Die deutsche Thomas-Ausgabe. Band 24 Stände und Standespflichten: II–II: 183–189 [1. bis 4. Tausend, Reprint 2022 ed.] 9783112658123, 9783112658116


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German Pages 563 [564] Year 1952

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Table of contents :
VORWORT
EINLEITUNG
EINRICHTUNG UND BANDEINTEILUNG DER DEUTSCHEN THOMAS-AUSGABE
STÄNDE UND STANDESPFLICHTEN
183. FRAGE ÄMTER UND STÄNDE IM ALLGEMEINEN
184. FRAGE DER STAND DER VOLLKOMMENHEIT IM ALLGEMEINEN
185. FRAGE VON DEM, WAS ZUM STANDE DER BISCHÖFE GEHÖRT
186. FRAGE ÜBER DAS, WORIN DER ORDENSSTAND VORNEHMLICH GRÜNDET
187. FRAGE ÜBER DAS, WAS DEN ORDENSLEUTEN ZUSTEHT
188. FRAGE ÜBER DEN UNTERSCHIED DER ORDEN
189. FRAGE ÜBER DEN ORDENSEINTRITT
Anmerkungen
Kommentar
ANHANG I Der Bischof als Vollender
ANHANG II Aristotelischer Kurzkommenlnr
Nachträge und Berichtigungen
Literaturverzeichnis
Alphabetisches Namen- und Sachverzeichnis
Alphabetisches Autorenverzeichnis
Heilige Schrift
INHALTSÜBERSICHT
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Die deutsche Thomas-Ausgabe. Band 24 Stände und Standespflichten: II–II: 183–189 [1. bis 4. Tausend, Reprint 2022 ed.]
 9783112658123, 9783112658116

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D I E

D E U T S C H E

T H O M A S - A U S G A B E

Vollständige, ungekürzte deutsch-lateinische Ausgabe der S U M M A

T H E O L O G I C A

Übersetzt von DOMINIKANERN

UND

DEUTSCHLANDS

BENEDIKTINERN

UND

ÖSTERREICHS

Herausgegeben von der ALBERTUS-MAGNUS-AKADKMIK WALBERBERG

BEI

KÖLN

Hauptschriftleiter: P. H E I N R I C H

M. C H R I S T M A N N

2 4.

O. P.

BAND

19 5 2 GEMEINSCHAFTSVERLAG F. H. K E R L E HEIDELBERG-MUNCIIEN

ANTON

PUSTET

GRAZ-WIEN-SALZBURG

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STÄNDE UND S T A N D E S P F L I C H T E N

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1 9 5 2 GKMEINSCHAFTSVERLAG K. H . K E R L E HEIDELBERG-MÜNCHEN

ANTON

PUSTET

GRAZ-WIEN-SALZBURG

S ä m t l i c h e R e c h t e f ü r die d e u t s c h e und l a t e i n i s c h e Sprache und Ausgabe vorbehalten C o p y r i g h t 1952 by V e r l a g A n t o n P u s t e t , SalzburgG r a z - W i e n — F. H. K E R L E , M ü n c h e n - H e i d ' e l b e r g Das I m p r i m a t u r w u r d e e r t e i l t vom P r o v i n z i a l d e r n o r d d e u t s c h e n D o m i n i k a n e r p r o v i n z P. Dr. W u n i b a l d M. B r a c h t h ä u s e r O. P. u n d d e m F ü r s t e r z b i s c h ö f l i c h e n O r d i n a r i a t zu S a l z b u r g

SCHRIFTLEITER-KOLLEGIUM H a u p t s c h r i i t l e i t e r P. H e i n r i c h M. C h r i s t m a n n O. P., S. T h e o l . L e c t . — P. D r . E b e r h a r d W e l t y O. P., R e g e n s d e r A l b e r t u s - M a g n u s - A k a d e m i e zu W a l b e r b e r g . — P. Dr. A. F r i d o l i n ü t z O. P„ U n i v. - P r o f., F r e i b u r g, S c h w e i z . — P. B e r n w a r d D i e t s c h e O. P., S. T h e o l . L e c t . , W a l b e r b e r g bei Köln

1. b i s 4. T a u s e n d

Einbandentwurf Druck:

von

Prof. R u d o l l

Koch,

Universitäts-Buchdruckerei

Offenbach

„Styria",

Graz

VORWORT

Über dem Gesamtinhalt dieses Bandes, der zuletzt von nichts anderem handelt als von der bedingungslosen Nachfolge Christi, könnte das Wort dessen stehen, der mit höchstem, mit göttlichem Anspruch verlangt hat: sei euer L e h r e r . . . und e i n e r

„Einer

euer Meister: Christus!"

(Mt 23, 8. 10) — und noch das andere Wort dieses unseres einzigen Lehrers und Meisters: „Wer es fassen kann, der fasse e s ! " (Mt 19, 12).

Deshalb richtet sich Thomas in

diesem Bande auch nicht an die Vielen und Allzuvielen. auch unter denen, die sich Christen nennen, also doch zumindest Seine „Hörer" sein wollen, die es aber

„nicht

fassen können", das Wort von der bedingungslosen Nachfolge, auch nicht einmal theoretisch — (denn nicht alle können zur Praxis dieses Lebens berufen sein, aber sie sollten wenigstens verstehen, was Christus gewollt hat, als Er zu diesem Leben der bedingungslosen Nachfolge einlud) — sondern Thomas wendet sich mit seinem Meister Christus an die „kleine Herde" (Lk 12, 32) derer, die da „nicht vom Brote allein", sondern buchstäblich „von jedem Worte leben, das aus dem Munde Gottes kommt" ( M t 4 , 4 ) . Der „Mund Gottes" aber ist Christus.

Sie aber, die mit

der ganzen Inbrunst ihres hochgemuten Geistes zu dieser kleinen Herde gehören, „sie tragen die ganze Welt und sind edle Säulen der Welt" (Tauler).

Sie

Welt noch einmal

Sturz

in ihrem

rasenden

werden die auffangen.

Sonst keiner. So schreibt Thomas, wiewohl seine „Summa" Schulbuch ist und bleibt, auch und vor allem in diesem Bande gerade n i c h t „für die Schule, sondern für das L e b e n " ; er will nicht bloß wissenschaftliche,

er will gelebte

Theologie,

nicht bloße „Theorie der Nachfolge Christi", sondern v e r-

(5)

w i r k ] i c h t e N a c h f o l g e . Deshalb können wir dieses Vorwort nicht besser beschließen als mit dem gleichen Wunsche, mit dem Thomas diesen letzten Traktat des zweiten Buches, mit dem er dem gewaltigen Bau seiner theologischen Sittenlehre die Kreuzblume aufsetzt, beschlossen hat (S. 285): „Jenen aber, die dieses ,sanfte Joch' auf sich nehmen, verspricht der Herr die Erquickung der Freude in Gott, die ewige Ruhe unserer Seelen. Zu ihr möge uns führen Der, der sie uns verheißen: JESUS CHRISTUS, unser aller Herr, der da ist über alles GOTT —- gepriesen in Ewigkeit!" W a l b e r b e r g , im Februar 1952. Die

(6)

Schnftteitung.

E I N L E I T U N G

Gott der Herr ist meine Stärke. Kr sribt mir Füße gleich den Hirschen. Auf meine Gipfelhöhen führt mich der Siegreiche, daß I h m mein Saitenspiel ertöne. Hab (Vulgata) 3, 19.

Die Lehre von den Ständen, w i e sie Thomas entwirft, stellt den ersten wissenschaftlichen Traktat dieses Gebietes dar. Zwei Umstände sind es, die der vorliegenden Untersuchung eine letzte Vollkommenheit streitig machen. Der Kampf zwischen der allzu starren, ungesunden, fortschritthemmenden Statik des mittelalterlichen Ständegefüges und einer bindungslosen, subjektiver Willkür ausgelieferten Dynamik gärte während jenes Jahrhunderts auf allen Gebieten. Es ist erstaunlich, mit welcher Großzügigkeit und Sicherheit Thomas, ein Sprößling des Feudaladels, diese beiden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen hat. Der Freiheitsgedanke kommt zu seinem Recht in Kirche und Staat; demgegenüber wird die Unverbrüchlichkeit eingegangener Bindungen mit einer Festigkeit betont, die nur vom Vertrauen auf die Übermacht der Gnade getragen sein kann. Zunächst ist die Bemühung unverkennbar, das Fahrzeug der Untersuchung zwischen zwei Klippen hindurchzusteuern: zwischen der Skylla zu großer Gegenwartsbezogenheit einerseits, insofern die Rücksichtnahme auf den das Jahrhundert mit seinem Lärm erfüllenden Armutsstreit eine völlige Ausklammerung der Tagesfragen verbot, und der Charybdis allzu blasser Zeitlosigkeit, eines Schwebens in der reinen Theorie andererseits. So brennend die Verlockung war, kräftige Schläge gegen die maßlos gewordenen Mendikantengegner auszuteilen, Thonlas hat ihr in der Summa widerstanden und dem mehr als spröden Stoff trotz aller zeitbedingten und damals unvermeidlichen Einsprengsel ein Höchstmaß von Allgemeingültigkeit abgerungen, so nämlich, daß die Lehre von den kirchlichen Ständen heute noch ihre Gültigkeit bewahrt. Während in den Gelegenheitsschriften zum selben Thema der Lärm der Straße und die Aufregung der Hörsäle widerhallen, ist dieser Lärm in der Summa abgeklungen und nur noch wie das Geräusch einer fernen Brandung vernehmbar. Trotzdem

(V)

bleibt wahr: die geschichtlichen Umstände haben diesem Traktat gewaltsam eine Form aufgepreßt, in welche er gewiß nicht gegossen worden wäre, hätte Thomas die Muße besessen, abseits der Drangsale seines Jahrhunderts zu schreiben. So ist es wohl erklärlich, daß wir in der Summa keine Abhandlung über den Stand des Weltpriestertums finden; dieser Stand war als selbstverständlich vorausgesetzt wie auch der Stand der beschaulichen Orden, denen nur ein einziger Artikel gewidmet wird, während die gemischte oder überhöhte Lebensform — die hohe Mitte zwischen reiner Tätigkeit und reiner Beschauung — als umstürzende Neuerung von damals breiteste Behandlung findet. Das ist höchst bemerkenswert, denn damit hat Thomas die Linie C a s s i a n s und des A r e o p a g i t e n im Sinne einer bereits von B e n e d i kt u s angebahnten Milderung verlassen und das apostolische Ideal in den Vordergrund gerückt. Sodann ist die Lehre von den Ständen fest eingebettet in den größeren Zusammenhang der beiden Lebensstile — beschauliches und tätiges Leben als menschliche Daseinsformen — und ohne diese nicht zu verstehen. Gerade diese aber mußten aus Gründen der Bandeinteilung in Band 23 vorweggenommen werden. Die Ausführungen des vorliegenden Bandes 24 finden ihre letzte Einsichtigkeit nur im Rahmen der Grundidee des beschaulichen und tätigen Lebens. Es ging soeben die Rede vom spröden Stoff, den Thomas zu kneten und zu gestalten hatte. Wie schwierig die Angriffe der Mendikantengegner zu widerlegen waren, wird plastisch faßbar in dem Einwand des G e r h a r d v o n A b b 6 v i 11 e : Nach D i o n y s i u s seien die Bischöfe Vollender, da sie Vollendung spenden; Mönche die zu Vollendenden, da sie Vollendung suchen. Über diese sage der Hebräerbrief: „Was geringer ist, wird von dem, was besser ist, gesegnet" (Hb 7, 7). Also stehe der Stand der kirchlichen Würdenträger, welcher segnet und weiht, höher als der Stand derjenigen, welche gesegnet und geweiht werden. Waren die Einwände scheinbar durchschlagend, so bedurfte es großangelegter Aufrisse, gründlicher Axiomatik, feinster Unterscheidungen, sorgfältig ausgearbeiteter Vergleichungen unter allen denkbaren Gesichtspunkten, um Licht ins heillose Dunkel zu werfen, den Wahrheitskern der Einwände herauszuschälen und die Überschneidungen im Schichtengefüge geistiger Wirksamkeiten sichtbar zu machen. Man hat neuerdings mit gutem Recht die uralte Forderung nach aktualer Verkündigung wieder stärker betont,

(8)

derzufolge Leben und Lehre in eins fallen müssen, bevor die von sich aus abstrakte, der Gefahr der Kontaktlosigkeit ausgesetzte Verkündigung „anspricht", d. h. Kontakte schafft. Der Stand der überhöhten Lebensform ermöglicht einem jeden seiner Mitglieder den immer neu zu wagenden Versuch, aktuale Verkündigung zu leisten in einer nahtlosen Verschweißung der beiden Pole: Leben und Lehre. Wird freilich in diesem Stande das Wagnis nicht unternommen, dann bleibt vom Stande selbst nur ein leeres Gehäuse übrig, eine soziologische Kategorie, ein hohles Gerüst. Die Erfahrung zeigt, daß auch erhabenste Rahmengefüge für menschliches Hochstreben — wie es die Orden sind — ausgehöhlt werden können: „Wo große Klöster wie Gewänder um ungelebte Leben stehen" (Rilke). Und doch braucht das christliche Volk lebendige Mahnmale des Hochstrebens und fühlt die Lücken, wo sie fehlen. Das Gespür für aktuale Verkündigung ist im Volke so echt, die Sehnsucht nach ihr so groß, daß ihr ungeahnte Erfolge blühen, wo immer sie wirksam wird. Das hat K i e r k e g a a r d richtig gesehen. Etwa zu derselben Zeit, da der Wiederbegrün der des Predigerordens, L a c o r d a i r e , seinem Lande zurief: „Mönche und Eichen sind unsterblich", erwuchs dem großen Dänen aus ganz anderen Horizonten heraus eine Rechtfertigung des Mönchtums. So konnte K i e r k e g a a r d sagen: „Das Kloster ist ein wesentliches dialektisches Moment im Christlichen, darum müssen wir es auch draußen haben als ein Seezeichen, um zu sehen, wo wir s i n d . . . Aber wenn da wirklich in jeder Generation wahres Christentum ist, so müssen auch einzelne da sein, die diesen Drang h a b e n . . . Der Scheintod ist nicht so gefährlich, just weil er die Gefahr des Todes hat; aber Scheinleben ist das gefährlichste von a l l e m . . . " (Tagebücher 266). In demselben Sinne sagt er kurz darauf: „Öas Kloster war doch ein point de vue, um zu bestimmen, wo man war, ob man höhergestiegen war in Vollkommenheit als das Kloster oder rein in Weltlichkeit versunken. So ließ man das Kloster ausgehen und nun stolpern wir längst herum im Finstern, ohne zu wissen, wo wir sind, und all das Profane hat ein so brillantes Geschäft gemacht wie nie" (Tagebücher 454). Die glitzernde Scheinwirklichkeit, die man mondän „Leben" zu nennen beliebt, versinkt ins Wesenlose, sobald auch nur eine Ahnung des wahren Lebens uns überfällt; auch dies hat Kierkegaard unübertrefflich gezeichnet: „Und so tadelt man das Kloster, daß das aus dem Leben fliehen heiße — aber all seine Religiosität in einer stillen Stunde haben, einmal in der Woche,

(9)

und im übrigen konform sein mit der Weltlichkeit: das heißt denn doch noch mehr die Wirklichkeit fliehen" (Tagebücher 457). Das Streben nach Vollkommenheit rückt als besonderer Lebensinhalt wenigen Menschen ins Blickfeld, obwohl Christus forderte: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist" (Mt 5, 48). Viele lassen sich trotz grundsätzlicher Bejahung des Guten vom Gang der Ereignisse treiben. Sie erfüllen ihre Pflichten, vielleicht sogar gewissenhaft, aber nur im Gefolge des täglich anfallenden Pflichtensolls. Sie verhalten sich passiv in bezug auf die selbstmächtige Ergreifung der Vollkommenheit als bewußt erstrebtes Lebensziel. Daß es einen Stand geben könne, ja sogar müsse, der dieses Streben nicht nur ins Licht stellt, sondern einen Beruf daraus macht, kommt wenigen in den Sinn. Daß aber das Streben nach Vollkommenheit Lebensinhalt werden solle, der immer leidenschaftlicher bejaht, immer tatkräftiger verwirklicht wird, lehrt das Wort J e s u : „ D a s Himmelreich leidet Gewalt, und die Gewalt brauchen, reißen es an sich" (Mt 11, 12). Gewalt brauchen heißt: sich mit aller Überlegung, mit entschlossener Aufraffung, mit klarer Planung, ja sogar mit Einsatz der Kampfeskraft einem Ziel hingeben. So stellt der Jäger leidenschaftlich der Beute nach, so kämpft der Kaufmann mit allen Mitteln um Gewinn. Dieses Streben nach Vollkommenheit ist unendlich entfernt von pelagianischer Selbstsicherheit, von Werkgerechtigkeit; es ließe sich bezeichnen als die unerbittliche Entschlossenheit, ein immer gefügigeres Werkstück zu sein für die Hammerschläge des göttlichen Künstlers. Unser Traktat würde mißverstanden, wollte man nicht an dieser Stelle die Lehre von den Tugenden und Gaben einsetzen und ihren Horizont mitschauen. Die hier vertretene Lehre aber will, daß es zwar wohl eine Sphäre sittlichen Hochstrebens gibt, wo menschliche Kräfte im Verein mit der Gnade die Oberhand zu haben scheinen, daß aber das rührige Mitwirken mit der Gnade überdies ganz von selbst zu einer aufgeschlossenen, lebendigsten Passivität hinaufführt im Empfang der Gaben, welche ihrerseits erst ein kraftsprühendes — sei es verborgenes, sei es öffentliches — Apostolat ermöglichen. E s ist ganz gewiß von Thomas nicht nur beabsichtigt, daß die Lehre von den Ständen an den Schluß der besonderen Sittenlehre verlegt wurde, sondern viel mehr noch, daß die Lehre vom Ordensstand im besonderen als Gipfelpunkt menschlichen Hochstrebens die Krönung des gewaltigen zweiten Buches der Summa vornimmt. In einem

(10)

solchen Lebensgefüge ist nichts mehr dem Zufall überlassen; nicht mehr folgt die Lebensgestaltung — dem unbestimmten Spiele plätschernder Wellen gleich — nur äußeren Versuchungen und Notwendigkeiten, nur inneren Regungen und Leidenschaften. Alles ist dem höchsten Ziel in letzter Folgerichtigkeit unterstellt. So wird der Traktat vom Ordensstand gleichsam ein Hohes Lied der Zielstrebigkeit, in welcher ein Teil der Schöpfung und durch den Teil das Ganze zu ihrem Schöpfer hin zurückstrebt. Man möchte fast behaupten — und in einer übernatürlich aufgefaßten Moraltheologie ist es auch richtig so —, daß dieses Ende des zweiten Buches schon die Rückkehr zum ersten Ursprung, den Aufstieg zum höchsten Ziel, also das Urthema der theologischen Summe in glühender Liebe vorwegnimmt. Die ganze Tugendlehre des zweiten Buches wird gnadenhaft aufgestellt zu einer höchsten Verwirklichungsmöglichkeit der Tugenden überhaupt im Ordensstand. Der Ständetraktat der Summa birgt als kostbarste Frucht Kampf und Sieg um ein eigenes Ethos des Vollkommenheitsstrebens. Der Geist der Bergpredigt verdichtet sich in den Gelübden, welche die evangelischen Räte verfestigen zu einem unzerreißbaren Zusammenhang. So werden die Paradoxien des Christentums sichtbar. Die Unfruchtbarkeit wird fruchtbar in der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen: „Der die Unfruchtbare im Hause wohnen läßt als fröhliche Mutter von Kindern" (Ps 113 [112], 9). Der Gehorsam bringt Herrschaft: „Gott dem Herrn dienen heißt herrschen" (Missale Romanum) oder, wie S e u s e sagt: „In der kräftigsten Unterwerfung liegt die höchste Auferstehung". Armut bringt Reichtum: „Aus der Tiefe ihrer Armut ergoß sich doch ein reicher Strom von Mildherzigkeit" (2 Kor 8, 2). Was am meisten auffällt, ist gerade in diesem Traktat die sorgsame Wahrung des Primates der Liebe, die so weit geht, daß um seinetwillen nicht nur alles andere bis zur Lebensgestaltung des Mönchtums und des Einsiedleriums vorbehaltlos untergeordnet wird, sondern auch Zugeständnisse an die Gegner gemacht werden, soweit diese den Primat der Liebe mit Recht urgieren. Man könnte die noch von niemand in Angriff genommene „Theologie des heiligen Thomas" unter das strahlende Leitmotiv setzen: „ P r i m a t d e r L i e b e"; dieser reicht gefügemäßig, bei den Grundlagen, nämlich den metaphysischen Axiomen beginnend, durch Tugenden aller Art und Rangstufen hindurch aufsteigend in ununterbrochenem Zusammenhang bis hinauf zu den Gaben und Charismen, bis zum Hochgipfel des mystischen Lebens.

(11)

Weil der Primat der Liebe das allbeherrschende Regulativ für sämtliche Aufgaben sämtlicher Stände ist, darum kann trotz des Mangels einer eigenen Laientheologie (Näheres dazu in der Einleitung des Kommentars) nicht von einer Minderbewertung der Laienwelt gesprochen werden. Es verwundert uns bei Thomas, diesem mittelalterlichen Denker, daß seine Lösungen, so zeitbedingt immer sie gewesen sein mögen, doch fast nie in Widerspruch geraten zu großen Errungenschaften der späteren Theologie. So hat er auch hier den Raum ausgespart für die kommende Theologie des Laientums in der Quaestio: „Von der Vollkommenheit im allgemeinen"; er baut gleichsam den Sockel, auf dem sich die spätere Laientheologie erheben wird. Der vorliegende Traktat ist in einem ganz bestimmten Sinne unmodern. M a x P i c a r d hat die Zusammenhanglosigkeit oder die Diskontinuität des Menschen als Fluch der Gegenwart entlarvt, d. h. den Mangel an einheitlicher Durchordnung des Lebens in sich selbst, insofern ein Mensch unvereinbare Dinge nicht nur für vereinbar hält, sondern morgen nicht mehr weiß — wissen will? —, was er gestern verantwortlich getan hat. Hier schiebt unser Traktat einen mächtigen Riegel vor. Die Unwiderruflichkeit hoher Entschlüsse, durch welche man sich von dem begnadenden und rufenden Gott finden zu lassen bereit war für Zeit und Ewigkeit, wird über jeden Zweifel erhaben deutlich gemacht. Noch ein Wort zum Charakterbild des hl. Autors. Es ist bekannt, daß er ganz zurücktritt hinter seiner Lehre. Das Ethos der Sachlichkeit ist in der Summa so sehr auf die Spitze getrieben, daß die Nachfahren große Mühe haben zu erkunden, mit welchen Gegnern er sich abgibt. Und doch hat Thomas in dieser Abhandlung von den Ständen sein Eigenstes verraten. Er, der so scheu war, daß er sich selbst — seiner Lehre getreu — kaum je nannte, er, der sonst nie einen offenen Blick in sein Inneres freigibt, hat sich in diesem Traktat ganz enthüllt. Er hat seine eigene, kurz vorher entwickelte Lehre von den Kardinaltugenden und ihrer innigsten Verschränkung nicht nur theoretisch verwirklicht, sondern praktisch vorgelebt. Klugheit war es, die unerhört schwere Sichtung aller ungelösten Probleme seiner Zeit anzupacken und durchzuführen; Ger e c h t i g k e i t war es, das Recht bei den Gegnern, das Unrecht bei den Freunden unbestechlich auf die Waagschalen zu verteilen; T a p f e r k e i t forderte, alle die Gefahren und Mißstimmigkeiten auf sich zu nehmen, die mit der völligen Isolierung im Einstand f ü r unbequeme Wahr(12)

heiten verbunden waren; M a ß h a l t u n g gebot, die feinen Linien der Liebe in der Verteidigung wie im Angriff nie zu überschreiten. So steht er in der Verwirklichung der frohen Botschaft: „Befolgen u n d lehren" (Mt 5, 29). Das ist die Größe des Aquinaten, daß er seine Lehren im Vollzug seines Lebens entfaltet und zur Anschauung bringt; so eng ist die Verschmelzung von Hochbild und Haltung, von Theorie und Praxis. Hören wir ein letztes Mal Kierkegaard: „Es geht den meisten Systematikern im Verhältnis zu ihrem System, wie wenn ein Mann ein ungeheures Schloß baut und selber seitwärts in einer Scheune lebt, sie leben nicht selber in dem ungeheuren systematischen Bau. Aber in geistigen Verhältnissen ist und bleibt dies ein entscheidender Einwand. Geistig verstanden müssen eines Mannes Gedanken der Bau sein, worin er wohnt — sonst ist es verkehrt." Wir aber fügen hinzu: Die Summa war nicht nur ein Bau, in welchem er lebte; sie war auch ein Harnisch, in welchem er kämpfte; eine Waffenrüstung Gottes.

(13)

E I N R I C H T U N G UND B A N D E I N T E I L U N G DEUTSCHEN THOMAS-AUSGABE

DER

N'B.: Um den Leser auch bei Verlust des beiliegenden Lesezeichens über Einrichtung und Einteilung des Gesamtwerkes zu orientieren, geben wir beides jedem Bande an dieser Stelle bei. I. A U F B A U

DES

ARTIKELS

1. Die Titelfrage zum Artikel stammt nicht von Thomas selbst, sondern ist entnommen dem einleitenden Videtur quod non oder Videtur quod. 2. Auf die Titelfrage folgen mehrere, in der Thomas-Literatur als „Objectiones" bezeichnete Argumente, welche die Untersuchung einleiten. In der Übersetzung sind sie mit 1., 2., 3. usw.. bei Verweisen mit E. ( = Einwand) bezeichnet. 3. Im „Sed contra" sucht Thomas die den vorausgehenden Argumenten entgegengesetzte These zu begründen und erweist sich durch dieses lebendige Für und Wider, das er in seinen Quaestiones disputatae bis zu je 30 Argumenten für These und Anti-These ausweitet, als echter Aporetiker. Die Übersetzung leitet dieses „Sed contra" ein mit „Anderseits". 4. Mit „Respondeo dicendum" (in der Übersetzung: „Antwort") beginnt der Hauptteil des Artikels, der die eigentliche Lehre des hl. Thomas enthält. 5. Auf die Antwort folgt unter Ad primum, Ad s e c u n d u m . . . die Lösung der eingangs vorgebrachten Argumente. Sie führt oft den in der „Antwort" entwickelten Gedanken wesentlich weiter. Die Übersetzung leitet sie ein mit Zu 1., Zu 2. usw. 6. Die Angabe der Fundstelle erfolgt in der Übersetzung nur bei Schriftzitaten, und zwar in der heute üblichen Weise. Bei allen anderen Zitaten, in der Regel aus Autoren, die nur dem Wissenschaftler zugänglich sind, gibt die Übersetzung den Namen des Autors, der lateinische Text den Stellennachweis. Abkürzungs- und Literaturverzeichnis am Schluß des Bandes.

(14)

II. K 1 N T E I LU N G DKK -SUMMA T H E O L O G I C A I. BUCH Band Band

1. 2.

Frage Frage

1-14 -

13 26

Band Band Band Band

3. 4. 5. 6.

Frage Frage Frage Frage

27-44-65-75--

43 64 74 89

Band

7.

Frage

90-- 1 0 2

Band

8.

Frage 108--119

Gottes Dasein und Wesen. Gottes Leben; sein Erkennen und Wollen. Gott, der Dreifaltige. Schöpfung und Engelwelt. Das Sechstagewerk. Wesen und Ausstattung des Menschen. Erschaffung und Urzustand des Menschen. Erhaltung und Regierung der Welt.

I. T E I L DES II. BUCHES Band 9. Band 10. Band 11.

Frage Frage Frage

1-22 49--

Band 12. Band 13. Band 14.

Frage 71 - 89 Frage 90 - 1 0 5 Frage 106—114

Ziel und Handeln des Menschen. Die menschlichen Leidenschaften. Grundlagen der menschlichen Handlung. Die Sünde. Das Gesetz. Der Neue Bund und die Gnade.

21 48 70

I I . TEIL DES II. BUCHES Band Band Band Band Band Band Band Band Band

15. Frage 1-- 16 16. Frage 17-- 33 17. Frage 34-- 56 18. Frage 57-- 79 19. Frage 80-- 1 0 0 20. Frage 101--122 : 21. Frage 123--150 22. Frage 151--170 23. Frage 171 -182

Band 24.

Frage 183 -189

Band 25. Band 26.

Frage Frage

1-16--

Band 27. Band 28.

Frage Frage

35-- 45: 46— 59

Glaube als Tugend. Hoffnung; Liebe (1. Teil). Liebe (2. T e i l ) ; Klugheit. Gerechtigkeit. Die Tugend der Gottesverehrung. Tugenden des Gemeinschaftslebens. Starkmut und Mäßigkeit (1. Teil). Mäßigkeit (2. Teil). Besondere Gnadengaben und die zwei W e g e menschlichen Lebens. Stände und Standespflichten. I I I . BUCH

15. 34:

Die Menschwerdung Christi. Die Auswirkungen der Menschwerdung. Die Gottesmutter. Christi Leben. Christi Leiden und Erhöhung.

(15)

Band 29.

Frage

60— 72:

Band 30. Band 31.

Frage Frage

73— 83: 84— 90:

Die Sakramente. Taufe und Firmung. Das Geheimnis der Eucharistie. Das Bußsakrament.

ERGÄNZUNG ZUM I I I . BUCH (Supplement) (Band 31.) Frage Band 32. Frage

(Das Bußsakrament.) Schlüsselgewalt der Kirche. Ölung und Priesterweihe. Band 33. Frage 41— 54: Die Ehe (1. Teil). Band 34. Frage 55— 68: Die Ehe (2. Teil). Band 35. Frage 69— 87: Auferstehung des Fleisches. Band 36. Frage 88— 99: Die Letzten Dinge. 1. Zusatzband: Gesamtregister (Personen- und Sachverzeichnis für sämtliche Bände). 2. Zusatzband: Thomas-Lexikon (Wörterbuch der philosophischen und theologischen Fachausdrücke und Einführung in die Grundbegriffe des thomistischen Systems).

(16)

1— 16: 17— 40:

STÄNDE UND

STANDESPFLICHTEN

183. F R A G E

183, )

ÄMTER UND STÄNDE IM ALLGEMEINEN In der Folge [unserer Untersuchungen] ist die Verschiedenheit der menschlichen Stände und Ämter zu betrachten. Und zwar erstens der Ämter und Stände der Menschen im allgemeinen; zweitens im besonderen der Stand der Vollkommenheit. Zum Ersten ergeben sich vier Einzelfragen: 1. Was begründet einen ,Stand' unter Menschen? 2. Muß es unter den Menschen verschiedene Stände, bzw. verschiedene Ämter geben? 3. Die Verschiedenheit der Ämter. 4. Die Verschiedenheit der Stände. 1. A R T I K E L Bedeutet ,Stand' seinem Wesen nach die Grundverfassung von Freiheit oder Knechtschaft [1]? 1. .Stand' kommt von stehen. Von ,stehen' sprechen wir aber beim Menschen auf Grund der geraden Haltung. So heißt es Ez 2, 1: „Menschensohn, steh auf deinen Füßen gerade." Und Gregor der Große sagt: „Von jedem Stand der Geradheit fallen jene ab, die sich in schadenbringende Worte auslassen." Die geistige Geradheit aber gewinnt Q U A E S T I O CLXXXIII DE OFFICIIS ET STATIBUS HOMINUM IN GENERALI Consequenter considerandum est de diversitate statuum et officiorum humanorum. Et primo considerandum est de officiis et statibus hominum in generali; secundo, specialiter de statu perfectorum. Et circa primum quaeruntur quatuor: 1. Quid faciat in hominibus statum. — 2. Utrum in hominibus debeant esse diversi status sive diversa offlcia. — 3. De differentia officiorum. — 4. De differentia statuum. ARTICULUSI in s u i r a t i o n e i m p o r t e t condilibertatis vel Servitutis [3. Qlb G, 3; I'VS 23] AD PRIMUM sie proceditur. Videtur quod status in sui ratione non importet conditionem libertatis vel servitutis. Status enim a stando dicitur. Sed stare dicitur aliquis ratione rectitudinis; unde dicitur Ezech. 2: „Fili hominis, sta super pedes tuos", et Gregorius dicit, in 7 Moral, [cap. 17] : „Ab pi. omni statu rectitudinis depereunt qui per noxia verbs dila- 7 5 / 8 0 °c buntur." Sed rectitudinem spiritualem acquirit homo per hoc Utrum

1*

status tionem

3

183, i der Mensch dadurch, daß er seinen Willen Gott unterwirft. Deshalb sagt die Glosse zu Ps 33 (32), 1 ,Den Geraden ziemt Lobgesang': „Gerade sind jene, die ihr Herz lenken nach dem Willen Gottes" [2]. Also scheint der bloße Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes zur Bewandtnis des ,Standes' zu genügen. 2. Die Bezeichnung ,Stand' scheint Beständigkeit zu besagen, nach 1 Kor 15, 58: „Seid standhaft und beständig." So sagt auch Gregor: „Der Stein hat Würfelform und hat deshalb von jeder Seite her einen festen Stand, so daß er bei etwaiger Veränderung nicht fallen kann." Was aber zur Beständigkeit im Tun befähigt, ist Tugend (Aristoteles) [3]. Also scheint man aus jeder tugendhaften Tätigkeit einen ,Stand' zu gewinnen. 3. Der Name ,Stand' scheint zu einer gewissen Hoheit zu gehören. Denn man steht, sofern man sich in die Höhe richtet. Auf Grund der Verschiedenheit der Ämter aber ist der eine höher gestellt als der andere. Ebenso werden die Menschen durch verschiedenen Rang und verschiedene Weihe in eine höhere Stellung eingestuft. Also genügt die Verschiedenheit des Ranges oder der Weihe oder der Ämter zur Unterscheidung der Stände. ANDERSEITS heißt es in den Dekretalen: „Wenn jemand bei todeswürdigem Vergehen oder in einer Standessache Berufung einlegt, so soll das nicht durch Stellvertreter, sondern durch ihn selbst geschehen." Hier wird Q U A E s T I O 183, 1

quod subjicit suam voluntatem Deo: unde super illud Ps. 32 PL ,Rectos decet collaudatio', dicit Gloss. [ordin. Aug. et Lomb.]: 191^325 D » R e c t i s u n ' dirigunt cor suum secundum voluntatem Dei." Ergo videtur quod sola obedientia divinorum mandatorum sufflciat ad rationem status. 2. PRAETEREA, nomen status immobilitatem importare videtur, secundum illud 1 ad Cor. 15: „Stabales estote et immoPL biles." Unde Gregorius dicit, super Ezech. [homil. 21]: „Lapis 76/1044 D quadrus est, et quasi ex omni latere statum habet, qui casum in aliqua permutatione non habet." Sed virtus est quae facit „inuno1105 a 33 biliter operari", ut dicitur in 2 Eth. [cap. 3], Ergo videtur quod ex omni operatione virtuosa aliquis statum nanciscatur. 3. PRAETEREA, nomen ,status' videtur ad quamdam altitudinem pertinere: nam ex hoc aliquis etat quod in altum erigitur. Sed per diversa officia aliquis fit altior altero. Similiter etiam per gradus vel ordines diversos, diversimode homines in quadam altitudine constituuntur. Ergo 6ola diversitas graduum vel ordinum vel offlciorum sufficit ad diversificandum statum. Frdb. 1/481 SED CONTRA est quod in Decretis 2, q. 6 [cap. 40] dicitur: „Si quando in causa capdtali vel causa status interpellatum fuerit, non per exploratores, sed per seipsos est agendum":

4

offenbar ,Standessache' das genannt, was mit Freiheit oder 183,1 Knechtschaft zu tun hat [4]. Es scheint also nur das den ,Stand' des Menschen zu ändern, was mit Freiheit oder Knechtschaft zu tun hat. ANTWORT: ,Stand' im eigentlichen Sinne bezeichnet eine bestimmte Stellung, wonach jemand ausgerichtet ist nach der Weise seiner Natur, verbunden mit einer gewissen Beständigkeit. Es ist nämlich dem Menschen natürlich, daß er sein Haupt nach oben richtet, während er mit den Füßen fest auf dem Boden steht und die übrigen Glieder dazwischen entsprechend geordnet sind. Das ist aber nicht der Fall, wenn der Mensch liegt oder sitzt oder seine Mahlzeit einnimmt, sondern nur dann, wenn er aufrecht steht. Auch spricht man nicht von Stehen, wenn er sich bewegt, sondern wenn er stillsteht. Daher kommt es, daß man auch im Bereich der menschlichen Handlungen von einem Unternehmen sagt, es habe einen bestimmten Stand erreicht auf Grund der eigenen Planung, verbunden mit einer gewissen Beständigkeit oder Ruhe. Deshalb begründet unter Menschen das, was sich bei ihnen leicht ändert und rein äußerlich ist, keinen Stand; etwa daß einer reich oder arm, in Würden oder aus dem Volke ist oder anderes dergleichen. Daher heißt es auch im Bürgerlichen Recht, daß derjenige, der aus dem Senat [5] ausgestoßen wird, Q U A E S T I O 183, l

ubi ,causa status' appellatur pertinens ad libertatein vel 6ervitutem. Ergo videtur quod non variet 6tatum hominis nisi id quod pertinet ad libertatem vel 6ervitutem. RESPONDEO dicendum quod ,status', proprie loquendo, signiflcat quamdam positionis differential!! secundum quam aliquid i disponitur secundum modum suae naturae, cum quadam immobilitate. Est enim naturale homini ut caput ejus in superiora tendat, et pedes in terra flrmentur, et caetera membra media convenienti ordine disponantur: quod quidem non accidit si homo jaceat vel sedeat vel accumbat, sed solum quando erectus stat. Nec rursus stare dicitur si moveatur: 6ed quando quiescit. Et inde est quod etiam in ipsis humanis actionibus dicitur negotium aliquem statum habere secundum ordinem propriae dispositionis, cum quadam immobilitate seu quiete. Unde et circa homines, ea quae de facili circa eos variantur et extrinseca sunt, non constituunt statum, puta quod aliquis si.t dives vel pauper, in dignitate constitutum vel plebejus, vel si quid aliud est hujusmodi: unde et in Jure Civili 2 dicitur quod ei qui a senatu amovetur, magis dignitas quam status aufertur. 1 L: aliquis; P om: quam . . . secundum. 2 Dig., lib. 1, lit. 9, leg. 3 Senatorem et leg. 7 Emancipatum; Krüger iMOa.

5

183, i mehr die Würde als den Stand verliert. Sondern nur das scheint zum Stande des Menschen zu gehören, was seine Verpflichtung als Person ausmacht, sofern er nämlich eigenen oder fremden Rechtes ist; und zwar nicht nur vorübergehend, auf Grund einer geringfügigen und leicht zu behebenden Ursache, sondern auf Grund einer Dauereinrichtung. Und das gehört zur Bewandtnis von Freiheit oder Knechtschaft. ,Stand' hat es demnach eigentlich zu lun mit Freiheit oder Knechtschaft, sei es im geistlichen oder im bürgerlichen Bereich. Z u 1. Die gerade Haltung als solche gehört nicht zur Bewandtnis des Standes, sondern nur sofern sie dem Menschen natürlich ist, zugleich verbunden mit einer gewissen Ruhe. Deshalb ist auch bei den anderen Lebewesen nicht die gerade Haltung erfordert, um bei ihnen von Stehen sprechen zu können. Aber auch beim Menschen spricht man nicht schon dann von ,stehen', wenn er irgendwie aufgerichtet ist, sondern nur, wenn er stillsteht. Z u 2. Die Beständigkeit genügt nicht zur Bewandtnis des Standes; denn auch der Sitzende oder Liegende ist in Ruhe; und doch sagt man nicht, daß er stehe. Z u 3. Von ,Amt' spricht man mit Beziehung auf die Tätigkeit; von ,Rang' aber auf Grund der höheren oder niederen Stellung. Zu ,Stand' gehört jedoch die Beständigkeit in dem, was die Verfassung der Person ausmacht. QUAESTIO

183, i

Sed solum id videtur ad statum hominis pertinere quod respicit obligationem pensonae hominis: prout scilicet aliquis est 6ui juris vel alieni, et hoc non ex aliqua causa levi vel de facili mutabili, sed ex aliquo permanente. Et hoc est quod pertinet ad rationem libertatis vel servitutis. Unde status pertinet proprie ad libertatem vel servitutem, sive in spiritualibus sive in civilibus. AD PRIMUM ergo dicendum quod rectitudo, inquantum hujusmodi, non pertinet ad rationem status: sed solum inquantum est connaturalis homini, simul addita quadam quiete. Unde in aliis animalibus non requiritur rectitudo ad hoc quod stare dicantur. Nec etiam homines Stare dicuntur, quantumcumque 6int recti, nisi quiescant. AD SECUNDUM dicendum quod immobilitas non sufficit ad rationem status. Nam etiam sedens et jacens quiescunt: qui tarnen non dicuntur stare. AD TERTIUM dicendum quod officium dicitur per comparationem ad actum; gradus autem dicitur secundum ordinem superioritatis et inferioritatis; sed ad statum requiritur immobilitas in eo quod pertinet ad conditionem personae.

6

2. A R T I K E L Muß es in der Kirche eine Verschiedenheit Stände geben?

183, 2

der Ämter und

1. Verschiedenheit widerspricht der Einheit. Die Christgläubigen aber werden zur Einheit gerufen, nach Jo 17, 21 f.: „ . . . damit sie in Uns eins seien, wie auch Wir eins sind". Also darf es in der Kirche keine Verschiedenheit der Ämter und Stände geben. 2. Natur tut nicht durch Vieles, was sie durch Eines tun kann [6]. Die Wirksamkeit der Gnade aber ist viel geordneter als die der Natur. Es wäre also angemessener, wenn alles, was zur Tätigkeit in der Gnadenordnung gehört, duich dieselben Menschen ausgeführt würde, so daß es in der Kirche keine Verschiedenheit der Ämter und Stände gäbe. 3. Das Wohl der Kirche scheint vor allem im Frieden zu liegen, nach Ps 147, 3: „Er hat deinen Grenzen Frieden gewährt"; und 2 Kor 13, 11: „Haltet Frieden [untereinander], und der Gott des Friedens wird mit euch sein". Verschiedenheit aber hindert den Frieden, während Ähnlichkeit ihm günstig ist, nach Sir 13, 19: „Jedes Lebewesen liebt seinesgleichen"; und der Philosoph [Aristoteles] sagt im 7. Buch der Politik, daß schon eine geringQUAESTIO 183, * ARTICULUS

II

U t r u m in e c c l e s i a d e b e a t e s s e d i v e r s i t a s officiorum seu statuum AD SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod in Ecclesia non debeat esse diversitas officiorum vel statuum. Diversitas enim unitati repugnat. Sed fideles Christi ad unitatem vocantur: secundum illud Joan. 17: „Ut sint unum in nobis, sicut et nos unum sumus." Ergo in Ecclesia non debet esse diversitas officiorum vel statu am. 2. PRAETEREA, natura non facit per multa, quod potest per unum facere. Sed operatio gratiae est multo ordinatior quam operatio naturae. Ergo convenientius esset quod ea quae pertinent ad actus gratiae, per eosdem homines administrarentur, ita ut non esset in Ecclesia diversitas officiorum et statuum. 3. PRAETEREA, bonum Ecclesiae maxime videtur in pace consistere: secundum illud Ps. 147: „Qui posuit fines tuos pacem." Et 2 ad Cor. ult. dicitur: „Pacem habete: et Deus pacis erit vobiscum." Sed diversitas est impeditiva pacis, quam eimilitudo causare videtur: secundum illud Eccli. 13 „Omne animal diligit simile sibi." Et Philosophus dicit, in 5 Polit. [cap. 3], I3(3bi4

7

183,2 fügige Verschiedenheit im Staate zur Spaltung führen kann. Es scheint also, daß es in der Kirche keine Verschiedenheit der Stände und Ämter geben darf. ANDERSEITS heißt es Ps 45 (44), 10 zum Preise der Kirche: sie sei „umgeben von bunter Pracht". Wozu die Glosse bemerkt: „Die Königin", d. h. die Kirche, „ist geschmückt mit der Lehre der Apostel, dem Bekennertum der Märtyrer, der Reinheit der Jungfrauen und den Klageliedern der Büßer." ANTWORT: Die Verschiedenheit der Stände und Ämter in der Kirche bedeutet dreierlei: E r s t e n s die Vollkommenheit der Kirche selbst. Wie nämlich in der Ordnung der Naturdinge die Vollkommenheit, die sich in Gott in letzter Einfachheit und Gleichgestalt findet, in der Allheit der Geschöpfe nur in Vielgestalt und Mannigfaltigkeit sich finden kann, so ergießt sich auch die Fülle der Gnade, die in Christus als dem Haupte geeint ist, in verschiedener Weise [und verschiedenem Grade] auf Seine Glieder, damit der Leib der Kirche vollkommen sei. Das meint der Apostel, wenn er Eph 4, 11 f. sagt: „Die einen machte Er zu Aposteln, die anderen zu Propheten, andere wieder zu Predigern, andere zu Hirten und Lehrern für die Ausrüstung der Heiligen." Z w e i t e n s bedeutet sie die Notwendigkeit der Aufgaben, die in der Kirche unerläßlich sind. Zu verschieQUAESTIO

183, 2

quod modica differentia facit in civitate dissidium. Ergo videtur quod non oporteat in Ecclesia esse diversitatem ßtatuum et officiorum. SED CONTRA est quod in Ps. 44 in laudem Ecclesiae dicitur PL quod „est circumamicta varietate": ubi dicit Glossa [ordin. 1 70/324 c Cassiod.] quod „doctrina Apostolorum, et confessione Martyrum, et puritate Virginum, et lamento Poenitentium, ornatur Regina" (idest Ecclesia). RESPONDEO dicendum quod diversitas etatuum et officiorum in Ecclesia ad tria pertinet. Primo quidem, ad perfectionem ipsius Ecclesiae. Sicut enim in rerum naturalium ordine perfectio, quae in Deo simpliciter et uniformiter invenitur, in universitate creaturarum inveniri non potuit nisi difformiter et multipliciter; ita etiam plenitudo gratiae, quae in Christo sicut in capite adunatur, ad membra ejus diversimode redundat, ad hoc quod corpus Ecclesiae sit perfectum. Et hoc est quod Apostolus dicit, ad Ephes. 4: „Ipse dedit quosdam quidem Apostolos, quosdam autem Prophetas, alios vero Evangelistas, alios autem Paßtores et Doctores, ad consummationem sancto-

rum."

Secundo autem pertinet ad necesßitatem actionum quae sunt in* Ecclesia necessariae. Oportet autem ad diversas actiones

8

d e n e n A u f g a b e n a b e r m ü s s e n auch verschiedene Menschen 183,2 bestimmt w e r d e n , damit alles leichter u n d o h n e Unordnung d u r c h g e f ü h r t w e r d e n kann. U n d das meint der Apostel, w e n n er Rom 12, 4 f . schreibt: „Wie wir an einem L e i b e viele Glieder, nicht a b e r alle Glieder auch die gleiche Verrichtung h a b e n , so sind wir viele ein Leib in Christus." D r i t t e n s gehört das zur W ü r d e u n d Schönheit der Kirche, die in einer gewissen Ordnung liegt. So heißt es 3 Kg 10, 4 f., „ d a ß die Königin von Saba, als sie all die Weisheit Salomons sah u n d die W o h n u n g e n der Beamten u n d die Ordnungen der Dienerschaft, a u ß e r sich geriet". D e s h a l b sagt auch der Apostel 2 Tim 2, 20, daß „es -in einem großen H a u s e nicht n u r goldene u n d silberne, sond e r n auch hölzerne u n d i r d e n e G e f ä ß e gibt". Z u 1. Die Verschiedenheit der S t ä a d e u n d Ä m t e r hindert die E i n h e i t der Kirche nicht, weil diese durch die Einheit des Glaubens u n d der Liebe u n d der gegenseitigen Hilfeleistung gewährleistet ist; nach dem W o r t des Apostels E p h 4, 16: „Durch E i n e n w i r d der ganze Leib zusammengefügt", nämlich durch den Glauben, „und zusammengehalten", nämlich durch die Liebe, „durch j e d e s zur Dienstleistung b e s t i m m t e B a n d " , w e n n nämlich einer dem a n d e r e n dient. Z u 2. W i e die Natur nicht durch Vieles tut, was sie durch Eines tun k a n n , so zwingt sie a b e r auch nicht auf QUAESTIO

183, s

diversos homines deputari, ad hoc quod expeditius et 6ine confusione omnia peragantur. Et hoc est quod Apostolus dicit, ad Rom. 12: „Sicut in uno corpore multa membra habemus, omnia autem membra non eumdem actum habent: ita multi unum corpus sumus in Christo." Tertio hoc pertinet ad dignitatem et pulchritudinem Ecclesiae, quae in quodam ordine consistit. Unde dicitur, 3 Reg. 10, quod „videns Regina Saba omnem sapientiam Salomonis, et habitacula servorum et ordines ministrantium, non habebat ultra spiritum". Unde et Apostolus dicit, 2 ad Tim. 2, quod „in magna domo non solum sunt vasa aurea et argentea, 6ed et lignea et fictilia". AD PRIMUM ergo dicendum quod diversitas statuum et officiorum non impedit Ecclesiae unitatem, quae perficitur per unitatem fidei, et charitatis et mutuae subministrationis: secundum illud Apostoli, ad Ephes. 4: „Ex quo totum corpus est compactum", scilicet per fidem „et connexum", scilicet per charitatem, „per omnem juncturam subministrationis", dum scilicet unus alii servit. AD SECUNDUM dicendum quod sicut natura non facit per multa quod potest facere per unum, ita etiam non coarctat in unum 2 24

9

183,2 Eines zusammen, wozu Vieles erforderlich ist; nach dem Wort des Apostels 1 Kor 12, 17: „Wenn der ganze Leib Auge ist, wo bleibt dann das Gehör?" Deshalb mußten in der Kirche, „die der Leib Christi ist" [Eph 1, 23], die Glieder unterschieden werden nach der Verschiedenheit der Ämter, der Stände und der Rangstufen. Z u 3. Wie im Naturkörper die verschiedenen Glieder zur Einheit verbunden sind in der Kraft des lebenspendenden Hauches, bei dessen Schwinden die Glieder auseinanderfallen, so wird auch in der Kirche der Friede in den verschiedenen Gliedern gewahrt durch die Kraft des Heiligen Geistes, der den Leib der Kirche lebendig macht, wie es Jo 6, 64 heißt. Deshalb sagt der Apostel Eph 4, 3: „Seid bestrebt, die Einheit des Geistes zu bewahren durch das Band des Friedens." Es fällt aber einer dadurch von dieser Einheit des Geistes ab, daß er das Eigene sucht [1 Kor 10, 24; 13, 5 ] ; wie auch im irdischen Staat der Friede schwindet, wenn die einzelnen Bürger „das Ihrige suchen" [Phil 2, 21]. So wird im Gegenteil durch die Verschiedenheit der Ämter und Stände der Friede sowohl des Geistes wie des bürgerlichen Gemeinwesens besser gewahrt, sofern dadurch Viele an den öffentlichen Angelegenheiten beteiligt sind. Deshalb sagt auch der Apostel 1 Kor 12, 24 f., daß „Gott den Leib so ausgewogen hat, daß keine Spaltung im Leibe auftreten kann, sondern alle Glieder füreinander Sorge tragen". QUAESTIO

183, *

id ad quod multa requiruntur: secundum illud Apostoli, 1 ad Cor. 12: „Si totum corpus oculus, ubi auditus?" Unde et in Ecclesia, „quae est corpus Christi" [ad Eph. 1], oportuit membra diversificari secundum diversa offlcia, status et gradus. AD TERTIUM dicendum quod sicut in corpore naturali membra diversa continentur in unitate per virtutem spiritus viviflcantis, quo abscedente, membra corporis separantur; ita etiam in corpore Ecclesiae conservatur pax diversorum membrorum virtute Spiritus Sancti, qui corpus Ecclesiae vivificat, ut habetur Joan. 6. Unde Apostolus dicit, ad Eph es. 4: „Solliciti servare unitatem spiritus in vinculo pacis." Discedit autem aliquis ab hac unitate spiritus dum quaerit quae sibi sunt propria: sicut etiam in civitate terrena pax tollitur ex hoc quod cives singuli „quae sua sunt quaerunt". Alioquin, per officiorum et statuum distinctionem tarn mentis quam in civitate terrena magis pax conservatur: inquantum per haec plures sunt qui communicant actibus publicis. Unde et Apostolus dicit, 1 ad Cor. 12, quod „Deus sie temperaviti ut non sit schisma in corpore, sed pro invicem sollicita sint membra". i P add: nos.

10

3. Werden

die Ämter

183, 3

A R T I K E L

durch die Obliegenheiten

unterschieden?

1. In den Obliegenheiten d e r Menschen gibt es unendlich viele Verschiedenheiten, sowohl im geistlichen w i e im weltlichen Bereich. Bei unendlich vielen kann es aber keine sichere Unterscheidung geben. A l s e kann der Unterschied in den Obliegenheiten keine sichere Unterscheidung der menschlichen Ä m t e r gewährleisten. 2. Tätiges und beschauliches L e b e n unterscheiden sich durch ihre j e w e i l i g e n Obliegenheiten (179, 1: Bd. 23). D i e Unterscheidung der Ä m t e r scheint aber verschieden von der Unterscheidung der Lebensweise. Also werden die Ämter nicht unterschieden durch ihre Obliegenheiten [ 7 ] . 3. Auch die kirchlichen W e i h e n werden ebenso w i e die Stände und Rangstufen durch ihre Obliegenheiten unterschieden. W e n n daher d i e Ä m t e r durch ihre Obliegenheiten unterschieden werden, folgt daraus, w i e es scheint, daß dieselbe Unterscheidung für die Ä m t e r , die Rangstufen und die Stände gilt. A N D E R S E I T S sagt Isidor im Buche „ Ü b e r den Ursprung der W ö r t e r " : „ W e r k [ = A m t ] kommt von Wirken, gleichsam als Wirkung, w o b e i um der Schönheit der Sprache willen nur e i n Buchstabe geändert ist" [ 8 ] . Q Ü A E S T I O 183, s ARTICULUS Utrum

officia

III

distinguantur

per

actus

AD TERTIUM sie proceditur. Videtur quod officia non distinguantur per actus. Sunt enim infinitae diversitates humanorum actuum, tarn in spiritualibus quam in temporalibus. Sed infinitorum non potest esse certa distinetio. Ergo per diversitates actuum non potest esse humanorum officiorum certa distinetio. 2. PRAETEREA, vita activa et contemplativa secundum actus distinguuntur, ut dictum est. Sed alia videtur esse distinetio officiorum a distinetione vitarum. Non ergo officia distinguuntur per actus. 3. PRAETEREA, ordines etiam ecclesiastici et status et gradus per actus distingui videntur. Si ergo officia distinguantur per actus, videtur sequi quod eadem sit distinetio officiorum, graduum et statuum. Hoc autem est falsum: quia diversimode in suas partes dividuntur. Non ergo videtur quod officia distinguantur per actus. SED CONTRA est quod dicit Isidoras, 6 Etymol. [cap. 19], PL quod „officium ab efficiendo est dictum, quasi efficium, propter 82/252 decorem sermonis una mutata littera". Sed efficere pertinet ad actionem. Ergo officia per actus distinguuntur. 2*

11

A

183,3

ANTWORT: Die Verschiedenheit unter den Gliedern der Kirche ist auf drei Dinge hin geordnet: auf die Vollkommenheit, auf die Tätigkeit und auf die Schönheit (Art. 2). Nach diesen drei Gesichtspunkten läßt sich eine dreifache Unterscheidung in der Verschiedenheit der Gläubigen finden. Die e i n e unter dem Gesichtspunkte der Vollkommenheit. Und daraus ergibt sich die Unterscheidung der Stände, sofern nämlich die einen vollkommener sind als die andern. — Die z w e i t e Unterscheidung ergibt sich unter dem Gesichtspunkt der Tätigkeit. Und das ist die Unterscheidung der Ämter; von denen nämlich, welche für verschiedene Tätigkeiten ausersehen sind, sagt man, sie hätten verschiedene Ämter. — Die d r i t t e schließlich ergibt sich aus dem Gesichtspunkt der kirchlichen Schönheit. Und daraus folgt die Unterscheidung der Rangstufen, sofern nämlich im selben Stande oder im selben Amt der eine eine höhere Stellung hat als der andere. Daher heißt es Ps 48 (47), 4 nach einer anderen Lesart [9]: „Gott hat sich kundgemacht in ihren Rangstufen." Z u 1. Die stoffbestimmte Verschiedenheit der menschlichen Obliegenheiten ist unendlich und nach ihr erfolgt die Unterscheidung der Ämter nicht, sondern nach der formalen Verschiedenheit, die sich aus den verschiedenen A r t e n der Obliegenheiten ergibt; und in dieser Beziehung sind die menschlichen Obliegenheiten nicht unendlich viele. Q U A E S T I O 183, j

RESPONDEO dicendum quod, sicut dictum est, diversitas in membris Ecclesiae ad tria ordinatur: scilicet ad perfectionem, actionem et decorem. Et secundum haec tria, triplex distinctio diversitatis fldelium accipi potest. Una quidem, per respectum ad perfectionem. Et secundum hoc accipitur difierentia statuum, prout quidam sunt aliis perfectiores. — Alia vero distinctio accipitur per respectum ad actionem. Et haec est distinctio officiorum: dicuntur enim in diversis offlciis esse qui sunt ad diversas actiones deputati. — Alia autem, per respectum ad ordinem pulchritudinis ecclesiasticae. Et secundum hoc accipitur difierentia graduum: prout scilicet. etiam i in eodem statu vel officio, unus est alio superior. Unde et in Ps. 47 dicitur, secundum aliam litteram: „Deus in gradibus ejus cognoscetur." AD PRIMUM ergo dicendum quod materialis diversitas humanorum actuum est infinita. Et secundum hanc non distinguuntur officia; sed secundum formalem diversitatem, quae accipitur secundum diversas species actuum; secundum quam actus hominis non sunt infiniti. ' P: om.

12

Z u 2. Von ,Leben' spricht man beziehungslos [10]. 183,3 Daher ergibt sich eine Verschiedenheit der Lebensweisen nach den verschiedenen Tätigkeiten, die dem Menschen an sich zukommen. Aber die Wirkweise, von der der Ausdruck ,Werk' (— Amt) genommen ist (Anderseits), bedeutet eine Tätigkeit, die auf anderes zieli (Aristoteles). Daher werden die Ämter eigentlich nach den Tätigkeiten unterschieden, die sich auf andere erstrecken. So heißt es vom Lehrer oder vom Richter usw., daß er ein Amt habe. Daher sagt Isidor, das Amt bestehe darin, „daß ein jeder das tut, was keinem hinderlich ist", d. h. schadet, „sondern allen zum Nutzen ist". Z u 3. Die Verschiedenheit der Stände, Ämter und Rangstufen wird von verschiedenen Gründen hergeleitet (Antwort). Es kommt aber vor, daß diese drei im selben Träger zusammenfallen; wenn z. B. jemand einen höheren Auftrag erhält, erhält er zugleich ein Amt und eine Rangstufe. Und darüber hinaus unter Umständen den Stand der Vollkommenheit, wegen der Erhabenheit des Tuns, was offenbar beim Bischof der Fall ist. Die kirchlichen Weihen aber werden in besonderer Weise unterschieden nach den göttlichen Obliegenheiten. So sagt nämlich Isidor: „Es gibt viele Arten von Ämtern; das bedeutendste aber ist jenes, das sich mit den heiligen und göttlichen Dingen beschäftigt." QUAESTIO 183, » AD SECUNDUM dicendum quod vita dicitur absolute; et ideo diversitas vitarum accipitur secundum diversos actus qui conveniunt homini secundum seipsum: sed efficientia, a qua sumitur nomen „officii", ut dictum est, importai actionem tendentem in aliud, ut dicitur in 9 Metaphys. Et ideo officia distinguuntur loso a 30 proprie secundum actus qui referuntur ad alios: sicut dicitur doctor habere officium, vel judex, et sie de aliis. Et ideo Isi- PL dorus dicit quod officium est, „ut quisque ilia agat quae nulli «2/252 A officiant", idest noceant, „sed prosint omnibus". AD TERTIUM dicendum quod diversitas statuum, officiorum et graduum secundum diversa sumitur, ut dictum est in corpore. Contingit tamen quod ista tria in eodem concurrant: puta, cum aliquis deputatur ad aliquem actum altiorem, simul ex hoc habet et officium et gradum; et ulterius quemdam perfectionis statum, propter actus sublimitatem, sicut patet de Episcopo. Ordines autem ecclesiastici specialiter distinguuntur secundum divinai officia : dicit enim Isidoras, 6 Etymol. [1. c.] : „Officiorum plurima sunt genera: sed praeeipuum illud est quod in sacris divinisque rebus habetur." 1

P: diversa.

13

4. A R T I K E L

4

Bezieht sich der Unterschied der /Stände auf die Anfangenden, die Fortgeschrittenen und die Vollendeten? 1. „Bei gattungsverschiedenen Dingen sind auch die Arten und Unterschiede verschieden" [11]. Nach dem Unterschied von Anfangenden, Fortgeschrittenen und Vollendeten werden aber die Grade der Liebe eingeteilt, wie wir oben (24, 9: Bd. 16) gesehen haben, als von der Liebe die Rede war. Es scheint also, daß man danach den Unterschied der Stände nicht annehmen darf. 2. Der Stand geht auf die Grundverfassung von Knechtschaft oder Freiheit (Art. 1). Diese scheint aber nichts zu tun zu haben mit dem besagten Unterschied von Anfangenden, Fortschreitenden und Vollendeten. Also ist es nicht angemessen, die Stände nach diesen dreien zu unterscheiden. 3. Die Anfangenden, Fortschreitenden und Vollendeten scheinen sich [nur] zu unterscheiden durch ein Mehr oder Weniger. Das scheint jedoch eher zur Bewandtnis der Rangstufen zu gehören. Nun ist aber die Einteilung der Rangstufen eine andere als die der Stände (Art. 3). Also ist es nicht angemessen, den Stand zu unterscheiden nach Anfangenden, Fortgeschrittenen und Vollendeten. (} U A E S T I O 183,
s a pientiae intelligere non in abstinendo nec in manducando esse justitiam: sed in aequanimitate tolerandi inopiam." Unde et Apostolus dicit ad Philipp. 4: „Scio abundare et penuriam pati." Ad hoc autem maxime tenentur episcopi quod omnia sua pro honore Dei et salute sui gregis contemnant, cum opus fuerit, vel pauperibus sui gregis largiendo, vel „rapinam bonorum suorum cum gaudio sustinendo", ad Hebr., cap. 10.

48

Zu 2. Daß die Bischöfe auf das bedacht sind, was zur 184,7 Nächstenliebe gehört, gerade das kommt von ihrer überströmenden Gottesliebe. Deshalb fragte der Herr den Petrus zuerst, ob er Ihn liebe, und dann erst übertrug Er ihm die Sorge für die Herde [Jo 21, 15 ff.]. Und Gregor sagt: „Wenn die Sorge des Hirten ein Zeugnis seiner Liebe ist, so wird jeder, der sich weigert, die Herde Gottes zu' weiden, trotz seiner Tugenden [35] überführt, daß er den höchsten Hirten nicht liebt." Das jedenfalls ist Zeichen größerer Liebe, wenn man um des Freundes willen auch einem anderen dient, als wenn man nur dem Freunde dienen will. Z u 3. W i e Gregorius sagt, „soll der Bischof in der Tätigkeit vorzüglich, aber allen voran der Beschaulichkeit hingegeben sein", denn nicht nur ihrer selbst wegen, sondern auch um der Unterweisung der anderen willen müssen sie die Beschauung üben. Deshalb sagt derselbe Gregorius: „Von den vollkommenen Männern, die aus der Beschauung [zur Tätigkeit] zurückkehren, heißt es: ,Vom Andenken Deiner Lieblichkeit werden sie erzählen' [Ps 145 (144), 7]." QUAESTIO

184, i

A D S E C U N D U M dicendum quod hoc ipsuin quod episcopi intendunt his q u a e pertinent ad p r o x i m o r u m dilectionem, provenit e x abundantia dilectionis d i v i n a e . U n d e Dominus primo a P e t r o quaesivit an eum diligeret, et postea ei g r e g i s curam commisit. Et G r e g o r i u s dicit in Pastoral. [part. 1, cap. 5 ] : „ S i dilectionis est testimonium cura pastoralis, quisquis, virtutibus pollens, g r e g e m D e i renuit pascere, Pastorem summum convincitur non a m a r e . " Hoc autem est m a j o r i s dilectionis Signum, ut homo p r o p t e r a m i c u m etiam a l i i serviat, quam etiam si soli amico v e l i t s e r v i r e . A D T E R T I U M dicendum quod, sicut Gregorius dicit in Pastoral. [part. 2, cap. 1 ] : „ S i t praesul actione praecipuus, p r a e cunctis contemplatione suspensus": quia ad ipsos pertinet non solum p r o p t e r seipsos, sed etiam p r o p t e r instructionem aliorum contemplari. U n d e G r e g o r i u s dicit, super Ezech. [hom. 5 ] quod „ d e p e r f e c t i s viris post contemplationem suam redeuntibus dicitur [Ps. 1 4 4 ] : M e m o r i a m suavitatis tuae eructabunt."

49

PL 77/19 A

PL 77/26 D sq. PL 76/826 B

184, 8

8. A R T I K E L Haben die Seelsorgspriester und Archidiakone höhere Vollkommenheit als die Ordensleute

eine [36]?

1. Chrysostomus sagt in seinem Dialog [„Über das Priestertum"]: „Wenn du mir auch einen solchen Einsiedler zeigen würdest, wie es, um eine Übertreibung zu gebrauchen, Elias war: Auf keinen Fall ist er dem zu vergleichen, der sich ganzen Volksmassen widmen muß und die Sünden vieler zu ertragen sich genötigt sieht, aber dennoch dabei fest und standhaft bleibt." Und ein wenig später sagt er: „Wenn man mich vor die Wahl stellte, wo ich lieber wäre, im Amte eines Priesters oder in der Einsamkeit der Mönche, ich würde, ohne erst einen Vergleich anzustellen, das Erstere wählen." Und im selben Buche sagt er: „Vergleicht man mit der gewissenhaften Verwaltung des Priestertums die Mühen jenes", nämlich des mönchischen „Lebens, so wird man einen so großen Abstand finden, wie zwischen dem König und einem Privatmann." Es scheint also, daß die Seelsorgspriester vollkommener sind als die Ordensleute. 2. Augustinus schreibt im Brief an [Bischof] Valerius: „Deine Weisheit möge bedenken, daß es in diesem Leben, und besonders zu unserer Zeit, nichts Schwierigeres, Mühsameres und Gefahrvolleres gibt als das Amt eines Bischofs, QUAESTIO 184, » A R T I C U L U S VIII Utrum p r e s b y t e r i c u r a t i et a r c h i d i a c o n i niajoris perfectionis quam religiosi

sint

[3. Qlb 6, 3; PVS 20—24; Mt 19]

PG ^ffläB PG 48/683 c PG 48,682 B

PL33/88 B

AD OCTAVUM sie proceditur. Videtur quod etiam presbyteri curati et archidiaconi sint majoris perfectionis quam religiosi. Dicit enim Chrysostomus in suo Dial. [lib. 6 de Sacerdot., cap. 4 et 7] : „Si talem mihi aliquem adducas monac lulT1 ' QUäl'Si u t secundum exaggerationem dicam, Elias fuit: non tarnen iIli comparandus est qui, traditus populis et multorum peccata ferre compulsus, immobilis perseverai et fortis." Et parum post dicit [cap. 7] : „Si quis mihi proponeret oplionem ubi mallem piacere, in officio sacerdotali an in solitudine inonachorum : sine comparatione eligerem illud quod prius dixi." Et in eodem libro [cap. 5] dicit: „Si quis bene administrato sacerdotio illius propositi, scilicet monachalis, sudores conferat, tantum eos distare reperiet quantum inter privatum distat et regem." Ergo videtur quod sacerdotes habentes curam animarum sint perfectiores religiosis. 2. PRAETEREA, Augustinus dicit in Epist. ad Valerium [epist. 21]: „Cogitet religiosa prudentia tua nihil esse in hac vita, et maxime hoc tempore, difficilius, laboriosius, periculosius

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Priesters oder Diakons; anderseits aber auch nichts Glück- 184,8 seligeres vor Gott, so man nur kämpft, wie unser Feldherr befiehlt." Also sind die Ordensleute nicht vollkommener als die Priester und Diakone. 3. „Es ist sehr zu bedauern, wenn wir die Mönche zu einem derart verderblichen Stolz aufblähen und die Geistlichen solch schwerer Schmach würdig erachten", daß man nämlich sagt, ,ein schlechter Mönch sei immer noch ein guter Geistlicher', „da zur Zeit auch ein guter Mönch kaum einen guten Geistlichen abgibt" (Augustinus). Kurz vorher sagt Augustinus, „man solle den Dienern Gottes", d. h. den Mönchen, „keinen Weg eröffnen, daß sie sich leichter zu etwas Besserem", nämlich zum geistlichen Stande, „auserwählt glauben möchten, wenn sie [zuvor] etwas Geringeres geworden seien", indem sie nämlich das Mönchtum ablegen. Es scheint also, daß diejenigen, die sich im geistlichen Stande befinden, vollkommener sind als die Ordensleute. 4. Es ist nicht erlaubt, vom höheren Stande zum niederen überzugehen. Nun darf man aber vom Mönchsstande zum Stande des Seelsorgspriesters übergehen, wie das erhellt aus einer Bestimmung des Papstes Gelasius, welcher sagt: „Wenn einer Mönch gewesen ist und sich durch ein ehrwürdiges Leben verdient gemacht hat und daraufhin des Priestertums für würdig erachtet wird, — und der Abt, unter dessen Leitung er für den König Christus gekämpft hat, bittet, ihn zum Priester zu machen, so muß Q U A E S T I 0

184, »

episcopi aut presbyteri aut diaconi officio: sed apud Deuin nihil beatius, si eo modo militet quo noster Imperator jubet." Non ergo religiosi sunt perfectiores presbyteris, aut diaconis. 3. PRAETEREA, Augustinus dicit ad Aurelium [epist. 60] : „Nimis dolendum est, si ad tarn ruinosam superbiam monachos subripimus, et tarn gravi contumelia clericos dignos putamus", ut scilicet dicatur quod „malus monachus bonus clericus est"; „cum aliquando bonus etiam monachus vix bonum clericum faciat". Et paulo ante praemittit „non esse viam dandam servis Dei", idest monachis, „ut se facilius putent eligi ad aliquid melius" scilicet clericatum, „si facti fuerint deteriores", scilicet abjecto monachatu. Ergo videtur quod illi qui sunt in statu clericali, sint perfectiores religiosis. 4. PRAETEREA, non licet de statu majori ad minorem transire. Sed de statu monastico transire licet ad officium presbyteri curam habentis: ut patet 16, q. 1 [cap. 28] ex decreto Gelasii Papae, qui dicit: „Si quis monachus fuerit qui, venerabilis vitae merito, sacerdotio dignus videatur, et Abbas 6ub cujus imperio Regi Christo militat, illum fieri presbyterum petierit: ab epi-

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PL 33/228 A

PL 33/227 D

Frdb. 1/768

184, 8 ¿ e r Bischof ihn annehmen und ihn an dem Orte weihen, wo er es für gut erachtet." Und Hieronymus schreibt an den Mönch Rustikus: „Lebe im Kloster so, daß du Geistlicher zu sein würdig werdest." 5. Die Bischöfe sind in einem vollkommeneren Stande als die Ordensleute (Art. 7). Nun sind aber die Seelsorgspriester und die Archidiakone deshalb, weil sie die Sorge für Seelen haben, den Bischöfen näher als die Ordensleute. Also haben sie auch höhere Vollkommenheit. 6. „Die Tugend geht auf das Schwierige und das Gute" (Aristoteles). E s ist aber schwieriger, ein gutes Leben zu führen im Amt des Seelsorgspriesters oder des Archidiakons als im Ordensstande. Also sind die Seelsorgspriester und die Archidiakone an Tugenden vollkommener als die Ordensleute. ANDERSEITS heißt es in den Dekretalen: „Wenn einer in seiner Kirche unter der Leitung des Bischofs seine Gemeinde behält und als Weltpriester lebt und will nun, vom Heiligen Geiste getrieben, in einem Kloster oder als regulierter Chorherr seinem Seelenheile leben — weil er vom eigenen privaten Gesetz geführt wird, ist kein Grund vorhanden, ihn durch ein öffentliches Gesetz zurückzuhalten." Nun wird aber keiner durch das Gesetz des Heiligen Geistes, was hier ,Privatgesetz' genannt wird, geführt, es sei denn zu etwas, was vollkommener ist. Also scheinen QUAESTIO 184, » PL C22/1082

1106 a 9

Frdb. 1/840

scopo debet eligi, et in loco quo judicaverit ordinari." Et Hieronymus dicit, ad Rusticum Monachum [epist. 125] : „Sic vive in monasterio ut clericus esse merearis." Ergo presbyteri curati et archidiaconi sunt perfectiores religiosis. 5. PRAETEREA, episcopi sunt in statu perfection quam religiosi, ut ex supra dictis patet. Sed presbyteri curati et archidiaconi, ex eo quod habent curam animarum, similiores sunt episcopis quam religiosi. Ergo sunt majoris perfectionis. 6. PRAETEREA, „virtus consistit circa difficile et bonum", ut dicitur in 2 Eth. [cap. 2], Sed difficilius est quod aliquis bene vivat in officio presbyteri curati vel archidiaconi quam in statu religionis. Ergo presbyteri curati vel archidiaconi sunt perfections virtutis quam religiosi. SED CONTRA est quod dicitur 19, q. 2 [cap. Duae] : „Si quis in ecclesia sua sub episcopo populum retinet et saeculariter vivit, si afflatus Spiritu Sancto, in aliquo monasterio vel regula canonica salvare se voluerit: quia lege privata ducitur, nulla ratio exigit ut publica constringatur." Sed non ducitur aliquis a lege Spiritus Sancti, quae ibi dicitur „lex privata", nisi in

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die Ordensleute vollkommener zu sein als die Archidia- 184, 8 kone und Seelsorgspriester. A N T W O R T : Der Vergleich, bei dem nach der Überlegenheit unter mehreren gefragt wird, hat keinen Sinn in bezug auf das, worin sie übereinkommen, sondern nur in bezug auf das, worin sie sich unterscheiden. Bei den Seelsorgspriestern und Archidiakonen sind aber drei Dinge zu beachten: nämlich der Stand, die Weihe und das Amt. Zum Stande gehört, daß sie in der Welt leben; zur Weihe, daß sie Priester sind; zum Amt, daß ihnen die Sorge für Seelen anvertraut ist. Nehmen wir nun auf der einen Seite dem Stande nach einen Ordensmann, der Weihe nach einen [Archi-]Diakon oder Priester, dem Amte nach einen, der Seelsorge hat, wie die meisten Mönche und regulierten Chorherren sie haben, so steht er auf Grund des ersten höher, auf Grund der beiden anderen aber ist er gleichgestellt. — Wenn der Zweite sich vom Ersten unterscheidet nach Stand und Amt, aber in der Weihe mit ihm übereinkommt, wie es der Fall ist bei den Ordenspriestern und den Diakonen, die keine Seelsorge haben, so wird der Zweite gegenüber dem Ersten dem Stande nach zwar höher sein, dem Amte nach aber niedriger und der Weihe nach gleich. — Man muß also sehen, welcher Vorrang der vorzüglichere ist, der des Standes oder der des Amtes. Dabei ist wiederum auf zwei Dinge zu achten: auf den QUAESTIO

184, »

aliquid perfectius. Ergo videtur quod religiosi sint perfectiores quam archidiaconi v e l presbyteri curati. RESPONDEO dicendum quod comparatio supereminentiae non habet locum inter aliquos ex ea parte in qua conveniunt, sed ex ea parte in qua differunt. In presbyteris autem curatis et archidiaconis tria est considerare: scilicet statum, ordinem, et officium. A d statum pertinet quod saeculares sint; ad ordinem, quod sint sacerdotes v e l diaconi; ad officium, quod curam animarum habeant sibi commissam. Si igitur ex alia parte ponamus statum i religiosum, ordine diaconum vel sacerdotem, officio curam animarum habentem, sicut plerique monachi et canonici reguläres habent: in primo quidem excellit, in aliis autem par erit. — Si autem differat secundus a primo statu et officio, conveniat autem ordine, sicut sunt religiosi sacerdotes et diaconi curam animarum non habentes: manifestum est quod secundus primo erit statu quidem exeellentior, officio autem minor, ordine vero aequalis. — Est ergo considerandum quae praeeminentia potior Sit: utrum status vel officii. Circa quod duo attendenda videntur: scilicet bonitas et dif-

1 L: statu.

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184,8

[inneren] Wert und auf die Schwierigkeit. Vergleicht man nun die innere Güte, so steht der Ordensstand höher als der des Seelsorgspriesters und des Archidiakons. Denn der Ordensmann legt sein ganzes Leben fest auf die Pflege der Vollkommenheit; der Seelsorgspriester aber oder der Archidiakon legt sich nicht f ü r sein ganzes Leben fest auf die Sorge f ü r die Seelen, wie es der Bischof tut; auch hat er nicht als Hauptbevollmächtigter die Sorge f ü r die Untergebenen wie die Bischöfe; sondern nur gewisse Teilaufgaben der Seelsorge werden ihm übertragen (Art. 6 Zu 2). So verhält sich der Ordensstand zu ihrem Amt wie das Umfassende zum Teilbereich, und wie das Ganzopfer zum einfachen Opfer, das weniger ist als das Ganzopfer, wie aus Gregor hervorgeht. Deshalb heißt es auch in den Dekretalen: „Den Geistlichen, die den Beruf der Mönche anstreben, soll, weil sie einem besseren Leben zu folgen wünschen, vom Bischof freier Eintritt ins Kloster gewährt werden." — Dieser Vergleich ist aber zu verstehen von der A r t der Leistung. Denn es kommt vor, daß eine ihrer Art nach weniger wertvolle Leistung auf Grund der Liebe des Leistenden verdienstvoller ist, wenn sie aus einer größeren Liebe hervorgeht. Schaut man aber auf die Schwierigkeit, einen guten Lebenswandel zu führen, sei es in einem Orden, sei es in einem Amt, mit dem die Sorge f ü r die Seelen verbunden ist, so ist es der äußeren Gefahren wegen schwieriger, Q U A E S T I O

184, 8

ficultas. Si ergo fiat comparatio secundum bonitatem, sie praefertur status religionis officio presbyteri curati vel archidiaconi: quia religiosus totam vitam suam obligat ad perfectionis Studium; presbyter autem curatus vel archidiaconus non obligat totam vitam suam ad curam animarum, sicut episcopus; nec etiam ei competit principalem curam subditorum habere, sicut episcopo; sed quaedam particularia circa curam animarum eoruin officio committuntur, ut ex dictis patet. — Et ideo comparatio status religionis ad eorum officium est sicut universalis ad particulare: et sicut holocausti ad sacrificium, quod est minus PL holocausto, ut patet per Gregorium, super Ezech. [hom. 20]. 76/1037 c Unde et 19, qu. 1 [cap. 1] dicitur: „Clericis qui monachorum 'f839 P r 0 P 0 S ' t u m appetunt, quia meliorem vitam sequi cupiunt, liberos eis ab episcopo in inonasteriis oportet largiri ingressus." — Sed haec comparatio intelligenda est secundum genus operis. Nam secundum charitatem operantis, contingit quandoque quod opus, ex genere suo minus existens, magis est meritoriuni, scilicet si ex majori charitate fiat. Si vero attendatur difficultas bene conversandi in religione et in officio habentis curam animarum, sie difficilius est bene conversari cum cura animarum, propter exteriora pericula:

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gut zu bleiben in einem mit Seelsorge belasteten Leben; 184, 8 wiewohl anderseits das Leben in einem Orden, der A r t des Lebens nach, schwieriger ist, der Strengheit der Ordensregel wegen. Wenn aber der Ordensmann keine Weihe hat, wie das bei den Laienbrüdern der Orden der Fall ist, so steht offenbar die Weihe höher, was die Würde angeht. Denn durch die heilige Weihe wird der Mensch zu den erhabensten Diensten bestimmt, durch welche Christus selbst der Dienst geleistet wird im Sakrament des Altares, w o z u e i n e g r ö-ß e r e i n n e r e H e i l i g k e i t e r f o r d e r l i c h i s t a l s s e l b s t f ü r d e n O r d e n s s t a n d . Denn wie Dionysius im 6. Kapitel der „Kirchlichen Hierarchie" sagt, „muß der Stand der Mönche sich den priesterlichen Ordnungen anreihen und nach ihrem Beispiel zum Göttlichen emporsteigen". Deshalb sündigt bei sonst gleichen Umständen der Geistliche, der die heiligen Weihen hat, schwerer, wenn er etwas tut, was der Heiligkeit [seines Standes] zuwider ist, als der Ordensmann, der nicht die heilige Weihe hat. Wenngleich auch der Laienbruder im Orden gehalten ist, die Ordensregel zu beobachten, wozu jene, welche die heiligen Weihen haben [ohne dem Ordensstande anzugehören], nicht verpflichtet sind. Z u 1. Zu diesen Beweisstellen aus Chrysostomus läßt sich kurz antworten, daß er nicht von dem Seelsorgspriester einer niederen Weihe spricht, sondern vom Bischof, der „Hoherpriester" heißt. Und das entspricht QBAE3TIO

184, »

quamvis conversatio religionis sit difficilior quantum ad ipsum genus operis, propter arctitudinem l observantiae regularis. Si vero religiosus etiam ordine careat, sicut patet de conversis religionum, sie manifestum est excellere praeeminentiani ordinis quantum ad dignitatem: quia per sacrum ordinem aliquis deputatur ad dignissima ministeria, quibus ipsi Christo servitur in sacramento Altaris, ad quod requiritur major sanetitas interior quam requirat etiam religionis status; quia, sicut Dionysius dicit, 6 cap. Eccl. Hier.: „Monasticus ordo debet 6equi PG sacerdotales ordines, et ad eorum imitationem in divina ascen- 3 / 5 3 3 c dere." Unde gravius peceat, caeteris paribus, clericus in sacris Pi7i39i ordinibus constitutus, si aliquid contrarium sanetitati agat, quam aliquis religiosus qui non habet ordinem sacrum: quamvis laicus religiosus teneatur ad observantias reguläres, ad quas Uli qui sunt in 6acris ordinibus non tenentur. AD PRIMUM ergo dicendum quod ad illas auetoritates Chrysostomi breviter responderi posset quod non loquitur de ßacerdote curato minoris ordinis, sed de episcopo, qui dicitur 1 L: altitudinem.

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184,8 der Absicht jenes Buches, worin er sich selbst und [seinen Freund] Basilius darüber tröstet, daß sie beide zu Bischöfen erwählt waren. Doch das können wir auf sich beruhen lassen. Bleibt noch zu berichten, was er zur Schwierigkeit selbst zu sagen hat. Er schickt nämlich [jenen Worten] voraus: „Wer auf hoher See und mitten im Sturm das Schiff zu retten vermag, der wird bei aller Welt das Zeugnis eines tüchtigen Steuermannes verdienen." Und nachher zieht er den Schluß, der oben (E. 1) vom Mönch gezogen wurde, daß er „nicht zu vergleichen ist dem, der sich ganz den Volksmassen widmen muß und dennoch fest bleibt". Als Grund fügt er bei: „Er versteht seine Seele im Sturm so zu leiten, als herrsche Windstille." Daraus läßt sich nur das eine zeigen, daß der Stand des Seelsorgers gefährlicher ist als der Stand des Mönches. Denn in größerer Gefahr sich schuldlos bewahren ist Zeichen größerer Tugend. Doch gehört auch das zur Größe der Tugend, daß man die Gefahren meidet, indem man in einen Orden eintritt. Deshalb gagt er [Chrysostomus] nicht, daß er „lieber im priesterlichen Amt als in der Einsamkeit der Mönche leben wolle", sondern daß er „ l i e b e r " in jenem als in diesem [Stande ] „ G o t t g e f a l l e n " wolle, denn erst das ist ein Beweis höherer Tugend. Z u 2. Auch diese Beweisstelle aus Augustinus spricht offenbar von der Schwierigkeit, die die Größe der Tugend QUAESTIO

184, »

„summus Sacerdos". Et hoc convenit intentioni illius libri in quo consolatur se et Basilium de hoc quod erant in episcopos electi. Sed hoc praetermisso, dicendum est quod loquitur quantum PG ad difficultatem. Praemittit enim: „Cum fuerit gubernator in 48/683 A rnediis fluctibus et de tempestate navem liberare potuerit, tunc merito testimonium perfecti gubernatoris ab omnibus promeretur." Et postea concludit quod supra positum est [in argum.] de monacho, „qui non est comparandus ei qui, traditus populis, immobilis perseverai"; et subdit causam: quia „sicut in tranquillitate, ita in tempestate gubernavit seipsum". Ex quo nihil aliud ostendi potest nisi quod periculosior est status habentis curam animarum quam monachi: in majori autem periculo innocentem se servare est majoris virtutis indicium. Sed hoc etiam ad magnitudinem virtutis pertinet, quod aliquis vitet pericula religionem intrando. Unde non dicit quod „mallet esse in officio sacerdotali quam in solitudine monachorum": sed quod „mallet piacere" in hoc quam in ilio, quia hoc est majoris virtutis argumentum. AD SECUNDUM dicendum quod etiam illa auctoritas Augustini manifeste loquitur quantum ad difficultatem, quae ostendit

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bei denen beweist, welche einen guten Lebenswandel 184,8 führen (Zu 1). Z u 3. Dort vergleicht Augustinus die Mönche mit den Geistlichen in bezug auf den Abstand, den die Weihe mit sich bringt, nicht aber in bezug auf den Abstand des Lebens im Orden von dem in der Welt. Z u 4. Da jene, die aus dem Ordensstande zur Seelsorge herangezogen werden, vorher die Weihe hatten, errangen sie etwas, was sie vorher nicht hatten, nämlich das Amt der Seelsorge. Doch geben sie keineswegs auf, was sie vorher hatten, nämlich den Ordensstand. Es heißt nämlich in den Dekretalen: „Bezüglich der Mönche, die lange im Kloster gelebt haben und nachher zu den Weihen des geistlichen Standes aufgestiegen sind, bestimmen wir, daß sie ihren früheren Beruf nicht aufzugeben brauchen." Hingegen geben die Seelsorgspriester und Archidiakone, wenn sie in einen Orden eintreten, die Seelsorge auf, um die Vollkommenheii des [neuen] Standes zu erlangen. Schon daraus ergibt sich der größere Wert des Ordenslebens. Damit aber, daß die Laien im Orden zum geistlichen Stande und zu den heiligen Weihen zugelassen werden, werden sie offenbar zum Besseren befördert (E. 4 und Antw.). Das ergibt sich schon aus der Art des Sprechens, wenn zum Beispiel Hieronymus sagt: „Lebe im Kloster so, daß du verdienst, Geistlicher zu werden." Q U A E S T I O

184,
5 den. — Wenn aber jemand auf Grund einer Verfehlung seines Bischofsamtes enthoben und zwecks Besserung in ein Kloster geschickt wurde, so kann er auf seinen Bischofssitz nicht zurückgerufen werden. Deshalb heißt es in den Dekretalen: „Die heilige Kirchenversammlung bestimmt, daß keiner, der von der Bischofswürde zum Leben der Mönche und zum Ort der Buße herabgestiegen ist, zum Bischofsamt wieder aufsteigt." Z u 3- Auch in den Naturdingen kann es vorkommen, daß beim Eintritt eines Hindernisses eine Fähigkeit ohne Betätigung bleibt; so fällt bei der Krankheit des Auges der Akt des Sehens aus. Und so ist es nicht unangemessen, daß auch die bischöfliche Gewalt ohne Betätigung bleibt, wenn ein äußeres Hindernis eintritt [51]. 5. A R T I K E L Ist es dem Bischof erlaubt, wegen irgendwelcher Verfolgung seine Herde persönlich im Stich zu lassen? 1. Der Herr sagt Jo 10, 12, daß der „ein Mietling ist und nicht wahrhaft Hirte, der, wenn er den Wolf kommen sieht, die Schafe im Stich läßt und flieht". Nun sagt Gregor, daß „der Wolf dann über die Schafe kommt, wenn QUAESTIO

185, s

transtulerit, poterit iterato ad alium episcopatum promoveri. — Si vero aliquis propter culpam sit ab episcopatu depositus, et in monasterium detrusus ad poenitentiain peragendam, non potest iterato ad episcopatum revocari. Unde dicitur 7, q. 1 [can. Hoc nequaquam]: „Praecipit sancta Synodus ut quicumque de pontificali dignitate ad monachorum vitam et poenitentiae descenderit locum. nequaquam ad pontiflcatum resuraat." AD TERTIUM dicendum quod in rebus naturalibus, propter impedimentum superveniens, potentia remanet absque actu: sicut propter infirmitatem oculi cessat actus visionis. Ita etiam non est inconveniens si, propter exterius impedimentum superveniens, potestas episcopalis remaneat absque actu.

Frd 1

!?-

ARTICULUS V Utrum liceat episcopo, propter aliquam persecutionem, corporaliter deserere gregemsibi commissum [PVS 16; Jo 10, lect. 3; 2 Cor 11, lect. 6]

AD QUINTUM sie proceditur. Videtur quod non liceat episcopo, propter aliquam persecutionem temporalem, corporaliter deserere gregem sibi commissum. Dicit enim Dominus, Joan. 10. quod ille est: „mercenarius, et non vere pastor, qui videt lupum venientem, et dimittit oves et fugit." Dicit autem Gregorius in Homil. [homil. 14 in Evang.], quod „lupus super oves venit, PL 76'1128 B

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185, 5 irgendein Bösewicht oder Räuber irgendwelche Gläubigen und geringen Leute unterdrückt". Wenn also der Bischof wegen der Verfolgung eines Tyrannen die ihm anvertraute Herde persönlich im Stich läßt, scheint es, daß er „Mietling ist und nicht Hirte". 2. Im Buch der Sprüche (6, 1) heißt es: „Mein Sohn, hast du dich für deinen Freund verbürgt und einem Fremden deinen Handschlag g e g e b e n . . . " [52], Und nachher, V. 3, heißt es weiter: „Laufe, eile, wecke ihn auf, deinen Freund." In seiner Erklärung zu dieser Stelle sagt Gregor: „Sich für einen Freund verbürgen heißt, sich einer fremden Seele mit Gefahr der eigenen annehmen. Wer immer aber als Beispiel dafür hingestellt wird, wie man f ü r andere leben soll, der muß ermahnt werden, daß er nicht nur selbst wach bleibt, sondern auch den Freund aufweckt." Das kann er aber nicht tun, wenn er seine Herde persönlich im Stich läßt. Also scheint es, daß der Bischof wegen einer Verfolgung seine Herde nicht im Stich lassen darf. 3, Zur Vollkommenheit des bischöflichen Standes gehört es, daß er seine [ganze] Sorge auf den Nächsten richtet. Wer aber den Stand der Vollkommenheit gelobt hat, dem ist es nicht erlaubt, daß er das, was zur Vollkommenheit gehört, gänzlich aufgibt. Also scheint es, daß der Bischof sich persönlich der Ausübung seines Amtes nicht entziehen darf, als höchstens, um sich den Werken der Vollkommenheit im Kloster zu widmen. QUAESTIO

185, 5

cum quilibet injustus et raptor fideles quosque atque humiles opprimit". Si ergo propter persecutionem alicujus tyranni, episcopus gregem sibi commissum corporaliter deserat, videtur quod ,«it ..mprcenarius et non pastor". 2. PRAETEREA, Prov. 6 dicitur: „Fili, si spoponderis pro amico tuo, defixisti apud extraneum manum tuam": et postea subdit: „Discurre, festina, suscita amicum tuum." Quod exPL ponens Gregorius in Pastoral. [part. 3, cap. 4] dicit: „Spondere 77/64 D p r 0 amico est animam alienam in periculo suae conversationis accipere. Quisquis autem ad vivendum aliis in exemplujn proponitur, non solum ut ipse vigilet, sed etiam ut amicum suscitet, admonetur." Sed hoc non potest facere si corporaliter deserat gregem. Ergo videtur quod episcopus non debeat, causa persecutionis, corporaliter suum gregem deserere. 3. PRAETTSREA, ad perfectionem episcopalis status pertinet quod proximis curam impendat. Sed non licet ei qui est 6tatum perfectionis professus, ut omnino deserat ea quae sunt perfectionis. Ergo videtur quod non liceat episcopo se corporaliter subtrahere ab executione sui officii: nisi forte ut operibus perfectionis in monasterio vacet.

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ANDERSEITS hat der Herr den Aposteln, deren Nach- 185, 5 folger die Bischöfe sind, Mt 10, 23 befohlen: „Wenn sie euch in der einen Stadt verfolgen, so fliehet in eine andere." ANTWORT: Bei jeder Verpflichtung ist vor allem auf das Ziel der Verpflichtung zu achten. Nun verpflichten sich aber die Bischöfe dazu, das Hirtenamt auszuüben um des Heiles der Untergebenen willen. Wo demnach das Heil der Untergebenen die persönliche Gegenwart des Hirten verlangt, darf der Hirt seine Herde nicht persönlich im Stich lassen, weder um eines zeitlichen Vorteiles willen noch auch wegen einer Gefahr, die ihm persönlich droht. Denn „ein guter Hirt" ist gehalten, „sein Leben einzusetzen für seine Schafe" [Jo 10, 11]. Wenn aber das Heil der Untergebenen in der Abwesenheit des Hirten durch einen anderen hinreichend gewährleistet ist, dann ist es dem Hirten erlaubt, sei es um eines kirchlichen Vorteiles willen, sei es wegen persönlicher Gefahr, seine Herde persönlich zu verlassen. Deshalb sagt Augustinus im Brief an Honoratus: „Die Diener fliehen von einer Stadt in die andere, wenn ihrer ein einzelner von den Verfolgern besonders gesucht wird, damit die Kirche von den anderen, die nicht so gesucht werden, nicht im Stich gelassen werde. Wenn aber die Gefahr für alle dieselbe ist, so sollen diejenigen, die der anderen bedürfen, von denen, deren sie bedürfen, nicht im Stich gelassen werden. Denn QUAESTIO

185, t

SED CONTRA est quod Dominus Apostolis, quorum successores sunt episcopi, mandavit Matth. 10: „Si vos persecuti fuerint in una civitate, fugite in aliam." RESPONDEO dicendum quod in qualibet obligatione praecipue attendi debet obligationis finis. Obligant autem se episcopi ad exsequendum pastorale officium propter subditorum salutem. Et ideo, ubi subditorum salus exigit personae pastoris praesentiam, non debet pastor personaliter suum gregem deserere, neque propter aliquod commodum temporale, neque etiam propter aliquod personale periculum imminens: cum „bonus pastor animam suam ponere teneatur pro ovibus suis". Si vero subditorum saluti possit sufficienter in absentia pastoris per alium provideri, tunc licet pastori, vel propter aliquod ecclesiae commodum, vel propter personae periculum corporaliter gregem deserere. Unde Augustinus dicit, in Epist. ad Honoratum [epist. 228]: „Fugiant de civitate in civitatem ßervi Christi, quando PL eorum quisquam specialiter a persecutoribus quaeritur: ut ab 33 ;i° 14 aliis, qui non ita quaeruntur, non deseratur ecclesia. Cum autem omnium est commune periculum, hi qui aliis indigent, non deserantur ab his quibus indigent." Si enim „perniciosum est

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185, 6

W enn

es schon gefährlich ist, daß der Schiffer sein Schiff verläßt, solange es im ruhigen Wasser liegt, um wieviel gefährlicher ist es, wenn es sich in Seenot befindet", wie Papst Nikolaus sagt und in einer Dekretale enthalten ist. Z u 1. Derjenige flieht wie ein Mietling, der einen zeitlichen Vorteil oder sein leibliches Wohl dem geistigen Heile des Nächsten vorzieht. Deshalb sagt Gregor: „Der kann, wenn die Schafe in Gefahr sind, nicht standhalten, der sie nicht liebt in dem, was zu ihrem Wohle ist, sondern nur den irdischen Gewinn sucht, und so scheut er sich, der Gefahr sich entgegenzuwerfen, damit er nicht, was er liebt, verliert." Wer aber zur Vermeidung einer Gefahr ohne Schaden für die Herde zurückweicht, flieht nicht als Mietling. Z u 2. Wenn der, der sich für einen anderen verbürgt hat, diese Bürgschaft nicht selbst leisten kann, so genügt es, daß er sie durch einen anderen leistet. Wenn daher der Bischof verhindert ist, persönlich die Sorge für die Untergebenen zu übernehmen, so leistet er seinem Gelöbnis Genüge, wenn er durch einen anderen dafür Sorge trägt. Z u 3. Wer zum Bischofsamt erkoren wird, nimmt den Stand der Vollkommenheit in einer ganz bestimmten Art der Vollkommenheit auf sich. Wenn nun für diese Art ein Hindernis vorliegt, ist er nicht gehalten zu einer anderen Art der Vollkommenheit, so daß er zum OrdensQ U A E S T I O

Mansi 15/399 Frdb. 1,586

PL 76 1129 A

185, s

nautam in tranquillitate navem deserere, quanto magis in fluctibus", ut dicit Nicolaus Papa I [Epist. ad Huntfridum Episc.] et habetur 7. q. 1 [can. Sciscitaris]. AD PRIMUM ergo dicendum quod ille tamquam mercenarius fugit qui commodum corporate, vel etiani salutem corporalem, spirituali saluti proximorum proponit. Unde Gregorius dicit, in Homilia [cit. in arg.]: „Stare in periculo ovium non potest qui in eo quod ovibus praeest, non oves diligit, sed lucrum terrenum quaerit et ideo opponere se contra periculum trepidat, ne hoc quod diligit amittat." Ille autem qui ad evitandum periculum recedit absque detrimento gregis, non tamquam mercenarius fugit. AD SECUNDUM dicendum quod ille qui spondet pro aliquo, si per se implere non possit, sufficit ut per alium impleat. Unde praelatus, si habet impedimentum propter quod non possit personaliter curae subditorum intendere, suae sponsioni satisfacit si per alium provideat. AD TERTIUM dicendum quod ille qui ad episcopatum assumitur, assumit statum perfectionis secundum aliquod perfectionis genus: a quo si impediatur, ad aliud genus perfectionis non tenetur. ut scilicet necesse sit eum ad statum religionis

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Stande übertreten müßte. Doch besteht für ihn die Not- 185, 6 wendigkeit, daß er [wenigstens] die Bereitschaft behält, für das Heil des Nächsten zu sorgen, sobald die Lage wieder günstig ist oder die Not es erfordert. 6.

ARTIKEL

Ist es dem Bischof erlaubt, Eigentum zu

besitzen?

1. Der Herr sagt Mt 19, 21: „Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe alles, was du hast, gib es den Armen und dann komm, folge Mir!" Danach scheint die freiwillige Armut zur Vollkommenheit gefordert zu sein. Die Bischöfe aber werden aufgenommen in den Stand der Vollkommenheit. Es scheint also, daß es ihnen nicht erlaubt ist, Eigentum zu besitzen. 2. Die Bischöfe nehmen in der Kirche die Stelle der Apostel ein, wie die Glosse zu Lk 10, 1 sagt. Den Aposteln aber hat der Herr befohlen, daß sie kein Eigentum besitzen sollten; nach Mt 10, 9 : „Ihr sollt weder Gold noch Silber besitzen, noch andere Münzen in euren Gürteln." Daher sagt auch Petrus im eigenen und im Namen der anderen Apostel: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind Dir nachgefolgt" (Mt 19, 27). Also scheinen auch die Bischöfe zur Beobachtung dieses Befehles gehalten, daß sie nichts Eigenes besitzen dürfen. QUAESTIO

185, o

transire. Imminet tarnen sibi necessitai ut animum retineat intendendi proximorum saluti si opportunitas adsit et necessitas requirat. A R T I C U L U S VI Utrum

liceat

episcopo

aliquid

habere

proprium

llnfra 186, 3 ad 5; PVS 18; Mt 19]

AD S E X T U M sic proceditur. Videtur quod episcopo non liceat aliquid proprium possidere. Dominus enim dicit, Matth. 19: „Si vis perfectus esse, vade et vende omnia quae habes et da pauperibus, et veni, et sequere m e " : e x quo videtur quod voluntaria paupertas ad perfectionem requiratur. Sed episcopi assumuntur ad statum perfectionis. Ergo videtur quod non liceat eis proprium possidere. 2. PRAETEREA, episcopi in Ecclesia tenent locum Apostolorum, ut dicit Glossa [ord. Bedae] Luc. 10. Sed Apostolis Dominus praeeepit ut nihil proprium possiderent; secundum illud Matth. 10: „Nolite possidere neque aurum, neque pecuniam in zonis vestris." Unde et Petrus, pro se et pro aliis Apostolis, dicit: „Ecce nos reliquimus omnia et secuti sumus te", Matth. 19. Ergo videtur quod episcopi teneantur ad hujusmodi mandati observantiam, ut nihil proprium possideant.

85

pl »2,461 c

185,6

3. Hieronymus schreibt an Nepotian: „Das griechische ,kleros' ist lateinisch so viel wie ,Los'. Deshalb werden die Geistlichen ,Kleriker' genannt, weil sie vom Lose des Herrn sind; oder weil der Herr selbst das Los, d. h. Anteil der Geistlichen ist. Wer aber den Herrn besitzt, kann außer Gott nichts besitzen. Wenn er nun Gold, wenn er Silber, wenn er Besitzungen, wenn er verschiedene Kleider hat, dann würdigt sich der Herr nicht so tief herab, um mit diesen Teilen Teil zu sein." Es scheint also, daß nicht nur die Bischöfe, sondern auch die Geistlichen von eigenem Besitz frei sein müssen. ANDERSEITS heißt es in einer Dekretale: „Der Bischof soll von den ihm zu eigen gehörenden oder von ihm erworbenen Sachen, oder was immer er an Eigentum hat, seinen Erben hinterlassen." ANTWORT: Zu den Werken der Übergebühr ist keiner verpflichtet, es sei denn, er habe sich in besonderer Weise durch ein Gelübde gebunden. Deshalb sagt Augustinus im Brief an Paulina und Armentarius: „Weil du schon gelobt hast, hast du dich schon gebunden. Etwas anderes zu tun ist dir nicht [mehr] erlaubt. Bevor du dich durch das Gelübde gebunden hattest, stand es dir frei, ein Geringerer zu sein." Ein Leben ohne Besitz ist aber offenbar ein Werk der Übergebühr; denn es fällt nicht unter das Gebot, sondern unter den Rat. Nachdem deshalb der QUAESTIO

185, «

3. PRAETEREA, Hieronymus dicit, ad Nepotianum [epist. PL 52]: „Cleros graece, latine sors appellatur. Propter quod 22/531 A clerici dicuntur, quia de sorte Domini sunt: vel quia ipse Dominus sors, idest pars, clericorum est. Qui autem Dominum possidet, nihil extra Deum habere potest. Si autem aurum, si argentum, si possessiones, si variam supellectilem habet, cum istis partibus non dignatur Dominus fieri pars ejus." Ergo videtur quod non solum episcopi, sed etiam clerici debeant proprio carere. Frdb. SED CONTRA est quod dicitur 1'2, q. 1 [can. 19]: „Episcopus 1/684 ^g r e t) U S propriis, vel acquisitis, vel quidquid de proprio habet haeredibus suis derelinquat." RESPONDEO dicendum quod ad ea quae sunt supererogationis nullus tenetur, nisi se specialiter ad illud voto astringat. Unde Augustinus dicit in Epist. ad Paulinam et Armentarium PL [epist. 127]: „Quia jam vovisti jam te obstrinxisti, aliud tibi 33/487 A f a c e r e n o n ii ce t, Priusquam esses voti reus, liberum fuit quod esses inferior." Manifestum est autem quod vivere absque proprio, supererogationis est: non enim cadit 6ub praecepto, sed sub consilio. Unde cum, Matth. 19, dixisset Dominus adole-

86

Herr dem Jüngling Mt 19, 17 gesagt hatte: „Wenn du 185,8 zum Leben eingehen willst, halte die Gebote", fügt er später (V. 21) hinzu: „Willst du aber vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen." Die Bischöfe aber verpflichten sich bei der Weihe nicht dazu, daß sie ohne Besitz leben wollen. Auch ist es nicht unbedingt zum Hirtenamte, zu dem sie sich verpflichten, erfordert, daß sie ohne Besitz leben. Also sind die Bischöfe nicht gehalten, ohne Besitz zu leben. Z u 1. Wie oben (184, 3 Zu 1) bereits gesagt, besteht die Vollkommenheit des christlichen Lebens nicht wesentlich in der freiwilligen Armut, sondern die freiwillige Armut trägt nur werkzeuglich bei zur Vollkommenheit des Lebens. Es gilt deshalb nicht notwendig, daß dort, wo die größere Armut herrscht, auch die Vollkommenheit größer ist. Im Gegenteil: Es kann die höchste Vollkommenheit zusammenbestehen mit großem Reichtum; so lesen wir von Abraham, dem Gn 17, 1 gesagt wurde: „Wandle vor Mir und sei vollkommen", daß er sehr reich war. Z u 2. Jene Worte des Herrn kann man in dreifach verschiedenem Sinne verstehen. E r s t e n s mystisch: Wir sollen weder Gold noch Silber besitzen, d. h., wie Hieronymus erklärt: Die Prediger sollen sich nicht in erster Linie auf irdische Weisheit und Beredsamkeit stützen. QUAESTIO

185, i

scenti: „Si vis ad vitam ingredi, serva mandata", postea 6ubdidit superaddendo: „Si vis perfectus esse, vade et vende omnia quae habes et da pauperibus." Non autem episcopi in sua ordinatione ad hoc se obligant ut absque proprio vivant: nee etiam vivere absque proprio ex necessitate requiritur ad pastorale officium, ad quod se obligant. Et ideo non tenentur episcopi ad hoc quod sine proprio vivant. AD PRIMUM ergo dicendum quod, sicut supra habitum est, perfectio christianae vitae non consistit essentialiter in voluntaria paupertate; sed voluntaria paupertas instrumentaliter operatur ad perfectionem vitae. Unde non oportet quod ubi est major paupertas, ibi sit major perfectio. Quinimmo potest esse summa perfectio cum magna opulentia: nam Abraham, cui dictum est, Gen. 17: „Ambula coram me et esto perfectus", legitur dives fuisse. AD SECUNDAM dicendum quod verba illa Domini tripliciter possunt intelligi. Uno modo, mystice: ut non possideamus neque aurum neque argentum, idest, ut praedicatores non innitantur principaliter sapientiae et eloquentiae temporali; ut Hieronymus exponit [Comment. in Matth., lib. 1, cap. 10], pl 26/66 B

87

185, 6

In a n d e r e r Weise kann es, wie Augustinus erklärt, so verstanden werden, daß der Herr nicht sosehr einen Befehl, als vielmehr eine Erlaubnis aussprechen wollte. Er erlaubte ihnen nämlich, daß sie ohne Gold und Silber und irgendwelche anderen Einkünfte zum Predigen auszogen und den [notwendigen] Unterhalt von denen entgegennahmen, denen sie predigten. Daher fügt er bei (V. 10): „Denn der Arbeiter ist seiner Nahrung wert." So daß, wenn jemand bei der Predigt sich auf die eigenen Einkünfte stützen würde, dies zu den Werken der Übergebühr gehören würde; wie Paulus es 1 Kor 9, 12. 15 von sich selbst sagt. D r i t t e n s kann es nach der Erklärung des Chrysostomus dahin verstanden werden, daß der Herr jene Dinge den Jüngern befohlen für jene Sendung, kraft deren sie zur Predigt vor den Juden gesandt wurden, auf daß sie dadurch zugleich geübt würden im Vertrauen auf Seine [des Herrn] Kraft, der auch ohne Einkünfte für sie sorgen würde. Daraus ergab sich freilich keine Verpflichtung für sie oder ihre Nachfolger, ohne eigene Einkünfte das Evangelium zu predigen. Denn auch von Paulus lesen wir 2 Kor 11, 8, daß er von den anderen Kirchen Unterstützung annahm, um den Korinthern predigen zu können, und so besaß er offenbar das, was ihm von anderen geschickt wurde. Es scheint aber töricht, zu behaupten, daß so viele heilige Bischöfe, wie Athanasius, Ambrosius, Q U AKSTIO

185, «

Alio modo, sicut Augustinus exponit, in lib. 2 de Consensu PL Evang. [cap. 30], ut intelligatur hoc Dominus, non praeci34/1114 A piendo, sed magis permittendo dixisse. Permisit enim eis ut absque auro et argento et aliis eumptibus ad praedicandum irent, aecepturi sumptus vitae ab eis quibus praedicabant. Unde eubdit: „Dignus est enim operarius cibo suo." Ita tarnen quod si aliquis propriis sumptibus uteretur in praedicatione Evangelii, ad supererogationem pertinet: sicut Paulus de seipso dicit, 1 ad Cor. 9. PG si Tertio modo, secundum quod Chrysostomus exponit [hom. 2 197 A in illud Rom. 16, ,Salutate Priscillam'], ut intelligatur illa Dominum praecepisse discipulis quantum ad illam missionem qua mittebantur ad praedicandum Judaeis ut per hoc exercerentur ad confidendum de virtute ipsius, qui eis absque sumptibus provideret. Ex quo tarnen non obligabantur ipsi, vel euccessores eorum, ut afosque propriis sumptibus Evangelium praedicarent. Nam et de Paulo legitur, 2 ad Cor. 11, quod ab aliis ecclesiis Stipendium accipiebat ad praedicandum Corinthiis, et sie patet quod aliquid possidebat ab aliis sibi missum. Stultum autem videtur dicere quod tot saneti pontifices, sicut Athanasius, Am-

88

Augustinus, jeue Vorschriften übertreten hätten, wenn sie 185, ^ glaubten, zu ihrer Beobachtung verpflichtet zu sein. Z u 3. Jeder Teil ist kleiner als das Ganze. Der hat daher neben Gott andere ,Teile', dessen Eifer für das, was Gottes ist, gemindert wird, sobald er sich mit den Dingen dieser Welt beschäftigt [53]. So aber dürfen weder die Bischöfe noch die Geistlichen Eigentum besitzen, daß sie, während sie um ihren Besitz sich sorgen, den Dienst Gottes vernachlässigen. 7. A R T I K E L Sündigen die Bischöfe schwer, wenn sie die Kirchengüter, welche sie zu verwalten haben, nicht den Armen austeilen? 1. Ambrosius [ 5 4 ] sagt bei der Erklärung von Lk 12, 16 ,Der Acker eines reichen Mannes gab guten Ertrag': „Keiner nenne Eigentum, was gemeinsamer Besitz ist; was über den ausreichenden Lebensunterhalt hinausgeht, ist mit Gewalt erworben." Und später fügt er hinzu: „Es ist ein kleineres Verbrechen, den Besitzenden fortnehmen, als, wenn du kannst und überreich hast, den Bedürftigen verweigern." Mit Gewalt Fremdes sich aneignen, ist QUAESTIO

185, ?

brosius, Augustinus, illa praecepta transgressi fuissent, si ad ea servanda se crederent obligari. AD TERTIUM dicendum quod omnis pars est minor toto. Ille ergo cum Deo alias partes habet, cujus Studium diminuitur circa ea quae sunt Dei, dum intendit bis quae sunt mundi. Sic autem non debent nec episcopi, nec clerici proprium possidere, ut, dum curant proprium, defectum faciant in his quae pertinent ad cultum divinum. A R T I C U L U S VII U t r u m e p i s c o p i m o r t a l i t e r p e c c e n t si b o n a ecclesiastica quae procurant, p a u p e r i b u s non largiantur [6. Qlb 7]

AD SEPTIMUM sie proceditur. Videtur quod episcopi mortaliter peccent si bona ecclesiastica quae procurant, pauperibus non largiantur. Dicit enim Ambrosius, exponens illud Luc. 12, ,Hominis cujusdam divitis uberes fruetus ager attulit' [serm. 66 PG 31 de Temp.]: i „Nemo proprium dicat quod est commune: plus 1752 A quam sufficiat sumptum, violenter obtentum est." Et postea PG subdit: „Neque minus est criminis habenti tollere quam, cum ai/i7B2C possis et abundas, denegare indigentibus." Sed violenter tollere 1 Cf. Gratian, dist. 47, can. Sicut hl; Frdb. 1/171.

