgets und der Jahresschlussrechnung die Rede ist. Die Jahresschlussrechnung ist häufig nur eine Zusammenfassung von wichtigen Inhalten des Jahresfinanzberichts und des Ergebnisberichts des Abschlussprüfers. Einhergehend mit der Verschärfung der kapitalmarktrechtlichen Pflicht zur Publizität des Jahresberichts, der auch den Jahresfinanzbericht und den Bericht des Abschlussprüfers erfasst, ist in der Praxis zunehmend zu beobachten, dass börsennotierte AGs trotz des fehlenden gesetzlichen Erfordernisses auch die Überprüfung und Genehmigung des Jahresfinanzberichts in die Tagesordnung der jährlichen Hauptversammlung aufnehmen. Im Schrifttum wird die Genehmigungsbedürftigkeit überwiegend befürwortet siehe z. B. 王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 267; 史际春 [SHI, Jichun], S. 411. 53  王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 270.



III. Die Organstruktur der chinesischen AG35

Mitgliedern zu besetzen.54 Dieser Hintergrund deutet darauf hin, dass die ­CSRC unter „Unabhängigkeit“ die Unabhängigkeit vom Großaktionär sowie den ihm nahestehenden Vorstandsmitgliedern und leitenden Managern versteht. Die Regelungen der CSRC lösten im Schrifttum eine heftige Debatte aus. Diskutiert wurden vor allem die Fragen, ob das System unabhängiger Vorstandsmitglieder in einem Land wie China, das herkömmlich das Aufsichtsratssystem übernommen hat, überhaupt eingeführt werden könnte und in welchem Verhältnis die unabhängigen Vorstandsmitglieder zum Aufsichtsrat stehen sollten. Allerdings gab es nur vereinzelt ablehnende Stimmen.55 Deutlich überwogen die Veröffentlichungen, die von – möglichen – positiven Auswirkungen unabhängiger Vorstandsmitglieder auf Corporate Governance der chinesischen börsennotierten AGs ausgehen und nur über die konkrete Ausgestaltung streiten.56 Andererseits wurde die Abschaffung des Aufsichtsrats im Schrifttum nie ein Thema. Die Debatte über das Verhältnis von Aufsichtsrat und unabhängigen Vorstandsmitgliedern ging eher von der Prämisse aus, dass der Aufsichtsrat bestehen bleiben soll.57 Die mit unabhängigen Vorstandsmitgliedern verbundenen Hoffnungen und Unsicherheiten spiegelten sich in der wechselvollen Entstehungsgeschichte des § 122 KgG,58 die letztendlich zu einer offenen, mit einem Regelungsauftrag versehenen Vorschrift führten. Die Einführung unabhängiger Vorstandsmitglieder sollte die Defizite des chinesischen Aufsichtsratssystems ausgleichen. Die Frage, welche Aufgaben 54  证监会 [CSRC], 《关于上市公司建立独立董事制度的指导意见》 [Anleitung zur Errichtung des Systems von unabhängigen Vorstandsmitglieder in börsennotierten AGs] (16.08.2001). 55  Nur zwei Autoren: 蒋大兴 [JIANG, Daxin], 《法学评论》 [Zeitschrift der Rechtswissenschaft], 02 / 2003, S. 25 ff. (Teil 1) und 03 / 2003, S. 41 ff. (Teil 2); 苏湘 辉 [SU, Xianghui], 《中国司法》 [Chinesische Justiz], 04 / 2003, S. 36 ff. 56  Z. B. 顾功耘 / 罗培新 [GU, Gongyun / LUO, Peixin], 《中国法学》 [Chinesische Rechtswissenschaft], 06 / 2001, S. 65 ff.; 徐子桐 [XU, Zitong], 《法学》 [Rechtswissenschaft], 07 / 2001, S. 62 ff.; 伍坚 [WU, Jian], in: 顾功耘主编 [GU, Gongyun (Hrsg.)] (2002), S. 46 ff.; 蔡元庆 [CAI, Yuanqing], 《当代法学》 [Zeitgenössische Rechtswissenschaft], 02 / 2003, S. 45 ff.; 李建伟 [LI, Jianwei], 《法学》 [Rechtswissenschaft], 02 / 2004, S. 75 ff. 57  Besonders deutlich bei 李建伟 [LI, Jianwei], S. 75 ff.; 伍坚 [WU, Jian], S. 46, 51 ff. 58  Die ausführlichen Regelungen im ersten Entwurf wurden nach der zweiten Lesung zu einer „Können“-Vorschrift ohne inhaltliche Konkretisierung reduziert, die in der endgültigen Fassung zu einer „Müssen“-Vorschrift aufgewertet wurde. Dazu eingehend 洪虎 [HONG, Hu], „关于 《公司法(修订草案)》修改情况的说明 (2005年8月23日)“ [Erläuterungen zur Änderungen des Entwurfs des Novellierungsgesetzes“ (23.08.2005)] und „关于 《公司法(修订草案)》修改情况的说明 (2005年10月25日)“ [Erläuterungen zur Änderungen des Entwurfs des Novellierungsgesetzes“ (25.10.2005)], abgedruckt in: 王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], Anhang 3 und 5.

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§ 1  Die chinesische Aktiengesellschaft

diese erfüllen sollen, ist im Schrifttum nicht abschließend geklärt. Teilweise wird unter Hinweis auf die üblichen Funktionen der unabhängigen Vorstandsmitglieder in anderen erfahrenen Rechtsordnungen vertreten, dass sie einerseits geschäftsführende Vorstandsmitglieder und leitende Manager überwachen und andererseits auf Grund ihrer Distanz zum Management und ihrer Fachkenntnisse die Entscheidungsfindung im Vorstand verbessern sollten.59 Nach einer anderen Ansicht solle wegen der chinesischen Besonderheiten nicht die Beratungsfunktion, sondern die Überwachungsfunktion im Mittelpunkt stehen.60 Eine dritte Ansicht will die Aufgabe der unabhängigen Vorstandsmitglieder auf die Überwachung der dem herrschenden Aktionär nahestehenden Vorstandsmitglieder und leitenden Manager beschränken. Denn aufgrund der ganz unterschiedlichen Aktionärsstrukturen in China und in den USA sollte man die Aufmerksamkeit auf das chinesische Regelungsproblem richten, namentlich die Ausbeutungsgefahr der Kleinaktionäre durch die Großaktionäre.61 In der Anleitung der CSRC zu unabhängigen Vorstandsmitgliedern von 2001 fehlt auch eine explizite Funktionsbestimmung. Dass die Nominierungskompetenz nicht den Aktionärsminderheiten vorbehalten ist,62 spricht dafür, dass die CSRC es sich nicht gewünscht hat, die unabhängigen Vorstandsmitglieder ausschließlich als Interessenvertreter der kleinen Aktionäre auszugestalten. Aus den detaillierten Aufgabenbestimmungen63 ergibt sich, dass die CSRC diesen in erster Linie eine Überwachungsfunktion gegenüber den Großaktionären sowie der Unternehmensleitung zuweist. Dass der Strategieausschuss nach § 52 CGK nicht mehrheitlich mit unabhängigen Vorstandsmitgliedern besetzt werden muss, deutet darauf hin, dass gerade die Entwicklung der Unternehmensstrategie, die bedeutendste Führungsleistung, in den Händen der geschäftsführenden Vorstandsmitglieder verbleibt. Folglich darf man davon ausgehen, dass unabhängige Vorstandsmitglieder chinesischer Art keine bedeutende strategische Rolle spielen. Zudem ist ihre Mitwirkung in Fachausschüssen lediglich von beratender Natur, da § 58 CGK den Fachausschüssen des Vorstands keine beschließende, sondern nur beratende Funktion zukommen lässt. 59  谢朝斌 [XIE, Chaobin], in: 王保树主编 [WANG, Baoshu (Hrsg.)], 《商事法 论集》第9卷 [Versammlung von handelsrechtlichen Aufsätzen (Band 9)], S. 21, 57; 伍坚 [WU, Jian], S. 46, 51. 60  王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 195. 61  殷少平 [YIN, Shaoping], 《中国证券报》 [Chinesische Wertpapierzeitung] (25.04.2001), http: /  / www.civillaw.com.cn / article / default.asp?id=8582 (zuletzt abgerufen am 23.06.2013). 62  Nach Ziff. 4.1 der Anleitung sind der Vorstand, der Aufsichtsrat und die Aktio­ näre, die allein oder zusammen 1 % der Stammaktien besitzen, zur Unterbreitung des Beschlussvorschlags berechtigt. 63  Näher dazu siehe unten § 3 II. 3. d).



IV. Zielsetzung der Geschäftsführung37

Bis zur Anleitung (2001) wiesen die Vorstände der börsennotierten AGs eine hohe Personenverflechtung zwischen Vorstandsmitgliedern und leitenden Managern auf. Die Vorstände wurden nur gelegentlich mit außenstehenden Mitgliedern – häufig als Ehrendirektoren – besetzt. Der heutige Vorstand der börsennotierten AG ist deutlich ein heterogen zusammengesetztes Organ. Die Vorstände der Top 100 chinesischen börsennotierten AGs hatten im Jahr 2010 im Durchschnitt 12 Mitglieder und zwar 2,64 geschäftsführende Mitglieder (22 %), 5 nichtgeschäftsführende Mitglieder (41,6 %) und 4,37 unabhängige Mitglieder (36,4 %).64 Zudem eröffnet die Novelle von 2005 die Möglichkeit, den Vorstand auch mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen, wobei die Entscheidung über das Ob und die Anzahl der Gesellschaftssatzung überlassen ist (§ 108 Abs. 2 Satz 1 KgG).65 Es steht also fest, dass sich der Vorstand der börsennotierten AG in China zu einem monistischen board gewandelt hat, nämlich einem Verwaltungsrat, der heterogen mit geschäftsführenden und nicht-geschäftsführenden Direktoren zusammengesetzt ist.

IV. Zielsetzung der Geschäftsführung Unter der Geltung des KgG 1993 wurde die Erhöhung von Wirtschafts­ effizienz und Produktivität, die Wertsteigerung und -erhaltung des Gesellschaftsvermögens als Ziel der Kapitalgesellschaft vorgeschrieben (§ 5 Abs. 2 KgG 1993). Diese Vorschrift ist durch die Novelle von 2005 ersatzlos gestrichen worden, weil aus Sicht des Gesetzgebers die Zielbestimmung von der Gesellschaft autonom durch die Satzung zu regeln sei.66 Zugleich wird der Kapitalgesellschaft neben der Pflicht zur Einhaltung von Gesetzen und Rechtsverordnungen und zur Beachtung der Sozial- und Geschäftsmoral67 die sog. soziale Verantwortung (CSR) auferlegt (§ 5 Abs. 1 KgG). Damit wird dieser aufgefordert, neben dem Streben nach Profitmaximierung auch die sozialen Konsequenzen ihrer Geschäftstätigkeiten zu berücksichtigen.68 Die CSR scheint eine Korrektur der Profitmaximierung zu sein. Der Inhalt der CSR ist jedoch weitgehend unklar. Nach der Definition in einem Stan64  社科院公司治理研究中心 / 甫瀚咨询 [CG-Forschungszentrum der CASS / Protiviti], S. 17. 65  Das ist in der Praxis der börsennotierten AGs selten geschehen. Die Top 100 der börsennotierten AGs haben im Durchschnitt nur 0,08 Arbeitnehmervertreter in ihren Vorständen, siehe 社科院公司治理研究中心 / 甫瀚咨询 [CG-Forschungszen­ trum der CASS / Protiviti], S. 17. 66  桂敏杰 / 安建 [GUI, Minjie / AN, Jian], § 5 S. 15. 67  Die Sozial- und Geschäftsmoral haben die Berufsmoral in der Vorgängervorschrift § 14 KgG 1993 ersetzt. 68  桂敏杰 / 安建 [GUI, Minjie / AN, Jian], § 5 S. 14 f.; 王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 56.

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§ 1  Die chinesische Aktiengesellschaft

dardlehrbuch erfasst die CSR die Einhaltung von arbeitsrechtlichen und umweltrechtlichen Regelungen, die Beachtung der Sozial- und Geschäftsmoral und von Treu und Glauben sowie die Spende für wohltätige Zwecke.69 Die Leitlinien der SZSE zur CSRC70 gehen ebenfalls von einem breiten Verständnis aus und betonen die Verantwortung der Gesellschaft hinsichtlich der Einhaltung von Gesetzen und Geschäftsmoral, des Verbraucher-, Arbeitnehmer und Umweltschutzes und der karitativen Betätigung (vgl. §§ 3, 4). Darüber hinaus wird sogar der Schutz der Aktionäre durch eine langfristige und stabile Dividendenpolitik und die Gewährleistung der Rendite der Aktionäre als ein Aspekt der CSR der börsennotierten AGs angesehen (vgl. § 10). Eine weitere Konkretisierung der CSR findet man in der Nr. 4 der Umsetzungsanleitung der Leitlinien der internen Kontrolle.71 Die CSR erstreckt sich danach auf die Betriebssicherheit, die Qualität von Produkten und Dienstleistung, den Umweltschutz und die Schonung von Ressourcen, die Förderung der Beschäftigung sowie den Arbeitnehmerschutz. Vergleicht man das chinesische Verständnis der CSR mit dem CSR-Konzept im Grünbuch der Europäischen Kommission vom Juli 2001, liegt der Unterschied auf der Hand. Dort wird CSR als ein Konzept definiert, dass den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehung mit den Stakeholdern zu integrieren.72 Das sozial verantwortliche Handeln ist durch die Freiwilligkeit gekennzeichnet und stellt ein „Mehr“ gegenüber der bloßen Gesetzeskonformität dar. Im chinesischen Recht verliert das an sich bereits genug schwammige CRS-Konzept durch die Vermischung mit den rechtlichen Pflichten der Kapitalgesellschaften noch mehr an Kontur. Hinsichtlich der Zielsetzung der Geschäftsführung wird teilweise der stakeholder value-Ansatz in der Verbesserung des Arbeitnehmer- und Gläubigerschutzes und in der Einführung der CSR durch die Gesetzesnovelle von 2005 gesehen.73 Demgegenüber befürworten mehrere Autoren den „enlightened shareholder value“74-Ansatz. Die Maximierung des Aktionärs69  王保树 / 崔勤之

[WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 56. [SZSE], 《深圳证券交易所上市公司社会责任指引》 [Anleitung zur CSR der börsennotierten AGs der SZSE] (26.09.2006). 71  财政部 / 证监会 / 审计署 / 银监会 / 保监会 [Finanzministerium / CSRC / Rechnungshof / CBRC / CIRC], 《企业内部控制基本规范》 [Leitlinien zur internen Kontrolle in Unternehmen] (22.05.2008). 72  Vgl. Kommission, Grünbuch: Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen, Juli 2001, KOM (2001) 366 Rn. 20. 73  Vgl. 王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], 《中国公司法原理》 [Grundtheorien], S.  52 f. 74  Zu diesem Begriff Mayson / French / Ryan, Company Law, S. 32 f.; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 462. 70  深圳证券交易



IV. Zielsetzung der Geschäftsführung

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interesses sollte trotz der Anerkennung der CSR das oberste Prinzip des Gesellschaftsrechts bleiben.75 In der gegenwärtigen Phase sollte das chinesische Gesellschaftsrecht, um die Anleger zu aktiven Investitionen zu motivieren, nicht den Interessenausgleich in den Mittelpunkt stellen, sondern die Profitmaximierung der Aktionäre als primäre Aufgabe des Managements festlegen und die Stakeholder-Belange unter dieser Voraussetzung schützen.76 Andere Autoren erwägen die Aktionärsinteressen, die StakeholderInteressen und sonstige Interessen auf der Grundlage des Gesellschaftsinteresses zu vereinheitlichen, lassen den Inhalt des Gesellschaftsinteresses jedoch offen.77 In den Regelungen der CSRC und der Börsen lässt sich auch eine Schwankung zwischen shareholder value und stakeholder value beobachten. In der CGK der CSRC ist einerseits von der Pflicht der Vorstandsmitglieder zum Handeln nach der Interessenmaximierung der Gesellschaft und der gesamten Aktionäre (§ 33) und andererseits von der Pflicht zur Berücksichtigung der Stakeholder-Belange (§ 43) die Rede. In ihren Verhaltensleitlinien für Vorstandsmitglieder78 verlangt die SHSE ausdrücklich, dass die Vorstandsmitglieder sich ausschließlich an dem Interesse der Gesellschaft zu orientieren haben und nicht zugunsten des Interesses des de facto-Beherrschers, der Aktionäre, der Arbeitnehmer, ihrer eigenen Interessen oder des Interesses sonstiger Dritten das Gesellschaftsinteresse schädigen dürfen. Der gesellschaftsrechtliche Schutz der Arbeiternehmer-Belange hat bei genauer Betrachtung keine große eigenständige Bedeutung. Nach § 17 Abs. 1 KgG ist die Gesellschaft verpflichtet, die legalen Rechte und Inte­ ressen der Arbeitnehmer zu schützen, mit diesen Arbeitsverträge abzuschließen, sich an der Sozialversicherung zu beteiligen und den Arbeitsschutz zu stärken. Dabei handelte es sich nur um einen Appell zur Einhaltung von arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften an die Gesellschaften. Nach dem Inkrafttreten des Arbeitsvertragsgesetzes vom 29.06.2007 und dem Sozialversicherungsgesetz vom 28.10.2010 verlor diese Vorschrift weitgehend an Bedeutung. Abgesehen von der durch die Novelle von 2005 zugefügten Vorschrift des § 51 Abs. 2 KgG, wonach ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder Arbeitnehmervertreter sein müssen, fehlt es immer noch an einer konkreten gesetzlichen Ausgestaltung der Arbeitnehmermitbestimmung im 75  赵旭东主编 [ZHAO, Xudong (Hrsg.)], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 114; 王红一 [WANG, Hongyi], S. 253. 76  张庆峡 [ZHANG, Qingxia], 《河北法学》 [Hebei-Rechtswissenschaft], 08 / 2008, S. 121, 123 f. 77  蒋大兴 [JIANG, Daxin], in: 王保树 / 王文宇主编 [WANG, Baoshu / WANG, Wenyu (Hrsg.)], S. 243, 268. 78  § 14 上海证券交易所 [SHSE], 《董事选任与行为指引》 [Wahl- und Verhaltensanleitung der Vorstandsmitglieder] (25.08.2009).

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Aufsichtsrat. Aber selbst wenn die Regeln dazu verbessert werden würden, wäre eine größere Auswirkung der Arbeitnehmermitbestimmung auf die Unternehmensleitung auch nicht zu erwarten, nicht zuletzt weil der Aufsichtsrat in der chinesischen AG nur ein reines Überwachungsorgan mit begrenzten Einwirkungsmöglichkeiten ist. Demgegenüber ist die Mitwirkung der Gewerkschaft (工会) und der Versammlung der Arbeitnehmervertreter (职工代表大会) an der Unternehmensführung viel konkreter. Nach § 18 Abs. 3 KgG ist die Gesellschaft verpflichtet, bei den Entscheidungen über die Rechtsformänderung und wichtigen Entscheidungen der Unternehmensführung, die Stellungnahme von diesen einzuholen. Es betrifft die Entscheidungen über die Unternehmensziele, Investitionsplanung, Gewinnverteilung, Spaltung und Verschmelzung, Übernahme sowie Insolvenz.79 Da solche Entscheidungen in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen,80 soll man nach richtigem Verständnis diese Vorschrift als eine Konkretisierung der Vorstandspflicht bei der Vorbereitung der Beschlussfassungsvorschläge für die Hauptversammlung ansehen. Diese Vorschrift ist eine gesetzliche Verankerung der in staatlichen Unternehmen früher geltenden sog. „demokratischen Verwaltung des Unternehmens“, in der die Arbeitnehmer zu Miteigentümern des Unternehmens erhoben wurden. Jenseits ihrer ideologischen Bedeutung ist die Tauglichkeit dieser Vorschrift zu besserem Schutz der Arbeitnehmerbelange eher zweifelhaft.81 Außerdem bleibt der gesellschaftsrechtliche Gläubigerschutz in China schwach. Zwar kann man eine Verstärkung des Gläubigerschutzes in der Normierung der „piercing the corporate veil“ (§ 20 Abs. 3 KgG) und eine Verbesserung der Kapitalaufbringungsvorschriften im Zuge der Gesetzesnovellierung von 2005 sehen.82 Aber die Kapitalerhaltung (§ 35 KgG) bleibt immer noch ein vages Prinzip, das sogar die CSRC zugunsten der (staatli79  桂敏杰  / 安建

[GUI, Minjie/AN, Jian], § 18 S. 46. § 37 Abs. 1 Nr. 1 (Geschäftsleitlinie und Investitionsplanung), Nr. 6 (Gewinnverteilung), Nr. 9 (Strukturmaßnahmen) KgG. Nach § 7 Abs. 3 Unternehmensinsolvenzgesetz (2006) soll die „für die Liquidation zuständige Person“ beim Gericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragen. Die Justizauslegung des Obersten Volksgerichts dazu verlangt, dem Gericht den Beschluss der Gesellschafterversammlung, in dem die Insolvenz des Unternehmens beschlossen worden ist, einzureichen. Dies spricht für die Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung für die Einleitung des Insolvenzverfahrens. Zur Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung für die Verteidigungsmaßnahmen bei der feindlichen Übernahme siehe unten § 2 II. 6. 81  Eingehend zur Wirkungslosigkeit der „demokratischen Verwaltung“ als Schranke der Managermacht seit dem Wandel des Anstellungsregimes von einer lebenslangen Anstellung zu befristetem Arbeitsvertrag in 1995 bei Yang, in: Nakamura (edit.), S. 15, 24. 82  Wie 王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 53. 80  Vgl.



V. Zusammenfassung

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chen) Aktionäre ab und zu missachtet. Es zeigt sich in ihrer Anerkennung der „Aufrechnung mit Anteilen“ als eine Möglichkeit zur Rückabwicklung der Vermögenszuwendungen an Aktionäre, die der Rechtsnatur nach eine Kapitalherabsetzung um die an Aktionäre zurückgewährte Einlage ist.83 Manche dem anglo-amerikanischen Recht nahestehende Autoren sehen in dieser Praxis einen Beleg für die Funktionslosigkeit der Kapitalerhaltungsvorschrift in China und befürworten deren Ersetzung durch flexiblere Mechanismen wie Treuepflicht, Einschränkung der Gewinnverteilung und Manager-Vergütung und Durchgriffshaftung.84 Schließlich steht der Aktionärszentralismus des chinesischen Kapitalgesellschaftsrechts und insbesondere die weitgehende Zustimmungskompetenz der Hauptversammlung mit einem interessenpluralistischen Ansatz im Widerspruch. Aus rechtsvergleichender Sicht lässt sich im deutschen Aktienrecht ein innerer Zusammenhang zwischen der Definitionsmacht des Vorstands hinsichtlich des Gesellschaftsinteresses einerseits und dem interessenpluralistischen Konzept andererseits feststellen.85 Nur dort, wo diese Kompetenz dem Verwaltungsorgan zugewiesen ist, gibt es Raum für ein interessenpluralistisches Konzept. Die Frage der Zielsetzung der Geschäftsführung ist also in erster Linie eine Frage über die Zuordnung der Kompetenz in Bezug auf die Definition des Gesellschaftsinteresses, was wiederum mit der Rechtsstellung des Vorstandes bzw. board gegenüber der Hauptversammlung zusammenhängt. Wenn das chinesische Recht weiterhin die Bestimmung des Gesellschaftsinteresses der Aktionärsmehrheit überlässt, ist ein Interessenausgleich zwischen verschiedenen Bezugsgruppen und auch innerhalb der Aktionäre als einer heterogenen Gruppe gesellschaftsrechtlich schlechthin unrealisierbar.

V. Zusammenfassung Die Wiederentstehung der AG in China diente der Vitalisierung der staatlichen Unternehmen, insbesondere der Trennung der Regierung von der Unternehmung. Die Anerkennung der Theorie des Anteilssystems als Leitansatz der SOE-Reform beschleunigte die Gesetzgebung des KgG, was auch dessen rechtspolitische Zielsetzung als Unterstützung der SOE-Reform bestimmte. Der Weg zu einer eigenständigen Entwicklung des Kapitalgesell83  Dazu

siehe unten § 5 II. 2. a). 邓峰 [DENG, Feng], 《普通公司法》 [Das KapGesR des Common Law], S. 321 und 327. 85  Vgl. Hüffer, § 76 Rn. 12b; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 76 Rn. 19; Münch­ HdbAG / Wiesner, § 19 Rn. 20; näher zu den Begriffen Gesellschafts- und Unternehmensinteresse im deutschen Recht siehe § 3 I. 3. a) cc). 84  Z. B.

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§ 1  Die chinesische Aktiengesellschaft

schaftsrechts wurde erst durch die Gesetzesnovellierung im Jahr 2005 beschritten. Die dadurch im vollen Umfang verwirklichte Trennung des Vermögens der Gesellschaft von dem der (staatlichen) Aktionäre und weitgehende Abschaffung der Einschränkungen der Geschäftsfähigkeit führen zu einer vollständigen Anerkennung der Rechtspersönlichkeit der Kapitalgesellschaften. Hinsichtlich der Organstruktur hat das KgG die Hauptversammlung als Spitzenorgan ausgestaltet. Der Vorstand der chinesischen AG ist ein Beschlussorgan ohne Vertretungsbefugnis nach außen. Die Geschäftsführungskompetenzen werden unter dem Vorstand und den ihm untergeordneten leitenden Managern verteilt. In formaler Hinsicht lässt sich das Verwaltungssystem der chinesischen AG dem dualistischen System zuordnen. Der Aufsichtsrat ist aber mangels hinreichender Überwachungsinstrumente und auch aufgrund seiner tatsächlichen Zusammensetzung in seiner Leistungsfähigkeit faktisch weitgehend eingeschränkt. Die Entwicklung des Vorstandes der chinesischen AG – insbesondere der börsennotierten AGs – zeigt eine Annäherung an das monistische System. Der Gesetzgeber des KgG und der Regelungsgeber sind noch unschlüssig über das Verhältnis zwischen dem Gesellschaftsinteresse, dem Aktionärsinteresse und den Interessen anderer Bezugsgruppen. Die Normierung von CSR deutet auf eine Einschränkung der Profitmaximierung hin, ohne die Schranke deutlich zu machen. Die nur formal verankerte Arbeitnehmermitbestimmung und der schwache Gläubigerschutz halten das chinesische Recht fern von einem interessenpluralistischen Konzept. Zudem ist dieses Konzept mit dem Aktionärzentralimus des chinesischen Kapitalgesellschaftsrechts unvereinbar. Für einen besseren Interessenausgleich innerhalb der Gesellschaft wäre eine Abkehr von der Definitionsmacht der Hauptversammlung und eine Aufwertung der Rechtsstellung des Vorstands in dieser Hinsicht notwendig.

§ 2  Die chinesische börsennotierte AG und ihre Corporate Governance Aus der kurzen Geschichte der AG in China ergibt sich, dass die starke Kapitalbeschaffungsfunktion dieser Rechtsform und die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Kapitalmarktes im Vordergrund der SOE-Reform stehen. Auch bei privaten Unternehmen ist die beabsichtigte Börsennotierung häufig das entscheidende Motiv für die Wahl dieser Rechtsform. Folglich kommt eine Untersuchung der chinesischen AG ohne die börsennotierte AG nicht aus. Als Gründungsform der AG lässt das chinesische Recht sowohl die Simultan- als auch Sukzessivgründung zu (§ 78 KgG).1 In der Praxis sind die börsennotierten AGs ausschließlich im Wege der Sukzessivgründung errichtet worden.2 Die öffentliche Ausgabe von Aktien und die Börsennotierung sind also ein einheitlicher Vorgang. In ihren Regelungen verwendet die CSRC die Bezeichnungen „börsennotierte AG“ (上市公司) und „Aktien öffentlich ausgebende AG“ (公开发行股票的公司) als gleichbedeutende Begriffe. Im Folgenden werden die Besonderheiten der börsennotierten AG insbesondere in Bezug auf ihre Aktionäre erläutert (I.) und ihre Corporate Governance, schwerpunktmäßig die externen Governancemechanismen, untersucht (II.).

I. Die börsennotierte AG in China Die börsennotierten AGs waren bis 1995 im Wesentlichen die reformierten staatlichen Unternehmen. Weil die Wiedereinführung des Wertpapiermarkts in den 80er Jahren die SOE-Reform unterstützen sollte,3 wurde den privaten Unternehmen der Zugang grundsätzlich verwehrt.4 Die Umstrukturierungswelle zwischen 1996 und 2000, in der die staatlichen Aktionäre, vor allem die lokalen Regierungen, ihre sanierungsbedürftigen börsennotier1  Die jeweiligen chinesischen Termini: Errichtung durch Gründung (发起设立), Errichtung durch Einwerbung (募集设立). Eingehend siehe Bokeloh, Rechtliche Grundlagen, S.  181 ff. 2  王保树 [WANG, Baoshu], in: 王保树 / 王文宇主编 [WANG, Baoshu / WANG, Wenyu (Hrsg.)], S. 3, 8. 3  Dazu näher Leng, CG and Financial Reform in China, S. 123  f. unter dem Stichwort „The political logic of China’s stockmarket“. 4  Kritisch dazu 上海证交所研究中心 [Forschungszentrum der SHSE] (2009), S. 19.

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§ 2  Die chinesische börsennotierte AG und ihre Corporate Governance

ten AGs als Mantel an Private verkauften, führte zu einem raschen Anstieg der Zahlen der privaten börsennotierten AGs.5 Einhergehend mit dem Abschluss der SOE-Reform zum Jahrhundertwechsel wurde das Börsenzulassungsrecht liberalisiert.6 Die private Börsennotierung wurde ferner durch das 2004 errichtete Marktsegment für kleine und mittlere Unternehmen und der 2010 errichtete Growth Enterprise Market (GEM) in der SZSE erleichtert. Bis 2006 waren in dem ersteren 405 private AGs notiert,7 und 85 % der in GEM notierten AGs waren rein privat.8 Nach einem Bericht der Nationalen Industrie- und Handelsvereinigung über die Entwicklung der privaten Wirtschaft vom 11.01.2012 stieg die Zahl der privaten börsennotierten AGs auf 1.003 AGs an.9 1. Die Aktionärsstruktur Die chinesische börsennotierte AG ist typischerweise von einem Großak­ tionär beherrscht. Bis zum April 2001 hatten die 890 von den 1.102 im A-Markt notierten AGs, also 79,2 %, einen Aktionär, der mehr als die Hälfte der Aktien besaß. Die Großaktionäre waren überwiegend Regierungen (65 %) und staatliche Unternehmen (31 %).10 Die Statistik aus dem Jahr 2004 zeigt ein ähnliches Bild. Bis Ende Mai 2004 wurden 91,4 % der 1.324 börsennotierten AG von Regierungen und staatlichen Unternehmen beherrscht. Sie besaßen in 419 Gesellschaften mehr als 50 % der Aktien und in 450 Gesellschaften 20 % bis 50 % der Aktien.11 Der konzentrierte Aktienbesitz und die Dominanz der staatlichen Anteile haben sich selbst nach dem Abschluss der „Vollzirkulations“-Reform in 2007 nicht geändert. Die Statistik von 2008 [Forschungszentrum der SHSE] (2009), S. 9. [SHEN, Chaohui], 《证券法苑》 [Rundschau des Wertpapiersrechts], 03 / 2010, S. 632. Zum Börsenzulassungsrecht siehe unten II. 1. 7  陈斌等 [CHEN, Bin u. a.], „民营上市公司研究“ [Untersuchung privater börsennotierter AGs] (14.01.2008), http: /  / www.szse.cn / main / files / 2008 / 02 / 25 / 0918119 11155.pdfhttp: /  / www.szse.cn / main / files / 2008 / 02 / 25 / 091811911155.pdf (zuletzt abgerufen am 23.06.2013). 8  梁彤缨 / 郑军勇 [LIANG, Tongyin / ZHENG, Junyong], 《现代会计与审计》 [Moderne Rechnungslegung und Abschlussprüfung], 09 / 2005, S. 49, 50. 9  崔静 / 朱绍斌 [CUI, Jing / ZHU, Shaobin], „中国民营上市公司突破1000家“ [Chinesische private börsennotierten AGs sind über 1.000] (11.01.2012), http: /  / news. xinhuanet.com / 2012-01 / 11 / c_111419319.htm (zuletzt abgerufen am 23.06.2013). 10  李鹏 [LI, Peng], „国有股 ‚一股独大‘ 困扰中国上市公司“ [Die alleinige Dominanz der staatlichen Anteile stört chinesische börsennotierte AGs], 中国新闻网 [China News Net vom 06.02.2001], http: /  / finance.sina.com.cn / y / 67106.html (zuletzt abgerufen am 23.06.2013). 11  朱慈蕴 [ZHU, Ciyun], 《法学研究》 [Rechtswissenschaftliche Forschung], 04 / 2004, S. 104, 105. 5  上海证交所研究中心 6  沈朝晖



I. Die börsennotierte AG in China

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zeigt, dass die größten Aktionäre im Durchschnitt 35,9 % der Aktien ihrer Gesellschaften besitzen, und dass Regierungen und staatliche Unternehmen insgesamt 59,3 % der börsennotierten AG beherrschen.12 Auch die privaten börsennotierten AGs weisen einen hohen Grad der Aktienkonzentration auf. In einer Untersuchung, die 144 private börsennotierten AGs zwischen 2001 und 2003 zum Gegenstand hat, stellte sich heraus, dass die größten Aktionäre in 119 Gesellschaften mehr als 20 % der Aktienanteile besitzen, in 100 Gesellschaften mehr als 25 % und in 20 Gesellschaften mehr als 50 %, wobei der Aktienanteil der größten Aktionäre im Durchschnitt 32,32 % beträgt.13 Im GEM der SZSE besitzen die größten Aktionäre der dortigen Gesellschaften im Durchschnitt 37 % der Aktien und in 20 % der Gesellschaften hält der größte Aktionär mehr als 50 % der Aktienanteile.14 Diese konzentrierte Aktionärsstruktur wird im chinesischen Schrifttum unterschiedlich beurteilt. Die kritischen Stimmen halten die Dominanz eines Aktionärs für die wichtigste Ursache für die mangelhafte Corporate Governance der chinesischen börsennotierten AGs.15 Demgegenüber behaupten mehrere empirische Untersuchungen der chinesischen Ökonomen, ein positives Korrelat zwischen dem Ausmaß der Aktienkonzentration und dem Unternehmenserfolg bewiesen zu haben.16 Allerdings kamen ebenso viele Untersuchungen zum gegensätzlichen Ergebnis und konnten keinen oder nur einen unerheblichen Zusammenhang beweisen.17 Eine im Vordringen be12  王保树 [WANG, Baoshu], in: 王保树 / 王文宇主编 [WANG, Baoshu / WANG, Wenyu (Hrsg.)], S. 3, 13. 13  梁彤缨 / 郑军勇 [LIANG, Tongyin / ZHENG, Junyong], 《现代会计与审计》 [Moderne Rechnungslegung und Abschlussprüfung], 09 / 2005, S. 49, 51. 14  Die Statistik wurde von der Geschäftsführerin der SZSE in einem Interview angegeben, dazu 张欢 [ZHANG, Huan], 中国证券网 [China Stock Net 17.12.2010], http: /  / www.cnstock.com / index / cj / 201012 / 1052274.htm?page=6 (zuletzt abgerufen 23.06.2013). 15  Vgl. 国有股减持课题组 [Forschungsgruppe zu Reduzierung des staatlichen Aktienbesitzes], 《改革》 [Reform], 04 / 2001, S. 38 ff.; 上海证交所研究中心 [Forschungszentrum der SHSE] (2003), S. 3, die die Dominanz der staatlichen Anteile als das erste von acht Governance-Problemen der börsennotierten AGs nennt. Zu Vorschlägen von Ökonomen zur Reform der Aktionärsstruktur z. B. 吴晓求等 [WU, Xiaoqiu u. a.], 《中国证券报》 [Chinesische Wertpapierzeitung] (15.01.2003), http: /  / www.china.com.cn / chinese / zhuanti / 265945.htm (zuletzt abgerufen 23.06. 2013). Diese halten eine Aktionärsstruktur, in der drei bis vier Aktionäre mit ähnlich großen Aktienbesitzen vorhanden sind, in der gegenwärtigen Phase für optimal gehalten, weil dadurch eine Machtbalance hergestellt sei. 16  陈小悦 / 徐小东 [CHEN, Xiaoyue / XU, Xiaodong], 《经济研究》 [Wirtschaftsforschung], 11 / 2001, S. 3 ff.; 徐晓东 / 陈小悦 [XU, Xiaodong / CHEN, Xiao­yue], 《经 济研究》 [Wirtschaftsforschung], 02 / 2003, S. 64 ff. 17  高明华 [GAO, Minghua], 《南开管理评论》 [Nankai-Managementreview], 05 / 2001, S. 6 ff.; 于东智 [YU, Dongzhi], 《中国工业经济》 [Chinesische Indus­

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§ 2  Die chinesische börsennotierte AG und ihre Corporate Governance

findliche Ansicht kommt zu der Kenntnis, dass sowohl in den USA und Großbritannien, wo der gestreute Aktienbesitz vorherrschend ist, als auch in Deutschland und Japan, wo die börsennotierten AGs typischerweise konzentrierten Aktienbesitz haben, die AGs in ihrer schnell wachsenden Phase die Dominanz eines Aktionärs aufgewiesen hätten, und lehnt daher eine „künstliche“ Streuung des Aktienbesitzes als Lösung ab. Einhergehend mit dem Scheitern der Pilotprojekte „Reduzierung des staatlichen Aktienbesitzes“ und dem Beginn der Reform der „Vollzirkulation“ seit 2005, findet der aktionärsstrukturorientierte Ansatz zur Verbesserung der Corporate Governance der börsennotierten AG immer weniger Anklang. Die Aufmerksamkeit wird auf eine bessere Kontrolle des Verhaltens des herrschenden Aktionärs gelenkt.18 2. Die börsennotierten AGs in staatlichen Unternehmensgruppen Wie die obigen Statistiken bereits zeigen, steht ein überwiegender Teil der großen börsennotierten AGs unter unmittelbarer oder mittelbarer staatlicher Kontrolle. Zudem ist die börsennotierte AG in China häufig eine Untergesellschaft in einer Unternehmensgruppe. Aus einer Untersuchung, die 1.312 börsennotierte AGs im Jahr 2007 als Gegenstand hat, ergibt sich, dass 489, 247 und 52 Gesellschaften jeweils Tochter-, Enkelgesellschaft und Urenkelgesellschaft in staatlichen Unternehmensgruppen sind.19 Die Bildung von staatlichen Unternehmensgruppen wird regelmäßig von der Regierung veranlasst. Insbesondere seit Chinas Beitritt in die WTO im Jahr 2002 werden die Zusammenschlüsse und Umstrukturierungen von großen staatlichen Unternehmen gefördert, um die Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Unternehmen auf dem globalisierten Markt zu verstärken.20 Eine staatliche Unternehmensgruppe beruht häufig auf ein oder mehrere leistungsfähige Großunternehmen, die später Tochter- oder Enkelgesellschaft der Unternehmensgruppe oder Untergesellschaft noch tieferer Stufe werden, so dass die staatlichen Unternehmensgruppen regelmäßig zwei- oder mehrstufig aufgebaut sind.21 Wie das triewirtschaft], 05 / 2001, S. 54 ff.; 朱武祥 / 宋勇 [ZHU, Wuxiang / SONG, Yong], 《经 济研究》 [Wirtschaftsforschung], 12 / 2001, S. 66 ff. 18  王保树 [WANG, Baoshu], in: 王保树 / 王文宇主编 [WANG, Baoshu / WANG, Wenyu (Hrsg.)], S. 3, 15. 19  万立全 [WAN, Liquan], 《南方经济》 [Wirtschaft im Süden], 04 / 2010, S. 3, 10. 20  贾康等 [JIA, Kang u.  a.], 《经济研究参考》 [Referenz der Wirtschaftsforschung], 01 / 2007, S. 2, 3. 21  贾康等 [JIA, Kang u.  a.], 《经济研究参考》 [Referenz der Wirtschaftsforschung], S. 2, 3.



I. Die börsennotierte AG in China

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rechtstechnisch geschehen ist, ist im Schrifttum kaum erörtert. Da die Regierungen über das staatliche Aktienpaket der Gesellschaften, die ihrer Aufsicht unterliegen, verfügen können, sind folgende Varianten denkbar: (1) Unter Veranlassung der Regierung wird eine neue Gesellschaft als Holdinggesellschaft gegründet, an die die staatlichen Anteile der zusammenzuschließenden Unternehmen zugewiesen werden; (2) Die Regierung bestimmt eine beteiligte Gesellschaft als Muttergesellschaft und weist ihr die staatlichen Anteile der anderen beteiligten Gesellschaft zu. Diese Gründungsvorgänge führen zwangsläufig dazu, dass die staatlichen Unternehmensgruppen eine pyramidenförmige Struktur22 haben. Zudem erlangen bei der Gruppenbildung häufig die börsennotierten Untergesellschaften die Kerngeschäfte und die guten Vermögenswerte, während die Muttergesellschaft oder sonstige Untergesellschaften die Nebengeschäfte, die dem sozialen oder sonstigen nicht betrieblichen Zwecken dienenden Vermögen wie z. B. die Krankenhäuser und Schulen, sowie die Rentenzahlungspflichten gegenüber den pensionierten Arbeitnehmern übernimmt, um die Wettbewerbsfähigkeit der börsennotierten Untergesellschaften sicherzustellen und die Akzeptanz ihrer Aktien auf dem Kapitalmarkt zu erhöhen.23 Die an die Muttergesellschaft ausgezahlten Dividenden, die in den meisten Branchen mehr als 90 % der gesamten Gewinne der Unternehmensgruppe ausmachen, werden teilweise zum Ausgleich der Verluste der anderen Untergesellschaften verwendet.24 Die staatlichen Aktionäre bzw. de facto-Beherrscher der börsennotierten AGs lassen sich in staatliche Unternehmen und Regierungen bzw. ihren Behörden einteilen. Bei den letzteren unterscheidet man zwischen zentraler und lokaler Ebene einerseits und zwischen der für die Verwaltung des staatlichen Vermögens zuständigen Behörde und sonstigen Behörden andererseits. Bis Ende 2010 unterliegen 122 Unternehmen der Aufsicht der SASAC (State-owned Assets Supervision and Administration Commission of the State Council), die nach allgemeinem Sprachgebrauch als staatliches Unternehmen der zentralen Regierung (Abkürzung: Zentralunternehmen, „央企“) genannt wird.25 Sie bilden die Muttergesellschaft der jeweiligen Unterneh22  Zur Problematik der Pyramidenstrukturen siehe High Level Group of Gompany Law Experts Report, S. 98 f., http: /  / ec.europa.eu / internal_market / company /  docs / modern / report_en.pdf (zuletzt abgerufen 23.06.2013). 23  贾康等 [JIA, Kang u.  a.], 《经济研究参考》 [Referenz der Wirtschaftsforschung], S. 2, 5. 24  贾康等 [JIA, Kang u.  a.], 《经济研究参考》 [Referenz der Wirtschaftsforschung], S. 2, 3. 25  Die SASAC reduzierte durch vielfache Zusammenschlüsse die Anzahl der „Zentralunternehmen“ von 196 im Jahr 2003 auf 122 im Jahr 2010 und beabsichtigt, die Zahl bis Ende 2015 auf 50 zu senken, um dadurch wettbewerbsfähige Großun-

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§ 2  Die chinesische börsennotierte AG und ihre Corporate Governance

mensgruppe. In diesem Zusammenhang ist besonders anzumerken, dass die meisten von ihnen noch nicht in die Form der Kapitalgesellschaften umgewandelt worden sind.26 In dem Arbeitsbericht des Staatsrats, den der Ministerpräsident Wen, Jibao am 07.03.2010 in den Nationalen Volkskongress zur Abstimmung einbrachte, wurde eine Beschleunigung der Umwandlung der staatlichen Großunternehmen und insbesondere der zentralen Unternehmen in die Kapitalgesellschaft ausdrücklich gefordert. Ein genaues Reformvorhaben ist jedoch weder dort noch in den Bekanntmachungen der SASAC zu finden. Angesichts der ausbleibenden Reform auf der Ebene der Muttergesellschaft besteht bei den börsennotierten Untergesellschaften der zentralen Unternehmen die Befürchtung, dass die Machtverteilung zwischen den vier Gesellschaftsorganen auf der Ebene der Untergesellschaft wegen der Machtkonzentration in der Muttergesellschaft ins Leere laufen wird und zudem eine deutliche Trennung zwischen Regierung und Unternehmung bei diesen nicht gewährleistet ist. Laut einem Zeitungsbericht vom 17.02.2012 erwägt die SASAC, in ein oder zwei Jahren in ausgewählten zentralen Unternehmen das Experiment, dass sie unmittelbar die Aktienanteile besitzt, durchzuführen.27 In formaler Hinsicht wird die SASAC dann als ein Ak­ tionär der betroffenen Gesellschaft in ihrem Unternehmensregister eingetragen. Dieser Reformversuch wird jedoch nur zu einer Umwandlungsreform der ausgewählten Unternehmen führen. 3. Zwischenergebnis Die chinesischen börsennotierten AGs sind durch die dominante Stellung eines Großaktionärs gekennzeichnet. Es ist bei staatlichen Unternehmen die zwangsläufige Folge der SOE-Reform, bei der einerseits die Finanzierung durch die Einbeziehung der privaten Anleger verbessert werden soll und andererseits die herrschende Stellung der staatlichen Wirtschaft gewährleistet werden muss. Auch die privaten Gesellschaften weisen eine ähnliche Aktionärsstruktur auf, was wohl daran liegt, dass sich die meisten von ihnen noch in einer Gründerphase befinden. Die börsennotierten AGs in staatlicher Kontrolle sind in der Regel Tochter- oder Enkelgesellschaften in einer Unternehmensgruppe. Die Bildung der Unternehmensgruppe ist meistens nicht von ternehmen auf dem internationalen Markt zu schaffen. Vgl. den Bericht vom 30.10.2010, http: /  / www.chinareviewagency.net / doc / 1014 / 8 / 9 / 5 / 101489506.html?c oluid=7&kindid=0&docid=101489506 (zuletzt abgerufen 23.06.2013). 26  Nach der Zählung der Verfasserin sind bisher unter „Zentralunternehmen“ 27 AGs und 2 GmbHs. 27  马会 [MA, Hui], 《中国经济时报》 [Chinesische Wirtschaftszeitung] (17.02.2012), http: /  / news.xinhuanet.com / fortune / 2012-02 / 17 / c_122716753.htm (zuletzt abgerufen 23.06.2013).



II. Corporate Governance der börsennotierten AG

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den Marktkräften, sondern von der Regierung veranlasst. Die börsennotierten Untergesellschaften erlangen bei der Gruppenbildung das beste Betriebsvermögen der Gruppe, während die wenig oder nicht ertragsfähigen Vermögensteile der Mutter- oder den Geschwistergesellschaften zugewiesen werden. Die börsennotierten Untergesellschaften sind daher wegen ihrer Struktur für Machtmissbräuche der herrschenden Aktionäre besonders anfällig.

II. Corporate Governance der börsennotierten AG Der Begriff Corporate Governance wird weltweit kontrovers diskutiert. Zum Zweck der Rechtsvergleichung ist vorliegend von einem weit angelegten funktionalen Verständnis auszugehen. Danach erfasst Corporate Governance alle rechtlichen und faktischen Faktoren, die auf die Leitung und Überwachung der Gesellschaft Einfluss nehmen.28 Die Forschung der Comparative Corporate Governance zeigt, dass die Corporate GovernanceSysteme verschiedener Länder ähnliche Elemente in verschiedener Kombination und unterschiedlichem Ausmaß aufweisen. Die wichtigsten Systemelemente sind die übergeordnete Zielsetzung der Gesellschaft im Sinne einer Shareholder- oder Stakeholder-Orientierung, das Board-System, die Verankerung der Arbeitnehmer, die Kapitalmärkte, der Markt für die Unternehmenskontrolle, die Aktionärsstruktur, die Unternehmensfinanzierung sowie die Offenlegung und Rechnungsprüfung.29 Die Zusammensetzung solcher Elemente ist durch die historische Entwicklung bedingt und macht die Besonderheit des jeweiligen nationalen Systems aus.30 In der rechtsvergleichenden sowie interdisziplinären Diskussion wird häufig zwischen drei interdependenten Regelungsebenen der Corporate Governance unterschieden, nämlich der internen und externen Governance und der intermediären Ebene.31 Die interne Governance bezeichnet die Kontrollausübung im Rah28  Vgl. Hopt, ZHR 175 (2011), S. 444, 448 mit Bezugnahme auf die Definition des Cadbury Report von 2002; GroßKommAktG / Leyens, § 161 Rn. 25; v. Werder, in: Hommelhoff / Hopt / v.  Werder, S. 3, 22. 29  Hopt, in: Hopt / Wymeersch, Capital Market and Company Law, S. 289, 291; v. Werder, in: Hommelhoff / Hopt / v.  Werder, S. 3, 22. Zur Typenbildung unter verschiedenen Gesichtspunkten vgl. z. B. Schmid, in: Krahnen / Schmidt, The German Financial System, S. 386 ff. (Insider Model vs. Outsider Model); Van Der Elst, in: Hopt / Wymeersch, Capital Market and Company Law, S. 3, 4 f. (markt- und bankorientiertes System); Zur Wandelung des herkömmlich insider-kontrolliert und bankorientierten Systems in Deutschland GroßKommAktG / Leyens, § 161 Rn. 33. 30  Hopt, in: Hopt / Wymeersch, Capital Market and Company Law, S. 289, 291; zusammenfassend zur Theorie der Pfadabhängigkeit bei Leyens, RabelsZ 67 (2003), S. 57, 64 m. w. N. 31  Vgl. Hopt, ZGR 2000, S. 779, 782 ff. und 787 ff.; ders., ZHR 175 (2011), S. 444, 450; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 444; GroßKomm-

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§ 2  Die chinesische börsennotierte AG und ihre Corporate Governance

men der innergesellschaftlichen Informations-, Überwachungs- und Entscheidungsrechte. Die externe Governance erfasst insbesondere die Einflussmöglichkeiten, die mittels der Marktkräfte von Angebot und Nachfrage auf die Entscheidungsträger der Gesellschaft ausgeübt werden können.32 Die beiden Mechanismen geben den Anteilseignern und sonstigen Bezugsgruppen zwei verschiedene Optionen, um ihre Interessen wahrzunehmen. Sie können entweder ihre Stimme erheben (sog. „voice“) oder aber die Austauschbeziehung verlassen (sog. „exit“).33 Zu der intermediären Ebene zählt insbesondere die Offenlegung und Abschlussprüfung. Dabei geht es einerseits darum, dass die Gesellschaftsorgane den Gesellschaftern gegenüber Rechenschaft ablegen, und andererseits wird den potentiellen Anteils­ erwerbern die Information über die Gesellschaft verschafft.34 Die folgende Untersuchung befasst sich mit der Frage, welche Rolle die auf die Marktkräfte setzenden externen Governancemechanismen in chinesischen börsennotierten AGs überhaupt spielen. Nach einer kurzen Schilderung der Entwicklung des Börsenzulassungsrechts wird auf die bedeutendste Kapitalmarktreform in letztem Jahrzehnt, die Kapitalmarktpublizität, die behördliche Regulierung der internen Corporate Governance eingegangen. Letztlich sind noch die Aktienoption und der Übernahmemarkt zu er­wähnen. 1. Liberalisierung des Börsenzulassungsrechts Das Inkrafttreten des WpG vom 01.07.1999 stellte eine Weichenstellung der staatlichen Aufsicht über die börsennotierten AGs und den Kapitalmarkt dar. Die CSRC bezeichnet dies als eine Wandlung des bisher von behördlicher Überprüfung und Genehmigung dominierten Systems hin zu einem auf die Offenlegung basierten System.35 Der erste großen Schritt in diese Richtung war die Abschaffung des Quotensystems (配额制), das bereits mit dem Inkrafttreten des WpG angekündigt, aber erst im März 2001 verwirklicht wurde. Das am Anfang der 1990er Jahre eingeführte Quotensystem beAktG / Leyens, § 161 Rn. 32; v. Werder, in: Hommelhoff / Hopt / v.  Werder, S. 3, 12; Windbichler, in: T. Möllers, Geltung und Faktizität von Standards, S. 19, 20. 32  Ein weiteres Verständnis über die externer Steuerung bei Windbichler, in: T. Möllers, Geltung und Faktizität von Standards, S. 19, 20, wonach auch die Steuerung durch allgemeines Vertragsrecht, Verbraucherschutz und Arbeitsrecht und die öffentlich-rechtliche Regulierung dazu zählen. 33  Grundlegend Hirschman, Exit, Voice and Loyalty; dazu v. Werder, in: Hom­ melhoff / Hopt / v.  Werder, S. 3, 13. 34  Hopt, ZGR 2000, S. 779, 782 f.; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 484. Zur intermediären Funktion der Informationsdienstleister und Stimmrechtsberater GroßKommAktG / Leyens, § 161 Rn. 32. 35  证监会 [CSRC], 《中国资本市场发展报告》 [Kapitalmarkt-Bericht], S. 56.



II. Corporate Governance der börsennotierten AG51

zweckte durch die Einschränkung der Börsennotierung und der Aktienemission der damaligen Überhitzung der Investitionen entgegenzuwirken.36 Nach diesem System legte die CSRC die Emissionsquote fest, in deren Rahmen die Überprüfung von IPO-Kandidaten zuerst von den jeweiligen zuständigen Provinzregierungen vorgenommen wurde und die CRSC anschließend anhand dieser Empfehlungen die Genehmigungen erteilte. Das Quotenssystem wird von manchen ausländischen Beobachtern als ein Kernmechanismus des chinesischen „administrative governance system“ betrachtet.37 Nach dem als Billigungssystem (核准制) bezeichneten neuen Börsenzulassungsverfahren unterliegt die Aktienemission einer Prüfung und Billigung durch die CSRC (vgl. §§ 10, 11 WgG 1999; § 10 WgG 2005). Dabei handelt es sich nach wie vor um eine materielle, inhaltliche Prüfung von Anträgen auf Aktienemission. Mit der Einführung eines sog. Sponsorensystems (保荐制) im Dezember 2003 erreichte die Liberalisierung des Börsenzulassungsverfahrens einen Höhepunkt. Damit bewegt sich China von einem Konzessionssystem (审批制) auf ein Registrierungssystem (注册制), bei dem ein staatliches Aufsichtsorgan auf die Prüfung der formalen Richtigkeit der Antragsdokumente beschränkt ist.38 Nach dem Sponsorsystem übernimmt ein Sponsor, häufig ein Brokerunternehmen, die Überprüfung der Antragsdokumente auf ihre Wahrhaftigkeit, Genauigkeit und Vollständigkeit und beaufsichtigt den Antragssteller in einem einjährigen Verfahren, bevor es der CSRC seine Empfehlung ausspricht. Dem Sponsor obliegt die Aufsicht noch für eine bestimmte Zeit nach dem erfolgreichen Börsengang. Die Liberalisierung des strengen Börsenzulassungsrechts, das auf eine ex ante-Eingangskontrolle setzte und den schlechten Gesellschaften den Zugang zum Kapitalmarkt zu versperren versuchte, führte zum steigenden Bedürfnis nach wirksamen Kontrollmechanismen in der post-listing-Phase und macht eine wesentliche Verbesserung der Transparenz und Integrität des Kapitalmarkts dringend notwendig und auch unausweichlich. 2. Abbau der Aufspaltung der Aktien auf dem sekundären Markt Der chinesische Kapitalmarkt ist seit seiner Wiederentstehung durch eine starke Marktsegmentierung nach den Typen der Investoren gekennzeichnet. Um die Finanzierung der reformierten staatlichen Unternehmen durch den Kapitalmarkt zu ermöglichen, ohne die herrschende Stellung der staatlichen Aktionäre zu gefährden, wurde eine „vorläufige“ Unhandelbarkeit der staat[CSRC], 《中国资本市场发展报告》 [Kapitalmarkt-Bericht], S. 12 f. Pistor / Xu, 7 (1) Amerikan Law and Economics Review (2005), S. 184 ff. 38  Pißler, ZChiR 2004 (2), S. 159. 36  证监会 37  Dazu

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§ 2  Die chinesische börsennotierte AG und ihre Corporate Governance

lichen Aktien (国家股) und der Aktien der juristischen Personen (法人股)39 auf dem Sekundärmarkt angeordnet. Die dadurch herbeigeführte „Aufspaltung der Aktien“ (股权分置) führte zur Entfremdung des Kapitalmarkts in China.40 Eine verheerende Folge ist das Versagen der Preisfunktion.41 Da die Großaktionäre – abgesehen von dem Fall der Kapitalerhöhung und neuer Emission – infolge der mangelnden Handelbarkeit ihrer Aktien auf dem sekundären Markt von Änderungen des Aktienkurses kaum betroffen waren, hatten sie nicht zu befürchten, dass ihre für die Gesellschaften nachteiligen Verhaltensweisen von dem Kapitalmarkt sanktioniert werden würden. Sie interessierten sich vielmehr nur für die Wertsteigerung des Eigenkapitals der Gesellschaft, was sie durch Über-Pari-Emissionen ohne große Schwierigkeiten erreichen konnten.42 Folglich fehlte bei ihnen auch der Anreiz, die Ertragslage der Gesellschaften durch Einwirkung auf deren Corporate Governance aufzubessern. Andererseits führte die Aufspaltung dazu, dass die auf dem Sekundärmarkt angebotenen Aktien weit hinter den Nachfragen zurückblieben, sodass die privaten Anleger trotz des übermäßigen Preises43 und der Ausbeutungsgefahr einen Anreiz zum Aktienerwerb hatten. Der Umstand, dass die privaten Anleger sich ausschließlich für die Differenz zwischen des Anschaffungs- und Verkaufspreises interessierten, verschärfte die Spekulationen auf dem Kapitalmarkt.44 Das Versagen der Preisfunktion 39  Die Staatsaktien werden von der Regierung oder staatlichen Institutionen mit staatlichem Vermögen erworben. Die Aktien juristischer Personen sind Aktien, die sich im Besitz einer juristischen Person befinden. Unter juristische Personen im chinesischen Sinne fallen Unternehmen, eingetragene Vereine und die „Institutionseinheiten“ (事业单位), die juristische Person sind. 40  Vgl. 深交所综合研究所 [Forschungsinstitut der SZSE], „股权分置改革“ [Reform gegen die Aufspaltung der Aktien], S. 4, http: /  / www.szse.cn / main / files / 2007 /  04 / 24 / 987170063604.pdf (zuletzt abgerufen am 23.06.2013); 全萍 [QUAN, Ping], in: 顾功耘主编 [GU, Gongyun (Hrsg.)] (2006), S. 149, 152 f.; 吴晓求 [WU, Xiaoqiu], 《财贸经济》 [Finanz, Handeln und Wirtschaft], 02 / 2006, S. 24 ff. 41  吴晓求 [WU, Xiaoqiu], 《财贸经济》 [Finanz, Handeln und Wirtschaft], 02 / 2006, S. 24, 26. 42  全萍 [QUAN, Ping], in: 顾功耘主编 [GU, Gongyun (Hrsg.)] (2006), S. 149, 153. 43  Bei der Umwandlung eines staatlichen Unternehmens in eine AG durch Neugründung wurde sein Vermögen als Sacheinlage in die neue AG eingebracht und das Unternehmen erlangte dadurch sog. Staatsaktien nach dem Maßstab, dass der Wert der Staatsaktien 65 % des ursprünglich staatseigenen Vermögens nicht unterschreiten durfte. Dieser Maßstab führt dazu, dass die staatlichen Aktionäre ihre einzelnen Aktien mit ca. 1,00–1,538 RMB, also fast nach dem Nominalwert, zeichnen konnten. Die Publikumsaktionäre mussten hingegen in der Regel vierfach bis sechsfach für ihre Aktien zahlen. Eingehend dazu 全萍 [QUAN, Ping], in: 顾功耘主编 [GU, Gongyun (Hrsg.)] (2006), S. 149, 154. 44  Dazu 林毅夫 / 李志赟 [LIN, Yifu / LI, Zhibin], 《中国经济学》 [Wirtschaftswissenschaft Chinas], 04 / 2005, S. 913, 927, die auf die kurze Haltedauer der chine-



II. Corporate Governance der börsennotierten AG53

des Kapitalmarkts führte ferner dazu, dass die Merger & Acquisition auch vornehmlich unter dem Spekulationsmotiv erfolgten und ein Mittel zum Tunneling (掏空) der börsennotierten AGs wurde.45 Zwischen 1999 und 2004 versuchte die chinesische Regierung vielfach, den Besitz der nicht handelbaren Aktien zu reduzieren. Sowohl das zugelassene freie Handeln der staatlichen Aktien in zwei ausgewählten AGs in 1999, als auch das Projekt des Staatsrats in 2001, das eine Aufstockung des staatlichen Sozialversicherungsfonds durch die Veräußerung der Staatsaktien bezweckte, sowie die Errichtung eines sog. C-Segments für die Übertragung der nicht handelbaren Aktien in SHSE und SZSE 2004 wurden vom Markt negativ wahrgenommen und führten jeweils zu einem erheblichen Kursfall. Der Regierung wurde vorgeworfen, dass sie auf die Interessen der Publikumsanleger und auf die Aufnahmekapazität des Sekundärmarktes keine hinreichende Rücksicht nahm.46 Nach dem vielfachen Scheitern erkannte die Regierung letztlich, dass die Handelbarmachung der Aktien des Staats und der juristischen Personen voraussetzt, dass die Publikumsanleger, die für ihre Aktien hohe „Agios“ gezahlt haben, entschädigt werden müssen. Am 29.04.2005 begann die Kapitalmarktreform unter dem Schlagwort „Vollzirkulation“ (全流 通). Damit wurde ein Konzeptionswechsel zum Ausdruck gebracht. Es geht nicht mehr um eine einseitige Reduktion des Aktienbesitzes, sondern um die Beseitigung der Marktsegmentierung nach den Aktionärstypen und die Herstellung der Handelbarkeit aller Aktien auf dem Sekundärmarkt. Außerdem hat sich die Regierung an die herrschende Ansicht im ökonomischen Schrifttum angeschlossen. Danach sollte die Regierung keine einheitlichen Maßstäbe für die Umwandelung der nicht handelbaren in die handelbaren Aktien anordnen, vielmehr sollte es den einzelnen Gesellschaften bzw. ihren Aktionären überlassen werden, ein auf sie zugeschnittenes Umwandlungsvorhaben zu entwickeln und zwar auf der Grundlage der Einigung zwischen Publikumsanlegern und Inhabern der nicht handelbaren Aktien.47 In Übereinstimmung mit dieser Überlegung hat die CSRC in ihren Reformleitlinien48 den sischen Publikumsaktionäre und den fehlenden Zusammenhang zwischen dem Ak­ tienkurs und der realen Wirtschaft hinweisen. 45  吴晓求 [WU, Xiaoqiu], 《财贸经济》 [Finanz, Handeln und Wirtschaft], 02 / 2006, S. 24, 26. 46  Vgl. 胡然 [HU, Ran], in: 顾功耘主编 [GU, Gongyun (Hrsg.)] (2006), S. 172, 173. 47  吴晓求 [WU, Xiaoqiu], 《财贸经济》 [Finanz, Handeln und Wirtschaft], 02 / 2006, S. 24, 27; 深交所综合研究所 [Forschungsinstitut der SZSE], „股权分置 改革“ [Reform gegen die Aufspaltung der Aktien], S. 10 ff., http: /  / www.szse.cn / ma in / files / 2007 / 04 / 24 / 987170063604.pdf (zuletzt abgerufen am 23.06.2013). 48  《上市公司股权分置改革管理办法》 [Verwaltungsmethode über die Reform der Aktienaufspaltung der börsenotierten AGs] (04.09.2005).

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§ 2  Die chinesische börsennotierte AG und ihre Corporate Governance

Schwerpunkt auf die Einberufung der Hauptversammlung, die Abstimmung und die zeitlichen und umfangbezogenen Einschränkungen der Veräußerung von umgewandelten Aktien gesetzt. In der Sitzung des 17. nationalen Parteitags der KP China vom 16.10.2007 wurde die Reform als im Wesentlichen abgeschlossen erklärt.49 Durch den Abbau der Marktsegmentierung wird eine einheitliche Zielsetzung der Aktionäre ermöglicht, die auf die Ertragslage und damit auf den Aktienpreis der Gesellschaft gerichtet ist. Die Auswirkungen der Reform auf den Kapitalmarkt sind noch abzuwarten. Insbesondere hat sich an der hoch konzentrierten Aktionärsstruktur der börsennotierten AGs noch nichts Wesentliches geändert.50 3. Kapitalmarktpublizität und die Regelungsdurchsetzung Mit dem KpG (1999) wurden die bisher in der Rechtsverordnung des Staatsrats und den Durchführungsregeln der CSRC geregelten Publizitätspflichten auf dem primären und sekundären Markt zu gesetzlichen Pflichten aufgewertet. Die gesetzlichen Regelungen wurden durch zahlreiche Regelungen der CSRC aufgefächert und konkretisiert. Nach der Novellierung des WpG hat die CSRC ihre bisherigen Regeln in einem Regelwerk51 konsolidiert und ihre Standards dazu52 entsprechend angepasst. Dadurch hat sie auch die vom Gesetzgeber erteilten Regelungsaufträge in §§ 65 Nr. 5, 66 Nr. 6, 67 Abs. 2 Nr. 12 KpG erfüllt. Die Verletzung der Publizitätspflichten führt nicht nur zur Schadenersatzpflicht der börsennotierten AGs, sondern macht auch deren Organmitglieder haftbar gegenüber Anlegern. Das KpG (1999) hat die Außenhaftung der Organmitglieder als Durchsetzungsmechanismus der Publizität eingeführt. Eine Verletzung der Publizitätspflicht liegt vor, wenn Verkaufsprospekte, periodische Berichte oder Ad-hoc-Berichte unrichtige oder irreführende Angaben enthalten oder wichtige Angaben auslassen (§ 63 KpG 1999; § 69 KpG 2005). Hinsichtlich der subjektiven Tatbestandsmerkmale war es zu § 63 WpG 1999 umstritten, ob es sich um eine verschuldensunabhängige Haftung handelt oder um eine gesetzliche Verschuldensvermutung. Die h. M. im Schrifttum ging von dem Letzteren 49  Siehe den Pressebericht, http: /  / cpc.people.com.cn / GB / 104019 / 104127 / 104592 /  6386934.html (zuletzt abgerufen am 23.06.2013). 50  Siehe oben II. 2. 51  证监会 [CSRC], 《上市公司信息披露管理办法》 [Methode zur Verwaltung der Publizität der börsennotierten AGs] (30.01.2007). 52  Um einige Beispiele zu nennen: Standards Nr. 1 für die Aktienverkaufsprospekte (2000, zuletzt revidiert in 2006), Standards Nr. 2 für den Jahresbericht (2000, zuletzt revidiert in 2007), Standards Nr. 3 für den Zwischenbericht (2000, zuletzt revidiert in 2007), Standards Nr. 13 für den Vierteljahresbericht (2000, zuletzt revidiert in 2007).



II. Corporate Governance der börsennotierten AG55

aus.53 Das Oberste Volksgericht hat in seiner Justizauslegung zum WpG von 200354 das Verschuldenserfordernis der Organhaftung wegen falscher Offenlegung und auch die Verschuldensvermutung bejaht. Die authentische Interpretation des Richters, der an der Erarbeitung dieser Auslegung maßgeblich beteiligt war, deutet jedoch darauf hin, dass das Gericht von einer gesetzlich normierten verschuldensunabhängigen Haftung ausgegangen ist und die, aus seiner Sicht, zu strenge gesetzliche Regelung modifizieren wollte.55 In der Nachfolgevorschrift, nämlich § 69 WpG 2005, ist im Anschluss an die obige Justizauslegung die Verschuldensvermutung deutlich formuliert. Die Organhaftung wegen falscher Publizität ist zwar streng geregelt, aber bei ihrer praktischen Umsetzung und Durchsetzung sieht dies anders aus. Erst mit der Verkündigung der oben genannten Justizauslegung hat das Oberste Volksgericht die Zulassung der wertpapierrechtlichen Schadensersatzklagen wegen falscher Publizität für die Fälle anerkannt, in denen die Verletzung der Publizitätspflicht durch eine Sanktionsentscheidung der CSRC oder durch ein strafrechtliches Urteil festgestellt worden ist. Zwar wären angeblich etwa 130 börsennotierte AGs im Zeitraum zwischen 2000 und 2006 dieser Justizauslegung entsprechend haftbar, aber tatsächlich wurden nur 20 Gesellschaften von Anlegern verklagt.56 Die meisten Klagen wurden durch einen Vergleich (和解) oder durch gütliche Streitbeilegung durch die Gerichte (调解) beendet.57 Merkwürdig ist, dass in keinem Gerichtsfall die Organmitglieder in Anspruch genommen wurden. In der Praxis spielt die verwaltungsrechtliche Sanktion durch die CSRC eine viel wichtigere Rolle als die Organaußenhaftung. § 193 WpG ermächtigt die CSRC, im Falle des Verstoßes gegen Publizitätspflichten, gegenüber Emittenten, börsennotierte AGs, „die zuständigen Personen“ und „die sonstigen unmittelbar verantwortlichen Personen“ Sanktionen zu verhängen.58 53  Umfassende Literaturhinweise bei Pissler, Chinesisches Kapitalmarktrecht, S. 221 Fn. 802. 54  最高人民法院 [Das Oberste Volksgericht], 《关于审理证券市场虚假陈述民 事赔偿案件的若干规定》 [Regelungen über die Behandlung von zivilrechtlichen Schadensersatzklagen wegen kapitalmarktrechtlicher falscher Offenlegung] (09.01.2003). 55  贾纬(最高院民二庭) [JIA, Wie (2. Zivilkammer des Obersten Volksgerichts], „如何理解 《关于审理证券市场虚假陈述民事赔偿案件的若干规定》“ [Wie versteht man die „Regelungen über die Behandlung von zivilrechtlichen Schadensersatzklagen wegen kapitalmarktrechtlicher falscher Offenlegung“], 《人民法院报》 [Zeitung des Volksgerichts] (22.01.2003). 56  Liebman / Milhaupt, 108 Columbia Law Review (2008), S. 929, 943. 57  Eine umfassende Darstellung über die Fälle zwischen 1999 und 2009 bei http: /  / finance.sina.com.cn / stock / focus / xjcspca /  (zuletzt abgerufen 23.06.2013). 58  Eingehen zur Interpretation dieser beiden Begriffe in der Praxis der CSRC bei Xu, G.  D. u. a., 14 EBOLR (2013), S. 57, 86.

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§ 2  Die chinesische börsennotierte AG und ihre Corporate Governance

Sie darf den unmittelbar verantwortlichen Personen eine Warnung erteilen (给予警告) und ein Bußgeld in Höhe von 30.000,– RMB bis 300.000,– RMB verhängen. Von 2004 bis Ende 2008 ordnete die CSRC insgesamt 210 Sanktionen an, wobei 90 Sanktionen sich auf die falsche Publizität bezogen. Insgesamt wurden 738 Vorstandsmitglieder der börsennotierten AGs von der CRSC diszipliniert.59 In einem jüngeren Fall ordnete die CSRC Markteintrittsverbote für sieben Vorstandsmitglieder und leitende Manager der Kelong Electronitics und ein Berufsverbot des Geschäftsführers an, wonach er für zehn Jahre kein leitender Manager einer börsennotierten AG und einer Wertpapiergesellschaft sein darf.60 Ferner kommen noch die Sanktionen durch die Börsen in Betracht. Die Börsen können nach ihrem Ermessen gegen die börsennotierten AGs und sonstige einer Publizitätspflicht unterliegende Personen in einem Rundschreiben ihre Kritik aussprechen (通报批 评, circulating a notice of criticism) oder diese öffentlich tadeln (公开谴 责, public censure) und gegen die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sowie gegen leitende Manager, die gegen Listing Rules verstoßen haben, eine Disqualifikation für drei Jahre aussprechen.61 4. Behördliche Regulierungen der internen Corporate Governance der börsennotierten AGs Die interne Corporate Governance der börsennotierten AG ist weitgehend durch die Regelungen der CSRC ausgeformt. Das KgG 1993 legte nur die Grundzüge des Unternehmensorganisationsrechts fest und erwies sich bald als zu weitmaschig. Der Umstand, dass eine Vielzahl der durch die Umwandlung der SOEs entstandenen börsennotierten AGs versäumte, eine Organstruktur nach dem KgG aufzubauen, hat die CSRC zu regulatorischen Eingriffen veranlasst. Sie erließ 1997 eine Satzungsanleitung und machte ihre Einhaltung zu einer Voraussetzung der Börsenzulassung. Sie regelte den Ablauf der Hauptversammlung, um der verbreiteten Praxis, in der die Hauptversammlungen nicht oder nicht ordnungsgemäß stattfanden, entgegenzuwirken.62 Angesichts der Funktionsunfähigkeit des Aufsichtsrats griff 59  肖渔 [XIAO, Yu], 《证券时报》 [Wertpapiertzeitung] (04.12.2008), http: /  / fi nance.sina.com.cn / stock / y / 20081204 / 07115588875.shtml (zuletzt abgerufen 23.06. 2013). 60  证监会 [CSRC], „关于顾雏军等人实施市场禁入的决定“, 证监法律字 [2006] 4号 [Entscheidung über das Markteintrittsverbot an GU, Chujun u. a.] ([2006] Nr. 4). 61  SHSE-Listing Rules 17.2, 17.3. 62  证监会 [CSRC], 《上市公司股东大会规范意见》 [Ansichten zur Standardisierung der Hauptversammlung der börsennotierten AGs.] (23.02.1998, revidiert in 2000).



II. Corporate Governance der börsennotierten AG57

die CSRC die unabhängigen Vorstandsmitglieder aus dem angloamerikanischen Rechtskreis als eine Alternative auf und forderte die börsennotierten AGs auf, ihre Vorstände mit unabhängigen Mitgliedern zu besetzen.63 Mit dem CGK (2002) erreichten die Regulierungsversuche der CSRC einen Höhepunkt. Der CGK (2002) folgt den comply-or-explain-Ansatz.64 Aber die CSRC behält sich die Möglichkeit vor, denjenigen Gesellschaften, die schwerwiegende Mängel in Corporate Governance aufweisen, eine „Korrektur“ (责令整改) anzuordnen (vgl. die Präambel). Als Reaktion auf die verbreiteten Machtmissbräuche durch die Großaktionäre der börsennotierten AGs erließ die CSRC umfassende Regelungen zum Schutz der Publikumsaktionäre, die von dem Experiment zur Abstimmung über wichtige Angelegenheiten (allein) durch die Publikumsaktionäre über proxy voting, cumulativ voting bis zu fiduziarischer Pflicht des herrschenden Aktionärs reichen.65 Dadurch zeichnet sich die Vorliebe der CSRC für den Aktionärsschutz des amerikanischen Stils ab. Diese wagte sich auch, die radikalen Maßnahmen wie den Ausschluss des Stimmrechts der Großaktionäre zum Zweck des Anlegerschutzes zu ergreifen. An die Novellierung des KgG und des WpG in 2005 schloss sich eine Welle der Normsetzungstätigkeit der CSRC an. Nennenswert ist insbesondere die 2006 revidierte Satzungsanleitung. Mit ihren 198 Paragrafen stellt die Satzungsanleitung (2006) ein umfassendes Regelwerk dar, ein Konglomerat aus Wiedergabe des Gesetzes, Konsolidierung der bisherigen Regelungen und neuer Normsetzung. Als Beispiele für das Letztere sind die Pflicht des Aufsichtsrats zur schriftlichen Stellungnahme zu periodischen Berichten des Vorstands (§ 144 Nr. 1), die Einführung von internen Rechnungsprüfungen (§ 156) und die Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Bestellung der Abschlussprüfer (§ 159) zu nennen. Die CSRC löst die Verbindung der Satzungsanleitung mit der Börsenzulassung auf und erlaubt prinzipiell Ergänzungen und Modifizierungen, solange die Offenlegung der Satzungsänderungsvorschläge des Vorstands klare Hinweise auf die Abweichungen enthält (comply or disclose).66 Der Gestaltungspielraum im Einzelfall wird in der Anmerkung zu den jeweiligen Musterbestimmungen festgelegt. Die CSRC griff außerdem die Managerausbildung auf und erließ 63  Dazu

siehe oben § 1 II. 2. § 91 Nr. 5 CGK (2002) haben die börsennotierten AGs ihre Corporate Governance-Struktur, Abweichungen vom CGK und die Gründe hierfür offenzu­ legen. 65  证监会 [CSRC], 《关于加强社会公众股股东权益保护的若干规定》 [Regelungen zur Verstärkung des Schutzes der Publikumsaktionäre] (08.12.2004). 66  证监会 [CSRC], „关于印发 《上市公司章程指引(2006年修订)》的通知“ [Mitteilung über „die Satzungsanleitung des börsennotierten AGs (revidiert 2006)“ (16.03.2006). 64  Nach

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§ 2  Die chinesische börsennotierte AG und ihre Corporate Governance

Leitlinien mit den Durchführungsregeln jeweils für den Vorstandsvorsitzenden und den Geschäftsführer, für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, für unabhängige Vorstandsmitglieder, für Finanzdirektoren und für Vorstands­ sekretäre.67 Es wird beispielsweise von unabhängigen Vorstandsmitgliedern verlangt, an den von den jeweiligen Börsen organisierten Kursen teilzunehmen und ein Zertifikat zu erlangen, bevor sie das Amt antreten. Die Regelungen der CSRC über die interne Corporate Governance wurden in erster Linie durch die Publizitätsregeln durchgesetzt. Einhergehend mit der Ablösung des Quoten-Systems durch das Billigungssystem der Aktienemission wurden die Publizitätspflichten der Finanzberichte auf die Berichte über die interne Corporate Governance ausgedehnt.68 Die Offenlegung der internen Corporate Governance wurde erstmals in den im März 2001 revidierten Standards Nr. 1 für die Aktienverkaufsprospekte eingeführt. Die im Dezember 2001 revidierte Fassung der Standards Nr. 2 für den Jahresbericht fordert eine entsprechende Offenlegung im Jahresbericht. Anzugeben sind demnach (1) ob und inwiefern die Corporate Governance-Praxis der betreffenden Gesellschaft von den Corporate Governance-Regelungen der CSRC abweicht, (2) wie die unabhängigen Vorstandsmitglieder ihre Befugnisse ausgeübt haben, (3) das Verhältnis zum herrschenden Aktionär in Bezug auf die Geschäfte und (4) ob und wie die Anreizmechanismen für das Management eingeführt worden sind. In der 2007 revidierten Fassung wird noch die Offenlegung des internen Controlling-Systems verlangt. Die Offenlegungspraxis ist nach der Untersuchung der SHSE enttäuschend. In meisten Fällen gaben die AGs in ihren Jahresberichten nur pauschal an, dass keine Abweichungen von den Regelungen der CSRC vorlägen, unabhängige Vorstandsmitglieder ihre Befugnissen wahrgenommen hätten, kein Verhältnis zum herrschenden Aktionär hinsichtlich der Geschäfte bestände und Anreizmaßnahmen für das Management eingeführt worden seien.69 Die Gesellschaften leihen sich also von der CSRC ihre Formulierungen in Standards Nr. 2 und geben die Antworten einfach als Ja oder Nein. Die Offenlegung der internen Corporate Governance wird zu einer rein formalen Sache. Die SHSE sieht die Ursachen dieser unbefriedigenden Praxis in den zu pauschalen Publizitätsanforderungen der Aufsichtsbehörde, dem Fehlen von konkreten Indikatoren und der Unmöglichkeit der Quantisierung der Informationen.70 Da die Offenlegungsanforderungen zu schwammig sind, 67  证监会 [CSRC], 《上市公司高级管理人员培训工作指引》 [Anleitung zur Ausbildung des Führungspersonals der börsennotierten AGs] (22.12.2005). 68  Diesen Zusammenhang betonend 上海证交所研究中心 [Forschungszentrum der SHSE] (2008), S. 37. 69  上海证交所研究中心 [Forschungszentrum der SHSE] (2008), S. 42 ff. 70  上海证交所研究中心 [Forschungszentrum der SHSE] (2008), S. 45.



II. Corporate Governance der börsennotierten AG

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lässt sich ein Verstoß hiergegen kaum feststellen und folglich versagt auch die Sanktion wegen falscher Publizität als Durchsetzungsmittel. Die CSCR beschränkt sich nicht auf die mittelbare Einflussnahme auf die Corporate Governance der börsennotierten AGs über die Publizitätsvorschriften. Sie scheut sich nicht, von direkteren regulatorischen Maßnahmen Gebrauch zu machen. Seit 2007 hat die CSRC die folgende Praxis stabilisiert: Jährlich betreibt sie eine Kampagne zur Überprüfung der Corporate Governance der börsennotierten AGs („上市公司治理专项活动“) und legt die Schwerpunkte der Überprüfung fest. In erster Linie sollen die Gesellschaften eine Selbstüberprüfung durchführen und die entdeckten Mängel der Unternehmensführung berichtigen. Anschließend ist ein Bericht über die Selbstüberprüfung und -berichtigung in Form des Vorstandsbeschlusses auf der Website der Börse bekanntzugeben. Gegenüber denjenigen AGs, die eine Selbstüberprüfung bzw. -berichtigung versäumt haben, wird die CSRC ihre Anträge auf Registrierung des Aktienoptionsplans71 sowie auf Zulassung der Refinanzierung72 ablehnen. Diese Praxis der CSRC deutet auf ihr fehlendes Vertrauen in die Offenlegung der internen Corporate Governance als ein mittelbares, an die Marktkraft anknüpfendes Regulierungsmittel hin. 5. Aktienoption Wie die Offenlegung der interner Corporate Governance zeigt, werden die Anreizmechanismen von der CSRC als wünschenswert betrachtet. Die Aktienoptionen sind aber bei chinesischen börsennotierten AGs aus mehreren Gründen keine übliche Anreizmaßnahme. Seit der Zulassung von Experimenten mit Aktienoptionen durch die Parteizentrale 199973 fanden nur vereinzelt Pilotenprojekte statt. Dies ging nicht zuletzt darauf zurück, dass in einem aufgespalteten Sekundärmarkt der Aktienkurs kein zuverlässiger Erfolgsmaßstab sein konnte.74 Einhergehend mit der Reform der „Vollzir71  Dazu

gleich unten. Refinanzierung der chinesischen börsennotierten AGs erfolgt durch Aktienzuteilung an Aktionäre (配股), erneute Aktienemission (增发) und Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (发行可转换债券). Die Refinanzierung bedarf einer Genehmigung von der CSRC, vgl. § 46 《上市公司证券发行管理办法》 [Verwaltungsmethoden zur Aktienemission] (08.05.2006). 73  中共十五届四中全会 [4. Tagung der 15. Parteizentrale E], 《关于国有企业改 革和发展若干问题的决定》 [Beschluss über einige Probleme der Reform und Weit­ entwicklung der staatlichen Unternehmen] (22.09.1999), http: /  / www.people.com. cn / GB / shizheng / 252 / 5089 / 5093 / 20010428 / 454976.html (zuletzt abgerufen 23.06. 2013). 74  Eingehend 曹凤岐 [CAO, Fengqi], 《北京大学学报》 [Wissenschaftsmagazin der Peking-Universität], 06 / 2005, S. 139, 147. 72  Die

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§ 2  Die chinesische börsennotierte AG und ihre Corporate Governance

kulation“, die die Wiederherstellung der freien Handelbarkeit der Staatsaktien und der Aktien der juristischen Personen an die Einigung zwischen deren Inhabern und Publikumsanlegern anknüpfte und damit jede einzelne börsennotierte AG aufforderte, ihr eigenes Reformprogramm zu entwickeln, wurden die Aktienoptionen als ein Mittel eingesetzt, um die Manager zu motivieren, die Entwicklung und Durchführung der „Vollzirkulation“-Reform in ihren Gesellschaften zu fördern. Die CSRC erlaubte in ihren Aktienoptionsregeln nur denjenigen Gesellschaften, die die Reformmaßnahmen bereits abgeschlossen hatten, die Einführung von Aktienoptionsprogrammen.75 Sie setzt auf drei Kontrollmechanismen. Zuerst werden detaillierte Regelungen zur Verteilung der Entscheidungskompetenz und zum Entscheidungsverfahren aufgestellt.76 Zweitens ist ein anwaltliches Gutachten über die Recht- und Regelungsmäßigkeit des beabsichtigten Aktienoptionsprogramms und die Einhaltung der Publizitätspflicht durch die Gesellschaft erforderlich (vgl. § 31). Dadurch sollte sich die Kontrollfunktion der Intermediäre und des Markts entfalten.77 Schließlich baute die CSRC ein Registrierungserfordernis ein, das ihr ermöglicht, ein beabsichtigtes Aktienoptionsprogramm zu stoppen. Die Gesellschaft muss der CSRC alle einschlägigen Dokumente zur Registrierung vorlegen, nachdem der Vorstand das Aktienoptionsprogramm beschlossen hat. Nur wenn die CSRC innerhalb von 20 Arbeitstagen seit dem Erhalt aller vollständigen Dokumente keinen Widerspruch erhebt, darf die Gesellschaft die Hauptversammlung zur Entscheidung über das Programm einberufen (§ 34). Dass die CSRC keine Zustimmung, sondern nur eine Registrierung verlangt, wird gelobt, dies sei in Übereinstimmung mit dem „in der Novellierung des Kapitalgesellschaftsrechts verfolgten Ansatzes zur Erweiterung der Autonomie der Gesellschaft“.78 Dieses Registrierungserfordernis nutzt die CRSC um die Ausführung ihrer Governance-Kampagne zu fördern. Seit März 2007 dürfen die börsennotierten AGs ihre Unterlagen für geplante Aktienoptionsprogramme erst dann der CSRC zur Registrierung vorlegen, nachdem sie die in der jährlichen Governance-Kampagne entdeckten Defizite der internen Corporate Govern­ ance korrigiert haben.

75  证监会 [CSRC], 《上市公司股权激励管理办法》(试行) [Verwaltungsmethoden zu Aktienoptionsprogrammen in börsennotierten AGs (vorläufig)] (31.12. 2005). 76  Siehe unten § 4 II. 2. c). 77  陈剑夫 [CHEN, Jianfu], 《经济日报》 [Wirtschaftszeitung] (30.11.2010), http: /  / www.cs.com.cn / xwzx / 15 / 101201 / 06 / 201011 / t20101130_2690366.html (zuletzt abgerufen 23.06.2013). 78  陈剑夫 [CHEN, Jianfu], 《经济日报》 [Wirtschaftszeitung] (30.11.2010), http: /  / www.cs.com.cn / xwzx / 15 / 101201 / 06 / 201011 / t20101130_2690366.html (zuletzt abgerufen 23.06.2013).



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Nach dem Bericht eines Beratungsunternehmens79 gaben von 2006 bis 2011 insgesamt nur 308 Gesellschaften ihre Aktienoptionsprogramme bekannt, wobei 19 Gesellschaften ihre Programme einstellten. Die geringe Zahl der Aktienoptionsprogramme geht zum einen auf die oben genannte Einschränkung durch die CSRC zurück, zum anderen auf die strenge Regulierung der staatlichen Unternehmen. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise setzen die SASAC und das Finanzministerium hohe Voraussetzungen für die Aktienoptionen bei staatlich beherrschten börsennotierten AGs fest.80 Eine Gesellschaft kann ihrem Führungspersonal nur dann Aktienoptionen einräumen, wenn das Erfolgsziel nicht unter dem durchschnittlichen Leistungsniveau dieser Gesellschaft in den letzten drei Jahren und der Gesellschaften derselben Branche liegt. Die meisten staatlichen börsennotierten AGs können das erforderliche Erfolgsniveau jedoch nicht erreichen.81 Aufgrund der geringen Anzahl der eingeführten Aktienoptionsprogramme ist nicht zu erwarten, dass über die Aktienoptionen die Marktkraft eine nennenswerte Steuerungswirkung auf die Unternehmensleitung der chinesischen börsennotierten AGs entfaltet. Wenn man überhaupt von einer Steuerungswirkung der Aktienoptionen spricht, geht es eigentlich um die Anreizschaffung für die Durchführung der regulatorischen Maßnahmen der CSRC. 6. Der Übernahmemarkt und das Übernahmerecht Am Ende der 1990er Jahre kam es in China zu einer Übernahmewelle. Es handelt sich jedoch in den meisten Fällen um „Mantel“-Erwerb. Bis 1995 wurde durch das Quoten-System nicht die Anzahl der Börsennotierungen, sondern die Menge der Aktienemissionen eingeschränkt. Um die zugeteilten Quoten vollständig zu gebrauchen, wurden viele schlecht geführte Unternehmen von den Provinzregierungen zum Börsengang empfohlen. Dadurch entstand eine große Zahl von börsennotierten AGs, die nicht überlebensfähig waren und zum Mantel wurden. Die aktiven Mantelerwerbe schafften derzeit einerseits den Zugang des privaten Kapitals zum Kapitalmarkt und ermöglichten andererseits den Ausstieg des staatlichen Kapitals 79  和君集团 [HE JUN-Gruppe], 《股权年度报告2011》 [Jahresbericht über Aktienoptionen 2011], http: /  / www.hjcn.com.cn / download / books / 2012 / 0409 / 180.html (zuletzt abgerufen 23.06.2013). 80  国资委 / 财政部 [SASAC / Finanzministerium], 《关于规范国有控股上市公司 实施股权激励制度有关问题的通知》 [Mitteilung zur Regulierung der staatlich beherrschten börsennotierten AGs bei der Durchführung von Aktienoptionsprogrammen] (21.10.2008). 81  和君咨询 [HE JUN-Consultation], 《股权年度报告2009》 [Jahresbericht über Aktienoptionen 2009], http: /  / finance.caing.com / upload / stock %20incent.pdf (zuletzt abgerufen 23.06.2013).

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von den Gesellschaften mit schlechter Qualität. Dies wird von manchen als die Marktkraft genannt, die den chinesischen Übernahmemarkt angetrieben habe.82 Angesicht der Praxis des Mantelerwerbs und der zu damaliger Zeit bereits fixierten Differenzierung zwischen handelbaren und nicht handelbaren Aktien, wurde die sog. „vereinbarte Übernahme“ (协议转让, agreed takeover)83 durch das WpG (1999) als die zweite Form der Übernahme anerkannt. Demgegenüber ist in der vorläufigen Rechtsverordnung zur Aktienemission und -handeln aus 1993,84 die eine Aufspaltung des sekundären Markts noch nicht kannte,85 nur von der sog. „Übernahme durch Angebote“ (要约收购, tender offer) die Rede. Danach entsteht eine Pflicht zur Abgabe der öffentlichen Erwerbsangebote, wenn der Erwerber durch börsliche Transaktionen 30 % der Aktien einer AG erlangt und deren Aktien noch weiter erwirbt. Die als „zwingendes vollständiges Pflichtangebot“ (强制性全面要约收 购) bezeichnete Regelung wurde vom WpG (1999) übernommen. Zugleich wurde die Möglichkeit einer Befreiung durch die Börsenaufsichtsbehörde gesetzlich eröffnet, um einerseits einen Ausgleich zwischen dem Minderheitenschutz der Zielgesellschaft und der Belastung des Übernahmemarkts wegen der mit dem Pflichtangebot verbundenen Kostensteigerung zu erreichen und andererseits der steigenden Neigung der Erwerber zur Umgehung von Publizitätsvorschriften entgegenzuwirken.86 Die Befreiungsvoraussetzungen wurden jedoch im WpG (1999) nicht festgelegt, sondern der Regulierung der Börsenaufsichtsbehörde überlassen.87 Durch die Novellierung des WpG im Jahr 2005 wurde das Pflichtangebot gelockert. Nunmehr haben [Forschungszentrum der SHSE] (2009), S. 19. dazu bei Xi, Corporate Governance in China, S. 63 ff. 84  国务院 [Staatsrat], 《股票发行与交易管理暂行条例》 [vorläufige Verordnung zur Verwaltung der Aktienemission und -handeln] (22.04.1993). 85  Diesen Unterschied betonend 马骁(证监会上市公司监管部并购监管一处副 处长) [MA, Xiao (Vize-Referent des 1. Referants der CSRC für die Aufsicht der Übernahme)], 《并购重组监管》 [Regulierung von Übernahme und Umstrukturierung], S. 13. 86  马骁 [MA, Xiao], 《并购重组监管》 [Regulierung von Übernahme und Umstrukturierung], S. 81. 87  Vgl. §§ 49, 51 《上市公司收购管理办法》 [Verwaltungsmethoden zur Übernahme von börsennotierten AGs] (01.12.2002). Dort legte die CSRC zehn Ausnahmetatbestände und einen Auffangtatbestand fest: (1) Keine Änderung des de factoBeherrschers, (2) Sanierung, (3) Überschreitung der Schwelle wegen Kapitalerhöhung oder (4) wegen einer auf einem Gerichturteil beruhenden Aktienübertragung, (5) Anteilserhöhung bis zu 75 % durch einen Aktionär, der bereits mehr als 50 % der Aktien hat, (6) Überschreitung der Schwelle wegen Kapitalherabsetzung, (7) Überschreitung der Schwelle von Wertpapiergesellschaften infolge der stock underwriting und (8) von Banken wegen ihrer Geschäfte, (9) Überschreitung der Schwelle durch Zuteilung von staatlichen Vermögens oder (10) durch einen Erbgang. 82  上海证交所研究中心 83  Ausführlich



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die Erwerber nach dem Erreichen der 30 %-Grenze durch die börslichen Transaktionen, den Erwerb von Aktienpaketen durch Vereinbarung oder auf sonstige Art und Weise88 die Wahl, an alle Aktionäre der Zielgesellschaft das Angebot zur Erlangung aller Aktien (全面要约, complete offer) oder das zur Erlangung eines Teils der Aktien (部分要约, partial offer) zu machen. Diese Gesetzesänderung sollte den Erwerbern mehr Entscheidungsspielraum geben und die Übernahmekosten senken.89 Das gesetzlich uneingeschränkte Ermessen der CSRC zur Erteilung einer Befreiung wurde beibehalten, um „die Übernahme der börsennotierten AGs zu fördern, die Effizienz des Markts zu steigern und dem Umstand, dass sich die chinesische Wirtschaft in einer Übergangsphase befindet, Rechnung zu tragen.“90 Die CSRC hat 2006 ihre Übernahmeregel (2002) an das neue WpG angepasst.91 Neue Ausnahmetatbeständen wurden beibehalten, ein Weiterer wurde eingeführt92 und die Voraussetzungen wurden konkretisiert und teilweise verschärft.93 Zum Minderheitenschutz der Zielgesellschaft setzte die CSRC in der Übernahmeregel (2002) noch auf die Treuepflicht des herrschenden Aktionärs gegenüber der Gesellschaft und anderen Aktionären und die der Erwerber gegenüber der Zielgesellschaft und ihrer Aktionäre (vgl. § 8). Da das KgG 2005 die in der Reformdiskussion äußerst umstrittenen Treuepflicht des herrschenden Aktionärs94 nicht generalklauselartig festlegt, sondern nur 88  Das Pflichtangebot war im WpG (1999) nicht für die vereinbarte Übernahme, sondern nur für die Übernahme durch Angebot vorgeschrieben (vgl. § 81). 89  马骁 [MA, Xiao], 《并购重组监管》 [Regulierung von Übernahme und Umstrukturierung], S. 82. 90  马骁 [MA, Xiao], 《并购重组监管》 [Regulierung von Übernahme und Umstrukturierung], S. 82. 91  证监会 [CSRC], 《上市公司收购管理办法》 [Verwaltungsmethoden zur Übernahme der börsennotierten AGs] (17.05.2006, revidiert am 27.08.2008). 92  Abgeschafft wurde die Befreiung wegen der auf Gerichtsentscheidungen basierten Aktienerlangung. Erlaubt ist nunmehr eine Befreiung im Falle sukzessiver Erhöhung des Aktienbesitzes, die erst in einem Jahr nach dem Erreichen der 30 %-Grenze stattfindet und in jedem Jahr 2 % nicht überschreitet (§ 63 Abs. 1 Nr. 2). 93  Z. B. in Fälle der Sanierung und Kapitalerhöhung müssen die Erwerber versprechen, ihre Aktien in drei Jahren nicht zu veräußern (vgl. § 62 Abs. 1 Nr. 2 und 3). 94  Die Diskussion kreiste vornehmlich um die Frage, ob das Gesellschaftsrecht die Treuepflicht des herrschenden Aktionärs gegenüber anderen Aktionären vorschreiben sollte. Während viele Autoren dafür plädierten, befürworteten genau so viele Autoren eine Zurückhaltung des Gesetzgebers insbesondere wegen der Unklarheiten hinsichtlich der Verhältnisse der Aktionäre untereinander. Vgl. die Diskussionsbeiträge in: 王保树主编 [WANG, Baoshu (Hrsg.)], 《转型中的公司法的现代 化》 [Modernisierung des in der Transformation befindlichen Kapitalgesellschafts-

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ein Missbrauchsverbot vorschreibt, hat die CSRC in der Übernahmeregel (2006) entsprechende Änderungen vorgenommen und auch die Treuepflicht der Erwerber gegenüber der Zielgesellschaft gestrichen (vgl. § 5). Eine andere nennenswerte Neuerung ist im Zusammenhang mit den Verteidigungsmaßnahmen zu sehen. Die Übernahmeregel (2006) betont die Pflicht der Gesellschaftsorgane zur Gleichbehandlung aller Aktionäre und legen dem Vorstand der Zielgesellschaft ein Verhinderungsverbot auf (§ 8 Abs. 2). Durch das Erfordernis nach der Zustimmung der Hauptversammlung zu Maßnahmen, die auf das Vermögen, Verschulden und den Ertrag der Gesellschaft einschneidende Auswirkungen haben können (§ 33), wird die Entscheidungskompetenz für die Verteidigungsmaßnahmen an die Hauptversammlung zugewiesen.95 Ein von der freundlichen Übernahme vorherrschender Übernahmemarkt, wie es in China der Fall ist, kann die Disziplinierungswirkungen nicht entfalten. Das Vorhandensein von herrschenden Aktionären stellt ein durch rechtliche Regelungen nur schwerlich überwindbares „structural barrier“ dar.96 Dies bestätigt die Entwicklung des chinesischen Übernahmemarkts. Die Fälle der feindlichen Übernahme nahmen zwar nach der Reform der „Vollzierkulation“ zu. Während zwischen 1993 und 2005 nur sieben Fälle der feindlichen Übernahme bekannt waren, gab es bereits sieben Fälle zwischen 2005 und 2009.97 Aber die vereinbarte Übernahme ist nach wie vor die vorherrschende Form des Kontrollwechsels bei börsennotierten AGs. Während zwischen 2003 und 2005 die vereinbarte Übernahme 95 % der Transaktionen auf dem Übernahmemarkt ausmachte, erfolgten 2008 immerhin 55 % des Kontrollwechsels in dieser Form.98 Angesichts der auch nach der Reform der „Vollzirkulation“ hoch konzentrierten Aktionärsstruktur99 fehlt es in China immer noch an ausreichenden übernahmefähigen AGs. Folglich liegt es auf der Hand, dass der chinesische Regelungsgeber nicht auf den Übernahmemarkt als Kontrollmittel setzen kann. Im chinesischen Übernahmerecht steht vielmehr die Allokationsfunktion des Übernahmemarkts im Vordergrund. In erster Linie wird nicht die Schafrechts], S. 472 ff., und die Zusammenfassung von Beiträgen in der von der Rechtsabteilung des Staatsrats und der CSRC veranstalteten Tagung „Company Law Amendment“ im Oktober 2004 bei 甘培忠 [GAN, Peizhong], 《公司控制权》 [Kontrollrecht], S.  170 ff. 95  上海证交所研究中心 [Forschungszentrum der SHSE] (2009), S. 109. 96  Davies / Hopt, in: Kraakman / Davies u. a., Anatomy of Corporate Law, S. 260. 97  Vgl. die Liste der Verteidigungen gegen feindliche Übernahme bei 上海证交 所研究中心 [Forschungszentrum der SHSE] (2009), S. 103. 98  上海证交所研究中心 [Forschungszentrum der SHSE] (2009), S. 25 und 38. 99  Siehe oben II. 2.



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fung eines fairen und geordneten Angebotsverfahrens bezweckt, wie es beispielsweise mit dem deutschen WpÜG der Fall ist, sondern die aktive Förderung des Übernahmemarkts. Der mit dem Pflichtangebot bezweckte Minderheitenschutz wird durch gesetzlich uneingeschränkte Befreiungsmöglichkeiten und die Zulassung von partiellen Pflichtangeboten weitgehend relativiert. Im Ergebnis bewirkt die gesamte Regelung des Pflichtangebots nicht den behaupteten Ausgleich von dem Minderheitenschutz und der möglicherweise die Übernahme hemmenden Wirkung, sondern erteilt dem Pflichtangebot eine implizierte Absage durch die Umkehr des Verhältnisses von Prinzip und Ausnahme. Ferner werden in der Praxis der CRSC die Befreiungstatbestände für die Erwerber mit staatlichem Hintergrund großzügig handgehabt und für private und ausländische Unternehmen hingegen streng.100 Ein leitender Beamter der CRSC sieht zwar darin ein diskussionsbedürftiges Problem, nämlich „wie die Marktmechanismen unter dem Nebeneinanderstehen der Regelungen von Pflichtangeboten und ihren Befreiungen noch mehr Wirkungen haben“, aber hält eine Begünstigung der SOEs für gerechtfertigt, denn „der chinesische Kapitalmarkt ist von den staatlich beherrschten börsennotierten AGs dominiert und die Übertragung staatlicher Anteile findet häufig statt, daher ist die Senkung der Transak­tionskosten zur Unterstützung der SOE-Reform notwendig“.101 Diese Äußerung gibt einen Einblick ins Motiv des Regulators, selbst wenn man sie als eine persönliche Stellungnahme der CRSC nicht ohne weiteres zurechnen kann. Eine Erklärung für die eingeschränkte Anwendung des Pflichtangebots auf die SOEs kann man im Abbau der staatlichen Beteiligung durch die Börsennotierung der SOEs finden, weil ein uneingeschränktes Recht der Minderheitsaktionäre zum Ausstieg den Prozess der Privatisierung umkehren würde. Folglich stellt sich für den chinesischen Regelungsgeber, der den Anlegerschutz ernst nimmt, notwendigerweise die Frage, wie die Defizite des Minderheitenschutzes ausgeglichen werden, wenn die Regel der Pflichtangebote im chinesischen Kontext nur begrenzt zum Einsatz kommen kann. Dazu kann eine pauschale Behauptung von Treuepflichten des herrschenden Aktionärs sicherlich nicht ausreichen. Auch das Verhinderungsverbot und die Neutralitätspflichten des Vorstands können bei einer Gesellschaft mit konzentriertem Aktienbesitz keine hinreichenden Schutzwirkungen für die Aktionärsminderheit entfalten. Allerdings angesichts der gegenwärtigen riesigen Bedürfnisse zur effizienzsteigernden Umstrukturierung der staatlichen börsennotierten AGs ist damit zu rechnen, dass die Aktivierung des Übernahmemarkts zur 100  马骁 [MA, Xiao], 《并购重组监管》 [Regulierung von Übernahme und Umstrukturierung], S. 83. 101  马骁 [MA, Xiao], 《并购重组监管》 [Regulierung von Übernahme und Umstrukturierung], S. 83.

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§ 2  Die chinesische börsennotierte AG und ihre Corporate Governance

Förderung der Umstrukturierung der börsennotierten (staatlichen) AGs weiterhin eine dem Minderheitenschutz überlegene rechtspolitische Zielsetzung bleiben wird. 7. Zwischenergebnis Einhergehend mit der Ablösung des Quoten-Systems der Börsenzulassung durch ein Billigungssystem stellten der chinesische Gesetzgeber und der Regulator die Gewährleistung der Markttransparenz in den Mittelpunkt der Kapitalmarktregulierung. Zur Durchsetzung der Publizitätspflichten wurde eine Organaußenhaftung gesetzlich vorgesehen, die mangels effektiver Umsetzung jedoch nur von geringer Bedeutung ist. Demgegenüber spielt die Sanktion durch die CSRC eine viel wichtigere Rolle. Die Unternehmensführung der börsennotierten AGs ist weitgehend von der CSRC reguliert. Trotz des in dem CGK und der Satzungsanleitung behaupteten comply or explainAnsatzes bzw. des comply or disclose-Ansatzes werden die GovernanceRegelungen der CRSC, die in den meisten Fällen gar kein materielles Recht sind, häufig ohne Differenzierung von dieser mit ihren weitgehenden regulatorischen Instrumenten durchgesetzt und erzeugen dadurch eine faktische Bindungswirkung. Neben der kapitalmarktrechtlichen Offenlegung von interner Corporate Governance, deren Wirksamkeit angesichts der unbefriedigenden Praxis äußerst zweifelhaft ist, werden die Governance-Regelungen der CSRC vor allem durch die sog. Governance-Kampagne durchgesetzt, bei der die CSRC durch die Verwendung ihrer anderen regulatorischen Befugnisse wie z. B. der Genehmigung der erneuten Aktienemission die Gesellschaften zur Selbstkontrolle von Governance-Defiziten zwingt. Unter der Aufspaltung des Sekundärmarkts konnte der chinesische Kapitalmarkt weder Preisbildungsfunktion noch Disziplinierungsfunktion erfüllen. Durch die Vollzirkulation-Reform wurde die Differenzierung zwischen frei handelbaren und nicht frei handelbaren Aktien beseitigt und eine gemeinsame, auf die Ertragslage und den Aktienpreis der Gesellschaft orientierte Zielsetzung von Groß- und Kleinaktionären ermöglicht. Zwar ist der chinesische Kapitalmarkt damit einen großen Schritt gegangen, aber die Dominanz der (staatlichen) Großaktionäre bleibt im Wesentlichen unverändert. Auf dem chinesischen Übernahmemarkt dominiert nach wie vor die sog. vereinbarte Übernahme. In absehbarer Zukunft ist eine wirksame Managementdisziplinierung durch Übernahmedrohungen nicht zu erwarten. Zudem dient das Übernahmerecht in China vorrangig der Förderung der Vitalität des Übernahmemarkts. Insbesondere bei der Ausgestaltung der Pflichtangebotsregelung wird der Minderheitenschutz vom Normzweck der Kostensenkung erheblich verdrängt.



III. Zusammenfassung

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III. Zusammenfassung Die Regulierung der Corporate Governance der börsennotierten AGs kann hauptsächlich auf zwei Ebenen angesiedelt werden, nämlich auf der unmittelbaren Regulierung der Unternehmensführung durch das (zwingende) Organisationsrecht und auf der Regulierung von relevanten Märkten – insbesondere den Kapitalmärkten und dem Übernahmemarkt. Bei dem Letzteren werden die Rahmenbedingungen geschaffen, innerhalb denen die Marktkräfte disziplinierend und motivierend auf die Entscheidungsträger der jeweiligen Gesellschaften wirken können. Für börsennotierte AGs in China werden gesetzlich nur die Grundzüge der Unternehmensorganisation festgelegt. Ihre Unternehmensführung wird von der Börsenaufsichtsbehörde CSRC in Form der Mustersatzung, des Kodex und der Leitlinien detailliert geregelt. Solche Normen sind kein materielles Recht, aber erlangen faktische Bindungswirkung kraft der Normdurchsetzung durch die CSRC mittels ihrer weitreichenden Verwaltungsbefugnisse. Dadurch wird die Einbeziehung der Marktkräfte durch Publizitätspflichten als Disziplinierungsmittel weitgehend verdrängt. Der Übernahmemarkt hat nur eine sehr begrenzte Disziplinierungswirkung, weil die Hauptakteure des Kapitalmarkts – die staatlichen börsennotierten AGs – meistens keine geeigneten Kandidaten für eine feindliche Übernahme sind. Die Aktienoption kann wegen der weitgehenden behördlichen Einschränkungen keine nennenswerte Anreizwirkung erzeugen und wird von der CSRC eher als Mittel zur Durchsetzung ihrer regulatorischen Maßnahmen eingesetzt. Im Ergebnis steht fest, dass die börsennotierten AGs in China nur in sehr begrenztem Maße durch den Markt reguliert werden. Demgegenüber spielt die Normsetzung und -durchsetzung durch die CSRC die zentrale Rolle.

§ 3  Sorgfaltspflichten Sowohl in Deutschland als auch in China geht das Kapitalgesellschaftsrecht im Ausgangpunkt von einer Dualität der Organpflichten aus. Es wird also zwischen Sorgfaltspflichten und Treuepflichten unterschieden. Nach § 148 Abs. 1 KgG schulden die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sowie leitende Manager der Kapitalgesellschaft gegenüber die Treue- und Fleißpflicht. Im Schrifttum wird überwiegend davon ausgegangen, dass mit Fleißpflicht die Sorgfaltspflicht gemeint ist.1 In Deutschland gilt die Unterscheidung zwischen beiden Pflichtkategorien in der Rechtslehre seit langem als anerkannt.2 Während sich die Sorgfaltspflicht der Vorstandsmitglieder unmittelbar aus der aktienrechtlichen Vorschrift zur Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG) ergibt, wird die Treuepflicht als ein ungeschriebenes Rechtsprinzip angesehen, deren gesetzliche Ausprägungen sich in den Vorschriften zum Wettbewerbsverbot (§ 88 AktG) und zur Schweigepflicht (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AktG) finden. Zudem gelten die beiden Pflichtkategorien rechtsformübergreifend in beiden Ländern. In China ergibt sich dies unmittelbar aus dem Gesetz. Die Vorschriften für Organpflichten und Organhaftung gelten gleichermaßen für die GmbH und AG. In Deutschland wird die Sorgfaltspflicht für Vorstandsmitglieder der AG und der Geschäftsführer der GmbH ähnlich geregelt. Zwar werden für den Sorgfaltsmaßstab verschiedene Ausdrücke verwendet.3 Es ist aber allgemein anerkannt, dass die Anforderungen an eine sorgfältige Unternehmensleitung bei den Geschäftsführern der GmbH prinzipiell die gleichen wie bei den Vorstandsmitgliedern einer AG sind.4 Die Rechtsprechung zur Haftung der GmbH-Geschäftsführer wird in der Kommentarliteratur zum AktG für die Auffächerung des Sorgfaltsmaßstabs der Vorstandsmitglieder herangezogen und umgekehrt. Die Treuepflicht der GmbH-Geschäftsführer entspricht auch der der Vorstandsmitglieder.5 Die rechtsformübergreifende Anwendung der Treue- und Sorgfaltspflicht recht1  王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 212; 赵旭东主编 [ZHAO, Xudong (Hrsg.)], 《公司法学》 [Kapitalgesellschaftsrecht], S. 410. 2  Vgl. nur GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 72. 3  Vgl. § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG (Sorgfalt eines „Geschäftsleiters“); § 43 Abs. 1 AktG (Sorgfalt eines „Geschäftsmannes“). 4  Raiser / Veil, KapGesR, § 32 Rn. 85. 5  Raiser / Veil, KapGesR, § 32 Rn. 87.



