Die Finnlandpolitik des deutschen Imperialismus 1917–1918 [Reprint 2021 ed.] 9783112569825, 9783112569818


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German Pages 242 [245] Year 1975

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Die Finnlandpolitik des deutschen Imperialismus 1917–1918 [Reprint 2021 ed.]
 9783112569825, 9783112569818

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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER

DDR

SCHRIFTEN DES ZENTRALINSTITUTS FÜR GESCHICHTE BAND 38

MANFRED MENGER

Die Finnlandpolitik des deutschen Imperialismus

1917-1918

AKADEMIE-VERLAG • B E R L I N • 1974

Hinweis: Mit vorliegendem Band wird die Unterteilung der Schriftenreihe des Zentralinstituts f ü r Geschichte der Akademie der Wissenschaften der D D R in Reihe I : Allgemeine und Deutsche Geschichte Reihe I I : Landes- und Regionalgeschichte Reihe I I I : Vorträge, Tagungen und Abhandlungen aufgehoben. Die Bandzählung der ehemaligen Reihe I bleibt weiterhin verbindlich. Demzufolge erhält die vorliegende Broschur die Bandnummer 38 (Hans Dress, Slowakei u n d faschistische Neuordnung, Berlin 1972, h a t die Bandnummer 37).

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright 1974 by Akademie-Verlag, Berlin Lizenznummer: 202 . 100/252/74 Herstellung: IV/2/14 V E B Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen/DDR . 4075 Umschlaggestaltung: K . Salzbrunn Bestellnummer: EDV 752 378 1 (2083/38) . LSV 0265 Printed in GDR EVP 29,-

Inhalt

Vorwort

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Abkürzungsverzeichnis

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I . F i n n l a n d in der deutschen Politik 1914 bis 1917 1. Das Interesse des deutschen Imperialismus an F i n n l a n d . . 2. Die B e m ü h u n g e n u m die Mobilisierung F i n n l a n d s f ü r den K a m p f gegen R u ß l a n d

17 17

I I . F i n n l a n d n a c h der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution 1. Die R e a k t i o n der finnischen Arbeiterbewegung u n d der herrschenden Klasse auf die Oktoberrevolution 2. Die A n e r k e n n u n g der U n a b h ä n g i g k e i t F i n n l a n d s d u r c h Sowjetrußland 3. Die revolutionäre E r h e b u n g der finnischen Arbeiterklasse u n d ihre U n t e r s t ü t z u n g durch S o w j e t r u ß l a n d

64

I I I . Die imperialistische

deutsche

Finnlandpolitik

im

40

64 79 93

Frühjahr

1918 1. Der Interventionsbeschluß 2. Die Bestrebungen u m ein Eingreifen Schwedens in F i n n l a n d u n d die O k k u p a t i o n der Aland-Inseln 3. Die Verträge v o m 7. März 1918 4. Die E r ö r t e r u n g e n ü b e r das F ü r u n d W i d e r der offenen I n t e r vention zwischen Reichsleitung u n d O b e r s t e r Heeresleitung 5. Die H a l t u n g der f ü h r e n d e n K r ä f t e der d e u t s c h e n Arbeiterbewegung zur Interventionspolitik in F i n n l a n d

112 112 116 140 155 169

I V . Die militärische I n t e r v e n t i o n 1. Z u m Verlauf des finnischen Bürgerkrieges bis z u m Beginn der militärischen I n t e r v e n t i o n 2. Der Verlauf u n d die B e d e u t u n g der militärischen I n t e r vention

181

V. F i n n l a n d u n t e r der V o r h e r r s c h a f t des deutschen Imperialismus

200

181 189

Schlußwort

217

Quellen- u n d Literaturverzeichnis

223

Vorwort

Die Geschichte des ersten Weltkrieges gehörte im letzten Jahrzehnt zur aktuellsten historischen Thematik. Besonders intensiv wurden die imperialistische deutsche Kriegszielpolitik erforscht, die Kriegszielplanung analysiert und die Kontinuität der Aggression und Raubgier des deutschen Imperialismus vom ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart nachgewiesen. 1 Die von den Historikern der DDR dabei erreichten Ergebnisse fanden ihren Niederschlag in einer beachtlichen Anzahl von Spezialforschungen, Studien zu übergreifenden Problemen der imperialistischen deutschen Kriegspolitik und vor allem in der dreibändigen umfassenden marxistisch-leninistischen Gesamtdarstellung der E n t wicklung Deutschlands im ersten Weltkrieg. 2 Bei der Behandlung der Kriegszielplanungen galt die Aufmerksamkeit naturgemäß vorrangig den Hauptstoßrichtungen des imperialistischen deutschen Expansionismus. I n dem räumlich schon sehr weitgespannten Rahmen der Untersuchungen einzelner Objekte der Kriegszielpolitik fehlen in der Historiographie der D D R vergleichbare, auf umfassender Berücksichtigung aller in den letzten Jahren zugänglich gewordenen Quellen basierende Darstellungen über die deutsche Politik gegenüber den skandinavischen Staaten und Finnland. So verständlich das auf den ersten Blick namentlich für Finnland bei der peripheren, scheinbar von den Brennpunkten militärischen und politischen Geschehens abgeschiedenen Lage des Landes im europäischen Nordosten auch erscheinen mag, so wenig würde eine solche Betrachtungsweise doch der tatsächlichen Rolle Finnlands in den Plänen und in der Politik des deutschen Imperialismus zur Zeit beider Weltkriege gerecht. Unter anderem war es gerade die geographische Lage Finnlands, seine günstige militärstrategische, wirtschaftliche und politische Möglichkeiten verheißende Flankenstellung vor der russischen Hauptstadt auf der einen und der schwedischen 1

2

Vgl. Qutsche, Willibald ¡Laschitza, Annelies, F o r s c h u n g e n zur deutschen Geschichte v o n der J a h r h u n d e r t w e n d e bis 1917, in: S o n d e r h e f t der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Historische F o r s c h u n g e n in der D D R 1960—1970, A n a l y s e n u n d B e richte. Z u m X I I I . Internationalen Historikerkongreß in Moskau 1970, Berlin 1970, S. 499ff. D e u t s c h l a n d i m ersten Weltkrieg. H g . unter Ltg. v . Klein, Fritz. B d 1 : Vorbereitung, E n t f e s s e l u n g u n d Verlauf des Krieges bis E n d e 1914. U . Ltg. v. Klein, Fritz, B d . 2: Januar 1915 bis Oktober 1917. U . Ltg. v . Outsehe, Willibald-, B d 3 : N o v e m b e r 1917 bis 1918. U . Ltg. v. Petzold, Joachim - Berlin 1 9 6 8 - 1 9 6 9 .

6

Vorwort

Metropole auf der anderen Seite, durch die das Land schon im ersten Weltkrieg zu einem wichtigen Ziel der Expansionspolitik des deutschen Imperialismus wurde. Von den Folgen dieser Politik wurde die Bevölkerung keines anderen nordeuropäischen Staates so sehr betroffen wie das finnische Volk. Zugleich kamen verschiedene von den deutschen Imperialisten auch in anderen Gebieten angewandte Praktiken zur Durchsetzung und Verschleierung ihrer räuberischen Ziele in Finnland in besonders ausgeprägter Form zur Anwendung. Schließlich war Finnland am Ausgang des ersten Weltkrieges Schauplatz der nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution ersten gesamtnationalen revolutionären Erhebung des Proletariats, welche im F r ü h j a h r 1918 von deutschen Interventen im Verein mit der finnischen Reaktion gewaltsam niedergeschlagen wurde. Schon aus diesen Gründen erscheint es angebracht, die wissenschaftlich wie politisch gleichermaßen aktuelle Thematik der Finnlandpolitik des deutschen Imperialismus während des ersten Weltkrieges in einer Spezialstudie zu behandeln. Dies gilt um so mehr, als die vorliegenden deutschsprachigen Arbeiten, die sich in dieser oder jener Form mit den damaligen Geschehnissen befassen, fast ausschließlich der Feder bürgerlicher Publizisten, Völkerrechtler und Historiker entstammen und diese nahezu uneingeschränkt darum bemüht waren, das reaktionäre und expansionistische Wesen der Finnlandpolitik des deutschen Monopolkapitals zu verschleiern. I n den meisten Fällen handelte es sich bei diesen Veröffentlichungen um in ihrem Urteil über die deutsche Finnlandpolitik wissenschaftlich wertlose, jedoch vielfach in hohen Auflagen erschienene, massenwirksame und gefährliche Propagandamachwerke. 3 Auch viele bürgerliche Darstellungen zur Geschichte des ersten Weltkrieges 4 , zur deutschen und finnischen Geschichte 5 , Beiträge zur Landeskunde Finnlands 6 3

i

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In diese Kategorie gehören u. a. die Darstellungen der deutschen Finnlandpolitik bei Oummerus, Herman, Finnlands Kampf um seine Selbständigkeit und Deutschland während des Weltkrieges, in Jomsburg, 3/1973; Halter, Heinz, Preußisches Jägerbataillon 27, Leipzig 1938; öhquist, Johannes, Das Löwenbanner. Des finnischen Volkes Aufstieg zur Freiheit, Berlin 1923; Paul, Johannes, Europa im Ostseeraum, Göttingen 1961; Scholtz, Ulrich, Aus Finnlands Freiheitskampf, Greifswald 1921; Söderjelm, Henning, Der rote Aufruhr in Finnland im Jahre 1918, Leipzig 1918; Waffenbruder Finnland, hg. von Ruppert, Leipzig-Berlin 1942. Henke, Carl/Liesner, Gerhard, U m Finnlands Freiheit, Berlin 1942; Kühl, Hermannv., Der Weltkrieg 1914-1918, Bd II, Berlin 1929; Der Weltkrieg 1914-1918, bearb. von der Forschungsanstalt für Kriegs- und Heeresgeschichte im Auftrage des Reichskriegsministeriums, hg. v o m Bundesarchiv 1956. Handbuch der Deutschen Geschichte. Begründet von Brandt, O., fortgeführt von Meyer, A. O., hg. unter Mitwirkung zahlreicher Historiker von Just, B d IV, Abschnitt 2, Konstanz 1955; Oadolin, Axel v., Finnland — Vergangenheit und Gegenwart, Berlin 1943; Sommer, William, Geschichte Finnlands, München-Berlin 1938. Dey, Reinhold, Finnland heute, Wien-Düsseldorf 1965; Evers, Wilhelm, Finnland im Spannungsfeld zwischen Ost und West, Hannover 1969; Grellmann, Hans, Finnland. Berlin 1943.