89

185, 7 aber schwere Sünde. Also sündigen die Bischöfe schwer, wenn sie ihren Überfluß nicht an die Armen austeilen. 2. Zu Is 3, 14 ,Das den Armen geraubte Gut ist in euren Häusern' sagt eine Glosse des hl. Hieronymus, daß die Kirchengüter den Armen gehören. Wer immer aber das Gut des anderen für sich behält oder anderen gibt, sündigt schwer und ist zur Wiedergutmachung gehalten. Wenn demnach die Bischöfe die kirchlichen Güter, die sie übrig haben, für sich behalten oder an Verwandte und Freunde weggeben, sind sie, wie es scheint, zur Wiedergutmachung gehalten. 3. Viel eher kann einer von den Kirchengütern nehmen, was er notwendig braucht, als Überfluß anhäufen. Hieronymus aber sagt im Brief an Papst Damasus: „Es ist in der Ordnung, wenn jene Geistlichen, denen keiner der Eltern oder Verwandten hilft, durch kirchliche Stiftungen unterstützt werden; diejenigen aber, die aus den Gütern und Einkünften der Eltern unterstützt werden können, begehen Gottesraub, wenn sie nehmen, was den Armen gehört." Deshalb sagt der Apostel 1 Tim 5. 16: „Wenn eine Gläubige Witwen aufgenommen hat, soll sie für sie sorgen, aber die Gemeinde soll nicht belastet werden, damit sie [die Gemeinde] für die wirklichen Witwen sorgen kann" [55]. Erst recht also sündigen die Bischöfe schwer, wenn sie das, was sie von den Kirchengütern übrig haben, nicht den Armen geben. QUAESTIO

PL 24/68 B

PL ^(Sdb 3 1/785 1/409

185, ^

alienum est peccatum mortale. Ergo episcopi mortaliter peccant si ea quae eis supersunt, pauperibus non largiantur. 2. PRAETEREA, Is. 3 super illud: ,Rapina pauperum in domo vestra', dicit Glossa Hieronyini [ordin.] quod bona ecclesiastica sunt pauperum. Sed quicumque id quod est alterius sibi reservat aut aliis dat, peccat mortaliter et tenetur ad restitutionem. Ergo, si episcopi bona ecclesiastica quae eis superfluunt, sibi retineant vel consanguineis vel amicis largiantur, videtur quod teneantur ad restitutionem. 3. PRAETEREA, multo magis aliquis potest de rebus ecclesiae ea quae sunt sibi necessaria accipere, quam superflua congregare. Sed Hieronymus dicit, in Epist. ad Damasum Papam [quid simile hab. in Regula Monach. Hieronymo adscripta, cap. Quoniam.; vid. can. Clericos 1, q. 2 ] : „Clericos illos convenit ecclesiae stipendiis sustentari, quibus parentum et propinquorum nulli suffragantur: qui autem bonis parentum et opibus sustentari possunt, si quod pauperum est accipiunt, sacrilpg ; um profecto committunt." Unde et Apostolus dicit, 1 ad Tim. 5: „Si quis fidelis habet viduas, subministret illis, et non gravetur Ecclesia: ut his quae vere viduae sunt sufficiat." Ergo multo magis episcopi mortaliter peccant si ea quae eis superfluunt de bonis ecclesiasticis, pauperibus non largiantur.

90

ANDERSEITS (4.): Viele Bischöfe geben das, was sie 185,7 übrig haben, nicht an die Armen, sondern scheinen löblich zu handeln, wenn sie damit die kirchlichen Einkünfte vergrößern. ANTWORT: Anders ist zu urteilen über die eigenen Güter, die die Bischöfe besitzen können, anders über die Kirchengüter. Denn über die eigenen Güter haben sie ein echtes Verfügungsrecht, so daß sie auf Grund der Sachlage nicht gehalten sind, sie anderen auszuteilen; vielmehr können sie sie für sich behalten oder nach Gutdünken an andere austeilen. Sie können aber bei der Verteilung derselben sündigen durch ungeordnete Anhänglichkeit, auf Grund deren sie entweder sich selbst mehr als nötig zuwenden, oder auch den anderen nicht so viel helfen, wie es die Pflicht der Liebe verlangt. Er [der Bischof] ist aber nicht zur Wiedergutmachung gehalten, weil diese Güter ihm zur Verfügung stehen. Was aber die Kirchengüter anlangt, so sind sie deren Austeiler und Verwalter. Denn Augustinus sagt: „Wenn wir Eigenbesitz haben, der uns genügt, so gehören jene [anderen Güter] nicht uns, sondern denen, deren Sorge uns obliegt. Mögen wir uns also kein Eigentum durch schändliche Anmaßung aneignen." Vom Verwalter aber wird Gewissenhaftigkeit verlangt, nach 1 Kor 4, 2: „Von den Verwaltern wird gefordert, daß einer treu erfunden werde." QUAESTIO

185, 7

SED CONTRA est quod plures episcopi ea quae supersunt non largiuntur pauperibus, sed expendere videntur laudabiliter ad reditus Ecclesiae ampliandos. RESPONDEO dicendum quod aliter est dicendum de propriis bonis, quae episcopi possidere possunt, et de bonis ecclesiasticis. Nam propriorum bonorum verum dominium habent. Unde ex ipsa rerum conditione non obligantur ut eas aliis conferant: sed possunt vel sibi retinere, vel etiam aliis pro libitu elargiri. Possunt tarnen in earum dispensatione peccare vel propter inordinationem affectus, per quam contingit vel quod sibi plura conferant quam oporteat, vel etiam aliis non subveniant secundum quod requirit debitum charitatis. Non tarnen tenentur ad restitutionem: quia hujusmodi res sunt ejus dominio deputatae. Sed ecclesiasticorum bonorum sunt dispensatores vel procuratores: dicit enim Augustinus ad Bonifacium [epist. 185, cap. 9 ] : „Si privatim possidemus quae nobis sufficiant, non illa PL nostra sunt, sed illorum quorum procurationem gerimus: non 33/809 A proprietatem nobis usurpatione damnabili vindicemus." Ad di.spensatorem autem requiritur bona fides: secundum illud 1 ad Cor. 4: „Hic jam quaeritur inter dispensatores ut fidelis quis inveniatur."

91

185,7

Die Kirchengüter sind nun aber nicht bloß zum Gebrauch der Armen, sondern auch zum Gottesdienst und f ü r die Bedürfnisse der Kirchendiener zu verwenden. So heißt es in den Dekretalen: „Von den Einkünften der Kirche, bzw. den Opfern der Gläubigen soll dem Bischof nur e i n Anteil herausgegeben w e r d e n ; zwei Anteile, die den kirchlichen Werkleuten und der Unterstützung der Armen zugute kommen sollen, mögen vom Priester, bei Verlust seiner Weihe [56], ausgeteilt werden; der letzte Anteil soll an die einzelnen Geistlichen nach Verdienst eines jeden verteilt w e r d e n " [57]. Wenn die Güter, welche in den Gebrauch des Bischofs übergehen müssen, unterschieden sind von denen, welche f ü r die Armen und die Kirchendiener und f ü r den Gottesdienst aufzuwenden sind, und der Bischof etwas von dem, was f ü r die Armen oder die Diener zur Verfügung stehen oder f ü r den Gottesdienst verwandt werden soll, f ü r sich behält, so handelt er ohne Zweifel gegen die gewissenhafte Verwaltung, sündigt schwer und ist zur Wiedergutmachung verpflichtet. — In bezug auf das jedoch, was eigens zu seinem Gebrauch bestimmt ist, scheint die Sache genau so zu liegen wie bei den eigenen Gütern: Wegen des Ü b e r m a ß e s in der Anhänglichkeit und im Gebrauch sündigt er zwar, wenn er zu viel f ü r sich zurückbehält und den anderen nicht hilft, wie es die Liebespflicht verlangt [58], Wenn aber die genannten Güter nicht

unterschieden

Q U A E S T I O 185, i Sunt autem bona ecclesiastica non solum in usus pauperum, sed etiam ad cultum divinum et necessitates ministrorum exFrdb. pendenda. Unde dicitur 12, q. 2 [can. De reditibus]: „De 1/697 reditibus ecclesiae vel oblatione fldeiium, sola episcopo ex his una portio emittatur; duae ecclesiasticis fabricis et erogationi pauperum profuturae a presbytero, sub periculo 6ui ordinis, ministrentur; ultima clericis, pro singulorum meritis dividatur." Si ergo distincta sint bona quae debent in usum episcopi cedere, ab his quae sunt pauperibus et ministris et cultui ecclesiae eroganda; et aliquid sibi retinuerit episcopus de his quae sunt pauperibus eroganda, vel in usum ministrorum aut in cultum divinum expendenda: non est dubium quin contra fidem dispensationis agat, et mortaliter peccet, et ad restitutionem tenetur. — De his autem quae sunt specialiter suo usui deputata, videtur esse eadem ratio quae est de propriis bonis: ut scilicet propter immoderatum aflectum et usum peccet quidem, si immoderata sibi retineat, et aliis nun subveniat sicut requirit debitum charitatis. Si vero non sunt praedicta bona distincta, eorum distributio

92

sind, ist deren Verteilung seinem Gewissen überlassen. 185,7 Wenn er dabei durch Zuwenig oder Zuviel nur geringfügig fehlt, so kann das ohne Schaden des guten Gewissens abgehen; denn der Mensch kann in diesen Dingen nicht auf den i-Punkt genau entscheiden, was zu tun ist [59]. Wenn das Maß aber gehörig überschritten wird, kann es ihm [dem Bischof] nicht verborgen bleiben, weshalb es mit dem guten Gewissen dann nicht mehr vereinbar zu sein scheint. Deshalb geschieht es auch nicht ohne schwere Sünde. Denn Mt 24, 48 ff. heißt es: „Wenn der böse Knecht bei sich spricht: ,Mein Herr bleibt aus'," — und das deutet auf Verachtung des göttlichen Gerichtes •— „und anfängt, seine Mitknechte zu schlagen", — das deutet auf Stolz — „und ißt und trinkt mit den Bezechten" — das ist Ausschweifung —, „dann wird der Herr jenes Knechtes an einem Tage kommen, da er es nicht vermutet, und er wird ihn scheiden" — nämlich von der Gesellschaft der Guten — „und ihm seinen Teil bei den Heuchlern geben" — nämlich in der Hölle [60]. Z u 1. Jenes Wort des hl. Ambrosius ist nicht zu verstehen nur von der Verwaltung der Kirchengüter, sondern von der Verwaltung irgendwelcher Güter, mit denen einer auf Grund der Verpflichtung der Liebe gehalten ist, dem Notleidenden zu helfen. Es läßt sich jedoch nicht festlegen, wann jene Notlage gegeben ist, die unter schwerer Sünde verpflichtet; wie das überhaupt unmöglich ist bei den Besonderheiten, die für das menschliche QUAESTIO

185, i

fidei ejus committitur. Et si quidem in modico deflciat vel superabundet, potest hoc fieri absque bonae fidei detrimento: quia non potest homo in talibus punctualiter accipere illud quod fieri oportet. Si vero sit multus excessus, non potest latere: unde videtur bonae fidei repugnare. Unde non est absque peccato moriali: dicitur enim, Matth. 24, quod „si dixerit malus servus in corde suo: Moram facit dominus meus venire", quod pertinet ad divini judicii contemptum; „et coeperit percutere conservos suos", quod pertinet ad superbiam; „manducet autem, et bibat cum ebriosis", quod pertinet ad luxuriam; „veniet dominus servi illius in die qua non sperat, et dividet eum", scilicet a societate bonorum, „et partem ejus ponet cum hypocritis", scilicet in inlerno. AD PRIMUM ergo dicendum quod verbum illud Ambrosii non est solum referendum ad dispensationem rerum ecclesiasticarum, sed quorumcumque bonorum ex quibus tenetur aliquis, debito charitatis, providere necessitatem patientibus. Non tarnen potest determinari quando sit ista necessitas quae ad peccatum mortale obliget: sicut nec caetera particularia quae in humanis

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185,7 Tun maßgebend sind. Die Festlegung dieser Dinge bleibt der menschlichen Klugheit überlassen. Z u 2. Die Kirchengüter sind nicht nur zu verwenden für die Armen, sondern auch für andere Zwecke (Antw.). Wenn also jemand von dem, was für den Gebrauch des Bischofs oder des Geistlichen bestimmt ist, sich etwas abziehen und den Verwandten oder anderen Leuten geben will, sündigt er nicht. So er nur damit Maß hält, d. h. [nur so viel verschenkt], daß sie nicht Not leiden, nicht aber [so viel], daß sie davon reicher werden. Deshalb sagt Ambrosius: „Die Freigebigkeit ist zu billigen, daß du die Verwandten deiner Familie nicht vernachlässigst, wenn du weißt, daß sie bedürftig sind, nicht aber, daß sie aus dem, was du den Armen geben könntest, sich anreichern wollen." Z u 3. Nicht alle Kirchengüter sind den Armen auszuteilen, es sei denn im Notfalle, wo für den Loskauf der Gefangenen und andere Nöte der Armen sogar die für den Gottesdienst bestimmten Gefäße verkauft werden können, wie Ambrosius sagt. Und bei solcher Notlage würde der Geistliche sündigen, wenn er von den Kirchengütern leben wollte, vorausgesetzt, daß er ein väterliches Erbgut hat, von dem er leben kann. Z u 4 (vgl. Anderseits) [61 ]. Die Kirchengüter müssen den Zwecken der Armen dienen. Wenn daher jemand, QUAESTIO 185, 7

PL

16/67 A Frdb.

i/aoi

PL 16/140 B Frdb. 1/710

actibus considerante. Horum enim determinatici relinquitur humanae prudentiae. AD SECUNDUM dicendum quod bona ecclesiarum non sunt solum expendenda in usus pauperum, sed etiam in alios usus, ut dictum est. Et ideo si de eo quod usui episcopi vel alicujus clerici est deputatum, velit aliquis sibi subtrahere et consanguineis vel aliis dare, non peccat: dummodo id faciat moderate, idest, ut non indigeant, non autem ut ditiores inde flant. Unde Ambrosius dicit, in lib. 1 de Offic. [cap. 30, et hab. can. Est probanda, dist. 86] : „Est approbanda liberalitas, ut proximos seminis tui ne despicias, si egere cognoscas... non tarnen ut illi ditiores fieri velint ex eo quod tu potes conferre inopibus." AD TERTIUM dicendum quod non omnia bona ecclesiarum sunt pauperibus largienda: nisi forte in articulo necessitatis, in quo etiam, pro redemptione captivorum et aliis necessitatibus pauperum, vasa cultui divino dicata distrahuntur, ut Ambrosius dicit [lib. 2 de Offic., cap. 28, et hab. 12, q. 2, can. Aurum]. Et in tali necessitate peccaret clericus si vellet de rebus ecclesiae vivere, dummodo haberet patrimonialia bona, de quibus vivere possit. AD QUARTUM dicendum quod bona ecclesiarum usibus pauperum deservire debent. Et ideo si quis, necessitate non im-

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solange keine Notwendigkeit droht, den Armen [unmittel- 185, 8 bar] helfen zu müssen, von dem Überschuß aus den kirchlichen Einkünften Liegenschaften kauft oder ihn im Kirchenschatz für spätere Zeiten hinterlegt, zum Nutzen der Kirche oder für die Bedürfnisse der Armen, so tut er. gut daran. Wenn aber die Not drängt, den Armen zu helfen, so ist es eine überflüssige und ungeordnete Sorge, wenn einer [diese Güter] für die Zukunft aufbewahrt, was der Herr Mt 6, 84 mit den Worten untersagt: „Sorget nicht ängstlich auf morgen!" 8. A R T I K E L Sind die Ordensleute, die zu Bischöfen erhoben werden, zur Beobachtung der Ordensverpflichtungen gehalten [62]? 1. In den Dekretalen heißt es: „Die kanonische Wahl löst den Mönch vom Joch der gelobten mönchischen Regel, und die heilige Weihe macht den Mönch zum Bischof." Die Ordensverpflichtungen aber gehören zum Joch der Ordensregel. Also sind die Ordensleute, die zu Bischöfen erhoben werden, nicht an die Ordensverpflichtungen gebunden. 2. Wer von einem niederen zu einem höheren Rang aufsteigt, scheint nicht an das gebunden, was zum niederen Rang gehört, wie auch der Ordensmann nicht gehalten ist zur Erfüllung der Gelübde, die er in der Welt abgelegt QUAESTIO

185, »

minente providendi pauperibus, de his quae superfluunt ex proventibus Ecclesiae possessiones emat, vel in thesauro reponat in futurum utilitati ecclesiae, et necessitatibus pauperum, laudabiliter facit. Si vero necessitas immineat pauperibus erogandi, superflua cura est et inordinata ut aliquis in futurum conservet: quod Dominus prohibet, Matth. 6, dicens: „Nolite solliciti esse in crastinum." A R T I C U L U S VIII U t r u m r e l i g i o s i qui p r o m o v e n t u r in episcopos, t e n e a n t u r ad o b s e r v a n t i a s r e g u l ä r e s [Supra 88, 11 ad 4; 4, d. 38: 1, 4 qa 1 ad 5]

AD OCTAVUM sie proceditur. Videtur quod religiosi qui promoventur in episcopos, non teneantur ad observantias reguläres. Dicitur enim 18, q. 1 [cap. Statutum], quod „monachum Frdb. canonica electio a jugo regulae monasticae professionis absolvit, I/&28 et sacra ordinatio de monacho episcopum facit". Sed observantiae reguläres pertinent ad jugum regulae. Ergo religiosi qui in episcopos assumuntur, non tenentur ad observantias reguläres. 2. PRAETEREA, ille qui ab inferiori ad superiorem gradum ascendit, non videtur teneri ad ea quae sunt inferioris gradus: sicut supra dictum est, quod religiosus non tenetur ad obser-

95

185, 8 hat (88, 12 Zu 1: Bd. 19). Der Ordensmann aber, der zum Bischofsamt berufen wird, steigt zu einem höheren Rang auf (184, 7). Also scheint es, daß der Bischof nicht verpflichtet ist zu dem, was er im Ordensstande zu beobachten hatte. 3. Am meisten scheinen die Ordensleute zum Gehorsam verpflichtet zu sein und dazu, daß sie ohne Eigentum leben. Die Ordensleute aber, die zum Bischofsamt berufen werden, sind nicht gehalten, den Oberen ihrer Orden zu gehorchen, weil sie selbst deren Obere sind. Auch scheinen sie nicht zur Armut verpflichtet zu sein; denn in dem oben (E. 1) angeführten Dekret heißt es: „Wenn die heilige Weihe einen Mönch zum Bischof macht, soll er die Vollmacht haben, als rechtmäßiger Erbe sich sein väterliches Erbe auf Grund des Rechtes zu sichern." Zuweilen auch wird ihnen erlaubt, eine letztwillige Verfügung zu treffen. Also sind sie noch weniger zu den anderen Ordensverpflichtungen gehalten. ANDERSEITS heißt es in den Dekretalen: „Über die Mönche, die lange im Kloster gewesen sind und später zu den Weihen des geistlichen Standes gelangen, bestimmen wir, daß sie ihre früheren Gelübde nicht aufzugeben brauchen." ANTWORT: Der Ordensstand gehört zur Vollkommenheit gewissermaßen wie ein Weg zum Streben nach Vollkommenheit; der bischöfliche Stand aber gehört zur VollQÜAESTIO

185, 8

vanda vota quae in saeculo fecit. Sed religiosus qui assumitur ad episcopatum, ascendit ad aliquid majus, ut supra habitum est. Ergo videtur quod non obligetur episcopus ad ea quae tenebatur observare in statu religionis. 3. PRAETEREA, maxime religiosi obligari videntur ad obedientiam, et ad hoc quod sine proprio vivant. Sed religiosi qui assumuntur ad episcopatum, non tenentur obedire praelatis suarum religionum: quia sunt eis superiores. Nec etiam videntur i.e. teneri ad paupertatem: quia, sicut in Decreto supra indueto dicitur, „quem sacra ordinatio de monacho episcopum facit, velut legitimus haeres, paternam sibi haereditatem jure vindicandi potestatem habeat". Interdum etiam eis conceditur testamenta conficere. Ergo multo minus tenentur ad alias observantias reguläres. Frdb. SED CONTRA est quod dicitur in Decr. 16, q. 1 [cap. 3 ] : r 762 / „De monachis qui diu morantes in monasteriis, si postea ad clericatus ordinem pervenerint, statuimus non debere eos a priori proposito discedere." RESPONDEO dicendum quod, sicut supra dictum est, status religionis ad perfectionem pertinet quasi quaedam via in perfectionem tendendi, status autem episcopalis ad perfectionem

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kommenheit als ein solcher, der eine gewisse Meister- 185, 8 schaft in der Vollkommenheit erreicht hat. Daher verhält sich der Ordensstand zum bischöflichen Stand wie die Schulung zur Meisterschaft und die Ausrichtung zur Vollendung. Die Ausrichtung aber wird nicht aufgehoben, wenn die Vollendung kommt, als höchstens in bezug auf das, was mit der Vollendung nicht [mehr] vereinbar ist; in bezug auf das aber, was mit der Vollkommenheit zusammenstimmt, wird sie noch gefestigt. Nachdem er daher zur Meisterschaft aufgestiegen, paßt es nicht mehr zum Schüler, daß er noch Hörer ist; es paßt aber noch zu ihm, daß er liest und nachdenkt, und zwar noch mehr als früher. 50 muß man also sagen: Wenn es in den Ordensverpflichtungen etwas gibt, was das bischöfliche Amt nicht hindert, sondern was eher noch zum Schutze der Vollkommenheit beiträgt, wie es die Enthaltsamkeit, die Armut und anderes dergleichen tut, so bleibt der Ordensmann, auch wenn er Bischof geworden ist, dazu verpflichtet; infolgedessen auch zum Tragen seines Ordensgewandes, das ein Zeichen dieser Verpflichtung ist. Wenn es aber in den Ordensverpflichtungen etwas gibt, was sich mit dem bischöflichen Amt nicht verträgt, wie die Einsamkeit, das Stillschweigen und manche Enthaltungen und schwere Nachtwachen, wodurch er körperlich unfähig würde, das bischöfliche Amt zu versehen: zur Beobachtung dieser Verpflichtungen ist er nicht gehalten. Q U A E S T I O 185, « pertinet tamquam quoddam perfectionis magisterium. Unde status religionis comparatur ad statum episcopalem sicut disciplina ad magisterium, et dispositio ad perfectionem. Dispositio autem non tollitur, perfectione adveniente, nisi forte quantum ad id in quo perfectioni repugnat; quantum autem ad id quod perfectioni congruit, magis confirmatur. Sicut discipulo, cum ad magisterium pervenerii, non congruit quod ßit auditor; congruit tarnen sibi quod legat et meditetur, etiam magis quam ante. Sic igitur dicendum est quod, si qua sunt in regularibus observantiis quae non impediant pontificale officium, sed magis valeant ad perfectionis custodiam, sicut est continentia, paupertas et alia huiusmodi; et ad haec remanet religiosus, etiam factus episcopus, obligatus; et per consequens ad portandum habitum suae religionis, qui est hujus obligationis Signum. 51 qua vero sunt in observantiis regularibus quae officio pontificali repugnent, sicut est solitudo, Silentium, et aliquae abstinentiae vel vigiliae graves, ex quibus impotens corpore redderetur ad exsequendum pontificale officium, ad hujusmodi servanda non tenetur.

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185,8

Im übrigen aber kann er von der Dispens Gebrauch machen, soweit die Notwendigkeit von Seiten der Person oder des Amtes es erfordert, oder auch die Verfassung der Menschen, mit denen er leben muß, in derselben Weise, wie auch die Ordensoberen sich selbst in diesen Dingen von der Verpflichtung entbinden können. Z u 1. Wer aus einem Mönch zum Bischof wird, wird vom Joch der mönchischen Gelübde befreit, zwar nicht in bezug auf alles, sondern nur in bezug auf jene Dinge, die sich mit dem bischöflichen Amt nicht vertragen (Antw.). Z u 2. Die Gelübde des weltlichen Lebens verhalten sich zu den Gelübden des Ordenslebens wie das Besondere zum Allumfassenden (88, 12 Zu 1: Bd. 19). Die Gelübde des Ordens aber verhalten sich zur bischöflichen Würde wie die Ausrichtung zur Vollendung. Das Besondere nun wird überflüssig, wenn das Allumfassende erreicht ist; die Ausrichtung aber ist immer notwendig, auch bei erreichter Vollkommenheit. Z u 3. Es ist zufällig, wenn die aus einem Orden kommenden Bischöfe den Oberen ihrer Orden zu gehorchen nicht mehr verpflichtet sind, weil sie aufgehört haben, deren Untergebene zu sein, wie auch die Oberen der Orden selbst. Jedoch bleibt die Verpflichtung des Gelübdes der [inneren] Kraft nach, und zwar so, daß sie, falls ihnen einer rechtmäßig vorgesetzt würde, diesem zu gehorchen QUAESTIO

185, >

In aliis tarnen potest dispensatione uti, eecundum quod requirit necessitas personae vel officii, et conditio hominum cum quibus- vivit, per modum quo etiam praelati religionum in talibus secum dispensant. AD PRIMUM ergo dicendum quod ille qui fit de monacho episcopus, absolvitur a jugo monasticae professionis, non quantum ad omnia, sed quantuin ad illa quae officio pontificali repugnant, ut dictum est. AD SECUNDUM dicendum quod vota eaecularis vitae se habent ad vota religionis sicut particulare ad universale, ut supra habitum est. Sed vota religionis se habent ad pontificalem dignitatem sicut dispositio ad perfectionem. Particulare autem superfiuit, habito universali: sed dispositio adhuc necessaria est, perfectione obtenta. AD TERTIUM dicendum quod hoc est per aecidens quod episcopi religiosi obedire praelatis suarum religionum non tenentur, quia subditi esse desierunt: sicut et ipsi praelati religionum. Manet tarnen adhuc obligatio voti virtualiter: ita scilicet quod, si eis legitime aliquis praeficeretur, obedire

98

verpflichtet wären, soweit sie den Ordenssatzungen in der 185, 8 Weise, wie gesagt (Antw.), zu gehorchen gehalten sind und auch ihren Oberen, falls sie solche haben [63]. Eigentum aber können sie in keiner Weise besitzen. Denn sie beanspruchen das väterliche Erbe nicht als eigenes, sondern als der Kirche geschuldetes [64]. Deshalb heißt es an der angeführten Stelle weiter: „Nachdem er Bischof geworden ist, möge er das, was er erwerben konnte, dem Altare zurückerstatten, für den er geweiht wurde." Eine letztwillige Verfügung aber kann er in keiner Weise treffen; denn lediglich die Verwaltung der Kirchengüter wird ihm übertragen, und diese hört mit dem Tode auf, mit dem eine letztwillige Verfügung erst in Kraft tritt, wie der Apostel Hb 9, 16 f. sagt. Wenn er aber mit Erlaubnis des Papstes eine letztwillige Verfügung trifft, so ist das nicht dahin zu verstehen, als ob er aus Eigenem verfügen würde; sondern: kraft apostolischen Ansehens wird die Vollmacht seiner Amtsführung dahin erweitert, daß seine Verfügung noch in Kraft bleiben soll nach seinem Tode. QÜAESTIO

185, s

tenerentur, inquantum tenentur obedire statutis regulae per modum praedictum, et suis superioribus, si quos habent. Proprium autem nullo modo habere possunt. Non enim haereditatem paternam vindicant quasi propriam, sed quasi Ecclesiae debitam. Unde ibidem subditur quod „postquam epi- Frdb. ecopus ordinatur, ad altare ad quod sanctificatur, quod acquirere 1/828 potuit restituat". Testamentum autem nullo modo facere potest: quia 60la dispensatio ei committitur rerum ecclesiasticarum, quae morte finitur, ex qua incipit testamentum valere, ut Apostolus dicit ad Hebr. 9. Si tarnen ex concessione Papae testamentum faciat, non intelligitur ex proprio facere testamentum: sed apostolica auctoritate intelligitur esse ampliata potestas suae dispensationis, ut ejus dispensatio possit valere post mortem.

7*

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186. F R A G E

1

ÜBER DAS, WORIN DER ORDENSSTAND VORNEHMLICH GRÜNDET Hierauf ist das zu betrachten, was zum Ordensstand gehört. Dabei drängt sich eine vierfache Untersuchung auf: Die erste über das, worin der Ordensstand vornehmlich gründet; die zweite über das, was den Ordensleuten erlaubt ist; die dritte über die Unterscheidung der Orden; die vierte über den Eintritt in einen Orden. Zum Ersten ergeben sich zehn Einzelfragen: 1. Ist der Ordensstand vollkommen? 2. Sind die Ordensleute zu allen Räten verpflichtet? 3. Ist die freiwillige Armut zum Ordensleben gefordert? 4. Ist die Enthaltsamkeit gefordert? 5. Ist der Gehorsam gefordert? 6. Fallen diese drei notwendig unter das Gelübde? 7. Darüber, daß diese Gelübde ausreichen. 8. Über ihr Verhältnis zueinander. 9. Sündigt der Ordensmann immer schwer, wenn er eine Satzung seiner Regel übertritt? 10. Sündigt der Ordensmann unter sonst gleichen Umständen und in derselben Art der Sünde schwerer als der Laie?

QUAESTIO

DE HIS

CLXXXVI

IN Q U I B U S R E L I G I O N I S S T A T U S PRAECIPUE CONSISTIT

Deinde considerandum est de his quae pertinent ad statum religionis. Circa quod occurrit quadruplex c o n s i d e r a l o : quarum prima est de his in quibus principaliter consistit religionis status; secunda, de his quae religiosis licite convenire possunt; tertia, de distinctione religionum; quarta, de religionis ingressu. Circa primum quaeruntur decern. — 1. Utrum religiosorum status sit perfectus. — 2. Utrum religiosi teneantur ad omnia Consilia. — 3. Utrum voluntaria paupertas requiratur ad religionem. — 4. Utrum requiratur continentia. — 5. Utrum requiratur obedientia. — 6. Utrum requiratur quod haec cadant sub voto. — 7. De sufficientia horum votorum. — 8. De comparatione eorum ad invicem. — 9. Utrum religiosus semper mortali ter peceet quando transgreditur statutum suae regulae. — 10. Utrum, caeteris paribus, in eodem g e n e r e peccati plus peccet religiosus, quam saecularis.

100

Verlangt

1. A R T I K E L das Ordensleben den Stand der

186, Vollkommenheit?

1. W a s h e i l s n o t w e n d i g ist, scheint nicht zum Stande der V o l l k o m m e n h e i t zu gehören. R e l i g i o ( n ) [65] aber ist heilsnotwendig, w e i l wir durch sie, w i e A u g u s t i n u s i m Buch „ Ü b e r die w a h r e Religion" sagt, dem einen Gott verbunden w e r d e n ; oder von Religio(n) spricht m a n deshalb, w e i l wir Gott ,wiedererwählen', den wir durch Nachlässigkeit verloren haben, w i e A u g u s t i n u s sagt i m 10. Buch des „Gottesstaates". E s scheint also, daß Religio(n) [ = Orden] nicht den Stand der V o l l k o m m e n h e i t bedeutet. 2. R e l i g i o ( n ) ist nach Cicero das, wodurch w i r „der göttlichen Natur V e r e h r u n g und feierlichen Dienst darbringen". Gott V e r e h r u n g und feierlichen Dienst darbringen scheint aber m e h r zum Dienst der h e i l i g e n W e i h e n zu g e h ö r e n als zur V e r s c h i e d e n h e i t der S t ä n d e (183, 3 ; 40, 2: Bd. 17). A l s o scheint Religio(n) [ = Orden] nicht den Stand der V o l l k o m m e n h e i t zu bedeuten. 3. Der Stand der V o l l k o m m e n h e i t wird unterschieden gegen den Stand der A n f a n g e n d e n und Fortgeschrittenen [183, 4 ] , A b e r auch im Orden gibt es A n f a n g e n d e u n d Fortgeschrittene. A l s o bedeutet der Orden nicht den Stand der V o l l k o m m e n h e i t . 4. D e r Orden scheint Ort der B u ß e zu sein. S o nämlich QUAESTIO

Utrum

186, 1

religio

ARTICÜLUSI importet statum

perfectionis

[Supra 184, 5; CG III 130; PVS 11 et 16; 1. Qlb 7, 2 ad 2; 3: 6, 3; Mt 19]

AD PRIMUM sie proceditur. Videtur quod religio non importet statum perfectionis. Illud enim quod est de necessitate salutis, non videtur ad statum perfectionis pertinere. Sed religio est de necessitate salutis: quia „per eam uni vero Deo religamur", sicut Augustinus dicit in Lib. de Vera Relig. [cap. 55]; vel religio dicitur ex eo quod „Deum reeligimus, PL quem amiseramus negligentes", ut Aug. dicit in 10 de Civ. Dei ^Z172 [cap. 3]. Ergo videtur quod religio non nominet perfectionis pl 41 280 statum. /' 2. PRAETEREA, religio, secundum Tullium in libro 2 De Invent. Rhet. [cap. 53], est, quae „naturae divinae cultum et caeremoniam aflert". Sed aflerre Deo cultum et caeremoniam magis videtur pertinere ad mysteria sacrorum ordinum quam ad diversitatem statuum ut ex supra dictis patet. Ergo videtur quod religio non nominet perfectionis statum. 3. PRAETEREA, Status perfectionis distinguitur contra statum ineipientium et proficientium. Sed etiam in religione sunt aliqui ineipientes et aliqui proficientes. Ergo religio non nominat perfectionis statum. 4. PRAETEREA, religio videtur esse poenitentiae locus: dicitur

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186, i heißt es in den Dekretalen: „Die heilige Kirchenversammlung bestimmt, daß keiner, der von der Bischofswürde zum Leben der Mönche und zum Ort der Buße herabgestiegen ist, wieder zur Bischofswürde aufsteigt." Der Ort der Buße aber ist dem Stande der Vollkommenheit entgegengesetzt, weshalb Dionysius die Büßer an die letzte Stelle, nämlich unter die „zu Reinigenden" versetzt. Also scheint der Orden nicht Stand der Vollkommenheit zu sein. ANDERSEITS sagt Abt Moses [66], wo er von den Ordensleuten spricht: „Wir müssen wissen, daß wir den Hunger der Fasten, Nachtwachen, Mühseligkeiten, Armut [dürftige Bekleidung] des Leibes, Lesungen und die übrigen Tugendübungen auf uns nehmen müssen, um auf diesen Stufen zur Vollkommenheit der Liebe emporzusteigen." Was aber in den Bereich menschlicher Tätigkeit gehört, empfängt vom Ziel her Art und Namen. Also gehören die Ordensleute zum Stand der Vollkommenheit. Auch Dionysius sagt, daß „diejenigen, die Gottes Diener heißen, aus der reinen Gotteshingabe und -Verehrung zur liebenswerten Vollkommenheit geeint werden". ANTWORT: Was gemeinsam vielen zukommt, wird in betonter Weise dem zugeschrieben, dem es in überragender Weise eigen ist (141, 2: Bd. 21).i So behält sich den Namen ,Tapferkeit' jene Tugend vor, die in den schwierigsten Lagen die Festigkeit der Seele wahrt, und den Namen QUAESTIO

Frdb. 1/585 PG ''^Sof H/1377 PL 49/489 A

PG 3/533 A ii'1386

186, I

e n i m i n D e c r e t i s 7, q. 1 [cap. Hoc n e q u a q u a m ] : „ P r a e c i p i t mons a n c t a S y n o d u s ut q u i c u m q u e d e pontificali d i g n i t a t e a d a c h o r u m v i t a m et p o e n i t e n t i a e d e s c e n d e r i t locum, n u m q u a m ad p o n t i f i c a t u m resurgat." S e d locus p o e n i t e n t i a e o p p o n i t u r statui p e r f e c t i o n i s : u n d e D i o n y s . , i n Libro D e Eccles. H i e r . [cap. 6 ] , P ° n i t p o e n i t e n t e s in i n f i m o loco, scilicet inter „purgandos". Ergo v i d e t u r q u o d r e l i g i o n o n sit status p e r f e c t i o n i s . S E D CONTRA est quod, in Collationibus P a t r u m [collat. 1, cap. 7 ] , dicit A b b a s M o y s e s d e r e l i g i o s i s l o q u e n s : „ J e j u n i o r u m i n e d i a m , vigilias, labores, corporis n u d i t a t e m , l e c t i o n e m , caeterasq u e v i r t u t e s d e b e r e n o s s u s c i p e r e n o v e r i m u s , ut a d p e r f e c t i o n e m charitatis istis g r a d i b u s p o s s i m u s a s c e n d e r e . " S e d e a q u a e ad h u m a n o s actus pertinent, ab i n t e n t i o n e finis s p e c i e m et n o m e n recipiunt. Ergo r e l i g i o s i p e r t i n e n t ad s t a t u m p e r f e c t i o n i s . D i o n y s i u s e t i a m i n Libro D e Eccles. H i e r . [cap. 6 ] dicit , eos, qui n o n i i n a n t u r D e i f a m u l i , e x D e i p u r o s e r v i t i o et f a m u uniri ad a m a b i l e m p e r f e c t i o n e m " . R E S P O N D E O d i c e n d u m q u o d , sicut e x s u p r a dictis patet, id q u o d c o m m u n i t e r m u l t i s convenit, a n t o n o m a s t i c e attribuitur ei cui p e r e x c e l l e n t i a m c o n v e n i t : sicut n o m e n f o r t i t u d i n i s vindicat sibi illa virtus q u a e circa d i f f l c i l l i m a firmitatem a n i m i servat, i Zum Ausdruck .antonomastice' vgl. Bd. 30, Anm. [13], S. 393.

102

,Maßhaltung' behält sich jene Tugend vor, die in den 186,1 größten Freuden Maß hält. Die Religion aber ist eine Tugend, durch welche wir Gott zu Dienst und Ehren etwas darbringen. Deshalb werden in betonter Weise ,Religiösen' jene genannt, welche sich gänzlich dem Dienste Gottes weihen, indem sie [sich selbst] gleichsam Gott zum Ganzopfer darbringen. Deshalb sagt Gregor: „Es gibt Menschen, die nichts für sich zurückbehalten, sondern ihre Sinne, ihre Sprache, ihr Leben und ihren Besitz, den sie sich erworben haben, dem allmächtigen Gott opfern." Darin aber liegt die Vollkommenheit des Menschen, daß er gänzlich Gott anhängt (184, 2). Und infolgedessen bedeutet die Religio (n) [das Ordensleben] den Stand der Vollkommenheit. Z u 1. Etwas zur Verehrung Gottes beitragen ist heilsnotwendig. Daß aber einer sich und das Seine gänzlich dem Dienste Gottes weiht, gehört zur Vollkommenheit. Z u 2. Wie oben (81, 1 Zu 1; 4 Zu 1 und 2; 85,3: Bd. 19), als von der Tugend der Gottesverehrung die Rede war, schon gesagt wurde, gehört zur Gottesverehrung nicht nur die Darbringung von Opfergaben und Ähnliches, was der Gottesverehrung eigen ist; sondern die Betätigung aller Tugenden, sofern sie hingeordnet wird auf Gottes Dienst und Ehre, wird zur Betätigung der Gottesverehrung [ = Religio(n)]. Wenn demnach einer sein ganzes Leben dem Gottesdienste weiht, so gehört sein ganzes Leben zur [Tuet u A E s T i o 186, i et temperantiae nomen vindicat sibi illa virtus quae temperat maximas delectationes. Religio autem, ut supra habitum est, est quaedam virtus per quam aliquis ad Dei servitium et cultum aliquid exhibet. Et ideo antonomastice ,religiosi' dicuntur illi qui se totaliter maneipant divino servitio, quasi holocaustum Deo offerentes. Unde Gregorius dicit, super Ezech. [hom. 20]: „Sunt PL quidam qui nihil sibimetipsis reservant: sed sensum, linguam, 76 / 1037 vitam, atque substantiam quam pereeperunt, omnipotenti Deo immolant." In hoc autem perfectio hominis consistit quod totaliter Deo inhaereat: sicut ex supra dictis patet. Et secundum hoc, religio nominat perfectionis statum. AD PRIMUM ergo dicendum quod exhibere aliqua ad cultum Dei est de necessitate salutis: sed quod aliquis se totaliter et sua divino cultui deputet, ad perfectionem pertinet. AD SECUNDUM dicendum quod, sicut supra dictum est, cum de virtute religionis ageretur, ad religionem pertinent non solum oblationes sacrificiorum et alia hujusmodi quae sunt religioni propria: sed etiam actus omnium virtutum, secundum quod referuntur ad Dei servitium et honorem, efficiuntur actus religionis. Et secundum hoc, si aliquis totam vitam suam divino

103

D

186, l gend der] Gottesverehrung. Demnach werden die Menschen, die im Stande der Vollkommenheit sind, nach dem religiösen Leben, das sie führen, ,Religiösen' [ = Ordensleute] genannt. Z u 3. Das Ordensleben bedeutet den Stand der Vollkommenheit aus der Absicht auf das Ziel (Anderseits). Deshalb ist es nicht notwendig, daß jeder, der im Orden lebt, schon vollkommen ist, sondern daß er nach der Vollkommenheit strebt. Deshalb sagt Origenes zu Mt 19, 21 ,Wenn du vollkommen sein willst usw.', daß „der, welcher f ü r den Reichtum die Armut eingetauscht hat, um vollkommen zu werden, nicht schon in dem Augenblick, wo er seine Güter den Armen überläßt, gänzlich vollkommen ist; sondern von dem Tage an wird das Nachdenken über Gott ihn [allmählich] zu allen Tugenden führen". Und so sind im Orden nicht schon alle vollkommen, sondern einige zählen zu den Anfängern, einige zu den Fortgeschrittenen. Z u 4. Der Ordensstand ist vornehmlich eingesetzt, um durch gewisse [geistliche] Übungen, durch welche die Hindernisse der vollkommenen Liebe aus detn Wege geräumt werden, die Vollkommenheit zu erlangen. Sind diese Hindernisse der vollkommenen Liebe einmal ausgeräumt, so werden um so mehr die Gelegenheiten zur Sünde, durch welche die Liebe gänzlich aufgehoben wird, ausgeschaltet. Da es nun Sache des Büßers ist, die Ursache der Sünde auszumerzen, so ist infolgedessen der QUAESTIO

186, i

servitio deputet, tota vita sua ad religionem pertinebit. Et secundum hoc, ex vita religiosa quam ducunt, religiosi dicuntur qui sunt in statu perfectionis. AD TERTIUM dicendum quod, sicut dictum est, religio nominat statum perfectionis ex intentione finis. Unde non oportet quod quicumque est in religione, jam sit perfectus: sed quod ad perfectionem tendat. Unde super illud Matth. 19: ,Si PG13 vis perfectus esse' etc., dicit Origenes [tract. 8 in Matth.] quod sq ' „ille qui mutavit pro divitiis paupertatem ut fiat perfectus, non in ipso tempore quo tradiderit bona sua pauperibus, fiat omnino perfectus: sed ex illa die incipiet s p e c u l a l o Dei adducere eum ad omnes virtutes". Et hoc modo in religione non omnes sunt perfecti, sed quidam incipientes, quidam proficientes. AD QUARTUM dicendum quod religionis status principaliter est institutus ad perfectionem adipiscendam per quaedam exercitia quibus tolluntur impedimenta perfectae charitatis. Sublatis autem impediments perfectae charitatis, multo magis exciduntur occasiones peccati, per quod totaliter tollitur Charitas. Unde, cum ad poenitentem pertineat causas peccatorum excidere, ex

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Ordensstand der angemessenste Ort der Buße. Daher wird 186, 2 in den Dekretalen einem Menschen, der seine Gattin getötet hatte, der Rat gegeben, ins Kloster zu gehen, von dem es heißt, es sei „besser und leichter", als in der Welt zu bleiben und dort öffentliche Buße zu tun. 2. A R T I K E L Ist jeder Ordensmann zu allen Räten verpflichtet? 1. Wer immer einen Stand gelobt hat, ist zu allem gehalten, was jenem Stande zukommt. Jeder Ordensmann aber gelobt den Stand der Vollkommenheit. Also ist jeder Ordensmann zu allen Räten verpflichtet, die zum Stande der Vollkommenheit gehören. 2. Gregor sagt, „daß jener, der diese Welt verläßt und tut, was er Gutes tun kann, gleichsam Ägypten verlassen hat und Opfer darbringt in der Wüste" [67]. Die Welt verlassen geht aber im besonderen die Ordensleute an. Also ist es auch deren Sache, alles Gute zu tun, was sie tun können. Und so scheint es, daß jeder von ihnen gehalten ist, alle Räte zu befolgen. 3. Wenn es zum Stande der Vollkommenheit nicht erforderlich ist, daß einer alle Räte befolgt, so scheint es genügend zu sein, wenn er einige Räte befolgt. Doch das QUAESTIO

186, i

consequenti status religionis est convenientissimus poenitentiae locus. Unde in Decr., 33, q. 2, cap. A d m o n e r e , consulitur cuidam, Frdb. qui u x o r e m occiderat, ut potius monasterium ingrediatur, quod I/H62 sq. dicitur esse „melius et levius", quam poenitentiam publicam agat r e m a n e n d o i n saeculo. Utrum

quilibet

A R T I C U L U S II religiosus teneatur Consilia

ad

omnia

[3, d. 29: a. 8 qa 3; Car. 11 ad 12; 1. Qlb 7, 2; CI 2; CR 2]

A D S E C U N D U M sie proceditur. V i d e t u r quod quilibet religiosus t e n e a t u r ad omnia Consilia. Quicumque enim profitetur statum aliquem, tenetur ad ea quae illi statui conveniunt. S e d quikDet rengioaus proütetur staium perfectionis. Ergo quilibet religiosus tenetur a d o m n i a Consilia, q u a e ad perfectionis statum pertinent. 2. P R A E T E R E A , Gregorius dicit, s u p e r Ezech. [hom. 20] quod ,,ill« qui p r a e s e n s saeculum deserit et agit bona quae valet, quasi j a m Aegypto derelicto, sacrificium p r a e b e t in e r e m o " . S e d d e s e r e r e saeculum specialiter pertinet ad religiasos. Ergo etiam eorum est a g e r e omnia bona quae valent. Et ita videtur quod quilibet eorum teneatur ad omnia Consilia implenda. 3. P R A E T E R E A , si non requiritur ad statum perfectionis quod aliquis omnia Consilia impleat, sufficiens esse videtur, si q u a e d a m Consilia impleat. S e d hoc falsum est: quia multi in 8

24

105

P L

/103«a

186, 2 ist falsch. D e n n viele, die in der Welt leben, befolgen einige Räte, wie das offenbar ist bei denen, die enthaltsam leben. Es scheint also, d a ß j e d e r Ordensmann, weil er im Stande der Vollkommenheit ist, zu allem gehalten ist, was zur Vollkommenheit gehört. Das sind a b e r alle Räte ohne A u s n a h m e [68]. A N D E R S E I T S : Zu dem, w a s zu den W e r k e n der Überg e b ü h r gehört, ist einer n u r gehalten auf G r u n d selbst ü b e r n o m m e n e r Verpflichtung. J e d e r O r d e n s m a n n aber verpflichtet sich zu ganz bestimmten Dingen, der eine zu diesen, der a n d e r e zu j e n e n . Also sind nicht alle zu allem verpflichtet. A N T W O R T : Zur Vollkommenheit gehört etwas in dreifacher Weise. E i n m a l wesentlich. Und so gehört zur Vollkommenheit die vollkommene Beobachtung der Liebesgebote (184, 3). — In a n d e r e r Weise gehört etwas zur Vollkommenheit als Folgerung, so z. B. das, was aus der Vollkommenheit der Liebe folgt; z. B., daß einer den seguet, d e r ihn verflucht [Lk 6, 28], u n d a n d e r e s dergleichen befolgt, w a s zwar der Bereitschaft des Geistes nach — so nämlich, d a ß es erfüllt wird, w e n n die Notwendigkeit es erfordert — unter das Gebot fällt, w a s a b e r aus ü b e r s t r ö m e n d e r Liebe auch d a n n erfüllt w i r d , w e n n k e i n e Notwendigkeit vorliegt. — In einer d r i t t e n Weise gehört etwas werkzeuglich u n d v o r b e r e i t e n d zur Vollkommenheit, wie A r m u t , Enthaltsamkeit, Enthaltung [von Speise u n d T r a n k ] und a n d e r e s dergleichen. Q U A E S T I O 186, ! saeculari vita existentes aliqua consilia implent, ut patet de his qui continentiam servant. Ergo videtur quod quilibet religiosus, qui est in statu perfectionis, teneatur ad omnia quae sunt perfectionis. Hujusmodi autem sunt omnia consilia. SED CONTRA, ad ea quae sunt supererogationis non tenetur aliquis nisi ex propria obligatione. Sed quilibet religiosus obligat se ad aliqua determinata: quidam ad haec, quidam ad illa. Non ergo omnes tenentur ad omnia. RESPONDEO dicendum quod ad perfectionem aliquid pertinet tripliciter. Uno modo essentialiter. Et sie, ut supra dictum est, ad perfectionem pertinet perfecta observantia praeeeptorum charitatis. — Alio modo ad perfectionem pertinet aliquid consequenter, sicut illa quae consequuntur ex perfectione charitatis: puta quod aliquis maledicenti benedicat, Luc. 6 et alia hujusmodi impleat, quae, etsi secundum praeparationem animi eint in praeeepto, ut scilicet impleantur quando necessitas requirit, tarnen ex superabundantia charitatis procedit quod etiam extra necessitatem quandoque talia impleantur. — Tertio modo pertinet aliquid ad perfectionem instrumentaliter et dispositive: sicut paupertas et continentia et abstinentia et alia hujusmodi.

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Es ist aber schon gesagt worden (Art. 1 Anderseits), 186,2 daß die Vollkommenheit der Liebe das Ziel des Ordensstandes ist. Nun ist der Ordensstand in gewissem Sinne eine Schulung oder Übung, um zur Vollkommenheit zu gelangen. Das versuchen nun manche durch verschiedene Übungen zu erreichen. Wie auch der Arzt verschiedene Heilmittel gebrauchen kann, um [den Kranken] gesund zu machen. Offenbar aber ist es für den, der auf das Ziel hinarbeitet, nicht notwendig gefordert, daß er das Ziel schon erreicht habe; sondern es ist nur gefordert, daß er auf irgendeinem Wege dem Ziele zustrebt. Demnach ist der, welcher den Ordensstand erwählt, nicht gehalten zur vollkommenen Liebe, sondern er ist [nur] gehalten, dahin zu streben und sich Mühe zu geben, daß er die vollkommene Liebe erlange. — Aus demselben Grunde ist er nicht gehalten, das zu erfüllen, was aus der Vollkommenheit der Liebe folgt; er ist aber gehalten, sich Mühe zu geben, es zu erfüllen. Dagegen handelt der Verächter. Deshalb sündigt er nicht, wenn er sie außer acht läßt, sondern [nur], wenn er sie verachtet. — Ebenso ist er auch nicht verpflichtet zu allen Übungen, die zur Vollkommenheit führen, sondern [nur] zu jenen ganz bestimmten, die ihm auf Grund der Regel, die er gelobt hat, auferlegt sind. Z u 1. Wer in den Orden eintritt, gelobt nicht, vollkommen zu sein, sondern gelobt, allen Eifer aufzuwenden, um zur Vollkommenheit zu gelangen. So bekennt auch QUAESTIO 186, i Dictum est autem quod ipsa perfectio charitatis est finis status religionis: status autem religionis est quaedam disciplina vel exercitium ad perfectionem perveniendi. Ad quam quidem aliqui pervenire nituntur exercitiis diversis: sicut etiam medicus ad sanandum uti potest diversis medicamentis. Manifestum est autem quod ille qui operatur ad flnem, non ex necessitate convenit quod jam assecutus sit flnem: sed requiritur quod per aliquam viam tendat ad flnem. Et ideo ille qui statum religionis assumit, non tenetur habere perfectam charitatem, 6ed tenetur ad hoc tendere et operam dare ut habeat charitatem perfectam. — Et eadem ratione, non tenetur ad hoc quod illa impleat quae perfectionem charitatis consequuntur: tenetur autem ut ad ea implenda intendat. Contra quod facit contemnens. Unde non peocat, si ea praetermittat: sed si ea contemnat. — Similiter etiam non tenetur ad omnia exercitia quibus ad perfectionem pervenitur: sed ad illa, determinate, quae sunt ei taxata secunduin regulam quam professus est. AD PRIMUM ergo dicendum quod ille qui transit ad religionem, non profltetur se esse perfectum, sed profitetur se adhibere Studium ad perfectionem consequendam: sicut etiam

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186, 2 der, der zur Schule geht, nicht, daß er schon wissend sei, sondern daß er sich Mühe gebe, Wissenschaft zu erwerben. Deshalb wollte auch P y t h a g o r a s , wie Augustinus sagt, sich nicht als Weisen bekennen, sondern als „Liebhaber der Weisheit". Demnach ist der Ordensmann kein Übertreter der Gelübde, wenn er noch nicht vollkommen ist, sondern nur, wenn er es verachtet, nach Vollkommenheit zu streben. Zu 2. Wie alle gehalten sind, Gott aus ganzem Herzen zu lieben — es gibt aber eine Ganzheit, die nicht ohne Sünde verfehlt werden kann; eine andere aber, die ohne Sünde verfehlt werden kann (184, 2), solange nur keine Verachtung vorliegt (Zu 1) —, so sind auch alle, Ordensund Weltleute, gehalten, irgendwie zu tun, was sie Gutes tun können; denn allen insgesamt wird gesagt: „Was immer deine Hand tun kann, tue eifrig" (Prd 9, 10). E s gibt aber eine Weise, dieses Gebot zu erfüllen, bei welcher die S ü n d e gemieden wird, wenn nämlich der Mensch tut, was er kann, so wie es die Lebensbedingungen seines Standes erfordern; wenn nur nicht damit die Verachtung des Besseren verbunden ist, wodurch der Geist sich [hartnäckig] gegen den geistigen Fortschritt sperrt. Z u 3. Ks gibt gewisse [geistliche ] Räte, ohne deren Beobachtung das ganze Leben des Menschen sich in weltliche Geschäfte verliert; so wenn einer Eigentum besitzt oder verheiratet ist, oder sonst etwas tut, w a s in den BeQ U A E S T I O 186, • qui intrat scholas, non profitetur se scientem, sed profitetur se studentem ad scientiam acquirendam. Unde, sicut Augustinus dicit PL in 8 de Civ. Dei [cap. 2 ] : „Pythagoras noluit profiteri se sapien41/225 D tem sed sapientiae amatorem." Et ideo religiosus non est transgressor perfectionis, si non sit perfectus: sed solum si contemnat ad perfectionem tendere. AD SECUNDUM dicendum quod, sicut diligere Deum ex toto corde tenentur omnes, est ahqua tarnen perfectionis totalitas quae sine peccato praetermitti non potest, aliqua autem quae sine peccato praetermittitur dum tarnen desit contemptus, ut supra dictum est: ita etiam omnes, tarn religiosi quam 6aeculares, tenentur aliqualiter facere quidquid boni possunt. Omnibus enim communiter dieitur, Eccle. 9: „Quidquid potest manus tua, instanter operare"; est et tarnen aliquis modus hoc praeceptum implendi quo peccatum vitatur, si scilicet homo faciat quod potest, secundum quod requirit conditio eui status; dummodo contemptus non adsit agendi meliora, per quem animus confirmatur contra 6piritualem profectum. AD TERT1UM dicendum quod quaedam consilia sunt, quae si praetermitterentur, tota vita hominis implicaretur negotiis saecularibus: puta si aliquis haberet proprium, vel matrimonio uteretur, aut aliquid hujusmodi faceret quod pertinet ad

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reich der wesentlichen Gelübde des Ordensstandes gehört. 186, s Deshalb sind die Ordenslejite zur Befolgung all dieser Räte verpflichtet. Es gibt aber bestimmte Räte, die auf das bessere Tun im einzelnen gehen; diese können vernachlässigt werden, ohne daß sich das menschliche Leben ins weltliche Tun verliert. Deshalb sind auch die Ordensleute nicht notwendig an all diese Räte gebunden. 3.

ARTIKEL

Ist die Armut

zur Vollkommenheit des Ordenslebens gefordert? 1. Was unerlaubterweise geschieht, scheint nicht zum Stande der Vollkommenheit zu gehören. Daß der Mensch all seinen Besitz aufgibt, scheint jedoch unerlaubt zu sein. Der Apostel nämlich gibt den Gläubigen 2 Kor 8, 12 eine Anweisung für das Almosengeben, indem er sagt: ..Wenn die Bereitwilligkeit vorhanden ist, ist sie wohlgefällig gemäß dem, was sie hat", d. h. „so, daß einer das Notwendige behält" fG'osse). Und später fügt er bei: .Nicht, daß andere Erholung, ihr aber die Last habt", Glosse: „d. h. die Armut". Und zu 1 Tim 6. 8 ,haben wir Nahrung und Kleidung |\ so wollen wir damit zufrieden sein]' sagt die Glosse: „Wenn wir auch nichts [in diese Welt] mitgebracht haben und nichts mitnehmen werden, so dürfen QUAESTIO

186, i

essentialia religionis vota. Et ideo ad oinnia talia consilia observanda religiosi tenentur. Sunt autem quaedam consilia de quibusdam particularibus melioribus actibus, quae praetermitti possunt, absque hoc quod vita hominis saecularibus actibus implicetur. Unde non oportet quod ad omnia talia religiosi teneantur. A R T I C U L U S III Utrum

paupertas

requiratur religionis

ad

perfectionem

[CG I I I 130 131 133 134; CR 14—16; PVS 7 et 8; CI 1 et 6; Mt 19]

AD TERTIUM sie proceditur. Videtur quod paupertas non requiratur ad perfectionem religionis. Non enim vddetur ad statum perfectionis pertinere illud quod illicite fit. Sed quod homo omnia sua relinquat, videtur esse illicitum. Apostolus enim, 2 ad Cor. 8, dat formam fidelibus eleemosynas faciendi dicens: „Si voluntas prompta est, secundum illud quod habet aeeepta est" — idest ut necessaria retineatis [Glossa interl.]; et postea subdit: „Non ut aliis sit remissio, vobis autem tribulatio", Glossa [interl.]: „idest paupertas". Et super illud 1 ad Tim. 6 ,Habentes alimenta et quibus tegamur', dicit Glossa [interl. ex Lomb.]: „Etsi nihil intulerimus vel ablaturi simus,

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PL 192/58 A PL 192/68 ü PL 192/368 D

186, 3

wir

doch die zeitlichen Dinge nicht ganz von uns abtun." Also scheint es, daß die freiwillige Armut zur Vollkommenheit nicht erfordert ist. 2. Wer sich einer Gefahr aussetzt, sündigt. Wer aber, nachdem er sein ganzes Besitztum aufgegeben hat, die freiwillige Armut übt, setzt sich der Gefahr aus, und zwar der g e i s t i g e n , nach Spr 30, 9: „Damit ich nicht etwa, durch Not getrieben, stehle und dem Namen meines Gottes fluche" und Sir 27, 1: „Aus Mangel sind viele umgekommen" [69]; oder der l e i b l i c h e n [Gefahr]; so heißt es Prd 7, 13: „Wie die Weisheit Schutz gewährt, so schützt auch das Geld." Und der Philosoph [Aristoteles] sagt: „Eine Verderbnis des Menschen selbst scheint die Auflösung des Besitzes zu sein, weil der Mensch davon lebt" [70]. Also scheint die freiwillige Armut zur Vollkommenheit des Ordenslebens nicht gefordert. 3. „Die Tugend liegt in der Mitte" (Aristoteles) [71]. Wer aber infolge freiwillig erwählter Armut alles verläßt, scheint sich nicht mehr in der Mitte zu halten, sondern mehr am äußersten Ende. Also handelt er nicht der Tugend gemäß. Deshalb gehört das nicht zur Vollkommenheit des Lebens. 4. Die letzte Vollendung des Menschen besteht in der Seligkeit. Reichtum aber trägt bei zur Seligkeit; denn Sir 31, 8 heißt es: „Selig der Reiche, der ohne Mangel Q U A E S T I O 186, s

non tarnen omnino abjicienda sunt haec temporalia." Ergo videtur quod voluntaria paupertas non requiritur ad perfectionem religionis. 2. PRAETEREA, quicumque se exponit periculo, peccat. Sed ille qui, omnibus suis relictis, voluntariam paupertatem sectatur, exponit se periculo: et spirituali, secundum illud Prov. 30: „Non forte, egestate compulsus, furer et perjurem nomen Dei mei", et Eccli. 27: „Propter inopiam multi perierunt"; et etiam corporali, dicitur enim Eccle. 7: „Sicut protegit sapientia, sie 1120 a 2 protegit et pecunia." Et Philosophus dicit, in 4 Eth. [cap. 1], quod „videtur quaedam perditio ipsius hominis esse corruptio divitiarum. quia per has homo vivit". Ergo videtur quod voluntaria paupertas non requiritur ad perfectionem religiosae vitae. 3 PRAETEREA. „virtus in medio consistit": ut dicitur in lios b 3s 2 Eth. [cap. 6 ] . Sed ille qui omnia dimittit per voluntariam paupertatem, non videtur in medio consistere, sed magis in extremo. Ergo non agit virtuose. Et ita hoc non pertinet ad vitae perfectionem. 4. PRAETEREA, ultima perfectio hominis in beatitudine consistit. Sed divitiae conferunt ad beatitudinem. Dicitur enim Eccli. 31: „Beatus est dives, qui inventus est sine maeula." Et

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erfunden wurde." Und der Philosoph sagt, daß Reichtum 186,3 „organisch" zum Glück verhilft [72]. Also ist die freiwillige Armut nicht zur Vollkommenheit des Ordenslebens gefordert. 5. Der Stand der Bischöfe ist vollkommener als der Ordensstand. Nun können aber die Bischöfe Eigentum besitzen (185, 6). Also auch die Ordensleute. 6. Almosengeben ist ein Gott wohlgefälliges Werk; wie Chrysostomus sagt: „Ein Heilmittel, das für die Buße von besonderer Wirksamkeit ist." Die Armut aber schließt das Almosengeben aus. Also scheint die Armut nicht zur Vollkommenheit des Ordenslebens zu gehören. ANDERSEITS sagt Gregor: „Es gibt Gerechte, welche, um die Höhe der Vollkommenheit zu erreichen, während sie nach innen das Höchste erstreben, nach außen alles verlassen." Sich rüsten, um den Gipfel der Vollkommenheit zu erreichen, ist aber eigentlich Sache der Ordensleute (Art. 1 u. 2). Also gebührt es ihnen, daß sie durch die freiwillige Armut nach außen alles verlassen. ANTWORT: Der Ordensstand ist in gewissem Sinne eine Übung und eine Schule, durch die man zur Vollkommenheit der Liebe gelangt. Dazu ist es notwendig, daß man seine Neigung gänzlich von den weltlichen Dingen abwendet. Augustinus sagt nämlich, indem er Gott anQ U A E S T I O 186, > Philosophus dicit in 1 Eth. fcap. 8], quod divitiae „organice" deserviunt ad felicitatem. Ergo voluntaria p a u p e r t a s non requiritur ad perfectionem religionis. 5. PRAETEREA, status episcoporum est perfectior quam status religionis. Sed episcopi possunt p r o p r i u m habere, ut s u p r a habitum est. Ergo et religiosi. 6. PRAETEREA, d a r e eleemosynam est opus m a x i m e Deo acceptum: et, sicut Chrysostomus dicit, [hom. 9 in Epist. ad Hebr.] „medicamentum, quod m a x i m e in poenitentia o p e r a t u r " . Sed p a u p e r t a s excludit eleemosynarum largitionem. Ergo videtur quod p a u p e r t a s ad perfectionem religionis non pertineat SED CONTRA est quod Gregorius dicit in 8 Mor. Tcap. 26] : „Sunt nonnulli justorum qui, ad c o m p r e h e n d e n d u m culmen perfectionis accincti. dum altiora interius appetunt, exterius cuncta derelinquunt." Sed accingi ad c o m p r e h e n d e n d u m culmen p e r fectionis proprie pertinet ad religiosos, ut dictum est. Ergo eis competit ut p e r voluntariam p a u p e r t a t e m cuncta exterius derelinquant. RESPONDEO dicendum quod, sicut dictum est, 6tatus religionis est quoddam exercitium et disciplina p e r quam pervenitur ad perfectionem charitatis. Ad quod quidem necessarium est quod affectum 6uum totaliter abstrahat a r e b u s m u n d a n i s : dicit enim Augustinus, in 10 Confess. [cap. 29] ad Deum loquens:

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186. 3 r e d e t : „ D e r liebt Dich zu wenig der n e b e n D i r e t w a s liebt, w a s e r nicht D e i n e t w e g e n l i e b t . " D e s h a l b sagt e r auch im ,.Buch von den 8 3 F r a g e n " : „ D i e V e r m i n d e r u n g d e r B e g i e r d e ist Nahrung der L i e b e ; wo V o l l k o m m e n h e i t , da k e i n e B e g i e r d e . " A u s dem B e s i t z d e r w e l t l i c h e n Dinge a b e r wird der G e i s t Tdes B e s i t z e n d e n ! angelockt, sie zu lieben. S o sagt A u g u s t i n u s : ..Die irdischen D i n g e w e r d e n m e h r gelipbt. wenn wir sie besitzen a ' s wenn w i r sie ers t r e b e n . Denn w a r u m ging j e n e r J ü n g l i n g traurig von d a n n e n ? W a r u m a n d e r s , als weil er großen R e i c h t u m b e s a ß . Denn etwas a n d e r e s ist es. das, was fehlt, sich nicht verschaffen zu w o l l e n ; etwas a n d e r e s , sich von dem zu trennen, was man b e r e i t s besitzt. A u f j e n e s verzichtet m a n w i e auf etwas F r e m d e s , d i e s e s wird a b g e s c h n i t t e n w i e ein G l i e d . " Auch C h r y s o s t o m u s sagt, d a ß „die A n h ä u f u n g von R e i c h t u m e i n e i m m e r s t ä r k e r e F l a m m e entzündet und die B e g i e r d e i m m e r r a s e n d e r m a c h t " . D a r a u s ergibt s i c h : d a s e r s t e F u n d a m e n t , um zur V o l l e n d u n g der L i e b e zu g e l a n g e n , i s t f r e i w i l l i g e Armut, daß m a n o h n e E i g e n t u m lebt, w i e der H e r r Mt 19, 21 s a g t : „Willst du v o l l k o m m e n sein, geh hin, v e r k a u f e alles, w a s du hast, gib es den A r m e n und dann k o m m , f o l g e M i r . " Z u 1. W i e die G l o s s e e b e n d o r t beifügt, „sagte d e r Apostel das ( n ä m l i c h : ,Nicht, daß euch die L a s t b l e i b t ' , d. h. die A r m u t ) nicht deshalb, als o b e s nicht b e s s e r w ä r e [ a l l e s zu g e b e n ] ; a b e r e r f ü r c h t e t f ü r die S c h w a c h e n , QUAESTIO

186, »

„Minus te amat, qui tecum aliquid amat quod non propter PL te amat." Unde et in lib. 83 QQ. [cap. 36], dicit Augustinus 40/25 B QUOD „nutrimentum charitatis est diminutio cupiditatis: perfectio, nulla cupiditas." E x hoc autem quod aliquis res mundanas possidet, allicitur animus ejus ad earum amorem. Unde PI. Augustinus dicit, in Epist. ad Paulinum et Therasiam, quod 33/124 B ; i terrena diliguntur arctius adepta quam cupita. Nam unde juvenis ille triste discessit, nisi quia magnas habebat divitias? Aliud est enim nolle incorporare quae desunt, aliud jam incorporata divellere: illa enim velut extranea repudiantur; illud velut membra praescinduntur." Et Chrysostomus dicit, super PG Matth, [hom. 631, quod „appositio divitiarum majorem accendit 58/606 C flammam, et vehementior fit cupido". Inde est quod ad perfectionem charitatis acquirendam, primum fundamentum est voluntaria paupertas, ut aliquis absque proprio vivat: dicente Domino, Matth. 19: „Si vis perfectus esse, vade, vende omnia quae habes et da pauperibus, et veni, et sequere me." PL AD PRIMUM ergo dicendum quod, sicut Glossa [interlin. 192/58 D E X LOMT>.] ibidem subdit, „non ideo dixit Apostolus (scilicet, ut vobis non sit tribulatio idest paupertas), quin melius esset:

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die er ermahnt, so zu geben, daß sie seihst keine Not 186,8 leiden". — Auch die andere Toben angeführtel Glosse ist nicht so zu verstehen, als ob es nicht erlaubt sei, alle zeitlichen Güter abzustoßen, sondern [sie will sagen], daß das nicht notwendig; gefordert ist. Deshalb sagt auch Ambrosius: ..Der Herr will nicht", nämlich unter der Verpflichtung eines Gebotes, ..daß man all seinen Besitz auf einmal verteilen soll, sondern man soll ihn gut verwalten, außer iman tut], wie Eliseus tat. der seine Ochsen tötete und mit dem Erlös die Armen speiste C3 Kor 19. 21). damit er durch keine häusliche Sorge mehr festgehalten werde" [73]. Zu 2. Wer um Christi willen all seinen Besitz aufgibt, setzt sich keiner Gefahr aus. weder einer leiblichen noch einer geistigen. Geistige Gefahr kommt nämlich nur dann von Armut, wenn diese nicht freiwillig ist: d ^ n aus der Gier. Geld aufzuhäufen, unter der die unfreiwillig Arm°n stehen stürzt der Mensch in viele Sünden, nach 1 Tim 6. 9 : ..Die da reich werden wollen, fallen in Versuchung und in Schlingen des Teufels." Dieses Verlangen aber wird gerade von denen, die die freiwillige Armut pflegen überwunden. Es herrscht dagegen um so mehr in denen, welche Reichtum besitzen CAntw.). Auch die leibliche Gefahr besteht f ü r jene nicht, die in der Absicht, Christus zu folgen, alles verlassen und sich QUAESTIO

186, a

sed infirmos timet, quos sie dare monet ut egestatem non patiantur". — Unde similiter etiam ex Glossa illa non est intelli- HL gendum quod non liceat omnia temporalia abjicere: sed quod 192 ' 318 hoc ex necessitate non requiritur. Unde et Ambrosius dicit, in 1 de OH. [cap. 30]: „Dominus PL non vult", scilicet ex necessitate praeeepti, „simul effundi opes, 16 / 67A sed dispensari: nisi forte ut Elisaeus boves suos occidit et pavit pauperes ex eo quod habuit, ut nulla cura teneretur domestica." AD SECUNDUM dicendum quod ille qui omnia sua dimittit propter Christum, non exponit se periculo, neque spirituali neque corporali. Spirituale enim periculum ex paupertate provenit quando non est voluntaria: quia ex affectu aggregandi pecunias, quem patiuntur illi qui involuntarie sunt pauperes, ex hoc enim incidit homo in multa peccata; secundum illud 1 ad Tim. ult.: „Qui volunt divites fieri, incidunt in tentationem et in laqueum diaboli". Iste autem aflectus deponitur ab his qui voluntariam paupertatem sequuntur: magis autem dominatur in his qui divitias possident, ut ex dictis patet. Corporale etiam periculum non imminet illis qui, intentione sequendi Christum, omnia sua relinquunt, divinae providentiae

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D

186, 3 der göttlichen Vorsehung ausliefern. Deshalb sagt Augustinus: „Diejenigen, die zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit suchen, brauchen keine Sorge zu haben, daß ihnen das Notwendige fehlen könnte." Z u 3. Die Tugend-.Mitte' wird vom Philosophen verstanden „nach der rechten Vernunft", nicht nach dem Umfang der Sache. Demnach ist alles, was nach der rechten Vernunft getätigt werden kann, wegen des großen Umfanges nicht etwa fehlerhaft, sondern eher tugendhaft. Es wäre jedoch außerhalb der rechten Vernunft gehandelt, wenn einer seinen ganzen Besitz in Maßlosigkeit und ohne jeden Nutzen vertun wollte. Doch ist es durchaus der rechten Vernunft gemäß, wenn einer seinen Reichtum abstößt, um sich der Betrachtung der Weisheit zu widmen, wie man das sogar von einigen Philosophen liest. So sagt Hieronymus: „Als Crates. der Thebaner. der einmal sehr reich war, nach Athen ging, um die Weisheit zu lernen, warf er ein schweres Gewicht Goldes von sich; denn er dachte, er könne nicht zugleich Reichtum und Tugend besitzen." Um so mehr ist es der rechten Vernunft gemäß, wenn der Mensch alles verläßt, um vollkommen Christus zu folgen. Deshalb schreibt Hieronymus an den Mönch Rustikus: ..Nackt sollst du dem nackten Christus folgen!" Z u 4. Die Seligkeit oder Glückseligkeit ist eine doppelte: eine vollkommene, die wir für das andere Leben QUAESTIO PL 34/1293 D 1107 a 1

PL •22/580 C

PL 22/1085 B

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se committentes. Unde Augustinus dicit, in lib. 2 de Serm. Dom. in monte [cap. 171: „Quaerentibus regnum Dei et justitiam eius non debet subesse sollicitudo ne necessaria desint." AD TERTIUM dicendum quod medium virtutis, 6ecundum Phil, in 2 Eth. [cap. 6], „accipitur secundum rationem rectam", non secundum quantitatem rei. Ut ideo etiam quidquid potest fieri secundum rationem rectam, non est vitiosum ex magnitudine quantitatis, sed magis virtuosum. Esset autem praeter rationem rectam si quis omnia sua consumeret in intemperantiam, vel absque utilitate. Est autem secundum rationem rectam quod aliquis divitias abjiciat ut contemplationi sapientiae vacet: quod etiam philosophi quidam fecisse leguntur. Dicit enim Hieronymus, in Epistola [58] ad Paulinum: „Crates ille homo Thebanus, quondam ditissimus, cum ad philosophandum Athenas pergeret. magnum auri pondus abiecit: nec putavit se posse simul divitias et virtutes possidere." Unde multo magis secundum rationem rectam est ut homo omnia sua relinquat ad hoc quod Christum perfecte sequatur. Unde Hieronymus dicit, in Epistola [125], ad Rusticum monachum: „Nudum Christum nudus sequere." AD QUARTUM dicendum quod duplex est beatitudo sive felicitas: una quidem perfecta, quam exspectamus in futura

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erwarten; und eine unvollkommene, gemäß der einige 186,3 schon in diesem Leben glückselig genannt werden. Die Glückseligkeit des gegenwärtigen Lebens ist wiederum doppelt: eine des tätigen, die andere des beschaulichen Lebens (Aristoteles). Zur Glückseligkeit des tätigen Lebens, das in äußeren Werken besteht, dient der Reichtum als Werkzeug, weil wir, wie der Philosoph sagt, „vieles wirken durch Freunde, durch Reichtum, durch die bürgerliche Gewalt wie durch ebenso viele Werkzeuge". Zur Glückseligkeit des beschaulichen Lebens jedoch tragen diese Dinge nicht viel bei, sie hindern sie vielmehr, insofern sie durch die Sorge, die sie bringen, die Ruhe des Geistes stören, die zur Beschauung unbedingt notwendig ist. Und das meint der Philosoph, wenn er sagt, daß „wir zum Tätigsein vieler Dinge bedürfen; der beschauliche Mensch aber hat keines von diesen Dingen", nämlich von den äußeren Gütern, „nötig; sie sind ihm vielmehr Hindernisse der Betrachtimg". Auf die künftige Seligkeit aber werden wir ausgerichtet durch die Gottesliebe. Und weil die freiwillige Armut ein wirksames Mittel ist, zur vollkommenen Liebe zu gelangen, deshalb vermag sie viel zur Erreichung der himmlischen Seligkeit. Daher sagt der Herr Mt 19, 21: „Gehe hin, verkaufe alles, was du hast, gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben." Umgekehrt hat QUAESTIO

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vita; alia autem imperfecta, secundum quam aliqui dicuntur beati in hac vita. Vitae autem praesentis felicitas est duplex: una quidem secundum vitam activam, alia autem secundum contempiativam, ut patet per Philosophum in 10 Eth. [cap. 7 et 8 ] . U77 a 12 Ad felicitatem igitur vitae activae, quae consistit in exteriori- i ' 7 8 a 9 bus operationibus, divitiae instrumentaliter coadjuvant: quia, ut Philosophus dicit in 1 Eth. [cap. 9], „multa operamur per 1099 a 33 amicos, per divitias et per civilem potentiam, sicut per quaedam Organa." Ad felicitatem autem contemplativae vitae non multum operantur: sed magis impediunt, inquantum sua sollicitudine impediunt animi quietem, quae maxime necessaria est contemplanti. Et hoc est quod Philosophus dicit, in 10 Eth. [cap. 8], quod „ad actiones multis opus est; speculanti vero, H78bl nullo talium", scilicet exteriorum bonorum. „Ad operationem necessitas, sed impedimenta sunt ad speculationem." Ad futuram vero beatitudinem ordinatur aliquis per charitatem. Et quia voluntaria paupertas est efficax exercitium perveniendi ad perfectam charitatem. ideo multum valet ad caelestem beatitudinem consequendam: unde et Dominus, Matth. 19, dicit: „Vade, vende omnia quae habes et da pauperibus, et habebis thesaurum in caelo." Divitiae autem habitae

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186, 8 ¿er reiche Besitz es in sich, Hindernis zu sein für die vollkommene Liebe, indem er den Geist als Hauptsorge gefangennimmt und zerflattern läßt, weshalb es bei Mt 13, 22 heißt, daß ,.die Sorge dieser Welt und der Trug des Reichtums das Wort Gottes ersticken". Denn, wie Gregor sagt, „da er gute Wünsche im Herzen nicht aufkommen läßt, verschüttet er den Zugang zum lebendigen Hauche". Deshalb ist es schwer, im Reichtum die Gottesliebe zu bewahren. Daher sagt der Herr Mt 19. 23, daß ..ein Reicher .schwer' in das Himmelreich eingehen wird". Und zwar ist das von jedem zu verstehen, der wirklich reich ist; denn von dem, der [überdies] sein Herz an den Reichtum hängt, sagt Er — nach der Auslegung des hl. Chrysostomus —, es sei ,unmöglich', da er (V. 24) hinzufügt: „Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr [74] geht, als ein Reicher in das Himmelreich." Deshalb heißt der Reiche [a. a. 0. E. 41 nicht schlechthin .selig', sondern ..wer ohne Makel erfunden wird und dem Golde nicht nachgelaufen ist", und das deshalb, weil er eine sehr schwierisre Sache zustandegebracht hat. Weshalb es (V. 9) weiter heißt: „Wer ist es, daß wir ihn loben können! Denn W u n d e r b a r e s hat er vollb r a c h t i n s e i n e m L e b e n", nämlich, daß er, mitten im Reichtum stehend, dennoch den Reichtum nicht geliebt hat. Z u 5. Der bischöfliche Stand ist nicht darauf ausgerichtet, die Vollkommenheit zu erlangen, sondern daß er Q U A E S T I 0 186, s

pl 76/1133 A

PG58 606 c sq.

per ee quidem natae sunt perfectionem charitatis impedire, principaliter alliciendo animum et distrahendo: unde dicitur, Matth. 13, quod „sollicitudo saeculi et fallacia divitiarum suffocant verbum Dei"; quia, ut Gregorius dicit [hom. 15 in Evang.], bonum desiderium ad cor intrare non sinunt, quasi ))

ei vacare?" — Quarto subjungit [cap. 18] de Praedicatione: ^gj a u t e m alicui sermo erogandus est, et ita occupatur ut manibus operari non vacet, numquid hoc omnes in monasterio possunt? Quando ergo non omnes possunt, cur sub hoc obtentu omnes vacare volunt? Quamquam si omnes possent, vicissitudine facere deberent, non solum ut caeteri necessariis operibus occuparentur, sed etiam quia sufficit ut multis audientibus unus loquatur." Ergo videtur quod religiosi non debeant cessare a manuali opere propter hujusmodi spiritualia opera, quibus vacant. 4. PRAETEREA Lucae 12 super illud ,Vendite quae possidetis' p l etc, dicit Glossa [ordin.]: „Non tantum cibos vestros communi114/297 c a t e pauperibus, sed etiam vendite possessiones vestras; ut omnibus vestris semel pro Domino spretis, postea labore manuum operemini unde vivatis, vel eleemosynam faciatis." Sed ad religiosos pertinet proprie omnia sua relinquere. Ergo videtur quod etiam eorum sit de labore manuum suarum vivere et eleemosynas facere. 5. PRAETEREA, religiosi praecipue videntur teneri Apostolorum vitam imitari; quia statum perfectionis profitentur. Sed Apostoli manibus propriis laborabant, secundum illud 1 ad Cor. 4:

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„Wir quälen uns ab mit unserer Hände Arbeit." Also, 187. 3 scheint es, müssen die Ordensleute Handarbeit verrichten. ANDERSEITS: Zur Beobachtung der Gebote, die allen ohne Unterschied auxeriegt werden, sind Ordens- und Weltleute in gleicher Weise verpflichtet. Das Gebot über die Handarbeit aber wird allen ohne Unterschied vorgelegt, wie das erhellt aus 2 Thess 3, 6: „Haltet euch fern von jedem Bruder, der einen unordentlichen Lebenswandel führt! usw." (,Bruder' aber nennt er hier jeden Christen, wie es auch 1 Kor 7, 12 heißt: „Wenn ein Bruder ein ungläubiges Weib hat" usw.) Ebendort, nämlich 2 Thess 3, 10, heißt es: „Will einer nicht arbeiten, so soll er auch nicht essen." Die Ordensleute sind also zur Handarbeit nicht strenger verpflichtet als die Weltleute. ANTWORT: Die Handarbeit ist auf vier Dinge ausgerichtet: E r s t e n s und hauptsächlich auf die Gewinnung des Lebensunterhaltes. Deshalb wurde den ersten Menschen gesagt (Gn 3, 19): „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen." Und im Ps 128 (127), 2: „Was deine Hände erarbeitet, wirst du essen" usw. — Z w e i t e n s auf die Überwindung des Müßigganges, der schuld ist an vielen bösen Dingen. Weshalb es Sir 33, 28 f. heißt: „Treibe deinen Knecht zur Arbeit an, damit er nicht müßig gehe; denn der Müßiggang lehrt viel Böses." — D r i t t e n s ist sie ausgerichtet auf die Zügelung der BegierlichQUAESTIO 187, i ..Laboramus operantes manibus nostris." Ergo videtur quod religiosi teneantur manibus operari. SED CONTRA est quod ad praecepta observanda, quae communiter ómnibus proponuntur, eodem modo tenentur religiosi et saeculares. Sed praeceplum de opere manuali communiter ómnibus proponitur, ut patet 2 ad Thess. 3: „Subtrahatis vos ab omni tratre ambulante inordinate, etc." (fratrem autem nominat quemlibet Christianum sicut et 1 Cor. 7: „Si quis est qui habet uxorem infidelem, etc.") et ibidem dicitur ad Thess. 3: „Si quis non vult operari, nec manducet." Non ergo religiosi magis tenentur manibus operari quam saeculares. RESPONDEO dicendum quod labor manualis ad quatuor ordinatur: primo quidem et principaliter ad victum quaerendum; unde primo homini dictum est in Gen. 3: „In sudore vultus tui vesceris pane tuo." Et in Ps. 127: „Labores manuum tuarum quia non i manducabis, etc." — Secundo ordinatur ad tollendum otium, ex quo multa mala oriuntur; unde dicitur Eccli. 33: „Mittes servum in operationem ne vacet; multam enim malitiam docuit otiositas." — Tertio ordinatur ad concupiscentiae i P et I.: om.

11 :24

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187, 3 keit, sofern der Leib durch sie abgetötet wird. So heißt es 2 Kor 6, 5 f . : „In Arbeiten, in Fasten, in Nachtwachen, in Keuschheit." — V i e r t e n s endlich ist sie ausgerichtet auf das Almosengeben. So heißt es Eph 4, 28f.: „Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr; er arbeite vielmehr und schaffe mit seinen eigenen Händen etwas Gutes, damit er habe, wovon er den Notleidenden mitteilen könne." Soweit also die Handarbeit auf die Gewinnung des Lebensunterhaltes ausgerichtet ist, fällt sie unter die Nötigung des Gebotes, sofern sie eben zur Erreichung dieses Zieles unerläßlich ist; was nämlich auf ein Ziel ausgerichtet ist, hat von diesem Ziel her seine Notwendigkeit, so daß es insoweit nötig ist, als ohne es das Ziel nicht erreicht werden kann. Wer also nicht anderswoher hat, wovon er leben kann, muß Handarbeit verrichten, gleichgültig in welcher Lebensstellung er sich befindet. Und das bedeuten die Worte des Apostels [2 Thess 3, 10]: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen." Gleichsam als wolle er sagen: „Mit derselben Notwendigkeit ist einer gehalten, mit seinen Händen zu arbeiten, wie er verpflichtet ist zu essen." Wenn daher einer ohne zu essen sein Leben erhalten könnte, wäre er nicht gehalten, mit den Händen zu arbeiten. Derselbe Grund gilt für die, welche anderswoher haben, wovon sie erlaubterweise leben können. Denn es ist nicht einzusehen, daß einer soll tun können, was er nicht erlaubQ U A E S T I O 187, i refrenationem, inquantum per hoc maceratur corpus; 2 Corinth. 6, dicitur: „In laboribus, in jejuniis, in vigiliis, in castitate." — Quarto autem ordinatur ad eleemosynas faciendas; unde dicitur ad Eph. 4: „Qui furabatur, jam non furetur: magis autem laboret operando manibus suis quod bonum est, ut habeat unde tribuat necessitatem patienti." Secundum hoc i ergo quod labor manualis ordinatur ad victum quaerendum, cadit sub necessitate praecepti, prout est necessarium ad talem finem; quod enim ordinatur ad finem, a fine necessitatem habet; ut scilicet infantum sit necessarium, inquantum sine eo flnis esse non potest; et ideo qui non habet aliunde, unde posset vivere, tenetur manibus operari, cujuscumque conditionis sit. Et hoc significant verba Apostoli dicentis 2 ad Thess. cap. 3: „Qui non vult operari, nec manducet", quasi diceret: „Ea necessitate tenetur aliquis ad manibus operandum, qua tenetur ad manducandum." Unde si quis absque manducatione posset vitam transigere, non teneretur manibus operari. Et eadem ratio est de illis, qui habent alias unde licite vivere possint: non enim intelligitur aliquis posse facere quod non J P et L: on.

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terweise tun kann. Deshalb läßt sich auch beim Apostel 187,8 keine Stelle finden, wo er die Handarbeit aus einem anderen Grunde befohlen hätte, außer um die Sünde derer zu verhindern, die ihren Lebensunterhalt auf unerlaubte Weise erwarben. — Denn e r s t e n s empfiehlt der Apostel die Handarbeit, um Diebstahl zu verhüten; so Eph 4, 28: „Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr; er schaffe aber und arbeite mit seinen eigenen Händen." — Z w e i t e n s , um die Begierlichkeit nach fremdem Hab und Gut auszuschalten; so sagt er 1 Thess 4, 11: „Werket mit euren Händen, wie ich euch befohlen habe, auf daß ihr mit Wohlanstand wandelt vor denen, die draußen sind." — D r i t t e n s , um schändliche Geschäfte aller Art auszuschließen, mit denen manche ihren Lebensunterhalt verdienen; weshalb es 2 Thess 3, 10ff. heißt: „Als wir bei euch waren, haben wir euch befohlen, daß, wer nicht arbeitet, auch nicht essen soll. Hörten wir doch, daß einige unter euch einen unordentlichen Lebenswandel führen, nicht arbeiten, sondern faulenzen." — Dazu die Glosse: „ . . . die in schmutzigen Geschäften sich das Notwendige verschaffen." „Solchen Leuten befehlen wir und ermahnen sie [im Herrn], daß sie still arbeiten und ihr eigenes Brot essen." Wozu Hieronymus bemerkt, der Apostel habe das gesagt „nicht so sehr in seinem Amt als Lehrer, als vielmehr wegen der Lasterhaftigkeit der Heiden". Doch muß man wissen, daß unter Handarbeit alle QUAESTIO

187, s

licite facere potest. Unde et Apostolus non invenitur opus manuum praecepisse, nisi ad excludendum peccatum eorum, qui illicite victum acquirebant. — Nam primo quidem praecipit Apostolus opus manuale ad evitandum furtum; ut patet ad Ephes. 4: „Qui furabatur, jam non furetur: magis autem laboret operando manibus suis." — Secundo ad vitandam cupiditatem alienarum rerum; unde dicit 1 ad Thess. 4: „Operemini manibus vestris, sicut praecepimus vobis, et ut honeste ambuletis ad illos, qui foris sunt." — Tertio ad evitanda turpia negotia, ex quibus aliqui victum acquirunt; unde 2 ad Thess. 3 dicit: „Cum essemus apud vos, hoc denuntiavimus vobis, quoniam si quis non vult operari, non manducet. Audivimus enim quosdam inter vos ambulare inquiete, nihil operantes, sed curiose agentes", Glossa: „Qui foeda cura necessaria sibi provident." His PL autem qui hujusmodi sunt, denuntiamus, et obsecramus, ut cum silentio operantes panem suum manducent." Unde Hieronymus dicit, super Epist. ad Gal. [in Proem, libri 2 commentar.], quod pl Apostolus hoc dixit, „non tam officio docentis, quam vitio 26/356 B gentis". Sciendum tamen quod sub opere manuali intelliguntur omnia

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187,3 menschlichen Beschäftigungen zu verstehen sind, durch welche die Menschen erlaubterweise ihren Lebensunterhalt verdienen, ob sie nun die Hände oder die Füße oder die Zunge beschäftigen; denn die Wächter, Läufer und ähnliche Leute, die von ihrer Arbeit leben, gelten auch als solche, die von Handarbeit leben. Weil nämlich die Hand „das Werkzeug der Werkzeuge" ist [Aristoteles], ist unter Handarbeit jede Tätigkeit verstanden, durch die jemand erlaubterweise seinen Lebensunterhalt gewinnen kann. Sofern aber die Handarbeit ausgerichtet ist auf die Überwindung des Müßigganges oder auf die Abtötung des Leibes, fällt sie, in sich betrachtet, nicht unter die Nötigung des Gebotes, denn auf viele andere Weise als durch Handarbeit läßt sich der Leib abtöten oder der Müßiggang ausschalten. Das Fleisch wird nämlich abgetötet durch Fasten und Nachtwachen. Der Müßiggang wird überwunden durch die Betrachtung der Heiligen Schrift und das Lob Gottes. Deshalb sagt zu Ps 119 (118), 82 ,Meine Augen sehnen sich nach Deinem Wort' die Glosse: ,.Der ist kein Müßiggänger, der mit solchem Eifer das Wort Gottes erforscht; und wer nach außenhin tätig ist, ist nicht mehr, als wer sich mit der Erkenntnis der Wahrheit abmüht." Aus diesen Gründen sind deshalb die Ordensleute zur Handarbeit nicht gehalten, ebensowenig wie die Weltleute, es sei denn, sie wären dazu verpflichtet durch die Satzungen ihres Ordens. So sagt Hieronymus: QUA EST 10

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humana offlcia, ex quibus homines licite victum lucrantur, sive manibus operari, sive pedibus, sive lingua fiant: vigiles enim, et cursores, et alii hujusmodi de suo labore viventes, intelliguntur de operibus manuum vivere: quia enim manus est Organum organorum, per opus manuum omnis operatio intelligitur, de qua aliquis potest licite victum lucrari. Secundum autem quod opus manuale ordinatur ad otium tollendum, vel ad corporis macerationem, non cadit sub necessitate praecepti secundum se consideratum: quia multis aliis modis potest vel caro macerari, vel etiam otium tolli, quam per opus manuale: maceratur enim caro per jejunia, et vigilias: et otium tollitur per meditationes Sacrarum Scripturarum, et laudes divinas; unde super illud Ps. 118 ,Defecerunt oculi PL mei in eloquium tuum', dicit Glossa [ord.] I: „Non est otiosus, 191/1085 B Q U I verbo Dei tantum studet: nec pluris est, qui extra operatur, quam qui Studium cognoscendae veritatis exercet." Et ideo propter has causas religiosi non tenentur ad opera manualia, sicut nec saeculares, nisi forte ad hoc per statuta, sui ordinis PL obligentur: sicut Hieronymus dicit in Epist. [125] ad Rusticum 2211079 A

I Cf. Ambr., Sermo 11 In Ps. 118 [Y. 82]; PL 15/1423 C.

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„Die ägyptischen Klöster befolgen diesen Brauch, daß sie 187, s keinen aufnehmen, der nicht arbeiten oder werken kann; und zwar nicht so sehr wegen der Notwendigkeit des Lebensunterhaltes, als wegen des Heiles der Seele, damit sie sich nicht in gefährliche Gedanken verlieren." Sofern endlich die Handarbeit auf Almosengeben ausgerichtet ist, fällt sie nicht unter die Nötigung des Gebotes, als höchstens für den Fall, daß jemand aus irgendeinem Grunde verpflichtet wäre, Almosen zu geben, und er keinen anderen Weg wüßte, den Armen zu helfen [95]. In diesem Falle wären auch die Ordensleute und Geistlichen verpflichtet, Handarbeit zu leisten. Z u 1. Das Gebot, das vom Apostel vorgelegt wird, hat nalurrechtliche Geltung [96]. Deshalb sagt die Glosse zu 2 Thess 3, 6 ,Daß ihr euch von jedem Bruder fernhaltet, der unordentlich wandelt': „Nämlich anders als die Naturordnung es verlangt." Und zwar spricht er dort von jenen, die von Handarbeit nichts wissen wollten. Daher gab die Natur dem Menschen Hände statt Waffen und Schutzkleid, die sie den anderen Lebewesen mitgab, auf daß er sich all dieses und alle notwendigen Dinge durch die Hände beschaffe. Daraus folgt, daß ganz allgemein sowohl die Ordens- wie die Weltleute an dieses Gebot gebunden sind, wie an alle anderen Gebote des Naturgesetzes. QUAESTIO 187, s Monachum 1 : „Aegyptiorum monasteria hunc tenent morem, ut nulluni absque opere aut labore suscipiant, non tarn propter victus necessitatem, quam propter animae salutem, ne vagentur perniciosis cogitationibus." Inquantum vero opus manuale ordinatur ad eleemosynas faciendas, non cadit sub necessitate praecepti: nisi forte in aliquo casu, in quo ex necessitate aliquis eleemosynas facere teneretur, et non posset alias habere unde pauperibus subveniret: in quo casu obligarentur similiter religiosi et saeculares ad opera manualia exsequenda. AD PRIMUM ergo dicendum quod praeceptum, quod ab Apostolo proponitur, est de jure naturali; unde super illud 2 ad Thess. 3 ,Ut subtrahatis vos ab omni fratre inordinate ambulante', dicit Glossa „aliter quam ordo naturae exigit": loquitur PL autem ibi de his, qui ab opere manuali cessabant. Unde et 192 / 324 natura manus homini dedit loco armorum, et tegumentorum, quae animalibus tribuit, ut scilicet per manus haec et omnia necessaria conquirat; ex quo patet, quod communiter ad hoc praeceptum tenentur et religiosi et saeculares, sicut ad omnia alia legis naturalis praecepta. 1 Cf. Gratian, De Consecratione, dist. 5, can. 38 Numquam; Frdb. 1/1421.

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A

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Dennoch sündigen die nicht, die keine Handarbeit verrichten. Denn zur Beobachtung dieser Gebote des Naturgesetzes, die auf das Wohl vieler abzielen, sind die einzelnen nicht gehalten, sondern es genügt, daß der eine sich dieser, der andere sich einer anderen Aufgabe widmet; daß z. B. die einen Handwerker, die anderen Bauersleute, wieder andere Richter oder Lehrer sind usw.; nach den Worten des Apostels 1 Kor 12, 17: „Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo bliebe das Gehör? Und wenn der ganze Leib Gehör wäre, wo bliebe der Geruchsinn?" Z u 2. Jene Glosse stammt vom hl. Augustinus aus seinem Buche „Über die Werke der Mönche", in welchem er -üch gegen gewisse Mönche wendet, die behaupteten, es sei den Dienern Gottes nicht erlaubt, Handarbeit zu verrichten, wegen des Wortes, das der Herr gesprochen Mt 6, 25: „Sorget nicht ängstlich für euer Leben, was ihr essen sollt." Aber mit diesen Worten ist für die Ordensleute noch keine Notwendigkeit gegeben, Handarbeit zu verrichten, wenn sie anderswoher gewinnen, wovon sie leben können. Das geht aus dem hervor, was er [Augustinus] beifügt: „Er [der H e r r ] will, daß die Diener Gottes sich mit Handarbeit ihren Lebensunterhalt gewinnen." Das geht aber die Ordensleute nicht tn e h r an als die Weltleute. Das erhellt aus zwei Gründen. E r s t e n s aus der Art des Sprechens, die der Apostel anwendet, indem er sagt: „Ihr sollt fernbleiben einem jeden Bruder, der einen unordentlichen Lebenswandel führt." Er nennt nämlich QUAESTIO

PL 40/550 A 40/561 A

PL *40/551 A

187, >

Non tarnen peccant, quicumque manibus non operantur: quia ad illa praecepta legis naturae, quae pertinent ad bonum multorum, non teiientur singuli: sed sufficit quod unus vacet huic officio, alius alii, puta quod quidam sint opifices, quidam agricolae, quidam judices, quidam doctores, et sie de aliis, secundum illud Apostoli 1 ad Cor. 12: „Si totum corpus oculus, ubi auditus? et si totum auditus, ubi odoratus?" etc. AD SECUNDUM dicendum quod Glossa illa sumitur ab Augustino in Lib. de Op. Monach. [cap. 1, 2, 3], in quo loquitur con ra ^ monachos quosdam, qui dicebant non esse licitum servis Dei manibus operari, propter hoc quod Dominus dicit, Matth. 6: „Nolite solliciti esse animae vestrae, quid manducetis." Nec tarnen per haec verba inducitur necessitas religiosis manibus operandi, si habent aliunde unde vivere poseint, quod patet per hoc quod subdit [cf. arg.]: „Vult servos Dei corporaliter operari, Un( e ^ vivant": hoc autem non magis pertinet ad religiosos, quam ad saeculares. Quod patet ex duobus: primo quidem ex ipso modo loquendi, quo Apostolus utitur, dicens: „Ut subtrahatis vos ab omni fratre ambulante inordinate": fratres enim omnes Chri-

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alle Christen ,Brüder', weil damals die Orden noch nicht 187, s gegründet w a r e n [ 9 7 ] . — Z w e i t e n s , weil die Ordensleute nicht zu anderen Dingen verpflichtet sind als die Weltleute, als lediglich auf Grund ihrer Gelübde, die sie auf die Regel abgelegt haben. Wenn daher in den Regelsatzungen nichts enthalten ist von irgendwelcher Handarbeit. so sind die Ordensleute nicht anders zur Handarbeit verpflichtet als die Weltleute. Z u 3. Den geistigen Werken, die Augustinus dort aufzählt, kann sich jemand in doppelter Weise widmen: E i nm a l , sofern er damit dem Nutzen der Allgemeinheit dienen will; z w e i t e n s , sofern er auf den eigenen Nutzen denkt. J e n e also, welche die besagten geistigen W e r k e öffentlich tun. sind auf Grund solcher geistigen W e r k e von der [Verpflichtung zur] Handarbeit entschuldigt, und zwar auf einen doppelten Grund hin: Erstens, weil sie in solchen [geistigen] Werken gänzlich aufgehen müssen. — Zweitens. weil denen, die sich solchen Werken widmen, der Lebensunterhalt von denen geschuldet ist, zu deren Nutzen sie arbeiten. J e n e jedoch, die sich diesen Werken nicht zum öffentlichen, sondern zum persönlichen Nutzen widmen, brauchen durch derlei Werke nicht in der Handarbeit behindert zu sein, noch können sie verlangen, daß sie von den Zuwendungen der Gläubigen leben. Und von diesen spricht Augustinus. W e n n er nämlich sagt: „Auch jene, Q U A E S T I O 187, j

stianos vocat: nondum enim erant tune temporis religiones institutae. — Secundo, quia religiosi non tenentur ad alia quam saeculares, nisi propter regulae professionem. Et ideo si in statutis regulae non contineatur aliquid de opere nianuali, non tenentur aliter ad operandum manibus religiosi quam saeculares. AD TERTIUM dicendum quod illis operibus spiritualibus, quae ibi tangit Augustinus, potest quis vacare dupliciter: uno modo, quasi deserviens utilitati communi, alio modo, quasi insisten,s utilitati privatae. Illi ergo qui praedictis operibus spiritualibus publice vacant, excusantur per hujusmodi opera spiritualia ab opere manuali, duplici ratione: primo quidem, quia oportet eos totaliter esse occupatos circa hujusmodi opera. — Secundo, quia hujusmodi opera exercentibus debetur subministratio victus ab his, quorum utilitati deserviunt. Illi vero qui praedictis operibus non publicis, sed quasi privatis vacant, nec oportet quod per hujusmodi opera a manualibus operibus abstrahantur; nec etiam fit eis debitum, ut de stipendiis fidelium vivant: et talibus loquitur Augustinus. Quod

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187, 3 die Handarbeit verrichten, können die göttlichen Gesänge singen", nach dem Beispie] der Handwerker. ,.die Geschichten erzählen, ohne sich dadurch in ihrer Handarbeit stören zu lassen", so kann das offenbar nicht von denen verstanden werden, die in der Kirche die täglichen Gebetsstunden abhalten, sondern von denen, die Psalmen oder Gesänge als persönliche Gebete sprechen. — Auch das, was er von der Lesung und vom Gebete sagt, ist von den persönlichen Gebeten und Lesungen zu verstehen, die auch die Laien zuweilen verrichten, nicht aber von jenen, die in der Kirche öffentliche Gebete sprechen oder öffentliche Vorlesungen in den Schulen halten. Deshalb spricht er auch nicht von denen, ,.die behaupten, sie widmeten sich der Lehre oder der Unterweisung", sondern „von denen, die behaupten, sie widmen sich der Vorlesung". — Ebenso spricht er nicht von der Predigt, die öffentlich für das Volk gehalten wird, sondern welche einzeln gehalten wird vor einem oder wenigen, nach Art einer persönlichen Ermahnung. Deshalb sagt er bezeichnenderweise: „Wenn jemand eine ,Ansprache' halten soll"; denn, wie die Glosse zu 1 Kor 2, 4 sagt: ..Eine Ansprache ist nicht-öffentlich, eine Predigt aber ist öffentlich." Z u 4. Jene, die um Gottes willen alles verachten, sind [nur] dann zur Handarbeit verpflichtet, wenn sie nicht anderswoher haben, wovon sie leben können, oder wovon sie Almosen geben könnten in den Fällen, wo AlQUAESTIO

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enim dicit: „Cantica divina cantare etiam manibus operantes po=iount," exemplo opificum, „qui fabulis linguas dant, cum tarnen manibus ab opere non recedant", manifestum est ouod non potest intelligi de his, qui horas canonicas in ecclesia decantant; sed intelligitur de his, qui psalmos, vel hymnos dicunt quasi privatas orationes. — Similiter quod dicit de lectione, et de oratione. referendum est ad orationes, et lectiones privatas, quas etiam laici interdum faciunt; non autem ad illos. nui publicas orationes in ecclesia faciunt, vel etiam publicas lectiones in scholis legunt. Unde non dicit: „Qui dicunt se vacare doctrinae, vel ; n=tri!ct'oni a : sed: ..Oui dicunt se vacare lectioni." — Similiter autem de praedicatione loquitur, non quae fit publice ad populum, sed quae specialiter fit ad unum vel paucos. per modum privatae autem admonitionis; unde sisnanter dicit: „Si alicui sermo erogandus est": nam, sicut Glossa PL [sup. illud .Sermo meus. et praedicatio'] dicit 1 ad Cor. 2, 191/1548 A „sermo est, qui privatim fit; praedicatio, quae fit in communi". AD QUARTUM dicendum quod illi qui omnia propter Deum spernunt, tenentur manibus operari, quando non habent alias unde vivant, vel unde eleemosynas faciant, in casu in quo

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mosengeben unter das Gesetz fällt; nicht aber sonst (Antw.). 187, 3 Und in diesem Sinne spricht die angeführte Glosse. Z u 5. Wenn die Apostel Handarbeit geleistet haben, so geschah das teils als Notwendigkeit, teils als Werk der Übergebühr. Notwendigkeit lag dann vor, wenn sie den Lebensunterhalt nicht von anderen erhalten konnten; deshalb sagt die Glosse zu 1 Kor 4, 12 ,Wir mühen uns ab, indem wir mit unseren Händen arbeiten': „weil keiner lins gibt". Als Werk der Übergebühr, wie es erhellt aus 1 Kor 9, 4. 12. 14, wo der Apostel darauf hinweist, daß er „von dem Recht, vom Evangelium zu leben, keinen Gebrauch gemacht habe". Von dieser Übergebühr machte der Apostel Gebrauch aus drei Gründen. Und zwar e r s t e n s , um den Lügenaposteln, die nur um zeitlichen Gewinnes willen predigten, die Gelegenheit zum Predigen zu nehmen. So sagt er 2 Kor 11, 12: ,Was ich tue, werde ich auch weiter tun, um denen, die gern einen Anlaß hätten, den Anlaß zu nehmen." — Z w e i t e n s , um eine Belastung derer zu vermeiden, denen er predigte. So sagt er 2 Kor 12, 13: „Was ist es denn, worin ihr hinter den anderen Gemeinden zurückgestanden seid, als dieses eine, daß ich selbst euch nicht zur Last gefallen bin?" — D r i t t e n s , um den Müßiggängern ein Beispiel der Arbeit zu geben. So sagt er 2 Thess. 3, 8 f.: „Wir haben Tag und Nacht geschafft..., um uns euch als Vorbild hinzustellen, damit ihr uns nachQUAESTIO

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facere eleemosynam cadit sub praecepto: non autem aliter, ut dictum est, et secundum hoc loquitur Glossa inducta. AD QU1NTUM dicendum quod hoc, quod Apostoli manibus laboraverint, quandoque quidem fuit necessitalis, quandoque vero supererogationis: necessitatis quidem, quando ab aliis victum invenire non poterant; unde super illud 1 Cor. 4 ,Laboramus operantes manibus nostris', dicit Glossa [interl.]: „Quia p l nemo aat noDis." Supererogationis autem, ut patet per illud 191/1569 A quod habetur, 1 ad Cor. 9, ubi dicit Apostolus quod non est usus potestate quam habebat vivendi de Evangelio. Hac autem supererogatione utebatur Apostolus tribus de causis: primo quidem, ut occasionem praedicandi auferret pseudo-apostolis, qui propter sola temporalia praedicabant; unde dicit 2 ad Cor. 11: „Quod autem facio, et faciam, ut amputem eorum occasionem, etc." — Secundo ad evitandum gravamen eorum, quibus praedicabat: unde dicit, 2 ad Cor. 12: „Quid minus habuistis prae caeteris Ecclesiis, nisi quod ego ipse non gravavi vos?" —• Tertio ad dandum e x e m p l u m operandi otioäis; unde 2 ad Thess. 3 dicit: „Nocte et die operantes, ut formam daremus vobis ad imitandum nos." — Quod tarnen

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187, 4 ahmen sollt." — So handelte jedoch der Apostel nicht an Orten, wo er, wie zu Athen, täglich predigen konnte, wie Augustinus bemerkt. Doch sind die Ordensleute deshalb nicht gehalten, die Apostel hierin nachzuahmen, da sie nicht zu allen Werken der Übergebühr verpflichtet sind. So verrichteten nämlich die anderen Apostel keine Handarbeit. 4. Ist es den Ordensleuten

ARTIKEL gestattet, von Almosen

zu

leben?