I. Sorgfaltspflichten und Geschäftsleiterermessen im deutschen Recht 

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fertigt es, zur Ermittlung der Pflichtmaßstäbe im chinesischen Recht auch die Rechtsprechung zur GmbH heranzuziehen, obwohl es bei der vorliegenden Arbeit um das Aktienrecht geht. Außerdem fehlt es in China an Gericht­ urteilen zur Haftung der Organmitglieder der AGs. Die folgenden Ausführungen verfolgen das Ziel, die Sorgfaltspflichten im chinesischen Kapitalgesellschaftsrecht auf der Grundlage der Rechtsvergleichung mit dem deutschen Aktienrecht zu konkretisieren und aufzufächern. Für die Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs und Pflichtinhalts sind die Funktionen und Aufgaben der Gesellschaftsorgane von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus muss der Sorgfaltsmaßstab der Eigenschaft der dynamischen und notwendigerweise mit Risiken behafteten Unternehmensleitung hinreichend Rechnung tragen, damit die Verrechtlichung der unternehmerischen Entscheidungen die notwendigen Freiräume der Geschäftsleiter nicht zu stark einschränkt. Zu diesem Zweck hat die deutsche Rechtsprechung die Grenzen des unternehmerischen Ermessens ausgeformt,6 die durch das UMAG (2005) kodifiziert worden ist. Im chinesischen Recht wird eine BJR im Schrifttum überwiegend befürwortet und sogar von einigen Instanzgerichten in ihrer Spruchpraxis probiert. Folglich bildet die BJR einen anderen Schwerpunkt der Untersuchung.

I. Sorgfaltspflichten und Geschäftsleiterermessen im deutschen Recht Die Vorstandsmitglieder haben bei der Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG). Eine Verletzung der Sorgfaltspflicht liegt nicht vor, solange ein Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). Dabei handelt es sich um eine Konkretisierung der allgemeinen Sorgfaltspflicht.7 Für die Sorgfaltspflichten und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder verweist § 116 AktG auf die sinngemäße Anwendung des 6  BGHZ 135, 244, 253 = NJW 1997, S. 1926, 1928 – ARAG / Garmenbeck. Für eine Rezeption der US-amerikanischen BJR durch diese Entscheidung GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 2; auch Henze, BB 2001, S. 53, 57; ders., NJW 1998, S. 3309, 3311; dagegen Hüffer, in: FS Raiser (2005), S. 163, 179; Paefgen, Unternehmerische Entscheidung und Rechtsbindung, S. 177 ff. 7  H. M. GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 12 m. w. N.; MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 38; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 15. Zur streitigen dogmatischen Einordnung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG siehe Hüffer, § 93 Rn. 4c, 4d.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

§ 93 AktG. Der Sorgfaltsmaßstab in § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG hat eine Doppelfunktion und enthält nämlich sowohl den Verschuldensmaßstab für die organschaftliche Haftung als auch eine generalklauselartige Umschreibung des Verhaltensmaßstabs.8 Für die vorliegende Arbeit steht die Sorgfaltspflicht als Pflichtenquelle im Vordergrund. Im Folgenden wird nach einer kurzen Erläuterung der Sorgfalt als Verschuldensmaßstab (1) auf die einzelnen Anforderungen der sorgfältigen Wahrnehmung der Organfunktionen (2) und dem Geschäftsleiterermessen (3) eingegangen. Dabei werden der Vorstand und der Aufsichtsrat jeweils getrennt behandelt. 1. Sorgfalt als Verschuldensmaßstab Die organschaftliche Haftung in deutschem Recht ist eine Verschuldenshaftung.9 Bereits in der Aktienrechtsreform 1937 beharrte der deutsche Gesetzgeber auf eine Beibehaltung des bisherigen verschuldensabhängigen Haftungsmodells nachdrücklich, damit die Leitungsorgane verantwortungsfreudig handeln und ihnen nicht jeder Mut zur Tat genommen wird.10 Dieser Gedanke hat nicht an Aktualität verloren, sondern prägt auch die gegenwärtige Diskussion über die Zubilligung eines haftungsfreien Handlungsspielraums, die ihre Rechtfertigung vor allem in der Vermeidung übermäßiger Risikoaversion der Geschäftsleiter findet.11 Die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters i. S. d. Verschuldensmaßstabs ist objektiv zu fassen. Maßgeblich sind allein die individuellen Anforderungen der dem Vorstandsmitglied anvertrauten Aufgabe.12 Persönliches Unvermögen und Unerfahrenheit sowie fachliche Unkenntnis haben keine entlastende Wirkung.13 Deshalb hat jedes Vorstandsmitglied die Kenntnisse und Fähigkeiten zu besitzen oder sich anzueignen, welche die Leitung des ihm zugewiesen Ressorts und die Erfüllung der ressortübergreifenden Pflichten des Vorstands erfordern.14 Die weitgehende Objektivierung des Sorgfaltsmaßstabs und die Beweislastumkehr nach § 93 Abs. 2 AktG führen dazu, dass das Verschuldenserfordernis in einem Haftungsprozess im RegelM. statt vieler Hüffer, § 93 Rn. 3a; HdbVorstand / Fleischer, § 7 Rn. 1. M vgl. nur GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn.  8 m. w. N. 10  Näher dazu Goette, ZGR 1995, S. 648, 668 ff. 11  Siehe unten I. 3. 12  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 136; GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 255; Krieger, in: Krieger / U. H. Schneider, § 3 Rn. 37. 13  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 255; Hüffer, § 93 Rn. 14; HdbVorstand / Fleischer, § 11 Rn. 55. 14  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 137; HdbVorstand / Fleischer, § 11 Rn. 55; Krieger, in: Krieger / U.  H. Schneider, § 3 Rn. 37. 8  Allg. 9  Allg.



I. Sorgfaltspflichten und Geschäftsleiterermessen im deutschen Recht 71

fall keine praktische Bedeutung mehr hat.15 Zudem kennt das deutsche Aktienrecht keinen geminderten Verschuldensmaßstab. Ein Vorstandsmitglied haftet für jede, auch leichte Fahrlässigkeit.16 Für die Aufsichtsratsmitglieder gilt der typisierte Verschuldensmaßstab eines ordentlichen und gewissenhaften „Überwachers“ nach allgemeiner Ansicht gleichmäßig, also unabhängig davon, ob sie Arbeitnehmer- oder Aktionärsvertreter sind, ob sie entsandt oder gerichtlich bestellt sind.17 Nach Rechtsprechung und Rechtslehre muss ein Aufsichtsratsmitglied gewisse Mindestkenntnisse und -fähigkeit haben, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können.18 Insbesondere werden bilanzrechtliche Grundkenntnisse verlangt, damit es die Plausibilität der Bilanzansätze und der Darlegung des Abschlussprüfers kritisch würdigen kann.19 Die Forderung nach einer gewissen Professionalisierung der Aufsichtsratstätigkeit, eine bereits im Vorfeld des KonTraG (1998) eingesetzte Entwicklung, führt jedoch nicht zu einer Erhöhung der erforderlichen Mindestqualifikation des Aufsichtsratsmitglieds als solches. Denn zugleich hat sich die Kenntnis durchgesetzt, dass der Aufsichtsrat als Kollegialorgan seine vielfältigen Aufgaben nach dem Prinzip des arbeitsteiligen Zusammenwirkens erfüllen darf und es deshalb auch ausreicht, dass er insgesamt über die für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung erforderliche Sachkunde verfügt.20 Ferner stellt sich die Frage, ob besondere Fähigkeiten oder Kenntnisse eines Vorstands- und Aufsichtsratsmitglied zur Erhöhung des Sorgfaltsmaßstabs führen. Nach allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Regeln sind besondere Fähigkeiten zur Feststellung der verkehrserforderlichen Sorgfalt jedenfalls dann pflichtensteigernd zu berücksichtigen, wenn der Verkehr erwarten darf, dass der Schuldner in konkreten Konstellationen auch seine über den normalen Standard hinausgehenden Fähigkeiten einsetzt.21 An Vorstandsmitglieder kann man die Erwartung ohne weiteres stellen, dass sie ihre volle Arbeitskraft einschließlich besonderer Fähigkeiten für die Belan15  GroßKommAktG / Hopt,

§ 93 Rn. 255; HdbVorstand / Fleischer, § 11 Rn. 55. § 93 Rn. 253. 17  Statt vieler Hüffer, § 116 Rn. 3; MünchKommAktG / Habersack, § 116 Rn. 23. 18  BGH NJW 1983, S. 991 – Hertie; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 45; MünchKommAktG / Habersack, § 116 Rn. 24; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 116 Rn. 7; Raiser / Veil, KapGesR, § 15 Rn. 113. 19  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 44; MünchKommAktG / Habersack, § 116 Rn. 24; Raiser / Veil, KapGesR, § 15 Rn. 114. 20  MünchKommAktG / Habersack, § 116 Rn. 24 und Rn. 28; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 44. 21  Staudinger / Löwisch / Caspers, § 276 BGB Rn. 30 f.; weitgehend MünchKommBGB / Grundmann, § 276 Rn. 56. 16  GroßKommAktG / Hopt,

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§ 3  Sorgfaltspflichten

ge der Gesellschaft einsetzen, wie sich aus dem Wettbewerbsverbot (§ 88 Abs. 1 AktG) ergibt.22 Deshalb ist es verständlich, dass in der Kommentarliteratur entsprechende Ausführungen zur haftungsverschärfenden Wirkung der besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten von Vorstandsmitgliedern fehlt.23 Für Aufsichtsratsmitglieder ist die haftungsverschärfende Wirkung der besonderen individuellen Befähigungen von der Rechtsprechung und h. L. bejaht worden.24 Das Aufsichtsratsmitglied, das über besondere Fachkenntnisse verfügt, sei auch gehalten, diese im Interesse der Gesellschaft einzusetzen.25 Der Gegenansicht, die eine personenbezogene Differenzierung ablehnt,26 wird entgegengehalten, dass die Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder häufig auch unter dem Aspekt ihrer speziellen Kenntnisse erfolgt.27 Außerdem erlangt der Aufsichtsrat die Spezialkenntnisse, die er zur Bewältigung seiner Aufgaben benötigt, erst dadurch, dass er eine Zahl von Mitgliedern mit jeweils erforderlicher Sachkunde hat. Es ist dann folgerichtig, die besonderen Sachkenntnisse und Fähigkeiten von Aufsichtsratsmitgliedern, aufgrund dessen sie als Aufsichtsratsmitglieder bzw. als Mitglieder eines Ausschusses gewählt werden, auch haftungssteigernd zu berücksichtigen.28 Die Differenzierung des Verschuldensmaßstabs nach persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ist insbesondere für die Haftung des nach § 100 Abs. 5 AktG erforderlichen Finanzexperten im Aufsichtsrat relevant.29

GroßKommAktG / Kort, § 88 Rn. 1; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 88 Rn. 2. statt vieler GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 252 ff.; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 136 f. 24  BGH NJW-RR 2011, S. 1670, 1673 Rn. 28; MünchKommAktG / Habersack, § 116 Rn. 28; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 116 Rn. 63; Spindler / Stilz / Fleischer, § 116 Rn. 17. 25  BGHZ 168, 188 = NJW-RR 2006, S. 1410 Rn. 17; NJW-RR 2007, S. 1483 Rn. 16; NJW-RR 2011, S. 1670, 1673 Rn. 28. 26  Hüffer, § 116 Rn. 3; K. Schmidt, GesR, § 28 III 1 d, S. 836; Schwark, in: FS Werner (1984), S. 841, 850; auch GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 51 f. 27  BGH NJW-RR 2011, S. 1670, 1673 Rn. 28; Spindler / Stilz / Fleischer, § 116 Rn. 17. 28  MünchKommAktG / Habersack, § 116 Rn. 28; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 116 Rn. 63; Spindler / Stilz / Fleischer, § 116 Rn. 17; ArbeitHdbAR / Doralt / Doralt, § 13 Rn. 87. 29  Eingehend zur verschärften Haftung des unabhängigen Finanzexperten Kropff, in: FS K.  Schmidt (2009), S. 1022, 1039 ff. 22  Vgl.

23  Vgl.



I. Sorgfaltspflichten und Geschäftsleiterermessen im deutschen Recht 73

2. Sorgfältige Wahrnehmung der Organfunktionen a) Vorstandsmitglieder Die organschaftliche Sorgfaltspflicht der Vorstandsmitglieder fordert eine sorgfältige Wahrnehmung ihrer Organfunktionen. Sie wird als die Pflicht umschrieben, im Rahmen des Gesetzes, der Satzung und der für die Geschäftsführung verbindlichen Beschlüsse von Aufsichtsrat und Hauptversammlung die Zwecke der Gesellschaft zu fördern und Schaden von ihr abzuwenden.30 Die einzelnen Sorgfaltspflichten werden einerseits durch zahlreiche Vorschriften über Aufgabenzuweisungen präzisiert und andererseits situationsbezogen aus dem allgemeinen Auffangtatbestand des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG abgeleitet. Ihre Gruppierung wird im Schrifttum unterschiedlich vorgenommen. Die folgenden Pflichtenkomplexe sind – mit teil­ weise abweichenden Formulierungen und inhaltlichen Überschneidungen – häufig anzutreffen: – Sorge für die Rechtmäßigkeit der Organisation und der Entscheidungsprozesse innerhalb der Gesellschaft,31 – Sorge für rechtmäßiges Verhalten der Gesellschaft nach außen,32 – Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit mit anderen Vorstandsmitglie­ dern,33 – Pflicht zur Überwachung bei vertikaler Arbeitsteilung,34 – Pflicht zur sorgfältigen Unternehmensleitung.35 Vorliegend wird zwischen vier Pflichtengruppen unterschieden: Die ersten zwei Pflichtengruppen werden unter der sog. „Legalitätspflicht“ (1) zusam30  Vgl. KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 66; MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 25; MünchHdbAG / Wiesner, § 25 Rn. 3. 31  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 67 ff.; GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 89 ff.; MünchHdbAG / Wiesner, § 25 Rn. 5 f.; Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn.  78 ff. 32  MünchHdbAG / Wiesner, § 25 Rn. 4; Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 81 ff.; vgl. KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 71 ff.; GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 98 ff. 33  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 81 f.; GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn.  132 ff.; Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 83 f.; vgl. HdbVorstand / Fleischer, § 8 Rn. 5 ff. (Überwachungspflichten bei horizontaler Arbeitsteilung); ähnlich MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 82. 34  HdbVorstand / Fleischer, § 8 Rn. 26 ff.; ähnlich MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 82.; vgl. KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 80 (Sorge für eine sachgerechte Organisation zur Vermeidung von Normverstößen). 35  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 106 ff.; HdbVorstand / Fleischer, § 7 Rn. 27 ff.; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 83 ff.; MünchHdbAG / Wiesner, § 25 Rn. 7 f.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

mengefasst.36 Ihre Charakteristik liegt darin, dass es um konkrete Verhaltenspflichten geht, die sich aus Aktiengesetz, Satzung und Geschäftsordnung einerseits und den Rechtsvorschriften außerhalb des Aktienrechts andererseits ergeben. Demgegenüber ist die Pflicht zur sorgfältigen Unternehmensleitung (2) eine Generalklausel im eigentlichen Sinne, die eine Vielzahl einzelner, nicht abschließend formulierbarer Verhaltensregeln umfasst.37 Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Pflichtenkreisen markiert auch in einer groben Weise den Wirkungsbereich des Geschäftsleiterermessens. Die Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit (3) hat eine eigenständige Bedeutung, weil sie die Spannung zwischen der Gesamtverantwortung des Vorstands für die Unternehmensleitung und der aus praktischen Gründen notwendigen Arbeitsteilung zwischen seinen Mitgliedern überbrückt.38 Die vierte Pflichtengruppe Organisationspflichten (4) erfasst die Organisation innerhalb des Unternehmens und die Überwachung der untergeordneten Leitungsebene bei Aufgabendelegation. Man kann die Organisation des Unternehmens im Hinblick auf die Einhaltung der dafür maßgeblichen Vorschriften und Sicherstellung des rechtmäßigen Verhaltens der Unternehmensangehörigen der Fallgruppe der Legalitätspflicht zuordnen.39 Andererseits kann man diese auch hinsichtlich der Organisationsverantwortung als eine Leitungsaufgabe des Vorstands und der damit verbundenen Zweckmäßigkeits- und Effizienzüberlegungen als eine Untergruppe der sorgfältigen Unternehmensleitung betrachten.40 Im Schrifttum ist eine zunehmende Verselbständigung der Organisations- bzw. Überwachungspflichten zu beobachten,41 was wohl auf die stets wachsenden rechtlichen organisatorischen Anforderungen an die AG in Deutschland zurückgeht.42 Daher werden hier die Organisationspflichten gesondert dargestellt.

bei HdbVorstand / Fleischer, § 7 Rn. 2. Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 85; HdbVorstand / Fleischer, § 7 Rn. 27. 38  So Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 83. 39  Vgl. Abeltshauser, Leitungshaftung, S. 215, der den engen Zusammenhang zwischen Organisationspflichten und der Sorge um die Rechtmäßigkeit der Organisation und der Entscheidungsabläufe betont. 40  Vgl. z. B. GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 107; MünchHdbAG / Wiesner, § 25 Rn. 7. 41  Z. B. der eigenständige Kapitel bei HdbVorstand / Fleischer, § 8: „Überwachungspflichten der Vorstandsmitglieder“; die Zwischenschrift bei Wellhöfer, in: Wellhöfer / Peltzer / Müller, Haftung, § 4 VII Rn. 157 ff.: „Rechtsmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Organisation und der Entscheidungsprozesse innerhalb der Gesellschaft“; auch Abeltshauser, Leitungshaftung, S. 214 ff.: „Organisations- und Kontrollpflichten“. 42  Vgl. HdbVorstand / Fleischer, § 8 Rn. 1. 36  Z. B. 37  Vgl.



I. Sorgfaltspflichten und Geschäftsleiterermessen im deutschen Recht 75

aa) Legalitätspflicht Die Legalitätspflicht verlangt zuerst, dass die Vorstandsmitglieder die organspezifischen Rechtspflichten, die gesetzliche Zuständigkeitsordnung und den satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand einhalten.43 Überschreitet der Vorstand seine Kompetenz oder missachtet er die Kompetenz eines anderen Organs, liegt stets eine Pflichtverletzung vor.44 Mit dem Unternehmensgegenstand definieren die Aktionäre die Tätigkeitsbereiche der Gesellschaft und grenzen damit die Geschäftsführungsbefugnisse des Vorstands ein.45 Der Vorstand darf einerseits nicht substanziell anderes tun als die Satzung insoweit ausweist und andererseits die dort festgelegte Tätigkeit nicht dauerhaft aufgeben oder einschränken (sog. Überschreitungs- und Unterschreitungsverbot).46 Die Eingehung von Spekulationsgeschäften kann z. B. Anlass zu der Prüfung geben, ob diese noch vom Unternehmensgegenstand der betreffenden Gesellschaft gedeckt sind.47 Die Vorstandsmitglieder sind für die Rechtmäßigkeit der Entscheidungsprozesse innerhalb der Gesellschaft verantwortlich. Daraus folgt, dass sie nichtige Hauptversammlungs- oder Aufsichtsratsbeschlüsse nicht ausführen dürfen und bei anfechtbaren Beschlüssen nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden haben, ob der Vorstand Anfechtungsklage erhebt.48 Im Außenverhältnis schuldet der Vorstand die Einhaltung der sämtlichen Vorschriften, denen die Gesellschaft unterliegt.49 Aufgrund der strikten Gesetzesbindung der Leitungsorgane lehnt die überwiegende Ansicht die „vorteilhaften“ Gesetzesverstöße

Einzelheiten HdbVorstand / Fleischer, § 7 Rn. 5 ff. § 7 Rn. 10; eingehend Abeltshauser, Leitungshaftung, S. 210 ff.; vgl. auch BGH NJW 2006, S. 374 ff. – Mangusta / Commerzbank II (Pflichtwidrigkeit des kompetenzüberschreitenden Organhandelns). 45  Statt vieler Hüffer, § 23 Rn. 21; GroßKommAktG / Röhricht, § 23 Rn. 83. 46  K.  Schmidt / Lutter / Seibt, § 82 Rn. 13, § 23 Rn. 38 und 38a; Hüffer, § 23 Rn. 21, § 179 Rn. 9a; HdbVorstand / Fleischer, § 7 Rn. 11; Priester, in: FS Hüffer (2010), S. 777, 781. Eingehend zur Auslegung der Satzung diesbezüglich KKAktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 26; K.  Schmidt / Lutter / Seibt, § 82 Rn. 14. 47  Vgl. BGH NJW 1993, S. 57. – Klöckner (Spekulationsgeschäfte auf dem Rohöl-Terminmarkt); OLG Düsseldorf AG 2010, S. 126, 127 f. – IKB, das einen naheliegenden Satzungsverstoß annahm, weil die Verbriefungsgeschäfte fast 46 % des Volumens ausmachten und damit fast die Mittelstandsfinanzierung verdrängten; teilweise zustimmend Fleischer, NJW 2010, S. 1504; Kritisch Spindler, NZG 2010, S. 281, 283 („Solange jedenfalls in erheblicher Weise die Bank ihren Kernaufgaben nachkommt, kann allein aus einem großen Umfang von Hilfsgeschäften nicht abgeleitet werden, dass der Unternehmensgegenstand verlassen würde.“). 48  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 68; GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 92; Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 80. 49  HdbVorstand / Fleischer, § 7 Rn. 13; Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 81. 43  Zu

44  HdbVorstand / Fleischer,

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§ 3  Sorgfaltspflichten

als Einrede ab.50 Bei der vertraglichen Bindung der Gesellschaft gegenüber Dritten hat der Vorstand hingegen nach h. M. einen Handlungsspielraum. Die Nichterfüllung einer vertraglichen Verpflichtung begründet keine Pflichtverletzung, wenn sie sich im Einzelfall für die Gesellschaft als günstiger erweist als die Erfüllung.51 bb) Pflicht zur sorgfältigen Unternehmensleitung Zu dieser Pflichtgruppe ist es nur begrenzt möglich, verallgemeinerte Verhaltensmaßstäbe zu definieren. Hier fügt sich die gängige Formel zur Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabs am besten ein: Maßgeblich ist, wie sich ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter eines Unternehmens vergleichbarer Art, Größe und wirtschaftlicher Lage unter den konkreten Umständen verhalten hätte.52 Folgende Verhaltensmaximen – eher i. S. d. „Orientierungshilfen“53 – werden im Schrifttum herausgearbeitet. Die Vorstandsmitglieder haben das Unternehmen unter Berücksichtigung gesicherter und zudem in der Praxis bewährten betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse und Methoden zu leiten, die nach einhelliger Ansicht rechtlich jedoch nicht verbindlich sind.54 In börsennotierten Gesellschaften haben sie noch die Verhaltensstandards des DCGK zu beachten, soweit sie gemäß § 161 AktG eine Entsprechungserklärung abgegeben haben oder keine begründete Nichtbefolgung erklärt haben. Bei Verstößen gegen die Empfehlungen liegt jedoch wegen deren fehlenden Verbindlichkeit keine haftungsbegründende Pflichtverletzung vor.55 Wenn die Empfehlungen aber in die Satzung, die Geschäftsordnung vom Vorstand und Aufsichtsrat oder in die Anstellungsverträge der Vorstandsmitglieder aufgenommen werden, werden sie zu verbindlichen gesellschaftsinternen Verhaltensregeln.56 50  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 99; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 71; Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 81. Eingehend zu „nützlichen“ Pflichtverletzungen und auch aus rechtsvergleichender Perspektive Fleischer, ZIP 2005, S. 141, 145. 51  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 100; MünchHdbAG / Wiesner, § 25 Rn. 4; Fleischer, ZIP 2005, S. 141, 144. 52  Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 88; HdbVorstand / Fleischer, § 7 Rn. 27; vgl. auch GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 86 (Maßstäbe für unternehmerische Entscheidungen). 53  Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 88. 54  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 88; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 83; MünchHdbAG / Wiesner, § 25 Rn. 7; HdbVorstand / Fleischer, § 7 Rn. 36; Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 85. 55  Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 85; ähnlich MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 31 („keine haftungsverschärfenden Folgen“); zustimmend HdbVorstand / Fleischer, § 7 Rn. 32. 56  MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 31; HdbVorstand / Fleischer, § 7 Rn. 33 jeweils m. w. N.



I. Sorgfaltspflichten und Geschäftsleiterermessen im deutschen Recht 77

Aus den Leitungsaufgaben des Vorstands werden mehrere Verhaltenspflichten der Vorstandsmitglieder abgeleitet. Allgemein anerkannt ist eine Rechtspflicht des Vorstands zur kurzfristigen Unternehmensplanung für das laufende und das folgende Geschäftsjahr.57 Die mittel- und langfristige Planung wird hingegen überwiegend dessen Ermessen überlassen.58 Ferner obliegt dem Vorstand die Gewährleistung einer rechtskonformen und effizienten Organisation für die Unternehmensspitze wie auch die nachgeordneten Führungsebenen.59 § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG gestattet die Abweichung von dem im Satz 1 vorgesehenen Prinzip der Gesamtgeschäftsführung durch Satzung oder Geschäftsordnung des Vorstands, um die praktisch notwendige Arbeitsteilung bei einem mehrgliedrigen Vorstand zu ermöglichen.60 Hiervon wird in der Praxis regelmäßig Gebrauch gemacht, indem die Einzelgeschäftsführungsbefugnis durch eine Geschäftsverteilung nach funktionalen, spartenbezogenen, regionalen oder kombinierten Gesichtspunkten an die Vorstandsmitglieder zugewiesen wird.61 Erlässt der Vorstand selber die Geschäftsordnung (vgl. § 77 Abs. 2 AktG), steht das Modell der Aufgabenverteilung in seinem Ermessen.62 Er hat aber das Prinzip der Gesamtleitung zu beachten. Danach dürfen die Aufgaben, die zum Kernbereich der Leitung gehören, etwa die Frage der Organisation des Unternehmens, der Investitions-, der Finanz- und der Personalpolitik, oder die dem Gesamtvorstand gesetzlich zwingend zugewiesen sind, nicht an einzelne Vorstandsmitglieder oder Vorstandausschüsse delegiert werden.63 Bei Aufgabendelegationen an nachgeordnete Ebenen ist der Vorstand verpflichtet, präzise Vorgaben und Zuständigkeitsregeln aufzustellen und eine zuverlässige Rückkoppelung und Kontrolle sicherzustellen.64 Zudem werden die in § 90 Abs. 1 Satz 1 AktG normierten Berichtspflichten des Vorstands zur Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabs herangezogen: Der Vorstand müsse sich stets ein genaues Bild von der Lage des Unternehmens, insbesondere dem Gang der Geschäfte, der Rentabilität und Liquidität machen.65 57  Vgl. Hüffer, § 90 Rn. 4a; HdbVorstand / Fleischer, § 7 Rn. 38; Kropff, NZG 1998, S. 613, 614. 58  Vgl. Hüffer, § 90 Rn. 4a; K.  Schmidt / Lutter / Krieger / Sailer, § 90 Rn. 12; HdbVorstand / Fleischer, § 7 Rn. 39; Kropff, NZG 1998, S. 613, 614; für eine Rechtspflicht Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 86; MünchHdbAG / Wiesner, § 25 Rn. 7. 59  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 107; Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 86; HdbVorstand / Fleischer, § 7 Rn. 42; auch KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 67. 60  Eingehend GroßKommAktG / Kort, § 77 Rn. 23 ff. 61  Vgl. GroßKommAktG / Kort, § 77 Rn. 23; Spindler / Stilz / Fleischer, § 77 Rn. 19. 62  HdbVorstand / Fleischer, § 7 Rn. 42. 63  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 77 Rn. 23 und 24, § 93 Rn. 83; GroßKommAktG /  Kort, § 77 Rn. 31. 64  Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 86; GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 107. 65  MünchHdbAG / Wiesner, § 25 Rn. 7; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 83; HdbVorstand / Fleischer, § 7, Rn. 40.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

Des Weiteren haben die Vorstandsmitglieder die im Geschäftsverkehr angemessenen und branchenüblichen Vorsichtsregeln zu beachten.66 Eine Pflichtverletzung aus diesem Grund liegt z. B. bei der Kreditgewährung ohne übliche Sicherheiten,67 dem Erwerb einer umfangreichen Beteiligung an einer anderen Gesellschaft ohne genaue Prüfung der Verhältnisse,68 und dem Erwerb von Wertpapierbeständen mit undurchschaubarer Risikostruktur69 vor. Nach h. M. darf der Vorstand die Risiken, die unangemessen hoch sind oder im Fall ihrer Realisierung den Bestand des Unternehmens gefährden, nicht eingehen.70 Schließlich haben die Vorstandsmitglieder Forderungen der Gesellschaft regelmäßig durchzusetzen, soweit dies wirtschaftlich sinnvoll erscheint, also die zu erwartenden Kosten der Rechtsdurchsetzung hinter dem Wert der zu beanspruchenden Leistung zurückbleiben; als Rechtfertigung für einen Forderungsverzicht können nur Faktoren wie die Imagegefährdung, mögliche Marktbeunruhigungen oder die Bewahrung einer wichtigen Geschäftsbeziehung in Betracht kommen.71 Zu der Frage, in welcher Höhe Ansprüche geltend gemacht werden sollen, darf und muss sich der Vorstand an den Vollstreckungsaussichten orientieren.72 Für die Ansprüche gegen Aufsichtsratsmitglieder und Aktionäre leiten manche Autoren aus der zu Anspruchsverfolgung durch Aufsichtsratsmitglieder gefallenen ARAG / Garmenbeck-Entscheidung auch eine Anspruchsverfolgungspflicht des Vorstands ab, sofern nicht überwiegende Interessen des Unternehmens dagegen sprechen.73 cc) Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit Die Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit fordert, dass die Vorstandsmitglieder einen kooperativen Arbeitsstil pflegen, der ihren ressortsfrem66  MünchHdbAG / Wiesner, § 25 Rn. 7; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 91; Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 85. 67  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 113; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 91; MünchHdbAG / Wiesner, § 25 Rn. 7. Näher zur unbesicherten Kreditvergabe siehe unten I. 3. a) cc) (2). 68  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 91; GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 111; MünchHdbAG / Wiesner, § 25 Rn. 7. 69  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 111. 70  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 86; GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 82; MünchHdbAG / Wiesner, § 25 Rn. 8; weniger streng Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 85 („die üblichen Standards geschäftlicher Vorsicht und Riskominderung einzuhalten“). Eingehend zu bestandsgefährdenden Risiken siehe unten I. 3. a) cc) (1). 71  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 112; MünchHdbAG / Wiesner, § 25 Rn. 8; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 89. 72  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 90. 73  MünchHdbAG / Wiesner, § 25 Rn. 8.



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den Kollegen die Wahrnehmung ihrer Kontrollpflicht ermöglicht.74 Zwischen der Gesamtverantwortung des Vorstands als kollegiales Organ und dessen interne Arbeitsverteilung besteht ein Spannungsverhältnis. In organisationsrechtlicher Hinsicht kann die Geschäftsverteilung den einzelnen Vorstandsmitgliedern nicht von ihrer unteilbaren Leitungsverantwortung befreien, in haftungsrechtlicher Hinsicht kann jedes Vorstandsmitglied jedoch nur für die eigene individuelle Pflichtverletzung verantwortlich sein und es gibt keine Kollektivhaftung. Als Folge ist ein Prinzip der gegenseitigen Kontrolle entwickelt worden, das die Pflicht zur Überwachung der fremden Ressorts und Geschäftsbereiche, die Rechte und Pflichten der Vorstandsmitglieder zur gegenseitigen Information sowie das Recht und ggf. die Pflicht zum Intervenieren in ein fremdes Ressort beinhaltet.75 Die interne Arbeitsverteilung führt also zur vollen Handlungsverantwortung jedes Vorstandsmitglieds für den ihm zugewiesenen Geschäftsbereich und der Kontrollverantwortung aller anderen Vorstandsmitglieder diesbezüglich.76 Die praktische Umsetzung der Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit ist sicher nicht leicht, nicht zuletzt weil die Reichweite der ressortübergreifenden Überwachungspflicht von den Umständen des Einzelfalls abhängt.77 Grundsätzlich darf sich ein Vorstandsmitglied auf die Information verlassen, die es bei den Vorstandssitzungen von der Tätigkeit anderer Mitglieder erlangt, und ist nur beim Vorliegen greifbarer Anhaltspunkte für ein pflichtwidriges Verhalten seiner Kollegen zum Eingreifen verpflichtet.78 Bei einer im Gesamtvorstand zu treffenden Entscheidung hat jedes Vorstandsmitglied aufgrund der Gesamtverantwortung über den Entscheidungsgegenstand ein eigenständiges Urteil durch eine Plausibilitätskontrolle hinsichtlich der Recht- und Zweckmäßigkeit der einzelnen Vorschläge zur Beschlussfassung zu bilden.79 Andererseits muss es sich der Mehrheitsentscheidung des Vorstands fügen, wie die Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit es verlangt.80 74  Raiser / Veil,

KapGesR, § 14 Rn. 83. GroßKommAktG / Kort, § 77 Rn. 35, 37 und 38; Spindler / Stilz / Fleischer, § 77 Rn. 49; MünchHdbAG / Wiesner, § 22 Rn. 16. 76  Näher Spindler / Stilz / Fleischer, § 77 Rn. 47 ff.; vgl. BGH NZG 2002, S. 195, 197 zur Haftung der Mitglieder eines Genossenschaftsvorstands aufgrund der Gesamtverantwortung. 77  Vgl. HdbVorstand / Fleischer, § 8 Rn. 16 f., der auf ein noch tieferes, menschliches Problem verweist: „Wie viel Vertrauen darf ein Vorstandsmitglied seinen Kollegen schenken, wie viel Missvertrauen muss ihnen entgegenbringen?“ 78  Hüffer, § 93 Rn. 13b; GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 62; Die fallgruppenspezifische Auffächerung bei HdbVorstand / Fleischer, § 8 Rn. 18 ff. 79  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 64. 80  Raiser / Veil, KapGesR, § 14 Rn. 83 („Ressortegoismus und Machtkämpfe im Vorstands, …, widersprechen dem gesetzlichen Kollegialprinzip“). 75  Vgl.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

Bei einer rechtswidrigen Mehrheitsentscheidung sind die überstimmten Vorstandsmitglieder wiederum aufgrund ihrer allgemeinen Pflicht, Schaden von der Gesellschaft abzuwenden, gehalten, mit den zumutbaren Mitteln deren Durchführung zu verhindern.81 Zusammenfassend soll die Pflicht der kollegialen Zusammenarbeit eine vertrauensvolle kooperative Atmosphäre im Vorstand sicherstellen, damit die notwendigerweise kritisch begleitete Aufgabenerledigung in eigenem Ressort wie auch im Gesamtvorstand möglichst reibungslos erfolgt. dd) Organisations- und Überwachungspflichten Eine gesetzliche Konkretisierung der Organisationsverantwortung des Vorstands befindet sich in § 91 Abs. 2 AktG. Danach ist der Vorstand verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit eine dem Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklung früh erkannt werden kann. Zum Überwachungssystem gehören die interne Revision und das Controlling.82 Nach der h. M. in der rechtswissenschaftlichen Literatur ist aus dieser Vorschrift keine Pflicht des Vorstands zur Errichtung eines umfassenden Risikomanagementsystems herzuleiten.83 Bei der Umsetzung der Organisationspflicht zum Risikomanagement stehen dem Vorstand im Rahmen seines Leitungsermessens Ausgestaltungsspielräume zu.84 Aus der Leitungsverantwortung des Vorstands hat die h. M. eine Compliance-Pflicht abgeleitet, indem sie die Legalitätspflicht um die Sorge für ein gesetzestreues Verhalten der Untergebenen erweitert und mit der Organisationsverantwortung des Vorstands verkoppelt.85 Demnach hat der Vorstand angemessene organisatorische Maßnahmen für die Einhaltung der Gesetze, Regeln sowie unternehmensin81  Vgl. MünchKommAktG / Spindler, § 77 Rn. 30; MünchHdbAG / Wiesner, § 22 Rn. 8; GroßKommAktG / Kort, § 77 Rn. 22. Ein Übersicht zu möglichen Maßnahmen bei Spindler / Stilz / Fleischer, § 77 Rn. 32 ff. 82  Hüffer, § 91 Rn. 8; Dreher, in: FS Hüffer (2010), S. 161, 167 f.; Kort, ZGR 2010, S. 440, 459. 83  Vgl. KK-AktG / Mertens / Cahn, § 91 Rn. 20 m. w. N. Zur Rechtslage nach BilMoG: für eine umfassende Pflicht Spindler, in: FS Hüffer (2010), S. 985, 992; dagegen Kort, ZGR 2010, S. 440, 452; Dreher, in: FS Hüffer (2010), S. 161, 164 f.; vermittelnd K.  Schmidt / Lutter / Krieger / Sailer, § 91 Rn. 17 und § 107 Rn. 69 (Die Erläuterungspflicht des § 289 Abs. 5 HGB könne zur faktischen Druck zur Errichtung eines solchen Systems führen). 84  Dessen Konkretisierung in den landgerichtlichen und verwaltungsgerichtlichen Urteilen bei Bihr / Kalinowsky, DStR 2008, S. 620, 622 ff. 85  Vgl. Fleischer, AG 2003, S. 291, 299; Spindler / Stilz / Fleischer, § 91 Rn. 47; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 91 Rn. 35; K.  Schmidt / Lutter / Krieger / Sailer, § 93 Rn. 6; Bachmann, Gesellschaftsrecht, S. 65, 73 f.



I. Sorgfaltspflichten und Geschäftsleiterermessen im deutschen Recht 81

terner Richtlinien durch die Unternehmensangehörigen zu treffen.86 Dazu gehören auch die Maßnahmen zur Früherkennung und Minimierung von Haftungsrisiken des Unternehmens und der Leitungsorgane.87 Von der Compliance-Pflicht des Vorstands ist die Frage nach seiner Rechtspflicht zur Errichtung eines Compliance-Systems zu unterscheiden.88 Überwiegend wird eine solche Rechtspflicht verneint und dem Vorstand ein weiter Gestaltungsspielraum bei der konkreten Ausgestaltung der Compliance-Organisation zugesprochen.89 Auch die Compliance-Vorschrift in Ziff. 4.1.3 DCGK ist nichts anderes als eine Wiedergabe der Rechtslage.90 b) Aufsichtsratsmitglieder Ein dem Aufsichtsrat angepasster Sorgfaltsmaßstab trägt einerseits den verschiedenen Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat und andererseits dem nebenberuflichen Charakter der Aufsichtsratstätigkeit Rechnung.91 Die sorgfältige Wahrnehmung der Organfunktionen bedeutet für Aufsichtsratsmitglieder in erster Linie die Erfüllung der Überwachungsaufgabe (§ 111 Abs. 1 AktG) und der sonstigen gesetzlichen Aufgaben des Aufsichtsrats.92 Das Aktiengesetz erkannte dem Aufsichtsrat eine Reihe von Befugnissen zu, die seine Beteiligung an der Geschäftsführung in verschiedenem Maße ermöglichen. Neben dem gesetzlichen Zustimmungsrecht93 ist er befugt, bestimmte Arten von Geschäften oder Maßnahmen von seiner Zustimmung abhängig zu machen (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG). Durch die Erteilung oder Verweigerung der erforderlichen Zustimmung nimmt er an der Entscheidungsfindung der in Frage stehenden Einzelgeschäftsführungsmaßnahme teil. Aufgrund solcher weitgehenden Befugnisse ist der Aufsichtsrat 86  Zu Definition des Compliance KK-AktG / Mertens / Cahn, § 91 Rn. 34 m. w. N.; Corporate Compliance / Hauschka, § 1 Rn. 2. 87  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 91 Rn. 34; Hauschka, NJW 2004, S. 257. 88  Bachmann, Gesellschaftsrecht, S. 65, 73 f. 89  GroßKommAktG / Kort, § 91 Rn. 65; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 91 Rn. 36 und § 93 Rn. 80; MünchKommAktG / Spindler, § 91 Rn. 36 und § 93 Rn. 29; auch Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 69; a. A. Fleischer, AG 2003, S. 291, 298 ff.; zu einer Rechtspflicht tendierend Wellhöfer, in: Wellhöfer / Peltzer / Müller, Haftung, § 4 Rn. 163. 90  GroßKommAktG / Kort, § 91 Rn. 66; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 91 Rn. 38. 91  Vgl. GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 71; Hüffer, § 116 Rn. 1. 92  Vgl. GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 135. 93  Z. B. Festlegung des Jahresabschlusses gemäß § 172 AktG, Abschlagzahlung auf den Bilanzgewinn gemäß § 59 Abs. 3 AktG und Aktienausgabe und Ausschluss des Bezugsrechts im Rahmen eines genehmigten Kapitals gem. §§ 204 Abs. 1 Satz 2, 203 Abs. 2 AktG.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

auch ein mitunternehmerisches und mit-entscheidendes Organ.94 Entsprechend der Funktion des Aufsichtsrats als Überwachungsorgan ist jedes Aufsichtsratsmitglied in erster Linie zur sorgfältigen Kontrolle der Geschäftsführung verpflichtet.95 Die oben für den Vorstand bereits genannte Legalitätspflicht und Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit gelten auch uneingeschränkt für Aufsichtsratsmitglieder.96 Insoweit kann auf die Ausführungen zum Vorstand verwiesen werden. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die besonderen Aspekte der Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder. aa) Sorgfältige Erfüllung der Überwachungsaufgabe Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung auf die Einhaltung der für den Vorstand geltenden Sorgfaltsanforderungen nach § 93 Abs. 1 AktG hin und insbesondere hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit zu überwachen.97 Die Überwachungspflicht bezieht sich nur auf Leitungsmaßnahmen und wesentliche Einzelmaßnahmen des Vorstands.98 Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass eine auf alle Vorgänge in der Gesellschaft bezogene Überwachung durch den als Nebenamt konzipierten Aufsichtsrat undurchführbar ist.99 Zudem liefe eine umfassende Überwachung der in § 76 Abs. 1 AktG festgeschriebenen Leitungsautonomie des Vorstands und damit der Kompetenzabgrenzung der Organe zueinander zuwider.100 Zur Konkretisierung der überwachungspflichtigen Geschäftsführungsmaßnahmen werden häufig die in § 90 AktG normierten Berichtspflichten des Vorstands als Orientierungsmaßstab herangezogen.101 Hinsichtlich des anderen Teils der Geschäftsfüh94  Lutter / Krieger, Aufsichtsrat, Rn. 58; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 111 Rn. 283; K.  Schmidt / Lutter / Drygala, § 111 Rn. 5; ArbHdbAR / Kropff, § 8 Rn. 12. 95  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 66. 96  Vgl. Raiser / Veil, KapGesR, § 15 Rn. 91. 97  BGH NJW 1991, S. 1830, 1831; zu Einzelheiten GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 111 Rn. 301; MünchKommAktG / Habersack, § 111 Rn. 42; Spindler / Stilz / Spindler, § 111 Rn. 14; Lutter / Krieger, Aufsichtsrat, Rn.  71 ff. 98  Allg. M. vgl. Hüffer, § 111 Rn. 3; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 111 Rn. 160; MünchKommAktG / Habersack, § 111 Rn. 20; Spindler / Stilz / Fleischer, § 111 Rn. 8; K.  Schmidt / Lutter / Drygala, § 111 Rn. 11 f. Tendenziell wird der Begriff Geschäftsführung in § 111 Abs. 1 AktG mit dem Leitungsbegriff in § 76 AktG gleich gesetzt. 99  Vgl. GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 111 Rn. 5; MünchKommAktG / Habersack, § 111 Rn. 19 zu der Frage, warum § 111 Abs. 1 AktG im Gegensatz zu der Vorgängernorm § 246 HGB in der bis 1937 geltenden Fassung nicht die Überwachung der Geschäftsführung „in allen Zweigen der Verwaltung“ verlangt. 100  Spindler / Stilz / Fleischer, § 111 Rn. 8; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 82. 101  Statt vieler Hüffer, § 111 Rn. 3; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 111 Rn. 162.



I. Sorgfaltspflichten und Geschäftsleiterermessen im deutschen Recht 83

rung besteht ein Kontrollrecht des Aufsichtsrats.102 Nach der h. M. unterliegen der Überwachung durch den Aufsichtsrat auch die dem Vorstand nachgeordneten Ebenen, soweit dort Führungsentscheidungen getroffen oder wesentliche Einzelmaßnahmen ergriffen werden.103 Der Begriff Überwachung ist weit zu verstehen, und beinhaltet neben der vergangenheitsbezogenen Kontrolle auch die Beratung im Sinne einer in die Zukunft gerichteten präventiven Kontrolle.104 Denn der Aufsichtsrat darf seine Überwachung nicht auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle reduzieren, sondern hat die Geschäftsführung auf ihrer Zweckmäßigkeit zu prüfen und seine Auffassung zur beabsichtigten Geschäftspolitik und anderen grundsätzlichen Fragen der künftigen Geschäftsführung (vgl. § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG) zu äußern,105 was zugleich die Grenze der Beratung durch den Aufsichtsrat markiert.106 Eine weitere Überwachungsaufgabe bezieht sich auf die Prüfungspflicht des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsrat hat den vom Vorstand aufgestellten Jahresabschluss, den Lagebericht und den Vorschlag für die Verwendung des Bilanzgewinns sowie gegebenenfalls den Konzernabschluss und den Konzern-Lagebericht auf ihre Recht- und Zweckmäßigkeit zu prüfen (§ 171 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die Prüfungsaufgaben werden durch den im Zuge des BiMoG eingeführten § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG, der den Aufgabenbereich des ggf. eingerichteten Prüfungsausschusses umschreibt, konkretisiert. Dazu zählen insbesondere die Überwachung des Rechnungslegungsprozesses, der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des Risikomanagementsystems und des internen Revisionssystems sowie der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers.107 Dem Aufsichtsrat wird jedoch kein direkter Zugriff auf Mitarbeiter oder Daten der betreffenden Abteilungen gewährt, da es ansonsten mit der strengen Kompetenzordnung des deutschen dualistischen Systems unvereinbar wäre.108 102  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 111 Rn. 161; zustimmend Spindler / Stilz / Fleischer, § 111 Rn. 8. 103  Hüffer, § 111 Rn. 3; MünchKommAktG / Habersack, §  111 Rn. 21; Spindler / Stilz / Fleischer, § 111 Rn. 9; K.  Schmidt / Lutter / Drygala, § 111 Rn. 13; a.  A. Lutter / Krieger, Aufsichtsrat, Rn. 69, die die Überwachung der nachgeordneten Ebene als Leitungsaufgabe des Vorstands hervorheben. 104  BGH NJW 1991, S. 1830; BGH NJW 1994, S. 2484, 2485; GroßKommAktG /  Hopt / Roth, § 111 Rn. 288; Hüffer, § 111 Rn. 5; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 111 Rn. 14; MünchKommAktG / Habersack, § 111 Rn. 12; Spindler / Stilz / Fleischer, § 111 Rn. 10. 105  BGH NJW 1991, S. 1830; Hüffer, § 111 Rn. 5; MünchHdbAG / Hoffmann-Becking, § 29 Rn. 32. 106  Vgl. Spindler / Stilz / Fleischer, § 111 Rn. 10; Lutter / Krieger, Aufsichtsrat, Rn. 97. 107  Zu Einzelheiten Spindler / Stilz / Fleischer, § 107 Rn. 130 ff.; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 111 Rn. 14. 108  Spindler / Stilz / Fleischer, § 107 Rn. 132; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 111 Rn. 108.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

bb) Pflicht zur Mitarbeit und Zusammenarbeit im Aufsichtsrat und Pflicht zur persönlichen Wahrnehmung des Aufsichtsratsamts Die Aufsichtsratsmitglieder sind zur Mitarbeit und Zusammenarbeit im Aufsichtsrat als Kollegialorgan verpflichtet.109 Dazu gehören die Teilnahme an den Aufsichtsratssitzungen, die sorgfältige Vorbereitung der Sitzungsteilnahme, die persönliche Urteilsbildung zu den im Plenum zu entscheidenden Angelegenheiten.110 Insbesondere sind sie zur persönlichen Entscheidungsfindung über die Ordnungsmäßigkeit der Rechnungslegung verpflichtet, deren Delegation an einen Aufsichtsratsausschuss nach § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG unzulässig ist. Werden Aufgaben zur Vorbereitung oder zur abschließenden Erledigung an Ausschüsse übertragen,111 übernehmen die Ausschussmitglieder die volle Verantwortung für die sachgerechte Aufgabenerfüllung im Ausschuss, während die Pflicht der nicht dem Ausschuss angehörigen Aufsichtsratsmitglieder auf die sachgerechte Organisation des Ausschusses und Überwachung dessen Tätigkeit beschränkt ist.112 Es wird aber allgemein angenommen, dass die sonstigen Aufsichtsratsmitglieder nicht verpflichtet sind, die Aufgabenerfüllung im Ausschuss zu kontrollieren, sondern sie haben nur bei Anzeichen für Unzulänglichkeiten der Ausschuss­ arbeit einzuschreiten.113 Es besteht ferner eine allgemeine Pflicht zur wechselseitigen Überwachung wie bei Vorstandsmitgliedern.114 Die Aufsichtsratsmitglieder müssen ihr Amt persönlich wahrnehmen (§ 111 Abs. 5 AktG). Dieses Erfordernis bringt auch die Eigenverantwortlichkeit bzw. Weisungsunabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder zum Ausdruck.115 Aus §§ 111 Abs. 2 Satz 2 und 109 Abs. 1 Satz 2 AktG, die jeweils dem Aufsichtsrat gestatten, Sachverständige mit bestimmten Aufgaben zu beauftragen und Sachverständige und Auskunftspersonen zur Beratung über einzelne Ge109  GroßKommAktG / Hopt / Roth,

§ 116 Rn. 115 ff. § 116 Rn. 115; MünchKommAktG / Habersack, § 116 Rn. 31 f.; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 116 Rn. 11; Lutter / Krieger, Aufsichtsrat, Rn. 886. 111  Dies wird durch § 107 Abs. 3 AktG und Ziff. 5.3 DCGK angeraten. 112  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 116; Lutter / Krieger, Aufsichtsrat, Rn. 887. 113  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 116; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 116 Rn. 11; ArbHdbAR / Doralt / Doralt, § 13 Rn. 97. 114  Zu Handlungsmöglichkeiten bzw. -pflichten, beim rechtswidrigen Aufsichtsratsbeschluss oder Verhalten der anderen Aufsichtratskollegen Abhilfe zu schaffen siehe KK-AktG / Mertens / Cahn, § 116 Rn. 18 ff.; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn.  118 f. 115  Vgl. BGH NJW 1983, S. 991 – Hertie; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 111 Rn. 743; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 111 Rn. 117; Spindler / Stilz / Spindler, § 111 Rn. 79. 110  GroßKommAktG / Hopt / Roth,



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genstände hinzuzuziehen, wird der Umkehrschluss gezogen, dass eine ständige fachliche Beratung des Aufsichtsrats durch Dritte unzulässig ist, da ansonsten die Aufsichtsratsmitglieder offensichtlich nicht über die Mindestsachkunde zur Wahrnehmung ihrer Kontrollfunktion verfügen.116 Folglich erlauben die Rechtsprechung und Rechtslehre den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern Beratung und fachliche Unterstützung durch Dritte nur unter engen Voraussetzungen: Zum einen muss das Beratungsthema eine Aufgabe betreffen, die ein Aufsichtsratsmitglied mit der gesetzlich vorausgesetzten Mindestqualifikation allein nicht bewältigen kann; Zum anderen muss die Beratung notwendig und durch eine gesellschaftsinterne Aufklärung unersetzbar sein und hat sich auf eine konkrete, durch den Einzelfall veranlasste Fragestellung zu beschränken.117 Bei der Überprüfung der Rechnungslegung kommen als vorrangige Mittel insbesondere die Befragung von Vorstand, die Erörterung des Prüfungsberichts mit dem Abschlussprüfer in der Bilanzsitzung (vgl. § 171 Abs. 1 Satz 2 AktG)118 sowie die interne Verständigung mit dem Finanzexperten119 in Betracht. Zudem handelt es sich bei der Hinzuziehung Dritter durch ein Aufsichtsratsmitglied um eine Beauftragung in eigenem Namen und auf eigene Rechnung.120 cc) Organisationspflicht und Informationspflicht Ferner trifft die Aufsichtsratsmitglieder eine Organisationspflicht, nämlich die Pflicht, auf eine gesetzkonforme121 und funktionsgerechte Organisation und Arbeitsweise des Aufsichtsrats hinzuwirken, um die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten des Aufsichtsrats sicherzustellen.122 Dazu gehört insbe116  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 111 Rn. 121; MünchKommAktG / Habersack, § 111 Rn. 135; Spindler / Stilz / Spindler, § 111 Rn. 80; großzügiger GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 111 Rn. 753. Grundlegend zum Modell eines „in sich und aus sich selbst heraus leistungsfähigen, also autarken Aufsichtsrats“ Hommelhoff, ZGR 1983, S. 551, 561 f. 117  BGH NJW 1983, S. 991, 992 – Hertie; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 111 Rn. 122; MünchKommAktG / Habersack, § 111 Rn. 135; MünchKommAktG / Hennrichs / Pöschke, § 117 Rn. 117. 118  Vgl. BGH NJW 1983, S. 991, 992 – Hertie. 119  KK-AktG / Ekkenga, § 171 Rn. 11. 120  Vgl. KK-AktG / Ekkenga, § 171 Rn. 11; MünchKommAktG / Habersack, § 111 Rn. 134. 121  Bei der Ausschussbildung ist § 107 Abs. 3 AktG zu beachten; die Einzelheiten dazu siehe KK-AktG / Mertens / Cahn, § 107 Rn. 95 ff.; Spindler / Stilz / Fleischer, § 107 Rn. 84 ff.; Bei mitbestimmten Aufsichtsräten sind mitbestimmungsrechtliche Regelungen zu beachten, dazu GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 121 und 124. 122  MünchKommAktG / Habersack, § 116 Rn. 30; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 116 Rn. 12; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 120; Lutter / Krieger, Aufsichtsrat, Rn. 889.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

sondere die regelmäßige Prüfung, ob von der Möglichkeit zur Aufstellung von Zustimmungsvorbehalten adäquat Gebrauch gemacht ist.123 Zudem hat jedes Aufsichtsratsmitglied eine Informationspflicht, also die Pflicht zur Sicherstellung einer ausreichenden Information des Aufsichtsrats durch den Vorstand, was mit seinem durch § 90 Abs. 3 Satz 2 AktG anerkannten individuellen Recht auf Berichterstattung korrespondiert.124 Insbesondere bei der Beschlussfassung über zustimmungspflichtige Geschäfte haben die Aufsichtsratsmitglieder darauf hinzuwirken, dass der Aufsichtsrat bzw. der mit der Zustimmung befasste Ausschuss vom Vorstand alle für eine sachgerechte Beurteilung des Beschlussgegenstands erforderlichen Informationen erlangt.125 Bei Anhaltspunkten für ein Fehlverhalten des Vorstands besteht eine Pflicht zur Weitergabe der beurteilungsrelevanten Informationen an den Aufsichtsrat.126 3. Geschäftsleiterermessen (BJR deutscher Prägung) Die Rechtsfigur des Geschäftsleiterermessens wurde in der ARAG / Garmenbeck-Entscheidung des BGH127 höchstrichterlich bestätigt und ausgeformt.128 Für die Anerkennung eines weiten Handlungsspielraums der Geschäftsleiter sind zwei Überlegungen maßgeblich. Zum einen fördert es die aus unternehmerischer und volkswirtschaftlicher Sicht erwünschte Risikobereitschaft der Geschäftsleiter durch Vermeidung einer übermäßig strengen Sanktionsdrohung. Zum anderen soll der Geschäftsleiter vor dem sog. Rückschaufehler geschützt werden, nämlich vor der Gefahr, dass Gerichte in Kenntnis des späteren Geschehensablaufs die Wahrscheinlichkeit eines eingetretenen Schadens höher einschätzen, als sie sich aus der ex-ante-Perspektive des Handelnden tatsächlich darstellte.129 Hinsichtlich des mit der Rechtsprechung bereits erreichten Sachstands war es nicht zweifelsfrei, ob eine Normierung des Geschäftsleiterermessens überhaupt notwendig ist.130 Der Gesetzgeber des UMAG und die unterstützenden Stimmen betonen die aus123  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 122; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 116 Rn. 12. 124  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 116 Rn. 13; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 126; Lutter / Krieger, Aufsichtsrat, Rn. 890. 125  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 116 Rn. 13. 126  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 127 mit Hinweisen auf instanzgerichtliche Urteile. 127  BGHZ 135, 244, 253 = NJW 1997, S. 1926, 1928 – ARAG / Garmenbeck. 128  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 2. 129  Vgl. Koch, ZGR 2006, S. 769, 782; Bosch / Lange, JZ 2009, S. 225, 229; ausführlich Brömmelmeyer, WM 2005, S. 2068; Fleischer, in: FS Wiedemann (2002), S. 827, 832.



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gleichende Wirkung eines gesetzlich anerkannten Haftungsfreiraums auf das zugleich verstärkte Verfolgungsrecht der Aktionärminderheit und das damit gesteigerte Haftungsrisiko der Geschäftsleiter.131 Bei der Kodifizierung des Geschäftsleiterermessens bestand die große Herausforderung darin, wie die neue Regelung in die Regelungsstruktur des § 93 AktG eingepasst wird.132 130

§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ist nicht als Verschuldenselement, sondern als Tatbestandselement konzipiert. Um die Klarheit und Berechenbarkeit der Verhaltensanforderungen zu fördern, bedient sich der Gesetzgeber des UMAG der Regelungstechnik des „sicheren Hafens“.133 Es wird gesetzlich festgelegt, unter welchen Voraussetzungen eine Pflichtverletzung nicht vorliegt. Die ursprünglich im Referentenentwurf enthaltene Begrenzung der Haftung auf eine grobe Fahrlässigkeit ist im späteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wegen vielfältiger Kritik entfallen.134 Denn die auf ein grob fahrlässiges Verhalten reduzierte Organhaftung ließe sich nicht mit Unentgeltlichkeit oder sonstigen besonderen Umständen begründen, die die Tatbestände der Haftungsbeschränkung im allgemeinen Zivilrecht rechtfertigen, und würde folglich zu einem ungewöhnlichen Haftungsprivileg führen.135 Außerdem bezieht sich die deutsche BJR nur auf das materielle Recht. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist sie nicht als eine von § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG abweichende Beweislastregel konzipiert.136 Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale der BJR liegt bei dem beklagten Organmitglied.137 Der deutsche Gesetzgeber hat die US-amerikanische Beweislastregel, die von einem rechtmäßigen Handeln der Organmitglieder ausgeht und dem Kläger die Darlegungs- und Beweislast dafür aufbürdet, es fehle an einer der Geltungsvoraussetzungen der BJR,138 bewusst nicht übernommen.139 Dies trägt u. a. den Unterschieden 130  Vgl. Kropff, in: FS Raiser (2005), S. 225, 226 f.; Windbichler, in: Immenga / Schwintowski / Kollmorgen, Wirtschaftliches Risiko, S. 42 ff.; eingehend zu Vor- und Nachteilen einer Kodifizierung Fleischer, ZIP 2004, S. 685, 687. 131  BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 11; Ihrig, WM 2004, S. 2098, 2101 f.; Schäfer, ZIP 2005, S. 1253, 1254; Ulmer, DB 2004, S. 859. 132  Ausführlich Fleischer, ZIP 2004, S. 685, 688 f. 133  Fleischer, ZIP 2004, S. 685, 688 f. 134  Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 11; näher Spindler, NZG 2005, S. 865, 871. 135  Ulmer, DB 2004, S. 859, 862. 136  Zum Referententwurf Seibert / Schütz, ZIP 2004, S. 252, 254. 137  BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 12; Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 222; MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 164; auch GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 7. 138  Eingehend dazu dazu v. Hein, Rezeption, S. 917 f. 139  Kritisch GroßkommAktG / Hopt / M. Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 68, die in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG eine Vermutung für die Rechtmäßigkeit des Organ-

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der beiden Länder im allgemeinen Zivilprozessrecht Rechnung: Während das US-amerikanische Zivilprozessrecht mit der pre-trial discovery dem Kläger ermöglicht, den Beklagten oder die Gesellschaft zur Herausgabe belastender Beweismittel zu zwingen, steht das deutsche Zivilprozessrecht einem solchen „Ausforschungsbeweis“ herkömmlich ablehnend gegenüber.140 Es handelt sich hier also um eine Anpassung einer ausländischen Rechtsidee an die Besonderheiten der inländischen Dogmatik.141 Im Folgenden werden die einzelnen Tatbestandsmerkale der deutschen BJR [a)] erläutert und anschließend wird auf die entsprechende Anwendung der BJR auf die Aufsichtsratsmitglieder [b)] eingegangen. Schließlich wird die Untersuchung durch eine Darstellung der Verteilung der Darlegungsund Beweislast im Rahmen des BJR [c)] abgerundet. a) Tatbestandsmerkmale im Einzelnen Die BJR i. S. d. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG hat fünf Merkmale, die im Gesetz jedoch nicht alle klar benannt sind und in der Literatur teilweise unterschiedlich formuliert werden.142 Im Anschluss an die Formulierung in der Gesetzesbegründung hat die deutsche BJR folgende Tatbestandsmerkmale: Unternehmerische Entscheidung, Gutgläubigkeit, Handeln ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse, Handeln zum Wohle der Gesellschaft und auf der Grundlage angemessener Information.143 Die Gutgläubigkeit des Handelnden bringt die subjektive Absicherung des unternehmerischen Ermessens zum Ausdruck, was nach der Ansicht der Verfasser des Gesetzentwurfs den Kern der neuen Regelung der BJR bildet.144 Mit dem Merkmal „Annahme“ wird eine subjektive Sichtweise festgelegt. Die in Frage stehende Entscheidung und der Entscheidungsprozess werden also nicht aus der Sicht eines außenstehenden Beobachters, sondern aus der des betreffenden Organmitglieds beurteilt.145 Dies wird durch das „vernünftigerweise annehmen Dürfen“ begrenzt und objektiviert.146 Dadurch kommt es zum Aushandelns herauslesen wollen; bereits zum UMAG-E Paefgen, AG 2004, S. 245, 258 f.; M. Roth, BB 2004, S. 1066, 1069; aus rechtsvergleichender Sicht v. Hein, Rezeption, S. 922. 140  Vgl. MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 164; v. Hein, Rezeption, S. 923 f. 141  Vgl. Fleischer, ZIP 2004, S. 685, 688 („Assimilation“). 142  Vgl. Hüffer, § 93 Rn. 4e; Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 66; MünchKomm­ AktG / Spindler, § 93 Rn. 40 ff.; Lutter, in: FS Canaris (2007), Bd II, S. 245 f. 143  BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 11. 144  Seibert / Schütz, ZIP 2004, S. 252, 254. 145  Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 11; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 31. 146  BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 11; Koch, ZGR 2006, S. 769, 788.



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druck, dass die Einschätzung des Handelnden auch aus der maßgeblichen ex ante-Perspektive objektiv plausibel erscheinen muss.147 Der objektivierte subjektive Beurteilungsmaßstab gilt für die drei zuletzt genannten Tatbestandsvoraussetzungen148 und wird deswegen im Folgenden nicht gesondert behandelt. aa) Unternehmerische Entscheidung Die „unternehmerische Entscheidung“ wird in der Gesetzesbegründung als das erste Abgrenzungsmerkmal hervorgehoben.149 Es bestimmt den Anwendungsbereich der BJR und bringt den Normzweck, nämlich den Schutz des unternehmerischen Handlungsfreiraums, zum Ausdruck.150 Die Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals ist nicht leicht. Bereits in ersten Stellungnahmen in der Literatur dazu deutet sich eine bunte Meinungsvielfalt an.151 Es wird insbesondere darüber gestritten, ob die in der Gesetzesbegründung genannten zwei Merkmale, nämlich die Zukunftsbezogenheit und der Prognosecharakter,152 begriffsnotwendige Merkmale einer unternehmerischen Entscheidung sind. Eine vielfach vertretene Literaturmeinung bejaht es und will den Anwendungsbereich der BJR auf Entscheidungen beschränken, die aufgrund ihrer Prognosecharakters in Ungewissheit oder Unsicherheit getroffen sind.153 Diese Einsicht stößt jedoch zunehmend auf Kritik.154 Ihr wird entgegengehalten, dass nach dem Wortlaut der Gesetzesbegründung nicht ausgeschlossen sei, dass der Gesetzgeber mit den oben genannten Merkmalen bloß begriffstypische Charakteristika beschreiben wollte.155 Zudem wird noch darauf hingewiesen, dass das Erfordernis der Zukunftsbezogenheit bei Entscheidungen, die eine Gemengelage aus vergangenheitsorientierten und zukunftsbezogenen Elementen aufweisen, etwa bei Bilanzent147  KK-AktG / Mertens / Cahn,

§ 93 Rn. 23. ist noch streitig, ob für die Freiheit von Interessenkonflikten ein objektiver Maßstab gelten soll. Siehe unten I. 3. a) bb). 149  BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 11. 150  Vgl. Krieger, in: Krieger / U.  H. Schneider, § 3 Rn. 15; auch Hüffer, § 93 Rn. 4a. 151  Eine Bestandaufnahme bei Arnold, Steuerung des Vorstandshandelns, S. 176 f. m. w. N. 152  Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 11. 153  Hüffer, § 93 Rn. 4 f. („Unsicherheit“); Brömmelmeyer, WM 2005, S. 2065, 2066 („Ungewissenheit“); weitere Literaturhinweise zu dieser Ansicht bei GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 18 Fn. 73. 154  Vgl. GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 19 ff.; MünchKomm / AktG-Spindler, § 93 Rn. 41; auch KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 19; Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 68; Koch, ZGR 2006, S. 769, 787 f. 155  Koch, ZGR 2006, S. 769, 787. 148  Es

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scheidungen, zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten führen würde.156 Aus diesem Grund bezweifeln nicht wenige Autoren die Funktionsfähigkeit des Begriffs unternehmerische Entscheidung als Abgrenzungskriterium.157 In der Gesetzesbegründung wird die unternehmerische Entscheidung als „Gegensatz zur rechtlich gebundenen Entscheidung“ bezeichnet, zu denen namentlich die „Beachtung gesetzlicher, satzungsmäßiger oder anstellungsvertraglicher Pflichten ohne tatbestandlichen Beurteilungsspielraum“ gezählt wird.158 Dieser erst in der Begründung zum Regierungsentwurf zugefügte Satz soll dem Einwand begegnen, eine verbotene Kartellabsprache sei auch zukunftsbezogen sowie durch Prognosen wie Einschätzungen geprägt.159 Daraus wird gefolgert, dass die Abwägung zwischen dem Entdeckungsrisiko bei einem Kartell und dem rechtswidrig zu erlangenden Gewinn keine unternehmerische Entscheidung ist, weil die BJR dem Vorstandsmitglied keinen kalkulierten Rechtsverstoß ermöglichen soll.160 In Anschluss an diese Gesetzesbegründung einigt man sich im Ausgangspunkt, dass die BJR auf rechtlich gebundene Entscheidungen keine Anwendung findet.161 Aber auch dieses Kriterium wird von manchen Autoren für nicht trennscharf gehalten.162 Auch bei gesetzesgebundenen Entscheidungen, soweit sie wegen zukunftsbezogener oder prognoseabhängiger Elemente oder aus sonstigen Gründen unter Ungewissheit getroffen werden müssen, sollten die betreffenden Organmitgliedern die BJR in Anspruch nehmen können.163 Folglich ist bei Pflichtaufgaben des Vorstands eine Berufung auf die BJR nicht per se ausgeschlossen.164 Für die Bestimmung der unternehmerischen Handlungsspielräume in konkreten Entscheidungssituationen kann die bisherige Rechtsprechung als 156  MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 41; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 19. 157  Vgl. MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 41 (es sei allein kaum aussagekräftig; vielmehr sei die Abgrenzung zu den rechtlich gebundenen Entscheidungen entscheidend); GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 19 f., die eine Rückkehr zu unternehmerischem Ermessen als Abgrenzungskriterium befürworten. 158  BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 11. 159  Dazu näher Lohse, Unternehmerisches Ermessen, S. 74. 160  Schäfer, ZIP 2005, S. 1253, 1256; im Ergebnis auch Ihrig, WM 2004, S. 2098, 2104 f. 161  Vgl. GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 21; MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 44; Koch, ZGR 2006, S. 769, 784. 162  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 17. 163  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 19. 164  Vgl. die Diskussion über die Anwendbarkeit der BJR bei unbestimmten Rechtsbegriffen und bei unklarer Rechtslage Kocher, CCZ 2009, S. 215, 217 ff.; MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 65.



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Orientierung dienen.165 Die Rechtsprechung hat dem Vorstand einen weiteren Ermessenspielraum zugebilligt, z. B. bei der Ausübung der Ermächtigung im Rahmen des genehmigten Kapitals (§ 203 AktG) zur Frage der sachlichen Rechtfertigung eines Bezugsrechtsausschlusses166 und bei der Ausübung der Ermächtigung zur Ausgabe neuer Aktien.167 Ferner wird der unternehmerische Charakter der Entscheidungen über Investitionen in neue Technologien bejaht.168 Im Rahmen der Insolvenzantragspflicht des Vorstands bei Überschuldung nach § 15a Abs. 1 InsO hat die Rechtsprechung dem Vorstand einen Handlungsspielraum bei der Entscheidung über die Möglichkeit der Sanierung und einen gewissen Beurteilungsspielraum bei der Feststellung der Überschuldung durch die Führungsprognose zugebilligt.169 bb) Freiheit von Interessenkonflikten Dieses Merkmal ist nach überwiegender Auffassung implizit in dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal „Wohl der Gesellschaft“ enthalten.170 Es wird generell angenommen, dass die Treuepflichtverletzungen aus dem Anwendungsbereich der BJR auszuklammern sind, weil es dabei von vornherein nicht darum gehe, die Übernahme wirtschaftlich sinnvoller unternehmerischer Risiken durch Vermeidung einer übermäßig strengen Haftung zu befördern.171 Das Vorliegen von Fremdeinflüssen und Interessenkonflikten hat zur Folge, dass es im Haftungsprozess gerichtlich voll nachprüfbar ist, ob eine Entscheidung sorgfältig, inhaltlich vertretbar und im wohl verstandenen Interesse der Gesellschaft getroffen wurde.172 Im Schrifttum ist umstritten, ob das Handeln ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse objektiv vorliegen muss, oder ob es ausreicht, dass ein Vorstandsmitglied 165  Vgl. Goette, in: FS 50 Jahre BGH (2000), S. 123, 133 ff.; Henze, BB 2001, S. 53, 57 f.; Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 68. 166  BGHZ 136, 133, 139 = NJW 1997, S. 2815, 2816 – Siemens / Nold. 167  BGHZ 21, 354, 357. 168  BGH NJW 2008, S. 1583 f., Rn. 11 ff. – UMTS.  169  BGHZ 75, 96, 110 ff.; BGHZ 126, 181, 199 f. Im Schrifttum ist die Anwendung der BJR auf die Entscheidung über die Insolvenzantragsstellung umstritten: dafür etwa Brömmelmeyer, WM 2005, S. 2065, 2066; gegen eine unmodifizierte Anwendung der BJR MünchKommAktG / Spindler, § 92 Rn. 38; kritisch dagegen wiederum KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 18. 170  Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 11; Lutter, in: FS Canaris (2007), Bd II, S. 245, 246; HdbVorstand / Fleischer, § 7 Rn. 57. Kritisch zum UMAG-Entwurf Ihrig, WM 2004, S. 2098, 2105, der unter dem Gesichtspunkt der mit der Kodifzierung gewünschten Appellfunktion eine ausdrückliche Erwähnung befürwortet. 171  Statt vieler KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 25. 172  Lutter, in: FS Canaris (2007), Bd II, S. 245, 247.

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dies gutgläubig annahm.173 Die Vertreter der ersten Ansicht berufen sich darauf, dass in der Begründung des Regierungsentwurfs dieses Erfordernis objektiv formuliert wird. Die Gegenansicht bezweifelt diesen Befund zwar nicht, geht aber davon aus, dass ein für den Handelnden unbekannter Interessenkonflikt seine Entscheidung nicht beeinflussen könne.174 Dieser Streit kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn man die Gutgläubigkeit ausreichen lässt, wird deren Beweis für das betroffene Organmitglied praktisch kaum möglich sein, weil es bei Interessenkonflikten in erster Linie um die eigenen Verhältnissen der jeweiligen Organmitglieder geht, deren Unbekanntheit in aller Regel nicht vernünftig und nachvollziehbar erscheint.175 Zudem ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass nicht die Unkenntnisse von Inte­ ressenkonflikten, sondern erst eine positive Kenntnis von Abwesenheit jeglicher Interessenkonflikte ausreichen soll.176 Vorstandsmitglieder geraten in Interessenkonflikte beim Handeln zum eigenen Vorteil oder zum Nutzen nahestehender Personen oder Gesellschaften.177 Eine Ausnahme wird dort gemacht, wo die Interessen der Gesellschaft und des Vorstandsmitglieds gleichgerichtet sind, z. B. bei Gewährung von erfolgsabhängigen Vergütungen.178 Außerdem führen die Interessen­ konflikte zwischen der Gesellschaft und anderen Konzerngesellschaften, in denen ein Vorstandsmitglied eine Organstellung innehat, zu Interessenkonflikten in seiner Person.179 Bei einer Kollektiventscheidung ist es umstritten, unter welchen Bedingungen sich die anderen beteiligten Mitglieder auf die BJR berufen dürfen, wenn sich nur ein Vorstandsmitglied im Interessenkonflikt befindet. Eine Ansicht hält es für erforderlich, dass das befangene Vorstandsmitglied bei einem offen gelegten oder allen Vorstandsmitglieder bekannten Interessenkonflikt weder an der Entscheidung noch an der vorangehenden Beratung teilnimmt, da nur so sichergestellt sei, dass es zu einer insgesamt unbeeinflussten Entscheidung komme.180 Nach der Gegenansicht 173  Für das erstere GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 36; für das letztere Hüffer, § 93 Rn. 4e; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 27. 174  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 27. 175  Vgl. Schärfer, ZIP 2005, S. 1253, 1257. 176  BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 11 („In der Regel darf nur der annehmen, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, der sich bei seiner Entscheidung frei von solchen Einflüssen weiß.). 177  Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 11; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 40; Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 72. 178  MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 54; Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 72; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 26. 179  Lutter, ZIP 2007, S. 841, 844; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 28. Näher zum Vorstandsdoppelmandatsträger siehe § 4 I. 3. b). 180  Lutter, in: FS Canaris (2007), Bd II, S. 245, 248; MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 55; Habersack, Managerhaftung, S. 5, 23; Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 72.



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soll eine Offenlegung des Interessenkonflikts gegenüber den anderen Vorstandsmitgliedern genügen und eine Teilnahme des befangenen Mitglieds an der Entscheidungsvorbereitung und Beratung zulässig sein, weil es nicht ausgeschlossen sei, dass die anderen Mitglieder trotz der Kenntnis des Interessenkonflikts die eigene Entscheidung im Interesse der Gesellschaft treffen könnten.181 Auf diese Möglichkeit kann man sich jedenfalls bei Doppelmandaten im Konzern angesichts der vielfältigen Einflussmöglichkeiten des herrschenden Unternehmens realistischerweise nicht verlassen.182 cc) Handeln zum Wohle der Gesellschaft Ein Handeln zum Wohle der Gesellschaft soll nach der Gesetzesbegründung des UMAG jedenfalls vorliegen, wenn es der langfristigen Ertragsstärkung und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens dient, wobei auch das Wohl von Tochtergesellschaften und des Gesamtkonzerns mit einbezogen werden soll.183 Im Schrifttum wird der Begriff Gesellschaftswohl mehrheitlich mit dem Unternehmensinteresse gleichgesetzt.184 Demgegenüber erblickt eine andere Ansicht im Gesellschaftswohl eine Stärkung des Fokus auf die Aktionärsinteressen.185 Nach der im Aktienrecht herrschenden interessenpluralistischen Zielkonzeption muss der Vorstand bei der Ermessensausübung die im Unternehmen zusammentreffenden Interessen, also die der Aktionäre, der Arbeitnehmer, der Gläubiger und der Öffentlichkeit gleichrangig berücksichtigen.186 Das Unternehmensinteresse in diesem Sinne lässt sich also als „sprachliche Abkürzung“ der im Unternehmen zusammentreffenden Interessen187 verstehen. Dies verpflichtet den Vorstand auf Bestand und dauerhafte Rentabilität des Unternehmens als konsentierte Mindestanforderung.188 Auch die oben genannte Mindermeinung weicht im Wesentlichen nicht von dem interessenpluralistischen Konzept ab. Denn sie möchte langfristige Arbeitnehmerinteressen berücksichtigt sehen und zudem Ziff. 4.1.1. DCGK zur 181  Paefgen, AG 2004, S. 245, 253 mit Hinweis auf die Praxis in den USA; Schlimm, das Geschäftsleiterermessen, S. 315; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 29. 182  So wohl auch KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 29, der auf einen übermächtigen Einfluss des Doppelmandatsträgers auf die anderen Vorstandsmitglieder hinweist. 183  BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 11. 184  Hüffer, § 93 Rn. 4g; auch KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 24; Münch­ KommAktG / Spindler, § 93 Rn. 45. 185  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 27. 186  Statt vieler Hüffer, § 76 Rn. 12b; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 76 Rn. 15 ff. 187  So Hüffer, § 76 Rn. 15. 188  GroßKommAktG / Kort, § 76 Rn. 52; Hüffer, § 76 Rn. 13; KK-AktG / Mertens /  Cahn, § 76 Rn. 21; MünchHdbAG / Wiesner, § 19 Rn. 21.

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Ausfüllung des Gesellschaftswohls heranziehen, wonach der Vorstand an das Unternehmensinteresse gebunden und der Steigerung des nachhaltigen Unternehmenswerts verpflichtet ist.189 Der BGH verwendet in seiner Rechtsprechung wahlweise die Begriffe Gesellschafts- und Unternehmensinteresse, ohne sie zu definieren.190 Nach der authentischen Interpretation von Henze, eines – früheren – Senatsmitglieds, besteht das Unternehmensinteresse vor allem im Fortbestand der Gesellschaft, der nicht nur dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger und der (Minderheits-)Aktionäre dient, sondern auch im Interesse der Arbeitnehmer und der Öffentlichkeit liegt.191 Insofern scheint der BGH ebenfalls von einer Vielzahl gleichberechtigter Interessenträger auszugehen.192 Das Gesellschaftswohl sowie das Unternehmensinteresse sind unbestimmte Rechtsbegriffe, bei deren Konkretisierung der Vorstand unstreitig einen Ermessensspielraum hat.193 Die BJR verlangt, dass das Vorstandsmitglied mit seiner Entscheidung gutgläubig das Wohl der Gesellschaft befördert. Es gilt der objektivierte subjektive Prüfungsmaßstab „vernünftigerweise annehmen Dürfen“. Das Attribut „vernünftigerweise“ hat den im Referentenentwurf verwendeten Ausdruck „ohne grobe Fahrlässigkeit“ ersetzt, um eine Vermengung von Pflichten- und Sorgfaltsmaßstab zu vermeiden.194 In der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich auf die ARAG / Garmenbeck-Entscheidung Bezug genommen. Danach ist dieses Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt, wenn „das mit der unternehmerischen Entscheidung verbundene Risiko in völlig unverantwortlicher Weise falsch beurteilt worden ist“.195 Diese Formel beschreibt nichts anderes als die allgemeine Grenze des unternehmerischen Ermessens. Im Folgenden werden die Ermessensgrenzen anhand der bestandsgefährdenden Risiken und der Fallgruppe Kreditvergabe konkretisiert. (1) Bestandsgefährdende Risiken als Schranke der Ermessensausübung Im deutschen Schrifttum wird vornehmlich darüber gestritten, ob eine Überschreitung der Ermessensgrenzen notwendigerweise vorliegt, wenn der GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 27 f. BGHZ 135, 244, 253 ff. = NJW 1997, S. 1926, 1927 f. – ARAG / Garmenbeck; BGHZ 136, 133, 139 = NJW 1997, S. 2815, 2816 – Siemens / Nold; BGHZ 125, 239, 241, 243 f. = NJW 1994, S. 1410, 1411. 191  Henze, BB 2000, S. 209, 212 und 216. 192  So Spindler / Stilz / Fleischer, § 76 Rn. 27. 193  MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 46; MünchHdbAG / Wiesner, § 19 Rn. 20; auch GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 31. 194  BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 11. 195  BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 11; vgl. BGHZ 135, 244, 253 = NJW 1997, S. 1926, 1928 – ARAG / Garmenbeck. 189  Vgl. 190  Vgl.



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Vorstand Entscheidungen mit Risiken trifft, deren Verwirklichung zur Existenzgefährdung des Unternehmens führen können. Mit der h. M. ist das zu bejahen.196 Teilweise wird eine Ausnahme für den Fall anerkannt, in dem „das bestandsgefährdende Risiko eine Chance bietet, am Markt zu verbleiben, statt über absehbar aufgeben zu müssen“.197 Eine im Vordringen befindliche Ansicht lehnt es hingegen ab, das existenzgefährdende Risiko ohne weiteres als unvertretbar anzusehen, und befürwortet eine Vertretbarkeitsprüfung im Einzelfall unter Berücksichtigung der Risikoeintrittswahrscheinlichkeit und der zur Absicherung ergriffenen Maßnahmen.198 Denn zum einen seien die in der Krise der Gesellschaft in Betracht kommenden Maßnahmen regelmäßig mit gravierenden und existenzgefährdenden Risiken behaftet.199 Zum anderen könne die Eingehung von derartigen Risiken im Einzelfall im Interesse der Gesellschaft geboten sein, etwa wenn deren Zukunftsfähigkeit nur durch Investition in neue zukunftsträchtige Technologie sichern könne, die im Falle eines Fehlschlags existentielle Risiken mit sich bringe.200 Es ist zuzugeben, dass die Gegenansicht insoweit überzeugend ist, als die Eingehung existenzgefährdender Risiken unter besonderen Umständen dem Unternehmensinteresse dienen kann. Denn der dadurch ermöglichte Fortbestand der Gesellschaft liegt sowohl im Interesse der Aktionäre als auch der Gläubiger sowie der Arbeitnehmer. Allerdings wird dieser Interessengleich196  Vgl. KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 25; Lutter, in: FS Canaris (2007), Bd. II, S. 245, 246; ders., ZIP 2007, S. 841, 844; MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 25; MünchHdbAG / Wiesner, § 25 Rn. 8; Bosch / Lange, JZ 2009, S. 225, 331; im Ausgangspunkt zustimmend GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 82; Semler, in: FS Ulmer (2003), S. 627, 635; OLG Jena NZG 2001, S. 86, 87 (zur Haftung eines GmbH-Geschäftsführers beim riskanten Exportgeschäft ohne übliche Sicherheit); OLG Düsseldorf AG 2010, S. 126, 128 f. (zur Zulässigkeit einer Sonderprüfung und zum Verdacht der Unredlichkeit und grober Pflichtverletzungen) im Anschluss an Lutter, ZIP 2009, S. 197, 199: „kein Vorstand handelt sorgfältig, wenn er Risiken für sein Unternehmen eingeht, die, wenn sie sich verwirklichen, zum Untergang dieses Unternehmens führen“. 197  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 82; auch Semler, in: FS Ulmer (2003), S. 627, 635 (für „start-up“-Unternehmen). 198  Vgl. GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 36; Balthasar / Hamelmann, WM 2010, S. 589, 590; K. Schmidt / Lutter / Krieger / Sailer-Coceani, § 93 Rn. 13; zustimmend Hüffer, § 93 Rn. 4g; jüngst auch Baums, ZGR 2011, S. 218, 238 f.; unter diesem Gesichtspunkt das Urteil des OLG Düsseldorf kritisierend Fleischer, NJW 2010, S. 1504, 1056; Spindler, NZG 2010, S. 281, 284. 199  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 36; kritisch MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 50. 200  K.  Schmidt / Lutte / Krieger / Sailer-Coceani, § 93 Rn. 13 („Technologiewechsel“); Balthasar / Hamelmann, WM 2010, S. 589, 590 mit Bezugnahme auf BGH NJW 2008, S. 1583, 1584 – UMTS. 

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lauf gestört, wenn die Gesellschaft in die Nähe der Insolvenz rutscht, weil in diesem Fall Geschäftsleiter und Aktionäre starke Anreize zu übermäßig risikofreudigem Verhalten haben, das mit dem Gläubigerschutz unvereinbar sein kann.“201 Ein generelles Verbot ist notwendigerweise mit Ausnahmen zu versehen, was im Ergebnis dazu führt, dass die Unzulässigkeit der existenzgefährdenden Risiken auch gesellschafts- und einzelfallbezogen zu entscheiden ist. Es ist jedoch nicht zu verkennen, dass das Verbot von existenzgefährdenden oder übergroßen Risiken im Wesentlichen nichts anderes ist als eine Umschreibung der allgemeinen Schranke der Ermessens­ ausübung durch den Vorstand; nach allgemeiner Ansicht hat er bei der Interessenabwägung auf Bestand und dauerhafte Rentabilität des Unternehmens auszurichten.202 Ein derartiges Verbot enthält eher Leitlinien als konkrete Handlungsvorgaben, weil sowohl die Existenzgefährdung als auch die übergroßen oder unvertretbaren Risiken an sich keine trennscharfen Begriffe und nicht subsumtionsfähig sind.203 Als Orientierung kann man aus Sicht des deutschen Rechts – jedenfalls für eine Gesellschaft im normalen Zustand – davon ausgehen, dass die Eingehung existenzgefährdender Risiken im Regelfall zur Überschreitung des unternehmerischen Ermessens führt. (2) Konkretisierungen bei der Fallgruppe Kreditvergabe Dadurch wird jedoch noch nicht viel über die genaue Grenze des unternehmerischen Ermessens gesagt. Diese lässt sich anhand von Beispielen der Kreditvergabe verdeutlichen. Im deutschen Recht stellt die Vergabe von (ungesicherten) Krediten eine Fallgruppe dar, die innerhalb des „insgesamt eher spärlichen Fundus gerichtlicher Organhaftungsentscheidungen vergleichsweise häufig anzutreffen“ ist.204 In mehreren Entscheidungen haben das RG und der BGH die Sorgfalt des Vorstands einer Genossenschaftsbank bei der Kreditvergabe konkretisiert.205 Diese Rechtsprechung wird auf den Vorstand einer AG übertragen,206 da aus funktionaler Sicht zwischen Lei201  MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 50; eingehend Davies, 1 EBOR (2006), S. 301, 306. 202  Vgl. Hüffer, § 93 Rn. 4g. 203  Vgl. die Kritik zu der von Redeke, ZIP 2010, S. 159 ff. vorgeschlagenen Differenzierung zwischen konkreter und abstrakten Bestandsgefährdung bei Florstedt, AG 2010, S. 315, 319. 204  Schlimm, Das Geschäftsleiterermessen, S. 329. 205  RGZ 13, 43, 46 ff.; BGH WM 1975, S. 467, 468; BGH NZG 2002, S. 195, 196; NZG 2005, S. 562, 563; ausführlich zu Entscheidungen des RG bei Abeltshauser, Leitungshaftung, S. 163 ff. 206  Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 84; MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 57.



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tungsentscheidungen genossenschaftlicher Unternehmen und der AGs keine inhaltlichen Unterschiede bestehen.207 Der BGH hat in einem Urteil von 2001 die Sorgfaltsanforderungen an der Kreditvergabe zusammengefasst. Danach ist der weite Handlungsspielraum eines Geschäftsleiters überschritten, wenn „aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einer Genossenschaftsbank das hohe Risiko eines Schadens unabweisbar ist und keine vernünftigen geschäftlichen Gründe dafür sprechen, es dennoch einzugehen.“ Das Gebot, Risiken nur in sinnvoller kaufmännischer Interessenabwägung einzugehen, bedeutet für Vorstandsmitglieder einer Genossenschaftsbank, dass „sie Kredite grundsätzlich nicht ohne übliche Sicherheiten gewähren dürfen und zudem für die ordnungsgemäße Bewertung der Sicherheiten sowie die Beachtung der Richtlinien über Beleihungsobergrenzen Sorge zu tragen haben“.208 Mit dem BGH darf man davon ausgehen, dass die Kreditvergabe ohne übliche Sicherheiten mit unabweisbaren hohen Risiken verbunden und folglich zu unterlassen ist, wenn keine besonderen Gründe vorliegen.209 Eine Kreditentscheidung ist jedenfalls unvertretbar, wenn zuvor eine Bonitäts- und Sicherheitsprüfung gar nicht stattgefunden hat oder unzureichend war.210 In einer späteren Entscheidung von 2005 betonte der BGH, dass die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse der kreditgebenden Bank auf keinen Fall ein vernünftiger Grund für die lockere Kreditpolitik seien; einen solchen Grund könne man in der hinreichenden Bonität des Darlehensnehmers zum Zeitpunkt der Kreditvergabe sehen.211 In einem Urteil von 2008 sieht das OLG Celle in einer ungesicherten Kreditvergabe von über 15 Mio. DM an ein finanzschwaches Startup-Unternehmen zur Durchführung eines Kooperationsvertrags kein unvertretbares Risiko. Zur Begründung beruft sich das Gericht auf die unternehmensnahe Eigenbeurteilung der Aufsichtsratsmitglieder der Konzernmutter, die die Bonität des Kreditnehmers bejahten und zusätzliche Besicherung für unnötig hielten.212 Insofern kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass eine Entscheidung zur Kreditvergabe grundsätzlich nur dann vertretbar ist, wenn der Kredit in einer üblichen Art und Weise besichert wird, und das Absehen von üblichen Sicherheiten nur dann vertretbar ist, wenn der Kreditgeber sich von der 207  Abeltshauser,

Leitungshaftung, S. 163. NZG 2002, S. 195, 196; NZG 2005, S. 562, 563. 209  Vgl. die Schlussfolgerung aus den oben genannten zwei BGH-Entscheidungen bei Baums, ZGR 2011, S. 218, 234: Ein Probjekt, das bei der notwendigen Betrachtung ex ante evident einen negativen Nettobarwert aufweise, habe zu unterbleiben, wenn keine besonderen Gründe vorlägen. 210  BGH NZG 2002, S. 195, 197. 211  BGH NZG 2005, S. 562, 563. 212  OLG Celle AG 2008, S. 711, 713. 208  BGH

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Bonität des Kreditnehmers zum Zeitpunkt der Kreditvergabe überzeugt. Die gerichtliche Überprüfung der Kreditvergabe auf die Einhaltung des unternehmerischen Ermessens hin wird sich folglich auf die Sicherheits- bzw. Bonitätsprüfung durch die Vorstandsmitglieder, also auf deren Entscheidungsvorbereitung, fokussieren. Damit wird auch das letzte Tatbestandsmerkmal der BJR angesprochen. dd) Handeln auf der Grundlage angemessener Information Mit diesem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal ist die Informationspflicht der Vorstandsmitglieder nunmehr gesetzlich verankert. Die Angemessenheit der Information fordert nach einhelliger Ansicht eine sorgfältige Ermittlung der Entscheidungsgrundlage.213 Dies ist in der jüngsten Zeit auch von dem BGH in einem zum GmbH-Geschäftsführer gefallenen Urteil bestätigt.214 Im Leitsatz verlangte der BGH, dass ein Geschäftsleiter in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art auszuschöpfen habe.215 Dagegen wird eingewandt, dass das Gesetz nur angemessene, nicht aber alle nur denkbaren Informationen erfordere und das Ausmaß der gebotenen Information von einer Reihe von Umständen abhänge.216 Diesem wird wiederum entgegengehalten, dass es nach dem BGH gerade auf die konkrete Entscheidungssituation ankomme.217 Über die Situationsgebundenheit der informationellen Entscheidung besteht im Schrifttum weitgehende Einigkeit; die relevanten Faktoren sind insbesondere die verfügbare Zeit, die Bedeutung und Risikoträchtigkeit der zu treffenden Entscheidung, Möglichkeiten des Informationszugangs und das Verhältnis von Kosten und Nutzen der Informationsbeschaffung.218 Gute Gründe sprechen dafür, die BGH-Rechtsprechung dahingehend zu interpretieren, dass der Entscheidungsträger verpflichtet ist, alle verfügbaren Informationsquellen auszuschöpfen, wobei das Ausmaß der erforderlichen 213  BGHZ 135, 244, 253 = NJW 1997, S. 1926, 1928 – ARAG / Garmenbeck; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 45; KK-AktG / Mertens /  Cahn, § 93 Rn. 33; Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 73. 214  BGH NJW 2008, S. 3361, 3362 Rn. 11. 215  BGH NJW 2008, S. 3361, 3362 Rn. 11 mit Bezugnahme auf Goette, in: FS 50 Jahre BGH (2000), S. 123, 140 f. 216  Fleischer, NJW 2009, S. 2337, 2339; Redeke, ZIP 2011, S. 159, 160; wohl auch Kocher, CCZ 2009, S. 215, 211. 217  Hüffer, § 93 Rn. 4g. 218  Vgl. KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 34; Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 73; MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 47; Redeke, ZIP 2011, S. 159, 160; Koch, ZGR 2006, S. 769, 789; bereits zum UMAG-Entwurf Ulmer, DB 2004, S. 859, 860.



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Informationen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände der einzelnen Entscheidungssituation zu bestimmen ist. Nach diesem Verständnis ist die Informationspflicht eher ein „flexibler Pflichtenkanon“219 oder eine Rechtspflicht mit Ermessenspielraum hinsichtlich deren Erfüllung. Der BGH hat in zwei jüngeren Entscheidungen die Anforderungen an die Informationsbeschaffungspflicht des Geschäftsleiter im Zusammenhang mit der Prüfung einer Rechtslage konkretisiert: Demnach muss sich der Geschäftsleiter, der nicht über die erforderliche Sachkunde verfügt, unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärenden Fragestellungen fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lassen und die erteilte Rechtsauskunft einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterziehen.220 Daraus lässt sich folgern, dass sich ein Geschäftsleiter bei der Entscheidungsvorbereitung nicht ohne weiteres auf Informationen Dritter, auch wenn sie sachkundig sind, verlassen darf und eine eigene Plausibilitätskontrolle stets erforderlich ist.221 Die Entscheidung des Vorstands über die Angemessenheit seiner Informationsgrundlage ist gerichtlich überprüfbar. Nach dem Gesetzeswortlaut ist die Angemessenheit aus Sicht des Entscheidungsträgers ex ante zu beurteilen. Dieses Auslegungsergebnis wird durch die oben genannte BGH-Entscheidung zum GmbH-Geschäftsführer jedoch in Zweifel gezogen, die den Eindruck erweckt, dass der BGH eine objektive Sichtweise zugrunde gelegt hat.222 Bereits während der Gesetzgebung wurde darüber gestritten, ob das Merkmal „vernünftigerweise annehmen durfte“ nicht das Informationserfordernis erfassen sollte. Nach der Gegenansicht könne das Abstellen auf die Angemessenheit als objektiv definiertes Kriterium der Situationsgebundenheit der informationellen Entscheidung schon Rechnung tragen und die gewünschte Flexibilität sicherstellen.223 Die das Gesetz tragende Einsicht wollte jedoch durch die Subjektivierung dieser Voraussetzung den ErmesRedeke, ZIP 2011, S. 159, 160. NJW 2007, S. 2118, 2120 Rn. 16 und 18 (zur Frage der Insolvenzreife); BGH NJW-RR 2011, S. 1670, 1672 Rn. 18 – Ision (zur Frage der Zulässigkeit eigener Aktien als Sacheinlage). 221  Eingehend zur Umgehung mit Informationen Dritter Fleischer, ZIP 2009, S. 1397 ff. 222  Vgl. BGH NJW 2008, S. 3361, 3362 Rn. 11; noch deutlicher bei Goette, ZGR 2008, S. 346, 448 Fn. 46, der den Gesetzeswortlaut als „unglückliches ‚wording‘ “ bezeichnet und eine objektive Leserart befürwortet; kritisch dagegen Fleischer, NJW 2009, S. 2337, 2339. 223  Ulmer, DB 2004, S. 859, 860 f.; Ihrig, WM 2004, S. 2098, 2106; im Ergebnis auch Semler, AG 2005, S. 321, 325 mit weitgehenden Literaturhinweisen zu verschiedenen Ansichten. 219  So

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sensspielraum gegen „leichte“ Annahme von Ermessensreduzierung durch die Gerichte absichern.224 Der klare Gesetzeswortlaut und die Entstehungsgeschichte sprechen also gegen einen objektiven Maßstab. Ein weiterer Streitpunkt betrifft die Reichweite der gerichtlichen Kontrolle, nämlich die Frage, ob dem Geschäftsleiter bei der Auswahl und Gewichtung der Informationen das Privileg der BJR zugute kommt. Der BGH betonte in der ARAG / Garmenbeck-Entscheidung eine grundsätzlich unbeschränkte Überprüfbarkeit im Erkenntnisbereich und hält allenfalls die Zubilligung eines begrenzten Beurteilungsspielraums für möglich.225 Unter Berufung auf die Gesetzesbegründung, wonach die Kodifizierung der BJR nur eine Klarstellung, aber keine grundlegende Änderung dieser Entscheidung sei,226 befürwortet eine Literaturmeinung eine gerichtliche Plausibilitätskontrolle und lehnt die Anwendung der BJR auf die informationelle Entscheidung ab.227 Demgegenüber will die Gegenansicht durch die Anwendung der BJR die gerichtliche Kontrolle des Entscheidungsverfahrens auf eine Minimalkontrolle bzw. Unverantwortlichkeitskontrolle beschränken.228 Sie stützt sich entweder auf die Gesetzesbegründung und betont den vom Gesetzgeber erwünschten „erheblichen Spielraum“ des Vorstands bei der Abwägung des Informationsbedarfs,229 oder auf rechtsvergleichende Überlegungen, insbesondere die Rechtslage in den USA.230 Dem letzteren Begründungsmuster wird wiederum entgegengehalten, bei der Auslegung rezipierten Rechts sei der objektivierte Wille des Rezipienten in erster Linie maßgeblich und bewusst geschaffene Divergenzen gegenüber dem US-amerikanischen Regelungsvorbild dürften nicht durch eine rechtsvergleichende Auslegung nachträglich nivelliert werden.231 Der Streit um die gerichtliche Kontrolldichte des Entscheidungsverfahrens verdeutlicht die Schwierigkeiten mit der Auslegung des letzten Tatbestandsmerkmals der BJR. Hier liegt ein Hauptstreitpunkt für die praktische 224  Seibert / Schütz, ZIP 2004, S. 252, 254; für die Regelung im Regierungsentwurf Fleischer, ZIP 2004, S. 685, 691. 225  BGHZ 135, 244, 253 = NJW 1997, S. 1926, 1928 – ARAG / Garmenbeck. 226  BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 11. 227  Redeke, ZIP 2011, S. 159, 160 ff.; zustimmend Hüffer, § 93 Rn. 4g; im Ergebnis auch KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 34 (Vertretbarkeitskontrolle trotz des Ermessensspielraums). 228  Lutter, ZIP 2007, S. 841, 844 f.; Kocher, CCZ 2009, S. 215, 220; GroßKomm­ AktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 45; wohl auch Koch, ZGR 2006, S. 769, 789. 229  Vgl. z. B. Lutter, ZIP 2007, S. 841, 844 f.; auch Kocher, CCZ 2009, S. 215, 220. 230  Vgl. z. B. GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 45. 231  Redeke, ZIP 2011, S. 159, 161 mit Bezugnahme auf v. Hein, Rezeption, S. 965.



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Anwendung der BJR.232 Geht man von einem „klaren Willen des Gesetz­ gebers zur Kontinuitätswahrung“233 aus, dann stößt man darauf, dass gerade in Bezug auf die Kontrolldichte der Informationsanforderungen die ARAG / Garmenbeck-Grundsätze im Schrifttum unterschiedlich interpretiert sind: Während Hopt / Roth die eingeschränkte richterliche Kontrolle des Entscheidungsverfahrens mit dem Kriterium „deutliches Überschreiten“ der ARAG / Garmenbeck-Entscheidung zu begründen versuchen,234 soll dieser Maßstab sich nach Ulmer nicht auf die Informationsanforderungen, sondern nur auf den Spielraum unternehmerischen Entscheidens beziehen.235 Eine Berufung auf die rechtsvergleichenden Kenntnisse über die US-amerikanische BJR hilft nicht weiter, bevor abschließend geklärt wird, ob der Gesetzgeber des UMAG gerade in Bezug auf diese Frage sich an das US-amerikanische Vorbild anschließen oder zumindest davon nicht abweichen wollte. Aus Sicht des deutschen Rechts soll letztendlich die teleologische Auslegung ausschlaggebend sein. In der gesetzlich verankerten Informationspflicht verbirgt sich die Gefahr einer Formalisierung des Informationsprozesses, die zu Verzögerungen und anderen Unzuträglichkeiten im Entscheidungsprozess führen wird.236 Nimmt man das Anliegen des Gesetzgebers ernst, einer Verrechtlichung der Informationsgewinnung, die zu einer Formalisierung des Entscheidungsprozesses durch die routinemäßige Einhaltung bestimmter Informationsstandards verleiten wird, entgegenzuwirken,237 ist es nicht nur erforderlich, möglichst wenig formale Vorgaben für die Informationsbeschaffung und -bewertung aufzustellen, sondern auch geboten, eine Formalisierung der gerichtlichen Kontrolle diesbezüglich zu vermeiden, weil ansonsten falsche Anreize geschaffen würden. b) Entsprechende Anwendung der BJR auf Aufsichtsratsmitglieder Über der Verweisung von § 116 Satz 1 AktG findet die BJR des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG die entsprechende Anwendung auf die Aufsichtsratsmitglieder. Ob sie tatsächlich zur Anwendung kommt, hängt entscheidend da232  So prophezeiend Lutter, ZIP 2007, S. 841, 844; auch Ulmer, DB 2004, S. 859, 861, der mit Hinweis auf Smith v. van Gorkom die zentrale Bedeutung der Information für die Organhaftung betont. 233  Koch, ZGR 2006, S. 769, 783 mit dort herausgearbeiteten Grundsätzen zur Auslegung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. 234  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n. F. Rn. 45. 235  Ulmer, DB 2004, S. 859, 861. 236  Windbichler, in: Immenga / Schwintowski / Kollmorgen, Wirtschaftliches Risiko, S. 42, 51. 237  Koch, ZGR 2006, S. 769, 789 insbesondere mit Verweis auf die von § 91 Abs. 2 AktG verursachten „betriebswirtschaftlichen Auswüchse“.

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von ab, ob der Aufsichtsrat in der konkreten Entscheidungssituation eine unternehmerische Entscheidung trifft. Das ist unproblematisch der Fall, wenn er seine unternehmerischen Aufgaben wahrnimmt, wie z. B. die Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern, oder an der Unternehmensleitung beteiligt ist, etwa bei der Entscheidung über die Zustimmungserteilung bei zustimmungsbedürftigen Geschäften und Mitwirkung bei der Feststellung des Jahresabschlusses und ggf. des Konzernabschlusses.238 Auch die Festsetzung der Vorstandsvergütung unter der Beachtung des Angemessenheitsgebots des § 87 AktG ist nach h. M. eine unternehmerische Entscheidung.239 Die Gegenansicht verneint zwar die Anwendbarkeit der BJR wegen der (angenommenen) Einschränkung des unternehmerischen Ermessens durch § 87 AktG, aber erkennt dem Aufsichtsrat einen Beurteilungsspielraum wegen der Unbestimmtheit des Rechtsbegriffs Angemessenheit zu.240 Bei nachträglicher Überwachung gibt es hingegen regelmäßig keinen Raum für unternehmerische Entscheidungen, da es sich dabei typischerweise um Entscheidungen handelt, die der Aufsichtsrat aufgrund abgeschlossener Sachverhalte meistens ohne übermäßigen Zeitdruck und ggf. mit der Möglichkeit sachverständiger Unterstützung trifft.241 Problematisch ist jedoch die Bewertung der Entscheidung über die Anspruchsverfolgung gegen pflichtverletzende Vorstandsmitglieder. Gegen deren unternehmerischen Charakter spricht es, dass es sich dabei um eine rechtliche Bewertung abgeschlossener Sachverhalte handelt, die mit relativ großer Zuverlässigkeit möglich ist als die Prognose zu künftigen wirtschaftlichen Entwicklungen.242 Vergleichbare Unsicherheiten können jedoch bei der Beurteilung des Ausgangs eines Rechtsstreits bestehen, insbesondere wenn es um komplexe Sachverhalte geht.243 Nach der Rechtsprechung und h. L. steht dem Aufsichtsrat grundsätzlich kein unternehmerischer Ermessensspielraum im Hinblick auf die Anspruchsverfolgung zu.244 Er hat das Bestehen von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Vorstandsmitglieder zu prüfen 238  Vgl. KK-AktG / Mertens / Cahn, § 116 Rn. 68; MünchKommAktG / Habersack, § 116 Rn. 41; ArbHdbAR / Doralt / Doralt, § 13 Rn. 47 ff. 239  Vgl. BGH NJW 2006, S. 522, 523 Rn. 15 – Mannesmann / Vodafone; Spindler / Stilz / Fleischer, § 87 Rn. 39; MünchKommAktG / Spindler, § 87 Rn. 20; KKAktG / Mertens / Cahn, § 87 Rn. 4; Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), S. 155, 157. 240  Vgl. MünchKommAktG / Habersack, § 116 Rn. 41; Kort, DStR 2007, S. 1127, 1132; Schäfer, ZIP 2005, S. 1253, 1258. 241  Kropff, in: FS Raiser (2005), S. 225, 229. 242  So z. B. Schneider, DB 2005, S. 707, 711. 243  Vgl. KK-AktG / Mertens / Cahn, § 111 Rn. 46. 244  BGHZ 135, 244, 254 = NJW 1997, S. 1926, 1928 – ARAG / Garmenbeck; BGH AG 2009, S. 404. 406; MünchKommAktG / Habersack, § 116 Rn. 42, § 111 Rn. 35 ff.; Spindler / Stilz / Spindler, § 116 Rn. 47 f.; K. Schmidt / Lutter / Drygala, § 116 Rn. 10; grundsätzlich zustimmend auch KK-AktG / Mertens / Cahn, § 111 Rn. 44; a. A.



