Die deutsche Thomas-Ausgabe. Band 17a Die Liebe, Teil 1: II–II: 23–33 [1. bis 4. Tausend, Reprint 2022 ed.] 9783112658369, 9783112658352


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German Pages 597 [600] Year 1959

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Table of contents :
Mitarbeiter dieses Bandes
Einleitung
Einrichtung Und Bandeinteilung Der Deutschen Thomas-Ausgabe
Bandeinteilung des ganzen Werkes
Ergänzungen zu den Marginalien
Die Liebe
23. Frage Die Gottesliebe an sich
24. Frage Der Träger der Gottesliebe
25. Frage Der Gegenstand der Gottesliebe
26. Frage Die Ordnung der Gottesliebe
27. Frage Das (erwählende) Lieben als Hauptvollzug der Gottesliebe
28. Frage Über die Freude
29. Frage Über den Frieden
30. Frage Über das Mitleid
31. Frage Über das Wohltun
32. Frage Über das Almosen
33. Frage Über die brüderliche Zurechtweisung
Kommentar
Einführung
I . Teil. Die Gottesliebe Selbst
Verzeichnis der Abkürzungen
Literaturverzeichnis
Alphabetisches Namen- und Sachverzeichnis
Autorenverzeichnis
Heilige Schrift
Inhaltsübersicht
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Die deutsche Thomas-Ausgabe. Band 17a Die Liebe, Teil 1: II–II: 23–33 [1. bis 4. Tausend, Reprint 2022 ed.]
 9783112658369, 9783112658352

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D I E

D E U T S C H E

T H O M A S - A U S G A B E

Vollständige,

ungekürzte

deutsch-lateinische

SUMMA

Ausgabe der

THEOLOGICA

Übersetzt u n d kommentiert von DOMINIKANERN DEUTSCHLANDS

UND

BENEDIKTINERN

UND

ÖSTERREICHS

Herausgegeben von der ALBERTUS-MAGNUS-AKADEMIE WALBERBERG

BEI

KÖLN

Hauptschriftleiter: P. H E I N R I C H

M. C H R I S T M A N N

OP

BAND 17 A

1959

G E M E 1 N S C H A F T S V E R . LAG F.H.KERLE HEIDELBERG

VERLAG

STYRIA

G RAZ - W I E N - X ö L N

T

H

O

M

A

S

V O N

A Q T T I N

DIE LIEBE (1. Teil)

Kommentiert von HEINRICH MARIA CHRISTMANN

OP

II — I I 23 — 33

1959 GEMEINSCHAFTSVERLAG F. H. K E R L E HEIDELBERG

VERLAG

STYR1A

GRAZ-WIEN-KÖLN

Sämtliche R e c h t e f ü r die d e u t s c h e und lateinische Sprache und Ausgabe

vorbehalten

C o p y r i g h t 1 9 5 9 b y V e r l a g S t y r i a , G r a z - W i e n - K ö l n , u n d F. H. K e r l e , Heidelberg Das I m p r i m a t u r

w u r d e e r t e i l t vom P r o v i n z l a l

der

Deutschen

D o m i n i k a n e r p r o v i n z T e u t o n i a F. H i l a r i u s M. A l b e r s OF, S. T h e o l . Lect., u n d dem

Erzbischöflichen

Ordinariat

zu S a l z b u r g

SCHRIFTLEITER-KOLLEGIUM H a u p t s c h r i f t l e i t e r P. H e i n r i c h M. C h r i s t m a n n OF, S. T h e o l . L e c t . — P. Dr. A d o l f H o f f m a n n OP, R e g e n s d e r A l b e r t u s - M a g n u s - A k a d e m i e zu W a l b e r b e r g — F. D r . E b e r h a r d W e l t y OP, S. T h e o l . Mag., W a l b e r b e r g — P. Dr. A r t h u r

Fridolin

Utz

OP, U n i v . - P r o f . ,

Freiburg/

S c h w e i z — P. Dr. P a u l u s E n g e l h a r d t OP, W a l b e r b e r g b. K ö l n .

MITARBEITER

DIESES

BANDES

E i n l e i t u n g , Ü b e r s e t z u n g u n d K o m m e n t a r a r b e i t e t e P.

Heinrich

M. C h r i s t m a n n O P ; F r . 32, A r t . 7 u. 8 k o m m e n t i e r t e P. Dr. A r t h u r F r i d o l i n U t z OP. — D i e A n m e r k u n g e n s c h r i e b e n P. H e i n r i c h M. C h r i s t m a n n O P u n d P. Dr. P a u l u s E n g e l h a r d t O P ; f ü r d i e a r i s t o t e l i s c h e n A n m e r k u n g e n u n d P a r a l l e l s t e l l e n z e i c h n e t Dr. E g e n o l f F r h . R o e d e r v. D i e r s b u r g . — D i e R e d a k t i o n d e s l a t e i n i s c h e n T e x t e s sowie

das Personen- und

Schriftverzeichnis besorgten

P. Coe-

l e s t i n D o r l ö c h t e r O P u n d Dr. R u d o l f T a n n h o f i n G e m e i n s c h a f t s arbeit. — Das Sachverzeichnis a r b e i t e t e E l i s a b e t h Nieten.

E i n b a n d e n t w u r f von Prof. Rudolf Koch, Offenbach D r u c k : U n i v e r s i t ä t s - B u c h d r u c k e r e i „Styria", Graz

KARL MARIA

STEPAN

dem Initiator und verlegerischen Betreuer der Deutschen Thomas-Ausgabe seit mehr als einem Vierteljahrhundert in Freundschaft und Verehrung

EINLEITUNG Erst das Leben, dann die Lehre; denn das Leben erst führt zur Erkenntnis der Wahrheit. (Thomas von Aquin In Mt 5 , 1 4 : DT. 5)

Zahllos fast wie der Sand am Meere sind in allen Literaturen der Völker die Bücher und Abhandlungen, die Hymnen und Gesänge, die Romane und Novellen, die Lust- und Trauerspiele, die der Liebe gelten. Liebe ist der Menschheit ewige Melodie, das Heimwehlied der Schöpfung, das der Schöpfer Selbst, der als Erst-Ursache „in jedem Wirkenden wirkt", auf der Harfe Seiner Schöpfung begleitet. Sowenig man das Glücks verlangen der gesamten Schöpfung auslöschen kann, so wenig läßt sich diese Melodie zum Verstummen bringen. Kein Dichter, kein Denker, kein Philosoph und kein Theologe kann sein Ohr dieser Melodie verschließen. Auch Thomas konnte es nicht. Er vielleicht am wenigsten. Da meldet sich ein Einwand: Thomas ist doch Systematiker. Kann man aber Liebe in ein System zwingen? Gewiß nicht in ein System von Begriffen! System heißt aber bei Thomas, daß sich diese großen Ordnungen der Wirklichkeit in den Geist einzeichnen. So sucht er auch für die Liebe sozusagen ein Koordinatensystem aufzubauen, in das er die tausend Kurven jener Bewegungen, die aus der Liebe kommen und wieder in sie einmünden, einzeichnen kann, ein Koordinatensystem der Liebe im mehrdimensionalen Raum des menschlichen Herzens und Geistes. Das Menschenfterz mit seinen Leidenschaften wurde auf seine Liebesfähigkeit hin bis in die letzten, ihm selbst verborgenen Winkel hinein bereits im ersten Teil des zweiten Buches (Bd. 10 u. 11) durchforscht, wobei Thomas „als außerordentlich hellsichtiger Beobachter" 1 seine Meisterschaft zeigt sowohl im Aufspüren der eigentlichen Triebfedern des menschlichen Herzens — deren erste und letzte nach ihm die Liebe ist — wie auch im Aufbau einer Tugendlehre, die dem menschlichen Handeln eine klare, auf das Ewige ebenso wie auf das konkret Menschliche ausgerichtete Ordnung ermöglicht. War Thomas dort vielleicht mehr Philosoph und Psychologe, hier, im Traktat über die „heilige", die Gottesliebe ist 1

Herders kleines philosophisches Wörterbuch, Stichwort: Thomas, S. 154.

(7)

er ganz Theologe. Schon in der Einleitung zu Band 8, S. (9), schrieben wir: „Man kann das Band zwischen Schöpfer und Geschöpf nicht enger knüpfen, als Thomas es g e t a n . . . " Das wird nirgendwo deutlicher als im vorliegenden Traktat. Vor Thomas hat kein Theologe es gewagt, die klar formulierte und durch alle Untersuchungen als theologisches Apriori festgehaltene These aufzustellen: Gottesliebe ist Gottesfreundschaft. 1 Weil nun aber der theologische Sinn von ,Freundschaft' nur verstanden werden kann, wenn der Sinngehalt natürlicher Freundschaft unter Menschen ganz rein in den Blick kommt, wird aus all den Verkleidungen, die der Begriff .Freundschaft' im Laufe der Zeiten erfahren hat, das Wesen echter Freundschaft herausgeschält als höchste Form menschlicher Begegnung, gründend in einem geistigen Lebensaustausch von letzter Tiefe mit dem Ziel gegenseitiger Förderung zu einer wahrhaft guten und edlen Lebensführung und Lebensbereicherung. „Da berührten zwei Leben sich tief und klangen" (Heinrich Suso Waldeck, Antlitzgedichte). Wo diese gegenseitige „Berührung" den Kern der Persönlichkeit im andern erreicht, nicht nur für Augenblicke, sondern durchhaltend in alletr Situationen des Lebens — da haben wir echte Freundschaft. So trägt die Suche" nach der theologischen Definition der Gottesliebe auch Frucht für die natürliche Lebenssphäre des Menschen. Was dort als reinste Gestalt menschlicher Begegnung zutage tritt, soll nun in einem über alles menschliche Begreifen hinaus erhabenen Sinne gelten für die Begegnung Gottes mit dem begnadeten Menschen und des begnadeten Menschen mit Gott. Wir wissen aus dem Glauben, daß Gott den Menschen zur ewigen Seligkeit berufen hat, das heißt: zu einer Teilnahme an Seinem persönlichsten dreifaltigen Leben, einer Lebensmitteilung, die in unendlichem Abstand steht zu allem, was im menschlichen Raum unter Freunden an intimstem Lebensaustausch möglich ist. An dem Willen Gottes zur Freundschaft mit den von Ihm Berufenen ist also nicht zu zweifeln. Was aber in der Ewigkeit seine unfaßbar selige Erfüllung finden soll, muß nach einem allgemeinen Gesetz schon in diesem Leben irgendwie anheben. 1 G. G. Meersseman OP, Pourquoi le Lombard n'a-t-il pas conçu la charité comme amitié? Miscellanea Lombardiana. Novara 1957,165.

(8)

Das gilt auch von der Gottesfreundschaft. Dafür bürgt das Wort Christi an Seine Jünger (Jo 15, 15): „Euch habe Ich Freunde genannt, weil Ich euch alles mitgeteilt habe, was Ich von Meinem Vater gehört habe." Und wieder.Lk 12, 4: „Euch, Meinen Freunden, sage Ich: fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, aber danach keine Macht haben, ein übriges zu t u n . . . " Damit bietet Christus Seinen Jüngern Seine Freundschaft an, und wer wollte solche Freundschaft verscherzen, indem er dieses Angebot, dieses Wort des für uns fleischgewordenen W O R T E S nicht ernst nimmt! Jedenfalls müssen wir annehmen, daß Christus uns dieses Angebot im Namen Seines Vaters gemacht hat — „Das Wort, das ihr hört, ist nicht Mein, sondern des Vaters" (Jo 14, 24); „Die Worte, die Du (Vater) Mir gegeben hast, habe Ich ihnen gegeben" (ebd. 17, 8) — und daß E r in diesem Wort von der Freundschaft ganz andere Tiefendimensionen gesehen hat, als wir überhaupt ahnen können. Wenn also Thomas Gottesliebe gleich Gottesfreundschaft setzt, so spricht er als Theologe nicht im luftleeren Raum, sondern er fängt mit dieser These nur das Echo auf, das , „vom anderen Ufer", von Gott her, herüber schallt. Wir ' kämen schneller zu einer wahrhaften Theologia mentis et cordis, des Geistes und des Herzens, wie Contenson OP sie zu entwickeln versucht hat, wenn wir mehr aus dem Bewußtsein der Gottesfreundschaft heraus uns dem großen Anliegen und der ernsten, schweren Aufgabe der Theologie verschreiben würden. Die Heilige Schrift würde zum Brief des Freundes, mit dem man wie ein Liebender behutsam umgeht; die Lebensgeheimnisse Gottes würden zu Geheimnissen unseres Freundes, über die wir in liebender Ehrfurcht nachdenken, die wir verkünden, von denen wir zu den Brüdern sprechen dürfen. Dann würde es zuerst von den Theologen und Predigern heißen: „Wovon das Herz voll ist, davon fließt der Mund über" (vgl. Mt 12, 34). Wie lebendig und glutvoll hinreißend müßte eine solche Verkündigung werden! Noch einmal melden sich die Bedenken: Theologie ist Lehre. Kann man aber Liebe lehren'1. Eine Gegenfrage: Soll man den Geist des Menschen, der sich seit der Verdunkelung durch die Sünde so schwer zum Licht durchringt, soll man das Herz des Menschen, das „wie ein Wild ist in den Wäldern dunkler Triebe" (G. v. Le Fort), soll man sie (9)

beide ohne Weisung lassen? Es hat wohl kein Wesen der Schöpfung die Führung von oben so notwendig wie gerade der Mensch, der seit der Vertreibung aus dem Paradiese, wo er die ursprüngliche Freundschaft mit Gott durch Untreue und Ungehorsam verscherzte, von allen guten Geistern verlassen scheint. Darum fühlten viele Theologen und geistliche Schriftsteller sich gedrängt, eine Wegweisung zur Liebe zu versuchen. Liebe braucht das Licht einer solchen Wegweisung, und das größte Verhängnis der Liebe ist gerade dieses, daß sie oft so wenig erleuchtet ist. Deshalb bittet Paulus: „Gott gebe euch erleuchtete Augen eures Herzens" (Eph 1, 18). Wenn aber irgendeine Abhandlung über die Liebe dem Menschen und Christen zu diesen „erleuchteten Augen des Herzens" helfen kann, dann der vorliegende Traktat dessen, dem man zum Symbol seines lichtvollen Geistes die Sonne auf die Brust gegeben hat, unter der das Herz eines Heiligen schlug. Sonne aber strahlt nicht nur Licht, sondern auch Wärme, und heilig wird man nicht durch Wissen, sondern nur durch Liebe, was kein Theologe energischer betonen kann, als Thomas selbst es getan. Die meisten Bücher über die Liebe wenden sich in erster Linie, wenn nicht ausschließlich, an das Gemüt, an das Herz als „den Inbegriff aller seelisch-geistigen Kräfte" des Menschen (E. Hengstenberg1). Thomas dagegen — so meinen viele, ja die meisten — wende sich immer nur an den kühlen, nüchternen Verstand und lasse das Herz leer. Wer so spricht, hat Thomas nie richtig gelesen, nie sich ernstlich Mühe gegeben, seine Gedanken wirklich nachzuvollziehen, die innere Fülle seiner knappen Darlegungen auszuschöpfen, die ganze Tiefe seiner Inspirationen auszuloten, die geistigen Horizonte, die er oft mit einem einzigen Worte aufreißt, wirklich abzuschreiten. Nie verliert Thomas den umfassendsten Horizont aus dem Auge, den Horizont des Seins, der als Tiefe des Gut-Seins immer schon unser Herz befähigt hat, von allem, was ist und gut ist, angemutet zu werden. Thomas ist Forscher und Lehrer, und er ist es mit ganzer Seele. Als Forscher geht es ihm zunächst um „die Wahrheit der Dinge". Als Lehrer muß er das Ziel haben, die von ihm erkannte Wahrheit seinen Schülern in einer Form zu vermitteln, die sie immer wieder zum lebendigen Nachvoll1

Die Marienverehrung im Geisteskampf unserer Tage. Würzburg 1948, 39.

(10)

zug seiner Gedanken und darüber hinaus zu eigenem Forschen zwingt. Er will aber nicht, daß seine Schüler oder Leser beim bloßen Wissen stehenbleiben. Das wäre gerade für Thomas eine unerträglich sterile Angelegenheit. Auch und gerade als Lehrer will er, indem er überzeugt, Leben zeugen, höchstes Leben in allen Dimensionen der geistigseelischen Möglichkeiten des Menschen. Sein Ziel ist der nach allen Seiten, nach allen Tiefen und Höhen gute Mensch. Und gut wird der Mensch nicht durch noch so breites und subtiles Wissen, gut wird er nur durch die Liebe, und zwar nur durch die geordnete Liebe, denn „der gute Wille ist der geordnete Wille". Sowenig völlig systemloses, vagabundierendes Wissen den Namen echter Wissenschaft verdient, so wenig verdient ungeordnetes, vagabundierendes Streben den hohen Namen der Liebe. Auch die Liebe kann nicht ohne Ordnung Bestand haben, sie am allerwenigsten, weil sie die Urbewegung des menschlichen Geistes und Herzens ist, von der alle anderen Bewegungen und damit das Schicksal des Menschen und der Menschheit abhängt. Auch das Herz hat seine .Gesetze', in deren Beobachtung Leben und Tod der Liebe beschlossen liegen. Nur im guten, also im geordneten Willen ist die Liebe wahrhaft zu Hause. Selbst in der dreifaltigen Liebe, die Gott Selbst ist, gibt es eine Ordnung der Lebensmitteilung: vom Vater zum Sohn (vgl. J o 5, 26) und von beiden zum Heiligen Geiste. Christus, als Menschensohn, ist die inkarnierte Liebe des Vaters, der mit dem Sohne den Heiligen Geist „haucht", eine Liebesekstase von unvorstellbarer, unendlicher Gewalt und doch wieder von göttlicher Ruhe, die das innergöttliche Leben der Liebe zum Abschluß, aber in Ewigkeit nicht zum Stillstand bringt. Ist die von Vater und Sohn ausgehende Hauchung des Heiligen Geistes eine Art ewiger Liebesekstase Gottes ,nach innen', so ist die Schöpfungstat — auch ein Geheimnis des dreifaltigen Gottes — eine Art Liebesekstase Gottes ,nach außen'; gerade deshalb eine Liebesekstase, weil sie in Gott kein .Naturereignis' bedeutet, sondern in absoluter Freiheit gesetzt ist. Wie Christus Selbst im Hohenpriesterlichen Gebet (Jo 17, 11. 20 ff.) in die Tiefen des dreifaltigen Gottgeheimnisses hinabsteigt, um dort das Urbild aller menschlichen Gemeinschaft zu finden, so leitet auch Thomas alle Liebesenergien der Schöpfung her vom Schöpfer, im natürlichen und erst recht im übernatürlichen Lebensraum. Weil die (11)

Wesen der Schöpfung aus der Liebe stammen, müssen sie lieben. Weil die Christen aus der Erlöserliebe Christi stammen, müssen sie lieben, wie Christus liebt: „Darin haben wir die Liebe Gottes erkannt, daß jener [Christus] Sein Leben für uns eingesetzt hat. So müssen auch wir das Leben für die Brüder einsetzen" (1 J o 3, 16). Weiter als Thomas den Rahmen der Untersuchung spannt, läßt er sich schlechterdings nicht spannen. Thomas hält sich auch hier an das Motiv seiner Antrittsvorlesung als Magister der Pariser Universität vom Jahre 1256: Rigans montes de superioribus suis — „Er [Gott] bewässert die Berge von oben her aus Seinen Kammern" (Ps 104 [103], 13). So sieht er schließlich das Wesen der heiligen Liebe in einer Teilnahme am Leben, ja, im Mitvollzug der Liebe des Heiligen Geistes. Gott Selbst, der durch Seinen Heiligen Geist die Liebe ausgießt in die Herzen Seiner Menschenkinder (vgl. Rom 5, 5), hebt damit den Menschen zu Sich hinauf und hinein in Seine dreifaltige Liebe. Höher aber als zu Gott hinauf geht es nicht. Daraus ergibt sich, was wir schon an anderer Stelle 1 von der Universalität der Gottesliebe gesagt haben: „Soweit die Liebe Gottes reicht, so weit reicht die Gottesliebe des Menschen: sie umschließt schlechthin alles Geschaffene" und spricht damit ihr uneingeschränktes, großes J a nicht nur zu Gott, sondern auch zu Seiner Schöpfung, das also ein J a heiliger Freundesliebe ist. Die Ordnung der Schöpfung spiegelt sich nun von selbst wider in der Ordnung der Liebe, in der dann auch der eigene Leib seinen ganz bestimmten Platz hat; denn auch er gehört zu dieser Schöpfung, hat als Inkarnation der Geistseele teil am Leben der Liebe und hat, wenn er einst „gleichgestaltet" sein wird „dem Leibe Seiner [Christi] Herrlichkeit" (Phil 3, 21), mit dem ganzen Menschen Hausrecht im „neuen Himmel" und auf der „neuen Erde" (vgl. Offb 21, 1). Wenn Thomas eine Ordnung der Liebe aufstellt, so ist das also erstens keine Willkür, sondern abgelesen aus der Wesens- und Ursprungsordnung der Dinge, die auf unmittelbar einsichtigen Seinsgegebenheiten beruht; trotzdem handelt es sich zweitens gerade hier nicht um eine mathematisch strenge Ordnung noch um ein starres System wie bei den Naturgesetzen. Die von Thomas aus der Wirklich1 H. M. Christmann 1958, 47.

(12)

OP, Thomas von Aquin als Theologe der Liebe. Heidelberg

keit abgelesene Ordnung ist vielmehr elastisch genug, um allen Situationen gerecht zu werden. Freilich, Thomas schreibt keine Kasuistik. Wer deshalb für jede Lebenssituation bei Thomas ein billiges Rezept sucht, kommt nicht auf seine Kosten. Thomas geht es nicht um das leichte Gekräusel an der Oberfläche des menschlichen Lebens, sondern um die Tiefenströmungen, die, wie von den Weltmeeren her das Klima der Kontinente, als eigentliche Ursache das Gesamtklima des menschlichen Geistes bestimmen. Die Liebe macht ja erst hellsichtig genug, um in jeder Situation das Rechte zu finden, sie bewirkt den feinen Spürsinn im Auffinden der Möglichkeiten des Ausgleichs etwa in Sachen der Gerechtigkeit; denn eine Gerechtigkeit ohne Liebe schlägt zu leicht um in Ungerechtigkeit: Summum jus summa injuria! Mag die Situation noch so ausweglos scheinen, die Liebe findet immer noch einen Weg. Die Klugheit muß, um sach- und situationsgerecht zu urteilen, sich von der Liebe leiten lassen, sonst wird sie zur berechnenden Schläue. Freilich, Gott gegenüber bleibt die unentrinnbare Alternative: entweder die Liebe des Kindes oder die Furcht des Knechtes (vgl. I I - I I 19, 6: Bd. 16). In dem Maße, als die eine siegt, weicht die andere zurück. Ohne Liebe bleibt uns nur die Furcht vor dem Schreckensantlitz des Richters; doch „die vollkommene Liebe treibt die Furcht a u s . . . . Wer noch fürchtet, ist nicht in der Liebe vollendet" (1 J o 4, 18). „Ihr habt aber nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, um euch wiederum zu fürchten, sondern ihr habt empfangen einen Geist der Kindschaft, in dem wir rufen: Abba! lieber Vater" (Rom 8, 15). Die Liebe ist „das Band der Vollkommenheit" (Kol 3, 14), jedoch nicht nur für den einzelnen, sondern in viel höherem Grade für das Zusammenleben der Vielen. Ohne sie ist echte Gemeinschaft nicht denkbar. Wiewohl auch das wahr ist, daß der einzelne ein um so vollkommeneres Glied der Gemeinschaft ist, als er selbst die vollkommene Liebe zu Gott verwirklicht. Gemeinschaft ist Einheit unter vielen, und Einheit ist nicht ohne Ordnung. So hat auch im Aufbau und im Leben der Gemeinschaft die geordnete und Ordnung stiftende Liebe notwendig die Führung. Die heilige Kommunion, bei welcher und durch welche das Band der Liebe zwischen Christus und Seinen Freunden immer neu geknüpft wird, ist nicht Privatandacht, sondern heiligster Gemein(13)

schaftsakt, ein sacrum convivium, heilige Tischgemeinschaft der Vielen mit Christus, ihrem gemeinsamen Herrn und Freund. Wie könnten sie mit Christus eins sein, wenn sie untereinander uneins sind! Solche Einheit aber schafft nur die Liebe (vgl. I I I 79, 1: Bd. 30). Um sie betet Christus mit göttlicher Eindringlichkeit im Hohenpriesterlichen Gebet. Wer nun aber meint, er hätte in den vorliegenden elf Untersuchungen alles, was Thomas über die Liebe gedacht und geschrieben hat, der mag sich durch den Kommentar eines Besseren belehren lassen. Erst ein Überblick über das Gesamtwerk des Heiligen kann eine Vorstellung davon geben, in welchem Ausmaße der Gedanke des Guten und in strenger Entsprechung zu ihm der Gedanke der Liebe zu den eigentlich tragenden Gedanken seines „Systems" gehören. Erst recht die heilige Liebe als Gottes- und Nächstenliebe ist für ihn das A und 0 alles sittlichen Lebens und aller Vollkommenheit. „Die Vollendung des geistlichen Lebens", schreibt er, „ist nach dem Maße der Liebe zu wägen. Wer ihrer ermangelt, ist geistig ein Nichts" (Qlb I I I 17), wofür er sich auf Paulus in 1 Kor 13, 2 beruft. Für ihn, den Baumeister einer in ihrer Differenziertheit wie in ihrer inneren Geschlossenheit unerreichten Tugendlehre, ist die Liebe innerer Gestaltungsgrund, Fundament, Wurzel, Mutter aller Tugenden, so sehr, daß es ohne Liebe echte Tugend überhaupt nicht gibt noch geben kann. Die Liebe ist stärker, geistiger und gerade deshalb lustvoller als alle anderen Tugenden. Ihr kommt der absolute Führungsprimat zu im geistig-seelischen Kräftekosmos des Menschen und Christen. Ohne Liebe wäre auch für Thomas das Leben nicht lebenswert, denn erst die Liebe gewährleistet höchste Entfaltung menschlicher Freiheit, höchste geistige Selbständigkeit als Teilhabe an der absoluten Selbständigkeit Gottes; zugleich, als Angeld auf ein unendlich reiches göttliches Erbe, eine geistige Bereicherung über alle nur menschlichen Möglichkeiten hinaus. Ohne Liebe aber wäre die Welt ein Irrenhaus, ein Leib ohne Leben, eine augenlose Sphinx, ein grauenhafter Spuk, eine Hölle. Als Streben nach Seinserhaltung und Seinsentfaltung gehört die Liebe in den Haushalt jeder Natur. Kein Wesen kommt zum Wirken außer durch diese ihm vom Schöpfer eingeschaffene naturhafte ,Liebe'. Sie ist auch für Thomas die Liebe auf allen Stufen der Wirklichkeit, (14)

Quelle aller Bewegung, alles Lebens, Triebfeder jeder schöpferischen Tat, jeder Forschung und Zeugung im Geistigen wie im Leiblichen; sie ist Anfang und Ende aller Entwicklung und aller Geschichte. Und das nicht nur für das Reich der Natur, sondern erst recht für das Reich der Gnade. Die Liebe, wie sie von Gott her Grund der Menschwerdung, Erlösung und jeglicher Gnadenmitteilung ist, ist auch das tragende Fundament und zugleich die Seele alles menschlichen Lebens. Sie ist der Schlüssel zur Erkenntnis Gottes, das selige J a zu Gottes Wahrheit und Wirklichkeit. Als Hauch vom göttlichen Hauch des Heiligen Geistes ist sie ein geistiges Kräftepotential von unerschöpflicher Lebendigkeit, weil es aus der unerschaffenen Liebe Gottes stammt, von Ihm erhalten und genährt. Sie ist es, die den Menschen zum Vertrauten, zum Freunde Gottes macht. In Seiner Kraft „reicht sie von einem Ende der Schöpfung bis zum andern" (vgl. Wsh 8, 1) und führt so aus der gefährlichen Enge einer individualistischen Frömmigkeit hinaus und hinein in die unbegrenzte Weite Gottes Selbst.

(15)

EINRICHTUNG UND BANDEINTEILUNG DEUTSCHEN THOMAS-AUSGABE

DER

N B . : Um auch den Leser einzelner Bände über Einrichtung und Einteilung des Gesamtwerkes zu orientieren, geben wir jedem Bande an dieser Stelle eine Ubersicht bei. I . ATJFBATJ DBS A R T I K E L S

1. Die Titelfrage zum Artikel stammt nicht von Thomas selbst, sondern ist entnommen dem einleitenden „Videtur quod non" oder „Videtur quod". 2. Auf die Titelfrage folgen mehrere, in der Thomas-Literatur oft als „Objectiones" bezeichnete Argumente, welche die Untersuchung einleiten. In der Übersetzung sind sie mit 1., 2., 3. usw., bei Verweisen mit E . ( = Einwand) bezeichnet. 3. I m „Sed contra" sucht Thomas die den vorausgehenden Argumenten entgegengesetzte These zu begründen und erweist sich durch dieses lebendige Für und Wider, das er in seinen Quaestiones disputatae bis zu je 30 Argumenten für These und Anti-These ausweitet, als echter Aporetiker. Die Übersetzung leitet dieses „Sed contra" ein mit „Anderseits". 4. Mit „Respondeo dicendum" (ursprünglich wohl: „Responsio. D i c e n d u m . . . " ; in der Übersetzung: „Antwort") beginnt der Hauptteil des Artikels, der die eigentliche Lehre des hl. Thomas enthält. 5. Auf die Antwort folgt unter „Ad primum", „ad secundum" die Lösung der eingangs vorgebrachten Argumente. Sie führt oft den in der „Antwort" entwickelten Gedanken wesentlich weiter. Die Übersetzung leitet sie ein mit „Zu 1.", „Zu 2." usw. 6. Die Angabe der Fundstelle erfolgt in der Übersetzung nur bei Schriftzitaten, und zwar in der heute üblichen Weise. Bei allen anderen Zitaten, in der Regel aus Autoren, die nur dem Wissenschaftler zugänglich sind, gibt die Ubersetzung den Namen des Autors, der lateinische Text den Stellennachweis. In diesem Bande sind über die Zitate hinaus zahlreiche aristotelische Parallelstellen nachgewiesen (am Rande mit * bezeichnet). Aus Platzmangel wurden die Kirchenväter-Fundstellen aus der Wiener-Akademie-Ausgabe auf S. (19) zusammengestellt. Abkürzungs- und Literaturverzeichnis finden sich auf S. 538 bis 541.

(16)

II. EINTEILUNG

D E B SUMMA T H E O L O G I C A

I. BUCH Band Band

1. 2.

Frage Frage

1— 13: 14— 2 6 :

Band Band Band Band

3. 4. 5. 6.

Frage Frage Frage Frage

27— 44— 65— 75—

Band

7.

Frage

9 0 — 102:

Band

8.

Frage 103— 119:

43: 64: 74: 89:

Gottes Dasein und Wesen. Gottes Leben; sein Erkennen Wollen. Gott, der Dreifaltige. Schöpfung und Engelwelt. Das Sechstagewerk. Wesen und Ausstattung Menschen. Erschaffung und Urzustand Menschen. Erhaltung und Regierung Welt.

und

des des der

I. T E I L DES II. BUCHES Band 9. Band 10.

Frage Frage

1 — 21 : 2 2 — 48:

Band 11.

Frage

49—• 70:

Band 12. Band 13. Band 14.

Frage 7 1 — 89: Frage 9 0 — 1 0 5 : Frage 106—114:

Ziel und Handeln des Menschen. Die menschlichen Leidenschaften. Grundlagen der menschlichen Handlung. Die Sünde. Das Gesetz. Der Neue Bund und die Gnade.

II. T E I L DES II. BUCHES Band Band Band Band Band Band Band

15. 16. 17A. 17B. 18. 19. 20.

Frage 1 — 16 Frage 1 7 — 22 Frage 2 3 — 33 Frage 3 4 — 56 Frage 5 7 — 79 Frage 80—100 Frage 101—122

Band 21. Band 22. Band 23.

Frage 123—150 Frage 151—170 Frage 171—182

Band 24.

Frage 183—189:

Glaube als Tugend. Die Hoffnung. Die Liebe (1. Teil). Die Liebe (2. Teil); Klugheit. Recht und Gerechtigkeit. Die Tugend der Gottesverehrung. Tugenden des Gemeinschaftslebens. Starkmut und Mäßigkeit (1. Teil). Mäßigkeit (2. Teil). Besondere Gnadengaben und die zwei Wege menschlichen Lebens. Stände und Standespflichten. (17)

III. BUCH Band 25. Band 26.

Frage Frage

Band 27. Band 28. Band 29.

Frage 35— 45 Frage 46— 59 Frage 60— 72

Band 30. Band 31.

Frage 73— 83: Frage 84— 90:

1— 15: 16— 34:

Die Menschwerdung Christi. Des Menschensohnes Sein, Mittleramt und Mutter. Christi Leben. Christi Leiden und Erhöhung. Die Sakramente, Taufe und Firmung. Das Geheimnis der Eucharistie. Das Bußsakrament.

ERGÄNZUNG ZUM III. BUCH (Supplement) (Band 31.) Frage Band 32. Frage

(Das Bußsakrament.) Schlüsselgewalt der Kirche. Letzte Ölung und Priesterweihe. Band 33. Frage 41— 54: Die Ehe (1. Teil). Band 34. Frage 55— 68: Die Ehe (2. Teil). Band 35. Frage 69— 86: Auferstehung des Fleisches. Band 36. Frage 87— 99: Die Letzten Dinge. 1. Zusatzband: Gesamtregister (Personen- und Sachverzeichnis für sämtliche Bände). 2. Zusatzband: Thomas-Lexikon. 1. Ergänzungsband: Robert Edward Brennan, OP, Thomistische Psychologie 1957. Weitere Ergänzungsbände in zwangloser Folge.

(18)

1— 16: 17— 40:

E R G Ä N Z U N G E N ZU D E N

MARGINALIEN

(Die Väter-Zitate im Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum [CSEL ], soweit die im Bande zitierten Werke dort erschienen sind.) Seite

4 16 16 17 44 65 65 70 71 80 98 104 107 135 184 184 209 213 214 216 216 216

PL

CSEL

Seite

22/540C 33/739B 41/467D 44/297A 33/819D 32/796B 34/383A 32/796B 22/335B 34/383A 33/439B 41/436B 41/436B 33/963A 42/553A 34/299C 41/640C 41/638A 41/640D 33/112B 22/566B 33/154D

54/442sq. 4011/109 44/602 42/10 57/53 33/256 28I/249sq. 33/256 54/18 281/250 3411/679 4011/56 4011/56 57/366 2511/856 281/99 4011/395 4011/390 4011/395 341/106 54/498 3411/70

216 216 216 216 216 220 223 231 232 262 281 300 303 307 309 311 312 319 324 327 329

PL

22/647D 33/276B 22/936C 22/916B 33/251B 41/637A 41/261A 41/260A 41/261A 40/595B 15/1764B 41/22C 41/22A 41/23A 33/965A 33/278B 33/965A 40/506C 33/271A 33/962B 33/962B

CSEL

54/666sq. 3411/352 55/397 55/369 34II/280sq. 4011/389 401/415 401/415 401/415 41/628 32IV/390 40I/16sq. 401/16 401/17 57/370 34II/356sq. 57/370 41/446 3411/341 57/364sq. 57/364

(19)

DIE LIEBE (I. T E I L )

23. F R A G E

23

DIE GOTTESLIEBE AN SICH Nunmehr müssen wir die Gottesliebe [1] betrachten. Und zwar erstens, die Gottesliebe selbst; zweitens, die ihr entsprechende Gabe der Weisheit. Bezüglich des Ersten sind fünf Dinge zu beachten: erstens, die Gottesliebe selbst; zweitens, ihr Gegenstand; drittens, ihre Akte; viertens, die entgegengesetzten Laster; fünftens, die hierher gehörenden Gebote. Zum Ersten [dieser fünf Dinge] ergibt sich eine doppelte Betrachtung: erstens, die Gottesliebe an und für sich; zweitens, die Gottesliebe in ihrer Beziehung zum Träger. Zum Ersten ergeben sich acht Einzelfragen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Ist die Gottesliebe Freundschaft? Ist sie etwas Geschaffenes in der Seele? Ist sie Tugend? Ist sie eine besonderte Tugend? Ist sie eine Tugend? Ist sie die größte der Tugenden? Kann es ohne sie echte Tugend geben? Ist sie das innere Gesetz der Tugenden?

QUAESTIO

XXIII

DE C A R I T A T E SECUNDUM SE Consequenter considerandum est de caritate. Et primo, (le ipsa caritate ; secundo, de dono sapientiae ei correspondente. Circa primum consideranda sunt quinqué: I o de ipsa caritate; 2° de objecto caritatis; 3° de actibus ejus; 4° de vitiis oppositis; 5° de praeceptis ad hoc pertinentibus. Circa primum est duplex consideratio : prima quidem de ipsa caritate secundum se; secunda de caritate per compara tionem ad subjectum. Circa primum quaeruntur octo: 1. Utrum caritas sit amicitia. — 2. Utrum sit aliquid creatum in anima. — 3. Utrum sit virtus. — 4. Utrum sit virtus specialis. — 5. Utrum sit una virtus. — 6. Utrum sit maxima virtutum. — 7. Utrum sine ea possit esse aliqua vera virtus. — 8. Utrum sit forma virtutum.

1*

3

1. A R T I K E L

23,1

Ist die Gottesliebe

Freundschaft?

1. „Nichts ist der Freundschaft so eigen wie das Zusammenleben mit dem Freunde" (Aristoteles). Die Gottesliebe aber ist [Liebe] des Menschen zu Gott und zu den Engeln, „die mit den Menschen keinen Umgang pflegen" (Dn 2, 11). Also ist die Gottesliebe nicht Freundschaft. 2. Es gibt keine Freundschaft ohne Gegenliebe (Aristoteles). Gottesliebe aber gibt es auch den Feinden gegenüber; nach Mt 5, 44: „Liebet eure Feinde!" Also ist die Gottesliebe nicht Freundschaft. 3. Nach dem Philosophen gibt es drei Arten von Freundschaft: nämlich die lustvolle, die nützliche und die edle Freundschaft. Die Gottesliebe aber ist nicht nützliche noch lustvolle Freundschaft ; denn Hieronymus schreibt in seinem Brief an Paulinus, der in der Einleitung zu seiner Schriftübersetzung steht: „Das ist die wahre, christusverbundene Freundschaft, die nicht durch Nützlichkeit des Familienlebens, nicht durch bloße Nähe der Körper, nicht durch trügerische und schmeichelnde Liebkosung, Q U A E S T I O 23, ,

ARTICULUS I Utrum Caritas sit

amicitia

[Infra a. 5; 24,2; 25,2 arg 3, co; 4 arg 2, co; 10 co, ad 3; 12 sc, co; 26,1; 27,2 sc; 31,1 sc, co ; 44,3 ; 114,1 ; I-II 65,5 ; 3 d 27: 2,1 ; CG I 91 ; IV 21 ; D N 4,9 ; Jo 15 lect 3]

1157b 19

1155 b 28

1156 a 7 1155 b 21 PL 22/540 C

A D PRIMUM sie proceditur. Videtur quod Caritas non sit amicitia. „Nihil enim est ita proprium amicitiae sicut convivere amico"; ut Philosophus dicit, in 8 Ethicorum [c. 6]. Sed Caritas est hominis ad Deum et ad angelos, „quorum non est cum hominibus conversatio", ut dicitur Dan. 2. Ergo Caritas non est amicitia. 2. P R A E T E R E A , amicitia non est sine reamatione, 1 ut dicitur in 8 Ethicorum [c. 2], Sed Caritas habetur etiam ad inimicos; secundum illud Matth. 5: „Diligite inimicos vestros." Ergo Caritas non est amicitia. 3. P R A E T E R E A , amicitiae tres sunt species, secundum Philosophum, in 8 Ethicorum [c. 3. 2]: scilicet amicitia „delectabilis, utilis et honesti". Sed Caritas non est amicitia utilis aut delectabilis ; dicit enim Hieronymus in Epistola ad Paulinum [c. 53], quae ponitur in principio Bibliae: „lila est vera necessitudo, et Christi glutino copulata, quam non utilitas rei familiaris, non praesentia tantum corporum, non subdola et 1

4

P: redamatione.

sondern durch die Furcht Gottes und das Studium der hei- 23,1 ligen Schriften gestiftet ist." Ebenso ist sie auch nicht edle Freundschaft, denn in der Gottesliebe lieben wir auch die Sünder; edle Freundschaft aber gibt es nur zu den tugendhaften Menschen (Aristoteles). Also ist die Gottesliebe nicht Freundschaft. ANDERSEITS heißt es J o 15, 15: „Nicht mehr nenne Ich euch Knechte, sondern Meine Freunde." Das wurde ihnen aber nur gesagt auf Grund ihrer Gottesliebe. Also ist Gottesliebe Freundschaft [2], ANTWORT: Nach dem Philosophen hat nicht jede Liebe die Bewandtnis von Freundschaft, sondern [nur] jene Liebe, die mit Wohlwollen gepaart ist, d. h. wenn wir jemanden so lieben, daß wir ihm Gutes wollen. Wenn wir aber den geliebten Wesen nicht Gutes wollen, sondern gerade i h r Gut für u n s haben wollen — wie man etwa sagt, daß wir den Wein lieben oder Pferde oder etwas dergleichen —, so ist das nicht Liebe der Freundschaft, sondern irgendeines Begehrens [I - I I 26, 4 Zu 1: Bd. 10]; denn es ist lächerlich zu sagen, man habe Freundschaft mit dem Wein oder einem Pferde. Aber auch das Wohlwollen genügt noch nicht zur Bewandtnis der Freundschaft, sondern es ist ein g e g e n s e i t i g e s Sichliebhaben erfordert, denn QUAESTIO 23, L palpans adulatio, sed Dei timor et divinarum Scripturarum studia conciliant." Similiter etiam non est amicitia honesti; quia caritate diligimus etiam peccatores; amicitia vero honesti non est nisi ad virtuosos, ut dicitur in 8 Ethicorum [c. 5]. 1157 a 18 Ergo Caritas non est amicitia. SED CONTRA est quod Joan. 15 dicitur: „Jam non dicam vos servos, sed amicos meos." Sed hoc non dicebatur eis nisi ratione caritatis. Ergo Caritas est amicitia. RESPONDEO dicendum quod, secundum Philosophum in 8 Ethicorum [c. 2], non quilibet amor habet rationem ami- 1155 b 31 citiae, sed amor qui est cum benevolentia : quando scilicet sic amamus aliquem ut ei bonum velimus. Si autem rebus amatis non bonum velimus, sed ipsum eorum bonum velimus nobis, sicut dicimur amare vinum aut equum aut aliquid hujusmodi, non est amor amicitiae, sed cujusdam concupiscentiae ; ridiculum enim est dicere quod aliquis habeat amicitiam ad vinum vel ad equum fcf. 1. c., c. 131]. Sed nec benevolentia sufficit *b27 ad rationem amicitiae, sed requiritur quaedam mutua amatio; 1 1 6 1 b 2 ' 1

Vgl. S. 386 Vorbemerkung.

5

23, i der Freund ist dem Freunde Freund. Ein solches gegenseitiges Wohlwollen aber gründet in irgendwelcher Gemeinsamkeit [3], Da es nun wirklich eine Gemeinsamkeit des Menschen mit Gott gibt, insofern Er Seine Seligkeit uns mitteilt, muß in dieser Lebensmitteilung eine Freundschaft gründen. Von dieser Lebensmitteilung heißt es 1 Kor 1, 9: „Getreu ist Gott, durch den ihr zur Gemeinschaft Seines Sohnes berufen wurdet." Liebe aber, die in dieser Lebensmitteilung gründet, ist Gottesliebe. Daher ist es offenbar, daß die Gottesliebe eine Art Freundschaft des Menschen mit Gott bedeutet. Z u 1. Das Leben des Menschen ist ein doppeltes: das äußere nach seiner sinnenhaften Leibnatur; und auf Grund dieses Lebens haben wir keine Gemeinschaft bzw. keinen Umgang mit Gott oder den Engeln. Das andere aber ist das geistige Leben des Menschen kraft seines Geistes; und auf Grund dieses Lebens pflegen wir .Umgang' sowohl mit Gott wie auch mit den Engeln. Im gegenwärtigen Leben allerdings nur unvollkommen; daher heißt es Phil 3, 20: „Unser Wandel [4] ist im Himmel." Aber dieser Umgang wird in der ewigen Heimat [5] seine Vollendung finden, wenn „Seine Knechte Gott dienen und Sein Antlitz schauen Q U A E S T I O 23,,

quia amicus est amico amicus. Talis autem mutua benevolentia fundatur super aliqua communicatione. Cum igitur sit aliqua communicatio hominis ad Deum secundum quod nobis suam beatitudinem communicat, super hac communicatione oportet aliquam amicitiam fundari. De qua quidem communicatione dicitur 1 ad Cor. 1: „Fidelis Deus, per quem vocati estis in societatem Filii ejus." Amor autem super hac communicatione fundatus est caritas. Unde manifestum est quod caritas amicitia quaedam est hominis ad Deum. A D PRIMUM ergo dicendum quod duplex est hominis vita. Una quidem exterior secundum naturam sensibilem et corporalem; et secundum hanc vitam non est nobis communicatio vel conversatio cum Deo et angelis. Alia autem est viia hominis spiritualis secundum mentem. Et secundum hanc vitam est nobis conversatio et cum Deo et cum angelis. In praesenti quidem statu imperfecto; unde dicitur Phil. 3: „Nostra conversatio in caelis est." Sed ista conversatio perficietur in patria, quando „servi ejus servient Deo et videbunt

6

werden", wie es Offb 22, 3 f. heißt. Daher ist die Gottes- 23, i liebe hier unvollkommen, sie wird aber in der ewigen Heimat vollendet. Zu 2. Freundschaft richtet sich auf jemanden in doppelter Weise. Einmal auf ihn selbst. Und so gibt es Freundschaft immer nur dem Freunde gegenüber. In anderer Weise kann sie sich auf jemanden richten mit Rücksicht auf eine andere Person. Wenn nämlich jemand Freundschaft mit einem Menschen hat, liebt er wegen dieser Freundschaft alle, die mit diesem Menschen verbunden sind, seine Kinder und seine Knechte oder wer immer zu ihm gehören mag. J a , die Zuneigung zum Freunde kann sogar so groß sein, daß er um des Freundes willen auch die liebt, die zu ihm gehören, selbst wenn sie uns beleidigen oder hassen. Und so erstreckt sich die Freundschaft der Gottesliebe selbst auf die Feinde, die wir aus heiliger Liebe mit Rücksicht auf Gott lieben, mit dem uns die Freundschaft heiliger Liebe in erster Linie verbindet. Zu 3. ,Edle' Freundschaft gibt es nur mit einem tugendhaften Menschen als mit der Hauptperson; aber mit Rücksicht auf ihn sind wir allen zugeneigt, die zu ihm gehören, auch wenn sie keine tugendhaften Menschen sind. Und in dieser Weise erstreckt sich die Gottesliebe, die im höchsten Sinne Freundschaft des Edlen ist, auch auf die Sünder, Q U A E S T I O 23,,

faciem ejus", ut dicitur Apoc. ult. E t ideo hic est Caritas imperfecta, sed perficietur in patria. AD SECUNDUM dicendum quod amicitia se extendit ad aliquem dupliciter. Uno modo, respectu sui ipsius; et sie amicitia nunquam est nisi ad amicum. Alio modo, se extendit ad aliquem respectu alterius personae [cf. 8 E t h . 14]; sicut, » 1162 a i si aliquis habet amicitiam ad aliquem hominem, ratione ejus diligit omnes ad illum hominem pertinentes, sive filios sive servos sive qualitercumque ei attinentea. E t tanta potest esse dilectio amici quod propter amicum amantur hi qui ad ipsum pertinent etiam si nos offendant vel odiant. E t hoc modo amicitia caritatis se extendit etiam ad inimicos, quos diligimus ex caritate in ordine ad Deum, ad quem principaliter habetur amicitia caritatis. AD T E R T I U M dicendum quod amicitia honesti non habetur nisi ad virtuosum sicut ad principalem personam; sed ejus intuitu diliguntur ad eum attinentes etiam si non sint virtuosi. E t hoc modo Caritas, quae maxime est amicitia honesti, se

23,2 denen wir in heiliger Liebe um Gottes willen zugeneigt sind. 2. A R T I K E L Ist die Gottesliebe

etwas Geschaffenes

in der

Seele?

1. Augustinus sagt: „Wer den Nächsten liebt, muß folgerichtig auch die Liebe lieben. Gott aber ist d i e Liebe [1 J o 4, 8]. Es ist also folgerichtig, daß er vor allem Gott liebt." Und: „Genau so heißt es: Gott ist Liebe, wie es heißt: Gott ist Geist" [Jo 4, 24], Also ist die heilige Liebe nicht etwas Geschaffenes in der Seele, sondern ist Gott Selbst [6]. 2. Gott ist geistigerweise das Leben der Seele, wie die Seele das Leben des Leibes; nach Dt 30, 20: „ER ist dein Leben!" Die Seele aber belebt den Leib durch sich selbst. Also belebt auch Gott die Seele durch Sich Selbst. Er belebt sie aber durch die Liebe; nach 1 J o 3, 14: „Wir wissen, daß wir vom Tode zum Leben übergegangen sind, weil wir die Brüder lieben" [7]. Also ist Gott Selbst die heilige Liebe". 3. Nichts Geschaffenes ist von unendlicher Kraft, vielmehr ist jedes Geschöpf Eitelkeit [vgl. P r d l , 2 ; 12,8]. Die Gottesliebe aber ist nicht Eitelkeit, sondern der EitelQ U A E S T I O 23, ,

extendit ad peccatores, quos ex caritate diligimus propter Deum. ARTICULUS Utrum

Caritas sit aliquid

II creatum

in

anima

[Infra 24,2.11; 1 d 17: 1,1; Car 1]

PL 42/957 A

PL 42/loao B

* 412 a 27

A D SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod Caritas non sit aliquid creatum in anima. Dicit enim Augustinus, in 8 de Trinitate [c. 7]: „Qui proximum diligit, consequens est ut ipsam dilectionem diligat. Deus autem dilectio est. Consequens est ergo ut praeeipue Deum diligat." E t in 15 de Trinitate [c. 17] dicit: „Ita dictum est, Deus Caritas est, sicut dictum est, Deus spiritus est." Ergo Caritas non est aliquid creatum in anima, sed est ipse Deus. 2. P R A E T E R E A , Deus est spiritualiter vita animae, sicut anima vita corporis [cf. 2 de An. 1]; secundum illud Deut. 30: „Ipse est vita tua." Sed anima vivificat corpus per seipsam. Ergo Deus vivificat animam per seipsum. Vivificat autem eam per caritatem; secundum illud 1 Joan. 3: „Nos seimus quoniam translati sumus de morte ad vitam, quoniam diligimus fratres." Ergo Deus est ipsa Caritas. 3. P R A E T E R E A , nihil creatum est infinitae virtutis, sed magis omnis creatura est vanitas. Caritas autem non est vani-

8

keit vielmehr entgegengesetzt; und sie ist von unendlicher 23, 2 Kraft, weil sie die Seele des Menschen zum unendlichen Gut führt. Also ist die Gottesliebe in der Seele nichts Geschaffenes. A N D E R S E I T S sagt Augustinus: „Gottesliebe nenne ich jene Bewegung der Seele hin zur Freude an Gott um Seiner Selbst willen" [8]. Die Bewegung der Seele aber ist etwas Geschaffenes in der Seele. Also ist auch die Gottesliebe in der Seele etwas Geschaffenes. ANTWORT: Der Meister [Petrus Lombardus] untersucht diese Frage und kommt zu dem Schluß, daß die Gottesliebe nicht etwas Geschaffenes ist in der Seele, sondern der Heilige Geist Selbst, der im Geiste [des Menschen] wohnt. Doch geht seine Meinung nicht dahin, daß diese Liebesbewegung, mit der wir Gott zugeneigt sind, der Heilige Geist Selbst ist; sondern daß diese Bewegung so [unmittelbar] vom Heiligen Geiste stammt, daß sie nicht durch ein Gehaben vermittelt wird, wie zwar auch die anderen Tugendakte vom Heiligen Geiste stammen, aber mittelbar über die Gehaben der anderen Tugenden, wie etwa über das Gehaben der Hoffnung, des Glaubens oder sonst einer Tugend. Wenn wir aber recht zusehen, so führt das eher zur Zerstörung der Gottesliebe. Denn nicht so geht die Bewegung Q U A E S T I O 23,,

tas, sed magis vanitati repugnat; et est infinitae virtutis, quia animam hominis ad bonum infinitum perducit. Ergo Caritas non est aliquid creatum in anima. S E D CONTRA est quod Augustinus dicit, in 3 de Doctrina Christiana [c. 10]: „Caritatem voco motum animi ad fruendum PL Deo propter ipsum." Sed motus animi est aliquid creatum in anima. Ergo et Caritas est aliquid creatum in anima. R E S P O N D E O dicendum quod Magister perscrutatur hanc 34/72 A quaestionem in 17 dist. 1 lib. Sententiarum, et ponit quod Caritas non est aliquid creatum in anima, sed est ipse Spiritus Sanctus mentem inhabitans. Nec est sua intentio quod iste QR 1/106 motus dilectionis quo Deum diligimus sit ipse Spiritus Sanctus; sed quod iste motus dilectionis est a Spiritu Sancto non mediante aliquo habitu, sicut a Spiritu Sancto sunt alii actus virtuosi mediantibus habitibus aliarum virtutum, puta habitu fidei aut spei aut alicujus alterius virtutis. E t hoc dicebat propter excellentiam caritatis. Sed si quis recte consideret, hoc magis redundat in caritatis detrimentum Non enim motus caritatis ita procedit a Spiritu 2

17 A

9

23, 2 der Liebe vom Heiligen Geiste aus, der den Geist des Menschen bewegt, als würde der Geist des Menschen n u r bewegt und wäre in keiner Weise Ursprung dieser Bewegung; so also, wie ein Körper von einem äußeren Beweger bewegt wird. Denn das ist gegen die Bewandtnis der freien Selbstbestimmung, deren Ursprung in ihm [dem Menschen] selbst liegen muß ( I - I I 6, 1: Bd. 9). Andernfalls würde folgen, daß Liebe nicht freiwillig wäre. Das aber bedeutet einen Widerspruch in sich; denn Liebe besagt ihrem Begriff nach, daß sie ein Akt des Willens ist. — Ebensowenig kann man sagen, der Heilige Geist bewege den Willen zum Akt der Liebe so, wie man ein Werkzeug bewegt; denn wenn dieses auch irgendwie [Mit-]Ursprung des Aktes ist, so steht es doch nicht bei ihm [dem Werkzeug], tätig oder nicht tätig zu sein. Also wäre auch dann noch die Bewandtnis der freien Selbstbestimmung aufgehoben und die des Verdienstes ausgeschlossen, wo wir doch an anderer Stelle ( I - I I 114, 4: Bd. 14) gesagt haben, daß die Zuneigung der heiligen Liebe die Wurzel des Verdienstes ist. — Sondern: es muß so sein, daß der Wille derart vom Heiligen Geiste zum Lieben bewegt wird, daß er [der Wille] auch selbst diesen Akt setzt. Kein Akt aber wird von einem tätigen Vermögen in vollendeter Weise hervorgebracht, wenn er dessen Natur nicht innerlich verwandt ist auf Grund einer Form, die der Q U A E S T I O 23, ,

S a n c t o m o v e n t e h u m a n a m m e n t e m q u o d h u m a n a m e n s sit m o t a t a n t u m e t nullo m o d o sit p r i n c i p i u m h u j u s m o t u s , sicut c u m a l i q u o d c o r p u s m o v e t u r a b aliquo exteriori m o v e n t e . H o c e n i m est c o n t r a r a t i o n e m v o l u n t a r i i , c u j u s o p o r t e t p r i n c i p i u m in ipso esse, sicut s u p r a d i c t u m est. U n d e s e q u e r e t u r q u o d diligere n o n esset v o l u n t a r i u m . Q u o d i m p l i c a t c o n t r a d i c t i o n e m , c u m a m o r d e sui r a t i o n e i m p o r t e t q u o d sit a c t u s v o l u n t a t i s . — Similiter e t i a m n o n p o t e s t dici q u o d sie m o v e a t Spiritus S a n c t u s v o l u n t a t e m a d a c t u m diligendi sicut m o v e t u r i n s t r u m e n t u m , q u o d etsi sit p r i n c i p i u m a c t u s , n o n t a r n e n est in ipso agere vel n o n agere. Sic e n i m e t i a m tolleretur r a t i o voluntarii, et excluderetur ratio meriti; cum tarnen supra h a b i t u m sit q u o d dilectio c a r i t a t i s est r a d i x m e r e n d i . — Sed o p o r t e t q u o d sic v o l u n t a s m o v e a t u r a Spiritu S a n c t o a d dilig e n d u m q u o d e t i a m ipsa sit efficiens h u n c a c t u m . Nullus a u t e m actus perfecte producitur ab aliqua potentia a c t i v a nisi sit ci c o n n a t u r a l i s p e r a l i q u a m f o r m a m q u a e sit

10

Wirkgrund der Tätigkeit ist. Deshalb hat Gott, der alle 23,2 Wesen zu den ihnen gesteckten Zielen bewegt, den einzelnen Wesen d i e Form eingesenkt, durch die sie hingeneigt werden zu den ihnen von Gott gesetzten Zielen; und insofern „hat E r alles milde geordnet" (Wsh 8, 1). Offenbar aber übersteigt der Akt der Gottesliebe die Natur des Willensvermögens. Deshalb — wenn dem natürlichen Vermögen keine Form dazugegeben würde, durch die es die Neigung zum Akt der Liebe empfinge — würde dieser Akt unvollkommener als alle natürlichen Akte mitsamt den Akten der anderen Tugenden; auch wäre er nicht leicht und beglückend. Das aber ist falsch; denn k e i n e T u g e n d h a t e i n e s o l c h s t a r k e N e i g u n g zu i h r e m A k t wie d i e G o t t e s l i e b e . Noch auch gibt es eine [Tugend], die mit solcher Wonne ihren Akt setzt. Deshalb ist es höchst notwendig, daß es für den Akt der Gottesliebe in uns ein dem natürlichen Vermögen hinzugegebenes Gehaben gibt, das ihm die Neigung zum Akt der Gottesliebe schenkt und es befähigt, leicht und lustvoll tätig zu sein. Zu 1. Die göttliche Wesenheit selbst ist Liebe, wie sie auch Weisheit und Gutheit ist. Wie wir daher gut genannt werden durch die Gutheit, die Gott ist, und weise durch die Weisheit, die Gott ist, weil die Gutheit, kraft deren Form Q U A E S T I O 23,

a

principium actionis. Unde Deus, qui omnia movet ad debitos fines, singulis rebus indidit formas per quas inclinantur ad fines sibi praestitutos a Deo ; et secundum hoc „disponit omnia suaviter", ut dieitur Sap. 8. Manifestum est autem quod actus caritatis excedit naturam potentiae voluntatis. Nisi ergo aliqua forma superadderetur naturali potentiae per quam inclinaretur ad dilectionis actum, secundum hoc esset actus iste imperfectior actibus naturalibus et actibus aliarum virtutum; nec esset facilis et delectabilis. Quod patet esse falsum; quia nulla virtus habet tantam inclinationem ad suum actum sicut Caritas, nec aliqua ita delectabiliter operatur. Unde maxime est necesse quod ad actum caritatis existât in nobis aliqua habitualis forma superaddita potentiae naturali, inclinans ipsam ad caritatis actum, et faciens eam prompte 1 et delectabiliter operari. AD PRIMUM ergo dicendum quod ipsa essentia divina Caritas est, sicut et sapientia est, et sicut bonitas est. Unde sicut dicuntur boni bonitate quae Deus est, et sapientes sa-, pientia quae Deus est, quia bonitas qua formaliter boni sumus 1

2*

P : proprie.

11

23,2 wir gut sind, irgendwie Teilhabe an der göttlichen Gutheit ist, und die Weisheit, kraft deren Form wir weise sind, irgendwie Teilhabe an der göttlichen Weisheit ist, so ist auch die heilige Liebe, kraft deren Form wir den Nächsten lieben, irgendwie Teilhabe an der göttlichen Liebe. Diese Art zu sprechen ist bei den Piatonikern in Gebrauch, von deren Lehre Augustinus beeinflußt war. Manche, die das nicht beachteten, gerieten durch seine Worte in Irrtum [9]. Zu 2. Als Wirkursache ist G o t t das Leben, und zwar der Seele durch die heilige Liebe, des Leibes durch die Seele; als Form aber ist die G o t t e s l i e b e das Leben der Seele, wie die Seele das des Leibes [10]. Daraus darf man folgern, daß, wie die Seele unmittelbar dem Leibe geeint ist, so auch die Gottesliebe der Seele. Zu 3. Die Gottesliebe ist tätig als Form. Die Wirkkraft der Form aber bemißt sich nach der K r a f t des Wirkenden, der die Form eingibt [11]. Wenn daher die Gottesliebe nicht Eitelkeit ist, sondern eine unendliche Wirkung hat, indem sie die Seele dadurch, daß sie dieselbe rechtfertigt, mit Gott verbindet, so beweist das nur die Unendlichkeit der göttlichen Kraft, welche Urheber der Gottesliebe [in uns] ist.

Q U A E S T I O 23,,

est participatio quaedam divinae bonitatis, et sapientia qua formaliter sapientes sumus est participatio quaedam divinae sapientiae ; ita etiam caritas qua formaliter diligimus proximum est quaedam participatio divinae caritatis. Hic enim modus loquendi consuetus est apud Platónicos, quorum doctrinis Augustinus fuit imbutus. Quod quidam 1 non advertentes ex verbis ejus sumpserunt occasionem errandi. A D SECUNDUM dicendum quod Deus est vita effective et animae per caritatem et corporis per animam : sed formaliter caritas est Vita animae, sicut et anima corporis. Unde per hoc potest concludi quod, sicut anima immediate unitur corpori, ita caritas animae. A D TERTIUM dicendum quod caritas operatur formaliter. Efficacia autem formae est secundum virtutem agentis qui indu^it formam. Et ideo quod caritas non est vanitas, sed facit effectum infinitum dum conjungit animam Deo justificando ipsam, hoc demonstrat infinitatem virtutis divinae, quae 2 est caritatis auctor. 1 Cf. Petrus Lomb., Sent. 1, 17 (QR 1/106). • P: qui.

12

23,3

3. A R T I K E L Ist die Gottesliebe

Tugend?

1. Die Gottesliebe ist eine Art Freundschaft. Freundschaft aber wird von den Philosophen nicht unter die Tugenden gerechnet (Aristoteles); denn sie wird weder zu den sittlichen noch zu den verstandhaften Tugenden gezählt [12]. Also ist auch die Gottesliebe keine Tugend. 2. „Tugend ist letzte Steigerung des Vermögens" (Aristoteles). Nicht Liebe aber ist das Letzte, sondern Freude und Friede. Also scheint es, daß nicht die Liebe Tugend ist, sondern eher Freude und Friede. 3. Jede Tugend ist ein eigenschaftliches Gehaben [ I - I I 55, 1. 2: Bd. 11]. Die Liebe aber ist kein eigenschaftliches Gehaben, da sie adeliger ist als die Seele selbst; keine Eigenschaft aber ist adeliger als ihr Träger. Also ist die Liebe nicht Tugend. A N D E R S E I T S sagt Augustinus: „Die Liebe ist jene Tugend, die als unsere sittlich beste ,An-wandlung' (affectio) die Verbindung mit Gott herstellt, die, durch die wir Ihm zugeneigt sind." A N T W O R T : Die menschlichen Akte haben ihre GutQ U A E S T I O 23, a

ARTICULUS III U t r u m Caritas sit v i r t u s [Infra a. 6; 114,1 ad 1; 3 d 27: 2,2; Car 2]

A D T E R T I U M sic proceditur. Videtur quod Caritas non sit virtus. Caritas enim est amicitia quaedam. Sed amicitia a philosophis non ponitur virtus, ut in libro Ethicorum pat e t ; neque enim connumeratur inter virtutes morales neque inter intellectuales [2 Eth. 1]. Ergo etiam neque Caritas est virtus. 2. P R A E T E R E A , „virtus est ultimum potentiae", ut dicitur in 1 de Caelo [c. II]. Sed caritas non est ultimum; sed magis gaudium et pax. Ergo videtur quod caritas non sit virtus; sed magis gaudium et pax. 3. P R A E T E R E A , omnis virtus est quidam habitus accidentalis. Sed caritas non est habitus accidentalis, cum sit nobilior ipsa anima; nullum autem accidens est nobilius subjecto. Ergo caritas non est virtus. S E D CONTRA est quod Augustinus dicit, in libro de Moribus Ecclesiae [c. 11]: „Caritas est virtus quae, cum nostra rectissima affectio est, conjungit nos Deo, qua eum diligimus." R E S P O N D E O dicendum quod humani actus bonitatem

13

• 1103 a 14 281 a 11

a 18

PL 32/1319 D

23,3 heit demgemäß, daß sie das rechte .Richtbild und ihr gehöriges Maß haben. Und so besteht menschliche Tugend als Quellgrund aller guten Tätigkeiten des Menschen darin, daß sie das Richtbild menschlicher Handlungen erreicht. Dieses aber ist ein zweifaches (17,1: Bd. 16): die menschliche Vernunft und Gott Selbst. Wie daher die sittliche Tugend dadurch bestimmt wird, daß sie „der rechten Vernunft gemäß ist" (Aristoteles) [13], so begründet auch das Hinanreichen an Gott[es Vollkommenheit] die Bewandtnis der [göttlichen] Tugend; wie auch oben (ebd.; 4, 5: Bd. 15) yon Glaube und Hoffnung gesagt wurde. Da also die Liebe an Gott heranreicht, weil sie uns mit Gott verbindet, wie das aus der aus Augustinus angeführten Stelle erhellt (vgl. Anderseits), so folgt, daß die Gottesliebe Tugend ist. Zu 1. Der Philosoph bestreitet nicht, daß die Freundschaft Tugend sei, sondern er sagt, daß sie „Tugend oder mit Tugend verbunden" sei. Man könnte nämlich sagen, daß sie es als sittliche Tugend mit den Handlungen zu tun hat, die auf den anderen gehen, nur unter einer anderen Bewandtnis als die Gerechtigkeit. Denn die Gerechtigkeit hat es zu tun mit den Handlungen, die auf den anderen gehen unter der Bewandtnis des gesetzlich Geschuldeten; die Freundschaft aber unter der Bewandtnis eines freundQ U A E S T I O 23,3

1107 a i 1103 b 31

1155 a 3 »1130 a 12 * b 22

habent secundum quod regulantur debita regula et mensura; et ideo humana virtus, quae est prineipium honorum omnium actuum hominis, consistit in attingendo regulam humanorum actuum. Quae quidem est duplex, ut supra dictum est; scilicet humana ratio, et ipse Deus. Unde sicut virtus moralis definitur per hoc quod est „secundum rationem rectam", at patet in 2 Ethicorum [c. 6. 2], ita etiam attingere Deum constituit rationem virtutis ; sicut etiam supra dictum est de fide et spe. Unde, cum caritas attingit Deum, quia conjungit nos Deo, ut patet per auctoritatem Augustini inductam [1. c.]; consequens est caritatem esse virtutem. A D PRIMUM ergo dicendum quod Philosophus, in 8 Ethicorum [c. 1], non negat amicitiam esse virtutem, sed dicit quod est „virtus vel cum virtute". Posset enim dici quod est virtus moralis circa operationes quae sunt ad alium, sub alia tamen ratione quam justitia [cf. 5 Eth. 3]. Nam justitia est circa operationes quae sunt ad alium sub ratione debiti legalis [cf. 5 Eth. 5]; amicitia autem sub ratione cujusdam 1 debiti amica1

14

P : beneficii cujusdam.

schaftlich oder sittlich Geschuldeten, oder vielmehr unter 23. :t der Bewandtnis eines frei Geschenkten (Aristoteles). Jedoch kann man auch sagen, daß sie [die Freundschaft] an sich keine von den anderen verschiedene Tugend ist. Denn sie hat die Bewandtnis des Löblichen und Edlen nur vom Gegenstande her, soweit sie nämlich im Adel der Tugenden gründet; das ergibt sich daraus, daß nicht jede beliebige Freundschaft die Bewandtnis des Löblichen und Edlen hat, wie es bei der in der Lust und im Gewinn gründenden Freundschaft zutage tritt. Daher ist die in der Tugend gründende Freundschaft eher etwas, was aus den Tugenden f o l g t , als etwas, das selbst Tugend wäre. — Auch ist es mit der Gottesliebe nicht dasselbe, weil sie in erster Linie nicht in der menschlichen Tugend gründet, sondern in der göttlichen Gutheit. Zu 2. Zu derselben Tugend gehört, jemanden lieben und sich an ihm freuen; denn die Freude folgt auf die Liebe ( I - I I 25, 2: Bd. 10). Deshalb wird die Liebe eher als Tugend genommen denn die Freude, die eine Wirkung der Liebe ist [unten 28, 1 u. 4], — Das .Letzte' aber, das in der Begriffsbestimmung der Tugend aufscheint, besagt nicht das Verhältnis der Wirkung zur Ursache; sondern eher das des Übermaßes, wie hundert Pfund mehr sind als sechzig [14].

QUAESTIO

23,,

bilis et moralis, vel magis sub ratione beneficii gratuiti, ut patet per Philosophum, in 8 Ethicorum [c. 15]. 1162 b 31 Potest tarnen dici quod non est virtus per se ab aliis distincta. Non enim habet rationem laudabilis et honesti nisi ex objecto, secundum scilicet quod fundatur super honestatem virtutum, quod patet ex hoc quod non quaelibet axnicitia habet rationem laudabilis et honesti, sicut patet in amicitia delectabilis et utilis [cf. 8 Eth. 2], Unde amicitia virtuosa magis est aliquid • 1155 b IS consequens ad virtutes quam sit virtus. — Nec est simile de caritate, quae non fundatur principaliter super virtute humana, sed super bonitate divina. A D SECUNDUM dicendum quod ejusdem virtutis est diligere aliquem et gaudere de illo; nam gaudium amorem consequitur, ut supra habitum est, cum de passionibus ageretur. Et ideo magis ponitur virtus amor quam gaudium, quod est amoris effectus. — Ultimum autem quod ponitur in ratione virtutis non importat ordinem effectus; sed magis ordinem super excessus cujusdam, sicut centum librae excedunt sexaginta. 15

23,4

Zu 3. Jede Eigenschaft ist ihrem Sein nach minder als ihr Träger; denn der Träger ist durch sich seiend, die Eigenschaft aber ist seiend in einem anderen [15]. Nun ist zwar nach der Bewandtnis ihrer A r t eine Eigenschaft, die aus den Ursprungsgründen des Trägers verursacht wird, weniger vornehm als der Träger, wie die Wirkung [weniger vornehm ist] als die Ursache; eine Eigenschaft aber, die aus den Ursprungsgründen einer höheren Natur verursacht wird, ist vornehmer als der Träger, sofern sie eine Ähnlichkeit zur höheren Natur besagt; wie das Licht in bezug auf das Lichtdurchlässige [16]. Und in dieser Weise ist die Liebe vornehmer als die Seele, insofern sie irgendwie Teilhabe am Heiligen Geiste besagt. 4. A R T I K E L Ist die Gottesliebe eine besonderte Tugend?

1. Hieronymus sagt: „ U m kurz jede Wesensbestimmung der Tugend zusammenzufassen: Tugend ist heilige Liebe, mit der wir Gott und den Nächsten lieben." Und Augustinus sagt: „Tugend ist Ordnung der Liebe." Keinerlei besonderte Tugend aber wird eingesetzt in die WesensbeQ U A B S T I O 23,,

A D T E R T I U M dicendum quod omne accidens secundum suum esse est inferius substantia; quia substantia est ens per • 1030 a 21 se, accidens autem in. alio [cf. 7 Metapli. 4]. Sed secundum rationem suae speciei, accidens quidem quod causatur ex principiis subjecti est indignius subjecto, sicut effectus causa [cf. * 98 b 17 2 Anal. post. 16]. Accidens autem quod causatur ex participatione alicujus superioris naturae est dignius subjecto, inquantum est similitude superioris naturae, sicut lux diaphano. Et hoc modo Caritas est dignior anima, inquantum est partieipatio quaedam Spiritus Sancti. ARTICULUS IV U t r u m Caritas sit v i r t u s specialis [Infra 40,2 ad 3; 114,1; 3 d 27: 2,4 qa 2; Car 5; Mal 8,2; 11,2]

A D Q U A R T U M sie proceditur. Videtur quod Caritas non sit virtus specialis. Dicit enim Hieronymus: 1 „ U t breviter omnem virtutis definitionem complectar, virtus est Caritas, qua diligitur Deus et proximus." E t Augustinus dicit, in libro de Moribus Ecclesiae,2 quod „virtus est ordo amoris". Sed nulla virtus spe1 Cf. Augustinus, Ep. (167) ad Hieron. (PL 33/739 B). » Cf. Aug., De Civitate Dei 15, 22 (PL 41/467 D).

16

Stimmung der Tugend im allgemeinen [17]. Also ist die 23,4 Gottesliebe nicht eine besonderte Tugend. 2. Das, was sich auf die Werke aller Tugenden erstreckt, kann keine besonderte Tugend sein. Die heilige Liebe aber erstreckt sich auf die Werke aller Tugenden; nach 1 Kor 13, 4: „Die heilige Liebe ist geduldig, gütig", usw. Zudem erstreckt sie sich auf alle menschlichen Handlungen; nach 1 Kor 16, 14: „Alle eure Werke mögen in heiliger Liebe geschehen." Also ist die heilige Liebe nicht eine besonderte Tugend. 3. Die Vorschriften des Gesetzes entsprechen den Tugendvollzügen. Augustinus aber sagt: „Das allgemeine Gebot lautet: Du sollst lieben; und das allgemeine Verbot: Du sollst nicht begehren." Also ist die Liebe eine allgemeine Tugend. ANDERSEITS: Kein Allgemeines wird mit dem Besonderten zusammen aufgezählt [18]. Die heilige Liebe aber wird in der Aufzählung mit besonderten Tugenden zusammengestellt, nämlich mit Glaube und Hoffnung; nach 1 Kor 13, 13: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe — diese drei." Also ist die heilige Liebe eine besonderte Tugend. ANTWORT: Akt und Gehaben unterscheiden sich nach QUAESTIO 23,, Cialis p o n i t u r in definitione v i r t u t i s c o m m u n i s [cf. 6 Top. 4]. Ergo Caritas n o n est specialis virtus. 2. P R A E T E R E A , illud quod se extendit ad opera omnium virtutum non potest esse specialis virtus [cf. 4 Top. 1]. Sed caritas se extendit ad opera omnium virtutum; secundum illud 1 ad Cor. 13: „Caritas patiens est, benigna est", etc. Extendit etiam se ad omnia opera humana, secundum illud 1 ad Cor. ult. : „Omnia (opera) vestra in caritate fiant." Ergo Caritas non est specialis virtus. 3. P R A E T E R E A , praecepta legis respondent actibus virtutum [cf. 5 Eth. 3]. Sed Augustinus, in libro de Perfectione Justitiae Hominis [c. 5], dicit quod „generalis jussio est, ,Diliges', et generalis prohibitio, ,Non concupisces'." Ergo Caritas est generalis virtus. S E D CONTRA, n u l l u m generale c o n n u m e r a t u r speciali [cf. 4 Top. 3]. Sed Caritas c o n n u m e r a t u r specialibus v i r t u t i b u s , scilicet fidei et spei; secundum illud 1 ad Cor. 13: „Nunc autem m a n e n t fides, spes, Caritas, tria haec." Ergo Caritas est virtus specialis. R E S P O N D E O dicendum quod actus et habitus specifi17

» 142 b li « 121 b 3

• 1129 b 19 PL 44/297 A • 123 b 8

23,4 ihren Gegenständen ( I - I I 18, 2: Bd. 9; 54, 2: Bd. 11). Der eigentümliche Gegenstand der Liebe aber ist das Gute ( I - I I 27, 1: Bd. 10). Wo demnach eine besondere Bewandtnis des Guten vorliegt, haben wir auch eine besondere Bewandtnis der Liebe. Das göttliche Gut aber, sofern es Gegenstand der Seligkeit ist, hat eine besondere Bewandtnis des Guten. Deshalb ist die Liebe der Gottesminne, mit welcher wir dieses Gut lieben, eine besondere Liebe. Also ist die Gottesliebe eine besonderte Tugeiid. Zu 1. Die Liebe wird eingesetzt in die Wesensbestimmung jeder Tugend, nicht als ob sie ihrem Wesen nach jede Tugend wäre, sondern weil von ihr irgendwie alle Tugenden abhängen, wie unten gesagt wird (Art. 7f.) [19]. So wird auch die Klugheit in die Wesensbestimmung jeder Tugend eingesetzt (Aristoteles), eben deshalb, weil die sittlichen Tugenden von der Klugheit abhängen. Zu 2. Die Tugend oder die Kunst, die es mit dem letzten Ziele zu tun hat, befiehlt den Tugenden oder Künsten, die es mit den untergeordneten Zielen zu tun haben; so befiehlt die Kriegskunst der Reitkunst (Aristoteles). Weil nun die heilige Liebe das letzte Ziel des menschlichen Lebens, nämlich die ewige Seligkeit, zum Gegenstand hat, so erstreckt sie sich auf dem Wege über den Befehl auf die Akte des gesamten menschlichen Lebens, nicht aber so, als Q U A E S T I O 23,4

cantur per objecta, ut ex supradictis patet. Proprium autem objectum amoris est bonum, ut supra habitum est. Et ideo ubi est specialis ratio boni, ibi est specialis ratio amoris. Bonum autem divinum, inquantum est beatitudinis objectum, habet specialem rationem boni. Et ideo amor caritatis, qui est amor hujus boni, est specialis amor. Unde et Caritas est specialis virtus. A D PRIMUM ergo dicendum quod Caritas ponitur in definitione omnis virtutis, non quia sit essentialiter omnis virtus; sed quia ab ea dependent aliqualiter omnes virtutes, ut infra dicetur. Sicut etiam prudentia ponitur in definitione virtutum 1107 a l moralium, ut patet in 2 [c. 6] et 6 [c. 13] Ethicorum, eo quod 1144 b 28 virtutes morales dependent a prudentia. A D SECUNDUM dicendum quod virtus vel ars ad quam pertinet finis ultimus, imperat virtutibus vel artibus ad quas pertinent alii fines secundarii, sicut militaris imperat equestri, 1094 a 12 ut dicitur in 1 Ethicorum [c. 1]. Et ideo, quia Caritas habet pro objecto ultimum finem humanae vitae, scilicet beatitudinem aeternam, ideo extendit se ad actus totius humanae vitae per

18

würde sie alle Akte der [übrigen] Tugenden unmittelbar 23. ¡> setzen [20]. Zu 3. Das Gebot zu lieben wird als allgemeines Gebot bezeichnet, weil darauf alle anderen Gebote als auf ihr Ziel zurückgeführt werden; nach 1 Tim 1, 5: „Ziel des Gesetzes ist die Gottesliebe." 5. A R T I K E L Ist die Gottesliebe eine

Tugend?

1. Die Gehaben unterscheiden sich nach ihren Gegenständen. Es gibt aber zwei Gegenstände der heiligen Liebe: Gott und den Nächsten, die einen unendlichen Abstand voneinander haben. Also ist die heilige Liebe nicht e i n e Tugend. 2. Verschiedene Gesichtspunkte im Gegenstand machen das Gehaben verschieden, auch wenn der Gegenstand sachlich derselbe ist [21], Nun gibt es aber viele Gründe, Gott zu lieben, denn auf Grund jeder einzelnen Seiner Wohltaten sind wir schuldig, Ihn zu lieben. Also ist die Liebe nicht e i n e Tugend. 3. In der Gottesliebe ist die Freundschaft zum Nächsten Q U A E S T I O 23,

(

modum imperii, non quasi immediate eliciens omnes actus virtutum. A D TERTIUM dicendum quod praeceptum de diligendo dicitur esse jussio generalis, quia ad hoc reducuntur omnia alia praecepta sicut ad finem; secundum illud 1 ad Tim. 1: „Finis praecepti Caritas est." ARTICULUS V U t r u m Caritas sit una v i r t u s [Infra 25,6.10.12; 3 d 27: 2,4 qa 1; Car 4]

A D QUINTUM sie proceditur. Videtur quod Caritas non sit una virtus. Habitus enim distinguuntur secundum objecta. Sed duo sunt objecta caritatis, Deus et proximus, quae in infantum ab invicem distant. Ergo Caritas non est una virtus. 2. PRAETEREA, diversae rationes objecti diversifleant habitum, etiam si objectum sit realiter idem, ut ex supradictis patet. Sed multae sunt rationes diligendi Deum; quia ex singulis benefieiis ejus pereeptis debitores sumus dilectionis ipsius. Ergo Caritas non est una virtus. 3. PRAETEREA, sub caritate includitur amicitia ad

19

23,5 eingeschlossen. Der Philosoph aber nimmt verschiedene Arten der Freundschaft an. Also ist die Liebe nicht e i n e Tugend, sondern wird in verschiedene Arten vervielfacht. ANDERSEITS: Wie Gott der Gegenstand des Glaubens ist, so auch der heiligen Liebe. Der Glaube aber ist e i n e Tugend wegen der Einheit der göttlichen Wahrheit; nach Eph 4, 5: „ E i n Glaube." Also ist auch die heilige Liebe e i n e Tugend, wegen der Einheit der göttlichen Gutheit. ANTWORT: Die Gottesliebe ist eine Art Freundschaft des Menschen mit Gott (Art. 1). Die verschiedenen Arten der Freundschaft werden nun bestimmt: e i n m a l nach der Verschiedenheit des Zieles; danach spricht man von drei Arten der Freundschaft: der nützlichen, lustvollen und edlen. 1 In a n d e r e r Weise nach der Verschiedenheit der Gemeinsamkeiten, in denen die Freundschaften gründen; so ist eine andere Art der Freundschaft die unter Blutsverwandten, eine andere die unter Mitbürgern oder Weggenossen; die eine von ihnen gründet in einer naturhaften Gemeinsamkeit, die andere in der Gemeinsamkeit des bürgerlichen Lebens oder des Wanderns (Aristoteles). — In keiner der angegebenen Weisen aber läßt sich die Gottesliebe in mehrere [Tugenden] aufteilen. Denn das Ziel der Q U A E S T I O 23,5

1156 a 7 proximum. Sed Philosophus, in 8 Ethicorum [c. 3. 13. 14], ponit b 12 diversas amicitiae species. Ergo Caritas non est una virtus, sed multiplicatur in diversas species. S E D CONTRA, sicut objectum fidei est Deus, ita et caritatis. Sed fides est una virtus, propter unitatem divinae veritatis; secundum illud Eph. 4: „Una fides." Ergo et Caritas est una virtus, propter unitatem divinae bonitatis. R E S P O N D E O dicendum quod Caritas, sicut est dictum, est quaedam amicitia hominis ad Deum. Diversae autem amicitiarum species accipiuntur quidem uno modo secundum diversitatem finis; et secundum hoc dicuntur tres species amicitiae, scilicet amicitia utilis, delectabilis et honesti [cf. 8 *li57.aso Eth. 5]. Alio modo, secundum diversitatem communicationum in quibus amicitiae fundantur; sicut alia species amicitiae est consanguineorum, et alia concivium aut peregrinantium, quarum una fundatur super communicatione naturali, aliae super communicatione civili vel peregrinationis; ut patet per iioi b l l Philosophum, in 8 Ethicorum [c. 14]. — Neutro autem istorum modorum Caritas potest dividi in plura. N a m caritatis finis 1161

• Vgl. Komm. S. 426 f.

20

heiligen Liebe ist eines, nämlich die göttliche Gutheit. 23,5 Auch gibt es nur die e i n e Gemeinsamkeit der ewigen Seligkeit, in der diese Freundschaft gründet. Es bleibt also nur übrig [zu sagen], daß die Liebe schlechthin e i n e Tugend und nicht in mehrere Arten unterschieden ist. Zu 1. Jener Grund wäre unmittelbar stichhaltig, wenn Gott und der Nächste gleichwertige Gegenstände der heiligen Liebe wären. Das ist aber nicht wahr; sondern Gott ist der Hauptgegenstand der heiligen Liebe; dem Nächsten aber sind wir aus der heiligen Liebe heraus zugeneigt um Gottes willen. Zu 2. Mit der heiligen Liebe lieben wir Gott um Seiner Selbst willen. Deshalb faßt die heilige Liebe in erster Linie nur diesen einen Grund der Zuneigung ins Auge, nämlich die göttliche Gutheit, die Sein Wesen ausmacht; nach dem Psalmwort: „Lasset uns den Herrn preisen, denn Er ist gut" [Ps 106 (105), 1; 107 (106), 1; 118 (117), 1; 136 (135), 1], Andere Gründe, die unsere Zuneigung wecken oder uns zu Schuldnern der Liebe machen, sind zweitrangig und folgen aus dem ersten [221. Zu 3. Die menschliche Freundschaft, von der der Philosoph spricht, hat ganz verschiedene Ziele und verschiedene Gemeinsamkeiten. Das kommt aber in der Gottesliebe nicht in Frage (Antw.). Also haben wir nicht denselben Sachverhalt. Q U A E S T I O 23,

5

est unus, scilicet divina bonitas. Est etiam et una conomunicatio beatitudinis aeternae, super quam haec amicitia fundatur. Unde relinquitur quod Caritas est simpliciter una virtus, non distincta in plures species. A D PRIMTJM ergo dicendum quod ratio illa directe procedoret si Deus et proximus ex aequo essent caritatis objecta. Hoc autem non est verum; sed Deus est principale objectum caritatis, proximus autem ex caritate diligitur propter Deum. AD SECUNDUM dicendum quod caritate diligitur Deus propter seipsum. Unde una sola ratio diligendi principaliter attenditur a caritate, scilicet divina bonitas, quae est ejus substantia; secundum illud Psalmi: „Confitemini Domino, quoniam bonus." Aliae autem rationes ad diligendum inducentes, vel debitum dilectionis facientes, sunt secundariae ot eonsequentes ex prima. AD TERTIUM dicendum quod amicitiae humanae, de qua Philosophus loquitur, est diversus finis et diversa communicatio. Quod in caritate locum non habet, ut dictum est. Et ideo non est similis ratio.

21

6. A R T I K E L Ist die Gottesliebe die erhabenste aller Tugenden ?

1. Dem höheren Vermögen entspricht auch eine höhere Tugend wie auch eine höhere Tätigkeit. Der Verstand aber ist höher als der Wille und lenkt diesen. Also ist der Glaube, der seinen Sitz im Verstände hat, erhabener als die Gottesliebe, die ihren Sitz im Willen hat. 2. Das, wodurch ein anderes tätig ist, scheint ihm gegenüber geringer zu sein; wie der Diener, durch den der Herr etwas besorgen läßt, geringer ist als der Herr. Nun ist aber „der Glaube tätig durch die Liebe", wie es Gal 5, 6 heißt. Also ist der Glaube erhabener als die Liebe. 3. Das, was einem anderen noch etwas hinzufügt, scheint das Vollkommenere zu sein. Die Hoffnung aber scheint der Gottesliebe etwas hinzuzufügen; denn Gegenstand der Gottesliebe ist das Gute, Gegenstand der Hoffnung aber das Steilgut [ I - I I 40, 1: Bd. 10]. Also ist die Hoffnung erhabener als die Gottesliebe. A N D E R S E I T S heißt es 1 Kor 13, 13: „Das größte aber unter ihnen [den göttlichen Tugenden] ist die Liebe." A N T W O R T : Da das Gute in den menschlichen HandQ U A E S T I O 23,,

A R T I C U L U S VI U t r u m c a r i t a s sit e x c e l l e n t i s s i m a v i r t u t u m [Infra 26,1 ad 1; 27,6; 30,4; 39,2 ad 3; I-II 66,6; Col 3 lect 3]

AD S E X T U M sie proceditur. Videtur quod caritas non sit excellentissima virtutum. Altioris enim potentiae altior est virtus, sicut et altior operatio. Sed intellectus est altior volúntate, et dirigit ipsam. Ergo fides, quae est in intellectu, est excellentior caritate, quae est in volúntate. 2. P R A E T E R E A , illud per quod aliud operatur, videtur eo esse inferius; sicut minister, per quem dominus aliquid operatur, est inferior domino. Sed „fides per caritatem operatur", ut habetur Gal. 5. Ergo fides est excellentior caritate. 3. P R A E T E R E A , illud quod se habet ex additione ad aliud, * 207 a K videtur esse perfectius [cf. 3 Phys. 6]. Sed spes videtur se habere ex additione ad caritatem; nam caritatis objectum est bonum, spei autem objectum est bonum arduum. Ergo spes est excellentior caritate. SED CONTRA est quod dicitur 1 ad Cor. 13: „Major... horum est caritas." RESPONDEO dicendum quod, cum bonum in humanis

22

lungen sich danach bestimmt, daß sie die Höhe ihres 23,6 Richtbildes erreichen, besteht die menschliche Tugend als Wirkgrund der menschlichen Handlungen darin, daß sie das Gesetz der menschlichen Handlungen erfüllt. Es gibt aber ein doppeltes Richtbild der menschlichen Tätigkeiten (Art. 3 ; 17,1: Bd. 16), nämlich die menschliche Vernunft 1 und Gott; Gott aber ist das erste Richtbild, nach welchem sich auch die menschliche Vernunft zu richten hat. Deshalb sind die göttlichen Tugenden, die darin begründet sind, daß sie dieses erste Richtbild erreichen, da Gott Selbst ihr Gegenstand ist, erhabener als die sittlichen und verstandhaften Tugenden, die darin gründen, daß sie das menschliche Richtbild erreichen. Daher muß auch unter den göttlichen Tugenden selbst jene als die vornehmere gelten, die stärker an Gott heranreicht. Immer aber ist das, was ,an sich' ist, mehr als das, was ,durch ein anderes' ist [23]. Glaube und Hoffnung nun erreichen Gott zwar, sofern uns von Ihm die Erkenntnis des Wahren bzw. die Erlangung des Guten kommt; die heilige Liebe aber erreicht Gott, um bei Ihm Selbst zu bleiben, u n d n i c h t weil u n s v o n I h m e t w a s k o m m t . Deshalb ist die Gottesliebe erhabener als Glaube und Hoffnung und folglich als alle anderen Tugenden. So ist auch die KlugQUAESTIO 23, actibus attendatur secundum quod regulantur débita régula, necesse est quod virtus humana, quae est principium bonorum actuum [cf. 2 Eth. 6], consistât in attingendo humanorum «U06a22 aetuum regulam. Est autem duplex régula humanorum actuum, ut supra dictum est, scilieet ratio humana et Deus; sed Deus est prima régula, a qua etiam humana ratio regulanda est. Et ideo virtutes theologicae, quae consistunt in attingendo illam regulam primam, eo quod earum objectum est Deus, exeellentiores sunt virtutibus moralibus vel intellectualibus. quae consistunt in attingendo rationem humanam. Propter quod oportet quod etiam inter ipsas virtutes theologicas illa sit potior quae magis Deum attingit. Semper autem illud quod est per se magis est eo quod est per aliud [cf. 1 Anal. post. 4]. « 73 b 8 Fides autem et spes attingunt quidem Deum secundum quod ex ipso provenit nobis vel cognitio veri vel adeptio boni ; sed Caritas attingit ipsum Deum ut in ipso sistat, non ut ex eo aliquid nobis proveniat. Et ideo Caritas est excellentior fide et spe; et per consequens omnibus aliis virtutibus. Sicut 1

Vgl. Anm. [13].

23

23, 6 heit, welche die Vernunft in sich selbst erreicht, erhabener als die anderen sittlichen Tugenden, welche die Vernunft nur insofern erreichen, als von ihr aus die rechte Mitte bestimmt wird in den menschlichen Tätigkeiten und Leidenschaften. 1 Zu 1. Die Tätigkeit des Verstandes ist dadurch abgeschlossen, daß das Verstandene im Verstehenden ist; deshalb bestimmt sich die Vornehmheit der verstandhaften Tätigkeit nach dem Maßstabe des Verstandes. Die Tätigkeit des Willens aber und jedes Strebevermögens wird vollendet in der Hinneigung des Strebenden zum Wirklichen als zu seinem Ziel. Daher bestimmt sich die Würde der aus dem Streben fließenden Tätigkeit nach dem Wirklichen, das Gegenstand dieser Tätigkeit ist. Die Wesen nun, die u n t e r [der Ebene] der [Geist-]Seele liegen, sind in vornehmerer Weise in der Seele als in sich selbst; denn ein jedes Wesen ist im anderen nach der Weise dessen, worin es ist; was aber ü b e r der Seele ist, ist in erhabenerer Weise in sich selbst als in der Seele. Deshalb ist die Erkenntnis derjenigen Dinge, die unter uns liegen, vornehmer als die Liebe zu ihnen; daher stellt der Philosoph die verstandhaften Tüchtigkeiten über die sittlichen Tugenden. Bei den Wesen aber, die über uns liegen, wird die Liebe, und vor

Q U A E S T I O 23,,

etiam prudentia, quae attingit rationem secundum se [cf. 6 •1140 b 4 E t h . 5], est excellentior quam aliae virtutes morales, quae attingunt rationem secundum quod ex ea medium constituitur * 1107 a 4 in operationibus vel passionibus humanis [cf. 2 E t h . 6]. AD PRIMUM ergo dicendum quod operatio intellectus completur secundum quod intellectum est in intelligente; et ideo nobilitas operationis intelleetualis attenditur secundum mensuram intellectus. Operatio autem voluntatis, et cujuslibet virtutis appetitivae, perficitur in inclinatione appetentis ad rem sicut ad terminum. Ideo dignitas operationis appetitivae attenditur secundum rem quae est objectum operationis. E a autem quae sunt infra animam nobiliori modo sunt in anima quam in seipsis, quia unumquodque est in aliquo per modum ejus in quo est, ut habetur in libro de Causis [prop. 12]; quae vero sunt supra animam nobiliori modo sunt in seipsis quam sint in anima. E t ideo eorum quae sunt infra nos nobilior est cognitio quam 1177 a 12 dilectio; propter quod Philosophus in 10 Ethicorum [c. 7 sq.], 1178 a 9 praetulit virtutes intellectuales moralibus. Sed eorum quae sunt 1

24

Über Tugendmitte vgl. Aran. [80].

allem die Gottesliebe, über die Erkenntnis gestellt. Des- 23,7 halb ist die Gottesliebe erhabener als der Glaube. Zu 2. Der Glaube ist durch die Liebe nicht wie durch ein Werkzeug (wie der Herr durch den Knecht) tätig, sondern wie durch das ihm eigentümliche innere Gesetz [24]. Daher ist der Einwand nicht schlüssig. Zu 3. Ein und dasselbe Gut ist Gegenstand der Gottesliebe und der Hoffnung; die Gottesliebe nun besagt die Vereinigung mit diesem Gut, die Hoffnung jedoch einen gewissen Abstand von ihm. Daher kommt es, daß die Gottesliebe dieses Gut nicht wie die Hoffnung als Steilgut betrachtet, denn das, was bereits mit uns vereint ist, hat nicht [mehr] die Bewandtnis des Steilgutes. Und daraus geht hervor, daß die Gottesliebe vollkommener ist als die Hoffnung [25], 7. A R T I K E L Kann

es ohne Gottesliebe echte Tugend

geben?

1. Der Tugend ist es eigen, die gute Tat hervorzubringen. Diejenigen aber, die keine Gottesliebe haben, vollbringen dennoch manche gute Taten; z. B. wenn sie einen Nackten bekleiden oder einen Hungernden speisen oder Q U A E S T I O 23, ,

supra nos, et praecipue dilectio Dei, cognitioni praefertur. E t ideo Caritas est excellentior fide. AD SEOUNDUM dicendum quod fides non operatur per dilectionem sicut per instrumentum, ut dominus per servum; sed sicut per formam propriam. E t ideo ratio non sequitur. AD T E R T I U M dicendum quod idem bonum est objectum caritatis et spei; sed Caritas importât unionem ad illud bonum, spes autem distantiam quamdam ab eo. E t inde est quod Caritas non respicit illud bonum ut arduum sicut spes; quod enim jam unitum est non habet rationem ardui. E t ex hoc apparet quod Caritas est perfectior spe. ARTICULUS VII U t r u m s i n e c a r i t a t e p o s s i t esse a l i q u a v e r a

virtus

[Infra a. 8; 24,3; 44,2; 47,6; I-II 65,2.4; 3 d 27: 2,4 qa 3 ad 2]

AD SEPTIMUM sie proceditur. Videtur quod sine caritate possit esse aliqua vera virtus. Virtutis enim proprium est bonum actum producere [cf. 2 E t h . 5], Sed illi qui non habent caritatem » 1106 a 22 faciunt aliquos bonos actus; puta dum nudum vestiunt, fame-

25

23,7 sonst dergleichen tun. Also kann es ohne Gottesliebe echte Tugend geben. 2. Die Liebe kann nicht sein ohne den Glauben; denn sie geht hervor „aus ungeheucheltem Glauben", wie der Apostel sagt (1 Tim 1,5). Bei den Ungläubigen aber kann es echte Keuschheit geben, indem sie die Begierde niederhalten; und echte Gerechtigkeit, indem sie gerecht urteilen. Also kann es echte Tugend geben ohne Gottesliebe [26]. 3. Wissenschaft und Kunst sind gewisse Tüchtigkeiten (Aristoteles). 1 Diese aber finden sich auch in den sündigen Menschen, die keine Gottesliebe haben. Also kann es echte Tugend geben ohne Gottesliebe. ANDERSEITS sagt der Apostel 1 Kor 13, 3: „Wenn ich alle meine Habe zur Speisung der Armen hergebe, und meinen Leib zum Verbrennen, habe aber die Liebe nicht: nichts nützt es mir." Die echte Tugend aber ist zu vielem nütze; nach Wsh 8, 7: „Sie lehrt Maßhaltung und Gerechtigkeit, Klugheit und Starkmut, über die hinaus es nichts im Leben gibt, was den Menschen nützlicher wäre." Also kann es ohne Gottesliebe keine echte Tugend geben [27], ANTWORT: Die Tugend ist ausgerichtet auf das Gute QUAESTIO 23, , licum pascunt et similia operantur. Ergo sine caritate potest esse aliqua vera virtus. 2. PRAETEREA, Caritas non potest esse sine fide; procedit enim „ex fide non Acta", ut Apostolus dicit, 1 Tim. 1. Sed in infidelibus potest esse vera castitas, dum concupiscentias cohibent; et vera justitia, dum reete judicant. Ergo vera virtus potest esse sine caritate. 3. PRAETEREA, scientia et ars quaedam virtutes sunt, ut 1139 b 31 patet in 6 Ethicorum [c. 3 sq.]. Sed hujusmodi inveniuntur 1140 a 9 i n hominibus peecatoribus non habentibus caritatem. Ergo vera virtus potest esse sine caritate. SED CONTRA est quod Apostolus dicit, 1 ad Cor. 13: „Si distribuero in cibos pauperum omnes facultates meas, et si tradidero corpus meum ita ut ardeam, caritatem autem non habeam, nihil mihi prodest." Sed virtus vera multum prodest; secundum illud Sap. 8: „Sobrietatem et justitiam docet, prudentiam et virtutem, quibus in vita nihil est utilius hominibus." Ergo sine caritate vera virtus esse non potest. RESPONDEO dicendum quod virtus ordinatur ad bonum, 1

26

Vgl. Anm. [12],

(I-II, 55, 4: Bd. 11). Das Gute aber liegt hauptsächlich 23,7 im Ziel; denn die Mittel zum Ziel heißen gut nur in Hinordnung auf das Ziel.1 Wie es nun ein doppeltes Ziel gibt, ein letztes und ein nächstes, so gibt es auch ein doppeltes Gut: ein letztes und ein nächstes, nämlich das Einzelgut. Das letzte und hauptsächlichste Gut des Menschen aber ist die Freude in Gott; nach jenem Psalmwort: „Mir ist es gut, Gott anzuhangen" [Ps 73 (72), 28]; und darauf wird der Mensch ausgerichtet durch die Gottesliebe. Das zweitrangige aber und gleichsam besonderte Gut des Menschen kann doppelt sein: eines, das ein wahres Gut ist, sofern es an sich ausgerichtet werden kann auf das hauptsächliche Gut, das letztes Ziel ist; und ein anderes, das nur Scheinund nicht wahres Gut ist, weil es von dem Zielgut wegführt. So ist es klar, daß jene Tugend schlechthin echte Tugend ist, welche ausrichtet auf das hauptsächliche Gut des Menschen; wie der Philosoph sagt, daß die Tugend „die Ausrichtung des Vollkommenen zum Besten" sei. Und so kann es keine echte Tugend geben ohne Gottesliebe. — Nehmen wir aber ,Tugend', sofern sie in der Ausrichtung auf ein Teilziel liegt, so kann etwas .Tugend' heißen ohne Gottesliebe, insofern es hingeorcLnet ist auf ein Teilgut. Q U A E S T I O 23,,

u t supra h a b i t u m est. B o n u m a u t e m principaliter est finis [cf. 1 E t h . 5]; n a m ea q u a e s u n t a d finem non d i c u n t u r b o n a nisi » 11197 a 18 in ordine a d finem. Sicut ergo duplex est finis, u n u s u l t i m u s et alius p r o x i m u s [cf. 2 P h y s . 2], i t a e t i a m est duplex b o n u m : * 104a n-j u n u m q u i d e m u l t i m u m , 2 e t aliud p r o x i m u m e t particulare. Ult i m u m q u i d e m e t principale b o n u m hominis est Dei fruitio, secundum illud P s a k n i : „Mihi adhaerere Deo b o n u m e s t " ; et ad hoc o r d i n a t u r h o m o per c a r i t a t e m . B o n u m a u t e m s e c u n d a r i u m et quasi particulare hominis p o t e s t esse d u p l e x : u n u m quidein quod est vere b o n u m , u t p o t e ordinabile, q u a n t u m est in se, a d principale b o n u m , quod est u l t i m u s finis; aliud a u t e m est b o n u m apparens e t n o n v e r u m , quia a b d u c i t a finali bono. Sic igitur p a t e t quod v i r t u s v e r a simpliciter est illa q u a e ordinat a d principale b o n u m hominis; sicut e t i a m Philosophus, in 7 P h y s i c o r u m [c. 3], dicit quod v i r t u s est „dispositio perfecti 2 « t> -¿A ad Optimum". E t sie nulla vera v i r t u s potest esse sine c a r i t a t e . — Sed si aeeipiatur v i r t u s s e c u n d u m quod est in ordine a d aliquem finem particularem, sie p o t e s t aliqua v i r t u s dici sine caritate, i n q u a n t u m o r d i n a t u r a d aliquod p a r t i c u l a r e b o n u m . 1 2

Über diese wesentlich verschiedene Qualität von ,gut' vgl. Komm. S. 427. P addit: et universale.

27

23, 7

Wenn aber jenes Teilgut kein wahres, sondern nur ein Scheingut ist, ist auch die Tugend, die in der Ausrichtung auf dieses Gut liegt, nicht echte Tugend, sondern nur ein Falschbild von Tugend. Wie „die Klugheit der Geizhälse, die da die verschiedensten Wege zum Profitmachen ausklügeln, keine echte Tugend ist; noch die Gerechtigkeit der Geizhälse, kraft deren sie aus Furcht vor schwerem Schaden das fremde Gut verachten; noch die Maßhaltung der Geizhälse, mit der sie die Gier nach Lust, weil sie viel Geld schluckt, eindämmen; noch die Tapferkeit der Geizhälse, mit der sie, wie Horaz sagt: ,durch Meer, Gebirge und Feuer die Armut fliehen'" (Augustinus). — Wenn aber jenes Teilgut ein wahres Gut ist, wie z. B. die Erhaltung des Staatswesens oder dergleichen, so ist es echte, aber unvollkommene Tugend, es sei denn, sie würde ausgerichtet auf das endgültige und vollkommene Gut. D e m n a c h k a n n es e i n e s c h l e c h t h i n e c h t e T u g e n d n i c h t geben ohne Gottesliebe. Zu 1. Die Tat eines Menschen, der die Gottesliebe nicht hat, kann eine doppelte sein. Eine, sofern er die Liebe nicht h a t ; wenn er nämlich etwas t u t in Hinordnung auf das, wodurch er gerade die Liebe verloren hat. Und eine solche Tat ist immer schlecht; wie Augustinus sagt, daß die Tat eines Ungläubigen, sofern er Ungläubiger ist, imQ U A E S T I O 23, ,

Sed si illud particulare bonum non sit verum bonum, sed apparens, virtus etiam quae est in ordine ad hoc bonum non erit vera virtus, sed falsa similitudo virtutis; sicut „non est vera virtus avarorum prudentia, qua excogitant diversa genera lucellorum; et avarorum justitia, qua gravium damnorum metu contemnunt aliena; et avarorum temperantia, qua luxuriae, quoniam sumptuosa est, cohibent appetitum; et avarorum fortitudo, qua, ut ait Horatius, 1 ,per mare pauperiem fugiunt, per saxa, per ignes'", ut Augustinus dicit in 4 libro contra JuliPL anum [c. 3]. — Si vero illud bonum particulare sit verum bonum, 44/748 A p u t a conservatio civitatis vel aliquid hujusmodi, erit quidem vera virtus, sed imperfecta, nisi referatur ad finale et perfectum bonum. Et secundum hoc simpliciter vera virtus sine caritate esse non potest. A D PRIMUM ergo dicendum quod actus alicujus caritate carentis potest esse duplex. Unus quidem secundum hoc quod caritate caret, utpote cum facit aliquid in ordine ad illud per quod caret caritate. Et talis actus Semper est malus; sicut Äu44/750*11 gustinus dicit, in 4 contra Julianum [c. 3], quod actus infidelis, 1

28

Horatius, Epistolae, lib. I ep. 1, 46.

mer schlecht ist; auch wenn er einen Nackten bekleidet 23,7 oder sonst etwas Derartiges tut und diese Tat hinordnet auf das Ziel seines Unglaubens. — Es kann aber auch eine andere Tat dessen geben, der die Liebe nicht hat, nicht insofern er der Liebe ermangelt, sondern sofern er irgendeine andere Gabe Gottes besitzt, sei es den Glauben oder die Hoffnung, oder auch ein natürliches Gut, das nicht gänzlich durch die Sünde aufgehoben wird (10, 4: Bd. 15). Demnach kann es ohne Gottesliebe irgendwelchen seinem Wesen nach guten Akt geben; nicht a b e r den v o l l e n d e t g u t e n A k t , weil die gehörige Ausrichtung auf das letzte Ziel fehlt. Zu 2. Das Ziel nimmt im Tubaren denselben Rang ein wie der Erkenntnisgrund im Schaubaren [28]. Wie es daher kein echtes Wissen geben kann, wenn die rechte Auffassung über den ersten und unbeweisbaren Erkenntnisgrund fehlt, so kann es auch keine schlechthin echte Gerechtigkeit oder echte Keuschheit geben, wenn die gehörige Ausrichtung auf das Ziel, die durch die Gottesliebe erfolgt, fehlt, sosehr auch einer die rechte Haltung haben mag zu den anderen Dingen. Zu 3. Wissenschaft und Kunst besagen ihrem Begriff nach Hinordnung auf irgendein Teilgut, nicht aber, wie die sittlichen Tugenden, die den Menschen schlechthin gut QUAESTIO 23,, inquantum est infidelis, Semper est peccatum; etiam si nudum operiat vel quidquid aliud hujusmodi faciat, odinans ad finem suae infidelitatis. — Alius autem potest esse actus carentis caritate non secundum illud quod caritate caret, sed secundum quod habet aliquod aliud donum Dei, vel fidem vel spem, vel etiam naturae bonum, quod non totum per peccatum tollitur, ut supra dictum est. E t secundum hoc sine caritate potest quidem esse aliquis actus bonus ex suo genere; non tarnen perfecte bonus, quia deest debita ordinatio ad ultimum finem. AD SECUNDUM dicendum quod, cum finis se habeat in agibílibus sicut principium in speculativis, sicut non potest esse simpliciter vera scientia si desit recta aestimatio de primo et indemonstrabili principio [cf. 1 Anal. post. 2]; ita non potest esse * 72 a 7 simpliciter vera justitia aut vera castitas si desit ordinatio debita ad finem, quae est per caritatem, quantumcumque aliquis se recte circa alia habeat. AD T E R T I U M dicendum quod scientia et ars de sui ratione important ordinem ad aliquod particulare bonum, non autem ultimum finem humanae vitae, sicut virtutes morales, quae

29

23,8 machen ( I - I I 5 6 , 3: Bd. 11), auf das letzte Ziel des menschlichen Lebens [29]. Daher ist es nicht derselbe Sachverhalt. 8. A R T I K E L Ist die Liebe das innere Oesetz (Form) der Tugenden? 1. Das innere Gesetz einer Sache ist entweder urbildh a f t oder wesenhaft. Die Gottesliebe aber ist nicht das urbildhafte innere Gesetz der anderen Tugenden; denn dann müßten die anderen Tugenden mit ihr derselben Art sein. Ebenso ist sie nicht das wesenhaffce innere Gesetz der anderen Tugenden, denn dann würde sie sich nicht von ihnen unterscheiden. Also ist sie in keiner Weise das innere Gesetz der Tugenden [30]. 2. Die Gottesliebe ist, verglichen mit den anderen Tugenden, ihre Wurzel und ihr Unterbau; nach E p h 3, 17: „ . . .in der Liebe verwurzelt und fest gegründet." Die Wurzel aber und der Unterbau haben nicht die Bewandtnis eines inneren Gesetzes, sondern mehr die des stofflichen Untergrundes, weil sie das Erste sind im Wege des Entstehens. Also ist die Gottesliebe nicht inneres Gesetz der Tugenden. 3. Inneres Gesetz, Ziel und Wirkursache sind der Zahl (JUAESTIO 23,, simpliciter faciunt hominem bonum, ut supra dictum est. E t ideo non est similis ratio. ARTICULUS

VIII

U t r u m Caritas s i t f o r m a v i r t u t u m [Supra 4,3 ad 3; infra 24,12 ad 5; I-II 62,4; 2 d 26: 4,5; 3 d 23: 3,1 qa 1; 27: 2,4 qa 3; Car 3; Mal 8,2; Ver 14,5]

A D OCTAVUM sie proceditur. Videtur quod Caritas non sit forma virtutum. Forma enim alieujus rei vel est exemplaris »1013 a 26 [cf. 5 Metaph. 2], vel est essentialis [ib., c. 4]. Sed Caritas non * 1015 a 10 est forma exemplaris virtutum aliarum, quia sie oporteret quod aliae virtutes essent ejusdem speciei cum ipsa. Similiter etiam non est forma essentialis aliarum virtutum, quia non distingueretur ab aliis. Ergo nullo modo est forma virtutum. 2. P R A E T E R E A , Caritas comparatur ad alias virtutes ut radix et fundamentum; secundum illud Eph. 3: „In caritate radicati et fundati." Radix autem vel fundamentum non habet rationem formae, sed magis rationem materiae; quia est prima pars in generatione. Ergo Caritas non est forma virtutum. 3. P R A E T E R E A , forma et finis et efficiens non incidunt in

30

nach nicht dasselbe (Aristoteles). Die Gottesliebe aber heißt 23, s Ziel und Mutter der Tugenden [vgl. 1 Tim 1, 5; I - I I 62, 4: Bd. 11]. Also darf sie nicht als inneres Gesetz der Tugenden bezeichnet werden [31]. ANDERSEITS sagt Ambrosius, die Gottesliebe sei das innere Gesetz der Tugenden. ANTWORT: Im Bereich des Sittlichen wird das innere Gesetz des Aktes hauptsächlich vom Ziel her bestimmt. Der Grund liegt darin, daß Ursprungsgrund der sittlichen Handlungen der W i l l e ist, dessen Gegenstand und gewissermaßen inneres Gesetz das Ziel ist. Immer aber folgt das innere Gesetz der Handlung dem Gestaltgesetz des Handelnden. Daher muß das, was im sittlichen Bereich der Handlung die Ausrichtung auf das Ziel gibt, ihr auch das innere Gesetz geben. Nach dem (Art. 7) Gesagten aber ist es klar, daß die Akte aller anderen Tugenden durch die Gottesliebe ausgerichtet werden auf das letzte Ziel. Demnach ist sie es, die den Akten aller anderen Tugenden das innere Gesetz gibt. Und insoweit heißt sie inneres Gesetz [Form] der Tugenden; denn die Tugenden selbst heißen nur so in bezug auf solche von einem inneren Gesetz durchwaltete Akte. Zu 1. Die Gottesliebe heißt inneres Gesetz der anderen Tugenden zwar nicht urbildhaft oder wesenhaft, sondern QUAESTIO 23.,

idem numero, ut patet in 2 Physicorum [c. 7]. Sed Caritas dicitur 108 a 24 finis et mater virtutum. Ergo non debet dici forma virtutum. S E D CONTRA est quod Ambrosius 1 dicit caritatem esse formam virtutum. R E S P O N D E O dicendum quod in moralibus forma actus attenditur principaliter ex parte finis; cujus ratio est quia prinoipium moralium actuum est voluntas, cujus objectum et quasi forma est finis [cf. 1 Eth. 5]. Semper autem forma actus con- • 1097 a 18 sequitur formam agentis. Unde oportet quod in moralibus illud quod dat actui ordinem ad finem, det ei etiam formam. Manifestum est autem secundum praedicta quod per caritatem ordinantur actus omnium aliarum virtutum ad ultimum finem. Et secundum hoc ipsa dat formam actibus omnium aliarum virtutum. E t pro tanto dicitur esse forma virtutum; nam et ipsae virtutes dicuntur in ordine ad actus formatos. A D PRIMUM ergo dicendum quod Caritas dicitur esse forma aliarum virtutum non quidem exemplariter aut essentialiter, ' Cf. Ambrosiaster, In 1 Cor. 8, 2 (PL 17/226C); Petrus Lomb., Seilt. 3,23 (QR II/

655).

31

23, 8 vielmehr als wirkende Ursache; insofern sie allen in der angegebenen Weise (Antw.) das innere Gesetz [des Handelns] vorschreibt. Zu 2. Die Gottesliebe wird mit dem Unterbau und der Wurzel verglichen, sofern aus ihr alle anderen Tugenden unterhalten und genährt werden; und nicht, sofern Unterbau und Wurzel die Bewandtnis der Stoffursache haben. Zu 3. Die Gottesliebe heißt Ziel der anderen Tugenden, weil sie alle anderen Tugenden auf ihr [der Gottesliebe] eigenes Ziel ausrichtet. Weil nun die Mutter es ist, die in sich von einem anderen empfängt, wird sie [die Gottesliebe] insofern ,Mutter' der anderen Tugenden genannt, als sie aus dem Verlangen nach dem letzten Ziel die Akte der anderen Tugenden .empfängt', insofern sie diese befiehlt [32], Q U A E S T I O 23, ,

sed magis effective; inquantum scilicet ómnibus formam imponit secundum modum praedictum. AD SECUNDUM dicendum quod caritas comparatur fundamento et radici inquantum ex ea sustentantur et nutriuntur omnes aliae virtutes; et non secundum rationem qua fundamentum et radix habent rationem causae materialis. AD T E R T I U M dicendum quod caritas dicitur finis aliarum virtutum quia omnes alias virtutes ordinat ad finem suum. E t quia mater est quae in se concipit ex alio, ex hac ratione dicitur mater aliarum virtutum, quia ex appetitu finis ultimi concipit actus aliarum virtutum, imperando ipsos.

32

24.

FRAGE

DER TRÄGER DER

24

GOTTESLIEBE

Darauf müssen wir die Gottesliebe b e t r a c h t e n in Beziehung zu ihrem Träger. Dazu ergeben sich zwölf Einzelfragen: 1. I s t die Gottesliebe im Willen als in ihrem Träger? 2. W i r d die Gottesliebe aus vorhergehenden A k t e n oder aus göttlicher Eingießung im Menschen verursacht? 3. W i r d sie [dem Menschen] eingegossen n a c h dem Fassungsvermögen seiner natürlichen Anlagen? 4. W i r d sie in dem, der sie bereits h a t , gemehrt? 5. W i r d sie d u r c h H i n z u f ü g u n g gemehrt? 6. W i r d sie mit jedem A k t gemehrt? 7. W i r d sie ins Unbegrenzte gemehrt? 8. K a n n die Liebe der Pilgerschaft vollkommen sein? 9. Von den verschiedenen Stufen der Liebe. 10. K a n n die Liebe schwächer werden? 11. K a n n die einmal erfahrene Liebe wieder verlorengehen ? 12. K a n n sie verlorengehen mit einer einzigen Todsünde?

QUAESTIO

XXIV

DB CARITATIS SUB.JECTO Deinde considerandum est de earitate in comparatione ad subjectum. Et circa hoc quaeruntur duodecimi 1. Utrum caritas sit in voluntate tanquam in subjecto. — 2. Utrum caritas causetur in homine ex actibus praecedentibus, vel ex infusione divina. — 3. Utrum infundatur secundum capacitatem naturalium. — 4. Utrum augeatur in habente ipsam. — 5. Utrum augeatur per additionem. — 6. Utrum quolibet actu augeatur. — 7. Utrum augeatur in infinitum. — 8. Utrum caritas viae possit esse perfecta. — 9. De diversis gradibus caritatis. — 10. Utrum caritas possit diminuì. — 11. Utrum caritas semel habita possit amitti. — 12. Utrum amittatur per unum actum peccati mortalis. 3

17A

33

1. A R T I K E L Ist der Wille Träger der Gottesliebe? 1. Die Gottesminne ist eine Art Liebe. Die Liebe aber hat nach dem Philosophen ihren Sitz im Begehrungsvermögen [33]. Also hat auch die Gottesminne ihren Sitz im Begehrungsvermögen und nicht im Willen. 2. Die Gottesminne ist die wichtigste aller Tugenden (23, 6). Träger der Tugend aber ist die Vernunft. 1 Also scheint die Gottesminne ihren Sitz in der Vernunft zu haben und nicht im Willen. 3. Die Gottesliebe erstreckt sich auf alle menschlichen Handlungen; nach 1 Kor 16, 14: „Alles geschehe bei euch in Liebe." Der Ursprungsgrund der menschlichen Handlungen aber ist das freie Wahlvermögen. Also scheint es, daß die Gottesminne zumeist im freien Wahl vermögen ihren Sitz hat und nicht im Willen. ANDERSEITS ist Gegenstand der Gottesliebe das Gute, das zugleich Gegenstand des Willens ist. Also hat die Gottesliebe ihren Sitz im Willen [34]. ANTWORT: Es gibt ein doppeltes Strebevermögen, ein sinnenhaftes und ein geistiges, das wir Willen nennen QUAESTIO 24,, ARTICULUS I Utrum voluntas sit subjeetum c a r i t a t i s flnfrii 27,2; 45.2; l-l 1 56.6; 3 d 27: 2,3: Vir». 5] AD PRÍMUM sic proeeditur. Videtur quod voluntas non sit subjeetum caritatis. Caritas enim amor quidam est. Sed amor, 113 b 2 secundum Philosophum [2 Top. 7J, est in concupiscibili. Ergo et caritas est in concupiscibili, et non in volúntate. 2. PRAETEREA, caritas est principalissima virtutiun, ut * ] 106 h36 supra dictum est. Sed subjeetum virtutis est ratio [cf. 2 Eth. 6J. Ergo videtur quod caritas sit in ratione, et non in volúntate. 3. PRAETEREA, caritas se extendit ad omnes actus humanos ; secundum illud 1 ad Cor. ult.: „Omnia vestra in caritate fiant." Sed prineipium humanorum actuum est liberum arbitrium. Ergo videtur quod caritas máxime sit in libero arbitrio sicut in subjeeto, et non in volúntate. SED CONTRA est quod objectum caritatis est bonum, quod * 10!>4 a i etiam est objectum voluntatis [cf. 1 Eth. 1J. Ergo caritas est in volúntate sicut in subjeeto. RESPONDEO dieendum quod, cum duplex sit appetitus. scilicet sensitivus et intellectivus, qui dicitur voluntas, ut in 1

34

Vgl. Anm. [13].

(1 80, 2: Bd. (i); und beider Gegenstand ist das Gute, je- 24, i doch auf verschiedene Weise. Denn der Gegenstand des sinnenhaften Strebevermögens ist das mit den Sinnen erfahrene Gut ; der Gegenstand des geistigen Strebevermögens, d. h. des Willens, ist das Gute unter der allgemeinen Bewandtnis des Guten, soweit diese von der geistigen Verstehensmacht erfaßt werden kann. Gegenstand der heiligen Liebe aber ist nicht ein sinnenhaftes Gut, sondern das göttliche Gut, das nur von der geistigen Verstehensmacht erk a n n t wird. Deshalb hat die Gottesliebe ihren Sitz nicht im sinnenhaften, sondern im verstandhaften Strebevermögen d. h. im Willen. Z u 1. Das Begehrungsvermögen ist Teil des sinnenhaften, nicht aber des verstandhaften Strebevermögens ( 1 8 1 , 2 ; 82, 5: Bd. 6). Deshalb ist die Liebe, die ihren Sitz im Begehrungsvermögen hat, die Liebe zum sinnenhaften Gut. Zum göttlichen Gut aber, das [nur] mit der geistigen Verstehensmacht erfaßt wird, kann nicht das Begehrungsvermögen hinlangen, sondern nur der Wille. Also kann die Gottesliebe ihren Sitz nicht im Begehrungsvermögen haben. Z u 2. Auch der Wille ist nach dem Philosophen in der Vernunft. Deshalb ist die Gottesliebe, dadurch, daß sie ihren Sitz im Willen hat, d e r V e r n u n f t n i c h t f r e m d [35]. Doch ist die Vernunft nicht Richtbild der Gottesliebe, wie sie Richtbild der menschlichen Tugenden ist; vielmehr QUAESTIO 24, , l'rimo habitum est ; utriusque objectum est bonum, sed diversimode. N a m objectum appetitus sensitivi est bonum per sensum apprehensum ; objectum vero appetitus intellectivi, vel voluntatis, est bonum sub communi ratione boni, prout est apprehensibile ab intellectu. Caritas a u t e m objectum non est aliquod bonum sensibile, sed bonum divinum, quod solo intellectu cognoscitur. E t ideo caritatis subjectum non est appetitus sensitivas, sed appetitus intellectivus, idest voluntas. A D P R I M U M ergo dicendum quod concupiscibilis est pars appetitus sensitivi, non a u t e m appetitus intellectivi, ut in Primo ostensum est. U n d e amor qui est in concupiscibili est amor sensitivi boni. A d bonum autem divinum, quod est intelligibile, (ioncupiscibilis se extendere non potest, sed sola voluntas. E t ideo concupiscibilis subjectum caritatis esse non potest. A D S E C U N D U M dicendum quod voluntas etiam, secundum Philosophum, in 3 de Anima [c. 9], in ratione est. E t ideo per hoc 432 b 5 quod caritas est. in volúntate non est aliena a ratione. Tamen ratio non est regula caritatis, sicut humanarum virtutum; sed

3*

35

24, 2 e m p f ä n g t sie [die Liebe] ihr Richtbild von der Weisheit Gottes u n d übersteigt das R i c h t b i l d der menschlichen V e r n u n f t ; n a c h E p h 3, 19: „ . . .die Liebe Christi, die alles E r k e n n e n übersteigt." Deshalb h a t sie weder wie die Klugheit ihren Sitz in der V e r n u n f t , noch e m p f ä n g t sie von der V e r n u n f t ihr Richtbild wie die Gerechtigkeit oder die M a ß h a l t u n g ; sondern lediglich d u r c h eine gewisse N ä h e des Willens zur V e r n u n f t [ist sie ,in' dieser]. Z u 3. D a s freie W a h l Vermögen ist kein vom Willen verschiedenes Vermögen ( 1 8 3 , 4 : Bd. 6). U n d doch h a t die Gottesliebe ihren Sitz n i c h t im Willen auf G r u n d des freien Wahlvermögens, dessen A k t es ist, zu wählen; d e n n „die W a h l geht auf die Mittel zum Ziel, der Wille a b e r geht auf das Ziel selbst" (Aristoteles). Deshalb m u ß m a n sagen, d a ß die Gottesliebe, deren Gegenstand das letzte Ziel ist, ihren Sitz eher im Willen h a t als im freien W a h l vermögen. 2. A R T I K E L Wird die Gottesliebe durch Eingießung

in uns verursacht ?

1. W a s allen Geschöpfen gemeinsam ist, w o h n t , dem Menschen von N a t u r inne. „Allen Wesen aber ist t e u e r QUAESTIO 24, .

regulatur a Dei sapientia, et excedit regulam rationis humanae, secundum illud Eph. 3: „Supereminentem scientiae caritatem Christi." Unde non est in ratione neque sicut in subjecto, sicut prudentia; neque sicut in regulante, sicut justitia vel temperantia; sed solum per quamdam affinitatem voluntatis ad rationem. AD TERTIUM dicendum quod liberum arbitrium non est alia potentia a voluntate, ut in Primo dictum est. Et tarnen Caritas non est in voluntate secundum rationem liberi arbitrii, cujus actus est eligere: „electio" enim „est eorum quae sunt ad finem, voluntas autem est ipsius finis", ut dicitur in 3 Ethicorum i m b 26 [c. 4]. Unde Caritas, cujus objectum est finis ultimus. magis debet dici esse in voluntate quam in libero arbitrio. ARTICULUS II U t r u m Caritas c a u s e t u r in n o b i s e x i n f u s i o n e [Infra a. 3.10.11; CG III 151; IV 21; Dec leg: Prol]

AD SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod Caritas non causetur in nobis ex infusione. Illud enim quod est commune * 26lb 25 omnibus creaturis, naturaliter hominibus inest [cf. 8 Phys. 7]. PG Sed sicut Dionysius dicit, 4 cap. de Divinis Nominibus, „omnibus 3/708 A Sol 1/199

36

und liebenswert das göttliche Gut" (Dionysius), welches 24,2 Gegenstand der Gottesliebe ist. Also ist die Gottesliebe in uns naturhaft und nicht durch Eingießung. 2. Je liebenswerter etwas ist, um so leichter kann es geliebt werden. Gott aber ist im höchsten Grade liebenswert, weil Er im höchsten Grade gut ist. Also ist es leichter, Ihn zu lieben als etwas anderes. Um aber die anderen Wesen zu lieben, bedarf es keines eingegossenen Gehabens. Also auch nicht, um Gott zu lieben. 3. Der Apostel sagt 1 Tim 1, 5: „Das Ziel des Gebotes ist Gottesliebe aus gutem Herzen, aus reinem Gewissen und ungeheucheltem Glauben." Diese drei aber gehören zu den menschlichen Akten. Also wird die Gottesliebe in uns verursacht aus vorhergehenden Akten und nicht durch Eingießung. A N D E R S E I T S sagt der Apostel Rom 5, 5: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsern Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist." A N T W O R T : Die Gottesliebe ist eine Art Freundschaft des Menschen mit Gott, gründend in der Mitteilung der ewigen Seligkeit. Diese Mitteilung aber erfolgt nicht nach Maßgabe der naturhaften Güter, sondern nach Maßgabe der ungeschuldeten Gaben; denn „das Gnadengeschenk QU AESTIO 24, s diligibile et amabile est bonum divinum", quod est objectiun caritatis. Ergo Caritas inest nobis naturaliter, et non ex infusione. 2. P R A E T E R E A , quanto aliquid est magis diligibile, tanto faciliiis diligi potest. Sed Deus est maxime diligibilis, cum sit summe bonus. Ergo facilius est ipsum diligere quam alia. Sed ad alia diligenda non indigemus aliquo habitu infuso. Ergo nec etiam ad diligendum Deum. 3. P R A E T E R E A , Apostolus dicit, 1 ad Tim. 1: „Finis praecepti est Caritas de corde puro et conscientia bona et fide non ficta." Sed haec tria pertinent ad actus humanos. Ergo Caritas causatur in nobis ex actibus praecedentibus, et non ex infusione. SED CONTRA est quod Apostolus dicit, Rom. 5: „Caritas Dei diffusa est in cordibus nostris per Spiritum Sanctum, qui datus est nobis." RESPONDEO dicendum quod, sicut dictum est, Caritas est amicitia quaedam hominis ad Deum fundata super communicationem beatitudinis aeternae. Haec autem communicatio non est secundum bona naturalia, sed secundum dona gratuita; quia, 37

24,2 Gottes ist ewiges Leben" (Rom 6, 23). Deshalb übersteigt auch die Gottesliebe selbst alles Vermögen der Natur. Was aber das Vermögen der N a t u r übersteigt, kann weder auf n a t u r h a f t e Weise noch durch n a t u r h a f t e Fähigkeiten erworben sein; denn die natürliche Wirkung geht nicht über ihre Ursache hinaus. Deshalb kann die Gottesliebe weder von N a t u r in uns sein, noch ist sie durch natürliche K r ä f t e erworben, sondern durch die Eingießung des Heiligen Geistes, der die Liebe von Vater und Sohn und dessen Teilnahme in uns die geschaffene Gottesliebe selbst ist (23, 2 Zu 1). Z u 1. Dionysius spricht von jener Gottesliebe, die auf der Mitteilung der natürlichen Güter beruht und deshalb n a t u r h a f t allen innewohnt. Die heilige Liebe aber beruht auf einer übernatürlichen Mitteilung. Daher ist es nicht der gleiche Sachverhalt. Z u 2. Wie Gott im höchsten Grade erkennbar ist in Sich Selbst, nicht aber f ü r uns, wegen des Versagens unserer Erkenntnis, die von den sinnenhaften Dingen abhängig ist; so ist auch Gott in Sich Selbst im höchsten Grade liebenswert, sofern E r Gegenstand der Seligkeit ist; in dieser Weise aber ist E r uns nicht im höchsten Grade liebenswert wegen der Hinneigung unseres Verlangens zu Q 1' A EST.1 O 24.. u t d i c i t u r R o m . 6, „gratia Dei vita aeterna". Unde et ipsa Caritas facultatem naturae excedit. Quod autem excedit naturae facultatem non potest esse neque naturale neque per potentias naturales acquisitum; quia effectus naturalis non transcendit * 08 b 17 suam causam [cf. 2 Anal. post. 16]. Unde Caritas non potest neque naturaliter nobis inesse, neque per vires naturales est acquisita, sed per infusionem Spiritus Sancti, qui est amor Patris et Filii, cujus participatio in nobis est ipsa Caritas c r e a t a , sicut supra dictum est. A D P R I M U M ergo dicendum quod Dionysius loquitur de dilectione Dei quae fundatur super communicatione naturalium bonorum, et ideo naturaliter omnibus inest. Sed Caritas fundatur super quadam communicatione supernaturali. Unde n o n est similis ratio. A D S E C U N D U M dicendum quod sicut Deus secundum se * 18+a 18 maxime est cognoscibilis, non tarnen nobis [cf. 1 Phys. 1], propter defectum nostrae cognitionis, quae dependet a rebus sensibilibus; ita etiam Deus in se est m a x i m e diligibilis inquantum est objectum beatitudinis, sed hoc modo non est maxime diligibilis a nobis, propter inclinationem affectus nostri ad visibilia

den sichtbaren Gütern. Damit wir daher Gott in dieser 24, 3 höchsten Weise lieben, ist es nötig, daß die Gottesliebe unseren Herzen eingegossen wird [vgl. Car 10 Zu 2 Anderseits]. Zu 3. Wenn es heißt, daß die Liebe in uns hervorgehe „aus einem guten Herzen, aus einem reinen Gewassen und aus ungeheucheltem Glauben", so ist das zu verstehen von dem Akt der Gottesliebe, der durch die genannten Akte angeregt wird. Oder es ist deshalb gesagt, weil diese Akte den Menschen auf die Eingießung der Gottesliebe vorbereiten. — Dasselbe gilt von dem, was Augustinus sagt, daß „die Furcht zur Gottesliebe führt", und von dem, was die Glosse sagt zu Mt 1, 2, daß „der Glaube die Hoffnung und die Hoffnung die Gottesliebe zeuge". 3. A R T I K E L Wird

die Liebe mich Maßgabe der naturhaften gegossen ?

Gaben

ein-

1. Mt 25, 15 heißt es: „Er gab einem jeden nach seiner Tüchtigkeit" [36]. Der Gottesliebe aber geht im Menschen keine andere Tüchtigkeit voraus als höchstens eine natürQl'AliSTIO 24,, bona. Unde oportet quod ad Deum hoc modo maxime diligendum nostris cordibus Caritas infundatitr. A D TERTIUM dicendum quod cum Caritas dieitur in nobis procedere „ex corde puro et conscientia bona et fide non ficta", hoc referendum est ad actum caritatis, qui ex praemissis excitatur. Vel etiam hoc dieitur quia hujusmodi actus disponunt hominem ad reeipiendum caritatis infusionem. — Et similiter etiam dicendum est de eo quod Augustinus dicit [In 1 Joan., tr. 9 super 4, 18J, quod „timor introducit caritatem"; et de hoc IM, quod dieitur in Glossa |interl.| Matth. 1 quod „fides generat 35/2048 A spem, et spes 1 caritatem". A R T I C U L U K 111 Utrum Caritas i n f u n d a t u r secundum quantitatem naturalium [I (¡2,6: l-II 112,4: 111 6H,8 ad 3: 1 d 17: 1,3; 2 (1 3 liart 1: Exp Text; 3 d 31: 1,4 (|a 1; Our 7 ad fl: Mt 25: Rom 8 Inet, 5; Ejili 4 lect 3] AD TERTIUM sie proceditur. Videtur quod Caritas infundatur secundum quantitatem naturalium. Dieitur enim Matth. 25 quod „dedit unicuiqite secundum propriam virtutem". Sed 1

P: om.

39

24,3 liehe. Denn ohne Gottesliebe gibt es keine [übernatürliche] Tugend (23, 7). Also wird die Gottesliebe dem Menschen von Gott eingegossen nach dem Fassungsvermögen seiner natürlichen Tüchtigkeit. 2. Bei all den Dingen, die unter sich geordnet sind, steht das zweite in einem entsprechenden Verhältnis zum ersten. So sehen wir, daß bei den stofflichen Dingen die Wesensform dem Stoff [37] und in den freigeschenkten Gaben die Herrlichkeit der Gnade entspricht. Da nun die Gottesliebe die Vollendung der Natur bedeutet, steht sie zum natürlichen Fassungsvermögen im Verhältnis des zweiten zum ersten. Also scheint es, daß die Gottesliebe eingegossen wird entsprechend dem Fassungsvermögen der naturhaften Anlagen. 3. Menschen und Engel haben auf Grund derselben Bewandtnis an der Gottesliebe teil; denn in beiden besteht dieselbe Seligkeit, wie es Mt22, 30 und Lk20,36 heißt. Den Engeln aber sind Gottesliebe und die anderen freigeschenkten Gaben nach dem Fassungsvermögen ihrer Natur gegeben (Petrus Lombardus). Also scheint es bei den Menschen genau so zu sein. ANDERSEITS heißt es Jo3, 8: „Der Geist weht, wo Er will"; und 1 Kor 12,11: „Alles das wirkt in uns ein und derselbe Geist, der einem jeden zuteilt, wie es Ihm beliebt." Q Ü A E S T I O 24,3 earitatem nulla virtus praecedit in homine nisi naturalis; quia sine caritate nulla est virtus, ut dictum est. Ergo secundum capacitatem virtutis naturalis infunditur homini Caritas a Deo. 2. P R A E T E R E A , omnium ordinatorum ad invicem secundum proportionatur primo; sicut videmus quod in rebus * l »4 b 8 materialibus forma proportionatur materiae [cf. 2 Phys. 2], et in donis gratuitis gloria proportionatur gratiae. Sed Caritas, cum sit perfeetio naturae, comparatur ad capacitatem naturalem sicut secundum ad primum. Ergo videtur quod Caritas infundatur secundum naturalium capacitatem. 3. P R A E T E R E A , homines et angeli secundum eamdem rationem earitatem participant; quia in utrisque est similis beatitudinis ratio, ut dicitur Matth. 22 et Luc. 20. Sed in angelis Caritas et alia dona gratuita sunt data secundum capacitatem OR 1/318 naturalium; ut Magister dicit, 3 dist. 2 lib. Sententiarum. Ergo idem etiam videtur esse in hominibus. S E D C O N T R A est quod dicitur Joan. 3: „Spiritus ubi vult spirat"; et 1 ad Cor. 12: „Haee omnia operatur unus et idem Spiritus, dividens singulis prout vult." Caritas ergo datur non

40

Also wird die Gottesliebe nicht nach Maßgabe der natur- 24,3 haften Aufnahmefähigkeit geschenkt, sondern nach dem Willen des Heiligen Geistes, der Seine Gaben austeilt. ANTWORT: Die Größe eines jeden Dinges hängt ab von der dem Ding eigenen Ursache; denn die umfassendere Ursache hat auch eine größere Wirkung. Da nun die Gottesliebe alle Verhältnisse der menschlichen Natur übersteigt (Art. 2), ist sie [in ihrer Stärke] nicht abhängig von irgendwelcher natürlichen Tüchtigkeit, sondern allein von der Gnade des Heiligen Geistes, der sie uns eingießt. Deshalb ist die Größe der Liebe nicht abhängig von der Seinsverfassung der Natur oder von dem Fassungsvermögen der natürlichen Kraft, sondern allein von dem Willen des Heiligen Geistes, der Seine Gaben austeilt, wie Er will-. Deshalb sagt der Apostel Eph 4, 7: „Einem jeden von uns wird die Gnade verliehen nach dem Maße des Geschenkes Christi." Zu 1. Jene „Tüchtigkeit", der gemäß Gott Seine Gaben einem jeden austeilt, ist die vorhergehende Ausrichtung oder Vorbereitung oder die Anstrengung des Empfangenden. Aber auch dieser Ausrichtung oder dieser Anstrengung kommt der Heilige Geist zuvor, indem Er den Geistgrund des Menschen bewegt, und zwar mehr oder weniger, wie es Ihm gefällt. Deshalb sagt der Apostel Kol 1, 12: Q U A E S T I O 24, ,

secundum capacitatem naturalium. sed seeundum voluntatem Spiritus sua dona distribuentis. RESPONDEO dicendum quod uniuscujusque quantitas dependet a propria causa rei; quia universalior 1 causa effeetum majorem producit. Caritas autem, cum superexcedat proportionem naturae humanae, ut dictum est, non dependet ex aliqua naturali virtute, sed ex sola gratia Spiritus Sancti eam infundentis. E t ideo quantitas caritatis non dependet ex conditione naturae vel ex capacítate naturalis virtutis, sed solum ex volúntate Spiritus Sancti distribuentis sua dona prout vult. Unde et Apostolus dicit ad Eph. 4: „Unicuique nostrum data est gratia secundum mensuram donationis Christi." A D PRIMUM ergo dicendum quod illa „virtus" secundum quam sua dona Deus dat unicuique, est dispositio et praeparatio praeeedens, sive conatus gratiam aceipientis. Sed hanc etiam dispositionem vel conatum praevenit Spiritus Sanctus, movens mentem hominis vel plus vel minus secundum suam voluntatem. 1

4

P: virtuosior. 17A

41

24. 3 . . . . der uns würdig gemacht hat, teilzunehmen am Erbe der Heiligen im Lichte." Zu 2. Die Wesensform übersteigt nicht die Verhältnisse des Stoffes, sondern sie beide sind von derselben Art. Ebenso werden Gnade und Herrlichkeit auf dieselbe Art zurückgeführt; denn die Gnade ist nichts anderes als ein einleitender Beginn der Herrlichkeit in uns. Gottesliebe und Natur aber gehören nicht zu derselben Gattung. Also ist es nicht derselbe Sachverhalt. Zu 3. Der Engel hat eine verstandhafte Natur, und nach seiner Verfassung steht es ihm zu, daß er mit seiner ganzen Kraft auf alles sich richtet, worauf er sich richtet (I 62, 6: Bd. 4). Deshalb war in den höheren Engeln ein stärkerer Antrieb: zum Guten bei den treu gebliebenen, zum Schlechten bei den gefallenen. So sind unter den höheren Engeln diejenigen, die durchgehalten haben, besser, die gefallenen schlechter geworden als die anderen. Der Mensch aber ist vernünftiger Natur, der es zukommt, einmal im Zustande des Könnens und dann wieder im Zustande der Wirklichkeit zu sein [38]. Deshalb ist es nicht notwendig, daß er mit seiner ganzen K r a f t auf das sich richtet, worauf er sich richtet; sondern indem, der die besseren Naturanlagen hat, kann doch die Anstrengung geringer sein und umgekehrt. Daher ist es nicht dasselbe. Q U AESTIO 24, „

Unde et Apostolus dicit ad Col. 1: „Qui dignos nos fecit in partem sortis sanctorum in lumine." A D SECUNDUM dicendum quod forma non excedit proportionem materiae, sed sunt ejusdem generis. Similiter etiam gratia et gloria ad idem genus referuntur; quia gratia nihil est aliud quam quaedam inchoatio gloriae in nobis. Sed Caritas et natura non pertinent ad idem genus. Et ideo non est similis ratio. A D TERTIUM dicendum quod angelus est naturae intellectualis, et secundum suam conditionem competit ei ut totaliter feratur in omne illud in quod fertur, ut in Primo habitum est. Et ideo in superioribus angelis fuit major conatus et, ad bonura in perseverantibus et ad malum in cadentibus. Et ideo superiorum angelorum persistentes facti sunt meliores et cadentes facti sunt pejores aliis. Sed homo est rationalis naturae, cui competit esse quandoque in potentia et quandoque in actu. Et ideo non oportet quod feratur totaliter in id in quod fertur; sed ejus qui habet meliora naturalia potest esse minor conatus, et e converso. Et ideo non est simile.

42

24,4

4. A R T I K E L Kann

die Gottesliebe gemehrt

werden?

1. Nur die Größe wird gemehrt. Die Größe aber ist doppelt: die Größe der Ausdehnung und die Größe der Kraft. Die erste dieser beiden kommt der Gottesliebe nicht zu; da sie eine geistige Vollkommenheit ist. Die Größe der Kraft aber wird bestimmt nach den Gegenständen; in bezug auf diese jedoch gibt es kein Wachstum der Gottesliebe, denn die geringste Gottesliebe ist allem zugeneigt, was aus Liebe zu Gott zu lieben ist. Also wird die Liebe nicht gemehrt. 2. Das, was an seinem Zielpunkt angelangt ist, kann nicht gesteigert werden; die Gottesliebe aber ist am Zielpunkt angelangt, denn sie ist die größte unter den Tugenden und die höchste Liebe des besten Gutes. Also kann die Gottesliebe nicht gemehrt werden. 3. Mehrung bedeutet eine gewisse Bewegung. Was gemehrt wird, wird also bewegt. Was demnach im Wesen gemehrt wird, wird im Wesen bewegt. Es wird aber nichts im Wesen bewegt, außer was vergeht und entsteht [39]. Also kann die Gottesliebe im Wesen nicht anders bewegt werden, als daß sie etwa von neuem gezeugt oder zerstört wird. Das aber ist nicht gut denkbar. Q U A E S T I O 24, ,

A R T LCULUS I V U t r u m Caritas augeri p o s s i t [Infra a. 10; 26,7; 28,3; T-II 52,1; 66,1; 1 d 17: 2,1; Qlb 9 a. 13; Mal 7,2; Virt 11]

AD QUARTUM sic proceditur. Videtur quod Caritas augeri non possit. Jiihil enim augetur nisi quantum [cf. 5 Phys. 2]. Duplex autem est quantitas; scilicet dimensiva, et virtualis. Quarum prima caritati non convenit, cum sit quaedam spiritualis perfectio. Virtualis autem quantitas attenditur secundum objeeta, secundum quae Caritas non crescit; quia minima Caritas diligit omnia quae sunt ex caritate diligenda. Ergo Caritas non augetur. 2. PRAETEREA, illud quod est in termino non reeipit augmentum [cf. ib., 6, 10]. Sed Caritas est in termino, quasi maxima virtutum existens et summus amor optimi boni. Ergo Caritas augeri non potest. 3. PRAETEREA, augmentum quidam motus est [cf. ib., 2, 1]. Ergo quod augetur movetur. Quod ergo augetur essentialiter movetur essentialiter. Sed non movetur essentialiter nisi quod corrumpitur vel generatur [cf. ib., 8, 7]. Ergo Caritas augeri non potest essentialiter, nisi forte de novo generetur vel corrumpatur; quod est inconveniens. 4*

43

*22fia2i>

*24ia33

* 192 '> 13 *26i a 34

24,4

A N D E R S E I T S sagt Augustinus: „Die Gottesliebe verdient sieh die Mehrung, damit sie — gemehrt — verdiene, vollendet zu werden" [vgl. I - I I 113, 10: Bd. 14]. A N T W O R T : Die Gottesliebe der Pilgerschaft kann gemehrt werden. Wir werden nämlich deshalb Pilger genannt, weil wir zu Gott unterwegs sind, der das letzte Ziel unserer Seligkeit ist. Auf diesem Wege kommen wir nun um so schneller voran, je mehr wir uns Gott nähern. Ihm aber kommt man nicht näher mit den Schritten des Leibes, sondern mit dem Verlangen des Geistes [Augustinus]. Diese Annäherung nun bewirkt die Gottesliebe, weil gerade durch sie der Geist Gott geeint wird. Deshalb gehört es zum Wesen der Gottesliebe der Pilgerschaft, daß sie gemehrt werden k a n n ; denn könnte sie nicht gemehrt werden, so gäbe es kein Vorwärtskommen. Deshalb nennt der Apostel die Gottesliebe einen ,Weg', wenn er 1 Kor 12,31 sagt: „Ich zeige euch noch einen weit erhabeneren Weg." Z u 1. Die Gottesliebe kennt nicht die Größe der Ausdehnung, sondern nur die Größe der K r a f t . Diese aber wird nicht nur nach der Zahl der Gegenstände bestimmt, je nachdem die Zahl der geliebten Wesen größer oder kleiner ist; sondern auch nach der Glut des Aktes, je nachdem etwas mehr oder weniger geliebt wird. Und in dieser Weise wird die K r a f t der Gottesliebe gemehrt. QUAESTIO

2i,,

SED CONTRA est quod Augustinus dicit super Joannem l'L [tr. 74 ad 14, 16],1 quod „Caritas meretur augeri, ut aucta 35/1827 c mereatur et perfici". RESPONDEO dicendum quod Caritas viae potest augeri. Ex hoc enim dicimur esse viatores quod in Deum tendimus, qui est ultimus finis nostrae beatitudinis. In hac autem via tanto magis procedimus quanto Deo magis propinquamus, eui non appropinquatur passibus corporis, sed affectibus mentis. Hanc autem propinquitatem facit Caritas; quia per ipsam mens Deo unitur. Et ideo de ratione caritatis viae est ut possit augeri; si enim non posset augeri, jam cessaret viae processus. Et ideo Apostolus caritatem viam nominat, dicens 1 ad Cor. 12: „Adhuc exeellentiorem viam vobis demonstro." AD PRIMUM ergo dicendum quod caritati non convenit quantitas dimensiva, sed solum quantitas virtualis. Quae non solum attenditur secundum numerum objeetorum, ut scilicet plura vel pauciora diligantur; sed etiam secundum intensionem * 10 b 26 actus, ut magis vel minus aliquid diligatur [cf. Categor. 8]. Et hoc modo virtualis quantitas caritatis augetur. 1

44

Cf. Ep. (186) ad Pauliniim (PL 33/819 D).

Zu 2. Die Gottesliebe ist das Höchste auf Grund ihres 24,4 Gegenstandes, sofern ihr Gegenstand das höchste Gut ist; und daraus folgt, daß sie erhabener ist als die anderen Tugenden. Nicht aber ist jede Gottesliebe das Höchste in bezug auf die Glut des Aktes. Zu 3. Einige haben gesagt, die Gottesliebe werde nicht gemehrt in bezug auf ihr Wesen, sondern nur in bezug auf die Verwurzelung im Träger, d. h. nach ihrer Glut. Diese aber haben nicht verstanden, was sie redeten. Da sie nämlich Eigenschaft ist, ist ihr Sein ein Inne-Sein; wenn sie also in bezug auf ihr Wesen gemehrt wird, so bedeutet das nichts anderes als ein stärkeres Inne-Sein in ihrem Träger, und das eben heißt: im Träger stärker verwurzelt sein. Ebenso ist sie eine Tugend, die auf ihren Akt ausgerichtet ist; deshalb ist es ganz dasselbe zu sagen, sie werde gemehrt in bezug auf ihr Wesen, und zu sagen, sie habe die Kraft, einen Akt glutvollerer Liebe zu vollziehen. Sie wird also wesenhaft gemehrt, nicht zwar so, als ob sie im Träger zu sein anfinge oder aufhörte, wie der Einwand will; sondern so, daß sie anfängt, dem Träger stärker innezusein. QUAESTIO 24,, A D S E C U N D U M dicendum quod Caritas est in s u m m o ex p a r t e objecti, i n q u a n t u m scilicet ejus objectum est s u m m u m b o n u m ; et ex hoc sequitur quod ipsa sit excellentior aliis virtutibus. S e d non est omnis Caritas in s u m m o q u a n t u m a d intensionem actus. A D T E R T I U M dicendum quod q u i d a m 1 dixerunt caritatem non augeri secundum s u a m essentiam, sed solum secundum radicationem in subjecto, vel secundum fervorem. Sed hi propriam vocem ignoraverunt. Cum enim sit accidens, ejus esse est messe [cf. Categor. 2]; unde nihil est aliud i p s a m se- • 1 a 23 eundum essentiam augeri q u a m e a m m a g i s inesse subjecto, quod est e a m magis radicari in subjecto. Similiter etiam ipsa essentialiter est virtus ordinata a d a c t u m ; unde idem est ipsam augeri secundum essentiam et i p s a m habere efficaciam ad producendum ferventioris dilectionis a c t u m . Augetur ergo essentialiter non quidem ita quod esse incipiat vel esse desinat in subjecto, sicut objectio procedit; sed ita quod m a g i s in subjecto esse incipiat. 1

Cf. Guilelmus Altiss., Summa aurea III 5, 4.

45

5. A R T I K E L

24,5

Wird die Gottesliebe durch Hinzufügung

gemehrt?

1. Wie es ein Wachstum gibt in bezug auf die körperliche Größe, so auch in bezug auf die Größe der Kraft. Das Wachstum der körperlichen Ausdehnung aber geschieht durch Hinzufügung; denn der Philosoph sagt: „Wachstum heißt Hinzufügung zu bereits bestehender Größe." Also geschieht auch das Wachstum der Gottesliebe, das in der Ebene der Kraftgröße liegt, durch Hinzufügung. 2. Die Gottesliebe in der Seele ist wie ein geistiges Licht; nach 1 Jo 2, 10: „Wer seine Brüder liebt, bleibt im Lichte." Das Licht wächst aber in der Luft durch Hinzufügung; so wie das Licht im Hause wächst, wenn man eine weitere Kerze anzündet. Also wächst auch die Gottesliebe in der Seele durch Hinzufügung. 3. Die Mehrung der Liebe ist Sache Gottes, wie auch ihre Erschaffung; nach 2 Kor 9, 10: „Er wird die Früchte eurer Gerechtigkeit mehren." Indem aber Gott zum ersten Male die Liebe eingießt, schafft Er etwas in der Seele, was vorher nicht da war. Also schafft Er auch bei der Meh-

QUAESTIO 24, , ARTICULUS V Utrum caritas augeatur per additionem [Infra a. 10; I-I] 52,2; 1 d 17: 2,2; Virt 11J A D Q U I N T U M sic p r o c d i t u r . V i d e t u r quod caritas a u g e a t u r per a d d i t i o n e m . Sicut enim est a u g m e n t u m s e c u n d u m q u a n t i t a t e m corporalem, ita s e c u n d u m q u a n t i t a t e m virtualem. Sed a u g m e n t u m q u a n t i t a t i s corporalis fit per a d d i t i o n e m ; dicit enim 320 b 30 Philosophus, in 1 de Generatione e t Correptione [c. 5], quod „ a u g m e n t u m est praeexistenti m a g n i t u d i n i a d d i t a m e n t u m " . E r go e t i a m a u g m e n t u m caritatis, quod est s e c u n d u m v i r t u a l e m q u a n t i t a t e m , erit per a d d i t i o n e m . 2. P R A E T E R E A , caritas est in a n i m a q u o d d a m spirituale lumen ; s e c u n d u m illud 1 J o a n . 2 : „Qui diligit f r a t r e m s u u m in lumine m a n e t . " Sed lumen crescit in aere per a d d i t i o n e m ; sicut in d o m o lumen crescit alia candela superaccensa. E r g o e t i a m caritas crescit in a n i m a per a d d i t i o n e m . 3. P R A E T E R E A , augere c a r i t a t e m a d D e u m p e r t i n e t , sicut et i p s a m creare; s e c u n d u m illud 2 a d Cor. 9; „Augebit i n c r e m e n t a f r u g u m justitiae v e s t r a e . " Sed D e u s p r i m u s infondendo c a r i t a t e m aliquid facit in a n i m a quod prius ibi n o n

46

rung der Gottesliebe etwas, was vorher nicht da war. Also 24. ;> wird die Gottesliebe gemehrt durch Hinzufügung. ANDERSEITS ist die Gottesliebe eine einfache Form. Das Einfache dem Einfachen hinzugefügt ergibt aber kein Größeres (Aristoteles) [40]. Also wächst die Gottesliebe nicht durch Hinzufügung. ANTWORT: Jede Hinzufügung geschieht dadurch, daß etwas zu etwas hinzukommt. Bei aller Hinzufügung also muß v o r der Hinzufügung wenigstens die Unterscheidung der beiden [Größen] angenommen werden, von denen die eine der anderen hinzugefügt wird. Wenn also die Gottesliebe der Gottesliebe hinzugefügt würde, muß man die hinzugefügte Gottesliebe als unterschieden auffassen von der Gottesliebe, der sie hinzugefügt wird; nicht zwar notwendig als wirkliche, aber doch wenigstens als gedachte. Es könnte nämlich Gott auch eine körperliche Größe mehren, indem E r eine Größe hinzufügen würde, die vorher nicht da war, sondern im Augenblick [der HinzufügungJ geschaffen wurde; wenn diese dann auch in der Wirklichkeit der Dinge vorher nicht da war, so hat sie es doch in sich, daß sie als unterschieden erkannt werden kann von der Größe, der sie hinzugefügt wird. Wenn also die Gottesliebe der Gottesliebe hinzugefügt würde, müßte man das Unterschiedensein der einen Gottesliebe von der anderen wenigstens als Gedachtes voraussetzen. QliAESTIO 24,5 erat. Ergo etiam augendo caritatem aliquid ibi facit quod prius non erat. Ergo Caritas augetur per additionem. SED CONTRA est quod Caritas est forma simplex. Simplex autem simplici additum non facit aliquid majus, prout probatur in 6 Physicorum [c. 2; cf. 2 Metaph. 4]. Ergo Caritas non 232 a 2.1 iom h h augetur per additionem. RESPONDEO dicendum quod omnis additio est alicujus ad aliquid [cf. 1 De Gen. et Corr. 5]. Unde in omni additione oportet • 320 b ::i, 35/2014 D

24, s

v o n seiten des Liebenden aber heißt die Gottesliebe dann vollkommen, wenn einer nach seinem ganzen Können liebt. Das geschieht in dreifacher Weise. E i n m a l so, daß der Mensch mit ganzem Herzen vollwirklich und ununterbrochen zu Gott hindrängt. Und das ist die Vollkommenheit der Gottesliebe der ewigen Heimat, die in diesem Leben unmöglich ist; denn hier ist es wegen der Schwäche des menschlichen Lebens unmöglich, unaufhörlich und vollwirklich an Gott zu denken und von der Liebe zu Ihm bewegt zu werden. — In a n d e r e r Weise so, daß der Mensch all sein Bemühen darauf richtet, für Gott und die göttlichen Dinge da zu sein, unter Zurücksetzung aller anderen Dinge, es sei denn, daß es die Notwendigkeit des gegenwärtigen Lebens verlangt [, sich mit ihnen zu beschäftigen]. Und das ist die Vollkommenheit der Gottesliebe, wie sie in diesem Leben möglich ist. Doch ist sie nicht von allen, welche die Gottesliebe besitzen, verwirklicht. — D r i t t e n s so, daß einer seiner Haltung nach sein ganzes Herz auf Gott richtet, so daß er nichts denkt oder will, was der Gottesliebe zuwider wäre. Und diese Vollkommenheit ist allen gemein, welche die Gottesliebe besitzen.

Zu 1. Der Apostel leugnet für sich [nur] die Vollkommenheit der ewigen Heimat. Deshalb sagt die Glosse zur angeQ U A E S T I O 24, „

E x parte vero diligentia 1 Caritas (licitar perfecta quando aliquis secundum totum suum posse diligit. Quod quidem contingit tripliciter. Uno modo, sie quod totum cor hominis actualiter semper feratur in Deum. E t haec est perfectio caritatis patriae ; quae non est possibilis in hac vita, in qua impossibile est, propter humanae vitae infirmitatem, semper actu cogitare de Deo et moveri dilectione ad ipsum. — Alio modo, ut homo Studium suum deputet ad vacandum Deo et rebus divinis, praetermissis aliis nisi quantum necessitas praesentis vitae requirit. E t ista est perfectio caritatis quae est possibilis in via; non tarnen est communis omnibus caritatem habentibus. — Tertio modo, ita quod habitualiter aliquis t o t u m cor suum ponat in Deo; ita scilicet quod nihil cogitet vel velit quod sit divinae dilectioni contrarium. E t haec perfectio est communis omnibus caritatem habentibus. A D PRIMUM ergo dicendum quod Apostolus negat de se PL perfectionem patriae. Unde Glossa [Lomb. et ord.] 2 ibi dicit 192/247 A

1 2

60

P : tunc est Caritas perfecta quando diligit tantum quantum potest. Cf. Augustinus, Enarr. in Psalm. 38, 5 (PL 36/417 B).

führten Stelle: „Als Erdenpilger war er vollkommen, hatte 24, 9 aber den Weg noch nicht vollendet." Z u 2. Das ist gesagt wegen der läßlichen Sünden; diese sind nicht dem G e h a b e n der Gottesliebe entgegen, sondern nur dem A k t ; und so sind sie nicht der Vollkommenheit des Erdenweges zuwider, sondern nur der Vollkommenheit der ewigen Heimat. Z u 3. Die Vollkommenheit des Erdenweges ist nicht die Vollkommenheit schlechthin. Deshalb kann sie ständig wachsen. 9. A R T I K E L Ist es sinnvoll, drei Stufen der Gottesliebe zu unterscheiden: die der anfangenden, fortschreitenden und vollendeten ?

1. Zwischen dem Anfang der Gottesliebe und ihrer letzten Vollkommenheit liegen sehr viele Zwischenstufen. Also darf man nicht nur e i n e Zwischenstufe annehmen. 2. Im selben Augenblick, in dem die Gottesliebe anfängt zu sein, fängt sie auch an fortzuschreiten. Also darf man die anfangende Gottesliebe nicht unterscheiden von der fortschreitenden. QUAESTIO 24, » quod „perfectus erat viator, sed nondum ipsius itineris per fectione perventor". A D SECUNDUM dicendum quod hoc dicitur propter peccata venialia. Quae non contrariantur habitui caritatis, sed actui; et ita non repugnant perfeetioni viae, sed perfectioni patriae. A D T E R T I U M dicendum quod perfectio viae non est per fectio simpliciter. E t ideo Semper habet quo crescat. ARTICULUS

IX

Utrum eonvenienter distinguantur tres gradus caritatis, incipiens, proficiens et p e r f e c t a [Infra 184,2; 3 d 29: 8 cja 1; I» 44J A D NONUM sie proceditur. Videtur quod inconvenienter distinguantur tres gradus caritatis, scilicet Caritas „incipiens, proficiens" et „perfecta". Inter prineipium enim caritatis et ejus ultimam perfectionem sunt multi gradus medii. Non ergo unum solum medium debuit poni. 2. P R A E T E R E A , statim cum Caritas ineipit esse, ineipit etiam proficere. Non ergo debet distingui Caritas proficiens a caritate ineipiente.