Vorwort

7

sowie Völkerrechtslehrbücher 7 enthalten einzelne Abschnitte mit falschen Wertungen der deutschen Interventionspolitik in Finnland. Infolgedessen konnten sich, angefangen von der Weimarer Periode über die Zeit der faschistischen Diktatur bis in die bundesrepublikanische Gegenwart, viele der während des ersten Weltkrieges entstandenen politischen Zwecklügen über die deutsch-finnischen Beziehungen behaupten. I m Grunde genommen liefen diese Geschichtsfälschungen immer darauf hinaus, dem deutschen Imperialismus und Militarismus die ausschlaggebende Rolle f ü r die Gewährung und Sicherung der Selbständigkeit Finnlands zuzuschreiben und andererseits nicht nur dem vorrevolutionären Rußland, sondern auch der Sowjetmacht das Bestreben nach nationaler Unterjochung Finnlands zu unterstellen und das revolutionäre Aufbegehren der finnischen Arbeiterklasse nach der Oktoberrevolution als ein künstlich geschürtes Mittel zur Verwirklichung dieser Absicht abzustempeln. So gesehen erschien die deutsche Finnlandpolitik wenn auch nicht völlig uneigennützig, wie immerhin vielfach zugegeben wurde, so aber doch stets vorteilhaft f ü r die Finnen. Ob direkt ausgesprochen oder nur angedeutet, lag in dieser Darstellung oftmals zugleich die an Finnland gerichtete Empfehlung zur' Erneuerung der a m Ende des Jahres 1918 jäh in die Brüche gegangenen antikommunistischen Allianz mit dem deutschen Imperialismus. Die sämtlichen im Zusammenhang mit der deutschen Politik in Finnland während des ersten Weltkrieges erfundenen Fälschungen gemeinsame ideologische Position war der Antikommunismus, der ihnen zugrunde liegende politische Zweck die Begünstigung einer erneuten Einflußnahme des deutschen Imperialismus auf die Geschicke Finnlands. I n Auseinandersetzung mit der jahrzehntelang betriebenen apologetischen bürgerlichen deutschen Geschichtsschreibung werden in der vorliegenden Arbeit zur Aufhellung der Zusammenhänge, Beweggründe und Methoden der deutschen Finnlandpolitik im ersten Weltkrieg vor allem folgende Komplexe untersucht: 1. Die Bestrebungen um eine indirekte Einbeziehung Finnlands in den Machtbereich des deutschen Imperialismus. 2. Die am Beispiel Finnlands deutlich zu erkennenden Bemühungen des deutschen Imperialismus, sowohl nationale Befreiungsbewegungen im gegnerischen Herrschaftsbereich als auch — nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution — das Schutz- und Anlehnungsbedürfnis der konterrevolutionären Kräfte in Ost- und Nordosteuropa zur Durchsetzung und zur demagogischen Verschleierung seiner Expansionsbestrebungen nutzbar zu machen. 3. Das Zusammenwirken wirtschaftlicher, politischer und militärischer Erwägungen bei der Fixierung der deutschen Finnlandpolitik und das Zusammenspiel der entscheidenden Interessenvertretungen des deutschen Finanzkapitals bei deren Realisierung. 7

Strupp,

Karl, Theorie und Praxis des Völkerrechts, Berlin 1925.

8

Vorwort

4. Die Rolle der Gegenkräfte der expansionistischen Finnlandpolitik des deutschen Imperialismus, der tatsächlichen Vertreter der nationalen Interessen des finnischen Volkes. Aus dieser Themenstellung ergibt sich, daß Probleme der innerfinnischen Entwicklung nur insoweit behandelt werden, als das f ü r die Erkenntnis der Gesamtzusammenhänge erforderlich ist. Diese Feststellung bezieht sich mit gewissen Einschränkungen auch auf die Entwicklung des revolutionären Kampfes des finnischen Proletariats und die sowjetisch-finnischen Beziehungen. Über die genannten Fragen liegen eingehende Untersuchungen sowjetischer Historiker vor, auf die an den entsprechenden Stellen verwiesen wird. Schließlich ist noch zu vermerken, daß es mir nicht darauf ankam, alle Phasen der deutschen Expansionspolitik im Detail zu behandeln. Die Zeit vom Kriegsausbruch bis zur Großen Sozialistischen Oktoberrevolution wird lediglich in Form eines summarischen Überblicks dargelegt, um Kontinuität und Wandlung dieser Politik zu verdeutlichen. Der Schwerpunkt der Abhandlung liegt auf der Periode zwischen dem Beginn der Oktoberrevolution und dem Zeitpunkt, da der deutsche Imperialismus seine Vorherrschaft über Finnland nach der Niederschlagung der revolutionären Erhebung des finnischen Proletariats etablierte. F ü r diesen in seiner Dramatik und seiner Bedeutung in der neueren finnischen Geschichte wohl nur noch mit den Ereignissen in den Jahren des zweiten Weltkrieges vergleichbaren Zeitabschnitt, auf den sich auch die erwähnten Verfälschungen der deutsch-finnischen Beziehungen in erster Linie konzentrieren, wurde versucht, die große Aktivität und Skrupellosigkeit sowie die ungehemmte Brutalität, mit der sich die deutschen Imperialisten um die Unterwerfung Finnlands bemühten, gründlich und ins einzelne gehend nachzuweisen. Dagegen muß die erschöpfende Behandlung der deutschen Einflußnahme auf die finnischen Verhältnisse in der nachrevolutionären Periode einer vorgesehenen gesonderten Publikation überlassen bleiben. Die Arbeit beruht im wesentlichen auf Archivalien, die bisher von marxistischen Historikern nur zu einem geringen Teil und auch von bürgerlichen Forschern nur unvollständig gesichtet worden waren. Unter diesen Akten bilden diejenigen der Abteilung IA (Politische Abteilung) des Auswärtigen Amtes einschließlich der Finnland betreffenden Materialien der deutschen Gesandtschaft in Stockholm und Kopenhagen über die Zustände und Verhältnisse Finnlands, die deutsch-finnischen, die russisch-finnischen und die finnisch-schwedischen Beziehungen den wichtigsten Bestand. Das finnische Staatsarchiv (Suomen Valtionarkisto) verfügt über eine lückenlose Sammlung von Fotokopien und Mikrofilmen dieses Archivmaterials, welche nach der Auslagerung der Archivalien nach London dort angefertigt wurde (die Angabe dieser Bestände erfolgt daher in der Arbeit auch mit der Londoner Signatur). Von großem Interesse für die Erforschung der gestellten Thematik sind auch die zu Beginn der dreißiger J a h r e vom Finnischen Kriegsarchiv Helsinki (Sota-arkisto) aus den militärischen Aktenbeständen des Reichsarchivs angefertigten Abschriften der Akten der deutschen Interventionstruppen in

Vorwort

9

Finnland 8 und der mit dem Finnland-Unternehmen im Zusammenhang stehenden Akten des Admiralstabs der Marine. Für die Erhellung der wirtschaftlichen Hintergründe der deutschen Interventionspolitik waren besonders die im Deutschen Zentralarchiv (Potsdam und Merseburg) lagernden Aktenbestände der Abteilung I I (Handelspolitische Abteilung) des Auswärtigen Amtes beziehungsweise diejenigen des Preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe von Bedeutung. Auch den Akten der Reichskanzlei, verschiedener Reichsämter und der Budgetkommission des Reichstages konnten einzelne wichtige Dokumente entnommen werden. Den Leitern der genannten Archive und ihren Mitarbeitern ist an dieser Stelle für die Hilfsbereitschaft, mit der sie meine Arbeit gefördert haben, zu danken. Neben einer Reihe gedruckter Quellen, zeitgenössischer Propagandaschriften, Zeitungen und anderer Periodica, darunter den wichtigen, auch die schwedische und finnische Presse bis zu einem gewissen Umfang erschließenden Wochenberichten der Auslandslektorate, welche vom Auswärtigen Amt f ü r den Dienstgebrauch herausgegeben wurden, war eine größeren Anzahl Memoiren heranzuziehen, von denen Rückschlüsse auf den vorliegenden Gegenstand erwartet werden durften. Da die deutsche Interventionspolitik in Finnland während des ersten Weltkrieges wichtige Fragen der inneren und äußeren Politik Finnlands, aber auch Schwedens und Sowjetrußlands in einer weltgeschichtlich äußerst bedeutsamen Periode mehr oder weniger berührt, ist es verständlich, daß auf diese Politik in einer wahren Flut von Publikationen unterschiedlichster Thematik und Qualität in dieser oder jener Form Bezug genommen wurde. Ich habe mich bemüht, die bedeutsamsten dieser Veröffentlichungen, die meist neueren D a t u m s sind, möglichst vollständig heranzuziehen. Bei zahlreichen behandelten Problemen, insbesondere aber im Hinblick auf die Aufgaben, Bedingungen und Ergebnisse des revolutionären Kampfes des finnischen Proletariats stützt sich die Arbeit auf das feste Fundament gesicherter Einschätzungen sowjetischer Historiker und der finnischen marxistischen Historiographie. F ü r die Darlegung und Beurteilung der Grundprinzipien der Annexionspolitik des deutschen Imperialismus waren die Ergebnisse der marxistisch-leninistischen Geschichtsschreibung in der D D R über die Politik des deutschen Imperialismus im ersten Weltkrieg von richtungweisender Bedeutung. Die erste in der D D R erschienene Publikation, welche sich in einem speziellen Abschnitt mit der Intervention des deutschen Imperialismus in Finnland während des Jahres 1918 befaßte, war das 1954 veröffentlichte Buch „Zwischen Berlin und Moskau" von Albert Norden. 9 Während der letzten J a h r e wurde die gleiche Frage im Rahmen mehrerer Überblicksdarstellungen be8

9

Dieses Quellenmaterial besitzt heute um so größere Bedeutung, als die v o m Reichsarchiv an das 1935 gebildete Heeresarchiv abgegebenen preußisch-deutschen Heeresakten bei dem angloamerikanischen Bombenangriff auf Potsdam noch im April 1945 fast vollständig vernichtet wurden. Norden, Albert, Zwischen Berlin und Moskau. Zur Geschichte der deutschsowjetischen Beziehungen, Berlin 1954.