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und eine Analyse des Prozessrisikos und der Betreibbarkeit der Forderung vorzunehmen und die Haltbarkeit und Richtigkeit seiner Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Anspruchsverfolgung ist als Frage im Erkenntnisbereich im Gegensatz zum Handlungsbereich gerichtlich voll nachprüfbar und allenfalls kommt ein begrenzter Beurteilungsspielraum in Betracht.245 Die voraussichtlich durchsetzbaren Schadensersatzansprüche hat der Aufsichtsrat grundsätzlich geltend zu machen und ihm steht kein unternehmerischer Handlungsspielraum zu.246 Nur ausnahmsweise wird ihm ein Entscheidungsermessen zuerkannt, als er zu prüfen hat, ob die Interessen der Gesellschaft, die gegen eine Anspruchsverfolgung sprechen, ihr Interesse an einer Ersatzleistung überwiegen.247 Als abwägungsfähige Gesichtspunkte kommen negative Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit und das Ansehen der Gesellschaft in der Öffentlichkeit, die Behinderung der Vorstandsarbeit und Beeinträchtigung des Betriebsklimas in Betracht, nicht hingegen die Verdienste des betreffenden Vorstandsmitglieds in der Vergangenheit oder das Ausmaß der mit der Anspruchsverfolgung für dessen Personen verbundenen sozialen Konsequenzen.248 Die vom Aufsichtsrat getroffene Abwägung ist zwar einer gerichtlichen Überprüfung nicht völlig entzogen, wohl aber nur in eingeschränktem Maße möglich, weil etwa das Interesse der Gesellschaft am Verbleib des betreffenden Vorstandsmitglieds vom Aufsichtsrat im Rahmen seiner Personalkompetenz zu bestimmen und einer gerichtlichen Wertung nicht zugänglich sei.249 Bei der Anspruchsverfolgung gegen pflichtwidrig handelnde Vorstandsmitglieder steht dem Aufsichtsrat also kein unternehmerisches Ermessen zu. Hier liegt ein Unterschied zur US-amerikanischen BJR. Nach dem Richterrecht von Delaware können sich die unabhängigen Directors die BJR in Anspruch nehmen, wenn sie über die Geltendmachung von Schadensersatzforderungen gegen andere Directors beraten.250 Das insoweit strengere deutsche Recht ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die aktienrechtliche Zuständigkeitsordnung im Hinblick auf die Haftungsverfolgung gegen amtierende Vorstandsmitglieder strukturelle Schwächen hat, weil das pflichtwidrige Verhalten des Vorstands seine Entsprechung in einem ÜberwaGroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 112; Paefgen, AG 2008, S. 761, 762 ff.; ­ ocher, CCZ 2009, S. 215, 219. K 245  BGHZ 135, 244, 254 = NJW 1997, S. 1926, 1928 – ARAG / Garmenbeck; kritisch dazu KK-AktG / Mertens / Cahn, § 111 Rn. 46. 246  BGHZ 135, 244, 255 = NJW 1997, S. 1926, 1928 – ARAG / Garmenbeck. 247  BGHZ 135, 244, 255 = NJW 1997, S. 1926, 1928 – ARAG / Garmenbeck. Zu Einzelheiten der Abwägung MünchKommAktG / Habersack, § 111 Rn. 37 ff. 248  BGHZ 135, 244, 255 f. = NJW 1997, S. 1926, 1928 – ARAG / Garmenbeck. 249  Vgl. MünchKommAktG / Habersack, § 111 Rn. 38; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 111 Rn. 145. 250  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 111.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

chungsverschulden des Aufsichtsrats finden kann und daher eine Anspruchsverfolgung für den Aufsichtsrat die Gefahr birgt, durch die gerichtliche Inanspruchnahme des Vorstands gegebenenfalls seiner eigenen Inanspruch­nahme den Boden zu bereiten.251 Das deutsche Recht hält trotzdem an der vorrangigen Anspruchsverfolgung durch den Aufsichtsrat fest, wie die Regelungsgeschichte der abgeleiteten Aktionärsklage zeigt,252 und schafft durch die Verschärfung der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für die Anspruchsdurchsetzung und damit deren Pflichtbewusstseins Abhilfe. Für die Anwendung der BJR auf Aufsichtsratsmitglieder ist ferner das Tatbestandsmerkmal der Freiheit von Interessenkonflikten von besonderer praktischer Bedeutung, nicht zuletzt weil die Möglichkeiten von Interessenkolli­ sionen aufgrund des nebenamtlichen Charakters des Aufsichtsratsamts besonders groß sind.253 Eine Ansicht tendiert dazu, das Haftungsprivileg der BJR bereits bei potentiell häufigen Interessenkonflikten, sei es in der Person der Arbeitnehmer-Vertreter und der Vertreter eines Konkurrenzunternehmens, scheitern zu lassen.254 Eine andere Ansicht betont hingegen die Erforderlichkeit eines konkreten Interessenkonflikts und hält die in der Person von Arbeitnehmervertretern und Repräsentanten von Großaktionären anzutreffenden Zielkonflikte aufgrund der Konzeption des Mitbestimmungs- und Aktienkonzernrechts für unschädlich.255 Schließlich soll das Erfordernis des Handelns auf Grundlage angemessener Informationen an die Informationslage des Aufsichtsrats angepasst werden. Denn der nebenamtliche Charakter der Aufsichtsratstätigkeit schließt es aus, von dem Aufsichtsrat das gleiche Informationsniveau wie dem Vorstand zu verlangen.256 Der Aufsichtsrat darf sich grundsätzlich auf die vom Vorstand überlassenen Informationen verlassen und auf deren Grundlage sein eigenes Urteil über die Vertretbarkeit und Plausibilität der betreffenden Maßnahme bilden; eine zusätzliche Informationsbeschaffung ist nur bei der nach einer sorgfältigen Prüfung erkennbaren Lückenhaftigkeit oder Widersprüchlichkeit der Vorstandsinformationen erforderlich.257 251  MünchKommAktG / Habersack,

§ 111 Rn. 34. dazu unten § 6 I. 2. 253  Vgl. Lutter, in: FS Canaris (2007), Bd II, S. 245, 252; MünchKommAktG / Habersack, § 116 Rn. 40. 254  Lutter, in: FS Canaris (2007), Bd II, S. 245, 253 ff., der die Anwendbarkeit der BJR generell bei Entscheidungen, die mit Arbeit und Arbeitsplätzen zu tun haben, verneint, und zwar aufgrund der Befangenheit der Arbeitnehmer-Vertreter und der rechtlichen Unmöglichkeit, diese von der Beratung und Abstimmung auszuschließen. 255  MünchKommAktG / Habersack, § 116 Rn. 40. 256  MünchKommAktG / Habersack, § 111 Rn. 127; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 111 Rn. 111; auch Winter, in: FS Hüffer (2010), S. 1103, 1123. 257  MünchKommAktG / Habersack, § 111 Rn. 127; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 111 Rn. 111; Fonk, ZGR 2006, S. 841, 861 ff. (zu zustimmungspflichten Geschäften); Winter, in: FS Hüffer (2010), S. 1103, 1121 f. (zur Compliance); J. Hüffer, in: 252  Näher



I. Sorgfaltspflichten und Geschäftsleiterermessen im deutschen Recht 105

c) Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Rahmen der BJR § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG erlegt dem Vorstandsmitglied die Darlegungsund Beweislast bei Streit über die Einhaltung der Sorgfalt eines ordentliches und gewissenhaften Geschäftsleiters auf. Darin liegt eine Abweichung von allgemeinen Grundsätzen der sog. Normentheorie, nach der jede Partei die Voraussetzungen der für sie günstigen Norm zu beweisen hat.258 Die Vorschrift erklärt sich vor allem aus der Beweisnähe der Verwaltungsmitglieder gegenüber der typischen Beweisnot der Gesellschaft und der Gläubiger.259 Das RG suchte schon dem Beweisnotstand der Gesellschaft durch entsprechende Beweislaständerungen abzuhelfen.260 In Anlehnung daran wurde eine gesetzliche Beweislastumkehr in § 84 Abs. 2 Satz 2 AktG 1937 aufgenommen, um unter Beibehaltung des bisherigen verschuldensabhängigen Haftungsmodells die Organhaftung zu verschärfen.261 Es beseht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Bedürfnis der Gesellschaft nach einer realistischen Möglichkeit der Haftungsverfolgung und dem allgemeinen Interesse daran, dass die Leitungsorgane verantwortungsfreudig handeln und nicht von der Übernahme ihrer Aufgabe abgeschreckt werden, was sich bereits in der Gesetzgebungsgeschichte des § 84 Abs. 2 Satz 2 AktG 1937 aufzeigte.262 Um es aufzulösen wurde vereinzelt eine Beschränkung der Beweislast­ umkehr auf die subjektive Vorwerfbarkeit (Verschulden) befürwortet.263 Dem wird entgegengehalten, dass eine derartige Verengung der Beweislast­ umkehr zu ihrer praktischen Bedeutungslosigkeit führen würde und dem Normzweck widerspräche.264 Zum einen läge die Schwierigkeit der Beweisführung für Aktionäre und Gläubiger gerade in dem Fehlen der für die Beurteilung der Pflichtwidrigkeit erforderlichen Nähe zur Unternehmensführung. Zum anderen ließe sich eine Trennlinie zwischen der objektiven und subjektiven Pflichtwidrigkeit angesichts des typisierten Fahrlässigkeitsmaßstabs in der Praxis nur schwer ziehen.265 Folglich bezieht sich die BeFS Hüffer (2010), S. 365, 372 f. (zum Zustimmungsvorbehalt für M&A-Transaktionen); eingehend zur Informationsbeschaffungspflicht des Aufsichtsrats Kropff, in: FS Raiser (2005), S. 225, 231 ff. 258  Hüffer, § 93 Rn. 16 mit Bezugnahme auf Rosenberg, Die Beweislast, S. 98 f. 259  Vgl. BGH NJW 2003, S. 358 zur GmbH; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 138. 260  MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 162; eine ausführliche Rechtsprechungsanalyse bei Goette, ZGR 1995, S. 648, 650 ff. 261  Zur Regelungsgeschichte Goette, ZGR 1995, S. 648, 668 ff. 262  Vgl. Goette, ZGR 1995, S. 648, 669. 263  dazu Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 222 m. w. N. 264  Goette, ZGR 1995, S. 648, 672; GroßkommAktG / Hopt, § 93 Rn. 286; Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 222. 265  MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 163.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

weislastumkehr nach der ganz h. M. sowohl auf das Verschulden als auch auf die objektive Pflichtwidrigkeit einer Handlung.266 Hinsichtlich des oben genannten Spannungsverhältnisses fasste Goette aus den für eine Beweislastumkehr eintretenden Judikaten den Grundsatz zusammen, dass die in § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG angeordnete Beweislastumkehr im Haftungsprozess die Klägerseite nicht davon befreit, den Eintritt eines Schadens und dessen Verursachung durch ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Organmitglieds nachzuweisen.267 Diese Auffassung hat der BGH in einem Grundsatzurteil vom 04.11.2002 bestätigt;268 dem ist auch die ganz h. L. gefolgt.269 Dementsprechend kann man die Verteilung der Darlegungsund Beweislast in einem Organhaftungsprozess wie folgend beschreiben: In einem ersten Schritt braucht die Gesellschaft lediglich den Eintritt und die Höhe des Schadens (i. V. m. der Beweiserleichterung des § 287 ZPO) und dessen Verursachung durch ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des beklagten Organmitglieds in dessen Pflichtenkreis darzulegen und zu beweisen.270 Diesem obliegt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sein Verhalten die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters erfüllt hat oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre oder dass ihm die Einhaltung des Sorgfaltsgebots schuldlos unmöglich war. Diese Grundsätze gelten nach ganz h. M. auch im Rahmen der BJR, da der Gesetzgeber des UMAG mit § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gerade keine Vermutung hinsichtlich der Erfüllung der Voraussetzungen der BJR durch das betroffene Organmitglied begründen wollte.271 Um sich zu entlasten, hat das beklagte Vorstandsmitglied darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass es vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Manche Autoren befürworten eine Pflicht der nicht beweisbelasteten Gesellschaft, zunächst konkrete Anhaltspunkte vorzutragen, dass das in Anspruch genommene Organmitglied möglicherweise seine Pflicht zu angemessener Information und Entscheidungsvorbereitung verletzt habe.272 Dies würde auf eine Annäherung an vieler Hüffer, § 93 Rn. 16 m. w. N. ZGR 1995, S. 648, 671 ff. 268  BGH NJW 2003, S. 358; bestätigend BGH NZG 2011, S. 549, 550 Rn. 17; auch BGH NJW 2009, S. 2454, 2457 Rn. 42. 269  Hüffer, § 93 Rn. 16; MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 167; KKAktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 140; Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 221; MünchHdbAG / Wiesner, § 26 Rn. 11. 270  Zu Einzelheiten Hüffer, § 93 Rn. 17 ff.; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 142 ff. 271  Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5092, S. 12; Seibert / Schütz, ZIP 2004, S. 252, 254; Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 222. 272  Paefgen, NZG 2009, S. 891, 894. 266  Statt

267  Goette,



I. Sorgfaltspflichten und Geschäftsleiterermessen im deutschen Recht 107

das US-amerikanische Modell der Vermutung von pflichtmäßigem Organhandeln hinauslaufen.273 Ob diese Ansicht mit dem gesetzgeberischen Willen vereinbar ist, ist jedoch zweifelhaft. Der BGH hat sich in einer jungen Entscheidung mit der Darlegungs- und Beweislast bei Prognoseentscheidungen beschäftigt. In diesem Fall hat das Berufungsgericht den Gegenvortrag des Beklagten dazu, welche Zahlen er seiner Umsatzprognose zu Grunde gelegt hat, für nicht substantiiert gehalten, obwohl der Beklagte nur den Inhalt der Umsatzplanung für einen Jahr nicht vorgetragen hat und vieles dafür spricht, dass er eine detaillierte Planung auch für diesen Jahr erstellt hat. Deswegen ist der BGH der Meinung, dass das Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegungslast des Beklagten überspannt.274 Zum anderen hält der BGH die Feststellung des Berufungsgerichts, der Beklagte habe bei seiner Prog­ nose­analyse „branchenübliche Techniken“ nicht angewandt, für fehlerhaft. Denn das Berufungsgericht habe nicht dargelegt, dass es die eigene Sachkunde auf dem Gebiet der Unternehmensplanung besitzt und deswegen in der Lage ist, die streitigen Fragen ohne sachverständige Hilfe abschließend zu beurteilen.275 Aus dieser Entscheidung haben manche Autoren eine gestufte Darlegungs- und Beweislast herausgearbeitet. Danach soll es der vom betreffenden Organmitglied zu tragenden Beweislast genügen, dass dies die herangezogenen Informationen benennt und die Frage erläutert, auf Grund welcher Wertungen er zu der Einschätzung gelangt ist, die gewählte Handlungsoption sei zum Wohle der Gesellschaft allen anderen vorzuziehen gewesen. Auf der zweiten Stufe müsse die klagende Gesellschaft darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass die Informationsgrundlage unangemessen ist oder dass der Beklagte auf Grundlage der benannten Informationen nicht zu der Schlussfolgerung hätte kommen dürfen.276 4. Zwischenergebnis Im deutschen Aktienrecht wird klar zwischen Sorgfalt i. S. d. Verhaltensmaßstabs und i. S. d. Verschuldensmaßstabs getrennt. Hinsichtlich des Verschuldens gilt ein objektivierter, auf die Anforderungen der konkreten Aufgabe ausgerichteter Sorgfaltsmaßstab als Untergrenze. Deswegen führt die Arbeitsteilung im Vorstand und Aufsichtsrat dazu, dass die einzelnen Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats im Hinblick auf die ihnen 273  So Paefgen, NZG 2009, S. 891, 894 (dies „dürfte von dem US-amerikanischen Modell der so genannten ‚presumption‘ im Ergebnis nicht allzu weit entfernt sein“). 274  Vgl. BGH NZG 2011, S. 549, 551 Rn. 20–24. 275  BGH NZG 2011, S. 549, 551 Rn. 25. 276  Fest, NZG 2011, S. 540, 541.

108

§ 3  Sorgfaltspflichten

übertragenen Funktionen unterschiedlich strengen Anforderungen unterliegen. Darüber hinaus haben die persönlichen Sonderkenntnisse und -fähigkeiten eine sorgfaltserhöhende Wirkung. Die einzelnen Sorgfaltspflichten werden einerseits aus den gesetzlichen Aufgabenzuweisungen abgeleitet und andererseits aus dem generalklauselartigen Sorgfaltsmaßstab situationsbezogen konkretisiert. Zudem sind der Grundsatz der Gesamtverantwortung des Kollegialorgans und für den Vorstand auch der Grundsatz der Gesamtleitung eine wichtige Quelle für die Verhaltenspflichten. Die Abweichung der deutschen Regel zum Geschäftsleiterermessen von der US-amerikanischen BJR zeigt sich in deren Ansiedelung im Tatbestandsmerkmal der Pflichtverletzung ohne Minderung des Verschuldensmaßstabs und dem Fehlen einer US-amerikanischen, für Organmitglieder günstigen Beweislastregel. Die deutsche BJR hat fünf Merkmale, nämlich unternehmerische Entscheidung, Gutgläubigkeit, Handeln ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse, Handeln zum Wohle der Gesellschaft und Handeln auf der Grundlage angemessener Information. Im Merkmal „Gutgläubigkeit“ liegt der Kern der gesetzlichen Regelung, die mit einem Perspektivenwechsel zugunsten des betroffenen Geschäftsleiters den unternehmerischen Freiraum subjektiv absichert; maßgeblich ist ein objektivierter subjektiver Maßstab. Das Merkmal „unternehmerische Entscheidung“ begrenzt den Anwendungsbereich der BJR. Ihre Auslegung weist erhebliche Schwierigkeiten auf, so dass ihre Abgrenzungsfähigkeit im Schrifttum nicht zweifelsfrei ist. Die letzten zwei Merkmale sind ebenfalls problematisch. Das Merkmal „Handeln zum Wohl der Gesellschaft“ stellt nur eine grobe Leitlinie für die Ermittlung der Grenze des unternehmerischen Ermessens auf, deren Konkretisierung weiterhin der Rechtsprechung und Rechtslehre zu überlassen ist. Hinsichtlich des Merkmales „angemessener Information“ bestehen Meinungsunterschiede sowohl hinsichtlich der Anforderungen an der Informationsbeschaffung als auch der Reichweite der richterlichen Kontrolle der Informationsverarbeitung. Die BJR findet entsprechende Anwendung auf die Aufsichtsratsmitglieder. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass der Aufsichtsrat gewisse Mitwirkungs- bzw. Mitentscheidungsbefugnisse in der Angelegenheit der Geschäftsführung hat. Bei der Anspruchsverfolgung gegen pflichtwidrige Vorstandsmitglieder im Rahmen der nachträglichen Überwachung wird dem Aufsichtsrat jedoch kein unternehmerisches Ermessen zuerkannt. Das hohe Potential der Interessenkonflikte in der Person der Aufsichtsratsmitglieder begrenzt faktisch den Anwendungsbereich der BJR.



II. Sorgfaltspflichten im chinesischen Recht

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II. Sorgfaltspflichten im chinesischen Recht In § 148 Abs. 1 KgG 2005 (§ 147 Abs. 1 KgG) wird vorgeschrieben, dass die Organmitglieder der Gesellschaft gegenüber zum Fleiß verpflichtet sind. Eine ähnliche Generalklausel war in § 62 Normierungsansichten zur Aktiengesellschaften des Systemreformausschusses des Staatsrats von 1992, des Vorläufers des KgG 1993, enthalten. Es wurde in der endgültigen Fassung des KgG 1993 jedoch nicht aufgenommen. Denn man befürchtete, dass die Anerkennung der Sorgfaltspflicht, deren Inhalt von der persönlichen Fähigkeit der Vorstandsmitglieder abhänge, im Ergebnis den Richtern einen großen Beurteilungsspielraum geben würde und die Richter dieser Aufgabe wegen ihrer damals insgesamt unbefriedigenden Qualifikation nicht gewachsen seien.277 Die Aufnahme der Fleißpflicht ins Gesetz war ein Ergebnis der im Vorfeld der Reform des KgG von vielen Seiten aufgeforderten Verschärfung der Organhaftung. Da die Fleißpflicht durch das Gesetz selber nicht weiter konkretisiert ist, ist diese im Schrifttum nach wie vor sehr umstritten. Aber bei näherem Zusehen geht es bei der akademischen Diskussion über den Sorgfaltsstandard fast ausschließlich um den Verschuldensmaßstab. Eine fehlende Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Verschuldensmaßstab zeigt sich besonders deutlich in der Diskussion über die BJR und in deren ansatzweise versuchten Umsetzung in der Gerichtspraxis. Folgend wird nach einer kurzen Darstellung über die Diskussion im Schrifttum und die Gerichtspraxis zum Sorgfaltsstandard (1.) auf die BJR in der Diskussion und Gerichtspraxis (2.) eingegangen. Anschließend wird versucht, anhand der Regelungen und der Normenausführungspraxis der CSRC sowie der Listing Rules der Börsen die einzelnen Verhaltenspflichten der Organmitglieder herauszuarbeiten (3.). 1. Sorgfaltsstandard im Schrifttum und der Gerichtspraxis Im Schrifttum ist es eine verbreitete Methode, die Sorgfaltspflicht i. S. d. § 148 KgG 2005 mit Erkenntnissen aus der Rechtsvergleichung zu konkretisieren. Häufig wird der strenge deutsche Standard, der die Sorgfalt eines „Experten“ fordere und eine satzungsmäßige Abmilderung nicht erlaube, dem milderen Standard in den USA, Japan und Großbritannien gegenübergestellt, der auf die Sorgfalt einer durchschnittlichen Person abgestellt sei und den Schutz durch BJR oder andere Haftungsbeschränkungen zulas277  范健 / 蒋大兴 [FAN, Jian / JIANG, Daxing], 《南京大学法律评论》 [Rechtszeitschrift der Nanjing-Universität], 01 / 1998, S. 81, 92 f.; zustimmend 罗培新 / 李 剑 / 赵颖洁 [LUO, Peixin / LI, Qian / ZHAO, Yinjie], 《证券法苑》 [Rundschau des Wertpapierrechts], 03 / 2010, S. 372, 390.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

se.278 Diese Unterscheidung wurde im älteren Schrifttum bereits vielfach angenommen.279 Einer anderen typischen Klassifizierung zufolge unterscheidet man zwischen dem im früheren englischen Richterrecht vertretenen subjektiven Standard, dem im deutschen Aktienrecht und dem japanischen Korporationsrecht geltenden objektiven Standard und den kombinierten Standard, der in § 214 Abs. 4 des englischen Insolvency Act (1986) und in § 8.30 des amerikanischen RMBCA (1984) zutage kommt.280 Überwiegend wurde und wird der deutsche „Experte“-Standard abgelehnt und der Sorgfaltsmaßstab eines durchschnittlichen Menschen bevorzugt,281 begründet vor allem mit dem noch niedrigen Entwicklungsniveau der chinesischen Kapitalgesellschaften und dem Fehlen von Berufsmanagern als Berufstand.282 Nur in einer jüngeren Veröffentlichung wird darauf hingewiesen, dass auch das deutsche Recht von Organmitgliedern keine speziellen Kenntnisse über einen bestimmten Bereich verlange.283 In den noch spärlichen Gerichtsurteilen zur Sorgfaltspflicht wird fast ausschließlich auf den Maßstab einer durchschnittlichen Person unter gleichen Umständen und in gleicher Position284 oder einer durchschnittlich vorsichtigen Person in gleicher Situation und in gleicher Stellung in ihren 278  Vgl. 任自力 [Ren, zili], 《中国法学》 [Chinesische Rechtswissenschaft], 06 / 2008, S. 83, 87 f.; 刘敬伟 [LIU, Jingwei], 《当代法学》 [Zeitgenössische Rechtswissenschaft], 05 / 2007, S. 148, 151. 279  梅慎实 [MEI, Shenshi], 《外国法译评》 [Übersetzung und Kommentar zu ausländischem Recht], 01 / 1996, S. 18, 19 f.; auch 王保树 [WANG, Baoshu], 《外 国法译评》 [Übersetzung und Kommentar zu ausländischem Recht], 01 / 1994, S.  1 ff. 280  Vgl. 刘敬伟 [LIU, Jingwei], 《当代法学》 [Zeitgenössische Rechtswissenschaft], 05 / 2007, S. 148 ff.; ihm folgend 赵立新 / 汤欣 / 邓舸 [ZHAO, Lixin / TANG, Xin / DENG, Ke], 《独立董事》 [unabhängige Vorstandsmitglieder], S. 48 ff. 281  Aus dem älterem Schrifttum 王保树 [WANG, Baoshu], 《外国法译评》 [Übersetzung und Kommentar zu ausländischem Recht], 01 / 1994, S. 1, 9 ausdrücklich im Anschluss an die im japanischen und taiwanesischen Schrifttum gängige Definition der Sorgfaltspflicht, wonach nur die Sorgfalt erforderlich sei, welche ein Mensch mit durchschnittlicher Sorgfaltsfähigkeit in derselben Stellung und Situation anzuwenden habe. Aus dem jüngeren Schrifttum 刘敬伟 [LIU, Jingwei], 《当代法 学》 [Zeitgenössische Rechtswissenschaft], 05 / 2007, S. 148, 151; 任自力 [Ren, zili], 《中国法学》 [Chinesische Rechtswissenschaft], 06 / 2008, S. 83, 89, die für den Sorgfaltsmaßstab des US-amerikanischen Rechts und des nach dem US-amerikanischen Vorbild reformierten japanischen Rechts plädieren. 282  刘敬伟 [LIU, Jingwei], 《当代法学》 [Zeitgenössische Rechtswissenschaft], 05 / 2007, S. 148, 151. 283  朱弈锟 [ZHU, Yikun], 《董事问责》 [Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder], S. 90. 284  Vgl. 富盛公司等诉施盛平案 [Fusheng Kunstfaser Ltd. u. a. vs. SHI, Shengping], unten II. 2. b) aa); 妙鼎矿泉水公司诉王东春案 [Miaoding Mineralwasser Ltd. vs. WANG, Dongchun], unten II. 2. b) bb).



II. Sorgfaltspflichten im chinesischen Recht111

eigenen Angelegenheiten285 abgestellt. Das Oberste Volksgericht hat bisher weder in einer Entscheidung noch in Justizauslegungen zum Sorgfaltsstandard Stellung genommen. In den Veröffentlichungen seiner Richter ist die Orientierung am US-amerikanischen Recht jedoch deutlich zu erkennen.286 Als Ausgangspunkt ihrer Erörterung der Sorgfaltspflicht lehnen sie den Sorgfaltsmaßstab des „gewissenhaften Verwalters (善良管理人)“287 im kontinentalen Rechtssystem ab, weil es dort keine Bestimmungen über deren Inhalt und die Beurteilungsmaßstäbe ergebe, und befürworten ausdrücklich die Übernahme von drei allgemeinen Maßstäben, die im Richterrecht des anglo-amerikanischen Rechtskreises zur Sorgfaltspflicht festgelegt seien.288 Dabei wird § 8.30 (a) RMBCA (1984)289 herangezogen, ohne genannt zu werden. Sie halten diligence, care, and skill einer durchschnittlichen Person mit angemessener Einsichtsfähigkeit für maßgeblich und befürworten zugleich besondere Sorgfaltsmaßstäbe für Organmitglieder mit besonderen Fähigkeiten und Kenntnissen für die Entscheidungen im betreffenden speziellen Bereich.290 Sie gehen also von einem auf einen Durchschnittsmenschen abgestellten objektiven Sorgfaltsmaßstab aus und erkennen zugleich die haftungsverschärfende Wirkung des Spezialwissens an.

285  Vgl.

川流公司诉李鑫华案 [Chuanliu Ltd. vs. LI, Xinhua], unten II. 2. b) cc). Folgenden 张勇健 [ZHANG, Yongjian], in: 王保树主编 [WANG, ­Baoshu (Hrsg.)], 《实践中的公司法》 [Das KapGesR in der Praxis], S. 229, 235 f.; 金剑锋 [JIN, Jianfeng], 《法律适用》 [Rechtsanwendung], 1–2 / 2008, S. 10, 14 ff. Herr Dr. ZHANG war zur Zeit Vize-Präsident der zweiten Zivilrechtssenat des Obersten Volksgerichts. Herr Dr. JIN war und ist Richter der zweiten Zivilrechtssenat und der Leiter des Vollstreckung-Referats. 287  Dieser Begriff ist durch die rechtsvergleichende Arbeit von WAGN, Baoshu geprägt, vgl. 王保树 [WANG, Baoshu], 《外国法译评》 [Übersetzung und Kommentar zu ausländischem Recht], 01 / 1994, S. 1, 9. 288  张勇健 [ZHANG, Yongjian], in: 王保树主编 [WANG, Baoshu (Hrsg.)], 《实 践中的公司法》 [Das KapGesR in der Praxis], S. 229, 235; 金剑锋 [JIN, Jianfeng], 《法律适用》 [Rechtsanwendung], 1–2 / 2008, S. 10, 14. 289  (a) A director shall discharge his duties as a director, including his duties as a member of a committee: (1) in good faith; (2) with the care an ordinarily prudent person in a like position would exercise under similar circumstances; and (3) in a manner he reasonably believes to be in the best interests of the corporation. Dazu aus der deutschsprachigen Literatur Merkt / Göthel, US-amerikanisches GesR, Rn. 835; Abeltshauser, Leitungshaftung, S. 112 ff. 290  张勇健 [ZHANG, Yongjian], in: 王保树主编 [WANG, Baoshu (Hrsg.)], 《实 践中的公司法》 [Das KapGesR in der Praxis], S. 229, 235. 286  Zum

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§ 3  Sorgfaltspflichten

2. Die BJR in der Diskussion und in der Gerichtspraxis a) Diskussionsstand Die US-amerikanische BJR und ihre Rezeption bilden den Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen in China. Eine Einführung der BJR USamerikanischer Prägung wird im Schrifttum überwiegend befürwortet.291 Besonders nennenswert sind die Beiträge der Richter des Obersten Volksgerichts Zhang, Yongjian und Jin, Jianfeng, in denen sie für eine Verwendung der BJR in der Gerichtspraxis292 und deren Einführung durch die Justizauslegung des Obersten Volksgerichts293 plädieren. Sie verstehen die BJR als eine Regelung zur Befreiung der Direktoren von der Haftung für den Fehlschlag einer vernünftigen Entscheidung und halten es für notwendig, dass Richter sich von einer Überprüfung komplizierter Transaktionen abhalten, weil sie nur Experten in juristischen Fragen, nicht jedoch in Geschäften seien.294 Als Rechtfertigung dafür wird folgendes geltend gemacht: Dass Direktoren stets richtige Entscheidungen zu treffen hätten, sei aufgrund der zunehmenden Komplexität der Geschäftsführung und der schnell ändernden Lage auf dem Markt eine unrealistische Anforderung, und eine solche Pflicht würde zur Versäumung der Geschäftschance und Beeinträchtigung der Effizienz der Geschäftsführung führen.295 Zudem lasse es sich kaum feststellen, ob der Misserfolg von einer Verletzung der Sorgfaltspflicht oder von den Risiken der Außenwelt verursacht worden sei.296 Nach ihrer Einsicht „ist nicht von einer Verletzung der Sorgfaltspflicht auszugehen, wenn der Fehlschlag der Entscheidung den normalen Geschäftsrisiken zuzuordnen ist und nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht wird. Ein Vorsatz oder eine grobe Fahrlässigkeit liegen dann vor, wenn ein Direktor bei der 291  Vgl. 刘敬伟 [LIU, Jingwei], 《当代法学》 [Zeitgenössische Rechtswissenschaft], 05 / 2007, S. 148, 153; 任自力 [Ren, zili], 《中国法学》 [Chinesische Rechtswissenschaft], 06 / 2008, S. 83, 91; 罗培新 / 李剑 / 赵颖洁 [LUO, Peixin / LI, Qian / ZHAO, Yinjie], 《证券法苑》 [Rundschau des Wertpapiersrechts], 03 / 2010, S. 372, 405 ff. 292  张勇健 [ZHANG, Yongjian], in: 王保树主编 [WANG, Baoshu (Hrsg.)], 《实 践中的公司法》 [Das KapGesR in der Praxis], S. 229, 239. 293  金剑锋 [JIN, Jianfeng], 《法律适用》 [Rechtsanwendung], 1–2 / 2008, S. 10, 16. 294  张勇健 [ZHANG, Yongjian], in: 王保树主编 [WANG, Baoshu (Hrsg.)], 《实 践中的公司法》 [Das KapGesR in der Praxis], S. 229, 239; 金剑锋 [JIN, Jianfeng], S.  10, 15 f. 295  张勇健 [ZHANG, Yongjian], in: 王保树主编 [WANG, Baoshu (Hrsg.)], 《实 践中的公司法》 [Das KapGesR in der Praxis], S. 229, 239. 296  金剑锋 [JIN, Jianfeng], 《法律适用》 [Rechtsanwendung], 1–2 / 2008, S. 10, 14.



II. Sorgfaltspflichten im chinesischen Recht113

Geschäftsführung gegen Gesetze, Rechtsverordnungen, die Satzung und Beschlüsse der Hauptversammlung verstößt, wenn er aus eigennützigen Gründen die Entscheidung trifft, oder wenn er diligence, care, and skill, die eine durchschnittliche Person unter gleichen Umständen walten lassen würde, nicht anwendet“.297 Eine andere Ansicht begrüßt zwar die Funktion der BJR zur Förderung der erwünschten Risikobereitschaft der Direktoren, sieht aber in ihrer verbreiteten Verwendung in der US-amerikanischen Spruchpraxis eine Aushöhlung der Sorgfaltspflicht und behauptet folglich, dass die Einführung der BJR die Übernahme des Begriffs „duty of good faith“ aus dem US-amerikanischen Recht voraussetze.298 Mit diesem Begriff wollte der Vertreter dieser Ansicht die Pflicht zum rechtmäßigen Verhalten und die Organisa­ tionspflichten im Zusammenhang mit internen Kontrollsystemen zur Geltung bringen.299 Er geht von einem engen Verständnis der Fleißpflicht i. S. d. § 148 Abs. 1 KgG 2005 aus und stellt diese mit der Sorgfaltspflicht im engeren Sinne gleich, ohne dieses Auslegungsergebnis sachlich zu begründen. Zudem lassen sie es außer Acht, dass die Pflicht zum rechtmäßigen Verhalten als ein Teilaspekt der Sorgfaltspflicht bereits im Gebot des gesetzund satzungsmäßigen Verhaltens in § 150 KgG 2005 enthalten ist.300 Eine dritte Ansicht hält eine Einführung der BJR zwar ebenfalls für notwendig, lehnte eine Kodifizierung jedoch aufgrund deren Charakters als Rechtsbehelf nach Billigkeit (equitable remedy) ab: Die BJR könne nur durch Präjudiz (判例) eingeführt werden, denn die Quelle der Lebenskraft dieser Rechtsinstitute liege in dem der Verwirklichung materieller Gerechtigkeit dienenden richterlichen Ermessensspielraum und eine Kodifizierung würde die Fortentwicklung der Sorgfaltspflicht durch Richter eher verhindern als fördern.301 Zudem wird noch auf das umstrittene Verhältnis zwischen duty of care und BJR im US-amerikanischen Recht hingewiesen: Nach Clark schließe die Erfüllung der Voraussetzungen der BJR eine Verletzung der Sorgfaltspflicht aus, während Pennigton die BJR als Befreiung von der Verschuldenshaftung verstehe mit der Folge, dass Richter nach 297  金剑锋

15.

[JIN, Jianfeng], 《法律适用》 [Rechtsanwendung], 1–2 / 2008, S. 10,

298  Vgl. 朱弈锟 [ZHU, Yikun], 《中国法学》 [Chinesische Rechtswissenschaft] 03 / 2008, S. 86, 91 ff. 299  Vgl. 朱弈锟 [ZHU, Yikun], 《中国法学》 [Chinesische Rechtswissenschaft] 03 / 2008, S. 86, 98 ff. 300  Vgl. 金剑锋 [JIN, Jianfeng], 《法律适用》 [Rechtsanwendung], 1–2 / 2008, S. 10, 14 f., der in dieser Vorschrift eine gesetzliche Konkretisierung der Sorgfaltspflicht sieht. 301  胡晓珂 [HU, Xiaoke], 《中央财经大学学报》 [Wissenschaftsmagazin der Central University of Finance and Economics], 04 / 2005, S. 76, 80.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

dem, was sie für fair hielten, Directors von einer Haftung befreien könnten.302 Im Schrifttum findet man die Stimmen, die die Rechtsfolge einer BJR in dem Ausschluss des Verschuldens303 oder der Pflichtverletzung304 oder in der Haftungsbefreiung305 sehen. Neben der Einführung der BJR als Haftungsbefreiungsregel befürwortet Richter Jin noch eine Anerkennung der Haftungsbefreiung durch gerichtliche Einwilligung (法庭同意) für den Fall, in dem eine Entscheidung der Direktoren, die der Gesellschaft Schaden zufügt, auf Grundlage angemessener Informationen getroffen und vernünftig sei.306 Es liegt nahe, dass er die oben genannten zwei amerikanischen Ansätze miteinander kombiniert. b) Gerichtspraxis In drei zu § 148 Abs. 1 KgG 2005 gefallenen Gerichtsurteilen lassen sich Spuren von BJR feststellen. Besonders deutlich ist es im Fall FushengKunstfaser. Da die eigentliche Problematik ohne Untersuchung der Subsumtionsvorgänge in einzelnen Entscheidungen nicht herauskommt, werden die Urteilsbegründungen jeweils ausführlich referiert und dann gewürdigt. Schließlich wird auch ein Altfall, in dem eine Verwendung der BJR vielfach angenommen wird, analysiert. aa) Fusheng-Kunstfaser-Fall (2007) Es geht hier um die Frage, ob der beklagte (Gesellschafter-)Geschäftsführer einer GmbH seine Sorgfaltspflicht verletzt hat, indem er mit einem Kunden in Bezug auf zwei mangelhafte Lieferungen von Textilstoffen einen Vergleich geschlossen habe, ohne dass ein Einverständnis der sonstigen Gesellschafter vorlag. Als Prüfungsmaßstab hat das Gericht die Sorgfalt einer normal vorsichtigen Person in ähnlicher Situation, die er als Ausgangspunkt angenommen hat, ausgeführt: „Ein Geschäftsleiter hat, bevor er 302  胡晓珂 [HU, Xiaoke], 《中央财经大学学报》 [Wissenschaftsmagazin der Central University of Finance and Economics], 04 / 2005, S. 76, 80 unter Berufung auf Clark, Corporate Law, S. 124 f. 303  Z. B. 胡晓珂 [HU, Xiaoke], 《中央财经大学学报》 [Wissenschaftsmagazin der Central University of Finance and Economics], 04 / 2005, S. 76, 80. 304  Z. B. 刘敬伟 [LIU, Jingwei], 《当代法学》 [Zeitgenössische Rechtswissenschaft], 05 / 2007, S. 148, 153. 305  张勇健 [ZHANG, Yongjian], in: 王保树主编 [WANG, Baoshu (Hrsg.)], 《实 践中的公司法》 [Das KapGesR in der Praxis], S. 229, 239; 金剑锋 [JIN, Jianfeng], 《法律适用》 [Rechtsanwendung], 1–2 / 2008, S. 10, 15 f. 306  金剑锋 [JIN, Jianfeng], 《法律适用》 [Rechtsanwendung], 1–2 / 2008, S. 10, 16.



II. Sorgfaltspflichten im chinesischen Recht115

eine Geschäftsentscheidung (经营判断, business judgment) trifft, hinreichende Informationen zu besorgen, und muss redlich und mit vernünftigen Gründen glauben dürfen, dass seine Entscheidung im besten Interesse der Gesellschaft steht.“307 Es verneinte die Pflichtverletzung aus vier Gründen: Erstens könne man angesichts der vielfach stattgefundenen Verhandlungen zwischen dem Beklagten und dem Vertragspartner hinsichtlich der Entschädigung nicht annehmen, dass dieser die Mangelhaftigkeit der Produkte und das Ausmaß des Schadens nicht gekannt habe. Zweitens könne man aus dem Umstand, dass zwei andere Gesellschafter auch an einer Verhandlung teilgenommen hatten, den Schluss ziehen, dass sie wussten, dass der Gegner Schadensersatz haben wollte, selbst wenn man keine Einigung feststellen könne. Drittens habe der Beklagte wegen seines höheren Bildungsniveaus und reicherer Geschäftserfahrungen eine höhere Geschäftsführungsfähigkeit als die anderen Gesellschafter. Er habe aufgrund seines Vertrauens auf seine eigene Geschäftsführungsfähigkeit angenommen, dass das Vorhandsein von Mängeln auch ohne Einschaltung eines Gutachters festzustellen sei, weil die Textilstoffe durch ein einfaches Betasten bereits brüchig wurden. Dieses Vertrauen sei ohne Gegenbeweis als angemessen zu vermuten. Viertens spreche der Umstand, dass die Klägerin nach der Klageerhebung des Gegners freiwillig mit diesen einen Vergleich während des Prozesses abgeschlossen habe, für ihre Anerkennung des vom Beklagten geschlossenen Vergleichs. In der Urteilsanmerkung geben zwei beteiligte Richter zu, dass sie mangels hinreichender Beweismittel das Ausmaß der möglichen Schadensersatzhaftung der Klägerin gegenüber ihrem Vertragspartner und damit die Angemessenheit des von den Beklagten geschlossen Vergleichs kaum überprüfen konnten, und halten daher die Verteilung der burden of persuasion (说服责 任) und burden of coming forward with evidence (举证责任) für entscheidend für die Streitbeilegung.308 Darunter verstehen sie jeweils die objektive Beweislast (objektive burden of proof) und subjektive Beweislast (subjek­ tive burden of proof). Unter Zugrundlegung der auch in China vorherr307  慈溪富盛公司等诉施盛平案 [Cixi Fusheng Chemical Fiber Ltd. u. a. vs. SHI, Shengping], 慈溪市法院(2007)慈民二初字第519号 [Das Volksgericht Cixi, Urteil (2007) 2.  Zivilsenat 1. Instanz Nr. 519]. 308  何琼 / 史久瑜(慈溪市人民法院民二庭) [HE, Qiong / SHI, Jiuyu (Richter der 2. Zivilsenate des Volksgerichts Cixi], „慈溪富盛化纤公司等诉施盛平案判决评析“ [Anmerkung zum Urteil Cixi Fusheng Chemical Fiber Ltd. u. a. vs. SHI, Shengping], http: /  / fayuan.cixi.gov.cn / art / 2009 / 5 / 18 / art_10325_306393.html (zuletzt abgerufen am 30.06.20313). Diese Anmerkung ist veröffentlicht unter dem Titel „董事 违反勤勉义务的判断标准及证明责任分配“ [Beurteilungskriterien der Sorgfaltspflichtverletzung durch Vorstandsmitglieder und die Verteilung der Beweislast], in: 《人民司法》 [Volksjustiz], 14 / 2009, S. 42–45.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

schenden Rosenbergschen Formel, wonach im Grundsatz jeder die Beweislast für das Vorliegen der ihm günstigen Tatsachen trägt, kommen sie zu dem Ergebnis, dass die Klägerin, unabhängig davon, ob sie den Schadenersatzanspruch gegenüber ihrem Geschäftsführer aus einem vertraglichen oder deliktischen Klagegrund (诉由) geltend macht, die Beweislast für alle Tatbestandsmerkmale einschließlich des Verschuldens (bzw. der Verletzung der Sorgfaltspflicht)309 zu tragen habe. Dabei befürworten sie eine Konkretisierung der Beweislastregeln nach der BJR: der Kläger habe nachzuweisen, dass eines der drei Tatbestandselemente der BJR (Freiheit von Interessenkonflikten, angemessene Informationsbesorgung und -bearbeitung, vernünftige Entscheidung aus Sicht eines durchschnittlich vorsichtigen Direktors) nicht vorliege. Wenn dies ihm gelinge, werde die (subjektive) Beweislast auf den beklagten Geschäftsleiter verschoben. Obwohl die Richter in ihrer Anmerkung nicht unmittelbar auf die Urteilsbegründung Bezug genommen haben, darf man wohl davon ausgehen, dass ihre Neigung für die BJR als Beweislastregel ihrer Urteilsfindung zugrunde lag. Das Urteil enthält die folgenden Aussagen: Das Gericht respektiert die Einschätzung des beklagten Geschäftsführers im Hinblick auf die Schadens­ ursache und den Schadensumfang aufgrund seiner Qualifikation, und geht von der Prämisse aus, dass dieser den angegriffenen Vergleich für angemessen und vernünftig erachten dürfe. Folglich muss die Klägerin Beweise einbringen, um diese Vermutung zu wiederlegen. Das Gericht hat das Vorhandensein von ausreichenden Informationen als den ersten Prüfungspunkt hervorgehoben. Es hat jedoch nur die Informationsbesorgung hinsichtlich der Schadensursache geprüft. Wenn man zu Ende denkt, hätte es sich dazu äußern müssen, ob der Bewertung des Beklagten hinsichtlich des Schadens­ umfangs und damit der Vergleichssumme auch hinreichende Information zugrunde liegt, ob ein Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen erforderlich ist. Im konkreten Fall mag es richtig sein, das widersprüchliche Verhalten der Klägerin bei der Verteilung der Beweislast zu berücksichtigen. Dies kann jedoch nicht rechtfertigen, die Anforderung der sorgfältigen Ermittlung der Entscheidungsgrundlage zu dem Maßstab „keine Entscheidung ins Blaue hinein“ herabzusetzen. Zudem kann die Begründung des schutzwürdigen „Vertrauens“ des Beklagten mit seiner Qualifikation gewissermaßen auf einen subjektiven Maßstab andeuten. Allerdings ist der Bezugspunkt des guten Glaubens bei richtigem Verständnis nicht das persönliche Beurteilungsvermögen, sondern die Vertretbarkeit der Entscheidung in der konkreten Entscheidungssituation. Letztlich gibt der Vergleich der Qualifikation des Geschäftsführers mit der der Gesellschafter eine Missbilligung der 309  So in der originalen Fassung. Die Autoren scheinen die Verletzung der Sorgfaltspflicht mit dem Vorliegen des Verschuldens gleichgestellt zu haben.



II. Sorgfaltspflichten im chinesischen Recht117

Richter gegenüber der Einmischung der Gesellschafter in die Geschäftsführung des sachkundigeren Geschäftsführers zu erkennen. Sie haben erkannt, dass im Verhältnis zu Gesellschaftern der Geschäftsleiter auch einen gewissen haftungsfreien Handlungsspielraum haben soll. Dieser Gedanke trifft zu, wenn es um das Verhältnis zwischen Managern und Aktionären in Publikumsgesellschaften geht. Bei einer personalisierten Gesellschaft wie im vorliegenden Fall kann man ein Einmischungsverbot der Gesellschafter regelmäßig nicht annehmen. bb) Miaoding-Mineralwasser-Fall (2009) In diesem Fall klagte eine GmbH, ein Trinkwasserlieferant, gegenüber seinem Geschäftsführer auf Schadensersatz u. a. für den Verlust, der daraus entstanden war, dass bei einer Verkaufsveranstaltung der Beklagte mit Zustimmung des Vorstands Wasserspender an Kunden verschenkte, aber hinsichtlich neun Spendern eine Bestätigung durch die jeweiligen Abnehmer fehlte. Als Prüfungsmaßstab führt das Gericht aus: Wenn ein Verlust nicht von leitenden Managern vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt, sondern von Geschäftsrisiken oder sonstigen externen Faktoren verursacht werde, dann sei eine Verletzung der Sorgfaltspflicht nicht anzunehmen. Das Gericht stellte sodann fest, dass die Klägerin bei der Eintragung der verteilten Wasserspender ins Buch von dem Beklagten die entsprechenden Belege nicht verlangt hatte, und sie nicht nachweisen konnte, dass der Beklagten bei der Schenkung eigennützig gehandelt habe. Folglich hielt das Gericht die fehlende Bestätigung durch die Empfänger für ein „normales Geschäftsrisiko“.310 Das Gericht hat in seinem Obersatz das vorsätzliche oder grob fahrlässige Verhalten der Geschäftsleiter und normale Geschäftsrisiken als zwei sich ausschließende Kategorien der Schadensursache gegenübergestellt,311 und erweckt den Eindruck, dass es die Frage der Pflichtverletzung im Rahmen der Kausalität prüft. Der angebliche Subsumtionsvorgang ist nur eine unstrukturierte Zusammenstellung von Sachverhalten. Daraus ist aber zu erkennen, dass das Gericht von der Beweislast des Klägers für ein eigennütziges Verhalten des Geschäftsleiters ausgeht.

310  妙鼎矿泉水公司诉王东春案 [Miaoding Mineralwasser Ltd. vs. WANG, Dongchun], 门头沟法院(2009)门民初字第4号 [Das Volksgericht Mentougou, Urteil (2009) 1. Instanz Nr. 4]. 311  Ähnliches findet sich bei 金剑锋 [JIN, Jianfeng], 《法律适用》 [Rechtsanwendung], 1–2 / 2008, S. 10, 15. Dazu siehe oben II. 2. a).

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§ 3  Sorgfaltspflichten

cc) Chuanliu Ltd.-Fall (2009) Hier geht es um die Frage, ob ein GmbH-Geschäftsführer sich dadurch haftbar machte, dass er während der Kooperation mit einem dritten Unternehmen keine Verträge in schriftlicher Form abgeschlossen hatte, so dass die Gesellschaft wegen fehlender Beweismittel diesem gegenüber die Ansprüche nicht geltend machen konnte. Nach der Auffassung des Gerichts ist die Frage, ob die Sorgfaltspflicht erfüllt ist, aus drei Aspekten zu beurteilen: Handeln mit good faith; Anwendung der Sorgfalt, die eine durchschnittlich vorsichtige Person in gleicher Situation und in gleicher Stellung bei ihren eigenen Angelegenheiten walten lassen würde; mit Gründen glauben dürfen, dass die Dienstpflichten für das Maximuminteresse der Gesellschaft wahrgenommen seien. Es hält es „nach allgemeinen betrieblichen Erkenntnissen“ für unangemessen, die betreffenden Geschäfte mündlich abzuschließen. Sodann hat es die oben genannten drei Voraussetzungen für unerfüllt erklärt, weil der Beklagte das Geschäftsrisiko ignoriert habe.312 In Bezug auf den Sorgfaltsstandard hat das Gericht sich an § 8.30 (a) RMBCA (1984) angeschlossen, ohne es ausdrücklich genannt zu haben. Manche Autoren begrüßen diese Vorgehensweise und sehen darin ein Beispiel, dass die Richter durch Verwendung der Auskünfte über fremde Rechtsordnungen die Generalklausel auslegen und die Gesetzeslücke schließen.313 Der Urteilsbegründung ist zu entnehmen, dass das Gericht beim Außerachtlassen von ersichtlichen Geschäftsrisiken dem Geschäftsleiter keinen Schutz der BJR zubilligen will. Diese Entscheidung zeigt eine – selbst nur ansatzweise – differenzierte, auf die Risikoeinschätzung des Geschäftsleiters abgestellte Behandlung von Geschäftsrisiken, und ist sofern klarer als die Miaoding-Mineralwasser-Entscheidung. Es bleibt jedoch im Dunkeln, an welcher Stelle das Gericht die BJR scheitern ließ. dd) YE, Jianming-Fall (2002) Unter der Geltung des KgG 1993 waren nur vereinzelt Fälle bekannt, in denen die Gerichte sich mit der Sorgfaltspflicht des Geschäftsleiters beschäftigte. Im Fall YE, Jianmin vs. Xinshiji Ltd. aus 2002 hat das Mittlere Volksgericht Huizhou die Haftung eines GmbH-Vorstandsvorsitzenden für den aus dem Erwerb einer mangelhaften Maschine entstandenen Schaden 312  川流公司诉李鑫华案 [Chuanliu Ltd. vs. LI, Xinhua], 闵行区法院(2009)闵民 二(商)初字第1724号 [Das Volksgericht Minxing, Urteil (2009) 2. Zivilsenate 1. Instanz Nr. 1724]. 313  王军 [WANG, Jun], 《北方法学》 [Rechtswissenschaft des Nordens], 04 / 2011, S. 24, 34.



II. Sorgfaltspflichten im chinesischen Recht

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mit folgender Begründung abgelehnt: Der Erwerb der Maschine, der vom Vorstand nach vielfacher Beratung entschieden wurde, an dessen Beratung und Ausführung mehrere Personen beteiligt waren, sei kein „individuelles Handeln“ des Beklagten, sondern ein „kollektives Handeln der Gesellschaft“. Zudem läge kein Gesetzesverstoß seitens des Beklagten vor und es gäbe auch keinen Nachweis dafür, dass er eigennützig gehandelt habe.314 Aus der Urteilsbegründung folgert ein chinesischer Autor, dass das Gericht in den vorangehenden vielfachen Beratungen innerhalb des Kollektiv­ organs die Einhaltung der formalen Erfordernisse der sorgfältigen Entscheidungsfindung sehe und das Vorliegen von Interessenkonflikten verneine, dass das Gericht unter diesen beiden Voraussetzungen eine Haftung des Beklagten ablehnen müsse, es sei denn, dass die Klägerin dessen grobe Fahrlässigkeit nachweisen könne. Im Ergebnis hält dieser Kommentator das Gerichtsurteil für mit der BJR übereinstimmend.315 Ein amerikanischer Autor hat sich daran angeschlossen und ist noch einen Schritt weiter gegangen, mit der Schlussfolgerung, chinesische Richter hätten für Organmitglieder einen Schutz durch BJR geschaffen. Denn das Gericht lehne es ab, einen Direktor für die Ausführung von „approved corporate action“ haften zu lassen, und es bejahe die Pflicht der Direktoren, über bestimmte Entscheidungen zu beraten und abzustimmen. Dadurch erkenne es implizit an, dass die Ausübung des „good faith“ und die informierten Urteilbildung durch Direktoren in solchen Beratungen und Abstimmungen Anhaltspunkte für die Beurteilung der Sorgfaltspflicht seien.316 Es ist kaum überzeugend, aus diesem Urteil eine – auch nur ansatzweise – Verwendung der BJR herauszulesen. Die beiden Kommentatoren verkennen, dass es in diesem Fall um die Haftung des einen Vorstandsbeschluss ausführenden Vorstandsvorsitzenden geht, nicht um die Pflichten und Haftung der sonstigen an der Entscheidungsfindung beteiligten Vorstandsmitglieder. Das Gericht begnügte sich mit der Feststellung, die angegriffene Maßnahme sei die Ausführung einer kollektiven Entscheidung des Vorstands, ohne explizit darauf einzugehen, ob die Entscheidung des Vorstands sorgfältig getroffen wurde. Die anschließende Prüfung von Gesetzesverstoß und eigennützigem Verhalten gibt zu erkennen, dass es dem Gericht eher darum geht, ob es in der Person des Beklagten noch weitere haftungsbegründende Umstände gibt. Wenn es der Fall wäre, hätte das Gericht eine Haftung des Beklagten wegen Gesetzesverstoßes oder Treuepflichtverletzung bejahen 314  叶建民诉新世纪公司上诉案 [Berufung YE, Jianmin vs. Xinshiji Ltd.], 惠州 中院(2002)惠中法民一终字第322号民事判决书 [Das Mittlere Volksgericht ­Huizhou, Urteil (2002) 1. Zivilsenate 2. Instanz Nr. 322]. 315  钱卫清 [QIAN, Weiqing], S. 213. 316  Howson, in: Kanda u. a., Transforming Corporate Governance, S. 193, 230.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

können, ohne dass es auf eine Verletzung der Sorgfaltspflicht ankäme. Man könnte allenfalls in der Betonung von „vielfachen Beratungen“ eine implizierte Prüfung der Rechtmäßigkeit des Vorstandsbeschlusses sehen. Die sorgfältige Entscheidungsfindung nur an der Anzahl der Beratungen zu messen, greift jedoch zu kurz. c) Zwischenergebnis In der chinesischen Gerichtspraxis zur Sorgfaltspflicht lässt sich eine Orientierung an § 8.30 RMBCA (1984) beobachten. Die Gerichte haben ihre Entscheidungen im Bewusstsein der BJR und der Notwendigkeit der Einschränkung der richterlichen Inhaltskontrolle der Geschäftsführungsmaßnahmen getroffen. Die Elemente der US-amerikanischen BJR (not interest­ ed, informed basis, good faith, reasonable belief that the action taken was in the best interest of the company) finden sowohl weitgehende Anerkennung im Schrifttum als auch Niederschlag in Gerichtsurteilen. Die Unklarheiten bestehen vor allem hinsichtlich des Verhältnisses von Sorgfaltspflicht und Verschulden und der Frage zur dogmatischen Ansiedlung der BJR. Dass manche Gerichte die Prüfung der Pflichtverletzung mit der Kausalität verwischt haben, hat seinen Grund wohl darin, dass die Befürworter der BJR deren sachliche Rechtfertigung teilweise in der Schwierigkeit der Feststellung der Ursache eines Fehlschlags sehen. Außerdem zeichnet die Gerichts­ praxis eine undifferenzierte Anwendung der BJR aus. Es ist auf den ersten Blick bereits lächerlich, dass zur Haftung eines Geschäftsführers, der ein Register von Kunden, die bei einer Verkaufsveranstaltung Geschenke empfangen haben, nicht ordentlich geführt hat, die BJR ins Spiel gebracht wurde. Für solche nicht komplexen Fälle ist die BJR nicht gedacht. Der Grund für diesen unbefriedigenden Zustand liegt in dem fehlenden Bewusstsein über den Anwendungsbereich der BJR, nämlich über die Frage, in welchen Entscheidungssituationen die Anerkennung eines haftungsfreien Handlungsspielraums sachlich gerechtfertigt ist. Schließlich befassen sich die bisher bekannten Fälle vornehmlich mit der Haftung des Geschäftsführers oder des Vorstandsvorsitzenden der GmbH, der kraft seiner Stellung als gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft auch Geschäftsführungsbefugnisse hat. Die Gerichte hatten also noch keine Möglichkeit sich dazu zu äußern, ob und wann sich ein nichtgeschäftsführendes Vorstandsmitglied oder ein Aufsichtsratsmitglied auf die BJR berufen kann.



II. Sorgfaltspflichten im chinesischen Recht121

3. Auffächerung der Sorgfaltspflichten Im KgG findet man nur spärliche Vorschriften, die die Sorgfaltspflicht i. S. d. Verhaltenspflicht konkretisieren. Es geht dabei um die Pflicht zur Einhaltung von Gesetzen, Rechtsverordnungen und der Satzung bei der Amtsführung (§ 149 KgG)317 und die Pflichten der Vorstandsmitglieder im Zusammenhang mit Vorstandssitzungen (§ 112 KgG). Die Satzungsanleitung (2006) der CSRC enthält eine Auflistung der Sorgfaltspflichten für die Vorstandsmitglieder und leitende Manager der börsennotierten AGs. In § 98 Nr. 1 und Nr. 2 Satzungsanleitung werden neben dem rechtmäßigen Verhalten die Beachtung der staatlichen Wirtschaftspolitik, die Einhaltung der eingetragenen Geschäftsbereiche und die Gleichbehandlung aller Aktionäre hervorgehoben. Abgesehen von der Wirtschaftspolitik kann man die beiden Vorschriften als eine Konkretisierung der Legalitätspflicht in § 149 KgG betrachten. § 98 Nr. 3 Satzungsanleitung verlangt, dass die Vorstandsmitglieder sich rechtzeitig über den Geschäftsverlauf und die Betriebsführung informieren. § 98 Nr. 4 Satzungsanleitung betont die bereits in § 68 Abs. 1 und 3 WpG vorgesehenen Rechtspflichten der Vorstandsmitglieder, die periodischen Berichte mit Unterschrift zu bestätigen, die Wahrhaftigkeit, Genauigkeit und Vollständigkeit der Offenlegung zu garantieren. Im Verhältnis zum Aufsichtsrat wiederholt § 98 Nr. 5 Satzungsanleitung die Aussagepflicht der Vorstandsmitglieder und das Vereitelungsverbot in § 150 Abs. 2 KgG, wonach die Vorstandsmitglieder dem Aufsichtsrat wahrheitsgemäß über einschlägige Sachverhalte berichten und die einschlägigen Unterlagen zur Verfügung stellen müssen und den Aufsichtsrat bei der Amtsführung nicht behindern dürfen. Nach § 125 Abs. 2 Satzungsanleitung gelten die Pflichten in Nr. 4 und 5 auch für leitende Manager. Diese Norm hat keine eigenständige Bedeutung, da die Rechtspflichten nach § 68 Abs. 1 und 3 WpG und § 150 Abs. 2 KgG ohnehin auch für leitende Manager gelten. In der Anmerkung zu § 98 Satzungsanleitung wird es den börsennotierten AGs erlaubt, in ihrer Satzung den Sorgfaltspflichtkatalog zu ergänzen. Nennenswert ist ferner die Auswahl- und Verhaltensanleitung für Vorstandsmitglieder der SHSE,318 die der Treue- und Sorgfaltspflicht der Vorstandsmitglieder jeweils ein Kapitel widmet. Zwar darf man die dortigen Normen wegen fehlender Rechtsqualität nicht als verbindliche Konkretisierungen der Organpflichten in dem Sinne ansehen, dass deren Verletzung zur 317  Zudem ist § 149 KgG wegen fehlender Rechtsfolgebestimmung in § 147 KgG in der Gerichtspraxis auch als Anspruchsgrundlage für die Verletzung der Sorgfaltspflicht und auch der Treuepflicht verwendet. Dazu siehe unten § 4 II. 3. a). 318  上海证券交易所 [SHSE], 《上海证券交易所上市公司董事选任与行为指 引》 [Anleitung für die Wahl und Bestellung sowie das Verhalten der Vorstandsmitglieder der in der SHSE notierten AGs] (25.08.2009).

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§ 3  Sorgfaltspflichten

Schadensersatzpflicht der Vorstandsmitglieder gegenüber der Gesellschaft führt. Vielmehr hat ein Verstoß gegen solche Normen die Sanktion durch die SHSE319 und bei schwerwiegenden Fällen die Einbeziehung der CSRC in die Sache320 zur Folge. Aber diese Anleitung gibt aufgrund ihrer detaillierten Erläuterungen Auskünfte dafür, welches Verhalten die SHSE von Vorstandsmitgliedern der dort notierten AGs erwartet. Schließlich findet man auch in den Sanktionsentscheidungen, die die CSRC über die Organmitglieder wegen Verletzung der kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten verhängt hat, insbesondere in ihrer Stellungnahme zu den Entlastungsargumenten der Adressaten, Auskünfte über ihre Haltung zur sorgfältigen Aufgabenerfüllung, die sich in einzelnen Fällen zwar unmittelbar auf die Publizitätspflicht bezieht, aber nicht darauf beschränkt. a) Teilnahmepflicht und Pflicht zur aktiven und eigenverantwortlichen Amtsführung Für die AGs wird die Teilnahmepflicht der Vorstandsmitglieder an Vorstandssitzungen in § 112 KgG (bereits § 118 KgG 1993) vorgesehen. Ein Vorstandsmitglied hat grundsätzlich persönlich an den Vorstandssitzungen teilzunehmen; ist es aus berechtigten Gründen verhindert, kann es ein anderes Mitglied schriftlich bevollmächtigen, ihn in der betreffenden Sitzung zu vertreten, wobei der Umfang der Vollmacht klar sein muss (§ 112 Abs. 1 KgG). Ferner enthält § 112 Abs. 3 Satz 3 KgG einen Entlastungsgrund. Danach kann sich ein Vorstandsmitglied von der Schadensersatzhaftung wegen eines rechtswidrigen Vorstandsbeschlusses (§ 112 Abs. 3 Satz 1 und 2 KgG) befreien, wenn er bei der Abstimmung gegen den Beschluss Widerspruch erhob und dies auch im Sitzungsprotokoll notiert wurde. In ihrer Praxis muss sich die CSRC häufig mit der Frage beschäftigen, ob die falsche Offenlegung auch das Vorstandsmitglied belastet, das nicht persönlich an der Sitzung beteiligt war, in der die Offenlegung der fehlerhaften Finanzberichte oder anderer periodischer Berichte beschlossen wurde. Die CSRC bejaht die Verantwortlichkeit des nicht anwesenden Vorstandsmitglieds für das Abstimmungsverhalten seines Vertreters.321 Insbesondere hält sie die 319  Nach § 37 dieser Anleitung kann SHSE nach ihrem Ermessen gegen regelwidrig handelnde Vorstandsmitglieder in einem Rundschreiben Kritik aussprechen, diese öffentlich tadeln oder eine Disqualifikation für drei Jahre aussprechen. Die Rechtsfolgen sind also die gleichen wie bei Verstößen gegen Listing Rules, dazu siehe oben § 2 III. 3. 320  Vgl. § 38 Auswahl- und Verhaltensanleitung. 321  Zum Folgenden vgl. 证监会行政处罚决定书(2010)13号 [Sanktionsentscheidung der CSRC Nr. 13 (2010)](上海科技 / 张杰等) [Shanghai-Technology, ZHANG u. a.].



II. Sorgfaltspflichten im chinesischen Recht123

Erteilung einer Blankovollmacht für unvereinbar mit dem geltenden Recht. Denn aus ihrer Sicht deutet eine pauschale Bevollmächtigung zur Ausübung aller Befugnisse des Vorstandsmitglieds darauf hin, dass der Vollmachtgeber entweder seinem Amt nicht gewachsen sei oder seine Pflichten und Verantwortung nicht tragen wolle. Die CSRC stellt folgende Anforderungen an eine Vollmacht für die Teilnahme an der Vorstandssitzung: Der Vollmachtgeber muss vorher den Beschlussgegenstand überprüfen, ein eigenes Urteil dazu bilden und deutlich klären, ob er für oder gegen die vorgeschlagene Beschlussfassung abstimmen will. Die Vollmacht darf nur für die einzelnen Beschlussgegenstände getrennt erteilt werden. Der Vollmachtgeber soll auf das Verhalten seines Vertreters die notwendige Kontrolle ausüben. Ferner sieht die CSRC in dem Fall, in dem ein Vorstandsmitglied aus gesundheitlichen oder sonstigen ähnlichen Gründen nicht an der Beratung und der Urteilsbildung teilnehmen kann, eine Unmöglichkeit der persönlichen Amtsführung und hält eine Bevollmächtigung in diesem Fall für ausgeschlossen. Falls der Vorstand aus der fehlenden Teilnahme nicht beschlussfähig sei, sollte das betreffende Vorstandsmitglied rechtzeitig durch ein neues ersetzt werden. In Übereinstimmung mit der Ansicht der CSRC erklärt die SHSE in ihrer Auswahl- und Verhaltensanleitung für Vorstandsmitglieder die Blankovollmacht für unzulässig und die Vorstandsmitglieder für verantwortlich für das Abstimmungsverhalten ihrer Vertreter (vgl. § 25). Ferner verbietet die SHSE, dass ein Vorstandsmitglied in einer Sitzung die Vollmacht von mehr als zwei Mitgliedern ausübt, und dass bei der Beratung über die Angelegenheiten mit related parties ein unbefangenes Mitglied ein befangenes (und damit nicht abstimmungsberechtigtes) Mitglied und ein unabhängiges Mitglied ein abhängiges Mitglied bevollmächtigt (§ 26). Schließlich fordert die SHSE den Aufsichtsrat auf, die Amtsführung eines Vorstandsmitglieds, das innerhalb eines Jahres in mehr als ein Drittel der Sitzungen abwesend war, zu überprüfen und darüber hinaus zu beschließen, ob er seine Aufgaben sorgfältig erfüllt hat, was anschließend noch offenzulegen ist (§ 27 Abs. 1), und droht für den Fall der Abwesenheit in mehr als die Hälfte der Sitzungen ohne Rechtfertigungsgründe mit Disqualifikation für drei Jahre (§ 27 Abs. 2). Die Teilnahmepflicht der Vorstandsmitglieder enthält eigentlich bereits die Pflicht zur aktiven Amtsführung, weil der chinesische Vorstand als Beschlussorgan322 seine Aufgaben vornehmlich durch Beratung und Entscheidung in der Sitzung wahrnimmt. Dass diese Pflicht auch für unabhängige Vorstandsmitglieder323 gilt, gelangte jedoch erst mit dem Fall J. H. Lu vs. 322  Dazu

323  Siehe

siehe oben § 1 III. 1. b). oben § 1 III. 2.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

CSRC (陆家豪诉证监会) aus 2001 ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Dieser war die erste verwaltungsrechtliche Klage in China, in der ein wegen Publizitätsverstoß der Gesellschaft von der CSRC sanktioniertes Vorstandsmitglied die Rechtmäßigkeit der Sanktion in Frage stellte. Die Klage wurde zwar aus prozessualen Gründen abgewiesen. Das dadurch aufgeworfene Sachproblem über die Verantwortlichkeit der unabhängigen Vorstandsmitglieder löste jedoch heftige Diskussionen sowohl in dem fachlichen Kreis als auch in der Presse aus, die die Bezeichnung „Vasen-Direktor“, also Direktor zur Dekoration, für unabhängige Vorstandsmitglieder prägte. In ihren jüngeren Sanktionsentscheidungen lehnt die CSRC vielfach die Entlastungsargumente wie etwa Handeln aufgrund der Anweisung oder der Stellungnahme des de facto-Beherrschers oder des ihn entsendenden Aktionärs schlicht und einfach ab und unterstreicht, dass ein Vorstandsmitglied der börsennotierten AGs sich bei der Amtsführung von unangemessen Einflussnahme und Einmischung der anderen wie des herrschenden Aktionärs, des de facto-Beherrschers und der Insider der Gesellschaft fernhalten und eigenverantwortlich sein Urteil bilden muss,324 und dass es kein Rechtfertigungsgrund sein kann, sich dem Druck des herrschenden Aktionärs nachzugeben, um das Amt nicht zu verlieren.325 Damit bringt die CSRC die Pflicht zur eigenverantwortlichen Amtsführung zum Ausdruck. b) Pflicht zur eigenen Urteilsbildung Die CSRC hat bereits in ihrer Anforderung an die Vollmacht für die Teilnahme an einer Vorstandssitzung zum Ausdruck gebracht, dass ein Vorstandsmitglied zu dem einzelnen Beschlussgegenstand ein eigenes Urteil zu bilden hat. Ohne eigene Urteilsbildung ist eine klare Vollmacht in der von ihr verlangten Form nicht denkbar. Auch im Verhältnis zum herrschenden Aktionär und de facto-Beherrschers wird eine eigenverantwortliche Urteilsbildung hervorgehoben. Für unabhängige Vorstandsmitglieder wird eine solche Pflicht sogar von der CSRC in der Anleitung zu unabhängigen Vorstandsmitgliedern (2001) ausdrücklich vorgesehen.326 Die CSRC hält ein unabhängiges Vorstandsmitglied, das allein auf der Grundlage eines dritten 324  证监会行政处罚(2010)10号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr.  10 (2010)](南京中北 / 郭试平等) [Nanjing-ZHONGBEI, GUO u. a.]; 证监会行政处 罚(2011)48号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr. 48 (2011)](寰岛股份 / 张 燕瑾 / 王思民等) [HUAN DAO AG, ZHANG, WANG u. a.]; 证监会行政处罚 (2010)13号 [Sanktionsentscheidung der CSRC Nr. 13 (2010)](上海科技 / 张杰 等) [Shanghai-Technology, ZHANG u. a.]. 325  证监会行政处罚(2008)50号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr. 50 (2008)](兰光科技/路有志等) [LAN GUANG-Technology, LU u. a.]. 326  Dazu siehe unten II. 3. d).



II. Sorgfaltspflichten im chinesischen Recht125

Gutachtens für die Ad hoc-Mitteilung über einen bedeutenden Vermögenserwerb abgestimmen und keine eigenständige Stellungnahme zur Qualität und den Risiken des betreffenden Gegenstands abgegeben hat, für verantwortlich für die Offenlegung, die mangels vollständiger Angaben über die Risiken des Erwerbsgegenstands fehlerhaft ist, selbst wenn dieses Vorstandsmitglied in der Vorstandssitzung eine weitere Untersuchung des Erwerbsgegenstands verlangte.327 In mehreren Sanktionsentscheidungen lehnt die CSRC ab, die Vorstandsmitglieder, die sich auf Vertrauen auf den vom Abschlussprüfer erstellten „Standardprüfungsbericht ohne Vorbehalt“ (标准 无保留审计报告) berufen haben, von ihrer Verantwortung für die später als fehlerhaft erwiesenen Jahresfinanzberichte328 zu befreien. Denn die externe Kontrolle durch den Abschlussprüfer könne die interne Kontrolle der Rechnungslegung durch den Vorstand nicht ersetzen.329 Dadurch wird die eigene Urteilsbildung der Vorstandsmitglieder bei der Bilanzkontrolle hervorgehoben. Dieser Ansicht ist insoweit zuzustimmen, als der auf Aktionäre gerichtete, nur die Prüfungsergebnisse in einer standardisierten Formel zusammenfassende Prüfungsbericht i. S. d. chinesischen Rechts330 wegen des geringen Informationsgehalts keine geeignete Entscheidungsgrundlage für die Bilanzkontrolle der Vorstandsmitglieder ist. Die SHSE hat in ihrer Auswahl- und Verhaltensanleitung eine Pflicht der Vorstandsmitglieder zur sorgfältigen Beurteilung der Beschlussgegenstände der Vorstandssitzung ausdrücklich formuliert (§ 23). Sie verlangt, dass die Vorstandsmitglieder bei der Beratung folgende Faktoren sorgfältig erwägen: 327  证监会行政处罚(2011)48号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr. 48 (2011)](寰岛股份 / 张燕瑾 / 王思民等) [HUAN DAO AG, ZHANG, WANG u. a.]. 328  Typische Konstellationen: die fehlende Ausweisung von Kreditaufnahme in beträchtlichem Umfang oder Forderungen gegen die Muttergesellschaft und sonstigen verbundenen Unternehmen in der Bilanz. 329  证监会行政处罚(2010)10号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr.  10 (2010)](南京中北 / 郭试平等) [Nanjing-ZHONGBEI, GUO u. a.]; ähnlich 证监会 行政处罚(2012)53号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr. 53 (2012)], (宝安 鸿基集团 / 邱瑞亨 / 任国强等) [BAO AN HONG JI AG, QIU, REN u. a.]; 证监会 行政处罚(2011)53号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr. 53 (2011)](沧州化 工 / 周振德等) [Changzhou-Chemie, ZHOU u. a.]. 330  Nach § 17 der Nr. 150 Standards der Rechnungsprüfung („Rechnungsprüfungsbericht“) ist in einem Bericht ohne Vorbehalt (无保留意见的审计报告) zu erklären, dass die Finanzberichte nach den geltenden Rechnungslegungsstandards oder sonstigen Regelungen zur Rechnungslegung erstellt sind und in allen bedeutenden Aspekten die Finanzlage, Ertragslage und das cash flow der Gesellschaft angemessen (公允, fair) wiedergeben. Ein Bericht, der keine zusätzlichen Erklärungen oder Hinweise enthält, ist gemäß § 18 ein Standardprüfungsbericht (标准审计报告). Daher ist ein Prüfungsbericht ohne Vorbehalt eher vergleichbar mit dem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk i. S. d. § 322 Abs. 3 HGB als dem Prüfungsbericht i. S. d. §  321 HGB.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

Gewinn, Verlust und Risiko; Grundlage und Methode der Preisbestimmung; Durchführbarkeit und Rechtmäßigkeit; die Bonität der Geschäftspartner bzw. ihre verbundene Beziehung zur Gesellschaft; die potentiellen Einflüsse auf die weitere Entwicklung der Gesellschaft (§ 28 Abs. 1 Satz 2). Ferner sollen die Vorstandsmitglieder vor der Abstimmung in Bezug auf jeden Beschlussgegenstand klare Stellungnahmen geben und protokollieren lassen, wobei die Sitzungsprotokolle und die Abstimmungszettel sorgfältig aufzuheben sind (§ 28 Abs. 2). c) Informationspflicht Wie oben bereits ausgeführt liegt die eigenständige Bedeutung des § 98 Satzungsanleitung nur in der Betonung einer Informationsbesorgungspflicht der Vorstandsmitglieder. Mit dieser Pflicht wendet die CSRC gegen die von den bestraften Vorstandsmitgliedern häufig als Entlastungsgrund geltend gemachte Unkenntnis über die offenlegungspflichtigen Geschäftsvorgänge ein. Dem Argument eines Vorstandsmitglieds, es hatte keine Kenntnisse über die in der Bilanz nicht richtig ausgewiesenen Geschäfte zwischen der Gesellschaft und den verbundenen Unternehmen und hätte es auch nicht wissen können, weil unter der Steuerung des herrschenden Aktionärs die betreffenden Transaktionen dem Vorstand vorbeigegangen wären, hat die CSRC entgegengehalten, dass es sich angesichts des beträchtlichen Umfangs der Geschäfte hätte darüber informieren müssen, selbst wenn diese Geschäfte nicht dem Vorstand zur Beschlussfassung vorgelegt wurden.331 Demgegenüber zeigt die CSRC Großzügigkeit gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern. Als die Aufsichtsratsmitglieder geltend machten, dass sie die Unregelmäßigkeit der periodischen Berichte hätten nicht kennen können, weil die Gesellschaft ihnen keine hinreichende Information zur Verfügung gestellt habe oder die bedenklichen Vorgänge vor ihm verborgen worden seien, hat die CSRC in der Regel von einer Sanktion abgesehen, weil das Aufsichtsratsmitglied in Bezug auf die Publizität nur eine begrenzte Verantwortung trage.332 Die SHSE betont in ihrer Auswahl- und Verhaltensanleitung auch die Pflicht der Vorstandsmitglieder, die für ihre Aufgabenerfüllung erforderliche Information zu besorgen. In der Vorstandssitzung soll ein Vorstandsmitglied 331  证监会行政处罚(2011)3号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr.  3 (2011)](北海港 / 天津德利得 / 王学利等) [Nordseehafen, Tianjin-Delide, WANG u. a.]. 332  证监会行政处罚(2012)34号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr. 34 (2012)](山东华阳股份 / 刘敬路 / 闫新华等) [Shangdong HUA YANG AG, LIU, YAN u. a.]; 证监会行政处罚(2011)38号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr. 38 (2011)](科达股份 / 刘双珉等) [KE DA AG, LIU u. a.].



II. Sorgfaltspflichten im chinesischen Recht127

auf eigene Initiative von den zuständigen Personen die detaillierten Materialien und Erklärungen zu den Beschlussgegenständen auffordern (§ 28 Abs. 1 Satz 1). Außerhalb der Vorstandssitzung soll es die Angelegenheiten der Gesellschaft aktiv beobachten, auf eigene Initiative sich über den Geschäftsbetrieb informieren, und bei bedeutenden Angelegenheiten oder Gerüchten auf dem Markt rechtzeitig von den zuständigen Personen die Erklärungen dazu einfordern und gegebenenfalls die Vorstandssitzung einberufen (§ 30). Ferner soll ein Vorstandsmitglied, das die Angelegenheiten in seinem Ressort dem Vorstand zur Beratung vorlegt, die anderen Mitglieder wahrhaft, genau und vollständig informieren (§ 29). Sowohl die Satzungsanleitung der CSRC als auch die Verhaltensanleitung der SHSE machen keine Angaben darüber, von wem die Vorstandsmitglieder die erforderliche Information einfordern können, oder wer zur Bereitstellung der Information für die Vorstandsmitglieder verpflichtet ist. Das KgG trifft selber keine Bestimmungen über die Informationsbesorgung des Vorstands. Folgend wird versucht aus verschiedenen Regelungswerken ein Gesamtbild von informationsbezogenen Rechten und Pflichten der Organmitglieder zu machen. Für die börsennotierten AGs überlässt § 130 Satzungsanleitung es dem Geschäftsführer, in seiner Geschäftsordnung ein System der Berichterstattung an Vorstand und Aufsichtsrat zu regeln. Bisher haben nur wenige börsennotierte AGs dieser Aufforderung Folge geleistet. Selbst wenn die Satzungen überhaupt Regelungen zum Berichtssystem enthalten, sind sie häufig nicht klar formuliert.333 Die Schwäche dieses Regelungsansatzes liegt auf der Hand, da man regelmäßig nicht davon ausgehen kann, dass sich der Überwachte von sich aus dem Überwachenden ausliefern will. In den von dem Finanzministerium u. a. erlassenen Leitlinien zur internen 333  Beispielsweise werden folgende Bestimmungen in der vorläufigen CEO-Geschäftsordnung der SINOPEC (China Petroleum & Chemical Corporation) getroffen: „Der CEO soll dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat auf deren Aufforderung hin über die Ausführung der Beschlüsse des Vorstands und des Aufsichtsrats, den Abschluss wichtiger Verträge und deren Erfüllung, die Mittelverwendung und den Gewinn und Verlust der Gesellschaft berichten. Der CEO stellt dem Vorstand notwendige Informationen und Unterlagen zur Verfügung; dazu gehören vor allem die Arbeitsberichte über den Betrieb, die Finanzlage, die Forschung, die Investitionen und den Umweltschutz sowie die Informationen, die der Vorstand oder der Aufsichtsrat für notwendig halten.“ Etwas klarere Regelungen finden sich in der CEO-Geschäftsordnung der SUNING APPLIANCE CO. LTD: „Der CEO hat vierteljährlich dem Vorstand und dem Aufsichtsrat über den Betriebszustand der Gesellschaft zu berichten. Auf ihre Aufforderung ist jederzeit über die Tagesgeschäfte einschließlich des Abschlusses von wichtigen Verträgen und deren Erfüllung, die Mittelverwendung und den Cash-Flow sowie den Gewinn und Verlust der Gesellschaft zu berichten. Er hat dem Vorstandsvorsitzenden über die für die Geschäftsführung bedeutenden Ereignisse unverzüglich nach deren Eintritt zu berichten.“

128

§ 3  Sorgfaltspflichten

Kontrolle in Unternehmen334 wird die Zuständigkeit des Vorstands für die Errichtung und Durchführung der internen Kontrolle betont (§ 12), die u. a. auch das System des internen Informationstransfers und das EDV-System335 erfasst. Da der Vorstand der chinesischen börsennotierten AGs eher dem Verwaltungsrat in einem monistischen System näher steht, muss man hinsichtlich des Informationsbedürfnisses zwischen Inside- und Outside-Mitglied unterscheiden. Wohl aus diesem Grund wird eine Informationspflicht des Vorstands gegenüber seinen Mitgliedern in § 46 Satz 2 CGK (2002) vorgesehen: Der Vorstand soll vor der Sitzung allen Mitgliedern hinreichende Materia­ lien bereitstellen, insbesondere die Hintergrundauskünfte über die Beratungsgegenstände sowie die Information und Statistik, die einem besseren Verständnis der Mitglieder über den Geschäftsverlauf dient. Inzwischen hat das KgG die Verantwortung des Vorstandsvorsitzenden336 für die Einberufung der Vorstandssitzungen klargestellt (vgl. § 119 Abs. 2 Satz 1 KgG). Folglich soll der Vorstandsvorsitzende die oben genannte Informationspflicht des Vorstands erfüllen. Er soll die erforderliche Information von den geschäftsführenden Vorstandsmitgliedern und den Geschäftsführern einfordern und sodann den anderen Vorstandsmitgliedern vor der jeweiligen Sitzung zukommen lassen. Darüber hinaus gibt § 46 Satz 3 CGK (2002) den unabhängigen Vorstandsmitgliedern zur Absicherung ihres „gleichgewichtigen Informationsrechts“337 ein Instrument an die Hand: wenn zumindest zwei unabhängige Mitglieder die vom Vorstand bereitgestellten Materialien für nicht ausreichend oder unklar halten, sind sie berechtigt, gemeinschaftlich einen schriftlichen Antrag auf Verschiebung der betreffenden Vorstandssitzung oder der Beratung des betreffenden Gegenstands bei dem Vorstand einzureichen, dem der Vorstand Folge leisten muss.338 Im Vergleich zu (unabhängigen) Vorstandsmitgliedern scheinen die Aufsichtsratsmitglieder noch stärkere, weil gesetzlich vorgesehene, Informa­ tionsrechte zu haben. Das Recht der Aufsichtsratsmitglieder, an den Vorstandssitzungen als Nichtstimmberechtigte teilzunehmen (列席) und Anfragen zu stellen (§ 54 Abs. 1 KgG), wird als das wichtigste Instrument der 334  财政部 / 证监会 / 审计署 / 银监会 / 保监会 [Finanzministerium / CSRC / Rechnungshof / CBRC / CIRC], 《企业内部控制基本规范》 [Leitlinien zur internen Kontrolle in Unternehmen] (22.05.2008). 335  Die genauen Anforderungen sind jeweils in der Umsetzungsanleitung Nr. 17 (Der interne Informationstransfer) und die Umsetzungsanleitung Nr. 18 (Das EDVSystem) geregelt. 336  Zur Rechtsstellung der Vorstandsvorsitzenden siehe oben § 1 III. 1. b). 337  7. Abschnitt Ziffer 1 Satz 3 Anleitung zur Errichtung des Systems von unabhängigen Vorstandsmitgliedern (2001). 338  Bereits in der oben genannten Anleitung.



II. Sorgfaltspflichten im chinesischen Recht

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Aufsichtsratsmitglieder zur Informationsverschaffung angesehen.339 Durch die Gesetzesnovellierung von 2005 wurde das Anfragerecht zu einer Anfragepflicht aufgewertet, um der bisherigen Praxis, in der die Aufsichtsratsmitglieder bei den Vorstandssitzungen nur ohne eigene Stellungnahme zuhören, entgegenzuwirken.340 Nach manchen Autoren sollten sich die Aufsichtsratsmitglieder sogar wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht haftbar machen, wenn sie zu einem offensichtlich fehlerhaften Vorstandsbeschluss keine Frage stellen.341 Darüber hinaus wurde das Untersuchungsrecht des Aufsichtsrats und der Aufsichtsratsmitglieder bei Unregelmäßigkeiten der Geschäftsführung (§ 54 Abs. 2 KgG) durch die Ergänzung um die Befugnis, ggf. auf Kosten der Gesellschaft eine Wirtschaftsprüfergesellschaft zur Unterstützung ihrer Untersuchung hinzuziehen (§ 54 Abs. 2 Satz 2 KgG) verstärkt. Dadurch erlangen der Aufsichtsrat und die Aufsichtsratsmitglieder zumindest auch ein Überwachungsinstrument, das bisher nur den unabhängigen Vorstandsmitgliedern zur Verfügung stand.342 Mit der verschärften Informationspflicht und des verstärkten Informationsrechts erscheint die großzügige Haltung der CSRC in ihrer Sanktionspraxis gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern in Widerspruch zu geraten, zumal die Aufsichtsratsmitglieder gleich wie die Vorstandsmitglieder und leitenden Manager zur Sicherstellung der Wahrhaftigkeit, Genauigkeit und Vollständigkeit der Offenlegung verpflichtet sind (vgl. § 68 Abs. 2 WpG). Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder bezweifelt die CSRC die praktische Wirksamkeit solcher gesetzlichen Informationsinstrumenten und will folglich den Aufsichtsratsmitgliedern keine große Last zur Informationsbeschaffung auferlegen oder sie will den Fokus ihrer Aufsicht auf dem Vorstand und der auf ihrer Initiative eingeführten Institution der unabhängigen Vorstandsmitglieder legen und ignoriert mehr oder wenig den Aufsichtsrat als solche. d) Überwachungspflicht Die Informationsbesorgungspflicht der Vorstandsmitglieder sowie die Informationspflicht des Vorstands gegenüber seinen Mitgliedern implizieren bereits eine Pflicht der Vorstandsmitglieder zu gegenseitiger Überwachung sowie zur Überwachung der Ausführung der Tagegeschäfte durch leitende Manager. Denn die Informationspflicht ist kein Selbstzweck, sondern soll 339  Vgl.

王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 185. 王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 185. 341  Z. B. 甘培忠 [GAN, Peizhong], 《当代法学》 [Zeitgenössische Rechtswissenschaft], 05 / 2006, S. 24, 26. 342  Vgl. 5. Abschnitt Ziffer 1 Nr. 5 Anleitung zu unabhängigen Vorstandsmitgliedern (2001): Die unabhängigen Vorstandsmitglieder dürfen externe Rechnungsprüfer oder Berater auf Kosten der Gesellschaft beauftragen. 340  Vgl.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

den (außenstehenden) Vorstandsmitgliedern eine Einsicht in die Geschäftsvorgänge der Gesellschaft ermöglichen, damit sie einerseits effektiv an der Entscheidungsfindung des Vorstands mitwirken und andererseits das Fehlverhalten der anderen (geschäftsführenden) Mitglieder und der leitenden Manager aufdecken können. Die Überwachungspflicht der unabhängigen Vorstandsmitglieder der börsennotierten AGs ist durch die Regelungen der CSRC besonders aufgefächert. Die unabhängigen Vorstandsmitglieder haben sog. significant related party transactions (重大关联交易) zu überprüfen und ihre Einwilligung ist die Voraussetzung für deren Beratung in der Vorstandssitzung.343 Sie haben zu folgenden Angelegenheiten „unabhängige Stellungnahme“ zu geben:344 Nominierung, Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder, Anstellung und Entlassung der leitenden Manager, Vergütung der Vorstandsmitglieder und der leitenden Manager, Darlehensgewährungen an Aktionäre, de-facto Beherrscher oder andere verbundene Unternehmen und dem sonstigen Geldverkehr zwischen diesen und der Gesellschaft, und sonstige Angelegenheiten, die nach ihrer Auffassung das Interesse der kleinen Aktionäre beeinträchtigen können. Daraus ergibt sich, dass die CSRC den unabhängigen Vorstandsmitgliedern eine entscheidende Rolle bei der Kontrolle der Geschäfte zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären einräumt. Diese Zuweisung von Überwachungsaufgaben bringt auch explizit die Pflicht der unabhängigen Vorstandsmitglieder zur eignen Urteilsbildung jedenfalls in den betreffenden Bereichen zum Ausdruck. Die Pflicht der unabhängigen Vorstandsmitglieder, die Einhaltung der Publizitätspflicht der Gesellschaft zu überwachen, wird in dem aufsehenerregenden Fall L. Y.  Ding vs. CSRC (丁立业诉证监会) aus 2007 vom Gericht anerkannt. Es geht um die Frage, ob die nicht unmittelbar an der Geschäftsführung beteiligten unabhängigen Vorstandsmitglieder, zu den „sonstigen unmittelbar verantwortlichen Personen“ i. S. d. § 193 Abs. 1 WpG345 gehören. Das Gericht bejahte sie und erkannte es als eine Pflicht aller Vorstandsmitglieder an, die Gesellschaft zur Einhaltung der Publizitätsvorschriften zu drängen.346 Zudem hat das Gericht betont, dass der Kläger keine Beweismittel dafür vorgebracht hatte, er habe die „Pflicht eines Vor343  Vgl. 5. Abschnitt Ziffer 1 Anleitung zu unabhängigen Vorstandsmitgliedern (2001). Näher dazu siehe unten § 5 II. 1. a) aa). 344  6. Abschnitt Ziffer 1 Anleitung zu unabhängigen Vorstandsmitgliedern (2001). 345  § 193 Abs. 1 Satz 2 WpG: Bei fehlerhafter Offenlegung sind „die unmittelbar verantwortlichen zuständigen Perseonen“ und „die sonstigen unmittelbar verantwortlichen Personen“ zu warnen und mit Bußgeld von 30.000,– bis 300.000,– YMB zu ahnden. 346  Wiedergabe des Sachverhalts und des Urteils nach dem Pressebericht von 郭 京霞 / 孙继斌 [GUO, Jingxia / SUN, Jibing], 《法制日报》 [Rechtszeitung] (07.12. 2008), http: /  / news.xinhuanet.com / legal / 2008-12 / 07 / content_10468336.htm (zuletzt abgerufen 30.06.2013).



II. Sorgfaltspflichten im chinesischen Recht131

standsmitgliedes zur fleißigen und sorgfältigen Amtsführung“ erfüllt. Da­ raus folgert ein renommierter Gesellschaftsrechtler, Professor LIU, Junhai (刘俊海), eine gerichtliche Anerkennung der Beweislastumkehr zulasten der Vorstandsmitglieder für die Erfüllung deren Sorgfaltspflicht.347 Eine solche allgemeine Aussage zur Beweislastregel ist aber bedenklich. Denn wenn die CSRC im konkreten Fall eine Verletzung der Publizitätspflicht des Klägers mit hinreichenden Beweismitteln feststellte, dann musste der Kläger entlastende Beweismittel vorbringen. Daraus ist keine allgemeine, auch für den zivilrechtlichen Haftungsprozess geltende Regel zur Beweislastumkehr zu entnehmen.348 In mehreren Sanktionsentscheidungen hat die CSRC weitere Anforderungen an der Wahrnehmung der Überwachungspflicht gestellt. Nach der Ansicht der CSRC kann sich ein unabhängiges Vorstandsmitglied im Fall der fehlerhaften Offenlegung der Vermögenszuwendung an den herrschenden Aktionär nur dann entlasten, wenn er bei der Entdeckung des Liquiditätsentzugs sofort den Vorstand auffordert, die zuständigen Mitarbeiter zu befragen und zudem eine gesonderte externe Rechnungsprüfung diesbezüglich zu veranlassen, und rechtzeitig die Aufsichtsbehörde zu informieren.349 Es ist hingegen nicht ausreichend, wenn ein unabhängiges Mitglied bei Anhaltspunkten für hohe Risiken eines offenlegungspflichtigen Beteiligungserwerbs dem Vorstand nur die Erforderlichkeit von weiteren Beratungen nahelegt, ohne ihn nachhaltig auf eine Aufklärung der Sache zu drängen.350 Die SHSE verlangt in ihrer Auswahl- und Verhaltensanleitung ebenfalls, dass ein Vorstandsmitglied beim rechtswidrigen Vorstandsbeschluss (§ 28 Abs. 3) oder beim rechtswidrigen Verhalten der Gesellschaft, der Vorstandsund Aufsichtsratsmitglieder sowie leitenden Manager (§ 32) neben der Aufforderung zur Korrektur oder Unterlassung auch rechtzeitig die Börse oder Aufsichtsbehörden informiert. e) Zwischenergebnis Neben der für alle Organmitglieder geltenden Pflicht zum rechtmäßigen und satzungsmäßigen Verhalten wird die Sorgfaltspflicht vor allem für die Vorstandsmitglieder im Zusammenhang mit der Teilnahme an Vorstandssitzungen gesetzlich konkretisiert und durch die Regelungen und Sanktionspra347  Siehe

den oben genannten Zeitungsbericht. Beweislastregel im chinesischen Recht siehe oben II. 2. b) aa). 349  证监会行政处罚(2010)10号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr.  10 (2010)](南京中北/郭试平等) [Nanjing-ZHONGBEI, GUO u. a.]. 350  证监会行政处罚(2011)38号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr.  38 (2011)](科达股份/刘双珉等) [KE DA AG, LIU u.a.]. 348  Zur

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§ 3  Sorgfaltspflichten

xis der CSRC sowie die Regelung der Börsen weiter aufgefächert. Es steht fest, dass die sorgfältige Wahrnehmung der Organfunktionen durch Vorstandsmitglieder die Pflicht zur Teilnahme an Vorstandssitzungen, Pflicht zur aktiven und eigenverantwortlichen Amtsführung und Pflicht zur eigenen Urteilsbildung erfasst. Ferner sollten die Vorstandsmitglieder auch verpflichtet sein, auf eigener Initiative zu den Beschlussgegenständen oder bei Unzulänglichkeit der Geschäftsgänge Informationen aufzufordern. Dies ist wegen der fehlenden klaren gesetzlichen und aufsichtsbehördlichen Regelungen über die Schuldner des Informationsanspruchs nicht zweifelsfrei. Die Überwachungspflicht der unabhängigen Vorstandsmitglieder, flankiert durch ihr Informationsrecht gegenüber dem Vorstand bzw. den geschäftsführenden Mitgliedern, ist von der CSRC besonders detailliert geregelt. Dadurch gerät eine Pflicht der Vorstandsmitglieder zur gegenseitigen Überwachung eher in den Hintergrund. Trotz ihrer verbesserten Rechtsposition stellt die CSRC keine hohe Anforderung an der aktiven Wahrnehmung der Informationsrechte durch Aufsichtsratsmitglieder wohl wegen der nach wie vor schwachen Stellung des Aufsichtsrats in tatsächlicher Hinsicht.

III. Rechtsvergleichung 1. Sorgfalt als Verschuldensmaßstab Der Sorgfaltsmaßstab im deutschen Recht ist weitgehend objektiviert, wobei die besondere Fähigkeit und Sachkunde der Organmitglieder zu einer Erhöhung des Verschuldensmaßstabs führt. International hat sich auch ein objektivierter Sorgfaltsmaßstab durchgesetzt.351 In China bevorzugt man auch einen objektiven Sorgfaltsmaßstab, der zugleich die überdurchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnisse der Organmitglieder berücksichtigt, wobei es ungeklärt bleibt, wie dieser Maßstab jeweils auf Vorstandsmitglieder, Aufsichtsratsmitglieder und leitende Manager angewendet wird. Insbesondere im Hinblick auf die unabhängigen Vorstandsmitglieder in börsennotierten AGs wird eine undifferenzierte Anwendung des Haftungsmaßstabs vielfach in Frage gestellt.352 Da die unabhängigen Vorstandsmitglieder häufig Experten in bestimmten Bereichen seien, würde die haftungsverschärfende Wirkung des persönlichen Sonderwissens bei ihnen regelmäßig zu einer Erhöhung des Haftungsmaßstabs führen. Angesichts ihrer fehlenden Beteiligung 351  Dies zeigt sich insbesondere in der Änderung der Wortwahl des US-amerikanischen MBCA in ihrer dritten Fassung von 2000 und im kodifizierten duty of care in CA (2006) in Großbritannien, eingehend dazu aus der deutschen rechtsvergleichenden Literatur Lederer, Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern, S. 114 ff. 352  赵立新 / 汤欣 / 邓舸 [ZHAO, Lixin / TANG, Xin / DENG, Ke], 《独立董事》 [unabhängige Vorstandsmitglieder], S. 69.



III. Rechtsvergleichung133

an der alltäglichen Geschäftsführung und der im Vergleich zu Insider-Direktoren viel schlechteren Informationslage und geringeren Gehälter sei ihre Gleichbehandlung mit den geschäftsführenden Vorstandsmitgliedern in haftungsrechtlicher Hinsicht ungerecht. Zudem könnte es zur Risikoaversion der amtierenden unabhängigen Mitglieder führen und die potenziellen Kandidaten vor Übernahme eines Amts abschrecken.353 Solchen Überlegungen ist insoweit zuzustimmen, als der Haftungsmaßstab dem nebenamtlichen Charakter der unabhängigen Vorstandsmitglieder und ihrer Entfernung zur Geschäftsführung Rechnung tragen soll. Fraglich ist nur, wie diese Besonderheit in der angebrachten Weise berücksichtigt werden soll. Im Rahmen des Verschuldens könnte man an eine Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit denken. Es ist jedoch kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, warum man bei einer Nebentätigkeit nachlässiger sein darf als in seinem Hauptberuf. Aus einem Vergleich des Haftungsmaßstabs der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder im deutschen Aktienrecht ergibt sich, dass die individuellen Sorgfaltsanforderungen und damit das individuelle Verschulden anhand der jedem einzelnen Organmitglied anvertrauten Aufgabe zu bestimmen sind.354 Dadurch wird nicht nur die Funktionstrennung zwischen Geschäftsführungs- und Überwachungsorgan, sondern auch die Arbeitsteilung innerhalb eines Kollektivorgans berücksichtigt. Wird das chinesische Recht ebenfalls eine aufgaben- und funktionsbezogene Betrachtungsweise für das Verschulden einnehmen, dann kann man den chinesischen Gesetzgeber bei einem einheitlichen Verschuldenserfordernis belassen, ohne die Nivellierung der Unterschiede zwischen geschäftsführenden und nicht-geschäftsführenden Vorstandsmitgliedern zu befürchten. Das chinesische Schrifttum bevorzugt den Sorgfaltsstand einer Durchschnittsperson vor dem eines professionellen Geschäftsleiters aufgrund der Überlegung, dass eine hohe Anforderung an die Mindestqualifikation der Organmitglieder mit dem noch niedrigeren Niveau der Unternehmensführung in chinesischen Kapitalgesellschaften unvereinbar sei.355 Dieses Argument kann wegen seiner Pauschalität nicht überzeugen. Da die chinesischen Autoren fast ausschließlich den Sorgfaltsstand in einem monistischen boardSystem als Vorbild vor Augen haben, liegt es nahe, dass sie die Mindestqualifikation der nichtgeschäftsführenden Directors als Untergrenze annehmen. Angesichts der verschiedenen Aufgaben der geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden Vorstandsmitglieder ist eine Nivellierung der Mindestqualifikation jedoch nicht angebracht. Nach der hier vertretenen 353  赵立新 / 汤欣 / 邓舸 [ZHAO, Lixin / TANG, Xin / DENG, Ke], 《独立董事》 [unabhängige Vorstandsmitglieder], S. 69. 354  Siehe oben I. 1. 355  Siehe oben II. 1.

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§ 3  Sorgfaltspflichten

Auffassung ist die Mindestqualifikation ebenfalls aufgabenbezogen zu bestimmen. Die Festlegung der Untergrenze der Qualifikation erlangt die haftungsrechtliche Relevanz unter dem Gesichtspunkt des Übernahmeverschuldens. Eine Fahrlässigkeit liegt bereits vor, wenn jemand z. B. die Bestellung als geschäftsführendes Vorstandsmitglied annimmt, ohne die für den zugewiesenen Geschäftsbereich erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zu besitzen. Der Haftungsmaßstab hat nur eine begrenzte Wirkung zur Verhaltenssteuerung, als er die unqualifizierten Personen von der Übernahme von Aufgaben, denen sie nicht gewachsen sind, abschreckt. Er kann jedoch nicht gewährleisten, dass Vorstand und Aufsichtsrat mit hinreichend qualifizierten Personen besetzt werden. Dafür zu sorgen ist die Aufgabe der jeweiligen Träger der Personalkompetenz. Da in einer chinesischen AG die Entscheidungskompetenz für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder bei der Hauptversammlung liegt, ist die Vorbereitung der Personalentscheidung durch die zuständigen Organe von besonderer Bedeutung. Dabei bestehen noch erhebliche Unklarheiten im Hinblick auf die Verantwortung des Vorstands und Aufsichtsrats jeweils für die eigene Besetzung und für die Besetzung des anderen. Im deutschen Recht wird eine haftungsverschärfende Wirkung der Spezialsachkunde bei Vorstandsmitgliedern einheitlich und bei Aufsichtsratsmitgliedern mehrheitlich anerkannt.356 Die Professionalisierung der Aufsichtsratstätigkeit führt nicht zur Erhöhung der Mindestqualifikation jedes einzelnen Aufsichtsratsmitglieds, sondern fordert, dass der gesamte Aufsichtsrat den Aufgaben, deren Erfüllung die spezielle Sachkunde benötigt, gewachsen ist.357 In diesem Zusammenhang dient die haftungserhöhende Wirkung des persönlichen Spezialwissens dazu, sicherzustellen, dass solches Spezialwissen, häufig gerade aufgrund dessen die betreffenden Aufsichtsratsmitglieder im Aufsichtsrat oder in einem Aufsichtsratsausschuss gewählt werden, auch im Interesse des Aufsichtsrats genutzt wird. Die oben genannte Befürchtung der chinesischen Autoren vor der Nebenwirkung einer hohen Mindestqualifikation findet ihrer Rechtfertigung nur bei Überwachern, die nebenamtlich tätig sind, namentlich unabhängigen Vorstandsmitgliedern in China und Aufsichtsratsmitgliedern in Deutschland und auch in China. Dabei geht es um die Frage, wie die tendenzielle Professionalisierung der Überwachungsfunktion mit dem nebenamtlichen Charakter der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats im dualistischen System und der nichtgeschäftsführenden Direktoren im monistischen System und der pluralistischen Zusammensetzung dieser beiden Überwachungsträger in Einklang gebracht wird. Unter diesem Gesichtspunkt ist das arbeitsteilige Zusammenwirken im Aufsichtsrat als 356  Siehe 357  Siehe

oben I. 1. oben I. 1.



III. Rechtsvergleichung135

Kollektivorgan im deutschen Aktienrecht, das ein Bündel von Kenntnissen und Fähigkeiten ermöglicht, ein lehrreicher Ansatz für das chinesische Recht, da es eine übermäßige Erhöhung der individuellen Mindestqualifikation der Überwacher vermeidet. Um diese Effekte unter den Gegebenheiten des geltenden Verwaltungssystems in börsennotierten AGs zu erzeugen, sollte das chinesische Recht von der Vorstellung einer prinzipiellen individuellen Amtsführung durch unabhängige Vorstandsmitglieder und Aufsichtsratsmitglieder abgehen und für erstere das Zusammenwirken untereinander und in jeweiligen Vorstandsausschüssen und für letztere die Funktionsweise des Aufsichtsrats als Kollektivorgan unterstreichen. 2. Sorgfältige Wahrnehmung der Organfunktion Die einzelnen Verhaltenspflichten zur sorgfältigen Wahrnehmung der Organfunktion im chinesischen Recht werden hier unter der Zugrundelegung des aus dem deutschen Aktienrecht abgeleiteten Ansatzes, der auf die Aufgaben und Funktionen der jeweiligen Gesellschaftsorgane ausgerichtet ist, herausgearbeitet. In inhaltlicher Hinsicht nähern sich die einzelnen Sorgfaltspflichten der Vorstandsmitglieder im chinesischen Recht denen der Aufsichtsratsmitglieder im deutschen Recht insbesondere im Hinblick auf die Pflicht zur persönlichen Amtsführung, die auch die Pflicht zur Teilnahme an Vorstandssitzungen und die Pflicht zur eigenen Urteilsbildung einschließt.358 Dabei kommt der Charakter des Vorstands der chinesischen (börsennotierten) AGs als pluralistisch zusammengesetztes Beschlussorgan deutlich zutage. Dieser strukturelle Unterschied des chinesischen Vorstands im Vergleich zum deutschen führt auch dazu, dass sich die Zusammenarbeit im Vorstand als Kollektivorgan im chinesischen Recht schwerpunktmäßig auf das Verhältnis zwischen geschäftsführenden und unabhängigen Vorstandsmitgliedern bezieht, wobei die Zusammenarbeit und gegenseitige Überwachung innerhalb der beiden Personengruppen von keinem Regelungsgeber thematisiert wird. Hinsichtlich der Hierarchie unter den leitenden Managern, die regelmäßig zugleich geschäftsführendende Vorstandsmitglieder sind,359 kann man davon ausgehen, dass die Pflicht zur gegenseitigen Überwachung durch die Pflicht des Geschäftsführers zur Überwachung der ihm untergeordneten anderen leitenden Managern verdrängt wird. Im Rahmen der Pflicht zur persönlichen Amtsführung ist das chinesische Recht hinsichtlich der Fremdunterstützung der Vorstands- und Aufsichtsrats­ 358  Siehe 359  Siehe

oben II. 3. a) und b). § 1 III. 1. c).

136

§ 3  Sorgfaltspflichten

tätigkeit großzügiger als das deutsche Aktienrecht. Das deutsche Aktienrecht lässt die fachliche Unterstützung der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder durch sachverständige Dritte nur unter engen Voraussetzungen zu. Die gesellschaftsinternen Aufklärungsmöglichkeiten sollen ausgeschöpft werden und die Beratung ist auf konkrete einzelne Fragestellungen beschränkt.360 Demgegenüber ist im chinesischen Recht die Hinzuziehung von Sachverständigen auf Kosten der Gesellschaft ein wichtiges Überwachungsinstrument sowohl für die unabhängigen Vorstandsmitglieder als auch für die Aufsichtsratsmitglieder.361 Dass diese Befugnis den einzelnen unabhängigen Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern eingeräumt wird, verdeutlicht, dass im chinesischen Recht die individuelle Amtsführung der Überwachungsträger im Vordergrund steht. Breite Möglichkeiten der Fremdunterstützung mögen hinsichtlich der im chinesischen Recht schwach ausgestalteten Informationspflicht der geschäftsführenden Vorstandsmitglieder bzw. leitenden Manager gegenüber unabhängigen Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern Sinn ­machen. Es bestehen jedoch erhebliche Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Effizienz. Denn die vielfache Hinzuziehung von Sachverständigen durch verschiedene Organwalter zu demselben Thema wird der Gesellschaft mehr Kosten verursachen, was im Bereich der Rechnungslegung besonders akut ist. Das chinesische Recht ist daher in vieler Hinsicht verbesserungsbe­ dürftig. Zunächst bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung über die Berichterstattungspflicht der leitenden Manager gegenüber dem Vorstand und die des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat, die wie § 90 AktG die Berichtsgegenstände und -häufigkeit genau vorschreibt. Darüber hinaus soll das Recht der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder und unabhängigen Vorstandsmitglieder zur Hinzuziehung von sachkundigen Dritten durch eine Befugnis des Aufsichtsrats bzw. eine Befugnis der gesamten unabhängigen Vorstandsmitglieder ersetzt werden, wobei klarzustellen ist, dass eine darüber hinausgehende individuelle Inanspruchnahme von fachlicher Beratung, nur auf eigene Kosten möglich ist, wenn nicht überhaupt unzulässig. Allerdings kann man dadurch die Kosten wegen Doppelüberwachung der Geschäftsführung durch den Aufsichtsrat einerseits und unabhängige Vorstandsmitglieder andererseits nicht verhindern; dies fordert die Reform des Verwaltungssystems der börsennotierten AGs als eine grundlegende Lösung.

360  Siehe 361  Siehe

oben I. 2. b) bb). oben II. 3. c).



III. Rechtsvergleichung137

3. Einführung und Ausgestaltung der BJR a) Funktionen der BJR Die chinesischen Anhänger der BJR verwenden zur Begründung deren Notwendigkeit die ähnliche Rhetorik, die auch im deutschen Schrifttum gängig ist, nämlich die Besonderheiten der unternehmerischen Entscheidungen, die Förderung der für die Volkswirtschaft wünschenswerten Risiko­ freundlichkeit der Unternehmensleiter und auch die Gefahr der richterlichen Rückschaufehler.362 Ein Unterschied liegt in der starken Betonung der (angeblichen) praktischen Unmöglichkeit für die Geschäftsleiter, unter zeit­ lichem Druck und wechselhaften Marktbedingungen die richtigen Entscheidungen überhaupt zu treffen, und der damit zum Ausdruck gebrachten prinzipiellen Missbilligung der richterlichen Inhaltskontrolle der Geschäftsmaßnahmen. Angesichts der zwar verbesserten aber immer noch bescheidenen rechtlichen Infrastruktur in China, insbesondere hinsichtlich der Qualifikation der Richter, und der hohen Berufsrisiken der Richter in Bezug auf „fehlerhafte Urteile“ sowie der zunehmenden Arbeitsbelastung ist es verständlich, dass die chinesischen Richter ein Interesse daran haben, unter Berufung auf die BJR eine schwierige Inhaltskontrolle zu umgehen. In Bezug auf die Funktion der BJR gebietet sich daher eine dahingehende Klarstellung für das chinesische Recht, dass die Anerkennung eines haftungsfreien Handlungsraums der Geschäftsleiter nicht der Selbstentlastung der Richter dient, sondern ein Mechanismus zur Vermeidung der übermäßigen Härte des Haftungsregimes ist. Mit der BJR sucht man das richtige Maß der Haftungsgefahr zu erreichen, um das Verantwortungsbewusstsein der Organmitglieder zu schärfen ohne sie von der Übernahme ihrer Aufgaben abzuschrecken. Als Ausgangspunkt wird man daran festhalten müssen, dass es eine Pflicht der Organmitglieder schlechthin ist, für ihre Gesellschaft die richtigen Entscheidungen zu treffen, wobei die Richtigkeit nicht im absoluten Sinne zu verstehen, sondern durch die Kenntnismöglichkeit und das zeitliche Budget bedingt ist. Eine Entscheidung ist nach diesem Verständnis also dann richtig, wenn sie unter der gegebenen Entscheidungssituation vernünftig oder vertretbar erscheint. Zweitens steht es auch fest, dass die Organhaftung keine Erfolgshaftung ist, weil die Aktionäre das innenwohnende Risiko ihrer Investition nicht vollständig auf die von ihnen betrauten Manager verschieben sollen. Um dies rechtlich sicherzustellen, muss man der Gefahr der richterlichen Rückschaufehler vorbeugen. Der Kern liegt darin, den Richter, der eine Entscheidung in Kenntnis ihrer tatsächlichen Folge beur362  Siehe

oben II. 2. a).