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24,!»

3. Sosehr auch einer in dieser Welt die vollkommene Gottesliebe besitzen mag, auch s e i n e Gottesliebe kann noch gemehrt werden (Art. 7). Die Liebe mehren heißt aber: in ihr fortschreiten. Also darf man die vollkommene Gottesliebe nicht von der fortschreitenden Gottesliebe unterscheiden. Demnach ist es nicht sinnvoll, die genannten drei Stufen der Gottesliebe anzunehmen. ANDERSEITS sagt Augustinus: „Wenn die Gottesliebe einmal geboren ist, wird sie genährt" — das betrifft die Anfangenden; „wenn sie genährt ist, wird sie stark" — das betrifft die Fortschreitenden; „wenn sie stark geworden ist, wird sie vollendet" — das betrifft die Vollkommenen. Also gibt es drei Stufen der Gottesliebe. ANTWORT: Das geistige Wachstum der Gottesliebe kann in etwa verglichen werden mit dem körperlichen Wachstum des Menschen. Kann dieses auch in viele Teile unterschieden werden, so weist es doch einige ganz bestimmte Abschnitte auf, entsprechend den ganz bestimmten Handlungen und Bemühungen, zu denen der Mensch im Laufe des Wachstums geführt wird. So sprechen wir vom Kindesalter in der Zeit, bevor der Mensch den Gebrauch der Vernunft erlangt hat; dann folgt ein weiterer Lebensabschnitt des Menschen, wo er zu sprechen und seine Vernunft zu gebrauchen anfängt; ebenso gibt es einen dritten LebensabQ U A K S T I O 24,,

3. PRAETEREA, quantumcumque aliquis habeat in hoc mundo caritatem perfectam, potest etiam ejus C a r i t a s augeri. ut dictum est. Sed caritatem augeri est ipsam proficere. Ergo Caritas perfecta non debet distingui a caritate proficiente. Inconvenienter igitur praedicti tres gradus caritatis assignantur. SED CONTRA est quod Augustinus dicit super Primam PL Canonicam .Toannis [tr. 5]: Caritas cum fuerit nata, nutritur", :j.")/2014 D quod pertinet ad incipientes; „cum fuerit nutrita, roboratur". quod pertinet ad proficientes; „cum fuerit roborata, perficitur", quod pertinet ad perfectos. Ergo est triplex gradus caritatis. RESPONDEO dicendum quod spirituale augmentum caritatis considerari potest quantum ad aliquid simile corporali hominis augmento. Quod quidem quamvis in plurimas partes distingui possit, habet tarnen aliquas determinatas distinctiones secundum determinatas actiones vel studia ad quae homo perducitur per augmentum; sicut infantilis aetas dicitur antequam habeat usum rationis; postea autem distinguitur alius status hominis quando jam incipit loqui et ratione uti; iterum tertius

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schnitt, nämlich den der Geschlechtsreife, wo schon das 24,» Zeugungsvermögen beginnt. Und von da an weiter, bis er zum vollkommenen [Menschen] heranreift. So werden auch die verschiedenen Grade der Gottesliebe unterschieden nach den verschiedenen Bemühungen, zu denen der Mensch durch das Wachstum der Gottesliebe geführt wird. Denn zunächst m u ß der Mensch sich hauptsächlich bemühen, von der Sünde zu lassen und seinen Begierden zu widerstehen, die ihn zum Gegenpol der Gottesliebe treiben. U n d das ist Sache der Anfangenden, in denen die Gottesliebe genährt und gepflegt werden muß, damit sie nicht zugrunde gehe. — Dann folgt die zweite Bemühung, daß der Mensch hauptsächlich danach trachte, wie er im Guten voranschreiten könne. Und dieses Bemühen ist Sache der Fortschreitenden, die ihr Augenmerk vor allem darauf richten müssen, daß die Gottesliebe in ihnen durch Wachstum stark werde. — Die dritte Bemühung liegt darin, daß der Mensch hauptsächlich danach trachte, Gott [gänzlich] anzuhangen und in I h m selig zu sein. Und das ist Sache der Vollendeten, die da wünschen, „aufgelöst und bei Christus zu sein" [Phil 1, 23]. — So beobachten wir auch bei der körperlichen Bewegung zunächst ein Fortgehen vom Anfangspunkt, dann ein Sich-Nähern an den Zielpunkt und schließlich die R u h e im Ziel. Zu 1. Alle jene möglichen Unterscheidungen, die man () I A Ii ST I O 24, , status ejus est pubertatis, quando jain incipit posse generare; et sie inde quousque perveniatur ad perfectum. Ita etiam et diversi gradus caritatis distinguuntur secundum diversa studia ad quae homo perducitur per caritatis augment u m . X a m primo quidem ineumbit homini Studium principale ad recedendum a peccato et resistendum concupiscentiis ejus, quae in contrarium caritatis movent. E t hoc pertinet ad incipientes, in quibus caritas est nutrienda vel fovenda ne corrumpatur. — Secundum a u t e m S t u d i u m succedit, ut homo principaliter intendat ad hoc quod in bono proficiat. E t hoc Studium pertinet ad proficientes, qui ad hoc principaliter intendunt ut in eis caritas per augmentum roboretur. — Tertium autem stiulium est ut homo ad hoc principaliter intendat ut Deo inhaereat et eo fruatur. Et hoc pertinet ad perfectos, qui „cupiunt dissolvi et esse cum Christo"'. — Sicut etiam videmus in motu corporali quod primum est recessus a termino; secundum autem est appropinquatio ad alium terminum; tertium autem quies in termino. A D P R I M U M ergo dicendum quod omnis illa determinata

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24, 9 im Wachstum der Gottesliebe annehmen kann, sind in den genannten drei Stufen enthalten (Antw.). Wie auch alle Teilung des Stetigen in diesen drei enthalten ist: Anfang, Mitte und Ende (Aristoteles). Zu 2. Die Hauptsorge, die den Anfängern in der Gottesliebe, auch wenn sie schon fortschreiten, obliegt, ist die, den Sünden zu widerstehen, deren Anfechtung sie unruhig macht. Später aber, wenn sie diese Anfechtung weniger spüren, können sie sich gleichsam schon etwas sicherer dem Fortschritt widmen, indem sie auf der einen Seite ihre Arbeit tun, auf der anderen Seite die Hand am Schwertgriff halten, wie es 2 Esr 4, 17 von den Erbauern Jerusalems heißt. Zu 3. Auch die Vollkommenen schreiten in der Gottesliebe noch fort; doch ist darauf nicht ihre Hauptsorge gerichtet, sondern vor allem geht ihr Bemühen darauf, daß sie Gott anhangen. Und mögen auch die Anfangenden und Fortschreitenden dasselbe suchen, so fühlen sie doch mehr die Sorge um das andere: die Anfangenden um die Meidung der Sünde; die Fortschreitenden um den Fortschritt in den Tugenden. QUAESTJO 24,»

distinctio quae potest accipi in augmento caritatis, comprehenditur sub istis tribus quae dicta sunt. Sicut etiam omnis divisio continuorum comprehenditur sub tribus his, principio, medio 268 a 12 et fine; ut Philosophus dicit, in libro 1 de Caelo fc. 1]. A D SECUNDUM dicendum quod illis in quibus Caritas incipit, quamvis proficiant, principalior tarnen cura imminet ut resistant peccatis, quorum impugnatione inquietantur. Sed postea, hanc impugnationem minus sentientes, jam quasi securius ad profectum intendunt; ex una tarnen parte facientes opus, et ex alia parte habentes manum ad gladium, ut dicitur in Esdra de aediflcatoribus Jerusalem. A D T E R T I U M dicendum quod perfecti etiam in caritate proficiunt; sed non est ad hoc principalis eorum cura, sed jam eorum Studium circa hoc maxime versatur ut Deo inhaereant. E t quamvis hoc etiam quaerant et incipientes et proficientes, tarnen magis sentiunt circa alia sollicitudinem; incipientes quidem de vitatione peccatorum, proficientes vero de profectu virtutum.

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24, 10 10. A R T I K E L Kann die Gottesliebe abnehmen ? 1. Gegensätze sind darauf angelegt, im selben Bereich aufzutreten (vgl. Aristoteles). Abnahme und Wachstum aber sind Gegensätze. Da also die Liebe gemehrt wird (Art. 4), scheint es, daß sie auch abnehmen kann. 2. Augustinus sagt, indem er zu Gott spricht: „Weniger liebt Dich, wer neben Dir noch etwas anderes liebt." Und: „Mehrung der Gottesliebe ist Minderung der Begierde." Also scheint auch umgekehrt das Anwachsen der Begierde die Minderung der Gottesliebe zu bedeuten. Die Begierde aber, mit der man etwas anderes liebt als Gott, kann im Menschen wachsen. Also kann die Gottesliebe abnehmen. 3. Augustinus sagt: „Nicht so wirkt Gott im gerechten Menschen, indem Er ihn rechtfertigt, daß, wenn er abfällt, im Abgefallenen bestehen bleibt, was Er in ihm gewirkt hat." Daraus läßt sich entnehmen, daß Gott in derselben Weise im Menschen wirkt, indem Er die Gottesliebe in ihm wachhält, wie Er in ihm wirkte, als Er ihm die Gottesliebe erst eingegossen hat. Bei der ersten Eingießung der Gottesliebe aber gießt Gott dem, der sich weniger darauf vorQ U A E S T I O 24,10

ARTICULUS X Utrum caritas possit diminuí [Infra a. 12; 26,7; I-II 89,1; III 79,4.8; 1 d 17: 2,5; Mal 7,2]

AD DECIMUM sie proceditur. Videtur quod caritas possit diminui. Contraria enim nata sunt fieri circa idem [cf. 5 Metaph. 10]. Sed diminutio et augmentum sunt contraria [cf. 3 Phys. 1], Cum igitur caritas augeatur, ut dictum est supra, videtur quod etiam possit diminui. 2. PRAETEREA, Augustinus, 10 Confessionum [c. 29], ad Deum loquens, dicit: „Minus te amat qui tecum aliquid amat." Et in libro Octoginta trium Quaestionum [q. 36] dicit quod „nutrimentum caritatis est diminutio cupiditatis"; ex quo videtur quod etiam e converso augmentum cupiditatis sit diminutio caritatis. Sed cupiditas, qua amatur aliquid aliud quam Deus, potest in homine crescere. Ergo caritas potest diminui. 3. PRAETEREA, sicut Augustinus dicit, 8 de Genesi ad Litteram [c. 12], „non ita Deus operatur hominem justum justificando eum, ut, si abscesserit, maneat in absente quod fecit"; ex quo potest aeeipi quod eodem modo Deus operatur in homine caritatem ejus conservando, quo operatur primo ei caritatem infundendo. Sed in prima caritatis infusione minus 5

17A

65

• ioi8 a 27 * 201 a 12 PL 32/796 li PL 40/25 B

PL 34/383 A

24 IO bereitet hat, auch geringere Liebe ein. Also hält E r auch bei der Erhaltung der Liebe in dem, der sich weniger darauf vorbereitet, nur eine geringere Liebe wach. Also kann die Liebe abnehmen. A N D E R S E I T S wird die Gottesliebe in der Heiligen Schrift dem Feuer verglichen; nach Hl 8, 6: „Ihre [der Liebe] Gluten sind Feuersgluten und Flammen." Feuer aber, solange es bleibt, steigt immer aufwärts. Also kann die Gottesliebe, solange sie bleibt, immer aufwärtssteigen; absteigen aber, d. h. abnehmen kann sie nicht. A N T W O R T : Die Größe der Gottesliebe, die ihr zukommt in bezug auf den ihr eigentümlichen Gegenstand, kann weder abnehmen noch zunehmen (Art. 4 E. I ; Art. 5). Da sie aber gemehrt wird in der Größe, die ihr zukommt in bezug auf den Träger, m u ß man zusehen, ob sie in dieser Hinsicht abnehmen kann. Wenn sie aber abnimmt, dann notwendig durch einen Akt oder durch das bloße Aufhören des Aktes. Durch das Aufhören des Aktes nehmen die aus dem Akt erworbenen K r ä f t e ab und werden zuweilen völlig ausgelöscht (I-II 53, 3: Bd. 11); wie der Philosoph von der Freundschaft sagt, daß „der Mangel an Umgang [41 b] viele Freundschaften gelöst h a t " ; Mangel an Umgang das heißt, wenn man den Freund [lange Zeit], nicht grüßt oder nicht mit ihm spricht. Und das ist deshalb so, weil Q U A E S T I O 24,10

se praeparanti Deus minorem caritatem infundit. Ergo etiam in conservatione caritatis minus se praeparanti minorem caritatem conservat. Potest ergo Caritas diminui. SED CONTRA est quod Caritas in Scriptura igni comparatur; secundum illud Cant. 8: „Lampades ejus", seilicet caritatis, „lampades ignis atque flammarum". Sed ignis, quamdiu manet, Semper aseendit. Ergo Caritas, quamdiu manet, ascendere potest; sed descendere, idest diminui, non potest. RESPONDEO dicendum quod quantitas caritatis quam habet in comparatione ad objectum proprium, minui non potest, sicut nec augeri, ut supra dictum est. Sed cum augeatur secundum quantitatem quam habet per comparationem ad subjectum, hie oportet considerare utrum ex hac parte diminui possit. Si autem diminuatur, oportet quod vel diminuatur per aliquem actum; vel per solam cessationem ab actu. Per cessationem quidem ab actu diminuuntur virtutes ex actibus aequisitae, et quandoque etiam corrumpuntur, ut supra dictum est; unde de U57 i) 13 amicitia Philosophus dicit, in 8 Ethicorum [c. 6], quod „multas amicitias inappellatio solvit", idest non appellare amicum vel non colloqui ei. Sed hoc ideo est quia conservatio uniuscujusque 66

die Erhaltung einer Sache von ihrer Ursache abhängt; 24,10 die Ursache der erworbenen Tugend aber ist der menschliche A k t ; wenn daher die menschlichen Akte aufhören, wird die erworbene Tugend allmählich schwächer und schließlich ganz ausgelöscht. Das kommt aber bei der Gottesliebe nicht in Frage; weil die Gottesliebe nicht von menschlichen Akten verursacht wird, sondern allein von Gott (Art. 2). Bleibt also nur die Annahme, daß sie auch bei Aufhören des Aktes weder abnimmt noch zerstört wird, solange mit dem Aufhören [des Aktes] keine Sünde verbunden ist. Es bleibt also nur übrig [zu sagen], die Minderung der Gottesliebe kann nur von Gott oder von einer Sünde verursacht werden. Gott aber verursacht keine Störung in uns außer als Strafe, indem Er uns zur Strafe für unsere Sünden Seine Gnade entzieht. Daher kann Er auch die Minderung der Gottesliebe nur als Strafe verhängen. Strafe aber gebührt der Sünde. Es bleibt also übrig, daß, w e n n die Liebe gemindert wird, nur die Sünde Ursache ihrer Minderung ist, sei es durch unmittelbare Einwirkung, sei es durch [Miß-]Verdienst. Auf keinem dieser beiden Wege nun mindert die Todsünde die Gottesliebe, sondern sie zerstört dieselbe ganz und gar; und zwar sowohl durch unmittelbare Einwirkung — weil jede Todsünde der Gottesliebe entgegen ist (Art. 12) — ; als auch durch [Miß-]Verdienst — QUAEST10 24,10 rei dependet ex sua causa [cf. 2 Phys. 3]; causa autem virtutis * 195 a 12 acquisitae est actus humanus; unde, cessantibus humanis actibus, virtus acquisita diminuitur et tandem totaliter corrumpitur. Sjd hoc in caritate locum non habet; quia Caritas non causatur ab humanis actibus, sed solum a Deo, ut supra dictum est. Unde relinquitur quod etiam cessante actu, propter hoc nec diminuitur nec corrumpitur, si desit peccatum in ipsa cessatione. Relinquitur ergo quod dirainutio caritatis non possit causari nisi vel a Deo, vel ab aliquo peccato. A Deo quidem non causatur aliquis defectus in nobis nisi per modum poenae, secundum quod subtrahit gratiam in poenam peccati. Unde nec ei competit diminuere caritatem nisi per modum poenae. Poena autem debetur peccato. Unde relinquitur quod, si Caritas diminuatur, quod causa diminutionis ejus sit peccatum, vel effective vel meritorie. Neutro autem modo peccatum mortale diminuit caritatem, sed totaliter corrumpit ipsam; et effective, quia omne peccatum mortale contrariatur caritati, ut infra dicetur; et etiam meritorie, quia qui peccando mortaliter 5*

67

24, io denn wer gegen die Liebe handelt, indem er eine Todsünde begeht, der ist es wert, daß Gott ihm die Liebe entzieht. Ebenso kann die Gottesliebe auch durch die läßliche Sünde nicht gemindert werden, weder durch unmittelbare Einwirkung noch durch [Miß-]Verdienst. Nicht durch unmittelbare Einwirkung, weil sie an die Gottesliebe nicht heranreicht [I-II 71, 4: Bd. 12]. Die Gottesliebe nämlich hat es mit dem letzten Ziel zu t u n ; die läßliche Sünde aber ist eine Unordnung im Bereich der Mittel. Die Liebe zum Ziel nun wird nicht dadurch gemindert, daß man sich eine Unordnung im Bereich der Mittel zuschulden kommen läßt, wie es zuweilen vorkommt, daß die Kranken, obwohl sie die Gesundheit sehr lieben, sich dennoch in der Beobachtung der Ernährungsvorschriften Unordnungen zuschulden kommen lassen; wie z. B. auch im Bereich des reinen Erkennens falsche Meinungen in bezug auf das, was aus den Ursätzen abgeleitet wird, die Sicherheit der Ursätze nicht mindern. — Ebenso .verdient' die läßliche Sünde nicht die Minderung der Gottesliebe. Denn wenn einer im Geringeren fehlt, verdient er nicht, im Größeren Schaden zu erleiden. Gott nämlich wendet sich vom Menschen nicht stärker ab, als der Mensch von Ihm. Wer sich daher im Bereich der Mittel eine Unordnung zuschulden QUAESTIO 24,,0 aliquid contra caritatem agit, dignum est ut Deus ei subtrahat caritatem. Similiter etiam nee per peccatum veniale Caritas diminui potest, neque effective neque meritorie. Effective quidem non, quia ad ipsam caritatem non attingit. Caritas enim est circa finem ultimum; veniale autem peccatum est quaedam inordinatio circa ea quae sunt ad finem. Non autem diminuitur amor finis ex hoc quod aliquis inordinationem aliquam committit circa ea quae sunt ad finem; sicut aliquando contingit quod aliqui infirmi, multum amantes sanitatem, inordinate tarnen se habent circa diaetae observationem; sicut etiam et in speculativis 1 falsae opiniones circa ea quae deducuntur ex principiis, non diminuunt certitudinem principiorum. — Similiter etiam veniale peccatum non meretur diminutionem caritatis. Cum enim aliquis delinquit in minori, non meretur detrimentum pati in majori. Deus enim non plus se avertit ab homine quam homo se avertit ab ipso. Unde qui inordinate se habet circa ea 1

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P addit: scientiis.

kommen läßt, verdient nicht, Schaden zu leiden an der Gottes- 24,10 liebe, durch die er auf das letzte Ziel ausgerichtet ist. Es ergibt sich also die Schlußfolgerung, daß die Gottesliebe unmittelbar in keiner Weise gemindert werden kann. Doch kann man dort von einer mittelbaren Minderung der Gottesliebe sprechen, wo ihre Zerstörung vorbereitet wird; und das geschieht entweder durch die läßliche Sünde, oder auch dadurch, daß man aufhört, die Werke der Liebe zu üben. Z u 1. Gegensätze treten nur dann an ein und demselben Ding auf, wenn der Träger sich gleichgültig verhält zu jedem der beiden Gegensätze. Die Gottesliebe aber verhält sich nicht in derselben Weise zum Wachstum und zur Minderung; denn sie kann wohl eine Ursache des Wachstums haben, nicht aber eine Ursache der Minderung (Antw.). Deshalb ist der Einwand nicht schlüssig. Z u 2: Es gibt eine zweifache Begierlichkeit: eine, bei der das [letzte] Ziel in die Geschöpfe verlegt wird. Und diese tötet die Gottesliebe ganz und gar, weil sie ihr „Gift" ist (Augustinus). Und das bewirkt, daß Gott weniger geliebt wird, als Er aus der Gottesliebe heraus geliebt werden müßte, nicht durch Minderung der Liebe, sondern durch ihre gänzliche Zerstörung. Und so ist zu verstehen, was QUAESTIO 24, ,„

quae sunt ad finera, non meretur detrimentum pati in caritato. per quam ordinatur ad ultimum finem. Unde consequens est quod Caritas nullo modo diminui possit, directe loquendo. Potest tarnen indirecte dici diminutio caritatis dispositio ad corruptionem ipsius, quae fit vel per peccata venialia; vel etiam per cessationem ab exercitio caritatis operum. A D P R I M U M ergo dicendum quod contraria sunt circa idem quando subjectum aequaliter se habet ad utrumque contrariorum [cf. 10 Metaph. 4]. Sed Caritas non eodem modo • 1056 a 33 se habet ad augmentum et diminutionem; potest enim habere c ausam augentem1, sed non potest habere causam diminuentem. sicut dictum est. Unde ratio non sequitur. A D SECUNDUM dicendum quod duplex est cupiditas. Una quidem qua finis in creaturis constituitur. Et haec totaliter mortificat caritatem; cum sit „venenum" ipsius, ut Augustinus dicit ibidem [lib. Octog. trium Quaest., q. 36]. Et hoc facit quod PL Deus minus ametur, scilicet quam debet amari ex caritate, 40/26B non quidem caritatem diminuendo, sed eam totaliter tollendo. 1

P: agentem.

09

24, io Augustinus sagt : „Weniger liebt Dich, wer neben Dir etwas anderes liebt"; er fügt nämlich bei: was er nicht Deinetwegen liebt." Das aber kommt nicht vor bei der läßlichen Sünde, sondern nur bei der Todsünde; was nämlich in der läßlichen Sünde geliebt wird, wird dem Gehaben nach um Gottes willen geliebt, wenn auch nicht dem Akt nach [42]. — Es gibt aber eine a n d e r e Begierlichkeit, nämlich die der läßlichen Sünde, die durch die Gottesliebe stets gemindert wird; doch kann eine solche Begierlichkeit ihrerseits aus dem schon angeführten Grunde (Antw.) die Gottesliebe nicht mindern. Zu 3. Bei der Eingießung der Gottesliebe bedarf es der Bewegung der freien Selbstbestimmung (I-II 113, 3: Bd. 14). Was demnach die Stärke der freien Selbstbestimmung mindert, trägt vorbereitend dazu bei, daß auch die Gottesliebe bei der Eingießung geringer ist. Zur Erhaltung der Gottesliebe aber bedarf es keiner Bewegung der freien Selbstbestimmung, denn sonst würde sie ja auch in den Schlafenden nicht bleiben. Wenn daher auch die Bewegung der freien Selbstbestimmung in ihrer K r a f t gehindert ist, so wird dadurch doch die Gottesliebe nicht gemindert. Q U A E S T I O 24, ,„

Et sie intelligendum est quod dicitur, 1 „Minus te amat qui tecum aliquid amat"; subditur enim, „quod non propter te amat". Quod non contingit in peccato veniali, sed solum in mortali; quod enim amatur in peccato veniali, propter Deum amatur habitu, etsi non actu. — Est autem alia cupiditas venialis peccati, quae Semper diminuitur per caritatem; sed tarnen talis cupiditas caritatem diminuere non potest, ratione jam dieta. A D TERTIUM dicendum quod in infusione caritatis requiritur motus liberi arbitrii, sicut supra dictum est. Et ideo illud quod diminuii intensionem liberi arbitrii, dispositive operatur ad hoc quod Caritas infundenda sit minor. Sed ad conservationem caritatis non requiritur motus liberi arbitrii, alioquin non remaneret in dormientibus. Unde per impedimentum intensionis motus liberi arbitrii non diminuitur Caritas. 1

70

Augustinus, Confess. 10, 29 (PL 32/796 B).

11. A R T I K E L

24, Ii

Kann die einmal erfahrene Gottesliebe wieder verlorengehen?

1. Wenn sie [die Gottesliebe] verlorengeht, dann nur durch die Sünde. Wer aber die Gottesliebe hat, kann nicht sündigen. Denn 1 J o 3, 9 heißt es: „Jeder nämlich, der aus Gott gezeugt ist, t u t keine Sünde, weil Sein Name in ihm bleibt. Ja, er kann nicht sündigen, weil er aus Gott gezeugt ist." Nur die Söhne Gottes aber haben die Gottesliebe; denn „sie ist es, die den Unterschied begründet zwischen den Söhnen des Reiches und den Söhnen des Verderbens" (Augustinus). Wer also die Gottesliebe hat, kann sie nicht verlieren. 2. Augustinus sagt: „Wenn die Liebe nicht echt ist, kann man sie nicht .Liebe' nennen." Wie er selbst aber sagt, „war die Liebe, die man aufgeben konnte, niemals echt". Also war sie auch nicht Gottesliebe. Wenn man also die Gottesliebe einmal gehabt hat, kann man sie niemals wieder verlieren. 3. Gregor sagt; „Die Gottesliebe wirkt Großes, wenn sip QUAESTIO 24,„

ARTICULUS XI Utruxn Caritas s e m e l h a b i t a p o s s i t a m i t t i [Infra 26,7; III 79,6; 84,10; 3 d 31: 1,1; CG IV 70; Car 12; Rom 8 lect 7; 1 Cor 13,3]

A D UNDECIMUM sic proceditur. Videtur quod Caritas semel habita non possit amitti. Si enim amittitur, non amittitur nisi propter peocatum. Sed ille qui habet caritatem non potest peccare. Dicitur enim 1 Joan. 3: „Omnis enim qui natus est ex Deo, peccatum non facit; quia semen ipsius in eo manert, et non potest peccare, quoniam ex Deo natus est." Caritatem autem non habent nisi filii Dei: „ipsa" enim „est quae distinguit inter filios Regni et filios perditionis", ut Augustinus dicit, in 15 de Trinitate [c. 18]. Ergo ille qui habet caritatem non potest PL eam amittere. 42/IOSÜ D 2. PRAETEREA, Augustinus dicit, in 8 de Trinitate [c. 7], PL quod „dilectio, si non est vera, dilectio dicenda non est". Sed 4 2 ' 9 5 6 c sicut ipse dicit in epistola ad Julianum Comitem, 1 „Caritas quae deseri potest, nunquam fuit vera". Ergo neque Caritas fuit. Si ergo Caritas semel-habeatur, nunquam amittitur. 3. PRAETEREA, Gregorius dicit, in homilia Pentecostes 1 Cf. Paulinus Aquileiensis (t802), De Salut. Docum. c. 7 (PL 99/202 A); cf. (PL 40/1049 A); Gratian., Decret. P. II causa 33 q. 3 De Poenit. dist. 2 can. 2: Caritas quae deseri (Frdb 1/1190); Petr. Lomb., Sent. I l l 31,1 (QKII/690); Hieron.,- Bp. (3) ad Buflnum (PL 22/335 B); Alcuin. (f804), Ep. (41) ad Paulinum (PL 100/203 A).

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24,n da ist; wenn sie zu wirken aufhören kann, ist es keine Liebe." Keiner aber verliert die Gottesliebe dadurch, daß er Großes wirkt. Wenn sie also [einem Menschen] innewohnt, kann sie nicht wieder verlorengehen. 4. Das freie Wahlvermögen läßt sich nur durch einen entsprechenden Beweggrund zur Sünde verleiten. Die Gottesliebe aber schließt alle Beweggründe zur Sünde aus; sowohl die Eigenliebe wie auch die Begierlichkeit und was es sonst noch dergleichen gibt. Also kann die Gottesliebe nicht verlorengehen. ANDERSEITS heißt es Offb 2, 4: „Ich habe wider dich, daß du deine erste Liebe verlassen hast." ANTWORT: Durch die Liebe wohnt der Heilige Geist in uns, wie aus dem oben (Art. 2; 23, 2) Gesagten hervorgeht. Wir können die Gottesliebe nun unter einem dreifachen Gesichtspunkt betrachten. E i n m a l von Seiten des Heiligen Geistes, der die Seele antreibt, Gott zu lieben.. Und von dieser Seite hat die Gottesliebe, daß sie nicht sündigen kann, aus der K r a f t des Heiligen Geistes, der unfehlbar wirkt, was immer Er will. Deshalb ist es unmöglich, daß diese beiden Sätze zugleich wahr sind: der Heilige Geist will einen Menschen zum Akt der Liebe bewegen; und: dieser Mensch verliert die Gottesliebe, indem er sündigt. Denn die Gnade der Beharrlichkeit zählt zu jenen „Wohl,QUAESTI0 24,n l'L [In Evang., 1. 2 hom. 30], quod „amor Dei magna operatur, si 221 B est; si deßinit operari, Caritas non est". Sed nullus magna operando amittit caritatem. Ergo, si Caritas insit, amitti non potest. 4. PRAETEREA, liberum arbitrium non inclinatur ad peccatum nigi per aliquod motivum ad peccandum. Sed Caritas excludit omnia motiva ad peccandum; et amorem sui, et cupiditatem, et quidquid aliud hujusmodi est. Ergo Caritas amitti non potest. SED CONTRA est quod dicitur Apoc. 2: „Habeo adversum te pauca, quod caritatem primam reliquisti." RESPONDEO dicendum quod per caritatem Spiritus Sanctus in nobis habitat, ut ex supradictis patet. Tripliciter ergo posgumus considerare caritatem. Uno modo, ex parte Spiritus Sancti moventis animam ad diligendum Deum. Et ex hac parte Caritas impeccabilitatem habet ex virtute Spiritus Sancti, qui infallibiliter operatur quodcumque voluerit. Unde impossibile est haec duo simul esse vera, quod Spiritus Sanctus aliquern velit movere ad actum caritatis, et quod ipse caritatem amittat peccando; nam donum perseverantiae computatur inter „bene72

taten Gottes, durch die mit letzter Gewißheit gerettet 24,i1 wird, wer immer gerettet wird" (Augustinus). In a n d e r e r Weise können wir die Gottesliebe betrachten von ihrem eigenen Wesen aus. Und so kann die Gottesliebe nur das, was zu ihrem Wesen gehört. Deshalb kann die Gottesliebe in keiner Weise sündigen; wie auch die Hitze nicht kalt machen und die Ungerechtigkeit nichts Gutes tun kann (Augustinus). Unter einem d r i t t e n Gesichtspunkt können wir die Gottesliebe betrachten vom Träger her, der wandelbar ist auf Grund der Freiheit des Wahl Vermögens. Dieser Vergleich der Gottesliebe zu ihrem Träger kann nun bestimmt werden nach dem a l l g e m e i n e n Gesichtspunkt, wie die Form verglichen wird mit dem Stoff; und nach einem b e s o n d e r e n Gesichtspunkt, wie das Gehaben verglichen wird mit dem [Seelen-]Vermögen. Es gehört aber zur Bewandtnis der Form, daß sie, wenn sie das Fassungsvermögen des Stoffes nicht ganz erfüllt, so im Träger ist, daß sie wieder verlorengehen kann; wie das offenbar bei den Formen der entstehenden und vergehenden Dinge der Fall ist. Denn der Stoff dieser Wesen nimmt die eine Form so auf, daß in ihm [zugleich] die Möglichkeit zu einer anderen Form bleibt, gleichsam als sei das ganze Fassungsvermögen QUAESTIO

24tI1

ficia Dei quibus certissime liberantur quicumque liberantur", ut Augustinus dicit, in libro de Praedestinatione Sanctorum [1. 2, 14]. 1 r_L Alio modo potest considerari Caritas secundum propriam 4 o ' 1 0 1 4 A rationem. E t sie Caritas non potest nisi illud quod pertinet ad caritatis rationem. Unde Caritas nullo modo potest peccare, sicut nec calor potest infrigidare; et sicut etiam injustitia non potest bonum facere, ut Augustinus dicit, in libro de Sermone Domini in Monte [1. 2, 24], PL Tertio modo potest considerari Caritas ex parte subjecti, 34 ' 1:!0r ' " quod est vertibile secundum arbitrii libertatem. Potest autem attendi comparatio caritatis ad hoc subjectum et secundum universalem rationem qua comparator forma ad materiam; et secundum specialem rationem qua comparatur habitus ad potentiam. Est autem de ratione formae quod sit in subjecto amissibiliter quando non replet t o t a m potentialitatem materiae ; sicut patet in formis generabilium et coruptibilium. Quia materia horum sic reeipit unam formam quod remanet in ea potentia ad aliam formam, quasi non repleta tota materiae poten' AI. : De Dono Perseverantlae.

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24, n des Stoffes durch die eine Form nicht ausgefüllt; und deSr halb kann die eine Form verlorengehen durch Aufnahme einer anderen. Die Form des- Himmelskörpers aber, die das ganze Fassungsvermögen des Stoffes ausfüllt, so daß in ihm keine Möglichkeit bleibt für die Aufnahme einer anderen Form, wohnt ihm unverlierbar iime [43], — So ist also die Gottesliebe der ewigen Heimat, welche das ganze Fassungsvermögen des vernünftigen Geistes ausfüllt, sofern jede seiner Bewegungen auf Gott gerichtet ist, unverlierbar. 1 Die Gottesliebe der irdischen Pilgerschaft füllt aber das Fassungsvermögen ihres Trägers nicht derart aus, weil er nicht immer vollwirklich auf Gott gerichtet ist. Und für die Augenblicke, da er nicht vollwirklich auf Gott gerichtet ist, kann ihm etwas begegnen, wodurch die Gottesliebe verlorengeht. Dem Gehaben aber ist es eigen, dem [Seelen-]Vermögen eine feste Neigung zur Tätigkeit zu geben. Und das kommt dem Gehaben zu, sofern es macht, daß ihm gut scheint, was ihm frommt, und schlecht, was ihm zuwider ist. Wie nämlich der Geschmackssinn den Wohlgeschmack je nach seiner Verfassung beurteilt, so urteilt der Mensch über das, was zu tun ist, nach seiner zuständlichen Verfassung; deshalb sagt der Philosoph: „Wie einer ist, so erscheint ihm auch sein Ziel." Dort also ist die Gottesliebe unverlierQUAESTIO 24, ,, tialitate per unam formam; et ideo una forma potest amitti • 447 a 13 per acceptionem alteriuS [cf. de Sensu 7; 10 Eth. 5]. Sed forma Ii75b8 corporis caelestis, quia replet t o t a m materiae potentialitatem, ita quod non remanet in ea potentia ad aliam formam, inamissibiliter inest. — Sic igitur C a r i t a s patriae, quia replet totam potentialitatem rationalis mentis, inquantum scilicet omnis actualis motus ejus fertur in Deum, inamissibiliter habetur. Caritas autem viae non sie replet potentialitatem sui subjecti; quia non S e m p e r actu fertur in Deum. Unde quando actu in Deum non fertur, potest aliquid occurrere per quod C a r i t a s ammittatur. Habitui vero proprium est ut inclinet potentiam ad agendum quod convenit habitui inquantum facit illud videri bonum quod * 1129a 13 ei convenit, malum autem quod ei repugnat [cf. 5 Eth. 1]. Sicut enim gustus dijudicat sapores secundum suam dispositionem, ita mens hominis dijudicat de aliquo faciendo secundum suam habitualem dispositionem; unde et Philosophus dicit, in 3 Ethili 14 a 32 corum [c. 7], quod „qualis unusquisquo est, talis finis videtur ei". Ibi ergo Caritas inamissibiliter habetur, ubi illud quod con1

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Vgl. Komm, zu Art. 7 S. 4«0.

bar, wo das, was der Gottesliebe frommt, nur gut scheint, 24,« nämlich in der ewigen Heimat, wo wir Gottes Wesen schauen, der das Wesen der Gutheit selbst ist. Deshalb kann die Gottesliebe der ewigen Heimat nicht wieder verlorengehen. Die Gottesliebe der Pilgerschaft aber, in deren Stande wir die Wesenheit Gottes selbst, die das Wesen der Gutheit ist, nicht schauen, kann wieder verlorengehen. Zu 1. Jene Schriftstelle spricht von der Macht des Heiligen Geistes, durch dessen Bewahrung jene gegen die Sünde gefeit sind, die Er Selbst antreibt, wie es Ihm beliebt. Z u 2. Die Gottesliebe, die aus ihrem Wesen heraus wieder aufgegeben werden kann, ist keine wahre Gottesliebe. Denn das wäre nur dann der Fall, wenn es in ihrer Liebesbewegung läge, nur auf Zeit zu lieben und später wieder aufzuhören; das aber wäre kein Zeichen echter Zuneigung. Wenn aber die Gottesliebe verlorengeht auf Grund der Wandelbarkeit des Trägers, e n t g e g e n dem Vorsatz der Gottesliebe, der in ihrem Akt eingeschlossen ist, so spricht das nicht gegen die Echtheit der Gottesliebe. Z u 3. Die Gottesliebe wirkt dem Vorsatz nach immer Großes; denn das gehört zu ihrem Wesen. Nicht aber ¡wirkt sie stets Großes in Wirklichkeit, wegen der Seinsbedingungen des Trägers. Zu 4. Die Gottesliebe schließt im Wesen ihres Aktes QUAESTIO 24, „ venit caritati non potest videri nisi bonum; scilicet in patria, ubi Deus videtur per essentiam, quae est ipsa essentia bonitatis. Et ideo Caritas patriae amitti non potest. Caritas autem viae, in cujus statu non videtur ipsa Dei essentia, quae est essentia bonitatis, potest amitti. A D PRIMUM ergo dicendum quod auctoritas ilia loquitur secundum potestatem Spiritus Sancti,. cujus conservatione a peccato immunes redduntur quos ipse movet quantum ipse voluerit. AD SECUNDUM dicendum quod Caritas quae deseri potest ex ipsa ratione caritatis, vera Caritas non est. Hoc enim esset si hoc in suo amore haberet, quod ad tempus amaret et postea amare desineret; quod non esset verae dilectionis. Sed si Caritas amittatur ex mutabilitate subjecti, contra propositum caritatis, quod in suo actu includitur; hoc non repugnat veritati caritatis. AD TERTIUM dicendum quod amor Dei semper magna operatur in proposito; quod pertinet ad rationem caritatis. Non tamen semper magna operatur in actu, propter conditionsm subjecti. AD QUARTUM dicendum quod caritas, secundum rationem 6*

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24,12 jeden Beweggrund zur Sünde aus. Aber es kommt zuweilen vor, daß die Gottesliebe nicht tätig ist. Und dann kann ein Beweggrund zur Sünde dazukommen, auf den hin — so man ihm zustimmen würde — die Gottesliebe verlorenginge. 12. A R T I K E L Geht die Gottesliebe durch eine einzige Todsünde, verloren ? 1. Origenes sagt: „Wenn einmal einen von jenen, die auf der höchsten und vollkommensten Stufe stehen, Überdruß befällt, so glaube ich nicht, daß er plötzlich leer wird und absinkt; sondern notwendig sinkt er allmählich und stufenweise ab." Der Mensch sinkt aber ab, wenn er die Gottesliebe verliert. Also geht die Gottesliebe nicht durch eine einzige Todsünde verloren. 2. Papst Leo sagt, indem er Petrus anredet: „Der Herr sah in dir den Glauben unbesiegt, die Zuneigung ungebrochen, aber die Standhaftigkeit gestört. Ein Tränenstrom brach hervor, wo die Liebe nicht versagte; und die QUAESTIO

24,,,

sui actus, excludit omne motivum ad peccandum. Sed quandoque contingit quod Caritas actu non agit. E t tunc potest intervenire aliquod motivum ad peccandum, cui si consentiatur, Caritas amittitur. ARTICULUS

XII

U t r u m Caritas a m i t t a t u r per unum a c t u m peccati mortalis [Supra a. 10; infra 45,4; 69,1; 105,1; 110,4; 112,2; 115,2; 3 d 31: 1,1; Car 6.13]

PG 11/155 B

PL 54/345 c

AD D U O D E C I M U M sie proeeditur. Videtur quod Caritas non amittatur per unum actum peccati mortalis. Dicit enim Origenes, in 1 Periarchon [c. 3]: „Si aliquando satietas capit aliquem ex his qui in summo perfectoque constiterint gradu, non arbitror quod ad subitum quis evacuetur aut decidat; sed paulatim ac per partes eum decidere necesse est." Sed homo decidit caritatem amittens. Ergo C a r i t a s non amittitur per unum solum actum peccati mortalis. 2. P R A E T E R E A , Leo Papa dicit, in sermone de Passione [serm. 60], alloquens P e t r u m : „Vidit in te Dominus non fidem victam, non dilectionem aversam, sed constantiam fuisse turbatam. Abundavit fletus, ubi non defecit affectus; et fona

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Quelle der Gottesliebe wusch die der Angst entsprungenen 24,12 Worte a b . " Bernhard entnimmt daraus, daß „in Petrus die Gottesliebe nicht erstickt, sondern nur betäubt war". Petrus aber sündigte schwer, als er den Herrn verleugnete. Also geht die Liebe durch eine einzige Todsünde nicht verloren. 3. Die Gottesliebe ist stärker als die erworbene Tugend. Das Gehaben der erworbenen Tugend aber wird nicht aufgehoben durch einen einzigen entgegengesetzten sündhaften Akt. Also wird noch viel weniger die Gottesliebe durch eine einzige Todsünde aufgehoben. 4. Die heilige Liebe besagt Liebe zu Gott und zum Nächsten. E s scheint aber, daß der, der eine Todsünde begeht, die Liebe zu Gott und zum Nächsten behält, denn die Unordnung des Verlangens im Bereich der Mittel hebt die Liebe zum Ziel nicht auf (Art. 10). Also kann die Gottesliebe bestehen, auch wenn durch unordentliches Verlangen nach irgendeinem zeitlichen Gut eine Todsünde vorliegt. 5. Gegenstand der göttlichen Tugend ist das letzte Ziel. Die anderen göttlichen Tugenden aber, nämlich Glaube und Hoffnung, werden durch eine einzige Todsünde nicht aufgehoben ; sie bleiben vielmehr ,unbeformt' zurück [vgl. 4, 5 : QUAESTIO 24, ,, caritatis lavit verba formidinis." E t ex hoc accepit Bernardus quod dieit: 1 „In Petro caritatem non fuisse extinctam, sed sopitam." Sed Petrus, negando Christum, peccavit mortaliter. Ergo Caritas non amittitur per unum actum peccati mortalis. 3. P R A E T E R E A , Caritas est fortior quam virtus acquisita. Sed habitus virtutis acquisitae non tollitur per unum actum peccati contrarium. Ergo multo minus Caritas tollitur per unum actum peccati mortalis contrarium. 4. P R A E T E R E A , Caritas importat dilectionem Dei et proximi. Sed aliquis committens aliquod peccatum mortale retinet dilectionem Dei et proximi, ut videtur; inordinatio enim affectionis circa ea quae sunt ad finem non tollit amorem finis, ut supra dictum est. Ergo potest remanere Caritas ad Deum, existente peccato mortali per inordinatam affectionem circa aliquod temporale bonum. 5. P R A E T E R E A , virtutis theologicae objectum est ultimus finis. Sed aliae virtutes theologicae, scilicet fides et spes, non excluduntur per unum actum peccati mortalis; immo remanent 1

Cf. Guilelmus Abbas, De Nat. et Dign. Amoris, c. 6 ( P L 1 8 4 / 3 9 0 A).

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24,12 Bd. 15; 17, 8 Zu 2: Bd. 16]. Also kann auch die Gottesliebe jUnbeformt' zurückbleiben, auch wenn eine einzelne Todsünde begangen wurde. ANDERSEITS verfällt der Mensch durch die Todsünde dem ewigen Tode; nach Rom 6, 23: „Der Sold der Sünde ist der Tod." Jeder aber, der die Gottesliebe hat, hat das Verdienst des ewigen Lebens; denn J o 14, 21 heißt es: „Wenn einer Mich liebt, so wird er von Meinem Vater geliebt werden, und Ich werde ihn lieben und Mich ihm offenbaren." In dieser Offenbarung aber besteht das ewige Leben; nach J o 17, 3: „Das ist das ewige Leben, daß sie Dich erkennen, den allein wahren Gett, und den Du gesandt hast, Jesum Christum." Keiner aber kann zugleich des ewigen Lebens und des ewigen Todes würdig sein. Demnach ist es unmöglich, daß der mit einer Todsünde Belastete die Gottesiiebe hat. Also wird die Gottesliebe durch eine einzige Todsünde aufgehoben. ANTWORT: Ein Gegensatz wird durch den anderen, der dazukommt, aufgehoben. Jede Todsünde aber ist der Liebe auf Grund ihres eigenen Wesens schroff entgegengesetzt.; dieses Wesen [der Liebe] besteht darin, daß Gott über alles geliebt wird und daß der Mensch sich Ihm gänzlich unterwirft, indem er alles, was er ist und hat,* auf I h n sammelt. Es gehört also zum Wesen der Gottesliebe, Gott QUAESTIO 24,„ infarmes. Ergo e t i a m Caritas potest remanere informis, etiam uno peccato mortali perpetrato. SED CONTRA, per peccatum mortale fit homo dignus morte aeterna; secundum illud Rom. 6: „Stipendia peccati mors." Sed quilibet habens caritatem habet meritum vitae aeternae; dicitur enim Joan. 14: „Si quis diligit me, diligetur a Patre meo, et ego diljgam eum, et manifestabo ei meipsum"; in qua quidem manifestatione vita aeterna consistit, secundum illud Joan. 17: „Haec est vita aeterna, ut cognoscant te, verum Deum, et quem misisti, Jesum Christum." Nullus autem potest esse * l-oisa 25 simul dignus vita aeterna et morte aeterna [cf. 5 Metaph. 10]. Ergo impossibile est quod aliquis habeat caritatem cum peccato mortali. Tollitur ergo Caritas per unum actum peccati mortalis. RESPONDEO dicendum quod unum contrarium per aliud * 465 b 4 contrarium superveniens tollitur [cf. de Long, et Brev. Vitae 3]. Quilibet autem actus peccati mortalis contrariatur caritati secundum propriam rationem, quae consistit in hoc quod Deus diligatur super omnia, et quod homo totaliter se illi subjiciat, omnia sua referendo in ipsum. Est igitur de ratione caritatis

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so zu lieben, daß sie sich Ihm in allem unterwerfen und die 24r i-¿ Richtschnur Seiner Gebote in allem befolgen will; was immer nämlich Seinen Geboten entgegen ist, das ist ganz offenbar auch der Gottesliebe entgegen. Es hat es also in sich, daß es die Gottesliebe ausschließen kann. Wenn allerdings die Gottesliebe ein erworbenes Gehaben wäre, das von der K r a f t des Trägers abhängt, würde es nicht notwendig durch einen einzigen entgegenstehenden Akt aufgehoben. Denn ein Akt ist nicht unmittelbar dem Gehaben entgegengesetzt, sondern dem Akt; die Erhaltung des Gehabens im Träger verlangt aber nicht unbedingt die Stetigkeit des Aktes; deshalb wird auch durch einen dazukommenden entgegengesetzten Akt das erworbene Gehaben nicht gleich ausgelöscht. Die Gottesliebe aber, als eingegossenes Gehaben, hängt ab von der Tätigkeit Gottes, der sie eingießt und der sich bei der Eingießung und Erhaltung dei Gottesliebe verhält wie die Sonne bei der Erleuchtung der Luft (vgl. 4, 4 Zu 3: Bd. 15; I 104, 1: Bd. 8; I-II 109, 9: Bd. 14). Und so, wie das Licht in der Luft Sofort aufhören würde, wenn der Erleuchtung durch die Sonne ein Hindernis entstünde, so hört auch die Gottesliebe sofort auf, in der Seele zu wohnen, wenn dem Einströmen der Liebe von Gott her in die Seele ein Hindernis entstünde. Es liegt aber auf der Hand, daß durch jede Todsünde, weil sie den göttlichen Geboten entgegen ist, Q U A E S T I O 24, , ,

ut sie diligat Deum quod in ómnibus velit se ei subjicere, et praeeeptorum ejus regulam in ómnibus sequi; quidquid enim contrariatur praeeeptis ejus, manifeste contrariatur caritati. Unde de se habet quod caritatem excludere possit. Et si quidem caritas esset habitus acquisitus ex virtute subjecti dependens, non oporteret quod statim per unum actum contrarium tolleretur. Actus enim non directe contrariatur habitui, sed.actui [cf. 2 Eth. 1]; conservatio autem habitus *il03b22 in subjecto non requirit continuitatem actus [cf. 8 Eth. 6]; «1157 b 8 unde ex superveniente contrario actu non statim habitus acquisitus excluditur. Sed caritas, cum sit habitus infusus, dependet ex actione Dei infundentis, qui sie se habet in infusione et conservatione caritatis sicut sol in illuminatione aeris, ut dictum est. Et ideo, sicut lumen statim cessaret esse in aere quod aliquod obstaculum poneretur illuminationi solis, ita etiam caritas statim deficit esse in anima quod aliquod obstaculum ponitur influentiae caritatis a Deo in animam. Manifestum est autem quod per quodlibet mortale peccatum, quod divinis praeeeptis contrariatur, ponitur praedictae infusioni

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24,12 der genannten Eingießung ein Hindernis entsteht; denn dadurch allein, daß der Mensch in seiner Wahl die Todsünde der göttlichen Freundschaft vorzieht, welche verlangt, daß wir Gottes Willen folgen, ergibt sich als notwendige Folgerung, daß durch eine einzige Todsünde das Gehaben der Gottesliebe sofort verlorengeht. Deshalb sagt Augustinus: „Der Mensch wird durch den ihm gegenwärtigen Gott erleuchtet; durch das Fernsein Gottes aber sofort verfinstert; von Ihm aber geht man nicht fort durch räumlichen Abstand, sondern durch die Abwendung des Willens." Zu 1. Das Wort des Origenes kann man einmal so verstehen, daß der Mensch, der vollkommen ist, nicht plötzlich in Todsünde fällt, sondern dazu durch vorhergehende Nachlässigkeiten vorbereitet wird. Deshalb sind die läßlichen Sünden, wie es heißt, Vorbereitung zur Todsünde (Art. 10; I - I I 88, 3: Bd. 12). Durch eine einzige Todsünde aber sinkt er ab und verliert die Gottesliebe. Doch weil er hinzufügt: „Wenn nur eine kurze Verfehlung eintritt, und er sich schnell wieder erholt, scheint er nicht ganz zu stürzen", kann man ihn auch so verstehen: Das völlige Leerwerden und Absinken versteht er von dem, Q ( J A E S T I O 24, „

obstaculum: quia ex hoc ipso quod homo eligendo praefert peccatum divinae amicitiae, quae requirit ut Dei voluntatem sequamur, consequens est ut statim per unum actum peccati mortalis habitus caritatis perdatur. Unde et Augustinus dicit, PL 8 de Genesi ad Litteram [c. 12], quod „homo, Deo praesente «Ì4/388 A gibi, illuminatur; absente autem, continuo tenebratur; a quo non locorum intervallis, sed voluntatis aversione disceditur". AD PRIMUM ergo dicendum quod verbum Origenis potest uno modo sic intelligi quod homo qui est in statu perfecto non subito procedit in actum peccati mortalis, sed ad hoc disponitur per aliquam negligentiam praecedentem. Unde et peccata venialia dicuntur esse dispositio ad mortale, sicut supra dictum est. Sed tamen per unum actum peccati mortalis, si eum commiserit, decidit, caritate amissa. Sed quia ipse subdit 1 : „Si aliquis brevis lapsus acciderit, et cito resipiscat, non penitus ruere videtur", potest alitor dici quod ipse intelligit eum penitus evacuari et decidere qui sic 1

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Origenes, Periarchon 1, 4 (PG 11/156 B).

der so abfällt, daß er aus Bosheit sündigt. Und das kommt 24,12 bei einem vollkommenen Menschen nicht gleich zu Anfang [des Absinkens] vor. Z u 2. Die Gottesliebe geht auf zweifache Weise verloren. E i n m a l unmittelbar, durch einen A k t der Verachtung. Und in dieser Weise hat Petrus die Gottesliebe nicht verloren. — I n a n d e r e r Weise mittelbar, wenn man aus leidenschaftlicher Begierde oder aus Furcht etwas begeht, das mit der Gottesliebe nicht verträglich ist. Und in dieser Weise fehlte Petrus gegen die Gottesliebe und verlor sie; gewann sie aber sofort zurück.1 Z u 4. Nicht jede Unordnung im Verlangen, die sich im Bereich der Mittel zeigt, nämlich im Bereich der geschaffenen Güter, bedeutet schon Todsünde; sondern nur eine solche, die dem göttlichen Willen entgegen ist. Und das ist unmittelbar der Gottesliebe entgegen (Antw.). Zu 5. Die Gottesliebe besagt ein gewisses Einssein mit Gott ; nicht aber Glaube und Hoffnung. Jede Todsünde aber besteht in einer Abwendung von Gott (20, 3: Bd. 16; I - I I 72,4: Bd. 12). Deshalb ist jede Todsünde der Gottesliebe entgegen. Aber nicht jede Todsünde ist auch dem Glauben Q U A E S T I O 24,,,

decidit ut ex malitia peccet. Quod non statim in viro perfecto a principio contixxgit. A D SECUNDUM dicendum quod Caritas amittitur dupliciter. Uno modo, directe, per actualem contemptum. Et hoc modo Petrus caritatem non amisit. — Alio modo, indirecte: quando committitur aliquod contrarium caritati propter aliquam passionem concupiscontiae vel timoris. Et hoc modo Petrus, contra caritatem faciens, caritatem amisit, sed eam cito recuperavit. A D QUARTUM dicendum quod non quaelibet inordinatio affectionis quae est circa ea quae sunt ad finem, idest circa bona creata, constituit peccatum mortale; sed solum quando est talis inordinatio quae répugnât divinae voluntati. Et hoc directe contrariatur caritati, ut dictum est. A D Q U I N T U M dicendum quod Caritas importât unionem quamdam ad Deum, non autem fides neque spes. Omne autem peccatum mortale consistit in aversione a Deo, ut supra dictum est. Et ideo omne peccatum mortale contrariatur caritati. Non omne autem peccatum mortale contrariatur fidei 1 Die Lösung Zu 3 fehlt in den Hss., von denen einige dazu bemerken: „Durch das in der Antwort Gesagte bereits erledigt".

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24,12 und der Hoffnung entgegen, sondern nur ganz bestimmte Sünden, durch die das Gehaben des Glaubens und der Hoffnung aufgehoben wird, 1 wie durch jede Todsünde das Gehaben der Gottesliebe. Es ist daher klar, daß die Liebe nicht als ,unbeformte' bleiben kann, da sie selbst die letzte Form der Tugenden ist, denn sie betrachtet Gott unter der Bewandtnis des letzten Zieles (23, 8). QUAESTIO 24,ls

vel spei, sed quaedam determinata peccata, per quae habitus fidei et spei tollitur, sicut et per omne peccatum mortale habitus caritatis. Unde patet quod Caritas non potest remanere informis; cum sit ultima forma virtutum, ex hoc quod respicit Deum in ratione finis ultimi, ut dictum est. 1 So der Glaube durch Unglaube oder Aberglaube; die Hoffnung durch Vermessenheit oder Verzweiflung. Vgl. Fr. 10ff.: Bd. 15: Fr. 20f.: Bd. 16; Fr. 92ff.: Bd. 19.

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25. F R A G E

D E R GEGENSTAND D E R GOTTESLIEBE Darauf ist der Gegenstand der Gottesliebe zu betrachten. Dazu begegnen unserer Betrachtung zwei Dinge: erstens das, was aus der Gottesliebe heraus zu lieben ist; zweitens die Ordnung der Liebe. Zum Ersten ergeben sich zwölf Einzelfragen: 1. Ist mit der Gottesliebe Gott allein zu lieben oder auch der Nächste? 2. Ist die Gottesliebe selbst aus Liebe zu Gott zu lieben? 3. Sind die vernunftlosen Geschöpfe aus Liebe zu Gott zu lieben? 4. Kann einer aus Liebe zu Gott sich selbst lieben? 5. den eigenen Leib? 6. Sind die Sünder aus Liebe zu Gott zu lieben? 7. Lieben die Sünder sich selbst? 8. Sind die Feinde aus Liebe zu Gott zu lieben? 9. Müssen wir ihnen Zeichen der Freundschaft geben? 10. Sind die Engel aus Liebe zu Gott zu lieben? 11. die bösen Geister? 12. Die Aufzählung derer, die aus Liebe zu Gott zu lieben sind.

QUAESTIO

XXV

D E OBJECTO CARITATIS Deinde considerandum est de objecto caritatis. Circa quod duo consideranda occurrunt: primo quidem de his quae sunt ex caritate diligenda; secundo, de ordine diligendorum. Circa primum quaeruntur duodecim: 1. Utrum solus Deus sit ex caritate diligendus, vel etiam proximus. — 2. Utrum Caritas sit ex caritate diligenda. — 3. Utrum creaturae irrationales sint ex caritate diligendae. — 4. Utrum aliquis ex caritate possit seipsum diligere. — 5. Utrum corpus proprium. — 6. Utrum peccatores sint ex caritate diligendi. — 7. Utrum peccatores seipsos diligant. — 8. Utrum inimici sint ex caritate dil'gindi. — 9. Utrum sint eis signa amicitiae exhibenda. — 10. Utrum angeli sint ex caritate diligendi. — 11. Utrum daemones. — 12. De enumeratione diligendorum ex caritate.

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1. A R T I K E L Bleibt die Liebe der Gottesminne bei Gott stehen oder erstreckt sie sich auch auf den Nächsten? 1. Wie wir Gott Liebe schuldig sind, so auch Furcht; nach Dt 10, 12: „Und nun, Israel, was erwartet der Herr, Dein Gott, von dir anderes, als daß du Ihn fürchtest und liebst?" Nun ist aber die Furcht, mit der der Mensch gefürchtet wird und die man Menschenfurcht nennt, eine andere als die Furcht, mit der wir Gott fürchten, die entweder knechtische oder kindliche Furcht ist (19,2: Bd. 16). Also ist auch die Liebe der Gottesminne, mit der wir Gott zugeneigt sind, eine andere als die Liebe, mit der wir dem Nächsten zugeneigt sind. 2. Der Philosoph sagt: „Geliebt werden ist geehrt werden." Eine andere aber ist die Ehre, die Gott gebührt, die Ehre nämlich der Anbetung, und eine andere die Ehre, die den Geschöpfen gebührt, die Ehre nämlich der Ehrerbietung. Also ist auch die Liebe, mit der Gott geliebt wird, eine andere als die, mit der der Nächste geliebt wird. 3. „Die Hoffnung zeugt die Gottesliebe", wie die Glosse zu Mt 1, 2 sagt. Die Hoffnung aber gilt nur Gott gegenüber, Q U A E S T I O 25,,

ARTICULUS I U t r u m d i l e c t i o e a r i t a t i s s i s t a t in D e o , a n se e x t e n d a t e t i a m ad p r o x i m u m lect 2] A D PRIMTJM sic proceditur. Videtur quod dilectio caritatis sistat in Deo, et non se extendat ad proximum. Sicut enim Deo debemus amorem, ita et timorem; secundum illud Deut. 10: „Et nunc, Israel, quid Dominus Deus tuus petit a te nisi ut timeas et diligas eum?" Sed alius est timor quo timetur homo, qui dicitur timor humanus; et alius timor quo timetur Deus, qui est vel servilis vel filialis; ut ex supradictis patet. Ergo etiam alius est amor caritatis, quo diligitur Deus; et alius est amor quo diligitur proximus. 1159 a 16 2. PRAETEREA, Philosophus dicit, in 8 Ethicorum [c. 9], quod „amari est honorari". Sed alius est honor qui debetur Deo, qui est honor latriae; et alius est honor qui debetur creaturae, qui est honor duliae. Ergo etiam alius est amor quo diligitur Deus, et quo diligitur proximus. 3. PRAETEREA, „spes generat caritatem", ut habetur in Glossa [inter!.], Matth. 1. Sed spes ita habetur de Deo quod re[Supra 17,4; 23,1 ad 1; infra 27,7; 34,6; 58,1; 83,7; 182,2; Car 4.8; Bom 13

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so daß die getadelt werden, die ihre Hoffnung auf den Men- 25, i sehen setzen; nach Jer 17, 5: „Verflucht sei der Mensch, der auf den Menschen vertraut." Also ist auch die heilige Liebe so ausschließlich Gott geschuldet, daß sie sich nicht auf den Nächsten erstreckt. ANDERSEITS heißt es 1 J o 4,21: „Dieses Gebot haben wir vom Herrn, daß, wer Gott liebt, auch seinen Bruder liebe." ANTWORT: Die Gehaben werden nur dadurch verschieden, daß sich die Art des Aktes ändert; denn alle Akte derselben Wesensart gehören zu ein und demselben Gehaben. Da nun aber die Wesensart des Aktes vom Gegenstand her genommen wird, und zwar nach dem, was ihn als solchen begründet, muß der Akt, der sich auf diesen Gegenstandsgrund richtet, derselben Art sein wie der Akt, der sich auf den Gegenstand unter dieser begründenden Bewandtnis richtet; wie es dieselbe Art des Sehens ist, mit der man das Licht sieht und mit der man die Farbe auf Grund der Bewandtnis des Lichtes sieht. Der Grund aber, den Nächsten zu lieben, ist Gott; denn das müssen wir im Nächsten lieben, daß er in Gott sei. Daher ist es klar, daß der Akt, mit dem wir Gott lieben und mit dem wir den Nächsten lieben, ein und derselben Art ist. Und deshalb erstreckt sich das Gehaben der heiligen Liebe nicht nur auf die Liebe zu Gott, sondern auch auf die Liebe zum Nächsten. QUAESTIO 25,, prehenduntur sperantes in homine; secundum illud Jer. 17: „Maledictus homo qui confidit in homine." Ergo Caritas ita debetur Deo quod ad proximum non se extendat. SED CONTRA est quod dicitur 1 Joan. 4: „Hoc mandatum habemus a Deo, ut qui diligit Deum, diligat et fratrem suum." RESPONDEO dicendum quod, sicut supra dictum est, habitus non diversificantur nisi ex hoc quod variat speciem actus [cf. 2 Eth. 1]; omnes enim actus unius speciei ad eumdem »1103 b 21 habitum pertinent. Cum autem species actus ex- objecto sumatur secundum formalem rationem ipsius, necesse est quod idem specie sit actus qui fertur in rationem objecti, et qui fertur in objectum sub tali ratione: sicut est eadem specie visio qua videtur lumen, et qua videtur color secundum luminis rationem. Ratio autem diligendi proximum Deus est; hoc enim debemus in proximo diligere, ut in Deo sit. Unde manifestum est quod idem specie actus est quo diligitur Deus, et quo diligitur proximus. Et propter hoc habitus caritatis non solum se extendit ad dilectionem Dei, sed etiam ad dilectionem proximi.

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25. i

Zu 1. Den Nächsten kann man in doppelter Weise fürchten wie auch lieben. E i n m a l um dessentwillen, was ihm eigen ist; wenn z. B. einer den Tyrannen fürchtet wegen dessen Grausamkeit oder ihn liebt, weil er etwas von ihm zu erhalten trachtet. Und diese Menschenfurcht unterscheidet sich von der Gottesfurcht; ebenso die Liebe. — In a n d e r e r Weise fürchten und lieben wir den Menschen wegen dessen, was Gottes in ihm ist; so wenn wir die weltliche Macht fürchten wegen des göttlichen Dienstes, den sie ausübt über die Übeltäter, und sie lieben um der Gerechtigkeit willen. Und solche Menschenfurcht ist nicht unterschieden von der Gottesfurcht wie auch nicht solche Liebe [sich von der Gottesliebe unterscheidet]. Zu 2. Die Liebe geht auf das Gute im allgemeinen, die Ehre aber auf das Eigengut des Geehrten; denn sie wird einem erwiesen zum Zeugnis seiner eigenen Tüchtigkeit. Daher wird die Art der Liebe nicht unterschieden wegen der verschiedenen Größe der Gutheit in den Verschiedenen, solange diese nur irgendwie bezogen sind auf das eine allgemeinsame Gut; die Ehre aber unterscheidet sich nach dem Eigengut des einzelnen. Daher lieben wir mit derselben Liebe der Gottesminne alle Nächsten, insofern sie auf dasselbe allgemeine Gut bezogen sind, das Gott ist; die verschiedene Ehre aber erweisen wir den VerschieQUAKSTIO 25,,

AD PRIMUM ergo dicendum quod proximus potest timeri dupliciter, sicut et amari. Uno modo, propter illud quod est sibi proprium; puta cum aliquis timet tyrannum propter ejus crudelitatem, vel cum amat ipsum propter cupiditatem acquirendi aliquid ab eo. E t talis timor humanus distinguitur a timore Dei, et similiter amor. — Alio modo timetur homo et amatur propter illud quod est Dei in ipso; sicut cum saecularis potestas timetur propter ministerium divinum quod habet ad vindictam malefactorum, et amatur propter justitiam. E t talis timor hominis non distinguitur a timore Dei, sicut nec amor. AD SECUNDUM dicendum quod amor respicit bonum in communi, sed honor respicit proprium bonum honorati; de• 1123 b 35 fertur enim alicui in testimonium propriae virtutis [cf. 4 E t h . 7]. E t ideo amor non diversificatur specie propter diversam quantitatem bonitatis diversorum, dummodo referuntur ad aliquod unum bonum commune; sed honor diversificatur secundum propria bona singulorum. Unde eodem amore caritatis diligimus omnes proximos, inquantum referuntur ad unum bonum commune, quod est Deus; sed diversos honores diversis deferimus,

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denen je nach der besonderen Tüchtigkeit der einzelnen. 25, -z So erweisen wir auch Gott die einmalige Ehre der Anbetung wegen Seiner einmaligen Größe. Zu 3. - Diejenigen werden getadelt, die ihre Hoffnung •auf den Menschen setzen, als wäre er der Haupturheber ihres. :Heiles; nicht aber jene, die ihre Hoffnung auf den Menschen setzen als auf den, der ihnen als Diener [Werkzeug] Gottes hilft. Ebenso wäre es zu tadeln, wenn einer den Nächsten lieben würde als das Hauptziel; nicht aber, wenn einer den Nächsten um Gottes willen liebt; und das ist Sache der heiligen Liebe. 2. A R T I K E L Ist die Gottesliebe selbst aus Liebe zu Gott zu lieben ? 1. Alles, was aus Liebe zu Gott zu lieben ist, ist beschlossen in den zwei Geboten der Liebe, wie das erhellt aus Mt 22, 37ff. Unter keinem der beiden ist aber die Gottesliebe [als Gegenstand] enthalten; denn die Gottesliebe ist weder Gott noch der Nächste. Also ist die Gottesliebe nicht aus Liebe zu Gott zu lieben. 2. Die Gottesliebe gründet auf der Mitteilung der SeligQ U A E S T I O 25, „

secundum propriam virtutem singulorum. E t similiter Deo singularem honorem latriae exhibemus, propter ejus singularem virtutem. A D T E R T I U M dicendum quod vitüperantur qui sperant in homine sicut in principali auctore salutis; non autem qui sperant in homine sicut in adjuvante ministerialiter sub Deo. Et similiter reprehensibile esset si quis proximum diligeret tanquam principalem finem; non autem si quis proximum diligat propter Deum, quod pertinet ad caritatem. ARTICULUS II U t r u m Caritas sit ex c a r i t a t e diligenda [Supra 23,3 ad 2; infra a. 3 sc; a. 11; 1 d 17: 1,5; R o m 12 lect 2]

A D SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod Caritas non sit ex caritate diligenda. Ea enim quae sunt ex caritate diligenda, duobus praeeeptis caritatis concluduntur, ut patet Matth. 22. Sed sub neutro eorum Caritas continetur; quia neque Caritas est Deus neque proximus. Ergo Caritas non est ex caritate diligenda. 2. P R A E T E R E A , Caritas fundatur super communicatione 87

25, 2 keit (23, 1.5). Die Gottesliebe aber kann der Seligkeit nicht teilhaftig werden. Also ist die Gottesliebe nicht aus Liebe zu Gott zu lieben. 3. Die Gottesliebe ist eine Art Freundschaft (23, 1). Keiner aber kann Freundschaft haben mit der Gottesliebe oder mit sonst einer Eigenschaft [vgl. I 60, 3: Bd. 4], weil diese Dinge nicht wieder lieben können, was doch zur Bewandtnis der Freundschaft gehört (Aristoteles). Also ist die Gottesliebe nicht aus Liebe zu Gott zu lieben. ANDERSEITS sagt Augustinus: „Wer den Nächsten liebt, liebt folglich auch die Liebe selbst." Der Nächste aber wird aus Liebe zu Gott geliebt. Also muß folgerichtig auch die Gottesliebe aus Liebe zu Gott geliebt werden [44]. ANTWORT: Die Gottesminne ist eine Art Liebe. Der Liebe aber ist es aus der Natur des Seelenvermögens heraus, dem sie als Akt zugehört, eigen, sich auf sich selbst zurückzubeugen. Weil nämlich der Gegenstand des Willens das allumfassende Gut ist [Art. 1 Zu 2], kann alles, was immer unter der Bewandtnis des Guten enthalten ist, unter den Akt des Willens fallen; und weil das Wollen selbst etwas Gutes ist, kann das Wollen sich selbst wollen; wie auch der Verstand, dessen Gegenstand das Wahre ist, sein Verstehen versteht, weil auch das ein Wahres ist. Die Liebe aber hat es auch auf Grund ihrer besonderen Art in sich, daß sie QUAESTIO 25,,

1155 b 28 * 1159 a 27 PL 42/957 A

beatitudinis, ut supra dictum est. Sed Caritas non potest esse particeps beatitudinis. Ergo Caritas non est ex caritate diligenda. 3. P R A E T E R E A , Caritas est amicitia quaedam, ut supra dictum est. Sed nullus potest habere amicitiam ad caritatem, vel ad aliquod accidens; quia hujusmodi reamare non possunt, quod est de ratione amicitiae, ut dicitur in 8 Ethicorum [c. 2. 9]. Ergo Caritas non est ex caritate diligenda. S E D CONTRA est quod Augustinus dicit, 8 de Trinitate [c. 7]: „Qui diligit proximum, consequens est ut etiam ipsam dilectionem diligat." Sed proximus diligitur ex caritate. Ergo consequens est ut etiam Caritas ex caritate diligatur. R E S P O N D E O dicendum quod Caritas amor quidam est. Amor autem ex natura potentiae cujus est actus habet quod possit supra seipsum reflecti. Quia enim objectum voluntatis est bonum universale, quidquid sub ratione boni continetur potest cadere sub actu voluntatis; et quia ipsum velle est quoddam bonum, potest velle se velle; sicut etiam intellectus, cujus objectum est verum, intelligit se intelligere, quia hoc etiam est quoddam verum. Sed amor etiam ex ratione propriae speciei

88

sich auf sich selbst zurückbeugen kann, weil sie eine von 25, 2 selbst erfolgende Bewegung des Liebenden zum Geliebten hin ist; daher kommt es, daß einer schon dadurch, daß er liebt, es liebt, d a ß er liebt. Die Gottesliebe jedoch ist nicht einfach Liebe, sondern h a t die Bewandtnis der Freundschaft (23,1). I n der Freundschaft aber wird etwas in doppelter Weise geliebt. Einmal wie der Freund selbst, mit dem wir Freundschaft haben und dem wir Gutes wollen. I n anderer Weise wie das Gute, das wir dem Freunde wollen. U n d in dieser Weise wird die Gottesliebe aus Liebe zu Gott geliebt und nicht in der ersten Weise; denn die Gottesliebe ist jenes Gut, das wir all denen wünschen, die wir aus Liebe zu Gott lieben [45]. — Und dieselbe Bewandtnis h a t es mit der Seligkeit und den anderen Tugenden. Z u 1. Gott und der Nächste sind es, mit denen wir Freundschaft haben. I n ihrer Liebe aber ist die Liebe zur Gottesliebe eingeschlossen; denn wir lieben den Nächsten und Gott, sofern wir es lieben, daß wir und der Nächste Gott lieben; und das heißt eben: Gottesliebe haben [46]. Z u 2. Die Gottesliebe ist Mitteilung des geistlichen Lebens selbst, durch das wir zur Seligkeit gelangen. Und so wird sie gelipbt wie das Gut, das wir allen wünschen, die wir aus Liebe zu Gott lieben. QUAESTIO 25,» habet quod supra se reflectatur; quia est spontanous mutus amantis in amatum; unde ex hoc ipso quod araat aliquis, amat. se amare. Sed Caritas 11011 est simplex amor, sed habet rationem amioitiae, ut supra dictum est. Per amicitiam autem amatur aliquid dupliciter. Uno modo, sicut amicus ipso ad quem amicitiam habemus et cui bona volumus [cf. 8 Eth. 2]. Alio modo, sicut * 1106 a 3 bonum quod amico volumus. Et hoc modo caritas per caritatem amatur, et non primo: quia Caritas est illud bonum quod optamus omnibus quos ex caritate diligimus. — Et eadem ratio est i m a n i f e s t u m est omnem hominem proximum esse deputandum". Sed peccatores non desinunt esse homines; quia peccatum non tollit naturam. Ergo peccatores sunt ex caritate diligendi. RESPONDEO dicendum quod in peccatoribus duo possunt considerari: scilicet natura, et culpa. Secundum naturam quidem, quam a Deo habent, capaces sunt beatitudinis, super cujus communicatione Caritas fundatur, ut supra dictum est. Et ideo secundum naturam suam sunt ex caritate diligendi. Sed culpa eorum Deo contrariatur, et est beatitudinis impedimentum. Unde secundum culpam, qua Deo adversantur, sunt 1

Vgl. Anm. [351-

100

alle Sünder zu hassen, auch der Vater und die Mutter 25,6 und die Verwandten, wie es Lk 14, 26 heißt. Wir müssen nämlich in den Sündern das hassen, was sie zu Sündern macht, und das lieben, was sie zu Menschen macht, die der ewigen Seligkeit fähig sind. Und das heißt sie wahrhaft aus Gottesliebe lieben. Zu 1. Der Prophet haßt die Gottlosen, sofern sie gottlos sind, indem er ihre Gottlosigkeit haßt, worin ihr Unglück liegt. Und das ist der vollkommene Haß, von dem er selbst sagt: „Mit vollkommenem Hasse hasse ich sie" [Ps 139 (138), 22]. Es gehört aber zu derselben Bewandtnis, das Schlechte eines Menschen zu hassen und sein Gutes zu lieben [48], Deshalb gehört auch dieser vollkommene Haß zur Gottesliebe. Zu 2. Den sündigen Freunden sind, wie der Philosoph sagt, die Wohltaten der Freundschaft nicht zu entziehen, solange noch Hoffnung auf Heilung vorhanden ist; sondern man muß ihnen vielmehr eher zur Wiedererlangung der Tugend helfen als zur Wiedererlangung des Geldes, wenn sie es verloren hätten, um so viel eher, als die Tugend der Freundschaft mehr verwandt ist als das Geld. Wenn sie aber in äußerste Bosheit geraten und unheilbar werden, dann darf man ihnen die Vertrautheit der Freundschaft nicht mehr schenken. Daher ist es nach göttlichem und Q U A E S T I O 25,.

odiendi quicumque peccatores, etiam pater et mater et propinqui, ut habetur Luc. 14. Debemus enim in peccatoribus odire quod peccatores sunt, et diligere quod homines sunt beatitudinis capaces. Et hoc est vere eos ex caritate diligere propter Deum. A D PRIMUM ergo dicendum quod iniquos Propheta odio habuit inquantum iniqui sunt, habens odio iniquitatem ipsorum, quod est ipsorum malum. Et hoc est perfectum odium, de quo ipse dicit: „Perfecto odio oderam illos." Ejusdem autem rationis est odire malum alicujus et diligere bonum ejus [cf. 4 Top. 4]. Unde etiam istud odium perfectum ad caritatem pertinet. AD SECUNDUM dicendum quod amicis peccantibus, sicut Philosophus dicit, in 9 Ethicorum [c. 3], non sunt subtrahenda amicitiae beneficia, quousque habeatur spes sanationis eorum; sed magis est eis auxiliandum ad recuperationem virtutis quam ad recuperationem pecuniae, si eam amisissent, quanto virtus est magis amicitiae afflnis quam pecunia [cf. 8 Eth. 8]. Sed quando in maximam malitiam incidunt et insanabiles fiunt, tunc non est eis amicitiae familiaritas exhibenda [cf. 9 101

* 124 a 15 1165 b 13

* 1158 b 5 * 1165 b 21

25,6 menschlichem Gesetz geboten, solche Sünder, bei denen man eher die Schädigung der anderen annehmen muß als ihre eigene Besserung, zu töten. — Und doch tut der Richter das nicht, weil er sie haßt, sondern weil er sie mit der Liebe der Gottesminne liebt, auf Grund deren das Gemeinwohl dem Leben der Einzelperson vorgezogen wird. — Doch nützt der Tod, der durch den Richter verhängt wird, auch dem Sünder, wenn er sich bekehrt, zur Sühne für die Schuld; wenn er sich nicht bekehrt, zur Beendigung der Schuld, weil ihm dadurch die Möglichkeit genommen wird, weiter zu sündigen. Zu 3. Diese Verwünschungen, wie sie in der Heiligen Schrift vorkommen, können in dreifacher Weise aufgefaßt werden. E i n m a l als Vorausverkündigung, nicht als Wunsch, so daß der Sinn wäre: „Mögen die Sünder zur Hölle fahren" — das heißt, „sie werden zur Hölle fahren". — In a n d e r e r Weise als Wunsch; so aber, daß das Verlangen des Wünschenden nicht bezogen ist auf die Bestrafung der Menschen, sondern auf die Gerechtigkeit des Strafenden; nach jenem Wort: „Es freut sich der Gerechte, wenn er die Rache [Gottes] sieht" [Ps 58 (57), 11]; denn auch Gott Selbst hat, wenn E r straft, „keine Freude am Untergang der Gottlosen", wie es Wsh 1, 13 heißt, sondern an Seiner QUAESTIO

25,,

E t h . 3]. E t ideo hujusmodi peccantes, de quibus magis praesumitur nocumentum aliorum quam eorum emendatio, secundum legem divinam et humanam praecipiuntur occidi. — E t tarnen hoc facit judex non ex odio eorum, sed ex caritatis amore, quo bonum publicum praefertur vitae singularis personae. — E t tarnen mors per judicem inflicta peccatori prodest, sive convertatur, ad culpae expiationem; sive non convertatur, ad culpae terminationem, quia per hoc tollitur ei potestas amplius peccandi. AD T E R T I U M dicendum quod hujusmodi imprecationes 1 quae in sacra Scriptura inveniuntur, tripliciter possunt intelligi. Uno modo, per modum praenuntiationis, non per modum optationis; ut sit sensus: „Convertantur peccatores in infemum", idest, „convertentur". — Alio modo, per modum optationis; ut tarnen desiderium optantis non referatur ad poenam hominum, sed ad justitiam punientis, secundum illud: „Laetabitur justus cum viderit vindictam." Quia nec ipse Deus puniens „laetatur in perditione impiorum", ut dicitur Sap. 1, sed in sua justitia: 1

P : increpationes.

102

Gerechtigkeit; denn „gerecht ist der H e r r , E r liebt die 25.6 Gerechten" [Ps 11 (10), 8]. — D r i t t e n s [kann m a n die Verwünschungen der Heiligen Schrift so auffassen], d a ß das Verlangen auf die Ü b e r w i n d u n g der Schuld bezogen wird u n d nicht auf die Strafe selbst, auf d a ß die Sünden vernichtet u n d die Menschen gerettet werden. Z u 4. W i r lieben die Sünder aus der Gottesliebe heraus nicht so, als wollten wir, was sie wollen, u n d f r e u t e n uns über das, worüber sie sich f r e u e n ; sondern u m d a h i n zu wirken, d a ß sie wollen, was wir wollen, u n d sich über das freuen, worüber wir uns freuen. Deshalb heißt es J e r 15, 19: „Sie werden sich zu dir umwenden, u n d n i c h t d u wirst dich zu ihnen wenden." Z u 5. Die Schwachen müssen es vermeiden, m i t den Sündern zusammen zu leben wegen der ihnen drohenden Gefahr, d a m i t sie nicht von ihnen verdorben werden. F ü r die Vollkommenen aber, u m deren V e r f ü h r u n g m a n sich nicht zu sorgen b r a u c h t , ist es löblich, wenn sie m i t den Sündern verkehren, u m sie zu bekehren. So nämlich aß u n d t r a n k [sogar] der H e r r m i t den Sündern, wie es Mt 9, 10 f. heißt [vgl. Mk 2, 16]. — Das Zusammenleben m i t den Sünd e r n aber in bezug auf die M i t t ä t e r s c h a f t der S ü n d e ist von allen zu meiden. U n d in diesem Sinne heißt es 2 K o r 6, 17: „Gehet f o r t aus ihrer Mitte u n d r ü h r e t nichts Unreines a n " , nämlich in bezug auf die Z u s t i m m u n g zur Sünde. Q U A E S T I O 25, ,

„quia justus Dominus, et justitias dilexit". — Tertio, ut desiderium referatur ad remotionem culpae, non ad ipsam poenam; ut scilicet peccata destruantur et homines remaneant. AD QUARTUM dicendum quod ex caritate diligimus peccatores non quidem ut velimus quae ipsi volunt, vel gaudeamus de his de quibus ipsi gaudent; sed ut faciamus eos velle quod volumus, et gaudere de his de quibus gaudemus. Unde dicitur Jer. 15: „Ipsi convertentur ad te, et tu non converteris ad eos." AD QUINTUM dicendum quod convivere peccatoribus infirmis quidem est vitandum, propter periculum quod eis imminet ne ab eis subvertantur. Perfectis autem, de quorum corruptione non timetur, laudabile est quod cum peccatoribus conversentur, ut eos convertant. Sic enim Dominus cum peccatoribus manducabat et bibebat, ut habetur Matth. 9. — Convictus tarnen peccatorum quantum ad consortium peccati vitandus est omnibus. Et sie dicitur 2 ad Cor. 6: „Exite de medio eorum, et immundum ne tetigeritis," secundum scilicet peccati consensum. 103

7. A R T I K E L Lieben die Sünder sich selbst? 1. Das, was Ursprungsgrund der Sünde ist, ist am meisten in den Sündern zu finden. Ursprungsgrund der Sünde aber ist die Selbstliebe. Denn Augustinus sagt: „Sie ist es, die den Staat Babylon schafft." Also lieben die Sünder am meisten sich selbst. 2. Die Sünde hebt die Natur nicht auf [Art. 6 Anderseits], Das aber kommt jedem auf Grund seiner Natur zu, daß er sich selbst liebt; daher erstreben auch die vernunftlosen Geschöpfe naturhaft das eigene Gut, z. B. die Erhaltung ihres Seins und anderes dergleichen. Also lieben die Sünder sich selbst. 3. „Allen ist das Gut liebenswert", wie Dionysius sagt. Viele Sünder aber halten sich für gut. Also lieben viele Sünder sich selbst. ANDERSEITS heißt es im Psalm: „Wer die Ungerechtigkeit liebt, haßt seine Seele" [Ps 11 (10), 6]. ANTWORT: Sich selbst lieben ist in einer Weise allen Wesen gemeinsam; in anderer Weise ist es den Guten eigen; in einer dritten Weise ist es den Bösen eigen. Daß nämlich Q U A E S T I O 25, ,

ARTICULUS VII Utrum peccatores diligant

seipsos

|Infra 26,4; I - I I 29,4; 2 d 42: 2,2 qa 2 ad 2; 3 d 27: Exp Text; Car 12 ad 6; Ps 10]

AD S E P T I M U M sie proceditur. Videtur quod peccatores seipsos diligant. Illud enim quod est prineipium peccati maxime in peccatoribus invenitur. Sed amor sui est prineipium peccati; PL dicit enim Augustinus, 14 de Civitate Dei [c. 28], quod „facit 439 B civitatem Babylonis". Ergo maxime peccatores amant seipsos. 2. P R A E T E R E A , peccatum non tollit naturam. Sed hoc unieuique convenit ex sua natura quod diligat seipsum; unde etiam creaturae irrationales naturaliter appetunt proprium bonum, puta conservationem sui esse et alia hujusmodi. Ergo peccatores diligunt seipsos. 3. P R A E T E R E A , „omnibus est diligibile bonum"; ut DionyPG sius dicit, 4 cap. de Divinis Nominibus. Sed multi peccatores re7 / 1 9 9 P u t a n t se bonos. Ergo multi peccatores seipsos diligunt. S E D CONTRA est quod dicitur in Psalmo: „Qui diligit iniquitatem, odit amimam suam." R E S P O N D E O dicendum quod amare seipsum uno modo commune est omnibus; alio modo proprium est bonorum; tertio modo proprium est malorum. Quod enim aliquis amet illud quod

104

einer das liebt, als was er sich selbst einschätzt, das ist allen 25,7 gemein. Vom Menschen aber heißt es in doppelter Weise, daß er etwas ist: e i n m a l nach seinem Wesensbestand und seiner Natur. Und danach halten alle allgemein für gut, daß sie sind, was sie sind, nämlich aus Leib und Seele bestehend. Und so lieben auch alle Menschen, gute und böse, sich selbst, insofern sie ihre Erhaltung lieben [vgl. Komm, zu Art. 4, S. 472f.]. In a n d e r e r Weise sagt man, daß der Mensch etwas sei, auf Grund einer Vorrangstellung; so sagt man: Das Oberhaupt einer Bürgerschaft ist die Bürgerschaft; deshalb heißt es: was das Oberhaupt tut, t u t die Bürgerschaft. So aber schätzen nicht alle, daß sie sind, was sie sind. Das Hauptsächlichste nämlich im Menschen ist der vernünftige Geist. 1 Das Zweite ist die sinnenhafte und leibhafte Natur; das Erste nennt der Apostel „den inneren Menschen", das Zweite den „äußeren" (2 Kor 4, 16). Die Guten aber erachten als das Hauptsächlichste in ihnen selbst die vernünftige Natur oder den inneren Menschen, und danach schätzen sie sich ein. Die Bösen aber erachten als das Hauptsächlichste in ihnen selbst die sinnenhafte und leibhafte Natur, nämlich den äußeren Menschen. Da sie sich also nicht richtig erkennen, können sie sich auch Q U A E S T 1 0 25, ,

seipsum esse aestimat, hoc commune est omnibus. Homo autem dicitur esse aliquid dupliciter. Uno modo, secundum suam substantiam et naturam. Et secundum hoc omnes aestimant bonum commune se esse illud quod sunt, scilicet ex anima et corpore compositos. Et sie etiam omnes homines, boni et mali, diligunt seipsos, inquantum diligunt sui ipsorum conservationem. Alio modo dicitur esse homo aliquid secundum principalitatem, sicut prineeps civitatis dicitur esse civitas; unde quod prineipes faciunt, dicitur civitas facere. Sic autem non omnes aestimant se esse illud quod sunt. Principale enim in homine est mens rationalis, secundarium est autem natura sensitiva et corporalis [cf. 9 Eth. 4]; quorum primum Apostolus nominat * 116« » 22 „interiorem hominem", secundum „exteriorem", ut patet 2 ad Cor. 4. Boni autem aestimant principale in seipsis rationalem naturam, sive interiorem hominem; unde secundum hoc aestimant se esse quod sunt. Mali autem aestimant principale in seipsis naturam sensitivam et corporalem, scilicet exteriorem hominem. Unde non recte cognoscentes seipsos, non vere 1

Vgl. Anm. [13].

8 ITA

105

25,7 nicht richtig lieben, sondern sie lieben das, für was sie sich selbst halten. Die Guten aber, die sich richtig erkennen, lieben sich auch richtig. Und das beweist der Philosoph durch fünf Dinge, die der Freundschaft eigen sind. Denn jeder Freund will zue r s t , daß sein Freund da ist und lebt; z w e i t e n s will er ihm Gutes; d r i t t e n s tut er ihm Gutes; v i e r t e n s lebt er mit ihm in Freude und Fröhlichkeit zusammen; f ü n f t e n s stimmt er mit ihm überein, indem er sich mit ihm über dasselbe freut oder traurig ist. Und in bezug auf diese Dinge lieben die Guten sich selbst, was den inneren Menschen angeht; denn sie möchten ihn (1.) in seiner Unversehrtheit bewahren und wünschen ihm (2.) seine Güter, nämlich die geistigen, und strengen sich (3.) auch an, sie [für ihn, den inneren Menschen] zu erreichen, und kehren (4.) mit Freuden im eigenen Herzen ein, weil sie dort sowohl die guten Gedanken für die Gegenwart, die Erinnerung an die vergangenen [geistigen] Güter und die Hoffnung auf die zukünftigen finden, worüber eine große Freude in ihnen aufsteigt; auch erfahren sie (5.) in sich selbst keinen Zwiespalt des Willens, weil ihre ganze Seele auf eines gerichtet ist. Umgekehrt aber wollen die Bösen (1.) die Unversehrtheit des inneren Menschen nicht erhalten, noch verlangen sie (2.) für ihn nach geistigen Gütern, noch geben sie sich (3.) QUAESTIO 25, ; diligunt seipsos, sed diligunt illud quod seipsos esse reputant. Boni autem, vere cognoscentes seipsos, vere seipsos diligunt. 1160 a 3 E t hoc probat Philosophus, in 9 Ethicorum [c. 4], per quinque quae sunt amicitiae propria. Unusquisque enim amicus primo quidem vult suum amicum esse et vivere; secundo, vult ei bona; tertio, operatur bona ad ipsum; quarto, convivit ei delectabiliter; quinto, concordat cum ipso, quasi in eisdem 1 delectatus et contristatus. E t secundum hoc boni diligunt seipsos quantum ad interiorem hominem, quia etiam volunt ipsum servari in sua integritate; et Optant ei bona ejus, quae sunt bona spiritualia, et etiam ad assequenda operam impendunt; et delectabiliter ad cor proprium redeunt, quia ibi inveniunt et bonas cogitationes in praesenti, et memoriam bonorum praeteritorum, et spem futurorum bonorum, ex quibus delectatio causatur; similiter etiam non patiuntur in seipsis voluntatis dissensionem, quia tota anima eorum tendit in unum. Contrario autem modo mali non volunt conservari integritatem interioris hominis; neque appetunt spiritualia ejus bona; neque ad hoc operantur; neque delectabile est 1

P: cum eodem.

106

in dieser Hinsicht irgendwelche Mühe, noch ist es ihnen (4.) 25,7 lustvoll, im eigenen Herzen Einkehr zu halten, weil sie dort nur auf gegenwärtige, vergangene und zukünftige Übel stoßen, die sie verabscheuen; noch auch sind sie (5.) mit sich selbst in Übereinstimmung wegen des nagenden Gewissens, nach jenem Psalmwort: „Ich werde dich zur Rechenschaft ziehen und es dir vor Augen stellen" [Ps 50 (49), 21]. — Und in derselben Weise läßt sich zeigen, daß die Bösen sich selbst lieben zum Schaden ihres äußeren Menschen. So aber lieben die Guten nicht sich selbst. Zu 1. Jene Selbstliebe, die Ursprungsgrund der Sünde ist, ist dem Bösen eigentümlich und geht „bis zur Verachtung Gottes", wie es ebd. [bei Augustinus] heißt; denn die Bösen gieren so nach äußeren Gütern, daß sie die geistigen verachten. Zu 2. Die naturhafte Liebe wird bei den Bösen, auch wenn sie nicht ganz aufgehoben wird, so doch in der genannten Weise ins Widernatürliche verkehrt (Antw.). Z u 3. Indem die Bösen sich für gut halten, haben sie etwas von der Selbstliebe. Doch ist das keine wahre Selbstliebe, sondern nur eine scheinbare. Und selbst die ist in denen nicht möglich, die ganz schlecht sind. Q U A E S T I O 25,,

eis secum convivere redeundo ad cor, quia inveniunt ibi mala et praesentia et praeterita et futura, quae abhorrent; neque etiam sibi ipsis concordant, propter conscientiam remordentem, secundum illud Psalmi: „Arguam te, et statuam contra faciem tuam." — Et per eadem probari potest quod mali amant seipsos secundum corruptionem exterioris hominis. Sic autem boni non amant seipsos. A D PRIMUM ergo dicendum quod amor sui qui est principium peccati, est ille qui est proprius malorum, perveniens „usque ad contemptum Dei", ut ibi dicitur; 1 quia mali sie etiam cupiunt exteriora bona quod spiritualia contemnunt. A D SECUNDUM dicendum quod naturalis amor, etsi non totaliter tollatur a malis, tarnen in eis pervertitur per modum jam dictum. A D TERTIUM dicendum quod mali, inquantum aestimant, se bonos, sie aliquid partieipant de amore sui. Nec tarnen ista est vera sui dilectio, sed apparens. Quae etiam non est possibilis in his qui valde sunt mali. 1

8*

Augustinus, De Civ. Dei 14, 28 (PL 41 /4S6 B).

107

25,8

8. A R T I K E L Gehört es notwendig zur Gottesliebe, auch die Feinde zu lieben ? 1. Augustinus sagt: „Ein so hohes Gut" — nämlich die Feindesliebe — „ist doch nicht [Gemeingut] einer so großen Menge, wie sie meiner Meinung nach Erhörung findet, wenn sie im Gebete [des Herrn] spricht: ,Vergib uns unsere Schuld'/' Keinem aber wird die Sünde erlassen ohne Gottesliebe, denn „die Gottesliebe deckt alle Sünde zu" (Spr 10, 12). Also gehört es nicht notwendig zur Gottesliebe, auch die Feinde zu lieben [49]. 2. Die Gottesliebe hebt die Natur nicht auf [50]. Aber ein jedes Wesen, auch das vernunftlose, haßt naturhaft, was ihm zuwider ist; wie das Schaf den Wolf und Wasser das Feuer. Also bringt es die Gottesliebe nicht dahin, die Feinde zu lieben. 3. „Die Liebe tut nichts Verkehrtes" [1 Kor 13, 4]. Das aber scheint verkehrt zu sein, daß einer die Feinde liebt, genau so wie wenn einer die Freunde hassen würde. Deshalb spricht Joab 2 Sm 19, 6 im Tadel zu David: „Du liebst, die dich hassen; und hassest, die dich lieben." Also bringt es die Gottesliebe nicht dahin, die Feinde zu lieben. QUAESTIO ¿5, s ARTICULUS

VIII

U t r u m sit de n e c e s s i t a t e c a r i t a t i s ut inimici diligantur [Infra a. 9; 83,8; 3 d 30: a. 1; Car 8; Dec leg 9; PVS 14; Rom 12 lect 3] A D OCTAVUM sie proceditur. Videtur quod non sit de necessitate caritatis ut inimici diligantur. Dicit enim Augustinus, in PL Enchiridion [c. 73], quod „hoc tam magnum bonum", id est 40/266 D djljgere inimicos, „non est tantae multitudinis quantam credimus exaudire cum in Oratione dicitur, ,Dimitte nobis debita nostra'". Sed nulli dimittitur peccatum sine caritate; quia, ut dicitur Prov. 10, „universa delicta operit Caritas". Ergo non est de necessitate caritatis diligere inimicos. 2. P R A E T E R E A , Caritas non tollit naturam. Sed unaquaeque res, etiam irrationalis, naturaliter odit suum contrarium; sicut ovis lupum, et aqua ignem. Ergo Caritas non facit quod inimici diligantur. 3. P R A E T E R E A , „Caritas non agit perperam". Sed hoc videtur esse perversum quod aliquis diligat inimicos, sicut et jam quod aliquis odio habeat amicos; unde 2 Reg. 19 exprobando dicit Joab ad David: „Diligis odientes te, et odio habes diligentes te." Ergo Caritas non facit ut inimici diligantur. 108

A N D E R S E I T S sagt der H e r r Mt 5 , 4 4 : „Liebet eure 25,8 F e i n d e ! " [50a] A N T W O R T : Die Feindesliebe k a n n dreifach betracht e t werden. E i n m a l so, d a ß die Feinde geliebt werden, sofern sie Feinde sind. U n d das ist widernatürlich u n d widerstrebt a u c h der Gottesliebe; d e n n das hieße, das Böse des anderen lieben. I n a n d e r e r Weise k a n n die Feindesliebe a u f g e f a ß t werden, soweit die N a t u r [der Feinde, soweit sie Menschen sind] in F r a g e k o m m t , aber im allgemeinen. U n d so gehört die Feindesliebe notwendig zur Gottesliebe: d a ß nämlich einer, der G o t t u n d den N ä c h s t e n liebt, die Feinde v o n dieser Allgemeinheit der Nächstenliebe nicht [ausdrücklich] ausschließt. I n einer d r i t t e n Weise l ä ß t sich die Feindesliebe im Besonderen b e t r a c h t e n , nämlich so, d a ß m a n im Einzelfall den Feinden gegenüber eine besondere R e g u n g der heiligen Liebe e r f ä h r t . U n d das gehört nicht unbedingt notwendig zur Gottesliebe; d e n n auch eine besondere Liebesregung zu jedem einzelnen Menschen gehört nicht notwendig zur Gottesliebe, weil das unmöglich wäre. U n d doch gehört sie notwendig zur Gottesliebe als Bereitschaft der Seele, d a ß nämlich der Mensch seinen Geist bereit halte, im gegebenen Falle auch den einzelnen F e i n d zu lieben, wenn die Notwendigkeit es fordert. Q U A E S T I O 25, „

SED CONTRA est quod Dominus dicit Matth. 5: „Diligite inimicos vestros." RESPONDEO dicendum quod dilectio inimicorum tripliciter potest considerari. Uno quidem modo, ut inimici diligantur in quantum sunt inimici. Et hoc est perversum et caritati repugnans : quia hoc est diligere malum alterius. Alio modo potest accipi dilectio inimicorum quantum ad naturam, sed in imi versali. Et sic dilectio inimicorum est de necessitate caritatis, ut scilicet aliquis diligens Deum et proximum ab illa generalitate dilectionis proximi inimicos suos non excludat. Tertio modo potest considerari dilectio inimicorum in speciali, ut scilicet aliquis in speciali moveatur motu dilectionis ad inimicum. Et istud non est de necessitate caritatis absolute; quia nec etiam moveri motu dilectionis in speciali ad quoslibet homines singulariter est de necessitate caritatis, quia hoc esset impossibile. Est tarnen de necessitate caritatis secundum praeparationem animi, ut scilicet homo habeat animum paratum ad hoc quod in singulari inimicum diligerei si necessitas occurreret. 109

8

Daß aber der Mensch auch außerhalb dieser Notwendigkeit den Feind um Gottes willen wirklich liebt, das gehört zur Vollkommenheit der Gottesliebe. Da nämlich der Nächste aus der heiligen Liebe heraus um Gottes willen geliebt wird, wird der Mensch, je mehr er Gott liebt, um so mehr seine Liebe auch dem Nächsten gegenüber beweisen, ohne durch irgendwelche Feindschaft aufgehalten zu werden. Genau so, wie jemand, der einen Menschen sehr lieb hätte, kraft dieser Liebe auch dessen Kinder lieben würde, selbst diejenigen, die ihm feind wären. — Und in diesem Sinne spricht Augustinus. Daraus ergibt sich die Lösung Zu 1. Zu 2. Ein jedes Wesen haßt naturhaft das, was ihm zuwider ist, insofern es ihm zuwider ist. Die Feinde aber sind uns zuwider, soweit sie Feinde sind. Deshalb müssen wir dieses in ihnen hassen; denn es muß uns mißfallen, daß sie uns Feinde sind. Nicht aber sind sie uns zuwider, sofern sie Menschen und damit der Seligkeit fähig sind. Und in bezug darauf müssen wir sie lieben. Zu 3. Die Feinde lieben, sofern sie Feinde sind, ist tadelnswert. Das aber tut die Gottesliebe nicht (Antw.). Q U A E S T I O 25,,

Sed quod absque articulo necessitatis homo etiam hoc actu impleat ut diligat inimicum propter Deum, hoc pertinet ad perfectionem caritatis. Cum enim ex caritate diligatur proximus propter Deum, quanto aliquis magis diligit Deum, tanto etiam magis ad proximum dilectionem ostendit, nulla inimicitia impediente. Sicut si aliquis multum diligeret aliquem hominem, amore ipsius filios ejus amaret etiam sibi inimicos. — E t secundum hunc modum loquitur Augustinus. Unde patet responsio A D P R I M U M . A D S E C U N D U M dicendum quod unaquaeque res naturaliter odio habet illud quod est sibi contrarium inquantum est sibi contrarium. Inimici autem sunt nobis contrarii inquantum sunt inimici. Unde hoc debemus in eis odio habere; debet enim nobis displicere quod nobis inimici sunt. Non autem nobis sunt contrarii inquantum homines sunt et beatitudinis capaces. E t secundum hoc debemus eos diligere. A D T E R T I U M dicendum quod diligere inimicos inquantum sunt inimici, hoc est vituperabile. E t hoc non facit Caritas, ut dictum est.

110

25,9

9. A R T I K E L Ist es zur Gottesliebe notwendig, dem Feinde durch und Taten die Liebe zu beweisen?

Zeichen

1. 1 Jo 3, 18 heißt es: „Lasset uns nicht lieben mit Worten und der Zunge allein, sondern in der Tat und Wahrheit." In der Tat aber liebt einer, wenn er dem Geliebten mit Zeichen und Werken seine Liebe beweist. Also gehört es notwendig zur Gottesliebe, daß einer dem Feinde mit Zeichen und Taten seine Liebe beweist. 2. Der Herr sagt Mt 5, 44: „Liebet eure Feinde" und zugleich: „Tuet Gutes denen, die euch hassen." Die Feinde lieben aber gehört notwendig zur Gottesliebe. Also auch den Feinden Gutes tun. 3. Mit der heiligen Liebe lieben wir nicht nur Gott, sondern auch den Nächsten. Gregor aber sagt: „Die Liebe zu Gott kann nicht müßig sein; sie wirkt Großes, wenn sie da ist; hört sie zu wirken auf, ist es keine Liebe." Also kann die Nächstenliebe nicht ohne die Wirkung der Tat sein. 1 Es gehört aber notwendig zur Gottesliebe, daß jeder Q U A E S T I O 25,,

ARTICULUS IX U t r u m sit de n e c e s s i t a t e c a r i t a t i s quod aliquis signa et e f f e c t u s d i l e c t i o n i s inimieo e x h i b e a t [Infra 83,8; 3 d 30: a. 2; Car 8; Dec leg 9; PVS 14]

AD NONUM sie proceditur. Videtur quod de necessitate caritatis sit quod aliquis homo signa vel effectus dilectionis inimieo exhibeat. Dicitur enim 1 Joan. 3: „Non diligamus verbo ñeque lingua, sed opere et veritate." Sed opere diligit aliquis exhibendo ad eum quem diligit signa et effectus dilectionis. Érgo de necessitate caritatis est u t aliquis hujusmodi signa et effectus inimicis exhibeat. 2. P R A E T E R E A , Matth. 5 Dominus simul dicit: „Diligite inimicos vestros", e t : „Benefacite his qui oderunt vos." Sed diligere inimicos est de necessitate caritatis. Ergo et benefacere inimicis. 3. P R A E T E R E A , caritate a m a t u r non solum Deus, sed etiam proximus. Sed Gregorius dicit, in homilia Pentecostes [InEvang., 1. 2 hom. 30], quod „amor Dei non potest esse otiosus; magna p l enim operatur, si est; si desinit operari, amor non est". Ergo 76/1221 caritas quae habetur ad proximum non potest esse sine operationis effectu. Sed de necessitate caritatis est ut omnis proximus 1

Die innere Begründung dazu folgt 31,1.

111

B

25,9 Nächste geliebt werde, auch der Feind. Also gehört es notwendig zur Liebe, daß wir die Zeichen und Beweise der Liebe auch auf die Feinde ausdehnen. ANDERSEITS sagt die Glosse zu Mt 5, 44 ,Tuet Gutes denen, die euch hassen': „Den Feinden Gutes erweisen bedeutet den Gipfel der Vollkommenheit." Was aber zur Vollkommenheit der Liebe gehört, gehört nicht notwendig zur Liebe. Also gehört es nicht notwendig zur Liebe, daß man dem Feinde Zeichen und Beweise der Liebe gibt. ANTWORT: Beweise und Zeichen der Liebe gehen aus der inneren K r a f t der Liebe hervor und stehen zu ihr in bestimmtem Verhältnis. Die Feindesliebe im Inneren [des Herzens], allgemein gefaßt, ist unbedingt notwendig zur Erfüllung des Gebotes; jedoch dem einzelnen Feind gegenüber nicht unbedingt, sondern nur in der Bereitschaft des Geistes (Art. 8). Dasselbe gilt von den Beweisen und Zeichen der Liebe nach außen. Es gibt nämlich gewisse Gunstbezeigungen und Zeichen der Liebe, die wir im allgemeinen dem Nächsten erweisen; so z. B. wenn einer für alle Gläubigen oder f ü r das ganze Volk betet oder wenn einer der ganzen Gemeinschaft eine Wohltat erweist. Und d i e s e Wohltaten oder Zeichen der Liebe dem Feinde erweisen gehört notwendig zur Erfüllung des Gebotes. WürQ U A E S T I O 25,»

diligatur, etiam inimicus. Ergo de necessitate caritatis est ut etiam ad inimicos signa et effectus dilectionis extendamus. SED CONTRA est quod Matth. 5 super illud, ,Benefacite his qui oderunt vos', dicit Glossa [ord.] quod „benefacere inimicis est cumulus perfectionis". Sed illud quod pertinet ad perfectionem caritatis non est de necessitate ipsius. Ergo non est de necessitate caritatis quod aliquis signa et effectus dilectionis inimicis exhibeat. RESPONDEO dicendum quod effectus et signa caritatis ex interiori dilectione procedunt et ei proportionantur. Dilectio autem interior ad inimicum in communi quidem est de necessitate praecepti absolute; in speciali autem non absolute, sed secundum praeparationem animi, ut supra dictum est. Sic igitur dicendum est de effectu vel signo dilectionis exterius exhibendo. Sunt enim quaedam beneficia vel signa dilectionis quae exhibentur proximis in communi; puta cum aliquis orat pro omnibus fidelibus vel pro toto populo, aut cum aliquis aliquod beneficium impendit toti communitati. Et talia beneficia vel dilectionis signa inimicis exhibere est de necessitate praecepti; si enim non exhi-

112

den sie nämlich dem Feinde nicht erwiesen, so würde das 26, 9 aussehen wie Rache, gegen das, was Lv 19, 18 gesagt ist: „Du sollst nicht Rache suchen, noch des Unrechtes deiner Mitbürger gedenken." Dann gibt es andere Wohltaten und Zeichen der Liebe, die man im besonderen ganz bestimmten Personen erweist. Und solche Wohltaten oder Zeichen der Liebe dem Feinde erweisen gehört nicht notwendig zur Gottesliebe als höchstens der Bereitschaft des Geistes nach; nämlich daß man ihnen in der Not zu Hilfe kommt; nach Spr 25, 21: „Wenn dein Feind hungert, so gib ihm zu essen; wenn er dürstet, gib ihm zu trinken." — Daß aber jemand auch außerhalb des Notfalles dem Feinde solche Wohltaten erweist, gehört zur V o l l k o m m e n h e i t der Gottesliebe, kraft deren man sich nicht nur davor hütet, „vom Bösen besiegt zu werden", • was notwendig [zur Liebe] gehört, sondern auch den Willen darauf richtet, „durch das Gute das Böse zu besiegen" [Rom 12, 21], was ebenfalls zur Vollkommenheit der Liebe gehört; so wenn er sich nicht nur davor hütet, sich durch das erlittene Unrecht zum Hasse verleiten zu lassen, sondern durch seine Wohltaten versucht, den Feind in seine Liebe herüberzuziehen. Daraus ergibt sich die Lösung der Einwände. Q U A E S T I O 25, „

berentur inimicis, hoc pertineret ad livorem vindictae, contra illud quod dicitur Lev. 19: ,,Non quaeres ultionem; et non eris memor injuriae civium tuorum." Alia vero sunt beneficia vel dilectionis signa quae quis exbibet particulariter aliquibus personis. Et talia beneficia vel dilectionis signa inimicis exhibere non est de necessitate salutis nisi secundum praeparationem animi, ut scilicet subveniatur eis in articulo necessitatis; secundum illud Prov. 25: „Si esurierit inimicus tuus, ciba illum; si sitit, potum da illi." — Sed quod praeter articulum necessitatis hujusmodi beneficia aliquis inimicis exhibeat, pertinet ad perfectionem caritatis, per quam aliquis non solum cavet „vinci a malo", quod necessitatis est, sed etiam vult „in bono vincere malum", quod est etiam perfectionis; dum scilicet non solum cavet propter injuriam sibi illatam detrahi ad odium; sed etiam propter sua beneficia inimicum intendit pertrahere ad suum amorem. Et per hoc patet responsio A D OBJECTA.

113

25,10

10. A R T I K E L Müssen wir die Engel aus der heiligen Liebe lieben?

1. Augustinus sagt: „Die Zuneigung der heiligen Liebe ist eine doppelte, nämlich zu Gott und zum Nächsten." Die Liebe zu den Engeln aber fällt nicht unter die Liebe zu Gott, weil sie geschaffen sind; auch scheint sie nicht enthalten zu sein in der Liebe zum Nächsten, da sie in der Art mit uns nicht übereinkommen. Also sind die Engel nicht mit der heiligen Liebe zu lieben. 2. Die Tiere kommen mehr mit uns überein als die Engel; denn wir und die Tiere stehen in derselben nächsthöheren Gattung [der Sinnenwesen]. Zu den Tieren aber haben wir nicht heilige Liebe (Art. 3). Also auch nicht zu den Engeln. 3. „Nichts eignet den Freunden so wie das Zusammenleben" (Aristoteles). Die Engel leben aber nicht mit uns zusammen; auch können wir sie nicht sehen. Also können wir mit ihnen nicht die Freundschaft der heiligen Liebe haben. ANDERSEITS sagt Augustinus: „Wenn mit Recht der unser Nächster heißt, dem von uns oder von dem uns ein Q U A E S T I O 25,10

ARTICULUS X U t r u m d e b e a m u s an gelos ex c a r i t a t e diligere [3 d 28: a. 3; Car 7 ad 9; Rom 13 lect 2]

PL c

34/29

1157 b 19

PL

34/311)

AD DECIMUM sie proceditur. Videtur quod angelos non debeamus ex caritate diligere. U t enim dieit Augustinus, in 1 de Doctrina Christiana [c. 26], „gemina est dilectio caritatis, gcilicet Dei et proximi". Sed dilectio angelorum non continetur sub dilectione Dei, cum sint substantiae creatae; nec etiam videtur contineri sub dilectione proximi, cum non communicent nobiscum in specie. Ergo angeli non sunt ex caritate diligendi. 2. P R A E T E R E A , magis conveniunt nobiscum b r u t a animalia quam angeli; nam nos et animalia bruta sumus in eodem genere propinquo. Sed ad b r u t a animalia non habemus caritatem, u t supra dictum est. Ergo etiam neque ad angelos. 3. P R A E T E R E A , „nihil est ita proprium amicorum sicut. convivere", u t dicitur in 8 Ethicorum [c. 6]. Sed angeli non convivunt nobiscum, nec etiam eos videre possumus. Ergo ad eos caritatis amicitiam habere non valemus. SED CONTRA est quod Augustinus dicit, in 1 de Doctrina Christiana fc. 301: „ J a m vero si vol cui praebendum, vel a quo 114

Dienst der Barmherzigkeit zu leisten ist, so ist es offenbar, 25,10 daß in dem Gebot, kraft dessen wir den Nächsten lieben müssen, auch die heiligen Engel einbegriffen sind, die uns viele Dienste der Barmherzigkeit erweisen." ANTWORT: Die Freundschaft der Gottesliebe gründet in der Mitteilung der ewigen Seligkeit (Art. 3 u. 6; 23,1. 5), in deren Teilnahme die Menschen mit den Engeln übereinkommen; denn Mt 22, 30 heißt es, daß „die Menschen bei der Auferstehung der Toten sein werden wie die Engel des Himmels". Also ist es klar, daß die Freundschaft der Gottesliebe sich auch auf die Engel erstreckt. Zu 1. ,Nächster' heißt einer nicht nur auf Grund der Gemeinsamkeit der Art, sondern auch auf Grund der Gemeinsamkeit jener [von Gott] mitgeteilten Wohltaten, die im Zusammenhang mit dem ewigen Leben stehen; und in deren Mitteilung gründet die Freundschaft der Gottesliebe. Zu 2. Die Tiere kommen mit uns in der nächsthöheren Gattung überein auf Grund der sinnenhaften Natur, nach der wir der ewigen Seligkeit gerade nicht teilhaftig sind; sondern [wir sind der ewigen Seligkeit teilhaftig nur] nach dem vernünftigen Geistgrund, in welchem wir mit den Engeln übereinkommen. Zu 3. Die Engel leben nicht mit uns zusammen in Q U A E S T I O 25,10

nobis praebendum est officium misericordiae, recte proximus dicitur; manifestum est praecepto quo jubemur diligere proximum, etiam sanctos angelos eontineri, a quibus multa nobis misericordiae impenduntur officia." RESPONDEO dicendum quod amicitia caritatis, sicut supra dictum est, fundatur super communicatione beatitudinis aeternae, in cujus participatione communicant cum angelis homines; dicitur enim Matth. 22 quod „in resurrectione erunt homines sicut angeli in caelo". Et ideo manifestum est quod amicitia caritatis etiam ad angelos se extendit. AD PRIMUM ergo dicendum quod proximus non solum dicitur communicatione speciei, sed etiam communicatione beneficiorum pertinentium ad vitam aeternam; super qua communicatione amicitia caritatis fundatur. AD SECUNDUM dicendum quod bruta animalia conveniunt nobiscum in genere propinquo ratione naturae sensitivae, secundum quam nos sumus participes beatitudinis aeternae, sed secundum mentem rationalem; in qua communicamus cum angelis. AD TERTIUM dicendum quod angeli non convivunt nobis 115

25, n äußerem Verkehr, der uns auf Grund unserer sinnenhaften Natur zukommt. Doch leben wir geistig mit den Engeln zusammen; zwar in diesem Leben noch unvollkommen, vollkommen aber in der ewigen Heimat (23, 1 Zu 1). 11. A R T I K E L Müssen wir die Dämonen [51] aus heiliger Liebe lieben? 1. Die Engel sind uns ,Nächste', weil wir mit ihnen übereinkommen im vernünftigen Geiste. Aber auch die Dämonen kommen in dieser Weise mit uns überein; denn die natürlichen Gaben bleiben bei ihnen unangetastet, nämlich Sein, Leben und Verstehen (Dionysius). Also müssen wir die Dämonen mit der heiligen Liebe lieben. 2. Die Dämonen unterscheiden sich von den seligen Engeln durch die Sünde, wie auch die sündigen Menschen von den gerechten. Die gerechten Menschen lieben aber die Sünder mit der heiligen Liebe. Also müssen sie auch mit derselben heiligen Liebe die Dämonen lieben. 3. Diejenigen, von denen wir Wohltaten empfangen, müssen wir als .Nächste' mit heiliger Liebe lieben; wie das aus der oben (Art. 10 Anderseits) von Augustinus entlehnten QtTAESTIO 25,,!

exteriori conversatione, quae nobis est secundum sensitivam naturam. Convivimus tarnen angelis secundum mentem; imperfecte quidem in hac vita, perfecte autem in patria, sicut et supra dictum est. ARTICULUS XI U t r u m debeamus daemones ex c a r i t a t e

diligere

[3 d 28: a. 5; 31: 2,3 qa 1; Car 7; 8 ad 9; Rom 13 lect 2]

AD U N D E C I M U M sie proceditur. Videtur quod daemones ex caritate debeamus diligere. Angeli enim sunt nobis proximi inquantum communicamus cum eis in rationali mente. Sed etiam daemones sie nobiscum communicant; quia data naturalia in eis manent integra, scilicet esse, vivere et intelligere, ut dicitur in 4 cap. de Divinis Nominibus. Ergo daemones ex caritate Sof 1/278 debemus diligere. 2. P R A E T E R E A , daemones differunt a beatis angelis differentia peccati, sicut et peccatores homines a justis. Sed iusti homines ex caritate diligunt peccatores. Ergo etiam ex caritate debent diligere daemones. 3. P R A E T E R E A , illi a quibus nobis benefleia impenduntur debent a nobis ex caritate diligi tamquam proximi; sicut patet ex auetoritate Augustini supra indueta. Sed daemones nobis

1 IC

Stelle hervorgeht. Die Dämonen sind uns aber in vielen 25,11 Dingen nützlich, weil sie, „indem sie uns versuchen, unsere Krone bereiten" (Augustinus). Also müssen wir die Dämonen mit der heiligen Liebe lieben. ANDERSEITS heißt es Is 28, 18: „Euer Bund mit dem Tode soll vernichtet werden und euer Vertrag mit der Hölle keine Geltung haben." Der Abschluß des Friedensvertrages und des Bundes aber geschieht durch die Gottesliebe. Also dürfen wir die Dämonen, die Bewohner der Hölle und die Anwälte des Todes, nicht mit der heiligen Liebe lieben. ANTWORT: In den Sündern müssen wir aus heiliger Liebe die Natur lieben, die Sünde hassen. Mit dem Namen ,Dämon' aber wird die durch die Sünde entstellte Natur bezeichnet. Also dürfen die Dämonen nicht mit der heiligen Liebe geliebt werden. Wenn wir jedoch den Ausdruck nicht pressen und die Frage von jenen Geistern verstehen, welche Dämonen genannt werden, ob man diese mit der heiligen Liebe lieben müsse, so muß man nach dem vorhergehenden (Art. 2 u. 3) antworten, daß etwas in doppelter Weise aus heiliger Liebe geliebt wird. Einmal wie etwas, mit dem man Freundschaft hat. Und in dieser Weise können wir mit jenen Geistern nicht die Freundschaft der heiligen Liebe QU A B S T I O 25, „

in multis sunt utiles, dum „nos tentando nobis Coronas fabricant", sicut Augustinus dicit, 11 de Civitate Dei. 1 Ergo daemones sunt ex caritate diligendi. SED CONTRA est quod dicitur Is. 28: „Delebitur foedus vestrum cum morte, et pactum vestrum cum inferno non stabit." Sed perfectio pacis et foederis est per caritatem. Ergo ad daemones, qui sunt inferni incolae et mortis procuratores, caritatem habere non debemus. RESPONDEO dicendum quod, sicut supra dictum est, in peccatoribus ex caritate debemus diligere naturam, peccatum odire. In nomine autem daemonis significatur natura peccato deformata. Et ideo daemones ex caritate non sunt diligendi. Et si non fiat vis in nomine, et quaestio referatur ad illos spiritus qui daemones dicuntur, utrum sint ex caritate diligendi, respondendum est, secundum praemissa, quod aliquid ex caritate diligitur dupliciter. Uno modo, sicut ad quem amicitia habetur. Et sie ad illos spiritus caritatis amicitiam habere non possumus. 1

Cf. Bernard., In Cant., serm. 17 (PL 183/858 A).

117

25, n haben. Denn es gehört zur Bewandtnis der Freundschaft, daß wir unseren Freunden Gutes wollen. Jenes Gut des ewigen Lebens aber, das die heilige Liebe im Auge hat, können wir jenen Geistern, die von Gott auf ewig verdammt sind, nicht aus heiliger Liebe wünschen; denn das würde der Gottesliebe widersprechen, mit der wir Seine Gerechtigkeit anerkennen. In anderer Weise wird etwas geliebt wie etwas, dessen Erhaltung wir wünschen als ein Gut für den anderen; so lieben wir die unvernünftigen Geschöpfe, indem wir wünschen, daß sie zur Ehre Gottes und zum Nutzen der Menschen erhalten bleiben (Art. 3). Und auf diese Weise können wir die Natur sogar der bösen Geister mit heiliger Liebe lieben; insofern wir wünschen, daß jene Geister in ihren natürlichen Gaben zur Ehre Gottes erhalten bleiben. Zu 1. Der Geist der Engel kennt nicht jene Unmöglichkeit, die ewige Seligkeit zu besitzen, wie der Geist der Dämonen. Deshalb besteht die Freundschaft der Gottesliebe, die mehr in der Gemeinsamkeit des ewigen Lebens als in der Gemeinsamkeit der Natur gründet, zwar zu den Engeln, nicht aber zu den Dämonen. Zu 2. Die sündigen Menschen haben in diesem Leben [immer] die Möglichkeit, zur ewigen Seligkeit zu gelangen Q U A E S T 1 0 25, „

Pertinet enim ad rationem amicitiae ut amicis nostris bonum * 1155b 31 velimus [cf. 8 Eth. 2]. Illud autem bonum vitae aeternae quod respicit Caritas, spiritibus illis a Deo aeternaliter damnatis ex caritate velle non possumus; hoc enim repugnaret caritati Dei, per quam ejus justitiam approbamus. Alio modo diligitur aliquid sicut quod volumus permanere ut bonum alterius; per quem modum ex caritate diligimus irrationales creaturas, inquantum volumus eas permanere ad gloriam Dei et utilitatem hominum, ut supra dictum est. Et per hunc modum et naturam daemonum etiam ex caritate diligere possumus, inquantum scilicet volumus illos spiritus in. suis naturalibus conservari ad gloriam Dei. A D P R I M U M ergo dicendum quod mens angelorum non habet impossibilitatem ad aeternam beatitudinem habendam, sicut habet mens daemonum. Et ideo amicitia caritatis, quae fundatur super communicatione vitae aeternae magis quam super communicatione naturae, habetur ad angelos, non autem ad daemones. A D SECUNDUM dicendum quod homines peccatores in hac vita habent possibilitatem perveniendi ad beatitudinem aeter-

118

[52]. Diese Möglichkeit aber besteht nicht für die Ver- 25,12 dämmten in der Hölle; denn in bezug darauf ist es mit ihnen dasselbe wie mit den Dämonen. Z u 3. Der Nutzen, der uns aus dem Wirken der Dämonen erwächst, liegt nicht in deren Absicht, sondern in der Anordnung der göttlichen Vorsehung. Deshalb haben wir keine Veranlassung, deswegen mit ihnen Freundschaft zu schließen, sondern nur dazu, daß wir Gott gegenüber unsere Freundschaft bewahren, der ihre verkehrte Absicht zu unserem Nutzen wendet. 12. A R T I K E L Werden sinnvoll vier Dinge aufgezählt, die wir aus der heiligen Liebe lieben müssen, nämlich: Gott, der Nächste, unser Leib und wir selbst? 1. Augustinus sagt: „Wer Gott nicht liebt, liebt auch sich selbst nicht." Also ist die Selbstliebe in der Gottesliebe eingeschlossen. Also ist die Selbstliebe nicht eine andere und eine andere die Gottesliebe. 2. Der Teil darf nicht mit dem Ganzen [als gleichwertiges Glied] in eine Einteilung gesetzt werden. Der Leib QUAESTIO 25, ,, nam. Quod non habent illi qui sunt in inferno damnati; de quibus quantum ad hoc, est eadem ratio sicut et de daemonibus. AD T E R T I U M dicendum quod utilitas quae nobis ex daemonibus provenit non est ex eorum intentione, sed ex ordinatione divinae providentiae. E t ideo ex hoc non inducimur ad habendum amicitiam eorum; sed ad hoc quod simus Deo amici, qui eorum perversam intentionem convertit in nostram utilitatem. ARTICULUS XII U t r u m c o n v e n i e n t e r e n u m e r e n t u r q u a t u o r ex caritate diligenda: scilicet Deus, proximus, corpus n o s t r u m et nos ipsi [Infra 26,1.4; 83,7; 3 d 28: a. 7; Car 7] AD DUODECIMUM sie proceditur. Videtur quod inconvenienter enumerentur quatuor ex caritate diligenda: scilicet Deus, proximus, corpus nostrum et nos ipsi. U t enim Augustinus dicit, super Joan. [tr. 83], „qui non diligit Deum, nec seipsum p l diligit". I n Dei ergo dilectione includitur dilectio sui ipsius. Non 35/1846 A est ergo dilectio alia sui ipsius, et alia dilectio Dei. 2. P R A E T E R E A , pars non debet dividi contra t o t u m [cf. • 122 b 25 4 Top. 2]. Sed corpus nostrum est quaedam pars nostri. Non 119

25,12 aber ist ein Teil von uns. Also darf unser Leib nicht, gleichsam als ein anderer Gegenstand der Liebe, von uns getrennt werden. 3. Wie w i r u n s e r e n Leib haben, so hat der Nächste den seinen. Wie also die Liebe, mit der einer den Nächsten liebt, unterschieden ist von der Liebe, mit der er sich selbst liebt, so muß auch die Liebe, mit der einer den Leib des Nächsten liebt, unterschieden werden von der Liebe, mit der er seinen eigenen Leib liebt. Also ist es nicht sinnvoll, vier Dinge aufzuzählen, die aus der heiligen Liebe zu lieben sind. ANDERSEITS sagt Augustinus: „Vier Dinge müssen wir lieben: eines, das über uns ist", nämlich Gott; „das zweite, das wir selbst sind; das dritte, das neben uns ist", nämlich der Nächste; „das vierte, das unter uns ist", nämlich der eigene Leib. ANTWORT: Die Freundschaft der heiligen Liebe gründet in der Mitteilung der Seligkeit (Art. 3.6.10; 23,1.5). In dieser Mitteilung gibt es eines, das wir als Quellgrund betrachten müssen, aus dem die Seligkeit [in uns] einströmt, nämlich Gott; das zweite ist das, was unmittelbar an der Seligkeit selbst teilhat, das ist der Mensch und der Engel; das dritte aber ist das, dem die Seligkeit durch ein gewisses Überquellen zugeleitet wird, nämlich der menschliche QUAESTIO 25, ergo debet dividi, quasi aliud diligibile, corpus nostrum a nobis ipsis. 3. PRAETEREA, sicut nos habemus corpus, ita etiam et proximus. Sicut ergo dilectio qua quis diligit proximum, distinguitur a dilectione qua quis diligit seipsum; ita dilectio qua quis diligit corpus proximi, debet distingui a dilectione qua •124 a 15 quis diligit corpus suum [cf. 4 Top. 4]. Non ergo convenienter distinguuntur quatuor ex caritate diligenda. SED CONTRA est quod Augustinus dicit, in 1 de Doctrina PL Christiana [c. 23]: „Quatuor sunt diligenda: unum quod supra 34/27 C n o g es t-" t scilicet Deus; „alterum quod nos sumus; tertium quod juxta nos est", scilicet proximus; „quartum quod infra nos est", scilicet proprium corpus. RESPONDEO dicendum quod, sicut dictum est, amicitia caritatis super communicatione beatitudinis fundatur. In qua quidem communicatione unum quidem est quod consideratur ut principium influens beatitudinem, scilicet Deus; aliud est beatitudinem directe participans, scilicet homo et angelus; tertium autem est illud ad quod per quamdam redundantiam beatitudo derivatur, scilicet corpus humanuni. Illud quidem quod est

120

Leib. Das nun, was die Seligkeit einströmt, ist deshalb 25,12 zu lieben, weil es die Ursache der Seligkeit ist. D a s aber, was a n der Seligkeit [unmittelbar] teilhat, k a n n auf einen doppelten G r u n d hin Gegenstand der Liebe sein: entweder weil es m i t u n s eins ist; oder weil es m i t uns zusammengeschlossen ist in der Teilhabe a n der Seligkeit. U n d d a n a c h werden zwei Dinge angenommen, die aus der heiligen Liebe zu lieben sind: sofern nämlich der Mensch einmal sich selbst u n d d a n n den N ä c h s t e n liebt. Z u 1. Die Verschiedenheit im Verhältnis des Liebenden zu den verschiedenen liebenswerten Dingen schafft eine verschiedene Bewandtnis der L i e b e n s w ü r d i g k e i t ' . Weil d e m n a c h das Verhältnis des liebenden Menschen zu G o t t u n d zu sich selbst ein anderes ist, werden zwei Gegenstände der Liebe a n g e n o m m e n ; d e n n die Liebe des einen ist die Ursache der Liebe des anderen. W e n n daher die eine in Wegfall k o m m t , d a n n auch die andere. Z u 2. Der Träger der Gottesliebe ist der v e r n ü n f t i g e Geist, der der Seligkeit f ä h i g ist. A n sie reicht der Leib u n m i t t e l b a r nicht heran, sondern n u r d u r c h ein gewisses Überquellen [von der Seele her]. U n d so liebt der Mensch dem v e r n ü n f t i g e n Geiste nach, der das Hauptsächlichste in ihm ist, in anderer Weise sich selbst u n d in anderer Weise seinen eigenen Leib. QU AJäSTIO 25, „ beatitudinem influens est ea ratione diligibile quia est beatitudinis causa. Illud autem quod est beatitudinem participans potest esse duplici ratione diligibile: vel quia est unum nobiscum, vel quia est nobis consociatum in beatitudinis participatione. Et secundum hoc sumuntur duo ex caritate diligibilia: prout scilicet homo diligit et seipsum et proximum. AD PRIMUM ergo dicendum quod diversa habitudo diligentia ad diversa diligibilia facit diversam rationem diligibilitatis. Et secundum hoc, quia alia est habitudo hominis diligentia ad Deum et ad seipsum, propter hoc ponuntur duo diligibilia; cum dilectio unius sit causa dilectionis alterius. Unde, ea remota, alia removetur [cf. 2 Phys. 3], * 195 b 17 AD SECUNDUM dicendum quod subjectum caritatis est mens rationalis, quae potest beatitudinis esse capax: ad quam corpus directe non attingit, sed solum per quamdam redundantiam. Et ideo homo secundum rationalem mentem, quae est principalis in homine, alio modo se diligit secundum caritatem, et alio modo corpus proprium.

121

25,12

Z u 3. Der Mensch liebt den Nächsten sowohl in bezug auf die Seele als auch in bezug auf den Leib, auf Grund einer gewissen Gemeinschaft in der Seligkeit. Von Seiten des Nächsten besteht demnach nur e i n Grund der Liebe. Deshalb wird der Leib des Nächsten nicht als eigener Gegenstand der Liebe angenommen. QUAESTIO 25, A D TERTIUM dicendum quod homo diligit proximum et secundum animam et secundum corpus ratione cujusdam consociationis in beatitudine. Et ideo ex parte proximi est una tantum ratio dilectionis. Unde corpus proximi non ponitur speciale diligibile.

122

26. F R A G E DIE ORDNUNG DER

26

GOTTESLIEBE

Hier ist die O r d n u n g der Gottesliebe zu b e t r a c h t e n . Dazu ergeben sich 13 Einzelfragen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

9. 10. 11. 12. 13.

Gibt es in der Liebe eine Ordnung? Muß der Mensch Gott m e h r lieben als den Nächsten? Muß er I h n m e h r lieben als sich selbst? Muß er sich m e h r lieben als den N ä c h s t e n ? Muß der Mensch den N ä c h s t e n m e h r lieben als den eigenen Leib? den einen N ä c h s t e n m e h r als den anderen? m e h r den besseren N ä c h s t e n oder m e h r den näher Verwandten ? m e h r den auf G r u n d der leiblichen V e r w a n d t s c h a f t Verbundenen oder [mehr den] auf G r u n d anderer Notwendigkeiten [Verbundenen] ? Muß er aus der Gottesliebe heraus m e h r das eigene K i n d oder den eigenen V a t e r lieben? Muß er die M u t t e r m e h r lieben als den Vater? Muß er die G a t t i n m e h r lieben als Vater u n d M u t t e r ? Muß er den W o h l t ä t e r m e h r lieben als den E m p f ä n g e r der W o h l t a t e n ? Bleibt die O r d n u n g der Liebe in der ewigen H e i m a t ?

QUAESTIO XXVI DE ORDINE CARITATIS Deinde considerandum est de ordine caritatis. Et circa hoc quaeruntur tredecim: 1. Utrum sit aliquis ordo in caritate. — 2. Utrum homo debeat Deum diligere plus quam proximum. — 3. Utrum plus quam seipsum. — 4. Utrum se plus quam proximum. — 5. Utrum homo debeat plus diligere proximum quam corpus proprium. — 6. Utrum imum proximum plus quam alterum. — 7. Utrum plus proximum meliorem, vel sibi magis conjunctum. — 8. Utrum 1 conjunctum sibi secundum carnis affinitatem, vel secundum alias necessitudines. — 9. Utrum ex caritate plus debeat diligere filium quam patrem. —10. Utrum magis debeat diligere matrem quam patrem. — 11. Utrum uxorem plus quam patrem vel matrem. — 12. Utrum magis benefactorem quam beneficiatum. — 13. Utrum ordo caritatis maneat in patria. 1

P addit: plus. 123

26,1

1. A R T I K E L Gibt es eine Ordnung der Liebe?

1. Die Gottesliebe ist eine Tugend, in den anderen Tugenden aber wird keine Ordnung angenommen. Also braucht man auch in der Liebe keine Ordnung anzunehmen. 2. Wie die Erstwahrheit Gegenstand des Glaubens, so ist das höchste Gutsein Gegenstand der Gottesliebe. I m Glauben aber wird keine Ordnung angenommen, sondern alles wird in gleicher Unmittelbarkeit geglaubt. Also darf man auch in der Gottesliebe keine Ordnung annehmen. 3. Die Gottesliebe ist im Willen. Ordnen aber ist nicht Sache des Willens, sondern der Vernunft. Also darf die Ordnung nicht der Liebe zugeteilt werden. A N D E R S E I T S heißt es Hl 2, 4: „Es f ü h r t e der König mich in seinen Weinkeller und ordnete in mir die Liebe." A N T W O R T : Wie der Philosoph sagt, spricht man von früher und später im Verhältnis zu einem Ursprung. Ordnung besagt aber in ihrem Begriff irgendwie eine Weise des Früher und Später. Wo immer also ein Ursprung ist, da besteht auch eine Ordnung. Es ist aber oben (23,1; 25,12) Q J ' A K S T I O 26, ,

ARTICULUS I Ut-rura in c a r i t a t e s i t o r d o llnfra a. 6; 27,4; 44,2; 3 d 29: a. 1; Oar 9)

AD PRIMUM sie proceditur. Videtur quod in caritate non sit aliquis ordo. Caritas enim quaedam virtus est. Sed in aliis virtutibus non assignatur aliquis ordo. Ergo neque in caritate aliquis ordo assignari debet. 2. PRAETEREA, sicuti fidei objectum est prima veribas, ita caritatis objectum est summa bonitas. Sed in fide non ponitnr aliquis ordo, sed omnia aequaliter creduntur. Ergo nec in caritate debet poni aliquis ordo. 3. PRAETEREA, Caritas in voluntate est. Ordinäre autem non est voluntatis, sed rationis. Ergo ordo non debet attribui earitati. SED CONTRA est quod dicitur Cant. 2: „Introduxit me rex in cellam vinariam; ordinavit in me caritatem." RESPONDEO dicendum quod, sicut Philosophus dicit, in 1018 be 5 Metaphysicorum [c. 11], prius et posterius dicitur secundum relationem ad aliquod prineipium. Ordo autem includit in se aliquem raodum prioris et posterioris. Unde oportet quod ubicumque est aliquod prineipium, sit etiam aliquis ordo. Dictum

124

gesagt worden, daß die Liebe der Gottesminne auf Gott 26, l sich spannt als auf den Ursprung der Seligkeit, in deren Mitteilung die Freundschaft der Gottesliebe gründet. Deshalb müssen wir in dem, was aus der Gottesliebe heraus geliebt wird, eine Ordnung einhalten nach der Bezogenheit auf den ersten Ursprung dieser Liebe, der Gott ist. Zu 1. Die Gottesliebe spannt sich hin zum letzten Ziel unter der Bewandtnis des letzten Zieles, was keiner anderen Tugend eignet (23, 6). Das Ziel aber hat die Bewandtnis des Ursprungs in dem, was zu begehren und zu tun ist (23, 7; I - I I 1 3 , 3: Bd. 9; 34, 4 Zu 1: Bd. 10; 57, 4: Bd. 11). Und so besagt die Gottesliebe am stärksten ein Verhältnis zum ersten Ursprung. Deshalb wird in ihr am stärksten die Ordnung des Verhältnisses zum ersten Ursprung ins Auge gefaßt. Zu 2. Der Glaube gehört zur Erkenntniskraft, deren Tätigkeit sich danach bestimmt, daß die erkannten Dinge im Erkennenden sind. Die Liebe aber liegt in der verlangenden Kraft, deren Tätigkeit darin liegt, daß die Seele hinstrebt zu den Dingen selbst. Ordnung aber findet sich vornehmlich in den Dingen selbst, und von ihnen erst wird sie übergeleitet in unsere Erkenntnis. Deshalb eignet die Ordnung mehr der Liebe als dem Glauben. — Doch besteht auch im Glauben eine gewisse Ordnung, insofern er sich in erster Linie auf Q U A E S T I O 26,,

est autem supra quod dilectio caritatis tendit in Deum sicut in principium beatitudinis, in cujus communicatione amicitia caritatis fundatur. Et ideo oportet quod in his quae ex caritate diliguntur attendatur aliquis ordo, secundum relationem ad primum principium hujus dilectionis, quod est Deus. A D PRIMUM ergo dicendum quod Caritas tendit in ultimum finem sub ratione finis ultimi; quod non convenit alicui alii virtuti, ut supra dictum est. Finis autem habet rationem principii in appetibilibus et in agendis, ut ex supradictis patet. Et ideo Caritas maxime importat comparationem ad primum principium. Et ideo in ea maxime consideratur ordo secundum relationem ad primum principium. A D SECUNDUM dicendum quod fides pertinet ad vim cognitivam, cujus operatio est secundum quod res cognitae sunt in cognoscente. Caritas autem est in vi affectiva, cujus operatio consistit in hoc quod anima tendit in ipsas res. Ordo autem principalius invenitur in ipsis rebus; et ex eis derivatur ad cognitionem nostram. Et ideo ordo magis appropriatur caritatis quam fidei. — Licet etiam in fide sit aliquis ordo, secundum quod 125

26,2 Gott erstreckt und erst in zweiter Linie auf das, was auf Gott bezogen ist. Zu 3. Die Ordnung gehört der Vernunft zu als der, die ordnet; der Begehrungskraft aber als der, die geordnet wird. Und in diesem Sinne wird in der Liebe eine Ordnung angenommen. 2. A R T I K E L Ist Gott mehr zu lieben als der Nächste ?

1. 1 Jo 4, 20 heißt es: „Wer seinen Bruder nicht liebt, den er doch sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?" Daraus scheint es, daß das in höherem Maße Gegenstand der Liebe ist, was sichtbar ist; denn auch die Schau [das Sehen] ist Ursprung der Liebe (Aristoteles) [53]. Gott aber ist weniger sichtbar als der Nächste. Also ist Er auch in geringerem Maße Gegenstand der Liebe. 2. Die Ähnlichkeit ist Ursache der Liebe; nach Sir 13,19: „Jedes Lebewesen liebt seinesgleichen."1 Die Ähnlichkeit des Menschen mit seinem Nächsten ist aber größer als mit Gott. Also liebt der Mensch aus der Gottesliebe heraus mehr den Menschen als Gott. Q U A E S T I O 26,,

principaliter est de Deo, secundario a u t e m de aliis quae referunt u r a d Deum. A D T E R T I U M dicendum quod ordo pertinet ad rationem sicut ad ordinantem, sed ad vim appetitivam pertinet sicut ad ordinatam. E t hoc modo ordo in caritate ponitur. ARTICULUS II U t r u m Deus sit magis diligendus q u a m

proximus

[Infra a. 4.5; I-II 100,6 ad 1; Car 9]

AD SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod Deus non sit magis diligendus q u a m proximus. Dicitur enim 1 J o a n . 4: „Qui non diligit f r a t r e m suum, quem videt, Deum, quem non videt, quomodo potest diligere?" E x quo videtur quod illud sit magis diligibile quod magis est visibile; n a m et visio est prineipium 1167 a 4 amoris, u t dicitur in 9 Ethicorum [c. 5. 12]. Sed Deus est minus 1171 b 29 visibilis q u a m proximus. Ergo etiam est minus ex caritate diligibilis. 2. P R A E T E R E A , similitudo est causa dilectionis; secundum illud Eccli. 13: „Omne animal diligit sibi simile." Sed major est similitudo hominis ad proximum suum q u a m ad Deum. Ergo homo ex caritate magis diligit proximum q u a m Deum. ' Vgl. Komm. S. 429.

126

3. Das, was die heilige Liebe im Nächsten liebt, ist Gott, 26, 2 wie das aus Augustinus erhellt. Gott aber ist nicht größer in Sich Selbst als im Nächsten. Also ist Er in Sich Selbst nicht mehr zu lieben als im Nächsten. Also darf Gott nicht mehr geliebt werden als der Nächste. ANDERSEITS ist das mehr zu lieben, um dessentwillen manches zu hassen ist. Der Nächste aber muß gehaßt werden um Gottes willen, wenn er nämlich von Gott wegführt; nach Lk 14, 26: „Wenn einer zu Mir kommt und haßt nicht Vater und Mutter und Gattin und Kinder und Brüder und Schwestern, der kann nicht Mein Jünger sein" [vgl. Art. 4 Antw. u. Zu 2]. Also ist mit der heiligen Liebe Gott mehr zu lieben als der Nächste. ANTWORT: Eine jede Freundschaft geht vornehmlich auf das, worin hauptsächlich jenes Gut zu finden ist, in dessen Mitteilung sie gründet; so geht die ,Freundschaft' der Staatsbürger vornehmlich auf das Oberhaupt des Staatswesens, von dem das gesamte Gemeinwohl des Staatswesens abhängt; deshalb gebührt auch ihm am meisten Vertrauen und Gehorsam von den Bürgern. Die Freundschaft der heiligen Liebe aber gründet in der Mitteilung der Seligkeit, die wesentlich in Gott Selbst liegt als im ersten Ursprung, von wo sie weitergeleitet wird auf alle, die der Q U A E S T I O 26,a

3. PRAETEREA, illud quod in proximo Caritas diligit, Deus est; ut patet per Augustinum, in 1 de Doctrina Christiana [c. 22. 27]. Sed Deus non est major in seipso quam in proximo. Ergo non magis est diligendus in seipso quam in proximo. Ergo non debet magis diligi Deus quam proximus. SED CONTRA, illud magis est diligendum propter quod aliqua odio sunt habenda [cf. 1 Anal. post. 2]. Sed proximi odio sunt habendi propter Deum, si scilicet a Deo abducunt; secundum illud Luc. 14: „Si quis venit ad me et non odit patrem et matrem et uxorem et filios et fratres et sorores, non potest meus esse discipulus." Ergo Deus est magis ex caritate diligendus quam proximus. RESPONDEO dicendum quod unaquaeque amicitia respicit principaliter illud in quo principaliter invenitur illud bonum super cujus communicatione fundatur; sicut amicitia politica principalius respicit principem civitatis, a quo totum bonum commune civitatis dependet; unde et ei maxime debetur fides et obedientia a civibus. Amicitia autem caritatis fundatur super communicatione beatitudinis, quae consistit essentialiter in Deo sicut in primo principio, a quo derivatur in omnes qui sunt bea127

PL 34/26 C 29 D

' 72 a 30

26,2 Seligkeit fähig sind. Deshalb ist hauptsächlich und im höchsten Grade Gott mit der heiligen Liebe zu lieben; denn Er wird geliebt als die Ursache der Seligkeit; der Nächste aber als der, der mit uns von Ihm die Seligkeit durch Teilhabe empfängt. Zu 1. Etwas ist Ursache der Liebe in doppelter Weise. E i n m a l wie etwas, was Grund der Liebe ist. Und in dieser Weise ist das Gute Grund der Liebe; denn jegliches wird geliebt, sofern es die Bewandtnis des Guten hat. In a n d e r e r Weise als Weg, die Liebe zu erlangen. Und in dieser Weise ist die Schau Ursache der Liebe; nicht zwar so, daß etwas deshalb Gegenstand der Liebe wäre, weil es sichtbar ist; sondern weil wir durch das Sehen zur Liebe hingeführt werden. Es ist also durchaus nicht notwendig, daß das, was in höherem Maße sichtbar ist, auch in höherem Maße Gegenstand der Liebe ist; sondern es begegnet uns [nur] früher als [möglicher] Gegenstand der Liebe. In diesem Sinne folgert der Apostel. Weil der Nächste nämlich sichtbarer ist, begegnet er uns als zu Liebender früher; denn „aus dem, was der Geist schon kennt, lernt er auch das Unbekannte lieben" (Gregor). Wenn daher einer den Nächsten nicht liebt, läßt sich daraus entnehmen, daß er auch Gott nicht liebt; nicht als ob der Nächste in höherem Grade liebensQ U A E S T I O 26,,

titudinis capaces. E t ideo principaliter et maxime Deus est e x caritate diligendus; ipse enim diligitur sicut beatitudinis causa; proximus a u t e m sicut beatitudinem simul nobiscum ab eo participans. A D P R I M U M ergo dicendum quod dupliciter est aliquid causa dilectionis. U n o modo, sicut id quod est ratio diligendi. E t hoc modo b o n u m est causa diligendi; quia unumquodque diligitur inquantum habet rationem boni. Alio modo, quia est via quaedam ad acquirendum dilectionem. E t hoc modo visio est causa dilectionis; n o n quidem ita quod ea ratione sit aliquid diligibile quia est visibile; sed quia per visionem perducimur ad dilectionem. N o n ergo oportet quod illud quod est magis visibile sit magis diligibile; sed quod prius occurrat nobis ad diligendum. E t hoc modo argumentatur Apostolus. Proximus enim, quia est nobis magis visibilis, primo occurrit nobis diligendus: „ex his" enim „quae novit animus discit incognita amare", ut Gregorius dicit, in quadam homilia [In Evang., PL 1. 1 hom. 11], U n d e si aliquis proximum non diligit, argui potest 76/1114 D quod nec D e u m diligit; non propter hoc quod proximus sit

128

wert wäre, sondern weil er der Liebe zuerst in den Weg 26, läuft. Gott freilich ist in [unendlich] höherem Maße liebenswert wegen Seines [unendlich] höheren Gutseins. Zu 2. Unsere Ähnlichkeit mit Gott ist früher und Ursache unserer Ähnlichkeit mit dem Nächsten. Denn gerade dadurch, daß wir durch Teilnahme von Gott das empfangen, was von Ihm auch der Nächste empfängt, werden wir dem Nächsten ähnlich gestaltet. Deshalb müssen wir auf Grund der Ähnlichkeit Gott mehr lieben als den Nächsten. Zu 3. Nach Seinem Wesen betrachtet ist Gott in jedem, in dem Er Wohnung nimmt, gleich, denn Er wird dadurch, daß Er in einem Wesen Wohnung nimmt, nicht minder. Und doch hat der Nächste das Gutsein Gottes nicht im gleichen Maße, wie Gott es besitzt. Denn Gott besitzt es wesenhaft, 1 der Nächste nur durch Teilhabe. 3. A R T I K E L Muß der Mensch Gott aus der heiligen Liebe mehr lieben als sich selbst? 1. Der Philosoph sagt: „Das freundschaftliche Verhalten, das wir dem Freunde gegenüber beweisen, fließt Q U A E S T I O 26,,

magis diligibilis; sed quia prius diligendus occurrit. Deus autem est magis diligibilis propter majorem bonitatem. A D SECUNDUM dicendum quod similitudo quam habemus ad Deum est prior et causa similitudinis quam habemus ad proximum; ex hoc enim quod participamus a Deo illud quod ab ipso etiam proximus habet, similes proximo efficimur. Et ideo ratione similitudinis magis debemus Deum diligere quam proximum. A D TERTIUM dicendum quod Deus, secundum substantiam suam consideratus, in quocumque sit, aequalis est; quia non minuitur per hoc quod est in aliquo. Sed tarnen non aequaliter habet proximus bonitatem Dei sicut habet ipsam Deus; nam Deus habet ipsam essentialiter, proximus autem participative. ARTICULUS III U t r u m homo d e b e a t ex c a r i t a t e plus D e u m diligere quam seipsum [Infra a. 4 ad 3; I 60,5; I-II 2,7 ad 2; 109,3; 3 d 29: a. 3: Car 4 ad 2; 9]

AD TERTIUM sie proceditur. Videtur quod homo non debeat ex caritate plus Deum diligere quam seipsum. Dicit enim Philo1

9

Vgl. Einführung zum Komm. S. 407 f.

17A

129

26, 3 aus dem freundschaftlichen Verhalten, das wir uns selbst gegenüber pflegen." Die Ursache aber ist vornehmer als die Wirkung. Also ist die Freundschaft des Menschen sich selbst gegenüber größer als zu irgendeinem anderen. Also muß er sich mehr lieben als Gott. 2. Jedes Ding wird insofern geliebt, als es unser eigenes Gut ist. Das aber, was Grund der Liebe ist, wird mehr geliebt als das, was aus diesem Grunde geliebt wird; wie die Ursätze, die Grund der Erkenntnis sind, mehr erkannt werden.1 Also liebt der Mensch sich selbst mehr als irgendein anderes geliebtes Gut. Also liebt er Gott nicht mehr als sich selbst. 3. Soviel er Gott liebt, soviel liebt er die Wonne in Ihm. Soviel aber einer die Wonne in Gott liebt, soviel liebt er sich selbst; denn sie ist das höchste Gut, daß einer sich selbst wünschen kann. Also braucht der Mensch aus heiliger Liebe Gott nicht mehr zu lieben als sich selbst. A N D E R S E I T S sagt Augustinus: „Wenn du nicht einmal dich selbst um deinetwillen lieben darfst, sondern nur um dessentwillen, in welchem das geradeste Ziel deiner Liebe liegt, so darf auch kein anderer Mensch darüber zürnen, wenn du auch ihn nur liebst um Gottes willen." Das Q U A E S T I O 26,,

1160 a l sophus in 9 Ethicorum [c. 4. 8], quod „amicabilia quae sunt ad 1168 b 5 a lterum veniunt ex amicabilibus quae sunt ad seipsum". Sed * 98 b 17 causa est potior effectu [cf. 2 Anal. post. 16]. Ergo major est amicitia hominis ad seipsum quam ad quemcumque alium. Ergo magis debet se diligere quam Deum. 2. P R A E T E R E A , unumquodque diligitur inquantum e3t *H55b 23 proprium bonum [cf. 8 Eth. 2]. Sed illud quod est ratio diligendi magis diligitur quam illud quod propter hanc rationem diligitur; sicut principia, quae sunt ratio cognoscendi, magis • ioo b 9 ccgnoseuntur [cf. 2 Anal. post. 19]. Ergo homo magis diligit seipsum quam quodcumque aliud bonum dilectum. Non. ergo magis diligit Deum quam seipsum. 3. P R A E T E R E A , quantum aliquis diligit Deum, tantum difigit frui eo. Sed quantum aliquis diligit frui Deo, tantum diligit seipsum; quia hoc est summum bonum quod aliquis sibi velle potest. Ergo homo non plus debet ex caritate Deum diligere quam seipsum. SED CONTRA est quod Augustinus dicit, in 1 de Doctrina PL Christiana [c. 22]: „Si teipsum non propter te debes diligere, sed ¿4 '27 A p r 0 p t e r ipgUm ubi dilectionis tuae rectissimus finis est, non succenseat aliquis alius homo si et ipsum propter Deum dili1

Vgl. Anm. [28],

130

aber, weswegen jedes andere [so beschaffen] ist, hat dieses 26, 3 in sich selbst in erhöhtem Maße (Aristoteles) [54]. Also muß der Mensch Gott mehr lieben als sich selbst. ANTWORT: Von Gott her können wir ein doppeltes Gut empfangen, nämlich das Gut der Natur und das Gut der Gnade. In der Mitteilung nun der natürlichen Güter, die uns von Gott her geschieht, gründet die naturhafte Liebe, durch die nicht nur der Mensch in der Unversehrtheit seiner Natur Gott über alles und mehr als sich selbst liebt, sondern auch jedes Geschöpf auf seine Weise [Gott liebt], d. h. entweder mit einer rein geistigen oder einer vernunftbestimmten oder sinnenhaften oder wenigstens rein naturhaften Liebe, wie die Steine und die anderen Dinge, die keine Erkenntnis haben; denn jeder Teil liebt naturhaft das Gesamtgut des Ganzen als sein eigenes Einzelgut. 1 Das zeigt sich in der Tat; jeder Teil nämlich hat eine Hauptneigung zur gemeinsamen Tätigkeit, die dem Ganzen nützlich ist. Das bewährt sich auch bei den bürgerlichen Tugenden, insofern die Bürger um des Gemeinwohles willen Verluste an Eigentum und zuweilen persönlichen Schaden ertragen. Um so mehr bewahrheitet sich das in der Freundschaft der Gottesliebe, die in der Mitteilung der Gnadengeschenke gründet. Und deshalb muß der Mensch aus heiliger Liebe Q U A E S T I O 26,,

gas." Sed propter quod unumquodque, illud magis [cf. 1 Anal. post. 2]. Ergo magis debet homo diligere Deum quam * 72 a 29 seipsum. RESPONDEO dicendum quod a Deo duplex bonum aceipere possumus; scilicet bonum naturae, et bonum gratiae. Super communicatione autem bonorum naturalium nobis a Deo facta fundatur amor naturalis, quo non solum homo in suae integritate naturae super omnia diligit Deum et plus quam seipsum, sed etiam quaelibet creatura suo modo, idest vel intellectuali vel rationali vel animali, vel saltem naturali amore, sieut lapides et alia quae cognitione carent; quia unaquaeque pars naturaliter plus amat commune bonum totius quam particulare bonum proprium. Quod manifastatur ex opere; quaelibet pars enim habet inclinationem principalem ad actionem communem utilitati totius. Apparet etiam hoc in politicis virtutibus, secundum quas cives pro bono communi et dispendia propriarum rerum et personarum interdum sustinent [ef. 9 Eth. 8]. — U n d e *ii89al8 multo magis hoc verificatur in amieitia caritatis, quae fundatur super communicatione donorum gratiae. Et ideo ex caritate ' Vgl. Komm. S. 422 und 472 ff.

9*

131

26,3 mehr Gott lieben, der das gemeinsame Gut aller ist, als sich selbst; denn die Seligkeit ist in Gott als in dem gemeinsamen Ursprung und Quellgrund für alle, die an der Seligkeit teilhaben können. Zu 1. Der Philosoph spricht von dem freundschaftlichen Verhalten zum anderen Menschen, in welchem sich das Gut, das Gegenstand der Freundschaft ist, nur als Einzelgut findet; nicht aber spricht er vom freundschaftlichen Verhalten zum anderen, sofern sich in ihm das genannte Gut als Gut des Ganzen findet. Zu 2. Auch der Teil liebt das Gut des Ganzen nur insofern, als es ihm selbst zukömmlich ist; nicht aber so, daß er das Gut des Ganzen auf sich bezieht, sondern vielmehr so, daß er sich selbst auf das Gut des Ganzen bezieht. Zu 3. Wenn einer die Wonne in Gott sucht, so gehört das zur Liebe, in der Gott mit der Liebe des Begehrens geliebt wird. Mehr aber lieben wir Gott mit der Liebe der Freundschaft als mit der Liebe des Begehrens; denn das Gute Gottes ist in sich selbst unendlich größer als das, was wir davon durch Teilhabe genießen können. Deshalb liebt schlechthin der Mensch mit der heiligen Liebe Gott mehr als sich selbst.

Q U A E S T I O 26,3

debet magis homo diligere Deum, qui est bonum commune omnium, quam seipsum; quia beatitudo est in Deo sicut in communi et fontali omnium principio qui beatitudinem participare possunt. A D PRIMUM ergo dicendum quod Philosophus loquitur de amicabilibus quae sunt ad alteram in quo bonum quod est objectum amicitiae invenitur secundum aliquem particularem modum; non autem de amicabilibus quae sunt ad alteram in quo bonum praedictum invenitur secundum rationem totius. A D SECUNDUM dicendum quod bonum totius diligit quidem pars secundum quod est sibi conveniens; non autem ita quod bonum totius ad se referat, sed potius ita quod seipsam refert in bonum totius. A D TERTIUM dicendum quod hoc quod aliquis velit frui Deo, pertinet ad amorem quo Deus amatur amore concupiscentiae. Magis autem amamus Deum amore amicitiae quam amore concupiscentiae ; quia majus est in se bonum Dei quam participare possumus fruendo ipso. Et ideo simpliciter homo magis diligit Deum ex caritate quam seipsum.

132

4. A R T I K E L

26,4

Muß der Mensch aus der Gottesliebe heraus sich selbst mehr lieben als den Nächsten? 1. Der Hauptgegenstand der heiligen Liebe ist Gott. Zuweilen aber hat der Mensch einen Nächsten, der Gott mehr verbunden ist als er selbst. Also muß er einen solchen mehr lieben als sich selbst. 2. Am meisten meiden wir den Schaden dessen, den wir am meisten lieben. Aus der Gottesliebe heraus aber erträgt der Mensch eine Schädigung [am eigenen Gut] für den Nächsten; nach Spr 12, 26: „Wer um seines Freundes willen Schaden nicht achtet, ist gerecht." Also muß der Mensch kraft der Gottesliebe den anderen mehr lieben als sich selbst. 3. 1 Kor 13, 5 heißt es: „Die Liebe sucht nicht das Ihre." Das aber lieben wir am meisten, dessen Gut wir am meisten suchen. Also liebt man in der Gottesliebe sich selbst nicht mehr als den Nächsten. ANDERSEITS heißt es Lv 19, 18 und Mt 22, 39: „Du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst." Daraus scheint hervorzugehen, daß die Liebe des Menschen zu sich selbst Q U A E S T I O 26,,

ARTICULUS Utrum

homo

IV

ex c a r i t a t e magis d e b e a t seipsum quam proximum

diligere

[Infra a. 5; 7 ad 3; 9 co; 44,8; 3 d 29: a. 5; 2 Tim 3 lect 1; Car 9]

A D Q U A R T U M sie proceditur. Videtur quod homo ex caritate non magis debeat diligere seipsum quam proximum. Principale enim objectum caritatis est Deus, ut supra dictum est. Sed quandoque homo habet proximum magis Deo conjunctum quam sit ipse. Ergo debet aliquis magis talem diligere quam seipsum. 2. P R A E T E R E A , detrimentum illius quem magis diligimus, magis vitamus. Sed homo ex caritate sustinet detrimentum pro proximo; secundum illud Prov. 12: „Qui negligit damnum propter amicum, justus est." Ergo homo debet ex caritate magis alium diligere quam seipsum. 3. P R A E T E R E A , 1 ad Cor. 13 dicitur quod Caritas „non quaerit quae sua sunt". Sed illud maxime amamus cujus bonum maxime quaerimus. Ergo per caritatem aliquis non amat seipsum magis quam proximum. S E D CONTRA est quod dicitur Lev. 19, et Matth. 2 2 : „Diliges proximum tuum sicut teipsum"; ex quo videtur quod dilectio hominis ad seipsum est sicut exemplar dilectionis quae

133

26,4 das Urbild seiner Liebe ist, die er zu anderen hat. Das Urbild aber ist vornehmer als das Ebenbild. 1 Also muß der Mensch kraft der Gottesliebe sich selbst mehr lieben als den Nächsten. ANTWORT: Im Menschen gibt es zweierlei: die geistige Natur und die körperliche Natur. Insoweit aber sagen wir, daß der Mensch sich selbst liebt, als er sich seiner geistigen Natur nach liebt (25, 7). Und danach muß der Mensch nächst Gott sich selbst mehr lieben als irgendeinen anderen. Und das erhellt aus dem Begriff der Liebe selbst. Denn Gott wird, wie oben (Art. 2; 25, 12) gesagt, geliebt als Ursprung des Guten, in welchem die Liebe der Gottesminne gründet. Der Mensch aber liebt sich selbst kraft der Gottesliebe nach Maßgabe dessen, daß er des besagten Gutes teilhafeig ist; der Nächste aber wird geliebt auf Grund der gemeinsamen Teilhabe an diesem Gut. Die Gemeinsamkeit [in der Teilhabe] aber ist Grund der Liebe gemäß einer Einigung, die auf Gott hin vollzogen wird. Wie nun die Einheit vornehmer ist als die Vereinigung [25,4Antw.], so liegt ein stärkerer Grund der Liebe darin, daß der Mensch selbst am göttlichen Gut teilhat, als daß ein anderer ihm in der Teilhabe dieses Gutes Gesellschaft leistet. Also muß der Mensch kraft der Gottesliebe sich selbst mehr lieben als Q U A E S T I O 26,4

habetur ad alteram. Sed exemplar potius est quam exemplatum. Ergo homo ex caritate magis debet diligere seipsum quam proximum. R E S P O N D E O dicendum quod in homine duo sunt: scilicet natura spiritualis, et natura corporalts. Per hoc autem homo dicitur diligere seipsum quod diligit se secundum naturanti spiritualem, ut supra dictum est. E t secundum hoc debet homo magis se diligere, post Deum, quam quemeumque alium. E t hoc patet ex ipsa ratione diligendi. Nam sicut supra dictum est, Deus diligitur ut principium boni super quo fundatur dilectio caritatis; homo autem seipsum diligit ex caritate secundum rationem qua est particeps praedicti boni ; proximus autem diligitur secundum rationem societatis in isto bono. Consociatio autem est ratio dilectionis secundum quamdam unionem in ordine ad Deum. Unde sicut unitas potior est quam unio [cf. * 1018 a 7 5 Metaph. 9], ita quod ipse homo participet bonum divinum est potior ratio diligendi quam quod alius associetur sibi in hac participatione. E t ideo homo ex caritate debet magis 1

VgL Komm, zu 25, 4 S. 472 ff.