1. Der Apostel befiehlt 1 Tim 5, 16, daß die Witwen, welche anderswoher Unterstützung erhalten können, nicht von den Almosen der Gemeinde leben sollen, ,,damit die Gemeinde für die sorgen kann, die wirklich Witwen sind." 1 Und Hieronymus schreibt an Papst Damasus: „Wer von dem elterlichen Vermögen leben kann, und [trotzdem] annimmt, was für die Armen bestimmt ist, begeht ohne Frage Gottesraub [ 9 8 ] ; und wegen des Mißbrauches dieser Gaben estien und trinken sie sich das Gericht" [1 Kor 11, 2 9 ] . Die Ordensleute aber, wenn sie gesund sind, können von ihrer Hände Arbeit leben. Es scheint aiso, daß sie sündigen, wenn sie die Gaben der Armen aufbrauchen. 2. Von den Einkünften der Gläubigen leben, ist als Lohn QUAESTIO

187, i

Apostolus non faciebat in locis, in quibus habebat facultatem quotidie praedicandi, sicut Athenis, ut Augustinus dicit in Lib. PL de Op. Monach. [cap. 1 8 ] . 40/566 B Non autem propter hoc religiosi tenentur Apostolum in hoc imitari, cum non teneantur ad omnes supererogationes; unde nec alii Apostoli manibus operabantur. Utrum

A R T I C U L U S IV r e l i g i o s i s l i c e a t de e l e e m o s y n i s

vivere

[CG III 135; CI 7]

AD QUARTUM sie proceditur. Videtur quod religiosis non liceat de eleemosynis vivere, Apostolus enim, 1 ad Tim. 5, praeeipit, ut viduae quae possunt aliunde sustentari, non vivant de eleemosynis Ecclesiae, ut Ecclesia suffleiat illis, quae cf. 185/7 vere viduae sunt; et Hieronymus dicit ad Damas. Papam, quod aarB JJj „qui bonis parentum in operibus sustentari possunt, si quod pdg' pauperum est aeeipiunt, sacrilegium profecto committunt; et per abusionem talium Judicium sibi manducant, et bibunt". Sed religiosi possunt de labore manuum sustentari, si sunt validi. Ergo videtur quod peccent eleemosynas pauperum comedendo. 2. P R A E T E R E A , vivere de sumptibus fidelium est merces 1 Vgl.

170

Arn».

[55],

ihrer Arbeit und ihres Werkes denen vorbehalten, die das 187,4 Evangelium predigen; nach Mt 10, 10: „Der Arbeiter ist seines Lohnes wert." Das Evangelium predigen ist aber nicht Sache der Ordensleute, sondern vor allem der Bischöfe, die Hirten und Lehrer sind. Also können die Ordensleute nicht erlaubterweise von den Almosen der Gläubigen leben. 3. Die Ordensleute sind im Stande der Vollkommenheit. Vollkommener aber ist es, A b l ö s e n zu geben, als zu empfangen; denn so heißt es Apg 20, 35: „Geben ist seliger als Nehmen" [99]. Also dürfen sie nicht von Almosen leben, sondern müssen vielmehr von den Werken ihrer Hände Almosen geben. 4. Die Ordensleute müssen die Hindernisse der Tugend wie auch die Gelegenheit zur Sünde meiden. Die Annahme von Almosen aber bringt die Gelegenheit zur Sünde mit sich und hindert die Übung der Tugend [100]. Deshalb sagt die Glosse zu 2 Thess 3, 9 ,Um uns euch als Vorbild hnizustellen': „Wer oft an fremdem Tische speist, muß dem Müßiggang verfallen, dem schmeicheln, der ihn bewirtet." So heißt es auch Ex 23, 8: „Du sollst keine Geschenke annehmen, denn sie verblenden noch die Weisen und verkehren die Worte des Gerechten." Und Spr 22, 7: „Wer Geld aufnimmt, ist Knecht dessen, der ihm leiht." Das aber ist dem Ordensleben zuwider. Deshalb sagt die Glosse zu 2 Thess 3, Ö ,Um uns euch zum Vorbild Q U A E S T I O 187, « deputata praedicantibus Evangelium pro suo labore, vel opere, secundum illud Matth. 10: „Dignus est operarius cibo suo." Sed praedicare Evangelium non pertinet ad religiosos, sed maxime ad praelatos, qui sunt pastores, et doctores. Ergo religiosi non possunt licite vivere de eleemosynis fidelium. 3. PRAETEREA, religiosi sunt in statu perfectionis. Sed perfectius est dare eleemosynas, quam accipere: dicitur enim Act. 20: „Beatius est magis dare, quam accipere." Ergo non debent de eleemosynis vivere; sed magis ex operibus manuum suarum dare. 4. PRAETEREA, ad religiosos pertinet impedimenta virtutis, et occasiones peccati vitare. Sed acceptio eleemosynarum praebet occasionem peccati, et impedit virtutis actum; unde super illud 2 ad Thess. ult. ,Ut nosmetipsos formam daremus vobis' etc., dicit Glossa i : „Qui frequenter ad alienam mensam come- p l dit otio deditus, aduletur necesse est pascenti sc." Dicitur etiam 192/324 d Exod. 23: „Ne accipias munera, quae excaecant prudentes, et subvertunt verba justorum"; et Prov. 22 dicitur: „Qui accipit mutuum, servus est foenerantis", quod est religioni contrarium; unde super illud 2 ad Thess. ult. ,Ut nosmetipsos formam 1 Cf. Ambrosiaster, In 2 Thess. 3, 10; PL 17/485 D.

12*

171

187,4 zu geben': „Unsere Religion ruf! die Menschen zur Freiheit." Es scheint also, daß die Ordensleute nicht von Almosen leben dürfen. 5. Vor allem die Ordensleute sind gehalten, der Vollkommenheit der Apostel nachzueifern. Deshalb sagt der Apostel Phil 3, 15: „Wer immer von uns zu den Vollkommenen gehört, der soll so denken." Der Apostel aber wollte nicht von den Einkünften der Gläubigen leben, um den Lügenaposteln den Wind aus den Segeln zu nehmen, wie er 2 Kor 11, 12 f. sagt, und überdies, um den Schwachen kein Ärgernis zu geben, wie es erhellt aus 1 Kor 9, 12.1 Aus denselben Gründen aber scheint es, daß die Ordensleute davon abstehen müssen, von Almosen zu leben. Deshalb sagt auch Augustinus: „Schneidet die Gelegenheit ab zu diesen schimpflichen Geschäften, durch die euer guter Ruf geschädigt und den Schwachen Ärgernis gegeben wird. Beweist vielmehr den Menschen, daß ihr nicht als Müßiggänger einen billigen Lebensunterhalt, sondern auf dem schmalen und engen Wege [Mt 7, 14] das Himmelreich sucht." ANDERSEITS berichtet Gregor, der hl. Benedikt habe, nachdem er das väterliche Haus samt den Eltern verlassen, drei Jahre lang in einer Höhle gelebt und sich von dem genährt, was ihm von einem römischen Mönch gebracht wurde. Trotzdem ist nicht die Rede davon, daß er, wieQ U A E S T I O 187, i ib. daremus' etc. dicit Glossa: „Religio nostra ad libertatem hommes advocat." Ergo videtur quod religiosi non debeant de eleemosynis vivere. 5. PRAETEREA, religiosi praecipue tenentur imitari Apostolorum perfectionem; unde Apostolus dicit ad Philipp. 3: „Quicumque perfecti sumus, hoc sentiamus." Sed Apostolus nolebat vivere de sumptibus fidelium, ut occasionem auferret pseudoapostolis, sicut ipse dicit, 2 ad Cor. 11 et ne scandalum poneretur infirmis, ut patet 1 ad Cor. 9. Ergo videtur quod propter easdem causas religiosi debeant abstinere, ne de eleemosynis vivant; unde et Augustinus dicit in Lib. de Op. Monach. PL [cap. 28]: „Amputetis occasionem turpium nundinarum, qui40/576B bus existimatio vestra laeditur, et infirmis oflendiculum ponitur; et ostendite hominibus, non vos in otio facilem victum, sed per angustam, et arctam viam regnum Dei quaerere." SED CONTRA est quod, sicut Gregorius dicit in 2 Dialog. PL [cap. 5], „Beatus Benedictus tribus annis in specu permanens, 66/128 c Je his quae a Romano monacho ministrabantur, refectus est, 66/144 A P 0S TQ UAM domum, parentesque reliquerat"; et tarnen validus 1 Vgl. auch Anm. [49].

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wohl er körperlich gesund war, seinen Lebensunterhalt 187,4 durch seiner Hände Arbeit gewonnen habe. Also dürfen die Ordensleute erlaubterweise von Almosen leben. ANTWORT: Einem jeden ist es erlaubt, von dem Seinen zu leben oder von dem, was ihm geschuldet ist. Aus der Freigebigkeit des Schenkenden aber wird etwas zu unserem Eigentum. Deshalb können die Ordensleute, deren Klöster und Kirche durch die Freigebigkeit der Fürsten und irgendwelcher gläubiger Menschen zu ihrem Unterhalt große Vermögen erhielten, erlaubterweise von diesen leben, ohne Handarbeit zu verrichten. Und doch ist es keine Frage, daß sie von Almosen leben. Genau so gilt: Wenn den Ordensleuten von den Gläubigen bewegliche Güter vermacht werden, können sie erlaubterweise davon leben, denn es ist töricht zu sagen, man könne große Besitzungen als Almosen annehmen, nicht aber ein Stücklein Brot oder ein bißchen Geld. — Weil aber dergleichen Wohltaten den Ordensleuten offenbar erwiesen werden, damit sie sich den religiösen Übungen freier widmen können. deren jene teilhaft zu werden wünschen, die ihnen ihr Zeitliches geben, wäre die Nutzung der genannten Güter sofort unerlaubt, wenn sie diese religiösen Übungen aufgeben würden. Denn so würden sie soweit es auf sie ankommt, die Absicht derer vereiteln, die ihnen so große Wohltaten erwiesen haben. Geschuldet aber ist uns etwas in doppelter Weise: E i nQ U A E S T I O 187, « corpore existens, non legitur de labore manuum victum quaesivisse. Erqo religiosi licite possunt de eleemosynis vivere. RESPONDEO dicendum quod unicuique licet vivere de eo quod suum est, vel sibi debitum: fit autem aliquid alicujus ex liberalitate donantis. Et ideo religiosi et clerici, quorum monasteriis, vel ecclesiis ex munificentia principum, vel quorumcumque fidelium sunt facultates collatae, ex quibus sustententur, possunt de eis vivere licite, absque hoc quod manibus laborant; et tarnen certum est eos eleemosynis vivere. Unde et similiter, si aliqua mobilia religiosis a fidelibus conferantur, possunt de eis licite vivere: stultum enim est dicere quod aliquis in eleemosynain possit accipere magnas possessiones, non autem panem, vel parvam pecuniam. — Sed quia hujusmodi beneficia religiosis videntur esse collata ad hoc quod liberius religiosis actibus insistere possint, quorum cupiunt se fore participes, qui temporalia subministrant, redderetur eis usus praedictorum donorum illicitus, si ab actibus religiosis desistereut: quia sie, quantum est de se, defraudarent intentionem eorum, qui talia beneficia contulerunt. Debitum autem est aliquid alicui duplicjter Uno modo

173

187, 4 m a l auf Grund der Not, die alles gemeinsam sein läßt, wie Ambrosius [Basilius] sagt. Wenn demnach die Ordensleute in Not geraten sollten, können sie erlaubterweise von Almosen leben. Diese Not kann e r s t e n s eintreten wegen körperlicher Krankheit, die es mit sich bringt, daß sie ihren Lebensunterhalt nicht mit ihrer Hände Arbeit verdienen können. — Z w e i t e n s , wenn das, was sie durch ihrer Hände Arbeit sich verdienen, ihnen zum Lebensunterhalt nicht genügt. Deshalb sagt Augustinus: „Die guten Werke der Gläubigen, die das, was zur Deckung der notwendigsten Bedürfnisse noch mangelt, ergänzen, dürfen den Dienern Gottes, die mit Handarbeit beschäftigt sind, nicht fehlen, damit die Stunden, für welche sich diese zur Erquickung des Geistes freimachen, in denen sie also keine körperliche Arbeit tun können, nicht der Not wegen abgeschafft werden müssen." — D r i t t e n s wegen des früheren Lebenswandels derjenigen, die keine Handarbeit gewohnt sind. Deshalb sagt Augustinus: „Wenn sie in der Welt hatten, wovon sie leicht ohne Handarbeit ihr Leben fristen konnten, und dieses ihr Vermögen, nachdem sie sich zu Gott bekehrt, an die Bedürftigen verteilt haben, so soll man ihre Schwäche anerkennen und tragen. Denn solche Leute pflegen zu zart erzogen zu sein, als daß sie körperliche Arbeit aushalten könnten." In a n d e r e r W e i s e ergibt sich eine Schuld aus dem, Q U AESÏIO 187, I PL propter necessitatene quae facit omnia communia, ut Ambrosius ¿¡git- e j ideo si religiosi necessitatem patiantur, licite possunt 31/1746D de eleemosynis vivere. Quae quidem necessitas potest esse: primo quidem propter corporis infirmitatem ; ex qua contingit, quod non possint sibi labore manuum victum quaerere. — Secundo, si iilud quod ex opere manuali conquirunt, eis ad victum non sufficiat; unde Augustinus dicit in Lib. de Op. Monach. .PL [cap. 17], quod „bona opera fìdelium subsidio supplendorum 40,556 B necessariorum deesse non debent illis servis Dei, qui manibus operantur; ut horae, quibus ad expediendum animum ita vacatur ut illa corporalia opera gerì non possint, non opprimant egestate". — Tertio propter pristinam conservationem eorum qui non consueverant manibus laborare: unde Augustinus dicit 40'567 P D k i b - de O P - Monach. [cap. 21], quod „si habebant aliquid ' in saeculo, quo facile sine opificio sustentarent istam vitam, conversi ad Deum indigentibus dispertiti sunt, et credenda est eorum infirmitas, et auferenda: soient enim tales, lautius 1 educati, laborem operum corporalium sustinere non posse."

»

4

Alio modo efficitur aliquid alicui debitum ex eo quod ipse 1

L: languidi*«.

174

was einer leistet, sei es nun Leibliches oder Geistiges; nach 187, 4 1 Kor 9, 11: „Wenn wir für euch Geistiges gesät haben, ist es etwas Großes, wenn wir euer Irdisches ernten?" Danach gibt es einen vierfachen Titel, auf den hin die Ordensleute von Almosen als dem ihnen Geschuldeten leben können. E r s t e n s , wenn sie auf Veranlassung der Bischöfe predigen. — Z w e i t e n s , wenn sie Diener des Altares sind; wie es 1 Kor 9, 13f. heißt: „Die dem Altare dienen, sollen auch vom Altare ihren Anteil erhalten. So hat auch der Herr den Verkündern des Evangeliums geboten, vom Evangelium zu leben." Und Augustinus sagt: „Sind sie Verkünder des Evangeliums, so gestehe ich, (daß sie auch auf Kosten der Gläubigen leben können); dienen sie dem Altare, sind sie Ausspender der Sakramente, so ist es keine Anmaßung, sondern sie haben die Vollmacht, vom Altare zu leben." Und das deshalb, weil das Sakrament des Altares [die hl. Messe], wo immer es gefeiert wird, dem ganzen gläubigen Volke gehört. — D r i t t e n s , wenn sie zum allgemeinen Nutzen der Gesamtkirche allen Fleiß auf die Erforschung der Heiligen Schrift wenden. Weshalb Hieronymus sagt: „Diese Gewohnheit besteht in Judäa heute noch, und zwar nicht nur bei uns, sondern auch bei den Hebräern, daß, wer Tag und Nacht im Gesetze des Herrn betrachtet und auf Erden keinen anderen Vater hat als Gott allein, durch die Dienste aller Welt [aller Synagogen auf der Erde ] unterhalten wird." — QUAESTIO

187, «

exhibet, sive sit aliquid temporale, sive spirituale, secundum, illud 1 ad Cor. 9: „Si nos vobis spiritualia seminavimus, magnum est si carnalia vestra metamus?" Et secundum hoc quadrupliciter possunt religiosi de eleemosynis vivere, quasi sibi debitis: Primo, si praedicent auctoritate praelatorum. — Secundo, si sint ministri altaris; quia ut dicitur 1 ad Cor. 9: „Qui altari deserviunt, cum altari participantur; ita et Dominus ordinavit his, qui Evangelium denuntiant, de Evangelio vivere." Et Augustinus dicit in Lib. de Op. Monach. [cap. 21] : „Si Evangelistae p l sunt, fateor (habent potestatem vivendi de sumptibus fidelium): 40 ad aliquid mundanum tenendum. Potest autem officium militare ordinari ad subventionem proximorum, non solum quantum ad privatas personas, sed etiara quantum ad totius reipublicae defensionem. Unde de Juda Machabaeo, 1 Machab. 3 dicitur quod „praeliabatur praelium Israel cum laetitia; et dilatavit populo suo gloriam". Ordinari etiam potest ad conservationem divini cultus; unde ibidem subditur Judam dixisse: „Nos pugnabimus pro animabus nostris, et legibus nostris"; et infra cap. 13 dicit Simon: „ V o s scitis quanta ego et fratres mei, et domus patris mei, fecimus pro legibus, et pro sanctis praelia." Unde convenienter institui potest aliqua religio ad militandum, non quidem propter aliquid mundanum, sed propter defensionem divini cultus, et publicae salutis, vel etiam pauperum, et oppressorum, secundum illud Ps. 81: „ E r i p i t e pauperem, et egenum de manu peccatoris liberate". A D P R I M U M ergo dicendum quod aliquis potest non resistere malo dupliciter: uno modo, condonando propriam injuriam; et sie potest ad perfectionem pertinere, quando ita fieri expedit ad salutem aliorum. — A l i o modo, tolerando patienter injurias aliorum; et hoc ad imperfectionem pertinet, v e l etiam ad Vitium, si aliquis potest convenienter injurianti resistere. Unde A m -

14 24

201

188, 3 Ambrosius: „Die Tapferkeit, mit der mau im Kriege das Vaterland vor den Barbaren schützt oder zu Hause die Schwachen verteidigt, oder die Freunde vor Räubern, ist vollgültige Gerechtigkeit." Wie auch der Herr ebendort [Lk 6, bO] sagt: „Verlange d a s D e i n e nicht zurück." Und doch, wenn einer das Gut d e r a n d e r e n , wenn es seine Pflicht wäre, nicht zurückfordern würde, würde er sündigen. Denn der Mensch gibt löblicherweise das Eigene hin, nicht aber das, was anderen gehört. Und noch weniger ist das zu vernachlässigen, was Gott gehört; denn, wie Chrysostomus sagt: „ D i e B e l e i d i g u n g e n G o t t e s ü b e r h ö r e n , i s t n u r a l l z u g o t t l o s." Z u 2. Das Amt des Anwaltes ausüben um einer weltlichen Angelegenheit willen widerstreitet allem Ordensleben; nicht aber, wenn jemand dieses Amt ausübt auf Befehl seines Oberen und f ü r sein Kloster, was in der angeführten Dekretale hinzugefügt wird. Auch dann nicht, wenn es geschieht zur Verteidigung der Armen oder Witwen. Deshalb heißt es in den Dekretalen: „Die heilige Kirchen Versammlung bestimmt, daß in der Folge kein Geistlicher Besitzungen anhäufen oder sich in weltliche Geschäfte einmischen darf, es sei denn wegen der Sorge für die Unmündigen" usw. Und so ist auch der Kriegsdienst um einer weltlichen Sache willen allem Ordensleben zuwider, nicht aber, wenn es gilt, im Dienste Gottes zu kämpfen. Z u 8. Der weltliche Kriegsdienst ist den Büßern Q U A E S T I O PL 16/61 B

PG 56/668 D

Frdb. 11/21! Frdb. I/3U6

188, a

brosius dicit in lib. I de Offic. [cap. 27]: „Fortitudo, quae bello tuetur a barbaris patriam, vel domi defendit infirmos, vel a latronibus socios, plena justitia est." Sic etiam ibidem Dominus dicit: „Quae tua sunt, ne repetas"; et tarnen si aliquis non repeteret ea quae sunt aliorum, si ad eum pertineat, peccaret. Enim homo laudabiliter donat sua, non autem aliena: et multo minus ea quae sunt Dei, non sunt negligenda; quia, ut Chrysostomus dicit super Matth, [hom. 5. in Op. imperf.], „injurias Dei dissimulare nimis est impium". AD SECUNDUM dicendum quod exercere advocationis officium propter aliquid mundanum, repugnat omni religioni: non autem si hoc aliquis exerceat secundum dispositionem sui praelati pro monasterio suo, ut in eadem Decretali subditur, neque etiam pro defensione pauperum, aut viduarum. Unde in Decretis, dist. 88 Lcap. 1], dicitur: „Decrevit Sancta Synodus nullum deinceps clericum aut possessiones conducere, aut saecularibus negouis se permiscere, nisi propter curam pupillorum" etc. Et similiter militare propter aliquid mundanum, omni est religioni contrarium: non autem militare propter obsequium Dei. AD TERTIUM dicendum quod militia saecularis interdicitur

202

untersagt; aber der Kriegsdieost, der um des Dienstes 188, 4 Gottes willen übernommen wird, kann einem sogar zur Buße auferlegt werden; wie das offenbar geschieht bei denen, die den Auftrag erhalten, zum Schutze des Heiligen Landes in den Krieg zu ziehen. Z u 4. Der Orden wird nicht in der Weise f ü r den Kriegsdienst bestimmt, daß die Ordensleute auf eigene Verantwortung Krieg führen dürften, sondern nur in der Vollmacht der Fürsten oder der Kirche. 4. A R T I K E L Kann ein Orden gegründet werden zum Predigen Beichthören?

oder

1. In den Dekretalen heißt es: „Das Leben der Mönche ist beschlossen in dem Wort ,Unterwerfung und Lehrzeit'; nicht aber [besteht es] darin, andere zu lehren oder ihnen vorzustehen oder sie zu betreuen." Dasselbe aber scheint zu gelten von den anderen Ordensleuten. Predigen aber und Beichthören ist soviel wie andere betreuen und lehren. Also kann f ü r diese Aufgaben kein Orden gegründet werden. 2. Das, w o z u der Orden gegründet wird, scheint dem Orden am allermeisten eigen zu sein (Art. 1). Die genannten Tätigkeiten aber sind nicht eigentlich Sache der OrdensQÜAESTIO 188, < poenitentibus: sed militia, quae est propter Dei obsequium, imponitur alicui in poenitentiam; 6icut patet de his quibus injungitur ut militent in subsidium Terrae Sanctae. AD QUARTUM dicendum quod religio non sie instituitur ad militandum, quod religiosis propria auetoritate liceat bella gerere, sed solum auetoritate prineipum, vel Ecclesiae. A R T I C U L U S IV U t r u m a l i q u a r e l i g i o p o s s i t i n s t i t u i ad praedicandum, vel confessiones audiendum [CI 4] AD QUARTUM sie proceditur. Videtur quod nulla religio possit institui ad praedicandum, vel confessiones audiendum. Dicitur enim 7, q. 1 [cap. Hoc nequaquam]: „Monachorum vita Ft(jb. subjectionis habet verbum, et diseipulatus, non docendi, vel 1/685 praesidendi, vel pascendi alios." Et eadem ratio esse videtur de aliis religiosis. Sed praedicare, et confessiones audire, est pascere, vel docere alios; non ergo ad hoc aliqua religio potest institui. 2. PRAETEREA, illud, ad quod religio instituitur, videtur esse maxime proprium religioni, ut supra dictum est. Sed praedicti 14*

203

188, 4 leute, sondern eher der Bischöfe. Also kann für diese Tätigkeiten kein Orden gegründet werden. 3. Es scheint nicht in der Ordnung, daß die Vollmacht zu predigen und beichtzuhören unbestimmt vielen Menschen übertragen wird. Die Zahl derer aber, die in einen Orden aufgenommen werden, ist unbestimmt. Also ist es nicht in der Ordnung, daß für die vorgenannten Tätigkeiten ein Orden gegründet wird. 4. Den Predigern ist der Lebensunterhalt von den Christgläubigen geschuldet, wie das erhellt aus 1 Kor 9, 4 ff. [110], Wenn also das Predigtamt einem dafür gegründeten Orden anvertraut wird, folgt, daß die Christgläubigen für unbestimmt viele Menschen den Lebensunterhalt bestreiten müßten, was für sie eine ungeheure Last bedeuten würde. Also darf kein Orden zur Ausübung dieser Tätigkeiten gegründet werden. 5. Die Einrichtung der Kirche muß sich richten nach der Einrichtung Christi. Christus aber sandte zunächst nur die zwölf Apostel (Lk 9, 1 f.), und nachher schickte er die 72 Jünger aus (Lk 10, 1); wie aber die Glosse zur Stelle sagt: „Die Rolle der Apostel nehmen die Bischöfe ein und die der 72 Jünger die niederen Priester", nämlich die Seelsorgspriester. Also darf neben den Bischöfen und Pfarrgeistlichen kein Orden gegründet werden zum Predigen oder Beichthören. QUAESTIO

188,
O'-ationum". R E S P O N D E O d i c e n d u m quod solitudo, sicut et p a u p e r t a s , n o n est ipsa essentia p e r f e c t i o n i s , s e d p e r f e c t i o n i s i n s t r u m e n t u m . U n d e in Collationibus P a t r u m Tl. c®P- 7 ] , dicit A b b a s Moyses, quod „ p r o p u r i t a t e c o r d i s solitudo s e c t a n d a e s t " , sicut et

232

und anderes dergleichen. Es ist aber klar, daß die Ein- 188, 8 samkeit nicht das der Tätigkeit, sondern das der Beschauung gemäße Werkzeug ist; nach Os 2, 14: „Ich will s i e 1 in die Wüste [ = Einsamkeit] führen und ihr zu Herzen sprechen". Also paßt sie nicht für jene Orden, die auf die Werke, seien es leibliche oder geistige, des tätigen Lebens ausgerichtet sind; als höchstens zeitweise, nach dem Beispiel Christi, der, wie Lk 6, 12 berichtet, „auf den Berg stieg, um zu beten und die ganze Nacht im Gebete vor Gott verbrachte". Sie eignet sich aber f ü r jene Orden, die auf die Beschauung hingeordnet sind. Es ist jedoch zu bedenken, daß das, was allein steht, sich selbst durch sich selbst genügen muß. Das aber ist das, „dem nichts fehlt" [Aristoteles], was zum Begriff des Vollkommenen gehört. Und so ist die Einsamkeit Sache des Beschaulichen, der schon ins Vollkommene gelangt ist. Das aber erfolgt in doppelter Weise: E i n m a l einzig auf Grund eines göttlichen Geschenkes, wie bei Johannes dem Täufer, der „schon vom Mutterleibe an mit dem Heiligen Geiste erfüllt" war, weshalb er auch, da er noch Knabe war, „sich in der Wüste aufhielt" (Lk 1, 15. 80). — In a n d e r e r Weise durch Übung der Tugend, nach Hb 5, 14: „Für die Vollkommenen gehört sich feste Speise, weil sie durch Gewöhnung die Sinne geschärft haben zur Unterscheidung von Gut und Böse." Bei dieser Übung aber wird QUAESTIO 188, s jejunia, et alia hujusmodi. Manifestum est autem quod solitudo non est instrumentum congruum actioni, sed contemplationi, secundum illud Oseae 2: „Ducam eam in solitudinem, et loquar ad cor ejus." Unde non congruit religionibus, quae sunt ordinatae ad opera vitae activae sive corporalia, sive spiritualia: nisi forte ad tempus, exemplo Christi, qui, ut dicitur Lucae 6: „Exiit in montem orare, et erat pernoctans in oratione Dei." Competit autem religionibus, quae sunt ad contemplationem ordinatae. Considerandum tarnen est quod id quod est solitarium, debet esse sjbi per se sufflciens: hoc autem est, „cui nihil deest", quod e f. Arist. pertinet ad rationem perfecti. Et ideo solitudo competit contem- fhys. 3,6 pianti, qui jam ad perfectum pervenit. Quod quidem contingit 2 0 7 a 9 dupliciter: uno modo ex solo divino munere: sicut patet de Joanne Baptista, qui „fuit repletus Spiritu adhuc ex utero matris suae"; unde et cum adhuc puer esset, „erat in desertis", ut dicitur Lucae 1. — Alio modo per exercitium virtuosi actus, secundum illud Hebr. 5 : „Perfectorum est solidus cibus, eorum qui pro consuetudine exercitatos habent sensus ad discretionem boni, et

i Nàmlich: ..Meine Braut", d. 1. das auserw&hlte Volk. Vgl. Anm. [107], 16 24

233

188, 8 der Mensch durch die Gesellschaft der anderen in doppelter Weise unterstützt, e r s t e n s in bezug auf das Verstandesleben, insofern er unterwiesen wird in dem, was zur Beschauung gehört; so schreibt Hieronymus an den Mönch Rustikus: „Mir gefällt es, daß du mit Heiligen zusammenwohnst und dich nicht selbst lehrst." Z w e i t e n s in bezug auf den Willen, insofern nämlich die schädlichen Anwandlungen des Menschen durch das Beispiel und die Zurechtweisung der anderen eingedämmt werden; denn, wie Gregor zu der Stelle [Job 39, 6J , . . . dem Ich die Wüste zur Behausung gab' sagt: „Was nützt die leibliche Einsamkeit, wenn die Einsamkeit des Herzens fehlt?" Deshalb ist das Gemeinschaftsleben notwendig für die Übung der Vollkommenheit, wohingegen die Einsamkeit dem schon Vollendeten gebührt. Deshalb sagt Hieronymus: „Wir tadeln das Einsiedlerleben durchaus nicht, werden es im Gegenteil immer loben. Doch möchten wir vom Übungsplatz der Klöster solche Soldaten in die Einsamkeit senden, welche sich durch ihre Härten nicht abschrecken lassen und die bereits durch lange Zeit eine Probe ihres vollkommenen Wandels gegeben haben." Wie also das, was schon vollkommen ist, den Vorrang hat vor dem, was sich erst in der Vollkommenheit übt, so hat auch das Leben der Einsiedler, wenn es geführt wird, wie es sein soll, den Vorrang vor dem Gemeinschaftsleben. Wählt man aber ein solches Leben ohne vorherige Übung, so ist das äußerst gefährlich, es sei denn, daß QUAESTIO

PL 22/1077 B PL 76/553 A PL 22/1077D

188, 8

niali." Ad exercitium autem juvatur homo e x aliorum societate dupliciter: uno modo quantum ad intellectum, ut instruatur in his quae sunt contemplanda; unde Hieronymus dicit ad Rusticum Monachum [epist. 1 2 5 J : „Mihi placet ut habeas sanctorum contubernium, nec ipse te d o c e a s " : secundo quantum ad aSectum, ut scilicet noxiae affectiones hominis reprimantur exemplo, et correctione aliorum: quia, ut Gregorius dicit 30 Moral, super illud ,Cui dedi in solitudine domum' [cap. 1 6 ] , „quid prodest solitudo corporis, si solitudo defuerit c o r d i s ? " Et ideo vita socialis necessaria est ad exercitium perfectionis: solitudo autem competit jam perfectis. Unde Hieronymus dicit ad Rusticum Monachum: „Solitariam vitam comprehendimus minime quam gaepe laudabmius: sed de ludo monasteriorum hujusmodi volumus egredi milites, quos rudimenta non terreant, qui specimen conversationis suae multo tempore dederint." Sicut igitur id quod jam perfectum est, praeeminet ei quod ad perfectionem e x e r c e t u r : ita vita solitariorum, si debite assuniatur, praeeminet vitae sociali: si autem absque praecedenti exercitio talis vita assumatur, est periculosissima, nisi per

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durch göttliche Gnade ersetzt wird, was andere durch 188,8 Übungen erlangen, wie es geschah beim hl. Antonius und beim hl. Benedikt. Z u 1. Salomon [124] zeigt, daß es besser ist, wenn zwei beisammen sind, als wenn einer alleinsteht, nämlich wegen der Hilfe, die der eine vom anderen hat, sei es, daß er ihm „aufhilft", oder „zur Seite ist", oder ihn geistig „erwärmt" (ebd. V. 10 u. 11). Solche Hilfe können die entbehren, die die Vollkommenheit bereits erreicht haben. Zu 2. „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm" (1 Jo 4, 16). Wie also Christus mitten unter jenen weilt, die unter sich durch Nächstenliebe vereint sind, so „wohnt Er im Herzen" [Eph 3, 17] dessen, der aus Liebe zu Gott sich der göttlichen Beschauung widmet. Z u 3. Den Gehorsam zu vollziehen ist notwendig für die, die sich unter der Leitung anderer noch üben müssen, um die Vollkommenheit zu erlangen. Diejenigen aber, die bereits vollkommen sind, werden genügend „durch den Geist Gottes getrieben" [Rom 8, 14], daß sie es nicht nötig haben, den Gehorsam gegenüber anderen zu vollziehen [125], Doch üben sie den Gehorsam in der Bereitschaft des Geistes. Z u 4. Wie Augustinus sagt, wird „an der Erforschung der Wahrheit niemand gehindert, weil das eine lobenswerte Muße ist". Daß aber einer „auf den Leuchter gestellt werde", ist nicht seine, sondern des Oberen Sache. „Wem QUAESTIO 188, » divinam gratiam suppleatur, quod in aliis per exercitium acquiritur: sicut patet de beatis Antonio et Benedicto. AD PRIMUM ergo dicendum quod Salomon ostendit melius esse quod sint duo simul, quam unus, propter auxilium quod unus habet ab alio, vel ad sublevandum, vel ad fovendum, vel ad spiritualiter calefaciendum: quo quidem auxilio jam non indigent, qui sunt perfectionem assecuti. AD SECUNDUM dicendum quod, sicut dicitur, 1 Joan. 4: „Qui manet in charitate, in Deo manet, et Deus in eo." Sicut ergo Christus est in medio eorum, qui sibi invicem per dilectionem proximi sociantur, ita „habitat in corde" ejus, qui divinae contemplationi insistit per dilectionem Dei. AD TERTIUM dicendum quod actu obedire est necessarium his, qui indigent exerceri secundum directionem aliorum ad perfectionem capiendam: sed Uli qui jam perfecti sunt, spiritu Dei sufficienter aguntur, ut non indigeant actu aliis obedire: habent tarnen obedientiam in praeparatione animi. AD QUARTUM dicendum quod, sicut Augustinus dicit in 19 de Civ. Dei [cap. 19], „a studio cognoscendae veritatis nemo pl prohibetur, quod ad laudabile pertinet otium". Quod autem ali- 41/647 quis super candelabrum ponatur, non pertinet ad ipsum, sed ad 16*

235

D

188, 8 diese Last nicht auferlegt wird", fügt Augustinus hinzu, „der soll sich der Beschauung der Wahrheit widmen", wozu die Einsamkeit sehr viel hilft. Jedoch bringen jene, die ein Einsiedlerleben führen, dem Menschengeschlechte großen Nutzen. Deshalb sagt Augustinus von ihnen: „Zufrieden mit dem Brote und dem Wasser, das ihnen von Zeit zu Zeit gebracht wird, bewohnen sie die wüstesten und verlassensten Orte der Erde und freuen sich, mit Gott, dem sie in reinster Seele anhangen, Zwiesprache zu pflegen. Manche meinen, jene hätten mehr, als gut ist, den Verkehr mit den Menschen aufgegeben, und verstehen nicht, wieviel ihr Geist mit seinen Gebeten uns nützt und wie das Leben jener, deren Leiber wir nicht zu sehen bekommen, uns ein Beispiel ist." Z u 5. Der Mensch kann in doppelter Weise als Einsiedler leben: einmal, weil er die Gesellschaft der Menschen nicht ertragen kann wegen der Wildheit seiner Seele, und das ist tierisch. In anderer Weise so, daß er ganz und gar den göttlichen Dingen hingegeben ist, und das ist übermenschlich. Deshalb sagt der Philosoph: „Wer nicht mit anderen zusammenlebt, ist entweder ein Tier oder ein Gott", d. h. ein göttlicher Mensch [126]. Q U A E S T I O 188, s ejus superiores. „Quae sarcina si non imponatur", ut Augustinus ibidem subdit, „contemplandae veritati vacandum est", ad quam plurimum valet 6olitudo. Et tarnen Uli qui solitariam vitam agunt, multum utiles sunt generi humano; unde Augustinus dicit in Lib. de Mor. Eccl. PL [cap. 3 1 ] , de his loquens: „Pane solo, qui eis per certa inter32/1337 D valla temporum affertur, et aqua contenti, desertissimas terras incolunt, perfruentes colloquio Dei, cui puris mentibus inhaeserunt: videntur autem nonnullis res humanas plusquam oporteret deseruisse, non intelligentibus quantum nobis eorum animus in orationibus prosit, et vita ad exemplum, quorum corpora videre non sinimur." AD QUINTUM dicendum quod homo potest solitarius vivere dupliciter: uno modo, quasi societatem humanam non ferens propter animi saevitiam; et hoc est bestiale: alio modo per hoc quod totaliter divinis rebus inhaeret; et hoc est supra hominem. 1253 a 27 Et ideo Philosophus dicit in 1 Polit. [cap. 1 ] , quod „ille qui aliis non communicat est bestia, aut deus", idest diviniis vir.

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189. F R A G E

189,1

ÜBER DEN ORDENSEINTRITT Hierauf ist der Ordenseintritt zu betrachten. geben sich zehn Einzelfragen:

Dazu er-

1. Dürfen jene, die sich noch nicht in der Beobachtung der Gebote geübt haben, in einen Orden eintreten ? 2. Darf man sich durch ein Gelübde verpflichten, in einen Orden einzutreten? 3. Müssen diejenigen, die sich durch ein Gelübde verpflichtet haben, in einen Orden einzutreten, dieses Gelübde erfüllen? 4. Müssen diejenigen, die das Gelübde ablegen, in einen Orden einzutreten, dort für immer bleiben? 5. Darf man Kinder in den Orden aufnehmen? 6. Darf man die Menschen wegen des Gehorsams gegen die Eltern vom Ordenseintritt zurückhalten? 7. Können die Seelsorgspriester and die Archidiakone 1 in einen Orden eintreten? 8. Kann man von dem einen Orden zum anderen übertreten ? 9. Darf man andere zum Ordenseintritt veranlassen? 10. Braucht es zum Ordenseintritt lange Beratung mit den Verwandten und Freunden?

Q U A E S T I O CLXXXIX DE I N G R E S S U

R E L I G I O N IS

Deinde considerandum est de ingressi! religionis. Et circa hoc quaeruntur decern. — 1. Utrum illi qui non sunt exercitati in observantia praeceptoruni, debeant religionem ingredi. — 2. Utrum liceat aliquos voto obligari ad religionis ingressum. — 3. Utrum illi qui voto obligantur ad religioni« ingressum, teneantur votum implere. — 4. Utrum illi qui vovent religionem intrare, teneantur ibi perpetuo remanere. — 5. Utrum pueri sint recipiendi in religione. — 6. Utrum propter parentum obsequium aliqui debeant retrahi a religionis ingressu. — 7. Utrum presbyteri curati, vel archidiaconi possint ad religionem transire. — 8. Utrum de una religione possit aliqui6 transire ad aliani. — 9. Utrum aliquis debeat alios inducere ad religionis ingressum. — 10. Utrum requiratur magna deliberatio cum consanguineis, et amicis ad religionis ingressum. 1 Vgl. Arun. [14].

287

189, l

1. A R T I K E L Dürfen

nur die in den Orden eintreten, die sich bereits in der Beobachtung der Gebote geübt haben?

1. Den Rat der Vollkommenheit gab der Herr dem Jüngling, der von sich behauptet hatte, er habe alle Gebote „von Jugend auf beobachtet" [Mt 19, 2 0 f . ] . Von Christus aber nahm alles Ordensleben seinen Anfang. Es scheint also, daß nur die zum Orden zugelassen werden dürfen, die sich schon in der Beobachtung der Gebote geübt haben. 2. Gregor sagt: „Niemand gelangt auf einmal bis zum Gipfel; sondern er fängt in einem guten Lebenswandel mit ganz kleinen Dingen an, um zu Großem zu gelangen." Das ,Große' aber sind die Räte, die zur Vollkommenheit des Lebens gehören; das ,ganz Kleine' sind die Gebote, die zur gewöhnlichen Gerechtigkeit 1 gehören. Es scheint also, daß man nicht, um die Räte zu beobachten, in einen Orden eintreten darf, ohne sich vorher in den Geboten geübt zu haben. 3. W i e die heiligen Weihen einen bestimmten Vorrang in der Kirche haben, so auch der Ordensstand. W i e aber Gregor an den Bischof Siagrius schreibt, ,.muß man in einer bestimmten Ordnung zu den heiligen Weihen hinansteigen. Denn wer die Zwischenstufen überspringen will, QUAESTIO

189, i A R T I C U L U S I

U t r u m ¡ I l i q u i non s u n t ¡n p r a e c e p t i s esercitati, debeant ¡ n g r e d i religionem [4. QLB 12, 1; CR 2—7]

A D P R I M U M sie proceditur. V i d e t u r quod non debeant religionem ingredi, nisi illi qui sunt in praeceptis exercitati. Dominus eniin consilium p e r f e c t i o n s dedit adolescenti, qui dixerat se praecepta „ a juventute servasse". S e d a Christo sumpsit initium omnis religio. Ergo videtur quod non sint ad religionem admittendi, nisi qui sunt in praeceptis exercitati. _PL 2. P R A E T E R E A . Gregorius dicit super Ezech. [lib. 2, 3 et 22 l e v a t i Moral., cap. 14] : „ N e m o repente fit summus; sed in bona conver' i satione a minimis quis inchoat, ut ad magna p e r v e n i a t . " S e d magna sunt Consilia, quae pertinent ad perfectionem v i t a e ; minora autem sunt praecepta, quae pertinent ad communem justitiam. Ergo videtur quod non debent aliqui ad observantiam consiliorum r e l i g i o n e m intrare, nisi prius fuerint in praeceptis exercitati. PL77/1031 B cf. 77/784 B Frdb. V174

3. P R A E T E R E A , sicut ordines sacri habent quamdam excellentiam in Ecclesia, ita et status religionis: sed, sicut Gregorius gcribit Siagrio Episcopo [Registr. lib. 9, epist. 106; cf. lib. 5, epist. 5 3 ] , et habetur in Decret. dist. 48 [cap. 2 ] : „Ordinate ad ordines ascendendum est: nam casum appetit, qui ad 1

Hier = Gnadenstand.

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um auf steilem P f a d e gleich die höchste Spitze zu erklim- 189, i tnen, der will den Absturz. Wir wissen gut, daß man den Mauern nicht eher die Last der Dachziegel zumutet, als bis die frischen Mauern ihre Feuchtigkeit verloren haben und trocken geworden sind. Denn wenn sie die Last aufnehmen sollen, bevor sie fest geworden, stürzt der ganze Bau zusammen." Es scheint also, daß man nicht in einen Orden eintreten darf, wenn man sich nicht vorher in den Geboten geübt hat. 4. Zu der Stelle Ps 131 (130), 2 ,Wie ein entwöhntes Kind an seiner Mutter [ r u h t ] ' sagt die Glosse: „Zuerst werden wir im Mutterschoße der Kirche empfangen, wenn wir in den Anfangsgründen des Glaubens unterwiesen werden. Darauf werden wir ins Licht geboren, wenn wir durch die Taufe wiedergeboren w e r d e n ; dann werden wir gleichsam auf den Händen der Kirche getragen und mit ihrer Milch genährt, wenn wir nach der Taufe in guten Werken geübt und mit der Milch der geistigen Lehre genährt werden, wo wir dann so lange fortschreiten, bis wir, größer geworden, von der Muttermilch fort zum Tisch des Vaters hinzutreten; d. h. von der schlichten Lehre, wo das fleischgewordene WORT gepredigt wird, treten wir hinzu zum WORT des Vaters, das im Anfang bei Gott war." Und nachher fügt sie b e i : ,.Die neulich, am Karsamstag, Getauften werden wie von den Händen der Kirche betreut und bis Pfingsten mit ihrer Milch genährt. In dieser Zeit ist noch von keinen schwierigen Dingen die Rede. Es wird nicht gefastet, man steht nicht um MitterQ U A E S T I O 189, •

summi loci fastigia, postpositis gradibus, per abrupta quaerit accessum: scimus auod aedificati parietes non prius tignorum pondus accipiunt, nisi a novitatis suae humore siccentur; ne si ante pondera, quam solidentur, accipiant, cunctam simul fabricam deponant". Ergo non debent aliqui ad religionem transire, nisi in praeceptis exercitati. 4. PRAETEREA, super illud Ps. 130 ,Sicut ablactatus est super matre sua', dicit Gloss. [ord.] : „In utero matris Ecclesiae primo concipimur, dum fldei rudimentis instruimur, deinde in lucem edimur, dum per baptismum regeneramur: deinde quasi manibus Ecclesiae portamur, et lacte nutrimur, cum post baptismum bonis operibus informamur, et lacte spiritualis doctrinae nutrimur perficiendo, donec jam grandiusculi a lacte matris accedamus ad mensam Patris, idest a simplici doctrina, ubi praedicatur Verbum caro factum est, accedamus ad Verbum Patris in principio apud Deum"; et postea subdit, quod „nuper baptizati in Sabbato Sancto quasi manibus Ecclesiae gestantur. et lacte nutriuntur usque ad Pentecosten; quo tempore nulla difflcilia indicuntur, non jejunatur, non media nocte surgitur: postea

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pr, 191/1172 A

PL 191/1172 B

189, l nacht auf; nachher jedoch, durch den Heiligen Geist gestärkt und gleichsam der Muttermilch entwöhnt, fangen sie an zu fasten und andere schwierige Dinge zu beobachten. Viele aber, wie die Irrlehrer und Abtrünnigen, verkehren diese Ordnung, indem sie sich vor der Zeit von der Muttermilch trennen. Deshalb gehen sie auch zugrunde." Diese selbe Ordnung nun scheinen jene zu verkehren, die in einen Orden eintreten oder andere zum Eintritt veranlassen. bevor sie sich in der so viel leichteren Beobachtung der Gebote geübt haben. Sie scheinen also Irrlehrer und Abtrünnige zu sein. 5. Vom Früheren muß man zum Späteren übergehen. Die Gebote sind aber früher als die Räte, weil sie allgemeiner sind, so daß die „Sinnfolge, in der sie stehen, nicht umkehrbar ist" [127]. Wer immer nämlich die Räte beobachtet, beobachtet auch die Gebote, aber nicht umgekehrt. Die sinngemäße Ordnung aber verlangt, daß man von dem Früheren zum Späteren übergeht. Also darf einer nicht übergehen zur Beobachtung der Räte in einem religiösen Orden, solange er sich nicht geübt hat in den Geboten. ANDERSEITS hat der Herr den Zöllner Matthäus, der in der Beobachtung der Gebote noch nicht geübt war, zur Beobachtung der Räte berufen; denn es heißt Lk 5, 28: „Er verließ alles und folgte Ihm." Also ist es nicht nötig, daß einer, bevor er zur Vollkommenheit der Räte übergeht, sich in der Beobachtung der Gebote geübt habe. Q U A E S T I O

189, 1

Spiritu Paraclito confirmati, quasi ablactati, incipiunt jejunare, et alia difficilia servare: multi vero hunc ordinem pervertunt, ut haeretici et schismatici, se ante tempus a lacte separantes: unde extinguuntur". Sed hunc ordinem pervertere videntur Uli qui religionem intrant, vel alios ad intrandum inducunt, antequam sint in faciliori observantia praeceptorum exercitati. Ergo videtur quod sint haeretici, vel schismatici. 5. PRAETEREA, a prioribus ad posteriora est transeunduni. Sed praecepta sunt priora consiliis, quia sunt communiora, utpote 14 a 29 „a quibus non convertitur consequentia essendi" [Categ. 12] : quicumque enim servat consilia, servat praecepta: sed non convertitur. Congruus autem ordo est, ut a prioribus ad posteriora transeatur. Ergo non debet aliquis transire ad observantiam consiliorum in religione, nisi prius sit exercitatus in praeceptis. SED CONTRA est quod Dominus Matthaeum publieanum, qui in observantia praeceptorum exercitatus non erat, advocavit ad consiliorum observantiam: dicitur enim Lucae 5, quod „relictis omnibus, secutus est eum". Ergo non est necessarium quod ante aliquis exerceatur in observantia praeceptorum. quam transeat ad perfectionem consiliorum.

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ANTWORT: Der Ordensstand ist eine geistige Übung 189,1 zur Erlangung der Vollkommenheit in der Liebe (186, 1 Zu 4; 2 u. 7; 188, 1). Das geschieht dadurch, daß durch die Ordensübungen die Hindernisse der vollkommenen Liebe ausgeräumt werden. Diese Hindernisse sind das, was die menschliche Neigung ins Irdische verstrickt sein läßt. Dadurch aber, daß der Mensch mit seiner Neigung ins Irdische verstrickt ist, wird nicht nur die Vollkommenheit der Liebe vereitelt, sondern zuweilen geht die Liebe selbst verloren, wenn durch die ungeregelte Hinwendung zu den zeitlichen Gütern der Mensch sich abwendet vom unwandelbaren Gut. indem er schwer sündigt. Wie nun die klösterlichen Übungen die Hindernisse der vollkommenen Liebe ausräumen, so nehmen sie auch die Gelegenheiten zur Sünde fort. So wird der Mensch durch Fasten, Nachtwachen, Gehorsam und anderes dergleichen von den Sünden der Gaumenlust und der Unzucht und von irgendwelchen anderen Sünden zurückgehalten. Deshalb ist der Eintritt in einen Orden nicht nur für die gut, die sich schon in de^ Beobachtung der Gebote geübt haben, um [durch die Ordensübungen] zu einer höheren Vollkommenheit zu gelangen, sondern auch für die, die noch nicht geübt sind, damit sie leichter die Sünde meiden und zur Vollkommenheit gelangen. Z u 1. Hieronymus meint: ,,Als der Jüngling sagte: ,Das alles habe ich von Jugend auf beobachtet', hat er gelogen. Q U A E S T I O 189, i RESPONDEO dicendutn quod, sicut ex supra dictis patet, status religionis est quoddani spirituale exercitium ad consequendum perfectionem charitatis. Quod quidem fit, inquantum per religionis observantias auferuntur impedimenta perfectae charitatis: haec autem sunt, quae implicant affectum hominis ad terrena. Per hoc autem quod aöectus hominis implicatur ad terrena, non solum impeditur perfectio charitatis; sed interdum etiam ipsa Charitas perditur, dum per inordinatam conversionem ad bona temporalia homo avertitur ab incommutabili bono, mortaliter peccando. Unde patet quod religionis observantiae, sicut tollunt impedimenta perfectae charitatis, ita etiam tollunt occasiones peccandi; sicut patet quod per jejunium, et vigilias, et obedientiam, et alia hujusmodi retrahitur homo a peocatis gulae, et luxuriae, et a quibuscumque aliis. Et ideo ingredi religionem non solum expedit his, qui sunt exercitati in praeceptis, ut ad majorem perfectionem perveniant; sed etiam his, qui non sunt exercitati, ut facilius peccata vitent, et perfectionem assequantur. AD PRIMUM ergo dicendum quod Hieronymus dicit super HL Matth.: „Mentitus est adolescens, dicens: Haec omnia servavi 26/137

241

B

189, l

Hätte er nämlich das, w a s in den Geboten steht: ,Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst' im W e r k e erfüllt, — w e s h a l b ging er dann nachher, als er h ö r t e : ,Gehe hin, v e r k a u f e alles, w a s du hast, und gib es den A r m e n ' traurig h i n w e g ? " Doch ist das so zu verstehen, daß er n u r gelogen h a t in bezug auf die vollkommene Beobachtung dieses Gebotes. Deshalb sagt Origenes: „ I m H e b r ä e r - E v a n g e l i u m [ 1 2 8 ] wird berichtet, d a ß der reiche Jüngling, als der H e r r ihm s a g t e : .Gehe hin und v e r k a u f e alles w a s du hast' den Kopf geschüttelt habe. U n d der H e r r sprach zu i h m : , W i e kannst du s a g e n : Ich habe das Gesetz und die P r o pheten e r f ü l l t ? Im Gesetze steht: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Und siehe, viele deiner B r ü d e r , Söhne A b r a h a m s , leben im Schmutz und sterben vor Hunger und dein H a u s ist voll von vielen Gütern und rein gar nichts geht davon hinaus zu ihnen'. So tadelte ihn der H e r r und s a g t e : ,Willst du vollkommen sein' usw. E s ist nämlich unmöglich, das Gebot zu erfüllen: , L i e b e deinen Nächsten wie dich selbst' und dabei reich zu sein, und erst recht nicht, so g r o ß e B e s i t z t ü m e r zu h a b e n . " — Auch das ist zu verstehen von der vollkommenen Erfüllung dieses Gebotes. Doch w a r es wahr, daß er die Gebote auf eine unvollkommene und gewöhnliche W e i s e beobachtet hatte. Denn die Vollkommenheit liegt vornehmlich in der Beobachtung des Liebesgebotes (184, 3 . ) . Q U A E S T I O

189, 1

a juventute mea: si enim quod positum est in mandatis: Diliges proximum tuum sicut teipsum, opere complesset, quomodo postea audiens: Vade, vende omnia quae habes, et da pauperibus, tristis recessit?" Sed intelligendum est eum mentitum esse quantum ad perfectam observantiam liujus praecepti. Unde Origenes super pg Matth, [tract. 8] dicit quod „scriptum est in Evangelio secundum 13/1283sq. Hebraeos, quod cum Dominus dixisset ei: Vade, vende omnia quae habes, coepit dive6 scalpere caput suum et dixit ad eum Dominus: Quomodo dicis: Feci legem, et prophetas, cum scriptum sit in lege: Diliges proximum tuum sicut teipsum? et ecce multi fratres tui filii Abrahae amicti sunt stercore, morientes prae fame, et domus tua plena est multis bonis, et non egreditur aliquid omnino ex ea ad eos. Itaque Dominus redarguens eum dicit: Si vis perfectus esse, vade, etc.: impössibile est enim implere mandatum quod dicit: Diliges proximum tuum sicut teipsum, et esse divitem, et maxime tantas possessiones habere". — Quod est intelligendum de perfecta impletione hujus praecepti: imperfecte autem, et communi modo verum est eum observasse praecepta. Perfectio enim principaliter in observantia praeceptorum charitatis consistit, ut supra habitum est.

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Um also zu zeigen, daß die Vollkommenheit der Räte 189,1 sowohl für die Unschuldigen wie für die Sünder nützlich sei, berief der Herr nicht nur den unschuldigen Jüngling, sondern auch Matthäus, den Sünder. Und doch war Matthäus es, der dem Rufer folgte, nicht aber der Jüngling, weil es leichter ist, daß die Sünder sich zur Religion bekehren als jene, welche auf ihre Unschuld vertrauen. Denen sagt der Herr Mt 21. 31: ,.Die Zöllner und die Dirnen kommen eher in das Reich Gottes als ihr!" Zu 2. Hoch und tief können dreifach verstanden werden: e i n m a l im selben Stande und im selben Menschen. Und so ist es klar, daß niemand plötzlich ,Höchster' wird; denn ein jeder, der sein ganzes Leben lang rechtschaffen lebt, wird auch schließlich so weit kommen, daß er den Gipfel erreicht. — In a n d e r e r Weise [können hoch und tief verstanden werden ] im Vergleich zu den verschiedenen Ständen. Und so ist es nicht nötig, daß. wer zu höherem Stande gelangen will, beim niederen anfängt; wie es nicht nötig ist, daß der, der Geistlicher werden will, sich erst in der Lebensart der Laien übe. — D r i t t e n s in bezug auf verschiedene Personen. Und so fängt offenbar der eine sofort nicht nur beim höheren Stande, sondern auch bei einer höheren Stufe der Heiligkeit an, als es die höchste Stufe sein mag, zu der ein anderer sein ganzes Leben braucht, um hin zu gelangen. Deshalb sagt Gregor: QUAESTIO 189, i Ut ergo Dominus ostenderet perfectionem consiliorum utileni esse et innocentibus, et peccatoribus, non solum vocavit adolescentem innocentem, sed etiam Matthaeum peccatorem: et tarnen Matthaeus secutus est vocantem, non autem adolescens: quia facilius convertuntur ad religionem peccatores, quam Uli qui de sua innocentia praesumunt; quibus dicit Dominus, Matth, leap. 21] : „Publicani, et meretrices praecedent vos in regnum Dei." AD SECUNDUM dicendum quod summum, et infimum tripliciter aeeipi possunt. Uno modo in eodem statu, et in eodem homine; et sie manifestum est quod nemo repente fit summus: quia unusquisque recte vivens toto tempore vitae suae proficit, ut ad summum perveniat. — Alio modo per comparationem ad diversos status: et sic non oportet ut quicumque vult ad superiorem statum pervenire, a minori ineipiat: sicut non oportet ut qui vult esse clericus, prius in laicali vita exerceatur. — Tertio modo quantum ad diversas personas; et sie manifestum est quod unus statim incipit non solum ab altiori statu, sed etiam ab altiori gradu sanetitatis, quam sit summum ad quod alius pervenit per totam vitam suam; unde Gregorius dicit in

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189, l „Alle wissen, mit welchem Grade der Vollkommenheit der Knabe Benedikt den Wandel in der Gnade begonnen hat." Z u 3. Die heiligen Weihen setzen die Heiligkeit voraus (184, 6. 8). Der Stand der Vollkommenheit aber ist eine bestimmte Übung zur Erlangung der Heiligkeit [Antwort]. Deshalb ist die Last der Weihen nur d e n Mauern aufzuerlegen, die bereits durch Heiligkeit ausgetrocknet sind; die Last des Ordenslebens hingegen trocknet in den Mauern, d. h. in den Menschen, die Feuchtigkeit der Laster erst aus. Z u 4. Wie es aus den Worten jener Glosse ganz klar hervorgeht, spricht sie von der Ordnung der Lehre, bei der man vom Leichteren zum Schwereren übergeht. Auch was sie sagt, daß die Irrlehrer und Abtrünnigen diese Ordnung verkehren, ist, wie aus dem Folgenden hervorgeht, von der Ordnung der Lehre zu verstehen. Es folgt nämlich: ,.Er aber [der Sänger] sagt, er habe sie", nämlich die vorgenannte Ordnung, „bewahrt; und er schwört unter Gefahr des göttlichen Fluches, so, als wolle er sagen: ,Ich war nicht nur in anderen Dingen demütigen Sinnes, sondern auch in der Wissenschaft. Denn ich war demütig genug, mich erst durch Milch, nämlich das fleischgewordene WORT, ernähren zu lassen, um erst dann heranzuwachsen zum Brot der Engel, d. i. zum WORT, das im Anfang war!" Das mittenhinein angeführte Beispiel, daß den NeugeQU AESTIO

189, i

PL 2 Dialog, [cap. 1]: „Omnes cognoseant Benedictus puer conser66/128 b yationis gratiam a quanta perfectione coepisset." AD TERTIUM dicendum quod, sicut supra dictum est, sacri ordines praeexigunt sanctitatem: 6ed status religionis est exercitium quoddam ad sanctitatem assequendam; unde pondus ordinum imponendum est parietibus jam per sanctitatem desiccatis: sed pondus religionis desiccat parietes, idest homines, ab humore vitiorum. AD QUARTUM dicendum quod, sicut manifeste e x verbis illius Glossae apparet, principaliter loquitur de ordine doctrinae, prout transeundum est a facilioribus ad difficiliora: Unde quod dicit haereticos, et schismaticoö hunc ordinem pervertere, manifestum est e x sequentibus ad ordinem doctrinae PL pertinere. Sequitur enim: „Hic vero se servasse (scilicet prae191/1127 c dictum ordinem) dicit, constringens se maledicto: Sic quasi non modo in aliis fui humilis, sed etiam in scientia; quia humiliter sentiebam; quia prius nutritus lacte, quod est Verbum caro factum, ut sie crescerem ad panem angelorum, idest ad Verbum, quod est in prineipio apud Deum." Exemplum autem quod in medio interponitur, quod noviter

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tauiten in der Zeit bis Pfingsten kein F a s t e n auferlegt 189, 1 wird, zeigt, daß sie zu diesen s c h w e r e n Übungen nicht gezwungen w e r d e n sollen, bevor sie durch den Heiligen Geist innerlich dazu angeregt werden, diese schweren Dinge freiwillig auf sich zu n e h m e n . Deshalb auch feiert die K i r c h e nach Pfingsten, also n a c h d e m sie den Heiligen Geist e m p f a n g e n , ein F a s t e n [die ,Quatemberfasten' innerhalb der Pfingstoktav], „ D e r Heilige Geist a b e r ist nicht", wie A m b r o s i u s sagt, „ a n b e s t i m m t e L e b e n s a l t e r g e b u n d e n ; E r erlischt nicht im Tode, noch ist I h m der Mutterschoß v e r s c h l o s s e n . " U n d Gregor sagt in einer Pfingstpredigt: „ E r [ d e r Heilige G e i s t ] erfüllt den jungen Zitherspieler [DavidJ und m a c h t ihn zum P s a l m e n s ä n g e r ; E r eriüilt den enthaltsamen J ü n g l i n g [ D a n i e l ] und macht ihn zum Richter über G r e i s e . " U n d s p ä t e r fügt er hinzu: „ E s ist keine Lehrzeit v e r l a n g t ; sobald E r den Geist [des Menschen] b e r ü h r t , lehrt E r ihn, w a s i m m e r I h m gefällt." So heißt es auch P r d 8, 8 : „ E s steht nicht in des Menschen Gewalt, den L e b e n s h a u c h [ = Geist] aufzuhalten." U n d der Apostel e r m a h n t 1 T h e s s 5, 1 9 : „ L ö s c h e t den G E I S T nicht a u s ! " W i e es auch A p g 7, 51 gegen gewisse L e u t e h e i ß t : „Ihr widerstehet immerfort d e m Heiligen G e i s t e " [ 1 2 9 ] . Z u 5. U n t e r den Geboten gibt es Hauptstücke, die Ziel sowohl der übrigen Gebote wie d e r R ä t e sind: die Gebote der heiligen Liebe. A u f diese sind die R ä t e ausgerichtet, nicht als ob sie ohne die R ä t e nicht beobachtet werden könnten, sondern w e ü sie mit Hilfe der R ä t e vollkommeQ U A E S T 1 O 189,

1

baptizatis non indicitur jejuniuni usque ad Pentecosten, ostendit quod non sunt ex necessitate ad difficilia cogendi, antequam per Spiritum Sanctum interius ad hoc instigentur, ut difficilia propria voluntate assumant; unde et post Pentecosten, post receptionem Spiritus Sancti, jejunium celebrat Ecclesia. Spiritus autem Sanctus, sicut Ambrosius dicit super Lucam [üb. 1, cap. 1 ] : „Non arcetur aetatibus; non flnitur morte, non excluditur alvo matris." Et Gregorius dicit in Horn. Pentecostes [30 in Kvang.]: „Implet citharaedum puerum, et Psalmistam facit: implet puerum abstinentem, et juidicem senum facit"; et postea subdit: „Nulla ad discendum mora agitur: omne quod voluerit mox ut tetigit, mentem docet." Et sicut dicitur Eccle. 8 : „Non est in hominis ditione prohibere Spiritum"; et Apostolus 1 ad Thess. 5 monet: „Spiritum nolite extinguere"; et Act. 7 contra quosdam dicitur: „Vos Semper Spiritui Sancto restitistis." AD QUINTUM dicendum quod praeceptorum quaedam sunt principalia, quae sunt fines praeceptorum, et consiliorum; 6cilicet praecepta charitatis, ad quae consilia ordinantur, non ita quod sine consiliis servari non possunt, eed ut per consilia perfectius

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pl 1B/1647 B pl 76/1225 d

189, i

ner beobachtet werden. D i e anderen sind Gebote zweiter Ordnung, welche auf die Gebote der L i e b e so ausgerichtet sind, daß ohne sie die Gebote der L i e b e in k e i n e r W e i s e beobachtet werden können. So geht also in d e r Absicht die vollkommene Beobachtung der Liebesgebote den R ä t e n voraus. D e r Zeit nach a b e r folgt sie ihnen. Denn das ist die Ordnung des Zieles in Rücksicht auf die Mittel zum Ziel [ 1 3 0 ] . — Die B e o b achtung der Liebesgebote jedoch in der gewöhnlichen W e i s e , wie auch die der anderen Gebote verhält sich zu den Räten wie das Allgemeine zum B e s o n d e r e n ; denn die Beobachtung der Gebote k a n n sein ohne die Räte, nicht aber umgekehrt. So geht also die Beobachtung der Gebote, wie sie gewöhnlich geschieht, in der Sinnfolge den Räten voraus, nicht a b e r notwendig auch in der Zeitfolge; denn etwas ist nicht etwa f r ü h e r in der Gattung, als es in einer der Arten ist [ 1 3 1 ] . — Die Beobachtung der Gebote aber ohne die R ä t e ist ausgerichtet auf die Beobachtung der Gebote mit den Räten, wie die unvollkommene Art auf die vollkommene, wie das nicht-vernünftige L e b e w e s e n auf das vernünftige. Das V o l l k o m m e n e aber ist der Natur nach früher als das Unvollkommene, denn „die Natur n i m m t " , wie Boethius sagt, „ihren Ausgang vom Vollkomm e n e n " [ 1 3 2 ] . Und doch ist es nicht notwendig, erst die Gebote zu beobachten o h n e R ä t e und nachher m i t den Räten, wie es auch nicht notwendig ist, daß einer Esel QUAESTIO

189, 1

observentur: alia vero sunt praecepta secundaria, quae ordinantur ad praecepta charitatis, ut sine quibus charitatis praecepta observari non possint omnino. Sic igitur perfecta observantia praeceptorum charitatis praecedit intentione consilia, sed interdum tempore sequitur. Hic est enim ordo finis respectu eorum, quae sunt ad finem. — Observantia vero praeceptorum charitatis secundum communem modum, et similiter alia praecepta comparantur ad consilia, sicut commune ad proprium: quia observantia praeceptorum potest esse sine consiliis: sed non convertitur. Sic ergo observantia praeceptorum communiter sumpta praecedit ordine naturae consilia: non tarnen oportet quod tempore; quia non est aliquid prius in genere, quam sit in aliqua specierum. — Observantia praeceptorum sine consiliis ordinatur ad observantiam praeceptorum cum consiliis, sicut species imperfecta ad perfectam, sicut animal irrationale ad rationale. Perfectum autem est naturaliter prius imperfecto: „natura" enim, ut Boetius dicit [3 de PL Consolat., prosa 10], „a perfectis sumit initium." Nec tarnen 63/765 A oportet, quod prius observentur praecepta sine consiliis, et postea cum consiliis: sicut non oportet, quod aliquis prius sit

246

ist, bevor er Mensch ist, oder erst verheiratet, bevor er 189,2 jungfräulich ist. Ebenso ist es nicht notwendig, daß einer die Gebote erst in der Welt beobachtet, bevor er zum Ordensleben übergeht, besonders da der Wandel in der Welt nicht gerade günstig ist als Vorbereitung auf das Ordensleben, sondern eher ein Hindernis ist. 2. A R T I K E L Gelübde zum Ordenseintritt verpflichtet werden? 1. Durch die Gelübdeablegung wird man auf die Ordensgelübde verpflichtet. Vor der Gelübdeablegung aber wird nach der Regel des hl. Benedikt und einer Bestimmung Innozenz' IV. ein Probejahr bewilligt. Letzterer hat überdies untersagt, daß die Bewerber vor dem vollendeten Probejahr durch Gelübdeablegung verpflichtet werden. Also scheint es, daß sie noch weniger durch Gelübde zum Ordensleben verpflichtet werden dürfen, solange sie noch in der Welt sind. 2. Gregor sagt, die Juden „sollten nicht mit Gewalt, sondern unter Wahrung ihrer Freiheit angehalten werden, sich zu bekehren". Zu erfüllen, was man gelobt hat, ist aber notwendig [und nicht frei]. Also darf man keinen verpflichten, in einen Orden einzutreten [133]. Darf

man durch

QUAESTIO

189, i

asinus, quam sit homo, vel quod prius sit conjugatus, quam sit virgo. Et similiter non oportet quod aliquis prius servet praecepta in saeculo, quam transeat ad religionem: praesertim quia conversatio saecularis non disponit ad perfectionem religionis, sed magis impedit. A R T I C U L U S II U t r u m d e b e a n t a l i q u i voto o b l i g a r i ad religionis ingressum [Supra 88. 9; 3. Qlb 5, 1; 4: 12, 1; CR 11—13]

AD SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod non debeant aliqui voto obligari ad religionis ingressum. P e r professionem enim aliquis voto religionis adstringitur: sed ante professionem conceditur annus probationis, secundum Regulam Beati Bened i c t [cap. 5 8 ] , et secundum Statutum Innocentii I V [cf. cap. PL Non solum, de Regularibus et Trans, etc.], qui etiam prohibuit ante annum probationis completum eos per professionem reli- u/iggi gioni adstringi. Ergo videtur quod multo minus adhuc in saeculo existentes debeant voto ad religionem obligari. 2. P R A E T E R E A , Gregorius in Registro [lib. 1, epist. 47] p l dicit, et habetur in Decret. dist. 45 [cap. de J u d a e i s ] quod 77/5o9 B Judaei „non vi, sed libera voluntate, ut convertantur suadendi sunt". S e d implere id quod vovetur, necessitatis est. Ergo non sunt aliqui obligandi ad religionis ingressum.

247

189, 2

3. Keiner darf dem anderen Anlaß zum Verderben werden; so heißt es Ex 21, 33f.: „Wenn einer den Brunnen öffnet und Ochs oder Esel fallen hinein, dann soll der Besitzer des Brunnens den Preis iür das Vieh zahlen" [134 J. Dadurch aber, daß manche durch Gelübde verpflichtet werden, ins Kloster zu gehen, geraten sie oft in Verzweiflung und in die verschiedensten Sünden. Also scheint es, daß man keinen durch Gelübde zum Ordenseintritt verpflichten darf. A N D E R S E I T S heißt es Ps 76 (75), 12: „Gelobet und erfüllet eure dem Herrn geleisteten Gelübde." Dazu die Glosse: „Solche Gelübde sind persönliche Gelübde der Einzelnen, so das Gelübde der Keuschheit oder der Jungfräulichkeit und dergleichen; dieses zu geloben, werden wir eingeladen." Die Heilige Schrift aber lädt nur ein zu dem, was besser ist. Also ist es besser, sich durch ein Gelübde zum Eintritt in einen Orden zu verpflichten. A N T W O R T : W i e oben (88, 6: Bd. 19), als vom Gelübde die Rede war, gesagt worden, ist ein und dasselbe Werk, wenn es auf Grund eines Gelübdes getan wird, löblicher, als wenn es ohne Gelübde geschieht. Sowohl weil Geloben eine Betätigung der Gottesverehrung ist, die einen gewissen Vorrang hat unter den Tugenden; als auch weil der Wille des Menschen durch das Gelübde zum guten Tun gefestigt wird. W i e nun jene Sünde schwerer ist, die aus einem im Bösen verstockten Willen geschieht, so ist umgekehrt das gute Werk schon darum löblicher, weil es aus Q U A E S T I O 189, s

PL 36/967 c

3. P R A E T E R E A , nullus débet alteri p r a e b e r e occasionem r u i n a e : unde E x o d i 21 dicitur: „ S i quis aperuerit cisternam, cecideritque bos, v e l asinus in eam, dominus cisternae reddet pretium j u m e n t o r u m . " S e d e x hoc quod a l i q u i obliganlur ad relig i o n e m p e r votum, f r e q u e n t e r aliqui ruunt in desperationem, et in diversa peccata. E r g o videtur quod non sint aliqui ad religionis ingressum voto obligandi. S E D C O N T R A est quod in Ps. 75 d i c i t u r : „ V o v e t e , et reddite D o m i n o D e o v e s t r o " , ubi dicit Glossa [ o r d . A u g . ] quod „ q u a e dam sunt vota p r o p r i a s i n g u l o r u m ; ut castitas, virginitas, et h u j u s m o d i ; ad haec e r g o v o v e n d a nos invitât" Sacra Scriptura. S e d Sacra Scriptura non invitât, nisi ad id quod est melius. E r g o melius est quod aliquis voto se obliget ad r e l i g i o n i s ingressum. R E S P O N D E O dicendum quod, sicut supra dictum est cum de voto ageretur, unum et i d e m opus e x voto factum est laudabilius, quam si sine voto f i a t : tum quia v o v e r e est actus religionis, quae habet q u a m d a m e x c e l l e n t i a m inter virtutes: tum quia p e r votum Armatur voluntas hominis ad bonum f a c i e n d u m ; et sie peccatum est gravius e x hoc, quod procedit e x voluntate obstinata in malum, ita b o n u m opus est laudabilius e x hoc, quod

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einem Willen hervorgeht, der durch das Gelübde im Guten 189, 2 gefestigt ist. Also ist es an sich lobenswert, sich durch ein Gelübde zum Eintritt in einen Orden zu verpflichten. Z u 1. Das Ordensgelübde ist doppelt. E i n e s ist feierlich, wodurch der Mensch zum Mönch wird oder zum Mitb r u d e r irgend eines anderen Ordens: das heißt dann Prof e ß oder Gelübdeablegung. Und diesen Gelübden m u ß das P r o b e j a h r vorausgehen, wie der Einwand will. — D a s a n d e r e aber ist ein einfaches Gelübde, durch welches einer nicht Mönch oder Ordensmann wird, sondern sich nur zum Ordenseintritt verpflichtet. Und diesem Gelübde braucht kein P r o b e j a h r vorauszugehen [135]. Zu 2. Die Stelle bei Gregor ist vom bedingungslosen Zwang zu verstehen. Die Nötigung, die aus der Verpflichtung des Gelübdes entspringt, ist aber keine bedingungslose Nötigung, sondern kommt aus der Voraussetzung des Zieles, sofern man n a c h der Ablegung des Gelübdes das Ziel des Heiles nicht erreichen kann ohne Erfüllung des Gelübdes. Eine solche Nötigung aber braucht man nicht zu umgehen. Im Gegenteil: „Glücklich die Notwendigkeit", wie Augustinus sagt, ,.die uns zum Besseren führt." Z u 3. Das Gelübde, in einen Orden einzutreten, ist eine Festigung des Willens zum Besseren. Daher ist es an sich noch kein Anlaß zum Verderben, sondern reißt den Menschen eher davon zurück. Wenn aber einer, der sein Gelübde nicht hält, um so tiefer fällt, ist das kein Beweis QUAESTIO

189, I

procedit ex voluntate confirmata in bonum per votum. Et ideo oblisrari voto ad religionis ingressum. est secundum se laudabile. AD PRIMUM ergo dicendum quod duplex est religionis votum: unum solemne, quod hominem facit monachum. vel alterius religionis fratrem, quod vocatur professio; et tale votum debet praecedere annus probationis ut probat objectio: aliud autem est votum simplex, ex quo aliquis non fit monachus. vel religiosus, sed solum obligatus ad religionis ingressum; et ante tale votum nnn onnrtet praecedere probationis annum. AD SECUNDUM dicendum quod auctoritas illa Gregorii intelligitur de violentia absoluta. Necessitas autem. quae ex obligatione voti requiritur. non est necessitas absoluta, sed necessitas ex fine: quia scilicet post votum non potest aliquis flnem salutis consequi. nisi impleat votum. Talis autem necessitas non est vitanda: quinimmo, ut Augustinus dicit ad Armentarium et Paulinam [epist. 127], „felix est necessitas, quae ad meliora PL transmittit".

33/487 B

AD TERTIUM dicendum quod vovere religionis ingressum, est quaedam confirmatio voluntatis ad meliora; et ideo, quantum est de se, non dat homini occasionem ruinae, sed magis subtrahit. Sed 6i aliquis voti transgressor gravius ruat, hoc non

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189, s dafür, daß das Gelübde nicht gut ist; wie es kein Beweis ist gegen die Taufe, wenn einige nach der Taufe noch schwerer sündigen. s 3. A R T I K E L Muß der, der sich durch ein Gelübde zum Ordenseintritt verpflichtet hat, auch wirklich eintreten? 1. In den Dekretalen heißt es: ,.Der Priester Consaldus hat in schwerer Krankheit versprochen, Mönch zu werden; hat sich aber keinem bestimmten Kloster und keinem Abt vorgestellt, sein Versprechen auch nicht schriftlich niedergelegt, sondern [lediglich] auf seine kirchliche Pfründe durch den Anwalt verzichtet [136]. Nachdem er nun gesund geworden, wollte er nicht mehr Mönch werden." Und nachher heißt es weiter: „Wir bestimmen, besagter Priester soll seine Pfründe und seinen Altar zurückerhalten und ruhig dabei bleiben." Also scheint es, daß man nicht gehalten ist, das Gelübde, womit man sich zum Ordenseintritt verpflichtet hat, zu erfüllen. 2. Keiner ist gehalten, zu tun, was nicht in seiner Macht steht. Daß aber einer in einen Orden eintritt, steht nicht in seiner Macht; sondern es ist dazu noch die Zustimmung derer erfordert, bei denen er eintreten will. Also scheint es, daß einer nicht gehalten ist, das Gelübde, mit dem er sich zum Ordenseintritt verpflichtet hat, zu erfüllen. QUAESTIO

189, s

derogat bonitati voti: sicut nec derogat bonitati baptismi, quod aliqui post baptismum gravius peccant. Utrum ille qui nis ingressum,

A R T I C U L U S III o b l i g a t u s est voto teneatur intrare

ad r e l i g i o religionem

[Supra 88, 3 ad 2; 4, d. 38: 1, 3 qa 1 ad 6; 3. Qlb 5, 2]

AD TERTIUM sie proceditur. Videtur quold ille qui obligatus est voto ad religionis ingressum, non teneatur intrare: dicitur Frdb. enim in Decret. 17 [q. 2, cap. 1 ] : „Consaldus presbyter, quon1/813 ( j a m infirmitatis passione pressus, monachum se fieri promisit: non tarnen monasterio, aut Abbati se tradidit, nec promissionem scripsit, sed beneficium Ecclesiae in manu advocati refutavit: ac postquam convaluit, monachum se negavit fieri"; et postea subdit: ...ludicanius ut praefatus presbyter beneficium, et altaria reeipiat, et quiete retineat". Hoc autem non esset, si teneretur religionem intrare. Ergo videtur quod non teneatur aliquis implere votuni. quo se ad religionis ingressum obligavit. 2. PRAETEREA, nullus tenetur facere id quod non est in sua potestate. Sed quod aliquis religionem ingrediatur, non est in potestate ipsius: sed requiritur ad hoc assen^us eorum ad quos debet transire. Ergo videtur quod non teneatur aliquis implere votum, quo se ad religionis ingressum obligavit.

250

3. Durch ein weniger nützliches Gelübde kann dem nütz- 189, slicheren kein Abbruch geschehen. Nun könnte aber durch die Erfüllung des Gelübdes zum Ordenseintritt die Erfüllung des Gelübdes, zum Schutze des Heiligen Landes das Kreuz zu nehmen, verhindert werden; und doch scheint dieses letztere Gelübde nützlicher zu sein, weil man dadurch die Verzeihung der Sünden erlangt. Also scheint es, daß man das Gelübde, mit dem man sich zum Ordenseintritt verpflichtet hat, nicht unbedingt erfüllen muß. ANDERSEITS heißt es Prd 5, 3: „Hast du Gott etwas gelobt, so säume nicht, es zu erfüllen. Denn ein treuloses und törichtes Versprechen mißfällt Ihm." Und zu Ps 76 (75), 12 ,Gelobet und löset dem Herrn, eurem Gott, eure Gelübde' sagt die Glosse: ,.zu geloben wird dem Willen nur geraten; hat man aber gelobt, so ist die Erfüllung des Gelübdes unumgänglich notwendig." ANTWORT: Wie oben (88, 1: Bd. 19), als vom Gelübde die Rede war, gesagt worden, ist das Gelübde ein Gott gemachtes Versprechen über das, was Gott zugehört. Gregor aber sagt: „Wenn schon unter Menschen im guten Glauben abgeschlossene Verträge unter keinen Umständen gelöst zu werden pflegen, um wieviel weniger kann dieses Versprechen, das mit Gott geschlossen wurde, ohne Strafe gelöst werden!" Deshalb ist der Mensch aus [innerer] Notwendigkeit gehalten, das, was er gelobt hat, auch zu QUAESTIO

189, j

3. PRAETEREA, per votum minus utile non potest derogari voto magis utili. Sed per impletionem voti religionis impediri possit impletio voti crucis in subsidium Terrae Sanctae: quod videtur esse utilius quia per hoc votum consequitur homo remissionem peccatorum. Ergo videtur quod votum, quo quis se obligavit ad religionis ingressum, non sit ex necessitate implendum. SED CONTRA est quod dicitur Eccle. 5: ,.Si quid vovisti Deo, ne moreris reddere: displicet enim ei infidelis, et stulta promissio"; et super illud Ps. 75 ,Vovete, et reddite Domino Deo ve^tro'. dicit Glossa (Lomb., et hab. cap. Licet, de Voto et Voti redempt.): „Vovere voluntati consulitur; sed post voti promissionem redditio necessario exigitur." RESPONDEO dicendum quod, sicut supra dictum est, cum de voto ageretur, votum est promissio Deo facta de his, quae ad Deum pertinent: ut autem Gregorius l dicit in Epistola ad Bonifacium, „si inter homines solent bonae fidei contractus nulla ratione dissolvi, quanto magis ista pollicitatio, quam cum Deo pepigit, solvi sine vindicta non poterit?" Et ideo ad implendum id quod homo vovit, ex necessitate tenetur; dummodo sit aliquid i P: Augustinus; cf. Innocentius I. Ep. 2 ad Victriciuin Episc., c. 14.

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189, 3 erfüllen, so es nur etwas ist, was mit Gott zu tun hat. Es liegt aber auf der Hand, daß der Eintritt in einen Orden sehr vieles mit Gott zu tun hat, weil sich der Mensch dadurch gänzlich dem Dienste Gottes weiht (186, 1). Bleibt also die Folgerung, daß, wer sich zum Ordenseintritt verpflichtet, auch gehalten ist, in den Orden einzutreten, und zwar so, wie er sich durch das Gelübde hat verpflichten wollen. So nämlich, daß er, wenn er sich bedingungslos verpflichten wollte, auch gehalten ist, sobald wie möglich einzutreten, sobald nämlich das Hindernis weggefallen ist; wenn aber für eine bestimmte Zeit oder unter einer bestimmten Bedingung, so ist er gehalten, zu dieser gegebenen Zeit einzutreten oder wenn die Bedingung erfüllt ist. Z u 1. Jener Priester hatte kein feierliches, sondern nur ein einfaches Gelübde abgelegt. 1 Deshalb war er überhaupt noch kein Mönch, so daß er hätte gezwungen werden können, im Kloster zu bleiben und seine Kirche zu verlassen. Für den Gewissensbereich freilich wäre ihm zu raten, alles zu verlassen und ins Kloster zu gehen. So wird in einer ,Extra' dem Bischof von Gratianopolis [137], der nach der Ablegung des Gelübdes, in den Orden einzutreten, das Bischofsamt übernommen, das Gelübde also nicht erfüllt hatte, geraten, „wenn er sein Gewissen in Ordnung bringen wolle, solle er die Leitung der Kirche niederlegen und dem Höchsten seine Gelübde entrichten". Zu 2. Wie oben (88, 3 Zu 2: Bd. 19), als vom Gelübde QUAESTIO

189, j

quod ad Deum pertineat. Manifestum est autem quod ingressus religionis maxime ad Deum pertinet: quia per hoc homo totaliter se mancipat divinis obsequiis, ut ex supra dictis patet. Unde relinquitur quod ille qui se obligat ad religionis ingressum, teneatur religionem ingredi, secundum quod se voto obligare intendit; ita scilicet quod si intendit se absolute obligare, tenetur quam citius poterit ingredi, legitimo impedimento cessante: si autem ad certum tempus, vel sub certa conditione, tenetur religionem ingredi tempore adveniente. vel conditione existente. AD PRIMUM ergo dicendum quod ille presbyter non fecerat votum solemne, sed simplex; unde non erat monachus efiectus. ut cogi deberet de jure in monasterio remanere, et Ecclesiam dimittere: tarnen in foro conscientiae esset sibi consulendum quod, omnibus dimissis, religionem intraret; unde Extra, de Frdb. Voto et Voti redemptione [cap. Per tuas], consulitur episcopo n/596 Qratianopolitano, qui post votum religionis episcopatum assumpserat, voto non impleto, ut „si suam sanare desideraret conscientiam. regimen Ecclesiae resignaret, et redderet Altissimo vo*a sua". AD SECUNDUM dicendum quod, sicut supra dictum est cum 1 Vgl. Anm. [185].

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die Rede war, gesagt worden, wenn einer sich durch ein 189,3 Gelübde verpflichtet hat, in einen bestimmten Orden einzutreten, so muß er alles tun, was er kann, um in diesen Orden aufgenommen zu werden. Und wenn er sich schlechthin verpflichten wollte, ins Kloster zu gehen, und wird im einen Orden nicht aufgenommen, ist er gehalten, es in einem anderen zu versuchen. Wollte er sich aber nur zu diesem bestimmten Orden verpflichten, so ist er nur gehalten im Sinne seiner Verpflichtung. Z u 3. Weil das Ordensgelübde für immer gilt, 1 ist es größer als das Gelübde, zum Heiligen Lande zu wallfahrten, weil dieses nur ein zeitliches Gelübde ist. Und wie Alexander III. sagt, „ist der, der anerkanntermaßen einen vorübergehenden Dienst mit dem immerwährenden Dienst des Ordenslebens vertauscht hat, nicht schuldig, sein Gelübde gebrochen zu haben". Es ist aber durchaus sinnvoll zu sagen, daß man auch durch den Eintritt in einen Orden die Verzeihung aller seiner Sünden erhält. Wenn nämlich nach Dan 4, 24 „Löse dich von deinen Sünden durch Almosen" der Mensch schon durch einige Almosen sofort für seine Sünden genugtun kann, genügt es um so mehr zur Sühne für alle Sünden, daß einer durch den Eintritt in einen Orden sich gänzlich dem Dienste Gottes weiht, was jede Art von Genugtuung, selbst die der öffentlichen Buße, übersteigt (vgl. die Dekretalen); Q U A E S I I O 189, « de voto ageretur, ille qui se voto obligavit ad certae religionis ingressum, tenetur facere quantum in se est, ut in illa religione recipiatur; et si quidem intendit se simpliciter ad religionem obligare, si non recipitur in una religione, tenetur ire ad aliam: si vero intendit se obligare specialiter ad unam solum, non tenetur nisi secundum modum suae obligationis. AD TERTIUM dicendum quod votum religionis, cum sit perpetuum, est majus quam votum peregrinationis Terrae Sanctae, quod est temporale; et sie Alexander III dicit, et habetur Extra, de Voto et Voti redemptione [cap. Scripturae]: „Reus fracti Frdb. voti aliquatenus non habetur, qui temporale obsequium in per- n/&» petuam noscitur religionis observantiam commutare." Rationabiliter autem dici potest quod etiam per ingressum religionis aliquis consequatur remissionem omnium peccatorum. Si enim, aliquibus eleemosynis factis, homo potest statim satisfacere de peccatis suis, secundum illud Daniel. 4: „Peccata tua eleemosynis redime"; multo magis in satisfactionem pro omnibus peccatis sufficit, quod aliquis se totaliter divinis obsequiis maneipet per religionis ingressum, quae excedit omne genus satisfactionis, etiam publicae poenitentiae, ut habetur in Decret. 33, Frdb. i Vgl. Anm. [136],

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189, 4 genau so, wie nach Gregor das Ganzopfer ein einfaches Opfer übersteigt. So liest man in den „Lebensbeschreibungen der Väter", daß diejenigen, die in einen Orden eintreten, dieselbe Gnade erhalten wie die Getauften [138]. Aber auch wenn sie dadurch nicht von jeder verdienten Strafe befreit werden, so ist immer noch der Eintritt in einen Orden nützlicher als die Wallfahrt nach dem Heiligen Lande, soweit die Förderung im Guten in Frage kommt, die immer noch höher steht als die Befreiung von Strafe. 4.

ARTIKEL

Ist der, der das Gelübde macht, in einen Orden einzutreten, verpflichtet, für immer im Orden zu bleiben? 1. Es ist besser, gar nicht in den Orden einzutreten, als ihn nach dem Eintritt wieder zu verlassen; nach 2 Petr 2, 21: „Es wäre besser für sie gewesen, sie hätten die Wahrheit überhaupt nicht kennengelernt, als daß sie sie erkannt und dann wieder zurückgekehrt sind" [139]. Und Lk 9, 62 heißt es: „Keiner, der die Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist tauglich für das Reich Gottes." Wer aber sich durch ein Gelübde verpflichtet hat, in einen Orden einzutreten, ist gehalten, auch wirklich einzutreten (Art. 3). Also ist er auch gehalten, für immer dort zu bleiben. 2. Jeder muß das vermeiden, woraus Ärgernis entstehen QUAESTIO

189, I

q. 2, cap. Admonere; sicut etiam holocaustum excedit sacrifiPL 76/1038 A cium, ut Gregorius dicit super Ezech. [hom. 20], Unde in Vitis 73 994 B Patrum legitur [lib. 6, libello 1 ] , quod eamdem gratiam consequuntur religionem ingredientes quam consequuntur baptizati. Si tarnen non absolverentur per hoc ab omni reatu poenae, nihilominus ingressus religionis utilior est quam peregrinatio Terrae Sanctae, quantum ad promotionem in bonum, quae praeponderat absolutioni a poena. A R T I C U L U S IV U t r u m ille qui vovet r e l i g i o n e m ingredi, t e n e a t u r p e r p e t u o in r e l i g i o n e permanere AD QUARTUM sie proceditur. Videtur quod ille qui vovet religionem ingredi, teneatur perpetuo in religione permanere: melius est enim religionem non ingredi, quam post ingressum exire, secundum illud 2 Petr.: „Melius erat illis veritatem non cognoscere, quam post agnitam retroire"; et Luc. 9, dicitur: „Nemo mittens manum ad aratrum et aspiciens retro, aptus est regno Dei." Sed ille qui voto se obligavit ad religionis ingressum, tenetur ingredi, ut dictum est. Ergo etiam tenetur perpetuo remanere. 2. PRAETEREA, quilibet debet vitare id, ex quo scandaluin

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könnte und den anderen ein schlechtes Beispiel gegeben 189, i wird. Dadurch aber, daß einer nach dem Ordenseintritt wieder austritt und in die Welt zurückkehrt, gibt er anderen ein schlechtes Beispiel und Ärgernis, die dadurch vom Ordenseintritt abgehalten oder zum Austritt aulgereizt werden. Also scheint es, daß einer, der in den Orden eingetreten ist, um ein f r ü h e r gemachtes Gelübde zu erfüllen, gehalten ist, dort f ü r immer zu bleiben. 3. Das Ordensgelübde wird als ewiges Gelübde angesehen und wird dadurch den zeitlichen Gelübden vorgezogen i (Art. 3 Zu 3; 88, 12 Zu 1: Bd. 19). Das könnte aber nicht sein, wenn einer, nachdem er das Gelübde des Ordenseintritts abgelegt hat, eintritt, um wieder auszutreten. Es scheint also, daß der, der den Ordenseintritt gelobt hat, auch gehalten ist, f ü r immer im Orden zu verbleiben. ANDERSEITS: Weil das Ordensgelübde dem Menschen die Verpflichtung auferlegt, f ü r immer im Orden zu bleiben, 1 wird ein P r o b e j a h r verlangt, das nicht verlangt ist f ü r ein einfaches Gelübde, durch das jemand sich verpflichtet, in einen Orden einzutreten. Es scheint also, daß einer, der das Gelübde des Ordenseintrittes gemacht hat, nicht gehalten ist, dort f ü r immer zu bleiben [140]. ANTWORT: Die Verpflichtung des Gelübdes entspringt einem [ f r e i e n ] Willensentschluß, denn „Geloben ist Sache des Willens" (Augustinus). So weit also trägt die QUAESTIO

189, 4

sequitur, et aliis datur malum exemplum. Sed ex hoc quod aliquis post religionis ingressum egreditur, et ad saeculum redit, malum exemplum, et scandalum aliis generatur, qui retrahuntur ab ingressu, et provocantur ad exitum. Ergo videtur quod ille qui in^reditur religionem, ut votüm impleat, quod prius fecit, teneatur ibi perpetuo remanere. 3. PRAETEREA, votum religionis reputatur votum perpetuum, et ideo temporalibus votis praefertur, ut dictum est: hoc autem non esset, si aliquis, voto religionis emisso, ingrederetur cum proposito exeundi; videtur ergo quod ille qui vovet religionis ingressum, teneatur in religione etiam perpetuo remanere. SED CONTRA est quod votum perfectionis, propter hoc quod obligat hominem ad hoc quod perpetuo in religione remaneat, praeexigit annum probationis; qui non praeexigitur ad votum simplex, quo aliquis se obligat ad religionis ingressum. Ergo videtur quod ille qui vovet religionem intrare, propter hoc non teneatur ibi perpetuo remanere. RESPONDEO dicendum quod obligatio voti ex voluntate procedit: nam „vovere voluntatis est", ut Augustinus dicit [implic. 1 Vgl. A n m . [135],

255

189,4 Verpflichtung des Gelübdes, wie weit Wille und Absicht des Gelobenden gehen. Wenn also der Gelobende sich binden will, nicht nur zum Eintreten in einen Orden, sondern zum dauernden Bleiben, so ist er gehalten, für immer zu bleiben. — Wenn er sich aber zum Ordenseintritt verpflichtet, nur um sich zu prüfen, und sich die Freiheit vorbehält, zu bleiben oder nicht zu bleiben, liegt es auf der Hand, daß er nicht verpflichtet ist zu bleiben. — Wenn er aber beim einfachen Gelübde nur an den Ordenseintritt gedacht hat, ohne an die Freiheit des Austretens oder des ständigen Bleibens zu denken, scheint er gebunden an die Form des allgemeinen Rechtes, wonach denen, die eintreten, ein Probejahr gegeben wird. Deshalb ist er nicht gehalten, für immer zu bleiben. Z u 1. Es ist besser, in den Orden einzutreten mit dem Willen, sich zu prüfen, als überhaupt nicht einzutreten; denn dadurch wird er darauf vorbereitet, immer zu bleiben. Doch kann man nicht ohne weiteres sagen, daß einer [wenn er wieder austreten will] zurückgeht' oder ,zurückschaut', es sei denn, er würde das aufgeben, wozu er sich verpflichtet hat. Sonst würde jeder, der eine Zeitlang ein gutes Werk tut, untauglich sein für das Reich Gottes, falls er es nicht immer tut. Das aber ist offenbar falsch. Z u 2. Wenn einer, der in einen Orden eintreten will, QUAESTIO

189, 4

PL 36/967 D sup. Ps. 75 et epist. 127 et etiam cap. Licet, de Voto et Voti 33/487 B r e d e m p t . ] 1 ; infantum ergo fertur obligatio voti, inquantum se 1/590 e x t e n ( j j t voluntas, et intentio voventis. Si igitur vovens intendit se obligare non solum ad ingressum religionis, sed etiam ad perpetuo remanendum, tenetur perpetuo r e m a n e r e . — Si autem intendit se obligare ad ingressum religionis causa experiendi, cum libertate remanendi, vel non remanendi, manifestum est quod r e m a n e r e non tenetur. — Si vero in vovendo simpliciter de ingressu religionis cogitavit, absque hoc quod cogitaret de libertate exitus, vel de perpetuitate remanendi, videtur obligari ad ingressum secundum formam juris communis; quae est ut ingredientibus detur annus probationis; unde non tenetur perpetuo in religione r e m a n e r e . AD PRIMUM ergo dicendum quod melius est intrare religionem animo probandi, quam penitus non i n t r a r e : quia per hoc disponitur ad perpetuo remanendum. Nec tarnen intelligitur aliquis retroire, vel respicere, nisi quando praetermittit id, ad quod se obligavit: alioquin quicumque per aliquod ternpus facit aliquod bonum opus, si non Semper id faciat, esset ineptus regno Dei, quod patet esse falsum. AD S E C U N D U M dicendum quod ille qui religionem ingredi1 Glossa Lomb. (PL 191/709 A); ef. Haymo, In Ps. 75, 12 (PL 116/452 C).

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wieder austritt, vor allem, wenn er einen vernünftigen 189,6 Grund dazu hat, gibt er deshalb weder Ärgernis noch schlechtes Beispiel. Und wenn ein anderer deshalb Ärgernis nimmt, so ist es von seiten des Austretenden nur zugelassen, nicht aber absichtlich verursacht. 1 Denn er hat nur getan, was ihm zu tun erlaubt war, und wozu er einen vernünftigen Grund hatte, z. B. Krankheit oder Schwachheit oder sonst dergleichen. Z u 3. Wer eintritt, um sofort wieder auszutreten, scheint seinem Gelübde nicht Genüge zu tun; denn das kann seine Absicht nicht gewesen sein, als er das Gelübde tat. Deshalb muß er seinen Vorsatz ändern und wenigstens versuchen, ob es nicht besser f ü r ihn ist, im Orden zu bleiben. Doch ist er nicht gehalten, immer zu bleiben. 5. A R T I K E L Darf man Kinder in den Orden aufnehmen? 1. In einer ,Extra' heißt es: „Keinem sollen die Haare geschoren werden, der nicht das gesetzmäßige Alter hat und aus eigenem Antriebe kommt." Die Kinder aber scheinen noch nicht das notwendige Alter noch den freien Willen zu haben, weil sie nicht den vollen Gebrauch der Vernunft haben. Es scheint also, daß sie in den Orden nicht aufgenommen werden dürfen. QUAESTIO

189, s

tur, si exeat, praesertim ex aliqua rationabili causa, non generat scandalum, nec dat malum exemplum. Et si alius scandalizatur, erit scandalum passivum ex parte ejus, non autem scandalum activum ex parte exeuntis: quia fecit quod licitum erat ei facere et quod expediebat propter rationabilem causam, puta inflrmitatem, aut debilitatem, aut aliquid hujusmodi. AD TERTIUM dicendum quod ille qui intrat, ut statim exeat, non videtur satisfacere voto suo; quia ipse in vovendo hoc non intendit; et ideo tenetur mutare propositum, ut saltem velit experiri, an ei expediat in religione remanere: non autem tenetur ad perpetuo remanendum. ARTICULUS V Utrum pueri sint recipiendi

in

religione

[Supra 88, 8 ad 2; 88, 9; 3. Qlb 5, 1; 4: 12, 1; CR 3]

AD QUINTUM sie proceditur. Videtur quod pueri non sint recipiendi in religione; quia Extra, de Regularibus et Transeuntibus ad religionem, dicitur [cap. 1 ] : „Nullus tondeatur, nisi Frdb. legitima aetate, et spontanea voluntate." Sed pueri non videntur "/ 669 habere legitimam aetatem, nec spontaneam voluntatem; quia non habent perfecte usum rationis. Ergo videtur quod non sint in religione recipiendi. 1 Vgl. Anm. [49].

17

24

257

189, 5

2. Der Ordensstand scheint der Stand der Buße zu sein. Deshalb wird Orden [ = religio] abgeleitet von religare = anbinden oder re-eligere = wiedererwählen (Augustinus). Den Kindern aber kommt es nicht zu, Buße zu tun [141]. Also scheinen sie nicht ins Kloster gehen zu dürfen. 3. Wie jemand durch den Eid verpflichtet ist, so auch durch das Gelübde. Kinder unter 14 Jahren aber dürfen nicht vereidigt werden, wie es in den Dekretalen heißt [142]. Also scheint es, daß sie auch nicht durch Gelübde verpflichtet werden dürfen. 4. Es scheint unerlaubt, jemandem eine Verpflichtung aufzuerlegen, die mit Recht für null und nichtig erklärt werden kann. Wenn aber unmündige Kinder sich verpflichten, ins Kloster zu gehen, können sie von ihren Eltern oder Vormündern davon abgehalten werden. Denn in den Dekretalen heißt es: „Wenn ein Mädchen vor dem 12. Jahre aus eigenem Antrieb den heiligen Schleier genommen hat, können, wenn sie wollen, seine Eltern oder Vormünder diesen Schritt für ungültig erklären." Also ist es unerlaubt, Kinder, vor allem vor den Jahren der Reife, ins Kloster aufzunehmen oder zum Klostereintritt zu verpflichten. ANDERSEITS sagt der Herr Mt 19, 14: „Lasset die Kleinen und wehret es ihnen nicht, zu Mir zu kommen." Wozu Origenes in seiner Erklärung sagt: „Ehe die Jünger QUAESTIO

189, 3

2. P R A E T E R E A , status religionis videtur esse status poenitentiae: unde et religio dicitur a religando, vel reeligendo, ut Sed pueris non conPL Augustinus in lib. 10 de Civ. Dei [cap. 3 ] 41/280 d venit poenitentia. E r g o videtur quod non debeant religionem intrare. 3. P R A E T E R E A , sicut aliquis obligatur juramento, ita et voto: sed pueri ante annos quatuordecim non debent obligari juraFrdb. mento, ut habetur in Decret. 22, q. 5, cap. Pueri, et cap. Hones1/887 tum. Ergo videtur quod nec etiam sint voto obligandi. 4. P R A E T E R E A , illicitum videtur esse obligare aliquem tali obligatione, quae posset juste irritari. Sed si aliqui impuberes obligant se religioni, possunt retrahi a parentibus, vel tutoribus: Frdb. dicitur enim in Decretis 20, qu. 2 [cap. 2 ] quod „puella, si ante 1/847 duodecim aetatis annos sponte sua sacrum velamen assumpserit, possunt statim parentes ejus, vel tutores id factum irritum facere, si voluerint". Illicitum est ergo pueros, praesertim ante pubertatis annos, ad religionem recipere, vel obligare. SED CONTRA est quod Dominus, Matth. 19: „Sinite parvulos, et nolite prohibere eos venire ad m e . " Quod exponens Origenes 1 cf. De vera Relig. cap. 55 (PL 34/172 A); Retract. lib. 1, cap. 13 (PL .12/605 C).