138

§ 3  Sorgfaltspflichten

teilt, möglichst in dieselbe Entscheidungssituation des betroffenen Entscheidungsträgers zu setzen. Das deutsche Aktienrecht erreicht dies mit dem subjektivierten Beurteilungsmaßstab, der die Richter dazu zwingt, die Perspektive des betroffenen Entscheidungsträgers einzunehmen. Schließlich findet der Schutz der Geschäftsleiter durch die BJR die Rechtfertigung in den Besonderheiten der unternehmerischen Entscheidung. Nur in den komplexen Entscheidungssituationen ist die Befürchtung, ein Richter könne die Zweckmäßigkeit einer Handlungsalternative nicht besser einschätzen als ein für die unternehmerische Tätigkeit spezialisierter Manager, eine vernünftige Überlegung. Folglich muss die BJR einen eng begrenzten Anwendungsbereich haben. Dies soll man aus chinesischer Sicht besonders hervorheben, damit die BJR von der Öffentlichkeit nicht als ein ungerechtes Haftungsprivileg, das das an sich bereits schwache Verantwortungsbewusstsein der Manager weiter abschwächen würde, wahrgenommen wird. b) Kodifizierung der BJR Trotz der fast einhelligen Zustimmung zur BJR gibt es im chinesischen Schrifttum doch Bedenken gegen eine Kodifizierung. Im deutschen Reformschrifttum wurde ebenfalls gestritten, ob die tatbestandliche Ausformung des Geschäftsleiterermessens auf Dauer nicht besser bei den Gerichten aufzuheben sei, die es von Fall zu Fall fortentwickeln und auf neue, bislang unbekannte Sachprobleme übertragen könnten.363 Gerade hinsichtlich der angesichts der gegenwärtigen Rechtsentwicklung kaum vermeidbaren tatbestandlichen Offenheit wurde die Notwendigkeit einer Kodifizierung in Deutschland von mehreren Autoren bezweifelt.364 Nicht zu leugnen ist auch, dass die deutungsoffene Ausgestaltung der einzelnen Tatbestandsmerkmale der deutschen BJR zahlreiche Auslegungsschwierigkeiten bereitet, was nicht nur einen stetigen Rückgriff auf die Leitentscheidungen des BGH zum Geschäftsleiterermessen erforderlich macht, sondern auch weitere Präzisierungen durch die Rechtsprechung gebietet.365 Aus chinesischer Sicht sprechen jedoch mehrere Gründe für eine Kodifizierung. Erstens wird die Sorgfaltspflicht dadurch klarere Konturen erlangen. Eine gesetzliche Regelung kann zu einem Zuwachs an operationalem Gehalt führen, indem sie „dem Rechtsanwender durch subsumtionsfähige Begriffe eine materielle Wegleitung an die Hand“ gibt.366 Selbst wenn eine gesetz­ liche Regelung zur BJR zwangsläufig gestaltungsoffen ist, kann sie einen 363  Fleischer,

ZIP 2004, S. 685, 687. Fleischer, ZIP 2004, S. 685, 687. 365  Siehe oben I. 3. a). 366  Fleischer, ZIP 2004, S. 685, 687. 364  Vgl.



III. Rechtsvergleichung

139

klaren Diskursrahmen schaffen und bewirken, dass sich die juristischen Auseinandersetzungen unter dem Dach der Gesetzesauslegung geordnet entfalten. Zweitens kann man in China die tatbestandliche Ausformung aus mehreren Gründen nicht völlig der Gerichtspraxis überlassen. Die chinesischen Richter haben zwar durch Heranziehung der Kenntnisse über die US-amerikanische BJR die Regelungselemente im Großen und Ganzen erkannt. Sie können jedoch nicht ohne weiteres die amerikanischen Richter nachahmen. Die bisherige Gerichtspraxis zur BJR zeigt bereits zahlreiche Verwirrungen etwa über das Verhältnis zwischen BJR und Verschulden und zwischen BJR und Kausalität. Zudem hat man, wenn man an der Einführung der BJR im Sinne einer Beweislastregel denkt, die Vorfrage, wer welche Beweislast in einem Organhaftungsprozess trägt, zu klären. Die geltende Beweislastregel ist schon ungünstig genug für die Klägerin. Eine Beweislastumkehr zulasten der Organmitglieder wird zwar vielfach befürwortet und sogar von manchen Richtern angenommen, aber eine Rechtsgrundlage dafür fehlt noch. Die Kodifizierung der BJR wird eine Gelegenheit bieten, solche Vorfragen zu klären. Außerdem ist wegen der für die Aktionäre weitgehend ungünstigen Ausgestaltung der abgeleiteten Aktionärsklage mit einer zunehmenden Anspruchsverfolgung gegen die Organmitglieder der (börsennotierten) AGs nicht zu rechnen, sodass die chinesischen Gerichte kaum die Möglichkeit haben, sich mit komplexen unternehmerischen Entscheidungen, für die die BJR eigentlich relevant ist, auseinanderzusetzen. Folglich ist eine Kodifizierung des BJR für das chinesische Recht zu empfehlen. Die Offenheit bei der Tatbestandsausformung muss man hinnehmen. Deren Ausfüllung ist gerade die Aufgabe der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung. c) Ausgestaltung der BJR Bejaht man die Notwendigkeit einer Kodifizierung, dann stellt sich die Frage der tatbestandlichen Ausgestaltung. Eine eingehende Erörterung der einzelnen Tatbestandsmerkmale würde über den Rahmen der Arbeit hinausgehen. Daher muss sich die Stellungnahme auf einige Eckpunkte beschränken. Wie das deutsche Recht zeigt, kann eine BJR im Sinne eines kontrollfreien Handlungsspielraums auf verschiedenen Ebenen der Tatbestände der Organhaftung angesiedelt werden (Verhaltensmaßstab, Verschuldensmaßstab oder Beweislastregel). Aus Sicht des chinesischen Rechts ist auch notwendig die Frage der dogmatischen Ansiedelung des BJR zu klären, gerade im Hinblick auf die uneinheitliche Praxis.367 Die Ansiedelung auf der Ebene der Pflichtverletzung im deutschen Recht ist vor allem mit rechtssystemati367  Siehe

oben II. 2. b).

140

§ 3  Sorgfaltspflichten

schen Argumenten begründet. Ein Vorteil der deutschen Regelung ist eine klare Trennung von objektiver Rechtswidrigkeit (Pflichtverletzung) und subjektiver Rechtswidrigkeit (Verschulden). Die zweite Frage betrifft die Grundregel der Beweislastverteilung im Organhaftungsrecht. Die deutsche Regelung ist ein Vorbild für eine ausgewogene Lösung. Schließlich geben die Schwierigkeiten, die man in Deutschland mit der Handhabung des Informationserfordernisses hat, Anlass zu überlegen, ob man in China bei der Kodifizierung der BJR eine Informationspflicht ausdrücklich in das Gesetz aufnehmen oder nur pflichtgemäßes Informationsverhalten verlangen soll, das aus der Sorgfaltspflicht abzuleiten und im Einzelfall festzustellen ist.368 Für eine gesetzliche Informationspflicht spricht eine das Pflichtbewusstsein stärkende, pädagogische Wirkung der gesetzlichen Regelung. Andererseits wird die Gefahr des Fehlanreizes, der zur Formalisierung und übermäßigen Bürokratisierung des Entscheidungsfindungsprozesses führt, angesichts der Vorliebe der chinesischen Richter für eine formale, verfahrensorientierte Kontrolle und der Abneigung gegen die Ausübung des richterlichen Ermessens in China besonders groß sein. Bei der Ausgestaltung des Informationserfordernisses muss man daher zumindest darauf achten, auch den Richtern bewusst zu machen, dass die Angemessenheit der Entscheidungsgrundlage durch eine Einzelfallanalyse für jede konkrete Entscheidungssituation festzustellen ist und die Einhaltung eines bestimmten internen Entscheidungsverfahrens allenfalls Indizwirkung hat.369

IV. Zusammenfassung Bei der Sorgfaltspflicht ist im Anschluss an das deutsche Aktienrecht zwischen Sorgfalt als Verschuldensmaßstab und als Generalklausel für die Verhaltenspflichten zu trennen. Nur dadurch schafft man einen klaren Ausgangspunkt für die weitere Konkretisierung der Sorgfaltspflicht. Die h. M. in China befürwortet ebenfalls einen objektivierten Verschuldensmaßstab. Um dem nebenamtlichen Charakter der Tätigkeit der unabhängigen Vorstandsmitglieder besser Rechnung zu tragen, ist ein aufgabenbezogener Ansatz zur Konkretisierung der individuellen Sorgfaltsanforderungen eine saubere Lösung für das chinesische Recht. Dadurch kann man die unerwünschte Nivellierung von geschäftsführenden und nicht-geschäftsführenden Vorstandsmitgliedern vermeiden. Das chinesische Recht hat mehr Schwierigkeiten als das deutsche Recht, die tendenzielle Professionalisierung der Überwachungstätigkeit mit deren nebenamtlichem Charakter in Einklang zu 368  Vgl. die Gegenüberstellung von diesen beiden Alternativen bei Windbichler, in: Immenga / Schwintowski / Kollmorgen, Wirtschaftliches Risiko, S. 42, 51. 369  Siehe oben I. 3. a) dd).



IV. Zusammenfassung

141

bringen; dies liegt wohl daran, dass in China die Wahrnehmung der Überwachungsfunktion vornehmlich durch die individuelle Amtsführung der unabhängigen Vorstandsmitglieder und auch der Aufsichtsratsmitglieder erfolgt. Für die sorgfältige Wahrnehmung der Organfunktion sind die Aufgaben und Funktionen der jeweiligen Gesellschaftsorgane eine wichtige Pflichtenquelle. Für die Vorstandsmitglieder der chinesischen börsennotierten AGs hat sich eine Pflicht zur persönlichen Amtsführung etabliert und dadurch kommt der Charakter des chinesischen Vorstands als ein pluralistisch zusammengesetztes Beschlussorgan zutage. Der Unterschied zu dem im deutschen Recht für Aufsichtsratsmitglieder geltenden Gebot der persönlichen Amtsführung zeigt sich insbesondere in der unterschiedlichen Behandlung der Fremdunterstützung der Überwachungstätigkeit durch sachkundige Dritte. Mangels hinreichender Regelung zur Informationsverantwortung der geschäftsführenden Organmitglieder gegenüber den unabhängigen Vorstandsmitgliedern und den Aufsichtsratsmitgliedern sind diese auf die Hinzuziehung von Sachverständigen auf Kosten der Gesellschaft verwiesen. Als sofortige Lösungen kommen eine gesetzliche Berichterstattungspflicht der geschäftsführenden Vorstandsmitglieder und leitenden Manager, eine Umgestaltung des Rechts auf Fremdunterstützung als kollektive Befugnis des Überwachungsorgans in Betracht. Zur Verbesserung der Informationsbesorgung des Überwachungsorgans ist es auch denkbar, im Anschluss an das deutsche Recht den Abschlussprüfer als Hilfsperson des Überwachungsorgans einzusetzen. Für die Umsetzung unter dem geltenden Verwaltungssystem der börsennotierten AGs in China wird das Verhältnis zwischen den zwei Überwachungsträgern – den unabhängigen Vorstandsmitgliedern einerseits und dem Aufsichtsrat andererseits – zum unausweichlichen Problem. Daher kann die grundlegende Lösung nur in der Reform des Verwaltungssystems selber liegen. Die zahlreichen Verwirrungen der chinesischen Gerichtspraxis und akademischen Diskussion mit der BJR gehen zum größten Teil auf die Schwierigkeiten mit der Verarbeitung von Kenntnissen über die US-amerikanische BJR zurück. Die dogmatisch klar strukturierte deutsche BJR bietet sich als Vorbild an. Für das chinesische Recht wird die Kodifizierung der BJR eine Gelegenheit geben, sowohl die dogmatische Struktur der Organhaftung als auch die Grundregel für die Verteilung der Beweislast in einem Organhaftungsprozess zu klären. Zudem bedarf es einer Klarstellung der Funktion der BJR angesichts des sich andeutenden Missverständnisses, die BJR sei eine Befreiung der Richter von der Inhaltskontrolle der Geschäftsführungsmaßnahmen. Daher sprechen gute Gründe für eine Kodifizierung der BJR in China. Für die tatbestandliche Ausformung ist zuerst eine Klarstellung des Anwendungsbereichs der BJR notwendig. Das deutsche Recht zeigt,

142

§ 3  Sorgfaltspflichten

dass für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der BJR der dort verwendete Begriff „unternehmerische Entscheidung“ nur begrenzt leistungsfähig ist. Wenn die Bildung der Tatbestandsmerkmale rechtstechnisch offen sein muss, ist die Klarstellung der Normzwecke des BJR umso wichtiger, da es letztlich auf eine teleologische Auslegung ankommt. Eine weitere schwierige Regelungsaufgabe liegt im Informationserfordernis. Für die Ausgestaltung dieses Tatbestandsmerkmals sind die Auseinandersetzungen des deutschen Schrifttums mit den Anforderungen an die Entscheidungsgrundlage und der Reichweite der richterlichen Kontrolle der informationellen Entscheidung besonders lehrreich.

§ 4  Treuepflichten Im Gegensatz zur Sorgfaltspflicht ist die Treuepflicht im chinesischen KgG ausführlich geregelt. Mehrere konfliktträchtige Konstellationen werden unter Verbot mit Zustimmungsvorbehalt gestellt. Die folgenden Ausfüh­ rungen bezwecken die Funktionsfähigkeit des auf die Zustimmung der Hauptversammlung setzenden chinesischen Ansatzes auf der Grundlage der Rechts­verglei­chung mit dem deutschen Aktienrecht zu überprüfen und die Defizite zu identifizieren. Folglich liegt der Schwerpunkt der Untersuchung in den gesellschaftsinternen Entscheidungsregeln als Präventivinstrument gegen Interessenkonflikte.

I. Treuepflichten im deutschen Recht Die organschaftliche Treuepflicht der Organmitglieder der AG ist im deutschen Schrifttum und in der Rechtsprechung allgemein anerkannt.1 Die h. M. leitet sie aus der weitreichenden Verfügungsmacht der Organmitglieder über fremde Vermögensinteressen ab.2 Im Gesetz findet man das Wettbewerbsverbot (§ 88 AktG) und die Verschwiegenheitspflicht (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AktG) als ihre Einzelausprägungen. Im Folgenden wird nach einem Überblick zur Funktion und zu den Einzelpflichten der Treuepflicht (1.) die Behandlung der Interessenkollision mit dem Schwerpunkt auf Eigengeschäfte (2.) und der Pflichtenkollision mit dem Fokus auf Mehrfachmandanten (3.) im deutschen Recht erläutert. 1. Ein Überblick zur organschaftlichen Treuepflicht Die Funktion der Treuepflicht besteht in der Vermeidung von Interessenkonflikten und der scharfen Trennung zwischen Vermögenssphären der AG und ihrer Organmitglieder.3 Ihr wesentlicher Inhalt wird von Rechtsprechung und Rechtslehre als die Pflicht umschrieben, in allen Angelegenheiten, die 1  Vgl. nur Hüffer, § 84 Rn. 9; Fleischer, WM 2003, S. 1045, 1046 jeweils m. w. N. 2  Vgl. Hüffer, § 84 Rn. 9; Möllers, in: Hommelhoff / Hopt / v.  Werder, HdbCG, S. 423, 427; ausführlich zur dogmatischen Begründung Fleischer, WM 2003, S. 1045 f. 3  Fleischer, WM 2003, S. 1040, 1050.

144

§ 4  Treuepflichten

das Interesse der Gesellschaft berühren, allein deren Wohl und nicht seinen eigenen Nutzen oder den Vorteil anderer im Auge zu haben.4 Eine Ausnahme gilt bei der Verhandlung von Anstellungsbedingungen; Hier besteht keine generelle Pflicht des Vorstandsmitglieds, seine eigenen Interessen gegenüber dem Gesellschaftsinteresse zurückzustellen.5 Die organschaftliche Treuepflicht stellt damit eine allgemeine Schranke bei der Ausübung der Organkompetenzen dar.6 Sie verbietet den Organmitgliedern, den Ermessensspielraum der Ausübung ihrer Befugnisse unter Missachtung des Gesellschaftsinteresses für eigene Vorteile auszunutzen.7 Insofern besteht ein allgemeines Schädigungsverbot. Im Einzelnen werden die folgenden Pflichten aus der Treuepflicht abgeleitet: – Loyaler Einsatz für die Gesellschaft,8 – Verbot, Geschäftschancen der Gesellschaft an sich zu ziehen,9 – Verbot der Verfolgung eigener Interessen auf Kosten der Gesellschaft,10 – Verbot eigennütziger Ausnutzung der Organstellung,11 – Pflicht zur Offenlegung und zur Ermöglichung angemessener Kontrolle12. Unterschiede zwischen Vorstand und Aufsichtsrat betreffen nur die konkrete Ausgestaltung der Treuepflicht. Angesichts des Nebenamtscharakters der Aufsichtsratstätigkeit und der insbesondere im mitbestimmten Aufsichtsrat vorherrschenden Interessenpluralität gilt der Vorrang des Gesellschaftsinteresses vor dem fremden oder eigenen Interesse nur bei Wahrnehmung der Organfunktion uneingeschränkt.13 Folglich ist es einem Vertreter der 4  BGH NJW-RR 1989, S. 1255, 1257; WM 1983, S. 498, 499; WM 1977, S. 361, 362 jeweils für GmbH-Geschäftsführer; GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 145; MünchKommAktG / Spindler, § 93 Rn. 92; HdbVorstand / Fleischer, § 9 Rn. 2. 5  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 160; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 108. 6  Zu Parallelen zwischen organschaftlicher Treuepflicht und mitgliedschaftlicher Treuepflicht der Aktionäre Möllers, in: Hommelhoff / Hopt / v.  Werder, HdbCG, S. 423, 431. 7  Möllers, in: Hommelhoff / Hopt / v.  Werder, HdbCG, S. 423, 431; GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 176 ff.; KK-AktG / Mertens, § 116 Rn. 30 f. 8  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 156; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 96. 9  BGH WM 1977, S. 361 ff.; WM 1985, S. 1443 ff.; WM 1983, S. 498 f.; GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 166. 10  BGH WM 1989, S. 1335 ff. = NJW-RR 1989, S. 1255 ff.; WM 1983, S. 498 f. 11  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 176; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 100. 12  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 185 f.; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 110. 13  Vgl. MünchKommAktG / Habersack, § 116 Rn. 44 ff.; GroßKommAktG / Hopt /  Roth, § 116 Rn. 174 ff. und Rn. 190; Lutter / Krieger, Aufsichtsrat, Rn. 894.



I. Treuepflichten im deutschen Recht

145

Anteilseigner – vorbehaltlich konzernrechtlicher Besonderheiten – verboten, Sonderinteressen eines Großaktionärs zu verfolgen.14 Auch ein Arbeitnehmervertreter darf spezifische Interessen der Arbeitnehmer, die vom Unternehmensinteresse nicht gedeckt sind, nicht verfolgen. Außerhalb seiner Organtätigkeit ist ein Aufsichtsratsmitglied nicht zur aktiven Förderung des Gesellschaftsinteresses verpflichtet, wenn und soweit es dadurch berechtigten eigenen Belangen oder solchen Dritter zuwiderhandeln würde.15 Es ist z. B. nicht verpflichtet, dem Aufsichtsrat sein aufgrund anderweitiger Inte­ ressenbindung erlangtes Sonderwissen offenzulegen, wenn es sich dadurch schadensersatzpflichtig machen würde.16 Ein Aufsichtsratsmitglied darf seinen Einfluss nicht dazu missbrauchen, dem Vorstand fehlerhaftes oder gesellschaftsschädigendes Verhalten nahezulegen.17 Es darf die aufgrund seiner Organstellung erlangte Information nicht zum Nachteil der Gesellschaft verwerten. Die Verschwiegenheitspflicht (§ 116 Abs. 2 AktG) beansprucht auch außerhalb der Unternehmenssphäre strikte Geltung.18 Aufsichtsratsmitglieder unterliegen keinem Wettbewerbsverbot und das Verbot der Ausnutzung der Geschäftschance der Gesellschaft findet nur eingeschränkte Anwendung.19 Wegen der Vielfältigkeit der Interessenkonflikte bedarf die Präzisierung der Treuepflicht einer Fallgruppenbildung. Besonders hilfreich ist die Differenzierung nach Konfliktursachen. Im deutschen Schrifttum findet man eine gängige Unterscheidung zwischen sog. Interessenkollisionen, nämlich Konflikten zwischen Gesellschaftsinteressen und Eigeninteressen des Organmitglieds, und Pflichtenkollisionen, also Konflikten von Gesellschaftsinteressen und anderen Fremdeninteressen, die ein Organmitglied kraft seiner anderweitigen Pflichtenstellung zu berücksichtigen hat.20 Während die einfachen Interessenkollisionen über den Grundsatz des Vorrangs des Gesellschaftsinteresses zu lösen sind, ist die Behandlung von Pflichtenkollision schwieri14  MünchKommAktG / Habersack,

§ 116 Rn. 46. § 116 Rn. 48. 16  MünchKommAktG / Habersack, § 110 Rn. 63 und § 116 Rn. 48. 17  BGH NJW 1980, S. 1629 f. (Ausstellung eines Gefälligkeitswechsels für eine nahestehende notleidende Bank); Hüffer, § 116 Rn. 5; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 185. 18  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 179; MünchKommAktG / Habersack, § 116 Rn. 45. 19  Dazu GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 193 und 194. 20  Vgl. GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 188; Lutter / Krieger, Aufsichtsrat, Rn. 768 mit Fallgruppen in Rn. 777 ff.; ähnlich Möllers, in: Hommelhoff / Hopt / v. Werder, S. 423, 432 ff. (Interessenkonflikte in Ausübung der Organtätigkeit und außerhalb der Organtätigkeit); Hopt, in: Hopt / Teubner, Directors’ Liabilities, S. 285, 287 f. (basic patterns of directors’ conflicts of interest, institutional conflicts of interest). 15  MünchKommAktG / Habersack,

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§ 4  Treuepflichten

ger.21 Das Grundsätzliche hierzu wurde bereits im Zusammenhang mit der Treuepflicht des Aufsichtsrats angesprochen. Ausgangspunkt ist die Trennung der verschiedenen Pflichtenkreise mit der Folge, dass die Pflichterfüllung gegenüber einem Dritten einen Treuepflichtverstoß gegenüber der Mandatsgesellschaft nicht rechtfertigen kann.22 Die weitere Konkretisierung erfolgt vor allem im Hinblick auf Mehrfachmandate in Konzernen. Folglich werden die Geschäfte mit eigener Gesellschaft und Mehrfachmandate als Fallgruppen ausgewählt. 2. Interessenkollision – insbesondere Eigengeschäfte Interessenkollisionen der Organmitglieder sind vielfältig. Rechtsvergleichend ist typischerweise auf die vier wichtigsten Fallgruppen Bezug zu nehmen, nämlich Eigengeschäfte (self-dealing), Manager-Vergütung, Ausnutzen von Geschäftschancen und Handeln mit Aktien der Gesellschaft (insider-trading).23 Diese Unterscheidung verdeutlicht die verschiedenen Gefahrenlagen und erleichtert die rechtlich differenzierende Behandlung.24 Die ersten zwei Fallgruppen betreffen beiderseitige Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und ihren Organmitgliedern. Die Gefahr besteht darin, dass die Organmitglieder kraft ihrer Position in der Gesellschaft Einfluss auf die Ausgestaltung des Austauschverhältnisses nehmen können. Folglich steht die Kontrolle der Angemessenheit der Austauschverhältnisse im Mittelpunkt ihrer rechtlichen Behandlung. Bei den letzteren zwei Fallgruppen geht es hingegen um die Gefahr, dass ein Organmitglied in Vertragsbeziehungen mit Dritten seine Position zum eigenen Vorteil ausnutzt.25 Die Schwierigkeit der rechtlichen Behandlung liegt in erster Linie in der Frage, welche Vorteile der Gesellschaft zuzuordnen sind und welche dem Organmitglied verbleiben sollen. Im Folgenden ist die Fallgruppe Handeln mit Aktien der Gesellschaft auszuklammern. Diese Materie ist heute typischerweise ins Kapitalmarktrecht verlagert.26 Die entsprechenden Regelun21  Lutter / Krieger, Aufsichtsrat,

Rn. 896; ArbHdb AR / Marsch-Barner, § 12 Rn. 96. NJW 1980, S. 1629 f. – Schaffgotsch; zum Grundsatz der Rollentrennung Lutter / Krieger, Aufsichtsrat, Rn. 897. 23  Enriques / Hertig / Kanda, in: Kraakman / Davies u. a., Anatomy of Corporate Law, S. 153 f.; vgl. Hopt, in: Hopt / Teubner, Directors’ Liabilities, S. 285, 287 ff. (personal self-dealing; excessive renumeration; use of corporate opportunity; competing with the corporation; use of corporate information and control). 24  Clark, Corporate Law, S. 141. 25  Vgl. Davis, Introduction to Company Law, S. 170; Möslein, Grenzen unternehmerischer Leitungsmacht, S. 68. 26  Vgl. Sec.  16 (a) des US-amerikanischen Securities Exchange Act 1934; in Deutschland § 15a Abs. 1 WpHG (directors’ dealings); in China hingegen § 142 22  BGH



I. Treuepflichten im deutschen Recht

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gen haben zwar präventive Wirkungen gegen Insidergeschäfte der Führungskräfte, dienen aber in erster Linie der Transparenz des Kapitalmarkts und der Verbesserung der Entscheidungsgrundlage der Kapitalanleger.27 Das Ausnutzen der Geschäftschance ist hier nicht gesondert zu behandeln. Denn für die hier zu behandelnde Frage des Regelungsmodells weist diese Fallgruppe im deutschen Aktienrecht keine Besonderheit im Vergleich zu Eigengeschäften im engeren Sinne auf; die beiden Fälle unterliegen einem Verbot unter Erlaubnisvorbehalt.28 a) Gesellschaftsinterne Entscheidungsregeln aa) Eigengeschäfte der Vorstandsmitglieder (1) Unmittelbare Eigengeschäfte der Vorstandsmitglieder In Deutschland werden Interessenkonflikte bei Rechtsgeschäften der Vorstandsmitglieder mit der AG durch die Verschiebung der Vertretungsmacht auf den Aufsichtsrat nach § 112 AktG vermieden. Diese Vorschrift ist mit der Besorgnis um die Gefährdung der unbefangenen Wahrung der Gesellschaftsbelange durch den Vorstand begründet.29 Folglich ist es unerheblich, ob die Interessenkonflikten bzw. eine Beeinträchtigung der Gesellschaftsinteressen im Einzelfall überhaupt vorliegen. Die Zuständigkeit des Aufsichtsrats ist zwingend. Er erlangt nicht nur eine formale Vertretungskompetenz, sondern auch die Geschäftsführungsbefugnis und trifft die Entscheidung über das Ob und Wie des Rechtsgeschäfts mit einem Vorstandsmitglied.30 Diese Norm hat einen weiten sachlichen Anwendungsbereich und erstreckt sich auf alle Rechtsgeschäfte einschließlich der Geschäfte des täglichen Lebens und Rechtsstreitigkeiten mit Vorstandsmitgliedern, die ihren Ursprung in der Vorstandstätigkeit haben.31 Aus dem Grund der Rechtssicherheit und wegen des Ausnahmecharakters dieser Vorschrift wird eine analoge Anwendung des § 112 AktG auf Rechtsgeschäfte abgelehnt, Abs. 2 KgG, der die Offenlegung der Beteiligung der Organmitglieder an eigener AG und der Änderung des Aktienbesitzes sowie die zeitliche Einschränkung der Aktienveräußerung regelt. 27  Näher zu directors’ dealings bei Fleischer, NZG 2006, S. 561, 564 f. 28  Zur allgemein anerkannten analogen Anwendung des Einwilligungserfordernisses in § 88 Abs. 1 AktG für die Fälle der Geschäftschancelehre GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 164 und 167. 29  Hüffer, § 112 Rn. 1; Fleischer, WM 2003, S. 1045, 1052. 30  Vgl. Thoma, Eigengeschäfte, S. 175. 31  Zu Einzelheiten Hüffer, § 112 Rn. 3 f.; MünchKommAktG / Habersack, § 112 Rn.  17 ff.

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§ 4  Treuepflichten

an denen die Vorstandsmitglieder lediglich mittelbar oder wirtschaftlich beteiligt sind.32 Eine analoge Anwendung kommt allenfalls für die Geschäfte mit einer Einpersonen-Gesellschaft eines Vorstandsmitglieds in Betracht, weil man in diesem Fall von einer wirtschaftlichen Identität zwischen dieser Gesellschaft und dem Vorstandsmitglied ausgehen könnte, was aber auch nicht unstreitig ist.33 (2) Kreditgewährung Für die Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder gilt die Sonderregel des § 89 Abs. 1 AktG. Erforderlich ist danach eine ausdrückliche vorherige Zustimmung des Aufsichtsrats, die den Kredit oder die Kreditart konkret bezeichnen, die Verzinsung und Rückzahlung regeln muss und nicht älter als drei Monate sein darf.34 Da die Gefahr, dass sich Vorstandsmitglieder kraft ihrer Vertretungsmacht gegenseitig Kredite gewähren, bereits durch § 112 AktG gebannt wird, dient § 89 AktG in erster Linie dazu, den sonstigen Missbräuchen wie etwa einer überhöhten Kreditaufnahme, unangemessen niedriger Verzinsung oder Tilgung entgegenzuwirken.35 Das AktG geht also von einer grundsätzlichen Zulässigkeit von Organkrediten aus und will nur sicherstellen, dass solche Organkredite wirtschaftlich vertretbar sind und nicht aus sachfremden Gesichtspunkten gewährt werden.36 Das Einwilligungserfordernis stellt sicher, dass die Entscheidung über das „Ob“ der Kreditgewährung beim Aufsichtsrat liegt. Die inhaltlichen Anforderungen an dem Aufsichtsratsbeschluss bringt es zum Ausdruck, dass der Aufsichtsrat verpflichtet und somit auch berechtigt ist, die Modalität der Kreditgeschäfte zu bestimmen. In der Kommentarliteratur ist gängig von einer Missbrauchsverhinderung durch gesteigerte Transparenz die Rede.37 Die durch das Erfordernis eines Aufsichtsratsbeschlusses gewährleistete verwaltungsinterne Transparenz wird von der handelsbilanzrechtlichen Transparenz (vgl. § 285 Satz 1 Nr. 9c HGB) flankiert.38 vor allem Thoma, Eigengeschäfte, S. 178 ff. § 112 Rn. 9; dazu kritisch GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 112 Rn. 43. 34  Zu Einzelheiten Hüffer, § 89 Rn. 4; Thoma, Eigengeschäfte, S. 183 f. 35  Hüffer, § 89 Rn. 1; GroßKommAktG / Kort, § 89 Rn. 3; ArbHdb AR / Kropff, § 8 Rn. 117. 36  Vgl. MünchKommAktG / Spindler, § 89 Rn. 1; vgl. auch Fleischer, WM 2004, S. 1057, 1061 f. für die Beibehaltung der gesetzlichen Lösung. 37  Vgl. nur Hüffer, § 89 Rn. 1; GroßKommAktG / Kort, § 89 Rn. 3; MünchKomm­ AktG / Spindler, § 89 Rn. 2. 38  Näher dazu GroßKommAktG / Kort, § 89 Rn. 3 und Rn. 70 ff.; Fleischer, WM 2004, S. 1057, 1063. 32  Dazu

33  MünchKommAktG / Habersack,



I. Treuepflichten im deutschen Recht

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Das Zustimmungserfordernis gilt auch für die Kreditgewährung des herrschenden Unternehmens an Vorstandmitglieder der abhängigen Gesellschaften bzw. die Kreditgewährung der abhängigen AG an Vorstandsmitglieder des herrschenden Unternehmens, wobei im letzteren Fall nicht der Aufsichtsrat der abhängigen AG, sondern der Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens zuständig ist (§ 89 Abs. 2 Satz 2 AktG). Zur Verhinderung von Umgehungen erstreckt sich der Anwendungsbereich des § 89 Abs. 1 AktG auch auf die Kreditgewährung an die leitenden Angestellten der Gesellschaft (vgl. § 89 Abs. 2 Satz 1 AktG), nahestehende Angehörige der Vorstandsmitglieder und Strohmänner (vgl. § 89 Abs. 3 AktG), die Kapitalgesellschaft, in der ein Vorstandsmitglied Geschäftsführer bzw. Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied ist bzw. die Personenhandelsgesellschaft, in der ein Vorstandsmitglied Gesellschafter ist (vgl. § 89 Abs. 4 AktG).39 Eine Ausnahme gilt für die Kreditgewährungen zwischen verbundenen Unternehmen, um den konzerninternen Geschäftsverkehr nicht übermäßig zu behindern.40 Außerhalb der Kreditgeschäfte findet § 89 AktG keine analoge Anwendung, weil die Gefahr der Interessenkonflikte weitgehend durch eine Zuständigkeitsregelung gebannt wird und somit eine Regelungslücke nicht besteht.41 (3) Vorstandsvergütung Für den Anstellungsvertrag mit Vorstandsmitgliedern gelten neben § 112 AktG die Sonderregelungen der §§ 84–87 AktG. Der Aufsichtsrat ist das zuständige Organ sowohl für die Festsetzung der Vorstandsbezüge als auch für die Gewährung von Aktienoptionen.42 Dabei hat er die Angemessenheitsschranke in § 87 AktG zu beachten. Durch das VorstOG (2005) wurde die Pflicht zur individualisierten Offenlegung der Bezüge der Vorstandsmitglieder börsennotierten AGs (vgl. §§ 285 Nr. 9 lit. a Satz 5 bis 8, 314 Abs. 1 Nr. 6 lit. a Satz 5 bis 8 HGB) eingeführt.43 Die Notwendigkeit einer gesetz39  Näher GroßKommAktG / Kort, § 89 Rn. 95 ff.; Fleischer, WM 2004, S. 1057, 1064; Thoma, Eigengeschäfte, S. 184 f. 40  GroßKommAktG / Kort, § 89 Rn. 124; Fleischer, WM 2004, S. 1057, 1065. Ähnliches gilt im britischen Recht, vgl. Sec. 208 CA 2006, zu Einzelheiten Hanni­ gan, Company Law, S. 297. 41  MünchKommAktG / Spindler, § 89 Rn. 58. 42  Zum letzteren Hüffer, § 87 Rn. 6; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 87 Rn. 40 f. Davon zu unterscheiden ist die Zuständigkeit der Hauptversammlung für die inhaltliche Ausgestaltung der Aktienoptionsprogramme nach § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG, näher dazu Hüffer, § 193 Rn. 7. 43  In Deutschland gilt die Pflicht zur Angabe der Bezüge der jeweiligen Gruppe von Organmitgliedern im Anhang (§ 285 Nr. 9 HGB) bzw. Konzernanhang (§ 314 Abs. 1 Nr. 6 HGB) für alle großen und mittelgroßen (§ 288 HGB) Kapitalgesellschaften.

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§ 4  Treuepflichten

lichen Regelung ist vom Gesetzgeber mit einer unzureichenden freiwilligen Befolgung der seinerzeitigen Empfehlung in Ziff. 4.2.4. DCGK zur individuellen Gehälteroffenlegung begründet.44 Unter dem Gesichtspunkt der Begrenzung der Vorstandsvergütung lässt sich aus der Abwägung von Vorund Nachteilen einer individualisierten Gehälteroffenlegung jedoch keine klare Schlussfolgerung ziehen.45 Zur Rechtfertigung wird die Kontrollfunktion der detaillierten und individualisierten Offenlegung von Vorstandsgehältern im Vordergrund gestellt. Sie sollte nämlich den Aktionären die Kontrolle erleichtern, ob der Aufsichtsrat bei der Vereinbarung von Vorstandsvergütungen dem Angemessenheitsgebot des § 87 Abs. 1 AktG genügt.46 Die Pflicht zur individualisierten Angabe von Vorstandsbezügen gilt nur für börsennotierte AGs. Nach § 289 Abs. 2 Nr. 5 HGB soll im Lagebericht einer börsennotierten Gesellschaft auf die Grundzüge des Vergütungssystems eingegangen werden. Um potentielle Interessenkonflikte sichtbar zu machen, sind nach § 285 Nr. 9 lit. a Satz 7 HGB auch solche Leistungen anzugeben, die dem einzelnen Vorstandsmitglied von einem Dritten im Hinblick auf seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied zugesagt oder im Geschäftsjahr gewährt worden sind. Diese Vorschrift erfasst insbesondere die Leistungen in verbundenen Unternehmen, z. B. die Teilnahme eines Vorstandsmitglieds der Tochtergesellschaft am Optionsprogramm des Mutterunternehmens.47 Es besteht die Möglichkeit, dass die Hauptversammlung mit einer qualifizierten Mehrheit das Unterbleiben der individualisierten Offenlegung beschließt (§§ 286 Abs. 5, 314 Abs. 2 Satz 2 HGB).48 Die Regeln über Vorstandsvergütungen wurden durch das VorstAG (2009) in vieler Hinsicht reformiert. Dies war eine Reaktion auf die Finanzmarktkrise, für die falsche Verhaltensanreize infolge kurzfristig ausgerichteter Vergütungsstruktur von der Politik als einen der begünstigenden Faktoren angenommen werden.49 Eine zusätzliche Rechtfertigung fand sich im wei44  BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5577, S. 5. Kritik zum damit bewirkten Abschied von der Selbstregulierung z. B. bei Hopt, ZIP 2005, S. 461, 473; für eine gesetzliche Regelung z. B. Baums, ZIP 2004, S. 1877, 1879; ders., ZHR 169 (2005), S. 299, 308. 45  Vgl. Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), S. 155, 173 (Es handele sich bei der Debatte über den Sinn und Unsinn der individuellen Offenlegung „weniger um eine Rechtsfrage als eine politische Entscheidung, wenn nicht sogar um eine Glaubensfrage“); eingehend Baums, ZHR 169 (2005), S. 299, 306; Fleischer, DB 2005, S. 1611, 1612. 46  Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 15 / 5577, S. 5; Fleischer, DB 2005, S. 1611, 1612; Baums, ZHR 169 (2005), S. 299, 306. 47  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 87 Rn. 93. 48  Dazu näher Fleischer, DB 2005, S. 1611, 1614. 49  Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 16 / 12278, S. 6.; die Presseerklärung des Europäi­ schen Rats betreffend Organvergütung vom 07.10.2008; Pressemitteilung des BMJ



I. Treuepflichten im deutschen Recht151

teren Anstieg der Vergütung der Vorstände deutscher börsennotierter Gesellschaften trotz der verschärften Transparenz nach dem VorstOG und dem Unbehagen der Öffentlichkeit hierüber.50 In § 87 Abs. 1 n. F. AktG wird neben den Aufgaben des Vorstandsmitglieds und der Lage der Gesellschaft nunmehr ausdrücklich die Leistung des Vorstandsmitglieds als Angemessenheitskriterium genannt (Satz 1). Zudem wird ausdrücklich zwischen bör­ sennotierten und nicht börsennotierten Gesellschaften differenziert und für die ersteren eine auf nachhaltige Unternehmensentwicklung ausgerichtete Vergütungsstruktur verlangt (Satz 2) und als dessen Element eine mehrjährige Bemessungsgrundlage für variable Vergütungsbestandteile gefordert (Satz 3). Zur Verbesserung der Transparenz der Vergütungsfestsetzung51 ist die Vergütungsentscheidung dem Aufsichtsratsplenum vorbehalten (vgl. § 107 Abs. 3 AktG).52 Darüber hinaus wird der Hauptversammlung der börsennotierten Gesellschaft die Möglichkeit eingeräumt, das bestehende Vergütungssystem durch einen unverbindlichen und unanfechtbaren Beschluss53 zu billigen (§ 120 Abs. 4 AktG). Damit wird ein nur beratendes Votum der Aktionäre zur Umsetzung der entsprechenden Empfehlung der Kommission54 nach dem britischen Vorbild55 eingeführt. Der Gesetzgeber verlässt sich insoweit auf die „rein tatsächlichen Wirkungen“ eines Misstrauensvotums und verweist auf entsprechende Erfahrungen in England, und erhofft sich positive Rückwirkungen auf die Wahrnehmung der Pflichten aus § 87 AktG durch den Aufsichtsrat.56 Schließlich sind die Hürden für eine nachträgliche Herabsetzung der Vorstandsvergütung gesenkt und der Anwendungsbereich der Herabsetzungsmöglichkeit erweitert geworden.57 § 87 Abs. 1 AktG ist nach h. M. kein Verbotsgesetz i. S. d. § 134 BGB, so dass der Verstoß gegen diese Vorschrift die Wirksamkeit des Anstellungsvertrags einschließlich der überhöhten Bezüge unberührt lässt.58 Vielmehr vom 18.06.2009, eine Zusammenfassung abrufbar bei http: /  / rsw.beck.de / cms /  main?toc=njw.root&site=NJW&docid=283850 (zuletzt abgerufen 01.07.2013). 50  Vgl. Seibert, WM 2009, S. 1489; Spindler / Stilz / Fleischer, § 87 Rn. 4. Zusammenfassende Darstellung von mehreren Studien über Vorstandsbezüge in Deutschland bei Bayer, ZG 23(2008), S. 313, 324 f. 51  BegrRegE, BT-Drucks. 16 / 12278, S. 6. 52  Dazu Fleischer, NZG 2009, S. 801, 804. 53  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 87 Rn. 1. 54  Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 16 / 13433, S. 12; Empfehlung der Kommission vom 14.12.2004 (2004 / 913 / EG), ABlEU Nr. L 385, S. 55; Empfehlung der Kommission vom 30.04.2009 (2009 / 385 / EG), ABlEU Nr. L 120, S. 28. 55  Vgl. Sec. 439 CA (2006); dazu Fleischer, NZG 2009, S. 801, 805. 56  Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 16 / 13433, S. 12; kritisch Fleischer, NZG 2009, S. 801, 805: „platonische Vertrauenskundgebung“. 57  Dazu näher KK-AktG / Mertens / Cahn, § 87 Rn. 94 ff. 58  Statt vieler GroßAktG / Kort, § 87 Rn. 69; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 87 Rn. 5.

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§ 4  Treuepflichten

handelt es sich um eine Konkretisierung des Ermessens des Aufsichtsrats.59 Bei schuldhafter Missachtung des Angemessenheitsgebots macht sich der Aufsichtsrat schadensersatzpflichtig nach § 116 Satz 1 und 3 i. V. m. § 93 Abs. 2 AktG. Bei § 116 Satz 2 AktG handelt es sich um eine klarstellende, gesetzliche Hervorhebung der Sorgfaltspflicht des Aufsichtsrats bei der Vergütungsfestsetzung, die einer Bewusstseinsverschärfung dienen soll.60 Es wird erwogen, neben dem Aufsichtsrat auch die begünstigten Vorstandsmitglieder wegen Veranlassung des Aufsichtsrats zur Gewährung einer unangemessenen Vergütung haften zu lassen.61 Nach einer anderen Ansicht ist dies nur unter engen Voraussetzungen möglich, da die Vorstandsmitglieder bei der Aushandlung der Anstellungsverträge legitim ihre eigenen Interessen verfolgen dürfen.62 Bei Missachtung des § 87 Abs. 1 AktG können die Grundsätze zum Missbrauch der Vertretungsmacht eingreifen.63 bb) Eigengeschäfte der Aufsichtsratsmitglieder Für die Rechtsgeschäfte der AG mit Aufsichtsratsmitgliedern bleibt es bei der Zuständigkeit des Vorstands. Für die Kreditvergabe an Aufsichtsratsmitglieder gelten dieselbe Zustimmungserfordernisse wie bei Vorstandsmitgliedern (vgl. §§ 89, 115 AktG). Damit wollte der Gesetzgeber einerseits die Gesellschaft vor missbräuchlichen Verhalten der Aufsichtsratsmitglieder und andererseits die Aufsichtsratsmitglieder vor einer nicht sachlich orientierten Einwirkung seitens des Vorstands schützen.64 Für Dienst- und Werkverträge, die ein Aufsichtsratsmitglied der Gesellschaft zu einer Tätigkeit höherer Art verpflichten, statuiert das Aktiengesetz die Zustimmung des Aufsichtsrats ausdrücklich als eine Wirksamkeitsvoraussetzung (§ 114 Abs. 1 AktG). Zu dem Anwendungsbereich des § 114 AktG fallen überwiegend Beratungsverträge.65 Für die Rechtspraxis ist die vorgelagerte Frage über die inhaltliche Genehmigungsfähigkeit der Beratungsverträge im Einzelfall von großer Bedeutung.66 Weil zu den Aufgaben des Aufsichtsrats auch die Beratung des Vorstands gehört, kann eine Beratung, die bereits im Rahmen der Auf59  MünchKommAktG / Spindler,

§ 87 Rn. 80. BegrRegE, BT-Drucks. 16 / 12278, S. 6.; deutlich bei Seibert, in: FS Hüffer (2010), S. 955, 962; Kritisch Fleischer, NZG 2009, S. 801, 804; Zweifel an der Effektivität der gesetzlichen Regelung im Hinblick auf die Schadensbemessung und Durchsetzung siehe KK-AktG / Mertens / Cahn, § 116 Rn. 76 ff. m. w. N. 61  Vgl. MünchKommAktG / Spindler, § 87 Rn. 79. 62  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 87 Rn. 5. 63  Dazu siehe unten I. 2. c) aa) (2). 64  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 115 Rn. 2. 65  ArbHdb AR / Kropff, § 8 Rn. 136. 66  Zu Einzelheiten ArbHdb AR / Kropff, § 8 Rn. 137 ff. 60  Vgl.



I. Treuepflichten im deutschen Recht153

sichtsratspflichten zu leisten ist, nicht Gegenstand eines entgeltlichen Vertrags sein. Die Rechtsprechung setzt hohe Anforderungen an einer informierten Entscheidung des Aufsichtsrats. Dem Aufsichtsrat sind die wesentlichen Vertragsinhalte, insbesondere die Bezeichnung der beabsichtigten Tätigkeit und die Höhe der Vergütung, mitzuteilen, damit er die ohnehin bestehenden Organpflichten von der beratenden Nebentätigkeit abgrenzen und sodann beurteilen kann, ob der Vertrag überhaupt genehmigungsfähig ist.67 Eine Zustimmung, die trotz fehlender oder fehlerhafter Informationen erteilt worden ist, ist unwirksam.68 Für die unmittelbaren Rechtsgeschäfte der Aufsichtsratsmitglieder ist die Missbrauchsgefahr wegen des deutschen dualistischen Leitungssystems ohnehin gering, weil diese prinzipiell von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind. Die Regelungsaufgabe des deutschen Aktienrechts besteht eher dahin, zu verhindern, dass der Vorstand durch günstige Vertragsabschlüsse auf Aufsichtsratsmitglieder unangemessene Einflüsse ausübt. Der Schutz der Unabhängigkeit des Aufsichtsrats steht also im Mittelpunkt der Überlegung. b) Verhaltenspflichten aus der organschaftlichen Treuepflicht und gerichtliche Überprüfung Die gesetzlichen Vorgaben für die Eigengeschäfte der Organmitglieder werden durch die Verhaltenspflichten aus der organschaftlichen Treuepflicht ergänzt.69 Im Rahmen der Organtätigkeit ist ein Organmitglied strikt an das Gesellschaftsinteresse gebunden. Zwar ist es ihm nicht verwehrt, eigene wirtschaftliche Belange zu verfolgen. Es muss aber darauf achten, dass die Gesellschaft nicht dadurch geschädigt wird, dass es durch das Geschäft unberechtigterweise Vorteile erlangt.70 Folglich ist ein Eigengeschäft nur dann zulässig, wenn es at arm’s length erfolgt, d. h. wenn die Gesellschaft es unter sonst gleichen Umständen auch mit einem außenstehenden Dritten getätigt hätte.71 Vorstandsmitglieder dürfen ihre Organstellung nicht zu gesellschaftsfremden Zwecken, insbesondere nicht zur Erzielung persönlicher Vorteile benutzen (Verbot eigennütziger Ausnutzung der Organstellung).72 67  BGH NJW 2007, S. 298, 299 Rn. 13; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 114 Rn. 52; Spindler / Stilz / Spindler, § 114 Rn. 22. 68  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 114 Rn. 52. 69  Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 123. 70  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 159. 71  Vgl. GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 159; Spindler / Stilz / Fleischer, § 93 Rn. 135; Fleischer, WM 2003, S. 1045, 1052; Möllers, in: Hommelhoff / Hopt / v. Werder, HdbCG, S. 423, 436. Zur Ausnahme beim Anstellungsvertrag siehe bereits oben I. 1. 72  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 176; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 100.

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§ 4  Treuepflichten

Zu den wichtigen Fallgruppen gehören Zuwendungen der Gesellschaft an Vorstandsmitglieder und Dritte.73 Treuwidrig handelt ein Vorstandsmitglied, wenn es die Zuwendung der Gesellschaft über den durch den Anstellungsvertrag und die gesetzlichen Regeln bestimmten Umfang hinaus ent­gegen­ nimmt,74 oder wenn es Familienangehörigen oder sonstige nahestehende Personen oder Unternehmen, an denen es mehr als nur geringfügig beteiligt ist, auf Kosten der Gesellschaft begünstigt oder eine solche Begünstigung veranlasst.75 Es kommt auf die Art der Zuwendung nicht an; Verboten sind neben direkten Zuwendungen insbesondere auch die Veräußerung von Vermögensgegenständen unter Wert oder deren Erwerb zu einem überhöhten Preis.76 Kreditgewährung an Organmitglieder lässt sich auch an diesem Maßstab messen: Sie ist nur dann zulässig, wenn die Gesellschaft damit kein besonderes Kreditrisiko eingeht und davon ausgehen kann, dass an ihrer Stelle auch eine Bank den Kredit gewähren würde, es sei denn, dass die Gesellschaft auch den nicht unter § 89 AktG fallenden Angestellten üblicherweise einen gewissen Kredit ohne nähere Risikoprüfung einräumt oder ein spezifisches Gesellschaftsinteresse an der Kreditgewährung besteht.77 Die Gewährung eines zinslosen Darlehens ist grundsätzlich unzulässig, es sei denn, dass das an sich ungünstige Geschäft in der Zukunft Vorteile für die Gesellschaft schaffen wird.78 Das deutsche Aktienrecht enthält keine ausdrücklichen Vorschriften über die Offenlegungspflichten der Vorstandsmitglieder gegenüber dem Aufsichtsrat in Bezug auf Interessenkonflikte. Eine solche Pflicht ergibt sich nach einhelliger Auffassung aus der allgemeinen Treuepflicht.79 Die Treuepflicht verpflichtet nämlich die Vorstandsmitglieder, dem Aufsichtsrat angemessene Kontrolle zu ermöglichen, und alle tatsächlichen und potentiellen Interessenkonflikte diesem gegenüber unaufgefordert offen zu legen.80 Auch der Kodex empfiehlt, dass Vorstandmitglieder etwaige Interessenkonflikte gegenüber dem Aufsichtsrat unverzüglich offenlegen und die anderen Vorstandsmitglieder hierüber informieren (Ziff. 4.3.4.). Für die Aufsichts73  Eine andere wichtige Fallgruppe betrifft unzulässige Zuwendungen der Dritte. Darunter fallen Schmiergelder, „Provisionen“, Geschenke sowie andere Sondervorteile, die mit dem Abschluss eines Geschäfts zusammenhängen. Näher KKAktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 100. 74  Ausführlich GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 177 ff.; KK-AktG / Mertens /  Cahn, § 93 Rn. 101 ff. 75  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 182; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 100. 76  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 182. 77  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 100. 78  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 182. 79  Eingehend Thoma, Eigengeschäfte, S. 218. 80  GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 185; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 100.



I. Treuepflichten im deutschen Recht155

ratsmitglieder wird die Offenlegung von Interessenkonflikten gegenüber dem Aufsichtsrat empfohlen (Ziff. 5.5.3). Die Empfehlung bezieht sich sowohl auf einzelfallbezogene als auch auf dauerhafte oder institutionelle Interessenkonflikte. Insofern vertraut der Kodex auf die Wirkung von Transparenz und verzichtet auf detaillierte Regeln.81 Mehrere Autoren halten eine lediglich auf generalklauselartiger Treuepflicht und freiwilligen Wohlverhaltensregeln beruhende Offenlegung für unzureichend und befürworten eine gesetzliche Offenlegungspflicht.82 Durch die Abgabe der Entsprechungserklärung nach § 161 AktG sind die Vorstandsmitglieder zum erklärungskonformen Verhalten verpflichtet. Zwar steht den einzelnen Vorstandsmitgliedern die Möglichkeit zu, bei der Beschlussfassung des Vorstands über die Akzeptanz des Kodex einen entsprechenden Vorbehalt zu machen. Aber es ist praktisch kaum möglich, eine generelle Ablehnung der Offen­ legung von Interessenkonflikten überzeugend zu begründen.83 Aufgrund der durch das BilMoG nunmehr in § 161 AktG verankerten Erläuterungspflicht darf man davon ausgehen, dass diese Empfehlung in aller Regel verfolgt wird. Folglich besteht im deutschen Recht kein großes Bedürfnis mehr nach einer Kodifizierung der Offenlegungspflicht zur Verstärkung des Pflicht­ bewusstseins, die in der älteren Literatur von manchen Autoren befürwortet wurde.84 Bei Geschäften mit der eigenen Gesellschaft müssen die Aufsichtsratsmitglieder dasselbe Gebot beachten wie Vorstandsmitglieder.85 Sie dürfen das Unternehmen ebenfalls nicht übervorteilen. Das Verbot der eigennützigen Ausnutzung der Organstellung gilt auch uneingeschränkt für die Aufsichtsratsmitglieder.86 Folglich ist auf das oben zu Vorstandsmitgliedern bereits Ausgeführte zu verweisen.

81  Ringleb,

in: Ringleb / Kremer / Lutter / v.  Werder, Rn. 827. Thoma, Eigengeschäfte, S. 301; Möslein, Grenzen unternehmerischer Leitungsmacht, S. 72; Fleischer, NZG 2006, S. 561, 568 (Die Offenlegungspflicht gegenüber dem Aufsicchtsrat „ist im Gesetzestext und damit in der öffentlichen Wahrnehmung aber zu wenig präsent. Auch hier könnte eine Kodifizierung bewusstseinsbildend wirken.“). 83  In diesem Sinne auch Ringleb, in: Ringleb / Kremer / Lutter / v. Werder, Rn. 824. 84  Siehe die Literaturhinweise in Fn. 652. 85  Vgl. GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 180 ff. 86  Vgl. GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 116 Rn. 184. 82  Vgl.

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§ 4  Treuepflichten

c) Rechtswirkung von Entscheidungsregeln und die gerichtliche Überprüfung aa) Auswirkung von Entscheidungsregeln auf konkrete Rechtsgeschäfte Bei den Rechtsgeschäften mit der Gesellschaft stellt sich insbesondere die Frage der Gültigkeit der Verträge, die unter Missachtung der Entscheidungsregeln bzw. unter Verletzung der Treuepflicht abgeschlossen wurden. Ausgangspunkt für die Gültigkeit der Eigengeschäfte im Außenverhältnis ist nach deutschem Recht die über den in §§ 78, 84 Abs. 1 und 3, 112 AktG vorgesehenen Grenzen hinaus unbeschränkbare Vertretungsmacht des Vorstands (§ 82 AktG). Die Treuepflicht der Vorstandsmitglieder als solche ist keine gesetzlich festgelegte Begrenzung der Vertretungsmacht des Vorstands, weil sie nur das Innenverhältnis zwischen Gesellschaft und Organmitglied regelt.87 Folgend wird auf die Auswirkungen der jeweiligen gesellschaftsinternen Entscheidungsregeln und die Anwendung der Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht auf Eigengeschäfte eingegangen. (1) Gesetzliche und satzungsmäßige Entscheidungsregeln In gesetzlich geregelten Fällen ist die Auswirkung der Aufsichtsratskompetenz auf das Außenverhältnis nach den jeweiligen Normen zu bestimmen. Rechtsgeschäfte mit Vorstandsmitgliedern, bei denen die AG nicht gemäß § 112 AktG durch den Aufsichtsrat vertreten wurde, sind nach h. M. wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB nichtig.88 Es steht also fest, dass die inhaltliche Angemessenheit der betroffenen Rechtsgeschäfte den Mangel der Vertretungsmacht nicht heilen kann. Für das Anstellungsverhältnis der Vorstandsmitglieder liegt ein Wirksamkeitsmangel beim fehlenden Beschluss des Gesamtaufsichtsrats vor; die Rechtsfolge richtet sich nach den Grundsätzen über fehlerhafte Anstellungsverhältnisse.89 Bei der Kreditgewährung an Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder wird überwiegend angenommen, dass ein Verstoß gegen die Einwilligungserfordernisse der §§ 89, 115 AktG nicht zur Nichtigkeit des Kreditgeschäfts 87  Möllers, in: Hommelhoff / Hopt / v.  Werder, S. 423, 441; Baums, Geschäftsleitervertrag, S. 27. 88  Vgl. GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 112 Rn. 104 ff.; Hüffer, § 112 Rn. 7; offengelassen BGH NJW-RR 1993, S. 1250, 1251. 89  Hüffer, § 84 Rn. 10; zu Einzelheiten MünchKommAktG / Spindler, § 84 Rn. 234 ff.; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 83 Rn. 30 ff.



I. Treuepflichten im deutschen Recht157

führt, da diese Normen sich nicht gegen die Kreditgewährung als solche wenden, sondern gegen die Missachtung der dafür aufgestellten Erfordernisse, und folglich keine Verbotsgesetze i. S. d. § 134 BGB enthalten.90 Ein Kreditgeschäft ist vielmehr auch bei mangelhafter oder sogar fehlender Zustimmung des Aufsichtsrats wirksam, solange eine nach § 112 AktG erforderliche Vertretung der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat erfolgt ist. Die Rechtsfolgebestimmungen in §§ 89 Abs. 5, 115 Abs. 4 AktG sorgen für eine Klarstellung. Dass der Gesetzgeber eine sofortige Fälligkeit des vertraglichen Rückgewähranspruchs der Gesellschaft gegen den Kreditempfänger angeordnet hat,91 gibt zu erkennen, dass er von einem wirksamen Kreditvertrag ausgegangen ist. Nur bei Dienst- und Werkverträgen mit Aufsichtsratsmitgliedern ist die Zustimmung des Aufsichtsrats ausdrücklich als Wirksamkeitsvoraussetzung vorgesehen (vgl. § 114 Abs. 1 AktG). (2) Eigengeschäfte als Missbrauch der Vertretungsmacht Wegen der im Außenverhältnis unbeschränkbaren Vertretungsmacht des Vorstands sind Rechtsgeschäfte gegenüber Dritten grundsätzlich wirksam. Dieser Grundsatz wird nur durchbrochen, wenn ein Vorstandsmitglied seine Vertretungsmacht missbraucht. Beim kollusiven Handeln eines Vorstandsmitglieds mit dem Dritten zum Nachteil der Gesellschaft besteht Einigkeit darin, dass das in Frage stehende Rechtsgeschäft wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB nichtig ist.92 Außerhalb der Fallgruppe der Kollusion sind nicht nur die Rechtsfolge,93 sondern auch die Voraussetzungen des Missbrauchs der Vertretungsmacht umstritten. Auf Seiten des Geschäftsgegners ist nach der h. M. in aktienrechtlicher Literatur, die sich an die Rechtsprechung zum Missbrauch der Bankvollmacht94 anschließt, auf die Evidenz des pflichtwidrigen Verhaltens abzustellen.95 Die Nachteiligkeit des Ge90  Vgl. nur Hüffer, § 89 Rn. 8; GroßKommAktG / Kort, § 89 Rn. 133; MünchKommAktG / Spindler, § 89 Rn. 51. 91  MünchKommAktG / Spindler, § 89 Rn. 52; GroßKommAktG / Kort, § 89 Rn. 137. 92  BGH NJW 1989, S. 26, 27 (zum Missbrauch durch den Komplementär); BGH NZG 2004, S. 139, 140 (zum GmbH-Geschäftsführer); Hüffer, § 82 Rn. 6; GroßKommAktG / Habersack, § 82 Rn. 11; MünchKommAktG / Spindler, § 82 Rn. 59; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 82 Rn. 45. 93  Vgl. Hüffer, § 82 Rn. 7 zum Streit, ob auf der Rechtsfolgeseite ein Einwand nach § 242 BGB besteht oder §§ 177 ff. BGB analog anzuwenden sind. 94  BGHZ 127, 239, 241 f. = NJW 1995, S. 250; BGH NJW 1994, S. 2082, 2083; BGH NJW 1999, S. 2883 = ZIP 1999, S. 1303, 1304. 95  Vgl. GroßKommAktG / Habersack, § 82 Rn. 13; Hüffer, § 82 Rn. 7; KK-AktG /  Mertens / Cahn, § 82 Rn. 46, jeweils unter Berufung u. a. auf BGHZ 127, 239, 241 f. = NJW 1995, S. 250; BGH NJW 1994, S. 2082, 2083.

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§ 4  Treuepflichten

schäfts ist nach Rechtsprechung und Rechtslehre nicht erforderlich.96 Ebenso wenig ist das Schädigungsbewusstsein der Vorstandsmitglieder nach der überwiegenden Auffassung erforderlich.97 Das Evidenzerfordernis ist also die entscheidende Voraussetzung. Nach einer gängigen Formel der Rechtsprechung ist ein Missbrauch der Vertretungsmacht evident, wenn er wegen massiver Verdachtsmomente für jedermann klar und sofort erkennbar ist, ohne dass weitere Nachforschungen erforderlich wären.98 Diese Anforderungen decken sich im Wesentlichen mit den Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit.99 Das Evidenzerfordernis macht es klar, dass der Vertragspartner gerade keiner Nachforschungspflicht unterliegt.100 Steht ein Organmitglied auf beiden Seiten des Vertrags, liegt meist ein Fall der Kollusion oder Evidenz vor.101 Aber eine Berufung auf die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht erübrigt sich bei unmittelbaren Eigengeschäften der Vorstandsmitglieder wegen § 112 AktG. Diese haben eine eigenständige Bedeutung bei Rechtsgeschäften, an denen ein Vorstandsmitglied nicht rechtlich sondern nur wirtschaftlich oder als Vertreter nach §§ 164 ff. BGB beteiligt ist. Dabei ist zu beachten, dass ein großer Teil von Eigengeschäften in weiteren Sinne bereits von § 89 Abs. 3 und 4 AktG abgedeckt ist, die die Kreditgewährung an die dem einzelnen Vorstandsmitglied nahestehenden Personen und Unternehmen erfassen. Die Rechtsfolgenbestimmung in § 89 Abs. 5 AktG gehen den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht vor. Denkbar ist eine Berufung auf Missbrauch der Vertretungsmacht bei Rechtsgeschäften mit Dritten, die der Vorstand zur Durchführung der Kreditgeschäfte geschlossen hat, wenn der Kredit in der 96  BGH NJW 1984, S. 1461, 1462; NJW 1996, S. 589, 590; NJW 1999, S. 2883 f.; NJW 2006, S. 2776; statt vieler GroßKommAktG / Habersack, § 82 Rn. 12. 97  Vgl. die obige Rechtsprechung; GroßKommAktG / Habersack, § 82 Rn. 12; Spindler / Stilz / Fleischer, § 82 Rn. 14; MünchKommAktG / Spindler, § 82 Rn. 63; a. A. Hüffer, § 82 Rn. 7; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 82 Rn. 47; ausführlich zum vertretungsspezifischen Risiko als Rechtfertigung für den Missbrauchseinwand Vedder, JZ 2008, S. 1077, 1078 f., der eine vorsätzliche Interessenverletzung für die Anwendung des Missbrauchseinwands für alle Formen der Vertretungsmacht verlangt. 98  BGH NJW 1995, S. 250; NJW 1994, S. 2082, 2083; Hüffer, § 82 Rn. 7; Spindler / Stilz / Fleischer, § 82 Rn. 15; GroßKommAktG / Habersack, § 82 Rn. 13. 99  Spindler / Stilz / Fleischer, § 82 Rn. 15, der noch darauf hinweist, dass im Vergleich zu grober Fahrlässigkeit die Evidenzformel „den falschen Zungenschlag einer – wenn auch eingeschränkten – Erkundigungspflicht des Geschäftsgegners“ vermeidet. 100  Insofern gelten für den Missbrauch der organschaftlichen Vertretungsmacht strengenere Voraussetzungen als für den Missbrauch der Vertretungsmacht im allgemeinen Zivilrecht, siehe Thoma, Eigengeschäfte, S. 202. 101  Möllers, in: Hommelhoff / Hopt / v.  Werder, S. 423, 441.



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Sicherung von Eigenkreditgeschäften eines Vorstandsmitglieds oder einer ihm nahestehenden Person durch Bürgschaft oder Sicherungsübereignung besteht.102 In solchen Fällen wird die Schutzwürdigkeit des außenstehenden Sicherungsgläubigers bzw. Kreditgebers nur bei Vorliegen von besonderen Umständen – etwa der positiven Kenntnis vom Interessenkonflikt und der ganz offensichtlichen Nachteiligkeit der Sicherungsgeschäfte – entfallen; insoweit ist auf das oben Gesagte zu verweisen. Ist keine Kollusion oder Evidenz bei den Sicherungsgeschäften gegeben, kann die Gesellschaft nicht gegen den Sicherungsgläubiger vorgehen, sondern nach § 89 Abs. 5 AktG nur gegen den Kreditnehmer den Anspruch auf Freistellung oder Freigabe der Sicherheit103 geltend machen. (3) Zwischenergebnis Die Missachtung der Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats macht die in Frage stehenden In-sich-Geschäfte der Vorstandsmitglieder (schwebend) unwirksam. Die Zustimmungskompetenz des Aufsichtsrats hat grundsätzlich nur eine interne Wirkung. Eine Ausnahme gilt bei Beratungsverträgen mit Aufsichtsratsmitgliedern; In diesem Fall fehlt jedoch ein Bezug zum Außenrechtsverkehr. Zwar wird die Einwilligung des Aufsichtsrats nicht als eine Wirksamkeitsvoraussetzung des Kreditgeschäfts statuiert, wie es für Dienstund Vergütungsverträge der Aufsichtsratsmitglieder der Fall ist. Aber die Gesellschaft wird – jedenfalls bei Kreditgewährung im engeren Sinne – wegen des aktienrechtlichen Rückgewähranspruchs der §§ 89 Abs. 5, 115 Abs. 4 AktG nicht schlechter gestellt als wenn das Kreditgeschäft wegen fehlender oder fehlerhafter Einwilligung unwirksam wäre. Erfolgt die Kreditgewährung durch Zahlung, unterscheidet sich der gesetzliche Rückgewähranspruch inhaltlich nicht von einem bereicherungsrechtlichen Rückgewähranspruch, der bei Unwirksamkeit der Kreditverträge entstände, und ist für die Gesellschaft sogar günstiger als der letztere, weil zum einen der Kreditempfänger keinen Entreicherungseinwand erheben kann und zum anderen gerade wegen der Wirksamkeit des Kreditgeschäft die Gesellschaft Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Kreditzinsen hat und die ihr gestellten Sicherheiten behält.104

102  Der Vorstand bleibt das vertretungsberechtige Organ für das Durchführungsgeschäft und eine analoge Anwendung des § 112 AktG auf solche Geschäfte ist im Interesse der Verkehrssicherheit ausgeschlossen, siehe MünchKommAktG / Spindler, § 89 Rn. 45; Spindler / Stilz / Fleischer, § 89 Rn. 11. 103  Dazu KK-AktG / Mertens / Cahn, § 89 Rn. 23. 104  Vgl. KK-AktG / Mertens / Cahn, § 89 Rn. 22.

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§ 4  Treuepflichten

bb) Gerichtliche Überprüfung von Eigengeschäften Die gerichtliche Überprüfung von Eigengeschäften gehört zu den externen Kontrollmechanismen. Das Gericht wird dann in die Kontrolle von Eigengeschäften einbezogen, wenn die Wirksamkeit von Eigengeschäften angegriffen wird oder die beteiligten Organmitglieder von der Gesellschaft wegen Pflichtverletzung in Anspruch genommen werden. (1) Gerichtliche Kontrolle von Rechtsgeschäften Die gerichtliche Kontrolle von Rechtsgeschäften ist nach deutschem Recht nur dann möglich, wenn die Gesellschaft von einer Vertragspartei auf Erfüllung in Anspruch genommen wird und sie sich sodann unter Berufung auf die Nichtigkeit der Verträge zu wehren versucht. Nach deutschem Recht werden Verträge in materiellrechtlicher Hinsicht grundsätzlich nur daraufhin überprüft, ob sie wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot oder wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist, und eine Inhaltskontrolle von Verträgen soll nach dem Grundsatz des BVerfG nur bei dem strukturellen Ungleichgewicht von Parteien stattfinden.105 Das Gericht wird einen Vertrag zwischen AG und Organmitglied auf die Einhaltung der formalen Beschränkungen der §§ 87, 89, 112, 114, 115 AktG hin überprüfen. Wie oben bereits festgestellt, sind die Eigengeschäfte wegen Missachtung der aktienrechtlichen Entscheidungsregeln außerhalb des Anwendungsbereichs des § 112 AktG nur in Ausnahmefällen unwirksam und zudem hängt ihre Gültigkeit nicht von ihrer inhaltlichen Angemessenheit ab. Ein Rechtsgeschäft wegen Unangemessenheit bereits im Außenverhältnis scheitern zu lassen, mag das Vermögensinteressen der Gesellschaft und der Aktionärsgesamtheit besser schützen als der Umweg über die Schadensersatzhaftung der treuwidrig handelnden Organmitglieder. Aber es würde faktisch zur Aushöhlung der Grundsätze des Missbrauchs der organschaftlichen Vertretungsmacht führen. Eine Ausstrahlung der Angemessenheitskontrolle auf das Außenverhältnis würde also für das deutsche Aktienrecht eine Störung der durch das geltende Recht bereits erreichten Ausgewogenheit zwischen Interessen der Gesellschaft an dem Schutz vor Machtmissbrauch einerseits und öffentliche Interessen an der Rechtssicherheit andererseits bedeuten. (2) Gerichtliche Überprüfung in Haftungsprozessen In Haftungsprozessen in Bezug auf gesetzlich geregelte Eigengeschäfte wird die Pflichtverletzung nach deutschem Recht zuerst auf die Einhaltung 105  BVerfGE

81, S. 242, 254; dazu Thoma, Eigengeschäfte, S. 310.



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der formalen Voraussetzungen der §§ 87, 89, 112, 114, 115 AktG hin überprüft. Da § 89 AktG für die Organkredite eine Einwilligung des Aufsichtsrats verlangt, berührt eine nachträglich erteilte Genehmigung nach allgemeiner Ansicht die Schadensersatzansprüche nach § 93 Abs. 3 Nr. 8 AktG nicht, weil die Billigung des Aufsichtsrats nach § 93 Abs. 4 Satz 2 AktG keine Befreiungswirkung hat.106 Weil die Organmitglieder aufgrund ihrer Legalitätspflicht verpflichtet sind, die aktienrechtliche Kompetenzordnung zu beachten, führt die Missachtung der gesetzlichen Entscheidungsregeln zur Pflichtwidrigkeit, unabhängig davon, ob sie im übrigen treugemäß verhalten haben und das Geschäft gegenüber der Gesellschaft fair ist. In gesetzlich nicht geregelten Fällen wird das Organhandeln bei Eigengeschäften daraufhin überprüft, ob das Geschäft einem Drittvergleich standhält. Im Ergebnis führt die Prüfung von Treuepflichtverletzungen faktisch zu einer Angemessenheitsprüfung von Eigengeschäften.107 In der rechtsvergleichenden deutschen Literatur stellt sich häufig die Frage, wie sich die Einhaltung der gesellschaftsinternen Entscheidungsverfahren, insbesondere die Zustimmung des Aufsichtsrats, auf die Inhaltskontrolle auswirkt.108 Vereinzelt findet man eine lapidare Behauptung im Schrifttum, dass die Schadensersatzpflicht in entsprechender Anwendung des § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG nicht eintrete oder entfalle, wenn der Interessenkonflikt oder das betreffende Rechtsgeschäft von einem Organ der Gesellschaft wirksam eingewilligt oder genehmigt wurde.109 Diese Aussage kann einer näheren Untersuchung jedoch nicht standhalten. § 93 Abs. 4 Satz 2 AktG verleiht der Zustimmung des Aufsichtsrats keine Legitimationswirkung, weil der Aufsichtsrat den Vorstand nicht verbindlich zu einem bestimmten Verhalten anweisen kann.110 Nur ein rechtmäßiger Beschluss der Hauptversammlung steht der gerichtlichen Kontrolle von Eigengeschäften gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG entgegen. Ein solcher Fall wird jedoch selten vorliegen, da die Hauptversammlung gemäß § 119 Abs. 2 AktG nur auf Verlangen des Vorstands über Fragen der Geschäftsführung entscheidet. Daher ziehen mache Autoren aus § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG dem Umkehrschluss, dass eine gerichtliche Angemessenheitskontrolle von Eigengeschäften bei Genehmigung lediglich durch den Aufsichtsrat zulässig sein solle.111 Ferner wird ein Anhaltspunkt für die gerichtliche Angemessenheitsprüfung in Hüffer, § 89 Rn. 8. Thoma, Eigengeschäfte, S. 311 f. 108  Vgl. Thoma, Eigengeschäfte, S. 312 ff.; Möslein, Grenzen unternehmerischer Leitungsmacht, S. 164 ff. 109  So Hopt, ZGR 2004, S. 1, 46; Möllers, in: Hommelhoff / Hopt / v. Werder, HdbCG, S. 423, 442. 110  Vgl. Hüffer, § 93 Rn. 27; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 178. 111  Wiedemann, Organverantwortung und Gesellschafterklagen, S. 19; zustimmend Fleischer, WM 2003, S. 1045, 1052. 106  Vgl. 107  Vgl.

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§ 4  Treuepflichten

Ziff. 4.3.4 DCGK gesehen, wonach alle Geschäfte zwischen dem Unternehmen einerseits und den Vorstandsmitgliedern sowie den ihnen nahestehenden Unternehmen andererseits branchenüblichen Standards zu entsprechen haben.112 Bei gesetzlich geregelten Organkrediten wird überwiegend angenommen, dass auch bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 89 AktG eine Haftung der Verwaltung und auch des kreditempfangenden Vorstandsmitglieds allgemein nach § 93 AktG oder § 116 AktG in Betracht kommt, wenn die Kreditgewährung wirtschaftlich unvertretbar und damit pflichtwidrig war.113 Danach soll sich das Gericht in einem Haftungsprozess in Bezug auf Organkredite gerade nicht auf die Überprüfung der formalen Schranke des § 89 AktG beschränken, sondern die in Frage stehenden Kreditgeschäfte auch auf ihre Angemessenheit hin überprüfen. Aus Sicht des deutschen Rechts sprechen daher gute Gründe gegen einen pauschalen Ausschluss der Ersatzhaftung bei erteilter Zustimmung der Eigengeschäfte durch den Aufsichtsrat. d) Zwischenergebnis Das deutsche Aktienrecht schaltet den Aufsichtsrat zur Bewältigung der Interessenkonflikte bei besonders missbrauchsanfälligen Rechtsgeschäften zwischen der AG und ihren Organmitglieder ein. Die Beteiligung des Aufsichtsrats ist unterschiedlich ausgestaltet und reicht von der Vertretungsbefugnis (§ 112 AktG) über Mitentscheidungsbefugnis (§§ 88, 89, 114, 115 AktG) bis zur bloßen Veto-Position (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG). Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 112 AktG hat die Zustimmung des Aufsichtsrats keine Außenwirkung, so dass die Nichteinhaltung des gesellschaftsinternen Entscheidungsverfahrens im Außenverhältnis nicht zur Unwirksamkeit der in Frage stehenden Rechtsgeschäfte führt. Die Treuepflichtverletzung der Vorstandsmitglieder gegenüber der Gesellschaft kann nur in Ausnahmefällen, und zwar bei Vorliegen der strengen Voraussetzungen des Missbrauchs der organschaftlichen Vertretungsmacht, die Gültigkeit der vom Vorstand formal ordnungsgemäß abgeschlossen Verträge in Frage stellen. Für die Gültigkeit der Eigengeschäfte ist eine Angemessenheitskontrolle weder vorausgesetzt noch wegen der im Außenverhältnis grundsätzlich unbeschränkbaren Vertretungsmacht des Vorstands ausreichend. In einem Haftungsprozess verhindert die Einhaltung der formalen Voraussetzungen der gesetzlichen oder satzungsmäßigen Entscheidungsverfahren nicht die gerichtliche Kontrolle der Eigengeschäfte auf ihre Angemessenheit 112  Fleischer, WM 2003, S. 1045, 1052; Möslein, Grenzen unternehmerischer Leitungsmacht, S. 164. 113  Vgl. KK-AktG / Mertens / Cahn, § 89 Rn. 25; Spindler / Stilz / Fleischer, § 89 Rn. 28; MünchKommAktG / Spindler, § 89 Rn. 5.



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hin. Aufgrund des strikten Trennungsprinzips und der damit verbundenen beschränkten Einflussmöglichkeit des Aufsichtsrats auf die Geschäftsführung verleiht das Aktienrecht der Zustimmung des Aufsichtsrats keine die pflichtwidrigen Verhalten der Vorstandsmitglieder legitimierende Wirkung. Zwar ist die Befreiungswirkung des Beschlusses der Hauptversammlung gesetzlich vorgesehen. Es ist wegen der fehlenden Hauptversammlungszuständigkeit für die Angelegenheiten der Geschäftsführung nur von geringer Bedeutung für die Organhaftung im Allgemeinen und für die Treuwidrigkeit wegen der Eigengeschäfte im Besonderen. 3. Pflichtenkollision – insbesondere Mehrfachmandate a) Pflichtenkollision bei Aufsichtsratsmitgliedern Da die Aufsichtsratstätigkeit in der Regel nur ein Nebenamt ist, kommt es häufig zu Doppelmandaten oder Mehrfachmandaten.114 Zur Konfliktlösung gilt der vom BGH in seiner „Schaffgotsch“-Entscheidung festgelegte Grundsatz, dass bei Doppelmandaten die Pflichterfüllung gegenüber der einen Gesellschaft niemals eine Pflichtverletzung gegenüber der anderen Gesellschaft rechtfertigen kann.115 Wenn das Doppelorgan die eine Gesellschaft im Interesse der anderen benachteiligt, so ist das nach Auffassung des BGH „trotz gegenläufiger Interessen und Pflichten in seiner Person gegenüber jener Gesellschaft pflichtwidrig und von ihm zu vertreten“. Die Treuepflicht der Aufsichtsratsmitglieder zwingt bei Mehrfachmandaten zu einer strikten Abgrenzung der Pflichtenkreise. Zur Konfliktvermeidung kommt der Ausschluss des Stimmrechts des Aufsichtsratsmitglieds, in dessen Person Interessenkonflikte bzw. Pflichtenkollisionen entstehen, in Betracht. Nach der h. M. besteht jedoch kein generelles Stimmverbot für alle erheblichen Interessenkollisionen der Aufsichtsratsmitglieder, da es wenig praktikabel wäre und zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen würde.116 Anerkannt ist ein Stimmverbot aus der analogen Anwendung des § 34 BGB.117 Demnach ist ein Aufsichtsratsmitglied nicht stimmberechtigt, wenn über die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit ihm oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen ihm und der AG zu beschließen ist. 114  Zu verschiedenen Konstellationen der Mehrfachmandate bei Möllers, in: Hommelhoff / Hopt / v.  Werder, HdbCG, S. 423, 433 f.; Kort, ZIP 2008, S. 717, 721. 115  BGH NJW 1980, S. 1629 – Schaffgotsch; bestätigend BGH NZG 2009, S. 744, 745 Rn. 16. 116  Statt vieler KK-AktG / Mertens / Cahn, § 108 Rn. 65; GroßKommAktG / Hopt /  Roth, § 108 Rn. 58; Möllers, in: Hommelhoff / Hopt / v. Werder, HdbCG, S. 423, 434. 117  Dazu siehe Hüffer, § 108 Rn. 9; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 108 Rn. 54.

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§ 4  Treuepflichten

Wegen der ohnehin dem Vorstand zustehenden Vertretungsbefugnis für Rechtsgeschäfte mit Aufsichtsratsmitgliedern bei der AG sind die Interessenkonflikte dieser Art von geringer Bedeutung.118 Es ist umstritten, ob § 34 BGB auch auf die Fälle analog anzuwenden ist, in denen das Aufsichtsratsmitglied zugleich Organmitglied einer anderen Körperschaft oder Personenvereinigung ist und ein Rechtsgeschäft, oder ein Rechtsstreit mit dieser, Gegenstand der Beschlussfassung ist.119 Während eine Ansicht für diese Fälle ein Stimmverbot bejahen will,120 verlangt die Gegenansicht das Vorhandensein der (nahezu vollständigen) Interessenidentität als Voraussetzung und erkennt ein Stimmverbot z. B. bei wirtschaft­ licher Identität zwischen dem Aufsichtsratsmitglied und dem anvisierten Geschäftspartner an.121 Bei Geschäften mit einem vom Aufsichtsratsmitglied beherrschten Unternehmen erlangen beide Ansichten zu demselben Ergebnis: Sie bejahen einen grundsätzlichen Stimmrechtsausschluss mit der Ausnahme für den Fall, dass das Aufsichtsratsmitglied auch die Gesellschaft, deren Aufsichtsrat er angehört, beherrscht, weil es sich im letztgenannten Fall um einen allgemeinen Konzernkonflikt handelt.122 b) Pflichtenkollision bei Vorstandsmitgliedern Vorstands-Doppelmandate sind in der Regel in konzernierten AGs anzutreffen. Zwar kann ein Vorstand einer unabhängigen AG mit Einwilligung des Aufsichtsrats ein Vorstandsmandat einer anderen Gesellschaft übernehmen (vgl. § 88 Abs. 1 AktG). Es ist jedoch kaum praktikabel und aus der Praxis auch nicht bekannt.123 In Konzernen verbreitet ist ein Organisationsmodell, wonach die Vorstandsvorsitzenden von wichtigen Tochtergesellschaften zugleich dem Vorstand der Muttergesellschaft angehören.124 Die Einrichtung von Vorstands-Doppelmandaten in der konzernierten AG hat mehrere Vorteile: Aus Sicht der Tochtergesellschaften können Doppelvorstände ihre Interessen bei der Bestimmung und Durchsetzung der Konzernziele besser geltend machen. Aus Sicht der Konzernmutter können durch die KK-AktG / Mertens / Cahn, § 108 Rn. 65. einerseits KK-AktG / Mertens / Cahn, § 108 Rn. 68; MünchKommAktG / Habersack, § 108 Rn. 30; andererseits GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 108 Rn. 54; Seibt, in: FS Hopt (2010), S. 1363, 1376 f. mit einer Ausnahme für die Abgabe „interessengleichgerichteter Parallelerklärungen“. 120  GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 108 Rn. 54. 121  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 108 Rn. 68. 122  Vgl. KK-AktG / Mertens / Cahn, § 108 Rn. 68; MünchKommAktG / Habersack, § 108 Rn. 30; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 108 Rn. 54. 123  Passarge, NZG 2007, S. 441. 124  KK-AktG / Mertens / Cahn, § 76 Rn. 70; Passarge, NZG 2007, S. 441. 118  Vgl. 119  Vgl.



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Einbindung der Bereichsleiter in den Konzernvorstand die hier getroffenen unternehmenspolitischen Entscheidungen bei den Tochtergesellschaften besser durchgesetzt werden.125 Folglich sind Vorstands-Doppelmandate trotz der damit verbundenen besonderen Interessenkonflikte nach allgemeiner Ansicht zulässig, solange die Zustimmung des Aufsichtsrats der betroffenen Gesellschaften nach § 88 Abs. 1 Satz 2 AktG vorliegt.126 Umstritten ist hingegen die sog. Drittanstellung eines Vorstandsmitglieds, wenn also der Anstellungsvertrag mit dem herrschenden Unternehmen abgeschlossen ist und das Vorstandsmitglied von dort seine Vergütung bezieht. Bedenken gegen die Zulässigkeit einer solchen Drittanstellung besteht darin, dass der Anstellungsvertrag möglicherweise das Weisungsrecht enthält und die nach § 76 AktG dem Vorstand eingeräumte Befugnis zur autonomen Leitung der Gesellschaft gefährden kann.127 Im Konzern bleibt der Vorstand der Tochtergesellschaft der eigenverantwortliche Geschäftsleiter von dieser und hat sich deswegen nicht an das Konzerninteresse, sondern an das Interesse der eigenen Gesellschaft zu orientieren.128 Die Übernahme von Vorstands-Doppelmandaten hat dann zur Folge, dass der Doppelmandatsträger in seinen verschiedenen Eigenschaften jeweils dem Interesse der Mutter- und Tochtergesellschaft verpflichtet ist. Die gleichzeitige Einbindung in die Pflichtenkreise der Mutter- und Tochtergesellschaft führt zum gesteigerten Interessenkonflikt in der Person des Doppelmandatsträgers, weil die beteiligten Interessen nicht zufällig und punktuell kollidieren, sondern aufgrund des Spannungsverhältnisses von einheitlicher Leitung und rechtlicher Vielheit in der Unternehmensgruppe ein dauerhaftes Konfliktpotential innehaben.129 Zur Konfliktlösung zieht die h. M. den von der BGH-Rechtsprechung im Hinblick auf Aufsichtsratsdop125  Passarge, NZG 2007, S. 441; zu vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Vorstandsdoppelmandate als Mittel der Konzernsteuerung siehe HdbVorstand / Fleischer, § 18 Rn. 126. 126  BGH AG 2009, S. 500 ff. = NZG 2009, S. 744 ff.; Hüffer, § 76 Rn. 21; GroßkommAktG / Kort, § 76 Rn. 178; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 76 Rn. 70. Eingehend dazu unten § 5 I. 2. d) aa). 127  Für die Unzulässigkeit z. B. KK-AktG / Mertens / Cahn, § 84 Rn. 56; differenzierend GroßkommAktG / Kort, § 86 Rn. 326 ff. (nur im faktischen Konzern unzulässig); a. A. MünchHdbAG / Wiesner, § 21 Rn. 3 (das Organverhältnis habe Vorrang vor dem Dienstvertrag). 128  Es gilt sowohl im faktischen Konzern als auch beim Beherrschungsvertrag, soweit Weisungen nicht erteilt werden, vgl. GroßKommAktG / Hopt, § 93 Rn. 153; MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 29 und § 70 Rn. 156; zum Vertragskonzern vgl. MünchKommAktG / Altmeppen, § 308 Rn. 154; KK-AktG / Koppensteiner, § 308 Rn. 71. 129  Vgl. Decher, Personelle Verflechtungen, S. 129, der dies als eine „zusätzliche Dimension“ der Interessenkonflikte bei Vorstands-Doppelmandaten im Vergleich zu Aufsichtsrats-Mehrfachmandaten bezeichnet.

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§ 4  Treuepflichten

pelmandate in unverbundenen Unternehmen entwickelten Grundsatz der strikten Rollentrennung heran. Aus der Schaffgotsch-Entscheidung wird für den Doppelmandatsträger gefolgt, dass er sich bei seinen Entscheidungen ausschließlich an den Interessen derjenigen Gesellschaft orientieren muss, für die er gerade tätig wird: im Vorstand der Muttergesellschaft allein deren Interessen und im Vorstand der Tochtergesellschaft ausschließlich deren Belange.130 Wegen dieser Pflichtenisolierung kann die Pflichtverletzung gegenüber der Tochtergesellschaft wegen Befolgung einer nachteiligen Maßnahme, die nicht ausgeglichen wird oder nicht ausgleichsfähig ist, nicht mit einem entsprechenden Interesse der Muttergesellschaft gerechtfertigt werden.131 Eine andere Ansicht sieht den Doppelmandatsträger als Vermittler zwischen herrschendem und abhängigem Unternehmen an und billigt ihm unterhalb der absoluten Schädigungsgrenze ein pflichtgemäßes Ermessen zu, welchem Pflichtenkreis er bei einer widerstreitenden Interessenlage den Vorrang einräumt.132 Im Ergebnis ist sie mit der h. M. insoweit übereinstimmend, als sie aus dem in §§ 311 ff. AktG verankerten Verbot einer kompensationslosen Schädigung den Vorrang der Interessen der abhängigen Gesellschaften anerkennt.133 Schließlich unterliegt der Doppelmandatsträger nach h. M. keinem generellen Stimmverbot.134 Ein Stimmverbot ist für Doppelvorstandsmitglieder nur bei der Beschlussfassung der Muttergesellschaft über die Stimmabgabe zur Entlastung der Vorstandsmitglieder in der Hauptversammlung der abhängigen Gesellschaft anerkannt; Es wird aus dem allgemeinen Verbot des Richtens in eigener Sache abgeleitet.135 c) Zwischenergebnis Es steht fest, dass der Stimmrechtsausschluss als ein Instrument zur Konfliktvermeidung für den Fall der Mehrfachmandate überwiegend abgelehnt wird. Als Grundlinie zur Konfliktlösung gilt die strikte Abgrenzung der Pflichtenkreise, so dass ein Doppelmandatsträger die Pflichtverletzung ge130  GroßkommAktG / Kort, § 76 Rn. 182; HdbVorstand / Fleischer, § 18 Rn. 128; Hoffmann-Becking, ZHR 150 (1986), S. 570, 577 f.; Passarge, NZG 2007, S. 441 f.; Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, S. 67 ff. 131  GroßkommAktG / Kort, § 76 Rn. 182. 132  Decher, Personelle Verflechtungen, S. 147. 133  Vgl. Decher, Personelle Verflechtungen, S. 138 ff. Eingehend zum Verhaltensmaßstab der Vorstandsdoppelmandatsträger § 5 I. 2. d) aa). 134  Vgl. Hüffer, § 77 Rn. 8; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 77 Rn. 38 ff.; Groß­Komm­ AktG / Kort, § 76 Rn. 184 ff.; MünchHdbAG / Wiesner, § 19 Rn. 29. 135  GroßKommAktG / Kort, § 76 Rn. 187; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 77 Rn. 41; MünchHdbAG / Wiesner, § 20 Rn. 11.



II. Die Treuepflicht im chinesischen Recht

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genüber einer Gesellschaft nicht mit dem entsprechenden Interesse der anderen Gesellschaft rechtfertigen kann. Die konkreten Lösungen für die Interessenkonflikte bei Aufsichtsrats- und Vorstands-Doppelmandaten, die auf kollidierende Interessen der Mutter- und Tochtergesellschaften beruhen, werden auf der Grundlage der konzernrechtlichen Vorschriften entwickelt.

II. Die Treuepflicht im chinesischen Recht Das Organhaftungsrecht des KgG 1993 legte den Regelungsschwerpunkt auf die Treuepflicht. Angesichts der damals in den reformierten staatlichen Unternehmen verbreiteten Machtmissbräuche der Geschäftsleiter – vom Erwerb üppiger Dienstwagen mit Unternehmensmitteln und übermäßigen Ausgaben für Geschäftsessen bis hin zu schlichter Veruntreuung – wurde ein dringender Bedarf zur Unterbindung eigennützigen Verhaltens der Geschäftsleiter der staatlichen Unternehmen allgemein wahrgenommen.136 Das KgG 1993 hat neben das allgemeine Gebot des treuegemäßen Verhaltens der Organmitglieder mehrere typische missbräuchliche Verhalten unter Verbot gestellt. Durch die Novelle von 2005 werden solche Normen neu strukturiert und teilweise modifiziert. Im Folgenden werden nach einem Überblick zu Treuebruchtatbeständen (1.) die einzelnen Regelungen zu Eigengeschäften (2.) und die Rechtsfolgen der Treuepflichtverletzung (3.) erörtert. 1. Ein Überblick zu Tatbeständen der Treuepflichtverletzung Für die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder und leitende Manager wurde das Gebot, Amtspflichten treu zu erfüllen und das Gesellschaftsinteresse zu bewahren und das Verbot, durch Ausnutzung ihrer Amtsbefugnisse private Vorteile zu schaffen (§ 59 Abs. 1 KgG 1993) durch den Sammelbegriff „Treuepflicht“ ersetzt (§ 147 Abs. 1 KgG; § 148 Abs. 1 KgG 2005). Unverändert bleibt die Wiederholung des strafrechtlich bereits verbotenen Bestechenlassens und der Veruntreuung als verbotene Verhalten (§ 147 Abs. 2 KgG; § 59 Abs. 2 KgG 1993). Die normierten sonstigen Einzeltatbestände der Treuepflicht wurden in einem Katalog von verbotenen Verhalten in § 148 Abs. 1 KgG zusammengefasst. Unter einem schlichten Verbot stehen nach wie vor zweckfremde Nutzung der Gesellschaftsmittel, Einzahlung der Gesellschaftsmittel auf im eigenen Namen oder namens einer anderen Einzelperson errichtete Konten (§ 148 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KgG; § 60 Abs. 1 Var.  1 und Abs. 2 KgG 1993). Die Verbote von Kreditvergabe mit Gesell136  Vgl. 钱卫清 [QIAN, Weiqing], S. 222; 范健 / 蒋大兴 [FAN, Jian / JIANG, Daxing], 《南京大学法律评论》 [Rechtszeitschrift der Nanjing-Universität], 01 / 1998, S. 81, 93.

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§ 4  Treuepflichten

schaftsmitteln und Sicherheitenbestellung zulasten des Gesellschaftsvermögens für Aktionäre oder natürliche Personen (§ 60 Abs. 1 und 3 KgG 1993) wurden durch Verbote mit Erlaubnisvorbehalten ersetzt. Kreditvergabe und Sicherheitsleistung ist nur dann unzulässig, wenn die Zustimmung der Hauptversammlung oder des Vorstands – je nach dem, wen die Satzung als zuständiges Organ bestimmt – fehlt (§ 148 Abs. 1 Nr. 3 KgG). Ebenfalls gelockert wurde das Verbot vom Betreiben gewerblicher Tätigkeiten gleicher Art wie der der Gesellschaft für eigene oder fremde Rechnung (Wettbewerbsverbot); die Zustimmung der Hauptversammlung führt zum Wegfall des Verbots (§ 148 Abs. 1 Nr. 5 Var.  2 KgG; vgl. § 62 Abs. 1 KgG 1993). Bei dem neu eingeführten Verbot der Aneignung von fremden Geschäftschancen wurde ebenfalls ein Erlaubnisvorbehalt im Form der Zustimmung der Hauptversammlung vorgesehen (§ 148 Abs. 1 Nr. 5 Var.  1 KgG). Die In-sich-Geschäfte unterliegen nach wie vor einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Die Vertragsschließung oder Eingehung von Rechtsgeschäften mit der Gesellschaft ist unzulässig, es sei denn, dass die Gesellschaftssatzung es zulässt oder die Hauptversammlung eine Zustimmung erteilt (§ 148 Abs. 1 Nr. 4 KgG; § 63 Abs. 2 KgG 1993). Neu eingeführt wurde das Verbot der Einnahme von Provisionen für Geschäfte zwischen anderen und der Gesellschaft (§ 148 Abs. 1 Nr. 6 KgG). Schließlich ist die eigenmächtige Bekanntmachung von Gesellschaftsgeheimnissen verboten (§ 148 Abs. 1 Nr. 7 KgG; § 63 KgG 1993). Als Normadressaten werden in § 148 KgG ausdrücklich nur die Vorstandsmitglieder und leitende Manager genannt.137 Dass die Gesetzesverfasser die Aufsichtsratsmitglieder nicht als Normadressaten in die typischen Treuebruchtatbestände einbezogen, dürfte auf die Vorstellung zurückgehen, dass sie die gesetzlich verbotenen Verhaltensweisen wegen ihrer spärlichen Kompetenzen und Einflussmöglichkeiten im Regelfall nicht begehen können. Versteht man § 148 KgG als eine gesetzliche Konkretisierung der Treuepflicht, ist es nicht ausgeschlossen, dass einzelne Treubruchtatbestände auch auf Aufsichtsratsmitglieder Anwendung finden können, da sie ebenfalls der Gesellschaft gegenüber zur Treue verpflichtet sind. In den bisherig bekannten Gerichtsurteilen wird die Anwendbarkeit des Wettbewerbsverbots und des Verbots der Ausnutzung von Geschäftschancen auf Aufsichtsratsmitglieder mit Hinweis auf den Wortlaut des § 149 Abs. 1 KgG 2005 (§ 148 Abs. 1 KgG) schlicht und einfach abgelehnt.138

137  So ähnlich in §§ 60–62 KgG 1993, in denen nur von Vorstandsmitgliedern und dem Geschäftsführer die Rede ist. 138  Eingehend dazu 王军 [WANG, Jun], 《北方法学》 [Rechtswissenschaft des Nordens], 04 / 2011, S. 24, 30.



II. Die Treuepflicht im chinesischen Recht

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2. Regelungen zu Eigengeschäften a) Unmittelbare Eigengeschäfte Die Rechtsgeschäfte der Vorstandsmitglieder und leitenden Manager mit der Gesellschaft bedürfen nach § 148 Abs. 1 Nr. 4 KgG einer satzungsmäßigen Erlaubnis oder einer Zustimmung der Hauptversammlung. Unter der Zustimmung ist sowohl die vorherige Einwilligung als auch die nachträgliche Genehmigung zu verstehen.139 Es ist aber nicht geklärt, welche Anforderungen für die satzungsmäßige Erlaubnis gelten sollen. Besonders heftig kritisiert werden die alleinige Zustimmungskompetenz der Hauptversammlung unter dem Gesichtspunkt der Effizienz und des fehlenden Stimmverbots der befangenen Aktionäre.140 § 148 Abs. 1 Nr. 4 KgG sieht keinen Umgehungstatbestand vor, so dass die in der Wirklichkeit viel wichtigeren Eigengeschäften, an denen die Organmitglieder nur ein wirtschaftliches Interesse haben, vom Gesetzeswortlaut nicht gedeckt sind. Einige prominente Stimmen möchten mit einer „erweiternden Auslegung“, wonach auch die Rechtsgeschäfte mit näheren Angehörigen und sonstigen verbundenen Personen vom Gesetzeswortlaut erfasst werden sollen, Abhilfe schaffen.141 Nach einer anderen Ansicht ist eine Erweiterung des Anwendungsbereichs zwar notwendig, aber dem Gesetzgeber und der Justiz­ auslegung des Obersten Volksgerichts zu überlassen.142 In einer zu der gleich lautenden Vorgängervorschrift § 61 Abs. 2 KgG 1993 gefallenen Entscheidung verneint das Erste Mittlere Volksgericht Beijing deren Anwendbarkeit auf einen Vertrag mit einer anderen Kapitalgesellschaft, in der die Ehefrau des Vorstandsvorsitzenden der Klägerin ein Anteilseigner war.143 Dieses Urteil wird von manchen Autoren als „zu viel an dem Gesetzeswortlaut geklebt“ kritisiert.144

[LIU, Junhai], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 399. [HU, Xiaojing], 《当代法学》 [Zeitgenössische Rechtswissenschaft], 06 / 2010, S. 64, 67; 施天涛 / 杜晶 [SHI, Tiantao / DU, Jing], 《中国法学》 [Chinesische Rechtswissenschaft], 06 / 2007, S. 126, 137 f. 141  Z. B. 刘俊海 [LIU, Junhai], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 399; auch 施 天涛 / 杜晶 [SHI, Tiantao / DU, Jing], 《中国法学》 [Chinesische Rechtswissenschaft], 06 / 2007, S. 126, 128. 142  胡晓静 [HU, Xiaojing], 《当代法学》 [Zeitgenössische Rechtswissenschaft], S. 64, 65. 143  Zu Einzelheiten des Urteils 王军 [WANG, Jun], 《北方法学》 [Rechtswissenschaft des Nordens], 04 / 2011, S. 24, 30. 144  So 王军 [WANG, Jun], 《北方法学》 [Rechtswissenschaft des Nordens], 04 / 2011, S. 24, 30 („拘泥于法律文义“). 139  刘俊海 140  胡晓静

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§ 4  Treuepflichten

b) Kreditgeschäfte Das KgG 1993 verbot es, dass Vorstandsmitglieder und der Geschäftsführer mit Gesellschaftsmitteln anderen Personen oder Unternehmen Kredite gewähren (§ 60 Abs. 1) und im Namen der Gesellschaft für Aktionäre oder natürliche Personen Sicherheiten bestellen (§ 60 Abs. 3). Die letztere Vorschrift war von Anfang an bereits sehr umstritten. Daraus wurde teilweise eine Einschränkung der rechtlichen Fähigkeit der Kapitalgesellschaft zur Sicherheitsleistung und teilweise eine Einschränkung der Entscheidungskompetenz des Vorstands herausgelesen.145 Dieser Meinungsstreit wurde an der Wende dieses Jahrhunderts wegen der verschiedenen Interpretationen der CSRC und des Obersten Volksgerichts146 wiederbelebt. Die durch die Gesetzesnovellierung 2005 zugefügten Vorschriften in § 16 KgG sollen die Fähigkeit der Kapitalgesellschaften zur Sicherheitenstellung klarstellen, um den unnötigen Streit hierüber zu sparen.147 Danach bestimmt die Gesellschaftssatzung, ob die Sicherheitenstellung für andere Personen oder Unternehmen eines Beschlusses des Vorstands oder der Hauptversammlung bedarf (§ 16 Abs. 1 KgG) und der Beschluss der Hauptversammlung ist erforderlich, wenn es um die Sicherheitenstellung für einen Aktionär oder den de facto-Beherrscher geht (§ 16 Abs. 2 KgG). Der Wortlaut des § 148 Abs. 1 Nr. 3 KgG, der Nachfolgevorschrift des § 60 Abs. 3 KgG 1993, wurde an dieser geänderten Rechtslage angepasst. Für die börsennotierten AGs erließ die CSRC kurz vor der Verkündung des KgG 2005 zusammen mit der Bankenaufsichtskommission die Nr. 120 Anordnung (2005) zur Sicherheitenbestellung, in der die Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Sicherheitenbestellung auf drei weitere Konstellationen erweitert.148 Obwohl der Wortlaut des § 148 Abs. 1 Nr. 3 KgG die Zulässigkeit der Kreditvergabe 145  Eine Übersicht zum Meinungsstreit gleich nach dem Inkrafttreten des KgG 1993 bei 刘俊海 [LIU, Junhai], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 100. 146  Die CSRC untersagte im Juni 2000 in ihrer Nr. 61 Anordnung die Sicherheitenstellung für Aktionäre. Das Oberste Volksgericht bejahte hingegen in seiner ZHONG FU-Entscheidung von 2001 die Zulässigkeit der Sicherheitenstellung für Aktionäre bei Vorliegen eines Hauptversammlungsbeschlusses. Die CSRC hielt an ihrem Standpunkt fest und wiederholte in ihrer Nr. 53 Anordnung (2003) das Verbot mit leichter sprachlicher Änderung. Zur ZHONG FU-Entscheidung siehe unten II. 3. b) bb). 147  刘俊海 [LIU, Junhai], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 104. 148  Abschnitt 1.3 Abs. 1 Nr. 1–3 Nr. 120 Anordnung (2005): (1) jede Sicherheit, wenn die Gesamtsumme der von der börsennotierten AG und ihren Tochtergesellschaften bereits bestellten Sicherheiten 50 % des in der letzten Abschlussprüfung festgestellten Eigenkapitals überschreitet, (2) die Sicherheit zugunsten eines Hauptschuldners, dessen Verschuldungsgrad (debt equity ratio) 70 % überschreitet, (3) jede einzelne Sicherheit, deren Summer 10 % des in der letzten Abschlussprüfung festgestellten Eigenkapitals überschreitet.



II. Die Treuepflicht im chinesischen Recht171

durch eine Kapitalgesellschaft impliziert, besteht in China nach wie vor die Unsicherheit, ob Darlehen zwischen zwei Unternehmen überhaupt zulässig sind.149 Für die AG wird ein Verbot von Organkrediten durch die Gesetzesnovellierung 2005 eingeführt. Nach § 115 KgG (§ 116 KgG 2005) darf eine AG weder direkt noch über Tochtergesellschaften den Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern sowie leitenden Managern Darlehen gewähren. Diese Norm sollte verhindern, dass die Geschäftsleiter beim MBO die Gesellschaft zur Kreditvergabe veranlassen, um den Aktienerwerb zu finanzieren.150 Die Reichweite dieses Verbots ist im Schrifttum nicht erläutert. Da sich MBOs in China fast ausschließlich auf die staatlichen Unternehmen beziehen,151 kann man dem Normzweck des § 115 KgG entsprechend die Regelungen der SASAC zur MBO-Finanzierung152 als Interpretationshilfe heranziehen. Im Abschnitt 5 Nr. 5 ist vorgesehen, dass das erwerbende Management Nachweis für die Herkunft der Finanzierung zu erbringen hat und der Erwerb weder von der Zielgesellschaft noch von sonstigen staatlichen Unternehmen durch Bürgschaft (保证), Verpfändung der staatlichen Beteiligungen oder des Gesellschaftsvermögens (质押国有产权 / 抵押资产) oder Diskontieren der von diesen ausgestellten Wechsel (贴现) finanziert werden darf. Daraus ergibt sich, dass beim MBO der staatlichen Beteiligungen die verbotene Finanzhilfe der Zielgesellschaft nicht nur das Darlehen im rechtstechnischen Sinne, sondern die mittelbare Kreditgewährung durch die Sicherheitenbestellung für einen Bankkredit oder durch die Ausstellung von Wechseln erfasst. c) Manager-Vergütung Für die Vergütung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder ist die Hauptversammlung und für die Vergütung der leitenden Manager der Vorstand kraft ihrer Personalkompetenz jeweils das zuständige Organ (vgl. 149  Dies geht darauf zurück, dass die Volksbank China 1996 in § 62 ihrer „allgemeinen Regel zur Kreditvergabe“ verbot, dass die Unternehmen sich entgegen den staatlichen Regeln untereinander Kredite gewähren, und das Oberste Volksgericht in seiner Antwort zu einer Vorlage vom 23.09.1996 einen Kreditvertrag zwischen Unternehmen als nichtig wegen Verstoßes gegen Regeln zum Kreditwesen einstufte. Eine kurze Darstellung der Rechtslage bei 赵旭东 [ZHAO, Xudong], in: 王保树 / 王 文宇主编 [WANG, Baoshu / WANG, Wenyu (Hrsg)], S. 145, 156. 150  刘俊海 [LIU, Junhai], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 403. 151  上海证交所研究中心 [Forschungszentrum der SHSE] (2009), S. 72. 152  国务院国资委 / 财政部 [SASAC, Finanzministerium], 《企业国有产权向管 理层转让暂行规定》 [Vorläufige Regelungen zum MBO der staatlichen Beteilungen (11.04.2005)].

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§ 4  Treuepflichten

§§ 37 Abs. 1 Nr. 2, 46 Nr. 9 KgG). Entsprechend dieser Kompetenzverteilung werden die Vergütungen der geschäftsführenden Vorstandsmitglieder im Hinblick auf ihre Tätigkeit im Vorstand und im Hinblick auf ihre Stellung als leitende Manager jeweils von der Hauptversammlung und dem Vorstand festgesetzt. Hier besteht insbesondere die Gefahr des InsiderMachtmissbrauchs. Bei börsennotierten AGs sollen die Interessenkonflikte dadurch entschärft werden, dass der mehrheitlich aus unabhängigen Vorstandsmitgliedern besetzte Vergütungsausschuss dem Vorstand die Beschlussvorschläge für die Vergütungspolitik und die Vergütungen der Vorstandsmitglieder und leitenden Manager bereitstellt (§ 56 CGK) und ihre Leistungserfolge bewertet (§ 70 CGK). Im Zuge der Novelle von 2005 wurde eine Pflicht der AG zur regelmäßigen Offenlegung der Vergütungen ihrer Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sowie der leitenden Manager gegenüber den Aktionären eingeführt (§ 116 KgG; § 117 KgG 2005). Diese Vorschrift enthält jedoch weder die Vorgabe über den Ort der Offenlegung noch über die Modalität. Für die börsennotierten AGs wird die Offenlegungspflicht durch die Regelungen der CSRC konkretisiert. Nach § 21 Nr. 5 der Publizität-Anordnung (2007) der CSRC erfolgt die Offenlegung in dem Jahresbericht. Die konkreten Anordnungen dazu finden sich in § 25 der Standards Nr. 2 (Jahresbericht).153 Neben dem Entscheidungsverfahren und den Grundlagen der Festsetzung der Vergütung sind das Nettoeinkommen jedes Organmitglieds und leitenden Managers und das Gesamteinkommen jeder Personengruppe anzugeben. Zum Einkommen gehören Gehalt, Bonus, Zuschuss, Sozialversicherungsbeitrag, die Versicherungsprämie, Housing Fund, die Rente und sonstige Vergütungen. Ferner sind die Anzahl der Aktien, die durch Ausübung von Aktienoptionen erwerbbar sind oder bereits erworben wurden, der Ausübungspreis und der Aktienkurs zur Zeit des Berichts gesondert auszuweisen. Schließlich sind noch die Namen der Aufsichtsrats- und Vorstandsmitglieder bekannt zu machen, die keine Vergütung von der Gesellschaft erlangen, und es ist auch zu erklären, ob sie von dem Aktionär oder einem verbundenen Unternehmen Vergütungen bekommen. Für die Aktienoptionen hat die CSRC umfassende Entscheidungsregeln aufgestellt.154 Das Aktienoptionsprogramm ist vom Vergütungsausschuss zu entwerfen und sodann dem Vorstand zur Überprüfung vorzulegen (§ 28). Die unabhängigen Vorstandsmitglieder müssen eine Stellungnahme dazu geben, ob das Programm einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft dienlich ist oder ob es das Interesse der Gesellschaft und der gesamten 153  证监会 [CSRC], 《信息披露准则第2号》 [Standards Nr. 2 (Jahresbericht)]) (17.12.2007). 154  证监会 [CSRC], 《上市公司股权激励管理办法》(试行) [Verwaltungsmethoden zu Aktienoptionsprogrammen in börsennotierten AGs (vorläufig)] (31.12.2005).