134

den Nächsten. — Zeichen dafür ist, daß der Mensch nicht 26,4 das Übel der [geringsten] Sünde, die der Teilnahme an der Seligkeit im Wege steht, auf sich nehmen darf, um den Nächsten von Sünde zu befreien. Zu 1. Die Liebe der Gottesminne hat ihre Größe nicht nur von Seiten des Gegenstandes, der Gott ist; sondern auch von Seiten des Liebenden, nämlich des Menschen, der im Besitz der Gottesliebe ist; wie auch die Größe jeglicher Handlung irgendwie abhängt vom Handelnden [55]. Sei es deshalb auch, daß der Nächste, weil er vielleicht besser, Gott auch näher ist, — weil er aber dem, der die Gottesliebe hat, nicht so nahe steht wie dieser sich selbst, folgt nicht, daß man den Nächsten mehr lieben muß als sich .selbst. Zu 2. Die körperlichen Schäden muß der Mensch um des Freundes willen auf sich nehmen; und gerade damit liebt er sich selbst mehr dem geistigen Menschen nach, denn das gehört zur Vollkommenheit der Tugend, die das Gut des Geistes ist. Aber in den geistigen Gütern darf der Mensch keinen Schaden auf sich nehmen, indem er Sünde tut, um den Nächsten von der Sünde zu befreien (Antw.). Zu 3. Augustinus sagt: „Wenn es heißt: ,die Liebe sucht nicht das Ihre', so ist das dahin zu verstehen, daß sie das Gemeinsame dem Eigenen vorzieht." Immer aber Q U A E S T I O 26,4

seipsum diligere quam proximum. — Et hujus Signum est quod homo non debet subire aliquod malum peccati, quod contrariatur participationi beatitudinis, ut proximum liberet a peccato. AD PRIMUM ergo dicendum quod dilectio caritatis non solum habet quantitatem a parte objecti, quod est Deus; sed ex parte diligentis, qui est ipse homo caritatem habens; sicut et quantitas cujuslibet actionis dependet quodammodo ex ipso subjecto. Et ideo, licet proximus melior sit Deo propinquior, quia tarnen non est ita propinquus caritatem habenti sicut ipse sibi, non sequitur quod magis debeat aliquis proximum diligere quam seipsum. AD SECUNDUM dicendum quod detrimenta corporalia debet homo sustinere propter amicum; et in hoc ipso seipsum magis diligit secundum spiritualem mentem, quia hoc pertinet ad perfectionem virtutis, quae est bonum mentis. Sed in spiritualibus non debet homo pati detrimentum peccando ut proximum liberet a peccato, sicut dictum est. AD TERTIUM dicendum quod, sicut Augustinus dicit, in Regula [Ep. 211], „quod dicitur: .Caritas non quaerit quae sua PL sunt/, sie intelligitur quia communia propriis anteponit". Semper 33/963 A

135

26, 5 ist das Gemeinwohl einem jeden liebenswerter als das eigene Wohl; wie auch dem Teil das Gut des Ganzen liebenswerter ist als sein eigenes Teilgut (Art. 3). 5. A R T I K E L Muß der Mensch den Nächsten mehr lieben als den eigenen Leib ? 1. Im Nächsten ist der Leib unseres Nächsten mit verstanden. Wenn also der Mensch den Nächsten mehr lieben muß als den eigenen Leib, so folgt, daß er den Leib des Nächsten mehr lieben muß als den eigenen. 2. Der Mensch muß die eigene Seele mehr lieben als den Nächsten (Art. 4). Der eigene Leib aber steht unserer Seele näher als der Nächste. Also müssen wir den eigenen Leib mehr lieben als den Nächsten. 3. Ein jeder setzt das, was er weniger liebt, ein für das, was er mehr liebt. Aber nicht jeder Mensch ist gehalten, den eigenen Leib für das Heil des Nächsten einzusetzen, sondern das ist Sache der Vollkommenen; nach Jo 15, 13: „Eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben einQ U A E S T I O 26,

s

a u t e m c o m m u n e b o n u m est m a g i s a m a b i l e u n i c u i q u e q u a m p r o p r i u m b o n u m ; sicut e t i a m ipsi p a r t i est m a g i s a m a b i l e b o n u m t o t i u s q u a m b o n u m p a r t i a l e sui ipsius, u t d i c t u m est. ARTICULUS

V

U t r u m homo magis debeat diligere quam corpus proprium

proximum

[Jnfra 44,8 ad 2; Car 9; 11 ad 9; PVS 14]

A D Q U I N T U M sie p r o c e d i t u r . V i d e t u r q u o d h o m o n o n m a g i s d e b e a t diligere p r o x i m u m q u a m c o r p u s p r o p r i u m . I n p r o x i m o e n i m intelligitur c o r p u s n o s t r i p r o x i m i . Si ergo h o m o d e b e t diligere p r o x i m u m p l u s q u a m c o r p u s p r o p r i u m , s e q u i t u r q u o d p l u s d e b e a t diligere c o r p u s p r o x i m i q u a m c o r p u s p r o p r i u m . 2. P R A E T E R E A , h o m o p l u s d e b e t diligere a n i m a m prop r i a m 1 q u a m p r o x i m u m , u t d i c t u m est. Sed c o r p u s p r o p r i u m p r o p i n q u i u s est a n i m a e n o s t r a e q u a m p r o x i m u s . E r g o p l u s debem u s diligere c o r p u s p r o p r i u m q u a m p r o x i m u m . 3. P R A E T E R E A , u n u s q u i s q u e e x p o n i t illud q u o d m i n u s a m a t p r o eo q u o d m a g i s a m a t . Sed o m n i s h o m o n o n t e n e t u r e x p o n e r e c o r p u s p r o p r i u m p r o s a l u t e p r o x i m i , sed hoc est perf e c t o r u m ; s e c u n d u m illud J o a n . 15: M a j o r e m c a r i t a t e m n e m o 1

P : proximi.

136

setzt für seine Freunde." Also ist der Mensch kraft der Got- 26, 5 tesliebe nicht gehalten, den Nächsten mehr zu lieben als den eigenen Leib. ANDERSEITS sagt Augustinus: „Wir müssen den Nächsten mehr lieben als den eigenen Leib." ANTWORT: Es ist kraft der Gottesliebe das mehr zu lieben, was kraft der Gottesliebe eine vollere Bewandtnis des Liebenswerten hat (Art. 2 u. 4). Die Gemeinschaft in der Teilhabe an der Seligkeit aber, in der die Liebe zum Nächsten gründet, ist ein stärkerer Grund der Liebe als die Teilhabe der Seligkeit nur durch ein Überquellen auf ein anderes, worin der Grund f ü r die Liebe zum eigenen Leibe liegt. Deshalb müssen wir den Nächsten, soweit das Heil seiner Seele in Frage steht, mehr lieben als den eigenen Leib. Zu 1. Nach dem Philosophen scheint ein jedes Ding das zu sein, was das Vorzüglichste in ihm ist. 1 Wenn es demnach heißt, der Nächste sei mehr zu lieben als der eigene Leib, so ist das zu verstehen in bezug auf seine Seele, die der vornehmere Teil in ihm ist. Zu 2. Unser Leib ist unserer Seele näher als der Nächste in bezug auf die Verfassung unserer eigenen Natur. In Q U A E S T I O 28,.

habet quam ut animam suam ponat quis pro amicis suis." Ergo homo non tenetur ex caritate plus diligere proximum quam corpus proprium. SED CONTRA est quod Augustinus dicit, in 1 de Doctrina Christiana [c. 27], quod „plus debemus diligere proximum quam PL corpus proprium". 34/29 D RESPONDEO dicendum quod illud magis est ex caritate diligendum quod habet pleniorem rationem diligibilis ex caritate, ut dictum est. Consociatio autem in plena participatione beatitudinis, quae est ratio diligendi proximum, est major ratio diligendi quam participatio beatitudinis per redundantiam, quae est ratio diligendi proprium corpus. Et ideo proximum, quantum ad salutem animae, magis debemus diligere quam proprium corpus. AD PRIMUM ergo dicendum quod quia, secundum Philosophum, in 9 Ethicorum [c. 8], unumquodque videtur esse id ii69 a i quod est praecipuum in ipso; cum dicitur proximus esse magis diligendus quam proprium corpus, intelligitur hoc quantum ad animam, quae est potior pars ejus. A D SECUNDUM dicendum quod corpus nostrum est propinquius animae nostrae quam proximus quantum ad con1

10

Vgl. Anm. [13].

17A

137

26, 6 bezug aber auf die Teilhabe der Seligkeit ist die Nachbarschaft unserer Seele zur Seele des Nächsten größer als die zum eigenen Leib [56]. Zu 3. Ein jeder Mensch hat die Sorge für den eigenen Leib; nicht aber jeder Mensch die Sorge für das Heil des Nächsten, außer in einem bestimmten Falle. Deshalb gehört es nicht notwendig zur Liebe, daß der Mensch den eigenen Leib einsetzt für das Heil des Nächsten, es sei denn für den Fall, daß er verpflichtet ist, für das Heil des Nächsten zu sorgen. Daß aber einer aus freien Stücken sich dazu anbietet, das gehört zur Vollkommenheit der Gottesliebe. 6. A R T I K E L Ist unter den Nächsten der eine mehr zu lieben als der andere ?

1. Augustinus sagt: „Alle Menschen sind in gleicher Weise zu lieben. Da man aber nicht für jedermann sorgen kann, so muß man vornehmlich für jene Sorge tragen, die einem durch die Verhältnisse des Ortes, der Zeit oder irgendwelcher anderer Umstände gleichsam durch das Schicksal näher verbunden sind." Also ist unter den Nächsten der eine nicht mehr zu lieben als der andere. Q U A E S T I O 26,.

stitutionem propriae naturae. Sed quantum ad participationem beatitudnis major est consociatio animae proximi ad animam nostram quam etiam proprii corporis. AD T E R T I U M dicendum quod cuilibet homini imminet cura proprii corporis; non autem imminet cuilibet homini cura de salute proximi, nisi forte in casu. E t ideo non est de necessitate caritatis quod homo proprium corpus exponat pro salute proximi, nisi in casu quod tenetur ejus saluti providere. Sed quod aliquis sponte ad hoc se offerat, pertinet ad perfectionem caritatis. ARTICULUS VI U t r u m unus proximus sit magis diligendus quam alius [Infra 44,8 ad 2; 3 d 29: a. 2; Car 9; Gal 6 lect 2]

AD S E X T U M sie proceditur. Videtur quod unus proximus non sit magis diligendus quam alius. Dicit enim Augustinus, PL in 1 de Doctrina Christiana [c. 28]: „Omnes homines aeque 30 A diligendi sunt. Sed cum omnibus prodesse non possis, his potissimum consulendum est qui pro locorum et temporum vel quarumlibet rerum opportunitatibus, constrictius tibi quasi quadam sorte junguntur." Ergo proximorum unus non est magis diligendus quam alius.

138

2. Wo ein und derselbe Grund zur Liebe vorliegt, darf 26,6 die Liebe nicht ungleich ausfallen. Es gibt aber nur einen Grund, alle Nächsten zu lieben, nämlich Gott (Augustinus). Also müssen wir alle Nächsten in gleicher Weise lieben. 3. „Lieben heißt einem Gutes wollen", wie das aus dem Philosophen erhellt. Allen Nächsten aber wollen wir das gleiche Gut, nämlich das ewige Leben. Also müssen wir alle Nächsten in gleicher Weise lieben. ANDERSEITS ist einer um so viel mehr zu lieben, als derjenige schwerer sündigt, der gegen die Liebe zu ihm handelt. Schwerer aber sündigt, wer gegen die Liebe ganz bestimmten Nächsten gegenüber handelt, als wer gegen die Liebe anderen gegenüber handelt; deshalb wird Lv 20, 9 geboten: „Wer Vater oder Mutter flucht, soll des Todes sterben", was nicht geboten wird in bezug auf jene, die anderen Menschen fluchen. Also müssen wir bestimmte Nächste mehr lieben als andere. ANTWORT: I n dieser Frage gab es eine doppelte Meinung. Einige sagten, alle Nächsten seien kraft der Gottesliebe dem Verlangen nach in gleicher Weise zu lieben, nicht aber der äußeren Wirkung nach; denn sie nahmen an, die Ordnung der Liebe sei zu verstehen in bezug auf Q U A E S T I O 26.,

2. PRAETEREA, ubi una et eadem est ratio diligendi diversos, non debet esse inaequalis dilectio. Sed una est ratio diligendi omnes proximos, scilicet Deus; ut patet per Augustinum, in 1 de Doctrina Christiana [c. 22. 27]. Ergo omnes pro- PL ximos aequaliter diligere debemus. 34/26 C 3. PRAETEREA, „amare est velle bonum alicui", ut patet per Philosophum, in 2 Rhetoricorum [c. 4], Sed Omnibus pro- 1380 b 35 ximis aequale bonum volumus, scilicet vitam aeternam. Ergo 1 3 8 1 a 1 9 omnes proximos aequaliter debemus diligere. SED CONTRA est quod tanto unusquisque magis debet diligi, quanto gravius peccat qui contra ejus dilectionem operatur. Sed gravius peccat qui agit contra dilectionem aliquorum proximorum quam qui agit contra dilectionem aliorum; unde Lev. 20 praecipitur quod „qui maledixerit patri aut matri, morte moriatur", quod non praecipitur de his qui alios homines maledicunt. Ergo quosdam proximorum magis debemus diligere quam alios. RESPONDEO dicendum quod circa hoc fuit duplex opinio. Quidam 1 enim dixerunt quod omnes proximi sunt aequaliter ex caritate diligendi quantum ad affectum, sed non quantum ad exteriorem effectum; ponentes ordinem dilectionis esse 1

10*

Cf. Petrus Lorab., Sent. 3, 29 (QB 11/682).

139

26,6 die äußeren Wohltaten, die wir den uns Nahestehenden in höherem Maße erweisen müssen als den Fremden; sie sei aber nicht zu verstehen von dem inneren Verlangen, das sich in gleicher Weise auf alle erstrecken müsse, auch auf die Feinde. So zu sprechen ist aber nicht vernünftig. Denn das Verlangen der Gottesliebe, das auf einem Antrieb der Gnade beruht, ist nicht weniger geordnet als das naturhafte Verlangen, das auf einem Antrieb der Natur beruht; beiderlei Antrieb aber geht hervor aus der göttlichen Weisheit. 1 Nun sehen wir jedoch, daß auf der Ebene des Natürlichen der naturhafte Antrieb im Verhältnis steht zu dem Akt und der Bewegung, die der Natur eines jeden entspricht; so hat die Erde einen größeren Schwerezug als das Wasser, weil es ihr gemäß ist, unter dem Wasser zu sein. So muß also auch der Antrieb der Gnade, der sich auswirkt im Verlangen der Gottesliebe, im Verhältnis stehen zu dem, was äußerlich zu tun ist; so nämlich, daß wir denen gegenüber ein stärkeres Verlangen der Gottesliebe haben, denen wir mehr Wohltun schulden. Also muß man sagen, daß man auch dem Verlangen nach den einen unter den Nächsten mehr lieben muß als den anderen. Der Grund dafür ist dieser: Da Ursprung der Liebe Gott und der Liebende selbst sind, so nluß das VerQ U A E S T I O 26, ,

infcelligendum secundum exteriora beneficia, quae magis debemus impendere proximis quam alienis; non autem secundum interiorem affectum, quem aequaliter debemus impendere ómnibus, etiam inimicis. Sed hoc irrationabiliter dicitur. Non enim minus est ordinatus affectus caritatis, qui est inclinatio gratiae, quam appetitus naturalis, qui est inclinatio naturae; utraque enim inclinatio ex divina sapientia procedit. Videmus autem in naturalibus quod inclinal io naturalis proportionatur actui vel motui qui convenit naturae uniuscujusque; sicut terra habet majorem inclinationem gravitatis quam aqua, quia competit ei esse sub aqua [cf. ¡39 a 17 l Meteor. 2], Oportet igitur quod etiam inclinatio gratiae, quae est affectus caritatis, proportionetur his quae sunt exterius agenda; ita scilicet ut ad eos intensiorem caritatis affectum habeamus quibus convenit nos magis beneficos esse. E t ideo dicendum est quod etiam secundum affectum oportet magis unum proximorum quam alium diligere. E t ratio est quia, cum principium dilectionis sit Deus et ipse diligens, necesse est 1

Vgl. Komm. S. 489 ff. und Anm. [50] u. [85],

140

langen der Liebe größer sein je nach der größeren Nähe 26, 6 zu einem dieser beiden Ursprungsgründe; wie nämlich oben (Art. 1) gesagt wurde: überall, wo wir einen Ursprung haben, wird die Ordnung bestimmt nach dem Verhältnis zu diesem Ursprung. Zu 1. Die Liebe kann in doppelter Weise ungleich sein. E i n m a l von Seiten jenes Guten, das wir dem Freunde wünschen. Und in bezug darauf lieben wir alle Menschen kraft der Gottesliebe in gleicher Weise, weil wir allen, allgemein gefaßt, dasselbe Gut wünschen, nämlich die ewige Seligkeit. In a n d e r e r W e i s e sprechen wir von größerer Liebe wegen des stärkeren Aktes [der größeren Glut] der Liebe. Und so ist es nicht notwendig, alle in gleicher Weise zu lieben. Oder man muß anders sagen: Die Liebe zu den Menschen kann in doppelter Weise ungleich sein. E i n m a l so, daß einige geliebt, andere nicht geliebt werden. Und diese Ungleichheit ist einzuhalten im W o h l t u n , weil wir nicht für alle sorgen können; aber im Wohlwollen der Liebe darf eine solche Ungleichheit nicht statthaben. Eine a n d e r e Ungleichheit der Liebe kommt daher, daß die einen mehr geliebt werden als die anderen. Augustinus aber will nicht diese Ungleichheit ausschließen, sondern die erste, wie das aus dem erhellt, was er von der Wohltätigkeit sagt. QUAESTIO 26,, quod secundum propinquitatem m a j o r e m ad alterum istorum p r i n c i p i o r u m m a j o r sit dilectionis a f f e c t u s ; sicut e n i m s u p r a d i c t u m est, in Omnibus in q u i b u s i n v e n i t u r a l i q u o d p r i n c i p i u m , ordo a t t e n d i t u r s e c u n d u m c o m p a r a t i o n e m a d illud p r i n c i p i u m . A D P R I M U M ergo d i c e n d u m q u o d dilectio p o t e s t esse inaequalis dupliciter. U n o m o d o , ex p a r t e e j u s b o n i q u o d amico o p t a m u s . E t q u a n t u m a d hoc, o m n e s h o m i n e s a e q u e diligimus ex c a r i t a t e ; q u i a o m n i b u s o p t a m u s b o n u m i d e m in genere, scilicet b e a t i t u d i n e m a e t e r n a m . Alio m o d o d i c i t u r m a j o r dilectio p r o p t e r i n t e n s i o r e m a c t u m dilectionis. E t sie n o n o m n e s o p o r t e t a e q u e diligere. Vel a l i t e r d i c e n d u m q u o d dilectio i n a e q u a l i t e r p o t e s t a d aliquos 1 h a b e r i dupliciter. U n o m o d o , ex eo q u o d q u i d a m dilig u n t u r e t alii n o n d i l i g u n t u r . E t h a n c i n a e q u a l i t a t e m o p o r t e t s e r v a r e in beneficentia, q u i a n o n p o s s u m u s o m n i b u s p r o d e s s e ; sed in b e n e v o l e n t i a dilectionis talis i n a e q u a l i t a s h a b e r i n o n d e b e t . Alia vero i n a e q u a l i t a s est dilectionis ex hoc q u o d q u i d a m p l u s aliis d i l i g u n t u r . A u g u s t i n u s ergo n o n i n t e n d i t h a n c excludere i n a e q u a l i t a t e m , sed p r i m a m ; u t p a t e t ex his q u a e d e beneficentia dicit ri.C.l. PL 34/26 C 29 D 1 P: ab aliquo.

141

26, 7

Z u 2. N i c h t alle N ä c h s t e n stehen im gleichen Verhältnis zu G o t t , sondern m a n c h e von ihnen stehen I h m n ä h e r wegen ihrer größeren Gutheit. U n d diese sind k r a f t der Gottesliebe m e h r zu lieben als die anderen, die I h m n i c h t so n a h e stehen. Z u 3. J e n e r G r u n d geht aus v o n der Größe der Liebe v o n Seiten des G u t e n , das wir d e m F r e u n d e wünschen.

Müssen

7. A R T I K E L wir die besseren Menschen mehr lieben als die, die uns näherstehen?

1. J e n e s scheint m e h r geliebt werden zu sollen, was m a n in keiner Weise hassen k a n n , als das, was in irgendeiner Beziehung zu hassen i s t ; so wie das weißer ist, was in keiner Weise m i t Schwarz vermischt ist. Die u n s v e r b u n d e n e n P e r s o n e n aber sind in irgendeiner Hinsicht zu hassen; n a c h L k 14, 26: „ W e n n einer zu Mir k o m m t u n d nicht h a ß t den V a t e r , die M u t t e r [, das Weib, die K i n d e r , die B r ü d e r u n d S c h w e s t e r n . . . , der k a n n n i c h t Mein J ü n g e r sein]." Die g u t e n Menschen aber sind in keiner Beziehung zu hassen. Also scheint es, d a ß die besseren Menschen m e h r zu lieben sind als die u n s näherstehenden. Q U A E S T I O 26,,

AD SECUNDUM dicendum quod non omnes proximi aequaliter se habent ad Deum; sed quidam sunt ei propinquiores, propter majorem bonitatem. Qui sunt magis diligendi ex caritate quam alii, qui sunt minus ei propinqui. AD TERTIUM dicendum quod ratio illa procedit de quantitate dilectionis ex parte boni quod amicis optamus. ARTICULUS VII Utrum magis debeamus diligere meliores quam nobis conjunctiores [Infra a. 8.9.11.12.13; 44,8; 3 d 29: a. 6; Car 9 ad 12.14]

AD SEPTIMUM sie proceditur. Videtur quod magis debeamus diligere meliores quam nobis conjunctiores. Illud enim videtur esse magis diligendum quod nulla ratione oportet odio haberi, quam illud quod aliqua ratione est odiendum; sicut et • 188 b 23 albius est quod est nigro impermixtius [cf. 1 Phys. 5]. Sed personae nobis conjunctae sunt secundum aliquam rationem odiendae, secundum illud Lue. 14: „Si quis venit ad me et non odit patrem et matrem", etc.; homines autem boni nulla ratione sunt odiendi. Ergo videtur quod meliores sint magis amandi quam conj unetiores. 142

2. Durch die Gottesliebe wird der Mensch am meisten 26,7 Gott gleichgestaltet. Gott aber liebt den Besseren mehr. Also muß auch der Mensch kraft der Gottesliebe den Besseren mehr lieben als den ihm Näherstehenden. 3. In jeder Freundschaft ist das mehr zu lieben, was mehr zu dem gehört, worin die Freundschaft gründet. In der natürlichen Freundschaft nämlich lieben wir jene mehr, die uns der Natur nach stärker verbunden sind, z. B. die Eltern oder die Kinder. Die Freundschaft der Gottesliebe aber gründet in der Mitteilung der Seligkeit, zu der die Besseren eher gehören als die uns Näherstehenden. Also müssen wir kraft der Gottesliebe die Besseren mehr lieben als die, die uns Näherstehen. ANDERSEITS heißt es 1 Tim 5, 8: „Wer nicht für die Angehörigen sorgt, und besonders für die Hausgenossen, der hat den Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Ungläubiger." Das innere Verlangen der Liebe aber muß der äußeren Wirkung entsprechen [Art. 6], Also muß man zu den Verwandten eine größere Gottesliebe haben als zu den besseren Menschen. ANTWORT: Jeder Akt muß sowohl dem Gegenstand wie dem Handelnden entsprechen; aus dem Gegenstand Q U A E S T I O 26,,

2. PRAETEREA, secundum caritatem homo maxime conformatur Deo. Sed Deus diligit magis meliorem. 1 Ergo et homo per caritatem magis debet meliorem diligere quam sibi conjunctiorem. 3. PRAETEREA, secundum unamquamque amicitiam illud est magis amandum quod magis pertinet ad illud supra quod amicitia fundatur; amicitia enim naturali magis diligimus eos qui sunt magis nobis secundum naturam conjuncti, puta parentes vel filios. Sed amicitia caritatis fundatur super communicatione beatitudinis, ad quam pertinent magis meliores quam nobis conjunctiores. Ergo ex caritate magis debemus diligere meliores quam nobis conjunctiores. SED CONTRA est quod dicitur 1 ad Tim. 5: „Si quis suorum, et maxime domesticorum curam non habet, fidem negavit et est infideli deterior." Sed interior caritatis affectio debet respondere exteriori effectui. Ergo Caritas magis debet haberi ad propinquiores quam ad meliores. RESPONDEO dicendum quod omnis actus oportet quod proportionetur et objecto et agenti; sed ex objecto habet speciem, 1

P addit: quam sibi conjunctiorem.

143

26, 7 empfängt er seine Art, aus der Kraft des Handelnden seine Glut; so hat die Bewegung ihre Art aus dem Endpunkt, dem sie zustrebt, die Größe der Schnelligkeit aber aus der Verfassung des Bewegten und der Kraft des Bewegenden. So hat auch die Liebe ihre Art vom Gegenstand, ihre Glut aber vom Liebenden selbst [Art. 4 Zu 1]. Gegenstand der heiligen Liebe aber ist Gott; der Mensch jedoch ist der Liebende. Die Verschiedenheit jener Liebe also, die aus der Gottesliebe stammt, wird in bezug auf ihre Art auch im Bereich der Nächstenliebe bestimmt nach ihrem Verhältnis zu Gott, so daß wir den, der Gott nähersteht, kraft der Gottesliebe das größere Gut wünschen [Art. 6 Zu 2]. Wenn nämlich auch jenes Gut, das die Gottesliebe allen wünscht, nämlich die ewige Seligkeit, an und für sich nur eines ist, so hat es doch verschiedene Grade entsprechend der verschiedenen Teilhabe an der Seligkeit. Das aber gehört mit zur Gottesliebe, daß sie die Gerechtigkeit Gottes gewahrt wissen will, wonach die besseren Menschen vollkommener an der Seligkeit teilhaben. Und das betrifft die Art der Liebe; es gibt nämlich verschiedene Arten der Liebe, je nach den verschiedenen Gütern, die wir denen, die wir lieben, wünschen. — Die Glut der Liebe aber hängt ab von dem Menschen, der liebt. Und danach liebt der Mensch dieQUAESTIO 26,,

ex virtute autem agentis habet modum 1 suae intensionis; sicut motus habet speciem ex termino ad quem est, sed intensionem velocitatis habet ex dispositione mobilis et virtute moventis [cf. * 281 a n l de Coelo 11]. Sic igitur dilectio speciem habet ex objecto, sed intensionem habet ex parte ipsius diligentis. Objectum autem caritativae dilectionis Deus est; homo autem diligens est. Diversitas igitur dilectionis quae est secundum caritatem, quantum ad speciem est attendenda in proximis diligendis secundum comparationem ad Deum; ut scilicet ei qui est Deo propinquior majus bonum ex caritate velimus. Quia licet bonum quod omnibus vult Caritas, scilicet beatitudo aeterna, sit unum secundum se, habet tarnen diversos gradus secundum diversas beatitudinis participationes; et hoc ad caritatem pertinet, ut velit justitiam Dei servari, secundum quam meliores perfectius beatitudinem participant. E t hoc pertinet ad speciem dilectionis; sunt enim diversae dilectionis species secundum diversa bona quae optamus his quos diligimus. — Sed intentio dilectionis est attendenda per comparationem ad ipsum hominem qui diligit. E t secundum hoc illos qui sunt sibi propinquiores 1

P: motum.

144

jenigen, die ihm näherstehen, mit größerer Glut für das 26, 7 Gut, für das er sie liebt, als die Besseren für ein höheres Gut. Man muß hier aber noch einen anderen Unterschied beachten, denn manche Nächste stehen uns nahe auf Grund des natürlichen Ursprungs, den sie nicht verleugnen können, weil sie auf Grund dieses Ursprungs sind, was sie sind. Die Gutheit der Tugend aber, auf Grund deren manche Gott nahe sind, kann kommen und gehen, gemindert und gemehrt werden (24, 4. 10. 11). Und so kann ich kraft der Gottesliebe wünschen, daß der, der mit mir verwandt ist, besser sei als ein anderer und so zu einem höheren Grad der Seligkeit gelangen möge. Es gibt aber noch eine andere Weise, auf welche wir kraft der Gottesliebe unsere Verwandten mehr lieben, weil es viele Weisen gibt, sie zu lieben. Mit denen nämlich, die nicht mit uns verwandt sind, verbindet uns nur die Freundschaft der Gottesliebe. Zu unseren Verwandten aber haben wir noch andere Weisen der Freundschaft, je nach der Art, in der sie mit uns verwandt sind. Da aber jenes Gut, worin jede beliebige andere echte Freundschaft gründet, zielhaft ausgerichtet ist auf das Gut, in welchem die Gottesliebe gründet, folgt, daß die Gottesliebe den Akt jeder anderen Freundschaft befehlend beherrscht; so befiehlt die Kunst, Q U A E S T I O 26,,

intensiori affectu diligit homo ad illud bonum ad quod eos 1 diligit, quam meliores ad majus bonum. E s t etiam ibi et alia differentia attendenda. N a m aliqui proximi sunt propinqui nobis secundum naturalem originem, a qua discedere non possunt; quia secundum eam sunt id quod sunt. Sed bonitas virtutis, secundum quam aliqui appropinquant Deo, potest accedere et recedere, augeri et minui, ut ex supradictis patet. E t ideo possum ex caritate velle quod iste qui est mihi conjunctus sit melior alio, et sie ad majorem beatitudinis gradum pervenire possit. E s t autem et alius modus quo plus diligimu3 ex caritate nobis magis conjunctos; quia pluribus modis eos diligimus. Ad eos enim qui non sunt nobis conjuncti non habemus nisi amicitiam caritatis. Ad eos vero qui sunt nobis conjuncti habemus aliquas alias amicitias, secundum modum conjunctionis eorum ad nos. Cum autem bonum super quod fundatur quaelibet alia amicitia honesta ordinetur sicut ad finem ad bonum super quod fundatur Caritas, consequens est ut Caritas imperet actui cujuslibet, alterius amicitiae; sicut ars quae est circa finem imperat 1

P: omnes.

145

26, 7 die auf das Ziel geht, jener, die auf die Mittel geht. Daher kann denn die Liebe, die darauf gründet, daß einer mir bluts- oder sonstwie verwandt oder mein Mitbürger ist, oder auf irgend etwas anderem Erlaubtem (gründet), das auf das Ziel der Gottesliebe ausgerichtet werden kann, von der Gottesliebe befohlen werden. So lieben wir aus der akteigenen Liebe in Wirkeinheit mit der befehlenden [nämlich der Gottesliebe] in vielfacher Weise diejenigen mehr, die mit uns verbunden sind. Zu 1. Es ist uns nicht geboten, in unseren Verwandten zu hassen, daß sie uns verwandt sind, sondern nur dieses, daß sie uns hindern auf dem Wege zu Gott. Und darin sind sie nicht unsere Verwandten, sondern unsere Feinde; nach Mich 7, 6 [vgl. Mt 10, 36]: „Des Menschen Feinde sind seine eigenen Hausgenossen." Zu 2. Die Gottesliebe bewirkt, daß der Mensch Gott gleichgestaltet ist nach einem bestimmten Verhältnis; nämlich daß der Mensch sich verhalte zu dem, was sein ist, wie Gott zu dem, was Sein ist. Manche Dinge nämlich können wir kraft der Gottesliebe wünschen, weil sie uns zukömmlich sind, die jedoch Gott nicht will, weil es Ihm nicht zukommt, sie zu wollen; wie das oben (I-II 19, 10: Bd. 9) gesagt wurde, als von der Gutheit des Willens die Rede war. Z u 3. Die Gottesliebe setzt den Akt der Liebe nicht nur QUAESTIO 26,, * 1094 a 14 arti quae est circa ea quae sunt ad finem [cf. 1 Eth. 1]. E t sie hoc ipsum quod est diligere aliquem quia consanguineus vel quia conjunctus est vel concivis, vel propter quodeumque hujusmodi aliud licitum ordinabile in finem caritatis, potest a caritate imperari. E t ita ex caritate eliciente cum imperante pluribus modis diligimus magis nobis corijunctos. A D P R I M U M ergo dicendum quod in propinquis nostris non praeeipimur odire quod propinqui nostri sunt; sed hoc solum quod impediunt nos a Deo. E t in hoc non sunt propinqui, sed inimici; secundum illud Mich. 7: „Inimici hominis domestici ejus." A D S E C U N D U M dicendum quod Caritas facit hominem conformari Deo secundum proportionem; ut scilicet ita se habeat homo ad illud quod suum est, sicut Deus ad illud quod suum est. Quaedam enim possumus ex caritate velle, quia sunt nobis convenientia, quae tarnen Deus non vult, quia non convenit ei ut ea velit; sicut supra dictum est, cum de bonitate voluntatis ageretur. A D T E R T I U M dicendum quod Caritas non solum elicit actum 146

nach der Bewandtnis des Gegenstandes, sondern auch nach 26, 8 der Bewandtnis des Liebenden (Antw. u. 4 Zu 1). Daher kommt es, daß der, der uns mehr verbunden ist, auch mehr geliebt wird. 8. A R T I K E L Ist der am meisten zu lieben, der uns der leiblichen Herkunft nach verwandt ist? 1. Spr 18, 24 heißt es: „Ein angenehmer Gesellschafter ist mehr Freund als ein Bruder." Und Maximus Valerius sagt: „Das Band der Freundschaft ist sehr stark und in keiner Weise der Macht des Blutes unterlegen. Es ist auch sicherer und entspricht mehr der Erfahrung: das Los des Geborenwerdens ist doch ein sehr zufälliges Werk; dieses aber [das Werk der Freundschaft] begründet der ungezwungene Wille mit zuverlässiger Entscheidung." Also sind die Blutsverwandten nicht mehr zu lieben als die anderen. 2. Ambrosius sagt: „Nicht weniger bin ich euch, die ich im Evangelium gezeugt habe, in Liebe zugetan, als wenn ich euch aus der Ehe erhalten hätte. Denn nicht heftiger drängt QTJAESTIO 26,,

dilectionis secundum rationem objecti, sed etiam secundum rationem diligentis, ut dictum est. E x quo contingit quod magis conjunctus magis amatur. ARTICULUS

VIII

U t r u m sit m a x i m e diligendus ille qui est nobis conjunctus secundum carnalem originem [3 d 29: a. 6; Car 9 ad 15.18]

AD OCTAVUM sic proceditur. Videtur quod non sit maxime 1 diligendus ille qui est nobis conjunctus secundum carnalem originem. Dicitur enim Prov. 18: „Vir amicabilis ad societatem magis erit amicus quam frater." E t Maximus Valerius dicit 2 quod „amicitiae vinculum praevalidum est, neque ulla ex parte sanguinis viribus inferius. Hoc etiam certius et exploratius: quod illud nascendi sors fortuitum opus dedit; hoc uniuseujusque solido judicio incoacta voluntas contrahit." Ergo illi qui sunt conjuncti sanguine non sunt magis amandi quam alii. 2. P R A E T E R E A , Ambrosius dicit, in 1 de Officiis Ministrorum [c. 7 ] : „Non minus vos diligo, quos in Evangelio genui, PL quam si in conjugio suseepissem. Non enim vehementior est 16/30 C 1 s

P : magis. Factor, et Dictor. Memorab. 4, 7.

147

26, 8 die Natur als die Gnade zum Lieben. Mehr Liebe schulden wir gewiß denen, die nach unserer Überzeugung ewig mit uns sein werden, als jenen, die es nur in dieser Welt sind." Also sind die Blutsverwandten nicht mehr zu lieben als die, die in anderer Weise mit uns verbunden sind. 3. Gregor sagt: „Beweis der Liebe ist die Leistung des Werkes." Manchen aber müssen wir eher die Werke der Liebe erweisen als selbst den Blutsverwandten; wie man auch im Heere mehr dem Heerführer gehorchen muß als dem eigenen Vater. Also sind die Blutsverwandten nicht am meisten zu lieben. ANDERSEITS gibt es unter den Geboten des Zehngebote-Gesetzes ein eigenes Gebot über die Ehrung der Eltern [Ex 20, 12]. Also sind jene, die uns auf Grund unserer leiblichen Geburt verwandt sind, in besonderer Weise zu lieben. ANTWORT: Jene, die uns enger verbunden sind, sind auch aus der Gottesliebe heraus mehr zu lieben (Art. 7), sowohl weil sie stärker als auch weil sie auf mehr Gründe hin geliebt werden. Die Stärke der Liebe aber hängt ab von der Verbindung des Geliebten mit dem Liebenden. Und so ist die Liebe der einzelnen zu messen nach der verschiedenen Bewandtnis der Verbindung, so daß ein jeder mehr geliebt wird in dem, was zu jener Verbindimg gehört, auf Grund Q U A E S T I O 26,,

n a t u r a a d d i l i g e n d u m q u a m g r a t i a . P l u s c e r t e diligere d e b e m u s q u o s p e r p e t u o n o b i s c u m p u t a m u s f u t u r o s , q u a m quos in hoc t a n t u m saeculo." N o n ergo consanguinei s u n t m a g i s diligendi his qui s u n t aliter n o b i s c o n j u n c t i . 3. P R A E T E R E A , „ p r o b a t i o dilectionis est e x h i b i t i o o p e r i s " ; .PL u t Gregorius dicit, in h o m i l i a [ I n E v a n g . , 1. 2 h o m . 30]. Sed >20 C q u i b u s d a m m a g i s d e b e m u s i m p e n d e r e dilectionis o p e r a q u a m e t i a m c o n s a n g u i n e i s ; sicut m a g i s est o b e d i e n d u m in e x e r c i t u duci q u a m p a t r i . E r g o illi q u i s u n t s a n g u i n e j u n c t i n o n s u n t m a x i m e diligendi. S E D C O N T R A est q u o d in p r a e c e p t i s decalogi specialiter m a n d a t u r d e h o n o r a t i o n e p a r e n t u m ; u t p a t e t E x . 20. E r g o illi q u i s u n t n o b i s c o n j u n c t i s a c u n d u m carnis originem s u n t a n o b i s specialius diligendi. R E S P O N D E O d i c e n d u m q u o d , sicut d i c t u m est, illi q u i s u n t n o b i s m a g i s c o n j u n c t i , s u n t ex c a r i t a t e m a g i s diligendi, t u m q u i a i n t e n s i u s d i l i g u n t u r ; t u m e t i a m q u i a p l u r i b u s r a t i o n i b u s dil i g u n t u r . I n t e n s i o a u t e m dilectionis est e x c o n j u n c t i o n e dilecti a d diligentem. E t ideo d i v e r s o r u m dilectio est m e n s u r a n d a s e c u n d u m d i v e r s a m r a t i o n e m c o n j u n c t i o n i s ; u t scilicet u n u s q u i s q u e d i l i g a t u r m a g i s in eo q u o d p e r t i n e t a d illam c o n j u n c 148

deren er geliebt wird. Und dann ist noch Liebe mit Liebe zu 26, 8 vergleichen auf Grund des Verhältnisses von Verbindung zu Verbindung. 50 ist also zu sagen, daß die Freundschaft zwischen Blutsverwandten in der Verbindung des natürlichen Ursprungs gründet; die Freundschaft der Mitbürger auf der Gemeinsamkeit des bürgerlichen Lebens; die Freundschaft der Mitkämpfer auf der Gemeinsamkeit der Kriegsführung. In dem also, was zur Natur gehört, müssen wir die Blutsverwandten mehr lieben; in dem aber, was zum bürgerlichen Verkehr gehört, müssen wir die Mitbürger mehr lieben; und in den Angelegenheiten des Krieges mehr die Mitkämpfer [57]. Deshalb sagt der Philosoph: „Einem jeden muß man das ihm Gebührende und Angemessene erweisen. Und so verfährt man auch in der Tat. Zu Hochzeiten nämlich lädt man die Verwandten ein. Den Eltern soll man vor allem den Lebensunterhalt gewähren. Auch Ehre soll man den Eltern erweisen." Und ebenso ist es mit den anderen. Wenn wir aber Verbindung mit Verbindung vergleichen, so steht es fest, daß die natürliche Verbindung des Ursprungs die frühere und festere ist, denn sie gründet sich auf das, was zum Wesen gehört; die anderen Verbindungen aber kommen zu dieser erst hinzu und können wieder fallen. DesQ U A E S T I O 26,,

tionem secundum quam diligitur. E t ulterius comparanda est dilectio dilectioni secundum comparationem conjunctionis ad conjunctionem. Sic igitur dicendum est quod amicitia consanguineorum fundatur in conjunctione naturalis originis; amicitia autem concivium in communicatione civili; et amicitia commilitantium in communicatione bellica [cf. 8 Eth. 11]. E t ideo in his quae «1159 b 2« pertinent ad naturam plus debemus diligere consanguíneos; in his autem quae pertinent ad civilem conversationem plus debemus diligere concives; et in bellicis plus commilitones. Unde et Philosophus dicit, in 9 Ethicorum [c. 2], quod „singulis ii65 a 17 propria et congruentia est attribuendum. Sic autem et facere videntur. Ad nuptias quidem vocant cognatos; videbitur utique et nutrimento parentibus oportere máxime sufficere, et honorem paternum." 1 E t simile est etiam in aliis. 51 autem comparemus conjunctionem ad conjunctionem, constat quod conjunctio naturalis originis est prior et immobilior; quia est secundum illud quod pertinet ad substantiam; aliae autem conjunctiones sunt supervenientes, et removeri possunt. 1

P: parentum.

149

26,8 halb ist die Freundschaft zwischen Blutsverwandten fester. Die anderen Freundschaften aber können edler sein auf Grund dessen, was jeder Freundschaft eigen ist. Zu 1. Weil die Freundschaft mit den Gefährten auf eigener Wahl beruht in dem, was unter unsere Wahl fällt, z. B. bei den Unternehmungen, so hat diese Liebe einen Vorrang vor der Liebe zwischen Blutsverwandten; nämlich sofern wir mit den Gefährten stärker übereinstimmen in dem, was zu unternehmen ist. Die Freundschaft zwischen Blutsverwandten aber ist fester, weil sie naturhafter ist und weil sie den Vorrang hat in den Dingen, die die Natur angehen. Daher sind wir an sie stärker gebunden, wo es sich um die Sorge für die Notwendigkeiten des Lebens handelt. Zu 2. Ambrosius spricht von der Liebe in bezug auf die Wohltaten, die mit der Mitteilung der Gnade in Verbindung stehen, nämlich die Unterweisung in den Sitten. Darin nämlich muß der Mensch eher seinen geistigen Söhnen helfen, die er geistig gezeugt hat, als den leiblichen Kindern, denen er mehr helfen muß in den leiblichen Bedürfnissen [58], Zu 3. Daraus, daß im Krieg dem Heerführer mehr gehorcht wird als dem Vater, wird nicht bewiesen, daß der Vater schlechthin weniger geliebt wird; sondern nur, daß er in gewisser Hinsicht weniger geliebt wird, d. h. in bezug auf die Liebe der Kameradschaft im Kriege. QUAESTIO 20,, • 1162 a 14 E t ideo amicitia consanguineorum est stabilior [cf. 8 E t h . 14]. Sed aliae amicitiae possunt esse potiores secundum illud quod est proprium unicuique amicitiae. A D P R I M U M ergo dicendum quod quia amicitia sociorum propria electione contrahitur in his quae sub nostra electione cadunt, puta in agendis, praeponderat haec dilectio dilectioni consanguineorum; ut scilicet magis cum illis consentiamus in agendis. Amicitia tarnen consanguineorum est stabilior, utpote naturalior existens; et praevalet in his quae ad n a t u r a m spectant. Unde magis eis tenemur in provisione necessariorum. A D S E C U N D U M dicendum quod Ambrosius loquitur de dilectione quantum ad beneficia quae pertinent ad communicationem gratiae, scilicet de instructione morum. I n hac enim magis debet homo subvenire filiis spiritualibus, quos spiritualiter genuit, quam filiis corporalibus; quibus tenetur magis providere in corporalibus subsidiis. A D T E R T I U M dicendum quod e x hoc quod duci exercitus magis obeditur in bello quam patri, non probatur quod simoliciter pater minus diligatur; sed quod minus dilig itur secundum quid, idest secundum dilectionem bellicae communicationis.

150

9. A R T I K E L

26,9

Muß der Mensch aus der Oottesliebe heraus das eigene Kind mehr lieben als den Vater ? 1. Den müssen wir mehr lieben, dem wir mehr wohltun müssen. Den Kindern aber müssen wir mehr wohltun als den Eltern; denn der Apostel sagt (2 Kor 12, 14): „Nicht die Kinder sollen für die Eltern Reichtümer sammeln, sondern die Eltern für die Kinder." Also sind die Kinder mehr zu lieben als die Eltern. 2. Die Gnade vollendet die Natur. Naturhaft aber lieben die Eltern die Kinder mehr, als sie von ihnen geliebt werden, wie der Philosoph sagt. Also müssen wir die Kinder mehr lieben als die Eltern. 3. Durch die Gottesliebe wird das Verlangen des Menschen Gott gleichgestaltet. Gott liebt aber die ,Kinder' mehr, als Er von ihnen geliebt wird. Also müssen auch wir die Kinder mehr lieben als die Eltern. ANDERSEITS sagt Ambrosius: „Erst müssen wir Gott lieben, dann die Eltern, dann die Kinder, dann die Hausgenossen." ANTWORT: Der Grad der Liebe läßt sich aus zwei Q U A E S T I O 26, ,

ARTICULUS

IX

U t r u m homo ex caritate magis debeat filium quam patrem

diligere

[Infra a. 11.12; 31,3; 44,8; 3 d 29: a. 7; Car9 ad IS; Etil8 lect 12; Mt 10; Eph5 lect 10]

AD NONUM sie proceditur. Videtur quod homo ex caritate magis debeat diligere filium quam patrem. Illum enim magis debemus diligere cui magis debemus benefacere. Sed magis debemus benefacere filiis quam parentibus; dicit enim Apostolus, 2 ad Cor. 12: „Non debent filii thesaurizare parentibus, sed parentes filiis." Ergo magis sunt diligendi filii quam parentes. 2. P R A E T E R E A , gratia perficit naturam. Sed naturaliter parentes plus diligunt filios quam ab eis diligantur; ut Philosophus dicit, in 8 Ethicorum [c. 14]. Ergo magis debemus diligere liei b 21 filios quam parentes. 3. P R A E T E R E A , per caritatem affectus hominis Deo conformatur. Sed Deus magis diligit filios quam diligatur ab eis. Ergo etiam nos magis debemus diligere filios quam parentes. S E D CONTRA est quod Ambrosius 1 dicit: „Primo Deus diligendus est, secundo parentes, inde filii, post domestici." R E S P O N D E O dicendum quod, sicut supra dictum est, gradus 1

Cf. Origenes, In Cant., hom. 2 ad 2, 4 (I'O 13/54 A).

151

26,9 Dingen ableiten (Art. 4 Zu 1; Art. 7). E i n m a l von Seiten des Gegenstandes. Danach ist das, was die größere Bewandtnis des Guten hat und Gott ähnlicher ist, mehr zu lieben. Und so ist der Vater mehr zu lieben als das eigene Kind; denn den Vater lieben wir als unseren Ursprung, und so hat er die Bewandtnis eines erhabeneren Gutes und ist Gott ähnlicher.1 In a n d e r e r Weise werden die Grade der Liebe bemessen von seiten des Liebenden selbst. Und so wird mehr geliebt, was tiefer verbunden ist. Danach ist das eigene Kind mehr zu lieben als der Vater, wie der Philosoph sagt. Denn e r s t e n s lieben die Eltern ihre Kinder wie etwas von ihnen; der Vater aber ist nicht etwas vom Kind; deshalb ist die Liebe, mit der der Vater das Kind liebt, jener Liebe ähnlicher, mit der er sich selbst liebt [59]. — Zweitens wissen die Eltern eher, wer ihre Kinder sind, als umgekehrt. — D r i t t e n s steht das Kind dem Vater näher, als Teil desselben, als der Vater dem Kind, zu dem er das Verhältnis des Ursprungs hat. — V i e r t e n s haben die Eltern länger geliebt; denn der Vater beginnt sofort sein Kind zu lieben; das Kind aber fängt erst mit vorgeschrittenem Alter an den Vater zu lieben. Je länger aber die Liebe, um so stärker Q U A E S T I O 26,»

dilectionis ex duobus pensari potest. Uno modo, ex parte objecti. Et secundum hoc illud quod habet majorem rationem boni est magis diligendum, et quod est Deo similius. Sic pater est magis diligendus quam filius, quia scilicet patrem diligimus sub ratione prineipii, quod habet rationem eminentioris boni et Deo similioris. Alio modo computantur gradus dilectionis ex parte ipsius' diligentis. Et sie magis diligitur quod est conjunctius. Et secundum hoc filius est magis diligendus quam pater; ut Philo1161 b 18 sophus dicit, in 8 Ethicorum [1. c.]. Primo quidem, quia parenb 23 tes diligunt filios ut aliquid sui existentes; pater autem non est aliquid filii; et ideo dilectio secundum quam pater diligit filium, b 27 similior est dilectioni qua quis diligit seipsum. — Secundo, quia parentes magis sciunt, aliquos esse suos filios quam e conb 10 verso. — Tertio, quia filius est magis propinquus parenti, utpote pars existens, quam pater filio, ad quem habet habitudinem prinb 21 eipii. — Quarto, quia parentes diutius amaverunt; nam statim pater ineipit diligere filium; filius autem tempore procedente b 2-4 ineipit diligere patrem. Dilectio autem quanto est diuturnior. 1

Vgl. Komm. S. 474.

152

ist sie; nach Sir 9, 14: „Einen alten Freund verlaß nicht; 26, 9 denn ein neuer wird ihm nicht gleichkommen." Zu 1. Dem Ursprung ist die Unterwerfung der Ehrerbietung und Ehre geschuldet; der Frucht aber kommt es zu, den Einfluß des Ursprungs und seine Vorsorge zu erfahren. Und deshalb gebührt den Eltern von Seiten der Kinder mehr die Ehre; den Kindern aber [von Seiten der Eltern] mehr die Sorge der Unterstützung. Zu 2. Der Vater liebt von Natur das Kind mehr [als seinen eigenen Vater] auf Grund der Verbindung zu ihm. Auf Grund des erhabeneren Gutes aber liebt das Kind von Natur mehr den Vater [als sein eigenes Kind], Zu 3. Wie Augustinus sagt, „liebt Gott uns zu unserem Nutzen und zu Seiner Ehre". 1 Weil nun der Vater zu uns im Verhältnis des Ursprungs steht, so wie auch Gott, kommt es dem Vater zu, daß ihm von den Kindern Ehre erwiesen wird; dem Sohn aber, daß die Eltern zu seinem Nutzen für ihn Sorge tragen. — Doch ist im Augenblick der Not das Kind verpflichtet, aus den [von den Eltern] empfangenen Wohltaten zuerst für die Eltern Sorge zu tragen. Q U A E S T I O 26,,

tanto est fortior; secundum illudEccli. 9: „Non derelinquas amicum antiquum; novus enim non erit similis illi." AD PRIMUM ergo dioendum quod principio debetur subjectio reverentiae et honor; effectui autem proportionaliter competit recipere influentiam principii et provisionem ipsius. E t propter hoc parentibus a filiis magis debetur honor; filiis autem magis debetur cura provisionis. AD SECUNDUM dicendum quod pater naturaliter plus diligit filium secundum rationem conjunctionis ad seipsum. Sed secundum rationem eminentioris boni filius naturaliter plus diligit patrem. AD T E R T I U M dicendum quod, sicut Augustinus dicit, in 1 de Doctrina Christiana [c. 32], „Deus diligit nos ad nostram l'L utilitatem et suum honorem." E t ideo, quia pater comparatur : f 4 ; : l - 1 ad nos in habitudine principii, sicut et Deus, ad patrem proprie pertinet ut ei a filiis honor impendatur; ad filium autem ut ejus utilitati a parentibus provideatur. — Quamvis in articulo necessitatis filius obligatus sit, ex beneficiis susceptis, ut parentibus maxime provideat. 1

Vgl. das Zitat aus J . B e m h a r t , Komm. S. 492.

153

26, lö

10. A R T I K E L Muß

der Mensch

die Mutter

mehr lieben als den

Vater?

1. „Die Frau gibt bei der Zeugung den Leib" (Aristoteles). Der Mensch aber hat seine Seele nicht vom Vater, sondern durch Schöpfung von Gott, wie im ersten Buche gesagt wurde (I 90, 2: Bd. 7; 118, 2: Bd. 8). 1 Also hat der Mensch mehr von der Mutter als vom Vater. Also muß er die Mutter mehr lieben als den Vater. 2. Den, der mehr liebt, muß der Mensch auch mehr lieben. Die Mutter liebt ihr Kind aber mehr als der Vater; denn der. Philosoph sagt: „Die Mütter haben eine größere Liebe zu ihren Kindern [als der Vater]. Denn die Mütter trifft die größere Mühsal des Gebärens, und sie wissen besser, daß die Kinder ihre eigenen sind, als die Väter." Also ist die Mutter mehr zu lieben als der Vater. 3. D e m gebührt die tiefere Empfindung der Liebe, der sich für uns mehr gemüht hat; nach R o m 16, 6: „Grüßet Maria, die sich viel Mühe mit euch gemacht hat." Die Mutter aber hat mehr Mühe bei der Zeugung und der Erziehung als der Vater; deshalb heißt es Sir 7, 29: „Vergiß nicht der Q U A E S T I O 26, ,0

ARTICULUS X U t r u m homo magis debeat diligere matrem quam patrem [3 d 29: a. 7 ad 4.5]

AD DECIMUM sie proceditur. Videtur quod homo magis debeat diligere matrem quam patrem. U t enim Philosophus dicit, 729 a 10 in libro de Generatione Animalium [1. 1, 20; 2, 4], „femina in 738 b 23 generatione dat corpus". Sed homo non habet animam a patre, sed per creationem a Deo, ut in Primo dictum est. Ergo homo plus habet a matre quam a patre. Plus ergo debet diligere matrem quam patrem. 2. P R A E T E R E A , magis amantem debet homo magis dilig3re. Sed mater plus diligit filium quam pater; dicit enim U68 a 25 Philosophus, in 9 Ethicorum [c. 7], quod „matres magis sunt amatriees filiorum; laboriosior enim est generatio m a t r u m ; et magis sciunt quoniam ipsarum sunt filii quam patres". Ergo mater est magis diligenda quam pater. 3. P R A E T E R E A , ei debetur major dilectionis affectus qui pro nobis amplius laboravit; secundum illud Rom. ult.: „Salut a t e Mariam, quae multum laboravit in vobis." Sed mater plus laborat in generatione et educatione quam pater, unde dicitur 1

Zur entsprechenden Lehre der Kirche vgl. Bd. 8, S. 504 f.

154

Schmerzen deiner Mutter." Also muß der Mensch die Mutter 26,10 mehr lieben als den Vater. ANDERSEITS sagt Hieronymus: „Nach Gott, dem Vater aller, ist der Vater zu lieben." Und erst später spricht er von der Mutter. ANTWORT: Bei diesem Vergleich ist immer das, was gesagt wird, streng an sich zu verstehen, nämlich: es wird gefragt nach dem Vater, sofern er Vater ist, ob er mehr zu lieben sei als die Mutter, sofern sie Mutter ist. Denn es kann in all diesen Verhältnissen ein solcher Abstand bestehen hinsichtlich Tugend und Bosheit, daß jede Freundschaft aufgehoben ist oder zum wenigsten gemindert wird [60], wie der Philosoph sagt. Deshalb sind, wie Ambrosius sagt, „die guten Hausgenossen den bösen Kindern vorzuziehen". An sich gesprochen aber ist der Vater mehr zu lieben als die Mutter. Vater und Mutter werden ja geliebt als Ursprungsgründe der natürlichen Zeugung. Der Vater aber hat eine erhabenere Bewandtnis des Ursprungs als die Mutter, denn der Vater ist Ursprung nach Weise des Wirkenden, die Mutter aber nach Weise des Empfangenden und des Stofflichen [61]. Deshalb ist, an sich gesprochen, der Vater mehr zu lieben. QUAESTIO

26,„

Eccli. 7: „Gemitum matris tuae ne obliviscaris." Ergo plus debet diligere homo matrem quam patrem. SED CONTRA est quod Hieronymus dicit, super Ezechielem [lib. 13 ad 44, 25], „post Deum, omnium patrem, diligendus est PL pater"; et postea addit de matre. 25/442 C R E S P O N D E O dicendum quod in istis comparationibus id quod dicitur est intelligendum per se; ut videlicet intelligatur esse quaesitum de patre inquantum est pater, an plus sit diligendus matre inquantum est mater. Potest enim in ómnibus hujusmodi tanta esse distantia virtutis et malitiae ut amicitia solvatur velminuatur; ut Philosophus dicit, in 8 Ethicorum [c. 9]. H58 b 33 Et ideo, ut Ambrosius dicit, 1 „boni domestici sunt malis filiis praeponendi". Sed per se loquendo, pater magis est amandus quam mater. Amantur enim pater et mater ut principia quaedam naturalis originis. Pater autem habet excellentiorem rationem principii quam mater; quia pater est principium per modum agentis, mater autem magis per modum patientis et materiae [cf. 1 Phys. 9]. Et ideo, per se loquendo, pater est magis »is

PL 36/2048C

PL 34/20 D 21 B * 194 b 23

autem incognita intelligibilia et divina, cognita autem sensibilia. Ergo Deus est propter alia diligendus. 2. P R A E T E R E A , amor sequitur Cognitionen*. Sed Deus per aliud cognoscitur; secundum illud R o m . 1 : „Invisibilia Dei per ea quae facta sunt intellecta conspiciuntur." E r g o etiam propter aliud amatur, et non propter se. 3. P R A E T E R E A , „spes generat caritatem", ut dicitur in Glossa [interl.], Matth. 1. „Timor" etiam „caritatem introducit"; ut Augustinus dicit, super P r i m a m Canonicam Joannis [tr. 9]. Sed spes exspectat aliquid adipisci a Deo; timor autem refugit aliquid quod a Deo infligi potest. E r g o videtur quod Deus propter aliquod bonum speratum, vel propter aliquod malum timendum, sit amandus. Non ergo est amandus propter seipsum. S E D C O N T R A est quod, sicut Augustinus dicit, in 1 de Doctrina Christiana [c. 4], „frui est amore inhaerere alicui propter seipsum". Sed Deo fruendum est, ut in eodem libro [c. 5] dicitur. E r g o Deus diligendus est propter seipsum. R E S P O N D E O dicendum quod ly .propter' importat habitudinem alicujus causae. E s t autem quadruplex genus causae: scilicet finalis, formalis, efficiens et materialis [cf. 2 Phys. 3], 1

Vgl. Anm. [8],

176

liehe Ausrichtung zurückgeführt wird, die nicht schlecht- 27, 3 hin Ursache ist, sondern nur in bestimmter Hinsicht [67 a]. Und nach diesen vier Ursachen spricht man davon, daß das eine ,wegen' des anderen geliebt werde. Nach Art der Zielursache lieben wir die Arznei ,wegen' der Gesundheit. Nach der Wesensursache lieben wir den Menschen ,wegen' der Tugend, denn durch die Tugend ist er wesenhaft gut, also liebenswert. Nach der Wirkursache lieben wir etwa irgendwelche Menschen, weil sie Söhne eines bestimmten Vaters sind. Nach der Ausrichtung aber, die auf die Stoffursächlichkeit zurückgeführt wird, lieben wir jemanden, weil er uns zu dieser Liebe gebracht hat durch einige Wohltaten, die wir von ihm empfangen haben; doch wenn wir schon angefangen haben, den Freund zu lieben, lieben wir ihn nicht jener Wohltaten wegen, sondern seiner Tugend wegen. Nach den ersten drei Weisen nun lieben wir Gott nicht eines anderen wegen, sondern Seiner Selbst wegen. Denn Er ist nicht auf etwas ausgerichtet wie auf ein Ziel, sondern ist Selbst das letzte Ziel aller Wesen. Auch wird Er in Seinem Wesen nicht durch etwas anderes bestimmt, das Ihn erst gut machen müßte, sondern Sein Wesen selbst ist Seine Gutheit; nach ihr als dem Urbild sind alle Wesen QUAESTIO 27, 3 ad quam reducitur etiam materialis dispositio, quae non est causa simpliciter, sed secundum quid [cf. Categor. 8]. E t secun- * il a 22 dum haec quatuor genera causarum dicitur aliquid propter alterum diligendum. Secundum quidem genus causae fetalis, sicut diligimus medicinam propter sanitatem. Secundum autem genus causae formalis, sicut diligimus hominem propter virtutem; quia scilicet virtute formaliter est bonus, et per consequens diligibilis. Secundum autem causam efficientem, sicut diligimus aliquos inquantum sunt filii talis patris. Secundum autem dispositionem, quae reducitur ad genus causae materialis, dieimur aliquid diligere propter illud quod nos disposuit ad ejus dilectionem, puta propter aliqua beneficia suseepta; quamvis postquam j a m amare ineipimus, non propter ilia beneficia amemus amicum, sed propter ejus virtutem. Primis igitur tribus modis Deum non diligimus propter aliud, sed propter seipsum. Non enim ordinatur ad aliud sicut ad finem, sed ipse est finis ultimus omnium. Neque etiam informatur aliquo alio ad hoc quod sit bonus, sed ejus substantia est ejus bonitas, secundum quam exemplariter omnia bona 177

27, 3 gut. 1 Auch hat Er Seine Gutheit nicht von einem anderen, sondern alle anderen [haben ihre Gutheit] von Ihm. In der vierten Weise jedoch kann Er geliebt werden eines anderen ,wegen', insofern wir durch irgend etwas anderes dazu gebracht werden, in der Liebe Gottes Fortschritte zu machen, so z. B. durch von Ihm empfangene Wohltaten oder dadurch, daß wir von Ihm Belohnungen erhoffen. Oder durch die Strafen, die wir durch Ihn zu vermeiden trachten. Zu 1. „Aus dem, was der Geist erkennt, lernt er das Unbekannte lieben", aber nicht so, als wäre das Bekannte als Wesensursache oder Ziel oder Wirkursache der Grund, das Unbekannte zu lieben; sondern weil der Mensch durch es b e r e i t e t wird, das Unbekannte zu lieben. Zu 2. Die Erkenntnis Gottes erlangen wir zwar durch anderes; nachdem wir Ihn aber erkannt haben, erkennen wir Ihn nicht mehr durch anderes, sondern durch Ihn Selbst ;2 nach Jo 4, 42: „Jetzt glauben wir nicht mehr um Deiner Worte willen; wir selbst nämlich haben gesehen und wissen, daß dieser wahrhaft der Erlöser der Welt ist." Zu 3. Hoffnung und Furcht führen zur Liebe auf dem Wege der Bereitung (Antw.; vgl. 17,8; 19,7: Bd. 16; I - I I 6 6 , 6 Zu 3: Bd. 11). Q U A E S T I O 27,,

sunt. Neque iterum ei ab altero bonitas inest, sed ab ipso omnibus aliis. Sed quarto modo potest diligi propter aliud: quia scilicet ex aliquibus aliis disponimur ad hoc quod in Dei dilectione proficiamus, puta per beneficia ab eo suscepta, vel etiam per praemia sperata, vel per poenas quas per ipsum vitare intendimus. A D P R I M U M ergo dicendum quod „ex his quae animus novit discit incognita amare", non quod cognita sint ratio diligendi ipsa incognita per modum causae formalis vel finalis vel efficientis; sed quia per hoc homo disponitur ad amandum incognita. A D SECUNDUM dicendum quod cognitio Dei acquiritur quidem per alia; sed postquam jam cognoscitur, non per alia cognoscitur, sed per ipsum; secundum illud Joan. 4: „Jam non propter tuam loquelam credimus; ipsi enim audivimus, et scimus quia hic est vere Salvator mundi." A D T E R T I U M dicendum quod spes et timor ducunt ad caritatem per modum dispositionis cujusdam, ut ex supradictis patet. 1 2

Vfrl. Einführung z. Komm. S. 407 f. Wie das zu verstehen ist, sagt der nächste Artikel.

178

4. A R T I K E L

27,4

Können wir Gott in diesem Leben unmittelbar lieben ? 1. Augustinus sagt: „Das Unbekannte kann man nicht lieben." Gott aber erkennen wir in diesem Leben nicht unmittelbar; denn „jetzt sehen wir im Spiegel, wie im Rätsel" (1 Kor 13, 12). Also lieben wir Ihn auch nicht unmittelbar. 2. Wer das Geringere nicht kann, kann auch das Größere nicht. Gott lieben ist aber mehr als Ihn erkennen. Wer nämlich durch die Liebe „Gott anhangt, wird ein Geist mit Ihm" (1 Kor 6, 17). Der Mensch aber kann Gott nicht unmittelbar erkennen. Also Ihn um so weniger [unmittelbar] lieben. 3. Der Mensch wird von Gott getrennt durch die Sünde; nach Is 59, 2: „Eure Sünden sind zur Scheidewand geworden zwischen euch und eurem Gott." Die Sünden aber sind eher im Willen als im Verstände. Also kann der Mensch Gott weniger unmittelbar lieben als unmittelbar erkennen. ANDERSEITS wird die mittelbare Erkenntnis Gottes ,Erkenntnis im Spiegel' genannt und in der ewigen Heimat aufgehoben, wie das erhellt aus 1 Kor 13,9ff. Aber „die Liebe Q U A E S T 1 0 27, 1

ARTICULUS

IV

U t r u m D e u s in hac v i t a possit immediate amari [3 d 27: 3,1: Car 2 ad 11; Ver 10,11 ad 6J

A D Q U A R T U M sie p r o c e d i t u r . V i d e t u r q u o d D e u s in hac v i t a n o n possit i m m e d i a t e a m a r i . „ I n c o g n i t a " e n i m „ a m a r i n o n p o s s u n t " ; u t A u g u s t i n u s dicit, 10 de T r i n i t a t e [o. 1. 2]. i'L Sed D e u m n o n cognoscimus i m m e d i a t e in h a c v i t a : q u i a 42/974 „ v i d e m u s n u n c p e r s p e c u l u m in a e n i g m a t e " , u t d i c i t u r 1 a d Cor. 13. E r g o n e q u e e t i a m i m m e d i a t e e u m a m a m u s . 2. P R A E T E R E A , q u i n o n p o t e s t q u o d m i n u s est n o n p o t e s t q u o d m a j u s est [cf. 1 de Coelo 11]. Sed m a g i s est a m a r e D e u m »28la q u a m cognoscere i p s u m ; „qui e n i m a d h a e r e t D e o " p e r a m o r e m „ u n u s s p i r i t u s e s t " , u t d i c i t u r 1 a d Cor. 6. Sed h o m o n o n p o t e s t D e u m cognoscere i m m e d i a t e . E r g o m u l t o m i n u s a m a r e . 3. P R A E T E R E A , h o m o a Deo d i s j u n g i t u r p e r p e c c a t u m ; s e c u n d u m illud Is. 5 9 : „ P e c c a t a v e s t r a d i v i s e r u n t i n t e r vos et D e u m v e s t r u m . " Sed p e c c a t u m m a g i s est in v o l u n t a t e q u a m in intellectu. E r g o m i n u s p o t e s t h o m o D e u m diligere i m m e d i a t e q u a m i m m e d i a t e e u m cognoscere. S E D C O N T R A est q u o d cognitio Dei, q u i a est m e d i a t a , dicitur a e n i g m a t i c a , e t e v a c u a t u r in p a t r i a ; u t p a t e t 1 a d Cor.

179

27, 4 hört nimmer auf" (ebd. V. 8). Also verbindet die Liebe des Erdenweges unmittelbar mit Gott. ANTWORT: Der Akt der Erkenntniskraft wird dadurch vollendet, daß das Erkannte im Erkennenden ist; der Akt der Strebekraft aber dadurch, daß das Streben zur Sache selbst hinneigt (26, 1 Zu 2 ; vgl. 116, 1: Bd. 2; 82, 3: Bd. 6; 108, 6 Zu 3: Bd. 8). Die Bewegung der Strebekraft muß also auf die Dinge gehen nach der Verfassung der Dinge selbst; der Akt der Erkenntniskraft aber nach der Weise des Erkennenden. Die sachliche „Ordnung an sich" aber ist diese, daß Gott um Seiner Selbst willen erkennens- und liebenswert ist als die wesenhafte Wahrheit und Gutheit selbst [Art. 3], als Der, durch Den alles andere erkannt und geliebt wird. Für uns aber, da unsere Erkenntnis bei den Dingen anfängt, sind d i e Dinge früher erkennbar, die den Sinnen mehr benachbart sind; die letzte Grenze der Erkenntnis dagegen liegt in dem, was am meisten von den Sinnen entfernt ist. Danach also ist zu sagen, daß die Liebe, die ein Akt der Strebekraft ist, auch im Stande der Pilgerschaft zuerst auf Gott geht und von Ihm auf anderes abgeleitet wird; so liebt also die Gottesminne unmittelbar Gott, die anderen Dinge aber über Gott. In der Erkenntnis QUAESTIO 27,, 13. Sed „Caritas1 non evacuatur", ut dicitur ibidem. Ergo Caritas viae immediate Deo adhaeret. R E S P O N D E O dicendum quod, sicut supra dictum est, actus cognitivae virtutis perficitur per hoc quod cognitum est in cognoscente; actus autem virtutis appetitivae perficitur per hoc quod appetitus inclinatur in rem ipsam. E t ideo oportet quod motus appetitivae virtutis sit in res secundum conditionem 2 ipsarum rerum, actus autem cognitivae virtutis est secundum modum cognoscentis. Est autem ipse ordo rerum talis secundum se quod Deus est propter seipsum cognoscibilis et diligibilis, utpote essentialiter existens ipsa Veritas et bonitas, per quam alia et cognoscuntur et amantur. Sed quoad nos, quia nostra cognitio a sensu ortum habet, prius sunt cognoscibilia quae sunt sensui propinquiora; et ultimus 3 terminus cognitionis est in eo quod est maxi me a sensu remotum [cf. 1 * 72 a l Anal. post. 2]. Secundum hoc ergo dicendum est quod dilectio, quae est actus virtutis appetitivae, etiam in statu viae tendit in D e u m primo, et ex ipso derivatur ad alia; et secundum hoc Caritas immediate diligit Deum, alia vero mediante Deo. I n 1 a

P addit: viae. P: cognitionem. • P: ulterius. 180

jedoch ist es umgekehrt: denn wir erkennen Gott durch 27 4 die anderen Dinge wie die Ursache durch die Wirkung, entweder auf dem Wege der Übersteigerung oder der Verneinung, wie das aus Dionysius erhellt. Zu 1. Wenn wir auch das Unbekannte nicht lieben können, so folgt daraus nicht, daß die Erkenntnisordnung dieselbe ist wie die Ordnung der Liebe. Denn die Liebe ist der Erkenntnis Abschluß. Deshalb kann dort, wo der Erkenntnisvorgang aufhört, nämlich in der Sache selbst, die durch eine andere erkannt wird, sogleich die Liebe anfangen [68], Zu 2. Weil die Gottesliebe etwas Größeres ist als die Gotteserkenntnis, vor allem im Stande der Pilgerschaft, deshalb setzt sie diese voraus. Und weil die Erkenntnis nicht bei den geschaffenen Dingen stehenbleibt, sondern über sie hinaus auf etwas anderes hinstrebt, so fängt in diesem anderen die Liebe an und wird von ihm aus auf die anderen Wesen in einer gewissen Kreisbewegung übertragen, indem die Erkenntnis bei den geschaffenen Dingen anfängt und Gott zustrebt, die Liebe aber bei Gott, als dem letzten Ziel, anfängt und auf die geschaffenen Dinge überübertragen wird. Zu 3. Durch die Liebe wird die Abkehr von Gott, die durch die Sünde eingetreten ist, wieder aufgehoben; nicht QUAESTIO 27,4 cognitione vero est e converso; quia scilicet per alia Deum cognoscimus, sicut causam per effectus, vel per modum eminentiae aut negationis, ut patet per Dionysium, in libro de Divinis Nominibus [c. 1]. PG AD PRIMUM ergo dicendum quod quamvis incognita j^®9® ® amari non possint, tarnen non oportet quod sit idem ordo cognitionis et dilectionis. Nam dilectio est cognitionis terminus. E t ideo ubi desinit cognitio, scilicet in ipsa re quae per aliam cognoscitur, ibi statim dilectio incipere potest. AD SECUNDUM dicendum quod quia dilectio Dei est majus aliquid quam ejus cognitio, maxime secundum statum viae, ideo praesupponit ipsam. E t quia cognitio non quiescit in rebus creatis, sed per eas in aliud tendit, in illo dilectio incipit, et per hoc ad alia derivatur, per modum cujusdam circulationis; dum cognitio, a creaturis incipiens, tendit in Deum; et dilectio, a Deo incipiens sicut ab ultimo fine, ad creaturas derivatur. AD T E R T I U M dicendum quod per caritatem tollitur aversio a Deo quae est per peccatum; non autem per solam 181

27, 5 aber durch die bloße Erkenntnis. Und so ist es die Gottesminne, die durch ihr Lieben die Seele unmittelbar mit Gott verbindet durch das Band einer geistigen Einigung. 5. A R T I K E L Kann

Gott ganz geliebt

werden?

1. Die Liebe folgt auf die Erkenntnis. Gott aber kann nicht ganz von uns erkannt werden, weil das heißen würde, Ihn erschöpfend erkennen. Also kann E r auch nicht ganz von uns geliebt werden. 2. Die Liebe ist eine gewisse Einigung (Dionysius). Das Herz des Menschen aber kann Gott nicht nach Seiner Ganzheit geeint werden, denn „Gott ist größer als unser Herz" ( 1 J O 3 , 20). Also kann Gott nicht ganz geliebt werden. 3. Gott liebt Sich Selbst ganz. Wenn E r also von einem anderen ganz geliebt wird, so liebt ein anderer Gott im selben Maße, wie E r Sich Selbst liebt. Das aber ist nicht sinnvoll. Also kann Gott von einem Geschöpf nicht ganz geliebt werden. A N D E R S E I T S heißt es Dt 6, 5: „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben aus deinem ganzen Herzen." Q U A E S T I O 27,

s

cognitionem. E t ideo Caritas est quae, diligendo, i m m e d i a t e Deo c o n j u n g i t spiritualis vinculo unionis.

animam

ARTICULUS V U t r u m Deus possit totaliter amari [3 d 27: 3,2; Car 10 ad 5]

A D QUINTUM sie proceditur. Videtur quod Deus non possit totaliter amari. Amor enim sequitur cognitionem. Sed Deus non potest totaliter a nobis cognosci; quia hoc esset comprehendere eum. Ergo non potest a nobis totaliter amari. 2. P R A E T E R E A , amor est unio quaedam, ut patet per PG Dionysium, 4 cap. de Divinis Nominibus. Sed cor hominis non otest a 8o/l?2H P d Deum uniri totaliter, quia „Deus est major corde nostro", ut dicitur 1 Joan. 3. Ergo Deus non potest totaliter amari. 3. P R A E T E R E A , Deus seipsum totaliter amat. Si igitur ab aliquo alio totaliter amatur, aliquis alius diligit Deum tant u m quantum ipse se diligit. Hoc autem est inconveniens. Ergo Deus non potest totaliter diligi ab aliqua creatura. S E D CONTRA est quod dicitur Deut. 6: „Diliges Dominum Deum t u u m ex toto corde tuo."

182

A N T W O R T : Die Liebe ist die Verbindung zwischen 27,5 dem Liebenden und dem Geliebten. W e n n also gefragt wird, ob wir Gott ganz lieben können, so k a n n das in dreifacher Weise verstanden werden. E i n m a l so, daß die Weise der Ganzheit auf die geliebte Sache bezogen wird. Und so m u ß Gott ,ganz' geliebt werden; denn der Mensch m u ß das Ganze, was Gott zugehört, lieben. — I n a n d e r e r Weise k a n n es so verstanden werden, daß die Ganzheit auf den Liebenden bezogen wird. Und auch so m u ß Gott ,ganz' geliebt werden; denn der Mensch m u ß Gott lieben nach seinem ganzen Können und m u ß alles, was er hat, auf Gott ausrichten; nach D t 6, 5: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen." — I n einer d r i t t e n Weise kann es verstanden werden als Vergleich zwischen dem Liebenden und dem Geliebten, so daß das Maß des Liebenden dem Maß der geliebten Sache voll entspricht. Und das k a n n nicht sein. Da nämlich ein jedes Ding in dem Maße liebenswert ist, als es gut ist, ist Gott, dessen Gutheit unendlich ist, auch unendlich liebenswert. Kein Geschöpf aber k a n n Gott in unendlichem Maße lieben, denn jede geschöpfliche K r a f t , ob n a t u r h a f t oder eingegossen, ist endlich. Und damit ergeben sich die Lösungen zu den Einwänden. Denn die ersten drei Gründe schließen in diesem dritten Sinne; der vierte (Anderseits) aber im zweiten Sinne. Q U A E S T I O 27.5

R E S P O N D E O dicendum quod, c u m dilectio intelligatur quasi medium inter a m a n t e m et amatum, cum quaeritur an Deus possit totaliter diligi, tripliciter potest intelligi. U n o modo, ut modus totalitatis referatur ad rem dilectam. E t sie Deus est totaliter diligendus; quia t o t u m quod ad D e u m pertinet homo diligere debet. — Alio m o d o potest intelligi ita quod totalitas referatur ad diligentem. E t sie e t i a m Deus totaliter diligi debet; quia ex t o t o posse suo debet homo D e u m diligere, et quidquid habet ad Dei amorem ordinäre, secundum illud Deut. 6: „Diliges D o m i n u m D e u m t u u m ex t o t o corde tuo." — Tertio modo potest intelligi secundum comparationem diligentis ad rem dilectam, ut scilicet modus diligentis adaequet m o d u m rei dileetae. E t hoc non potest esse. Cum enim unumquodque intantum diligibile sit inquantum est bonum, Deus, cujus bonitas est infinita, est infinite diligibilis; nulla autem creatura potest D e u m infinite diligere, quia omnis virtus creaturae, sive naturalis sive infusa, est finita. E t per hoc patet responsio A D OBJECTA. N a m primae tres objectiones procedunt secundum hunc tertium sensum; ultima a u t e m ratio procedit in sensu secundo.

183

6. A R T I K E L

27,6

Ist der göttlichen Liebe ein bestimmtes

Maß zu setzen ?

1. Die Bewandtnis des Guten besteht „in Maß, Art und Ordnung" (Augustinus). Die Liebe zu Gott aber ist das Beste im Menschen; nach Kol 3, 14: „Über alles aber habet die heilige Liebe." Also muß die Gottesliebe ein Maß haben. 2. Augustinus sagt: „Sag mir, bitte, was ist das Maß der Liebe? Ich fürchte nämlich, daß ich zuviel oder zuwenig, als nötig ist, entflammt bin von der Sehnsucht und der Liebe meines Herrn." Man würde aber vergeblich nach dem Maß fragen, wenn es kein Maß der göttlichen Liebe geben würde. Also gibt es ein Maß der göttlichen Liebe. 3. Augustinus sagt: „Maß ist das, was einem jeden Ding von seinem eigenen Maßstab vorgeschrieben wird." Der Maßstab des menschlichen Willens aber, wie auch der äußeren Handlung, ist die Vernunft.1 Wie man daher in der äußeren Wirkung der Gottesliebe das von der Vernunft vorgeschriebene Maß einhalten muß — nach Rom 12,1: QTJAESTIO 27,,

ARTICULUS

VI

U t r u m divinae dilectionis sit modus habendus

aliquis

[3 d 27: 3,3; Car 2 ad 13; Rom 12 lect 1]

PL 42/553 A PL 32/1316 B

PL 34/299 C •1113 a 32

A D S E X T U M sic proceditur. V i d e t u r quod divinae dilectionis sit aliquis m o d u s h a b e n d u s . R a t i o enim boni consistit in „modo, specie et o r d i n e " ; u t p a t e t p e r A u g u s t i n u m , in libro de N a t u r a Boni [c. 3], Sed dilectio Dei est o p t i m u m in h o m i n e ; s e c u n d u m illud Col. 3: „Super o m n i a c a r i t a t e m h a b e t e . " E r g o dilectio Dei debet m o d u m habere. 2. P R A E T E R E A , A u g u s t i n u s dicit, in libro de Moribus Ecclesiae [c. 8]: „Die mihi, quaeso te, quis sit diligendi m o d u s . Vereor e n i m ne plus m i n u s v e q u a m o p o r t e t inflammer desiderio et a m o r e D o m i n i m e i . " F r u s t r a a u t e m quaereret m o d u m nisi esset aliquis divinae dilectionis m o d u s . E r g o est aliquis divinae dilectionis m o d u s . 3. P R A E T E R E A . sicut A u g u s t i n u s dieit, 4 de Genesi ad L i t t e r a m [e. 3], „ m o d u s est q u e m unieuique p r o p r i a m e n s u r a praefigit". Sed m e n s u r a v o l u n t a t i s h u m a n a e , sicut et aotionis exterioris, est ratio [cf. 3 E t h . 6]. E r g o sicut in exteriori effectu caritatis oportèt h a b e r e m o d u m a ratione p r a e s t i t u m , s e c u n d u m 1

Vgl. Aura. [13],

184

„Euer Gottesdienst sei vernünftig" —, so muß auch der 27, 6 innere Akt der Gottesliebe sein Maß haben. ANDERSEITS sagt Bernhard: „Der Grund der Gottesliebe ist Gott; ihr Maß: zu lieben ohne Maß." ANTWORT: Wie aus der Augustinusstelle erhellt, besagt ,Maß' eine Bestimmung vom Maßstab her. Diese Bestimmtheit aber findet sich sowohl im Maßstab als in dem Gemessenen; doch in je anderer Weise. Im Maßstab findet sie sich wesentlich, denn der Maßstab ist von sich her bestimmend und maßverleihend für die anderen [Dinge]; im Gemessenen aber findet sich der Maßstab von einem anderen her, insofern sie nämlich dem Maßstab entsprechen. Deshalb kann es im Maßstab selbst nichts ohne Maß geben; die gemessene Sache aber ist so lange ohne das rechte Maß, als sie — sei es auf Grund eines Zuwenig oder Zuviel — dem Maßstab nicht entspricht. In allem Erstrebbaren und Tubaren aber ist Maßstab das Ziel; denn alles, was wir erstreben oder tun, muß seinen Sinn vom Ziel her empfangen (Aristoteles). Daher hat das Ziel in sich selbst sein Maß; die Mittel zum Ziel aber empfangen ihr Maß daraus, daß sie dem Ziel angemessen sind. Deshalb ist, wie der Philosoph sagt, „das Verlangen Q U A E S T I O 27,,

illud R o m . 12: „Rationabile obsequium vestrum"; ita etiam ipsa interior dilectio Dei debet modum habere. S E D CONTRA est quod Bernardus dicit, in libro de diligendo Deum [c. 1], quod „causa diligendi Deum Deus est; modus, sine modo diligere". R E S P O N D E O dicendum quod, sicut patet ex auctoritate inducta Augustini, modus importat quamdam mensurae determinationem. Haec autem determinatio invenitur et in mensura et in mensurato, aliter tarnen et aliter. In mensura enim invenitur essentialiter, quia mensura secundum seipsam est determinativa et modificativa aliorum; in mensuratis autem invenitur mensura seeundum aliud [cf. 5 Metaph. 15], idest inquantum attingunt mensuram. E t ideo in mensura nihil potest aeeipi immodifieatum; sed res mensurata est immodificata nisi mensuram attingat, sive defieiat sive excedat. In omnibus autem appetibilibus et agibilibus mensura est finis; quia eorum quae appetimus et agimus oportet propriam rationem ex fine accipere, ut patet per Philosophum, in 2 Physicorum [c. 9]. E t ideo finis secundum seipsum habet modum; ea vero quae sunt ad finem habent modum ex eo quod sunt fini proportionata. E t ideo, sicut Philosophus dicit, in 1 Politicorum [c. 9], „appetitus finis in omnibus artibus est

185

PL

182/974 D

• 1021a 29

200 a 32

1257 b 26

27, 6 nach dem Ziel in allen Künsten ohne Ziel und Grenzen; die Mittel zum Ziel aber haben ihre Grenze". So setzt auch der Arzt der Gesundheit keine Grenzen, sondern macht sie so vollkommen, als er nur immer kann; der Arznei aber setzt er eine Grenze; denn er gibt nicht so viel Arzneien als er kann, sondern so, wie es der Gesundheit angemessen ist; sobald nämlich die Arznei diese Angemessenheit über- oder unterschreiten würde, hätte sie nicht mehr das rechte Maß. Das Ziel nun aller menschlichen Handlungen und alles menschlichen Verlangens ist die Gottesliebe, durch die wir zuhöchst unserem letzten Ziele nahekommen (17,6: Bd. 16; 23, 6). Deshalb läßt sich in der Gottesliebe kein Maß bestimmen, wie bei einer Sache, die man messen kann, so daß man in ihr ein Zuviel oder ein Zuwenig annehmen müßte; sondern so, wie sich Maß im Maßstab findet, bei dem es kein Zuviel geben kann; vielmehr: je mehr etwas an das Richtmaß heranreicht, um so besser ist es. Und so: je mehr Gott geliebt wird, um so viel besser ist die Liebe. Zu 1. Das, was durch sich selbst besteht, ist vornehmer als das, was durch ein anderes besteht. Daher ist das Gutsein des Maßstabes, der das Maß durch sich selbst hat, vornehmer als das Gutsein des Gemessenen, welches sein Maß durch ein anderes hat. So ist auch die Gottesliebe, QVAESTIO

27,.

absque fine et termino; eorum a u t e m quae sunt ad finem est aliquis terminus". N o n enim medicus imponit aliquem terminum sanitati, sed facit eam perfectam quantumcumque • 1257 b 25 potest, sed medicinae imponit terminum [cf. 1 Pol. 9]; non enim dat t a n t u m de medicina quantum potest, sed secundum proportionem ad sanitatem; quam quidem proportionem si medicina excederet, vel ab ea deficeret, esset immoderata. Finis a u t e m omnium actionum humanarum et affectionum est Dei dilectio, per quam maxime attingimus ultimum finem, ut supra dictum est. E t ideo in dilectione Dei non potest accipi modus sicut in re mensurata, ut sit in ea accipere plus et minus; sed sicut invenitur modus in mensura, in qua non potest esse excessus, sed quanto plus attingitur regula, tanto melius est. E t ita quanto plus Deus diligitur, tanto est dilectio melior. A D P R I M U M ergo dicendum quod illud quod est per se * 73 b 5 potius est eo quod est per aliud [cf. 1 Anal. post. 4], E t ideo bonitas mensurae, quae per se habet modum, potior est quam bonitas mensurati, quod habet m o d u m per aliud. E t sie etiam 186

welche Maß hat als Maßstab, erhabener als die anderen 27, o Tugenden, die ihr Maß haben als [durch ein anderes] gemessene. Zu 2. Augustinus fügt dort hinzu, daß das Maß der Gottesliebe darin liegt, Ihn zu lieben aus ganzem Herzen, d. h. soviel Er nur immer geliebt werden kann. Und das gehört zum Maß, wie es dem Maßstab zukommt. Zu 3. Jenes Verlangen, dessen Gegenstand dem Urteil der Vernunft unterliegt, muß auch durch die Vernunft ihr Maß erhalten. Der Gegenstand der Gottesliebe aber, welcher Gott ist, übersteigt das Urteil der Vernunft. Und deshalb wird sie nicht von der Vernunft gemessen, sondern übersteigt die Vernunft. — Auch ist es nicht dasselbe mit dem inneren Akt der Gottesliebe und den äußeren Akten. Der innere Akt der Gottesliebe nämlich hat die Bewandtnis des Zieles, denn das höchste Gut des Menschen besteht darin, daß seine Seele Gott anhangt; nach dem Psalm wort [Ps 73 (72), 28]: „Mir ist es gut, Gott anzuhangen." Die äußeren Akte aber sind wie die Mittel zum Ziel. Und so müssen sie ihr Maß empfangen sowohl von der Liebe als auch von der Vernunft. QUAESTIO 27,. Caritas, quae habet m o d u m sicut mensura, praeeminet aliis virtutibus, quae habent m o d u m sicut mensuratae. AD SECUNDUM dicendum quod Augustinus ibidem [De Mor. Eccl., c. 8] subjungit quod modus diligendi Deum est ut l'L ex toto corde diligatur, idest ut diligatur quantumcumque 3 2 , 1 3 ; potest diligi. Et hoc pertinet ad modum qui convenit mensurae. AD TERTIUM dicendum quod affectio illa cujus objectum subjacet judicio rationis, est ratione mensuranda. Sed objectum divinae dilectionis, quod est Deus, excedit judicium rationis. Et ideo non mensuratur ratione, sed rationem excedit. — Nec est simile de interiori actu caritatis et exterioribus actibus. Nam interior actus caritatis habet rationem finis; quia ultimum bonum hominis consistit in hoc quod anima Deo inhaereat, secundum illud Psalmi: „Mihi adhaerere Deo bonum est." Exteriores autem actus sunt sicut ad finem. Et ideo sunt commensurandi et secundum caritatem et secundum rationem.

187

27,7

7. A R T I K E L Ist den Feind lieben verdienstlicher als den Freund lieben ? 1. Mt 5, 46 heißt es: „Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn werdet ihr empfangen?" Die Freundesliebe hat also keinen Lohn zu erwarten. Die Feindesliebe aber verdient ihren Lohn, wie es ebendort heißt [V. 44 f. u. 48]. Also ist es verdienstlicher, die Feinde zu lieben als die Freunde zu lieben. 2. Etwas ist um so verdienstlicher, je größer die Gottesliebe ist, aus der es hervorgeht. Die Feindesliebe aber ist Sache „der vollkommenen Kinder Gottes", wie Augustinus sagt; den Freund lieben jedoch kann auch die unvollkommene Gottesliebe. Also hat es größeres Verdienst, den Feind zu lieben als den Freund zu lieben. 3. Wo die Anstrengung zum Guten größer ist, dort scheint auch das Verdienst größer zu sein; denn „ein jeder wird seinen eigenen Lohn erhalten nach dem Maß der aufgewandten Mühe" (1 Kor 3,8). 1 Es braucht aber eine größere Anstrengung für den Menschen dazu, daß er den Feind liebe, als dazu, daß er den Freund liebt, weil jenes Q U A E S T I O 27,,

ARTICULUS VII U t r u m sit magis m e r i t o r i u m diligere inimicum quam amicum [Infra a. 8 arg 2; 3 d 30: a. 3; 4 ad 3; Car 8]

AD SEPTIMUM sie proceditur. Videtur quod magis meritorium sit diligere inimicum quam amicum. Dicitur enim Matth. 5: „Si diligitis eos qui vos diligunt, quam mercedem habebitis?" Diligere ergo amicum non meretur mercedem. Sed diligere inimicum meretur mercedem, u t ibidem ostenditur. Ergo magis est meritorium diligere inimicos quam diligere amicos. 2. P R A E T E R E A , tanto aliquid est magis meritorium quanto ex majori caritate procedit. Sed diligere inimicum est „perfectorum filiorum Dei", u t Augustinus dicit, in Enchirip l dion [c. 73]; diligere autem amicum est etiam caritatis imper40/266 C fectae. Ergo majoris meriti est diligere inimicum quam diligere amicum. 3. P R A E T E R E A , ubi est major conatus ad bonum, ibi videtur esse m a j u s meritum; quia „unusquisque propriam mercedem aeeipiet secundum suum laborem", u t dicitur 1 ad Cor. 3. Sed majori conatu indiget homo ad hoc quod diligat inimicum quam ad hoc quod diligat amicum, quia difficilius 1

Vgl. Art. 8 Zu 3 mit Komm. S. 505.

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schwerer ist. Also scheint die Feindesliebc verdienstlicher 27," zu sein als die Freundesliebe. ANDERSEITS ist das Bessere auch verdienstlicher. Besser aber ist den Freund lieben; denn besser ist den Besseren lieben; besser jedoch ist der Freund, der liebt, als der Feind, der haßt. Also ist den Freund lieben verdienstlicher als den Feind lieben. ANTWORT: Der [einzige] Grund, den Nächsten aus heiliger Liebe zu lieben, ist Gott (25, 1). Wenn wir nun fragen, was besser oder verdienstlicher sei, den Freund lieben oder den Feind lieben, so können diese beiden in doppelter Weise miteinander verglichen werden. Einmal von Seiten des Nächsten, der geliebt wird; das andere Mal von Seiten des Grundes, aus dem man liebt. In der e r s t e n Weise betrachtet, hat die Freundesliebe den Vorrang vor der Feindesliebe. Denn der Freund ist besser und ist uns näher verbunden. Also handelt es sich um eine Sache, die der Liebe angemessener ist. Und so ist der Liebesakt, der sich auf diesen Gegenstand bezieht, besser. Daher ist auch sein Gegenteil schlimmer; denn schlimmer ist es, den Freund zu hassen als den Feind. In der zweiten Weise betrachtet, hat jedoch die Feindesliebe den Vorrang, und zwar aus zwei Gründen. Erstens nämlich: Für die Freundesliebe kann es auch einen anderen Q U A E S T I O 27,,

est. Ergo videtur quod diligere inimicum sit magis meritorium quam diligere amicum. SED CONTRA est quia illud quod est melius est magis meritorium. Sed melius est diligere amicum; quia melius est diligere meliorem [cf. 8 Eth. 4]; amicus autem, qui amat, »lir>6 b 7 est melior quam inimicus, qui odit. Ergo diligere amicum est magis meritorium quam diligere inimicum. RESPONDEO dicendum quod ratio diligendi proximum ex caritate Deus est, sicut supra dictum est. Cum ergo quaeritur quid sit melius, vel magis meritorium, utrum diligere amicum vel inimicum, dupliciter istae dilectiones comparari possunt: uno modo, ex parte proximi qui diligitur; alio modo, ex parte rationis propter quam diligitur. Primo quidem modo dilectio amici praeeminet dilectioni inimici. Quia amicus et melior est et magis conjunctus; unde est materia magis conveniens dilectioni; et propter hoc actus dilectionis super hanc materiam transiens melior est. Unde et ejus oppositum est deterius [cf. 5 Metaph. 10]; pejus enim est odire amicum quam inimicum. * 1 0 1 8 a 27 Secundo autem modo dilectio inimici praeeminet, propter duo. Primo quidem, quia dilectionis amici potest esse alia

189

27,7 Grund geben als Gott; für die Feindesliebe aber kann es keinen anderen Grund geben als Gott. — Zweitens: Angenommen auch, jeder der beiden wird um Gottes willen geliebt, so beweist sich doch jene Gottesliebe als die stärkere, die den Geist des Menschen auf Entfernteres lenkt, nämlich bis zur Feindesliebe; wie die Kraft des Feuers sich um so viel stärker zeigt, je entfernter die Gegenstände sind, auf die es seine Glut ausstrahlt. So scheint auch die Gottesliebe um so viel stärker, je schwieriger die Dinge sind, die wir um ihretwillen vollbringen; wie auch die Kraft des Feuers um so viel stärker ist, je weniger brennbar der Stoff ist, den es verbrennt. Wie aber dasselbe Feuer auf die näherliegenden Gegenstände stärker einwirkt, so liebt auch die Gottesliebe die uns Verbundenen glühender als die Fernerstehenden. Und insofern ist die Freundesliebe, in sich betrachtet, glühender und besser als die Feindesliebe. Zu 1. Das Wort des Herrn ist streng wörtlich zu nehmen. Denn die Freundesliebe hat dann bei Gott keinen Lohn, wenn die Freunde nur deshalb geliebt werden, weil sie Freunde sind; und das scheint dann der Fall, wenn man die Freunde so liebt, daß man die Feinde von seiner Liebe ausschließt. Doch ist auch die Freundesliebe verdienstlich, wenn die Freunde um Gottes willen geliebt werden und nicht nur deshalb, weil es gerade die Freunde sind. QUAESTIO 27, , ratio quam Deus; sed dilectionis inimici solus Deus est ratio. — Secundo quia, supposito quod uterque propter Deum diligatur, fortior ostenditur esse Dei dilectio quae animum hominis ad remotiora extendit, scilicet usque ad dilectionem inimieorum; sicut virtus ignis tanto ostenditur esse fortior quanto ad remotiora diffundit suum calorem. Tanto etiam ostenditur divina dilectio esse fortior quanto propter ipsam difficiliora implemus; sicut et virtus ignis tanto est fortior quanto comburere potest materiam minus combustibilem. Sed sicut idem ignis in propinquiora fortius agit quam in remotiora, ita etiam Caritas ferventius diligit conjunctos quam remotos. E t quantum ad hoc dilectio amicorum, secundum se considerata, est ferventior et melior quam dilectio inimieorum. AD PRIMUM ergo dicendum quod verbum Domini est per se intelligendum. Tunc enim dilectio amicorum mercedem apud Deum non habet, quando propter hoc solum amantur quia amici sunt; et hoc videtur accidere quando sie amantur amici quod inimici non diliguntur. E s t tarnen meritoria amicorum dilectio si propter Deum diligantur, et non solum quia amici sunt.

190

Zu den anderen Einwänden ergibt sich die Lösung aus 27, s dem Gesagten (Antw.). Denn die beiden folgenden Gründe gehen aus vom Grund der Liebe; der letzte (Anderseits) von denen, die geliebt werden. 8. A R T I K E L Ist den Nächsten lieben verdienstlicher

als Gott lieben ?

1. Das scheint verdienstlicher, was der Apostel vorgezogen hat. Der Apostel hat aber die Nächstenliebe der Gottesliebe vorgezogen; nach Rom 9, 3: „Ich wünschte, getrennt zu sein von Christus für meine Brüder." Also ist den Nächsten lieben verdienstlicher als Gott lieben. 2. In gewisser Hinsicht scheint die Freundesliebe weniger verdienstlich zu sein (Art. 7). Gott aber ist am meisten Freund, „weil Er uns zuerst geliebt hat" (1 Jo 4, 10). Also scheint es weniger verdienstlich, Ihn zu lieben. 3. Das Schwierigere scheint tugendhafter und verdienstlicher; denn „die Tugend bemüht sich um das Schwierigere und das Gute" (Aristoteles). Es ist aber leichter, Gott zu lieben als den Nächsten; sowohl weil alle Wesen naturhaft Q U A E S T I O 27, ,

AD ALIA p a t e t responsio per ea quae dicta sunt. N a m duae rationes sequentes procedunt ex p a r t e rationis diligendi; ultima vero ex parte eorum qui diliguntur. ARTICULUS VIII U t r u m sit magis m e r i t o r i u m diligere quam diligere Deum

proximum

[Infra 182,2; 3 d 30: a. 4]

AD OCTAVUM sie proceditur. Videtur quod magis sit meritorium diligere proximum q u a m diligere Deum. Illud enim videtur esse magis meritorium quod Apostolus magis elegit. Sed Apostolus praeelegit dilectionem proximi dilectioni Dei; secundum illud a d Rom. 9: „Optabam a n a t h e m a esse a Christo pro fratribus meis." Ergo magis est meritorium diligere proximum q u a m diligere Deum. 2. P R A E T E R E A , minus videtur esse meritorium aliquo modo diligere amicum, u t dictum est. Sed Deus maxime est amicus, qui „prior dilexit nos", u t dicitur 1 Joan. 4. Ergo diligere eum videtur esse minus meritorium. 3. P R A E T E R E A , illud quod est difficilius videtur esse virtuosius et magis meritorium; quia „virtus est circa dificile et bonum", u t dicitur in 2 Ethicorum [c. 2]. Sed facilius est n o s a 9 diligere Deum q u a m proximum: t u m quia naturaliter omnia

191

27, 8 Gott lieben; als auch weil sich, in Gott nichts findet, was nicht liebenswert wäre, was beim Nächsten nicht der Fall ist. Also ist es verdienstlicher, den Nächsten zu lieben als Gott zu lieben. ANDERSEITS ist das, weswegen jedes andere [so beschaffen] ist, in sich selbst es noch mehr [Aristoteles]. 1 Die Nächstenliebe ist aber nur deshalb verdienstlich, weil der Nächste um Gottes willen geliebt wird. Also ist die Gottesliebe verdienstlicher als die Nächstenliebe. ANTWORT: Dieser Vergleich kann doppelt verstanden werden. E i n m a l so, daß jede der beiden Arten der Liebe für sich betrachtet wird. Und dann besteht kein Zweifel, daß die Gottesliebe verdienstlicher ist; denn ihr gebührt der Lohn um ihrer selbst willen, da der letzte und höchste Lohn die Wonne in Gott ist, wohin sich die Bewegung der Gottesliebe spannt. Deshalb wird auch dem, der Gott liebt, der Lohn versprochen: „Wenn einer Mich liebt, so wird er von Meinem Vater geliebt werden, . . .und Ich werde Mich ihm offenbaren" (Jo 14, 21). In a n d e r e r Weise kann dieser Vergleich so verstanden werden, daß die Liebe zu Gott genommen wird, sofern Er allein geliebt wird; die Nächstenliebe aber so, daß der Nächste nur um Gottes willen geliebt wird. Und so würde die Nächstenliebe die Gottesliebe einschließen. Nicht aber QU A E S T I O 27,,

Deum diligunt; tum quia in Deo nihil occurrit quod non sit diligendum, quod circa proximum non contingit. Ergo magis est meritorium diligere proximum quam diligere Deum. SED CONTRA, propter quod unumquodque, illud magis * 72 a 29 [cf. 1 Anal. post. 2]. Sed dilectio proximi non est meritoria nisi propter hoc quod proximus diligitur propter Deum. Ergo dilectio Dei est magis meritoria quam dilectio proximi. RESPONDEO dicendum quod comparatio ista potest intelligi dupliciter. Uno modo, ut seorsum consideretur utraque dilectio. Et tunc non est dubium quod dilectio Dei est magis meritoria; debetur enim ei merces propter seipsam, quia ultima merces est frui Deo, in quem tendit divinae dilectionis motus. Unde et diligenti Deum merces promittitur, Joan. 14: „Si quis diligit me, diligetur a Patre meo, et manifestabo ei meipsum." Alio modo potest attendi ista comparatio ut dilectio Dei accipiatur secundum quod solus diligitur; dilectio autem proximi accipiatur secundum quod proximus diligitur propter Deum. Et sie dilectio proximi includit dilectionem Dei, sed 1

Vgl. Ahm. [54].

192

würde die Gottesliebe die Liebe zum Nächsten einschließen. 27,8 So1 hatten wir also eine Vergleichung zwischen der vollkommenen Gottesliebe, die sich auch auf den Nächsten erstreckt, und der ungenügenden und unvollkommenen Gottesliebe; denn „dieses Gebot haben wir von Gott, daß, wer Gott liebt, auch seinen Bruder liebe" [1 J o 4, 21]. Und in diesem Sinne hat die Nächstenliebe den Vorrang. Zu 1. Nach der einen Auslegung der Glosse hätte der Apostel das nicht gewünscht, als er im Stande der Gnade war, daß er nämlich von Christus getrennt sein möchte; sondern das wünschte er, als er im Stande des Unglaubens war. Und darin ist er nicht nachzuahmen. Oder man kann mit Chrysostomus sagen, daß das nicht heißen soll, der Apostel habe den Nächsten mehr geliebt als Gott, sondern daß er Gott mehr liebte als sich selbst. Er wollte nämlich auf eine Zeit der Wonne in Gott beraubt sein — und das betrifft die Selbstliebe —, zu dem Ziel, daß die Ehre Gottes gefördert werde im Nächsten — und das betrifft die Gottesliebe. Zu 2. Die Freundesliebe ist zuweilen insoweit weniger verdienstlich, als der Freund um seiner selbst willen geliebt QU AESTIO 27, , dilectio D e i n o n includit dilectionem proximi. U n d e erit comparatio dilectionis D e i perfectae, quae e x t e n d i t se e t i a m ad p r o x i m u m , a d d i l e c t i o n e m D e i insufficientem et i m p e r f e c t a m ; quia „hoc m a n d a t u m h a b e m u s a D e o , u t qui diligit D e u m , diligat et fratrem suum". E t in hoc sensu dilectio proximi praeeminet. A D P R I M U M ergo d i c e n d u m q u o d s e c u n d u m u n a m Glossae [ord. et L o m b . ] e x p o s i t i o n e m , hoc A p o s t o l u s t u n c n o n o p t a b a t p l q u a n d o erat in s t a t u gratiae, u t scilicet separaretur a Christo 191/1454 0 pro fratribus suis; sed hoc o p t a v e r a t q u a n d o erat in s t a t u infidelitatis. U n d e in hoc n o n est imitandus. Vel p o t e s t dici, sicut dicit Chrysostomus, in libro de Comp u n c t i o n e [lib. I], 1 q u o d per hoc n o n ostenditur q u o d A p o s t o l u s pG 3/948 D_

29, i

3. Diejenigen, denen dasselbe entgegengesetzt ist, sind auch unter sich dasselbe [72], Dasselbe nun ist der Eintracht und dem Frieden entgegengesetzt, nämlich die Zwietracht; deshalb heißt es 1 Kor 14, 33: „Gott ist nicht ein Gott der Zwietracht, sondern des Friedens." Also ist Friede dasselbe wie Eintracht. A N D E R S E I T S kann es Eintracht auch bei Gottlosen geben, und zwar im Bösen. „Die Gottlosen aber haben keinen Frieden" (Is 48, 22). Also ist Friede nicht dasselbe wie Eintracht. ANTWORT: Friede schließt Eintracht ein und fügt noch etwas hinzu. Deshalb ist überall, wo Friede ist, auch Eintracht; aber nicht überall, wo Eintracht ist, ist auch Friede, wenn wir den Ausdruck .Friede' im eigentlichen Sinne nehmen. Eintracht im eigentlichen Sinne bezieht sich immer auf den anderen, insofern die Willen der einzelnen Herzen gemeinsam nach Einem trachten. Es kommt auch vor, daß das Herz des einzelnen Menschen auf ganz Verschiedenes hinstrebt. Und zwar in doppelter Hinsicht. E i n m a l nach den verschiedenen Strebevermögen; so ist das Streben des sinnlichen Strebevermögens meistens gegen das verstandhafte Strebevermögen gerichtet; nach Gal 5 , 1 7 : „Das Fleisch begehrt wider den Geist." In a n d e r er Weise, insofern ein und dasselbe Strebevermögen auf verQ U A E S T I O 29,,

3. P R A E T E R E A , quorum est idem oppositum, et ipsa • 1055 a 19 sunt idem [cf. 10 Metaph. 4]. Sed idem opponitur concordiae et paci, scilicet dissensio; unde dicitur, 1 ad Cor. 14: „Non est dissensionis Deus, sed pacis." Ergo pax est idem quod concordia. S E D CONTRA est quod concordia potest esse aliquorum impiorum in malo. Sed „non est pax impiis", ut dicitur Is. 48. Ergo pax non est idem quod concordia. R E S P O N D E O dicendum quod pax includit concordiam et aliquid addit. Unde ubicumque est pax, ibi est concordia; non tarnen ubicumque est concordia, est pax, si nomen pacis proprie sumatur. Concordia enim, proprie sumpta, est ad alterum; inquantum scilicet diversorum cordium voluntates simul in unum consensum conveniunt. Contingit etiam unius hominis cor tendere in diversa; et hoc dupliciter. Uno quidem modo, secundum diversas potentias appetitivas; sicut appetitus sensitivus plerumque tendit in contrarium rationalis appetitus, secundum illud Gal. 5: „Caro concupiscit adversus spiritum." Alio modo, inquantum una et eadem vis appetitiva in diversa

210

schiedene erstrebbare Gegenstände geht, die es nicht zu- 29,1 gleich haben kann. Daraus ergibt sich notwendig ein Widerstreit unter den Bewegungen des Strebevermögens. Die Einigung dieser Regungen gehört nun zwar zur Bewandtnis des F r i e d e n s ; denn der Mensch hat so lange kein befriedetes Herz, solange etwas zu wünschen bleibt, was er mit dem, was er gerade hat, nicht zusammen haben kann. Diese Einigung aber gehört nicht zur Bewandtnis der Eintracht. Eintracht also besagt die Einigung des Strebens der Verschiedenen, in denen das Streben wohnt ; Friede aber besagt über diese Einigung hinaus die Einigung der verschiedenen Strebekräfte in ein und demselben Strebenden. Zu 1. Augustinus spricht dort von dem Frieden, der vom einen zum anderen Menschen herrscht. Und von diesem Frieden sagt er, er sei soviel wie Eintracht, nicht aber jedwede, sondern eine „geordnete", nämlich so, daß der eine Mensch mit dem anderen in dem übereinstimmt, was jedem der beiden zukommt. Wenn nämlich ein Mensch mit dem anderen nicht aus eigenem Willensantrieb übereinstimmt, sondern nur durch die Furcht vor einem drohenden Übel dazu gezwungen wird, so hat solche Eintracht nichts mit Frieden zu tun, weil die Ordnung jedes der beiden, die in Übereinstimmung sind, nicht gewahrt, sondern von einem, der Furcht einflößt, gestört ist. Deshalb schickt er voraus, daß „der Friede die Ruhe der Ordnung ist". Diese Ruhe Q U A E S T I O 29, ¡.

appetibilia tendit q u a e simul assequi non potest. U n d e necesse est esse repugnantiain m o t u u m appetitus [cf. 10 E t h . 5]. Unio » u r s b 2 a u t e m horum m o t u u m est quidero de ratione p a c i s ; non enim homo habet p a c a t u m cor q u a m d i u , etsi h a b e a t aliquid quod vult, tarnen adhuc restât ei aliquid volendum quod simul habere non potest. H a e c a u t e m unio non est de ratione concordiae. U n d e concordia importât unionem a p p e t i t u u m diversorum appetentium; p a x a u t e m , s u p r a hanc unionem, importât etiam appetituum unius appetentis unionem. A D P R I M U M ergo dicendum quod Augustinus loquitur ibi de pace quae est unius hominis a d alium. E t hanc p a c e m dicit esse concordiam, non quamlibet, sed ,ordinatam', ex eo scilicet quod unus homo concordat cum alio secundum illud quod utrique convenit. Si enim homo concordet cum alio non spontanea volúntate, sed quasi coactus timoré alicujus mali imminentis, talis concordia non est vere p a x ; quia non servatur ordo utriusque concordantis, sed perturbatur a b aliquo timorem inferente. E t propter hoc praemittit quod „ p a x est tranquillitas ordinis".

211

29,2 liegt darin, daß alle Regungen des Strebevermögens im Menschen zur R u h e gekommen sind. Z u 2. Wenn ein Mensch einem anderen in einer Sache zustimmt, so ist diese Zustimmung doch so lange nicht auch in sich selbst geeint, solange nicht alle Regungen seines Strebevermögens unter sich in Ubereinstimmung sind. Z u 3. Dem Frieden ist ein doppelter Widerstreit entgegen : nämlich der Widerstreit des Menschen mit sich selbst und der Widerstreit des einen Menschen mit dem anderen. Der Eintracht aber ist nur dieser zweite Widerstreit entgegen. 2. A R T I K E L Streben alle Wesen nach Frieden ?

1. Der Friede „eint" nach Dionysius „die Einmütigkeit". In den Wesen aber, die der Vernunft bar sind, kann keine Einmütigkeit geschaffen werden. Also können diese Wesen den Frieden nicht anstreben. 2. Das Strebevermögen geht nicht zugleich auf Entgegengesetztes. Viele aber wollen Kriege und Streitigkeiten. Also streben nicht alle nach Frieden. Q U A E S T I O 29,2

Quae quidem tranquillitas consistit in hoc quod motus omnes appetitivi in uno homine conquiescunt. AD SECUNDUM dicendum quod, si homo simul cum alio homine in idem consentiat, non tarnen consensus ejus est omnino unitus nisi etiam sibi invicem omnes motus appetitivi ejus sint consentientes. AD TERTIUM dicendum quod paci opponitur duplex dissensio: scilicet dissensio hominis ad seipsum, et dissensio hominis ad alterum. Concordiae vero opponitur haec sola secunda dissensio. ARTICULUS II Utrum omnia appetant pacem [4 d 49: 1,2 qa 4; D N 11 lect 3; Ver 22,1 ad 12]

AD SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod omnia non appetant pacem. Pax enim, secundum Dionysium [De Div. PG Nom., c. 11], est „unitiva consensus". Sed in his quae cogni3/048 D tione carent non potest uniri consensus. Ergo hujusmodi pacem Sol l/49,> a pp e tere non possunt. 2. PRAETEREA, appetitus non fertur simul ad contraria « 433 b 5 [cf. 3 de An. 10]. Sed multi sunt appetentes bella et dissensiones. Ergo non omnes appetunt pacem.

212

3. Nur das Gute kann erstrebt werden. Ein bestimmter 29, 2 Friede aber scheint schlecht zu sein, sonst würde der Herr nicht sagen: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen" (Mt 10,34). Also streben nicht alle nach Frieden. 4. Das, was alle Wesen anstreben, scheint das höchste Gut zu sein, das letztes Ziel ist. Der Friede ist aber nichts dergleichen, denn er ist auch im Stande der Pilgerschaft möglich; sonst hätte der Herr umsonst geboten: „Haltet Frieden untereinander!" (Mk 9, 49). Also streben nicht alle Wesen nach Frieden [73]. ANDERSEITS sagt Augustinus, daß alle den Frieden anstreben. Und dasselbe sagt Dionysius. ANTWORT: Schon dadurch, daß der Mensch etwas anstrebt, strebt er auch danach, das Angestrebte zu erreichen, und in der Folge nach der Beseitigung dessen, was die Erreichung hindern kann. Die Erreichung des ersehnten Gutes aber kann gehindert werden durch das entgegengesetzte Streben, sei es das eigene oder das eines anderen; und beides wird durch den Frieden aufgehoben (Art. 1). Deshalb strebt jedes Strebende notwendig nach Frieden; insofern jedes Strebende danach strebt, in Ruhe und ohne Hindernis das zu erreichen, was es anstrebt, worin die Bewandtnis des Q U A E S T I O 29,,

3. P R A E T E R E A , solum bonum ost appetibile [cf. ib., c. 10; 1 E t h . 1]. Sed quaedam p a x videtur osse m a l a ; alioquin Dominus non diceret, Matth. 10: „Non veni mittere pacem." Ergo omnia non a p p e t u n t pacem. 4. P R A E T E R E A , illud quod omnia a p p e t u n t videtur esse s u m m u m bonum [cf. 1 E t h . 2], quod est ultimus finis. Sed p a x non est hujusmodi, quia etiam in statu viae h a b e t u r ; alioquin f r u s t r a Dominus mandaret, Marc. 9: „Pacem habete inter vos." Ergo omnia non pacem appetunt. S E D CONTRA est quod Augustinus dicit, 19 de Civitate Dei [c. 12], quod omnia pacem appetunt. E t idem etiam dicit Dionysius, 11 cap. de Divinis Nominibus. R E S P O N D E O dicendum quod ex hoc ipso quod homo aliquid appetit, consequens est ipsum appetere ejus quod appetit assecutionem, et per consequens remotionem eorum quae consecutionem impedire possunt. Potest autem impediri assecutio boni desiderati per contrarium appetitum vel sui ipsius vel alterius; et u t r u m q u c tollitur per pacem, sicut supra dictum est. E t ideo necesse est quod omne appetens a p p e t a t pacem; inq u a n t u m scilicet omne appetens appetit tranquille et sine impedimento pervenire ad illud quod appetit, in quo consistit ratio

213

• 433 a 7 *1094 a 2

* 1095 a 16

PL 41/638 A 3/948 D So I 496 ' '

29,

Friedens gegeben ist, den Augustinus bestimmt als „Ruhe in der Ordnung". Zu 1. Der Friede besagt nicht nur die Einigung des verstandhaften bzw. vernünftigen Strebe Vermögens [d. h. des Willens] oder des sinnenhaften, worin es Einmütigkeit geben kann, sondern auch des naturhaften Strebevermögens. Deshalb sagt Dionysius: „Der Friede wirkt sowohl Einmütigkeit als auch naturinnere Übereinstimmung"; so daß mit dem Ausdruck „Einmütigkeit" die Einigung jener Strebekräfte gemeint ist, die aus der Erkenntnis hervorgehen; mit dem Ausdruck „naturinnere Übereinstimmung" aber die Einigung der naturhaften Strebekräfte. Zu 2. Auch jene, die auf Kriege und Streitigkeiten aus sind, ersehnen nur den Frieden, den sie nicht zu haben wähnen. Wie nämlich (Art.l Zu 1) gesagt, ist das noch kein Friede, wenn einer mit dem anderen übereinstimmt gegen das, was er selbst eigentlich lieber möchte. Und so versuchen die Menschen, diese [Schein-JEintracht durch Kriege zu zerstören, da sie doch des Friedens ermangeln, damit sie zum wirklichen Frieden kommen, in dem dann nichts mehr ihrem Willen entgegen ist. Deshalb streben alle Kriegführenden, durch die Kriege zu einem vollkommeneren Frieden zu kommen, als den sie vorher hatten. Zu 3. Der Friede besteht in der Beruhigung und Einigung Q U A E S T I O 29, ,

PL pacis, quam Augustinus définit [1. c., c. 13] „tranquillitatem • 1/84D D ordinis". AD PRIMUM ergo dicendum quod pax importât unionem non solum appetitus intellectualis seu rationalis aut animalis, ad quos potest pertinere consensus, sed etiam appetitus natuI'G ralis. E t ideo Dionysius dicit [1. c.] quod „pax est operativa et soH^'495 consensus et connaturalitatis", ut in consensu importetur unio ' ' appetituum ex cognitione procedentium ; per connaturalitatem vero importatur unio appetituum naturalium. AD SECUNDUM dicendum quod i Iii etiam qui bella quaerunt et dissensiones non desiderant nisi pacem, quam se habere non aestimant. Ut enim dictum est, non est pax si quis cum alio concordet contra illud quod ipse magis vellet. E t ideo homines quaerunt hanc concordiam rumpere bellando, tamquam defectum pacis habentem, ut ad pacem perveniant in qua nihil eorum voluntati repugnet. E t propter hoc omnes bellantes quaerunt per bella ad pacem aliquam pervenire perfectiorem quam prius haberent. AD T E R T I U M dicendum quod, quia pax consistit in quie214

des Strebens. Wie aber das Streben auf ein schlechthin Gutes 29, a und ein Scheingut gehen kann, so kann auch der Friede sowohl ein echter wie ein Scheinfriede sein. Der wahre Friede kann freilich nur im Streben nach dem wahren Gut liegen; denn wenn auch das Schlechte nach irgendeiner Seite als Gut erscheint, weshalb es das Streben zum Teil zur Ruhe bringen kann, so hat doch alles Schlechte viele Mängel, auf Grund deren das Streben unruhig bleibt und durcheinanderkommt. Deshalb kann der wahre Friede nur in den Guten sein und nur in bezug auf die [wahren] Güter. Der Friede der Schlechten aber ist ein Scheinfriede und nicht echt. Deshalb heißt es Wsh 14, 22: „Während sie in großem Widerstreit leben, [verursacht] durch [ihre] Unwissenheit, nennen sie so viele und so große Übel [sogar noch] Frieden." 1 Zu 4. Der wahre Friede besteht nur in einem G u t . Weil es nun ein doppeltes wahres Gut gibt, ein vollkommenes und ein unvollkommenes, so gibt es auch einen doppelten wahren Frieden: einen, der vollkommen ist und der in dem vollkommenen Genuß des höchsten Gutes liegt, durch das alles Streben, in einem Einzigen geeint, zur Ruhe kommt. Und das ist das letzte Ziel der vernünftigen Schöpfung; nach jenem Psalmwort: „Er hat deinen Grenzen Frieden bestellt" [Ps 147,3], — Der andere aber ist der unvollkommene Friede, den wir in dieser Welt haben. Denn wenn auch die Q U A E S T I O 29,2

tatione et unione appetitus; sicut autem appotitus potest esse vel boni simpliciter vel boni apparentis, ita etiam et p a x potest esse et vera et apparens; vera quidem p a x non potest esse nisi circa appetitum veri boni; quia omne malum, etsi secundum aliquid appareat bonum, unde ex aliqua parte appetitum quietet, habet tarnen multos defectus, ex quibus appetitus remanet inquietus et perturbatus. U n d e p a x vera non potest esse nisi in bonis et bonorum. P a x autem quae malorum est, est pax apparens et non vera. U n d e dicitur Sap. 14: „In magno viventes inscientiae bello, tot et tanta mala pacem arbitrati sunt." A D Q U A R T U M dicendum quod, cum vera pax non sit nisi de bono, sicut dupliciter habetur verum bonum, scilicet perfecte et imperfecte, ita est duplex pax vera. U n a quidem perfecta, quae consistit in perfecta fruitione summi boni, per quam omnes appetitus uniuntur quietati in uno. E t hic est ultimus finis creaturae rationalis; secundum illud Psalmi: „Qui posuit fines tuos pacem." — Alia vero est pax imperfecta, quae habetur in hoc mundo. Quia etsi principalis animae motns quiescat in Deo, 1 Vgl. Jer 6, 14: „Sie flieken den Riß Meines Volkes so leicht obenhin, indem sie sprechen: FriedeI Friede!, wo doch kein Friede ist."

215

29, 3 hauptsächliche Bewegung der Seele in Gott zur Ruhe kommt, so gibt es doch innen und außen manche Widerstände, die diesen Frieden stören. 3. A R T I K E L Ist der Friede die der Gottesliebe eigentümliche

Wirkung?

1. Man kann die Gottesliebe nicht besitzen ohne heiligmachende Gnade. Manche Menschen aber haben Frieden, ohne die heiligmachende Gnade zu besitzen; wie z. B. die Heiden manchmal Frieden haben. Also ist der Friede nicht Wirkung der Gottesliebe. 2. Das, dessen Gegensatz mit der Gottesliebe zusammen sein kann, ist nicht Wirkung der Gottesliebe. Die Meinungsverschiedenheit aber, die dem Frieden entgegen ist, kann mit der Gottesliebe zusammen sein; wir sehen nämlich, daß selbst die heiligen Lehrer, wie Hieronymus und Augustinus, in bestimmten Meinungen auseinandergingen; 1 auch lesen wir von Paulus und Barnabas, daß sie verschiedener Meinung waren (Apg 15, 37 ff.). Also scheint der Friede nicht Wirkung der Gottesliebe zu sein. Q U A E S T I O 29, ,

sunt tarnen aliqua repugnantia et intus et extra quae perturbant hanc pacem. ARTICULUS III U t r u m pax sit proprius effectus caritatis [Infra a. 4; 37,1; 44,3 ad 2; 45,6; 184,1 ad 1; I-II 70,3; Dec leg: Prol]

A D TERTIUM sie proceditur. Videtur quod pax non sit proprius effectus caritatis. Caritas enim non habetur sine gratia gratum faciente. Sed pax a quibusdam habetur qui non habent gratiam gratum facientem; sicut et gentiles aliquando habent pacem. Ergo pax non est effectus caritatis. 2. PRAETEREA, illud non est effectus caritatis cujus * 123 a 21 contrarium cum caritate esse potest [cf. 4 Top. 3]. Sed dissensio, quae contrariatur paci, potest esse cum caritate; videmus enim quod etiam sacri Doctores, ut Hieronymus et Augustinus, in aliquibus opinionibus dissenserunt ;2 Paulus etiam et Barnabas dissensisse leguntur, Act. 15. Ergo videtur quod pax non sit effectus caritatis. 1

Vgl. I-II 103, 4 Zu l (Bd. 13). ! Cf. Augustinus, Ep. (28) ad Hieron. (PL 33/112 B; cf. PL22/566B); Ep. (40) ad Hieron. (PL 33/154 D; cf. PL 22/647 D); Ep. (82) ad Hieron. (PL 33/276 B; cf. PL 22/936 C); Hieronymus, Ep. (112) ad Augustin. (PL 22/916 B; cf. PL 33/251 B).

216

3. Dasselbe ist nicht eigentümliche Wirkung von ver- 29,3 schiedenen Ursachen. Der Friede aber ist Wirkung der Gerechtigkeit; nach Is 32, 17: „Das Werk der Gerechtigkeit ist Friede." Also ist er nicht Wirkung der Gottesliebe. ANDERSEITS heißt es beim Psalmisten [Ps 119 (118), 165]: „Reich an Frieden sind, die Dein Gesetz lieben." ANTWORT: Zur Bewandtnis des Friedens gehört eine doppelte Einigung: Die eine liegt in der Ausrichtung der eigenen Bestrebungen auf Eines; die andere ist die Einigung des eigenen Strebens mit dem des anderen. Beide Arten der Einigung bewirkt die Gottesliebe. Und zwar die e r s t e Einigung dadurch, daß wir Gott von ganzem Herzen lieben, so daß wir schlechthin alles auf Ihn beziehen. Und damit gehen alle unsere Bestrebungen auf Eines. Die a n d e r e Einigung aber besteht dadurch, daß wir den Nächsten lieben wie uns selbst, woraus sich ergibt, daß wir den Willen des Nächsten zu erfüllen trachten wie unseren eigenen. Deshalb steht unter den Dingen, die zur Freundschaft gehören, auch dies eine, nämlich die Gleichheit der Wahl (Aristoteles). Und Cicero sagt: „Es ist eine Eigentümlichkeit der Freunde, daß sie dasselbe wollen und nicht wollen." Zu 1. Keiner fällt von der heiligmachenden Gnade ab als nur durch die Sünde, die es mit sich bringt, daß der Mensch QUAESTIO 29,3 3. P R A E T E R E A , idem non est proprius effectus diversoium [cf. 2 Phys. 5]. Sed pax est effectus justitiae; secundum illud * 198 b 27 Is. 32: „Opus justitiae pax." Ergo non est effectus caritatis. S E D CONTRA est quod dicitur in Psalmo: „Pax multa diligentibus legem tuam." R E S P O N D E O dicendum quod duplex est unio de ratione pacis, sicut dictum est; quarum una est secundum ordinationem propriorum appetituum in u n u m ; alia vero est secundum unionem appetitus proprii c u m appetitu alterius. E t utramque union e m efflcit Caritas. Primam quidem unionem, secundum quod Deus diligitur ex t o t o corde, ut scilicet omnia referamus in ipsum; et sie omnes appetitus nostri in unum feruntur. Aliam vero, prout diligimus proximum sicut nosipsos, e x quo contingit quod homo vult implere voluntatem proximi sicut et sui ipsius. E t propter hoc inter amicabilia unum ponitur identitas electionis; ut patet in 9 Ethicorum [c. 4]; et Tullius [Sallust., H60a7 Catilinar.] dicit, in libro de Amicitia, quod „amicorum est idem velle et nolle". A D P R I M U M ergo dicendum quod a gratia gratum faciente nullus deficit nisi propter peccatum, ex quo contingit quod h o m o

217

29, 3 vom letzten Ziel abweicht und sein Ziel in etwas Unrechtem sucht. Und so hängt er mit seinem Verlangen nicht dem wahren endgültigen Gut an, sondern einem Scheingut. Und deshalb kann ohne heiligmachende Gnade kein wahrer Friede sein, sondern nur ein Scheinfriede. Zu 2. Wie der Philosoph zeigt, gehört zur Freundschaft nicht die Übereinstimmung der Meinungen, sondern die Einstimmigkeit in bezug auf die Güter, die zum Leben notwendig sind, und vor allem in bezug auf die wichtigen Lebensgüter; denn in unwichtigen Dingen anderer Meinung sein scheint eigentlich noch keine ernste Meinungsverschiedenheit zu bedeuten. Deshalb steht nichts im Wege, daß diejenigen, die die Gottesliebe besitzen, in ihren Meinungen auseinandergehen. Auch bedeutet das noch nichts gegen den Frieden; denn die Meinungen sind Sache des Verstandes, der dem Streben vorausliegt, das durch den Frieden geeint wird. — Ebenso ist die Meinungsverschiedenheit in unwichtigen Dingen nicht gegen die Gottesliebe, solange Einmütigkeit besteht in bezug auf die hauptsächlichsten Güter. Denn solche Uneinigkeit kommt von der Verschiedenheit der Meinungen, wenn der eine meint, das, worüber Uneinigkeit herrscht, gehöre zu jenem Gut, in welchem sie übereinstimmen, der andere aber meint, es gehöre nicht dazu. — Danach widerstreitet zwar solche Uneinigkeit in ganz unwichtigen Dingen und Meinungen dem vollkommenen Frieden, in Q U A E S T I O 29, 3

sit aversus a fine debito, in aliquo indebito finem constituens. E t secundum hoc appetitus ejus non inhaeret principaliter vero • 1095 a 17 finali bono, sed apparenti [cf. 1 Eth. 2], E t propter hoc sine gratia gratum faciente non potest esse vera pax, sed solum apparens. A D S E C U N D U M dicendum quod, sicut Philosophus dicit, 1167 a 22 in 9 Ethicorum [c. 6], ad amicitiam non pertinet concordia in opinionibus, sed concordia in bonis conferentibus ad vitam, et praecipue in magnis; qnia dissentire in aliquibus parvis quasi videtur non esse dissensus. E t propter hoc nihil prohibet aliquos caritatem habentes in opinionibus dissentire. Nec hoc repugnat paci; quia opiniones pertinent ad intellectum, qui praecedit appetitum, qui per pacem unitur. — Similiter etiam, existente concordia in principalibus bonis, dissensio in aliquibus parvis non est contra caritatem. Procedit enim talis dissensio ex diversitate opinionum, dum unus aestimat hoc de quo est dissensio pertinere ad illud bonum in quo convcniunt, et alius aestimat non pertinere. — E t secundum hoc talis dissensio de minimis et de opinionibus repugnat quidem paci perfectae, in qua plene 218

welchem die ganze volle Wahrheit erkannt und jedes Ver- 29. 4 langen erfüllt wird; nicht aber widerstreitet sie dem unvollkommenen Frieden, wie wir ihn nur so hier auf Erden haben können. Z u 3. Der Friede ist mittelbar Werk der Gerechtigkeit, indem sie aus dem Wege räumt, was ihn hindert. Aber Werk der Gottesliebe ist er unmittelbar, denn die Gottesliebe schafft ihrer eigenen Bewandtnis nach Frieden. Die Liebe ist nämlich nach Dionysius „die einigende K r a f t " ; der Friede aber die Einigung der Neigungen des Strebe Vermögens. 4. A R T I K E L Ist der Friede eine

Tugend?

1. Gebote werden nur gegeben f ü r die Akte der Tugenden. Es sind aber Gebote gegeben, daß man Frieden halten soll, wie das erhellt aus Mk 9, 49: „Habet Frieden untereinander!" Also ist der Friede eine Tugend. 2. Wir erwerben keine Verdienste außer durch die Akte der Tugenden. Frieden schaffen aber ist verdienstlich; nach Mt 5, 9: „Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden." Also ist der Friede eine Tugend. Q U A E S T I O 29,.

veritas cognoscetur et omnis appetitus complebitur; non tarnen repugnat paei imperfectae, qualia habetur in via. AD TERTIUM dicendum quod pax est opus justitiae indirecte, inquantum scilicet removet prohibens. Sed est opus caritatis directe; quia secundum propriam rationem Caritas pacem causat. Est enim amor „vis unitiva", ut Dionysius dicit, 4 cap. de Divinis Nominibus; pax autem est unio appetitivarum pg inclinationum. 3/709 D

Sol 1/214

A R T I C U L U S IV U t r u m pax sit virtus [Supra 28,4; infra 30,3 arg 3 ; I-II 69, 3.4; 70,3; Eph 2 lect 5]

AD QUARTUM sie proceditur. Videtur quod pax sit virtus. Praecepta enim non dantur nisi de actibus virtutum. Sed dantur praeeepta de habendo pacem; ut patet Marc. 9: „Pacem habete inter vos." Ergo pax est virtus. 2. PRAETEREA, non meremur nisi actibus virtutum. Sed facere pacem est meritorium; secundum illud Matth. 5: „Beati pacifici; quoniam filii Dei vocabuntur." Ergo pax est virtus.

219

29, 4

3. Die Laster sind den Tugenden entgegengesetzt. Die Streitigkeiten aber, die dem Frieden entgegen sind, werden unter die Laster gerechnet; wie das erhellt aus Gal 5, 19 f. 1 Also ist der Friede eine Tugend. ANDERSEITS ist die Tugend nicht letztes Ziel, sondern Weg zu ihm. Der Friede aber ist in gewissem Sinne letztes Ziel, wie Augustinus sagt. Also ist der Friede keine Tugend. ANTWORT: Alle Akte, die aufeinander folgen, weil sie auf Grund ein und derselben Bewandtnis vom Wirkenden ausgehen, gehen von ein und derselben Tugend aus; und nicht hat jeder einzelne Akt eine besondere Tugend, von der er ausgehen würde. Das zeigt sich auch in den körperlichen Wesen. Das Feuer nämlich verflüssigt und verdünnt [die Stoffe] zugleich; das beweist aber nicht, daß im Feuer zwei verschiedene Kräfte sind, eine, die verflüssigt, und eine andere, die verdünnt; alle diese Akte wirkt das Feuer durch ein und dieselbe Kraft, mit der es erwärmt. Da nun der Friede aus der heiligen Liebe geboren wird und zwar nach ein und derselben Bewandtnis der Gottesund Nächstenliebe (Art. 3), gibt es keine andere Tugend, deren eigener Akt der Friede ist, als die heilige Liebe ; wie das auch von der Freude gesagt wurde (28, 4). Q U A E S T I O 29,.

3. PRAETEREA, vitia vii-tutibus opponuntur. Sed dissensiones, quae opponuntur paci, numerantur inter vitia; ut patet Gal. 5. Ergo pax est virtus. SED CONTRA, virtus non est finis ultimus, sed via in ipsum. Sed pax est quodammodo finis ultimus; ut Augustinus dieit, PL 19 de Civitate Dei [c. 11]. Ergo pax non est virtus. 41/63, A RESPONDEO dicendum quod, sicut supra dictum est, cum omnes actus se invicem consequuntur, secundum eamdem rationem ab agente procedentes, omnes hujusmodi actus ab una virtute procedunt, nec habent singuli singulas virtutes a quibus procédant. Ut patet in rebus corporalibus ; quia enim ignis calefaciendo liquefacit et rarefacit, non est in igne alia virtus liquefactiva et alia rarefactiva, sed omnes actus hos operatur ignis • 783 b l per unam suam virtutem calefactivam [cf. 5 de Gener. Animal. 3], Cum igitur pax causetur ex caritate secundum ipsam rationem dilectionis Dei et proximi, ut ostensum est, non est alia virtus cujus pax sit proprius actus nisi Caritas; sicut et de gaudio dictum est. 1 „Offenkundig sind die Werke des Fleisches, als da sind: . . .Feindschaft, Streit, Eifersucht, . . . Zank, Spaltung, Parteiung, N e i d . . . "

220

Zu 1. Es gibt nur deshalb ein Gebot, Frieden zu hal- 29,4 ten, weil er eine Wirkung der heiligen Liebe ist. Und aus demselben Grunde ist er auch ein verdienstlicher Akt. Und deshalb wird er zu den Seligkeiten gerechnet, welche Akte vollkommener Tugend sind (I-II 69, 1. 3: Bd. 11). Auch zu den Früchten wird er gerechnet [ebd. 70, 3], insofern er ein endgültiges, von geistlicher Süße erfülltes Gut ist. Daraus ergibt sich die Lösung Zu 2. Zu 3. Ein und derselben Tugend sind viele Laster entgegengesetzt, entsprechend ihren verschiedenen Akten. Danach ist der heiligen Liebe nicht nur der Haß entgegengesetzt als Gegensatz zum Akt der Liebe; sondern auch der geistliche Überdruß oder der Neid als Gegensatz zur Freude; und der Streit als Gegensatz zum Frieden. 1 Q U A E S T I O 29, ,

AD P R I M U M ergo dicendum quod ideo praeceptum datur de pace habenda, quia est actus caritatis. E t propter hoc etiam est actus meritorius. E t ideo ponitur inter beatitudines, quae sunt actus virtutis perfectae, ut supra dictum est. Ponitur etiam inter fructus, inquantum est quoddam finale bonum spiritualem dulcedinem habens. E t per hoc patet solutio A D SECUNDUM. AD T E R T I U M dicendum quod uni virtuti multa vitia opponuntur [cf. 2 Eth. 6], secundum diversos actus ejus. E t * HOT a 2 secundum hoc caritati non solum opponitur odium, ratione actus dilectionis; sed etiam acedia vol invidia, ratione gaudii; et dissensio. ratione pacis. 1 Vgl. Komm. S. 481 über die Zersplitterung des Charakters, die mit der sündigen Selbstliebe gegeben ist.

221

30.

FRAGE

Ü B E R DAS MITLEID Darauf ist das Mitleid [74] zu betrachten. Dazu ergeben sich vier Einzelfragen: 1. Ist das Übel dessen, den wir bemitleiden, Ursache des Mitleids ? 2. Wer hat Mitleid? 3. Ist Mitleid Tugend? 4. Ist es die größte der Tugenden? 1. A R T I K E L Ist das Übel der eigentliche Beweggrund des Mitleids ? 1. Die Schuld ist ein größeres Übel als die Strafe (19, 1: Bd. 16). Die Schuld aber erregt kein Mitleid, sondern eher Entrüstung [75]. Also erregt das Übel kein Mitleid. 2. Das Grausame und das Entsetzliche scheinen eine Übersteigerung des Übels zu sein. Der Philosoph sagt aber: „Das Entsetzliche ist etwas ganz anderes als das Mit-

QUAESTIO

DE

XXX

MISERICORDIA

Deinde considerandum est de misericordia. E t circa hoc quaeruntur quatuor: 1. Utrum malum sit causa misericordiae ex parte ejus cujus miseremur. — 2. Quorum sit misereri. — 3. Utrum misericordia sit virtus. — 4. Utrum sit maxima virtutum. ARTICULUS

I

U t r u m malum sit proprie m o t i v u m ad misericordiam [Infra a. 2 ; 32,9 ad 3]

AD P R I M U M sic proceditur. Videtur quod malum non sit proprie motivum ad misericordiam. U t enim supra ostensum est, culpa est magis malum quam poena. Sed culpa non est provocativum ad misericordiam, sed magis ad indignationem. Ergo malum non est misericordiae provocativum. 2. P R A E T E R E A , ea quae sunt crudelia sive dira videntur quemdam excessum mali habere. Sed Philosophus dicit, in 1386 a 22 2 Rhetoricorum [c. 8], quod „dirum aliud est a miserabili, et

222

leiderregende. J a , es hebt das Mitleid sogar auf." Also ist 30, x das Übel als solches kein Beweggrund zum Mitleid. 3. Die Anzeichen der verschiedenen Übel sind nicht selbst wirkliche Übel. Die Anzeichen der Übel aber sind es gerade, die das Mitleid erregen (Aristoteles). Also ist das Übel nicht im eigentlichen Sinne mitleiderregend. A N D E R S E I T S sagt Johannes von Damaskus, daß das Mitleid eine Art der Traurigkeit ist. Beweggrund zur Traurigkeit aber ist das Übel. Also ist Beweggrund zum Mitleid das Übel. A N T W O R T : Augustinus sagt: „Mitleid haben wir, wenn wir fremde Not in unserem Herzen mit-erleiden und dadurch, wenn wir helfen k ö n n e n , zur Hilfe angetrieben werden." Denn von Mitleid spricht man, wenn einer ein erbarmendes Herz 1 hat gegenüber dem Elend des anderen. Das Elend aber ist der Glückseligkeit entgegengesetzt. E s gehört nun zur Bewandtnis der Seligkeit, daß einer das erreicht, was er will; denn, wie Augustinus sagt, ist der „selig, der alles hat, was er will, und der nichts Böses will". I m Gegensatz dazu gehört also zum Elend, daß der Mensch erleidet, was er nicht will. In d r e i f a c h e r Weise aber will der Mensch etwas. Einmal auf Grund des naturQ U A E S T I O 30,, expulsivum miserationis". Ergo malum, inquantum hujusmodi, non est motivum ad misericordiam. 3. P R A E T E R E A , signa malorum non vere sunt mala. Sed signa malorum provocant ad misericordiam; ut patet per Philosophum, in 2 Rhetoricorum [1. c.]. Ergo malum non est proprie provocativum misericordiae. S E D CONTRA est quod Damascenus dicit, in 2 libro [de Pide Orth. 2, 14], quod misericordia est species tristitiae. Sod motivum ad tristitiam est malum. Ergo motivum ad misericordiam est malum. R E S P O N D E O dieendum quod, sicut Augustinus dicit, 9 de Civitate Dei [c. 5], „misericordia est alienae miscriae in nostro corde compassio, qua utique, si possumus, subvenire compellimur"; dicitur enim misericordia ex eo quod aliquis habet „miserum cor" super miseria alterius. Miseria autem felicitati opponitur. Est autem de ratione beatitudinis sive felicitatis ut aliquis potiatur eo quod vult; nam sicut Augustinus dicit, 13 de Trinitate [c. 5], „beatus qui habet omnia quae vult, et nihil mali vult". E t ideo e contrario ad miseriam pertinet ut homo patiatur quae non vult. Tripliciter autem aliquis vult aliquid. Uno quidem modo, appetitu naturali; sicut omnes Vgl. Anm. f?4). 223

b2 PG 94/932 B

PL 41/261A

PL 42/1020 A

30,i haften Strebens; so wollen alle Menschen Sein und Leben. In anderer Weise will der Mensch etwas auf Grund einer Wahl nach vorhergehender Überlegung. In einer dritten Weise will der Mensch etwas nicht in sich, sondern in seiner Ursache; z. B. wenn einer schädliche Speisen ißt, sagen wir, er wolle krank werden. So ist Beweggrund des Mitleids, insofern es dabei um Elend geht, zunächst das, was dem naturhaften Streben des Wollenden zuwider ist, nämlich verderbliche und Trauer erweckende Übel, deren Gegenteil die Menschen naturhaft anstreben. Deshalb sagt der Philosoph: „Mitleid ist ein gewisses Schmerzgefühl [Trauer] über ein offenbares, Untergang und Schmerz androhendes Übel" [76]. — Zweitens, dergleichen Dinge erregen noch mehr Mitleid, wenn sie dem Wahlwillen zuwider sind. Deshalb sagt der Philosoph ebendort, daß jene Übel das Mitleid hervorrufen, „welche das Schicksal über uns bringt, z. B. wenn uns von dort her ein Übel zustößt, von wo wir etwas Gutes erwarteten". — Drittens aber sind sie in noch höherem Maße Mitleid erregend, wenn sie der ganzen Natur des Willens entgegengerichtet sind; z. B. wenn einer immer das Gute verfolgt hat und es kommt immer nur Schlechtes dabei heraus. Deshalb sagt der Philosoph ebendort, daß „wir am meisten Mitleid empfinden über das Leid dessen, der unverdient leidet". QUAESTIO 30,, • m i b 22 homines volunt esse et vivere [cf. 3 Eth. 4], Alio modo homo vult aliquid per electionem ex aliqua praemeditatione [ib., * 1113a 2 c. 5]. Tertio modo homo vult aliquid non secundum se, sed in •1094 a 18 causa sua [cf. 1 Eth. 1]; puta, qui vult comedere nociva, quodammodo dicimus eum velie infirmari. Sic igitur motivum misericordiae est, tamquam ad miseriam pertinens, primo quidem illud quod contrariatur appetitui naturali volent is ; scilicet mala corruptiva et contristantia, quorum contraria homines naturaliter appetunt. Unde Philosophus dicit, in 1385 b 13 2 Rhetoricorum [c. 8], quod „misericordia est tristitia quaedam super apparenti malo corruptivo vel contristativo". — Secundo, hujusmodi magis efficiuntur ad misericordiam provocantia si sint contra voluntatem electionis. Unde et Philosophus ibidem 1386 a 5 [1. c.] dicit quod ilia mala sunt miserabilia „quorum fortuna est a 11 causa" ; puta „cum aliquod malum eveniat unde sperabatur bonum". — Tertio autem, sunt adhuc magis miserabilia si sunt contra totam voluntatem; puta si aliquis semper sectatus est bona et eveniunt ei mala. Et ideo Philosophus dicit, in eodem b 6 libro [1. c.], quod „misericordia maxime est super malis ejus qui indignus patitur". 224

Zu 1. Es gehört zur Bewandtnis der Schuld, daß sie 30,1 freiwillig ist. Und insofern hat sie nicht die Bewandtnis des Bemitleidenswerten, sondern eher des Strafwürdigen. Weil aber die Schuld selbst irgendwie auch Strafe sein kann, sofern nämlich etwas mit ihr verbunden ist, was dem Willen des Sünders zuwider ist, kann sie insoweit etwas von der Bewandtnis des Bemitleidenswerten an sich haben. Und insofern erbarmen wir uns und haben Mitleid mit den Sündern; wie Gregor sagt, daß „die wahre Gerechtigkeit keine Entrüstung kennt", nämlich über die Sünder, „sondern nur Mitleid mit ihnen hat". Und Mt 9, 36 heißt es: „Als Jesus die Scharen sah, hatte Er Mitleid mit ihnen, denn sie waren geplagt und verkommen wie Schafe, die keinen Hirten haben." Zu 2. E r b a r m e n i s t d a s M i t - l e i d e n m i t d e m L e i d d e s a n d e r e n . Deshalb geht das Mitleid immer auf den anderen, nicht aber auf sich selbst, als höchstens nach einer gewissen Ähnlichkeit, genau wie die Gerechtigkeit; sofern eben im Menschen die verschiedenen [Seelen-] Teile unterschieden werden (Aristoteles). In Hinsicht darauf heißt es Sir 30, 24: „Erbarme dich deiner Seele, wenn du Gott gefallen willst." Wie es also im eigentlichen Sinne kein Mitleid mit sich selbst gibt, sondern nur Schmerz, z. B. wenn wir etwas Grausames an uns erleben, so haben Q U A E S T I O 30,,

A D PRIJVTUM ergo dicendum quod de ratione culpae est quod sit voluntaria [cf. 3 Eth. 1]. Et quantum ad hoc non habet rationem miserabilis, sed magis rationem puniendi. Sed quia culpa potest esse aliquo modo poena, inquantum scilicet habet aliquid annexum quod est contra voluntatem peccantis, secundum hoc potest habere rationem miserabilis. Et secundum hoc miseremur et compatimur peccantibus; sicut Gregorius dicit, in quadam homilia [In Evang., ]. 2 hom. 34], quod „vera justitia non habet dedignationem", seilicet ad peccatores, „sed compassionem". Et Matth. 9 dicitur: „Videns Jesus turbas misertus est eis; quia erant vexati, et jacentes sieut oves non habentes pastorem." A D SECUNDUM dicendum quod quia misericordia est compassio miseriae alterius, proprie misericordia est ad alterum; non autem ad seipsum, nisi secundum quamdam similitudinem, sicut et justitia, secundum quod in homine considerantur diversae partes, ut dicitur in 5 Ethicorum [c. 15]. Et secundum hoc dicitur Eccli. 30: „Miserere animae tuae placens Deo." Sieut ergo misericordia non est proprie ad seipsum, sed dolor, puta cum patimur aliquid crudele in nobis; ita etiam, 15 37A

225

• nofi b 31

pl 76/1246 D

im bk

30, 2 wir a u c h m i t den Personen, die so mit u n s v e r b u n d e n sind, d a ß sie gleichsam ein Stück von uns sind, z. B. m i t den K i n d e r n oder E l t e r n , nicht so sehr Mitleid m i t ihrem Leid, sondern es schmerzt uns wie die eigene W u n d e . U n d in diesem Sinne sagt der Philosoph, d a ß „das Entsetzliche das Mitleid a u f h e b t " . Z u 3. Wie aus der E r w a r t u n g der Güter u n d der Eri n n e r u n g a n sie F r e u d e folgt [ I - I I 32, 3 : Bd. 10], so folgt auch aus der E r w a r t u n g der Übel u n d der E r i n n e r u n g an sie T r a u r i g k e i t ; doch n i c h t so heftig, wie aus d e m Erleben des Gegenwärtigen. U n d deshalb erregen die Anzeichen der Übel, sofern sie die bemitleidenswerten Übel als gegenwärtig vorstellen, unser Mitleid. 2. A R T I K E L Ist Schwäche der Grund des Mitleids

im Bemitleidenden ?

1. E s ist G o t t eigen, Sich zu e r b a r m e n [77]; d a h e r heißt es beim Psalmisten [Ps 145 (144), 9]: „Seine E r b a r m u n g e n erstrecken sich ü b e r alle Seine W e r k e . " I n G o t t aber gibt es keine Schwäche. Also k a n n Schwäche nicht G r u n d des Mitleids sein. Q U A E S T I O 30,,

si sint aliquae personae ita nobis conjunctae ut sint quasi * 1161 b 18 aliquid nostri, puta fxlii aut parentes [cf. 8 Eth. 14], in eorum malis non miseremur, sed dolemus, sicut in vulneribus propriis. 1386 a 22 Et secundum hoc Philosophus dicit [2 Rhet. 8] quod „dirum est expulsivum miserationis". AD TERTIUM dicendum quod sicut ex spe et memoria bonorum sequitur delectatio, ita ex spe et memoria malorum sequitur tristitia; non autem tarn vehemens sicut ex sensu praesentium. Et ideo signa malorum, inquantum repraesentant nobis mala miserabilia sicut praesentia, commovent ad miserendum. ARTICULUS II U t r u m d e f e c t u s sit ratio miserendi ex parte miserentis [Infra 32,1; 157,4 ad 3]

AD SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod defectus non sit ratio miserendi ex parte miserentis. Proprium enim est Dei misereri; unde dicitur in Psalmo: „Miserationes ejus super omnia opera ejus." Sed in Deo nullus est defectus. Ergo defectus non potest esse ratio miserendi. 226

2. Wenn Schwäche der Grund des Mitleids wäre, müßten 30, 2 jene, die am meisten mit Schwäche behaftet sind, auch am meisten Mitleid haben. Das aber ist falsch; denn der Philosoph sagt: „Die ganz Elenden fühlen kein Mitleid." Also scheint es, daß Schwäche nicht der Grund des Mitleides ist im Bemitleidenden. 3. Einen Schimpf ertragen ist eigentlich Schwäche. Der Philosoph aber sagt ebendort: „Die in schimpflicher Lage sind, empfinden kein Mitleid." Also ist Schwäche des Bemitleidenden nicht der Grund des Mitleids. ANDERSEITS ist Mitleid eine Art Traurigkeit. Schwäche aber ist Grund zur Traurigkeit, weshalb die Kranken leichter traurig sind (I-II47, 3: Bd. 10). Also ist die Schwäche des Bemitleidenden der Grund des Mitleids. ANTWORT: Mitleid ist Mit-erleben des fremden Leides (Art. 1); so kommt es, daß einer Mitleid hat, weil er Schmerz empfindet über das fremde Leid. Weil aber Trauer und Schmerz auf das eigene Übel gehen, so empfindet einer insoweit über das fremde Leid Trauer und Schmerz, als er das fremde Leid als eigenes erlebt. Das aber geschieht in doppelter Weise. E i n m a l auf Grund der Einheit des Q U A E S T I O 30,, 2. P R A E T E R E A , si defectus est r a t i o miserendi, oportet quod illi qui m a x i m e s u n t c u m d e f e c t u m a x i m e miserentur. Sed hoc est f a l s u m ; dicit e n i m Philosophus, in 2 R h e t o r i c o r u m [c. 8], q u o d „qui ex t o t o perierunt n o n m i s e r e n t u r " . E r g o 1385 b 19 videtur q u o d defectus n o n sit r a t i o miserendi ex p a r t e miserentis. 3. P R A E T E R E A , sustinere a l i q u a m c o n t u m e l i a m a d def e c t u m p e r t i n e t . Sed P h i l o s o p h u s dicit ibidem [1. c.] q u o d b 31 „illi qui s u n t in c o n t u m e l i a t i v a dispositione n o n m i s e r e n t u r " . Ergo defectus ex p a r t e miserentis n o n est r a t i o miserendi. S E D C O N T R A est q u o d misericordia est q u a e d a m tristitia. Sed defectus est r a t i o t r i s t i t i a e : u n d e infirmi facilius cont r i s t a n t u r , u t s u p r a d i c t u m est. E r g o r a t i o miserendi est defectus miserentis. R E S P O N D E O d i c e n d u m quod, c u m misericordia sit compassio super miseria aliena, u t d i c t u m est, ex hoc contingit quod aliquis m i s e r e a t u r ex quo contingit q u o d de miseria aliena doleat. Quia a u t e m t r i s t i t i a seu dolor est de proprio malo, i n t a n t u m aliquis de miseria aliena t r i s t a t u r a u t dolet i n q u a n t u m miseriam alienam a p p r e h e n d i t ut s u a m . H o c a u t e m contingit dupliciter. U n o modo, s e c u n d u m u n i o n e m a f f e c t u s ; 15*

227

30,2 Verlangens, die durch die Liebe gewirkt wird. Weil nämlich der Liebende im Freunde sich selbst sieht, betrachtet er dessen Leid als sein eigenes ; und so empfindet er über das Leid des Freundes denselben Schmerz, als wäre es sein eigenes Leid. So gibt der Philosoph u. a., was die Freundschaft kennzeichnet, auch dieses an: „das Leid mit dem Freunde teilen" [vgl. 27, 2 E. 3], Und der Apostel sagt Rom 12, 15 : „ . . . sich freuen mit den Fröhlichen, weinen mit den Weinenden". — In a n d e r e r Weise aber geschieht das [daß einer das fremde Leid als eigenes erlebt] auf Grund einer äußeren Einigung; so wenn das Leid der anderen uns so nahe ist, daß es von ihnen auf uns übergeht. Deshalb sagt der Philosoph: Die Menschen haben Mitleid mit denen, die ihnen verwandt oder in ähnlicher Weise verbunden sind; denn daraus erwächst ihnen die Befürchtung, daß auch sie Ähnliches treffen könnte. Daher kommt es, daß alte und weise Leute, die da bedenken, daß sie ins Unglück geraten können, sowie auch die Schwachen und Furchtsamen mehr zum Mitleid geneigt sind. Umgekehrt haben jene, die sich glücklich und so stark fühlen, daß sie meinen, ihnen könne keinerlei Übel widerfahren, kein so großes Mitleid. — So ist immer die Schwäche der Grund des Mitleids, sei es, daß einer die Schwäche des anderen als seine eigene betrachtet, auf Grund der Einigung durch die Liebe, sei es wegen der Möglichkeit, Ähnliches zu erleiden. QUAESTIO 30,, quod fit per amorem. Quia enim amans reputat amicum tamquam seipsum, malum ipsius reputat tamquam malum suum; et ideo dolet de malo amici sicut de suo. Et inde est quod 1166 a 7 Philosophus, in 9 Ethicorum [c. 4], inter alia amicabilia ponit hoc quod est „condolere amico". Et Apostolus dicit, ad Rom. 12: „Gaudere cum gaudentibus, flere cum flentibus." — Alio modo contingit secundum unionem realem; utpote cum malum aliquorum propinquum est ut ab eis ad nos transeat. Et ideo dicit 1385 b 16 Philosophus, in 2 Rhetoricorum [c. 8]: Homines miserentur super illos qui sunt eis conjuncti et similes; quia per hoc fit eis aestimatio quod ipsi etiam possint similia pati. Et inde est etiam quod senes et sapientes, qui considérant se posse in mala incidere, et debiles et formidolosi magis sunt misericordes. E contrario autem alii, qui reputant se esse felices et intantum potentes quod nihil mali putant se posse pati, non ita miserentur. — Sic igitur Semper defectus est ratio miserendi; vel inquantum aliquis defectum alicujus reputat suum, propter unionem amoris, vel propter possibilitatem similia patiendi.

228

Zu 1. Gott hat Erbarmen nur wegen Seiner Liebe, so- 30,2 fern Er uns liebt wie etwas, das zu Ihm gehört [78], Zu 2. Jene, die schon im äußersten Elend leben, haben keine Furcht, es könne ihnen noch Schlimmeres widerfahren; und deshalb haben sie kein Mitleid. — Ebenso jene nicht, die große Furcht haben, weil sie sich so sehr in das eigene Leid verlieren, daß sie das fremde nicht mehr beachten. Zu 3. Diejenigen, die in einer schimpflichen Lage sind, sei es, daß sie einen Schimpf erlitten haben, sei es, daß sie irgendwem einen Schimpf antun wollen, werden zum Zorn und zur Kühnheit, den Leidenschaften der Mannhaftigkeit, angestachelt, die den Geist des Menschen zu Schwerem reizen. 1 Deshalb nehmen sie dem Menschen die Befürchtung, es könne ihm in Zukunft etwas widerfahren. Solange diese Leute sich in diesem Zustand befinden, haben sie kein Mitleid; nach Spr 27, 4: „Der Zorn kennt kein Mitleid, noch der ausbrechende Grimm." — Aus einem ähnlichen Grunde haben die Stolzen kein Mitleid, weil sie die anderen verachten und sie f ü r schlecht halten. So meinen sie, daß diese mit Recht leiden, was sie leiden. Deshalb

Q U A E S T I O 30,,

AD PRIMUM ergo dieendum quod Deus non miseretur nisi propter amorem, inquantum amat nos tamquam aliquid sui. A D SECUNDUM dieendum quod illi qui jam sunt in infìmis malis non timent se ulterius pati aliquid; et ideo non miserentur. — Similiter etiam nee illi qui valde timent; quia tantum intendunt propriae passioni quod non intendunt miseria« alienae. A D TERTIUM dieendum quod illi qui sunt in contumeliativa diapositione, sive quia sint contumeliam passi, sive quia velint contumeliam inferro, provocantur ad iram et audaciam, quae sunt quaedam passiones virilitatis extollentes animum hominis ad arduum [cf. 3 Eth. 10]. Unde auferunt 2 homini * 1115 b 28 aestimationem quod sit aliquid in futurum passurus. Unde tales, dum sunt in hae dispositione, non miserentur; secundum illud Prov. 27 : „Ira non habet misericordiam, neque erumpens furor." — Et ex simili ratione superbi non miserentur, qui contemnunt alios et reputant eos malos. Unde reputant quod digne patiantur quidquid patiuntur. Unde et Gregorius dicit 1

Vgl. Aura. [71]. P : inferunt.

229

30, 3 sagt Gregor: „Die falsche Gerechtigkeit", nämlich der Stolzen, „kennt kein Mitleid, sondern nur Entrüstung."1 3. A R T I K E L Ist Mitleid

Tugend?