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Vorwort

rührt. 1 0 Um die Erforschung der Klassenauseinandersetzungen in den letzten J a h r e n des Weltkrieges in Finnland, um die Darstellung des sozialen und nationalen Kampfes des finnischen Proletariats gegen die Reaktion im eigenen Lande und gegen den deutschen Imperialismus haben sich besonders sowjetische Historiker verdient gemacht. Schon anläßlich des zehnten bzw. fünfzehnten Jahrestages der finnischen Revolution erschienen eingehende Untersuchungen über die vielfältigen Ausstrahlungen der beiden russischen Revolutionen des Jahres 1917 auf Finnland und die finnische Arbeiterbewegung. 11 Die fundiertesten, auf dokumentarischem Material sowjetischer Archive und einer umfangreichen Sekundärliteratur beruhenden Arbeiten über die revolutionären Ereignisse der Jahre 1917/1918 in Finnland und die sowjetisch-finnischen Beziehungen in dieser Periode sind den sowjetischen Historikern 1.1. Sykiäinen 12 und V. M. Cholodkovskij 13 zu verdanken. Namentlich die Arbeit des letzteren beeindruckt durch eingehende Kenntnis und kritische Verarbeitung des Erschienenen. Neben der umfangreichen Sekundärliteratur hat er alle verfügbaren publizierten sowjetischen, finnischen, schwedischen, deutschen und amerikanischen Quellen und zahlreiche Periodika herangezogen; darüber hinaus konnte er neue Archivalien aus sowjetischen Archiven erschließen. Sichere Beherrschung des Gegenstandes und konsequente Parteilichkeit ermöglichten es ihm, ein Werk zu schreiben, mit dem er dem Kampf der finnischen Arbeiterklasse ein Denkmal setzte und einen wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit den einschlägigen Veröffentlichungen bürgerlicher Historiker leistete. Auch der von Cholodkovskij auf der Grundlage des publizierten Materials gegebenen Darstellung der deutschen Intervention in Finnland 1918 waren für die vorliegende Arbeit wichtige Anregungen zu entnehmen. Wesentliche Hilfe, besonders für die Einschätzung der innenpolitischen Verhältnisse Finnlands, boten dem Verfasser mehrere Publikationen finnischer marxistischer Historiker, führender Vertreter der finnischen revolutionären Arbeiterbewegung 14 und die Erklärung des Zentralkomitees der Kommu10

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13

14

So in: Militarismus gegen S o w j e t m a c h t 1917—1919. D a s Fiasko der ersten antisowjetischen Aggression des d e u t s c h e n Militarismus, verf. v o n einem Autorenkollektiv des I n s t i t u t s für D e u t s c h e Militärgeschichte, Berlin 1967; D e u t s c h l a n d i m ersten Weltkrieg, B d 3, Berlin 1969. Majzel, M., Stranicy iz revoljucionnoj istorii finljandskogo proletariata, Leningrad 1928; Smimov, V., Iz revoljucionnoj istorii Finljandii 1905, 1917, 1918 gg., Leningrad 1933. Sykiäinen, I. / . , R e v o l u j u c i o n n y e sobytija v Einljandii 1917—1918 gg., Petrosawodsk 1962. Cholodkovskij, V. M., Revoljucija 1918 goda v Finljandii i germanskaja intervencija, Moskau 1967. Vgl. auch die Rezension dieser der Arbeit in: ZfG 1969, H . 6 Kuusinen, O. W., D i e R e v o l u t i o n in Finnland, H a m b u r g 1921; ders., S u o m e n t y ö v ä e n l i i k k e e n opetuksia, Lappeenranta 1949; Pessi, Ville, L o k a k u u n vallank u m o u k s e n m e r k i t y s Suomen itsenäisyydelle ja t y ö v ä e n l u o k a n v a p a u s t a i s t e l u n kehitykselle, in: K o m m u n i s t i 16/1957, Liite.

Vorwort

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Iiistischen Partei Finnlands zum vierzigsten Jahrestag der Revolution des finnischen Proletariats. 1 5 Das Bedürfnis, Größe und Grenzen des revolutionären Kampfes in Finnland während der Jahre 1917/1918 deutlich zu machen, die Notwendigkeit, Klarheit über die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Kampf um die politische Macht zu gewinnen, und das Erfordernis, nationalistischen und antikommunistischen Verfälschungen entgegenzutreten, veranlaßten die Kommunistische Partei Finnlands bereits unter den Bedingungen der Illegalität in den zwanziger und dreißiger Jahren, mehrere Darstellungen, Sammelbände und Dokumentationen zur Geschichte der finnischen Revolution anzuregen. Aus der Reihe dieser Veröffentlichungen, welche auch grundsätzliche Einschätzungen der Politik des deutschen Imperialismus in Finnland beinhalten, ragen besonders der von einer Kommission zur Erarbeitung der finnischen revolutionären Bewegung 1928 in Leningrad herausgegebene Sammelband „Die finnische Arbeiterrevolution 1918" 16 und ein im gleichen J a h r e von finnischen Kommunisten in den USA veröffentlichter Sammelband „Der Klassenkrieg in Finnland" 1 7 hervor. Die finnische marxistische Historiographie, die nach dem zweiten Weltkrieg erstmals im eigenen Land offen auftreten konnte, leistete einen wichtigen Beitrag zur Klärung entscheidender Grundfragen der finnischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die Widerlegung nationalistischer Geschichtslegenden, welche von den Historikern der herrschenden Klasse fast ein halbes J a h r h u n d e r t lang propagiert worden waren, diente auch der Vermittlung eines wahrheitsgemäßen Bildes über die verhängnisvolle Rolle des deutschen Imperialismus in der jüngsten finnischen Geschichte. Besonders zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten von A. Hyvönen 1 8 und T. Lehen 19 . Generell gilt, daß hinsichtlich der prinzipiellen Beurteilung der Finnlandpolitik des deutschen Imperialismus in den J a h r e n des ersten Weltkrieges in der marxistischen Literatur schon seit den zwanziger J a h r e n Fragen aufgeworfen und grundlegend beantwortet sowie für bestimmte Aspekte richtige und prägnante Einschätzungen erarbeitet wurden, die auch von finnischen bürgerlichen Historikern in den letzten J a h r e n vielfach nicht mehr in Frage gestellt werden. Die Arbeiten der finnischen bürgerlichen Geschichtsschreibung über die deutsch-finnischen Beziehungen im ersten Weltkrieg wurden lange Zeit durch das unantastbare Schema von den „weißen Freiheitskämpfern" und den „roten Landesverrätern" geprägt. I n dem offiziösen, zwischen 1921 und 1928 herausgegebenen Geschichtswerk „Suomen vapaussota" 2 0 , in anderen Über15

40 vuotta Suomen työväen vallankumouksesta, in: Kommunist! 1—2/1958. Suomen työväen vallankumous 1918. Arvioita ja itsekritiikkiä, Leningrad 1928. 17 Suomenluokkasota.Historiaa jamuistelmia. Toim. A. Halonen, Superior, Wis. 1928. 18 Hyvönen, Antti, Suomen vanhan työväenpuolueen historia, Helsinki 1959; ders., Suurten tapahtumien vuodet 1917—1918, Helsinki 1957. 19 Lehen, Tuure, Punaisten ja valkoisten sota, Helsinki 1967. 20 „Suomen vapaussota", Bd I—VIII, Toim. Kai Donner, Th. Svedin, Hekki Nurmio, Jyväskylä 1921-1928. 16