II. Die Treuepflicht im chinesischen Recht173

Aktionäre schädigen wird (§ 29). Nachdem das Programm vom Vorstand beschlossen worden ist, hat der Aufsichtsrat es zu prüfen und in der Hauptversammlung über seine Prüfung zu berichten (§ 8). Das Programm ist von der Hauptversammlung mit 2 / 3-Stimmenmehrheit der anwesenden Aktionäre zu beschließen (§ 37). Die unabhängigen Vorstandsmitglieder sollen bei allen Aktionären Stimmrechtsvollmachten sammeln (§ 38). In der Praxis sind Aktienoptionsprogramme wegen der strengen Regulierungen seitens der CSRC und der SASAC von geringer praktischer Bedeutung.155 Schließlich ist noch auf die Besonderheit der staatlich kontrollierten Kapitalgesellschaften hinzuweisen. Die SASAC bewertet die Arbeitsleistungen der Vorstandsmitglieder, die Vertreter der staatlichen Beteiligungen sind, sowie der leitenden Manager, die der Aufsicht der Parteikomitee der SASAC unterliegen, und bestimmt auf dieser Grundlage deren erfolgsabhängige Vergütungen.156 d) Verbot von schädlichen related party transactions Der in der Novelle von 2005 zugefügte § 21 KgG untersagt, dass der herrschende Aktionär, der de facto-Beherrscher, die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sowie leitende Manager durch Ausnutzung der sog. „verbundenen Beziehungen“ (关联关系, related relationship) das Gesellschaftsinteresse schädigen. Darunter fallen nach der Legaldefinition in § 216 Nr. 4 Satz 1 KgG die Beziehungen zwischen den oben genannten Personen und den von ihnen unmittelbar oder mittelbar kontrollierten Unternehmen sowie die sonstigen Beziehungen, die zu einem Vorteiletransfer (利益转移) führen können. Entsprechend dieser zweiteiligen Definition werden related party transactions (im Folgenden abgekürzt als RPTs) der Organmitglieder im Schrifttum in zwei Kategorien geteilt: Eigengeschäfte mit der Gesellschaft und sonstige Konstellationen, in denen ein Vorteiletransfer möglich ist. Zu den letzteren gehören insbesondere die personelle Verflechtung auf der Ebene des Vorstands, die Manager-Vergütung und Ausnutzung der Geschäftschance sowie der Wettbewerb mit der Gesellschaft.157 Sogar die zweckfremde Nutzung der Gesellschaftsmittel i. S. d. § 148 Abs. 1 Nr. 1 KgG und die eigenmächtige Enthüllung der Gesellschaftsgeheimnisse i. S. d. 155  Siehe

oben § 2 III. 5. § 2 Nr. 3国务院国资委 [SASAC], 《中央企业负责人经营业绩考核暂 行办法》 [Vorläufige Methoden zur Bewertung der Leistungserfolge der Geschäftsleiter der staatlichen Unternehmen der Zentralen Regierung]. In deren §§ 23–30 sind die Bestandteile der erfolgsabhängigen Vergütungen und Maßstäbe der Festsetzung geregelt. 157  施天涛 / 杜晶 [SHI, Tiantao / DU, Jing], 《中国法学》 [Chinesische Rechtswissenschaft], 06 / 2007, S. 126, 128; 褚红军 [ZHU, Hongjun], S. 193. 156  Vgl.

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§ 4  Treuepflichten

§ 148 Abs. 1 Nr. 7 KgG werden der zweiten Kategorie zugeordnet.158 Nach diesem weiten Verständnis unterscheiden sich die RPTs nicht von Geschäften, die unter Interessenkonflikten zustande gekommen sind.159 § 21 KgG verbietet nicht die RPTs als solche, sondern nur die Benachteiligung der Gesellschaft hierdurch. Angesichts der weit gefassten Tatbestandsvoraussetzungen normiert § 21 KgG nichts anderes als ein allgemeines Schädigungsverbot, das in der organschaftlichen Treuepflicht nach dem allgemeinen Verständnis ohnehin bereits enthalten ist. Bisher sind nur drei Urteile bekannt, die ausdrücklich auf § 21 KgG Bezug nehmen. In Ningbo Lianyin Co., Ltd. vs. ZHENG u. a.160 wurden zwei Direktoren einer GmbH, die zugleich Geschäftsführer bzw. Vize-Geschäftsführer waren, vorgeworfen, dass dieser die Gesellschaft veranlasst hatten, bei einem Lieferanten, der eine hundertprozentige Tochtergesellschaft einer von ihnen kontrollierten Gesellschaft war, Waren zu kaufen, die deutlich teurer als die der anderen Lieferanten waren. Das Gericht stufte die betreffenden Warenlieferungsverträge als RPT ein. Zur Beurteilung ihrer Schädlichkeit hat das Gericht, weil die beiden Parteien den Marktpreis der betroffenen Waren zum Zeitpunkt der jeweiligen Transaktion nicht angeben konnten, die Angebote eines anderen langfristigen Lieferanten der klagenden GmbH in dem Zeitraum, im dem die fraglichen Transaktionen stattfanden, als Vergleichsmaßstab herangezogen. Es bejahte die Schädlichkeit der Warenlieferungsverträge und folglich eine Treuepflichtverletzung, zumal die Beklagten nicht beweisen konnten, dass ihr Verhalten von Aktionären genehmigt worden sei. Außerdem erklärte das Gericht den mitverklagten Lieferanten für schadensersatzpflichtig wegen Mitverantwortung, weil die verklagten Direktoren jeweils dessen Vorstandsvorsitzender und Vorstandsmitglied seien und das Unternehmen folglich von ihrer Tat gewusst und einen Vorsatz zur gemeinsamen Begehung der Tat haben müsse. In Shanghai Tongqiang Co., Ltd. vs. John Hery Ltd.161 hat das Gericht die Auszahlungen der klagenden GmbH an zwei verbundene Unternehmen eines Gesellschafters (ebenfalls in Rechtsform der GmbH) ohne zugrundliegende Transaktionen als Rückgewähr der Einlage festgestellt. Neben der Rückzahlungspflicht des verklagten Gesellschafters bejahte es die Schadensersatzhaftung des verklagten Vorstandsvorsitzenden, der den verklagten [ZHU, Hongjun], S. 193. ausdrücklich施天涛 / 杜晶 [SHI, Tiantao / DU, Jing], 《中国法学》 [Chinesische Rechtswissenschaft], 06 / 2007, S. 126. 160  联鹰公司诉郑德树案 [Ningbo Lianyin Co., Ltd. vs. ZHENG u. a.], 浙江高法 民事判决书(2006)甬民四初字第212号 [Das Obere Volksgericht Zhejiang, Urteil (2006) 4. Zivilsenat 1. Instanz Nr. 212]. 161  上海通强公司诉约翰亨利公司 [Shanghai Tongqiang Co., Ltd. vs. John Hery Ltd.], 上海高院(2009)沪高民二(商)终字第19号 [Das Obere Volksgericht Shanghai, Urteil (2009) 2. Zivilsenat 2. Instanz Nr. 19]. 158  褚红军 159  So



II. Die Treuepflicht im chinesischen Recht175

Gesellschafter beherrscht, wegen Verstoßes gegen § 21 KgG, weil dieser die Auszahlungen unter Ausnutzung der verbundenen Beziehung ausgeführt habe. Es verneint hingegen die Schadensersatzhaftung der zwei Empfänger, weil sie von den verklagten Vorstandsvorsitzenden beherrscht worden seien und von diesem als Plattform für die Ein- und Auszahlung bedient würden, so dass es an einem eigenen Verschulden und Verhalten fehle. Im dritten Fall geht es um die Frage, ob der Verstoß gegen das Schädigungsverbot des § 21 KgG ein Gesetzesverstoß i. S. d. § 22 Abs. 1 KgG darstellt, der zur Nichtigkeit eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung führt.162 Da es nicht um die Treuepflicht der Organmitglieder geht, ist hier nicht mehr darauf einzugehen. e) Stimmverbot der befangenen Vorstandsmitglieder Bei börsennotierten AGs unterliegt ein Vorstandsmitglied einem Stimmverbot, wenn zwischen ihm und dem Unternehmen, das von dem Beschlussgegenstand des Vorstands betroffen ist, eine verbundene Beziehung besteht (§ 124 Satz 1 KgG). Sind weniger als drei unbefangene Vorstandsmitglieder an der Beratung anwesend, ist die Sache der Hauptversammlung zur Entscheidung vorzulegen (§ 124 Satz 3 AktG). Manche Autoren erblicken da­rin eine Anerkennung der Zustimmung durch unbeteiligte Vorstandsmitglieder bzw. die Hauptversammlung als ein Instrument der Konfliktlösung nach dem US-amerikanischen Vorbild und bemängeln zugleich die fehlende, gesetzlich vorgesehene gerichtliche Angemessenheitskontrolle.163 Das Stimmverbot der befangenen Vorstandsmitglieder wird in Listing Rules der SHSE konkretisiert. Ein Vorstandsmitglied gilt als related, wenn es selber der Geschäftspartner ist oder den Geschäftspartner unmittelbar oder mittelbar kontrolliert, außerdem wenn es zugleich bei dem Geschäftspartner oder einem von diesem kontrollierten oder diesen kontrollierenden Unternehmen beschäftigt ist, oder wenn es mit einem Geschäftspartner, der eine natürliche Person ist, bzw. mit den einen Geschäftspartner kontrollierenden natürlichen Personen oder – wenn es jeweils um Unternehmen geht – mit eines deren Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sowie einem leitenden Manager nahe verwandt ist.164 Nach dieser weitreichenden Definition greift das Stimmverbot nicht nur dann ein, wenn es um Rechtsgeschäfte zwischen der Gesellschaft und einem Vorstandsmitglied, einem seiner nähen Angehörigen bzw. einem von ihm kontrollierten Unternehmen geht, sondern erfasst auch die 162  高冬青诉康得新电公司 [GAO, D.Q. vs. KANG DE XIN DIAN Ltd.], 北京 一中院(2009)一中民终字第5995号 [Das Erste Mittlere Volksgericht Beijing, Urteil (2009) 2. Instanz Nr. 5995]. 163  施天涛 / 杜晶 [SHI, Tiantao / DU, Jing], 《中国法学》 [Chinesische Rechtswissenschaft], 06 / 2007, S. 126, 137 f. 164  SHSE-Listing Rules 10.2.1. Para. 2.

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§ 4  Treuepflichten

Konstellation, dass ein Vorstandsmitglied zugleich auch bei der Muttergesellschaft oder einer Geschwistergesellschaft als Organmitglied oder ein Angestellter tätig ist, wenn es über die Geschäfte zwischen der Gesellschaft und diesen zu beraten ist. Gerade der in der Listing Rules verwendeten, in seiner allgemein Bedeutung weitreichenden Wort „Beschäftigung“ („任职“) legt es nahe, dass nicht nur das Anstellungsverhältnis, sondern auch die Übernahme vom Vorstands- oder Aufsichtsratsamt darunter fällt. Dieses Verständnis ist auch von dem noch weiter gefassten Wortlaut des § 124 KgG gedeckt. Folglich kann man ein Stimmverbot für die Doppelmandatsträger im Vorstand einer börsennotierten AG folgern. 3. Rechtsfolgen der Treuepflichtverletzung a) Schadensersatzanspruch und Anspruch auf Herausgabe von Einnahmen Bei einer Treuepflichtverletzung besteht ein Schadensersatzspruch der Gesellschaft nach der entsprechenden Anwendung des § 149 KgG. Zwar statuiert diese Norm ausdrücklich nur die Schadensersatzhaftung der Organmitglieder wegen gesetzes- oder satzungswidrigen Verhaltens bei der Amtsführung. Sie wird allgemein als Anspruchsgrundlage bei einer Treuepflichtverletzung herangezogen. Denn wenn die Vorstandsmitglieder u. a. für die Gesetzesverstöße während der Amtsführung haften müssen, sollte es erst recht für ihre schädlichen Handlungen gelten, die außerhalb der Amtsführung lägen.165 Eine weitere Anspruchsgrundlage für die Schadensersatzhaftung findet man in § 21 KgG wegen Schädigung des Gesellschaftsinteresses durch RPTs. Bei der Erfüllung der in § 148 Abs. 1 KgG geregelten Treuebruchtatbeständen besteht ferner ein Anspruch der Gesellschaft auf Herausgabe von Einnahmen (§ 148 Abs. 2 KgG).166 b) (Un-)Gültigkeit der Rechtsgeschäfte bei Verstoß gegen gesetzliche Zustimmungserfordernisse Aufgrund der Rechtssicherheit ist ein Rechtsgeschäft nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich nicht wegen Treuepflichtverletzung der Organmitglie165  钱卫清 [QIAN, Weiqing], S. 204; 张勇健 [ZHANG, Yongjian], in: 王保树主 编 [WANG, Baoshu (Hrsg.)], 《实践中的公司法》 [Das KapGesR in der Praxis], S. 229, 233; 金剑锋 [JIN, Jianfeng], 《法律适用》 [Rechtsanwendung], 1–2 / 2008, S. 10, 14. 166  Dieser Anspruch galt früher nur bei Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot, vgl. § 61 Abs. 1 Satz 2 KgG 1993.



II. Die Treuepflicht im chinesischen Recht177

der nichtig.167 Beim Verstoß gegen das gesetzliche Zustimmungserfordernis in § 148 Abs. 1 Nr. 4 KgG wird ein Recht der Gesellschaft zur Anfechtung der Eigengeschäfte von vielen Autoren angenommen oder empfohlen.168 Manche wollen das Anfechtungsrecht der Gesellschaft sogar auf die Rechtsgeschäfte der Organmitglieder mit Dritten erstrecken, wenn eine entsprechende Zustimmung der Hauptversammlung nicht vorliegt und die Organmitglieder dadurch gegen das Wettbewerbsverbot bzw. Verbot der Ausnutzung von Geschäftschancen in § 148 Abs. 1 Nr. 5 KgG verstoßen.169 In zwei neulich zu § 148 Abs. 1 Nr. 4 KgG gefallenen Entscheidungen wurden die Abtretung der Ansprüche einer GmbH an den verklagten Vorstandsvorsitzenden und der Betriebsüberlassungsvertrag zwischen einer GmbH und deren Geschäftsführer mangels der erforderlichen Zustimmung der Gesellschafterversammlung wegen Verstoßes gegen zwingendes Recht nach § 52 Abs. 5 Vertragsgesetz (VG) für nichtig erklärt.170 Bei dem Verstoß gegen § 148 Abs. 1 Nr. 3 KgG ist die Frage zur Gültigkeit der Sicherungsverträge wegen der notwendigen Einbeziehung von Dritten kompliziert und bedarf wegen deren besonderen Bedeutung in der chinesischen Praxis einer eingehenden Erläuterung. aa) Verstoß gegen das Zustimmungserfordernis in § 16 Abs. 2 KgG § 148 Abs. 1 Nr. 3 KgG enthält kein explizites Zustimmungserfordernis, sondern verweist auf § 16 KgG. Folglich hängt die Gültigkeit des Sicherungsvertrags von der Rechtswirkung des Zustimmungserfordernisses in § 16 KgG ab. Bei Nichteinhaltung des Erfordernisses der Hauptversammlungszustimmung nach § 16 Abs. 2 KgG und bei Verstoß gegen das Stimm167  张勇健 [ZHANG, Yongjian], in: 王保树主编 [WANG, Baoshu (Hrsg.)], 《实 践中的公司法》 [Das KapGesR in der Praxis], S. 229, 233; 金剑锋 [JIN, Jianfeng], 《法律适用》 [Rechtsanwendung], 1–2 / 2008, S. 10, 13. 168  Vgl. z. B. 张勇健 [ZHANG, Yongjian], in: 王保树主编 [WANG, Baoshu (Hrsg.)], 《实践中的公司法》 [Das KapGesR in der Praxis], S. 229, 233; 金剑锋 [JIN, Jianfeng], 《法律适用》 [Rechtsanwendung], 1–2 / 2008, S. 10, 13; 钱卫清 [QIAN, Weiqing], S. 205; ein gesetzlich vorgesehenes Anfechtungsrecht der Gesellschaft befürwortend胡晓静 [HU, Xiaojing], 《当代法学》 [Zeitgenössische Rechtswissenschaft], 06 / 2010, S. 64, 68. 169  钱卫清 [QIAN, Weiqing], S. 205. 170  陈炬诉东方建设集团有限公司等损害公司权益纠纷案 [CHEN, Ju vs. Oriental Construction Group Ltd. wegen Beeinträchtigung des Gesellschaftsinteresses], 浙江省诸暨市人民法院民事判决书(2009)绍诸商初字第4057号 [Das Volksgericht Zhuji der Provenz Zhejiang, Urteil (2009) 1. Instanz Nr. 4057]; 何某某等诉重庆某 某食品有限公司等企业承包经营合同纠纷案 [HE vs. X. Food Co., Ltd. wegen des Streits über einen Betriebsüberlassungsvertrag], 重庆市合川区人民法院民事裁判书 (2012)合法民初字第00212号 [Das Volksgericht Hechuan der Stadt Chongqing, Urteil (2012) 1. Instanz Nr. 00212].

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§ 4  Treuepflichten

verbot der befangenen Aktionäre des § 16 Abs. 3 KgG wird die Nichtigkeit der Sicherheitsleistung für Aktionäre oder den de facto-Beherrscher von vielen Autoren ohne weiteres bzw. mit einer lapidaren Begründung angenommen, die beiden Vorschriften seien zwingende Normen und müssten unbeachtlich der Gutgläubigkeit des Dritten gelten.171 Zu der Vorgängervorschrift des § 148 Abs. 1 Nr. 3 KgG, § 60 Nr. 3 KgG 1993, hat das Oberste Volksgericht die Rechtsfolge in § 4 Justizauslegung zum Sicherheitengesetz von 2000 (Justizauslegung 2000) konkretisiert. Danach ist ein entgegen § 60 Abs. 3 KgG 1993 abgeschlossener Sicherungsvertrag nichtig; Der Hauptschuldner und der Sicherungsgeber müssen jedoch für Verluste des Sicherungsgläubigers als Gesamtschuldner haften, es sei denn, dass der Gläubiger vom Gesetzesverstoß wusste oder wissen musste. In dieser Auslegung hat das Oberste Volksgericht den eigentlichen Nichtigkeitsgrund noch nicht erklärt. Im ZHONG FU-Urteil von 2001 hat das Oberste Volksgericht das an einzelne Vorstandsmitglieder gerichtete Verbot der Sicherheitenstellung für Aktionäre in § 60 Nr. 3 KgG 1993 als Verneinung der Entscheidungskompetenz des Vorstands hierfür umgedeutet und die in Frage stehende Bürgschaft zwischen einer börsennotierten AG und einer Bank zugunsten des herrschenden Aktionärs der ersteren mangels eines nach seiner Ansicht erforderlichen Hauptversammlungsbeschlusses wegen Verstoßes gegen zwingende gesetzliche Bestimmung nach § 52 Nr. 5 VG als nichtig festgestellt.172 Dabei hat das Gericht § 60 Nr. 3 KgG 1993 ausdrücklich als ein Verbotsgesetz i. S. d. § 52 Nr. 5 VG qualifiziert. Wird das Oberste Volksgericht diesen Standpunkt weiter vertreten, wird es das nunmehr gesetzlich vorgesehene Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung in § 16 Abs. 2 KgG auch als ein Verbotsgesetz ansehen, dessen Verletzung zur Nichtigkeit des Sicherungsvertrags führt. Es bleibt noch die angebliche Außenwirkung des Stimmverbots in § 16 Abs. 3 KgG zu klären. Die oben genannte Einsicht, die ein Sicherungsvertrag auch ohne weiteres am Verstoß der befangenen Aktionäre gegen das Stimmverbot scheitern lassen will, ist mit dem geltenden Recht unvereinbar. Nach § 22 Abs. 2 KgG sind Gesetzesverstöße bei der Abstimmung nur ein Anfechtungsgrund. Da ein Verstoß gegen das Stimmverbot nur zur An­ fechtbarkeit des betroffenen Hauptversammlungsbeschlusses führt, hat der Sicherungsvertrag eine wirksame Grundlage, solange der Beschluss nicht angefochten wird. Allerdings ist die Rechtslage nach einer erfolgreichen 171  徐子良 [XU, Ziliang], 《人民司法》 [Volksjustiz], 04 / 2009, S. 81, 82; 华德 波 [HUA, Debo], 《法律适用》 [Rechtsanwendung], 03 / 2011, S. 33 f.; 褚红军 [ZHU, Hongjun], S. 225. 172  Vgl. die Wiedergabe der Urteilsbegründung bei 曹士兵 [CAO, Shibing], 《人 民司法》 [Volksjustiz], 01 / 2008, S. 22, 23.



II. Die Treuepflicht im chinesischen Recht

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Anfechtung zweifelhaft. Nicht wenige Autoren sind der Meinung, der Sicherungsvertrag sei automatisch nichtig, wenn der zugrunde liegende Hauptversammlungsbeschluss angefochten oder für nichtig erklärt wurde.173 Die Auswirkungen eines unwirksamen Beschlusses der Hauptversammlung und des Vorstands auf das Außenverhältnis sind in China noch weitgehend im Dunkeln. bb) Verstoß gegen § 16 Abs. 1 KgG und das satzungsmäßige Zustimmungserfordernis Besonders umstritten ist, ob der Verstoß gegen § 16 Abs. 1 KgG, wonach die Sicherheitenstellung je nach der Satzungsbestimmung eines Vorstandsoder Hauptversammlungsbeschlusses bedarf, zur Nichtigkeit des Sicherheitsvertrags führt. Es wird überwiegend bejaht.174 Zur Begründung bedienen sich manche Autoren einer „systematischen“ Auslegung: Da sich § 16 Abs. 1 KgG im Allgemeinen Teil des Gesetzes befinde, sei er nicht bloß eine für die interne Organisation der Kapitalgesellschaft geltende Norm, sondern müsse von jedem Rechtssubjekt einschließlich der Sicherungsgläubiger beachtet werden.175 Andere machen geltend, dass wegen dieser gesetzlichen Sonderregelung die entsprechende Satzungsbestimmung auch für den Sicherungsgläubigers eine Bindungswirkung habe.176 Nach der Gegenansicht soll die Sicherheitsleistung bei Verstoß gegen § 16 Abs. 1 KgG wirksam sein, weil diese Norm zwar die Rechtsfähigkeit der Kapitalgesellschaft beschränke, aber nicht auf die Wirksamkeit der Rechtsgeschäfte gerichtet sei.177 Es ist auf dem ersten Blick überraschend, dass so viele chinesische Autoren aus der allgemeinen Gültigkeit des zwingenden Gesetzes ohne weiteres die Außenwirkung einer gesellschaftsinternen Kompetenzregel folgern. Ein Einblick in die Rechtsprechung zur Gültigkeit der Sicherungsverträge bei Überschreitung der Befugnisse wird erklären, warum sie dazu gekommen sind. Unter der Geltung des KgG 1993 überprüften die Gerichte die Gültigkeit der Sicherungsverträge, die außerhalb des Anwendungsbereichs des § 60 Nr. 3 KgG 1993 liegen und daher keiner Hauptversammlungszustimmung [ZHU, Hongjun], S. 225. [GAN, Peizhong], 《法律适用》 [Rechtsanwendung], 08 / 2011, S. 6, 7; 徐海燕 [XU, Haiyan], 《法学》 [Rechtswissenschaft], 09 / 2007, S. 87, 89 f.; 褚 红军 [ZHU, Hongjun], S. 225. 175  甘培忠 [GAN, Peizhong], 《法律适用》 [Rechtsanwendung], 08 / 2011, S. 6, 7; 徐海燕 [XU, Haiyan], 《法学》 [Rechtswissenschaft], 09 / 2007, S. 87, 89 f. 176  褚红军 [ZHU, Hongjun], S. 225. Er bejaht die Pflicht der Gläubiger zur Überprüfung der Satzung, S. 231. 177  王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 42. 173  褚红军 174  甘培忠

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§ 4  Treuepflichten

nach dem ZHONG FU-Urteil bedürfen, auf der Grundlage des § 50 VG. Danach ist ein Vertrag, den der gesetzliche Repräsentant oder eine andere zuständige Person einer juristischen Person oder sonstigen Organisation unter Überschreitung ihrer Befugnisse abgeschlossen hat, wirksam, es sei denn, dass die andere Partei von der Befugnisüberschreitung wusste oder wissen musste. Für die Wirksamkeit des Sicherungsvertrags kommt es also darauf an, ob der Sicherungsgläubiger die Befugnisüberschreitung des mit ihm unmittelbar kontrahierenden Vorstandsvorsitzenden oder des Geschäftsführers wusste oder hätte wissen müssen. Da ein positives Wissen in der Regel schwer zu beweisen ist, ist das Kennenmüssen von ungleich großer praktischer Bedeutung. Folglich hat sich die Frage zugespitzt, ob ein Sicherungsgläubiger verpflichtet ist, sich vor dem Abschluss des Sicherungsvertrags über die Kompetenzregeln und das Entscheidungsverfahren in der Satzung des Sicherungsgebers zu informieren und entsprechend zu überprüfen, ob der erforderliche Vorstands- oder Hauptversammlungsbeschluss vorhanden ist. Die Überprüfungspflicht des Sicherungsnehmers wurde von dem Obersten Volksgericht in der GUANG DA Bank- Entscheidung178 als eine Frage der Außenwirkung der Gesellschaftssatzung umformuliert. In GUANG DA-Bank vs. Powerise Co. Ltd., auf den das KgG 1993 Anwendung findet, wurde über die Wirksamkeit einer Bürgschaft gestritten, die die Powerise, eine börsennotierte AG, vertreten durch ihren Vorstandsvorsitzenden, abgeschlossen hat. Das Gericht erster Instanz stellte die satzungsmäßige Zuständigkeit des Vorstands für Sicherheitenstellung und die fehlende Ermächtigung des Vorstandsvorsitzenden hierfür fest. Folglich wandte es § 50 VG auf die fragliche Bürgschaft an. Es bejahte das Kennenmüssen der Bank aus folgenden Gründen: Nach der Anordnung Nr. 60 (2000) und der Nr. 53 (2003) der CSRC dürfte eine börsennotierte AG nicht für ihre verbundenen Unternehmen Sicherheiten stellen und die Sicherheitsleistung für andere Personen benötige eine Zustimmung der Hauptversammlung oder des Vorstands. GUANG DA-Bank hätte von diesen Anordnungen Kenntnis nehmen und damit beim Vertragsschluss die Vertretungsbefugnis des Vorstandsvorsitzenden der Powerise überprüfen müssen. Diese Entscheidung wurde vom Obersten Volksgericht als Berufungsgericht in seinem Urteil vom 08.01.2008 bestätigt. Zur Begründung erkennt es nicht nur die Anordnungen der CSRC als verbindliche Rechtsnormen mit Publizitätswirkung an, sondern behauptet auch ohne nähere Erläuterung, die Banken hätten eine höhere Sorgfaltspflicht als die anderen Rechtsverkehrsteilneh178  光大银行诉创智公司 [GUANG DA-Bank vs. Powerise Co., Ltd.), 最高院 (2007)民二终字第184号 [Das Oberste Volksgericht, Urteil (2012) 2. Zivilsenat 2. Instanz Nr. 184], abgedruckt in: 最高院民二庭编 [2. Zivilsenate des Obersten Volksgerichts (Hrsg.)], 《民商事审判指导》 [Rechtsprechunganleitung (02.2008)], S. 170.



II. Die Treuepflicht im chinesischen Recht181

mer. Darüber hinaus spricht es auch der Satzung der börsennotierten AG eine Außenwirkung zu: Die Gesellschaftssatzung habe in der Regel nur eine interne Wirkung. Selbst wenn die Gesellschaftsatzung bei der Registerbehörde eingetragen werden müsse, könne nicht daraus gefolgert werden, dass der Geschäftspartner vom Satzungsinhalt Kenntnis habe oder hätte haben sollen. Allerdings sei es bei der Satzung einer börsennotierten AG etwas anderes, weil diese dem Publikum zugänglich sei und eine höhere Publizität habe als die der nicht börsennotierten Kapitalgesellschaften. Die unterschiedliche Behandlung der börsennotierten AG und sonstiger Kapitalgesellschaften wurde von zwei Praktikern scharf kritisiert.179 Sie verweisen auf eine Entscheidung des Obersten Volksgerichts aus dem Jahr 2000. In diesem Fall wurde über die Wirksamkeit einer Hypothek gestritten, die ein Gemeinschaftsunternehmen mit chinesischer und ausländischer Beteiligung (YIBEI’EN) für eine Zweigniederlassung der Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) bestellte. YIBEI’EN hielt die Hypothekenbestellung für unwirksam und berief sich auf den Verstoß gegen §§ 28, 29 der vom Staatsrat am 07.08.1995 erlassenen Ausführungsvorschriften zum Gesetz für Gemeinschaftsunternehmen mit chinesischer und ausländischer Beteiligung, wonach die Vorstandssitzung erst mit der Anwesenheit von 2 / 3-Mitgliedern stattfinden kann und die Hypothekenbestellung vom Vorstand einstimmig beschlossen werden muss. Das Oberste Volksgericht lehnte die Nichtigkeitseinrede wegen Verletzung der Verfahrensvorschriften ab, weil diese nur die interne Organisation des Unternehmens beträfen und daher das Unternehmen die Befugnisüberschreitung seines Vorstands einem gutgläubigen Dritten nicht entgegenhalten dürfe.180 Aus einem Vergleich der GUANG DA Bank-Entscheidung und der YIBEI’EN-Entscheidungen wurde gefolgert, dass das Oberste Volksgericht bei nicht börsennotierten Gesellschaften die positive Kenntnis des Sicherungsgläubigers vom Verstoß gegen die Befugnisbeschränkung durch die Satzung oder Rechtsnormen verlange und im Fall der börsennotierten AG von einem vermuteten Kennenmüssen des Sicherungsgläubigers ausgehe.181 Das Oberste Volksgericht bejahte zwar in der GUANG DA Bank-Entscheidung die Bindungswirkung der satzungsgemäßen Entscheidungsregeln der börsennotierten AG Dritten gegenüber, stützte das Kennenmüssen der klagenden Bank aber sowohl auf die Publizitätswirkung der Satzung als 179  秦悦民 / 夏亮 [QIN, Yuemin / XIA, Liang], http: /  / www.llinkslaw.com / shang chuan / 2009910131449.pdf (zuleutzt abgerufen am 02.07.2013). 180  Wiedergabe des Sachverhalts und der Urteilsbegründung nach 秦悦民 / 夏亮 [QIN, Yuemin / XIA, Liang], http: /  / www.llinkslaw.com / shangchuan / 2009910131449. pdf (zuleutzt abgerufen am 02.07.2013). 181  秦悦民 / 夏亮 [QIN, Yuemin / XIA, Liang], http: /  / www.llinkslaw.com / shang chuan / 2009910131449.pdf (zuletzt abgerufen am 02.07.2013).

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§ 4  Treuepflichten

auch auf die der Anordnungen der CSRC. Angesichts dieser parallelen Urteilsbegründung ist es fraglich, ob das Gericht der Satzung der börsennotierten AG eine generelle Publizitätswirkung zukommen lassen will, oder ob es ihm eigentlich darum geht, in dem konkreten Fall die Anordnungen der CSRC zur Geltung zu bringen. Für das letztere dürfte der Umstand sprechen, dass das Gericht die Bindungswirkung der CSRC-Anordnungen als das erste Argument herangezogen hat. Durch die Einstufung der CSRCAnordnungen zum materiellen Recht hätte das Gericht leicht auf das gewöhnliche Begründungsmuster greifen können, ein Dritter hätte zwingende rechtliche Bestimmungen kennen müssen. Mit der Einführung des § 16 Abs. 1 KgG in 2005 wird die Frage, ob die entsprechende CSRC-Anordnung überhaupt eine bindende Wirkung hat, gegenstandslos. Da das satzungsmäßige Erfordernis nach einem Beschluss des Vorstands oder der Hauptversammlung nunmehr eine gesetzliche Grundlage in § 16 Abs. 1 KgG findet, können viele chinesische Autoren nunmehr ohne Schwierigkeit die Überprüfungspflicht des Sicherungsgläubigers mit der allgemeinen Gültigkeit der gesetzlich zwingenden Bestimmung begründen. cc) Zwischenergebnis – Überprüfungspflicht des Sicherungsgläubigers Aus der Justizauslegung von 2000 und der ZHONG FU-Entscheidung des Obersten Volksgerichts kann man folgern, dass bei einem Verstoß gegen die gesetzlich zwingende Hauptversammlungszustimmung nach § 16 Abs. 2 AktG das chinesische Gericht den entsprechenden Sicherungsvertrag wegen Verstoßes gegen Verbotsgesetze i. S. d. § 52 Nr. 5 VG scheitern lassen wird. Es läuft auf die Außenwirkung der Hauptversammlungszustimmung nach dieser Norm hinaus. Im GUANG DA Bank-Urteil bejahte das Oberste Volksgericht die Außenwirkung des in einer Satzung einer börsennotierten AG enthaltenen Erfordernisses der Vorstandszustimmung für die Sicherheitsleistung. Darin erblicken manche Autoren eine Vermutung des Kennenmüssens der Sicherungsgläubiger von Satzungsverstößen und deren Überprüfungspflicht, wenn es bei dem Sicherungsgeber um eine börsennotierte AG geht. Viele Autoren bejahen im Ergebnis die Außenwirkung des auf der Grundlage des § 16 Abs. 1 KgG eingeführten satzungsmäßigen Zustimmungserfordernisses für die Sicherheitsleistung. Jedenfalls im Verhältnis zwischen Banken und börsennotierten AGs hat sich eine derartige Überprüfungspflicht der Sicherungsgläubiger durch die von der CSRC und der Bankenaufsichtskommission zusammen erlassenen Nr. 120 Anordnung (2005) durchgesetzt.182 In der Praxis verlangen mehrere Banken in ihren 182  Der zweite Teil der Nr. 120 Anordnung ist an Banken gerichtet. Danach müssen die Banken u. a. überprüfen, ob die börsennotierten AGs in Bezug auf die Si-



II. Die Treuepflicht im chinesischen Recht183

Bedingungen für Kreditvergabe, dass die Gesellschaften beim Antrag auf einen Kredit den Vorstandsbeschluss, in dem die Zustimmung für den beantragten Kredit erteilt worden ist, sowie die Gesellschaftssatzung einreichen.183 Zu beachten ist ferner die Bestimmung der gesamtschuldnerischen Haftung des Sicherungsgebers und des Abschlussgrundes in § 4 Justizauslegung von 2000, die trotz der Änderung im KgG weiterhin gültig ist. Daraus ergibt sich, dass eine Kapitalgesellschaft trotz der Nichtigkeit des Sicherungsvertrags wegen Gesetzesverstoßes seiner Organpmitglieder dem Gläubiger gegenüber für die Verbindlichkeit des Hauptschuldners haften muss. Ein Haftungsausschluss tritt nur dann ein, wenn der Gläubiger vom Nichtigkeitsgrund Kenntnis hatte oder haben musste. Diese gesamtschuldnerische Haftung des Sicherungsgebers ist der Rechtsnatur nach einer c.i.c-Haftung. Folgt man dem GUANG DA-Bank-Urteil und der mehrheitlichen Stimmen im Schrifttum und bejaht das Kennenmüssen des Sicherungsgläubigers von dem gesetzlichen und dem auf gesetzlichen Vorschriften beruhenden satzungsmäßigen Zustimmungserfordernis, dann ist es ausgeschlossen, dass die sicherungsgebende Kapitalgesellschaft wegen der c.i.c-Haftung in Anspruch genommen wird. Andererseits macht eine Haftung der sicherungsgebenden Kapitalgesellschaft für den gescheiterten Sicherungsvertrag keinen Sinn mehr, wenn der Sicherungsgläubiger die Nichtigkeitsgründe stets hätte kennen müssen. Insoweit ist § 4 Justizauslegung von 2000 widersprüchlich. Dieser Widerspruch könnte nur dadurch aufgelöst werden, dass man an dem Kennenmüssen des Sicherungsgläubigers höhere Anforderungen setzt als das bloße Vorhandensein von gesetzlichen Bestimmungen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das bisher im Schrifttum und in der Gerichtspraxis gängige Begründungsmuster, in dem das zwingende Gesetz dem Verbotsgesetz ohne weiteres gleichgestellt wird, eine Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen erfahren hat. Das Oberste Volksgericht hat mit § 14 Justizauslegung II zum Vertragsgesetz vom 09.02.2009 das Verbotsgesetz i. S. d. § 52 Nr. 5 VG einschränkend ausgelegt. Es unterscheidet zwischen zwingenden Bestimmungen zum reinen Verwaltungszweck (管 理性规范) und zwingenden Bestimmungen, die auf die Wirksamkeit der cherheitenbestellung das Überprüfungs- und Zustimmungsverfahren eingehalten haben und ob sie der Offenlegungspflicht nachgekommen sind (2.2.3 und 2.2.4). Andererseits müssen die börsennotierten AGs vor dem Abschluss der Sicherungsver­träge ihre Satzung, den Vorstands- oder Hauptversammlungsbeschluss in Bezug auf die beabsichtigte Sicherheitenbestellung und die Zeitungen, in denen diese bekanntgemacht ist, bei der kontrahierenden Bank einreichen (1.7.). 183  Z. B. „中国银行流动资金贷款业务申请条件“ [Antragsvoraussetzungen für Betriebsmittelkredite], dazu 邓峰 [DENG, Feng], 《普通公司法》 [Das KapGesR des Common Law], S. 138.

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§ 4  Treuepflichten

Rechtsgeschäfte gerichtet sind (效力性规范), und nur der Verstoß gegen die letzteren führt zur Nichtigkeit des Vertrags. Es liegt nahe, dass das Oberste Volksgericht die Rechtswirkung des zwingenden Rechts mehr an deren Normzweck messen will. Wie sich diese Änderung auf das Verständnis über § 16 KgG auswirkt, ist im Schrifttum noch nicht erklärt.184 c) Überschreitung der satzungsmäßigen Befugnisse bei Eigengeschäften Die Wirksamkeit der Eigengeschäfte, bei denen der Vorstandsvorsitzende und die leitenden Manager185 ihre in der Satzung bestimmten Befugnisse überschreiten, bestimmt sich nach § 50 VG. Wie oben bereits ausgeführt, kommt es letztendlich darauf an, ob der Vertragspartner von der Befugnisüberschreitung wusste oder davon hätte wissen müssen. Hinsichtlich des Maßstabs des Kennenmüssens besteht jedoch große Unsicherheit. Die Urteilsbegründung der GUANG DA-Bank-Entscheidung gibt zu erkennen, dass das Oberste Volksgericht allgemein – nicht nur in Bezug auf die Sicherheitsleistung – die Außenwirkung der Satzung der börsennotierten AG aufgrund deren hohen Publizität anerkannt. Im Fall börsennotierter AGs ist zudem nicht ausgeschlossen, dass das Gericht den nach den Regelungen der CSRC erforderlichen Satzungsbestimmungen auch eine solche Außenwirkung zukommen lassen wird. Die Überprüfungspflicht des Sicherungsgläubigers in Bezug auf das interne Entscheidungsverfahren und deren Einhaltung wird meistens mit einer allgemeinen Bindungswirkung des zwingenden Rechts begründet. Diese Argumentation lässt sich auch auf sonstige gesetzliche oder aufgrund des Gesetzes eingeführte satzungsmäßige Zustimmungsverfahren übertragen. Zusammenfassend stellt das chinesische Recht für das Kennenmüssen des Dritten von der Befugnisüberschreitung i. S. d. § 50 VG keine hohen Anforderungen. d) Gerichtliche Angemessenheitskontrolle der Eigengeschäfte Im chinesischen Schrifttum wird nicht selten die Frage gestellt, ob das Gericht ein Organhandeln auf seine inhaltliche Angemessenheit hin überprüfen oder sich auf eine formale Prüfung des Entscheidungsverfahrens be184  Nur 王保树 / 崔勤之 [WANG, Baoshu / CUI, Qinzhi], S. 42 hat in Bezug auf § 16 Abs. 1 KgG ansatzweise angedeutet, dass diese Norm nicht auf die Wirksamkeit des Sicherheitsvertrags gerichtet ist, siehe oben II. 1. 3. b) bb). 185  Nur sie können die Kapitalgesellschaft nach außen vertreten. Das Vorstandsmandat ist in China nicht mit organschaftlicher Vertretungsmacht gebunden. Näher dazu siehe oben § 1 III. 1. b).



II. Die Treuepflicht im chinesischen Recht185

schränken soll.186 Viele Autoren befürworten eine Angemessenheitskontrolle der RPTs, auch wenn das zuständige Organ die Zustimmung erteilt hat.187 In einem Schadenshaftungsprozess ist diese Fragestellung nur eine Scheinfrage. Denn ohne eine inhaltliche Angemessenheitskontrolle könnte man gar nicht feststellen, ob ein RPT für die Gesellschaft schädlich und folglich nach § 21 KgG unzulässig ist. In Ningbo Lianyin Co. Ltd. vs. ZHENG u. a. hat das Gericht anhand eines Drittvergleiches, nämlich den Vergleich mit anderen vergleichbaren langfristigen Lieferanten die Schädlichkeit der in Frage stehenden Warenlieferungsverträge zwischen einer GmbH und einem von dem beklagten Vorstandsmitglied kontrollierten Unternehmen bejaht.188 Spannender ist die Frage, wie eine Zustimmung der Hauptversammlung oder des Vorstands auf den Umfang der gerichtlichen Inhaltskontrolle auswirkt. In der oben genannten Entscheidung hat das Gericht nur beiläufig erwähnt, dass die fraglichen Geschäfte von der Hauptversammlung nicht genehmigt wurden. Es ist nicht ohne Zweifel, ob das Gericht die Verträge trotzdem inhaltlich überprüfen würde, wenn eine Zustimmung der Hauptversammlung vorläge. 4. Zwischenergebnis Bei gesetzlich geregelten Tatbeständen des Treuebruchs bedient sich das chinesische Recht vornehmlich des Regelungsmodells des Verbots unter Erlaubnisvorbehalt, wobei weder der Vorstand noch der Aufsichtsrat, sondern die Hauptversammlung als Zustimmungsorgan vorgesehen wird. Das gesetzliche Verbot der unmittelbaren Eigengeschäfte der Organmitglieder unter Erlaubnisvorbehalt erweist sich als lückenhaft, da die Umgehungstatbestände fehlen. Demgegenüber ist der Haftungstatbestand der schädlichen RPTs sehr weit ausgestaltet und soll alle möglichen Interessenkonflikte erfassen, die zur Beeinträchtigung des Gesellschaftsinteresses führen. Seit 2005 ist die Kreditgewährung durch die AG an ihre Organmitglieder schlicht verboten. Als Präventivschutz statuiert das KgG bei börsennotierten AGs ein Stimmverbot der befangenen Vorstandsmitglieder, das nicht nur für die Eigengeschäfte der Vorstandsmitglieder gilt, sondern auch für die Geschäfte mit einer anderen Gesellschaft, die ein Vorstandsmitglied beschäftigt. Viele Autoren befürworten ein Anfechtungsrecht der Gesellschaft in Bezug auf Eigengeschäfte, die 186  Eine kurze Übersicht über den Meinungsstand bei 褚红军 [ZHU, Hongjun], S. 234 f. 187  褚红军 [ZHU, Hongjun], S. 235; 胡晓静 [HU, Xiaojing], 《当代法学》 [Zeitgenössische Rechtswissenschaft], S. 64, 68; 施天涛 / 杜晶 [SHI, Tiantao / DU, Jing], 《中国法学》 [Chinesische Rechtswissenschaft], 06 / 2007, S. 126, 138, die einen abgestuften Fairness-Test nach dem US-amerikansichen Modell befürworten. 188  Siehe oben II. 2. d).

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§ 4  Treuepflichten

entgegen § 148 Abs. 1 Nr. 4 KgG ohne Zustimmung der Hauptversammlung zustande gekommen sind. Mehrere Gerichte betrachten das Zustimmungserfordernis als ein Verbotsgesetz i. S. d. § 52 Nr. 5 VG, dessen Verletzung zur Nichtigkeit des betroffenen Rechtsgeschäfts führt. Bei der Sichterheitenbestellung seitens der Gesellschaft für eine andere Person und ein anderes Unternehmen erlangt die Frage zur Auswirkung des gesetzlichen und satzungsmäßigen Zustimmungserfordernisses auf das Außenverhältnis in der Gerichtpraxis besondere Aufmerksamkeit. Im Schrifttum und in der Gerichtpraxis werden überwiegend geringe Anforderungen an das Kennenmüssen des Gläubigers über die gesellschaftsinternen Befugniseinschränkungen gestellt. Das Oberste Volksgericht erkennt der Satzung börsennotierter AGs sogar generell eine Außenwirkung zu.

III. Rechtsvergleichung 1. Eigengeschäfte der Organmitglieder a) Gesellschaftsinterne Entscheidungsregel Bei Eigengeschäften der Organmitglieder setzen sowohl das deutsche Aktienrecht als auch das chinesische Kapitalgesellschaftsrecht auf die gesellschaftsinterne Entscheidungsregel als Präventivinstrument. Der erste Unterschied liegt in dem Entscheidungsträger. Während das deutsche Aktienrecht den Aufsichtsrat als Geschäftsführungsorgan für die unmittelbaren Eigengeschäfte der Vorstandsmitglieder und als Zustimmungsorgan für die Kreditgewährung an Organmitglieder einschaltet, verlangt das chinesische Recht die Zustimmung der Hauptversammlung für die Eigengeschäfte der Organmitglieder. Im internationalen Rechtsvergleich erweist sich die Zustimmung der unbeteiligten Verwaltung als eine viel häufigere Strategie bei Interessenkonflikten der Organmitglieder – abgesehen von bestimmten Formen der Manager-Vergütung – als die Aktionärszustimmung.189 Den Aktionären Mitentscheidungsrechte einzuräumen ist nach dem gesicherten Kenntnisstand ein problematischer Ansatz aufgrund der systembedingten Schwäche der (verstreuten) Aktionäre einer offenen AG zur Managementkontrolle (Stichwörter: kollektives Handeln und rationale Apathie).190 Aber aus chinesischer Sicht fügt sich die Zustimmungskompetenz der Hauptversammlung in das aktionärszentrierte System des KgG ein, das durch die starke Bestellungs- und Abberufungskompetenz der Hauptversammlung, ihre Entschei189  Siehe Enriques / Hansmann / Kraakman, in: Kraakman / Davies u. a., Anatomy of Corporate Law, S. 180. 190  Dazu Ruffner, Die ökonomischen Grundlagen, S. 174 ff.



III. Rechtsvergleichung187

dungskompetenz für die Geschäftsführungsleitlinien und zahlreiche Zustimmungskompetenz für bedeutende Geschäfte gekennzeichnet ist. Angesichts der bereits im alten Schrifttum verbreiteten Kenntnis über die Dominanz des verwaltungszentrierten Modells in entwickelten Ländern dürfte man das Festhalten des chinesischen Rechts an den Aktionärszentralismus als eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers betrachten.191 Dies ist wohl von zwei Faktoren bedingt. Zum einen finden die Kompetenzregeln des KgG fast einheitlich auf GmbH und AG Anwendung. Zum anderen weisen selbst die börsennotierten chinesischen AGs wegen des typischerweise vorhandenen Großaktionärs eine gewisse personalisierte Aktionärsstruktur auf und unterscheiden sich wesentlich von der typischen Publikumsgesellschaft. Unter dem Gesichtspunkt der Effizienz ist die Befürchtung, dass die Zustimmungskompetenz der Hauptversammlung die Geschäftsführung schwerfällig macht, bei Eigengeschäften der Organmitglieder kein starkes Argument gegen diese, weil solche Geschäfte regelmäßig eher die Ausnahme sein dürften. Schließlich hat die Hauptversammlungszustimmung eine gewisse Informationsfunktion. Mit einer solchen Zustimmungskompetenz ist der Vorstand gezwungen, die Aktionäre über die Eigengeschäfte in stärkerem Maße zu informieren und ihre Notwendigkeit und Angemessenheit zu begründen als wenn es diese Kompetenz nicht gäbe. Dies kann dem schwachen Auskunftsrecht der Aktionäre im chinesischen Recht Abhilfe schaffen. Ein weiterer Unterschied der Entscheidungsregeln liegt im Stimmrecht der Organmitglieder, die mit Interessenkonflikten behaftet sind. Während im deutschen Aktienrecht der Stimmrechtsausschluss bei Interessenkonflikten als ein Instrument zur Konfliktvermeidung überwiegend abgelehnt wird, ist das Stimmverbot der befangenen Vorstandsmitglieder für die börsennotierten AGs im chinesischen Recht gesetzlich vorgesehen. Die Nachteile der chinesischen Lösung liegen klar auf der Hand: Das befangene Vorstandsmitglied ist nur formal von der jeweiligen Willensbildung ausgeschlossen und die Möglichkeit der faktischen Einflussnahme bleibt unberührt. Dies führt nicht nur zu einer Entlastung des befangenen Vorstandsmitglieds von seiner Mitverantwortung für den entsprechenden Vorstandsbeschluss, sondern auch zu einer Befreiung von der haftungsrechtlichen Verantwortung für den möglicherweise unter seiner Einflussnahme zustande gekommenen Vorstandsbeschluss. b) Organkredite Die Organkredite sind in China im Gegensatz zum deutschen Aktienrecht verboten. Aufgrund der Regelung der SASAC gilt ein klares und umfassen191  So

vertritt z. B. 刘俊海 [LIU, Junhai], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 105.

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§ 4  Treuepflichten

des Verbot der finanziellen Hilfe der Gesellschaft beim MBO der staatlichen Beteiligungen. Inwiefern das kapitalgesellschaftsrechtliche Verbot auch außerhalb des MBO gilt, ist weitgehend ungeklärt. Im internationalen Vergleich stehen die erlaubten Organkredite im deutschen Aktienrecht und britischen Kapitalgesellschaftsrecht seit CA (2006) dem prinzipiellen Verbot im französischen und italienischen Aktienrecht und dem nur für die börsennotierten Gesellschaften geltenden Verbot in den USA seit dem SOA gegenüber.192 In rechtspolitscher Hinsicht spricht für das Verbot von Organkrediten vor allem die Missbrauchsgefahr. Dagegen spricht jedoch, dass die Organkredite der Gesellschaft im Einzelfall von Nutzen sein können, z. B. um einen Manager zu bewerben oder um zu vermeiden, dass das Ansehen der Gesellschaft wegen der finanziellen Bedrängnis eines ihrer Organmitglieder beeinträchtigt wird.193 Um dem berechtigten Interesse der Gesellschaft an Organkrediten Rechnung zu tragen, bedarf ein Verbot notwendigerweise einer Reihe gesetzlicher Ausnahmetatbestände.194 Der erhebliche Regelungsaufwand für ein funktionsfähiges gesetzliches Verbot spricht dafür, die Überprüfung der Missbrauchsgefahr und die Abwägung von Vor- und Nachteilen eines Organkredits für die Gesellschaft der pflichtgemäßen Aufgabenwahrnehmung des gesellschaftsinternen Kontrollorgans zu überlassen. Will man aber diesen viel flexibleren Ansatz auf das chinesische Recht übertragen, dann kommen die strukturellen Schwächen des auf die Hauptversammlungszustimmung basierenden chinesischen Kontrollsystems zutage. Erstens ist die Hauptversammlung kein geeigneter Ort, um über das „Dafür“ und „Dagegen“ eines Organkredits ausgiebig zu diskutieren. Trotz ihres Auskunftsrechts können die Aktionäre nur für oder gegen einen – im Regelfall aus dem Vorstand stammenden – Beschlussvorschlag abstimmen. Zweitens, was noch wichtiger ist, wird zwar die sachliche Entscheidung bereits durch den Vorstand vorprogrammiert, aber er kann sich der Verantwortung für diese Entscheidung leicht entziehen, weil in China die Haftungsbefreiungswirkung der Zustimmung der Hauptversammlung häufig ohne weiteres angenommen wird. Die Zustimmung der Hauptversammlung ist zwar flexibler als ein schlichtes Verbot, aber zu starr, um im Einzelfall eine im besten Interesse der Gesellschaft stehende Entscheidung über den Organkredit sicherzustellen.

192  Zu Einzelheiten Fleischer, WM 2004, S. 1057, 1058 f.; zu Sec. 197 CA 2006, Davies, Principles of Modern Corporate Law (8th), S. 551. 193  Fleischer, WM 2004, S. 1057, 1061 f. 194  Z. B. Sec. 332–338 CA (1985), dazu Fleischer, WM 2004, S. 1057, 1058 f.



III. Rechtsvergleichung

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c) Manager-Vergütung In diesem Bereich weisen die beiden Länder erhebliche Unterschiede auf. Nur hinsichtlich der individualisierten Offenlegung der Vergütungen der Vorstandsmitglieder der börsennotierten AGs besteht eine Gemeinsamkeit. Es liegt wohl an dem Einfluss der US-amerikanischen Offenlegungspflicht auf die beiden Länder. In Deutschland zeigt sich das deutlich in Auseinandersetzungen des Schrifttums mit den tatsächlichen Wirkungen der individualisierten Offenlegung in den USA.195 In China kann man es aus der prinzipiellen Orientierung der CSRC an das US-amerikanische Kapitalmarktrecht folgern. Der größte Unterschied liegt in der Behandlung der erfolgsabhängigen Vergütungen. Obwohl die Aktienoptionen in beiden Ländern eine rechtlich zulässige Vergütungsform sind, ist ihre praktische Verwendung in China durch behördliche Regulierungen stark eingeschränkt. Zudem ist die Entscheidung für die erfolgsabhängigen Vergütungen der Geschäftsleiter bei den vom Staat beherrschten AGs letztendlich nicht von der Gesellschaft selber, sondern von der Aufsichtsbehörde der staatlichen Unternehmen getroffen. Hier ist nicht der geeignete Ort darüber zu diskutieren, ob mehr Selbstkontrolle der Managervergütung für die chinesischen AGs rechtspolitisch eine bessere Lösung ist. Realistisch gesehen kann man nur dann ein Zurückdrängen der staatlichen Intervention erwarten, wenn eine effektive gesellschaftsinterne Kontrolle oder zumindest deren Möglichkeit vorhanden ist. In diesem Fall gäbe es für die Regierung keine Rechtfertigung mehr, gegenüber den staatlichen Unternehmen statt der gesellschaftsrechtlichen Instrumente behördliche Maßnahmen zu ergreifen, wenn die Trennung ihrer Verwaltungsfunktion und der Rolle als Aktionärsvertreter vom chinesischen Gesetzgeber auch ernst gemeint ist.196 Unter dem Gesichtspunkt der Verstärkung der gesellschaftsinternen Kontrolle der Managervergütung gibt das deutsche Recht der Vorstandsvergütungen zahlreiche Gedankenanstöße. Der deutsche Ansatz ist durch die Verschärfung der Aufsichtsratsverantwortung für die Vorstandsvergütung gekennzeichnet, die einerseits durch eine Konkretisierung der materiellen Angemessenheitskriterien und andererseits durch die Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten der Aktionäre gegenüber dem Aufsichtsrat flankiert ist. Überträgt man diesen Ansatz auf das chinesische Recht, soll man den Fokus auf die Vorstandsverantwortung für die Vergütung der von ihm bestimmten 195  Vgl. z. B. Baums, ZHR 169 (2005), S. 299, 306; Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), S. 155, 173; Fleischer, DB 2005, S. 1611, 1612. 196  Vgl. § 4 Abs. 1 und 6 《企业国有资产法》 [Gesetz über das unternehmerische staatseigne Vermögen], die die Rolle des Staats als Kapitalgeber (出资人) und die zentrale und örtlichen Regierungen als Repräsentanten des Kapitalgebers (出资 人代表) hervorheben.

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§ 4  Treuepflichten

leitenden Manager legen. Es bedeutet dann eine Verschärfung der Verantwortung der nicht geschäftsführenden Vorstandsmitglieder für die Vergütung ihrer geschäftsführenden Kollegen. Hinsichtlich der Kontrolle durch die Aktionäre ist mit dem auch auf die Vergütungen der leitenden Manager gerichteten Offenlegungserfordernis bereits der erste Schritt getan. Als den nächsten kann man eine Billigungskompetenz der Hauptversammlung für die Vergütungen der leitenden Manager erproben. Es würde für das chinesische Recht einen Beginn der Ausdifferenzierung der Hauptversammlungszuständigkeit nach den von unterschiedlichen Funktionen bedingten verschiedenen Stärken der Bindungswirkung bedeuten. d) Rechtswirkung der gesellschaftsinternen Entscheidungsregel Es wird in beiden Ländern anerkannt, dass die Verletzung der organschaftlichen Treuepflicht allein nicht zur Unwirksamkeit der Eigengeschäfte im Außenverhältnis führt. Hinsichtlich der Auswirkung der gesellschaftsinternen Entscheidungsregel auf die Wirksamkeit der Eigengeschäfte bestehen jedoch große Unterschiede. In China wird das gesetzliche Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung für die Eigengeschäfte der Organmitglieder häufig ohne weiteres als Verbotsgesetz angesehen. Es läuft darauf hinaus, dass die Hauptversammlungszustimmung faktisch zur Wirksamkeitsvoraussetzung der betreffenden Eigengeschäfte wird. Demgegenüber wird im deutschen Aktienrecht die Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrats in Bezug auf Eigengeschäfte der Vorstandsmitglieder in ihrer Rechtswirkung fein differenziert. Während die gesetzliche Verschiebung der Vertretungsbefugnis für die unmittelbaren Eigengeschäfte auf den Aufsichtsrat als ein Verbotsgesetz angesehen wird, haben das gesetzliche Einwilligungserfordernis für Kreditgeschäfte und das satzungsmäßige Zustimmungserfordernis für sonstige Eigengeschäfte keine Außenwirkung. Bei der Missachtung von diesen kann sich die Gesellschaft nur nach den Grundsätzen über den Missbrauch der Vertretungsmacht gegen den Anspruch des Vertragspartners wehren. Das deutsche Aktienrecht stellt hohe Anforderungen an die Tatbestandsvoraussetzungen des Vertretungsmachtmissbrauchs. Erforderlich ist eine evidente Grenzüberschreitung im Innenverhältnis und dem Geschäftspartner wird keine Nachforschungspflicht auferlegt. Hier liegt der zweite Unterschied zum chinesischen Recht. Beim satzungsmäßigen Zustimmungserfordernis ergreift man in China auch auf die Regelung des Missbrauchs der Vertretungsmacht. Bei Sicherungsgeschäften zwischen Banken und börsennotierten AGs als Sicherungsgeber werden die Außenwirkung der satzungsmäßigen Zustimmungserfordernisse und eine Überprüfungspflicht des Sicherungsgläubigers überwiegend angenommen.



III. Rechtsvergleichung

191

Es besteht auch eine Tendenz in der Rechtsprechung des Obersten Volksgerichts, generell der Satzung der börsennotierten AGs eine im Außenverhältnis auch bindende Wirkung zuzuerkennen und den Banken als Geschäftspartner eine höhere Nachforschungspflicht aufzuerlegen. Bei Sicherungsgeschäften werden geringe Anforderungen an das Kennenmüssen des Sicherungsgläubigers von der Befugnisüberschreitung gestellt, wenn es sich bei dem Sicherungsgeber um eine börsennotierte AG handelt. Diese Vorgehensweise bezweckt den Vermögensschutz der börsennotierten AGs. Um die gegen die interne Kompetenzordnung verstoßende Bürgschaft und sonstige Sicherheit auch im Außenverhältnis scheitern zu lassen, bedienen sich die chinesischen Richter und auch die Aufsichtsbehörden einer lockeren Handhabung der Regelung zum Missbrauch der Vertretungsmacht. Dies führt im Ergebnis dazu, dass auch die Gläubiger in die Kontrolle auf die Einhaltung der gesellschaftsinternen Kompetenzordnung einbezogen sind. Diese Lösung geht also zulasten der Rechtssicherheit. Ihre Auswirkung ist angesichts des Umstands, dass in China die Kreditvergabe an Unternehmen noch den Banken vorbehalten bleibt und der Sicherungsgläubiger einer Gesellschaft häufig eine Bank ist, begrenzt. Besteht das Regelungsziel in der Verstärkung des Vermögensschutzes der (börsennotierten) Gesellschaften bei Sicherungsgeschäften, kann man dies rechtstechnisch über eine Verschiebung der Vertretungsbefugnis erreichen. Das Gesetz weist nämlich die Vertretungsbefugnis für die Eingehung einer Bürgschaft oder Bestellung sachlicher Sicherheiten dem gesamten Vorstand zu. Dadurch kann man die Gefahr weitgehend dämpfen, dass der Vorstandsvorsitzende oder der Geschäftsführer, der dem Großaktionär nahesteht, eigenmächtig im Name der Gesellschaft für diesen bürgt oder Sicherheiten bestellt, ohne die Grundregel des Missbrauchs der Vertretungsmacht auszuhöhlen. Die Umsetzung dieser Lösung setzt eine Abkehr von der Einzelvertretungsbefugnis und die Anerkennung der Vertretungsmacht des Vorstands als Kollektivorgan im chinesischen Recht voraus. Nur dadurch kann man das Schutzinteresse der Gesellschaft vor eigenmächtigem Verhalten ihrer Organmitglieder und das Interesse der Rechtsverkehrsteilnehmer an der Rechtssicherheit in Einklang bringen. Im chinesischen Recht fehlt es noch an gesetzlich vorgesehenen Umgehungstatbeständen für Eigengeschäfte. Da den gesetzlichen Zustimmungserfordernissen ohne Differenzierung eine Außenwirkung zuerkannt worden ist, würde die Erweiterung ihres Anwendungsbereichs auf Eigengeschäfte mit nahestehenden Personen zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen. Daher ist es notwendig, die Außenwirkung der Entscheidungsregeln zu begrenzen und ihre Rechtswirkungen je nach dem Normzweck zu differenzieren, wenn man im chinesischen Recht mit den gesellschaftsinternen Kompetenzregeln auch einen Präventivschutz gegen Umgehungen erreichen möchte.

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§ 4  Treuepflichten

Die Sicherheitenbestellung für Aktionäre wird im chinesischen Recht in der Treuepflicht der Organmitglieder verortet. Dem Wesen nach handelt es sich jedoch nicht um Konflikte zwischen den Privatinteressen der Organmitglieder und den Gesellschaftsinteressen, sondern vielmehr um Interessenkonflikte zwischen der Gesellschaft und der Muttergesellschaft bzw. dem Großaktionär. Die bisherige Ausführung beschränkt sich auf die Entscheidungsregeln gegen die Eigengeschäfte der Organmitglieder. Das Problem der Eigengeschäfte der Aktionäre mit der Gesellschaft und die Pflichtenbindungen der Organmitglieder in diesem Bereich ist der Gegenstand des nächsten Kapitels. Hier kann man bereits feststellen, dass das chinesische Recht für die RPTs der Organmitglieder und der Aktionäre im Wesentlichen dieselben Instrumente (Zustimmung der Hauptversammlung, Offenlegungserfordernis) einsetzt. 2. Mehrfachmandate In diesem Bereich ist das chinesische Recht im Vergleich zum deutschen Recht weit unterentwickelt. Man kann nur im Recht der börsennotierten AGs zwei Anhaltpunkte zur Konfliktvermeidung in Bezug auf Pflichtenkollisionen finden. Zum einen lässt sich aus dem Stimmverbot der befangenen Vorstandsmitglieder ein Stimmverbot der Doppelmandatsträger im Vorstand der börsennotierten Tochtergesellschaften folgern. Zum anderen kann die in Offenlegungsstandards der CSRC verlangte Offenlegung der bei verbundenen Unternehmen erlangten Vergütungen die Interessenkonflikte wegen anderweitiger Pflichtenbindungen sichtbar machen. Dass sich die Pflichtenkollision in China im Gegensatz zu Deutschland nicht zu einer eigenständigen Fallgruppe der Treuepflicht entwickelt hat, darf auf den Umstand zurückgehen, dass die Wahrscheinlichkeit der Pflichtenkollisionen bei den Aufsichtsratsmitgliedern und unabhängigen Vorstandsmitgliedern der chinesischen AGs wegen ihrer personellen Zusammensetzung geringer ist als bei Aufsichtsratsmitgliedern der deutschen AGs. In der chinesischen Praxis ist es untypisch, auch wenn rechtlich nicht ganz unmöglich, die Bankenvertreter als Aufsichtsratsmitglieder oder unabhängige Vorstandsmitglieder zu bestellen. Im Hinblick auf die Arbeitnehmervertreter in chinesischen Aufsichtsräten dürfen die möglichen Interessenkonflikte aufgrund der Verpflichtung gegenüber ihrer Wählerschaft im Regelfall eher unwahrscheinlich sein. Denn die Kultur der Arbeitnehmerloyalität gegenüber der Gesellschaft bzw. dem Arbeitsgeber ist in chinesischen Unternehmen zurzeit immer noch vorherrschend gegenüber einer Kampfkultur zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Bei unabhängigen Vorstandsmitgliedern, die häufig Wirtschaftsprüfer oder Hochschullehrer sind, dürfte eine Pflichtenkollision auch nur selten vorkommen.



IV. Zusammenfassung

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Das Problem der Pflichtenkollision stellt sich in China vornehmlich im Mutter / Tochter-Verhältnis, wie die oben genannten zwei Regelungen bereits zeigen. Zur Konfliktlösung bei Pflichtenkollisionen wegen Mehrfachmandaten lehnt das deutsche Recht einen pauschalen Stimmrechtsausschuss bei Interessenkonflikten ab, setzt stattdessen auf eine strikte Abgrenzung der Pflichtenkreise. Dadurch wird es dem pflichtgemäßen Ermessen des Doppelmandatsträgers überlassen, in welcher Art und Weise er bei der Ausübung seines Mandats das beste Interesse der Mandatsgesellschaft zur Geltung bringt. Er muss also selber für eine unbefangene Amtsführung sorgen und die Einflüsse der anderweitigen Pflichtenbindungen auf seine Urteilsbildung vermeiden. Diese ist sicher eine hohe Herausforderung an die Doppelmandatsträger. Besondere Schwierigkeiten bestehen für Doppelmandatsträger in Konzernen, weil die Pflichtenkollisionen in diesem Fall eigentlich ein Ausdruck von kollidierenden Interessen der Mutter- und Tochtergesellschaften sind.

IV. Zusammenfassung Neben der allgemeinen Schranke der generalklauselartigen Treuepflicht haben sowohl das deutsche Aktienrecht als auch das chinesische Kapital­ gesellschaftsrecht für besondere konfliktträchtige Konstellationen gesellschaftsinterne Entscheidungsregeln als präventive Maßnahmen aufgestellt. Während das deutsche Aktienrecht den Aufsichtsrat als Kontrollorgan für die Eigengeschäfte der Vorstandsmitglieder einschaltet, verlangt das chinesische Recht die Zustimmung der Hauptversammlung für die Eigengeschäfte der Organmitglieder. Die Zustimmungskompetenz der Hauptversammlung lässt sich in das aktionärszentrierte System des KgG einfügen und hat insofern eine positive Wirkung, als sie das schwache Auskunftsrecht der Aktionäre im chinesischen Recht ergänzen kann. Anders als in Deutschland sind die Organkredite in China verboten. Da ein gesetzliches Verbot notwendigerweise Ausnahmetatbestände enthalten muss, um dem berechtigten Inte­ resse der Gesellschaft an Organkrediten Rechnung zu tragen, spricht der erhebliche Regelungsaufwand gegen ein schlichtes Verbot und für das flexiblere Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, das die Kontrolle der Organkredite dem Gesellschaftsorgan überlässt. Hierbei kommen die Schwächen des auf die Zustimmung der Hauptversammlung setzenden chinesischen Ansatzes zutage. Denn die Hauptversammlung kann eine im besten Interesse der Gesellschaft stehende Entscheidung über den Organkredit, die erst nach einer sorgfältigen Abwägung von Vor- und Nachteilen für die Gesellschaft zu treffen ist, wegen ihrer strukturellen Schwäche nicht gewährleisten. Zudem besteht bei zustimmungsbedürftigen Geschäften eine Haftungslücke, weil in China die Haftungsbefreiungswirkung der Zustimmung der Haupt-

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§ 4  Treuepflichten

versammlung häufig ohne weiteres angenommen wird. Bei der ManagerVergütung gibt die behördliche Einschränkung der Aktienoptionen Anlass über die Möglichkeit nachzudenken, durch die Verbesserung der Selbstkontrolle der Managervergütung durch die Gesellschaft bzw. das gesellschaftsinterne Kontrollorgan eine unmittelbare behördliche Intervention zu verdrängen. Auf der Rechtsfolgenseite bestehen große Unterschiede im deutschen und chinesischen Recht im Hinblick auf die Außenwirkung der gesellschaftsinternen Entscheidungsregeln. Im chinesischen Recht fehlt eine Differenzierung von der Außenwirkung der gesetzlichen und satzungsgemäßen Zustimmungskompetenz der Hauptversammlung. Dies geht einerseits auf ein weiteres, den Normzweck vernachlässigendes Verständnis des Verbotsgesetzes und andererseits auf eine lockere Handhabung des Missbrauchs der organschaftlichen Vertretungsmacht zurück. Insbesondere bei Sicherungsgeschäften wird eine Prüfungspflicht der Sicherungsgläubiger hinsichtlich der Einhaltung der gesellschaftsinternen Entscheidungsregeln angenommen, wenn es bei dem Sicherungsgeber um eine börsennotierte AG geht. Diese Prüfungspflicht wird für die Banken als Sicherungsgläubiger hervorgehoben und durch die Regelung der Bankenaufsichtsbehörde durchgesetzt. Nach der hier vertretenen Auffassung ist eine Abkehr von der Einzelvertretungsbefugnis und die Anerkennung der Vertretungsmacht des Vorstands als Kollek­tiv­ organ für bestimmte wichtige Geschäften rechtstechnisch eine sauberere Lösung als eine einzelfallbedingte Anerkennung der Außenwirkung von gesetzlichen oder satzungsmäßigen Kompetenzregeln. Um den Wirkungsbereich der Entscheidungsregeln durch Umgehungstatbestände zu erweitern, ist es geboten, deren weitreichende Außenwirkung zu begrenzen. Unter diesem Gesichtspunkt ist das deutsche Recht vorbildhaft, das die Außenwirkung der Kontrollkompetenz des Aufsichtsrats und der Hauptversammlung unter Berücksichtigung der jeweiligen Regelungszwecke fein differenziert und einen Ausgleich zwischen dem Schutzinteresse der Gesellschaft und dem öffentlichen Interesse an Rechtssicherheit anstrebt.

§ 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären Nach der Untersuchung über die allgemeine Sorgfalts- und Treuepflicht sind die organschaftlichen Pflichtbindungen im Hinblick auf die Geschäfte der AGs mit Aktionären zu vertiefen. Die Gesellschaften kommen selten allein. Die Konzernierung bzw. Gruppenbildung ist ein überall anzutreffendes Phänomen des wirtschaftlichen Lebens. Da die chinesischen börsennotierten AGs typischerweise die Untergesellschaft einer Unternehmensgruppe und mithin für den Machtmissbrauch durch die herrschenden Aktionäre besonders anfällig sind, ist eine effektive rechtliche Kontrolle der Geschäfte mit Aktionären von umso größerer Bedeutung für die gute Unternehmensführung. Wie oben im Zusammenhang mit Mehrfachmandaten festgestellt, sind die Interessenkonflikte in der Person der Mehrfachmandatsträger eigentlich die Zielkonflikte von Mutter- und Tochtergesellschaften. Wessen Interessen unter welchen Bedingungen den Vorrang haben, ist keine bloße Ermessensfrage der betreffenden Geschäftsleiter, sondern bedarf einer Maßstabsetzung durch den Gesetzgeber. Eine Aufgabe des verselbständigten deutschen Konzernrechts liegt darin zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen eine Verfolgung des Mutter- oder Konzerninteresses zu Lasten des Gesellschaftsinteresses erlaubt wird. Daher ist das deutsche Konzernrecht in die Untersuchung einzubeziehen. In der rechtsvergleichenden Studie werden Geschäfte, in denen das Management möglicherweise eigene Interessen statt derjenigen der Gesellschaft verfolgt, und Geschäfte zwischen der Gesellschaft und einem herrschenden Aktionär oder einer ihm nahestehende Person oder Gesellschaft unter dem Begriff „related-party-transactions“ zusammengefasst.1 Damit werden die typischen Erscheinungsformen des missbräuchlichen Insider-Verhaltens erfasst, die in der ökonomischen Literatur als „tunnelling“, nämlich Transfer des Gesellschaftsvermögens zu Gunsten der Gesellschaftsinternen, bezeichnet sind.2 Der Begriff „relatedparty-transactions“ (im Folgenden RPTs) in diesem Sinne hat sich auch in China durchgesetzt und bereits Eingang ins Gesetz gefunden.3 Demgegen1  Enriques / Hertig / Kanda, in: Kraakman / Davies u. a., Anatomy of Corporate Law, S. 153; dazu Windbichler, in: FS Röhricht (2005), S. 693, 700 f. 2  Enriques / Hertig / Kanda, in: Kraakman / Davies u. a., Anatomy of Corporate Law, S. 154; zum Begriff „Tunnelling“ Kalss, ZHR 171 (2007), S. 146, 170. 3  Dazu bereits § 4 II. 2. d).

196 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

über werden die RPTs mit Aktionären in Deutschland unter dem Gesichtspunkt des Vermögensschutzes als „verdeckte Vermögenszuwendung“ oder „verdeckte Vermögensverlagerung“ an Aktionäre behandelt.4 Deswegen ist auch das deutsche Recht der Kapitalerhaltung zu berücksichtigen.

I. Deutsches Recht Im deutschen Recht ist die Problematik des Vermögenstransfers zugunsten eines Aktionärs im Recht der Kapitalerhaltung verortet. Für Vermögensverschiebungen zwischen verbundenen Unternehmen gelten die spezielleren, konzernrechtlichen Regelungen. Im Folgenden wird jeweils auf die Rechtslage in konzernfreien AGs (1.) und im faktischen Konzern (2.) eingegangen. Die Untersuchung wird schließlich durch einen Überblick zu flankierenden Offenlegungsvorschriften (3.) abgerundet. 1. Geschäfte mit Aktionären in konzernfreier AG In einer konzernfreien AG ist § 57 Abs. 1 AktG die maßgebliche Norm für die Geschäfte mit Aktionären. Diese Vorschrift enthält ein Einlagenrückgewährverbot, das sich aber entgegen der gesetzlichen Formulierung nicht auf Einlagen i. S. d. § 54 Abs. 1 AktG beschränkt.5 Vielmehr ist jede von der Gesellschaft an Aktionäre erbrachte Leistung verboten, die außerhalb der ordnungsgemäßen Ausschüttung des Bilanzgewinns erfolgt, nicht ausnahmsweise auf Grund einer speziellen gesetzlichen Regelung zugelassen ist und auch nicht im Rahmen eines neutralen Drittgeschäfts erfolgt.6 § 57 Abs. 1 AktG versteht sich daher als eine umfassende aktienrechtliche Vermögensbindung.7 Im Folgenden werden nach der Darstellung von Tat­bestand und Anwendungsbereich des Rückgewährverbots [a)] deren Anwendung auf Kreditgewährung und Sicherheitenbestellung [b)] sowie die Rechtsfolge bei deren Verletzung [c)] untersucht. Termini Fleischer, in: Lutter, Kapital der AG, S. 114, 115. § 57 Rn. 9. 6  Vgl. BGH NJW 1992, S. 2821; NJW-RR 2008, S. 421, 422 Rn. 16; NZG 2011, S. 829, 830 Rn. 15; Hüffer, § 57 Rn. 2; MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 7; GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 9. 7  Vgl. MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 10; KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 16 ff.; Hüffer, § 57 Rn. 2. Es ist unerheblich, ob durch die Leistung der AG das zur Deckung der Grundkapitalziffer erforderliche Vermögen angegriffen wird; hier liegt ein Unterschied zu § 30 GmbHG. Neuerdings bezweifeln manche Autoren das Konzept des § 57 AktG unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes und vertreten, notwendig sei nur die Bindung des Grundkapitals einschließlich der gesetz­ lichen Rücklagen, dazu MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 8 m. w. N. 4  Zu

5  MünchKommAktG / Bayer,



I. Deutsches Recht

197

a) Tatbestand und Anwendungsbereich Das Rückgewährverbot erfasst nicht nur die einseitige Vermögenszuwendung an Aktionäre,8 sondern auch die verdeckte Vermögenszuwendung durch zweiseitige Geschäfte mit Aktionären.9 Ob ein erlaubtes Austauschoder Umsatzgeschäft oder eine verbotene Zuwendung vorliegt, richtet sich danach, ob ein objektives Missverhältnis zum Nachteil der AG zwischen Leistung und Gegenleistung besteht.10 Soweit ein Marktpreis vorhanden ist, ist darauf abzustellen.11 Besteht ein Marktpreis nicht, liegt ein solches Missverhältnis nur dann vor, wenn die Verwaltung bei der Wertfindung das unternehmerische Ermessen12 oder den Beurteilungsspielraum13 in unvertretbarer Weise ausgeübt hat. Es wird häufig im Anschluss an die Rechtsprechung des BFH zur steuerrechtlichen verdeckten Gewinnausschüttung darauf abgestellt, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter das Geschäft unter sonst gleichen Umständen zu gleichen Bedingungen auch mit einem Dritten abgeschlossen hätte.14 Es handelt sich dabei um einen hypothetischen Marktvergleich, bei dem man mit Hilfe von anerkannten Bewertungsmethoden den Marktwert des betroffenen Vermögensgegenstands näherungsweise bestimmt.15 Erforderlich ist eine sorgfältige Entscheidungsvorbereitung durch bestmögliche Information und sachgerechte Durchführung des Bewertungsverfahrens.16 Typische Fälle der verdeckten Rückgewähr sind das Erbringen von Lieferungen, Dienst- oder sonstigen Leistungen durch die Gesellschaft an Aktionäre für ein unangemessen geringes Entgelt oder der Bezug von Lieferungen oder sonstigen Leistungen von Aktionären für ein unangemessen hohes Entgelt.17 8  Zu Einzelheiten GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 25 ff.; KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 34 ff. 9  Vgl. z. B. Hüffer, § 57 Rn. 7; MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 30. 10  Hüffer, § 57 Rn. 8; GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 40; MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 37. 11  Zu Einzelheiten MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 38 ff.; KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 61 ff. 12  GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 42; MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 40. 13  KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 57. 14  Vgl. BGH NJW 1996, S. 589 f. (für GmbH); GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 42; MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 40 und 31; Hüffer, § 57 Rn. 8; Bezzenberger, Das Kapital der AG, S. 227. 15  Vgl. KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 64; Bezzenberger, Das Kapital der AG, S. 229. 16  KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 65 mit Bezugnahme auf die steuerrechtliche Rechtsprechung. 17  Bezzenberger, Das Kapital der AG, S. 209; zu einzelnen Beispielen MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 81.

198 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

Zahlungen an Aktionäre gegen Rücknahme einer aktienrechtlichen Anfechtungsklage, die in der deutschen Praxis lange Zeit verbreitet war, werden ­generell als unzulässige Einlagenrückgewähr qualifiziert.18 Bei der öffentlichen Platzierung der alten Aktien wird die Übernahme der Prospekthaftung für die Altaktionäre im Außenverhältnis gegenüber den Anlegern von dem BGH und einer im Schrifttum stark vertretenen Auffassung als Vermögenszuwendung an die Altaktionäre qualifiziert,19 die grundsätzlich nur durch eine Freistellungsvereinbarung ausgeglichen werden kann.20 Um einer Umgehung des § 57 AktG entgegenzuwirken, wird die Leistung der AG an Dritte in verschiedenen Konstellationen der Leistung an Aktionäre gleichgestellt. Das ist z. B. der Fall, wenn die AG an den Treuhänder oder an einen nahen Angehörigen eines Aktionärs leistet, oder wenn die Vermögenszuwendung auf Veranlassung des Aktionärs erfolgt.21 Ferner ist die Zuwendung dem Aktionär zuzurechnen, wenn die AG an ein Unternehmen leistet, an dem er mehrheitlich beteiligt ist und dadurch Zugriff auf die Leistung hat.22 Auch die Leistungen, die wegen früherer oder künftiger Aktionärseigenschaft erfolgen, sind als Zuwendungen an Aktionäre zu behandeln,23 etwa die Gewährung von Darlehen an einen künftigen Aktionär zur Finanzierung des Aktienerwerbs.24 Das Verbot der Einlagenrückgewähr findet nach § 57 Abs. 1 Satz 3 Var. 1 AktG keine Anwendung im Vertragskonzern, wenn ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag i. S. d. § 291 Abs. 1 AktG besteht.25 Das Konzernprivileg in § 293 Abs. 3 a. F. AktG wurde durch das MoMiG insofern erweitert, als es einerseits nicht mehr davon abhängt, ob die Vermögenszuwendung aufgrund des Beherrschungsvertrags erfolgt, und andererseits auch die Leistungen an Dritte auf Veranlassung des herrschenden Unternehmens erfasst werden.26 Dies wird damit gerechtfertigt, dass bei Bestehen eines 18  BGH NJW 1992, S. 2821; MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 88; Hüffer, § 57 Rn. 5 und 12; GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 70. 19  BGH NZG 2011, S. 829, 830 f. Rn. 15; MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 91. 20  BGH, NZG 2011, S. 829, 832 Rn. 25 mit ausdrücklicher Bezugnahme u. a. auf Schäfer, ZIP 2010, S. 1877, 1882 und MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 91. 21  Zu Einzelheiten MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 59–69; GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 72–97. 22  BGH NZG 2011, S. 829, 834 Rn. 44; GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 93 und 96; MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 73. 23  Hüffer, § 57 Rn. 14; MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 57 f.; KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 119. 24  BGH NJW-RR 2008, S. 421, 422 Rn. 17 ff. 25  Zu Einzelheiten des Konzernprivilegs und deren Beschränkungen KKAktG / Drygala, § 57 Rn. 97–104; K.  Schmidt / Lutter / Fleischer, § 57 Rn. 35–37. 26  Hüffer, § 57 Rn. 17; K.  Schmidt / Lutter / Fleischer, § 57 Rn. 35.



I. Deutsches Recht

199

Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags der Gläubigerschutz durch die Pflicht des herrschenden Unternehmens zum Verlustausgleich nach § 302 AktG und der Minderheitenschutz durch dessen Pflicht zu Ausgleich bzw. Abfindung nach §§ 304, 305 AktG sichergestellt ist.27 Bei anderen Abhängigkeits- und Konzernverhältnissen bejahen Rechtsprechung und h. L. den Vorrang des Ausgleichs- und Haftungssystems nach §§ 311 ff. vor den §§ 57, 62, 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG, solange der Nachteil bis zum Ende des Geschäftsjahrs ausgeglichen oder bis dahin der abhängigen Gesellschaft ein Rechtsanspruch auf künftigen Nachteilsausgleich eingeräumt wird.28 b) Anwendungsfall: Darlehensgewährung und Sicherheitenbestellung zugunsten des Aktionärs Nach der h. M. zu § 57 AktG in der Fassung bis 01.11.2008 ist die Darlehensgewährung an den Aktionär nur dann ein erlaubtes Drittgeschäft, wenn der Aktionär angemessene Zinsen leistet, der Rückerstattungsanspruch voll besichert ist und die Liquidität der Gesellschaft hierdurch nicht beeinträchtig wird.29 Im Anschluss daran wurde in der oberlandgerichtlichen Rechtsprechung die Vergabe ungesicherter Darlehen an Aktionäre als verbotene Rückgewähr qualifiziert.30 Manche Autoren halten die Darlehensgewährung an Aktionäre sogar für regelmäßig unzulässig, weil die AG, die in ihrem regulären Geschäftsbetrieb keine Bankgeschäfte betreibt, solche Darlehen nicht an einem Dritten vergeben würde.31 In der zu § 30 a. F. GmbHG ergangen November-Entscheidung hat der BGH die Darlehensgewährung an Gesellschafter selbst bei Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs als unzulässig angesehen, weil der Austausch liquider Haftungsmasse der GmbH gegen eine zeitlich hinausgeschobene schuldrechtliche Forderung die Vermögenslage der Gesellschaft und die Befriedigungsaussichten ihrer Gläubiger verschlechtere.32 Damit hat sich der BGH einer Mindermeinung im Schrifttum angeschlossen,33 die für eine Beschränkung der 27  KK-AktG / Drygala,

§ 57 Rn. 98; K.  Schmidt / Lutter / Fleischer, § 57 Rn. 36. BGH NJW 2009, S. 850, 851 Rn. 11 – MPS; Hüffer, § 57 Rn. 17 und § 311 Rn. 49; K.  Schmidt / Lutter / Fleischer, § 57 Rn. 69 jeweils m. w. N. 29  Vgl. Hüffer, 8. Aufl., § 57 Rn. 3a; GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 49; MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 100; Habersack / Schürnbrand, NZG 2004, S. 689, 690. 30  Vgl. OLG Jena AG 2007, S. 785, 786 – MPS; GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 49; MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 100 jeweils m. w. N. 31  MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 100 und Rn. 42. 32  BGH NJW 2004, S. 1111. 33  Vgl. BGH NJW 2004, S. 1111 mit Bezugnahme auf Schön, ZHR 159 (1995), S. 351, 361. 28  Vgl.

200 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

bilanzrechtlichen Betrachtungsweise plädiert, weil diese zum Nachteil des Gesellschaftsgläubigers dem Gesellschaftergläubiger einen vollstreckungsund insolvenzrechtlich vorrangigen Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen ermögliche.34 Die Grundsätze dieses Urteils wurden von der h. M. im aktienrechtlichen Schrifttum auf das im Hinblick auf die Vermögensbindung noch strengere Aktienrecht übertragen.35 Die durch dieses Urteil ausgelöste Rechtsunsicherheit in Bezug auf die verbreitete Praxis der sog. upstream-loans und des cash-pooling in Unternehmensgruppen führte zum gesetzgeberischen Eingriff. Der Gesetzgeber des MoMiG wollte die Möglichkeit der Darlehensgewährung von der Gesellschaft an Gesellschafter rechtlich absichern, in dem er mit dem Vollwertigkeitsgebot in § 57 Abs. 1 Satz 3 n. F. AktG die bilanzielle Betrachtungsweise festlegt, die bis zum November-Urteil des BGH „problemlos anerkannt“ war.36 Für die Vollwertigkeit des Rückgewähranspruchs maßgebend ist die Bewertung von Forderungen aus Drittgeschäften im Rahmen der Bilanzierung nach § 253 HGB.37 Es kommt also entscheidend auf die Realisierbarkeit des Rückgewähranspruchs und damit auf die Bonität des darlehensnehmenden Aktionärs an.38 Für die Bewertung ist der Zeitpunkt der Valutierung maßgeblich.39 Da die Besicherung des Darlehensrückgewähranspruchs bilanziell keine notwendige Voraussetzung für dessen Aktivierung zum Nennwert ist, ist sie nicht mehr zwingend erforderlich, geschweige denn die Bestellung banküblicher Sicherheiten.40 Bei ungesicherten Darlehen muss man jedoch sehr strenge Maßstäbe in Bezug auf die Kreditwürdigkeit des Aktionärs anlegen, d. h. jeder begründete Zweifel an der rechtzeitigen Rückzahlung schließt die Bonität aus.41 Das Klumpenrisiko, das mit Großkrediten an Aktionäre verbunden ist, soll man im Rahmen der bilanziellen Vollwertigkeitsprüfung hingegen nicht berücksichtigen, sondern ist als eine Frage der Organhaftung nach § 93 AktG zu behandeln.42 Hinsichtlich der Verzinsung besteht Einig34  Schön, ZHR 159 (1995), S. 351, 361 (zur Sicherheitenbestellung zugunsten des Gesellschafters). 35  Vgl. Hüffer, 8. Aufl., § 57 Rn. 3a; MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 100. Weitere Literaturhinweise bei Habersack, ZGR 2009, S. 347, 350. 36  Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 16 / 1640, S. 41. 37  Vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 16 / 1640, S. 41; K.  Schmidt / Lutter / Fleischer, § 57 Rn. 47. 38  K.  Schmidt / Lutter / Fleischer, § 57 Rn. 47; KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 68. 39  KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 74. 40  K.  Schmidt / Lutter / Fleischer, § 57 Rn. 48; KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 68 f. 41  K.  Schmidt / Lutter / Fleischer, § 57 Rn. 47; ähnlich Hüffer, § 57 Rn. 20. 42  K.  Schmidt / Lutter / Fleischer, § 57 Rn. 49; KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 69; Eingehend zu verschiedenen Ansätzen zur Bewältigung der Problematik des Klumpenrisikos Fleischer / Schmolke, ZHR 173 (2009), S. 649, 683 ff.



I. Deutsches Recht201

keit darin, dass in Übereinstimmung mit bilanzrechtlichen Bewertungsmaßstäben bei längerfristiger Kreditgewährung, d. h. bei Kreditgewährung in Zeiträumen über einem Jahr, angemessene Verzinsung unverzichtbar ist.43 Bei kurzfristigen Darlehen verneint die überwiegende Ansicht hingegen das Erfordernis angemessener Zinsen.44 Nach der herrschenden Ansicht im Schrifttum zu § 57 a. F. AktG verstoßen Sicherheiten zugunsten eines Aktionärs im Regelfall gegen das Rückgewährverbot.45 Denn die AG übernehme dadurch das Insolvenzrisiko des Aktionärs, welches sie sich gegenüber einem Dritten nie aufbürden würde.46 Insbesondere bei der Belastung des realen Vermögens der AG durch die Sicherheit sei eine für Zwecke der Aktionäre frei verfügbare Haftungsmasse der Verfügung der Geschäftsführung entzogen.47 Das MoMiG enthält keine ausdrückliche Regelung zur Frage der Sicherheitenbestellung zugunsten eines Aktionärs. Die ganz h. M. geht von einer Wertungsparallelität zwischen Darlehensgewährung und Sicherheitenbestellung aus.48 Danach ist zu fragen, ob der AG ein vollwertiger Freistellungs- oder Rückgriffsanspruch gegen den begünstigten Aktionär für das Ausfallrisiko der besicherten Forderung bzw. für die wegen einer möglichen Inanspruchnahme gebildete Rückstellung zusteht.49 Für die Bewertung der Vollwertigkeit des Rückgriffsanspruchs ist die Bonität des begünstigten Aktionärs maßgebend wie beim Darlehensrückgewähranspruch.50 In einem Dreipersonenverhältnis wird man diese regelmäßig verneinen, weil die Sicherheitenbestellung gerade dazu dient, den Sicherungsnehmer gegen das Insolvenzrisiko des begünstigten Aktionärs abzusichern.51

43  Hüffer, § 57 Rn. 20; K. Schmidt / Lutter / Fleischer, § 57 Rn. 52; KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 71. 44  Vgl. K.  Schmidt / Lutter / Fleischer, § 57 Rn. 52; KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 71; auch Hüffer, § 57 Rn. 20: nur im Cash Pool. 45  Vgl. MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 104 f.; GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn.  51 ff.; Schön, ZHR 159 (1995), S. 351, 370. 46  MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 104; Schön, ZHR 159 (1995), S. 351, 370. 47  GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 51; Schön, ZHR 159 (1995), S. 351, 370. 48  Vgl. K.  Schmidt / Lutter / Fleischer, § 57 Rn. 59 m. w. N.; KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 79. 49  Eingehend K.  Schmidt / Lutter / Fleischer, § 57 Rn. 59 m. w. N. zu den zwei verschiedenen, aber im Ergebnis ähnlichen Ansichten. 50  Hier ist umstritten, ob es auf den Marktwert oder auf den Zerschlagungswert abzustellen ist. Für das erstere z. B. K.  Schmidt / Lutter / Fleischer, § 57 Rn. 60; für das letztere z. B. Spindler, ZHR 171 (2007), S. 245, 256. 51  K.  Schmidt / Lutter / Fleischer, § 57 Rn. 60; Wand / Tillmann / Heckenthaler, AG 2009, S. 148, 152.

202 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

c) Die Rechtsfolge Das Verbot der Einlagenrückgewähr ist in erster Linie an die Gesellschaftsorgane gerichtet.52 Seine Verletzung führt zur Schadensersatzhaftung des Vorstands bzw. des Aufsichtsrats nach §§ 93 Abs. 3, 116 AktG. Da es sich bei § 57 AktG um eine gesetzlich gebundene Entscheidung handelt, findet die BJR des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG keine Anwendung. Angesichts der dort enthaltenen unbestimmten und ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffe wie Vollwertigkeit wird dem Vorstand jedoch bei der Wertfindung ein Beurteilungsspielraum zuerkannt.53 Die folgende Untersuchung hat ihren Fokus in der Auswirkung des Verstoßes gegen das Rückgewährverbot auf das betroffene Rechtsgeschäft. Das Verbot der Einlagenrückgewähr in § 57 Abs. 1 AktG ist ein gesetzliches Verbot i. S. d. § 134 BGB. Nach der Rechtsprechung und der h. M. in der Literatur führt ein Verstoß gegen dieses Verbot jedoch nicht zur Nichtigkeit des Verpflichtungs- sowie des Erfüllungsgeschäfts, weil die Rechtsfolgenvorschriften in § 62 AktG als Spezialregelung § 134 BGB verdrängen.54 Während die Fürsprecher der Nichtigkeitsfolge die Nichtigkeitssanktion nach § 134 BGB mit dem Normzweck des § 57 AktG zur bestmöglichen Sicherung der Vermögensbindung der AG begründen,55 beruft sich die herrschende Ansicht auf das als durchgesetzt angesehene, wertmäßige (nicht gegenstandsbezogene) Verständnis über den Kapitalschutz.56 Demnach verbietet das Verbot der Einlagenrückgewähr nicht den Leistungsaustausch als solchen, sondern die Vermögensminderung der AG wegen unangemessener Bedingungen. Der aktienrechtliche Rückgewähranspruch aus § 62 Abs. 1 AktG verdrängt nach allgemeiner Ansicht den bereicherungsrechtlichen Rückgewähranspruch mit der Folge, dass die Entreicherungseinrede nach § 818 Abs. 3 BGB unanwendbar ist.57 Das Gesellschaftsvermögen ist grundsätzlich so 52  MünchKommAktG / Bayer,

§ 57 Rn. 154. § 57 Rn. 137; Fleischer, NJW 2009, S. 2337, 2341. Zur Differenzierung zwischen Beurteilungsspielraum und unternehmerischem Ermessensspielraum KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 57. 54  BGH NJW 2013, S. 1742, 1743 Rn. 15; K.  Schmidt / Lutter / Fleischer, § 57 Rn. 59 m. w. N.; MünchKommAktG / Bayer, § 57 Rn. 162 ff.; KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 163 ff.; a. A. GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 201 ff. (offene Rückgewähr) und Rn. 206 ff. (verbotene Rückgewähr) mit umfassenden Hinweisen auf die reichsgerichtliche Rechtsprechung und das Schrifttum; einschränkend KK-AktG / Lutter, § 57 Rn. 69 ff.; Hüffer, § 57 Rn. 23 mit Zweifel hinsichtlich des Erfüllungsgeschäfts. 55  Vgl. GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 211. 56  Vgl. BGH NJW 2013, S. 1742, 1743 Rn. 19; K. Schmidt, GesR, § 29 II 2b aa, S. 893; Bezzenberger, Das Kapital der AG, S. 245; KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 163 ff. 57  GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 40; KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 74. 53  KK-AktG / Drygala,



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herzustellen, wie es ohne die verbotene Leistung bestanden hätte.58 Der Anspruchsschuldner ist der begünstige Aktionär und im Falle von Leistungen an Dritte, die wie Leistungen an Aktionäre gleich zu behandeln sind, auch diese.59 Was den konkreten Anspruchsinhalt betrifft, sind die Meinungen geteilt. Die hergebrachte Auffassung befürwortet die gegenständliche Rückgewähr der verbotswidrig empfangenen Bar- und Sachleistungen und Rückgabe der empfangenen gesamten Leistung auch bei unausgewogenen Austauschgeschäften.60 Demgegenüber tritt die Gegenansicht, die sich auf den wertmäßigen Kapitalschutz stützt, für den auf den Ersatz der Wertdifferenz gerichteten Anspruch ein.61 Bei verbotswidrigen Sicherheitsleistungen der AG gilt, dass diese gegenüber Dritten wirksam sind, es sei denn, dass die AG sich unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs der Vertretungsmacht auf die Nichtigkeit der Sicherheitenbestellung berufen darf.62 Bei wirksamen Sicherheitsleistungen ist der Rückgewähranspruch darauf gerichtet, dass der begünstigte Aktionär die AG davon freistellt, im Sicherungsfall durch den kreditgebenden Dritten in Anspruch genommen zu werden.63 Dafür muss er entweder aus eigener Kraft das Darlehen zurückzahlen oder eine gleichwertige Drittsicherheit finden. Ist der Rückgewähranspruch gegen den Aktionär wegen seiner zweifelhaften Bonität nicht werthaltig, ist die reale Durchsetzbarkeit des gesetzlichen Rückgewähranspruchs ebenfalls zweifelhaft. In diesem Fall erscheint die Haftung der Organmitglieder zum Ausgleich des Schadens der Gesellschaft erfolgversprechender als die Aktionärshaftung. d) Zwischenergebnis Das Verbot der Einlagenrückgewähr im deutschen Aktienrecht hat einen weiten Wirkungsbereich und erfasst alle Austausch- und Umsatzgeschäfte zwischen der AG und ihren Aktionären. Ob eine verbotswidrige Vermögenszuwendung an Aktionäre vorliegt, ist grundsätzlich durch einen hypothetischen Drittvergleich festzustellen, solange keine Marktpreise existieren. Für die Darlehensgewährung und Sicherheitenbestellung zugunsten der Aktionäre ist ein im Vergleich zum Drittvergleich lockeres Kriterium, nämlich die 58  Hüffer,

§ 62 Rn. 8; GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 39. Abwicklung im Fall der Dritte als Leistungsempfänger GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 212 ff. 60  Zu Einzelheiten GroßKommAktG / Henze, § 57 Rn. 39 ff.; Hüffer, § 62 Rn. 9; KK-AktG / Lutter, § 62 Rn. 27. 61  KK-AktG / Drygala, § 62 Rn. 61 f.; MünchKommAktG / Bayer, § 62 Rn. 47 ff.; K. Schmidt, GesR, § 29 II 2b bb, S. 893; K.  Schmidt / Lutter / Fleischer, § 62 Rn. 18. 62  GroßKommAktG / Henze, § 62 Rn. 45. 63  GroßKommAktG / Henze, § 62 Rn. 45. 59  Zur

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bilanzielle Betrachtungsweise, mit dem Vollwertigkeitsgebot in § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG gesetzlich festgelegt. Es führt einerseits zu einer Lockerung der aktienrechtlichen Vermögensbindung, aber andererseits zu einer Verschärfung der Verantwortung der Gesellschaftsorgane und insbesondere des Vorstands. Denn der Vorstand kann erst nach einer sorgfältigen Prüfung der Vollwertigkeit der Gegenleistung bzw. des Rückgewähranspruchs feststellen, ob ein Rechtsgeschäft gegen § 57 Abs. 1 AktG verstößt. Die Haftungsverschärfung wird durch die Anerkennung des Beurteilungsspielraums des Vorstands gewissermaßen ausgeglichen. In Hinblick auf die Wirksamkeit der verbotswidrigen Rechtsgeschäfte und die Aktionärshaftung hat das wandelnde Verständnis über die Vermögensbindung klare Spuren hinterlassen. Unter der Berufung auf den wertmäßigen Kapitalschutz befürwortet die h. M. den Vorrang des aktienrechtlichen Rückgewähranspruchs nach § 62 AktG gegenüber der Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB. 2. Beziehungen mit dem herrschenden Unternehmen im faktischen Konzern Die Beziehungen zwischen einer abhängigen AG und dem herrschenden Unternehmen richten sich nach §§ 311  ff. AktG, solange kein Beherrschungsvertrag zwischen ihnen besteht. Das eigenständige Konzernrecht schützt die abhängige AG sowie ihre außenstehende Aktionäre und Gläubiger vor der sog. Konzerngefahr, nämlich die Gefahr, dass ein Gesellschafter seinen Einfluss auf die Gesellschaft nicht mehr i. S. d. gemeinsamen Gesellschaftsinteresses, sondern zur Verfolgung des anderweitigen unternehmerischen Interesses zum Nachteil der Gesellschaft ausübt.64 Das deutsche Aktienrecht unterscheidet also zwischen herrschendem Unter­ nehmen und privatem Mehrheitsgesellschafter,65 und geht bei letzterem grundsätzlich von einem Gleichlauf von dessen Interessen und dem Ge­ sellschaftsinteresse aus. Jedenfalls sind diejenigen Privataktionäre, die an keiner weiteren Gesellschaft maßgeblich beteiligt sind, aus dem Anwendungsbereich des Konzernrechts ausgenommen.66 Je nach der Form der Konzernierung bereitet das Konzernrecht zwei verschiedene Regelungskon64  MünchKommAktG / Altmeppen, vor. § 311 Rn. 1 f.; Habersack, in: Emmerich /  Habersack, § 311 Rn. 1. 65  Wiedemann, Unternehmensgruppe, S. 39. Hier liegt ein grundsätzlicher Unterschied zu angelsächsischen Rechtsordnungen, in denen die beiden Konstellationen mit der Lehre des dominating shareholders erfasst sind, dazu Hopt, ZHR 171 (2007), S. 199, 202 f. m. w. N. 66  Vgl. den Unternehmensbegriff in MünchKommAktG / Altmeppen, § 311 Rn. 52. Eingehend zur umstrittenen Frage, unter welchen Voraussetzungen die mehrfache Beteiligung eines Privataktionärs diesen zum Unternehmen im konzernrecht­



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zepte, namentlich das System des globalen Verlustausgleichs im Vertragskonzern (§§ 291 ff. AktG) und das System des Einzelausgleichs im faktischen Konzern (§§ 311 ff. AktG). Das Regelungsproblem des Rechts der Konzernführung liegt vornehmlich in der Verantwortung der Konzernobergesellschaft für ihre Tochtergesellschaften. Die Grundüberlegung ist, den Verlust der Selbständigkeit bei der Tochtergesellschaft durch entsprechenden Zuwachs an Verantwortung bei dem herrschenden Unternehmen zu kompensieren.67 Für die hier interessante Frage der organschaftlichen Pflichtbindungen steht jedoch die Verantwortung der Verwaltungsorgane der Tochtergesellschaft im Vordergrund der Untersuchung. Nach einer kurzen Darstellung der verschiedenen Instrumente zur Kontrolle der herrschenden Einflussnahme im deutschen Recht (a) wird auf das Ausgleichsund Regelungssystem der §§ 311 ff. AktG (b) und deren Anwendung auf aufsteigende Darlehen und Sicherheiten (c) eingegangen. Schließlich wird die Leistungsgrenze des Einzelausgleichssystems erörtert (d). a) Instrumente zur Kontrolle der herrschenden Einflussnahme Zum Schutz der Gesellschaft gegen schädigende Mehrheitseinflüsse setzte das deutsche Recht ursprünglich auf das Stimmverbot der interessierten Aktionäre. Bis zum AktG 1937 galt ein Stimmrechtsverbot für den Beschluss der Hauptversammlung über die Vornahme eines Rechtsgeschäfts oder die Einleitung eines Rechtsstreits mit dem Aktionär (§ 253 Abs. 3 HGB 1884 / 1897). Dies war eine „Hauptwaffe“ in den „Konzernkämpfen“ zur damaligen Zeit.68 Aufgrund der weitgehenden Einschränkung durch die reichsgerichtliche Rechtsprechung, die insbesondere die Stimmrechtsausübung für den Beschluss zuließ, der den Vorstand zur Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit dem interessierten Aktionär ermächtigte oder ein von dem Vorstand mit dem Aktionär bereits abgeschlossenes Rechtsgeschäft genehmigte, verlor das Stimmverbot seine praktische Bedeutung, was aus damaliger Sicht dessen Abschaffung rechtfertigte.69 Diese historische Entwicklung wird sachlich begründet: Ein derartiges Stimmrechtsverbot passe nicht auf stabile Mehrheitsverhältnisse;70 zudem könnte die Minderheit dalichen Sinne macht, bei KK-AktG / Koppensteiner, § 15 Rn. 35 ff.; MünchKommAktG / Bayer, § 15 Rn. 17 ff. 67  Zur Bedeutung der Haftung der Konzernmutter und verschiedenen Konzepten aus rechtsvergleichender Sicht siehe Wiedemann, Unternehmensgruppe, S. 77 ff. 68  U.  H. Schneider, ZHR 150 (1986), S. 609, 610 m. w. N. 69  Vgl. Streyl, Vorstands-Doppelmandate, S. 190 m. w. N.; J. Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 118. 70  Mestmäcker, Konzerngewalt, S. 267; zustimmend Rausch, Konzernrecht, S. 124.

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durch das Schicksal der Gesellschaft in der Hand haben, was die grundsätzlich für zulässig gehaltene Mehrheitsherrschaft beeinträchtigen würde.71 Im Vorfeld der Aktienrechtsreform 1937 wurden zunehmend eine materielle Inhaltskontrolle der Stimmrechtsausübung und die Haftung wegen missbräuchlicher Stimmrechtsausübung gefordert, die im AktG 1937 nur in begrenztem Maße umgesetzt wurde: Die Verfolgung gesellschaftsfremder Sondervorteile durch Stimmrechtsausübung begründete zwar die Anfechtbarkeit des Beschlusses (§ 197 Abs. 2 Satz 1), führte aber nicht zur Schadensersatzhaftung (§ 101 Abs. 772); Zudem entfielen die Anfechtbarkeit und auch die in § 101 Abs. 2 normierte Schadensersatzhaftung der Verwaltung bei Verschaffung von Sondervorteilen an Dritte, wenn die Erlangung des Sondervorteils schutzwürdigen Belangen diente (§ 197 Abs. 2 Satz 2, § 101 Abs. 3), wobei insbesondere die Konzernbelange ohne weiteres als schutzwürdige Sondervorteile galten.73 Das AktG 1937 ermöglichte die Konzernherrschaft durch die Beseitigung des Stimmverbots beim Beschluss über die Vornahme von Rechtsgeschäften mit Aktionären. Die einseitige Privilegierung des Konzerninteresses – vor allem durch die sog. „Konzernklausel“ in § 101 Abs. 3 – wurde jedoch sogleich heftig kritisiert.74 Schon zum AktG 1937 war es die ganz überwiegende Meinung, dass eine dem Konzerninteresse dienende Einflussnahme nur dann zu rechtfertigen war, wenn die der Gesellschaft zugefügten Nachteile ausgeglichen waren bzw. ausgeglichen wurden.75 Der Gesetzgeber des Aktienrechts 1965 setzte die Forderung nach einer Ausgleichspflicht des herrschenden Unternehmens bei schädigender Einflussnahme in den §§ 291 ff. AktG um. Die Verlustausgleichspflicht des herrschenden Unternehmens (§ 302 AktG) wird heute verbreitet als ein notwendiger Ausgleich für die weitgehenden Eingriffsbefugnisse angesehen, die das herrschende Unternehmen mit dem Abschluss des Beherrschungsvertrags mit der abhängigen Gesellschaft gemäß §§ 291 und 308 AktG erlangt.76 Wie die Sonder71  Streyl, Vorstands-Doppelmandate, S. 191; vgl. auch Flume, Juristische Person, S. 226 f. 72  Die Haftungsprivilegung bei Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung in dieser Vorschrift wurde von § 117 Abs. 7 Satz 1 AktG 1965 übernommen und galt bis zum UMAG 2005. Eingehend dazu GroßKommAktG / Kort, § 117 Rn. 246 ff. 73  Eingehend Mestmäcker, Konzerngewalt, S. 268 ff.; Streyl, Vorstands-Doppelmandate, S. 192. 74  Vgl. Mestmäcker, Konzerngewalt, S. 271 und 277; Rausch, Konzernrecht, S. 153; Streyl, Vorstands-Doppelmandate, S. 192 m. w. N. 75  Vgl. J. Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 218 m. w. N.; auch Mestmäcker, Konzerngewalt, S. 276 ff. 76  Vgl. Emmerich, in: Emmerich / Habersack, § 302 Rn. 16; MünchKommAktG / Altmeppen, § 302 Rn. 10; auch KK-AktG / Koppensteiner, § 302 Rn. 6; Spindler / Stilz / Veil, § 302 Rn. 5; zur Funktion der Verlustausgleichspflicht als Ersatz für



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einflüsse außerhalb des Weisungsvertrags behandelt werden sollten, war im Gesetzgebungsverfahren schwierig und umstritten: Der Referentenentwurf enthielt ursprünglich ein striktes Schädigungsverbot außerhalb des Weisungsvertrags, was im Regierungsentwurf durch die Möglichkeit nachteiliger Veranlassungen bei sofortigem Nachteilsausgleich ersetzt wurde. Erst bei Gesetzesberatungen im Bundestag und schließlich im AktG 1965 wurde ein zeitlich bis zum Geschäftsjahresende gestreckter Nachteilsausgleich, verbunden mit der Pflicht zur Erstellung und Prüfung eines Abhängigkeitsberichts zugelassen, um mehr Organisationsflexibilität im faktischen Konzern zu gewährleisten.77 In der Aktienreform 1965 wurde dem Präventivschutz vor schädlichen Konzerneinflüssen durch ein Stimmverbot bei der Beschlussfassung über die Vornahme von Rechtsgeschäften eine ausdrückliche Absage erteilt.78 Soweit das Konzerninteresse unter Vorbehalt der vermögensmäßigen Neutralisierung des Nachteils als legitim anerkannt wird, ist der Zweck eines Stimmverbots, die Gesellschaft und die Aktionäre vor schädigenden Sondereinflüssen zu bewahren, hinfällig.79 Einen negativen Beleg sieht man im GmbH-Recht. Dort wird unter Hinweis auf die fehlende Privilegierung des Konzerninteresses ein Stimmverbot auch beim Beschluss über konzerninterne Rechtsgeschäfte angenommen.80 Das deutsche Aktienrecht sieht keinen Minderheitenvertreter im Aufsichtsrat vor. Ein über die Mehrheit in der Hauptversammlung verfügender Aktionär kann deshalb bewirken, die Aufsichtsratssitze der Anteilseigner ausschließlich mit seinen Repräsentanten besetzt wird.81 De lege ferenda befürworten manche Autoren ein Entsendungsrecht der Minderheit bezüglich eines, besser aber von zwei Aufsichtsratsmitgliedern.82 Die h. M. sieht in der die Aufhebung des gesetzlichen Systems der Kapitalerhaltung siehe BGH NJW 2006, S. 3279, 3280 Rn. 8; GroßKommAktG / Hirte, § 302, Rn. 4; KK-AktG / Koppensteiner, § 302 Rn. 9. 77  Eine prägnante Darstellung bei Ulmer, in: FS Hüffer (2010), S. 999, 1000; eingehend Altmeppen, in: Bayer / Habersack, S. 1027, 1041 ff. 78  Streyl, Vorstands-Doppelmandate, S. 193 mit Hinweis auf Gesetzgebungsmaterialien. 79  Streyl, Vorstands-Doppelmandate, S. 194; vgl. Flume, Juristische Person, S. 227 f. der aus ähnlichen Gründen für eine Wiedereinführung des Stimmverbots in allen nicht konzernrechtlichen Sachverhalten plädiert. 80  Vgl. Streyl, Vorstands-Doppelmandate, S. 194 m. w. N.; U.  H. Schneider, ZHR 150 (1986), S. 609, 624 f. 81  Ganz h. M. vgl. GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 101 Rn. 57 ff.; Hüffer, § 311 Rn. 4; MünchKommAktG / Habersack, § 101 Rn. 28; MünchHdbAG / Hoffmann-Becking, § 30 Rn. 18; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 101 Rn. 18; a. A. OLG Hamm, NJW 1987, S. 1030 ff.; kritische Anmerkung dazu Timm, NJW 1987, S. 977 ff. 82  Hommelhoff, in: Druey, St. Galler Konzernrechtsgespräch, S. 107, 125; zustimmend Koppensteiner, in: FS Steindorff (1990), S. 79, 106.