1. Die Hauptsache bei der Tugend ist die Wahl (Aristoteles). Die Wahl aber ist „das Erstreben des Vorausbedachten", wie es (ebendort) heißt. Was also das ,Bedenken' hindert, kann nicht Tugend heißen [79]. Mitleid aber hindert jedes Bedenken; nach dem Wort des Sallust: „Alle Menschen, die sich über unsichere Dinge beraten, müssen von Zorn und Mitleid frei sein; denn der Geist erkennt nicht leicht das Rechte, wo diese im Wege stehen." Also ist Mitleid keine Tugend. 2. Was der Tugend entgegen ist, ist nicht löblich. Entrüstung aber steht dem Mitleid entgegen, wie der Philosoph sagt, und Entrüstung ist doch eine löbliche Leidenschaft (Aristoteles).2 Also ist Mitleid keine Tugend. Q U A E S T I O 30,,

PI, [In Evang., 1. 2 hom. 34], quod „falsa justitia", scilicet super 76/1246 D borum, „non h a b e t compassionem, sed dedignationem". ARTICULUS III U t r u m m i s e r i c o r d i a sit v i r t u s [Infra 32,1; 117,5 arg 3; I,II 59,1 ad 3; 3 d 23: 1,3 qa 2 ad 2; 4 d 15: 2,1 qa 3 ad 2; Mal 10,2 ad 8]

1106 a 3 1112 a 14 1139 a 23

1386 b 9 1108 a 35

A D T E R T I U M sie proceditur. Videtur quod misericordia non sit virtus. Principale enim in virtute est electio; u t p a t e t per Philosophum, in libro Ethicorum [1. 2, 4]. Electio autem est „appetitus praeconsiliati", u t in eodem libro [1. 3, 4; 6, 2] dicitur. Hlud ergo quod impedit consilium non potest dici virtus. Sed misericordia impedit consilium; secundum illud Sallustii: „Omnes homines qui de rebus dubiis consultant ab ira et misericordia vaeuos esse decet; non enim animus facile v e r u m providet ubi ista officiunt." Ergo misericordia non est virtus. 2. P R A E T E R E A , nihil quod est contrarium virtuti est laudabile. Sed nemesis contrariatur misericordiae, u t Philosophus dicit, in 2 Rhetoricorum [c. 9]. Nemesis a u t e m est passio laudabilis, u t dicitur in 2 Ethicorum [c. 7]. Ergo misericordia non est virtus. 1 Die typische Haltung jener Pharisäer, gegen die Christus einen unerbittlichen Kampf gekämpft hat (Mt 5, 20; 9, 11; Lk 5, 30; 7, 39; 11, 42; 15, 2; 16,15; 18, 11; Jo 9, 34) und die auch unter den Christen zahlreich vertreten sind. " Vgl. Anm. [75J.

230

3. Freude und Friede sind keine eigenen Tugenden, 30,3 weil sie aus der Gottesliebe folgen (28, 4; 29,4). Aber auch das Mitleid folgt aus der Gottesliebe; denn aus heiliger Liebe „weinen wir mit den Weinenden", wie wir uns auch „freuen mit den Fröhlichen" [Rom 12, 15]. Also ist Mitleid keine eigene Tugend. 4. Da das Mitleid zur Strebekraft gehört, ist es sicher keine verstandhafte Tugend. Es ist aber auch keine der göttlichen Tugenden, weil es nicht Gott zum Gegenstand hat. Auch ist es keine sittliche Tugend, denn es bezieht sich weder auf die Handlungen, was Sache der Gerechtigkeit ist, noch auf die Leidenschaften, denn es wird auf keine der zwölf Mittehaltungen [80] zurückgeführt, die der Philosoph angibt. Also ist Mitleid keine Tugend. ANDERSEITS sagt Augustinus: „Viel besser und menschlicher und mildem Empfinden angemessener [als die Ansicht der das Mitleid verachtenden Stoiker] ist, was Cicero zum Lobe Casars sagt: .Keine von deinen Tugenden ist so bewundernswert und liebenswürdig wie dein Mitleid'." Also ist Mitleid Tugend. ANTWORT: Mitleid besagt Schmerz über fremdes Leid [Art. 1 Antw. u. Zu 1]. Dieser Schmerz kann nun in e i n e r Weise eine Bewegung des sinnlichen Strebevermögens beQ U A E S T I O 30.,

3. PRAETEREA, gaudium et pax non sunt speciales virtutes quia consequuntur ex caritate, ut supra dictum est. Sed etiam misericordia consequitur ex caritate; sie enim ex caritate „flemus cum flentibus", sicut „gaudemus cum gaudentibus". Ergo misericordia non est specialis virtus. 4. PRAETEREA, cum misericordia ad vim appetitivam pertineat, non est virtus intellectualis [cf. 1 Eth. 13]. Nec est virtus theologica, cum non habeat Deum pro objecto. Similiter etiam non est virtus moralis; quia neque est circa operationes [cf. 2 Eth. 2], hoc enim pertinet ad justitiam; nec est circa passiones, non enim reducitur ad aliquam duodeeim medietatum quas Philosophus ponit, in 2 Ethicorum [c. 7]. Ergo misericordia non est virtus. SED CONTRA est quod Augustinus dicit, in 9 de Civitate Dei [c. 5]: „Longe melius et humanius et piorum sensibus accomodatius Cicero in Caesaris laude locutus est, ubi ait [Orat. pro Lig. 12, 37]: Nulla de virtutibus tuis nec admirabilior nec gratior misericordia est." Ergo misericordia est virtus. RESPONDEO dicendum quod misericordia importat dolorem de miseria aliena. Iste autem dolor potest nominare, uno quidem modo, motum appetitus sensitivi. Et secundum

231

*il03a3 * b 29 1 x 0 7 a 28 PL 41/260 D

30, 3 deuten. Und so genommen ist Mitleid Leidenschaft und nicht Tugend. — In a n d e r e r Weise aber kann es eine Bewegung des verstandhaften Strebevermögens [d. h. des Willens] bedeuten, sofern uns das Leid des anderen Kummer macht. Diese Bewegung aber kann nach der Vernunft geregelt werden; und dann kann durch diese nach der Vernunft geregelte Bewegung wiederum die Bewegung des niederen Strebevermögens geregelt werden. Und so sagt Augustinus: „Diese Regung der Seele", nämlich das Mitleid, „dient dann der Vernunft, wenn wir das Mitleid in der Weise zeigen, daß die Gerechtigkeit gewahrt bleibt, gleichviel ob wir einem Dürftigen mitteilen oder einem Reuigen verzeihen." Weil nun das Wesen der menschlichen Tugend darin besteht, daß die Regung der Seele durch die Vernunft geregelt wird (I-II 56, 4; 59, 4; 60, 5; 66, 4: Bd. II), 1 so folgt, daß Mitleid eine Tugend ist. Zu 1. Jenes Wort Sallusts ist zu verstehen vom Mitleid, soweit es eine von der Vernunft nicht geregelte Leidenschaft ist. So nämlich hindert es die Überlegung der Vernunft, indem es dazu verleitet, die Gerechtigkeit außer acht zu lassen. Zu 2. Der Philosoph spricht dort vom Mitleid und von der Entrüstung, sofern beide Leidenschaften sind. Beide Q U A E S T I O 30,

s

hoc misericordia passio est, et non virtus. — Alio vero modo potest nominare motum appetitus intellectivi, secundum quod alicui displicet malum alterius. Hic autem motus potest esse secundum rationem regulatus; et potest secundum hunc motum ratione regulatum regulari motus inferioris appetitus. Unde PL Augustinus dicit, in 9 de Civitate Dei [1. c.], quod „iste motus 4 1 / 2 6 1 A animi", scilicet misericordia, „servit rationi quando ita praebetur misericordia ut justitia conservetur; sive cum indigenti tribuitur, sive cum ignoscitur poenitenti". Et quia ratio virtutis humanae consistit in hoc quod motus animi ratione reguletur, ut ex superioribus patet, consequens est misericordiam esse virtutem. AD PRIMUM ergo dicendum quod auctoritas illa Salustii intelligitur de misericordia secundum quod est passio ratione non regulata. Sic enim impedit consilium rationis, dum facit a justitia discedere. A D SECUNDUM dicendum quod Philosophus loquitur ibi de misericordia et nemesi secundum quod utrumque est passio 1

Vgl. Anm. [13],

232

aber sind einander entgegengesetzt auf G r u n d der Beur- 30, s teilung des f r e m d e n E l e n d s ; worüber der Mitleidige Schmerz empfindet, sofern er urteilt, d a ß einer u n v e r d i e n t leidet; der gerecht E n t r ü s t e t e aber sich f r e u t , insoweit er urteilt, d a ß sie v e r d i e n t e r m a ß e n leiden, u n d t r a u r i g ist, wenn es ihnen u n v e r d i e n t e r m a ß e n gut geht. „Beides aber ist löblich u n d entspringt derselben sittlichen Pflicht", wie es ebendort heißt. Eigentlich aber ist dem Mitleid der Neid entgegengesetzt, wovon später die R e d e sein soll (36, 3 Zu 3: Bd. 17 B). Z u 3. F r e u d e u n d Friede fügen der Bewandtnis des Guten, das Gegenstand der Gottesliebe ist, nichts hinzu. U n d so f o r d e r n sie keine anderen Tugenden als die Gottesliebe. Das Mitleid aber berücksichtigt eine ganz besondere Bewandtnis, nämlich das E l e n d dessen, dessen es sich erbarmt.1 Z u 4. Das Mitleid, sofern es Tugend ist, ist eine sittliche Tugend, der es u m die [Regelung der] Leidenschaften zu t u n ist. Sie wird z u r ü c k g e f ü h r t auf jene Mittehaltung, die als „edle E n t r ü s t u n g " 2 bezeichnet wird, „weil sie derselben sittlichen Pflicht e n t s p r i n g t " (Aristoteles) [vgl. Zu 2]. Diese Mittehaltungen aber n i m m t der Philosoph nicht als Tugend, sondern als Leidenschaften; d e n n auch QUAESTIO 30,, [cf. 2 Eth. 4]. Et habent quidem contrarietatem ex parte aestimationis quam habent de malis alienis, de quibus misericors dolet, inquantum acstimat aliquem indigna pati; nemeseticus autem gaudet, inquantum aestimat aliquos digne pati, et tristatur si indignis bene accidat [ib., c. 7]. Et „utrumque est laudabile, et ab eodem more descendens", ut ibidem [2 Rhet. 9] dicitur. Sed proprio misericordiae opponitur invidia, ut infra dioetur. AD TERTIUM dicendum quod gaudium et pax nihil adjiciunt super rationem boni quod est objectum caritatis; et ideo non requirunt alias virtutes quam caritatem. Sed misericordia respicit quamdam specialem rationem. scilicet miseriam ejus cujus miseretur. AD QUARTUM dicendum quod misericordia, secundum quod est virtus, est moralis virtus circa passiones existens; et reducitur ad illam medietatem quae dicitur nemesis, quia „ab eodem more procedunt", ut in 2 Rhetoricorum [1. c.] dicitur. Has autem medietates Philosophus non ponit virtutes, sed passiones; quia etiam secundum quod sunt passiones, > Vgl. Anm. [21] u. [71]. " Vgl. Anm. [75]. 16 17A

233

»H05b23

« nos b 3 1386 b 11

¡h.

30, 4 als Leidenschaften sind sie noch löblich. Es steht aber nichts im Wege, daß sie von einem Wahlgehaben ausgehen. Und danach erhalten sie die Bewandtnis der Tugend. 4. A R T I K E L Ist das Mitleid

die größte

der Tugenden

?

1. Am meisten scheint zur Tugend der Gottesdienst zu gehören. 1 Das Erbarmen aber wird dem Gottesdienst vorgezogen, nach Os 6, 6 und Mt 12, 7: „Erbarmen will Ich, nicht Opfer." Also ist das Erbarmen die größte Tugend. 2. Zu 1 Tim 4, 8: ,Die Frömmigkeit ist zu allem nütze' sagt die Glosse des Ambrosius: „Die Summe alles christlichen Lebens ist Erbarmen und Frömmigkeit." Das christliche Leben aber enthält alle Tugend. Also liegt die Summe aller Tugend im Erbarmen. 3. „Tugend ist das [Gehaben], das seinen Besitzer gut macht" [Aristoteles]. Also ist eine Tugend um so wertvoller, als sie den Menschen Gott ähnlicher macht. Das QUAESTIO 30,, Iaudabiles s u n t . Nihil tarnen prohibet quin a b aliquo h a b i t u electivo proveniant. E t s e c u n d u m b o c a s s u m u n t r a t i o n e m virtutis. ARTICULUS

IV

U t r u m misericordia sit m a x i m a

virtutum

[Infra 32,1] A D Q U A R T U M sic proceditur. V i d e t u r q u o d misericordia sit m a x i m a v i r t u t u m . M a x i m e e n i m a d v i r t u t e m pertinere v i d e t u r c u l t u s divinus. Sed misericordia cultui d i v i n o praefertur; s e c u n d u m illud Os. 6 et Matth. 12: „Misericordiam volo, et n o n sacriflcium." E r g o misericordia est m a x i m a virtus. 2. P R A E T E R E A , super illud 1 a d T i m . 4, ,Pietas, ad PL o m n i a utilis est', dicit Glossa [ord. et L o m b . ] 2 Ambrosii: 102/348 D „Omnis s u m m a disciplinae christianae in missricordia et piet a t e est." Sed disciplina Christiana c o n t i n e t o m n e m v i r t u t e m . E r g o s u m m a t o t i u s v i r t u t i s in misericordia consistit. 3. P R A E T E R E A , „virtus est quae b o n u m facit h a b e n t e m " * 1106 a22 [cf. 2 E t h . 5]. E r g o t a n t o aliqua v i r t u s est melior q u a n t o facit h o m i n e m D e o similiorem; quia per hoc melior est h o m o quod 1 Weil die Ehre Gottes erstes Gesetz, Sinn und Ziel der ganzen Schöpfung ist und in ihrer Erfüllung der eigentliche Friede des Menschen und der Menschheit liegt. Vgl. Komm. S. 492. ! Ambrosiaster, In 1 Tim. 4, 8 (PL 17/474 B).

234

aber tut am meisten das Erbarmen; 1 denn von Gott heißt 30,4 es beim Psalmisten: „Seine Erbarmungen erstrecken sich über alle Seine Werke" [Ps 145 (144), 9], Deshalb sagt auch der Herr Lk 6, 36: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist." 2 Die Barmherzigkeit ist also die größte der Tugenden. ANDERSEITS sagt der Apostel Kol 3, 12: „Ziehet daher an wie Gottes [Auserwählte, Heilige und] Geliebte herzliches Erbarmen" usw. Und nachher fügt er (V. 14) hinzu: „Über dies alles aber habet die Liebe!" Also ist das Erbarmen nicht die größte der Tugenden. ANTWORT: Eine Tugend kann die größte sein in doppelter Weise: einmal an sich; dann im Vergleich zum Träger. An sich ist das Erbarmen die größte Tugend. Denn es gehört zum Erbarmen, daß es sich auf die anderen ergießt und — was mehr ist — der Schwäche der anderen aufhilft; und das gerade ist Sache des Höherstehenden. Deshalb wird das Erbarmen gerade Gott als Wesensmerkmal zuerkannt; und es heißt, daß darin am meisten Seine Allmacht offenbar wird [81]. Vom T r ä g e r a u s aber betrachtet, ist die Barmherzigkeit nicht die größte der Tugenden, es sei denn, er sei selbst der Höchste, der keinen anderen über sich hat und alle Q U A E S T I O 30,,

Deo est similior. Sed hoc maxime facit misericordia; quia de Deo dicitur in Psalmo, quod „miserationes ejus sunt super omnia opera ejus". Unde et Luc. 6 Dominus dicit: „Estote misericordes, sicut et Pater vester misericors est." Misericordia igitur est maxima virtutum. S E D CONTRA est quod Apostolus, ad Col. 3, cum dixisset: „Induite vos, sicut dilecti Dei, viscera misericordiae" etc., postea subdit: „Super omnia caritatem habete." Ergo misericordia non est maxima virtutum. R E S P O N D E O dicendum quod aliqua virtus potest esse maxima dupliciter: uno modo, secundum se; alio modo, per comparationem ad habentem. Secundum se misericordia quidem maxima est. Pertinet enim ad misericordiam quod alii effundat; et, quod plus est, quod defectus aliorum sublevet; et hoc est maxime superioris. Unde et misereri ponitur proprium Deo; et in hoc maxime dicitur ejus omnipotentia manifestari. Sed quoad habentem, misericordia non est maxima, nisi ille qui habet sit maximus, qui nullum supra se habeat, sed 1 !

16*

Vgl. Einführung § 4 S. 413 ff. Vgl. Anm. [77].

235

30,4 anderen unter sich. Denn für den, der noch einen über sich hat, ist es größer und besser, daß er sich einem Höheren verbindet, als daß er dem Mangel des unter ihm Stehenden aufhilft. Für den Menschen also, der Gott über sich hat, ist die heilige Liebe, durch die er Gott geeint wird, größer als das Erbarmen, durch das er dem Elend des Nächsten Abhilfe schafft. Aber unter allen Tugenden, die sich um den Nächsten bemühen, ist das Erbarmen die höchste und wichtigste, weil sie auch einen höheren Akt hat; denn der Schwäche des anderen aufhelfen ist, an sich betrachtet, Sache des Höheren und Besseren [82]. Zu 1. Wir ehren Gott durch die äußeren Opfer und Geschenke nicht Seinetwegen, sondern unseretwegen und des Nächsten wegen; denn Er bedarf unserer Opfer nicht, sondern will, daß sie Ihm dargebracht werden um unserer Hingabe und um des Nutzens des Nächsten willen. Deshalb ist das Erbarmen, durch das wir dem Elend der anderen zu Hilfe kommen, ein Opfer, das Ihm wohlgefälliger ist, weil es dem Nutzen des Nächsten näherkommt; nach Hb 13, 16: „Vergeßt nicht das Wohltun und Mitteilen; denn an solchen Opfern hat Gott Wohlgefallen" [83]. Zu 2. Die Summe der christlichen Religion besteht im Erbarmen, soweit die äußeren Werke in Frage kommen. QUAESTIO 30,. omnes sub se. E i enim qui supra se aliquem habet majus est et melius conjungi superiori quam supplere defectum inferioris. E t ideo quantum ad hominem, qui habet Deum superiorem, Caritas, per quam Deo unitur, est potior quam misericordia, per quam defectus proximorum supplet. Sed inter omnes virtutes quae ad proximum pertinent potissima est misericordia, sicut etiam est potioris actus; nam supplere defectum alterius, inquantum hujusmodi, est superioris et melioris. AD PRIMUM ergo dicendum quod Deum non colimus per exteriora sacrificia aut munera propter ipsum, sed propter nos et propter proximos; non enim indiget sacrificiis nostris, sed vult ea sibi offerri propter nostram devotionem et proximorum utilitatem. E t ideo misericordia, qua subvenitur defectibus aliorum, est sacrificium ei magis acceptum, utpote propinquius utilitatem proximorum inducens; secundum illud Heb. ult.: „ B e n e f i c e n t i a e et communionis nolite oblivisci; talibus enim hostiis promeretur Deus." AD SECUNDUM dicendum quod summa christianae religionis in misericordia consistit quantum ad exteriora opera.

236

Die innere Regung der Gottesliebe aber, durch die wir 30,4 Gott verbunden werden, hat den Vorrang vor der Liebe und dem Erbarmen zum Nächsten hin. Zu 3. Durch die Gottesliebe werden wir Gott ähnlich, als solche, die ihm durch das Verlangen geeint sind. Und deshalb ist sie [die Gottesliebe] vornehmer als das Erbarmen, durch das wir Gott nur ähnlich werden in bezug auf die [äußere] Tätigkeit. Q U A E S T I O 30,.

Interior tarnen affectio caritatis, qua conjungimur Deo, praeponderat et dilectioni et misericordiae in proximos. A D TERTIUM dicendum quod per caritatem' assimilamur Deo tamquam ei per affeetum uniti. Et ideo potior est quam misericordia, per quam assimilamur Deo seeundum similitudinem operationis.

237

31. F R A G E

31,1

ÜBER DAS WOHLTUN Hierauf sind die äußeren Akte oder Wirkungen der Gottesliebe zu betrachten. Und zwar erstens das Wohltun; zweitens das Almosengeben, das in gewissem Sinne ein Teil des Wohltuns ist; drittens die brüderliche Zurechtweisung, die eine Art Almosen ist. Zum Ersten ergeben sich vier Einzelfragen: 1. 2. 3. 4.

Ist Wohltun ein Akt der Gottesliebe? Müssen wir allen Menschen wohltun? Müssen wir mehr den Verwandten wohltun? Ist Wohltun eine besonderte Tugend? 1. A R T I K E L Ist Wohltun ein Akt der Gottesliebe?

1. Die Gottesliebe geht vor allem auf Gott. Ihm gegenüber aber können wir nicht wohltätig sein; nach Job 35, 7:

QUAESTIO

XXXI

DE BENEFICENTIA Deinde considerandum est de exterioribus actibus vel effectibus caritatis. E t primo, de beneficentia; secundo, de eleemo8yna, quae est quaedam pars beneficentiae ; tertio, de correctione fraterna, quae est quaedam eleemosyna. Circa p r i m u m quaeruntur q u a t u o r : 1. U t r u m beneficentia sit actus caritatis. — 2. U t r u m sit omnibus benefaciendum. — 3. U t r u m magis conjunctis sit magis benefaciendum. — 4. U t r u m beneficentia sit virtus specialis. ARTICULUS I U t r u m b e n e f i c e n t i a sit a c t u s

caritatis

[Infra a. 2.4; 44,3 ad 2; 83,7; 117,1 ad 3]

A D P R I M U M sic proceditur. Videtur quod beneficentia non sit actus caritatis. Caritas enim maxime habetur ad Deum. Sed ad eum non possumus esse benefici; secundum illud J o b 35:

238

„Was schenkst du Ihm, oder was wird Er aus deiner Hand 31,1 wohl empfangen?" Also ist Wohltun kein Akt der Gottesliebe. 2. Wohltun besteht vor allem im Austeilen von Gaben. Das aber gehört zur Freigebigkeit. Also ist Wohltun kein Akt der Gottesliebe, sondern der Freigebigkeit. 3. Alles, was einer gibt, gibt er als etwas, was er schuldet, oder als etwas, was er nicht schuldet. Die Wohltat aber, die einer erweist, weil er sie schuldet, gehört zur Gerechtigkeit; was aber als nicht geschuldet aufgewandt wird, wird umsonst gegeben und gehört demnach zum Mitleid. Alles Wohltun also ist entweder ein Akt der Gerechtigkeit oder ein Akt der Barmherzigkeit. Also ist es nicht Akt der Gottesliebe. ANDERSEITS ist die Gottesliebe eine Art Freundschaft (23, 1). Der Philosoph aber zählt unter anderen Akten der Freundschaft auch diesen auf: „Den Freunden Gutes tun" [vgl. 27, 2 E. 3], was soviel ist, wie den Freunden wohltun. Also ist Wohltun ein Akt der Gottesliebe. ANTWORT: Wohltun besagt nichts anderes, als einem anderen Gutes tun. Dieses Gut aber kann doppelt betrachtet werden. E i n m a l nach der a l l g e m e i n e n Bewandtnis von Gut. Das gehört dann zur allgemeinen Bewandtnis Q U A E S T I O 31,,

„Quid d a b i s ei? A u t q u i d de m a n u t u a a c c i p i e t ? " E r g o beneficentia n o n est a c t u s caritat.is. 2. P R A E T E R E A , beneficentia m a x i m e consistit in collatione d o n o r u m . Sed hoc p e r t i n e t a d l i b e r a l i t a t e m [cf. 2 E t h . 7]. E r g o beneficentia n o n est a c t u s c a r i t a t i s , aed liberalitatis. 3. P R A E T E R E A , o m n e q u o d quis d a t , vel d a t sicut debit u m vel d a t sicut n o n d e b i t u m [cf. 4 T o p . 4]. Sed beneficium quod impenditur t a m q u a m debitum pertinet ad justitiam [cf. 5 E t h . 5]; q u o d a u t e m i m p e n d i t u r t a m q u a m n o n d e b i t u m , gratis d a t u r , e t s e c u n d u m hoc p e r t i n e t a d misericordiam. E r g o omnia beneficentia vel est a c t u s j u s t i t i a e vel est a c t u s misericordiae. K o n est ergo a c t u s caritatis. S E D C O N T R A , Caritas est amicitia q u a e d a m , u t d i c t u m est. Sed Philosophus, in 9 E t h i c o r u m [c. 4], inter alios a m i c i t i a e a c t u s p o n i t hoc u n u m quod est „operari b o n u m ad a m i c o s " , q u o d est amicis benefacere. E r g o beneficentia est a c t u s c a r i t a t i s . R E S P O N D E O d i c e n d u m q u o d beneficentia nihil a l i u d imp o r t â t q u a m facere b o n u m alicui. P o t e s t a u t e m hoc b o n u m considerari dupliciter. U n o m o d o , s e c u n d u m c o m m u n e m rat i o n e m boni. E t hoc p e r t i n e t a d c o m m u n e m r a t i o n e m bene-

239

* 1107 b 8 • 125 a 17 * 1130 b 30

116« a :>

31, i von Wohltun. Und das ist ein Akt der Freundschaft und folglich der Gottesliebe. Denn im Akt der Liebe ist das Wohlwollen eingeschlossen, durch das einer dem Freunde Gutes will (23,1; 27,2). D e r W i l l e a b e r w i r k t d a s , w a s er w i l l , w e n n er d i e M ö g l i c h k e i t d a z u h a t . Also ergibt sich das Wohltun dem Freunde gegenüber aus dem Akt der Liebe. Und deshalb ist Wohltun, seiner allgemeinen Bewandtnis nach, ein Akt der Freundschaft oder der Gottesliebe. — Wenn aber das Gute, das einer dem anderen tut, unter einer b e s o n d e r e n Bewandtnis von Gut betrachtet wird, so erhält Wohltun eine besondere Bewandtnis und gehört infolgedessen zu einer besonderen Tugend. Zu 1. Dionysius sagt: „Die Liebe bewegt die geordneten Wesen zum gegenseitigen [rechten] Verhalten; die niederen kehrt sie zu den höheren, damit sie von diesen vollendet werden; die höheren bewegt sie zur Sorge für die niederen" [84]. Und so weit ist Wohltun Wirkung der Liebe. Deshalb ist es nicht unsere Sache, Gott wohlzutun, sondern Ihn dadurch zu ehren, daß wir uns Ihm unterwerfen; Seine Sache aber ist es, uns aus Seiner Liebe heraus wohlzutun. Zu 2. In der Austeilung von Gaben ist auf zweierlei Q U A E S T I O 31,,

fìcentiae. Et hoc est actus amicitiae, et per consequens caritatis. Nam in actu dilectionis includitur benevolentia, per quam aliquis vult bonum amico, ut supra habitum est. Voluntas autem est effectiva eorum quae vult, si facultas adsit [cf. 2 •1393ai Rhet. 19]. Et ideo ex consequenti benefacere amico ex actu dilectionis consequitur. Et propter hoc beneficentia, secundum communem rationem, est amicitiae vel caritatis actus. — Si autem bonum quod quis facit alteri accipiatur sub aliqua speciali ratione boni, sic beneficentia accipiet specialem rationem, et pertinebit ad aliquam specialem virtutem. A D PRIMUM ergo dicendum quod, sicut Dionysius dicit, i>(" 4 cap. de Divinis Nominibus, „amor movet ordinata ad mu1 SOIL°/2H tuam habitudinem, et inferiora convertit in superiora ut ab eis perficiantur, et superiora movet ad inferiorum provisionem". Et quantum ad hoc beneficentia est effectus dilectionis. Et ideo nostrum non est Deo benefacere, sed eum honorare, nos ei subjiciendo; ejus autem est ex sua dilectione nobis benefacere. A D SECUNDUM dicendum quod in collatione donorum 1

P: beatitudine!!!.

240

zu achten: das e i n e ist die äußere Gabe; das a n d e r e 31,1 ist die innere Leidenschaft, die einer zum Reichtum hat, wenn er sich an ihm erfreut. Sache der Freigebigkeit aber ist es, die innere Leidenschaft in Schranken zu halten, daß einer nicht zu weit geht in der Gier und der Liebe zum Reichtum; dadurch nämlich wird der Mensch dazu gebracht, daß er mit Leichtigkeit Gaben austeilt. Wenn daher der Mensch auch ein großes Geschenk macht, aber mit einer gewissen Begierde, es zurückzuhalten, so ist die Schenkung nicht mehr freigebig. Soweit aber die äußere Gabe in Frage steht, gehört die Erweisung einer Wohltat im allgemeinen zur Freundschaft oder zur Gottesliebe. Deshalb t u t das der Freundschaft keinen Abbruch, wenn einer eine Sache, die er [an sich] gern behielte, aus Liebe dem anderen gibt; eher noch zeigt sich darin die Vollkommenheit der Freundschaft. Zu 3. Wie die Freundschaft oder die Gottesliebe in der erwiesenen Wohltat auf die allgemeine Bewandtnis von ,gut' schaut, so die Gerechtigkeit auf die Bewandtnis von ,geschuldet'. Das Mitleid aber schaut darauf, wie man dem Elend und der Schwäche [des anderen] aufhelfen kann. QUAESTIO 31, , duo sunt attendenda: quorum unum est exterius datum; aliud autem est interior passio quam habet quis ad divitias, in eis delectatus. Ad liberalitatem autem pertinet moderari interiorem passionem, ut scilicet aliquis non superexcedat in concupisoendo et amando divitias [cf. 4 Eth. 1]; ex hoc enim *lil9b22 efficietur homo facile emissivus donorum. Unde si homo det aliquod donum magnum, et tarnen cum quadam concupiscentia retinendi, datio non est liberalis [cf. ib., c. 2], Sed ex parte * 1120a29 exterioris dati collatio beneficii pertinet in generali ad amicitiam vel caritatem. Unde hoc non derogat amicitiae, si aliquis rem quam concupiscit retinere det alicui propter amorem; sed magis ex hoc ostenditur amicitiae perfectio. A D T E R T I U M dicendum quod sicut amicitia seu Caritas respicit in beneficio collato communem rationem boni, ita justitia respicit ibi rationem debiti. Misericordia vero respicit ibi rationem relevantis 1 miseriam vel defectum. 1

P: revelantis.

241

2. A R T I K E L

31,2

Muß man allen Menschen wohltun? 1. Augustinus sagt: „Wir können nicht allen nützen." Die Tugend aber treibt nicht zum Unmöglichen. Also muß man nicht allen wohltun. 2. Sir 12, 5 heißt es: „Gib dem Guten, doch des Sünders nimm dich nicht an." Viele Menschen aber sind Sünder. Also brauchen wir nicht allen wohlzutun. 3. 1 Kor 13, 4 heißt es: „Die Liebe tut nichts Verkehrtes." Es ist aber verkehrt, manchen Menschen wohlzutun; z. B. wenn einer den Feinden des Staates wohltun wollte; oder einem vom Kirchenbann Betroffenen, weil er dadurch mit ihm in Gemeinschaft treten würde [was durch den Bann ausgeschlossen ist und unter Strafe steht]. Demnach dürfen wir, da Wohltun ein Akt der Gottesliebe ist, nicht allen wohltun. ANDERSEITS sagt der Apostel Gal 6, 10: „Laßt uns, solange wir Zeit haben, allen Gutes tun." ANTWORT: Das Wohltun folgt aus der Liebe, insofern sie die Höherstehenden antreibt, für die Niederen zu sorQTJAESTIO 31,s

ARTICULUS II U t r u m sit omnibus b e n e f a c i e n d u m [Gal 6 lect 2; Dec leg: i pr]

AD S E C U N D U M sie proceditur. Videtur quod non sit omnibus benefaciendum. Dicit enim Augustinus, in 1 de PL Doctrina Christiana [c. 28], quod „omnibus prodesse non pos34/30 A s u m u s " . Sed virtus non inclinat ad impossibile. Ergo non oportet omnibus benefacere. 2. P R A E T E R E A , Eccli. 12 dicitur: „Da bono et non recipias peccatorem." Sed multi homines sunt peccatores. Non ergo omnibus est benefaciendum. 3. P R A E T E R E A , „Caritas non agit perperam", ut dicitur 1 ad Cor. 13. Sed benefacere quibusdam est agere perperam; puta si aliquis benefaciat inimicis reipublicae; vel si benefaciat excommunicato, quia per hoc ei communicat. Ergo, cum benefacere sit actus caritatis, non est omnibus benefaciendum. S E D C O N T R A est quod Apostolus dicit, ad Gal. ult.: „Dum tempus habemus, operemur bonum ad omnes." R E S P O N D E O dicendum quod, sicut supra dictum est, beneficentia consequitur amorem ex ea parte qua movet

242

gen (Art. 1 Zu 1). Die Unterschiede sind aber bei den Men- 31, 2 sehen nicht so unwandelbar wie bei den Engeln, weil die Menschen vielerlei Ungemach erfahren können. Wer daher in einer Beziehung höher steht, kann in einer anderen Beziehung untergeordnet sein. Da nun die Zuneigung der Gottesliebe sich auf alle erstreckt, muß sich auch das Wohltun auf alle erstrecken, freilich nach Ort und Zeit, denn alle Akte der Tugenden sind nach den gegebenen Umständen zu bestimmen. Zu 1. Schlechthin gesprochen, können wir nicht allen einzelnen Menschen Gutes tun. Es ist jedoch keiner, bei dem nicht auch einmal der Fall eintreten könnte, daß wir ihm als einzelnem wohltun müßten. Deshalb verlangt es die Gottesliebe, daß der Mensch, auch wenn er nicht jeden Augenblick einem Menschen etwas Gutes erweist, so doch im Geiste bereit ist, jedem wohlzutun, wenn die Zeit dazu da ist. — E i n e Wohltat allerdings gibt es, die wir allen erweisen können, wenn zwar nicht im besonderen, so doch im allgemeinen, nämlich: daß wir für alle beten, für die Gläubigen wie für die Ungläubigen. Z u 2. Im Sünder sind zwei Dinge: die Schuld und die Natur. Wir müssen also dem Sünder zu Hilfe kommen zur Erhaltung seiner Natur ; nicht aber dürfen wir ihm zu Hilfe Q U A E S T I O 31, j

superiora ad provisionem inferiorum. Gradus autem in hominibus non sunt immutabiles, sicut in angelis; quia homines possunt pati multíplices defectus; unde qui est superior seoundum aliquid, vel est vel potest esse inferior secundum aliud. Et ideo, cum dilectio caritatis se extendat ad omnes, etiam beneficentia se debet extendere ad omnes, pro loco tarnen et tempore; omnes enim actus virtutum sunt secundum debitas eircumstantias limitandi. AD PRIMUM ergo dicendum quod, simpliciter loquendo, non possumus omnibus benefacere in speciali; nullus tarnen est de quo non possit occurrere casus in quo oporteat ei benefacere etiam in speciali. Et ideo caritas requirit ut homo, etsi non actu alicui benefaciat, habeat tarnen hoc in sui animi praeparatione, ut benefaciat cuicumque si tempus adesset. — Aliquod tarnen beneficium est quod possumus omnibus impendere, si non in speciali, saltem in generali; sicut cum oramus pro omnibus fidelibus et infidelibus. A D SECUNDUM dicendum quod in peccatore duo sunt, scilicet culpa et natura. Est ergo subveniendum peccatori quantum ad sustentationem naturae; non est autem ei sub243

31,3 kommen, um seine Schuld zu begünstigen; denn das hieße nicht wohltun, sondern vielmehr übeltun [vgl. 32, 9 Zu 1], Z u 3. Den im Kirchenbann Lebenden und den Staatsfeinden sind die Wohltaten zu entziehen, soweit sie dadurch vor Schuld bewahrt werden. Wenn aber die Not drängt, müßte man ihnen helfen, damit die N a t u r nicht zugrunde geht; allerdings in der rechten Weise; z. B. daß sie nicht durch Hunger und Durst zugrunde gehen oder sonst einen derartigen Schaden erleiden, außer nach der Ordnung der Gerechtigkeit. 3. A R T I K E L Muß man denen mehr wohltun, die uns mehr verbunden sind ?

1. Lk 14, 12 heißt es: „Wenn du am Mittag oder am Abend ein Mahl veranstaltest, dann lade nicht deine Freunde oder deine Brüder oder deine Verwandten dazu ein." Diese aber sind uns am meisten verbunden. Also dürfen wir nicht in erster Linie den uns Verbundenen, sondern eher den bedürftigen Fremden wohltun; denn es folgt V. 13: sondern wenn du ein Mahl veranstaltest, dann lade die Armen, die Krüppel usw. ein!" Q U A E S T I O 81,,

veniendum ad fomentum culpae; hoc enim non esset benefacere, sed potius malefacere. AD TERTIUM dicendum quod excommunicatis et reipublicae hostibus sunt beneficia subtrahenda inquantum per hoc arcentur a culpa. Si tarnen immineret necessitas, ne natura deficeret, esset eis subveniendum, debito tarnen modo; puta ne fame aut siti morerentur, aut aliquod hujusmodi dispendium, nisi secundum ordinem justitiae, paterentur. ARTICULUS III U t r u m sit magis b e n e f a c i e n d u m h i s qui s u n t n o b i s m a g i s c o n j u n c t i [Infra 32,9; 3 d 29: 6 ad 3.5; Car 9 ad 14; Gal 6 lect 2]

AD TERTIUM sie proceditur. Videtur quod non sit magis benefaciendum his qui sunt nobis magis conjuncti. Dicitur enim Luc. 14: „Cum facis prandium aut eenam, noli vocare amicos tuos neque fratres neque cognatos." Sed isti sunt maxime 1 conjuncti. Ergo non est magis benefaciendum conjunetis, sed potius extraneis et indigentibus; sequitur enim: „Sed cum facis convivium, voca pauperes et debiles", etc. 1

P : magis.

244

2. Eine der größten Wohltaten liegt darin, daß der Mensch 31,3 dem anderen im Kriege beisteht. Der Soldat im Kriege aber muß eher dem fremden Mitkämpfer helfen als dem Verwandten, der auf der Seite des Feindes steht. Also sind die Wohltaten nicht in höherem Maße den enger Verbundenen zu leisten. 3. Bevor man freigebig Wohltaten spendet, muß man seine Schulden bezahlen. Es ist aber des Menschen Schuldigkeit, daß er dem wohltut, von dem er eine Wohltat empfangen hat. Also muß man den Wohltätern eher wohltun als den Verwandten. 4. Die Eltern sind mehr zu lieben als die Kinder (26, 9). Doch muß man den Kindern eher wohltun; denn „die Kinder sollen den Eltern keine Reichtümer sammeln", wie es 2 Kor 12, 14 heißt. Also braucht man den enger Verbundenen nicht in höherem Maße wohlzutun. ANDERSEITS sagt Augustinus: „Da du nicht jedermann nützen kannst, so mußt du vornehmlich für jene Sorge tragen, die dir durch die Verhältnisse des Ortes, der Zeit oder irgendwelcher anderer Umstände gleichsam schon durch das Schicksal verbunden sind." ANTWORT: Gnade und Tugend passen sich der Ordnung der Natur an, die von der göttlichen Weisheit einQUAESTIO

31,,

2. PRAETEREA, maximum beneficium est quod homo aliquem in bello adjuvet. Sed miles in bello magis debet juvare extraneum commilitonem quam consanguineum hostem. Ergo beneficia non sunt magis exhibenda magis conjunctis. 3. PRAETEREA, prius sunt debita restituenda quam gratuita beneficia impendenda. Sed debitum est quod aliquis impendat beneficium ei a quo accepit. Ergo benefactoribus magis est benefaciendum quam propinquis. 4. PRAETEREA, magis sunt diligendi parentes quam filii, ut supra dictum est. Sed magis est benefaciendum filiis: quia „non debent filii thesaurizare parentibus", 1 ut dicitur 2 ad Cor. 12. Ergo non est magis benefaciendum magis conjunctis. SED CONTRA est quod Augustinus dicit, in 1 de Doctrina Christiana [c. 28]: „Cum Omnibus prodesse non possis, his PL potissimum consulendum est qui, pro locorum et temporum 3+/30 vel quarumlibet rerum opportunitatibus, constrictius tibi, quasi quadam sorte, junguntur." RESPONDEO dicendum quod gratia et virtus imitantur naturae ordinem, qui est ex divina sapientia institutus [cf. 10 1

P addit: sed e converso.

245

A

31,3 gerichtet ist [85], Die Ordnung der Natur ist aber derart, daß ein jedes naturhaft Wirkende seine Tätigkeit zuerst auf jene richtet, die ihm näher sind; so macht das Feuer den näherliegenden Gegenstand auch in höherem Maße warm. Ebenso gießt Gott über die Ihm näher Stehenden [die Engel] die Gaben Seiner Gutheit früher und reicher aus (Dionysius). Die Erweisung von Wohltaten aber ist eine Betätigung der Gottesliebe gegenüber anderen; deshalb müssen wir den enger Verbundenen gegenüber auch wohltätiger sein. Doch kann die Nähe des einen Menschen zum anderen nach den verschiedenen Dingen, durch die die Menschen miteinander in Verkehr stehen, betrachtet werden; so die Blutsverwandten im natürlichen Verkehr; die Mitbürger im bürgerlichen, die Gläubigen im geistigen Lebensaustausch und ähnlich mit den anderen. Und nach diesen verschiedenen Weisen der Verbundenheit sind die verschiedenen Wohltaten in verschiedener Weise zu leisten. Denn einem jeden ist zunächst jene Wohltat zu erweisen, die dem entspricht, wodurch er uns, schlechthin gesprochen, stärker verbunden ist. Doch kann das wechseln nach der Verschiedenheit der Orte, Zeiten und Sachen; denn in einem bestimmten Falle z. B. müssen wir dem Fremden, der sich in äußerster Not befindet, eher helfen, als selbst dem Vater, der nicht in dieser Notlage ist [86]. QUAESTIO 31,3 *ui7!) Iiü Eth. 10]. Est autem talis ordo naturae ut unumquodque agens naturale per prius magis diffundat suam actionem ad ea quae sunt sibi propinquiora; sicut ignis magis calefacit rem sibi magis propinquam. E t similiter Deus in substantias sibi propinquiores per prius et copiosius dona suae bonitatis diffundit; PG ut patet per Dionysium, 7 cap. de Caelesti Hierarchia. Ex3/209 A hibitio autem beneficiorum est quaedam actio caritatis in alios. Soi H/852 j ( j e o o p o r t e t quod a d magis p r o p i n q u o s simus magis benefici. Sed propinquitas unius hominis ad alium potest attendi secundum diversa in quibus sibi ad invicem homines communicant; ut consanguinei naturali communicatione, concives in civili, fideles in spirituali, et sie de aliis. E t secundum diversas conjunctiones sunt diversimode diversa beneficia dispensanda; nam unieuique est magis exhibendum beneficium pertinens ad illam rem secundum quam est magis nobis conjunetus, simpliciter Ioquendo. Tarnen hoc potest variari secundum diversitatem locorum et temporum et negotiorum; nam in aliquo casu est magis subveniendum extraneo, puta si sit in extrema necessitate, quam etiam patri non tantam necessitatem patienti. 246

Z u 1. Der Herr verbietet nicht schlechthin, Freunde 31,3 und Verwandte zum Mahle einzuladen; sondern sie mit der Absicht einzuladen, „daß sie dich wieder einladen" (Lk 14, 12). Denn das wäre nicht Sache der Gottesliebe, sondern der Begierlichkeit. Es kann aber der Fall eintreten, daß die Fremden eher einzuladen sind wegen ihrer größeren Bedürftigkeit. Es ist nämlich so zu verstehen, daß man den enger Verbundenen, unter sonst gleichen Umständen, auch mehr wohltun muß. Wenn aber von zweien der eine uns stärker verbunden, der andere aber bedürftiger ist, so kann man nicht in einer allgemeinen Regel festlegen, wem man eher helfen soll, weil es eben verschiedene Grade sowohl der Bedürftigkeit wie der Verbundenheit gibt. Hier ist vielmehr das Urteil des klugen Mannes erfordert. Zu 2. Das Gemeingut vieler ist göttlicher als das Gut des einzelnen [Aristoteles]. 1 Deshalb ist es ein Zeichen höherer Tugend, wenn einer für das allgemeine geistliche oder zeitliche Wohl des Staates sogar sein eigenes Leben der Gefahr aussetzt. Da nun die Teilnahme am Kriege ausgerichtet ist auf die Erhaltung des Staates, so leistet der Soldat seinem Mitkämpfer, wenn er ihm hilft, diese Hilfe nicht als einer Einzelperson, sondern als Hilfe für den ganzen Staat. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn in Q U A E S T I O 31,3

A D PRIMUM ergo dicendum quod Dominus non prohibet simpliciter vocare amicos aut consanguíneos ad convivium ; sed vocare eos ea intentione quod „te ipsi reinvitent". Hoc enim non erit caritatis, sed cupiditatis. Potest tarnen contingere quod extranei sint magis invitandi in aliquo casu, propter majorem indigentiam. Intelligendum est enim quod magis conjunctis magis est, ceteris paribus, benefaeiendum. Sí autem duorum unus sit magis conjunctus et alter magis indígena, non potest universali regula determinan cui sit magis subveniendum, quia sunt diversi gradus et indigentiae et propinquitatis ; sed hoc requirit prudentis judicium. A D SECUNDUM dicendum quod bonum commune multorum divinius est quam bonum unius [cf. 1 Eth. 1]. Unde pro «1094 b 8 bono communi reipublicae vel spiritualis vel temporalis virtuosum est quod aliquis etiam propriam vitam exponat periculo [cf. 3 Eth. 9]. Et ideo, cum communicatio in bellicis ordinetur «1115a 28 ad conservationem reipublicae, in hoc miles impendens commilitoni auxilium, non impendit ei tamquam privatae personae, sed sicut totam rempublicam juvans. Et ideo non est 1

Vgl. Komm. S. 522.

247

31,3 diesem Falle der Fremde dem Blutsverwandten vorgezogen wird. Zu 3. Das Geschuldete ist ein Zweifaches: eines, das nicht zu den Gütern de3sen zählt, der dem anderen schuldet, sondern vielmehr zu den Gütern dessen, dem er schuldet. So muß z. B. der Mensch, wenn er Geld oder irgendeine andere fremde Sache, die er, sei es durch Diebstahl entwendet, sei es geliehen oder aufbewahrt oder auf irgendeine andere Weise erworben hat, zunächst einmal das Geschuldete zurückerstatten, bevor er den Verwandten daraus eine Wohltat zukommen läßt. Es sei denn die Not im Augenblick so groß, daß es sogar erlaubt wäre, fremdes Eigentum zu nehmen, um dem anderen aus seiner Not zu helfen, wenn nicht der, dem die Sache geschuldet ist, sich in gleicher Notlage befindet. In diesem Falle müßte man eben die Notlage eines jeden mit klugem Ermessen nach den anderen Umständen beurteilen. Denn in solchen Dingen läßt sich keine allgemeine Regel aufstellen wegen der Verschiedenheit der möglichen Fälle, wie der Philosoph sagt [vgl. In Eth 9 lect. 2, nr. 1774], Ein a n d e r e s aber ist das Geschuldete, das zu den Gütern dessen zählt, der in Schuld steht, und nicht zu den Gütern dessen, dem etwas geschuldet ist; z. B. wenn es Q U A E S T I O 31, j m i r u m si in hoc praefertur e x t r a n e u s c o n j u n c t o s e c u n d u m carnem. A D T E R T I U M d i c e n d u m q u o d d u p l e x est d e b i t u m . U n u m q u i d e m q u o d n o n est n u m e r a n d u m in bonis ejus qui d e b e t , * 1132 a 2 s e d p o t i u s in bonis ejus cui debetur [cf. 5 E t h . 7]. P u t a si aliquis h a b e t p e c u n i a m a u t rem aliam alterius v e l furto s u b l a t a m v e l m u t u o a c c e p t a m sive d e p o s i t a m , vel aliquo alio simili m o d o , q u a n t u m a d hoc plus d e b e t h o m o reddere d e b i t u m q u a m e x eo benefacere conjunctis. Nisi forte esset t a n t a e necessitatis articulus in quo e t i a m liceret rem a l i e n a m accipere ad subv e n i e n d u m n e c e s s i t a t e m patienti. Nisi forte et ille cui res debetur in simili necessitate esset. I n quo tarnen casu pens a n d a esset utriusque conditio s e c u n d u m alias conditiones, 1 prudentis judicio; quia in talibus n o n p o t e s t universalis regula dari, propter v a r i e t a t e m singulorum c a s u u m , u t P h i l o s o p h u s 1164 b 27 dicit, in 9 E t h i c o r u m [c. 2], Aliud a u t e m est d e b i t u m q u o d c o m p u t a t u r in bonis ejus qui debet, et n o n ejus cui d e b e t u r ; p u t a si debeatur n o n e x 1

1' addit: requisitan.

248

nicht aus Gerechtigkeit, sondern aus einer gewissen sitt- 31,3 liehen Billigkeit heraus geschuldet ist, wie das vorkommt bei Wohltaten, die wir umsonst empfangen haben. K e i n e s W o h l t ä t e r s W o h l t a t a b e r i s t so g r o ß wie d i e d e r E l t e r n . Deshalb sind die Eltern bei der Wiedervergeltung von Wohltaten allen anderen vorzuziehen; wenn nicht die Not von anderer Seite oder eine andere Rücksicht überwiegen würde, etwa die Rücksicht auf den gemeinen Nutzen der Kirche oder des Staates. Im anderen Falle aber muß man den Umstand der Verbundenheit und der empfangenen Wohltaten gegeneinander abwägen. Auch hier läßt sich durch eine allgemeine Regel nichts festlegen. Zu 4. Die Eltern sind wie Obere; deshalb ist die Liebe der Eltern da zum Wohltun, die Liebe der Kinder aber zur Ehrung der Eltern. Und doch wäre es im Falle der äußersten Not eher erlaubt, die Kinder im Stich zu lassen als die Eltern, die man unter keinen Umständen im Stich lassen darf wegen der Verpflichtung auf Grund der empfangenen Wohltaten (Aristoteles) [vgl. In Eth 8 lect 14, nr. 1752; vgl. nr. 1634, 1715]. QU AESTIO 31,, justitiae necessitate, sed ex quadam morali aequitate, ut contingit in benßfieiis gratis suseeptis. Nullius autem benefactoris beneficium est tantum sicut parentum; et ideo parentes in recompensandis benefieiis sunt ómnibus aliis praeferendi; nisi necessitas ex alia parte praeponderaret, vel aliqua alia conditio, puta communis utilitas Ecclesiae vel reipublicae. In aliis autem est aestimatio habenda et conjunctionis et beneficii suseepti. Quae similiter non potest communi regula determinari. A D QUARTUM dicendum quod parentes sunt sicut superiores ; et ideo amor parentum est ad benefaciendum, amor autem filiorum ad honorandum parentes. Et tarnen in necessitatis extremste articulo magis liceret deserere filios quam parentes; quos nullo modo deserere licet, propter obligationem beneficiorum suseeptorum; ut patet per Philosophum, in 8 Ethicorum [c. 16]. 1163 b 18

249

4. A R T I K E L Ist

Wohltun

eine besonderte

Tugend ?

1. Die Gebote sind den Tugenden zugeordnet; denn „die Gesetzgeber wollen die Menschen zu tugendhaften Menschen machen" (Aristoteles). Das Gebot wohlzutun wird aber getrennt von dem Gebot der Liebe gegeben; denn Mt 5, 44 heißt es: „Liebet eure Feinde; tuet Gutes denen, die euch hassen" [86a]. Also ist Wohltun eine von der Gottesliebe verschiedene Tugend. 2. Die Laster sind den Tugenden entgegengesetzt. Dem Wohltun aber sind einige besondere Laster entgegengesetzt, durch welche dem Nächsten Schaden zugefügt wird; z. B. Raub, Diebstahl und dergleichen. Also ist Wohltun eine besondere Tugend. 3. Die Gottesliebe wird nicht in viele Arten unterschieden. Wohltun aber scheint in viele Arten unterschieden zu werden nach den verschiedenen Arten der Wohltaten. Also ist Wohltun eine andere Tugend als die Gottesliebe. ANDERSEITS verlangen innere und äußere Akte keine verschiedene Tugend. Wohltun aber und Wohlwollen unterscheiden sich nur wie äußerer und innerer Akt. Denn das QUAESTIO 31,4 ARTICULUS

IV

U t r u m b e n e f i c e n t i a sit v i r t u s specialis A D QUARTUM sie proeeditur. Videtur quod beneficentia sit specialis virtus. Praecepta enim ad virtutes o r d i n a n t u r ; quia „legislatores intendunt facere homines virtuosos", sicut 1103 b 3 dicitur in 2 Ethicorum [c. 1; cf. 1, 13]. Sed seorsum d a t u r prae1102 a 9 ceptum de beneficentia et de dilectione; dicitur enim Matth. 5: „Diligite inimicos vestros, benefacite his qui oderunt vos." Ergo beneficentia est virtus distineta a caritate. 2. P R A E T E R E A , vitia virtutibus opponuntur [cf. Cate* 14 a 3 gor. 11]. Sed beneficentiae opponuntur aliqua specialia vitia, per quae nocumentum proximo infertur; p u t a rapina, f u r t u m et alia hujusmodi. Ergo beneficentia est specialis virtus. 3. P R A E T E R E A , Caritas non distinguitur in multas species. Sed beneficentia videtur distingui in m u l t a s species, secundum diversas beneficiorum species. Ergo beneficentia est alia virtus a caritate. S E D CONTRA est quod actus interior et exterior non requir u n t diversas virtutes. Sed beneficentia et benevolentia non differunt nisi sicut actus exterior et interior; quia beneficentia

250

Wohltun ist die Ausführung des Wohlwollens. Wie daher 31, 4 das Wohlwollen keine von der Gottesliebe verschiedene Tugend ist, so auch nicht das Wohltun. ANTWORT: Die Tugenden werden unterschieden nach der verschiedenen Bewandtnis des Gegenstandes. 1 Die wesentliche Bewandtnis des Gegenstandes der Gottesliebe und des Wohltuns ist aber ein und dieselbe; denn jede der beiden geht auf die allgemeine Bewandtnis des Guten (Art. 1). Deshalb ist das Wohltun keine von der Gottesliebe verschiedene Tugend, sondern bezeichnet einen bestimmten Akt der Gottesliebe. Zu 1. Die Gebote werden nicht für die Gehaben der Tugenden gegeben, sondern für die Akte. Deshalb zeigt die Verschiedenheit der Gebote nicht verschiedene Tugendgehaben an, sondern verschiedene Akte. Zu 2. Wie alle Wohltaten, die wir dem Nächsten erweisen, soweit sie unter der allgemeinen Bewandtnis von Gut betrachtet werden, auf die Liebe zurückgeführt werden, so werden alle Schäden, soweit sie unter der allgemeinen Bewandtnis von Übel betrachtet werden, auf den Haß zurückgeführt. Soweit sie allerdings unter einigen besonderen Gesichtspunkten von Gut oder Böse betrachtet werden, werden sie auch auf besondere Tugenden oder QUAESTIO 31,. est executio benevolentiae. Ergo, sicut benevolentia non est alia virtus a caritate, ita nec beneficentia. RESPONDEO dicendum quod virtutes diversificantur secundum rationes diversas objecti. Eadem autem est ratio formalis objecti caritatis et benficentiae; nam utraque respicit communem rationem boni, ut ex praedictis patet. Unde beneficentia non est alia virtus a caritate, sed nominat quemdam caritatis actum. A D PRIMUM ergo dicendum quod praecepta non dantur de habitibus virtutum, sed de actibus [cf. 6 E t h . 3]. Et ideo diver- *H2f>bl9 sitas praeceptorum non significat diversos habitus virtutum, sed diversos actus. AD SECUNDUM dicendum quod sicut omnia beneficia proximo exhibita, inquantum considerantur sub communi ratione boni, reducuntur ad amorem; ita omnia nocumenta, inquantum considerantur secundum communem rationem mali, reducuntur ad odium. Prout autem considerantur secundum aliquas speciales rationes vel boni vel mali, reducuntur ad aliquas 1

Vgl. Anm. [21] und [71].

251

:il. 4 Laster zurückgeführt. Und danach gibt es auch verschiedene Arten von Wohltaten. Daraus ergibt sich die Lösung Zu 3. QUAESTIO 31,4 speciales virtutes vel vitia. Et secundum hoc etiam sunt diversae beneficiorum species. Unde patet responsio A D TBRTIUM.

252

32. F R A G E

32,1

ÜBER DAS ALMOSEN Darauf müssen wir das Almosen betrachten. Dazu ergeben sich zehn Einzelfragen: 1. Ist Almosengeben ein Akt der Gottesliebe? 2. Die Verschiedenheit der Almosen. 3. Welches sind die wertvolleren Almosen, die geistigen oder die leiblichen? 4. Haben die leiblichen Almosen eine geistige Wirkung? 5. Fällt Almosengeben unter das Gebot? 6. Muß das leibliche Almosen notwendig gegeben werden ? 7. Muß man es auch von dem zu Unrecht Erworbenen geben ? 8. Wer muß Almosen geben? 9. Wem muß man Almosen geben? 10. Die Art und Weise, Almosen zu geben. 1. A R T I K E L Ist Almosengeben ein Akt der Gottesliebe?

1. Der Akt der Gottesliebe kann nicht ohne Gottesliebe sein. Almosengeben aber kann ohne Gottesliebe geschehen;

QUAESTIO

XXXII

D E ELEEMOSYNA Deinde considerandum est de eleemosyna. E t circa hoc quaeruntur decern: 1. U t r u m eleemosynae largitio sit actus caritatis. — 2. De distinctiorie eleemosynarum. — 3. Quae sint potiores eleemosynae, u t r u m spirituales vel corporales. — 4. U t r u m corporales elleemosynae habeant effectum spiritualem. — 5. U t r u m dare eleemosynas sit in praecepto. — 6. U t r u m corporalis eleemosyna sit danda de necessario. — 7. U t r u m sit danda de injuste acquisito. — 8. Quorum sit dare eleemosynam. — 9. Quibus sit danda. — 10. De modo dandi eleemosynas. ARTICULUS I U t r u m dare e l e e m o s y n a m sit a c t u s c a r i t a t i s [Infra a. 2 arg 2; 33,1 sc; 117,1 ad 3; 147,2 ad 2; 4 d 15: 2,1 qa 3]

AD PRIMUM sic proceditur. Videtur quod dare eleemosynam non sit actus caritatis. Actus enim caritatis non potest esse sine

253

32, l nach 1 Kor 13, 3: „Wenn ich alle meine Habe zur Speisung der Armen austeile, die Gottesliebe aber nicht h a b e . . . " Also ist Almosengeben kein Akt der Gottesliebe. 2. Almosengeben wird unter dis Werke der Genugtuung gerechnet; nach Dn 4, 24: „Löse dich durch Almosen von deinen Sünden." Genugtuung aber ist ein Akt der Gerechtigkeit. Ako ist Almosengeben kein Akt der Gottesliebe, sondern der Gerechtigkeit. 3. Gott eine Opfergabe darbringen ist ein Akt der Anbetung. Almosengeben aber heißt Gott ein Opfer darbringen; nach Hb 13, 16: „Das Wohltun und Mitteilen vergeßt nicht, denn solche Opfer sind Gott wohlgefällig." Also ist Almosengeben kein Akt der Gottesliebe, sondern eher der Anbetung. 4. Der Philosoph sagt, etwas geben um des Guten willen sei ein Akt der Freigebigkeit. Das aber geschieht vor allem beim Almosengeben. Also ist Almosengeben kein Akt der Gottesliebe. ANDERSEITS heißt es 1 Jo 3, 17: „Wer aber die Güter dieser Welt hat und seinen Bruder Not leiden sieht und sein Herz gegen ihn verschließt, wie kann da die Liebe Gottes in ihm bleiben?" Q;uaes.TIO 32,, caritate. Sed largitio eleemosynarum potest esse sine caritate; secundum illud 1 ad Cor. 13: „Si distribuero in cibos p a u p e r u m omnes facultates meas, caritatem a u t e m non habuero." 1 Ergo dare eleemosynam non est actus caritatis. 2. P R A E T E R E A , eleemosyna c o m p u t a t u r inter opera satisfactionis; secundum illud D a n . 4: „Peccata t u a eleemosynis redime." Sed satisfactio est actus justitiae. Ergo dare eleemosyn a m non est actus caritatis, sed justitiae. 3. P R A E T E R E A , offerre hostiam Deo est actus latriae. Sed dare eleemosynam est offerre hostiam Deo; secundum illud ad Heb. ult.: „Beneficentiae et communionis nolite oblivisci; talibus enim hostiis promeretur Deus." Ergo caritatis non est actus dare eleemosynam, sed magis latriae. 1120 a 24 4. P R A E T E R E A , Philosophus dicit, in 4 Ethicorum [c. 2], quod dare aliquid propter b o n u m est actus liberalitatis. Sed hoc maxime fit in eleemosynarum largitione. Ergo dare eleemosynam non est actus caritatis. S E D CONTRA est quod dicitur 1 J o a n . 3: „Qui habuerit subs t a n t i a m hujusmodi mundi, et viderit f r a t r e m suum necessit a t e m patientem, et clauserit viscera sua a b eo, quomodo Caritas Dei m a n e t in illo?" 1

P addit: nihil mihi prodest.

254

ANTWORT: Die äußeren Akte werden auf jene Tugend 32,1 bezogen, zu welcher der Beweggrund zur Ausführung dieses bestimmten Aktes gehört [87]. Beweggrund zum Almosengeben aber ist, dem Notleidenden zu helfen; deshalb sagen einige, wo sie das Almosen begrifflich bestimmen: Almosen ist „ein Werk, das wir aus Mitleid den Bedürftigen leisten um Gottes willen". Dieser Beweggrund gehört zur Barmherzigkeit (30, 4). Deshalb ist Almosengeben offenbar im eigentlichen Sinne ein Akt der Barmherzigkeit. Das ergibt sich schon aus dem Namen, denn im Griechischen wird es von ,Barmherzigkeit' abgeleitet, wie im Lateinischen ,Erbarmen' [88]. Weil nun die Barmherzigkeit eine Wirkung der Gottesliebe ist (30, 2; 3 E. 3), so ist folgerichtig Almosengeben ein Akt der Gottesliebe durch Vermittlung der Barmherzigkeit. Zu 1. Etwas heißt Akt der Tugend in doppelter Weise. E i n m a l äußerlich: so ist das rechte Tun Akt der Gerechtigkeit. Und ein solcher tugendlicher Akt kann ohne Tugend sein; denn viele, die nicht das Gehabjn der Gerechtigkeit haben, handeln .recht' entweder aus einem natürlichen Beweggrund oder aus Furcht oder aus der Hoffnung, etwas zu erhalten. In a n d e r e r Weise heißt etwas im weQ U A E S T I O 32, !

R E S P O N D E O d i c e n d u m q u o d e x t e r i o r e s a c t u s a d i l l a m virt u t e m referuntur a d q u a m p e r t i n e t illud q u o d e s t m o t i v u m ad a g e n d u m h u j u s m o d i a c t u s [cf. 2 E t h . 3]. M o t i v u m a u t e m a d * 1105 d a n d u m eleemosynas est ut subveniatur necessitatem patienti; u n d e q u i d a m , d e f i n i e n t e s e l e e m o s y n a m , d i c u n t 1 q u o d eleem o s y n a e s t „ o p u s q u o d a t u r aliquid i n d i g e n t i e x c o m p a s s i o n e propter D e u m " . Q u o d q u i d e m m o t i v u m p e r t i n e t a d misericord i a m , u t s u p r a d i c t u m est. U n d e m a n i f e s t u m est q u o d dare e l e e m o s y n a m proprie e s t a c t u s misericordiae. E t h o c a p p a r e t e x ipso n o m i n e ; n a m in g r a e c o a ,misericordia' d e r i v a t u r , s i c u t in l a t i n o ,miseratio'. E t quia m i s e r i c o r d i a e s t e f f e c t u s caritatis, u t s u p r a o s t e n s u m e s t , e x c o n s e q u e n t i d a r e e l e e m o s y n a m est a c t u s caritatis, m i s e r i c o r d i a m e d i a n t e . A D P R I M U M ergo d i c e n d u m q u o d aliquid dicitur esse a c t u s v i r t u t i s dupliciter. U n o m o d o , m a t e r i a l i t e r : s i c u t a c t u s j u s t i t i a e est facere j u s t a . E t talis a c t u s v i r t u t i s p o t e s t esse s i n e v i r t u t e : multi enim non habentes h a b i t u m justitiae justa operantur, vel e x naturali ratione, v e l e x t i m o r e s i v e e x s p e a l i q u i d adipiscendi [cf. 5 E t h . 10]. Alio m o d o dicitur esse aliquid a c t u s v i r t u t i s • 1135 1 Albertus M., In Seilt. IV 15,15; Ps.-Alexander Hai., Summa Theol. P. IV 105 m. 1 a. 2; Bonaventura, In Sent. IV 15 P. 2 a. 1 q. 4 (QR IV/368); Guilelmus Altiss., Summa aurea P. III 7 c. 7 q. 1.

255

32, i sentlichen Sinne Akt einer Tugend; so ist der Akt der Gerechtigkeit eine gerechte Handlung, und zwar so, wie der Gerechte sie tut, nämlich rasch und freudig. Und so gesetzt, ist der Tugendakt nicht ohne Tugend. — Danach also kann die äußere Tat des Almosengebens ohne Gottesliebe sein; aber das Almosengeben im wesentlichen Sinne, d. h. um Gottes willen und freudig und rasch und in jeder Weise so geben, wie es sein muß, ist nicht ohne Gottesliebe [möglich]. Zu 2. ET steht nichts im Wege, einen Akt, der von der einen Tugend als tugendeigener Akt ausgelöst wird, einer anderen Tugend als der befehlenden' zuzuschreiben, die ihn ausrichtet auf sein Ziel.1 Und in dieser Weise wird Almosengeben unter die Werke der Genugtuung gerechnet, sofern das Erbarmen gegenüber dem Notleidenden ausgerichtet ist auf die Genugtuung für die Schuld. — Sofern es aber ausgerichtet ist auf Gottes Wohlgefallen, hat es die Bewandtnis des Opfers; und so wird es .befohlen' von der Gottesverehrung. Daraus ergibt sich die Lösung Z u 3. Zu 4. Almosengeben gehört zur Freigebigkeit, sofern die Freigebigkeit die Hindernisse dieses Aktes aufhebt, die in einer zu großen Liebe zum Reichtum liegen könnten, durch welche man dazu gebracht wird, ihn zu sehr festzuhalten [vgl. 31, 1 Zu 2], QUAESTIO 32,, formaliter; sicut actus justitiae est actio justa eo modo quo Justus facit, scilicet prompte et delectabiliter. E t hoc modo actus virt u t i s non est sine virtute. — Secundum hoc ergo dare eleemosynas materialiter potest esse sine caritate; formaliter a u t e m eleemosynas dare, idest propter Deum, delectabiliter et prompte et omni eo modo quo debet, non est sine caritate. A D SECUNDUM dicendum quod nihil prohibet actum qui est proprio unius virtutis elicitive, attribui alteri virtuti sicut imperanti et ordinanti a d suum finem. E t hoc modo dare eleemosynam ponitur inter opera satisfactoria; i n q u a n t u m miseratio in defectum patientis ordinatur ad satisfaciendum pro culpa. — Secundum a u t e m quod ordinatur ad placandum Deum, habet rationem sacrificii; et sie imperatur a latria. U n d e p a t e t responsio A D T E R T I U M . A D QUARTUM dicendum quod dare eleemosynam pertinet ad liberalitatem i n q u a n t u m liberalitas aufert impedimentum hujus actus, quod esse posset ex superfluo amore divitiarum [cf. 4 * lll9b 28 E t h . 1], propter quem aliquis efficitur nimis retentivus earum. 1

Vgl. Komm, zu 31, 1.

256

2. A R T I K E L Werden

die

Arten

der

Almosen

sinnvoll

32,2 unterschieden?

1. E s werden sieben leibliche Almosen angenommen, nämlich: den Hungrigen speisen, den Durstigen t r ä n k e n , den N a c k t e n bekleiden, den Gast beherbergen, den K r a n k e n besuchen, den Gefangenen erlösen u n d den T o t e n begraben, die in folgendem Vers z u s a m m e n g e f a ß t sind: „Besuche, t r ä n k e , speise, löse, kleide, gib Obdach, begrabe!" Außerdem werden noch sieben geistige Almosen aufgezählt, nämlich: den Unwissenden belehren, d e m Zweifelnden r a t e n , den T r a u e r n d e n trösten, den Fehlenden zurechtweisen, dem Beleidiger verzeihen, die Lästigen u n d Schwierigen ertragen u n d f ü r alle beten, die wiederum in folgendem Vers aufgezählt sind, doch so, d a ß R a t u n d Lehre in eins zusammengefaßt sind: „ R a t e , rüge, tröste, verzeih, ertrage, b e t e ! " N u n scheint es, d a ß es nicht sinnvoll ist, diese A r t e n von Almosen zu unterscheiden. D e n n das Almosen ist ausgerichtet auf die Hilfe des Nächsten. D a d u r c h aber, d a ß der Nächste begraben wird, ist ihm nicht geholfen, sonst wäre es nicht wahr, was der H e r r s a g t : „ F ü r c h t e t nicht die, die den Leib Q U A E S T I O 32,.

ARTICULUS II Utrum convenienter eleemosynarum genera distinguantur [Infra 33,1; 43,7 ad 2; 65,2 arg 3; 4 d 15: 2,3 qa 1.2]

AD SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod inconvenienter eleemosynarum genera distinguantur. Ponuntur autem Septem eleemosynae corporales: scilicet pascere esurientem, potare sitientem, vestire nudum, recolligere hospitem, visitare infirmum, redimere captivum, et sepelire mortuum; quae in hoc versu continentur: 1 „Visito, poto, eibo, redimo, tego, colligo, condo." Ponuntur etiam aliae Septem eleemosynae spirituales: scilicet docere ignorantem, consulere dubitanti, consolari tristem, corrigere peccantem, remitiere offendenti, portare onerosos et graves, et pro ómnibus orare; quae etiam in hoc versu continentur [1. c.]: „Consule, castiga, solare, remitte, fer, ora"; ita tarnen quod sub eodem intelligatur consilium et doctrina. Videtur autem quod inconvenienter hujusmodi eleemosynae distinguantur. Eleemosyna enim ordinatur ad subveniendum proximo. Sed per hoc quod proximus sepelitur, in nullo ei subvenitur; alioquin non esset verum quod Dominus dicit, Matth. 10: 1 Cf. Albertus M., In Sent IV 15, 23; Ps.-Alexander Hai., Summa Theol. P. IV 105 m. 1 a. 2: Bonaventura, In Sent. [V 15 P. 2 dub. 2 (QR TV/376).

17 I.7A

257

32, 2 töten und danach nichts weiter tun können" (Mt 10, 28; vgl. Lk 12, 4). Deshalb tut auch der Herr, wo er Mt 25, 35 f. und 42 f. die Werke der Barmherzigkeit aufzählt, des Begräbnisses der Toten keine Erwähnung. Also scheint es nicht sinnvoll, daß die Almosen so wie hier unterschieden werden. 2. Ein Almosen wird gegeben, um der Not des Nächsten aufzuhelfen (Art. 1). Es gibt aber noch viele andere Nöte im menschlichen Leben als die genannten; z. B. daß der Blinde einen Führer braucht, der Hinkende eine Stütze, der Arme etwas Geld. Also sind die genannten Almosen nicht sinnvoll aufgezählt. 3. Almosengeben ist ein Akt der Barmherzigkeit. Den Fehlenden zurechtweisen scheint aber eher zur Strenge zu gehören als zur Barmherzigkeit. Also darf es nicht zu den geistigen Almosen gerechnet werden. 4. Ein Almosen wird gegeben, um einem Mangel abzuhelfen. Es gibt aber keinen Menschen, der nicht in irgendwelchen Dingen den Mangel des Nichtwissens aufzuweisen hätte. Also scheint es, daß jeder jeden unterrichten muß, wenn der andere nicht weiß, was er selbst weiß. ANDERSEITS sagt Gregor: „Wer Einsicht hat, sorge unbedingt dafür, daß er nicht schweige; wer Überfluß an Gütern hat, achte darauf, daß er nicht träge werde in der Q U A E S T I O 32,,

„Nolite timere eos qui occidunt corpus, et post hoc non habent amplius quid faciant." U n d e et Dominus, Matth. 25, commemorans misericordiae opera, de sepultura mortuorum mentionem non facit. Ergo videtur quod inconvenienter hujusmodi eleemosynae distinguantur. 2. P R A E T E R E A , eleemosyna datur ad subveniendum necessitatibus proximi, sicut dictum est. Sed multae aliae sunt necessitates humanae vitae quam praedictae; sicut quod caecus indiget ductore, claudus sustentatione, pauper divitiis. Ergo inconvenienter praedictae eleemosynae enumerantur. 3. P R A E T E R E A , dare eleemosynam est actus misericordiae. Sed corrigere delinquentem magis videtur ad severitatem pertinere quam ad misericordiam. Ergo non debet computari inter eleemosynas spirituales. 4. P R A E T E R E A , eleemosyna ordinatur ad subveniendum defectui. Sed nullus est h o m o qui defectum ignorantiae non patiatur in aliquibus. Ergo videtur quod quilibet debeat quemlibet docere, si ignoret id quod ipse seit. S E D C O N T R A est quod Gregorius dicit, in quadam homilia PL [In Evang., üb. 1 hom. 9]: „Habens intellectum curet omnino 76/1109 B n e taceat; habens rerum affluentiam vigilet ne a misericordiae

258

Freigebigkeit des Erbarmens; wer die Kunst der Verwaltung 32, •> hat, möge alle Mühe darauf verwenden, ihren Nutzen dem Mitmenschen zukommen zu lassen; wer die Gelegenheit hat, mit dem Reichen zu sprechen, möge das Verdammungsurteil wegen des zurückgehaltenen Talentes fürchten [Mt 25, 18. 26 ff.], wenn er, wo er kann, bei ihm [dem Reichen] nicht für die Armen eintritt." Also sind die genannten Almosen sinnvoll unterschieden gemäß dem, worin die Menschen Überfluß haben oder Mangel leiden. ANTWORT: Die genannte Unterscheidung der Almosen wird sinnvoll angenommen nach den verschiedenen Mängeln, die beim Nächsten auftreten können. Deren einige kommen von seiten der Seele, worauf die geistigen Almosen ausgerichtet sind; einige aber von seiten des Leibes, worauf die leiblichen Almosen ausgerichtet sind. Der leibliche Mangel tritt entweder während des Lebens auf oder nach dem Leben. Wenn während des Lebens, dann ist es entweder ein allgemeiner Mangel in bezug auf das, was alle nötig haben; oder es ist ein besonderer Mangel, der noch dazukommt. Wenn in der ersten Weise, so haben wir entweder einen inneren oder einen äußeren Mangel. Der innere ist doppelt: einer, dem wir durch trockene Nahrung abhelfen, nämlich der Hunger, und dementsprechend heißt es: den Hungrigen speisen; ein anderer aber, dem wir durch flüssige Nahrung abhelfen, nämlich der Durst, und dementQ U A E S T 1 0 32,,

largitate torpescat; habens artem qua regitur magnopere studeat ut usum atque utilitafcem illius cum proximo partiatur; habens loquendi locum apud divitem damnationem pro retento talento timeat si, cum valet, non apud eum pro pauperibus intercedat." Ergo praedietae eleemosynae convenienter distinguuntur secundum ea in quibus homines abundant et deflciunt. RESPONDEO dieendum quod praedicta eleemosynarum distinctio convenienter sumitur secundum diversos defectus proximorum. Quorum quidam sunt ex parte animae, ad quos ordinantur spirituales eleemosynae; quidam vero ex parte corporis, ad quos ordinantur eleemosynae corporales. Defectus enim corporalis aut est in vita, aut est post vitam. Si quidem est in vita, aut est communis defectus respectu eorum quibus omnes indigent; aut est specialis propter aliquod accidens superveniens. Si primo modo, aut defectus est interior, aut exterior. Interior est quidem duplex: unus quidem cui subvenitur per alimentum siccum, scilicet fames, et secundum hoc ponitur „pascere esurientem"; alius autem est cui subvenitur per alimentum humidum, scilicet sitis, et secundum hoc dicitur „potare

17*

259

2 sprechend heißt es: den Dürstenden tränken. — Der allgemeine Mangel in bezug auf die ä u ß e r e Hilfe ist wiederum doppelt: einer in bezug auf die Kleidung, und dementsprechend heißt es: den Nackten bekleiden; der andere in bezug auf die Wohnung, und dafür heißt es: den Gast beherbergen. — Ebenso wenn es sich um einen b e s o n d e r e n Mangel handelt, so kommt dieser entweder aus einer inneren Ursache, wie die Krankheit, und so heißt es: den Kranken besuchen; oder aus einer äußeren Ursache, und so heißt es: den Gefangenen loskaufen. — N a c h d e m L e b e n aber wird den Toten das Almosen des [würdigen] Begräbnisses zuteil. Ebenso wird den g e i s t i g e n Mängeln durch geistige Akte in doppelter Weise begegnet. E i n m a l , indem wir Hilfe von Gott erbitten, und dafür wird das Gebet eingesetzt, in welchem einer für den anderen betet [31, 2 Zu 1]. — In a n d e r e r Weise, indem wir eine menschliche Hilfe schenken, und das in dreifacher Weise. Einmal (1.) gegen den Mangel des Verstandes ; und wenn es ein Mangel des schauenden Verstandes ist, so wird ihm das Heilmittel gereicht durch die Lehre; wenn aber des auf die Tat gerichteten Verstandes, so wird ihm das Heilmittel durch den Rat [89]. — In anderer Weise (2.) haben wir den Mangel aus der Leidenschaft der Strebekraft, und da liegt der größte in der Traurigkeit [I-II 37, 2—4: Bd. 10], der wir abzuhelfen suchen durch die Tröstung. — Drittens (3.) [haben wir den Mangel] von Seiten des Q U A E S T I O 32,. sitientem". — Defectus autem communis respectu exterioris auxilii est duplex: unus respectu tegumenti, et quantum ad hoc est „ vestire nudum"; alius est respectu habitaculi, et quantum ad hoc est „suscipere hospitem". — Similiter autem si sit defectus aliquis specialis, aut est ex causa intrínseca, sicut. infirmitas, et quantum ad hoc ponitur „visitare infirmum", aut ex causa extrínseca, et quantum ad hoc ponitur „captivorum redemptio". — Post vitam autem exhibetur mortuis „sepultura". Similiter autem spiritualibus defectibus spiritualibus actibus subvenitur dupliciter. Uno modo, poscendo auxilium a Deo; et quantum ad hoc ponitur „oratio", qua quis pro aliis orat. — Alio modo, impendendo humanuni auxilium; et hoc tripliciter. Uno modo, contra defectum intellectus; et si quidem sit defectus speculativi intellectus, adhibeturei remediumper „doctrinam"; si autem practiei intellectus, adhibetur ei remedium per „consilium". — Alio modo est defectus ex passione appetitivae virtutis; inter quos est maximus tristitia, cui subvenitur per „consolationem". — Tertio modo, ex parte inordinati actus: qui

260

ungeordneten Aktes, der w i e d e r u m d r e i f a c h gesehen 32,2 werden kann. Einmal (a) von Seiten des Fehlenden selbst, soweit er aus dessen ungeordnetem Willen hervorgeht, und dem wird das Heilmittel gereicht in der Form der Zurechtweisung. In anderer Weise (b) von Seiten dessen, gegen den gesündigt wird; und so, wenn es eine Sünde gegen uns selbst ist, reichen wir das Heilmittel dadurch, daß wir die Beleidigung verzeihen; wenn aber gegen Gott oder gegen den Nächsten, so steht es „nicht in unserer Freiheit zu verzeihen", wie Hieronymus sagt. Drittens (c) von Seiten der Folgen des ungeordneten Aktes, durch welche, auch gegen die Absicht des Fehlenden, die belastet werden, die mit ihm [dem Sünder] zusammenleben müssen, und so wird das Heilmittel dadurch gereicht, daß man ihn erträgt, vor allem bei jenen, die aus Schwachheit sündigen; nach Rom 15, 1: „Wir, die Starken, müssen die Schwächen der anderen tragen." Und nicht nur, insofern die Schwachen schwierig sind aus ihrem eigenen ungeordneten Akte, sondern auch alle ihre anderen Lasten sind zu tragen; nach Gal 6, 2: „Einer trage des anderen Last." Zu 1. Das Begräbnis des Toten trägt ihm nichts ein in bezug auf die Sinne, die der Leib nach dem Tode nicht mehr hat. Und in bezug darauf sagt der Herr, daß diejenigen, die den Leib töten, nichts mehr haben, was sie [dem Toten] antun könnten. Deshalb rechnet auch der Herr das Begräbnis Q U A E S T I O 32,2

quidem tripliciter consideran potest. Uno modo, ex parte ipsius peccantis, inquantum procedit ab ejus inordinata volúntate; et sie adhibetur remedium per „correctionem". Alio modo, ex parte ejus in quem peccatur; et sie, si quidem sit peccatum in nos, remedium adhibemus remitiendo offensam; si autem sit in Deum vel in proximum, „non est nostri arbitrii remitiere", ut Hieronymus dicit, super Matthaeum [lib. 3 ad 18, 15]. Tertio VL modo, ex parte sequelae ipsius actus inordinati, ex qua gravantur 2 0 , 1 3 1 ei conviventes, etiam praeter peccantis intentionem; et sie remedium adhibetur „supportando"; máxime in his qui ex infirmitate peccant, secundum illud Rom. 15: „Debemus nos firmiores infirmitates aliorum sustinere." E t non solum secundum quod infirmi sunt graves ex inordinatis actibus, sed etiam quaecumque eorum onera sunt supportanda; secundum illud Gal. 6: „Alter alterius onera pórtate." AD PRIMUM ergo dicendum quod sepultura mortui non conferí ei quantum ad sensum quem corpus post mortem habeat. Et secundum hoc Dominus dicit quod interficientes corpus non habent amplius quid faciant. Et propter hoc etiam Do-

261

B

32, 2 nicht zu den anderen Werken der Barmherzigkeit, sondern zählt bloß die auf, die eine offenbare Notwendigkeit darstellen. Es geht aber immer noch den Verstorbenen an, was mit seinem Leibe geschieht, sowohl in bezug darauf, daß er im Gedächtnis der Menschen weiterlebt, und so leidet seine Ehre, wenn er unbeerdigt bleibt; wie auch in bezug auf die Liebe, die der Verstorbene im Leben zu seinem Leibe hatte, der die Liebe der Frommen nach seinem Tode sich anpassen soll. Und in bezug hierauf werden einige gelobt wegen des Begräbnisses der Toten, wie z. B. Tobias [12, 12] und jene, die den Herrn begraben haben (Augustinus). Z u 2. Alle anderen Nöte [des Menschen] werden auf die genannten zurückgeführt. Denn auch Blindheit und Gehbehinderung sind Krankheiten; deshalb wird das Führen von Blinden und das Stützen von Gehbehinderten auf das Besuchen von Kranken zurückgeführt. Ebenso wird die Hilfe, die wir den Menschen gegen irgendwelche von außen kommende Unterdrückung leisten, auf den Loskauf der Gefangenen zurückgeführt. Die Gelder aber, mit denen man den Armen zu Hilfe kommt, werden nur gesucht, um dem genannten Mangel abzuhelfen; deshalb braucht dieser Mangel nicht besonders erwähnt zu werden. Zu 3. Die Zurechtweisung der Fehlenden scheint, soweit Q U A E S T I O 32, .

minus non commemorat sepulturam inter alia misericordiae opera, sed numerat solum illa quae sunt evidentioris necessitatis. Pertinet tarnen ad defunctum quid de ejus corpore agatur, tum quantum ad hoc quod vivit in memoriis hominum, cujus honor dehonestatur si insepultus remaneat; tum etiam quantum ad affectum quem adhuc vivens habebat de suo corpore, cui piorum affectus conformari debet post mortem ipsius. Et secundum hoc aliqui commendantur de mortuorum sepultura, ut Tobias et illi qui Dominum sepelierunt; ut patet per Augustinum, in libro PL de Cura pro Mortuis agenda fc. 31.

595 B

A D SECUNDUM dicendum quod omnes aliae necessitates ad has reducuntur. Nam et caecitas et claudicatio sunt infirmitates quaedam; unde dirigere caecum et sustentare claudum reducitur ad visitationem infirmorum. Similiter etiam subvenire homini contra quamcumque oppressionem illatam extrinsecus reducitur ad redemptionem captivorum. Divitiae autem quibus paupertati subvenitur, non quaeruntur nisi ad subveniendum praedictis defectibus; et ideo non fuit specialis mentio de hoc defectu facienda. A D TERTIUM dicendum quod correctio peccantium.

262

die Ausführung des Aktes in Frage steht, die Strenge der 32, e Gerechtigkeit mit sich zu bringen. Doch in bezug auf die Absicht des Zurechtweisenden, der den Menschen vom Übel der Schuld befreien will, gehört sie zum Mitleid und zum Verlangen der Liebe; nach Spr 27, 6: „Besser sind die Wunden, die die Liebe schlägt, als die trügerischen Küsse des Hassenden." Zu 4. Nicht jede Unwissenheit bedeutet einen Mangel des Menschen, sondern nur jene, kraft deren er in Unkenntnis ist über das, was er eigentlich wissen müßte; und diesem Mangel durch die Lehre abzuhelfen gehört zum Almosen. Doch sind dabei die Umstände der Person sowie auch des Ortes und der Zeit zu berücksichtigen, wie bei den anderen tugendlichen Akten. 3. A R T I K E L Sind die leiblichen Almosen besser als die geistigen ?

1. Es ist lobenswerter, dem Bedürftigeren das Almosen zu geben; denn das Almosen empfängt sein Lob daher, daß es dem Bedürftigen zu Hilfe kommt. Der Leib aber, dem wir durch die leiblichen Almosen zu Hilfe kommen, ist auf Grund Q U A E S T I O 32,,

q u a n t u m ad ipsam executionem actus, severitatem justitiae continere videtur. Sed q u a n t u m ad intentionem corrigentis, qui vult hominem a malo culpae liberare, pertinet ad misericordiam et dilectionis affectum; secundum illud Prov. 27: „Meliora sunt verbera diligentis q u a m fraudulenta odientis oscula." AD QUARTUM dicendum quod non quaelibet nescientia pertinet ad hominis defectum, sed solum ea qua quis nescit ea quae convenit eum scire; cui defeetui per doctrinam subvenire ad eleemosynam pertinet. I n quo tarnen observandae sunt debitae circumstantiae personae et loci et temporis, sicut et in aliis actibus virtuosis. ARTICULUS III U t r u m eleemosynae corporales sint potiores quam spirituales [Infra 188,4; 4 d 15: 2,3 qa 3]

AD T E R T I U M sie proceditur. Videtur quod eleemosynae corporales sint potiores q u a m spirituales. Laudabilius enim est magis indigenti eleemosynam facere; ex hoc enim eleemosyna laudem habet quod indigenti subvenit. Sed corpus, cui subvenitur per eleemosynas corporales, est indigentioris n a t u r a e

263

3 seiner Natur bedürftiger als der Geist, dem wir mit den geistigen Almosen zu Hilfe kommen. Also sind die leiblichen Almosen besser. 2. Die Wiedervergeltung einer Wohltat mindert Lob und Verdienst des Almosens; deshalb sagt auch der Herr: „Wenn du am Mittag oder Abend ein Mahl veranstaltest, dann lade nicht die reichen Nachbarn dazu ein, damit sie selbst dich nicht etwa wieder einladen" (Lk 14, 12). Bei den geistigen Almosen aber gibt es stets eine Wiedervergeltung; denn wer f ü r den anderen betet, nützt sich zugleich selbst; nach jenem Psalmwort: „Mein Gebet kehrte zurück in meinen Busen" [Ps 35 (34), 13]. Auch wer einen anderen lehrt, macht dabei selbst in der Wissenschaft Fortschritte. Das aber ist bei den leiblichen Almosen nicht der Fall. Also sind die leiblichen Almosen besser als die geistigen. 3. Es gehört zum Lob des Almosens, daß der Arme durch das dargereichte Almosen getröstet wird; daher heißt es Job 31, 20: „Wahrlich, seine Hüften segneten mich" [90], und an Philemon schreibt der Apostel (V. 7): „Die Herzen der Heiligen werden durch dich erquickt, lieber Bruder." Mitunter aber ist das leibliche Almosen dem Armen angenehmer als das geistige. Also ist das leibliche Almosen besser als das geistige. A N D E R S E I T S sagt Augustinus zu [Mt 5, 42] ,Wer von « UAESTIO 32, 3 quam spiritus, cui subvenitur per eleemosynas spirituales. Ergo eleemosynae corporales sunt potiores. 2. P R A E T E R E A , recompensatio beneficii laudem et meritum eleemosynae minuit; unde et Dominus dicit, Luc. 14: „Cum faeis prandium aut cenam, noli vocare vicinos divites, ne forte et ipsi te reinvitent." Sed in eleemosynis spiritualibus Semper est recompensatio; quia qui orat pro alio sibi proficit, secundum illud Psalmi: „Oratio mea in sinu meo convertetur", qui etiam alium docet, ipse in scientia proficit. Quod non contingit in eleemosynis corporalibus. Ergo eleemosynae corporales sunt potiores quam spirituales. 3. P R A E T E R E A , ad laudem eleemosynae pertinet quod pauper ex eleemosyna data consoletur; unde dicitur Job 31: „Si non benedixerunt mihi latera ejus", et ad Philem. dicit Apostolus: „Viscera sanctorum requieverunt per te, frater." Sed quandoque magis est grata pauperi eleemosyna corporalis quam spiritualis. Ergo eleemosyna corporalis potior est quam spiritualis. SED CONTRA est quod Augustinus, in libro de Sermone 264

dir fordert, dem gib': „Es ist das zu geben, was weder dir 32. 3 noch dem anderen schadet; und wenn du verweigerst, um was jener bittet, ist der gerechte Grund zu nennen, damit du ihn nicht leer von dir fortschickst. Und zuweilen gibst du ihm etwas Besseres, wenn du den, der zu Unrecht bittet, zurechtweisest." Die Zurechtweisung aber ist ein geistiges Almosen. Also sind die geistigen Almosen den leiblichen vorzuziehen. ANTWORT: Der Vergleich der beiden Arten von Almosen kann doppelt gesehen werden. E i n m a l , wenn wir schlechthin sprechen, und danach haben die geistigen Almosen den Vorrang, aus einem dreifachen Grunde. Erstens, weil das, was gereicht wird, vornehmer ist, nämlich eine geistige Gabe, die den Vorrang hat vor der leiblichen; nach Spr 4, 2: „Eine gute Gabe gebe Ich euch: verlaßt Meine Unterweisung nicht." — Zweitens wegen dessen, d e m damit geholfen wird, denn der Geist ist vornehmer als der Leib. Deshalb, wie der Mensch für sich selbst mehr sorgen muß in bezug auf den Geist als in bezug auf den Leib, 1 so auch für den Nächsten, den er lieben soll wie sich selbst. — Drittens auf Grund der Akte selbst, mit denen wir dem Nächsten helfen; denn die geistigen Akte sind vornehmer als die leiblichen, die in gewissem Sinne die eines Knechtes sind. Q U A E S T I O 32,3

Domini in Monte [lib. 1, 20], super illud, ,Qui petit a te, da ei', PL dicit: „Dandum est quod nec tibi nec alteri noceat; et cum negaveris quod petit, indicanda est justitia, ut non eum inanem dimittas. Et aliquando melius aliquid dabis, cum injuste petentem correxeris." Correctio autem est eleemosyna spiritualis. Ergo spirituales eleemosynae sunt corporalibus praeferendae. RESPONDEO dicendum quod comparatio istarum eleemosynarum potest attendi dupliciter. Uno modo, simpliciter loquendo; et secundum hoc eleemosynae spirituales praeeminent, triplici ratione. Primo quidem, quia illud quod exhibetur nobilius est, scilicet donum spirituale, quod praeeminet corporali; secundum illud Prov. 4: „Donum bonum tribuam vobis; legem ineam ne derelinquatis." — Secundo, ratione ejus cui subvenitur; quia spiritus nobilior est corpore. Unde sicut homo sibi ipsi magis debet providere quantum ad spiritum quam quantum ad corpus, ita et proximo, quem debet tamquam seipsum diligere. — Tertio, quantum ad ipsos actus quibus subvenitur proximo; quia spirituales actus sunt nobiliores corporalibus, qui sunt quodammodo serviles. 1 M. Claudius an seinen Sohn Johannes: „Sorge für deinen Leib, doch nicht so, als wenn er deine Seele wäre."

18

17\

265

A

32, 3

In a n d e r e r Weise können [die beiden Arten von Almosen] verglichen werden für einen besonderen Fall, wo ein leibliches Almosen einem geistigen vorgezogen wird. Z. B. wäre ein vor Hunger Sterbender eher zu speisen als zu belehren; wie es auch nach dem Philosophen besser ist, „den Notleidenden zu beschenken als mit ihm zu philosophieren", mag auch dies schlechthin besser sein. Zu 1. Dem Bedürftigeren geben ist unter sonst gleichen Umständen besser. Wenn aber der weniger Bedürftige besser ist und der besseren Dinge bedarf, so ist es besser, i h m zu helfen. Und so verhält es sich in unserer Frage. Zu 2. Die Wiedervergeltung mindert Verdienst und Lob des Almosens nicht, solange sie nicht gesucht ist; wie auch der menschliche Ruhm, wenn er nicht gesucht ist, nicht das Verdienst der Tugend schmälert. So sagt auch Sallust von Cato: „Je mehr er den Ruhm floh, um so mehr wurde er vom Ruhm verfolgt." Und so geschieht es bei den geistigen Almosen. — Und doch mindert die Absicht auf geistige Güter nicht das Verdienst wie die Absicht auf leibliche Güter. Zu 3. Das Verdienst des Almosengebers wird nach dem bemessen, worin vernünftigerweise der Wille des Empfangenden zur Ruhe kommen muß; nicht nach dem, worin er tatsächlich ruht, wenn er ungeordnet ist. QUAESTIO 32, ,

Alio m o d o possunt comparari secundum aliquem particularem casum, in quo quaedam corporalis eleemosyna alicui spirituali praefertur. Puta, magis esset pascendum fame morient e m quam docendum; sicut et „indigenti", secundum Philoso118 a lo p h u m [3 Top. 2], „melius est ditari quam philosophari", quamvis hoc sit simpliciter melius. A D P R I M U M ergo dicendum quod dare magis indigenti melius est, ceteris paribus. Sed si minus indigens sit melior, et melioribus indigeat, dare ei melius est. E t sie est in proposito. A D S E C U N D U M dicendum quod recompensatio non minuit meritum et laudem eleemosynae si non sit intenta; sicut etiam humana gloria, si non sit intenta, non minuit rationem virtutis; sicut et de Catone Sallustius ait quod „quo magis gloriam fugiebat, eo magis eum gloria sequebatur". E t ita contingit in eleemosynis spiritualibus. — E t tarnen intentio bonorum spiritualium non minuit meritum, sicut intentio bonorum corporalium. A D T E R T I U M dicendum quod meritum dantis eleemosynam attenditur secundum illud in quo debet rationabiliter requiescere voluntas aeeipientis; non in eo in quo requiescit si sit inordinata.

266

32,4

4. A R T I K E L Haben die leiblichen Almosen eine geistige

Wirkung?

1. Die Wirkung ist nicht besser als die Ursache. Die geistigen Güter aber sind besser als die leiblichen. Also haben die leiblichen Almosen keine geistigen Wirkungen. 2. Das Leibliche für das Geistige geben bedeutet das Laster des Pfründenkaufes [91], Dieses Laster aber ist unter allen Umständen zu meiden. Also darf man nicht leibliche Almosen geben, um geistige Wirkungen zu erzielen. 3. Wird die Ursache vervielfacht, so auch die Wirkung. Wenn also das leibliche Almosen eine geistige Wirkung hätte, würde folgen, daß das größere [leibliche] Almosen einen größeren geistigen Fortschritt bedingen würde. Das aber ist gegen das, was wir bei Lk 21, 2 f. von der Witwe lesen, die zwei Pfennige in den Opferkasten warf und die doch, nach dem Urteil des Herrn, „mehr gab als alle anderen". Also hat das leibliche Almosen keine geistigen Wirkungen. ANDERSEITS heißt es Sir 17, 22: „Das Almosen eines Menschen ist wie ein Siegelring bei Ihm und die Milde des Menschen wird E r hüten wie den Augapfel" [92]. ANTWORT: Das leibliche Almosen kann d r e i f a c h beQ U A E S T I O 32,.

ARTICULUS IV Utrum eleemosynae corporales habeant effectum spiritualem AD QUARTUM sie proceditur. Videtur quod eleemosynae corporales non habeant effectum spiritualem. Effectus enim non est potior sua causa [cf. 2 Anal. post. 16]. Sed bona spiri- * 98 b 17 tualia sunt potiora eorporalibus. Non ergo eleemosynae corporales habent spirituales effectus. 2. P R A E T E R E A , dare corporate pro spirituali vitium simoniae est. Sed hoc vitium omnino est vitandum. Non ergo sunt dandae eleemosynae ad consequendum spirituales effectus. 3. P R A E T E R E A , multiplicata causa, multiplicatur effectus. Si igitur eleemosyna corporalis causaret spiritualem effectum, sequeretur quod major eleemosyna magis spiritualiter proficeret. Quod est contra illud quod legitur Luc. 21 de vidua mittente dúo aera minuta in gazophylacium, quae, secundum sententiam Domini, „plus ómnibus misit". Non ergo eleemosyna corporalis habet spiritualem effectum. S E D CONTRA est quod dicitur Eccli. 17: „Eleemosyna viri gratiam hominis quasi pupillam conservabit." R E S P O N D E O dicendum quod eleemosyna corporalis tri18*

267

32, 4 trachtet werden. Einmal nach seinem Wesen. Und danach hat es nur eine leibliche Wirkung, sofern es nämlich die leiblichen Mängel des Nächsten aufhebt. — In anderer Weise kann es betrachtet werden von Seiten seiner Ursache, sofern einer das leibliche Almosen gibt um der Liebe Gottes und des Nächsten willen. Und insofern bringt es eine geistige Frucht; nach Sir 29, 13 f.: „Verliere lieber dein Geld um deines Bruders willen... Sammle dir einen Schatz nach den Geboten des Allerhöchsten. Das wird dir mehr nützen als Gold." — D r i t t e n s von Seiten der Wirkung. Und auch so hat es eine geistige Frucht, sofern der Nächste, dem das leibliche Almosen eine Hilfe bedeutet, angeregt wird, für den Wohltäter zu beten. Deshalb wird dort (V. 15) hinzugefügt: „Hinterlege dein Almosen im Herzen des Armen, es [sie!] wird für dich erflehen, daß dir nichts Böses widerf ä h r t " [93], Z u 1. Jene Überlegung geht vom leiblichen Almosen, nach seinem Wesen betrachtet, aus. Zu 2. Wer Almosen gibt, der hat nicht die Absicht, etwas Geistiges für ein Leibliches zu kaufen, weil er weiß, daß die geistigen Güter die leiblichen ins Unendliche übersteigen; sondern er beabsichtigt, durch das Verlangen der Liebe eine geistige Frucht zu verdienen. Q U A E S T I O 32,,

pliciter potest considerari. Uno modo, secundum suam substantiam. Et secundum hoc non habet nisi corporalem effectum. inquantum scilicet supplet corporales defectus proximorum. — Alio modo potest considerari ex parte causae ejus; inquantum scilicet aliquis eleemosynam corporalem dat propter dilectionem Dei et proximi. Et quantum ad hoc affert fruetum spiritualem; secundum illud Eccli. 29: „Perde pecuniam propter fratrem. Pone thesaurum in praeeeptis Altissimi, et proderit tibi magis quam aurum." — Tertio modo, ex parte effectus. Et sie etiam habet spiritualem fruetum; inquantum scilicet proximus, cui per corporalem eleemosynam subvenitur, movetur ad orandum pro benefactore. Unde et ibidem subditur: „Conclude eleemosynam in sinu pauperis, et haec pro te exorabit ab omni malo." A D PRIMUM ergo dicendum quod ratio illa procedit de corporali eleemosyna secundum suam substantiam. A D SECUNDUM dicendum quod ille qui dat eleemosynam non intendit aliquid emere spirituale per corporale, quia seit, spiritualia in infinitum corporalibus praeeminere; sed intendit per caritatis affectum 1 spiritualem fruetum promereri. 1

P : effectum.

268

Zu 3. Die Witwe, die zwar der Menge nach weniger gab, 32, 5 gab im Verhältnis doch viel mehr; woraus man bei ihr auf ein größeres Verlangen der Liebe schließen muß, aus dem das leibliche Almosen seine geistige Wirksamkeit hat. 5. A R T I K E L Fällt das Almosengeben unter das Gebot ? 1. Die Räte werden von den Geboten unterschieden. Almosengeben aber ist ein R a t ; nach Dn 4, 24: „Mein Rat möge dem König gefallen: löse dich durch Almosen von deinen Sünden." Also fällt Almosengeben nicht unter das Gebot. 2. Einem jeden ist es erlaubt, seine Sachen zu gebrauchen und sie zurückzuhalten. Wenn aber einer seine Sache zurückhält, wird er nie Almosen geben. Also ist es erlaubt, kein Almosen zu geben. Also fällt Almosengeben nicht unter das Gebot. 3. Alles, was unter das Gebot fällt, verpflichtet die Übertreter zu irgendeiner Zeit unter schwerer Sünde; denn die

AD T E R T I U M dicendum quod vidua, quae minus dedit secundum quantitatem, plus dedit secundum suam proportionem ; ex quo pensatur in ipsa major caritatis affect us, 1 ex quo corporalis eleemmosyna spiritualem efficaciam habet. Q U A E S T I O 32,

s

ARTICULUS

V

U t r u m d a r e e l e e m o s y n a m s i t in p r a e c e p t o I Infra 33,2 ad 2; 66,7; 71,1; 87,1 ad 4; 118,4 ad 2; 4 d 15: 2,1 qa 4; 3 qa 2 ad 1; Qlb 6 a. 12 ad 1.2; 8 a. 12]

AD Q U I N T U M sic proceditur. Videtur quod dare eleemosynam non sit in praecepto. Consilia enim a praeceptis distinguuntur. Sed dare eleemosynam est consilium; secundum illud Dan. 4 : „Consilium meum regi placeat ; peccata tua eleemosynis redime." Ergo dare eleemosynam non est in praecepto. 2. P R A E T E R E A , cuilibet licet re sua uti et earn retinere. Sed retinendo rem suam aliquis eleemosynam nondabit. Ergo licitum est eleemosynam non dare. Non ergo dare eleemosynam est in praecepto. 3. P R A E T E R E A , omne quod cadit sub praecepto aliquo tempore obligat. transgressores ad peccatum mortale ; quia prae1

P : effectus.

269

32,5 Tat fordernden Gebote 1 verpflichten für bestimmte Zeit. Wenn also Almosengeben unter ein Gebot fallen würde, müßte man einen Zeitpunkt bestimmen können, zu welchem der Mensch eine Todsünde begehen würde, wenn er kein Almosen gäbe. Das aber scheint nicht zu stimmen; denn man kann immer mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daß dem Armen in anderer Weise geholfen werden kann; und daß das, was als Almosen fortzugeben wäre, ihm [dem Geber] einmal notwendig sein könnte, sei es jetzt, sei es später. Also scheint es, daß Almosengeben nicht unter ein Gebot fällt. 4. Alle Gebote werden zurückgeführt auf die Zehn Gebote. Aber unter diesen Zehn Geboten findet sich nichts über das Almosengeben. Also fällt das Almosengeben nicht unter das Gebot. ANDERSEITS wird keiner mit der ewigen Strafe bestraft für die Unterlassung einer Handlung, die nicht unter das Gebot fällt. Manche aber werden mit der ewigen Strafe bestraft, wegen der Unterlassung des Almosengebens, wie das erhellt aus Mt 25, 41 ff. Also fällt Almosengeben unter das Gebot. ANTWORT: Da die Nächstenliebe unter das Gebot fällt, fällt notwendig all das unter das Gebot, ohne das die Nächstenliebe nicht gewahrt bleibt. Zur Nächstenliebe aber gehört, daß wir dem Nächsten nicht nur Gutes wünschen, sonQ U A E S T I O 32,»

cepta affirmativa obligant pro tempore determinato. Si ergo dare eleemosynam caderet sub praecepto, esset determinare aliquod tempus in quo homo peccaret mortaliter nisi eleemosynam daret. Sed hoc non videtur: quia Semper probabiliter aestimari potest quod pauperi aliter subveniri possit; et quod illud quod est in eleemosynas erogandum possit ei esse necessarium vel in praesenti vel in futuro. Ergo videtur quod dare eleemosynam non sit in praecepto. 4. PRAETEREA, omnia praecepta reducuntur ad praecepta decalogi. Sed inter illa praecepta nihil continetur de datione eleemosynarum. Ergo dare eleemosynas non est in praecepto. SED CONTRA, nullus punitur poena aeterna pro omissione alicujus quod non cadit sub praecepto. Sed aliqui puniuntur poena aeterna pro omissione eleemosynarum; ut patet Matth. 25. Ergo dare eleemosynam est in praecepto. RESPONDEO dicendum quod cum dilectio proximi sit in praecepto, necesse est omnia illa cadere sub praecepto sine quibus dilectio proximi non conservatur. Ad dilectionem autem proximi pertinet ut proximo non solum velimus bonum, sed etiam 1

Vgl. Komm. S. 485.

270

dern auch tun; nach 1 J o 3, 18: „Laßt uns nicht lieben in 32, s Worten und mit der Zunge allein, sondern mit Werk und Wahrheit." Dazu aber, daß wir das Gut des anderen wünschen u n d w i r k e n , ist erforderlich, daß wir ihm in der Not zu Hilfe kommen; das geschieht durch die Darreichung von Almosen. Also fällt die Darreichung von Almosen unter das Gebot. Weil aber die Gebote für die Akte der Tugenden gegeben werden, fällt das Almosengeben nur in der Weise unter das Gebot, wie auch der Akt notwendig zur Tugend gehört, nämlich: soweit es die rechte Vernunft erfordert [vgl. 31, 3 Zu 1 u. 3]. Danach ist etwas zu bedenken von Seiten des Gebenden und etwas von Seiten dessen, dem das Almosen zu geben ist. Von Seiten des Gebenden ist zu beachten, daß das, was als Almosen aufgewandt wird, zu seinem Überfluß gehört; nach Lk 11, 41: „Von dem, was euch übrig ist, gebt Almosen." Ich spreche von ,Uberfluß' nicht nur in bezug auf ihn selbst, was über dem liegt, was der einzelne für sich notwendig hat, sondern auch mit Rücksicht auf die anderen, für die er zu sorgen hat; denn zuerst muß ein jeder für sich selbst sorgen und für die, die seiner Sorge anvertraut sind (in bezug darauf spricht man von dem .Notwendigen der Person', sofern ,Person' Würde besagt), und nachher soll

Q U A E S T I O 32,,

operemur; secundum illud 1 Joan. 3: „Non diligamus verbo neque lingua, sed opere et ventate." Ad hoc autem quod velimus et operemur bonum alicujus requiritur quod ejus necessitati subveniamus, quod fit per eleemosynarum largitionem. Et ideo eleemosynarum largitio est in praecepto. Sed quia praecepta dantur de actibus virtutum, necesse est quod hoc modo donum eleemosynae cadat sub praecepto, secundum quod actus est de necessitate virtutis, scilicet secundum quod recta ratio requirit. Secundum quam est aliquid considerandum ex parte dantis; et aliquid ex parte ejus cui est eleemosyna danda. E x parte quidem dantis considerandum est ut id quod est in eleemosynas erogandum sit ei superfluum; secundum illud Lue. 11: „Quod superest date eleemosynam." Et dico superfluum non solum respectu sui ipsius, quod est supra illud quod est necessarium individuo ; sed etiam respectu aliorum quorum cura sibi incumbit; quia prius oportet quod unusquisque sibi provideat et his quorum cura ei incumbit (respectu quorum dicitur necessarium personae secundum quod ,persona' dignitatem importât), et postea de residuo aliorum 271

32, 5 er mit dem, was noch übrig ist, den Nöten des anderen aufhelfen. So nimmt auch die Natur mit Hilfe der Ernährungskraft zunächst für sich zur Erhaltung des eigenen Leibes, was sie notwendig h a t ; den Überfluß aber wendet sie durch die Zeugungskraft auf die Erzeugung des anderen. 1 Von Seiten des Empfangenden aber ist erfordert, daß er [das Almosen] nötig hat; sonst wäre kein Grund da, ihm ein Almosen zu geben. Weil es aber nicht möglich ist, daß ein einziger allen Notleidenden hilft, so verpflichtet auch nicht jede Not im Sinne des Gebotes, sondern nur jene, ohne deren Behebung der Notleidende nicht erhalten werden kann. In diesem Falle nämlich gilt, was Ambrosius sagt: „Speise den, der vor Hunger stirbt. Tust du es nicht, so hast du ihn getötet." Demnach fällt also Almosengeben vom Überfluß unter das Gebot; ebenso Almosengeben dem, der in äußerster Not ist. Sonst aber fällt Almosengeben unter den Rat, wie es über jedes höhere Gut einen Rat gibt. Zu 1. Daniel sprach zu einem König, der dem göttlichen Gesetz [des AT] nicht unterstand. Deshalb war auch das, was zum Gebot des Gesetzes gehörte, zu dem er sich nicht Q U A E S T I O 32,

• 725 a l i

s

necessitatibus subveniatur. Sicut et natura primo accipit sibi, 2 ad sustentationem proprii corporis, quod est necessarium ministerio virtutis nutritivae; superfluum autem erogat ad generationem alterius per virtutem generativam [cf. 1 de Gener. Animal. 18]. E x parte autem recipientis requiritur quod necessitatem habeat; alioquin non esset ratio quare ei eleemosyna daretur. Sed cum non possit ab aliquo uno ómnibus necessitatem habentibus subveniri, non omnis necessitas obligat ad praeceptum, sed illa sola sine qua is qui necessitatem patitur sustentari non potest. In illo enim casu locum habet quod Ambrosius 3 dicit: „Pasee fame morientem. Si non paveris, occidisti." Sic igitur dare eleemosynam de superfluo est in praeeepto; et dare eleemosynam ei qui est in extrema necessitate. Alias autem eleemosynam dare est in consilio, sicut et de quolibet meliori bono dantur consilia. A D PRIMUM ergo dicendum quod Daniel loquebatur regi qui non erat legi Dei subjectus. Et ideo ea etiam quae pertinent ad praeceptum legis, quam non profitebatur, erant ei proponenda 1 2

Vgl. I 119, 2 mit Anm. [95]: Bd. 8. P : eibum. " Sermones, serm. 81 (al. 64), Dom. 8 p. Pent., ad Luc. 12, 18 (PL 17/613 sq.); of. Gratian., Decret. I 86, can. 21 P¡(sce (Frdb 1/302).

272

bekannte, ihm in der Weise des Rates vorzulegen. Oder man 32,5 kann sagen, er sprach für den Fall, für welchen das Almosengeben nicht unter das Gebot fällt. Z u 2. Die zeitlichen Güter, die dem Menschen von Gott gegeben werden, gehören ihm zwar, was das EigentumsrecÄi angeht; was aber den Gebrauch angeht, so dürfen sie nicht ihm allein gehören, sondern auch den anderen, die aus ihrem Überfluß unterstützt werden können. Deshalb sagt Basilius: „Wenn du bekennst, daß sie (nämlich die zeitlichen Güter) dir von Gott kommen — ist Gott vielleicht ungerecht, daß Er die Lebensgüter an uns so ungleich verteilt ? Warum bist du dann reich, jener aber bettelarm? Jedenfalls nur deshalb, damit du für deine gute und treue Verwaltung einen Lohn erhältst, jener aber mit den herrlichen Siegespreisen der Geduld geschmückt werde! Dem Hungrigen gehört das Brot, das du zurückhältst; dem Nackten das Kleid, das du im Schranke verwahrst; dem Barfüßigen der Schuh, der bei dir verfault; dem Bedürftigen das Silber, das du vergraben hast. Du tust also ebenso vielen Unrecht, als du hättest geben können." Dasselbe sagt Ambrosius. Zu 3. Es läßt sich sehr wohl ein Zeitpunkt angeben, in dem derjenige schwer sündigt, der es versäumt, Almosen zu geben; und zwar von Seiten des Empfangenden, wenn die auQ U A E S T I O 32, t

per modum consilii. — Vel potest dici quod loquebatur in casu illo quo dare eleemosynam non est in praecepto. A D SECUNDUM dicendum quod bona temporalia, quae homini divinitus conferuntur, ejus quidem sunt quantum ad proprietatem; sed quantum ad usum non solum debent esse ejus, sed etiam aliorum, qui ex eis sustentari possunt ex eo quod ei superfluit. Unde Basilius dicit i1 „Si fateris ea tibi divinitus provenisse (scilicet temporalia bona), an injustus est Deus inaequaliter res nobis distribuens? Cur tu abundas, ille vero mendicat, nisi ut tu bonae dispensationis merita consequaris, ille vero patientiae braviis decoretur? Est panis famelici quem tu tenes, nudi tunica quam in conclavi conservas, discalceati calceus qui penes te marcescit, indigentis argentum quod possides inhumatum. Quocirca tot injuriaris quot dare valeres." Et hoc idem dicit Ambrosius,2 in Decretis, dist. 47. A D T E R T I U M dicendum quod est aliquod tempus dare in quo mortaliter peccat si eleemosynam dare ommittat, ex parte quidem recipientis, cum apparet evidens et urgens necessitas, 1 Horn. (6) in Luc. 12,18 (PG 31 /276 C). * Sermones, 1. c.; desumitur e Basilio, In Luc., hom. 3 ad 12, 16 interprete Rufino ( P G 31/1752 B); habetur apud Gratian., Decret. I 47, can. 8 Sicut ii (Frdb 1/171).

273

32, 5 genscheinliche und dringende Not offenbar wird und keiner zur Hand ist, der ihm sonst helfen könnte; von Seiten des Gebenden, wenn er überflüssige Güter hat, die er nach dem augenblicklichen Stande nicht nötig hat, soweit das mit Wahrscheinlichkeit zu beurteilen ist. Auch ist es nicht nötig, daß er an alle Zufälligkeiten denkt, die in Zukunft eintreten können; denn das hieße „auf morgen denken", was der Herr Mt 6, 34 verbietet [vgl. 188, 7 Zu 2: Bd. 24], Sondern er muß Überfluß und Notwendigkeit beurteilen nach dem, was wahrscheinlich und in der Mehrzahl der Fälle eintrifft. Zu 4. Alle Unterstützung des Nächsten wird zurückgeführt auf das Gebot der Elternehrung. So legt es auch der Apostel aus, wenn er 1 Tim 4, 8 sagt: „Die Frömmigkeit [Ergebenheit] ist zu allem nütze; sie hat die Verheißung des jetzigen und des zukünftigen Lebens." Das sagt er, weil im Gebot der Elternehrung die Verheißung beigefügt ist: „Damit du lange lebest auf Erden" [Ex 20, 12; Eph 6, 2 f.]. Unter ,Frömmigkeit' [=Ergebenheit] aber ist jede Darreichung von Almosen einbegriffen [vgl. 101, 1. 2: Bd. 20], Q T J A E S T I O 32, 5

nee apparet in promptu qui ei subveniat; ex parte vero dantis, cum habet superflua quae secundum statum praesentem non sunt sibi necessaria, prout probabiliter aestimari potest. Nec oportet quod consideret ad omnes casus qui posaunt contingere in futurum; hoc enim esset „de crastino cogitare", quod Dominus prohibet, Matth. 6. Sed debet dijudicari superfluum et necessarium secundum ea quae probabiliter et ut in pluribus occurrunt. A D QUARTUM dicendum quod omnis subventio proximi reducitur ad praeceptum de honoratione parentum. Sic enim et Apostolus interpretatur, 1 ad Tim. 4, dicens: „Pietas ad omnia utilis est, promissionem habens vitae quae nunc est et futurae"; quod dicit quia in praecepto de honoratione parentum additur promissio, „ut sis longaevus super terram". Sub pietate autem comprehenditur omnis eleemosynarum largitio.

274

6. A R T I K E L

32,6

Muß man Almosen geben vom Notwendigen? 1. Die Ordnung der Gottesliebe gilt nicht weniger für die Wirkung der Wohltat als für das innere Verlangen. Es sündigt aber, wer in der Ordnung der Gottesliebe verkehrt handelt; denn die Ordnung der Gottesliebe fällt unter das Gebot. Da man nun auf Grund der Ordnung der Gottesliebe sich selbst mehr lieben muß als den Nächsten, scheint es, daß man sündigt, wenn man sich das Notwendige abzieht, um es anderen zu geben. 2. Wer von dem spendet, was er nötig hat, vergeudet das eigene Vermögen; das gehört aber zum Verschwender (Aristoteles).1 Man darf aber niemals eine Fehlhandlung begehen. Also darf man vom Notwendigen kein Almosen geben. 3. Der Apostel sagt 1 Tim 5, 8: „Wer aber nicht für die Seinigen sorgt, namentlich für die Hausgenossen, der hat den Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Ungläubiger." Wer aber von dem gibt, was ihm und den Seinen notwendig ist, scheint die Sorge, die er für sich und Q U A E S T I O 32,,

ARTICULUS

VI

U t r u m aliquis debeat dare eleemosynam de n e c e s s a r i o [Infra a. 10; 117, 1 ad 2; 4 d 15: 2,4 qa 1]

AD S E X T U M sie proceditur. Videtur quod aliquis non debeat eleemosynam dare de necessario. Ordo enim caritatis non minus attenditur penes effectum beneficii quam penes interiorem affectum. Peccat autem qui praepostere agit in ordine caritatis; quia ordo caritatis est in praeeepto. Cum ergo ex ordine caritatis plus debeat aliquis se diligere quam proximum videtur quod peccet si subtrahat sibi necessaria ut alteri largiatur. 2. P R A E T E R E A , quicumque largitur de his quae sunt necessaria sibi est propriae substantiae dissipator; quod pertinet ad prodigum, ut patet per Philosophum, in 4 Ethicorum [c. 3]. 1121 a 17 Sed nullum opus vitiosum est faciendum. Ergo non est danda eleemosyna de necessario. 3. P R A E T E R E A , Apostolus dicit, 1 ad Tim. 5 : „Si quis suorum, et maxime domesticorum curam non habet, fidem negavit et est infideli deterior." Sed quod aliquis det de his quae sunt sibi necessaria vel suis videtur derogare curae quam quis 1

Vgl. In Eth 4 lect. 4, nr. 686.

275

32,6 die Seinen aufbringen muß, zu vernachlässigen. Also scheint der, der vom Notwendigen Almosen gibt, schwer zu sündigen. ANDERSEITS sagt der Herr Mt 19, 21: „Willst du vollkommen sein, gehe hin, verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen." ANTWORT: .Notwendig' heißt etwas in d o p p e l t e r Hinsicht. Einmal, ohne das etwas nicht sein kann. Und von diesem Notwendigen darf man unter keinen Umständen Almosen geben; z. B. wenn einer sich in augenblicklicher Not befinden würde und nur noch das hätte, was er für sich und seine Kinder und andere, die zu ihm gehören, braucht, um über Wasser zu bleiben; von diesem Notwendigen noch Almosen geben heißt soviel, wie sich und den Seinen das Leben nehmen. — Das sage ich aber mit Vorbehalt: den Fall nämlich ausgenommen, wo jemand mit eigenem schwerem Schaden einer hohen Persönlichkeit geben würde, durch welche Kirche oder Staat in ihrem Bestände erhalten würden; denn für die Befreiung einer solchen Persönlichkeit wäre es sogar lobenswert, wenn er sich und die Seinen der Gefahr des Todes aussetzen würde, da das Gemeinwohl den Vorrang hat vor dem eigenen. 1 In anderer Weise heißt etwas ,notwendig', ohne das Q U A E S T I O 32,,

debet habere de se et de suis. Ergo videtur quod quicumque de necessariis eleemosynam dat, graviter peccet. SED CONTRA est quod Dominus dicit, Matth. 19: „Si vis perfectus esse, vade et vende omnia quae habes, et da pauperibus." Sed ille qui dat omnia pauperibus quae habet non solum dat superflua sed etiam necessaria. Ergo de necessariis potest homo eleemosynam dare. RESPONDEO dicendum quod necessarium dupliciter dicitur. * 1015 a 20 Uno modo, sine quo aliquid esse non potest [cf. 5 Metaph. 5]. Et de tali necessario omnino eleemosyna dari non debet; puta si aliquis in articulo necessitatis constitutus haberet solum unde posset sustentari, et filii sui vel alii ad eum pertinentes; de hoc enim necessario eleemosynam dare est sibi et suis vitam subtrahere. — Sed hoc dico nisi forte talis casus immineret ubi, subtrahendo sibi, daret alicui magnae personae, per quam Ecclesia vel respublica sustentarentur; quia pro talis personae liberatione seipsum et suos laudabiliter periculo mortis exponeret, * 1094 b 8 cum bonum commune sit proprio praeferendum [cf. 1 Eth. 1], Alio modo dicitur aliquid esse necessarium sine quo non 1

Vgl. 31, 3 Zu 2; Komm S. 522.

276

das Leben nicht entsprechend der Verfassung oder dem 32,0 Stande der eigenen und der anderen Personen, deren Sorge ihm obliegt, geführt werden kann. Die Grenze dieses Notwendigen läßt sich nicht genau festlegen; sondern wenn auch viel hinzugefügt wird, läßt es sich nicht [mit Sicherheit] entscheiden, daß es das Notwendige überschreitet; und soviel auch weggenommen wird, es bleibt immer noch so viel, daß der einzelne sein Leben seinem Stande entsprechend führen kann. Von diesem [Notwendigen] Almosen geben ist gut, fällt aber nicht unter das Gebot, sondern unter den Rat. Es wäre aber Unordnung, wenn einer so viel von den eigenen Gütern wegnehmen wollte, um es anderen zu geben, daß er von dem Rest nicht mehr das seinem Stande und seinen Aufgaben entsprechende Leben führen könnte; denn keiner ist gehalten, unter seinem Stande zu leben. Doch gibt es da d r e i A u s n a h m e n . Die erste ist dann gegeben, wenn einer seinen Stand ändert, indem er in einen Orden eintritt. In diesem Falle nämlich gibt er alles hin um Christi willen und tut damit ein vollkommenes Werk, indem er einen anderen Stand wählt. — Die zweite Ausnahme ist dann gegeben, wenn einer sich zwar das zum standesmäßigen Leben Notwendige entzieht, es aber leicht wieder ersetzen kann, so daß ein größerer Nachteil vermieden wird. — Die dritte Ausnahme ist dann gegeben, wenn Q U A E S T I O 32,. potest convenienter v i t a transigi [cf. 5 Metaph. 5] secundum * 1015 a 22 conditionem vel s t a t u m personae propriae et aliarum personarum quarum cura ei incumbit. Hujus necessarii terminus non est in indivisibili constitutus; sed multis additis, non potest dijudicari esse ultra tale necessarium; et multis subtractis, adhuc remanet unde possit convenienter aliquis v i t a m transigere secundum proprium s t a t u m . De hujusmodi ergo eleemosynam dare est b o n u m ; et non cadit sub praecepto, sed sub consilio. Inordinatum a u t e m esset si aliquis t a n t u m sibi de bonis propriis subtraheret ut aliis largiretur, quod de residuo non posset v i t a m transigere convenienter secundum proprium s t a t u m et negotia occurentia; nullus enim inconvenienter vivere debet. Sed ab hoc tria sunt excipienda. Quorum primum est quando aliquis s t a t u m m u t a t , p u t a per religionis ingressum. T u n c enim, omnia sua propter Christum largiens, opus perfectionis facit, se in alio s t a t u ponendo. — Secundo, quando ea quae sibi subtrahit, etsi sint necessaria ad convenientiam vitae, tarnen de facili resarciri possunt, ut non sequatur m a x i m u m ineonveniens. — Tertio, quando occurreret e x t r e m a necessitas alicujus privatae

277

7 eine Einzelperson oder auch der Staat in äußerste Not geraten würde. In diesem Falle würde einer lobenswert handeln, wenn er auf das verzichtet, was zur Würde seines Standes zu gehören scheint, um der größeren Not abzuhelfen. Damit ergibt sich leicht die Lösung der Einwände. 7. A R T I K E L Kann man Almosen geben von dem. was man erworben hat?

unrechtmäßig

1. Lk 16, 9 heißt es: „Machet euch Freunde vom ungerechten Mammon." .Mammon' aber bezeichnet den Reichtum. Also kann sich einer von dem unrechtmäßig erworbenen Reichtum geistige Freunde machen, indem er Almosen gibt. 2. Aller schimpfliche Gewinn scheint unerlaubterweise erworben. Schimpflicher Gewinn aber ist das, was von einer Dirne erworben wird; deshalb darf man davon Gott auch keine Opfer oder keine Gaben darbringen; nach Dt 23, 18: „Du sollst keinen Buhllohn im Hause deines Gottes darbringen." Ebenso wird schimpflich erworben, was durch Q U A E S T I O 32,,

personae, vel etiam aliqua magna necessitas reipublicae. I n his enim casibus laudabiliter aliquis praemitteret illud quod ad decentiam sui status pertinere videretur, ut majori necessitati subveniret. E t per hoc patet de facili responsio AD OBJECTA. ARTICULUS VII U t r u m possit fieri eleemosyna de i n j u s t e acquisitis ISupra 31,3 ad 3; 4 d 15: 2,4 qa 2.3; Qlb 12 a. 29]

AD SEPTIMUM sie proceditur. Videtur quod possit eleemosyna fieri de illicite acquisitis. Dicitur enim Luc. 16: „Facite vobis amicos de mammona iniquitatis." ,Mammona' autem significat divitias. Ergo de divitiis inique acquisitis potest sibi aliquis spirituales amicos facere, eleemosynas largiendo. 2. P R A E T E R E A , omne turpe hierum videtur esse illicite acquisitum. Sed turpe lucrum est quod de meretricio acquiritur; unde et de hujusmodi sacrificium vel oblatio Deo offerri non debet, secundum illud Deut. 23: „Non offeres mercedem prostibuli in domo Dei tui." Similiter etiam turpiter acquiritur

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Würfelspiel erworben wird; denn, wie der Philosoph sagt, 32, 7 „solches [Geld] wird von den Freunden gewonnen, denen man doch geben sollte". Auf die schändlichste Art aber wird etwas durch Pfründenkauf erworben, 1 wodurch man dem Heiligen Geiste Unrecht tut. Und doch darf man davon Almosen geben. Also kann man von dem, was auf unrechte Weise erworben wurde, Almosen geben. 3. Die größeren Übel sind mehr zu meiden als die kleineren. Die Zurückhaltung einer fremden Sache aber ist eine geringere Sünde als Mord, den einer begeht, wenn er dem anderen nicht in äußerster Not zu Hilfe kommt; wie das erhellt aus dem Worte des hl. Ambrosius: „Speise den, der vor Hunger stirbt; tust du es nicht, so hast du ihn getötet" [vgl. 32, 5]. Also kann man in einem bestimmten Falle Almosen geben von dem, was auf unrechte Weise erworben wurde. ANDERSEITS sagt Augustinus: „Gebt Almosen von den gerechten Arbeiten. Denn ihr werdet Christus, euren Richter, nicht bestechen, daß Er euch nicht verhört mit den Armen, denen ihr [die Habe] weggenommen habt. Laßt doch das Almosengeben von Zins und Wucher. Ich spreche zu den Gläubigen, denen wir den Leib Christi reichen." Q C A E S T I O 32,,

quod acquiritur per aleas; quia, ut Philosophus dicit, 4 Ethicorum [c. 3], „tales ab amicis lucrantur, quibus oportet dare". 1122 a 10 Turpissime etiam acquiritur aliquid per simoniam, per quam aliquis Spiritui Sancto injuriam facit. Et tarnen de hujusmodi eleemosyna fieri potest. Ergo de male acquisitis potest aliquis eleemosynam facere. 3. PRAETEREA, majora mala sunt magis vitanda quam minora. Sed minus peccatum est detentio rei alienae quam homicidium, quod aliquis incurrit nisi alicui in ultima necessitate subveniat; ut patet per Ambrosium, qui dicit: 2 „Pasee fame morientem; quoniam si non paveris, occidisti." Ergo aliquis potest eleemosynam facere in aliquo casu de male acquisitis. SED CONTRA est quod Augustinus dicit, in libro de Verbis Domini [serm. 113, 2]: „De justis laboribus facite eleemo- PL synas. Non enim corrupturi estis judicem Christum, ut non vos 3 8 ' 8 4 9 A audiat cum pauperibus, quibus tollitis. Nolite velle eleemosynas facere de foenore et usuris. Fidelibus dico, quibus Corpus Christi erogamus." 1 !

Vgl. Anm. [91]. Sermones, serm. 81 (al. 64), Dom. 8 p. Pent., ad Luc. 12, 18 (PL 17/613 sq.); cf. Grat.ian. Decret. I 86, can. 21 Pasee (Frdb 1/302).

279

32, 7

ANTWORT: In dreifacher Weise kann etwas unrechtmäßig erworben sein. E i n m a l ist das, was unerlaubterweise von jemandem erworben wird, dem geschuldet, von dem es erworben wurde; noch kann es von dem, der es erworben hat, zurückbehalten werden; wie das der Fall ist bei Raub, Diebstahl und Wucher. Von diesen Dingen kann man kein Almosen geben, da der Mensch zur Zurückerstattung verpflichtet ist. In a n d e r e r Weise ist etwas unrechtmäßig erworben, weil der, der es erworben hat, es nicht behalten kann, und doch gehört es auch dem nicht, von dem es erworben wurde, weil dieser es zu Unrecht empfangen, der andere es zu Unrecht gegeben hat. Das ist der Fall beim Pfründenkauf, bei dem sowohl der Geber wie der Empfänger gegen die Gerechtigkeit des göttlichen Gesetzes handeln. Deshalb darf die Zurückerstattung nicht an den erfolgen, der es gegeben hat, sondern es muß in Almosen verwandelt werden. Dasselbe gilt in ähnlichen Fällen, bei denen Geben und Empfangen gleicherweise gegen das Gesetz ist. In einer d r i t t e n Weise ist etwas unrechtmäßig erworben, nicht weil die Erwerbung selbst unerlaubt wäre, sondern weil das, woraus es erworben wird, unerlaubt ist, wie das offenbar ist bei dem, was ein Weib durch Buhlerei erwirbt. Und das wird im eigentlichen Sinne als , schimpflicher Erwerb' bezeichnet. Wenn nämlich ein Weib Buhlerei treibt, Q U A E S T 1 0 32, ;

R E S P O N D E O dicendum quod triplioiter potest esse aliquid illicite acquisitum. Uno enim modo illud quod illicite ab aliquo 11321)31 acquiritur debetur ei a quo est acquisitum [cf. 5 E t h . 8], nec potest ab eo retineri qui acquisivit; sicut contingit in rapina et furto et usuris. E t de talibus, cum homo teneatur ad restitutionem, eleemosyna fieri non potest. Alio vero modo est aliquid illicite acquisitum quia quidem ille qui acquisivit retinere non potest, nec tarnen debetur ei a quo acquisivit, quia scilicet contra justitiam accepit, et alter contra justitiam dedit; sicut contingit in simonia, in qua dans et accipiens contra justitiam legis divinae agit. Unde non debet fieri restitutio ei qui dedit, sed debet in eleemosynas erogari. E t eadem ratio est in similibus, in quibus scilicet et datio et acceptio est contra legem. Tertio modo est aliquid illicite acquisitum, non quidem quia ipsa acquisitio sit illicita, sed quia illud ex quo acquiritur est illicitum; sicut patet de eo quod mulier acquirit per meretricium. E t hoc proprie vocatur „turpe hierum". Quod enim

280

so handelt es schimpflich und gegen Gottes Gesetz; daß 32, 7 sie aber etwas dafür nimmt, darin handelt sie nicht unrechtmäßig und nicht gegen das Gesetz. Was demnach auf diese Weise unrechtmäßig erworben wurde, kann sie behalten und davon Almosen geben. Zu 1. Wie Augustinus sagt, „verstehen einige (dieses Wort des Herrn) falsch, rauben fremde Sachen und geben einiges davon den Armen und glauben zu tun, was geboten wurde. Diese Auffassung muß richtiggestellt werden"; vielmehr werden, wie derselbe Augustinus sagt, „alle Reichtümer ,ungerecht' genannt, weil sie nur den Gottlosen als Reichtümer gelten, die darauf ihre Hoffnung setzen". Oder nach Ambrosius: „Er [der Herr] nennt den Mammon ,ungerecht', weil er durch die mannigfachen Lockungen des Reichtums unser Herz verführt." — Oder weil „unter den vielen Vorgängern, denen du im Besitz des väterlichen Erbes folgst, vielleicht einer gefunden wird, der sich unrechtmäßig fremdes Gut angeeignet hat, ohne daß du davon Kenntnis hattest", wie Basilius sagt. — Oder: alle Reichtümerwerden als solche „der Ungerechtigkeit", d.h. der „Ungleichheit" bezeichnet [94], weil sie nicht gleichmäßig auf alle verteilt sind, so daß der eine Mangel leidet, während der andere Überfluß hat. Q U A E S T I O 32, ,

mulier meretriciuin exerceat, turpiter agit et contra legem Dei; sed in eo quod accipit, non injuste agit nec contra legem. Unde quod sie illicite acquisitum est retineri potest, et de eo eleemosyna fieri. AD PRIMUM ergo dicendum quod, sicut Augustinus dicit, in libro de Verbis Domini [1. c.], illud verbum Domini „quidam PL male intelligendo, rapiunt res alienas, et aliquid inde pauperibus 38/648 D largiuntur, et putant se facere quod praeeeptum est. Intellectus iste corrigendus est." Sed „omnes divitiae iniquitatis dicuntur", ut dicit in libro de Quaestionibus Evangelii [lib. 2, q. 34], PL „quia non sunt divitiae nisi iniquis, qui in eis spem constituunt". 35/134» b — Vel, secundum Ambrosium, 1 „iniquum mammona dixit quia variis divitiarum illecebris nostros tentat affectus". — Vel quia „in pluribus praedecessoribus, quibus patrimonio succedis, aliquis reperitur qui injuste usurpavit aliena, quamvis tu nescias"; ut Basilius 2 dicit. — Vel omnes divitiae dicuntur „iniquitatis", idest „inaequalitatis", quia non aequaliter sunt omnibus distributae, uno egente et alio superabundante. In Luc., lib. 7 ad 16, 9 ( P L 15/1764 B ) . Cf. Simeon Logotheta, De Avaritia, serm. 6. ex operibus Basilii excerptus (PG 32/1189 C). 1

2

281

7

Z u 2. Von dem, was durch Buhlerei erworben ist, wurde schon gesagt, inwiefern davon Almosen gegeben werden kann [vgl. Antw.]. Nicht aber kann davon ein Opfer oder eine Gabe auf dem Altare dargebracht werden, sowohl wegen des Ärgernisses wie auch wegen der Ehrfurcht vor den Heiligen. — Auch von dem, was durch Pfründenkauf erworben wurde, kann Almosen gegeben werden, weil es dem Geber nicht rechtmäßig gehört; im Gegenteil, er verdient, daß er es verliert. — In bezug auf das, was durch Würfelspiel erworben wurde, kann wohl etwas unterlaufen, was nach göttlichem Recht unerlaubt ist; nämlich daß einer denen etwas abgewinnt, die ihr Eigentum nicht veräußern können, wie die Unmündigen und die Tobsüchtigen und andere dergleichen; auch daß einer den anderen aus Habgier zum Spiel verleitet; und daß er von ihm gewinnt, indem er ihn [beim Spiel] betrügt. In diesen Fällen ist der Gewinner zur Zurückerstattung verpflichtet; deshalb kann man davon kein Almosen geben. Weiter scheint dabei etwas Unerlaubtes vorzuliegen auf Grund des bürgerlichen Rechtes, das ganz allgemein einen solchen Gewinn verbietet. Weil aber das bürgerliche Recht nicht alle verpflichtet, sondern nur jene, die diesen Gesetzen unterworfen sind, weil es überdies durch Nichtbeobachtung wieder abgeschafft werden kann, so gilt für die, die diesen

Q U A E S T I O 32,,

A D SECUNDUM dicendum quod de acquisito per meretricium jam dictum est qualiter eleemosyna fieri possit. Non autem fit de eo sacrificium vel oblatio ad altare, tum propter scandalum; tum propter sacrorum reverentiam. — De eo etiam quod est per simoniam acquisitum potest fieri eleemosyna; quia non est debitum ei qui dedit, sed meretur illud amittere. — Circa illa vero quae per aleas acquiruntur videtur esse aliquid illicitum ex jure divino; scilicet quod aliquis lucretur ab his qui rem suam alienare non possunt, sicut sunt minores et furiosi et hujusmodi; et quod aliquis trahat alium ex cupiditate lucrandi ad ludum; et quod fraudulenter ab eo lucretur. Et in his casibus tenetur ad restitutionem; et sie de eo non potest eleemosynam facere. Aliquid autem videtur esse ulterius illicitum ex jure positivo civili, quod prohibet universaliter tale lucrum. 1 Sed quia jus civile non obligat omnes, sed eos solos qui sunt his legibus subjecti; et iterum per dissuetudinem abrogari potest; ideo apud illos qui sunt his 1

Codex Justinianus, Hb. 3 tit. 43, De aleatoribus et alearum lusu.

282

Gesetzen unterworfen sind, allgemein, daß diejenigen, die 32, 7 einen solchen Gewinn machen, zur Zurückerstattung verpflichtet sind, wenn nicht ein gegenteiliges Gewohnheitsrecht vorgeht [94a], oder wenn nicht einer von dem gewonnen hat, der ihn zum Spiel verleitete. In diesem Falle wäre er nicht verpflichtet, zurückzuerstatten, weil der Verlierer nicht verdient hat, es zurückzuerhalten; und doch kann er es auch nicht erlaubterweise behalten, solange das gesatzte Recht 1 in Geltung ist; deshalb muß er in diesem Falle von dem Gewinn Almosen geben. Zu 3. Im Falle äußerster Not sind alle Dinge gemeinsam. Deshalb darf der, der solche Not leidet, von fremdem Gut zu seinem Unterhalt nehmen, wenn er keinen findet, der ihm freiwillig gibt. Aus demselben Grunde ist es erlaubt, etwas vom fremden Gut zu nehmen und davon Almosen zu geben, natürlich auch anzunehmen, wenn dem Notleidenden anders nicht geholfen werden kann. Wenn es allerdings ohne Gefahr geschehen kann, muß zunächst das Einverständnis des Besitzers eingeholt werden, und dann muß man für den Armen, der in äußerster Not ist, sorgen. QTJAESTIO 32,,

hujusmodi legibus obstricti, tenentur universaliter ad restitutionem qui lucrantur; nisi forte contraria consuetudo praevaleat; aut nisi aliquis lucratus sit ab eo qui traxit eum ad ludum. I n quo casu non teneretur restituere, quia ille qui amisit non est dignus recipere; nec potest licite retinere, tali jure positivo durante; unde debet de hoc eleemosynam facere in hoc casu. A D T E R T I U M dicendum quod in casu extremae necessitatis omnia sunt communia. U n d e licet ei qui talem necessit a t e m patitur accipere de alieno ad sui sustentationem, si non inveniat qui sibi dare velit. E t eadem ratione licet habere aliquid de alieno et de hoc eleemosynam dare; quinimmo et accipere, si aliter subveniri non possit necessitatem patienti. Si tarnen fiere potest sine periculo, debet requisita domini voluntate pauperi providere extremam necessitatem patienti. 1

Über den Begriff „gesatztes Recht" vgl. 57, 2 u. 60, 5: Bd. 18.

283

8.

8

Kann

ARTIKEL

der, der unter der Gewalt eines anderen steht, geben ?

Almosen

1. Die Ordensleute stehen unter der Gewalt derer, denen sie Gehorsam gelobt haben. Wenn es ihnen aber nicht erlaubt wäre, Almosen zu geben, hätten sie vom Ordensstande nur Schaden; denn, wie Ambrosius sagt, „die Summe der christlichen Religion liegt in der Hingabe", die sich vor allem im Almosengeben beweist. 1 Also können die, die unter der Gewalt eines anderen stehen, Almosen geben. 2. Die Gattin ist „unter der Gewalt des Mannes", wie es Gn 3, 16 heißt. Die Gattin aber kann Almosen geben, da sie in die Gesellschaft des Mannes aufgenommen ist; so wird von der hl. Lucia erzählt, daß sie ohne Wissen ihres Bräutigams Almosen gab. Dadurch also, daß einer unter der Gewalt eines anderen steht, ist er nicht gehindert, Almosen zu geben. 3. Eine natürliche Unterordnung ist die der Kinder unter Q U A E S T I O 32, ,

ARTICULUS

VIII

U t r u m ille qui est in p o t e s t a t e a l t e r i u s possit eleemosynam facere

constitutus

[4 d 15: 2,5; Qlb 3 a. 15]

AD OCTAVUM sie proceditur. Videtur quod ille qui est in potestate alterius constitutus possit eleemosynam facere. Religiosi enim sunt in potestate eorum quibus obedientiam voverunt. Sed si eis non liceret eleemosynam facere, damnum reportarent ex statu religionis; quia sicut Ambrosius 2 dicit, „summa christianae religionis in pietate consistit", quae maxime per eleemosynarum largitionem commendatur. Ergo illi qui sunt in potestate alterius constituti possunt eleemosynam facere. 2. P R A E T E R E A , uxor est „sub potestate viri", ut dicitur Gen. 3. Sed uxor potest facere eleemosynam, cum assumatur in viri societatem; unde et de beata Lucia dicitur 3 quod, ignorante sponso, eleemosynas faciebat. Ergo per hoc quod aliquis est in potestate alterius constitutus, non impeditur quin possit eleemosynas facere. 3. P R A E T E R E A , naturalis quaedam subjectio est filiorum ' Vgl. 30. 4 E. 2. 5 Ambrosiaster, In 1 Tim. 4, 8 (PL 17/474 B). Cf. Jacobus a Voragine, Legenda aurea 4, 1; Mombritius, Sanctuarium, Passio S. Luciae virg. et martyr. IT 107. 53. 3

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die Eltern; deshalb sagt der Apostel Eph 6, 1: „Ihr Kinder, 32,8 gehorchet euren Eltern im Herrn." Die Kinder aber können, wie es scheint, von den Sachen des Vaters Almosen geben; denn sie gehören ihnen gewissermaßen, weil sie die Erben sind; und da sie dieselben im Dienste ihres Leibes verwenden können, scheint es, daß sie dieselben um so mehr verwenden können als Heilmittel der Seele, indem sie Almosen geben. Also können die, die unter der Gewalt eines anderen stehen, Almosen geben. 4. Die Knechte stehen unter der Gewalt ihrer Herren; nach Tit 2 , 9 : „Die Sklaven sollen ihren Herren Untertan sein." Es ist ihnen aber erlaubt, etwas zum Nutzen ihres Herrn zu tun. Das geschieht dann am besten, wenn für sie [die Herren] Almosen gegeben wird. Also können die, die unter der Gewalt eines anderen stehen, Almosen geben. A N D E R S E I T S kann man nicht Almosen geben vom fremden Gut, sondern jeder muß aus dem, was er durch eigene gerechte Arbeit erworben hat, Almosen geben, wie Augustinus sagt. Wenn aber die Untergebenen Almosen geben würden, so geschähe das vom fremden Gut. Also können die, die unter der Gewalt anderer stehen, kein Almosen geben. ANTWORT: Wer unter der Gewalt eines anderen steht, muß als solcher durch die Gewalt des Oberen das Richtmaß QUAEST10 32,, ad parentes; unde Apostolus, ad Eph. 6, dicit: „Filii, obedite parentibus vestris in Domino." Sed filii, ut videtur, possunt de rebus patris eleemosynas dare; quia sunt quodammodo ipsorum, cum sint haeredes; et cum possint eis uti ad usum corporis, multo magis videtur quod possint eis uti, eleemosynas dando, ad remedium animae suae. Ergo illi qui sunt in potestate constituti possunt eleemosynas dare. 4. P R A E T E R E A , servi sunt sub potestate dominorum; secundum illud ad Tit. 2: „Servos dominis suis subditos esse." Licet autem eis aliquid in utilitatem domini facere: quod maxime fit si pro eis eleemosynas largiantur. Ergo illi qui sunt in potestate constituti possunt eleemosynas facere. SED CONTRA est quod eleemosynae non sunt faciendae de alieno, sed de justis laboribus propriis unusquisque eleemosynam facere debet; ut Augustinus dicit, in libro de Verbis Domini [serm. 113, 2]. Sed si subjecti aliis eleemosynam fa- PL cerent, hoc esset de alieno. Ergo illi qui sunt sub potestate 38/849 A aliorum non possunt eleemosynam facere. R E S P O N D E O dicendum quod ille qui est sub potestate alterius constitutus, inquantum hujusmodi, secundum supe-

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32,8 für sein Verhalten empfangen; denn das ist die natürliche Ordnung, daß die Untergebenen von den Höheren gelenkt werden. Es ist also notwendig, daß der Untergebene das, worin er den Oberen unterworfen ist, nicht anders verwendet, als wie ihm von seinen Oberen aufgetragen wurde. Demnach darf der, der unter der Gewalt eines anderen steht, von dem, worin er dem Oberen unterworfen ist, nur insoweit Almosen geben, als es ihm von seinem Oberen erlaubt wurde. — Wenn aber einer etwas besitzt, worin er der Gewalt des Oberen nicht untersteht, so ist er in bezug darauf seiner Gewalt nicht unterworfen, da er in bezug darauf eigenen Rechtes ist. Und davon kann er dann Almosen geben. Zu 1. Wenn dem Ordensmann von seinem Vorgesetzten die Verwaltung der Güter übertragen wurde, kann er von den Gütern des Klosters, soweit es ihm überlassen wurde, Almosen geben. Hat er aber die Verwaltung nicht, so kann er, weil er nichts als Eigentum besitzt, ohne ausdrückliche oder vernünftigerweise vorausgesetzte Erlaubnis des Abtes kein Almosen geben; als höchstens im Fall äußerster Not, wo es ihm sogar erlaubt wäre, zu ,stehlen', um Almosen geben zu können. Auch ist er dadurch nicht schlechter gestellt [als der Laie oder Weltpriester], weil, wie es im Buch ,Von den kirchlichen Dogmen' heißt, „es gut ist, das VerQ U A E S T 1 0 32, ,

rioris potestatem regulari debet; hic est enim ordo naturalis, * 1018 b 26 ut inferiora secundum superiora regulentur [cf. 5 Metaph. 11]. E t ideo oportet quod ea in quibus inferior superiori subjicitur, dispenset non aliter quam ei sit a superiore commissum. Sic igitur ille qui est sub potestate constitutus de re secundum quam superiori subjicitur eleemosynam facere non debet nisi quatenus ei a superiore fuerit permissum. — Si quis vero habeat aliquid secundum quod potestati superioris non subsit, jam secundum hoc non est potestati subjectus, quantum ad hoc proprii juris existens. E t de hoc potest eleemosynam facere. AD PRIMUM ergo dicendum quod monachus, si habet dispensationem a praelato commissam, potest facere eleemosynam de rebus monasterii, secundum quod sibi est commissum. Si vero non habet dispensationem, quia nihil proprium habet, tunc non potest facere eleemosynam sine licentia abbatis vel expresse habita vel probabiliter praesumpta; nisi forte in articulo extremae necessitatis, in quo licitum esset ei furari ut eleemosynam daret. Nec propter hoc efficitur pejoris conditionis; quia sicut dicitur in libro de Ecclesiasticis Dogma-

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mögen mit Erlaubnis den Armen auszuteilen; es ist aber 32, 8 besser — in der Absicht, dem Herrn zu folgen —, es alles auf einmal wegzuschenken, und, von aller Sorge frei, mit Christus Mangel zu leiden" [Gennadius?]. Zu 2. Wenn die Gattin noch anderes Vermögen hat außer der Mitgift, die für die Lasten der Ehe da ist, sei es aus eigenem Erwerb, sei es auf irgendeine andere erlaubte Weise, so kann sie davon Almosen geben, auch ohne vorher das Einverständnis des Mannes erfragt zu haben; doch sollen diese Almosen sich in mäßigen Grenzen halten, damit der Mann nicht durch ein Zuviel [von Almosen] arm gemacht wird. Sonst aber darf sie keine Almosen geben, ohne ausdrückliche oder vorausgesetzte Einwilligung des Mannes, außer im Falle der Not, wie es auch vom Ordensmanne gesagt wurde (Zu 1). Wenn nämlich die Gattin auch gleichberechtigt ist, was die eheliche Pflicht angeht, so ist doch in dem, was zur Verwaltung des Hauses gehört, nach dem Apostel „der Mann das Haupt der Frau" (1 Kor 11, 3). — Die hl. Lucia aber hatte nur einen Bräutigam, nicht einen Mann. Deshalb konnte sie mit Einverständnis der Mutter Almosen geben. Zu 3. Was dem Sohne des Hauses gehört, gehört dem Vater. Deshalb kann er kein Almosen geben (als höchstens Q T J A E S T 1 0 32, ,

tibus, 1 „bonum est facultates cum dispensatione pauperibus erogare, sed melius est, pro intentione sequendi Dominum, insimul donare, et, absolutum sollicitudine, egere cum Christo". AD SECUNDUM dicendum quod si uxor habeat alias res praeter dotem, quae ordinatur ad sustentanda onera matrimonii, vel ex proprio lucro vel quocumque alio licito modo, potest dare eleemosynas, et irrequisito assensu viri; moderatas tarnen, ne ex earum superfluitate vir depauperetur. Alias autem non debet dare eleemosynas sine consensu viri vel expresso vel praesumpto, nisi in articulo necessitatis, sicut de monacho dictum est. Quamvis enim mulier sit aequalis 2 in actu matrimonii, tarnen in his quae ad dispositionem domus pertinent „vir caput est mulieris", secundum Apostolum, 1 ad Cor. 11. — Beata autem Lucia sponsum habebat, non virum. Unde de consensu matris poterat eleemosynam facere. AD TERTIUM dicendum quod ea quae sunt filii familias sunt patris. Et ideo non potest eleemosynam facere (nisi forte 1

Gennadius, ib., c. 71 (PL 58/997 A). • P addit: viro.

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9 etwas weniges, von dein er voraussetzen darf, daß der Vater einverstanden ist); es sei denn, der Vater hätte ihm die Verwaltung einer Sache übertragen. — Dasselbe gilt von den Knechten. Daraus ergibt sich die Lösung Zu 4. 9. A R T I K E L Muß man dem näher Verwandten mehr Almosen geben?

1. Sir 12, 4. 6 heißt es: „Gib dem Barmherzigen und hüte dich, den Sünder anzunehmen! Tu dem Demütigen Gutes und hüte dich, dem Gottlosen zu geben." Zuweilen aber kommt es vor,, daß unsere Verwandten Sünder und Gottlose sind. Also darf man ihnen nicht mehr Almosen geben [als den anderen]. 2. Almosen muß man geben um der Vergeltung des ewigen Lohnes willen; nach Mt 6, 18: „Und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird es dir vergelten." Die ewige Vergeltung aber wird am meisten erworben durch Almosen, die wir den Heiligen darreichen; nach Lk 16, 9: „Machet euch Freunde vom ungerechten Mammon, damit, wenn ihr gestorben seid, sie euch in die ewigen Wohnungen QTJAESTIO 32,,

aliquam modicam, de qua potest praesumere quod patri placeat); nisi forte alicujus rei esset sibi a patre dispensatio commissa. — E t idem dicendum est de servis. Unde patet solutio AD QUARTUM. ARTICULUS IX U t r u m sit magis p r o p i n q u i o r i b u s eleemosyna facienda [Supra 31,3; 32,7: infra 71,1; 4 d 15: 2,6 qa 3; Mt 25; Eom 12 lect 2]

AD NONUM sie proceditur. Videtur quod non sit magis propinquioribus eleemosyna facienda. Dicitur enim Eccli. 12: „Da misericordi, et ne suseipias peccatorem; benefac humili, et non des impio." Sed quandoque contingit quod propinqui nostri sunt peccatores et impii. Ergo non sunt eis magis eleemosynae faciendae. 2. P R A E T E R E A , eleemosynae sunt faciendae propter retributionem mercedis aeternae; secundum illud Matth. 6: „Et Pater tuus, qui videt in abscondito, reddet tibi." Sed retributio aeterna maxime acquiritur ex eleemosynis quae sanetis erogantur; secundum illud Luc. 16: „Faeite vobis amicos de mammona iniquitatis, ut, cum defeceritis, reeipiant

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aufnehmen." Dazu sagt der hl. Augustinus in seiner Er- 32, 9 klärung : „Wer sind die, die die ewigen Wohnungen besitzen werden, wenn nicht die Heiligen? Und wer sind die, die von ihnen in diese Wohnungen aufzunehmen sind, wenn nicht jene, die sich in den Dienst ihrer Bedürftigkeit gestellt haben?" Also sind die Almosen eher den Heiligen als den Verwandten zu geben. 3. Der Mensch ist sich selbst der Allernächste. Sich selbst aber kann der Mensch kein Almosen geben. Also scheint es, daß man der näher verwandten Person nicht mehr Almosen geben soll [als einer anderen]. A N D E R S E I T S sagt der Apostel 1 Tim 5, 8: „Wenn einer nicht für die Seinen und namentlich für die Hausgenossen sorgt, der hat den Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Ungläubiger." ANTWORT: Wie Augustinus sagt, sind uns jene, die uns näher stehen, gleichsam vom Schicksal zugeführt, so daß wir mehr für sie sorgen müssen. Doch muß hier eine gewisse Zurückhaltung beobachtet werden nach der Verschiedenheit der Verbindung, der Heiligkeit und des Nutzens. Denn dem Heiligeren, der zugleich Not leidet und dem Gemeinwohl nützlicher ist, muß man eher Almosen geben als dem Näherstehenden, besonders wenn er nicht allzu Q U A E S T I O 32, ,

vos in aeterna tabernacula" ; quod exponens Augustinus, in libro de Verbis Domini [serm. 113, 1], dicit: „Qui sunt qui habebunt aeterna habitacula nisi sancti Dei? E t qui sunt qui aceipiendi sunt in tabernacula nisi qui eorum indigentiae serviunt?" Ergo magis sunt eleemosynae dandae sanctioribus quam propinquioribus. 3. P R Ä E T E R E A , maxime homo est sibi propinquus. Sed sibi non potest homo eleemosynam facere. Ergo videtur quod non sit magis facienda eleemosyna personae magis conjunctae. SED CONTRA est quod Apostolus dicit, 1 ad Tim. 5: „Si quis suorum, et maxime domesticorum curam non habet, fidem negavit et est infideli deterior." R E S P O N D E O dicendum quod, sicut Augustinus dicit, in 1 de Doctrina Christiana [c. 28], illi qui sunt magis nobis conjuncti quasi quadam sorte nobis obveniunt, ut eis magis providere debemus. E s t tarnen circa hoc discretionis ratio adhibenda, secundum differentiam conjunctionis et sanctitatis et utilitatis. Nam multo sanctiori magis indigentiam patienti, et magis utili ad commune bonum, est magis eleemosyna danda quam personae propinquiori ; maxime si non sit multum con19 17A

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PL 38/648 A

PL 34/80 A

32, 9 stark mit uns verbunden ist, so daß wir besonders für ihn sorgen müßten, zumal wenn er nicht allzu große N o t leidet.

Zu I. Dem Sünder darf man nicht helfen, sofern er Sünder ist, d. h. so, daß er dadurch in seiner Sünde begünstigt würde; sondern sofern er Mensch ist, d. h. um seine Natur zu erhalten [vgl. 31, 2 Zu 2], Zu 2. Almosengeben hat für den Lohn der ewigen Vergeltung einen doppelten Wert. E i n m a l aus der Wurzel der Gottesliebe. Und insofern ist das Almosen verdienstlich, soweit bei ihm die Ordnung der Gottesliebe gewahrt bleibt, nach der wir, unter sonst gleichen Umständen, für die enger Verwandten mehr sorgen müssen. Deshalb sagt Ambrosius: „Jene Freigebigkeit ist zu billigen, daß man nicht von seinen Blutsverwandten, wenn man von deren Not erfährt, den Blick verächtlich wegwendet. Besser ist es jedenfalls, daß du selbst den Deinigen zu Hilfe kommst, für den Fall, daß sie sich schämen, von anderen ihren Unterhalt zu erbitten." — In a n d e r e r Weise hat das Almosen seinen Wert für die Vergeltung des ewigen Lebens aus dem Verdienst dessen, dem es dargereicht wird, weil er für den Geber betet. Und in diesem Sinne spricht Augustinus. Zu 3. Das Almosen ist ein Werk der Barmherzigkeit. Wie es aber keine Barmherzigkeit sich selbst gegenüber gibt als höchstens im Sinne einer gewissen Ähnlichkeit Q U A E S T I O 32,,

juncta, cujus cura specialis nobis immineat, et si magnam necessitatem non patiatur. A D PRIMUM ergo dicendum quod peccatori non est subveniendum inquantum peccator est, idest ut per hoc in peccato foveatur; sed inquantum homo est, idest ut natura sustentetur. A D SECUNDUM dicendum quod opus eleemosynae ad mercedem retributionis aeternae dupliciter valet. Uno quidem modo, ex radice caritatis. Et sepundum hoc eleemosyna est meritoria prout in ea servatur ordo caritatis, secundum quem propinquioribus raagis providere debemus, ceteris paribus. Unde Ambro PL sius dicit, in 1 de Offlciis Ministrorum [c. 30]: „Est illa probanda 36/67 A liberalitas, ut proximos sanguinis tui non despicias, si egere cognoscas; melius est enim ut ipse subvenias tuis, quibus pudor est ab aliis sumptum deposcere." — Alio modo valet eleemosyna ad retributionem vitae aeternae ex merito ejus cui donatur, qui orat pro eo qui eleemosynam dedit. Et secundum hoc loquitur ibi Augustinus. A D TERTIUM dicendum quod, cum eleemosyna sit opus misericordiae, sicut misericordia non est proprio ad seipsum, sed per quamdam similitudinem, ut supra dictum est; ita

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(30, 1 Z u 2), so gibt auch, eigentlich gesprochen, keiner 32,10 sich selbst Almosen, als höchstens in der Person eines anderen. So kann z. B. derjenige, der in fremdem Auftrage Almosen austeilt, auch f ü r sich selbst nehmen, wenn er bedürftig ist, mit demselben Recht, mit dem er dem anderen austeilt. 10. A R T I K E L Muß man reichlich Almosen geben?