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Vorwort

sichts- und Einzeldarstellungen 21 , in Zeitschriften und Zeitungen erschienen zahlreiche Schilderungen deutscher Militärs und ihrer finnischen Pendants, welche alle um die Verbreitung der Legende von den selbstlosen deutschen Befreiern bemüht waren. Von wenigen Ausnahmen abgesehen 22 , wurde diese Einschätzung bis 1944 von den meisten finnischen Autoren übernommen und gebilligt. Ähnlich wie die Dolchstoßlegende in Deutschland wurde die Legende vom Freiheitskrieg in Finnland zu einem Musterbeispiel einer aus politischen Motiven erfolgenden Geschichtsfälschung. Auch in ihren Zielen, besonders in der Diffamierung der revolutionären Arbeiterbewegung, in der ideologischen Untermauerung des Herrschaftsanspruches des reaktionärsten und am meisten antikommunistischen Flügels der Bourgeoisie sowie in ihrer verhängnisvollen Rolle bestanden mancherlei Gemeinsamkeiten zwischen beiden Legenden. Mehr noch als die Tatsache, daß nach dem zweiten Weltkrieg neues Archivmaterial verfügbar wurde, haben sicher die in den Nachkriegs jähren eingetretenen bedeutenden Veränderungen der politischen Verhältnisse in Finnland dazu beigetragen, daß sich dort auch bürgerliche Historiker veranlaßt sahen, in bestimmtem Maße von dem überkommenen Geschichtsbild über die Jahre 1917 und 1918 abzurücken. Dies gilt in erster Linie für J . Paasivirta 2 3 , der im Rahmen seiner Untersuchungen über die Vorgänge des Jahres 1918 in Finnland auch eine objektive Darstellung der deutschen Interventionspolitik gibt, und ebenso für Y. Nurmio 2/ \ Dessen Arbeit unterschied sich von früheren Untersuchungen der bürgerlichen Historiographie zur Finnlandpolitik des deutschen Imperialismus dadurch, daß sie — erstmalig auf einem gründlichen Studium der Akten des Auswärtigen Amtes beruhend — allein schon durch die ausführliche Wiedergabe dieser Quellen ein Bild vermittelte, das in entscheidenden Fragen den bisherigen Einschätzungen konträr entgegengesetzt war. Für die den Gegenstand der vorliegenden Arbeit unmittelbar berührenden Probleme der finnisch-sowjetischen Beziehungen in den Jahren 1917/1918 gilt die prinzipiell gleiche Feststellung für die Arbeit von T. Polvinen 25 , der für seine Untersuchung in breitem Umfange sowjetische Quellen und Literatur auswertete. Anders als es heute bei den meisten finnischen bürgerlichen Historikern der Fall ist, bewegt sich die Geschichtsschreibung der B R D über die deutsche Finnlandpolitik im ersten Weltkrieg, mit Ausnahme der Arbeit von Fritz Fischer 26 , 21

22 23 24 25

26

Suomen vapaussota vuonna 1918, Bd I—IV. Julk. vapaussodan historian komitea Helsinki 1921-1925; Vapaussodan keromuksia, Bd I - I I I , Helsinki 1934-1938, So Schauman, Georg, Valtiomuototaistelu Suomessa 1918, Porvoo 1924. Paasivirta, Juhani, Suomi vuonna 1918, Porvoo-Helsinki 1957. Nurmio, Yrjö, Suomen itsenäistyminen ja Saksa, Porvoo-Helsinki 1957. Polvinen, Tuomo, Venäjän vallankumous ja Suomi 1917—1920, B d I : Helmikuu 1917 — toukokuu 1918, Porvoo-Helsinki 1918. Vgl. auch die Rezension dieser Arbeit in: Jahrbuch für die Geschichte der sozialistischen Länder Europas, B d 14/2, Berlin 1970. Fischer, Fritz, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegspolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, 3. Aufl., Düsseldorf 1964.

Vorwort

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noch völlig auf der von Franz Beyer 27 bereits 1928 vorgezeichneten apologetischen Ebene. Beyer, Spitzel und Vertrauensmann des Kommandeurs der S. M. S. „Westfalen", als I. Flaggleutnant des deutschen Interventionsgeschwaders selbst Teilnehmer der bewaffneten Intervention in Finnland, hatte in seiner Arbeit nur insoweit historisches Material herangezogen, als das seiner Absicht, der Rechtfertigung der deutschen Intervention als „völkerrechtsmäßig" irgendwie entgegenkam. In eben dieser Absicht stellte er weite Teile des finnischen Volkes als „aufständische Partei" außerhalb des Völkerrechts und konstruierte eine „deliktische Intervention" Sowjetrußlands in Finnland. Die Kontinuität der Fälschung und Rechtfertigung der imperialistischen deutschen Finnlandpolitik in der BRD widerspiegelt sich im besonderen Maße in mehreren Arbeiten von Walther Hubatsch. Sein Aufsatz „Der deutsche Anteil an der Selbständigkeit Finnlands 1918" geht über eine knappe Rekapitulation einiger Abschnitte der Memoiren des General Graf Rüdiger von der Goltz28, die aber als Quelle unerwähnt bleiben, nicht hinaus. Dagegen beruht die Arbeit „Finnland in der deutschen Ostseepolitik 1914/18" auf einem im Detail wertvollen Aktenmaterial, welches jedoch derart tendenziös ausgewählt und zusammengestellt wurde, daß Hubatsch im Endergebnis jegliche deutsche Expansionsbestrebung gegenüber Finnland leugnet. 29 Durchweg der schon vor 1945 entwickelten Apologetik folgt auch Dieter Aspelmeier. 30 Seine Arbeit ist im wesentlichen eine Zusammenfassung der Finnlandreminiszenzen deutscher imperialistischer Politiker und Militärs und vermittelt daher ein Bild, das in keiner Weise mit den Realitäten übereinstimmt. Selbst die in bestimmten Umfang vorhandenen neuen Einsichten werden mit alten Absichten verbunden. Die zuletzt genannte Feststellung trifft auch zu auf einige weitere in den letzten Jahren in der B R D erschienene Darstellungen, so etwa auf die Arbeiten von Winfried Baumgart 31 und Hans-Erich Volkmann 32 , die wichtige, auch in der vorliegenden Untersuchung behandelte Fragen berühren wie die nach dem Mißbrauch des Selbstbestimmungsrechts der Völker durch den deutschen Im27

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32

Beyer, Franz, Das deutsche Einschreiten in Finnland 1918 als völkerrechtsmäßige Intervention, Braunschweig 1928. Goltz, Rüdiger v. der, Meine Sendung in Finnland und im Baltikum, Leipzig 1920; ders., Als politischer General im Osten (Finnland und Baltikum) 1918 und 1919, Leipzig 1936. Hubatsch, Walther, Der deutsche Anteil an der Selbständigkeit Finnlands 1918, in: Unruhe des Nordens, Göttingen 1956; Finnland in der deutschen Ostseepolitik 1914/18, in: ebenda. Aspelmeier, Dieter, Deutschland und Finnland während der beiden Weltkriege. Schriften aus dem Finnland-Institut in Köln, B d 7, Hamburg-Volksdorf 1967. Vgl. auch die Rezension dieser Arbeit, in: Nordeuropa, Studien — 3, Greifswald 1969. Baumgart, Winfried, Deutsche Ostpolitik 1918. Von Brest-Litowsk bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Wien-München 1966. Vollcmann, Hans-Erich, Die deutsche Baltikumspolitik zwischen Brest-Litowsk und Compiegne. Ein Beitrag zur „Kriegszieldiskussion", Köln-Wien 1970.

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Vorwort

perialismus, nach dem Verhältnis zwischen „Militär"- und „Diplomatenpartei" und nach den Methoden direkter und indirekter Vorherrschaft in der imperialistischen deutschen Expansionspolitik. Durch die Hervorkehrung taktischer Meinungsverschiedenheiten zwischen der Obersten Heeresleitung und der Reichsregierung, wegen der Bagatellisierung der Annexionsbestrebungen der Monopol- und Agrarkapitalisten sowie auf Grund ihrer antikommunistischen Verleumdung der sowjetischen Politik zeichnen auch diese beiden kein der historischen Wahrheit entsprechendes Bild der deutschen Ostpolitik im Jahre 1918. Die vorliegende Untersuchung wurde geschrieben, um zu einer den Historikern der DDR gestellten Aufgabe, der Erforschung der Geschichte des ersten Weltkrieges, auf einem speziellen Gebiet einen Beitrag zu leisten. Zugleich soll sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten dazu beitragen, den in der DDR vollzogenen vollständigen Bruch mit den unheilvollen Traditionen imperialistischer deutscher Finnlandpolitik zu verdeutlichen. Die Geschichte der deutschfinnischen Beziehungen enthält neben vielen lichten auch dunkle Perioden. Stets aber war wirkliche Freundschaft und Sympathie gegenüber Finnland und dem finnischen Volk nur bei den progressiven Kräften des deutschen Volkes zu finden. In der Haltung dieser Kräfte, die vor 1914 und während des ersten Weltkrieges vor allem von Karl Liebknecht repräsentiert wurden, sieht die DDR ihre Vorbilder und Traditionen für die Gestaltung der Beziehungen zu Finnland. Für Anregungen und fördernde Kritik zu dieser Arbeit gilt mein besonderer Dank den Gutachtern Prof. Dr. Rudolf Agricola, Dr. sc. Joachim Petzold, Dr. Claus Reiner und Prof. pr. Johannes Schildhauer. Danken möchte ich auch den Mitarbeitern der Sektion Geschichtswissenschaft und der Sektion Nordeuropawissenschaften der Universität Greifswald, die mich in meinem Vorhaben zur Behandlung dieser Thematik bestärkt und durch kritische Hinweise unterstützt haben. Nicht zuletzt habe ich dem Unterrichtsministerium der Republik Finnland für die Gewährung eines Stipendiums herzlichst zu danken. Manfred Menger

Abkürzungsverzeichnis

AA DGH DGK DGS DZA Potsdam DZA Merseburg Gr. H q . H a Pol HZ RK Rk SA VA WAL Wk ZfG

Auswärtiges Amt Deutsche Gesandtschaft Helsinki Deutsche Gesandtschaft Kopenhagen Deutsche Gesandtschaft Stockholm Deutsches Zentralarchiv, Historische Abteilung I, Potsdam Deutsches Zentralarchiv, Historische Abteilung I I , Merseburg Großes Hauptquartier Handelspolitische Abteilung Historische Zeitschrift, München Reichskanzler Reichskanzlei Sota-arkisto, Finnisches Kriegsarchiv, Helsinki Suomen Valtioarkisto, Finnisches Staatsarchiv Helsinki Wochenberichte der Auslandslektorate, Berlin Weltkrieg Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Berlin