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Jesu den eigentlichen Sinn der Gerechtigkeit 1 kannten, 189, 6 tadeln sie jene, die Knaben und Kinder Christus darbringen. Der Herr aber ermahnt Seine Jünger, sie sollen sich dem Vorteil der Kinder anbequemen. W i r müssen also darauf achten, daß wir nicht, in der Meinung, die Weisheit stehe zu hoch, größenwahnig die Kleinen der Kirche verachten und die Kinder hindern, zu Jesus zu kommen." A N T W O R T : Es gibt ein doppeltes religiöses Gelübde (Art. 2 Zu l ) . 2 Ein einfaches, das lediglich in dem Gott gemachten Versprechen besteht, das aus der inneren Überlegung des Geistes hervorgeht. Und dieses Gelübde hat seine wirksame Geltung aus göttlichem Recht. Diese kann allerdings in doppelter Weise aufgehoben werden. E i nm a 1 durch den Mangel an Überlegung, wie das klar ist bei den Tobsüchtigen, deren Gelübde nicht verbindlich sind. Und dieselbe Bewandtnis hat es mit den Kindern, die noch nicht den gehörigen Gebrauch der Vernunft haben, durch welchen sie der List fähig werden [143]. Diesen Gebrauch erlangen die Knaben im allgemeinen um das 14. Jahr, die Mädchen um das 12. Jahr, die Jahre, die als „Jahre der R e i f e " bezeichnet werden. Bei manchen allerdings liegen diese Jahre früher, bei manchen später, je nach der Verfassung der Natur. — In a n d e r e r Weise ist die wirksame Geltung des einfachen Gelübdes dadurch Ql'AESTIO

189, g

super Matth, [tract. 7] dicit quod „discipuli Jesu, priusquam PG 13 discant rationem justitiae, reprehendunt eos, qui pueros, et in- 1209 A l iantes oöerunt Christo. Dominus autem exhortatur discípulos suos condescendere utilitatibus puerorum. Hoc ergo attendere debemus, ne aestimatione sapientiae excellentioris contemnamus, quasi magni, pusillos Ecclesiae, prohibentes pueros v e n i r e ad Jesum". RESPONDEO dicendum quod, sicut supra dictum est, duplex est religionis votum: unum simplex, quod consistit in sola promissione Deo facta, quae ex interiori mentis deliberatione procedit; et hoc votum habet efficaciam ex jure divino, quod tarnen dupliciter impediri potest. Uno modo per defectum deliberationis, ut patet in furiosis, quorum vota non sunt obligatoria, ut habetur Extra, de Transeuntibus ad religionem [cap. Sicut Fnib. t e n o r ] ; et eadem est ratio de pueris qui nondum habent debitum n/574 usum rationis, per quem sint doli capaces; quem quidem pueri habent ut frequentius circa quartumdecimum annum, puellae vero circa duodecimum, qui dicuntur „anni pubertatis": in quibusdam tarnen anticipatur, et in quibusdam tardatur secundum diversam dispositionem naturae. — A l i o modo impeditur effi1 Hier = die: neue Gerechtigkeit aus dem Glauben. V/rl. Hb 10 TO. 2 V g l . Anm. [185],

17*

259

189, 6 gehindert, daß einer Gott gelobt, was nicht in seiner Macht steht. So, wenn der Sklave, auch bei vollem Gebrauch der Vernunft, ohne Wissen des Herrn, gelobt, ins Kloster zu gehen. In dem Falle kann der Herr das widerrufen, wie es in den Dekretalen heißt. Und weil der Knabe oder das Mädchen vor den Jahren der Reife in bezug auf ihre Lebensführung natürlicherweise unter der väterlichen Gewalt stehen, kann der Vater ihr Gelübde zurückweisen oder annehmen, wie es ihm gut scheint. So heißt es ausdrücklich von dem Weibe Nm 30, 4 ff. [vgl. Zu 4 ]. Wenn also der Knabe [oder das Mädchen] vor den Jahren der Reife und bevor er den vollen Gebrauch der Vernunft erlangt hat, ein einfaches Gelübde macht, so ist er auf Grund dieses Gelübdes zu nichts verpflichtet. — Hat er aber vor den Jahren der Reife den vollen Gebrauch der Vernunft, so besteht, soweit es auf ihn ankommt, die Verpflichtung auf Grund seines Gelübdes. Doch kann diese Verpflichtung durch den Vater aufgehoben werden, in dessen Gewalt er sich noch befindet. Denn die Bestimmung des Gesetzes, kraft deren ein Mensch dem anderen Untertan ist, berücksichtigt das, was im allgemeinen vorkommt. — Wenn er aber über die Jahre der Reife hinaus ist, kann das Gelübde von den Eltern nicht widerrufen werden; so er jedoch noch nicht den vollen Gebrauch der Vernunft hätte, wäre er vor Gott nicht gebunden. Etwas anderes aber ist es mit dem feierlichen Gelübde, wodurch einer Mönch oder Ordensmann wird. Dieses fällt QUAESTIO

189, s

cacia simplicis voti, si aliquis Deo voveat quod non est propriae potestatis: puta si servus etiam, usum rationis habens voveat se religionem intrare, aut etiam ordinetur ignorante domino, potest enim hoc dominus revocare, ut habetur in Decretis, dist. 54 Frdb. [cap. Si servus]. Et quia pueri, vel puellae infra pubertatis 1/213 annos naturaliter sunt in potestate patris quantum ad dispositionem suae vitae, poterit pater votum eorum revocare, vel acceptare, si sibi placuerit, ut expresse dicitur de muliere, Numer. 30 [v. 4 sqq.], Sic igitur si puer ante annos pubertatis simplex votum emittat, antequam habeat plenum usum rationis, non obligatur ex voto. — Si autem habeat usum rationis ante annos pubertatis, obligatur quidem, quantum in se est, ex voto: tarnen potest obligatio removeri per auctoritatem patris, in cujus potestate adhuc existit: quia ordinatio legis, qua unus homo subditur alteri, respicit id quod in pluribus accidit. — Si vero annos pubertatis excedit, non potest revocari auctoritate parentum: si tarnen nondum haberet plenum usum rationis, non obligaretur quoad Deum. Aliud autem est votum solemne, quod facit monachum, vel

260

wegen der Feierlichkeit, die damit verbunden ist, unter 189, b die Bestimmung der Kirche. Weil nun die Kirche das berücksichtigt, was in den meisten Fällen vorkommt, so ist die Gelübdeablegung, die vor den Jahren der Reife erfolgt, soviel auch der Gelobende den vollen Gebrauch der Vernunft haben mag, so daß er der List fähig wäre, ohne jene Wirkung, die den Gelobenden schon zum Ordensmanne machen würde. Wenn nun auch die Kinder vor dem Jahre der Reife keine Gelübde ablegen können, so können sie doch mit dem Willen der Eltern ins Kloster aufgenommen werden, damit man sie dort erziehe. So lesen wir vom hl. Johannes dem Täufer: „Der Knabe wuchs heran und ward stark im Geiste und lebte in der W ü s t e " 1 (Lk 1, 80). Daher übergaben, wie Gregor berichtet, „die vornehmen Römer" dem hl. Benedikt „ihre Kinder, damit er sie für den allmächtigen Gott erziehe". Und das ist sehr gut so, nach Klgl 3, 27: „Es ist gut für den Mann, wenn er sein Joch von Jugend auf trägt." Es geschieht deshalb aus dem allgemeinen Brauch heraus, daß die Kinder in jenen Aufgaben und Künsten unterrichtet werden, die später ihren Lebensberuf bilden sollen [144]. Z u 1. Das gesetzmäßige Alter für den Empfang der Tonsur mit Ablegung der feierlichen Ordensgelübde ist die Zeit der Reife, wenn der Mensch den freien Willensgebrauch hat [145]. Vor den Jahren der Reife aber kann Q U A E S T I O

189, s

religiosum: quod quidem subditur ordinationi Ecclesiae propter solemnitatein, quam habet annexam. Et quia Ecclesia respicit id quod in pluribus est, professio ante tempus pubertatis facta, quantumcumque aliquis habeat usum rationis plenum, ut sit doli capax. non habet suum effectum, ut faciat profitentem esse jarn religiosum. Et tarnen licet ante pubertatis annos profiteri non possint, possunt tarnen cum volúntate parentum in religione recipi, ut nutriantur ibidem, sicut de Joanne Baptista legitur, Lucae 1, quod puer crescebat, et confortabatur spiritu, et erat in desertis; unde, sicut Gregorius dicit in 2 Dialog, [cap. 3], PL b. Benedicto „Romani nobiles suos filios omnipotenti Deo nutri- 86/140 endos dare coeperunt", quod est valde expediens, secundum illud. Thren. 3: „Bonum est viro, cum portaverit jugum adolescentia sua." Unde ex communi consuetudine pueri applicantur illis officiis, vel artibus, in quibus sunt vitam acturi. AD PRIMUM ergo dicendum quod legitima aetas ad hoc quod aliquis tondeatur cum voto solemni religionis, est tempus pubertatis, in quo homo potest uti «pontanea volúntate: sed ante annos 1 Vgl.

An in.

[67].

261

C

189, 5 das gesetzmäßige Alter dafür liegen, daß einer die Tonsur empfängt, um im Kloster erzogen zu werden. Z u 2. Der Ordensstand ist vornehmlich darauf ausgerichtet, die Vollkommenheit zu erlangen (186, 1 Zu 4). Und so paßt er für die Kinder, die leicht anzuleiten sind. Erst in zweiter Linie aber wird er als Stand der Buße bezeichnet, insofern durch die Ordensübungen die Gelegenheiten zur Sünde ausgeschaltet werden. Z u 3. Wie die Kinder nach dem Wortlaut jener Bestimmung nicht zum Schwur gezwungen werden können, so auch nicht zur Ablegung eines Gelübdes. Wenn sie sich aber durch Gelübde oder Eid zu etwas verpflichtet haben, sind sie vor Gott gebunden, vorausgesetzt, daß sie den Gebrauch der Vernunft haben; wenn sie auch noch nicht gebunden sind vor der Kirche, bevor sie das 14. Lebensjahr erreicht haben. Z u 4. Nm 30, 4 wird das Weib, das noch im kindlichen Alter steht, nicht getadelt, daß es ohne Zustimmung der Eltern ein Gelübde getan hat [146]; doch kann dieses durch die Eltern widerrufen werden. Daraus ergibt sich, daß es nicht sündigt, wenn es gelobt. Es wird vielmehr angenommen, daß es sich, soweit es auf es selbst ankommt, binden will, ohne der elterlichen Entscheidung vorzugreifen. Q U A E S T I O 189, s

pubertatis potest esse legitima aetas ad hoc quod aliquis tondeatur in religione nutriendus. AD SECUNDUM dicendum quod religionis status principaliter ordinatur ad perfectionem consequendam, ut supra habitum est; et secundum hoc convenit pueris, qui de facili inducuntur: ex consequenti autem dicitur esse status poenitentiae, inquantum per observantiam religionis peccatorum occasiones tolluntur, ut supra dictum est. AD TERTIUM dicendum quod pueri sicut non coguntur ad jurandum, ut Canon dicit, ita non coguntur ad vovendum: si ¡amen voto, vel juramento se adstrinxerint ad aliquid faciendum, obligantur quoad Deum, si habeant usum rationis: licet non obligentur quoad Ecclesiam ante quatuordecim annos. AD QUARTUM dicendum quod, Num. 30, non reprehenditur mulier in puellari aetate constituta, si voveat absque consensu parentum: potest tarnen revocari a parentibus: ex quo patet quod non peccat vovendo, sed intelligitur se voto obligare quantum in se est, absque praejudicio auctoritatis paternae.

262

189, 6

6. A R T I K E L Darf man wegen des Gehorsams gegen die Eltern irgendwen vom Ordenseintritt abhalten? 1. Es ist nicht erlaubt, was notwendig; ist, zu unterlassen, um das zu tun, was unserem Willen freisteht [1471- Den Eltern zu gehorchen fällt aber unter die Nötigung des Gebotes, das Ex 20, 12 über die Elternehrung gegeben ist. Weshalb auch der Apostel 1 Tim 5, 4 sagt: „Wenn eine Witwe Kinder oder Enkel hat. soll sie zuerst lernen, ihr eigenes Hauswesen zu leiten und den Eltern Entgelt zu leisten." In einen Orden eintreten ist aber Sache des freien Willens. Es scheint also, daß man den Gehorsam gegen die Eltern nicht umgehen darf, um in einen Orden einzutreten. 2. Die Unterordnung der Kinder unter die Eltern scheint stärker zu sein als die der Sklaven unter ihren Herrn; denn die Kindschaft ist natürlichen Rechtes, die Knechtschaft aber stammt aus dem Fluche der Sünde, wie es erhellt aus Gn 9, 22 ff. [148]. Der Knecht aber darf nicht den Gehorsam gegen seinen Herrn hintansetzen, um in einen Orden einzutreten oder eine heilige Weihe zu empfangen, wie es in den Dekretalen heißt. Noch viel weniger also darf der Sohn den Gehorsam gegen den Vater hintansetzen. um in einen Orden einzutreten. 3. Die Verpflichtung des Menschen gegenüber seinen QUAESTIO

189, •

A R T I C U L U S VI Utrum propter obsequium parentum debeant a l i q u i r e t r a h i ab i n g r e s s u r e l i g i o n i s [Supra 101, 4 ad 4; 4, d. 38: 2, 4 qa 2 ad 2: 3. Qlb 6, 2; 10: 5, 1; Mt 4]

AD SEXTUM sie proceditur. Videtur quod propter obsequium parentum debeant aliqui retrahi ab ingressu religionis: non enim licet praetermittere id quod est necessitatis, ut fiat id quod est liberum voluntati. Sed obsequi parentibus cadit sub necessitate praeeepti, quod datur de honoratione parentum, Exod. 20; unde et Apostolus dicit, 1 ad Tim. 5: ,.Si qua vidua filios, aut nepotes habet, discat primum domum suam regere, et mutuam vicem reddere parentibus." Ingredi autem religionem est liberum voluntati. Ergo videtur quod non debeat aliquis praetermittere narpntum obsequium propter religionis in^ressum. 2. PRAETEREA, major videtur esse subjectio filii ad parentes quam servi ad dominum: quia filiatio est naturalis, servitus autem ex maledictione peccati, ut patet Gen. 9. Sed servus non potest praetermittere obsequium domini sui, ut religionem ingrediatur, aut sacrum ordinem assumat, sicut habetur in Decretis, Frdb. dist. 54 f a p . Si servusl. Ergo multo minus potest filius obse- 1/1213 quium patris praetermittere, ut ingrediatur religionem. 3. PRAETEREA, majori debito obligatur aliquis parentibus,

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189, 6 Eltern ist stärker als gegenüber denen, denen er Geld schuldet. Diejenigen aber, die in Geldschulden stecken, dürfen nicht ins Kloster gehen; denn Gregor sagt: „Wenn diejenigen, die mit öffentlichen Schulden belastet sind, zuweilen ins Kloster eintreten wollen, dürfen sie unter keinen Umständen aufgenommen werden, es sei denn, sie wären vorher ihrer öffentlichen Schulden ledig." Also scheint es, daß noch viel weniger die Kinder in einen Orden eintreten dürfen ohne Rücksicht auf den dem Vater geschuldeten Gehorsam. ANDERSEITS heißt es von Jakobus und Johannes: ,.Sie verließen ihre Netze und ihren Vater und folgten dem Herrn" (Mt 4, 22). „Dadurch werden wir", wie Hilarius sagt, „belehrt, daß wir, wenn wir Christus folgen wollen, weder durch weltliche Sorgen noch durch die Überlieferung des väterlichen Hauses gebunden sind." ANTWORT: Wie oben (101, 2 Zu 2: Bd. 20), als von der Ergebenheit gegen die Eltern die Rede war, gesagt worden, haben die Eltern als solche die Bewandtnis des Ursprungs; deshalb steht ihnen an sich die Obhut über die Kinder zu. Daher wäre es einem Vater, der Kinder hat, nicht erlaubt, in einen Orden einzutreten ohne jede Rücksicht auf die Sorge für die Kinder, d. h. ohne für ihre Erziehung irgendwie gesorgt zu haben. 1 Tim 5, 8 heißt es nämlich: „Wer für die Seinigen nicht sorgt, hat den Glauben verleugnet und ist ärger als ein Ungläubiger." Q U A E S T I O 189, t

PL 77/910 A Frdb. 1/206

PL 9/931 B

quam his quibus debet pecuniam. Sed illi qui debent pecuniam aliquibus, non possunt religionem ingredi: dicit enim Gregorius in Registro [lib. 8. indict. 1, epist. 5], et habetur in Decretis, dist. '53 [cap. Legem], quod „si hi qui sunt rationibus publicis obligati, quando monasterium petunt, nullo modo suscipiendi sunt, nisi prius a negotiis publicis fuerint absoluti". Ergo videtur quod multo minus fllii possint religionem ingredi, praetermisso paterno obsequio. SED CONTRA est quod dieitur Matth. 4, quod Jacobus, et Joannes, relictis retibus, et patre, secuti sunt Dominum; ex quo, ut Hilarius dicit [cap. 3 in Matth.], „docemur Christum secuturi, et saecularis vitae sollicitudine, et paternae domus consuetudine non teneri". RESPONDEO dicendum quod, sicut supra dictum est cum de pietate ageretur, parentes habent rationein principii, inquantum hujusmodi; et ideo per se eis convenit, ut filiorum curam habeant; et propter hoc non licet alicui filios habenti religionem ingredi, omnino praetermissa cura filiorum, idest non proviso qualiter educari possint: dieitur enim 1 ad Tim. 5, quod si quis Kiiorum curam non habet, fidem negavit, et est infideli deterior.

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Unter bestimmten Umständen kann es freilich sein, daß 189, 6 die Eltern von den Kindern unterstützt werden, soiern nämlich jene in irgendeiner Notlage sind. Es ist also folgendes zu sagen: Sind die Eltern in einer Notlage, so daß ihnen nicht anders als durch den Dienst der Kinder geholfen werden kann, so ist es den Kindern nicht erlaubt, ohne Rücksicht auf die Eltern in einen Orden einzutreten. Sind sie [die Eltern] aber nicht in solcher Notlage, daß sie der H i l f e der Kinder sehr bedürfen, so können die Kinder die Eltern sich selbst überlassen und ins Kloster gehen, auch gegen den [ausdrücklichen] Befehl der Eltern. Denn nach den Jahren der Reife hat jeder freigeborene Mensch das Recht, über das, was die Wahl seines Standes angeht, frei zu entscheiden, vor allem in den Dingen, die zum Bereich des göttlichen Dienstes gehören. Denn „viel mehr müssen wir gehorchen dem Vater der Geister, daß wir das Leben haben, als den Eltern, von denen wir dem Fleische nach geboren sind" ( H b 12, 9) [149]. Weshalb auch der Herr (Mt 8, 21 f. u. Lk 9, 59 f.) den Jünger tadelt, der Ihm nicht sofort folgen wollte aus Rücksicht auf das Begräbnis des Vaters. „Es gab ja noch andere, die das besorgen konnten", wie Chrysostomus sagt. Z u 1. Das Gebot der Elternehrung erstreckt sich nicht bloß auf die leibliche Hilfe, sondern auch auf die geistige und [vor a l l e m ] auf die zu erweisende Ehrfurcht. DesQ U A E S T I O 189, e P e r accidens tarnen parentibus convenit, ut a filiis adjuventur; inquantum scilicet sunt in necessitate aliqua constituti. Et ideo dicendum est quod parentibus in necessitate existentibus, ita quod eis commode aliter quam per obsequium filiorum subveniri non possit, non licet filiis, praetermisso parentum obsequio, religionem intrare. Si vero non sint in tali necessitate, ut filiorum obsequio multum indigeant, possunt, praetermisso parentum obsequio, fllii religionem intrare etiam contra praeceptum parentum; quia post annos pubertatis quilibet ingenuus libertatem habet quantum ad ea, quae pertinent ad dispositionem sui status, praesertim in his quae sunt divini obsequii; et magis est obtemperandum Patri spirituum, ut vivamus, quam parentibus carnis, ut Apostolus ad Hebr. 12 dicit; unde Dominus, ut legitur Matth. 8, et Lucae 9, reprehendit discipulum, qui nolebat eum statim sequi intuitu paternae sepulturae: erant enim alii, per quos illud opus impleri poterat, ut Chrysostomus dicit [hom. PG 28 in Matth.]. 57/347 D A D P R I M U M ergo dicendum quod praeceptum de honoratione parentum non solum se extendit ad corporalia obsequia sed etiam ad spiritualia, et ad reverentiam exhibendam; et ideo 18 24

265

189, e halb können auch die, die im Kloster sind, das Gebot der Elternehrung erfüllen, indem sie f ü r sie beten und ihnen Ehrfurch* erweisen und Hilfe zuteil werden lassen, soweit das Ordensleuten ansteht. Denn auch die, die in der Welt leben, ehren ihre Eltern in ganz verschiedener Weise, je nach ihrer Lebensstellung. Zu 2. Weil die Knechtschaft zur Strafe der Sünde eingeführt wurde, wird dem Menschen durch die Knechtschaft etwas genommen, was ihm sonst zustehen würde, nämlich daß er f r e i ü b e r sich verfügen kann. „Der Knecht" nämlich „gehört nach dem, was er ist, dem H e r r n " [Aristoteles]. Das Kind aber leidet keinen Schaden dadurch, daß es dem Vater unterworfen ist, so daß es etwa nicht f r e i über seine Person verfügen könnte, indem es in den Dienst Gottes übertritt. Denn das ist in hohem Maße zum Besten des Menschen. Z u 3. Wer zu etwas ganz Bestimmtem verpflichtet ist, kann das nicht erlaubterweise vernachlässigen, wenn er die Möglichkeit hat [, der Verpflichtung nachzukommen]. Wenn also jemand einem anderen Rechenschaft schuldig ist oder eine bestimmte Schuld zu entrichten hat, k a n n er das nicht einfach auf sich beruhen lassen, um in einen Orden einzutreten. W e n n er nun Geld schuldet und nicht hat, wovon er die Schuld bezahlen soll, m u ß er tun, was er kann, indem er nämlich seine Güter den Gläubigern überläßt. Nach dem bürgerlichen Recht wird um Geldes willen aber nie die Person des freien Menschen geschulQUAESTIO

189, e

etiam illi qui sunt in religione, implere possunt praeceptum de honoratione parentum, pro eis orando, et eis reverentiam, et auxilium impendendo, secundum quod religiosos decet: quia etiam illi qui in saeculo vivunt, diversimode parentes honorant secundum eorum conditionem. AD SECUNDUM dicendum quod quia est in poena peccati inducta, ideo per servitutem aliquid adimitur homini, quod alias ei competeret; ne scilicet libere de sua persona possit dis1254a 11 ponere: „servus" enim „id quod est; domini est". Sed filius non patitur detrimentum ex hoc quod subjectus est patri, quin possit de sua persona libere disponere, transferendo se ad obsequium Dei; quod maxime pertinet ad hominis bonum. AD TERTIUM dicendum quod ille qui est obligatus ad aliquid certum, non potest illud licite praetermittere, facultate existente. Et ideo si aliquis sit obligatus ut alicui rationein ponat, vel ut certum debitum reddat, non potest hoc licite praetermittere, ut religionem ingrediatur. Si tarnen debeat aliquam pecuniam, et non habeat unde reddat, tenetur facere quod potest, ut scilicet cedat bonis suis creditori: propter pecuniam autem persona liberi hominis, secundum J u r a Civilia, non obligatur, sed solum

266

det, sondern nur die Sache. Denn die Person des freien 189,7 Menschen „übersteigt jede Schätzung, die auf Geld gründet" [150]. Deshalb kann er, wenn er seine Sachen veräußert hat, erlaubterweise in den Orden eintreten und ist nicht verpflichtet, in der Welt zu bleiben, um sich das zu verschaffen, womit er seine Schulden bezahlen könnte. — Der Sohn aber hat keine bestimmte Pflicht dem Vater gegenüber, es sei denn im Falle der Not (Antw.). 7. A R T I K E L Ist es den

Seelsorgspriestern erlaubt, einzutreten?

in einen

Orden

1. Gregor sagt, daß der, der die Sorge für die Seelen auf sich nimmt, „schreckhaft ermahnt wird, wenn es heißt [Spr 6, 1]: ,Mein Sohn, hast du dich f ü r einen Freund verbürgt und einem Fremden deinen Handschlag gegeb e n . . . ' " 1 Er fügt hinzu: „Sich für einen Freund verbürgen heißt: eine fremde Seele mit Gefahr der eigenen übernehmen." Wer aber einem Menschen etwas schuldet, kann nicht in einen Orden eintreten, wenn er, soweit er kann, seine Schuld nicht einlöst [Art. 6, E. 3 u. Zu 3 ]. Da also der Priester die Sorge für die Seelen, zu der er sich mit Gefahr seines eigenen Seelenheiles verpflichtet hat, ausüben kann, scheint es ihm nicht erlaubt zu sein, auf die Seelsorge zu verzichten und in einen Orden einzutreten. QUAESTIO

189, 7

res, quia persona liberi hominis „superat omnem aestimationem pecuniae"; unde potest licite, exhibitis rebus suis, religionem intrare: nec tenetur in saeculo remanere, ut procuret unde debitum reddat. — Filius autem non tenetur ad aliquod speciale debitum patri, nisi forte in casu necessitatis, ut dictum est. Utrum

A R T I C U L U S VII presbyteri curati possin t religionem ingredi

licite

ISupra 184, 6; PVS 25]

AD SEPTIMUM sie proceditur. Videtur quod presbyteri curati non possint licite religionem ingredi: dicit enim Gregorius in Pastoral. [part. 3, cap. 1J, quod „ille qui curam animarum suscipit terribiliter admonetur, cum dicitur: Fili mi, si spoponderis pro amico tuo, defixisti apud extraneum manum tuam; et subdit: Spondere namque pro amico tuo, est animam alienam in periculo suae conversationis aeeipere". Sed ille qui obligatur homini pro aliquo debito, non potest intrare religionem, nisi solvat id quod debet, si possit. Cum ergo sacerdos possit curam animarum agere, ad quam se obligavit in periculo animae suae, videtur quod non liceat ei, praetermissa cura animarum, religionem intrare. 1 Vgl. Anm. [52],

18*

267

PL77/54C

Frdb. 1/206 77/910 \ c f. pg. 264

189, 7

2. Was e i n e in erlaubt ist, ist mit demselben Recht allen erlaubt, die in ähnlicher Lage sind. Wenn aber alle Seelsorgspriester ins Kloster gehen würden, wären die Gemeinden ohne Seelsorger. Das ist aber nicht in der Ordnung. Es scheint also, daß die Seelsorgspriester nicht erlaubterweise ins Kloster gehen können. 3. Unter den Tätigkeiten, auf welche die Orden ausgerichtet sind, sind die vorzüglichsten jene, kraft deren einer das in der Beschauung Empfangene an andere weiterschenkt. Diese Tätigkeiten aber sind eigentlich Sache der Seelsorgspriester und der A r c h i d i a k o n e d e n e n es von Amts wegen obliegt, zu predigen und beichtzuhören. Also scheint es dem Seelsorgspriester und Archidiakon nicht erlaubt, ins Kloster zu gehen. ANDERSEITS heiß es in den Dekretalen: „Wenn ein Geistlicher in seiner Kirche unter der Führung des Bischofs das Volk leitet und in der Welt lebt, und er wünscht, getrieben vom Heiligen Geiste, in ein Kloster oder nach einer kirchlich gutgeheißenen Regel seine Seele zu retten, so mag er auf unsere Verantwortung, auch wenn sein Bischof dagegen ist, frei gehen." ANTWORT: Wie oben (Art. 4 Zu 3; 88, 12 Zu 1: Bd. 19) gesagt worden, geht die Verpflichtung eines ewigen Gelübdes jeder anderen Verpflichtung vor. Sich durch ein ewiges und feierliches Gelübde dem göttlichen Dienste Q 1 I A E S T I O 189, :

2. PRAETEREA, quod uni licet, pari ratione ómnibus similibus licet: sed si omnes presbyteri habentes curam animarum religionem intrarent, remanerent plebes absque cura pastorum, quod esset inconveniens; ergo videtur quod presbyteri curati non possint licite religionem intrare. 3. PRAETEREA, inter actus, ad quos religiones ordinantur, praecipui sunt illi, quibus aliquis contemplata aliis tradit; hujusmodi autem actus competunt presbyteris curatis, et archidiaconis, quibus ex officio competit praedicare, et confessiones audire. Ergo videtur quod non liceat presbytero curato, vel archidiácono transiré ad religionem. Frdb. SED CONTRA est quod in Decretis 19, q. 2, cap. Duae sunt 1/840 leges, dicitur: „Si quis clericoruin in Ecclesia sua sub episcopo populum retinet, et saeculariter vivit, si afflatus Spiritu Sancto in aliquo monasterio, vel regulan canónica salvari se voluerit, etiam episcopo suo contradicente, eat liber nostra auctoritate." RESPONDEO dicendum quod, sicut supra dictum est, obligatio voti perpetui praefertur omni alii obligationi. Obligari autem voto perpetuo, et solemni ad vacandum divinis obsequiis, com1 Vgl. Anm. [14].

268

w e i h e n , ist nun ganz eigentlich Sache der Bischöfe u n d der 189,7 Ordensleute [184, 5 ] . Die Seelsorgspriester a b e r u n d die Archidiakone sind nicht auf G r u n d eines ewigen u n d feierlichen Gelübdes zur Beibehaltung der Seelsorge verpflichtet, wie die Bischöfe dazu verpflichtet sind. W e s h a l b die Bischöfe „ihr Bischofsamt u n t e r keinen U m s t ä n d e n a u f g e b e n k ö n n e n , a u ß e r auf Befehl oder mit E r l a u b n i s des Papstes", w i e es in den Dekretalen heißt. Die Archidiakone aber u n d die einfachen Seelsorgspriester sind f r e i , dem Bischof das i h n e n ü b e r t r a g e n e Amt zurückzugeben, ohne b e s o n d e r e E r l a u b n i s des Papstes, der allein von ewigen G e l ü b d e n e n t b i n d e n k a n n . Es ist also offenbar, daß es den A r c h i d i a k o n e n u n d Seelsorgspriestern erlaubt ist, in einen Orden einzutreten. Z u 1. Die Seelsorgspriester u n d A r c h i d i a k o n e h a b e n sich zur Ü b e r n a h m e der Sorge f ü r i h r e U n t e r g e b e n e n f ü r so lange verpflichtet, als sie ihr Archidiakonat oder i h r e P f a r r e i behalten. Sie h a b e n sich aber nicht verpflichtet, ihr Archidiakonat oder i h r e P f a r r e i f ü r i m m e r zu behalten. Zu 2. H i e r o n y m u s schreibt an Vigilantius: „Wenngleich sie" — nämlich die Ordensleute — „die wildesten Bisse deiner Schlangenzunge aushalten, fragst du noch u n d sagst: ,Wenn alle ins Kloster gingen u n d in der E i n s a m k e i t sich aufhielten, w e r hält die kirchlichen F e i e r n ? W e r QUAESTIO

189, I

petit proprie episcopis, et religiosis: presbyteri autem curati, et archidiaconi non obligantur voto perpetuo, et solemni ad curam animarum retinendam, sicut ad hoc obligantur episcopi. Unde episcopi „praesulatum non possunt deserere quacumque occasione, absque auctoritate Romani Pontificis", ut habetur Extra, de Regularibus et Transeuntibus ad religionem, cap. Krdb Licet. Archidiaconi auteni, et presbyteri curati possunt libere u/ 5 ' 6 abrenuntiare episcopo curam eis commissam, absque speciali licentia Papae, qui solus potest in votis perpetuis dispensare. Unde manifestum est quod archidiaconis, et presbyteris curatis licet ad religionem transire. AD PRIMUM ergo dicendum quod presbyteri curati, et archidiaconi obligaverunt se ad curani agendam subditorum, quamdiu retinent archidiaconatum, vel parochiam: non autem obligaverunt se ad hoc, quod perpetuo archidiaconatum, vel parochiam teneant. AD SECUNDUM dicendum quod, sicut Hieronymus dicit contra Vigilantium [cap. 15] : „Quamvis a te linguae vipereae PL morsus saevissimos patiantur [scilicet religiosi] quibus argu- 23/306 A mentaris, et dicis: Si omnes se clauserint et fuerint in solitudine, quis celebrabit Ecclesias? Quis saeculares homines lucri-

269

189, 8 soll die Weltleute gewinnen? Wer kann die Sünder zum Tugendleben aufmuntern?' Wenn nämlich auf diese Weise alle mit dir Toren geworden sind, wer kann dann noch weise sein? Auch die Jungfräulichkeit wird dann nicht mehr zu billigen sein [151]. Wenn nämlich alle jungfräulich sind und keine Ehen mehr geschlossen werden, geht das Menschengeschlecht zugrunde. [Doch sei ohne Sorge!] Die Tugend ist selten, und von den wenigsten gefragt." Es ist also klar, daß diese Sorge töricht ist, wie wenn einer fürchten würde, Wasser zu schöpfen, damit der Fluß nicht zum Versiegen komme. 8. A R T I K E L Darf man von einem Orden zum anderen Orden ubertreten? 1. Der Apostel sagt Hb 10, 25: ,.Wir wollen unsere Versammlung nicht verlassen, wie es die Gewohnheit mancher ist." Dazu die Glosse: , die aus Furcht vor der Verfolgung fliehen oder aus Vermessenheit sich von den Sündern und Unvollkommenen, um selbst als Gerechte dazustehen, absondern." Das aber scheinen die zu tun, die von einem Orden zu einem anderen, vollkommeneren übertreten. Also scheint das nicht erlaubt. 2. Die Ordensgelübde der Mönche scheinen strenger zu sein als die der regulierten Chorherren, wie es in einer QUAESTIO

189, «

faciet? Quis peccantes ad virtutes poterit exhortari? Hoc enim modo si omnes tecum fatui sint, sapiens esse quis poterit? Et virgitiitas non erit approbanda, si enim virgines omnes fuerint, et nuptiae non fuerint, interibit genus humanuni: rara est virtus, nec a pluribus appetitur." Patet ergo quod hic timor stultus est, puta sicut aliquis timeret haurire aquam, ne flunien defiC6ret

' Uttum

liceat

A R T I C U L U S VIII de una r e l i g i o n e a 1 i a ni

1-1. d. 27:1, 3 CjH 1 ad 3; 38: 1, 4 qa

tran.sire

ad

ad 2]

AD OCTAVUM sic proceditur. Videtur quod non liceat de una religione transire ad aliam, etiam arctiorem. Dicit enim Apostolus ad Hebr. 10: „Neque deserentes collectionem nostrani, PL sicut est consuetudinis quibusdam", Glossa (interi.) : „Qui scili192/481 c c e t vel timore persecutionis cedunt, vel propria praesumptione a peccatoribus, vel imperfectis, ut justi videantur, recedunt." Sed hoc videntur facere, qui de una religione transeunt ad aliam perfectiorem. Ergo videtur hoc esse illicitum. 2. PRAETEREA, professio monachorum est altior, quam professio regularium canonicorum, ut habetur Extra, de Statu Frdb. Monachorum et Canonicorum Regularium. cap. Quod Dei timo11/699

270

,Extra' heißt. Es ist aber nicht erlaubt, vom Stande der 189, 8 regulierten Chorherren zum Stande der Mönche überzugehen, denn in den Dekretalen heißt es: „Wir befehlen und untersagen allgemein, daß ein regulierter Chorherr Mönch werde, es sei denn, was Gott verhüten möge, er habe öffentlich gesündigt." Es scheint also nicht erlaubt zu sein, von einem Orden in einen höheren überzutreten. B. Man ist so lange verpflichtet, zu erfüllen, was man gelobt hat, als man es erlaubterweise erfüllen kann. Wenn z. B. einer gelobt hat. Enthaltsamkeit zu üben, so ist er auch nach eingegangener Ehe, solange sie nicht vollzogen ist, verpflichtet, das Gelübde zu erfüllen, denn er kann es erfüllen, indem er in einen Orden eintritt [152], Wenn also einer erlaubterweise von einem Orden in den anderen übertreten kann, ist er gehalten, das zu tun, wenn er es, da er noch in der Welt war, gelobt hat. Doch das scheint nicht angebracht zu sein, weil daraus sehr oft Ärgernis entstehen könnte. Also kann ein Ordensmann nicht von einem Orden in einen anderen übertreten. ANDERSEITS heißt es in den Dekretalen: „Wenn gottgeweihte Jungfrauen zum Heile ihrer Seele, des strengeren Lebens wegen, den Übertritt in ein anderes Kloster vorbereitet und dase'bst zusammenzubleiben beschlossen haben, so gibt die Kirchenversammlung hierzu die Erlaubnis." Dasselbe scheint von allen anderen Ordensleuten zu gelten. Q U A E S T I O

189, s

rem. Sed non licet alicui transire de statu canonicorum regulariuin ad statum monachorum: dicitur enim in Decretis 19, q. 3 [cap. 2 ] : „Mandamus et universaliter interdicimus, ne quis cano- Frdb. nicus regulariter professus, nisi, quod absit, publice lapsus fuerit, 1/840 monachus efflciatur." Ergo videtur quod non liceat alicui transire de una religione ad aliam majorem. 3. PRAETEREA, tamdiu aliquis obligatur ad implendum quod vovit, quamdiu potest licite illud implere; sicut si aliquis vovit continentiam servare, etiam post contractum matrimonium per verba de p/aesenti, ante carnalem copulam tenetur implere votum; quia hoc potest facere religionem intrando. Si ergo aliquis licite potest de una religione transire ad aliam, tenebitur hoc facere, si ante hoc voverit existens in saeculo, quod videtur esse inconveniens; quia ex hoc plerumque scandalum generari posset. Ergo non potest aliquis religiosus de una religione transire ad aliam arctiorem. SED CONTRA est quod dicitur in Decretis 20, q. 4 [cap. 1] : F r d b . „Virgines sacrae si pro lucro animae suae propter districtiorem i'85i vitam ad aliud monasterium pergere disposuerunt, ibique commanere decreverunt, Synodus concedit." Et eadem ratio videtur

271

189, g Also kann man erlaubterweise von einem Orden zum anderen übertreten. ANTWORT: Von einem Orden zu einem anderen überzutreten ist nicht zu empfehlen, außer um eines ausgesprochenen Nutzens oder einer Notwendigkeit willen. Einmal, weil die Zurückbleibenden meistens Ärgernis nehmen. — Dann auch, weil man in dem Orden, dessen Leben man gewohnt ist, unter sonst gleichen Umständen leichter Fortschritte macht als in jenem, den man nicht gewohnt ist. Deshalb sagt Abt Nestorius in den „Väterlesungen": „Für jeden ist es nützlich, daß er gemäß dem einmal gefaßten Vorsatz mit großem Eifer und Fleiß zur Vollendung des begonnenen Werkes eilt und seinen einmal erwählten Beruf nicht verläßt." Und später fügt er den Grund bei: „Denn ein und derselbe Mensch kann unmöglich zugleich in allen Tugenden glänzen. Und wenn er das doch versuchen will, wird er notwendig dahin kommen, daß er, während er allen nachjagt, keine ganz erreicht." Die verschiedenen Orden nämlich haben je ihre besonderen Vorzüge nach den ganz verschiedenen Werken der einzelnen Tugenden. Es kann aber einer aus dreifachem Grunde so, daß es lobenswert bleibt, von einem Orden zum anderen übertreten. E r s t e n s aus Eifer f ü r ein vollkommeneres Ordensleben. Dieser Vorrang aber liegt, wie oben (188 6) gesagt, nicht schon in der größeren Strengheit, sondern QliAESTIO

PL 49/959 A

PL 49/960 A

189, s

esse de quibuscumque religiosis. Ergo potest aliquis licite transire de una religione ad aliam. RESPONDEO dicendum quod transire de religione ad religionem, nisi propter magnam utilitatem, vel neeessitatem, non est laudabile; tum quia ex hoc plerumque scandalizantur illi, qui relinquuntur. — Tum etiam quia facilius proficit aliquis in religione quam consuevit, quam in illa quam non consuevit, caeteris paribus. Unde in Collationibus Patrum [14, cap. 5] Abbas Nestorius dicit: „Unicuique utile est ut secundum propositum quod elegit, summo studio, ac diligentia ad operis arrepti perfectionem pervenire festinet, et nequaquam a sua, quam semel elegit, professione discedat." Et postea rationem assignans, subdit [cap. 6]: „Impossibile namque est unum et eumdem hominem sirnul universis fulciri virtutibus: quas si quis voluerit pariter affectare, in id incidere eum necesse est, ut dum omnem sequitur, nullam integre consequatur." Diversae enim religiones praeeminent secundum diversa virtutum opera. Potest tarnen aliquis laudabiliter de una religione transire ad aliam, triplici ex causa. Primo quidem zelo perfectionis religionis; quae quidem excellentia, ut supra dictum est, non atten-

272

vornehmlich in dem. worauf der betreffende Orden aus- 189, 8 gerichtet ist; in zweiter Linie in der vorsichtig abgewogenen Anpassung der Ordensübungen an das vorgesteckte Ziel. — Z w e i t e n s wegen des Absinkens des eigenen Ordens von der verlangten Vollkommenheit. Wenn z. B. in einem strengeren Orden die Ordensleute anfangen, ein bequemeres Leben zu führen, so ist es lobenswert, in einen anderen auch weniger strengen Orden überzutreten, wo die Regel besser beobachtet wird; wie in den ,.Väterlesungen" Abt Johannes von sich selbst gesteht, daß er vom Einsiedlerleben, das er sich als Stand erwählt hatte, zu einem geringeren Stande überging, nämlich zu jenen, die in Gemeinschaft leben, deswegen, weil das Einsiedlerleben anfing abzusinken und lauer beobachtet zu werden. — D r i t t e n s aus Schwäche oder Hinfälligkeit, wegen der es zuweilen vorkommt, daß einer die Satzungen eines strengeren Ordens nicht beobachten kann, wohl aber die Satzungen eines weniger strengen Ordens. Doch besteht unter diesen drei Fällen ein Unterschied. Denn im ersten Falle muß der Betreffende zwar um der Demut willen um Erlaubnis bitten, die ihm aber nicht verweigert werden kann, so es nur feststeht, daß es sich wirklich um einen strengeren Orden handelt. „Wenn aber diesbezüglich irgendwelche Zweifel bestehen, ist die Entscheidung des höheren Oberen zu erbitten", wie es in einer ,Extra' heißt. — Ebenso ist das Urteil des höheren Oberen Q U A E S T I O

189, s

ditur secundum solam arctitudinem, sed principaliter secundum id ad quod religio ordinatur, secundario vero secundum discretionem observantiarum debito fini proportionatarum. — Secundo propter declinationem religionis a debita perfectione: puta si in aliqua religione altiori incipiant religiosi remissius vivere, laudabiliter transit aliquis ad religionem etiam minorem, ßi melius observetur; sicut in Collationibus Patrum fl9, cap. 3 et 5] PL dicit Abbas Joannes de seipso, quod a vita solitaria, in qua ISy}!!® g professus fuerat, transit ad minorem, scilicet eorum qui vivunt in societate, propter hoc quod vita eremitica coeperat declinare, et laxius observari. — Tertio propter infirmitatem, vel debilitatem, ex qua interdum provenit quod non potest aliquis arctioris religionis statuta servare. posset autem observare statuta religionis laxioris. Sed in his tribus casibus est differentia: nam in primo casu debet quidem propter humilitatem licentiam petere, quae tarnen ei negari non potest, dummodo constet illam religionem esse altiorem: „si vero de hoc probabiliter dubitetur, est in hoc superioris iudicium inquirendum", ut habetur Extra, de Regularibus et Transeuntibus ad religionem, cap. Licet. — Similiter t>db.

11/576

273

189, 8 erforderlich im zweiten Falle. — Im dritten Falle aber ist überdies die Entbindung [von der früheren Verpflichtung] notwendig. Z u 1. Jene, die in einen strengeren Orden übertreten, tun dies nicht in Vermessenheit, um als Gerechte dazustehen; sondern in Demut, weil sie gerechter werden wollen. Zu 2. Beide Orden, der der Mönche unct der der regulierten Chorherren, sind ausgerichtet auf die W e r k e des beschaulichen Lebens. Darunter sind die vornehmsten jene, die in den göttlichen Geheimnissen betätigt werden [153], auf die unmittelbar der Orden der regulierten Chorherren ausgerichtet ist, denen es an und für sich zukommt, geistliche Ordensleute zu sein. Zum Orden der Mönche aber gehört es nicht an und für sich, daß sie Geistliche sind, wie es in den Dekretalen heißt. Wiewohl deshalb der Orden der Mönche strenger ist, wäre es, wenn die Mönche Laien wären, erlaubt, vom Mönchsorden zum Orden der regulierten Chorherren überzutreten, nach dem Worte des Hieronymus an den Mönch Rustikus: ,.Lebe im Kloster so, daß du verdienst, Geistlicher zu werden"; nicht aber umgekehrt [vom Orden der regulierten Chorherren zum Orden der Mönche], wie es aus den Dekretalen hervorgeht. Wenn aber die Mönche Geistliche sind, die den heiligen Geheimnissen dienen, so haben sie dasselbe, was die regulierten Chorherren haben, nur mit einer Q U A E S T I O 189, j

Krdb. 1,761 sq.

PL c Frdb. 1840

22/1082

requiritur superioris Judicium in secundo casu. — I n tertio v e r o casu etiam est dispensatio necessaria. A D P R I M U M e r g o dicendum quod illi qui ad altiorem relig i o n e m transeunt, non faciunt hoc praesumptuose, ut justi v i d e antur, sed devote, ut justiores fiant. A D S E C U N D U M dicendum quod utraque r e l i g i o , scilicet monachorum, et canonicorum regulariuni, ordinatur ad opera vitae c o n t e m p l a t i v a e : inter quae praecipua sunt ea quae aguntur in divinis mysteriis, ad quae ordinatur directe ordo canonicorum regulariuni, quibus per se competit ut sint clerici religiosi. S e d ad r e l i g i o n e m monachorum non p e r se competit quod sint clerici, ut habetur in Decretis 16, q. 1 [cap. N e m o potest, et A i i a causa]. Et i d e o quamvis ordo monachorum sit arcticap oris observantiae, si monachi essent laici, liceret transiré a b ordine monachorum ad o r d i n e m canonicorum regularium, secundum illud H i e r o n y m i ad Rusticum Monachum [epist. 4, al. 1 2 5 ] : ^ s ¡ c v ¡ v e ¡ n monasterio, ut clericus esse m e r e a r i s " : non autem e converso, ut habetur in Decretis 19, q. 3 in decreto inducto. S e d si monachi sint clerici sacris mysteriis obsequentes, habent id quod est canonicorum r e g u l a r i u m cum m a j o r i arctitudine.

274

größeren Strenge. Und so wird es erlaubt sein, vom Orden 189, o der regulierten Chorherren überzutreten zum Orden der Mönche; doch muß man dazu die Erlaubnis der Oberen erwirken, wie es in den Dekretalen heißt. Z u 3. Das feierliche Gelübde in einem weniger strengen Orden ist [in seiner Bindung] stärker als das einfache Gelübde in einem strengeren Orden. 1 Wenn nämlich nach dem einfachen Gelübde einer heiraten würde, so wäre diese Ehe nicht, w i e nach dem feierlichen Gelübde, ungültig. Deshalb braucht der, der in einem weniger strengen Orden bereits Gelübde abgelegt hat, das von ihm abgelegte einfache Gelübde, in einen strengeren Orden einzutreten, nicht zu erfüllen [154]. 9. A R T I K E L Darf man andere veranlassen, in einen Orden

einzutreten?

1. Der hl. Benedikt befiehlt in einer Regel, daß denen, „die zum Orden kommen, der Eintritt nicht allzu leicht gemacht werden darf; sondern man muß ,die Geister prüfen, ob sie aus Gott sind' [1 Jo 4, 1 ] . " Dasselbe lehrt auch Kassian. A l s o darf man noch viel weniger einen anderen zum Eintritt in einen Orden veranlassen. Q U A E S T I O

189, »

Et ideo transire licitum erit de ordine canonicorum regularium ad ordinem monachorum, petita tamen superioris licentia, ut dicitur 19. q. 3, cap.: Statuimus. ib. A D T E R T I U M dicendum quod votum solemne, quo quis obligatur minori religioni, est fortius quam votum simplex, quo quis adstringitur majori religioni: post votum enim simplex si contraheret aliquis matrimonium, non dirimeretur, sicut post votum solemne: et ideo ille qui jam professus est in minori religione, non tenetur implere votum simplex, quod emisit de intrando religionem majorem.

Utrum

A R T I C U L U S IX aliquis debeat alios inducere religionem intrandum

ad

[ S u p r a 100, 3 a d 4; 3. Q l b 5, 1 a d 5; 4: 12, 1 ; C R 1 3 od 7]

A D N O N U M sic proceditur. Videtur quod nullus debeat alios inducere ad religionem intrandum: mandat enim beatus Benedictus in Regula sua [cap. 58] quod „venientibus ad reli- PL gionem non sit facilis praebendus ingressus: sed probandum 66/803 c est an spiritus a Deo sint". Et hoc etiam docet Cassianus in 4 lib. de Institutis Coenobiorum [cap. 3 ] . Multo ergo minus PL licet aliquem ad religionem inducere. 49/154 A 1 Vgl.

Anm.

[135],

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189,9

2. Mt 23, 15 sagt der Herr: ,.Wehe über euch, die ihr Meer und Land bereist, um einen einzigen Überläufer zu machen! Und wenn er es geworden ist, macht ihr ihn zu einem Sohn der Hölle, zweimal ärger als ihr!" Das aber scheinen die zu tun. die die Menschen veranlassen, ins Kloster zu gehen. Also scheint das tadelnswert zu sein. 3. Keiner darf einen anderen zu dem veranlassen, was sein Schaden ist. Jenen aber, die zum Eintritt in einen Orden veranlaßt werden, erwächst daraus zuweilen ein Schaden; denn manchmal haben sie sich verpflichtet, einen strengeren Orden zu wählen. Es scheint also nicht besonders lobenswert zu sein, irgend welche zum Eintritt ins Kloster zu veranlassen. ANDERSEITS heißt es Ex 26, 3 ff.: ,.Ein Teppich möge den anderen ziehen" [155], So muß ein Mensch den anderen ziehen zum Dienste Gottes. ANTWORT: Diejenigen, die andere zum Ordenseintritt veranlassen, sündigen nicht nur nicht, sondern verdienen einen hohen Lohn; denn Jak 5, 20 heißt es: „Wer einen Sünder von seinem Irrweg bekehrt hat, befreit seine Seele vom Tode und deckt eine Menge Sünden zu." Und Dan 12, 3: „Die, welche viele in der Gerechtigkeit unterweisen, werden leuchten wie die Sterne von Ewigkeit zu Ewigkeit." Doch könnte dabei eine dreifache Unordnung Platz greifen. Und zwar e r s t e n s , wenn einer einen anderen mit Gewalt zum Ordenseintritt zwingen würde, was in QUAESTIO

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2. PRAETEREA, Matth. 23 Dominus dicit: „Vae vobis, qui circuitis mare, et aridam, ut faciatis unum proselytum, et cum factus fuerit, faciatis eum filium gehennae duplo quam vos." Sed hoc videntur facere, qui homines ad religionem inducunt. Ergo videtur hoc esse vituperabile. 3. PRAETEREA, nullus debet inducere aliquem ad id, quod pertinet ad ejus detrimentum. Sed illi qui inducuntur ad religionem, quandoque ex hoc incurrunt detrimentum; quia quandoque sunt obligati ad majorem religionem. Ergo videtur quod non sit laudabile inducere aliquos ad religionem. SED CONTRA est quod dicitur Exod. 26: „Cortina cortinain trahat." Debet ergo unus homo alium trahere ad Dei obsequium. RESPONDEO dicendum quod inducentes alios ad religionem non solum non peccant, sed magnum praemium merentur: dicitur enim Jac. ult.: „Qui converti fecerit peccatorem ab errore viae suae, liberat animam ejus a morte, et operit multitudinem peccatorum"; et Dan. 12 dicitur: „Qui ad justitiam erudiunt plurimos, quasi stellae in perpetuas aeternitates." Posset tarnen contingere circa hujusmodi inductionem triplex inurdinatio. Primo quidem, si violenter aliquis alium ad reli-

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den Dekretalen verboten ist. — Z w e i t e n s , wenn einer 189, » einen anderen simonistisch 1 zum Ordenseintritt veranlassen würde, indem er ihm Geschenke gibt, was ebenfalls in den Dekretalen verboten wird. Doch gehört das nicht hierzu, wenn einer einem Armen in der Welt das Notwendige besorgt, indem er ihn so für den Orden erzieht; oder wenn er, ohne daraus einen bindenden Vertrag zu machen, einige kleine Geschenke macht, um die Freundschaft des anderen zu gewinnen. — D r i t t e n s , wenn er einen mit Lügen zu fangen sucht. Denn so ist die Gefahr gegeben, daß der Betrogene, sobald er sich getäuscht findet, wieder zurückgeht; und dann wären „die letzten Dinge dieses Menschen ärger als die ersten" (Lk 11, 26; Mt 12, 45). Z u 1. Jenen, die zum Ordenseintritt veranlaßt werden, bleibt immerhin noch die Zeit der Prüfung [das Probejahr], wo sie mit den Schwierigkeiten des Ordenslebens vertraut werden. Und so wird ihnen der Eintritt ins Kloster nicht leicht gemacht. Z u 2. Nach Hilarius sagte der Herr mit diesen Worten das verkehrte Bemühen der Pharisäer vorher, womit sie versuchten, nach der Predigt Christi die Heiden oder auch die Christen zum jüdischen Ritus hinüberzuziehen und sie so doppelt zu Söhnen der Hölle zu machen. Denn so wären den Verführten die früheren, im Judentum begangenen Sünden nicht vergeben, und sie würden sich obendrein Q Ü A E S T I O 189. » gionem cogeret; quod prohibetur in Decret. 20, q. 3 [cap. Praesens]. — Secundo, si aliquis simoniace aliuin ad religionem trahat, muneribus datis, ut prohibetur in Decret. 1, q. 2 [cap. Quam pio], Nec tarnen ad hoc pertinet, si aliquis alicui pauperi necessaria ministret in saeculo nutriens eum ad religionem: vel si sine pacto aliqua munuscula tribuat ad familiaritatem captandam. — Tertio, si mendaciis eum alliciat: imminet enim sie indueto periculum ne cum se deeeptum invenerit, retrocedat; et sie fiant „novissima hominis illius pejora prioribus", ut dicitur Lucae 11 [cf. Matth. 12]. AD PRIMUM ergo dicenduni quod illis qui ad religionem indueuntur, nihilominus roservatur probationis tempus, in quo difficultates religionis experiuntur; et sie non faeilis aditus eis datur ad religionis ingressum. AD SECUNDUM dicendum quod secundum Hilarium [cap. 24 in Matth.], verbum illurl Domini praenuntiativum fuit perversi studii Judaeorum, quo post Christi praedicationem Gentiles, vel etiam Christianos ad Judaicum ritum trahendo faciunt dupliciter gehennae fllios: quia scilicet et peccata pristina quae eommiserunt, in Judaismo eis non dimittuntur. et nihilominus in1 Vffl. Anm. [47].

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Frdb. '/850 Frdb V^os

PL 9/1049C

189,» der jüdischen Treulosigkeit schuldig machen. Aber diese Auslegung paßt nicht auf unseren Fall. Nach Hieronymus gehen diese Worte auf die Zeit, wo es den Juden noch erlaubt war, die Vorschriften des Alten Gesetzes zu beobachten; danach würde der, der von ihnen zum Judentum bekehrt wurde, „da er Heide war, einfach geirrt haben; wie er aber die Laster seiner Lehrer sieht, ,kehrt er zu seinem eigenen Auswurf zurück' [2 Petr 2, 22], und, wieder Heide geworden, wird er, als Abtrünniger, doppelter Strafe würdig". Daraus geht klar hervor, daß, wer andere zum Dienste Gottes oder zum Ordensleben zieht, nicht getadelt wird; sondern nur das [wird getadelt], daß einer dem, den er bekehrt hat, ein schlechtes Beispiel gibt, das ihn zu Schlimmerem führt. Z u 3. Im Größeren ist das Kleinere enthalten. Deshalb kann der, der sich durch Gelübde oder Eid verpflichtet hat, in einen weniger strengen Orden einzutreten, erlaubterweise veranlaßt werden, daß er zu einem strengeren Orden übergeht; es sei denn ein besonderer Hinderungsgrund vorhanden, wie z. B. Krankheit oder die Hoffnung größeren Fortschrittes im weniger strengen Orden. Wer aber durch Gelübde oder Eid zum Eintritt in einen strengeren Orden verpflichtet ist, kann erlaubterweise nicht veranlaßt werden, in einen weniger strengen Orden einzutreten, es sei denn aus einer besonderen und durchsichtigen Ursache und noch mit Erlaubnis des Obern. QUAESTIO

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currunt judaicae perfidiae reatum. Et secundum hoc non facit ad propositum. PL Secundum Hieronymum [in Matth, lib. 4] hoc refertur ad Ju26/170 A daeos etiam pro statu illo, in quo legalia observari licebat, quantum ad hoc, quod ille qui ab eis ad Judaismum convertebatur „dum esset Gentiiis, simpliciter errabat: videns autem magistrorum vitia revertitur ad vomitum suum, et Gentiiis factus, quasi praevaricator, majori poena fit dignus". Ex quo patet quod trällere alios ad cultum Dei vel religionem non est vituperabile: sed hoc solum quod aliquis ei, qui c o n v e r t i t d e t malum exemplum, unde pejor efficiatur. AD TERTIUM dicendum quod in majori includitur minus; et ideo qui est obligatus voto, vel juramento ad ingressum minoris religionis potest licite induci ad hoc quod ad majorem religionem transeat: nisi eit aliquid speciale, quod impediat; puta infirmitas, vel spes majoris profectus in minori religione. Ille vero qui obligatus voto, vel juramento ad ingressum majoris religionis, non potest licite induci ad minorem religionem, nisi ex aliqua speciali causa evidenti: et hoc cum dispensatione superioris. i L: quem convertit: P: con vertí tur.

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10. A R T I K E L 189, 10 Ist es lobenswert, wenn einer ins Kloster geht, ohne den Rat vieler Menschen einzuholen und ohne vorhergehende lange Überlegung? 1. 1 Jo 4, 1 heißt es: „Glaubet nicht jedem Geiste, sondern prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind." Manchmal nun ist der Vorsatz, in einen Orden einzutreten, nicht von Gott, da er häufig durch den Ordensaustritt wieder zunichte wird. Apg 5, 38 f. heißt es aber: „Wenn dieser Entschluß oder dieses Werk von Gott ist, werdet ihr es nicht vernichten können." Es scheint also, daß manche nur nach vorhergehender ernster Prüfung in einen Orden eintreten dürfen. 2. Spr 25, 9 heißt es: „Überlege deine Sache mit deinem Freunde." Es scheint aber die wichtigste Sache des Menschen die zu sein, die mit der Wahl seines Standes zusammenhängt. Also scheint es, daß man nicht ins Kloster gehen darf, ohne vorher mit seinen Freunden überlegt zu haben. 3. Lk 14, 28 ff. bringt der Herr das Gleichnis „von einem Manne, der einen Turm bauen wollte" und der „sich erst hinsetzen und die Kosten vorausberechnen soll, die notwendig sind, ob er genug habe, um [den Turm] Q U A E S T I O 189, io ARTICULUS X Utrum sit laudabile, quod aliquis r e l i g i o n e m i n g r e d i a t u r a b s q u e m u l t o r u m c o n s i l i o , et diuturna deliberatione praecedente [CR 8—10] AD DECIMUM sie proceditur. Videtur quod non sit laudabile quod aliquis religionem ingrediatur absque multorum consilio, et diuturna deliberatione praecedente: dicitur enim 1 Joan. 4: „Nolite credere omni spiritui, sed probate 6piritus, si ex Deo sint." Sed quandoque propositum religionis intrandae non est ex Deo, cum frequenter per exitum religionis dissolvatur: dicitur autem Act. 5: „Si est ex Deo consilium hoc l, non poteritis dissolvere illud." Ergo videtur quod magna examinatione praecedente debeant aliqui religionem intrare. 2. PRAETEREA, Proverb. 25 dicitur: „Causam tuam tracta cum amico tuo." Sed maxime videtur hominis esse causa, quae pertinet ad mutationem status. Ergo videtur quod non debeat aliquis religionem intrare, nisi prius cum amicis suis tractet. 3. PRAETEREA, Dominus, Luc. 14, inducit similitudinem de „homine, qui vult turrim aedificare", quod „prius sedens computat sumptus, qui sunt ei necessarii, si habeat ad perficien1 L add.: aut opus.

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189, io f e r t i g zu b a u e n " . D a m i t e r nicht s p ä t e r den V o r w u r f zu h ö r e n b e k ä m e : „ D i e s e r Mensch fing an zu b a u e n und konnte d e n B a u nicht v o l l e n d e n . " D i e K o s t e n a b e r , um e i n e n T u r m zu b a u e n , sind, wie A u g u s t i n u s sagt, „nichts a n d e r e s , a l s d a ß e i n e r a l l e m , w a s e r hat, e n t s a g t " (ebd. V . 3 3 ) . E s k o m m t a b e r häufig vor, d a ß viele das nicht f e r t i g b r i n g e n und e b e n s o die a n d e r e n O r d e n s ü b u n g e n nicht tragen k ö n n e n . A l s M u s t e r b e i s p i e l dieser L e u t e gilt David, von d e m e s 1 S m 17, 3 9 heißt, d a ß e r „nicht e i n h e r schreiten k o n n t e in der W a f f e n r ü s t u n g S a u l s , w e i l e r es nicht g e w o h n t w a r " . E s scheint also, d a ß m a n nicht ins K l o s t e r g e h e n darf, ohne v o r h e r die S a c h e lange ü b e r l e g t und mit v i e l e n M e n s c h e n ' b e r a t e n zu h a b e n . A N D E R S E I T S b e r i c h t e t Mt 4, 20, d a ß P e t r u s und A n dreas auf die B e r u f u n g des H e r r n „sofort i h r e Netze verl i e ß e n und I h m f o l g t e n " . Dazu sagt C h r y s o s t o m u s : „ E i n e n solchen G e h o r s a m verlangt C h r i s t u s von uns, d a ß w i r auch keinen Augenblick verweilen." A N T W O R T : L a n g e Ü b e r l e g u n g und B e r a t u n g mit vielen ist e r f o r d e r t in g r o ß e n und u n s i c h e r e n A n g e l e g e n h e i t e n ( A r i s t o t e l e s ) . I n den D i n g e n a b e r , die s i c h e r sind und b e s t i m m t , b r a u c h t es k e i n e n R a t . I n bezug auf den Ordenseintritt a b e r k a n n m a n d r e i e r l e i in B e t r a c h t ziehen. U n d zwar e r s t e n s den Ordenseintritt an sich. Nun ist es sicher, d a ß der Ordenseintritt das h ö h e r e Gut darstellt, (JÜAESTIO

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dum", ne insultetur ei: „Quia hic honio incoepit aedificare, et non potuit consummare". Sumptus autem ad turrim aedificanp l dam, ut Augustinus dicit in Epist. [243] ad Laetam, „nihil esl 33/1055 d aliud quam ut renuntiet unusquisque omnibus, quae sunt ejus". Contingit autem quandoque, quod hoc multi non possunt, et similiter alias religionis observantias portare, in cujus flgura, 1 Reg. 17, dicitur quod „David non poterat incedere cum armis Saulis, quia non habebat usum". Ergo videtur quod non debeat aliquis religionem intrare, nisi diuturna deiiberatione praemissa, et multorum consilio habito. SED CONTRA est quod dicitur Matth. 4, quod ad vocationem Domini Petrus, et Andreas „continuo relictis retibus secuti sunt pg eum". Ubi Chrysostomus dicit super Matthaeum [hom. 1 4 ] : 57/219 c „Talem obedientiam Christus quaerit a nobis, ut neque instanti temporis remoremur." RESPONDEO dicendum quod diuturna deliberatio, et multorum consilia requiruntur in magnis et dubiis, ut Philosophus 1112 b 8 dicit in 3 Eth. [cap. 3 ] : in his autem quae sunt certa, et determinata, non requiritur consilium. Circa ingressum autem religionis tria possunt considerari. Primo quidem ipse religionis ingressus secundum se; et sie certum est, quod ingressus reli-

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und wer daran zweifelt, tut, soviel an ihm liegt, Christus 189, 10 Unrecht, der diesen Rat gegeben hat. Deshalb sagt Augustinus: „Es ruft dich der Aufgang", d. h. Christus, „und du strebst zum Niedergang", das ist zum sterblichen und irrtumsschwangeren Menschen. In a n d e r e r Weise läßt sich der Ordenseintritt betrachten mit Rücksicht auf die K r ä f t e dessen, der in den Orden eintreten will. Und auch so ist kein Grund f ü r einen Zweifel. Denn jene, die ins Kloster gehen, vertrauen nicht ihrer eigenen Kraft, daß sie durchhalten können, sondern der Hilfe der göttlichen K r a f t ; nach Is 40, 31: „Die aber auf den Herrn hoffen, erneuern ihre Kraft, es wachsen ihnen Schwingen gleich Adlern, sie laufen und werden nicht müde, sie schreiten voran und werden nicht matt." — Ist aber ein besonderes Hindernis vorhanden, wie z. B. körperliche Krankheit oder eine große Schuldenlast oder sonst etwas dergleichen, so tut hier Überlegung not und eine Beratung mit denen, v o n d e n e n man annehmen darf, daß sie d a f ü r und n i c h t v o n v o r n h e r e i n d a g e g e n s i n d . Deshalb heißt es Sir 37, 12: „Mit einem gottlosen Menschen verhandle ü b e r Heiligkeit und mit einem ungerechten über Gerechtigkeit!" [156]. Als wollte er sagen: „Tue es nicht!"Weshalb es weiter heißt (V. 1 4 f . ) : „Nach diesen richte dich nicht bei all deinen Beratungen, vielmehr halte dich beharrlich an einen heiligen Mann." Doch soll man Q U A E S T I O 189, 1»

gionis est melius bonum: et qui de hoc dubitat, quantum est in se, derogat Christo, qui hoc consilium dedit; unde Augustinus dicit in Lib. de Verbis Dom. [serm. 100, cap. 2 ] : „Vocat te pl Oriens (idest Christus), et tu attendis occidentem", idest ad 3 s l e o i B hominem mortalem, et errare potentem. Alio modo potest considerari religionis ingressus per comparationem ad vires ejus, qui est religionem ingressurus; et sie etiam non est locus dubitationis de ingressu religionis: quia illi qui religionem ingrediuntur, non confidunt sua virtute se posse subsistere, sed auxilio virtutis divinae, secundum illud Is. 40: „Qui sperant in Domino, mutabunt fortitudinem, assument pennas sicut aquilae, current et non laborabunt, ambulabunt et non •deficient." — Si tarnen sit aliquod speciale impedimentum (puta infirmitas corporalis, vel onera debitorum, vel aliqua hujusmodi), in his requiritur deliberatio, et consilium cum his, de quibus speratur quod prosint, et non impediant o m n e s 1 ; unde dicitur Eccli. 37: „Cum viro irreligioso tracta de sanetitate, et cum injusto de justitia", quasi dicat: „Non"; unde sequitur: ..Non attendas his in omni consilio, sed cum viro saneto assiduus

1 I.: um.

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189, lö in diesen Dingen keine lange Überlegung anstellen. Weshalb Hieronymus im Brief an Paulinus schreibt: „Ich bitte dich: mach schnell und haue das Seil, welches das Schiff am Ufer festhält, lieber durch, anstatt es erst aufzuknoten." D r i t t e n s können wir fragen nach der Weise des Ordenseintrittes und welcher Orden zu wählen ist. Und auch über diese Dinge kann man sich beraten mit Leuten, die nicht dagegen sind. Z u 1. Wenn es heißt: „Prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind", so kommt das nur dort in Frage, wo es eben zweifelhaft ist, ob es wirklich Gottes Geist ist. So kann es denen, die bereits im Orden sind, zweifelhaft sein, ob der, der sich vorstellt, wirklich vom Geiste Gottes geführt ist oder ob er als Heuchler kommt. Deshalb müssen sie den Ankömmling prüfen, ob er vom Geiste Gottes getrieben wird. Dem aber, der zum Orden kommt [, um einzutreten], kann es nicht zweifelhaft sein, ob sein Vorsatz, ins Kloster zu gehen, in seinem Herzen geboren ist aus dem Geiste Gottes, dessen Sache es ist, ..den Menschen auf die rechte Bahn zu führen" [Ps 143 (142), 10]. Auch ist der Umstand, daß manche wieder austreten, kein Beweis dafür, daß der Vorsatz nicht aus Gott ist. Denn nicht alles, was von Gott ist, ist unwiderruflich, sonst wären die verweslichen Geschöpfe nicht von Gott, wie die Manichäer [157] sagen; noch könnten manche, die von Gott die Gnade erhalten haben, diese Gnade nicht QUAESTIO

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esto." In quibus tarnen non est diuturna deliberatio habenda; PL unde Hieronymus dicit in Epist. [53] ad Paulinum: ,,Festina, 22/549 ß q U a e s 0 te, et haerenti in salo naviculae funem magis praescide. quam solve." Tertio autem considerari potest modus reliaionem intrandi, et quam reliaionem aliquis ingredi debeat; et de talibus potest etiam haberi consilium cum his, qui non impediant. AD PRTMUM ergo dicendum quod cum dieitur: „Probate Spiritus, si ex Deo sint", locum habet in his quae cum dubio sunt, utrum ibi sit spiritus Dei; sicut dubium potest esse his qui jam sunt in religione utrum ille qui religioni se offert, spiritu Dei ducatur, an simulate accedat; et ideo debent accedentem probare, utrum divino spiritu moveatur. Sed ille qui ad reliaionem accedit, non potest esse dubium, an propositum de ingressu religionis in corde ejus exortum sit a spiritu Dei, cujus est „ducere hominem in terram rectam". Nec propter hoc ostenditur non esse ex Deo quod aliqui retrocedunt: non enim omne quod est a Deo, est incorruptibile: alioquin creaturae corruptibiles non essent ex Deo. ut Manichaei dicunt: neque etiam aliqui qui habent a Deo gratiam, possent

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wieder verlieren, was a u c h Irrlehre ist. Aber der „Rat- 189,10 schluß Gottes" ist unaufhebbar, durch welchen Er auch die vergänglichen und veränderlichen Wesen erschafft, nach jenem Worte Is 46, 10: „Mein Ratschluß wird bestehen, und all Mein Wille wird sich erfüllen." Deshalb bedarf der Entschluß, ins Kloster zu gehen, gar nicht der Prüfung, ob er aus Gott ist, weil es, wie die Glosse zu 1 Thess 5, 21 ,Prüfet alles' sagt, „über das, was sicher ist, keine Beratung braucht". Zu 2. Wie „das Fleisch wider den Geist begehrt" (Gal 5, 17), so sind häufig die fleischlichen Freunde auch gegen den geistigen Fortschritt; nach Mich 7, 6 [Mt 10, 36]: „Des Menschen Feinde sind seine eigenen Hausgenossen." Deshalb sagt Cyrillus in seiner Erklärung zu Lk 9, 61 ,Erlaube mir, von dem, was zu Hause ist, Abschied zu nehmen': „Die Bitte, erst Abschied nehmen zu dürfen von dem, was zu Hause ist, zeigt, daß er im Herzen irgendwie geteilt ist. Denn mit seinen Mitmenschen Gemeinschaft pflegen und sich Rat holen bei denen, die da das Rechte zu denken gerade ablehnen, zeigt einen noch schwankenden und rückwärtsschauenden Geist an. Deshalb muß er vom Herrn hören (V. 62):,Niemand, der seine Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist tauglich für das Reich Gottes.' Es blickt nämlich rückwärts, der da Aufschub nachsucht, um nach Hause zurückzugehen und mit den Verwandten zu überlegen." Z u 3. Der Bau des Turmes versinnbildet die VollQ U A E S T I O 189, u illam amittere: quod etiam est haereticum: sed consilium Dei est indissolubile, quo etiam corruptibilia, et mutabilia facit, secundum illud Is. 46: „Consilium meum stabit, et omnis voluntas mea fiet." Et ideo propositum de ingressu religionis non indiget probatione, utrum sit a Deo; quia „certa di«cussione non egent", ut dicit Gloss. [interl.] super illud 1 ad Thess. ult. pL 192/dü9 ,Omnia probate'. ' AD SECUNDUM dicendum quod sicut „caro concupiscit adversus spiritum", ut dicitur Gal. 5 [v. 17], ita etiam frequenter amici carnales adversantur profectui spirituali, secundum illud Michaeae 7: „Inimici hominis domestici ejus"; unde Cyrillus exponens illud Luc. 9: ,Permitte me renuntiare his qui domi pg sunt', dicit: „Quaerere renuntiare his qui domi sunt, ostendit 7 2 / 6 6 3 B quod utrumque divisus sit: nam communicare proximis. et consulere nolentes aequa sapere, indicat adhuc utcumque languentem, et recedentem: propter quod audit a Domino: .Nemo cum posuerit manum ad aratrum, et aspexerit retro, habilis est ad regnum Dei': aspicit enim retro, qui dilationem quaerit occasione redeundi domum, et cum propinquis conferendi." AD TERTIUM dicendum quod per aedificationem turris signi-

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189, io kommenheit des christlichen Lebens. Der Verzicht auf alles Eigene sind die Kosten für den Bau des Turmes. Kein Mensch aber zweifelt und überlegt auch nur, ob er das Geld haben möchte, oder ob er den Turm bauen könnte, wenn er das Geld dazu hätte. Sondern das muß überlegt werden, ob das nötige Geld da ist. Ebenso braucht nicht überlegt zu werden, ob man auf all seinen Besitz verzichten soll, oder ob er dadurch, wenn er es fertigbringt, zur Vollkommenheit gelangen kann. Sondern das muß überlegt werden, ob das, was er tut, auch wirklich ist, was es sein soll, nämlich: „auf jeden Besitz verzichten" (Lk 14, 33); denn wenn er nicht wirklich verzichtet, was im Gleichnis das ,Geld haben' ist, „kann er nicht", wie es dort weiter heißt, „Christi Jünger sein", was im Gleichnis das ,Turm bauen' ist. Die Sorge derer aber, die da fürchten, sie möchten durch den Eintritt in einen Orden nicht zur Vollkommenheit gelangen, ist unvernünftig und wird durch das Beispiel vieler widerlegt. Deshalb sagt Augustinus in seinen Bekenntnissen': „Es eröffnete sich mir von der Seite, der ich mein Gesicht zugewandt hatte, und zu der hinüberzufinden ich doch noch zitterte, die keusche Würde der Enthaltsamkeit; mit züchtigem Wohlwollen lud sie mich ein, ohne Zaudern zu ihr zu kommen. Und sie bre'tete, mich aufzufangen und zu umarmen, die frommen Hände aus, die angefüllt waren mit den Herden guter Beispiele. Da waren so viele Knaben und Mädchen, da war so viel Jugend, kurz jedes Alter, bis zu würdevollen Q U A E S T I O 189, » ficatur perfectio christianae vitae: abrenuntiatio autem propriorum est sumptus ad aedificandam turrim. Nullus autem dubitat, vel deliberat, an velit habere sumptus; vel an possit turrim aedificare, si sumptus habeat: sed hoc sub deliberatione ponitur, an aliquis sumptus habeat. Similiter sub deliberatione cadere non oportet, utrum aliquis debeat abrenuntiare omnibus quae possidet; vel si hoc faciendo ad perfectionem pervenire possit. Sed hoc cadit sub deliberatione, utrum hoc quod facit, Kit „abrenuntiare omnibus quae possidet": quia nisi abrenuntiaverit (quod est sumptus habere) „non potest" (ut ibidem subditur) „Christi esse discipulus"; quod est turrim aedificare. Timor autem eorum qui trepidant an per religionis ingressum possint ad perfectionem pervenire, esse irrationabilis et multorum exemplo contunditur. Unde Augustinus dicit 8 Confess. p l [cap. 11] : „Aperiebatur ab ea parte, qua intenderam facie, et 32/761B q U o transire trepidabam, casta dignitas continentiae, honeste blandiens ut venirem, neque dubitarem, et extendens ad me suscipiendum et amplectendum pias manus, plenas gregibus bonorum exemplorum. Ibi tot pueri, et puellae, ibi Juventus

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Witwen und betagten Jungfrauen. Sie [die Enthaltsam- 189,10 keit] lächelte mir zu mit freundlich mahnendem Spott, als wollte sie sagen: ,Du sollst nicht können, was diese Männer und Frauen konnten? Und können sie es etwa aus eigener Kraft und nicht vielmehr einzig in Gott, ihrem Herrn? Was stellst du dich auf dich selbst, und stehst doch nicht fest? Wirf dich hinein in Ihn! Fürchte dich nicht: Er wird sich deiner nicht entziehen, daß du fallen müßtest. Liefere dich unbesorgt aus, Er wird dich auffangen und dich heilen'." Das Beispiel aber, das von David angeführt wird, gehört nicht hierher. Denn die Waffen Sauls sind, wie die Glosse sagt, „die Sakramente des Gesetzes, die gleichsam nur belasten können". Das Ordensleben aber ist „das sanfte Joch Christi" [Mt 11, 30]; denn, wie Gregor sagt: „Was kann Er denn dem Nacken unseres Geistes für Schweres auferlegen, Er, der da nur will, daß wir alle Wünsche meiden, die uns ohnehin verwirren; der uns mahnt, von den mühevollen Wegen dieser Welt abzubiegen?" Jenen aber, die dieses sanfte Joch auf sich nehmen, verspricht der Herr die Erquickung der Freude in Gott, die ewige Ruhe unserer Seelen [Mt 11, 28f.]. Zu ihr möge uns führen Der, der sie uns verheißen: JESUS CHRISTUS, unser aller Herr, der da ist über alles GOTT — gepriesen in Ewigkeit. Amen. QUAESTIO

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multa, et omnis aetas, et graves viduae, et virgines anus. Irridebat me irrisione exhortatoria, quasi diceret: Tu non poteris, quod isti, et istae? An isti, et istae in semetipsis possunt, et non in Domino Deo suo? Quid in te stas: et non 6tas? projiee te in eum; noli metuere: non se subtrahet, ut cadas: projiee te securus, et excipiet te, et sanabit te." Exemplum autem illud quod inducitur de David, non facit ad propositum; quia arma Saulis, sicut Glossa [interl. sup. illud 1 Reg. 17 ,Et deposuit ea'] dicit, „sunt legis sacramenta, tamquam onerantia". Religio autem est „suave jugum Christi"; quia, ut Gregorius dicit in 4 Moral, [cap. 33], „quid grave mentis nostrae p l cervicibus imponit, qui vitare omne desiderium quod perturbât, 75/673 B praeeipit, qui declinari laboriosa mundi hujus itinera monet?" Quod quidem suave jugum super se tollentibus refectionem divinae fruitionis repromittit, et sempiternam requiem animarum: ad quam nos perducat ipse qui promisit, Jesus Christus Dominus noster, qui est super omnia Deus benedictus in saecula. Amen.

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A N M E R K U N G E N

[1] Zu S . 3. Servitus (von servus, servire) läßt die ganze Skala anklingen vom enlwiii lügenden Dien?! des Sklaven bis zum königlichen Dienst, von dem die „Nachfolge Christi" spricht: „Servire Deo regnare est" — „Gott dienen, heißt herrschen". Wie es i Chr 12, 8 heißt: „Sie (die Israeliten) sollen ihm (dem Könige von Ägypten) Untertan werden, damit sie den Unterschied zwischen Meinem Dienst (servitutis Meae) und dem Dienste (Knechtschaft) eines irdischen Reiches erkennen." Oder wie es Rom 8, 15 heißt: „Ihr habt nicht den Geist der Knechtschaft empfangen, um euch wiederum zu fürchten, sondern ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen . . ." Geschichtlich geht der Riß zwischen Knechtschaft und Freiheit durch alle Völker und alle Zeiten, bis in die unsere, geht vom Sklaven der Römerzeit über die Leibeigenschaft im Mittelalter bis zur Neuzeit, in der es bis ins letzte Jahrhundert hinein noch echte Negersklaven gab (die letzten Reste wurden in Europa erst 1890 auf der B a s e l e r Konferenz der europäischen Staaten beseitigt). Doch waren bis vor einigen J a h r zehnten die modernen Lohnsklaven nicht weit von echter Sklaverei entfernt. Die Übersetzung trägt der ungeheuren Bedeutungsbreite des Ausdrucks insofern Rechnung, als sie zwischen ,Dienstbarkeit' als der milderen und u. U. geistigen Form und der K n e c h t schaft' als der eigentlichen, völligen Unfreiheit j e nach Zusammenhang wechselt. Thomas mag an wirkliche Sklaverei gedacht haben, die es zu seiner Zeit noch überall gab, auch in Europa. [2] Zu S. 4. B e i den Psalmen 9—147 weicht die hebräische von der griechisch-lateinischen Zählung ab. Die erste Zilfer gibt die hebräische, die K l a m m e r die griechisch-lateinische Zählung, die auch im Brevier und in den meisten deutschen Übersetzungen verwendet wird. Die abweichende Zählung erklärt sich daraus, daß die lateinische Übersetzung die hebräischen Psalmen 9 und 10 sowie 114 und 115 zu j e einem Psalm zusammenfaßt; die hebräischen Psalmen 116 und 147 in zwei auseinandernimmt, nämlich 114 + 115, und 146 + 147. Beide Zählungen stimmen also nur in Psalm 1—8 und 148—150 überein. [3] Zu S. 4. Genau genommen müßte es h e i ß e n : „Was aber zur Beständigkeit im guten Tun befähigt . . . " , denn Tugend ist bona qualitas mentis, qua nemo male utitur . . . Es gibt neben der Tugend auch das schlechte Gehaben, eingefrorene Gewohnheiten, die meistens viel „wertbeständiger" sind im Nega19 21

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tiven als die Tugend im Positiven. Dabei ist es viel leichter, von der Tugendhöhe wieder abzugleiten, als sich aus dem Laster emporzuarbeiten. J e beständiger daher die Tugend, um so besser für den Menschen, je beständiger das Laster, um so schlimmer. [4] Zu S. 5. Der Ausdruck interpellare bedeutet hier: den Prozeß aufhalten, also Berufung einlegen. So versteht ihn G r a t i a n selbst in seiner Rubrik, die er dem Capitulum vorausschickt: Appellationem in causa capitali vel status interpositam per procuratorem exequi non licet. Zugleich berechtigt diese Rubrik, für exploratores einfach procuratores zu lesen, wie übrigens die glossa ordinaria zu den Dekreten G r a t i a n s, verfaßt von J o h a n n e s T e u t o n i c u s (um 1215), neubearbeitet von B a r t h o l o m ä u s B r i x i e n s i s (von Brescia; um 1245), bestätigt. Auch Thomas Qlb III, art. 17 erklärt: Exploratores id est procuratores. Nach dem römischen Recht waren allerdings Prokuratoren zugelassen, wie die glossa ordinaria zu unserem Capitulum erwähnt. Bei der causa status handelt es sich um Verlust der Freiheit oder — auf irgend einen Titel hin — um Befreiung von der Knechtschaft bzw. Leibeigenschaft. Vgl. Anra. [1], [5] Zu S. 5. Senatus leitet sich her von senex = alt, bedeutet also: „Rat der Ältesten". Die Einrichtung eines Senates gab es nicht nur bei den Römern, sondern in Nachbildung des römischen Senates später auch bei anderen Völkern. Der römische Senat war eine Art Staatsrat. Seine Mitglieder (unter S u l l a 400, unter A u g u s t u s 600) wurden aus den vornehmen und vor allem reichen Geschlechtern der Vollbürger gewählt. Es sollten durch Alter, Erfahrung und Lebensweisheit ausgezeichnete Männer sein, meist frühere höhere Staatsbeamte, die über das Wohl des Staates zu wachen hatten. Sie wurden auf Lebenszeit berufen und bildeten so, unabhängig von der Volksgunst, das beharrende Moment in der Entwicklung des Staatslebens. Das Amt des Senators war ein Ehrenamt ohne Besoldung. Daher verlor er, wenn er aus irgendwelchen Gründen aus dem Senat ausgestoßen wurde, wohl seine Würde, aber nicht seinen Stand als freier Bürger. — In seinem Kommentar zu Is c. 3 (PL 24/61) schreibt H i e r o n y m u s : ,Die Römer haben ihren Senat, auf dessen Beratungen hin alle Dinge geschehen. Auch wir haben unseren Senat, nämlich die Versammlung der Priester (Ältesten? — coetus presbyterorum). Vgl. G r a t i a n , causa 16, q. 1, c. 7; Frdb I 762. [6] Zu S. 7. Dieses Prinzip gehört zu den sog. dignitates der alten Naturphilosophie, d. h. zu den Sätzen, die gewissermaßen einen Ehrenplatz, daher dignitates, einnehmen unter allen Sätzen der Philosophie. In anderer Form lautet dasselbe Axiom so: Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem: nur dann und nur dort sind mehrere Seinsprinzipien anzunehmen, wo es unbedingt notwendig ist, d. h., wo man ohne sie bei der Erklärung eines Phänomens nicht zurechtkommt. Eduard M a y (Kleiner Grundriß der Naturphilosophie, 1949,

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S. 49) macht darauf aufmerksam, daß dieses Prinzip auch in der modernen Phiiosophie seine Geltung hat. Wenn M a y ebd. S. 16 erklärt: „Die Axiome im klassisch-philosophischen Sinne haben den Charakter unwiderruflicher und nicht austauschbarer Fundamentalsätze, deren Letztbegründung ein Hauptanliegen der Philosophie ist, da ein echter Fundamentalsatz weder logisch bewiesen noch auf empirisch-induktivem Wege gesichert werden kann", so trifft er damit genau das, was die Scholastik mit prima principia bezeichnet. [7] Zu S. 11. Der Einwand ist durchaus, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht, nach der klassischen Form des Syllogismus gebaut. Obersatz: Der Unterschied der Lebensweisen liegt in ihren Obliegenheiten. Untersatz: Der Unterschied der Ämter ist nicht wie der der Lebensweisen. Also liegt der Unterschied der Ämter nicht in den Obliegenheiten. [8] Zu S. 11. Über I s i d o r (f 636) vgl. Bd. 25, Anm. [129], S. 439. Seine Wortableitungen — Etyniologiae nennt er sein enzyklopädisches Hauptwerk, worin die einzelnen Wissenschaftsgegenstände mit einer Ursprungsbestimmung ihrer Namen eingeleitet werden — sind etymologisch ohne Wert. W a l d e , Lateinisches etymologisches Wörterbuch, Heidelberg 1910, leitet officium ab von opi-facium = „die Leistung; regelmäßige Tätigkeit, daher dann die einem zukommende Tätigkeit, Obliegenheit, Pflicht, öffentliches Amt". [9] Zu S. 12. Die „andere Lesart" ist die der Septuaginta, einer im 3.—2. vorchristlichen Jahrhundert für griechisch sprechende Juden in Alexandrien hergestellte griechische Übersetzung des AT, die von siebenzig, daher „Septuaginta" sc. interpretum, genauer zweiundsiebzig Übersetzern gearbeitet wurde. Der Vulgata-Text (Übersetzung des hl. H i e r o n y m u s ) , der von der Kirche als „authentisch", d. h. „als ausreichend zur Bestätigung der christlichen Glaubenswahrheiten" erklärt wurde, hat folgende Lesart: „Deus in domibus ejus cognoscetur... — Gott hat sich kundgemacht in ihren Häusern". Hebräisch: „Gott ist in ihren Palästen als Schutz bekannt." [10] Zu S. 13. Vita dicitur absolute heißt in diesem Zusammenhang: Leben besagt an sich noch gar keine Beziehung zu etwas außer ihm Liegenden. Das gilt zunächst ganz abstrakt vom Begriff d°s Lebens als solchem. Konkret, d. h. auf die Wirklichkeit angewandt, kann es strenggenommen nur gelten vom Leben Gottes. Denn alles geschöpfliche Leben ist wesentlich mitbestimmt durch die Umwelt, dies Wort im weitesten Sinne genommen als Objektwelt. So hat auch der Engel seine Umwelt. Denn auch bei ihm fallen Erkennender und Erkanntes, Wollender und Gewolltes auseinander, wenn nicht immer im realen, so doch im transzendentalen Subjekt. Im geschöpflichen Raum ist Leben also immer mitbedingt durch die Beziehung zu dem, was ihm Nahrung ist, sei es im Geistigen, sei es im Leiblichen. Thomas nimmt hier den Ausdruck absolute nicht so streng, sondern will nur sagen, daß 19*

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die Weisen des tätigen und beschaulichen Lebens das menschliche Leben in sich selbst differenzieren, nicht erst auf dem Umweg über die Gegenstandswelt. Eine weitere Differenzierung erfolgt in beiden Richtungen erst durch die verschiedenen Aufgaben. [11] Zu S. 14. Dieser Satz ist nur zu verstehen aus der a r i s t o t e l i s c h e n Kategorienlehre. Die Kategorie der Substanz hat andere Gattungen, Arten und Artunterschiede als z. B. die Kategorie der Qualität oder Quantität, oder die der Zeit und des Ortes. Ebenso haben innerhalb der Kategorie der Substanz, d. h. des selbständig Seienden', Minerale, Pflanzen, Tier und Mensch je eine andere metaphysische Art, zu der sie durch je besondere Artunterschiede bestimmt werden. So die Pflanze durch das vegetative Leben, das aber in der Pflanze eine spezifische, anderswo nicht verwirklichte Ausprägung erhält; das Tier durch das sinnenhafte, das auch hier seine spezifische Ausprägung erfährt usw. So gilt allgemein: Wo wir eine tiefgreifende Verschiedenheit beobachten, haben wir verschiedene Wesensarten vor uns, die durch je andere Wesensunterschiede bestimmt werden. [12] Zu S. 16. Der Ausdruck spiritualis wird uns öfters begegnen. Er ist durchweg gemeint im Sinne von 1 Kor '2, 15: spiritualis homo omnia judicat — »Der geisterfüllte Mensch (jivtvßany.og) beurteilt alles". „Geistig" also nicht im rein natürlichen oder rein ontischen oder philosophischen Sinne, wie man etwa von „Geistes"-Wissenschaften im Gegensatz zu Naturwissenschaften spricht, oder vom Geistigen gegenüber dem Sinnfälligen, Stofflichen, oder von geistigen Interessen im Gegensatz zu materiellen Interessen; sondern es ist der vom Geiste Gottes, also vom Heiligen Geiste getriebene, geleitete, erfüllte Mensch gemeint, im selben Sinne, wie wir vom „geistlichen" Leben sprechen und das übernatürliche Leben der Gnade damit meinen. Doch ist der Ausdruck „geistlich", auf Personen und menschliche Verhalteweisen angewandt, leider durch den Gebrauch so auf das Soziologische eingeengt, daß er nur noch „den Geistlichen" meint und auch ihn nicht nach seiner durch die Weihe bedingten inneren Qualität, oondern lediglich nach .seiner Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stande, und so kann der „Geistliche" ein sehr ungeistiger und ungeistlicher Mensch .«ein. Deshalb vermeiden wir den Ausdruck ,geistlich' und nehmen dafür mit dem Ausdruck ,geistig' die Gefahr des kleineren Mißverständnisses in Kauf. [13] Zu S. 18. ,Prälaten' im strengen Sinne sind die Träger der richterlichen Gewalt im äußeren Rechtsbereich der Kirche, und nur in diesem strengen Sinne spricht Thomas hier und später von den ,Prälaten'. Es kann also keine Rede davon sein, daß die Frage sich auf alle erstreckt, die heute den (Ehren-) Titel Prälat tragen. Da Thomas sie zudem hier und später (184, 7) von den Ordensleuten unterscheidet, hat er in erster Linie die Bischöfe im Auge, wie das aus dem Gebrauch dieses Titels deutlich hervorgeht. Vgl. z. B. 184, 5, wo zwar

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in E. 1 un ihren Ursprung und ihren Geltungsgrund in der menschlichen Natur hat, die also nicht nur durch ein menschliches Gesetz, sondern durch den Willen der Natur gegeben und auferlegt ist. Die Frage, auf wen und wie weit die natürliche Pflicht zu arbeiten sich erstreckt, muß je nach dem Charakter der Arbeit und nach der Verfassung des oder der Menschen unterschiedlich beantwortet werden. I. Versteht man unter Arbeit ganz allgemein irgendein angestrengtes und beharrliches m e n s c h l i c h e s T u n , dann ist die Arbeit ein Naturgesetz, das sowohl jeden Einzelmenschen wie die menschliche Gemeinschaft bindet. Wie kein Geschöpf, so tritt auch kein Mensch ins Dasein, nur um zu sein, sondern um sich zu vervollkommnen, um besser oder, wie man auch sagen kann, gottähnlicher zu werden. Diese Vervollkommnung, diese Gottverähnlichung kann der Mensch nur dadurch erreichen, daß er tätig ist, handelt: „Wirket, so lange es Tag ist" (Jo 9, 4). Gott hat dem Menschen die körperlichen und geistigen

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Kräfte verliehen, daß der Mensch sie rege, sich auf diesem Wege selbst harmonisch entwickle und all das Notwendige beschaffe, was er zu einem menschlich guten und „erfüllten" Leben braucht. II. Nimmt man Arbeit im engeren und strengen Sinn als k ö r p e r h a f t - h a n d w e r k l i c h e s T u n , so beweist schon die natürliche (geistige wie insbesondere leibliche) Beschaffenheit und Ausstattung des Menschen, daß er „zur Arbeit geboren", das heißt, von Natur aus befähigt und geneigt ist zur Arbeit: kraft seiner Hand, die nach Aristoteles und Thomas „Werkzeug der Werkzeuge" ist, kann der Mensch die Dinge der Schöpfung formen und gestalten; kann er die ihm gebührende Herrschaft über die Schöpfung vollzugsgemäß ausüben. Der nächstliegende und dringlichste Sinn des körperhaft-handwerklichen Tuns liegt darin, daß der Mensch sich den Lebensunterhalt verschafft (erwirbt), daß er alles gewinnt und bereitet, dessen er bedarf, um sowohl lebens- wie arbeitsfähig zu bleiben, als auch den Kulturauftrag an der Welt, den Gott ihm erteilte, zu erfüllen. Darum ist auch die körperliche oder handwerkliche Arbeit ein G e b o t d e r N a t u r . Aber dieses Gebot verpflichtet unmittelbar die Menschheit insgesamt, das heißt, die menschliche Gemeinschaft; die Gemeinschaft muß dafür sorgen, daß alles zum Leben Notwendige in hinreichender Menge und Güte vorhanden ist; in ihrem Schöße müssen sich alle jene Berufe bilden und bewahren, die erforderlich sind, damit in einer vernünftigen Arbeitsaufgliederung und Arbeitszuordnung alles zu einem würdigen und friedvollen menschlichen Zusammenleben Nötige verbürgt ist. Gottes Vorsehung, so meint Thomas, hat Kraft und Neigung der Menschen so verteilt, daß die verschiedenen Berufe immer genügend Anwärter finden. Der einzelne Mensch kann und muß auch hier in doppelter Weise gesehen werden. 1. Rein in sich betrachtet (also ohne vorerst seine Gemeinschaftszugehörigkeit und soziale Pflicht zu beachten), obliegt ihm nur in zwei Fällen die n a t ü r l i c h e Pflicht zu körperlicher Arbeit: wenn er sonst sein Leben nicht fristen kann, also aus Gründen der Selbsterhaltung, und wenn er sonst dem Unguten, womöglich dem Laster verfällt (Müßiggang ist aller Laster Anfang), also aus Gründen des sittlichen Lebens bzw. der sittlichen Bewahrung. Es gibt mannigfache Arten der Unterhaltsfürsorge, z. B. Erbschaft, Bettel, Versorgung seitens der Gemeinschaft (Kloster). Wer nicht auf körperliche Arbeit angewiesen ist, um leben zu können, braucht a u s d i e s e m G r u n d e nicht körperlich zu arbeiten, da seine Existenz ebenso auf andere Weise gesichert ist. Es gibt mannigfache Arten, den Müßiggang zu meiden, Selbstbeherrschung zu üben und Buße zu tun, z. B. Fasten und Nachtwachen, Gebet und Studium. Wer ohne die Last und das Opfer, die in körperlicher Arbeit liegen, ein sittlich guter Mensch zu sein vermag, braucht wiederum aus diesem Grunde nicht körperlich zu arbeiten (wenn vielleicht schon aus einem anderen Grunde). 2. Auch insofern er G e m e i n s c h a f t s w e s e n ist, obliegt dem Menschen die Pflicht, körperlich zu arbeiten, nämlich dann,

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wenn Pflichten, die er unausweichlich erfüllen muß, an die körperliche Arbeit gebunden sind. Eine solche Sachlage ist einmal dort gegeben, wo jemand die Eltern oder andere Anverwandte bzw. sonstige Menschen unterstützen muß und die hierzu nötigen Mittel nur durch körperliche Arbeit erreichbar sind; sodann dort, wo infolge sozialer Notstände Hilfsleistungen gefordert sind, die körperliche Arbeit bedingen (Waldbrände, Unwetter, Erstellung von Verteidigungsanlagen usw.). Man sieht also, daß die Pflicht des Einzelnen, körperlich zu arbeiten, immer nur eine bedingte ist, wogegen die diesbezügliche Pflicht der Gemeinschaft als unbedingt zu bezeichnen ist, da die Menschen miteinander nicht zu leben vermögen, ohne daß ungezählt viele und vielfältige handwerkliche Arbeit getan wird. Es sei eigens hervorgehoben, daß die natürliche Pflicht zu arbeiten ein n a t ü r l i c h e s R e c h t zu arbeiten begründet, nicht aber das heute so berühmte „Recht auf Arbeit", denn dieses letztere soll meistens besagen, daß der Mensch das Recht habe, von der Gemeinschaft, näherhin vom Staat, eine ihm gemäße Arbeitsart und Arbeitsstätte (Arbeitsplatz) einzufordern. Ein solches Recht läßt sich nicht begründen und liegt den Gedanken des Aquinaten fern. Niemand darf dem Menschen verwehren, daß er sich die Arbeit sucht, für die er befähigt ist und die ihm zusagt, daß er sich seinen Beruf und den Ort seiner beruflichen Tätigkeit wählt (freie Wahl von Arbeitsart und Arbeitsplatz). Es ist auch durchaus anzuerkennen, wenn der Staat sich um eine möglichst ausgedehnte Arbeitsbeschaffung müht, vor allem dann, wenn infolge wirtschaftlicher Krisen Arbeitslosigkeit größeren Ausmaßes droht oder bereits eingetreten ist. Aber Berufsausbildung und Arbeitsvermittlung sind Aufgaben, die an sich nicht dem Staat, sondern den Berufsgemeinschaften gebühren und ihnen möglichst zurückgegeben werden sollten. Das hiermit Gesagte gilt besonders dann, wenn das behauptete „Recht auf Arbeit" zu einem „Recht auf Vollbeschäftigung" ausgedehnt wird. Zur Frage der Arbeitspflicht vgl. Johannes H ä ß 1 e (S. 29 fi. u. 129 ff.); Eberhard W e 11 y (Sinn und Wert der Arbeit, S. 65 ff.); Johannes M e s s n e r (Das Naturrecht, S. 73a ff.). [97] Zu S. 167. Schon im AB war es geläufig, sich als Bruder zu wissen, wie es noch aus dem herrlichen Schreiben der Juden zu Jerusalem an die Juden in Ägypten 2 Makk 1, 1 ff. lebendig spürbar ist. Geht man aber der scheinbar nebensächlichen Bemerkung bei Thomas nach, so kommt man auf sehr ernste soziologische und geistige Strukturwandlungen innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen. Mit der Gründung der Orden kam gewiß ein neuer Stand auf innerhalb dieser Gemeinschaft. Aber das allein kann nicht erklären, wieso die Christen hätten aufhören sollen, sich als Brüder zu betrachten. Das muß tiefere Gründe gehabt haben. Wenn schon Paulus in seinen Briefen immer wieder bittere Klage führen muß, daß so wenig brüderlicher Geist in den Gemeinden herrscht, daß schon damals die erste Begeisterung der Liebe im Schwinden begriffen war, ja sogar ernste Spaltungen in der Gemeinde auftraten, dürfen wir uns nicht wundern, daß in den späteren Jahrhunderten

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dieser Geist der brüderlichen Liebe immer mehr schwand. Das Schwinden der Liebe aDer geht Hand in Hand mit dem langsamen iicüwund der Glauöenssubstanz. Überall in den Gemeinden sind schon die Faischlehrer am Werk. Erst auf diesem dunklen Hintergrund gewinnt das Hohelied der Liebe im 1. Korintherbrief und das Hohelied des Glaubens im 11. Kapitel des Hebräerbriefes seine volle Bedeutung. Wer das Evangelium im (Jiauoen ernst nimmt, kann nicht anders als im gläubigen Mnchristen seinen Bruder verehren und lieben. Cnristus ermahnt seine J ü n g e r Mt 23, 8 : „Einer ist euer Lehrer, ihr alle aber seid B r ü d e r i u Er selbst betrachtet sich als den Bruder aller Menschen: „Was ihr dem Geringsten Meiner Bruder getan, habt ihr Mir getan" (Mt 25, 40). Wenn äußere Emtlüsse einen tiefgehenden Strukturwandel in diesem brüderlichen Gemeinschaftsbewußtsein hervorgerufen haben, dann war es gewiß nicht die Gründung der Orden. Auch daß die Orden einen neuen Stand bildeten, kann kein Grund dafür gewesen sein, sich nicht mehr als Brüder zu wissen. Entscheidend für das Werden der Klerikerkirche und das Auseinandertreten von Klerus und Laienschaft war vielmehr das Eindringen weltlicher und politischer Maßstäbe und Praktiken in die Regierung der K i r c h e ; waren vor allem die großen Privilegien, die dem Klerus plötzlich durch die Großmut Kaiser K o n s t a n t i n s , hinter der sich aber nichts anderes als politische Klugheit verbarg, in den Schoß fielen: Steuerlreiheit, gerichtliche Immunität, Befreiung vom Kriegsdienst usw. Jetzt plötzlich waren die Kleriker nicht mehr die Brüder, sondern die Herren, die Bischöfe erhielten den Titel der Hofbeamten, erhielten bald auch deren Thron usw. Diese Dinge lassen sich bis in kleinste Vorkommnisse geschichtlich verfolgen. Die Kluft, die damit notwendig zwischen dem Klerus und dem „einfachen V o l k e " entstehen mußte, vertiefte sich mit der Zeit immer mehr, bis jetzt mit der Katholischen Aktion und der Mündigkeitserklärung des Laien, mit der aber noch lange nicht voll Ernst gemacht wird, eine rückläufige Bewegung einsetzt. Kleine, unscheinbare Ursachen — große, oft verheerende W i r k u n g e n ! Vgl. Anm. [112]. [98] Zu S . 170. Der heilige E m s t , mit dem H i e r o n y m u s hier von denen spricht, die ohne Not von Almosen leben, ist nicht zu verkennen. Die Erinnerung an die Stelle 1 Kor 11, 29 rückt ein solches Tun unmittelbar in die Nähe einer gottesräuberischen Kommunion. Denn dort heißt es von der hl. Eucharistie: „Wer aber unwürdig ißt und trinkt, der ißt und trinkt sich das Gericht, weil er den Leib des Herrn nicht unterscheidet." Der Arme ist in besonderer Weise Eigentum des Herrn, und wer deshalb sich vergreift an dem, was dem Armen gehört, vergreift sich am Eigentum des Herrn. Er unterscheidet also nicht Eigentum von Eigentum. Vgl. 185, 7 E. 3 und Anm. [57]. [99] Zu S. 171. Dieses Wort gehört zu den durch die Heilige Schrift selbst unzweifelhaft bezeugten Worten des Herrn, die außerhalb der Evangelien selbst überliefert sind, zu den sog. Agrapha, den „ungeschriebenen" Worten. Denn so heißt die Stelle Apg 20, 35 im vollen Wortlaut: „In allem habe ich

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(Paulus) euch gezeigt, daß man sich durch solche Arbeit der Schwachen annehmen und der Worte des Herrn Jesus gedenken muß, die Er selbst gesprochen hat: ,Geben ist seliger als nehmen." Damit erhält das Wort einen unmittelbar unendlichen Wert und läßt uns einen Blick tun in das innerste Wesen Gottes selbst, da Der es gesprochen hat, dessen Sein Seligkeit und dessen Wesen Liebe ist. [100] Zu S. 171. Ein sehr ernster Einwand, der leider durch die Geschichte der Orden immer wieder neu bestätigt wird. Man kann hier geradezu von einer inneren Tragik der Orden sprechen, die gerade auf Grund ihres anfänglich heiligen Lebens durch die große Verehrung der Gläubigen und deren überströmende Mildtätigkeit fast zwangsläufig in jene Lage versetzt werden, die in unmerklich kleinen Schritten, unmerklich jedenfalls für den Einzelnen, um so sicherer zur inneren Erschlaffung und Dekadenz führt. Haben sie nämlich nicht die innere Kraft und die weitschauende Klugheit, um den Strom der Güter, der sich vom gläubigen und verehrenden Volke her in die Klöster ergießt, einzudämmen oder, von ihm unberührt, an die wirklich Armen weiterzuleiten, so ist die allmähliche Anhäufung von übermäßigem Besitz und damit die allmählich einsetzende Lockerung der Ordenszucht fast unvermeidlich. Man lese in den syrischen Dichtern das erschütternde Gedicht von J a k o b v o n S a r u g (+ 521) über die Liebe zum Golde, die alles, auch die festeste Seelenburg, unterminiert, um sie „ganz sachte", aber mit tödlicher Sicherheit zu Fall zu bringen. (Ausgewählte Schriften syrischer Dichter. Sammlung Kösel, S. 175 ff.) [101] Zu S. 185. Unter den drei Rossen, die hier auftreten — das vierte bzw. das erste ist nicht genannt —, sind die apokalyptischen Reiter verstanden: Krieg (Unfriede), Hunger und Tod (Oflb 6, 2. 4. 5. 7), die nach der Auffassung der Glosse als Werkzeuge Satans in der Person der falschen Brüder die Christenheit in Verwirrung stürzen, Unfrieden und Spaltungen hervorrufen und das Brot der gesunden Lehre vergiften, so daß es den Tod bringt. [102] Zu S. 186. Das geht offenbar auf das Bestreben zurück, auch äußerlich vor der Welt zu bezeugen, daß man ihr entsagt hat und in besonderer Weise Gott gehören will. So trugen schon im AB die Nasiräer für die Zeit ihres Gelübdes langes Haar, das keine Schere berühren durfte, um sofort als solche, die ein Gelübde getan und sich deshalb besonders streng vor bestimmten Verunreinigungen hüten mußten, kenntlich zu sein (vgl. Anm. [84]). Ebenso trugen die Propheten einen besonderen Mantel (vgl. Anm. [73]; W. V i s e h e r II, 386). (Übrigens trugen auch die Philosophen einen Mantel mit besonderem Schnitt, den sogenannten Philosophenmantel.) Schon der Apostel hatte die Frauen 1 Kor 1, 5; 1 Tim 2, 9 zur einfachen Kleidung ermahnt. Einfachheit und Bedürfnislosigkeit wurde christliche Lebensart. In der Zeit des Urchristentums, schon im 2. Jahrhundert, waren es zunächst die Aszeten, die sich durch das Tragen von betont bescheidener 21

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Kleidung auszeichneten, um dadurch den inneren Abstand von der Welt zu dokumentieren. Als im 4. Jahrhundert die ersten Einsiedler und Mönche auftraten, wird ihre Einfachheit zum Zeugnis ihrer freiwilligen Armut. Ihr Kleid mußte aus e i n e m Stück bestehen (also nur Tunika) und von e i n e r Farbe sein. Später ging man davon wieder ab. [103] Zu S. 191. Eugubium ist das mittelitalienische Bistum Gubbio, das im 5. Jahrhundert errichtet wurde. 1563 wurde es Suffragan-Bistum von Urbino, 1818 wieder exemt. — Reghium ist das süditalienische Bistum Reggio-Calabria; es wurde in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts von dem Patriarchen von Konstantinopel zum Erzbistum erhoben. LThK IV, 731 und VIII, 720. [104] Zu S. 194. So wurde z. B. im Mittelalter und auch von Thomas die Sonne, deren Natur sie nicht kannten, und auch nicht kennen konnten, so wie wir sie heute kennen (aber wie unsicher sind auch noch unsere Vermutungen über den Zustand der Materie im Innern der Sonne!), als causa universalis, umfassende Ursache betrachtet, die durch ihre, in einem höchsten Sinne geeinte Kraft alle Wirkungen in der leblosen und belebten Welt, selbst die der Zeugung aus dem toten Stoff nicht ausgenommen, hervorzubringen imstande war (vgl. Bd. 1, Sachverzeichnis, s. v. Sonne). Im übrigen spricht der Satz von Thomas ein allgemeines Gesetz (Axiom) aus, das nicht auf die Körperwelt beschränkt ist, sondern für alle Bereiche des Seins gilt [105] Zu S. 194. Diese Bestimmung wurde getroffen auf dem L a t e r a n - Konzil von 1215, und zwar sollte sich jede neugegründete Ordensgemeinschaft eine der schon bestehenden Regeln wählen, um so die schon damals fast unübersehbare Zahl der Orden nicht noch durch neue Regeln zu vermehren. Der erste Orden, der von dieser Bestimmung betroffen wurde, war der Dominikanerorden, der Orden der Predigerbrüder (die erste Regel des hl. Franz war bereits 1209/10 von I n n oc e n z III. mündlich bestätigt worden); um der Bestimmung gerecht zu werden, wählte D o m i n i k u s die Regel des hl. A ug u s t i n u s, die aber nur äußeres Rahmenprinzip blieb und auf die spezifische Ausgestaltung des Ordens keinen weiteren Einfluß gehabt hat. [106] Zu S. 196. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Einsiedlerabt N e s t e r o s , der in der Nähe von Panaphysis (wahrscheinlich Oberägypten) gelebt hat und nach CSEL 13/316 zu den anachoretae antiquissimi, den ältesten Einsiedlern, gehört. Von ihm sind zwei Collationes überliefert: „De spiritali scientia" und „De carismatibus divinis". CSEL 13/397 ff. Vgl. auch PL 49/953 C. [107] Zu S. 197. Über die „Geheimnisse der Wüste" kann wohl nur der sprechen, der die Wüste erlebt hat, wenn zwar der Satz sich gewiß nicht umkehren läßt. Wohl kein Ort der Welt, auch das verlassenste Gefängnis nicht, mag einen solch vernichtenden und zugleich erhebenden Eindruck von Einsam-

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keit zu vermitteln wie die Wüste, das Meer, diese große Wasserwüste, vielleicht ausgenommen. Doch wo auch nur zwei Menschen zusammen sind (wie Hans B e r t r a m mit seinem treuen Gefährten auf ihrem abmontierten Schwimmer 40 Tage lang an der australischen Küste kreuzten und vergebens nach einem Schiff ausschauten, das sich vielleicht der Küste etwas genähert hätte), — wo nur zwei Menschen zusammen sind, ist nicht völlige Einsamkeit. So ist es nicht von ungefähr, daß solitudo und desertum, ,Ein-samkeat' und ,Wüste', in der Sprache der Schrift und der Väter ganz dasselbe bedeuten. Die Geheimnisse der Wüste sind in dem einen Wort beschlossen: Nähe Gottes. Kurz vor seiner Hinrichtung im Jahre 1945 schrieb P. D e 1 p S.J.: „Es steht schlimm um ein Leben, wenn es die Wüste nicht besteht oder sie meidet. Das ist eine der bewußten Befreiungstaten, die der Mensch an sich tun muß, daß er sich immer wieder in der Einsamkeit dem großen Frager und dem echten Anblick der Dinge stellt." Wer immer deshalb von Gott mit einer besonderen Sendung bedacht war, wurde von Ihm erst in die Wüste geholt. So die Propheten des AB, so Johannes der Täufer, so Christus selbst, so Paulus. Auch die Führer der morgenländischen Christenheit der ersten Jahrhunderte kamen zumeist aus der Wüste. [108] Zu S. 199. Die Begründung Zu 3 lautet fast gleich wie im Johannes-Kommentar; auch dort die Unterscheidung von: Anhänglichkeit des Geistes an die Welt einerseits und körperlichem Dasein in der Welt anderseits, wobei stillschweigend mitgedacht wird: Anhänglichkeit des Geistes an Gott. Die Antithese müßte, ausführlich gefaßt, so heißen: Anwesenheit des Körpers in der Welt und Anhänglichkeit des Geistes an die Welt; Anwesenheit des Körpers in der Welt und Anhänglichkeit des Geistes an Gott. Streicht man die beiden vorderen Glieder weg, so ergibt sich Anhänglichkeit des Geistes an die Welt als Gegensatz zu Anhänglichkeit des Geistes an Gott. — Zu dem Wort Christi Jo 17, 15: „Ich bitte Dich nicht, daß Du sie hinwegnimmst aus der Welt, sondern daß Du sie bewahrest vor dem Bösen" — erläutert Thomas u. a. folgendes: „Es ist etwas Schweres, daß der Mensch, der unter Bösen lebt, freibleibe vom Bösen, besonders, weil die ganze Welt im Argen liegt (1 Jo 5, 19). Darum gilt das Wort Gottes beim Propheten Isaias: ,Ich will bei dir sein, wenn du Gewässer durchschreitest, und die Ströme werden dich nicht überfluten; wenn du durch Feuer gehst, wirst du nicht verbrennen, und die Flamme wird dich nicht sengen' (Is 43, 2)." [109] Zu S. 200. Wie das Recht über Leben und Tod des einzelnen Staatsbürgers — ein Todesurteil gewinnt erst Rechtsgültigkeit durch die Unterschrift des Königs oder Kaisers —, so war erst recht die Entscheidung über Krieg und Frieden ausschließlich der Verantwortung des Souveräns vorbehalten, als wichtigster und höchster Akt der imperialen Gewalt. Denn wenn ein Volk als Ganzes in seiner Existenz oder seiner Ehre (der geistigen Existenz) bedroht ist und als ultima ratio nur noch der Krieg übrig bleibt, kann nur dem Souverän die Ent21*