1. Das Almosen muß vor allem den enger Verwandten zukommen. Doch darf man es ihnen nicht so geben, daß sie, wie Ambrosius sagt, „davon reicher werden wollen". Also darf man es auch den anderen nicht reichlich geben. 2. An derselben Stelle sagt Ambrosius: „Die Reichtümer dürfen nicht auf einmal ausgeschüttet werden, sondern müssen [klug] verwaltet werden." Eine Überfülle von Almosen ist aber soviel wie ein Ausschütten. Also darf man Almosen nicht reichlich geben. 3. Der Apostel sagt 2 Kor 8, 13: „Nicht, daß andere Erleichterung haben", d. h. daß die anderen von unserem Vermögen ein Faulenzerleben führen, „ihr aber Bedrängnis habt", d. h. die Armut. Das aber würde eintreten, wenn Q U A E S T I O 32, a o

etiam, proprie loquendo, nullus sibi eleemosynam facit, nisi forte ex persona alterius. Puta, cum aliquis distributor eleemosynarum ponitur, potest etiam ipse sibi accipere, si indigeat, eo tenore quo et aliis ministrat. ARTICULUS X Utrum eleemosyna sit abundanter

facienda

[Infra 117, 1 ad 2; 2 Cor 8 lect 1]

AD DECIMUM sie proceditur. Videtur quod eleemosyna non sit abundanter facienda. Eleemosyna enim maxime debet fieri conjunetioribus. Sed illis non debet sie dari „ut ditiores inde fieri velint"; sicut Ambrosius dicit, in 1 de Officiis Mini- p L strorum [c. 30]. Ergo nec aliis debet abundanter dari. 16/67 H 2. PRAETEREA, Ambrosius dicit ibidem [1. c.]: „Non 67 A debent simul effundi opes, sed dispensari." Sed abundantia eleemosynarum ad effusionem pertinet. Ergo eleemosyna non debet fieri abundanter. 3. PRAETEREA, 2 ad Cor. 8 dicit Apostolus: „Non ut aliis sit remissio", idest ut alii de nostris otiose vivant; „et vobis autem sit tribulatio", idest paupertas. Sed hoc contin19*

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32, io man Almosen reichlich geben würde. Also darf man Almosen nicht reichlich geben. ANDERSEITS heißt es Tob 4, 9: „Wenn du viel hast, so gib reichlich." ANTWORT: Die Fülle der Almosen kann betrachtet werden von Seiten des Gebenden und von Seiten des Empfangenden. Von seiten des Gebenden [sprechen wir dann von Fülle], wenn einer viel gibt im Verhältnis zum eigenen Vermögen. Und so ist es lobenswert, reichliche Almosen zu geben — deshalb hat auch der Herr Lk 21, 3 f. die Witwe gelobt, „weil sie von ihrer Armut alles, was sie zum Unterhalt besaß, geopfert h a t " —, unter Berücksichtigung dessen allerdings, was oben (Art. 6) über das Almosen gesagt wurde, das vom Notwendigen genommen wird. Von seiten dessen aber, dem es gegeben wird, kann man in doppelter Weise von Reichlichem' Almosen sprechen. E i n m a l , insofern es seiner Bedürftigkeit genügend Abhilfe schafft, und so ist es lobenswert, ein reichliches Almosen zu geben. — In a n d e r e r Weise so, daß es reichlich ist bis zum Überfluß, und das ist nicht lobenswert, denn es wäre besser, es mehreren Bedürftigen zukommen zu lassen. Deshalb sagt der Apostel 1 Kor 13,3: „Wenn ich [meine ganze Habe] zur Speisung der Armen austeile. . .", wozu die Glosse bemerkt: „Damit wird uns Vorsicht im AlmosenQ U A E S T I O 32, „

geret si eleemosyna daretur abundanter. Ergo non est abundanter eleemosyna largienda. S E D CONTRA est quod dicitur Tob. 4: „Si multum tibi fuerit, abundanter tribue." R E S P O N D E O dicendum quod abundantia eleemosynae potest considerari et ex parte dantis, et ex parte reeipientis. E x parte quidem dantis, cum scilicet aliquis dat quod est multum secundum proportionem propriae facultatis. E t sie laudabile est abundanter dare; unde et Dominus, Luc. 21, laudavit viduam, quae „ex eo quod deerat illi, omnem victum quem habuit misit"; — observatis tarnen his quae supra dicta sunt de eleemosyna facienda de necessariis. E x parte vero ejus cui datur est abundans eleemosyna dupliciter. Uno modo, quod suppleat sufficienter ejus indigentiam. E t sie laudabile est abundanter eleemosynam tribuere. — Alio modo, ut superabundet ad superfluitatem. Et hoc non est laudabile, sed melius est pluribus indigentibus elargiri. Unde et Apostolus dicit, 1 ad Cor. 13: ,Si distribuero PL in eibos pauperum'; ubi Glossa TLomb. et interl.l dicit: „Per 191/1660A

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geben gelehrt, damit wir nicht e i n e m , sondern vielen ge- 32,10 Iben und es vielen zugute komme." Zu 1. Jener Grund geht aus von der Fülle, welche die N o t des Almosenempfängers übersteigt. Zu 2. Jene Stelle spricht von reichlichem Almosen von seiten des Gebenden. — Doch ist das dahin zu verstehen, daß Gott die gleichzeitige Ausschüttung des ganzen Vermögens nicht will, außer für den Fall, daß einer seinen Stand ändert. Deshalb fügt er [Ambrosius] ebenda hinzu: „Es sei denn wie Eliseus es gemacht hat, der seine Ochsen tötete und die Armen mit dem speiste, was er hatte, auf daß er durch keine häusliche Sorge gehalten wäre" [vgl.

3 Kg 19, 19 ff.]. Zu 3. Wenn die angeführte Stelle sagt: „Nicht, daß andere Erleichterung" d. h. Erholung „haben", so spricht sie von der Fülle des Almosens, das die Not des Almosenempfängers übersteigt, dem man das Almosen nicht deshalb gibt, daß er davon üppig werde, sondern daß ihm damit geholfen werde. Doch ist hier Klugheit geboten wegen der verschiedenen Lebenslage der Menschen, von denen einige, die mit feineren Dingen aufgewachsen sind, auch feinere Speisen und Kleider notwendig haben. Deshalb sagt AmQUAESTIO 32, ,„ hoc cautela eleemosynae docetur, ut non uni sed multis detur, ut pluribus prosit." A D P R I M U M ergo dicendum quod ratio illa procedit de abundantia superexcedente necessitatem recipientis eleemosynam. A D SECUNDUM dicendum quod auctoritas illa loquitur de abundantia eleemosynae ex parte dantis. — Sed intelligendum est quod Deus non vult simul effundi omnes opes, nisi in mutatione status. Unde subdit ibidem: „Nisi forte ut p l Elisaeus boves suos occidit, et pavit pauperes ex eo quod 16/67 A habuit, ut nulla cura domestica teneretur." A D T E R T I U M dicendum quod auctoritas inducta, quantum ad hoc quod dicit, „Non ut alii1 sit remissio" vel refrigerium, loquitur de abundantia eleemosynae quae superexcedit necessitatem recipientis, cui non est danda eleemosyna ut inde luxurietur, sed ut inde sustentetur. Circa quod tarnen est discretio adhibenda propter diversas conditiones hominum, quorum quidam, delectatioribus nutriti, indigent magis delicatis cibis aut vestibus. Unde et Ambrosius dicit, in libro de 1

P: aliis.

293

32, ío brosius: „Beim Spenden soll man das Alter und die Gebrechlichkeit berücksichtigen. Zuweilen auch die Würde, welche die vornehme Geburt verrät. Oder wenn einer vom Reichtum ohne sein Verschulden in Armut geraten ist." — In bezug aber auf das, was folgt: „ . . . ihr aber Bedrängnis habt", spricht er [der Apostel] von der Fülle auf Seiten des Gebenden. Doch, wie die Glosse dazu sagt, „sagt er das nicht, als ob es nicht besser wäre", nämlich reichlich zu geben; sondern „er fürchtet für die Schwachen, denen er so zu geben ermahnt, daß sie keine Not leiden". Q U A E S T I O 32, x„

PL Officiis Ministrorum [1. c.]: „Consideranda est in largiendo ií>/69Asq. aetas atque debilitas. Nonnunquam etiam verecundia, quae ingenuos prodit natales. Aut si quis ex divitiis in egestatem cecidit sine vitio suo." — Quantum vero ad illud quod subditur, „vobis autetn tribulatio", loquitur de abundantia ex parte PL dantis. Sed, sicut Glossa [Lomb. et interl.] ibi dicit, „non hoc 192/58 D ideo dicit quin melius esset", scilicet abundanter dare. „Sed de inftrmis timet, quos sie dare monet ut egestatem non patiantur".

2»4

33. F R A G E

Ü B E R D I E BRÜDERLICHE ZURECHTWEISUNG Hierauf ist die brüderliche Zurechtweisung zu betrachten. Dazu ergeben sich acht Einzelfragen: 1. Ist die brüderliche Zurechtweisung ein Akt der Gottesliebe? 2. Fällt sie unter das Gebot? 3. Erstreckt sich dieses Gebot auf alle oder nur auf die Oberen ? 4. Sind die Untergebenen kraft dieses Gebotes verpflichtet, die Oberen zurechtzuweisen? 5. Kann der Sünder zurechtweisen? 6. Darf einer zurechtgewiesen werden, wenn er durch die Zurechtweisung schlechter wird? 7. Muß die geheime Zurechtweisung der Anzeige vorausgehen? 8. Muß das Zeugenverhör der Anzeige vorausgehen?

QUAESTIO

XXXIII

D E CORRECTIONE F R A T E R N A Deinde considerandum est de correction« fraterna. Et circa hoc quaeruntur octo: 1. Utrum correctio fraterna sit actus caritatis. — 2. Utrum sit sub praecepto. — 3. Utrum hoc praeceptum se extendat ad omnes, vel solum in praelatis. — 4. Utrum subditi teneantur ex hoc praecepto praelatos corrigere. — 5. Utrum peccator possit corrigere. — 6. Utrum aliquis debeat corrigi qui ex correctione fit deterior. — 7. Utrum secreta correctio debeat praecedere denuntiationem. — 8. Utrum testium inductio debeat praecedere denuntiationem.

295

1. A R T I K E L Ist die brüderliche

Zurechtweisung

ein Akt

der

Gottesliebe?

1. Zu M t 18, 15 .Wenn dein B r u d e r wider dich gefehlt h a t [, so weise ihn zurecht zwischen dir u n d ihm allein]' sagt die Glosse, der B r u d e r sei zurechtzuweisen „aus Eifer f ü r die Gerechtigkeit". Die Gerechtigkeit aber ist eine von der Gottesliebe verschiedene Tugend. Also ist die brüderliche Zurechtweisung nicht A k t der Gottesliebe, sondern der Gerechtigkeit. 2. Die brüderliche Zurechtweisung geschieht d u r c h geheime E r m a h n u n g . Die E r m a h n u n g aber ist eine A r t R a t ; u n d der g e h ö r t z u r Klugheit. D e n n Sache des Klugen ist es, „einen g u t e n R a t geben zu k ö n n e n " (Aristoteles). 1 Also ist die brüderliche Zurechtweisung n i c h t A k t der Gottesliebe, sondern der Klugheit. 3. Entgegengesetzte A k t e gehören nicht zur selben Tugend. Den S ü n d e r e r t r a g e n aber ist ein A k t der Gottesliebe; n a c h Gal 6, 2 : „ E i n e r t r a g e des anderen L a s t u n d so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen", welches d a s Gesetz der Gottesliebe ist. Also scheint es, d a ß den B r u d e r zurechtweisen — das Gegenteil v o n : ihn e r t r a g e n — nicht A k t der Gottesliebe ist. Q U A E S T I O 33, ,

ARTICULUS I U t r u m fraterna correctio sit actus caritatis [Supra 32,2 ad 3; infra a. 3; 43,7 ad 3; 160,1 arg 3; 4 d 19: 2,1 ad 6]

A D PRIMUM sic proceditur. Videtur quod fraterna correctio non sit actus caritatis. Dicit enim Glossa [ord.] Matth. 18, super illud, ,Si peccaverit in te frater tuus', quod frater est arguendus „ex zelo justitiae". Sed justitia est virtus distineta a caritate. Ergo correctio fraterna non est actus caritatis, sed justitiae. 2. P R A E T E R E A , correctio fraterna fit per secretam admonitionem. Sed admonitio est consilium quoddam, quod pertinet ad prudentiam; prudentis enim est „esse bene consilia1140 a 25 tivum", ut dicitur in 6 Ethicorum [c. 5. 8. 10]. Ergo fraterna i iioV'ii correctio non est actus caritatis, sed prudentiae. 3. P R A E T E R E A , contrarii actus non pertinent ad eamdem * no3b 22 virtutem [cf. 2 Eth. 1]. Sed supportare peccantem est actus caritatis; secundum illud, Gal. 6: „Alter alterius onera portate, et sie adimplebitis legem Christi", quae est lex caritatis. Ergo videtur quod corrigere fratrem peccantem, quod est contrarium Supportationi, non sit actus caritatis. 1

Vgl. In Eth 6 lect. 4, 6, 8; nr. 1162, 1193, 1233.

296

ANDERSEITS ist den Fehlenden zurechtweisen ein gei- 33,1 stiges Almosen. Almosengeben aber ist ein Akt der Gottesliebe (32, 1). Also ist die brüderliche Zurechtweisung ein Akt der Gottesliebe. ANTWORT: Die Zurechtweisung des Fehlenden ist ein Heilmittel, das gegen die Sünde eines Menschen zur Anwendung kommt. Die Sünde eines Menschen aber kann doppelt betrachtet werden. E i n m a l , insofern sie dem schadet, der Sünde t u t ; d a n n , sofern sie zum Schaden der anderen wird, die durch die Sünde verletzt oder geärgert werden; außerdem, sofern sie eine Schädigung des Gemeinwohls bedeutet, dessen Gerechtigkeit durch die Sünde gestört wird. Die Zurechtweisung des Fehlenden ist also eine doppelte. E i n e , die ein Heilmittel gegen die Sünde anwendet, sofern sie ein Übel dessen ist, der Sünde t u t ; und das ist im eigentlichen Sinne die brüderliche Zurechtweisung, die auf die Besserung des Fehlenden ausgerichtet ist. D a s Ü b e l e i n e s M e n s c h e n a u s r ä u m e n h a t n u n d i e s e l b e B e w a n d t n i s wie s e i n G u t e s f ö r d e r n . Das Gut des Bruders fördern gehört aber zur Gottesliebe, durch die wir den Freunden Gutes wollen und tun. Daher ist auch die brüderliche Zurechtweisung ein Akt der Gottesliebe, weil wir durch sie das Übel des Bruders, nämlich die Sünde, austreiben. J a , ihre Beseitigung gehört sogar noch mehr zur Gottesliebe als die Beseitigung eines QUAESTIO 33,, SED CONTRA, corripere delinquentem est quaedam eleemosyna spiritualis. Sed eleemosyna est actus caritatis, ut supra dictum est. Ergo et correctio fraterna est actus caritatis. RESPONDEO dicendum quod correctio delinquentis est quoddam remedium quod debet adhiberi contra peccatum alicujus. Peccatum autem alicujus dupliciter considerari potest: uno quidem modo, inquantum est nocivum ei qui peccat; alio modo, inquantum vergit in nocumentum aliorum, qui ex ejus peccato laeduntur vel scandalizantur; et etiam inquantum est in nocumentum boni communis, cujus justitia per peccatum hominis perturbatur. Duplex ergo est correctio delinquentis. Una quidem quae adhibet remedium peccato inquantum est quoddam malum ipsrus peccantis; et ista est proprie fraterna correctio, quae ordinatur ad emendationem delinquentis. Removere autem malum alicujus ejusdem rationis est et bonum ejus procurare. Procurare autem fratris bonum pertinet ad caritatem, per quam volumus et operamur bonum amico. Unde etiam correctio fraterna est actus caritatis; quia per eam repellimus malum fratris, scilicet peccatum. Cujus remotio magis pertinet ad caritatem quam etiam remotio exterioris

20 ITA

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33, i äußeren Schadens oder eines Leibesschadens; im selben Maße wie das entgegengesetzte Gut der Tugend der Gottesliebe enger verwandt ist als das Gut des Leibes oder der äußeren Dinge. Deshalb ist die brüderliche Zurechtweisung in höherem Maße ein Akt der Gottesliebe als die Heilung einer körperlichen Krankheit 1 oder die Unterstützung, durch welche die äußere Bedürftigkeit behoben wird. — Die andere Zurechtweisung aber ist jene, die gegen die Sünde des Fehlenden ein Heilmittel anwendet, sofern sie ein Übel für die anderen ist und vor allem auch ein Schaden für das Gemeinwohl. Und diese Zurechtweisung ist ein Akt der Gerechtigkeit, deren Aufgabe es ist, die Ordnung der Gerechtigkeit zu wahren in den Beziehungen des einen zum anderen. Zu 1. Jene Glosse spricht von der zweiten Zurechtweisung, die ein Akt der Gerechtigkeit ist. — Oder, wenn sie auch von der ersten spricht, so wird Gerechtigkeit dort genommen, sofern sie eine allgemeine Tugend ist, wie weiter unten gesagt wird (58, 5: Bd. 18); sofern eben „jede Sünde Gesetzlosigkeit ist" (1 J o 3, 4), gleichsam gegen die Gerechtigkeit bestehend. Zu 2. Wie der Philosoph sagt, 2 „bewirkt die Klugheit die Rechtheit in den Dingen, die [Mittel] zum Ziel sind", in bezug auf welche es Rat und Wahl gibt. Da wir jedoch kraft Q l'A E S T 1 0 33, , damni, vel etiam corporalis n o c u m e n t i ; q u a n t o contrarium b o n u m virtutis m a g i s est affine caritati q u a m b o n u m corporis vel e x t e r i o r u m r e r u m . U n d e oorrectio f r a t e r n a m a g i s est a c t u s caritatis q u a m curatio infirmitatis corporalis, vel subventio q u a excluditur exterior egestas. — Alia vero correctio est quae a d h i b e t r e m e d i u m -peccati d e l i n q u e n t i s s e c u n d u m q u o d est in m a l u m aliorum, et e t i a m praecipue in n o c u m e n t u m comm u n i s boni. E t talis correctio est actus justitiae, cujus est conservare rectitudinem justitiae unius ad alium. A D P R I M U M e r g o d i c e n d u m q u o d glossa illa l o q u i t u r d e s e c u n d a c o r r e c t i o n e , q u a e e s t a c t u s j u s t i t i a e . — V e l , si l o q u a t u r e t i a m d e p r i m a , justitia ibi s u m i t u r s e c u n d u m q u o d est 1130 a 8 u n i v e r s a l i s v i r t u s [ c f . 5 E t h . 3 ] , u t i n f r a d i c e t u r ; p r o u t e t i a m „ o m n e p e c c a t u m e s t i n i q u i t a s " , u t d i c i t u r 1 J o a n . 3, q u a s i contra justitiam existens. 1144 a 8

A D S E C U N D U M d i c e n d u m quod, sicut Philosophus dicit, i n 6 E t h i c o r u m [c. 13], „ p r u d e n t i a f a c i t r e c t i t u d i n e m i n h i s q u a e s u n t a d finem", d e q u i b u s e s t c o n s i l i u m e t e l e c t i o . T a r n e n 1 Vgl. Komm. S. 525 f. * Vgl. In Eth 6 lect. 10 nr. 1269.

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der Klugheit etwas recht tun auf das Ziel einer sittlichen 33, 2 Tugend hin, z. B. der Maßhaltung oder der Tapferkeit, so gehört der Akt hauptsächlich jener Tugend zu, auf deren Ziel er ausgerichtet ist. Weil nun die Ermahnung, die bei der brüderlichen Zurechtweisung erfolgt, auf die Beseitigung der Sünde des Bruders, was offenbar zur Gottesliebe gehört, ausgerichtet ist, so ist es klar, daß eine solche Ermahnung hauptsächlich ein Akt der Gottesliebe ist, die ihn gleichsam befiehlt, 1 in zweiter Linie aber ein Akt der Klugheit, die ihn ausführt und lenkt. Z u 3. Die brüderliche Zurechtweisung ist dem Ertragen der Schwachen nicht entgegengesetzt, sondern folgt vielmehr aus ihm. Insoweit nämlich ertragen wir den Fehlenden, als wir gegen ihn nicht aufgebracht werden, sondern unser Wohlwollen gegen ihn bewahren. 2 Und daher kommt es, daß wir ihn zu bessern trachten. 2. A R T I K E L Fällt die brüderliche Zurechtweisung unter das Gebot ? 1. Nichts, was unmöglich ist, fällt unter das Gebot; nach dem Wort des hl. Hieronymus: „Verflucht sei, wer da sagt, Q U A E S T I O 33,,

cum per prudentiam agimus aliquid recte ad finem alicujus virtutis moralis, puta temperantiae vel fortitudinis, actus ille est principaliter illius virtutis ad cujus finem ordinatur. Quia ergo admonitio quae fit in correctione fratema ordinatur ad amovendum peccatum fratris, quod pertinet ad caritatem; manifestum est quod talis admonitio principaliter est actus caritatis, quasi imperantis, prudentiae vero secundario, quasi exsequentis et dirigentis actum. A D TERTIUM dicendum quod correctio fraterna non opponitur supportationi infirmorum, sed magis ex ea consequitur. Intantum enim aliquis supportat peccantem inquantum contra eum non turbatur, sed benevolentiam ad eum servat. Et ex hoc contingit quod eum satagit emendare. ARTICULUS II U t r u m c o r r e c t i o f r a t e r n a sit in p r a e c e p t o [Infra a. 5 arg 1; 6 arg 2; 4 d 19: 2,2 qa 1; CFr 1]

A D SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod correctio fraterna non sit in praecepto. Nihil enim quod est impossibile 1 !

20*

Vgl. Komm. S. 520. Vgl. 32, 2 Zu 3 mit Komm. S. 524 f.

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33,2 Gott habe etwas Unmögliches vorgeschrieben." Prd 7, 14 [Vulg.] aber heißt es: „Betrachte das Wirken Gottes, — daß niemand d e n bessern kann, den Er verwirft." Also fällt die brüderliche Zurechtweisung nicht unter das Gebot. 2. Alle Gebote des göttlichen Gesetzes werden auf die Vorschriften der Zehn Gebote zurückgeführt. Die brüderliche Zurechtweisung aber fällt unter keine der Vorschriften der Zehn Gebote. Also fällt sie überhaupt nicht unter das Gebot. 3. Die Unterlassung eines göttlichen Gebotes ist Todsünde, die sich in heiligen Männern nicht findet. Die Unterlassung der brüderlichen Zurechtweisung aber findet sich bei den Heiligen und bei den Männern des geistlichen Lebens. Augustinus nämlich sagt: „Nicht allein die Schwächeren, sondern auch solche, die auf einer höheren Stufe der Lebensführung stehen, hüten sich, die anderen zu tadeln, wegen gewisser Bande der Weltlust, nicht wegen der Pflicht der Liebe." Also fällt die brüderliche Zurechtweisung nicht unter das Gebot. 4. Was unter das Gebot fällt, hat die Bewandtnis von geschuldet. Würde also die brüderliche Zurechtweisung unter das Gebot fallen, so wären wir den Brüdern schuldig, daß wir sie, wenn sie sündigen, zurechtweisen. Der aber, Q U A E S T I O 33,,

cadit sub praecepto; secundum illud Hieronymi: 1 „Maledictus qui dicit Deum aliquid impossibile praecepisse." Sed Eccli. 7 dicitur: „Considera opera Dei, quod nemo possit corrigere quem ille despexerit." Ergo correctio fraterna non est in praecepto. 2. PRAETEREA, omnia praecepta legis divinae ad praecepta decalogi reducuntur. Sed correctio fraterna non cadit sub aliquo praeceptorum decalogi. Ergo non cadit sub praecepto. 3. PRAETEREA, omissio praecepti divini est peccatum mortale, quod in sanctis viris non invenitur. Sed omissio fraternae correctionis invenitur in sanctis et in spiritualibus viris; PL dicit enim Augustinus, in 1 de Civitate Dei [c. 9], quod „non 41/22 C golum inferiores, verum etiam hi qui superiorem gradum vitae tenent ab aliorum reprehensione se abstinent, propter quaedam cupiditatis vincula, 2 non propter officia caritatis". Ergo correctio fraterna non est in praecepto. 4. PRAETEREA, illud quod est in praecepto habet rationem debiti. Si ergo correctio fraterna caderet sub praecepto, hoc fratribus deberemus ut eos peccantes corrigeremus. Sed 1 Cf. Pelagius, Ep. (1) ad Demetriadem (PL 30/30 D); Libellus Fidei ad ünnocentium (PL 45/1718 A). 2 P loeo: quaedam . . . vincula — quandam . . . maculam.

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der einem anderen etwas Körperliches schuldet, meinetwegen 33, 2 Geld, darf sich nicht damit zufriedengeben, daß er ihm als Schuldner [zufällig] begegnet, sondern er muß ihn aufsuchen, um seine Schuld zu bezahlen. So müßte also auch der Mensch diejenigen, die der Zurechtweisung bedürfen, aufsuchen, um sie zurechtzuweisen. Das scheint aber nicht angebracht zu sein, sowohl wegen der Menge derer, die Sünde tun und zu deren Zurechtweisung ein einziger Mensch nicht ausreichen würde; als auch, weil es nötig wäre, daß die Ordensleute ihre Klöster verließen, um die Menschen zurechtzuweisen. Das ist jedenfalls unangebracht. Also fällt die brüderliche Zurechtweisung nicht unter das Gebot. ANDERSEITS sagt Augustinus: „Wenn du die Zurechtweisung vernachlässigst, bist du schlimmer geworden als der, der gesündigt hat." Das wäre aber nicht der Fall, wenn nicht einer durch solche Vernachlässigung ein Gebot übertreten würde. Also fällt die brüderliche Zurechtweisung unter das Gebot. ANTWORT: Die brüderliche Zurechtweisung fällt unter das Gebot. Es ist aber zu beachten, daß, wie die Verbote des Gesetzes die Akte der Sünden verbieten, so die Tat fordernden Gebote zu den tugendlichen Akten anleiten. Die Akte der Sünde sind aber in sich schlecht und können in keiner Weise gut werden, auch nicht durch die Zeit oder den Ort, Q U A E S T I O 33,,

ille qui debet alicui debitum corporate, puta pecuniam, non debet esse contentus ut ei occurrat creditor, sed debet eum quaerere ut debitum reddat. Oporteret ergo quod homo quaereret correctione indigentes ad hoc quod eos corrigeret. Quod videtur inconveniens; tum propter multitudinem peccantium, ad quorum correctionem unus homo non posset sufficere; tum etiam quia oporteret quod religiosi de claustris suis exirent ad homines corrigendos, quod est inconveniens. Non ergo fraterna correctio est in praecepto. SED CONTRA est quod Augustinus dicit, in libro de Verbis Domini [serm. 82,4]: „Si neglexeris corrigere, pejor eo factus PL es qui peccavit." Sed hoc non esset nisi per hujusmodi negli- 3 8 ' 5 0 8 A gentiam aliquis praeceptum omitteret. Ergo correctio fraterna est in praecepto. RESPONDEO dicendum quod correctio fraterna cadit sub praecepto. Sed considerandum est quod sicut praecepta negativa legis prohibent actus peccatorum, ita praecepta affirmativa inducunt ad actus virtutum. Actus autem peccatorum sunt secundum se mali, et nullo modo bene fieri possunt, nec aliquo tempore aut loco; quia secundum se sunt con301

33,2 weil sie in sich mit dem schlechten Ziel verknüpft sind (Aristoteles).1 Deshalb verpflichten die Verbote immer und für immer. Die Akte der Tugenden aber brauchen nicht auf alle Weise getätigt zu werden, sondern nur unter Berücksichtigung der geforderten Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit sie wirklich tugendliche Akte seien; nämlich daß sie gesetzt werden, wo es sein muß und wann es sein muß und wie es sein muß. Und weil die Ordnung jener Dinge, die [Mittel] zum Ziel sind, sich nach der Bewandtnis des Zieles bestimmt, so muß man bei diesen Voraussetzungen des tugendlichen Aktes vor allem auf die Bewandtnis des Zieles achten, das das Gut der Tugend ist. Wenn also eine der Voraussetzungen des tugendlichen Aktes so gänzlich fehlt, daß ihr Fehlen das Gut der Tugend völlig aufhebt, so steht das im Widerspruch zum Gebot. Wenn aber das Fehlen einer Voraussetzung die Tugend nicht gänzlich aufhebt, so steht das, auch wenn er [der tugendliche Akt] nicht ganz heranreicht an das Gut der Tugend, nicht im Widerspruch zum Gebot. Deshalb sagt der Philosoph,2 daß, wenn der Akt nur wenig von der Tugendmitte abweicht, dies nicht zur Tugend im Widerspruch steht; wenn die Abweichung • aber sehr groß ist, die Tugend in ihrem Akt zerstört wird. Die brüderliche Zurechtweisung nun ist ausgerichtet auf die Q Ü A E S T I O 33,,

1107 a 12 juncti malo fini, ut dicitur in 2 Ethicorum [c. 6]. E t ideo praecepta negativa obligant Semper et a d Semper. Sed actus virt u t u m non quolibet modo fieri debent, sed observatis debitis circumstantiis quae requiruntur a d hoc quod sit actus virtuosus; ut scilicet fiat ubi debet, et quando debet, et secundum quod debet. E t quia dispositio eorum quae sunt a d flnem attenditur * lll5b 22 secundum rationem finis [cf. 3 E t h . 10], in istis circumstantiis virtuosi actus praecipue attendenda est ratio finis, qui 3 est bonum virtutis. Si igitur sit aliqua talis omissio alicujus circumstantiae circa virtuosum actum quae totaliter tollat bonum virtutis, hoc contrariatur praecepto. Si autem sit defectus alicujus circumstantiae quae non totaliter tollat virtutem, licet non perfecte attingat a d bonum virtutis, non est contra prae1109 b 18 ceptum. Unde et Philosophus dicit, in 2 Ethicorum [c. 9], quod si p a r u m discedatur a medio, non est contra virtutem; sed si multum discedatur, corrumpitur virtus in suo actu. Correctio a u t e m fraterna ordinatur a d fratris emendationem. 1 ! s

Vgl. In Eth 2 lect. 7 nr. 329. Vgl. In Eth 2 lect. 11 nr. 380. P : quae.

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Besserung des Bruders. Demnach fällt sie insoweit unter 33.2 das Gebot, als sie zur Erreichung dieses Zieles notwendig ist; nicht aber so, daß an jedem Orte und zu jeder Zeit der fehlende Bruder zurechtgewiesen werden müßte. Zu 1. In allem dem, was Gutes geschehen muß, ist die Tätigkeit des Menschen nicht wirksam, wenn nicht die göttliche Hilfe zur Stelle ist; und doch muß der Mensch alles tun, was an ihm liegt. Deshalb sagt Augustinus: „Weil wir nicht wissen, wer zur Zahl der Vorherbestimmten gehört und wer nicht, müssen wir vom Verlangen der Gottesliebe uns so erfüllen lassen, daß wir a l l e n wünschen, gerettet zu werden." Deshalb müssen wir in der Hoffnung auf die göttliche Hilfe allen die Verpflichtung zur brüderlichen Zurechtweisung auferlegen. Zu 2. Wie oben (32, 5 Zu 4) gesagt, werden alle Gebote, die uns die Pflicht auferlegen, dem Nächsten eine Wohltat zu erweisen, auf das Gebot der Elternehrung zurückgeführt. Zu 3. Die brüderliche Zurechtweisung kann auf dreifache Weise unterlassen werden. E i n m a l in verdienstlicher Weise; so wenn einer die brüderliche Zurechtweisung aus Gottesliebe unterläßt. Denn Augustinus sagt: „Wenn einer deshalb mit der schuldigen Zurechtweisung und Ermahnung der Übeltäter zurückhält, weil er auf eine gelegenere Zeit wartet Q U A E S T I O 33,,

Et ideo hoc modo cadit sub praecepto, secundum quod est necessaria ad istum finem; non autem ita quod quolibet loco vel tempore frater delinquens corrigatur. A D PRIMUM ergo dicendum quod in omnibus bonis agendis operatio hominis non est efficax nisi adsit auxilium divinum; et tarnen homo debet facere quod in se est. Unde Augustinus dicit, in libro de Correptione et Gratia [c. 15]: „Nescientes PL quis pertineat ad praedestinatorum numerum et quis non per- 4 4 ' 9 4 4 c tineat, sie affici debemus caritatis affectu ut omnes velimus salvos fieri." Et ideo omnibus debemus fraternae correctionis officium impendere sub spe divini auxilii. A D SECUNDUM dicendum quod, sicut supra dictum est, omnia praeeepta quae pertinent ad impendendum aliquod beneficium proximo redueuntur ad praeeeptum de honoratione parentum. A D TERTIUM dicendum quod correctio fraterna tripliciter omitti potest. Uno quidem modo, meritorie; quando ex caritate aliquis correctionem omittit. Dicit enim Augustinus, in 1 de Civitate Dei [1. c.]: „Si propterea quisque objurgandis et cor- JL'Ju ripiendis male agentibus parcit, quia opportunius tempus in- 4 1 , 2 2 A quiritur; vel de eisdem metuit ne deteriores ex hoc efficiantur,

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33, 2 oder weil er f ü r sie selbst fürchtet, sie möchten dadurch n u r noch schlimmer werden oder die anderen Schwachen in ihrer Heranbildung zu einem guten und frommen Leben hindern u n d bedrücken sowie vom Glauben abwendig machen, so liegt [solcher Zurückhaltung] offenbar nicht Begehrlichkeit, sondern eine von der Liebe eingegebene Überlegung zugrunde." — I n a n d e r e r Weise wird die brüderliche Zurechtweisung unterlassen unter schwerer Sünde; wenn m a n nämlich, wie es ebenda heißt, „das Urteil der Menge u n d Folter u n d Tod des Fleisches fürchtet", so daß dies so sehr in der Seele vorherrscht, daß es mehr gilt als die heilige Bruderliebe. U n d das scheint vorzuliegen, wenn einer bei einem Fehlenden mit Wahrscheinlichkeit voraussetzt, ihn von der Sünde zurückreißen zu können, und es doch aus F u r c h t oder aus Begehrlichkeit unterläßt. — I n einer d r i t t e n Weise ist diese Unterlassung nur eine läßliche Sünde, wenn F u r c h t u n d Begehrlichkeit den Menschen säumig machen zur Zurechtweisung der Sünden des Bruders, doch nicht so, daß er es, wenn es f ü r ihn feststünde, daß er den Bruder* von der Sünde zur.ijckreißen könnte, aus F u r c h t oder Begehrlichkeit unterlassen würde; zieht er diesen [Beweggründen] doch in seiner Seele die heilige Bruderliebe vor. U n d in dieser Weise haben die Heiligen es manchmal vernachlässigt, die Fehlenden zurechtzuweisen. Z u 4. Das, was wir einer einzelnen bestimmten Person QUAESTIO 33,. vel a d b o n a m v i t a m et p i a m erudiendos impediant alios infirmos et p r e m a n t , a t q u e a v e r t a n t a fide; non videtur esse cupiditatis occasio, sed consilium c a r i t a t i s . " — Alio m o d o praetermittitur f r a t e r n a correctio c u m peccato m o r t a l i ; q u a n d o scilicet „ f o r m i d a t u r " , ut ibi dicitur, „ j u d i c i u m vulgi et carnis excruciatio vel p e r e m p t i o " ; d u m tarnen haec ita dominentur in animo quod f r a t e r n a e caritati praeponantur. E t hoc v i d e t u r contingere quando aliquis praesumit de aliquo delinquente probabiliter quod posset eum a peccato retrahere, et tarnen propter timorem et cupiditatem praetermittit. — Tertio modo hujusmodi omissio est peccatum v e n i a l e ; quando timor et cupiditas tardiorem faciunt hominem a d corrigendum delicta fratris, non tarnen ita quod, si ei constaret quod f r a t r e m posset a peccato retrahere, propter timorem vel cupiditatem dimitteret, quibus in animo suo praeponit caritatem f r a t e r n a m . E t hoc modo quandoque viri sancti negligunt corrigere delinquentes. A D Q U A R T U M dicendum quod illud quod debetur alicui

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schulden, sei es ein körperliches oder ein geistiges Gut, 33,2 müssen wir ihr zukommen lassen, und wir dürfen nicht warten, bis sie uns begegnet, sondern müssen uns die nötige Mühe geben, sie aufzufinden. Wie deshalb jener, der einem Gläubiger Geld schuldet, ihn zur rechten Zeit aufsuchen muß, um ihm das Geschuldete zurückzugeben, so muß auch der, der die geistige Sorge für einen anderen hat, ihn aufsuchen, um ihn wegen seiner Sünde zurechtzuweisen. Bei jenen Wohltaten aber, die wir keiner bestimmten Person, sondern allgemein allen Nächsten schulden, brauchen wir nicht zu suchen, wem wir sie erweisen könnten, sondern es genügt, wenn wir sie denen erweisen, die uns [zufällig] in den Weg kommen. Denn das ist „als eine Art Fügung" zu betrachten, wie Augustinus sagt. Und derselbe Augustinus sagt: „Unser Herr ermahnt uns, gegenseitig unsere Sünden nicht zu vernachlässigen, nicht daß wir [mit Fleiß] suchen sollten, was wir etwa rügen könnten, sondern um zu sehen, was zu bessern ist." Sonst würden wir zu Auskundschaftern des Lebens der anderen, gegen das, was Spr 24, 15 gesagt ist: „Suche nicht nach einem Unrecht im Hause des Gerechten und störe seine Ruhe nicht." — Daraus erhellt, daß auch die Ordensleute ihre Klöster nicht zu verlassen brauchen, um die Fehlenden zurechtzuweisen.

Q U A E S T I O S3, ,

determinatae et certae personae, sive sit bonum corporale sive spirituale, oportet quod ei impendamus non exspectantes quod occurrat nobis, sed debitam sollicitudinem habentes ut e u m inquiramus. U n d e sicut ille qui debet pecuniam creditori debet eum requirere cum tempus fuerit ut ei debitum reddat, ita qui habet spiritualiter curam alicujus debet e u m quaerere ad hoc quod eum corrigat de peccato. Sed illa beneficia quae non debentur certae personae sed communiter omnibus proximis, sive sint corporalia sive spiritualia, non oportet nos quaerere quibus impendamus, sed sufficit quod impendamus eis qui nobis occurrunt; hoc enim „quasi pro quadam sorte" habendum est, ut Augustinus dicit, in 1 de Doctrina Christiana [c. 28], E t propter hoc dicit, in libro de Verbis Domini [serm. PL 82, 1], quod „admonet nos Dominus noster non negligere in- 33(506* vicem peccata nostra, non quaerendo quid reprehendas, sed videndo quid corrigas". Alioquin efficeremur exploratores vitae aliorum; contra illud dicitur Prov. 24: ,,Ne quaeras impietatem in domo justi, et non vastes requiem ejus." — U n d e patet quod nec religiosos oportet exire claustrum ad corrigendum delinquentes.

305

33,8

3. A R T I K E L Ist die brüderliche Zurechtweisung nur Aufgabe Oberen?

der

1. Hieronymus sagt: „Die Priester mögen danach trachten, jenes Wort des Evangeliums zu befolgen: ,Wenn dein Bruder wider dich gesündigt h a t ' usw." [Mt 18,15]. Mit .Priester' aber pflegt man jene Oberen zu bezeichnen, die die Sorge f ü r die anderen haben. Also scheint die brüderliche Zurechtweisung n u r Aufgabe der Oberen zu sein. 2. Die brüderliche Zurechtweisung ist ein geistliches Almosen. Ein leibliches Almosen zu geben ist aber Aufgabe derer, die die Höheren in den zeitlichen Dingen sind, nämlich der Begüterteren. Also ist auch die brüderliche Zurechtweisung Aufgabe derer, welche die Höheren sind in den geistlichen Dingen, nämlich der Oberen. 3. Wer einen anderen zurechtweist, bewegt ihn durch seine Ermahnung zum Besseren. I n den naturhaften Dingen aber werden die Niederen von den Höheren bewegt. Also ist es auch nach der Ordnung der Tugend, die sich der Ordnung der N a t u r anpaßt, 1 alleinige Aufgabe der Oberen, die Untergebenen zurechtzuweisen. QTJAESTI0 33,,

ARTICULUS III Utrum correctio fraterna pertineat solum ad p r a e l a t o s [Infra a. 6; 8 ad 1; 4 d 19: 2,1; 2 qa 1; CFr 1 ad 2.17]

AD TEBTIUM sie proceditur. Videtur quod correctio fraterna non pertineat nisi ad praelatos. Dicit enim Hieronymus: 2 „Sacerdotes studeant illud Evangelii implere, ,Si peccaverit in te frater tuus', etc." Sed nomine ,sacerdotum' consueverunt signlfieari praelati, qui habent curam aliorum. Ergo videtur quod ad solos praelatos pertineat fraterna correctio. 2. PRAETEREA, fraterna correctio est quaedam eleemosyna spiritualis. Sed corporalem eleemosynam facere pertinet ad eos qui sunt superiores in temporalibus, scilicet ad ditiores. Ergo etiam fraterna correctio pertinet ad eos qui sunt superiores in spiritualibus, scilicet ad praelatos. 3. PRAETEREA, ille qui corripit alium movet eum sua admonitione ad melius. Sed in rebus naturalibus inferiora mo* 29i a 34 ventur a superioribus [cf. 2 de Coelo 10]. Ergo etiam secundum ordinem virtutis, qui sequitur ordinem naturae [cf. 5 Metaph. * 1021 b 20 16], ad solos praelatos pertinet inferiores corrigere. 1 5

Vgl. 31 3 mit Anra. [85], Cf. Origenes, Xu Josue, hom. 7 (PG 12/861 A).

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ANDERSEITS heißt es in den Dekretalen: „Sowohl die 33.3 Priester wie auch die übrigen Gläubigen, sie alle sollen große Sorge haben um die, welche unterzugehen drohen, daß sie, überführt, entweder von ihren Sünden gebessert oder, wenn sie sich als unverbesserlich erweisen, von der Kirche getrennt werden." ANTWORT: Die Zurechtweisung ist doppelt (Art. 1). Die eine ist ein Akt der Gottesliebe, die durch einfache Ermahnung besonders auf die Besserung des fehlenden Bruders hinarbeitet. Und diese Zurechtweisung ist Aufgabe eines jeden, der die Gottesliebe besitzt, ob er Untergebener ist oder Vorgesetzter. — Es gibt aber noch eine a n d e r e Zurechtweisung, die ein Akt der Gerechtigkeit ist, bei der man das Allgemeinwohl im Auge hat, das nicht nur durch die [einfache] Ermahnung des Bruders erreicht wird, sondern zuweilen auch durch Bestrafung, damit die anderen sich fürchten und von der Sünde ablassen. Und diese Zurechtweisung ist einzig Aufgabe der Oberen, die nicht nur ermahnen, sondern unter Umständen auch durch Strafen bessern müssen. Zu 1. Auch bei der brüderlichen Zurechtweisung, die alle angeht, ist die Verantwortung der Vorgesetzten schwerer, wie Augustinus bemerkt. Wie man nämlich die zeitlichen Wohltaten vor allem denen zukommen lassen muß, für deren Q U A E S T I O 33,3

SED CONTRA est quod dieitur 24, qu. 3: 1 „Tarn sacerdotes quam reliqui fideles omnes summam debent habere curam de his qui pereunt, quatenus eorum redargutione aut corrigantur a peccatis, aut, si incorrigibiles appareant, ab Eeclesiaseparentur." RESPONDEO dicendum quod, sicut dictum est, duplex est correetio. Una quidem quae est actus caritatis, qui specialiter tendit ad emendationem fratris delinquentis per simplicem admonitionem. Et talis correctio pertinet ad quemlibet caritatem habentem, sive sit subditus sive praelatus. — Est autem alia correetio quae est actus justitiae, per quam intenditur bonum commune, quod non solum procuratur per admonitionem fratris, sed etiam interdum per punitionem, ut alii a peccato timentes desistant. Et talis correctio pertinet ad solos praelatos, qui non solum habent admonere, sed etiam corrigere puniendo. AD PRIMUM ergo dicendum quod etiam in correctione fraterna, quae ad omnes pertinet, gravior est cura praelatorum; ut Augustinus dicit, in 1 de Civitate Dei [c. 9]. Sicut enim tempo- PL ralia beneficia potius debet aliquis exhibere illis quorum curam 41/23 A ' Gratian., Decret. II can. 14 Tara Sacerdotes (Frdb 1/994).

307

33, 3 Zeitliches man zu sorgen hat, so muß man auch die geistlichen Wohltaten, z. B. Zurechtweisung, Lehre und anderes dgl., zunächst denen zukommen lassen, deren geistliches Fortkommen uns anvertraut ist. Hieronymus will also nicht sagen, daß das Gebot der brüderlichen Zurechtweisung einzig die Priester angehe, sondern daß es sie im besonderen angeht. Zu 2. Wie derjenige, welcher die Mittel hat, leibliche Hilfe zu schenken, in dieser Beziehung reich ist, so ist der, welcher ein gesundes, vernünftiges Urteil hat, kraft dessen er den Fehler des anderen bessern kann, in dieser Beziehung als Höherer zu betrachten. Zu 3. Auch in den naturhaften Dingen gibt es solche, die gegenseitig aufeinander einwirken, weil sie in bestimmter Beziehung gegenseitig einander übergeordnet sind, insofern ein jedes in bezug auf das andere irgendwie empfangsfähig und irgendwie wirkmächtig ist [95]. Ebenso kann der, der ein gesundes Vernunfturteil hat, für das, worin der andere gefehlt hat, diesen zurechtweisen, auch wenn er nicht schlechthin der Höhere ist. QUAESTIO 33,s temporalem habet, ita etiam beneficia spiritualia, puta correctionem, doctrinam et alia hujusmodi magis debet exhibere illis qui sunt suae spirituali curae commissi. Non ergo intendit Hieronymus dicere quod ad solos sacerdotes pertineat praeceptum de correctione fraterna; sed quod ad hos specialiter pertinet. AD SECUNDUM dicendum quod sicut ille qui habet unde corporaliter subvenire possit quantum ad hoc dives est, ita ille qui habet sanum rationis judicium, ex quo possit alterius delictum corrigere, quantum ad hoc est superior habendus. A D TERTIUM dicendum quod etiam in rebus naturalibus quaedam mutuo in se agunt, quia quantum ad aliquid sunt se invicem superiora; prout scilicet utrumque est quodammodo in potentia et quodammodo in actu respectu alterius [cf. 8 Metaph. * i(i45 b 17 6]. Et similiter aliquis, inquantum habet sanum rationis judicium in hoc in quo alter delinquit, potest eum corrigere, licet non sit simpliciter superior.

308

4. A R T I K E L Ist man verpflichtet, seinen Oberen zurechtzuweisen?

33,4

1. Ex 19,12.13 heißt es: „Wenn ein Tier den Berg berührt, soll es gesteinigt werden" [vgl. Hb 12, 20], Und 2 Sm 6, 6 f. heißt es, daß Oza vom Herrn getötet wurde, weil er die Bundeslade berührt hatte. Durch den Berg und die Bundeslade aber wird der Obere versinnbildet. Also dürfen die Oberen von den Untergebenen nicht zurechtgewiesen werden. 2. Zu Gal 2, 11 ,Ich habe ihm ins Angesicht widerstanden' sagt die Glosse: „als Gleichberechtigter". Da also der Untergebene mit dem Oberen nicht gleichberechtigt ist, darf er ihn nicht zurechtweisen [96]. 3. Gregor sagt: „Nur der darf sich vermessen, das Leben der Heiligen zurechtzuweisen, der von sich selbst besser denkt." Keiner aber darf von sich selbst besser denken als von seinem Oberen. Also sind die Oberen nicht zurechtzuweisen. ANDERSEITS sagt Augustinus: „Ihr sollt nicht nur mit euch selbst, sondern auch mit ihm (d. h. dem Oberen) Erbarmen haben, der unter euch, je höher er steht, in um so größerer Gefahr schwebt." Die brüderliche Zurechtweisung aber ist ein Werk des Erbarmens. Also sind auch die Oberen zurechtzuweisen. Q U A E S T I O 33,,

ARTICULUS IV U t r u m aliquis teneatur corrigere praelatum suum [4 d 19: 2,2 qa 3; CFr 1 ad 18]

A D QUARTUM sie proceditur. Videtur quod aliquis non teneatur corrigere praelatum suum. Dicitur enim Ex. 19: „Bestia quae tetigerit montem lapidabitur"; et Reg. 6 dicitur quod Oza percussus est a Domino quia tetigit arcam. Sed per montem et arcam singnificatur praelatus. Ergo praelati non sunt corrigendi a subditis. 2. PRAETEREA, Gal. 2 super illud ,In faciem ei restiti' dicit Glossa [interl. et Lomb.]: „ut par". Ergo, cum subditus non sit par praelato, non debet eum corrigere. 3. PRAETEREA, Gregorius dicit [5 Moral. 11]: „Sanctorum vitam corrigere non praesumat nisi qui de se meliora sentit." Sed aliquis non debet de se meliora sentire quam de praelato suo. Ergo praelati non sunt corrigendi. SED CONTRA est quod Augustinus dicit, in Regula [Ep. 211]: „Non solum vestri, sed etiam ipsius", idest praelati, „miseremini, qui inter vos quanto in loco superiori, tanto in periculo majori versatur." Sed correctio fraterna est opus misericordiae. Ergo etiam praelati sunt corrigendi.

309

PL 192/108D PL 75/692 B

PL 33/965 A

33, 4

A N T W O R T : Jene Zurechtweisung, die ein Akt der Gerechtigkeit ist und durch die Verhängung einer Strafe vollzogen wird, kommt den Untergebenen gegenüber den Oberen nicht zu. Jene brüderliche Zurechtweisung aber, die ein Akt der Gottesliebe ist, ist Aufgabe eines jeden jeder beliebigen Person gegenüber, die wir mit heiliger Liebe lieben müssen, wenn bei ihr sich irgend etwas findet, was zurechtgewiesen werden müßte. Der A k t nämlich, der aus einem Gehaben oder Vermögen hervorgeht, erstreckt sich auf alles, was im Gegenstandsbereich dieses Vermögens oder Gehabens liegt; wie das Sehen sich auf alles erstreckt, was in den Gegenstandsbereich des Gesichtssinnes fällt. Weil aber dafür, daß der Akt wirklich ein tugendlicher sei, bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen,1 muß auch in der Zurechtweisung, bei der die Untergebenen die Vorgesetzten zurechtweisen, die [dieser Lage] angemessene Form gefunden werden, daß sie nicht mit Frechheit und Härte, sondern mit der notwendigen Ruhe und Ehrfurcht geschehe. Deshalb sagt der Apostel 1 Tim 5, 1: „Einen älteren Mann fahre nicht an, sondern flehe ihn an wie einen Vater." Und Dionysius tadelt den Mönch Demophilus dafür, daß er einen Priester ehrfurchtslos zurechtgewiesen hatte, indem er ihn schlug und zur Kirche hinauswarf. Zu 1. Der Obere wird, wie es scheint, dann in ungehöriQUAESTIO

33,,

RESPONDEO dicendum quod correctio quae est actus justitiae per correctionem2 poenae non competit subditis respectu praelati. Sed correctio fraterna, quae est actus caritatis, pertinet ad unumquemque respectu cujuslibet personae ad quam caritatem debet habere, si in eo aliquid corrigibile inveniatur. Actus enim ex aliquo habitu vel potentia procedens se extendit ad omnia quae continentur sub objecto illius potentiae vel habitus * 228 a 15 [cf. 5 Phys. 4]; sicut visio ad omnia quae continentur sub objecto visus. Sed quia actus virtuosus debet esse moderatus debitis circumstantiis, ideo in correctione qua subditi corrigunt praelatos debet modus congruus adhiberi; ut scilicet non cum protervia et duritia, sed cum mansuetudine et reverentia corrigantur. Unde Apostolus dicit, 1 ad Tim. 5: „Seniorem ne increpaveris, sed obsecra ut patrem." Et ideo Dionysius [Ep. 8] redPG arguit Demophilum monachum quia sacerdotem irreverenter oHI°/1515 o o r r e x e r a t , eum percutiens et de ecclesia ejiciens. A D P R I M U M ergo dicendum quod tune praelatus inordinate 1 2

Vgl. 31, 3 Zu 1 und 3; 32, 5 Antw. L : coercionem.

310

ger Weise ,angefaßt', wenn er ehrfurchtslos gescholten oder 33, auch verleumdet wird. Und das wird versinnbildet durch die von Gott verurteilte Berührung des Berges und der Bundeslade. Zu 2. Vor allen Leuten ins Gesicht widerstehen [vgl. Gal 2, 11] geht über das Maß einer brüderlichen Zurechtweisung hinaus; deshalb hätte Paulus den Petrus nicht in dieser Weise getadelt, wenn er sich mit ihm nicht irgendwie als Gleichberechtigter gefühlt hätte, wenigstens in bezug auf die Verteidigung des Glaubens. Unter vier Augen jedoch und mit der nötigen Ehrfurcht ermahnen, das kann auch der, welcher nicht gleichberechtigt ist. Und deshalb schreibt der Apostel an die Kolosser (4, 17), sie sollten ihre Oberen ermahnen, wenn er sagt: „Saget dem Archippus: Erfülle deinen Dienst." Man muß aber wissen, daß dort, wo eine Gefahr für den Glauben drohen würde, die Oberen sogar öffentlich von den Untergebenen zurechtgewiesen werden müßten. Deshalb hat auch Paulus, der Untergebener des Petrus war, diesen wegen des drohenden Glaubensärgernisses öffentlich zur Rechenschaft gezogen. Und wie die Glosse des hl. Augustinus zu Gal 2, 14 sagt: „hat Petrus selbst den Höhergestellten ein Beispiel gegeben, daß sie, falls sie vielleicht den rechten Weg verlassen hätten, es nicht unter ihrer Würde erachten sollten, sich von ihren Untergebenen zurechtweisen zu lassen". Q U A E S T I O 33,«

tangi videtur quando irreverenter objurgatur, vel etiam quando ei detrahitur. E t hoc significatur per contactum montis et arcae d a m n a t u m a Deo. A D S E C U N D U M dicendum quod „in faciem resistere coram omnibus" excedit modum fraternae correctionis; et ideo sie Paulus Petrum non reprehendisset nisi aliquo modo esset par, quantum a d fidei defensionem. Sed in occulto admonere et reverenter, hoc potest etiam ille qui non est par. Unde Apostolus, ad Col. ult., scribit 1 ut praelatum suum admoneant, cum dicit: „Dicite Archippo, Ministerum t u u m imple." Sciendum tarnen est quod ubi immineret periculum fidei, etiam publice essent praelati a subditis arguendi. Unde et Paulus, qui erat subditus Petro, propter imminens periculum scandali circa fidem, Petrum publice arguit. E t sie Glossa [ord. et Lomb.] 2 Augustini dicit a d Gal. 2, „ipse Petrus exem- PL plum majoribus praebuit ut, sieubi forte rectum tramitem reli- 1 0 " quissent, non dedignetur etiam a posterioribus corrigi". 1 2

P addit: de subditis. Cf. Augustinus, Ep. (82) ad Hieron. (PL 33/278 B sq.).

311

33,5

Zu 3. Sich s c h l e c h t h i n für besser halten als den Vorgesetzten, scheint vermessener Stolz zu sein. Sich jedoch in bestimmter Hinsicht für besser halten hat nichts mit Vermessenheit zu tun, denn in diesem Leben gibt es niemanden, der nicht irgendeinen Fehler hätte. — Auch ist zu beachten, daß der, der seinen Oberen in Gottesliebe ermahnt, sich deshalb nicht höher dünkt; sondern er erweist nur dem eine Hilfe, der, „je höher er steht, in um so größerer Gefahr schwebt", wie Augustinus sagt [vgl. Anderseits], 5. A R T I K E L Darf

ein Sünder

einen Fehlenden

zurechtweisen?

1. Keiner ist einer Sünde wegen von der Beobachtung eines Gebotes entschuldigt. Die brüderliche Zurechtweisung aber fällt unter das Gebot. Also scheint einer wegen der Sünde, die er begangen hat, die brüderliche Zurechtweisung nicht unterlassen zu sollen. 2. Das geistliche Almosen ist besser als das leibliche. Wer aber in Sünde ist, darf nicht unterlassen, leibliches Almosen zu geben. Also darf er es noch weniger der begangeQ U A E S T I O 33,5

AD T E R T I U M dicendum quod praesumere se esse simpliciter meliorem quam praelatus sit, videtur esse praesumptuosae superbiae. Sed aestimare se meliorem quantum ad aliquid non est praesumptionis; quia nullus est in hac vita qui non habeat aliquem defectum. — E t etiam considerandum est quod cum aliquis praelatum caritative monet, non propter hoc majorem se existimat; sed auxilium impartitur ei qui, „quanto est in loco superiori, tanto in periculo majori versatur", ut Augustinus PL dicit, in Regula [Ep. 2111.

33/965 A

ARTICULUS V Utrum peccator debeat corrigere delinquentem [Infra 60,2 ad 3; 4 d 19: 2,2 qa 2; CFr 1 ad 15.16; Jo 8 lect 1; Rom 2 lect 1]

AD QUINTUM sie proceditur. Videtur quod peccator corrigere debeat delinquentem. Nullus enim propter peccatum quod commisit a praeeepto observando excusatur. Sed correctio fraterna cadit sub praeeepto, ut dictum est. Ergo videtur quod propter peccatum quod quis commisit non debeat praetermittere hujusmodi correctionem. 2. P R A E T E R E A , eleemosyna spiritualis est potior quam eleemosyna corporalis. Sed ille qui est in peccato non debet abstinere quin eleemosynam corporalem faciat. Ergo multo 312

nen Sünde wegen unterlassen, den Fehlenden zurechtzu- 33, r. weisen. 3. 1 Jo 1, 8 heißt es: „Wenn wir sagen, wir hätten keine Sünde, so täuschen wir uns selbst." Wenn wir also durch die Sünde an der brüderlichen Zurechtweisung behindert werden, ist kein einziger da, der den Fehlenden zurechtweisen könnte. Das wäre aber nicht gut. Also [wäre] auch das erste [ — die Verhinderung der brüderlichen Zurechtweisung durch die Sünde — unangemessen], A N D E R S E I T S sagt Isidor: „Wer selbst dem Laster verfallen ist, soll die Laster der anderen nicht rügen." Und Rom 2, 1 heißt es: „Worin du über den anderen Gericht sitzest, darin verurteilst du dich selbst; du tust ja selbst das, was du verurteilst." A N T W O R T : Die Zurechtweisung des Fehlenden ist jemandes Aufgabe, soweit in ihm das rechte Urteil der Vernunft lebendig ist (Art. 3 Zu 2 u. 3). Wie aber oben ( I - I I 85, 2: Bd. 12) gesagt, hebt die Sünde nicht alles Gut der Natur so gründlich auf, daß im Sünder nichts vom rechten Urteil der Vernunft zurückbliebe.1 Danach also kann es ihm zustehen, das Vergehen des anderen zu rügen. Doch ersteht aus der vorhergehenden Sünde [des Zurechtweisenden] der brüderlichen Zurechtweisung ein gewisses Q U A E S T I O 33, s

minus debet abstinere a eorrectione delinquentis propter peccatum praecedens. 3. P R A E T E R E A , 1 Joan. 1 dicitur: „Si dixerimus quia peccatum non habemus, nosipsos seducimus." Si igitur propter peccatum aliquis impeditur a correctione fraterna, nullus erit qui possit corrigere delinquentem. Hoc autem est inconveniens. Ergo et primum. SED CONTRA est quod Isidorus dicit, in libro de Summo Bono [1. 3, 32]: „Non debet vitia aliorum corrigere qui est PL vitiis subjectus." Et Rom. 2 dicitur: „In quo alium judicas, 8 S ' 7 M 4 teipsum condemnas; eadem enim agis quae judicas." RESPONDEO dicendum quod, sicut dictum est, correctio delinquentis pertinet ad aliquem inquantum viget in eo rectum Judicium rationis. Peccatum autem, ut supra dictum est, non tollit totum bonum naturae, quin remaneat in peccante aliquid de recto judicio rationis. Et secundum hoc potest sibi competere alterius2 delictum arguere. Sed tarnen per peccatum praecedens impedimentum quoddam 1 a

Vgl. Anm. [35], [50], [85]. P : a subditis.

313

33,5

Hindernis aus drei Gründen. E r s t e n s , weil er durch die vorhergehende Sünde unwürdig wird, einen anderen zurechtzuweisen. Vor allem, wenn er eine größere Sünde [als jener] begangen hat, ist er nicht würdig, den anderen wegen einer geringeren Sünde zurechtzuweisen. Deshalb sagt Hieronymus zu Mt 7, 3 ,Was siehst du den Splitter [im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge siehst du nicht!]': „Er [der Herr] spricht von denen, die, selbst eines todeswürdigen Verbrechens schuldig, den Brüdern nicht einmal die kleineren Sünden nachsehen." Z w e i t e n s wird die Zurechtweisung ungehörig wegen des Ärgernisses, das daraus folgen könnte, wenn die Sünde des Zurechtweisenden öffentlich bekannt wäre; das sieht dann so aus, als wenn der Zurechtweisende nicht aus Liebe, sondern aus Prahlerei zurechtweisen würde. Deshalb sagt Chrysostomus zu Mt 7, 4 ,Wie kannst du zu deinem Bruder sagen [: Erlaube, ich will den Splitter aus deinem Auge entfernen]': „In welcher Absicht ? Vielleicht aus heiliger Liebe, um deinen Nächsten zu retten? Wohl kaum, weil du dich dann vorher selbst retten würdest. Du willst also nicht etwa die anderen retten, sondern hinter deinen guten Lehren deine schlechten Handlungen verbergen und obendrein noch das Lob der Menschen f ü r dein Wissen einheimsen." D r i t t e n s wegen des Stolzes des Zurechtweisenden, sofern Q U A E S T I O 33,0

huic correctioni affertur, propter tria. Primo quidem, quia ex peccato praecedenti indignus redditur ut alium corrigat. Et praecipue si majus peccatum commisit, non est dignus ut corrigat alium de minori peccato. Unde super illud Matth. 7, PL ,Qui vides festucam' etc. dicit Hieronymus [1.1]: „De hisloqui26/46 D tur qui, cum mortali crimine detineantur obnoxii, minora peccata fratribus non concedunt." Seeundo, redditur indebita correctio propter scandalum, quod sequitur ex correctione si peccatum corripientis sit manifestum ; quia videtur quod ille qui corrigit non corrigat ex cantate, sed magis ad ostentationem. Unde super illud 1 Matth. 7, ,Quomodo dicis fratri tuo' etc., exponit Chrysostomus : :„In quo proposito ? Puta ex caritate, ut salves proximum tuum ? Non ; quia teipsum ante salvares. Vis ergo non alios salvare, sed per bonam doctrinam malos actus celare, et scientiae laudem ab hominibus quaerere." Tertio modo, propter superbiam corripientis; inquantum ' Of. Op. imperf. in Matth, hom. 17 ( P 6 56/727 A).

314

nämlich einer die eigenen Sünden als nicht der Rede wert 33, r> übersieht, sich in seinem Herzen dem Nächsten vorzieht, dagegen dessen Sünden mit düsterer Strenge beurteilt, so, als wäre er selbst der Gerechte. Deshalb sagt Augustinus: „Fragen wir uns, wenn wir vor der Notwendigkeit stehen, einen anderen zurechtzuweisen, ob wir selbst niemals ein solches Laster gehabt haben; [und wenn nicht,] dann bedenken wir, daß auch wir Menschen sind und es gehabt haben k ö n n t e n . Aber vielleicht ist es gar ein solches, das auch wir einmal hatten, aber jetzt nicht mehr haben: dann wollen wir uns erinnern an unsere Gebrechlichkeit, die uns allen gemeinsam ist, damit nicht Haß, sondern Erbarmen jener Zurechtweisung vorausgehen möge. Finden wir aber, daß wir [noch jetzt] in demselben Laster befangen sind, dann wollen wir [dem anderen] keine Vorwürfe machen, sondern miteinander seufzen und uns gegenseitig zur Buße ermuntern." Daraus ergibt sich, daß der Sünder, wenn er in Demut den Fehlenden zurechtweist, nicht sündigt noch sich selbst ein neues Verdammungsurteil zuzieht; mag er dadurch auch sich selbst, entweder im Bewußtsein des Bruders oder wenigstens im eigenen Gewissen, seiner Sünde wegen als verdammungswürdig beweisen. Daraus ergibt sich die Lösung zu den Einwänden. Q U A E S T I O 33,,

scilicet aliquis, propria peccata parvipendens, seipsum proximo praefert in corde suo, peccata ejus austera severitate dijudicans, ac si ipse esset justus. Unde Augustinus dicit, in libro de Sermone Domini in Monte [lib. 2, 19]: „Accusare vitia officium est l'l. bonorum; quod cum mali faciunt, alienas partes agunt." Et ideo, sicut Augustinus dicit in eodem [1. c.], „cogitemus, cum aliquem reprehendere nos necessitas coegerit, utrum tale sit vitium quod nunquam habuimus; et tunc cogitemus nos homines esse, et habere potuisse. Vel tale quod habuimus et jam non habemus; et tunc tangat memoriam communis fragilitas, ut illam correctionem non odium sed misericordia praecedat. Si autem invenerimus nos in eodem vitio esse, non objurgemus, sed congemiscamus et ad pariter poenitendum invitemus." E x his igitur patet, quod peccator, si cum humilitate corripiat delinquentem, non peccat, nec sibi novam condemnationem acquirit; licet per hoc vel in conscientia fratris, vel saltem sua, pro peccato praeterito condemnabilem se esse ostendat. Unde patet responsio A D OBIECTA.

315

6. A R T I K E L

6

Muß man von der Zurechtweisung absehen aus Furcht, der andere möchte dadurch noch schlimmer werden? 1. Die Sünde ist in gewissem Sinne eine Krankheit der Seele; nach dem Psalmwort [Ps 6, 3]: „Erbarme dich meiner, Herr, denn ich bin krank." Wer aber die Sorge für einen Kranken hat, darf wegen seines Sträubens oder seiner Verächtlichmachung [von dieser Sorge] nicht ablassen; weil dann eine noch größere Gefahr drohen würde, wie das augenscheinlich ist bei den Geisteskranken. Um so mehr also muß der Mensch den Sünder zurechtweisen, so schwer es dieser auch aufnehmen mag. 2. „Die Wahrheit des Lebens darf wegen Ärgernisses nicht preisgegeben werden" (Hieronymus). Die Gebote Gottes aber gehören zur Wahrheit des Lebens. Da also die brüderliche Zurechtweisung unter das Gebot fällt (Art.2), scheint es, daß man sie nicht unterlassen darf wegen des Ärgernisses dessen, der zurechtgewiesen wird. 3. Nach dem Apostel, Rom 3, 8, gilt: „Man darf das Böse nicht tun, damit Gutes daraus werde." Also mit demselQ U A E S T 1 0 33,«

A R T I C U L U S VI Utrum aliquis debeat a correctione cessare propter t i m o r e m ne ille f i a t deterior [Supra a. 2 ad 3; infra 150,1 ad 4; I-II 85,2; 4 d 19: 2,2 qa 1 ad 5; 33: 2,2 qa 2 ad 1; CFr 1 ad 1.3.4.5.6.7]

AD SEXTUM sie proceditur. Videtur quod aliquis non debeat a correctione cessare propter timorem ne ille fiat deterior. Peccatum enim est quaedam infirm itae animae; secundum illud Psalmi: „Miserere mei, Domine, quoniam infirmus sum." Sed ille cui imminet cura infirmi etiam propter ejus eontradictionem vel contemptum non debet cessare; quia tunc imminet majus periculum, sicut patet circa furiosos. Ergo multo magis debet homo peccantem corrigere, quantumeumque graviter ferat. 2. PRAETEREA, secundum Hieronymum, 1 „veritas vitae non est dimittenda propter scandalum". Praecepta autem Dei pertinent ad veritatem vitae. Cum ergo correctio fraterna cadat sub praeeepto, ut dictum est, videtur quod non sit dimittenda propter scandalum ejus qui corripitur. 3. PRAETEREA. secundum Apostolum, ad Rom. 3, „non sunt facienda mala ut veniant bona". Ergo, pari ratione, non 1 Cf. Hugo de S. Chato, In Univ. Test, ad Matth. 18, 7; Ps.-Alexander Hai., Summa Thcol. II 862 (QR III/821).

316

ben Recht: Man darf das Gute nicht unterlassen, um das 33, 6 Böse zu verhindern. Die brüderliche Zurechtweisung aber ist etwas Gutes. Also darf sie nicht unterlassen werden aus Furcht, der Zurechtgewiesene möchte noch schlimmer werden. ANDERSEITS heißt es Spr 9, 8: „Weise den Spötter nicht zurecht, daß er dich nicht hasse." Dazu die Glosse: „Nicht das ist zu fürchten, daß der Spötter, von dir zurechtgewiesen, dich schmäht; sondern das ist vielmehr zu besorgen, daß er, von Haß getrieben, dadurch nur schlimmer wird." Also muß man von der brüderlichen Zurechtweisung absehen, wenn die Befürchtung besteht, daß jener nur noch schlimmer wird. ANTWORT: Die Zurechtweisung des Fehlenden ist eine doppelte (Art. 3). Die eine ist Aufgabe der Vorgesetzten und auf das Gemeinwohl ausgerichtet; sie hat zwingende Gewalt. Und diese Zurechtweisung ist nicht zu unterlassen wegen der Verwirrung dessen, der zurechtgewiesen wird. Einmal deshalb, weil er, wenn er sich nicht von selbst bessern will, durch Strafen gezwungen werden muß, von der Sünde abzulassen. Ferner deshalb, weil dadurch im Falle seiner Unverbesserlichkeit für das Gemeinwohl Vorsorge getroffen wird, insofern die Ordnung der Gerechtigkeit gewahrt und durch das Beispiel des einen die anderen abgeschreckt werden. Daher unterläßt auch der Richter es nicht, QUAESTIO

33,,

sunt praetermittenda bona ne veniant mala. Sed correctio fraterna est quoddam bonum. Ergo non est praetermittenda propter timorem ne ille qui corripitur fiat deterior. S E D CONTRA est quod dicitur Prov. 9: ,Noli arguere derisorem, ne oderit t e ' ; ubi dicit Glossa [ord.]: 1 „Non est timendum ne tibi derisor, cum arguitur, contumelias inferat; sed hoc potius providendum, ne, tractus ad odium, inde fiat pejor." Ergo cessandum est a correctione fraterna quando timetur ne fiat ille inde deterior. R E S P O N D E O dicendum quod, sicut dictum est, duplex est correctio delinquentis. Una quidem pertinens ad praelatos, quae ordinatur ad bonum commune, et habet vim coactivam. E t talis correctio non est dimittenda propter turbationem ejus qui corripitur. Tum quia, et si propria sponte emendari non velit, cogendus est per poenas ut peccare desistat. Tum etiam quia, si incorrigibilis sit, per hoc providetur bono communi, dum servaturordo justitiae, et unius exemplo alii deterrentur. Unde judex 1

Gregor. M., Lib. Moralium 8, 42 ( P L 75/842 C).

317

33, 6 den Sünder zu verurteilen, aus Furcht, er oder auch seine Freunde möchten dadurch in Ungelegenheiten geraten. Eine andere aber ist jene brüderliche Zurechtweisung, welche die Besserung des Fehlenden zum Ziele hat; diese kennt keinen Zwang, sondern nur schlichte Ermahnung. Wo man daher mit Wahrscheinlichkeit urteilen muß, daß der Fehlende die Ermahnung nicht annimmt, sondern in noch schlimmere [Laster] gerät, muß man von dieser Zurechtweisung Abstand nehmen; denn die Mittel zum Ziele müssen so eingesetzt werden, wie es die Bewandtnis des Zieles erfordert. Zu 1. Der Arzt übt auf den Geisteskranken, der seine Behandlung nicht annehmen will, einen gewissen Zwang aus. Und dem ist die Zurechtweisung von Seiten der Vorgesetzten gleichzuachten, die mit Zwang vorgeht; nicht aber die einfache brüderliche Zurechtweisung. Zu 2. Bezüglich der brüderlichen Zurechtweisung besteht ein Gebot, sofern sie ein Akt der Tugend ist. Das ist sie aber nur insoweit, als sie dem Ziel angemessen ist. Wenn sie also das Ziel eher vereitelt, z. B. wenn der Mensch dadurch schlimmer wird, gehört sie schon nicht mehr zur Wahrheit des Lebens, noch fällt sie dann unter das Gebot. Zu 3. Die Mittel zum Ziel haben die Bewandtnis von ,gut' aus der Ausrichtung auf das Ziel. Deshalb hat die brüQUAESTIO 33,. non praetermittit ferre sententiam condemnationis in peccantem propter timorem turbationis ipsius, vel etiam amicorum ejus. Alia vero correctio est fraterna, cujus finis est emendatio delinquentis, non habens coactionem sed simplicem admonitionem. Et ideo ubi probabiliter aestimatur quod peccator admonitionem non recipiat, sed ad pejora labatur, est ab hujusmodi correctione desistendum; quia ea quae sunt ad flnem debent regulari m5b22 secundum quod exigit ratio finis [cf. 3 Eth. 10]. AD PRIMUM ergo dicendum quod medicus quadam coactione utitur in phreneticum, qui curam ejus recipere non vult. Et huic similatur correctio praelatorum, quae habet vim coactivam; non autem simplex correctio fraterna. AD SECUNDUlVt dicendum quod de correctione fraterna datur praeceptum secundum quod est actus virtutis. Hoc autem * io!)7 b 20 est secundum quod proportionatur fini [ef. 1 Eth. 6]. E t ideo quando est impeditiva finis, puta cum efficitur homo deterior, jam non pertinet ad veritatem vitae, nec cadit sub praecepto. AD TERTIUM dicendum quod ea quae ordinantur ad finem * ioy4 ¡i 18 habent rationem boni ex ordine ad finem [cf. 1 Eth. 1]. Et ideo 318

derliche Zurechtweisung, wenn sie die Erreichung des Zieles, 33, i nämlich die Besserung des Bruders, hindert, schon nicht mehr die Bewandtnis von ,gut'. Wenn man also eine solche Zurechtweisung unterläßt, ist es nicht so, daß etwas Gutes unterlassen wird, um etwas Böses zu vermeiden. 7. A R T I K E L Muß in der brüderlichen Zurechtweisung, aus der Notwendigkeit des Gebotes heraus, die Ermahnung unter vier Augen der Anzeige vorausgehen? 1. In den Werken der Gottesliebe müssen wir vor allem Gott nachahmen; nach Eph 5 , 1 f.: „Seid Nachahmer Gottes als geliebte Kinder und wandelt in der Liebe." Gott aber straft den Menschen öffentlich für seine Sünde, ohne daß eine geheime Mahnung vorausgeht. Also scheint es nicht notwendig, daß eine Ermahnung unter vier Augen der Anzeige vorausgeht. 2. Wie Augustinus sagt, „können wir aus der Geschichte der Heiligen erkennen, wie die Gebote der Heiligen Schrift zu verstehen sind". In der Geschichte der Heiligen aber finden Q U A E S T I O 33,7

correetio fraterna, quando est impeditivaflnis, scilicetemendationis fratris, jam non habet rationem boni. E t ideo cum praetermittitur talis correctio, non praetermittitur bonum ne eveniat malum. ARTICULUS VII U t r u m in c o r r e c t i o n e f r a t e r n a d e b e a t , ex n e c e s s i t a t e p r a e c e p t i , a d m o n i t i o s e c r e t a praecedere denuntiationem [Infra 67,3 ad 2; 68,3 arg 2; 98,4 ad 3; i d 19: 2,3 qa 1; Qlb 1 a. 16; 11 a. 12.13; CFr 2; Mt 18]

AD SEPTIMUM sie proceditur. Videtur quod in correctione fraterna non debeat, ex necessitate praecepti, admonitio secreta praecedere denuntiationem. Operibus enim caritatis praeeipue debemus Deum imitari; secundum illud Eph. 5: „Estote imitatores Dei, sicut filii carissimi, et ambulate in dilectione." Deus vero interdum publice punit hominem pro peccato nulla secreta monitione praecedente. Ergo videtur quod non sit necessarium admonitionem secretam praecedere denuntiationem. 2. PRAETEREA, sicut Augustinus dicit, in libro Contra Mendacium [De Mendacio, c. 15], „ex gestis Sanctorum intelligi PL potest qualiter sunt praeeepta sacrae Scripturae intelligenda". «"soe C Sed in gestis Sanctorum invenitur facta publica denuntiatio 319

33, 7 wir tatsächlich die öffentliche Anzeige einer geheimen Sünde, ohne daß eine geheime Ermahnung vorausgegangen wäre; so lesen wir Gn 37, 2, daß Joseph „seine Brüder bei seinem Vater wegen eines schändlichen Verbrechens anklagte"; und Apg 5, 3 f. u. 9 wird berichtet, daß Petrus Ananias und Saphira, welche heimlich den Erlös für den Acker veruntreut hatten, öffentlich bloßstellte, ohne daß eine geheime Ermahnung vorausgegangen wäre. Auch lesen wir vom Herrn Selbst nicht, daß Er Judas im geheimen ermahnt habe, bevor er ihn [als Verräter] bezeichnete. Es fällt also nicht notwendig unter das Gebot, daß eine geheime Ermahnung der öffentlichen Anzeige vorausgehen muß. 3. Anklage ist schwerer als Anzeige. Zur öffentlichen Anklage aber kann einer schreiten, ohne daß eine geheime Ermahnung vorausgegangen ist; es wird nämlich in einem Dekretale bestimmt, daß „der Anklage [lediglich] eine Anklageschrift vorausgehen muß". Es scheint also nicht zur Notwendigkeit des Gebotes zu gehören, daß der öffentlichen Anklage eine geheime Ermahnung vorausgehen muß. 4. Es ist nicht wahrscheinlich, daß das, was allgemein bei den Ordensleuten in Gebrauch ist, gegen die Gebote Christi verstößt. Es ist aber bei den Orden Brauch, daß in den Schuldkapiteln einige öffentlich wegen ihrer Schuld angeklagt werden, ohne daß eine geheime Ermahnung vorausgeQ U A E S T I O 33, T

peccati occulti nulla secreta monitione praecedente; sicut legitur Gen. 37, quod Joseph „accusavit fratres suos apud patrem crimine pessimo"; et Act. 5 dicitur quod Petrus Ananiam et Saphiram, occulte defraudantea de pretio agri, publice denuntiavit nulla secreta admonitione praemissa. Ipse etiam Dominus non legitur secreto admonuisse Judam antequam eum denuntiaret. Non ergo est de necessitate praecepti ut secreta admonitio praecedat publicam denuntiationem. 3. P R A E T E R E A , accusatio est gravior quam denuntiatio. Sed ad publicam accusationem potest aliquis procedere nulla admonitione secreta praecedente; determinatur enim in Decretali1 quod „accusationem debet praecedere inscriptio". Ergo videtur quod non sit de necessitate praecepti quod secreta admonitio praecedat publicam denuntiationem. 4. P R A E T E R E A , non videtur esse probabile quod ea quae sunt in communi consuetudine religiosorum sint contra praecepta Christi. Sed consuetum est in religionibus quod in capitulis aliqui proclamantur de culpis nulla secreta admonitione 1

Gregor. I X . , Derretal. lib. 5, 1 e. 24 Qualiter (Frdl> U/74«),

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gangen ist. Also scheint das nicht notwendig zur Erfüllung 33, i des Gebotes zu gehören. 5. Die Ordensleute müssen ihren Oberen gehorchen. Zuweilen aber befehlen die Oberen, sei es allen insgemein, sei es dem einzelnen im besonderen, daß, wenn man etwas weiß, was zurechtgewiesen werden müßte, es ihnen gesagt wird. Es scheint also, daß man verpflichtet ist, es ihnen zu sagen, noch bevor eine geheime Ermahnung erfolgt ist. Also gehört es nicht notwendig zur Erfüllung des Gebotes, daß der öffentlichen Anklage eine geheime Mahnung vorausgeht. ANDERSEITS sagt Augustinus in der Erklärung der Stelle: ,Weise ihn [den Bruder] zurecht zwischen dir und ihm allein': „[Das sollst du befolgen,] indem du dich um die Besserung [des Bruders] bemühst, sein Ehrgefühl aber schonst. Sonst möchte er nämlich aus Scham anfangen, seine Sünde zu verteidigen, und den, den du bessern möchtest, machst du schlimmer." Durch das Gebot der Liebe aber sind wir gehalten, darauf zu achten, daß der Bruder nicht schlimmer wird. Also fällt die Ordnung der brüderlichen Zurechtweisung unter das Gebot. ANTWORT: In bezug auf die öffentliche Anzeige der Sünde muß man unterscheiden. Entweder nämlich handelt es sich um öffentliche oder um geheime Sünden. Handelt es Q U A E S T I O 33,,

praemissa. Ergo videtur quod hoc non sit de necessitate praecepti. 5. PRAETEREA, religiosi tenentur suis praelatis obedire. Sed quandoque praelati praecipiunt, vel communiter omnibus vel alicui specialiter, ut si quid seit corrigendum, ei dicatur. Ergo videtur quod teneantur ei dicere etiam ante secretam admonitionem. Non ergo est de necessitate praeeepti ut secreta admonitio praecedat publicam denuntiationem. SED CONTRA est quod Augustinus dicit, in libro de Verbis Domini [serm. 82, 4], exponens illud ,Corripe ipsum inter te et PL ipsum solum': „Studens correctioni, parcens pudori. Forte enim 8 8 / 5 0 9 prae verecundia ineipit defendere peccatum suum, et quem vis facere meliorem, facis pejorem." Sed ad hoc tenemur per praeceptum caritatis ut caveamus ne frater deterior efficiatur. Ergo ordo correctionis fraternae cadit sub praeeepto. RESPONDEO dicendum quod circa publicam denuntiationem peccatorum distinguendum est. Aut enim peccata sunt publica, aut sunt 1 occulta. Si quidem sint publica, non est tan1

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P : eis teneantur. 17A

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33, 7 sich um ö f f e n t l i c h e Sünden, so muß man nicht nur dem das Heilmittel reichen, der gesündigt hat, damit er besser werde, sondern auch den anderen, zu deren Kenntnis sie gelangt ist, damit sie kein Ärgernis nehmen. Deshalb müssen solche Sünden öffentlich gerügt werden; nach dem Wort des Apostels 1 Tim 5, 20: „Den Fehlenden weise v o r a l l e n zurecht, damit auch die übrigen sich fürchten"; das ist aber von den öffentlichen Sünden zu verstehen, wie Augustinus ausdrücklich bemerkt. Handelt es sich aber um g e h e i m e Sünden, so scheint das in K r a f t zu treten, was der Herr [Mt 18, 15] sagt: „Wenn dein Bruder gegen dich sündigt" [97]; wenn er dich nämlich öffentlich vor anderen beleidigt, so sündigt er nicht nur .gegen dich', sondern auch gegen die anderen, die er durcheinanderbringt. Weil aber auch aus den geheimen Sünden ein Anstoß für den Nächsten erwachsen kann, scheint es, daß man noch weiter unterscheiden muß. Es gibt nämlich heimliche Sünden, die, sei es zum leiblichen, sei es zum geistigen Schaden des Nächsten sind; z. B. wenn einer heimlich verhandelt, um die Bürgerschaft dem Feinde auszuliefern; oder wenn ein Irrlehrer persönlich die Menschen vom Glauben abtrünnig macht. Und weil in diesen Fällen der heimliche Sünder nicht nur ,gegen dich' sündigt, sondern auch gegen die anderen, muß man sofort zur Anzeige schreiten, um solchen Schaden zu verhindern, wenn man nicht etwa mit Sicherheit annehQ U A E

S T 1 0

33, ,

tum adhibendum remedium ei qui peccavit, ut rnelior fiat, sed etiam aliis, in quorum notitiam devenit, ut non scandalizentur. Et ideo talia peccata sunt publice arguenda; seeundum illud Apostoli, 1 ad Tim. 5: „Peccantem coram omnibus argue, ut ceteri timorem habeant", quod intelligitur de peccatis publicis, PI, ut Augustinus dicit, in Iibro de Verbis Domini [1. c., c. 7]. >n A Si vero sint peccata occulta, sie videtur habere locura quod Dominus dicit: „Si peccaverit in te frater tuus"; quando enim te offendit publice coram aliis, jam non solum in te peccat, sed etiam in alios, quos turbat. Sed quia etiam in occultis peccatis potest parari proximorum offensa, ideo adhuc distinguendum videtur. Quaedam enim peccata occulta sunt quae sunt in nocumentum proximorum vel corporate vel spirituale; puta si aliquis occulte tractet quomodo civitas tradatur hostibus; vel si haereticus privatim homines a fide avertat. Et quia hic ille qui occulte peccat non solum in te peccat, sed etiam in alios; oportet statim ad denuntiationem procedere, ut hujusmodi nocumsntum impediatur; nisi forte aliquis firmiter aestimaret quod sta -

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men kann, daß durch eine geheime Ermahnung diese Übel 33,7 sofort verhindert werden können.

Andere Sünden gibt es, die nur zum Schaden des Sünders und zu deinem Schaden sind, wenn er ,gegen dich' sündigt, entweder so, daß du durch den Sünder eine [körperliche] Verletzung empfängst oder doch durch die bloße Kenntnis [betroffen wirst]. Und wie der Arzt des Leibes, wenn er kann, ohne Abnahme eines Gliedes die Heilung herbeiführt, wenn er aber nicht kann, ein weniger wichtiges Glied abnimmt, um das Leben des Ganzen zu erhalten, — so muß auch, wer auf die Besserung des Bruders bedacht ist, den Bruder im Gewissen so bessern, daß sein guter Ruf erhalten bleibt. Denn dieser gute Ruf ist e i n m a l von Nutzen für den Sünder selbst, und zwar nicht nur für die zeitlichen Angelegenheiten, in denen der Mensch, wenn er den guten Ruf verliert, mannigfachen Schaden nehmen kann; sondern auch für die geistigen Belange, weil aus Furcht vor Ehrlosigkeit viele von der Sünde zurückgehalten werden, so daß sie, wenn sie sich als Verrufene ansehen müssen, hemmungslos sündigen. Deshalb sagt Hieronymus: „Der Bruder muß für sich allein zurechtgewiesen werden; damit er nicht, nachdem er einmal Scham und Scheu verloren hat, in der Sünde verharrt." Z w e i t e n s muß der gute Ruf des fehlenden Bruders geschont werden, sowohl weil, wenn einer in Verruf gerät, QUAESTIO 33, , tim per secretam admonitionem posset hujusmodi mala impedire. Quaedam vero peccata sunt quae sunt solum in malum peccantis et tui, in quem peccatur vel quia a peccante laederis, vel saltem ex sola notitia. Et tune ad hoc solum tendendum est ut fratri peccanti subveniatur. Et sicut medicus corporalis sanitatem confert, si potest, sine alicujus membri abscissione; si autem non potest, abscindit membrum minus necessarium, ut vita totius conservetur; ita etiam ille qui studet emendationi fratris debet, si potest, sie emendare fratrem, quantum ad conscientiam, ut fama ejus conservetur. Quae quidem est utilis, primo quidem et ipsi peccanti; non solum in temporalibus in quibus quantum ad multa homo patitur detrimentum amissa fama; sed etiam quantum ad spiritualia, quia prae timore infamiae multi a peccato retrahuntur, unde quando se infamatos conspiciunt, irrefrenate peccant. Unde Hieronymus dicit [In Matth., lib. 3 ad 18, 15]: „Corripiendus est seorsum frater; PL ne, si semel pudorem aut verecundiam amiserit, permaneat 2 6 ' 1 3 1 in peccato." Secundo debet conservari fama fratris peccantis, tum quia, uno infamato, alii infamantur; secundum illud Augu-

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33,7 andere mit in Verruf geraten; nach dem, was Augustinus sagt: „Wenn von denen, die den heiligen Namen bekennen [Mönche und Ordensleute], etwas von einem falschen [nichtbegangenen] Verbrechen geraunt oder ein wahres [wirklich begangenes] offenbar wird, so sind sie [die Leute] dahinter her und haben vollauf zu tun und laufen herum, daß es von allen geglaubt wird. "Dann aber auch, weil durch die Veröffentlichung der Sünde des einen andere zur Sünde gereizt werden. — Weil aber das Gewissen dem guten Ruf vorzuziehen ist, wollte der Herr, daß, wenn auch unter Verlust des guten Rufes, das Gewissen des Bruders durch die öffentliche Anzeige von der Sünde befreit werde. Danach gehört es offenbar notwendig zur Erfüllung des Gebotes, daß der öffentlichen Anzeige die geheime Ermahnung vorausgehe. Z u 1. Alle verborgenen Dinge sind Gott bekannt. Deshalb verhalten sich die geheimen Sünden zum göttlichen Gericht wie die öffentlichen zum menschlichen. — I n den meisten Fällen jedoch drängt Gott die Sünder gleichsam durch geheime Ermahnung, indem E r sie entweder im Wachen oder im Schlafen innerlich anregt; nach Job 33, 15 ff.: „Im Traum, im nächtlichen Gesichte, wenn tiefer Schlaf auf die Menschen f ä l l t . . . , dann erschließt E r die Ohren der Menschen, lehrt und unterweist sie durch Warnung, auf daß Er den Menschen von dem abwende, was er getan." QUAESTIO

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PL stini, in epistola ad Plebem Hipponensem [ep. 78]: „Cum de aliquibus qui sanctum nomen profitentur aliquid criminis vel falai sonuerit vel veri patuerit, instant, satagunt, ambiunt ut de Omnibus hoc credatur." Tum etiam quia ex peccato unius publicato alii provocantur ad peccatum. — Sed quia conscientia praeferenda est famae, voluit Dominus ut saltem cum dispendio famae fratris conscientia per publicam denuntiationem a peccato liberetur. Unde patet de necessitate praecepti esse quod secreta admonitio publicam denuntiationem praecedat. A D PRIMUM ergo dicendum quod omnia occulta Deo sunt nota. Et ideo hoc modo se habent occulta peccata ad judicium divinum sicut publica ad humanum. — Et tarnen plerumque Deus peccatores quasi secreta admonitione arguit interius inspirando, vel vigilanti vel dormienti, secundum illud Job 33: „Per somnium in visione nocturna, quando irruit sopor super homines, tunc aperit aures virorum, et eos erudiens instruit disciplina, ut avertat hominem ab his quae fecit."

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Z u 2. Für den Herrn, als Gott, war die Sünde des Judas 33, 7 eine öffentliche. Deshalb konnte E r sofort zur Veröffentlichung schreiten. Er Selbst aber hat sie eben nicht veröffentlicht, sondern ihn mit dunklen Worten wegen seiner Sünde ermahnt [Mt 26, 21 ff.; Mk 14, 18 ff.; Lk 22, 21 ff.; J o 13, 21 ff.]. — Petrus aber veröffentlichte die geheime Sünde des Ananias und der Saphira gleichsam als Vollstrecker Gottes, durch dessen Offenbarung er von der Sünde Kenntnis hatte. — Von Joseph muß man jedoch annehmen, daß er seine Brüder mehrmals ermahnt hat, auch wenn davon nichts geschrieben steht. Oder man kann sagen, daß die Sünde unter den Brüdern schon öffentlich war, weshalb es auch in der Mehrzahl heißt: „Er klagte seine Brüder an." Z u 3. Für den Fall, daß eine Gefahr für das Volk droht, finden die Worte des Herrn keine Anwendung, weil der fehlende Bruder nicht ,gegen dich' allein sündigt. Zu 4. Die im Schuldkapitel der Ordensleute üblichen ,Anklagen' beziehen sich nur auf leichte Verfehlungen, die den guten Ruf nicht schädigen. Deshalb sind sie eher eine gewisse Erinnerung an vergessene Schuld denn Anklagen oder Anzeigen. Würde es sich allerdings um etwas handeln, wodurch der Bruder in Verruf käme, so würde der, der die Sünde des Bruders in dieser Weise öffentlich machte, gegen das Gebot des Herrn sündigen. Q U A E S T I O 33,,

A D SECUNDUM dicendum quod Dominus peccatum Judae, tamquam Deus, sicut publicum habebat. Unde statim poterat ad publicandum procedere. Tarnen ipse non publicavit, sed obscuris verbis eum de peccato suo admonuit. — Petrus autem publicavit peccatum oceultum Ananiae et Saphirae tamquam executor Dei, cujus revelatione peccatum cognovit. — De Joseph autem credendum est quod fratres suos quandoque admonuerit, licet non sit scriptum. Vel potest dici quod peccatum publicum erat inter fratres; unde dicit pluraliter: „Accusavit fratres suos." AD TERTIUM dicendum quod quando imminet periculum multitudinis, non habent ibi locum haec verba Domini; quia tunc frater peccans non peccat in te tantum. A D QUARTUM dicendum quod hujusmodi proclamationes quae in capitulis religiosorum fiunt sunt de aliquibus levibus, quae famae non derogant. Unde sunt quasi quaedam commemorationes potius oblitarum culparum quam accusationes vel denuntiationes. Si essent tarnen talia de quibus frater infamaretur, contra praeceptum Domini ageret qui per hunc modum peccatum fratris publicaret.

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Z u 5. Dem Oberen darf man in Dingen, die gegen das göttliche Gebot sind, nicht gehorchen; nach Apg 5, 29: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen." Wenn demnach der Obere befiehlt, daß, wenn man etwas weiß, was gerügt werden müßte, ihm das gesagt werde, so ist das Gebot richtig zu verstehen, das heißt, unter Wahrung der Ordnung der brüderlichen Zurechtweisung; gleichgültig ob das Gebot allgemein für alle gelten soll oder nur für einen einzelnen. Wenn aber der Obere ausdrücklich etwas gegen die vom Herrn vorgeschriebene Ordnung befehlen würde, würde sowohl er durch den Befehl wie der andere durch den Gehorsam sündigen, weil sie [beide] gegen das Gebot des Herrn handelten; man dürfte ihm also nicht gehorchen. Denn nicht der Obere ist Richter über das Verborgene, sondern Gott allein. Deshalb hat er kein Recht, etwas zu befehlen in bezug auf geheime [Sünden], außer wenn sie durch irgendwelche Anzeichen offenbar würden, z. B. durch üble Nachrede oder irgendwelche Verdachtsgründe; in diesen Fällen muß der Obere befehlen, in derselben Weise, wie der weltliche oder kirchliche Richter einen Eid darüber verlangen kann, daß man die Wahrheit sagt. Q I T A E S T I O 33, ,

A D QUINTUM dicendum quod praelato non est obediendum contra praeceptum divinum; secundum illud Act. 5: „Obedire oportet Deo magis quam hominibus." Et ideo quando praelatus praecipit ut sibi dicatur quod quis sciverit corrigendum, intelligendum est praeceptum sane, salvo ordine correctionis fraternae; sive praeceptum fiat communiter ad omnes, sive ad aliquem specialiter. Sed si praelatus expresse praeciperet contra hunc ordinem a Domino constitutum, et ipse peccaret praecipiens et ei obediens, quasi contra praeceptum Domini agens; unde non esset ei obediendum. Quia praelatus non est judex occultorum, sed solus Deus; unde non habet potestatem praecipiendi aliquid super occultis nisi inquantum per aliqua indicia manifestantur, puta per infamiam vel aliquas suspiciones; in quibus casibus potest praelatus praecipere eodem modo sicut et judex saecularis vel ecclesiasticus potest exigere juramentum de veritate dicenda.

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8. A R T I K E L Muß der öffentlichen Anzeige ein Zeugenverhör

33. 8

vorausgehen?

1. Geheime Sünden sind anderen nicht zu offenbaren; sonst wäre der Mensch mehr ein „Verräter" des Verbrechens als ein „Zurechtweiser" des Bruders, wie Augustinus sagt. Der aber, der die Zeugen beibringt, offenbart den anderen die Sünde des Bruders. Also darf bei geheimen Sünden der öffentlichen Anzeige kein Zeugenverhör vorausgehen. 2. Der Mensch muß seinen Nächsten lieben wie sich selbst. Aber keiner bringt für seine geheimen Sünden Zeugen bei. Also darf er sie auch nicht bei der geheimen Sünde des Bruders beibringen. 3. Zeugen werden beigebracht, um etwas zu beweisen. In geheimen Sünden aber läßt sich nichts durch Zeugen beweisen. Also werden die Zeugen umsonst beigebracht. 4. Augustinus sagt, daß es „eher den Vorgesetzten angezeigt werden soll als den Zeugen" [98], Dem Vorgesetzten anzeigen oder dem Oberen heißt aber soviel wie es der Kirche anzeigen. Also darf der öffentlichen Anzeige kein Zeugenverhör vorausgehen. QUAESTIO

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ARTICULUS

VIII

Utrum testium inductio debeat praecedere publicam denuntiationem [4 d 19: 2,3 qa 2; Qlb 11 a. 12; CFr 2 ad 2.24.25.26; Mt 18]

AD OCTAVUM sie proceditur. Videtur quod testium inductio non debeat praecedere publicam denuntiationem. Peccata enim occulta non sunt aliis manifestanda; quia sie homo magis esset „proditor" criminis quam „corrector" fratris, ut Augustinus dicit [serm. 82, 7]. Sed ille qui inducit testes peccatum fratris alteri manifestat. Ergo in peccatis occultis non debet testium inductio praecedere publicam denuntiationem. 2. P R A E T E R E A , homo debet diligere proximum sicut seipsum. Sed nullus ad suum peccatum occultum inducit testes. Ergo neque ad peccatum occultum fratris debet inducere. 3. P R A E T E R E A , testes indueuntur ad aliquid probandum. Sed in occultis non potest fieri probatio per testes. Ergo frustra hujusmodi testes indueuntur. 4. P R A E T E R E A , Augustinus dicit, in Regula [Ep. 211], quod „prius debet praeposito ostendi quam testibus". Sed ostendere praeposito sive praelato est dicere Ecclesiae. Non ergo testium inductio debet praecedere publicam denuntiationem.

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PL 38/510 I)

PL 33/962 B

33, 8

A N D E R S E I T S steht dem entgegen, was der Herr Mt 18, 15 ff. sagt. 1 ANTWORT: Von dem einen äußeren Endpunkt zum anderen gelangt man am besten durch die Mitte. Bei der brüderlichen Zurechtweisung aber wollte der Herr, daß der Anfang im Verborgenen liegt, wenn der Bruder den Bruder zwischen sich und ihm allein zurechtweisen würde; das Ende aber sollte in der Öffentlichkeit liegen, daß nämlich der Kirche Anzeige erstattet würde. Deshalb wird das Zeugenverhör am besten in die Mitte verlegt, und zwar so, daß die Sünde des Bruders erst wenigen mitgeteilt wird, die nur nützen, nicht aber schaden können, daß er so wenigstens gebessert wird, ohne bei der Menge in Verruf zu kommen. Zu 1. Einige haben die Ordnung der brüderlichen Zurechtweisung dahin verstanden, daß der Bruder zunächst im geheimen zurechtzuweisen sei; wenn er darauf hört, dann gut. Wenn er aber nicht darauf hört und die Sünde gänzlich geheim ist, so — sagen sie — sei nichts weiter zu unternehmen. Wenn sie [die Sünde] aber durch irgendwelche Anzeichen schon anfängt, dem einen oder anderen bekanntzuwerden, dann muß man weiter vorgehen, wie der Herr es befiehlt. — Doch das steht im Widerspruch zu dem, was Q U A E S T I O 33, ,

S E D CONTRA est quod Dominus dicit, Matth. 18. 2 R E S P O N D E O dicendum quod de uno extremo ad aliud 1057 a 21 extremum convenienter transitur per medium [cf. 10 Metaph. 7]. In correctione autem fraterna Dominus voluit quod principium esset occultum, dum frater corriperet fratrem inter se et ipsum solum; ftnem autem voluit esse publicum, ut scilicet Ecclesiae denuntiaretur. E t ideo convenienter in medio ponitur testium inductio, ut primo paucis indicetur peccatum fratris, qui possint prodesse et non obesse, ut saltem sie sine multitudinis infamia emendetur. AD PRIMUM ergo dicendum quod quidam 3 sie intellexerunt ordinem fraternae correctionia esse servandum ut primo frater sit in secreto corripiendus; et si audierit, bene quidem. Si autem non audierit, si peccatum sit omnino occultum, dicebant non esse ulterius procedendum. Si autem ineipit jam ad plurium notitiam devenire aliquibus indieiis, debet ulterius procedi, secundum quod Dominus mandat. — Sed hoc est contra illud Vgl. Anm. [97]. a P add.: „Adhibe tecum unum vel duos ut in ore duorum", etc. • Cf. Guilelmus Altiss., Summa aurea I I I 24 q. 5 c. 2; Albertus Magnus, In Sent. IV 14 a. 21. 1

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Augustinus sagt, daß die Sünde des Bruders nicht ver- 33,8 heimlicht werden dürfe, „damit sie nicht etwa in der Seele zu faulen anfange". Deshalb muß man anders sagen. Hat man [den Bruder] ein oder mehrere Male unter vier Augen ermahnt und es besteht die wahrscheinliche Hoffnung auf Besserung, so muß man mit der Ermahnung unter vier Augen fortfahren. Sobald wir aber mit Wahrscheinlichkeit erkennen können, daß die Ermahnung unter vier Augen nicht hilft, muß man, so verborgen auch die Sünde sein mag, zum Zeugenverhör schreiten. Außer es wäre mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß das zur Besserung des Bruders nichts beitragen, er vielmehr im Gegenteil dadurch schlimmer würde. Denn dann müßte man gänzlich von der Zurechtweisung abstehen (Art. 6). Zu 2. Der Mensch selbst braucht keine Zeugen, um sich zu bessern. Und doch kann das notwendig sein, um den Bruder zu bessern. Deshalb haben wir nicht denselben Sachverhalt. Zu 3. Die Zeugen können aus dreifachem Grunde beigebracht werden. Einmal, wie Hieronymus sagt, um zu zeigen, daß es wirklich Sünde ist, weswegen einer gerügt wird. Zweitens, wie Augustinus sagt, um einen der Tat zu überführen, wenn sie wiederholt wird. Drittens, wie ChrysoQUAESTIO 33,, quod Augustinus dicit in Regula [1. e.], quod peceatum fratris PI. non debet occultari, „ne putrescat in eorde". 33/96: Et ideo aliter dicendum est quod post admonitionem seeretam semel vel pluries factam, quamdiu spes probabiliter habetur de correctione, per seeretam admonitionem procedendum est. Ex quo autem jam probabiliter cognoscere possumus quod seoreta admonitio non valet, procedendum est ulterius, quantumeumque sit peceatum occultum, ad testium induetionem. Nisi forte probabiliter aestimaretur quod hoc ad emendationem fratris non proficeret, sed exinde deterior redderetur; quia propter hoc totaliter est a correctione cessandum, ut supra dictum est. AD SECUNDUM dicendum quod homo non indiget testibus ad emendationem sui peccati; quod tarnen potest esse necessarium ad emendationem peccati fratris. Unde non est similis ratio. A D TERTIUM dicendum quod testes possunt induci propter t-ria. Uno modo, ad ostendendum quod hoc sit peccatum de quo aliquis arguitur; ut Hieronymus 1 [Gl. interl.] dicit. Secundo, ad convincendum de actu, si actus iteretur; ut Augustinus dicit,

> In Matth., lib. 3 ad 18, 16 (PL 26/136 B). 22 17 A

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33,8 stomus sagt, „um unter Beweis zu stellen, daß der Bruder durch Ermahnung getan hat, was er tun konnte". Zu 4. Augustinus versteht das dahin, daß man es dem Oberen eher sagen soll als den Zeugen, weil er den Oberen hier als Einzelperson nimmt, der mehr erreichen bann als andere; nicht aber soll man es ihm sagen „wie der Kirche", das heißt wie einem, der den Richterstuhl innehat, QUAE STIO 33,,

ib. in Regula. Tertio, ad „testificandum quod frater admonens i'G fecit quod in se fuit"; ut Chrysostomus dicit [In Matth., hom. 60]. r>86 B AD QUARTUM dicendum quod Augustinus intelligit quod prius dicatur praelato quam testibus secundum quod praelatus est quaedam singularis persona quae potest magis prodesse quam alii; non autem quod dicatur ei tamquam Ecclesiae, idest sicut in loco judicis residenti.

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ANMERKUNGEN

[1] Z u S. 3. I n I-1I 26, 3 (Bd. 10) zählt T h o m a s vier N a m e n auf, „die in e t w a ( q u o d a m m o d o ) dasselbe besagen, n ä m l i c h : Liebe, Zuneigung, Minne, F r e u n d s c h a f t " (amor, dilectio, Carit a s , amicitia). I n der dazugehörigen A n m e r k u n g [25] (S. 474) w u r d e f ü r dilectio bereits der A u s d r u c k ,Zuneigung', f ü r Carit a s der A u s d r u c k ,Minne' bzw. ,Gottesminne' vorgeschlagen u n d diese W a h l a u c h b e g r ü n d e t . H i e r i m B a n d werden wir den A u s d r u c k .Minne' n u r ausnahmsweise gebrauchen, d a f ü r u m so öfter, besonders dort, wo i m Lateinischen alle drei A u s d r ü c k e z u s a m m e n t r e f f e n ( e t w a : a m a r e D e u m dilectione caritatis) f ü r Caritas d e n Ausd r u c k heilige Liebe' wählen, weil Caritas als ü b e r n a t ü r l i c h e Gottesliebe n a c h T h o m a s , wie wir noch sehen werden, eine u n m i t t e l b a r e Teilnahme a m L e b e n u n d der Liebe des Heiligen (leistes ist. W o G o t t als der eigentliche Zielpunkt der heiligen Liebe, u m dessentwillen a u c h der N ä c h s t e geliebt wird, im Blick s t e h t , geben wir Caritas o f t a u c h m i t ,Gottesliebe' wieder. Dilectio übersetzen wir n u r d o r t m i t ,Zuneigung', wo dieses W o r t n i c h t i m Sinne eines willensunabhängigen Sympathiegefühls m i ß v e r s t a n d e n werden k a n n . D a T h o m a s (Fr. 27) dilectio als H a u p t a k t der Caritas bezeichnet, h a l t e n wir u n s f ü r berechtigt, o f t einfach ,das Lieben' öder ,die Liebe' zu schreiben, soweit ein Mißverständnis ausgeschlossen ist. D a s e t y m o logisierende Ü b e r s e t z u n g s w o r t ,Wahlliebe' scheint uns d a s Gewicht zu sehr auf den vorgehenden A k t der W a h l zu verlegen. [2] Z u S. 5. Die ,Definition' der Gottesliebe als .Gottesf r e u n d s c h a f t ' ist a u s d e m A l t e n T e s t a m e n t n i c h t s t r e n g zu b e g r ü n d e n . D o c h e n t s p r i c h t sie einigen a l t t e s t a m e n t l i c h e n Grundmotiven : 1. Z u n ä c h s t „ist der , B u n d \ d e n J a h w e m i t Israel als .seinem besonderen E i g e n t u m ' u n d als .seinem heiligen Volk' d u r c h Moses' V e r m i t t l u n g a m Sinai geschlossen. . . h a t , t r o t z seines ausgesprochenen R e c h t s c h a r a k t e r s ein W e r k seiner , G ü t e ' u n d seines . E r b a r m e n s ' (Ex 19, 5 f . ; 3 4 , 1 0 ; D t 4, 31; 7 , 8 . . . ; E x 34, 6 f . ; vgl. N m 14, 17—20)" (V. W a r n a c h OSB, Agape. Düsseldorf 1951, 5 7 f . ; vgl. G. Q u e l l , Die Liebe im A T : T h W I 27 33; C. S p i c q O P , Agapè. Prolégomènes à u n e é t u d e de théologie néo-testamentaire. Louvain-Leiden 1955, 89ff. 200) u n d r u f t d e n Menschen zu d a n k s a g e n d e r Gegenliebe a u f . I n diesem Sinne wird die Gottesliebe z u m Gebot (Ex 20, 6; D t 6, 4 f. ; 10, 12ff. ; 11, 13; 30, 6; W a r n a c h , a . a . O . 5 9 f . ; Q u e l l , a. a. O. 28; S p i c q , a. a. O. 91ff.). „Liebe ist als G r u n d m o t i v im H a n d e l n J a h w e s m i t seinem Volk zuerst, soweit wir sehen, von H o s e a (Osee) eindeutig erlebt u n d dargestellt w o r d e n " ( Q u e l l 30; vgl. W a r n a c h 65ff.; S p i c q 113). Dieses T h e m a

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t a u c h t in vielfältigen Variationen bei den anderen Propheten wieder auf. 2. Gott liebt den G e r e c h t e n , wie es aus zahllosen Stellen des A T hervorgeht. U n t e r diesen Gerechten n i m m t A b r a h a m eine ganz bevorzugte Stelle ein, sofern er als ,Freund', d. h. Vertrauter Gottes bezeichnet wird (2 Chr 20, 7; J d t 8, 22; vgl. J k 2, 23; Q u e l l 28). U n d zwar ist es Gott Selbst, der ihn zu Seinem Freunde erklärt (Is 41, 8). — Gott redet „mit M o s e s von Angesicht zu Angesicht, so wie jemand mit seinem F r e u n d e spricht" (Ex 33, 11). Auch der Prophet ist der Vert r a u t e Gottes; denn Gott t u t nichts, ohne es Seinem Propheten zu offenbaren (vgl. Am 3, 7; Gn 18, 17 u n d den umstrittenen Text J o b 36, 33). I n den P s a l m e n t r i t t das persönliche Erlebnis der Gottesfreundschaft stärker hervor, so Ps 25 (24), 14 (vgl. S p i c q 95 Anm. 1); besonders als (Bitte um) Geborgenheit beim treu schützenden G o t t : vgl. Ps 60 (59), 7; 108 (107), 7; 127 (126), 2 (vgl. W a r n a c h 71 f.). 3. I n der griechisch geschriebenen Weisheitsliteratur ist der gelegentliche Gebrauch von tpihn und rpi/.slv f ü r die Beziehung des Menschen zu Gott (Wsh 7, 14; Spr 8, 17; vgl. S p i c q , a. a. O. 71 Anm. 4; 105; W a r n a c h , a. a. O. 75) ein weiterer Schritt zum Verständnis der Liebe als Gottesfreundschaft. Zum Zeugnis des N e u e n T e s t a m e n t e s vgl. den K o m m , zum Anderseits; dazu W a r n a c h 328 410 f . ; C. S p i c q , Agape dans le Nouveau Testament. Analyse des textes I, Paris 1958: besonders S. 178 f. zur Freundschaft J e s u mit Seinen Jüngern. I n dem vorliegenden 1. B a n d des großangelegten Werkes sind die johanneischen Texte noch nicht behandelt. Zum AT u n d N T vgl. W a r n a c h : B T h W 502ff. [3] Zu S. 6. Nicht nur die Wesensbestimmung der heiligen Liebe als Gottesfreundschaft, sondern auch deren Begründung in der „Mitteilung der Seligkeit" (communicatio beatitudinis) t r ä g t die ganze Abhandlung über die Gottes- u n d Nächstenliebe u n d gibt diesem Meisterwerk des Theologen Thomas seine innere Einheit, W e n n n u n jegliche F r e u n d s c h a f t „in irgendwelcher Gemeinsamkeit g r ü n d e t " (fundatur super aliqua communicatione) u n d die Gottesfreundschaft in einer „Gemeinsamkeit des Menschen mit Gott", d a n n ist es zum Verständnis des Ganzen unerläßlich, den Begriff der c o m m u n i c a t i o in seiner analogen Weite u n d in seiner Anwendung auf das Verhältnis des Menschen zu Gott recht zu verstehen. U n d u m die theologische Bedeut u n g dieses Grund-Begriffes zu ermessen, m u ß m a n sich klar darüber werden, ob er aus der heidnischen E t h i k des Aristoteles oder aus der Offenbarung s t a m m t — oder ob gar der Sinn von xoivovia in der Freundschaftstheorie des Aristoteles den neutestamentlichen Sinn der xowavia erschließen hilft. Gerade davon aber ist der Theologe Thomas überzeugt. E r wird wohl gewußt haben, d a ß dasselbe Wort xoivmvia in der Nikomachischen E t h i k u n d in der biblischen Belegstelle (1 Kor 1, 9) gebraucht wird. E r betont mit wünschenswerter Deutlichkeit, daß wir diese xoivoivia zuerst als Heilstatsache von dem berufenden Gott gläubig entgegenzunehmen haben, d a ß diese 334

unser Freundschaftsverhältnis zu Gott begründende Gemeinschaft ihrerseits in der Treue u n d Zuverlässigkeit Gottes begründet ist u n d daß die F r e u n d s c h a f t eine not-wendige (oportet!) Folge dieses getreuen Berufens u n d Schenkens Gottes ist. E r s t im Anschluß an diese biblischen Feststellungen wird die Frage nach dem Wesen der heiligen Liebe unter Zuhilfenahme des aristotelischen Freundschaftsbegriffes, der den Begriff der xoifiovia einschließt, beantwortet. So wollen wir auch in der näheren Begriffsuntersuchung von dem Schriftwort ausgehen. Thomas h a t mit theologischem Gespür die einzige Stelle des Neuen Testaments ausgewählt, in der xoivavia eindeutig mit dem Genitiv der Person verbunden ist (vgl. H . S e e s e m a n n , Der Begriff KOINQNIA im Neuen Testament, Gießen 1933, 47 f.) — eine dem klassischen Griechisch fremde Verbindung (ebd.; ferner 14 ff.). I m klassisch-griechischen Denken gibt es die Teilhabe (Teilnahme, Anteil) an einer Sache (Genitiv der Sache; auch die Idee wird durch ein N e u t r u m bezeichnet). Hier dagegen drückt die sprachlich ungewöhnliche Verbindung das Neue der Frohbotschaft a u s : „berufen zum Anteilhaben an seinem Sohn" (a. a. O., 48). Die B e d e u t u n g : religiös-mystische „Teilnahme — Anteilhaben" ist die im Neuen Testament (bei Paulus) vorherrschende (a. a. O., 31—86). F ü r sie gibt es k a u m völlige Entsprechungen im klassischen Griechisch ( a . a . O . , 100 ff.). Am ehesten k a n n m a n den Gebrauch in der Opferterminologie heranziehen (ebd. 102; vgl. 52; zum Ganzen vgl. auch T h W I I I 804 ff.). Somit scheint es zunächst unwahrscheinlich, daß der aristotelisch-ethische Begriff der xoivcavia den Sinn des neutestamentlich-religiösen Begriffs erschließen hilft. J a , es legt sich der Verdacht nahe, d a ß Thomas entweder den aristotelischen Begriff gewaltsam u m f o r m t , u m ihn seinen theologischen Zwecken dienstbar zu machen, oder den biblischen Sinn zugunsten des Aristoteles verrät (vgl. R. E g e n t e r , Gottesfreundschaft. Augsburg 1928, 43). U m diesen Bedenken gerecht zu werden und die theologische Arbeitsweise des hl. Thomas genauer kennenzulernen, müssen wir nach dem Sinn der xoivcavia in der Ethik, insbesondere in der Freundschafts theorie des Aristoteles fragen. F . v. T e s s e n - W e s i e r s k i (Die xoivavia. Ein Beitrag zur Sociologie des Aristoteles. J b . f. Phil. u. spekul. Theol. 9 [1895] 34—49) zeigt .als Hauptsinn von xotvojvia in den Ethiken und in der Politik des Aristoteles: „eine Vereinigung von Menschen, welche durch gemeinschaftliche Tätigkeit verwirklicht wird" (a. a. O., 38). I n der Frage nach dem Zusammenhang zwischen y.oivotvia und (pblia (Freundschaft) läßt er zwei wesentliche Texte aus u n d k o m m t so zu einem unbefriedigenden Ergebnis. Der von ihm allein zitierte Text (Eth. Nie. 9, 12, 1171b 32 f.): xoivcovia yäg $ cpiXia (Die Freundschaft ist eine xoivavia) steht allein u n d besagt sicher etwas anderes als: tv xoivbyvla yäg f j fpiXia (Eth. Nie. 8, 11, 1159b 31 f.) und — verstärkt wiederholt — : 'Rv xoi.voiviq fiev ovv näaa rpü.ia inztv (ebd. K p . 14, 1161b 11): Die Freundschaft ist i n einer xowmvia; wobei die Weisen dieser die Freundschaft tragenden und begründenden Gemeinsamkeiten aus-

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führlich erörtert werden (vgl. L.-B. G i l l o n OP, A propos de la théorie t h o m i s t e de l'amitié. A n g 25 [1948] 8). R . C i n t r a O P gibt in einer noch unveröffentlichten Arbeit „Charité et c o m m u n a u t é surnaturelle d ' a p r è s Saint T h o m a s d ' A q u i n " eine einleuchtende E r k l ä r u n g dieser unterschiedlichen Aussagen des Aristoteles : Die G r u n d b e d e u t u n g v o n xouvmvia in der E t h i k u n d Politik des Aristoteles ist „Gemeinschaft, Gesellschaft": Gem e i n s a m k e i t des Zieles, Gemeinsamkeit v o n G ü t e r n , Gemeins a m k e i t des T u n s hinsichtlich dieses Zieles u n d dieser Güter, Lebensgemeinschaft. I n solcher Gemeinschaft k a n n F r e u n d s c h a f t e n t s t e h e n . Aristoteles zählt die verschiedenen natürlichen u n d d u r c h Ü b e r e i n k u n f t z u s t a n d e g e k o m m e n e n Gemeinschaften und Gesellschaften u n d die ihnen entsprechenden „ F r e u n d s c h a f t e n " auf (vgl. Gillon a. a. O., 8 ff.). E r s t a m Schluß des F r e u n d s c h a f t s t r a k t a t e s preist Aristoteles d a s freundschaftliche „ Z u s a m m e n l e b e n " selbst. Diese höchste E r f ü l l u n g der F r e u n d s c h a f t wird n u n philosophisch d u r c h den kurzen Satz begründ e t : xoivmvia yào i) rpikia. D a s m e i n t e t w a : Die (in den verschiedenen vorher beschriebenen Gemeinschaften begründete) F r e u n d s c h a f t wird n u n selbst eine Gemeinschaft, j a die vollk o m m e n s t e aller Gemeinschaften, die eigentliche Lebensgemeins c h a f t in der Gemeinsamkeit alles erfreulichen Tuns, im Aust a u s c h der G e d a n k e n u n d E m p f i n d u n g e n . So ergibt sich zwanglos ein doppeltes Verhältnis der VMIVMVUI zur F r e u n d s c h a f t . Sie ist Grundlage u n d (in einem n e u e n Sinne) Wesen der F r e u n d s c h a f t . T h o m a s spricht in u n s e r e m Artikel von der c o m m u n i c a t i o als Grundlage der F r e u n d s c h a f t . Sucht er diese Grundlage m e h r in der O r d n u n g gemeinsamen T u n s oder eines s e i n s h a f t e n G e m e i n s a m h a b e n s ? Diese F r a g e e n t f a c h t eine Diskussion, die sich v o n 1906 (M. T h . C o c o n n i e r O P in R T h o m 14 [1906] 5—10) bis h e u t e hinzieht u n d zuweilen zu r e c h t k ü n s t lichen E n t g e g e n s e t z u n g e n u n d gezwungenen Lösungen f ü h r t e . U m hier K l a r h e i t zu schaffen, m ü ß t e m a n eine wortgeschichtliche Spezialuntersuchung anstellen. W i r stellen kurz u n t e r V e r w e n d u n g der Ergebnisse v o n R . Cintra O P die H a u p t b e d e u t u n g e n z u s a m m e n , die das W o r t c o m m u n i c a t i o hei Thomas hat : ]. Ü b e r e i n s t i m m e n d m i t d e m klassischen Sprachgebrauch, in d e m die verbale H e r k u n f t des S u b s t a n t i v s lebendig ist, ergibt sich ein a k t i v - d y n a m i s c h e r Sinn : Mitteilung (vgl. I 21, 1 : B d . 2 ; I-.TI 5, 6 Zu 2: B d . 9). Diese k a n n einseitig u n d wechselseitig sein; i m letzteren Falle k a n n es sich u m Gedankenaustausch, G ü t e r a u s t a u s c h usw. h a n d e l n . H i e r h a n d e l t es sich u m eine communicatio, die bereits eine W i r k u n g der F r e u n d s c h a f t ist. 2. D a n n findet sich ein m e h r statisch-intransitiver Sinn (gramm a t i s c h s t e h t m e h r der S u b s t a n t i v - C h a r a k t e r im V o r d e r g r u n d ) : c o m m u n i c a t i o (syn. : convenientia) in f o r m a aliqua — Übereins t i m m u n g in irgendwelcher , F o r m ' = similitudo — Ähnlichkeit (vgl. I 4, 3 : B d . 1; I - I I 27, 3 : B d . 10; in J o 13 lect. 7 n r . 1838 u n d hier i m K o m m . § 3 n r . 2 S. 428 f). Diese Übereinstimm u n g h a t ihre sehr unterschiedlichen Grade. E s gibt Übereins t i m m u n g im Seinsbereich u n d i m Tätigkeitsbereich (bei dieser 336

t r e t e n allerdings a n d e r e G e s i c h t s p u n k t e in d e n V o r d e r g r u n d : s. u. 4), i m Wesensbereich u n d i m E i g e n s c h a f t s b e r e i c h . F ü r die F r e u n d s c h a f t , die n u r u n t e r Geistwesen möglich ist (I 20, 2 Z u 3 : B d . 2), b e d e u t e t d a s z u n ä c h s t die Ü b e r e i n s t i m m u n g in d e r allgemeinen ( M e n s c h e n - ) N a t u r als e n t f e r n t e s t e Vorauss e t z u n g ihrer Möglichkeit. Auf G r u n d dieser Ü b e r e i n s t i m m u n g , so m e i n t T h o m a s m i t A r i s t o t e l e s ( E t h n r . 1541), 1 ist j e d e r Mensch m i t j e d e m M e n s c h e n d u r c h eine n a t ü r l i c h e F r e u n d s c h a f t v e r b u n d e n , F r e u n d s c h a f t hier i m allerweitesten Sinne als Hilfsb e r e i t s c h a f t v e r s t a n d e n . V o n diesem w e i t e s t e n K r e i s e a u s ges e h e n w i r d d e r K r e i s d e r Ü b e r e i n s t i m m u n g i m m e r enger. So g i b t es die Ü b e r e i n s t i m m u n g auf G r u n d d e r gleichen A b s t a m m u n g i m selben Volk, i m gleichen S t a m m , d e r gleichen Sippe, derselben F a m i l i e , die je eine geringere oder größere Übereins t i m m u n g in d e r S p r a c h e , in d e n S i t t e n u n d Lebensgewohnheit e n m i t sich b r i n g t . J e enger d e r Kreis, u m so g r ö ß e r die Ü b e r e i n s t i m m u n g ; u m so eher ist also die V o r a u s s e t z u n g f ü r irgendeine F o r m d e r F r e u n d s c h a f t gegeben. M e h r oder weniger u n a b h ä n g i g v o n diesen n a t ü r l i c h e n F o r m e n g i b t es die Ü b e r e i n s t i m m u n g i m gesellschaftlichen Lebensstil, i m G e s c h m a c k , in d e r B i l d u n g , im moralischen L e b e n s w a n d e l , i m gleichen B e r u f , i m gleichen A r b e i t s p l a t z , i m gleichen Schicksal. Ü b e r all d e m s t e h t die Ü b e r e i n s t i m m u n g in der religiösen G r u n d h a l t u n g . Alle diese V e r h ä l t n i s s e sind in irgendeiner F o r m e n t f e r n t e r e o d e r n ä h e r e V o r a u s s e t z u n g f ü r d a s Z u s t a n d e k o m m e n einer G e m e i n s c h a f t u n d d a m i t einer e c h t e n F r e u n d s c h a f t , a b e r eben n u r V o r a u s s e t z u n g ; a u s i h n e n k a n n Frevindschaft werden, a b e r sie b r a u c h t n i c h t zu w e r d e n , s o n s t w ä r e sie n i c h t so w u n d e r selten. Die spezifische P r ä g u n g des Menschen d u r c h diese Gemeinsamkeiten genügt eben noch nicht. Echte Freundschaft ist d a s I n d i v i d u e l l s t e v o m I n d i v i d u e l l e n u n d ihr W e r d e n so u n d u r c h d r i n g l i c h wie d a s Geheimnis des Einzelseins selbst. 2 3. Die B e d e u t u n g : c o m m u n i c a t i o in f o r m a a l i q u a — similit u d o k a n n h i n ü b e r s p i e l e n in die m e h r p l a t o n i s c h - n e u p l a t o n i s c h orientierte B e d e u t i m g v o n „ T e i l h a b e " . D a n n h a n d e l t es sich n i c h t m e h r n u r u m Ü b e r e i n s t i m m u n g hinsichtlieh eines D r i t t e n , s o n d e r n eher u m A b h ä n g i g k e i t u n d G e p r ä g t s e i n des einen v o m a n d e r e n . Diese T e i l h a b e k a n n als E r g e b n i s d e m a k t i v e n Teilgeben i m Sinne d e r e r s t e n B e d e u t u n g k o r r e s p o n d i e r e n . 4. E r s t als m i t t e l a l t e r l i c h e s Ü b e r s e t z u n g s w o r t (jedoch d e r klassischen B e d e u t u n g v o n , c o m m u n i c a r e ' e n t s p r e c h e n d ) e r h ä l t c o m m u n i c a t i o d e n „sozialen" Sinn, d e n xoivoiaa in der Politik u n d E t h i k des Aristoteles v o r h e r r s c h e n d h a t . Diese B e d e u t u n g klingt bereits zuweilen in d e r K ö l n e r Vorlesung A l b e r t s d . Gr. ü b e r die N i k o m a c h i s c h e E t h i k d u r c h , deren ü b e r a r b e i t e t e N a c h s c h r i f t v o n d e r H a n d seines Schülers T h o m a s in d e r V a t i k a n i schen B i b l i o t h e k liegt (vgl. Gillon a. a. O., 12 f.). F a s t definitorisch e r k l ä r t T h o m a s 1256 (CI 3 n r . 56; vgl. I I - I I 23, 5 ; 26, 1 Der Kürze und Übersichtlichkeit wegen zitieren wir den Kommentar des hl. Thomas zur Nikoinachischen Ethik des Aristoteles: ,,Bth" mit der fortlaufenden Nummer der E d . Marietti, Turin. 3 Vgl. C h r i s t m a n n , Vom Geheimnis des Einzplscin*. Loseblatt-Lexikon „Die Kirche in der W e l t " 4(1051) 3r>f)-:?fi4.

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8; 31, 3; 101, 1 E . 3 Zu 3: Bd. 20; 3 d 29: 1, 6) die von Aristoteles unterschiedenen communicationes als „societates quaedam, secundum diversa officia in quibus homines sibi invicem communicant". Societas (,Gesellschaft') aber wird definiert als „adunatio hominuni ad u n u m aliquid communiter agendum" (nr. 55) bzw. „ad aliquid u n u m perficiendum" (nr. 56), also als eine Vereinigung von Menschen zwecks Vollbringung eines gemeinsamen Werkes. Diese Wirkgemeinschaft, dieses gemeinsame Sich-Mühen u m ein gemeinsames Ziel ist F u n d a m e n t der Freundschaft u n d Garantie ihres Bestandes (nr. 52). Nur wo es um ein gemeinsames Gut (commune bonum) geht, k a n n Gemeinschaft (communio, societatis communio) entstehen ( R P 11 n. 795; vgl. auch 25, 3; I I I 32, 7 Zu 1: Bd. 10; 90, 2; 100, 2; 105, 2: Bd. 13). Wie bei Aristoteles ist auch bei Thomas nicht nur solche Gemeinschaft Vorbedingung der Freundschaft (unmittelbares F u n d a m e n t , während die Ähnlichkeit entferntere Voraussetzung ist); sondern Freundschaft f ü h r t auch zu einer Gemeinschaft neuer Art, dem freundschaftlichen Zusammenleben und Lebensaustausch (convivere, commercium amicitiae, conversatio usw.). Hier n i m m t das Wort communicatio wieder stärker den verbalen Sinn an, u n d die gegenseitige Mitteilung (communicatio activa, s. 1) t r i t t ins Spiel. Von hier aus verstehen wir die wiederholte Erklärung des hl. Thomas, Freundschaft „bestehe" (consistit) in der communicatio (Eth nr. 1660 1698 1702 1724 1946; wobei er den Unterschied der aristotelischen Aussagen nicht b e m e r k t ; s . o . ) . E r meint hier den lebendigen Vollzug der Gemeinschaft (vgl. I 20, 2 Zu 3: Bd. 2). U m die umstrittene Aussage unseres Artikels zu verstehen, müssen wir die hier unterschiedenen Bedeutungen von communicatio in ihrer analogen Übertragung u n d in ihrem Zusammenhang hinsichtlich der Gottesfreundschaft ins Auge fassen: 1. Am Anfang steht Gottes schöpferisch-schenkende Liebe zu uns. Die communicatio ist zuerst aktive Mitteilung von Seiten Gottes: Berufung u n d Begnadung (Antw.; vgl. 25, 3. 10; 26, 1—3). 2. u n d 3. Durch die Begnadung werden wir der göttlichen N a t u r teilhaftig (2 P t 1, 4: XOIVÍOVOÍ; consortes) und damit Gott ähnlich (in J o 13 lect. 7 nr. 1838). Die Übereinstimmung besteht vor allem darin, daß durch B e r u f u n g und Begnadung uns das als Zielgut gegeben ist, was f ü r Gott aus Seiner N a t u r heraus immer schon erreichtes Zielgut ist: Seine eigene Seligkeit, Sein seliges Leben, an dem wir teilhaben sollen (vgl. wie unter 1.; ferner 2 5 , 1 1 Zu 1; 2 6 , 4 . 5 u . a . ) . 4. Diese B e r u f u n g u n d Begnadung gibt uns Bürgerrecht in der Gemeinschaft des himmlischen Jerusalem. Wie n u n der ein guter Staatsbürger ist, der nicht in erster Linie vom Staat etwas haben will, sondern sich f ü r das Gemeinwohl einsetzt, so ist nur der ein guter Bürger des himmlischen Jerusalem, dem es um das .Gemeingut' dieses Gemeinwesens selbst geht, „auf daß es bleibe u n d sich ausbreite u n d ihm nicht entgegen gehandelt werde". Die durch die B e r u f u n g zu diesem Gemeinwesen ermöglichte und geforderte .Bürgertugend' „ist die heilige Liebe, die Gott um Seiner Selbst willen liebt, u n d die Nächsten, die 338

der Seligkeit fähig sind, wie sich selbst, und allem, was diese im Liebenden selbst und in anderen hindern könnte, sich entgegenstellt; daher k a n n sie niemals zusammen mit der Todsünde bestehen, die das eigentliche Hindernis der Seligkeit ist" (Car 2 Ant,w.). Die Gemeinschaft, zu der Gott uns berufen und begnadet h a t , ist F u n d a m e n t der heiligen Liebe (23, 5; 26, 4. 5 u. a.). Diese selbst aber vollzieht sich in einem geistlichen Lebensaustausch (conversatio secundum v i t a m spiritualem) mit Gott, der schon etwas von der Seligkeit der ewigen H e i m a t vorwegnimmt (23, 1 Zu 1; 25, 5 Zu 2; vgl. I 20, 2 Zu 3: B d . 2; I - I I 6 5 , 5 : B d . 11; 3 d 27: 2, 2 Antw.; vgl. Zu 4. 5; zu II-IT 24, 10 Antw. vgl. Anm. [41 b]). [4] Zu S. 6. Die Schriftstelle des E . 1 verfängt nicht, weil dort heidnische Wahrsager die Wohngemeinschaft ( L X X : •/M%oixtr/giov) ihrer Götter ( L X X : ayyt/.oc) m i t den Sterblichen leugnen. P a u l u s aber p r ä g t den Heidenchristen von Philippi die neue H o f f n u n g ein: „Unsere H e i m a t (no/Mtv/ui) ist im Himmel" (Phil 3, 20). A. K r o p p O P erklärt den T e x t : „Droben ist unser endgültiges Gemeinwesen, der Gottesstaat, in dem wir Bürgerrecht haben. So sind wir Himmelsbürger, die als Fremdlinge in dem irdischen Staatswesen weilen. Bürger sind wir in der himmlischen ,Stadt (polis), deren Bildner und Erbauer Gott ist' (Hb 11, 10). Das ist ,das bessere, das himmlische Vaterland (polis)' (Hb 11, 16). ,Hier haben wir keine bleibende S t ä t t e (polis), sondern suchen die zukünftige' (Hb 13, 14). J o h a n n e s schaute sie. Der Engel .entrückte mich auf einen hohen Berg u n d zeigte mir die heilige S t a d t Jerusalem, wie sie aus dem Himmel von Gott h e r a b k a m ' (Offb 21, 10). Die vorläufige H e i m a t ist die Kirche . . . Die H e i m a t ragt hinein in dies unser irdisches L e b e n . . . Die Sehnsucht nach der ewigen H e i m a t d r ü c k t uns nicht so schwer, da Gott verheißt, jetzt schon in uns zu wohnen. Wir werden als seine Gläubigen ,der Tempel Gottes' (1 Kor 3, 16), aufgebaut auf Christus als Eckstein zu einem heiligen Tempel, zu einer heiligen W o h n u n g Gottes im Geiste (Eph 2, 21 f.). .Mitbürger der Heiligen u n d Hausgenossen Gottes' (Eph 2, 19) gilt bei Paulus nicht bloß von der himmlischen S t a d t Gottes, sondern in erster Linie v o m Bürgerrecht in der Kirche. .Christus in uns, wir in Christus' sind die kurzen Formeln Pauli f ü r seine Lehre von d e m mystischen Leibe Christi, und dieser ist die Kirche, unsere vorläufige H e i m a t . " (Von H a u s vertrieben — bei Gott zu Gast. I n : NO 8 [1954] 32 f.) Wir sehen, wie Thomas trotz der Bedeutungsverschiebung des von ihm zitierten Vulgata-Textes (conversatio s t a t t no'/.irtv/ui) in den ursprünglichen biblischen Perspektiven denkt. [5] Zu S. 6. Caritas patriae, wörtlich: die Liebe des Vaterlandes. I n einem theologischen T r a k t a t d ü r f t e es ohne weiteres klar sein, was d a m i t gemeint ist. Doch sind h e u t e bei der Freizügigkeit der Völker und Gemeinden, bei dem Chaos unserer Großstädte, die doch im Grunde nichts weiter sind 339

als eine atomisierte Gesellschaft mit lockerer Organisation, die Begriffe: Vaterland, Vaterstadt, Vaterhaus so sehr verblaßt, daß sie für die meisten Menschen keinen Inhalt mehr haben, der sie emotional irgendwie treffen würde. I m Gegensatz dazu ist,Heimat' heute für Millionen Flüchtlinge und Vertriebene eine von Schmerz und Sehnsucht durchdrungene Erinnerung. Das entspricht schon eher der religiös-metaphysischen Situation des Menschen, der ,Heim'-weh hat nach der ewigen ,Heimat'. Um diese unsere gemeinsame Situation des ,Unterwegs-seins' immer neu aufleuchten zu lassen, übersetzen wir den Ausdruck patria in der Verbindung Caritas patriae u. ä. mit ,ewige Heimat'. [6] Zu S. 8. Der Einwand hält einer logischen Analyse nicht stand. Zwar bildet der erste Teil für sich einen Syllogismus mit zwei Obersätzen und der Schlußfolgerung. Obersatz : Wer den Nächsten liebt, muß folgerichtig die Liebe selbst lieben. Untersatz: Gott ist die Liebe. Also muß er vor allem Gott lieben. Soweit ist alles in Ordnimg. Damit ist Gott als der vorzüglichste G e g e n s t a n d der Liebe bewiesen. Der weitere Text bringt nun aber lediglich eine Bekräftigung des zweiten Obersatzes. Der Schlußsatz macht also einen unerlaubten Sprung von Gott dem Gegenstand zu Gott dem Tätigkeitsgrund der Liebe und durchbricht damit den logischen Zusammenhang. [7] Zu S. 8. Derselbe Einwand mit zum Teil denselben Worten findet sich bereits I - I I 110, 1 E . 2 (Bd. 14). Dort handelt es sich um eine ganz ähnliche Frage, nämlich ob die Gnade eine geschaffene Wirklichkeit in der Seele sei. Wenn nun auch der Schluß, daß Gott Selbst durch die Liebe das Leben der Seele sei, etwas voreilig ist und auf eine Art Pantheismus hinausläuft, so besteht doch der tiefe Zusammenhang zwischen Liebe und übernatürlichem Leben der Seele — das große Anliegen des hl. J o h a n n e s (in 1 J o ) — zu Recht. So gehören Liebe und heiligmachende Gnade innigst zusammen. Wer die Gnade nicht hat, ist für Gott tot. Genauso gilt nach Johannes: „Wer nicht liebt, bleibt im Tode" (1 J o 3, 14). Ist die Gnade das eigentliche Prinzip des übernatürlichen Lebens, so ist vor allem die Liebe jenes Leben, das aus dieser Quelle fließt. [8] Zu S. 9. Die ,Freuung' (fruitio) in Gott, die als Folge der unmittelbaren Gottesschau ein wesentliches Moment der Seligkeit ausmacht — wörtlich .Genuß' Gottes —, steht in strenger Korrelation mit dem Begriff des usus, des Gebrauchs oder der ,Verwendung' der wirklichen Dinge. Uti und frui — gebrauchen und genießen (zwei augustinische Kernworte, die P e t r u s L o m b a r d u s zu einem Einteilungsprinzip seiner .Sentenzen' macht: 1 d l ) — entsprechen dem Verhältnis von Mittel und Ziel und damit den beiden völlig verschiedenen Arten von ,gut': dem nämlich, das als Mittel zum Ziel nur Nutzwert hat, und dem, das in sich selbst ,gut' und wertvoll, also eigentlichos Ziel des Strebens ist; so daß der Satz

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gilt: finis et bonum convertuntur — das Ziel ist identisch mit dem Guten. Wir haben also drei Begriffspaare, die sieh streng entsprechen: Mittel u n d Ziel, Nutzwert und. Eigenwert, Gebrauch u n d Genuß. Vgl. zu I 39, 8 (Bd. 3) K o m m . S. 177f.; außerdem über fruitio: I - I I 1 1 , 1. 2. 3. (Bd. 9); CG I I I 62 117; über u t i : I - I I 16, 1. 2. 3 (Bd. 9). Die Verkehrung aller Ordnung liegt darin, d a ß m a n das Mittel z u m Ziel, den Nutzwert zum Eigenwert u n d somit das, was m a n n u r gebrauchen oder ,verwenden' dürfte, zum Gegenstand des Genusses m a c h t . W e g u n d Be-weg-ung, die ihren Sinn nur in einem großen Ziel haben können, usurpieren die Würde des Zieles f ü r sich u n d machen sich selbständig. Das Ergebnis ist die Pseudo-Autonomie der sogenannten Kultursachgebiete. Technik, Sport, Wirtschaft, Wissenschaft, K u n s t , die eigentlich f ü r den Menschen dasein sollten, werden wichtiger als der Mensch. Die Paragraphen, Verordnungen, in der Politik die Partei, in der Medizin das Labor und die gesamte „apparative W e l t " (W. L e i b b r a n d ) verdrängen das Interesse an der Person des Patienten, der überall ,Patient' ist, weil er das Opfer einer völlig apersonalen, ohne Rücksicht auf den Menschen funktionierenden, unorganischen Organisation wird. T h . S p o e r r i 1 sagt dasselbe etwas anders: „Was ist der Mensch? W a s ist Gott ? I n d e m diese Fragen in grausamer, unerbittlicher Schärfe an uns herantreten, merken wir, daß wir gar nicht bei diesen Realitäten sind. Wir sind irgendwo dazwischen hängengeblieben. W a s ist dazwischen? Dazwischen sind die ,Ordn u n g e n ' : der Staat, die Kirche, die K u n s t , die Wissenschaft, die P a r t e i . . . Diese Zwischeninstanzen haben ihren Sinn darin, daß sie wirklich bloß dazwischen sind, offen nach beiden Seit e n : zum Menschen hin, zu Gott hin -— nicht als etwas f ü r sich Bestehendes, nicht als etwas Geschlossenes. Aber eben das ist es, was wir mit dem Modewort,dämonisch' meinen, daß diese Zwischenwelt selbständig wird. Sie reißt sich los von den Brennpunkten der Wirklichkeit, sie wird a b s t r a k t . . . I n dieser losgerissenen, abstrakten, unverbundenen, unverbindlichen Zwischenwelt können wir schalten und walten nach unserm Gutdünken. Wir zimmern uns d a ein Gehäuse zurecht, in dem wir uns sicher fühlen gegen uns selber und gegen G o t t . . . . " Ähnliches k a n n m a n lesen bei C. F r . v. W e i z s ä c k e r : Atomenergie u n d Atomzeitalter (Fischerbücherei Nr. 188), zwölfte Vorlesung: „Wie können wir im Atomzeitalter leben?" Der Mensch wird zum reinen N u t z w e r t : „Er [der Techniker] lebt in einer wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, politischen Ordnung, die ihn als Spezialisten verwendet [!] u n d weder nach seiner sittlichen Entscheidung noch nach seiner Weisheit f r a g t " (S. 158). [9] Zu S. 12. Den K o m m e n t a r zu dieser Bemerkung schreibt Thomas selbst in I 6, 4 (Bd. 1): „Plato stellte die Lehre von den Ideen auf, die ihm als selbständige, urbildliche Wesen galten, nach denen die Einzelwesen genannt werden als solche, 1

Der Herr des Alltags, Hamburg o. J. (1954) il 1'.

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die an den Ideen teilhaben. . . Das ,An-sich-Gute' und das ,An-sich-Eine' nannte er dann das ,höchste Gut'. Weil nun aber das Gute mit dem Seienden eins ist, wie auch das Eine mit dem Seienden eins ist, hielt er das ,An-sich-Gute' für Gott, nach welchem dann also alle Wesen auf Grund ihrer Teilnahme an Ihm ,gut' genannt werden." Thomas hat diesen Gedanken der Teilhabe mit einer sehr wesentlichen Modifikation überall streng durchgeführt. So heißt es im selben Artikel etwas später: „So werden alle Wesen ,gut' genannt durch die Gutheit Gottes, sofern Gott Ur-Bild und Ur-Sache sowie Endziel aller Gutheit ist." Dann fährt er fort — und darin liegt die Korrektur des platonischen Gedankens — : „Nichtsdestoweniger ist aber auch jedes Wesen gut durch eine i h m i n n e w o h n e n d e Ähnlichkeit mit der göttlichen Gutheit, die wesentlich als s e i n e e i g e n e G u t h e i t zu betrachten ist, nach der es ,gut' genannt wird. Und so sind alle Wesen gut durch eine einzige Gutheit, und doch ist auch ein jedes für sich g u t " (vgl. Anm. [30]). Zu der vorsichtigen und für seine Zeit kühnen Kritik des augustinischen (Neu-),Piatonismus' vgl. u. a. I 84, 5 (Bd. 6); SC 10 Zu 8. [10] Zu S. 12. Von diesem Leben schreibt K i e r k e g a a r d : „Das geheime Leben der Liebe ist im Innersten, unergründlich, und so wieder in einem unergründlichen Zusammenhang mit dem ganzen Dasein. Wie der stille See tief unten in dem vor Menschenaugen verborgenen Springquell seinen Grund hat, so hat des Menschen Liebe ihren Grund in Gottes Liebe, und diese ist ein noch tieferer Grund. . .Wäre Gott nicht Liebe, . . .so wäre auch im Menschen keine Liebe. Wie der stille See dich wohl zum Beschauen einlädt, seine dunkle Tiefe aber, indem sie sich an der Oberfläche widerspiegelt, sich dem Auge zugleich verbirgt, so verwehrt uns auch der geheimnisvolle Ursprung, den die Liebe in Gottes Liebe hat, daß wir ihr auf den Grund sehen. . .Was täuschend aussieht, als wäre es der Grund der Tiefe, verdeckt nur die tiefste Tiefe. So ist das Leben der Liebe verborgen; aber ihr verborgenes Leben ist Bewegung und hat die Ewigkeit in sich" (Leben und Walten der Liebe. J e n a 1924, 10 f.). [11] Zu S. 12. Die Unendlichkeit der göttlichen K r a f t hat Thomas schon I 104, 4 Zu 2 (Bd. 8) dafür angerufen, daß manche Wesen der Schöpfung ins Unendliche fortdauern: „Daraus, daß die Wesen ins Unendliche (in infinitum) fortdauern, folgt die Unendlichkeit der göttlichen K r a f t . " So lebt auch die Menschenseele vom Augenblick ihrer Erschaffung an kraft des Impulses, den ihr die unendliche Macht Gottes im Augenblick, da sie den Erbanlagen der Eltern bei deren Vereinigimg eingeschaffen wird, mitteilt. Wenn manche Wesen nicht ewig dauern, meint Thomas (ebd.), so kommt das daher, daß sie durch entgegenwirkende Ursachen gehindert werden können, den Seinseinfluß Gottes aufzunehmen. „Darum verharren die Wesen, die keinem Entgegenwirkenden ausgesetzt sind, trotz ihrer begrenzten K r a f t in Ewigkeit." 342

[12] Zu S. 13. Zwar sind wir gewohnt, dem Begriff ,Tugend' n u r im sittlichen Bereich zu begegnen. I m Lateinischen u n d in der Terminologie der Scholastik h a t das Wort virtus aber einen umfassenderen Sinn (wie auch die griechische E n t sprechung dyeirj). So wird denn auch in Art. 7 E . 3 virtus nicht mit .Tugend', sondern mit ,Tüchtigkeit' übersetzt. Die sachlichen u n d systematischen Schwierigkeiten ergeben sich fast regelmäßig aus diesem Doppelsinn von virtus. Derselben Schwierigkeit begegnet Thomas bereits in I - I I 56, 3 (Bd. 11), wo er feststellt, daß der Mensch „nicht schlechthin gut genannt wird, weil er Wissenschaftler oder Künstler ist. U n d deshalb werden Wissenschaft u n d K u n s t meist g e g e n die Tugend abgeteilt, nur bisweilen werden sie ,Tugenden' genannt." I n einer F u ß n o t e wurde dort (S. 125) schon darauf hingewiesen, „daß virtus ganz allgemein ,Tüchtigkeit' besagt. ,Tugend' bedeutet im deutschen Sprachgebrauch T ü c h t i g k e i t im s i t t l i c h e n L e b e n " . Vgl. ebd., K o m m . S. 541. [13] Zu S. 14. Man darf diese Wendung bei Thomas, der wir noch o f t begegnen werden (vgl. 24, 1 E. 2 u. Zu 2; 25, 3 Anderseits u. Antw.; Art. 4 Zu 3; 7 Antw.; 26, 5 Zu 1; 27, 6 E . 3 u. Zu 3), nicht im Sinne eines flachen Rationalismus verstehen, denn in der Terminologie des hl. Thomas bedeutet ratio nicht einseitig das Denkvermögen, sondern ratio u m f a ß t beides: Verstand u n d Willen, wie Thomas (24, 1 Zu 2) ausdrücklich betont. Nicht nur in der B e t ä t i g u n g des Denkvermögens (quoad exercitium), sondern auch in der A u s w a h l dessen, w a s es „zur Kenntnis n i m m t " , spielt der Wille eine entscheidende Bolle, sonst könnte Unkenntnis nicht zur Sünde werden, wie Christus sie den J u d e n mit einem Wort des Propheten Isaias in äußerster Schärfe vorwirft: „. . . mit den Ohren hören sie schwer u n d ihre Augen kneifen sie zu, d a m i t sie nur ja nicht mit den Augen sehen u n d mit den Ohren hören, mit dem Herzen verstehen und sich bekehren, so daß Ich sie heilen k a n n " (Mt 13, 15; vgl. Is 6, 9; Apg 28, 27). Sobald m a n überdies die Alternative ,vernünftig' oder ,unvernünftig' gegenüberstellt, k a n n es keinen Zweifel darüber geben, daß menschliches Handeln im natürlichen R a u m nur d a n n sittlich gut ist, wenn es vernünftig ist. Der Glaube u n d die Liebe aber, aus denen die ü b e r n a t ü r l i c h gute T a t entspringt, sind nicht w i d e r - v e r n ü n f t i g , sondern ü b e r - v e r n ü n f t i g . Vgl. Anm. [35] mit den weiteren aus Thomas angeführten Belegen u. K o m m . S. 480. [14] Zu S. 15. Nichts kennzeichnet den hohen Begriff, den Thomas mit A r i s t o t e l e s von dem hat, was wir Tugend nennen, wie diese Bestimmung: die Tugend bedeute das ultimum menschlicher Entfaltungsmöglichkeit. Dieses ultimum ist natürlich nicht „Letztes" in einer Ursachenreihe, wie Thomas erklärend bemerkt, sondern etwas, was über das gewöhnliche Maß hinausliegt. Der Ausdruck super-excessus enthält eigentlich eine doppelte Steigerung, denn schon excessus ist ein Schritt über die „Mittel-mäßigkeit" hinaus, die schon dort von ,Ex343

zeß' oder Übertreibung' spricht, wo noch gar kein Grund zur Beunruhigung vorliegt. Thomas aber spricht von superexcessus, wie er anderswo von der superabundantia amoris, der Überfülle der Liebe spricht. Über den Begriff der Tugend und ihre Bestimmung als ultimum potentiae mag man die erfrischenden Ausführungen von Josef P i e p e r nachlesen in: tiber das christliche Menschenbild, 1940 2 , 17ff., und in: Über die Hoffnung, S. 27 ff. [15] Zu S. 16. Über die Bedeutung des Selbständigkeitscharakters des Seienden und seiner Analogiestufen vgl. Komm. S. 418 f. Jeder Eigenschaft oder, wie G o e t h e sich ausdrückt, jedem „Beiwesen" haftet demgegenüber der Charakter des unselbständig Seienden an. Wo aber bei selbständig und unselbständig der Wertakzent liegt, ist ohne weiteres einleuchtend. Wieso trotzdem die göttlichen Tugenden als eigenschaftliche Gehaben „vornehmer" sind als ihr Träger, dem sie einhaften, sagt der Kommentar S. 441 f. Über das Substanz-EigenschaftsVerhältnis siehe die ausgezeichnete phänomenologische Analyse bei H. P l e ß n e r , Die Stiifen des Organischen und der Mensch. Berlin 1928, 81 ff. [16] Zu S. 16. Die Licht-Analogie spielt wie in der Hl. Schrift so auch bei Thomas eine große Rolle: „Gott ist Licht, und Dunkelheiten gibt es in Ihm keine" (1 J o 1, 5). Dabei muß man sich wohl hüten, das durch die Sinne erfahrbare Licht als das summum analogatum, das eigentliche Licht, und das geistige oder gar das ungeschaffene Licht als eine Ableitung des Sinnenhaften zu verstehen. Es ist umgekehrt: Das sinnenhaft erfahrbare Licht ist, wie alles Geschaffene, nur eine schwache Analogie zu dem ungeschaffenen Licht, das Gott Selbst ist. (Nur für unsere Erkenntnis kehrt sich die Sinnfolge um.) Von diesem Lichte hat die Gnade ihren Ursprung (siehe Bd. 14 Sachverzeichnis unter „Gnade als Licht"); ebenso wie das ,Licht' des Glaubens (s. Bd. 15); ebenso wie das ,Licht' der Prophetie (s. Bd. 23). Bei jeder Erleuchtung des Menschen steht das ungeschaffene ,Licht' am Anfang. Über den Primat des ,Lichtes' vor jeder menschlichen, natürlich- wie übernatürlich-geistigen Tätigkeit vgl. bes. Bd. 23 S. 342 ff. [17] Zu S. 17. Man kann das Wesen der Tugend im allgemeinen nicht dadurch bestimmen, daß man die Merkmale irgendeiner Einzeltugend in die Bestimmung hineinnimmt, denn so würde sie sofort ihre Allgemeingültigkeit verlieren. Der Allgemeinbegriff der Tugend muß sowohl für die erworbenen sittlichen wie für die eingegossenen Tugenden, für die passiven so gut wie für die die aktiven gelten können. Ahnlich wäre es unzulässig, das ,Tier im allgemeinen' dadurch zu bestimmen, daß man Wesensmerkmale einer bestimmten Art, etwa der Säuger oder der Reptilien, mit in die Bestimmung hineinnimmt. Der Allgemeinbegriff von Tier muß auf alle Arten zutreffen.

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[18] Zu S. 17. Dieser Grundsatz der Logik und Systematik kehrt in der Bestimmung des systematischen Ortes der Dinge oder Wesenheiten, der Tätigkeiten und Tugenden immer wieder. Man kann nicht etwa .Singvogel' mit Nachtigall, Buchfink, Amsel usw. in einer Reihe aufzählen, weil .Singvogel' die ganze Art bezeichnet, ,Nachtigall' aber schon einen bestimmten Singvogel meint. Man kann nur Größen derselben Ordnung in einer Reihe aufzählen. Wenn also Glaube, Hoffnung und Liebe in einer Aufzählung aufscheinen, kann Liebe nicht die Allgemeintugend bedeuten, die Glaube und Hoffnung als Spezialtugenden unter sich begreifen würde. [19] Zu S. 18. Seinen Kommentar zur Metaphysik des A r i s t o t e l e s leitet Thomas ein mit den Worten: „ W o immer Mehreres zu einer Einheit geordnet werden soll, muß Eines die Lenkung übernehmen, die andern [Dinge] hingegen müssen sich lenken lassen." Auf das sittliche Leben angewandt, heißt das: Wenn das sittliche Leben des Menschen nicht auseinanderfallen soll, muß eine der sittlichen Kräfte und damit eine der Tugenden die Führung übernehmen, die andern müssen sich von dieser führen lassen. Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, daß für Thomas im übernatürlichen d. h. für uns: im christlichen Raum, der Liebe, im natürlichen Raum der Klugheit diese Führerrolle zukommt. Die Liebe, bzw. die Klugheit, hat darüber zu wachen, daß keine der ihr unterstellten Kräfte sich ungebührlich „nach vorn spielt". Nur auf diesem Wege ist der geistigen und sittlichen Schizophrenie ein Riegel vorgeschoben. Die tiefere Begründung gibt Art. 7. [20] Zu S. 19. Wie im Organismus der leib-seelischen Kräfte des Menschen der Wille nicht alle Aufgaben selbst übernehmen kann — er kann nicht selbst gehen, lesen, denken —, sondern diese Aufgaben den einzelnen Kräften überlassen muß, aber so, daß er „auf dem Wege über den Befehl" diese Spezialaufgaben doch wieder zu seinen Aufgaben macht und die Einzelakte jener Kräfte, die unter seinem Befehl stehen, als seine Akte anzusehen sind, also unter seine Verantwortung fallen, so unterstehen die Akte sämtlicher Tugenden der Liebe als der eigentlichen Tugend des Willens, auch wenn die Liebe die Einzelakte der Tugenden nicht als tugendeigene Akte setzt. Vgl. Komm. S. 520 f. [21] Zu S. 19. Für die Analyse und damit für die Systematik aller geistigen und seelischen Akte ist dieses Prinzip von großer Bedeutung. Wenn wir den Reichtum des Seienden wissenschaftlich bewältigen wollen, ist es unerläßlich, die möglichen formalen .Gesichtspunkte' in einem Ding zu unterscheiden und voneinander .abzuheben', zu abstrahieren. Zahlreiche Wissenschaften befassen sich mit dem einen Wesen .Mensch', und zwar auf Grund der mannigfaltigsten ,Gesichtspunkte' oder ,Seiten', unter denen man dieses Wesen betrachten kann. Je reicher der Seinsgehalt eines Wesens, um so mehr Wissenschaften sind 345

nötig, diesen Reichtum zu heben und sauber zu ordnen. Hier gilt die Forderung G o e t h e s : „Scheiden, soviel sich nur scheiden l ä ß t . " Was nun von der Wissenschaft des Seienden gilt, gilt im selben Maße und mit demselben R e c h t von den Seins- und Tätigkeitsgehaben. So begründet jeder neue Gesichtspunkt im Gegenstand auch ein neues Gehaben, das sieh gerade unter diesem und keinem anderen Gesichtspunkt mit dem Gegenstand beschäftigt. Darauf weist Thomas schon I - I I 5 4 , 2 ; 60, 1; 62, 2 ; 63, 4 (Bd. 11) hin. Vgl. ferner 17, 6 : B d . 16, u. unten 3 0 , 3 Zu 3 ; 3 1 , 1 . 4 u. Anm. [72], [22] Zu S. 21. Klarer kann Thomas das eigentliche Motiv und damit das eigentliche Wesen der Gottesliebe nicht herausstellen, als er es hier t u t : Gott lieben —• nicht unseretwegen, sondern Seinetwegen, w e i l E r das Wesen der Gutheit selbst ist (vgl. Einführung § 2 S. 407ff.). 1 Das ergibt sich bereits aus dem Begriff der „edlen Freundschaft", den Thomas in analoger Abwandlung auf die Gottesliebe angewendet wissen will; denn nur in der edlen Freundschaft wird der Freund um des Freundes willen geliebt (vgl. Komm. S. 426 f . : Die Stufen der Freundschaft im Lichte der Analogie). Alle anderen Motive, die unsere Liebe zu Gott „wecken", uns zu ihr „hinführen" (inducentes), sind deshalb zweitrangig; nicht, als ob es in Gott Selbst etwas .Zweitrangiges' geben könnte, denn „was immer in Gott ist, ist G o t t " (I 27, 3 Zu 2 : B d . 3); sondern weil solche Motive im Grunde nicht Gott, sondern das eigene Wohl meinen (vgl. Art. 6). a Zwischen dem eigentlichen Motiv der Gottesliebe, das Gott Selbst ist, und den andern, zweitrangigen liegt deshalb nicht etwa nur ein gradueller, sondern ein Wesensunterschied, wie zwischen dem bonum per essentiam und dem bonum per participationem, dem wesenhaft Guten und dem Guten durch Teilhabe; deshalb gibt es auch von der einen zur anderen Geisteshaltung keinen kontinuierlichen Übergang, sondern den Sprung wie vom Endlichen ins Unendliche, vom Bedingten, Relativen in das Unbedingte, Absolute. Damit ist die begehrliche Liebe zu Gott nicht völlig entwertet, sondern nur ihre Unvollkommenheit aufgewiesen und zugleich dargetan, daß die eigentliche, die „reine" Liebe um eine ganze Wesensstufe höher liegt. Diese beiden Haltungen 1 Vgl. T h e o l o g i a D e u t s c h (38. K a p . ) : „Und von der ewigen Liebe, die da das Gute als das Gute und um des Guten willen liebt, von der wird das wahre, edle Leben Christi also sehr geliebt, daß es nimmer mehr verlassen oder verworfen wird" (Ausg. R . A. S c h r ö d e r , Gütersloh 1947, 101). 2 „Und wer Christi Leben darum hat, daß er etwas damit gewinnen oder verdienen will, der hat es als ein Mietling und nicht um Liebe und hat es auch allewege nicht. Denn wer es nicht um Liebe hat, der hat nicht teil an ihm . . . Christus hatte Sein Leben nicht um Lohn sondern um Liebe, und die Liebe macht das Leben leicht und nimmt ihm alle Beschwernis, also daß es gern gehabt und williglich ertragen wird. Aber wer es nicht um Liebe hat, sondern wähnet, er hat es um Lohn, dem ist es gar bitter und sauer, und er wär's gern bald los. Und das gehört zu einem jeglichen Mietling, daß er gern ein Ende seiner Arbeit sähe. Aber einen wahren Liebhaber verdrießt weder Arbeit noch Zeit noch Leiden. Darum steht geschrieben ,Gott dienen und leben ist dem leicht, der es t u t ' . " (ThD ebd. 102).

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werden in der Antwort des nächsten Artikels noch einmal scharf gegeneinander abgehoben: „Der Glaube u n d die Hoffnung erreichen Gott zwar, sofern uns von I h m die Erkenntnis des Wahren bzw. die Erlangung des Guten k o m m t ; die heilige Liebe aber erreicht Gott, u m bei I h m Selbst stehenzubleiben, u n d nicht, weil uns von I h m etwas k o m m t " (vgl. auch die Einleitung von G. S i e d e l zu seiner Ausg. d. ThD, Gotha 1929, 95 f.). Die beiden Hinsichten auf Gott dürfen aber auch nicht auseinandergerissen werden. Denn die eigene Gutheit Gottes leuchtet uns in Seinem uns schenkend zugewandten Antlitz auf. Vgl. Anm. [63a] ; L.-B. G e i g e r OP, Le problème de l'amour chez S. Thomas d'Aquin. Montréal-Paris 1952, S 103 f. [23] Zu S. 23. Dieses p e r s e u n d p e r a l i u d — durch sich und durch ein anderes oder: aus sich u n d aus einem anderen sein — liegt in derselben Linie wie das p e r e s s e n t i a m und p e r p a r t i c i p a t i o n e m der vorigen Anmerkung. Dieser gegensätzliche Unterschied bestimmt das Verhältnis Gottes zu allen geschöpflichen Werten, vom grundlegenden Wert des Seins als Dasein bis in die letzten Nuancierungen des Seins als Wesensbestand. I n relativer Abschattung gibt es diesen Unterschied freilich auch innerhalb der Schöpfung. So würde Thomas sagen: Das Feuer h a t die Glut per essentiam, alles, was vom Feuer erhitzt wird, n u r per participationem. Ein Beispiel, das der heutige Physiker freilich nicht mehr gelten läßt, weil Feuer nur ein Zustand ist, von dem alle Materie erfaßt werden kann. Anschaulicher u n d richtiger ist schon das Beispiel vom Vogel, dem das Fliegen als völlig natürliche Lebenstätigkeit eignet, während der Mensch nur mit künstlichen Apparaten fliegen kann. Der Vogel kennt den Flug p e r se, der Mensch gewissermaßen nur p e r p a r t i c i p a t i o n e m . Vgl. die grundlegenden Arbeiten: C. F a b r o , La nozione metafisica di partecipazione secondo S. Tommaso d'Aquino. Turin 19502, bes. S. 274 ff. ; L.-B. G e i g e r O P , L a participation dans la philosophie de S. Thomas d'Aquin. Paris 19532, bes. S. 238 ff. [24] Zu S. 25. Über das Verhältnis von Glaube u n d Liebe h a t Thomas ausführlich gehandelt in 4, 3. 5. 7 Zu 4 (Bd. 15). Vgl. ebd. die Anmerkungen [25] [27] u. K o m m . S. 394 ff., besonders 398. Außerdem das Sachverzeichnis S. 482 b unter „Glaube u n d Liebe". [25] Zu S. 25. Es liegt im Wesen des Hoffenden, daß er so lange .unterwegs' ist, als er nicht in den unmittelbaren Besitz des erhofften Gutes gelangt ist. Die Hoffnung bestimmt den Weg des Christen wesentlich als den eines Menschen, der ,noch nicht' a m Ziel angelangt ist. Dieses ,noch nicht' besteht für die Liebe nicht. Sie ist wesentlich dieselbe, mag der Geliebte gegenwärtig oder abwesend sein. 1 J a , in Abwesenheit des Geliebten k a n n die Sehnsucht, die aus der Liebe entspringt, die Liebe zu noch hellerer Glut entfachen, als sie in Gegenwart 1

Vgl. J. P i e p e r , Über die Hoffnung (S. 13 ff.).