I. Finnland in der deutschen Politik 1914 bis 1917

1. Das Interesse des deutschen Imperialismus an F i n n l a n d Unmittelbar nach der Entfesselung des ersten Weltkrieges, am 6. August 1914 erreichte den deutschen Gesandten in Stockholm, Franz von Reichenau, eine Anweisung des Reichskanzlers, mit leitenden Persönlichkeiten in Finnland Fühlung zu nehmen, dort Stimmung für Deutschland zu machen, eventuell einen antirussischen Aufstand zu entfachen und den Finnen dafür weitgehende Autonomie im Falle eines für Deutschland günstigen Kriegsausgangs in Aussicht zu stellen. Die „Leitsätze" für die in Finnland zu verbreitenden Aufrufe sollten, so bemerkte der Kanzler, als Ziel des Krieges bezeichnen: „Befreiung und Sicherung der von Rußland unterjochten Stämme, Zurückwerfung des russischen Despotismus auf Moskau." 1 Dieses hintergründige Interesse der deutschen Reichsleitung an den nationalen Rechten des finnischen Volkes war ein Novum in der Politik der herrschenden Klassen Deutschlands. Schon dies deutet darauf hin, daß die scheinbare Anteilnahme der deutschen Bourgeoisie an der staatsrechtlichen Stellung Finnlands nur Mittel zum Zweck war. Der mutige Widerstand des finnischen Volkes gegen die um die Jahrhundertwende einsetzenden Bemühungen der zaristischen Gewalthaber um die Liquidierung der autonomen Sonderstellung Finnlands im russischen Imperium 2 , die seit dem Anschluß Finnlands an Rußland im Jahre 1809 alle russischen Herrscher — von Alexander I. bis hin zu Nikolaus II. — immer wieder feierlich bekräftigten, hatte in Deutschland nur in der Arbeiterbewegung und unter Teilen der Intelligenz Widerhall und Sympathie gefunden. — Es wäre dennoch verfehlt, die nach dem Ausbruch des Weltkrieges einsetzenden Bemühungen um den Mißbrauch des finnischen Freiheitskampfes für die Durchsetzung der Kriegspläne des deutschen Imperialismus isoliert von den deutschen Expansionsbestrebungen in der Vor1 VA, AA, DGS, L 289/L 87680, Fischer, Fritz, a. a. O., S. 156; Carlgren, W. M., Neutralität oder Allianz. Deutschlands Beziehungen zu Schweden in den Anfangsjahren des ersten Weltkrieges ( = Acta Universitatis Stockholmiensis 6), Stockholm-Göteborg-Uppsala 1962, S. 90. 2 Näheres zu der rücksichtslosen Unterdrückungspolitik der Regierung Nikolaus' II. gegen Finnland, vgl. bei Lenin, W. / . , Werke, Bd 5, Berlin 1955, S. 311 ff.; Liebknecht, 'Karl, Gesammelte Reden und Schriften (im folgenden zitiert: Schriften), Bd 3, Berlin 1960, S. 493ff.; Schybergson, M. Gr., Politische Geschichte Finnlands 1809-1919, Gotha-Stuttgart 1925, S. 261ff. 2 Menger, Finnlandpolitik

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I. Finnland in der deutschen Politik 1914 bis 1917

kriegszeit zu betrachten. Vielmehr war diesen Bestrebungen und den im Verlaufe des Krieges immer mehr hervortretenden deutschen Ambitionen auf eine möglichst weitgehende Einbeziehung Finnlands in die Interessen- und Ausbeutungssphäre des deutschen Finanzkapitals eine in Form des Waren- und Kapitalexports schon jahrzehntelang währende wirtschaftliche Infiltration Finnlands vorausgegangen, der sich auf die Dauer selbst die auf Grund der politischen Verhältnisse begünstigte russische Konkurrenz nicht gewachsen gezeigt hatte. Gemessen an der Größe und Stärke des ökonomischen Potentials Finnlands hatte das Land bereits in den Vorkriegsjahrzehnten in der deutschen wirtschaftlichen Expansion eine bedeutende Rolle gespielt. Schon seit der Mitte des 19. J h . war Finnland mehr und mehr in den Blickpunkt deutscher Handelsund Industriekreise gerückt. Der Aufschwung, der sich seit jener Zeit im finnischen Wirtschaftsleben vollzog, hatte zu einer spürbaren Intensivierung der traditionsreichen deutsch-finnischen Wirtschaftsbeziehungen und zu einem Zustrom deutscher Einwanderer nach Finnland geführt. 3 Dank langfristiger Kreditgewährungen war es namentlich dem kapitalkräftigen Handel der deutschen Hansestädte gelungen, seine Position in dem kapitalarmen Finnland beständig auszubauen. 4 Deutschland wurde zum Hauptkonkurrenten Rußlands auf dem finnischen Markt. Schon seit Beginn der neunziger Jahre war es führend im finnischen Import industrieller Erzeugnisse, und innerhalb weniger J a h r e verwies es Rußland selbst bei Getreide auf die zweite Stelle. 5 Diese Entwicklung wurde unter anderem auch dadurch begünstigt, daß Finnland gegenüber dem Ausland als selbständiges Zollgebiet, mit eigener Zollgesetzgebung, die von der russischen erheblich abwich, und mit eigenem Paß-, Münz- und Verkehrswesen auftrat. Rußland, das aus Furcht vor der überlegenen deutschen Konkurrenz zum Leidwesen der deutschen Exporteure die Angleichung der finnischen an die russischen Zollsätze erstrebte, hatte sich in dem deutsch-russischen Handelsvertrag vom Juli 1904 ausdrücklich verpflichten müssen, die deutsche Reichsregierung mindestens zwei Jahre vor der geplanten Einverleibung des finnischen Zollgebietes in das gesamtrussische zu verständigen. 6 I n besonders frappierenden Ausmaßen entwickelten sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Finnland nach der vollen E n t faltung des Imperialismus. I n der kurzen Zeitspanne von eineinhalb Jahrzehnten vor dem Weltkrieg stieg nach finnischen Angaben die Einfuhr aus 3

Vgl. Borries, Hans-Karl v., Die Handels- und Schiffahrtsbeziehungen zwischen Lübeck und Finnland, Jena 1923; Tarnowski, Herbert, Die Außenhandelsbeziehungen Finnlands 1908-1917, Phil. Diss. Greifswald 1942 (MS). 4 Borris, Hans-Karl v., a. a. O., S. 142f. 5 Bobovii, I. M., Russko-finljandskie ekonomiceskie otnosenija nakanune Velikoj Oktjabr'skoj socialisticeskoj revoljucii, Leningrad 1968, S. 8 und 95. 6 Die nordwestrussischen Randgebiete in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für Deutschland. Denkschrift der Handelskammer Lübeck, Lübeck im November 1917, S. 12.

1. Das Interesse des deutschen Imperialismus an Finnland

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Deutschland von 89,9 Millionen auf 200,5 Millionen Finnmark an. 7 1905 war es dem deutschen Export erstmals gelungen, die handelspolitische Vormachtstellung Rußlands auf dem finnischen Markt zu brechen. Seit 1907 stand Deutschland auch im Gesamtwarenumschlag Finnlands an erster Stelle, obwohl der deutsche Import aus Finnland relativ klein blieb. 8 Trotz der geringen Bevölkerungszahl des Landes (1910: 2,6 Millionen) wurde von Deutschland nach Finnland vor dem Kriege fast ebensoviel exportiert wie in die Türkei und rund vier Fünftel von dem, was Deutschland nach China zu verkaufen vermochte. 9 Durch den hohen Kapitalbedarf, den das Aufstreben der finnischen Industrie und der Ausbau der Kommunikationswege mit sich brachte, entwickelten sich auch die Geschäftsverbindungen zwischen den deutschen und finnischen Banken. Sowohl finnische Staatsanleihen als auch Anleihen privater Kreditinstitute fanden in Deutschland günstige Aufnahme. 1 0 Der Aufbau der zweiten großen finnischen Privatbank, der 1872/73 gegründeten Nordiska Aktiebanken för Handel och Industri, erfolgte wesentlich auf deutsche Initiative hin, vor allem mit Mitteln des Frankfurter Bankhauses Erlanger und Söhne sowie der Österreichisch-Deutschen Bank und der Vereinsbank in Hamburg. 1 1 Schon vorher, im Jahre 1868, hatte die finnische Staatsbank zum Bau der Eisenbahn Riihimäki-Petersburg Obligationsanleihen bei deutschen Banken aufgenommen. 1 2 Weitere Anleihen erfolgten dann unter anderem in den Jahren 1886, 1889, 1895, 1898, 1901 und 1909. Auch der finnische Hypothekenverein, die Stadthypothekenkasse und die Städte Helsinki, Turku, Tampere und Viipuri nahmen wiederholt Gelder in Deutschland auf. 13 Mit der Deutschen Bank, der Dresdner Bank, der Disconto-Gesellschaft, der Norddeutschen Bank Hamburg, der Vereinsbank Hamburg, S. Bleichröder, M. A. von Rothschild u. Söhne und der Commerzbank in Lübeck waren viele namhafte deutsche Banken am Finnlandgeschäft beteiligt. Ende 1911 belief sich die Gesamtsumme der an Deutschland geschuldeten Anleihen auf rund 261 Millionen Finnmark (etwa 209 Millionen Reichsmark), darunter etwa 53 Millionen Finnmark finnische Staatsanleihe, 80 Millionen Finnmark städtische Anleihen und 128 Millionen Finnmark Anleihen der Hypothekenbanken. 1 ' 1 7

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Suomen virallinen tilasto. I A: Kauppa, Helsinki 1920, S. 55; Suomen tilastollinen vuosikirja, uusi sarja, 21. vsk. 1923, Helsinki 1923, S. 116. Finnlands Handelskommission für Deutschland, Mitteilungen I, Berlin 1918, S. 15ff. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 35. Jg. 1914, Berlin 1914, S. 258. Die Discontogesellschaft 1851 bis 1901. Denkschrift zum 50jährigen Jubiläum, Berlin 1901, S. 60. Heikel, Felix, Nordiska Aktiebanken för Handel och Industri 1872—1919, Helsingfors 1922, S. 9ff,; Schybergson, Emil, Finnlands Bank 1811-1911, Helsingfors 1913, S. 251. Ebenda, S. 253. Ebenda, S. 288; Cederholm, Arne, Banker och aktiebolag i Finland 1917, Helsingfors 1917, S. UOff. u. 696ff. Berechnet nach den im Schreiben Koerners (Reichskanzlei) an den deutschen Konsul in Helsingfors v o m 11. 12. 1911 (DZA Potsdam, AA, H a Pol, Nr. 6311,