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scheiduag darüber zufallen, ob er die Existenz seines Volkes in einem Kriege aufs Spiel setzen will. Wenn im späteren Mittelalter die Lehensfürsten auf eigene Faust Krieg machten oder noch später gar die Städte sich miteinander befehdeten, so war das schon Auflösung des Staatsgefüges. I s i d o r spricht also nur aus, was allgemeine Rechtsauf fassung seiner Zeit war. [110] Zu S. 204. Der Apostel muß sich dort verteidigen gegen diejenigen, die ihm schnöde Gewinnsucht vorwerfen. In dieser Verteidigung schwingt sein ganzes leidenschaftliches Temperament, aber auch der heilige Ernst, mit dem er diese Pflicht der Unterhaltung der Prediger den Gläubigen einschärft. Er schreibt (1 Kor 9, 3—15): „Meine Verteidigung denen gegenüber, die mich ins Verhör ziehen, lautet so: Haben wir vielleicht nicht die Freiheit, zu essen und zu trinken? Haben wir vielleicht nicht die Freiheit, eine Schwester [Christin] als Weib mit herumzuführen, wie auch die übrigen Apostel, die Brüder des Herrn und Kephas? Oder haben allein ich und Barnabas nicht die Freiheit, nicht zu arbeiten? Wer leistet je Kriegsdienst für eigenen Sold? Wer pflanzt einen Weinberg und genießt nicht seinen Ertrag? Oder weidet irgend ein Hirt die Herde und genießt nicht von der Milch der Herde? Spreche ich etwa nur, wie es Menschen tun, oder sagt das nicht auch das Gesetz? Im Gesetz des Moses steht nämlich geschrieben: Du sollst dem dreschenden Ochsen das Maul nicht verkörben. Kümmert sich Gott vielleicht um die Ochsen? Oder redet er durchaus um unseretwillen? Denn um unseretwillen ist geschrieben, daß der Pflüger in Hoffnung pflügen soll und der Drescher in Hoffnung auf seinen Anteil. Wenn wir für euch das Geistige gesät haben, ist es etwas Großes, wenn wir euer Irdisches ernten? Wenn andere an eurem Verfügbaren Anteil haben, nicht vielmehr dann wir? Aber wir haben von diesem Verfügungsrecht keinen Gebrauch gemacht, sondern wir ertragen alles, um dem Evangelium Christi kein Hemmnis zu bereiten. Wißt ihr nicht, daß die, welche die gottesdienstlichen Handlungen verrichten, vom Heiligtum leben, welche am Altare dienen, auch vom Altare ihren Anteil erhalten? So hat auch der Herr den Verkündigern des Evangeliums befohlen, vom Evangelium zu leben. Ich aber habe nichts davon in Anspruch genommen." [111] Zu S. 208. Zur Textkritik der Psalmstelle vgl. Anm. [117]. Der E. nimmt literatura metonymisch für .Wissenschaft'; in der Lösung wird es reduziert auf litera =,Buchstabe' und dann von Thomas im tropologischen Sinne ausgelegt (vgl. I 1, 10: Bd. 1, S. 32). Die Glosse des L o m b a r d e n liest mit Augustinus: Quoniam non cognovi neeotiationes und deutet negotiationes auf die weltlichen und irdischen Werke und Geschäfte der Juden, die auf ihre eigenen Werke und ihre eigene Kraft vertrauen, wogegen der Sänger nichts von diesem eitlen Ruhm und dieser Selbstverherrlichung wissen will und sich einzig auf die Macht und die Gnade Gottes stützt: memorabor justitiae t u a e s o l i u s . Daher denn auch die Fortsetzung unseres winzigen Ausschnittes lautet: „ . . . d i e Kraft,

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die sich im Christenleben offenbart, und die des Herrn und nicht meine ist, wie jene sich rühmen". [112] Zu S. 209. H i e r o n y m u s knüpft dort an an Tit 1, 7: „Der Bischof muß ganz ohne Tadel sein, als Gottes Sachwalter." Vorher hatte Paulus von den Presbytern gesprochen. Daraus schließt H i e r o n y m u s : „,Presbyter' und ,Bischof' ist also dasselbe, und bevor auf Antreiben des Teufels die wissenschaftlichen Forschungen in der Religion einsetzten und unter den Völkern die Rede ging: Ich gehöre zu Paulus, ich zu Apollo, ich zu Kephas (1 Kor 1, 12), wurden die Gemeinden durch den gemeinsamen Rat der Presbyter geleitet. Nachdem aber ein jeder die, welche er getauft hatte, gewissermaßen als seine und nicht Christi [Jünger] betrachtete, wurde in aller Welt bestimmt, daß einer aus der Reihe der Presbyter ausgewählt und den übrigen vorgesetzt würde, dem dann die Sorge für die ganze Gemeinde obliegen sollte, so daß auf diese Weise die Keime zu Spaltungen beseitigt würden." Vgl. in Ep. ad Tit; PL 26/562 C/D. Über das Verhältnis von Episkopat und Presbyterat und die Stellung des hl. H i e r o n y m u s in dieser Frage vgl. Joseph Schulte-Plassm a n n , Der Episkopat usw., Paderborn 1883; § 19. [113] Zu S. 209. Hier haben wir einen ähnlichen Fall wie in Anm. [8] oder [65], Dort ging es um die Bedeutungsbreite von officium bzw. religio. Hier haben wir dieselbe Schwierigkeit mit dem Ausdruck professio. Professio kann „Profeß" heißen, und dann bedeutet es Gelübdeablegung in einem katholischen Orden. Es kann aber auch „Profession" heißen, dann ist es das Gewerbe, der Beruf, der Stand. Ursprünglich ist es das öffentliche, offizielle Bekenntnis, die öffentliche Angabe seines Namens oder seines Vermögens oder seines Gewerbes. Metonymisch wird es dann zur Bezeichnung des Gewerbes oder Berufes oder Faches selbst. Setzen wir diese Urbedeutung ein, so wird die Profeß zum feierlichen Bekenntnis zur ausschließlichen Hingabe an Gott, die Philosophie zum Bekenntnis der Hingabe an die Weisheit, und die Professoren werden zu denen, die sich zur Wissenschaft bekennen. [114] Zu S. 210. Gemeint -ist die Sekte der Audianer, die im 4. Jahrhundert von einem Laien A u d i u s (Udo) gegründet wurde und sich in Mesopotamien und Syrien ausbreitete. Unzufrieden mit dem verweltlichten Leben des Klerus, trat Audius mit mehreren Freunden (auch Priestern und Bischöfen) aus der Kirche aus und ließ sich zum Bischof weihen. Die Sekte führte ein streng klösterliches Leben. Im allgemeinen rechtgläubig (nach E p i p h a n i u s ) , huldigte sie in der Theologie einem bedenklichen Anthropomorphismus (RkAW 2, 217). Nach dem Tode des Stifters durch Verfolgungen bedrängt, nahm die Sekte schnell ab und war Anfang des 6. Jahrhunderts erloschen. Vgl. LThK I, 480 f. u. 786. [115] Zu S. 211. Entsprechend ihrer hohen Sendung, das Werk Jesu weiterzuführen, hatten die Apostel auch unmittel-

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bar teil an seiner messianischen Ausstattung, die besondere Vollmachten und Geistesgaben einschloß. Außer der persönlichen Heiligkeit hatten sie die Wundergabe (Mk 16, 17), die Gewalt zu lösen und zu binden (Mt 18, 18), den Auftrag und die Vollmacht, alle Völker zu lehren (Mt 28, 19). Ihre Vollmacht (Jurisdiktion) ist nicht auf einen bestimmten Sprengel beschränkt, sondern erstreckt sich auf die ganze Menschheit, und als Garantie für die Wahrheit ihrer Lehre besitzen sie das Charisma persönlicher Unfehlbarkeit. Vgl. LThK I, 555 ff. [116] Zu S. 212. Wenn die Anführung dieses A u g u s t i n u s -Zitates hier im Zusammenhang einen Sinn haben soll, kann der Satz nur dieses bedeuten: Es ist eine bodenlose Verkehrtheit, Wissenschaft nur um der Wissenschaft willen zu betreiben, im übrigen aber die erkannte Wahrheit auf sich beruhen zu lassen. So wird Wissenschaft, selbst die Theologie, zur gänzlich unverbindlichen Theorie. Das Wissen bleibt unfruchtbar, macht den Geist selbst auf die Dauer steril, und, statt dem Menschen zum Heile zu sein, wird Wissenschaft ihm zum Unheil und wächst sich aus zu einer ungeheuren Verantwortung. Beschäftigung mit der Wissenschaft ist also nur dann sinnvoll, wenn 6ie „Zeugnis des Gehorsams" ist, d. h. wenn jede neue, echte Erkenntnis als verbindlich betrachtet und somit fruchtbar wird fürs Leben und zuletzt für das ewige Heil. [117] Zu S. 212. Nach H e r k e n n e , Buch der Psalmen (Bonn 1936), ist das vereinzelte Tristichon im Psalm 71 (70), 15 f. textlich unsicher. Man übersetzt gelegentlich: da ich die Zahl nicht kenne, oder: obwohl ich mich auf Gelehrsamkeit nicht verstehe. Es dürfte sich um eine in den Text eingedrungene Randglosse eines Abschreibers handeln, der etwa zum Ausdruck bringen wollte: Ich habe das Geschriebene nicht verstanden, oder: Ich konnte aus meiner Schreibvorlage nicht klug werden. Von den vielen modernen Übersetzungsversuchen seien folgende herausgegriffen. Athanasius M i l l e r : Ich finde ihrer (der überreichen Hilfe) kein Maß (Freiburg 1949); A l l g e i e r - H e g g e l b a c h e r : J a , sein Maß ermesse ich nicht (Freiburg 1949); G u a r d i n i : Wahrlich, ihr Maß wurde mir niemals kund (Kempten 1950). [118] Zu S. 214. Im ersten E. sind zwei Wertreihen gegenübergestellt: auf der einen Seite erscheint das Allgemeinwohl als das fraglos größere Gut, und darauf ausgerichtet Lehre, Sorge, Arbeit; auf der anderen Seite das Einzelwohl als das fraglos mindere Gut, und darauf ausgerichtet Schweigen, Beschauung, Ruhe. Das erste ist der Bereich des tätigen, das zweite der Bereich des beschaulichen Lebens. So erscheint im Sinne des E. das tätige Leben als das höhere Gut und damit die tätigen Orden als die wertvolleren. [119] Zu S. 216. Dieser Gedanke der Kontinuitätsstufen, den Thomas P s . - D i o n y s i u s entlehnt, ist einer seiner Lieblingsgedanken geworden, wohl deshalb, weil er wie kaum ein anderer Gedanke die unübersehbare Mannigfaltigkeit des Kosmos zugleich mit der bis ins Letzte durchgestalteten Ordnung

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und Einheit aufleuchten läßt. Für den Doppel-Aspekt, in dem diese Kontinuität gesehen w e r d e n kann, vgl. Bd. 8, A n m . [44], S. 358. [120] Zu S. 220. Bactroperiten heißen die K y n i k e r , deren feste Attribute. ßdxzQov— Stab, Wanderstab, Stock, und m'nxi = Tasche, Ranzen waren. Diese ihre typische Ausrüstung scheint auf D i o g e n e s selbst zurückzugehen und als Besonderheit von seiner Schule übernommen worden zu sein. Nach diesem Stab, der nicht selten eine K e u l e war, hießen sie fSay.vaiv7ig oder ßay.jooffÜQog, nach beiden Attributen bactroperitae. Auch auf Darstellungen finden w i r Diogenes w i e auch die übrigen K y n i k e r immer mit einem oder beiden Attributen abgebildet. — A p u l e i u s ( f nach 160) gesteht von sich selbst, Stab und Ranzen seien für ihn alltägliche D i n g e g e w e s e n (auf seinen weiten Reisen), und von Diogenes, dem „ K y n i k e r " , sagt e r : „ E r protzte mit dem Stab w i e mit einem Z e p t e r " ( A p o l o g . 22). Vgl. R k A W I I / I I I 1898. T h L L I I 1671; DC I 514 col. 3. [121] Zu S. 228. Und doch hat Gott in der Wüste, um Sein Volk von dieser Sorge zu heilen und sie in sehr eindringlicher Weise im Vertrauen auf Seine Vorsehung zu üben, eine w e n i g bekannte und doch sehr bemerkenswerte Maßnahme getroffen. Als 6ie nämlich nichts zu essen hatten und Gott ihnen das „ M a n n a vom H i m m e l " gab, durften sie jeden Morgen von diesem Wunderbrote so viel sammeln, als ein Gomor (ungefähr 3,9 Liter) faßt. So heißt es Ex 16, 17 fl.: „ D a taten die Söhne Israels also; und sie sammelten ein, der eine mehr, d e r andere w e n i g e r . Und als sie nach dem Gomor maßen, hatte weder, w e r viel gesammelt hatte, zu viel, noch w e r w e n i g e r geholt hatte, zu w e n i g ; sondern jeder hatte so viel gesammelt, als er essen konnte". Dann befahl ihnen Moses: „ K e i n e r lasse davon etwas auf den folgenden Tag übrig." — „ A b e r sie hörten nicht auf ihn, sondern einige ließen etwas auf den folgenden Tag übrig. Da wurde es voller W ü r m e r und faulte; und Moses w a r d erzürnt über sie. So sammelten sie des Morgens, ein jeder, so viel zur Speise ausreichen konnte; denn w e n n die Sonne heißer schien, zerschmolz es. A m sechsten T a g e aber sammelten sie doppelte Speise, das ist zwei Gomor für jeden", so daß es auch für den Sabbat noch reichte. „ U n d es wurde nicht faul und kein W u r m fand sich darin." A m Sabbat selbst aber fiel kein Manna. So wurden durch diese weise Maßnahme gleich z w e i Dinge erreicht: Habgier und Neid wurden gedrosselt und d i e Sabbatruhe hergestellt. Ein Horten von Lebensmitteln war auf diese W e i s e unmöglich g e macht. Das Ganze ist ein sprechendes Beispiel für d i e Bettelorden, die auch von den Gaben der Gläubigen als d e m ihnen täglich mittelbar vom H i m m e l her zukommenden Brote leben sollen. [122] Zu S. 230. Kürzer und treflender läßt sich der fundamentale Gegensatz zwischen natürlicher und übernatürlicher Geisteshaltung nicht gut kennzeichnen. Dort eine Scheinsicherheit im durch und durch fragwürdigen Besitz, h i e r eine echte Sicherheit in fragloser Besitzlosigkeit; dort eine Schein-

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garantie durch das kalte, unpersönliche Gold, hier eine echte Garantie durch die liebende Vorsehung des persönlichen Gottes; dort die vorübergehende, scheinbare Sicherheit dieses Lebens (securitas) bei der gänzlichen Ungewißheit des ewigen Heiles; hier die vorübergehende scheinbare Unsicherheit dieser Zeit bei der völligen Gewißheit (certitudo) des ewigen Lebens auf Grund der göttlichen Tugend der Hoffnung. Jene stützt sich ausschließlich auf das Gold, diese ausschließlich auf Gott. Vgl. Anm. [72] und [77], [123] Zu S. 232. Dieser E. wiegt schwer, besonders für Thomas, der sich doch stets auf die Natur als in letzter Instanz richtungweisend für alles menschliche Leben beruft. Wenn es wirklich so wäre, daß das Einsiedlerleben oder das Ordensleben überhaupt oder das jungfräuliche Leben gegen die Natur des Menschen wäre, wäre damit das Urteil über sie gesprochen. Doch schon das Anderseits gibt indirekt Antwort auf diese Schwierigkeit. Denn das, was den Menschen mit Gott verbindet, nämlich das Gebet, und am meisten das in der Einsamkeit verrichtete Gebet, müßte ihm das Allernatürlichste sein. Überhaupt gilt der Satz: „Was auch immer sich zwischen die Seele und Gott stellt, ist der Seele fremd (also der Natur zuwider); was aber in ihr von Gott kommt, das ist ihr eigenstes Eigen" (C. M. S c h n e i d e r , Die katholische Wahrheit, Bd. 1, S. LXV). [124] Zu S. 235. Das Buch Ecclesiastes, „Der Prediger", stammt etwa aus der zweiten Hälfte des 3. vorchristlichen Jahrhunderts, die einleitenden Reden werden von dem unbekannten Verfasser Salomon in den Mund gelegt. Daher kommt es, daß nach der gemeinsamen Meinung der Juden und Christen, der sich auch Thomas unbedenklich anschließt — die Verfasserfrage wurde damals noch nicht diskutiert —, Salomon als Verfasser des Buches angesehen wurde. [125] Zu S. 235. Das soll beileibe nicht heißen, daß die Vollkommenen der Pflicht zu gehorchen entwachsen wären. Wer einmal Gehorsam gelobt hat, kann sich dem Joch des Gehorsams nicht mehr entziehen. Vgl. 185, 7 Zu 4 mit Anm. [63]. Es soll im Gegenteil gerade gezeigt werden, daß die zur Vollkommenheit Gelangten den Gehorsam auch dann noch üben, wenn sie nicht unmittelbar einem Oberen unterstellt sind, wie diejenigen, die in Gemeinschaft leben. Nur üben sie ihn, solange sie als Einsiedler keine Gelegenheit haben, hier und jetzt dem Willen eines anderen zu gehorchen, in der Bereitschaft des Geistes. Ist die Gelegenheit zur Unterwerfung da, sind sie verpflichtet, zu gehorchen. Denn sie bleiben unter dem Gesetz des Gehorsams, das durch ihr Alleinsein nicht aufgehoben, auch nicht eigentlich suspendiert, sondern nur, wie zufällig, nicht akut ist. [126] Zu S. 236. Hier begegnet uns die christliche Auffassung vom Übermenschen, die einzige Möglichkeit, wie der Mensch über sich selbst, nicht etwa in eigener Kraft hinaussteigen, sondern von Gott hinausgehoben werden kann. Jeder

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andere Versuch, zum Übermenschentum zu gelangen, muß an den dem Menschen gesetzten Grenzen scheitern und endet gewöhnlich im anderen Extrem, das hier auch angedeutet ist, nämlich im Untermenschlichen. Tier oder Gott: weiter können die Pole menschlicher Möglichkeiten nach unten und nach oben nicht auseinandertreten. Vgl. die Stelle aus den Bekenntnissen des hl. A u g u s t i n u s 189. 10 Zu 3, S. 284 f. [127] Zu S. 240. Auf diesem Axiom „der nicht umkehrbaren Sinnfolge" beruht die fundamentalste Frage aller Wissenschaft, die Frage nach dem Apriori, d. h. nach dem allerersten Ansatz. So ist das Seiende in der Sinnfolge früher als das Wahre, dieses wiederum früher als das Gute; weil das Seiende Grundlage und Ausgangspunkt alles weiteren ist. Erst das Sein, dann der Sinn, dann die Sitte. Diese Verhältnisse lassen sich nicht umkehren. Ebenso geht die Ordnung des Seins der des Tätigseins voraus und bedingt sie. Überhaupt ist grundsätzlich und ohne Ausnahme die Bedingung früher als das Bedingte in der Ebene, in der es bedingt ist. Alle diese Verhältnisse beruhen auf dem Prinzip „der nicht umkehrbaren Sinnfolge". Auch bei den Geboten und Räten gibt es, wie Thomas in der Lösung feststellt, eine solche nicht umkehrbare Sinnfolge, denn „die Beobachtung der Gebote kann sein ohne die Räte, nicht aber umgekehrt". Vgl. Bd. 1, S. 329 ff. [128] Zu S. 242. Außer O r i g e n e s erwähnen auch K 1 em e n s von Alexandrien (als erster), E u s e b i u s und H i e r o n y m u s ein Hebräer-Evangelium. Nach A. S c h m i d t k e (Neue Fragen und Untersuchungen zu den juden-christlichen Ew., 1911) war das sog. Hebräer-Evangelium des Hieronymus in Wahrheit ein Nazaräer-Evangelium (Nazaräer = judenchristliche Gemeinde in Beröa, Cölesyrien, der Dekapolis und in Batanäa, Überreste und Nachkommen der Gemeinde von Jerusalem). Das wirkliche Hebräer-Evangelium war (nach Schm.) ursprünglich griechisch verfaßt und dem kanonischen Matthäus-Evangelium verwandt, vielleicht gar eine Bearbeitung seines Textes, die dann von den Judenchristen des Ostjordanlandes benutzt wurde. Vgl. LThK III, 878 f. u. VII, 460 f. [129] Zu S. 245. Es ist nicht zu überhören, mit welcher Eindringlichkeit Thomas hier von dem Wirken des Heiligen Geistes in der Seele des Neugetauften spricht. Wie er die größten Autoritäten unter den Kirchenvätern und die wuchtigsten Worte der Heiligen Schrift heranzieht, um diese für das geistliche Leben entscheidend wichtige Lehre den Gemütern seiner Studenten, für die er die Summa als Handbuch gedacht hat, unvergeßlich einzuprägen. Seine immer wieder betonte Lehre vom instinctus Spiritus Sancti — 2, 10 Zu 3 (Bd. 15) spricht er vom instinctus interior Dei invitantis — könnte ein ganz anderes Bild von Thomas, dem heiligen Theologen und Beter, vermitteln, als es die einseitige Hervorkehrung seiner Philosophie bisher in einer unglücklichen Verlagerung der Schwerpunkte gezeigt hat. Eine Arbeit etwa über das Wirken das Heiligen Geistes nach der Lehre des hl. Thomas müßte mit einem Schlage 22

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das geistige Thomasbild von Grund auf verändern und den Heiligen im Denker zum Vorschein bringen. Vgl. Bd. 15, Einleitung, besonders S. (14)—(20); S. 82 und 141 f., sowie im Sachverzeichnis „Glaube als Gnade", „Glaube und Liebe", „Anteil des Willens" beim Glauben. [130] Zu S. 246. Das Ziel ist nach einem bekannten Axiom der Scholastik das erste in der Absicht, das letzte in der Ausführung. So liegt es in der Absicht den Mitteln voraus, in der Ausführung aber liegt die Anwendung der Mittel, d. h. alle Veranstaltungen zur Erreichung des Zieles, dem Ziel selbstverständlich voraus. So ist in unserem Falle die vollkommene Beobachtung des Liebesgebotes das Ziel, die Beobachtung der Räte der Weg, der zur Erreichung dieses Zieles eingeschlagen wird. Daher geht zeitlich die Beobachtung der Räte der vollkommenen Beobachtung des Liebesgebotes voraus. Aus dieser Sachlage ergibt sich eine schwierige Dialektik des geistlichen Lebens. Denn schon die treue Beobachtung der Räte ist nicht möglich ohne eine große Gottesliebe, setzt also die Gottesliebe bereits voraus. Wie sollen die Räte also Weg sein können zur Gottesliebe, wenn sie deren Voraussetzung sind? Hier hilft uns der hl. A u g u s t i n u s mit seiner Homilie zu J o 14, 15 ff. (Vigil zu Pfingsten), wo er dieselbe Dialektik entwickelt. Wie können wir Gott lieben und Seine Gebote halten ohne den Heiligen Geist, den uns Christus aber erst für den Fall verspricht, daß wir Ihn lieben und Seine Gebote halten? Die Lösung liegt in der Unterscheidung der vollkommenen und unvollkommenen Liebe. Sowohl die Gebote wie die Räte lassen sich irgendwie beobachten mit einer mehr oder weniger im Anfangsstadium stehenden Gottesliebe. Diese anfängliche Beobachtung der Räte räumt aber immer mehr Hindernisse hinweg, die der vollen Entfaltung der Liebe entgegenstehen. Im Maße diese Hindernisse schwinden, steigt die Liebe, und die glühendere Liebe wieder hilft die Räte vollkommener befolgen; diese vollkommenere Beobachtung steigert dann ihrerseits wieder die Liebe. So haben wir hier einen subtilen Vorgang, bei dem die einzelnen Ursachen sich gegenseitig Ursachen sind. Zwischen Räten und Geboten obwaltet also ein ähnliches Verhältnis wie zwischen Gaben des Heiligen Geistes und göttlichen Tugenden. Doch ist ein Unterschied: die Räte helfen negativ, die Gaben positiv. [131] Zu S. 246. Die Gebote sind das Allgemeine, die Räte das Besondere, weil sie eine besondere Art darstellen, die Gebote zu beobachten. Sie verhalten sich also zueinander wie Gattung und Art. Nun braucht aber der Zeit nach die Beobachtung der Gebote der Beobachtung der Räte nicht vorauszugehen, wie auch die Gattung zeitlich nicht früher ist als die Art, weil dasselbe Ding immer zugleich der Gattung und der Art angehört. Nur der Sinnfolge nach ist die Gattung früher als die Art, weil die Art nähere Bestimmung der Gattung ist. Vgl. Anm. [127], [132] Zu S. 246. Auch hier muß man unterscheiden. Bei den Naturen, die dem Werden ausgeliefert sind, geht in der Ent-

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Wicklung des Einzeldinges der unvollkommene Zustand dem vollkommenen zeitlich voraus. Wären aber nicht zeugende Kräfte da in B, die die Vollkommenheit des Endzustandes von A in sich voraus besäßen, so käme A überhaupt nicht zum Dasein, geschweige denn zur Entwicklung. So muß, im großen gesehen, in der Entwicklung des Kosmos das Vollkommene dem Unvollkommenen voraus liegen. Das Unvollkommene kann sich nicht selbst zum Vollkommenen entwickeln, „sonst hätten wir das absurde Geheimnis des Mehr aus dem Weniger" ( G a r r i g o u L a g r a n g e ) . Es kommen hier all die Axiome in Frage, die sich um das Verhältnis von Akt und Potenz, Wirklichkeit und Möglichkeit drehen. So vor allem: das Wirkliche ist grundsätzlich früher als das Mögliche; und: das Mögliche wird verwirklicht immer nur durch ein Wirkliches. Vgl. Bd. 1, Anm. [58], S. 353 ff. [133] Zu S. 247. Der E. schließt nur dann, wenn man einiges hinzudenkt. Zunächst gilt der Ordenseintritt von jeher als „Bekehrung", zum mindesten als eine „Vonkehr" (S e u s e) von der Welt zur Einsamkeit des Klosters. (So heißen die Laienbrüder heute noch: fratres conversi — Brüder, „die sich bekehrt haben", und sie feiern die „Bekehrung des hl. Paulus" am 25. Januar als „ihr" Fest.) So würde also die Gedankenfolge des E. folgende sein: Eine Bekehrung muß frei erfolgen. Wenn man aber Bekehrung ( = Ordenseintritt) gelobt hat, ist man nicht mehr frei. Also darf man Ordenseintritt nicht geloben (oder einen anderen durch Gelübde sich dazu verpflichten lassen). [134] Zu S. 248. Nimmt man den Hinweis, der in diesem Text enthalten ist, ernst, so ergibt sich eine ungeheure Verantwortung für den, der einem anderen zum Ordenseintritt rät. Denn das würde heißen, daß man mit seinem eigenen Heile für ihn haftet oder wörtlicher: der Ratgeber muß den Preis f ü r den eventuell „verunglückten" Ordensmann zahlen. Die Lösung von Thomas geht an dieser Schwierigkeit vorbei. Jedenfalls bedarf es einer guten Menschenkenntnis und darüber hinaus vielen und eifrigen Gebetes für den, dem man einen solchen Rat gegeben hat. Und so bleibt das tiefere Anliegen des E. in seinem Recht. Man kann das Bild vom Brunnen aber auch anders deuten. Für den, der in den Orden eintritt, ist Gott der Brunnen, „der heilige Bronnen des Lebens", fons vitae! Ein Brunnen von unendlicher Tiefe. Wer sich in diesen Brunnen stürzt, ist scheinbar verloren. Doch hier gilt: „Wer sein Leben verliert um Meinetwillen (an Mich), der wird es finden" (Mt 10, 39). [135] Zu S. 249. Vor Einführung des neuen kirchlichen Gesetzbuches (Codex Iuris Canonici) am 19. Mai 1918 gab es in den eigentlichen Orden auch bereits den Unterschied zwischen einfachen und feierlichen Gelübden. Doch wurden auch die einfachen Gelübde gleich bei der ersten Profeß auf Lebenszeit abgelegt, wenigstens von den Kleriker-Kandidaten. Diese einfachen ewigen Gelübde waren vom Gelobenden aus nicht lösbar, 22*

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wohl aber vom Orden bzw. von der Kirche aus. Nach drei J a h r e n folgten dann die feierlichen Gelübde. Bei den „einfachen" Gelübden verzichtete der Ordensmann zunächst nur auf das Recht der freien Verfügung über sein Vermögen. Die feierlichen Gelübde waren dann unwiderruflich, und nach manchen Theologen konnte selbst die Kirche, bzw. der Heilige Vater von diesen Gelübden, weil sie einen persönlichen Vertrag zwischen dem Menschen und Gott darstellen, nicht lösen. — Heute werden die „einfachen" Gelübde auf drei Jahre abgelegt, nach deren Ablauf der Gelobende ohne weiteres frei ist, wenn er die Gelübde nicht erneuern oder die ewigen folgen lassen will. Das einfache Gelübde, von dem Thomas hier spricht, ist als Privatgelübde aufzufassen und hat mit den eigentlichen Ordensgelübden nichts zu tun. Thomas scheint aber hier und anderswo (189, 3 Zu 1; 5 Antw.; 8 Zu 3) jede Gelübdeablegung in einem Orden, also jedes öffentliche Gelübde, das wir heute als ,Profeß' bezeichnen, als feierliches Gelübde zu betrachten, dem das Privatgelübde als einfaches Gelübde gegenübersteht. [136] Zu S. 250. Dieser Verzicht wird dem Priester ausgelegt als Zeichen seines ernsten Willens, ins Kloster zu gehen. Denn keiner bricht die Brücken hinter sich ab, der nicht den festen Willen hat, am anderen Ufer zu bleiben. In der Lösung unterscheidet Thomas streng zwischen dem äußeren Rechtsbereich und dem Gewissensbereich. Daß etwas dem äußeren Recht nach korrekt ist, bedeutet noch keine Entlastung des Gewissens vor dem ewigen Richter. [137] Zu S. 252. Dieses Gratianopolis war ein .TitularbLstum' im westlichen Nordafrika, dessen genauere Lage unbekannt ist. Im 5. Jahrhundert sind drei Bischöfe nachweisbar. Vgl. Mansi 4/119; LThK IV, 652 und VII, 1 f. [138] Zu S. 254. Von dieser Wirkung der feierlichen Profeß ist zwar im kirchlichen Gesetzbuch nicht die Rede. Sie wurde aber ausdrücklich aufgenommen in die Konstitutionen des Predigerordens. Vgl. Constitutiones Fratrum S. Ordinis Praedicatorum, Romae 1932, Nr. 170. Der innere Grund für diese auf den ersten Blick etwas kühne Lehre liegt darin, daß der Mensch bei der Profeß sich noch viel radikaler Gott ausliefert als bei der Taufe, wo er zwar auch dem Satan und all seiner Pracht und all seinen Werken widersagt, aber das freie Selbstbestimmungs- und Verfügungsrecht über den Leib und die Fähigkeit, Eigentum zu erwerben, behält. Erst diese Gegenüberstellung läßt ahnen, was sich eigentlich bei der Profeß, wenn sie mit ganzem Herzen und vollem Bewußtsein vollzogen wird, ereignet. So ist es nur konsequent, wenn die Wirkungen der Profeß, vom subjektiven Akt aus gesehen, der der Taufe gleichgestellt werden. [139] Zu S. 254. Petrus hält in diesem zweiten Kapitel seines zweiten Briefes strenges Gericht über die Irrlehrer, die vom wahren Wege wieder abgewichen sind. V. 20: „Denn wenn die, welche die Befleckungen der Welt in der Erkenntnis des Herrn

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und Heilandes Jesus Christus hinter sich ließen, wieder darin verstrickt werden und erliegen, dann sind bei ihnen die letzten Dinge ärger als die ersten." Dabei mag Petrus an das Gleichnis des H e r r n gedacht haben Mt 12, 43 ö. Das kann selbstverständlich keine Anwendung finden auf den Menschen, der in einen Orden eintritt, um sich zu prüfen. Sonst w ä r e ja das P r o b e j a h r illusorisch. F ü r die echten Apostaten allerdings, die nach jahrelangem lauem Ordens- und Priesterleben wieder in die Welt zurückkehren, behält die Petrusstelle ihre volle Kraft. Für sie w ä r e es in der Tat besser gewesen, sie hätten „den Weg der Gerechtigkeit" (ebd. V. 21) gar nicht versucht, „als daß sie ihn e r k a n n t und dann", wie es dort weiter heißt, „zu dem, was dahinter liegt, fort von dem ihnen übergebenen heiligen Gebote, zurückgekehrt sind. F ü r sie trifft das w a h r e Sprichwort zu: ein Hund, der sich dem eigenen Gespei zuwendet, u n d : Ein Schwein, das sich badet, um sich (gleich darauf) im Kot zu wälzen." Dabei ist jedoch noch sehr zu b e d e n k e n : Man kann innerlich Apostat sein, ohne den Orden zu verlassen. Vgl. auch Hb 6, 7 f.; 10, 26 ff. [140] Zu S. 255. Der Gedankengang ist folgender: Das Probejahr ist beim Ordensgelübde deshalb verlangt, weil dieses eine Dauerverpflichtung mit sich bringt. Also scheint dort,, wo kein P r o b e j a h r verlangt ist, auch keine Dauerverpflichtung vorzuliegen. Das Gelübde des Ordenseintrittes verpflichtet also nicht dazu, f ü r immer im Orden zu bleiben. [141] Zu S. 258. Der schwierige Übergang von Buße zu re-eligere, wiedererwählen, wird vermittelt durch das in Klammer beigegebene ,sich besinnen'. Denn ,Buße' ist zutiefst Sinnesänderung, wie das griechische iittarotiv, umdenken, den Sinn ändern, sich besinnen, meist mit ,Buße tun' übersetzt w i r d ; so Mt Ii, 2: 4, 17; Apg 2, 38; 3, 19. [142] Zu S. 258. F ü r die Eidesmündigkeit gilt auch heute in der Kirche noch das vollendete 14. Lebensjahr, doch ist das im kirchlichen Gesetzbuch nicht ausdrücklich erwähnt. Zugleich endet nach römischem Recht mit diesem J a h r e die eigentliche Vormundschaft, die von der bis zum vollendeten 25. J a h r e dauernden Kuratel (Aufsicht) abgelöst wird. Nach deutschem Recht erstreckt sich die Vormundschaft bis zum vollendeten 21. J a h r e . Eidesmündigkeit aber tritt nach der deutschen Prozeßordnung schon nach vollendetem 16. J a h r e ein. [143] Zu S. 259. Es ist ein wenig befremdend, daß hier „der gehörige Gebrauch der Vernunft", debitus usus rationis, dadurch gekennzeichnet wird, daß der J u n g e oder das Mädchen der List oder gar, wie man genau so gut übersetzen könnte, des Betruges fähig wird. Dieses „fähig w e r d e n " kann unmöglich moralisch gemeint sein, denn dann w ä r e ja das volle Erwachen der Vernunft notwendig mit dem Erwachen des bösen Willens im Menschen gekoppelt. Es k a n n also nur den Sinn haben, daß die Vernunft in diesen J a h r e n zu solcher Reife gelangt, d a ß sie List und Betrug, zu denen schon ein ziemliches Maß von Über-

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legung gehört, setzen könnte, w e n n der Wille schon so weit entartet wäre. Sicher ist dieses: Mit der ersten wirklichen List öder dem eisten Versuch zum Betrügen ist das „Arg-lose" des Kindes zerstört, ist es mit dem Kindsein im Menschen vorbei! ,Pueri doli capaces' scheint ein dem römischen Recht entlehnter, stehender Ausdruck gewesen zu sein. So bei J . P e c k h a m , der einen langen Traktat schreibt über die Frage: Utrum liceat inducere pueros doli capaces aut etiam adolescentes ad obligandum se religioni vel juramento, Archivum Franciscanum historicum V I I I (1915), S. 389—474; Quaracchi 1908 ff. [144] Zu S. 261. Als Thomas das schrieb, mag er an seine eigene Jugend gedacht haben, wie er bereits mit fünf Jahren von seinem Vater der Abtei Monte Cassino, die der väterlichen Burg Rocca-Secca benachbart war, zur Erziehung anvertraut wurde. Daß es sich dabei um eine eigentliche Oblation handelte, ist unwahrscheinlich. Jedenfalls wurde Thomas mit 11 Jahren von seinem Vater nach Neapel geschickt, an die eben von Friedrich II. gegründete Universität. Über das Oblaten-Institut vgl. Kommentar zum Artikel. [145] Zu S. 261. Die Tonsur oder das Abschneiden der Haare bei Aufnahme in den Klerus und in den Mönchsstand ist im Morgenlande Ende des 4., im Abendlande Ende des 5. Jahrhunderts nachweisbar. Seit derselben Zeit, spätestens aber seit dem 6. Jahrhundert, wird die Tonsur als Form der Aufnahme in den Klerus getrennt von den niederen Weihen erteilt und aufgefaßt. Die Form war verschieden. Die im Dominikanerorden übliche, wobei ein breiter Haarkranz stehen blieb, wurde auch ,corona Christi' genannt und sollte an die Dornenkrone des Heilandes erinnern. Tonsur ist keine Weihestufe, macht aber zum Kleriker. Heute ist die Tonsur mit der Einkleidung verbunden. Als gesetzmäßiges Mindestalter für die zeitliche Profeß ist heute das vollendete 16. Lebensjahr vorgeschrieben, für Einkleidung und Empfang der Tonsur also das vollendete 15. Lebensjahr. Vgl. LThK X 207 f.; V I I 639 f.; V I I I 485 f. [146] Zu S. 262. Nm 30, 4 ff. heißt es: „Wenn ein Weib etwas gelobt und sich mit einem Eide zu etwas verbunden hat, während sie noch im Hause ihres Vaters und noch im Mädchenalter ist und der Vater von dem Gelübde, das sie gemacht hat, und von dem Eide, durch den sie sich verpflichtet hat, Kenntnis erhält und gleichwohl dazu schweigt, so soll sie an ihr Gelübde gebunden sein und soll alles erfüllen, was sie versprochen und geschworen hat. Wenn aber der Vater, sobald er davon hört, Einspruch erhebt, so sollen ihre Gelübde und Eide nichtig sein und sie soll nicht an ihr Versprechen gebunden sein, weil ihr Vater Einspruch erhoben hat." Dasselbe gilt, wie es in den folgenden Versen festgelegt wird, von den Gelübden der Frau gegenüber der Autorität des Mannes. Gott schützt also hier sowohl die elterliche wie auch die Autorität des Gatten, indem Er selbst vor diesen Autoritäten gewissermaßen zurücktritt. [147] Zu S. 263. Der Sinn dieses etwas schwierigen Satzgefüges ist schlicht folgender: Man darf kein streng verpflichten-

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des Gebot übertreten, uin im Bereich des Erlaubten seinem eigenen Willen zu folgen. Der Gehorsam gegenüber den Eltern ist aber streng verpflichtendes Gebot. Der Eintritt in einen Orden dagegen steht dem Menschen frei. Also darf ich den Gehorsam gegenüber den Eltern nicht hintansetzen, um in einen Orden einzutreten. [148] Zu S. 263. Gn 9, 25 f. verflucht Noe seinen Sohn Cham wegen seiner Schamlosigkeit: „Verflucht sei Chanaan (der Sohn Chams), der niedrigste Knecht soll er seinen Brüdern sein. Und er sprach: Gepriesen sei der Herr, der Gott Sems; Chanaan sei sein Knecht. Gott breite Japhet aus, und er wohne in den Gezeiten Sems; und Chanaan sei sein Knecht!" Es ist in der Tat das allererstemal, daß das Wort Knecht überhaupt in der Bibel aufscheint. Hier wird es zurückgeführt auf den Fluch des Vaters. Der tiefere Ursprung freilich ist der Fluch, der über Adam im Paradiese gesprochen wurde. Knechtschaft ist zuletzt „Sold der Sünde" (Rom 6, 23). So schon A u g u s t i n u s und eine Synode von A a c h e n 817: Wirkung der Herrschsucht, der Habsucht und Grausamkeit. (Vgl. I 96, 4 : Bd. 7, S. 129 fi., wo der Unterschied zwischen Freiheit und Knechtschaft klar herausgearbeitet wird. Außerdem I 109, 2 E. 3: Bd. 8.) — Bei den Römern erlangte die Sklaverei den Charakter eines Rechtsinstitutes. Unter dominium waren nicht nur die Sachen, sondern auch Frau, Kinder und Knechte einbegriffen. So ging der Knecht in das Volleigentum des Herrn über. — Demgegenüber ist Kindschaft etwas so Heiliges, daß es selbst in Gott noch Kindschaft gibt. Daß der Mensch Vater sein darf, liegt in seiner leiblich-geistigen Natur als Ebenbild Gottes, und Kindersegen ist von allem Anfang an in der Heiligen Schrift als ausgesprochener Gottessegen erschienen. So bei Abraham Gn 22, 17; so bei Joseph Gn 48, 16; 49, 25 und später immer wieder. Die Verweigerung des Kindersegens bedeutete die größte Schande. Vgl. den Text der Dekretale Frdb I 213; Cap. Si servus. [149] Zu S. 265. Die Schriftstelle Hb 12, 9 f. lautet vollständig: „Unsere leiblichen Väter haben uns gezüchtigt, und wir haben Achtung vor ihnen gehabt; wieviel lieber werden wir uns dem Vater der Geister unterwerfen, und wir werden das Leben haben. Denn sie [die Eltern] züchtigen uns nach ihrem Ermessen wenige Tage, Er aber zu unserem Nutzen, damit wir an Seiner Heiligkeit teilhaben." Das ist exakt die geistige Situation dessen, der den Stand der Vollkommenheit erwählt, sei es auch gegen den Willen oder doch gegen den Wunsch der Eltern. [150] Zu S. 267. Nach dem bürgerlichen Recht durfte also wegen Geldschuld nie die Person des Schuldners angetastet werden. Dieser alte Rechtsgrundsatz des „dunklen" Mittelalters zeigt durch den schreienden Gegensatz mit erschreckender Deutlichkeit, wie weit das „aufgeklärte" 20. Jahrhundert den Menschen entwertet hat, wo weitgehend der Gedanke des L'homme machine (Lamettrie) zum ungeschriebenen Gesetz der Wirtschaft und Politik, vor allem im totalitären Staate, geworden ist. Also steht der einzelne Mensch, weil Person, unendlich

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höher als jeder noch so hoch angesetzte Sach- oder Geldwert. Denn von der Ebene der Sachen zur Ebene der Personen gibt es keinen möglichen Übergang. Sie sind durch eine Unendlichkeit voneinander geschieden. Ein einziger Mensch ist demnach mehr wert als alles Gold der Erde, ja als der gesamte materielle Reichtum der Schöpfung. J e n e r kleine Satz bezeugt, wie sehr das alte Recht noch au£ der echten Metaphysik des Menschen aufruhte. Zudem rückt der Satz in nächste Nähe zum Ausspruch Christi, des „Menschen"-Sohnes, Mt 16, 26: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt g e w i n n t . . . Oder welchen Preis (wörtlich: welches Tauschobjekt) könnte der Mensch geben für seine Seele?" Vgl. Cod. IV, Tit. 10 De obligatione et actione; 1'2: Ob aes alienum. Ebenso Dig. 50, 17 De diversis regum juribus, 106: Libertas inaestimabilis res est; und 176: Inünita aestimatio est libertatis et necessitudinis. [151] Zu S. 270. Dieser E., den man auch heute immer wieder hören muß, kann also auf ein ehrwürdiges Alter zurückblicken. Doch so alt er ist, so töricht ist er auch. „Wenn alle das täten, was dieser oder jener tut" — dieser Satz ist eben ein irrealis. Es wird und muß in der menschlichen Gesellschaft immer Ausnahmen geben. Wenn Gott nicht immer wieder selbst diese Ausnahme-Menschen schaffen und ihren Ausnahme-Beruf selbst legitimieren würde, wäre die Menschheit rettungslos der Verinassung preisgegeben. Alle Propheten, alle Heiligen, alle großen Künstler, alle großen Forscher, alle großen Politiker waren solche Ausnahmemenschen. Nehmen wir sie fort aus der Menschheit, so bleibt nichts übrig als eine trübe Masse der Namenlosen, und nichts, wovon sie leben sollte. Denn sie lebt buchstäblich von diesen Ausnahmen. So sind die jungfräulichen Menschen, so sind die freiwillig Armen, so die frei Gehorchenden der Menschheit notwendig, damit Ehe und Besitz und staatliche Ordnung immer wieder ihre Korrektur finden und der Menschheit durch die ungeheuren Versuchungen und Gefahren, die mit ihnen gegeben sind, nicht noch mehr zum Verderben werden, als sie es ohnehin schon sind. In dem von Thomas angeführten Beispiel liegt eine feine Ironie. [152] Zu S. 271. Nach dem kirchlichen Recht wird, wie das T r i d e n t i n u m später ausdrücklich erklärt hat (Dz 976), die nichtvollzogene Ehe durch das feierliche Ordensgelübde wieder gelöst. Heute wird allgemein angenommen, daß diese Entscheidung des Konzils nicht nur disziplinaren, sondern dogmatischen Charakter hat. Den inneren Grund dafür gibt Thomas im Suppl. 61. 2 Antw. (Bd. 34): „Vor dem Vollzug der Ehe besteht zwischen den Eheleuten nur das geistige Band. Nach dem Vollzug auch das leibliche. Und wie nun n a c h der leiblichen Verbindung die Ehe durch den leiblichen Tod gelöst wird, so wird sie v o r der leiblichen Verbindung gelöst durch den Ordenseintritt. Denn der Ordenseintritt ist in gewissem Sinne ein geistiger Tod, sofern durch ihn der Mensch der Welt stirbt, um Gott zu leben." Der Gedankengang des E. ist klar: solange man erlaubterweise kann, muß man sein Gelübde erfüllen. Als Beispiel eines

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überwindbaren Hindernisses wird die nichtvoilzogene Ehe angeführt. Genau so gilt: wenn also einer erlaubterweiße den Ordenswechsel vollziehen könnte, müßte er es tun, falls er sich durch Gelübde dazu verpflichtet hat. Dieser Möglichkeit scheint aber die Gefahr des Ärgernisses entgegenzustehen. [153] Zu S. 274. Unter den Werken des beschaulichen Lebens sind die vornehmsten jene, die sich auf die Pflege der göttlichen Geheimnisse, d. h. der gesamten sakramentalen Ordnung, also der Liturgie beziehen. Wir hätten demnach folgende Wertrangstufen: das beschauliche Leben ist wertvoller als das tätige, also sind die beschaulichen Orden wertvoller als die tätigen Orden, mit der einen Einschränkung, daß den höchsten Rang jene Orden einnehmen, die beschaulich und tätig zugleich sind, wie der Predigerorden, dessen Aufgabe es ist, den in der Beschauung gewonnenen Reichtum an alle Welt weiterzuleiten. Unter den Werken des beschaulichen Lebens ist dann wieder die Beschäftigung mit den göttlichen Geheimnissen die höchste und vordringlichste. Also steht der Gottesdienst, die Feier des hl. Opfers mit allem, was sich als Rahmen um sie herum entfaltet, im gesamtkirchlichen Leben an höchster Stelle. Und das entspricht durchaus dem letzten und höchsten Sinn der Kirche wie der Gesamtschöpfung, dazusein zur Ehre Gottes. [154] Zu S. 275. Die innere Kraft des Gelübdes richtet sich wesentlich danach, ob es privat oder öffentlich oder, in der Terminologie des hl. Thomas, einfach oder feierlich, d. h. von der Kirche angenommen ist. Denn so erst hat es die volle Sanktion der Kirche, welche in diesen Dingen die unmittelbare Stellvertreterin Gottes ist. Demgegenüber spielt der Inhalt des Gelübdes keine Rolle. Also geht das feierliche Gelübde unter allen Umständen dem einfachen vor. Das gilt auch heute noch, insofern durch die Ordensprofeß alle früheren privaten Gelübde des Professen ohne weiteres hinfällig sind. Denn er steht jetzt nicht mehr unter dem eigenen, sondern unter dem Willen des Oberen. — Wenn jemand nach dem Gelübde, in den Orden einzutreten, eine Ehe eingehen würde, würde er zwar schwer sündigen, aber die Ehe wäre gültig. Vgl. P r ü m m e r, Manuale Theologiae moralis III, nr. 782. [155] Zu S. 276. So wie der Text bei Thomas lautet, findet er sich in der Vulgata nicht. Wohl ist Ex 26, 3 ff. immer wieder die Rede davon, daß die Teppiche des Zeltes, deren genauestes Maß angegeben ist, nämlich in unserer Maßeinheit etwa 14 zu 1.80 m, so verbunden sein sollen, daß der eine unmittelbar an den anderen anschließt. Auf diese lückenlose, wenn auch nicht nahtlose Verbindung ist allergrößter Wert gelegt. So mag es sein, daß Thomas wohl diesen Sachverhalt, aber nicht mehr den genauen Text im Gedächtnis hatte. [156] Zu S. 281. Schon V. 7 f. gibt „der Weise" den guten Rat, daß man vorsichtig sein soll in der Wahl seiner Ratgeber, denn „jeder Ratgeber erteilt zwar Rat, aber mancher ist Ratgeber sich selbst zu Nutzen". V. 12 ff. heißt es dann in beißen-

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der Ironie: „Mit einem gottlosen Menschen verhandle über Heiligkeit, mit einem Ungerechten über Gerechtigkeit, mit einer Frau über ihre Nebenbuhlerin, mit einem Furchtsamen über Krieg, mit einem Kaufmann über Handelsgeschäfte, mit einem Käufer über Verkauf, mit einem Mißgünstigen über Dankbarkeit, mit einem Unfrommen über Frömmigkeit, mit einem Unehrbaren über Ehrbarkeit, mit einem Ackersmann über allerlei Arbeiten, mit einem auf ein Jahr gedungenen Arbeiter über das Ende des Jahres, mit einem faulen Knecht über viel Arbeit." Diese Ironie ist auch heute noch durchaus nicht gegenstandslos. Besonders in der Beurteilung der Heiligen, in der Untersuchung irgend welcher Phänomene, bei denen gefragt wird, ob sie rein natürlichen oder göttlichen oder dämonischen Ursprunges sind, kann man nicht Leute als „sachverständige" Beurteiler brauchen, die allem Außergewöhnlichen von vornherein ablehnend gegenüberstehen. Auch das größte theoretische Wissen genügt hier nicht. Es braucht die echte discretio spirituum (vgl. Anm. [81]), die nur gediegener Tugend als Charisma von oben geschenkt wird. Es braucht die cognitio per connaturalitatem, die Erkenntnis aus einer naturinneren Übereinstimmung mit dem Gegenstand, die in Sachen der Übernatur nur der lebendige Glaube geben kann. In der Geschichte der Heiligen gibt es Beispiele genug, wo bedauerliches Unverständnis ihrer Mitwelt, auch ihrer vorgesetzten kirchlichen Behörde, zu schweren Fehlurteilen geführt hat, wo herrliche Möglichkeiten der Reform durch Unverstand abgedrosselt wurden. [157] Zu S. 282. Über Manichäismus ausführlich in Bd. 25, Anm. [72], S. 406. Außerdem Bd. 4, S. 545, 617 u. 628; Bd. 5, S. 158. Der praktische Manichäismus ist bis heute nicht ausgestorben. Die Folgen der Erbschuld, die sich in der Sinnlichkeit am offenbarsten auswirken, und die damit notwendig gewordene Aszese verleiten immer wieder dazu, das Kind mit dem Bade auszuschütten und den Leib mit seinen Trieben in globo zu verdammen. In diesen Strudel wird dann die ganze sichtbare Schöpfung mit hineingerissen. Und doch steht über ihr das Wort Jo 1 , 3 : „ A l l e s ist durch dasselbe (nämlich das WORT) gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht von dem, was gemacht worden ist." Also ist an sich alles gut, schlecht wird es erst durch die Unordnung, die der Mensch hineinträgt.

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KOMMENTAR

DER GESCHICHTLICHE HINTERGRUND DES STÄNDETRAKTATES Die Abhandlungen über die Lehre von den Ständen sind am Abschluß zweier sturmbewegter Jahrzehnte, etwa um die Jahre 1270/71, diktiert worden. Wirtschaftliche Umwälzungen — der Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft —, soziale Umwälzungen — Kampf der aufstrebenden Bürgerschaften und Zünfte gegen die Inhaber alter, oft schon durch die Entwicklung überholter Rechte — erschütterten die damalige Christenheit ebenso wie die unabweisbare Begleiterscheinung dieser Kämpfe auf religiösem Gebiet: das Aufkommen einer neuen geistigen Elite in den frisch aufblühenden Bettelorden, die sich erst nach zähem Ringen gegen die M ä c h t e d e r B e w a h r u n g durchzusetzen vermochten. Man macht sich heute nur schwer eine Vorstellung von dem Umsturz der althergebrachten Ordnung, den die Bettelorden inaugurierten. Die festgefügte, durch Renten und Rechte verbürgte Stufenfolge kirchlicher Ämter und Dienste wurde an der Wurzel erschüttert. In der mittelalterlichen Ständeordnung nahmen sowohl Adel wie Geistlichkeit, vor allem die höhere Geistlichkeit, einen ganz bestimmten Rang ein. Es war nicht nur Neid oder Böswilligkeit, sondern auch Ausdruck eines durch die Tradition geheiligten Daseinsgefühls, mehr noch, es schien um die Verteidigung der Orthodoxie zu gehen, die sich in den harten Kämpfen um die kirchliche Freiheit die Unabhängigkeit und alleinige Zuständigkeit des ordo clericalis in der Leitung der Kirche gesichert hatte, wenn die Gegner der Bettelorden Gefahr witterten und Sturm liefen. Die Gerechtigkeit gebietet, das anzuerkennen. Und doch war auch ein gutes Stück Unverständnis mit im Spiel. Die ewig Gestrigen konnten nicht begreifen, daß die göttliche Weisheit andere Wege ging in der Rettung der Kirche, als es ihnen gut schien. W i l h e l m v o n S t . A m o u r , G e r h a r d v o n A b b e v i l l e und ihre Parteigänger wandelten, ohne es vielleicht zu wissen, in den Spuren der berüchtigten konstantinischen Schenkung, welche den Papst zum Herrn des Abendlandes machen wollte und ihn zu dem Behuf mit Besitzrechten ausstattete. Eine Kirche ohne festverbürgte Einkünfte, ein Reich Gottes ohne materielle und verbriefte Daseinssicherung war diesen Männern undenkbar. So konnten die Hauptprinzipien der Bettelorden: Freiheit der Seelsorge und Ablehnung irdischen Besitzes, als radikaler Widerspruch und Rebellion gegen die bestehende Ordnung aufgefaßt werden. Die Neuerungen waren in der Tat umstürzend. Sie betrafen das vielumkämpfte Armutsideal, worin das Recht zu betteln und der Verzicht auf Handarbeit enthalten war, die Durchbrechung des Pfarreiprinzips, womit der Verzicht auf stabilitas gegeben war, ferner die Lehrberechtigung an den Hochschulen und das Dispenswesen, womit der Vorrang des Studiums vor dem Chorgebet gesetzt und die benediktinische Regel: „Dem Werke Gottes (Chorgebet) darf nichts vorgezogen werden" umgestoßen wurde. Solange die Anwälte der Vergangenheit sich damit begnügten.

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ihre Thesen zu entwickeln, mochte es gut sein. Sobald sie anfingen, ihre Gegner als Häretiker zu verunglimpfen, hatten sie das allenfallsige Notwehrrecht, das man ihnen hätte zubilligen können, überschritten. Daß die Gegner nicht nur einmal in ihrer ,Abwehr' über das Ziel hinausschössen und ihrem Unmut in ungereimten Aufstellungen oder ungerechten Folgerungen Luft machten, die den sonst irenischen Aquinaten zu Äußerungen der Ungeduld hinzureißen imstande waren, mag man ihrem Eifer f ü r eine vermeintlich gute Sache: die Rettung der Kirche und der abendländischen Gesellschaft, wie sie es auffaßten, zugute halten. Trotzdem bleibt wahr: sie verstanden es meisterhaft, die Volksstimmung für sich einzunehmen und gegen die Mendikanten aufzuputschen. Auf der Straße verbreiteten sie Spottgedichte, welche Anklang fanden; Lieder und Schlagworte gingen von Mund zu Mund. In den Kirchen predigten sie ausgiebig; manche dieser Predigten sind noch erhalten. So war die Lage f ü r die Bettelorden alles andere als rosig. Darum setzte nach den anfänglichen Erfolgen ein Stimmungsumschwung ein, der sich gegen die erfolgreich verleumdeten Mönche wandte und die Existenz der Bettelorden in der Wurzel bedrohte. Unser Blick darf nicht vorbeigleiten an der tiefgreifenden Aufwühlung der Geister, welche durch die Schriften des Abtes J o a c h i m v o n F i o r e verursacht wurde. Erstmals im Jahre 1241 und dann in zunehmendem Maße sind dessen Ideen bei den Söhnen des hl. Franz eingedrungen, als Brüder des Minoritenkonvents von Pisa sich der neuen Lehre öffneten ( B e n z 175 ff.). Zu der Zeit, als Thomas seine „Summa wider die Heiden" schrieb, war der Generalminister der Franziskaner, J o h a n n e s v o n P a r m a , ein Anhänger der geistvollen, aber extremen, gefährlichen und teilweise häretischen Spekulationen des Abtes von F i o r e . Auch hiergegen galt es Front zu machen. Hinzu kam, daß immer wieder einzelne Mendikanten den Lebenswandel der reichen Prälaten öffentlich angriffen, vor allem aber, daß der sizilianische Minorit G e r h a r d i n o v o n B o r g o S a n D o n n i n o 1254 in seinem Liber introductorius zu den Schriften J o a c h i m s v o n F i o r e für 1260 den Beginn der Geistkirche ankündete, in welcher der Klerikerstand abgeschafft, aufgehoben und entrechtet werde und sein Erbe von den viri spirituales, d. h. von den Mendikanten, übernommen werde. Thomas steht zwischen den Fronten. Wenn die Vertreter des Weltklerus die Mendikanten ,Häretiker' nannten, so glaubten sie vor allem deswegen im Recht zu sein, weil die revolutionäre nachjoachimitische Bewegung tatsächlich seit 1241 im Minoritenorden eine wachsende Anhängerschaft gefunden hatte. Aber Thomas und sein Orden hatten mit dieser Bewegung wenig zu tun. Es galt also für Thomas, die Angriffe der Gegner als im ganzen unbegründet zurückzuweisen und gleichzeitig die fragwürdige Entwicklung der Minoritenspiritualen abzulehnen, ohne dabei die Kampfgenossenschaft der beiden Bettelorden zu zerreißen. Und so finden wir den Ethiker Thomas gelegentlich im Gegenstoß wider die Spiritualen auf der Seite der — Mendikantengegner! Wie sachlich und nüchtern Thomas seine

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theologische Führungslinie bestimmte, geht aus der vielzitierten Schlußbemerkung von CR hervor: „Wenn jemand Widerspruch erheben will gegen das Vorgetragene, soll er nicht vor jungen Leuten schwätzen, sondern schreiben und sein Hucli der Öffentlichkeit vorlegen, damit, was wahr daran ist, von jedem Einsichtigen geprüft werden, und was irrig ist, durch die Gewalt der Wahrheit widerlegt werden kann." Mitten im Brennpunkt des Gefechtes unterscheidet der Aquinate >vahr und falsch bei seinen Gegnern. Man wird kaum fehlgreifen mit der Annahme, daß Thomas hier ein Zugeständnis macht, das sich der Sachlage nach auf die scharfe Spiritualengegnerschaft des W i 1h e l m v o n S t . A m o u r beziehen muß. Denn die übrigen Aufstellungen der Mendikantengegner enthalten so wenig Wahres, daß es sich kaum gelohnt haben kann, dieses eigens zu erwähnen. Nun geht allerdings keine der drei apologetischen Schriften (CI, PVSp, CR) auf diesen Zusammenhang ein, wahrscheinlich um den Schulter an Schulter in hartem Ringen befindlichen Orden der Minderbrüder nicht in die Flanke zu treffen, gleichsam als verteidige Thomas nur seinen eigenen Orden und schone die Schwächen des Freundes. Man kann, wenn auch nur künstlich und mit Mühe, etwa drei Phasen des Mendikantenstreites unterscheiden. I. Kampf um die Lehrstühle 1252—1257: Zunächst entbrennt ein Machtkampf um die Besetzung der Lehrstühle an der Universität Paris. Man wollte den beiden Bettelorden ihre je zwei mühsam errungenen und ehrlich verdienten Lehrstühle und Schulen nehmen. Nach einer anfänglichen Niederlage wird dieser Streit schließlich geschlichtet durch A l e x a n d e r IV., welcher 1255 entscheidet, daß die beiden Bettelorden ihre Lehrstühle behalten dürfen. Unausgesprochener Gegenstand des Streites ist allerdings weniger die Frage der Lehrstühle als das Selbstbestimmungsrecht der Universität Paris. Langsam verschiebt sich die Ebene der Auseinandersetzung; nachdem die Bettelorden rechtlich gesiegt hatten, wird der Angriff gegen sie auf eine höhere Ebene verlegt. Die Phasen des Streites verzahnen sich zeitlich ineinander, so daß eine klare Scheidung unmöglich ist. II. Kampf um Lebensideale 1255—1266: Im Grunde war es um mehr gegangen als nur um Lehrstühle und Machtproben. Dem Angriff . lag unausgesprochen ein anderes Weltbild zugrunde; und diese tiefere Auseinandersetzung war noch fällig. Darum ist die zweite Phase gekennzeichnet durch eingehendere theologische Fundierung und durch weit ausholende, mindestens scheinbar ernste Angriffle. W i l h e l m v o n S t . A m o u r schreibt März 1255 eine Kampfschrift .,Über die Gefahren der jüngsten Zeit", welche drei Auflagen hintereinander erlebt — ein für mittelalterliche Verhältnisse erstaunlicher Erfolg —, aber trotzdem durch eine päpstliche Bulle verurteilt wird. Die Bettelorden nehmen den Fehdehandschuh auf. Thomas von Aquin antwortet mit dem Werk: „Gegen die Widersacher der Verehrung Gottes und der Orden" (1256). Ein Verständigungsversuch, welchem die Dominikaner gutwillig zugestimmt hatten,

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wird vom Papst mißbilligt, welcher befiehlt, daß Thomas und B o n a v e n t u r a als Magistri aufgenommen werden, was ein Jahr darauf auch geschieht (1256). Etwa im selben Jahr entwickelt B e r t r a n d v o n B a y o n n e (nach anderen Darstellungen T h o m a s v o n Y o r k ) seine Ideen gegen W i l h e l m v o n S t . A m o u r in einer Abhandlung von 18 Kapiteln mit den Anfangsworten: „Die Hand, welche gegen den Allmächtigen erhoben wird." III. Fortsetzung des Kampfes 1266—1274: Trotz der wuchtigen Schläge geben die Gegner keine Ruhe. W i l h e l m v o n S t . A m o u r schleudert 1266 seinen Bannstrahl: „Das Buch vom Antichrist und seinen Dienern", worunter wieder ganz allgemein die Mendikanten verstanden werden. In seiner Siegeszuversicht schickt er das Buch an den Papst, der es jedoch verurteilen läßt. Inzwischen tritt ein neuer Gegner auf den Plan, der rührige G e r h a r d v o n A b b e v i l l e , der 1269 eine Schrift mit 110 Einwendungen gegen B e r t r a n d von B a y o n n e verfaßt und im Zeitraum von 1268—1270 insgesamt sechs Abhandlungen veröffentlicht. Die Söhne des hl. Franz, von Anfang an eifrig beteiligt, mischen sich erneut ins Gefecht, namentlich B o n a v e n t u r a mit seiner Apologia pauperum, ferner S a l i m b e n e in seiner Chronik und L a u r e n t i u s A n g l i c u s i n zwei Schriften. Allen voran kämpfte J o h a n n P e c k h a m , der spätere Erzbischof von Canterbury und Primas von England, in mehreren Schriften, hauptsächlich mit seinem „Traktat eines Armen gegen einen Toren". Thomas verfaßt das Büchlein „Über die Vollkommenheit des geistlichen Lebens" (PVSp), 1269, worauf N i k o l a u s v o n Lisieux eine Erwiderung verfaßt: „Über die Vollkommenheit und den Vorrang des Klerikerstandes", 1270. Im selben Jahre fließt eine andere Abhandlung aus seiner Feder zur Frage: ,,Ob die Gebote den Räten vorausgehen?" Wiederum geht Thomas zum Angriff vor mit dem Werk: „Gegen die pestbringende Lehre derjenigen, welche vom Eintritt in den Ordensstand abhalten" (CR), 1270. Auch P e c k h a m schaltet sich noch einmal ein mit einer Schrift zur Oblatenfrage. Als eines der letzten literarischen Erzeugnisse erscheint die Gegenschrift des N i k o l a u s v o n L i s i e u x : „Antwort an Frater Thomas". Die Verteidigung der Bettelorden war zu machtvoll, als daß sie hätte durchbrochen werden können. Die Summa hat den Nachhall dieser schweren Kämpfe aufbewahrt. Viele der Artikel unserer sieben Quaestionen sind nicht systematisch, sondern historisch bedingt. Hätte es keinen Mendikantenstreit gegeben, so wäre manche Quaestio der Summa entweder fast ganz ausgefallen oder anders gestaltet worden. Auf dem Konzil von L y o n 1274 liegen vier Denkschriften vor, welche sich u. a. mit den Mißständen befassen, die durch das Überhandnehmen des religiösen Betteins entstanden waren. Das Konzil erneuerte das Verbot von 1215, neue Orden zu gründen, und versuchte auf diese Art dem Mendikantenproblem einen Damm zu setzen, ohne jedoch die Schwierigkeit aus dem Weg zu räumen. Von 1274 ab scheint der Streit äußerlich mindestens zur Ruhe zu kommen. Auf der Ebene der Partei-

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politik gesehen heißt das: Mendikanten und päpstliche Kurie haben gesiegt über die Pariser Universität und den französischen Episkopat. Was aus all dem zeitgeschichtlich bedingten Ideenstreit heraussprang als bleibendes Ergebnis, war die Aufrichtung fester Normen, ein Kanon menschlichen Lebens im Ständetraktat der Summa: die Lehre von den heiligen Lebensordnungen in der Kirche zum Abschluß des zweiten Buches der Summa. Es gibt keinen Traktat der Summa, der so tief in das Geschehen jener Zeitspanne hinein vorstieß, wie dieser Traktat. Ist doch behauptet worden, die Armutsfrage habe im 13. Jahrhundert die Gemüter so sehr erschüttert wie im 4. Jahrhundert die großen christologischen Streitigkeiten. So wird es begreiflich, daß ein neuerer, allerdings stark sozial-ethisch eingestellter Franziskusbiograph (B a r g e 11 i n i) das Zeitalter des hl. Franz „das Zeitalter der Wolle" nennen kann, womit gesagt sein soll, daß diese Zeit des aufkommenden Gewerbefleißes der Wollund Tuchhändler einen sozialen Umbruch vom feudalen Ständegefüge weg zum dritten Stand hin einleitet ( H a r d i c k , 133), der in den religiösen Strömungen teils seine Ursache hat, teils widergespiegelt wird. Thomas besaß ein feines Gespür für zeitnahe Probleme; so mußte er der stürmisch drängenden Volksbewegung das Recht der Anerkennung widerfahren lassen, welches sich in diesen unabdingbaren sozialen Umwälzungen kundtat. In diesen dramatischen Zeitläufen entwirft Thomas sein Ideengebäude; dessen Bausteine sind nicht in einer ersten Behauung fertig und vollendet dagewesen, wie etwa Athene aus dem Haupt des Zeus entsprang. In mühseligen Stufengängen ist das Ergebnis langsam erarbeitet worden. Das wird sich in besonderen Fällen zeigen lassen. Gewiß, Thomas vertritt große Ideenzusammenhänge, welche sich von der ersten bis zur letzten Stufe seiner Lehrtätigkeit gleichgeblieben sind; darüber ist schon genug des Ruhmreichen verkündet worden. Mit diesem mehr statischen Aspekt seiner Lehre ist das Bild eines gewaltigen Denkers, eines Giganten unter den Denkern nicht erschöpfend beschrieben. Fast möchte man den Vergleich wagen, Thomas sei in einigen Bezirken seiner Lehre ein Proteus, der sich wandelt. Und tatsächlich, in vielem hat er sich unerhört gewandelt. Die Geisteskämpfe, die sich während seiner Manneszeit abspielten, haben ihn tief aufgewühlt. Spuren dieser Erschütterungen 6ind auf Schritt und Tritt wahrzunehmen in den Abhandlungen der Summa. Diese kann nicht verstanden werden ohne ihr zeitgeschichtliches Kolorit. Jeder Summa-Artikel dieses Bandes läßt je nachdem ein schwaches Echo widerklingen aus dem Kampfeslärm jener Jahrzehnte. Der Kommentar konnte das nicht immer so deutlich machen, wie es wünschenswert gewesen wäre. Das Ideal, das D e n i f 1 e als Erster aufgestellt hat — der historische Kommentar zur Summa —, ist noch nie systematisch in Angriff genommen worden, so sehr die Vorarbeiten der Ottawa-Ausgabe dazu einladen mögen. Eine reiche Ernte wartet dessen, der auf diesem Ackerfeld arbeiten wird. Nur Weniges konnte von diesen zukünftigen Schätzen vorweggenommen werden.

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Theologie des Laientums (Zu Fr. 183 und 184) Gegenüber der sorgfältig ausgearbeiteten Theologie des Mönchtunis, des Priestertums und des bischöflichen Amtes vermißt der moderne Leser eine ebenso sorgfältig ausgearbeitete Theologie des Laientums. Gewiß ist diese monographisch nicht vorhanden, sie ist jedoch in wesenhaften Ansätzen und Entfaltungen vorgezeichnet in der Lehre von Taufe und Firmung (Bd. 29), von den Charismen, von der Beschallung und vom aktiven Leben (Bd. 23). Ganz besonders bedeutsam ist die Lehre von der Firmung. Immer wieder betont Thomas, daß die Lehre von der Vollkommenheit in der Fülle des Geistes gipfelt. Der deutsche Sprachgebrauch macht diesen Zusammenhang zwischen perfectio ( V o l l -kommenheit) und Geistes- f ü l l e (plenitudo) viel deutlicher als die lateinische Sprache. Niemand, der über die Theologie des Laientums nachdenkt, darf an dem inhaltlich gewaltigen Traktat über die Firmung vorübergehen. Auch in unserem Bande wird diese Theologie des Laientums praktisch in der Lehre von den Ständen im allgemeinen und vom Stand der Vollkommenheit im besonderen (Qu. 183 und 184). Diese Abhandlungen erfassen die Existenz eines jeden Christen, sei er Priester oder Laie, wurzelhaft und unausweichlich. Es war Aufgabe des Kommentars zu Bd. 23, die mannigfaltigen Bausteine zu einer möglichst geschlossenen Theologie des Laientums zusammenzufügen. Es sei hier nur daran erinnert, daß die verschiedensten Arbeiten über die Theologie der Katholischen Aktion und des Laienpriestertums bereits den Acker aufgepflügt haben. So wächst in der Geschichte der Kirche das Neue organisch aus dem Alten. Es ist unmöglich, daß in der Kirche von Anfang an alle Gesichtspunkte und alle Wahrheiten in gleicher Breite und Tiefe gesehen wurden. So ist auch die Theologie des Laientums als ausdrückliche Lehre bis in die heutige Zeit hinein noch nicht entfaltet worden. Das Standardwerk von P a s s e r i n i 1 „Über die Stände der Menschen" verwendet ganze 86 Seiten des ersten Foliobandes auf die Vollkommenheit der Menschen im allgemeinen. Vergleicht man diese 86 Seiten mit dem Gesamtumfang dieses Werkes, etwa 2500 Seiten (Doppelspalten in Kleindruck), so ergibt sich, daß nur etwa ein Dreißigstel des Gesamtwerkes den Problemen gewidmet ist. die Laien und Kleriker gemeinsam betreffen. Dabei werden die Laien nicht einmal als solche angesprochen, sie sind höchstens subsumiert. Der in den meisten Partien hervorragend durchgearbeitete Index dieses Werkes enthält auf 90 Seiten unter dem Titel Laicus nur ein einziges, völlig nebensächliches Stichwort: ob ein Laie von Zensuren absolvieren könne, wobei noch ausdrücklich erklärt wird, die Frage sei in der Praxis bedeutungslos. Sonst figurieren die Laien auch unter anderen Bezeichnungen im ganzen Werk überhaupt nicht. Ein Zeichen dafür, wie sehr die Kirche noch im Barockzeitalter als Klerus1

Siehe

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Literaturverzeichnis.

kirche gesehen wurde. Von den anderen Ständen wird überhaupt nicht gesprochen: hätte dieses Werk den Titel „Von den kirchlichen Ständen", so wäre nichts einzuwenden. Aber es trägt ausdrücklich den Titel: „Von den Ständen und Ämtern der M e n s c h e n " . Wir dürfen uns also erst recht nicht wundern, wenn fünfhundert Jahre früher Thomas den Laienstand nicht ausführlich und besonders behandelt. Die Zeit war nicht reif. Und die überschäumende Lebenskraft der Kirche in jenen Jahrhunderten hat im Laienstande von damals nicht weniger ihre Sprossen, Blüten und Früchte getrieben wie heute, wo wir um die lehrmäßige Dürftigkeit der Laientheologie von damals uns bewußt Rechenschaft geben. STÄNDE UND STANDESPFLICHTEN Erster Abschnitt DER BEGRIFF DES STANDES (Frage 183) 1. D a s W e s e n v o n , S t a n d ' (Art. 1). — Die drei in 183, l deutlicher Staffelung vorgetragenen E i n w ä n d e zeigen deutlich, daß echte Aporetik vorliegt. Geht der erste Einwand ausschließlich vom Ethischen aus, um das Wesen des Standes zu fixieren, so der zweite vorwiegend vom statisch-personalen Element des Standesbegriffes. Der dritte Einwand stützt sich klar auf soziologische Sachverhalte: die kunstvoll gegliederte, nach Stufen unterschiedene Ständeordnung des Mittelalters ist der Hintergrund, von dem sich die zu suchende Bestimmung abheben soll. Der Gegeneinwand ( A n d e r s e i t s ) endlich gibt die Zielsetzung des einzuschlagenden Weges an: sie wird am Ende der A n t w o r t erreicht im Sinne dieses Gegeneinwandes, jedoch nicht auf dem Wege eines strengen Beweises mit Schlußfolgerungsgefüge, sondern auf dem Wege einer freien Setzung, die der damaligen Konvention entspricht. Die Aporetik wird entschieden durch Gründe höherer Ordnung (Axiome), die nicht genannt sind. Der mittelalterliche Theologe las diese Axiome aus den Auctoritates heraus, die in diesem Zusammenhang angeführt zu werden pflegten (vgl. besonders die Stelle aus dem Kirchenrecht, die für das Anderseits ausgewählt wurde). Das Ergebnis entspricht aber nicht nur der damaligen Konvention, welche anderweitig bei Thomas bezeugt ist, so im Büchlein „Von der geistlichen Vollkommenheit" (Kap. 15 und 21) und im Qlb III (Art. 17); es entspricht auch der menschlichen Natur als solcher, wie sie sich abhebt gegen die Natur der ihr untergeordneten Seinsstufen. Darum die Wichtigkeit der im Eingang des Artikels erfolgenden Feststellung: „nach der Weise seiner Natur". Natur ist der geheime Grundbegriff, der dem ganzen Artikel zugrunde liegt und die Wendungen der Gedanken nur als Wendungen e i n e s Gedankens erweist. Der Schlüsselbegriff liegt also im ersten Satze der A n t w o r t : „nach der Weise seiner Natur". Das Wort ,Natur' ist hier in seinem allerweitesten Begriflsumfange zu nehmen, so daß die späteren Angaben sich darunter subsumieren lassen. Mit anderen Worten: es wird eine fertige Begriffsbestimmung

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l von ,Stand' an den Anfang gestellt. Wer den ersten Satz der Antwort für eine vorläufige Worterklärung hält, verbaut sic-h den Zugang zum Verständnis des Artikels: es handelt sich um eine regelrechte Begriffsbestimmung. Nun folgt eine Erklärung in Beispielen, welche zu einer dreifachen Sinndeutung von yStand' führt: aufrechte Haltung, Beständigkeit oder Ruhe, Festigkeit. Letztere Eigenschaft ist allerdings nicht ausdrücklich genannt wie an anderen Orten, so zum Beispiel im Qlb III, 17, sondern miteingeschlossen: „während er mit den Füßen f e s t auf dem Boden steht". Die Angaben des ersten Teiles der Antwort entbehren einer letzten Genauigkeit, wie dies der Natur der Sache entspricht. Tatsächlich sind alle neueren wissenschaftlichen Bestimmungen, die das Wesen des Standes betreffen, in ähnlicher Weise bewußt weitmaschig gehalten. Zum Wesen des Standes gehört eine bestimmte, durch Unterschiede gegenüber anderen Verhältnissen gekennzeichnete Lebensordnung, verbunden mit Unveränderlichkeit oder Festigkeit. Thomas geht mit dieser Behauptung so weit, daß nicht einmal im Unterschied von reich und arm ein Stand begründet sein soll. Bis dahin ist die Darstellung klar und geschlossen im soziologisch-statischen Sinn. Doch schiebt sich plötzlich im letzten Drittel der Antwort eine Wendung ein. Es wird ein neuer Begriff eingeführt: die dauernde Verpflichtung der Person auf Grund eigenen oder fremden Rechtes, worauf Freiheit und Knechtschaft beruhen. Die Dauer dieser Bindung wird besonders unterstrichen: sie darf nicht leicht aufhebbar sein. Und darin bestände in letzter Linie das Wesen des Standes in Kirche und Gesellschaft. Es findet also im letzten Drittel der Antwort eine Akzentverlegung statt vom Soziologisch-Statischen auf das Juristische und Ethisch-Personale. Von einer Beweisführung im eigentlichen Sinne wird man nicht reden dürfen; es handelt sich eher um eine Festlegung oder Feststellung. Wenn wir zwischen den Zeilen lesen und den dem Artikel zugrunde liegenden Gedanken und Erfahrungen nachspüren, kommen wir zu folgenden Fragen und Überlegungen: a) Stand, und Personwürde. •— Warum erfolgt die scheinbare Achsendrehung vom soziologisch-statischen zum ethisch-personalen Untergrund? Es geht offenbar um die ethische Verankerung des gesamten Ständewesens in der Personwürde und Freiheit des Menschen. Der ganze so kunstvoll aufgebaute Ständestaat soll von innen heraus verwurzelt werden in den Tiefengründen der menschlichen Natur als solcher. Denn Ordnung und Gliederung allein, wie sie etwa im Ameisen- oder Bienenstaat herrschen, verbürgen weder Würde noch Freiheit. Ein Staatswesen aber, das aus Menschen besteht, die auf höherer Ebene Gotteskinder sind, darf nicht aus naturhaften Anlagen und Trieben allein erwachsen, sonst wäre es kein echt menschliches Gemeinwesen, und wäre 6eine Gefügeordnung noch so fein bis ins einzelne durchgeführt. Ein Staatswesen muß auf freien Entschlüssen der Bürger beruhen, aus einer immer neu bejahten und durch Opfer bewiesenen Zugehörigkeit seiner Mitglieder stets neu geboren werden. So verbürgt etwa die Schweizerische Eidgenossenschaft ihren Fortbestand durch die

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Jahrhunderte in der von Geschlecht zu Geschlecht immer neu 183, l folgenden Bejahung des ersten Ekischwures ihrer Gründer auf der Rütliwiese. Diese immer freie Setzung des Standes gehört zum Wesen der Natur überhaupt, sofern sie im Menschen als freiem Wesen sich verwirklicht. Das dürfte der Sinn des Überganges vom Soziologisch-Statischen auf das Ethisch-Personale sein. Th. I. E s c h m a n n hat gezeigt, wie sich im Lehrgefüge des Aquinaten der Personalismus als wissenschaftliche und menschliche Grundhaltung von den frühen Werken an mehr und mehr durchsetzt bis zur Altersreife. 1 Wir haben hier ein Beispiel für Uinbiegung und Aufgipfelung der Aufgabenstellung vom Kommunalen ins Personale. Die Ständeordnung wird nicht durch gesellschaftlichen Zwang, träges Herkommen, politische Gewalt, sondern durch freie, personale Akte ihrer Glieder immer tiefer bewahrt, immer fester getragen, immer feiner veredelt. b) Weite und Elastizität des Standesbegriffes. — Die Auseinandersetzungen C a j e t a n s mit den später erhobenen Einwänden zeigen, wie vorsichtig sich Thomas auf diesem Gebiete bewegt hat. Seine Formulierungen sind so kunstvoll elastisch, daß kein Geigeneinwand ernstlich trifft. Da jedoch diese Problematik stärker auf dem Gebiete scholastischer Feinheiten liegt, wie sie im Hochmittelalter gang und gäbe und gerade noch sinnvoll waren, sei der Fachmann auf die Bescheide Cajetans verwiesen. Das Thomas-Lexikon von S c h ü t z stellt fünf Sinngruppen zusammen, in welchen sich der Bedeutungsgehalt des lateinischen Wortes Status: Stand, verwirklicht findet: a) Aufrechtes Stehen, Haltung der Geradheit; b) Stillstand oder Stillstehen; c) Zustand oder Verfassung mit 46 verschiedenen Varianten; d) Berufsstellung und ähnliches mit 22 Varianten; e) politische Gegebenheiten mit 3 Varianten. Überblickt man diese Fülle von Möglichkeiten, so zeigt sich, daß eine Vielfalt kategorialer Formen vorliegt, die sich im einzelnen Menschen überlagern können. Bürgerliche Stände nach dem mittelalterlichen Dreiklang: Nährstand, Wehrstand, Lehrstand, ferner Berufs-, Geburts-, Adels-, geistliche und Wirtschaftsstände in der sichtbaren Ordnung treffen zusammen mit Heilsständen, Gnadenverhältnissen, mystischen Stufen und erdachten Gegebenheiten, z. B. Stand der reinen Natur. Wird diese kategoriale Grundverschiedenheit, die doch selbstverständlich ist, nicht beachtet, so ergeben sich in all den Fällen, wo Überlagerungen zustande kommen, schwerste Mißverständnisse. Es sei also ein für allemal klargestellt, daß die Bezeichnung Stand nicht univok, sondern analog aufgefaßt werden muß. c) Stand im Mittelalter. — Der Gedanke des stufenartigen Aufbaues formt das Lehensrecht zu einer Pyramide, in welcher jedes Stufenglied nach oben und nach unten verkettet ist durch Pflichten und Rechte. Von unten nach oben gilt Gehorsam und Dienst, von oben nach unten Befehlsgewalt und Obsorge; in beiden Richtungen jedoch waltet die Treue. Die vertikale Verfugung der Treue wird verstärkt durch transzendente Bindungen: 1

Mediaeval Studies, Toronto 1944: Bonum commune melius.

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Obere und Untergebene, Höhere und Niedere sind dem Rechte dienstbar, und sowohl Treue als Gehorsam sind nur so lange geschuldet, als das Recht erfüllt bzw. nicht verletzt wird. Dieses Gliederungsgefüge ist vorgebildet in der himmlischen und in der kirchlichen Hierarchie des A r e o p a g i t e n ; so wenigstens war die ideale Ausrichtung der Stände und Ämter gedacht. Wie stark ständisches Bewußtsein in einzelnen Stufen das Lebensgefühl bestimmte, zeigt sich in einem Zeugnis der hl. H i l d e g a r d v o n B i n g e n . Standesunterschiede dürfen nicht aufgehoben werden, das hieße das kunstvoll gegliederte Gebäude der Gesellschaft ins Wanken bringen. Die Heilige sagt: „Der Geringere soll nicht über den Höheren emporsteigen, wie Satan und Adam es taten. Welcher Mensch wird sein ganzes Vieh in e i n e n Stall sperren, Rinder, Esel, Schafe, Böcke, ohne sich zu entehren?" (PL 197/338). Die Vermischung der Stände bringt also Entehrung; nach Hildegard soll die Engelwelt mit ihren festen Chorordnungen das Vorbild der menschlichen Gesellschaft 6ein. Diese Anspielung auf den Engelstaat ist für das Mittelalter charakteristisch (vgl. Bd. 8 über die Ordnung der Hierarchien und Ohöre). Der üblichen Glorifizierung gegenüber, der man in bezug auf das Mittelalter seit der Romantik in manchen Kreisen bis heute noch huldigt, ist zu betonen, daß es der mittelalterlichen Ständeordnung nicht gelungen ist, „eine freiheitliche, berufsständische Ordnung" zu verwirklichen; „das tragende Gerüst seines Gesellschafts- und Wirtschaftsbaues ist herren- und herrschaftsständisch, geburts- und erbständisch, macht- und besitzständisch bis zum Ende geblieben" ( S c h w e r , Ständeordnung, S. 15). Ernst T r o e l t s c h meint, es sei erstaunlich, daß ein so stark ethisch empfindender Mensch wie Thomas von Aquin sich widerspruchslos den aristotelischen Herren- und Junkerstandpunkt als Folgerung aus Naturgegebenheiten gefallen lasse. Kaum habe er den Gedanken ausgesprochen, daß in einem und demselben Gemeinwesen die Verschiedenheit der Ämter — Richter, Krieger, Bauern usw. — verschiedene Stände begründe, führe er sie fast im gleichen Atemzuge doch allesamt wieder auf eine dreifache Ordnung zurück: die optimates an der Spitze, der populus honorabilis der Bürger in der Mitte, der vilis populus als Basis der Herrschaftspyramide. S c h w e r meint dazu, man dürfe nicht vergessen, daß Thomas nach Herkunft und Heimat gewiß der Feudalordnung innerlich näherstehe als die zeitgenössischen Volksprediger, wie etwa ein J a k o b von V i t r y oder gar ein B e r t h o l d v o n R e g e n s b u r g und seine Ordensbrüder ( S c h w e r , 1. c., S. 41 ff.). Dazu ist zu sagen, daß die tatsächliche Einteilung in die drei Hauptgruppen oder Stockwerke doch irgendwie richtig bleibt, auch wenn sie als Folge der Urschuld zu beklagen ist. Und es kam hier Thomas offenbar auf tatsächliche Feststellungen, nicht auf ein Idealschema an. Die Streitfrage würde erst da beginnen, wo man erörtern würde, ob die Menge des gemeinen Volkes (vilis populus) zahlenmäßig geringer oder größer wäre als das mittlere Stockwerk der ehrbaren Bürger. Es ist nicht zu leugnen, daß dieses Zahlenverhältnis schwankt und daß, je geringer die Menge des vilis populus wird, um so mehr von einem Steigen

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d e r Kultur gesprochen w e r d e n k a n n im S i n n e echter Bildung. 183, i So gesehen, w ü r d e d i e Bevölkerungspyramide a n d e r Basis eine E i n s c h n ü r u n g (vilis populus), in d e r Mitte i h r e r Höhe eine Ausbauchung (populus honorabilis), a n d e r Spitze wieder eine Einengung a u f w e i s e n (optimates). Auf das seit einem J a h r h u n d e r t akut g e w o r d e n e Verhältnis von Stand u n d Klasse im S i n n e eines Gegensatzes ( S t a n d als Organisation des Behagens mit konservativer T e n d e n z ; K l a s s e als Organisation des U n b e h a g e n s mit revolutionärer Tendenz) sei n u r hingewiesen ( S c h w e r , 1. c.). Eine optimistische Weltschau, wie es die von Thomas im G r u n d e war, wird den Hauptakzent in obigem Zusammenhang auf den Stand legen u n d Klasse n u r als Durchgangserschein u n g zu n e u e r Standesbildung a n e r k e n n e n . 2. D i e V e r s c h i e d e n h e i t d e r Ä m t e r u n d S t ä n d e 183, 2 (Art. 2). — Die Verschiedenheit d e r Ä m t e r u n d S t ä n d e ist aus vielen kirchlichen Lehrentscheidungen dogmatisch gewiß (siehe Dz I n d e x I I a ) . Die L e u g n u n g der kirchlichen Mannigfaltigkeit beruht auf V e r k e n n u n g d e r S a k r a m e n t e , vor allem d e r Priesterweihe, welche n u r gestuft d e n k b a r ist und in der drei große A u f g a b e n k r e i s e grundgelegt s i n d : die A u f g a b e n des Lehr-, Hirten- u n d Priesteramtes. Die I r r l e h r e n d e r Waldenser, Wiedertäufer, P u r i t a n e r bestreiten d i e G l i e d e r u n g in S t u f e n und Ämter. Man hat den in d e r Antwort e r w ä h n t e n Sc.hriftstellen aus Eph 4 und Röm 12 noch beizufügen 1 Kor 12; damit w ä r e die klassische Dreizahl der Charismenbeweise erfüllt. Es ist tief bedeutsam, daß Thomas hier auf die Charismenlehre zurückgreift, wodurch d i e Verschiedenheit d e r Ämter u n d Stände auf ein schöpferisch planendes, u n a u f h a l t s a m wirksames Prinzip zurückgeführt wird, welches der Heilige Geist selber ist. Die Verschiedenheit der Ä m t e r und Stände b e r u h t auf drei F u n d a m e n t e n : Seinsordnung, Tätigkeitsordnung, Ordnung d e r Wirkungen. Schon d a s e r s t e F u n d a m e n t bietet eine Schwierigkeit: Mit welchem Recht besteht die Verhältnis-Gleichung zwischen natürlichen u n d ü b e r n a t ü r l i c h e n Strukturgesetzen? Ist die Analogie ü b e r h a u p t zulässig? Darf man von d e r Verschiedenheit d e r Glieder und Gliedschaftsdienste in der Naturordnung auf eine Verschiedenheit d e r Glieder und Gliedschaftsdienste in der Ü b e r n a t u r schließen? F ü r Thomas ist es selbstverständlich, daß d i e Wesenszüge d e r übernatürlichen Ordnung in der natürlichen Ordnung ihr schwaches Gleichnis besitzen; d a ß aber ebenso die Wesenszüge d e r natürlichen Ordnung in der übernatürlichen Ordnung ihre Ü b e r h ö h u n g finden. Darum besteht f ü r ihn die Gleichsetzung zwischen Weltall u n d Kirche u n t e r dem Gesichtspunkt i h r e r allgemeinsten Strukturgesetze zurecht. Eine n ä h e r e E r l ä u t e r u n g gibt Thomas selbst in aller Gründlichkeit auf d i e Frage, ob die Vielheit d e r Dinge, ihre Unterscheidung und Ungleichheit von Gott s t a m m e (I 47, 1. 2 : Bd. 4). Es sei auf diese E r ö r t e r u n g e n verwiesen, weil d e r e n Beantwortung den allgemeinen Horizont f ü r den Sonderfall unseres Artikels abgibt. Man pflegt in d e r sichtbaren Ordnung viele S t ä n d e a n z u f ü h r e n , wie schon erwähnt im K o m m e n t a r zu Art. 1. In der unsicht-

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183, 2 baren und heilsgeschichtlichen Ordnung zählt man elf teils wirkliche, teils gedachte Stände auf (Fr. S t e g m ü l l e r im LThK unter ,Stand'). Mit derselben Selbstverständlichkeit wie bei der ersten wird in der z w e i t e n Überlegung das naturhafte und natürliche Gesetz der Arbeitsteilung auf die Kirche angewandt. Wenn dieses Gesetz ein Grundgesetz des Tätigseins ist, m u ß es auch auf die Kirche zutreffen. Man weiß schon aus der Biologie, wie der Zellenstaat einer Pflanze nach Funktionen durchdifferenziert ist; beim Tier erhöht sich diese Differenzierung um unvorstellbare Komplikationsgrade, beim Menschen erhält sie ihre letzte Aufgipfelung. Dem menschlichen Leib fällt die einzigartige Ehre zu, ein — wenn auch dunkles und rätselhaftes — Gleichnis sein zu dürfen für das Corpus Christi mysticum, das sowohl die himmlische Stadt Jerusalem, also die Gemeinschaft der Heiligen und Engel im Himmel, wie auch die Kirche auf Erden umgreift. Die Symphonie der Himmelsherrlichkeit soll in der Vielstimmigkeit ihrer Lobgesänge und Anbetungen eine Ähnlichkeit aufweisen mit der unvorstellbar reichen Gliedschaftsfülle der Organe des menschlichen Leibes. Ein schwaches Gleichnis f ü r diesen Reichtum läßt sich aus der menschliehen Gesellschaft entnehmen, deren Berufsdifferenzierung mit der fortschreitenden Arbeitsteilung in Technik und Wirtschaft ins Unübersehbare anwächst. Die Kirche ist, trotz der Gleichheit aller an der Kommunionbank, weit entfernt von jedem egalitären Gleichheitswahn; die Gleichheit aller vor Gott unter dem Gesichtspunkt des Ebenbildes schließt die feinsten Tönungen und Schattierungen nicht aus, sondern ein; nur durch solche Unterschiede entsteht echte Harmonie. In der Kirche gibt es also keine Verschwommenheit der Gemeinschaftsformen und Dienste, sondern klar ausgezogene Konturen, keinen Einheitsbrei, sondern fein durchgeformte Gestaltenfülle. 183, 3

3. U n t e r s c h i e d v o n S t a n d , A m t u n d S t u f e n g r a d (Art. 3). — Die Fragestellung bedeutet eine Spezialisierung von Punkt 2 des vorhergehenden Artikels. Wie die Überschrift des Artikels erwarten läßt, will Thomas sagen, daß Tätigkeiten, welche einem Menschen an und f ü r sich zukommen, den Stand begründen, wie etwa die Darbringung des heiligen Opfers und die Spendung der Sakramente den Priesterstand begründen; die Tätigkeiten jedoch, die einem Priester in bezug auf andere zukommen, begründen die Ämter: so gibt es im Priesterstand Pfarrer, Schriftleiter, Seelsorger aller Art (für Jugend, Studenten, Gefängnisse, ständische Organisationen usf.). Gelehrte, Beamte, Lehrer usw. Diese Einteilung soll nicht ausschließen, daß die standbegründenden Tätigkeiten Sozialcharakter haben, wie etwa im Priesterstand Sakramentenspendung und Darbringung des heiligen Opfers. Die A n t w o r t umfaßt jedoch nicht nur die Ämter, wie die Überschrift des Artikels erwarten läßt, sondern auch die Stufengrade innerhalb der Ämter, welche zur Schönheit der Hierarchie beitragen. Während die Ämtereinteilung sachlich festliegt durch die Ordnung der Aufgabenbereiche, hat die Einteilung der Stufengrade mehr personalen Charakter, insofern Altersunter-

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schiede und Erfahrungsunterschiede und Leistungsunterschiede 183, 3 die Stufung ermöglichen oder begünstigen. Als Schriftbeleg zitiert Thomas Ps 48 (47), 2: „Gott wird in ihren Häusern erkannt werden"; so lautet der gewöhnliche Text des römischen Psalteriums. Diese Lesart wird von Thomas ausführlich erläutert mit drei Arten der Gotteserkenntnis, die in der irdischen Stadt Jerusalem als rätselhafte und symbolreiche, in der Kirche als wirkliche, weil durch Glauben als Teilhabe an Gott vermittelte, wenn auch dunkle, im Himmel als wirkliche, vollkommene und offene geschenkt wird (In Ps 47, 2). 4. E i n e w e i t e r e U n t e r s c h e i d u n g i m S t a n d e s - 183. 4 b e g r i f f (Art. 4). Die Vieldeutigkeit des lateinischen Wortes status offenbart sich schon gleich zu Beginn des Ständetraktates, wenn das Wort hier im Sinne geistlicher Reifestufen verwendet wird. Diese drei geistlichen Reifestufen durchziehen .•¡amtliche anderen „Stände", d. h. ein jeder Mensch befindet sich unweigerlich, in welchem Berufs-, Geburts- usw. Stande er immer zu Hause sein möge, zugleich in einer der drei Reifestufen, um durch viele Zwischenstadien hindurch seinen Weg zu gehen. a) Geschichtliches zur Dreiteilung. — Das A n d e r s e i t s ist bemerkenswert, weil die naheliegendste Quelle der Dreiteilung der Reifestufen — der A r e o p a g i t — nicht zu Wort kommt. Auch der L o m b a r d e wird keines Wortes gewürdigt, der im engsten Anschluß an eine buchstäblich ausgelegte Gedankenreihe A u g u s t i n s vier Stufen unterschieden hatte: nach den drei genannten noch die ganz vollkommene Liebe. Den besten Kommentar zu unserem Artikel hat Thomas selbst verfaßt in 24, 9 (Bd. 16): Ob es angemessen sei, drei Stufengrade der Liebe zu unterscheiden? Es ist dabei an beginnende, fortgeschrittene und vollendete Liebe gedacht. Sachlich oder materiell ist die Fragestellung hier wie dort dieselbe, formal jedoch nach Gesichtspunkten verschieden, denn in beiden Artikeln geht es um die Vollkommenheit als letztes Ziel und um die Liebe als Form der Vollkommenheit. Auch in diesem Artikel 24, 9 ist es eigenartig, daß nicht der A r e o p a g i t als Kronzeuge der Dreiteilung auftritt, sondern wiederum ein Lateiner, dieses Mal A u g u s t i n u s . In der Antwort zu 24, 9 steht noch A r i s t o t e l e s ein für die Dreiteilung jedes zusammenhängenden Seienden, der Stagirit seinerseits verweist auf P y t h a g o r a s . Man kann nach dem Vorbemerkten unmöglich behaupten, daß die Dreiteilung von dem großen syrischen Unbekannten herstamme, sie liegt in der Natur der Sache begründet und ist darum Allgemeingut vieler Theologen. b) Religiöse Dialektik. — Das Hauptaugenmerk der A n t w o r t richtet sich auf die doppelte Dialektik von Knechtschaft und Freiheit, die zum Wesen des Standesbegriffes in inniger Beziehung steht. Der falschen Knechtschaft der Sünde wird die wahre Knechtschaft Gottes, der falschen Freiheit zur Sünde wird die wahre Freiheit zu Tugend und Gerechtigkeit gegenübergestellt. Die Dreiteilung selbst kommt erst am Schluß ganz kurz zur Sprache, und man darf mit Grund annehmen, daß 23

24

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183, 4 Thomas hier zurückverweisen will auf 24, 9; auf jeden Fall aber, daß er die Lehre jenes Artikels hier voraussetzt. c) Der thomislische Kontext. — Die Lehre von den Stufen der Vollkommenheit findet sich auch anderwärts bei Thomas. Zu der Stelle: „Ich will meinen Geist a u s g i e ß e n . . . " (Is 44, 3) gibt der Heilige folgende Erklärung: Der Geist wird den A n f ä n g e r n verliehen als Beginn übernatürlicher Belebung, als Bad der Erneuerung, als Gnadenvorrecht der Annahme an Kindes Statt; er wird den F o r t s c h r e i t e n d e n verliehen zur Unterrichtung des Verstandes, zur Stärkung des Gemütes, zur Unterstützung der Taten; er wird den V o l l e n d e t e n verliehen als Huldgeschenk der Freiheit, als Band der Einheit, als Unterpfand des Erbes. Zur Begründung dient für jede dieser drei mal drei Thesen je ein Schriftzitat. M a n d o n n e t und S p i c q setzen den Isaiaskommentar um 1256—1259 an, D e s t r e z zwischen 1269 und 1274. Vergleicht man die Lehre des sicher echten Isaiaskommentars mit der Summa, so steht sie verhältnismäßig weit ab, so daß die Annahme, beide Darlegungen seien ungefähr gleichzeitig entstanden, weniger wahrscheinlich wird und die Datierung von M a n d o n n e t zu bevorzugen wäre. Auch im Psalmenkommentar (Ps 24, 8) unterscheidet Thomas drei Reifestufen, diesmal jedoch unter anderen Bezeichnungen: Sünder, Büßende und Gerechte. Diese Aufgliederung scheint auf anderer Ebene zu liegen, vielleicht will sie nur den Stand der Anfänger unterteilen. Zweiter Abschnitt DER STAND DER VOLLKOMMENHEIT (Fr. 184—189) Erstes Kapitel DER STAND DER VOLLKOMMENHEIT IM ALLGEMEINEN (Frage 184) 184,1 1. D a s W e s e n d e r c h r i s t l i c h e n V o l l k o m m e n h e i t (Art. 1). — Problemgeschichtlich erweist sich die Beantwortung als Höhepunkt der vorhergegangenen Versuche. Im Kolosserkommentar (cap. 3, lect. 3) wird die Liebe „Band der Vollkommenheit" genannt, weil sie alle Tugenden untereinander verknüpft, Beharrlichkeit verleiht und mit Gott als dem letzten Ziel verbindet, wodurch ein jedes Wesen Zielgemäßheit, also Vollkommenheit erlangt. Im Matthäuskommentar findet der Rat Jesu an den reichen Jüngling ausgiebige Erörterung. Die Vollkommenheit besteht im Wegschenken des Besitztums (1. Lösung aus der Tradition); dann wird (als 2. Lösung) ein Augustinuswort bevorzugt, wonach die Freigebigkeit des Schenkenden Anfang oder Werkzeug der Vollkommenheit ist, ähnlich wie Fasten, Nachtwachen usw. Wege oder Werkzeuge sind. Die eigentliche Vollkommenheit müsse man durch Nachfolge Jesu erwerben, um aufzusteigen zur Gottesliebe bis zur Verachtung seiner selbst. Im Anschluß an diese allgemeine Form der Vollkommenheit wird gleichsam als Gegenstück der Stand der Vollkommenheit erwähnt, welcher Bischöfen und Ordensleuten zukommt. Eine neue, ganz andere Gruppierung bringt Kap. 3

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lect. 2 des Philipperkommentars, wo die Vollkommenheit der 184, i Pilgerschaft (allgemeine heilsnotwendige Verpflichtung: Werk der Gebühr, sowie innere Berufung: Werk der Übergebühr) von der Vollkommenheit der Heimat unterschieden wird. Die Darstellung der beiden Quodlibeten I 14 und I I I 17 steht in der Genauigkeit der Gliederung noch nicht ganz auf der Höhe der Summa; erst PVSp ringt sich durch zu der für unseren Artikel grundlegenden Trennung von Vollkommenheit schlechthin und Vollkommenheit unter einem gewissen Gesichtspunkt. Der Schriftbeweis der A n t w o r t könnte ebensogut aus Kol 3, 14 oder aus Phil 3, 13 oder aus Rom 13, 8—10 geführt werden, wo Thomas in den einschlägigen Kommentaren das Problem behandelt. Durch die Liebe wird das Gesetz erfüllt und der Mensch durch die Erfüllung vollendet, während die Erfüllung des Gesetzes ohne die Liebe den Menschen weder schlechthin vervollkommnet noch zum Heile führt. Ein textkritisches Problem ersten Ranges wird von C a j e t a n aufgeworfen, der behauptet, Thomas wolle nicht sagen, die Vollkommenheit bestehe „auf besondere Weise" (specialiter) in der Liebe, wie der jetzige Text lautet, sondern es müsse heißen, sie bestehe „wesenhaft" in der Liebe (substantialiter oder essentialiter); es liege also eine Art von Druckfehler vor, der zu verbessern sei. Diese Sondermeinung hat ihre Tragweite; man führt zu ihren Gunsten an, daß 1. Art. 3 ausdrücklich lehrt, die Vollkommenheit bestehe wesenhaft (essentialiter) in der Liebe; 2. die Liebe allein uns mit Gott vereint; 3. die Liebe allein die Herzen läutert und heiligt. Hiergegen sprechen folgende Erwägungen. Legt man die Unterscheidung von aktueller und habitueller Liebe zugrunde, so besteht erstere im tatsächlichen Vollzug, letztere in der Bereitschaft, die den Übergang zum Vollzug jederzeit ermöglicht. Nun beruht die zweite Form der Liebe, die Bereitschaftsverfassung, auf der heiligmachenden Gnade, die gleichsam die Wurzel bildet, aus der alle Eigenschaften und Kräfte, alle Zustände und Tätigkeiten erwachsen. Die erste Form der Liebe, der tatsächliche Vollzug, beruht „wesenhaft" nicht in der Liebe; allein, sondern in den Akten aller Tugenden, sofern sie durch die Liebe zusammengehalten, beseelt und auf ein einziges Ziel — Gott — hin geordnet werden. Es genügt nicht, nur zu lieben: man muß ausbrechen in die Werke der Tugenden, die gleichsam als Auszweigungen zusammen mit Stamm und Wurzel das Wesen der Vollkommenheit ausmachen. Der ganze Mensch mit allen seinen Fähigkeiten und Kräften muß in Bewegung sein, damit die Vollkommenheit erfüllt werde. Freilich ist die Liebe die nährende Wurzel von Stamm, Ästen und Zweigen, und als solche begründet sie hauptsächlich (principaliter), aber nicht wesenhaft, d. h. ausschließlich und allein das Wesen der Vollkommenheit. Auf einem anderen Wege gelangt man zu demselben Ergebnis. Die drei göttlichen Tugenden sind zur Vollkommenheit gleich notwendig. Wer nicht glaubt, kann nicht lieben; wo die Hoffnung lahm ist, kann man nicht echt und dauerhaft lieben. Christus wohnt durch den Glauben in unseren Herzen 23*

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184, l (Eph 3, 17); wir alle sind Söhne Gottes durch den Glauben (Gal 3, 26). Der Glaube ist Nährboden der Liebe, und ihm werden Liebe und ihre Werke zugeschrieben. Ähnlich verhält es sich mit der Hoffnung. „Durch Hoffnung sind wir heil geworden" (Rom 8, 24) und durch Hoffnung werden wir heilig: „Wer diese Hoffnung hegt, heiligt sich" (1 Jo 3, 3). Es gibt ohne Glaube oder Hoffnung keinen echten Akt der Liebe; „der Glaube wirkt durch die Liebe" (Gal 5, 6). Somit sind Glaube und Hoffnung mitwesentlich für die Erreichung des Zieles, und nicht nur ist Liebe allein wesentlich. Ähnliche Überlegungen sind anzustellen für die Kardinaltugenden, deren Akte ebenso zum Wesen der Liebe gehören wie die Zweige zu Stamm und Wurzeln. Damit ist nicht ausgeschlossen, sondern gefordert, daß die Führungsrolle in Erlangung und Bewahrung der Vollkommenheit der Liebe zufällt, die als das schöpferische Gestaltgesetz (forma) der Tugenden die verschiedenen Seelenkräfte zu einem einzigen dynamischen Spiel zusammenschließt. Ein Vergleich möge die Sachlage erläutern. Wenn jemand Kinder in Verwirrung bringen wollte mit der Frage: Worin beruht die Fortbewegungskraft eine« Fahrzeuges, im Treibstoff oder im Motor?, so würden sie wahrscheinlich antworten: in beiden. Ohne Treibstoff keine Wirksamkeit des Motors, ohne Motor keine geordnete Wirksamkeit des Treibstoffes. Ähnlich hier. Ohne heiligmachende Gnade keine Liebe, weil nur Gnade die Voraussetzungen f ü r tugendhaftes Handeln schaffen kann. Ohne Liebe aber auch keine Entfaltung der Gnade, die erst in der Tätigkeitsordnung zum Tragen gelangt, Blüten treibt und Früchte hervorbringt. Der gebrauchte Vergleich leidet an dem Nachteil, daß Treibstoff und Motor Dinge sind, welche in dieser irdischen Welt weit auseinander liegen und im äußersten Fall zu räumlichem Kontakt gelangen, während Gnade und Liebe auf unsäglich innige Weise ineinanderspielen; trotzdem müssen sie unterschieden werden, will man nicht um anderthalb Jahrtausende zurückfallen in die Anfangsgründe theologischen Denkens. So behält denn die angefochtene Ausdrucksweise ihr Recht: Die Vollkommenheit besteht in besonderer Weise, aber nicht ausschließlich in der Liebe, die allein das königliche Vorrecht ausübt, zu befehlen, weil sie allein die mächtigste ist unter allen Tugenden und eben dadurch die Vollkommenheit des Ganzen in der Harmonie der Teile, Glieder und Kräfte zuwege bringt. Zu 3. Was von der Geduld gesagt wird, gilt von allen anderen Tugenden ohne Ausnahme in der selben Weise. So wird die Einheit des Tugendorganismus gesichert, nicht von außen her, sondern vom Mittelpunkte her. 184, 2

2. V e r w i r k l i c h u n g d e r V o l l k o m m e n h e i t (Art. 2). Das A n d e r s e i t s ist im Gegensatz zum Anderseits des vorhergehenden Artikels, wo eine klare, durch den Indikativ begründete, apodiktische Aussage vorliegt, mehr aporetisch, indem eine undifferenzierte Entscheidung vorgeschlagen wird (videtur). Die A n t w o r t unterzieht sich der Aufgabe, die Vollkommen» heit, die Christus verkündet, in drei Stufen auszugliedern und so die Aussage Christi nach ihrem richtigen Sinn zu klären.