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des Geliebten vielleicht erreicht würde. Liebe bedeutet also immer irgendwelche Einigung mit dem Geliebten, während die Hoffnung zu dieser Einigung unterwegs ist. Der Blick der Hoffnung geht zudem sehr stark auf die Schwierigkeiten, die der Erlangung des erhofften Gutes entgegenstehen, während die Liebe über diese Schwierigkeiten viel leichter hinwegsieht. Dazu kommt noch der andere, nicht weniger wesentliche Unterschied, den Thomas in Art. 6 (Antw.) berührt hat. [26] Zu S. 26. Die Logik des Argumentes bietet dem Verständnis einige Schwierigkeit. Wenn wir jedoch die Gedankenfolge des Einwandes umstellen, ist seine Logik durchsichtiger: I m Ungläubigen gibt es echte Tugend; im Ungläubigen gibt es aber keine übernatürliche Gottesliebe. Also gibt es echte Tugend ohne übernatürliche Gottesliebe. [27] Zu S. 26 Auch die Logik des Anderseits ist nicht ohne weiteres einsichtig. I n ,Form' gebracht, müßte der Syllogismus lauten: Was zu nichts nütze ist, ist keine echte Tugend; denn die echte Tugend ist zu vielem nütze. Ohne Liebe aber nützt keine Tugend etwas. Also gibt es ohne Liebe keine echte Tugend. [28] Zu S. 29. Dieser Parallele: Ziel zu Handlung wie E r kenntnisprinzip zu Erkenntnisvorgang begegnen wir bei Thomas immer wieder. Das Ziel hat in der Praxis des Lebens denselben R a n g und dieselbe grundsätzliche Bedeutung wie das Erkenntnisprinzip für die theoretischen Wissenschaften. Auf eine ähnliche Parallele stoßen wir 25, 4. Wie wir von den Ursätzen der Erkenntnis kein eigentliches Wissen, sondern etwas Größeres, nämlich unmittelbare Einsicht haben, eine Einsicht, deren unmittelbare und unfehlbare Disposition uns im sogenannten „Gehaben der ersten Prinzipien" angeboren ist, so ist die Selbstliebe, die mit uns geboren wird und aus der alle andere Liebe fließt, als Prinzip aller anderen Liebe stärker und unmittelbarer als jede andere Liebe. Zu der erstgenannten Parallele vgl. I 19, 5 : B d . 2 ; 60, 2 mit Anm. [222]; 62, 8 Antw. u. Zu 2 : B d . 4 ; 82, 2 ; 83, 4 : B d . 6; I - I I 8, 2; 9, 3 ; 10, 1. 2 E . 3 ; 12, 4 ; 13, 3. 5. 6 Zu 1; 14, 6 ; 17, 9 Zu 2 : B d . 9 ; 5 4 , 2 Zu 3 ; 5 6 , 3 ; 5 7 , 4 ; 5 8 , 5 Antw. u. Zu 1. 2 ; 6 2 , 3 ; 6 5 , 1 Schluß der Antw. u. Zu 3; Art. 2 : B d . 11; Car 6 Zu 13; CG I V 54§ 3; 92 § 6 ; 95 § 1 ; E t h nr. 1170. [29] Zu S. 30. Wissenschaft und Kunst haben als sogenannte ,Kultursachgebiete' ihre eigenen Gesetze wie ihre eigenen Ziele; Wissenschaft: die Erkenntnis der Weltwirklichkeit einschließlich des Menschen; K u n s t : die Darstellung der schönen Welt. Die Gesetze der Perspektive, der Anatomie oder — in der Wissenschaft — der Logik, der Experimentierkunst, der Optik usw. haben natürlich mit Sittlichkeit nichts zu tun. Insoweit sind diese Kultursachgebiete in bezug auf die ihnen immanenten Gesetze autonom. Aber die A u s ü b u n g der Wissenschaft oder der Kunst fällt, wie alle menschliche Handlung, unter die sittliche Norm und daher unter die Ver-

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antwortung des Gewissens. Hier hat ihre vielgerühmte Autonomie ihre unverrückbare Grenze. [30] Zu S. 30. Wie bei jedem Ding, so unterscheidet Thomas auch bei den menschlichen Akten ein inneres und ein äußeres Gestaltgesetz, die forma essentialis, die dem Ding immanente Wesensform, die von innen her als Wesenskomponente seine Art bestimmt, und die forma exemplaris, die äußere Wesensgestalt, das eidos, das Urbild in Gott, nach welchem das Ding als Ebenbild seine innere Wesensgestalt erhalten hat. Unser Einwand will nun sagen: Die Liebe kann für die anderen Tugenden weder die eine noch die andere Funktion übernehmen. I s t sie äußere Wesensgestalt, d. h. Urbild der anderen Tugenden, so sind alle Tugenden derselben Wesensart, weil vom selben eidos bestimmt, d. h. im Grunde gibt es nur die Tugend der Liebe. I s t sie innere Wesensgestalt der anderen Tugenden, fällt sie mit diesen zusammen und könnte nicht mehr als besondere Tugend gelten. 1 6 , 4 (Bd. 1) fragt Thomas: „Sind alle Wesen gut durch die Gutheit Gottes?" Dort kommt er zu folgendem Schluß: „Alle Wesen werden gut genannt durch die Gutheit Gottes, sofern Gott Urbild und Ursache sowie Endziel aller Gutheit ist. Nichtsdestoweniger ist aber auch jedes Wesen gut durch eine ihm innewohnende Ähnlichkeit mit der Gutheit Gottes, die formell als seine eigene Gutheit zu betrachten ist, nach der es ,gut' genannt wird. Und so sind alle Wesen ,gut' durch eine einzige Gutheit, und doch ist auch ein jedes für sich g u t " (vgl. Anm. [9]). Ganz analog dazu muß man sagen: Daß eine Tugend e c h t e Tugend ist, hat sie von der Liebe als Urbild aller Tugenden; und doch hat jede Tugend ihr eigenes Wesen, durch das sie von innen her als diese bestimmte Tugend zu erkennen ist. Genauso ist Christus das Urbild christlichen Lebens, aber wirklich ,Christ' ist der Mensch erst, wenn er Christum „angezogen" hat (Rom 13, 14), d. h. wenn die geistige Gestalt Christi zur eigenen geistigen Gestalt geworden ist. Vgl. I I I 8 : B d . 25; 23, 1 Zu 2 : B d . 2 6 ; 4 5 , 4 : B d . 27; CG I V 17 E n d e ; in J o l , 16: lect 10 (202); 3 , 5 : lect 1 (442); 5 lect 5 (782); in R o m 8, 14 sq.: lect 3 (635 sqq.); in Gal 2, 2 0 : lect 6 (109); 4, 5 lect 2 (209); vgl. lect 3. [31] Zu S. 31. Derselbe Einwand findet sich Car 3 E . 18. Ziel-, Wirk- und Form-Ursache sind nicht nur „der Zahl nach" voneinander verschieden, sondern auch ihrem Wesen nach, so daß sie nur in einem streng analogen Sinne als ,Ursachen' zu bezeichnen sind, insofern ,Ur-Sache' bei einer jeden etwas völlig Verschiedenes bedeutet. Abgesehen davon, daß Ziel- und Wirk-Ursache dem Ding äußerlich bleiben, die FormUrsache als Wesensform aber innere, die Art bestimmende Wesenskomponente ist, sind die Funktionen dieser drei Ursachen himmelweit verschieden. Das Ziel wirkt nur über die Erkenntnis und den Willen eines Zielenden, der das Ding in seiner Gewalt hat und ihm den Weg vorschreiben kann. „Dem

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Heiligen Geist", schreibt Thomas I 45, 6 Zu 2 (Bd. 4), „wird die Gutheit zugeeignet, u n d ihr steht die Lenkung der Dinge zu, welche sie zu ihren festgeordneten Zielen hinleitet." Die wesenseigene F u n k t i o n des Zieles heißt ,anlocken': „Locke mich, D u Heiliger Geist, daß ich das Heilige ( = d e n Heiligen) liebe" (Augustinus). Die wesenseigene F u n k t i o n der WirkUrsache aber ist das Tun, das außerhalb ihrer selbst eine Wirkimg setzt, sei es durch Schöpfung u n d Zeugung, sei es durch Neugestaltung eines schon Vorhandenen. Die F u n k t i o n der Wesensform, etwa der Menschenseele als Wesensform des Leibes, ist wieder eine gänzlich verschiedene. Den Leib .bewegen' ist bei ihr dasselbe wie ihn beleben, denn die Seele bewegt nicht wie eine äußere Wirkursache, die durch Stoß oder Druck oder Zug bewegt, sondern eben wie die Wesensform bewegt, nämlich „durch ihre Wesenheit. D a r u m steht auch dieses ,Beleben', mag es auch als Tätigkeit ausgesagt werden, doch nicht in der Kategorie der Tätigkeit, denn es ist viel mehr erste als zweite Seinsvollkommenheit" (actus primus magis q u a m secundus: P o t 2, 1 Zu 6). „Leben u n d Sein bedeuten keine Tätigkeit, die auf einen äußeren Gegenstand geht" (I 8, 4 Zu 6: Bd. 1), sind also actus immanentes, innebleibende Vollzüge (vgl. Bd. 8 Anm. [911). [32] Zu S. 32. Der Ausdruck „Mutter aller Tugenden" findet sich öfter bei Thomas, so 186, 7 Zu 1 (Bd. 24). Zum Beweise b e r u f t er sich dort auf 1 Kor 13, 4 ff.: „Die Liebe ist geduldig, ist gütig" usw. Ebenso 1 - 1 1 6 2 , 4 (Bd. 11): „Die Liebe ist Mutter u n d Wurzel aller Tugenden, insofern sie die F o r m aller Tugenden ist." I n Car 3 ist die Liebe mehr das bewegende u n d erregende Moment, mehr motor v i r t u t u m als mater, weil sie die Akte aller Tugenden auf das letzte Ziel, das ihr eigen ist, mit großer K r a f t hinbewegt. Vgl. K o m m , zu I - I I 65, 1 (Bd. 11 S. 611 u. 614). [33] Zu S. 34. Vielleicht h a t I . O r t e g a y G a s s e t diesen Einwand als eigentliche Meinung des hl. Thomas gelesen, denn in seinem B u c h e : „Über die Liebe" (Stuttgart 1955, 92 f.) schreibt e r : „. . . So ist die Idee, die uns Thomas v. Aquin, die griechische Überlieferung zusammenfassend von der Liebe gibt, offenbar falsch. F ü r ihn sind Liebe u n d H a ß zwei Formen des Strebens, der Begierde. Die Liebe ist das Streben nach etwas Gutem, insofern es gut ist — concupiscibile (sie!) circa bon u m — ; der H a ß ist ein Widerstreben, ein Abgestoßen werden von dem Schlechten als solchem — concupiscibile (sie!) circa malum. An dieser Verwechslung der Begierden u n d Strebungen mit dem Gefühl k r a n k t e die ganze Vergangenheit der Psychologie bis zum 18. J a h r h u n d e r t . U n d doch ist dies eine der wichtigsten Unterscheidungen, die wir machen müssen, d a m i t uns nicht das Eigentümliche u n d Wesentliche der Liebe unter den H ä n d e n schwindet." N u n gibt es wohl keinen u n t e r den großen Philosophen u n d Theologen, der gerade d i e s e n Unterschied zwischen Liebestrieb u n d Liebeswillen energischer betont h ä t t e als gerade

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Thomas v. Aquin. U n d zwar bringt Thomas diesen Unterschied nicht erst hier, im T r a k t a t über die Gottesliebe, die aus der Gnade fließt u n d nicht anders als geistig-übernatürlich zu verstehen ist, sondern schon im Leidenschaftstraktat, u n d zwar gleich in der ersten Frage über die Liebe selbst, wo in allen vier Artikeln diese Grundunterscheidung wahrhaftig deutlich genug betont wird (vgl. I - I I F r . 26: Bd. 10). O r t e g a h a t also nicht einmal diese erste grundlegende Frage über die Liebe gelesen. E s ist unbegreiflich, mit welcher Leichtfertigkeit berühmte Autoren über Thomas zu urteilen belieben, ohne die elementarsten Voraussetzungen seiner Gedankenwelt zu kennen. Solche Fehlurteile gehen d a n n in Massenauflage (die uns vorliegende Ausgabe zählt das 53.—59. Tausend!) in die Welt u n d bringen die Philosophie des ersten Lehrers der Christenheit in Verruf. Was Ortega selbst uns d a n n von der Liebe erzählt, bleibt hinter der Klarheit u n d Tiefe des hl. Thomas weit zurück. [34] Zu S. 34. Die Logik des Anderseits leuchtet nicht ohne weiteres ein. Der Schluß wäre erst d a n n berechtigt, wenn das Gute Gegenstand n u r des Willens wäre; es ist aber Gegenstand jeder Strebekraft, auch des sinnlichen Begehrungsvermögens (I-II 26, 1: Bd. 10). W ü r d e es aber im Obersatz heißen: der Gegenstand der Gottesliebe ist das Göttlich-Gute oder die göttliche Gutheit, u n d diese ist ausschließlich Gegenstand des Willens, so wäre der Schluß berechtigt: Also h a t die Gottesliebe ihren Sitz im Willen. [35] Zu S. 35. Hier sind zwei Feststellungen wichtig. Erstens: Der Wille gehört zur Vernunft. „Vernunft" (ratio) ist also das Gesamt der oberherrschaftlichen Vermögen. Wenn Thomas daher unaufhörlich betont, das Gut des Menschen liege darin: secundum rationem esse — der Vernunft gemäß zu sein, u n d entsprechend das Böse des Menschen d a r i n : praeter rationem esse — unvernünftig zu handeln (I-II 18, 5; 19, 3: Bd. 9; 24, 3; 24, 1 E . 1: Bd. 10 u. öfter, z. B. im T r a k t a t über die Grundlagen der menschlichen Handlungen [Bd. 11] an die 20 m a l ; außerdem I I I 19, 2: Bd. 26; Car 2 u. 7; Mal 16, 2 Schluß der Antw., E t h nr. 1805 1807 1869—73), so h a t das mit Rationalismus oder Intellektualismus nichts zu t u n . Der Wille selbst ist als inclinatio sequens cognitionem intellectus aus der ratio geboren, k a n n also nicht gegen sie ausgespielt werden, sowenig die Vernunft gegen den Willen ausgespielt, werden kann. Zweitens — u n d damit wird die erste Feststellung b e s t ä t i g t — wird gesagt, d a ß die Gottesliebe, gerade w e i l sie ihren Sitz im Willen h a t , der Vernunft nicht fremd ist. Denn der Wille hat, wie es a m Schluß der Lösung heißt, eine ganz bestimmte, enge Beziehung — m a n könnte affinitas hier unbedenklich mit ,Verwandtschaft' übersetzen — zur Vernunft. Das entspricht dem, was Thomas 26, 13 im Anderseits s a g t : „Die N a t u r wird durch die ,Herrlichkeit' [der ewigen H e i m a t ] nicht aufgehoben, sondern vollendet." Das ist nur die selbstverständliche Konsequenz aus der These, daß die Gnade die Na351

tur nicht aufhebt, sondern voraussetzt und zur Vollendung führt (31, 3 ; I 1, 8 Zu 2 : B d . 1; I I I 65, 3 : B d . 11; 99, 2 Zu 1: B d . 13; vgl. Pot 5, 4). So wird in der Gottesliebe jedes natürliche Gottverlangen erfüllt (26, 13 Schluß der Antw.). [36] Zu S. 39. Die Schwierigkeit liegt hier in dem verschiedenen Sinn des lateinischen virtus. Die aus Mt angeführte Stelle lautet in der Vulgata: „Er gab einem jeden nach seiner Tüchtigkeit — secundum propriam virtutem." Virtus ist hier nach dem Zusammenhang — es handelt sich um das Gleichnis von den Talenten — soviel wie Befähigung, Arbeitskraft. I m Griechischen steht dvvafiig: K r a f t , nicht ägezr)-. Tugend (wiewohl auch dieses nicht immer mit Tugend zu übersetzen ist; vgl. T h W I 457 ff.). Dieselbe Schwierigkeit ergab sich schon I - I I 55, 1—3 (Bd. 11), wo es um den Begriff der eigentlichen, nämlich der sittlichen Tugend ging, und wieder ebd. 56, 3, wo nach den Verstandestüchtigkeiten (Wissen und Kunst) gefragt wird. E s muß sich also aus dem jeweiligen Zusammenhang ergeben, welcher Inhalt dem Ausdruck virtus im Einzelfalle zukommt. Vgl. Anm. [12]. [37] Zu S. 40. I m Menschen ist ,Wesensform' die Geistseele, ,Stoff' der Leib. Leib und Seele sind aufeinander zugeordnet, und zwar nicht nur so im allgemeinen, sofern die Geistseele keinen Tierleib beseelen kann oder umgekehrt der Tierleib nicht den Stoff für eine Geistseele abgeben kann (vgl. Arnold G e h l e n , Der Mensch 1950 4 ; derselbe i n : „Der gegenwärtige Stand der anthropologischen Forschung"; Zeitschrift ,Merkur' 5 [1951] 379—389, bes. 389); sondern ganz individuell ist d i e s e Geistseele d i e s e m Leibe zugeordnet, so daß, wie Thomas (CG I I 73) erklärt, es metaphysisch unmöglich ist, „daß die Seele d i e s e s bestimmten Menschen in einen anderen Leib einginge (oder einem anderen Leibe eingeschaffen würde) als in den Leib gerade d i e s e s Menschen". [38] Zu S. 42. I n viventibus vivere est esse — bei den Lebewesen bedeutet ,leben' soviel wie ,sein' — lautet ein thomistisches Axiom. Wenn im Lebewesen, gleichgültig welcher Seinsstufe es angehört, das Leben völlig ausgelöscht ist, hört es auf zu sein; wobei zu bedenken ist, daß der Same, etwa der Pflanze, noch nicht ,Lebewesen' ist. E r s t die Pflanze, die durch natürliche oder künstliche Agentien aus dem Samen gezeugt wird, ist als Lebewesen zu bezeichnen. Das gilt auch für den Menschen. Wenn sämtliche Lebensfunktionen sämtlicher Organe ausgelöscht würden, würde er aufhören, als Leib-SeeleWesen zu existieren. (Die Frage nach dem Fortleben der Geistseele bleibt davon unberührt.) Damit der Mensch lebt, ist jedoch nicht erforderlich, daß a l l e seine Vermögen ununterbrochen in Tätigkeit sind. I m Schlafe ist zumindest die Tätigkeit des Verstandes und Willens unterbrochen. F ü r das, was mit dem Schlafenden von innen oder außen geschieht, ist er deshalb auch nicht verantwortlich. E s ist vielleicht i n ihm, aber nicht v o n ihm, was da vorgeht. Die Kräfte der vege-

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tativen Sphäre u n d zum Teil die der sinnlichen Sphäre arbeiten weiter. E s handelt sich also n u r u m eine partielle Unterbrechung der Lebenstätigkeit einiger Vermögen. Beim Wachwerden wird die unterbrochene Tätigkeit wieder aufgenommen. Aber auch im Wachzustande haben wir noch den o f t peinlichen Wechsel zwischen Tätigkeit u n d E r m ü d u n g . Der Mensch k a n n unmöglich stets mit höchster Intensität lebendig sein. Der Engel dagegen lebt immer m i t der ganzen K r a f t seiner Natur, er ist immer „in Aktion" u n d k e n n t keine Unterbrechung, weder in der Erkenntnis noch in der Tätigkeit des Willens. [39] Zu S. 43. Hier ist an das scholastische Axiom ged a c h t : essentiae rerum consistunt in atomo, sunt sicut numeri, sunt immutabiles — die Wesenheiten der Dinge sind unteilbar, ,wie die [ganzen] Zahlen', unveränderlich; sie vertragen also kein Mehr und kein Weniger. Es gibt zwischen den Wesenheiten keine kontinuierlichen Übergänge, mag es im konkreten Einzelfall auch schwer sein, zu entscheiden, ob m a n etwa ein bestimmtes Gebilde noch zur Pflanzenwelt oder schon zur Tierwelt zählen soll. U n t e r den Naturwesen gibt es also kein Sowohl-Als-auch, sondern nur ein Entweder-Oder. Auch haben wir auf den einzelnen Entwicklungsstufen eines Wesens, etwa des Menschen, kein Mehr oder Weniger im Wesen; das Kind im Mutterschoß ist nicht weniger Mensch als der Erwachsene. Mag auch das Menschsein im Erwachsenen im Tätigkeitsbereich stärker entfaltet sein, das Wesen bleibt davon unberührt. Anders ist es bei den Wirklichkeiten, die nicht Ding, sondern Eigenschaft sind, deren ganzes Wesen im „Innesein" besteht, wie die Lösung Zu 3 ausführt. [40] Zu S. 47. I n der Sprache der Mathematik heißt das: Unausgedehntes zu Unausgedehntem hinzugefügt, gibt niemals ein Ausgedehntes. So mag m a n in Gedanken — denn anders ist es nicht möglich — zu einer Fläche, die n u r zwei Ausdehnungen hat, noch so viele Flächen aufeinandergelegt denken, sie ergeben niemals einen Körper, weil sie in der dritten Dimension unausgedehnt gedacht werden müssen. Vgl. 2 4 , 7 Zu 3; K o m m , zur Metaphysik 3, 12 (496 ff.); ferner P a s c a l s Lehre von den „Ordnungen". [41] Zu S. 48. Was gemeint ist, läßt sich leicht verdeutlichen an unseren Gedanken. Derselbe Gedanke, etwa daß es eine absolute Wahrheit geben muß, k a n n in vielen Menschen lebendig sein. So wäre er der Wesensart d. h. seinem Inhalt nach e i n e r , „der Zahl n a c h " aber so oft gedacht, als es Menschen gibt, die ihn denken. So unterscheiden sich die verschiedenen Gehaben wesensmäßig nach ihrem Gegenstand, das Gehaben etwa der R a u m lehre von dem der Rechenkunst oder dem der Musik. „Der Zahl n a c h " aber gibt es so viele Gehaben der Raumlehre, der Musik usw., als es Geometer oder Musiker gibt. Hierauf beruht die Feststellung des hl. Thomas, die schon A u g u s t i n u s 23

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gemacht hat, daß nämlich die geistigen Güter ungeteilt und gleich unmittelbar vielen gemeinsam sein können, während die materiellen Güter, auf viele verteilt, notwendig vermindert werden. Daher kommt es, daß es hinsichtlich des geistigen Besitzes kaum Neid gibt (wohl allerdings hinsichtlich der gesellschaftlichen und individuellen Voraussetzungen und ,Erfolge' dieses .Besitzes'), während der Besitz der materiellen Güter nur allzuleicht die Menschen entzweit ( I - I I 28, 4 Zu 2 : B d . 10; 1 1 1 2 3 , 1 Zu 3 : B d . 26). [41a] Zu S. 58. Einer der seltenen Sätze, in denen Thomas seine Auffassung von der heilsgeschichtlichen ,Entwicklung' seit dem apostolischen Zeitalter durchblicken läßt. Daß in diesem Satz eines Einwandes Thomas selbst spricht, ergibt sich aus I - I I 106, 4 (Bd. 14; vgl. dort Komm. S. 297 ff.; vgl. 1 1 - 1 1 1 , 7 Zu 4 ; ferner Zu 1: B d . 15; in R o m 8, 23: lect 5 [676 ff.]). Der Hintergrund, auf dem die Aussage zu leuchten beginnt, ist die immer wieder auftauchende Vorstellung, daß noch eine Vollendung des Neuen Bundes v o r dem letzten Gericht zu erwarten sei: ein Zeitalter des Heiligen Geistes, eine Geistkirche, ein Reich des Geistes, ein ,ewiges Evangelium'. Vom Schwärmertum bis zur dialektischen Geschichtskonstruktion gibt es viele Varianten dieser Erwartung, die wohl meist weniger von exegetisch-theologischen Motiven als von einer Enttäuschung am gegenwärtigen Zustand der Kirche genährt wird. Die Linie dieser .Propheten' reicht von den C h i l i a s t e n des 2. Jahrhunderts (vgl. B d . 35 Anm. [52]) über Kirchenväter der alexandrinischen Schule bis zu den Zeitgenossen des hl. Thomas, dem Zisterzienserabt J o a c h i m v o n F i o r e und dem Minoriten G e r h a r d v o n B o r g o S a n D o m n i n o (vgl. W i l h . v o n T o c c o , Vita S . T h o m a e Aquinatis, ed. Prümmer, S. Maximin o. J . , S. 93 f.); und neuzeitlich verwandelt von L e s s i n g (Erziehung des Menschengeschlechtes, § 87) über S c h ö l l i n g (Philosophie der Offenbarung, 36. u. 37. Vorlesung), über die protestantische Theologie und insbesondere Dogmengeschichte des 19. Jahrhunderts einerseits und die russische Religionsphilosophie anderseits (vgl. S o l o w j e w s bekannte, als Höhepunkt in das dritte der ,Drei Gespräche' [deutsch Bonn 1947] eingefügte ,Kurze Erzählung vom Antichrist', in der die östlich-johanneische Geistkirche als der eigentliche Christuszeuge am Ende der Zeit die Einheit mit der katholisch-petrinischen und der protestantisch-paulinischen findet) bis in die Gegenwart. Die Aussage des hl. Thomas über die intensivste Wirksamkeit des Heiligen Geistes im apostolischen Zeitalter trifft einen gewissen vereinfachenden Fortschrittsglauben, der zuweilen das katholische Selbstbewußtsein der Gegenwart zu bestimmen scheint. Thomas unterscheidet scharf zwischen der fortschreitenden Klärung der Kirchenlehre in der Auseinandersetzung mit den Irrlehren (vgl. u. a. 1, 10 Zu 1: B d . 15; I 32, 4 : B d . 3) und durch theologisches Studium ( 3 d 2 5 : 2 , 2 qa 1 Zu 5; vgl. B d . 15 Anh. I I I 444—470; M. D. K ö s t e r O P , Volk Gottes im Wachstum des Glaubens. Heidelberg 1950: I I . Der Glaubens-

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sinn der Hirten und Gläubigen) einerseits u n d der unüberbietbaren Tiefe u n d Fülle der Geistbegabung (I-II 106,4: Bd. 14; in R o m 8, 23: lect 5 [676 ff.]), des Glaubensverständnisses (II-II 1, 7 Zu 4: Bd. 15) und der heiligen Liebe (24, 8 E. 1) in den Aposteln andererseits. D a m i t k o m m t Thomas einem Anliegen entgegen, das der Kieler Kirchengeschichtler P. M e i n h o l d (Grundfragen kirchlicher Geschichtsdeutung. I n : Die Katholizität der Kirche, hg. v. H . A s m u s s e n und W . S t ä h l i n , Stuttgart 1957, 133160) als entscheidend f ü r das heutige Una-Sancta-Gespräch ansieht. Nach M e i n h o l d stellt sich „für die protestantische Anschauung von der Kirchengeschichte. . . die geschichtliche Entwicklung der Kirche als ein ungeheurer Verfallsprozeß dar, den m a n an verschiedene konkrete geschichtliche Ereignisse sich anschließen läßt" (S. 144). Diese Deutung sei „vom E n d e des ersten nachchristlichen J a h r h u n d e r t s an zu allen Zeiten aufgetreten" und „immer . . . Ausdruck f ü r die Kritik an der Kirche" u n d Rechtfertigung f ü r Reformbestrebungen gewesen (S. 145). „Die protestantische Anschauung von der Kirchengeschichte sieht in der Geschichte die Stätte des K a m p fes zwischen Christus u n d Antichristus, zwischen Gott u n d Sat a n . Auf jeder Stufe der geschichtlichen Entwicklung spielt sich dieser K a m p f mit unverminderter Stärke a b " (S. 148). Nach der „typisch katholischen Deutung der Kirchengeschichte" werde „die geschichtliche Entwicklung der Kirche nicht als die allmähliche Verderbnis ursprünglicher Reinheit, sondern als die fortschreitende E n t f a l t u n g der in den Anfangszeiten keimh a f t entstandenen Ansätze verstanden: immer heller strahlt die Wahrheit auf, immer tiefer dringt die Kirche in ihr Verständnis ein, immer reicher und vielseitiger wird der Ausdruck, den sie ihr im Fortgang des geschichtlichen Lebens gibt. Es gibt wohl Störungen dieses Lebens, aber es gibt keinen Bruch in der Geschichte der katholischen Kirche" (S. 146). Wenn M e i n h o l d n u n als überhöhende Synthese eine „der Katholizität der Kirche entsprechende ökumenische Schau der Kirchengeschichte'' fordert (S. 151), d a n n können wir uns im Geiste der angedeuteten Ansätze des hl. Thomas diesem Anliegen weitgehend öffnen. Einen beachtenswerten Versuch in dieser Richtung bietet H . U r s v. B a l t h a s a r , Theologie der Geschichte. Einsiedeln 1950, 42 ff. Der theologische Hintergrund, auf dem sich ein solches Una-Sancta-Gespräch über die Kirche und ihre Entwicklung a n b a h n t , ist das auch bei katholischen Theologen immer deutlicher werdende Verständnis der Kirche als R a u m des sich zwischen Himmelfahrt und Wiederkunft des Herrn vorbereitenden Gottesreiches, als des Gottesvolkes, „das sich noch auf dem Wege zur Vollendung der Verheißungen befindet, die ihm gemacht sind, das aber in Jesus Christus, dem f ü r dieses Volk Gestorbenen u n d Auferweckten, das Prinzip aller Güter besitzt, deren volle Gabe es noch erwartet" (Y. C o n g a r O P , Der Laie, E n t w u r f einer Theologie des Laientums. Stuttgart o. J . [1957] 114. Vgl. vor allem das ganze 3. Kapitel mit seinen wertvollen ekklesiologischen Hinweisen zur The23*

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matik „Reich, Kirche und W e l t " ; aber auch schon R . G r o s c h e , Reich Gottes und Kirche. I n : Pilgernde Kirche. Freiburg 1938, 41—76; ferner oben Anm. [4]). [41b] Zu S. 66. ,Mangel an Umgang": griech. U - . T O O O if/ugia; lat. wörtlich übersetzt: inappellatio = (das) Nichtan-sprechen. Hier ist die ursprüngliche menschliche Kommunikation (vgl. Anm. [3]), das Ansprechen und Angesprochenwerden als tragendes Fundament der Freundschaft bezeichnet. Thomas weiß, daß dieses „dialogische Prinzip" (M. B u b e r ) konstitutiv für die Gottesfreundschaft ist (vgl. seine zahlreichen Aussagen in den systematischen Werken und den Schriftkommentaren über das innere Hören im Glauben und das betende Sprechen mit Gott). Wenn er hier zunächst zu sagen scheint, daß das Nicht-an-sprechen Gottes die Gottesliebe nicht mindere, so ist doch die Einschränkung am Schluß des Abschnittes nicht zu überlesen: „. . . solange mit dem Aufhören [des dialogischen Vollzugs] keine Sünde verbunden ist." Thomas lehrt aber ( I - I I 18, 9 : B d . 9), daß in der konkreten Situation jeder menschlich-verantwortliche (innere und äußere) Vollzug nie sittlich gleichgültig, sondern entweder gut oder böse ist. Wer aber um das innere Sprechen und Angesprochen-werden-wollen Gottes weiß, ist verantwortlich, wo er sich versagt und flieht (vgl. I - I I 72, 6 [Bd. 12] über die Unterlassungssünde). Die Biographen des hl. Thomas und die Zeugen im Heiligsprechungsprozeß bezeugen einmütig, daß die innere Wachheit im Dialog mit Gott sein eigenes Leben zutiefst kennzeichnete. Vgl. Komm. S. 436. [42] Zu S. 70. Das scheint zunächst eine rein theoretische Konstruktion. Wenn wir aber bedenken, daß nach Thomas die Wesen der Schöpfung in allem, was sie in ihrer Liebe oder in ihrem Trieb suchen, im Grunde nichts anderes als Gott suchen, weil auch der leiseste Schatten von ,gut' noch von Gott stammt und auf Gott weist, kann es uns nicht wundernehmen, daß der Mensch, der in der Gnade und damit in der Gottesliebe lebt — denn die beiden sind unzertrennlich verbunden — , in seiner tiefsten religiösen Haltung kaum gestört wird, wenn er sich vorübergehend in der Wahl der Mittel vergreift, ohne daß er die feste Richtung auf das Ziel verliert. Denn die läßliche Sünde liegt im Bereich der Mittel zum Ziel, die Todsünde aber setzt das Ziel selbst außer K r a f t . Das will es bedeuten, wenn gesagt wird, daß der Mensch ein im Bereich der Mittel liegendes Gut zwar nicht dem Akt nach, wohl aber dem Gehaben nach um Gottes willen liebt. Daraus ergibt sich die für ängstliche Menschen tröstliche Lehre, daß die läßliche, auch die freiwillige läßliche Sünde an die Ebene der Gottesliebe gar nicht heranreicht. Die läßliche Sünde vollzieht sich gewissermaßen im Endlichen, die Liebe selbst aber auf der Ebene des Unendlichen, da immer Gott, der Unendliche, ihr Ziel ist. Vgl. 24, 1 Zu 3. [43] Zu S. 74. 1 9 , 2 (Bd. 1) schreibt Thomas: „Die Materie der Himmelskörper verträgt sich nicht mit dem Nicht-

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sein d. h. dem Wechsel der Wesensform, weil die Wesensform in diesem Falle die Bestimmungsbedürftigkeit des Stoffes restlos ausfüllt u n d keinen R a u m mehr läßt f ü r andere Formen." Diese Sonderstellung der Gestirne im Denken der Zeit verdankten sie ihrer scheinbaren Unveränderlichkeit. H e u t e wissen wir aus der Astrophysik, daß die Gestirne sich im wesentlichen aus denselben Elementen zusammensetzen wie die Körper unseres Sonnensystems u n d in ständigem Wechsel begriffen sind. Vgl. Bd. 1 Anm. [127]; vor allem Bd. 8 Sachverz.: Himmelskörper S. 635b. [44] Zu S. 88. 32, 2 E. 1 folgert Thomas aus demselben W o r t des hl. A u g u s t i n u s , daß der Mensch, weil Gott Liebe ist, zuerst Gott lieben müsse. I m Grunde ist hier derselbe Gedanke maßgebend, denn „um der heiligen Liebe willen lieben" ist dasselbe wie: u m Gottes willen lieben; die heilige Liebe k a n n keinen Augenblick von Gott abstrahieren. Also ist auch hier vor allem die Liebe gemeint, die Gott Selbst i s t . I n der Antwort geht Thomas freilich andere Wege, und doch laufen auch sie wieder auf dasselbe hinaus. Denn wenn ich, wie es am Schluß der Antwort heißt, das Gut der heiligen Liebe dem Nächsten wünsche, d a n n k a n n das wieder nichts anderes heißen als: ihm die Vereinigung mit Gott in der Liebe wünschen, ihm den Besitz des höchsten Gutes wünschen, das Gott ist. [45] Zu S. 89. Darin liegt denn auch der tiefste Sinn der Seelsorge (vgl. die vorige Anm.). I n der Seelsorge geht es nämlich in erster und letzter Linie nicht u m die Seelen, sondern u m G o t t i n den Seelen. So ist auch das letzte Ziel alles Vollkommenheitsstrebens nicht die eigene Vollkommenheit, sondern die Ehre Gottes, die in der Vollkommenheit des Menschen aufstrahlt, sofern sie das Werk Seiner Gnade ist. Jeder Heilige, ja jeder begnadete Mensch, ist eine „Pflanzung des Herrn zur Verherrlichung" (Is 61, 3). Bei den beschaulichen Orden, die sich zugleich der Predigt, Lehre und Seelsorge widmen, ist das Ziel der Seelsorge, aus den Menschen Beschauliche zu machen. Die äußere Tätigkeit ist also nur ein Durchgang von der eigenen Beschauung zur Beschauung der umsorgten Menschen (188, 6: Bd. 24). So ist auch hier wiederum Gott das eigentliche Ziel der Seelsorge. Vgl. Komm, zu 188, 2 (Bd. 24 S. 439f.). 146] Zu S. 89. Gottesliebe und Nächstenliebe können also nie in Widerspruch geraten, schon deshalb nicht, weil sie Funktion desselben Gehabens sind und ihr Motiv identisch ist. Wohl aber k a n n die natürliche mit der übernatürlichen Nächstenliebe in harte Konkurrenz treten. Ebenso h a r t Liebeswille u n d Liebestrieb. Deshalb kann der Mensch, solange nicht die Gottesliebe in ihm herrschend geworden ist, mit sich selbst, mit Gott und mit dem Nächsten in schweren Widerstreit geraten. Die Gottesliebe ist daher das einzige Ordnungsprinzip, nicht nur für das Innenleben des einzelnen mit seinen von Natur einander widerstrebenden Kräften, sondern in der Kon357

sequenz auch f ü r das Leben der Gemeinschaft. Davon in F r . 26. Vgl. auch 28, 2 Schluß der Antwort. [47] Zu S. 93. E s heißt mit B e d a c h t : „Der Glaube k a n n sich erstrecken auf alles, was wahr ist." Es ist aber nicht notwendig, d a ß er sich auf alles erstreckt, was wahr ist. Nach Thomas selbst (1, 4. 5: Bd. 15) schließt echtes Wissen den Glauben aus, denn „es ist unmöglich, daß das nämliche von ein u n d demselben Menschen gewußt u n d geglaubt ist" (ebd. Art. 5). Zunächst gehört nur d a s streng zum Glauben, was Gegenstand der Offenbarung und dem menschlichen Verstände als göttliches Geheimnis nicht zugänglich ist. E s gibt aber auch Wahrheiten, die der menschlichen Vernunft grundsätzlich zugänglich sind, aber zur Unterstützung der erbsündlich belasteten Vernunft dennoch von Gott offenbart worden sind (I 1, 1 m. K o m m . u. Anm. [3]: Bd. 1). Dazu gehört z. B. die E x i s t e n z Gottes, die vom Philosophen auf Grund der metaphysischen Tatsachen der Schöpfung gewußt ist, von dem, dem diese Beweise nicht zugänglich sind, jedoch geglaubt wird. Das W e s e n Gottes aber ist bereits Glaubensgeheimnis, denn „das Wesen Gottes k a n n nicht bewiesen" d. h. durch rationale Überlegungen erschlossen werden. J a , „wir erfahren eher, was Gott nicht ist, als, was E r ist. U n d wenn wir Bilder gebrauchen von Dingen, die weiter von Gott abliegen, so k o m m t es uns lebendiger zum Bewußtsein, wie hoch Gott über allem steht, was wir von I h m sagen oder denken können" (I 1. 9 Zu 3; vgl. ebd. F r . 3 Prol.; Art. 4 Zu 2; 4, 1 Zu 1; 13, 8 Antw. u. Zu 2; 10 Zu 5: Bd. 1). [48] Zu S. 101. W e n n ,lieben' gleichbedeutend ist mit „jem a n d e m Gutes wollen", so wird der Liebende notwendig das hassen, was diesem Gut entgegensteht oder wodurch es gefährdet wird; u n d je größer die Liebe ist, u m so größer wird der H a ß sein. W e n n es h e i ß t : die Freunde meines Freundes sind auch meine eigenen Freunde, so gilt auch das andere: die Feinde meines Freundes sind auch meine Feinde. Auf die Gottesliebe übertragen: Die Feinde Gottes sind, wenn wir Gott w a h r h a f t lieben, auch unsere Feinde. Schon I - I I 29, 2 (Bd. 10) h a t Thoipas in einem eigenen Artikel dargelegt, daß „jeder H a ß von einer Liebe verursacht wird". H a ß u n d Liebe bedingen sich also gegenseitig. I n unserem Responsum ist aber eine subtile Unterscheidung verlangt, die nicht jeder aufbringt. Einmal heißt es, im Geliebten das hassen, was ihn von seinem wahren Heil t r e n n t — das verlangt von der Liebe eine große Hellsichtigkeit u n d Lauterkeit; ein andermal heißt es, nicht n u r im Sünder, sondern sogar im Feinde das Gute, das in ihm schlummert, lieben u n d fördern (Art. 8). Dem liegt die E r f a h r u n g zugrunde, d a ß auch im verworfensten Menschen noch ein F u n k e n des Guten glimmt, den m a n nicht auslöschen darf. Das entspricht dem grundsätzlichen Seinsoptimismus des hl. Thomas: „Alles Seiende, soweit es ein Seiendes ist, ist g u t ; seiend u n d gut sind demnach vertauschbar" (Vgl. Einj. § 1 S. 405 f.).

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[49] Zu S. 108. Der in seinem logischen A u f b a u etwas undurchsichtige Einwand will folgendes sagen: So viele beten die f ü n f t e Vaterunser-Bitte („Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern"), die doch eines so hohen Gutes, wie es die Feindesliebe darstellt, gar nicht fähig sind. U n d doch werden ihnen die Sünden auf Grund ihrer Bitte nachgelassen. Das aber geschieht nicht ohne Gottes liebe. Also gehört es nicht notwendig zur Gottesliebe, die Feinde zu lieben. [50] Zu S. 108. „Die Gottesliebe hebt die N a t u r nicht a u f " , aber — so könnten wir nach 25, 5 Zu 3 ergänzen — sie hebt sie über sich hinaus (24, 1 Zu 2; Art. 2 u. 3). Sowenig die Sünde das Gut der N a t u r zerstört, denn „die Sünder hören nicht auf, Mensch zu sein" (25, 6 Anderseits; vgl. K o m m . Zu 32, 1 dritter Abschnitt), so wenig wird die N a t u r dadurch aufgehoben, daß Gott ihr Seine Gnade u n d Liebe eingießt. J a , N a t u r wird gewahrt bis in die ewige Seligkeit hinein (I 62, 7 Antw. u. Zu 1. 2: Bd. 4). So bildet die N a t u r als Schöpf u n g Gottes f ü r Thomas überall das große Kriterium f ü r eine gesunde E n t f a l t u n g des geistig-sittlichen wie des kulturellen Lebens des Menschen und der Menschheit. J e weiter der Mensch sich von der N a t u r entfernt, u m so ungesunder und gefährlicher wird sein Leben. Die vielen Zivilisationskrankheiten von heute, die Schwierigkeiten in der Pädagogik, der Rechtspflege, der Ehemoral usw. usw. sind der negative Beweis f ü r diese These. [50a] Zu S. 109. Die bekannte Antithese aus der Bergpredigt l a u t e t : „Ihr h a b t gehört, daß gesagt wurde: Du sollst deinen Nächsten lieben, deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde u n d betet f ü r eure Verfolger, damit (!) ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet, der Seine Sonne aufgehen läßt über Schlechte u n d Gute u n d regnen läßt über Gerechte u n d Ungerechte" (Mt 5, 43—45). I n der üblichen Verkündigung stellt m a n hier Altes u n d Neues Testament gegenüber. Ist das berechtigt? I m AT h a t wohl das Gebot der Nächstenliebe eine zentrale Stellung (Lv 19, 18; vgl. V. 34; D t 10, 19) u n d ist im ,Bund' des Volkes m i t Gott begründet (vgl. Anm. [2]); ein Gebot des Feindeshasses ist aber nicht zu finden. Außer diesem sachlichen Befund erfordert es die gegenwärtige Situation der christlich-jüdischen Gesprächsversuche und damit des erneuerten Verständnisses des Zusammenhanges von Altem und Neuem Bund, dem Alten Testament voll und ganz zu geben, was ihm gebührt. M a r t i n B u b e r , der sich u m die Nähe und zugleich u m die strenge Unterscheidung des Jüdischen vom Christlichen m ü h t , widmet diesem Jesus-Spruch sehr abgewogene Überlegungen (Zwei Glaubensweisen. Zürich 1950, 68—79). E r schreibt: Jesus „geht aus (V. 43) von dem alttestamentlichen Gebot der ,Nächstenliebe' (Lev 19, 18), das Jesus anderswo, in der Antwort auf die Frage des Schriftgelehrten nach dem größten Gebot (Mt 22, 39; Mk 12, 31; Lk 10, 27 [wo der Gesetzes-

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lehrer selbst die A n t w o r t g i b t ; d. Schriftl.]) f ü r d a s n e b s t d e m d e r Gottesliebe g r ö ß t e e r k l ä r t , u n d f ü g t die wohl v o l k s t ü m liche, a b e r v e r m u t l i c h sich z u m Teil a u s d e n s t r e n g e n R e d e n d e r P h a r i s ä e r gegen die G o t t e s f e i n d e a b l e i t e n d e D e u t u n g d r a n , seinen F e i n d d ü r f e oder g a r solle m a n hassen. I h r stellt er sein G e b o t ,Liebet e u r e F e i n d e ' entgegen. E s ist in seinem G r u n d sinn so tief m i t j ü d i s c h e r Glaubenswirklichkeit v e r b u n d e n u n d ü b e r b i e t e t sie zugleich in einer so e i g e n t ü m l i c h e n Weise, d a ß es hier besonders e r ö r t e r t w e r d e n m u ß " (S. 68). Zunächst: Was bedeutet a l t t e s t a m e n t l i c h Nächstenl i e b e ' ? „ D a s v o n d e r S e p t u a g i n t a m i t ,der n a h d a n e b e n , d e r N a h e ' ü b e r s e t z t e N o m e n re'a b e d e u t e t a l t t e s t a m e n t l i c h zun ä c h s t einen, zu d e m ich in einer u n m i t t e l b a r e n u n d gegenseitigen B e z i e h u n g stehe, u n d zwar d u r c h irgendwelche Lebensumstände, durch Ortsgemeinschaft, durch Volksgemeinschaft, d u r c h W e r k g e m e i n s c h a f t , d u r c h K a m p f g e m e i n s c h a f t , besonders a u c h d u r c h W a h l g e m e i n s c h a f t oder F r e u n d s c h a f t ; es ü b e r t r ä g t sich auf d e n M i t m e n s c h e n ü b e r h a u p t u n d s o d a n n auf d e n a n d e r n ü b e r h a u p t . ,Liebe d e i n e n r e ' a ' b e d e u t e t also in u n s e r e r S p r a c h e : sei liebreich z u g e w a n d t d e n Menschen, m i t d e n e n d u je u n d je auf d e n W e g e n deines L e b e n s zu schaffen b e k o m m s t ; d a z u w a r freilich a u c h eine v o n k e i n e m H a ß g e f ü h l affizierte Seele erforderlich, u n d d a r u m w a r (Lv 19, 17) d a s G e b o t v o r a u s g e s c h i c k t : ,Hasse n i c h t d e i n e n B r u d e r ( S y n o n y m zu re'a) i n d e i n e m H e r z e n ' . D a m i t sich a b e r i m Volksbew u ß t s e i n keine E i n s c h r ä n k u n g des Begriffs vollziehe, wozu die erste H ä l f t e des Satzes ([V. 18]: , H e i m z a h l e n i c h t u n d grolle n i c h t d e n S ö h n e n deines Volkes') leicht v e r f ü h r e n k o n n t e , wird b a l d d a r a u f i m selben K a p i t e l (V. 33 f.) d a s G e b o t n a c h g e t r a g e n , a u c h d e m ger, d e m u n t e r Israel w o h n e n d e n n i c h t j ü d i s c h e n ,Gastsassen', liebreich zu b e g e g n e n ; , d e n n Gastsassen seid ihr i m L a n d Ä g y p t e n gewesen', d a s h e i ß t , ihr h a b t selber e r f a h r e n , wie es t u t , lieblos b e h a n d e l t e Gastsassen zu s e i n . . . " (S. 69 ff.). „ D a s volle V e r s t ä n d n i s des Satzes (Dt 10, 19): , I h r sollt d e n Gastsassen lieben, d e n n G a s t s a s s e n seid ihr i m L a n d e Ä g y p t e n gewesen' erschließt sich e r s t a u s seiner V e r b i n d u n g m i t d e n drei E r w ä h n u n g e n der Liebe in d e n v o r h e r g e h e n d e n Versen. Israel w i r d a n g e r e d e t (V. 12), es solle G o t t lieben; v o n G o t t wird gesagt (V. 15), er h a b e Israels V ä t e r , als sie G a s t s a s s e n w a r e n , g e l i e b t ; u n d d a n n wird v o n i h m gesagt (V. 18), er liebe d e n Gastsassen — n i c h t diesen oder jenen, s o n d e r n d e n v o n f r e m d e m S t a a t s v o l k a b h ä n g i g e n Menschen ü b e r h a u p t , ,ihm B r o t u n d G e w a n d zu g e b e n ' , wie er d e m i n n e r h a l b des Volkes v o n a n d e r e n a b h ä n g i g e n Menschen, ,der Waise u n d d e r W i t w e ' , ihr R e c h t s c h a f f t " (S. 71). „ L i e b t m a n i h n [ G o t t ] a b e r e r s t wirklich, d a n n w i r d m a n v o m eigenen G e f ü h l angeleitet, den zu lieben, d e n er l i e b t ; n a t ü r l i c h n i c h t d e n G a s t s a s s e n allein — a n i h m w i r d n u r g a n z deutlich, u m w a s es g e h t — , s o n d e r n j e d e n Menschen, d e n G o t t l i e b t . . . " (S. 72). Vgl. B T h W 603—605. I n d e r B e r g p r e d i g t J e s u h a n d e l t es sich „ u m die T a t s a c h e , d a ß m a n zu seiner Zeit d a s W o r t (re'a) vorzugsweise auf d e n persönlichen F r e u n d b e z o g : d e r F r e u n d e s l i e b e , d e r Liebe zu

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d e m Menschen, d e r m i c h liebt, stellte er die Liebe zu d e m Mensehen, d e r m i c h h a ß t , g e g e n ü b e r . A b e r die i m T e x t angeführte, anscheinend im Volksmund vorgefundene Interpretation, d e r F e i n d sei z u m H a ß freigegeben, m i ß v e r s t a n d n i c h t bloß d e n W o r t l a u t des Liebesgebotes; sie s t a n d a u c h i m W i d e r s p r u c h zu d e n a u s d r ü c k l i c h e n G e b o t e n d e r T h o r a ( E x 23, 4 f.), seinem , F e i n d ' , seinem , H a s s e r ' H i l f e zu leisten" (S. 73). „ O f t g e n u g w i r d hier j e d o c h eine Grenze gezogen: d u r c h d e n biblischen Begriff der .Feinde G o t t e s ' oder ,Hasser G o t t e s ' , v o n d e n e n d e r P s a l m i s t (Ps 139, 21 f.) b e k e n n t , er hasse sie v o n G r u n d a u s als seine persönlichen F e i n d e " (S. 74). „ D e m seines israelitischen Gottesbesitzes Sicheren liegt es n a h , v o n d e m H a s s e r Israels zu m e i n e n (Sifre 22 b), er sei ,wie einer, d e r G o t t h a ß t ' . Dergleichen ü b e r t r ä g t sich leicht auf d e n persönlichen Bereich, so d a ß i m Volke m a n c h e r , s t a t t m i t dem P s a l m i s t e n die F e i n d e G o t t e s als die seinen a n z u s e h e n , seine F e i n d e als die G o t t e s v e r s t e h t . . . Vgl. B T h W 497, 5 1 3 f . Alles in allem, d e r S p r u c h J e s u v o n der Feindesliebe zieht seine L e u c h t k r a f t a u s d e r j ü d i s c h e n W e l t , in d e r er s t e h t u n d die er zu b e s t r e i t e n s c h e i n t ; u n d er ü b e r s t r a h l t sie. . . " (S. 75). „ , L i e b e t e u r e F e i n d e ' , h e i ß t es in d e r k n a p p e n M a t t h ä u s fassung, , u n d b e t e t f ü r e u r e Verfolger, d a m i t ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet.' I m P a r a d o x erläutert und unter Z u h i l f e n a h m e einer griechischen K o n z e p t i o n , d e n n o c h wohl m i t der g r ö ß t e n möglichen T r e u e : Die Menschen werden, w a s sie sind, Söhne Gottes, i n d e m sie w e r d e n , w a s sie sind, B r ü d e r ihrer B r ü d e r " (S. 76). „ . . . N i r g e n d w o a n d e r s ist wie hier g e r a d e die Liebe zu d e n Menschen z u r V o r a u s s e t z u n g der verwirklichten G o t t e s s o h n s c h a f t g e m a c h t , u n d zwar in der u n e r h ö r t e i n f a c h e n Gestalt dieses , d a m i t ' , in der Gestalt also des j e d e m w a h r h a f t L i e b e n d e n offenen Zugangs. A u s d e m E n t h u s i a s m u s eschatologischer G e g e n w ä r t i g k e i t geboren, b e d e u t e t dieser S p r u c h doch, v o n d e r Glaubensgeschichte Israels a u s b e t r a c h t e t , eine E r g ä n z u n g . I r g e n d w o , scheinbar g a n z f ü r sich,, ist d e r k ü h n s t e Bogen gezogen w o r d e n , u n d doch ist d a m i t ein Kreis geschlossen. I m Z u s a m m e n h a n g d e r Glaubensgeschichtedes C h r i s t e n t u m s b e t r a c h t e t , m u ß der B o g e n freilich als der Anfangsteil einer a n d e r e n F i g u r , einer H y p e r b e l e t w a , erscheinen. W i e diese F i g u r sich f o r t s e t z t , wird u n s kennzeichn e n d gezeigt d u r c h den Satz im Prolog des J o h a n n e s e v a n g e l i u m s (1, 12), wo d e r erschienene Logos den ,an seinen N a m e n Glaub e n d e n ' die B e f u g n i s gibt, K i n d e r G o t t e s zu werden, u n d d u r c h d e n i h m v e r w a n d t e n (1 J o h 5, 1), der jeden, der g l a u b t , d a ß J e s u s der Messias ist, f ü r ,aus G o t t geboren' e r k l ä r t , oder a u c h schon d u r c h P a u l u s ' d i r e k t e R e d e a n die b e k e h r t e n H e i d e n (Gal 3, 26) : , D e n n alle seid ihr Söhne Gottes d u r c h den G l a u b e n a n Christus J e s u s ' . " (S. 77 f.) [51] Z u S. 116. Seit d e r J a h r h u n d e r t w e n d e n i m m t d a s I n t e r e s s e an, d e m D ä m o n i s c h e n ' u n d d e n , D ä m o n e n ' s t ä n d i g zu. B e s o n d e r s die Erlebnisse d e r l e t z t e n J a h r z e h n t e m a c h e n die F r a g e n a c h der W i r k s a m k e i t des Teufels in der Geschichte (vgl. A n m . [41a]) unausweichlich. D a m i t ist n e b e n die F r a g e n des ange24 17 \

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fochtenen Individuums wieder die urbiblische Sicht auf den ,Fürsten dieser Welt' getreten. Die Forderung nach einer theologisch zuverlässigen Gesamtdarstellung der Lehre vom Teufel, den bösen Geistern u n d ihrer Wirksamkeit (vgl. etwa F. F u c h s , Der Christ in der Zeit. I n : Hochland 321 [1934/5] 487) ist noch nicht erfüllt. D a f ü r schießt eine Menge halbtheologischer, pseudotheologischer, literarischer u n d kulturkritischer Satansliteratur ins Feld, in der der Geist der Verwirrung, der lügnerische Hausierer mit Halbwahrheiten in raffinierter Tarnung sein Wesen zu treiben scheint. Es k o m m t heute darauf an, sowohl das Totschweigen Satans als auch die entgegengesetzte Gefahr, ihn überall unmittelbar a m Werk zu sehen, durch nüchterne theologische Betrachtung zu überwinden. Dieser Aufgabe h a t T h o m a s in heute noch maßgebender, ja überraschend aktueller Weise vorgearbeitet. Vgl. I F r . 63 f. m. K o m m . : Bd. 4 ; Fr. 114 m. K o m m . : Bd. 8 (als Beispiel f ü r die ausgewogene Auffassung des hl. Thomas vgl. Art. 3: K o m m e n alle Sünden aus der Versuchung des Teufels?); 11-115,2 m. K o m m . u. Anm. [31]: Bd. 15 (der .Glaube' der Dämonen); I I I F r . 41 (Versuchung Christi); 44, 1 Zu 2 m. Anm. [37] u. [47]: Bd. 27. Über die Rolle des Teufels nach der Hl. Schrift vgl. ThW (W. F o e r s t e r ) I I 16 ff.; 48 ff.; E. S t a u f f e r , Die Theologie des Neuen Testamentes. 1948 4 , §§ 1 3 , 1 7 , 2 8 , 3 6 , 5 0 , 5 3 , 5 6 ; vgl. auch W . V i s c h e r , Das Christus-Zeugnis des Alten Testamentes. I 1946,7 112 f.; H . T h i e l i c k e , Zwischen Gott u n d Satan. Tübingen 1946; Über die Wirklichkeit des Dämonischen. Universitas 1 (1946) 19—34; H . S c h l i e r , Mächte und Gewalten im N T . Freiburg 1958; B T h W : J . M i c h l , Dämonen (107—112); M. P r a g e r , Satan (688—684), Aus der Fülle der neueren Literatur ist besonders bedeutsam der Sammelband ,Satan' der É t u d e s Carmélitaines (Desclée de Brouwer) 1948: darin (S. 44—85) die sorgfältige, aus der Diskussion u m D e L u b a c s .Surnaturel' erwachsene Thomas Interpretation von P h i l i p p e d e l a T r i n i t é OCD, D u péché de Satan et de la destinée de l'esprit d'après saint Thomas d'Aquin. Neben theologischen und (auch literar-)historischen Studien finden, dem Stil der .Études Carmélitaines' entsprechend, die Grenzfragen zur zeitgenössischen Psychologie besondere Beachtung. Vgl. a u c h : V. W h i t e OP, Gott u n d das Unbewußte. Zürich 1957, 10. K a p . (S. 220—239). [52] Zu S. 119. Solange der Sünder n o c h unterwegs ist, kann er n o c h gerettet werden; es darf also keiner a m eigenen oder fremden Heil verzweifeln, sosehr er sich auch in Sünden und d a m i t fern von Gott weiß. Aber auch die Umkehrung gilt: Solange der Gerechte n o c h unterwegs ist, k a n n er n o c h verlorengehen ; es darf also keiner sich in einer falschen Sicherheit wiegen, sondern „wirket euer Heil mit F u r c h t u n d Zittern", wie Paulus in dem sonst so warmen Brief an die Philipper (2, 12) schreibt. Wenn der Mensch Gnade und Liebe verliert, verliert er nicht auch notwendig seinen Glauben und seine H o f f n u n g ; beide können, wenn auch als unvollkommene Tu362

genden, ohne die Liebe weiter bestehen. Erst die Verzweiflung zerstört das Gehaben der Hoffnung, erst der vollendete Unglaube den Glauben (vgl. I - I I 65, 4: Bd. 11). [53] Zu S. 126. Dieser Gedanke, daß das Sehen V o r a u s s e t z u n g •— allerdings, wie Thomas in der Lösung Zu 1 erläutert, nicht auch G r u n d — der Liebe ist, ist durch die Erf a h r u n g tausendfach bestätigt. Beim Tier ist das Sehen bloßes Bemerken des Lebensbedeutsamen u n d Auslösung des Triebes. Auch beim Menschen wird der Trieb besonders durch das Sehen entzündet (vgl. E t h nr. 1824 1944). Da menschliches Triebleben nur menschlich ist, wenn es dem Geiste gehorcht, f ü h r t ein hemmungsloses Aufnehmen wesenloser Trieb- und Gierbilder zum Verlust des Menschentums, weil solche Bilder ü b e r h a u p t nicht die gesammelte Mitte des Geistes erreichen. Die „Ikonomanie" (G. A n d e r s ) der Illustrierten-, Filmu n d Bildfunksüchtigen, ist aber auch nicht tierisch, weil nicht im R a h m e n des Lebensbedeutsamen sich haltend. Sie ist als Neu-gier eine Verfallsäußerung der Weltoffenheit des Menschen in der losgelösten, richtungslos schweifenden Triebsphäre. Vgl. 167,2: Bd. 22; Bd. 10 Einleit., S. (9) f.; G. S i e w e r t h , Die Sinne u n d das Wort. Düsseldorf 1956, 23 ff. Manches Gute zu diesem Thema findet sich in der unübersehbaren Fülle der zeit- u n d kulturkritischen Publikationen. E c h t menschliches Schauen aber vermag den personalen K o n t a k t anzubahnen, auf den es in der Liebe zuerst a n k o m m t . Darin liegt sogar ein Hinweis auf die relative Notwendigkeit der Menschwerdung Christi, wie die Liturgie von Weihnachten in der Präfation ausdrücklich b e t o n t : „Denn durch das Geheimnis der Fleischwerdung des WORTES ~isr~"Ct5r den Augen unseres Geistes das neue Licht Seiner Herrlichkeit aufgestrahlt, damit wir, da wir Gott n u n sichtbar erkennen, durch I h n (den s i c h t b a r e n Gott) zur Liebe des U n s i c h t b a r e n hingerissen werden (rapiamur)." Hier liegt auch eine ernste Forderung a n die Glaubensverkündigung, daß sie aus der Frohbotschaft keine Theorie macht, sondern das Leben Jesu, Seine Lehre, Seinen Tod usw. so anschaulich wie nur eben möglich darstellt. Sie m u ß die Gläubigen w a h r h a f t „ins Bild setzen", sonst bleibt die Verkündigung unwirksam wie die abstrakte Theorie. Man k a n n keine abstrakte Idee in personaler Liebe lieben, weil sie kein Du bedeutet," das Liebe erwidern könnte. Das aber gehört fast zum Wesen der Liebe, zumindest zum Wesen der Freundschaft, daß sie erwidert werde (23, 1). Daher nennt Thomas mit P s . - D i o n y s i u s die Liebe so oft v i r t u s unitiva oder c o n c r e t i v a . Das Abstrakte aber wird im Kampf m i t dem Konkreten immer unterliegen. Wir sollten uns keiner Täuschung darüber hingeben, d a ß die abstrakte Erkenntnis unserer Wissenschaft, Philosophie und Theologie ein armseliger Behelf ist. Die endgültige Seligkeit liegt deshalb auch nicht in ihr, sondern in der unmittelbaren Schau oder Anschauimg der Wahrheit (vgl. I - I I 3, 6. 8: Bd. 9; u. a.). 24*

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Über den „Bildsinn des Erkennens" vgl. H. A n d r é , Vom Sinnreich des Lebens. Salzburg 1952, 280 ff. ; Annäherung durch Abstand. Salzburg 1957, 16 ff., 30 ff.; G. S i e w e r t h , Wort und Bild. Düsseldorf 1952; Über den Unterschied von Erkennen und Schauen vgl. H . J . B a d e n , Standort des Menschen. Hamburg 1950, 72 f. ; zu den geschichtlichen Zusammenhängen vgl. W. d e B o e r , D a s Problem des Menschen und die Kultur. Bonn 1958, 120—136; gute pädagogische Hinweise bei J . P i e p e r , Wie lernt der Mensch wieder sehen? u. a., in: Weistum — Dichtung — Sakrament. München 1954, 213 ff.; A. P o r t m a n n , Biologisches zur ästhetischen Erziehung. I n : Biologie und Geist. Zürich 1956, 309 ff. U m wieder sehen zu lernen, bedürfen wir einer grundsätzlichen Besinnung auf das , Sehens-werte'. Der ungeordnete, maßlose Mensch gafft das jeweils Aufdringlichste an, ganz gleichgültig, ob es sehenswert ist oder nicht. Diese Primitivreaktion ist bis zu einem gewissen Grade durch die neuzeitliche Erkenntnishaltung sanktioniert. Man braucht nur flüchtig manche Liste wissenschaftlicher Abhandlungen (etwa Dissertationen) durchzusehen, um zu erkennen: E s kommt nicht zuerst darauf an, w a s erforscht wird, sondern darauf, daß man i r g e n d e t w a s mit möglichster Exaktheit, Gründlichkeit und erschöpfender Literaturbenutzung behandelt. E s geht dem neuzeitlichen Menschen um das Wißbare, dessen er sich vergewissern kann. Die möglichen Gegenstände des Wissens werden nach dem Grad der zu erreichenden Gewißheit beurteilt und angegangen. Die Frage nach dem Seinsrang tritt in den Hintergrund oder wird m die Gleich-gültigkeit aufgelöst "PTeper, "Über cfes Verlangen nach Gewißheit. A . a . O . , 41 ff.; K . H. V o l k m a n n - S c h i u c k , Nicolaus Cusanus. Die Philosophie im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Frankfurt/M., 1957, 159 ff.). Damit ist das dem Menschen immer naheliegende Bestreben, sich an das zu halten, dessen er sinnlich unmittelbar habhaft werden kann, durch den Geist der Neuzeit gefördert. Paradox ist dabei nur, daß das Streben nach Gewißheit in der Schein- und Traumwelt endet. Wie im Bereich jeglichen Wissens die Seinsordnung, die zugleich die Ordnung des Wissens-werten ist, wiederentdeckt werden muß, so im Bereich des Sichtbaren das Sehens-werte, im Bereich des Hörbaren das Hörens-werte. Zucht im Bildkonsum ist also nur — durch Religion und Seinsphilosophie zu gewinnen. T h o m a s sieht die tiefste Wurzel des neu-gierigen Verfallens an das sinnlich Aufdringliche im Überdruß und resignierten Verzicht gegenüber der höchsten, gnadenhaft angebotenen Möglichkeit des Menschen: der gesammelt-liebenden Gemeinschaft mit Gott, in der der Höchste und Fernste zugleich der Nächste ist (35, 4 Zu 2 u. 3: Bd. 17B). Nur wer sich mit großer Anstrengung von der Traurigkeit, die in all dem Gieren nach sinnlichem Augenblicksgenuß verborgen ist, abwendet, und Einbildungskraft, Geist und Herz auf den menschgewordenen Gottessohn und Seine Güte richtet, kann zur eigentlichen Freude und zur Ordnung der Liebe gelangen (20, 4 Zu 3 E . 3: Bd. 16).

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[54] Zu S. 131. Auf diesem Prinzip beruht das Urbild-Abbild-Verhältnis und die ganze Teilnahme-Theorie des hl. Thomas. E s kehrt wieder 27, 1 E. 3; ebd. Art. 8 Anderseits. Wir begegnen ihm bei Thomas o f t ; so 136, 3 E. 2: Bd. 3; 8 7 , 2 Zu 3: Bd. 6; in etwas anderer F o r m 60,4 E. 2: Bd. 4; E t h nr. 1706 1797 1811 f. Weitere Belegstellen K o m m . Zu 27, 8 S. 504 f. Der Sinn ist kurz dieser: W e n n das Mittel nur des Zieles wegen geliebt wird, so wird das Ziel selbstverständlich mehr geliebt als das Mittel. Das Mittel h a t als Mittel alle seine ,Gutheit' vom Ziel, so die Arznei von der Gesundheit. Das Ziel jedoch h a t seine Gutheit in sich selbst. I n unserem Falle: Der Nächste a n d der Liebende selbst h a t alle seine Gutheit von Gott, er k a n n daher nur um Gottes willen geliebt werden. Also ist Gott, der die Wesenheit des Guten Selbst i s t (vgl. Einf. § 2), mehr zu lieben als der Nächste und der Liebende selbst. Vgl. K o m m . Zu 25, 4 S. 471 ff. Freilich ist die menschliche Person nicht bloßes Mittel, durch das hindurch Gott geliebt wird. Gerade die seinshafte Teilnahme a m göttlichen Leben erhöht den personalen Selbstwert unermeßlich. Dennoch bleibt er stets ein ,Gut durch Teilhabe'. [55] Zu S. 135. Man sollte meinen, das sei eine Selbstverständlichkeit. U n d doch steht hinter dieser schlichten Feststellung mehr, als es auf den ersten Blick scheinen mag. „Größe" ist eben ein relativer Begriff. Was f ü r das Kind eine große T a t sein mag, ist f ü r den reifen Menschen eine Bagatelle. Wenn der leidenschaftliche oder vom Ahnenerbe her schwer belastete Mensch trotz der schweren inneren Hemmungen ein reines Leben führt , so ist das höher zu bewerten als das entsprechende Leben eines Menschen, der es auf Grund einer glücklicheren Veranlagung ,leichter' h a t . Konstitution, Erziehung, gesellschaftliches Milieu, Veranlagung, körperliche Disposition, kurz, die konkreten Seins- und Lebensbedingungen des einzelnen fallen bei der Beurteilung seiner Handlungen schwer ins Gewicht (vgl. Anm. [86] dritter Abschn. u. K o m m . Zu 25, 8 ¡3. 484). Infolgedessen ist es so schwer, wenn nicht unmöglich, als Mensch über den Mitmenschen ein in allem gültiges Urteil zu fällen. Daher die ernste Mahnung Christi: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!" (Mt 7, 1). U n d wieder: „Ein Gericht ohne Barmherzigkeit wird über den ergehen, der keine Barmherzigkeit ü b t " (Jak 2, 13). Deshalb: „Richtet nicht vor der Zeit, bevor der Herr k o m m t " (1 Kor 4, 5). [56] Zu S. 138. Die nächste Folgerung aus dieser Feststellung ist die, daß der Mensch unter Umständen körperlichen Schaden auf sich nehmen oder materielle Güter, die zur Erhaltung seines Lebens dienen, opfern muß, um die Seele des Nächsten zu retten, wie Thomas schon Art. 4 Zu 2 gefordert hat. Hier gilt, was M. C l a u d i u s an seinen Sohn Johannes schreibt: „Liebe Deinen Leib, doch nicht so, als ob er Deine Seele wäre." Die Seele des Nächsten sollte uns um ihrer Gottesbildlichkeit u n d Berufung zur Seligkeit willen höher stehen

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als d e r eigene L e i b u n d die g e s a m t e s i c h t b a r e S c h ö p f u n g . D e s h a l b s a g t C h r i s t u s : „ E i n e größere L i e b e h a t n i e m a n d , als w e r sein L e b e n h i n g i b t f ü r seine F r e u n d e " ( J o 15, 13), w o m i t E r auf Seinen E i g e n e n T o d als g r ö ß t e n Beweis Seiner F r e u n d s c h a f t s l i e b e zu u n s hinweist. Zugleich k o m m t hier in Z u 2 wieder d e r eigentliche G r u n d d e r ü b e r n a t ü r l i c h e n N ä c h s t e n liebe z u r S p r a c h e : die g e m e i n s a m e T e i l n a h m e a n d e r ewigen Seligkeit, d u r c h die alle geistige G e m e i n s c h a f t e r s t vollendet wird. [57] Z u S. 149. W i r h a b e n hier ein verwickeltes S y s t e m v o n Ü b e r s c h n e i d u n g e n d e r Pflichtenkreise, wie sie in d e r Zugehörigkeit zu d e n einzelnen G e m e i n s c h a f t e n g r ü n d e n . Ü b e r die O r d n u n g u n t e r d e n G e m e i n s c h a f t e n vgl. E . W e l t y , O P , G e m e i n s c h a f t u n d E i n z e l m e n s c h . Salzburg 1935 2 , 314—342. [58] Z u S. 150. D a s sieht so aus, als o b d e r S c h w e r p u n k t d e r E r z i e h u n g u n d die V e r a n t w o r t u n g d e r E l t e r n f ü r die K i n d e r h a u p t s ä c h l i c h in der Sorge f ü r ihr leibliches F o r t k o m m e n läge. 102, 1 (Bd. 20) s p r i c h t T h o m a s j e d o c h ganz a n d e r s . D o r t h e i ß t es in d e r Antwort-. „Der V a t e r ist Seinsg r u n d d e r Z e u g u n g u n d E r z i e h u n g u n d B i l d u n g sowie a l l e s d e s s e n , w a s z u r v o l l k o m m e n e n G e s t a l t u n g des menschlichen L e b e n s g e h ö r t . " J a , i m d r i t t e n A r t i k e l derselben F r a g e h e i ß t es s o g a r : „ D e n n Z e u g u n g u n d E r z i e h u n g , d e r e n Seinsgrund d e r V a t e r ist, erfassen unser Sein s t ä r k e r als die ä u ß e r e L e i t u n g , die v o n d e n A m t s p e r s o n e n k o m m t . " D a h e r a n die K i n d e r die F o r d e r i m g d e r E r g e b e n h e i t gegenüber d e n E l t e r n , „die d e r W ü r d e n a c h u n m i t t e l b a r a n die G o t t e s v e r e h r u n g a n s c h l i e ß t " (ebd. Anderseits). S t ä r k e r k a n n m a n die B e d e u t u n g des E l t e r n h a u s e s f ü r die gesamte Bildung u n d Erziehung der Kinder k a u m betonen. Derselbe G e d a n k e k e h r t s c h o n 106, 1 w i e d e r : n a c h d e r D a n k b a r k e i t , die wir G o t t schulden, k o m m t z u n ä c h s t die D a n k b a r keit, die wir d e n E l t e r n s c h u l d e n a u f G r u n d d e r v o n i h n e n u n s zufließenden H i l f e . D a m i t a b e r kein Zweifel bleibt, d a ß in die E r z i e h u n g d e r K i n d e r a u c h die U n t e r w e i s u n g in d e r W a h r h e i t einbegriffen ist, h e i ß t es 100, 5 Z u 4 : „Der V a t e r ist G r u n d d e r Z e u g u n g u n d des Seins u n d d a r ü b e r h i n a u s d e r E r z i e h u n g u n d d e r B e l e h r u n g (doctrinae)." I n S u p p l 4 1 , 1 (Bd. 33) s t e h t es n o c h d e u t l i c h e r : „Die N a t u r zielt (in d e n E l t e r n ) n i c h t n u r auf die Z e u g u n g des K i n d e s , s o n d e r n a u c h auf die H i n f ü h r u n g u n d F ö r d e r u n g des K i n d e s bis z u m a u s g e r e i f t e n ( p e r f e c t u m ) L e b e n s s t a n d des Menschen, s o f e r n e r M e n s c h i s t , u n d d a s i s t d e r S t a n d d e r T u g e n d . " Schließlich e b d . 56. 2 Zu 9 (Bd. 34): „Der leibliche V a t e r g i b t seinem K i n d e drei D i n g e : d a s Sein, die N a h r u n g u n d die U n t e r w e i s u n g . " W i r h a b e n hier wieder ein Beispiel, wie leicht es zu völligen F e h l i n t e r p r e t a t i o n e n k o m m t oder k o m m e n k a n n , w e n n m a n eine Aussage, wie die hier in Z u 2 wie zufällig (in einem N e b e n s a t z ! ) hingeworfene, isoliert u n d als eigentliche L e h r e des hl. T h o m a s in einer so w i c h t i g e n F r a g e hinstellt. Z u r .geistigen A u s z e u g u n g ' des Menschen vgl. G. S i e w e r t h , M e t a p h y s i k d e r K i n d h e i t . E i n s i e d e l n 1957, 15 ff.

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[59] Zu S. 152. Wir haben hier zunächst nur einen Spezialfall des allgemeinen Gesetzes, daß alle Fremdliebe ihre Wurzel und ihr Urbild in der Selbstliebe hat (vgl. 25, 4 mit Komm.). I n der Liebe, die vom Vater auf den Sohn geht, liegt aber noch ein besonderer Grund vor. Auf ihn macht Thomas schon I 44, 4 Zu 2 (Bd. 4) aufmerksam: „Die Form des Gezeugten ist nur insofern Ziel der Zeugung, als sie (die Form) eine Ähnlichkeit mit der Form des Zeugenden darstellt, das seine Ähnlichkeit (sein Bild) mitzuteilen strebt." Mit anderen Worten: Der Vater will dadurch, daß er Kinder zeugt, v o n s i c h s e l b s t Zeug-nis ablegen, er will sich selbst in seinen Kindern wiederfinden. Also sind nicht die Kinder das eigentliche Ziel der Zeugung, sondern der Vater. „Denn sonst wäre die Form des Gezeugten edler als das zeugende Wesen; das Ziel nämlich ist edler als die Mittel zum Ziel" (ebd.). CG I I I 17 § 7 1 wendet Thomas dieses selbe Prinzip auf die Selbstliebe Gottes an. Paulus (Rom 8, 29) sieht darin das Prinzip der Auserwählung: „Denn die E r im voraus erwählt hat, hat E r auch vorausbestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichgestaltet zu werden, damit E r Selbst (der Sohn) der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern." Der Zug der Liebe geht also bei der Zeugung im Grunde nicht auf das gezeugte Kind, sondern auf die eigene Gestalt des Zeugenden. Der Zeugende liebt seine eigene geist-leibliche Gestalt, also sein individuelles Wesen so sehr, daß er sie im lebendigen Abbild vor sich sehen möchte. Darin liegt das Bestreben der Eltern begründet, ihre eigenen Züge, nicht nur die des Antlitzes, sondern auch die Charakterzüge in ihren Kindern wiederzufinden. Ganz allgemein drückt Thomas das in Frage stehende Prinzip so aus: „Gott will, daß die Wirkungen der Ursachen wegen sind" (I 19, 5 Zu 3 : B d . 2), was die landläufige Anschauung des Verhältnisses von Ursache und Wirkung einigermaßen auf den K o p f stellt. So ist die Lust, wie Thomas I - I I 4, 2 Zu 2 (Bd. 9) feststellt, der Tätigkeit wegen da, nicht umgekehrt die Tätigkeit der Lust wegen. So sucht auch die Gottesliebe den guten Gott nicht der Freude wegen, die sie in der Vereinigung mit Ihm erlebt, sondern weil E r gut ist und weil es gut ist, Ihn zu lieben (vgl. ebd. Zu 3 u. Anm. [22]). [60] Zu S. 155. Darin liegt die Tragik so vieler Freundschaften und so vieler Ehen, daß ihre Grundvoraussetzung, die gemeinsame Basis des gleichen geistigen oder materiellen Lebensstandards, fehlt (vgl.Komm, zu 23, 1 § 3 nr. 2 S. 429 über die Ähnlichkeit als allererste Grundlage der Freundschaft; Komm, zu I 92, 2 : Bd. 7 S. 265). Das gilt von der Erziehung und allgemeinen Bildung der beiden wie erst recht von ihrer charakterlichen und religiösen Grundhaltung. Wo der Niveauunterschied zu groß, das geistige „Gefälle" zu stark ist, kann von einem g e g e n s e i t i g e n Lebensaustausch keine Bede mehr sein. Die Wasser fließen eben nicht gern aufwärts gegen die Berge, es sei denn bei den Heiligen (G. v. L e F o r t ) , und eher aufwärts zu Gott als aufwärts zum Menschen. 1

Mit §§ zählen wir die Argumente in den Kapiteln der Summa contra Gentiles.

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[61] Zu S. 155. Dieser Satz, der ähnlich schon in I 92, 1 Antw. (vgl. Anm. [26a] C.: Bd. 7; vgl. I I I 28, 1 Zu 5 ; 31, 5 ; 32, 4 ; 33, 1 Zu 4 ; dazu Anm. [95] [98] [109] ff.; Komm. S. 595ff. m. Lit. : B d . 26; ferner D. W e n d l a n d , Der Mensch — Mann und Frau. Aschaffenburg 1957, 115 ff.) steht, wobei Thomas das Weib als Einzelnatur sogar als Mängelwesen hinstellt (Zu 1), hat nicht nur die Gemüter der modernen Biologen aufgeregt. Biologisch gesehen wissen wir heute, daß der Anteil der Frau bei der Zeugung des Kindes nicht geringer ist als der des Mannes und daß die Zeugung eines weiblichen Nachkommen nicht ein wie immer geschwächtes Genengefüge voraussetzt. Dennoch ist die aristotelisch-thomasische Auffassung nicht einfach .überholt'. H. A n d r é schreibt zu dieser Frage in einem Brief: „Der Vater ist durch seine aktive Zeugungspotenz nicht nur der Übereigner des eigenen Erbgutes an das mütterliche E i durch den Samen, sondern teilt als causa principalis dem Samen auch eine transitorische Form mit, kraft deren er als das dynamischwerkzeuglich-auslösende Prinzip der Befruchtung bis zur Kernverschmelzung wirkt. E r beschenkt also den mütterlichen Schoß aktiv und dies als Hauptursache in ganz außerordentlicher Weise durch die Übereignung dieses werkzeuglichen Prinzips. Die naturgemäße Ordnung tendiert schon bei den untermenschlichen Lebewesen zu einer werkzeuglichen Höchstvervollkommnung der Spermien bei den Säugetieren. In ihnen haben wir nach den neuesten Untersuchungen eine hochspezialisierte Zelle vor uns, die weder wächst noch sich teilt, die im wesentlichen aus einem isolierten Kern besteht, der die Fähigkeit der Fortbewegung besitzt, um in die Eizelle einzudringen, und nun einzig hinter dem Ziele her ist, mit dem Eikern sich zu berühren und mit dazu beizutragen, daß die beiden Chromosomensätze zu einem sich vereinigen. Die mikrokinematografische Aufnahme der Befruchtung einer Kaninchen-Eizelle zeigt, wie mit dem Eindringen des Spermas ihrem zuerst ruhenden Plasma eine auffällige Erregtheit und Bewegung mitgeteilt wird — immer natürlich l e t z t l i c h kraft der aktiven Zeugungspotenz des hauptursächlich zeugenden männlichen Elters. Beim Menschen kommt hinzu die p e r s o n a l aktive Schenkmacht des Mannes in der Liebeshingabe, von der nicht abstrahiert werden kann, ohne den Akt völlig zu biologisieren oder gar seiner Technisierung Vorschub zu leisten. (Es ist die analogia inaequalitatis zu beachten : menschliche Zeugung ist nicht völlig univok mit tierischer zu fassen.)" Zum Ganzen vgl. A n d r é , Vom Sinnreich des Lebens. S. 91 f. ; Wunderbare Wirklichkeit. Salzburg 1955, 109 f . ; Annäherung durch Abstand. S. 163 ff. — Ferner den längeren Exkurs von O. R o h l i n g OP in B d . 7 S. 205—214. G. M a r c e l versucht, ausgehend von mangelhaften Weisen des Vaterbewußtseins in der heutigen Situation, ,Die schöpferische Verpflichtung als Wesen der Vaterschaft' (Homo Viator. Düsseldorf 1949, 132—172) phänomenologisch zu erhellen. Diesem wertvollen Versuch fehlt u. E . eine ausreichende

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ontologisch-anthropologische Grundlegung. Andeutungen zu dieser finden sich bei G. S i e w e r t h , Der katholische Mann in unserer Zeit (Rede). Köln o. J . [1956], 5 ff.; Der Mensch und sein Leib. Einsiedeln 1953, 69 f.; Metaphysik der Kindheit. Einsiedeln 1957, 18 ff.; vgl. ob. Anm. [58]. [62] Zu S. 156 u. 158. Auf den ersten Blick möchte es scheinen, als sei das eine sehr künstliche Unterscheidung. Eine Parallele zu unserer Christusliebe wird uns jedoch den tiefen Sinn in dieser Unterscheidung u n d damit ihre Berechtigung sofort erkennen lassen. Es liegt ein tiefer Unterschied zwischen unserer Liebe zu Christus, ob wir in I h m den sehen, der unser Freund (vgl. 23, 1 Anderseits; I - I I 108, 4 Anderseits: Bd. 14; in J o 3, 29: lect 5 nr. 519 f.; 13, 33 f.: lect 7; 15, 13 ff.: lect 3; in Gal 2, 20: lect 6; Offenbarung als F r e u n d s c h a f t s t a t : CG IV 21 § 2 ; in J o 15, 15: lect 3 nr. 2016; in 1 Tim 3, 16: lect 3 nr. 130 f.; Christus unser Nächster: Car 7 Zu 18) u n d Bruder (in Hebr 3, 1: lect 1 nr. 156) sein will, oder ob wir in I h m unseren Schöpfer u n d Erlöser sehen, erst recht, wenn wir Seine unendliche Majestät als Gott betrachten. I n einem Falle ist die innere Nähe (I-II 65, 5: Bd. 11; I I I 40, 1: Bd 27; in J o 14, 23: lect 6 nr. 1947), im andern mehr der innere Abstand (reverentia gegenüber Christus: 1 1 1 5 7 , 6 Antw.: Bd. 28; in J o 4 , 2 7 : lect 3 nr. 623; in 1 Cor 1, 10: lect 2 nr. 22) betont. So liegt auch ein tiefer, nur emotional zu fassender Unterschied in der Liebe der Kinder zu den Eltern, sofern diese Ursprung ihres Lebens sind (vgl. Anm. [58]; 101, 1: Bd. 20), und sofern sie diese bestimmten ihnen in Liebe zugeneigten Menschen sind. Es ist bezeichnend, daß Thomas f ü r beide Seiten dieses Doppelverhältnisses von „Freundschaft" spricht, wiewohl auf der einen E h r f u r c h t u n d Gehorsam, auf der anderen gegenseitige Liebe das Verhältnis vorherrschend bestimmen. Würde beides von den Eltern in ihrem Verhältnis zu den Kindern von Anfang an tiefer gesehen, es stünde in vielen Familien besser um dieses das ganze Leben des Menschen überlichtende oder überschattende Verhältnis der Kinder zu den Eltern. [63] Zu S. 159. Hier, wie im ganzen Artikel, t r i t t die Elternliebe in Konkurrenz mit der Gattenliebe. Über die „vielen Gründe der Liebe", die Thomas hier andeutet, h a t er sich nicht weiter ausgelassen. Sie treffen sich aber mit dem, was er gleich im nächsten Artikel (zweiter Teil der Antwort) f ü r das Verhältnis vom Wohltäter zu seinem Schützling a n f ü h r t . Ausschlaggebend f ü r die Liebe der Kinder zu ihren Eltern ist nach ihm, daß die Eltern Ursprung des Seins und Lebens ihrer Kinder sind (vgl. Anm. [58]). Dazu k o m m t als schwerwiegender Grund die jahrelange tägliche Sorge u m die Kinder, die zahllosen ganz persönlichen Opfer, die die Eltern der Kinder wegen sich auferlegen müssen. Sie geben gewissermaßen ihr ganzes Leben und alle ihre K r a f t hinein in die Sorge für ihre Kinder; ihr Leben ist unter Umständen ein dauernder Verzicht auf die unschuldigen „Freuden des Lebens", wie sie der von Kindersorge Unbeschwerte sich leisten kann. Dazu k o m m t , daß i n

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den ersten J a h r e n dieses Opferbringen sehr einseitig auf den Schultern der E l t e r n r u h t u n d sie von den Kindern, bevor diese erwachsen u n d selbständig geworden sind, n u r kindliche Liebe, E h r f u r c h t u n d Gehorsam, aber wenig wirkliche Gegenleistung f ü r ihre Opfer erwarten können. Dagegen ist das Verhältnis von G a t t e u n d Gattin von vornherein in allem ein vollgegenseitiges. Das ist wohl gemeint mit der Feststellung, d a ß die Gründe f ü r die SohnesGebe „in bezug auf die Bewandtnis des Guten" gegenüber den Gründen f ü r die Gattenliebe „noch überwiegen". Doch ist die Verbindung von Gatte u n d G a t t i n n a t u r g e m ä ß stärker als die der Kinder mit ihren Eltern. Das m u ß so sein, weil sonst manches K i n d der Eltern wegen auf die E h e verzichten würde (vgl. dazu 102, 1 u. 3 : Bd. 20). [63a] Zu S. 161. Diese aristotelische Sicht verwandelt sich im R a u m christlicher Liebe. F ü r A r i s t o t e l e s ist es ,schön', wenn das Sein u n d T u n des Tätigen im E m p f a n g e n d e n in Erscheinung t r i t t . Der Empfangende dagegen findet sich selbst nicht im Wohltäter wieder. Insofern er ihn a l s Wohltäter betrachtet (und nicht als schenkenden Freund), k a n n er in ihm nur „sein N u t z g u t " sehen. Das gilt sogar gegenüber G o t t : W e r Gott n u r u m Seiner Gaben willen liebt, sieht in Gott ein ,Nutzgut'. Weil aber die eigentliche Gabe, die Gott uns geben will, E r Selbst ist und E r n u r in Liebe zu erreichen ist, f ü h r t die erotische Gottesliebe (die Liebe der Hoffnung), in der der Liebende Gott f ü r sich haben will, über sich hinaus in die heilige Liebe, in der der Liebende Gott u m Seiner Selbst willen liebt (17,8 Antw.: B d . 16; 1 - 1 1 6 6 , 6 Zu 2 : B d 11). Denn indem Gott uns als schenkender F r e u n d Sein Antlitz huldvoll zuwendet (herabneigt), erscheint E r uns in Seiner inneren Liebenswürdigkeit, die uns zu I h m .heraufzieht'. So bedeutet die Unterscheidung von ,Eros' u n d ,Agape' keinen ausschließenden Gegensatz, wie m i t A. N y g r e n (Eros u n d Agape. 2 Tie. Gütersloh 1930, 1937) viele — vor allem evangelische — Theologen behaupten (vgl. die Stellungnahme von W a r n a c h , Agape, S. 199 f.). D a die schenkende Liebe Gottes sich in der Nächstenliebe fortsetzt u n d der Christ sowohl das Schenken als auch das (für den modernen Menschen zuweilen schwerere) Beschenktwerden vermögen soll, sollte er auch einen Abglanz der schenkenden Liebe Gottes im schenkenden Bruder erblicken. D a n n wäre der Wohltäter nicht mehr n u r ,Nutzgut', sondern in personaler Liebe zu liebendes ,Edelgut'. [64] Zu S. 162. W a s Thomas hier im Anschluß an A r i s t o t e l e s sagt, bedarf aus seiner eigenen Lehre einer sehr wesentlichen Einschränkung. 23, 2 schreibt e r : „Keine Tugend h a t eine so starke Neigung zu ihrem A k t wie die Gottesliebe. Noch auch gibt es eine Tugend, die mit solcher Wonne ihren A k t setzt." Also ist der A k t der Gottesliebe mehr als alle anderen Tugendakte „leicht u n d beglückend" (ebd.). Es wäre aber ein Widerspruch in sich, wenn der Mensch die Gottesliebe, gerade w e i l sie so „leicht und beglückend" ist, ihm also „keine Mühe

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m a c h t " , „nicht schätzen" würde. Auch sagt Thomas a n anderer Stelle, daß nicht die Schwierigkeit, mit der ein Tugendakt gesetzt wird, ausschlaggebend ist f ü r seinen Wert, sondern im Gegenteil die Spontaneität, die Leichtigkeit, Hochherzigkeit u n d Freudigkeit. J e mehr ein A k t mit inneren H e m m u n g e n belastet ist, u m so unvollkommener ist er. Außerdem ist f ü r die W e r t u n g der Tugend noch ein objektiver Gesichtspunkt maßgebend. So schreibt Thomas 141, 8 Zu 2 (Bd 21): „Die Würde der Tugend bemißt sich mehr nach der Bewandtnis des Guten", das in ihr verwirklicht wird, „als nach der Schwierigkeit", die sie zu überwinden h a t . So darf m a n auch den Wert des Opfers nicht ohne weiteres nach dem inneren Widerstreben, das erst überwunden werden muß, beurteilen, sondern nach der Bereitschaft, mit der es vollzogen wird. Deshalb schreibt der hl. Paulus 2 Kor 9, 7: „Den fröhlichen Geber h a t Gott gern." I n bezug auf die Verdienstlichkeit des Aktes liegen die Dinge jedoch etwas anders. So schreibt Thomas (I 95, 4: Bd. 7) dem schwierigeren A k t das größere Verdienst zu: „Wenn m a n (nicht die absolute, sondern) die relative Größe des Verdienstes in Betracht zieht, so liegt nach dem Sündenfall ein größerer Verdienstgrund vor wegen der Schwächung des Menschen; denn ein geringeres Werk übersteigt die Fähigkeit dessen, der es mit Schwierigkeit t u t , mehr als ein großes Werk die Fähigkeit dessen, der es ohne Schwierigkeit vollzieht." Vgl. I - I I 114, 4 Zu 2 (Bd. 14). [64a] Zu S. 170. Eine Variation des Prinzips, das wir schon aus Anm. [23] u n d wieder in anderer F o r m aus Anm. [54] kennen. Das m ü h s a m Anerzogene, so dürfen wir hier interpretieren, k a n n niemals den Wert u n d die Güte einer Naturanlage erreichen. Wer nicht zum Künstler geboren ist, k a n n sich vielleicht mit viel Energie eine Technik im Kunstschaffen aneignen, er wird nie zum echten Künstler heranreifen, denn echte K u n s t f ä n g t erst d a an, wo die bloße Technik a u f h ö r t . Auf das Problem des Artikels übertragen heißt d a s : Der tugendeigene A k t der Gottesliebe ist Lieben, denn er ist mit ihrem Wesen von innen her gegeben. Geliebt-werden aber h a t an sich mit der Tugend der Gottesliebe nichts zu t u n . Wo der Gottliebende zugleich auch geliebt wird, steht das nicht notwendig in einem inneren Zusammenhang mit der Tugend der Gottesliebe, es sei denn, m a n denke a n d i e Liebe, mit der der Mensch von Gott geliebt wird; denn d i e s e s Geliebt-werden ist Voraussetzung dafür, daß wir ü b e r h a u p t lieben können, da die Tugend der Gottesliebe selbst als eingegossene Tugend aus der Liebe Gottes zu uns s t a m m t ; nach R o m 5, 5: „Die Liebe Gottes ist in unsern Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist." [65] Zu S. 170. I m achten Buch der Ethik (lect 12 nr. 1710) gibt Thomas aus A r i s t o t e l e s die Gründe an, weshalb die Liebe der Mutter zu den Kindern größer ist als die des Vaters zu denselben Kindern. Erstens wissen die Mütter mit größerer Sicherheit, welches ihre Kinder sind, da sie sie aus ihrem eigenen 371

Schoß geboren haben. Wogegen der Mann nicht immer mit absoluter Sicherheit sagen kann, daß die von seinem Weibe Geborenen auch wirklich s e i n e Kinder sind. Zweitens gehören die Kinder in den ersten Monaten und Jahren mehr der Mutter, die sie nährt und mit mütterlicher Liebe umsorgt, wodurch der personale Kontakt zwischen der Seele der Mutter und der Seele des Kindes früher gefunden wird als zum Vater hin. Auch kann die Mutter nicht, wie Thomas im Anschluß an A r i s t o t e l e s feststellt (Eth nr. 1647), von den Kindern eine gleich große Gegenliebe erwarten, weil die Kinder im ersten Kindesalter unmöglich wissen können, welche Mühen und Sorgen die Mutterschaft vor, in und nach der Geburt des Kindes der Mutter gekostet hat. Deshalb ist die Mutterliebe von allen die selbstloseste und wird immer wieder von Thomas als Vorbild der reinen Freundesliebe hingestellt. Vgl. E t h nr. 1799 f. 1854; S i e w e r t h , Metaphysik der Kindheit (S. 17 ff.). [66] Zu S. 171. Was in der vorigen Anmerkung über die Ungleichheit der Mutterliebe gegenüber der Gegenliebe der Kinder gesagt wurde, gilt ganz allgemein von jeder Ungleichheit in irgendwelchen Liebesverhältnissen. Wo echte Liebe ist, ist sie stets Bewegung von oben nach unten, von den Eltern zu den Kindern, von den Lehrern zu den Schülern, von den Erziehern zu den ihnen Anvertrauten, schließlich von Gott zum Menschen. „Oben" ist hier nicht von den gesellschaftlich höher Gestellten gesagt, auch nicht von den Älteren oder Begabteren, sondern von den „Besseren"; es handelt sich also um ein qualitatives Gefälle in der sittlichen Sphäre. Wer hier „höher" steht, hat das tiefere Wissen im Sinne von I 1, 6 Zu 3 (Bd 1; vgl. Eth nr. 1803 2062), jenes Wissen nämlich, das aus der eigenen Tugend, der eigenen sittlichen Erfahrung geboren wird und nicht aus Büchern, „durch Studium". Das Kind kann unmöglich die Eltern verstehen, wohl aber sollten die Eltern ihre eigenen Kinder verstehen können, da sie selbst einmal Kind gewesen sind. So sollte der Lehrer seine Schüler verstehen, der Jugendführer die von ihm „Geführten", der Priester die ihm anvertrauten Menschen. Eine große Forderung, die nur allzu selten erfüllt wird. [67] Zu S. 171. Der Gedankengang ist folgender: Das Geliebt-werden-wollen ist nicht um der Liebe willen, sondern um der Ehre willen, damit das Gute, das die Geliebten in sich bergen, vor den Liebenden offenbar werde, so wie es vor sieh selbst offenbar wird im Wohltun; einer der Gründe nach Thomas (I-II 32, 6: Bd. 10), weshalb das Wohltun solche Lust verursacht. Hier steht also wieder das eigene Ich im Mittelpunkt oder ist zumindest mitgemeint. Dem aber, der wahrhaft Gott liebt, ist es um nichts anderes zu tun als um die Liebe, denn „keine Tugend hat eine solch starke Neigung zu ihrem Akt wie die Gottesliebe" (23, 2), und von keiner anderen Tugend gilt in so hohem Maße wie von der Liebe, daß der Akt latent im Gehaben schon bereit Hegt, weil er das immanente Ziel des 372

G e h a b e n s ist (vgl. l - I I 27, 3 : B d . 10; 55, 1: B d . 11). D a s k a n n T h o m a s in b e z u g auf die Gottesliebe freilich n u r d e s h a l b sagen, weil i m A k t d e r Gottesliebe G o t t Selbst l e b t u n d g e m e i n t ist. D e n n n i c h t d e r L i e b e s a k t ist Ziel, s o n d e r n i m m e r G o t t als G e g e n s t a n d des A k t e s . Vgl. 25, 2; G e i g e r , A m o u r , S. 105 ff. [67a] Z u S. 177. Schon in A n m e r k u n g [31] w u r d e d a r a u f hingewiesen, d a ß die vier U r s a c h e n n u r i m a n a l o g e n Sinne als . U r s a c h e n ' z u bezeichnen sind, sofern sie d a s Wirkliche in je völlig verschiedener Weise b e g r ü n d e n . D a s s p r i c h t sich hier a u s in d e m v i e r f a c h e n Sinne des „ w e g e n " (propter), d e r in allen vier U r s a c h e n e t w a s a n d e r e s m e i n t . U n d dieser Sinn ist s a u b e r a u s e i n a n d e r z u h a l t e n , s o o f t m a n bei T h o m a s einem ,propter" b e g e g n e t . T h o m a s weist o f t selbst auf die Bedeut u n g s v i e l f a l t h i n (z. B . k u r z v o r h e r in d e m Spiel m i t d e m . p r o p t e r ' in A r t . 1 E . 3 u . Z u 3 ; f e r n e r e t w a I - I I 2, 6 Z u 1 : B d . 9 ; 1 d l : 2 , 1 Zu 3 ; 3 1 : 3 , 2 Z u 1 ; P o t 5, 5 Z u 3; Car 5 Zu 2). B e a c h t e t m a n diese n i c h t , d a n n k o m m t es wieder zu den g r o ß e n F e h l i n t e r p r e t a t i o n e n , v o n d e n e n schon o b e n m e h r f a c h die R e d e w a r . E s ist ein großes V e r d i e n s t v o n V . W a r n a c h in seinem a u s g e z e i c h n e t e n B u c h e A g a p e , d a ß er diesen F e h l i n t e r p r e t a t i o n e n n a c h g e h t und sie z u r e c h t r ü c k t (vgl. z. B . e b d . S. 453 F n 1). B e r e i t s die f r ü h e n Meister d e r H o c h scholastik u n t e r s u c h e n die Vieldeutigkeit des , p r o p t e r ' . W i l h e l m v . A u x e r r e u n t e r s c h e i d e t „ m i n d e s t e n s sechs Bedeut u n g e n des S a t z e s : E r liebt G o t t , w e g e n ' G o t t " ( S u m m a a u r e a I I I t r . 12 c. 2 q. 1 P a r i s 1500, fol. 199vb). A l b e r t d e r G r o ß e u n t e r s c h e i d e t in einer B e g r i f f s b e s t i m m u n g des G l a u b e n s eine wirk-, ziel- u n d f o r m a l u r s ä c h l i c h e B e d e u t u n g des . p r o p t e r ' (3 d 24, 4 A n t w . : B o r g n e t 28, 450). E s liegt a n der A r m u t d e r S p r a c h e wie a u c h a n d e r Hilflosigkeit d e r a b s t r a k t e n E r k e n n t n i s , d a ß sie o h n e Allgemeinbegriffe u n d die i h n e n e n t s p r e c h e n d e n sehr allgemeinen F a c h a u s d r ü c k e n i c h t a u s k o m m t . Ü b e r d a s Behelfsmäßige u n s e r e r Sprache gegenüber d e m u n ü b e r s e h b a r e n R e i c h t u m der W i r k lichkeiten vgl. I 1, 7 Zu 1; A r t . 9 (Bd. 1); 18, 2 (Bd. 2); 29, 1 Zu 3 ; 37, 1 (Bd. 3) ; 77, 1 Zu 7 (Bd. 6) ; I - I I 25, 2 Zu 1 (Bd. 10) ; CG 1 3 0 ; Ver 4 , 1 Zu 8; 1 0 , 1 Zu 6; P o t 10, 1; l d 3 6 : 1, 3 : CTh 98 f. ; dazu B d . 8 A n i n . [27]; C h r i s t m a n n , F r e i h e i t der F o r s c h u n g bei T h o m a s v . Aquin, N O 5 (1951) 390f.; M.-D. C h e n u O P , I n t r o d u c t i o n à l ' é t u d e de S. T h o m a s . MontréalParis 1950, 98 ff.; E . G i l s o n , L ' ê t r e e t l'essence. P a r i s 1948, 107ff.; F . M a n t h e y , Die Sprachphilosophie des hl. T h o m a s . . . P a d e r b o r n 1937, 74 f f . ; J . - D . R o b e r t O P , É l é m e n t s d ' u n e définition a n a l o g i q u e de la connaissance chez S. T h o m a s , R e v Louv 55 (1957) 451ff. ; J . P i e p e r , H i n f ü h r u n g zu T h . v. A.. 145 ff. [68] Zu S. 181. D a ß E r k e n n t n i s u n d Liebe n i c h t i m m e r parallel l a u f e n , h a t T h o m a s s c h o n 23, 6 Zu 1 a u f g e z e i g t : „Betreffs d e r W e s e n , die ü b e r u n s liegen" — so h e i ß t es d a — , „wird die Liebe, v o r allem die Gottesliebe, ü b e r die E r k e n n t nis gestellt. D e s h a l b ist die Gottesliebe e r h a b e n e r als d e r G l a u b e . " Vgl. K o m m , zu 23, 6. Die Liebe reicht also weiter

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als die Erkenntnis, so etwa, wie der Erkenntnistrieb den F o r scher über den Bereich des bereits Erforschten hinaustreibt ins Unerforschte. Das klassische Beispiel f ü r alle Zeiten ist hier die kühne F a h r t des Christoph Kolumbus ins gänzlich unbekannte, unbegrenzte Weltmeer. Seine Erkenntnis „hörte auf bei der Sache selbst", nämlich dem ihm selbst noch unbekannten Gestade, das „durch ein anderes erkannt wurde", nämlich durch das, was d a an die K ü s t e n Spaniens vom Westen her angeschwemmt wurde. „Wo die Erkenntnis aufhörte, konnte die Liebe anfangen" — ein ungemein tröstlicher Satz. Wer würde bei Thomas, dem ,Intellektualisten', einen solchen Satz v e r m u t e n ! I n Zu 2 entwickelt Thomas übrigens denselben Gedanken u n d f ü h r t ihn zugleich weiter. Zur Illustration dieser Lösung Zu 2 ein paar Sätze von C l a u d e l : „Es ist offensichtlich, daß wir durch die Erkenntnis der sichtbaren Dinge zur Erkenntnis der unsichtbaren Dinge gelangen. Aber das Umgekehrte ist auch wahr. Ich glaube, d a ß d a wahrhaftige Entdeckungen zu machen sind, u n d nur die Zugeständnisse, die wir dem Unsichtbaren einräumen, vermögen uns dorthin zu g e l e i t e n . . . " (Brief a n H . A n d r é : Vom Sinnreich des Lebens [S. 25 f.]). [69] Zu S. 195. Die lateinische Überschrift zum Artikel k a n n m a n doppelt wenden: Ist die Freude eine Wirkung der Gottesliebe, die in uns lebt? Oder, mit einer leichten Akzentverschiebung: I s t die Freude in uns eine Wirkung der Gottesliebe ? Sachlich k o m m t es auf dasselbe hinaus, denn beide Dinge, die Freude wie die Liebe, sind immanente Akte, die sich wohl nach außen hin offenbaren, ihren Immanenzcharakter aber nie verlieren oder verleugnen können. Die Wendung „Freude in u n s " hebt ein Moment heraus, das mit „Freude" allein nicht gegeben scheint, nämlich dies, daß es sich u m die echte, tiefe F r e u d e des Geistes u n d Gemütes handelt. Die „Freude in uns" k a n n bestehen, auch wenn u m uns her alles unfroh ist. Anderseits k a n n der Mensch Freude heucheln, wenn es im Herzen selbst finsterste N a c h t ist. [70] Zu S. 205. Vgl. F r . 35 f.: Bd. 17 B. Der Einwand wäre schlüssig, wenn wir jede Traurigkeit als .Laster' (sittliche Fehlhaltung) bezeichnen dürften, u n d wenn es zwischen Laster u n d Tugend gar kein sittlich neutrales Geschehen im Seelischen gäbe. Das Erste wird in der Lösung zurechtgerückt : Wie dort die Freude als T u g e n d f o l g e bestimmt wird, so gibt es auch Weisen der Traurigkeit, die nicht selbst als ,Laster' zu bezeichnen sind, sondern erst aus sittlichen Fehlhaltungen h e r v o r g e h e n . Das Zweite wird durch die Psychologie widerlegt. Freude ist Hochstimmung der Seele u n d k a n n die verschiedensten Ursachen haben. Auch m ü ß t e m a n unterscheiden Freude als Freude a n etwas und Freude ü b e r etwas. Daneben oder darüber hinaus gibt es aber auch die gewissermaßen freischwebende Freude, f ü r die der Mensch zunächst gar keinen konkreten Anlaß ausfindig machen kann. Sie ist einfach da als „Stimmung" (vgl. Bd. 10 S. 491 f.) der Seele. I s t es religiös u n t e r b a u t e Freude, so könnte m a n sie sogar

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als unmittelbare Wirkung des in der Seele wohnenden Heiligen Geistes betrachten (vgl. 1 - 1 1 7 0 , 3 : B d . 11). E s gibt tausend Einflüsse, innerorganische und Umwelteinflüsse, seelische und geistige, göttliche und dämonische, die auf die „Stimmung" des Menschen wirken können. Deshalb wird es schwer sein, im Einzelfalle immer die Ursachen der Freude oder der Traurigkeit mit Sicherheit festzustellen. Wie Thomas Freude von Lust abhebt, zeigt I - I I 31, 3 (Bd. 10); über Lust und Freude als Seinswert vgl. Komm, zu 28, 1; über Trauer als „Leidenschaft" I - I I F r . 35—39 (Bd. 10). [71] Zu S. 208. Das schwer, aber möglicherweise Erreichbare ist das sogenannte ,Steilgut', das als Gegenstand nicht nur eine besondere Tugend, sondern vorher noch ein besonderes Vermögen im Bereich der emotionalen Kräfte verlangt, nämlich das ,Überwindungsvermögen', das die Widerstände, die sich der Erreichung des Guten oder der Tugend in den Weg stellen, überwindet. Über den Unterschied von begehrendem und überwindendem Strebevermögen unterrichtet I - I I 23, 1. 2 (Bd. 10); über die Leidenschaften des überwindenden Strebevermögens : Hoffnung, Kühnheit, Zorn, die Thomas I I - I I 30, 2 Zu 3 als „Leidenschaften der Mannhaftigkeit" bezeichnet, vgl. I - I I F r . 40—48 (Bd. 10). [72] Zu S. 210. Schlechthin gilt das Axiom: ,Alles, was einem und demselben gleich ist, ist auch unter sich gleich' (vgl. I 28, 3 E . 1 u. Zu 1: B d . 3). Das ist einleuchtend und kann nicht anders sein, wenn man das Identitätsgesetz nicht aufheben will. Der S a t z : .Diejenigen, denen dasselbe entgegengesetzt ist, sind auch unter sich dasselbe' gilt dagegen nur für echte contraria, d. h. für solches, das in einer e i n d e u t i g e n Hinsicht m a x i m a l entgegengesetzt ist: z. B . die Endpunkte einer Strecke, schwarz und weiß (vgl. in Met 10, 5). Die Wirklichkeit der Dinge und Menschen aber ist sehr v i e l d e u t i g . Der Gegensatz von .organisch' ist .anorganisch', von .bewegt' .unbewegt'. Aber deshalb sind nicht alle organischen Wesen unter sich gleich oder dasselbe, sowenig wie alles Bewegte gleichartig ist, weil es das Unbewegte als Gegensatz hat. Ins Ethische übertragen: Menschen, die denselben Freund haben, sind, so es nur echte Freundschaft ist, die sie mit dem gleichen Freunde verbindet, notwendig auch unter sich Freunde. Menschen, die denselben Feind haben, sind deshalb aber nicht schon unter sich Freunde. Z. B . sehen extreme Liberale und Kommunisten die Kirche als Hauptfeind Nr. 1 an. Deswegen sind sie noch keine Freunde untereinander. E s kommt eben sehr darauf an, wo beim einen und beim andern die Gründe der Feindschaft liegen. Der Grund der Freundschaft untereinander kann nur das Gute des gemeinsamen Freundes sein. Beim Feinde können es aber sehr verschiedene Dinge sein, die ihn zum Feinde machen. Hier gilt, was Thomas aus A r i s t o t e l e s und P s . - D i o n y s i u s oft wiederholt: „Das Böse ist vielgestaltig, das Gute einfach" (I 19, 12 E . 4 : B d . 2; I - I I 35, 8 Zu 1: B d . 10; E t h nr. 320 f.); vgl. Komm. Zu 25, 7, S. 480 f.).

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[73] Zu S. 213. I n ,Form' gebracht, würde dieser Einwand etwa so l a u t e n : W a s alle Wesen anstreben, m u ß notwendig überweltlich sein. Der Friede ist aber ein innerweltliches Gut. Also streben nicht alle Wesen nach Frieden. I m Obersatz liegt unausgesprochen die falsche Voraussetzung: Ein überweltliches transzendentes Gut k a n n nicht schon hier auf E r d e n angestrebt u n d erreicht werden. Wenn also der Friede schon hier auf Erden angestrebt wird, k a n n er kein überweltliches Gut sein. N u r ein solches aber k a n n von a l l e n Wesen angestrebt werden. Also. U n d doch liegt dem Einwand ein richtiger Gedanke zugrunde, den Thomas in der Lösung herausschält. Darüber hinaus aber könnte m a n sagen, daß auch der innerweltliche Friede nicht erreicht wird ohne Hilfe Dessen, Der der überweltliche Friede in Person ist. Deshalb konnte der Apostel mit E m p h a s e sagen: „ E R (Christus) i s t unser Friede" (Eph 2, 14); wie I h n schon der Prophet verkündigt h a t t e : E t erit Iste P A X — „Und E R wird d e r F R I E D E sein" (Mich 5, 5). [74] Zu S. 222. Die Übersetzung des lateinischen misericordia mit „Mitleid" bedarf einer Rechtfertigung. Wir setzen hier die definitio f ü r das definitum, denn Art. 1 Zu 2 heißt es: „ E r b a r m e n (misericordia) ist das Mit-leiden mit dem Leid des andern", wie es schon A u g u s t i n u s sagt im ersten Satz der Antwort: misericordia est compassio — „Erbarmen ist Mit-leiden". Zudem bezeichnet das „Sich-erbarmen", wie es in Art. 3 u. 4 deutlich wird, eher den äußeren Akt, zu dem das Mitleid den Menschen drängt. Beim Mitleid selbst aber handelt es sich u m einen inneren Akt, der aus der Liebe folgt. I m übrigen sind die Ausdrücke: „Er e r b a r m t mich" u n d : „Ich habe Mitleid mit ihm" als Synonyma anzusehen. [75] Zu S. 222. Hier und in den folgenden Artikeln greift Thomas zurück auf die Rhetorik des A r i s t o t e l e s , der dort in K a p . 8 u. 9 des I I . Buches das Mitleid behandelt. Auch der erste Einwand unseres Artikels ist dort hergenommen (vgl. R h e t I I 9: 1386b 9 ff.). „Der Empfindung des Mitleids zunächst entgegengesetzt", heißt es dort, „ist jene Empfindung, welche die Sprache mit dem Ausdruck , E n t r ü s t u n g ' bezeichnet. Denn dem Sich-betrüben über das unverdiente Unglück entspricht als Gegensatz in gewisser Beziehung und als Äußerung derselben sittlichen Gesinnung das Sich-bet r ü b e n über unverdientes Glück. . ., weil alles, was dem Menschen wider sein Verdienst geschieht, dem Begriff der Gerechtigkeit widerspricht." E s ist derselbe Gedanke, der im Alten Testament so oft anklingt; z. B. Ps 37 (36), 7: „Entrüste dich nicht über jenen, der glücklich v o r a n k o m m t auf seinem Weg, den Mann, der schlimme R ä n k e schmiedet" (vgl. 73 [72], 2 f.). Jeremias (12, 1) rechtet mit G o t t : „ . . . W a r u m geht es den Gottlosen wohl, wohl allen, die treulos sind u n d Unrecht t u n ? " U n d H a b a k u k (1, 13) richtet a n Gott die Klage: „Waru m siehst D u den Übeltätern zu und schweigst, wenn der Gottlose den, der gegen ihn im Recht ist, verschlingt?" Diese 370

.Entrüstung' hat freilieh eine andere Note als die in E. 1 geraeinte, die unmittelbar die Schuld im Auge hat. Bei A r i s t o t e l e s geht allerdings die Entrüstung weniger auf die Schuld als auf das unverdiente Glück des Schuldigen; es schwingt in diesem Gefühl doch wohl eine winzige Dosis Neid mit, von dem dann in Kap. 10 die Rede ist. Vgl. Art. 3 Zu 2; 36,2 Antw. u. Art. 3 Zu 3 (Bd. 17B). [76] Zu S. 224. Auch hier (1385b 13ff.) betont A r i s t o t e l e s das Moment des u n v e r d i e n t e n Unglücks: „Mitleid ist ein gewisses Schmerzgefühl über ein offenbares Untergang und Schmerz androhendes Übel, von dem wir einen Mensehen befallen sehen, der es nicht verdient, dasselbe zu erleiden; ein Übel, dessen auch wir uns möglicherweise, sei es für uns selbst oder für einen der Unsrigen, zu versehen haben, und zwar wenn es nahe scheint; denn es ist klar, daß der, welcher Mitleid empfinden soll, notwendig ein Mensch solcher Art und Verfassung sein muß, daß er glauben mag: es könne möglicherweise entweder er selbst oder einer der Semigen irgendein Übel erleiden." Der letztere Gedanke beschäftigt Thomas in Art. 2. [77] Zu S. 226. Es ist Gott so sehr eigen, Sich zu erbarmen, daß die Barmherzigkeit geradezu der Grundton aller Seiner Werke ist. „In jedem Werke Gottes offenbart sich die Barmherzigkeit, wenn wir dessen erste Wurzel betrachten. Ihre K r a f t erhält sich in allen Folgestufen, ja, wirkt in ihnen sogar gewaltiger (vehementius), gleichwie die Erst-Ursache gewaltiger einwirkt als die Zweit-Ursache" ( 1 2 1 , 4 : Bd. 2). Ja, selbst die Gerechtigkeit — so dürfen wir im Anschluß an Thomas formulieren — ist nur eine Funktion Seiner Barmherzigkeit, denn „ein Werk der göttlichen Gerechtigkeit setzt immer ein Werk der Barmherzigkeit voraus und gründet in ihm" (ebd.). Das stimmt überein mit der lapidaren Feststellung des hl. Johannes (1 Jo 4, 9. 16), die Thomas der Frage 20 des ersten Buches, die über die Liebe Gottes handelt, gleich im ersten Artikel (Anderseits) ebenso lapidar voranstellt: „Gott ist Liebe." [78] Zu S. 229. Hier könnte ein Mißverständnis entstehen, nämlich das des Pantheismus. Gott liebt uns tamquam aliquid sui — wörtlich: „wie etwas von Sich Selbst". Wir wären also „etwas von Gott", wie unsere Hand „etwas von uns" ist. Doch erstens heißt es: tamquam — g l e i c h s a m als w ä r e n wir „ein Stück von Ihm". Zweitens wissen wir, daß keiner die absolute Transzendenz Gottes stärker betont als Thomas, so daß es manchmal scheint, als würde er jedes reale Band zwischen Schöpfer und Geschöpf zerreißen. Man kann aber auch das aliquid sui als schlichte Zugehörigkeit zu Gott auffassen, im Sinne des Pauluswortes: „Es kennt der Herr die, die zu Ihm gehören" — cognovit Dominus qui sunt ejus (2 Tim 2, 19), und so ist es hier gemeint. 377

I 33, 3 (Bd. 3) zählt Thomas die verschiedenen Titel dieser Gott-Zugehörigkeit a u f : Schöpfung, Ebenbildlichkeit, Begnadung bzw. Gottessohnschaft, Verherrlichung. So schreibt er ebd. 60, 5 (Bd. 4 ) : „Ein jedes Geschöpf ist von Natur aus auf Grund dessen, was es ist, Gottes." F ü r den Gegenstandsbereich der Gottesliebe ergibt sich daraus, daß sie „Freundschaft ist des Menschen hauptsächlich mit Gott, in der Folge aber mit allen Wesen, die Gott zugehören — ad ea quae sunt Dei". Darunter ist dann auch er, der Gott Liebende, selbst (25, 4 Schluß der Antw.; vgl. Car 8 Antw. u. Zu 6). Daraus ergibt sich dann, daß die wahre Selbstliebe zusammenfällt mit der Gottesliebe und umgekehrt. Paulus spricht verhältnismäßig selten von der Liebe zu Gott (Rom 8, 28; 1 K o r 2, 9 ; 8 , 3 ; 2 Thess 3, 5 ; Eph 6, 2 4 : auf Christus bezogen; ebenso 2 Tim 4, 8), dafür um so mehr von der Liebe Gottes zu uns und unserer Zugehörigkeit zu Ihm, die wir mit vollem Herzen bejahen müssen. Vgl. B T h W 519 f. [79] Zu S. 230. Darin liegt der große, entscheidende Unterschied zwischen Tugend und Leidenschaft, daß dem Akt der Tugend die freie Wahl vorausgeht, während die Leidenschaft spontan auftritt, wenigstens die sogenannte „vorausgehende" Leidenschaft ( I - I I 24, 3 Zu 1: B d . 10), die den freien Willensentschluß hemmt, während die dem Einfluß des Willens gehorchende „nachfolgende" Leidenschaft die Gutheit des Aktes sogar vermehrt (ebd.). Grundvoraussetzung jeder sittlich guten Handlung ist die Freiheit, mit der sie gesetzt wird. So heißt es E t h 8, 15 (nr. 1743): „Das Entscheidende bei der Tugend und der Sitte überhaupt liegt in der W a h l " (vgl. I - I I 56, 4 E . 4 : B d . 11). Über die W a h l als „das Erstreben des Vorausbedachten" vgl. ebd. Anm. [33] S. 439 und E t h nr. 4 5 7 ; außerdem I - I I 58, I E . 2 ; Art. 4 ; 6 5 , 1 Antw. letzter Abschnitt: B d . 11; E t h nr. 301 322 432 f. 1129. [80] Zu S. 231. Über die Tugendmitte handelt Thomas ausführlich I - I I 64, 1—4 (Bd. 11; vgl. dort Komm. S. 606 ff.). Einen Spezialfall der Tugendmitte, nämlich die Tugendmitte der Gerechtigkeit, behandelt Thomas 58, 10 (Bd. 18), wo er noch einmal grundsätzlich auf das Prinzip der Tugendmitte überhaupt zurückkommt. B e i der Tugendmitte handelt es sich selbstverständlich nicht um die berühmte Mittel-mäßigkeit, sondern um das innerste Kriterium echter Tugend, die gewissermaßen eine GratWanderung zwischen zwei Abgründen darstellt. So bewegt sich der Glaube zwischen Aberglaube und Unglaube, die Hoffnung zwischen Vermessenheit und Verzweiflung. Die ideelle Mitte bestimmt Maß und Ordnung jeder echten Tugend. Vgl. 1 7 , 5 Zu 2 (Bd. 16); E t h nr. 333—347. [81] Zu S. 235. Vgl. Kirchengebet vom 10. Sonntag nach Pfingsten. Das Gebet hat folgenden Wortlaut: „O Gott, Du offenbarst Deine Allmacht noch am meisten durch Schonen 378

und E r b a r m e n ; vermehre also in uns Deine Barmherzigkeit und mache uns der verheißenen himmlischen Güter, auf die wir zueilen, teilhaftig." Vgl. Anm. [77]; außerdem I - I I 113, 9 Anderseits (Bd. 14). [82] Zu S. 236. Wir stellen aus S c h e l e r , Wesen und Formen der Sympathie (Bonn 1923), einige Sätze zusammen, die sich weitgehend mit dem decken, was Thomas über Mitleid und Erbarmen als Folge der Liebe s a g t : „Mitleiden. . . ist Leiden a m Leiden des Anderen a l s dieses Anderen" (S 40). „Besonders im Phänomen des ,Erbarmens' — d a s gleichzeitig ein gesteigertes Mitleiden von der Höhe herab, von der Höhe einer gesteigerten Macht und Würde her ist — nimmt d a s Mitleid . . . seinsbezüglichen Charakter a n " (S. 43). D a s reine Mitfühlen ist „ein w a h r e s Hinübergreifen und Eingehen in den Anderen und s e i n e n individuellen Z u s t a n d . . . ; ein wahres und wirkliches Transzendieren seiner Selbst" (S. 52).— Hier wird deutlich, wie d a s Mitleid eine Wirkung der reinen Liebe, vor allem der Freundesliebe ist, die eben auch ein solches Transzendieren über sich selbst hinaus zum andern hin bedeutet. „ W a s a m Mitleid die allgemeine Schätzung erfährt, ist einmal, daß es ein mitfühlendes Hinausgreifen über d a s eigene Ich ist, daß es weiterhin d a s Leiden nicht vermehrt, sondern nach dem bekannten Sprichwort halbiert, und daß es sich meist als die Mitursache einer doppelten Befriedigung darstellt, derjenigen Befriedigung, die schon in der d a s eigene Ich e r w e i t e r n d e n T e i l n a h m e a m fremden Erleben überhaupt liegt, und derjenigen, die der Gegenstand des Mitleids schon als erlebtes Zeichen der Liebe und Teilnahme. . .erf ä h r t " (ebd. S. 59). „Nachfühlen und Mitgefühl" sind als „unableitbare U r p h ä n o m e n e . . . n u r metaphysisch erklärb a r . . . . D a s Mitgefühl ist ein Phänomen m e t a p h y s i s c h e r O r d n u n g " (S. 64). „ D a s reine Mitgefühl" gehört „zum Wesen des menschlichen Geistes" (S. 70). „Gerade d a s (echte) Mitgefühl ist weder Ansteckung noch Einsgefühl" (S. 75). „ D a s Mitgefühl ,folgt' eben nur der Art und Tiefe der L i e b e " (S. 79). „ D a s echte .Mitgefühl'" ist „für d a s christliche E t h o s des Abendlandes teils prädisponierende Funktion für die spontane, auf positive Werte gerichtete L i e b e . . . , teils als tiefer dringendes Mitgefühl deren F o l g e " (S. 92). „ D a s ,Aufsichnehmen' des Kreuzes des Herrn, d a s Leiden ,in ihm', d a s Auferstehen ,in ihm', d a s Erhöhtwerden ,in ihm' sind. . . echtes Einsgefühl — aber in Personliebe fundiert" (S. 101). — Über d a s Mitleid, d a s aus der Gottesliebe f o l g t , vgl. auch W a r n a c h , Agape (S. 362 mit F n 1). [83] Zu S. 236. Wir wundern uns einigermaßen, daß Thom a s nicht den für die Charakterisierung unserer guten Werke als Ausfluß der Gottesliebe entscheidenden T e x t aus Mt 25 herangezogen hat, wie er es 101, 4 Zu 3 (Bd. 20) und wieder 188, 2 (Bd. 24) getan hat. An letzterer Stelle heißt e s : „Wie wir auf Grund der heiligen Liebe dem Nächsten [nur] u m Gottes willen zugeneigt sind, so fällt auch der den Mitmenschen 379

geleistete Dienst auf Gott zurück; nach Mt 25, 40: ,Was ihr (lem geringsten Meiner Brüder getan habt, Mir h a b t ihr es getan'. Deshalb heißt es auch von diesen den Mitmenschen geleisteten Diensten, sofern sie auf Gott ausgerichtet sind, daß es in gewissem Sinne [wirkliche] Opfer sind, nach H b 13, 16: ,Vergeßt nicht das Wohltun u n d Mitteilen, denn durch solche Opfer wird Gott erfreut'." E r s t aus dieser H a l t u n g u n d Situation heraus ist d a n n die Lösung Zu 2 verständlich, d a ß die Summe der christlichen Religion im E r b a r m e n besteht. Wenn Christus das Leben des Menschen in erster Linie nach den leiblichen (!) Werken der Barmherzigkeit beurteilt u n d nach ihnen sein ewiges Los bestimmt, wie es aus Mt 25 über allen Zweifel deutlich wird, d a n n ist ein Christentum ohne diese Werke der Nächstenliebe eitel Täuschung. [84] Zu S. 240. Den ersten Teil dieses Zitates h a t Thomas II-II 81, 7 (Bd. 19) in einem Axiom von universaler Geltung ausgesprochen: „Ein jedes Wesen wird dadurch vollendet, daß es sich dem Höheren unterordnet." Ein scheinbares P a r a d o x : Vollendung durch Unterordnung! I n der konsequenten Befolgung dieses einzigen Prinzips würde die gestörte Ordnung der Menschheit wiederhergestellt. Doch fast noch wichtiger ist der zweite Teil des Zitates: „Die Höheren bewegt sie (die Liebe) zur Sorge f ü r die Niederen." Das ist in Christus., dem Sohne Gottes, ideale Wirklichkeit geworden: „Der Menschensohn", so bekennt E r von Sich Selbst, „ist nicht gekommen, Sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen" (Mt 20, 28). Ganz entsprechend heißt es von den Engeln: „Sie alle sind dienende Geister (administratorii spiritus), zum Dienste gesandt f ü r die, die das E r b e des Heils erlangen sollen" (Hb 1, 14). Es liegt nur in der Konsequenz seiner Sendung, wenn der P a p s t als Stellvertreter Christi sich als den „Diener der Diener Gottes" (servus servorum Dei) bezeichnet. So k a n n m a n das Gesetz formulieren: Jede Herrschaft innerhalb der Schöpfung ist nur eine höhere und mit größerer Verantwortung beladene Form des Dienens. So haben wir in dem W o r t des P s . - D i o n y s i u s geradezu eine Weltformel, in die auch die Engelwelt einbezogen ist, auf der deshalb die dynamische Einheit des Sichtbaren u n d Unsichtbaren, des natürlichen u n d übernatürlichen Kosmos beruht. Vgl. A n d r e , Wunderbare Wirklichkeit (S. 103 f. 114 ff.) ; Annäherung durch Abstand (S. 224ff.). [85] Zu S. 246. Hier bringt Thomas für die Einheit von N a t u r und Ü b e r n a t u r ein Prinzip, das er in anderer Formulierung schon 26, 6 (Antw.) genannt h a t . Dort hieß es: „Das Verlangen der Gottesliebe, das auf einem Antrieb der Gnade beruht, ist nicht weniger geordnet als das n a t u r h a f t e Verlangen, das auf einem Antrieb der N a t u r b e r u h t ; beiderlei Antrieb aber geht hervor aus der göttlichen Weisheit." Da es dieselbe Weisheit Gottes ist, die beides, N a t u r u n d Übernatur, „eingerichtet" h a t , müssen beide eine vollendete Einheit bilden. Dasselbe Prinzip h a t das V a t i k a n u m (Dz 1797; N R 44) in bezug auf die natürliche und übernatürliche Erkenntnis

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so ausgesprochen: „Wenn auch der Glaube über der Vernunft steht, so k a n n es doch zwischen Glauben u n d Vernunft nie einen wirklichen Widerspruch geben, weil derselbe Gott, der die Geheimnisse offenbart u n d den Glauben eingießt, der Menschenseele auch das Licht der Vernunft gegeben h a t . Gott aber k a n n Sich Selbst nicht verleugnen, noch k a n n Wahrheit der Wahrheit je widersprechen." Vgl. CG I 7. 9; zum Ganzen: Anm. [35] u. [50] u. Bd. 7 Anm. [50]. [86] Zu S. 246. Dieser „bestimmte Fall" spielt bei den sonst grundsätzlichen Überlegungen und Forderungen des hl. Thomas eine große Rolle. So heißt es bereits im Artikel vorher ganz grundsätzlich: „Da die Zuneigung der Gottesliebe sich auf alle erstreckt, m u ß sieh auch das Wohltun auf alle erstrecken, f r e i l i c h n a c h O r t u n d Z e i t , d e n n a l l e Akte der Tugenden sind nach den gegebenen Ums t ä n d e n z u b e s t i m m e n . " I n Zu 1 desselben Artikels wird dieser Grundsatz sofort angewandt: „Die Gottesliebe verlangt, daß der M e n s c h . . .bereit ist, jedem wohlzutun, w e n n d i e Z e i t d a z u d a i s t . " E b e n d a Zu 3: Selbst „den Exkommunizierten und den S t a a t s f e i n d e n . . . m ü ß t e m a n helfen, w e n n d i e N o t d r ä n g t , . . . daß sie nicht durch Hunger und Durst zugrunde gehen . . . " D a n n wieder hier im Artikel Schluß der Antwort: „Doch k a n n das wechseln n a c h d e r Verschiedenheit der Orte und Zeiten und Sachen." Und d a n n k o m m t „der bestimmte Fall", der schon in Zu 1 wieder zum Vorschein k o m m t . Weiter heißt es dort ausdrücklich: „ E s l ä ß t s i c h n i c h t m i t e i n e r allgemeinen R e g e l f e s t l e g e n , wem m a n helfen soll, weil es eben die verschiedenen Grade sowohl der Bedürftigkeit wie der (verwandtschaftlichen oder freundschaftlichen) Verbundenheit gibt." Dieselbe Wendung kehrt in Zu 3 zweimal wieder! Ebenso begründet „die äußerste N o t " in Zu 4 noch einmal eine Ausnahme. Das Anliegen von M a x M ü l l e r (Existenzphilosophie im geistigen Leben der Gegenwart. Heidelberg 19582, 27), daß wir im Nächsten kein A b s t r a k t u m sehen dürfen, sondern „eine geschichtliche Kategorie", ist also von Thomas voll gewahrt; u n d die Bedenken, die Müller gegen die spekulative Moral anmeldet, sind damit, jedenfalls was Thomas angeht, gegenstandslos. Auch was Müller (ebd.) m e i n t : „Sowohl das Schema der Anlagen (der subjektiven Potenzen [Müller]) als auch die Hierarchie der Ordnung (der objektiven Ziele [Müller]) ist geschiehtslos" — s t i m m t zumindest f ü r den ersten Teil, die „subjektiven Potenzen", bei Thomas nicht. Schon I 83, 1 Zu 5 (Bd. 6) verweist er darauf, daß die körperliche Verfassung „durch jedwede Einwirkung körperlicher [Umwelt-]Ursachen eine ganz bestimmte Zusammensetzung und eine ganz bestimmte Veranlagung h a t . . . " U n d „wie ein jeder der körperlichen Verfassung nach beschaffen ist, so erscheint ihm auch das Ziel, denn auf Grund dieser (seiner bestimmten individuellen) Anlage neigt der Mensch dazu, etwas zu wählen oder zu verschmähen". I m wesentlichen dasselbe sagt er I 96, 3: Bd. 7; T-II 9, 2 Antw. u. Zu 2; 5 Zu

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3 ; 17, 7 : B d . 9 ; 51, 1; 63, 1 Antw. u. Zu 3 ; 6 4 , 2 ; 6 5 , 4 Zu 2; 66, 1 Antw. u. Zu 3 ; Art. 2 Antw. u. Zu 2 : B d . 11; Mal 16, 2. Schließlich: Wie nach Thomas Seele und Leib des Einzelmenschen ganz einmalig (also geschichtlich!) metaphysisch aufeinander abgestimmt sind, so daß es für Thomas unmöglich ist, daß die Seele des einen Menschen den Leib des anderen beseele, wurde schon Anm. [37] hervorgehoben. [86a] Zu S. 250. Mt 5, 44 enthält nach den älteren Hss. nur den ersten Teil. Der zweite Teil ist in jüngeren Hss. und Yulg. aus L k 6, 27 ergänzt. E r bildet dort eine steigernde Parallelaussage — eine beliebte hebräische Stilform — , somit also kein „getrenntes" Gebot. [87] Zu S. 255. Hier ist freilich, wie S y l v i u s zur Stelle bemerkt, nicht das subjektive Motiv des Handelnden gemeint, das tausendfach variieren kann, sondern das objektive Motiv, das in der Natur der Handlung liegt. So ist Gehorchen ein Akt des Gehorsams, Rückgabe des Gestohlenen ein Akt der Gerechtigkeit, Almosengeben, von der äußeren Handlung her gesehen, ein Akt der Barmherzigkeit, mögen auch im Handelnden ganz andere, „subjektive" Motive mitspielen. Vgl. Anm. [21] u. [80], [88] Zu S. 255. Das griechische tke.i)ßoovv)i steht im Neuen Testament „nur im Sinne von Wohltätigkeit, und zwar ist wohl stets Wohltätigkeit an Armen, also Almosen gemeint: M t 6 , 2 — 4 ; L k 1 1 , 4 1 ; 1 2 , 3 3 ; Apg 3, 2 f. 10; 9 , 3 6 ; 1 0 , 2 . 4 . 31; 2 4 , 1 7 " (ThW I I 483). Dieses ¿/.e/>/tooimj wird abgeleitet von ¿At,,ß ¿3 ( E t h . Nie. 2, 1). E s handelt sich um zwei einander symmetrisch zugeordnete Gegensatzpaare. conservatio habitus . . . non requirit continuitatem actus W e n n Freunde getrennt sind, so betätigen sie ihre Freundschaft nicht, behalten aber den entsprechenden H a b i t u s ll57b8 ( E t h . Nie. 8, 6). 25, 1 resp. h a b i t u s . . . d i v e r s i f i c a n t u r . . . e x h o c , q u o d v a r i a ( n ) t speciem actus Abweichend von der Sicht des Aristoteles ist hier auch von demjenigen H a b i t u s die R e d e , der dem A k t ursächlich vorhergeht. E r ist Seinsgrund des Aktes, dieser aber sein Erkenntnisgrund. Mit diesem Ansatz geht T h o m a s über das genetische 11031)21 Prinzip der Nikomachischen E t h i k ( 2 , 1 ) : „Aus gleichen Akten entsteht der H a b i t u s " und über die Metaphysik hinaus, indem er grundsätzlich l e h r t : S p e c i e s a c t u s e x o b j e c t o s u m i t u r . E i n e solche Spezifizierung würde Aristoteles nicht

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als Wesensbestimmung anerkennen, da er nur in induktivem Verfahren die Verhältnisse des Aktes zur Potenz vergleicht und die klassische, deduktive Bestimmungsweise aus der übergeordneten Gattung als unausführbar ablehnt (Metaph. 9, 6). 1048 a 35 h o n o r . . . d e f e r t u r a l i c u i i n t e s t i m o n i u m p r o p r i a e ad 2 virtutis „Die E h r e ist der Preis der Tugend, und den Guten wird sie zuteil" ( E t h . Nie. 4, 7). ll23l>35 25, 2 quia hujusmodi reamare non possunt .'{. Von der Freundschaft sagt die Nikomachische E t h i k aller- 1155 b 28.33 dings an der von Thomas zitierten Stelle, daß sie auf Gegenseitigkeit beruhe; doch hebt sie an späterer Stelle (8, 9) auch Il59a27 hervor, daß das Eigentliche der Freundesliebe das Schenken und nicht das Empfangen sei. a m i c i t i a ad eum h a b e t u r cui b o n u m v o l u m u s resp. Definition der Freundschaft aus der Nikomachischen E t h i k (8, 2). So schon 23, 1 resp. 1156a 3 25, 3 non possum bonum velle c r e a t u r a e irrationali resp. E s ist bezeichnend, daß Thomas seine Liebeslehre weitgehend auf die des Aristoteles von der Freundschaft stützt, dagegen dessen Ansätze zu einer Liebeslehre oft geflissentlich übergeht: „Liebe ( 26, 12 Primo quidem. . . resp. „Der Dichter liebt seine eigenen Werke übertrieben, gleichsam als seine Kinder. I h m gleicht der Wohltäter; der Empfänger der Wohltat ist gleichsam sein Geschöpf" (Eth. Nie. 9, 7). ii68a l „Der Grund ist der, daß das Dasein einem jeglichen begehrenswert und lieb ist. Wir sind aber in Wirksamkeit durch Leben und Handeln." a5 Secundo, quia. . . „Zugleich freut sich der Wohltäter an dem, der das Gefäß seiner guten Handlung ist; dem Empfänger dagegen. . . entspringt nur der Gewinn, der weniger angenehm und liebenswert i s t " (Eth. Nie. 9, 7). „Süß ist die Wirklichkeit der Gegen- a9 wart, die Hoffnung der Zukunft, die Erinnerung der Vergangenheit; das Süßeste aber ist im Bereich der Gegenwart. . . Dem Wohltäter nun bleibt sein W e r k . . ., dem Empfänger dagegen zerrinnt sein Gewinn." „Auch die Erinnerung schöner n e s a i s Taten ist süß, weniger die gehabten Gewinnes." a 17 Tertio, quia. . . „Und das Lieben gleicht dem Tun, das Geliebtwerden dem Leiden" (Eth. Nie. 9, 7). a 19 Quarto, quia. . . „Schließlich liebt jedermann mehr das, was ihm mühsam geworden ist. . . E s scheint aber das Empfangen von Wohltaten mühelos, das Erweisen mühevoll zu sein" (Eth. Nie. 9, 7). a 21 Q u o d e s t e x se p o t i u s e s t e o q u o d e s t p e r a l i u d Wiederholung des Axioms aus 23, 6 resp.

ad 1

p a r e n t e s p l u s d i l i g u n t f i l i o s , q u a m a b e i s d i l i - ad 3 gantur Die Nikomachische E t h i k (8, 14) zieht die so naheliegende 1161 b 18 Folgerung nicht ausdrücklich, obgleich ihr Gedankengang auf sie hinzielt.

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27,1 2. Q u o d i n p l u r i b u s i n v e n i t u r , v i d e t u r magis conveniens naturae I n d u k t i v e Unterbauung des in der 1. Objektion 24, 2 verwendeten Naturaxioms. Als solche nur bedingt gültig (videtur). I n der P h y s i k k o m m t das Axiom in umgekehrter B e t r a c h tungsweise m i t der entsprechenden Einschränkung v o r : „Alles der N a t u r Gemäße wird sich immer oder in den meisten 1981) 35 F ä l l e n so v e r h a l t e n " ( 2 , 8 ) . 3.

propter quod unumquodque, illud magis Wieder das schon von der Zweiten Analytik m i t dem Liebesverhältnis in Beziehung gesetzte Axiom (vgl. zu den beiden s. c. von 26, 2 u. 3).

resp.

h a b e t i n c l i n a t i o n e m ad p r o p r i u m a c t u m Die inclinatio ad a c t u m gehört wesentlich zur Tugend. Von einem „natürlichen Drang, der alle, auch die unvernünftige K r e a t u r dem Schönen (Guten) z u t r e i b t " , reden m i t besonderer 11991) 3« Anschaulichkeit die Magna moralia (2, 3). Vgl. Anm. [64] S. 370. m a g i s c o n v e n i t u n i c u i q u e , q u o d c o n v e n i t ei p e r se et substantialiter. . . Hier ist nicht v o m „an sich" Seienden die R e d e — im Unterschied zum bloß akzidentell Seienden (vgl. z u 23, 3 ad 3) — , sondern von den „an sich zukommenden" (convenit) Merkmalen, die den Wesensbegriff bilden. Der klassische T e x t steht 1029b 13 im „Substanzbuch" Metaph. 7, 4 : „Das Wesenswas ist jedem Ding (i'xüot(:>: corr. Bonitz) dasjenige, das ihm a n sich beigelegt wird." ad 2 q u i l i b e t a c t u s v i r t u t i s e s t b o n u m v i r t u t i s illius Das sittlich Gute (y.a/.öv) ist „Ziel der T u g e n d " ( E t h . Nie. 3, l l l 5 b 12 10). W ä h r e n d bei den sittlichen Tugenden das jeweils vorgegebene „ G u t " seinerseits den Tugendakt bestimmt und damit auch seine Möglichkeiten begrenzt, ist der a u f G o t t , das universale Gut, gerichtete A k t der heiligen Liebe selbst ein unvergleichliches Gut von universalen Möglichkeiten. Somit gilt der allgemeine Grundsatz für die heilige Liebe in ausgezeichneter Weise. 27, 2 2. C u j u s e s t h a b i t u s , e j u s e s t a c t u s E s handelt sich um den H a b i t u s nicht als Endzustand 1103b 21 ( E t h . Nie. 2, 1), vielmehr als Ausgangszustand, Seinsgrundlage der Tugend. 3.

D e r dritte T e x t , der nach ausdrücklichem Hinweis a u f die Nikomachische E t h i k (9, 4) diese im Zusammenhang ausschreibt : 1166a3 quorum primum est quod... a4 secundum est q u o d . . . ao tertium est q u o d . . .

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quartum est quod. . . >7 quintum est quod. . . I m vorliegenden keine bemerkenswerte Umstellung, wie bei der resp. zu 26, 9, die die Selbstliebe zum konstruktiven Prinzip der Elternliebe macht. Auch keine bedeutsame Abweichung im Stil, wie bei der resp. zu 26, 12, wo dem hohen erdgebundenen Pathos des Aristoteles gegenüber, bei engster gedanklicher Anlehnung, die völlige Gelöstheit des Heiligen von den Fragen irdischer Selbstverwirklichung rein hervortritt. Wir verzichten deshalb darauf, die Vorlage im Wortlaut zu geben. benevolentia interdum oritur ex repentino. . . resp. „Das Wohlwollen kann plötzlich hervortreten; so für einen Wettkämpfer, dem man den Preis wünscht, ohne doch mit ihm mitwirken zu wollen" (Eth. Nie. 9 , 5 ) . Das fanatische Anfeu- ll66b35 erungsgebrüll scheint also noch nicht zu seiner zielbewußten Vollendung gebracht gewesen zu sein. 27, 3 E s t autem quadruplex genus causae resp. „Auf eine Weise wird Ursache dasjenige genannt, aus dem als dem darin Vorhandenen etwas entsteht" — c a u s a mat e r i a l i s ; „auf eine andere Weise die Form und das Urbild" — c a u s a f o r m a l i s ; „ferner, woher der Anfang der Veränderung s t a m m t " — c a u s a e f f i c i e n s ; „ferner wie das Ziel, dieses ist das Um-dessentwillen" — c a u s a f i n a l i s (Phys. 2, 3). 194 b 23 materialis dispositio . . . non est causa simpliciter, sed s e c u n d u m quid „Habitus und Disposition zählen wir zu den Relationen" (Categor. 8). iia22 27, 4 Q u i n o n p o t e s t q u o d m i n u s e s t , n o n p o t e s t q u o d 2. majus est Umkehrung des in 24, 6 arg. 1 verwendeten Grundsatzes. Sie ist sachlich und logisch gerechtfertigt: conversio per contrapositionem. q u o a d n o s . . . p r i u s s u n t c o g n o s c i b i l i a q u a e s u n t resp. sensui propinquiora „Für uns ist früher und erkennbarer das der Sinnlichkeit Näherliegende" (Anal. post. 1, 2; vgl. zu 26, 3 arg. 2). 72a l 27, 6 mensura . . . est ratio 3. Thomas arbeitet den rationalen Grundzug der Nikomachischen E t h i k schärfer heraus. Dort wird der Tugendhafte (der persönliche Träger des durch Vernunft bestimmten Wahlvermögens), „der in jedem Fall das Wahre sieht, das Maß und die Richtschnur" genannt (3, 6). Ill3a3ü

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resp. in m e n s u r a t i s i n v e n i t u r m e n s u r a s e c u n d u m a l i u d „Das Meßbare... wird relativ genannt, weil ein anderes 102] a 29 (das Maß) zu ihm in Beziehung gesetzt wird" (Metaph. 5, 15). n o n e n i m m e d i e u s i m p o n i t a l i q u e m t e r m i n u m sanitati „Die Heilkunst ist auf unbegrenztes Heilen a u s . . . , denn sie 1257 b 25 will es so vollständig wie möglieh tun" (Polit. 1, 9). sed m e d i c i n a e i m p o n i t t e r m i n u m „Die Mittel aber zum Ziele gehen nicht ins Unbegrenzte: 1257b 27 denn in allen Fällen ist das Ziel die Grenze" (Polit. 1, 9). ad 1 q u o d e s t p e r se p o t i u s Vgl. zu 23, 6 resp.

e s t eo q u o d e s t per

aliud

27, 7

s. c. m e l i u s e s t d i l i g e r e m e l i o r e m „Vollkommen ist die Freundschaft guter, an Tugend einU56b 7 ander ebenbürtiger Menschen" (Etil. Nie. 8, 4). resp. u n d e e t e j u s o p p o s i t u m e s t d e t e r i u s Das entspricht dem Grundsatz des konträren Gegensatzes, der in jeder Gattung von den Extremen gebildet wird (vgl. zu 24, 10 arg. 1). 27, 8

s. c. p r o p t e r q u o d u n u m q u o d q u e , i l l u d m a g i s Zum dritten Male das weittragende Axiom aus der Zweiten Analytik (vgl. zu 26, 2 s. e.; 26, 3 s. c.; 27, 1 arg. 3).

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KOMME

NTAK

ZUR

EINFÜHRUNG

Bei der übernatürlichen Tugend der Gottesliebe handelt Einf. es sich nicht um ein psychologisches, auch nicht um ein im gewöhnlichen Sinne religiöses, sondern um ein streng theologisches Problem, und zwar auf einer Ebene, die dem natürlichen Denken des Menschen nicht mehr zugänglich ist. Doch ist das nicht so aufzufassen, als ob Natur und Übernatur beziehungslos einander gegenüberstünden. Nach der Lehre der Kirche gehen diese beiden Bereiche menschlichen und menschlich-göttlichen Lebens vielmehr eine innere Verbindung ein; denn die Gnade baut das übernatürliche Leben nicht ins Leere, sondern in die Natur hinein und erfaßt diese Natur gerade in ihren Wurzelkräften, um sie selbst zu einem sie transzendierenden höheren Leben zu befähigen. Natur und Übernatur — sagen wir konkreter: Natur und Gnade — gehen also eine geheimnisvolle, v o n G o t t , n i c h t vom Menschen gewirkte Verbindung ein. „Es ist aber nicht Gottes Art, Natur, die Er Selbst geschaffen, zu verderben", so betont Thomas immer wieder.1 Natur hört daher unter der Gnade nicht auf, Natur zu sein. Verstand bleibt Verstand, Wille bleibt Wille. Die metaphysische Ordnung der Wesenheiten wird nicht angetastet. 2 x 2 bleibt 4 auch für den gläubigen Menschen, der in und aus der Gnade lebt. Die Gesetze des Erkennens, die Ursätze des Denkens bleiben dieselben. Wie könnten wir sonst eine Theologie aufbauen, die doch mit den Mitteln und Begriffen des natürlichen Denkens — einfach deshalb, weil uns keine anderen zur Verfügung stehen — die über-natürlichen Wahrheiten und Wirklichkeiten in ihrem von Gott gemeinten Sinne zu erfassen sucnt, wenn auch das Gemeinte, selbst für den genialsten Denker und Theologen, in seiner konkreten Wirklichkeit als des unendlichen Gottes Wesen imd Werk i m m e r G e h e i m n i s bleibt. So bleibt auch das gnadenhafte In-einander von Gottes Geist und Menschengeist, wie es sich in der Gottesliebe vollzieht, ein Geheimnis, undurchdringlich noch für den, der vom Strom der Liebe Gottes getragen und durchflutet wird. Überall, wo Gottes Wirken in Seiner Welt, sei es in Natur oder Geisteswelt, in Natur oder Übernatur, in Frage steht, stehen wir vor dem Geheimnis. Gott bleibt hier für uns auf Erden der, „der in unzugänglichem Lichte wohnt" (1 Tim 6, 16). Selbst wenn Christus dem, der Ihn liebt, vorspricht, Er werde Sich ihm „offenbaren" (Jo 14, 21), so ist auch mit dieser Offenbarung', solange wir sie nicht von der Schau der Seligkeit verstehen, das Gott-Geheimnis nicht aufgehoben. Thomas selbst wird nicht müde, diesen Geheimnischarakter Gottes und alles göttlichen Wirkens zu betonen. „ I n diesem Leben können wir Gott nicht vollkommen erkennen, so daß wir von Ihm wüßten, was Er i s t ; wir können aber von Ihm erkennen, was Er n i c h t ist, wie A u g u s t i n u s sagt; und g e r a d e d a r i n 1 Vgl. 122, i Anders. : Bd. 2; 48,2 Zu 3: Bd. 4; 1-1110,4 Anlw. u. Zu 1. 2: Bd. 9; 113,3: Bd. 14; 1114,1 Zu 3: Bd. 25; Pot 5, 4.

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Einf. l i e g t d i e V o l l k o m m e n h e i t d e r G o t t e s e r k e n n t n i s d e s W e g e s " , d. h. unserer irdischen Pilgerschaft (Car 10 Zu Anderseits 2). Je stärker wir also Gott abheben von allen uns geläufigen Werten und Wirklichkeiten, um so vollkommener ist unsere irdische Gotteserkenntnis. Das nennt man in der theologischen Fachsprache „negative Theologie", eine Theologie, die keinen Augenblick vergißt, daß unserem Erkennen allem Göttlichen gegenüber unübersteigbare Schranken gesetzt sind. 1 Diese unsere Situation fordert erst recht große Behutsamkeit und unsere ganze Ehrfurcht, wenn wir nun an die Behandlung dessen herantreten, was schon unter Menschen als das Heiligste und Zarteste, weil Intimste erfahren wird, was sich aber dem wissenschaftlichen Zugriff, selbst des Theologen, völlig zu entziehen scheint, sobald wir das, was wir ,Liebe' nennen, auf den Verkehr Gottes mit den Menschen zu übertragen versuchen. Trotz dieser scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten, das Problem der natürlichen, erst recht der übernatürlichen Liebe gedanklich zu fassen, haben Philosophie und Theologie sich immer wieder bemüht, diesem tiefsten Geheimnis Gottes und des Menschen auf die Spur zu kommen. Es wäre vergebliche Mühe, in dem uns zugewiesenen knappen Raum die Geschichte des Problems auch nur in groben Umrissen anzudeuten. W i r beschränken uns deshalb in diesem Thomas-Kommentar — im Unterschied zu anderen Kommentaren, die fast nur das Geschichtliche zur Darstellung bringen — darauf, d a s einigermaßen sichtbar zu machen, was Thomas zur Lösung des Problems beigetragen hat. Anderseits beschränken wir uns nun wieder nicht auf die vorliegenden Fragen mit ihren 142 Artikeln, sondern versuchen, die Liebestheorie des hl. Thomas aus einer möglichst umfassenden Gesamtschau seiner Theologie und deren letzten Grundlagen zu erhellen. W i e bereits M o r g o t t 2 mit Recht hervorgehoben hat, ist schon das Problem der natürlichen Liebe nicht ein solches der Psycnologie, sondern der Metaphysik. Daher werden wir zurückgreifen müssen auf die Seinslehre des hl. Thomas, auf das Verhältnis von Sein und Gutsein, wie er es sieht, auf seinen Begriff von Natur, vor allem in bezug auf die Natur des Menschen; in unsere Untersuchung spielen hinein die fünf großen Untersuchungen zu Anfang des zweiten Buches der Summa über das letzte Ziel, z. T . die Untersuchungen über den Aufbau und den sittlichen Charakter der menschlichen Handlungen, die Untersuchungen über die Leidenschaften, im besonderen über die Liebe als Grundkraft alles menschlichen Lebens; ferner der Traktat über die Tugenden; weiter die Untersuchungen über Gnade, Rechtfertigung und Verdienst, über das Wesen der Vollkommenheit und deren Ziel: die ewige Seligkeit; 1 Darüber ist in Bd. 14 u. 15 das Nötige gesagt worden. Vgl. besonders Bd. 15, S. 460ff.; auch J. P i e p e r , Philosophia negativa. München o. J. (1953); K. G a r r i g o u - L a g r a n g e , O. P., Der Sinn für das Geheimnis und das Hell-Dunkel des Geistes. Paderborn 1937. s F. M o r g o t t , Die Theorie der Gefühle im System des hl. Thomas. Eichstätt 1869, 37.

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dazu die Untersuchungen über N a t u r u n d Gegenstand der Liebe Einf. Gottes zu den Geschöpfen u n d schließlich die über die Sendung der göttlichen Personen. 1 Nicht nur die Tugendlehre, sondern die gesamte christliche Sittenlehre des hl. Thomas — u n d gerade sie ist das Herzstück seiner Theologie — kulminiert im geheimnisvollen Vollzug der übernatürlichen Gottesliebe. U n d doch ist diese wiederum nichts anderes als die letzte Erfüllung des in der N a t u r des Menschen angelegten Liebesdranges. So hoch der Bau der thomasischen Sittenlehre aufsteigen m a g in die Regionen des Göttlichen, so tief sind seine F u n d a m e n t e verankert in den Gründen u n d Abgründen der menschlichen N a t u r . Die Klammer aber, die alles natürliche u n d übernatürliche Leben u n d Streben zu dieser wunderbaren Einheit zusammenschließt, diese Klammer heißt ,Liebe'. Wer das Gesamtwerk des hl. Thomas einigermaßen überschaut, k a n n in der oben ausgesprochenen Behauptung von der dominierenden Stellung des Liebesgedankens innerhalb seines Gesamtwerkes keine ungebührliche Übertreibung sehen. Wie die Sittenlehre des hl. Thomas in seiner Seinslehre gründet — natürliche E t h i k wie christliche Moraltheologie in der gemeinsamen Basis der Ontologie —, so die übernatürliche Liebeslehre in der natürlichen. Bevor wir also die Frage nach der übernatürlichen Gottesliebe stellen können, sind jene Begriffe zu klären, die das F u n d a m e n t der Liebeslehre bilden: Sein u n d Gut-sein, N a t u r u n d Ü b e r n a t u r — beide Begriffspaare in ihrer Anwendung auf Gott u n d den Menschen. Dabei beschränken wir uns darauf, einige Fundamentalsätze, d. h. Sätze, die in Wahrheit als F u n d a m e n t des ganzen Baues zu gelten haben, anzuführen u n d in ihrem Sinnzusammenhang kurz darzustellen. § 1. Sein und Gut-sein Gleich im ersten Artikel unseres T r a k t a t e s bestimmt Tho- Einf. § 1 mas ,lieben* als v e l l e b o n u m a l i c u i — „ j e m a n d e m G u t e s w o l l e n " . Wie er das versteht, h a t er schon I 20, 2 (Bd. 2) näher dargelegt: „Die Gutheit [des Freundes] r u f t in uns die Liebe hervor, mit der wir ihm wünschen (velimus), daß das Gute, das er besitzt, ihm verbleibe, u n d daß er das, was er noch nicht h a t , erlangen möge." Also ist die Liebe zunächst nur das schlichte, neidlose J a zur Gutheit des Freundes: Wir wollen, daß er das Gute, das er h a t , behalte, u n d freuen uns darüber. E s genügt demnach zunächst dieses schlichte „Wollen" des Guten im Freunde. D a n n fügt Thomas allerdings bei: „. . .und dazu helfen wir m i t " , nämlich, daß ihm das Gute, das er h a t , bewahrt bleibe u n d daß er das, was er noch nicht h a t , erwerbe (vgl. I - I I 28, 2 Schluß d. Antw.: Bd. 10). D a ß wir in der Bes t i m m u n g : „lieben heißt jemandem Gutes wollen" einen F u n damentalsatz seiner E t h i k vor uns haben, beweist die unbeirrte Sicherheit u n d Beharrlichkeit, mit der Thomas diesen Satz, 1 Allein unter den ca. 3000 Artikeln der Summa sind es weit liber 600 Artikel, in denen das Thema der Liebe und seine Voraussetzungen eine entscheidende Rolle spielen.