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I. Finnland in der deutschen Politik 1914 bis 1917

Auch die deutsche Beteiligung an industriellen Unternehmungen und an der Benutzung oder Ausbeutung von Grundstücken in Finnland war mit 500 Millionen Reichsmark 1 5 beachtlich hoch. Eine wichtige Rolle spielten deutsche Konzerne wie die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft, die Siemens-SchuckertWerke und die Mannesmann-Röhrenwerke in der Elektrobranche und beim Aufbau der kommunalen Elektrizitäts- und Wasserwerke. 16 Am Vorabend des ersten Weltkrieges richteten sich die begehrlichen Blicke des Auslandskapitals auf die finnischen Energiequellen. Das Bemühen des deutschen Finanzkapitals, das Kernstück der finnischen Wirtschaft, die Energieversorgung, in die H a n d zu bekommen, wird auch daraus ersichtlich, daß 1913 nach mehrjährigen Erkundungsarbeiten über die Ausbeutungsmöglichkeiten der finnischen Wasserfälle der zweitgrößte von ihnen, der Vallinkoski, durch eine der Deutschen Bank nahestehende Interessengruppe aufgekauft wurde. Diese hatte außerdem Rechte an dem großen Imatra, dem stärksten Wasserfall Finnlands, erworben. 17 Mit voller Berechtigung wurde darauf verwiesen, daß infolge der vielfältigen Aktivität des deutschen Kapitals für Finnland die reale Gefahr einer umfassenden ökonomischen Annexion bestand. 1 8 Die sich hier anbahnende Entwicklung rief unter den herrschenden Klassen Rußlands um so größere Beunruhigung hervor, als sich die deutsche ökonomische Offensive unter den Bedingungen eines erbitterten Kampfes des finnischen Volkes gegen die zaristische Gewaltherrschaft vollzog. Neben dem finnischen Widerstand gegen die Russifizierungsbestrebungen trug der Angriff des deutschen Finanzkapitals auf die finnische Wirtschaft nicht unwesentlich dazu bei, daß in Rußland im Hinblick auf die „finnische Frage" zwischen der imperialistischen Bourgeoisie, den Großagrariern und der Staatsmacht engstes Einvernehmen hergestellt wurde. I m letzten Jahrzehnt vor dem Beginn des Weltkrieges war Finnland ein Objekt beständiger Aufmerksamkeit höchster russischer Staatsbehörden, der Interessenverbände der Industrie, des Großgrundbesitzes und der Presse. Die Sicherung und der Ausbau der Machtpositionen in Finnland wurde zu einem zentralen Anliegen des russischen Imperialismus. 19 Der deutsche Vorkriegsimperialismus beschränkte sich indessen hinsichtlich Finnlands auf den rein ökonomischen Weg der Expansion. Deutschland zeigte in der Periode der Vorbereitung des ersten Weltkrieges mit Rücksicht auf seine Bl. 24) enthaltenen Angaben. Vergleichsweise sei vermerkt, daß Ende 1913 die Gesamtsumme der ausländischen Anleihen finnischer Bankinstitute (ohne Finnlands Bank) 377 Mill. Finnmark betrug (Harmaja, Leo, Maailmansodan vaikutus Suomen taloudelliseen kehitykseen, Porvoo-Helsinki 1940, S. 493). Der Anteil deutscher Anleihen war also beträchtlich. 15 DZA Merseburg, Rep. 120 C X I I I 6 b. Finnland Nr. 21, B d 1, Bl. 41, Angabe des Reichsentschädigungskommissars. 16 DZA Potsdam, AA, H a Pol, Nr. 6325, Handelsberichte 1905 bis 1913. 17 DZA Potsdam, AA, H a Pol, Nr. 3870, Bl. 5f. !8 Boboviö, I. M., a. a. O., S. 140. 19 Ebenda, S. 8 u. 104.

1. Das Interesse des deutschen Imperialismus an Finnland

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Gesamtbeziehungen zu Rußland keine Neigung, sich in der finnisch-russischen Auseinandersetzung zugunsten Finnlands zu exponieren oder gar in irgendeiner Weise die politische Vorherrschaft Rußlands über Finnland in Frage zu stellen. Bei den immer rascher aufeinanderfolgenden internationalen Krisen zwischen 1900 und 1914 ging es um solche Gebiete, die noch nicht derart eindeutig zum Besitz oder zur Ausbeutungssphäre der einzelnen Großmächte gehörten. 2 0 Finnland zählte aber seit dem J a h r e 1809, in welchem Alexander I. das „redliche und edle Volk" unter „die Zahl der Nationen" erhoben hatte 2 1 , unbestritten zum russischen Imperium. Die eigentlich neuralgischen P u n k t e in den deutsch-russischen Beziehungen lagen nicht im europäischen Nordosten, sondern in der Türkei, in Persien und auf dem Balkan. I n der deutschen Politik im Ostseeraum überwogen zu Beginn des Jahrhunderts zunächst die auf die Erhaltung des territorialen Status quo gerichteten Tendenzen. Dabei ließ sich Deutschland nicht zuletzt durch sein eigenes Interesse leiten, das darin bestand, eine englische Einmischung im Ostseeraum zu vereiteln. Da auch Rußland, Schweden und Dänemark an der Beibehaltung der bestehenden Aufteilung der festländischen und insularen Gebiete im Ostseeraum interessiert waren, unterzeichneten die vier Anliegerstaaten am 23. April 1908 das Ostseeabkommen, in dem das gemeinsame Interesse an der Aufrechterhaltung des Status quo und die territoriale Integrität aller Besitzungen der vertragschließenden Teile in den an die Ostsee grenzenden Gegenden ausdrücklich bekräftigt wurde. 22 Dem imperialistischen Deutschland konnte gar nicht daran gelegen sein, durch eine Einmischung in die finnische Frage den Zweifrontendruck des französischenglisch-russischen Bündnisses noch mehr zu verschärfen. Gerade in den Perioden, da die russische Unterdrückungspolitik gegen Finnland ihre Höhepunkte erreichte, nämlich im J a h r e 1904 (bevor durch die russische Revolution eine Erleichterung der Lage Finnlands erzwungen wurde) und im J a h r e 1910 (in der Zeit der Stolypinschen Reaktion) bemühte sich Deutschland darum, Rußland für ein Bündnis gegen England und Frankreich zu gewinnen. 23 D a r u m konnten selbst bestimmte kommerzielle Nachteile, welche deutsche Banken aus der politischen Vergewaltigung Finnlands erlitten 24 , die herrschenden Kreise in Deutschland nicht zu einer Stellungnahme gegen die zaristische Finnlandpolitik veranlassen. I m Gegenteil: Die reaktionäre Presse brachte in vielen Fällen sogar ihre Sympathien für die zaristische Unterdrückungspolitik gegen Finnland, wo nach der ersten russischen Revolution zahlreiche von deren 20 21 22

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Deutschland im ersten Weltkrieg, B d 1, a. a. O., S. X X I I . Vgl. Schybergson, G. M., a. a. O., S. 38. Dokumente der Deutschen Politik und Geschichte von 1848 bis zur Gegenwart, hg. v. Hohlfeld, J., 2. Bd, Berlin-München o. J., S. 182f. Klein, Fritz, Deutschland von 1897/98 bis 1917, Berlin 1961, S. 130 u. 228; Chvostov, V. M., Istorija diplomatii, T. II., Moskau 1963, S. 698ff. Der Kurswert der an den Börsen zugelassenen deutschen Anleihepapiere an Finnland zeigte infolge der Russifizierungspolitik seit Ende der neunziger Jahre eine fallende Tendenz (DZA Potsdam, AA, H a Pol, Nr. 6311, Bl. 24f.).

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I. Finnland in der deutschen Politik 1914 bis 1917

aktiven Teilnehmern vorübergehend Zuflucht gefunden hatten, zum Ausdruck. So hieß es z. B. in der „Deutschen Tageszeitung" vom 10. Dezember 1909: „Selbstmord beginge der russische Staat, wenn er einen solchen Revolutionsherd unmittelbar vor den Toren der H a u p t s t a d t nicht mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln ein für allemal unterdrückte und dauernd unschädlich machte." 2 5 Die Haltung der deutschen Imperialisten war dazu angetan, den großrussischen Chauvinisten ihr Vorgehen gegen Finnland zu erleichtern. Die ganze Pragwürdigkeit und Verlogenheit der Versicherungen über das Mitgefühl des imperialistischen Deutschlands für das finnische Volk, mit denen die Finnen nach dem von Bethmann Hollweg am 6. August gegebenen Auftakt so reichlich bedacht werden sollten, wird schon dadurch charakterisiert, daß sich die deutschen Behörden nicht gescheut hatten, die Rede Karl Liebknechts auf dem Magdeburger Parteitag der SPD im Jahre 1910 „gegen die infame Vergewaltigung Finnlands durch den Zarismus" 26 zum Gegenstand einer staatsanwaltlichen Verfolgung zu machen. 27 Das hinderte diesen, der schon 1904 in seinem Plädoyer während des Königsberger Prozesses für das Recht des finnischen Volkes eingetreten war 28 , jedoch nicht, auf dem Jenaer Parteitag 1911 erneut eine Resolution einzubringen, in der „der tapferen finnischen Bruderpartei und dem gepeinigten finnischen Volke im Namen des kämpfenden deutschen Proletariats" die herzlichen Sympathien zugesichert wurden „und das Gelöbnis der Unterstützung in den schweren Kämpfen, die das finnische Volk, geführt vom finnischen Proletariat, gemeinsam mit dem russischen Proletariat, zur Niederwerfung des Zarismus durchzukämpfen hat". 2 9 Zu dem gegen ihn wegen seiner Magdeburger Rede eingeleiteten Verfahren erklärte Liebknecht: „Man kann in der Tat für die deutsche Reaktion nichts Blamableres ausdenken, als daß sie unsere Protestaktion gegen den vorjährigen Zarenbesuch und gegen die Brutalisierung Finnlands zu einem solchen Angriff zu benutzen v e r s u c h t . . . Unsere Sympathieerklärung hat nicht bloß eine platonische Bedeutung. Die finnische Frage kann nur als ein Teil der allgemeinen russischen Frage gelöst, die finnische Freiheit nur mit der russischen Freiheit zugleich erkämpft werden durch Niederwerfung des Zarismus überhaupt." 3 0 I m gleichen Sinne hatte Clara Zetkin in ihrer Eröffnungsrede auf der I I . Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen im August 1910 hervorgehoben: „Wir müssen den Freiheitskampf im großen Zusammenhang der russischen Revolution erfassen. Der Kampf des finnischen Volkes um seine Unabhängigkeit ist nur ein Kapitel der Geschichte der russischen Revolution, und ihr endlicher Sieg wird 25