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a) Verhältnis von Anlagen und Tätigkeiten zur Vollkommen184, 2 heit. — Zur Vollkommenheit gehören Anlagen und Tätigkeiten, in denen und durch , die sich die Anlagen entfalten. & wäre falsch, die Vollkommenheit nur in die Anlagen oder nur in die Tätigkeiten zu verlegen. Eine Tätigkeit erreicht den Höhepunkt ihrer Vollendung dann, wenn sie sicher, rasch und fest, naturhaft, organisch und freudig vollzogen wird. Voraussetzung hierzu ist eine gewisse Einspielung oder Fertigkeit in den Anlagen selbst, welche von der heiligmachenden Gnade ermöglicht wird, die sich ihrerseits in letzter Linie auswirkt in den göttlichen Tugenden und in den Gaben des Heiligen Geistes. Wenn nun nach Vollkommenheit gefragt wird, so ergibt sich aus dem Gesagten einmal, daß Ausgangsgrund vollkommen gewordene, durch Gehaben ausgebildete Anlagen sind, dann aber, daß letztes Ziel vollkommener Tätigkeiten vollkommene Handlungen sind. Tätigkeit meint den reinen Verlauf, die Aktuierung der Anlagen bzw. Gehaben, den Übergang von einer Stufe der Handlung zur andern; Handlung hingegen besagt das fertige, abgeschlossene Ganze, das sich aus den einzelnen Phasen der Tätigkeit zusammensetzt. Die Handlung wächst wie eine kostbare Frucht aus der Fertigkeit heraus, die sich in Tätigkeiten entfaltet. Im Spiel, im reinen Spiel als solchem, mögen gelegentlich Handlungen um der Tätigkeiten willen geschehen, im ernsten Leben sind jedoch Tätigkeiten nur um der Handlungen willen da, die schöpferisches Gestaltgesetz, Formkraft und Ziel der Tätigkeiten sind. Sogar Tugenden und Gaben sind auf Handlungen hingeordnet, die ihrerseits die Brücke bilden zu weiteren Vervollkommnungen in fremden personalen Bereichen, wie dies etwa in der Predigt der Fall ist. So mündet denn die Vollkommenheit der Anlagen als lebendiger Quellgrund des Tuns mittelbar über Gehaben und Tätigkeit in das ganz Konkrete aus: in die durch und durch wirklichkeitsgesättigte Leistung, wobei ,Leistung' nicht rational technisch, sondern in seiner höchsten Erfüllung als gnadenhaftes Phänomen zu begreifen ist: als Aufblühen göttlicher Lichtreflexe im Chaos dieser Welt. Vollkommenheit im eigentlichen Sinne — als übernatürlich-ontische — ist die heiligmachende Gnade, die sich vermittelst eingeübter und auf solche Weise eingespielter Tätigkeiten wirksam auszeugt in konkreten Früchten — Handlungen — ; also in religiösem Sein und Tun aller Art, insbesondere apostolischer Wirksamkeit im engeren Sinne als Auszeugung der Beschauung. b) Grade der Vollkommenheit. — Ist zur Vollkommenheit ein gewisser Grad der Anspannung in Anlagen und Fähigkeiten erforderlich? Der junge Thomas lehrt, daß der geringste Grad der Gnade genügt, irgendwelche Versuchungen zu besiegen (3, d. 31: 1, 3). Ein Mensch, der dies zuwege brächte, wäre bereits vollkommen, weil er in der Verwirklichung seiner inneren gottgeschenkten Gutheit die letzten Möglichkeiten des Widerstandes gegen das Böse ausschöpft. Umgekehrt kenn ein Mensch mit hohen Gnaden und einem hohen Grad der Liebe die Zügel seiner Lebensführung locker lassen, öfters läßliche Sünden begehen, also nachlässig leben und auf solche Art langsam absinken. Nor-

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184, 2 malerweise wird die Liebe nur bewahrt werden und wachsen unter unaufhörlichen Kämpfen und immer stärkeren Belastungsproben, die siegreich bestanden werden. So entwickelt sich Vollkommenheit nur allmählich unter vielen Schwierigkeiten und Fährnissen. Es stehen sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten gegenüber: ein hohes Maß von Gnade und eingegossener Liebe mit schwacher persönlicher Auswertung dieser Gaben infolge von Nachlässigkeit einerseits, und ein geringeres Maß von Gnade und eingegossener Liebe mit starker persönlicher Auswertung infolge treuester Mitwirkung und höchster Anspannung andererseits. So ergibt sich, daß ein Mensch, der innerlichen und unaufhörlich Neues wagenden Treue nach, heiliger, in Anbetracht großer angeborener Hemmungen jedoch seinsmäßig weniger vollkommen ist, und umgekehrt, daß ein Mensch, der in Anbetracht glücklicher Naturanlagen und harmonischer Seelenverfassung seinsmäßig vollkommen sein kann, jedoch weniger heilig. Darum wird der, der auf Erden seinsmäßig vollkommener war, diese Anlage aber nicht genutzt hat, im Himmel nicht jenen Grad der Seligkeit besitzen, den der auf Erden weniger Vollkommene, aber mehr Belastete und tapferer Kämpfende im Himmel wird einnehmen dürfen. 1 Denn die Stufengrade der Seligkeit entsprechen den Stufengraden der Heiligkeit, d. h. der Liebe, die letzter, endgültiger Maßstab ist. Ein Vergleich möge das verdeutlichen. Im sportlichen Leben kennt man sogenannte Vorgaben: eine bestimmte Gruppe von Wettbewerbern, die durch irgendwelche Umstände anderen Wettbewerbern gegenüber im Nachteil ist, bekommt einen zeitlichen oder sonstigen Vorteil zugebilligt, den man Vorgabe nennt. So wird eine ungefähre Gleichheit der Leistungen hergestellt und damit der Wettbewerb unter ungleichen Kämpfern erst sinnvoll. Greifen wir aus diesem Gleichnis die Tatsache der Ungleichheit der Wettbewerber heraus. Es gibt Menschen mit schwerster erblicher Belastung, die nur durch heroische Anstrengung Schritt halten können mit anderen, weniger unglücklich Veranlagten. Sind diese vor Gott schlechter gestellt? Nein. Denn vor Gott gilt nur das Maß der Anstrengung als Zeichen der Liebe, nicht die Vorgabe. Das Maß der Anstrengung oder Liebe aber bestimmt das Maß der Heiligkeit, wie auch die mehr oder weniger glücklich veranlagte Natur als Voraussetzung sittlichen Tuns das Maß der Anstrengung bestimmt. So kann sich ein unglücklich Veranlagter aus einem Abgrund angeborener (vererbter) Fehler emporarbeiten und dadurch heilig, wenn auch nicht ganz vollkommen werden. Ein anderer, glücklich Veranlagter kann sich von einer Gipfelhöhe angeborener (vererbter) Harmonie in einen Abgrund von Lastern gleiten lassen und sich so die Verdammnis zuziehen. Also wieder: Unterschied zwischen ontischer und moralischer perfectio! Man darf die beiden Ebenen nicht durcheinanderwerfen! Es überschneiden sich ontische Eigenart (Individualität) und übernatürliche Gnade und Gnadengaben. Diese unge1 Hier spielt das Geheimnis der göttlichen Mitwirkung bei den menschlichen Akten, d. h. die Gnadenwahl, herein, worüber Thomas i m ersten Buch (I 28: Bd. 2) handelt.

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heure Verschiedenheit der Vorgabe in den Lebensläufen macht 184, 2 es unmöglich, im Reiche Gottes, wo es auf die Hintergründe ankommt, Urteile zu fällen, weil die Vorzeichen des sittlichen Kampfes, seine Richtungsverschiedenheiten, seine Ausgangspunkte und Endergebnisse dem irdischen Mitbruder, oft dem Betroffenen selbst, unbekannt sind. Von hier aus bahnt sich ein neuer Zugang zu dem Wort des Herrn: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet" (Mt 7, 1). Man könnte die Sachlage veranschaulichen durch zwei nebeneinanderstehende Stufenleitern, deren eine die Skala der natürlichen Talente und Begabungen, deren andere die Skala der übernatürlichen Vollkommenheit, den Grad der Treue und der Güte (Mt 25, 21: „Wohlan, du guter und getreuer Knecht"), also des seelischen Fleißes, der Liebe, anzeigt. Es ist somit denkbar, daß ein Mensch, der auf der ersten Stufenleiter sehr hoch steht, zugleich auf der zweiten sehr tief steht. Das verbummelte Genie gehört hieher, und Christus hat in Seinem Gleichnis von den vergrabenen Pfunden das Urteil über diese Versager schon vorweggenommen: „Du böser und fauler Knecht" (Mt 25, 26). Umgekehrt kann ein Mensch, der tief steht in der Stufenleiter der Begabungen — viele Heilige gehören hieher —, sehr hoch stehen in der Stufenleiter der Vollkommenheit; diesen gilt in ganz besonderer Weise: „Wohlan, du guter und getreuer Knecht, weil du über W e n i g e s getreu gewesen, will Ich dich über Vieles setzen." Wenn ein angesehener Moraltheologe sich das gewiß übertriebene Wort erlauben durfte, viele Heilige seien pathologisch gewesen, so hat man sich zunächst nicht zu entrüsten, sondern sich redlich zu bemühen, auf daß der Wahrheitskern herausgeschält werde. Der ergrimmte Hausherr und Gastgeber im Evangelium ließ die Krüppel, die Lahmen, die Bettler und die Blinden und später, als noch Platz da war, die zufällig Aufgelesenen einladen und hereinkommen (Lk 14, 21), nachdem die Vornehmen und Reichen sämtlich abgesagt hatten. So wagt denn Gott das unerhörte Paradox, daß Er an Stelle der natürlichen Elite, der reich Begabten und überdurchschnittlich Befähigten, die weniger oder schwach Begabten und Befähigten — man denke an den Pfarrer von Ars — zu den höchsten Höhen der Vollkommenheit beruft und hinaufführt. So versteht sich die Kühnheit des Apostels: „Nicht viele Gebildete, nicht viele Einflußreiche, nicht viele Vornehme, sondern was die Welt töricht nennt, das hat Gott auserwählt, um die Gebildeten zu beschämen, und was die Welt schwach nennt, das hat Gott sich erwählt, um das Starke zuschanden zu machen..." (1 Kor 1, 26 f.). Von hier aus gesehen ist es ganz in der Ordnung, wenn manche Menschen nur dadurch heilig werden, daß sie — ausschließlich und allein mit Hilfe der Gnade — nur nach heroischen Anstrengungen, nach schwersten inneren Krisen, nach ganzen Reihen von eklatanten Mißerfolgen ihre unvollkommene, fehlerhafte, „pathologische" Natur überwinden und zur Harmonie erheben, „auf daß die Herrlichkeit Gottes sei und nicht uns zugeschrieben werde" (2 Kor 4, 7), „damit kein Sterblicher sich vor Gott rühme" (1 Kor 1, 29). c) Gnade und Vollkommenheit.

— Eine weitere Frage: Kann

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184 2 Gott durch Gnadeneingießung die normale Mühe ersetzen, die darin besteht, sich Gewohnheiten und innere Ausrichtungen zu erwerben, die das Wachstum in der Liebe (in Richtung auf die Vollendung edlen Menschentums) erleichtern? Und wenn Er es kann, tut Er es? Normalerweise ist der Weg zur Vollkommenheit vorgezeichnet durch das Wort des Aquinaten: „Ein jeder Akt der übernatürlichen Liebe bereitet vor zu einer Vermehrung der Liebe, insofern schon durch einen einzigen Akt der übernatürlichen Liebe der Mensch bereiter wird, der Liebe entsprechend zu handeln; wächst dann die Leichtigkeit, so bricht der Mensch aus in einen eifrigeren Akt der übernatürlichen Liebe, bis er sich hinaufwagt zu einem [echten] Fortschritt in der Liebe, und dann wird die Liebe wirklich vermehrt" (24, 6: Bd. 16). Ausführliches zu dieser Frage findet sich im Traktat über die Liebe (Bd. 16/17). Die für den späten Thomas typische Wendung zum KonkretWirklichen zeigt sich in der Lösung Zu 3, wo er die Liebe zum „Nächsten im allgemeinen" gleichsam als richtungslose unterscheidet von der Liebe zum Nächsten als persönlich auf ein Du hin gerichteter Liebe. Wahrscheinlich hat ein Psalmwort Pate gestanden f ü r die Formulierung des Satzes: „Er hat ihre Herzen einzeln gebildet" (sigillatim; Ps 33 [32], 15). Die Liebe zum Nächsten persönlich, wie er uns gerade begegnet oder über den Weg läuft (Gleichnis vom Samariter), steht über der allgemeinen Liebe („Seid umschlungen, Millionen!"). In der allgemeinen Liebe werden Menschen geliebt als Menschen, als Landsleute, als Mitbürger, als Träger irgend eines unsere persönliche Leistungs- und Liebesfähigkeit übersteigenden Gemeinwertes: in der besonderen Liebe werden sie geliebt als diese im Hier und Jetzt aufscheinende, unserer Liebesfähigkeit entsprechende und sie nicht übersteigende Person, als individuelles Du. Die Entwicklungslinie der Problemstellungen verläuft etwa so, daß die Bibelkommentare den Anfang bilden könnten, obwohl dies nicht gewiß ist. Eine sehr vorläufige Auslassung bietet Kap. 6, lect. 4 des Epheserkommentars. Zwischen zwei Endpolen ist eine mittlere Stufe eingeordnet: die unterste Stufe, die als gerade noch „ausreichend" bezeichnet wird, umfaßt die auf Erden unerläßliche Liebe: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele, aus deinem ganzen Gemüte und aus allen deinen Kräften" (Mk 12, 30); die oberste Stufe im Himmel ergießt sich als Überschwang der vollendeten Hingabe: ,.Sie sind wie die Engel Gottes im Himmel" (Mt 22, 30); die mittlere Stufe ergreift den Stand der Räte und versucht sich nach Möglichkeit der obersten Stufe zu nähern. Ähnlich lauten die zum Teil bereits im vorigen Artikel erwähnten Ausführungen des Philipperkommentars, wo in Kap. 3, lect. 3 dieselben Endstufen figurieren wie im Epheserkoinmentar, während als mittlere Stufe die habituelle Bereitschaft, nichts gegen die Gottesliebe zu unternehmen, eingesetzt wird. Der Sentenzenkommentar geht von der aristotelischen Ineinssetzung des Ganzen und de.« Vollkommenen aus, um dann eine doppelte Ganzheit zu statuieren: das. was von Natur aus zu einem Ding gehört, und

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das, was zu ihm gehören soll: auf dieser Linie liegt die ganze 184, 2 Beantwortung (3, d. 27: 3, 4). Ähnlich wie in den Schriftkommentaren gestaltet sich die Einteilung noch in PVSp, wo jeder dieser drei Stufen je ein ganzes Kapitel (IV—VI) gewidmet wird; die Aufgliederung rückt in die Nähe der Schriftkommentare und sticht weit ab von der Quaestio disputata de Caritate, Art. 10. 11, die mit ihrer ganz neuen Dreiteilung Vollkommenes schlechthin, der Natur gemäß, dem Alter gemäß, im wesentlichen den Hochstand des Summa-Artikels erreicht. 3. G e b o t u n d R a t (Art. 3). — Das A n d e r s e i t s 184, * ist aporetischer Natur, da es den drei Einwänden eine rohe, ungegliederte These gegenüberstellt, die erst im Laufe der Antwort durch Unterscheidung von wesenhafter und werkzeuglicher Vollkommenheit entschlüsselt wird. a) Gebot und Vollkommenheit. — Ein Gebot erstreckt sich auf ein notwendiges Werk, wozu der Mensch durch Gesetz verpflichtet ist. Der Rat erstreckt sich auf ein Werk, das von der Verpflichtung des Gebotes frei ist, weil es nicht notwendig ist im Sinne einer durch Gesetz verlangten Leistung. Die Unterscheidung von Gebot und Rat ist von vielen Häretikern bestritten worden, obwohl doch Paulus sie ausdrücklich voraussetzt, wenn er sagt: „Ich meine das als Zugeständnis, nicht als Gebot" (1 Kor 7, 6) und: „Betreffs der Jungfrau habe ich kein Gebot vom Herrn. Einen Rat aber gebe ich . . . " (1 Kor 7, 25). Der ausführliche Nachweis, daß es sich bei den im Paulusbrief nachfolgenden Anregungen nicht um Gebote handelt, dürfte überflüssig sein. Wer den gesamten Pflichtenkreis mit der Erfüllung der Gebote in eins setzen wollte, würde große Bereiche der Freiheit zerstören, die Gott uns ausgespart hat (I—II 108, 4 : Bd. 14). Nur in der Freiheit gibt es Rechte, weil es nur in der Freiheit Pflichten gibt. Der Mensch ist gehalten, immer das Gute zu tun (1 Kor 10, 31; Kol 3, 17), weil nur das Gute dem Natur- und Sittengesetz entspricht, und weil das Schlechte nicht auf die Ehre Gottes hingeordnet werden kann. Dabei genügt es, wenn sittliches Tun im allgemeinen auf ein sittlich gutes Ziel hingeordnet wird, ohne daß jede einzelne Handlung mit Bewußtheit ausgerichtet werde auf dieses höchste Ziel, Gott selbst. Wer das Gute, das Wahre, das Heilige, das Schöne um seiner selbst willen liebt und verwirklicht, strebt in jedem einzelnen Akte auf Gott, der in letzter Instanz eben dieses Gute, Wahre, Heilige, Schöne selber ist. Dabei wird vorausgesetzt, daß die Endausrichtung auf den Gipfel aller Werte einmal mindestens bewußt eingeschlagen wurde und nie einen Widerruf erlitt. Diese Lehre ist beruhigend und weittragend. Das Naturgesetz verlangt, daß der gesunde Mensch allezeit mindestens einschlußweise auf ein Ziel hinstrebe und es zu verwirklichen suche. Sowohl die Selbstliebe als auch die Gottesliebe verlangt unaufhörlichen inneren Fortschritt, der für geschaffene, dem Gesetz der Tätigkeit unterworfene Wesen nur im Tun bestehen kann (..Mein Vater wirkt und auch Ich wirke immerdar" — J o 5, 17). Wer Müßiggang treibt, versündigt sich gegen dieses göttliche Vorbild des Wirkens und gegen das Beispiel des Apostels, 24 24

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184,3 der von sich sagen durfte: „ . . . I c h habe mehr als sie alle gearbeitet" (1 Kor 15, 10). So wie Gott in uns wirkt ohne Unterlaß, so müssen auch wir in Ihm wirken ohne Unterlaß. Man könnte diese Gedanken durch die Worte des hl. B e r n h a r d erläutern, welcher sagt, wir nähern uns Gott mit den Schritten der Liebe; die Liebe aber duldet keinen Halt und keine Rast. „Die Liebe ist mein Gewicht; sie trägt mich, wohin immer ich getragen werde" ( A u g u s t i n u s ) . Auch die Eigentätigkeit des menschlichen Geistes und Leibes — beide sind in sich selbst auf Tätigkeit hin angelegt, sogar während des Schlafes — spricht für diese Forderung der unaufhörlichen Selbstvollendung. Auch die Tatsache, daß es zwischen Gut und Böse kein Niemandsland, zwischen dem Reich Satans und dem Reich Gottes keine neutrale Zone gibt, lehrt Thomas ausdrücklich (I—II 18, 9: Bd. 9); also gehört es zum Inhalt der Gebote als solcher, daß wir immer nur Gutes tun. Näherhin betrachtet ist ein solches Wirken Ausfluß der Gottesliebe und der rechten Selbstliebe. Dasselbe Gebot, das uns verpflichtet, Gott aus ganzem Herzen zu lieben, verpflichtet uns, unermüdlich zur Ehre Gottes zu wirken. Soviel zum Gebot. b) Evangelische Räte und Vollkommenheit. — Ein evangelischer' Rat im hier einschlägigen Sinne ist ein gutes Werk, das besser ist als sein Gegenteil und von Christus den Gläubigen vorgeschlagen wurde zur Erlangung des ewigen Lebens. Unter den Gütern der Welt gibt es Stufengrade. Der Mensch hat die Möglichkeit und auch die Verpflichtung, eine Wahl zu treffen. Diese Wahl muß der Besonderheit der Umstände Rechnung tragen. So kann z. B. die Jungfräulichkeit, welche grundsätzlich besser ist als die Ehe, für den Einzelfall schlechter und deswegen gerade nicht geraten sein. Ähnlich verhält es sich mit anderen Räten. Bringt ein Rat eine mindestens leichte Verpflichtung mit sich? Diese Frage wurde im Laufe der Zeiten verschieden beantwortet. Man sprach von einer leichten oder läßlichen Sünde bei Nichtbefolgung des Rates. Die allgemeine Auffassung gehl heute dahin, daß es — weil in die freie Entscheidung gestellt — keine Sünde sein könne, dem Rate nicht zu folgen, also auch keine Verpflichtung bestehen könne, dem Rate zu folgen, sofern er ein allgemeiner Rat bleibt, wie er z. B. den drei klösterlichen Gelübden zugrunde liegt, ein Rat also, der nicht an eine besondere Adresse gerichtet ist. Der bereits erwähnte Beweis aus 1 Kor 7 dürfte genügen. Hier gilt, daß ein solcher im Bereich des Allgemeinen schwebender Rat nicht unmittelbar das letzte Heil betrifft, das nur dann durch Befolgung des Rates gefährdet werden könnte, wenn er für die betreffende Person nicht paßt. Damit spitzt sich die Fragestellung zu. Ist es Sünde, einem an uns persönlich adressierten Rat, einer echten Inspiration also, zu widerstehen? Das heißt, einem Rat, der uns durch die Stimme des Gewissens als höchst bedeutsam, vielleicht sogar als dringlich und verbindlich zugetragen wird? Der Grundsatz, daß eine Sünde um so weniger groß ist und um so weniger angerechnet wird, je mehr sie aus Unwissenheit erfolgt, ergibt in der Umkehrung, daß der größere Grad von Klarheit in der Entgegennahme einer solchen Inspiration das

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Wissen um die Sündhaftigkeit des Widerstandes vermehrt, also 184,3 die Verantwortung erhöht. Die göttliche Inspiration erleuchtet den Menschen; je klarer sie ist, um so mehr. Also nimmt die Größe der Verpflichtung mit der Klarheit des Wissens um den göttlichen Auftrag zu. Dazu kommt im Falle der Ablehnung die Undankbarkeit gegen eine angetragene göttliche Wohltat — denn ein solcher Rat kann nur eine Wohltat zum Gegenstand haben —, die Verachtung der Gnade und göttlichen Hilfe, die Verschmähung der zu Hilfe eilenden Liebe, welche in der göttlichen Weisung verborgen ist. Gott ist Gesetzgeber, dem wir Gehorsam, Freund, dem wir Willfährigkeit schulden. All dies gilt schlechthin von den als heilsnotwendig angeratenen Werken. Sind aber die Werke nicht als notwendig angeraten durch die Stimme des Gewissens, liegt also ein gewisser Freiheitsspielraum vor, so ist Vorsicht am Platze wegen der Gefahr teuflischer Einsprechungen. Denn „der Satan verkleidet sich in einen Engel des Lichtes" (2 Kor 11, 14). Das Gute an sich, z. B. strenges Fasten, kann ein Übel sein für diesen oder jenen Menschen und vom Teufel angeraten werden zur Überforderung seiner Kräfte, zur Schwächung und zu endlichem Ruin. Darum besteht eine Pflicht zur Prüfung. „Wollet nicht jedem Geiste trauen, sondern prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind" (1 Jo 4, 1). Ist keine Gewißheit der inneren Ansprache gegeben, so sind die Oberen zu befragen, welche den Fall zu prüfen in der Lage sind: „Löschet den Geist nicht aus. Propheten gäbe verachtet nicht. Prüfet alles, das Gute behaltet" (1 Thess 5, 19 ff.). Wer den Eifer der Liebe in sich zum Erlöschen bringt oder eine gute Regung in sich niederhält, löscht den Geist aus (Thomas zur Stelle). Diese Regeln gelten ganz allgemein ohne Ausnahme; eine im besonderen Fall zuteil gewordene göttliche Einsprechung ist unfehlbar richtig, wenn die Fehlerquellen ausgeschaltet sind, deswegen pflichtbegründend und befolgungswürdig. c) Verhältnis von Gebot und Rat. — Die Lösung Zu 2 wirft die schwierige Frage auf, ob die Vollkommenheit der Räte in den Geboten enthalten sei. Die Gegner der Gelübde aus allen Jahrhunderten würden staunen, bei einem Thomisten wie P a s s e r i n i folgenden Satz zu lesen: „Die Beobachtung der Räte ist an und für sich weder im allgemeinen ein sittlich gutes Werk noch eine Vollkommenheit des christlichen Lebens. Und insoweit Tugendakte, die nicht zum Bereich der Gebote gehören, zum Bereich der Räte gehören, ist kein solcher Akt ausschließlich aus sich selbst und für sich formgebend gut, weil allein die Liebe das schöpferische Formgesetz der sittlichen Gutheit und aller Tugenden i s t " D e u t l i c h e r kann man die Relativität der Räte von der Absolutheit der Gebote und der Liebespflicht nicht unterscheiden. Wie weit man gehen solle in der Liebe, hat Thomas in seinem Büchlein „Wider die Gegner des Ordenseintrittes" ausgeführt: „So wird denn das Gebot der Gottesliebe, das höchstes Ziel des christlichen Lebens ist, durch keinen Grenzstein eingeengt, so daß man etwa sagen könnte, bis dahin fällt die Liebe Gottes unter das Gebot und 1

24*

r a s s p r i n i T 58.

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184, 3 von da a b überschreitet die Liebe die Grenzen des Gebotes und fällt unter den Rat. Sondern es wird einem jeden geboten. Gott zu lieben, so sehr er kann, was aus der Form des Gebotes selbst hervorgeht, welches lautet: ,Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen H e r z e n ' " (Kap. 6). Man vergleiche Komm, zu 189, 1. Die Lehre dieses Artikels führt zu weittragenden Folgerungen für die Bereiche der Aszese und Mystik, die sich auf die These zurückführen lassen, daß j e d e r Christ gehalten ist, tatkräftig zur Vollkommenheit der Liebe als Endziel hinzustreben, wobei ganz von selbst die Vollkommenheit der Weisheit als Geistesgabe mitgesetzt wird. Da diese Problemstellung nicht im Blickfeld des hl. Thomas lag, sondern nur eine, wenn auch organische Erweiterung seiner Denkansätze darstellt, sei auf die einschlägige Literatur verwiesen. 1 184,4

4. Ü b e r s c h n e i d u n g e n d e r u n s i c h t b a r e n und d e r s i c h t b a r e n O r d n u n g (Art. 4). — Die innere Vielschichtigkeit des lateinischen Statusbegrifls erfordert Klärungen weitgehendster Art. Auch Artikel 4 ist mit dieser Aufgabe befaßt. Der im Titel erwähnte „Stand der Vollkommenheit" ist vornehmlich soziologisch gemeint, während die inneren übernatürlichen Reifestufen (ebenfalls Status genannt) ins Gebiet der Aszese und Mystik gehören. Es besteht keine spiegelgleiche Deckung zwischen inneren, unsichtbaren geistlichen Vollkommenheitsstufen einerseits, äußeren Stellungen und kirchlichen Rangstufen andererseits. Im Gegeneinwand wird die Lösung apodiktisch vorweggenommen, indem die gegensätzlichen Möglichkeiten aufgezeigt werden. Cajetan fügt den zwei im Artikel erwähnten Bedingungen des kirchlichen Standes — Verpflichtung auf feste Bindungen und Feierlichkeit der Übernahme — eine dritte hinzu: die Äußerlichkeit oder Sichtbarkeit der Verpflichtung, damit die Kirche in der Schönheit ihrer mannigfaltigen Gliedschaften allgemein faßbar aufleuchte.

184, 6

5. B i s c h ö f e und Ordensleute gehören zum Stande der Vollkommenheit (Art. 5). — Man hat zu unterscheiden zwischen einer ausdrücklichen oder förmlichen und einer nicht ausdrücklichen, sondern durch die Natur des Amtes gegebenen Verpflichtung zur Vollkommenheit. Bei Ordensleuten liegt eine ausdrückliche, öffentliche und feierliche Verpflichtung zur Erlangung der Vollkommenheit vor, die im Gelübde ausgesprochen wird. Anders bei den Bischöfen. So wenig die Weltpriester sich ausdrücklich und förmlich zur Ehelosigkeit verpflichten — die Weihegebete der römischen Kirche enthalten keine namentliche Erwähnung des Zölibates —, so wenig verpflichten sich die Bischöfe durch eine namentliche Erwähnung zur Erlangung der Vollkommenheit. Denn das P o n t i f i c a l e R o m a n u m enthält wohl Fragen nach dem Glauben und der Bereitschaft des zu Weihenden, aber k e i n e Spur eines eigentlichen Gelübdes. Um so nachdrücklicher ist iGarrigou-Lagrange, R., O.P., De Perlectione Christiana: Divus Thomas (Plac.) 1924, S. 162 sq.; Mystik und christliche Vollendung, Augsburg 1927, S. 122 ff.

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die durch die Natur des Amtes gegebene Verpflichtung zum 184, 5 Streben nach Vollkommenheit zu betonen. Der Hirt muß sein Leben dahingehen für seine Herde. Er muß also im äußersten Falle selbst zum Blutzeugnis bereit sein, und schon aus diesem Grunde muß er alles, was an Rang u n t e r dem Leben selbst steht, dahinopfern: zeitliche Güter aller Art, Gesundheit, sogar Ehre und Ruf, wenn die Nachfolge des Herrn das im Rahmen der Seligpreisungen der Bergpredigt mit sich bringt. So ist denn die Bindung des Bischofs an sein Amt eine strenge in dem Sinne, als ob ein Gelübde vorläge. Sünde gegen diese Bindung ist darum keine Sünde gegen ein Gelübde — ein solches wurde ja nicht abgelegt —, sondern Sünde gegen ein von Gott übernommenes Amt. Es wäre noch zu fragen, ob die Besitzergreifung des Bistums zur Folge hat, daß im Anschluß an die feierliche Versprechensablegung bei der Weihe ein ewiges Band zwischen Bistum und Bischof zustande komme. Die Frage ist viel umstritten gewesen, da Unklarheit bestand, ob die Unauflöslichkeit des Bandes begründet wird durch eine Bindung rechtlicher Natur im Sinne eines Vertrages oder durch eine Bindung moralischer Natur im Sinne der Treuepflicht als sittlicher Tugend. Man einigt sich am besten daraufhin, daß dieses Band naturrechtlich nicht unauflöslich sei, denn der Papst kann es lösen; daß es aber durch ausdrückliches Gelübde unauflöslich werden kann. Wenn man Mangel an Vorsatz und Mangel an Ausführung des Vorsatzes gut auseinanderhält, ist die Lösung Zu 2 leicht. Mangel an Ausführung macht noch nicht zum Lügner, wohl aber Mangel an Vorsatz oder Zielsetzung. Nur derjenige sündigt durch Mangel an Vorsatz, welcher klar bewußt und ausdrücklich entschlossen ist, nicht mehr nach den Normen seines Standes zu leben; der andere nicht, mag er im übrigen noch so viel versagen; das faktische Versagen geht auf Rechnung der Ausführung: Sünden der Unterlassung. 6. W e l t p r i e s t e r g e h ö r e n n i c h t z u m S t a n d e 184,6 d e r V o l l k o m m e n h e i t (Art. 6). — Die Dreiteilung der Ämter, die Thomas hier im A n d e r s e i t s und auch sonst voraussetzt, ist uralt. Sie stammt nicht, wie man zu vermuten versucht wäre, von D i o n y s i u s A r e o p a g i t a , der gerne das neuplatonische Triadenschema verwendet und auch in seinem Buch „Über die kirchliche Hierarchie" diese Dreiteilung folgerichtig durchgeführt hat. Die Aufgliederung in drei Stufen war längst vor der Wende des 4. zum 5. Jahrhundert vollzogen. Darum ist sie dogmengeschichtlich wertvoller und theologisch unanfechtbarer, als wenn sie auf D i o n y s i u s zurückginge, dessen Gedankengänge oft — freilich zu Unrecht — verkannt werden. Der ausführliche Nachweis, daß die Dreigliederuno in Diakonat, Presbyterat und Episkopat schon sehr frühe festliegt, findet sich im DThC unter Ordre. a) Würde des geistlichen Standes (Antwort). — Man hat zwischen Würde des Standes und Heiligkeit des einzelnen Standesangehörigen sorgfältig zu unterscheiden. Die objektive Würde des Standes bleibt in sich unberührt von der subjektiven Umviinligkeit des Einzelnen: gerade in der Kluft zwischen

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184, 6 beiden liegt das Ärgernis. Der Priester bleibt als Geweihter in Kraft des unauslöschlichen Merkmals eine quasi sacra res, ein gleichsam heilige Sache. Sehr oft trifft man, vor allem im gläubigen Landvolk, auf die Meinung, die Ausübung der sakramentalen Vollmachten begründe durch sich selbst eine gewisse persönliche Heiligkeit. Dafür scheint die ausdrückliche Lehre des Artikels zu sprechen: „Durch den Umstand, daß einige die Priesterweihe empfangen, erlangen sie die M a c h t , einige heilige Handlungen zu vollziehen." Für den einfach denkenden Gläubigen liegt der Schluß nahe, aus der Heiligkeit der objektiv vollzogenen Handlungen, eben aus der Macht, ergebe sich eine Heiligkeit der diese Handlung bewirkenden Ursache, also des Priesters. Der Irrtum grassiert weit und breit im Lande. Vor allem bei Primizfeiern in katholischen Gegenden wird oft von Heiligkeit des Amtes oder Standes gesprochen, als wirke sie gleichsam selbsttätig auf den Träger zurück. Die Vollmacht, heilige Handlungen zu vollziehen, schafft an sich keine Heiligkeit; diese muß auf anderen Wegen errungen werden. Dasselbe gilt für den bischöflichen Stand, wie aus der Artikelfassung deutlich wird. b) Bischof und Klerus. — Wie ist der Satz zu verstehen, die Priester usw. hätten nur gewisse Hilfsdienste unter der Führung ihres Bischofs zu leisten? Sind die Pfarrer und Hilfsgeistlichen nur Werkzeuge des Bischofs, der gleichsam die einzige und Hauptursache der Seelsorge darstellt, oder sind sie jeder in seiner Pfarrei Hauptursache für sich? Liegt die Verhältnisgleichung so, daß der Bischof sich zu seinen Priestern verhält wie der Architekt zu Maurern und Zimmerleuten? Ist der Begriff der ausschließlichen und alleinigen Hauptursache auf den Bischof anwendbar? Selbstverständlich ist der Zimmermann in bezug auf seinen Aufgabenbereich selbständig und darum Hauptursache, ebenso der Maurer, der Installateur und jeder Handwerker. In bezug auf das Ganze jedoch sind sie werkzeugliche Ursache. Für die These, daß der Bischof Hauptursache sei, spricht der Umstand, daß er sieben Vorrechte besitzt: daß er Taufwasser und Chrisma weiht, hauptamtlich firmt, das Krankenöl weiht, die Priesterweihe erteilt, die Jungfrauenweihe vornimmt, Pfarrkirchen einweiht und erster Lehrer seines Bistums ist, wozu man noch das Vorrecht zählen kann, daß er beim allgemeinen Konzil Teilnahmerecht und Stimmrecht hat. Dieses achte Merkmal gewährleistet eine aktive und passive Teilhabe an der Unfehlbarkeit der Kirche und des Lehramtes auf höherer Ebene. Von diesen Vorrechten aus gesehen ist der Bischof Hauptursache des Heils; so sind alle Geistlichen des Bistums Gehilfen des Bischofs, ähnlich wie Ordensgeneräle und Äbte Gehilfen des Nachfolgers Petri sind. Woher immer die Bischöfe ihre Vollmacht haben mögen, von Christus oder vom Papst, und wie immer man diese Ableitung bestimmen möge: Es bleibt der Unterschied, daß die Bischöfe durch Christi Einsetzung Hauptbevollmächtigte sind für das Seelenheil ihres Sprengeis; die Pfarrer hingegen sind als Diener der Bischöfe eingesetzt und haben deshalb den Rang von Werkzeugen oder Gehilfen. Dem Begriff des Werkzeuges widerspricht es nicht, daß es großen Einfluß ausübt und in vielen Bereichen selb-

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ständig entscheidet, wie aus dem angeführten Beispiel des 184 Hausbaues hervorgeht. ,Werkzeug' ist hier im weiteren Sinne zu nehmen. Denn streng genommen ist der Mensch im übernatürlichen Bereich sowohl als Lehrer wie als Priester, d. h. als Opferer und Ausspender der Sakramente, immer Werkzeugursache unter Christus, der allein Hauptursache ist. Auch der Bischof ist im übernatürlichen Bereich nur Werkzeugursache, jedoch den anderen übergeordnet. Behält man das iin Auge, so kann man das Verhältnis zwischen Hilfspriestern und Bischof im angegebenen Sinn der Werkzeugursache auffassen, weil die einfachen Priester nur in der Vollmacht des Bischofs und in völliger sakraler und rechtlicher Abhängigkeit von ihm ihr Amt ausüben. 7. B i s c h o f s s t a n d v o l l k o m m e n e r a l s O r d e n s - 184 s t a n d (Art. 7). — Die hervorragende Stellung der Bischöfe geht schon daraus hervor, daß sie im kirchliehen Schrifttum, in Recht, Theologie und Schrift an die dreißig Ehrentitel führen. J o h a n n e s v o m K r e u z hält dafür, daß der Vorrang der Bischöfe auf ihrer Nachfolge im Apostelamt beruht, weil das Amt der Apostel nach 1 Kor 12 und Eph 4 an erster Stelle v o r allen anderen Ämtern genannt wird. Die Frage Jesu an Petrus: „Liebst du mich mehr als diese?" beweist schlagend die Pflicht zu größerer Liebe v o r allen anderen Amtsträgern. Die größere Liebe aber ist schlechthin ein Zeichen größerer Vollkommenheit, nicht aber die Befolgung der Räte und sonstigen Übungen, wie schon entwickelt wurde. Die Übernahme des Amtes, das feierliche Treueversprechen bei der Ablegung des Amtseides muß bereits einem Akt begeisterter und feuriger Liebe entspringen. Die beste Erläuterung, die der fleckenlosen Selbstlosigkeit dieser Liebe gewidmet werden kann, ist die Erklärung der Kirchenväter zu 1 Tim 3, 1. Wenn es dort heißt: „Wer das Bischofsamt begehrt, begehrt ein gutes Amt", so meint Paulus nach der Auffassung der alten Kirche damit den Mut zum Martyrium. Wer im Hinblick auf große Gefahren und Drangsale, also aus dem Mut zum Martyrium heraus, nicht aber im Hinblick auf Ehren und Vorteile aller Art, das Amt übernimmt, stellt bereits den hier vorausgesetzten Grad der Liebe unter Beweis. Am Grad der geforderten Liebe, die eine aktive Liebe sein muß, eine Opferliebe, wird die Erhabenheit des Standes gemessen, nicht aber umgekehrt. 8. W e l t k l e r u s u n d O r d e n s l e u t e (Art. 8). — Die 184 mittelalterlichen Streitigkeiten haben für heutige Leser und vor allem für heutige Streiter im Reiche Gottes, das auf die Eintracht aller Mitarbeiter angewiesen ist, nur noch historische Bedeutung. Darum wird im einzelnen auf die äußerst verwickelten Zusammenhänge nicht eingegangen. Grundsätzlich sei nur eines bemerkt: Es mag manchen befremden, daß trotz des heroischen Einsatzes so vieler Weltpriester, trotz ihres auch von Thomas anerkannten und in mehr als einer Hinsicht klaren Vorranges doch die Ordensleute unter sonst gleichen Bedingungen irgendwie schlechthin den Vorrang bewahren. Wie ist das zu erklären? Thomas macht hier eine anderweitig sorg-

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184, 8 fältig bewiesene Voraussetzung (186, 8), nämlich den Primat des Voll-brandopfers der Gelübde. Die Ganzhingabe hat zur Folge, daß alle Gehorsamsakte umfassend geheiligt werden, daß sogar alle Seelsorgetätigkeit als Verlängerung und Ausstrahlung des Voll-brandopfers eine erhöhte Bedeutung erlangt. In diesem Zusammenhang steht das Ganzopfer einfach als Zeichen der restlosen Zugehörigkeit und Ungeteiltheit für den Grad der aktiven oder tatbewährten Liebe. Die A n t w o r t klingt als Nachhall der großen Streitigkeiten j e n e s Jahrhunderts, in dem die Bettelorden auf Leben und Tod um ihr Daseinsrecht kämpfen mußten. Der Artikel 8 stellt einen kurzen Auszug dar aus mehreren Kapiteln des Buches: „Von der Vollkommenheit des geistlichen Lebens". Da diese Streitigkeiten heute kaum mehr Bedeutung haben, sei auf das ausführliche W e r k des Aquinaten verwiesen. 1 Das letzte und vor Gott entscheidende Wort in diesen Fragen des Vorrangs, über die Christus S e i n Urteil bereits gefällt hat, als E r zu den Aposteln sprach: „Ihr wißt nicht, worum ihr bittet" (Mk 10, 38; vgl. Mk 9, 33 ff., L k 22, 24 ff.), spricht keine Theorie, sondern heiliger Wetteifer zwischen den verschiedenen Ständen und Ämtern der Kirche, denn „die Gnade des Heiligen Geistes kennt keine zaghaften Unternehmungen" (Gregor der Große). DER STAND

185, l

Zweites Kapitel DER ERREICHTEN V O L L K O M M E N H E I T : S T A N D DER B I S C H Ö F E (Frage 185)

Es ist ein Beweis für die Großzügigkeit und Weitherzigkeit des mittelalterlichen Geistes, daß man einem einfachen Mönch erlaubte, eine Art von Standeslehre für Bischöfe zu verfassen, und nicht nur dies, auch bittere Wahrheiten, sowohl für die in Feudalismus verstrickten Amtsinhaber als auch für die Führerbegabungen kommender Zeiten, einzustreuen. Hier wird in aller Bescheidenheit und Sachlichkeit von einem Vorrecht Gebrauch gemacht, das schon den Lehrern im Alten Bunde zugesprochen wurde (16, 2 E. 2 u. Zu 2 : Bd. 15) und das sinnentsprechend, im Rahmen selbstverständlicher Grenzen, auch von den Lehrern des Neuen Burides gilt: sie sind sui juris. Manches in der Linienführung ist überaltet, zum Beispiel die Vorschriften über das Almosengeben, die nur Sinn haben im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Struktur des mittelalterlichen Kirchenwesens, das meiste hingegen bleibt gültig für immer. Artikel 1 und 2 betreffen die Kandidaten; es wird ein Gegensatzpaar von möglichen Gewissensentscheidungen der für das hohe Amt in F r a g e kommenden Anwärter abgehandelt: das allzustarke J a zum Amte und das allzustarke Nein zur Annahme oder Ernennung; Artikel 3 betrifft die Wähler und gibt Richtlinien für schwierige F ä l l e ; Artikel 4—8 geht auf die F r a g e n ein, die sich für den Bischof nach Annahme des Amtes ergeben. i Übersetzt von Eberhard W e l t v O.I'.; Sammlung Geistesleben" VIII, Vechta/Oldenburg, 1933.

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„Dominikanisches

1. D a s S t r e b e n n a c h d e m B i s c h o f s a m t (Art. 1). — 185, l Das Anderseits enthält nicht die letzte Meinung des hl. Thomas, es dient lediglich der Herausarbeitung der beiden extremen Standpunkte: Erlaubtheit des Strebens nach dem Amt und Unerlaubtheit. In Wirklichkeit ist die Sachlage viel schwieriger, wie aus dem Folgenden hervorgeht. a) Würdigung der Motive (Antwort). — Wir betrachten eine der Wurzeln des fehlerhaften Strebens nach dem Amte und fassen die weitläufigen Ausführungen C a j e t a n s in wenigen Sätzen zusammen. Man hat zwei Arten des Strebens nach dem Bischofsamt und den damit verbundenen Gütern jeglicher Art zu unterscheiden. Wer Einkünfte sucht, um damit seine Seelsongspflichten zu erfüllen und seine Gewinne an Kirche und Arme auszuschütten, wer in diesem Bemühen sein Bischofsamt nicht mißbraucht zu irdischen Zwecken, sondern sich damit begnügt, sich seines Anteils und der ihm gebührenden Anerkennung zu erfreuen im beiläufigen Hinblick auf die Ehre Gottes, der sündigt nicht schwer. Aus diesem Grunde habe Thomas gesagt: es sei unerlaubt; nicht aber: es sei Todsünde. C a j e t a n findet den Grund darin, daß weder Geiz (Geldgier) noch Ehrgeiz schwere Sünden sind, wenn die Umstände nicht den Fall verschärfen und wenn das letzte Ziel des Strebens nicht in Geld oder Ehre hineinverlegt wird. Eine andere Form des Strebens läge darin, daß jemand die Ausübung seines Amtes dem Erwerb zeitlicher Vorteile unterordnet. Dann erlangen die zeitlichen Vorteile die Bewandtnis des Zieles und eine solche Zielsetzung wäre im vollen Sinne Todsünde. Vor allem, wenn Laien nach dem Bischofsamte streben — Thomas denkt an die Mißstände des Feudalismus —, weil die Unterordnung des Geistlichen unter das Weltliche eine Verkehrung der Weltordnung, einen Frevel gegenüber Gott bedeutet. Dieselben Überlegungen gelten für das Motiv des hohen Ranges in genauer Entsprechung. Ist der hohe Rang ausschließliches Ziel und Hauptsache des ganzen Strebens, so liegt Todsünde vor. Ist aber dieses Motiv nur ein Teilstrang der ganzen Motivverflechtung, liegen also im übrigen gerechte Zielsetzungen vor, so handelt es sich um unerlaubtes Streben (vgl. 132, 1 [Bd. 21] über die Erlaubtheit des Strebens nach Ehre und Ruhm). Ein Amt erstreben wegen des hohen Ranges, ist Vermessenheit, falls die erforderliche Eignung fehlt. Ist sie vorhanden, so liegt nicht ohne weiteres Vermessenheit vor, aoch werden für die Erlaubtheit des Strebens zwei Bedingungen gesetzt: erstens Dringlichkeit im höchsten Verzuge, unter Voraussetzung der grundsätzlichen Eignung (1 Tim 3, 2 ) ; zweitens Seeleneifer und göttlicher Antrieb. So weit C a j e t a n. Der Ehrgeiz ist ein verborgenes und für den Befallenen oft nur schwer erkennbares Laster. Gerade tugendhafte Menschen mit unbefleckter Laufbahn fallen ihm oft noch spät in ihrer Lebenskurve zum Opfer, nachdem einige Erfolge sie für die Einflüsterungen des Bösen mürbe gemacht haben. M a c D o ug a 11 nennt den Ehrgeiz „die letzte Schwäche eines edlen Geistes". 1 Wir zitieren aus dem Kapitel Persönlichkeit, die 1 „ A u f b a u k r ä f t e der und P a t h o p s y e h o l o g i e " ,

Seele, G r u n d r i ß e i n e r d y n a m i s c h e n S t u t t g a r t 19472. Anm. S. 238 f.

Psychologie

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185, l Integration des Charakters': „Ohne Übertreibung kann man sagen, daß es das dringlichste Problem der Demokratie ist, in Stellungen von beherrschendem Einfluß Männer großer Fähigkeiten zu bringen, die nicht naiv ehrgeizig sind, Männer, welche die Mühen durchhalten und die im Streit der Parteien unausweichlichen Faustschläge aus andern Motiven ertragen als aus reinem Ehrgeiz. Der verstorbene Lord Curzon liefert ein treffendes Beispiel eines ehrgeizigen Mannes. Er hatte eine sehr ehrenwerte und nützliche Laufbahn vollbracht, erfreute sich großer Ehre, Auszeichnung und Macht, besaß Reichtum und erreichte alles mit Ausnahme seines Zieles: Ministerpräsident zu werden. Und weil ihm dies versagt war, fordern uns seine Biographen und die Referenten dieser Biographien auf, sein Leben als erschütternde Tragödie zu betrachten und den Grafen selbst als Opfer von Qualen und Torturen, die unsere tiefste Sympathie verdienen." Für ehrgeizige Streber nach dem heiligsten Amte und für ihre Machenschaften gilt das Wort Jesu: „Wie könnt ihr zum Glauben kommen, da ihr Ehre voneinander annehmt, aber die Ehre von dem einen Gott nicht sucht!" (Jo 5, 44). b) Entwicklung des Problems bei Thomas. — Vergleicht man die grundsätzlichen Stellungnahmen — acht an der Zahl —, die Thomas außerhalb der Summa entwickelt hat, so wird man gewahr, wie ernstlich er in den letzten anderthalb Jahrzehnten seines Lebens mit zunehmender Genauigkeit um Klärung des Problems gerungen hat. Diese Frage ist bislang von den Bearbeitern der Quodlibeta nicht in den Kreis der Erwägungen gezogen worden. Wir beschränken uns auf die notwendigsten Bemerkungen, da im Rahmen eines Kommentars ein ausführlicher Beweis für die Richtigkeit der angeführten Reihenfolge nicht möglich ist. Zunächst sei eine kurze, nur vorläufige Überschau gegeben. Die Datierung richtet sich nach den Angaben bei M a n s e r (Wesen des Thomismus, § 2; Freiburg/Schweiz 1949). Man kann die verschiedenen Äußerungen unter dem Gesichtspunkt der thematischen Verfeinerung und Klärung in eine aufsteigende Stufenreihe ordnen, deren Einzelphasen nach dem jetzigen Stande der Forschung keine besonderen Schwierigkeiten verursachen, mit Ausnahme von 3 und 7. Einstweilen genüge eine systematische Aufstellung nach Literaturgattungen. Werk

Fundstelle

Datierung

1) Paulinenkommentar 2) V y) Isaiaskommentar

Hb 5,4 1 Tim 3, 1 Is 6 , 8

nach 1259 „ 1259 1256—59 oder zwischen 69—74 1269 oder 1270 1270 1271 1270-73

.(

4) Quodlibet II 5) I" v 6) 7) , XII 8) De Perfectione Vitae Spiritualis

Art. Art. Art. Art.

11 9 22 17

Cap. 19

1269-70

Der bisher nicht beachtete Text zu H e b r ä e r s , 4 ist als» Wurzel und Ausgangspunkt der ganzen Problematik zu erken-

370

nen: „Es ist gegen die Natur, daß einer sich hochschwinge zu 185, l einem Stande, der höher liegt, als seine Natur es gibt. So macht «ich die Luft nicht selbst zu Feuer, sondern sie wird es durch ein Höheres. Darum gibt es in der Schule Gottes kein Beispiel dafür, daß einer sich Ehre nehme durch Begünstigungen, Geld, Macht" — als Beleg f ü r die falsche Einstellung zur Ehre zitiert Thomas Arnos 6, 14: ,Haben wir nicht durch unsere eigene Stärke Hörner erworben?' und Osee 8, 4: ,Sie haben geherrscht, aber nicht nach meinem Willen' (dem Sinne nach ist die Stelle hier verwendbar, wenn auch nicht nach dem hebräischen Wortlaut: ,Sie haben Könige g e w ä h l t . . . ' ) —, „sondern man muß gerufen sein von Gott wie Aaron: ,Wende dich an Aaron' (Ex 28, 1). Und darum hat der Herr sein Priestertum durch das blühende Reis bestätigt, wie aus Nm 17 hervorgeht. Es müssen also Männer erwählt werden, die sich nicht aufdrängen. Und darum wurden sie von altersher durch ein Zeichen verkündet, wie man sieht am hl. Nikolaus und an vielen anderen . . . Auch Christus .hat sich nicht selbst verherrlicht, um Hoherpriester zu werden' (Hb 5, 5). Es gibt jedoch einige, die sich selbst bemühen, um es zu werden, wie die Heuchler, die Verschiedenes an sich hervorheben, um gewählt zu werden oder Pfründen zu erlangen, und doch macht sich keiner selbst zum Hohenpriester. Christus hat sich aber nicht nur nicht zum Hohenpriester gemacht, sondern Er hat sich auch nicht verherrlicht, um Hoherpriester zu werden: ,Ich suche nicht Meine E h r e . . . Mein Vater ist es, der Mich ehrt' (Jo 8, 50. 54)." Diese Auslassung ist grundlegend für die Beurteilung der späteren Entscheidungen. Die Datierung der Paulinenkommentare ist im einzelnen ungewiß. Man wird naturgemäß annehmen, daß Thomas seine Erläuterungen der üblichen Reihenfolge nach vorgetragen hat, so daß also die folgende Auslassung aus dem Kommentar zum ersten T i m o t h e u s b r i e f früher liegt als der soeben aufgewiesene Text aus dem Kommentar zum Hebräerbrief. Man würde demzufolge für die Priorität des nun folgenden Abschnittes eintreten und die zitierte Stelle aus dem Hebräerbriefkommentar später verfaßt sein lassen. Dann aber stößt man auf eine erhebliche Schwierigkeit. Die Erklärung zu Hb 5. 4 ist problemgeschichtlich keimhaft, die Beweisführung erfolgt aus einem einzigen metaphysischen Prinzip und sie ist fast rein negativ. Hingegen führt die Auswertung des berühmten, viel mißbrauchten und bald schon berüchtigten Pauluswortes aus 1 Tim 3, 1 bereits über das rein Exegetische hinaus zu genaueren pastoraltheologischen Thesen; sie baut auf einer Disjunktion auf und löst die Frage im Entweder—Oder. Man wird kaum behaupten können, Thomas habe im Rahmen eines Bibelkommentars aus methodischen Gründen auf die Frage nicht näher eingehen dürfen, denn er verwendet immerhin einigen Raum, um schließlich zu einem Dilemma zu gelangen: Anstreben des Bischofsamtes ist entweder töricht oder vermessen. Demnach ist diese Betrachtung auf Grund ihrer Ausführlichkeit im vollen Umfang tragfähig für unsere Beweisführung, ein locus proprius, der von zwei Gesichtspunkten ausgeht: dem hohen Rang und der apostolischen Arbeit.

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Wer das Erste (das Nebensächliche: Ehre und Macht) anstrebt, weiß nicht, was ein Bischof ist. Man darf also das Amt nicht erwünschen. Als Zeuge der Überlieferung steht ein A u g u s t i n u s w o r t , wonach dieses hohe Amt selbst dann ungebührlich angestrebt wird, wenn es gebührlich verwaltet wird. Die Schlußfolgerung ist unerbittlich: entweder strebt man das Äußerliche (Ehre und Macht) an, dann liegt Unkenntnis vor, oder man strebt das ,.gute Werk" an, und dann ist es Vermessenheit. Interessanterweise fehlt in der Charakterisierung der höheren Vollkommenheit des Bischofs das später so typische d i o n y s i a n i s c h e Element: der Bischof als Vollender. Mehr hat Thomas in dieser Entwicklungsstufe seiner Ideen nicht zu sagen. Q u o d l i b e t II, Art. 11 handelt über die Frage: Ob es eine Sünde sei, die Prälatur anzustreben. Der Eingang der Antwort ist bezeichnend: A u g u s t i n u s l ö s t die Frage. Die Verbescheidung ist fast genau dieselbe wie im Timotheuskommentar, nur wird neben einem A r i s t o t e 1 e s zitat noch Hb 5, 4 beigefügt; dann folgt allerdings eine leichte Milderung der Antwort: man könne erlaubterweise danach streben, der Auszeichnung würdig zu werden. Q u o d l i b e t III, Art. 9 handelt über die Frage: Ob es einem erlaubt sei, sich um die Lehrbefugnis in der Theologie zu bewerben. Diese wird mit der Bewerbung um das Bischofsamt verglichen; erstere ist unter Bedingungen erlaubt; letztere nicht. Es ist i m m e r abwegig (vitiosum; vielleicht sogar: sündhaft, lasterhaft), sich um das Bischofsamt zu bewerben. Q u o d l i b e t V, Art. 22 handelt über die Frage: Ob man besser tue, einer kanonischen Wahl zuzustimmen, oder sie abzulehnen. Wer auf Ehre, Reichtum, Zeitliches geht, täte besser daran, abzulehnen. Wer den Fortschritt der Kirche im Auge hat, ist von guter Absicht beseelt. Tritt die vollendete Eignung hinzu und überdies die Befähigung durch die Gnade (2 Kor 3, 6), so darf man im Hinblick auf die eigenen Mängel aus Demut ablehnen (Jer 1, 6) oder aus brüderlicher Liebe annehmen (Is 6, 8). Weil es also sehr schwer ist, sich als rein zu erkennen, lehnt man sicherer ab, jedoch nicht hartnäckig, wenn der Wille Gottes in der Wahl erblickt werden kann. So weit Thomas. In diesem Entscheid, der zu der bisherigen negativen Antwort eine neue positive hinzufügt, bahnt sich die Wende an. Darf nun an dieser Stelle der Reihenfolge das K a p i t e l 19 im Büchlein „ V o n d e r V o l l k o m m e n h e i t d e ' s g e i s t l i c h e n L e b e n s " eingeordnet werden? Es scheint nicht. Denn die Gefahren des Bischofsamtes, die freilich gemeinhin viel zu wenig gesehen werden, sind im Anschluß an die Väter gewissenhaft nachgezeichnet, und so enthält diese erste ausführliche Darstellung ausschließlich Überlegungen, welche gegen die Erlaubtheit des Strebens nach dem Bischofsamte sprechen. Darum muß es v o r der Abfassung von Qlb V 22 angesetzt werden, denn es ist nicht glaubhaft, daß der Aquinate mit PVSp eine brüske Frontschwenkung nach rückwärts gemacht habe, um dann wieder nach vorn in die Richtung der endgültigen Lösung vorzustoßen. Wenn aber Qlb V 22 n a c h dem Büchlein „Über

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die geistliche Vollkommenheit'' zu datieren ist, liegt es frühe- 185. i stens nach der Jahreswende von 69 auf 70, und so wird die allgemein anerkannte Datierung dieses Qlb V auf ein späteres Datum, nämlich auf Weihnacht 1271, durch ein neues Argument wahrscheinlich gemacht. A r t i k e l 185, 1. Die Aufgliederung der Stofimasse erfolgt nach drei Gesichtspunkten: Geistliches Wohltun zum Nutzen des Bistums, — Erhabenheit der Würde, — Ehre und Reichtum. Mit der Entscheidung der Frage wird beim letzten der drei Gesichtspunkte begonnen. Das Anstreben des bischöflichen Amtes wegen damit verbundener Ehren und Reichtümer ist unerlaubt, Anstreben wegen Erhabenheit der Würde ist Vermessenheit. Streben nach geistlichem Wohltun zum Nutzen des Bistums ist an und für sich erlaubt und tugendhaft. Weil aber die Möglichkeit des Wohltuns untrennbar gekoppelt ist mit der Erhabenheit der Würde, bleibt es immer noch Vermessenheit, nach Wohltun zu streben. Wer hingegen Würde und Wohltun sorgfältig trennt, darf, wenn Gefahr im Verzuge ist, das Wohltun im bischöflichen Amte, nicht aber die Würde anstreben, wobei die Eignung im Vollumfange vorhanden sein muß. Wir kommen nun zum letzten Q u o d l i b e t XII 17 über die Frage: Ob es erlaubt sei, nach dem Bischofsamt zu streben. An Steile des bisher gewohnten Hin und Her, des Für und Wider, wird in Form einer „Determinatio" darum kurz und bündig, ohne jede Vorbereitung erklärt: Man kann nach dem Bischofsamte streben. Der Wichtigkeit halber sei der Text des Reportatums wörtlich wiedergegeben: „Darf man das Bischofsamt anstreben? A n t w o r t : In d o p p e l t e r Weise kann man das Bischofsamt anstreben: entweder wegen einer dringenden oder wegen einer nichtüringenden Notwendigkeit. Das e r s t e in d o p p e l t e r Weise: nämlich, wenn ein Auftrag des höheren Oberen vorliegt, o d e r wenn sich keiner findet, der die Last des Amtes auf sich nehmen will. Eine solche Notwendigkeit vorausgesetzt, ist es (sogar) verdienstlich, (das Bischofsamt) anzustreben. So heißt es in Is 6, 8: ,Wen soll Ich senden? Wer wird für Uns gehen?' und Isaias antwortet: ,Siehe, hier bin ich, sende mich!' — nachdem er sich vorher allerdings für unwürdig erklärt hatte (das Amt zu übernehmen). Im z w e i t e n Falle, wenn nämlich keine dringende Notwendigkeit vorliegt, ist es nicht erlaubt, weil es in diesem Falle nicht sein kann e n t w e d e r ohne eine Makel der Ungerechtigkeit, da er als der Geringere den Größeren vorgesetzt werden will; o d e r ohne die Makel der Vermessenheit, wenn er sich für tüchtig genug hält, anderen vorgesetzt zu werden. Deshalb sagt C h r ys o s t o m u s zu der Stelle ,Die Könige der Heiden (sind Herren Uber sie)': ,Die ersten kirchlichen Würden anstreben ist weder recht noch nützlich'." Das eben zitierte Qlb XII 17 enthält eine der kürzesten und entscheidendsten Lehrentscheidungen in der so umfangreichen Sammlung (über 250 Artikel). Der Lehrfortschritt ist offensichtlich. Man spürt fast die Ungeduld heraus, die in der lapidaren Textfassung durchzubrechen scheint. Die reife, ausgewogene, auf letzte Kürze gebrachte Entscheidung des Meisters: das letzte

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185, l

Wort nach so vielen tastenden Versuchen. Demgegenüber springt das Relief des Summa-Artikels 185, 1 zwar plastisch hervor, doch ist die Sicherheit des Zugriffs nicht so groß wie in dem von P e i s t e r auf das vorletzte Lebensjahr des Aquinaten (1273) angesetzten Kurzentscheid. Auf alle F ä l l e möchten wir Qlb X I I 17 später legen als die Abfassungszeit der I I — I I , die von mehreren Kennern zwischen die J a h r e 70—72 eingeordnet wird. Der bislang übersehene Passus zu I s a i a s 6, 8 muß nach inhaltlichen Kriterien eingestuft werden, da die zeitlichen Anhaltspunkte zu einer Einordnung nicht ausreichen, erstreckt sich doch die Datierungsspanne nach M a n d o n n e t bzw. D e s t r e z über einen Zeitraum von mindestens anderthalb Jahrzehnten, wenn nicht mehr (1256—1274). Thomas gliedert die Erläuterung auf in zwei Gesichtspunkte: das Einverständnis des zu Sendenden wird gefragt, dann wird von diesem die Zustimmung angeboten. Die F r a g e : „Wen soll Ich s e n d e n . . . und wer wird für Uns g e h e n ? " richtet sich an den Gottesboten, dessen Einverständnis eingeholt wird. Es ist typisch, daß hier schon die Horizonte mittelalterlicher Mißbräuche aufleuchten: eitle Ehre und zeitlicher Gewinn werden ausgeschlossen durch das Wörtlein ,Uns' in dem Sinne, daß der Gottesbote (Thomas zufolge) nicht für sich, sondern für die drei Personen der Gottheit auf Reise geht. Dann erbietet sich der Angesprochene zum Gehors a m : „Siehe, da bin ich, sende mich". Nun folgt der bekannte Gegeneinwand: es scheint anmaßend zu sein, einen solchen Auftrag anzunehmen, da doch M o s e s (Ex 3, 10 u. 4, 10) und J e r e m i a s (1, 6) widerstrebten. Die Lösung wird gewonnen aus einem G r e g o r i u s wort, als dessen Fundort eine J e r e m i a s glosse figuriert: „Beides geschah aus der Wurzel der Liebe heraus. J e n e r wollte aus Gottesliebe nicht den Trost der Beschauung v e r l i e r e n ; dieser wollte aus Nächstenliebe gesandt werden, um zu dienen. Und doch hat j e n e r nach Erhalt des Befehls sich nicht hartnäckig geweigert, noch hat dieser sich dargeboten, bevor er geläutert und aufgefordert war". Was den Reifegrad dieser Texterklärung betrifft, so steht sie in der Nähe von Qlb V oder X I I , vielleicht genau zwischen den beiden, oder kurz v o r bzw. n a c h Qlb V, auf keinen Fall n a c h X I I . Wohl aber ganz gewiß n a c h PVSp. Dieses Werklein ist kostbar, weil es — Ende Dezember 69 oder J a n u a r 70 verfaßt — einen festen Terminus ante vel post darstellt: wie erwähnt, argumentiert Thomas ohne jedes Zögern gegen die Erlaubtheit des Strebens nach dem Bischofsamt. Also muß diese Stelle des Isaiaskommentars später liegen, das ist das Mindeste, was sich mit Sicherheit erschließen läßt. Wenn in obigen Überlegungen keine Fehlschlüsse verborgen sind, erhält man in der zeitlichen Reihenfolge eine klare Staffelung der Reifegrade. (Tabelle auf Seite 375 )

185,2

2. A b l e h n u n g d e s B i s c h o f s a m t e s (Art. 2). — Der Aufbau ist durchsichtig. Aufgabenbereich des rechtmäßigen Eigenwollens ist das eigene Heil; Aufgabenbereich des Wollens, das vom Willen anderer abhängt, ist das Heil anderer. Und über letztere Zielsetzung verfügt die zuständige Obrigkeit. Das

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Titel des Werkes

Fundstelle

Ergebnis

Hebräerkommentar Paulinen kommentar Quodlibet II III De Perfeciione Vitae Spirilualis

Hb 5.4 1 Tim 3 . 1 Art. 11 Ait. 9

Ablehnung eindeutig; fast nur negativ

Quodlibet V

Cap. 19 Art. 22

1 I I - I I 185 Isaiaskommentar

Quodlibet XII

Annahme u n d nung gestattet, nung sicherer

AblehAbleh-

Art. 1 und 2 Is 6 , 8

Ablehnung u n d Annahme gestaltet, Annahme Pflicht unter Bedingungen

Art. 17

Annahme bei dringender Notwendigkeit erlaubt u n d verdienstlich, andernfalls ungerecht oder vermessen

Scblußfolgerungsgefüge läßt sich etwa so auflösen: Was Unordnung des Willens enthält, ist unerlaubt. Ein aufgetragenes Amt zurückweisen, ist Unordnung des Willens. Also ist die Zurückweisung unerlaubt. Der Obersatz bedarf keines Beweises. Der Untersatz geht aus von der Unterscheidung dessen, was dem Menschen anzustreben erlaubt ist nach eigenem oder nach fremdem Willen. Nach eigenem Willen ist das Heil anzustreben, dem fremden Willen muß man gehorchen. Ehrgeiziges Streben ist genau so sicher ein Zeichen der Unordnung des Willens wie die Verweigerung des Dienstes. Denn die Verweigerung widerstreitet erstens der Liebe, deren Forderungen man sich je nach dem Wechsel der Umstände anzupassen hat; zweitens der Demut, zu deren Eigenschaften es gehört, sich den Weisungen der Oberen zu unterwerfen. Eine grundsätzliche Unklarheit im Ausdruck hat C a j e t a n beseitigt: „Wie es Zeichen der Unordnung des Willens ist, daß jemand sich auf eigenen Antrieb dazu hinreißen läßt, nach der Herrschaft über andere zu streben, so ist es Zeichen der Unordnung des Willens, daß jemand um jeden Preis gegen die Weisung des Oberen das Amt der Herrschaft ablehnt." Dieser Satz ist doppelter Auslegung fähig. a) Das erste Glied: Streben nach der Herrschaft aus eigenem Antrieb, bedeutet nicht in allen Fällen eine in sich schlechte Haltung, weil es ein gerechtes Streben nach der Herrschaft gibt (Art. 1); das zweite hingegen, die Ablehnung der Weisung des Oberen,- ist in sich immer schlecht. b) Das erste Glied: Streben nach Herrschaft aus Vermessenheit, bedeutet immer und ausnahmslos eine schlechte Haltung; die Ablehnung der Weisung des Oberen ebenfalls.

375

185, 2

In diesem zweiten Falle stimmt also der Vergleich für die Unerlaubtheit beider Glieder gleichmäßig. Welche Auslegung ist richtig? Beide sind richtig, der Text läßt die Frage offen. Forderung der Unbescholtenheit (Zu 2). — Es genügt nicht, daß ein kirchenrechtliches Hindernis im Sinne der erlassenen Vorschriften nicht vorhanden sei. Es ist möglich, daß im Leben eines Anwärters Fehltritte oder Verstöße geringer Art sich ereignet haben, die ihm später, wenn er das hohe Amt annehmen würde, die schwersten Ungelegenheiten bereiten könnten. Viele Fehltritte geraten zunächst in Vergessenheit, so lange der Betroffene in einer gewissen Verborgenheit lebt. Tritt er plötzlich ins helle Licht der Öffentlichkeit, so werden alte vergessene Ereignisse „aktuell" und beginnen ihre Wellen zu werfen. Darum ist der Anwärter verpflichtet, die Möglichkeit etwaiger späterer Skandale seinen Oberen zu offenbaren. Wer dies nicht tut, d. h. wer sich auf sein „Glück" verläßt, in der Hoffnung, die Mitwisser würden schweigen und darum ein Skandal nicht ausbrechen können, bringt nicht bloß seinen eigenen guten Ruf in Gefahr, er setzt auch den Ruf seines Standes aufs Spiel und fügt der Kirche an hoher Stelle schwersten Schaden zu. Päpstliche Autorität. — Der junge Thomas erklärt (4, d. 29: a. 4), wenn der Papst nicht das Recht hätte, die Annahme des Bischofsamtes zu befehlen, so würde die Ordnung in der Kirche zusammenbrechen. Andererseits könnte die Kirche wiederum keinen Bestand haben, wenn die Fähigen nur unter Zwang das Amt annehmen würden. Die geistliche Ehe des Bischofs mit seinem Bistum bedeute für ihn wohl Dienst, aber keine körperliche Knechtschaft. (Zur Dialektik von Knechtschaft und Freiheit im allgemeinen siehe 189, 2.) Es ist durchaus nicht so, als ob mit der Betonung der päpstlichen Autorität einsame Pfade begangen würden. Auch die erbitterten Gegner beriefen sich auf die Autorität des Römischen Stuhles. G e r h a r d v o n A b b e v i l l e (f 1271) entwickelt als eine seiner Hauptthesen, daß die Kirchengüter dem Römischen Stuhl Ansehen verleihen und daß der Papst als Nachfolger Petri über zeitliche und geistliche Güter nicht nur Vollmacht besitze, sondern auch ebendarum die oberste Stufe der Vollkommenheit einnehme. Der Magister H e i n r i c h der P o e t (f 1265 in Würzburg) geht noch weiter und hält dafür, daß der Papst rechtmäßiger Eigentümer alles Kirchengutes sei.' So wetteiferten die Parteien in der Anerkennung der Suprematie des Heiligen Stuhles. Es wird Aufgabe von Band 32 sein, bei Anlaß der Erörterungen des Bischofsamtes die Linien der Unabhängigkeit, aber auch der Abhängigkeit von Rom deutlicher zu zeichnen. Es genüge ein Zitat aus der Enzyklika „Mystici Corporis": „Deshalb sind die kirchlichen Oberhirten nicht bloß als die vorzüglicheren Glieder der allgemeinen Kirche anzusehen, weil sie durch ein ganz eigenartiges Band mit dem göttlichen Haupte des ganzen Leibes verbunden sind und daher mit Recht die wichtigsten Teile der Glieder des Herrn genannt werden, sondern jeder einzelne in i Nachweise bei H i r s c h e n h a u e r , S. 56.

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seinem Sprengel weidet und leitet im Namen Christi als wahrer 185, 2 Hirte seine eigene, ihm anvertraute Herde. Bei dieser Tätigkeit sind sie freilich nicht ganz eigenen Rechtes, sondern der dem römischen Papst gebührenden Gewalt unterstellt, obwohl sie eine ordentliche Rechtsprechungsgewalt besitzen, die ihnen unmittelbar gleichfalls vom Papst erteilt wird." Aus dieser Verlautbarung geht hervor, welch enger Zusammenhang besteht zwischen dem Oberhaupt und den Bischöfen. 3. B e f ä h i g u n g d e r A n w ä r t e r (Art. 3). — Die Ant- 185,3 wort unterscheidet zwei Gesichtspunkte: 1. Muß der Wählende immer den Besseren wählen? 2. Muß der Gewählte sich in seiner eigenen Auffassung für besser halten? Daß einer besser sei, kann verschiedenen Sinn haben, einmal besser unter sämtlichen oder wenigen Gesichtspunkten oder besser unter einem einzigen Gesichtspunkt. Es kommen zur Beurteilung in Frage: Heiligkeit, theologisches Wissen, Fähigkeit zur Menschenführung, zur kirchlichen Verwaltungspraxis, Beredsamkeit usf. Das Ergebnis lautet so: Der Wählende ist nicht verpflichtet, den schlechthin Besseren zu wählen (non tenetur); es genügt, wenn er den für die Kirchenführung mehr Geeigneten wählt. Der Grund dieser Entscheidung liegt im Primat des Gemeinwohls, das nur gesichert ist, wenn der Fähigere, nicht wenn der Würdigere an die Spitze gelangt. Die Forderung des friedlichen Verwaltens klingt heute seltsam. In jenen fehdelustigen Zeiten, wo so viele Bischöfe als Reichsfürsten zum Heerbann verpflichtet waren, wo manche Kirchenführer mehr im Sattel als im Lehrstuhl saßen, wo Bischöfe mit eigenen Städten, also mit den Schafen ihrer Herde, in blutigen Händeln lagen, tat eine solche Forderung nach friedfertiger Verwaltung not. Wenn Thomas zu der vorsichtigen Formel greift: der Wählende sei nicht gehalten, den schlechthin Besseren zu wählen, so läßt er immerhin offen, daß der Wählende b e r e c h t i g t sei, ihn zu wählen. Offenbar denkt er daran, daß der schlechthin Bessere im Reiche Gottes auf lange Sicht die bessere Arbeit tut, wenn auch zeitlich befristete Mängel unvermeidbar sind. Auf diese Weise wird jedenfalls der Primat des übernatürlichen Gemeinwohls besser gewahrt, als wenn zum Beispiel ein befähigter Verwaltungsfachmann gewählt wird, der in seinem Fach hervorragt, aber in anderen wichtigeren Gebieten völlig versagt. Bei Behandlung der Frage, „ob bei Vergebung von geistlichen Gütern das Ansehen der Person mitspielen dürfe", unterscheidet Thomas sorgfältig zwischen einem geistig reichen, an Gaben überquellenden Menschen von höherer Würdigkeit und einem anderen, der weniger heilig und weniger gelehrt ist. dafür aber infolge seiner weltlichen Macht oder seines Eifers mehr zum Gemeinwohl beiträgt. Er löst die Frage dahin, daß die weniger Guten den Besseren vorgezogen werden dürfen, wenn der allgemeine Nutzen nach 1 Kor 12, 7 es fordere, weil auch Gott die außerordentlichen Gnadengaben bisweilen den weniger Guten verleihe (63. 2: Bd. 18). Der Erwählte braucht sich nicht für besser zu halten als andere. Es genügt, wenn er nichts in sich vorfindet, was die

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185, 3 Annahme unerlaubt machen würde oder sonstwie nicht rätlich erscheinen ließe. Wenn jemand sich für besser hielte, so wäre das hochmütig oder vermessen. Zu 1. Der Primat der Liebe leuchtet hellauf, wenn es heißt, in ganz besonderer Weise müsse geachtet werden auf die Glut (eminentia) der Liebe. Man kann hinzufügen, daß es auf die Uneigennützigkeit der Liebe hier besonders abgesehen ist. Der Herr fragt Petrus nicht etwa: Liebst du Meine Schafe? oder, was noch auffälliger wäre: Liebst du deine Schafe? Die Frage lautet: „Liebst du Mich?" (Jo 21, 15). Die Berechtigung zum Hirtenamt geht primär über die Gottesliebe, nicht über die, wenn auch noch so edle Menschenliebe. Damit ist eine höchste Reinheit der Absicht gefordert, die in völliger Transzendenz der Liebe gipfelt. Hier ist eine Grundregel jedes echten Apostolates eingeschlossen: Nur wer echte Gottesliebe aufbringt, erlangt die innere Berechtigung, Seelsorge zu treiben; nur wer in dieser letzten Uneigennützigkeit steht, kann Seelsorge auf lange Sicht und mit Tiefenwirkung treiben. Eine noch so spontane Sympathie, eine angeborene Fähigkeit zur Menschenbehandlung, alle Suggestion und Pädagogik genügen nicht. Da die Gottesliebe in innigstem Zusammenhang steht mit der Gabe der Weisheit, ergibt sich die Notwendigkeit, d e n Anwärter zu wählen, der nicht etwa die größere n a t ü r l i c h e Klugheit (außerordentliche Einzelbefähigung auf irgend einem Gebiet), sondern die größere übernatürliche Weisheit, d. h. die umfassendere Überschau über die geistlichen Nöte und Bedürfnisse des Bistums besitzt. Auch die Gefährten des Petrus waren würdige Apostel, aber nur die Glut der Leidenschaft, der Eifer in der Liebe waren für den Herrn entscheidend. C a j e t a n stellt die Frage, ob Bischöfe das Doktorat in Kirchenrecht oder Theologie gemacht haben müssen. Seine Antwort ist so bedeutsam für den echten, unverfälschten Geist des Thomismus, daß sie verdient, hier festgehalten zu werden. „Zu dieser Frage sagen einige folgendes: Wenn auch den Bischöfen in alter Zeit theologisches Wissen eher anstand als rechtliches Wissen, weil man damals gegen die Ketzer mit dem Schwert der Theologie vorgehen mußte, so empfiehlt es sich heute eher, daß die Bischöfe rechtskundig sind, weil mehr Fragen auftauchen, die das Recht betreffen, als solche, die den Glauben betreffen. — Diese aber irren sich gründlich. Schon deswegen, weil das Amt der Bischöfe, das ihnen bei der Weihe auferlegt wird, die Predigt ist. Gegenstand der Predigt aber ist nicht das Recht, sondern die Frohe Botschaft, da der Herr kündet: ,Predigt die Frohbotschaft' (Mk 16, 15), in der die Heilige Schrift mitenthalten ist, die wahrhaftig und eigentlich theologisches Wissen darstellt. Und heute sind die Bischöfe nicht weniger als ehemals verpflichtet, zu predigen. Denn heute wird ihnen nicht weniger als damals dieses Amt auferlegt, obwohl der Mißbrauch heute so weit verbreitet ist, daß keiner da ist, der es tut, ,fast bis auf einen' (Ps 14 [13], 1. 3). — Dann aber auch deswegen, weil der Bischof mehr verpflichtet ist, das Volk zu lehren, wie es die guten Sitten be-

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wahrt — und sie zu bewahren hat Jesus Christus aufgetragen 185, 3 (Mt 28, 20) —, als die Menschen in den heiligen Rechtsvorschriften zu unterrichten, die nicht der Herr selbst, sondern die Menschen aufgestellt haben. Es steht nun fest, daß es eine Sache der theologischen Wissenschaft ist, zu lehren, wie man die Herrengebote beobachtet; diese Wissenschaft hat d e r Herr den Aposteln eingegossen (Lk 24, 45; Jo 14, 26). Und darum besteht heute, selbst wenn die Glaubensprobleme nicht mehr vordringlich wären, eine höchste Notwendigkeit, d i e Sitten zu lehren, die den Geboten des H e r r n entsprechen. Und darum sind die Bischöfe verpflichtet, zu allen Zeiten Theologen zu sein, nach dem Wort des Apostels: ,Einige hat er aufgestellt als Hirten und Lehrer' (Eph 4, 2). Zweifellos meint der Apostel eine doppelte Lehre, die der Herr den Aposteln aufgetragen hat: Glaubenslehre und Sittenlehre. In bezug auf die erste sagt e r : ,Predigt die Frohe Botschaft' (Mk 16, 15); in bezug auf die zweite: ,Lehret sie alles halten, was Ich euch geboten habe' (Mt .28, 20)." 4. V e r z i c h t a u f A m t s a u s ü b u n g (Art. 4). — Man 185.4 kann die Idee des Amtes und der Würde so sehr übersteigern, daß sie gleichsam absolut gesetzt werden. Dann verschmilzt Person und Amt ineinander, d. h. der Bischof wird — da ineinsgesehen mit seinem hohen Beruf — fast gänzlich unabsetzbar oder u n a b r u f b a r . Aus dieser Sicht heraus entsteht die Frage, deren Vernachlässigung in den östlichen Kirchen stellenweise zu einer regelrechten Vergreisung der Hierarchie geführt hat. Die abendländische Kirche sieht das Amt mehr in der Linie der Dynamik, wie aus dem Exkurs über den Bischof als Vollender zur Genüge hervorgeht, und Thomas ist in dieser Grundidee ein typischer Vertreter des abendländischen Geistes. Es lassen sich folgende Ergebnisse des Artikels zusammenfassen: 1. Der Bischof, der seinen Amtspflichten voll gerecht wird, darf das Amt nicht verlassen, auch nicht, um in einen Orden einzutreten. Denn er hat sich aus Gottesliebe verpflichtet, dem Heil des Nächsten zu dienen, worin s e i n e Form der Vollkommenheit besteht. Solange die Pflichten erfüllbar sind, muß er im Amte bleiben. 2. Der Bischof darf sein Amt nicht einmal um der Beschauung willen verlassen (Phil 1, 22 ff.). 3. Der Bischof darf das Amt nicht verlassen, um Schwierigkeiten auszuweichen oder um Vermögen zu erwerben. 4. Wenn der Bischof nicht mehr in der Lage ist, aktiv dem Heil des Nächsten zu dienen, darf er zurücktreten. Die Gründe liegen in eigenen oder f r e m d e n Mängeln: Alter oder Krankheit; Unwissenheit; Irregularität; schweres Ärgernis; Bewußtsein eines Verbrechens (Mord oder Simonie). Hinzu kommen von Seiten des Volkes Bosheit oder Feindschaft. 5. Der Bischof darf nur mit Erlaubnis des Papstes zurücktreten vom Amt, dessen Übernahme einem Gelübde gleichkommt, von dessen Verpflichtung nur der oberste Hirte selbst entbinden kann. Punkt 4 bedarf einer näheren Erklärung. Zunächst d i e e i g e n e n M ä n g e l . Über die der Unwissenheit, des Verbrechens und der Irregularität, die im Mittelalter nicht ungewohnt waren, braucht hier nichts mehr gesagt zu werden, da

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185, 4 sie normalerweise bei der heutigen Form der Besetzung der Bischofsstühle ausscheiden. Mit einer Ausnahme allerdings: der tschechischen Regierung gegenüber ist eine neu eingeschärfte Form der Irregularität ausgesprochen worden: Annahme des Amtes auf Grund staatlicher Bestallung. — Nicht jede Krankheit oder Altersschwäche berechtigt bzw. verpflichtet zum Rücktritt, sondern nur diejenige, welche die normale Erfüllung der Amtspflichten ernstlich behindert bzw. verunmöglicht. Der Apostel Paulus hat sich seiner Schwachheiten gerühmt (2 Kor 12, 10) und sich durch seine Gebrechen nicht behindern lassen. Anderseits sind Beliebtheit und Verehrung des Volkes, hohe Weisheit des Alters keine genügenden Kriterien für das Verbleiben im Amte, die normale Erfüllung der Amtspflichten geht vor: Salus populi suprema lex. — Was die Unwissenheit betrifft, so ist sie ein grundsätzliches Hindernis. Das soll nicht bedeuten, der Bischof müsse ein Gelehrter sein. Der Mangel an Wissenschaft als solcher kann durch große Liebe ausgeglichen werden, denn „Wissenschaft bläht auf (macht stolz). Liebe baut auf" (1 Kor 8, 1). Ist der Mangel an Wissen behebbar, so ist der Rücktritt ohnehin vermeidlich. Es versteht sich von selbst, daß diese Überlegungen mittelalterlichen Zuständen gelten. Besonderer Nachdruck ist zu legen auf die Begründungen de.« Rücktritts von der aktiven Ausübung des Bischofsamtes. Es leuchtet ein, daß viele Überlegungen dieser Frage zeitbedingt und darum jetzt überholt sind. Doch behalten einige ihre Gültigkeit auch heute noch, besitzen sie sogar gelegentlich in verstärktem Maße. Es genügt schon, wenn ein Bischof an Altersschwäche oder Krankheit leidet, um ihm den Rücktritt anzuraten. Hierin bleibt Thomas seinem Grundgedanken treu: der Bischof ist als ,perfector' geistlicher Führer seiner großen Schar. Hier sind strenge Maßstäbe anzulegen, darum werden diese beiden Hindernisse einer aktiven Missionierung des Sprengeis ausdrücklich genannt. Bedarf es einer besonderen Versicherung, daß ein seeleneifriger Bischof im Falle der Behinderung durch seinen Verzicht nicht verliert, sondern gewinnt: zuerst vor Gott, dann aber auch in den Augen aller urteilsfähigen Gläubigen? Je mehr ein Bistum in der Angriffslinie dämonischer Mächte liegt — und wir wissen unwiderleglich, daß auch unser Land ,terre de mission' geworden ist —, um so weniger ist es verantwortbar, daß altersschwache oder kranke Führer an der Spitze stehen. Nun die M ä n g e l v o n s e i t e n d e r U n t e r g e b e n e n . Nicht jede Schuld des Volkes berechtigt zum Rücktritt. Wer den Wolf kommen sieht und flieht, ist Mietling, der die Schafe im Stiche läßt. Nur wenn die Schafe selbst zu Wölfen würden und die zum Gehorsam Verpflichteten sich in Rebellen verwandelten, wären Rücktritt oder gleichwertige Entscheidungen berechtigt. Daß es einen heldenhaften passiven Widerstand gegen die Untergebenen gibt, zeigt das Beispiel des heiligen T h o m a s v o n C a n t e r b u r y , der sich in seiner Kirche einschloß, sie beim Angriff öffnen ließ und eher den Tod auf sich nahm als die Flucht. Im Zeitalter künstlich erregter Massenaufläufe, durch Propaganda aufgestachelter Volksempörung ist Rücktritt

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Feigheit. — Beim Ärgernis, das nicht von Seiten Untergebener, 186, 4 sondern von Außenstehenden empfunden wird, ist 1 Kor 8, 13 zu b e d e n k e n : „Wenn Speise meinen Bruder ärgert, so will ich kein Fleisch essen in Ewigkeit". Diese Gewissenszartheit des Apostels in einer an sich nebensächlichen Frage dient als Vorbild. Christus selbst hat das Ärgernis der Pharisäer (Mt 15, 14) unterschieden vom Ärgernis der Kleinen (Mt 18, 6). 5. E r l a u b t h e i t der Flucht (Art. 5). - Über die grundsätzliche Erlaubtheit der Flucht bei großen Gefahren hat der Bekennerbischof A t h a n a s i u s , der fünfmal von seiner Herde abwesend war, ein eigenes W e r k gegen seine Widersacher verfaßt: Apologia pro fuga sua. E i n e große Anzahl von Beispielen aus den beiden Testamenten dienen der Erhärtung der These, daß es eine berechtigte Flucht gibt. Aus dem NT seien lediglich angeführt die Flucht J e s u nach Ägypten (Mt 2. 13 ff.), der Weggang aus der Mitte d e r Gegner am Steilrand des B e r g e s (Lk 4, 30), S e i n Verschwinden vor den Pharisäern ( J o 10, 39) und die Entfernung Pauli von Damaskus (Apg 9, 25). Thomas hat auf das klassische Zeugnis des Athanasius keinen Bezug genommen. Der Artikel läßt sich wie folgt zusammenfassen: 1. W e n n das Heil der Untergebenen die Anwesenheit des Hirten erfordert, darf er die Herde nicht verlassen, weder um eines zeitlichen Vorteils willen, noch um einer Lebensgefahr auszuweichen. Denn er hat die Verpflichtung auf sich genominen, für das Heil der Seelen zu sorgen. Wenn dieses auf dem Spiele steht, gilt die Verpflichtung erst recht, wie aus J o 10, 11 hervorgeht. 2. Wenn für das Heil der Untergebenen in Abwesenheit des rechtmäßigen Hirten durch einen Stellvertreter ausreichend gesorgt ist, darf der Hirte um eines kirchlichen Vorteils und um einer Gefahr willen die Herde verlassen (Beweis aus Mt 10, 23). 3. W e n n die Verfolgung über das ganze Bistum hereinbricht und Priester wie Laien gleicherweise in Mitleidenschaft zieht, ist es nicht erlaubt, die der Heilsdienste Bedürftigen im Stich zu lassen, wie der hl. A u g u s t i n u s dartut am Beispiel des Kapitäns, der in Seenot ein Schiff befehligt. Ein Wort letzter Genauigkeit ist unmöglich: in dieser praktisch so schwierigen F r a g e ist in höchster Instanz die Gnadenführung Gottes ausschlaggebend, der allein die oft entscheidenden, aber verborgenen Vor- und Nachteile des Bleibens oder Fliehens überschaut. Darum hat A t h a n a s i u s mit Recht darauf hingewiesen, daß die Heiligen sich der Führung Gottes anvertrauten (Ps 31 [ 3 0 ] , 16) und so lange umherirrten (Hb 11, 37), bis der von Gott gesetzte Augenblick der Gefangenschaft oder Tötung eingetreten war (Kap. 16 und 17 der Apologia). C a j e t a n hat an dieser Stelle, obwohl doch der Artikel nur Verfolgung als Grund des Verlassens ansieht, umfangreiche, für die damalige Zeit selten kühne, auch jetzt noch höchst beachtenswerte Ausführungen über die Residenzpflicht eingestreut. Die 500 Zeilen umfassende Abhandlung behält in vielen Punkten heute ihren vollen W e r t ; doch ist es auch hier wieder mehr

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185.5

185, 5 der apostolische Bußprediger und Reformkardinal als der Kurienbeamte mit Geschäftsbereich, der das Wort führt. Im Kommentar zum 2. Korintherbrief (Thomas zugeschrieben, näheres bei M a n s e r, § 2) werden in den Einwänden zwei Vorwürfe gegen den Apostel erhoben (Cap. 11, lect. 6). Eß habe ihm an Gottvertrauen gefehlt und er sei ein schlechter Hirte gewesen. Thomas antwortet: So lange menschliche Hilfe möglich ist, wäre Zuflucht zu göttlicher Hilfe Vermessenheit. Die Anschuldigung, Mietling zu sein, wird erwidert mit der Unterscheidung von zwei Arten von Verfolgung: entweder wird der Hirte allein verfolgt oder mit seiner ganzen Herde. Im ersten Falle darf er fliehen, nachdem die Ohsorge einem andern anvertraut ist; im zweiten Falle muß er sein Leben aufs Spiel setzen. Die berechtigte Flucht hinwieder ist entweder Flucht aus Demut, so wie Jesus floh, als sie Ihn zum König machen wollten (Jo 6, 15; ähnlich Saul); oder Flucht aus Vorsicht, um sich für Größeres zu bewahren (Elias und Paulus). Aus alledem geht hervor, daß der Gegeneinwand aus Mt 10, 23 aporetischen Charakter hat; er berücksichtigt nur die eine Seite der Möglichkeiten und läßt die andere außer acht. 185,6

6. P r i v a t e i g e n t u m d e s B i s c h o f s ? (Art. 6). — Die Fragestellung ergibt sich aus der Behauptung von Sekten aller Art, die das Recht der Bischöfe leugneten, Eigentum zu besitzen. Solche Sekten erwähnt bereits A u g u s t i n u s in seinem Verzeichnis (z. B. Sekte der V a d i a n e r, Haeresis 50). Ferner die W a l d e n s e r F r a t i c e l l e n , W i d e f f und H u s mit ihren Anhängern. Da die Begründungen scheinbar biblisch sind, ist eine Widerlegung geboten. Das K o n z i l v o n K o n s t a n z hat den Satz des W i c 1 e f f verdammt: „Der Papst und alle seine Kleriker, welche Eigentum besitzen, sind Häretiker, weil sie Eigentum besitzen, und mit ihnen sind Häretiker alle, die damit einverstanden sind, die weltlichen Herren und die übrigen Laien" (8. Sitzung; Dz 616). Thomas lehrt: Wer sich durch ein Gelübde zu einem Werk der Übergebühr verpflichtet, ist daran gebunden; also auch, wer das Gelübde ablegt, ohne Eigentum zu leben. Wer ein solches Gelübde nicht ablegt, ist nicht daran gebunden. Nun aber legen die Bischöfe bei ihrer Amtsübernahme ein solches Gelübde nicht ab. Also sind sie nicht an die Eigentumslosigkeit gebunden. Die Begründung geht davon aus, daß der Gegenstand eines Rates (also hier die freiwillige Armut) nicht unter ein Gebot fällt, und daß der Zweck der Hirtentätigkeit auch ohne dieses Gelübde erreicht werden kann. In neuester Zeit hat Kardinal M e r c i e r das Leben der Armut mit solcher Anspruchslosigkeit, ja heroischer Selbstentäußerung geführt, daß er jeden Armen beschämte, ohne je ein Gelübde abgelegt zu haben. Andererseits kann der Schluß von Zu 2 durch Beispiele aus allen Jahrhunderten der Kirchengeschichte belegt werden. Zu 2. Man wird in dem harten Ausdruck — stultum est: „Es ist töricht, so viele heilige Bischöfe der Überschreitung evangelischer Gebote zu zeihen" — eine Anspielung finden müssen. Denn dieser Satz klingt aus dem Munde des maßvollen und milden Theologen, der Thomas war, besonders scharf. Es

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handelt sich um eine polemische Äußerung gegen die S p i r i- 185, 6 t u a 1 e n seiner Zeit, die das Armutsideal des hl. F r a n z i s k u s auf alle Christen ausgedehnt wissen wollten; gewiß auch lim eine Rüge der analogen Sekten. Wir haben ein Beispiel des Angriffswechsels im Mendikantenstreit vor uns. Hier wird g e g e n die radikalen Franziskaner gefochten. Die Spiritualen dehnten ihre Gegnerschaft gegen jede Form von Besitztum ohne jedes Zaudern auch auf die Bischöfe aus, welche nach ihrer Meinung zu derselben Strenge verpflichtet seien, wie sie selbst es für ihre eigene Lebenshaltung auffaßten. Der Schluß lag für vereinfachende Geister nahe: sind alle wahren Christen arm, so müssen es die Bischöfe als Vorbilder ihrer Herde erst recht sein. Wenn Thomas in PVSp 18 denselben Einwand aus Mt 10, 9 zu lösen hat, so gerät er keinesfalls „ins Gedränge", um sich durch „kasuistische Beweisführung" weiterzuhelfen, welche darin bestünde, daß er auf Bischöfe hinweist, an deren Heiligkeit nicht gezweifelt werden kann und die doch die Besitzlosigkeit nicht einhalten; wieso dieser Hinweis auf heilige Bischöfe „theoretisch unbefriedigend" sein soll ( O t t 74), ist nicht einzusehen. Für Thomas ist sonnenklar: Wenn A t h a n a s i u s , H i l a r i u s und viele andere Nachfolger der Apostel Vermögen besaßen oder verwalteten, so waren sie vom Heiligen Geiste geleitet, der sie zur Tätigkeit antrieb, nach Rom 8, 14: „Die vom Geiste Gottes getrieben werden, sind Söhne Gottes." Darum sei es nicht wahrscheinlich, daß der Heiligen Durchschnittsverhalten gegen ein göttliches Gebot verstoße. Wenn also die Herrenworte unklar sind (plura intelligere non valentes heißt lediglich: der Anwendungsbereich ist dunkel, weil in der Schrift selbst nicht ausdrücklich formuliert), so sei am Leben der Heiligen abzulesen, wie das Verhalten einzurichten ist. Zunächst wird eine Lösung in der Form vorgeschlagen, daß Mt 10, 9 eine Erlaubnis besage, nicht aber einen Befehl an die Apostel. Eine zweite Lösung sieht im Gefolge von C h r y s o s t o m u s in der Anweisung an die Apostel wohl einen Befehl, aber nur für die erste Aussendung, weil die Apostel den Verdacht der Gewinnsucht im Keime ersticken, sich von jeder Sorge freihalten und Gottes vorsorgende Macht erproben sollten. Vor dem Beginn des Leidens jedoch mahne der Herr: „Wer einen Beutel hat, nehme ihn, desgleichen auch eine Tasche" (Lk 22, 36). Damit sei bewiesen, daß die Bischöfe als Nachfolger der Apostel n i c h t gehalten seien, nichts zu besitzen oder nichts mit sich zu führen. Warum hat Thomas dieses letztere, doch wohl durchschlagende Argument (Sondergut des Lukas) gegen die extreme Auffassung von Mt 10, 9 in PVSp nicht ausführlicher entwickelt? Gab es denn eine bessere Möglichkeit, Argument mit Argument zu schlagen und die Auslegungsbedürftigkeit des Reisebefehls, der ganz im Gegensatz zu den Behauptungen der Spiritualen alles andere als durch sich selbst klar war, zu erhellen? 7. V e r m ö g e n s p r a x i s d e s B i s c h o f s (Art. 7). — 135 Man kann die Ergebnisse der Antwort etwa so zusammenfassen: ' 1. Es ist zu unterscheiden zwischen privatem Eigentum des Bischofs und kirchlichem Eigentum.

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2. Kircheneigentum dient einer doppelten Bestimmung: karitativen und Kultuszwecken. 3. Bischöfe behalten wahres Verfügungsrecht über ihr Privateigentum; also sind sie nicht verpflichtet, ihr Eigentum zu verschenken. 4. Bischöfe können in der Verwaltung ihres Privatvermögens sündigen durch ungeordnete Anhänglichkeit, Unbarmherzigkeit, Geiz usf. Wiedererstattungspflicht besteht nicht gegenüber irgendwelchen Ansprüchen, weil der Eigentümer volles Verfügungsrecht über sein Hab und Gut besitzt. 5. Wenn Kirchenvermögen von Armengeld und Kultusgeld getrennt ist, und der Bischof behält etwas vom letzteren für sich, begeht er eine Todsünde und ist zur Wiedererstattung gehalten, weil er anders gegen den Sinn der Verwaltung verstieße (1 Kor 4, 2). 6. Kirchliche Privateinkünfte (z. B. Stolgebühren) kann der Bischof verschenken oder rechtmäßig ohne Sünde behalten, solange keine ungeordnete Anhänglichkeit vorliegt. 7. Bei Vermischung von kirchlichen Einkünften mit Armenund Kultusgeld sind diese insgesamt für Arme und Kultus zu verwenden, wobei ein großzügiger Maßstab anzulegen ist. 8. Wenn der Bischof von diesen in Bausch und Bogen anfallenden Geldern allzuviel zurückbehält, begeht er eine Todsünde wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben (Mt 24, 48). Die Frage, wann und unter welchen Bedingungen eine läßliche Sünde zu einer Todsünde anwächst, ist von Thomas behandelt im Rahinen der Almosenpflicht (23, 5. 6 : Bd. 1 6 ) ; die Lösungen gelten sinngemäß vom Bischof im verstärkten Maße. Zu 2. Das K o n z i l v o n T r i e n t verbietet Bischöfen und anderen kirchlichen Pfründeninhabern, aus den Einkünften der Kirche Blutsverwandte und Familienmitglieder zu bereichern. Zu 3. V e r ä u ß e r u n g v o n K i r c h e n g u t i n N o t s t ä n d e n . — Der Fall, daß kirchliches Gut veräußert wird, ist ausdrücklich vorgesehen. Die Rechtsbestimmungen, wonach es nicht veräußert werden darf, können sich nicht auf große Notstände beziehen. Allerdings ist die Einschätzung des Notstandsgrades Herzenssache und nicht nur Klugheitssache, vor allem nicht Sache j e n e r berüchtigten Klugheit, die immer dann angerufen wird, wenn es sich darum handelt, Geiz oder Feigheit zu verschleiern, wenn also ein Mangel an geschuldeter Tapferkeit verbrämt wird. Klugheit bedeutet hier, ohne jede Spur eine.Zweifels, j e n e Klugheit, die mit der übernatürlichen Liebe verbunden ist. Echte Klugheit gibt es nur in lebendiger Verbindung mit dem Gesamtorganismus der Tugenden, nicht aber isoliert. Daß hier Ernst gemacht werden soll mit der Anwendung der Notslandsklausel, geht aus der sorgfältigen Staffelung der Fälle hervor, welche die Theologen aufgestellt haben. Es gibt Hungersnöte und Landplagen, die kurz befristet und rein örtlicher Natur sind, also zeitlich und räumlich sich auf kleinere Bereiche erstrecken. I n solcher Notlage brauchen nicht „alle*" Kirchengüter veräußert werden, sondern nur einige, weil man das Ende der Bedrängnis mit Wahrscheinlichkeit voraussieht. Es gibt aber auch Notstände, wo restlos alles preisgegeben werden muß um des Gemeinwohls willen. Hier gilt: Salus

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a n i m a r u m , s u p r e m a l e x . B r i n g t die K i r c h e nicht die E n t s c h l u ß - 185, 7 k r a f t auf, i h r e S c h ä t z e p r e i s z u g e b e n , so w e r d e n s i e i h r in e i n e r R e v o l u t i o n g e n o m m e n . D i e s e l b e R e v o l u t i o n n ä m l i c h , die durch P r e i s g a b e d e r S c h ä t z e und durch apostolische h e r o i s c h e H i r t e n s o r g e hätte v e r h i n d e r t w e r d e n m ü s s e n , n i m m t der K i r c h e das mit Z w a n g u n d w i d e r r e c h t l i c h , w a s s i e f r e i w i l l i g und a u s L i e b e h ä t t e g e b e n sollen. V i e l e s e h e n den i n n i g e n Z u s a m m e n h a n g zwischen l e i b l i c h e r W o h l t ä t i g k e i t und g e i s t i g e m Nutzen d e r K i r c h e nicht e i n . Doch hält sich das g e l t e n d e K i r c h e n r e c h t h i e r an e i n e a l t e P r a x i s , die bis in die M ä r t y r e r z e i t zurückgeht, w e n n K a n o n 1530, § 2 v o r s i e h t , d a ß e i n e V e r ä u ß e r u n g von K i r c h e n g u t n u r e r f o l g e n k a n n , w e n n e i n g e r e c h t e r G r u n d vorliegt. A l s g e r e c h t e r G r u n d w i r d a n g e g e b e n d r i n g e n d e Notwend i g k e i t , o f f e n b a r e r Nutzen, Ü b u n g der F r ö m m i g k e i t . J o n e v e r s t e h t in s e i n e m „ H a n d b u c h des k a n o n i s c h e n R e c h t e s " an u n s e r e r S t e l l e u n t e r , Ü b u n g d e r F r ö m m i g k e i t ' sowohl alle W e r k e d e r l e i b l i c h e n und g e i s t l i c h e n B a r m h e r z i g k e i t als auch a l l e W e r k e , d i e zur E h r e Gottes g e s c h e h e n . G e h e n w i r n ä h e r a u f dieses b r e n n e n d e P r o b l e m e i n , w e l c h e * f ü r kurzsichtig o d e r m a t e r i a l i s t i s c h D e n k e n d e vor a l l e m erst d a n n a k u t w i r d , w e n n , w i e zu d e n Zeiten des hl. L a u r e n t i u s , die K i r c h e n s c h ä t z e in G e f a h r g e r a t e n . Ä l t e r e T h e o l o g e n haben vier Gründe rechtmäßiger Veräußerung unterschieden; m a t e r i e l l e : Not u n d Nutzen, g e i s t i g e : L i e b e s p f l i c h t und B e h i n d e r u n g d e r S e e l s o r g e . A m s c h w i e r i g s t e n ist d e r B e g r i f f d e r Not zu f a s s e n ; m a n u n t e r s c h e i d e t höchste, g r o ß e , g e w ö h n l i c h e Not. I m e r s t e r e n F a l l e , w e n n geistliche P e r s o n e n a n L e b e n s r n i t t e l n , B e k l e i d u n g und A r z n e i e n d a r b e n , o d e r w e n n u n b e z w i n g b a r e L a s t e n b e v o r s t e h e n , d a r f K i r c h e n g u t in f o l g e n d e r S t a f f e l u n g v e r ä u ß e r t w e r d e n : Das U n n ö t i g e vor d e m Nötigen, das w e n i g e r Heilige vor d e m G e w e i h t e n , das B e w e g l i c h e vor d e m U n b e w e g l i c h e n . T h o m a s s i e h t diesen F a l l vor, w e n n e r 100, 4 Zu 2 (Bd. 19) l e h r t , d a ß die h e i l i g e n G e f ä ß e v o r d e r E n t ä u ß e r u n g i h r e r W e i h e zu b e r a u b e n sind. D i e s e l b e R e i h e n f o l g e gilt bei g r o ß e r und w o h l a u c h b e i g e w ö h n l i c h e r Not. W i e a b e r soll u n t e r s c h i e d e n w e r d e n , w e l c h e r G r a d von Not g e g e b e n s e i ? E i n e r e i n j u r i s t i s c h e B e t r a c h t u n g d e r F ä l l e genügt zur t i e f e r e n B e u r t e i l u n g nicht. H i e r ist d a s P r i n z i p : L u c r u m cessans, d a m n u m e m e r g e n s ( e n t g e h e n d e r G e w i n n , e n t s t e h e n d e r Schaden) sinngemäß umzukehren: Lucrum emergens, damnum c e s s a n s ( e n t s t e h e n d e r G e w i n n , v e r m i e d e n e r S c h a d e n ) . Es geht nicht an, d a ß m a n sich a u f ein P r i n z i p w i r t s c h a f t l i c h e r oder finanz i e l l e r Ordnung b e r u f t , um n o t w e n d i g e V e r ä u ß e r u n g e n h i n t a n z u h a l t e n . D e r u n s c h ä t z b a r e S e g e n , w e l c h e r d e r K i r c h e erfließt, w e n n s i e i h r e R e i c h t ü m e r großzügig d a h i n o p f e r t . e n t g e h t dem n u r k a n o n i s t i s c h e i n g e s t e l l t e n A u g e . F r e i l i c h f o r d e r t diese U111k e h r u n g e i n e M e t a n o i a , e i n U m d e n k e n : den A u f s c h w u n g zu e i n e r ü b e r n a t ü r l i c h e n S t u f e des U r t e i l s . E i n e V e r m ö g e n s v e r ä u ß e r u n g , w e l c h e in d e r n i e d e r e n S p h ä r e d e r Natur und i h r e r G e s e t z e u n b e s t r e i t b a r u n t e r den G e s i c h t s p u n k t des e n t s t e h e n d e n S c h a d e n s und des e n t g e h e n d e n G e w i n n e « fiele, fällt, in d e r h ö h e r e n S p h ä r e b e t r a c h t e t , ganz von selbst u n t e r den Gesichtsp u n k t des e n t s t e h e n d e n G e w i n n s und des v e r m i e d e n e n S c h a dens.