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Einf. § 1 wo immer von Liebe die Rede ist, wiederholt. 1 Der Satz gewinnt damit die W ü r d e eines Axioms. Wichtig ist dabei, daß Thomas sogar die Mitteilung der göttlichen N a t u r vom Vater a n den Sohn (In J o 15 lect. 2) und auch die Liebe Gottes zu den Geschöpfen u n d speziell zum Menschen definiert als: ihnen Gutes wollen (3 d 32: Art. 2). So erhält diese Bestimmung den Charakter des Absoluten. I s t das gerechtfertigt? Eine der a m meisten angefochtenen, weil gründlich mißverstandenen oder ü b e r h a u p t nicht verstandenen u n d doch für Thomas entscheidenden, f ü r seine Seins- wie seine Sittenlehre (und die Verbindung der beiden) grundlegenden Thesen h e i ß t : „Die Verfaßtheit der Dinge im Guten ist dieselbe wie die im Sein" ( I - I I 18, 4: B d . 9). 2 ,Gut' gehört also zu den Transzendentalbegriffen, d. h. jenen allerallgemeinsten Auszeichnungen des Seienden, die d a weit u n d tief sind wie das Sein selbst, deren Geltungsbereich also mit dem des Seins zusammenfällt. 3 Kein Wunder, wenn es in alle Bereiche des Seins, bis in dessen letzte Winkel hineinspielt, uferlos u n d doch nicht ohne Ordnimg; denn wo die Ordnung a u f h ö r t , hört auch das Gut-sein a u f : Unordnung k a n n niemals ,gut' heißen. 4 J a , die Ordnung liegt als E i n h e i t des Seienden, sei sie Struktur- oder Wirkungseinheit, begrifflich noch vor d e m Gut-sein als dessen Voraussetzung u n d F u n d a m e n t (I 103, 3; Bd. 8; vgl. Div N o m 4, 9: B o n u m enim et u n u m in idem concurrunt, u t Boethius probat in libro De Consolatione). E s ist daher schwer zu verstehen, wie m a n Thomas auf der einen Seite diesen universalen Seinsoptimismus, der .seiend' mit ,gut' gleichsetzt, als fundamentalen I r r t u m anmerken u n d auf der anderen Seite ihn in einem Atemzug als Intellektualisten oder gar Rationalisten verdächtigen kann, als habe weder das Gute noch das eigentliche Geheimnis in seiner Gedankenwelt einen Platz. Wir können diesen selben Sachverhalt auch in die in den Schulen gebräuchliche Formel fassen: das Seiende u n d das Gute sind vertau3chbar, d. h. alles Seiende, s o w e i t e s s e i e n d i s t , ist auch ein Gutes, u n d alles Gute ist auch ein Seiendes (I 5, 1 u. 3: Bd. 1; 20, 2: Bd. 2; 49, 3: Bd. 4; CG I I 41 § 5). 1 Vgl. 25, 2. 3; 26, 6 E. 3; 27, 2 E. 1 u. Zu 1; 31,1; 44, 7: Bd. 1 7 B ; 59, 4: Bd. 18. Ferner: 1 20,1 Zu 3; 2 Äntw. u. Zu 1 u. S; 3 Äntw.\ 4 Anlw.-, 23, 3 Zu 1; 4 Anlw.-. Bd. 2; 38,2: Bd. 3; 59,4 Zu 2; 60,3; 4 Zu 2: Bd 4; 1-1126,4 Anlw. u. Z u l ; 27, 3; 28,1 u. 2; 29, 4; 46, 2: Bd. 10; 77, 4; 5 Antw.- 84, 2 Zu 3: Bd. 12; 110, 1.2: Bd. 14; CG 1 91§ 1.2. 3. 9; 96§ 1. 2. 6; I I I 90§ 5; 95§4; 150§2; 153§ 1; I V 2 1 § 7 (proprium [I] amicitiae ponitur velle et facere bonum amico); Car 2 Zu 6; 7 Antw. u. Zu 1; 8 E. 10; ebd. Zu 16; 9 Zu 8; ebd. E. 10 u. Zu 10; In J o 15 lect. 2; Div Nom 4,9. Die ganze Theorie der Freundschaft basiert auf diesem Liebesbegriff: Eth nr. 1558 ff., 1563f., 1600,1604,1852,1858. (Zur Paragraphenzählung der Summa contra Gentiles und zur Zitationsweise des Kommentars zur Nik. Ethik des Aristoteles vgl. Anm. [58] S. 367" und Anm. [3] S. 3371). Mit diesen Angaben ist durchaus kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. 3 Dasselbe gilt in bezug auf das Wahr-sein (Car 9 Zu 1). 9 Ja, da die materia prima als bloße Wesensgrundlage in gewissem Sinne noch außerhalb des aktuell Seienden liegt, weil sie von sich aus gar kein Sein besitzt, aber doch auf das Sein, also auf das Gute hingeordnet ist, kann sie nach Thomas noch ,gut* heißen, so daß für ihn ,.der Bereich des Guten in gewissem Sinne noch über den Bereich des Seienden hinausliegt" — bonum quodammodo amplioris est ambitus quam ens (CG I I I 20 §5). ' Vgl. Eöm. 13,1: „Was von Gott kommt, ist geordnet"; dazu 11-11125,1: Bd. 21; 1114,1 Zu 4: Bd. 25; 42,1: Bd. 27; C G I I I 1 4 0 § 4 .

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Das Zweite leuchtet unmittelbar ein; doch der erste Satz be- Einf. § 1 reitet dem Verständnis zunächst große Schwierigkeiten. Selbst mit der beigefügten Einschränkung will uns die Wahrheit des Satzes nicht unmittelbar evident werden. U n d doch stoßen wir gerade mit diesem Satz — in Verbindung mit dem anderen, daß auch ,wahr' f ü r .seiend' stehen k a n n (I 16, 3: Bd. 2) — auf die tiefste N a t u r des Seins selbst. § 2. Der ,gute'' Gott D a s Sein in seiner unendlichen Fülle u n d seiner lautersten Einf. § 2 Ausprägung ist Gott Selbst. E r nennt Selbst Sich den „Seienden". 1 W e n n also die thomasische These, daß im Konkretseienden ,gut' f ü r »seiend* u n d ,seiend' f ü r ,gut' stehen kann, allgemeine Geltung besitzt, d a n n m u ß das f ü r Gott in einem absoluten, uneingeschränkten Sinne zutreffen (CG I 72 § 3). I n der T a t ist Gott f ü r Thomas das „wesenhafte G u t " (bonum per essentiam: I 6, 2 Zu 2; 6, 4: Bd. 1; 19, 1 Zu 3; 20, 1 Zu 3: Bd. 2). — „Gott a l l e i n ist gut durch Sein Wesen" (184, 2: Bd. 24; I 6, 3: Bd. 1; CG I 38). — E r ist das „allumfassende G u t " (bonum universale: I 59, 2; 60, 5 Antw. u. Zu 4: Bd. 4). J a , E r ist „das allumfassende Gut schlechthin" (bonum universale simpliciter: ebd. Zu 1 u. 3). — E r ist das „allgemeinsame Gut aller Wesen" (bonum commune o m n i u m : ebd. Zu 5). — E r ist das „allgemeinsame Gut des gesamten Universums" (bonum commune totius universi: I - I I 19, 10: Bd. 9; 109, 3: Bd. 14; I I I 46, 2 Zu 3: Bd. 28). — E r ist das s u m m u m bonum, der unerreichte u n d unerreichbare „Gipfel der Gutheit" ( I - I I 19, 10: Bd. 9; 34, 3: Bd. 10; CG I 41). — E r ist der „allumfassende [unerschöpfliche] Born alles G u t e n " (universalis fons totius boni: I - I I 2, 8 Zu 1; 3, 3 Zu 2; summus fons b o n o r u m : 4, 7 Zu 2: Bd. 9; fons totius bonitatis: CG I I 2 § 3; b o n u m omnis boni: I 6, 4 E . 1: Bd. 1; I - I I 5, 2 Zu 3; vgl. 5, 4 Antw.: Bd. 9; CG I 40). — E r ist „der erste Ursprung der Gutheit" (prima origo bonitatis: I 21, 3: Bd. 2; ähnlich Car 7 Zu 3). — „Die göttliche Gutheit ist erster Ursprung als Urbild, Ursache u n d Endziel der gesamten [in der Schöpfung verwirklichten] Gutheit" (I 6, 4 : Bd. 1). — „Gott wird das Gut-sein in dem Sinne zugeschrieben, d a ß von I h m alle Vollkommenheiten, die nur irgendwie Gegenstand des Verlangens sein können, hervorfließen als a u s der Erst-Ursache. . . D a n u n das Gute in Gott wie in der ersten, [dem Verursachten] völlig ungleichartigen Ursache aller Wesen d a ist, so m u ß es sich in I h m in einer unausdenkbar hohen Weise finden" (I 6, 2: Antw.: Bd. 1; CG I 28 § 4—-6). —• „Er h a t das allumfassende Sein u n d das allumfassende Gutsein in Sich Selbst" (I 59, 2: Bd. 4). — „Das allumfassende Gut ist Gott, u n d unter diesem Gut ist auch der Engel u n d auch der Mensch begriffen, denn jegliches Geschöpf ist nach allem, was es ist, Gottes" (I 60, 5 Antw. ebd.). — Gott ist das echt „unendliche G u t " (Car 1 E . 20). — Schließlich zusammenfassend: „Das Wesen Gottes ist das Wesen der Gutheit selbst" (essentia [vel n a t u r a ] Dei est ipsa essentia boni1

Vgl. Ex 3, ISf.; Ps 68 (67), 5 (nach dem Hebräischen); dazu 113,11 (Bd. !)•

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Einf. § 2 t a t i s : 24, 11; I 19, 1 Zu 1 u. 3: Bd. 2; 62, 8 Antw. u. Zu 2: Bd. 4 ; I I I 20, 1: Bd. 26; Car 12 Antw.). Die Heiligkeit Gottes aber ist nach Thomas nichts anderes als „die Lauterkeit der göttlichen Gutheit" (puritas bonitatis: I 36, 1 Zu 1: Bd. 3). Die Gutheit Gottes ist also keine .Eigenschaft' neben anderen Eigenschaften Gottes, sondern ist der K e r n aller Eigenschaften, ist die unendliche Fülle alles dessen, was an Vollkommenheiten von Gott ausgesagt werden m u ß , angefangen von der absoluten Einfachheit Seines Wesens, das zusammenfällt mit Seinem Da3ein u n d Seinem unendlich starken Leben, über Seine unendliche Weisheit, Seine Heiligkeit, Seine Allmacht, Seine Allgegenwart, Seine Ewigkeit, Seine absolute Treue u n d Unwandelbarkeit, Seine Vorsehving, Seine L a n g m u t — bis hin zu Seiner Gerechtigkeit, die nach Thomas nur eine F u n k t i o n Seiner Barmherzigkeit ist, „die Schicklichkeit Seiner Güte". 1 Der unendlichen Seinsmächtigkeit Gottes wohnt also nach Thomas eine ebenso unendliche K r a f t des Guten inne, ja, ist mit ihr identisch. Alles das ist beschlossen in der schlichten Aussage: „Gott ist g u t . " J a , nur „Einer ist g u t : Gott", wie Christus Selbst bezeugt (Mt 19, 17).2 Gott ist also nicht die kalte Majestät, als die E r im Bewußtsein vieler Menschen, selbst vieler gläubiger Christen steht, die n u r aus der F u r c h t vor Gott leben — wie vielfach die Gläubigen des Alten Bundes—, sondern E r ist Seinem ganzen Wesen nach nichts als Gutheit. D a s Gute ist n u n notwendig Gegenstand der Liebe (I 59, 2: Bd. 4 u. ö.), die nach ihm verlangt, wo es noch nicht erreicht ist; die in ihm r u h t , in ihm selig ist, wo es mit d e m Liebenden in irgendeiner F o r m — sei es wesentlich oder außerwesentlich, sei es von N a t u r oder durch Gnade, sei es durch Eingießung oder eigene Anstrengung — eins ist oder eins geworden ist (vgl. I 19, 1: Bd. 2). Es ist daher selbstverständlich, d a ß Gott, der die unendliche Gutheit selbst wesenhaft i s t , Sich auch u m dieser Gutheit willen Selbst liebt, ja lieben m u ß , u n d zwar mit der stillen Urgewalt, der hellen Bewußtheit Seiner unendlich seinsmächtigen göttlichen N a t u r . „ D a r u m ist dort allein Wesenheit u n d Wille dasselbe, wo das Gute gänzlich in der Wesenheit des Wollenden ( = Liebenden) enthalten ist, nämlich in Gott, der nichts will ( = liebt) außerhalb Seiner Selbst, es sei denn auf Grund Seiner Gutheit" (I 59, 2: Bd. 4; CG I 73; I V 19 § 7). Gottes Selbstliebe bedeutet nichts anderes als das absolut notwendige u n d doch wieder unendlich freie u n d selige J a zu Sieh Selbst u n d Seiner Gutheit, denn „Er will — u n d zwar mit absoluter Notwendigkeit -—, daß Seine Gutheit sei", wie Thomas sich ausdrückt (I 19, 3: Bd. 2; 41, 2: Bd. 3). 8 Das Gute ist f ü r den Guten aber stets und notwendig zugleich Quell der Seligkeit (vgl. I 60, 5 Zu 4 : Bd. 4; 73, 2 Antw. • I 21,1 Zu 3; vgl. ebd. Art. 4 Antw. (Bd. 2): „Ein Werk der göttlichen Gerechtigkeit setzt immer ein Werk der Barmherzigkeit voraus und gründet in ihm." 1 „Der Name ,das [höchste] Gut* ist der Hauptname (principale nomen) für Gott nach Seiner Ursächlichkeit..." (113,11 Zu 2: Bd. 1). • Über die Selbstliebe Gottes vgl. I 20,1 Zu 3: Bd. 2; 27, 5 Zu 2; 32,1 Zu 1 u. 3: Bd. 3; Bd. 4 Anm. [225] u. [229]; CG I 72. 74—76. 80. 90—91. 100—102; IV 18. 20—23; Car 10 Antw.; E. V ö l k l , Die Selbstliebe in der Hl. Schrift und bei Thomas von Aquin. München 1956, 166 ff.

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u. Zu 3 : B d . 5 ; E t h nr. 1896). Ist Gott also unendliche Gutheit Einf. § 1 in unendlich starker Selbstbejahung, so ist E r notwendig auch unendliche Seligkeit. „Sein und Selig-sein sind in Gott ein und dasselbe" (I 62, 4 : B d . 4). „ . . . d i e Wesenheit Gottes ist die Seligkeit selbst" (divina essentia. . .ipsa beatitudo: I 94, 1: B d . 7). — „Selig von Natur zu sein ist allein Gottes" ( I - I I 3, 1 Zu 1; 2 Zu 4 ; 5, 7 : B d . 9). — „Was immer aber in Gott ist, ist Gott Selbst" (I 27, 3 Zu 2 : B d . 3). E s genügt also nicht, zu sagen: „Gott ist selig", sondern man muß sagen: Gott i s t Seligkeit, im selben Sinne, wie wir sagen: Gott i s t Wahrheit, Gott i s t Liebe usw. § 3. Gott und, Welt Daraus ergibt sich eine Reihe wesentlicher Aussagen über Einf. § 3 das Verhältnis Gottes zu Seiner Schöpfung, im besonderen zu dem, den E r „nach Seinem Bilde und Gleichnisse" geschaffen hat, der gerade deshalb die vornehmste Gestalt der sichtbaren Schöpfung ist: dem Menschen. Zunächst: Gerade „die unendliche Gutheit Gottes" ist Grund der Schöpfung (I 19, 4 Zu 3 : B d . 2 ; 32, 1 Zu 2 : B d . 3 ; 65, 2 : B d . 5; I - I I 1, 4 Zu 1: B d . 9 ; Div Nom 4, 9). Denn wie alles, was absolut gilt, von Gott zuerst ausgesagt werden muß, eben weil E r allein der Absolute ist (CG I 72 § 3), so auch das Axiom, das Thomas P s . - D i o n y s i u s entlehnt und mit Vorliebe auf Gott anwendet: „Bonum est diffusivum sui — es liegt im Wesen des Guten, daß es sich verströmt, sich mitteilt" (I 5, 4 E . 2 u. Zu 2 : B d . l ; 19, 2 ; 4 E . 1; 23, 4 E . 1 u. Zu 1: B d . 2 ; 27, 5 E . 2 : Bd. 3; 62, 9 Zu 2 : B d . 4 ; 73, 3 E . 2 : B d . 5 ; 106, 4 : B d . 8; I - I I 1, 4 E . 1 u. Zu 1; 2, 3 E . 2 : Bd. 9 ; 28, 4 E . 2 u. Zu 2 : B d . 10; 112, 3 E . 3 : B d . 14; I I - I I 117, 6 E . 2 : B d . 20; I I I 1, 1: B d . 25; CG I 37 § 4, usw.; zum Sinn dieses Axioms vgl. B d . 1 Anm. [81]; B d . 25 Anm. [4] u. K o m m . S. 459—462). So versteht Thomas das Wort des hl. A u g u s t i n u s : „Weil Gott gut ist, darum sind wir" (I 5, 4 Zu 3 ; 13, 2 : B d 1; 19, 4 E . 3 u. Zu 3 : B d . 2). Auch das geheimnisvolle Wort des T r i s m e g i s t o s : „Die Einheit gebiert die Einheit und läßt die eigene Glut auf sich zurückstrahlen" bezieht Thomas „nicht auf die Zeugung des Sohnes oder den Hervorgang des Heiligen Geistes [wie der Einwand es bezieht], sondern auf die Hervorbringung der W e l t ; denn der e i n e Gott brachte die eine Welt hervor wegen Seiner Selbstliebe" (I 32, 1 Zu 1: B d . 3). Wir haben aber gesehen, daß die Selbstliebe Gottes wesentlich und notwendig in Seiner Gutheit gründet und dieser selben Gutheit gilt (CG I 72 u. 74). In der näheren Erklärung des Axioms „bonum est diffusivum sui" vermeidet Thomas alles, was die Freiheit der Schöpfungst a t gefährden könnte. E r deutet den Sachverhalt so: Das Gute hat überall die Bewandtnis des Zieles, j a , Gut-sein und Ziel-sein sind geradezu identische Begriffe, jedenfalls fallen sie in concreto immer zusammen (CG I 4 0 ; vgl. B d . 11 Anm. [32]). Wenn also Gott um Seiner Gutheit willen geschaffen hat, so kann das nur heißen: E r s o l l t e Seine Gutheit zum Ziel einer ganzen Welt machen, und zwar in allen Stufen und Schattierungen, in denen das Gute im Seienden auftreten und Gegenstand

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E inf. § .'i tausendfältigen Verlangens sein k a n n ; noch anders ausgedrückt: E r wollte einer ganzen Welt die unendliche Werthaftigkeit und den unendlichen Reichtum Seiner N a t u r „vergegenwärtigen" (I 23, 5 Zu 3 : B d . 2), u m sie im Besitze Seiner Selbst selig zu machen (I 73, 3 Zu 2: B d . 5; CG I I 2 § 3). Der immanente göttliche Sinn der Schöpfungstat kann daher kein anderer sein als der, daß Gott allen Seinen Geschöpfen, „soweit dies nur irgend möglich i s t " ( 1 1 9 , 2 : B d . 2 ; CG I 91 § 5), Seine Gutheit mitteilt, sie an Seiner Gutheit und Vollkommenheit „teilnehmen" läßt ( 1 1 9 , 4 Zu 1; 23,4 Zu 1: B d . 2), u m diese Seine Gutheit auch im äußeren Werk aufleuchten zu lassen (I 65,2 Schluß d. Antw.: B d . 5). „Denn Gott h a t die Geschöpfe nicht aus irgendwelchem Bedürfen heraus geschaffen und auch nicht wegen einer äußeren Ursache, sondern aus Liebe zu Seiner Guth e i t " (I 32, 1 Zu 3: B d . 3 ; CG I 75; I V 20). Die Schöpfung ist demnach eine unfaßbar große Liebestat Gottes. Seine Liebe, „die Sein Wesen i s t " (I 20, 3 E . 2 u. Zu 2: B d . 2), ist auch Grund der Schöpfung, wie sie erst recht Ursache der Gnade ist ( I I I 63, 3 Zu 1: B d . 29). Die nächste, selbstverständliche Folge ist die Gutheit der geschaffenen Wesen selbst, denn wenn die Gutheit Gottes sich im Schöpfungsakt „ v e r s t t ö m t " , dann nur, u m den Geschöpfen ihre Gutheit mitzuteilen, sie selbst in der Teilnahme an Seiner Gutheit auch ,gut' zu m a c h e n : „Die göttliche Gutheit ist in Bewegung und geht in die Dinge aus, sofern sie sich ihnen mitteilt" ( P s . - D i o n y s i u s , zit. I 73, 2: B d . 5). Daher heißt es schon im Schöpfungsbericht beim Abschluß eines jeden T a g e s : „Und Gott sah, was E r gemacht hatte, und siehe, es war g u t " ; zum Abschluß des gesamten Schöpfungswerkes aber heißt es Gn 1 , 3 1 : „ U n d Gott sah alles, was E r gemacht hatte, und siehe: es war sehr g u t . " Gott schaut im Spiegel Seiner Schöpfung Seine eigene Gutheit, die auf Ihn „zurückstrahlt" (I 32, 1 Zu 1: B d . 3) und freut Sich ihrer mit unendlicher Freude (vgl. I 20, 1 Zu 1 u. 2: B d . 2). T h o m a s wird nicht müde, die Teilnahme der Wesen an der Gutheit Gottes in immer neuen Wendungen und gedanklichen Verbindungen herauszustellen. Zunächst einmal werden „alle Wesen gut genannt d u r c h die Gutheit Gottes, sofern sie durch eine Art Verähnlichung mit Ihm, der Ursache sowie Endziel aller Gutheit ist, a n ihr teilhaben" (I 6, 4 : B d . 1). Doch ist d a s keine bloß äußerliche Denomination, sondern jedes Wesen ist wirklich gut, und zwar „durch eine ihm innewohnende Ähnlichkeit mit der Gutheit Gottes, die formell als seine eigene Gutheit zu betrachten ist, nach der es ,gut' genannt w i r d " (ebd.). „ D i e Vollendung der göttlichen Gutheit zeigt sich gerade darin, daß in ihr a l l e i n sowohl E r Selbst ruht, wie auch wir in ihrem Genuß ruhen könn e n " (I 73, 3 Zu 2 : B d . 5). Nachdem „der B o r n alles G u t e n " (universalis fons totius boni: I - I I 3, 3 Zu 2: B d . 9), der aus den unergründlichen Tiefen der Gottheit heraufsteigt, im Schöpfungsakt durch Gott Selbst erschlossen ist — wer anders auch sollte diesen Quell erschließen können! — , kann sich der S t r o m der göttlichen Gutheit und Liebe bis in fernste Fernen der Zeit und des R a u m e s in die Schöpfung hinein ergießen ( I - I I 1, 4 Zu 1: B d . 9 ; I I I 23, 1

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Antw. u. Zu 2: Bd. 26). Alle Vollkommenheit Gottes, alles, was Einf. § 3 irgend ,gut' genannt werden k a n n — in Gott aber ist a l l e s ,gut'! —, t a u c h t als geschaffene Gutheit, ein fernes Echo der göttlichen, in den weiten R ä u m e n der Schöpfung in schier unerschöpflicher Fülle wieder a u f : das gute Sein, das gute Licht, das gute Leben — durch alle Stufen des Lebens vom Urtierchen bi3 zum reinen Geist —, das volle Leben in Bewußtheit u n d beseligender Erkenntnis, in Freiheit u n d Herrschaft, in der Selbständigkeit des Geistes wie in der innigsten Gemeinschaft der Liebe. Das Herrlichste aber ist dieses, daß Gutheit u n d Liebe im Phasenwechsel von der Unendlichkeit Gottes zur Endlichkeit des Geschöpfes ihr Wesen nicht wandeln. Da es, wie wir sahen, zum Wesen des Guten (und des Willens! — vgl. I 19, 2: Bd. 2) gehört, sich anderen mitzuteilen, empfangen die geschaffenen Wesen von der göttlichen Gutheit, die sich im Schöpfungsakt, der Gott Selbst ist (CG I V 19 § 4.5), verströmt, auch selbst diese dem Guten wesenhaft innewohnende K r a f t u n d Gnade, nämlich ihren von Gott empfangenen Reichtum an Gutheit, „soweit dies möglich ist" (CG I 91 § 5), an andere weiter »verströmen' zu dürfen (I 19, 2: Bd. 2; 103, 6; 106, 4: Bd. 8; I - I I 1, 4 Zu 1: Bd. 9). I n neidloser, „überschwenglicher" (I 21, 4; 22, 3: Bd. 2; 47, 3 Zu 1: Bd. 4; I - I I 68, 2: Bd. 11 usw.) Güte schenkt Gott Seinen Geschöpfen sogar Anteil an Seiner Schaffenskraft und Schaffensfreude, schenkt ihnen „die Würde der Urheberschaft" a m Werk (dignitatem causalitatis: I 22, 3; 23, 8 Zu 2: Bd. 2; vgl. 103, 6 Zu 2: Bd. 8), d a ß sie in ganz bestimmtem Sinne Ursache des Seins sein dürfen, wie Er, der Schöpfer Selbst, Ursache des Seins in allem Seienden ist. „Es liegt. . . a m Überschwang Seiner Güte — ex a b u n d a n t i a bonitatis ejus —, daß E r den Geschöpfen nicht nur mitteilt, in sich selbst gut zu sein, sondern auch die Würde, für andere Ursache der Gutheit zu sein" (I 47, 3 Zu 1: Bd. 4; vgl. I I I 36, 2: Bd. 27). „ J e mehr also manche wirkende Wesen dazu berufen sind, an der göttlichen Gutheit teilzunehmen, u m so mehr drängen sie dazu, ihre Vollkommenheiten auf andere überströmen zu lassen, soweit dies möglich ist" (I 106, 4: Bd. 8). Das Gute ist also seiner innersten N a t u r nach aus sich selbst heraus f r u c h t b a r (vgl. Is 66, 9). Daher fordert Christus so eindringlich Fruchtbarkeit Seiner Jünger und Seiner Christen (Mt 10, 7. 19; 13, 23; 21, 41; Lk 13, 6 ff.; J o 4, 36; 12, 24; 15, 2. 4 f. 8). Das setzt voraus oder schließt ein, daß auch die geschaffenen Wesen, wenigstens jene, die mit Erkenntnis u n d Freiheit begabt sind, den anderen „Gutes wollen", das heißt ,lieben' können, wie j a auch Seine Schöpfung und Seine Vorsehung, Seine Weltlenkung und die gesamte Ordnung der Dinge darin gründet, daß E r in unendlich mannigfaltiger, aber von Seiner Weisheit diktierter Ordnung (s. oben § 1) den von I h m geschaffenen Wesen .Gutes will' (I 20, 2. 3. 4; 21, 3; 23, 4: Bd. 2). I m m e r tiefer leuchtet Thomas in diese metaphysischen Zusammenhänge hinein, indem er die göttliche Mitgift der N a t u r n e i g u n g aller geschaffenen Wesen zu dem ihnen jeweils zugeordneten Gut auf die Tatsache zurückführt, daß die Existenz, das Da-sein der Dinge, nicht auf die schöpferische Erkenntnis, 411

Einf. § 3 sondern auf den Willen, also auf die Liebe Gottes zurückgeht. „Weil alles aus dem g ö t t l i c h e n W i l l e n h e r v o r g e h t , i3t ein jedes Ding a u f s e i n e A r t durch das Strebevermögen zum Guten hingeneigt, wenn auch auf verschiedene Weise" (I 59, 1: B d . 4 ; CG I I 23 § 5 ; vgl. I - I I 34, 1 Zu 2 : B d . 10). Auf den kürzesten Ausdruck gebracht, heißt das: D a die Geschöpfe ihr Dasein der Liebe verdanken, m ü s s e n sie lieben. Oder umgekehrt: Die Liebe der Geschöpfe beweist unmittelbar und unmißverständlich ihre Herkunft aus der Liebe. Daher haben die Dinge von Haus aus etwas Sakrales an sich, sogar die sinnenhaften Dinge „sind in sich selbst heilig als Künder der Weisheit und der Güte Gottes" ( I I I 60, 2 Zu 1: B d . 29). Wo immer aber diese Liebe der Geschöpfe — sei es in der Fremdliebe, sei es in der Selbstliebe — ihren Gegenstand erreicht, trifft sie auf ein Gut, das aus Gottes Speichern stammt, denn ein anderes Gut gibt es in der Schöpfung nicht (I 22, 1; 23, 4 Zu 1: B d . 2 ; 44, 4 Zu 3 : B d . 4 ; I I I 19, 3 : B d . 26). 1 I n diesen Überlegungen des hl. Thomas liegt die Erklärung und zugleich tiefste Begründung für das Wort des hl. J o h a n n e s : „Nicht darin besteht die Liebe, daß wir Gott lieben, sondern daß Gott uns zuerst gelieot h a t " (1 J o 4, 10). Nun ist mit einem Male alles klar: Weil Gottes Liebe darin besteht, daß E r „uns Gutes will", als Teilnahme an Seiner eigenen Gutheit, daß E r mit a. W . Sich Selbst uns schenken will, kann auch unsere Liebe keinen anderen Sinn haben als diesen: „dem anderen Gutes wollen" — velle alicui bonum. Nur wissen wir jetzt, was Thomas mit diesem „Gut" meint, wenn er definiert: lieben heißt — jemandem Gutes wollen. Dieses Jjrut' liegt immer in der Richtung auf das absolute, das unendliche Gut, das Gott Selbst ist; j a , in seiner letzten, seiner höchsten F o r m heißt es: Dem anderen d a s Gut schlechthin, das „allgesamte Gut alles Seins", das bonum universale totius entis, d. h. den Besitz Gottes selbst wünschen und alles tun, was in unseren Kräften steht, daß dem anderen der größte Verlust, der ihn treffen könnte, erspart bleibe, der Verlust Gottes Selbst (vgl. 11, 4 : B d . 15; Car 7 Antw.). Gott, der provisor universalis totius entis, der „Allsorger", der Hirte „des Seins insgesamt" (I 22, 2 Zu 2 ; 4 Zu 3 : B d . 2 ; I - I I 19, 10: B d . 9), schafft erst d u r c h S e i n e L i e b e in den Wesen die aus ihnen uns anstrahlenden, unseren Willen entzündenden Werte (I 20, 2 Schluß d. Antw.: B d . 2). D i e S t r a h l k r a f t d e s S e i n s i m S e i e n d e n — das ist einmal das Wahre, das uns aus den Dingen anschaut und wir aus ihnen erschauen, dann aber auch das Gute, das wir in den Wesen erspüren; beides aber stammt zugleich mit dem Sein der Dinge aus G o t t ; denn E r Selbst muß, damit sie sein und für uns „in Erscheinung t r e t e n " und uns somit anlocken können, den Dingen das Sein und mit ihm zugleich das Wahr-sein und das Gut-sein für jeden Augenblick ihrer Existenz einstrahlen (I 104, 3; 4 Zu 2 : B d . 8). 1 Vgl. I 6 5 , 1 Zu 3 (Bd. 5 ) : „Daß die Dinge von Gott abziehen, bezeugt gerade, daß sie von Gott sind. Denn sie führen die Einsichtslosen nur dadurch von Gott weg, daß sie durch ein Gut anlocken, das in ihnen liegt. Und dieses Gut haben sie von G o t t . "

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D a s Licht, d a s G o t t ü b e r die Dinge in unseren Geist einstrahlt, Kint'. $ ¡5 ist also kein kaltes, „ h a r t e s " Lieht, sondern das milde, heilige u n d heilende Lieht, d a s i m Sein des Seienden m i t d e m W a h r e n zugleich die K r a f t des G u t e n a u f s t r a h l e n läßt. D e n n d a s W e r d e W o r t , d u r c h d a s G o t t die Wesenheit der Dinge ins N i c h t s hineinspricht u n d in ihnen die Existenz als Teilnahme a n Seinem eigenen göttlichen Sein a u f b l ü h e n läßt — dixit e t f a c t a s u n t , m a n d a v i t et c r e a t a s u n t (Ps 33 [32], 9; 148, 5; vgl. I I - I I 76, l : B d . 18) — , dieses W e r d e - W o r t ist, wie T h o m a s I 43, 5 Zu 2 (Bd. 3) b e t o n t , „nicht irgendwelches W o r t , sondern jenes, das die LIEBE h a u c h t : V e r b u m spirans AMOREM", d a s also in die unendliche K r a f t u n d Glut der personalen Liebe des Heiligen Geistes g e t a u c h t ist, ehe es uns, die Geschöpfe, erreicht. So sind die Wesen der Schöpfung, k r a f t ihres U r s p r u n g s a u s diesem liebe-hauchenden WORT, a u c h ihrerseits ihrer innersten N a t u r n a c h jedes ein , v e r b u m spirans a m o r e m ' , eine Seinsgestalt, die seinsnotwendig in irgendwelche Bewegung des Triebes oder der n a t u r h a f t e n Liebe a u s b r i c h t . Lieben h e i ß t : j e m a n d e m Gutes wollen. W i r k e n n e n j e t z t die Q u a l i t ä t dieses ,Gut* oder wissen doch wenigstens so viel, d a ß es unendlich m e h r ist, als wir gemeiniglich u n t e r ,Gut' verstehen, d a ß also a u c h .Wohlwollen' f ü r T h o m a s e t w a s anderes ist, als unsere konventionelle Sprache i m täglichen Verkehr d a m i t sagen will, wo es nicht viel m e h r b e d e u t e t als „ S y m p a t h i e " . A u c h i m Lateinischen h a t das velle b o n u m alicui einen gewichtigeren K l a n g als der A u s d r u c k benevolentia — Gewogenheit. 1 § 4. Der gute Mensch Als Gottes „Bild u n d Gleichnis" (Gn 1, 26; vgl. B d . 7 A n m . Einf. § 4 [31]) h a t der Mensch a u s d e m R e i c h t u m Gottes entscheidend, ja, in gewissem Sinne unendlich m e h r a n Seinsreichtum u n d G u t e m e m p f a n g e n als die übrige sichtbare Schöpfung insgesamt. I n der übrigen Schöpfung h a t Gott lediglich Seine „ S p u r " hinterlassen, deutlich genug, u m a u s ihr d e n Schöpfer zu erkennen. I m Menschen a b e r h a b e n wir, n a c h d e m i m m e r wiederholten Zeugnis der Schrift, das Selbstbildnis Gottes vor uns, Seine „Selbstdarstellung" (!) im geschaffenen N a c h b i l d u n d zwar als Originalbild, n i c h t e t w a als K o p i e a u s zweiter oder d r i t t e r H a n d . D e n n die Seele des Menschen, die eigentliche S t ä t t e dieses Gottesbildes, ist u n m i t t e l b a r a u s der H a n d Gottes hervorgegangen d u r c h Schöpfung, wie T h o m a s ohne leisestes Schwanken lehrt (I 90, 3: B d . 7; 118, 2: B d . 8; I I I 6, 3: B d . 25; CG I I 87); übrigens i m E i n k l a n g m i t der ständigen L e h r e der K i r c h e (Dz 348 u. ö.; E n z . „ H u m a n i generis"). 2 D a ß der Mensch Begriffe wie .Weltall', ,Schöpfung a u s Nichts', ,Gott', m i t geistigem I n h a l t füllen, a u s Wesen u n d O r d n u n g der Dinge den in ihnen investierten göttlichen Sinngehalt herauslesen, nicht n u r ,Dinge', sondern d e n D i n g c h a r a k t e r , nicht n u r ,Ziele', 1 Vgl. M. S c h e l e r , Wesen und Formen der Sympathie. Bonn 1923, 164f., wo Scheler in seiner phänomenologischen Analyse das gönnerhafte .Wohlwollen*, von der auf das .Wohl' als „Träger eines Personenwertes" gerichteten Liebe unterscheidet. * Vgl. Bd. S, Komm, zu I 118, 2, S. 593—596; Dz 2327.

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Kinf. § 4 sondern die Bewandtnis von ,Ziel' erkennen und über sein leibliches wie geistiges Leben verfugen (!) kann, gibt ihm grundsätzlich die Macht — auch Johannes spricht von der „ M a c h t , Kinder Gottes zu werden" (Jo 1,12) —, sich selbst u n d die ganze Schöpfung zu transzendieren. Auf diesem „gott-menschlichen" Geheimnis der Gottebenbildlichkeit des Menschen — denn es ist ein Geheimnis zwischen Gott u n d Mensch, das abgründig tief ist — b a u t Thomas im I I . Buch seiner Summa theologica seine gesamte Sittenlehre mit ihren 303 Untersuchungen auf (Prol. zu I - I I ) , grundgelegt in der großartigen Frage 93 des I. Buches. Thomas sieht in der Erschaffung des Menschen als des lebendigen Bildes Gottes „Ziel u n d Abschluß" (Titel der F r . 93) der gesamten Schöpfungstätigkeit Gottes. „Das Schöpfungswerk Gottes gipfelt also in dem gottebenbildlichen Wesen des Menschen" (vgl. Bd. 7, K o m m , zu I 93). K r a f t dieser Gottebenbildlichkeit seiner Geistseele ist der Mensch zwar nicht gottesmächtig — das wäre zuviel gesagt —, aber er ist, wie T h o m a s mit Augustinus sich a u s d r ü c k t : capax Dei — „Gottes fähig" ( I - I I 113, 10: Bd. 14), „insofern er I h n durch seine Tätigkeit in Erkennen u n d Lieben e r f a ß t " (III 4, 1 Zu 2; 6, 2: Bd. 25). F i n i t u m capax infiniti — es ist u n f a ß b a r und nur von Gott zu ersinnen u n d zu verwirklichen, daß das Endliche fähig sein soll, den Unendlichen zu fassen, in sich aufzunehmen! Kein Wunder, daß der Mensch als einziges Wesen der sichtbaren Schöpfung in einem sehr ernsten u n d heiligen Sinne „gottesunmittelbar", das heißt der Vorsehung Gottes unmittelbar unterstellt ist (2, 3: Bd. 15; I 113, 2: Bd. 8; I - I I 63, 3 Zu 2: Bd. 11; CG I I I 113; zur Unmittelbarkeit der Gottesliebe vgl. Car 1 Zu 3; 2 Zu 11; 10 E. 5). Diese Gottesunmittelbarkeit, die in der Erschaffung der Geistseele des Menschen grundgelegt ist, h a t ihre verschiedenen Phasen oder, wenn m a n will, ihre verschiedenen Weisen und Grade von ,Intimität'. Diese in ihren höheren Graden richtig zu sehen ist von entscheidender Wichtigkeit, will m a n die Möglichkeit einer echten Freundschaft mit Gott, worin das eigentliche Problem unserer Untersuchung liegt, in den Blick bekommen. Der Ausdruck ,intime' (intrinsece, interius), der bei Thomas häufig wiederkehrt (I 8, 1: Bd. 1; 105, 5: Bd. 8; I - I I 28, 2: Bd. 10; 68, 1 u. 2: Bd. 11; vgl. ebd. Art. 6 E . 2 u. Zu 2), h a t in seiner so sachlichen, nüchternen Sprache ein besonderes Gewicht. Gott h a t den Menschen so geschaffen, daß er als Geistwesen I h m , dem Schöpfer, „Antwort geben", das heißt mit I h m in geistigen Verkehr treten kann. Was Gott in seine Brust hineingerufen, schallt als Echo, wenn auch unendlich schwächer, zu Gott zurück. Der Mensch h a t jedoch den Reichtum seiner ,guten Gaben', die er ausnahmslos dem „Vater der Lichter" verdankt (Jk 1, 17), nur erhalten, u m sie zu verströmen — „umsonst h a b t ihr's empfangen, umsonst sollt ihr's weiterschenken" (Mt 10, 8) —, u m so an der Bewegung des Guten teilzunehmen, sie im geschöpflichen R a u m weiterzuführen; er soll mit seinen Talenten wuchern, immer mehr auf die letzte „Gottförmigkeit" (I 12, 6: Bd. 1) zusteuern, seinem Urbild in Gott dadurch immer ähn414

licher werden, daß er f ü r das Gute immer durchlässiger wird, Einf. § 4 ea-zugleich in sich stark macht, u m so von Stufe zu Stufe im Verströmen des von Gott empfangenen Guten (CG I I I 24 § 6) umgewandelt zu werden „in dasselbe Bild von Klarheit zu Klarheit", nicht in eigener K r a f t , sondern „wie durch den Geist des H e r r n " (2 Kor 3, 18).1 Da der Mensch im W o h l t u n den von Gott intendierten Sinn seiner Existenz erfüllt, wird ihm dieses W o h l t u n zur Quelle hoher geistiger Lust, weil er dadurch „eine Vorstellung von der Fülle des in ihm selbst vorhandenen Guten bekommt, aus der er anderen mitteilen k a n n " ( I - I I 32. 6: Bd. 10). So steht der Mensch zwischen Gott und der Schöpfung, von Gott her empfangend, zur Schöpfung bin schenkend, und bleibt doch ganz Gott zugewandt, im steten, klaren, lebendigen Bewußtsein, daß er empfangen muß, wenn er will schenken können: so wie die Jünger bei der wunderbaren Brotvermehrung das Brot aus der H a n d des Meisters empfingen, u m es a n die Leute zu verteilen (Mk 6, 41; 8, 6). I n d e m aber der Mensch sein Gutes, das er von Gott empfangen, an die Geschöpfe weitergibt, schenkt er es Gott zurück; d e n n : „Was ihr dem geringsten Meiner Brüder getan, Mir h a b t ihr's g e t a n " (Mt 25, 40). J a , der Mensch wird geradezu zum „Mitarbeiter Gottes" (1 Kor 3, 9; I I I 19, 3: Bd. 26), indem er die Pläne Seiner Vorsehung verwirklichen hilft (I 23, 8 Antw. u. Zu 2: Bd. 2; vgl. 106, 4: Bd.8). Damit erhält sein Leben u n d seine ganze Existenz einen göttlichen Sinn, den nämlich, den Gott in der Schöpfung des Menschen intendiert h a t . I m Strome des Guten, der sich unaufhörlich aus der Überfülle des göttlichen Reichtums in die Schöpfung ergießt, steht der Mensch in des Stromes Mitte. Man denkt unwillkürlich an die herrliche Vision des Propheten Ezechiel (Kap. 47): Der Prophet steht a m Uler des Wassers, das zunächst als kleines Rinnsal unter der rechten Seite a m Osttor des Tempels hervorsprudelt, d a n n aber von tausend zu tausend Ellen, die der „Mann mit der Meßschnur" abmißt, immer tiefer und mächtiger wird, bis der Prophet es nicht mehr durchschreiten k a n n : „Denn es war ein Strom geworden, und der Strom war so tief u n d die Wasser waren so angeschwollen, daß m a n es nicht mehr durchschreiten k o n n t e " (V. 5). 1 Zur biblischen Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen vgl. O. S c h i l l i n g , Ebenbild. BThW 121—127.

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I. Teil DIE GOTTESLIEBE SELBST (Fr. 23—33) Fr. 23-33 Unsere Bandeinteilung, die uns einerseits durch die Aufteilung in einzelne Traktate, anderseits durch den möglichst einheitlichen Umfang der Bände auferlegt ist, zwingt uns, den Traktat über die Gottesliebe etwas anders einzuteilen, als Thomas es tut. In diesem ersten Teil behandeln wir die positiven Aussagen über die Gottesliebe, im zweiten Teil, der in Band 17 B folgt, das, was gewissermaßen als Negativ der Gottesliebe gegenübersteht, mit den beiden Annex-Traktaten über die Gebote der Gottesliebe und die der Gottesliebe entsprechende Gabe des Heiligen Geistes. So ergeben sich zur Einteilung, wie sie Thomas im Prolog zu Fr. 23 kurz skizziert, einige Überschneidungen, die jedoch den wesentlichen Aufbau der Untersuchung nicht stören. Von den fünf Abschnitten, die Thomas zur „Gottesliebe selbst" zählt — Wesen, Gegenstand, Akte, entgegenstehende Laster, Gebote —, fallen Vinter unsern „ersten Teil" die drei Abschnitte über das Wesen der Gottesliebe, ihren Gegenstand und ihre Akte. ERSTER

ABSCHNITT

WESEN UND TRÄGER DER GOTTESLIEBE (Fr. 23 u. 24) Fr. 23 f. I m Traktat über die Gottesliebe durchbricht Thomas das übliche von Logik und Psychologie nahegelegte Schema: Gegenstand — Akt — Gehaben bzw. Tugend, 1 und fragt bereits in Art. 1 nach dem Wesensbegriff der Gottesliebe. Damit hebt er schon durch die Art der Behandlung die Gottesliebe wirksam ab von den beiden anderen theologischen Tugenden. Auch der weitere Verlauf der Untersuchung weist erhebliche Umstellungen in der Gruppierung der einzelnen Fragenkomplexe auf, wie der Leser selbst bei einem Vergleich leicht feststellen kann. Wo der Grund für diese Abweichungen liegt, wird sich im Verlauf der Untersuchung zeigen müssen. Erstes Kapitel DAS W E S E N D E R G O T T E S L I E B E (Fr. 23) Fr. 23 Nach der E i n f ü h r u n g , die uns den theologisch-metaphysischen „Ort" der Gottesliebe aufzuzeigen versuchte, dürfte das Verständnis dieser ersten Frage nicht mehr allzu schwierig sein. In Art. 1 versucht Thomas eine venatio definitionis: er legt den Wesensbegriff der übernatürlichen Gottesliebe fest, der dann das Wesens-Apriori für alle weiteren Untersuchungen bildet. Aus ihm ergeben sich in logischer Folge alle weiteren Aussagen mehr oder weniger von selbst. Deshalb ist der erste Artikel grundlegend für den gesamten Traktat 1

Vgl. Bd. 15, S. 340: Einleitung zum ersten Kapitel.

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über die Gottesliebe. I n den späteren Artikeln 3—8 unter- F r . 23 sucht Thomas d a n n die Stellung der Gottesminne 1 im Gesamtorganismus der menschlichen Tugenden und stellt im E n d ergebnis die übernatürliche Gottesliebe heraus als d a s Aufbauprinzip der sittlichen Persönlichkeit des Christen, ohne das es weder echtes Tugendleben noch überhaupt lebendiges Christentum geben kann. Der zweite Artikel ist zwar durch einen Zeitirrtum veranlaßt, gibt aber in seinem positiven Ergebnis die notwendige Grundlage a b f ü r die Bestimmung der Gottesliebe als Tugend. I. G o t t e s l i e b e als F r e u n d s c h a f t (Art. 1) § 1. Die analogische Struktur des Liebesbegriffs Liebe ist ein Allerweltswort geworden. Mit keinem W o r t 23, 1 wohl wird gerade in den sogenannten „Kultur"-sprachen der Menschheit so viel Mißbrauch getrieben wie mit dem großen Wort „Liebe". Vor jeder anderen Überlegung ist es deshalb von entscheidender Wichtigkeit, über den vielfachen Sinn des Wortes zu möglichster Klarheit zu kommen. 1. B e g r i f f u n d B e d e u t u n g d e r A n a l o g i e . — Bei der A r m u t der Sprache, die trotz ihres scheinbaren Reichtums (Shakespeare wird ein Wortschatz von beiläufig fünfzigtausend Wörtern nachgerühmt) der schier unendlichen Fülle u n d Mannigfaltigkeit des Seins nicht entfernt gewachsen ist, 2 ist die Vieldeutigkeit menschlicher Worte und Begriffe unvermeidlich. Diese Vieldeutigkeit der Worte u n d Begriffe einigermaßen kenntlich zu machen, sie gleichsam „aufzuschlüsseln", gibt es nur e i n e n „Schlüssel": die Analogie, die ihrerseits in der Einheit des Kosmos u n d in der Symbolträchtigkeit der Dinge gründet. Doch darf m a n Analogie nicht verwechseln mit Symbol; dieses ist schon angewandte Analogie. D a unsere gesamte Erkenntnis u n d damit auch unsere wissenschaftliche Begriffsbildung von der Wahrnehmung der sinnfälligen Gegebenheiten ausgeht u n d wir das Wesen der Dinge nur abstraktiv, nicht ohne weiteres intuitiv erfassen, können wir zu den höheren, unsinnlichen Wirklichkeiten, jenen nämlich, die der Erscheinungswelt als das Unsichtbare, Unsinnliche zugrunde liegen müssen •—- „denn sonst würde der ungereimte Satz daraus folgen, daß Erscheinung ohne etwas wäre, w a s da er-scheint" ( K a n t 3 ) —-, nur über die Brücke der Analogie gelangen, die noch den letzten u n d tiefsten Abgrund überbrückt, den scheinbar unüberbrückbaren, weil echt unendlichen Abgrund zwischen Mensch und Gott, Schöpfung u n d Schöpfer (vgl. I 4, 3; 13, 6: Bd. 1). Doch liegt der Anwendungsbereich der Analogie nicht nur dort, wo es gilt, aus dem sinnfälligen das übersinnliche, aus 1 Über die verschiedenen Übersetzungen von Caritas vgl. Anm. [1], * Über diese Verlegenheit der Sprache vgl. Anm. [67 a]. Kr. d. r. V., Vorrede zur 2. Aufl., X X V I f.

3

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l dem geschaffenen das ungeschaffene Sein zu erkennen, sondern die gesamte uns umgebende Schöpfungswirklichkeit, von der wir ein Teil sind, hat analogische Struktur. Wir würden diese Wirklichkeit in der gröbsten Weise verfälschen, würden sie völlig aushöhlen, wenn wir — wie man das jahrhundertelang in der Naturwissenschaft versucht hat — alle Wirklichkeit auf einen bequemen Nenner bringen, die ganze Welt mit Einschluß des Menschen als einen einzigen hochkomplizierten Mechanismus auffassen wollten. E s wäre nie zu der Monopolstellung der kausalmechanischen Naturauffassung und der ihr blind folgenden Schulmedizin gekommen, wenn das Gesetz der Analogie den Forschern stets gegenwärtig gewesen wäre (vgl. Bd. 1 Anm. [67], bes. S. 358; ebd. Anm. [152] u. [197]). Trotzdem — wenn wir die unübersehbare Fülle des Seins wissenschaftlich bewältigen wollen, kommen wir an der Bildung von Allgemeinbegriffen, die sich wie Kreise mit ganz verschiedenem Radius und ganz verschiedener Lage ihres Mittelpunktes über die Dinge legen, nicht vorbei. Den ersten großangelegten Versuch, den Reichtum des Seins in solche Kreise einzufangen, haben wir in der Kategorientafel des A r i s t o t e l e s . In ihr sind die Urweisen des Seins begrifflich gefaßt. 1 Und doch könnte man gerade mit dieser Kategorientafel wieder der Gefahr einer unerlaubten Vereinfachung erliegen. Denn hinter einer jeden dieser Kategorien verbirgt sich eine Welt von Urgestalten und Urereignisformen, die erst sichtbar werden, wenn wir ihre Verwirklichung auf den verschiedenen Seinsstufen im Prisma der Analogie betrachten. Was damit gemeint ist, mag an einigen Beispielen deutlich werden. Analogie in ihrer reinsten Ausprägung ist die volle Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen. E t w a so: der Leib der Pflanze verhält sich zur Pflanzen,Seele' wie der Tierleib zur Tierseele, wie der Leib des Menschen zur Menschenseele als Geistseele. So wesensverschieden die drei Seelenstufen unter sich sind, so wesensverschieden ist auch das metaphysische Sein der entsprechenden Leibwirklichkeit. Was diesen drei Verhältnissen als gemeinsamer Begriff zugrunde liegt, ist das Verhältnis von Wesensform und Wesensstoff. Damit ist klar, daß auch dieses Verhältnis auf den verschiedenen Seinsstufen nur analog angewandt werden darf (vgl. Bd. 8 Anm. [89]). Wie hier, so durchwaltet das Gesetz der Analogie als Wesensgesetz das Gefüge oder die Schichtung des gesamten Kosmos. D a s fängt schon an bei den sogenannten Transzendentalien, d. h. bei den über alle kategorialen Bereiche hin ausgreifenden ^llerallgemeinsten Seinscharakteren oder Seinseigentümlichkeiten: dem Seienden, dem Einen, dem Wahren, dem Guten. Ebenso unterliegen dem Gesetz der Analogie, wie schon angedeutet, die zehn Urweisen aus der Kategorientafel des A r i s t o t e l e s . Unter ihnen die wichtigste ist die der Substanz, des „selbständig Seienden". An der „Idee der regionalen Seins1 Über die logische und metaphysische Ableitung dieser Kategorien vgl. Bd. 1 Anm. [46]; über den Begriff der Analogie ebd. Anm. [98].

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differenzierung" (H. H e y s e 1 ) , angewandt vor allem auf die Kate- 23, 1 gorie der Substanz, hängt die echte Erfassung der Wirklichkeit ü b e r h a u p t u n d ihres inneren Reichtums. Die verschiedenen Ausprägungen u n d Stufen der Selbständigkeit im „selbständig Seienden", also der Substanz, machen das besonders deutlich. Einen schwachen Schein von .Selbständigkeit' finden wir bereits auf der Stufe des leblosen Seins und hier g r a d m ä ß i g verschieden beim Atom, beim Atomverband (Molekül) u n d wieder beim Molekülverband, etwa beim Eiskristall; in w e s e n s m ä ß i g neuer Ausprägung auf der Stufe des lebendigen Seins, u n d hier wieder w e s e n s m ä ß i g anders bei der Pflanze u n d beim Tier, bei dem die ,Selbständigkeit' wieder g r a d m ä ß i g wächst von den Einzellern, z. B. den Amöben, bis zu den hochentwickelten Haustieren, etwa Pferd oder H u n d . I n ganz neuem, die gesamte vernunftlose Schöpfung transzendierendem Sinne .Substanz' oder selbständig Seiendes' ist der Mensch als Geistwesen oder Person. U n d doch bedeutet auch er noch nicht den Gipfel der Selbständigkeit innerhalb der Schöpfung. Der wird erst erreicht bei den reinen Intelligenzen, die wir Engel nennen. Aber auch von ihnen gilt noch, daß sie nur abgeleitete, relative Selbständigkeit besitzen als Teilnahme an der Selbständigkeit Dessen, der allein der absolut Selb-ständige ist — Gott. E r ist deshalb „ d e r H e r r " schlechthin: Tu solus Dominus! 2 Beim Menschen dürfen wir jedoch die ontische Selbständigkeit die schon im ungeborenen Kinde gegeben ist, nicht verwechseln mit der psychologischen u n d moralischen bzw. charakterlichen Selbständigkeit, die erst im Laufe der Zeit erworben wird und wohl so viele Ausprägungen h a t , als es Menschen gibt. W e n n wir von Substanz sprechen, meinen wir die ontische Selbständigkeit, die im Wesen gründet. Wir sehen: Der wichtigste Begriff in der Kategorientafel des A r i s t o t e l e s , der Substanzbegriff, h a t jeweils ganz verschiedene I n halte, je nachdem f ü r welche Seinsstufe er gilt. Nur wer das übersieht, k a n n der aristotelisch-thomistischen Deutung des Menschen eine unangemessene Verdinglichung vorwerfen. Was aber von der Substanz gesagt wurde, gilt genauso von den übrigen neun Kategorien im akzidentellen Bereich des Seins: von Quantität, Qualität, Beziehung, Tätigkeit und Erleiden, Ort, Lage, Zeit, Anhaben. Sprechen wir z. B. vom metaphysischen ,Ort' des Menschen, so hat ,Ort' mit dem physikalischen R a u m , von dem der Ausdruck genommen ist, nichts mehr zu t u n , sondern meint die ontische Stellung des Menschen im Kosmos. U n d doch liegt hier keine bloße Metapher; sondern echte Analogie vor. Ein anderes sprechendes Beispiel der Analogie haben wir im ,Licht'-Begriff. Licht macht die Gegenstände sichtbar, das physische Licht die sinnfälligen Gegenstände dem Auge, das geistige Licht die geistigen .Gegenstände' dem Geiste; das .Licht' des Glaubens führt uns ein in das gläubige Verständnis der Offenbarungsgeheimnisse, das Licht der Glorie endlich läßt uns Gott in 1 2

Der Begriff der Ganzheit und die Kantische Philosophie. München 1927, S. 182 ff. Vgl. Bd. 1 Anm. [42],

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23, 1 Seinem Wesen schauen. J e d e dieser Lichtstufen liegt eine Unendlichkeit über der vorhergehenden. Entsprechend k ö n n t e m a n Stufen der Finsternis, bzw. Stufen der Blindheit aufstellen. I n all dem haben wir keine bloße Metapher, sondern echte Analogie. D a m i t sind wir einigermaßen gerüstet, u m die analogische S t r u k t u r des Liebesbegriffes klar zu erkennen. 2. S t u f e n d e r L i e b e i m P r i s m a d e r A n a l o g i e . •— Liebe ist kein frei schwebender Wert, sondern läßt sich nur verwirklicht denken in einem konkreten Wesen. So verlangt Liebe immer einen Träger, der von ihr entzündet ist, u n d einen Gegenstand, an dem dieser Träger sich zur Liebe entzündet, ein Etwas, das ihn wie mit magnetischer K r a f t in seinen B a n n zieht. Daher das Wort A u g u s t i n s : Amor meus pondus m e u m , eoque trahor, quocumque trahor — „Meine Liebe ist mein Gewicht: durch sie werde ich gezogen, wohin immer es (!) mich zieht." J e nachdem wir n u n v o m T r ä g e r oder vom Geg e n s t a n d der Liebe ausgehen, kommen wir zu ganz verschiedenen Feststellungen. W a s A u g u s t i n u s im Bilde vom „Gewicht" ausspricht, hinter dem wieder eine echte Analogie steht — auch das W o r t h a t .Gewicht' oder ist,leicht' —, ist das Zu-einander-hingezogenwerden der Wesen (vgl. CG IV 26 § 7), das die ganze Schöpfung auf allen Stufen des Seins bis in letzte Tiefen hinein durchwaltet. „Weil sie, die Wesen alle, aus der Liebe stammen, müssen sie lieben" (vgl. oben S. 412). Diese n a t u r h a f t e Liebe — amor naturalis, wie Thomas sie nennt — ist „nichts anderes als die vom Urheber der N a t u r eingegebene Neigung der N a t u r " (I 60, 1 Zu 3: Bd. 4). I n dieser Neigung zueinander liegt die dynamische Ordnung des Kosmos begründet, die seinen höchsten immanenten Wert, seine letzte Vollendung bedeutet, die deshalb „eigens von Gott gewollt ist" (ebd. 15,2; 22, 1; 25, 6 Zu 3: Bd. 2; über die Ordnung des Weltalls u n d das Schlechte vgl. ebd. 49, 2. 3: Bd. 4). 1 J a , schon diese naturh a f t e Hinordnung der Wesen aufeinander u n d die aus ihr entspringende .Neigung' zueinander offenbart (repraesentat) als blasse, aber genügend deutliche ,Spur' den Heiligen Geist als die ewige personhafte Liebe innerhalb der Dreifaltigkeit (CG I V 26). Diese n a t u r h a f t e ,Liebe' ist als inclinatio sequens a d f o r m a m mit dem Wesen der Geschöpfe gegeben, sie begegnet uns deshalb auf den untersten Seinsstufen ebenso wie auf den höchsten. „ N a t u r h a f t e Liebe —• sagt Thomas I - I I 26, 1 Zu 3 (Bd. 10) — findet sich nicht bloß in den K r ä f t e n der pflanzlichen Seele, sondern in allen Seelenvermögen, auch in allen Teilen des Körpers u n d ganz allgemein in allen Dingen. Denn ,allen ist das Schöne u n d Gute liebenswert', wie Dionysius sagt, d a jedwedes Wesen eine naturinnere Ubereinstimmung mit dem h a t , was ihm gemäß seiner N a t u r z u k o m m t " (vgl. ebd. K o m m , zu 26, 1). Die Stufen dieser Liebe können wir in strenge Parallele setzen zu den Analogiestufen der Selbständigkeit, wie wir sie oben betrachtet haben, u n d zwar deshalb, weil ein innerer 1 Vgl. J. E n d r e s CssR: Die Liebe als sittliche Grundmacht. NO 1 (1946/47) 242—262.

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Zusammenhang besteht zwischen Liebe und Selbständigkeit: 23, 1 j e innerlich (!) selbständiger der Träger der Liebe, um so weniger triebhaft, unbewußt, unfrei ist die Liebe; um so selbstherrlicher ist sie. Nehmen wir hinzu, daß Gott den Dingen das Sein der E x i stenz unaufhörlich und unmittelbar einströmen muß, damit sie nicht ins Nichts zurückstürzen ( 1 9 , 2 : B d . 1; 1 0 4 , 3 . 4 : B d . 8) und daß E r , der Allwirker, in allen Wesen als E r s t u r s a c h e (!) alle Bewegung in jeder Art der Bewegung, jede Lebensäußerung auf jeder Stufe des Lebens Selbst wirkt, daß nicht die leiseste Veränderung im Seienden, auch nicht im mikroskopischen oder submikroskopischen Bereich, Seiner Herrschaft und Lenkung entzogen ist (vgl. Pascual J o r d a n , Die Wandlung unseres Naturbildes, Lüneburg o. J . [1948] S. 18 ff.), daß Thomas überdies alle Bewegungen innerhalb der Schöpfung dem Heiligen Geiste als dem Repräsentanten der Gutheit und der Liebe des Dreifaltigen Gottes zueignet, dann ahnen wir etwas von der Einheit und Geschlossenheit des Weltbildes, das in diesem Geiste lebendig war. „Weil sie aus der Liebe stammen, die Wesen, müssen sie lieben": die Schöpfung wird zum Prisma der unendlich seinsmächtigen Liebe Gottes. Ganz neue Perspektiven eröffnen sich uns, wenn wir nun den G e g e n s t a n d betrachten, an dem die Liebe sich entzündet. Die Liebe geht notwendig, und deshalb immer, auf ein Gut. Aber es gilt auch umgekehrt: mir das Gute kann Liebe locken. J a , Liebe und Gut sind derart korrelat verschwistert, daß die Liebe ohne Gut nicht zu denken ist; denn „die Bewandtnis von Gut liegt gerade darin, daß etwas Gegenstand des Verlangens (d. h. der Liebe) i s t " ( 1 5 , 1: B d . 1). Deshalb ist es „unmöglich, daß jemand irgendetwas wolle oder tue, ohne das Gute im Auge zu haben, oder daß er vom Guten als solchem abweichen wolle" (I 62, 8 : B d . 4). Auch kann es „kein Strebevermögen geben, das nicht auf Gutes geht" (ebd. 59, 4). I 5, 1 (Bd. 1) gibt Thomas die metaphysische Begründung dafür: Gegenstand des Verlangens kann etwas nur sein, weil und soweit es den Verlangenden vervollkommnet; vervollkommnen kann es jedoch nur, weil und soweit es selbst vollkommen ist; vollkommen aber ist es nur, soweit es im Sein steht, Ereignis ist. Demnach wird „in allem Gutem ein Sein begehrt" (ebd. Art. 2 Zu 4). Weil also alles Seiende, sofern es seiend ist, auch gut ist (vgl. oben S. 405f.), kann schlechthin alles Gegenstand einer Liebe werden. Ferner: Wenn die Bewandtnis von ,gut' maßgebend ist für Liebe überhaupt, dann wird das höhere und reichere Gut die Liebe stärker locken als das geringere und seinsärmere. D a nämlich ,seiend'= ,gut* ist, bestimmt der höhere ,Gehalt' an Sein, wie er mit den Seinsstufen wächst, auch den höheren und größeren Gehalt an ,gut'. Dem größeren Seinsreichtum entspricht eine stärkere Strahlkraft von ,gut': „Ein jedes Ding hat so viel an Gut, als es an Sein h a t " ( I - I I 18, 1: B d . 9). Nun aber „begründet die Verschiedenheit in den Gegenständen offenbar eine Artverschiedenheit des Wortes und der Liebe.

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23, 1 D e n n nicht artgleich ist das im Menschenherzen empfangene W o r t von Stein u n d P f e r d , u n d nicht artgleich ist die Liebe" {I 93, 8: Bd. 7). Diese Verschiedenheit der Gegenstände wächst, wie wir gesehen haben, mit der regionalen Differenzierung. Den S t u f e n des Seins entsprechen die Stufen von , g u t \ J e d e m ,gut' auf den verschiedenen Seinsstufen ist aber eine völlig verschiedene, n u r analog zu bestimmende Art von Liebe zugeo r d n e t . Stein u n d Blume reagieren in keiner Weise auf die Liebe ( = Wertschätzung) des Menschen, Pferd u n d H u n d dagegen bereits sehr deutlich, j a geradezu .leidenschaftlich'. Schon darin zeigt sich, daß die ,Liebe' des Pferdeliebhabers zu seinen Pferden eine andere ist als die des Steinsammlers zu seinen Steinen. Sie unterscheiden sich wie das Lebendige v o m Leblosen. Das heißt: der freilich in beiden Fällen lebendige A k t des .Liebhabers' h a t eine metaphysisch verschiedene Qualität, je nachdem von welchem Gegenstand er hervorgelockt ist, ob er sich auf ein lebendiges oder auf ein lebloses Sein richtet. Dem größeren Seinsreichtum entspricht eine stärkere Strahlk r a f t von ,gut', sagten wir. Also entspricht dem unendlichen Seinsreichtum Gottes eine ebenso unendlich starke Strahlkraft von ,gut'. Die nächste Konsequenz, die Thomas selbst daraus zieht (I 44, 4 Antw. u. Zu 3; 60, 5: Bd. 4; I - I I 109, 3 Zu 1: B d . 14), ist diese, daß alle Wesen von N a t u r , d. h. in n a t u r h a f t e r Liebe Gott mehr lieben als sich selbst. Die Begründimg d a f ü r gibt Thomas u n t e n in 26, 3, wo er zugleich die den einzelnen Seinsstufen entsprechende Art der Liebe unterscheidet: die rein geistige der Engel, die vernunftbestimmte des Menschen, die sinnenhafte des Tieres oder „wenigstens" die rein n a t u r h a f t e „der Steine u n d der anderen Dinge, die keine Erkenntnis haben". D a s ist die m e t a - p h y s i s c h e Schwerkraft, die alle Wesen der Schöpfung beherrscht u n d sie über sich hinaushebt in ihren Ursprung hinein. Die ontische Grundverfaßtheit des gesamten Kosmos ist Liebe. „In dieser K r a f t schwingt der ganze Kosmos wie jedes Menschenherz" (L. S c h o l z ) . Dazu k o m m t noch folgende Überlegung: gut ist nur das, was u n d soweit es wirklich ist, also in der existentiellen Ordnung steht. E r s t die Existenz m a c h t das Ding ,gut' (I 6, 3 Zu 3 u. Anm. [97]: Bd. 1). Nicht das gedachte Ding ist schon gut, sondern erst das verwirklichte; nicht das bloße Wissen u m die Dinge macht den Menschen gut, sondern das Wollen; nicht der Verstand wird gut genannt, sondern der Wille (ebd. 5, 4 Zu 3). I n Gott aber fallen Wesen u n d Dasein in eins zusammen: Sein Dasein i s t Sein Wesen (ebd. 3, 4 u. ö.). Wo daher Gott dem Menschen so wirklich wird wie das tägliche Brot, wo Seine konkrete Existenz erfahren wird (cognitione quasi experimentali: I 43, 5 Zu 2: Bd. 3), dort wird der Mensch notwendig zur Liebe Gottes „hingerissen" (Präfation von Weihnachten), weil er mit der Existenz zugleich instinktiv die unendliche Fülle der Gutheit Gottes wenigstens e r a h n t ; weshalb Thomas f ü r die Gottesliebe den Ausdruck ,amor' (Liebestrieb) dem anderen ,dilectio' {Wahl-Liebe) vorziehen möchte ( I - I I 26, 3 Zu 4: Bd. 10).

422

§ 2. Liebestrieb

und

Liebeswille

Diese beiden sind so verschieden wie Geistseele und Tierseele, Menschenleib und Tierleib; und doch ist wiederum ein fundamentaler Unterschied zwischen dem Liebestrieb des Tieres und dem des Menschen; eben weil das gesamte Sinnenleben des Menschen eine Seinsstufe höher liegt als das des Tieres. Nur beim Menschen kann man vom „isolierten Sexus" sprechen, beim Tier ist die Isolierung irgendeiner Vitalsphäre wesensmäßig unmöglich. Wenn schon die Gesundheit des Menschen eine andere ist als die des Tieres ( I - I I 63, 4 : B d . 11), dann ist erst recht das gesamte Sinnenleben — das im Menschen selbst wieder höher liegt als das rein Somatische in ihm, obwohl es zur selben Leibwirklichkeit gehört — um eine Seinsstufe höher als das des Tieres. Deshalb: K a u m eine Unterscheidung ist so wesentlich und für das sittliche Leben und damit für das Wohl der menschlichen Gesellschaft so entscheidend wichtig wie die zwischen Liebestrieb und Liebeswille. Das Wort ,Liebe' ist in seiner Vieldeutigkeit von der Masse der Menschen sehr eindeutig festgelegt auf einen Bereich, der arrogant das Monopol für Liebe beansprucht. I m Besitz dieses Monopols wähnt die Masse sich reich und weiß „nicht, wie unglücklich und elend und arm und blind und n a c k t " sie ist (Offb 3, 17). Wie kann es zu solch verhängnisvoller Monopolisierung kommen? Der Mensch ist „kosmomorph" ( S c h e l e r ) , ein Kompendium der gesamten Schöpfung und nicht nur der sichtbaren. Deshalb müssen sich in ihm alle Stufen der Liebe entsprechend der hierarchischen Ordnung seiner Natur und seiner Kräfte wiederfinden. Der emotionale Bereich im Kräftespiel seiner Natur ist genauso ein Spiegelbild des Gesamtkosmos wie die Hierarchie der in ihm verwirklichten Seinsstufen. Dabei geht der emotionale Bereich über das Ensemble seiner sinnlich-geistigen Wahrnehmungs- und Erkenntniskräfte noch hinaus, reicht tiefer hinab und höher hinauf. Auf der einen Seite umfaßt er noch den Bereich des Unterbewußten und Unbewußten seiner Natur. Auf der anderen Seite transzendiert er alles natürlich Wißbare und steigt hinauf in die Regionen des Göttlichen. Die Aufhellung jenes dunklen Bereiches der Natur hat Thomas in seinem klassischen Traktat über die Leidenschaften versucht (vgl. bes. I - I I 22—27 mit K o m m . : B d . 10). Hier genügt es, noch einmal auf die a b s o l u t e T r a n s z e n d e n z d e s W i l l e n s als einer geistigen K r a f t gegenüber der gesamten stofflichen Natur mit Einschluß alles dessen, was sich in der Leibsphäre des Menschen und durch sie hindurch vollzieht, energisch hinzuweisen. Thomas selbst warnt schon im Sentenzenkommentar (3 d 27: 2, 3) und wieder in CG I I 81 (am Schluß) eindringlich davor, die Ausdrücke ,Liebe', ,Freude' und dergleichen unterschiedslos für den Leidenschafts- und den Willensbereich zu gebrauchen: „Denn manchmal werden sie für die Leidenschaften gebraucht, und so sind sie Akte des sinnlichen Strebevermögens, des begehrenden oder des überwindenden. . . Zuweilen werden sie aber auch für den schlichten Willensakt

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1 genommen, der ganz ohne Leidenschaft ist", und so sind sie in der abgeschiedenen Seele und noch in Gott. I n diesem Sinne unterscheidet auch A r i s t o t e l e s , wie Thomas noch dazu bemerkt, die Liebe der Freundschaft von der Liebe der Leidenschaft (Eth nr. 1602 ff.). Auch diese unterscheiden sich genau so tief wie die Welt des Geistes von der Welt des Stoffes. Das wird noch unterstrichen durch die Behauptung des hl. Thomas, daß die Tätigkeiten, die aus verschiedenen Vermögen hervorgehen, nicht nur der Art, sondern sogar der Gattung nach verschieden sind ( I - I I 23, 1: B d . 10). Und welche Seelenvermögen könnten sich stärker unterscheiden denn der Wille als geistige Potenz und das sinnliche Strebevermögen, das dem Stoff verhaftet ist! Besonders der Unterschied bzw. Gegensatz zwischen dem isolierten Trieb und der echten, tiefen Liebe, die vom Geiste her bestimmt ist, kann nicht groß genug gedacht, nicht klar genug gesehen werden. U m diesen Gegensatz deutlich zu machen, stellen wir einige Charakteristika der beiden B e wegungen zusammen. Wenn wir dabei von ,Trieb' sprechen, meinen wir den i s o l i e r t e n Sexus und nicht den vom Willen beherrschten und in Dienst genommenen Trieb, der mit der lauteren Willensbewegung zu einer Totalbewegung der Person zusammenwächst, ähnlich wie das Sehen des Menschen entsprechend seiner Doppelnatur ein einziger Akt ist mit zwei Komponenten: einer sinnenhaften und einer geistigen. Deshalb ,sieht' der Mensch entscheidend anders als das Tier, wie er auch anders ,fühlt', anders ,liebt', auch dann, wenn in seiner Liebe die ungebrochene K r a f t des Sexus und die Zartheit bräutlicher oder der Gattenliebe mitschwingt. Denn an sich ist beim Menschen weder der Leib von der Seele noch die Seele vom Leibe zu trennen. Beide Wesenskomponenten sind nicht etwa zwei unabhängig voneinander existierende Größen oder ,Dinge', sondern bilden metaphysisch e i n Wesen. E s ist deshalb richtiger zu sagen: der Leib i s t die inkarnierte Seele selbst, als in einer falsch verstandenen Und-Verbindung von Leib u n d Seele zu sprechen. Daher geht auch die echte Geschlechtsliebe, die wohl zu unterscheiden ist vom isolierten Geschlechtstrieb, auf die P e r s o n im anderen Geschlecht, während der isolierte Trieb das G e s c h l e c h t in der Person sucht, dabei aber den Personcharakter des Geschlechtspartners völlig übersieht. Die Seele wird „zur Witwe im Arme des Geliebten" (G. v. L e Fort). Wenn wir jedoch die Eigennatur der beiden Bewegungen exakt begrifflich fassen wollen, können wir das nicht besser als dadurch, daß wir sie gedanklich isolieren und als solche voneinander abheben. Diese Isolierung ist freilich konkret nur möglich beim Menschen; beim Tier gibt es nichts zu isolieren, weil das Tier immer aus der Ganzheit seiner Instinktnatur lebt. Der isolierte Sexus, wie er beim Menschen auftreten kann und oft genug auftritt, ist deshalb etwas ganz anderes als der Geschlechtstrieb im Tier. Daher kommt es auch, daß der Mensch nicht a u f die Ebene des Tieres herabsinken kann; wenn er von sich selbst abfällt, sinkt er notwendig u n t e r die Stufe des Tieres

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hinunter: corruptio optimi pessima — die Zerstörung des 23, l Edelsten ist die schlimmste. Betrachten wir also die Wesenszüge von Liebe und Trieb zunächst in bezug auf den Träger der beiden, so müssen wir sagen: Liebe kommt aus dem Geiste — Trieb aus dem Fleische; Liebe kommt aus des Menschen Mitte, dem Herzen — Trieb aus einer isolierten, d. h. sich selbständig machenden Teilkraft, der Begierde; Liebe macht frei und „zieht immer mehr Freiheit an sich" (L. S c h o l z ) •—- Trieb macht unfrei und büßt immer mehr an Freiheit ein, je mehr der Mensch sich ihm ausliefert; Liebe ist primär aktiv — Trieb rein passiv, nur scheinbar aktiv; Liebe ist stetig, fest, dauernd — Trieb unbeständig, launenhaft, führt schnell zum Überdruß; Trieb zieht nach unten — Liebe zieht, der Schwerkraft entgegen, nach oben („Deine Heiligen sind wie Wasser, die aufwärtsfließen gegen die Berge" [G. v. L e F o r t ] ) . Deswegen ist Liebe „schwer" (Rilke). Liebe adelt und veredelt — Trieb macht gemein; 2Vie6-Befriedigung ist käuflich, wird zur Marktware (Prostitution, Mädchenhandel) — Liebe kann man nicht kaufen, sie ist nicht ,Sache', sondern höchster Personwert; Liebe schützt, pflegt, vollendet die Eigenart der Persönlichkeit •—• Trieb ist der schnellste Weg zur Vermassimg; Liebe vertieft — Trieb verflacht; Liebe bewahrt und sammelt die Kräfte — Trieb zersplittert und vergeudet sinnlos; Liebe macht stark •— Trieb schwächt; Liebe verjüngt — Trieb braucht schnell auf; Liebe macht sehend •—• Trieb macht blind; Liebe kommt aus dem Reichtum des Geistes und Herzens — Trieb aus Armut und Bedürftigkeit; Liebe belohnt — Trieb verzehrt; Liebe macht reich und reicher — Trieb macht arm und ärmer; Liebe ist schöpferisch, fruchtbar •— der isolierte Trieb steril; Liebe umfaßt den ganzen Menschen mit all seinen Kräften — der isolierte Trieb kennt nur sich, ohne Rücksicht auf die Gesundheit des Ganzen; Liebe ist selbstlos — Trieb selbstisch; Liebe macht das Herz weit — Trieb kommt aus der eigenen Enge nicht heraus. Betrachten wir jetzt beide Bewegungen im Miteinander und Zueinander der Menschen. Dabei nehmen wir Trieb nicht spezifisch als Geschlechtstrieb, sondern in der ganzen Breite seiner Differenzierung als Nahrungstrieb, Fortpflanzungstrieb, Sensationshunger, Machttrieb, Erkenntnistrieb usw. So ergibt sich folgendes Bild: Liebe will dienen — Trieb will herrschen; wo ,Liebe' zur Tyrannei wird, ist nicht selbstlose Liebe am Werk, sondern egoistischer Trieb; 28

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23, 1

Liebe hat Achtung und Ehrfurcht vor der Person u n d dem Leibe des anderen, sie baut auf, rettet, führt empor •—• Trieb vergewaltigt, zerstört, und das erste, was er zerstört, ist gerade die Liebe; Liebe eint, führt zusammen — Trieb entzweit; Liebe wählt sorgfältig aus (vgl. I 23, 4 : B d . 2) — Trieb geht wahllos auf das erste beste O b j e k t ; Liebe als Willensbewegung ist von Verantwortung getragener heiliger Ernst •— Trieb treibt sein verantwortungsloses Spiel mit seinem Opfer und fragt nachher obendrein noch zynisch: „Bin ich denn der Hüter meines Bruders?" Die Eifersucht der Liebe ist eine ganz andere als die des Triebes: „Ich eifere um euch mit Gottes Eifersucht" (2 Kor 11, 2); Liebe als Leidenschaft schlägt leicht um in Haß — nicht so die echte Liebe des Geistes, die sich noch dem Feinde zu• wendet, um ihn zu gewinnen und dadurch zu r e t t e n ; Liebe ist im Grunde die einzige bewahrende K r a f t , ohne Liebe zerstören auch die an sich lebenerhaltenden K r ä f t e . So hat wiederum G. v. L e F o r t recht: „ A l l e s b e h a r r t nur durch L i e b e im Sein!"1 § 3. Liebe als

Freundschaft

Darüber hat Thomas in Band 10 bereits Wesentliches gesagt. Vgl: I - I I 26, 4 : 27, 3; 28, 1. 2. 4 mit den entsprechenden Abschnitten im Kommentar. Wir verweisen auf diese Artikel, um nicht schon Gesagtes zu wiederholen und den vorliegenden Kommentar nicht unnötig zu belasten.

1. D i e S t u f e n d e r F r e u n d s c h a f t i m L i c h t e d e r A n a l o g i e . — U m auch hier die Lehre des hl. Thomas vor Mißverständnissen zu bewahren, ist es entscheidend wichtig, die verschiedenen Arten der Freundschaft sauber voneinander zu trennen und in ihrem sehr ungleichen Wert zu erkennen. Auch hier hilft uns wieder die Analogie, denn diese verschiedenen Arten stehen in einem festen Verhältnis des Früher und Später. E s handelt sich hier also nicht etwa um bloße Spielarten der Freundschaft, deren Unterscheidung für die Wissenschaft belanglos wäre, sondern um W e s e n s g r e n z e n , denn im Begriff fassen wir das Wesen der Dinge: „Der Sinngehalt, den der Name ausdrückt, deckt sich mit der Begriffsbestimmung" (I 13, 6; ebd. Art. 1. 4. 8 Antw. u. Zu 2 ; 10 Anders.-. B d . l ) . Entsprechend der Einteilung des Guten in das Edle, Nützliche und Angenehme bzw. Lustvolle (I 5, 6 Antw. u. Zu 3 mit Anm. [89]: B d . 1), unterscheidet Thomas mit A r i s t o t e l e s drei Arten der Freundschaft: E r s t e n s , die vollkommene Freundschaft als summum analogatum, von dem sich die nachfolgenden analogata als F r e u n d schaft' in abgeschwächtem Sinne (Eth nr. 1622) ableiten. Grund, Ziel und Leben dieser Freundschaft werden bestimmt durch das bonum honestum: das edle Gut der Tugend, durch die g e g e n s e i t i g e Bemühung um den sittlichen Fortschritt des Freundes. 1

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Vgl. L.-B. G e i g e r OP, Le problème de l'amour chez S. Th. d. A. 1952, 39 ff.

Die z w e i t e , schon weniger hohe Art der Freundschaft ist 23, 1 jene, deren Hauptziel und Inhalt das lustvolle Zusammensein und Miteinanderleben der Freunde darstellt. Die d r i t t e , niederste Art der Freundschaft baut rein auf dem Nutzen auf, den der eine vom anderen erhofft. Es ist die Freundschaft der „guten Verbindungen" und des Geldbeutels (Eth nr. 1614). Immer wieder weist Thomas darauf hin, daß diese drei Arten des Guten und der auf ihnen basierenden Formen der Freundschaft nicht als gleichwertige Arten nebeneinander stehen; so schon in 15, 6 Zu 3 (Bd. 1): „Diegenannte Einteilung ist keine Einteilung in gleichartige Güter, sondern in Güter, die zueinander in einem Verhältnis stehen, d. h. in einer bestimmten Reihenfolge ,gut' genannt werden. In erster Linie wird das Edle ,gut' genannt, in zweiter Linie das Angenehme (Lustvolle), in dritter Linie [in Abhängigkeit von den beiden anderen] das Nützliche" (vgl. I - I I 8, 2 Zu 2; 3 Zum Anderseits: Bd. 9). Und zwar besteht zwischen der ersten und zweiten Form des Guten wie auch zwischen den entsprechenden Formen der Freundschaft die Analogie in ihrer strengsten und reinsten Form, nämlich als Verhältnisgleichheit. Denn beide Güter, das Edle der Tugend wie die Lust, sind in sich selbst gut, können also in sich selbst Ziel des Strebens sein, während das .Nützliche' seine Gutheit vom Ziel borgen muß (Eth nr. 1552). Hier spielt der ganz wesentliche Qualitätsunterschied von Ziel und Mittel hinein (Art. 7; I I I 18, 3: Bd. 26). Das Nützliche ist seinem Begriff nach nur Mittel und deshalb in seiner Gutheit, seinem ontischen oder sittlichen Wert ganz vom Ziel her bestimmt; es hat lediglich Gebrauchswert. Je höher das Ziel, um so vornehmer die Mittel zu diesem Ziel, und unter den verschiedenen Mitteln wieder gilt das als das bessere, das schneller, leichter und sicherer zum Ziele führt. Deshalb besteht zwischen den beiden ersten Formen der Freundschaft und der dritten Form auch nur die „Analogie der Zuteilung" (analogia distributionis), wie sie etwa besteht zwischen der .gesunden' Medizin oder der .gesunden' Speise und der Gesundheit des Menschen. Medizin und Speise sind Mittel, Gesundheit ist Ziel. „Das Ziel aber ist edler als das Mittel" (I 44, 4 Zu 2: Bd. 4). Entsprechend der grundverschiedenen Qualität des Guten, das die Freunde aneinander suchen, sind nun auch die Freundschaften verschieden zu bewerten (Eth nr. 1563). Unterscheiden sich die beiden ersten Formen von der dritten wie Ziel, das in sich selbst gut und erstrebenswert ist, und Mittel, das seine Gutheit vom Ziel borgen muß, so unterscheiden sich die beiden ersten wieder voneinander wie das Geistige oder Vernunfthafte vom Sinnenhaften der Leidenschaft (Eth nr. 1552, 1602 ff.), denn in der zweiten Form der Freundschaft wird der Freund nur gesucht als angenehmer Gesellschafter etwa beim Spiel, also nur, weil er Gutes bringt, und insofern steht diese Form der Freundschaft wieder auf der gleichen Stufe mit der dritten Form —• der Freundschaft des Geldbeutels: nicht der Freund wird geliebt und um seiner selbst willen bejaht, weil er ist, der 28*

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23, l er ist (ebd. 1560 f., 1590 f.), sondern geschätzt wird das, was er bringt, seine angenehme Gesellschaft oder sonst irgendein Vorteil (nr. 1557 f., 1827). Deshalb bezeichnet Thomas mit A r i s t o t e l e s auch die erste F o r m als per se amicitia — Freundschaft a n sich u n d wesentlich (nr. 1574—79, 1592, 1601), die anderen beiden F o r m e n als per accidens amicitia« — Freundschaften so nebenbei u n d zufällig (Eth nr. 1566, 1576, 1595). Wir müssen uns also sehr hüten, F r e u n d s c h a f t als homogenen Begriff zu fassen. Dazu k o m m t f ü r das Verständnis des ersten Artikels noch folgendes hinzu: W e n n die drei Arten der Freundschaft schon i m irdischen, rein menschlichen B a u m nur in analoger Weise a n dem im Wort ausgedrückten Sachverhalt teilhaben, so daß wir in ihnen drei wesensverschiedene F o r m e n von Freundschaft sehen müssen, d a n n f ü h r t der Brückenbogen der Analogie uns erst recht über einen durch keine menschliche T a t überbrückbaren Abgrund zu dem, was mit d e m Ausdruck ,Gottesfreundschaft' gemeint ist. W e r die Analogia entis et fidei (s. B d . 15, S. 355 £f.) im Begriff der Freundschaft übersieht, k a n n deshalb den Gedanken des hl. Thomas, der das Wesen der übernatürlichen Gottesliebe als Gottesfreundschaft bestimmt, nicht mitvollziehen. Die beiden großen Fragen 12 u. 13 des ersten Buches der Summa mit ihren 25 Artikeln m ü ß t e n hier herangezogen werden, u m ein volles Verständnis dieser Analogie im Begriff der Gottesfreundschaft zu ermöglichen. Gott bleibt a u c h in der Gottesfreundschaft der „ganz Andere", dessen Wesen uns unzugänglich ist, wie Thomas nicht m ü d e wird zu betonen (vgl. Bd. 8 A n m . [15]; dort weitere Hinweise). 2. E i n i g e H a u p t s ä t z e ü b e r d i e v o l l k o m m e n e , d i e F r e u n d s c h a f t i m e i g e n t l i c h e n S i n n e . — W a h r e Freundschaft b e r u h t immer auf f r e i e r W a h l ( 1 2 3 , 4 : B d . 2; E t h nr. 1538, 1603, 1743, 1831), nicht auf Trieb oder Leidenschaft, ist also nur möglich von Geist zu Geist. W a h r e Freundschaft setzt zudem e c h t e T u g e n d voraus, u n d zwar in beiden P a r t n e r n , so daß sie geradezu als Wirkung der Tugend angesehen werden m u ß (Eth nr. 1605, 1802—12, 1905, 1924ff.). D a r a u s ergibt sich weiter: F r e u n d s c h a f t ist n i c h t v o r ü b e r g e h e n d e r A k t wie die Liebe der Leidenschaft (Eth nr. 1602ff.), sondern e i n f e s t e s , a u f D a u e r a n g e l e g t e s G e h a b e n u n d zwar wiederum in beiden P a r t n e r n (Eth nr. 1577, 1579, 1584, 1623, 1761). Diese Freundschaft ist also i m m e r g u t , wie die Tugend, deren E r h a l t u n g u n d Förderung ihr Ziel u n d ihr Leben ausmacht (Eth nr. 1575, 1803—1811, 1905, 1924 ff., 1951 usw.). D e n n „niemand wird zweifeln", sagt A u g u s t i n u s , „daß die Tugend aus der Seele das Beste m a c h t " . Tugend aber ist schwer, ist ein b o n u m a r d u u m , ein Steilgut u n d läßt sich ohne das Beispiel u n d die a u f m u n t e r n d e n Worte des Freundes nur schwer durchhalten. So bedeutet Freundschaft g e g e n seitige E r q u i c k u n g u n d w i r k s a m e Hilfe im Streb e n n a c h d e m H ö c h s t e n (Eth nr. 1616; vgl. I 20, 2: Bd.2). I n der J u g e n d ist sie ein Schutz gegen die sittlichen Gefahren, im Alter eine Hilfe gegen die körperlichen Gebrechen. So 428

sichert sie die physische u n d geistig-sittliche Existenz der 23, l Freunde (Eth nr. 1539f., 1729, 1894, 1926—43, 1951 usw.). Daher erscheint die Freundschaft als das, was dem Menschen a m meisten n o t t u t (Eth nr. 1539). Freundschaft nämlich gibt jene Möglichkeit, ohne die jedes Menschenleben sinnlos bleibt, die Möglichkeit, das bonum diffusivum sui (vgl. oben S. 409) in der schönsten F o r m zu verwirklichen (Eth ebd. u. nr. 1576). Denn der ureigenste A k t der Freundschaft (praecipuus actus) ist das Zusammenleben der Freunde, wobei sie sich gegenseitig ihr Gutes mitteilen (Eth nr. 1600, 1657—1671, 1698, 1702, 1724, 1794, 1896—99, 1918—23f., 1945—51; CG I V 21 §7), was Thomas hier im Artikel unter communicatio: Gemeinschaft, Lebensaustausch usw. versteht (vgl. 25, 3 u. Anm. [3]). So sind gegenseitige E i n t r a c h t u n d lebendiger Gedankenaustausch wichtigste Voraussetzung f ü r das Leiben der Freundschaft (Eth nr. 1607f., 1910, 1947ff.; I - I I 2 8 , 1 Zu 2: Bd. 10). U n d diese wieder gründen in etwas, was diesem Zusammenleben noch vorausliegt, ja, was als allererste Grundlage Freundschaft ü b e r h a u p t erst möglich m a c h t : in der Ä h n l i c h k e i t , die schon in der Gotteslehre des hl. Thomas eine so große Rolle spielt (vgl. I 14, 11; 19, 2: Bd. 2; 27, 4 Zu 2 u. Sachverz. zu Bd. 1), denn „das Ähnliche ist auch das Liebenswerte" (Eth nr. 1545), was durch eine Reihe sprichwörtlicher Aussagen erhärtet wird, wie z. B. „Gleich u n d gleich gesellt sich gern" (Eth nr. 1545); „Ähnliches verlangt nach Ähnlichem" (Eth nr. 1547 f.; vgl. 1 2 0 , 4 Anders.: Bd. 2; 6 0 , 4 Anders.-. Bd. 4; I - I I 27, 3 Anders.: Bd. 10); „Ähnliches ist dem Ähnlichen F r e u n d " (Eth nr. 1790); „Ähnliches h a t Freude a m Ähnlichen" ( I - I I 32, 7: Bd. 10); „Jedes Wirkende wirkt ein ihm Ähnliches" (I 4, 3 — dort über die Stufen der Ähnlichkeit; 6 , 1 : Bd. 1; 19, 4: Bd. 2; 45, 5 E. 1 u. Zu 1: Bd. 4; I - I I 54, 2: Bd. 11; Car 9 E . 5 u. Zu 5; CG I I I 19, 151); „Ähnliches u n d Ähnliches steigern sich gegenseitig" ( I - I I 38, 2 Zu 2: Bd. 10; vgl. 52, 3: Bd. 11). I m K o m m e n t a r zur E t h i k des Aristoteles (nr. 1541) scheint Thomas die Ähnlichkeit, die in der gleichen N a t u r gründet, zur Freundschaft bereits zu genügen, „als sei der Mensch jedem Menschen bereits Bruder u n d F r e u n d " (vgl. I - I I 27, 3). I n CG I 91 genügt ihm die in der gleichen N a t u r wurzelnde Ähnlichkeit k a u m zur Freundschaft. Viel wirksamer ist ihm d a schon die L e b e n s g e m e i n s c h a f t , die sich aus der gleichen Geburt, wie bei Geschwistern (Eth nr. 1712f., 1717), vor allem aus dem persönlichen täglichen Umgang sowie aus der Gemeinsamkeit der Sitten u n d Lebensanschauungen ergibt (Eth nr. 1541—47, 1596, 1600, 1649f., 1654, 1794, 1830 u. ö.). Auf einen Nenner gebracht, ist es die Ü b e r e i n s t i m m u n g i n d e r F o r m , sei es auf der ontischen Ebene, sei es auf der Ebene des Lebensstils (I 4, 3: Bd. 1; I - I I 27, 3: Bd. 10); auf keinen Fall genügt die Übereinstimmung in wissenschaftlichen oder philosophischen F r a g e n (Eth nr. 1831). Doch dürfen wir allgemein sagen: „An sich ist Ähnlichkeit d i e Ursache der F r e u n d s c h a f t " (Eth nr. 1588, 1650; I - I I 28, 1 Zu 2: Bd. 10). 429

23, 1

3. — Diese Ursache begründet zugleich, direkt oder indirekt, die drei W e s e n s b e d i n g u n g e n bzw. Wesensmerkmale wahrer Freundschaft: sie verlangt a) w e c h s e l s e i t i g e Liebe ( E t h nr. 1559f., 1603, 1727; 1 2 0 , 2 Zu 3 : B d . 2), und zwar b) beiderseits u m d e s F r e u n d e s w i l l e n (Eth nr. 1558f., 1604f., 1786, 1798f., 1858), und überdies muß diese wechselseitige Liebe c) von beiden a l s s o l c h e e r k a n n t sein ( E t h nr. 1560 f.). Die Freunde vertauschen gewissermaßen ihre Plätze, sofern jeder den Freund als das „andere I c h " liebt (17, 3 : B d . 16; E t h nr. 1543, 1811f., 1886, 1896, 1909; I - I I 28, 1 Antw. u. Zu 2 : B d . 10; CG I V 21 § 7). I n der wahren Freundschaft vollzieht sich eine Art Liebesaustausch (commutatio amoris) wie bei der Tauschgerechtigkeit (secundum modum commutativae justitiae — E t h nr. 1559f.). 1 E s findet eine geistige Verschränkung statt, wobei Selbstliebe sich wandelt in Freundesliebe und Freundesliebe zur höchsten und lautersten Form der Selbstliebe wird, sofern beide Liebenden sich wechselseitig im Freunde a l s Geliebte wiederfinden ( E t h nr. 1605). Und doch liegt dem Freunde nicht so sehr daran, geliebt zu werden als zu lieben (Eth nr. 1648). So geht das Band der Liebe doppelt hinüber und herüber. Der Liebende tritt mit allem, was er ist ( E t h nr. 203), über in den Geliebten, um dessen Leben zu seinem Eigenleben zu machen (Eth nr. 1860). Ehre und Glück des Geliebten sind fortan das Leben des Liebenden. So stehen die Freunde, geistig gesehen, nicht mehr n e b e n e i n a n d e r , sondern ineinander ( I - I I 28, 2 : B d . 10). Daher ist die Freundschaft als die höchste und idealste Verwirklichung der Liebe überhaupt anzusehen ( 3 d 2 7 : 2 , 1 ) . E s ist einleuchtend, daß solche Freundschaft nur unter charaktervollen, innerlich ausgeglichenen Menschen möglich wird, deren ganzes Leben von sittlichem Ernst getragen ist (Sir 6, 16f.), die also nicht nur in sich selbst, sondern auch dem Freunde wahrhaft ,gut' sind ( E t h nr. 1575, 1601). Deshalb sind nur die Guten schlechthin al3 Freunde zu bezeichnen ( E t h nr. 1595). Diese Menschen sind dann Freunde in einem letzten und höchsten Sinne (maxime amici — E t h nr. 1576). Kein Wunder, daß solche Freundschaft sehr selten (Eth nr. 1581 f.) und nur mit einem oder ganz wenigen Menschen zugleich möglich ist ( E t h nr. 1609—1611, 1913—1924); Sir 6, 6 : „Viele mögen es sein, mit denen du in Frieden lebst, doch dein Vertrauter sei nur einer aus tausend." Uberflüssig zu bemerken, daß diese wahre Freundschaft die Vorteile der beiden anderen Formen in sich schließt, aber in einem weit höheren und erhabeneren Sinne ( E t h nr. 1578—1580, 1601, 1616, 1622, 1723, 1920, 1931, 1933, 1936), ohne daß sie jedoch als Motiv für die Freundesliebe wirksam wären. E r s t e n s ist in der Freundschaft der edlen und tugendhaften Menschen die Freiheit größer als in der Gewinn-Freundschaft, die große gegenseitige Abhängigkeit bedeutet; und z w e i t e n s bringt die wahre Freundschaft die höhere und tiefere Lust 1 Über den sehr fruchtbaren Vergleich von Freundschaft und Gerechtigkeit und ihren ideellen Zusammenhang vgl. Eth nr. 1542 f., 1631 f f , 1657 f., 1664, 1688(1), 1693—1696, 1698—1700, 1726, 1733 ff.

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u n d Freude des Geistes, während die Lust der lustbetonten 23, 1 F r e u n d s c h a f t mehr der sinnlichen Sphäre angehört u n d wie diese sehr launenhaft u n d unbeständig ist (Eth nr. 1615). (Vgl. G e i g e r , a. a. 0 . , 90). Daher rechnet Thomas mit A r i s t o t e l e s die wahre Freundschaft zu den höchsten äußeren G ü t e r n des menschlichen Lebens (Eth nr. 1888). Sie ist nicht n u r f ü r den einzelnen, sondern auch f ü r das Staatsleben wichtiger als Gerechtigkeit (Eth nr. 1542f.). Derselben Meinung ist auch der weise Sirach: „Mit einem treuen Freunde ist nichts zu vergleichen, Gold und Silber ist wertlos gegenüber seiner Treue. E i n treuer F r e u n d ist ein Heilmittel f ü r Leben u n d Unsterblichkeit; die den H e r r n fürchten, finden einen solchen. Wer Gott fürchtet, wird auch g u t e Freundschaft haben, denn wie er selbst wird auch sein F r e u n d sein" (Sir 6, 15—17). Deshalb „selig, wer einen wahren F r e u n d gefunden" (ebd. 25, 12). § 4. Der Artikel

selbst

1. Die Einwände. — Schon A r i s t o t e l e s h a t t e wegen des „zu großen Abstandes" zwischen Mensch u n d Gott (Eth nr. 1635) die Möglichkeit einer Freundschaft des Menschen m i t Gott abgelehnt (E. 1). Wie h ä t t e er auch ohne Offenbarung, ohne den Glauben a n die Erlösung durch den Gottmenschen Jesus Christus, ohne die von Gott freigeschenkte heiligmachende Gnade u n d die mit ihr gegebene Gotteskindschaft einen solch kühnen, über alle menschliche Sehnsucht hinausgreifenden, alle menschlichen Möglichkeiten transzendierenden Gedanken ü b e r h a u p t fassen können! Zumal da nach seiner philosophischen Auffassung die Welt mit der Menschheit im eigentlichen Sinne gar nicht Gottes Welt ist, denn der Gedanke a n eine Schöpfung aus Nichts ist dem Stagiriten nicht gekommen. So trifft er sich zwar mit dem 1. Einwand in der Ablehnung der Möglichkeit einer Freundschaft des Menschen mit Gott, aber doch nur deshalb, weil er die Zuwendung des SchöpferGottes zum Menschen nicht erkannte u n d die erst durch Christus geschaffene Möglichkeit nicht ahnen konnte. Auf dem Hintergrunde s e i n e r religiösen Situation m ü ß t e uns, die durch Christus Erlösten und in die gnadenhafte Gottessohnschaft wieder Eingesetzten, diese neue Situation mit nie erm ü d e n d e m Danke erfüllen. Die weiteren Einwände sind nach dem, was in § 3 über die wahre Freundschaft gesagt wurde, ohne weiteres verständlich. 2. Das Anderseits. — Hier bringt Thomas den klassischen Text der Heiligen Schrift, das entscheidende Wort aus d e m Munde des Gottessohnes Selbst, gegen den es keine Instanz gibt. E r h ä t t e auch Lk 12, 4 a n f ü h r e n können: „Ich sage euch, Meinen Freunden, fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib t ö t e n k ö n n e n . . . " Doch h a t das Wort aus den Abschiedsreden unverkennbar mehr Gewicht, einmal wegen der Situation, in der es gesprochen wurde, d a n n aber auch, weil es nicht als einfache Anrede steht, sondern als betonte u n d ausdrücklich unterstrichene Aussage: „Nicht mehr nenne Ich euch Knechte, 431

l denn der K n e c h t weiß nicht, was sein Herr t u t . E u c h aber habe I c h Freunde g e n a n n t " (Jo 15, 15). Schließlich f ü g t Christus noch ausdrücklich die tiefere Begründung hinzu: „. . .weil I c h euch alles mitgeteilt habe, was Ich von Meinem Vater geh ort habe " (ebd). Wir wissen aus § 3, daß dieser geistige Lebensaustausch z u m Wesen der wahren Freundschaft gehört. W e n n m a n den K o m m e n t a r zu den Sentenzen liest (vgl. 3 d 27: 2, 1), wundert m a n sich, d a ß Thomas sich dort die Gelegenheit entgehen ließ, seine damals völlig neue 1 These vom Wesen der Gottesliebe als Freundschaft durch ein Wort Christi zu begründen, das diese Lehre über allen Zweifel sichergestellt h ä t t e . 3. Die Antwort. — Thomas f a ß t zunächst noch einmal kurz zusammen, was er bereits I - I T 26, 4 (Bd. 10) dargelegt h a t . Hier, in der relativ kurzen Antwort, kehrt die ganze Theorie der Liebe wieder, wie wir sie in der Einführung zum K o m m e n t a r aus dem Gesamtwerk des hl. Thomas entwickelt haben. „Lieben heißt: j e m a n d e m Gutes wollen." Wir wissen, welche metaphysischen Tiefen sich hinter dieser schlichten Formel verbergen. Nicht nur t u t sich hier der Abgrund auf zwischen Liebe als Willensbewegung u n d Liebe als Trieb oder Leidenschaft (vgl. Bd. 10, S. 514ff.), sondern innerhalb des Willensbereiches überdies der schroffe Gegensatz zwischen der schenkenden u n d der begehrlich nehmenden, zwischen der selbstlos sich mitteilenden u n d der selbstisch fordernden Liebe. D a s eine ist die Liebe, die den andern glücklich m a c h e n , das andere die Liebe, die glücklich w e r d e n will. Will der Mensch von der zweiten zur ersten finden, m u ß er eine Wendung u m 180 Grad vollziehen. „Es ist lächerlich", sagt der im Ausdruck sonst so maßvolle Thomas, die eine f ü r die andere zu setzen (vgl. E t h nr. 1557, wo er denselben Ausdruck gebraucht!). Wo sich diese Liebe des Begehrens in ein anfänglich echtes F r e u n d schaftsverhältnis einschleicht, untergräbt sie langsam, aber sicher die F r e u n d s c h a f t (Eth nr. 1734, 1761, 1787ff., 1942). Die Liebe des Begehrens wird nie das Herz des anderen finden, das sich im Gegenteil solcher Liebe instinktiv verschließt. Soll die Herzwand des Freundes wirklich durchstoßen werden, d a n n nur mit d e m echten D u der wahren Liebe, in der d a s volle, vorbehaltlose, uneingeschränkte J a schwingt, mit dem der F r e u n d b e j a h t wird als der, der er ist, u n d nicht ein t r ü gerisches Wunschbild von ihm. Doch das schlichte Wohl-wollen genügt zur F r e u n d s c h a f t nicht, wie wir schon in § 3 nr. 3 sahen. Wesentlich ist, d a ß es im selben selbstlosen Sinne vom Freunde erwidert wird u n d d a ß beide u m ihre gegenseitige Liebe wissen. Diese gegenseitige Liebe vollzieht sich aber nicht im leeren R a u m , sondern gründet in einer tiefen, inneren, seelisch-geistigen Gemeinschaft u n d gegenseitigen Lebensmitteilung. (Über den Schlüsselbegriff der communicatio, der hier eine wesentliche Rolle spielt, unterrichtet Anm. [3].) 1 Vgl. J. M. K e l l e r Ol', De virtute caritatis ut amicitia quadam divina. Xenia thomistica II, Romae 1925, 237 ff.; G. G. M e e r s s e m a n , Pourquoi le Lombard na'-t-il pas conçu la charité comme amitié? Miscell. Lombard. Novara 1956, 165—174.

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Die auffallende Kürze, mit der Thomas hier in der Antwort 23, l den wichtigsten und f ü r seine Caritas-Lehre grundlegenden Begriff der Freundschaft behandelt, findet ihre Erklärung darin, daß seine Summa nichts als ein Handbuch sein will, und dazu ein Handbuch „für Anfänger". Wir haben in § 3 gesehen, welch hohe Auffassung der Freundschaft sich aus den übrigen Werken des Heiligen, besonders aus seinem Komment a r zur Ethik des A r i s t o t e l e s ergibt. Die Anwendung dieses Begriffes auf das Verhältnis Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott setzt freilich den vollen Glauben an die Grundtatsachen der übernatürlichen Ordnung voraus: den Glauben an die Menschwerdung, an die Erlösung, an die Gnadenmitteilung, durch die der Mensch das consortium divinae naturae (2 P t 1, 4), eine geheimnisvolle, gnadenhafte Anteilnahme an der göttlichen Natur und damit die Gotteskindschaft erlangt, womit die Berufung zur ewigen Seligkeit verbunden ist, wo diese Lebensgemeinschaft mit Gott sich vollendet in der seligen Gottesschau. Übrigens hat Thomas diese Lehre von der Gottesliebe als Gottesfreundschaft schon in I - I I 65, 5 (Bd. 11) ausdrücklich vorweggenommen. Wer also mit Thomas in dem doppelten Grundsatz einig geht, daß die Gnade die N a t u r nicht nur nicht aufhebt, sondern im Gegenteil sie voraussetzt und vollendet ; l daß anderseits das Höchste der niederen Ordnung sich berührt mit dem Niedersten der höheren Ordnung, 2 •— den kann es nicht befremden, daß Thomas den hohen Begriff der Freundschaft, wie er ihn beim „Philosophen" vorfand, als Unterbau benutzt, um darauf seine Theorie der übernatürlichen Liebe als Gottesfreundschaft aufzubauen. Die höchste F o r m irdisch-menschlicher Liebe, die AristotelesThomas mit der echten Freundschaft der Guten und Besten ineinssetzt, berührt sich gewissermaßen mit dem leisesten Schatten jener Liebe, die den Menschen zum Freunde Gottes macht. Wir brauchen also nur die Wesensmerkmale der wahren Freundschaft, wie wir sie in § 3 entwickelt haben, auf das Verhältnis Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott anzuwenden, u m zu erkennen, mit welch tiefer Berechtigung Thomas dieses Verhältnis als „Freundschaft" bezeichnet: a. — Wahre Freundschaft, so hieß es dort, beruht auf f r e i e r W a h l , nicht auf Trieb oder Leidenschaft. Welche „Wahl" m m bei der Gottesliebe in Frage steht, darüber k a n n kein Zweifel sein. Nicht der Mensch ist es, der Gott die Freundschaft anträgt, I h m das Du anbietet, sondern Gott ist es, der Sich den Menschen zum Freunde macht. Unmittelbar auf die Erklärung Christi an Seine Jünger J o 15, 15: „Euch habe Ich Freunde genannt", fügt E r gleich im nächsten Vers, hinzu: „Nicht ihr habt Mich erwählt, Ich habe euch erwählt." Ähnlich bei Mk 3, 13: „Er rief zu Sich, die E r Selbst wollte." Und schon im Alten Testament: „Ich will dich Mir verloben auf ewig. Und Ich werde dich Mir verloben in Gerechtigkeit und Recht, in Gnade und Erbarmung. Ich werde dich Mir 1 s

Vgl. Anm. [35]; 25, 8 E. 2 m. Anm. [501; 31, 3 m. Anm. [85]. I 78, 2: Bd. 6; u. ö.

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23, l verloben in Treue, u n d d u sollst wissen, d a ß I c h H e r r b i n " (Os 2, 21 f.). E s h e i ß t n i c h t : „Ich werde Mich dir verloben", sondern in dreimaliger W i e d e r h o l u n g : „Ich werde dich Mir verloben". I n klassischer K ü r z e f a ß t J o h a n n e s das E r g e b n i s von Schöpfung, Erlösung und Gnadenwahl dahin zusammen: „ D a r i n b e s t e h t die Liebe, nicht d a ß wir G o t t geliebt h a b e n , sondern d a ß E r u n s geliebt u n d Seinen Sohn als Sühne f ü r unsere S ü n d e n g e s a n d t h a t " (1 J o 4, 10). Diese S p o n t a n e i t ä t Gottes in allem, was Sein V e r h ä l t n i s z u m Menschen b e t r i f f t , s t e h t a u c h f ü r T h o m a s a u ß e r h a l b jeder Diskussions (vgl. I - I I 112, 1. 2 : B d . 14; ebd. E i n l e i t u n g S. 12; B T h W 504 ff. 516 ff.). Ganz dasselbe ergibt sich a u s d e m zweiten Teil der Antwort: Die Gemeinschaft, in der die G o t t e s f r e u n d s c h a f t g r ü n d e t , ist n i c h t e t w a v o m Menschen, s o n d e r n v o n G o t t gestiftet, i n d e m E r Sein L e b e n u n d Seine Seligkeit d e m Menschen m i t teilt. E r ist es — so s a g t u n s d a s beigefügte P a u l u s - W o r t — , d e r u n s „zur Gemeinschaft (y.oivcavia — societas) Seines Sohnes r u f t " . D a ß a u c h der Mensch dieser B e r u f u n g gegenü b e r frei ist, wird bereits i m n ä c h s t e n Artikel deutlich u n d erst r e c h t in F r . 24. b. —• W a h r e F r e u n d s c h a f t setzt in beiden P a r t n e r n e c h t e T u g e n d voraus, so d a ß sie geradezu als W i r k u n g der T u g e n d a n g e s e h e n werden k a n n u n d ihr eigentliches L e b e n in der gegenseitigen F ö r d e r u n g z u m t u g e n d h a f t e n Leben liegt. A u c h hier zeigt sich wieder die S p o n t a n e i t ä t Gottes, sofern E r , der „allein Heilige", der „allein G u t e " (Mt 19, 17), d e m Menschen e r s t die Möglichkeit s c h e n k t , echte T u g e n d in sich reifen zu lassen (vgl. u n t e n 24, 2). So sichert G o t t d u r c h Seine F r e u n d s c h a f t z u m Menschen wie kein a n d e r e r auf alle Weise die geistig-sittliche E x i s t e n z Seiner „ F r e u n d e " , wie oben v o n der w a h r e n F r e u n d s c h a f t gesagt wurde. c. —• F r e u n d s c h a f t ist n i c h t v o r ü b e r g e h e n d e r Akt wie die Liebe der Leidenschaft, sondern e i n f e s t e s , a u f D a u e r a n g e l e g t e s G e h a b e n . Von der Liebe der Gottesf r e u n d s c h a f t a b e r gilt, was P a u l u s s c h r e i b t : „Die Liebe h ö r t n i m m e r a u f " (1 K o r 13, 8). Sie ist wie keine a n d e r e Liebe a u f Ewigkeit angelegt. D a r ü b e r spricht T h o m a s in 24, 10—12. d. — G r u n d v o r a u s s e t z u n g der F r e u n d s c h a f t ist die Ä h n l i c h k e i t u n t e r d e n F r e u n d e n . N u n scheint es freilich n i c h t s z u geben, was miteinander weniger Ähnlichkeit h ä t t e als S c h ö p f e r u n d Geschöpf, G o t t u n d Mensch, vor allem w e n n -wir d e n Menschen in seiner v o n der E r b s c h u l d u n d persönlichen Schuld v e r g i f t e t e n N a t u r n e h m e n , wie P a u l u s d a s R o m 5, 6—10 eindringlich d a r t u t . Aber i m selben A t e m z u g •weist derselbe P a u l u s h i n auf die S p o n t a n e i t ä t der Liebe ö o t t e s , der in Seiner grenzenlosen B a r m h e r z i g k e i t d u r c h die „ E i n g i e ß u n g " g e r a d e der Liebe (ebd. V. 5) diesen Z u s t a n d d e s Menschen a u f g e h o b e n u n d uns, wie er a n a n d e r e r Stelle s a g t , „in das R e i c h des Sohnes Seiner Liebe versetzt h a t " {Kol 1, 13). J a , u m die F r e u n d s c h a f t des Menschen m i t G o t t „ n o c h v e r t r a u t e r " zu gestalten (ut familiarior esset amicitia i n t e r h o m i n e m et D e u m ) — so m e i n t T h o m a s CG I V 54 § 5 — , w u r d e Gottes Sohn Mensch u n d h o b d a d u r c h d a s Hindernis, 434

d a s in dem „unermeßlichen A b s t a n d " (immensa distantia) 23, 1 lag, a u f ; wie Paulus es a u s d r ü c k t : „Er wurde den Menschen gleich u n d im Äußern als ein Mensch e r f u n d e n " (Phil 2, 7). Schon was Thomas in den 54 Artikeln des Gnadentraktates dargelegt hat, war „wie ein Hoheslied auf die absolute Spont a n e i t ä t der zuvorkommenden Liebe Gottes", u n d wir können nur wiederholen, was wir schon in der Einleitung zu Bd. 14 S. (12) geschrieben h a b e n : „Durch die Gnade hebt Gott den Menschen zu Sich empor, m a c h t ihn stark zur innigsten Teilnahme a n Seinem persönlichsten, dreifaltigen Leben. Das Endliche wird fähig des Unendlichen, finitum capax infiniti, der Mensch wird ,Gottes fähig durch die Gnade'. Das ist nach Thomas nicht einmal so wunderbar, da doch die Seele des Menschen von vornherein, ,von N a t u r aus' auf die Gnade entworfen (ebd. I - I I 113, 10), von Gott Selbst zur innigsten Gemeinschaft, zur ,Kommunion' mit Gott bestimmt ist durch die Gnade (ebd. 112, 1). . .Dabei ist jede Gnade der Eigenart des einzelnen denkbar vollkommen angepaßt. Sie k o m m t nicht als ein Fremdes in die Seele, sondern als der Seele eigenstes Eigen (ebd. 107, 1 Zu 2).111 Damit ist die connaturalitas, die naturinnere Ubereinstimmung, die zur Freundschaft gefordert ist u n d von der Thomas gleich im nächsten Artikel spricht, von Gott her garantiert, und zwar stärker u n d sicherer als in jeder rein mensch lieh-irdischen Freundschaft. e. — N u n genügt freilich diese Übereinstimmung des Menschen mit Gott, die durch die Eingießung der Gnade auf der ontischen Ebene hergestellt wird, zur vollen Ähnlichkeit n i c h t ; es m u ß hinzukommen die Übereinstimmung auf der Ebene des „Lebensstils" (vgl. oben S. 429), wie sie in der göttlichen Forderung ausgesprochen ist: „Seid heilig, wie Ich heilig b i n " (Lv 11, 44; 19, 2); oder wie Christus formuliert: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist" (Mt 5, 48), u n d wiederum: „Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist" (Lk 6, 36). So sagt Thomas bereits im Sentenzenkommentar (3 d 27: 2,1), durch die Gottesliebe werde der Mensch „gottförmig" u n d damit über die Ebene des NurMenschlichen hinausgehoben, so daß er n u n mit Gott in unmittelbaren Verkehr treten kann. Den Weg dahin zeigt Christus den J ü n g e r n in Sich Selbst: „ICH bin der Weg" (Jo 14, 6); deshalb: „Lernet von Mir. . . " (Mt 11, 29), und:,, Liebet einander, w i e I c h e u c h g e l i e b t h a b e " (Jo 15, 12). „Wenn wir im Lichte wandeln, wie E r Selbst im Lichte ist, haben wir Gemeinschaft miteinander" (1 J o 1, 7). Das ist auch die ständige Predigt des hl. Paulus: „So sollt ihr gesinnt sein, wie auch Christus Jesus gesinnt w a r " (Phil 2, 5). Die volle Übereinstimm u n g in Gesinnung u n d Leben ist überhaupt das tiefste Gesetz der Christus-Jüngerschaft, denn „die E r (der Vater) erwählt, die h a t E r auch vorausbestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichgestaltet zu werden" (Rom 8, 29). So wird J ü n gerschaft zur Freundschaft in jenem göttlichen Sinne, „der jeden Begriff übersteigt" (Eph 3,19; vgl. K r e d e l , B T h W 4 3 1 f.). 1

Vgl. I - I I 1 0 , 4 Zu 2: Bd. 9.

435

23, l

f. — Auch die drei Wesensbedingungen, die oben (S. 430) von der F r e u n d s c h a f t gefordert wurden, daß sie nämlich a) w e c h s e l s e i t i g e Liebe, b) beiderseits u m d e s F r e u n d e s w i l l e n u n d c) von beiden a l s s o l c h e e r k a n n t sei, sind nirgends so ideal erfüllt wie in der Liebe Gottes zum Menschen u n d in der Liebe des Menschen zu Gott als Antwort auf Seine Liebe. g. — Schließlich soll sich — u m noch ein Letztes zu erwähnen — die communicatio zwischen Gott u n d der Seele, die gegenseitige Hingabe, das Mit-einander-, Für-einander- u n d In-einander-leben so „intim", so intensiv, so ununterbrochen u n d so restlos beglückend gestalten, wie es selbst in den edelsten u n d glücklichsten Verhältnissen irdischer F r e u n d s c h a f t gar nicht möglich ist. Denn auch der liebste Mensch bleibt im Grunde dem Freunde ein Fremder, „keiner k a n n dem anderen helfen, sie sind alle allein" (G. v. L e F o r t ) . Keiner k a n n unmittelbar eindringen in die Seele des Freundes, solus Deus illabitur animae -— „Gott allein ist es gegeben, in die Seele des Menschen vorzudringen bis zum Grunde" ( G e n n a d i u s v. Massilia; vgl. I I I 64, 1: Bd. 29 S. 95 Fn.). „Wer aber Gott anhangt, wird ein Geist mit I h m " — unus spiritus est (1 Kor 6, 17). D a Gott allgegenwärtig ist u n d zudem durch Gnade u n d Liebe im Menschen wohnt (Jo 14, 23), ist das Miteinander des Menschen mit Gott nicht, wie in der irdischen Freundschaft, a n R a u m u n d Zeit gebunden, so daß es a u s Mangel a n lebendiger Kommunikation langsam einschlafen m ü ß t e (vgl. 24, 10); im Gegenteil: das ganze Leben des begnadeten, liebenden Menschen k a n n zu einem einzigen Dialog werden zwischen ihm u n d dem in seiner Seele g n a d e n h a f t gegenwärtigen Gott. Sein Gebet wird zum Liebesgespräch zwischen ihm u n d dem göttlichen Freunde. So gewinnt die Mahnung Christi, daß m a n allezeit beten und nicht nachlassen dürfe (Lk 18, lfi'.), einen unerhört tiefen und beglückenden Sinn. Theorie u n d noch mehr die Praxis des Gebetes sollten von der Idee der Gottesfreundschaft inspiriert u n d getragen sein — was m ü ß t e d a s f ü r ein Gebet werden! (Vgl. Anm. [41b].) „Daher ist es offenbar, daß die Gottesliebe eine Art F r e u n d schaft des Menschen mit Gott bedeutet." Wer möchte nach all dem dieser so tief begründeten theologischen These des hl.Thomas, die uns einen Blick in sein eigenes Seelenleben verstattet, nicht beipflichten! W e n n Thomas trotzdem vorsichtig von „einer Art F r e u n d s c h a f t " spricht, so mag m a n in dieser Wendung einen Hinweis auf die Tatsache erblicken, d a ß der Ausdruck „Freundschaft", auf das Verhältnis des Menschen zu Gott angewandt, eben doch nur im analogen Sinne gelten kann, daß es sich also u m eine Freundschaft handelt, die auf einer anderen, eben der göttlichen Ebene liegt und deshalb alles unendlich weit hinter sich läßt, was wir im rein menschlichen Bereich als Freundschaft zu bezeichnen gewohnt sind. Diese Freundschaft unterscheidet sich von allen rein menschlichen Verhältnissen wie der Himmel von der Erde, die Gnade von der N a t u r . Die Lösung Zu 1 befaßt sich wieder mit dem Problem der communicatio, auf das Thomas schon in I - I I 65, 5 (Bd. 11) 436

eine endgültige Antwort gefunden h a t . D a Bd. 11 bereits 1940 23 erschienen ist u n d in den Kriegswirren vielen Lesern verlorengegangen sein mag, setzen wir diese geradezu klassische Antwort im vollen Wortlaut hierher: „Die Gottesliebe (Caritas) bezeichnet nicht nur Liebe zu Gott, sondern sogar Freundschaft mit I h m . Diese f ü g t über die (schlichte) Liebe die w e c h s e l s e i t i g e Gegenliebe hinzu, zugleich mit einem wechselseitigen Lebensaustausch (mutua communicatio). D a ß dies zur Gottesliebe gehört, geht hervor aus 1 J o 4, 16: ,Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott u n d Gott in ihm*. U n d 1 Kor 1, 9 heißt es: .Getreu ist Gott, durch welchen ihr ber u f e n seid zur Gemeinschaft mit Seinem Sohne'. Diese Gemeinschaft des Menschen mit Gott, die in einem vertrauten Verkehr (familiaris conversatio) mit I h m besteht, wird hier u n t e n durch die Gnade eingeleitet, in der Ewigkeit aber vollendet durch die Herrlichkeit; beides wird im Glauben u n d in der Hoffnung' festgehalten. Wie daher einer mit einem andern keine Freundschaft haben könnte, wenn er ihm m i ß t r a u t e oder daran verzweifelte, je irgendwelche Gemeinschaft oder vertrauten Verkehr mit ihm haben zu können, so k a n n m a n auch keine Freundschaft mit Gott haben, worin die Gottesliebe besteht, wenn m a n nicht den Glauben, k r a f t dessen m a n an eine solche Gemeinschalt u n d einen solchen Verkehr m i t Gott glaubt, u n d überdies die H o f f n u n g h a t , einst zu dieser Gemeinschaft zu gehören." Die Lösungen Zu 2 u n d Zu 3 deuten schon die Ausweitung im Gegenstandsbereich der Gottesliebe an, die in Fr. 25 ausführlich behandelt wird. II. Die G r u n d l e g u n g der G o t t e s l i e b e des Menschen (Art. 2)

im

Geiste

1. D a s P r o b l e m . — Art. 2 leuchtet tiefer hinein in die 23 S t r u k t u r der Seelenkräfte des Menschen u n d schiebt zugleich einem sehr ernsten Mißverständnis einen Riegel vor. Wie haben wir uns die Verankerung der Gottesliebe als Freundschaft in der Seele des Menschen zu denken? Gottesfreundschaft ist von Gott her gestiftete Gemeinschaft zwischen dem Geiste Gottes u n d dem des Menschen. Gott setzt also damit im Menschen eine neue, sehr reale Beziehimg: die Freundbeziehung dieses bestimmten menschlichen Ich zum göttlichen Du. 1 Es geschieht d a irgendetwas mit dem Menschen. E r ist nicht derselbe vorher u n d nachher. Doch welcher N a t u r ist dieses Wirkliche, das ihn innerlich verwandelt, ihm das Recht gibt, sich F r e u n d Gottes zu nennen, u n d ihn fähig macht, es zu sein? E s ist dieselbe Frage, die beim Problem der Gotteskindschaft a u f t r i t t . Dort ist die Gnade — ein Seinsgehaben — das Wirkliche, Verwandelnde, das im Menschen die neue Beziehung 1 Über Natur und Arten der Beziehung überhaupt als kategorialer Seinsweise vgl. 1 1 3 , 7 mit den zugehörigen Anmerkungen (Bd. 1); 128 m. Komm.: Bd. 3, S. 396ff.

437

23, 2 der Gotteskindschaft begründet. Was ist es nun in der Gottesliebe als Gottesfreundschaft? Die Frage, die ihre konkrete Veranlassung in einem I r r t u m des P e t r u s L o m b a r d u s , des „Meisters der Sentenzen" hat, 1 ist wahrlich nicht müßig, sondern hat ihre tiefe psychologische, moraltheologische und dogmatische Bedeutung. Ihre p s y c h o l o g i s c h e , weil sie die Habituslehre erneut ins rechte Licht stellt; ihre m o r a l t h e o l o g i s c h e , weil sie die Verantwortlichkeit des Menschen für die sein Heil wirkenden Akte energisch unterstreicht; ihre d o g m a t i s c h e , weil sie in einem inneren Zusammenhang mit der Rechtfertigungslehre steht (vgl. I - I I 1 1 3 , 3 mit K o m m . : B d . 14). 2. D i e A r g u m e n t e . — Entsprechend dem Charakter der Summa als Schulbuch ist Thomas mit seinen Einwänden sehr sparsam und zurückhaltend. I n der Quaestio disputata de caritate, wo er im ersten Artikel dieselbe Frage behandelt, bringt er 24 Argumente f ü r die Auffassung des Lombarden. Von diesen 24 Einwänden sind in unserem Artikel 4 übriggeblieben, sofern E . 10 u. 11 von dort hier in E . 3 zusammengezogen sind. Das A u g u s t i n u s - Z i t a t in E . 1 unseres Artikels verwertet Thomas in 25, 2 Anderseits f ü r die These, daß auch die Liebe selbst Gegenstand der Liebe sein kann. Hier in E . 1 führt oder vielmehr verführt dasselbe Zitat zu einem etwas undurchsichtigen logischen Kurzschluß. A u g u s t i n u s will sagen, daß der, der den Nächsten in übernatürlicher Liebe liebt, erst recht Den lieben muß, der die Liebe Selbst i s t , nämlich Gott. Daraus aber schließen, daß die Liebesbewegung, mit der der Mensch den Nächsten liebt, selbst Gott ist, bedeutet eine Ungeheuerlichkeit, die in die nächste Nähe des Pantheismus führt. E s ist also ein grobes Mißverständnis, Augustin und den Lombarden in diesem Sinne zu interpretieren. Die Lösung Zu 1 des hl. Thomas geht freilich andere Wege und sucht diese Fehlinterpretation aus dem platonischen Sprachgebrauch des Heiligen zu erklären. — Demgegenüber enthalten E . 2 u. 3 immerhin ein Körnchen Wahrheit, das Thomas in den Lösungen herauszuschälen versucht. Das Anderseits bereitet die Antwort vor und gibt zugleich die wahre Meinung des hl. Augustinus womit E . 1 schon teilweise widerlegt ist. 3. D i e Antwort. — Sie hat drei deutlich unterschiedene Teile. I m e r s t e n wird die wahre Meinung des Lombarden herausgestellt, die aber auch in dieser Form für Thomas nicht annehmbar ist. — I m z w e i t e n Teil zeigt Thomas, wie unter der Bewegung des Heiligen Geistes die volle Freiheit des Menschen gewahrt wird. Wir haben hier einen Spezialfall jenes allgemeinen Problems, wie Gott überhaupt in allen Bewegungen der Geschöpfe als Erstbeweger wirkt, in allen ursächlichen Zusammenhängen der Schöpfung Erstursache bleibt, der sich auch nicht die leiseste Bewegung etwa im submikroskopischeil Bereich entziehen k a n n : „Alles, was in der ganzen Welt ist, wird von irgendeinem zum Wirken bewegt, mit Ausnahme des ersten unbewegten Bewegers" (I 60, 1 Zu 2 : B d . 4). 1 Vgl. A. M. L a n d g r a f , Dogmengeschichte der Frühschulaßtik 1,1. Rgsbg. 1952, 220-37.

438

Dieses Problem scheint zum ersten Male auf in I 47, 3 (Bd. 4), 23, 2 wo die Frage des Okkasionalismus auftaucht. Der klassische T e x t aber findet sich in I 105, 5 (Bd. 8), wo in einem ausführlichen Kommentar die schwierige und so schwer umstrittene Frage der sogenannten praemotio physica ihre Klärung findet (Bd. 8, S. 451—478). Die Frage ist auch im Zusammenhang unseres Artikels deshalb so wichtig, weil hier die Entscheidung fällt gegen jede Form eines offenen oder verschleierten P a n t h e i s m u s auf der einen, eines flachen D e i s m u s auf der anderen Seite. Zur Ergänzung mag man noch hinzunehmen I 103, 6 und 115, 1 (Bd. 8) sowie CG I I I 66/67, 69/70 und I V 22. Geht es im Wirken der übrigen Geschöpfe um ihre echte Ursächlichkeit gegenüber einer bloßen Scheinursächlichkeit, so geht es beim Menschen um die Freiheit und Verantwortlichkeit seines sittlich-religiösen Handelns, wie auch in unserem Artikel wieder deutlich wird. Und Liebe ist der freieste Akt des Menschen (I 41, 2 E . 3 : B d . 3; I - I I 114, 4 : B d . 14), denn „Liebe besagt ihrem Begriff nach, daß sie ein Akt des Willens ist" (vgl. oben § 2 : Liebestrieb und Liebeswille, S. 423 f.). Was wäre aber ein Wille ohne innere Freiheit! Der M e n s c h ist es doch, der den Akt der Liebe setzt, sei es auch, daß er ihn nur setzen kann kraft der von Gott frei geschenkten Gnade. Aber nicht als bloßes Instrument des Heiligen Geistes, denn dann wäre es wiederum nicht eigentlich s e i n Akt, sondern nur der des Hauptwirkenden, nämlich Gottes. 1 So viel ist also deutlich, daß der Mensch selbst Träger dieser Liebe ist, daß er selbst in Person dem Anruf der Liebe Gottes antwortet. E r steht als menschliches Ich dem göttlichen Du voll verantwortlich gegenüber. Wie könnte man auch anders noch von Freundschaft sprechen, wenn der Mensch seiner antwortenden Gegenliebe nicht selbst mächtig wäre. E r ist also unter der Bewegung des Heiligen Geistes weder rein passiv wie ein lebloses Ding, das von außen gestoßen wird; noch bloßes, wenn auch lebendiges Werkzeug wie beim Wunder, das kein Mensch in eigener K r a f t als Hauptwirkender wirken kann,* sondern er bleibt auch unter der Bewegung des Heiligen Geistes noch „Hauptbevollmächtigter seiner selbst" ( S e r t i l l a n g e s ) , so, daß er Vollmacht über sein Tun behält und auch den Akt der Gottesliebe setzen kann, wann und wie es ihm be-liebt (Virt Art. 1 u. 11 Zu 14). Nur so kann er als echter Partner dem göttlichen Freunde gegenübertreten, ohne daß jedoch die absolute Spontaneität Gottes irgendwie geschmälert würde, „der in jeder Natur und in jedem Willen innerlich [interius] wirkt" ( I - I I 68, 2 : B d . 11; vgl. ebd. 62, 1). 1 Über die Natur der Werkzeuglirsache und ihr Verhältnis zum Hauptwirkenden spricht Thomas in 1 4 5 , 5 : Bd. 4 (dort ausführlicher Kommentar über die N a t u r der Werkzeugursache); ebenso in I - I I 68, 1: Bd. 11, wo er die Natur der Gaben des Heiligen Geistes näher bestimmt, und zwar aus dem Verhältnis des inneren und äußeren Bewegers (dazu Komm. S. 637); außerdem 1 - 1 1 1 1 2 , 1 Zu l u . 2 mit K o m m . (Bd. 14); schließlich I I I 8, 1 (Bd. 25 mit Anm. [108]), wo die Ursächlichkeit der Menschheit Christi in bezug auf Seinen mystischen Leib, die Kirche, in Frage steht, und I I I 62, 1 u. 5 ; 64, 5 Zu 2 (Bd. 29 mit Anm. [68]), wo es um die „physische" Ursächlichkeit der Sakramente geht.

« Über Wunder vgl. 1 1 0 5 , 6 — 8 ; 110, 4 ; 114, 4 : Bd. 8.

439

23, 2

Doch damit ist das Problem, das Thomas am Herzen liegt, noch nicht gelöst. Der Schwerpunkt des Artikels liegt im d r i t t e n Teil der Antwort. So viel ist bis jetzt klar: Der Akt der Grottesliebe ist wirklicher Akt des liebenden Menschen. Aber fließt dieser Akt unmittelbar aus den Kräften der Seele oder braucht es, wie bei den anderen sogenannten göttlichen oder gotthaften Tugenden, nämlich Glaube und Hoffnung, ein eigenes eingegossenes Gehaben als eigentliche Quelle dieser Akte? Mit anderen Worten: Muß der Wille zu jedem einzelnen Akt der Gottesliebe, der j a doch als übernatürlicher Akt mit echt unendlichem Ziel über jede natürliche Kraft und Fähigkeit hinausliegt, von Gott immer neu be-fähigt werden, oder erhält der Wille in einem eigens dafür eingegossenen übernatürlichen Gehaben gewissermaßen ein übernatürliches Kräftepotential, aus dem er frei schöpfen kann, sooft er will? 1 Thomas begründet die Notwendigkeit eines solchen eingegossenen Gehabens mit der notwendig geforderten connaturalitas, der naturinneren Übereinstimmung zwischen dem Seelenvermögen und dem aus ihm fließenden Akt, anderenfalls wäre der Mensch in bezug auf die Akte der Gottesliebe schlechter gestellt als im Glauben und in der Hoffnung.2 Erfahrungsgemäß aber — und hier spricht der Heilige in Thomas wohl aus eigenster „Erfahrung" — hat keine andere Tugend ein solch starkes inneres Drängen zu ihrem Akt wie gerade die Gottesliebe, und kein anderer Akt wird mit solch heiliger Freude gesetzt wie er. Vgl. Anm. [64], In Zu 2 klingt nochmals das Problem des P a n t h e i s m u s an. Wäre Gott das Leben der Seele als ihre Form, so wäre die Seele eben Gott. Die Akte der Seele wären nicht mehr Akte des Menschen. In Wahrheit aber ist Gott das Leben der Seele „nur" als seinsmäßig überdimensional, nämlich über die Dimensionen alles Geschöpflichen hinaus wirkende Erst-Ursache, die die wahre Ursächlichkeit der Geschöpfe nicht nur nicht antastet, sondern erst begründet. — Ähnlich die Lösung Zu 3. Dort ist noch eine andere Weise angedeutet, wie man von Gott als „Leben der Seele" reden kann: E r schenkt sich der glaubenden und liebenden Seele als ,Gegenstand', der dem Lebensvollzug der Seele ein neues Gepräge gibt (vgl. I 43 u. Komm. Bd. 3, 505—508). III. G o t t e s l i e b e als Tugend (Art. 3—8)

23

'

3

1. D i e G o t t e s l i e b e i s t T u g e n d (Art. 3). — Der Schritt vom 2. zum 3. Artikel ist nicht groß. Nachdem feststeht, daß die Gottesliebe unter die (übernatürlich-eingegossenen) Gehaben zu rechnen ist, ergibt sich die weitere Folgerung aus der Natur der Gottesliebe von selbst. Ein Gehaben nämlich, das seiner innersten Natur nach auf das gute Handeln ausgerichtet ist, heißt Tugend (4, 5: Bd. 15; vgl. 17, 1: Bd. 16). 1 Vgl. I-II49, 3 Anders.; 50, 5: Bd. 11; ebenso I 43, 3 Zu 1: Bd. 3, wo Thomas die Freiheit sogar im Gebrauch der heiligmachenden Gnade betont. * Über die Notwendigkeit der Gehaben im allgemeinen vgl. I-II 49, 4 (Bd. 11) mit ausführlichem Komm. S. 454—480, vor allem S. 476!

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Unter allen Akten, die der Mensch kraft der Gnade setzen kann, 23, 3 sind aber die Akte der Gottesliebe die höchsten und erhabensten, weil sie uns unmittelbar mit Gott verbinden, der als letztes Ziel auch höchstes Richtbild unseres Handelns ist. Wenn nach 4, 5 nur jener Glaube als Tugend anzusprechen ist, der von der Liebe durchformt ist, wenn also der Glaube e r s t v o n der L i e b e den Tugendcharakter erhält, dann kommt der Gottesliebe der Charakter der Tugend ursprünglicher und eigentlicher zu als dem Glauben. Die Lösung Zu 1 bringt eine Rekapitulation dessen, was wir oben § 3 (S. 428) aus Aristoteles-Thomas über den Charakter der wahren Freundschaft gesagt haben. Wahre Freundschaft ist n u r u n t e r T u g e n d h a f t e n m ö g l i c h und dient in erster Linie der Pflege und dem Schutze der Tugend. Deshalb kann man die irdische Freundschaft eigentlich nicht als Tugend in sich selbst bezeichnen, sondern nur als Folgeerscheinung der Tugend. — Über das Verhältnis von Freundschaft zur Gerechtigkeit vgl. die oben (S. 430 Fn 1) angeführten Stellen. Natürlich ist die von der Freundschaft angestrebte „Gleichheit" eine andere als die der Gerechtigkeit. Hier ist es die strenge Forderung, das der Person des anderen Geschuldete — vorab an Sachgütern und Dienstleistungen — zu geben; dort vollzieht sie sich in freigeschenkter Hingabe der Personen selbst und dessen, was ihnen zugehört. Die Lösung Zu 2 führt uns wieder vor Augen, welch hohen Begriff Thomas mit A r i s t o t e l e s von der Tugend hat. „Tugend ist ganz allgemein seinsmaßige Erhöhung der menschlichen Person.. .ist das Äußerste dessen, was ein Mensch sein kann; sie ist die Erfüllung menschlichen Sein-könnens — im natürlichen und im übernatürlichen Bereich. Der tugendhafte Mensch ,ist' so, daß er, aus innerster Wesensneigung, durch sein Tun das Gute verwirklicht." 1 Das trifft sich mit dem, was wir oben in § 4 der Einführung über den „guten" Menschen gesagt haben. Dieser hohe Begriff der Tugend ist als Leitfaden in allen Überlegungen des hl. Thomas wirksam. Auch die Lösung Zu 3 weist noch einmal hin auf die „seinsmäßige" Erhöhung des Menschen durch die Tugend. Zugleich gibt sie einen flüchtigen Blick in die Seinslehre, die streng unterscheidet zwischen der Substanz als dem Selbständig-Seienden und dem Akzidens, der Eigenschaft, als dem unselbständigen Sein, das das Selbständig-Seiende als seinen Träger voraussetzt. Zwischen dem einen und dem anderen aber liegt ein Abgrund, der erkenntnismäßig wiederum nur durch die Analogie überbrückt werden kann. Daß jene Gehaben, die, wie alle eingegossenen Tugenden, eine Teilnahme an der göttlichen Natur besagen, an Seinswert höher stehen als die Substanz, gilt nur, weil in ihnen das bonum simpliciter, das Gute in seiner letzten Vollendung, begründet ist, während die Substanz zwar das ens simpliciter, das s c h l e c h t h i n S e i e n d e , darstellt, aber doch als nackte Substanz n i c h t auch schon s c h l e c h t h i n 1 J . P i e p e r , Über das christliche Menschenbild. 1940", 2 1 ; über die völlige E n t wertung des Tugendbegriffs ebd. 18 ff.

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23, 3 g u t genannt werden kann (vgl. 1 5 , 1 Zu 1: Bd. 1). Im Eigenschaftsbereich aber bedeutet die Tugend der Gottesliebe die letzte Vollendung, die im Diesseits für den Menschen überhaupt denkbar ist, eben weil sie ihn mit Dem verbindet, der zugleich das Sein schlechthin und das Gute schlechthin, d. h. die Quelle und absolute Fülle alles Guten ist (vgl. Einführung § 2 S. 407 f.); zum Paradox der akzidentellen Vergöttlichung: Bd. 14, S. 353 f.; A. F . U t z OP, Wesen und Sinn des christlichen Ethos. München-Heidelberg 1942, S. 158 ff. Daß die Tugend der Gottesliebe als Gottesfreundschaft eine besondere Beziehung zum Heiligen Geiste hat, betont Thomas immer wieder, so in 24, 2; 5 Zu 3; 7 Antw.; 11 Antw. und Zu 1. Vgl. Car 3 Zu 15; vor allem aber die herrlichen Kapitel CG I V 21, 22. 23, 4 2. D i e G o t t e s l i e b e i s t e i n e e i g e n e T u g e n d (Art. 4). — Thomas kreist den Begriff der Gottesliebe als Tugend immer stärker ein. Art. 2 fragte, ob sie ein Gehaben sei; Art. 3, ob dieses Gehaben als Tugend zu bezeichnen sei. Hier wird gefragt, ob sie eine eigene Tugend oder nur so etwas wie ein Regulativ aller Tugenden sei, ohne Eigengegenstand und ohne eigene Struktur. Die Antwort geht dahin, daß sie trotz ihres universalen Einflusses auf das gesamte sittliche Leben des Menschen eine von allen andern unterschiedene Tugend sei, weil sie einen von allen andern Tugenden verschiedenen Gegenstand hat, nämlich D e n göttlich Guten, Der zugleich Gegenstand der Seligkeit ist, Der aber von keiner anderen Tugend unmittelbar erreicht wird als nur von der übernatürlichen Gottesliebe. Die Lösungen Zu 1, 2 u. 3 schälen das Wahrheitsmoment heraus, das in den Einwänden liegt, und deuten schon voraus auf Art. 7, wo die Universalität der Gottesliebe zur Sprache kommt. 23,5 3. D i e i n n e r e G e s c h l o s s e n h e i t der G o t t e s l i e b e a l s T u g e n d (Art. 5). —• Das Anliegen dieses Artikels ist viel wichtiger und gewichtiger, als es auf den ersten Blick scheinen mag. An der Einheit und inneren Geschlossenheit dieser Tugend hängt zuletzt alles: hängt die Einheit und Geschlossenheit des christlichen Charakters, des christlichen Menschenbildes, der christlichen Bildung und somit des gesamten christlichen Lebens. Wäre diese höchste aller Tugenden wieder in sich selbst gespalten, würde sie in verschiedene „Arten" zerfallen, so hätten wir nichts anderes als eine religiöse Schizophrenie im Kern des christlichen Lebens selbst. Denn keine andere Tugend hat wie die Gottesliebe die heilige Funktion, alle Kräfte des Menschen auf das eine unendliche Ziel hin zu sammeln und so zur Einheit zu rufen. Andernfalls lauert die Gefahr des Schismas und der Häresie zugleich in der Grundlage und in der Spitze des christlichen Geistes. Nicht umsonst beschwört Paulus im Epheserbrief (4, 3 ff.) die Einheit des christlichen Lebens und der christlichen Gemeinde mit solch eindringlichen Worten: „Seid eifrig bemüht, die Einheit des Geistes zu bewahren durch das Band des Friedens. E i n Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu e i n e r Hoffnung eurer Berufung! E i n Herr, e i n Glaube, e i n e Taufe, ein Gott und Vater aller, der da ist

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über allen u n d durchalles u n d m i t uns allen!" Gerade das 4. Kapi- 23, 6 tel des Epheserbriefes mit dem Ausblick auf die vielfachen Spannungen innerhalb der christlichen Gemeinden, die sich einerseits aus dem Gegensatz Judenchristen—Heidenchristen, anderseits aus der Mannigfaltigkeit der Charismen (vgl. 1 Kor 12) fast mit innerer Notwendigkeit ergaben, könnte den lebendigen Hintergrund abgeben f ü r das zentrale, eminent lebenswichtige Anliegen des Artikels. 1 Thomas stützt seine These von der Einheit der Gottesliebe auf zwei Gedanken: Mag es in der Freundschaft verschiedene Arten geben auf Grund der verschiedenen Ziele u n d der grundverschiedenen Voraussetzungen, die Gottesliebe kennt nur e i n Ziel — das höchste G u t ; u n d nur e i n e Gemeinsamkeit, in der sie gründet — die Teilnahme an der ewigen Seligkeit Gottes Selbst, die ihr von Gott versprochen ist. Eigentlich fallen auch diese beiden Momente noch in eins zusammen: denn Gott, der als das absolute Gut das Ziel der Gottesliebe ist, i s t durch die Liebe zugleich die Seligkeit der Seligen. Was in den irdischen Freundschaften als Voraussetzung u n d Ziel unterschieden ist, fällt in der Gottesliebe zusammen. 2 Die Geschlossenheit des christlichen Welt- u n d Menschenbildes wird in den nächsten Fragen immer stärker zum Vorschein kommen. Wie die Mannigfaltigkeit der Gegenstände u n d Motive mit der Einheit der Gottesliebe vereinbar ist, zeigen in flüchtigem Ausblick die Lösungen Zu 1 u. 2, indem sie die Feststellungen der F r . 25 z. T. vorwegnehmen. 4. D i e R a n g s t u f e d e r G o t t e s l i e b e (Art. 6). — Thomas 23, 6 geht wieder einen Schritt weiter auf den Vollbegriff der Gottesliebe zu. Als Vergleichstugenden stehen hier nur Glaube u n d H o f f n u n g in Frage, weil sie allein als „göttliche" Tugenden wenigstens auf derselben Ebene liegen. Hier wird die Weiche gestellt zwischen zwei grundverschiedenen Auffassungen der Grundverfaßtheit des Wirklichen ü b e r h a u p t u n d damit auch des menschlichen Lebens. Auf die allgemeinste Formel gebracht, heißt das Problem: I s t die Liebe das E r s t e u n d Vornehmere oder die Erkenntnis? Unmöglich, das Problem hier in seiner ganzen Weite u n d Tiefe aufzurollen. Schon in I - I I 66, 6 (Bd. 11) h a t Thomas ganz dieselbe Frage: ob die Liebe die größte unter den göttlichen Tugenden ist. Die Frage ist also von vornherein auf den Vorrang unter den göttlichen Tugenden eingeschränkt. Die Beweisführung ist hier wie dort dieselbe. Nur sind die Gedankenreihen auf Antwort u n d Lösungen etwas anders verteilt. Unterscheidet Thomas in I - I I 66, 6 Zu 1 die Fragestellung auf der Ebene der göttlichen Tugenden von derjenigen auf der Ebene der verstandhaften u n d sittlichen Tüchtigkeiten, so geht er hier von den verschiedenen Richtbildern aus, was aber ganz auf dasselbe hinauskommt. Danach ist es klar, daß die göttlichen Tugenden vornehmer sind als die verstandhaften u n d sittlichen Tüchtigkeiten, weil sich - 1 Zur Exegese des gesamten Kapitels des Epheserbriefes s. J. D i l l e r s b e r g e r , Der neue Gott. Salzburg 1935,135 ff.; H. S c h l i e r , Der Brief an die Epheser. D.dorf 1957, 177 ff. ! Zur Vieldeutigkeit von communicatio, die hier wieder aufscheint, vgl. Anm. [3].

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23, 6 a l l e s im Menschen dem höheren Richtbild unterordnen muß. I n die engere Wahl mit Glaube und Hoffnung gestellt, fällt dann die Entscheidung hier wie dort, und zwar mit demselben Argument, zugunsten der Liebe. Als Ajitwort auf das in E . 1 hier wie dort gestellte Dilemma, ob Erkenntnis oder Liebe das Vornehmere sei, bringen beide Artikel denselben Gedanken fast mit denselben Worten: I m gegenständlichen Gegenüber zu den untermenschlichen Wesen ist die Erkenntnis vornehmer, im Gegenüber zu den übermenschlichen Wesen die Liebe. Und von dorther bestimmt sich der ,wesentliche' Mensch! •— Die Begründung ist ohne weiteres einsichtig. Dieselbe Gedankenreihe bringt Thomas bereits I 82, 3 Antw. (Bd. 6) und in klassischer Kürze wieder 108, 6 Zu 3 (Bd. 8); schließlich noch in Car 3 Zu 13, wo er den bemerkenswerten Gedanken ausspricht: „Im sittlichen Bereich, d e r u n t e r d e m M e n s c h e n l i e g t , bestimmt die Erkenntniskraft die F o r m der Tugenden des Strebevermögens, wie die Klugheit die übrigen sittlichen Tugenden bestimmt; in den theologischen Tugenden aber, die sich auf Gott richten, bestimmt die Tugend des Willens, nämlich die Gottesliebe, die Verstandestugend, nämlich den Glauben." Damit ist freilich das umfassende Problem, das mit den Stichworten Intellektualismus und Voluntarismus gekennzeichnet ist, nicht im entferntesten erschöpft und kann in seiner Bedeutung für die Gedankenwelt des hl. Thomas aus diesen kurzen Andeutungen nur erahnt werden. 23, 7 5. D i e T o t a l i t ä t d e r G o t t e s l i e b e (Art.. 7 u. 8). — Die Fragestellung des 7. Artikels ist dieselbe wie in I - I I 65, 2 u. 4 (Bd. 11). Auch die Beweisführung ist im wesentlichen dieselbe wie dort: erst kraft der Gottesliebe ist der Mensch in der rechten Weise auf das letzte, das überweltliche Ziel seines Lebens, auf die Beseligung durch Gott Selbst, eingestellt. E s sind also nur jene Werke als schlechthin gute Werke und nur jene Tugenden als echte und vollkommene Tugenden anzusprechen, die mit hinreichender Klarheit auf dieses erhabene Ziel ausgerichtet sind. Wo in den Handlungen des Menschen diese Ausrichtung fehlt, kann man ihnen zwar den Charakter des sittlich Guten nicht ohne weiteres absprechen, solange es um die Erreichung eines wahren Teilgutes geht, aber sie bleiben doch in sich unvollkommen und sind nur relativ, nämlich mit Bezug auf das erstrebte innerweltliche Ziel, gut zu nennen. Deshalb sind auch die Tugenden, aus denen diese Akte hervorgehen, nur im abgeschwächten Sinne als solche zu bezeichnen ( I - I I 65, 2 Antw.: B d . I I ) . 1 Aber auch das fällt noch dahin, wo es sich um die E r reichung nicht eines echten, sondern eines Scheingutes handelt. I n der Lösung Zu 1 wird deutlich, daß auch ein in sich gutes Werk durch das schlechte Ziel vergiftet wird. Wer etwa einen Menschen mit „Wohltaten" überhäuft, um ihn sich dadurch zu verpflichten und nachher zum gefügigen Werkzeug 1 Ohne die Gottesliebe kann z. B . „die eingegossene Klugheit nicht einmal i h r Wesen behalten" ( T - I I 65, 4 Zu 1 : Bd. 11). Über die Rolle der Klugheit f ü r die sittlichen Tilgenden, wie auch über den Unterschied von vollkommenen und unvollkommenen Tugenden vgl. ebd. K o m m , zu 65, 1 S . 609ff.

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f ü r seine d u n k l e n P l ä n e zu m a c h e n , ist d e m zu vergleichen, der 23, 7 m i t der Greste des F r e u n d e s einen L a b e t r u n k reicht, u m den a n d e r e n zu vergiften. Die U n l a u t e r k e i t der Absicht zerstört d a s in sich g u t e W e r k in seiner Wurzel. So k ö n n e n selbst die „ W e r k e der leiblichen B a r m h e r z i g k e i t " v o m Ziel her schlecht u n d verbrecherisch werden. Dasselbe bestätigen die Lösungen Z u 2 u. 3 in a n d e r e r F o r m . A r t . 8 stellt dieselbe F r a g e f ü r alle Tugenden, die T h o m a s 23, 8 in 4, 3 (Bd. 15) f ü r den Glauben gesondert stellt. 1 Schon in A r t . 7 ging es u m die absolute T o t a l i t ä t der Gottesliebe; n u r w u r d e d o r t der Beweis d a f ü r negativ g e f ü h r t : Ohne Gottesliebe k a n n es keine echte T u g e n d geben. I n A r t . 8 heißt es p o s i t i v : Die Gottesliebe ist das innere Formgesetz aller Tugenden. Beweis: U r s p r u n g der sittlichen H a n d l u n g wie ü b e r h a u p t alles sittlichen Verhaltens, soweit es sittliches Verhalten ist, ist der Wille. B e s t i m m e n d f ü r die G r u n d h a l t u n g des Willens ist d a s Ziel. Also ist letztlich das Ziel b e s t i m m e n d f ü r A r t u n d W e r t der sittlichen H a n d l u n g . W e r das Ziel b e s t i m m t , bes t i m m t d e m n a c h auch den inneren C h a r a k t e r der H a n d l u n g . Die letzte u n d zugleich f u n d a m e n t a l s t e Ausrichtung auf d a s Ziel a b e r gibt die Gottesliebe. J a , der Wille wird, wie T h o m a s T - I I 62, 3 sagt, d u r c h die Gottesliebe auf G r u n d einer gewissen geistigen E i n u n g in dieses Ziel geradezu „ u m g e w a n d e l t " . D a h e r gibt die Gottesliebe d e m g e s a m t e n sittlichen Leben des Menschen Ziel, I n h a l t u n d W e r t . D a s ist n u n aber nicht so zu verstehen, als ob die Gottesliebe alle a n d e r e n T u g e n d e n sozusagen aufsaugen, sie überflüssig m a c h e n u n d der ganze K o s m o s der sittlichen K r ä f t e sich in lauter Liebe a u f l ö s e n w ü r d e , wie A u g u s t i n u s d a s anz u n e h m e n scheint, w e n n er m e i n t , T u g e n d sei schlechthin nichts anderes als die ü b e r alles e r h a b e n e Gottesliebe selbst. 2 Die E i n h e i t , die m i t der Gottesliebe ins Menschenleben E i n zug h ä l t (vgl. 4, 7 Zu 4 : B d . 15), ist Keine Einerleiheit. Sowenig der Wille als der verantwortliche Leiter des g e s a m t e n menschlichen Lebens die F u n k t i o n e n der niederen K r ä f t e , sei es der motorischen, der vegetativen (mit Einschluß der Zeugungskraft) oder der s i n n e n h a f t e n E r k e n n t n i s - u n d Triebk r ä f t e ü b e r n e h m e n k a n n , sondern sie i m Gegenteil gerade in i h r e m eigenen Sein u n d Tätigsein voraussetzt —• so wenig k a n n die Gottesliebe die a n d e r e n T u g e n d g e h a b e n , seien es die theologischen oder die sittlichen, e n t b e h r e n oder sie gar ablösen, u m deren besondere A u f g a b e n zu ü b e r n e h m e n . Andernfalls w ü r d e sich die christliche Sittenlehre m i t gar nichts a n d e r e m zu befassen h a b e n als m i t der Gottesliebe, u n d T h o m a s h ä t t e sich d a s gewaltige Gebäude seiner Sittenlehre m i t der Weitläufigkeit seiner T r a k t a t e u n d der bis in letzte F e i n h e i t e n v o r s t o ß e n d e n Analyse des sittlichen Verhaltens sparen k ö n n e n . E s wäre u n g e f ä h r so, wie w e n n der H e e r f ü h r e r sämtliche F u n k t i o n e n seiner Offiziere u n d Manns c h a f t e n selbst ü b e r n e h m e n w ü r d e , wie der G o t t des Okkasio1 2

Über den Sinn der Frage, soweit sie den Glauben betrifft, vgl. dort Anm. [25], De Moribus Boeles. Cathol. c. 15 (PL 32/1322 A).

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23, 8 nalismus alles, was seine Geschöpfe zu wirken s c h e i n e n , selbst wirkt. 1 Das wäre aber ein schlechtes Gleichnis zum unendlichen Seinsreichtum unseres Gottes, dessen Reichtum sich gerade in der unendlich differenzierten Fülle Seiner Schöpfung mit der hierarchischen Stufung ihrer Kräfte offenbart. Das kann also der Sinn der Artikel 7 und 8 nicht sein. E s bleibt bei der Unterscheidung der göttlichen und sittlichen Tugenden, es bleibt für die sittlichen Tugenden die Vorrangstellung der Kardinaltugenden unter der Leitung der Klugheit; es bleibt die Wesensstufe zwischen den natürlich erworbenen und den gnadenhaft eingegossenen Tugenden. E s bleibt das grundlegende Verhältnis von Natur und Gnade (vgl. Einführung S. 403; K o m m , zu 23, 1 Antw.: S. 432 u. S. 433 F n 1). Was soll dann aber die These, die Gottesliebe sei die „ F o r m " , das innere Gesetz aller Tugenden, noch bedeuten? U m es ganz schlicht zu sagen: Die Gottesliebe, wenn sie wirklich zum Strömen kommt, nimmt alle tugendlichen K r ä f t e des Menschen in ihren Dienst, koordiniert ihre einzelnen Tätigkeiten so, daß sie sich gegenseitig nicht hemmen, sondern unterstützen, und stellt damit die ursprüngliche innere Ordnung der Natur, wenn auch vielleicht auf manchen Umwegen, wieder her. Wie ein Heerführer seinen Mannen, so gibt sie dem Willen mit dem ganzen Heer der ihm unterstellten Kräfte, die in derselben Seelensubstanz gründen und deshalb schon von Haus aus auf Einheit angelegt sind, das große Ziel, begeistert sie für ihre Spezialaufgaben, die zuletzt einmütig der Erreichung dieses einen letzten Zieles dienen müssen. Sie nimmt keiner die Arbeit ab, aber sie gibt ihnen den heiligen Impuls, kraft dessen sie ihre Arbeit leichter und freudiger tun. Gewiß nur ein Bild, aber man wird das tertium comparationis, das nämlich, was es besagen soll, leicht herausfinden. Der Einfluß der Liebe auf die anderen Tugendgehaben — wir werden das in der nächsten Frage noch eingehend betrachten m ü s s e n — geht also über den Willen; diesen allerdings wandelt sie unmittelbar innerlich um, wie wir schon sahen (S. 445), und der so gewandelte Wille nimmt sämtliche Kräfte des Menschen in einen neuen Dienst, 2 wobei er wesentlich unterstützt wird durch die eingegossenen sittlichen Tugenden, die zugleich mit der Gnade und der Liebe gegeben werden; denn eine geschaffene Natur ohne die sie entfaltenden Kräfte wäre ein Widerspruch, ein Unding, wäre wie eine Quelle ohne Wasser. Genau so die Gnade ohne die eingegossenen sittlichen und göttlichen Tugenden. Diese sind nichts anderes als entfaltete Gnade und bilden die übernatürliche Ausstattung, den übernatürlichen Kräftekosmos des Christen unter Führung der Liebe. Die Einheit der Quelle ebenso wie die Einheit der Führung gewährleisten die innere Festigkeit dieses Kosmos, der nur als Ganzes Vgl. I 47, 3 mit Kommentar: Bd. 4, S. 80 ff. u. 540 ff. E s ist der „neue Wein", der in „neue Schläuche" gegossen wird (Mt Lk 5, 38); der „neue Teig'' (1 Kor 5, 7); der „neue W e g " ( H b 10, 20); das Geschöpf" (2 Kor 5 , 1 7 ; Gal 6 , 1 5 ) ; der „neue Mensch" (Eph 2, 1 5 ; 4 , 2 4 ; Kol die „Neuheit des Lebens, des Geistes, der Gesinnung" (Köm 6, 4 ; 7, 6 ; 12, 1 2

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9, 1 7 ; „neue 3,10); 2).

bestehen u n d als Ganzes untergehen kann. 1 Die erworbenen 23, S Tugendgehaben bleiben davon unberührt, wiewohl sie sehr wertvolle Dispositionen schaffen können f ü r die vollendete Tätigkeit der übernatürlichen Gehaben. Weil sie nicht innerlich mit diesen verbunden sind, gehen sie auch mit der Gnade u n d der Liebe nicht verloren, sowenig der Virtuose etwa die rein äußere Beherrschung seines Instrumentes verliert, wenn er vom echten Ideal seiner K u n s t abfällt. 2 Die These von der Gottesliebe als „ F o r m " aller Tugenden findet ihre Verwirklichung im Christenleben auch ohne jede Reflexion auf die wissenschaftliche Analyse des geistlichen Lebens. E s bestätigt sich tausendfach, zumindest im Leben jedes Heiligen, was Thomas im T r a k t a t über die Standespflichten (Bd. 24) zu betonen nicht m ü d e wird: „Die Vollendung des christlichen Lebens besteht schlechthin in der Liebe, in den anderen Tugenden nur in gewisser H i n s i c h t . . . So k o m m t es, daß die Vollkommenheit der Liebe Ursprung (principium) jener Vollkommenheit ist, die wir bei den andern Tugenden beobachten" (184,1 Zu 2). 3 Das Wort des Psalmisten: „Der Eifer f ü r die Ehre Deines Hauses verzehret mich" (Ps 69 [68], 10), das die Jünger bei der Tempelreinigung in Christus erfüllt sehen (Jo 2, 17), dieses Wort steht über dem Leben jedes Christen, der es ernst meint mit seiner Nachfolge Christi, denn, wie wir schon bei der Darstellung der echten Freundschaft sahen: D i e E h r e d e s G e l i e b t e n i s t d a s L e b e n d e s L i e b e n d e n , was in der Gottesfreundschaft genau der ersten Bitte des Vaterunser, dieses größten Gebetes der Christenheit, u n d zudem der eigenen H a l t u n g des Gottessohnes dem Vater gegenüber entspricht (vgl. Mt 4, 10; 5, 16; Lk 17, 17f; J o 5, 41 ff.; 7, 18; 8, 49f. 54; 17, l f f . ; 21, 19). „Sich verzehren" aber heißt: alle K r ä f t e a u f b r a u c h e n im Dienste der Ehre des Allerhöchsten, der uns Sich zu Freunden erwählt hat. F e r n e r : die Sehnsucht nach der Verwirklichung Seines Reiches (zweite Bitte), u n d die völlige „Gleichschaltung" unseres Willens mit Seinem heiligen Willen, gleichgültig, was er f ü r uns beinhalten mag (dritte Bitte), sind als Urstrebungen christlichen Lebens nur der Liebe möglich, die den ganzen Menschen erfaßt und vom verwandelten Willen her alle K r ä f t e durchglüht. Zugleich entsprechen auch diese „Urstrebungen" wieder den Grundhaltungen Christi: dem Vater Anbeter zu gewinnen u n d I h m so „das Reich" zu bauen war das große Ziel Seiner Sendung (Jo 4, 23; 1 Kor 15, 24—28), den Willen des Vaters zu erfüllen Seine „Speise" (Jo 4, 34). 1 „Der Zusammenhalt (connexio) des geistigen Gebäudes besteht kraft der Gottesliebe; nach Kol 3, 14: .Über all dies aber habet die Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist'" (4, 7 Zu 4: Bd. 15). 2 Was wir hier in gedrängter Übersicht geben, ist von A. F. U t z, OP, bereits ausführlich in dem ausgezeichneten Kommentar zu Bd. 11 behandelt worden. Vgl. dort die Kapitel über die Wirkursache der Tugenden S. 597—605, wie über ihre Verknüpfung S. 609—623. ' Diese These wird geradezu zum theologischen Apriori des ganzen Traktates, ähnlich wie die Gleichung: Gottesliebe = Gottesfreundschaft für den Traktat De caritate; vgl. im selben Band 184,1 Antw.; 184, 2. 3; 184, 5 E. 3; 184, 7 E. 2 u. Zu 2; 185, 4 Antw.; 186,1 Zu 4; 186, 2; 186, 3 Antw.; 186, 7; 187, 2 Antw.; 1 8 8 , 1 Antw; 188, 2 Antw.; 188, 6 E. 2; 189, 1 Antw.