Deutsche Tageszeitung v o m 10. 12. 1910. Liebknecht, Karl, Schriften, Bd. 3, S. 490. Ebenda, Bd 4, Berlin 1961, S. 468. 28 Ebenda, Bd 1, Berlin 1958, S. 70. 29 Ebenda, Bd 4, 8. 464. so Ebenda, S. 468f.

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1. Das Interesse des deutsehen Imperialismus an Finnland

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dem finnischen Volke wie allen Völkern und Nationalitäten, die der Zarismus geknechtet hat, das Selbstbestimmungsrecht wiedergeben." 31 Mit dieser klaren Erkenntnis über den untrennbaren Zusammenhang zwischen dem sozialen Befreiungskampf des russischen Proletariats und dem nationalen Kampf des finnischen Volkes, mit der Einsicht in die Notwendigkeit gemeinsamer Anstrengungen der russischen und finnischen Arbeiterklasse zum Sturz der reaktionären Machthaber in Rußland als der entscheidenden Voraussetzung der finnischen wie der russischen Freiheit befanden sich die deutschen Linken in völliger Übereinstimmung mit der Haltung Lenins und der Partei der Bolschewiki in der finnischen Frage. I n den zahlreichen Artikeln und Erklärungen Lenins, in denen er den Feldzug des „gekrönten Ungeheuers", der „Schwarzhunderterbanditen" und der „oktobristischen Falschspieler" gegen das finnische Volk scharf verurteilte und das Selbstbestimmungsrecht für Finnland forderte, wurde immer wieder auf diesen auch von den revolutionären K r ä f t e n in der deutschen Sozialdemokratie erkannten Zusammenhang hingewiesen. So hieß es in der von Lenin verfaßten Resolution „Über die Politik des Zarismus gegenüber Finnland", die von der Prager Konferenz der SDAPR 1912 angenommen wurde: „Die Konferenz der S D A P R . . . bringt ihre volle Solidarität mit der finnischen sozialdemokratischen Bruderpartei zum Ausdruck, unterstreicht die Einheit der Aufgaben für die Arbeiter Finnlands und Rußlands im K a m p f gegen die russische konterrevolutionäre Regierung und die konterrevolutionäre Bourgeoisie, die die Rechte des Volkes mit Füßen treten, und verleiht ihrer festen Überzeugung Ausdruck, daß nur durch die gemeinsamen Anstrengungen der Arbeiter Rußlands und Finnlands der Sturz des Zarismus und die Freiheit des russischen und finnischen Volkes erreicht werden kann." 3 2 I n der klassenmäßig bedingten Mißachtung der Bedeutung revolutionärer Veränderungen in Rußland f ü r einen Umschwung der russischen Politik in Finnland lag die grundlegende Schwäche in der Konzeption der Kreise der deutschen bürgerlichen Intelligenz, die seit 1899 im Interesse Finnlands öffentlich Partei ergriffen. 33 Da die finnische Frage nicht als Rechtsfrage, sondern nur als Machtfrage entschieden werden konnte 3 4 , war die für diese Kreise charakteristische einseitige Orientierung auf Petitionen an den Zaren, auf die Betonung rein juristisch-staatsrechtlicher Gesichtspunkte und den Verzicht auf jede grundsätzliche Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen in Rußland letzten Endes illusionär. Ein weiterer Umstand, der die Wirksamkeit der profinnischen Erklärungen verschiedener deutscher Wissenschaftler sehr negativ beeinträchtigte, lag darin, daß diese nicht auch für die vom deutschen 31 Vorwärts v o m 3. 9. 1910. 32 Lenin, W. I., Werke, B d 17, Berlin 1963, S. 477. 33 Einzelheiten über diese Aktionen bei Habermann, Wilhelm, Finnland und die öffentliche Meinung Europas, Leipzig 1910; Schybergson, O. M., a. a. O., S. 306; Finnland und Rußland. Die internationale Londoner Konferenz v o m 26. Februar bis 1. März 1910, Leipzig 1911. Liebknecht, Karl, Schriften, B d 4, S. 465.

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I. Finnland in der deutschen Politik 1914 bis 1917

Imperialismus unterdrückten Völker das nationale Selbstbestimmungsrecht forderten. Die Kritik an der zaristischen Unterdrückung Finnlands wurde nicht verbunden mit einer Verurteilung der gleich starken oder gar noch rücksichtsloseren Knechtung der nationalen Minderheiten, welche dem Deutschen Reich einverleibt worden waren: der Polen, Elsässer, Lothringer und Dänen. Darum konnten russische Zeitungen auch geltend machen, daß es deutschen Gelehrten „nicht anstände", gegen die Verletzung der Rechte Finnlands Einspruch zu erheben, da die Deutschen selbst mit fremden Nationalitäten „nicht viel Umstände" gemacht hätten. 35 Trotz dieser notwendigen kritischen Bemerkungen über die Haltung der Vertreter des geistigen und kulturellen Lebens, die im erwähnten Sinne zur finnischen Frage Stellung nahmen, muß jedoch festgestellt werden, daß die bei der Mehrheit dieser bürgerlichen Intellektuellen aus aufrichtigen Empfindungen resultierende moralische Intervention für die nationalen Rechte des finnischen Volkes sich doch positiv von der Stellung der deutschen Regierung und der reaktionären deutschen Presse zu der zaristischen Willkürherrschaft in Finnland unterschied. Die offiziellen Repräsentanten des Wilhelminischen Deutschland und die Monopolpresse ignorierten die Vorgänge in Finnland, diffamierten und maßregelten den entschiedensten Vertreter der deutschen Pro FinlandiaBewegung und machten sich wiederholt zu direkten Fürsprechern des zaristischen „Staatsrechts" 36 gegen die finnische Nation. In der Erklärung namhafter deutscher Gelehrter „Für Finnlands Freiheit" vom Januar 1910 fehlten, wie die „Berliner Börsenzeitung" schrieb, die Namen solcher Wissenschaftler, „die mit den Stimmungen der leitenden politischen Stellung gut vertraut sind." 37 Der deutsche Botschafter in Petersburg distanzierte sich von dem Aufruf der Professoren. Die „Kreuz-Zeitung" kommentierte die Erklärung mit der gehässigen Bemerkung: „In der Politik ist es eben keineswegs mit Gelehrsamkeit allein getan, und ein abgeschlossenes akademisches Studium bietet auch nicht die geringste Gewähr für den Besitz politischer Weisheit." 38 Der Weltkrieg brachte dann die schon angedeutete Wende. Jetzt zeigten ausgerechnet die lautstärksten Verkünder der deutschen „Weltmachtspolitik" die Alldeutschen, aber auch einflußreiche Vertreter der liberalisierenden imperialistischen Strömung wie Paul Rohrbach und Ernst Jäckh, ein bemerkenswertes „Verständnis" für die Lage des finnischen Volkes. In der von Rohrbach und Jäckh kurz vor Ausbruch des Krieges gegründeten Zeitschrift „Das größere Deutschland", in der seit 1916 erscheinenden Wochenschrift „Deutsche Politik", für die beide ebenfalls verantwortlich zeichneten, und nicht fculetzt in der von den deutschen Ost-, Südost- und Nordeuropaverbänden herausgegebenen „Osteuropäischen Zukunft" wurde immer wieder mit dem Zaren, „dem VerVgl. Habermann, Wilhelm, a. a. O., S. 42. 36 Vgl. Liebknecht, Karl, Schriften, Bd 4, S. 467. 37 Berliner Börsenzeitung vom 27. 1. 1910. 3 8 Kreuz-Zeitung vom 9. 2. 1910.