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Entsendung eines neutralen Mitglieds in den Aufsichtsrat jedoch keinen adäquaten Minderheitenschutz.83 Zudem wird darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber trotz der ausgiebigen Diskussion über die Einführung eines obligatorischen Minderheitenvertreters im Aufsichtsrat im Vorfeld des AktG 1965 letztlich von einer solchen Regelung absah, weil ein Verstoß gegen das Mehrheitsprinzip darin gesehen wurde, dass in paritätisch mitbestimmten Gesellschaften dem Minderheitenvertreter unter Umständen ausschlaggebende Bedeutung zukommt.84 Andererseits wird es von Rechtsprechung und Schrifttum für wünschenswert gehalten, auf die Interessen der Minderheit bei der Aufsichtsratsbesetzung Rücksicht zu nehmen und eine gewisse Minderheitenvertretung zuzulassen.85 Deswegen ist die Einführung der Verhältniswahl durch die Satzung nach der überwiegenden Auffassung zulässig.86 Die Diskussion über neutrale Aufsichtsratsmitglieder lebt wegen der Empfehlung der EU-Kommission wieder auf. Die Unabhängigkeitsstandards der Empfehlung der EU-Kommission zu den Aufgaben der nicht geschäftsführenden Direktoren / Aufsichtsratsmitglieder sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs- / Aufsichtsrats vom 15.02.2005 sehen u. a. die Beziehung zum Mehrheitsaktionär als unabhängigkeitsgefährdend an, was in Deutschland auf heftige Kritik gestoßen ist.87 Überwiegend wird angenommen, dass ein derartiges Unabhängigkeitsverständnis die Grundlage der Konzernleitung und des gesamten Konzernrechts in Frage stellen würde. Denn die Steuerung des Konzerns über die Personalhoheit und Zustimmungskompetenz des Tochteraufsichtsrats sei ein wichtiges Kontrollinstrument des herrschenden Unternehmens und der konzernrechtliche Minderheitenschutz gehe gerade von dem Sonderstatus des Mehrheitsaktionärs mit Unternehmenseigenschaft aus.88 Angesichts des in Deutschland sehr stark ausgeprägten konzernrechtlichen Minderheitenschutzes und der traditionell wichtigen Rolle der Großaktionäre in 83  Vgl. GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 101 Rn. 58; Kroppf, in: FS Goerdeler (1987), S. 259, 269 f. 84  Timm, NJW 1987, S. 977, 986 m. w. N.; Kroppf, in: FS Goerdeler (1987), S. 259, 267; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 101 Rn. 58. 85  BGH AG 1962, S. 216, 217; GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 101 Rn. 64; MünchKommAktG / Habersack, § 101 Rn. 27. 86  Vgl. GroßKommAktG / Hopt / Roth, § 101 Rn. 64 m. w. N.; MünchKommAktG / Habersack, § 101 Rn. 27. 87  Vgl. Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht, ZIP 2003, S. 863, 869; DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2003, S. 1008, 1010 f.; Habersack, ZHR 168 (2004), S. 373, 377; Hoffmann-Becking, ZGR 2004, S. 355, 359 f.; Hüffer, ZIP 2006, S. 637, 642; zur Kritik in Bezug auf Arbeitnehmervertreter Habersack, ZHR 168 (2004), S. 373, 376. 88  Vgl. Hoffmann-Becking, ZGR 2004, S. 355, 359 f.; Habersack, ZHR 168 (2004), S. 373, 377; Hüffer, ZIP 2006, S. 637, 642; kritisch aus rechtsvergleichender Sicht v. Hein, Rezeption, S. 900.



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209

deutschen AGs hält auch die Kodex-Kommission es für unangemessen, den Repräsentanten eines Kontrollaktionärs im Aufsichtsrat als nicht unabhängig einzustufen.89 Die kritische Auseinandersetzung des deutschen Schrifttums mit den Unabhängigkeitsregeln der EU-Kommission verdeutlicht, dass nach deutscher Vorstellung der Minderheitenschutz besser durch Regeln über das zulässige Maß der Einflussnahme auf die Geschäftsführung, durch Ausgleichsregeln sowie ggf. durch Austrittsregeln und Durchgriffstatbestände oder Verlustausgleichspflichten nach Art des § 302 AktG zu erreichen ist90 und die Funktion des Aufsichtsrats als Kontrollinstrument des Mehrheitsak­ tionärs im Vordergrund steht.91 b) Ausgleichs- und Haftungssystem der §§ 311 ff. AktG Die wechselvolle Entstehungsgeschichte der §§ 311 ff. AktG verdeutlicht ein Spannungsverhältnis zwischen zwei Regelungszielen, nämlich den Außenseiterschutz und der Erleichterung der faktischen Konzernleitung.92 Um dieses aufzulösen wurde in der früheren Literatur nicht selten bereits die faktische Konzernierung als solche für unzulässig gehalten und die Schadenersatzhaftung nach § 317 AktG zur zentralen Vorschrift der §§ 311 ff. AktG erhoben.93 Heute ist trotz der Schwierigkeiten mit der Handhabung des Einzelausgleichs die Zulässigkeit des einfachen faktischen Konzerns allgemein anerkannt.94 Darüber hinaus wird das Gesetzeskonzept, den Außenseiterschutz im faktischen Konzern über eine materielle Angemessenheitskontrolle der einzelnen Konzerngeschäfte sicherzustellen, prinzipiell als wirksam bewertet95 und eine radikale Umgestaltung des Systems des Einzelausgleichs in die Richtung einer globalen Verlustübernahme wie im Fall des Vertragskonzerns wird überwiegend abgelehnt.96 Dafür dürfte die 89  Kremer,

in: Ringleb / Kremer / Lutter / v.  Werder, Rn. 1038. Habersack, ZHR 168 (2004), S. 373, 377. 91  v. Hein, Rezeption, S. 900. 92  Näher zu dem Spannungsverhältnis MünchKommAktG / Kropff, § 311 Rn. 21 ff. 93  Dazu vgl. Kropff, in: Geßler / Hefermehl / Eckardt / Kropff, vorb. §§ 311–318 Rn.  28 m. w. N. 94  Vgl. Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 8; Hüffer, § 311 Rn. 6; Spindler / Stilz / Müller, Vorb. § 311 Rn. 5 jeweils mit Literaturhinweisen zu dem vorherrschenden Faktizitätsprinzip und dem gegensätzlichen Vertragsprinzip; zu dem nachrangigen Streit darüber, ob die Zulässigkeit faktischer Konzerne als rechtliche Billigung oder eher als bloße Duldung zu verstehen ist, siehe Hüffer, § 311 Rn. 7; MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 22 jeweils m. w. N. 95  Vgl. MünchKommAktG / Kropff, § 311 Rn. 36; MünchKommAktG / Altmeppen, § 311 Rn. 37. 96  Vgl. Spindler / Stilz / Müller, vorb. § 311 Rn. 16 m. w. N. 90  Vgl.

210 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

Überlegung maßgeblich sein, dass das geltende Einzelausgleichssystem mehr Raum für – wettbewerbspolitisch wünschenswerte – dezentrale Konzernführung gibt als ein System der generellen Verlustübernahme.97 aa) Nachteilsausgleichspflicht und Haftung des herrschenden Unternehmens § 311 AktG gestattet nachteilige Einflussnahme durch das herrschende Unternehmen, wenn und soweit der Nachteil ausgleichsfähig ist und es den Nachteil innerhalb eines Jahres tatsächlich oder durch Gewährung bilanzierungsfähiger Vorteile ausgleicht. Zudem müssen die nachteiligen Einflussmaßnahmen im Konzerninteresse, d. h. im Interesse des herrschenden oder eines mit ihm verbundenen Unternehmen stehen.98 Außerdem sind die Vorteile, die sich allein aus der Zugehörigkeit zum Unternehmensverbund ergeben, also die vorteilhaften passiven Konzerneffekte, nach der klaren gesetzgeberischen Entscheidung nicht zu berücksichtigen.99 Außerhalb dieser Zulässigkeitsgrenze gilt das Schädigungsverbot wie bei einer konzernfreien AG. Das herrschende Unternehmen ist gegenüber nicht unternehmerischen Aktionären insofern privilegiert, dass seine Ausgleichspflicht die Rechtswidrigkeit der schädigenden Einflussnahme auf die Gesellschaft und die damit verbundene Schadensersatzpflicht entfallen lässt.100 Der nachträgliche Ausgleich soll das wirtschaftliche Gleichgewicht zwischen der Leistung der abhängigen Gesellschaft und der erhaltenen oder fehlenden Gegenleistung wiederherstellen, und damit die abhängige Gesellschaft wirtschaftlich so stellen, als ob sie unabhängig wäre.101 Ist der Nachteil nicht ausgleichsfähig oder bleibt der Ausgleich nach dem Ablauf der Jahresfrist aus, haften das herrschende Unternehmen bzw. seine gesetzlichen Vertreter gegenüber der abhängigen Gesellschaft für die „Veranlassung“102 unzulässiger Nachteilszufügung nach §§ 311, 317 AktG. 97  Vgl. Hommelhoff, Gutachten zum 59. DJT (1992), G S. 31; zustimmend Spindler / Stilz / Müller, Vorb. § 311 Rn. 16; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 12. 98  Ganz h. M. KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 102; Hüffer, § 311 Rn. 43; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 60. 99  Statt vieler Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 62. Demgegenüber befürwortet das Forum Europaeum im Anschluss an die französische Rozenblum-Doktrin eine gesamte Betrachtung der Konzernwirkungen und einen Nachteilsausgleich durch konkrete Verbundsvorteile, was im deutschen Schrifttum jedoch überwiegend auf Kritik gestoßen ist, näher dazu Hopt, ZHR 171(2007), S. 199, 222 ff.; kritisch z. B. Blaurock, in: FS Sandrock (2000), S. 79, 85 ff.; Windbichler, 1 EBOR (2000), S. 265, 272 f. 100  Vgl. Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 61. 101  Vgl. MünchKommAktG / Kropff, § 311 Rn. 222.



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Der Nachteil ist nach einer gängigen Formel der Rechtsprechung jede Minderung oder konkrete Gefährdung der Vermögens- oder Ertragslage der Gesellschaft ohne Rücksicht auf die Quantifizierbarkeit, soweit sie auf die Abhängigkeit zurückzuführen ist.103 Nach der ganz h. M. liegt bereits kein Nachteil gemäß § 317 Abs. 2 AktG vor, wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer unabhängigen Gesellschaft, die im Übrigen unter gleichen tatsächlichen und rechtlichen Bedingungen wie die abhängige Gesellschaft agiert, die fragliche Maßnahme ebenfalls vorgenommen hätte.104 Dem Nachteilsbegriff ist damit eine Sorgfaltspflichtverletzung i. S. d. § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG immanent und auch die Einhaltung der BJR schließt das Vorliegen von Nachteilen aus. Im Rahmen des Nachteilsbegriffs kommt dem herrschenden Unternehmen ein unternehmerisches Ermessen zu, so dass das unternehmerische Risiko bei der abhängigen Gesellschaft bleibt wie im Fall der konzernfreien AG.105 Die Haftung des herrschenden Unternehmens ist also keine Erfolgshaftung. Insbesondere unter Berufung auf § 317 Abs. 2 AktG deutet die h. M. diese Haftung als Organhaftung.106 §§ 311, 317 AktG können auch als gesetzgeberische Konkretisierung der mitgliedschaftlichen Treuepflicht des herrschenden Unternehmens verstanden werden.107 Andererseits wird aber überwiegend abgelehnt, diese gesetzlichen Regelungen mittels der in Inhalt und Ausmaß noch wenig geklärten Treuepflicht zu korrigieren.108 102

102  Näher zu diesem Kausalitätserfordernis Hüffer, § 311 Rn. 16; KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 6. 103  BGH NJW 1999, S. 1706; BGH NJW 2009, S. 850, 851 Rn. 11 – MPS.  104  BGH NJW 1999, S. 1706; NJW 2008, S. 1583 Rn. 11 – UMTS; Hüffer, § 311 Rn. 27; MünchKommAktG / Kropff, § 311 Rn. 40; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Rn. 40; KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 36. 105  Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 40; vgl. auch BGH NJW 2008, S. 1583 f. Rn. 11 ff. – UMTS, der die Einhaltung des pflichtgemäßigen unternehmerischen Ermessens des Vorstands einer als unabhängig gedachten Telekom durch ihr herrschendes Unternehmen – die Bundesrepublik Deutschland – bejaht. 106  Vgl. nur MünchKommAktG / Kropff, § 317 Rn. 8; KK-AktG / Koppensteiner, § 317 Rn. 5; ein anderes, aber ebenfalls auf § 317 Abs. 2 AktG gestütztes Verständnis bei MünchKommAktG / Altmeppen, § 317 Rn. 8 ff.; ders. ZHR 171 (2007), S. 320, 329 ff. (Verschuldenshaftung für Fremdgeschäftsführung in Parallele zur Vorstandshaftung nach § 93 Abs. 2 AktG); einen deliktischen Ansatz vertretend Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Rn. 11 (verschuldensunabhängige deliktische Veranlassungshaftung); den Ansatz der Treuepflicht befürwortend K.  Schmidt /  Lutter / J. Vetter, § 317 Rn. 3; Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftungsrecht, S. 138 ff. (Haftung wegen Verletzung des mitgliedschaftlichen Sonderrechtsverhältnisses). 107  Vgl. KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 168 m. w. N.; MünchKommAktG /  Altmeppen, § 311 Rn. 15 und § 317 Rn. 121. 108  Vgl. Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 89; Spindler / Stilz / Müller, § 311 Rn. 67; MünchKommAktG / Altmeppen, § 311 Rn. 19; auch KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 168.

212 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

bb) Rechtsstellung des Tochtervorstands Anders als im Vertragskonzern gibt es im faktischen Konzern keine rechtlich fundierte Konzernleitungsmacht, so dass der Vorstand der abhängigen AG eigenverantwortlicher Geschäftsleiter nach § 76 AktG bleibt und gegenüber dem herrschenden Unternehmen weisungsunabhängig ist.109 Der Tochtervorstand ist berechtigt, jedoch nicht verpflichtet, die nach § 311 AktG zulässige nachteilige Veranlassung zu befolgen und sich auf den zeitlich gestreckten Nachteilsausgleich einzulassen. Folglich modifiziert § 311 AktG den gesetzlichen Leitungsauftrag des Tochtervorstands und erweitertet insofern seinen Handlungsspielraum.110 Entsprechend seiner Eigenverantwortlichkeit ist der Tochtervorstand verpflichtet, jeder Einflussmaßnahme eine umfassende Prüfung auf ihre Vereinbarkeit mit §§ 311 ff. AktG voranzustellen und bei nachteiliger Veranlassung für eine Sicherung des Nachteilsausgleichs zu sorgen.111 Maßstab dafür ist ausschließlich das Eigeninteresse der abhängigen Gesellschaft.112 Im Rahmen des Nachteilsbegriffs steht auch dem Tochtervorstand ein unternehmerisches Ermessen zu, mit der Folge, dass der Nachteil nur bei Ermessensfehlgebrauch angenommen werden kann.113 Dieses auf das pflichtgemäße Verhalten der Verwaltung der Tochtergesellschaft beruhende Schutzsystem ist jedoch einem gravierenden Durchsetzungsproblem ausgesetzt: die Verwaltungsmitglieder der Tochtergesellschaft, die von Rechts wegen deren Interesse schützen müssen, werden unter dem Einfluss des herrschenden Unternehmens, von dem sie oft auch persönlich abhängen, von sich aus nicht bereit sein, sich der unzulässigen Einflussnahme zu widersetzen. Aber man muss bei der Verantwortung der Organe der Tochtergesellschaft ansetzen, weil nur sie zu einer Prüfung, ob eine Einflussnahme mit dem Eigeninteresse der Gesellschaft im Einklang steht, in der Lage sind.114 Um diesen den Rücken gegenüber dem herrschenden Unternehmen zu stärken, schaffte der Gesetzgeber des AktG 1965 eine zu109  Ganz h. M. vgl. nur Hüffer, § 311 Rn. 8; KK-AktG / Koppensteiner, vorb. § 311 Rn. 9 und § 311 Rn. 139; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 10; MünchKommAktG / Altmeppen, § 311 Rn. 401. 110  Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 113 f.; Streyl, Vorstands-Doppelmandate, S. 85. 111  Zu einzelnen Organpflichten des Tochtervorstands KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 139 ff.; MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 28. 112  KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 16. 113  Hüffer, § 311 Rn. 29; KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 57; MünchKommAktG / Kropff, § 311 Rn. 152; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 53 und Rn. 57. 114  So überzeugend Flume, DB 1959, S. 190, 191.



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sätzliche Sicherung in Form des prüfungspflichtigen Abhängigkeitsberichts.115 Der Tochtervorstand muss im Abhängigkeitsbericht über alle konzernveranlassten oder im Konzerninteresse stehenden Rechtsgeschäfte und Maßnahmen mit den zur Beurteilung ihrer Angemessenheit notwendigen Angaben lückenlos Rechenschaft ablegen (vgl. § 312 Abs. 1 AktG), um die Grundlage für die Überprüfung durch den Abschlussprüfer und den Aufsichtsrat zu schaffen, und den Bericht mit einer Erklärung abschließen, dass die Gesellschaft nicht benachteiligt wurde und dass eventuelle Nachteile ausgeglichen sind (vgl. § 312 Abs. 3 AktG). Angesichts der tatsächlich kaum vermeidbaren Abhängigkeit des Tochtervorstands vom herrschenden Unternehmen und einseitiger Ausrichtung des von dessen Repräsentanten beherrschten Aufsichtsrats auf dessen Interessen hat der Gesetzgeber die Überprüfung des Abhängigkeitsberichts durch den Abschlussprüfer als „Eckpfeiler“ des Außenseiterschutzes aufgestellt.116 Zunehmend wird die Verpflichtung zur Erstellung und Prüfung des Abschlussberichts hinsichtlich der präventiven Wirkung positiv bewertet.117 Es ist wohl auch nicht zu bestreiten, dass sie zumindest sicherstellen kann, dass eindeutig unangemessene Geschäfte unterbleiben. Allerdings bestehen Zweifeln bezüglich der Effektivität des Abhängigkeitsberichts, insbesondere wegen der so gut wie nie vorgekommenen gerichtlichen Verfahren. Als Grund dafür wird meistens die fehlende Publizität genannt.118 Der Abhängigkeitsbericht ist nämlich den außenstehenden Aktionären und Gläubigern nicht zugänglich und nur die Schlusserklärung des Vorstands ist im Lagebericht offenzulegen (§ 312 Abs. 3 Satz 3 AktG). Dies und der Bericht des Aufsichtsrats über das Prüfungsergebnis an die Hauptversammlung sollen den einzelnen Aktionären ermöglichen, von ihrem Recht auf Sonderprüfung (§ 315 AktG) Gebrauch zu machen und sich auf diesem Wege die notwendigen Informationen für die Geltendmachung der Ersatzansprüche zu verschaffen.119 Die Reformvorschläge reichen von der generellen Offenlegung des Abhängigkeitsberichts bis zu verschiedenen vermittelnden Lö115  Vgl. Flume, DB 1959, S. 190, 191; MünchKommAktG / Altmeppen, § 312 Rn. 2. Eingehend zu Sinn und Zweck des Abhängigkeitsberichts Streyl, VorstandsDoppelmandate, S. 162 f. 116  Vgl. KK-AktG / Koppensteiner, § 313 Rn. 3; MünchKommAktG / Altmeppen, § 312 Rn. 17; Spindler / Stilz / Müller, § 312 Rn. 3. 117  Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 3; MünchKommAktG / Altmeppen, § 312 Rn. 19 m. w. N.; skeptisch KK-AktG / Koppensteiner, § 312 Rn. 5. 118  Vgl. der Kritik bei KK-AktG / Koppensteiner, § 312 Rn. 2 ff.; Vetter, ZHR 171 (2007), S. 342, 365; Kalss, ZHR 171 (2007), S. 146, 197; vgl. auch den Bericht über die Diskussion auf dem ZHR-Symposion 2007 bei Schürnbrand, ZHR 171 (2007), S. 241, 243. 119  Zu Einzelheiten MünchKommAktG / Altmeppen, § 312 Rn. 7 und Rn. 8.

214 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

sungen.120 Um den Rücken des Tochtervorstands gegenüber dem herrschenden Unternehmen weiter zu stärken, wird noch über die Abschaffung des Privilegs des zeitlich gestreckten Nachteilsausgleichs diskutiert.121 Aus dem Zusammenspiel von Eigenverantwortlichkeit, Rechenschaftslegung und Überprüfung durch den Abschlussprüfer ergibt sich die Stellung des Tochtervorstands als rechtlich gleichgeordneter Verhandlungsführer gegenüber dem herrschenden Unternehmen, der sich für die Wahrung des Eigeninteresses der abhängigen Gesellschaft einsetzen muss.122 c) Anwendungsfall: aufsteigende Darlehen und Sicherheiten Die Gewährung von Darlehen durch eine abhängige Gesellschaft an die Mutter- oder Schwestergesellschaften sowie die Sicherheitenstellung für ihre Verbindlichkeiten (sog. aufsteigende Darlehen und Sicherheiten) sind in der deutschen Konzernpraxis eine typische Form der Fremdfinanzierung123 und ein wichtiger Anwendungsfall der §§ 311 ff. AktG. Da sie Vermögenszuwendungen zugunsten des herrschenden Unternehmens als Aktionär in der abhängigen Gesellschaft sind, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen den Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 57, 62 AktG einerseits und §§ 311 ff. AktG andererseits. Nach Rechtsprechung und h. L. verdrängen die spezielleren konzernrechtlichen Vorschriften der §§ 311, 317 AktG die §§ 57, 62 AktG, solange der Nachteil, falls die Maßnahme nachteilig ist, gemäß § 311 Abs. 2 AktG bis zum Ende des Geschäftsjahres tatsächlich oder durch Einräumung eines Rechtsanspruchs ausgeglichen wird, da ansonsten die dort zugelassene Möglichkeit eines zeitlich hinausgeschobenen Nachteilsausgleichs ins Leere laufen würde.124 Unterbleibt der Nachteilsausgleich oder darf sich der Tochtervorstand auf eine Nachteilszufügung nicht Übersicht bei MünchKommAktG / Altmeppen, § 312 Rn. 20. MünchKommAktG / Kropff, § 311 Rn. 42 f.; Vetter, ZHR 171 (2007), S. 342, 362 m. w. N.; de lege lata eine restriktive Auslegung befürwortend MünchKommAktG / Altmeppen, § 311 Rn. 325 ff., der die Möglichkeit des zeitversetzten Ausgleichs mit dem Erfordernis nach sachlichem Grund einzuschränken versucht. 122  Vgl. Streyl, Vorstands-Doppelmandate, S. 162 und 155, der von „potentiellem Widerlager“ spricht; zu Gleichordnung von Tochtervorstand und Mutter vgl. Flume, Juristische Person, S. 124; J. Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 222 ff., der aus diesem Grund den faktischen Konzern als Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein­ ordnet. 123  Vgl. MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 59 m. w. N. 124  Vgl. BGH NJW 2009, S. 850, 851 Rn. 11 – MPS; KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 161; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 82 ff. und Rn. 47; MünchKommAktG / Altmeppen, § 311 Rn. 456 ff.; Hüffer, § 311 Rn. 49. 120  Eine 121  Vgl.



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einlassen, sind die Kapitalerhaltungsvorschriften und die konzernrechtlichen Haftungsvorschriften nebeneinander anzuwenden.125 Zur Ermittlung der Nachteiligkeit von Rechtsgeschäften werden häufig die steuerrechtlichen Maßstäbe zur verdeckten Gewinnausschüttung herangezogen wie im Rahmen des Rückgewährverbots nach § 57 AktG: Das zentrale Kriterium ist also der Vergleich der Bedingungen desselben Geschäfts mit außenstehenden Dritten (Drittenvergleich).126 Die Nachteiligkeit aufsteigender Darlehen und Sicherheiten ist folglich anhand des Drittvergleichs zu ermitteln. Eine solche liegt stets vor, wenn es an einer angemessenen Verzinsung fehlt.127 Die Ausgleichsfähigkeit dieses Nachteils steht außer Frage. Es ist sogar möglich, zinsungünstige Darlehensgewährung durch zinsgünstige Darlehensaufnahme auszugleichen.128 Für die Praxis liegt die Schwierigkeit des Drittvergleichs jedoch nicht in der Bestimmung einer angemessenen Gegenleistung in Form der Verzinsung, sondern in der Unmöglichkeit, das dem einzelnen Darlehen anhaftende Ausfallrisiko durch einen Risiko(zins)aufschlag zu kompensieren.129 Darüber hinaus kann die Darlehensgewährung durch den Mittelabfluss bei der abhängigen Gesellschaft Liquiditätsschwierigkeiten herbeiführen, die sich auch nicht mit Zinsen entgelten lassen. Folglich hängt die Zulässigkeit der aufsteigenden Darlehens und Sicherheiten von dem Ausfalls- und Liquiditätsrisiko im Einzelfall ab. aa) Nachteiligkeit wegen Ausfallrisikos Ein aufsteigendes Darlehen ist nachteilig, wenn der Rückzahlungsanspruch gegen das herrschende Unternehmen nicht vollwertig ist. Zur besonders praxisrelevanten Frage, ob ein ungesichertes Darlehen auch bei Vollwertigkeit des Rückgewähranspruchs unzulässig ist, stellt der BGH im MPS-Urteil klar, dass die Besicherung des Darlehens keine zwingende Zu125  Statt vieler Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 84; Hüffer, § 311 Rn. 49. 126  Vgl. KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 61; MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 81; zum Drittvergleich siehe oben I. 1. a). 127  MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 61; Mülbert / Leuschner, NZG 2009, S. 281, 284. Eingehend zur umstrittenen Frage, ob eine angemessene Verzinsung auch für Kreditgewährungen im Rahmen des Cash Pool erforderlich ist, Altmeppen, ZIP 2009, S. 49, 52. 128  MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 61. 129  Vgl. Mülbert / Leuschner, NZG 2009, S. 281, 283; vgl. auch BGH NJW 2009, S. 850, 852 Rn. 17 – MPS (der wegen fehlender oder unangemessener Verzinsung entstehende Nachteil ist „ein anderer als derjenige eines die gesamte Darlehenssumme ergreifenden, nicht ausgleichsfähigen konkreten Kreditrisikos“).

216 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

lässigkeitsvoraussetzung ist, da § 311 AktG den Nachteilsausgleich durch die Gewährung eines nicht zu besichernden Anspruchs auf künftigen Ausgleich zulasse.130 Zusätzlich stützt er sich auf die in § 57 Abs. 1 Satz 3 Var. 2 AktG verankerte bilanzielle Betrachtungsweise und macht geltend, „[i]m Rahmen der als Privilegierung gegenüber § 57 AktG gedachten §§ 311, 317 f. AktG könnten keine strengeren Maßstäbe gelten.“131 Für die Bewertung der Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs gelten dieselben bilanziellen Maßstäbe wie im Rahmen des § 57 AktG.132 Ist die Kreditvergabe aufgrund des ex ante feststellbaren hohen Insolvenzrisikos des herrschenden Unternehmens nachteilig, hat der Tochtervorstand die Auszahlung des Darlehens zu verweigern.133 Ist es gleichwohl zur Auszahlung gekommen, ist der Nachteilsausgleich nur durch eine sofortige Rückführung der ausgezahlten Summe oder durch eine sofortige Besicherung möglich, weil das Insolvenzrisiko des herrschenden Unternehmens die Werthaltigkeit des Anspruchs auf Nachteilsausgleich entfallen lässt.134 Im Ergebnis führt das ex ante feststellbare hohe Ausfallrisiko sowohl nach § 311 AktG als nach § 57 AktG zur Unzulässigkeit der Darlehensgewährung, obwohl im Rahmen des § 311 AktG die abhängige Gesellschaft wegen des zeitlich gestreckten Nachteilsausgleichs mit nachträglichem erhöhten Insolvenzrisiko des herrschenden Unternehmens belastet ist. Man darf diese Grundsätze auf die aufsteigenden Sicherheiten übertragen. Denn bei drohender Zahlungsunfähigkeit des herrschenden Unternehmens ist das Ausfallrisiko für die Tochter nicht anders als im Fall einer direkten Darlehensgewährung an dieses.135 Nach dem Inkrafttreten des MoMiG gehen nicht wenige Autoren angesichts der vom Gesetzgeber gewünschten bilanziellen Betrachtungsweise davon aus, dass dieser die Sicherheitenbestellung für das herrschende Unternehmen oder die Betreibergesellschaft im Cash Pool zulassen wollte, solange die Inanspruchnahme nicht droht oder Rückgriffsansprüche vollwertig sind.136 130  BGH NJW 2009, S. 850, 851 Rn. 11 – MPS; MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 62. 131  BGH NJW 2009, S. 850, 852 Rn. 12 – MPS; dazu kritisch Kropff, NJW 2009, S. 814, 816. 132  Vgl. BGH NJW 2009, S. 850, 852 Rn. 13 – MPS. Zu bilanzrechtlichen Maßstäben bereits oben I. 1. b. 133  Vgl. BGH NJW 2009, S. 850, 852, Rn. 13 – MPS; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 47 a, 62a und 78. 134  Vgl. Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 62a; ders., ZGR 2009, S. 347, 358. 135  Vgl. MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 64. 136  Vgl. Altmeppen, ZIP 2009, S. 49, 52 m. w. N., der die bilanzielle Betrachtungsweise aber für fragwürdig hält, wenn es um die Besicherung von Krediten der anderen Konzernunternehmen geht.



I. Deutsches Recht217

bb) Nachteiligkeit wegen Liquiditätsrisikos Ferner kann sich die Nachteiligkeit nach der überwiegenden Ansicht aus der Beeinträchtigung der Liquiditätslage der abhängigen AG ergeben.137 Denn es geht beim Drittvergleich nicht nur um die Frage, ob eine unabhängige AG das Darlehen unter denselben Konditionen an einen Dritten gewährt hätte (Konditionsvergleich), sondern es kommt auch noch darauf an, ob sie unter Berücksichtigung ihrer Liquiditätslage das Darlehen überhaupt gewährt hätte.138 Unter welchen konkreten Voraussetzungen der Liquiditätsverlust zur Nachteiligkeit der Darlehensvergabe führt, ist nicht unstreitig.139 Mit der mehrheitlichen Ansicht darf man jedenfalls von einem Nachteil ausgehen, wenn der Mittelabfluss zu einem konkreten Liquiditätsengpass bei der abhängigen AG führt, so dass sie ihre eigene wirtschaftliche Betätigung einschränken muss.140 Da der Liquiditätsentzug als solcher bilanzneutral ist,141 zeigt sich hier der Unterschied zwischen dem Drittvergleich und der bilanziellen Betrachtungsweise.142 Teilweise wird ein Gleichlauf von §§ 57 und 311 AktG in dem Sinne, dass auch für den Nachteil allein die bilanzielle Betrachtungsweise maßgeblich sei und der Liquiditätsbedarf der abhängigen AG keine Rolle spiele, befürwortet.143 Darauf könnte das Argument des BGH im MPS-Urteil mit der Haftungsprivilegierung in §§ 311, 317 AktG gegenüber § 57 AktG hindeuten. Denn es erweckt den Eindruck, dass die §§ 311 ff. AktG niemals strengere Grenzen als die Kapitalerhaltungsregeln ziehen sollten und sich daher die Einschränkungen in § 57 AktG automatisch auf den Nachteilsbegriff auswirken müssten.144 Gegen ein solches Verständnis sprechen die unterschiedlichen Schutzzwecke der §§ 57, 62 AktG einerseits und §§ 311, 317 AktG andererseits: Die bilanzielle Betrachtungsweise genügt in erster Linie den dem Gläubigerschutz dienen Kapitalerhaltungsvorschriften, weil man damit den Haftungsfond absichert. Sie ist aber unzureichend für den im Konzernrecht – zumindest gleichrangig – neben dem Gläubigerschutz stehenden Minderheitenschutz, da nicht alle Maßnahmen, die die abhängige 137  Vgl. Hüffer, § 311 Rn. 25b; K. Schmidt / Lutter / J. Vetter, § 311 Rn. 61; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 47a; Mülbert / Leuschner, NZG 2009, S. 281, 285; Bayer / Lieder, AG 2010, S. 885, 889; Kropff, NJW 2009, S. 814, 816. 138  Vgl. Mülbert / Leuschner, NZG 2009, S. 281, 285. 139  Eingehend zum Meinungsstand Bayer / Lieder, AG 2010, S. 885, 888 f. 140  Vgl. Hüffer, § 311 Rn. 25b; Mülbert / Leuschner, NZG 2009, S. 281, 285; Bayer / Lieder, AG 2010, S. 885, 889. 141  So Mülbert / Leuschner, NZG 2009, S. 281, 285. 142  KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 109. 143  Z. B. KK-AktG / Drygala, § 57 Rn. 114. 144  Vgl. Mülbert / Leuschner, NZG 2009, S. 281, 285.

218 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

AG beeinträchtigen, in der Bilanz zum Ausdruck kommen.145 Zum besseren Minderheitenschutz ist daher die Ansicht vorzugswürdig, die den Nachteil nicht allein nach bilanziellen Kriterien, sondern durch den Drittvergleich unter Berücksichtigung des Liquiditätsbedarfs der abhängigen AG bestimmt. Beim konkreten Liquiditätsengpass kann die Ausgleichsfähigkeit dieses Nachteils an der fehlenden Quantifizierbarkeit scheitern, da die Auswirkungen eines die wirtschaftliche Betätigung einer AG einschränkenden Liquiditätsabflusses aus der ex-ante-Perspektive häufig nicht deutlich festgestellt werden können.146 Folglich darf man von der Unzulässigkeit der Darlehensgewährung in diesem Fall ausgehen.147 cc) Laufende Kontrolle des Kreditrisikos Nach allgemeiner Ansicht entstehen nach einer ex ante nicht nachteiligen und damit rechtmäßigen Darlehensausreichung die Kontrollpflichten der Verwaltungsorgane der abhängigen AG aus §§ 93, 116 AktG. Sie sind verpflichtet, die damit einhergehenden Risiken fortlaufend zu prüfen und bei sich andeutender Bonitätsverschlechterung der Konzernmutter durch eine Kreditkündigung oder die Anforderung von Sicherheiten zu reagieren.148 Daher ist es regelmäßig erforderlich, dass der Tochtervorstand dafür sorgt, dass sich die Gesellschaft bei Abschluss der Darlehensverträge die erforderlichen Kontroll-, Überwachungs- und Kündigungsrechte einräumen lässt.149 Um eine zeitnahe Reaktion auf einen sich abzeichnenden Bonitätsverlust sicherzustellen, kann der Tochtervorstand aus seiner Sorgfaltspflicht zur Einrichtung eines Informations- und Frühwarnsystems verpflichtet sein. Eine solche Rechtspflicht kann nach der Auffassung des BGH insbesondere bei umfangreichen langfristigen Darlehen oder bei einem Cash-Management entstehen.150 Das „Ob“ und „Wie“ eines solchen Systems hängt von Umständen des konkreten Einzelfalls ab, wobei der Umfang der ungesicherten Darlehen maßgebend ist.151 Als Minimum wird verlangt, dass der Tochter145  Vgl. die Kritik an dem MPS-Urteil bei Kropff, NJW 2009, S. 814, 815; vgl. auch Mülbert / Leuschner, NZG 2009, S. 281, 285. 146  Mülbert / Leuschner, NZG 2009, S. 281, 286. 147  Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 47 a, 62a und 78. 148  BGH NJW 2009, S. 850, 852 Rn. 14 – MPS; zustimmend Kropff, NJW 2009, S. 814, 816. 149  Mülbert / Leuschner, NZG 2009, S. 281, 286; Bayer / Lieder, AG 2010, S. 885, 891. 150  BGH NJW 2009, S. 850, 852 Rn. 14 – MPS.  151  Habersack, ZGR 2009, S. 347, 362; Goette, DStR 2009, S. 2602, 2604; auch Bayer / Lieder, AG 2010, S. 885, 891.



I. Deutsches Recht

219

vorstand zeitnah und umfassend über wirtschaftliche und finanzielle Schwierigkeiten der Konzernmutter informiert wird.152 Die Aufsichtsratsmitglieder sind aufgrund ihrer Überwachungsaufgabe verpflichtet, sich über das Kreditrisiko zu informieren und haben ggf. darauf zu drängen, dass der Vorstand die für die laufende Bonitätskontrolle erforderlichen Informationsund Reaktionsmaßnahmen ergreift.153 Allerdings sind sie wegen ihrer begrenzten Informationsmöglichkeit nicht zur laufenden Bonitätsüberwachung verpflichtet.154 Die Missachtung der nachträglichen Kontrollpflichten kann nicht nur zu organschaftlichen Schadenersatzpflichten von Vorstand und Aufsichtsrat führen, sondern stellt eine nachteilige Maßnahme i. S. d. § 311 AktG dar, die auch das Unterlassen von vorteilhaften Rechtsgeschäften oder Maßnahmen erfasst.155 Diese kann die Haftung des herrschenden Unternehmens und dessen Verwaltungsmitglieder nach § 317 AktG auslösen, falls sie durch das herrschende Unternehmen veranlasst wurde.156 Die Ausgleichsfähigkeit der Nachteiligkeit, die sich aus der unterbleibenden Vorsorge oder der unterlassenen Durchführung der nachträglichen Bonitätskontrolle resultiert, muss man regelmäßig verneinen. Denn die Nachholung der gebotenen Handlung ist zwar denkbar, aber häufig zu spät, weil sich zu diesem Zeitpunkt das den Nachteil begründende Risiko bereits realisiert haben mag.157 Das gleiche soll auch für nachträglich eingetretene Liquiditätsschwierigkeiten der Tochtergesellschaft gelten. Ist der Rückfluss von Liquidität für ihre wirtschaftliche Betätigung geboten, ist die Vorenthaltung von Liquidität eine nachteilige Maßnahme.158 Denn bei wirtschaftlicher Betrachtung macht es keinen Unterschied, ob die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der abhängigen AG durch einen aktiven Liquiditätsentzug oder durch die Vorenthaltung geschuldeter und benötigter Liquidität verursacht wird.

152  Bayer / Lieder,

AG 2010, S. 885, 891. BGH NJW 2009, S. 850, 853 Rn. 21 – MPS; zustimmend Habersack, ZGR 2009, S. 347, 363. 154  Habersack, ZGR 2009, S. 347, 364; auch Kropff, NJW 2009, S. 814, 817. 155  Allg. M., KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 14; MünchKommAktG / Altmeppen, § 311 Rn. 156; Hüffer, § 314 Rn. 24; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 37. 156  Vgl. BGH NJW 2009, S. 850, 852 Rn. 14 – MPS; Goette, DStR 2009, S. 2602, 2604; Mülbert / Leuschner, NZG 2009, S. 281, 286; Bayer / Lieder, AG 2010, S. 885, 889. 157  Mülbert / Leuschner, NZG 2009, S. 281, 286. 158  Bayer / Lieder, AG 2010, S. 885, 889. 153  Vgl.

220 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

dd) Zulässigkeit des zentralen Cash-Managements Unter Beachtung der Erfordernisse der angemessenen Verzinsung und zur Kontrolle des Ausfalls- und Liquiditätsrisikos ist die Einbindung der abhängigen Gesellschaft in ein zentrales Cash-Management grundsätzlich zulässig.159 Zudem muss sie an den mit der Zentralisierung verbundenen Synergieeffekten sachgerecht beteiligt sein. Um die Existenzgefährdung nach Beendigung des Abhängigkeitsverhältnisses zu vermeiden, muss sie ein Minimum an eigenen Bankverbindungen und Kreditlinien behalten.160 ee) Zwischenergebnis Im faktischen Konzern wird die Anwendung der Kapitalerhaltungsvorschriften nur im Rahmen des zulässigen zeitlich verschobenen Nachteilsausgleichs verdrängt. Ist eine Nachteilszufügung unzulässig oder der Nachteilsausgleich unterbleibt, finden sie neben konzernrechtlichen Haftungsvorschriften Anwendung. Die aufsteigenden Darlehen und Sicherheiten sind beim ex ante feststellbaren konkreten Ausfallrisiko sowohl nach dem Konzernrecht als auch nach dem Recht der Kapitalerhaltung unzulässig. Das Konzernrecht ist insofern strenger als das letztere, als die Ermittlung des Nachteils nicht auf eine bilanzielle Betrachtungsweise beschränkt ist, sondern auf einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise in Form des Drittvergleichs beruht. Bei rechtmäßiger Darlehensgewährung und Sicherheitenbestellung sind die Verwaltungsorgane der abhängigen AG verpflichtet, das Kreditrisiko laufend zu kontrollieren. Das Unterlassen von – je nach Sachlage – notwendiger Vorsorge und das Unterlassen von Maßnahmen bei sich andeutendem Bonitätsverlust des herrschenden Unternehmens führen nicht nur zur Haftung der Verwaltungsorgane der abhängigen AG, sondern zur konzernrechtlichen Haftung des herrschenden Unternehmens bzw. seiner gesetzlichen Vertreter. d) Qualifizierte Nachteilszufügung – Leistungsgrenze des Einzelausgleichssystems §§ 311 ff. AktG lassen nachteilige Einflussnahme des herrschenden Unternehmens auf die abhängige Gesellschaft zu unter dem Vorbehalt, dass das Vermögensinteresse der letzteren durch den Nachteilausgleich gewahrt wird. 159  Vgl. MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 65; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 48. 160  MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 65; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 48.



I. Deutsches Recht221

Nach der h. M. darf die damit erlaubte faktische Konzernherrschaft nur im Rahmen der Funktionsfähigkeit des Einzelausgleichssystems der §§ 311 ff. AktG ausgeübt werden; die Einflussnahme, die in ihren Auswirkungen vermögensmäßig nicht bewertbar und damit einem Einzelausgleich nicht zugänglich ist, könne hingegen nur durch Abschluss eines Beherrschungsvertrags legalisiert werden.161 Die Konstellationen, in denen das Einzelausgleichssystem als versagt angesehen wird, werden unter dem Schlagwort „qualifizierter faktischer Konzern“ bzw. „qualifzierte Nachteilszufügung“ zusammengefasst. Typische Beispiele sind die als „Waschkorblage“ bezeichneten Sachverhalte, in denen eine vollständige Kompensation der von der Tochtergesellschaft erlittenen Nachteile wegen der fehlenden oder nicht ordnungsgemäßen Buchführung oder Dokumentation im Abhängigkeitsbericht unmöglich ist.162 Für die Maßnahmen, die einen solchen Zustand herbeigeführt haben, wird eine Verschärfung der Haftung des herrschenden Unternehmens durch eine analoge Anwendung der Rechtsfolgenvorschriften des Vertragskonzerns (globale Verlustübernahme, Sicherheitenleistung und Ausfallhaftung gegenüber den Gläubigern und Abfindungsrecht der Minderheitsaktionäre) befürwortet.163 Die Rechtsfigur des qualifizierten faktischen Konzerns wurde ursprünglich vom BGH zum Schutz der Gläubiger der abhängigen GmbH entwickelt. Der BGH bejahte nämlich in (doppelter) analoger Anwendung des § 303 AktG die Ausfallhaftung des herrschenden Unternehmens gegenüber den Gläubigern der abhängigen GmbH für den Fall, dass das herrschende Unternehmen die Geschäfte der abhängigen GmbH dauernd und umfassend selbst geführt hat.164 Mit dem TBB-Urteil hat der BGH diesen Qualifizierungstatbestand durch den Tatbestand der fehlenden angemessenen Rücksicht auf die Belange der abhängigen Gesellschaft und der Unmöglichkeit der Kompensation durch Einzelausgleich ersetzt.165 Das erste Merkmal deckt sich mit der Nachteilszufügung.166 In Hinblick auf das zweite Merkmal ist die Möglichkeit der rich161  MünchKommAktG / Kropff, § 317 Anh. Rn. 50; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 9; Spindler / Stilz / Müller, Vorb. §§ 311–318 Rn. 25; MünchHdb­ AG / Krieger, § 69 Rn. 133; tendenziell auch K. Schmidt, GesR, § 31 IV 2 b, S. 964; Raiser / Veil, KapGesR, § 53 Rn. 54; zum Versagen des Einzelausgleichsmodells auch Hüffer, § 311 Rn. 11; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 132 f. 162  Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Anh. Rn. 18. 163  Vgl. MünchKommAktG / Kropff, § 317 Anh. Rn. 54; zu Einzelheiten Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Anh. Rn. 23 ff.; MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 142 ff. 164  BGH ZIP 1985, S. 1263, 1268 – Autokran; BGH ZIP 1991, S. 1354, 1356 – Video. 165  BGH NJW 1993, S. 1200, 1203 – TBB. 166  MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 137; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Anh. Rn. 9.

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terlichen Schadensschätzung nach § 287 ZPO auszuschöpfen.167 In späterer Rechtsprechung gab der BGH die Rechtsfigur des qualifizierten faktischen Konzerns im GmbH-Recht auf und knüpfte für die Durchgriffshaftung der Gesellschafter an den existenzvernichtenden Eingriff unter den Voraussetzungen des § 826 BGB an und ersetzte sodann die Außenhaftung gegenüber dem Gläubiger durch eine Binnenhaftung gegenüber der Gesellschaft.168 Demgegenüber will die im aktienrechtlichen Schrifttum noch herrschende Auffassung für den Sachverhalt des qualifizierten faktischen Konzerns weiterhin an der entsprechenden Anwendung der §§ 302 ff. AktG festhalten.169 Angesichts der Entwicklung des Qualifizierungstatbestands darf die Bezeichnung qualifizierte Nachteilszufügung den Begriff qualifizierter faktischer Konzern schon überholt haben.170 Denn maßgeblich sei nicht zwingend eine besondere Art der Einbindung in den Konzern, sondern eine besondere Qualität des einzelnen Eingriffs.171 Deswegen ist hier der Begriff qualifizierte Nachteilszufügung verwendet. Beim Streit über die Fortgeltung der Lehre der qualifizierten Nachteilszufügung geht es vornehmlich um die Frage, ob man bei Unmöglichkeit des Einzelausgleichs die Lösung im Recht des Vertragskonzerns suchen oder eher auf allgemeine Prinzipien des Kapitalgesellschaftsrechts zurückgreifen soll. Der Wandel des Qualifizierungstatbestands ergibt, dass Rechtsprechung und Rechtslehre die Haftung der Konzernmutter für die qualifizierte Nachteilszufügung zunehmend als Verhaltens- statt als Zustands- bzw. Strukturhaftung betrachten.172 Unter diesem Gesichtspunkt dürfte die Rechtsprechung, die sich von einer Gesamtanalogie der Rechtsfolge des Vertragskonzerns verabschiedet, und die gleichsinnige Mindermeinung im Aktienrecht 167  Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Anh. Rn. 16; MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 138. 168  BGH NJW 2001, S. 3622 – Bremer-Vulkan; BGH NZG 2002, S. 914 – KBV; BGH ZIP 2007, S. 1552, 1554 ff. – Trihotel. 169  Namentlich Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Anh. Rn. 5a; Spindler / Stilz / Müller, Vorb. § 311 Rn. 25; MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 134 jeweils m. w. N.; a. A. gegen analoge Anwendung der §§ 302 ff. AktG Hüffer, § 1 Rn. 26; KK-AktG / Koppensteiner, Anh. § 318 Rn. 63 ff. (zum Gläubigerschutz) und Rn. 105 ff. (zum Minderheitenschutz), der ein Austrittrecht aus wichtigem Grund befürwortet; MünchKommAktG / Altmeppen, § 317 Anh. Rn. 13  ff. (Vorrang der §§ 311, 317 AktG); K.  Schmidt / Lutter / J. Vetter, § 317 Rn. 56 ff. (Modifikation der Rechtsfolge des § 317 AktG). 170  Vgl. den Untertitel von MünchKommAktG / Kropff, § 317 Anh.; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Anh.; K.  Schmidt / Lutter / J. Vetter, § 317 VI. 171  K.  Schmidt / Lutter / J. Vetter, § 317 Rn. 49. 172  Vgl. Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Anh. Rn. 9; K. Schmidt / Lutter / J. Vetter, § 317 Rn. 60; zur Strukturhaftung Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, S. 83.



I. Deutsches Recht223

eine folgerichtige Entwicklung sein. Die Frage zur Haftung der Konzern­ obergesellschaft sprengt jedoch den Rahmen der vorliegenden Arbeit. Deswegen wird auf eine ausführliche Behandlung verzichtet. Für das hier behandelte Thema der Pflichtenbindung der Verwaltungsorgane der Tochtergesellschaft relevant ist die Frage der Leistungsgrenze des Einzelausgleichssystems, nämlich die Frage, inwiefern sich der Vergleichsmaßstab des Vorstands einer als unabhängig gedachten Gesellschaft bewahren lässt. Im Folgenden wird auf das im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit der §§ 311 ff. AktG zulässige Ausmaß der personellen Verflechtung [aa)] und konzernintegrativer Maßnahmen [bb)] eingegangen. aa) Das zulässige Ausmaß personeller Verflechtung Aus dem gesamten Regelungsgefüge der §§ 311 ff. AktG, die den Außenseiterschutz mittelbar über den vermögensmäßigen Schutz des Eigeninteresses der abhängigen Gesellschaft verwirklicht, ergibt sich, dass der eigenverantwortlich handelnde Tochtervorstand das zentrale Funktionselement bildet.173 Die Überprüfung der einzelnen herrschenden Einflüsse auf ihre Nachteiligkeit und die Ausgleichsfähigkeit der Nachteile ist in erster Linie vom Tochtervorstand zu verantworten. In der früheren Literatur wurde nicht selten die Eignung und Fähigkeit der Doppelmandatsträger im Tochtervorstand für die Wahrung des Eigeninteresses der Tochtergesellschaft bezweifelt.174 Vereinzelt wurde ein Gebot der institutionell zu gewährleistenden Unabhängigkeit des Tochtervorstands aus dem Regelungsgefüge der §§ 311 ff. AktG abgeleitet und damit die personen Verflechtungen auf der Geschäftsführungsebene der Mutter- und Tochtergesellschaft für unzulässig gehalten.175 Manche haben ein derartiges Verbot de lege ferenda vorgeschlagen.176 Die ganz h. M. bejaht hingegen die Zulässigkeit der Vorstandstandsdoppelmandate, solange die Zustimmung der Aufsichtsräte der Mutter- und Tochtergesellschaft zur Doppeltätigkeit nach §§ 84 Abs. 1, 88 Abs. 1 AktG vorliegt.177 Dafür spricht, dass es für die Muttergesellschaft ohne weiteres möglich sei, den 173  Grundlegend Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S.  122  ff.; ihm folgend Streyl, Vorstands-Doppelmandate, S. 85; gleichsinnig Altmeppen, Abschied vom qualifiziert faktischen Konzern, S. 8. 174  Vgl. Decher, Personelle Verflechtungen, S. 144 ff. 175  Säcker, ZHR 151 (1987), S. 59, 68 ff. 176  Z. B. Hommelhoff, in: Druey, St. Galler Konzernrechtsgespräch, S. 107, 125; zustimmend Koppensteiner, in: FS Steindorff (1990), S. 79, 106 f.; Stein, ZGR 1988, S. 163, 190. 177  BGH NZG 2009, S. 744, 745 Rn. 15; Hüffer, § 76 Rn. 21; GroßkommAktG / Kort, § 76 Rn. 178; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 76 Rn. 70; Streyl, VorstandsDoppelmandate, S.  158 ff.; Hoffmann-Becking, ZHR 150 (1986), S. 570, 574 f.

224 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

Tochtervorstand mit ihr nahestehenden Personen zu besetzen.178 Zudem wird geltend gemacht, dass auch ein „obergesellschaftsfreies“ Vorstandsmitglied sich der Macht der Muttergesellschaft aus der Sorge um die künftige Vertragsverlängerung oder mögliche Abberufung durch den von dieser besetzten Aufsichtsrat beugen könne, und daher die Annahme, die fehlende personelle Verflechtung könne die Bindung des Tochtervorstands an das Eigeninteresse der Gesellschaft gewährleisten, irrig sei.179 Trotz der mit Vorstandsdoppelmandaten verbundenen Einflussmöglichkeit des herrschenden Unternehmens und der mit dem gleichzeitigen Einsatz bei zwei Gesellschaften verbundenen Loyalitätskonflikte hält die ganz h. M. an dem Grundsatz der Trennung des Pflichtenkreises und der uneingeschränkten Bindung der Doppelmandatsträger an das Eigeninteresse der Tochtergesellschaft fest.180 Die Pflichtbindung jeweils an das Interesse der Mutterund Tochtergesellschaft wird als eine unabdingbare Funktionsvoraussetzung des Einzelausgleichssystems hervorgehoben.181 Denn eine am Interesse der jeweiligen Konzerngesellschaft ausgerichtete Kontrolle diene dazu, die positiven sowie negativen Auswirkungen bestimmter Maßnahmen einerseits für die Tochtergesellschaft und andererseits für die Muttergesellschaft klarzumachen, welches eine Grundlage für die Identifizierung der Interessenkonflikte zwischen diesen beiden bilde.182 Unter dieser Perspektive sei ein Doppelmandatsträger für die Aufgabe zur Wahrung des Eigeninteresses der Tochtergesellschaft gar nicht ungeeignet, sondern besonders befähigt, weil er in seiner Doppelrolle als „Täter-“ und „Opfervertreter“ besonders kundig sei, welche wirtschaftliche Bedeutung für Mutter- und Tochtergesellschaft die von ihm als Interessenvertreter der beiden veranlassten bzw. zugelassenen Maßnahmen haben.183 Zudem wird die Prämisse von unlösbaren Interessenkonflikten184 hinsichtlich des konzernrechtlichen Instrumentariums zur Konfliktlösung bezweifelt. Zum einen könne ein Doppelmandatsträger im Rahmen der §§ 311 ff. AktG die Auffassung der Konzernspitze in der Tochtergesellschaft kommunizieren und sich ohne Verletzung seiner Pflichten gegenüber dieser für eine vermittelnde Lösung einsetzen.185 Zum anderen 178  Altmeppen,

Abschied vom qualifiziert faktischen Konzern, S. 11 f. AG 1987, S. 225, 235. 180  BGH NZG 2009, S. 744, 745 Rn. 16; GroßkommAktG / Kort, § 76 Rn. 182; HdbVorstand / Fleischer, § 18 Rn. 128; Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, S. 67 ff.; a. A. Decher, Personelle Verflechtungen, S. 135 ff. 181  Vgl. Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, S. 73. 182  Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, S. 67 f. 183  Altmeppen, Abschied vom qualifiziert faktischen Konzern, S. 9. 184  Decher, Personelle Verflechtungen, S. 127 ff. 185  Streyl, Vorstands-Doppelmandate, S. 182; Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, S. 68 ff. 179  Lindermann,



I. Deutsches Recht225

habe ein Doppelmandatsträger die Aufgabe, die Interessen der Mutter- und Tochtergesellschaft i. S. d. praktischen Konkordanz zu vertreten, so dass eine Personalunion nicht zwingend zu unüberwindbaren Interessenkollisionen in seiner Person führe.186 Aus ähnlichen Überlegungen wird das vereinzelt befürwortete Stimmverbot analog § 34 BGB bei der Beschlussfassung im Vorstand der Muttergesellschaft für den Fall, dass der Doppelmandatsträger einer konzernleitenden Maßnahme, durch die die Interessen der Tochtergesellschaft beeinträchtigt werden, zustimmen muss,187 von der h. M. abgelehnt.188 Insbesondere würde ein generelles Stimmverbot dem legitimen Zweck von Doppelmandaten zuwiderlaufen. Hätten die Doppelvorstandsmitglieder von vornherein nicht mitzubestimmen, so könne dies die Berücksichtigung der Tochterinteressen bei der Willensbildung der Muttergesellschaft eher abschwächen als stärken.189 In der früheren Literatur war die Frage umstritten, ob und in welchem Ausmaß die personelle Verflechtung zwischen den Geschäftsführungsorganen der Mutter- und Tochtergesellschaft eine Vermutung qualifizierter faktischer Konzernierung / Nachteilszufügung begründet.190 Seitdem die BGHRechtsprechung den Qualifizierungstatbestand nicht mehr an der dauernden und umfassenden Leitung, sondern an der Feststellung konkreter, nicht ausgleichsfähiger Nachteilszufügung angeknüpft hat,191 ist dieser Meinungsstreit im Aktienrecht überholt. Nach der heutigen h. M. begründet die personelle Verflechtung allein weder eine Qualifizierungsvermutung noch einen Nachteil.192 Ihre Auswirkung auf die Haftung der Muttergesellschaft besteht nach der wohl h. M. in einer widerlegbaren Veranlassungsvermu186  GroßKommAktG / Kort, § 76 Rn. 185; ähnlich KK-AktG / Mertens / Cahn, § 77 Rn. 39, der von „ausgleichender Interessenoptimierung“ als Aufgabe des Doppelvorstandsmitglieds spricht. 187  Hoffmann-Becking, ZHR 150 (1986), S. 570, 581 f. 188  Vgl. Hüffer, § 77 Rn. 8; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 77 Rn. 38 ff.; GroßKomm­ AktG / Kort, § 76 Rn. 184 ff.; MünchHdbAG / Wiesner, § 19 Rn. 29. 189  GroßKommAktG / Kort, § 76 Rn. 185; KK-AktG / Mertens / Cahn, § 77 Rn. 39; auch Hoffmann-Becking, ZHR 150 (1986), S. 570, 584. 190  Vgl. Säcker, ZHR 151 (1987), S. 59, 65 f. und 71, der eine Vermutung bereits bei einer teilweise Personenidentität bejaht; ganz im Gegenteil Lindermann, AG 1987, S. 225, 234, der die personelle Verflechtung als konzernneutral betrachtet; differenzierend Decher, Personelle Verflechtungen, S. 80 ff. (widerlegbare Vermutung bei Vorstandsdoppelmandaten „von oben nach unten“); Ulmer, in: Hommelhoff (Hrsg.), Der qualifizierte faktische GmbH-Konzern, S. 65, 79 (Qualifizierungsvermutung nur bei völliger oder überwiegender Personenidentität). 191  Näher dazu siehe oben I. 2. d). 192  Vgl. nur Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Anh. Rn. 13; Münch­ Hdb­AG / Krieger, § 69 Rn. 139; jeweils m. w. N.; MünchKommAktG / Kropff, § 317 Ahn. Rn. 84.

226 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

tung, so dass dem herrschenden Unternehmen der Gegenbeweis gestattet sein muss, dass die nachteilige Maßnahme nicht auf seine Einflussnahme zurückzuführen ist.193 Denn auch bei der Wahrnehmung von Vorstandsdoppelmandaten sei nicht ausgeschlossen, dass der erlittene Nachteil schlicht auf einer autonom, aber sorgfaltswidrig getroffenen Entscheidung des Tochtervorstands beruht.194 bb) Das zulässige Ausmaß der Konzernintegration Die Funktionsfähigkeit des Einzelausgleichsystems der §§ 311 ff. AktG wird insbesondere bei konzernintegrativen Maßnahmen in Frage gestellt. In den Prüfungsmaßstab der Sorgfalt des Vorstands einer als unabhängig gedachten AG wird die konkrete Lage der abhängigen Gesellschaft einschließlich des Ausmaßes ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit vom herrschenden Unternehmen, etwa der Einbindung in ein Liefer- und Leistungsgeflecht, einbezogen.195 Bei Maßnahmen der Konzernintegration besteht die Gefahr, dass nach der Umsetzung der Maßnahmen der obige Prüfungsmaßstab aufgrund zunehmender wirtschaftlicher Unselbständigkeit der Tochter- von der Muttergesellschaft nicht mehr funktionieren kann, weil in tatsächlicher Hinsicht der Tochtervorstand sich nur im Rahmen des verbundbezogenen Interessengefüges bewegen und die unternehmerischen Ziele der Gesellschaft nicht mehr eigenständig bestimmen kann.196 Allerdings sind die Rechtsprechung (zum GmbH-Recht) und die Rechtslehre zur Beurteilung der Zulässigkeit konzernintegrativen Maßnahmen von der Abgrenzungsformel der „dauernden und umfassenden Leitung“ und damit von dem auf die Form der Konzernleitung bezogenen Maßstab abgekehrt.197 Maßgeblich sind danach nicht mehr die Frage, ob eine konzernintegrative Maßnahme derart zu einer straff zentralisierten Konzernleitung führen wird, dass der Vergleichsmaßstab einer unabhängigen Gesellschaft versagt, sondern die 193  Vgl. MünchKommAktG / Kropff, § 311 Rn. 100; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Anh. Rn. 35; KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 29; Spindler /  Stilz / Müller, § 311 Rn. 26; K. Schmidt / Lutter / J. Vetter, § 311 Rn. 32; MünchHdbAG /  Krieger, § 69 Rn. 75; a. A. Hüffer, § 311 Rn. 22 für eine unwiderlegliche Vermutung. 194  Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Anh. Rn. 35; Spindler / Stilz / Müller, § 311 Rn. 26; K.  Schmidt / Lutter / J. Vetter, § 311 Rn. 32. 195  Vgl. KK-AktG / Koppensteiner, § 311, Rn. 46 f.; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311, Rn. 41; insoweit auch MünchKommAktG / Altmeppen, § 311, Rn. 190. 196  Vgl. KK-AktG / Koppensteiner, Anh. § 318, Rn. 108; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S.  132 f.; Streyl, Vorstands-Doppelmandate, S. 84 f.; Säcker, ZHR 151 (1987), S. 59, 63. 197  Vgl. BGH NJW 1993, S. 1200, 1203 – TBB; MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 135 mit weiteren Hinweisen auf die ältere Literatur.



I. Deutsches Recht227

Nachteiligkeit der Maßnahmen und die Ausgleichsmöglichkeit einschließlich des Schadensersatzes.198 Dadurch vermeidet man die Schwierigkeiten zur Ermittlung des Grades des möglichen Selbständigkeitsverlusts im Einzelfall.199 Die Nachteilsermittlung bereitet bei Maßnahmen aufgrund des häufig damit verbundenen unternehmerischen Ermessensspielraums viel größere Schwierigkeiten als bei Rechtsgeschäften.200 Eine Maßnahme kann nur dann als nachteilig angesehen werden, wenn bei ex ante-Betrachtung die daraus resultierenden Chancen und Risiken in einem nicht vertretbaren Verhältnis zueinander stehen und deshalb eine Überschreitung des unternehmerischen Ermessens vorliegt.201 Das ist etwa der Fall, wenn eine Maßnahme die Existenzfähigkeit der Gesellschaft nach der Beendigung des Abhängigkeitsverhältnisses gefährdet,202 oder der Gesellschaft unübersehbare oder unvertretbar hohe Risiken ohne adäquate Vorteile auferlegt203. Bei Zentralisierung von wesentlichen unternehmerischen Funktionen wird die Nachteiligkeit verneint, wenn der Zugriff der abhängigen Gesellschaft auf die ausgelagerte Funktion oder deren Wiedereinräumung bei der Beendigung des Abhängigkeitsverhältnisses und zudem ihre Beteiligung an den durch die Zentralisierung erzielten Kostenvorteilen und sonstigen Synergieeffekten sichergestellt wird.204 Bei der Aufgabe oder Verlagerung von Geschäftsbereichen wird die Nachteiligkeit verneint bzw. als ausgeglichen angesehen, wenn der Gesellschaft ein gleichwertiges Geschäftsfeld zugewiesen wird, solange es entweder durch die bisherige Satzung der Gesellschaft gedeckt ist oder mit einer zulässigen Satzungsänderung einhergeht.205 Bei einschneidenden konzernintegrativen oder strukturändernden Maßnahmen wie etwa der Aufgabe unverzichtbarer betrieblicher Funktionen und dem Rückzug vom Markt, falls sie sich als nachteilig feststellen lassen, ist 198  Eingehend zu den beiden Merkmalen Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Anh. Rn. 11 ff. und 16 ff. 199  Dazu Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, S. 83. 200  KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 57 ff.; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 57. 201  Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 57a; KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 72; Spindler / Stilz / Müller, § 311 Rn. 38; Vetter, ZHR 171 (2007), S. 342, 357 f. 202  KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 73; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Rn. 57a; Hüffer, § 311 Rn. 34; Spindler / Stilz / Müller, § 311 Rn. 38. 203  Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 57a; Spindler / Stilz / Müller, § 311 Rn. 38. 204  MünchKommAktG / Kropff, § 311 Rn. 210; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 57a; zurückhaltend Vetter, ZHR 171 (2007), S. 342, 359. 205  Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 57a und Rn. 65.

228 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

eine Quantifizierung des Nachteils häufig sehr problematisch.206 Grundsätzlich sind nicht quantifizierbare Nachteile nicht ausgleichsfähig und ihre Veranlassung ist damit unzulässig.207 Die h. M. erkennt jedoch die Möglichkeit an, nicht quantifizierbare Nachteile durch nicht quantifizierbare Vorteile auszugleichen.208 Folglich können z. B. die nicht quantifizierbaren Risiken, die durch Aufgabe eines gewinnträchtigen Produktionsprogramms eingegangen werden, durch Zuweisung von gleichartigen und mindestens gleichwertigen Chancen ausglichen werden.209 Außerdem wird es für einen Ausgleich von nicht kalkulierbaren Risiken als genügend angesehen, dass das herrschende Unternehmen sich verpflichtet, die sich später ergebenden Nachteile auszugleichen, solange die Nachteile wenigstens nachträglich konkretisierbar und ausgleichsfähig sind.210 Daraus ergibt sich, dass für nachteilige konzernintegrative Maßnahmen eine breite Palette von Möglichkeiten zum Nachteilsausgleich besteht. Freilich besteht Zweifel an der praktischen Durchführbarkeit der oben genannten Ausgleichsarten. In der Bewertung der Entwicklung von Risiken und Chancen auf dem betroffenen Markt liegen kaum überwindbare Schwierigkeiten.211 Dies verdeutlicht der „Gutachtenkrieg“ im Fall der Mannesmann / Vodafone-Übernahme in Bezug auf die Frage, ob die Vodafone plc nach einer Übernahme der Mannesmann AG zur Weiterveräußerung der von dieser erst kurz davor erworbenen Orange plc veranlassen durfte, ohne dass zuvor ein Beherrschungsvertrag zwischen diesen beiden geschlossen worden wäre.212 Gelingt dem Tochtervorstand ein eindeutiges Bewertungsergebnis beim besten Willen nicht, ist es unzulässig, sich auf eine solche Nachteilszufügung einzulassen.213 206  Habersack,

in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 58. KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 89 und 99; MünchKommAktG / Altmeppen, § 311 Rn. 305; MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 87. 208  Vgl. KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 110 und Rn. 134 ff.; MünchKommAktG / Altmeppen, § 311 Rn. 346; MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 87; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 64; a. A. Lutter, in: FS Peltzer (2001), S. 241, 254. 209  KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 134; MünchKommAktG / Altmeppen, § 311 Rn. 346; im Ergebnis auch Lutter, in: FS Peltzer (2001), S. 241, 254, der die Nachteiligkeit verneint. 210  MünchKommAktG / Altmeppen, § 311 Rn. 346; MünchHdbAG / Krieger, § 69 Rn. 87; im Ergebnis auch Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 66; KKAktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 137. 211  Vgl. Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 311 Rn. 58 (Überforderung der gängigen Bewertungsmethoden); KK-AktG / Koppensteiner, § 311 Rn. 137; Vetter, ZHR 171 (2007), S. 342, 357. 212  Näher Lutter, in: FS Peltzer (2001), S. 241 ff.; auch Vetter, ZHR 171 (2007), S. 342, 356 und 352 mit weiteren Beispielen. 213  Vgl. MünchKommAktG / Altmeppen, § 311 Rn. 221. 207  Vgl.



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cc) Zwischenergebnis Die personelle Verflechtung von Geschäftsführungsorganen der Mutterund Tochtergesellschaft wird in Deutschland überwiegend als ein zulässiges konzernintegratives Mittel angesehen. Das deutsche Aktienrecht kennt keinen institutionalisierten Minderheitenschutz in Form des Verbots von Vorstandsdoppelmandaten im Konzern. Das Potential eines solchen Verbots zur Vereitelung der Konzernsteuerung dürfte das ausschlaggebende Argument sein. Die Interessenkonflikte in der Person der der Konzernmutter nahestehenden Organwalter der abhängigen Gesellschaft sind dem konzernrechtlichen Schutzsystem immanent. Als Konfliktlösung hält das deutsche Recht an den Grundsätzen der Trennung der Pflichtenkreise und uneingeschränkter Doppelpflichtbindung der Doppelmandatsträger fest. Die Loyalitätskonflikte der Doppelmandatsträger im Konzern, die der Sache nach Ausdruck von konfligierenden Konzern- und Gesellschaftsinteressen sind, sind bereits in dem Maße eingedämmt, in dem §§ 311 ff. AktG die nachteilige, aber konzerndienliche Einflussnahme unter der Voraussetzung des Nachteilsausgleichs zulassen. Die Garantiefunktion des Tochtervorstands im System des Einzelausgleichs beruht auf dessen Eigenverantwortlichkeit gegenüber der Muttergesellschaft und wird durch den Abhängigkeitsbericht und deren Überprüfung durch einen neutralen Dritten abgesichert bzw. realisiert. In der pflichtgemäßen Überprüfung der Zulässigkeit der herrschenden Einflussnahme wird bereits ein Präventivschutz gegen eine Beeinträchtigung der Tochtergesellschaft angelegt.214 Insofern ist die Ansicht, die die §§ 311 ff AktG als zu wenig präventiv kritisiert,215 unzutreffend. Sie hat zudem die Präventivwirkung der Organhaftung nicht hinreichend berücksichtigt. Bei der Organhaftung geht es primär um Verhaltenspflichten und erst sekundär um Haftung.216 Zur Beurteilung der Zulässigkeit der konzernintegrativen Maßnahmen sind allein die Nachteiligkeit der Maßnahmen und die Möglichkeit des Nachteilsausgleichs einschließlich des Schadensersatzes maßgeblich. Der Nachteilsbegriff und der Nachteilsausgleich werden diesbezüglich von der Rechtslehre großzügig gehandhabt. Dies zeigt sich insbesondere in der Möglichkeit, unquantifizierbare Nachteile durch ebenfalls unquantifizierbare Vorteile und unkalkulierbare Risiken durch Zusage zum Ausgleich der nachträglichen Nachteile auszugleichen. Im Ergebnis läuft es auf einen großen 214  Vgl. Koppensteiner, in: FS Steindorff (1990), S. 79, 105; Streyl, VorstandsDoppelmandate, S. 156. 215  Z. B. Kalss, ZHR 171(2007), S. 146, 174 ff.; kritisch dazu vgl. den Bericht über die Diskussion auf dem ZHR-Symposion 2007 bei Schürnbrand, ZHR 171 (2007), S. 241, 242. 216  So Hopt, ZHR 171(2007), S. 199, 236.

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faktischen Handlungsspielraum der Konzernmuttergesellschaft zur Konzernintegration hinaus. Die Ermittlung der Nachteiligkeit einer konzernintegrativen Maßnahme und die Durchführbarkeit des Nachteilsausgleichs sind letztlich eine Frage der Bewertung von Auswirkungen dieser Maßnahme und der kompensatorischen Maßnahme. Die dabei auftauchenden Schwierigkeiten sind der Sache nach nichts anderes als die bei der Behandlung von Ermessensentscheidungen des Vorstands einer unabhängigen AG. Um den Schutz des Eigeninteresses der abhängigen Gesellschaft und damit den Außenseiterschutz besser zur Geltung zu bringen, soll man jedoch davon ausgehen dürfen, dass der Tochtervorstand bei Unsicherheiten der Bewertung im Regelfall von dem für die Gesellschaft ungünstigen Ergebnis als Entscheidungsgrundlage ausgehen und den nachteiligen Charakter der fraglichen Maßnahmen annehmen muss. Mit anderen Worten sollen die Bewertungsunsicherheiten zu Lasten des herrschenden Unternehmens gehen und der Ermessensspielraum des Tochtervorstands und auch des herrschenden Unternehmens insofern eingeschränkt werden. e) Zwischenergebnis Das deutsche Aktienrecht hat bereits in einer früheren Zeit auf das Stimmverbot für den Hauptversammlungsbeschluss über Rechtsgeschäfte mit dem interessierten Aktionär als Präventivmaßnahme verzichtet und setzt stattdessen auf eine materielle Angemessenheitskontrolle der herrschenden Einflussnahme. Eine wichtige Funktion des Konzernrechts liegt in der Klarstellung der Voraussetzungen, unter denen das Konzerninteresse auch für das Handeln der abhängigen AG anerkannt wird. Da die Grenzen zwischen zulässigen und unzulässigen Sondereinflüssen des herrschenden Unternehmens rechtlich gezogen sind, ist der Zugriff auf die bewegliche Schranke der Stimmrechtsausübung für die Konzernkonstellationen nur dann sinnvoll, wenn eine Hauptversammlungszuständigkeit besteht. Im GmbH-Recht, in dem eine Privilegierung des Konzerninteresses fehlt, ist das Stimmverbot hingegen ein starkes Instrument zum Schutz des Eigeninteresses der abhängigen Gesellschaft. Im faktischen Konzern bleibt der Tochtervorstand eigenverantwortlicher Geschäftsleiter und darf das Konzerninteresse nur im Rahmen der nach § 311 AktG zulässigen Nachteilszufügung berücksichtigen. Das Einzelausgleichssystem der §§ 311 ff. AktG beruht auf der pflichtgemäßen Prüfung der Zulässigkeit der einzelnen herrschenden Einflussnahme durch den Tochtervorstand anhand des Eigeninteresses der Tochtergesellschaft. Seine Verhandlungsposition gegenüber der Muttergesellschaft wird durch die Verpflichtung zur Erstellung und Prüfung des Abhängigkeitsberichts verstärkt. Die Nachteiligkeit der von der Muttergesellschaft veranlassten Rechtsgeschäfte oder Maßnahmen ist anhand des Drittvergleichs zu ermitteln. Im



I. Deutsches Recht231

Fall der aufsteigenden Darlehen und Sicherheiten steht es fest, dass diese beim ex ante feststellbaren konkreten Ausfallrisiko wegen nicht ausgleichsfähigen Nachteils unzulässig sind. Insofern führen § 311 und § 57 AktG zu demselben Ergebnis. Der Drittvergleich nach § 311 AktG ist aber hinsichtlich der Einbeziehung des konkreten Liquiditätsrisikos strenger als die bilanzielle Betrachtungsweise des § 57 KgG. Die Diskussion über die qualifizierte Nachteilszufügung betrifft die Leistungsgrenze des Einzelausgleichssystems der §§ 311 ff. AktG. Die personelle Verflechtung auf der Ebene des Geschäftsführungsorgans der Mutter- und Tochtergesellschaft ist ein zulässiges Mittel der Konzernintegration. Die Auflösung der Loyalitätskonflikte wird der pflichtgemäßen Amtsführung der Doppelmandatsträger in beiden Gesellschaften unter Beachtung der Wertung der §§ 311 ff. AktG überlassen. Für das zulässige Ausmaß der konzernintegrativen Maßnahmen ist nicht mehr relevant, ob bestimmte wesentliche Unternehmensfunktionen dadurch zentralisiert werden. Die Nachteilsermittlung und der Nachteilsausgleich bei konzernintegrativen Maßnahmen werden vom Schrifttum locker handgehabt. Nach richtigem Verständnis sollen die Bewertungsunsicherheiten diesbezüglich zu Lasten des herrschenden Unternehmens gehen. 3. Offenlegung von RPTs im Bilanz- und Kapitalmarktrecht Die Anforderungen an die Offenlegung von Geschäften mit nahestehenden Unternehmen und Personen wurden in Deutschland in jüngerer Zeit verschärft. In Prospekten sind Geschäfte mit verbundenen Parteien gemäß § 7 WpPG i. V. m. Ziff. 19 der Anlage I der Verordnung (EG) Nr. 809 / 2004 der Kommission vom 29.04.2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003 / 71 EG offenzulegen. Für den Begriff verbundene Parteien ist IAS 24 Ziff. 9 maßgeblich.217 Die konsolidierungspflichtigen und kapitalmarktorientierten Mutterunternehmen haben seit 2005 gemäß § 315a HGB i. V. m. IAS 24 die Geschäften mit nahestehenden Unternehmen und Personen im Konzernabschluss offenzulegen. Im Zuge des BiMoG wird eine solche Angabepflicht allgemein für Kapitalgesellschaften in § 285 Nr. 21 HGB eingeführt. Danach sind im Anhang Angaben zu den wesentlichen und nicht unter marktüblichen Bedingungen zustande gekommen Geschäften des Unternehmens mit nahestehenden Unternehmen und Personen zu machen. Anzugeben sind die Art der Beziehung, der Wert der Geschäfte sowie weitere Informationen, die für die Beurteilung der Finanzlage notwendig sind. Mittelgroße AGs (§ 267 Abs. 2 AktG) dürfen die Angabe auf diejenigen Geschäfte reduzieren, die direkt oder indirekt mit dem Hauptgesellschafter oder Mitgliedern der Ver217  Holzborn / d’Arcy / Kahler,

WpPG, Mindestangaben Anh. I EU-ProspV Rn. 84.

232 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

waltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane abgeschlossen wurden (§ 288 Abs. 2 Satz 4 HGB). Die sonstigen mittelgroßen Kapitalgesellschaften und kleine Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 1 HGB) sind von der Angabepflicht befreit (§ 288 Abs. 2 Satz 4, Abs. 1 HGB). Die Vorschrift des § 285 Nr. 21 HGB dient der Umsetzung des Art. 43 Nr. 7b der 4. Richtlinie in der Fassung der Abänderungsrichtlinie (Richtlinie 2006 / 46 / EG). Die neue Angabepflicht sowie die zugrundeliegende Vorgabe in der Abänderungsrichtlinie bezwecken einerseits eine Annäherung der handelsrechtlichen Offenlegungspflichten an die IAS und andererseits einer Erhöhung der Transparenz in Bezug auf die Beziehungen zu nahestehenden Unternehmen und Personen.218 Der Begriff „Geschäfte“ erfasst alle Transaktionen rechtlicher oder wirtschaftlicher Art, die sich auf die Finanzlage eines Unternehmens auswirken können, z. B. die Nutzungsüberlassung von Vermögensgegenständen, Finanzierungen, die Gewährung von Bürgschaften oder anderen Sicherheiten oder Investitionen.219 Bei der Auslegung des Begriffs „nahestehende Unternehmen und Personen“ sind ausweislich der Gesetzesbegründung die Vorgabe in IAS 24 als Interpretationsgrundlage heranzuziehen.220 Während IAS 24 die Angabe von sämtlichen Geschäften mit nahestehenden Personen oder Unternehmen verlangt, erstreckt sich die Angabepflicht des § 285 Nr. 21 HGB nur auf die wesentlichen und nicht zu marküblichen Bedingungen zustande gekommenen Geschäfte. Die Frage über die Marktüblichkeit ist anhand eines Drittvergleichs zu beantworten, und die Wesentlichkeit ist dann zu bejahen, wenn die Geschäfte für die Beurteilung der Finanzlage des Unternehmens erforderlich sind.221 Die Kapitalgesellschaft hat ein Wahlrecht, freiwillig alle Transaktionen mit nahestehenden Unternehmen und Personen anzugeben. In diesem Fall ist eine Untergliederung in zu marktüblichen und zu marktunüblichen Bedingungen zustande gekommenen Geschäften nicht erforderlich.222 Dadurch kann die Kapitalgesellschaft die steuerliche Brisanz der Anhangangabe abmildern.223 Die Angabepflicht hinsichtlich des Wertes des Geschäftes fordert die Angabe des vereinbarten Gesamtentgelts für das Geschäft. Die Angabe, inwieweit es vom Marktwert abweicht, ist nicht erforderlich.224 218  BegrRgE, BT-Drucks. 16 / 10067, S. 72; Erwägungsgrund 6, Richtlinie 2006 /  46 / EG. 219  BegrRgE, BT-Drucks. 16 / 10067, S. 72. 220  BegrRgE, BT-Drucks. 16 / 10067, S. 72; KK-Rechnungslegungsrecht / Peters, § 285 Rn. 232. 221  BegrRgE, BT-Drucks. 16 / 10067, S. 72; Hopt / Merkt / Merkt, BilanzR, § 285 Rn. 20; KK-Rechnungslegungsrecht / Peters, § 285 Rn. 230 und 231. 222  BegrRgE, BT-Drucks. 16 / 10067, S. 72. 223  KK-Rechnungslegungsrecht / Peters, § 285 Rn. 242. 224  KK-Rechnungslegungsrecht / Peters, § 285 Rn. 240.



II. Chinesisches Recht233

Bei der kapitalmarkt- und bilanzrechtlichen Offenlegung von Geschäften mit nahestehenden Unternehmen und Personen steht die Verbesserung der Information der Marktteilnehmer diesbezüglich im Vordergrund. Vergleicht man die inhaltlichen Anforderungen an die Angabepflicht in § 285 Nr. 21 HGB und an den Abhängigkeitsbericht in § 312 AktG, dann liegt es auf der Hand, dass die bilanzrechtliche Publizitätspflicht die Angaben zur Angemessenheit der einzelnen Geschäften gerade nicht verlangt. Daraus folgt, dass die Verschärfung des kapitalmarkt- und bilanzrechtlichen Offenlegungserfordernisses nichts daran ändert, dass das deutsche Recht hinsichtlich der Geschäfte mit dem herrschenden Unternehmen weiterhin primär auf einer Binnenkontrolle durch die Gesellschaftsorgane und den Abschlussprüfer setzt.

II. Chinesisches Recht Im KgG werden die Geschäfte der Gesellschaft mit Aktionären nur punktuell geregelt. Neben der haftungsrechtlichen Vorschrift zum Verbot der schädlichen RPTs in § 21 KgG225 werden die präventiven Regelungen nur für eine typische Form der Vermögenszuwendung an Aktionäre, nämlich Sicherheitenbestellungen für Aktionäre, getroffen (§ 16 Abs. 2 und 3 KgG). In diesem Fall wird ein Hauptversammlungsbeschluss als zwingend vorgesehen, verbunden mit dem Ausschluss des Stimmrechts des befangenen Aktionärs.226 Für börsennotierte AGs hat die chinesische Börsenaufsichtsbehörde, CSRC, und Shanghai Stock Exchange (SHSE) und Shenzhen Stock Exchange (SZSE) zahlreiche Regelungen zum gesellschaftsinternen Entscheidungsverfahren für Geschäfte mit einer related party und zu deren Offenlegung aufgestellt. Zudem hat die CSRC über die gesetzliche Vorschrift hinaus ein allgemeines Stimmverbot der befangenen Aktionäre festgelegt. Die vielfältigen Vermögenstransfers zwischen börsennotierten AGs und ihren Mutter- bzw. Schwestergesellschaften, die in anderer Form als Sicherheitenbestellung stattfinden, werden unter dem Schlagwort „Finanzmittelaneignung durch den Großaktionär“ (大股东占款) zusammengefasst und bilden den Gegenstand einer umfassenden und tiefgreifenden Regulierung durch die CSRC. Dabei besteht insbesondere ein Spannungsverhältnis zwischen der CSRC-Regulierung und dem zentralen Cash-Management in (staatlichen) Unternehmensgruppen. Nach einer Darstellung von Entscheidungs- und Offenlegungsregeln von RPTs (1) wird die Regulierung der „Finanzmittelaneignung“ erörtert (2) und im Anschluss dazu auf die regulatorischen Schranken für die Führung der börsennotierten Tochtergesellschaften eingegangen (3). 225  Dazu 226  Dazu

aa).

siehe oben § 4 II. 2. d). siehe oben § 4 II. 2. b) und eingehend zur Rechtsfolge in § 4 II. 3. b)

234 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

1. Entscheidungs- und Offenlegungsregeln der RPTs a) Entscheidungsregeln Für die Aufstellung gesellschaftsinterner Entscheidungsregeln für RPTs ist § 110 der Satzungsanleitung (2006) der CSRC die maßgebliche Norm. Danach soll der Vorstand der börsennotierten AG die Zuständigkeitsregeln für Investition, Erwerb und Veräußerung von Vermögensgegenständen, Belastung des Gesellschaftsvermögens, Sicherheitenbestellung und RPTs festlegen und ein strenges Prüfungs- und Entscheidungsverfahren errichten. In der Anmerkung dazu wird der Vorstand aufgefordert, in der Satzung festzulegen, welches Organ für die Entscheidung von welchem Ausmaß zuständig ist. Inzwischen haben viele börsennotierte AGs bereits eigene Entscheidungsregeln für RPTs und Regeln zur Kontrolle der Geldtransfers (fund transfer) zwischen der Gesellschaft und verbundenen Unternehmen bekannt gegeben. Solche Regeln sind zwar in formaler Hinsicht kein Bestandteil der Satzung, aber nach dem Entstehungsgrund und dem Verabschiedungsverfahren satzungsgleiche Regeln. Inhaltlich sind sie meistens eine Zusammenfassung von den einschlägigen CSRC-Regelungen und Listing Rules (im Folgenden abgekürzt als LR) der jeweiligen Börsen bzw. Segmente,227 in denen die Gesellschaften notiert sind. Nur dort, wo es überhaupt keine Regulierung der CSRC und der Börsen gibt, bleibt Raum für eine individuelle Gestaltung. aa) Entscheidungsträger, Verfahrensablauf und Stimmverbot Welches Organ für die Zustimmung des RPTs zuständig ist, hängt von dem Volumen und der Art des Geschäfts ab. Der Grenzwert für die Zustimmung der Hauptversammlung liegt bei 30 Mio. RMB und zudem 5 % des Nettovermögens (LR 10.2.5). Dafür werden die Geschäfte mit derselben related party und gleichartige Geschäfte mit verschiedenen related parties in aufeinander folgend 12 Monaten zusammengerechnet, wobei die Geschäfte, die bereits von einem Zustimmungsbeschluss erfasst worden sind, nicht einbezogen werden. Als dieselbe related party gelten auch andere Unternehmen, die von derselben Person oder demselben Unternehmen kontrolliert werden, mit denen eine überkreuzende Beteiligung besteht, oder bei denen dieselbe related natural person228 als Vorstandsmitglied oder leitender Manager tätig ist (LR 10.2.11). Die Sicherheitenbestellung für related 227  Listings Rules des Hauptsegments von SHSE und SZHE sind inhaltlich gleich. Die folgenden Ausführungen beruhen auf die Regeln der SHSE. 228  Dazu gleich unten II. 1. b) bb).



II. Chinesisches Recht235

parties bedarf ungeachtet deren Wert der Zustimmung des Vorstands und der Hauptversammlung; dies gilt auch für Sicherheitenbestellungen für Aktionäre, die weniger als 5 % der Anteile besitzen, die also keine related party i. S. d. Listing Rules sind (vgl. LR 10.2.6.). Für andere Geschäfte als Sicherheitenbestellungen, die den oben genannten Grenzwert nicht erreichen, hat die Satzung einen Gestaltungsspielraum hinsichtlich des Zustimmungsorgans. Die Satzungsbestimmungen knüpfen meistens an dem Grenzwert für die offenlegungspflichtigen RPTs in Listing Rules an und legen die Zuständigkeit des Vorstands für die Zustimmung von Geschäften mit einer related natural person fest, die nach der oben genannten Berechnungsregel 300.000,– RMB übersteigen, und für die Zustimmung des einzelnen Geschäfts mit einer related legal person,229 deren Volumen drei Mio. RMB und 0,5 % des absoluten Wertes des Nettovermögens übertrifft. Unterhalb dieser Grenzwerte werden häufig der Geschäftsführer230 oder der Vorstandsvorsitzende231 als Zustimmungsorgan festgelegt.232 Teilweise wird zusätzlich eine Zustimmung durch die sog. Geschäftsführersitzung (总经理办公会) verlangt.233 Dabei handelt es sich um ein gesetzlich unbekanntes, aber in der Satzungsanleitung der CSRC aufgefordertes Gremium,234 in dem der Geschäftsführer, die Vizegeschäftsführer und in der Regel auch der Finanzdirektor über wichtige Fragen der Geschäftsführung beraten.235 229  Dazu

gleich unten II. 1. b) bb). z. B. § 19 „环旭电子股份有限公司关联交易决策制度“ [Entscheidungsregeln der HUAN XUN Electronics Co. Ltd. für RPTs]; § 27 „北京东方国信科技 股份有限公司关联交易决策制度“ [Entscheidungsregeln der Peking DONGFANG GUOXIN Technologies Co. Ltd. für RPTs]; Ziffer 9.3 „贵州茅台酒股份有限公司 关联交易决策制度“ [Entscheidungsregeln der Guizhou MAOTAI Co. Ltd. für RPTs]. 231  Vgl. z.  B. § 20 „深圳市汇川技术股份有限公司关联交易决策制度“ [Entscheidungsregeln der Shenzhen HUICHUAN Technologies Co. Ltd. für RPTs]; § 16“ 潍柴动力股份有限公司关联交易决策制度“ [Entscheidungsregeln der WEICAI Power Co. Ltd. für RPTs]. 232  Keine Bestimmung z. B. bei „日照港股份有限公司关联交易决策制度“ [Entscheidungsregeln der RIZHAO Habor Co. Ltd. RPTs]. 233  Vgl. z. B. Ziff. 9.3 „贵州茅台酒股份有限公司关联交易决策制度“ [Entscheidungsregeln der Guizhou MAOTAI Co. Ltd. für RPTs]; § 16“ 潍柴动力股份有限公 司关联交易决策制度“ [Entscheidungsregeln der WEICAI Power Co. Ltd. für RPTs]. 234  Nach § 129 Satzungsanleitung (2006) muss der Geschäftsführer eine Geschäftsordnung erlassen, die von dem Vorstand zu genehmigen ist. In der Geschäftsordnung sind die Voraussetzungen zur Einberufung von Geschäftsführersitzungen, das Verfahren und die Teilnahmer zu bestimmen (§ 130 Nr. 1). 235  Vgl. z. B. „北京世纪瑞尔技术股份有限公司总经理工作细则“ [Arbeitsregeln des Geschäftsführers der Peking Century Real Technologies Co. Ltd.]; „成都鹏博士 230  Vgl.

236 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

Die sog. significant RPTs (重大关联交易) bedürfen der Einwilligung der unabhängigen Vorstandsmitglieder als Voraussetzung der Beratung in Vorstandssitzungen. Das ist dann der Fall, wenn ein Geschäft mit einer related party das Volumen von drei Mio. RMB oder 5 % des Nettovermögens der Gesellschaft übertrifft.236 Zur Vorbereitung der Beratung im Vorstand verlangt die SHSE in § 15 Anleitung zu RPTs237 zusätzlich, dass der Prüfungsausschuss oder der RPT-Kontrollausschluss (关联交易控制委员会) die beabsichtigten RPTs überprüfen, dann dem Vorstand einen schriftlichen Bericht zur Beratung einreichen und zugleich dem Aufsichtsrat überreichen. Sie dürfen dabei Gutachten von unabhängigen Finanzexperten einholen genauso wie die unabhängigen Vorstandsmitglieder. Ferner ist vorgesehen, dass der Aufsichtsrat die RPTs auf ihre Beratung, Abstimmung, Offenlegung und Durchführung zu überwachen hat und im Jahresbericht dazu eine Stellungnahme abzugeben hat (§ 28 SHSE-Anleitung zu RPTs). Dadurch wird die Anforderung in § 39 der Offenlegungsstandards Nr. 2 (Jahresbericht) der CSRC konkretisiert, wonach der Aufsichtsrat im Jahresbericht zu der Frage, ob die RPTs fair waren, ob das Geschäftsinteresse beeinträchtigt wurde, eine Stellungnahme abgeben muss. Die SHSE gibt noch eine Empfehlung zur Errichtung eines RPT-Kontrollausschlusses (§ 29 SHSE-Anleitung zu RPTs). Ein solcher Ausschuss soll mindestens aus drei Vorstandsmitgliedern bestehen, wobei die unabhängigen Mitglieder die Mehrheit ausmachen sollen und einer von diesen Finanzexperte sein soll. Zudem soll der Vorsitzende ein unabhängiges Mitglied sein. Schließlich dürfen seine Mitglieder – abgesehen von unabhängigen Mitgliedern – weder vom herrschenden Aktionär nominiert noch empfohlen werden und zudem dürfen Angestellte des herrschenden Aktionärs nicht als Mitglieder in diesem Ausschuss tätig sein. Neben dem umfassenden Stimmverbot der befangenen Vorstandsmitglieder238 sieht das KgG das Stimmverbot der befangenen Aktionäre nur für den Fall der Sicherheitenbestellung vor (vgl. § 16 Abs. 3). Demgegenüber hat die CSRC schon früh in ihren Regelungen ein umfassendes Stimmverbot für Aktionäre ausgesprochen und hält trotz der restriktiven Haltung des KgG an 电信传媒集团股份有限公司总经理工作细则“ [Arbeitsregeln des Geschäftsführers der Chengdu Dr. PENG Telecom and Media Group Corporation]; „上海金仕达卫宁 软件股份有限公司总经理工作细则“ [Arbeitsregeln des Geschäftsführers der Shanghai KINGSTAR WINNING Software Co. Ltd.]; „北京巴士传媒股份有限公 司总经理工作细则“ [Arbeitsregeln des Geschäftsführers der Peking Bus Media Co. Ltd.]. 236  5. Abschnitt Ziffer 1 Anleitung zu unabhängigen Vorstandsmitgliedern (2001); § 15 Anleitung der SHSE zur Durchführung der Listing Rules (2011). 237  上海证券交易所 [SHSE], 《上海证券交易所上市公司关联交易实施指引》 [Anleitung zur Durchführung der RPTs für die in der SHSE notierten AGs] (2011). 238  § 124 KgG, dazu siehe oben § 4 II. 2. e).



II. Chinesisches Recht237

ihrem Standpunkt fest.239 Bei der Beschlussfassung über ein RPT sollen die von dem Beschlussgegenstand betroffenen Aktionäre nicht an der Abstimmung teilnehmen und ihre Aktien sollen bei der Berechnung von stimmberechtigten Anteilen nicht berücksichtigt werden. Eine gleichlautende Vorschrift ist auch in § 79 Satzungsanleitung (2006) enthalten. In der Anmerkung hierzu fordert die CSRC die börsennotierten AGs auf, in ihren Satzungen eigne Regelungen über den Stimmrechtsausschluss der befangenen Aktionäre und das Abstimmungsverfahren zu treffen. Ferner findet sich eine Konkretisierung des Stimmverbots der befangenen Aktionäre im Kapitel 10 der Listing Rules. Ein Aktionär wird dort als befangen angesehen, wenn er entweder selber der Geschäftspartner ist oder den Geschäftspartner kontrolliert bzw. von diesem kontrolliert wird, wenn er und der Geschäftspartner von derselben Person oder demselben Unternehmen kontrolliert werden, oder wenn sein Stimmrecht aufgrund eines zwischen ihm und dem Geschäftspartner bzw. einer related party von diesem abgeschlossenen, noch nicht vollständig erfüllten Vertrag zur Übertragung des Stimmrechts oder einer ähnlichen Vereinbarung beschränkt oder beeinflusst wird (LR 10.2.2.). Im Schrifttum wird eine Einführung des Stimmverbots ins Gesetz als wirkungsvolles Instrument des Minderheitenschutzes vielfach empfohlen,240 begründet mit der begrenzten Wirkung des ex post-Rechtsschutzes durch die Aktionärsklage und der damit notwendigen Ergänzung durch das ex ante wirkende Stimmverbot.241 An den Stimmrechtsregeln der CSRC wird vereinzelt bemängelt, dass diese nur einen niedrigen Rang hätten und nur auf RPTs beschränkt seien.242 Abgesehen von einem Vorschlag in der Dissertation des Prof. LIU, Junhai aus dem Jahr 1997,243 der bis heute noch häufig zitiert ist,244 wird kaum über die konkrete Gestaltung eines Stimmverbots diskutiert.

239  Vgl. § 34证监会 [CSRC], 《上市公司股东大会规范意见》 [Ansichten zur Standardisierung der Hauptversammlung der börsennotierten AGs] (18.05.2000); § 30证监会 [CSRC], 《上市公司股东大会规则》 [Standards der Hauptversammlung der börsennotierten AGs] (16.03.2006). 240  Vgl. 甘培忠 [GAN, Peizhong], 《公司控制权》 [Kontrollrecht], S. 235; 郭 峰主编 [GUO, Feng](Hrsg.), 《资本市场》 [Kapitalmarkt], S. 235. 241  甘培忠 [GAN, Peizhong], 《公司控制权》 [Kontrollrecht], S. 235 f. 242  郭峰主编 [GUO, Feng](Hrsg.), 《资本市场》 [Kapitalmarkt], S. 149. 243  刘俊海 [LIU, Junhai], 《股东保护》 [Aktionärsschutz], S. 171, der hat vorgeschlagen, die Generalklausel in § 259 Nr. 5 des japanischen Handelsgesetzes in der Fassung bis 1981 und in § 253 Nr. 3 des deutschen HGB in der Fassung bis 1937 und den Katalog von konkreten Fällen des Stimmverbots in Art. 34 Vorschlag einer fünften Richtlinie über die Struktur der Aktiengesellschaft vom 09.10.1972 zu kombinieren. 244  Vgl. z. B. 郭峰主编 [GUO, Feng](Hrsg.), 《资本市场》 [Kapitalmarkt], S. 147.

238 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

bb) Sonderregelungen für day-to-day-RPTs Für die wiederkehrenden Geschäfte (sog. day-to-day related party transactions)245 gelten gewisse Erleichterungen hinsichtlich ihrer Bekanntmachung und Zustimmung. Die Gesellschaft darf mit einer related party eine Vereinbarung für day-to-day-RPTs für drei Jahre abschließen.246 Die Vereinbarung muss schriftlich erfolgen und mindestens die Leitlinie, Grundlage der Preiskalkulation, den Preis, den gesamten Umfang der Transaktionen bzw. die Methode zur Festlegung des gesamten Umfangs sowie die Zeit und Art der Zahlung enthalten (LR 10.2.13). Das Beschlussorgan (Vorstand oder Hauptversammlung) bestimmt sich nach dem Gesamtwert der beabsichtigten Geschäfte. Wird der Gesamtwert nicht festgelegt, muss die Vereinbarung von der Hauptversammlung beschlossen werden (Vgl. LR 10.2.12 Nr. 1 und 2). Eine Alternative ist eine pauschale Einwilligung in die day-today-RPTs, die im kommenden Geschäftsjahr stattfinden werden, die je nach dem veranschlagten Gesamtwert vom Vorstand oder der Hauptversammlung vor der Bekanntmachung des Jahresabschlusses des vergangenen Jahres erteilt wird und anschließend bekanntgemacht wird. Bei der Durchführung der Geschäfte ist eine erneute Zustimmung und Bekanntmachung nur dann erforderlich, wenn diese über den bewilligten und bekanntgemachten Umfang hinausgeht (LR 10.2.12 Nr. 3). cc) Überprüfungsmaßstäbe Was die inhaltlichen Angemessenheitsmaßstäbe betrifft, hat § 13 Satz 2 CGK das Prinzip der Wirtschaftlichkeit (商业原则) festgelegt. Danach soll der Preis grundsätzlich nicht von dem Angebot eines unabhängigen dritten Marktteilnehmers abweichen. In ihrer Anleitung zu RPTs (2011) hat die SHSE der Preisbestimmung von RPTs ein Kapitel gewidmet. Als Orientierung für eine angemessene Preisbestimmung werden in § 31 SHSE-Anleitung zu RPTs die Maßstäbe im Hinblick auf ihre Vorrangigkeit in folgender Reihenfolge genannt: der amtlich gesetzte Preis (政府定价); der amtlich empfohlene Preis (政府指导价); der Marktpreis eines unabhängigen Dritten (独立第三方的市 场价格), falls vorhanden; der Preis des Geschäfts zwischen der related party und einem von ihr unabhängigen Dritten (关联方与独立于关联方的第三方 245  LR 10.2.12 i.  V. m. 10.1.1. Nr. 2–7: Erwerb von Rohstoff, Brennstoff und Energie, Vertrieb von Produkten, Anbieten oder Entgegennahme von Dienstleistung, Kommissionsgeschäfte, Geldeinzahlung oder Kreditaufnahme bei einer Finanzgesellschaft der related party, gemeinsame Investitionen mit einer related party. 246  Vgl. den Umkerschluss aus LR 10.2.14, wonach jede drei Jahre die Vereinbarung über day-to-day-RPTs entsprechend den Listing Rules erneut zu beraten und offenzulegen ist.



II. Chinesisches Recht

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发生非关联交易价格), falls ein Marktpreis nicht vorhanden ist; dann die ­angemessenen Kosten mit einem Zuschlag für einen angemessenen Gewinn (合理成本费用加合理利润). In § 32 SHSE-Anleitung zu RPTs ­werden fünf mögliche Methoden zur Preisbestimmung aufgelistet, wobei keine Gewichtung aus dem Wortlaut ersichtlich ist: die Kostenaufschlagsmethode (成本加 成法, the cost plus method); die Wiederverkaufspreismethode (再销售价格 法, the resale price method); die Preisvergleichsmethode mit vergleichbaren unkontrollierten Preisen (可比非受控价格法, the comparable uncontrolled price method); die geschäftsfallbezogene Nettogewinnmethode (交易净利润 法, the transactional net margin method) und die Gewinnaufteilungsmethode (利润分割法, the profit split method). Die hier genannten fünf Methoden sind inhaltlich den „angemessenen Methoden“ i. S. d. § 41 des Unternehmenseinkommenssteuergesetz vom 16.03.2007 (folgend UEStG) gleich, nach denen die Steuerbehörde die steuerpflichtigen Einkommen korrigieren kann, wenn die RPTs nicht mit dem „Prinzip des unabhängigen Geschäftsverkehrs“ (独立 交易原则, the arm’s-length principle) vereinbar sind. Darunter ist nach § 110 der Verordnung zur Ausführung des UEStG des Staatsrats vom 28.11.2007 zu verstehen, dass die nicht miteinander verbundenen Parteien nach den fair ­aus­gehandelten Preisen (公平成交价格) und üblichen Geschäftsbetriebsregeln (营业常规) die Geschäfte abschließen. Die Ausführungen zu den oben genannten fünf Methoden finden sich in § 111 dieser Verordnung. Der einzige Unterschied zu Listing Rules liegt darin, dass hier die Preisvergleichsmethode mit vergleichbaren unkontrollierten Preisen auf dem ersten Platz und die Kostenaufschlagsmethode auf dem dritten Platz stehen. Dieses deutet auf eine verstärkte Marktorientierung hin. Über die Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung hinaus verlangt die SHSE von Vorstandmitgliedern der im Segment der mittleren und kleinen Unternehmen notierten AGs,247 dass diese bei der Überprüfung von RPTs noch die Notwendigkeit, die wahre Absicht und die Auswirkung auf die Finanzlage und künftige Entwicklung der Gesellschaft prüfen und eine eindeutige Bewertung dazu abgeben. b) Offenlegungsregeln Offenlegung von RPTs unterscheidet zwischen bilanzrechtlicher und kapitalmarktrechtlicher Offenlegung. Für die erstere maßgeblich sind Rechnungslegungsstandards Nr. 36 (im Folgend abgekürzt als RS Nr. 36).248 Bei 247  § 10 深圳证券交易所 [SZSE], 《中小企业板块上市公司董事行为指引》 [Verhaltensanleitung der Vorstandsmitglieder der im Segment der mittleren und kleinen Unternehmen notierten AGs] (2005). 248  财政部 [Finanzministerium], 《企业会计准则第36号——关联方披露》 [Standards der Rechnungslegung von Unternehmen Nr. 36 – Offenlegung von related parties] (erlassen 1997, zuletzt revidiert 2006).

240 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

der letzteren kann man zwischen Offenlegung im Jahresbericht und Ad hoc-Mitteilung unterscheiden, die jeweils in Offenlegungsstandards zum Jahresbericht der CSRC und in Listing Rules detailliert geregelt sind. Besonders wichtig ist die Definition von related party und RPT in den jeweiligen Regelwerken, von der auch der Anwendungsbereich der oben ausgeführten Entscheidungsregeln abhängt. Eine Legaldefinition zu related relationship findet sich zwar in § 216 Nr. 4 KgG, aber diese dient der Konkretisierung der Haftungsnorm des Verbots von schädlichen RPTs in § 21 KgG und wird daher so weit ausgelegt, dass alle möglichen Interessenkonflikte darunter fallen.249 Die derartig weit definierten Begriffe related party und RPT sind damit untauglich für die präventiv angelegten Entscheidungs- und Offenlegungsregeln. aa) Bilanzrechtliche Offenlegung von RPTs Der Begriff related party wurde erstmalig in RS Nr. 36 verwendet. Zwei Unternehmen sind nach § 3 related, wenn das eine allein oder mit anderen Investoren das andere kontrolliert oder auf dieses bedeutenden Einfluss nimmt, oder wenn die beiden von demselben Unternehmen allein oder mit anderen Investoren kontrolliert oder bedeutend beeinflusst werden. Wer die Finanz- und Geschäftsentscheidungen eines Unternehmens bestimmen und aufgrund dessen Gewinne ziehen kann, hat die Kontrolle (控制). Wer die Finanz- und Geschäftspolitik eines Unternehmens mitentscheiden kann, ohne die Bestimmung dieser Politik kontrollieren zu können, hat bedeutenden Einfluss (重大影响). Die nach dieser Definition in Betracht kommenden related parties sind in § 4 RS Nr. 36 aufgelistet. Related parties eines Unternehmens sind sowohl seine Mutter- und Tochtergesellschaften als auch die anderen Unternehmen, die von derselben Muttergesellschaft kontrolliert sind, sowie die Investoren, die gemeinsam ein Unternehmen kontrollieren oder auf dieses bedeutenden Einfluss ausüben (§ 4 Nr. 1–5 RS Nr. 36). Zu related parties gehören auch die individuellen Investoren, die allein oder gemeinsam ein Unternehmen kontrollieren oder bedeutenden Einfluss ausüben, ihre nahen Familienangehörigen, das Führungspersonal des Unternehmens und dessen Muttergesellschaft sowie die nahen Angehörigen von dieser, und andere Unternehmen, die von den oben genannten individuellen Investoren, Führungspersonal sowie ihren nahen Angehörigen kontrolliert oder bedeutend beeinflusst werden (§ 4 Nr. 8–10 RS Nr. 36). § 5 RS Nr. 36 enthält eine Ausnahmebestimmung. Keine related parties sind danach Kapitalgeber, Behörden und öffentliche Institutionen, die mit dem Unternehmen nur in gewöhnlichem Verkehr ohne sonstige Verbindungsbeziehungen ste249  Dazu

siehe oben § 4 II. 2. d).



II. Chinesisches Recht

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hen, und einzelne Käufer, Lieferanten oder Agenten, zwischen denen mit dem Unternehmen nur wegen Geschäften in großem Umfang wirtschaftliche Abhängigkeiten bestehen, sowie die Unternehmen, die mit einem anderen Unternehmen gemeinsam ein Gemeinschaftsunternehmen kontrollieren. RPTs erfassen alle Geschäfte zwischen related parties, die einen Transfer von Finanzmitteln, Dienstleistungen oder Pflichten herbeiführen, unabhängig davon, ob sie entgeltlich sind oder nicht (§ 7 RS Nr. 36). Von den Unternehmen wird gefordert, im Anhang des Jahresfinanzberichts die Namen der Mutter- und Tochtergesellschaft sowie des letzten herrschenden Unternehmens, dessen Geschäftsbereiche, Registrierungsort und eingetragenes Kapital, den Anteil und das Stimmrecht der Muttergesellschaft in Bezug auf das Unternehmen und des Unternehmens in Bezug auf seine Tochtergesellschaften anzugeben (§ 9 RS Nr. 36). Haben RPTs stattgefunden, sind der Geschäftsgegenstand und -umfang, der Umfang und die Bedingungen der Stundung von Gegenleistungen sowie die Auskunft über die entsprechenden Sicherheiten, die Rücklage für die gestundete Gegenleistung und die Leitlinie der Preisfestsetzung im Anhang anzugeben (§ 10 RS Nr. 36). In RS Nr. 36 fehlt eine klare Definition der beiden Kernbegriffe „Kontrolle“ und „bedeutende Einflüsse“. Nach einer Lehrmeinung soll man bedeutende Einflüsse in der Regel annehmen, wenn eine Partei 20 % bis 50 % der stimmberechtigten Anteile der anderen Partei hat, oder wenn eine Partei Repräsentanten im Vorstand oder einem ähnlichen Leitungsorgan der anderen hat, beide Parteien ähnliches Führungspersonal haben, oder eine Partei im Hinblick auf die betriebsnotwendigen Techniken oder das sonstige Knowhow auf die andere angewiesen ist.250 Da die „Kontrolle“ mehr als „bedeutende Einflüsse“ sein muss, wie der Wortlaut des § 3 RS Nr. 36 ergibt, darf man darunter die absolute Stimmenmehrheit (über 50 %) verstehen. bb) Offenlegung im Jahresbericht Ähnlich wie RS Nr. 36 definiert CSRC in § 71 Abs. 3 Publizität-Anordnung (2007) RPTs als Geschäfte der börsennotierten AG oder einer ihrer Tochtergesellschaften mit einer related party, die zum Transfer von Ressourcen und Pflichten (转移资源或者义务) führen. Related parties erfassen zwei Personengruppen: related legal persons (关联法人) und related natural persons (关联自然人). Zu den ersteren gehören sowohl das Unternehmen, das eine börsennotierte AG unmittelbar oder mittelbar kontrolliert als auch die von diesem unmittelbar oder mittelbar kontrollierten anderen Unternehmen, sowie die Unternehmen, die 5 % der Anteile dieser börsennotier250  邓峰 [DENG, Feng], 《普通公司法》 [Das KapGesR des Common Law], S. 152 und 159.