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23, 8

U m diese Grundhaltungen, die wesentlich zur Nachfolge Christi gehören und uns Christo in einem immer tieferen und umfassenderen Sinne „gleichförmig" machen (vgl. R o m 8, 2 9 ; Gal 4, 19), in uns lebendig zu erhalten, sie zu festigen und zu vertiefen, muß der Wille immer wieder neu auf diese großen geistigen Lebensziele, die im Grunde e i n Ziel sind: nämlich Gott und Sein Reich, ausgerichtet werden. Das ist der Sinn jener christlichen Übung, die wir, etwas blaß, „gute Meinung" nennen, wobei wir nicht übersehen dürften, daß .meinen* und ,minnen' denselben Wortstamm haben. E s ist also jene Übung, durch die die Seele immer wieder neu zur Liebe „entzündet" wird — „Du aber entzündest deine Seele, daß sie der Morgenröte voraneilt. . . " ( G . v. L e Fort) — , die deshalb zu den selbstverständlichsten Übungen des Christen gehören sollte. Durch sie kann jede, auch die unscheinbarste tägliche Verrichtung etwa des Fabrikarbeiters oder der Hausfrau geheiligt und für das Reich Gottes fruchtbar gemacht werden — vorausgesetzt, daß dieses Tun selbst „in Ordnung" ist. Das alles verbirgt sich hinter der schlichten Formel: die Gottesliebe ist die „Form", das innere Gesetz aller Tugenden; ohne Liebe kann es deshalb keine christliche Tugend im Vollsinne dieses Wortes geoen. E s gibt demnach keine Tugend, die auch nur von fern an die Totalität und Universalität der Gottesliebe heranreichen würde. Als fundamentale Sinngebung alles menschlichen Lebens, gleich welchen Alters, Standes oder Berufes, ist sie deshalb auch das A und O in allen Überlegungen des Aquinaten. I n seinem Leben wie in seiner Theologie bestimmt die Gottesliebe ausnahmslos alles. Das wird noch deutlicher, wenn wir jetzt in F r . 24 den eigentlichen Träger der Gottesliebe und in F r . 25 ihren Gegenstand betrachten. Zweites Kapitel DER TRÄGER DER LIEBE (Fr. 24)

F r . 24

Wie wir schon oben (S. 416) bemerkten, hat Thomas in der Behandlung der Gottesliebe das übliche Schema: Gegenstand — Akt — Gehaben ( = Tugend) — Träger — Ursache verlassen. D a er mit der Frage nach dem Wesensbegriff der Gottesliebe anhebt, muß er die Frage nach dem Tugendcharakter gleich anschließen und stößt somit folgerichtig von dort zunächst auf die Frage nach dem Träger. Nim ist zwar die Frage nach dem eigentlichen Gegenstand der Gottesliebe in diesem Sonderfall in der Analyse des Wesensbegriffs schon mit beantwortet; deshalb handelt F r . 25 von der Universalität der Gottesliebe, also hauptsächlich von der Ausweitung der Liebe auf alles, was mit dem eigentlichen Gegenstand, der Gott ist, in Verbindung gebracht werden k a n n ; denn „die Liebe zu Gott ist nur vollkommen, wenn sie alles einschließt, was die schöpferische Liebe des allmächtigen Vaters umschließt". 1 1 A. H a y e n S J , Der heilige Thomas von Aquin gestern und heute, Frankfurt/M. o. J . (1954) 20.

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I. D e r e i g e n t l i c h e T r ä g e r d e r (Art. 1)

Gottesliebe

1. Über Liebe als Willensbewegung im Gegensatz zum Liebes- 24, l trieb wurde schon oben (23, 1 § 2 S. 423 f.) ausführlich gehandelt. Doch haben wir einiges nachzutragen. Die Möglichkeiten, die in den Einwänden angeführt werden, reichen nicht. Wiederum müssen wir an den Charakter der Summa als H a n d b u c h erinnern, wo alles auf die kürzeste Formel gebracht wird, nicht ohne die Gefahr, die Dinge z u e i n f a c h erscheinen zu lassen. Die ganze Skala der emotionalen Strebungen vom dunklen, unbewußten, n a t u r h a f t e n Drang bis zur Helle des geistigen Selbstbesitzes u n d Selbstentscheids m ü ß t e hier auftreten, u m die eigentliche Tiefe zu erreichen, zu der Thomas mit der These des Artikels vorstößt. Aber „dieser Meister der klaren Linie, des beharrlich planvollen Bauens h a t nicht die Tiefe des Dunkels, lieber täuscht er über das Maß seiner Tiefe durch die Helle des Lichtes, das er hinabwirft bis auf ihren G r u n d " IJ. B e r n h a r t ) . 1 Wer mag die N a t u r des geschöpflichen Willens, dieser geheimnisvollsten K r a f t in Mensch und Engel, ergründen! U n d n u n k o m m t zu diesem Geheimnis des Geschöpfes in der Gottbegegnung noch das größere des Schöpfers hinzu! Das Geheimnis des Willens liegt darin, daß er sein eigener .Anlasser' und Veranlasser ist, daß er sich selbst zum A k t „entzünden" kann, und gerade in diesem Selbstbesitz ist er a m meisten noch Gott verwandt (Prolog zu I - I I : Bd. 9). Zugleich liegt darin das eigentliche Geheimnis der Person, von der Thomas sagt, sie sei das Vollendetste, das Adeligste, Gewaltigste in der Gesamtwirklichkeit überhaupt (I 29, 3 Antw.: Bd. 3). Schon im Sentenzenkommentar weist Thomas d a r a u f h i n , daß der Wille selbstmäohtig, causa sui, ist, sich selbst gehört und sich selbst Ursache des Handelns ist (3 d 27: 1, 2), wie er beharrlich mit A r i s t o t e l e s definiert: Frei ist, wer um seiner selbst willen da ist — qui sui causa est (19, 4: Bd. 16; I 21, 1 Zu 3: Bd. 2; 83, 1 F,. 3: Bd. 6; 96, 4: Bd. 7; I - I I 108, 1 Zu 2: Bd. 14 [vgl. dort Anm. (22)]; C G I 72 § 7; 88 § 4; I I 4 8 § 2 ; I I I 1 1 2 § 2 ; I V 2 2 § 4 ; Met nr. 58). Ganz wie dem Verstände als einer wesentlich passiven Potenz, „die a l l e s werden k a n n " , eignet auch dem Willen als der ihm entsprechenden Strebekraft eine Art Unendlichkeit. Man k a n n ihn nur unmittelbar konfrontiert denken mit dem „allumfassenden Gut", dem b o n u m universale (I 59, 1: Bd. 4). Und d a dieses „allumfassende G u t " kein anderes sein k a n n als Gott Selbst (ebd. 60, 5), steht der geschöpfliche Wille i n u n m i t t e l b a r e r N ä h e z u m u n e n d l i c h e n G o t t . Dieser göttliche Adel des Willens zeigt sich auch darin, daß nur Gott den Willen innerlich beeinflussen kann, während auf den Verstand (des Menschen) auch der Engel Einfluß nehmen k a n n (172, 2 Zu 1: Bd. 23; CG I I I 88 § 2). Von hier aus wird noch einmal klar, daß zwischen Wille u n d sinnenhaftem Strebevermögen, das stets auf ein geschaffenes Einzelgut geht, also auch zwischen Willensbewegung u n d Leidenschaft eine Unendlichkeitsstufe 1 Thomas v. A., Summe der Theologie I 2 (Kröners Taschenausgabe Bd. 105), 1938: Vorrede, S. X X I I I .

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17A

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24, l liegt (I 59, 1 Zu 1: B d . 4). So gibt es nur e i n e n echten Maßs t a b für die W e i t e und Tiefe des menschlichen Willens: G o t t . Deshalb ist auch nur der Wille fähig — allerdings auch nur k r a f t der allgemeinen Seinsverfügbarkeit alles Geschöpflichen (potentia oboedientialis: I I I 11, 1 : B d . 2 5 ; V i r t 1, 10 Zu 13) — , Sitz eines übernatürlichen Gehabens zu sein, das den Menschen befähigt, in persönlichen K o n t a k t m i t Gott zu treten, „vert r a u t e n U m g a n g " — familiaris conversatio — m i t I h m zu pflegen (I 20, 4 Zu 3 : B d . 2 u. ö. [vgl. oben S. 437]), wie der F r e u n d m i t dem F r e u n d e . 2. Noch eine weitere Unterscheidung ist wichtig: die nämlich zwischen voluntas ut natura, dem naturhaften Willen, und der voluntas ut voluntas, dem Wahl-Willen, dem die Überlegung der Vernunft vorausgeht. Sie unterscheiden sich voneinander wie Ursache von Ursache ( I - I I 10, 1 Zu 1: B d . 9 ; vgl. I 60, 2 u. 5 : B d . 4) und sind doch nur wie verschiedene Phasen ein und derselben Seelenkraft. W i e der Verstand seine ,Natur' h a t , so auch der Wille. D a b e i ist ,Natur' hier soviel wie Wesen. Natur aber ist immer a u f eines festgelegt. So ist auch der Wille kraft seiner N a t u r festgelegt a u f das G u t e ; und die U r b e w e g u n g , die von ihm als N a t u r ausgeht, ist die, zunächst noch richtungslos gedachte, L i e b e (I 20, 1 : B d . 2 ; 38, 2 : B d . 3 ; I - I I 27, 4 ; 28, 6 Antw. u. Zu 2 ; 36, 2 ; 41, 2 Zu 1; 46, 1: B d . 1 0 ; 56, 3 Zu 1; 70, 3 : B d . 1 1 ; I I - I I 162, 3 Zu 4 : B d . 2 2 ; CG I I I 151 § 3 ; I V 19 § 2). Aus dieser Urbewegung des Willens, die immer a u f das Gute — sei es a u f das echte, sei es a u f das vermeintlich Gute — geht, empfängt alle weitere Bewegung des Willens ihre K r a f t , denn das N a t u r h a f t e ist zugleich das Mächtigste ( I - I I 31, 6 : B d . 10). Diese Urbewegung fließt in alle anderen Bewegungen mit ein, und es läßt sich keine Bewegung des Willens denken, in der sie nicht wirksam wäre (Car l ) . 1 W i e nun der naturhafte Wille oder der Wille kraft seiner Natur, genau wie der Wille des Engels, zunächst a u f den aus der (sichtbaren) Schöpfung erspürten Gott geht und Engel wie Mensch diesen G o t t sogar „von N a t u r mehr lieDen als sieh selbst" (I 60, 5 : B d . 4 ; vgl. I - I I 109, 3 : B d . 14), so bedeutet a u f der E b e n e der Ü b e r n a t u r die Gottesliebe die m i t der E i n gießung der Gnade anhebende U r b e w e g u n g d e s W i l l e n s a u f d e n d r e i e i n i g e n G o t t d e r O f f e n b a r u n g , und es k a n n keinen übernatürlichen A k t geben, in den die Gottesliebe nicht als die eigentlich bewegende K r a f t einfließen würde. Auch hier zeigt sich wieder, daß N a t u r und Ü b e r n a t u r nicht im Gegensatz stehen, daß vielmehr die N a t u r ihr volles R e c h t behält, wie Thomas ausdrücklich sagt, daß „die N a t u r in der Seligkeit gewahrt bleiben m u ß " (I 62, 7 : B d . 4 ; vgl. I I - I I 19, 11 Zu 3 : B d . 16), denn „immer m u ß das E r s t e im Zweiten gewahrt b l e i b e n " (ebd.; außerdem 60, 1. 2) und „es ist nicht Art der göttlichen Vorsehung, die N a t u r zu verderben", sondern 1 Die Lösung Zu 1 in I 59, 1 (Bd. 4) könnte man dahin ausdeuten, daß man die voluntas ut natura dem intuitiv schauenden Intellekt und die voluntas ut voluntas, also den Wahl-Willen, der überlegenden Vernunft koordiniert. Denn der naturhafte Wille geht auf das Ziel schlechthin, der Wahl-Wille auf die Mittel zum Ziel (ebd.

60, 2).

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z u b e w a h r e n (I 22, 4 Anderseits: B d . 2 ; 48, 2 Z u 3 : B d . 4 ; 24, l I - I I 10, 4 Antw. u. Zu 1. 2 : B d . 9 ; 51, 4 E . 2 u. Z u 2 : B d . 1 1 ; 113, 3 m i t K o m m . : B d . 14). E s ist a l s o , wie Z u 3 d e u t l i c h m a c h t , nicht der Wahlwille, der z u m S i t z der Gottesliebe wird, sondern die v o l u n t a s u t n a t u r a , die a b e r d u r c h die G n a d e innerlich a u f die E b e n e einer n e u e n , einer Ü b e r - N a t u r erhoben wird. U n d nun ist es diese durch die G n a d e erhöhte N a t u r , a u s der die n e u e B e w e g u n g der G o t t e s l i e b e a l s U r b e w e g u n g a l l e s ü b e r n a t ü r l i c h e n L e b e n s fließt. N a t u r u n d G n a d e w e r d e n z u e i n e m T o t a l prinzip d e s n e u e n L e b e n s . V g l . d a s W o r t d e s seligen S e u s e : „ H e r r , w a s ich v o r d e m las, d a s h a b e ich n u n e r s t b e g r i f f e n : d a ß , w o d a s L e i b l i c h e zu d e m Geistigen u n d d a s W o h l g e n a t u r t e z u d e m E w i g e n g e r ä t , d a ß d a ein großer F u n k e D e i n e r g n a d e n reichen Minne d a r a u s w i r d . " II. D i e U r s a c h e der G o t t e s l i e b e (Art. 2 u . 3) 1. D i e E i n g i e ß u n g d e r G o t t e s l i e b e (Art. 2). — I n 24, 2 F r . 23 ist die T h e s e dieses A r t i k e l s stillschweigend s c h o n vora u s g e s e t z t . W e n n G l a u b e und H o f f n u n g b e r e i t s a l s eingeg o s s e n e T u g e n d e n erwiesen sind ( 6 , 1 : B d . 1 5 ; I - I I 63, 3 : B d . 11) u n d die G o t t e s l i e b e in 23, 6 a l s die e r h a b e n s t e T u g e n d schlechthin h e r a u s g e s t e l l t w u r d e ; w e n n es ferner ohne G o t t e s l i e b e ü b e r h a u p t keine e c h t e T u g e n d g e b e n k a n n u n d alle T u g e n d e n v o n ihr ihr inneres G e s t a l t u n g s g e s e t z erhalten, d a n n ist e s e v i d e n t , d a ß e s sich a u c h b e i der G o t t e s l i e b e u m eine eingeg o s s e n e T u g e n d h a n d e l n m u ß . A u c h w e n n wir die F r a g e so stellen, wie T h o m a s sie i m P r o l o g zu F r . 24 s t e l l t : o b die G o t t e s liebe i m Willen a u s v o r h e r g e h e n d e n A k t e n v e r u r s a c h t werde, m i t a n d e r e n W o r t e n , o b der Wille selb3t d a s G e h a b e n der Gottesliebe in sich zeugen k ö n n e , z u m a l wenn diese A k t e k r a f t der G n a d e g e s e t z t werden, also übernatürlichen C h a r a k t e r h a b e n , scheint die A n t w o r t in F r . 23 w e n i g s t e n s indirekt schon v o r w e g g e n o m m e n z u sein. T r o t z d e m stellt T h o m a s die F r a g e noch e i n m a l a u s d r ü c k l i e h (bei der H o f f n u n g v e r m i s s e n wir sie n ä m l i c h ! ) , u m j a keinen Zweifel d a r ü b e r a u f k o m m e n z u lassen, d a ß es sich bei der Gottesliebe u m ein b e s o n d e r e s G n a d e n g e s c h e n k u n d u m einen b e s o n d e r e n F a l l der S p o n t a n e i t ä t G o t t e s in S a c h e n des menschlichen Heiles h a n d e l t . Gleich der e r s t e S a t z der Antwort e n t k r ä f t e t alle drei E i n w ä n d e , i n d e m er f e s t s t e l l t , d a ß es sich bei der G o t t e s m i n n e n i c h t u m i r g e n d w e l c h e Gottesliebe h a n d e l t , s o n d e r n u m jene G o t t e s f r e u n d s c h a f t , die in der Mitteilung der ewigen Seligkeit g r ü n d e t . D a n u n die T e i l n a h m e a n d e m dreipersönlichen L e b e n G o t t e s reine G n a d e v o n G o t t ist, die kein G e s c h ö p f sich a u s E i g e n e m erzwingen k a n n , m u ß a u c h d a s G e h a b e n der G o t t e s liebe, d a s d e n Menschen schon hier a u f E r d e n zu dieser T e i l n a h m e b e f ä h i g t , a l s reines G o t t e s g e s c h e n k b e t r a c h t e t werden, d a s sich kein Mensch i m s t r e n g e n Sinne „ v e r d i e n e n " k a n n . D i e B e g r ü n d u n g ist nur s t i c h h a l t i g f ü r den, der m i t T h o m a s a n n i m m t , d a ß es keinen W e g g i b t v o m Menschen z u G o t t , wie 29*

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124,-2 E r in Sich Selbst ist, daß es nur einen Weg gibt von Gott zum -Menschen, entsprechend dem Worte Christi: „Niemand erkennt den Sohn als n u r der Vater u n d den Vater erkennt niem a n d als nur der Sohn, und wem der Sohn es offenbaren will" (Mt 11, 27); u n d : „Keiner k o m m t zu Mir, wenn der Vater ihn nicht zieht" (Jo 6, 44. 65); u n d noch einmal: „Keiner k o m m t z u m Vater außer durch Mich" (Jo 14, 6). N a t u r u n d Ü b e r n a t u r liegen also auf verschiedenen Seinsebenen; der Weg von der einen zur anderen f ü h r t über eine Unendlichkeit, die nur der unendliche Gott überbrücken kann. Die Lösung Zu 2 zieht eine Parallele v o m Versagen der menschlichen E r k e n n t n i s k r a f t gegenüber Gott zu der vor I h m versagenden Liebeskraft des Menschen. Beides wird erst korrigiert in der Ewigkeit, wo Gott auch f ü r uns im höchsten Grade erkennbar wird u n d uns dementsprechend auch im höchsten Grade liebenswert erscheint. Dort oben zeugt die erhabenere Erkenntnisweise auch einen höheren Grad der Liebe, hier u n t e n ist umgekehrt die Liebe Voraussetzung f ü r die E r k e n n t n i s : „Wer nicht liebt, der k e n n t Gott nicht, denn Gott, ist Liebe" (1 J o 4, 8). Darin spricht sich das von Thomas immer wieder angerufene Gesetz der cognitio per connaturalitatem, der E r k e n n t n i s auf Grund naturinnerer Übereinstimmung aus (45, 2: Bd. 17 B ; I 13, 1 Zu 3: Bd. 1; I - I I 27, 1; Art. 4: Bd. 10; Ver 26, 3 Zu 18). 24, 3

2. N a t u r u n d G n a d e i m G e h e i m n i s d e r G o t t e s l i e b e (Art. 3). — Nachdem feststeht, daß das Gehaben der Gottesliebe nicht aus der N a t u r s t a m m t , sondern dem Menschengeiste von Gott eingegossen wird, bleibt noch die Frage zu beantworten, ob dieses übernatürliche Gehaben nicht wenigstens in irgendeiner Entsprechung zu den natürlichen Gaben des Menschen steht, wie Thomas das von der Gnade b e h a u p t e t ( I - I I 113, 3: Bd. 14). Der Fehler von E . 1 liegt darin, d a ß er die Angaben, die im Gleichnis auf ein u n d derselben Ebene liegen, gewissermaßen auf die verschiedenen Ebenen, die natürliche u n d die übernatürliche, verteilt. — Auch E . 2 .sündigt' in der gleichen Weise. Aus der Gleichung: Stoff zu F o r m auf der natürlich-ontischen Ebene wie Gnade zu Herrlichkeit auf der übernatürlichen Seinsebene — darf m a n nicht schließen: also entspricht die Gnade auch in allem den Anlagen der N a t u r . I n dieser R i c h t u n g liegt auch die Lösung. — E . 3 übersieht die völlig andere ontische Situation bei Engel u n d Mensch. Das Anderseits unterstreicht, die Antwort bereits vorwegnehmend, wieder kräftig die Souveränität Gottes in der Verteilung Seiner Gnade. U m die Antwort nicht im Sinne einer Vergewaltigung der N a t u r durch die Gottesliebe falsch zu verstehen, müssen wir uns auf das besinnen, was wir oben (S. 450f.) über das Verhältnis von N a t u r u n d Gnade gesagt haben. Gott, als der allmächtige Schöpfer, als der „Allsorger des Seins" (vgl. Einf ü h r u n g § 3 S. 412), ist in Seiner frei schenkenden u n d überschwenglichen Gutheit (ebd. S. 411) nicht a n irgendwelche Voraussetzungen im Geschöpf gebunden, wie das Gleichnis

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von den Arbeitern im Weinberg handgreiflich dartut (Mt 20, 1 24, 3 — 16). Dort heißt es V . 16: „Die Ersten werden die Letzten sein." Mit demselben Worte könnte man 1 K o r 1, 26 — 29 überschreiben. Wie schon die Magna Charta des Neuen Gesetzes — die Acht Seligkeiten (Mt 5, 3—12) —• dartut, sind die Gesetze des Reiches Gottes völlig andere als die Gesetze des gewohnten menschlichen Lebens. Menschliches Denken wird verabschiedet: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, noch eure Wege Meine Wege . . . " (Is 55, 8f.); sie unterscheiden sich wie Himmel und Erde, Göttliches und Menschliches. Wenn es schon von den eingegossenen sittlichen Tugenden gilt, daß sie sich der Art nach (!) von den erworbenen unterscheiden, also ein völlig neues Verhalten begründen, das dem natürlich denkenden Menschen unverständlich bleiben muß, dann muß erst recht die Gottesliebe, die als theologische Tugend noch eine Seinsstufe höher liegt als die eingegossenen sittlichen Tugenden, alles Vermögen der Natur und damit alle gewohnten Kategorien des Sittlichen, alle innerweltlichen Maßstäbe übersteigen, alle menschlichen Berechnungen über den Haufen werfen. Und doch geschieht der Natur nicht Gewalt (vgl. Art. 1 Zu2), sowenig einem dunklen R a u m Gewalt geschieht, wenn er taghell erleuchtet wird, oder einer Wildnis, wenn sie in einen herrlichen Park verwandelt wird. Die Liebeskraft des Menschen wird nicht geschmälert, sondern ins Göttliche erhöht; sie wird nicht verengt, sondern ins echt Unendliche geweitet; sie wird nicht gedrosselt, sondern zu höchstem Leben in letzter Freiheit entzündet. Die Lösung liegt wieder in der bereits erwähnten potentia oboedientialis, der metaphysischen Seinsverfügbarkeit des Geschöpfes gegenüber dem Schöpfer, für die Thomas 1 - 1 1 1 0 , 4 Zu 2 (Bd. 9) die Formel prägt: „Einem jeden Wesen ist das seiner Natur gemäß, was Gott so in ihm wirkt, d a ß es s e i n e r N a t u r g e m ä ß i s t . . . E r will aber, daß es einem jeden Wesen naturgemäß ist, der göttlichen Macht zu gehorchen." Anders liegen die Verhältnisse bei den erworbenen Tugenden, für die Thomas ausdrücklich feststellt, daß „infolge körperlicher (!) Anlage einige besser oder schlechter zu manchen Tugenden veranlagt sind" (I 83, 1 Zu 5: B d . 6; I - I I 9, 5 Zu 3: Bd. 9; 51, 1; 63, 1: B d . 11; vgl. ebd. 64, 2 ; 65, 3 Zu 2; 66, 1. 2 ; dazu unten S. 484). Die Lösung Zu 1 bringt eine wichtige Ergänzung zur Lehre des Artikels: die Vorbereitungen, die zum Empfang der eingegossenen Tugend erfordert sind, ü b e r n i m m t d e r H e i l i g e G e i s t S e l b s t , „und zwar mehr oder weniger, wie es I h m gefällt". So steht auch hier wieder die Spontaneität Gottes außer Frage. III. Das

W a c h s t u m der (Art. 4—7)

Gottesliebe

1. D i e G o t t e s l i e b e k a n n w a c h s e n (Art. 4). — Die 24, 4 Frage, ob die Gottesliebe gemehrt werden könne, würde für den treugebliebenen Engel, der j a doch bereits in der Schau Gottes lebt, und für den Menschen, der die Seligkeit bereits.

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24, 4 erlangt h a t , ein echtes Problem darstellen, nicht aber f ü r den Menschen, solange er „unterwegs" ist. Denn kein Wesen unter allen Wesen der sichtbaren Schöpfung ist erfahrungsgemäß so auf das Werden angewiesen wie gerade der Mensch. Das liegt a n seiner geist-leiblichen N a t u r . D a sie dem Leibe und mit ihm dem Stoff v e r h a f t e t ist, ist sie, wie alles Stoffliche, dem Gesetz des Werdens unterworfen, u n d zwar gerade dem Leibe nach mehr als alle anderen Lebewesen (vgl. Arnold G e h l e n , Der Mensch. 1950 4 . 109ff.); da sie aber zugleich mit dem Geiste gekoppelt ist, ist sie auf das Unendliche hin angelegt. Den untermenschlichen Lebewesen fehlt diese Weite der Geistn a t u r . Sie sind daher schnell aus-gewachsen, d. h. wenn sie ein bestimmtes Stadium erreicht haben, hört jedes W a c h s t u m auf. 1 Auch beim Menschen gibt es einen solchen Abschluß im leiblichen Wachstum, nicht aber im geistigen. U n d hier ist das Gehaben der Gottesliebe dem Werdecharakter des menschlichen Geistes voll angepaßt. Das soll jedoch nicht heißen, daß zwischen dem natürlichen Innenwactis t u m des menschlichen Geistes und dem übernatürlichen W a c h s t u m der Gottesliebe — u n d mit ihr aller anderen eingegossenen Tugenden — wie bei einer mathematischen F u n k t i o n eine volle Entsprechung bestünde. Die Gnade geht auch hier völlig eigene Wege, wie sich im folgenden noch näher zeigen wird (vgl. auch K o m m , zu I - I I 6 3 , 3 , 4 : Bd. 11, S. 602 mit F n 5). Die Lösung Zu 3 leitet bereits über zur Frage des nächsten Artikels u n d wird erst von dort her voll verständlich. Bemerkenswert ist die selten scharfe A b f u h r , die Thomas „einigen" Zeitgenossen erteilt. 24, 5

2. D i e A r t d e s W a c h s t u m s (Art. 5). •— Der Artikel ist geradezu eine .Neuauflage' von I - I I 52, 2 (Bd. 11), wo dieselbe Frage f ü r das Gehaben ü b e r h a u p t gestellt wird. D a n u n die Gottesliebe ein Gehaben ist u n d das Frühere im Späteren, das Allgemeine im Besonderen gewahrt bleibt (I 60, 1. 2; 62, 7: Bd. 4), sind die Überlegungen dort wie hier die gleichen. Sogar die Einwände m i t s a m t ihren Lösungen wie auch die Beispiele, die Thomas in der Antwort bringt, sind im Grunde dieselben. Wir verweisen daher auf I - I I 52, 1. 2 mit K o m m . (Bd. 11 S. 61—74 u. 505—512). Der Gedankengang ist kurz folgender: Die Annahme einer Mehrung der Gottesliebe durch Hinzufügung f ü h r t zur A n n a h m e mehrerer Gehaben. Diese werden entweder spezifisch vom Gegenstand her unterschieden oder zahlenmäßig vom Träger her. Das erste ist in unserm Falle nicht denkbar, weil die geringste Gottesliebe bereits ihren ganzen Gegenstandsbereich u m f a ß t . Das zweite ist noch weniger denkbar, denn m a n k a n n nicht Geist zu Geist fügen, u m den Geist zu mehren. U n d wenn es möglich wäre, k ä m e nur eine Erweiterung des Trägers, aber keine größere Liebe heraus. So genügt es auch, wenn m a n wär1 Wie das Gesetz dieses Wachstums in der Wesensform verankert ist, zeigt Anm. [85] in Bd. 1 S. 366 f. und III 7,12 Zu 1: Bd. 25. Von der Biologie her bestätigt diesen Zusammenhang in überraschender Weise: A. Portmann, Zoologie und das neue Bild vom Menschen (Rowohlts deutsche Enzyklopädie 20). Hamburg o. J. (1956).

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meres Wasser haben will, nicht, d a ß m a n Wasser v o m gleichen 24, 5 Wärmegrad zugießt. Man würde zwar mehr, aber nicht wärmeres Wasser erhalten. Die Begründung f ü r die einzig mögliche Weise einer Mehrung der Grottesliebe a l s e i n e s d e m W i l l e n eingegossenen G e h a b e n s , wie sie im letzten Teil der Antwort dargelegt wird, wurde in der Losung Zu 3 des vorigen Artikels bereits vorweggenommen. Wir brauchen uns nur daran zu erinnern, d a ß das eingegossene Gehaben der Gottesliebe den Menschen fest auf sein eigentliches übernatürliches Lebensziel, nämlich die Schau u n d den Besitz Gottes ausrichtet, daß der Wille, wie Thomas I - I I 62, 3 (Bd. 11) sagt, auf Grund einer gewissen geistigen Einswerdung in dieses Ziel irgendwie „umgewandelt" wird; wie der Künstler durch die Liebe zu seiner K u n s t gewissermaßen immer mehr in diese umgewandelt wird, so daß er alles, was er denkt, sieht, erlebt u n d erfährt, „unwillkürlich" von seiner K u n s t her sieht u n d beurteilt. Denken wir etwa a n einen Bühnenkünstler, der sich so stark in seine Rolle „hineingelebt" hat, von ihr so „besessen" ist, d a ß er im Spiel nicht mehr er selbst zu sein scheint, sondern in „ekstatischer Identifikation" ( S c h e l e r ) selbst zum Helden des Dramas wird, den er darstellt. Was hier auf der Ebene der K u n s t im Künstler geschieht, das soll auf der Ebene des ganz realen, alltäglichen Lebens im Christen geschehen. E r „soll den neuen Menschen anziehen, der nach Gott geschaffen ist, in wahrer Gerechtigkeit u n d Heiligkeit" (Eph 4, 24); u n d noch konkreter gesagt: er soll „Christum anziehen" (Rom 13, 14). Der ganze Paulus gehört hierher mit seiner Christusmystik. 1 Der Christ soll immer mehr u n d immer tiefer in die geistige Gestalt Christi hineinwachsen, soll Zug u m Zug dieser Gestalt in sich zur Ausprägung bringen. Das Ebenbild soll dem Urbild, hier dem Heiligen Geiste (Zu 3) immer ähnlicher werden. Die Vollkommenheit der Gottesliebe u n d jeder Tugend besteht also in der Verähnlichung mit Gott über Christus (Car 8 E . 8). Vorgängig zu diesem Prozeß der Verähnlichung ist die Aneignung, besser: das allmähliche Hineinwachsen in die Glaubenswirklichkeit (2, 3 [Bd. 15]: „ . . . n i c h t auf einmal, sondern Stufe u m Stufe"), nämlich in das Geheimnis des Dreifaltigen Gottes u n d Christi, wofür der Hebräerbrief (4, 2) den plastischen Ausdruck geprägt h a t : mit dem Gehörten, d. h. mit der in der Verkündigung überkommenen Glaubenswahrheit „verwachsen". Soll dieses „verwachsen" mit dem in der Wahrheit erfaßten Wirklichen, d. h. mit Gott u n d Christus als Totalprinzip des Lebens wirksam werden, so braucht es die volle Antwort, das volle J a des Willens im Akt der Liebe. Beides faßt E c k h a r t zusammen, wenn er von einem „Hineinbilden seines geminnten gegenwärtigen Gottes" in den Grund der Seele spricht. 2 1

Vgl, A. W i k e n h a u s e r , Die Chri stusmystik des Apostels Paulus. Freiburg 1956" ' Zit. nach G. S i e d e l , Einleitung zu: Theologia Deutseh. Gotha 1929, 43. Vgl. Eckart, Tauler, Seuse. Ein Textbuch aus der altdeutschen Mystik. Hg. v. H . K u n i s c h (Rowohlts Klassiker), Hamburg 1958, 43. — Einen ausführlichen Kommentar zur Lehre unseres Artikels bietet J. M a u s b a c h , Thomas von Aquin als Meister christlicher Sittenlehre, München 1925, 123 ff.

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24.5

Hier, wo es sich u m subtilste geistige Vorgänge handelt, die zudem nicht natürlichen, sondern übernatürlichen Charakter tragen, von einem „Wachstum durch Hinzufügung" sprechen, hieße, das Göttliche auf die Ebene menschlichen Kalküls herabziehen wollen. Das Wie dieser von Gott gewirkten langsamen oder plötzlichen Umwandlung wird keine menschliche Forschung je erreichen. Hier haben Experimentalpsychologie u n d Religionspsychologie oder irgendeine andere F o r m von Psychologie ihre absolute Grenze. I n diese Tiefen, die allein Gott zugänglich sind, reicht kein menschliches Licht hinab. Wenn Gott die Liebe ist, wie Johannes sagt (1 J o 4, 8), u n d wenn Thomas unaufhörlich betont, daß wir Gottes Wesen nicht erkennen können, ja d a ß das eigentliche W a c h s t u m der Gotteserkenntnis hier u n t e n gerade darin liegt, immer tiefer zu erfassen, d a ß Gott, der Unbegreifliche, über alles, was wir ausdenken können, unendlich erhaben ist (Car 10 Zu 2 in contr.), d a n n folgt daraus, daß uns auch das Wesen dieser Liebe, die Gott ist, hier auf E r d e n ein Geheimnis bleibt, wie Gott Selbst eben f ü r uns auf der ganzen Linie Geheimnis ist; d a ß wir d a n n aber auch in bezug auf das Gehaben der Gottesliebe als einer Teilnahme a n der ewigen Liebe Gottes vor dem Geheimnis stehen. E s ist wie mit dem L i c h t : es macht alle Dinge, die von ihm bestrahlt werden, hell u n d warm, seine Strahlen selbst aber sind unsichtbar (Art. 2 Zu 2). 1

24.6

3. D a s L e b e n d e r L i e b e (Art. 6). — Die Lehre des Artikels ist zu durchsichtig, als daß sie einer besonderen Erklärung bedürfte. Bezeichnend ist auch hier wieder, wie Thomas die von jeder Reflexion unberührte N a t u r heranzieht, u m a n ihr per analogiam die Gesetze des geistigen Lebens abzulesen. Das fehlende Mikroskop wird ersetzt durch einen u m so tiefer ins eigentliche Wesen der Dinge dringenden geistigen Blick. E s ist b e k a n n t , daß es in der N a t u r diese „Schübe" wirklich gibt. Man h a t diese Diskontinuität der N a t u r sogar im atomaren Bereich festgestellt. E s gibt nirgendwo in der N a t u r ein absolut kontinuierliches Geschehen. 2 Und so auch nicht im geistigen Bereich, a m allerwenigsten im geistlichen Leben. F ü r die Feststellung, d a ß nicht jeder Akt, auch d e r nicht, der dem augenblicklichen „Grad" der Tugend entspricht, ein W a c h s t u m der Tugend bedeutet, brauchen wir uns nur a n das Beispiel vom Wasser zu erinnern. Soll ein Liter Wasser etwa von 20 auf 21 Grad erhöht werden, so genügt es nicht, die gleiche Menge mit einer Temperatur von ebenfalls 20 Grad zuzugießen. E s genügt nicht einmal, dieselbe Menge mit der Temperatur von 21 Grad zuzugießen; sondern das zugegossene Wasser m ü ß t e so viel wärmer sein, daß nach der Vereinigung der beiden Quantitäten das Ganze 21 Grad W ä r m e besitzt. Oder ein anderes Beispiel: U m die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Sonne auch nur u m einen Grad zu erhöhen, wäre eine Energie notwendig, die die gesamte Energie 1 1

Vgl. Kierkegaard, Leben und Walten der Liebe. Jena 1924, 10. Vgl. Pascual J o r d a n a. a. O.

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des Sonnenballes um so viel übertreffen würde, daß aus den 24, 6 errechneten 5712 Grad Oberflächentemperatur 5713 Grad würden. Diese Beispiele bedeuten freilich nur Analogien, aber sie veranschaulichen deutlich genug, was gemeint ist, wenn Thomas für das Wachstum des Gehabens einen Akt verlangt, der die geistige K r a f t des Gehabens so stark übersteigt, daß er das gesamte geistige Potential des Gehabens „heben" kann. Diese Überlegung zeigt gewissermaßen nebenbei, weshalb das wahre Wachstum der Tugend so schwer und deshalb so selten ist. Dazu liegt der Schluß nahe, daß die Steigerung des Gehabens über den erreichten Grad hinaus immer schwerer wird, daß also dem Heiligen, der den heroischen Grad der Gottesliebe erreicht hat, die weitere Vermehrung der Gottesliebe schwerer wird als dem, der sozusagen noch am Anfang steht. Doch diese Frage wird erst im nächsten Artikel entschieden. Der Ausdruck: prorumpere in actum ferventiorem dilectionis •—• „hervorbrechen in einen glühenderen Akt der Liebe" erinnert in seiner Bildkraft an eine vulkanische „Eruption", die a u c h durch viele tektonische und andere Prozesse vorbereitet wird, bis die inneren Gluten sich nicht mehr bändigen lassen. F ü r den im Ausdruck sonst so zurückhaltenden Thomas wiegt eine solche Wendung doppelt schwer, als ungewolltes Zeugnis seiner innersten Erfahrung. E s ist nicht zufällig, daß er denselben Ausdruck gerade dort gebraucht, wo er die spezifisch mystische Erfahrung — die notitia experimentalis — als Wirkung der Sendung des Sohnes, der wesentlich das Verbum spirans amorem, das liebe-hauchende WORT ist, herausstellt ( 1 4 3 , 5 Zu 2 : B d . 3; vgl. ebd. 93, 7 : B d . 7). Ein Moment, das beim Wachstum der natürlichen Gehaben ausschaltet, das aber für die eingegossenen Tugenden geradezu entscheidend ist, ist dieses: D a alle Akte der eingegossenen Tugenden, die schwächsten wie die stärksten, aus der Gnade fließen, sind sie verdienstlich, und zwar verdient jeder dieser Akte das ewige Leben (Zu 1) und verdient zugleich, wenn nicht für jetzt, so doch für später eine Mehrung der Gottesliebe, also ein Wachstum des Gehabens sozusagen von außen, von Gott her, der j a der eigentliche Urheber des Gehabens und damit Geschenkgeber aller Akte ist, die aus ihm fließen. Durch den stärkeren Akt, der aus dem Verdienst der schwächeren schließlich folgt, wird dann das Gehaben auch innerlich gesteigert und vertieft. Nebenher festigen natürlich auch die schwächeren Akte irgendwie das Gehaben und bereiten entsprechend ihrer Intensität von innen her die Steigerung des Gehabens vor. Letzteres gilt aber nur von den eingegossenen Tugenden, nicht von den erworbenen (vgl. Komm. z u I - I I 52, 3 : B d . 11, S. 512f.). 4. L i e b e o h n e G r e n z e n (Art. 7). — E . 3 beginnt mit 24,7 einer Überlegung aus dem Gebiet der höheren Mathematik: Die asymptotische Annäherung zweier Linien, einer Geraden nämlich und einer Kurve — wie die Asymptoten einer H y p e r b e l — erfolgt immer langsamer und führt theoretisch nie zur Deckimg der beiden Linien. So sagt m a n : sie berühren sich erst im Unendlichen. Das Wachstum der Gottesliebe nähert diese aber der 30 17 A

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24, 7 Gottesliebe der ewigen Heimat nicht etwa immer langsamer, sondern immer schneller an. Wenn dieses Wachstum also ins Unendliche gehen würde, müßte es schließlich der Gottesliebe der ewigen Heimat, die doch etwas Endliches ist, mindestens gleichkommen. Daß das in der T a t nicht der Fall ist, werden wir sehen. „Das Maß der Liebe heißt: lieben ohne M a ß ! " Dieses Wort des hl. B e r n h a r d 1 gibt die Lehre des Artikels am besten wieder. U m diese jedoch nicht falsch zu verstehen, gilt es, die verschiedenen Arten des Unendlichen auseinanderzuhalten. E s gibt das infinitum, das echt oder wesenhaft Unendliche, die qualitative Unendlichkeit, die nur Gott zukommt (I 7, 1. 2 : B d . 1), und das indefinitum, das summenhaft Unendliche, das eine „schlechte" Unendlichkeit bedeutet. So kann z. B . der Weltenraum ins Unendliche wachsen, wird aber nie echt unendlich werden, weil das dem Wesen des Körperlichen und damit dem Wesen des Raumes widerspricht (ebd. Art. 3). Dieses „schlechte" oder summenhaft Unendliche ist gemeint, wenn Thomas I - I I 30, 4 (Bd. 10) feststellt, daß die nicht-naturhafte Begierde des Menschen, weil sie mit der Vernunft gekoppelt ist, ins Unendliche fortschreitet. Weil „der Horizont der Vernunft, die auch den sinnlichen Bereich durchwaltet", unbegrenzt ist, sieht der „instinkt-entbundene T r i e b " praktisch unendlich viele Möglichkeiten vor sich. So gibt es in der Liebe zur Lust oder zum Reichtum keine Grenze. Der Überschuß des „Hungers" über die „Sättigung" bleibt, solange der Trieb sich selbst überlassen ist (vgl. ebd. Anm. [34]). 2 Doch handelt es sich beim Trieb nicht um das intensiv, sondern um das extensiv, das summenhaft Unendliche. E r s t der Tod setzt dem ein Ende — oder die Gnade. So ist es bei der Gottesliebe nicht. Erstens ist sie nicht Trieb, sondern Wille; zweitens entstammt sie nicht der Natur, sondern ist von Gott „eingegossen"; drittens hat sie nicht ein summenhaft, sondern ein qualitativ Unendliches zum Ziel: den unendlichen Gott Selbst. Und weil dieses Ziel echt unendlich ist, gibt es auch für die Liebe, die sich auf d i e s e s Ziel richtet, keine Grenzen der Intensität, denn sie kann n u r i n t e n s i v wachsen (Art. 5). Und wenn man auch die K r a f t der Seele als endliche setzt und setzen muß, so darf man hier, wo es sich ohnehin um eine gottgeschenkte Befähigung handelt, nicht übersehen, daß Gott die Seele als Gefäß der Liebe unbegrenzt weit machen kann. Wenn schon A u g u s t i n u s die Seele als capacitas Dei — „Gefäß für G o t t " —• definiert und Thomas diesen Gedanken in den verschiedensten Wendungen aufnimmt (vgl. I 12, 6 : B d . 1; 93, 2 Zu 3 : B d . 7; I - I I 2, 8 Zu 3 ; 5, 1: B d . 9 ; 113, 10: B d . 14; I I I 4, 1 Zu 2; 6, 2 : B d . 2 5 ; Car 8), so lassen sich dieser capacitas, die Gott nach Seinem Bilde geschaffen und die für das Leben mit Gott bestimmt ist, vom Menschen aus keine Grenzen setzen. Welchen Grad sie auch immer erreicht haben mag, es ist weder von Gott noch De diligendo Deo 1, 1 : P L 182/974 A. Über die .schlechte Unendlichkeit' der Begierde vgl. auch Lebendige Einheit. Salzburg 1938, 154 f. 1 2

458

Christmann,

vom Geiste de3 Menschen her ein Grund zu ersehen, weshalb 24, 7 sie nicht noch weiter soll wachsen können. Das heißt jedoch nicht, daß sie zur echten Unendlichkeit aufsteigen könnte, denn der echt Unendliche ist und bleibt allein Gott (Art. 8; vgl. I 62, 9 : B d . 4). Auch ist die Einschränkung zu beachten, die Thomas vornimmt: das Gesagte gilt nur für die Liebe der Pilgerschaft. Die Liebe der Pilgerschaft unterscheidet sich von der Liebe der ewigen Heimat zwar nicht wie Liebe von Liebe, denn sie bleibt auf Grund der Identität ihres Gegenstandes ihrem Wesen nach und sogar in ihrer Individualität dieselbe hier und dort ( I - I I 67, 6 : B d . 11; 1 1 1 , 3 Zu 2 : B d . 14), und doch beginnt mit der Erreichung des Zieles ein ganz neuer Zustand, dessen Herrlichkeit von uns, die wir noch unterwegs sind, kaum erahnt werden kann (1 Kor 2, 8 f . ; vgl. I - I I 114, 2 : B d . 14). Spannung und Entspannung, K a m p f und Sieg, Arbeit und Spiel, Gefahr und Sicherheit — alles das auf einen Nenner gebracht: Bewegung auf das Ziel hin und Ruhe im Ziel — lassen sich schon im Alltag als völlig verschiedene, j a entgegengesetzte Zustände erleben. Aber schließlich sind das nur schwache Analogien zu dem, was hier gemeint ist. „Aber wenn einst anhebt das große Ende aller Geheimnisse . . . " (G. v. L e F o r t ) — schon in diesem schlichten Wenn-Satz ist für uns Unfaßliches angedeutet: Das Dunkel des Glaubens weicht dem unendlichen Licht, das in den Geist einströmt und die Gebirge seiner Gedanken zum Schmelzen bringt. Schlicht theologisch ausgedrückt : Der Glaube geht über in die Schau ( I - I I 6 7 , 3 : B d . 11), das menschlich-hilflose Stammeln wird abgelöst durch die göttliche Sprache des ewigen WORTES, das als göttliches Erkenntnismittel alle irdischen Begriffe und Vorstellungen überflüssig m a c h t : „In Seinem Lichte werden wir das Licht schauen" (Ps 36 [35], 10; vgl. I 12, 2. 5. 8. 9 : B d . 1). Mit der Hoffnung ist es dasselbe: das Quälende der unerfüllten Sehnsucht — „das ist ein billiges Leben, in dem nicht eine ewige Sehnsucht brennt" — weicht dem seligen Besitz (18, 2 : B d . 16; 1 - 1 1 6 7 , 3 : B d . 11). Und was ist es mit der Liebe? Sie bleibt, wie gesagt, ihrem Wesen nach und sogar in ihrer Individualität mit sich selbst identisch, und doch ist sie in ihrer Fülle, ihrer Weite und Tiefe und in ihrer K r a f t mit der „Liebe des Weges" nicht zu vergleichen. Wenn d i e s e Liebe „über den Menschen k o m m t " , dann füllt sie den Geist und alle seine Kräfte so restlos aus, daß die capacitas animae, die Aufnahmefähigkeit der Seele, für immer bis zur letzten Möglichkeit voll ausgelastet ist. Hier liegt der große Schritt von der Caritas viae zur Caritas patriae: „Dem Wesen, das auf seinem letzten Gipfel angelangt ist, kommt es nicht zu, noch weiter bewegt zu werden, sondern umgewandelt zu sein" (I 62, 9 Zu 1 : B d . 4). Bei voller Identität des Willens und seines eingegossenen Gehabens erfahren beide eine geheimnisvolle Umwandlung aus der Potentialität in den vollen Akt, wie das kalte Eisen in der Glut zu Feuer wird, ohne seine Natur zu verlieren. Das Spezifische dieser„Umwandlung" liegt aber darin, daß der Wille in alle Ewigkeit nicht 30*

459

24, 7 mehr in den Zustand irgendwelcher Potentialität zurückfallen k a n n (Art. 11; vgl. I - I I 4, 4 Zu 3: Bd. 9). E r ist ständig „im Ereignis" der ersten w a h r h a f t überwältigenden Erkenntnis u n d Liebe. E s ist eine ewige, nie unterbrochene „Liebesfeier" ( J o h a n n e s v o m K r e u z ) mit dem geminnten Gott, eine ewige, unauflösliche, unendlich lebendige Kommunion mit Dem, der das unendliche Sein selbst i s t . Ohne sich mit ihm zu vermischen, h a t sich der Tropfen vermählt dem Meere, das ihn umschließt u n d t r ä g t u n d nicht mehr läßt. „So h a t es nicht dieselbe Bewandtnis mit der Größe (oder Tiefe) der Gottesliebe ,des Weges', die in der Erkenntnis des Glaubens, u n d mit der Gottesliebe der ewigen Heimat, die in der offenbaren Schau g r ü n d e t " (Zu 3). D a gibt es keine Schwankungen mehr, kein Nachlassen; der peinvolle Wechsel im Auf u n d Nieder der Zeit ist f ü r immer überwunden. Denn Zeit ist nicht mehr. Der Menschengeist lebt fortan im wandellosen ,Nu' der Ewigkeit, die Gott Selbst i s t (I 10, 3 mit K o m m . : Bd. 1 S. 503 — 509). IV. E n t w i c k l u n g s s t u f e n d e r G o t t e s l i e b e (Art. 8 u. 9) 24,8 1. D i e M ö g l i c h k e i t e n d e s g e g e n w ä r t i g e n L e b e n s (Art. 8). — Thomas wendet seinen Blick zurück zur nüchternen Wirklichkeit des alltäglichen Christenlebens: wenn die Gottesliebe ins Unbegrenzte wachsen k a n n , k a n n sie d a n n schon in diesem Leben wachsen bis zur Vollendung? Die Vergleiche des leiblichen u n d geistigen Wachstums, des natürlichen u n d übernatürlichen Lebens haben schon gezeigt, daß hier keine strengen mathematischen Gleichungen zu erwarten sind. Jedes h a t seine eigenen Gesetze. Ist n u n der Begriff der Vollkommenheit schon in sich ein relativer Begriff •— relativ zur Entwicklung u n d N a t u r des einzelnen Wesens —, so ist er erst recht relativ auf den verschiedenen Ebenen des leiblichen u n d geistigen, des natürlichen u n d übernatürlichen Lebens. Thomas verzichtet (im Unterschied zu Art. 9) zunächst auf jeden derartigen Vergleich u n d betrachtet die möglichen P h a s e n der Gottesliebe in sich selbst. Seine Unterscheidungen sind so klar, d a ß sie keiner weiteren Erklärung bedürfen. Erste Feststellung: Sowenig unser Verstand in der seligen Gottschau die unendliche Wirklichkeitsfülle Gottes fassen k a n n (I 12, 7: Bd. 1), so wenig k a n n der geschöpfliche Wille mit seiner Liebe die unendliche „ L i e b e n s - w ü r d i g k e i t " Gottes erreichen. J a , Gott könnte mit all Seiner Macht nicht einmal einen solchen Willen erschaffen, dessen Liebe Seiner unendlichen Wertfülle a d ä q u a t wäre (ebd. 7, 2 Zu 1). Zweite Feststellung: Eine Liebe, die die Liebeskraft des geschaffenen Willens voll ausschöpfen würde, so, daß sie ununterbrochen u n d ohne die leiseste Schwankung in der Intensität den Willen voll auf Gott richten würde, ist erst in der Seligkeit möglich. Dritte Feststellung: W e n n der Mensch p o s i t i v die Mahnung des hl. Paulus befolgt: „Ihr möget essen oder trinken oder

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sonst etwas t u n , t u e t a l l e s zur E h r e Gottes" (1 Kor 10, 31), 24,8 so ist das d i e Vollkommenheit, die f ü r den Menschen hier auf E r d e n erreichbar ist. Vierte Feststellung: W e n n der Mensch diese Mahnung wenigstens n e g a t i v befolgt, so nämlich, daß er in seiner Grundhaltung alles ausschließt, was nicht mit der E h r e Gottes vereinbar ist, so ist das d i e Vollkommenheit, die mit dem Besitz der Gottesliebe a n sich gegeben ist. Fünfte Feststellung (Zu 2) • Die läßliche Sünde k a n n die in der vierten Feststellung gekennzeichnete Vollkommenheit des Weges nicht mindern, weil sie nicht das Gehaben trifft, sondern nur den A k t der Gottesliebe verhindert. Die tiefere Begründung gibt Thomas Art. 10: „Die läßliche Sünde reicht an die Ebene der Gottesliebe nicht heran, weil die Gottesliebe sich auf das letzte Ziel richtet, während die läßliche Sünde eine Unordnung im Bereich der Mittel ist." Sechste Feststellung (Zu 3): Die Vollendung der Gottesliebe hier unten ist nur relativ, nie absolut; deshalb k a n n die Gottesliebe immer noch wachsen. 2. Die Stufen der Gottesliebe (Art. 9). 1 — Wir haben Art. 4 24, 9 bereits gesehen, daß kein Wesen der geschöpflichen Wirklichkeit so stark dem Werden ausgeliefert ist wie gerade der Mensch. Dabei gehen die K u r v e n seiner geistigen Entwicklung durchaus nicht parallel denen seiner leiblichen Entwicklung, weder der Zeit noch ihrem R h y t h m u s nach. So läßt sich nur das allgemeinste Schema von Anfang, Fortschritt u n d Vollendung auf beide anwenden. Diese drei Phasen gehen natürlich ineinander über u n d sind etwa den drei „Wegen" gleichzusetzen, von denen die Lehrer des geistlichen Lebens sprechen: Weg der Reinigung, der Erleuchtung u n d der Einigung. Wiewohl auch hier keine in sich abgeschlossenen Stufen gemeint sein können, da die Reinigung durchweg von einer Erleuchtung u n d die Erleuchtung durchweg von einer neuen tieferen Einigung begleitet ist. Die Lösung Zu 3 f a ß t die Lehre des Artikels nochmals kurz u n d überaus klar zusammen. Sehr wichtig ist noch zu bemerken, d a ß bei allem Vollkommenheitsstreben nicht die eigene Vollkommenheit das Ziel (die „Hauptsorge") ist ( I - I I 1, 5—7: Bd. 9), sondern Gott und Seine E h r e (26, 3 Zu 3; vgl. G e i g e r a. a. O., 91 f.; 17, 8: Bd. 16; Spe 3). Alles andere wäre Götzendienst. V. D i e G e f ä h r d u n g d e r G o t t e s l i e b e (Art. 10—12) Auch hier geht Thomas stufenweise vor: K a n n die Gottes liebe überhaupt abnehmen? K a n n sie verlorengehen? Wodurch geht sie verloren? Was er in I - I I F r . 53 über A b n a h m e u n d Zerstörung der Gehaben gesagt h a t , findet hier in abgewandel1 Vgl. dazu: Ii. G a r r i g o u - L a g r a n g e , 0 P, Die drei Bekehrungen und die drei Wege. Freiburg o. J. (1948). Besonders Kp. 4 u. 5.

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24,9 ter Form seine Anwendung. „In abgewandelter Form" — weil es sich dort um die erworbenen, hier um ein eingegossenes Gehaben handelt. 24, 10

1. Die M ö g l i c h k e i t e i n e r M i n d e r u n g d e r Gottesl i e b e (Art. 10). — Der Seelsorger ist aus seiner mannigfachen Erfahrung heraus mit dieser Frage schnell fertig. Wie oft muß er es erleben, daß der anfängliche Eifer, wie er sich etwa nach einer auffallenden Bekehrung oder nach „geistlichen Übungen" zeigt, bald wieder nachläßt, wie wieder Lauheit und Gleichgültigkeit in der Seele Platz greifen und überhaupt: wie schwer es ist, die große Liebe in den Gläubigen lebendig zu erhalten. Die Mittel-mäßigkeit hat die Oberhand. Die Umwelteinflüsse sind oft stärker als der gute Wille, und gegen den Strom zu schwimmen, fehlt den meisten der Mut und die innere Kraft einer stolzen Selbständigkeit. Den Seelsorger mit solchen Erfahrungen mag der Artikel des hl. Thomas reichlich lebensfremd anmuten. Er wird ohne weiteres die „Beweise" der Einwände (bes. E. 2) zu seinen eigenen machen. — Aber sehen wir uns den Gedankengang des hl. Thomas näher an. Wie früher beim Wachstum unterscheidet er auch hier das Gehaben der Gottesliebe in sich, relativ zu seiner Gegenstandswelt, u n d in bezug auf seinen Träger, also relativ zur Liebeskraft des Willens. Im ersten Falle kann man weder von Wachstum noch von Abnahme sprechen, weil der Gegenstand Gott ist und alles, was mit Gott in Verbindung steht. Dieser Gegenstandsbereich ändert sich nicht, nimmt nicht zu und nimmt nicht ab. Es kann sich also höchstens darum handeln, daß das Gehaben der Gottesliebe seine Verankerung in der Willensmacht, sein „Inne-sein" lockert lind schließlich ganz verliert. Da läge die Annahme nahe, daß ein allmähliches Nachlassen in der Intensität der Liebesakte oder in ihrer Häufigkeit langsam eine Art inneren Schwund des Gehabens verursachen würde, wie bei längerem Nicht-Gebrauch eines Muskels dieser unweigerlich atrophisch wird. Doch weil es sich nicht um ein Gehaben handelt, das durch eigene Akte des Willens aufgebaut wurde, läßt es sich vom Willen her durch einfaches Aufhören der Liebesakte auch nicht abbauen. Als eingegossenes Gehaben ist es dem direkten Einfluß des Willens entzogen. Es ist in einem gewissen Sinne ,gottesunmittelbar'. Gott aber zerstört nicht, was Er einmal geschaffen hat, es sei denn als Strafe für die Sünde. Dabei hebt die Todsünde nicht nur den geistigen Liebeskontakt mit Gott völlig auf, sondern macht aus dem Freunde einen Feind Gottes und bringt so durch „unmittelbare Einwirkung" das Gehaben der Gottesliebe zum Erlöschen. Der Wille gleicht einem ausgebrannten Krater, •einem erloschenen Vulkan. Daß die läßliche Sünde keine solche katastrophale Wirkung haben kann, liegt auf der Hand. Weder verdient sie den Entzug der Gnade noch reicht sie an die Gottesliebe überhaupt heran. Eine ungemein tröstliche Feststellung für Menschen mit zartem Gewissen! Die Erklärung ist einleuchtend: Die Got462

tesliebe ist unmittelbar und fest auf das Ziel ausgerichtet; 24, die läßliche Sünde liegt dagegen im Bereich der Mittel zujn Ziel, also in einer ganz anderen, dem Ziel untergeordneten Sphäre. Ziel und Mittel haben eine wesentlich verschiedene Bewandtnis von „gut", stellen deshalb spezifisch verschiedene Gegenstände des Willens und der Liebe dar (23, 7; 24, 1 Zu 3; I 19, 2 Zu 2 ; 19, 3. 5 : B d . 2; I - I I 8, 3 Anders, u. Zu 3 ; 12, 4 E . 2 : B d . 9). Deshalb sind auch die Akte, die auf das Ziel gehen, spezifisch verschieden von den Akten, die auf die Mittel zum Ziel gehen. Eine Unordnung im Bereich der Mittel, wie sie die läßliche Sünde darstellt, braucht deshalb die Ausrichtung auf das Ziel in keiner Weise zu beeinträchtigen. E r s t wenn man das, was seiner ganzen Natur nach Mittel ist, zum Ziel macht, liegt eine Unordnung in bezug auf das Ziel selbst vor, die das wahre Ziel zerstört. Trotzdem gibt Thomas die Möglichkeit einer mittelbaren Minderung der Gottesliebe zu. Denn schließlich muß eine beständige Unordnung im Bereich der Mittel den Blick auf das Ziel verdunkeln, die Ausrichtung dahin empfindlich schwächen und auf diese Weise den Sturz aus der Gemeinschaft mit Gott vorbereiten. Derselben Gefahr kann der nicht entgehen, der sich nie um die WerKe der Liebe kümmert. E r stirbt an Liebesschwund (Offb 2, 4 f . ; 3, l f . 15f.). 2. L i e b e i n G e f a h r (Art. 11). — Auch hier spricht die 24, Erfahrung der Seelsorge und die Geschichte der Apostaten eine zu deutliche Sprache, als daß man trotz der Einwände daran zweifeln könnte, wie die Antwort des hl. Thomas ausfällt. Der T e x t des Anderseits (Offb 2, 4) ist nach dem weiteren Zusammenhang sicher im Sinne des Totalverlustes der Liebe zu verstehen; denn V . 5 heißt es weiter: „Gedenke also, woher du gefallen bist; denke um (fiEvavörjoov) und schaffe die ersten Werke." Umdenken, sich be-kehren, aber muß der, der sich vom eigentlichen, vom letzten Ziel abgekehrt hat. Von den drei „Gesichtspunkten" der Antwort stellt uns gleich der erste vor das unergründliche Geheimnis der Gnadenwahl Gottes: W e n n der Heilige Geist dem Menschen die Gottesliebe bewahren will, ist es unmöglich, daß der Mensch sie verliert. Vor diesem ewigkeitsträchtigen „Wenn" bleibt dem Menschen nur das Schweigen als Antwort übrig (vgl. Zu 1). — Der zweite Entscheid beruht auf dem Identitätssatz und ist deshalb unwiderleglich: Liebe a l s Liebe kann nur lieben und in keiner Weise etwas tun, was gegen die Liebe wäre (vgl. Zu 2). I m dritten Entscheid stoßen wir wieder auf ein Geheimnis, das sich zwar in seinen Möglichkeiten in etwa aufhellen und begründen, aber dort, wo wir in concreto vor ihm stenen, nicht er-gründen l ä ß t ; denn „über der Sünde liegt ein Geheimnis, das über Menschenverstand geht" ( D o s t o j e w s k i j ) , vor allen Dingen über der ersten Sünde des Menschen und noch mehr über der Sünde des Engels (über die unmittelbare .Ursache' und Natur der Sünde vgl. I 49, 1 Zu 3; 63, 1 Antw. u. Zu 4 : B d . 4 ; außerdem: C h r i s t m a n n a. a. O. 137—140). E s liegt im Wesen des geschöpflichen Willens, daß er, solange er nicht voll „gefesselt" ist durch die unmittelbare Schau des allum-

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24.11 fassenden, unendlichen Gutes, sich von diesem Gut abwenden k a n n , angelockt durch irdische Güter, die sich ihm 1 unmittelbarer aufdrängen u n d f ü r den Augenblick volles Glück versprechen, weil ihre wesenhafte innere Begrenzung nicht erk a n n t oder im Augenblick übersehen wird. F ü r die Täuschung, die darin liegt, k o m m t die Ent-täuschung gewöhnlich zu spät. I n Gott aber k a n n es keine Täuschung u n d deshalb auch keine E n t - t ä u s c h u n g geben. Daher ist die Liebe der ewigen H e i m a t unverlierbar. I m letzten Abscnnitt der Antwort liegt der Schlüssel füi so viele Fehlentscheidungen des Menschen: sein Urteil fällt in der Regel so aus, wie er seiner sittlichen Grundhaltung nach eingestellt ist. Die feste Einstellung auf das wahre Ziel im Konzert der menschlichen K r ä f t e zu zeugen u n d zu erhalt e n ist Sache der sittlichen Tugenden, ohne deren Vorhandensein auch die Klugheit ihre Aufgabe nicht erfüllen k a n n . 1 Diese Ausrichtung bzw. Grundeinstellung (dispositio) ist etwas anderes, als was Thomas in Zu 3 die conditio subjecti, die Seinsbedingung des Trägers nennt. „Groß" ist eben auch ein relativer Begriff. F ü r das K i n d mag eine sittliche Anstrengung schon „groß" heißen, die für den Erwachsenen beschämend dürftig wäre. Seiner N a t u r nach aber ist das Gehaben der Gottesliebe k r a f t seines Ursprungs und k r a f t seines Gegenstandes auf das Höchste ausgerichtet, das dem Menschen ü b e r h a u p t mit der göttlicnen Gnadenhilfe erreichbar ist. 24.12

3. D e r T o d d e r L i e b e (Art. 12). — Auch dieser Artikel setzt die Lehre von der Sünde aus Bd. 12 voraus u n d diese wieder die Lehre von der metaphysischen S t r u k t u r der vollmenschlichen T a t aus Bd. 9. Bei Thomas hängt eben wie in einem echten Ganzen alles mit allem zusammen. Jeder vollmenschliche A k t ist ewigkeitsträchtig entweder zum Guten oder zum Bösen. W a s aDer a n der Ewigkeit gemessen wird, darf m a n nicht leichtnehmen, denn es ist an dem unendlichen Geiste Gottes gemessen. Von der Wirklichkeit, die hinter dem Begriff Tugend u n d Sünde steht, ist heute nicht viel mehr übriggeblieben als der Name. 2 Wir leben praktisch in einem regelrechten Nominalismus des Sündenbegriffs, sonst m ü ß t e die religiöse Unterweisung sowie die Praxis der Beichte u n d Seelenführung anders aussehen. Von den Einwänden besticht eigentlich nur der dritte, da er auf der durchaus richtigen Prämisse a u f b a u t : die Gottesliebe ist an sich stärker als jede erworbene Tugend. Also m ü ß t e sie sich dem einzelnen abwegigen A k t gegenüber viel eher behaupt e n können als die erworbene Tugend, die nach der Lehre des hl. Thomas nur durch das entgegengesetzte Laster aufgehoben wird, nicht aber durch einen einzelnen A k t (vgl. die Antwort; außerdem I - I I 7 1 , 4 : Bd. 12; dazu Bd. 11, S. 513ff.). 1

Vgl. I-II 9, 2; 10, 3: Bd. 9: 56, 4 Zu 4; 57, 4; 58, 3 Zu 2; Art. 4; 5 Antw. u.

Zu 1. 2. 3 (mit Komm.!); 62, 2 Zu 3; 65,1 Antw. u. Zu 3. 4; Art. 2; 3 Zu 1: Bd. 11; Car 5 Antw.; 12, 4a consideratio; Eth nr. 1170, 1172—1174,1431; Kröner-Ausgabe Bd. II. 1935: Einführ., S. LXVIII; 345 Fn 1. • Vgl. J. P i e p e r , Über das christliche Menschenbild. Leipzig 1940', 18 ff.

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Im ersten Teil der Antwort klingt wieder die Totalität der 24,12 Gottesliebe an. Der g a n z e Mensch gehört Gott, schon auf den Titel der Erschaffung hin, erst recht aber auf den Titel der Erlösung und Begnadung hin; das, was die Feinde des Christentums oft besser erkannt haben als die Christen selbst. So erklärte der Präsident des Volksgerichtshofes zur Nazizeit (Freisler) mehrmals dem zum Tode verurteilten Grafen M o 11 k e: „Nur in e i n e m sind das Christentum und wir gleich: wir fordern den ganzen Menschen." 1 Da diese Ganzheit aber im übernatürlichen Bereich von der klaren, festen Richtung des Willens, als des alleinigen Exponenten und verantwortlichen Leiters a l l e r Seelenkräfte, 2 auf Gott als auf das höchste und unendliche Gut abhängt, wird sie durch einen einzigen gegenteiligen Akt des Willens, der die Richtung auf Gott aufhebt, als Ganzes zerstört. Der übernatürliche Tugendbau stürzt wie bei einem unterirdischen Beben in sich zusammen (vgl. I - I I 73, 1 Zu 3; 85, 4: Bd. 12). Was übrigbleibt, sind — vielleicht — die Trümmer des unbeformten Glaubens und der gnadenlosen Hoffnung (ebd. 71, 4 Antw.). Der Mensch ist in seinem tiefsten geistigen Fundament erschüttert. Etwas überspitzt hat das der eben erwähnte Graf v. M o l t k e ausgedrückt: „Ohne dieses Kapitel (gemeint ist das 13. des 1. Korintherbriefes) ist kein Mensch ein Mensch" (Briefe 57). Auf das Licht folgt die Finsternis, auf die Liebe die Lieblosigkeit, aus dem Freunde ist der Feind Gottes gewoiden. In der Lösung Zu 1 u. 2 kommt der sehr wichtige Unterschied zwischen den Sünden der Bosheit und denen der Schwachheit, zwischen den Sünden des Geistes und denen des Fleisches zur Sprache. Von den Sünden der Schwachheit findet der Mensch leichter zurück zu Gott als von den Sünden des Geistes, weil der Geist hartnäckiger an der einmal eingeschlagenen Geistesrichtung festhält. Es ist nichts so schwer wie die eigentliche metanoia, die radikale Umstellung in der Tiefe des Geistes. Die Lösung Zu 4 wirft das Problem der läßlichen Sünde von einer neuen Seite auf, denn schließlich ist auch die läßliche Sünde, wenigstens die überlegte, nicht im Einklang mit dem Willen Gottes; doch •—• und darin liegt die Lösung •—• widersteht sie dem Willen Gottes nicht unmittelbar und direkt, sondern sie drückt sich gewissermaßen am Willen Gottes vorbei; oder wie Thomas sagt: sie ist nicht direkt g e g e n das Gesetz, contra legem, sondern „am Gesetz vorbei", praeter legem ( I - I I 88, l Z u l : Bd. 12). H. J . Graf v. M o l t k e , Letzte Briefe aus dem Gefängnis. Berlin 19558, 51, 54. Vgl. unten S. 488 IT. über die Liebe als Urbewegung des Kosmos und speziell des Willens. 1 !

465

ZWEITER

ABSCHNITT

D E R GEGENSTAND DER H E I L I G E N LIEBE 25

(Fr. 25 u. 26) D a der erste u n d eigentliche Gegenstand der heiligen Liebe, nämlich Gott, in allen Variationen bereits behandelt ist, k a n n es sich hier nur u m die Ausweitung dieses Gegenstandes handeln. I n 23, 7 u. 8 ging es u m die T o t a l i t ä t der heiligen Liebe, sofern sie alle K r ä f t e des Menschen erfaßt und alle Tugenden erst eigentlich zum echten Leben erweckt, indem sie diese mit ihrem Feuer durchglüht. Hier geht es u m die Weite, u m die U n i v e r s a l i t ä t der heiligen Liebe, die von ihrem Hauptgegenstand aus auf alles ausstrahlt, was mit ihm in irgendeiner Beziehung s t e h t ; das ist aber, wo es sich u m Gott handelt, die gesamte Schöpfungs Wirklichkeit. So spricht F r . 25 von dieser Strahlkraft der Liebe auf alles Wirkliche. U n d d a diese Wirklichkeit ein Kosmos, eine Welt ist, deren Bestes gerade die Ordnung darstellt — denn „die Gutheit eines Wesens ist nicht zu beurteilen nach seiner Hinordnung auf ein Besonderes [ein Teilgut], sondern nach sich selbst u n d nach der Hinordnung auf das gesamte Weltall, worin ein jedes Wesen s e i n e n Ort in höchster Ordnung einnimmt" ( 1 4 9 , 3 : Bd. 4; vgl. ebd. 47, 2 Zu 1; 4 9 , 2 ; 6 1 , 3 ; a u ß e r d e m : I 15, 2; 22, 1; 25, 6 Zu 3: Bd. 2; CG I I I 90, § 3 ) — , so h a t auch die Gegenstandswelt der Liebe ihre heilige Ordnung. Diese wird in F r . 26 aufgewiesen. Erstes Kapitel DIE UNIVERSALITÄT DER HEILIGEN LIEBE (Fr. 25) Schon F r . 25 läßt in etwa die Ordnimg der heiligen Liebe im großen erkennen. D a Gott Schöpfer u n d Vater aller Menschen ist u n d in der Hl. Schritt die Gottesliebe wie selbstverständlich mit der Nächstenliebe gekoppelt erscheint, gilt die erste Frage natürlich der Ausweitung der heiligen Liebe auf den Mitmenschen. D a n n folgt eine Zwischenfrage, ob die Gottesliebe sich selbst als Liebe lieben könne. E r s t d a n n kehrt die Überlegung zurück zum eigentlichen T h e m a der F r a g e : Die heilige Liebe erreicht in ihrer U n i v e r s a l i t ä t sogar die V e r n u n f t lose Schöpfung. Bis hierher bietet die Ausweitung der heiligen Liebe auf die Gottes- und Menschenwelt keine Schwierigkeiten. Die eigentliche Problematik dieser liebeseligen Universalität beginnt erst mit Art. 4: Selbstliebe, Sünderliebe, Feindesliebe, Geisterliebe — fällt das wirklich alles unter den Gegenstandsbereich der heiligen Liebe? J e d e r neue Schritt in die Weite stellt uns vor eine neue ernste Frage. Mit jedem Tor, das sich öffnet, wächst die Welt der Liebe in neue Dimensionen der Breite, Tiefe u n d Höhe, erleben wir mit steigendem Staunen ihre unermeßliche Macht.

466

I. Die A u s w e i t u n g der G o t t e s l i e b e auf die Schöpfung

gesamte

(Art. 1—3) § 1. Ausweitung der Gottesliebe auf die vernunftbegabte Einheit von Gottes- und Nächstenliebe1

Schöpfung

(Art. 1) 1. Die Einwände leiden alle an der falschen Voraussetzung, die Nächstenliebe stelle den Menschen neben Gott. Die Antwort stellt diesen Grundirrtum richtig. Der Text des Anderseits bezieht sich auf das W o r t des H e r r n (Jo 13, 34 f.): „Ein neue3 Gebot gebe Ich euch, daß ihr einander liebet, wie I c h euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebet. D a r a n werden alle erkennen, daß ihr Meine J ü n g e r seid, wenn ihr Liebe h a b t zueinander." U n d wieder (15, 12): „Das ist Mein Gebot, daß ihr einander liebet, wie Ich euch geliebt habe." Nehmen wir dazu 15, 9: „Wie Mich der Vater geliebt h a t , so habe auch I c h euch geliebt", so ergibt sich folgender Zusammenhang: Der Strom der unendlichen, ungeschaffenen Liebe, die das Wesen Gottes selbst ist, ergießt sich durch den Heiligen Geist (Rom 5, 5) vom Herzen des Vaters zum Herzen des Sohnes, vom Herzen des Sohnes zum Herzen der J ü n g e r u n d soll von d a weiterströmen u n d die ganze Menschheit hineinreißen in dieses Strömen der göttlichen Liebe (vgl. Einführung § 4, S. 413ff.). Damit stimmt überein, wenn Thomas d a s Gehaben der Gottesliebe immer wieder als Ähnlichkeit bzw. Anteilnahme a m Leben u n d an der Liebe des Heiligen Geistes darstellt ( 2 3 , 2 ; 3 Zu 3; 2 4 , 2 ; 5 Zu 3; 7 Antw.; 11 Antw.; I - I I 69, 2 Zu 3: Bd. 11; I I I 23, 2 Zu 3: Bd. 26; Car 12; CG I V 21 u. 22); denn der Heilige Geist ist die Liebe v o m Vater zum Sohne u n d vom Sohne zum Vater (24, 2; I 37, 2 Antw. u. Zu 3: Bd. 3). 2. Die Antwort geht zurück auf die wesentliche Einheit des Gehabens, die vom Formalobjekt bestimmt wird. So ist z. B. der Formalgegenstand des Gesichtssinnes das Gefärbte. Was keine F a r b e h a t , sei es auch, wie die L u f t , vom Licht durchflutet, bleibt dem Auge unsichtbar. Das Formalobjekt der heiligen Liebe aber ist Gott als das höchste Gut. Alles also, was wir u m Gottes willen u n d f ü r Gott lieben, fällt unter dieses Formalobjekt der heiligen Liebe, hebt daher die Einheit des Gehabens nicht auf. Den Mitmenschen aber lieben wir nicht u m seiner selbst willen, sondern um Gottes willen, sonst lieben wir ihn nicht mit der heiligen Liebe (Zu 1). Kürzer ausgedrückt: im Nächsten lieben wir Gott, den Menschen in ihm nur, sofern er Gottes ist u n d Gott gehören m u ß . Daher sind Gottes- und Nächstenliebe ein u n d dieselbe Tugend. 1 Über die beiden Gebote der Gottes- und Nächstenliebe und ihr Verhältnis zueinander handelt ausführlich Fr. 44 (Bd. 17 Ii). Zur vorläufigen Orientierung über das Gebot der Nächstenliebe, speziell zu Lv 19, 18: Änm. [50a]; ThW I 24 Z. 23 ff.; J. D i l l e r s b e r g e r , Markus V. Salzburg, 1938, 37 ff.; V. W a r n a c h , Agape. o. J. (1951), 60f., 3 0 0 f . ; Liebe. B T h W 5 1 2 f „ 520ff.; J . B . B a u e r , Nächster. Ebd. 603ff.

467

25, l

Hierher gehören die W o r t e Christi: „Was ihr dem geringsten Meiner Brüder getan h a b t , Mir h a b t ihr's g e t a n " (Mt 25, 40; vgl. V. 45); oder: „Wer ein Kind in Meinem N a m e n a u f n i m m t , n i m m t Mich a u f " (Mt 18, 5); oder: „Saulus, Saulus, was verfolgst du Mich" (Apg 9, 4). Christus identifiziert Sich also mit denen, die Seinen N a m e n tragen. So bestätigt E r von Sich aus die formale u n d dynamische Einheit von Gottes- u n d Nächstenliebe. I n der übernatürlichen Tugend der Gottesliebe wird die Menschheit zum ersten Male zur echten Einheit gerufen. E r s t durch die Gottesliebe bildet sich die neue Gemeinschaft der Gotteskinder, die gleichweit entfernt ist von jeder F o r m des Individualismus wie des Kollektivismus. W e n n Christus erschienen ist, „um die zerstreuten Kinder Gottes wieder in eins zusammenzubringen" (Jo 11, 52), so h a t der Heilige Geist die Aufgabe übernommen, dieses Werk weiter u n d zu E n d e zu führen. D e n n E r ist das „Band des Friedens" (Eph 4, 3; vgl. 183, 2 Zu 3: Bd. 24); E r ist das Herz der Kirche, denn E r belebt u n d eint die Kirche in unsichtbarer Weise. E r m a c h t die Menschen erst zu echten Brüdern, denn die Gnade, die E r schenkt, ist eine gratia fraterna, eine „brüderliche Gnade" (187, 3 Anderseits u. Zu 2: Bd. 24; vgl. Bd. 14, S. 375f.), eine Gnade also, die die Menschen zu Brüdern macht. U n d der Neid auf diese „brüderliche Gnade" ist eine Sünde wider den Heiligen Geist (14, 2: Bd. 15). Mit der Gottesliebe ist die wahre Bruderliebe erst wieder möglich geworden (vgl. 2 P t 1, 5—7, wo die agape als der Gipfel der ganzen Tugendreine erscheint). U m die Lösung Zu 2 in ihrer metaphysischen Tiefe zu verstehen, m u ß m a n sich wieder vor Augen halten, was T h o m a s über Gott als den „allumfassenden B o r n " aller in der Schöpf u n g investierten W e r t e sagt (vgl. Einführung §2, S. 407 f.). „Wo immer die Liebe der Geschöpfe — sei es in der Fremdliebe, sei es in der Selbstliebe — ihren Gegenstand erreicht, trifft sie auf ein Gut, das aus Gottes Speichern s t a m m t , denn ein anderes Gut gibt es in der Schöpfung n i c h t " (ebd. § 3, S. 412). Wo die Liebe also im geschaffenen Gut den Geber aller Gaben liebt, wo sie, wie die Gottesminne das verlangt, nicht vom Geschöpf zu Gott, sondern von Gott zum Geschöpf ihren W e g nimmt, da ist jede Spaltung zwischen Gott u n d den Dingen und zwischen den Dingen selbst überwunden. So stiftet die Liebe eine doppelte Gemeinschaft: zwischen Gott u n d d e m Menschen u n d der Menschen untereinander. Dasselbe sagt die Lösung Zu 3. § 2. Selbstbestätigung der• Liebe (Art. 2)

25, 2

Die Frage dieses Artikels b a t ihre Parallele auf dem Gebiet der Leidenschaften. So f r a g t Thomas I - I I 33, 2 (Bd. 10), ob m a n Lust haben könne auf die Lust, u n d ebd. 42, 4, ob m a n die F u r c h t f ü r c h t e n könne. Wie m a n sich gut vorstellen kann, daß ein K r a n k e r , der sich auf Grund seiner K r a n k h e i t vor den Speisen ekelt, den guten Appetit zurückwünscht, 468

den er in gesunden Tagen hatte, so k a n n m a n sich auch gut 25, 2 denken, daß ein gläubiger Mensch, der etwa aus der Lebensbeschreibung des hl. Franziskus von dessen seraphischer Liebe erfährt, sich mit der ganzen K r a f t seiner Seele danach sehnt, auch so lieben zu können, wie es dem hl. F r a n z gegeben war zu lieben. E b e n weil die K r a f t zu solcher Liebe das Höchste u n d Heiligste ist, was dem Menschen hier auf E r d e n geschenkt werden k a n n , ist es für den gottliebenden Menschen eine Selbstverständlichkeit, nach immer größerer Liebe zu verlangen, wie ja die Mehrung der Liebe Gegenstand vieler Gebete der Kirche ist. Jedes Verlangen aber entspringt schon einer Liebe. Das k a n n in diesem Falle nur die Gottesliebe sein. So, wie m a n sich freuen k a n n über die Freude, mit der m a n erfüllt ist, u n d zwar sowohl u m seiner selbst willen als u m der anderen willen, auf die die eigene Freude überspringt, so k a n n m a n sowohl u m der unendlichen Liebenswürdigkeit Gottes wie auch u m der Mitmenschen willen die Gottesliebe selbst mit heißem Herzen lieben. Der Schlußsatz der Antwort deutet an, d a ß es sich hier gar nicht einmal u m einen Sonderfall handelt, sondern dasselbe von der Seligkeit u n d im Grunde von jeder Tugend gilt. D a ß wir selig sein können über unsere Seligkeit, hat Thomas schon I - I I 11, 3 Zu 3 (Bd. 9) gesagt. Die These des Artikels läßt sich j e d o j h noch anders begründen, u n d zwar aus dem S e l b s t b e s i t z d e s G e i s t e s . D a der Wille über das helle Selbstbewußtsein i m A k t d e r L i e b e s e l b s t eine Art Seligkeit erfährt •—• denn jede Betätigung eines Vermögens oder eines Gehabens ist mit Lust verbunden ( I - I I 32, 1: Bd. 10; vgl. u n t e n S. 506 ff. über die Lust als Seinswert) —, m u ß er spontan seinen eigenen Liebesakt lieben, d. h. er sagt mit vollem Herzen J a zu seiner eigenen Liebe, vor allen Dingen, weil mit der Liebe des Willens nicht, wie mit der Liebe der Leidenschaft, innerlich ein Erleiden und, daraus folgend, oft genug wirkliches, tiefes Leid verbunden ist. I m Gegenteil: Thomas h a t schon 23, 2 Antw. behauptet, d a ß „keine Tugend eine solch starke Neigung zu ihrem A k t h a t wie gerade die Gottesliebe u n d keine andere ist, die mit solcher Wonne ihren A k t setzt". „Weil wir den A k t der Liebe in uns selbst erfahren", sagt er Car ] Zu 7, „spüren wir in uns (d. h. in diesem unserem Liebesakt) eine Teilnahme an Gott Selbst, weil Gott Selbst Liebe ist", wie ü b e r h a u p t der Mensch bei jedem bewußt gesetzten übernatürlichen Tugendakt unter der unmittelbaren, gnadenhaften Berührung Gottes steht. U n d wer sollte solche innere Teilnahme a m Leben und der Liebe Gottes nicht lieben! Hier zeigt sich wieder, daß Hingabe a n Gott u n d Selbstvervollkommnung u n t r e n n b a r sind. Die hingebende Bejahung Gottes i s t unsere höchste, unbedingt zu bejahende Vollkommenheit (vgl. G e i g e r a. a. O., 104 ff.). I n den Lösungen zu den Einwänden scheint wieder der göttliche Charakter der Nächstenliebe auf, u n d es wird zugleich deutlich, wie nur aus solcher Liebe heilige Gemeinschaft wird unter denen, die von derselben Liebe zu Gott erfüllt sind.

469

§ 3. Ausweitung der Gottesliebe auf vernunftlose Schöpfung

die

(Art. 3) 25, 3

Hier arbeitet Thomas den allein möglichen und zulässigen Sinn einer Einbeziehung der vernunftlosen Schöpfung in die Sphäre der übernatürlichen Gottesliebe heraus. Dabei stützt er sich a u f den schon sooft herangezogenen Unterschied zwischen der Liebe der Freundschaft, die rein personalen Charakter hat, und der Liebe des Begehrens, die auf alles gehen kann, was für irgendwen ein Gut bedeutet (vgl. Art. 2, Antw., 2. Abschnitt; 23, 1; I - I I 26, 4 : B d . 10 mit den dort angeführten Parallelstellen). Der erste Teil der Antwort ist klar: Wir können die vernunftlosen Geschöpfe nicht lieben, wie wir einen Freund lieben. Von den drei Gründen, die Thomas hierfür ins Feld führt, ist der zweite und dritte ebenfalls ohne weiteres einleuchtend; denn von einem echten Lebensaustausch oder gar einer Mitteilung der ewigen Seligkeit kann bei den vernunftlosen Wesen keine Rede sein. Doch beim ersten der drei Gründe stocken wir unwillkürlich. Weshalb soll man, sagen wir einmal, den Haustieren nichts Gutes wünschen können ? Wir sorgen dafür, daß sie zur rechten Zeit ihre Nahrung bekommen, sorgen für eine warme Hütte oder Stall usw., und man würde sich ein Gewissen daraus machen, sie gänzlich zu vernachlässigen, so daß sie elend zugrunde gehen müßten. Und doch müssen wir Thomas recht geben. Wenn wir für die Haustiere sorgen, dann, weil sie u n s ein Gut bedeuten. E s ist die Liebe des Begehrens, die hier spielt. Das Tier kann man nicht lieben mit der personalen Liebe der Freundschaft. Also kann man ihm im strengen Sinne auch nichts Gutes wollen. Doch da ist noch ein tielerer Grund. Das Gute, das ich dem Tier erweise, wird vom Instinkt des Tieres vielleicht als ihm zukömmlich erfaßt — eine rein biologische Angelegenheit. Die Schule würde sagen: Materiell zwar erfaßt das Tier das Dargebotene als ein Gut, nicht aber formell, d. h. die Bewandtnis des Guten kann das Tier niemals erfassen. Genau so wie das Tier zwar Dinge sieht, aber den Ding-Charakter im Ding nicht erkennen kann. Beides ist dem Geiste vorbehalten. Und hier setzt nun der Beweis des hl. Thomas ein: Nur wer die Bewandtnis von ,gut' im Ding erkennt, kann über das Ding sinngemäß und frei verfügen (vgl. I 20, 2 Zu 3 : B d . 2 ; I I I 11, 2 : B d . 9). Man kann es auch noch anders wenden: Dem Tiere gegenüber kann es keinen Neid geben, der Neid erreicht es nicht, wie er den Menschen erreicht; Neid aber ist das äußerste Gegenteil von „Gutes wollen". E r s t recht kann man das Tier um seiner selbst willen nicht hassen. Selbst wenn es uns „feind" wäre, wie das Raubtier, hat es keinen Sinn, das Tier zu hassen. Höchstens kann man das Tier hassen, weil man seinen Besitzer haßt. Und so kann einer die vernunftlose Kreatur hassen, w e i l sie Gottes Geschöpf ist. D a man Gott mit seinem Haß nicht treffen kann, haßt man, was E r gemacht hat. S o haßt der Teufel die Schöpfung.

470

Aus all dem ergibt sich: Neid u n d H a ß setzen genau wie 25 die höhere geistige Liebe personale Bezüge voraus. Deshalb k a n n m a n auch nur dort von echter Freundschaft sprechen, wo der F r e u n d u m d e s F r e u n d e s w i l l e n geliebt wird u n d nicht um des Vorteils willen, den m a n von ihm erhofft. Bei der Geselligkeitsfreundschaft ist die personale Beziehung bereits abgeschwächt ; bei der Freundschaft des Geldbeutels oder der „guten Verbindungen", in der der F r e u n d zum Nutzwert degradiert wird, ist sie fast ganz ausgelöscht (vgl. oben S. 426f.). I n der Umkehrung heißt das : Wo immer in den vernunftlosen Geschöpfen ein personaler Bezug aufscheint, sei es zu Gott, sei es zum Menschen, dort lassen sie sich einbeziehen in den Gegenstandsbereich der Gottes- u n d Nächstenliebe. I n R i c h t u n g auf den Schöpfer ist dieser Bezug immer gegeben, denn „die sinnfälligen Dinge der Schöpfung (ohne Ausnahme) sind Zeichen einer heiligen Sache, nämlich der göttlichen Weisheit und Gutheit, sofern sie in sich selbst heilig s i n d . . . " (11160,2 Zu 1 : Bd 29). Oder, wie S c h e l e r formuliert (Vom Umsturz der Werte, Bern o. J . [1955 4 ] 80): „Nur weil sie (die Geschöpfe) Werke des L i e b e n d e n sind, sollen auch die Werke Bewunderung u n d Liebe finden! . . . nicht Gott ist Seines Himmels u n d Seiner Erde wegen zu lieben —• sondern Himmel u n d Erde, weil sie Gottes sind! Weil durch sie als fühlbarer A u s d r u c k die ewige Liebe — n i c h t als Zweckidee — hindurchschimmert." — Vgl. S u p p l 91, 5 m. K o m m . (Bd. 36). II. Die S e l b s t l i e b e (Art. 4 u. 5) § 1. Die Selbstliebe des Geistes (Art. 4) 1. D a s P r o b l e m . — I - I I 77, 4 (Bd. 12) h a t Thomas 25 die ungeordnete Selbstliebe als die allgemeinste Wurzel aller Sünde aufgewiesen. So erhebt sich die F r a g e : Gibt es eine F o r m der Selbstliebe, die mit der Gottesliebe vereinbar ist, u n d wie m u ß diese Selbstliebe aussehen, wenn sie sich mit der Gottesliebe nicht nur irgendwie vertragen soll, wie zwei gänzlich disparate Bewegungen, die auf verschiedenen Ebenen liegen, sondern wenn aus Gottesliebe u n d Selbstliebe eine innere Einheit erstehen soll? Die andere Frage, ob nicht jede Selbstliebe schon Egoismus u n d deshalb zu verwerfen ist, k o m m t erst in Art. 7 zur Sprache. Wie die Selbstliebe zwischen der Liebe zu Gott u n d der Liebe zum Nächsten steht, ist d a n n Gegenstand der Artikel 3—5 in Fr. 26. I n innerem Zusammenhang mit der gegenwärtigen Frage steht das berühmte Problem der Möglichkeit des amour pur oder désintéressé. F ü r Thomas ist dieses Problem gegenstandslos. Denn ein Wille, der nicht sein Glück will, ist f ü r ihn ein Widerspruch in sich selbst. E s hieße, die N a t u r des Willens als Willen a u f h e b e n , wollte m a n von ihm erwarten, d a ß er an seinem eigenen Glück oder Unglück nicht interessiert sein dürfe. Die Begründung f ü r diese These, mit der die E t h i k 471

25, 4 des hl. Thomas steht u n d fällt, liegt bereits in dem Satz: „Wie die n a t u r h a f t e E r k e n n t n i s [nämlich der Ursätze] immer wahr ist, so ist die n a t u r h a f t e Zuneigung (dilectio) immer recht, d a die n a t u r h a f t e Liebe (amor) nichts anderes ist als die vom Schöpfer der N a t u r eingegebene Neigung der N a t u r " (I 60, 1 Zu 3: Bd. 4). Das Verlangen nach rechter Erfüllung der in ihm angelegten Möglichkeiten, das heißt aber das Verlangen nach der eigenen Glückseligkeit, ist mit der N a t u r eines jeden Wesens selbst gegeben u n d infolgedessen eine innere Notwendigkeit, der kein Wesen ausweichen k a n n ( I - I I 5, 8: Bd. 9). Die Frage ist nur, ob es in dieser s e i n e r Seligkeit sein l e t z t e s Ziel sehen darf. 2. Die Einwände sind dieselben wie in Car 7 E . 11. 12. 13. Sie umreißen das Problem, das hier in Frage steht, genauer. Wie in den Artikeln vorher (vgl. Art. 2 u. 3; 23, 5; 24, 2. 10. 12) greift Thomas wieder zurück auf die Wesensbestimmung der Gottesliebe als Freundschaft. Dahin weist auch das Anderseits. I n dem Zusatz: „Wie dich selbst", liegt die Beweiskraft des aus L v angeführten Gotteswortes f ü r unsere Frage. Sehr k ü h n der U n t e r s a t z : „Den F r e u n d aber lieben wir mit der heiligen Liebe", d. h. mit der übernatürlichen Tugend der Gottesliebe. Doch wird dieser Untersatz sofort verständlich, wenn wir bedenken, das „ F r e u n d " hier f ü r „Nächster" steht, wie 63 auch bei den Synoptikern (Mt 22, 39; Mk 12, 31; Lk 10, 27) u n d bei Paulus (Rom 13, 9) heißt: „Liebe deinen N ä c h s t e n wie dich selbst." Der Untersatz greift also zurück auf Art. 1. 3. Die Antwort. — Hier überrascht zunächst die Feststellung, d a ß es noch etwas Größeres gibt als Freundschaft. U n d doch hieß es oben, daß Freundschaftsliebe die höchste F o r m der Liebe sei u n d Freundschaft das höchste Gut des Menschen (S. 430 f.). Thomas geht hier aus von der wesentlichen Wirkung der Freundschaft, daß sie nämlich aus den Freunden Eines m a c h t , so, daß der F r e u n d z u m „andern I c h " wird ( I - I I 28,1: Bd. 10; E t h n r . 1543, 1706, 1797, 1811f., 1886, 1896, 1909). Diese Einswerdung ist aber nicht die höchste Einheit, die sich denken läßt, denn mit sich selbst eins sein ist mehr al3 mit einem anderen eins sein (I 60, 3 Zu 2: Bd. 4; E t h nr. 1860). Diese Einheit mit sich selbst ist ü b e r h a u p t Voraussetzung u n d Ursache der Liebe ( I - I I 28, 1 Zu 2: Bd. 10); wenn der F r e u n d das „zweite I c h " ist, d a n n nur deshalb, weil er so geliebt wird, wie der Liebende sich selbst liebt. Ohne diese Selbstliebe k a n n es also ein „wie sich selbst" in der Freundesliebe nicht geben. Die Selbstliebe ist also P r o t o t y p u n d U r s a c h e der Freundesliebe. Ur-bild u n d Ur-sache sind aber immer wertvoller als Ab-bild u n d Wirkung (26,4 Anders.-, 1 6 0 , 4 E . 2: Bd. 4). Daher wiederholt Thomas mit A r i s t o t e l e s ständig: „Die Liebesbeweise, die sich auf den F r e u n d richten, entspringen d e m Verhältnis (bzw. der Liebe), das wir zu uns selbst h a b e n " (Eth nr. 1797, 1811). J a , „die überschwenglichste Liebe, die wir zu dem Freunde haben können, gleicht noch a m meisten jener Liebe, die wir zu uns selbst h a b e n " (ebd. nr. 1812). Wie sieht n u n aber diese Selbstliebe aus? Zunächst ist Liebe ü b e r h a u p t wesentlich immanente Bewegung, „die im Lie472

benden verbleibt u n d nicht notwendig zu etwas anderem hin- 25, 4 drängt, sondern sie k a n n zurückstrahlen auf den Liebenden, so daß er sich selbst liebt" (I 60, 3 Zu 3: Bd. 4; über die Vollkommenheit dieser Art von .Bewegung' vgl. I 18, 3 Zu 1 : Bd. 2). „ W e n n " aber „jemand einen liebt mit der Liebe der Freundschaft, s o w i l l e r i h m G u t e s , w i e e r a u c h s i c h s e l b s t G u t e s w i l l . Mithin f a ß t er ihn als sein anderes Ich, sofern er ihm Gutes will wie auch sich selbst" ( I - I I 28, 1: Bd. 10). Hier haben wir wieder unseren H a u p t s a t z : „Lieben heißt jemandem Gutes wollen." Der „ J e m a n d " ist hier der Liebende selbst. Das Gut, das er sich wünscht, ist vor allem die eigene Existenz (Eth nr. 1807, 1846), denn das Dasein gilt als das Größte (ebd. nr. 1691). H a f t e n a m Sein der eigenen Existenz ist jedem Wesen so wesentlich, daß das Gegenteil einen lebendigen, sozusagen existentiellen Widerspruch zur innersten N a t u r des Seins selbst bedeuten würde (Eth nr. 1807, 1846; über die Liebe der Kinder zu den Eltern als ihrer Seinsursache vgl. ebd. nr. 1706, 1715, 1782). Das gilt auch von jeder Existenzbereicherung, die f ü r den Tugendhaften vor allem in der Tugend liegt (Eth nr. 1804—1807), zu der aber auch das äußere Werk als Schöpfung des eigenen Geistes gehört (26, 12; 1 44, 4 Zu 2 mit Anm. [14a] u. [257]: Bd. 4; CG I I I 17, § 7; über das ,Werk' der Hervorbringung des WORTES vgl. CG I V 26, § 5). Deshalb ist der Tugendhafte „gern bei sich selbst, hält Einkehr bei sich selbst und beschäftigt sich mit sich selbst im Schauen" (Eth nr. 1808). Diese n a t u r h a f t e Selbstliebe, mit der der Mensch a m Sein u n d a n seiner eigenen Vollkommenheit h a f t e t , ist die Wurzel der Wahlliebe, wie die Einsicht in die Ursätze, die sich ebenfalls n a t u r h a f t u n d notwendig vollzieht, Wurzel alles rechten Urteilens, alles Überlegens u n d aller Wissenschaft ist (23,7 Zu 2; vgl. I 6 0 , 1 Anders, u. Zu 3; 2 E . 2 u. Antw.i Bd. 4; 8 2 , 2 ; 8 3 , 4 : Bd. 6; I - I I 8, 2; 9, 3; 1 0 , 1 ; 1 2 , 4 ; 13,3. 5. 6 usw.: Bd. 9; u. ö.). Als Geschöpf ist der Mensch jedoch nicht allein, sondern Teil eines Ganzen. F ü r den Teil heißt n u n H a f t e n a m Sein zugleich H a f t e n a m Ganzen. Denn „in einem Naturganzen k a n n ein Teil. . . nie ,in Konkurrenz treten' mit der Einheit". 1 E r ist f ü r das Ganze geschaffen, bleibt im Sein u n d Tätigsein stets abhängig v o m Ganzen. 2 Dabei gilt, was R o u s s e l o t (a. a. O. 19) s a g t : J e stofflicher ein Wesen innerhalb des Weltganzen, u m so mehr ist es „Teil", je geistiger, u m so größer ist die Annäherung an das Ganze. Wie der Teil mit sich selbst eine substantielle, so bildet er mit dem Ganzen eine Wirkeinheit, die sich einmal in der F u n k t i o n zeigt, die der Teil im Ganzen u n d f ü r das Ganze erfüllt, d a n n aber auch darin, daß der Teil sich automatisch f ü r das Ganze opfert. So wirft sich die H a n d blitzschnell vor das gefährdete Auge, u m es zu schützen. Das liegt zutiefst wieder darin begründet, d a ß der Teil dem Ganzen erst seine Existenz u n d seine Entfaltungsmöglichkeiten verdankt. W e n n er also das Ganze schützt, schützt 1 P. R o u s s e l o t , S J . P o u r l'histoire du problème de l'amour au Moyen Age : Beiträge Baeumker VI 6; Münster 1908,16. Ergänzung u. Korrektur: G e i g e r a. a. O. ' Vgl. Anm. [95]; C h r i s t m a n n , Lebendige Einheit, 33 ff.

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25, 4 er d a m i t zugleich seine eigene Existenz. Wie deshalb jedes Wesen mit elementarer K r a f t a m Sein hängt, so hängt es mit derselben K r a f t auch a m Ganzen. Aus dieser Grundtatsache menschlicher Existenz schließt n u n Thomas, d a ß der Mensch— ebenso wie der Engel, der eben auch nicht das Ganze, sondern nur Teil ist u n d dies viel tiefer erkennt als der Mensch —• von N a t u r Gott mehr liebt als sich selbst (I 60, 5: Bd. 4). Beide, Mensch u n d Engel, lieben i n Gott sich selbst, weil Gott der einzige Garant ihrer Existenz u n d ihres Heiles ist, indem E r sie selbst m i t d e m G a n z e n , u n d doch auch wieder als Einzelwesen ( 1 1 1 3 , 2 : Bd. 8) im Sein erhält. An diese n a t u r h a f t e Neigung, Gott mehr zu lieben als sich selbst, die als A k t durch die Sünde verlorenging ( I - I I 109, 3: Bd. 14), als Fähigkeit aber erhalten blieb, k n ü p f t die Gnade wieder an (I 60, 5, Schluß d. Antw.: Bd. 4) u n d stellt das ursprüngliche Verhältnis des Menschen zu Gott nicht nur wieder her, sondern gibt ihm einen neuen, mehr göttlichen als menschlichen Sinn, indem Gott durch die Gnade den Menschen in das Kindschaftsverhältnis h i n a u f h e b t u n d ihm n u n als Vater ein ganz neues Sein schenkt, nämlich eine geheimnisreiche Teilnahme an Seinem eigenen göttlichen Sein, ihm zugleich die Fülle des Lebens verheißend: „Ich bin gekommen, daß sie das Leben haben, u n d sie sollen es in Fülle h a b e n " (Jo 10, 10). Denn schon im natürlichen R a u m ist bereits nach A r i s t o t e l e s die Vaterliebe u n d die ihr entsprechende Sohnliebe deshalb die größte, w e i l der Vater das Sein schenkt (Eth nr. 1691, 1706, 1715, 1782; vgl. unten K o m m . Zu 26, 9). Und auch das s t i m m t in analogischer Entsprechung mit dem irdischen VaterSohn-Verhältnis überein, daß Gott den Menschen unendlich mehr liebt als der Mensch Gott je lieben k a n n (vgl. 26, 9 Zu 3; E t h nr. 1707f.). E s ist also nicht zu verwundern, wenn der tief gläubige Mensch, der die Verheißungen Gottes kennt, über sich hinaus zur Gottesliebe „hingerissen" wird (Präfation v o n Weihnachten; vgl. I - I I , 2 6 , 3 Zu 4: Bd. 10). Die Einheit von Gottes- u n d Selbstliebe läßt sich aber noch anders begründen. I m K o m m e n t a r zum Prolog des JohannesEvangeliums (lect. 2) formuliert Thomas: Creatura in Deo est creatrix essentia — das im Geiste Gottes als Urbild wesende Geschöpf ist identisch mit der schöpferischen Wesenheit Gottes selbst. I m WORTE Gottes Selbst sind die Bilder alles Geschaffenen ausgesprochen (ebd.; vgl. 1 1 5 , 3: Bd. 2; 3 4 , 3 Antw. u. Zu 5; 37,2 Zu 3: Bd. 3; 93, 4 - 7 : Bd. 7). So ist das WORT die H e i m a t aller Gestalten u n d alles Gestalteten, also auch die Wesensheimat des Menschen. W e n n demnach der Mensch sich selbst liebt, liebt er objektiv — ob es ihm bewußt wird oder nicht — sein Urbild in Gott. Das Streben nach eigener Vollendung ist also nichts anderes als die versuchte approximative Annäherung an die volle Übereinstimmung zwischen Ebenbild u n d Urbild (CG I I I 19. 24, § 6). Sie werden sich nie decken, weil die Endlichkeit des Geschöpfes mit der Unendlichkeit Gottes nie zur absoluten Deckung kommen k a n n . Aber sie werden so weit zur Deckung gelangen, als Gott in Seiner Weisheit u n d Liebe e3 gewährt. So aber der Mensch im Glauben 474

sich seiner selbst als Ebenbild Gottes voll bewußt wird, so 25, 4 kommen, wenn auch nicht substantiell, so doch intentional (d. h. in der Liebe u n d im Verlangen) Ebenbild u n d Urbild zur Deckung. Wenn also der Mensch mit allen seinen K r ä f t e n die größtmögliche Übereinstimmung mit seinem Urbild in Gott anstrebt, fließen in ihm Selbstliebe u n d Gottesliebe in einen einzigen A k t zusammen; Gottesliebe u n d Selbstliebe stehen nicht mehr im Widerstreit, im Gegenteil: die Selbstliebe wird zur Gottesliebe u n d die Gottesliebe zur Selbstliebe. Der Mensch ist zu sich selbst u n d zu Gott befreit. Der Selbstliebe ist der Stachel des Egoismus genommen. Damit erhält unser ganzes Leben eine geschlossene Tendenz auf Gott zu. „Denn die vollkommene Liebe richtet den Menschen in vollendeter Weise aus auf G o t t ; u n d d a s g e h ö r t z u r S e l b s t l i e b e " (26, 13 Zu 1; vgl. CG I I I 24, § 3. 6). Alle geistigen u n d g e m ü t h a f t e n K r ä f t e werden wie zu einer einzigen „Stichflamme" zusammengefaßt, die nur noch auf Gott zielt und doch alles in ihre Glut einbezieht, was nur immer Gegenstand echter menschlicher Liebe sein kann. So wird die Gottesminne zum großen J a gegenüber allen Wesen der Schöpfung u m des Gem i n n t e n willen, der Schöpfer u n d F r e u n d zugleich ist, und dabei allererst zum großen J a uns selbst gegenüber u n d gegenüber dem Nächsten. Das Sprichwort: Jeder ist sich selbst der Nächste, wie auch das Prinzip: Die geordnete Liebe fängt bei sich selbst a n — erhalten so ihre tiefste theologische Begründung. W e n n n u n der „tugendhafte" Mensch bei sich selbst ist (Eth nr. 1808), ist er zugleicn bei Gott, wenn er bei Gott ist, ist er bei sicn selbst. U n d ganz von selbst verlangt er nach den Gütern des Geistes (vgl. E t h nr. 1803—1808). Schließlich findet die These noch eine Unterstützung vom Gegenteil her. I n CG I I I 122, § 1 sagt Thomas: „Gott wird nur dadurch beleidigt, daß wir gegen unser eigenes [wahres] Wohl handeln." 1 Wir beleidigen Gott also nur dann, wenn wir uns selbst beleidigen. Wer von sich selbst, d. h. aber von seinem Urbild abfällt, fällt ab von Gott, denn das ist der ontische Hintergrund jeder Sünde. „Die Todsünde hindert den Blick auf Gott, . . .und dadurch wird der Strom der Liebe unterbrochen" (Car 6, Schluß d. Antw.), u n d „das beste Heilmittel gegen die Sünde ist, daß der Mensch zu sich selbst (ad cor suum) zurückkehrt u n d sich wieder der Gottesliebe öffnet" (ebd. 12 Zu 19). Mit anderen W o r t e n : Wer Gott verliert, verliert sich selbst; wer Gott zurückgewinnt, gewinnt sich selbst zurück. Das wird noch einmal bestätigt in der Lösung Zu 3. Der Mensch, der sich den sinnlichen Leidenschaften ausliefert, s t a t t sie in Dienst zu nehmen, verkehrt das Unterste zuoberst, stellt den Geist in den Dienst der Materie u n d zerstört damit sein eigentliches Wesen (Eth nr. 1814). Wer gegen die Weisheit fehlt, sündigt gegen Gott u n d „schadet seiner eigenen Seele. Alle, die Mich (die Weisheit) hassen, lieben den T o d " (Spr 8, 36). Nur wer sein besseres Ich pflegt, indem er die 1 Non enim Deus a nobis offenditur nisi per hoc, quod contra nostrum bonum agimus.

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25, 4 höheren Güter des Geistes zu erlangen trachtet, liebt sich in echter Weise selbst. Sich so zu lieben, ist nicht ausschließlich, aber „vorzüglich" Sache der heiligen Liebe (Zu 3). Man m u ß sich also hüten, solche Äußerungen des hl. Thomas im Sinne eines flachen Rationalismus zu deuten. § 2. Das Ja der Liebe zum eigenen Leibe (Art. 5) 25, 5 Die Lösung Zu 3 im vorigen Artikel könnte dazu verleiten, in Thomas einen Feind der eigenen Leibnatur zu sehen. Wer so denkt, den wird der vorliegende Artikel f ü r immer eines Besseren belehren. Bereits I - I I 4, 5. 6 (Bd. 9) h a t Thomas die Bedeutung des Körpers f ü r die volle Glückseligneit des Menschen herausgestellt. Schon in diesem Leben braucht der Geist, u m sein Eigengut, die Erkenntnis der Wahrheit u n d die Ü b u n g der Tugend, zu erreichen, der gesunden Sinne u n d ü b e r h a u p t der guten Verfassung des Leibes. Aber auch in der Ewigkeit ist der Leib zur vollen Auswirkung der Seligkeit notwendig, denn ohne Leib bleibt die Seele als N a t u r gewissermaßen ein Torso, weil erst die Verbindung mit dem Leibe die volle, integre Menschennatur konstituiert. „Die N a t u r m u ß in der Seligkeit gewahrt bleiben" (I 62, 7 Antw. u. Zu 2: Bd. 4; vgl. auch I - I I 3 , 3 Antw. u. Zu 3: Bd. 9). I n E. 2 u. 3 klingt wieder das Leitmotiv des T r a k t a t e s a n : Gottesliebe als Freundschaft. — Die vier im Anderseits aufgezählten „Dinge" sind Gegenstand eines eigenen Artikels (Art. 12). Die Antwort ist eine Absage a n jede F o r m des Manichäismus mit seiner Leibfeindlichkeit. Dieser ist schon erledigt durch die beiden Thesen aus dem ersten Buche: Gott h a t mit den stofflichen Dingen selbstverständlich auch den Stoff u n d alles geschaffen, was mit dem stofflichen Sein gegeben ist (I 44, 2: Bd. 4) u n d : Das Schlechte oder Böse ist nicht eine Art N a t u r , sondern n u r negative Begleiterscheinung des geschöpflichen Seins als geschöpflichen (ebd. 48, 1). Weil schlechthin a l l e s Seiende von Gott ist (ebd. 44, 1), s t a m m t auch der Leib von Gott und m u ß infolgedessen, wie alles Geschöpfliche, zu Seiner Ehre eingesetzt werden. Wie wir in der Selbstliebe nur einen Spezialfall der Nächstenliebe vor uns haben (Art. 4), so in der Liebe zum eigenen Leibe nur einen Spezialfall der alle Wesen umfassenden Liebe, wie Thomas sie in Art. 3 begründet. U n d doch h a t die Liebe zum eigenen Leibe nocn etwas Besonderes. Denn der Leib ist nicht nur Wohnung u n d Werkzeug des Geistes, sondern ist Wesensbestandteil des menschlichen Ich, in welchem er zu e i n e r N a t u r u n d zu e i n e m Existenza k t (!) metaphysisch zusammengeschlossen ist. 1 Wie wir schon oben sahen, ist es richtiger zu sagen: Der Leib i s t die i n k a r n i e r t e Seele selbst, als in einer falsch verstandenen UndVerbindung von Seele u n d Leib als verschiedenen Dingen zu sprechen (vgl. I - I I 63, 1: Bd. 11; N.-A. L u y t e n , OP, La condition corporelle de l'homme. Fribourg 1957). 1 „Da nämlich die Seele die Wesensform des Körpers ist, bilden beide nur e i n Sein" (III 15, 4: Bd. 25). Dieser Einheit wird V ö l k l a. a. 0 . , 177 nicht gerecht.

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Auch v o m Ebenbild-Urbild-Verhältnis aus ist dasselbe zu 25, 5 sagen. W e n n sich auch die Ebenbildlichkeit Gottes nicht unmittelbar u n d wesenhaft im Leiblichen des Menschen ausdrückt, so steht doch der Leib als von der Geistseele gestalteter Stoff der Ebenbildlichkeit Gottes näher als die übrige körperliche Schöpfung (vgl. I 93, 6 Zu 3 mit Anm. [42]: Bd. 7; bes. den Text von E . B r u n n e r a m Schluß d. Anm.). Freilich können wir den Leib nicht unmittelbar als Ebenbild der f ü r uns unf a ß b a r reinen Geistigkeit Gottes betrachten, u n d doch müssen wir sagen, daß auch er, wie alle Dinge der Schöpfung, sein Urbild in Gott h a t . Denn in diesem Urbild fällt der Mensch noch a m wenigsten in zwei Wesenshälften auseinander, sondern wird vom Geiste Gottes in seiner herrlichen Wesenseinheit geschaut u n d geschaffen. U n d deshalb n i m m t auch der Leib a n der Verklärung des Menschengeistes teil u n d wird dadurch zu einer letzten Vollendung geführt (Zu 2). So beschäftigt sich P a u l u s 1 Kor 15, 35—55 fast ausschließlich mit der Verklärung des Leibes u n d spricht Phil 3, 21 davon, daß „der H e r r Jesus Christus. . . den Leib unserer Niedrigkeit verwandeln u n d dem Leibe Seiner Herrlichkeit gleichgestalten wird", u n d zwar „durch die K r a f t , mit der E r Sich alles unterwerfen k a n n " . P a u l u s r u f t dafür also die Allmacht Gottes an u n d zugleich die potentia oboedientialis, die Seinsverfügbarkeit in den Geschöpfen, von der schon oben (S. 450) die Rede war. Das Urbild der leiblichen Verklärung ist Christus (III 45, 1 u. 2: Bd. 27; 56, 1 m. K o m m . : Bd. 28; Suppl 76, 1 m. K o m m . : Bd. 35), so daß wir auch auf der Ebene der Leibwirklichkeit des Menschen von einer echten Urbild-Ebenbild-Beziehung sprechen können. U n d wenn wir mit ganzer Seele und mit allen Sinnen den verklärten Christus lieben (vgl. Anm. [62]), in welchem das „geistige" Leben des Leibes beginnt (I 95, 1 Zu 1: Bd. 7), ist in dieser Liebe die Sehnsucht nach der Verklärung des eigenen Leibes eingeschlossen. Demnach ist auch in der Selbstliebe der g a n z e Mensch gemeint. I m zweiten Teil der Antwort begegnet uns der bisher vielleicht stärkste Ausdruck im T r a k t a t des hl. Thomas über die Gottesliebe: anhelare desiderio caritatis — wörtlich: wie ein m ü h s a m Atmender, unter einer schweren Last „Keuchender" sollen wir u n s s e h n e n m i t d e r S e h n s u c h t d e r h e i l i g e n L i e b e . Wonach? Nach der Erlösung des Leibes vom Gift, das in ihm aus der Erbschuld zurückgeblieben ist. Stärker k a n n m a n den Leib nicht einbeziehen in die höchste F o r m der Liebe, die dem Menschen hier auf E r d e n verstattet ist. So meint auch P a u l u s den g a n z e n Menschen, wenn er schreibt: „Auch wir, die wir die Erstlingsfrucht des Geistes besitzen, erwarten mit Seufzen im Herzen die Einsetzung als Söhne, d i e E r l ö s u n g u n s e r e s L e i b e s " (Rom 8, 23). Daher steht der Leib in der geordneten Selbstliebe unter den „äußeren" Gütern an erster Stelle (Suppl 96, 6 Zu 8: Bd. 36). Auch hier gibt es eine Begründung vom Gegenteil h e r : die Fleischessünde nämlich ist eine Beleidigung, ein Unrecht gegen den eigenen Leib ( I - I I 72, 2 Zu 4: Bd. 12). Ungemein eindringlich wird dieser Zusammenhang von P a u l u s 477

25,5

1 K o r 6, 13—20 dargestellt: „Der Leib ist nicht für die Unzucht, sondern für den Herrn und der Herr für den L e i b . . . " Nach Thomas sind es v i e r G r ü n d e , die der Apostel zur Verteidigung der Würde des Leibes anführt: die Anordnung Gottes, die Nähe zu Christus, die Besudelung, die der Leib in der Fleischessünde erfährt, und schließlich der Adel der Gnade, deren Mitträger der Leib als „Tempel des Heiligen Geistes" ist (In 1 Cor 6, lect. 3). Doch nicht nur als Gegenstand, auch als Werkzeug und in gewissem Sinne sogar als Träger der Minne steht der Leib im Strome der Liebe, die von Gott zum Menschen und vom Menschen wieder zurückflutet zu Gott. Der Leib nämlich ist die eigentliche Domäne der Leidenschaften. Das gute Tun des Menschen, das aus der Liebe fließt, „geschieht aber mit Leidenschaft, wie es sich auch durch den Dienst des Leibes vollzieht" ( I - I I 59, 5 Zu 3 : B d . 11). J a , „je vollkommener die Tugend ist, um so stärker ruft sie die Leidenschaften hervor" (ebd. Antw.). Stärker jedenfalls als im Gebot der Liebe: „. . .lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzem Gemüte, aus allen K r ä f t e n " (Mk 12, 30) — läßt sich die T o t a l i t ä t , mit der sie den ganzen Menschen erfassen soll, nicht ausdrücken. Doch darüber später (44, 4 u. 5 : B d . 17 B ) . III. Die Sünderliebe (Art. 6 u. 7)

25, 6

1. D i e L i e b e d e s G e r e c h t e n z u d e n S ü n d e r n (Art. 6). —- Die Lösung dieses eminent praktischen Problems gelingt Thomas nur mit Hilfe eines der grundlegendsten Axiome seiner Seinsphilosophie: Das Seiende und das Gute sind vertauschbar, d. h. alles Seiende, soweit es seiend ist, ist gut; ist es aber gut, so ist es auch liebenswert, denn ,gut' und Liebe sind wesenhaft einander zugeordnet (vgl. Einführung § 1, S. 406). Das Schlechte oder Böse am Ding ist also, wie wir im vorigen Artikel schon sahen, nichts anderes als eine Ausfallserscheinung, ein Mangel von etwas, das eigentlich da sein sollte, aber nicht da ist. Was aber nicht ist, ist natürlich auch nicht gut, kann infolgedessen nicht Gegenstand der Liebe sein. J e d e r Mangel an Sein bedeutet also zugleich eine Einbuße an „Liebenswürdigkeit" des Wesens. Und doch wird das Gute im Seienden nie ganz zerstört, es sei denn, das Seiende selbst hörte auf zu sein. 1 I n diesem Sinne ist der Untersatz des Anderseils zu verstehen: „Die Sünder hören nicht auf, Menscheil zu sein; denn die Sünde hebt die Natur nicht auf." Das hat Thomas bereits in der Frage über die Wirkungen der Sünde in sechs Artikeln nach allen Richtungen hin durchexerziert ( I - I I 85, 1 — 6 : B d . 12). Auch die Sünder bleiben Geschöpfe, also Gott gehörig; zudem bleiben sie immer capax Dei und damit der ewigen Seligkeit fähig: das sind aber die beiden Momente, die schon Art. 1 u. 3 nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar die Pflicht heiliger Liebe begründeten. 1

Vgl. 23, 7 Zu 1.

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I n der Praxis wird es nicht immer leicht sein, die Unter- 25, 6 Scheidung zwischen dem Guten, das in der N a t u r des Sünders unangetastet bleibt, u n d dem Bösen, das in seiner Willenshaltung liegt, zu vollziehen. Hier gibt die Lösung Zu 2 einige Winke f ü r das grundsätzliche Verhalten den Sündern gegenüber: ihnen auch äußerlich die Beweise der Freundschaft nicht zu entziehen, „solange noch Hoffnung auf Heilung vorhanden ist". Wo aber diese Hoffnung nicht mehr vorhanden ist, „darf m a n ihnen den vertrauten Verkehr der Freundschaft nicht mehr schenken". F ü r beides haben wir als höchste, göttliche Bestätigung das Verhalten Christi auf der einen Seite den Sündern, auf der anderen Seite den verhärteten Pharisäern gegenüber: „Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zu suchen, sondern die Sünder" (Mt 9, 13) u n d : „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die K r a n k e n " (Mk 2, 17); u n d wieder: „Ich bin nicht gekommen, die Welt zu richten, sondern zu r e t t e n " (Jo 12, 47; vgl. 3, 17). U n d schon im Alten Testament heißt es: „Zum Sein h a t E r alles geschaffen u n d so, d a ß sie geheilt werden können, schuf E r alle Völker der E r d e " (Wsh 1, 14). Darauf zutiefst beruht die Möglichkeit der Erlösung, beruhen Möglichkeit und Praxis der Buße u n d Sühne u n d schließlich die Forderung des Apostolates (Zu 4 u. 5). Die Erlaubtheit oder gar Notwendigkeit, den Verbrecher zu strafen u n d u m des Gemeinwohles willen sogar zu töten, wie in Zu 2 angedeutet, sind ein Kapitel f ü r sich u n d werden in I I - I I 64, 2—4 (Bd. 18) ausführlich behandelt (vgl. ebd. K o m m . S. 472—480). 2. D i e S e l b s t l i e b e d e r S ü n d e r (Art. 7). — Das Problem 25,7 ist dieses: Können die Sünder sich überhaupt so lieben, daß m a n von einer echten Liebe sprechen k a n n ? Hier gilt wieder die Unterscheidung von Art. 6. Selbstverständlich bleibt in den Sündern die n a t u r h a f t e Neigung unverkürzt, da die Sünde die N a t u r nicht zerstören k a n n (E. 2). Anderseits ist die ungeordnete Selbstliebe Ursache jeglicher Sünde (E. 1; vgl. I - I I 77, 4: Bd. 12). Wo aber liegt das Prinzip der Ordnung und wo fängt die Unordnung an? Das sagt der zweite Teil der Antwort. Thomas bringt hier den Vergleich des Herrschenden im Menschen mit dem Herrschenden im Staat, einen Vergleich, den er immer wieder verwendet. So im Anschluß an A r i s t o t e l e s in dem ungefähr gleichzeitig gearbeiteten K o m m e n t a r zu dessen E t h i k (nr. 1869) ; ebenso im K o m m e n t a r zu 2 Kor K p . 4, lect. 5, wo er den Unterschied vom „innern" u n d „äußern" Menschen im Anschluß a n das Pauluswort genau so darstellt. (Übrigens haben wir hier ein klassisches Beispiel der analogischen Verwandtschaft der Strukturen: die S t r u k t u r des Teils kehrt in abgewandelter F o r m im Ganzen der menschlichen Gemeinschaft wieder.) Unter mens rationalis oder n a t u r a rationalis, die Thomas mit dem „innern" Menschen gleichsetzt, ist jedoch nicht einseitig der Verstand zu verstehen, sondern das einträchtige Zusammenwirken der „oberherrschaftlichen Vermögen" (H. A n d r é ) , Verstand u n d Wille. Ohnehin trägt nicht der Verstand die Verantwortung f ü r das sittliche 479

25, 7 Verhalten des Mensehen, sondern der Wille (I - I I 57, 1 : B d . 11). I n diesem Sinne ist auch der Satz zu verstehen, den T h o m a s unablässig wiederholt: „Das Gut des Menschen besteht darin, vernunftgemäß zu sein" — secundum rationem esse — , d. h. in der von der Vernunft vorgelegten Ordnung zu stehen. Das B ö s e des Menschen k o m m t dementsprechend daher, daß er etwas gegen die Vernunft oder „an ihr v o r b e i " t u t — praeter rationem (die Belege dazu s. Anm. [13] u. [35]). D a ß im ganzen Artikel m i t keinem W o r t das Motiv der Gottesliebe erwähnt wird, darf nicht weiter auffallen, denn die Selbstliebe der Sünder h a t selbstverständlich nicht das Geringste m i t Gottesliebe zu tun. Trotzdem greift der Artikel über die E b e n e des rein natürlichen Lebens hinaus; denn abgesehen davon, daß es n a c h der E r h e b u n g des Menschen in die Übern a t u r und nach der Berufung der gesamten Menschheit zur ewigen Seligkeit eine rein natürliche Zielsetzung und damit ein rein natürliches L e b e n als gottgewolltes und allseits gutes L e b e n nicht geben kann, sind hier unter den „geistigen G ü t e r n " , von denen T h o m a s i m Anschluß a n Paulus spricht, ohne Zweifel die übernatürlichen W e r t e gemeint, deren wir in Glaube, Hoffnung und Liebe teilhaft werden, wie das unzweideutig aus dem K o m m e n t a r des hl. Thomas zu Paulus (a. a. O.) hervorgeht. Ganz entsprechend ist auch der T a t b e s t a n d der sündigen Selbstliebe ein Abfall nicht nur von der Natur, sondern erst recht von der Übernatur. W a s im Ganzen des Artikels aufscheint, ist also wieder die unausweichliche Forderung einer letzten E i n h e i t von N a t u r und Übernatur. D e m n a c h wäre die wichtigste F r a g e , die vor allen anderen F r a g e n beantwortet werden m u ß , wenn sich die Menschheit nach allen Seiten hin menschenwürdig entfalten soll, die F r a g e , die im zweiten Abschnitt der Antwort zwischen den Zeilen a u f t a u c h t : die F r a g e nach dem wahren Wesen und nach der metaphysisch-religiösen Situation des Menschen. E r s t a u f dem Hintergrund dieser F r a g e gewinnt der Artikel sein ganzes Gewicht. Gewissermaßen als Zugabe bringt der dritte Teil der Antwort eine Aufzählung der Wesenseigenschaften der wahren Freundschaft und zeigt, wie def Gute, der nach E n t f a l t u n g des inneren Menschen t r a c h t e t , sie erfüllt; wie der Böse, dem der äußere Mensch alles gilt, sie verletzt. W i r haben hier eine knappe, aber sehr übersichtliche Zusammenfassung aus dem K o m m e n t a r zum 9. B u c h der E t h i k des Aristoteles (lect. 4, nr. 1797—1817). W e n n wir die Wirkungen der beiden entgegengesetztenVerhalteweisen gegen sich selbst a u f j e einen Nenner bringen wollen, müssen wir sagen: Die wahre Selbstliebe, vor allem die mit der Gottesliebe ineinsgesetzte Selbstliebe, sammelt alle gemüthaften K r ä f t e des Menschen aus der Zerstreuung a u f das eine große Ziel und erhöht sie damit zu ungeahnten Möglichk e i t e n ; deshalb Dilden auch die Tugenden, die aus der Gottealiebe hervorgehen, unter sich eine geschlossene E i n h e i t , eine Art geistigen Organismus, mit der Liebe als Lebensprinzip zugleich und H a u p t . Die sündhafte Selbstlieoe dagegen zersplittert die emotionalen K r ä f t e des Menschen nach allen Seiten, indem der Mensch in der falschen Selbstliebe tausend Dinge

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sucht, die ihn doch nicht voll befriedigen können, und so zer- 25, 7 stört sie die Einheit des Charaktere. So Thomas fast wörtlich in I - I I 73, 1 Zu 3 (Bd. 12). Denn „das Gute ist einfach, das Böse vielgestaltig" (Dionysius; vgl. ebd. 35, 8 Zu 1: B d . 10; E t h nr. 320 f . : „Die Gesundheit ist nur eine, Krankheiten gibt e3 unzählige."; vgl. Anm. [72] S. 375). Eine Frage bleibt noch übrig: Weshalb erwähnt Thomas hier nicht auch die Geistessünde, die er doch auch kennt (vgl. I - I I 72, 2 : 73, 5 : 84, 2 : B d . 12) und die eine viel subtilere und daher gefährlichere Selbstlieoe darstellt als die im Artikel besprochene des rein auf die Sinne und die äußeren Güter ausgerichteten Menschen. I n 180, 7 (Bd. 23) unterscheidet Thomas eine doppelte Lust der Schau, eine, die im Akt des Schauens selbst liegt, und eine andere, die aus dem Gegenstand der Schau fließt. Wo die Schaa n u r der Schau wegen und nicht des geschauten Gegenstandes wegen gesucht wird, haben wir das, was die Theologia Deutsch (Kp. 42 u. 43) das „falsche L i c h t " und die „falsche Liebe" nennt. „Dem natürlichen [falschen] Licht aber gehört insonderheit zu, daß es gern nach Möglichkeit viel wüßte oder wissen wollte und hat große Lust, Freude und Glorieren an seinem Wissen und Erkennen, und darum begehrt es allzeit mehr und mehr zu wissen, und kommt darin nimmer zur Ruhe und zur Zufriedenheit. 1 . . .Sieh, da wird dann das Erkennen und das Wissen mehr geliebt als das, was erkannt wird; denn das falsche, natürliche Licht liebt sein Erkennen und Wissen, das es selber ist, mehr denn das, das erkannt wird . . . Sieh, in diesem Sinne geschieht die Erkenntnis [Gottes] ohne Liebe dessen, was erkannt ist oder wird. . . Und so liebt sie sich in sich selber" (ebd. K p . 4 2 ; Ausg. R . A. S c h r ö d e r . Gütersloh 1947,117f.). Das ist „das süßeste Gift: jener Stolz, der sich in sich selber vertieft und weiter nichts will, als s i c h . . . Jeder Gedanke wie Liturgie vor dem eigenen I c h . . . " (G. T h e i n e r - H a f f n e r , Passio mystica, 59; vgl. G e i g e r a . a . O . , 89 f.). Hier haben wir vielleicht die subtilste F o r m der falschen Selbstliebe, die doch im rein Geistigen verbleibt und nichts von Sinnlichkeit an sich hat. Zwar „kehrt" aucn dieser Typus gern, nur zu gern „bei sich selber ein", aber er findet dort eben nichts anderes als sich selber und seine abgrundtiefe Armut, die er jedoch nicht wahrhaben will. E r liebt seinen eigenen Akt mehr als Den, dem er diesen Akt auf den doppelten Titel des ersten Bewegers u n d des Gegenstandes der eigenen Schau verdankt. E r bespiegelt sich selbst im Akt des Erkennens und macht Gott zur Folie seiner Eitelkeiten. Philosophie und Theologie werden zum frivolen „Spiel", zum Spiel des „kalten" Verstandes, ohne Liebe, ohne Verdienst, ohne jeglicnen Ernst. S o erkennen auch die gefallenen Engel, nur daß bei ihnen die Wonne des Erkennens umschlägt in die heisere Qual eines ewigen „Umsonst.". Das äußerste Gegenteil der ersten Seligpreisung: „Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich" (Mt 5, 3). Wenn Thomas diese subtilste und veroorgenste F o r m der Selbstliebe nier nicht erwähnt, so vielleicht gerade deshalb 1

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Vgl. Thomas über die Neu-gier des Geistes: 1 6 7 , 1 (Bd. 22). 17

A

4 8 1

25, 7 nicht, w e i l sie so verborgen ist und diese Selbstbespiegeler im allgemeinen nicht zur Kategorie der „Sünder" gezählt werden. Ihre Unreinheit ist nicht die des Leibes, sondern die des Geeistes, so daß hier das Sprichwort Anwendung findet: corruptio optimi pessima — die Verderbnis des Besten ist die schlimmste. Das Ganze ist eine Illustration zu dem chinesischen Sprichwort: „Wer sich selbst beschaut, leuchtet nicht." IV. D i e F e i n d e s l i e b e (Art. 8 u. 9) § 1. Die Forderung (Art. 8) 25, 8

1. D a s P r o b l e m . — Die Voraussetzung des ganzen Artikels ist diese, daß der Feind, u m den es gebt, wirklieft Feind ist, also der uns Hassende, dessen H a ß in unserer Liebe seine Antwort finden soll. So steht Ließe gegen H a ß u n d H a ß gegen Liebe (Car 8 E . 12). D a m i t ist ein doppelter Unterschied zur schlichten Nächstenliebe gegeben: Die Pflicht der Nächstenliebe konkretisiert sich unterschiedslos jedem Menschen gegenüber, den Gott uns in den Weg schickt, ob wir ihn bis dahin gekannt haben oder nicht. Der Feind aber steht uns immer konkret gegenüber als dieser bestimmte Mensch, der uns Tag u n d Nacht in unserer geistigen oder materiellen Existenz bedroht. Das ist der eine Unterschied. Der zweite liegt in folgendem: Der Nächste steht uns a n sich indifferent gegenüber, vielleicht haben wir persönliche Beziehungen zu ihm, vielleicht nicht. F ü r die Ü b u n g der Nächstenliebe ist das zunächst gleichgültig. Mag sein, daß unsere Liebe nicht unmittelbar auf Gegenliebe stößt, d a ß es dem „nächsten Besten" gleichgültig ist, ob wir ihn lieben oder nicht. Das ist f ü r die Nächstenliebe auch nicht wichtig, denn der Nächste ist für unsere Liebe einfach der zu Liebende, von dem wir gar nicht ohne weiteres Gegenliebe erwarten dürfen. Die Nächstenliebe ist eben noch nicht unbedingt auch gleich Freundschaft mit dem Nächsten, sondern Freundschaft mit Gott. Die Feindesliebe aber findet ein Gegenüber, das im schärfsten persönlichen Gegensatz zu uns steht, und stößt zudem auf die stärksten natürlichen Gefühlswiderstände in uns selbst. Nirgendwo wird zugleich so greifbar deutlich, d a ß Liebe als Willensbewegung u n d Liebe als „Gefühl" zwei ganz verschiedene, ja unter Umständen entgegengesetzt gerichtete geistig-seelische Wirklichkeiten sind. Wiewohl daher Thomas sonst gern, wie wir gesehen haben, an die natürlichen Wurzeln der Liebe a n k n ü p f t , hier kann er es nicht. U n d so setzt er im Anderseits den Einwänden, die gerade aus den Forderungen der N a t u r heraus argumentieren, lapidar die Forderung des H e r r n gegenüber: „Liebet eure Feinde!" 2. D a s Z e u g n i s d e r S c h r i f t . — Die scharfe Antithese, mit der Christus Selbst Seine Forderung der Feindesliebe einleitet, könnte zu der Annahme verleiten, d a ß es sich bei dieser

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Forderung u m etwas absolut Neues handelt, nicht nur f ü r die 25, 8 rein aus der N a t u r lebende Heidenwelt, sondern auch f ü r das auserwählte Volk selbst. Mt 5, 43 heißt es nämlich zum sechsten Male im selben Kapitel: „Ihr h a b t gehört, daß (den Alten) gesagt w u r d e . . . I c h aber sage euch. . .". Was wurde den Alten gesagt ? „Du sollst deinen Nächsten (im Alten Testament s t e h t : Freund=Volksgenosse) lieben, deinen Feind hassen." Hier k n ü p f t Christus a n eine spätjüdische populäre Auslegung des Gesetzes an. I n der Schrift selbst finden sieh Ansätze zur Feindesliebe im Sinne eines loyalen u n d hilfsbereiten Verhaltens, so E x 23, 4 f. u n d wieder Spr 25, 21. Auch Thomas bemerkt in seinem K o m m e n t a r zu Mt 5, 43 (wie auch Car 8 Zu 5), der Zusatz: „ . . . u n d deinen Feind hassen" finde sich nirgends im Gesetz Moses u n d sei von den J u d e n aus anderen Stellen des A T herausgelesen, etwa aus E x 17, wo Moses im Auftrage Gottes die Amalekiter vernichtet, und aus vielen anderen Worten Gottes gegen die Feinde Israels (vgl. etwa E x 23, 22 f.). Das Gesetz sagt Lv 24, 20: „Aug u m Aug, Zahn u m Z a h n ; denselben Leibesschaden, den er einem anderen zufügt, soll er selber leiden müssen." Das ist die Sprache der Gerechtigkeit. Auch hier sagt Christus: „Den Alten ist gesagt worden: Aug u m Aug, Zahn u m Zahn — loh aber sage euch. . .". Damit will E r gewiß nicht die Gerechtigkeit außer K r a f t setzen, aber E r will d i e G e r e c h t i g k e i t a l s F u n k t i o n d e r L i e b e (Car 8 Zu 10). Denn eine Gerechtigkeit ohne Liebe f ü h r t zu leicht zu Übertreibungen, zu Kachsucht u n d Feindschaft und ist im Grunde schon eine Verletzung des ersten und größten Gebotes: des Gebotes der Liebe, das noch über dem Gesetz der Gerechtigkeit steht und dieses umgreift (vgl. Anai. [77]). 1 3. D i e E r k l ä r u n g d e s h l . T h o m a s . — Thomas e n t scheidet den Sinn der Forderung, indem er — wie immer — u n t e r s c h e i d e t . E s wäre z u n ä c h s t widersinnig und deshalb widernatürlich, den Feind zu lieben, sofern er unser Feind ist. Kein Mensch kann sich den Mitmenschen zum Feinde wünschen oder sich darüber freuen, daß er einen Feind h a t . Das Gegenteil wäre das Naturgegebene: daß sie alle einander lieben würden, alle einander Freund wären. So lag es in der ursprünglichen Absicht Gottes: die ganze Menschheit sollte eine einzige Gottesfamilie sein. Möglieh wäre das aber nur unter der einen Voraussetzung: daß sie alle den einen Mittelpunkt, das eine Ziel, die eine Liebe h ä t t e n — die zu Gott al.ä ihrem Vater. Christus k a m , diese ursprüngliche Absicht des Vaters zu verwirklichen, „die zerstreuten Kinder Gottes wieder in eins zusammenzubringen" (Jo 11, 52). Wer also zu Gott gehören will, m u ß wünschen, d a ß auch der Feind sich einordnet in diese von Christus neu gegründete Gottesfamilie. E r darf den Feind also wenigstens nicht ausschließen von seiner Liebe und seinen Gebeten (83, 8 : Bd. 19), die ihn mit Gott u n d der Gesamtheit Seiner Familie 1 Zur Exegese von Mt 5, 38 f., 43 ff. s. etwa D i l l e r s b e r g e r , Matthäus II, 1952, 93 ff.; zum Problem der Feindesliebe im AT vgl. Th. C. V r i e z e n, Theologie des Alten Testaments in Grundzügen. O. J. [1956], 139 f.; ThW I 25 f.; W a r n a c h , Agape 61, 101 f.; sehr gut schreibt über Feindesliebe auch K i e r k e g a a r d a. a. O., 73 f.; vgl. auch M. B u b e r, Zwei Glaubensweisen — ausführl. zitiert in Anm. [50 a].

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25, 8 verbinden. Das h e i ß t : den Feind lieben, nicht als Feind, sondern als Menschen, der Gott gehören m u ß . Doch noch eine z w e i t e Unterscheidung ist notwendig. Man k a n n das Gefühl nicht kommandieren (vgl. I - I I 17, 7: Bd. 9). Die Regung des Willens aber ist beim Menschen weitgehend abhängig vom Gefühlsleben (ebd.; außerdem: I - I I 9, 2 Antw. u. Zu 2; 5 Zu 3) u n d sogar von körperlicher Veranlagung (vgl. oben S. 453). Deshalb k a n n es nicht im Sinne der Forderung liegen, dem Feinde stets eine heiße Liebe entgegenzubringen, wie das auch bei der schlichten Nächstenliebe nicht jedem einzelnen Menschen gegenüber möglich ist. E s genügt die Bereitschaft, „im gegebenen Falle" dem Feinde die Hilfe nicht zu versagen. Doch das f ü h r t schon hinüber z u m nächsten Artikel. — Die vollkommene Gottesliebe freilich läßt sich nicht a u f h a l t e n durch die feindselige H a l t u n g des anderen u n d wäre bereit, noch den Feind zu umarmen, wenn sie ihn dadurcn Gott u n d sich selbst zurückgewinnen k ö n n t e ; nach dem Beispiel Gottes Selbst, der, „obschon wir doch Seine Feinde waren, uns durch den Tod Seines Sohnes mit Sich versöhnt h a t " (Rom 5, 10). Schließlich: dem Feinde, wenn er u m Verzeihung b i t t e t , diese bereitwilligst zu gewähren, ist f ü r die Liebe eine Selbstverständlichkeit (83, 8: Bd. 19). I n Car 8 deutet Thomas die hier gemachte Unterscheidung bereits im Titel an, wenn er fragt, ob die Forderung der Feindesliebe zu den Geboten oder n u r zu den R ä t e n gehöre. I m großen ganzen folgt er dort demselben Gedankengang wie hier im Artikel, nur d a ß er die Zahl der Einwände auf 19 erhöht. A m Schluß der Antwort bringt er dort das Bild vom F e u e r : J e größer die Glut des Feuers, u m so weiter reicht sie. Ahnlich die Gottesliebe: je vollkommener sie ist, d. h. aber, je größer ihr Eifer, ihre Glut, ihre Lauterkeit, u m so geringer ist die Gefahr, d a ß sie schon bei den nächsten Verwandten halt m a c h t ; vielmehr zieht sie auch die F r e m d e n u n d darüber hinaus sogar die Feinde in ihren Bannkreis, u n d zwar nicht nur so im allgemeinen, sondern indem sie ganz konkret mit Wille, W o r t u n d Werk dem Feinde u m Gottes willen in Liebe begegnet. § 2. Die Praxis der Feindesliebe (Art. 9) 25, 9

Der Mensch ist nicht reiner Geist. E r steht auch nicht allein, sondern ist immer irgendwie u n d irgendwo hineingestellt in die Gemeinschaft: einer Familie, einer Gemeinde, einer Schule, eines Kollegiums, eines Fabrikbetriebes usw., wo „ m a n " sich täglich, stündlich begegnet, miteinander arbeitet, miteinander zu Tische sitzt, miteinander sich erholt usw. I n solchen Gemeinschaften gibt es Sympathie u n d Antipathie, Freundschaft, lose K a m e r a d s c h a f t , Rivalitäten der verschiedensten Art, Neid, Mißgunst, Streit, edlen u n d unedlen Wettstreit, kurz, alle Möglichkeiten der Begegnung im guten wie im bösen Sinne. So lautet n u n nach verschiedenen Unterscheidungen der Bescheid der Antwort — deren erster Satz sehr der Beherzigung wert ist —, d a ß man, wenn m a n nicht alle Leute grüßt, auch 484

den Feind nicht zu grüßen braucht, wenn er uns begegnet. 25, 9 Man muß das Verhalten dem Feinde gegenüber im Einzelfall der Klugheit überlassen, die es in Einklang mit der Liebe bringen soll. Die Antwort des Artikels stützt sich auf den — nicht erwähnten — Unterschied zwischen der Verpflichtung des praeceptum positivum, des tat-fordernden Ge-botes und des Fer-botes: das tatfordernde Ge-hot bleibt zwar immer in K r a f t , verpflichtet aber nur für den gegebenen F a l l ; während das Fer-bot, etwa: Du sollst nicht stehlen, für jeden Augenblick verpflichtet (vgl. 62, 8 E . 1 mit Anm. [22 a ] : B d . 18). Die Einwände, die sich aus der Hl. Schrift, besonders aus der Bergpredigt, nahelegen, werden bei V ö l k l a. a. O., 290 ff., thematisch. Seine K r i t i k an den „schriftfremden" Gesichtspunkten und Akzenten der thomasischen Lehre von der (Feindes-)Liebe beachtet zu wenig den notwendigen Unterschied zwischen dem paradox-imperativischen Anspruch des Herrn und der theologisch-prinzipiellen Untersuchung (vgl. K . R a h n e r , Prinzipien und Imperative. Wort und Wahrh. 12 [1957] 325 ff.). V. D i e r e i n e n G e i s t e r i n d e r P e r s p e k t i v e der G o t t e s l i e b e (Art. 10 u. 11) 1. D i e g u t e n E n g e l (Art. 10). — E . 1 u. 3 sind uns sachlich 25,10 schon in 23, 1 E . 1 begegnet und haben dort bereits ihre Beantwortung gefunden, die mit der hier gegebenen übereinstimmt. Das Problem dreht sich um die Möglichkeit einer irgendwie gearteten Kommunikation mit (Gott und) den Engeln, und zwar einmal um die communicatio in forma, die Übereinstimmung im Wesen, und zweitens um die Möglichkeit des Lebensaustausches (vgl. Anm. [3]). Man könnte ohne weiteres so argumentieren : Wenn der Mensch auf Grund der von Gott geschenkten Gottesliebe mit Gott, dem absoluten Geist, zu dessen reiner Geistigkeit auch der höchste Engel noch in unendlichem Abstand steht, als Freund verkehren kann (vgl. I 77, 2 Zu 1: B d . 6), dann ist nicht einzusehen, weshalb Gott es nicht soll ermöglichen können, durch ein ähnliches Geschenk an die Engel diese mit dem Menschen in intimen geistigen Verkehr zu bringen (Zu 1). Das ist auch das Argument des Artikels: Die Seligkeit der Engel und die Seligkeit des Menschen ist substantiell dieselbe, nämlich Teilnahme an der Seligkeit des gemeinsamen Schöpfers und Vaters. Deshalb ist es selbstverständliche Forderung der Liebe, daß wir die, mit denen wir unsere Seligkeit einst teilen sollen, schon jetzt in unsere übernatürliche Liebe einbeziehen. Das liegt schon in der Konsequenz von Art. 1 u. 3 : Alles, was zu Gott gehört, ist als Gott zugehörig mit derselben Liebe zu lieben, mit der wir auch Gott lieben. Die guten Engel, die bereits der seligen Anschauung Gottes teilhaftig sind, gehören aber mindestens genau so zu Gott wie dei Nächste, wie die Körperwesen, wie unser eigener Leib usw. Also. Die Begründung dieses Artikels: Ermöglichung der communicatio durch Mitteilung der ewigen Seligkeit zieht sich wie ein

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25.10 goldener Faden durch den ganzen T r a k t a t vom ersten Artikel der F r . 23 bis zum letzten Artikel der F r . 46. 1 25.11

2. D i e b ö s e n G e i s t e r (Art. 11). — Nach Art. 6 u. 8 über die Sünderliebe u n d die Feindesliebe drängt sich von selbst die Frage a u f : W e n n wir u m des im Sünder u n d im Feinde immer noch lebendigen Guten willen beide lieben müssen, wie steht es mit den bösen Geistern, die doch in ihrer N a t u r ungeschwächt (I 95, 1: Bd. 7; I - I I 63, 1 Anders.-. Bd. 11; 85, 1 E . l : Bd. 12; Mai 16, 2) u n d zudem integrierender Bestandteil der Schöpfung sind (was wir freilich mit Sicherheit nur aus der Offenbarung wissen) ? I n der Antwort n i m m t Thomas zunächst Rücksicht auf den Sprachgebrauch, nach dem allgemein jene Wesen ,Dämonen' genannt werden, deren N a t u r selbst böse ist. E s ist selbstverständlich, d a ß wir d i e s e Dämonen, wenn es sie gäbe, in irgendeiner F o r m weder lieben könnten noch d ü r f t e n . W e n n wir aber unter ,Dämonen' die gefallenen Engel verstehen, müssen wir unterscheiden. E s ist einleuchtend, d a ß wir m i t ihnen viel weniger noch als mit den Sündern oder unseren Feinden irgendeine Art von Freundschaft eingehen können. D e n n wer Gott zum Feinde h a t , den können wir nicht zum Freunde haben wollen; ganz abgesehen davon, daß wir ihnen, die f ü r ewig von Gott verworfen wurden, das Gut der Seligkeit, in dessen Mitteilung die Gottesfreundschaft gründet, weder wollen noch wünschen können. Wir würden uns selbst in Gegensatz zu Gott u n d Seiner Gerechtigkeit bringen. Schon irgendwelches Mitleid mit den gefallenen Engeln wäre fehl am Platze, weil es vergessen würde, daß sie die Trennung selbst gewollt u n d herbeigeführt haben. „Dem, der nicht will", meint K i e r k e g a a r d , „soll m a n wenigstens dadurch sein Recht angedeihen lassen, daß m a n ihn nicht beklagt." 2 I m zweiten Teil der Antwort b e r u f t sich Thomas ausdrücklich auf Art. 3. W a s dort von den Geschöpfen insgesamt gesagt wurde, das gilt auch von den gefallenen Engeln: ihre N a t u r ist gut u n d ist von Gott (76, 1 Zu 4: Bd. 18). Also m u ß m a n diese gute N a t u r in ihnen lieben als immer noch zur Schöpfung Gottes gehörig, in der sie zudem eine bestimmte, ihnen von Gott so oder so zugewiesene Aufgabe haben. Wie in der Antwort, so spielt auch in den Lösungen die Ber u f u n g zur ewigen Seligkeit die Rolle des Mittelbegriffs. Wo die Gemeinschaft der ewigen Seligkeit fehlt, k a n n von Gottesfreundschaft nicht die Rede sein. Die Lösung Zu 3 enthält überdies eine versteckte Warnung, sich in irgendeiner F o r m mit d e m Teufel einzulassen. Denn ihm als dem Widersacher Gottes k a n n a n nichts m e h r gelegen sein als daran, die Freunde, n ä m lich Gott u n d den Menschen, zu entzweien ( I I I 2 6 , 1 Zu 2: Bd.26). Sein „vornehmstes" Geschäft ist: Zwietracht, Unfrieden, 1 Vgl. hier im Band: 2 3 , 1 ; 23, 4 Zu 2; 23, 5; 24, 2; 25, 2 E. 2 u. Zu 2; 25, 3 ; 25, 5 E. 2; 25, 6; 25. 8 Zu 2; 2 5 , 1 0 ; 2 5 , l l Z u l ; 2 5 , 1 2 Antw. u. Zu 2 u . 3 ; 2 6 , 1 ; 26, 2; 26, 3; 26, 4; 26, 5; 26, 7 E. 3; außerdem: I 20, 2 Zu 3: Bd. 2; 60, 5 Zu 4 u. 5: Bd. 4; I-II 4, 8 Zu 3: Bd. 9; 65, 5 Antw. u. Zu 1: Bd. 11; 109, 3 Zu l u . 3: Bd. 14; Car 2 Antw. u. Zu 8. 16; 4 Zu 2; 7 Antw. u. Zu 1—5; 8 E. 9 u. Zu 9. • Über die Ewigkeit der Höllenstrafen vgl. Suppl 71, 5; 86, 2 u. 3: B d . 35; 99, 1 u. 2: Bd. 36; Mal 16, 5.

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Feindschaft stiften, H a ß säen, wo er nur kann. Man soll die 25, 11 Wirksamkeit des Teufels nur nicht verharmlosen. Christus Selbst mit dem ganzen Neuen Testament und die Geschichte Seiner Kirche würden zu einem überernsten Protest antreten (vgl. Anm. [51]). So mag der Versuch des hl. Thomas, ihn doch wenigstens als Geschöpf, dessen Natur immer noch ein Wunderwerk der unendlichen Allmacht Gottes bleibt, in den Bereich der Liebe einzubeziehen, uns auf den ersten Blick reichlich fremd anmuten. Aber diese Liebe gilt j a nicht der Person und ihrem verkehrten Willen. Hier ist jeder personale Bezug ausgelöscht, und der Teufel, der in Ewigkeit nie mehr Subjekt der Liebe sein kann, wird wie die vernunftlose Schöpfung sozusagen zum bloßen Objekt, d. h. zur Sache, die man nicht ihrer selbst wegen liebt, degradiert: die schwerste Beleidigung, die dem reinen Geiste widerfahren kann. Der Grund solcher Liebe ist j a nicht er, sondern Gott, den er h a ß t ; sie wird ihn ewig an die Seligkeit erinnern, die er für immer verscherzt hat. So mag ihn diese Liebe mit ihrem grotesken Vorbehalt eher zur Raserei eines wahrhaft satanischen Hasses treiben, als ihn zur Gegenliebe entflammen. S e i n e „Flammen" sind jedenfalls nicht die Flammen der Liebe. VI.

Zusammenfassung (Art. 12)

I n einer klaren Übersicht scheint hier, gewissermaßen im 25,12 Scheinwerfer der ewigen Seligkeit, noch einmal die U n i v e r s a l i t ä t der Gottesliebe auf. Die Mitteilung der ewigen Seligkeit stiftet Gemeinschaft mit Gott, der sie uns schenkt; mit uns selbst, die wir zu ihr berufen sind; mit dem Nächsten, der sie mit uns gemeinsam genießen soll; mit unserem Leibe, der in die Verklärung und damit in die Seligkeit der Seele mit hinein gehoben wird. Nach allem, was in Art. 4 über die Selbstliebe gesagt wurde, ist die Lösung Zu 1 nicht so zu verstehen, als hätten wir es bei der Gottesliebe und der Selbstliebe mit zwei verschiedenen Arten von Liebe zu tun. Insofern hat der Einwand durchaus recht: die übernatürliche Selbstliebe ist m i t der Gottesliebe gegeben und umgekehrt. Nur der Grund der „Liebens-würdigk e i t " ist bei Gott und bei uns ein anderer: Gott lieben wir um S e i n e t w i l l e n , uns aber n i c h t um u n s e r e t w i l l e n , sondern um Gottes willen. Der Grund der heiligen Selbstliebe liegt also nicht in uns, sondern in Gott. Und gerade darin liegt die Einheit und Identität beider begründet. Wir haben zwar eine Verschiedenheit des geliebten Gegenstandes, aber nicht des gegenständlichen Grundes der Liebe. Auch E . 2 birgt ein sehr wichtiges Wahrheitsmoment, das uns schon früher begegnet ist. Wollte man den Teil vom Ganzen isolieren, wäre er nicht mehr Teil. Das gilt schon auf der Ebene der Quantität; erst recht aber gilt es auf der Wesensebene vom Leibe, der die Wesenskomponente des Menschen bildet. Weil jedoch die beiden Wesenskomponenten des Menschen eine je andere Beziehung zur ewigen Seligkeit haben,

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25,12 ist auch die Weise der Liebe bei aller I d e n t i t ä t des gegenständlichen Grundes eine andere in bezug auf unsern Geist u n d eine andere in bezug auf den Leib. So schreibt Matthias C l a u d i u s a n seinen Sohn J o h a n n e s : „Sorge f ü r deinen Leib, doch nicht so, als wenn er deine Seele wäre." Beim Nächsten, so heißt es Zu 3, brauchen wir diese Unterscheidung nicht zu machen, weil der Grund der Liebe zu ihm lediglich die in der gleichen Seligkeit gründende Gemeinschaft ist. Zweites Kapitel D E R KOSMOS D E R G O T T E S L I E B E (Fr. 26) 26

Die Theologie des hl. Thomas a t m e t in hervorragendem Maße den Geist der Ordnung, m a n darf wohl sagen: mehr als bei irgendeinem andern der großen Denker u n d Theologen. Deshalb stellt er d e j Summe wider die Heiden u n d dem K o m m e n t a r zur Metaphysik des A r i s t o t e l e s das Wort v o r a n : Sapientis est ordinäre — „Sache des Weisen ist es, Ordnung zu stiften". So gewinnt er mit Hilfe der überzeitliche Gültigkeit beanspruchenden formalen u n d materialen Logik des Aristoteles, von der K a n t behauptet, sie habe bis heute keinen Schritt vor noch zurück t u n können, zunächst einen Durchblick durch die Grundweisen, in denen Seiendes ist, u n d schafft sich von da aus in der Ordnung der Wesenheiten gewissermaßen ein Koordinatensystem, in das er n u n die K u r ven der bewegten Welt einzeichnet. Die Urbewegung dieses Kosmos aber ist, wie wir gesehen haben, Liebe. U n d gerade diese Urbewegung m u ß sich, wenn sie den Kosmos nicht in ein wildes Chaos verwandeln soll, a n die durch Gottes Geist bestimmte Rangordnung der Wesenheiten halten. Thomas ist kein F r e u n d von Überschwemmungen. E r liebt das Meer u n d die großen Ströme, aber er möchte doch, daß sie in den ihnen vorgeschriebenen Grenzen bleiben. Sein Gott ist ein Gott der Ordnung, und so k a n n auch die Schöpfung Gottes nur ein Kosmos, ein Uni-versum, ein Werk vollendeter Ordnung sein. Die bewegende K r a f t in diesem Universum ist das Gute u n d der auf dieses ausgerichtete Wille des freien Geistes. Aber a u c h das Gute k a n n als solches nur verwirklicht werden in großen Ordnungen. Wille ist nicht Willkür, sondern die K r a f t , das Gute m i t s a m t s e i n e r O r d n u n g zu bejahen. Auch b e s t i m m t nicht der Wille, was gut ist — das wäre ein verhängnisvoller Kreisschluß, ein circulus vitiosus —, sondern das Gute ist ihm m i t s e i n e n O r d n u n g e n geistig vorgegeben; er h a t es nur zu verwirklichen. Auch die Liebe ist nicht wie ein uferloses Gewässer, das alle D ä m m e durchbrechen, alle Brücken überfluten dürfte. Auch die Liebe h a t ihre Ordnungen, auch das Herz h a t seine „Gesetze", sonst würde es sich u n d andere zugrunde lieben. Das ist der Sinn der vorliegenden Frage (vgl. Bd. 4 Anm. [14] S. 407f., bes. Absatz 3). Dabei wird nacheinander unser Verhältnis zu Gott, zum Nächsten u n d zu den Verwandten untersucht. 488

I. Die T a t s a c h e d e r O r d n u n g im G e g e n s t a n d s bereich der Gottesliebe (Art. 1) E s ist gewiß nicht zufällig, 1 daß Thomas gerade hier, wo es 26,1 sich u m die Ordnung der Liebe (vgl. 19, 11: Bd. 16) handelt, im Anderseits auf das Hohelied zurückgreift, das er im ganzen T r a k t a t über die Gottesliebe nur dreimal zitiert. Der Wein ist das Symbol der Liebe; so der Wunderwein auf der Hochzeit zu K a n a (Jo 2, 7ff.) u n d der Wein der Eucharistie (Jo 6, 56). W e n n es in der angezogenen Stelle h e i ß t : ordinavit in me caritatem, so h a t der Ausdruck ordinavit dort kaum im Lateinischen u n d sicher nicht im Hebräischen die Bedeutung von „ordnen". Vielmehr will der Ausdruck ganz schlicht besagen: „Er teilte mir Seine Liebe m i t . " Hebräisch: „Sein Banner über mir war die Liebe", d. h . : Seine Liebe war es, die mich führte. Das Prinzip, mit dem Thomas in der Antwort die Ordnung der Liebe begründet, h ä t t e schon im letzten Artikel der vorhergehenden Frage stehen können, der somit geradezu als Überleitung von der einen zur andern Frage gelten kann. I n der T a t bringt unser Artikel gegenüber dem vorhergehenden sachlich nichts Neues. Nur ist die Begründung der Ordnung, die sich aus dem verschiedenen Verhältnis zur Seligkeit ergibt, eine allgemeinere u n d daher grundsätzlichere. Doch gerade d i e s e Begründung mag dem, der die Grundstruktur des thomasischen Denkens nicht kennt, reichlich a b s t r a k t vorkommen. Wir wollen also versuchen, sie aus Thomas selbst etwas zu konkretisieren. 1 9 4 , 1 Zu 2 (Bd. 7; vgl. I - I I 5, 7: Bd. 9) sagt er: „ D e r g u t e W i l l e i s t d e r g e o r d n e t e W i l l e . " Die Liebe aber ist die Urbewegung des Willens wie die Urbewegung jeglicher K r a f t u n d Prinzip jeder weiteren Bewegung. 2 Gut wird der Wille dadurch, daß er das Gute liebt (vgl. I - I I 26, 3 Zu 3: Bd. 10); wenn also nur der geordnete Wille gut ist, d a n n m u ß er zuerst in seiner Liebe geordnet sein. D a Gott n u n „allen Wesen Seine Gutheit mitteilt, aber mit der Einschränkung, daß Seine Wahl eine gewisse Unterscheidung einschließt" (I 19, 4 Zu 1: Bd. 2), nämlich in der Werthöhe der mitgeteilten Gutheit, m u ß sich der Wille, soll er geordnet sein, in seiner Liebe nach der von Gott in den Dingen verwirklichten verschiedenen Werthöhe der Wesen richten. E r darf die Dinge nicht auf den Kopf stellen: das Minderwertige dem Wertvolleren nicht vorziehen, etwa u m des Sportes willen die F a milie vernachlässigen; u m des eigenen Lebensstandards willen das Leben des Ungeborenen, dem Zeitlichen das Ewige opfern; u m des höheren Gewinnes willen die Heiligkeit des Sonntags preisgeben. Wir sehen: Die Unordnung in der Liebe ist verhängnisvoller als jede andere Unordnung, eben weil die Liebe 1

Vgl. Petrus Lombardus, Sent. 3, 29 Anfang. Vgl. 17,8: Bd. 16; 1 2 0 , 1 : Bd. 2; 60,2; 62,2: Bd. 4; I-II 4, 3: Bd. 9; 25,1. 2. 3; 26, 2; 27, 4; 28, 6 ¿«