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1. D a s Interesse des deutschen Imperialismus an F i n n l a n d

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gewaltiger Finnlands", ins Gericht gegangen, die „russische Niedertracht gegen Finnland" enthüllt, „Deutschland als Befreier" Finnlands gepriesen und das „künftige Schicksal des Landes der tausend Seen" erörtert. 3 9 Diese propagandistische Spiegelfechterei fügte sich folgerichtig in den von Bethmann Hollweg in seinem Kriegszielprogramm vom 9. September 1914 als „allgemeines Ziel des Krieges" entwickelten Plan, daß „Rußland von der deutschen Grenze nach Möglichkeit abgedrängt und seine Herrschaft über die nichtrussischen Vasallenvölker gebrochen werden" müßte. 4 0 Das demagogische Schlagwort, unter dem sich diese Loslösung vom russischen Reich vollziehen" sollte, hieß „Befreiung vom Joch des Moskowitertums". Unter der „Befreiung wurde jedoch immer die Eingliederung dieser Völker in den Machtbereich des deutschen Imperialismus verstanden. So schrieb zum Beispiel Max Sering über die russischen Westgebiete, zu denen er auch Finnland zählte 4 1 : „Es handelt sich um die Befreiung von der ihnen gewaltsam auferlegten großrussischen Herrschaft und ihre Einbeziehung in das mitteleuropäische Schutz- und Trutzbündnis." 4 2 I n der Absicht, die Öffentlichkeit in Deutschland und im neutralen Ausland über die wirklichen Kriegsziele des deutschen Imperialismus zu täuschen und durch die Schürung innerer Unruhen unter den nicht-russischen Völkern des Zarenreiches sowie in den englischen und französischen Kolonialgebieten Teile der gegnerischen Militärmacht zu binden, „stülpte" selbst der preußisch-deutsche Militarismus „die phrygische Mütze über die Pickelhaube und mimte die Freiheitsgöttin für die armen unterdrückten Völker Rußlands und Großbritanniens". 4 3 Die imperialistische Propagandathese, daß „Deutschlands Schwert der Freiheit in Rußland eine Gasse bahnen" sollte, machten sich auch die Rechtssozialisten und Zentristen zu eigen. „Nicht auf Eroberung und Aufrichtung einer neuen Weltherrschaft an Stelle der englischen und zaristischen, sondern auf die Befreiung der Nationen soll dieser Krieg gerichtet sein", schrieb der „Vorwärts" schon in einem Leiartikel vom 25. August 1914. „Befreiung vom Moskowiter tum, Freiheit und Unabhängigkeit für Polen und Finnland, freie Entwicklung für das große russische Volk selbst, Lösung des unnatürlichen Bündnisses zweier Kulturnationen von der zaristischen Barbarei, das war das Ziel, das das 39 Vgl. D a s größere D e u t s e h l a n d , Jg. 1914, S. 618 u. 700; Jg. 1915, S. 1 1 8 7 f f . ; D e u t s c h e Politik, Jg. 1916, S. 258ff., S. 7 7 7 f . , S. 2 1 1 0 f f . ; Osteuropäische Zuk u n f t , J g . 1916, Nr. 16, S. 2 4 8 f . , Nr. 18, S. 2 8 7 f . ; J g . 1917, Nr. 4, S. 4 9 f f . 40 D Z A P o t s d a m , R k , N r . 2476, Bl. 56; Basler, Werner, a . a . O . , S. 382. D e r Reichskanzler h a t auch in der Öffentlichkeit, so in seiner Reichstagsrede a m 5. April 1916, Anlaß g e n o m m e n , das Los des finnischen Volkes unter der zaristischen Herrschaft zu beklagen. Vgl. Gummerus, Herman, Jääkärit ja a k t i v i s t i t , P o r v o o 1928, S. 229. 41 Westrußland in seiner B e d e u t u n g für die E n t w i c k l u n g Mitteleuropas. Mit einer Einleitung v o n Sering, M., Leipzig-Berlin 1917, S. X X X I I . 42 Ebenda, S. X X V I . 43 Spartakusbriefe, Berlin 1958, S. 394.

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I. F i n n l a n d in der deutschen Politik 1914 bis 1917

deutsche Volk begeistert und opferbereit gemacht hat." 4 4 (Hervorhebungen von mir; M. M.) Die trügerische Beschwörung der nationalen Rechte Finnlands durch das führende sozialdemokratische Presseorgan in diesem Zusammenhang, der zwielichtige Protest Eduard Davids „gegen die brutale Zertretung der letzten Freiheitsrechte des finnischen Volkes" 45 und die Erwartung Karl Kautskys, d a ß der Krieg — wenn auch nur als „Nebenresultat" und „unvollkommen" — die Befreiung der Nationen herbeiführen könne 46 , hatten nichts gemein mit der Unterstützung des finnischen Volkes durch die revolutionären K r ä f t e der deutschen Sozialdemokratie in der Vorkriegsperiode. Die von der sozialdemokratischen Führung den kaiserlichen Armeen zugeschriebene Befreiungsmission war vielmehr integrierender Bestandteil der von ihr herausgegebenen Parole: „Gegen den Zarismus!" Diese diente den Opportunisten nicht nur zur Rechtfertigung ihrer arbeiterfeindlichen Politik der „Vaterlandsverteidigung", sondern gleichzeitig auch zur Umfälschung des imperialistischen Krieges in einen Kampf für die Freiheit der Opfer der nationalen Unterdrückungspolitik des Zarismus. „Nachdem die sozialdemokratische Fraktion dem Kriege den Charakter einer Verteidigung der deutschen Nation und Kultur angedichtet hatte", schrieb Rosa Luxemburg, „dichtete ihm die sozialdemokratische Presse gar den Charakter des Befreiers fremder Nationen an. Hindenburg wurde zum Vollstrecker des Testaments von Marx und Engels." 47 Unter diesen Bedingungen war es die nationale Aufgabe der Linken in der deutschen Sozialdemokratie, sowohl die Legende von der Vaterlandsverteidigung als auch den Lügenschleier der Völkerbefreiungsphrasen, mit denen die Imperialisten und die sozialdemokratische Führung dem Krieg im Volk Popularität zu verschaffen suchten, zu zerreißen. Darin bestand eine entscheidende Voraussetzung, um die Massen für den aktiven Kampf gegen den verbrecherischen Krieg zu gewinnen. Es ist ein bleibendes Verdienst der deutschen Linken, daß sie diese Aufgabe sofort zu Beginn des Krieges erkannt und richtig gelöst haben. Karl Liebknecht schätzte in gleicher Weise wie Lenin den Krieg als imperialistischen „Angriffsund Eroberungskrieg" ein. 48 E r entlarvte immer wieder an H a n d geschichtlicher Tatsachen die Rolle des deutschen Imperialismus als Helfershelfer des Zarismus 49 und den „trügerischen Flitter" der „Vaterlandsverteidigungs- und Völkerbefreiungsphrasen, mit denen der Imperialismus seine Mordwerkzeuge 44

Vorwärts v o m 25. 8. 1914. David, Eduard, Die Sozialdemokratie i m Weltkrieg, Berlin 1915, S. 105. 46 Kautsky, Karl, Die Befreiung der N a t i o n e n , Stuttgart 1917, S. 51; Matthias, Erich, Die d e u t s c h e Sozialdemokratie u n d der Osten, Tübingen 1954, S. 22. 47 Luxemburg, Rosa, A u s g e w ä h l t e R e d e n u n d Schriften, B d 1, Berlin 1951, S. 330. 48 Vgl. Wohlgemuth, Heinz, Burgkrieg, nicht Burgfriede! Der Kampf K a r l Liebknechts, R o s a L u x e m b u r g s u n d ihrer Anhänger u m die R e t t u n g der d e u t s c h e n N a t i o n in den Jahren 1 9 1 4 - 1 9 1 6 , Berlin 1963, S. 85ff. Ebenda, H 055746 - H 0 5 5 7 4 7 ; DZA Potsdam, Rk, Nr 2 4 0 6 / 4 , Bl. 5 5 - 5 6 ; Archivalische Forschungen, a. a. O., S. 1235—1237, Sitzung des Preuß. Staatsministeriums am 9. 3. 1918, Äußerung Roederns.

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III. Die Finnlandpolitik im Frühjahr 1918

Dieser Wunsch ging in Erfüllung. Am 22. März wurde die neue Kreditforderung der Regierung tatsächlich mit den Stimmen der Sozialdemokraten bewilligt, ohne daß in der Debatte die bevorstehende deutsche Intervention in Finnland auch nur mit einem W o r t erwähnt wurde. 1 1 Dabei waren die F ü h r e r u n d Hauptausschußmitglieder aller Parteien durch Vizekanzler P a y e r „vertraulich" über den Charakter der geplanten „Expedition" unterrichtet worden.^ Zweitens ging es den Gegnern einer voreiligen und überhasteten Intervention darum, die große „Expedition" nicht ohne eine wohlüberlegte, auf ihre möglichen politischen Folgen hin genau geprüfte, den Interessen der herrschenden Klasse am besten entsprechende Motivierung ihrer Zielsetzung zu beginnen. Sie waren sich darüber im klaren, d a ß in Finnland kein antirussischer Freiheitskampf, sondern ein „innenpolitischer Streit", „innere Wirren" im Gange waren und die Mehrheit des finnischen Volkes sich der deutschen Intervention entschieden widersetzte 1 3 ; daß aus der noch nicht abgeschlossenen Evakuierung der russischen T r u p p e n von deutscher Seite vorerst kein repressalienrechtliches Interventionsrecht u n t e r B e r u f u n g auf Art. VI, Abs. 3 des deutsch-sowjetischen Friedensvertrages abgeleitet werden konnte, da die darin enthaltene Verpflichtung der sowjetischen Regierung erst nach der Ratifizierung des Vertrages und dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Geltung t r a t und der sowjetischen Seite auch d a n n noch eine angemessene Zeit gegeben werden mußte, u m diese ihre Verpflichtung zu erfüllen 1 4 ; d a ß die Deklarierung des bewaffneten deutschen Einschreitens in Finnland als Feldzug gegen Sowjetraßland nicht nur eine Verletzung der soeben erst vereinb a r t e n Friedensbedingungen 1 5 mit unübersehbaren außenpolitischen Folgen bedeutete, sondern auch in Deutschland selbst auf beträchtlichen Widerstand stoßen würde. Nicht geringe Bedenken, besonders innenpolitischer Art, bestanden jedoch auch dagegen, das bewaffnete Einschreiten offen u n d unverblümt als Einmischung zugunsten einer der beiden sich bekämpfenden Bürgerkriegsparteien auszuweisen. 1 6 Das Eingeständnis, daß es sich bei dem Vorgehen in Finnland u m einen neuen Krieg handelte, und zwar u m einen Krieg mit dem Ziel der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates, verbot sich von vornherein mit Rücksicht auf die Stimmung des deutschen Volkes; vor 11

Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages (im folgenden zitiert: Sten. Ber., Reichstag), Bd 311, S. 4525ff.