242 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

ten AG hat (§ 71 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1, 2 und 4). Related natural persons einer börsennotierten AG sind die Personen, die 5 % ihrer Anteile haben, Vorstands-, Aufsichtsratsmitglieder und leitenden Manager dieser AG und die des sie kontrollierenden Unternehmens (§ 71 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1–3). In Bezug auf die ersten zwei Personengruppen sind (1) deren Ehepartner, erwachsene Kinder, Eltern, Schwiegereltern und Geschwister, (2) die Ehepartner und Schwiegereltern deren Kinder, (3) die Ehepartner der Geschwister, (4) Geschwister deren Ehepartner auch related natural persons (§ 71 Abs. 3 Satz 4 Nr. 4). Zu related legal persons gehören ferner die Unternehmen, die von oben genannten related natural persons unmittelbar oder mittelbar kontrolliert werden, oder in denen related natural persons Vorstandsmitglieder oder leitende Manager sind (§ 71 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3). Wenn die oben genannten Umstände in der vergangenen 12 Monaten vorhanden waren oder nach Vereinbarungen in den künftigen 12 Monaten eintreten werden, gelten die Betroffenen als related party (§ 71 Abs. 3 Satz 3 Nr. 5 und Satz 4 Nr. 5). Die Auflistungen sind nicht abschließend. Vielmehr können die CSRC, die Börsen und die börsennotierten AGs selber weitere Personen und Unternehmen nach dem Prinzip des sog. „substance over form“ (实质重于形式的原 则) als related feststellen, wenn zwischen ihnen und einer börsennotierten AG Sonderbeziehungen bestehen, aufgrund deren diese AG sie besonders günstig behandelt (§ 71 Abs. 3 Satz 3 Nr. 6 und Satz 4 Nr. 6). Die Offenlegung von RPTs im Jahresbericht wird für die im Hauptsegment der SHSE und SZSE und im Growth Enterprise Market (GEM) der SZSE notierten AGs jeweils in Offenlegungsstandards Nr. 2 (Jahresbericht) und Offenlegungsstandards Nr. 30 (Jahresbericht) detailliert geregelt. Offenlegungspflichtig sind die sogenannten significant RPTs. Für die im Hauptsegment notierten AGs ist dies der Fall, wenn die Geschäfte mit einer related party innerhalb des Berichtsjahres insgesamt 30 Mio. RMB erreichen und zudem 5 % des in der jüngsten Abschlussprüfung festgestellten Nettovermögens betragen (§ 45 Abs. 1 Offenlegungsstandards Nr. 2). Der Grenzwert liegt für die im GEM notierten AGs bei 10 Mio. RMB und 5 % des Nettovermögens (§ 35 Abs. 1 Offenlegungsstandards Nr. 30). Die Offen­ legung ist nach folgende Arten zu gliedern: (1) tagesgeschäftsbezogene RPTs (day-to-day-transactions), (2) RPTs in Form von Vermögenserwerbund -veräußerung (asset deal), (3) RPTs in Form von gemeinsamen Investitionen (joint venture), (4) Guthaben und Schulden (credits and liabilities) sowie Sicherheitenbestellung zwischen related parties und (5) sonstige signifikante RPTs. Bei tagesgeschäftsbezogenen RPTs sind die Geschäftspartner, der Inhalt, die Leitlinie zur Preisfestlegung, der Stückpreis, die gesamte Summe, das Verhältnis zu den gesamten gleichartigen Geschäften und die Art und Weise der Zahlung anzugeben. Darüber hinaus sind noch die Notwendigkeit, Kontinuität der Geschäfte, die Gründe, warum ein related party



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und nicht ein anderer Marktteilnehmer als Geschäftspartner ausgewählt worden ist, die Auswirkungen der Geschäfte auf die Unabhängigkeit der Gesellschaft und der Grad der Abhängigkeit der Gesellschaft von der related party zu erläutern (§ 45 Abs. 2 Offenlegungsstandards Nr. 2; § 35 Abs. 2 Offenlegungsstandards Nr. 30). cc) Ad hoc-Mitteilung nach Listing Rules Die Ad hoc-Mitteilung von RPTs wird im Kapitel 10 Listing Rules geregelt. Die dortigen Definitionen von RPTs und related party sind wortgleich wie die in Publizitäts-Anordnung (2007) (vgl. LR 10.1.1, 10.1.2, 10.1.3). Listing Rules enthalten zusätzlich noch eine Konkretisierung der Ausnahmevorschrift in Bezug auf staatliche Unternehmen in § 216 Nr. 4 Satz 2 KgG. Eine börsennotierte AG und ein vom Staat kontrolliertes Unternehmen sind nämlich nicht deshalb related, weil sie beide von derselben Behörde zur Verwaltung des staatlichen Vermögens kontrolliert werden, es sei denn, dass ihre gesetzlichen Repräsentanten, Geschäftsführer oder mehr als die Hälfte ihrer Vorstandsmitglieder zugleich Vorstandsmitglieder, Aufsichtsratsmitglieder oder leitende Manager der börsennotierten AG sind (LR  10.1.4). Mit anderen Worten sind staatlich kontrollierte Unternehmen nur dann related parties, wenn eine weitgehende personelle Verflechtung auf ihrer Leitungsebene besteht. Die Mitteilungspflicht ist einerseits an dem Umfang der Geschäfte und andererseits an bestimmte Arten von Geschäften geknüpft. Bei Geschäften mit einer related natural person liegt der Grenzwert bei 300.000,– RMB (LR 10.2.3.). Bei Geschäften mit einer related legal person ist erforderlich, dass der Wert des Geschäftsgegenstands drei Mio. RMB und 0,5 % des absoluten Wertes des Nettovermögens übertrifft (LR 10.2.4.). Stellt die Gesellschaft für eine related party Sicherheiten, sind sie ungeachtet deren Wert vom Vorstand zu beschließen und bekannt zu machen (LR 10.2.6.). Die Mitteilung muss zahlreiche Informationen über die genauen Umstände der Geschäfte beinhalten. Im Einzelnen anzugeben sind eine kurze Beschreibung des Geschäfts und des Gegenstands, die Einwilligung der unabhängigen Vorstandsmitglieder und deren Stellungnahme, die Abstimmung im Vorstand, falls ein Vorstandsbeschluss erforderlich ist, und die Erläuterung der related relationship und die grundlegende Information über die related party (LR 10.2.9 Para. 1, Nr. 1–4). Besondere detaillierte Anforderungen gelten für die Preisbestimmung. Die Gesellschaft hat nicht nur die Leitlinie und Grundlage der Preiskalkulation anzugeben, sondern auch das Verhältnis zwischen dem festgesetzten Preis, book value und Marktpreis des Geschäftsgegenstands zu erläutern und die Abweichungen von den letzteren zu begründen. Falls der Preis unfair ist, ist weiter anzugeben, wohin der aus

244 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

dem Geschäft entstehende Vorteil floss (LR 10.2.9 Para. 1 Nr. 5). Ferner sind der Zweck der Geschäfte, deren Auswirkungen auf die Finanzlage und der Ertrag der Gesellschaft zu erläutern (LR 10.2.9 Para. 1 Nr. 7). Bei der Sicherheitsleistung für related parties und für Aktionäre mit wenig als 5 % der Anteile, sind zusätzlich noch der gesamte Wert der von der Gesellschaft und deren Tochtergesellschaft bestellten Sicherheiten und der für Tochtergesellschaften bestellten Sicherheiten bis zum Tag der Bekanntmachung und deren Verhältnis zum gesamten Nettovermögen anzugeben (LR 10.2.9 ­Para. 2 i. V. m. 9.14.). c) Zwischenergebnis Neben dem gesetzlich geregelten Fall der Sicherheitenbestellung für Aktionäre wird eine Doppelzustimmung von Listing Rules für ein RPT verlangt, deren Wert 30 Mio. RMB (Hauptsegment) bzw. 10 Mio. RMB (Segment für mittlere und kleine Unternehmen) und 5 % des absoluten Wertes des Nettovermögens übertrifft. Unterhalb dieser Grenze hat die Satzung einen Gestaltungsspielraum über den Entscheidungsträger der RPTs. Die Vorstandsmitglieder und Aktionäre, die sich hinsichtlich des beabsichtigten Geschäfts in einem Interessenkonflikt befinden, unterliegen einem Stimmverbot. Bei wiederkehrenden RPTs besteht die Möglichkeit, einen pauschalen Vertrag für drei Jahre abzuschließen, der je nach dem gesamten Wert des Vertragsgegenstands eine Einwilligung des Vorstands oder der Hauptversammlung benötigt, und von der Hauptversammlung beschlossen werden muss, wenn sich die Gegenleistung beim Vertragsabschluss noch nicht feststellen lässt. Listing Rules stellen als Maßstäbe der Angemessenheitsprüfung die Leitlinien zur Preisbestimmung auf. Falls ein Marktpreis nicht zugänglich ist, ist nicht maßgeblich, welche Gegenleistung die Gesellschaft verlangen würde, wenn sie unabhängig wäre, sondern welche Gegenleitung die related party beim Geschäft mit einer unabhängigen Dritten anbieten würde. Die Methoden der Preisbestimmung nähern sich an die steuerrechtlichen Methoden zur Korrektur der steuerpflichtigen Einkommen im Falle der gegen das arm’s length-Prinzip verstoßenen RPTs an. Sieht man in den fünf Methoden der Preisermittlung eine Konkretisierung des arm’s lengthPrinzips, ist es zweifelhaft, ob die Maßgeblichkeit der Sichtweise des Geschäftspartners mit diesem Prinzip im Einklang steht. Der Begriff related party ist jeweils in RS Nr. 36 und der PublizitätsAnordnung definiert. Während die erstere Definition an die Begriffe Kontrolle und bedeutende Einflüsse anknüpft ist, stellt die letztere Definition auf die unmittelbare oder mittelbare Kontrolle einerseits und 5 % der Anteile anderseits ab. In beiden Regelwerken wird der Kernbegriff Kontrolle nicht definiert. Die Bezugnahme auf 5 % der Anteile als Auffangstatbestand könn-



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te eine Vermutung der Kontrollmöglichkeit ab dieser Schwelle andeuten. Ob diese Vermutung gerechtfertigt ist, ist angesichts der typischerweise konzentrierten Aktionärsstruktur der chinesischen börsennotierten AG zweifelhaft. Für die Feststellung der related relationship zwischen staatlichen Unternehmen ist die Intensität der personellen Verflechtung von Geschäftsführungsund Überwachungsorganen der entscheidende Faktor. 2. Regulierung der „Finanzmittelaneignung durch den Großaktionär“ a) Regulierungsmaßnahmen der CSRC Seit 2002 hat die CSRC vielfältige Regulierungsmaßnahmen gegen Vermögenszuwendungen zugunsten von Großaktionären ergriffen. Anfangs setzte sie noch auf eine Selbstregulierung und verlangte in § 14 CGK lediglich, dass die börsennotierten AGs zur Vorbeugung der von Aktionären und ihren verbundenen Parteien veranlassenden Transfers von Geldern, Vermögenswerten und sonstigen Ressourcen wirksame Maßnahmen ergreifen sollen. Die Erfolglosigkeit der Selbstregulierung führte zu strengeren regulatorischen Maßnahmen. Die CSRC unterband in der zusammen mit der SASAC verkündigten Mitteilung über Geldverkehr und Sicherheitenbestellung (2003),251 dass die börsennotierten AGs für ihre herrschenden Aktionäre bzw. verbundenen Unternehmen Aufwendungen für Arbeitslöhne, employee welfare, Sozialversicherungen und Werbungen oder sonstige Ausgaben übernehmen (Ziff. 1.1. Satz 2). Ebenfalls verboten sind unmittelbare und mittelbare Geldüberlassungen zugunsten herrschender Aktionäre und verbundener Unternehmen mittels Kreditvergabe gegen oder ohne Entgelt, beauftragte Kreditvergabe durch Banken oder sonstige Kreditinstitute (委托贷 款), das Betrauen mit der Vermögensanlage (委托投资), Ausstellung angenommener Wechsel ohne realen kommerziellen Hintergrund (开具没有真实 交易背景的商业承兑汇票) und Schuldentilgung (Ziff. 1.2. Nr. 1–5). Demgegenüber sollen die börsennotierten AGs die Finanzmittelaneignung, die in dem betriebsbedingten Geldverkehr stattfinden, streng kontrollieren (Ziff. 1.1. Satz 1). Von einer Finanzmittelaneignung ist dann auszugehen, wenn das Alter der offenen Forderung den gewöhnlichen Abrechnungszy­ klus oder 12 Monate überschreitet.252 Eine umfassende und tiefgreifende 251  证监会  / 国务院国资委 [CSRC / SASAC], 《关于规范上市公司与关联方资 金往来及上市公司对外担保若干问题的通知》 [Mitteilung über die Regulierung des Geldverkehrs zwischen börsennotierten AGs und ihren verbundenen Seiten und der Sicherheitenbestellung durch die börsennotierten AGs] (28.08.2003). 252  安青松  / 王啸 [AN, Qingsong / WANG, Xiao], 《证券市场导报》 [Wertpapier­ marktzeitung], 09 / 2004, S. 37.

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Regulierung fand mit der Mitteilung über Geldverkehr und Sicherheitenbestellung (2005)253 statt. Diese Kampagne war schwerpunktmäßig auf die sog. „nicht betriebsbedingte Finanzmittelaneignung“ (非经营性占用资金) durch den Großaktionär in staatlich kontrollierten börsennotierten AGs gerichtet. Mit diesen Begriff werden die bereits in der Mitteilung aus 2003 aufgelisteten verbotenen Aufwendungsübernahmen und sonstige Geldüberlassungen ohne Gegenleistung zusammengefasst (vgl. Ziff. 2.4). Die CSRC ließ die Rückabwicklung der Vermögenszuwendungen in verschiedener Art und Weise zu. Ausdrücklich als zulässige Formen der „Rückzahlung“ genannt werden die Aufrechnung mit dem Dividendenanspruch, Schuldentilgung durch Übertragung von Vermögenswerten des Großaktionärs an die Gesellschaft, Schuldentilgung mit dem vom Großaktionär durch Anteilveräußerung anderweitig erlangten Erlös sowie die sehr umstrittene sog. „Aufrechnung mit Anteilen“ (以股抵债) (vgl. Ziff. 2.1). Die CSRC hat erstmalig am 28.07.2004 auf den Antrag einer börsennotierten AG – Dian Guang Media (电广传媒) – eine Einwilligung in die beabsichtigte „Aufrechnung mit Anteilen“ erteilt. Aus der kurz danach erschienenen Veröffentlichung ihrer leitenden Mitarbeiter ist zu erkennen, dass die CSRC die Rückabwicklungsform mit vier angeblichen Vorteilen rechtfertigt: Mit der Herabsetzung seiner Aktien werde die Möglichkeit des herrschenden Aktionärs, unangemessene Kontrollprämie zu erlangen, reduziert; Durch die Erhöhung des Anteils der Fremdkapitalfinanzierung werde die Kapitalstruktur und damit auch die finanzielle Hebelwirkung verbessert; Die Finanzkennzahlen würden einerseits durch die Beseitigung des Ausfallrisikos der Forderungen gegen den Großaktionär und andererseits durch die Erhöhung des Gewinns pro Aktie als Folge der Kapitalherabsenkung bei gleichbleibenden Gewinnen verbessert; Letztlich werde das Problem der „Aufspaltung des Sekundärmarkts“ durch Reduktion der nicht frei handelbaren Aktien entschärft.254 Bei der „Aufrechnung mit Anteilen“ werden die von dem Großaktionär entzogenen Gelder als Gegenleistung der börsennotierten AG für die „Reduktion“ (冲减) der Anteile von diesem betrachtet.255 Zudem sei das Net Asset Value pro Aktie als Maßstab des Austauschverhältnisses vorzugswürdig, weil nur damit ein Ausgleich zwischen dem Schutz der Publikumsanleger – Inhaber von frei handelbaren Aktien – einerseits und der Vermeidung der Wertminderung des staatlichen Vermögens 253  证监会 [CSRC], 《关于集中解决上市公司资金被占用和违规担保问题的通 知》 [Mitteilung zum gezielten Lösen der Probleme der Finanzmittelaneignung und regelungswidriger Sicherheitenbestellung] (06.06.2005). 254  安青松  / 王啸 [AN, Qingsong / WANG, Xiao], 《证券市场导报》 [Wertpapier­ marktzeitung], 09 / 2004, S. 37, 39. 255  安青松  / 王啸 [AN, Qingsong / WANG, Xiao], 《证券市场导报》 [Wertpapier­ marktzeitung], 09 / 2004, S. 37, 39.



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andererseits zu erreichen sei.256 Die Haltung der CSRC ist in der Öffentlichkeit auf heftige Kritik gestoßen.257 Als Reaktion darauf bejahte die CSRC in der Mitteilung über Finanzmittelaneignung und Sicherheitenbestellung (2005) zwar die prinzipielle Zulässigkeit der „Aufrechnung mit Anteilen“, aber schränkte deren Anwendungsbereich erheblich ein: Es ist nun nur zulässig für die Rückabwicklung der Vermögenszuwendungen, die vor der Verkündigung der Mitteilung über Geldverkehr und Sicherheitenbestellung (2003) bereits erfolgten. Zudem müssen die betroffenen börsennotierten AGs dauerhaft gewinnträchtig sein und der Großaktionär mit Sicherheit außerstande sein, die Rückzahlung in bar zu leisten (vgl. Ziff. 2.3). Bei „Aufrechnung mit Anteilen“ handelt es sich der Rechtsnatur nach um einen Rückerwerb von Aktien des Großaktionärs mit anschließender Kapitalherabsetzung. Die CSRC betrachtet diese ausschließlich aus ökonomischen Gesichtspunkten und der politischen Zweckdienlichkeit und lässt das auch im chinesischen Kapitalgesellschaftsrecht geltende Prinzip der Kapitalerhaltung außer Acht. Diese Maßnahme ist zu großem Teil durch den besonderen historischen Hintergrund bedingt – der Aufspaltung des Kapitalmarkts und dem Ruf nach Reduktion des staatlichen Aktienbesitzes. Seit 2005 wird der Aktienrückerwerb nur für bestimmte Zwecke zugelassen und setzt einen Hauptversammlungsbeschluss voraus (vgl. § 142 KgG). Bei einer konsequenten Anwendung dieser Vorschrift auch auf staatliche Unternehmen soll die „Aufrechnung mit Anteilen“ nicht mehr in Betracht kommen. Die CSRC verkündete in der Mitteilung (2005) noch mehrere Sanktionen für die Unterlassung der Rückabwicklung von Vermögenszuwendungen (vgl. Ziff. 2.3): Sie drohte den Geschäftsleitern der staatlichen herrschenden Aktionäre mit disziplinarischen Maßnahmen, den nicht staatlichen Großaktionären und deren gesetzlichen Vertreter mit Weiterleitung von deren schlechten Kreditwürdigkeitsbewertungen an die Volksbank, die Bankenaufsichtsbehörde und die kommerziellen Banken ihres Wohnsitzes, was zur Beschränkung von deren Kreditlinien führen würde, und den verantwortlichen Vorstandsmitgliedern und leitenden Managern der betroffenen börsennotierten AGs mit dem Vorschlag zu deren Entlassung. Als weitere Sank­ tionen wurden die Nichtannahme von Anträgen der herrschenden Aktionäre 256  安青松  / 王啸 [AN, Qingsong / WANG, Xiao], 《证券市场导报》 [Wertpapier­ marktzeitung], 09 / 2004, S. 37, 40. 257  Vgl. Diskussionbeiträgen von Akademikern und Beamtern im Zeitungsbericht: „以股抵债:利空还是利好?“ [Aufrechnung mit Anteilen: positiv oder negativ?], 《中 国经济周刊》 [Wochenzeitung der chinesischen Wirtschaft], 32 / 2004, http: /  / www. people.com.cn / GB / paper1631 / 12783 / 1149158.html; 乔新生 [QIAO, Xinsheng], „以股抵债的制度设计危险!“ [Aufrechnung mit Anteilen – eine gefährliche Kon­ struktion!], http: /  / opinion.people.com.cn / GB / 1036 / 3105962.html (zuletzt abgerufen am 03.07.2013).

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bzw. der de facto-Beherrscher auf Erlaubnis zum Betreiben von Wertpapierund Termingeschäften sowie Anträgen der börsennotierten AGs auf Neu­ emissionen genannt. Schließlich setzte die CSRC eine reputational sanction258 ein, nämlich die Bekanntmachung einer Liste von herrschenden Aktionären, deren nicht betriebsbedingte Finanzmittelaneignung 100 Mio. RMB übertrafen und die Veröffentlichung der gesetzliche Vertreter dieser Unternehmen sowie die anderer aufgrund dessen bestrafter Personen. Die entsprechenden Bekanntmachungen erfolgten jeweils am 01.06.2006 und 07.07.2006 durch SHSE und SZSE. Daraus folgte, dass bis dahin 30,41 % der entzogenen Finanzmittel – etwa 13,796 Mrd. RMB – „zurückgezahlt“ wurden. Zudem standen die börsennotierten AGs, die eine Rückabwicklung nicht oder nicht fristgerecht bewirken konnten, meistens unter Special Treatment (ST), teilweise wurde sogar die bereits erfolgte Notierung suspendiert oder die Gefahr eines Delisting bestand. Weiter waren in vielen Fällen die Anteile der Großaktionäre bereits eingefroren oder gepfändet, so dass eine Schuldentilgung durch Anteilveräußerung oder -rückerwerb nicht in Betracht kam.259 Im Anschluss an die Kampagne wurde die Abwesenheit von der Finanzmittelaneignung beim Emittenten als eine IPO-Voraussetzung in § 27 IPO-Anordnung (2006)260 aufgenommen. Im März 2009 forderten die SHSE und SZSE die börsennotierten AGs zur Selbstkontrolle auf, kombiniert mit angedrohtem ST für den Fall der nicht fristgerechten Rückabwicklung der Finanzmittelaneignung.261 Die Eingriffe der CSRC und der Börsen mit vielfältigen und einschneidenden Mitteln führten zu einem Rückgang der Vermögenszuwendungen an herrschende Aktionäre. Allerdings trat ein erheblicher Rückschlag im Geschäftsjahr 2012 ein. Einem Pressebericht zufolge betrug die gesamte Summe der entzogenen Finanzmittel durch Großaktionäre 27,86 Mrd. RMB bis zum 12.04.2013. „Finanzmittelaneignung durch Großaktionäre“ ist nunmehr nicht nur ein Problem der staatlichen Unternehmen, sondern verbreitet sich auch in (privaten) Gesellschaften, die im Segment der mittleren und kleinen oder im GEM notiert sind. Manche Analysten sehen die Gründe einerseits in der schlechten Konjunktur in 2012 und der Straffung 258  Allgemein zur Verwendung dieses Sanktionsmittels in der chinesischen Kapitalmarktregulierung Liebman / Milhaupt, 108 Columbia Law Review (2008), S. 929 ff. 259  胡冀婷 (证监会江西证监局) [HU, Yiting] (Dienststelle Jiangxi der CSRC), 《财会学习》 [Rechnungslegung Erlernen], 09 / 2006, S. 45, 46. 260  证监会 [CSRC], 《首次公开发行股票并上市管理办法》 [Methode zur Verwaltung der IPO und Börsennotierung], 证监会令第32号 [CSRC Anordnung Nr. 32] (15.05.2006). 261  吴铭 / 周松林 [WU, Lin / ZHOU, Songlin], 《中国证券报》 [Chinesische Wertpapierzeitung] (27.03.2009), http: /  / news.xinhuanet.com / finance / 2009-03 / 27 /  content_11081112.htm (zuletzt abgerufen am 03.07.2013).



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der Geldpolitik, die die Kreditaufnahme der Obergesellschaften der börsennotierten AGs bei Banken erschwerte, und andererseits in der bei staatlich kontrollierten börsennotierten AGs nach wie vor häufig anzutreffenden Missachtung von gesellschaftsinternen Entscheidungsverfahren und Offenlegungsvorschriften.262 b) Das Spannungsverhältnis zum zentralen Cash-Management in (staatlichen) Unternehmensgruppen Vor dem Hintergrund der strengen Regulierung des Geldverkehrs zwischen börsennotierten AGs und ihren verbundenen Unternehmen ist es zweifelhaft, ob eine börsennotierte Tochtergesellschaft an dem zentralen Cash-Management der Unternehmensgruppe teilnehmen darf. Insbesondere befinden sich die börsennotierten Tochtergesellschaften der sog. zentralen Unternehmen263 in einem Dilemma, weil die andere Aufsichtsbehörde, nämlich SASAC, das zentrale Cash-Management durch die Gruppenspitze fordert.264 Dass eine börsennotierte AG Konten bei der Finanzgesellschaft ihrer Muttergesellschaft führt und ihre Liquidität von dieser verwalten lässt, wurde von der CSRC in einem Interview im September 2003 als ein Verstoß gegen ihre Mitteilung über Finanzmittelaneignung und Sicherheitenbestellung (2003) und gegen das von ihr aufgestellte Prinzip der sog. „Fünftrennungen“265 angesehen.266 Gegen diesen Standpunkt wendet das Forschungsinstitut der SASAC ein, die börsennotierten Tochtergesellschaften seien für das Gruppe-Cash-Management von entscheidender Bedeutung.267 Zuerst wird darauf hingewiesen, dass sie häufig das beste Vermögen der jeweiligen Unternehmensgruppen hätten, so dass die Qualität und das Ausmaß eines Gruppe-Cash-Managements unmittelbar davon abhänge, inwiefern ihre Liquidität zentral verwaltet werden könnte. Zudem wird be262  徐岚 [XU, Lan], 《信息时报》 [Informationszeitung] (12.04.2013), http:// finance.ifeng.com / stock / ssgs / 20130412 / 7897670.shtml (zuletzt abgerufen am 03.07. 2013). 263  Dazu siehe oben § 2 I. 2. 264  郭伟 (中电广通股份有限公司财务总监) [GUO, Wei] (Finanzdirektor der CEC Corecast Corporation Limited), 《财务与会计》 [Finanzwesen und Rechnungslegung], 02 / 2009, S. 63, 64. 265  Dazu gleich unten II. 3. a). 266  „证监会重申,五分开‘ “ [Die CSRC widerholt die „Fünfttrenungen“], 《厦门 日报》 [Tageszeitung von Xia’men] (11.09.2003), http: /  / news.sina.com.cn / c / 200309-11 / 0904733447s.shtml (zuletzt abgerufen 03.07.2013). 267  国务院国资委研究中心课题组 / 程伟 [Forschungsinstitut der SASAC / CHEN, Wei], 《国有资产管理》 [Verwaltung des staatlichen Vermögens], 11 / 2007, http: /  / wenku.baidu.com / view / 12dc1b0c7cd184254b3535c8.html (zuletzt abgerufen 03.07.2013).

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mängelt, dass die Mitteilung der CSRC aus 2003 weder eine klare Defi­ nition zur Finanzmittelaneignung durch die Muttergesellschaft noch konkrete Regelungen enthalte. Schließlich wird der CSRC empfohlen, bei der Durchführung ihrer RPTs-Regelungen den Besonderheiten der staatlichen großen Unternehmensgruppen hinreichend Rechnung zu tragen: Diese seien nämlich durch Zusammenfügung von staatlichen Unternehmens entstanden und die börsennotierten Tochtergesellschaften gingen auf die Trennung der margenschwachen von den hochwertigen Vermögenswerten zurück.268 Deswegen ließen sich die westlichen Regelungen zur Kontrolle von RPTs nicht ohne weiteres auf die staatlichen Unternehmensgruppen übertragen. Vielmehr müsse die Perfektionierung des Regelungssystems zu RPTs die konkreten Umstände berücksichtigen, die Erhöhung der gesamten Wettbewerbsfähigkeit der staatlichen Unternehmen in der Transformationsphase als Zielsetzung haben und unter den Voraussetzungen der Reduzierung der Betriebskosten und Erhöhung der Verwaltungseffizienz erfolgen.269 In der Praxis der großen Unternehmensgruppen wird das Cash-Management der börsennotierten Tochtergesellschaft häufig mittels der Finanzgesellschaft der Unternehmensgruppe (企业集团财务公司) durchgeführt.270 Die China Banking Regulatory Commission (CBRC) definiert die § 2 ihrer Anordnung zur Finanzgesellschaft271 die Finanzgesellschaft als ein Kreditinstitut, das zur Verstärkung des zentralen Cash-Managements der jeweiligen Unternehmensgruppe und Erhöhung der Effizienz der Finanzmittelverwendungen deren Mitglieder die Dienstleistungen des Finanzmanagements anbietet. Ihre Errichtung bedarf der Einwilligung der CBRC (§ 6). In § 7 der Anordnung werden mehrere Antragsvoraussetzungen aufgestellt. Es ist erforderlich, dass das eingetragene Kapital der Muttergesellschaft nicht wenig als 800 Mio. RMB ist. Zudem dürfen die gesamten Vermögenswerte der Mitglieder nach dem konsolidierten Finanzbericht des vergangenen Geschäftsjahres nicht weniger als 5 Mrd. RMB sein und der Anteil des Nettovermögens muss zumindest 30 % erreichen. Außerdem muss der gesamte Umsatz in den vergangenen zwei Geschäftsjahren jeweils zumindest 4 Mrd. 268  Zur Entstehungsgeschichte der staatlichen börsennotierten AGs und Unternehmensgruppen siehe § 2 I. 2. 269  国务院国资委研究中心课题组 / 程伟 [Forschungsinstitut der SASAC / CHEN, Wei], 《国有资产管理》 [Verwaltung des staatlichen Vermögens], 11 / 2007, http: /  / wenku.baidu.com / view / 12dc1b0c7cd184254b3535c8.html (zuletzt abgerufen 03.07.2013). 270  郭伟 [GUO, Wei], 《财务与会计》 [Finanzwesen und Rechnungslegung], 02 / 2009, S. 63, 64. 271  银监会 [CBRC], 《企业集团财务公司管理办法》 [Verwaltungsmethoden zu Finanzgesellschaften der Unternehmensgruppen] (erlassen am 27.07.2004, rediviert am 28.12.2006).



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RMB und der jährliche Jahresüberschuss vor Steuern mindestens 200 Mio. RMB betragen. Das Mindestkapital der Finanzgesellschaft beträgt 100 Mio. RMB und muss in Bar eingezahlt werden (§ 10). In der Praxis sind die Aktionäre einer Finanzgesellschaft in der Regel Mitglieder derselben Unternehmensgruppe. Diese Aktionärsstruktur wird von einer Bank in ihrer Veröffentlichung als zu einseitig kritisiert und für den wesentlichen Grund der schlechten Corporate Governance von Finanzgesellschaften gehalten.272 Das zentrale Cash-Management durch die Finanzgesellschaft wird dagegen als wenig bedenklich im Vergleich zur unmittelbaren Finanzmittelverwaltung durch die Muttergesellschaft bzw. ihre In-House Cash Center angesehen, da der Geldtransfer in diesem Fall kein RPT mit der Muttergesellschaft, sondern mit der Finanzgesellschaft als eigenständiger juristischer Person sei.273 Es besteht jedoch erhebliche Rechtsunsicherheit über die Zulässigkeit bzw. das zulässige Ausmaß des Cash-Managements der börsennotierten Tochtergesellschaft durch die gruppeninterne Finanzgesellschaft, zumal die Dienststellen der CSRC in ihrer Praxis die Regelungen der CSRC unterschiedlich interpretiert haben. Dies führt dazu, dass die gruppeninternen Finanzgesellschaften insgesamt einen geringen Anteil vom Guthaben der börsennotierten Tochtergesellschaften aufweisen.274 c) Zwischenergebnis Gegen Vermögenstransfers zwischen börsennotierten AGs und ihren verbundenen Unternehmen werden bisher hauptsächlich Mittel der behördlichen Regulierung eingesetzt. Die Problembezeichnung „Finanzmittelaneignung“ gibt die fehlende juristische Qualifizierung der Problemlage schon deutlich zu erkennen. Die CSRC unterscheidet zwischen betriebsbedingter und nicht betriebsbedingter Finanzmittelaneignung und stellt nur die letzteren unter schlichtes Verbot. Mangels klarer Definition der Betriebsbedingtheit kann man nur vermuten, dass das aufsichtsbehördliche Verbot die auf Austausch- und Umsatzgeschäfte zwischen der Gesellschaft und dem Großaktionär beruhenden Vermögenszuwendungen nicht erfasst. Man kann z. B. die Stundung der Forderung aus einem Liefervertrag oder die Vorleistung 272  浦发银行上海分行 [Shanghai Branch of Shanghai Pudong Development Bank Co., Ltd.], „关于我国财务公司法人治理问题的思考“ [Überlegungen über die Corporate Governance der Finanzgesellschaften], http: /  / www.xinguozi.com.cn /  article / show_agency_opinion / 68 / 0 / 1 (zuletzt abgerufen am 03.07.2013). 273  郭伟 [GUO, Wei], 《财务与会计》 [Finanzwesen und Rechnungslegung], 02 / 2009, S. 63, 64. 274  陈浩 (中国航空工业发展研究中心财经分析员) [CHEN, Hao] (Finanzanalyst der Aviation Industry Development Research Center), 《航空科学技术》 ­[Aeronautical Science & Technology], 03 / 2011, S. 35, 36 f.

252 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

aufgrund eines solchen als betriebsbedingt ansehen. Bei der Rückabwicklung der Vermögenszuwendung hat die CSRC die sog. „Aufrechnung mit Anteilen“, nämlich den Rückerwerb von Aktien des Großaktionärs mit anschließender Kapitalherabsetzung, unter engen Voraussetzungen zugelassen und dadurch das Prinzip der Kapitalerhaltung missachtet. Schließlich sind die Grenzen zwischen zulässigem Cash-Management der Unternehmensgruppe und unzulässigen gruppeninternen Vermögenstransfers unklar. Das Spannungsverhältnis zwischen der strengen Regulierung des Geldverkehrs durch die CSRC und der Aufforderung der SASAC zum Aufbau des zen­ tralen Gruppe-Cash-Managements zeigt, dass ein schlichtes Verbot der Vermögenszuwendungen den praktischen Bedürfnissen der Unternehmensgruppe nach effizierter gruppeninterner Finanzierung nicht hinreichend Rechnung tragen kann. 3. Regulatorische Schranken für die Führung von börsennotierten Tochtergesellschaften a) Das Unabhängigkeitserfordernis der CSRC Für die börsennotierten AGs gilt ein besonderes Unabhängigkeitserfordernis, das unter dem Schlagwort „Fünftrennungen“-Prinzip (五分开原则) bekannt ist. Darunter ist die Unabhängigkeit einer börsennotierten AG von dem herrschenden Aktionär im Hinblick auf die Organisation (机构), den Geschäftsbereich (业务), das Personal (人员), das Vermögen (资产) und die Finanzen (财务) zu verstehen. Dieses Prinzip wurde von der CSRC erstmalig in ihrer Ansicht zur Verbesserung der Qualität der börsennotierten AGs von 2005275 festgelegt. Damit wollte die CSRC die Einmischung in die Geschäftsführung der börsennotierten AGs durch herrschende Aktionäre und de facto-Beherrscher zulasten der Gesellschaft und anderer Aktionäre unterbinden. Die Sicherstellung der Unabhängigkeit der Gesellschaft ist nicht nur eine Zulässigkeitsvoraussetzung für deren Börsennotierung, sondern auch der Umstrukturierung der börsennotierten AG. Nach § 14 IPO-Anordnung (2006) setzt das IPO voraus, dass der Emittent ein vollständiges Geschäftssystem und die Fähigkeit zum unmittelbar marktorientierten und eigenständigen Betrieb haben. In § 12 Abs. 2 der 2011 revidierten Fassung der Umstrukturierungs-Anordnung (2008)276 ist als eine materielle Voraussetzung 275  国务院 [Staatsrat], 《国务院批转证监会关于提高上市公司质量意见的通 知》 [Mittelung des Staatsrats über die genehmigte Ansicht der CSRC zur Verbesserung der Qualität der börsennotierten AGs] (19.10.2005). 276  证监会 [CSRC], 《上市公司重大资产重组管理办法》 [Methode zur Verwaltung der Umstrukturierung der börsennotierten AGs] (24.03.2008, revidiert am 01.08.2011).



II. Chinesisches Recht253

vorgesehen, dass die börsennotierte AG nach dem Abschluss der Umstrukturierung die Unabhängigkeit in fünffacher Hinsicht erreichen und die Möglichkeit des Wettbewerbs in demselben Geschäftsbereich (同业竞争) und der offensichtlich unangemessenen RPTs (显失公平的关联交易) mit dem herrschenden Aktionär, de facto-Beherrscher sowie den von diesem kontrollierten anderen Unternehmen ausgeschlossen sein muss. Die Ausführungen zu den einzelnen Aspekten befinden sich nur in §§ 15–19 IPO-Anordnung (2006). Mit dem Erfordernis der Integrität des Vermögens verlangt die CSRC, dass der Emittent das betriebsnotwendige Vermögen eigenständig besitzt. Wenn es um einen Hersteller geht, dann müssen das betriebsrelevante Produktionssystem und die Hilfeeinrichtungen sowie das eigenständige Beschaffungs- und Vertriebssystem vorhanden sein und das Eigentum bzw. das Nutzungsrecht an betriebsrelevanten Grundstücken, Werkstätten und Maschinen sowie Marken, Patenten und Know-how bestehen. Die personelle Unabhängigkeit fordert, dass leitende Manager des Emittenten beim herrschenden Aktionär und de facto-Beherrscher sowie in von diesen kontrollierten anderen Unternehmen keine andere Stelle als Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied haben und keine Gehälter beziehen. Auch dürfen die Mitarbeiter des Emittenten im Finanzbereich nicht zugleich dort nebenberuflich tätig sein. Die finanzielle Unabhängigkeit verlangt von dem Emittenten die Errichtung eigenständiger Systeme der internen Finanzprüfung, Buchführung und des Finanzmanagements von seinen Tochtergesellschaften und Zweigniederlassungen und die Fähigkeit, eigenständig finanzielle Entscheidungen zu treffen. Unerlaubt ist insbesondere das gemeinsame Bankkonto mit dem herrschenden Aktionär, de facto-Beherrscher und den von diesen kontrollierten anderen Unternehmen. Mit der organisatorischen Unabhängigkeit wird die eigene, von der des herrschenden Aktionärs u. a. klar getrennte Betriebs- und Verwaltungsorganisation des Emittenten hervorgehoben. Schließlich fordert die unternehmerische Unabhängigkeit die eigenständige Geschäftsführung durch den Emittenten und die Freiheit von Wettbewerb in demselben Geschäftsbereich und von offensichtlich unangemessenen Geschäften mit dem herrschenden Aktionär, de facto-Beherrscher und den von diesen kontrollierten anderen Unternehmen. Das Unabhängigkeitsprinzip wird neben der Überprüfung des Antrags auf die Zulassung zu IPO bzw. Genehmigung des Umstrukturierungsvorhabens auf dessen Einhaltung hin vornehmlich durch die Offenlegungspflicht durchgesetzt. Mit § 29 Offenlegungsstandards Nr. 2 (Jahresbericht) fordert die CSRC börsennotierte AGs auf zu erklären, ob sie von ihrem herrschenden Aktionär in diesen fünf verschiedenen Hinsichten unabhängig sind. Im Einzelnen müssen die Gesellschaften erklären, ob ihre Geschäfte unabhängig von ihrem herrschenden Aktionär geführt werden und auch vollständig sind, und ob sie die Fähigkeit zur eigenständigen Betriebsführung haben. Ist

254 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

eine Trennung bereits erfolgt, ist deren Vollzug zu erläutern. Ist eine vollständige Unabhängigkeit noch nicht erreicht, sind die konkreten Auswirkungen dieses Umstands auf die Gesellschaft zu erläutern und geplante Verbesserungsmaßnahmen darzustellen. Eine stichprobenmäßige Untersuchung von Jahresberichten für das Geschäftsjahr 2012 zeigt, dass alle Gesellschaften die Verwirklichung von „Fünfttrennungen“ versichert haben. In meisten Erklärungen wird der Soll-Zustand in §§ 15–19 IPO-Anordnung (2006) als Ist-Zustand umformuliert.277 Im Jahresbericht der Gesellschaften, in denen eine Umstrukturierung oder ein Kontrollwechsel stattgefunden hat, wird die Unabhängigkeitserklärung noch mit dem Versprechen des herrschenden Aktionärs zur Sicherung der Unabhängigkeit der Gesellschaft bekräftigt.278 Genauso wie bei Offenlegung von internen Corporate Governance279 ist hier die Wirksamkeit der Publizitätspflicht als Durchsetzungsmittel zweifelhaft. b) Stellungnahme Das Erfordernis nach vermögensbezogener und organisatorischer Eigenständigkeit ist an sich kein gruppenspezifisches Problem, sondern der Rechtspersönlichkeit der AG immanent.280 Dies für die chinesischen börsennotierten AGs besonders zu unterstreichen, hat seinen Grund in der Führung der aus den staatlichen Betrieben umgewandelten börsennotierten AGs ohne Einhaltung der kapitalgesellschaftsrechtlichen organisatorischen Erfordernissen in der früheren Phase.281 Die Hervorhebung der vermögensbezogenen Unabhängigkeit soll das Bewusstsein der Beteiligten diesbezüglich stärken. Dies macht unter Berücksichtigung der chinesischen Gegebenheiten auch Sinn, nicht zuletzt weil es bis zur Novellierung des KgG 2005 noch Unklarheit über die Zugehörigkeit der vom Staat eingebrachten Einlage gab282 und selbst die CSRC die Vermögensbindung der AG missachte277  Vgl. Ziff. 8.6 „一汽轿车股份有限公司2012年度报告“ [2012 Jahresbericht FAW Car Co., Ltd]; Ziffer 8.6 „天津一汽夏利汽车股份有限公司2012年度报告“ [2012 Jahresbericht Tianjin FAW Xiali Automobile Co., Ltd.]; Ziff. 8.6 „山东高速路 桥集团股份有限公司2012 年度报告“ [2012 Jahresbericht Shandong Hi-Speed Road and Bridge Co., Ltd.]. Nur in einem Jahresbericht wird die Sicherstellung der Unabhängigkeit ohne weitere Ausführungen als gegeben erklärt, siehe Ziff. 8.5 „乐凯胶片 股份有限公司 2012 年度报告“ [2012 Jahresbericht Lucky Film Co., Ltd]. 278  Z. B. Ziffer 8.6 „山东高速路桥集团股份有限公司 2012 年度报告“ [2012 Jahresbericht Shandong Hi-Speed Road and Bridge Co., Ltd.]. 279  Dazu siehe oben § 2 II. 4. 280  Dazu Armour / Hansmann / Kraakman, in: Kraakman / Davies u. a., Anatomy of Corporate Law, S. 6 ff. 281  Zum Hintergrund der CSRC-Regulierung nach dem Inkrafttreten des KgG 1993 siehe § 2 II. 4. 282  Zur Gesetzesnovelle 2005 in Bezug auf die SOE-Reform siehe § 1 II.



II. Chinesisches Recht255

te.283 Die einzelnen Anforderungen an die Vermögensintegrität und die personelle und finanzielle Unabhängigkeit bringen die Missbilligung der CSRC gegen eine zentrale Führung der börsennotierten Tochtergesellschaft zum Ausdruck. Verboten ist, dass die Organmitglieder der Obergesellschaft gleichzeitig als leitende Manager der börsennotierten Tochtergesellschaft, also auf der für das Tagesgeschäft zuständigen Ebene, tätig sind. Sie können nicht geschäftsführende Vorstandsmitglieder oder Aufsichtsratsmitglieder der Tochtergesellschaft werden. Die börsennotierte Tochtergesellschaft muss vollständige Unternehmensfunktionen haben. Ihre Einbeziehung ins zentrale Finanzmanagement der Gruppe ist zwar nicht ausdrücklich untersagt aber missbilligt. Im Erfordernis der unternehmerischen Unabhängigkeit kommt die Ablehnung der CSRC gegen den Wettbewerb der Konzernobergesellschaft mit der börsennotierten Tochtergesellschaft zutage. Angesichts der im chinesischen Recht weder rechtlich expliziert anerkannten noch in Bezug auf ihre Tatbestände geklärten Treuepflicht der Aktionäre,284 ist die Rechtsgrundlage und Reichweite eines solchen Wettbewerbsverbots äußerst zweifelhaft.285 Da die Frage des Wettbewerbsverbots des herrschenden Aktionärs den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengt, ist nicht mehr darauf einzugehen. Schließlich deutet das Erfordernis, oder besser gesagt, der Wunsch nach einer Struktur, die die Möglichkeit der offensichtlich unangemessenen RPTs ausschließt, darauf hin, dass die CSRC sich der missbrauchsanfälligen Pyramidenstruktur der chinesischen (staatlichen) Unternehmensgruppe286 völlig bewusst ist und mit allen in ihrer Kraft liegenden Möglichkeiten Abhilfe schaffen möchte. Allerdings liegt eine gründliche Strukturreform der staatlichen Unternehmen, die unter dem Schlagwort „vollständige und gesamte Börsennotierung der Unternehmensgruppe“, d. h. Börsengang der Obergesellschaft der staatlichen Unternehmensgruppe, diskutiert worden ist,287 nicht in ihrer Macht, sondern ist der politischen Entscheidung des Staatsrats vorbehalten.288 283  Zur

„Aufrechnung mit Anteilen“ siehe oben II. 2. a). siehe unten III. 1. 285  Im deutschen Recht wird ein treuepflichtgestütztes Wettbewerbsverbot zwar zunehnehmend befürwortet, aber viele Autoren möchten es nur für personalistisch strukturierte AGs anerkannen, nicht hingegen für börsennotierte bzw. Publikumsgesellschaften, näher dazu Verse, in: Bayer / Habersack, S. 579, 617 f.; eingehend Hüffer, in: FS Röhricht (2005), S. 251 ff. 286  Dazu siehe oben § 2 I. 2. 287  Dazu eingehend 文宗瑜 (财政部财政科学研究所国有经济研究室主任)  / 张 晓杰 [WEN, Zongyu (Wissenschaftsreferent der staatlichen Wirtschaft im Forschungsinstitut des Finanzministeriums) / ZHANG, Xiaojie], 《经济研究参考》 [Referenz der Wirtschaftsforschung], 54 / 2008, S. 23 mit Ablehnung. 288  Zur noch ausbleibenden Umwandlung in die Kapitalgesellschaft bei den meisten zentralen Unternehmen siehe oben § 2 I. 2. 284  Dazu

256 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

III. Rechtsvergleichung 1. Die Zustimmungskompetenz der Hauptversammlung und das Stimmverbot der befangenen Aktionäre Im deutschen Aktienrecht obliegen die Entscheidungen über die Geschäfte mit Aktionären und ihre Angemessenheitskontrolle dem Vorstand nach den sich aus dem Recht der Kapitalerhaltung und dem Konzernrecht unter Berücksichtigung der BJR ergebenden Maßstäben. Das Stimmverbot für den Hauptversammlungsbeschluss über Rechtsgeschäfte mit dem interessierten Aktionär als Präventivmaßnahme gegen Sondereinflüsse wurde bereits im AktG 1937 aufgegeben und durch ein Modell der materiellen Angemessenheitskontrolle der herrschenden Einflussnahme primär durch die Gesellschaftsorgane ersetzt. Dies geht mit der Umstellung des Verhältnisses zwischen Hauptversammlung und Vorstand einher. Der Umstand, dass die Hauptversammlung grundsätzlich von der Geschäftsführung ausgeschlossen wurde, macht das Stimmverbot der befangenen Aktionäre auch hinfällig, weil die Hauptversammlung für die Geschäfte mit Aktionären keine Zuständigkeit mehr hat. Im deutschen Aktienrecht wird zwischen privatem Mehrheitsgesellschafter und herrschendem Unternehmen differenziert. Für das herrschende Unternehmen wird die Benachteiligung der abhängigen Gesellschaft zugunsten seines Interesses bzw. des Konzerninteresses unter Vorbehalt des Nachteilsausgleichs zugelassen. Das Konzernrecht stellt also vorsorglich für die Prüfung der (Un-)Zulässigkeit der herrschenden Einflussnahme die materiellen Maßstäbe bereit. Bei konzernfreien AGs gilt das Schädigungsverbot ohne weiteres. Der aktienrechtliche Kapitalschutz, für den auch der Vorstand in erster Linie verantwortlich ist, enthält auch einen Präventivschutz vor herrschenden Einflüssen. Im chinesischen Kapitalgesellschaftsrecht werden die präventiven Entscheidungsregeln explizit nur für die Sicherheitenbestellung für Aktionäre vorgesehen. Das Grundmodell ist die Zustimmungskompetenz der Hauptversammlung, verbunden mit dem Stimmverbot der befangenen Aktionäre. In Regelungen der CSRC für börsennotierte AGs und in Listing Rules von SHSE und SZSE lässt sich eine Ausdehnung dieses Regelungsmodells auf sonstige Geschäfte mit related parties i. S. d. der Publizitäts-Anordnung (2007) beobachten. Das Erfordernis der Hauptversammlungszustimmung beschränkt sich auf große Geschäfte.289 Zudem wird das Zustimmungsverfahren bei wiederkehrenden RPTs durch die Möglichkeit einer pauschalen Zustimmung für drei Jahre erleichtert.290 Dies deutet darauf hin, dass die 289  Siehe 290  Siehe

oben II. 1. a) aa). oben II. 1. a) bb).



III. Rechtsvergleichung257

Regelungsgeber die Ineffizienz wegen eines schwerfälligen Zustimmungsverfahrens möglichst reduzieren möchten. Der Präventivschutz durch die Verschiebung der Entscheidungskompetenz auf die Hauptversammlung und das Stimmverbot der befangenen Aktionäre weist unter Berücksichtigung der chinesischen Gegebenheiten in vielerlei Hinsicht Schwächen auf. Zuerst ist die Entscheidung der Hauptversammlung notwendigerweise nur eine Zustimmung, deren Inhalt durch den Vorschlag des Vorstands zur Beschlussfassung vorprogrammiert ist. In China wird die Haftungsbefreiungswirkung der Zustimmung der Hauptversammlung häufig ohne weiteres angenommen.291 Dadurch entsteht eine Kontrolllücke. Der Vorstand entscheidet nämlich (unter Einflussnahme des Großaktionärs) faktisch den Inhalt des Hauptversammlungsbeschlusses, haftet dafür aber nicht, weil er in formaler Hinsicht kein Entscheidungsorgan ist.292 Andererseits kann man den Großaktionär als geistigen Urheber der Beschlussfassung nicht in Anspruch nehmen, weil er an der Abstimmung nicht beteiligt ist. Zweitens wird mit dem Stimmverbot der befangenen Aktionäre, das regelmäßig den herrschenden Aktionär betrifft, angesichts der typischen Aktionärsstruktur der chinesischen börsennotierten AGs weniger die gestreute Stimmkraft der Publikumsaktionäre gestärkt als vielmehr die der großen Minderheitsaktionäre wie etwa der institutionellen Anleger. Die Gefahr der Kollusion zwischen dem Großaktionär und den mächtigen Minderheitsaktionären lässt sich ohne weiteres nicht ausschließen. Aus diesen zwei Gründen benötigt der mit dem Stimmverbot verbundene Selbstschutz der (Minderheits-)Aktionäre eine Ergänzung durch die gerichtliche Kontrolle des entsprechenden Hauptversammlungsbeschlusses bzw. der Stimmrechtsausübung der Aktionärsmehrheit im Einzelfall. Allerdings bestehen im chinesischen Recht bereits erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich des Kontrollmaßstabs hierfür. Zwar wird allgemein anerkannt, dass das zwingende Recht, dessen Verletzung zur Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses führt,293 auch die Grundsätze von Gleichbehandlung der Aktionäre, Treu und Glauben sowie die guten Sitten umfasst.294 291  Vgl. 张勇健 [ZHANG, Yongjian], in: 王保树主编 [WANG, Baoshu (Hrsg.)], 《实践中的公司法》 [Das Kapitalgesellschaftsrecht in der Praxis], S. 229, 239, der eine gesetzliche Verankerung der Haftungsbefreiung durch den Hauptversammlungsbeschluss aufgrund des Mehrheitsprinzips befürwortet. 292  Zur Untauglichkeit des Stimmverbots der befangenen Vorstandsmitglieder zur Konfliktvermeidung bereits oben § 4 III. 1. a). 293  Jeder Aktionär kann gemäß § 22 KgG die Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage gegen den Beschluss der Hauptversammlung erheben. Ein Hauptversammlungsbeschluss ist nichtig, wenn sein Inhalt gegen Gesetz und Rechtsverordnung verstößt. 294  刘俊海 [LIU, Junhai], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 233; 高冬青诉康 得新电公司 [GAO, D.Q. vs. KANG DE XIN DIAN Ltd.], 北京一中院(2009)一中

258 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

Es ist aber zweifelhaft, ob eine Nichtigkeitsklage auf die Verletzung der Treuepflicht durch den Mehrheitsaktionär gestützt werden kann, da die Treuepflicht des herrschenden Aktionärs in der Kapitalgesellschaftsreform 2005 sehr umstritten war und letztlich nicht Gesetz geworden ist.295 Manche Autoren bejahen die Treuepflicht als Nichtigkeitsgrund nur de lege ferenda.296 Im einzigen bekannten Fall, in dem das Gericht mit der Frage der Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschluss wegen Rechtsmissbrauch befasst war, hat das Berufungsgericht am Ende der Urteilsbegründung beiläufig geäußert, dass der Missbrauch von Aktionärsrechten nach § 20 KgG nur zur Schadensersatzhaftung der Aktionäre führe und kein Nichtigkeitsgrund für einen Hauptversammlungsbeschluss sei.297 Dieser Fall verdeutlicht die Schwierigkeiten der gerichtlichen Kontrolle der Stimmrechtsausübung. Deswegen ist hier eine kurze Erläuterung dazu geboten. Der Fall betrifft die ehemalige Rising Technology Co. Ltd. (heutige YI JIN YU HUI Technology and Investment Co. Ltd, im weiteren Rising Technology), einen marktführenden Softwareherstellers in China. Ihr zweitgrößte Aktionär strebte die Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses wegen Verstoßes gegen das Rechtsmissbrauchsverbot an. In diesem Beschluss stimmten der größte Aktionär und die drei anderen Aktionäre für die Aufgabe des bisher erfolgreichen Hauptgeschäfts, der Antivirus Software, und die Umbenennung der Gesellschaft zugunsten der ihr gehörenden Rising International Software Co. Ltd. Das Gericht erster Instanz und das Berufungsgericht kamen zur der Frage, ob ein Rechtsmissbrauch der Mehrheitsaktionäre bei der Abstimmung vorlag, zu gegensätzlichen Ergebnissen. Das Gericht erster Instanz stellt eine Beeinträchtigung des Gesellschaftsinteresses durch den angegriffenen Beschluss fest, weil keine Umstände für eine bessere Geschäftschance der Gesellschaft nach Verzicht ihres Hauptgeschäfts sprachen und zudem die Mehrheitsaktionäre sich in Bezug auf den Beschlussgegenstand in einem Interessenkonflikt befunden hätten. Das Berufungsgericht betont hingegen die Meinungsunterschiede über die Fortentwicklung der Gesellschaft zwischen der Aktionärsmehrheit und dem klagenden Minderheitsaktionär und die heftigen Konflikte zwischen Rising Technology einerseits und der vom Kläger kontrollierten Konkurrenzunterneh民终字第5995号 [Das Erste Mittlere Volksgericht Beijing, Urteil (2009) 2. Instanz Nr. 5995]. 295  Siehe oben § 2 II. 6. 296  刘俊海 [LIU, Junhai], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 233. 297  北京艺进娱辉科技投资股份有限公司与刘旭股东会决议撤销纠纷上诉案 [Peking YI JING YU HUI Technology and Investment Co., Ltd. vs. LIU, Xun Berufung wegen Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses], 北京市一中院民 事判决书(2009)一中民终字第7749号 [Das Erste Mittlere Volksgericht der Stadt Beijing, Urteil (2009) Zivilsenat 2. Instanz Nr. 7749].



III. Rechtsvergleichung

259

men, Micropoint, andererseits. Es war der Meinung, dass die Entscheidung, ob die Änderung des Geschäftsbereichs für die Gesellschaft besser ist oder nicht, nicht vom Gericht zu treffen, sondern dem „Business Judgment“ der Aktionäre nach dem Mehrheitsprinzip zu überlassen sei. Es verweist den Minderheitsaktionär auf die Schutzmöglichkeit der andersdenkenden Aktionäre, durch Übertragung von Aktien oder Ausübung des appraisal right of dissenters die Gesellschaft zu verlassen, wobei das letztere in § 5 KgG nur für die Anteilseigner der GmbH vorgesehen ist. Das Berufungsgericht betont die unbeschränkte Entscheidungsmacht der Aktionärsmehrheit über das Gesellschaftsinteresse. Da die Treuepflicht als Schranke der Machtausübung der Aktionärsmehrheit und ggf. auch der Aktionärsminderheit in China wegen der mangelnden Tatbestandsbildung noch unbrauchbar ist, ist der Zugriff auf das allgemein anerkannte Mehrheitsprinzip ein sicherer Weg für Richter als eine mutige Auseinandersetzung mit dessen Einschränkung. Aus der noch unterentwickelten gerichtlichen materiellen Kontrolle der Stimmrechtsausübung in China lässt sich folgern, dass die Zustimmungskompetenz der Hauptversammlung für die Geschäfte mit Aktionären und das Stimmverbot der interessierten Aktionäre nur eine sehr begrenzte Wirkung zum Schutz des Interesses der Gesellschaft und der sonstigen Aktionäre haben können. Deswegen soll die Kontrolle der RPTs mit Aktionären in China nicht primär der stimmrechtsberechtigten Aktionärsminderheit zu überlassen, sondern durch die Verwaltungsorgane zu verantworten sein. Zudem hat die Zustimmungskompetenz der Hauptversammlung als Präventivmaßnahme auch in China nur einen engen Anwendungsbereich. 2. Personelle Verflechtung in Unternehmensgruppen und Minderheitenvertreter Im faktischen Konzern spielt die Überprüfung der Nachteiligkeit eines von dem herrschenden Unternehmen veranlassten Geschäfts und der Ausgleichsfähigkeit der Nachteile durch den Vorstand der abhängigen Gesellschaft eine tragende Rolle für das Einzelausgleichssystem. Allerdings ist nach der ganz h. M. keine institutionelle Unabhängigkeit des Tochtervorstands von der Konzernmutter vorausgesetzt, um die Funktionsfähigkeit dieses Schutzsystems zu bewahren.298 Vielmehr ist die personelle Verflechtung im Geschäftsführungsorgan der Mutter- und Tochtergesellschaft als ein konzernintegratives Mittel erlaubt. Die Lösung der in der Person der Vorstandsdoppelmandatsträger bestehenden Loyalitätskonflikte ist deren pflichtgemäßem Verhalten überlassen. Diese sollen in der Lage sein, die Auswirkungen eines von der Konzernmutter veranlassten Geschäfts sowohl aus der 298  Siehe

oben I. 2. d) aa).

260 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

Sicht der Mutter- als auch aus der Sicht der Tochtergesellschaft zu beurteilen, was der Identifizierung der Interessenkonflikte zwischen den beiden Gesellschaften im Einzelfall dient. Darin liegt die sachliche Rechtfertigung für die Pflichtbindung der Doppelmandatsträger jeweils an das Interesse der Mutter- und Tochtergesellschaft. Ein anderes entscheidendes Element des Einzelausgleichssystems ist die Pflicht des Vorstands zur detaillierten Dokumentation sämtlicher konzerninterner Geschäfte und die Überprüfungspflicht von Aufsichtsrat und Abschlussprüfer.299 Dadurch wird einerseits der Gefahr der Kollusion von Organen der Tochtergesellschaft und der Konzernmutter vorgebeugt und andererseits ihr Rücken gegenüber der Konzernmutter gestärkt. Aufgrund des vorhandenen konzernrechtlichen Minderheitsschutzes ist ein zusätzlicher Schutz durch Minderheitenvertreter bzw. durch neutrale Mitglieder im Aufsichtsrat nach h. M. überflüssig.300 In China ist es nach den Anforderungen der CSRC an die Unabhängigkeit der börsennotierten Tochtergesellschaft von der Konzernmutter in personeller Hinsicht unzulässig, dass die Organmitglieder der Konzernmutter die Geschäftsführungsfunktion in der börsennotierten Tochtergesellschaft übernehmen.301 Aufgrund des im Kapitalgesellschaftsrecht geltenden Stimmverbots der befangenen Vorstandsmitglieder in börsennotierten AGs302 wird der Vorstandsbeschluss, wenn es um Geschäfte zwischen Gesellschaft und Konzernmutter geht, allein von den „obergesellschaftsfreien“ Vorstandsmitgliedern getragen. Bei significant RPTs ist zudem die Einwilligung der unabhängigen Vorstandsmitglieder die Voraussetzung für deren Beratung in Vorstandssitzungen.303 Das Stimmverbot läuft dann darauf hinaus, dass sowohl die Vorprüfung als auch die Abstimmung in der Hand der unabhängigen Vorstandsmitglieder liegen, es sei denn, dass noch Vorstandsmitglieder vorhanden sind, die weder als unabhängige Mitglieder bestellt sind noch in einem Beschäftigungsverhältnis zur Konzernmutter stehen. Im Ergebnis erlangen die unabhängigen Vorstandsmitglieder, die nach der Regelung der CSRC mindestens ein Drittel der Vorstandssitze haben sollen, eine hervorragende Entscheidungsposition. Damit geht auch eine gesteigerte Verantwortlichkeit einher. Im für börsennotierte AGs geltenden Regelungsgefüge wird die Kontrolle der Geschäfte mit Aktionären durch unabhängige Vorstandsmitglieder, die der Geschäftsführung fern stehen, in den Mittelpunkt gestellt. Die Lösung erweckt den Eindruck eines starken Minderheitsschutzes durch die Begrenzung der Entscheidungsmacht der von der Konzern299  Siehe

oben I. 2. b) bb). oben I. 2. a) a. E. 301  Siehe oben II. 3. a). 302  Dazu ausführlich § 4 II. 2. e). 303  Siehe oben II. 1. a) aa). 300  Siehe



III. Rechtsvergleichung

261

mutter beherrschten Vorstandsmitglieder. Ihre Schwächen liegen jedoch klar auf der Hand. Zuerst werden mit dem Stimmverbot der befangenen Vorstandsmitglieder gerade die der Konzernmutter nahestehenden Vorstandsmitglieder, die im Regelfall eine bessere Einsicht in die Geschäfte mit der Konzernmutter und anderen verbundenen Unternehmen haben als die anderen Vorstandsmitglieder, von ihrer Verantwortung zur Bewahrung des Eigeninteresses der Tochtergesellschaft ausgenommen. Zudem kann das Stimmverbot nicht ohne weiteres die faktische Einflussnahme der Konzernmutter bzw. der ihr nahestehenden Vorstandsmitglieder auf die Willensbildung im Vorstand ausschließen. Angesichts der hoch konzentrierten Aktionärsstruktur der chinesischen börsennotierten AGs ist nicht zu bestreiten, dass die unabhängigen Vorstandsmitglieder ein starkes Mittel des Minderheitenschutzes sind. Zwar werden sie nicht explizit als Minderheitenvertreter, sondern als Interessenhüter der Gesellschaft konzipiert. Sie sollen aber zu den dem Großaktionär nahestehenden Vorstandsmitgliedern und leitenden Manager ein Gegengewicht bilden und sind im Hinblick auf ihre weitgehenden Einwirkungs- und Informationsmöglichkeiten304 auch hierzu in der Lage. Aus dem deutschen Aktienrecht ergibt sich, dass die Zulassung der personellen Verflechtung auf der Geschäftsführungsebene der Mutter- und Tochtergesellschaft den Minderheitenschutz nicht abschwächt, vorausgesetzt, dass die Doppelmandatsträger auch streng an das Eigeninteresse der Tochtergesellschaft gebunden sind.305 Die Loyalitätskonflikte in ihrer Person machen sie für die Aufgabe zur Bewahrung des Interesses der Tochtergesellschaft nicht zwingend ungeeignet. Im Gegenteil sind sie wegen ihres Wissensvorsprungs in den Verhältnissen der Mutter- sowie der Tochtergesellschaft gegenüber den anderen Organmitgliedern dafür besonders befähigt. Für das chinesische Recht bedeutet das, dass die Personenidentität zwischen Geschäftsführungsorganen der Mutter- und Tochtergesellschaft nicht zwingend nachteilig für die letztere ist. Die Aufgabe zum Schutz der börsennotierten Tochtergesellschaft und der außenstehenden Minderheitsaktionäre sollte man nicht den unabhängigen Vorstandsmitgliedern allein auferlegen. Vielmehr sollte auch das Kon­ trollpotential der dem Großaktionär nahestehenden Verwaltungsmitglieder ausgeschöpft werden. Dafür müssen sie auch die Entscheidung über das Ob und Wie eines RPT mittragen, so dass ein umfassendes Stimmverbot wegen Befangenheit entfallen sollte. Zudem wird eine bloße Behauptung ihrer Pflichtbindung gegenüber der Gesellschaft nicht ausreichen. Vielmehr sollen sie rechtlich in der Lage sein, sich den unzulässigen Einflüssen des Großaktionärs zu widersetzen. Zu den unabdingbaren Regelungselementen gehören 304  Siehe 305  Siehe

oben II. 1. a) aa) und § 4 II. 3. d). oben I. 2. d) aa).

262 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

die rechtlich abgesicherte Weisungsunabhängigkeit der Verwaltungsorgane sowohl von dem Großaktionär als auch von der Hauptversammlung, ihre strenge Bindung an das Eigeninteresse der Gesellschaft, die haftungsbewehrte Rechenschaftspflicht über die Wahrnehmung der Kontrollpflichten und die Überprüfung durch einen unabhängigen Dritten, und zu guter Letzt, klare materielle Kontrollmaßstäbe für die Ausgewogenheit der RPTs. 3. Materielle Zulässigkeitsmaßstäbe der herrschenden Einflussnahme Im deutschen Aktienrecht bemisst sich die Zulässigkeit der Austauschund Umsatzgeschäfte mit Aktionären in einer konzernfreien AG nach dem Maßstab der Kapitalerhaltungsvorschrift des § 57 Abs. 1 AktG und bei faktischem Abhängigkeitsverhältnis nach dem Maßstab der §§ 311, 317 AktG. Die Gemeinsamkeit liegt darin, dass sowohl der Verstoß gegen das Einlagenrückgewährverbot also auch die Nachteiligkeit eines vom herrschenden Unternehmen veranlassten Rechtsgeschäfts sich durch einen Drittvergleich feststellen lassen.306 Es ist nämlich entscheidend, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter das Geschäft unter sonst gleichen Umständen zu gleichen Bedingungen auch mit einem Dritten abgeschlossen hätte. Dieser Prüfungsmaßstab erweist sich als tauglich, wenn ein Marktpreis vorhanden ist oder zumindest näherungsweise mittels anerkannter und bewährter Bewertungsmethoden feststellbar ist. Dieser stößt jedoch dann an seine Grenzen, wenn es um nicht marktgängige Leistungen geht, also die Geschäfte, die die Gesellschaft nur mit ihrem Aktionär bzw. dem herrschenden Unternehmen abschließen kann. Ein typisches Beispiel dafür in einer konzernfreien AG sind die aufsteigenden Darlehen und Sicherheiten für Aktionäre.307 Die Tauglichkeit des Drittvergleichs ist im faktischen Konzern besonders zweifelhaft, da die abhängige AG wegen weitgehender Konzernintegration vom herrschenden Unternehmen derart wirtschaftlich abhängig sein kann, dass man nicht mehr unterstellen kann, dass sie unabhängig und autonom entscheidet. Allerdings wird die Zulässigkeit einer konzernintegrativen Maßnahme nicht danach geprüft, ob sie zur Zentralisierung der Konzernführung führt, sondern nach den allgemeinen Maßstäben für Nachteile und Nachteilsausgleich.308 Im faktischen Konzern findet das Modell des Einzelausgleichs gleichmäßig auf Rechtsgeschäfte und Maßnahmen Anwendung; Die Letzteren erfassen sogar das Unterlassen der für die Tochtergesellschaft vorteilhaften Rechtsgeschäfte und Maßnahmen. Wäh306  Siehe

oben I. 1. a) und I. 2. b) aa). oben I. 1. a) und eingehend I. 1. b). 308  Siehe oben I. 2. d) bb). 307  Siehe



III. Rechtsvergleichung

263

rend die Zulässigkeitsprüfung von Rechtsgeschäften auf die Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung gerichtet ist, geht es bei Maßnahmen da­ rum, ob die damit verbundenen Chancen und Risiken in einem vertretbaren Verhältnis zum einander stehen. Hier sind die Prüfungsmaßstäbe im Wesentlichen dieselben wie bei der Kontrolle von unternehmerischen Ermessensentscheidungen, mit der Folge, dass die Nachteiligkeit von Maßnahmen nur beim Ermessensfehlgebrauch angenommen wird. Die aktienrechtliche Diskussion um den qualifizierten faktischen Konzern zeigt, dass die Funktionsfähigkeit des Einzelausgleichsmodells gerade bei Maßnahmen zur Konzernintegration äußerst zweifelhaft ist.309 Im chinesischen Recht findet man die materiellen Angemessenheitsmaßstäbe nur in den Leitlinien zur Preisbestimmung in Listing Rules. Sie sind also nur auf die Rechtsgeschäfte mit related parties gerichtet. Die Maßgeblichkeit des Marktpreises wird dadurch hervorgehoben. Zwar wird damit ebenfalls ein Drittvergleich (at arm’s length) zugrunde gelegt. Aber der Unterschied zum deutschen Recht liegt darin, dass der Vergleichsmaßstab bei fehlendem Marktpreis nicht die Gegenleistung ist, die eine unabhängige Gesellschaft unter den Marktbedingungen für ihre Leistung verlangen würde, sondern eine, die der Aktionär oder die anderen verbundenen Unternehmen als Geschäftspartner beim Geschäft mit einer unabhängigen Dritten anbieten würden.310 Während der deutsche Vergleichsmaßstab des eigenverantwortlichen Geschäftsleiters einer als unabhängig gedachten Gesellschaft das Eigeninteresse der abhängigen Gesellschaft als Zulässigkeitsmaßstab für die herrschende Einflussnahme klar zum Ausdruck bringt, ist der chinesische Vergleichsmaßstab ambivalent. Dieser führt zu Verwirrungen darüber, wessen Interessen der Regelungsgeber als Kontrollmaßstab hervorheben will, weil aus rein vertragsrechtlicher Betrachtung der Großaktionär bzw. die Konzernmutter beim Kontrahieren mit einem unabhängigen Dritten seine eigenen Interessen grundsätzlich uneingeschränkt verfolgen darf und das Interesse des Geschäftspartners nur im Rahmen von Treu und Glauben berücksichtigen muss. Die Geschäfte zwischen einer Gesellschaft und seinem Großaktionär gehen jedoch gerade wenig auf den beiderseitigen freien Willen zurück als vielmehr auf die beherrschende Einflussnahme des Großaktionärs. Zudem kommt es bei dem Vergleichsmaßstab des Angebots des Großaktionärs gegenüber einem unabhängigen Dritten entscheidend auf die Stärke der Verhandlungsposition des Dritten an, wobei ein rechtlicher unabhängiger Dritter vom Großaktionär wirtschaftlich so abhängig sein kann, dass er sich der Macht desselben beugen muss. Zum Schutz einer Gesellschaft vor der schädlichen Einflussnahme ihres Großaktionärs reicht es 309  Siehe 310  Siehe

oben I. 2. d) bb). oben II. 1. a) cc).

264 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

nicht aus, die beiden als gleichgeordnete Marktteilnehmer zu unterstellen und die abhängige Gesellschaft auf den Selbstschutz durch Verhandlung zu verweisen. Zur Verstärkung der Rechtsposition der Verwaltungsorgane der abhängigen Gesellschaft ist für das chinesische Recht eine rechtliche Klarstellung darüber unentbehrlich, dass allein das Eigeninteresse der Gesellschaft für die Angemessenheitskontrolle maßgeblich ist. Außerdem sind Mechanismen erforderlich, die zumindest rechtlich sicherstellen, dass sich die Organmitglieder der abhängigen Gesellschaft gegenüber dem Großaktio­ när als gleichgeordnete Verhandlungsführer behaupten können. Hier ist auf die oben bereits genannten Regelungselemente zu verweisen.311 Im deutschen Konzernrecht dient der Drittvergleich der Ermittlung von Nachteilen.312 Der Begriff Nachteil hat die Funktion, bei einzelnen konzernveranlassten Geschäften eine klare Trennung von Folgen des Abhängigkeitsverhältnisses und des unternehmerischen Risikos zu ermöglichen. Dieser gibt die Orientierung über das anwendbare Recht, wenn man ein Geschäft aus haftungsrechtlicher Sicht betrachtet. Geht das Geschäft nicht auf die Abhängigkeit zurück, sucht man die Abhilfe im Organhaftungsrecht, wenn es der Gesellschaft tatsächlich zu schaden kommt. Hier stellt sich sodann die Frage, ob der Schaden eine Folge der Pflichtverletzung des Geschäftsleiters oder Realisierung des von der Gesellschaft selber zu tragenden unternehmerischen Risikos ist. Für diese Abgrenzung kommt dann die BJR zum Einsatz. Ist das Geschäft jedoch aufgrund der Abhängigkeit zustande gekommen, dann landet man im konzernrechtlichen Haftungsregime. Hier wird das herrschende Unternehmen für seine unzulässige Einmischung in die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft neben deren Geschäftsleiter, die der Einflussnahme Folge geleistet und damit pflichtwidrig gehandelt haben, in Anspruch genommen, wenn auch die Grenze des konzernrechtlichen Schädigungsprivilegs überschritten ist. Die auf dem Drittvergleich beruhende Nachteilsfeststellung geht von der Prämisse aus, dass das, was ein eigenverantwortlich und pflichtgemäß handelnder Geschäftsleiter tut, seine Gesellschaft im normativen Sinne nicht schadet. Mit der Sorgfalt eines eigenverantwortlichen Geschäftsleiters der als unabhängig gedachten Gesellschaft stellt das deutsche Konzernrecht klar, dass auch bei faktischem Abhängigkeitsverhältnis das unternehmerische Risiko bei der Tochtergesellschaft bleibt.313 Dadurch wird eine Parallele zum allgemeinen Aktienrecht hergestellt. Die Sonderregelungen des Rechts des faktischen Konzerns betreffen im Wesentlichen nur die Anerkennung des Konzerninteresses unter dem Vorbehalt des Nachteilsausgleichs und die Möglichkeit 311  Siehe

oben III. 2. a. E. oben I. 2. b) aa). 313  Siehe oben I. 2. b) aa). 312  Siehe



III. Rechtsvergleichung

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eines zeitlich bis zum Geschäftsjahresende gestreckten Nachteilsausgleichs durch Einräumung des entsprechenden Rechtsanspruchs. Im Ergebnis wird der Tochtergesellschaft das nachträgliche Insolvenzrisiko des herrschenden Unternehmens auferlegt.314 Für das chinesische Recht lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen. Erstens kann die unter dem Schlagwort BJR zusammengefasste Regel zur Verteilung der Geschäftsrisiken zwischen Gesellschaft und Geschäftsleiter auch der Risikoverteilung zwischen Gesellschaft und ihrem unternehmerisch handelnden Großaktionär dienen. Im Anschluss an den deutschen konzernrechtlichen Nachteilsbegriff kann man das Tatbestandsmerkmal Schädlichkeit im chinesischen Verbot von schädlichen RPTs (§ 21 KgG) konkretisieren, indem man die Schädlichkeit vom Schaden unterscheidet und in einem normativen Sinne versteht. Ein RPT ist nicht schädlich, wenn die Sorgfalt eines eigenverantwortlichen Geschäftsleiters zum Zeitpunkt von dessen Vornahme eingehalten worden ist. Es läuft dann auf eine organhaftungsähnlich ausgestaltete Haftung des Großaktionärs gegenüber der Gesellschaft hinaus. Da ein Strukturmerkmal der modernen Aktiengesellschaft die Trennung der Aktionäre von der Geschäftsführung ist,315 was im chinesischen Recht zwar wegen der Spitzenstellung der Hauptversammlung und ihrer vielfachen Einbeziehung in die Geschäftsführung weniger ausgeprägt ist als im deutschen Aktienrecht, aber hinsichtlich der zum größten Teil dem Vorstand vorbehaltenen Geschäftsführungskompetenzen doch im Wesentlichen bewahrt ist, darf man den herrschenden Aktionär nicht ohne weiteres wie einen Geschäftsleiter behandeln. Das gilt auch dann, wenn es nur um die Haftung geht, weil eine haftungsrechtlich geduldete Anmaßung der Geschäftsleiterfunktion zur faktischen Anerkennung seiner Leitungsmacht über die Gesellschaft führen wird. Daher ist aus Sicht des chinesischen Rechts eine organisationsrechtliche Klarstellung darüber unausweichlich, unter welchen Voraussetzungen das Interesse des herrschenden Aktionärs, das sich von dem Interesse der Gesellschaft unterscheidet, von den Verwaltungsorganen der Gesellschaft berücksichtigt werden kann. Dies ist eine wertende Entscheidung, die man erst nach einer sorgfältigen Abwägung von möglichen Vorteilen der dadurch erleichterten Gruppenführung durch den herrschenden Aktionär und Nachteilen für die außenstehenden Aktionäre und Gläubiger beantworten kann, indem man wirtschaftliche Effizienz und moralische Gerechtigkeit gegeneinander abwägt. Diese Aufgabe ist dem Gesetzgeber vorbehalten. Die Differenzierung von herrschenden Unternehmen und privaten Mehrheitsgesell314  Siehe

oben I. 2. b) aa) und c) aa). Armour / Hansmann / Kraakman, in: Kraakman / Davies u. a., Anatomy of Corporate Law, S. 12 ff. 315  Näher

266 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

schaftern im deutschen Aktienrecht gibt eine Orientierung über die anerkennungswürdigen Interessen. Angesichts der durch eine Gruppenbildung geschaffenen wirtschaftlichen Einheit kann man die Benachteiligung eines Gruppenmitglieds noch für vertretbar halten, solange sich daraus Vorteile für die Gruppe insgesamt ergeben, weil die Effizienzsteigerung der Gruppe den Einzelmitgliedern – zumindest in Theorie – zu gute kommen kann. Dagegen verdient die Benachteiligung einer Gesellschaft keinerlei rechtliche Billigung, die nur einem Aktionär „persönlich“ zum Vorteil gereichen wird.316 Für das chinesische Recht ist es nicht zwingend erforderlich, für unternehmerisch orientierte Aktionäre ein Sonderrecht wie das deutsche Konzernrecht zu schaffen. Die Differenzierung zwischen der sog. Konzerngefahr und den Interessenkonflikten der privaten Mehrheitsgesellschafter im deutschen Aktienrecht liefert jedoch einen Anhaltspunkt für die Konkretisierung der Treuepflicht der Aktionäre anhand ihrer unterschiedlichen Eigenschaften. Sieht man die mit dem unternehmerischem Charakter eines Ak­ tionärs verbundenen positiven Gruppeneffekte als einen Grund der unterschiedlichen Behandlung von Aktionären, dann muss man als nächsten Schritt die Unternehmensgruppe, die wegen ihres Synergiepotentials eine rechtlich positive Bewertung verdient, von der Unternehmenspyramide unterscheiden, die vornehmlich oder ausschließlich dem heimlichen Vorteils­ transfer zugunsten des de facto-Beherrschers dient. Dafür bedarf das chinesische Recht der rechtlichen Definition der Unternehmensgruppe und Regelungen zur Transparenz von Konzernverbindungen. 4. Zulässigkeitsgrenze der aufsteigenden Darlehen und Sicherheiten und der Konzernfinanzierung Im deutschen Recht sind die Darlehen und Sicherheiten für Aktionäre ein wichtiger Anwendungsfall des kapitalerhaltungsrechtlichen Einlagenrückgewährverbots und des konzernrechtlichen Nachteilsausgleichs. Im Rahmen des Einlagenrückgewährverbots ist mit der gesetzlichen Verankerung der bilanziellen Betrachtungsweise in § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG durch das MoMiG ein im Vergleich zum Drittvergleich lockerer Maßstab für aufsteigende Darlehen und Sicherheiten festgelegt.317 Dies ist vor dem Hintergrund der Erleichterung der konzerninternen Finanzierung, insbesondere des CashPooling, geschehen. Unter der Zugrundelegung der bilanziellen Betrachtungsweise ist eine bankübliche Besicherung der Darlehen nicht zwingend 316  Das Konzerninteresse fungiert als Schranke sowohl für die Nachteilszufügung im faktischen Konzern als auch für die Weisung im Vertragskonzern, dazu siehe oben I. 2. b) aa) und 3. 317  Siehe oben I. 1. b).



III. Rechtsvergleichung

267

notwendig. Ist die Bonität des kreditaufnehmenden Aktionärs zum Zeitpunkt der Valutierung zweifelhaft, ist die Kreditvergabe ohne hinreichende Besicherung wegen fehlender Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs der Gesellschaft gegenüber dem Aktionär eine verbotswidrige Vermögenszuwendung. Dieselben Grundsätze gelten auch für die Sicherheitenbestellung für Aktionäre. Bei faktischem Abhängigkeitsverhältnis enthält die Gewährung von Darlehen oder Sicherheiten für das herrschende Unternehmen bei seinem ex ante feststellbaren konkreten Insolvenzrisiko einen nicht ausgleichsfähigen Nachteil und ist daher nach § 311 AktG unzulässig.318 In diesem Fall führen der Drittvergleich im Rahmen des konzernrechtlichen Nachteilsausgleichs und das kapitalerhaltungsrechtlichen Rückgewährverbot zu demselben Ergebnis. Der Drittvergleich nach § 311 AktG ist aber insofern strenger als die bilanzielle Betrachtungsweise des § 57 AktG, als das konkrete Liquiditätsrisiko zwar einen Nachteil i. S. d. § 311 AktG begründet, jedoch wegen der bilanziellen Neutralität des Liquiditätsentzugs im Rahmen des § 57 AktG ohne Belang ist.319 An dieser Stelle treten die unterschiedlichen Normzwecke der Kapitalerhaltungsvorschriften und des Konzernrechts zutage. Während die rein bilanzielle Betrachtungsweise dem Gläubigerschutz, dem primären Normzweck des Kapitalerhaltungsrechts, genügt, ist sie für den vom Konzernrecht zumindest gleichrangig bezweckten Minderheitenschutz unzureichend, weil nicht alle für die abhängige Gesellschaft nachteiligen Maßnahmen in der Bilanz ausgewiesen sind. Unter Einhaltung der Erfordernisse der angemessenen Verzinsung und der Kontrolle des Ausfall- und Liquiditätsrisiko erlaubt das deutsche Aktienrecht die Einbindung einer abhängigen Gesellschaft in ein zentrales Cash-Management des Konzerns.320 Im chinesischen Recht bietet das buchstäblich verstandene Einlagenrückzahlungsverbot in § 36 KgG keinen adäquaten Schutz der Gesellschaft vor verdeckten Vermögenszuwendungen an Aktionäre. Für die Sicherheitenbestellung für Aktionäre geht das chinesische Recht von ihrer prinzipiellen Zulässigkeit aus und setzt als Vorkehrung gegen Machtmissbräuche der Großaktionäre auf die zwingende Zustimmungskompetenz der Hauptversammlung und das Stimmverbot des begünstigten Aktionärs. Die h. M. betrachtet diese Vorschriften als Verbotsgesetz und lässt den verbotswidrigen Sicherheitsvertrag auch im Außenverhältnis scheitern.321 Zu sonstigen Vermögenszuwendungen an Aktionäre fehlt es noch an der juristischen Ausarbeitung, und in Hinblick auf börsennotierte AGs kämpft die CSRC 318  Siehe

oben I. 2. c) aa). oben I. 2. c) bb). 320  Siehe oben I. 2. c) dd). 321  Siehe § 4 II. 3. b) aa). 319  Siehe

268 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

mit vielfältigen behördlichen Maßnahmen hiergegen.322 Aus der Unterscheidung zwischen betriebsbedingter und nicht betriebsbedingter Finanzmittel­ aneignung lässt sich vermuten, dass die CSRC die auf Austausch- und Umsatzgeschäfte zwischen der Gesellschaft und dem Großaktionär beruhenden Vermögenszuwendungen nicht verbieten will. Wegen der strengen, aber in vielerlei Hinsicht unklaren Regulierung der CSRC zum Vermögenstransfer zwischen börsennotierten Tochtergesellschaften und ihren herrschenden Aktionären bestehen erhebliche Rechtsunsicherheiten über die Zulässigkeit bzw. das zulässige Ausmaß der Einbindung der ersteren in ein zentrales Cash-Management der Unternehmensgruppe.323 In der Unternehmenspraxis wird verbreitet angenommen, dass die zentrale Liquiditätsverwaltung durch die Finanzgesellschaft der Unternehmensgruppe im Gegensatz zu der unmittelbar von der Muttergesellschaft betreibende Liquiditätsverwaltung nicht gegen die RPTs-Regelungen der CSRC verstoße.324 Für das chinesische Recht sind folgende Erkenntnisse aus dem deutschen Aktienrecht von Interesse. Zuerst sind weder die Erscheinungsform noch der Grund oder das Motiv der Vermögenszuwendung an Aktionäre für ihre rechtliche Bewertung relevant. Eine Beeinträchtigung des Interesses der Gesellschaft und der restlichen Aktionäre liegt vor, sobald einer Leistung der Gesellschaft an ihren Aktionär keine adäquate Gegenleistung gegenübersteht.325 Zweitens ist das deutsche Recht für die Beurteilung von aufsteigenden Darlehen und Sicherheiten im Rahmen des Kapitalerhaltungsrechts vom Drittvergleich abgewichen und hat eine auf die Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs und damit die Bonität des begünstigten Aktionärs gerichtete bilanzielle Betrachtungsweise angenommen. Zudem werden Darlehen und Sicherheitsleistungen gleich behandelt, weil bei drohender Zahlungsunfähigkeit des begünstigten Aktionärs das Ausfallrisiko für die Gesellschaft dasselbe ist.326 Hinsichtlich des Gläubigerschutzes, dem das Kapitalerhaltungsrechts primär dient, kann man die Herabsetzung des Zulässigkeitsmaßstabs als gerechtfertigt ansehen, da man damit den Haftungsfonds bereits absichert und für die Gläubiger ein über die Sicherstellung der Bonität der Gesellschaft hinausgehender Kapitalschutzes nicht zwingend erforderlich ist.327 Im Recht des faktischen Konzerns gilt für aufsteigende Darlehen und Sicherheiten weiterhin der strenge Drittvergleich als Maßstab der Nachteilsermittlung, der dem Minderheitenschutz besser Rechnung tra322  Siehe

oben oben 324  Dazu siehe 325  Siehe oben 326  Siehe oben 327  Siehe oben 323  Siehe

II. 2. a). II. 2. b). oben II. 2. b) a. E. I. 1. a) und 2. b) aa). I. 1. b) und 2. c) aa). I. 1. c) bb).



III. Rechtsvergleichung

269

gen kann. Dadurch wird über den wertmäßigen Kapitalschutz hinaus auch der Liquiditätsbedarf der Gesellschaft berücksichtigt.328 Letztlich ist der Umgehungsschutz im deutschen Recht nennenswert. Das kapitalerhaltungsrechtliche Rückgewährverbot erfasst auch die Vermögenszuwendung an einen Dritten, wenn die Zurechnungsvoraussetzungen vorliegen, sei es eine Zuwendung aufgrund der Veranlassung eines Aktionärs, an eine dem Aktio­ när nahe stehende Person oder ein von ihm beherrschtes Unternehmen.329 Bei faktischem Abhängigkeitsverhältnis kommt es für den Nachteilsausgleich nur darauf an, ob die für die Gesellschaft nachteiligen Rechtsgeschäfte und Maßnahmen von dem herrschenden Unternehmen veranlasst worden sind oder nicht. Es ist hingegen unerheblich, ob es selbst oder ein anderes verbundenes Unternehmen unmittelbar die Vorteile erlangt. Für das chinesische Recht sind folgende Schlussfolgerungen zu ziehen: Erstens kann man das at arm’s length-Prinzip, das in den vornehmlich an Umsatzgeschäfte zwischen related parties gerichteten chinesischen Regelungen bereits zutage tritt, auch auf die Darlehens- und Sicherheitsgeschäfte mit Aktionären und sonstige Vermögenszuwendungen anwenden. Mit anderen Worten ist eine einheitliche Regelung für die Vermögenszuwendungen an Aktionäre möglich. Zweitens kann man im Anschluss an das deutsche Recht den vorhandenen formal- bzw. verfahrensbezogenen Schutzmechanismus für die aufsteigenden Sicherheiten um materielle Zulässigkeitserfordernisse ergänzen. Dabei sind die Besonderheiten der aufsteigenden Darlehen und Sicherheiten zu berücksichtigen, da sie häufig nicht marktgängig sind und eine gruppeninterne Finanzierungsfunktion haben. Um den Schutz der Gesellschaft und der außenstehenden Aktionären und das berechtigte Inte­ resse der Unternehmensgruppe an einer erleichterten gruppeninternen Finanzierung in Einklang zu bringen, wird man im Anschluss an das deutsche Recht die Zulässigkeit der aufsteigenden Darlehen und Sicherheiten bei ex ante feststellbarem konkretem Ausfall- und Liquiditätsrisikos verneinen müssen.330 Die Zulässigkeitskontrolle ist dem Vorstand aufzuerlegen. Angesichts der geltenden Kompetenzordnung bedeutet dies, dass der Vorstand der Hauptversammlung einen Beschlussfassungsvorschlag für eine Zustimmung der Sicherheitenbestellung für einen Aktionär nur dann unterbreiten darf, wenn er sich nach einer sorgfältigen Prüfung von deren materiellen Zulässigkeit überzeugt hat. Mit der Verschärfung der Kontrollverantwortung des Vorstands hinsichtlich der Geschäfte mit Aktionären lässt sich auch eine Verdrängung des Präventivschutzes mittels Hauptversammlungszustimmung erwarten. Schließlich ist ein Verbot der Beteiligung börsennotierter Tochter328  Siehe

oben I. 2. c) bb). oben I. 1. a). 330  Siehe oben I. 2. c) ee). 329  Siehe

270 § 5  Organschaftliche Pflichtbindungen bei Geschäften mit Aktionären

gesellschaften am zentralen Cash-Management der Gruppe auch aus praktischen Gründen nicht mehr erforderlich, wenn sich greifbare Kriterien für die Kontrolle der Vermögenszuwendungen zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären bzw. diesen nahestehenden Personen und Unternehmen entwickeln lassen.

IV. Zusammenfassung Zur Kontrolle der Geschäfte der Gesellschaft mit Aktionären setzt das chinesische Recht im Gegensatz zum deutschen Aktienrecht auf die Zustimmung der Hauptversammlung, verbunden mit dem Stimmverbot der interessierten Aktionäre. Dies hängt mit der verschiedenen Rechtsstellung der Hauptversammlung hinsichtlich der Geschäftsführung in beiden Ländern zusammen. Es steht fest, dass der mit dem Stimmverbot verbundene Selbstschutz der Aktionärsminderheit einer Ergänzung durch die gerichtliche Kontrolle der Stimmrechtsausübung bedarf, die in China aber angesichts der noch weitgehenden Unklarheiten über die Treuepflicht der Aktionäre als Kontrollmaßstab besonders schwierig ist und noch keine große Wirkung zur Kontrolle der Mehrheitsherrschaft erzeugen kann. Im Gegensatz zum deutschen Recht, das den Vorstandsdoppelmandaten im Konzern offen gegenübersteht, ist es in China börsenaufsichtsrechtlich verboten, dass die Geschäftsführungsfunktion in börsennotierten AGs von Organmitgliedern oder Angestellten der Muttergesellschaft übernommen wird, und die dem Großaktionär nahestehenden Vorstandsmitglieder unterliegen einem umfassenden Stimmverbot. Die chinesische Lösung ist einerseits der Umgehungsgefahr ausgesetzt und andererseits führt sie zu einer ungerechten Entlastung der dem Großaktionär nahestehenden Organmitglieder. Um ihre Verantwortung für den Schutz der Gesellschaft vor unangemessenen Geschäften zu verstärken und ihr Kontrollpotential auszuschöpfen, sollte das chinesische Recht auf ein allgemeines Stimmverbot wegen Befangenheit verzichten und zugleich die Rechtsposition der Verwaltungsmitglieder der Tochtergesellschaft gegenüber dem Großaktionär bzw. der Muttergesellschaft stärken. Im chinesischen Recht beschränken sich die Angemessenheitsmaßstäbe auf die Bestimmung der Entgelte bei Umsatzgeschäften, und bei fehlendem Marktpreis ist die Angemessenheit der Gegenleistung im Gegensatz zum deutschen Recht nicht aus Sicht der Gesellschaft, sondern aus Sicht des Großaktionärs bzw. der Muttergesellschaft zu bewerten. Daher benötigt das chinesische Recht eine Klarstellung darüber, dass allein das Eigeninteresse der Tochtergesellschaft für die Angemessenheitskontrolle maßgeblich ist, um die Rechtsposition der Verwaltungsmitglieder der Gesellschaft gegen-



IV. Zusammenfassung271

über dem Großaktionär zu stärken. Darüber hinaus kann man in Anschluss an das deutsche Recht das Tatbestandsmerkmal der Schädlichkeit im chinesischen Verbot von schädlichen RPTs mit der Sorgfalt eines eigenverantwortlichen Geschäftsleiters konkretisieren. Der chinesische Gesetzgeber muss klarstellen, unter welchen Voraussetzungen die Verwaltungsorgane das Interesse des Großaktionärs bzw. der Muttergesellschaft berücksichtigen dürfen. Zudem bedarf das chinesische Recht einer klaren Definition der Unternehmensgruppe und Regelungen zur Transparenz der Gruppenverbindungen, um die berechtigten Gruppeninteressen von dem unberechtigten privaten Interessen des Großaktionärs klar abzugrenzen. Für die Kontrolle der aufsteigenden Darlehen und Sicherheiten steht fest, dass der formale Kontrollmechanismus in chinesischem Recht einer Ergänzung durch eine materielle Zulässigkeitskontrolle bedarf. In Anschluss an das deutsche Recht der Kapitalerhaltung und des Recht des faktischen Konzerns kann man einen einheitlichen Kontrollmaßstab für die Vermögenszuwendung an Aktionäre entwickeln. Unter dem Gesichtspunkt des Minderheitenschutzes ist der strengere Drittvergleich vorzugswürdiger als die bilanzielle Betrachtungsweise.

§ 6  Durchsetzung der Organpflichten durch Aktionärsklage Ob die organschaftlichen Pflichten die erwünschte verhaltenssteuernde Wirkung erzeugen können, hängt entscheidend von der Wirksamkeit ihrer Durchsetzung ab. Die Durchsetzung der Organpflichten beschränkt sich nicht auf die gerichtliche Geltendmachung der Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen pflichtverletzende Organmitglieder. Als gesellschaftsrechtlich vermittelte Durchsetzungsmechanismen kommen im deutschen Aktienrecht die Abberufung der Vorstandsmitglieder durch den Aufsichtsrat aus wichtigem Grund nach § 84 Abs. 3 AktG, die Verweigerung der Entlastung (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 AktG) durch die Hauptversammlung bzw. die Anfechtung des Entlastungsbeschlusses in Betracht. Die Nichtwiederbestellung und das Drängen zum Rücktritt sind weitere denkbare Sanktionsmechanismen. Die chinesische Entsprechung findet man in der Vorschlagbefugnis des Aufsichtsrats zur Abberufung der rechtswidrig handelnden Vorstandsmitglieder und leitenden Manager nach § 54 Nr. 2 KgG sowie der – theoretischen – Möglichkeit der Hauptversammlung, die Zustimmung zu Arbeitsrechenschaftsberichten des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 37 Abs. 1 Nr. 3 und 4 KgG) zu verweigern. Man darf jedoch die Organhaftung unter Vorbehalt der realen prozessualen Durchsetzbarkeit als das wirkungsvollste Mittel ansehen. Aus ökonomischer und psychologischer Sicht fehlt es an gesicherten Erkenntnissen, inwieweit die Haftungsandrohung tatsächlich Präventivwirkung entfaltet.1 Es ist auch nicht zu erwarten, dass die strenge Haftung eine gute Geschäftsführung fördern kann, und die Verbreitung der Haftungseinschränkung in Form einer BJR belegt eher das überall anzutreffende Bedürfnis zur Vermeidung der negativen Anreize der Organhaftung. Man wird jedoch davon ausgehen können, dass die Haftungsdrohung den Auswüchsen schlechter Geschäftsführung sowie untreuem Verhalten entgegenwirken kann.2 Im Folgenden wird jeweils eine Übersicht der Klagemöglichkeiten der Aktionäre in beiden Ländern gegeben und anschließend auf die abgeleitete Aktionärsklage und ihre praktische Umsetzung eingegangen.

1  Arnold,

Steuerung des Vorstandshandels, S. 171. § 93 Rn. 7.

2  KK-AktG / Mertens / Cahn,



I. Die Aktionärsklage im deutschen Aktienrecht273

I. Die Aktionärsklage im deutschen Aktienrecht 1. Klagemöglichkeiten der Aktionäre gegen pflichtwidriges Organverhalten a) Durchsetzung der Schadensersatzansprüche der Gesellschaft Im deutschen Aktienrecht ist die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder primär jeweils die Aufgabe des Aufsichtsrats und des Vorstands. Die Gefahr, dass das zuständige Gesellschaftsorgan, bedingt durch die Arbeitsatmosphäre oder durch die Befürchtung, dass bei der Haftungsverfolgung auch eigene Pflichtverletzungen entdeckt werden, die Klageerhebung versäumt, wurde bereits vom historischen Gesetzgeber gesehen. Als Schutzinstrument wurde der General- bzw. Hauptversammlung und der qualifzierten Aktionärsminderheit ein Recht zur Erzwingung der Rechtsverfolgung eingeräumt, welches jeweils durch das Recht zur Bestellung bzw. zum Antrag auf gerichtliche Bestellung eines Revisors (des heutigen Sonderprüfers) flankiert wurde.3 Der Gesetzgeber des AktG 1965 übernahm dieses Regelungskonzept im Wesentlichen und statuierte in § 147 das Minderheitenrecht zur Klageerzwingung, das an einen Aktienbesitz von 10 %, und in § 142 das Minderheitenrecht zum Antrag auf gerichtliche Bestellung von Sonderprüfern, das an dasselbe Quorum oder einen Festbetrag von zwei Millionen DM geknüpft war. Nur im Konzernverhältnis wurde (und wird) dem einzelnen Aktionär ein eigenes Klagerecht eingeräumt, die Schadenersatzansprüche der Gesellschaft gegen das herrschende Unternehmen, dessen gesetzliche Vertreter und die Organmitglieder der abhängigen Gesellschaft geltend zu machen (§§ 309 Abs. 4 Satz 1, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 AktG). Denn der Gesetzgeber hat die Gefahr gesehen, dass das Stimmrecht des herrschenden Unternehmens häufig das Zustandekommen der für das Klageerzwingungsverfahren erforderlichen Minderheit verhindert.4 Um die Durchsetzung von Ansprüchen durch den einzelnen Aktionär nach § 317 AktG zu erleichtern, wurde im Zuge des KonTraG (1998) der qualifizierten Aktionärsminderheit das Recht zum Antrag auf Sonderprüfung bei einem Anfangsverdacht pflichtwidriger Nachteilszufügung (§ 315 Abs. 2 AktG) eingeräumt.5 Wegen der hohen Verfahrenshürden und Pro3  Vgl. Art. 223, Art. 222a ADHGB 1884; §§ 268–270, 266, 267 HGB 1900; §§ 122–124 AktG 1937, dazu GroßKommAktG / Bezzenberger, § 147 Rn. 1; GroßKommAktG / Bezzenberger, § 142 Rn. 1; MünchKommAktG / Schröer, § 142 Rn. 8. 4  KK-AktG / Koppensteiner, § 309 Rn. 44. 5  Näher dazu Hüffer, § 315 Rn. 1; MünchKommAktG / Altmeppen, § 315 Rn. 1 ff.

274

§ 6  Durchsetzung der Organpflichten durch Aktionärsklage

zessrisiken war das Klageerzwingungsverfahren des AktG 1965 nur von geringer praktischer Bedeutung.6 Auch das KonTraG (1998), das die Beseitigung der Kontrolldefizite des deutschen Aktienrechts u. a. durch Verbesserung der Haftungsdurchsetzung anstrebte, brachte nur mäßige Änderungen.7 Die Aktionärsminderheit hatte nur ein Klageinitiativerecht, das weiterhin an einen hohen Schwellenwert (5 %-Quorum oder 500.000,– Euro) angeknüpft war, und das Kostenrisiko wurde auch nur geringfügig ermäßigt. Erst im Zug des UMAG (2005) wurde das überlieferte kollektive Verfolgungsrecht um ein Verfolgungsrecht der Minderheitsaktionäre unter Vorbehalt einer besonderen gerichtlichen Zulassung ergänzt, wobei die Verknüpfung von Verfolgungspflicht und Bestellung eines besonderen Vertreters (§ 147 Abs. 3 und 4 a. F. AktG) aufgegeben wurde. In systematischer Hinsicht unterscheidet das deutsche Aktienrecht also zwischen drei Durchsetzungsmechanismen, nämlich dem pflichtgebundenen Recht der Verwaltungsorgane zur Haftungsdurchsetzung, der Mehrheitsbefugnis zur Festlegung einer Klagepflicht und dem eigenen Verfolgungsrecht der Minderheit.8 Das deutsche Aktienrecht räumt unter bestimmten Voraussetzungen auch den Gläubigern ein Verfolgungsrecht ein (vgl. §§ 93 Abs. 5, 309 Abs. 4 Satz 2, 317 Abs. 4 AktG).9 Darauf wird hier mangels Themarelevanz nicht eingegangen. b) Die unmittelbare Aktionärsklage auf Schadensersatz Die einzelnen Aktionäre haben ein eigenes Klagerecht gegen rechtswidrig handelnde Organmitglieder, wenn sie in materiellrechtlicher Hinsicht gegen diese eigene Schadensersatzansprüche haben. Ein Aktionär kann diejenigen Organmitglieder, die pflichtwidrig der unzulässigen Einflussnahme eines Dritten Folge geleistet haben, als Gesamtschuldner gemeinsam mit diesem Dritten in Anspruch nehmen (§ 117 Abs. 2 AktG), vorausgesetzt, dass ein über die Schädigung der Gesellschaft hinausgehender, unmittelbarer Schaden bei ihm eintritt (vgl. § 117 Abs. 1 Satz 2 AktG).10 Z. B. ist der Wertverlust von Aktien infolge der Schädigung des Gesellschaftsvermögens nur ein mittelbarer Schaden.11 Ferner kommen deliktsrechtliche Ansprüche der einzelnen Aktionäre gegen die Organmitglieder wegen der 6  GroßKommAktG / Bezzenberger, § 147 Rn. 3; MünchKommAktG / Schröer, § 147 Rn. 3. 7  Vgl. GroßKommAktG / Bezzenberger, § 147 Rn. 4. 8  Vgl. K. Schmidt, NZG 2005, S. 796, 798; grundlegend Ulmer, ZHR 163 (1999), S. 290, 339. 9  Dazu eingehend Hüffer, § 93 Rn. 31 ff.; Hüffer, § 309 Rn. 23. 10  BGH NJW 1987, S. 1077, 1079; Hüffer, § 117 Rn. 9 m. w. N. 11  BGH NJW 1987, S. 1077, 1079 („Doppelschäden“).



I. Die Aktionärsklage im deutschen Aktienrecht275

Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB oder wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung aus § 826 BGB in Betracht. Jedoch werden Ansprüche der Aktionäre aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung ihrer Mitgliedschaftsrechte durch rechtswidrige Verwaltungsmaßnahmen aufgrund des vorrangigen aktienrechtlichen Rechtsschutzsystems überwiegend abgelehnt.12 Soweit Aktionäre gegen Organmitglieder deliktische Schadensersatzansprüche geltend machen, ergibt sich das Problem des Reflex- oder Doppelschadens. Auch hier gilt der Grundsatz, dass reine Vermögensschäden, die durch die Wertminderung des Anteils infolge einer Schädigung der Gesellschaft reflexiv beim Mitglied hervorgerufen werden, nicht ersatzfähig sind.13 Bei rechtswidrigen Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands ist im Regelfall von bloßen mittelbaren Vermögenseinbußen der Aktionäre auszugehen und folglich der deliktische Anspruch der Aktio­ näre zu verneinen.14 c) Die Aktionärsabwehrklage und Feststellungsklage Bei Eingriffen der Verwaltung in den Kompetenzbereich der Hauptversammlung eröffnet die Rechtsprechung den einzelnen Aktionären die Möglichkeit, einen Unterlassungs- bzw. Beseitigungsanspruch gegen die Gesellschaft geltend zu machen.15 Mit der Anerkennung dieser sog. Abwehrklage wird eine „Schutzlücke“ des Aktienrechts geschlossen, die dadurch e­ ntsteht, dass die aktienrechtliche Beschlussmängelklage nur gegen Hauptversammlungsbeschlüsse gerichtet ist und dann nutzlos wird, wenn Vorstand und Aufsichtsrat pflichtwidrig die Befassung der Hauptversammlung mit einer zustimmungspflichtigen Maßnahme umgehen.16 Der Abwehranspruch kann dogmatisch sowohl auf das mitgliedschaftliche Verhältnis zwischen dem Aktionär und der Gesellschaft als auch auf den deliktischen Schutz der Mitgliedschaft als ein absolutes Recht nach §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB gestützt 12  Vgl. K.  Schmidt / Lutter / Krieger / Sailer-Coceani, § 93 Rn. 63; Zöllner, ZGR 1988, S. 392, 430; auch Altmeppen, in: Krieger / U. H. Schneider, § 7 Rn. 33; aus anderem Grund MünchHdbAG / Wiesner, § 26 Rn. 30 (kein Eingriff in die Mitgliedschaft); a. A. KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 210 f.; Habersack, DStR 1998, S. 533, 534. 13  Vgl. MünchkommAktG / Spindler, § 93 Rn. 268; GroßkommAktG / Hopt, § 93 Rn. 471; Hüffer, § 93 Rn. 19; im Ergebnis auch KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 211 (keine Verletzung des Mitgliedschaftsrechts). 14  Vgl. den Umkehrschluss bei KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 211 („Deliktsrechtlich relevante Handlungen, die den Tatbestand von § 823 Abs. 1 BGB erfüllen, liegen in der Regel außerhalb der Geschäftsführungskompetenz der Vorstandsmitglieder.“). 15  BGH NJW 1982, S. 1703 – Holzmüller. 16  Adolff, ZHR 169 (2005), S. 310, 315.

276

§ 6  Durchsetzung der Organpflichten durch Aktionärsklage

werden.17 Bei ausführungsbedürftigen Hauptversammlungsbeschlüssen, z. B. solchen, die einer Anmeldung zum Handelsregister bedürfen, ist die Abwehrklage eine sinnvolle Ergänzung der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage.18 Neben den Kompetenzübergriffen hat die Rechtsprechung die Abwehrklage bisher nur für die rechtswidrige Ausnutzung genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss durch die Verwaltung zugelassen.19 Im Schrifttum wird eine Einschränkung der Aktionärsabwehrklage auf die Kompetenzübergriffe teilweise befürwortet.20 Nach dieser Ansicht stellt die Verletzung des Bezugsrechts einen Eingriff in die Kompetenz der Hauptversammlung zum Bezugsrechtsausschluss dar. Folglich wird die oben genannte Rechtsprechung ebenfalls der Fallgruppe Kompetenzübergriffe zugeordnet.21 Das vereinzelt befürwortete Mitgliedschaftsrecht des einzelnen Aktionärs auf gesetzes- und satzungsgemäßes Handeln der Verwaltungsorgane und die darauf gestützte umfassende Abwehrklage des Aktionärs22 werden von der ganz h. M. abgelehnt.23 Denn eine derartige Abwehrklage sei mit der aktienrechtlichen Zuständigkeitsordnung unvereinbar und stünde im Widerspruch zur Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats.24 Zudem habe sie wegen ihrer Wirkung der Blockierung der Geschäftsführung ein erheblich größeres Missbrauchspotential als die ex post wirkende Klage auf Schadensersatz.25 Mangels eines klagbaren Anspruchs auf gesetz- und satzungsmäßiges Handeln der Organe kann ein Aktionär grundsätzlich keine Klage auf Fest17  Zu beiden Ansätzen Habersack, in: Emmerich / Habersack, Vor § 311 Rn. 54 m. w. N.; für den letzteren Spindler / Stilz / Casper, Vorb. §§ 241 ff. Rn. 18; auch Bayer, NJW 2000, 2609, S. 2611 f. 18  Baums, Gutachten zum 63. DJT (2000), F S. 205. 19  BGH NJW 1997, S. 2815 – Siemens / Nold mit ablehnendem Ergebnis in der Sache. 20  Vgl. K. Schmidt, These 12, in: Verhandlungen des 63. DJT 2000, Sitzungsbericht O 37; ders., GesR, § 21 V 3, S. 648 ff.; Lutter, JZ 2000, S. 837, 841; Beschlüsse der Abteilung Wirtschaftsrecht in Verhandlungen des 63. DJT 2000, Sitzungsbericht O S. 227. 21  Vgl. Lutter, JZ 2000, S. 837, 841; a. A. Krieger, ZHR 163 (1999), S. 343, 357. 22  So Paefgen, Unternehmerische Entscheidung (2002), S. 321 f. 23  Vgl. KK-AktG / Mertens / Cahn, § 93 Rn. 235; MünchkommAktG / Spindler, § 93 Rn. 269 jeweils m. w. N.; Baums, Gutachten zum 63. DJT (2000), F S. 201 ff.; Beschlüsse der Abteilung Wirtschaftsrecht des 63. DJT 2000, Sitzungsbericht O S. 226 f. 24  Vgl. Ulmer, ZHR 163 (1999), S. 290, 340 f.; GroßkommAktG / K. Schmidt, § 241 Rn. 5; Baums, Gutachten zum 63. DJT (2000), F S. 200; Bayer, NJW 2000, S. 2609, 2611; kritisch GroßkommAktG / Hopt, § 93 Rn. 459, es geht ihm jedoch darum, die Holzmüller-Entscheidung dogmatisch zu begründen. 25  Vgl. Lutter, JZ 2000, S. 837, 841; ähnlich Adolff, ZHR 169 (2005), S. 310, 322 f.