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Die Heiligen haben hier klar gesehen und kraftvoll gehandelt. Ganz wird sich die Spannung zwischen göttlich erleuchteter Anschauung, göttlich inspiriertem Handeln der Heiligen einerseits („Die Klugheit des Geistes ist Leben und Friede" — Rom 8, 6), den Anschauungen und Taten der von natürlicher „Klugheit" beseelten Menschen anderseits nie aufheben lassen. Man soll sie aber auch nicht verschweigen. Der „geistliche, übernatürliche Mensch" (spiritualis homo — 1 Kor 2, 15) jubiliert in seinem Herzen über vergehenden Gewinn und entstehenden Schaden; er erachtet alles „für Kot um der Liebe Jesu Christi willen" (Phil 3, 8). Wenn die Kanonisten über die Gottesmänner siegen in dieser Frage auf Leben und Tod der Kirche, nämlich in der Frage der Existenzberechtigung nicht im rein theoretischen Rahmen der katholischen Apologetik, sondern vor den Armen und Elenden dieser Welt, unterliegt die Kirehe in einem langsamen Fäulnisvorgang und beschwört eine Revolution gegen sich selbst herauf: die schlimmsten Revolutionäre sind die falschen Konservativen. Wenn der Märtyrer L a u r e n t i u s der römischen Obrigkeit die Armen vorstellte, die er soeben bereichert hatte und als seinen Schatz bezeichnete, so lag das auf dieser Ebene der rein geistlichen Betrachtung. Unterzieht man den naturgemäß engen Zusammenhang zwischen moraltheologischen und kanonistischen Forderungen einer Prüfung, so läßt sich als Ergebnis buchen: Vorrang in der Beurteilung kommt dem Moraltheologen zu, der in letzter und höchster Instanz aus der Liebe heraus zu entscheiden hat; die Ausarbeitung der vertraglichen und verfahrensmäßigen Formen kommt dagegen dem Kirchenrechtler zu. Anders formuliert: Das Ob und Warum entscheidet maßgeblich der Moraltheologe oder der Kanonist, i n s o f e r n er Moraltheologe ist und sein muß; das Wie entscheidet der Kanonist. A p o s t o l i s c h e A r m u t d e s B i s c h o f s ? — An der Lebensform der Bischöfe entscheidet sich wie an einem Brennpunkt das Anschauung?bild der Kirche. Insofern dürften die Spiritualen recht gehabt haben. Darum kommt der Frage: „Wie stehen katholische Bischöfe zur Armut?" erhöhte Bedeutung zu. Die-er und der vorhergehende Artikel enthalten Thesen, die den elementarsten Forderungen der Spiritualen ins Gesicht schlagen. Auch hier wieder argumentiert Thomas mit vollendeter Sachlichkeit, die so weit geht, daß er seine Gegner gar nicht nennt, dafür aber ihre stärksten Argumente anführt. Die Spiritualenpartei hatte, teilweise verborgen, teilweise oöen, einen mächtigen Anhang. Bereits 1255 wenden sich die Pariser Professoren in taktisch geschickter Weise mit Exzerpten aus Schriften des G e r a r d i n o v o n B o r g o S a n D o n n i n o gegen die Bestallung von Bettelmönchen mit Lehrstühlen ( B e n z 248); später entscheidet ein von Papst A l e x a n d e r IV. erlassenes Dekret gegen die Lehren Gerardinos und seine Auslegung der Schriften J o a c h i m s v o n F i o r e ( B e n z 250—255). „Der Kampf ist im Grunde ein Ringen um die Apostolizität. Ist das Leben der Armut, Demut und Entsagung wirklich das authentische Leben Jesu Christi und der Apostel, wie die radikalen Franziskaner behaupten, so erweist sich die allgemeine Papstund Klerikerkirche durch die öffentliche Nichterfüllung dieses

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evangelischen Lebens von selbst als nicht apostolisch; umge- 185, 7 kehrt: Ist die Apostolizität beim Papst und bei den Ordnungen und Lebensformen der allgemeinen römischen Kirche, so macht die Franziskanergruppe dieser Kirche gegenüber zu Unrecht die Apostolizität ihrer Reformbewegung geltend" ( B e n z 233). Die positive Einschätzung der Kirchengüter teilt Thomas mit den Mendikantengegnern. Dieses gemeinsame Feld ist in Anbetracht der sonstigen Fehde besonders beachtlich. G e r h a r d v o n A b b e v i l l e hat am Silvestertag 1270 eine Predigt gehalten, worin er mit Hilfe von Bibel und Kirchenrecht fünf Thesen über den Sinn der Kirchengüter aufstellte: 1. Sie verleihen dem römischen Stuhl Ansehen. 2. Sie gewährleisten eine durchgreifende Ausübung der Seelsorge. 3. Sie dienen zum Unterhalt der Kirchendiener und der Armen. 4. Sie erlauben die Hingabe an geistliche Dinge, z. B. die Ruhe der Beschauung. 5. Sie stärken das Band gegenseitiger Liebe, weil wir von dem Besitz den Notleidenden mitteilen ( H i r s c h e n a u e r 56). Hier geht Thomas mit den Spiritualen, seinen Gegnern, eine Strecke weit einig gegen die mißbräuchliche Verwendung der Kirchengüter durch die Prälaten und sonstigen Pfründeninhaber. 8. O r d e n s b i s c h o f und Observanzen (Artikel 8) a) Die Ergebnisse der Antwort lassen sich folgendermaßen 185, 8 aufgliedern: 1. Es gibt drei Arten von Gehorsamsbräuchen oder Observanzen: a) Observanzen, welche die bischöfliche Würde erhöhen, b) solche, die ihr widerstreben und c) solche, die sie weder erhöhen, noch ihr widerstreben. 2. Die unter a) und c) genannten Gehorsamsbräuche sind zu beachten, denn insofern sie sich zum bischöflichen Stand verhalten wie eine fördernde Ausrichtung zur Vollkommenheit, wie eine Übung zur Meisterschaft, sind sie beizubehalten. Wenn jedoch ein Gehorsamsbrauch diesen Charakter einer fördernden Ausrichtung verlieren würde, schwände auch die Pflicht zur Befolgung dieses Brauches. 3. Ordensleute, die zum bischöflichen Stande erhoben werden, sind nicht gehalten, die unter b) genannten Gehorsamsbräuche zu beachten. Der Satz ist durch sich selbst einsichtig. 4. Was gleichgültige Bräuche (c) anbetrifft, sind Dispensen selbstverständlich. Die bloße Fragestellung nach Gehorsamsbräuchen im bischöflichen Amte mag manchem Epigonen sinnlos erscheinen. Ein Bischof dürfte doch, so wäre mancher geneigt zu schließen, auf solcher Höhe geistlicher Erfahrung stehen, daß für ihn ein Beharren in den Praktiken der Observanz nicht nur lächerlich, sondern theologisch verfehlt wäre; daß er durch seine innere Reife den Gepflogenheiten des Klosters längst entwach-en 6ei und sie infolgedessen für ihn gegenstandslos wären. Wer so 25*

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185, 8 denkt, legt die Observanzen als äußerste, dazu noch dürre und rissige Schale auf die leichte Waage. Geht man aber rein religionssoziologisch von dem Enthusiasmus aus, der in jenen Gründerzeiten — Thomas hat jenes Geistes noch einen Hauch verspürt, stand er doch durch seinen Meister A l b e r t in lebendiger Verbindung mit dem ersten Nachfolger des hl. D om i n i k u s , dem charismatischen Apostel J o r d a n u s — die Herzen durchpulste, so ergibt sich ein ganz anderes Bild. Damals wurden die Observanzen nicht als leere, hohle Gußform gewertet, ihre Übung war durchglüht von dem Feuer der Begeisterung, sie wurden erlebt als selbstverständlicher, zur Lebensform des Ordensmannes notwendig geforderter Lebensstil, als Sinnträger tiefster Gehalte, eine Erlebnisfähigkeit, die in der langsamen Entfernung des Ordens vom Geiste der Gründerzeit vielen abhanden gekommen ist. So wenig ein Baum ohne Rinde bestehen kann — mag man diese noch so sehr für zweitrangig halten, sie ist lebensnotwendig —, so wenig kann ein Mönchsorden oder Stiftsherrenorden, also eine Gemeinschaft von Menschen mit hochzielenden Idealen, der psychologischen und pädagogischen Sicherungen entraten, die ihre Höhenlage und ihren Schwung auf die Dauer garantieren. Ist freilich einmal der Sinn für diesen organischen Zusammenhang von Rinde und Stamm, von Schutzhaut und Kernholz gewichen, dann sieht man in den Observanzen nur noch das Lästige, auf kurze Frist Hinderliche. Man hat hier, an dieser Stelle, sich zurückzubeziehen auf all das, was Thomas über die gottesdienstlichen Observanzen lehrt. Ein Teil der Mönchsbräuche ist gottesdienstlicher Art und von diesen gilt unmittelbar, von den anderen jedoch nur mittelbar, was Thomas über die Religionsausübung in äußeren Akten sagt: der Geist bedarf der Handreichung sinnfälliger Gebärden, um fester an Gott gekettet zu werden (81, 7: Bd. 19); auch die Anbetung entfaltet sich in äußeren Akten, wodurch der Geist zu größerem Eifer entzündet wird, wie das im Chorgebet der Mönche durch eine Reihe körperlicher Gebärden und Haltungen geübt wird (84, 2). Nur von diesem Enthusiasmus der Gründerzeiten her,- der in den Bräuchen der jung aufblühenden Orden zuerst das Lebendige verspürte und erst nachträglich ihr Relatives abwog, ist die Fragestellung verständlich. Selbst wenn diese Überlegungen theoretisch angefochten werden könnten, ließe sich noch ein Beweis für ihre Richtigkeit führen: aus dem Verhalten der großen Ordensheiligen. Mit welcher Strenge hat ein A l b e r t , um nur diesen großen Bischof zu nennen, an den Observanzen grundsätzlich festgehalten, von anderen berühmten Männern, auch des Dominikanerordens, ganz zu schweigen. b) Ordensstand und Bischofswürde. — Die Erhebung von überdurchschnittlichen Männern aus den Reihen der Orden zum Bischofsamt gleicht einem zweischneidigen Schwert. So sehr die Auszeichnung Ruhm einbringt, so sehr führt sie zur Schwächung der Orden. Betrachtet man die Orden als Glieder der Kirche, so haben sie als Teile sich dem Ganzen restlos unterzuordnen. Das Wohl der Gesamtheit geht dem Wohl der Einzelglieder vor und strahlt auf diese zurück. Der Grundsatz des A r i s t o t e l e s

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gilt erst recht bei schmerzlichen Verzichten auf Seiten der 185,8 Ordensgemeinschaften; d e n n diese U n t e r o r d n u n g wird sogar zur Pflicht d e r A u f o p f e r u n g , w e n n im G e f a h r e n f a l l e sich der Teil dem Ganzen zu o p f e r n hat. W ä r e n es weniger gute oder gar ehrgeizige, f e h l e r h a f t e Menschen, so verlöre d e r Orden, dem sie entzogen w e r d e n , an allgemeiner Achtung; sind es jedoch h e r v o r r a g e n d e Männer und ein Orden leidet Mangel an solchen, so ist der Verlust unersetzlich. Denn zur Aufrechte r h a l t u n g oder Wiederherstellung der einstmals b l ü h e n d e n Ordenszucht bedarf es überdurchschnittlich befähigter F ü h r e r n a t u r e n . Wohl das sprechendste Zeugnis des Widerstandes der Orden gegen die E r h e b u n g von Mitbrüdern zum Bischofsamte ist der leidenschaftliche Brief des sei. H u m b e r t u s von R o m a n s , eines der ersten Dominikanergeneräle, an A l b e r t den Großen (s. S c h e e b e n , Albertus Magnus, S. 123). So k e n n t auch die Regel der Jesuiten und Unbeschuhten Karmeliten ein Verbot, die Bischofswürde anzunehmen, es sei denn, die A n n a h m e w e r d e u n t e r S ü n d e befohlen. F r a n z i s k u s und D o m i n i k u s h a b e n dem K a r d i n a l H u g o l i n , dem s p ä t e r e n G r e g o r IX., g e g e n ü b e r abgelehnt, O r d e n s b r ü d e r f ü r h ö h e r e W ü r d e n freizugeben. Dominikus gab als Beweggrund a n : „Meine B r ü d e r befinden sich in einem Stande, der e r h a b e n genug ist, falls sie ü b e r h a u p t in d e r Lage sind, ihn voll zu w ü r d i g e n . " Auf päpstlichen Befehl jedoch muß ein O r d e n s m a n n die bischöfliche W ü r d e a n n e h m e n , u. U. auch ohne Befragung d e r Oberen, da d e r Papst auch ü b e r diesen steht und es nicht wahrscheinlich ist, d a ß diese Oberen mit dem Befehl des obersten Hirten nicht einverstanden sind, bzw. sich ihm widersetzen w e r d e n . Liegt ein solcher Befehl des obersten Hirten der Kirche nicht vor, so ist es geraten, die Zustimmung d e r Oberen einzuholen. Ein Ordensoberer k a n n die A n n a h m e oder A b l e h n u n g eines Bischofsamtes nicht befehlen, weil sich das Gehorsamsgelübde nicht auf e i n e n Wechsel des Standes bezieht, f ü r welchen das Gelübde abgelegt w u r d e . Dies ist die wahrscheinlichere Auffassung. Die L e h r e dieses Artikels, wonach Bischöfe, die a u s dem Ordensstande erhoben w u r d e n , in diesem verbleiben, ist von einigen Moraltheologen bestritten worden ( D i a n a , V i l l a l o b o s , B o b a d i l l a , H u r t a d o ) , die sich auf die B e g r ü n d u n g des falsch oder ü b e r t r i e b e n ausgelegten ersten Einwandes kirchenrechtlicher H e r k u n f t stützen. Die Gesamtheit der Moraltheologen und Kanonisten, mit Thomas an i h r e r Spitze, steht gegen diese These, die heute als abgetan gelten darf, so daß die ausführliche W i e d e r g a b e der G r ü n d e f ü r und w i d e r sich erübrigt. c) Verpflichtungsgrad der Observanzen. — Die Pflicht zu den Gehorsamsbräuchen ist k e i n e gesetzliche oder legale, sondern m e h r eine Verpflichtung d e r Tugend und Wohlanständigkeit, die in d e r wohlgeordneten V e r n u n f t b e g r ü n d e t sind. Doch geht diese in der rechten (!) V e r n u n f t — der ü b e r n a t ü r l i c h e n Klugheit — b e g r ü n d e t e Verpflichtung sehr tief, ihre Ü b e r t r e t u n g ist je nach Sachlage leichte oder schwere S ü n d e . J e heiliger ein Bischof ist, u m so größer w i r d seine Befähigung sein zur Ausübung des Amtes, um so größer aber auch sein Eifer f ü r

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185, 8 die Übung derjenigen Gebräuche, die seine Amtsverrichtungen nicht hindern, sondern fördern. Behält der Bischof Liebe und Begeisterung für seinen Orden bei, so wird er alles beibehalten, was zum inneren Wesen des Ordens gehört, unter Abstreifung des Nebensächlichen und Entbehrlichen; behält er solche Übungen nicht bei, so mag er zur Not sich entschuldigen und dispensieren, verliert aber dadurch den organischen und lebendigen Zusammenhang mit seinem Orden. Darum hält ein Ordensbischof denjenigen Verpflichtungen die Treue, die seinem Orden entsprechen, soweit sie mit seiner Amtsführung nicht unvereinbar sind. Wer Gelübde abgelegt hat auf eine strengere Regel, bleibt dieser strengeren Regel treu unter dem obigen Vorbehalt; wer auf eine mildere Regel Gelübde abgelegt hat. bleibt der milderen Regel treu. Obwohl die Ordenstracht nicht zum Wesen des Ordensstandes gehört, ist es allgemeine Auffassung der Theologen und Kirchenrechtler, daß ein Ordensbischof sie beibehalten solle. Betrachtet man den Ordensstand rein geistig in sich und vor Gott, vor dem das Gelübde abgelegt wird, so hört ein Ordensbischof nicht auf, Ordensangehöriger zu sein, auch wenn er sein Ordensgewand ablegt; betrachtet man hingegen die Kirche als sichtbaren Stufenbau von Ämtern und Gesellschaften, zu deren Schönheit und Vollkommenheit es gehört, in der Mannigfaltigkeit ihrer Gliedschaften zu erstrahlen, so ist die Ordnung der Kleidung als äußere Kundgebung der Mannigfaltigkeit für die Kirche und als deutliches Abstandnehmen von der Mode der Weltkinder, d. h. von jedem profanen Stand, doch wichtig. So steht die Kirche wie eine Königin zur Rechten Gottes in goldschimmernden Gewändern (Ps 45 [44], 10), umgeben von der Buntheit und Mannigfaltigkeit der religiösen Trachten, welche ihren Glanz erhöhen. Wenn Thomas vorsichtig nicht von jedem Fasten, sondern nur von einigen entkräftenden Fastenübungen spricht, so erhebt sich die Frage, welche Form des Fastens er ausschließen, welche Form er aufrecht erhalten wollte. Man darf sich hierbei nicht an die heutige Fastenpraxis erinnern, die fast ganz in Dispensen aufgeht; er denkt von der hochmittelalterlichen Fastenpraxis aus, die, wie man weiß, in den jungen aufblühenden Orden streng gehandhabt wurde. Hier ist auf die Lehre vom Fasten zu verweisen (Fr. 147: Bd. 21). Es ergibt sich aus jenen Darlegungen ohne weiteres und ohne daß es ausdrücklich gesagt wird, daß ein Bischof irgendwie zu strengeren Fasten gehalten ist als die anderen Gläubigen, wenn er auch bei besonderen Anstrengungen leichter entbunden werden kann, ohne daß die Dringlichkeit der Verpflichtung abnähme. d) Verhältnis von Gehorsamsgelübde und Treueid. — Der Ordensbischof ist dem Papst auf doppelte Weise zum Gehorsam verbunden: einmal durch die formale Zusage der Unterwerfung bei Übernahme des bischöflichen Amtes, die in Form eines feierlichen Eides erfolgt; sodann in Kraft des Gehorsamsgelübdes, das zunächst vor den Ordensoberen, dann aber, in letzter und höchster Instanz, vor dem Nachfolger des hl. Petrus und Stellvertreter Christi abgelegt wird. Das Oberhaupt der Kirche besitzt die Vollmacht, neu aufblühende Orden zu bestätigen, ihre Regel gutzuheißen, ihre Satzungen zu billigen.

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Sie sind nur gültig, insoweit er sie anerkennt; verlieren ihre 185, 8 Kraft, wenn er seine Bestätigung widerruft. Die gesamte Hierarchie der Kirche ist ihm untergeben. Die besondere Gehorsamsverbundenheit mit dem Nachfolger Petri beginnt für den Ordensbischof nicht erst, nachdem er den Treueid erstattet hat. sondern begann schon viele Jahre vorher, als er den niederen Ordensoberen an Stelle des höchsten, allen Orden gemeinsamen Ordensoberen Gehorsam versprach. Und weil er, wie oben erläutert, Ordensmann bleibt bei Übernahme des Amtes, darum wirkt das nicht etwa zeitlich befristete, sondern auf Lebenszeit abgelegte Gelübde weiter, wenn er in den höheren Stand aufsteigt; es erlischt nicht, wird nicht aufgehoben oder null und nichtig. Wer wollte es wagen, sein eigenes Gelübde, das im ersten Feuer der Begeisterung abgelegt wurde, anzuzweifeln oder gar eigenmächtig aufzuheben? Es ist göttlichen Rechtes! Es ist nicht so, daß ein zu Beginn des Ordenseintrittes ausgesprochenes Gelübde bei der Erhebung in den bischöflichen Stand umgewandelt werde in ein Gehorsamsgelübde gegenüber dem kirchlichen Oberhaupt, gleich als wenn das erstere nunmehr mit der Standeserhöhung gegenstandslos geworden wäre, sondern es dauert in eigener Kraft weiter und wird durch den Treueid nur ausdrücklicher gestaltet, auf neue Obliegenheiten bezogen, somit ergänzt und vervollständigt. Als der hl. A l b e r t auf die Ausübung des bischöflichen Amtes verzichtete und in die klösterliche Observanz zurücktrat, bedurfte er keines neuen Gelübdes, das alte band ihn nach wie vor, nur ruhte die Ausübung gegenüber den Oberen während der bischöflichen Amtszeit. Bleibt das Gelübde der Armut intakt bei Ordensbischöfen? Die Frage wird von einigen verneint; eine ebenso geringe Anzahl von Autoren hält es sogar für wahrscheinlich, daß dieses Gelübde bei Amtsantritt aufgelöst werde. Die scharfsinnigen Gründe kirchenrechtlicher Herkunft, die für diese Auffassung ins Feld geführt werden, stoßen auf die erdrückende Gegnerschaft nicht nur der Moraltheologen, sondern auch der Heiligen. Damit darf die Kontroverse als erledigt gelten. Die alten Autoren fassen das Armutsgelübde, dem die Bischöfe verbunden bleiben, streng auf. Das beste Beispiel bietet wieder der heilige A l b e r t , der als Reichsfürst, zum Befremden oder Erstaunen seiner Umgebung, die Armut exemplarisch vorlebte. — Die Frage, was ein Bischof zurückgeben müsse, wenn er das Kloster verläßt, und was er mitnehmen dürfe, gehört in die Kasuistik und darf hier übergangen werden. Wie aber verträgt sich das Armutsgelübde mit dem großzügigen Verfügungs- und Verwaltungsrecht des Bischofs? Der Ordensmann ist kraft des Gelübdes unfähig zu echtem Besitz; ebenso der zum Bischof geweihte Ordensmann. Darum ist seine ganze Geschäftsführung und Verfügungsgewalt eine äußere Gewalt, die ihm von den Oberen zugestanden wird, während der Bischof, der nicht Ordensmann ist, eine ihm innerlich zustehende Verfügungsgewalt kraft eigenen Rechtes besitzt. Die Lebensführung eines Ordensbischofs muß viel mehr dem Armutsideal angenähert sein als die eines Nicht-Ordensbischofs, für den wiederum ein Nicht-Ordensbischof, der bereits rühmlich erwähnte Kardinal

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185, $ M e r c i e r, als Vorbild gelten darf. Zu dieser rein äußerlichen Verfügungsgewalt gehört auch das Recht der Ordensbischöfe. Testamente zu machen, das Recht der Ordenspäpste, Eigentum zu „besitzen". Die Frage nach Erlaubtheit und Eigentümlichkeit des Instituts der Titular-Ordensbischöfe, nach der Stellung der Ordens-Kardinäle, nach den Privilegien dieser verschiedenen Rangklassen und viele andere Probleme werden in der Moraltheologie ausführlichst behandelt, jedoch vom hl. Thomas, dem es um die großen Linien und Axiome geht, kurz verabschiedet. Drittes Kapitel DER STAND DER ZU ERRINGENDEN VOLLKOMMENHEIT: DER ORDENSSTAND (Frage 186—189) [.

WAS

WESENTLICH

ZUM

ORDENSSTAN!)

C5KHÖKT

(Frage 186) 186,1 1. O r d e n s s t a n d u n d . S t a n d ' d e r V o l l k o m m e n h e i t (Art. 1). — Wer auf ein Ziel hinarbeitet, ist von ihm noch entfernt, er ist unterwegs. In unserem Falle aber ist das 7iel, die Vollkommenheit, unendlich entfernt. Denn der Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf ist unendlich, und mag er von uns aus scheinbar immer wieder neu verringert werden, er bleibt unendlich. Es mag einem Bergsteiger geschehen, daß er immer neue unbekannte Gipfel entdeckt und im Höhersteigen vor sich emporwachsen sieht. Der letzte dieser Gipfel mag vielleicht sogar unerkliminbar sein. Ähnlich geht es dem um Gott Ringenden. J e näher er sich hinbewegt auf das höchste Ziel zu, um so weiter weichen immer neue Ideale in die Ferne. Immer neue Höhen tun sich auf. Tatsächlich haben die großen religiösen Genies, je heiliger sie wurden, um so schmerzlicher ihren Abstand vom Ziel erfahren, weil mit der Gottesnähe die unerbittliche Klarheit der Selbstschau und der daraus folgenden Selbstkritik wächst. Alle die Thesen dieses Artikels gelten demgemäß erst recht von demjenigen, der um ein unendlich fernes Ziel ringt, das nur in endlichen Annäherungen zu erreichen ist. Man könnte hierauf erwidern, daß diese Überlegungen f ü r jeden Christen gelten, der im aktiven Ringen mit Gott steht. Das ist richtig, und doch besteht ein wesenhafter Unterschied zwischen Laienstand — Stand der Vollkommenheit ganz allgemein — und Ordensstand. Der Stand der Vollkommenheit, allgemein gefaßt, besagt eine unmittelbare Beziehung auf Gott hin als das letzte Ziel der Liebe; der Stand der Gottverbundenheit (Ordensstand) hingegen besagt eine unmittelbare, aktive Beziehung zur Tugend der Gottesverehrung oder Religio, welche ein Mittel zum Ziel darstellt. a.) Die Gottesverlobung im System des Aquinaten. — Thomas verwendet gerne Fachausdrücke, die seiner Vorliebe für äußerste Präzision entspringen. In diesem Artikel taucht ein Begriff der Rechtssprache auf: mancipare — als Eigentum übernehmen oder mit Beschlag belegen. In der römischen Rechtssymbolik meint das, auch andere Bedeutungen aufweisende,

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,manceps' ursprünglich den Erwerber einer Sache oder eines 186, 1 Sklaven. An dem Hergang des Rechtsgeschäftes, dessen Einzelheiten nicht restlos klargestellt sind, 1 ist für unseren Zusammenhang folgendes wichtig. Derjenige, der zum Beispiel einen Sklaven zu kaufen beabsichtigt, spricht eine vorgeschriebene Formel, faßt dabei den Sklaven an und legt so Hand auf ihn. Die Rechtswirkung war dinglich (Eigentumsübertragung) und obligatorisch (mit gewissen Verpflichtungen). Die feierliche Spruchformel besteht aus zwei Teilen : aus der Eigentumsbehauptung und der Zuwägung des Kaufpreises durch den Wägemeister, beides vor fünf Zeugen. Erst J u s t i n i a n hat dieses im Laufe der Jahrhunderte verfallende Rechtsaltertum durch die Form der Traditio oder Übergabe ersetzt. Sachlich ist bedeutsam, daß der Zugriff auf den Gegenstand der Übertragung durch den Erwerber — den neuen Herrn — erfolgte. Dieses Rechtsgeschäft wird meistens als öffentliches aufgefaßt. Th. I. E s c h m a n n hat gezeigt, wie der jüngere Thomas bei der Erörterung des Gelübdes den Hauptakzent auf die Leistung des sich Darbringenden legt, also auf den Akt des Gelübdeablegenden abzielt, während der ältere Thomas den Blick auf die Annahme des Ganzopfer.s durch den das Ganzopfer ergreifenden Gott hinwendet. 2 Diese Beschlagnahme, die durch Seinen irdischen Statthalter als Werkzeug Gottes vorgenommen wird, erfolgt in Form einer Weihe oder Segnung von Seiten Gottes. Es liegt also eine doppelseitige Bindung vor. Der sich Opfernde übergibt sich Gott ohne Vorbehalt: Handlung von Seiten des Geschöpfes; der Schöpfer nimmt diese Bindung an und stempelt sie zu einer ewigen durch eine besondere, unauslöschliche Weihe. Ist aber diese Weihe wirklich in höchster Instanz unauslöschlich? Ist es wirklich so, daß die zwei personalen Akte — Ganzhingabe für immer von Seiten des Geschöpfes und deren Annahme für immer von Seiten Gottes — sich so unauflöslich verfugen, daß sie nicht mehr rechtmäßig auseinandergerissen werden können? Die unzweideutige und klare Lehre des Aquinaten (Fr. 88: Bd. 19; vgl. E s c h m a n n , 1. c.) ist später verdunkelt worden. M i s s e r e y hat im Anschluß an ältere Forschungen zusammenfassend entwickelt, wie die Unterscheidung von einfachen (ursprünglich privaten) und feierlichen (öffentlichen) Gelübden als ein Ausweg gefunden wurde aus dem Dilemma zweier Praktiken, denen zufolge es dispensierbare und nichtdispensierbare Gelübde gab. 3 Man ordnete die einfachen den dispensierbaren, die feierlichen den nichtdispensierbaren Gelübden zu und half sich so aus der Verlegenheit. Für Thomas ist Öffentlichkeit des Gelübdes e i n e F o l g e aus der Unwiderruflichkeit der Gelübdeablegung im Orden, nicht aber deren Begründung. Denn der Gelobende gliedert sich einer öffentlichen Gemeinschaft ein, und der Akt der Aufnahme erfordert neben der innerlichen und freiwillig übernommenen, aber unsichtbaren Bindung eine äußere Bestätigung und Befestigung, die durch die öffentlichi Vgl. zum Folgenden: Pauly-Wissowa, Realenzyklopädie, unter mancops. - Art. 5 Zu 3; vgl. Esehmann. a . a . O . S. 70 f. ' M i s s e r e y L., Mélanges thomistes. III, 1923: S. 141—151.

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186, l keit — eben die Feierlichkeit — des Gelübdes gegeben ist. Innerer Grund der Unauflöslichkeit des öffentlichen, feierlichen Gelübdes ist die Annahme der Selbstdarbringung des Mönches von Seiten Gottes. Was Gott einmal angenommen hat, nachdem der Mensch grundsätzlichen Verzicht auf alle Rechte geübt und sich so Ihm ausgeliefert hat, das soll Er behalten. Diese Ganzhingabe in der Schenkung kommt einer Weihe gleich, deren äußere Zeremonie die Antwort Gottes auf die Selbstdarbringung versinnbildet. So wenig ein geweihter Kelch entweiht werden, d. h. hier, seinem Gebrauch rechtmäßig entzogen werden kann, es sei denn durch Vornahme einer liturgischen Zeremonie von Seiten des Bischofs,1 so wenig kann ein Mönch seine Verzichterklärung zurücknehmen, da er ja gerade die Nichtzurücknahme oder Unwiderruflichkeit erklärt hat mit den Worten „bis zum Tode" oder mit gleichwertigen Formeln. Daß Heiliges nicht entweiht werden darf, lehrt Thomas auch anderen Orts, so z. B. wenn er sagt: „Alle Konsekrierungen der Kirche sind unaufhebbar, solang die Sache bleibt, welche konsekriert wird, wie dies offensichtlich ist bei den unbelebten Sachen. Denn ein einmal konsekrierter Altar wird nicht wieder konsekriert . . ( 3 9 , 3: Bd. 17). Worauf es hier ankommt, ist die Auswahl des Beispiels. Es ist wohl wahr, daß hier ausdrücklich von sakramentalen Weihungen gesprochen wird; doch müßte, um obiges Zitat zu entkräften, nachgewiesen werden, daß Thomas in dem Ausdruck ,alle Konsekrierungen' die nichtsakramentalen Weihungen habe ausschließen wollen. Einen solchen Beweis zu führen ist unmöglich, weil das zur Erhellung der These angeführte Beispiel von nichtsakramentalen Weihungen handelt, also auch auf die Gelübdeablegung angewendet werden kann. Die Auseinandersetzung über die Frage, worin das Wesen des feierlichen Gelübdes bestehe, ist noch nicht endgültig abgeschlossen. Eine Reihe von Autoren hält dafür, daß es die Rechtswirkungen sind, welche einfache von feierlichen Gelübden unterscheiden.® Andere wieder, darunter sämtliche Thomisten. lehren mit Thomas, daß die Selbstübergabe verbunden mit der inneren geistlichen Weihung des Gelübdeablegenden das Wesen des feierlichen Gelübdes ausmache, während die einfache Gelübdeablegung nur eine geistliche SelbstÜbergabe enthalte. Die thomistische Lösung gibt Gott mehr Ehre und dem Menschen größere Würde. Denn es liegt größere Ehre darin, wenn Gott Sein Eigentum behält, das sich Ihm freiwillig für immer angeboten und das Er angenommen hat, als wenn es Ihm mit irgendwelchen noch so triftigen Begründungen wieder genommen werden kann. U n d w a s s i n d t r i f t i g e B e 1 Warum aber kann ein Bischof rechtmäßig einen Kelch seinem Gebrauch entziehen? Gott n i m m t heilige Geräte als unpersönliche Gegenstände, als Sachen, nicht so in Beschlag, wie er einen Menschen, der sich ihm in voller Bewußtheit übergibt, zu eigen nimmt. Darum kann die Kirche nach Auffassung von Thomas zwar einen Kelch seinem Gebrauch entziehen (ent-weihen). nicht aber eine Person ihrer Verpflichtung entbinden, die sie sich selbst aufgebürdet hat, indem sie sich selbst als Person unwiderruflich bis zum Torlo (Ion anvertraute und übergab. s P r ü m m e r II 331.

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gründungen irdischer Ordnung v e r g l i c h e n 186, i mit der u n e n d l i c h e n E h r e Gottes? Ebenso entspricht es mehr der Würde des Menschen, wenn er imstande ist, eine totale, unwiderrufliche Ganzhingabe zu setzen mit Überspringung aller Zeitfesseln, als wenn er eine grundsätzlich durch irgendwen widerrufbare Übergabe ausspricht. Die Rangordnung der Werte hat eine ganz andere Festigkeit, wenn Gelübde unauflöslich sind. So läßt G e r t r u d v o n L e F o r t die Seele im Aufblick zur Kirche ausrufen: „Wenn du Gelübde annimmst, so hallen sie bis ans Ende der Zeiten". b) Gründung des Ordensstandes durch Christus. — Nach Ansicht C a j e t a n s hat Christus den Ordensstand im Wesentlichen begründet, als Er zum reichen Jüngling sagte: „Wenn du vollkommen sein w i l l s t . . ( M t 19, 21). In der geschichtlichen Entwicklung sei er von der Kirche bereits zur Apostelzeit eingeleitet worden. Die Feierlichkeit der Gelübde und die Aufstellung bestimmter Regeln fallen in spätere Zeit. S u a r e z sagt: „Der Ordensstand ist an sich in bezug auf sein Wesen von Christus selbst unmittelbar überliefert und begründet worden, und so kann gesagt werden, daß er göttlichen Rechtes ist, nicht im Sinne des Gebotes, sondern des Rates. Das ist die Auffassung aller rechtdenkenden Katholiken" (III De religione, c. 2 n. 3). S u a r e z zitiert für seine Auffassung Thomas in 188, 4. Damit ist folgerichtig das Recht gegeben für die Kirche, Orden gutzuheißen, ihre Satzungen zu ändern, zu reformieren, aufzuheben. Auch heute noch ist die Mahnung nicht ganz überholt, welche C a j e t a n den kirchlichen Oberen bei dieser Gelegenheit erteilt. Daß Christus den Ordensstand im Wesentlichen begründet habe, läßt sich folgendermaßen dartun: a) Er hat den Stand der Räte gestiftet; b) Er hat die Apostel als Seine ersten Nachfolger zu diesem Stande zugelassen. Zu a. Der Stand der Räte wird ergriffen durch die drei Gelübde der Armut (Mt 4, 18 und 19, 21a), der Keuschheit (Mt 19, 12), des Gehorsams (Mt 19, 21b). Zu b. Die faktische Nachfolge Christi und das Einverständnis des Stifters mit dieser Nachfolge geht hervor aus Mt 19, 27 ff., wo Christus ausdrücklich die Belohnung erwähnt, die den Nachfolgenden zuteil wird. Thomas selbst nimmt 88, 4 Zu 3 den Ordensstand als göttliche Stiftung an mit der Bemerkung, daß die Apostel, nachdem sie alles verlassen hatten und Christus nachgefolgt waren, die zum Ordensstand erforderlichen Gelübde einschlußweise geleistet hätten. Man mag alle möglichen Einwände gegen die vorliegende Beweisführung erheben, Einwände, deren Triftigkeit durchaus nicht geleugnet werden soll. Doch eines wird man nicht bestreiten können, daß sie für diejenigen. die sich auf diese Beweisführung zu berufen das Recht zusprechen, eine Verpflichtung enthält," deren Schwere kaum überbietbar ist. Wer den Ordensstand so von Christus begründet glaubt, wie ihn die Apostel lebten, wird seine bürgerlich gefärbten # Anschauungen eines religiösen Durchschnittslebensstandards aufgeben müssen. In dem Maße, als man das Vorbild der Apostel als nicht durchwegs verbindlich erklärt, schwächt man die Beweiskraft des Argumentes für göttliche Ein26*

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186, l Setzung des Ordensstandes ab. Dann mag Christus eine besondere Standesethik f ü r Bischöfe verkündet haben, also f ü r Missionäre und Pioniere des 1. Jahrhunderts, eine Standesethik, die nachträglich zu einer gewissen Durchschnittshaltung herabgemindert wurde. Christus hat den Ordensstand nicht befohlen, sondern als Lebensmöglichkeit angeraten und dadurch begründet. Damit ist nicht ausgeschlossen, sondern im Gegenteil gefordert, daß die Kirche diesen Stand göttlichen Rechtes durch ihre menschliche Gesetzgebung im einzelnen reguliert. In den ersten Jahrhunderten entwickelte sich diese Einrichtung weitgehend selbständig unter Einverständnis der örtlich zuständigen Bischöfe; erst um die J a h r e 1180 herum hat der Heilige Stuhl begonnen, sich gesetzgeberisch einzuschalten; damit war eine Entwicklung angebahnt, die durch den CJC im J a h r e 1918 ihren vorläufigen Abschluß fand. Mit dieser geschichtlichen Feststellung erledigt sich der Einwand aus Thomas, wonach zur Zeit der Apostel noch keine Orden gegründet w a r e n (187, 3 Zu 2). 186, 2

2. U m f a n g u n d T i e f e d e r Gelübdebindung (Art. 2). — Man kann die Frage des Artikels schärfer anpacken: Ist ein jeder zu der Absicht verpflichtet, alles wirkbare Gute in dem ihm möglichen Umfang zu tun? Wollte man die Frage bejahen, so erhöbe sich die Schwierigkeit: Wird mit dieser Verpflichtung nicht ein zu hartes Joch auferlegt, da doch unseres H e r r e n Joch „süß und Seine Bürde leicht" ist? Darauf ist zu sagen: Die ausdrückliche Absicht, nicht voranzuschreiten in der Vollkommenheit, ist aus ihrer innersten Natur heraus schlecht und böse. Da die Gottesliebe als einzige Tugend kein Maß kennt, ist die Verpflichtung zur Gottesliebe eine strenge im Sinne eines unaufhörlichen Fortschritts; will also jemand ausdrücklich nicht voranschreiten, so beschränkt er sich darauf, Gott mit dem Maß des augenblicklich Erreichten zu lieben, d. h. er leugnet die Verpflichtung, Gott ohne Maß zu lieben, der er nur nachkommen könnte, w e n n er unaufhörlich voranschreiten wollte. Die Sündhaftigkeit eines ausdrücklichen Entschlusses, nicht voranzuschreiten, wird erschwert durch den Willen, mit der Gnade nicht mitzuwirken, die ständig zum Besseren antreibt; diese Versagung der Mitwirkung, ein gefährliches S i c h versagen, schlägt der rechten Vernunft ins Gesicht. Da die Gnadenangebote vom Heiligen Geist stammen, kommt die Versagung der Mitwirkung — das ausdrückliche Nicht-Voranschreiten-Wollen — einer Verachtung des Heiligen Geistes gleich. Die Schwere der Sünde ermißt sich aus dem Verhältnis zwischen Verschmähung des Zieles und der Verschmähung der Mittel zum Ziel. Wer schlechthin nicht voranschreiten will, verschmäht das Ziel schlechthin (Todsünde): wer n u r die Werke der Übergebühr ausschließt, jedoch das Ziel erreichen möchte, wenn auch unter Ausschluß eines hohen Grades der Liebe, der nur durch W e r k e der Übergebühr zu erreichen ist, verschmäht nicht das Ziel schlechthin (läßliche Sünde), vorausgesetzt, daß er nichts zu unternehmen entschloi*sen ist, was der Liebe zuwider läuft. Wie schon zu 184, 3 gezeigt, ergeben sich aus dem Liebes-

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gebot zwei Folgen: 1. Wer nicht gehindert ist zu handeln, ist 186, 2 verpflichtet zu handeln (Verbot das geistlichen Müßiggangs); 2. dieses Handeln muß gut sein. Es geht hier nicht um die Anregung zum Guten im allgemeinen, sondern um die Beantwortung der konkreten, im Hier und Jetzt erfolgenden Eineprechung des Heiligen Geistes. Die Frage, inwieweit ein Mensch das vorschwebende Gute leisten könne, mag im Einzelfalle kaum zu klären sein, weder für Außenstehende noch für den Betreffenden selbst; theoretisch jedoch ist sie grundsätzlich lösbar durch den umfassenden Gedanken des hl. A u g us t i n u s , der hier sinngemäß einzuflechten ist: „Wer tut, was an ihm liegt, dem versagt Gott Seine Gnade nicht." Jeder Christ muß die Absicht haben, jedes ihm mögliche Gute zu wirken, d. h. der Gnade nicht zu widerstreben, Gebote und Räte nicht zu verachten. Der Begriff der Verachtung setzt voraus, daß Handlungs m ö g l i c h k e i t besteht und diese b e w u ß t nicht wahrgenommen oder nicht ausgeschöpft wird. Verachtung besagt also unmittelbar einen Gegensatz zu dem Gebot, das zu tun, was ein jeder kann. So begeht denn jeder eine schwere Nachlässigkeit, welcher der Gnade einen Riegel vorschiebt, nicht weil er nicht könnte — da er ja die Gnade angeboten erhält und ihr nur zuzustimmen braucht —, sondern weil er nicht will. Die deutsche Sprache birgt gerade hier eine tiefsinnige Doppeldeutigkeit: Wer nicht will, sagt ab, und weil er absagt, ,ver-sagt' er in dem ihm durch die Gnade konkret hier und jetzt angebotenen möglichen Guten. U n d d i e s e s V e r s a g e n w i r k t s i c h aus, d e n n es fehlen nunmehr die Fundamente für das n ä c h s t h ö h e r e Gute, welches auf dem vorhergehenden Guten sich hätte a u f b a u e n sollen. Verachtung von Gebot und Bat. — Im Hinblick auf die Verachtung unterscheidet man ,materielle' oder einschlußweise Verachtung (freiwillige Nichtausführung pflichtmäßigen Tuns) und ,formelle' oder ausdrückliche Verachtung (bewußter Widerstand gegen ein Gebot oder einen Rat, oder auch gegen den Gebietenden oder Ratenden, nicht wegen des Inhaltes von Gebot oder Rat an sich, sondern wegen der Tatsache, daß es Willensausdruck des Gebietenden oder Ratenden ist). Ausdrückliche Verachtung Gott gegenüber ist immer Todsünde; darin stimmen die Theologen überein. Der Grund ist leicht einzusehen. Bei der Unsicherheit unserer Vorhersicht, bei der völligen Unzulänglichkeit unseres Wissens, bei der Gebrechlichkeit unseres Willens bedeutet es einen Verstoß gegen das Naturgesetz selbst, wenn man den allwissenden und allmächtigen Gott als Gesetzgeber oder Berater ablehnt. Ist solcherlei Verachtung aber auch Todsünde, wenn sie den Menschen gegenüber erfolgt, in welchen und durch welche hindurch Gott verachtet wird? Hier ist die Antwort nicht mehr .so leicht, denn so sehr ein Mensch Gottes Stellvertreter ist, kann er doch irren, und darum kann es vernünftig sein, einen Rat oder ein Gebot nicht zu befolgen, wenn die Begründung der Ablehnung stichhaltig ist. Hingegen wäre es auf jeden Fall schwere oder mindestens leichte Sünde, einen Rat nur deshalb nicht zu befolgen, w e i l es der Rat éines Oberen ist.

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Man kann die Verachtung mit C a j e t a n moraltheologisch unterscheiden in a) die faktische Ausführung, b) die je neu zu leistende Zielsetzung, c) ihre Gegenstände. a) Die tatsächliche Ausführung — der Akt der Verachtung — wird, wenn er auch ungut ist, nicht immer sündhaft sein. Menschliche Schwächen, Unwissenheit und andere Umstände mögen als Milderungsgrund der Schuld gelten oder sie ganz aufheben. b) Wer sich als Ordensmann bewußt und absichtlich damit zufrieden geben wollte, die göttlichen Gebote im allgemeinen zu halten, nicht aber die von ihm feierlich übernommene Ordensregel, sündigt, weil er damit einen Riegel vorschiebt gegen den inneren Fortschritt und den Heiligen Geist betrübt. c) Die Verachtung kann sich auf die Gebote oder die Räte beziehen. In beiden Fällen wird Gott verachtet, sei es als gebietender, sei es als ratender Gott. An und für sich ist die Verachtung, wie schon bemerkt, Todsünde, vor allem, wenn sie mit Entschlossenheit und Festigkeit verbunden ist. Es gibt jedoch auch eine Art von Verachtung aus Schwäche, die einem müden Absinken gleichkommt. Diese Ermattung ist nicht Todsünde, so lange geistlicher Fortschritt und göttliche Räte respektvoll verehrt werden, wenn auch das Anstreben der Hochziele, weil nicht zum Heile unerläßlich, versäumt wird. In diesem Falle handelt es sich nicht eigentlich um Verachtung, höchstens um Ablehnung der Ausführung. Dem geforderten Streben nach Vollkommenheit wird Genüge getan, indem man das Endziel nicht aus dem Auge läßt. Wer dagegen die Vollkommenheit als Ziel rundweg verschmäht, sündigt; denn die Verschmähung, welche dem grundsätzlichen Verzicht gleichkommt, hebt die Absicht auf. Umgekehrt bedeutet die bewußte Unterlassung der Zielsetzung im Endergebnis eine Verschmähung. Das letztere dürfte häufiger sein. Wenige versteigen sich zu einer ausdrücklichen Verschmähung des Endzieles. Viele aber versäumen es, immer wieder die Flamme der Sehnsucht zu entfachen und die Willensakte zu setzen, die zur Aufrechterhaltung der Absicht, d. h. zur wirksamen Zielerreichung unerläßlich sind. Am Wegesrande ermattet niedergesunken, versäumen sie es aufzustehen, sich auf den Weg zu machen und weiterzuschreiten. Mehrdeutigkeit von Stand'. — ,Stand' der Vollkommenheit bedeutet, wie schon ausgeführt, nicht ohne weiteres Ordensstand oder Rätestand. Man kann im allgemeinen ,Stand' der christlichen Vollkommenheit sein, ohne Gelübde abgelegt zu haben. Man würde dann freilich besser sagen: ,Zustand' der Vollkommenheit, um die Allgemeinheit der Situation, gleichsam die „ständische" Neutralität der Situation zu kennzeichnen. Denn der Zustand der Vollkommenheit ist indifferent gegen die Zugehörigkeit zu einem Stande im engeren soziologischen Sinne. Das lateinische Wort status mit seinem großen Bedeutungsspielraum erlaubt diese Übersetzung ohne weiteres, wie auch aus der Verwendung des Wortes hervorgeht. Rätestand und Stand der Vollkommenheit hingegen sind irgendwie eins. Laien und Kleriker im Ordensstand. — Muß ein jeder, der die drei Gelübde ablegen, also den R ä t e s t a n d ergreifen will, nun entweder Laienbruder in dienender Stellung mit verhält-

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nismäßig geringer Bildung oder a b e r Priester mit der kirchlich 186, 2 vorgeschriebenen Mindestbildung w e r d e n wollen? Durchaus nicht. Im ältesten Mönchtum w a r d e r Laienstand die Regel. Hans Urs v o n B a l t h a s a r hat gezeigt, wie nach u n d nach das Verhältnis von nichtpriesterlichen und priesterlichen Mönchen sich verschoben hat zugunsten der letzteren, und zwar über ein J a h r t a u s e n d h i n w e g mit solcher Unwiderstehlichkeit, daß es heute fast keine gebildeten Laien mehr im Rätestand gibt, weil dieser n u r die oben e r w ä h n t e n zwei Klassen zuläßt. Ludwig H e r t l i n g b e m e r k t : „Um die Mitte des 4. J a h r h u n d e r t s sind K l e r i k e r und Mönche zwei Kreise, die sich nirgends schneiden" (ZKTh 1930/335). Der heutige Zustand ist durchaus nicht ideal, im Gegenteil: Dem Rätestand entgehen viele wertvolle Kräfte. Näheres hierzu bei H. U. v o n B a l t h a s a r , im zweiten Abschnitt seines Büchleins: ,Der Laie und der Ordensstand': „Die L e h r e der Geschichte". 3. V e r p f l i c h t u n g z u r A r m u t (Art. 3). — Das Grund- 186, ä sätzliche zur A r m u t hat Thomas in k n a p p e r Zusammenfassung in der philosophischen S u m m e entwickelt (CG I I I 133): Reicht ü m e r sind gut, insoweit sie f ü r diesen oder j e n e n Menschen dem Ziel des Lebens — Tugend und Gottesliebe — d i e n e n ; insoweit sie diesen oder j e n e n Menschen von der Erreichung des Zieles abhalten, sind sie schlecht. A r m u t ist gut, insofern sie diesen oder j e n e n Menschen von Lastern befreit, denen j e n e Menschen frönen, die den Reichtümern v e r f a l l e n ; wer hingegen durch Reichtum Freiheit besitzt und durch eben diese F r e i h e i t in d e r Lage ist, den A r m e n zu helfen, dem k a n n er von Nutzen sein. S o f e r n also die A r m u t Gutes verhindert, ist sie schlecht; s o f e r n sie Gutes ermöglicht, ist sie gut. Sofern der Reichtum Gutes verhindert, ist er schlecht; sofern er Gutes ermöglicht (sorgloser Lebensunterhalt und großzügige Unterstützung der A r m e n ) , ist e r gut. Daraus ergibt sich eine Gleichung mit entgegengesetzt gleit e n d e n G r ö ß e n ; je geringer die Sorge f ü r die ä u ß e r e n Güter wird, um so besser ist die Armut, je größer diese Sorge wied e r u m wird, um so schlechter ist sie. Also ist die A r m u t nicht an sich gut oder schlecht, s o n d e r n Funktion i h r e r jeweiligen Begleitumstände und Zielsetzungen. Man weiß, daß Thomas bei der Abfassung der philosophischen S u m m e (Beginn um 1258) bereits die Angriffe des W i l h e l m v o n S t . A m o u r gekannt hat, der 1256 sein Erstlingswerk gegen die M e n d i k a n t e n herausgab und sofort von Thomas durch das Buch „Wider die Bek ä m p f e r der V e r e h r u n g Gottes und des Ordensstandes" widerlegt w u r d e . Aus solchen G r ü n d e n versteht man, wieso es eine sichere Glaubenslehre sein kann, daß die A r m u t nicht zum Heile notw e n d i g ist, m a g sie auch f ü r den Ordensstand dienlich sein als Schule der Losschälung vom Irdischen. Das Wort Jesu ü b e r die A r m u t : „Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher ins Himmelreich" (Mt 19, 24), gibt die Schwere d e r Verstrickungen an, in welche die Reichen verwickelt w e r d e n k ö n n e n . Doch fährt J e s u s f o r t : „Bei den Menschen ist dies unmöglich, bei Gott a b e r ist alles möglich" (V. 26). Der

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186, 3 Herr unterscheidet dem reichen Jüngling gegenüber zwei Stufen: „Wenn du zum Leben eingehen willst, so halte die G e b o t e . . . Wenn du vollkommen sein willst, gehe hin, verkaufe alles und gib es den Armen" (Mt 19, 18. 21). Die erste Stufe bedeutet die Anerkennung, die Erlaubtheit des Besitzes von Eigentum, die zweite Stufe bedeutet den Stand der freiwilligen Armut. Auch das andere, so strenge Wort Jesu: „So kann also keiner von euch, wenn er nicht aller seiner Habe entsagt, Mein Jünger sein" (Lk 14, 33), betrifft nur einen Rat für die Jünger. In bezug auf das christliche Leben im allgemeinen besteht kein Problem bezüglich der Armut. Die Frage geht dahin, ob die Armut für den Stand der religiösen Vollkommenheit notwendig sei. Die Frage wird bejaht unter ausdrücklicher Berücksichtigung des Übungscharakters dieser Losschälungen, darum gebraucht Thomas mehrmals die Worte Übung und Schule. So sehr die Lösung klar ist f ü r den Ordensstand, so sehr ist Thomas besorgt, dem bischöflichen Ordensmann die freie Verwendung von Geldern zu gestatten. Wenn man gut unterscheidet zwischen bloßer Verfügungsgewalt oder Verwendung von Vermögenswerten einerseits und Besitz von Vermögenswerten andererseits, lösen sich manche Schwierigkeiten von selbst. Wie begründet man die allgemeine Gültigkeit des Armutsgebotes für jedes Mitglied innerhalb eines Ordens? Nicht jeder Mensch verspürt gleichmäßig einen Hang, Eigentum zu besitzen. Die Ordensregel aber muß in ihrer Allgemeinheit so beschaffen sein, daß sie die zu besonderen Fehlern Veranlagten fest ins Auge faßt und nachdrücklich erzieht, wobei die zu diesen Fehlern nicht Veranlagten eine Reihe von Bestimmungen in Kauf nehmen müssen, die an sich f ü r sie überflüssig wären. So muß der eine sein Hauptaugenmerk auf die Bekämpfung der Sinnlichkeit, der andere auf die Bekämpfung ungeordneter Anhänglichkeit an Hab und Gut, wieder ein anderer auf die Bekämpfung des Stolzes richten. Für alle ist ein und dieselbe Regel da. Wie viele Christen zeigen in der großzügigen Verwendung von Reichtümern, in Stiftungen und Opfern ihre völlige innere Loslösung von Geld und Gut, ohne daß sie ein Gelübde der Armut abzulegen brauchen, ja sogar, ohne daß sie besondere Überwindungen leisten müssen bei der Verausgabung ihrer Reichtümer. Treten derart veranlagte Menschen in einen Orden ein, so bedürfen gerade sie der besonderen Sicherung dieses Gelübdes nicht, sie legen es um der anderen willen ab, die es bedürfen, schränken sich damit ein und bringen einen aktiven Erweis höherer Liebe. Auch die Unterscheidung von Ziel und Mitteln zum Ziel ist hier angebracht. Wer Reichtümer liebt als Ziel, sündigt schwer; wer sie liebt als Mittel zum Ziel und nur als solches (es gibt sehr viele Möglichkeiten, sie in dieser Unterordnung und in innerer Freiheit zu lieben und zu gebrauchen), übt Akte der Tugend. Die Reinheit der göttlichen Liebe braucht in keiner Weise verunstaltet zu werden durch das kraftvolle Ringen um Hilfsquellen für die Reich-Gottes-Arbeit. Will man sich die ganze Strenge dieses Artikels vergegen-

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wärtigen, so vergleiche man den Artikel 40, 3 des III. Buches: 186. s „Ob Christus ein a r m e s Leben f ü h r e n m u ß t e " (Bd. 27). F ü r den, der das g r u n d l e g e n d e theologische Axiom ,Christi Tat ist u n s e r e Lehre' ernst n i m m t — und der Ordensmann, d e r in b e s o n d e r e r Nachfolge J e s u steht, m u ß es ernst n e h m e n —, erhalten die Aufstellungen dieses christologischen Artikels eine Verbindlichkeit, die keine Ausflüchte mehr zuläßt. Näheres ü b e r den Armutsstreit in der Einleitung zum K o m m e n t a r und S. 457 fl. Über den Geist der Armut. — D e r feierlich Gelobende verzichtet nicht n u r ganz allgemein auf Reichtümer, n ä h e r h i n auf die Verfügungsgewalt ü b e r Besitztum, sondern er verliert überh a u p t die Fähigkeit, etwas zu besitzen. Verfügungsgewalt ist das Recht, irgend etwas f ü r einen nicht durch Gesetz verbotenen Gebrauch zu bestimmen. Darf der Ordensmann irgend etwas sein eigen n e n n e n ? Nicht im S i n n e des Eigentums, wohl aber im S i n n e des Gebrauches; so darf er s a g e n : meine Schuhe, meine Kleider, m e i n e Bücher. Die bloße V e r w a l t u n g widerstrebt dem Armutsgelübde nicht, solange echte Verfügungsgewalt ausgeschlossen ist und k e i n e direkte und d a u e r n d e Nutzn i e ß u n g daraus w i r d : diese allerdings w ä r e n u r eine verb r ä m t e Form des tatsächlichen Besitzes, w e n n auch juristisch nicht der Eigentümerschaft. Der Ordensangehörige k a n n nach Ablegung der Gelübde sündigen gegen die A r m u t : a) durch den Wunsch, Reicht ü m e r zu besitzen (um des Besitzes willen), b) durch das Mißfallen a n dem einmal ausgesprochenen Verzicht auf Eigentum, c) durch das behagliche Verweilen in der n u r vorgestellten Verfügungsgewalt. Der Wunsch, Reichtümer zu besitzen, um sie zu verausgaben zu guten Zwecken, k a n n gut oder schlecht sein, ist jedoch unnütz. Das ungerechtfertigte V e r l a n g e n nach Reichtümern k a n n bei Ordensangehörigen bis zum Sakrileg anwachsen. Das Mißfallen am abgelegten Gelübde w ä r e n u r dann Todsünde, w e n n G e f a h r der Verletzung des Gelübdes oder Verachtung vorliegt. Das behagliche V e r w e i l e n im Gedanken an Reichtum ist Weltleuten selbstverständlich erlaubt, Ordensleuten durch Gelübde untersagt und n u r d a n n nicht direkt sündhaft, w e n n der Wille intakt bleibt, das Gelübde nicht zu verletzen. Zweierlei Armut ? — Die Notwendigkeit d e r A r m u t f ü r den Ordensstand zum Zweck ständiger E r p r o b u n g und der Sicherung der Selbstlosigkeit ist einhellige Lehre der Tradition. Dabei hat sich die kirchliche Beurteilung nicht an subtile Feinheiten der Unterscheidung gehalten, sondern ganz handgreiflich die aszetischen Werte der Losschälung wie sie das Armutsgelübde mit sich bringt, im Auge gehabt. Trotzdem ist die Fragestellung berechtigt, ob das Evangelium zweierlei A r m u t v e r k ü n d e : ein zweckbestimmtes Ideal der apostolischen A r m u t des W a n d e r predigers oder Seelsorgers — man könnte es ökonomische Armut n e n n e n — und d a r ü b e r hinaus noch ein isoliert aufgefaßtes Ideal aszetischer A r m u t f ü r weltflüchtige Beschaulichkeit, f ü r Einsiedler, die sich still zurückgezogen h a b e n , indem sie einer besonderen B e r u f u n g gehorchten. Im er=ten S i n n e bedeutet Armut ein Optimum von Durchschlagskraft in der Reich-Gottes-

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186, :Ì Arbeit, die Abstreifung aller unnötigen Fesseln. Im zweiten Sinne bedeutet sie eine tiefere und reinere Möglichkeit der Selbstheiligung durch Verdemütigung, Erniedrigung und innere Losschälung. Von dieser Unterscheidung her gesehen, ist die Armut der Dominikaner mehr im Sinne eines apostolischen Hilfsmittels und nur in diesem Rahmen als aszetisches Privatziel aufzufassen, wobei das zweite in den Dienst des ersten treten kann und soll. Bestimmend bleibt immer das apostolische Moment. Das ergibt sich aus der Zielsetzung der Antwort: Vollkommenheit der Liebe. Diese nämlich hat bei Thomas, wie noch deutlicher werden wird, so starke soziale Prägung, daß obige Lösung sich mit dem Primat der Liebe von selbst ergibt. Die A r m u t s p r a x i s der Dominikaner ist von Anfang an großzügig gehandhabt worden im Sinne einer möglichst selbständigen, durch Arbeit zu leistenden Daseinssicherung. Einkommen aus Arbeit bedeutet jedoch nicht die in populären Darstellungen so beliebte Ablehnung des Pfründenprinzips oder des geistlichen Rentnertums; hier bedarf es einer genauen Abgrenzung. D o m i n i k u s hat nicht ganz auf Renteneinkommen verzichtet (Nachweis bei A 11 a n e r, Armut: S. 414—415). Mag das, was er nach dem Generalkapitel von 1220 noch duldete, im Verhältnis zum Güterstand der alten Orden wenig gewesen sein, so sollte doch eine geringfügige subsidiäre Einkommensquelle bestehen bleiben, die den Hauptzweck des Ordens, das Studium und die Seelsorge, erleichterte und sicherstellte. Das dominikanische „Rentnertum", wenn man die geringen Reste der Daseinssicherung, die Dominikus nach der Verschärfung von 1220 gelten ließ, so nennen will, hat nicht den Sinn der Wirtschaftsverflochtenheit, sondern den der Wirtschaftsenthobenheit: mit diesen von M a x W e b e r geprägten Begriffen (zitiert bei G u n d 1 a c h, S. 87) dürfte die Absicht des Ordensstifters getroffen sein. Nicht jeder Orden ist im gleichen Maße wirtschaftsfremd bzw. wirtschaftsverflochten: der Dominikanerorden will in höchstmöglichem Maße wirtschaftsenthoben sein. Es wird gelegentlich zu verstehen gegeben, der Dominikanerorden sei kein Mendikantenorden, er h e i ß e nur so infolge der Privilegiengemeinschaft mit den echten Mendikantenorden; er s e i es nicht, weil die vollkommene Besitzlosigkeit von seiten der Gemeinschaft nicht bestehe ( J o n e I, zu Can. 621). Nach dem klaren Wortlaut der Konstitutionen von 1220 und 1228 ist aber der Predigerorden gründungsgemäß auf zusätzlichen Bettel angewiesen zum Ausgleich für den fehlenden Rest des Einkommens, der durch apostolische Arbeit nicht eingebracht werden kann. Die strenge Armutsidee, welche Dominikus vorschwebte, verbot nicht nur Privatbesitz der einzelnen Ordensleute, sondern auch bedeutenden Gemeinschaftsbesitz, sofern er regelmäßige Einkünfte sicherstellte (vgl. S c h e e b e n , Jordan der Sachse, S. 197). Die Darstellung der Summa liegt auf dieser Linie, wie aus der bedachtsamen Berücksichtigung der büßerischen Armut hervorgeht, die ja im Bettel eine hauptsächliche Form des Ausdrucks findet. Später hat M a r t i n V. ein Privileg zugunsten des Gemeinschaftsbesitzes erlassen, das seither in Kraft blieb, und von diesem Zeitpunkt an mag es

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bei echtigt sein, den Predigerorden aus der Liste der strengen 186, 3 Mendikanten zu streichen, jedoch nur insoweit, als er dieses Privilegium auch wirklich in Anspruch nahm. Entscheidend ist nicht die rein terminologische Frage des Gemeinbesitzes, sondern die Notwendigkeit eines zur Arbeit hin zusätzlichen Anteils im Einkommenserwerb, der durch Geschenke, Spenden und Almosen (im letzteren Falle also durch Bettel im engeren Sinn) gesichert wird. Will man die Frage des Mendikantentums von der rein juristischen Betrachtung — Gemeinbesitz oder nicht — abhängig machen, so bleibt man im Bereich der papiermäßigen Unterscheidungen. Den Ausschlag gibt keine juristische Fiktion, sondern die tatsächliche Armut, die Regel p r a x i s , und das tatsächliche Angewiesensein auf Gaben aller Art, sofern das Einkommen aus Arbeit allein nicht ausreicht. Armut und Wunder (Zu 2). — Die Vorsorge Gottes, welche die Heroen wagemutiger Armut wunderbar beschützt hat — man denke an die vielen Brotwunder, welche die Heiligen der Caritas erfahren durften —, ist allen Gottesleuten versprochen, auch den weniger heroischen, sofern sie sich nur ehrlich um Erfüllung ihrer Gelübde bemühen. Denen jedoch, die bereits erschlafft sind in der Ordenszucht, wird sie verweigert. So vertieft sich der circulus vitiosus immer mehr bis zur völligen Verbürgerlichung und Säkularisierung der Orden, wofür die Kirchengeschichte erstaunliche Beispiele bereithält. „Gott, der die Erde auf ein Nichts gegründet hat und erhält, erhebt die Herzen der Menschen und baut sie auf dem Nichts der Armut wie Tempel auf, in welchen ausschließlich und allein Er angebetet und verherrlicht wird, [und führt sie] bis hinauf zur Erhabenheit der Engel" ( P a s s e r i n i I 486). 4. V e r p f l i c h t u n g z u r E n t h a l t s a m k e i t (Art. 4). 18(>. 4 — Als geschichtliches Kuriosum sei vermerkt, daß sich zu der Frage, ob Mitglieder gewisser kirchlicher und ritterlicher Orden echte Ordensleute seien, gelehrte Auseinandersetzungen über Jahrhunderte hinweg hinzogen. Die Begründung lag darin, daß bei den Mitgliedern dieser Orden ein vollkommenes Keuschheitsgelübde nicht gegeben war, sondern nur eheliche Keuschheit verlangt wurde. Zugunsten der These, daß es 6ich um echte Ordensleute (voller Rätestand) handelte, führte man päpstliche Bullen an, ferner den Umstand, daß päpstlich approbierte Satzungen befolgt und Gelübde abgelegt wurden. Es handelte sich um Ritter aus den C a l a t r a v a - , A l c a n t a r a - , J a k o b u s - , S t e p h a n u s-Orden usw. Wir beschränken uns auf den Lösungsversuch, den P a s s e r i n i unter Berufung auf die Etymologie des Wortes Religiosus entwickelt. Er unterscheidet drei Formen der Gottverbundenheit (religio): in der ersten und weitesten Form sind alle Christen Gott Verbundene (religiosi); in der zweiten und mittleren Form sind alle Menschen Gott verbunden, welche irgendein zu den Räten gehöriges Gelübde ablegen (Ritter-Orden); in der dritten und engsten Form sind religiosi nur die Ordensleute im strengsten Sinne der drei Gelübde. Ehelosigkeit bedeutet negativ nur das Fehlen eines Partners in der bürgerlichen Ehe. Jungfräulichkeit bedeutet positiv das

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186, 4 Freisein für den Herrn und mehr als das: das liebende Verbundensein mit dem Herrn. Dieses Freisein läßt sich nicht nach Art eines Rechtsvertrages ein für allemal abschließend erledigen. Denn dieses Verbundensein ist Krisen unterworfen, es fordert eine immer neu zu setzende Entschließung. Grundmomente der Jungfräulichkeit sind enthalten im lateinischen Stammwort cael (Zölibat): alleinsein, sodann ganz- oder vollständigsein, endlich jemand ausschließlich eigensein (vgl. A. W a l d e , Lateinisches etymologisches Wörterbuch, 2. Aufl.). a.) Die Ungenügsamkeit des Menschen mit sich selbst. Das absolute Angewiesensein des Menschen auf seine menschliche Umwelt bedarf keiner Erläuterung. Das Wort aus Gottes Mund: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei" (Gn 2, 18) gilt ohne Einschränkung auch für die Zölibatäre. In diesem Horizont der Selbstungenügsamkeit muß jeder Mensch eine Ergänzung, eine Vervollständigung suchen. Dieser Satz hat den Rang eines Naturgesetzes. Naturgesetze aber sind nicht abdingbar: „Und wenn du die Natur mit der Gabel austreibst, sie kehrt doch wieder" ( H o r a z ) . Das Wort des lateinischen Dichters darf ohne Scheu hier angewandt werden. Ist Lebensgemeinschaft mit einem Geschlechtspartner nicht möglich, so muß sie auf höherer, geistiger Ebene vollzogen werden, was nur möglich ist durch Sublimierung der biologischen Gegebenheiten, durch Transponierung ins Geistige. Die Urgewalt der Natur läßt sich zwar nicht unterdrücken, sie läßt sich aber fruchtbar stauen und vergeistigen, wie das Beispiel der Heiligen am schlagendsten dartut, wie das große Heer der vom Schicksal zum Alleinsein verurteilten Kinder Gottes beweist. b) Personaler Charakter. Der Zölibat hat entweder zutiefst personalen Charakter oder er ist kein echter Zölibat. Der geistige Ehebund mit Gott kommt im Artikel selbst nicht zum buchstäblichen Ausdruck, weil das im Rahmen eines Ordenstraktates überflüssig ist. Denn die Vollkommenheit der Liebe, zu welcher der Zölibat hingeleiten soll, ist ja nichts anderes als vertiefte personale Beziehung zu Gott, dem Dreifaltigen, eine Beziehung, die in ihrem Reichtum jede irdische Partnerschaft unendlich übertrifft. Neben vielen anderen Autoren hat gerade M ö h l e r Wesentliches darüber ausgesagt in seiner Abhandlung: „Der ungeteilte Dienst". Konzentration der Kraft ist das Geheimnis auch des übernatürlichen Erfolges; so wird der jungfräuliche Mensch im Gebet, im vertrauten Umgang mit Gott zurückgeworfen auf Gott selbst, der das Urbild aller Persönlichkeit ist, und zieht aus diesem vertieften Gottesverhältnis seine Sicherheit im Alleinsein. c) Die Freude. Damit ist der dritte Gesichtspunkt vorentschieden: die Freude. „Kein Mensch kann ohne Freude leben" (Thomas v. Aquin). Bleiben Freuden natürlicher Ordnung, wenn auch noch so hohe und edle Freuden, versagt, was soll dann rechtmäßig an ihre Stelle treten? Der irdische Mensch, der Geistiges nicht faßt, sieht im Zölibat ein Vakuum. Wie soll dieses Vakuum ausgefüllt werden? Durch Freudensurrogate? Durch falsche Kompensationen? Die beste Antwort, die in ihrer Wucht und Gewißheit kaum in Worte zu fassen ist, hat Thomas selbst verfaßt

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im Ständetraktat bei der Frage, ob die Beschauung Wonne 186. 4 bringe. Dort holt er aus und beweist die gaudia spiritualia auf natürlicher und übernatürlicher Ebene mit einem solchen Aufgebot von Gründen, daß man von hier aus zu der Einsicht kommt: Wem auch nur an der Randzone dieses Urmeeres von Freuden zu leben verstattet ist, der kann im Zölibat wohl Anfechtungen, aber keine Grundlagenkrisen erfahren. Man erwäge, wie sehr für Thomas das beschauliche Leben in der via affectiva liegt. Unaufhörlich betont er, daß die Vollendung menschlichen Lebens in der Liebe besteht, und es ist kein Zufall, daß er für die affektive Sphäre über ein Dutzend Fachausdrücke, für die Erkenntnissphäre nur etwa die Hälfte davon kennt (II-II 180. 7: Bd. 23). 5. V e r p f l i c h t u n g z u m G e h o r s a m (Art. 5). — Es t8fi. s bedarf keines Beweises, daß im Hintergrund dieses Artikels, alles überragend, die allgemeine Lehre vom Gehorsam aufleuchtet, wie sie in Fr. 104 (Bd. 20) entwickelt wird. Auch der Ungehorsam, der in Fr. 105 eingehende Erörterung erfährt, gehört als Gegenstück hierher. Wer die Überlegungen unseres Artikels nicht in den ihnen zugeordneten großen Rahmen einzeichnet, verfehlt wesentliche Gesichtspunkte, desgleichen, wer nicht imstande wäre, die Lehre vom Gehorsam ihrerseits wieder einzuzeichnen in die übergeordneten Zusammenhänge der göttlichen Tugenden. Der Gehorsam der Ordensleute gliedert sich in zwei Bereiche auf: einmal in den Bereich des Heilsnotwendigen — in der Befolgung hierauf bezüglicher Gebote und Gesetze gibt es keine Werke der Übergebühr —; sodann in den Bereich des eigentlich Freiwilligen, den die Befolgung der Räte ausfüllt. Wenn der Ordensstand als Schule aufgefaßt wird, wie Thomas das tut, so folgt von selbst, daß es in dieser Schule der Vollkommenheit Lehrer und Schüler, unvollkommene Zöglinge oder Lehrlinge und vollkommenere, wenn auch nie g a n z voll-endete Meister gibt. Dabei ist das Lebensalter unwichtig, denn es können sehr junge Menschen bereits einen hohen Reifegrad erreicht haben, während ältere vielleicht noch am Anfang, vor dem Einstieg ins eigentlich geistliche Leben stehen. Der E i n w a n d (E. 2), daß die Vollkommeneren keines Gehorsams mehr bedürfen, wird dahin erwidert: Wer schon auf einer höheren Stufe der Vollkommenheit sich befindet, besitzt das erworbene Gehaben des Gehorsams, das die Übung dieser Tugend erleichtert. Mit anderen Worten: die Vollkommeneren führen dieselben Vorschriften aus wie die Unvollkommeneren, nur mit dem Unterschied, daß die Unvollkommeneren dazu besonderer und ausdrücklicher Gehorsamsakte bedürfen, während die Vollkommeneren bei Voraussetzung des erworbenen Gehabens dieselben Vorschriften ohne ausdrückliche Akte erfüllen. Abgesehen von Gesichtspunkten aszetischer und mystischer Ordnung bleibt noch gerade für die Vollkommeneren Raum genug, Gehorsam zu üben in der Gemeinschaft, insofern als die Leitung eines Ordenshauses aus Gründen der Ordnung und Disziplin viele Opfer fordern muß in der Lebenshaltung und beruflichen Verwendung, in Ein-

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186, 5 fachheit und Gleichmäßigkeit von Speise und Trank, in der Ausstattung der Zelle usw. Zur Frage der Exemtion (Zu 3). — Wie bereits in 185, 8 angedeutet, geht das Gehorsamsgelübde in letzter und höchster Instanz auf den Nachfolger Petri als auf den höchsten Oberen aller kirchlichen Gemeinschaften, auch wenn er in der Profeßformel nicht genannt ist. Doch erstreckt sich diese Bindung nicht auf das während der Sedisvakanz amtierende Kardinalskollegium, welches nicht Rechtsnachfolger des Papstes ist. Was die E x e m t i o n anbetrifft, so hat Thomas den alten Rechtszustand im Auge, nach welchem die Laienorden, die nur wenige Priester zählten, den Bischöfen in strikter Form unterstellt waren. Unter der Maxime des Dionysius Areopagita ist eine Exemtion undenkbar. Mit den K l u n i a z e n s e r n nahmen die Exemtionen überhand; die F r a n z i s k a n e r kannten sie ursprünglich nicht, die D o m i n i k a n e r hielten sie von Anfang an für selbstverständlich. In dem Maße, als die Anzahl der Priester zunahm, wurden die Orden selbständiger. Heute ist von der dionysianischen Regel der wechselseitigen Zuordnung von Bischöfen und Mönchen fast nichts mehr geblieben. Zur Frage der Einsiedler Näheres im Kommentar zu 188, 8. Zu 4. Man kann im Durchdenken dieser Lösungen vier Gruppen von Handlungen aufstellen: schlechthin gute Handlungen; schlechthin böse Handlungen; relativ gleichgültige Handlungen, die je nach Zielsetzung gut oder böse werden können; absolut gleichgültige Handlungen. Handlungen unter 1 und 3 fallen in den Bereich des Gehorsams, Handlungen unter 2 widersprechen dem Gehorsam schlechthin. Handlungen unter 4 hingegen (Aufheben eines Strohhalms) fallen grundsätzlich nicht unter den Gehorsam, es sei denn, daß besondere Umstände einen solchen an sich gleichgültigen Akt in die dritte Gruppe hinüberstellen, wobei immerhin zu berücksichtigen ist, daß es actus in individuo indifferentes nicht gibt. 186, 6

6. R ä t e u n d G e l ü b d e (Art. 6). — Da Kardinal C a j et a n ausdrücklich bemerkt, daß Christus keine Verpflichtung zur Gelübdeablegung hinterlassen hat, diese Verpflichtung also nur aus der kirchlichen Tradition abgeleitet werden kann, folge zunächst ein geschichtlicher Überblick über das Werden der Profeßformeln und Gelübde. a) Geschichtliches. — In der alten Christenheit gab es drei kirchliche Stände: Kleriker, Mönche und Jungfrauen, welche äußerlich charakterisiert waren durch Tonsur, Tracht und Schleier. Diese Stände besagen zunächst „eine Weihe der eigenen Person an Gott und eine unwiderrufliche Übernahme heiliger Pflichten". 1 Diese Pflichten waren im einzelnen keineswegs juristisch ausgesprochen, doch war die allgemeine Formel bereits „gelübdehaltig" ( H e r t l i n g ) . Nur langsam entwickelte sich die Gottesweihe zu immer größerer Deutlichkeit ihrer verschiedenen Inhalte. Einzelne Punkte (Ortsbeständigkeit, Eigeni Ludwig H e r t l i n g , Die Professio der Kleriker und die Entstehung der drei Gelübde; ZkTh 1932, S. In3.

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tumslosigkeit, Gehorsam, gemeinsames Leben, Beharrlichkeit, 186, Selbstdarbringung usw.) wurden im Laufe der Zeiten herausgearbeitet und bilden je nach Zusammenstellung einzeln oder gruppiert den Inhalt der Übergabe oder des Eintrittes. Man unterscheidet vier-, drei-, zwei- und eingliedrige Typen der nunmehrigen „Profeßformel", wie man heute sagen würde. 1 Andere Profeßformeln hat D e n i f 1 e im Vergleich zur Eigentümlichkeit der dominikanischen Formel zusammengestellt (a. a. 0., S. 14). Der eingliedrige Typ (nur Gehorsam) liegt vor in dem Gelöbnis des Predigerordens. Die jetzt übliche Zusammenstellung der drei Gelübde Armut, Keuschheit und Gehorsam geht zurück auf die j o h a n n e i s c h e Dreiheit: Fleischeslust, Augenlust, Hoffart des Lebens (1 Jo 2, 16). Zu Beginn des zweiten Jahrtausends fängt diese Dreiheit langsam an, sich durchzusetzen; Thomas entfaltet sie in gewohnter Meisterschaft. b) Innere Notwendigkeit des Gelübdes. — Gibt es keine andere Möglichkeit, den Menschen im religiösen Leben zu befestigen, als das Gelübde? Genügt nicht der vielleicht mit regelmäßigen Opfern verbundene und durch sie verstärkte feste Vorsatz oder die Befehlsgewalt eines Oberen, dem man sich freiwillig unterstellt? Trotzdem ist es allgemeine Lehre, daß nur Gelübde einen S t a n d im engeren Sinn des Wortes begründen, was daraus erhellt, daß die Rechte des Ordensstandes nur von Gelübdeablegenden erworben werden. Die innerliche Unbeständigkeit des menschlichen Willens, die außergewöhnliche Schwierigkeit des Ordensstandes, die Notwendigkeit einer autoritativen und wirksamen Führung weisen darauf hin, daß nur durch Gelübde die einem Stande eigene Sicherheit und Festigkeit erreicht wird. Thomas bestimmt das Gelübde als wohlerwogenes, Gott gegenüber abgelegtes Versprechen über ein mögliches und besseres Gut (88, 1. 2. 3: Bd. 19). Es ist nun näherhin zu bestimmen, worin sich das Ordensgelübde von einem gewöhnlichen Gelübde unterscheidet; noch genauer, was das Ordensgelübde vor jedem anderen Gelübde voraushat. c) Natur des Gelübdes. — Untersuchen wir zunächst die beim Ordensgelübde obwaltenden Umstände der dreifachen Partnerschaft, bei der gegenseitig in Beziehung treten: der Gelübde ablegende Untergebene, der Gelübde entgegennehmende Obere, der Gelübde annehmende Gott. Obwohl das Gelübde einem Menschen gegenüber abgelegt wird, ist eigentlicher Vertragspartner doch Gott selbst, und der Obere ist nur Stellvertreter Gottes. Wäre das Gelübde ein Vertrag unter Menschen, so wäre es auflösbar und könnte nicht auf ewige Dauer abgeschlossen werden, denn unter Menschen kann die beiderseitige Zustimmung von einer Seite oder von beiden zurückgenommen werden; im Reich Gottes aber fordert die Ehrfurcht in allerhöchstem Maße, daß ein Geschenk demjenigen, dem es gemacht wird, endgültig gehöre und nicht wieder zurückverlangt werde. Auch die Tugend der Gottesverehrung fordert Beständigkeit des Voll-brandopfers, die nur durch ein Gelübde gesichert wird. Thomas geht so weit, die Tugend der Gottesverehrung ineinszusetzen mit Heiligkeit, und gerade bei dieser Ineinssetzung i Ildefons H e r w e g e n , Beiträge zur Geschichte des alten tums . . . II. Münster 1912; zitiert bei II e r 11 i n g a. a. O.

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186, 6 verlangt e r Festigkeit, also eine Eigenschaft, die zu den Wesensm e r k m a l e n j e d e s .Standes' gehört (81, 8 : Bd. 19). Ist das Ordensgelübde e i n e S c h e n k u n g , ein V e r t r a g , eine Rückerstattung des E i g e n t u m s an Gott in Selbsterstattung, ein W e r k der Gerechtigkeit oder der F r e i h e i t , der F r e i g e b i g k e i t oder der G o t t e s v e r e h r u n g ? Und w e r sind die P a r t n e r ? Das Gelübde ist ein dreiseitiges V e r s p r e c h e n , bei welchem der Orden die Statthalterschaft Gottes ü b e r n i m m t . D a r u m verpflichtet sich der G e l o b e n d e in erster L i n i e Gott, in zweiter L i n i e dem Orden, jedoch n u r Gottes wegen. Die Natur dieser Verpflichtung ist zunächst k e i n V e r t r a g , s o n d e r n ein Liebesakt, der von F r e i g e b i g k e i t und F r e u n d s c h a f t beseelt ist. Obwohl nun die L i e b e e i n e ü b e r r e i c h e Belohnung mit sich führt, ist das Gelübde doch f o r m a l ein Akt höchster F r e i g e b i g k e i t , indem der Mensch ohne Tausch und V e r t r a g , ohne Rücksicht auf Gewinn oder Verlust sich verschenkt und so das Himmelreich an sich r e i ß t : „ K a u f e t ohne Geld und ohne j e d e n Tausch W e i n und Milch" ( I s 55, 1). Das Gelübde ist jedoch insofern k e i n e echte S c h e n k u n g von seiten des Menschen, als der Mensch in der B e r u f u n g die höchste Wohltat Gottes empfängt. D e r Umstand, daß Gott, wie die S p r a c h e es ausdrückt, von Seiten des Menschen E h r e und Gehorsam empfängt, trägt nichts a u s ; denn solche B e n e n n u n g e n b l e i b e n Gott äußerlich, Gelübde sind in W i r k l i c h k e i t wurzelhaft Gnaden- und Hulderweise Gottes, der Mensch ist der E m p f a n g e n d e und B e s c h e n k t e . — K a n n a b e r der Mensch Gott aus s e i n e m menschlichen Eigentum etwas ü b e r g e b e n , w e n n das Geschöpf doch nichts zu eigen besitzt? „ W e r hat I h m zuerst g e g e b e n , und es müßte I h m vergolten w e r d e n ? " (Rom 11, 35). W a s dem Menschen zu eigen ist, sind Unvollkommenheiten und S ü n d e . U n s e r e A k t e gehören uns, insofern sie frei erweckt werden, nicht a b e r , insofern sie aus E i g e n e m k o m m e n , denn die eigentliche Ursache i h r e r Güte ist w i e d e r u m Gott, der unendlich Reiche, den k e i n Geschenk r e i c h e r machen kann, als E r schon ist. S o ist also die S e l b s t ü b e r g a b e im Gelübde k e i n Akt der Gerechtigkeit, weil nicht geschuldet oder gesetzlich v o r g e s c h r i e b e n ; k e i n Akt der F r e i g e b i g k e i t , weil nicht aus E i g e n e m ; k e i n Akt der W i e d e r erstattung, weil Gott schon alles gehört. Die I d e e eines Tauschv e r t r a g e s mit gegenseitigen Leistungen ist so unwürdig, daß sie e i n e r W i d e r l e g u n g nicht bedarf, obwohl gegenseitige L e i stungen' nicht abzuleugnen sind. Die S e l b s t ü b e r g a b e im Gelübde ist also eine Art von aufrichtiger S c h e n k u n g in Form eines V e r s p r e c h e n s , das allerdings gewisse Liebespflichten mit sich bringt. I n dieser V e r s p r e c h u n g wird ein Akt der gegenwärtigen S e l b s t h i n g a b e vollzogen als Anfangsakt und Einleitung e i n e r ganzen K e t t e gleicher Akte, die bis zum Tode nicht m e h r a b r e i ß e n soll. Die Gelübdeablegung enthält somit in der Gegenwart eine S c h e n k u n g für die Zukunft und ein V e r s p r e c h e n der Fortsetzung dieser S c h e n k u n g und i h r e r Erfüllung. Das Gelübde ist Anstoß der B e w e g u n g , die Erfüllung Fortsetzung des Anstoßes und V e r e w i g u n g des Hochschwungs. Obwohl der Ordensmann sich Gott u n t e r w i r f t und dadurch ein besonderer n e u e r Herrschaftsanspruch Gottes auf den G e l o b e n d e n beg r ü n d e t zu w e r d e n scheint, liegt doch von Gott aus gesehen

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keine neue Übertragung vor, da Gott schon alle Herrschafts- 186, « rechte besitzt, die überhaupt nur denkbar sind. Gott ist gleichsam ,geborener' Herrscher über alles, darum können Ihm keine Rechte übertragen werden; die bloße Vorstellung einer solchen Übertragung ist Gottes unwürdig. Nicht genug damit: der Mensch besitzt keine echte Herrschaft oder Verfügungsgewalt über sich selbst Gott gegenüber, denn der Mensch ist Gott zum Gehorsam verbunden und wesenhaft nur Empfänger, nicht Geber, er bleibt Empfänger auch in der gnadenhaft geschenkten Selbstregierung. d) Ausharren bis ans Ende (Zu 1). — Zum Wesen der Vollkommenheit gehört unabtrennbar die Dauer ihrer Ausführung. Setzt die Treue plötzlich aus, fehlt die Beharrlichkeit, so ist die Vollkommenheit zerstört. Kurz, zur Nachfolge Christi im allgemeinen mag der feste Vorsatz, Ihm nachzufolgen, genügen; zum Stande der Vollkommenheit gehört eine Form der Nachfolge, welche die durch besondere Anstrengung verbürgte Verfestigung bewirkt: „Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur die Gewalt brauchen, reißen es an sich" (Mt 11, 12). e) Überwindung der Zeil durch das Gelübde (Zu 2). — Das Leben wird nicht in einem umfassenden Akt zugleich gelebt, sondern in eine Aufeinanderfolge von Zeiten zerlegt, die nacheinander zu durchschreiten sind. Da es in einem Ablauf besteht, kann es an sich nur in einem Ablauf geschenkt werden. Wollte man dieses Gesetz wahrmachen, so müßte man dem Lauf der Lebensjahre entlang in jedem neuen Zeitmoment oder mindestens sehr oft und regelmäßig einen solchen Akt setzen. Nur so kann die r e i ß e n d e Wandelbarkeit des Daseins, seine Vergänglichkeit und Untreue überwunden werden. Gibt es eine Möglichkeit, diese Versklavung an die Zeit von innen heraus zu sprengen? Die Lösung besteht darin, daß man im vorhinein, in einer kühnen Vorwegnahme des eigenen Daseins, in einer absoluten Zeitraffung bis zur Sterbestunde einschließlich die Fixierung des Willens auf Lebenszeit vornimmt. Der Gelobende überspringt gleichsam die ganze Kette der später folgenden Zeitmomente und Akte, er zieht ihre sämtlichen Glieder symbolisch in einen einzigen, geballten, freigewollten Akt zusammen. f ) Verhinderung des Rückschrittes (Zu 3). — Die Beobachtung zeigt, daß auch hochstrebende Menschen langsam oder plötzlich ihren Höhenflug abbrechen. Die mannigfaltigen Gründe für solche Erlahmung im sittlichen Hochstreben, für solchen Aufschwung und Sturz gehören in ein Lehrbuch der angewandten Psychologie und der Aszese bzw. Mystik. Das Spiel der Gezeiten, Ebbe und Flut, geheimnisvolle Rhythmen biologischer und psychologischer Art, die heute von der Rhythmusforschung eigens untersucht und dargestellt werden, mögen da mitspielen. Kein Mensch entzieht sich gänzlich solchen Strömungen der leiblichen Natur. Trotzdem steht der Mensch, der wesenhaft Person ist und nicht nur Naturwesen, über diesen Wechselfällen. vor allem, wenn er sich von höheren Kräften, d. h. hier von der Gnade, tragen läßt. Entscheidend werden für die Lebensführung diejenigen Höhepunkte der inneren Erfahrung

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sein, die mit besonderer Gewißheit und Beglückung empfunden werden. Von solchen Höhepunkten aus ist eine Sicherung nach vorwärts einzubauen, welche in den zu erwartenden unausbleiblichen Tiefenkurven sozusagen s e l b s t t ä t i g e Sperrungen des Absturzes auslöst. Darum sagt C a j e t a n, Gelübde machen sei nichts anderes als den Geist so fest verankern, daß er nicht mehr rechtmäßig rückschreiten, nicht mehr so leicht abwärtsgleiten kann und auch bei augenblicklichen Versagern sich sofort wieder aufrichtet, eben in Kraft der aufgenommenen Verpflichtung. Feldherren können befehlen, daß eine Truppe die Brücken hinter sich zerstört, um jede Möglichkeit des Zurückweichens abzuschneiden und ihr eine höchste Schwungkraft zum Vorstoß in neues Land zu erteilen. Ist es denkbar, daß Gott einem Menschen, der einen solchen Akt der Kühnheit gesetzt hat, auf dem Wege zu Ihm selbst hin, dann nachträglich die Gnade versagen sollte, weiter hinaufzudringen zum Ursprung, der Er selber ist? Die Frage verneinen heißt zugleich ein sicheres Urteil abgeben über jede spätere Abtrünnigkeit von den Gelübden, vorausgesetzt, daß sowohl Berufung als auch Zustimmung echt waren. 7

7. V e r h ä l t n i s d e r d r e i G e l ü b d e z u r V o l l k o m m e n h e i t (Art. 7). — Ausgangspunkt, Zielpunkt und Wesen des Ordensstandes unterliegen verschiedenen Gesichtspunkten. A u s g a n g s p u n k t ist das Leben in der Welt mit seiner Unruhe, gleichsam ein stürmendes Meer, zu dem sich der Ordensstand als Zielpunkt verhalten soll wie der stille Hafen. Unruhe bringen die drei großen Sorgen: irdische Güter, Familie mit Frau und Kindern, die freie Selbstbestimmung in der Lebensgestaltung. Die drei Gelübde bringen für jede dieser Sorgen eine radikale Abhilfe. Z i e l p u n k t ist die Vollkommenheit der Liebe, welche gehemmt wird durch die drei Anhänglichkeiten: an äußere Güter, sinnliche Ergötzungen und den eigenen Willen. Die drei Gelübde schneiden diese drei Anhänglichkeiten kurzerhand ab. D a s W e s e n des Ordensstandes besteht in einem Akt der Gottesverehrung, mit dem man sich Gott zum Opfer weiht, für den drei hohe Güter als Voll-brandopfer dargeboten und angenommen werden: äußere Werte, Werte des Leibes, geistige Werte. Wenn diese Aufstellung erschöpfend ist, gilt die Schlußfolgerung erschöpfend und der Kanon menschlichen Lebens ist unverbrüchlich erstellt. Die Unmöglichkeit, andere Güter und Werte als die angeführten namhaft zu machen, zeigt, daß die Aufstellung erschöpfend sein muß. Warum fehlt in der Antwort die so naheliegende Berufung auf 1 Jo 2, 16? Es ist anzunehmen, daß Thomas die frühere Behandlung desselben Themas im Auge hat. wo das Apo=telwort ausführlich erläutert wird: I-II 108, 4 : Bd. 14. Dieser Artikel betrifft die Frage, ob es sinnvoll war, daß im Neuen Gesetze einige bestimmte Räte vorgeschlagen werden; er ist als notwendige Ergänzung zu dem hier Gesagten heranzuziehen. Zweierlei Ehre; Dialektik der Demut (Zu 4). — Es ist genau zu unterscheiden zwischen geistlicher und weltlicher Ehre. Die geistliche Ehre ist nach C a j e t a n sogar heilig, weil der Raum,

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in welchem sie spielt — die Kirche Christi —, als sakrale 186 Sphäre heilig ist. Darum hat es nichts mit Vollkommenheit des Ordensstandes zu tun, wenn man auf kirchliche Ehren verzichtet; jene Ordensleute, die das Magisterium in der Theologie, nur um der Ehre aus dem Wege zu gehen, ablehnen, sind zu tadeln, wie auch Ordensleute zu tadeln wären, wenn s i e P r i e s t e r n nicht die üblichen Ehren des Vortrittes und Grußes bezeigen wollten. Da der Vorgang der Ehrung nicht im Geehrten, sondern im Ehrenden liegt ( A r i s t o t e l e s ; Eth. Nicom. I 3: 1095 b 24), hat der Geehrte keine Verfügungsgewalt über diesen Vorgang, wie er Verfügungsgewalt besitzt über Eigentum oder Geschlechtsgebrauch. Schon darum reiht sich der Verzicht auf Ehrungen nicht in dieselbe Linie ein wie der Verzicht auf den Gebrauch anderer Güter. Hinzu kommt: Faßt man Ehre nicht nur als Lohn der Tugend, sondern als, wenn auch noch so bescheidenen, so doch echten Abglanz göttlicher Würde auf, der in den Gliedern der Kirche mannigfaltig aufstrahlt und prismatisch zerlegt wird, so ist ein weiterer Grund für die Lösung gefunden: Thomas erklärt andernorts: ,.Sowohl Verachtung als Erstrebung des guten Rufes kann lobwürdig oder fehlerhaft sein. Denn der gute Ruf ist dem Menschen notwendig nicht um seinetwillen, sondern um der Erbauung des Nächsten willen. So gehört es denn zur Liebe, den guten Ruf anzustreben um des Nächsten willen; um seiner selbst willen ihn anzustreben, gehört zur eitlen Ruhmsucht. Umgekehrt gehört es zur Demut, den guten Ruf zu verachten um seiner selbst willen; ihn aber zu verachten in bezug auf den Nächsten bedeutet Gleichgültigkeit und Gefühllosigkeit. So sündigen denn jene, denen es von Amts wegen oder wegen des Standes der Vollkommenheit obliegt, für das Heil anderer zu sorgen, wenn sie eine Verletzung ihres guten Rufes nicht nach Kräften zurückweisen. Andere hingegen, denen mehr die Sorge um das eigene Heil aufgegeben ist, können mit Rücksicht auf ihre Demut sowohl Ruhm als Schande verachten" (Qlb X, 13). Mit diesem letzten Satze wird einer Strömung des griechischen Mönchtums Rechnung getragen, in der es als Pflicht galt, Ruhm zu verachten, Ehrungen zu fliehen und Mißerfolge anzustreben. Thomas hat hier der Theologie des Mißerfolges ein bescheidenes Plätzchen eingeräumt. Im Kap. 13 der Schrift „Gegen die Bekämpfer der Verehrung Gottes und der Orden" (CI) beweist er im einzelnen, daß Ordensleute nach dem Beispiel des Apostels Paulus ihren Verleumdern widerstehen müssen. Ausführliches über diese und verwandte Fragen bieten die Untersuchungen über die Tugend der Hochgemutheit, über Vermessenheit, Ehrgeiz und eitle Ruhmsucht, über Verzagtheit. Hochherzigkeit und Kleinlichkeit (Fr. 129—135: Bd. 21), ferner die Fragen über Bescheidenheit, Demut und Hochmut (Fr. 160—162: Bd. 22). Soll man sein Licht unter den Scheffel stellen? Wenn Christus einesteils verkündet: „Habet acht, damit ihr eure Gerechtigkeit nicht übet vor den Menschen, um von ihnen gesehen zu werden" (Mt 6, 1), so scheint Er das Gegenteil anzuraten mit den Worten: „Man zündet ein Licht nicht an, um es unter den Scheffel zu stellen, sondern auf den L e u c h t e r . . . " Hier ist der Nachsatz entscheidend: „ . . . damit sie eure guten Werke 411

186, 7 sehen a n d d e n V a t e r p r e i s e n , d e r i m H i m m e l i s t " (Mt 5, 15). Wie sollen die Gegensätze von Fall zu Fall verwirklicht werden? Eine feste Regel läßt sich nicht aufstellen — beides ist gut —, es sei denn, man nehme seine Zuflucht zum Beistand des Heiligen Geistes, der uns in „alle Wahrheit einführt" (Jo 16, 13), also auch in die Wahrheit des praktischen Tuns. 186,«

8. V o r r a n g d e s G e h o r s a m .-> g e 1 ü b d e (Art. 8).— An und für sich unterscheidet man den Gehorsam, der Gott allein versprochen wird oder einem Menschen allein oder Gott zu Händen eines Menschen oder einem Menschen für Gott. Diese Unterscheidungen sind nicht müßig. Das Gelübde enthält eine doppelte Versprechung; die Gelübeablegenden übergeben sich dem Orden und befestigen diese Übergabe durch eine besondere Versprechung, derzufolge die Oberen fortan das Recht besitzen, unter Berufung auf das Gelübde Gehorsam zu fordern. Nach P a s s e r i n i (I 663, 11) bestände der Unterschied zwischen feierlichem und einfachem Gelübde darin, daß einfache Gelübde nur Gott abgelegt werden, feierliche jedoch zusätzlich den Oberen, in deren Gewalt man sich durch das Gehorsamsversprechen gibt. Ein zweiter Unterschied bestände darin, daß das einfache Gelübde nur ein Versprechen enthalte, das feierliche jedoch eine Selbstschenkung und Übergabe an den Orden um Gottes willen. Wird mit dem Gelübde e i n g e s c h l o s s e n e r (materialer) oder a u s d r ü c k l i c h e r (formaler) G e h o r s a m versprochen? Im eingeschlossenen Gehorsam übt man jede Tugend um ihrer selbst willen, ohne besondere Berücksichtigung des Gehorsamsmotivs; im ausdrücklichen Gehorsam wird jeder Tugendakt ausdrücklich als Gebot befolgt im Hinblick auf das abgelegte Gelübde. Nach allgemeiner Auffassung wird heute nur eingeschlossener Gehorsam versprochen, so sehr, daß der Vorgesetzte nach Meinung einiger Theologen nicht einmal das Recht hat, ausdrücklichen Gehorsam zu fordern; denn erstens genüge, so sagen sie, zur Vollständigkeit eines Tugendaktes durchaus, daß er um der betreffenden Tugend willen gesetzt werde; zweitens habe die Kirche nur ein sehr beschränktes Recht, rein innere Akte zu fordern. Will man am eingeschlossenen Gehorsam festhalten, so ist darauf zu drängen, daß der ausdrückliche nicht ausgeschlossen, sondern gleichsam stillschweigend mitgesetzt wird. a) Stufen des Gehorsams. — Es gibt vier grundsätzliche Möglichkeiten des Handelns im Gehorsam: 1. Bindung auf Grund eines Gesetzes, das unter Schuld verpflichtet, so daß Nichthandeln sündhaft wird; 2. Bindung zum Handeln ohne jede Gefahr der Schuld bei Nichthandeln, weil das Gesetz nicht unter Schuld verpflichtet; 3. Bindung zum Handeln, trotzdem der Obere nicht unter Schuld verpflichten will, wohl aber ein gebotenes Werk wünscht, anrät, dringend empfiehlt; 4. Ausfüllung eines freien Spielraums zum Handeln, indem man annimmt, im Sinne der Oberen zu handeln, ohne daß diese das betreffende gute Werk des Untergebenen ausdrücklich im Auge haben. Im ersten und zweiten Falle liegt eine Ver-

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pflichtung vor, im dritten eine edle und rühmliche Handlung, 186. s im vierten vielleicht schon ein Werk der Übergebühr oder gar des Heroismus, wenn es sich um etwas sehr Schweres handelt. Nächster Gegenstand des Gehorsams ist nicht nur, was unter Schuld vorgeschrieben wurde, sondern auch, was unter Ahndung (poena, Strafe) steht, ohne deswegen schon Schuld zu sein. Ein Gesetz, das Vorschriften gibt mit Verpflichtung zur Übernahme einer Strafe im Übertretungsfalle, ohne deswegen unter Sünde verpflichten zu wollen, rät nicht nur an, sondern befiehlt; die Ahndung oder Strafe wäre sinnlos, wenn das Gesetz nur hätte anraten wollen. Es wäre auch unvernünftig zu behaupten, daß Angehörige von Orden, in denen vieles nur unter Ahndung, nicht unter Schuld befohlen wird, keinen wahrhaftigen Gehorsam leisten in der Befolgung solcher nur unter Ahndung bindender Regeln. Ks gibt also auch dort Gehorsam (wiewohl nicht nur dort!), wo ein Gesetz verpflichten will, sei es auch unter Schuld; was dann darüber hinausgeht (Rat oder Wunsch eines Oberen), ist Sache höherer Vollkommenheit. Soll der Untergebene den Befehl abwarten oder ihm zuvorkommen? Hier hilft die Unterscheidung von angenehmen und unangenehmen, von gefahrbringenden und ungefährlichen Aufgaben weiter. Angenehme, aber ungefährliche Aufgaben sollen erst nach Erhalt eines ausdrücklichen Befehls unternommen werden; unangenehme und gefährliche Aufgaben zu übernehmen, ist Zeichen hohen Gehorsams, umsomehr, je rascher der Befehl zuvorkommenderweise ausgeführt wird, je weniger er förmlich ausgesprochen, aber in der Absicht des Oberen enthalten ist (vgl. 104, 2 Antw.). b) Eigenschaften des Gehorsams. — Wenn der Gehorsam ein Ganzopt'er sein soll, muß er folgenden Bedingungen genügen. Von seiten des V e r s t a n d e s muß der Gehorsam tiefschauend, bedingungslos und umsichtig sein, von Seiten des W i l l e n s rasch bereit, vollständig, wirksam und beharrlich. Der tiefschauende Gehorsam sieht im Vorgesetzten zunächst den Stellvertreter Gottes als Träger der Gewalt und dann in dem Stellvertreter Gott seihst; der bedingungslose Gehorsam fragt nicht nach den Motiven des befehlenden Oberen; der umsichtige fragt nach der Gebührlichkeit des Handelns ohne weitere Betrachtung der Rechtsgründe des Oberen. Von Seiten des W i l l e n s muß der Gehorsam rasch bereit sein, weil Unfreiwilligkeit den inneren Wert und damit auch das Verdienst schmälert; vollständig, insofern die Ausführung nicht nur Bruchstücke des Befohlenen verwirklicht, sondern das Befohlene ganz, ohne von der vorgeschriebenen Linie abzuweichen. Die Wirksamkeit hängt von der Entschlossenheit ab, Hindernisse aus dem Wege zu räumen, wenn es sein muß unter Einsatz der Kampfeskraft. Für die Ausdauer oder Beharrlichkeit bürgt das Wort der Schrift: „Sei getreu bis in den Tod und Ich will dir die Krone des Lebens geben" (Offb 2, 10). c) Gott lieben: Ursache und Ziel des Gehorsams. — Weil Gegenstand des Gelübdes die in die Hände eines Menschen abgelegte, Gott gemachte Versprechung ist, erhob sich früher die Streitfrage, ob das Gehorsamsgelübde sich auch auf die Fälle erstrecke, wo Gott selbst unmittelbar oder durch einen Engel,

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186, 8 Heiligen oder sonst auf irgendeine Weise Gehorsam fordere? Daß auf eine solche Enthüllung von Seiten Gottes hin zu gehorchen ist, steht außer Frage; nur bleibt strittig, ob auf Grund des Gehorsamsgelübdes. Da jedoch das eigentliche Ziel des Gehorsamsgelübdes nur Gott selbst, sein kann, ist auch Ihm und Ihm ausschließlich in letzter Linie Unterwerfung zu leisten. Darum hat sich der Gelobende nicht einem Menschen, sondern Gott unterstellt, und einem Menschen nur als Transparent Gottes. Die Regel des hl. B e n e d i k t enthält den Satz: „Weil der Gehorsam, der den Oberen geleistet wird, Gott geleistet wird . . und fügt zur Bekräftigung bei: „Wer euch hört, der hört Mich" (Lk 10, 16). Die Stelle in Psalm 66 (65), 12: „Du hast Menschen über unsere Häupter gesetzt" wird in einer alten Mönchsregel so ausgelegt: „Man erkennt, daß sie einen Höheren über sich haben an Stelle Gottes, denn der Gehorsam, welcher den Oberen erwiesen wird, wird Gott erwiesen" (Regula Magistri). Man kann diesen Gedanken metaphysisch unterbauen: „Die Bewegung, die auf das Bild hin geht, fällt zusammen mit der Bewegung, welche auf die durch das Bild dargestellte Sache hin geht" (Aristoteles, De mem. et reminisc. 1: 450 b 27). So wird der Obere, der befiehlt, Medium oder Werkzeug Gottes; der Obere, dem man gehorcht, wird für den Gehorchenden Bild oder Transparent Gottes. Mag nun Gott durch den rechtmäßigen Oberen oder durch Engel, Heilige usw. Weisungen erteilen, immer ist man auf Grund des Gehorsainsgelübdes gehalten, zu gehorchen, da niemand die durch Versprechen eine> Menschen tiefere Zugehörigkeit an Gott einschränken darf; denn vom Gelübde her besitzt Gott als Herr der Ordensleute ein Recht auf besonderen Gehorsam. Anders ausgedrückt: Wer einem untergeordneten Oberen Gehorsam verspricht, verspricht ihn einschlußweise auch dem übergeordneten Oberen und dessen Haupt. d) Gegenstandsbereich des Gehorsams. — Auf die Frage, was in den Bereich der kraft des Gehorsamsgelübdes zu leistenden Aufgaben fällt, läßt sich eine doppelte Antwort erteilen. Zunächst in bezug auf die Gegenstände; wenn Thomas erklärt: „Das Gelübde des Gehorsams erstreckt sich im eigentlichen Sinne auf die Handlungen die dem Ziel des Ordensstandes naheliegen", so folgt: Handlungen, welche auf die Liebe Gottes und des Nächsten also auf das Ziel des Ordensstandes, hingeordnet sind, sind der eigentliche Gegenstand des Gehorsamsgelübdes. Dazu gehören nicht nur Gebet, Predigt, Krankenpflege, sondern vor allem heutzutage auch religiöser Briefwechsel, besonders mit Kranken, mit religiös Schwankenden und Suchenden, mit Zweifelnden, Gefährdeten und Irrenden; Jugendbetreuung aller Art; religiöse Schriftstellerei; Ausübung einer Kunst, falls sie wirklich im Dienste des Heiligen steht, und vieles andere, kurz jedes Apostolat, das diesen Namen wirklich verdient, ist eigentlicher Gegenstand des Gehorsamsgelübdes. Gefährlich werden diese Dienste in dem Augenblick, wo sie sich als Selbstzweck zu setzen beginnen: eine unmerkliche Wendung, die vielleicht eintreten kann, sobald der ursprünglich erhabene Zielgedanke erblaßt, weil die oft so schwierigen und zeitraubenden Unternehmungen mit ihren an

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und für sich untergeordneten Teilzielen, die also nur Mittel 186, e zum Hauptziele sind, sich in den Vordergrund schieben und sich zum Selbstzweck erheben. Sodann in bezug auf Zielgebung der Regel. Die Antwort hängt von der Frage ab, ob die ganze Regel mitsamt ihrem Inhalt bis auf den letzten Buchstaben in den Bereich der kraft des Gehorsamsgelübdes zu leistenden Aufgaben falle oder das Leben „nach der Regel"? Oder ist die Frage je nach Ordensregel verschieden zu beantworten (,Bekehrung der Sitten im Sinne der Regel' bei den B e n e d i k t i n e r n und K a r t ä u s e r n ; ,Gehorsam nach der Regel' bei den D o m i n i k a n e r n ; Beobachtung der Regel' bei den F r a n z i s k a n e r n ) ? Man beachte zunächst, daß die Gelübdeablegung ein doppeltes Versprechen enthält: 1. ein Versprechen Menschen gegenüber im Stile eines Übergabevertrages mit dem Orden; 2. ein diesem ersten übergeordnetes Versprechen Gott gegenüber, wodurch das menschliche Versprechen gleichsam tiefer verankert und verbürgt wird. Die zweite Versprechung, welche gleichsam Kern der ersten ist, duldet keinen Abstrich, die erste hingegen verträgt gewisse Einschränkungen, insofern man zwischen unbedingt Wesentlichem (Ziel) und weniger Wesentlichem (Mittel) unterscheidet und im weniger Wesentlichen Raum gibt für Lockerungen. Also sind die Inhalte, die in der Regel als Gebote gegeben werden, als Gebote zu halten; was als Rat gegeben wird, ist als Rat zu respektieren; was unter Schuld geboten ist, ist unter Schuld zu halten; was nicht unter Schuld geboten ist, kann leichter ausgelassen werden. e) Innere Akte als Gegenstand des Gehorsams. — Kann ein Oberer rein innere Akte befehlen? Die Mehrzahl der Autoren, die sich an der berühmten Kontroverse, die um obige Frage kreist, beteiligten, verneint das mit der Begründung, daß alles, was nicht der menschlichen Kenntnis unterstehe, auch nicht menschlicher Befehlsgewalt anheimfallen könne. Wo jedoch innere Akte mit äußeren unzertrennlich gekoppelt sind, wird der innere Akt mitbefohlen; so etwa befiehlt die Kirche Aufmerksamkeit bei der Abhaltung des Chorgebetes; so wird ein Priester beauflragt, das hl. Opfer für einen Verstorbenen darzubringen, wobei der äußere Auftrag den inneren Akt einschließt. f) Gefahr des Minimalismus. — Den klösterlichen Gehorsam einschränken wollen auf die Fälle, wo er unter Todsünde verlangt wird, hieße einen lebendigen Organismus ausdörren bis zur Mumie. Blüten und Duft dieser Tugend welken in dem Augenblicke dahin, wo nur noch die unvermeidlichsten Pflichten anerkannt werden. Solcher Gehorsam ist für grobschlächtige Seelen, denen die innerliche Verbindung mit der Liebe zu den Oberen und mit der freudigen Anerkennung ihrer Befehlsgewalt, die aus der Ehrfurcht vor ihrer Statthalterschaft erfließt, abhanden gekommen ist. Gehorsam ohne Liebe ist kein echter Gehorsam, wie aus der Lehre von der Verschränkung der Tugenden, die nur in einem organischen Zusammenhang wahres Leben haben, ohne weiteres ersichtlich ist; die Liebe aber fragt nicht nach dem Minimum. Andererseits hält die thomistische Gehorsamsauffassung trotz aller Verbindlichkeit