I. Die Aktionärsklage im deutschen Aktienrecht277

stellung der Nichtigkeit von Vorstands- oder Aufsichtsratsbeschlüssen erheben.26 Für die rechtswidrige Ausnutzung des genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss durch den Vorstand erkennt der BGH ausnahmsweise die Statthaftigkeit einer allgemeinen Feststellungsklage gegen die Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlüsse an.27 Damit bezweckt der BGH den Rechtsschutz beim Bezugsrechtsausschluss zu vervollständigen, der durch das Entfallen der Pflicht zur Vorabberichterstattung zur Steigerung der Flexibilität des genehmigten Kapitals als Finanzierungsinstrument erleichtert worden ist.28 Der BGH hat klargestellt, dass der Aktionär gegen die Ausnutzung des genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsauschluss bis zur Durchführung der Kapitalerhöhung eine vorbeugende Unterlassungsklage erheben kann und danach nur die Feststellungsklage in Betracht kommt.29 Die praktische Bedeutung der Feststellungsklage liegt darin, die Inanspruchnahme des Vorstandes bzw. des Aufsichtsrats nach §§ 93, 116 und 147 f. AktG vorzubereiten.30 Mit der Anerkennung der Feststellungsklage will die Rechtsprechung für die rechtswidrige Ausnutzung des genehmigten Kapitals unter Bezugsrechtsausschluss gerade nicht den präventiven Schutz der Aktionäre, sondern den nachträglichen Schutz durch die Schadensersatzleistung der rechtswidrig handelnden Verwaltungsmitglieder verstärken.31 2. Das Klagezulassungsverfahren und seine praktische Umsetzung Die Entwicklung der abgeleiteten Aktionärsklage zeigt eine prinzipielle Zurückhaltung des deutschen Aktienrechts gegenüber einem Klagerecht der Aktionäre. Massenhafte Haftungsklagen durch Minderheitsaktionäre werden von dem Gesetzgeber des UMAG nicht gewünscht. Die abgeleitete Aktionärsklage soll vielmehr als ein Mittel fungieren, Druck auf den Aufsichtsrat in Bezug auf Klageerhebung auszuüben, wie sich aus § 148 Abs. 3 AktG ergibt, wonach die Gesellschaft jederzeit berechtigt ist selbst zu klagen oder das Verfahren in jedem Stande zu übernehmen.32 Die Aufsichtsratsklage 26  KK-AktG / Mertens / Cahn,

§ 93 Rn. 239. NJW 2006, S. 374, 375 Rn. 16 – Mangusta / Commerzbank II. mit Anmerkung von Lutter, JZ 2007, S. 371 ff. 28  Vgl. BGH NJW 2006, S. 374, 375 Rn. 17 – Mangusta / Commerzbank II. Eingehend zur Entwicklung der Rechtsprechung zu genehmigtem Kapital bei Wilsing, ZGR 2006, S. 722 ff. 29  Vgl. BGH NJW 2006, S. 374, 375 Rn. 17 a. E. – Mangusta / Commerzbank II. 30  Näher dazu Bartels, ZGR 2008, S. 723, 748. 31  Lutter, JZ 2007, S. 371. 32  Auch Seibert, NZG 2007, S. 841, 842; ähnlich MünchKommAktG / Schröer, § 148 Rn. 2. 27  BGH

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§ 6  Durchsetzung der Organpflichten durch Aktionärsklage

ist also zur Durchsetzung der Vorstandspflichten vorrangig vor der Aktionärsklage. Die deutsche abgeleitete Aktionärsklage ist zweistufig ausgestaltet. Es wurde ein gerichtliches Vorprüfungsverfahren, das sog. Klagezulassungsverfahren (§ 148 AktG), eingeführt, um missbräuchliche oder aussichtslose Haftungsklagen zu verhindern.33 Aktionäre, die zusammen über mindestens 1  % des Grundkapitals oder Aktien im Nominalbetrag von 100.000,– € verfügen, sind berechtigt, das Klagezulassungsverfahren zu betreiben und nach erfolgter Zulassung für die Gesellschaft als Prozessstandschafter gegen die pflichtwidrigen Organmitglieder vorzugehen. Der Gesetzgeber des UMAG war besonders auf Vorkehrungen gegen missbräuchliche Klagen bedacht und hat detaillierte Zulässigkeitsvoraussetzungen in § 148 Abs. 1 Satz 2 AktG aufgestellt. Die Antragssteller müssen zuerst nachweisen, dass sie die Aktien bereits erworben hatten, bevor sie oder im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge ihre Rechtsvorgänger die behaupteten Pflichtverstöße oder den behaupteten Schaden auf Grund einer Veröffentlichung kennen mussten. Dies sollte sicherstellen, dass solche Aktionäre als Antragsgegner ausscheiden, die ihre Aktien in Kenntnis des möglichen Pflichtverstoßes und damit im Zweifel zu Zwecken missbräuchlicher Klageerhebung nur kurzfristig erworben haben.34 Zudem wird der Nachweis der Aktionäre für eine erfolglose Aufforderung der Gesellschaft zur Klageerhebung verlangt. Denn es obliegt in erster Linie den zuständigen Gesellschaftsorganen darüber zu entscheiden, ob Haftungsansprüche gegen pflichtwidrig handelnde Organmitglieder geltend gemacht werden sollen oder nicht.35 Dieses Verlangen ist grundsätzlich immer zu stellen, es sei denn, dies wäre angesichts einer ernsthaften und endgültigen Verweigerung eine nutzlose Förmelei.36 Darüber hinaus haben die Antragssteller das Vorliegen von Tatsachen zu beweisen, die den Verdacht rechtfertigen, dass der Gesellschaft durch Unredlichkeit oder grobe Verletzung37 des Gesetzes oder der Satzung ein Schaden entstanden ist. Darin sehen mache Autoren eine gesetzgeberische Anerkennung eines Ermessenspielraums des zuständigen Gesellschaftsorgans im Bereich einfacher Sorgfaltsverletzungen.38 Zudem ist das Fehlen überwiegender Gründe des Gesellschaftswohls gegen eine 33  Vgl. Spindler / Stilz / Mock, § 148 Rn. 22; GroßKommAktG / Bezzenberger, § 148 Rn. 28  ff:; Baums, Gutachten zum 63. DJT (2000), F S. 252; K. Schmidt, These 12, in: Verhandlungen des 63. DJT 2000, Sitzungsbericht O S. 31. 34  BegrRegE, BT-Drucks, 15 / 5092, S. 21. 35  BegrRegE, BT-Drucks, 15 / 5092, S. 22. 36  BegrRegE, BT-Drucks, 15 / 5092, S. 22. 37  Eingehend zu beiden Begriffen Hüffer, § 148 Rn. 8; Seibert, in: FS Priester (2007), S. 763, 767 ff.; Spindler, NZG 2005, S. 865, 867. 38  v. Hein, Rezeption, S. 827 f.; vgl. auch Spindler, NZG 2005, S. 865, 869, der von „Grauzone“ der Pflichtverletzungen spricht, die nicht verfolgt werden könnten.



I. Die Aktionärsklage im deutschen Aktienrecht

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Klageerhebung erforderlich. Damit hat sich der Gesetzgeber an die ARAG /  Garmenbeck-Entscheidung des BGH angeschlossen und zugleich den Ausnahmecharakter der Vorschrift hervorgehoben.39 Ihre praktische Bedeutung liegt wohl nur darin, den nur Kosten verursachenden Klagen von „Trittbrettfahrern“, nämlich Mehrfachanträge mit identischem Streitgegenstand, entgegenzuwirken.40 Darüber hinaus wird als Missbrauchsvorkehrung die Höhe der erstattungsfähigen Anwaltsgebühren eingeschränkt (§ 148 Abs. 6 Satz 6 AktG). Hinsichtlich der Gefahr, dass die Aktionäre sich die Rechtsstreitbeendigung von der Gesellschaft abkaufen lassen, die für börsennotierte AGs im Zusammenhang mit missbräuchlichen Anfechtungsklagen bekannt ist, wird für börsennotierte AGs eine Bekanntmachungspflicht bei der Verfahrensbeendigung vorgesehen (§ 149 AktG).41 Die Erleichterungen der Haftungsverfolgung durch Aktionäre werden neben der Absenkung des Quorums vor allem durch die Kostenregelung bewirkt. Aufgehoben ist die für die Minderheitsaktionäre ungünstige Vorschrift des § 147 Abs. 3 und 4 a. F. AktG, die der Gesellschaft bei ihrem Unterliegen im Hauptsacheverfahren einen verschuldensunabhängigen Erstattungsanspruch gegen die Aktionärsminderheit hinsichtlich der Verfahrenskosten und der an den besonderen Vertreter zu leistenden Zahlungen einräumt.42 Die Aktionäre haben grundsätzlich nur die Kosten eines erfolglosen Klagezulassungsverfahrens zu tragen (§ 148 Abs. 6 Satz 1 AktG). Außerdem ist das Kostenrisiko für den Antragssteller überschaubar, da der Gegenstandwert gemäß § 53 Abs. 1 Ziff. 4 Satz 2 GVG auf 500.000,–  € begrenzt ist. Geht man von diesem Grenzwert aus, beträgt das Kostenrisiko bei Abweisung des Zulassungsantrags etwa 12.000,– €.43 Im Haftungsprozess hat die Gesellschaft dem Kläger die von ihm ausgelegten Kosten – selbst bei Abweisung der Klage – zu erstatten, sofern der Kläger die Zulassung nicht durch einen vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen Vortrag erwirkt hat (§ 148 Abs. 6 Satz 5 AktG). Bis 2010 wurde so gut wie kein Zulassungsverfahren bei den dafür zuständigen Kammern für Handelssachen der Landgerichte anhängig gemacht.44 Manche Autoren sehen darin einen Beleg für die praktische Bedeutungslosig39  BegrRegE, BT-Drucks, 15 / 5092, S. 22; K.  Schmidt / Lutter / Spindler, § 148 Rn. 29; Spindler, NZG 2005, S. 865, 867. 40  Peltzer, in: Wellhöfer / Peltzer / Müller, Haftung, § 16 Rn. 67; K.  Schmidt / Lutter / Spindler, § 148 Rn. 30. 41  MünchHdbAG / Semler, § 42 Rn. 31. 42  Kritisch dazu Baums, Gutachten zum 63. DJT (2000), F S. 254 („falscher Anreiz“). 43  Näher Peltzer, in: Wellhöfer / Peltzer / Müller, Haftung, § 16 Rn. 85 ff. 44  Peltzer, in: FS Uwe H. Schneider (2011), S. 953, 955.

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§ 6  Durchsetzung der Organpflichten durch Aktionärsklage

keit und den Misserfolg des § 148 AktG.45 Andere halten sich hingegen unter Berufung auf die fehlende genaue Rechtstatsachuntersuchung mit der Bewertung des Umsetzungserfolgs zurück.46 Die Kritiker des vermeintlich gescheiterten Klagezulassungsverfahrens sehen den Grund in folgenden Umständen: für die Aktionäre verbleibt noch immer ein Kostenrisiko,47 an die Darlegungslast des Antragsstellers werden hohe Anforderungen gestellt,48 die Hoheit über das Klagezulassungsverfahren kann dem Antragssteller jederzeit entzogen werden, indem die Gesellschaft selbst Klage erhebt,49 oder durch Vortrag von entgegenstehenden überwiegenden Gründen das Klagezulassungsverfahren zu Fall bringt,50 und das Minderheitsquorum ist insbesondere für börsennotierte AGs immer noch zu hoch.51 Schließlich kommt noch die fehlende Anerkennung vom anwaltlichen Erfolgshonorar hinzu.52 Allerdings ist die Zahl der Schadensersatzklagen gegen Vorstände in Deutschland seit dem Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahre 2007 gestiegen,53 selbst wenn die Haftungsfälle bei der AG immer noch viel seltener als bei GmbHs und Genossenschaften sind. Aufsehenerregend sind insbesondere die Klagen von diversen Landesbanken – z. B. der Sachsen-LB – gegen ihre ehemaligen Vorstandsmitglieder und die Klagen im Zusammenhang mit Korruptionsaffären, z. B. von Siemens AG, MAN SE und Ferrostaal AG. Im Siemens-Fall wurden Schadensersatzansprüche überwiegend durch Vergleich mit Zustimmung der Hauptversammlung erledigt. Eine der gegen zwei nicht vergleichsbereite ehemalige Vorstände erhobenen Schadensersatzklagen ist laut einer Pressemitteilung vom 28.11.2012 ebenfalls durch Vergleich beendet worden. Angesichts der im Zuge der Finanzkrise zunehmenden Anträge auf Sonderprüfung sind weitere Haftungsfälle zu erwarten.54 45  Z. B. Lutter, in: FS Uwe H. Schneider (2011), S. 763, 765; auch Peltzer, in: FS Uwe H. Schneider (2011), S. 953, 954 ff. 46  Vgl. den Vortrag von Goette im Röpke-Symposium „Managerhaftung – ist der Gesetzgeber gefordert?“ vom 23.03.2009 in Düsseldorf, http: /  / www.hwk-dues seldorf.de / webview31 / 31,0,630.html (zuletzt abgerufen 17.06.2013); ähnlich Spindler / Stilz / Mock, § 148 Rn. 29; Seibert, NZG 2007, S. 841, 842. 47  Peltzer, in: FS Uwe H. Schneider (2011), S. 953, 957; Lutter, in: FS Uwe H. Schneider (2011), S. 763, 764. 48  Peltzer, in: FS Uwe H. Schneider (2011), S. 953, 963. 49  Lutter, in: FS Uwe H. Schneider (2011), S. 763, 766; Spindler / Stilz / Mock, § 148 Rn. 9. 50  Peltzer, in: FS Uwe H. Schneider (2011), S. 953, 958; Lutter, in: FS Uwe H. Schneider (2011), S. 763, 764. 51  Lutter, in: FS Uwe H. Schneider (2011), S. 763, 764. 52  Spindler / Stilz / Mock, § 148 Rn. 9; v. Hein, Rezeption, S. 829. 53  Rieder / Holzmann, AG 2011, S. 265 f. m. w. N. 54  Eingehend zur Rechtsprechung zur Sonderprüfung Müller-Michaels / Wingerter, AG 2010, S. 903 ff.; Spindler, NZG 2010, S. 281 ff.



I. Die Aktionärsklage im deutschen Aktienrecht281

3. Die Aktionärsklage im Konzernverhältnis Das individuelle Klagerecht der Aktionäre im Konzernverhältnis ist in der Praxis auch nur von geringer Bedeutung. Bisher gibt es zu § 309 AktG keine Gerichtsentscheidungen und von der Klagebefugnis aus §§ 317 Abs. 4, 309 Abs. 4 Satz 1 AktG ist auch nur vereinzelt Gebrauch gemacht worden.55 Man sieht den Hauptgrund dafür in der abschreckenden Wirkung des hohen Prozesskostenrisikos,56 da der Gesetzgeber des AktG 1965 als Vorbeugung gegen missbräuchliche Klagen den klagenden Minderheitsaktionär mit dem vollen Kostenrisiko belastet hat.57 Für den Vertragskonzern dürfte aber der Grund darin liegen, dass die Aktionäre kein Interesse an der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen haben, weil ihre Interessen durch die Pflicht des herrschenden Unternehmens zur Verlustübernahme und durch ihr Recht auf Ausgleich und Abfindung bereits sichergestellt sind.58 Um dem Aktionär das unzumutbare Kostenrisiko abzunehmen, befürwortet die h. M. eine entsprechende Anwendung der sog. Streitwertspaltung des § 247 AktG.59 Diese Vorschrift erlaubt für Anfechtungsklagen eine richterliche Bestimmung des Streitwertes unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, der zudem grundsätzlich auf ein Zehntel des Grundkapitals und ein Maximum von 500.000,– € begrenzt ist, und die Anpassung der Gerichtskosten nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers. Die vergleichbare Interessenlage, die eine analoge Anwendung rechtfertigt, sieht man zum einen darin, dass es sowohl bei Anfechtungsklagen als auch bei konzernrechtlichen Schadensersatzklagen um einen Mehrheits- / Minderheitskonflikt geht, und zum anderen darin, dass in beiden Fällen nicht die privaten Interessen des Minderheitsaktionärs, sondern die Gesellschaftsinteressen im Vordergrund stehen.60 Außerdem wird die Anwendbarkeit des Klageerzwingungsverfahrens nach § 147 AktG neben der konzernrechtlichen unmittelbaren Aktionärsklage vielfach befürwortet, mit der Folge, dass bei Erfolg des Verfahrens die Klage von der Gesellschaft zu erheben sei und diese die Prozesskosten trage.61 Seitdem das 55  Emmerich, in: Emmerich / Habersack, § 309 Rn. 2; Habersack, in: Emmerich /  Habersack, § 317 Rn. 3; Kropff, in: FS Bezzenberger (2000), S. 233, 235. 56  Vgl. Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Rn. 27; Kropff, in: FS Bezzenberger (2000), S. 233, 241; KK-AktG / Koppensteiner, § 309 Rn. 47. 57  Dazu KK-AktG / Koppensteiner, § 309 Rn. 47. 58  Emmerich, in: Emmerich / Habersack, § 309 Rn. 2. 59  Vgl. KK-AktG / Koppensteiner, § 309 Rn. 47 ff.; MünchHdbAG / Krieger, § 70 Rn. 163; Emmerich, in: Emmerich / Habersack, § 309 Rn. 49a; MünchKommAktG /  Altmeppen, § 309 Rn. 127 und § 317 Rn. 58 ff.; a. A. Hüffer, § 309 Rn. 22. 60  Kropff, in: FS Bezzenberger (2000), S. 233, 242; ähnlich KK-AktG / Koppensteiner, § 309 Rn. 50. 61  Eingehend Kropff, in: FS Bezzenberger (2000), S. 233, 244 ff.; zustimmend Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Rn. 27; GroßKommAktG / Hirte, § 309

282

§ 6  Durchsetzung der Organpflichten durch Aktionärsklage

Kostenrisiko für die abgeleitete Aktionärsklage durch das UMAG 2005 erheblich reduziert wird, wird es von vielen Autoren befürwortet, auch das Klagezulassungsverfahren nach § 148 AktG auf konzernrechtliche Ersatzansprüche anzuwenden.62

II. Die Aktionärsklage im chinesischen Recht 1. Die Klagemöglichkeiten der Aktionäre gegen pflichtwidriges Organverhalten Das KgG hat ursprünglich den einzelnen Aktionären das Recht eingeräumt, gegen die Beschlüsse der Hauptversammlung und des Vorstands, die gegen Gesetze oder Rechtsverordnungen verstoßen und dadurch die Rechte und Interessen der Aktionäre verletzen, die Klage auf Unterlassung dieser rechtswidrigen oder schädigenden Handlungen zu erheben (§ 111 KgG 1993). Diese Vorschrift hat jedoch in der Praxis so gut wie keine Rolle gespielt. Der Grund wird darin gesehen, dass der Gesetzeswortlaut die Klage auf Schadensersatz nicht erfasse.63 In der Gerichtspraxis wurde die abgeleitete Aktionärsklage jedoch vielfach anerkannt. Von 2002 bis 2004 haben die Obereren Volksgerichte der Provinz Zhejiang, Provinz Jiangshu, Shanghai und Beijing ihre Leitlinien zur Behandlung der abgeleiteten Aktionärsklage erlassen. Auch das Oberste Volksgericht verkündigte diesbezüglich seine Anerkennung in seinem Entwurf zu einer Justizauslegung des KgG im November 2003, der detaillierte Regelungen zur abgeleiteten Aktionärsklage enthält.64 Seit der Gesetzesnovellierung 2005 werden die abgeleitete und unmittelbare Aktionärsklage gegen rechtswidrig handelnde Organmitglieder gesetzlich verankert (§§ 151 Abs. 2, 152 KgG). Durch die Ausdehnung des Beklagtenkreises auf „sonstige Personen“ in § 151 Abs. 3 KgG wird der Anwendungsbereich der abgeleiteten Aktionärsklage auf die Haftungsansprüche der Gesellschaft gegen ihre Aktionäre erweitert. Bei den Rechtsbehelfen gegen rechtswidrige Beschlüsse der Hauptversammlung und des Vorstands wird zwischen Nichtigkeitsfeststellung und Anfechtung unterschieden (vgl. § 22 Abs. 1 und 2 KgG). Rn. 41; verneinend hingegen Hüffer, § 309 Rn. 21; KK-AktG / Koppensteiner, § 317 Rn. 35; MünchHdbAG / Krieger, § 70 Rn. 163. 62  GroßKommAktG / Bezzenberger / Bezzenberger, § 148 Rn. 96; K.  Schmidt / Lutter / Spindler, § 148 Rn. 5; Habersack, in: Emmerich / Habersack, § 317 Rn. 27; GroßKommAktG / Hirte, § 309 Rn. 41; a. A. Hüffer, § 309 Rn. 21; KK-AktG / Koppensteiner, § 317 Rn. 35; MünchHdbAG / Krieger, § 70 Rn. 163. 63  Xu, G.  D. u. a., 14 EBOLR (2013), S. 57, 74. 64  Näher dazu 李小宁 [LI, Xiaoning], 《股东代表诉讼》 [Aktionärsklage], S. 263 f. Dieser Entwurf wurde wegen des kurz darauf verkündigten Gesetzgebungsvorhabens für eine Novellierung des KgG zurückgezogen.



II. Die Aktionärsklage im chinesischen Recht283

a) Die unmittelbare Aktionärsklage Nach § 152 KgG (§ 153 KgG 2005) kann jeder Aktionär Klage erheben, wenn Vorstandsmitglieder oder leitende Manager gegen Gesetz, Rechtsverordnung oder Satzung verstoßen und dadurch sein Interesse geschädigt haben. Damit ist das eigene Klagerecht des Aktionärs gesetzlich anerkannt.65 Diese Vorschrift lässt jedoch mehrere Fragen offen. Zunächst ist hier nur vom Klagerecht des Aktionärs die Rede und man kann allenfalls aus dem Erfordernis des eigenen Schadens ableiten, dass auch ein materiell-rechtlicher Anspruch des klagenden Aktionärs bestehen soll. Zudem ist es unklar, welche Klageart davon erfasst ist. Der Gesetzeswortlaut spricht zwar für die Leistungsklage auf Schadensersatz, weil ausdrücklich von Schaden des Aktionärs die Rede ist. In der Gerichtspraxis werden jedoch über die Leistungsklage auf Schadensersatz66 hinaus auch die Klage auf Unterlassung rechtswidriger Maßnahmen des Vorstands67 und auf Feststellung der Nichtigkeit der verbotswidrigen Eigengeschäfte der Vorstandsmitglieder und leitenden Manager,68 sogar die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit eines von der Gesellschaft eingegangenen Rechtsgeschäfts69 nach dem Maßstab dieser Vorschrift beurteilt. 65  桂敏杰 / 安建 [GUI, Minjie / AN, Jian], § 153 S. 364; 赵旭东主编 [ZHAO, Xudong (Hrsg.)], 《新公司法》 [Das neue KgG], S. 177. 66  刘世誉与 CHAN PAK SANG等损害股东利益纠纷上诉案 [Berufung LIU, Shiyu vs. CHAN PAK SANG wegen Beeinträchtigung des Aktionärsinteresses], 重庆 市高级人民法院民事判决书(2011)渝高法民终字第00101号 [Das Oberere Volksgericht Chongqing, Urteil (2011) 2. Instanz Nr. 00101]. Dem geschäftsführenden Direktor wurde vorgeworfen, er habe die Erweiterung des Geschäftsbereichs um das Kohlegeschäft verhindert, indem er nach Erlangung der entsprechenden Genehmigung keine Änderung des eingetragenen Geschäftsbereichs beantragt habe. 67  TAT Co. Ltd. 诉陆致成损害公司股东权益纠纷上诉案 [Berufung TAT Co. Ltd. vs. LU, Zhicheng wegen Beeinträchtigung des Aktionärsinteresses], 北京市高 级人民法院(2010)高民终字第534号 [Das Obere Volksgericht Beijing, Urteil (2010) 2. Instanz Nr. 534]. Angegriffen wurde die Ausführung eines bereits gerichtlich erfolgreich angefochtenen Vorstandsbeschlusses, der die Bestellung eines neuen CEO und die Errichtung einer neuen Abteilung zum Gegenstand hatte. 68  何某某等诉重庆某某食品有限公司等企业承包经营合同纠纷案 [HE vs. X. Food Co., Ltd. wegen des Streits über einen Betriebsüberlassungsvertrag], 重庆市 合川区人民法院民事裁判书(2012)合法民初字第00212号 [Das Volksgericht Hechuan der Stadt Chongqing, Urteil (2012) 1. Instanz Nr. 00212]; 陈炬诉东方建设集 团有限公司等损害公司权益纠纷案 [CHEN, Ju vs. Oriental Construction Group Ltd. wegen Beeinträchtigung des Gesellschaftsinteresses], 浙江省诸暨市人民法院 民事判决书(2009)绍诸商初字第4057号 [Das Volksgericht Zhuji der Provenz Zhejiang, Urteil (2009) 1. Instanz Nr. 4057]. Zu materiellrechtlichen Fragen in beiden Fällen siehe oben § 5 II. 3. b). 69  邵斐月诉宁波市镇海利天投资咨询有限公司  /  何 中寸股权转让纠纷上诉案 [Berufung SHAO, Feiyue vs. Ningbo Zhenhai Litian Investment Consultation Ltd.,

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§ 6  Durchsetzung der Organpflichten durch Aktionärsklage

Die meisten Klagen sind daran gescheitert, dass die klagenden Aktionäre keinen unmittelbaren Schaden durch die angegriffenen Maßnahmen oder Rechtsgeschäfte erlitten haben. Im zuletzt genannten Fall wird in der Urteilsbegründung noch nebenbei erwähnt, dass nur die Vertragsparteien und die gesetzlich vorgesehenen bestimmten Dritten zur Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Vertrags berechtigt seien sollten, und dass die Zulassung einer Aktionärsklage auf Feststellung der Nichtigkeit der von der Gesellschaft geschlossenen Verträge den Aktionären die Möglichkeit zur beliebigen Einmischung in die Geschäftsführung geben würde. Nur in einem Fall wurde eine unmittelbare Aktionärsklage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Kaufvertrags des Gesellschafter-Geschäftsführers mit einem Dritten in Bezug auf das Grundstück, das dieser als Einlage in die Gesellschaft eingebracht hat, stattgegeben.70 Dieser Entscheidung unterläuft ein Rechtsanwendungsfehler, weil das Gericht die Vorschrift in § 153 KgG 2005 (§ 152 KgG) als ein Verbotsgesetz qualifiziert und den Vertrag an dessen Verletzung scheitern lässt. Zudem wird die Prüfung von Zulässigkeit und Begründetheit einer unmittelbaren Aktionärsklage von Gerichten häufig nicht klar voneinander getrennt. Schließlich ist noch zu beachten, dass die bisher bekannten Gerichtsurteile ausschließlich GmbHs betreffen. b) Die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen Vorstandsbeschlüsse Die Ausdehnung der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage auf Vorstandsbeschlüsse ist eine chinesische Besonderheit. Diese Eigenart wird im Schrifttum nur vereinzelt erwähnt und mit einem pauschalen Hinweis auf die dadurch verbesserte Rechtsschutzmöglichkeit für Aktionäre begründet.71 Diese Klagemöglichkeit wird durch das Recht der Aktionäre auf Einsicht in die Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlüsse (§ 97 KgG) flankiert. In dem aus dem Rechtsbüro des Staatsrats stammenden Novellenentwurf wurde das HE, Zhongcun wegen Veraußerung der Beteiligung], 浙江省宁波市中级人民法院 (2008) 甬民三终字第648号 [Das Mittlere Volksgericht der Stadt Ningbo der Provinz Zhejiang, Urteil (2008) 3. Zivilsenate 2. Instanz Nr. 648]. Angegriffen wurde ein Vertrag zwischen der Gesellschaft und einem Dritten zur Übertragung einer Beteiligung an diesem wegen böswilliger Kollusion, wobei kein Ansatzpunkt für Interessenkonflikte von Organmitgliedern ersichtlich war. 70  徐海龙与郑文彬企业出资权益确认纠纷案 [XU, Hailong vs. ZHEN, Wenbing wegen des Streits über eine Einlage], 河南省南阳市中级人民法院民事判决书 (2010) 南民商终字第151号 [Das Mittlere Volksgericht der Stadt Nanyang der Provinz Henan, Urteil (2010) 2. Instanz Nr. 151]. 71  Vgl. 范健 [FAN, Jian] / 王建文 [WANG, Jianwen], 《公司法》 [KapGesR], S. 331.



II. Die Aktionärsklage im chinesischen Recht285

Auskunftsrecht sogar auf die Sitzungsprotokolle des Vorstands und Aufsichtsrats erstreckt.72 Der endgültige Gesetzestext geht zu Recht nicht so weit. Dieser Rechtsbehelf eröffnet dem einzelnen Aktionär eine weitgehende Möglichkeit, auf die Geschäftsführung Einfluss zu nehmen. Dies ist wenig problematisch bei GmbHs, in denen die Selbstorganschaft sowohl in China als auch in entwickelten Ländern mindestens faktisch vorherrschend ist, als vielmehr bei AGs, wo die Geschäftsführung mehr oder weniger dem dafür geschaffenen Organ vorbehalten ist. Allerdings sprechen sowohl die Rechtslage als auch die Gerichtspraxis für ein nur begrenztes Störungspotential der Vorstandsbeschlussmängelklage in China. Im KgG wird zwischen Inhalts- und Verfahrensfehler unterschieden. Inhaltliche Verstöße gegen Gesetz und Rechtsverordnung führen zur Nichtigkeit der betreffenden Beschlüsse, während die Fehler im Einberufungsverfahren und bei der Abstimmung und die inhaltlichen Verstöße gegen die Gesellschaftssatzung einen Beschluss anfechtbar machen (vgl. § 22 Abs. 1 und 2 KgG). Bei den Entscheidungen zu § 22 KgG handelt es sich meistens um die Anfechtung der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung und des Vorstands wegen eines Verfahrensfehlers. Nur in zwei Fällen wurde die Nichtigkeitsfeststellung eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung zur auflösenden Vermögensübertragung73 und eines Beschlusses der Hauptversammlung zur Gewinnverwendung74 unter Berufung auf Rechtsmissbrauch der Mehrheitsgesellschafter begehrt. In beiden Fällen haben die Gerichte argumentiert, dass es kein zwingendes Recht im Bereich der Vermögensverfügung durch die Gesellschaft bzw. der Gewinnverwendung – abgesehen von der Pflicht zur Bildung der gesetzlichen Rücklage – gebe und deswegen kein Nichtigkeitsgrund gegeben sei. Daraus kann man folgern, dass die chinesischen Gerichte davor zurückschrecken, einen Beschluss der Hauptversammlung oder des Vorstands wegen eines Inhaltsfehlers scheitern zu lassen, solange kein deutlich formuliertes rechtliches Verbot oder Gebot verletzt ist. Da Geschäftsführungsmaßnahmen nur selten unter Verbot gestellt werden, kann man erwarten, dass Vorstandsbeschlüsse im Regelfall 72  Kritisch zu dem Entwurf 蒋大兴 [JIANG, Daxin], in: 王保树主编 [WANG, Baoshu (Hrsg.)], 《公司法的现代化》 [Modernisierung des Kapitalgesellschaftsrechts], S. 546, 549. 73  高冬青诉康得新电公司 [GAO, D.Q. vs. KANG DE XIN DIAN Ltd.], 北京一 中院(2009)一中民终字第5995号 [Das Erste Mittlere Volksgericht Beijing, Urteil (2009) 2. Instanz Nr. 5995]. 74  金隆国际有限公司诉无锡百和织造股份有限公司股东大会决议效力确认纠 纷案 [Jinlong international trade Ltd. vs. Wuxi Baihe knitting Co. Ltd. wegen Feststellung der Wirksamkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses], 江苏省高级人民 法院(2010)苏商外终字第0014号 [Das Oberere Volksgericht Jiangshu, Urteil (2010) auslandsbezogene Handelssachen 2. Instanz Nr. 0014].

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§ 6  Durchsetzung der Organpflichten durch Aktionärsklage

von einer Nichtigkeitsklage verschont bleiben. In zwei bekannten Anfechtungsklagen gegen Vorstandsbeschlüsse wurde nur die fehlerhafte Einladung zur Vorstandssitzung geltend gemacht.75 2. Die Klage der Aktionäre aus abgeleitetem Recht und die praktische Anwendung Im Vergleich zu der unmittelbaren Aktionärsklage wird die abgeleitete Aktionärsklage viel genauer geregelt. Diejenigen Aktionäre, die allein oder zusammen mindestens ein Prozent der Anteile ununterbrochen mindestens 180 Tage halten,76 dürfen im eigenen Namen für das Interesse der Gesellschaft gegen Organmitglieder, die der Gesellschaft infolge rechtswidrigen Verhaltens bei der Amtsführung Schaden zugefügt haben, auf Schadensersatz klagen. Erforderlich ist eine schriftliche Aufforderung an den Aufsichtsrat – für den Fall der Vorstandsmitglieder oder leitender Manager als Beklagten – oder an den Vorstand – für den Fall der Aufsichtsratsmitglieder als Beklagten –, die nach dem Ablauf von 30 Tagen seit ihrem Zugang erfolglos bleibt (§ 151 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 149 KgG).77 Gegen „sonstige Personen“, die die legitimen Rechte und Interessen der Gesellschaft verletzt haben, dürfen die Aktionären gemäß § 151 Abs. 1 und 2 KgG im Namen der Gesellschaft Klage erheben (§ 151 Abs. 3 KgG). Dies geht auf die bisherige Gerichtspraxis zurück, in der die Klagen der Anteilseigner gegen andere Anteilseigner für Rechnung der Gesellschaft der abgeleiteten Aktionärsklage zugeordnet wurden. Mehrere Obere Volksgerichte der Provinzen haben in ihren Leitlinien die Zulässigkeit der abgeleiteten Aktionärsklage gegen die herrschenden Aktionäre bejaht, wenn die Gesellschaft infolge dieser Beherrschung ihr Recht nicht geltend machen kann oder es versäumt.78 Der Ge75  乔文章等诉北京城建四建设工程有限责任公司董事会决议撤销纠纷案 [QIAO, Wenzhang u. a. vs. Beijing Vierte Stadtbau GmbH wegen Anfechtung eines Vorstandsbeschlusses], 北京市海淀区人民法院 (2009)海民初字第10995号 [Das Volksgericht der Bezirk Haidian der Stadt Beijing, Urteil (2009) 1. Instanz Nr. 10095]; 王延祥与北京毕派克兴业物业管理有限责任公司董事会决议效力确 认上诉案 [Berufung WANG, Yanxiangn vs. Beijing Bipaike Xinye GmbH wegen Anfechtung eines Vorstandsbeschlusses], 北京市第二中级人民法院(2010)二中民终 字第01575号 [Das Zweite Mittlere Volksgericht Beijing, Urteil (2010) 2. Instanz Nr. 01575]. 76  Bei der GmbH ist jeder Gesellschafter klagebefugt. 77  Eingehend zu einzelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen 李小宁 [LI, Xiaoning], 《股东代表诉讼》 [Aktionärsklage], S. 280 ff.; D. Clarke / Howson, Minority Shareholder Protection, S. 16. 78  Z. B. § 1 Abs. 8 der vorläufigen Leitlinien des Oberen Volksgerichts Beijing zur Behandlung der kapitalgesellschaftsrechtlichen Sachen von 2004. Weitere Nachweise bei 李小宁 [LI, Xiaoning], 《股东代表诉讼》 [Aktionärsklage], S. 275.



II. Die Aktionärsklage im chinesischen Recht287

setzwortlaut geht jedoch weiter als die bisherige Gerichtspraxis. Unter den „sonstigen Personen“ sollen neben Aktionären z. B. auch die Buchhalter der Gesellschaft oder die Abschlussprüfer fallen, die durch Hilfeleistung bei Aufstellung und Prüfung verfälschter Jahresabschlüsse die Gesellschaft geschädigt haben.79 Die Verweisung auf § 151 Abs. 1 und 2 KgG führt dazu, dass bei Klagen gegen sonstige Personen dieselben Zulässigkeitsvoraussetzungen gelten wie im Falle der Klage gegen Organmitglieder und insbesondere das Vorliegen einer rechtswidrigen Amtshandlung der Organmitglieder erforderlich ist. Manche Autoren befürworten eine Differenzierung zwischen dem herrschenden Aktionär und dem de facto-Beherrscher einerseits und sonstigen Dritten andererseits und halten die Pflichtwidrigkeit der Organmitglieder bei Klagen gegen die ersteren für unnötig. Denn in diesem Fall sollte das Klagerecht der Aktionäre wegen seiner besonderen Bedeutung, weil der Vorstand wegen der Einflussnahme des herrschenden Aktionärs oder de facto-Beherrschers regelmäßig nicht vernünftig über die Anspruchsverfolgung gegen diese entscheiden könnte, nicht eingeschränkt werden.80 Seit dem Inkrafttreten des Novellierungsgesetzes 2005 gab es so gut wie keine abgeleitete Aktionärsklage gegen Organmitglieder einer AG und nur eine abgeleitete Aktionärsklage gegen den herrschenden Aktionär einer börsennotierten AG ist bekannt.81 Im Dezember 2009 klagten die Minderheitsaktionäre der Sanlian Commerical Co. Ltd. (Sanlian Commerical), nachdem ein großer Minderheitsaktionär erfolgreich 1,56 % der Aktionäre zur Klageerhebung überredet hatte, im Wege der abgeleiteten Aktionärsklage gegen Shangdong Sanlian Commerical Group Ltd. (Sanlian Group), die bisherige Muttergesellschaft, auf Feststellung der exklusiven Lizenz der Sanlian Commerical an der Marke „Sanlian“, auf Unterlassung der Nutzung dieser Marke und der Vergabe von Lizenzen an andere verbundene Unternehmen und auf Schadensersatz einschließlich Franchise- und Lizenzgebühren i. H. v. 5 Mio. RMB. Die Klage wurde von dem Oberen Volksgericht Shangdong am 17.10.2012 abgewiesen.82 Diese Klage war von Anfang an in vielerlei Hinsicht bedenklich. Zum einen war zum Zeitpunkt der Klageerhebung der Kontrollwechsel schon erfolgt und eine „Abrechnung“ des neuen de facto-Beherrschers, Gome Electronics, mit dem alten Großaktionär 79  So 刘凯湘 [LIU, Kaixiang], 《中国法学》 [Chinesische Rechtswissenschaft], 04 / 2008, S. 157, 166. 80  So 李小宁 [LI, Xiaoning], 《股东代表诉讼》 [Aktionärsklage], S. 274 f. 81  D. Clarke / Howson, Minority Shareholder Protection, S. 21 m. w. N. in Fn. 76. 82  „三联商社:关于公司中小股东代表诉讼侵权纠纷案的进展公告“ [Sanlian Commerical: Mitteilung über die Entwicklung der Klage der Minderheitsaktionäre wegen Rechtsverletzung] (18.10.2012), http: /  / finance.ifeng.com / stock / gsgg / 201210 18 / 7166629.shtml (zuletzt abgerufen 18.06.2013).

288

§ 6  Durchsetzung der Organpflichten durch Aktionärsklage

stand bevor.83 Zum anderen war die Rechtslage hinsichtlich der in Frage stehenden exklusiven Lizenz unklar und Sanlian Commerical hatte bereit im April 2009 gegen Sanlian Group eine Klage auf Unterlassung der Lizenzvergabe an Dritte in Bezug auf die Marke „Sanlian“ erhoben.84 Es sprechen gute Gründe dafür, dass bei dieser abgeleiteten Aktionärsklage nicht der Erfolg der Klage, sondern die aufsehenerregenden Effekte der sog. Aktionärsrechts-Bewegung („股东维权运动“) im Vordergrund stand. In einem anderen Fall aus dem Jahr 2006 forderte einer der Publikumsanleger der ST Longchang Co. Ltd., ein Rechtsanwalt für Aktionärsrechte, den Aufsichtsrat dieser Gesellschaft schriftlich zur Klage gegen verbundene Unternehmen auf Rückerstattung der Vermögenszuwendung und gegen den Vorstandsvorsitzenden85 auf Schadensersatz auf. Daraufhin erhob die Gesellschaft eine Klage, um auf dem Kapitalmarkt ein positives Signal auszusenden. Allerdings sah sie angeblich aus Kostengründen von einer Klage gegen den Großaktionär und den Vorstandsvorsitzenden ab und verklagte lediglich die fünf verbundenen Unternehmen, die die angegriffenen Vermögenszuwendungen unmittelbar empfangen hatten und zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits zahlungsunfähig waren. Es handelt sich also nur um eine symbolische Klage. Manche Autoren sehen darin einen Beleg dafür, dass § 151 KgG dem zuständigen Gesellschaftsorgan keinen Ermessenspielraum gebe, aus berechtigen Gründen – in vorliegenden Fall etwa die hohen Prozesskosten und die geringe Aussicht auf eine erfolgreiche Vollstreckung des Urteils – auf eine Klage zu verzichten, und die Gesellschaft zu einer wirtschaftlich sinnlosen Klageerhebung zu erzwinge.86 Die abgeleitete Aktionärsklage ist für die Durchsetzung der Organpflichten in börsennotierten AGs praktisch bedeutungslos. Dieses Ergebnis hat besonders weitreichende Konsequenzen, wenn man an die Vielzahl der Gesellschaften denkt, die selbst und deren Vorstandsmitglieder die CSRC wegen falscher Offenlegung bestraft haben. Die Begründungen in den Sanktionsentscheidungen der CSRC geben häufig klare Hinweise auf Pflichtverletzungen 83  臧小丽 [Zang, Xiaoli], 中顾法律新闻网 [Zhonggu-Netz der Rechtsnachrichten] (03.06.2009), http: /  / news.9ask.cn / Article / fj / 200906 / 191566.html (zuletzt abgerufen 18.06.2013). 84  Diese Klage wurde im Juni 2011 abgewiesen und die dagagen erhobene Berufung war erfolglos. Dazu siehe den Zeitungsbericht: „商标权诉讼初审 三联商社中 小股东败诉“ [Urteil der ersten Instanz zum Markenstreit, die Minderheitsaktionäre der Sanlian Commerical haben verloren], 《山东商报》 [Shandong-Handelszeitung] (19.10.2012), http: /  / money.163.com / 12 / 1019 / 10 / 8E61IJEH00253B0H.html (zuletzt abgerufen 18.06.2013). 85  Dieser wurde kurz davor wegen vielfachen Vermögensverschiebungen zugunsten zwei anderen ebenfalls von ihm kontrollierten börsennotierten AGs in Untersuchungshaft genommen. 86  So 李小宁 [LI, Xiaoning], 《股东代表诉讼》 [Aktionärsklage], S. 284 f.



II. Die Aktionärsklage im chinesischen Recht

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im Binnenverhältnis87 und ein Schaden der Gesellschaft besteht zumindest in dem von CSRC verhängten Bußgeld.88 Man kann insofern auch von einem Misserfolg der abgeleiteten Aktionärsklage sprechen, als deren gesetzliche Anerkennung durch die Novelle 2005 gerade der Verbesserung des Minderheitenschutzes insbesondere in börsennotierten AGs diente. Für die fehlende abgeleitete Aktionärsklage bei börsennotierten AGs werden mehrere Erklärungen gegeben.89 Plausibel erscheinen die Erklärungen unter dem Gesichtspunkt der Kosten und der hohen Anforderungen an die Aktivlegitimation. Für die abgeleitete Aktionärsklage werden weder im KgG noch im Zivilprozessgesetz Kostenregelungen getroffen. In der Praxis bestimmen sich die Prozesskosten wie die anderer sog. vermögensbezogener Zivilsachen nach dem Wert des Prozessgegenstands und können leicht in eine für kleine Publikumsanleger unerträgliche Höhe getrieben werden. Im Fall China International Futures Co. Ltd. (CIFO) aus dem Jahr 2005, dessen Prozessgegenstand 160 Mio. RMB betrug, betrugen die Prozesskosten 830.000,– RMB. In diesem Fall waren die klagenden zwei Kleinaktionäre ebenfalls Unternehmen.90 Die Reform der Prozesskosten in 2007 führte auch zu keiner wesentlichen Verringerung der Kostenbelastung für die klagenden Aktionäre.91 Für die abgeleitete Aktionärsklage gilt nach wie vor der Grundsatz, dass die ganzen Prozesskosten von der unterliegenden Partei und die eigenen Anwaltskosten von jeder Partei selber zu tragen sind.92 Bei der Ausgestaltung der Aktivlegitimation hat sich der Gesetzgeber des Novellierungsgesetzes an das taiwanesische Kapitalgesellschaftsrecht angeschlossen und aufgrund der dort bereits zutage gebrachten Regelungsmängel den Mindestaktienbesitz von 3 % der Anteile auf 1 % reduziert und die Jahresfrist auf 180 Tage verkürzt.93 Aber angesichts des typischerweise weitgehend gestreuten Aktienbesitzes von Publikumsanlegern in börsennotierten chinesischen AGs stellt das Erfordernis von nur 1 % der Anteile gleichwohl eine 3.

87  Zur

Untersuchung der Sanktionsentscheidungen der CSRC siehe oben § 3 II.

88  Eine Parallele zeigt sich in der geringen Anzahl der privaten securities litigations wegen Verletzung der kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten. Dazu siehe oben § 2 II. 3. 89  Vgl. D. Clarke / Howson, Minority Shareholder Protection, S. 21 f.; Xu, G. D. u. a., 14 EBOLR (2013), S. 57, 73 ff. 90  李小宁 [LI, Xiaoning], 《股东代表诉讼》 [Aktionärsklage], S. 287 mit weiteren Beispielen. 91  李小宁 [LI, Xiaoning], 《股东代表诉讼》 [Aktionärsklage], S. 287. 92  Vgl. § 29 国务院 [Staatsrat], 《诉讼费用交纳办法》 [Verwaltungsmethoden zu Verfahrenskosten] (01.04.2007). Näher zu Anwaltskosten und der Beschränkung des Erfolgshonorars bei D. Clarke / Howson, Minority Shareholder Protection, S. 10 f. 93  刘凯湘 [LIU, Kaixiang], 《中国法学》 [Chinesische Rechtswissenschaft], 04 / 2008, S. 157, 159.

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§ 6  Durchsetzung der Organpflichten durch Aktionärsklage

hohe Schwelle für Publikumsanleger dar. Aus diesem Grund wird dem Gesetzgeber der Novelle 2005 zu Recht vorgeworfen, dass er die realen Aktionärsstrukturen börsennotierter AGs ignorierte.94 Zudem ist das starre Erfordernis von ununterbrochenem Aktienbesitz für mindestens 180 Tage ungünstig für die chinesischen Publikumsanleger, deren durchschnittliche Haltedauer nicht mehr als 4 Monate beträgt.95 Außerdem ist zu beachten, dass in allen drei abgeleiteten Aktionärsklagen, die vor der Gesetzesnovelle 2005 gegen herrschende Aktionäre und Vorstandsmitglieder von AGs erhoben wurden, Sicherheitenbestellungen und sonstige Vermögenszuwendungen der Gesellschaften an herrschende Aktionäre angriffen wurden.96 Angesichts der strengen Regulierung dieses Sachproblems durch die CSRC seit 2005 liegt die Vermutung nahe, dass die starke behördliche Regulierung in diesem Bereich die private Durchsetzung verdrängt, die häufig auch nur von symbolischem Wert ist. Schließlich ist noch die bisher bekannte einzige Aufsichtsratsklage für eine AG nennenswert. Es geht um die Klage des Aufsichtsrats der Peking 94  李小宁 [LI, Xiaoning], 《股东代表诉讼》 [Aktionärsklage], S. 280, die empfehlt, de lege ferenda den Maßstab der Aktienanteile im Anschluss an § 148 AktG um einen des Kapitalbetrags zu ergänzen. 95  李小宁 [LI, Xiaoning], 《股东代表诉讼》 [Aktionärsklage], S. 281; auch Xu, G.  D. u. a., 14 EBOLR (2013), S. 57, 74 mit Bezugnahme auf einen Bericht der China Securities Investor Protection Fund Corporataion aus 2007. Demzufolge haben mehr als 44,22 % der befragten Anleger eine durchschnittliche Investment-Haltedauer von weniger als einem Monat und der durchschnittliche Aktienbesitz der Minderheitsaktionäre ist weniger als 4.000 Aktien pro Person. 96  Im Fall Wufangzai (五芳斋) von 2001 wurde vom Mittleren Volksgericht der Provinz Zhejiang der Klage eines Minderheitsaktionärs auf Schadensersatz gegen den Vorstandsvorsitzenden stattgegeben, der entgegen des § 60 Abs. 3 KgG 1993 zweimal zugunsten des herrschenden Aktionärs im Namen der Gesellschaft Bürgschaften abschloss. Im Fall Sanjiu Medicine (三九医药) von 2003 wurde die Klage eines Publikumsanlegers, eines bekannten Rechtsanwalts für Aktionärsrechte, gegen den Vorstandsvorsitzenden auf Schadensersatz in einer symbolischen Höhe von 20.000,– RMB nicht zugelassen. Die Klage war gestützt auf die von CSRC bereits festgestellten Zuwendungen der Gesellschaft an ihre Muttergesellschaft und verbundene Unternehmen i. H. v. 25 Mrd. RMB, ca. 96 % ihres Nettovermögens. Nach dem Mittleren Volksgericht Shenzhen bedürfe eine abgeleitete Aktionärklage jedoch der Zustimmung aller Aktionäre, die hier nicht gegeben war. Im Fall CIFO (中期期货) von 2005 verklagten zwei Minderheitsaktionäre, Suzhou Investment Ltd. und Yankuang Group Ltd., nachdem die CSRC die beträchtlichen Darlehen an die Muttergesellschaft und zwei andere verbundene Unternehmen entdeckt hatte, diese drei Gesellschaften auf Rückzahlung und den Vorstandsvorsitzenden auf Schadensersatz als Gesamtschuldner. Der ersteren Klage wurde vom Oberen Volksgericht Beijing stattgegeben, während die letztere Klage abgewiesen wurde, weil das Gericht der Meinung war, es handele sich hier um die Geltendmachung von darlehensvertraglichen Ansprüchen im Wege der abgeleiteten Aktionärsklage und der Vorstandsvorsitzende sei nicht Vertragspartei.



II. Die Aktionärsklage im chinesischen Recht

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YI JING YU HUI Technology and Investment Co., Ltd. gegen vier Vorstandsmitglieder, die zugleich Aktionäre waren, und die von diesen geründeten Rising International Software Co. Ltd. auf Schadensersatz wegen Beeinträchtigung des Gesellschaftsinteresses durch Veranlassung des Verzichts auf das Hauptgeschäft und der Übertragung der Firma Rising zugunsten dieser Gesellschaft.97 Die Klage wurde aufgrund der fehlenden Aktivlegitimation des Aufsichtsrats nicht zugelassen, da der Aufsichtsrat keine eigene Klagebefugnis, sondern nur eine Vertretungsbefugnis habe und daher nicht in eigenem Namen, sondern nur im Namen der Gesellschaft hätte klagen können. Diese Entscheidung wurde vom Berufungsgericht aufgehoben, weil es in § 152 KgG 2005 (§ 151 KgG) eine Amtsbefugnis des Aufsichtsrats sah, auf Antrag der Aktionäre als Vertretungsorgan für die Gesellschaft die Vorstandsmitglieder und leitenden Manager zu verklagen, wobei eine Vertretung der Gesellschaft nicht „im Namen der Gesellschaft“ erfolgen müsse.98 Ob es zu einer erneuten Klageerhebung gekommen ist, ist unbekannt. Der erstinstanzlichen Entscheidung ist insoweit zuzustimmen, als das Gericht einen Unterschied zwischen der Aktionärsklage und der eigenen Klage einer Gesellschaft gesehen hat, bei der der Aufsichtsrat als Vertretungsorgan im Namen der Gesellschaft handelt. Es hätte die Klage jedoch nicht abweisen müssen. Aufgrund der auch in China geltenden richterlichen Hinweispflicht hätte es dies sogar nicht gedurft, sondern den Aufsichtsrat auf eine ordnungsgemäße Wahrnehmung der organschaftlichen Vertretungsmacht hinweisen müssen. Die zweitinstanzliche Entscheidung ist zwar im Ergebnis richtig, aber nicht ohne Makel. Neben einem fehlerhaften Verständnis der organschaftlichen Vertretung erweckt das Berufungsgericht den Eindruck, dass die Aufsichtsratsklage einen Antrag der Aktionäre voraussetze. Dieses deutet auf ein fehlendes Verständnis der Organbefugnis als Pflichtrecht hin. Die Amtsbefugnis eines Gesellschaftsorgans beinhaltet nämlich die Pflicht, davon auch Gebrauch zu machen, solange es nach Sinn und Zweck der Befugniszuweisung erforderlich ist. In China bedeutet dies, dass der Aufsichtsrat grundsätzlich verpflichtet ist, pflichtwidrig handelnde Vorstandmitglieder und leitende Manager in Anspruch zu nehmen.

97  Dieser Fall gehört zu einer Reihe von Rechtsstreitigkeiten zwischen dem größten Aktionär WANG, Xi und anderen drei kleinen Aktionären einerseits und dem zweitgrößten Aktionär LIU, Xu. Zu der von LIU erhobenen Anfechtungsklage gegen einen Hauptversammlungsbeschluss siehe oben § 6 III. 1. 98  北京艺进娱辉科技投资股份有限公司监事会与王莘等  /  北 京瑞星国际软件 有限公司损害公司权益纠纷上诉案 [Der Aufsichtsrat der Peking YI JING YU HUI Technology and Investment Co., Ltd. vs. WANG, Xin, u. a., Riesing International Software Co. Ltd. wegen Beeinträchtigung des Gesellschaftsinteresses], 北京市一中 院(2009)一中民终字第14727号 [Das Erste Mittlere Volksgericht der Stadt Beijing, Urteil (2009) Zivilsenat 2. Instanz Nr. 147727].

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§ 6  Durchsetzung der Organpflichten durch Aktionärsklage

III. Rechtsvergleichende Folgerungen 1. Die unmittelbare Aktionärsklage Die unmittelbare Aktionärsklage gegen Organmitglieder im chinesischen Recht ist streng genommen keine eigene Klageart, sondern erfasst undifferenziert alle denkbaren Klagearten, die ein Aktionär gegen Organmitglieder erheben kann. Im Vergleich dazu zeigt das deutsche Aktienrecht eine viel klarere Differenzierung zwischen materiellrechtlichen Ansprüchen des Aktio­närs gegen Organmitglieder, die ihn ohne weiteres zur Klage berechtigten, und dem eigenen rein prozessualen Klagerecht des Aktionärs, wie etwa im Konzernverhältnis. Eine Gemeinsamkeit der beiden Länder kann man darin sehen, dass der chinesische Gesetzgeber mit dem Erfordernis eines eigenen Schadens der Aktionäre auch das Problem des Doppelschadens angesprochen und – wenn auch nur ansatzweise – zum Ausdruck gebracht, dass das rechtswidrige Verhalten der Organmitglieder bei ihrer Amtsführung nur ausnahmsweise über die Schädigung der Gesellschaft hinaus auch die Aktionäre unmittelbar schädigt. Die Vorschrift des § 152 KgG ist m. E. nur unter diesem Gesichtspunkt von Bedeutung. Durch sie wird kein eigenes Klagerecht des Aktionärs, wie mache Autoren behaupten,99 unabhängig von den materialrechtlichen Ansprüchen geschaffen. Daher ist dem weiten Verständnis vieler chinesischen Richter, die § 152 KgG ohne weiteres als Rechtsgrundlage für Feststellungs- oder Unterlassungsklagen in Bezug auf rechtswidriges Organhandeln betrachten,100 zu widersprechen. 2. Die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage Die Nichtigkeits- und Anfechtungsklage im chinesischen Recht wird auf die Beschlüsse des Vorstands ausgedehnt. Demgegenüber ist es im deutschen Aktienrecht dem Aktionär grundsätzlich verwehrt, durch Klage auf die Geschäftsführung Einfluss zu nehmen. Klagen der Aktionäre auf Unterlassung oder Beseitigung rechtswidrigen Organhandelns sind auf Kompetenzübergriffe in die Zuständigkeit der Hauptversammlung beschränkt. Die Anerkennung dieser Klagemöglichkeit durch die deutsche Rechtsprechung dient dazu, die Schutzlücke der dort auf Hauptversammlungsbeschlüsse beschränkten Beschlussmängelklage zu schließen.101 Im Verhältnis zwischen Aktionären und Management ist der präventive Schutz der Aktionäre im deutschen Recht eher die Ausnahme. Vielmehr sind Aktionäre auf einen 99  Siehe

oben II. 1. a). oben II. 1. a). 101  Siehe oben I. 1. c). 100  Siehe



III. Rechtsvergleichende Folgerungen

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nachträglichen Schutz durch die Schadensersatzklage angewiesen. Diese Grundüberlegung spiegelt sich auch in der ausnahmsweise zugelassenen Feststellungsklage gegen Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlüsse im Zusammenhang mit der Ausnutzung des genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss wider, die die zeitlich begrenzte vorbeugende Unterlassungsklage ergänzt und der späteren Schadensersatzklage dient.102 Während das deutsche Aktienrecht von einer strengen Kompetenzverteilung zwischen Hauptversammlung und Verwaltungsorganen ausgeht, zieht das chinesische Recht zwischen Hauptversammlung- und Vorstandskompetenzen nur schwammige und fließende Grenze. Daher scheint eine Ausdehnung der Beschlussmängelklage im chinesischen Recht mehr Minderheitenschutz versprechen zu können. Denn dadurch wird die Umgehungsgefahr reduziert, dass die Mehrheit der Aktionäre die zustimmungspflichtigen Maßnahmen dem von ihr beherrschten Vorstand allein überlässt. Diese Umgehungsgefahr besteht jedoch nur theoretisch, da das Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung in der Gerichtspraxis sowie im Schrifttum meistens ohne Weiteres als eine Wirksamkeitsvoraussetzung der betreffenden Maßnahme angesehen wird103 und daher die Nichtbefassung der Hauptversammlung mit einer zustimmungspflichtigen Maßnahme für die Beteiligten zu riskant sein dürfte. Dies trifft besonders auf börsennotierte AGs zu, bei denen es weitreichende Zustimmungskompetenzen der Hauptversammlung gibt. Zudem dient der Vorstandsbeschluss bei zustimmungspflichtigen Maßnahmen eher der Vorbereitung des späteren Hauptversammlungsbeschlusses, so dass dessen Anfechtung oder Nichtigkeitsfeststellung keine große eigenständige Bedeutung erlangt. Daher ist die Vorstandsbeschlussmängelklage aus Sicht des Minderheitenschutzes überflüssig. Es ist zwar wenig wahrscheinlich, dass die Aktionäre mittels Beschlussmängelklage Geschäftsführungsmaßnahmen erfolgreich angreifen können. Denn die chinesischen Gerichte verstehen unter zwingendem Recht mit der Nichtigkeitsfolge bei dessen Verletzung nur solche Vorschriften, die ein konkretes Verbot oder Gebot enthalten, und dieses ist bei Geschäftsführungsmaßnahmen nicht der Fall.104 In dieser Klagemöglichkeit besteht jedoch immerhin ein nicht unerhebliches Störungspotential, das der eigenverantwortlichen Geschäftsführung des Vorstands im Weg steht. Dies wird sich auch noch steigern, wenn chinesische Gerichte vermehrt eine inhaltliche Kontrolle anhand der Grundsätze wie der Treuepflicht und der Gleichbehandlung von Aktionären durchführen.

102  Siehe

oben I. 1. c). § 4 II. 3. b) aa). 104  Siehe oben II. 1. b). 103  Siehe

294

§ 6  Durchsetzung der Organpflichten durch Aktionärsklage

3. Die abgeleitete Aktionärsklage Sowohl im chinesischen Recht als auch im deutschen Aktienrecht ist das Anspruchsverfolgungsrecht der Aktionäre gegenüber pflichtwidrigen Organmitgliedern als ein Minderheitenrecht ausgestaltet. Das deutsche Recht ist insofern günstiger für die Minderheitsaktionäre, als es einen Aktienbesitz im Nominalbetrag von 100.000,– € als Alternative zu 1 % der Anteile zulässt. Dadurch ist die abgeleitete Aktionärsklage jedoch nur im begrenzten Maße erleichtert, weil bei börsennotierten AGs der Aktienpreis deutlich höher als der Nominalwert ist. Als Folge hiervon würde die Einführung einer ähnlichen Regelung ins chinesische Recht105 nicht unbedingt zu einer erheblichen Herabsetzung des Minderheitsquorums führen. Hinsichtlich der Anforderung an die Inhaberschaft der Aktien hat sich das deutsche Recht für das Contemporaneous Ownership-Konzept entschieden, das subjektiviert ist, d. h. auf die Kenntnis des Erwerbers abstellt.106 Dieses kann angesichts der nur unvollkommenen informationellen Effizienz des Kapitalmarkts dem Anlegerschutz besser Rechnung tragen als das objektive, auf das Anteilseigentum im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses abstellende Konzept.107 Demgegenüber stellt das chinesische Recht auf einen vom Schadenseintritt losgelösten und allein auf die Dauer der Inhaberschaft orientierten Maßstab ab, was dem Gericht die Prüfung der Aktivlegitimation erleichtert, jedoch um den Preis eines effektiven Aktionärsschutzes. Ferner legen die Kostenregelungen im chinesischen Recht der klagenden Aktionärsminderheit viel größere Kostenrisiken auf als dies im deutschen Recht der Fall ist. Es steht außer Frage, dass eine effektivere Ausgestaltung der abgeleiteten Aktionärsklage in China – insbesondere für die börsennotierten AGs – ohne wesentliche Gesetzesänderungen zugunsten der Aktionäre im Hinblick auf die Aktivlegitimation und die Verfahrenskosten nicht auskommen wird. Allerdings ist das Verhältnis zwischen der abgeleiteten Aktionärsklage und der Klage der Gesellschaft im eigenen Namen durch das zuständige Organ für das chinesische Recht eine klärungsbedürftige Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Wie das Aufforderungserfordernis108 zeigt, geht das chinesische Recht grundsätzlich wie das deutsche Recht von der Subsidiarität der abgeleiteten Aktionärsklage aus. Die spärlichen Gerichtsentscheidungen zeigen jedoch ein fehlendes Bewusstsein darüber, dass die Überwachungsaufgabe 105  Siehe

oben II. 2. v. Hein, Rezeption, S. 825; Fleischer, NJW 2005, S. 3525, 3526; bereits de lege ferenda Ulmer, ZHR 163 (1999), S. 290, 331. 107  v. Hein, Rezeption, S. 825 zum subjektiven und objektiven Regelungsmodell jeweils in § 7.02 (a) (1) ALI Principles of Corporate Governance und in § 7.41 MBCA. 108  Siehe oben II. 2. 106  Vgl.



III. Rechtsvergleichende Folgerungen

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des Aufsichtsrats auch die Pflicht zur gerichtlichen Geltendmachung der Haftungsansprüche der Gesellschaft gegen pflichtwidrig handelnde Vorstandsmitglieder und leitende Manager umfasst. Insbesondere für börsennotierte AGs ist die Haftungsdurchsetzung durch die Gesellschaft bzw. ihr Überwachungsorgan viel wichtiger als die abgeleitete Aktionärsklage. Denn angesichts des typischen Verhaltens der chinesischen Anleger ist nicht zu erwarten, dass die Publikumsaktionäre als solche ein Hauptakteur der abgeleiteten Aktionärsklage werden. Zudem sind die bisher erhobenen Klagen der Publikumsanleger meistens nur symbolisch. 4. Die analoge Anwendung der abgeleiteten Aktionärsklage auf Haftungsansprüche gegen Dritte Das chinesische Recht hat die abgeleitete Aktionärsklage auf Haftungsansprüche der Gesellschaft gegen Aktionäre oder sonstige Dritte ausgedehnt. Damit soll der Gefahr entgegen gewirkt werden, dass die Verwaltungsorgane der Gesellschaft, die von dem herrschenden Aktionär abhängig sind, die Geltendmachung der Ansprüche der Gesellschaft gegen diesen versäumt oder unterlässt.109 Demgegenüber hat das deutsche Aktienrecht in Konzernverhältnissen zur effektiven Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen das herrschende Unternehmen dem einzelnen Aktionär ein eigenes Klagerecht eingeräumt. Für konzernfreie AGs erfasst das abgeleitete Klagerecht der Aktionärsminderheit auch Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen Dritte, die unzulässig Einfluss auf die Gesellschaft ausgeübt haben (§§ 148 Abs. 1 i. V. m. 147 Abs. 1 i. V. m. 117 AktG). Insoweit besteht eine funktionale Äquivalenz zwischen dem chinesischen und dem deutschen Recht. Im Vergleich zum deutschen Recht ist die chinesische Regelung mindestens in zwei Hinsichten noch verbesserungsbedürftig. Zuerst ist der Kreis der potentiellen Beklagten der analog angewendeten abgeleiteten Aktionärsklage zu weit gefasst und bedarf einer teleologischen Reduktion. Das Verfolgungsrecht der Aktionäre soll nämlich nur dort seine Rechtfertigung haben, wo die Gefahr besteht, dass die Gesellschaftsorgane aufgrund von Interessenkonflikten ihre Aufgabe zur Geltendmachung der Haftungsansprüche der Gesellschaft nicht pflichtgemäß wahrnehmen werden. Diese teleologische Reduktion erreicht man rechtstechnisch durch eine Einschränkung der Arten von Haftungsansprüchen gegen Dritte, die im Wege der abgeleiteten Aktionärsklage geltend gemacht werden dürfen. Das geltende chinesische Recht enthält noch keine Bestimmung zur Reichweite der analog angewendeten abgeleiteten Aktionärsklage und die einzige Voraussetzung, die 109  Siehe

oben II. 2.

296

§ 6  Durchsetzung der Organpflichten durch Aktionärsklage

aus dem Gesetz selbst zu erkennen ist, ist die Schädigung der Gesellschaft durch einen Dritten. Deswegen sollten als zweiter Punkt klare materiellrechtliche Anspruchsgrundlagen der Gesellschaft gegen Dritten geschaffen werden. Für beide dieser Aspekte gibt das deutsche Recht Denkanstöße. Im Anschluss an das deutsche Recht ist es denkbar, einen Haftungstatbestand für Dritte wegen unzulässiger Einflussnahme auf die Verwaltung der Gesellschaft vorzusehen, wobei diese unzulässige Einflussnahme eine Pflichtverletzung auf Seiten des betreffenden Verwaltungsmitglieds voraussetzt. Denn wenn ein unbeeinflusstes Verwaltungsmitglied bei pflichtgemäßer Aufgabenwahrnehmung ebenso entschieden hätte, ist es rechtlich ohne Belange, ob es von sich aus die Entscheidung getroffen hat oder aufgrund Anregung bzw. Veranlassung von Dritten. Im deutschen Recht wird im Rahmen des § 117 AktG auch § 317 Abs. 2 AktG analog angewendet,110 sodass sowohl bei einer konzernfreien AG als auch bei faktischem Abhängigkeitsverhältnis die Pflichtgemäßheit der handelnden Verwaltungsmitglieder die Rechtswidrigkeit der Einflussnahme ausschließt. Unter diesem Gesichtspunkt trifft die Verweisung in § 152 Abs. 3 KgG auf § 152 Abs. 1 KgG, die das Vorliegen einer rechtswidrigen Amtshandlung der Organmitglieder für die analog angewendete abgeleitete Aktionärsklage erforderlich macht, im Ergebnis die richtige Entscheidung, ohne dass der Gesetzgeber dies beabsichtigt hat. Nach der hier vertretenen Ansicht kann das chinesische Recht in Anschluss an §§ 317, 117 AktG die materiellen Anspruchsgrundlagen der Gesellschaft gegenüber Aktionären oder sonstigen Dritten klarstellen und dadurch den Beklagtenkreis der analog angewendeten Aktionärsklage einschränken.

IV. Zusammenfassung In Hinblick auf die unmittelbare Aktionärsklage fehlt es im chinesischen Recht eine klare Trennung zwischen prozessualem Klagerecht und materiellen Ansprüchen der Aktionäre gegen pflichtverletzende Organmitglieder. Nach der hier vertretenen Ansicht begründet die chinesische Regelung zur unmittelbaren Aktionärsklage kein eigenes Klagerecht der Aktionäre. Die chinesische Beschlussmängelklage, die sich auch auf Vorstandsbeschlüsse erstreckt, erweist sich auch unter dem Gesichtspunkt des Minderheitenschutzes als überflüssig. Die abgeleitete Aktionärsklage ist in China in vielerlei Hinsicht verbesserungsbedürftig. Neben der erforderlichen Entlastung der klagenden Aktionärsminderheit im Hinblick auf die Aktivlegitimation und das Kostenrisiko soll das chinesische Recht den Vorrang der eigenen Klage der Gesellschaft hervorheben, um das Pflichtbewusstsein der für 110  Spindler / Stilz / Schall, § 117 Rn. 24; MünchKommAktG / Spindler, § 117 Rn. 36; GroßkommAktG / Kort, § 117 Rn. 149; MünchHdbAG / Wiesner, § 27 Rn. 5.



IV. Zusammenfassung

297

die Haftungsverfolgung zuständigen Gesellschaftsorgane zu verstärken. Die analoge Anwendung der abgeleiteten Aktionärsklage auf Ansprüche der Gesellschaft gegen Dritte im chinesischen Recht findet ihre funktionale Äquivalenz in der deutschen unmittelbaren Aktionärsklage im Konzernverhältnis und der abgeleiteten Aktionärsklage, die auch Ansprüche der Gesellschaft gegen unzulässig Einfluss ausübende Dritte erfasst. Die analog angewendete abgeleitete Aktionärsklage bedarf einer teleologischen Reduktion in Hinblick auf die subjektive Reichweite des Klagerechts. Eine denkbare Lösung ist, im Anschluss an das deutsche Recht die materiellen Anspruchsgrundlagen der Gesellschaft gegen Dritte klarzustellen.

§ 7  Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Die Wiedereinführung der Aktiengesellschaft in China dient der SOEReform, wobei die Kapitalsammel- und Privatisierungsfunktion und die auf „checks and balances“ angelegte Organstruktur der AG im Mittelpunkt der Reformüberlegungen für diese Organisationsform stehen.1 In der chinesischen AG ist die Hauptversammlung das höchste Machtorgan. Die Geschäftsführungskompetenzen werden unter dem Vorstand und ihm untergeordneter leitender Manager verteilt. Der Aufsichtsrat ist ein reines Überwachungsorgan mit begrenzten Einwirkungsmöglichkeiten.2 In börsennotierten AGs nähert sich der Vorstand, der heterogen aus geschäftsführenden und nicht-geschäftsführenden sowie unabhängigen Mitgliedern zusammengesetzt ist, dem Verwaltungsrat eines monistischen Systems an.3 Das chinesische Recht zeigt erhebliche Unstimmigkeiten hinsichtlich des Verhältnisses von Interessen der Gesellschaft, der Aktionäre und anderer Bezugsgruppen. Zum besseren Interessenausgleich innerhalb der Gesellschaft ist dem chinesischen Recht zu empfehlen, von der Definitionsmacht der Hauptversammlung bzw. der Aktionärsmehrheit abzukehren und die Rechtsstellung des Vorstands insoweit aufzuwerten.4 2.  Die chinesischen börsennotierten AGs sind zum großen Teil reformierte SOEs. Sie sind durch die dominante Stellung eines Großaktionärs gekennzeichnet. Da die börsennotierten staatlichen AGs regelmäßig Untergesellschaften einer Unternehmensgruppe sind, sind sie für Machtmissbräuche der Großaktionäre besonders anfällig.5 Für die Regulierung der börsennotierten AGs spielt die Börsenaufsichtsbehörde CSRC eine zentrale Rolle. Sie beschränkt sich nicht auf eine mittelbare Verhaltenssteuerung durch Publizitätsregelungen und Überwachung der Marktpublizität, sondern bevorzugt eine unmittelbare Regulierung der Unternehmensführung.6 Wegen der hoch konzentrierten Aktionärsstruktur fehlt es an übernahmefähigen Gesellschaften.7 Die Marktmechanismen sind für die börsennotierten AGs in China nur von geringer Bedeutung.8 1  Siehe 2  Siehe 3  Siehe 4  Siehe 5  Siehe 6  Siehe 7  Siehe

§ 1 § 1 § 1 § 1 § 2 § 2 § 2

I und II. III. 1. III. 2. IV. I. 1. und 2. II. 3. und 4. II. 6.



§ 7  Zusammenfassung der Ergebnisse

299

3. Zur Konkretisierung der Sorgfaltspflicht im chinesischen Kapitalgesellschaftsrecht muss man im Ausgangspunkt klar zwischen Sorgfalt als Verschuldensmaßstab und Sorgfalt als einer generalklauselartigen Umschreibung der Verhaltenspflichten unterscheiden. Für das chinesische Recht kann man den auf die Aufgaben und Funktion der jeweiligen Gesellschaftsorgane ausgerichteten Ansatz sowohl im Hinblick auf die Bestimmung des Verschuldensmaßstabs als auch für die Auffächerung der einzelnen Verhaltenspflichten der Organmitglieder fruchtbar machen.9 In Übereinstimmung mit dem Charakter des Vorstands der chinesischen börsennotierten AG als ein pluralistisch zusammengesetztes Beschlussorgan hat sich eine Pflicht der Vorstandsmitglieder zur persönlichen Amtsführung etabliert.10 In diesem Zusammenhang ist die weite Möglichkeit der unabhängigen Vorstandsmitglieder und der Aufsichtsratsmitglieder, auf Kosten der Gesellschaft sachkundige Dritte hinzuziehen, besonders problematisch. Zur Steigerung der Effektivität der Überwachungstätigkeit kommen eine Verschärfung der Informationsbesorgungspflicht der geschäftsführenden Organmitglieder sowie eine Verstärkung der Unterstützungsfunktion des Abschlussprüfers in Betracht. Allerdings sind solche Lösungen ohne eine grundlegende Reform des geltenden Verwaltungssystems der börsennotierten AG, in der die unabhängigen Vorstandsmitglieder und der Aufsichtsrat als zwei Überwachungsträger nebeneinanderstehen, kaum realisierbar.11 8

Die zahlreichen Verwirrungen der chinesischen Gerichtspraxis und des Schrifttums mit der BJR machen eine Kodifizierung der BJR in China notwendig, um die dogmatische Struktur der Organhaftung und die Grundregel für die Verteilung der Beweislast in einem Organhaftungsprozess klarzustellen.12 Für die tatbestandliche Ausformung der BJR sind die klare Begrenzung des Anwendungsbereichs des BJR und die Ausgestaltung des Informationserfordernisses zwei wichtige und auch schwierige Regelungsaufgaben. Dafür sind die Erfahrungen aus dem deutschen Recht lehrreich.13 4.  Neben der allgemeinen Schranke der generalklauselartigen Treuepflicht setzen sowohl das deutsche als auch das chinesische Recht für besonders konfliktträchtige Konstellationen auf die präventiv wirkenden, gesellschaftsinternen Entscheidungsregeln, wobei das vom Aktionärszentralismus geprägte chinesische Recht der Hauptversammlung weitgehende Zustimmungskom8  Siehe

§ 2 II. 7. Sorgfalt als Verschuldensmaßstab siehe § 3 III. 1.; zur Auffächerung der Verhaltenspflichten siehe § 3 II. 3. 10  Siehe § 3 III. 2.; eingehend § 3 II. 3. a) und b). 11  Siehe § 3 III. 2.; eingehend § 3 II. 3. c) und d). 12  Siehe § 3 III. 3. a) und b). 13  Siehe § 3 III. 3. c). 9  Zur

300

§ 7  Zusammenfassung der Ergebnisse

petenzen einräumt.14 Das in China seit 2005 geltende Verbot von Organkrediten weist erhebliche Regelungslücken auf. Gute Gründe sprechen dafür, das schlichte Verbot durch ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zu ersetzen, um dem berechtigten Interesse der Gesellschaft an Organkrediten Rechnung zu tragen. Für eine effektive Kontrolle der Organkredite ist die Hauptversammlung wegen ihrer strukturellen Schwäche jedoch nicht geeignet.15 Auf der Rechtsfolgenseite bestehen große Unterschiede in Hinblick auf die Außenwirkung der gesellschaftsinternen Entscheidungsregeln. Das chinesische Recht geht ohne Differenzierung von der Außenwirkung der gesetzlichen und satzungsmäßigen Zustimmungskompetenz der Hauptversammlung aus. Dies geht einerseits auf ein weiteres, den Normzweck vernachlässigendes Verständnis über das Verbotsgesetz und andererseits auf eine lockere Handhabung des Missbrauchs der organschaftlichen Vertretungsmacht zurück.16 Zum besseren Vermögensschutz der (börsennotierten) AGs ist nach der hier vertretenen Auffassung die Anerkennung der Vertretungsmacht des Vorstands als Kollektivorgan und Verschiebung der Vertretungsbefugnis zu dessen Gunsten für bestimmte kritische Geschäfte rechtstechnisch eine bessere Lösung als eine einzelfallbedingte Anerkennung der Außenwirkung von gesetzlichen oder satzungsmäßigen Kompetenzregeln.17 Für das chinesische Recht kann man vom deutschen Recht lernen, die Außenwirkung der Kontrollkompetenz der Hauptversammlung und der anderen Gesellschaftsorgane je nach Regelungszweck fein zu differenzieren und das Interesse der Gesellschaft am hinreichenden Schutz vor missbräuchlichem Organverhalten und das öffentliche Interesse an Rechtssicherheit in Ausgleich zu bringen.18 5. Zur Kontrolle der Geschäfte der AG mit Aktionären kann das chinesische Regelungsmodell, das auf die Zustimmung der Hauptversammlung und das Stimmverbot der interessierten Aktionäre setzt und damit den Selbstschutz der Aktionärsminderheit in den Mittelpunkt stellt, der Gesellschaft und der Minderheitsaktionäre keinen adäquaten Schutz bieten, nicht zuletzt weil eine wirksame gerichtliche Kontrolle der Stimmrechtsausübung in China fehlt.19 Folglich muss das chinesische Recht die Kontrollverantwortung der Verwaltungsorgane der Gesellschaft verstärken. Das chinesische Recht ist restriktiv gegenüber der personellen Verflechtung auf der Geschäftsführungsebene der Mutter- und Tochtergesellschaft, 14  Siehe 15  Siehe 16  Siehe 17  Siehe 18  Siehe 19  Siehe

§ 4 § 4 § 4 § 4 § 4 § 5

III. III. III. III. III. III.

1. 1. 1. 1. 1. 1.

a). b). d); eingehend § 4 II. 3. b) und c). d). d).



§ 7  Zusammenfassung der Ergebnisse301

wenn es sich bei der Tochtergesellschaft um eine börsennotierte AG handelt. Das umfassende gesetzliche Stimmverbot der befangenen Vorstandsmitglieder und das behördliche Verbot der Übernahme der Geschäftsführungsfunktion durch Organmitglieder der Muttergesellschaft können die Mehrheitsherrschaft nur in formaler Hinsicht begrenzen. Diese beiden Verbote führen dazu, dass die Kontrolle der RPTs mit Aktionären überwiegend den der Geschäftsführung fern stehenden, unabhängigen Vorstandsmitgliedern überantwortet wird, und die dem Großaktionär nahestehenden Organmitglieder von ihrer Verpflichtung zum Schutz des Gesellschaftsinteresses faktisch befreit werden.20 Um die Kontrollverantwortung der dem Großaktionär nahestehenden Organmitglieder zu verstärken und von ihrem Kontrollpotential Gebrauch zu machen, sollte das umfassende Stimmverbot entfallen. Darüber hinaus bedarf das chinesische Recht noch weiterer Regelungen, um den Rücken der Verwaltungsorgane der Gesellschaft gegenüber dem Großaktionär bzw. der Muttergesellschaft zu stärken. Dazu zählt insbesondere die Absicherung ihrer Weisungsunabhängigkeit auch im Verhältnis zur Hauptversammlung, ihre strenge Bindung an das Gesellschaftsinteresse und die haftungsbewehrte Rechenschaftspflicht sowie zu guter Letzt eine Klarstellung der materiellen Kontrollmaßstäbe.21 Zur Verstärkung der Rechtsposition der Verwaltungsorgane der Tochtergesellschaft bedarf das chinesische Recht einer Klarstellung über die Maßgeblichkeit des Eigeninteresses der Tochtergesellschaft als Kontrollmaßstab.22 Darüber hinaus kann man die Sorgfalt eines eigenverantwortlichen Geschäftsleiters für die Konkretisierung des Verbots von schädlichen RPTs im chinesischen Recht fruchtbar machen. Dabei ist eine Klarstellung, unter welchen Voraussetzungen die Verwaltungsorgane das Interesse des Großaktionärs bzw. der Muttergesellschaft berücksichtigen dürfen, unausweichlich. Die Unterscheidung zwischen herrschendem Unternehmen und privater Mehrheitsgesellschaft im deutschen Recht gibt eine Orientierung über die anerkennungswürdigen Interessen. Um die Grenze zwischen berechtigten Gruppeninteressen und unberechtigten privaten Interessen des Großaktionärs zu verdeutlichen, sind eine klare Definition der Unternehmensgruppe und Regelungen zur Transparenz der Gruppenverbindungen für das chinesische Recht erforderlich.23 Für die Kontrolle der aufsteigenden Darlehen und Sicherheiten bedarf der formelle Kontrollmechanismus im chinesischen Recht einer Ergänzung durch eine materielle Zulässigkeitskontrolle. Im Anschluss an das deutsche 20  Siehe

§ 5 § 5 22  Siehe § 5 23  Siehe § 5 21  Siehe

III. III. III. III.

2. 2. a. E. 3. 3.

302

§ 7  Zusammenfassung der Ergebnisse

Recht der Kapitalerhaltung und das Recht des faktischen Konzerns kann man einen einheitlichen Kontrollmaßstab für die Vermögenszuwendung an Aktionäre entwickeln. Unter dem Gesichtspunkt des Minderheitenschutzes ist der strengere Drittvergleich vorzugswürdiger als die auf wertmäßigen Kapitalschutz gerichtete bilanzielle Betrachtungsweise. Konkret bedeutet dies, dass die Verwaltungsorgane sowohl das Ausfallrisiko des Rückzahlungsanspruchs als auch die Angemessenheit der Verzinsung und das Liquiditätsrisiko überprüfen müssen. Anhand dieser Prüfungsmaßstäbe kann man eine klare Grenze zwischen unzulässigen Vermögenszuwendungen an Aktionären und zulässigen gruppeninternen Finanzierungen ziehen. Daher ist das behördliche Verbot der Beteiligung der börsennotierten Tochtergesellschaft an das zentrale Cash-Management der Unternehmensgruppe schon aus praktischen Gründen nicht erforderlich. Die Verstärkung der Kontrollverantwortung und -möglichkeit der Verwaltungsorgane der Gesellschaft ist eine bessere Lösung, um den Schutz der Gesellschaft und außenstehender Aktionäre einerseits und das berechtigte Interesse der Unternehmensgruppe an einer effizienten internen Finanzierung andererseits in Ausgleich zu bringen.24 6. In Hinblick auf die weit verstandene unmittelbare Aktionärsklage und die Beschlussmängelklage gegen Vorstandsbeschlüsse haben die Aktionäre nach dem chinesischen Recht mehr Möglichkeiten als das deutsche Aktienrecht, durch Klageerhebung auf die Geschäftsführung Einfluss zu nehmen. Bei der unmittelbaren Aktionärsklage lässt sich ein fehlendes Bewusstsein der chinesischen Rechtsprechung und des Schrifttums über die Unterscheidung zwischen prozessualem Klagerecht und materiellen Ansprüchen der Aktionäre gegen pflichtverletzende Organmitglieder feststellen.25 Die Ausdehnung der Beschlussmängelklage auf Vorstandsbeschlüsse erweist sich unter dem Gesichtspunkt des Minderheitenschutzes als überflüssig und enthält das Potential, die eigenverantwortliche Geschäftsführung des Vorstands zu stören.26 Die chinesische abgeleitete Aktionärsklage ist hinsichtlich der Aktivlegitimation und der Verfahrenskosten für die Minderheitsaktionäre der börsennotierten AGs besonders ungünstig, was die praktische Bedeutungslosigkeit dieses Durchsetzungsmittels für börsennotierte AGs erklärt. Das chinesische Recht sollte den Vorrang der eigenen Klage der Gesellschaft unterstreichen, um das Pflichtbewusstsein der für die Haftungsverfolgung zuständigen Gesellschaftsorgane zu stärken.27 Die analoge Anwendung der 24  Siehe

§ 5 § 6 26  Siehe § 6 27  Siehe § 6 25  Siehe

III. 4. II. 1. a) und III. 1. III. 2. III. 3.



§ 7  Zusammenfassung der Ergebnisse303

abgeleiteten Aktionärsklage auf Ansprüche der Gesellschaft gegen Dritte im chinesischen Recht bedarf einer teleologischen Reduktion hinsichtlich ihrer Reichweite. Rechtstechnisch kann diese durch eine Klarstellung der materiellen Anspruchsgrundlagen der Gesellschaft gegenüber Aktionären oder sonstigen Dritten erfolgen. Dafür können die konzernrechtlichen Normen zur Aktionärshaftung und die Norm zur Haftung Dritter wegen unzulässiger Einflussnahme auf die Gesellschaft im deutschen Recht als Vorbild dienen.28

28  Siehe

§ 6 III. 4.

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Chinesische Gerichtsurteile 慈溪富盛化纤有限公司 / 宁波全盛布艺有限公司诉被告施盛平损害公司权益纠纷 案 [Cixi Fusheng Chemical Fiber Ltd., Ningbo Quansheng Fabric Ltd. vs. SHI, Shengping wegen Beeinträchtigung des Gesellschaftsinteresses], 慈溪市人民法 院(2007)慈民二初字第519号 [Das Volksgericht Cixi, Urteil (2007) 2. Zivilsenat 1. Instanz Nr. 519], zitiert als 慈溪富盛化纤公司等诉施盛平案 [Cixi Fusheng Chemical Fiber Ltd. u. a. vs. SHI, Shengping]. 北京妙鼎矿泉水有限公司诉王东春损害公司利益赔偿纠纷案 [Beijing Miaoding Mineralwasser Ltd. vs. WANG, Dongchun wegen Beeinträchtigung des Gesellschaftsinteresses], 北京市门头沟区人民法院(2009)门民初字第4号 [Das Volksgericht Mentougou der Stadt Beijing, Urteil (2009) 1. Instanz Nr. 4], zitiert als 妙 鼎矿泉水公司诉王东春案 [Miaoding Mineralwasser Ltd. vs. WANG, Dongchun]. 川流公司诉李鑫华损害公司利益赔偿纠纷案 [Chuanliu Ltd. vs. LI, Xinhua wegen Beeinträchtigung des Gesellschaftsinteresses], 上海市闵行区人民法院民事判决 (2009)闵民二(商)初字第1724号 [Das Volksgericht der Bezirk Minxing der Stadt Shanghai, Urteil (2009) 2. Zivilsenate 1. Instanz Nr. 1724], zitiert als 川流 公司诉李鑫华案 [Chuanliu Ltd. vs. LI, Xinhua].

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Literaturverzeichnis331 北京艺进娱辉科技投资股份有限公司监事会与王莘等 / 北京瑞星国际软件有限公 司损害公司权益纠纷上诉案 [Der Aufsichtsrat der Peking YI JING YU HUI Technology and Investment Co., Ltd. vs. WANG, Xin u. a., Riesing International Software Co. Ltd. wegen Beeinträchtigung des Gesellschaftsinteresses], 北京市 一中院(2009)一中民终字第14727号 [Das Erste Mittlere Volksgericht der Stadt Beijing, Urteil (2009) Zivilsenat 2. Instanz Nr. 147727]. TAT Co. Ltd诉陆致成损害公司股东权益纠纷上诉案 [Berufung TAT Co. Ltd. vs. LU, Zhicheng wegen Beeinträchtigung des Aktionärsinteresses], 北京市高级人 民法院(2010)高民终字第534号 [Das Oberere Volksgericht Beijing, Urteil (2010) 2. Instanz Nr. 534]. 刘世誉与CHAN PAK SANG等损害股东利益纠纷上诉案 [Berufung LIU, Shiyu vs. CHAN PAK SANG wegen Beeinträchtigung des Aktionärsinteresses], 重庆 市高级人民法院民事判决书(2011) 渝高法民终字第00101号 [Das Oberere Volksgericht Chongqing, Urteil (2011) 2. Instanz Nr. 00101]. 徐海龙与郑文彬企业出资权益确认纠纷案 [XU, Hailong vs. ZHEN, Wenbing wegen des Streits über eine Einlage], 河南省南阳市中级人民法院民事判决书 (2010)南民商终字第151号 [Das Mittlere Volksgericht der Stadt Nanyang der Provinz Henan, Urteil (2010) 2. Instanz Nr. 151]. 邵斐月诉宁波市镇海利天投资咨询有限公司 / 何中寸股权转让纠纷上诉案 [Berufung SHAO, Feiyue vs. Ningbo Zhenhai Litian Investment Consultation Ltd., HE, Zhongcun wegen Veräußerung der Beteiligung], 浙江省宁波市中级人民法 院(2008)甬民三终字第648号 [Das Mittlere Volksgericht der Stadt Ningbo der Provinz Zhejiang, Urteil (2008) 3. Zivilsenate 2. Instanz Nr. 648]. 金隆国际有限公司诉无锡百和织造股份有限公司股东大会决议效力确认纠纷案 [Jinlong international trade Ltd. vs. Wuxi Baihe knitting Co. Ltd. wegen Feststellung der Wirksamkeit eines Hauptversammlungbeschlusses], 江苏省高级人 民法院(2010)苏商外终字第0014号 [Das Oberere Volksgericht Jiangshu, Urteil (2010) auslandsbezogene Handelssachen 2. Instanz Nr. 0014]. 乔文章等诉北京城建四建设工程有限责任公司董事会决议撤销纠纷案 [QIAO Wenzhang u. a. vs. Beijing Vierte Stadtbau GmbH wegen Anfechtung eines Vorstandsbeschlusses], 北京市海淀区人民法院(2009)海民初字第10995号 [Das Volksgericht der Bezirk Haidian der Stadt Beijing, Urteil (2009) 1. Instanz Nr. 10095]. 王延祥与北京毕派克兴业物业管理有限责任公司董事会决议效力确认上诉案 [Berufung WANG, Yanxiangn vs. Beijing Bipaike Xinye GmbH wegen Anfechtung eines Vorstandsbeschlusses], 北京市第二中级人民法院(2010)二中民终字 第01575号 [Das Zweite Mittlere Volksgericht Beijing, Urteil (2010) 2. Instanz Nr. 01575].

Sanktionsentscheidungen der CSRC 证监会 [CSRC], „关于顾雏军等人实施市场禁入的决定“, 证监法律字[2006]4号 [Entscheidung über das Markteintrittverbot an GU, Chujun u. a.] ([2006] Nr. 4), http: /  / www.csrc.gov.cn / pub / zjhpublic / G00306212 / 200804 / t20080418_14247. htm?keywords.

332 Literaturverzeichnis 证监会行政处罚决定书(2008)50号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr. 50 (2008)] (兰光科技 / 路有志等16名责任人员) [LAN GUANG-Technology, LU u. a.], http: /  / www.csrc.gov.cn / pub / zjhpublic / G00306212 / 200901 / t20090105_ 36683.htm. 证监会行政处罚决定书(2010)10号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr. 10 (2010)](南京中北 / 郭试平等7名责任人员) [Nanjing-ZHONGBEI, GUO u. a.] http: /  / www.csrc.gov.cn / pub / zjhpublic / G00306212 / 201005 / t20100506_180071. htm. 证监会行政处罚决定书(2010)13号 [Sanktionsentscheidung der CSRC Nr. 13 (2010)](上海科技 / 张杰等9名责任人员) [Shanghai-Technology, ZHANG u. a.] http: /  / www.csrc.gov.cn / pub / zjhpublic / G00306212 / 201008 / t20100820_183 726.htm. 证监会行政处罚决定书(2011)3号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr.  3 (2011)],(北海港 / 天津德利得 / 王学利等15名责任人员) [Nordseehafen, Tianjin-Delide, WANG u. a.], http: /  / www.csrc.gov.cn / pub / zjhpublic / G00306212 / 2011 07 / t20110705_197069.htm. 证监会行政处罚决定书(2011)38号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr. 38 (2011)],(科达股份 / 刘双珉等13名责任人员) [KE DA AG, LIU u.  a.], http: /  / www.csrc.gov.cn / pub / zjhpublic / G00306212 / 201112 / t20111226_204148. htm. 证监会行政处罚决定书(2011)48号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr. 48 (2011)] (寰岛股份 / 张燕瑾 / 王思民等12名责任人员) [HUAN DAO AG, ZHANG, WANG u. a.] http: /  / www.csrc.gov.cn / pub / zjhpublic / G00306212 / 201111 /  t20111129_202411.htm. 证监会行政处罚决定书(2011)53号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr. 53 (2011)],(沧州化工 / 周振德等11名责任人) [Changzhou-Chemie, ZHOU u. a.], http: /  / www.csrc.gov.cn / pub / zjhpublic / G00306212 / 201205 / t20120511_209895. htm. 证监会行政处罚决定书(2012)34号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr. 34 (2012)],(山东华阳科技股份有限公司 / 刘敬路 / 闫新华等14名责任人) [Shangdong HUA YANG AG, LIU, YAN u. a.], http: /  / www.csrc.gov.cn / pub / zjh public / G00306212 / 201303 / t20130321_222509.htm. 证监会行政处罚决定书(2012)53号 [Sanktionsentscheidung der CSRC, Nr. 53 (2012)], (宝安鸿基地产集团股份有限公司 / 邱瑞亨 / 任国强等15名责任人) [BAO AN HONG JI AG, QIU, REN u. a.] http: /  / www.csrc.gov.cn / pub / zjhpub lic / G00306212 / 201303 / t20130321_222506.htm.

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Literaturverzeichnis333 ten AGs](16.08.2001), zitiert als Anleitung zu unabhängigen Vorstandsmitgliedern (2001). 证监会 / 国家经贸委 [CSRC / Wirtschafts- und Handelnskommission], 《上市公司治 理准则》 [Corporate Governace Kodex der börsennotierten AGs] (07.01.2002), zitiert als CGK (2002). 证监会 / 国务院国资委 [CSRC / SASAC], 《关于规范上市公司与关联方资金往来 及上市公司对外担保若干问题的通知》 [Mitteilung über die Regulierung des Geldverkehrs zwischen börsennotierten AGs und ihren verbundenen Seiten und der Sicherheitenbestellung durch die börsennotierten AGs] (28.08.2003), zitiert als Mitteilung über Geldverkehr und Sicherheitenbestellung (2003). 证监会 [CSRC], 《关于加强社会公众股股东权益保护的若干规定》 [Regelungen zur Verstärkung des Schutzes der Publikumsaktionäre] (08.12.2004). 证监会 [CSRC], 《关于集中解决上市公司资金被占用和违规担保问题的通知》 [Mitteilung zum gezielten Lösen der Probleme der Finanzmittelaneignung und regelungswidriger Sicherheitenbestellung] (06.06.2005), zitiert als Mitteilung über Geldverkehr und Sicherheitenbestellung (2005). 证监会 [CSRC], 《上市公司股东大会规则》 [Standards der Hauptversammlung der börsennotierten AGs] (16.03.2006), zitiert als Standards der Hauptversammlung (2006). 证监会 [CSRC], 《首次公开发行股票并上市管理办法》 [Methode zur Verwaltung von IPO und Börsennotierung], 证监会令第32号 [CSRC Anordnung Nr. 32] (15.05.2006), abgekürzt als IPO-Anordnung (2006). 证监会 [CSRC], 《上市公司信息披露管理办法》 [Methode zur Verwaltung der Publizität der börsennotierten AGs], 证监会令第40号 [CSRC Anordnung Nr. 40] (30.01.2007), abgekürzt als Publizität-Anordnung (2007). 证监会 [CSRC], 《公开发行证券的公司信息披露内容与格式准则第2号》(2007年修订) [Standards Nr. 2 zu Inhalt und Form der Publizität der börsennotierten AGs (Inhalt und Form des Jahresberichts)] (revidiert 2007), zitiert als Offenlegungstandards Nr. 2 (Jahresbericht). 证监会 [CSRC], 《公开发行证券的公司信息披露内容与格式准则第30号—创业 板上市公司年度报告的内容与格式》(2012年修订) [Standards Nr.  30 zu Inhalt und Form der Publizität der börsennotierten AGs – Inhalt und Form des Jahresberichts der im GEM notierten AGs] (revidiert 2012), zitiert als Offenlegungstandards Nr. 30 (Jahresbericht). 证监会 [CSRC], 《上市公司重大资产重组管理办法》 [Methode zur Verwaltung der Umstrukturierung der börsennotierten AGs], 证监会令第53号 [CSRC Anordnung Nr. 53] (24.03.2008, revidiert am 01.08.2011), abgekürzt als Umstrukturierung-Anordnung (2008). 证监会 [CSRC], 《上市公司收购管理办法》 [Verwaltungsmethoden zur Übernahme der börsennotierten AGs] (17.05.2006, revidiert am 27.08.2008). 国务院 [Staatsrat], 《国务院批转证监会关于提高上市公司质量意见的通知》 [Mitteilung des Staatsrats über die genehmigte Ansicht der CSRC zur Verbesserung der Qualität der börsennotierten AGs] (19.10.2005).

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Stichwortverzeichnis Abberufung der Vorstandsmitglieder  102, 130, 272 Abhängigkeitsbericht  207, 213, 229 f., 233 abgeleitete Aktionärsklage gegen die herrschenden Aktionäre  286, 287 Abwehrklage  275 f. aktienrechtliche Vermögensbindung  196, 200, 202, 204, 254 Aktionärsinteresse  39, 42, 93 Aktionärsrechts-Bewegung  288 aktionärsstrukturorientierter Ansatz  46 Aktionärszentralismus  41, 187, 299 Aktivierung des Übernahmemarkts  66 Aktivlegitimation der abgeleiteten Aktionärklage  289, 294, 296, 302 Anfechtung der Eigengeschäfte  177 Angemessenheitskontrolle der Eigen­ geschäfte  160 ff., 175, 184 f. Angemessenheitskontrolle der herrschenden Einflussnahme  230, 256, 270 Anspruch auf gesetz- und satzungs­ mäßiges Handeln der Organe  276 Anspruchsverfolgung  78, 102 ff., 287 Anstellungsvertrag  76, 90, 149, 151, 152, 154, 156 Anteilssystem  22 ff. appraisal right of dissenters  259 ARAG / Garmenbeck-Entscheidung  86, 94, 100, 101, 279 Arbeitnehmerloyalität gegenüber der Gesellschaft  192 Arbeitnehmermitbestimmung  39 f., 42 arbeitsteiliges Zusammenwirken im Kollektivorgan  134 f. at arm’s length  153, 263, 269

Aufrechnung mit Anteilen  41, 246 f., 252 Aufspaltung der Aktien  52 aufsteigende Darlehen und Sicherheiten  214, 215, 220, 231, 266, 268 f., 271, 301 Ausfallrisiko  201, 215, 216, 220, 231, 246, 268 Auskunftsrecht der Aktionäre  187, 188, 193, 285 Ausnutzen der Geschäftschance der Gesellschaft  144, 145, 168, 173, 177 Ausnutzung des genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss  91, 276, 277, 293 Außenhaftung der Organmitglieder  54 Außenseiterschutz  209, 213, 223, 230 Außenwirkung der Satzung  184, 186, 190 f., 194, 300 Bankenvertreter im Aufsichtsrat  192 Beherrschungsvertrag  165, 198, 204, 206, 221, 228 Beschlussmängelklage  275, 285, 292 f. Bestandsgefährdende Risiken  78, 94 ff. Beweislastumkehr  70, 105 f., 131, 139 bilanzielle Betrachtungsweise  200, 204, 216 f., 220, 267 f. Börsengang der Obergesellschaft der staatlichen Unternehmensgruppe  255 Cash-Management  218, 233, 249 ff., 252, 267 ff., 302 cash-pool  200, 201, 215, 216, 266 Chinas Beitritt in die WTO  46 Compliance  80 f. Corporate Social Responsibility  37 ff., 42

338 Stichwortverzeichnis De facto-Beherrscher  47, 173, 252 f., 287 demokratische Verwaltung des Unternehmens  40 Doppelschäden  274, 275, 292 D&O-Versicherung  20 Drittanstellung des Vorstandsmitglieds  165 Drittvergleich  161, 185, 203, 215, 217 f., 220, 230, 232, 262 f., 264, 266 ff. dualistisches System  42, 83, 134, 153 Durchgriffshaftung  26, 41, 222 Eigenverantwortlichkeit  84, 122, 124, 132, 212, 214, 229 Einlagenrückgewährverbot  196 f., 201 f., 214, 215, 217, 262, 266 f., 269 Einwilligung des Aufsichtsrats  159, 161, 164 Einzelausgleichssystem  210, 220 ff., 230 f., 259 f. enlightened shareholder value-Ansatz  38 Entlastung der Vorstandsmitglieder  166, 272 Entreicherungseinrede  159, 202 Entscheidungsvorbereitung  93, 98 f., 106, 197 Entsendungsrecht der Minderheit  207 f. Entsprechungserklärung  76, 155 Erfolgshonorar  280, 289 existenzvernichtender Eingriff  222 faktischer Konzern  165, 204 f., 209, 212, 214, 220, 230, 259, 262 f., 264, 268, 271 Faktizitätsprinzip  209 feindliche Übernahme  64, 67 Finanzexperte  72, 85, 236 Finanzmittelaneignung  233, 245 f., 248, 250, 251 Fleißpflicht  68, 109, 113 Forderungsverzicht  78

Freiheit von Interessenkonflikten  91 f., 104, 116 Genehmigungsfähigkeit der Beratungsverträge  152 f. Generalklausel  18, 70, 74, 108, 118 Gesamtleitung  77, 108 Gesamtverantwortung  74, 79, 108 Geschäftsführersitzung  235 Geschäftsleiterermessen  74, 86 ff. Gesellschaftsinteresse  39, 41 f., 144 f. Gewinnausschüttung  199, 200 Gläubigerschutz  38, 96, 199, 217, 267 Gleichbehandlung aller Aktionäre  64, 121 Grenze des unternehmerischen Ermessens  94, 96, 108 Gültigkeit der Eigengeschäfte  156 Haftungsverschärfende Wirkung des Sonderwissens  72, 111, 132 Hinzuziehung von Sachverständigen  85, 136, 141 Informationsbesorgungspflicht  126, 129, 299 Inkompatibilitätsgrundsatz  32 In-sich-Geschäfte  159, 168 Interessenkonflikte zwischen Aktionären  20, 90, 158, 161, 166 interessenpluralistischer Ansatz  41 f., 93 Kampfkultur zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber  192 Kapitalerhaltung in China  40 f., 247, 252 Klagezulassungsverfahren  278, 280 Klumpenrisiko  200 Kodifizierung der BJR  87, 100, 113, 138 ff., 299 Kollegialprinzip  79

Stichwortverzeichnis Kompetenzübergriffe  276, 292 Kontrolle der Stimmrechtsausübung  205 f., 230, 257 ff., 300 konzentrierte Aktionärsstruktur  19, 45, 54, 64, 245, 261, 298 Konzerngefahr  204, 266 Konzerninteresse  165, 195, 206, 207, 210, 213, 230, 256, 264 Konzernprivileg  198 kumulative Stimmabgabe  26 Legalitätspflicht  73 ff., 80, 121, 161 leitende Manager  30, 121, 167 f., 173 Liquiditätsrisiko  217, 220, 231, 267, 269, 302 Management Buy Out  171, 188 Manager-Vergütung  146, 171, 189, 194 Mantelerwerb  61 f. Mehrheitsprinzip  208, 259 Minderheitenschutz  62, 63, 65 f., 199, 208 f., 217 f., 229, 237, 267, 289, 293, 302 Minderheitenvertreter im Aufsichtsrat  207 f., 259 ff. Mindestqualifikation der Organmitglieder  71, 85, 133 ff. Missbrauch der Vertretungsmacht  152, 157 ff., 160, 162, 190 f., 194, 203, 300 missbräuchliche Anfechtungsklage  278 missbräuchliche Klageerhebung  278, 281 mitgliedschaftliche Treuepflicht  144, 211 monistisches System  42, 128, 133 f., 298 Nachforschungspflicht des Geschäftspartners  158, 190 f. nahestehende Unternehmen und Personen  162, 232, 233 nicht betriebsbedingte Finanzmittelaneignung  246, 248, 268

339

nicht frei handelbare Aktien  51 ff., 62, 66, 246 Normentheorie  105 Normzweck des Verbotsgesetzes  184, 191, 194 Objektiver Sorgfaltsmaßstab  70, 107, 111, 132 Offenlegung der internen Corporate Governance  58 f. Offenlegung von Interessenkonflikten  93, 154 ff. Organaußenhaftung  55, 66 Organisationspflicht  74, 80, 85, 113 Organkredite  148, 154, 161 f., 171, 187 ff., 193 Organstellung des chinesischen Geschäftsführers  30 f. Partielles Pflichtangebot  63, 65 passive Konzerneffekte  210 Personenidentität von Geschäftsführer und Vorstandsmitglied  29, 31, 37 Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit  73f., 78 ff., 82 Pflicht zur sorgfältigen Unternehmensleitung  73 f., 76 ff. Pflichtangebot  62 f., 65 f. Pflichtenkollision  145, 163 f., 192 f. piercing the corporate veil  40 praktische Konkordanz  225 private Mehrheitsgesellschafter  204, 256, 265, 301 Professionalisierung der Aufsichtsrats­ tätigkeit  71, 134 Prozesskosten  274, 279, 281, 289 Publizitätspflichten  54 ff., 58 ff., 67, 122, 124, 130 f., 254 Pyramidenstruktur  47, 255 Qualifikation der Richter  109, 137 qualifizierte Nachteilszufügung  220, 222, 231

340 Stichwortverzeichnis qualifizierter faktischer Konzern  221, 225 Quotensystem  50 Rechenschaftspflicht  213, 262, 301 Rechtsmissbrauchsverbot der Aktionäre  26, 258 Rechtssicherheit  147, 160, 176, 191, 194 Reduzierung des staatlichen Aktien­ besitzes  46, 53 related relationship  173, 240, 243, 245 related parties  123, 234, 240 ff., 256 related-party-transactions  173 f., 192, 195 f., 234 ff., 238 ff., 241 ff. reputational sanction  248 richterliche Inhaltskontrolle der Geschäftsführungsmaßnahmen  120, 137, 141, 185 richterliche Schadensschätzung  222 richterlicher Rückschaufehler  86, 137 Risikoaversion  70, 133 Rosenbergsche Formel  116 Rozenblum-Doktrin  210 Rückerwerb von Aktien des Groß­ aktionärs mit anschließender Kapitalherabsetzung  247, 252 Schädigungsverbot  144, 174 f., 207, 210, 256 Selbstkontrolle der Managervergütung durch die Gesellschaft  189, 194 Selbstorganschaft  285 significant RPTs  236, 242, 260 SOE-Reform  22 ff., 26, 43, 65, 298 Sonderprüfung  95, 213, 273, 280 staatliche Intervention  189, 194 stakeholder value-Ansatz  38 f. Standardprüfungsbericht ohne Vorbehalt  125 Stimmverbot der befangenen Aktionäre  169, 178, 205 ff., 236 f., 256 f., 267

Stimmverbot der befangenen Vorstandsmitglieder  175 f., 185, 187, 192, 236, 260 f., 270, 301 Stimmverbot der Doppelmandatsträger  163 f., 166, 225, 230, 233 Subsidiarität der abgeleiteten Aktionärs­ klage  294 Sukzessivgründung  43 System des Einzelausgleichs  205, 209 f., 221 ff., 224, 226, 229, 230 f., 259 f., 262 f. System des globalen Verlustausgleichs  199, 205, 206, 209 Trennung des Pflichtenkreises  146, 163, 165 ff., 224, 229 Trennung zwischen Regierung und Unternehmung  22, 48 Treuepflicht des herrschenden Aktionärs  41, 63, 65, 211, 255, 258, 259, 266 Tunneling  55 Überprüfungspflicht des Sicherungsgläubigers  180, 182, 184, 190 Überschreitungs- und Unterschreitungsverbot  75 Umgehungstatbestände der Eigengeschäfte  185, 191, 194 unabhängige Vorstandsmitglieder  36, 58, 123 f., 136, 260 unmittelbare Eigengeschäfte  147, 169 unmittelbarer Schaden  274, 284 Unternehmensinteresse  93 ff., 145 unternehmerische Entscheidung  89 f., 102, 108, 142 upstream-loan  200 Verbot des Richtens in eigener Sache  166 Verbot mit Erlaubnisvorbehalt  147, 168, 185, 193, 300 Verbot von schädlichen RPTs  185, 233, 240, 265, 271 Verbotsgesetz  151, 157, 178, 182, 183, 186, 190, 194, 267, 284, 300

Stichwortverzeichnis verbundene Parteien  231 verdeckte Gewinnausschüttung  197, 215 verdeckte Vermögenszuwendung  196, 197, 203 vereinbarte Übernahme  62, 64, 66 verkehrserforderliche Sorgfalt  71 Verletzung des Mitgliedschaftsrechts  275 Vertragskonzern  198, 205, 209, 212, 221, 222, 266, 281 Vertretungsmacht des Vorstands als Kollektivorgan  191, 194 Verwaltungsrat  37, 128, 298 Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs  199 f., 200 ff., 204, 215 f., 267 f. Vollzirkulations-Reform  44, 46, 53, 60, 66 vorbeugende Unterlassungsklage  277 Vorstandsbeschlussmängelklage  284, 285, 293

341

Vorstands-Doppelmandate  164 ff., 167, 176, 192, 223 ff., 229, 269 f. Vorstandsvergütung  102, 149 ff., 189 Vorstandszentralismus  28 vorteilhafte Gesetzesverstöße  75 f. Weisungsunabhängigkeit  29, 84, 212, 262, 301 wertmäßiger Kapitalschutz  202 f., 204, 269, 302 Wettbewerbsverbot der Organmitglieder  72, 143, 145, 168, 177 Wettbewerbsverbot des Aktionärs  255 Wohl der Gesellschaft  91, 94, 108 Zentralunternehmen  47 f. Zielkonflikte  104, 195 Zustimmung der Hauptversammlung  168 f., 177 f., 180, 185 f., 188, 190, 192 f., 293 Zustimmung des Aufsichtsrats  148, 152, 157, 161 ff., 165