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186, 8 sich weit entfernt vom Kadavergehorsam. Aufträge der Oberen, die nicht übersetzt wurden in die einsichtige freie Zustimmung der Untergebenen, haben keinen hohen Kurs. Die Selbständigkeit der LJntergebenen als beseelte Werkzeuge bewahrt gerade im thomistisehen System einen hohen Rang im Lichte der Freiheit der Kinder Gottes. Das Wort der A u g u s t i n u s - R e g e l beherrscht die mönchische Gehorsamstheorie: „Ihr sollt leben nicht als Knechte unter dem Gesetz, sondern als Freie unter der Gnade." 186, !>, 10

9. V e r p f l i c h t u n g s g r a d e der Ordensregel (Art. 9 u. 10). — Der Inhalt der Ordensregel gliedert sich in vier Stufen: a) Alle Tugendakte, welche befohlen sind (Gottes- und Nächstenliebe usw.); Übertretung der Ordensregel ist auf dieser ersten Stufe Todsünde, unter den bekannten Voraussetzungen. b) Tugendakte, welche allgemein als Räte empfohlen sind (Feindesliebe usw.). Übertretungen in diesem Bereich sind nur Todsünde bei Verachtung der Vollkommenheit. Liegt solche Verachtung der Vollkommenheit nicht vor, dann handelt es sich nicht um Todsünden, da die Vollkommenheit noch nicht erreicht zu sein braucht. c) Die Handlungsweisen und Haltungen, welche Gegenstand der drei Gelübde sind (Keuschheit, Armut und Gehorsam). Schwere Überschreitungen in diesem Bereich sind Todsünde. d) Die äußeren Gebräuche, welche sich nicht unmittelbar auf die Gelübde beziehen (Enthaltung von Fleisch, Schuldkapitel usw.). Übertretungen in diesem Bereich sind nicht Todsünde, es sei denn wegen Verachtung der Vollkommenheit oder Widerstand gegen ein formelles Gebot. Daraus ergibt sich, daß zu den allgemeinen Bindungen, welche allen Christgläubigen auferlegt sind, ferner zu den Bindungen durch die Gelübde und zu den Befehlen der Oberen zwei freigewählte Schranken hinzukommen, nämlich die Bindung unter Todsünde, sowohl, wenn Verachtung der Regel, als auch, wenn Verachtung der Vollkommenheit in Frage steht. 1. Verachtung der Regel. C a j e t a n nimmt diesen Frevel so ernst, daß er kein Bedenken trägt, zu erklären: „Verachtung der Regel ist soviel wie Widerspenstigkeit gegen die Regel, welche unmittelbar den Gelübden zuwiderläuft. Denn in de." Regel wird Gott verachtet, der sie durch Seine Diener hal aufstellen lassen und dem das Gelübde abgelegt wurde, sich ihr zu unterwerfen. So folgt aus der Widerspenstigkeit Todsünde." 2. Verachtung der Vollkommenheit. Der Weg zur Vollkommenheit geht über die Regel, darum sind die beiden Formen der Verachtung ineinander enthalten. Es ist unmöglich, daß ein Ordensmann zugleich die Regel nicht verachtet, die Vollkommenheit hingegen verachtet. Denn solange er die Regel nicht verachtet, bleibt in ihm habituell das Streben zur Vollkommenheit, und so verachtet er die Vollkommenheit nicht. Umgekehrt: wenn er die Vollkommenheit nicht verachtet, will er folgerichtig sich der Regel unterwerfen, kraft welcher er gehalten ist, nach Vollkommenheit zu streben. Mit anderen

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W o r t e n : der Wille, nach Vollkommenheit zu streben, ist die 186,9,10 Wurzel der Gelübde und ihrer Folgen. Noch ist zu bestimmen, worin die „Verachtung" besteht: Es ist ein formelles Nichtwollen, eine bewußte Ablehnung und Verabscheuung des Guten, das in der Regel, bzw. im S t r e b e n nach Vollkommenheit, bzw. in der Vollkommenheit selbst enthalten ist; charakteristisch daran ist die Ablehnung des Gehorsams, der als falsch, untauglich oder schlecht angesehen wird. Bedeutet die Verachtung der Räte schon an und für sich Verachtung des Zieles oder der Mittel zum Ziele? Da in der Gegenwart vollzogene Tugendakte Mittel sind zur Erreichung der Vollkommenheit in der Zukunft, darum ist Verachtung der Tugendakte in der Gegenwart Verachtung von Mittel und Zweck zugleich. W i e alle Menschen auf irgend eine Weise nach Vollkommenheit streben müssen, unter Gefahr der ewigen Verdammnis, so müssen alle Ordensleute nach Vollkommenheit streben, nicht auf irgend eine Weise, sondern auf d i e Weise, welche durch Regel und Satzung vorgeschrieben ist. Will man Untersuchungen anstellen über die Sündhaftigkeit von Vergehen bei Ordensleuten, so ist zur Klärung weiter auszuholen. Wie schon bemerkt, enthält die Gelübdeablegung eine Reihe von einander abhebbarer Tatbestände, welche schon von Thomas genau unterschieden werden. E r stellt (88, 5 Zu 3 : Bd. 19) die Versprechung, welche in der „Mönchsweihe" oder Profeß geistlichen Vorgesetzten gemacht wird, der Versprechung gegenüber, welche in derselben Profeß Gott dem Herrn gegenüber abgelegt wird, mit dem Ergebnis, daß ein Gelübde formell als solches nur Gott gegenüber abgelegt wird, ein Versprechen jedoch auch Menschen gegenüber. In unserem Fall heißt das: Auch die Versprechung, welche zu Händen der geistlichen Oberen abgelegt wird, ist doppelschichtig: sie besagt Hingabe oder Selbstüberlieferung an eine Gemeinschaft, sodann Versprechung von Leistungen, beides vom Augenblick der feierlichen Erklärung an gerechnet. Hingabe meint den Beitritt zu einer festgefügten Genossenschaft und Aufnahme durch dies e l b e ; Versprechung meint Verpflichtung zu späteren Leistung e n : Arbeit, Gehorsam usf. Dementsprechend fällt die Bewertung der Verstöße aus: Bruch des Gelübdes, das Gott gegenüber abgelegt wurde, ist Gottesraub oder S a k r i l e g ; Bruch des Gelübdes, welches Menschen gegenüber abgelegt wurde, enthält eine doppelte Bosheit: Ungerechtigkeit, insofern die Gemeinschaft geschädigt oder betrogen wird, und Untreue, insofern die Versprechung nicht gehalten wird. Dazu kommt j e nach Sachlage eine Sünde gegen die Tugend, welche durch ein besonderes Vergehen verletzt wird, und schließlich eine Sünde gegen den Gehorsam als solchen, falls sie ausdrücklich als Gehorsamsüberschreitung beabsichtigt ist. Nach Auffassung namhafter Theologen sind Regelüberschreitungen der Dominikaner, wenn ausdrückliche Befehle (praeceptum formale) verletzt werden, Todsünde; wenn Ratschläge oder Satzungen verletzt werden, läßliche Sünde, beides immer nur unter Voraussetzung der Verachtung. Werden Räte (Anweisungen) oder andere Verpflichtungen nicht unter Schuld27 24

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1^6. m, 10 haftung ausgesprochen, dann wird bei Nichtbefolgung keine Schuld zugezogen. Die Einhaltung der A u g u s t i n u s regel soll an und für sich nach Meinung alter Theologen unter läßlicher Sünde geboten sein, und zwar in Ansehung des zu Beginn der Regel erwähnten Auftrags: ,Wir befehlen' oder ,Wir schreiben vor'. Zweifellos sind viele Weisungen der Ordensregel nicht als formelle Befehle, sondern als Ratschläge oder dringliche Empfehlungen gedacht. Für einen großen Mißstand, den bis heute niemand behoben hat, tragen die Gesetzgeber die Verantwortung: Das ist die Unklarheit einiger Dutzend Ausdrücke für Gebote oder Verbote, Vorschriften oder Räte, welche abwechselnd, oft vertauschbar, gebraucht werden. Nur die Kirche wäre in der Lage, zu entscheiden, welche dieser Worte in wichtiger Sache, welche in weniger wichtiger Sache zu verwenden sind und welcher Grad von Schuld sich daraus ergeben würde. Da alle Juristen und Kanonisten weit davon entfernt sind, in der Beurteilung der Tragweite dieser Ausdrücke Einstimmigkeit an den Tag zu legen, da ferner das ewige Heil bei solchen Festsetzungen mit auf dem Spiele steht, ist äußerste Vorsicht angebracht in der Auslegung dieser Ausdrücke. So bleibt denn auf dem Gebiete des Naturrechtes und des göttlichen Rechtes nur noch die innere Struktur und der Sinnzusammenhang des betreffenden Sachverhaltes, um Schlußfolgerungen zu ziehen über die Schwere der betreffenden Bestimmung. In jeder Todsünde findet sich eine Art von Verachtung Gottes; so wäre denn die Todsünde eines Ordensangehörigen unter dem Gesichtspunkt der Undankbarkeit schlimmer als die eines anderen Christen, vor allem wenn größeres Wissen und größere Freiheit gegeben sind. Sündigt also ein Ordensmann, der ein in der Regel eingeschlossenes Gebot übertritt, mehr als ein Christ, der dasselbe Gebot übertritt? Er sündigt doppelt und schwerer, weil er auf Grund zweier verschiedener Motive verpflichtet ist, das Gebot zu halten: diese beiden Motive sind das göttliche Recht und die übernommene Regel. Will man die Gleichnisse des Herrn von der ,Stadt auf dem Berge' und dem ,Licht auf dem Scheffel' auf die Ordensleute anwenden — und da die Orden hervorragende Glieder der streitenden Kirche sind, wird man nicht umhin können, dies zu tun —, ergibt sich eine Folgerung schwerster Art. Sündigt ein Ordensangehöriger, vor allem, wenn er in der Öffentlichkeit schon ein gewisses Ansehen erlangt hat, so wird sein Fall — der Sturz einer Zeder auf dem Libanon — eine ganze Kettenreaktion von Ärgernissen in Stadt und Land auslösen, gleich einer Lawine, die Tod und Verderben bringt. Unter einem anderen Gesichtspunkt wächst eine ganz bestimmte Sünde der Ordensleute ins Teuflische empor: der Widerstand gegen eine geplante Ordensreform. Selten hat der Feind des Menschengeschlechtes, der Lügner und Mörder von Anbeginn, so umfassende Möglichkeiten der Verwirrung und des ,Durcheinanderwerfens' wie in diesem Falle. Hier gilt die Mahnung C a j e t a n s : „Beachte wohl, der du Ordensleute begünstigst, welche ihre Oberen verachten und ihre Regel-

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brauche verlassen, was für ein Verbrechen du dir aufs Ge- 186, H, 10 wissen ladest. Denn solche Menschen sind nach der Erfahrung des A u g u s t i n u s , nach dem Urteil des Thomas, nach der Autorität des J e r e m i a s ,die schlimmsten und der Zurechtweisung unzugänglich. So nämlich, wie ein Mensch, der Ordensleuten Wohltaten erweist, teilhaftig wird der ihnen geschenkten Gnaden, so wird ein Mensch, der Übles anstiftet, ihrer Verbrechen teilhaftig." II. DIE AUFGAUEN

DER

ORDENPI.KUTK

(Fr. 187) 1. S e e l s o r g e

u n d P r e d i g t (Art. 1) A. Seelsorge a) T e r r i t o r i a l g e b u n d e n e S e e l s o r g e : i n k o r - 187, l p o r i e r t e P f a r r e i e n . — Geht man von der Tatsache aus, daß der Predigerorden regelgeschichtlich einen Abkömmling des Prämonstratenserordens darstellt, wie D e n i f 1 e nachgewiesen hat (Die ältesten Konstitutionen etc., S. 4—12), so erscheint die Frage des Seelsorge- und Pfarrechtes in ganz neuem Lichte. Die Prämonstratenser waren regulierte Chorherren. „Weil nun die regulierten Chorherren ein Ordo clericorum waren, hatten sie auch die Cura animarum in ihren Kirchen und P f a r r e i e n . . . Darum erklärt es sich auch, warum H o n o r i u s III. in der Konfirmationsbulle des Dominikanerordens von den Pfarreien dieses neuen Ordens als von einer selbstverständlichen Sache spricht" (D e n i f 1 e 11). Die Dominikaner hatten also dem Angriff der Weltgeistlichen gegenüber in bezug auf die Ordenspfarreien keine Usurpation, sondern einen angestammten Besitz zu verteidigen. Wer die Begeisterung ins Auge faßt, welche den ersten Gründungen der Bettelorden vorherging und folgte, wundert sich nicht, wenn die Bevölkerung zu einem gewissen Anteil in den umliegenden Pfarreien den regelmäßigen Gottesdienst verließ und sich in die Obhut der durch charismatisches Wirken gesegneten Bettelmönche stellte. So wurden die Ordenskirchen, je lebendiger Gottesdienst und Predigt das Volk ansprachen, eine ernste Konkurrenz f ü r die Weltgeistlichkeit und man kann begreifen, daß dieses faktische Übergewicht der Ordenskirchen zu starkem Widerstand und zu Abwehrversuchen aller Art von S e i t e n des Weltklerus führen mußte. b) T e r r i t o r i a l n i c h t g e b u n d e n e S e e l s o r g e . — Wenn die Mendikanten sich streng im Rahmen der alten Seelsorgepraxis gehalten hätten, wo höchstenfalls inkorporierte Pfarreien im Zusammenhang mit Klöstern geduldet waren, so wäre f ü r die Mendikantengegner noch Anlaß genug gewesen, Lehre. Predigt und Seelsorge der neuen Orden anzufechten. Doch diese stießen in ihrer unaufhaltsamen Dynamik viel weiter vor. Sie durchbrachen in Kraft päpstlicher Freistellungen (Exemtionen) die bis dahin für unumstößlich gehaltenen Schranken des Pfarr- und Bistumsprinzips. So bildeten sie überpfarrliche und überdiözesane Querschichtungen (transversale Gruppen), deren Strahlungsherde die Ordenskirchen und Pönitentengruppen waren. Diese erstreckten sich über Städte, 27*

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187, i

Bistümer und Reiche hinweg. D o m i n i k u s hat den durch alte Vorbilder gezogenen Rahmen inkorporierter Pfarreien verlassen und das starre Aufbauprinzip der damaligen Seelsorge (Pfarreien und Bistümer in geographisch festen Territorien) durch ein bewegliches, diese Territorien überflutendes Gemeinschaftsprinzip ergänzt. Wenn also Thomas das Recht der Mendikanten auf Predigt, Lehre und Seelsorge verfleht, so meint er unausgesprochen nicht nur Klosterseelsorge im Sinne von inkorporierten Klosterpfarreien, sondern auch die neue transversale Schichtung der Seelsorge. Er will Lehre, Predigt und Seelsorge nicht an und für sich verteidigen, in abstracto, sondern so, wie es im Umbruch der Zeiten sich als unumgänglich herausgestellt hatte: also a u c h überpfarrlich und überdiözesan. Die E i n w ä n d e gehen aus von Erwägungen, welche geschichtlich gesehen ausschließlich Laienklöster alten Stils betreffen, von Erwägungen also, die durch die neue Entwicklung bereits überholt waren. Diese Waffen stammen aus dem Arsenal der Mendikantengegner. Die L ö s u n g e n zu diesen Einwänden verschweigen wohlweislich, wer die Berechtigung zur Seelsorge erteilen soll: im Idealfall natürlich der Bischof. Wenn dieser jedoch seine Zustimmung versagt, müssen päpstliche Machtsprüche eingreifen — Reichsrecht bricht Landesrecht. Und hier liegen die realen Schwierigkeiten, die in dem stark abstrakt gehaltenen Artikel kaum zum Vorschein kommen. Die Wahl des A n d e r s e i t s zeugt von hoher taktischer Geschicklichkeit. Hat P a p s t G r e g o r an transversale Gliederungen gedacht, wie sie sechs Jahrhunderte später als neues Stützgerüst das an vielen Stellen morsche Gefüge des Abendlandes zu durchwachsen und zu durchheilen bestimmt waren, oder im Höchstfall an das, was man heute etwa inkorporierte Pfarreien nennt, also an die Ausübung der Seelsorge an den Schutzbefohlenen des Klosters oder der Einsiedelei und ihres weiteren Umkreises? Dieser für seine Zeit hochmoderne Papst hat außerordentliche Seelsorge — wenn auch nur vielleicht in vereinzelten Ansätzen — gekannt, wie aus folgendem Satz hervorgeht: „Diejenigen, welche Wächter der Seelen sind und die Lasten der zu weidenden Herde auf sich genommen haben, erhalten in keiner Weise die Erlaubnis, ihre Orte zu wechseln. Diejenigen aber, welche aus Gottesliebe zur Predigt ausfahren, sind das glühende F e u e r Seines Rades, weil sie von Sehnsucht verzehrt viele Orte d u r c h w a n d e r n . . ( H o r n . 5 zu Ezechiel; P L 76, 825 A). — Hier in der Summa ist das Anderseits, wenn es überhaupt Beweiskraft besitzen soll, ganz generell zu verstehen, also auch für die transversalen Gliederungen. Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei b e m e r k t : die kirchenrechtliche Gliederung bleibt als solche eine territoriale mit den durch das Kirchenrecht vorgesehenen Ausnahmen. Mit zunehmender Verästelung der Arbeitsteilung in der modernen Gesellschaft werden transversale Gruppen immer mehr zur Lebensnotwendigkeit der Kirche, z. B. in der Standesseelsorge. Die Lösung zu dem theoretisch möglichen Einwand, daß die Verantwortlichkeit des Bischofs für seinen Sprengel unter dem Transversalprinzip leiden könnte, hat Thomas selbst vorweggenommen in 188, 4 Zu 1—3 und 5 (siehe Kommentar).

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B.

Predigt

a) G e s c h i c h t l i c h e s . — Von den Laienmönchsregeln, 187, 1 die dem Studium und der eigentlichen Seelsorge: Predigt und Sakramentenspendung, abhold waren, gab es schon im Altertum Ausnahmen. G r e g o r v o n N a z i a n z , B a s i l i u s , C h r y s o s t o m us, J o h a n n e s D a m a s c e n u s , Hieronymus und G r e g o r d e r G r o ß e , wenn man will auch A u g u s t i n u s , waren Mönche und stiegen zur Seelsorge, ja bis zum Lehramt empor. Es gab schon vor dem Auftreten der Mendikanten in einzelnen Fällen außerordentliche Prediger im Bereich der alten Orden, wie etwa B e r n h a r d v o n C l a i r v a u x und andere, welche durch ihre gewaltige Strahlungskraft die Mauern des Klosters durchbrachen und in die Öffentlichkeit vorstießen. Aber das waren nur Ausnahmen, welche mit der Ordensregel nicht in Einklang standen. Wie kam es, daß ein ganzer Orden, eben die Predigermönche, zur Vorrangstellung in der Seelsorge aufstieg? M a n d o n n e t zeigt in seiner Schrift über „Die Schulkrise zu Beginn des 13. Jahrhunderts und die Gründung des Predigerordens", mit welchem Eifer sich viele Bischöfe der günstigen Gelegenheit bemächtigten, die Dekrete des 3. und 4. L a t e r a n k o n z i l s über die Errichtung von Lehrkanzeln oder Lehrstühlen bei ihren Kathedralkirchen durchzuführen, indem sie die Predigermönche als Lehrer beriefen. Damit war eine Lücke ausgefüllt, welche über Jahrhunderte hinweg mangels geeigneter Lehrkräfte nicht hatte geschlossen werden können. Selbstverständlich war mit dieser Anstellung als Lehrer an der Domschule sowohl des heranwachsenden als auch des bereits geweihten Klerus die Berechtigung zu sämtlichen Formen der Seelsorge gegeben ( M a n d o n n e t 46). Mit dem Aufbau eines Klosters war jeweils Seelsorge verbunden, so daß die Einkommenssicherung gewährleistet war. b) B e g r i f f d e r P r e d i g t . - Nach Qlb XII (Art. 27) ist Predigt im eigentlichen Sinne gegeben, wenn die Ansprache öffentlich ist, die gesamte Gemeinde angeht und im Auftrag der Kirche erfolgt. Die Theologen haben das genauer umschrieben. Predigen im Vollsinne heißt: im Namen Gottes oder der Kirche zum Zweck der Wahrheitsverkündigung in verschiedener Weise (1 Kor 1'2, 1—11) und der Sittenbesserung (2 Tim 4, 1—5) im kirchlichen Auftrag (Lk 9, 2; Rom 10, 14. 15) die ganze Gemeinde ansprechen, nämlich Männer und Frauen, Klerus und Laien, und zwar an einem geräumigen Ort, wo die ganze Gemeinde sich versammeln kann (Gotteshaus oder öffentlicher Platz). Dabei ist nicht erforderlich, daß jedesmal Vertreter der vier Gruppen anwesend sind. Wer nicht öffentlich oder privat das Wort Gottes verkündet, wer nur vor Frauen spricht (Äbtissin), gilt nicht als Prediger. Äußere Umstände, wie Kanzel, öffentliche Voranzeige, Rochett und Stola sind unwesentlich. Der Begriff der Predigt umfaßt also ein inhaltliches oder gegenständliches und ein förmliches Element. Das i n h a l t l i c h e Element ist gegeben mit jeder Art von Wahrheitsaussage, seien es Ermahnungen moralischer Art, brüderliche Zurechtweisung, Werke der geistlichen Barmherzigkeit, ferner

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187, l Belehrungen und Vorträge über Wahrheiten des Glaubens. Das f ö r m l i c h e Element liegt in letzter und höchster Instanz in der Beauftragung durch Christus (Mt 28, 19), insofern die Predigt eine Teilhabe an der universalen Gewalt Christi ist. Die Mahnungen des Völkerapostels in 2 Tim 4 sind Ausfluß seines Sendungsbewußtseins, das jeden christlichen Prediger erfüllen soll im Sinne seiner Briefanfänge und -schlüsse. Man übersieht leicht das Pathos in den Formulierungen der Beauftragung: „An Christi Statt walten wir des Amtes (sind wir gesandt), als wenn Gott selbst durch uns mahnte" (2 Kor 5, 20): „Ich bin ein Gesandter in Fesseln" (Eph 6, 19). Das ergreifende Pathos, mit welchem Paulus immer wieder auf seine Vollmachten zu sprechen kommt, hat ontische Wurzeln in der Vollmacht Christi, welche eine absolute ist. Darum ist mit Ausübung der Predigt geistliche Gewalt verbunden, insoweit sie von Christus her auf die Gefäße Seiner Auserwählung übertragen wird. c) Ä u ß e r e B e r e c h t i g u n g . — Die Rechtsvorschriften zur Ausübung des Predigtamtes sind heute in den Satzungen der Orden enthalten und nach 1918 dem CJC angeglichen worden, so daß in der Auslegung der Rechtsvorschriften heute keine Schwierigkeiten mehr bestehen wie früher. Nach der Vorschrift des T r i d e n t i n u m s haben die Bischöfe die Predigt zu untersagen, wenn Irrtümer oder Ärgernisse vorgetragen werden. Ersteres ist klar; bezüglich der Ärgernisse jedoch bedarf es einer Unterscheidung, soll nicht der klare Sinn eines Apostelwortes verfälscht werden. Paulus befiehlt dem Timotheus, „gelegen oder ungelegen" zu predigen (2 Tim 4, 2). Da man zweierlei Ärgernis auseinanderzuhalten hat, solches der Pharisäer, auf welches man keine Rücksicht zu nehmen braucht, und solches der Kleinen, auf welches Rücksicht zu nehmen ist. fragt es sich: Muß der Prediger letzteres Ärgernis vermeiden? Christus selbst hält mit eigenen Worten zurück: „Ich habe euch noch vieles zu sagen, aber ihr könnt es jetzt noch nicht tragen" (Jo 16, 12), und Paulus schont seine Zuhörer: „Milch gab ich euch (den Fleischlichen, Unmündigen) zu trinken, nicht feste Speise; denn die könnt ihr noch nicht vertragen . . . " (1 Kor 3, 2). Die einander scheinbar widerstreitenden Belange des Gemeinwohls sind schwer abzuwägen, ein feste Regel läßt sich nicht aufstellen, um Wahrheitspflicht und Liebesrücksicht auszugleichen; das ist nur möglich unter dem lebendigen Beistand des Heiligen Geistes. d) I n n e r e B e r e c h t i g u n g . — Ob Predigen im Stande der Todsünde eine neue schwere Sünde nach sich ziehe, ist umstritten. C a j e t a n schließt im Kommentar zu unserem Artikel mit sehr ernstlichen Argumenten auf schwere Sündhaftigkeit, ohne sich jedoch für formelle Todsünde zu entscheiden, [hm zufolge besteht eine starke Ähnlichkeit zwischen der Sündhaftigkeit der Sakramentenspendung und der Sündhaftigkeit des Predigens, weil beides heilige Handlungen sind. Tatsächlich ist die Seinslüge, welche ununterbrochen neu entsteht, wenn ein Prediger im Stande der Gottesferne von den Geboten, Geheimnissen und Gnaden Gottes spricht, so kraß — ,monstruös' sagt Cajetan —, der Widerspruch zwischen äußerem Tun und

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innerem Sein so e m p ö r e n d , vor allem, w e n n der P r e d i g e r sich 187. 1 dazu versteigen würde, sittliche F o r d e r u n g e n vorzutragen, daß man wohl b e g r e i f e n k a n n , wie der R e f o r m f r e u n d C a j e t a n sich zu einer strengen Mahnung, fast möchte man sagen Drohung, verpflichtet fühlt. Im K o m m e n t a r zu I I I 64, 6 geht e r noch weiter und e r k l ä r t die Predigt — indem er die Unterscheidung des Aquinaten von geweihten und nichtgeweihten W e r k e n , die sich ebendort findet, zu G r u n d e legt — als geweihtes W e r k , weil sie mit der Ausübung des heiligen Amtes vom Diakonat ab unzertrennlich v e r b u n d e n sei. D a r a u s ergibt sich folgerichtig, daß —• wie der in der Todsünde befindliche Priester eine schwere S ü n d e begeht, w e n n er S a k r a m e n t e spendet •— die P r e d i g e r schwer sündigen, w e n n sie im S t a n d e der Tods ü n d e predigen. P a s s e r i n i hingegen hält, wohl mit d e r überwiegenden Mehrheit aller Autoren, die Predigt nicht f ü r ein geweihtes W e r k , weil es zu i h r e r A u s ü b u n g an u n d f ü r sich d e r Weihe nicht bedarf, denn schon ein K l e r i k e r mit Tonsur k a n n p r e d i g e n ; somit liegt auch k e i n e n e u e schwere S ü n d e vor, w e n n ein Priester im S t a n d e d e r Todsünde predigt, weil die von C a j e t a n aufgestellte Voraussetzung fehlt. 2. W e l t l i c h e G e s c h ä f t e d e r O r d e n s l e u t e 187.2 (Art. 2). — Der Apostel wendet sich in der Schriftstelle des A n d e r s e i t s nicht an Kleriker, s o n d e r n an die ganze Gemeinde zu Rom. Thomas w e i ß im K o m m e n t a r zur Stelle Rom 16, 1. 2, daß die Gläubigen insgesamt angesprochen s i n d ; er unterscheidet weltliche Hilfe (aus Schmeichelei oder Gewinnsucht) von religiöser Hilfe (aus Frömmigkeit oder Barmherzigkeit); letzteres kommt den D i e n e r n Gottes zu, w o r u n t e r er wahrscheinlich alle Gläubigen insgesamt versteht. J e d e n f a l l s w i r d in Vers 2 ein Beistand empfohlen, der sich auf alle erdenklichen F o r m e n der Hilfe, wahrscheinlich auch auf Rechtshilfe vor einer Behörde erstreckt. Um den Artikel in den Horizont a n d e r e r Ä u ß e r u n g e n des Aquinaten zu stellen, vergleicht man am besten die einschlägigen A u s f ü h r u n g e n , welche u n t e r dem Gesichtspunkt der Kardinaltugend d e r Gerechtigkeit f ü r Kleriker im allgemeinen gegeben w e r d e n . Dort stehen ,an sich Schlechtes' und ,Anschein des Schlechten' e i n a n d e r g e g e n ü b e r (77, 4 : Bd. 18); aus dieser Unterscheidung folgt ohne weiteres, d a ß es möglich ist, weltliche Geschäfte zu treiben, w e n n Verdächtigungen wegen außergewöhnlichen Handelns, das a u s Liebe geschieht, Mißverständnisse von seiten des Volkes usw. ausgeschlossen sind, bzw. den guten Ruf des Geistlichen nicht g e f ä h r d e n . Die Kleriker sollen •sich nicht n u r von dem enthalten, was an und f ü r sich schlecht ist, s o n d e r n auch von dem, was den Anschein des Schlechten hat. Dieser Anschein des Schlechten rührt von dem Verdacht der Gewinnsucht oder Schwatzhaftigkeit bzw. Lügenhaftigkeit her, welche mit weltlichen Geschäften oft v e r b u n d e n sind. Die Verstrickung in weltliche Sorgen kommt nach 2 Tim 2, 4 a l s H a u p t h i n d e r u n g s g r u n d dazu. Hier hingegen — im Standestraktat ü b e r die Mönche — ist die Fragestellung enger gefaßt, aber doch u n t e r dem weltweiten Gesichtspunkt der Gottes- und d e r Nächstenliebe.

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587,2

a) Bedingungen der Erlaubtheit weltlicher Geschäfte. — Diese sind: 1. Ausschluß des Geizes, also der Gewinnsucht; 2. Ausschluß der Selbstsucht, also uneigennützige Liebe; 3. Ausschluß des Ungehorsams, also Erlaubnis der Oberen; 4. Ausschluß leidenschaftlicher Hingabe, also gebührende Mäßigung. Letztere Einschränkung bedeutet, daß der Ordensmann sich womöglich im Hintergrunde halten und keine direkt Ärgernis erregenden Dienste übernehmen soll (Gerichtsvollzieher, Ankläger, Verkäufer, Geschäftsführer usw.). Seltsam ist das Beispiel des Bischofs D i e g o , der im Auftrag seines Fürsten mit D o m i n i k u s von Osma zusammen zur Brautwerbung von Spanien nach Dänemark reist; hier gilt wie in allen solchen Fällen 1 Kor 6, 12 und 10, 22: „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles frommt; alles ist mir erlaubt, aber nicht alles erbaut." C a j e t a n bemerkt: „Wir dürfen Verwaltungsgebäude und Paläste aufsuchen um frommer Zwecke willen; doch wollen wir Schaden und Ruin fürchten. Denn Petrus ist, wie B e r n h a r d sagt, nur einmal in den Palast des Hohenpriesters eingetreten und hat Ihn [Christus] dreimal verleugnet. D i o g e n e s hat einen Königahof als einen Ort bezeichnet, wo man betrügt und um die Vormacht kämpft, das sind Dinge, die dem Teufel von Gott erlaubt wurden (3 Kg 22, 22). Ordensleute jedoch haben Paläste und Verwaltungsgebäude zu fliehen, auch kirchliche; denn Petrus ist zum Opfer gefallen, als er nicht etwa ein königliches oder ein Verwaltungsgebäude, sondern den Palast eines Hohenpriesters betrat." — Man kann die Fragestellung noch erweitern. Für manchen Priester und Ordensmann sind Gänge zu Verwaltungsbehörden schwerste Bußgänge geworden — und mögen es glänzende Paläste gewesen sein, die sie aufsuchen mußten —, die eine heroische Selbstüberwindung und Verdemütigung forderten. Es ist hier ausschließlich die Absicht, welche die Verdienstlichkeit der Handlung mitbestimmt. Sind es Bußgänge, die zu Palästen und Verwaltungshöfen führen, so ruht auf ihnen die ganze Fruchtbarkeit der Buße und der ganze Segen der Liebe, die solche Schritte inspiriert. Lauert hingegen bei solchen Gängen irgendein Fallstrick, besteht die Gefahr der Schmeichelei oder Habsucht, des Ränkeschmiedens oder der Machtgier, so ruht auf diesen Gängen der ganze Fluch der Hölle.' b) Unerlaublheit weltlicher Geschäfte. — Wegen mannigfacher Unzuträglichkeiten, die mit der Ausübung von Ämtern verbunden sind, gelten viele Geschäfte als unverträglich mit dem Ordensstand. (Verträglich mit dem Stande kann sein z. B. Zeugenschaft, vor allem zur Verteidigung von Unschuldigen.) Can. 142 des kirchlichen Rechtsbuches bestimmt: „Kleriker dürfen keine Kaufmanns- oder Handelsgeschäfte ausüben, gleich ob sie dieselben in eigener Person oder durch andere betreiben, gleich ob sie selbst oder andere einen Nutzen davon haben." Darunter versteht das kirchliche Recht in genauer Übereinstimmung mit Thomas (77, 4 : Bd. 18) den Kauf, in der Absicht, das Gekaufte unverändert, aber teurer weiter zu veräußern (Kaufmann); den Kauf, in der Absicht, das Gekaufte durch angestellte Arbeiter zu verändern und dann mit Gewinn weiter zu verkaufen (Fabrikant). Ausführliche Einzelheiten zu

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Can. 142 in den Kommentaren des Kirchenrechtes, f ü r Ordens- 187,2 leute insbesondere zu Can. 531—537. Landwirtschaft (Ökonomiepfarrei, Klosterbetrieb) ist mit den Einschränkungen erlaubt, die sich aus der Natur des geistlichen Berufes ergeben. c) Vereinbarkeit von Gegensätzen. — Thomas nimmt in 6einer Antwort Rücksicht auf die Vielschichtigkeit des Lebens; so kommt es notgedrungen zu einer fruchtbaren Verbindung gegensätzlicher Möglichkeiten: einerseits soll die höchste Freiheit des Ordensstandes für geistliche Dinge gewahrt werden, andererseits darf die elementare Liebespflicht in plötzlich auftauchenden Notständen nicht verletzt werden. Als Grundanschauung liegt die Überzeugung zugrunde, daß, wenn jemand unter Hintansetzung der Standesideale zu Werken der Liebe sich aufschwingt, also das Ganzopfer seines Lebens bringt um eines noch höheren Ideales willen, welches um eine ganze Dimension höher liegt als das rein monastische, daß ein solcher durch die innewohnende Gesetzlichkeit des Opfers selbst noch tiefer in Liebe und Weisheit eingeführt wird und so das höchste Ordensziel auf Umwegen gleich sicher oder noch sicherer erreicht. So gereicht denn auch der vorübergehende scheinbare Verzicht des Standesideals nur zur Vertiefung des monastischen Ideals, wie es die hl. K a t h a r i n a v o n S i e n a unermüdlich predigte: die ,innere Zelle' mitten im Wirrwarr des tätigen Lebens. — d) Auslegung von 2 Tim 2, 4 (Zu 2). — Man bewährt sich, nach dem Thomas-Kommentar zur Stelle, als Kämpfer Christi 1. durch den Kampf gegen die Sünde, 2. durch den Kampf gegen den Irrtum, 3. durch das Märtyrium im passiven Kampf gegen Tyrannen. Bedeutsam ist die Auslegung zu dem Begrifl der Verstrickung. Hätte der Apostel gesagt: „Niemand übt weltliche Geschäfte a u s . . . " , so wäre das Verbot ein absolutes gewesen; nun aber gebraucht er die aktive Form: „Niemand verstrickt sich selbst", d. h. hat das Recht, sich positiv zu verschulden. Wer also ohne Frömmigkeit und ohne Not weltliche Geschäfte übernimmt, verstrickt sich selbst im aktiven Sinne; wer aus Frömmigkeit und Amtsverantwortung sich zu Geschäften hergibt, wird verstrickt, d. h. er wird unschuldig in die Mühsale der Dienstwaltung verwickelt, wofür nun bezeichnenderweise gerade die Römerbrief-Stelle 16, 1. 2, die wir aus dem A n d e r s e i t s unseres Artikels kennen, herangezogen wird. 3. A r b e i t s p f l i c h t d e r O r d e n s l e u t e (Art. 3). — 187, i Schon die Länge erweist diesen Artikel als Kampfansage. Trotzdem bleibt die Lehre in der goldenen Mitte zwischen zwei Extremen. a) Veranlassung des Artikels. — Die M e s s a l i a n e r oder E n g k r a t i t e n hatten in falscher Auslegung von Lk 18, 1: „Man muß allezeit beten und nicht nachlassen" sich zu der Behauptung verstiegen, es bedürfe keiner Sakramente und es genüge zu beten; in der Folge wurde die Pflicht zur Arbeit minder gewertet oder ganz vernachlässigt. Die Spuren dieser Irrlehren lassen sich durch die Väterzeit verfolgen bis zu der Schrift A u g u s t i n s „Über das Werk der Mönche". So kamen diese Irrlehrer zu der Meinung, Handarbeit sei den Mönchen 28

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187, 3 verboten. Einen umgekehrten Weg schlugen die G e r a l d i n e r ein, wie die Anhänger W i l h e l m s v o n S t . A m o u r und G e r h a r d s v o n A b b é v i l l e genannt wurden, welche den Mönchen unter Berufung auf alte einseitig ausgelegte Rechtsvorschriften die Pflicht zur Handarbeit auferlegten mit der wohlbeabsichtigten Auswirkung, daß Studium, Betrachtung und Lehre zu kurz kommen mußten. Thomas wendet sich in diesem Artikel unmittelbar gegen die Mendikantengegner und gibt einen kurzen Abriß seiner Schrift Contra Impugnantes. b) Geschichtliches. — Von Benedikt, dem Gründer des abendländischen Mönchstums, an bis zu den frühen F r a n z i s k a n e r n einschließlich bildet die Handarbeit einen Bestandteil der Ordensregeln. Es gibt zwei denkwürdige Zeugnisse, in welchen die Gewissenskonflikte geschildert werden, die f ü r Anhänger der B e n e d i k t u s regel nach und nach unvermeidlich wurden. Eines Tages geht es dem hl. R o b e r t v o n M o l e s m e s ( t 1111) auf, wie sehr seine Mönche sich vom ursprünglichen Sinn der Regel entfernt haben. Er versucht ihnen klarzumachen, daß man zur Handarbeit zurückkehren müsse. Die Mönche verteidigen sich in ehrfurchtsvollen Ausführungen gegen den strengen Abt und bringen Argumente aller Art aus Schrift und Geschichte bei, um die Pflicht zur Handarbeit als für sie nicht gegeben zu erweisen. Der heilige Abt jedoch läßt sich nicht überzeugen und zieht mit 12 Anhängern fort, um ein neues Kloster zu gründen (Kirchengeschichte d e s O r d e r i c u s V i t a l i s III 8; PL 188/639). Der ehrwürdige P e t r u s , Abt von C l u n y ( f l l 5 6 ) , schreibt an B e r n h a r d v o n C l a i r v a u x eine lange Apologie, um sich der Vorwürfe zu erwehren, die dem Kloster gemacht wurden, darunter auch des Vorwurfes, daß die Mönche keine Handarbeit verrichten. Nach Auffassung des Abtes Petrus, dessen Regierungszeit den Höhepunkt der Klostergeschichte bildet, ist Handarbeit u n m ö g l i c h , wegen der ungenügenden Ernährung, und u n g e b ü h r l i c h , weil die Mönche, die regelmäßige* Gebet, Stillschweigen und Betrachtung pflegen, nicht zugleich knechtlichen Arbeiten in der Landwirtschaft obliegen können (Ep. 28; PL 189, 144). Also hat es auch dieser große Regent nicht gewagt, den klaren Wortlaut der Regel — Handarbeit für alle — durchzusetzen. Bei den P r ä m o n s t r a t e n s e r n , deren Satzungen für den Predigerorden als Vorlage dienten (D e n i f 1 e, a. a. 0. 16 ff.), war Handarbeit Bestandteil der Ordensregel für alle. Durch das neue Ziel, welches D o m i n i k u s aufstellt, wird die Seelsorge so sehr in den Vordergrund geschoben, daß alle anderen Gesichtspunkte zurücktreten vor Studium, Gebet und Predigt. In dieser Zielsetzung, welche, unabhängig vom hl. F r a n z und ganz anders als bei ihm, das Wesen des Predigerordens bestimmte, war Handarbeit nicht zweckmäßig; ihre Vorteile fielen infolge neuer Einkommensformen zu, ohne deren Nachteile. c) Gleichstellung von Ordens- und Weltleuten bezüglich der Arbeit. — Das apodiktische A n d e r s e i t s wirft ein Problem auf: Wenn Ordensleute den Weltleuten nicht in bezug auf die Verpflichtung zur Arbeit im allgemeinen, sondern auch in bezug auf die Handarbeit im besonderen gleichgestellt werden —

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und das geschieht mit Exaktheit im Anderseits — , mit welchem 187, s Recht werden sie dann von ihr freigesprochen? Zur Lösung dieser F r a g e muß weiter ausgeholt werden. Thomas entwickelt seine Arbeitsethik an einer Stelle, wo heutzutage nur wenige sie suchen. W i e immer geht er von Axiomen und obersten Richtpunkten aus. Die Anwendung auf das Mönchtum aller Spielarten erfolgt erst nachträglich, nachdem die Axiome aufgerollt sind, welche die Sinngebung der Arbeit an sich bedeuten. „Der unmittelbare Sinn der Arbeit", so betitelt H ä s s 1 e seinen modernen Kommentar zu diesen vier Axiomen (Beschaffung des Lebensunterhaltes, Vermeidung des Müßiggangs, Zügelung der Begierlichkeit, Ableistung sozialer Pflichten), in welchen zugleich die Konfrontierung mit den im wesentlichen gleichgerichteten Soziallehren L e o s X I I I . durchgeführt wird ( H ä s s l e 41). Freilich müssen diese vier Richtpunkte ihrer mittelalterlichen Formulierung entkleidet werden, wenn ihre kulturfördernde Dynamik, der aus ihr rechtmäßig, obschon sekundär folgende „soziale Eudämonismus" aufleuchten soll. Die Fassung der Überschrift schränkt das Problem der Arbeit aus sattsam bekannten historischen Gründen auf die Handarbeit e i n ; denn eine allgemeine und umfassende Pflicht zur Arbeit besteht für die Ordensleute ebensogut wie für alle anderen Menschen, j a noch mehr. Arbeit als Naturgesetz hat den Sinn, das Höchstmaß der Selbstentfaltung zu garantieren. „Leben heißt Tätigkeit des L e b e n d e n " ( I — I I 3, 2 : Bd. 9 ) ; Tätigkeit aber bedeutet Wirksamkeit und Selbstvervollkommnung. „Tätigkeit ist letzte Vollendung eines W e s e n s " (CG I I I , 113). So wird „Leben offensichtlich durch die verschiedenen Stufen der Tätigkeit auf den verschiedenen Stufen der Seinsordnung" (I 76, 1 : Bd. 6). „Wir erkennen Leben aus den W e r k e n " ( I — I I 112, 5 Zu 1 : Bd. 14), welche doch nichts anderes sind als Niederschlag von Tätigkeiten. Dies gilt so sehr, daß wir zurückschließen auf mangelndes Leben oder gar Tod, wo keine Tätigkeiten mehr zu erblicken sind. So kann denn Thomas zu dem Schluß gelangen, daß Arbeit zwar ein Grundgesetz des Menschengeschlechtes überhaupt, Handarbeit jedoch nur ein Sondergesetz ist, welches diejenigen betrifft, die durch Schicksal, Veranlagung oder freie Wahl, kurz durch die Vorsehung darauf hingeordnet sind. Nun läßt sich das Problem des A n d e r s e i t s lösen. Mönche sind zur Handarbeit nicht m e h r verpflichtet als andere Menschen. Inwieweit aber sind die Menschen überhaupt zur Handarbeit verpflichtet? Soweit, als die Notwendigkeit hierzu besteht, weiter nicht. W e r also ohne Handarbeit auskommen kann, auf den fällt nur die allgemeine Verpflichtung der Selbstentfaltung in geistiger Betätigung irgendwelcher Art. Mönche können rechtmäßig auf Handarbeit verzichten, wenn ihre Tätigkeit im sozialen Organismus das Recht auf andere Formen der Einkommenserwerbung erwirkt. Selbstverständlich steigt mit der Enthebung von der Handarbeitspflicht die Verantwortung, nun auch wirklich dem sozialen Organismus echte Gegenwerte, wenn möglich Höherwerte, zu erstatten. In CI V, wird ausgeführt: Da die menschliche Gesellschaft nach dem

28*

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187, 3 Gesetz der Arbeitsteilung aufgegliedert ist und viele Stände, Ämter und Berufe umfaßt, genügt es, wenn j e d e r das seinem Beruf Entsprechende ausführt. Wo die Handarbeit rechtmäßig entbehrlich ist, weil sie durch andere getan wird, und zum Hindernis auswächst für Arbeiten höherer Ordnung, ist sie zurückzustellen. Dies beweist Thomas aus den Kirchenvätern. Das Ideal, das ihm vorschwebt, ist Wirtschaftsenthobenheit, soweit nicht naturrechtliche Forderungen sie einschränken. Die so fein verzweigte Tugendlehre des Aquinaten jagt das Gespenst der Arbeitsscheu aus allen Schlupfwinkeln heraus, um den Arbeitseifer zu fördern. So werden Nachlässigkeit, Trägheit, Faulheit genau umrissen und gebrandmarkt (Fr. 5 4 : Bd. 1 7 ) ; werden Verdrossenheit (acedia, auch Schlappheit oder Langsamkeit und Leimsiederhaftigkeit genannt: H ä s s l e 31) und ihre Töchter: Kleinmut, Verzweiflung, Entschlußlosigkeit (mangelnder Tatumsetzungswille), Zerstreuung oder Mangel an Sammlung unerbittlich grell beleuchtet ( F r . 3 5 : Bd. 17). I n diesem größeren Horizont der Tugendlehre schwindet jeder Verdacht dahin, als solle der Verzicht auf die Handarbeit zu einem Faulbett der Trägheit werden. Einen modernen Kommentar zu den vier Arbeitsmotiven hat Johannes H ä s s l e verfaßt in § 7 seines Buches: ,Das Arbeitsethos der Kirche nach Thomas von Aquin und Leo X I I I . ' : ,,Der unmittelbare Sinn der Arbeit". Man vergleicht zu diesem hervorragenden Buch mit Nutzen die kleine Abhandlung von J o s e f P i e p e r : „Muße und Kult", um die richtige Akzentverteilung der Grundwerte in das Buch von H ä s s l e einzutragen. Letzteres konnte den Gegenpol der thomistischen Arbeitsethik — eben Muße und Kult — schon deswegen nicht ebenbürtig herausstellen, weil die Themastellung der Arbeit galt. 187, 4

4. A l m o s e n a i s L e b e n s u n t e r h a l t d e r O r d e n s l e u t e (Art. 4). — Die E i n w ä n d e wiederholen die Vorwürfe der Mendikantengegner, sie bilden einen zwar kurzen, aber wirkungsvollen Auszug aus deren Rüstkammern. Das A n d e r s e i t s hat apodiktischen Charakter, d. h. es gibt die endgültige Lösung des Artikels wieder und unterstützt sie. Die A n t w o r t bringt zwei Hauptergebnisse: 1. Ordensleute, welche Gott dienen, können rechtmäßig von Almosen leben, ohne Handarbeit zu treiben, weil freiwillig gespendete Almosen in Ordenseigentum übergehen und solches Eigentum für echte Leistungen geschuldet wird. 2. Ordensleute, welche dem Müßiggang leben, ohne Frucht zu bringen für das Reich Gottes, haben kein Recht, von Almosen zu leben.

187, 5

5. O r d e n s l e u t e a l s B e t t l e r (Art. 5). — Auch hier wieder ist zu f r a g e n : W i e sind die Christus betreffenden Bibelzitate in A n d e r s e i t s gemeint? W e n n sie apodiktisch gemeint sind, wäre Christus im buchstäblichen Sinne ein Vorläufer und Urbild der Spiritualen, und die Rechtfertigung ihres Lebenswandels wäre durch den Herrn selbst gegeben. Daß diese Psalmenzitate nicht apodiktisch gemeint sein können, wird im folgenden gezeigt; m. a. W., das ganze Anderseits

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stellt nicht die Meinung von Thomas, sondern die Meinung 187,6 der strengen Spiritualen dar; so wird die Antwort gleichsam ein Schiedsgericht, welches nach Anhören der streitenden Parteien entscheidet. A n t w o r t : Im Bettel sind zwei Gesichtspunkte auseinanderzuhalten. 1. Der Akt des Gabenempfangens, der mit einer gewissen Erniedrigung verbunden ist; 2. die empfangene Gabe, welche erbeten wird aus Gewinnsucht oder Trägheit, aus Not oder gemeinnütziger Absicht. Daraus entwickeln sich drei Ergebnisse: a) es ist erlaubt, um der Demut willen zu betteln; b) es ist nicht erlaubt, aus Gewinnsucht oder Trägheit zu betteln; c) es ist erlaubt, aus Not oder gemeinnütziger Absicht zu betteln. Christus Bettelmönch? Hält Thomas den wandernden und predigenden Herrn für einen Bettelmönch ( O t t , Mendikantentum, 59; vgl. 2 6 ) ? Solange die Vermischung der Erwerbsformen (reiner Bettel gegenüber Almosen oder Spende als Gegenleistung für eine geistliche Wohltat) in einem und demselben Wort — mendicare — nicht behoben ist, sondern offen zugegeben wird (Thomas subsumiert unter dem Begriff ,Betteln' sowohl gemeinnütziges Sammeln als auch reines Betteln: O t t 38), entbehrt die These jeden Fundamentes. Wenn etwa Jesus sich bei Zachäus selbst zu Tische lud, so war das Entgegenkommen und die Wohltat Jesu — nämlich die Ehre des Empfangs und der Bewirtung für das Haus des zu Unrecht übelbeleumundeten Zöllners — in der Meinung des Gastgebers unvergleichlich größer als das wirtschaftliche Opfer, das mit der Verpflegung des Gastes verbunden war. Es handelt sich hier nicht um reinen Bettel im anstößigen Sinne, auch nicht um Bettel im aszetischen Sinne, sondern um Spenden. Ist überhaupt ein Fall denkbar, daß Christus als nur Bittender auftrat? Er war doch immer zuerst ein geistig Gebender. Das Wort J e s u : „Umsonst habt ihr ertipfangen, umsonst sollt ihr geben" (Mt 10, 8) weist in diese Richtung der spontanen Regelung. Christus setzt offenbar voraus, daß Seine Apostel und Jünger zuerst geben aus dem Reichtum dessen, was sie umsonst empfangen hatten, und dann erst auf dem Wege der Dankbarkeit, welche die Beschenkten empfinden, das Notwendige für ihre leibliche Notdurft empfangen im Sinne des Herrenwortes: „Der Arbeiter ist seines Lohnes wert" (ebd. V. 10). Wer keine Mühe hat mit dem Erwerb einer Sache, d. h. eben: wer umsonst empfängt, der ist geneigt, freigebig auszuteilen. Die geistlichen Reichtümer aller Art, welche von den Gottesdienern umsonst empfangen werden, sollen verschwenderisch ausfließen. Was Christus für Seine Gefolgsleute befiehlt oder anregt, wird man erst recht auf Sein eigenes Wirken beziehen dürfen. Da Ihm der Ruf eines Wundertäters vorauseilte, war Seine Aufnahme Ehrensache, Seine Bewirtung die eines hochwillkommenen Gastes. Richtig ist allerdings, daß man die Bibelstellen, die damals für die Verteidigung des Bettels nach dem Beispiel Jesu angeführt wurden (Ps 39 [38], 18; 70 [69], 6 ; 109 [108], 17 usf.), heute nicht mehr als unbedingt stichhaltig ansehen darf im Sinne eines strikten, d. h. aus-

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187, 5 schließlich aszetischen oder büßerischen Bettels von seiten des Messias. Aber war denn ein solcher Nachweis wirklich die Absicht von Thomas? Schon der Umstand, daß diese Beweise ins A n d e r s e i t s verlegt wurden, macht stutzig und zeigt, daß sie offenbar doch mehr aporetischen Charakter haben. Man frägt sich, warum Thomas für die These vom Bettel Jesu nicht Mt 8, 20 anführt. Hierzu lassen sich zwei Lösungen aufstellen. Thomas will dartun, daß Jesus wohl Geschenke empfangen oder Spenden und vielleicht auch Almosen angenommen hat, nicht aber, daß Er immer und grundsätzlich bettelarm war. Für dieses Beweisziel war der rigorose Klang in Mt 8, 20 nicht passend. Noch wahrscheinlicher ist die Annahme, daß die Auslegung, welche Thomas sowohl im Matthäuskommentar als auch in der Summa (III 40, 3: Bd. 27) diesem Herrenwort angedeihen läßt, in ganz andere Richtung geht. Christus wolle nämlich nach H i e r o n y m u s und A u g u s t i n u s Seine Uneigennützigkeit dartun gegenüber dem Bittsteller, dessen Geldsucht, Hinterhältigkeit und Wankelmut (Untreue) gerügt werden sollte. Die Unwahrscheinlichkeit verdichtet sich zur Unmöglichkeit, wenn man den oben zitierten Summa-Artikel über das Leben Jesu heranzieht. Wenn dort von mendicitas gesprochen wird (Zu 1), so heißt das einfach Angewiesensein auf Geschenke, Spenden und Almosen, wie aus der Lösung Zu 2 hervorgeht. Solange man keine terminologische Klärung einführt, um zwischen Geschenk, Spende und Almosen klar zu unterscheiden, und diese drei Formen des Erwerbs in Bausch und Bogen unter dem einzigen Wort Bettel zusammenfaßt, solange werden Unklarheiten und im Gefolge davon scheinbare Widersprüche bestehen bleiben. Die Frage, ob Jesus gebettelt habe, muß aus dem ganzen Horizont der Evangelien heraus beantwortet werden. Betrachtet man mit Simon W e b e r in seiner Studie über .,Evangelium und Arbeit" „Jesus als Lehrer und Vorbild der Arbeit", so springt die Unmöglichkeit des reinen Bettels Jesu in die Augen. 1 Christus hat also nicht gebettelt, weder im Sinne des büßerischen Bettels noch im Sinne der stoischen Apatheia. 2 Zu allem Überfluß wird die Legende vom „Bettelmönch Jesus" widerlegt durch Thomas selbst, der in 188, 8 gegen Ende der Antwort die Aufbewahrung von Geld oder irgendwelchem Gemeinbesitz zu Zwecken des bloßen Lebensunterhaltes als d e r V o l l k o m m e n h e i t C h r i s t i k o n f o r m erklärt. Wer wollte behaupten, daß ein Bettelmönch im gewöhnlichen Verstände des Wortes Geld aufbewahren oder an gemeinsamem Besitz teilnehmen kann? Bezeichnenderweise läßt die u. W. ausführlichste Abhandlung zur Armut Christi als Vorbild der Mendikanten in CR 15 kein Wort vom Bettel Jesu fallen, trotzdem 9 Bibelzitate und viele dazugehörige Väterzitate und Glossenauslegungen aufgeboten werden und fortwährend Gelegenheit dazu bestand, die Armut Jesu auch aus Seinem Bettel zu beweisen. l Simon W e b e r , Evang-elium u n d Arbeit, S. 67 ff.; 211—215 u n d ö f t e r . - W i l h e l m S c h n e i d e r , Göttliche Weltordnunff, S. 545.

4 SO

Zu 5. Die Lebensform der büßerischen Armut, welche reli- 187. "> gionsgeschichtlich besonders aus Indien und Rußland bekannt ist, wurde am radikalsten von einigen frühen Franziskanern befolgt; sie führt teilweise, wenn auch nicht ausschließlich, zum reinen Bettel, dem keine Leistung vorausgeht, wie das beim Geschenk oft, bei der Spende immer der Fall ist. Diese Lebensform ist an sich durchaus vereinbar mit strenger Arbeit, wie dies z.B. F r a n z i s k u s vorschrieb; jedoch meist dann mit Bettel verbunden, wenn zugleich andere Ziele verfolgt werden (Predigt, Studium, Beschauung). Die Lesart humilitas entspricht besser dem Zusammenhang des Textes als die Lesart utilitas. 6. K l e i d u n g s e t h i k d e r B e t t e l o r d e n (Artikel 6) a) Aporetile. — Der Artikel ist im Hin und Her, im Auf und 187, 6 Ab der Spiritualenkämpfe geschrieben, bei denen es Thomas unmöglich war, sich einer Stellungnahme zu entziehen. Es ist von Belang, zu wissen, in welchem Sinne sich Thomas entscheidet. Für die M e n d i k a n t e n im allgemeinen? Für oder gegen die S p i r i t u a l e n im besonderen? Die Abwesenheit näherer Bestimmungen des ärmlichen Gewandes, wie sie etwa F r a n z i s k u s und B o n a v e n t u r a ohne Zögern und ohne Verlegenheit aussprechen, und wie sie bei den strengen Spiritualen, zu denen B o n a v e n t u r a selbst nicht gehörte, unvermeidlich war, spricht für die erste These. Bei der offensichtlichen Neutralität der Textfassung von Seiten des Aquinaten ist die Frage alles andere als müßig. Denn die Forderung, daß Ordensleute ein Gewand, welches Armut und Buße versinnbildet, tragen sollen, bestreitet niemand; umstritten ist nur, ob in der Kleidung rigorose Armut im Sinne der strengen Spiritualen, oder aber gemäßigte Armut, wie sie z. B. heute durchschnittlich von allen Orden praktiziert wird, angestrebt werden soll. Daß Einheitlichkeit in der Gewandung innerhalb eines Ordens, daß eine mittlere Linie eingehalten werden soll, um Unbilligkeiten aller Art zu vermeiden, leuchtet ein und wird oft von den einschlägigen Autoren betont; aber welche Einheitlichkeit? Auf welcher Stufe der Dürftigkeit soll diese mittlere Linie für alle durchgeführt werden? Mit anderen Worten: Bedeutet das Wort „vilis" armselige, schlechte Kleidung, welche bewußt den Durchschnittsstandard der Bevölkerung unterbietet, oder haltbare, einfache und gediegene Kleidung, wie sie fleißige und sorgfältige Menschen niederen Standes tragen? „In den meisten alten Mönchsregeln findet sich die Bezeichnung vilis für das Mönchskleid.. . Sie will oft nichts anderes sagen, als daß die Gewandung schlicht und billig, leicht erhältlich und wohlfeil, dabei aber dem Beruf der Gottgeweihten entsprechend und n i c h t eigentlich s c h l e c h t sein sollte" ( O p p e n h e i m , Das Mönchskleid im christlichen Altertum, S. 55). Die Kleideraszese nahm im christlichen Altertum je nach Charakterveranlagung und geschichtlichem Vorbild mannigfaltige Fofmen an. Da gab es Mönche in kunstvoll oder primitiv geflochtenem Palmblätterkleid, Gewänder aus Binsen. Schilfgras, Tierfellen ( O p p e n h e i m , Seite

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187, 6 21—31). Andere hielten es für notwendig, ein schmutziges Gewand als Zeichen reinen Herzens zur Schau zu tragen (ebenda 32—38); wieder andere bevorzugten das Kleid aus alten Lumpen (ebd. 38—42) oder das Bußkleid, welches als Oberkleid sichtbar, als Unterkleid unsichtbar die Glieder abtötete (ebd. 184—198). Einer ganz anderen Richtung gehören die Christusjünger an, welche das saubere Kleid (ebd. 42—46), das ärmliche, billige Kleid (ebd. 47—50), das einfache, schlichte Gewand (ebd. 50 bis 56) für richtig hielten. Wieder andere fühlten sich ihrer Sache ganz sicher, wenn sie das christliche Mönchsgewand der Tracht heidnischer Priester ähnlich sein ließen oder ein Gegenstück zu den Mysteriengewändern auswählten (ebd. 224—236). Auch Nonnen entschlossen sich zu einem der Tracht der Vestalinnen ähnlichen Gewand (ebd.). Von den Kleidungsvorschriften der vielen Ordenregeln sei wenigstens die des hl. B e n e d i k t u s erwähnt: Kleider und Schuhe sollen so getragen werden, wie sie am wohlfeilsten zu haben sind (ebd. 49). Man wird die Eigenschaft der Wohlfeilheit verstehen dürfen als Verbindung von Billigkeit und Haltbarkeit oder Gediegenheit. Die angeführten sachlichen Gruppen überschneiden sich teilweise, insofern die Träger mehrere der erwähnten Eigenschaften auf ihr Gewand vereinigen. Im Übergang zum Mittelalter bestimmt die R e f o r m s y n o d e z u A a c h e n unter L u d w i g d e m F r o m m e n 816: „Den Mönchen sollen ganz schlechte Kleider nicht gegeben werden, aber auch nicht sehr kostbare, sondern Kleider von mittelmäßiger Güte". Die M u r b a c h e r S t a t u t e n , kurz vorher erlassen, verordnen: „Kleider aus Ziegenhaaren oder solche, die mit Seide umnäht sind, sind den Mönchen durchaus -verboten" (ebd. 55—56). Auch hier findet sich die goldene Mitte zwischen auffällig primitivein und auffällig vornehmem Gehaben. Die obige Frage nach dem Sinn des Artikels läßt sich nun wissenschaftsmethodisch so formulieren: Stellen die E i n w ä n d e auf der einen Seite und ihr Gegenstück auf der anderen Seite (das A n d e r s e i t s ) zwei Extreme dar, zwischen welchen Thomas dann in der A n t w o r t eine mittlere Lösung vorschlägt? Oder enthält das Anderseits schon vorwegnehmenderweise die wahre Meinung des Betrachters? Im ersten Falle trägt das Anderseits nur aporetischen, im zweiten jedoch einen klar apodiktischen Charakter. b) Exegese zu Hb 11, 37. — Die Interpretation des A n d e r s e i t s stellt den Erklärer vor eine schwierige Aufgabe; das geht aus der Wahl der Bibelstelle hervor, deren Ernst und Schärfe nicht zu übersehen sind. Dieses Schriftwort war so recht nach dem Herzen der S p i r i t u a l e n . Offensichtlich will Thomas die Aporetik so gründlich wie möglich durchführen, und zwar mit Hilfe einer Hebräerbriefstelle, die ein Ideal der Verfolgungszeit, einen Höhepunkt der Glaubenstugend zum Gegenstand hat. E l i a s , eine Säule des Prophetentums in Israel, auf welchen in Hb 11, 37 angespielt wird, lebte in fortwährender Drangsal und Entbehrung. Das Gewand, das diese Büßer sich auserwählt hatten, war ein Schafsfell, welches mit der Haarseite nach außen, also möglichst unbequem, getragen wurde. Die anschließend erwähnten Ziegenfelle sind

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härter als Schafsfelle, wodurch eine neue Steigerung gegeben 187, f> ist. Dieses Kleid der Propheten und Prophetenjünger soll sinnfälliger Ausdruck der Buße sein und eine aufrüttelnde Mahnung für Weltleute bedeuten. Wenn das A n d e r s e i t s allein den Ausschlag geben würde, behielten die strengen Spiritualen in ihren sackähnlichen, geflickten Kleidern ohne weiteres recht (Näheres zu dieser Auffassung von Hb 11, 37 bei O p p e n h e i m in dem Kapitel: „Das Mönchskleid als Nachahmung des Kleides der alttestamentlichen Propheten und der neutestamentlichen Apostel", ebd. 238—246). Versteht nun Thomas unter ärmlichem Gewand einen notdürftigen Überwurf im Sinne der S p i r i t u a l e n (geflickte Kutte, Strick und Unterkleid) und ihrer Vorgänger im Altertum oder ein normales, wenn auch einfaches Ordensgewand im heutigen Sinne oder ein schlichtes Gewand im Sinne der A a c h e n e r S y n o d e und der M u r b a c h e r S t a t u t e n , was auf dasselbe hinauskommt? Ein solches wirkt wohl auch dürftig, aber nur im Gegensatz zu schönen und reichen Gewändern. Der Sinn einiger Sätze dieses Artikels verschiebt sich, je nach Beantwortung dieser Vorfrage, um bedeutsame Schattierungen, und davon hängt die endgültige Fassung der Auskunft ab, die zu ermitteln ist, da Thomas selbst sie nicht gibt. c) Die Spiritualen. — B o n a v e n t u r a hatte in seiner Regelerklärung zu dem Satz des hl. F r a n z i s k u s ,Alle Brüder mögen ärmliche Kleider tragen; sie können sie flicken mit Sackstücken und anderen Flicken' die Erläuterung gegeben: „Das kommt der höchsten Armut zu, welche sich im billigen Preis der Gewänder, in ihrer Farbe und im geflickten Zustand zeigt". Die Billigkeit der Gewänder bildet den Gegensatz zur Kostbarkeit, wie die Wohlhabenden sie damals trugen; die Ungebleichtheit oder natürliche Farbe den Gegensatz zu farbigem Prunk; die Flicknäherei unterstreicht die vorigen Merkmale. Christus selbst habe minderwertige Kleider getragen, wofür eine Äußerung des C h r y s o s t o m u s und andere Überlegungen ins Feld geführt werden (Cap. I I ; Qr VIII, 404). Hierbei ist zu beachten, daß bereits B o n a v e n t u r a eine sehr gemäßigte Deutung vorträgt. Dazu kommt eine vielumkämpfte Bibelstelle, welche in Mk 2, 21 und Parallelstellen das Fundament abgab für das Tragen schlechter Kleider: „Niemand setzt ein Stück neuen Tuches auf ein altes Kleid", ein Herrenwort, das auch B o n a v e n t u r a in diesem Zusammenhang zu erwähnen für notwendig hält. Mit anderen Worten: Die Jünger des hl. F r a n z i s k u s sollten alte Flicken oder Sackstücke auf ihre alten Kleider setzen. Auch die Satzungen von N a r b o n n e (1260), für welche B o n a v e n t u r a verantwortlich zeichnet, scheuen vor sehr genauen Einzelheiten nicht zurück. Die Brüder sollen barf u ß gehen, soweit es möglich ist, und falls sie Schuhzeug tragen, kein kostbares, sondern Sandalen, worüber Bonaventura einen großen Brief in 16 Kapiteln verfaßt hat, in welchem er unter Berufung auf die Synoptiker und die Kirchenväter das Barfußgehen mit Einschränkungen zur Vorschrift macht. d) Die Dominikaner. — Die Konstitutionen der Dominikaner von 1228 schreiben vor, daß, im Falle keine wollene (für da-

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187,

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malige Zeit allereinfachste) Kleidung getragen werden kann, es bei ärmlicher Kleidung (vilis) sein Bewenden haben solle, besonders was die großen Mäntel angeht. Leinwand, für damalige Zeit ein vornehmer Stoff, wurde auch für die Unterwäsche ausgeschlossen, ab 1236 sogar für Kranke; ähnliches gilt für Pelze aller Art. Es scheint, daß diese Bestimmungen mehr ökonomischen als büßerischen Charakter tragen. Der Ordensgeneral H u m b e r t v o n R o m a n s (f 1277) hat in seiner Regelerklärung (I 366) die Armut der Kleidung gerühmt unter Berufung auf die evangelische ,Armut im Geiste' (Mt 5, 3), auf die Selbstherabsetzung, die im Psalm 84 (83), 11 empfohlen wird: „Ich habe es vorgezogen, ein Auswurf zu sein im Hause meines Herrn . . H i e r ist ein Stichwort für die Armutstheorie gefunden — abjectus oder ,anstößig' —, ein Begriff, der bei Thomas in diesem Zusammenhang öfters vorkommt. Die Demut wird gefördert durch die Armut, im Sinne von Gn 32, 10: „Ich bin nicht wert aller Deiner Erbarmungen Auch die Trauer in Jo 16, 6. 20. 33 und in Esther 14, 2 dienen zur Begründung des armen Gewandes, nicht weniger die notdürftigen Windeln des Jesukindes, die Kleidung des Vorläufers Jesu (Mt 3, 4), ferner die Gestalten des Alten Testamentes H e n o c h und E l i a s , endlich ein Zitat aus Offenbarung 11, 3. Bezeichnend für die ganze Überlegung aber sind nicht die Bibelzitate, die auch die F r a n z i s k a n e r verwenden — wenngleich mit ganz anderem Horizont —, sondern der unvermittelt einsetzende Schluß: „Damit die Mitte also ihren gebührenden Abstand halte von den äußersten Möglichkeiten beiderseits (extrema, nämlich die zu große Sorge um das Gewand und die zu große Nachlässigkeit), ziemt es sich, daß heilige und vollkommene Männer ihre Kleidung auf die Mitte abstellen.. Wenn der Ordensgeneral fortfährt, es stehe einem Ordensmann eher an, ärmliche Kleider zu lieben als zu große Sorge aufzuwenden, so klingt das scheinbar wie eine Zurücknahme dieses Satzes. In Wirklichkeit jedoch ist damit der Grundgedanke, daß die Oberen für ihre Untergebenen in der Bestimmung der Kleider die Mitte halten, nicht etwa ausgeschlossen, sondern ganz im Gegenteil vorausgesetzt. Nach H n m b e r t ist der Armutsheroismus im Gebrauch der Kleider Sache weniger vollkommener Menschen. Die Bestimmungen über Flicken und Ausbessern halten sich im Rahmen des bürgerlich Üblichen und sind in jeder Familie selbstverständlich. Vorschriften über Barfußgehen gab es trotz der Anweisungen des Evangeliums und trotz der durch die Spiritualenpraxis aufgekommenen anfänglichen Begeisterung im Dominikanerorden nie. So etwa war im großen und ganzen die Praxis, welche Thomas in seiner Umgebung vorfand. In dieser Hinsicht war sein Orden von den Spiritualenkämpfen kaum berührt worden. e) Der junge Thomas. — Hören wir zunächst, was Thomas in CI 8 zu sagen weiß, da er die ersten Schläge austeilt gegen die Mendikantengegner (1256). Er beweist die Pflichtschiildigkeit armer Kleidung für Bischöfe aus B a s i l i u s , für Bußprediger und Künder der Frohbotschaft aus dem Beispiel J o h a n n e s d e s T ä u f e r s . Das Zitat Hb 11. 37 gilt für Propheten.

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Viele Wüstenväter treten als Zeugen auf; ebenso fungiert das 187, 6 Gleichnis vom reichen Prasser, der in kostbare Leinwand und Purpur gekleidet war, als Ankläger der Wohlhabenden und Verteidiger der Armen. Die Auslegung von 1 Petr 3, 3: „Euer Schmuck bestehe nicht in Äußerlichem" durch die Väter weist in dieselbe Richtung; schließlich müssen sogar A r i s t o t e l e s und Vernunftargumente der Beweisführung dienen. Zuletzt wird J e s u s C h r i s t u s , der den Täufer für seine Bußstrenge rühmt, als Kronzeuge der Dürftigkeit angerufen. Faßt man die Ausführungen von CI 8 kurz zusammen, so ist die Ärmlichkeit der Kleidung lobwürdig (gegebenenfalls sogar für Fürsten und Könige), empfehlenswert, Gott wohlgefällig und deswegen anzustreben, trotzdem es Mißbräuche gibt. Genauere Beschreibungen dessen, was denn im einzelnen unter vilitas zu verstehen sei — Beschreibungen, wie sie bei den F r a n z i s k a n e r n gang und gäbe sind —, fehlen gänzlich. Konkrete Einzelheiten der Armutspraxis, von welchen doch die Lebensgestaltung abhängt, sucht man vergebens. f ) Thomas in der Summa. — Hat der Aquinate knapp 20 Jahre später seine Auffassungen geändert oder vielleicht genauer gefaßt? Die erste Aufklärung hierüber vermittelt Fr. 169 (Bd. 22); sie handelt von der Bescheidenheit im äußeren Gehaben [Kleidung und Kosmetik]; drei Tugenden bestimmen das Verhalten: die Schlichtheit, welche aufsehenerregende Kleidung verschmäht, also Rücksicht nimmt auf die Umgebung; die Bedürfnislosigkeit, welche übertriebene Behaglichkeit meidet, und die Einfachheit, welche die überflüssige Sorge um äußere Dinge ausschließt. Entgegenstehende Fehler betreffen die Mängel der Haltung in bezug auf die Kleidung. Wer jedoch ärmliche Kleidung trägt, um den Leib zu züchtigen oder sich zu verdemütigen, übt die Tugend der Mäßigung. „Hauptsächlich kommt das Tragen armer Kleidung denen zu, welche andere durch Wort und Beispiel zur Buße aufrufen, wie es nach Hb 11. 37 die Propheten taten" (169, 1 Zu 2). Im Eingang der A n t w o r t wird ein A u g u s t i n u s entlehntes Axiom aufgestellt, welches von Grund auf die Kleidungsethik der strengen Spiritualen und aller ihrer Vorfahren und Nachfahren durchbricht. Wenn es nämlich wahr ist, daß nicht der Gebrauch, sondern die böse Begier schuldhaft ist, dann behält P e t r u s v o n B l o i s recht: „Zwischen einem weißen und einem schwarzen Gewand unterscheidet derjenige nicht, bei welchem es keinen Unterschied gibt zwischen Juden und Griechen. Er schaut auf den Geist, nicht auf das Kleid, auf die Verdienste, nicht auf die Farben" (Epistola 97; PL 207/304 B). Von hier aus gesehen, kann auch das heroisch armselige Kleid Grund zur Selbstüberhebung, das feierlich vornehme Kleid Grund zur Demut sein. Die Tatsache, daß Thomas weder in den frühen Schriften noch in der Spätschrift Einzelheiten über die Kleidungspraxis angibt, spricht durchaus dafür, daß Thomas sowohl in der Frühzeit als auch im gereiften Alter die näheren Bestimmungen absichtlich offenläßt, weil sie ihm indifferent scheinen; damit ist die Konstanz der Lehre nachgewiesen, und die Behauptung, der junge Thomas habe anfänglich sich in den Bahnen der radikalen Spiritualen bewegt, auch

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6 f ü r die Kleidung abgetan. Man kann darum die f r ü h e n im Ton etwas lebhafteren Ausführungen von CI nicht ausspielen gegen die späteren der Summa, ganz im Gegenteil: die Wahrscheinlichkeit verdichtet sich zur Gewißheit, daß Thomas sich durch seine allgemein gehaltenen Formulierungen distanzieren wollte von der Heftigkeit der Forderungen auf Spiritualenseite. Somit bedeutet auch dieser Artikel ein stilles, schonungsvolles Abrücken von Lehre und Lebensform der Spiritualen. g) Weitere Beobachtungen verstärken dieses Ergebnis. — Was Thomas bei der Frage „Ob Christus ein strenges Leben führen mußte" (III 40, 2: Bd. 25) sagt, ist sinngemäß hier anzuwenden. „Christus hat durch Seinen Wandel ein Beispiel der Vollkommenheit gegeben in allen Dingen, welche a n und f ü r sich das Heil betreffen". Nun aber gehört Speise und Trank nicht an und f ü r sich zum Heil, sondern die Gleichmütigkeit oder Gelassenheit im Ertragen. Dieser Grundsatz gilt genau so von der Kleidung: ihre Formen gehören nicht an und f ü r sich zum Heil. Daß Christus das Leben der anderen Menschen geführt habe in Kleidung und Nahrung, wird in 40, 3 ausdrücklich bestätigt; der Untersatz des E. 2 behauptet die Anpassung Jesu an die allgemeinen Verhältnisse und die Lösung anerkennt diese Behauptung des Untersatzes. Die Lösung Zu 2 in unserem Artikel ist vielleicht am aufschlußreichsten f ü r den Sinn des Ganzen. So kurz sie auch verbeschieden wird, ihre Triftigkeit wird anerkannt und nur die falsche Schlußfolgerung zurückgewiesen, die man daraus ziehen könnte. Der Sinn des ganzen Artikels erhellt am klarsten von hier aus: die mittlere Linie zwischen allzu großer Dürftigkeit einerseits und bürgerlicher Wohlhabenheit andererseits ist der richtige Weg, die goldene Mitte. Der Einwand des H i e r o n y m u s wird also ernst genommen und in seinem Sinn belassen. Damit ist die Frage des Eingangs geklärt: das A n d e r s e i t s hat nicht apodiktischen, sondern aporetischen Charakter. Das Genie des Aquinaten, welches im Ausgleich der Gegensätze seine Meisterschaft entwickelt, hat auch hier seine Kraft bewährt. Nun zurück zu Hb 11, 37: Die Tatsache, daß Thomas das Hebräerbriefzitat von 187, 6 kurz vorher in 169, 1 Zu 2 auf die Propheten und Bußprediger einschränkt, bzw. vorzugsweise ihnen diese Form der Kleidung zuweist, spricht f ü r die Auffassung, daß zumindest die Laien nicht in diesem Gewand zu gehen brauchen und daß auch nicht a l l e Ordensleute ärmliche Kleidung tragen sollen im Sinne des Hebräerbriefzitats. Denn w e r wollte behaupten, daß alle Ordensleute von Regel wegen und von Standes wegen Propheten oder Bußprediger seien? Die S p i r i t u a l e n allerdings wollten es sein und waren es oft. Wenn es eines zusätzlichen Beweises bedürfte, daß Thomas diese Streitfragen umgehen wollte, so läge er auch darin, daß die bereits erwähnte Stelle Mk 2, 21 vollkommen ignoriert wird. Sie verdiente es auch, ignoriert zu werden. Dem Benediktinerordensschüler Thomas war die rigorose Armutspraxis, f ü r die er so ausdrücklich die discretio des Vaters des abendländischen Mönchtums empfiehlt (Art. 5 Antwort), wenig sym-

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pathisch, und darum tragen die Weisungen dieses Artikels eher 187, 6 den Charakter einer Erlaubnis als den einer Verpflichtung wie bei den Spiritualen. Thomas hätte für seine Theorie der goldenen Mitte auch I s i d o r anführen können, der in seiner Regelerklärung bemerkt: „Wie bei einem Mönche die Kleidung nicht ausgezeichnet sein darf, so auch nicht erbärmlich. Denn ein kostbares Kleid zieht den Geist zur Üppigkeit, ein allzu notdürftiges gebiert entweder Herzeleid oder zieht die Krankheit eitlen Ruhmes herbei" (Regel, Kap. 12; PL 83/881 C). Thomas kennt das Barfußgehen nicht, das bei den Franziskanern hoch in Ehren stand. B o n a v e n t u r a selbst, obwohl kein Spirituale, hatte in einem Brief, der an einen Gegner dieses Brauches gerichtet war, für diesen Brauch des Ordensstifters Partei ergriffen. Die biblischen Fundamente für das Barfußgehen, die sich bei den Synoptikern finden, hätten zu einer Erwiderung zwingen müssen, wäre nicht die ganze Frage auf seiten der Predigermönche von vornherein als gleichgültig angesehen worden. Die Spiritualen konnten im letzten Satz der Lösung Zu 3 eine Verteidigung erblicken. In Bausch und Bogen betrachtet, mochte das stimmen. Es scheint tatsächlich, daß Thomas in diesem Satze, wenn er partitiv verstanden wird, den Spiritualen so weit als möglich entgegenkommt. Doch erhebt sich die Frage: Ist dieser Satz partitiv gemeint, so daß der Sinn wäre: diejenigen unter den Ordensleuten..., welche ein ärmliches Gewand t r a g e n . . . ? Die Einengung des Relativsatzes auf die Spiritualen würde eine ganz besondere Anerkennung der eifrigsten Jünger des hl. F r a n z i s k u s bedeuten. Oder ist der Satz universal gemeint? Nach den bisherigen Ausführungen ist ein Zweifel unmöglich: Die Verteidigung umfaßt alle Ordensleute samt und sonders, nicht nur die Spiritualen, der Relativsatz hat also universalen Charakter. D. h., alle Ordensleute, welche das ihrem Orden entsprechende Gewand der Armut und Buße tragen, sind von Eitelkeit freizusprechen, auch wenn dieses Gewand keine rigorose Armut zur Schau trägt. h) Spätere Theorie und Praxis der Dominikaner. — C a j e t a n läßt die Frage offen, ob man der rigorosen oder einer großzügigen Kleiderpraxis das Wort reden soll. Auch nach ihm entscheidet nur gute oder schlechte Gesinnung über den an und für sich nicht eindeutigen Tatbestand. „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen" (Mt 17, 16): nur von der Wirkung her ist ein Urteil möglich über die Ursachen, d. h. hier über die Absicht. Ist also auf beiden Seiten die Wirkung oder die Folge (Lebenswandel) gut, dann ist auch das Tragen schlechter oder guter Kleider gut. Die Sorge des Ordens geht in den kommenden Jahrhunderten, wie sich aus den Statuten der Generalkapitel ersehen läßt, nicht auf rigorose Senkung des Kleiderstandards, sondern hauptsächlich auf Gleichförmigkeit in Maß und Güte der Stoffe, wobei dann phantasievolle Zutaten verschiedener Zeitepochen bzw. Kleidungsstile (Spangen, Falten, Aufschläge, Rüschen, Sonderformen von Kapuze und Ärmeln, kostspielige und auffällige Rosenkränze u. dgl. m.) ausgeschlossen und Einiach-

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187, 6 heit im Sinne der goldenen Mitte wiederhergestellt wird. Wurde Gleichförmigkeit verlangt, so war eine gesunde Durchschnittslinie von selbst erreicht, denn der Orden konnte es sich nicht leisten, noch so bescheidene Zutaten auf der Basis der Gleichberechtigung für alle zu gestatten. Dies wäre nicht nur gegen die Armut, sondern vor allem auch gegen die ökonomischen Verhältnisse gerichtet gewesen. Er kämpfte aber auch gegen übertriebene Vereinfachung. III. DIE UNTERSCHIEDE DER RELIGIÖSEN ORDEN

(Fr. 188) 188, l

Thomas hat sich zweimal im Laufe seines Lebens zur Frage der Unterscheidung bzw. Übereinstimmung der Orden geäußert. Die Abhandlung des jungen Thomas von 1256 CI beruht zum Teil auf der etymologischen Ausschöpfung des Begriffes religio, welcher im Lateinischen und heute noch im Französischen sowohl Religion als Ordensstand bedeutet. Man stellt zwischen der ersten und letzten Äußerung des Aquinaten zum Thema eine erhebliche Klärung fest. Im ersten Kapitel von CI bespricht er die verschiedenen Formen der Rück-Bindung an Gott (re-ligio = re-ligatio): zunächst Bindung an besondere Werke der Liebe und Verzicht auf die Welt für Ordensleute: „Religio" als Ordensstand. Diese Bindung kann zum Zweck des beschaulichen oder tätigen Lebens eingegangen weiden mit Hilfe der drei Gelübde. So wird die Hingabe zu einem Voll-brandopfer, in dem kein Vorbehalt für irgendein Gut den Hingabewillen einschränkt. Da nun die Vollendung eines jeden Wesens in der Erreichung des Zieles besteht und der Zielgedanke alles Tun beherrscht, wird die Würde eines Ordens z u e r s t bemessen nach dem angestrebten Ziel. Je höher das Ziel, um so höher der Rang des Ordens, der nach diesem Ziel zu gelangen trachtet. — Eine z w e i t e Vergleichsmöglichkeit ergibt sich aus der Form, w i e das Ziel erreicht wird, oder aus den gebrauchten Mitteln, welche zum Ziel hintragen sollen. — Eine d r i t t e Vergleichsmöglichkeit ergibt sich aus den Mitteln, welche vom vergangenen Leben hinwegführen und es zu verlassen behilflich sind, wie Buße, Enthaltsamkeit usw. Diese Gesichtspunkte werden vereinfacht und verschärft wieder aufgenommen in der Summa. Die Unterscheidung von Ziel und Mittel kehrt wieder in dem Ausdruck Verschiedenheit dessen, worauf die Orden hingeordnet sind'; die Mittel kehren wieder in dem Ausdruck Verschiedenheit der Übungen'. Hier wird nun der Verschiedenheit der Ziele schlechthin der Vorzug gegeben, so daß die Mannigfaltigkeit der Übungen zurücktritt hinter der Mannigfaltigkeit der Ziele. 1. W a s u n t e r s c h e i d e t d i e O r d e n i n l e t z t e r I n s t a n z ? (Art. 1.) — Zum Problem selbst erhebt sich eine grundsätzliche Schwierigkeit. Ein jeder aus der Vielzahl von Orden strebt nach demselben Ziel: V o l l k o m m e n h e i t d e r L i e b e . Da alle Orden in diesem Ziel übereinkommen, bestände also in der Hauptsache kein Unterschied und es gäbe nur noch Unterschiede, die sich auf die Mittel zum Ziel erstrecken. Damit fällt aber die Struktur des Artikels, der die

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Unterscheidung der Orden nach Zielen abtrennt von der Unter- 188, i Scheidung der Orden nach den Mitteln zum Ziel. Man könnte auf den Ausweg geraten zu behaupten, daß die verschiedenen Mittel selbst, welche zur Erreichung der Vollkommenheit gebraucht werden, gleichsam als Ziel zweiter Ordnung dienen könnten und somit die Orden unterschieden wären nicht nach dem ersten hauptsächlichen und allen gemeinsamen Ziel, sondern nach den Teilzielen. Die Wahrheit dürfte darin liegen, daß Beschauung und Tätigkeit zwei große Einteilungsgruppen unter dem Gesichtspunkte des Zieles ermöglichen und daß kleinere Einteilungsgruppen unter dem Gesichtspunkt der Mittel jede der beiden großen Gruppen unterteilen. So gäbe es z. B. für das tätige Leben Krankenpflegeorden, Ritterorden, Lehrorden usw. A n s e l m v o n H a v e l b e r g , einstmals Gesandter des Königs von Jerusalem in Konstantinopel (f 1158), schließt seinen ausführlichen Bericht über die Mannigfaltigkeit der Orden in Abend- und Morgenland mit der Bemerkung: „Alles dieses Göttliche, Heilige und Gute wirkt in verschiedenen Zeiten und Orden ein und derselbe Geist, der einem jeden austeilt, wie er will (1 Kor 12, 11). Der Heilige Geist nämlich, der die ganze Gemeinschaft der Kirche von Anfang an, jetzt und für immer leitet, weiß die durch lang abgenutzte Frömmigkeit erschlafften Gläubigen durch frische Aufbrüche zu erneuern . . . Und so geschieht es durch wundersame Fügung Gottes, daß von Geschlecht zu Geschlecht immer neue Orden auftauchen. Auf diese Weise wird die Jugend der Kirche wie die eines Adlers e r n e u e r t . . . " (I Dialogi 10; PL 188/1157). 2. D a s t ä t i g e L e b e n a l s O r d e n s z i e l (Art. 2). — 188, 2 Es ist der thomistischen Doktrin eigentümlich, die Einzelfragen in ihren zugehörigen Ideenkosmos einzuordnen, indem sie an die übergeordnete Leitidee angeschlossen werden. Diese starke Zielausrichtung zeigt sich auch hier. Der Endzweck allein entscheidet. So wird die Frage absteigend vom obersten Sinngrunde her entschieden, das aber ist die Gottesliebe. a) Aktives Leben als Weihegeschenk des Menschen an Gott. — Kann man dem aktiven Leben eine erhabenere Würde zuerkennen als die eines Gott dargebrachten Weihegeschenkes oder Opfers? Das aber tut Thomas hier, indem er zurückverweist auf seine Lehre vom Opfer als Ausdruck der Tugend der Gottesverehrung (81, 3 Zu 1; 85, 3: Bd. 19). Es genüge, hier zu erwähnen, daß das gesamte aktive Leben in seinen sämtlichen Verzweigungen unter den alles beherrschenden Zielgedanken der Gottesverehrung gestellt wird. Selbstverständlich muß der Zielgedanke lebendig sein. Verblaßt er, so sinken die äußeren Werke leicht zu gedankenlosen Praktiken herab, die am Ende einer eigenen, schwächeren oder gar falschen Zielsetzung zum Opfer fallen und so bis ins Gegenteil verkehrt werden können. b) Verhältnis von Beschauung und Tätigkeit (Zu 1). — Wie ist es möglich, daß bei Menschen, die dem aktiven Leben ihre Kräfte widmen, die Beschauung in die Tätigkeit hinein ausströmt? Ein Beispiel möge die Sachlage klären. Wer einmal in gnadenhafter Berührung — intuitu Dei sagt Thomas tief

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bedeutsam hier, also: im Hinblick auf Gott, in einer Intuition — erfahren hat, was es um das verborgene Ebenbild Gottes in der Seele ist, der vermag von nun an auch im Aussätzigen, auch im Bettler, auch im Widerwärtigen noch das Ebenbild Gottes zu schauen. Er sucht es mit der Liebe eines Künstlers, der unter verwitterten Schichten ein herrliches Fresko des Altertums entdeckt. Der Gedanke an das kostbare Blut Jesu, das auch für die gefährdeten Seelen vergossen wurde, hat in konkreter Fassung viele Heilige des aktiven Lebensstils zu Heldentaten beflügelt. Es wird also jeder, auch der niedrigste Dienst am Menschen, als Dienst Gottes erlebt, dessen Abglanz auf Seinen Kreaturen unverwischbar haftet. Das gnadenhafte Erlebnis der Beschauung — eine Ahnung von der Herrlichkeit des dreifaltigen Siegels im menschlichen Geistgrunde — wirkt nach in den Liebesdiensten, deren Wurzel und treibende Kraft es ist. So empfängt die immer neue Tätigkeit immer neue Motive und Antriebe aus Quellgründen höherer Ordnung, eben der Beschauung. Man kann die enge Verbindung von Gottesdienst und Nächetendienst auch ableiten aus der Gottesliebe, welche die Wurzel der Nächstenliebe ist. Geht die übernatürliche Liebe Gottes ohne jedes Transparent in reiner Bloßheit unmittelbar nur auf Gott, so geht die Nächstenliebe durch das Transparent des Nächsten hindurch auf Gott zu, wobei der Nächste gesehen wird als möglicher oder wirklicher Träger der Gnade. In abgeschwächter Form gilt hier, was Thomas von den Engeln sagt bei Erörterung der Frage, ob die Engel durch Ausführung ihrer Dienste im sichtbaren Kosmos an der Beschauung gehindert werden (I 112, 1 Zu 3: Bd. 8). So wenig der Künstler in der handwerklichen Ausübung seiner Kunst gehemmt wird durch das Leuchten einer schöpferischen Idee, die ihm ununterbrochen vorschwebt, so wenig wird der Engel gehemmt in der Ausführung göttlicher Aufträge. Denn Gott ist das Ziel aller Werke der Engelchöre und vom Ziel her bestimmt sich die Auswahl und Betätigung der Mittel. Wie also der Künstler die Leitidee seiner Kunst im Geiste schaut und das Werk ausführt, so schaut der Engel Gott und dient uns. Ein weiteres Beispiel: Der Mond empfängt sein Licht von der Sonne und erleuchtet zugleich die Erde; so ähnlich erfüllen die Engel ihre Pflichten, indem sie allezeit das Antlitz des Vaters im Himmel anschauen, von dort ihr Licht empfangen und zugleich den Menschen sowie der gesamten Schöpfung dienen (2, d. 10: 1, 4). Das „aktive" Leben von Engeln u n d Menschen steht somit unter dem Gesichtspunkt der Gottunmittelbarkeit in der Beschauung auf e i n e r Linie; weder hier noch dort Störung oder Unterbrechung der wurzelhaften Unmittelbarkeit. Näheres dazu in B r e m o n d „Das wesentliche Gebet", das im Ganzen einen umfassenden Kommentar darstellt zu obiger Theorie. Zu 3. Das Spannungsverhältnis zwischen zwei Zuständen: ,in der Welt sein' und doch ,nicht von der Welt sein* hat Thomas öfters erörtert. Das ,nicht von der Welt sein' beschreibt er im Johanneskommentar (cap. 15, lect. 4, 3), indem er Christus sprechen läßt: Ihr seid zwar von der Welt, indem

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ihr aus der Tiefe s t a m m t : „ I h r seid von unten, Ich bin von 188, 2 o b e n " (Jo 8, 23); durch Meine G n a d e a b e r seid ihr erhöht ü b e r diese Welt, weil Ich euch auserwählt h a b e zur Teiln a h m e an Meinem eigenen L e b e n ; insofern seid ihr nicht von dieser Welt, s o n d e r n lebt n u r körperlich in ihr. c) Veranlagung für das tätige Leben (Zu 3). — Daß W e r k e des tätigen Lebens ausdrücklich a n e r k a n n t w e r d e n als Inhalt und Ziel eines Ordens, entspricht der Erkenntnis, daß es Menschen gibt, die n u r f ü r das tätige Leben veranlagt scheinen, wie etwa die ü b e r r a g e n d e Gestalt des Apostels d e r Caritas, V i n z e n z v o n P a u l , zu verstehen gibt, der einen hohen Grad der Heiligkeit e r w a r b . Unser Artikel m u ß hineingestellt w e r d e n in den Gesamthorizont des tätigen und beschaulichen Lebens. G r e g o r d e r G r o ß e hat ausführlich ü b e r die Verschiedenheit d e r V e r a n l a g u n g e n gehandelt und Thomas macht sich diese E r k e n n t n i s zunutze, w e n n er feststellt, daß einige Menschen von Natur aus so s e h r f ü r das beschauliche Leben vorherbestimmt sind, daß sie durch das tätige Leben schweren Schaden leiden w ü r d e n und scheitern müßten, während a n d e r e infolge der U n r u h e ihres Geistes m e h r zum tätigen L e b e n geeignet sind (182, 4 : Bd. 23). 3. W a f f e n d i e n s t als Ordensziel (Art. 3). — 188,:: W e n n das Gelübde der K r e u z f a h r t mit einem Ablaß bedacht w u r d e , so lag die Folgerung nahe, daß nicht n u r die Kreuzfahrt selbst, sondern auch der Kampf ein verdienstliches W e r k sei. Von hier aus ist der Übergang zur K r e u z f a h r t auf Lebenszeit in der Form eines Ritterordens verständlich. Etwa gleichzeitig entstanden Ritterorden an drei B r e n n p u n k t e n der k ä m p f e n d e n Christenheit: im Heiligen Land, in P r e u ß e n und Spanien. Der hl. B e r n h a r d schreibt ein Buch „Über das Lob der neuen Heerschar", in welchem er eine weltliche T r u p p e mit ihren vergänglichen Sorgen der K a m p f g r u p p e Christi gegenüberstellt und ein hoch idealisiertes Bild des Streiters Christi in Ruhestellung und Kampf entwirft. Das war der A n f a n g des Templerordens. So wird St. B e r n h a r d der erste theoretische B e g r ü n d e r des geistlichen Ritter-Ideals. Der 1109 g e g r ü n d e t e Orden erhielt auf Bitten des G r ü n d e r s und ersten Ordensmeisters eine Regel, welche der Abt von Clairvaux in großen Zügen nach dem Vorbild der Zisterzienserregel verfaßte (nach 1132). Die weltliche Ritterschaft wird getadelt; die geistliche, welche in allem ein Gegenbild darstellen soll, gerühmt. Die Rechtfertigung des Krieges gegen die Ungläubigen, welche d e r große Kreuzzugsprediger in dieser Schrift gibt, läßt heute ein christliches Ohr erschrecken. Wie gemäßigt hierin Thomas vorgeht, zeigt ein Vergleich mit u n s e r e m S u m m a Artikel. Bietet eine kriegerische Gemeinschaft — d e r Beruf des W a f f e n h a n d w e r k s — Wahrscheinlichkeiten, die Vollkommenheit des Zieles, übernatürliche Gottes- und Menschenliebe, zu erreichen? Die vielen G e f a h r e n zur Sünde, im K r i e g e Grausamkeit, Diebstahl, P l ü n d e r u n g und Ungerechtigkeit aller Art, im Frieden Müßiggang, schlechter Zeitvertreib durch Spiel und T r u n k , s p r e c h e n nicht d a f ü r . Diese praktischen Bedenken kom-

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188, 3

men in den E i n w ä n d e n , wo s i e doch ruhig hätten Platz finden k ö n n e n , nicht zur S p r a c h e . Noch m e h r v e r m i ß t man den E i n w a n d der G e f a h r des Mordens etwa bei P l ü n d e r u n g e n , wodurch kirchliche I r r e g u l a r i t ä t entsteht, die mit dem Ordensstand nicht v e r e i n b a r scheint, was für L a i e n mindestens bedingt, für K l e r i k e r jedoch unbedingt zutrifft. An S t e l l e solcher Erwägungen sind in den E i n w ä n d e n triftige Gründe h ö h e r e r Ordnung eingesetzt. S o ist denn die F r a g e berechtigt, ob es überhaupt möglich sei, e i n e n K r i e g e r o r d e n als Orden im S i n n der übernatürlichen Ziele zu verstehen und zu rechtfertigen. Zunächst ist zu b e m e r k e n , daß die F r a g e s t e l l u n g rigoros aufzufassen ist: B e r e c h t i g u n g e i n e r k r i e g e r i s c h e n Gemeinschaft unter s t r e n g e r Voraussetzung der drei Mönchsgelübde. Das bedeutet also im R a h m e n des S t ä n d e t r a k t a t e s der S u m m a das Gelübde der A r m u t : äußerste Selbstlosigkeit im Ausschluß der B e u t e g i e r und a l l e r i h r e r Begleiterscheinungen, also auch V e r zicht auf R u h m und E h r e ; das Gelübde der E h e l o s i g k e i t : k e i n e S o r g e um V e r m e h r u n g des F a m i l i e n b e s i t z e s , f e r n e r Ausschluß von geschlechtlichen V e r g e h e n a l l e r Art in F e i n d e s l a n d ; das Gelübde des G e h o r s a m s : Manneszucht unter der F ü h r u n g von Offizieren, b e i welchen die E i n h a l t u n g der G e l ü b d e mit erhöhtem Recht anzunehmen ist. I n bezug auf letztere handelt es sich um eine c h a r a k t e r l i c h e Auslese, welche vor und nach der G e l ü b d e a b l e g u n g durch eine geistige Schulung hindurchgegangen ist. D i e s e Führungsschicht b e s t i m m t e die Atmosphäre der k r i e g e r i s c h e n Gemeinschaft und formte die Mannschaften. Da die Ritterorden zur Abfassungszeit der S u m m a längst bestanden und sich ruhmreich bewährt hatten — von e i n e m V e r fall sind S p u r e n erst viel s p ä t e r zu b e m e r k e n — , k a n n dieser A r t i k e l als nachträgliche R e c h t f e r t i g u n g der R i t t e r o r d e n zu i h r e r Blütezeit und als B e w e i s für die hohe E t h i k i h r e r Blütezeit aufgefaßt werden. S o begreift m a n auch die Auswahl der E i n w ä n d e , welche von praktischen Gesichtspunkten völlig abs e h e n und n u r das Recht betrachten. E i n w ä n d e , wie s i e eingangs skizziert wurden, w ä r e n für eine Soldateska zutreffend gewesen, für die Ritterorden in der Blütezeit w a r e n sie e i n e B e leidigung. Das A n d e r s e i t s hat apodiktischen C h a r a k t e r , d. h. es gibt die endgültige Ansicht des Autors w i e d e r und nimmt sie, gestützt auf ein anscheinend durchschlagendes Väterzeugnis, vorweg. Die n e g a t i v e Ausdrucksweise jedoch rät zur Vorsicht in der Auslegung dieser Mahnung des Bischofs von H i p p o, der doch die S t a a t e n ,große R ä u b e r b a n d e n ' genannt hat. Die soziologische S t r u k t u r des Mittelalters w a r gegen private Gewalttätigkeiten k l e i n e r e n und g r ö ß e r e n U m f a n g s nicht geschützt. Es konnte vorkommen, daß sich auf der e i n e n S e i t e n u r Unrecht, auf der a n d e r e n S e i t e n u r Recht in k l a r e r Schwarzw e i ß m a n i e r g e g e n ü b e r s t a n d e n : so etwa der Raubzug e i n e s verw e g e n e n S ö l d n e r f ü h r e r s gegen ein friedliches, a b e r reiches Kloster oder gegen ein schutzloses Dorf. A u f Seiten des Ang r e i f e r s fehlten sämtliche Bedingungen zur F ü h r u n g e i n e r gerechten U n t e r n e h m u n g ; um von e i n e m g e r e c h t e n K r i e g e ganz zu schweigen, da es sich n u r um e i n e n privaten, w e n n auch u m f a n g r e i c h e n Raubzug handelte. E s f e h l t e ü b e r d i e s die recht-

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mäßige Obrigkeit: der Kaiser war weit weg; es fehlte die 188, s gerechte Kriegsursache: weder war ein Angriff oder Überfall von seiten des Angegriffenen vorausgegangen, noch war für die Zukunft eine Bedrohung irgendwelcher Art zu fürchten; es fehlte das gerechte Kriegsziel: der Söldnerführer wollte lediglich sich und seine Spießgesellen an der Beute bereichern. Kriegsursache ist hier brutale Habgier, Kriegsziel die Beute. Daß solche Fälle häufig vorkamen (Normannen-Überfälle, Slawenzüge), wird niemand bestreiten, und für solche Fälle hauptsächlich ist die Erlaubnis gedacht, die gegeben wird. Sie strebt eine Durchsetzung des Sozialgefüges mit geistigen Bollwerken und Schutzmauern an. Unter diesen Voraussetzungen war Kampf ein reiner Verteidigungskrieg auf naturrechtlicher Basis. Das wird bestätigt durch Art. 4 Zu 5: Es sei notwendig gewesen, Ritterorden zu gründen wegen des Versagens der weltlichen Fürsten gegenüber den Ungläubigen in verschiedenen Ländern. Zu diesen Ungläubigen muß man sinngemäß alle Rechtsbrecher und Friedensstörer im christlichen Abendlande rechnen. Die gläubige Zuversicht und der hochgemute Wille, über das Böse unter allen Umständen Herr zu werden, tritt in den verschiedenen Eidesformeln zutage, welche bei der Knappenweihe und beim Ritterschlag der geistlichen Orden gesprochen wurden. Die theoretische Begründung der geistlichen Ritterorden, welche Thomas in diesem Artikel gibt, rechnet mit der selbstverständlichen Möglichkeit des gerechten Krieges, der den Bedingungen entsprechen muß, die Thomas selbst — f ü r die damalige Zeit einigermaßen ausreichend — geklärt hat (Fr. 40: Bd. 17; vgl. dazu entscheidende Bemerkungen bei B r u n o d e S o l a g e s : La Theologie de la guerre juste im Abschnitt über Thomas v. A.). Nachdem im Anschluß an A u g u s t i n u s festgestellt wurde, daß der gerechte Krieg drei Bedingungen genügen muß — rechtmäßige Obrigkeit zu Kriegsbeschluß, Kriegserklärung und Kriegsführung; gerechte Ursache und gerechtes Ziel —, werden die „Kriegsziele" der geistlichen Orden gebührlich eingeschränkt. Weltliche Zwecke und Güter können nie Ursache f ü r einen Kampf werden, ebensowenig wie Geld; so ist auch das Söldnerwesen ausgeschlossen. Angriffskriege werden unmißverständlich abgelehnt, da nur Verteidigung von Kirche und Gesellschaft, von Armen und Unterdrückten als gerechte Ursache anerkannt sind. Eine vierte Bedingung, die in modernen Kriegen unumgänglich geworden ist: gerechte Weise der Kriegsführung, ist zwar nicht ausgesprochen, aber im Rahmen der ritterlichen Standesethik als selbstverständlich vorausgesetzt. Um die Einhaltung der Bedingungen eines gerechten Krieges zu sichern, verlangt S u a r e z als moralisch notwendig, daß die Angehörigen solcher Orden ein regelrechtes Noviziat durchmachen, weil würdiges Kämpfen in rechter Absicht Sache der erlangten, nicht aber zu erlangenden Vollkommenheit sei. Bevor Vollkommenheit im Kriegshandwerk bewährt und ausgeübt werden kann, muß sie erreicht sein. In der Zeit, da S u a r e z (f 1617) schrieb, liegen offenbar bereits betrübliche Erfahrungen vor, welche zu ins Einzelne gehenden Forderungen drängen; regelmäßige Exerzitien und straffe geistliche Be-

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588, 3 t r e u u n g durch Priester sollen die D u r c h f ü h r u n g des geistlichen Lebens bei den Angehörigen der Ritterorden sicherstellen (1 de Religiös. Tr. 9 ; 1, 1; c. 3, n. 7). Im Mittelalter ging die L e h r e von der U n t e r o r d n u n g d e r Ziele und Tätigkeiten so weit, daß Kriegsführun;,' (auch kleinere U n t e r n e h m u n g e n , Feldzüge, Belagerungen und vor allem Verteidigung von Festungen), welche um des Glaubens willen erfolgten und zur Verteidigung der Kirche dienten, als verlängerter Glaubensakt, w e n n sie um der Religion willen geschahen, als verlängerter Akt d e r Tugend der Gottesverehrung gewertet w u r d e n . Erfolgte eine solche U n t e r n e h m u n g um der Barmherzigkeit willen zugunsten von Witwen und Waisen, w a r also Barmherzigkeit die Leitidee, so w a r das Ganze ein Aktgefüge der leitenden Tugend der Barmherzigkeit. Die wurzelhafte Entscheidung bestimmt wesenhaft die ganze Folge der aus ihr entspringenden Handlungen. Ohne diesen Sachverhalt der Tugendlehre ist die theoretische B e g r ü n d u n g der Ritterorden unvollständig. Man beachte wohl die Schlußfolgerung der Antwort. W ä h r e n d diese mit dem Satz: „Es k a n n sinnvollerweise ein Orden gegründet w e r d e n f ü r den W a f f e n d i e n s t " zu Ende geführt wird, lautet die Schlußfolgerung der Antwort zum nächsten Artikel: „Es i s t h ö c h s t sinnvoll, zu Zwecken der Predigt und des Seelenheiles einen Orden zu g r ü n d e n " . Weiterhin fällt auf, d a ß Thomas, offenbar mit Vorbedacht, von den drei lateinischen Wörtern pugna (Gefecht), bellum (Krieg), militia (Heeresdienst oder Waffendienst) das letztere auswählt, um eine weitere Distanzierung von der Zielgebung des Krieges a n z u d e u t e n ; damit wird das Ordensziel n u r f ü r den äußersten Notfall auf den Krieg zugespitzt. Da Thomas in der F r a g e 40 die Teilnahme am Krieg f ü r Bischöfe und Kleriker als unerlaubt erklärt, folgt, daß Kriegsorden nur Laienorden sein können. Geistliche d ü r f e n als F e l d k a p l ä n e mitziehen, aber nicht selbst aktiv in den Kampf eingreifen und Blut vergießen. Eine letzte Einschränkung e r f a h r e n w i r in Art. 6 Zu 2. U n t e r B e r u f u n g auf Hb 12, 4 wird im Einwand behauptet, daß Widerstand bis aufs Blut den Ritterorden zukomme und daß diese Form des Martyriums — Tod durch Feindeshand f ü r den Glauben — ihre Vollkommenheit zur höchsten Vollendung erhebe. Die Lösung sagt mit e i n e r feinen I r o n i e : Die Ritterorden sind eher dazu bestimmt, das Blut der F e i n d e zu vergießen als das eigene Blut, n u r letzteres aber macht den Christen zum Märtyrer. Darum kann bei einem Opfertod vor dem F e i n d e zwar das V e r d i e n s t des Martyriums gegeben sein und insofern ein Vorzug vor a n d e r e n Orden; nicht aber die Krone des Martyriums selbst. Die Unterscheidung von Verdienst und Krone des Martyriums gründet sich auf folgenden Sachverhalt: Es kann verdienstlicher sein, Hungrigen eine S u p p e zu kochen, als in den W o n n e n der Beschauung zu schwelgen, obwohl d e r Stand der Beschauung an und f ü r sich höher liegt als der Stand des tätigen Lebens. Diese A u s n a h m e hat Thomas selbst vorgesehen in 182, 2 im Hinblick auf die Gottes- u n d Nächstenliebe als höchstes Ziel des irdischen Da-

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seins. Ähnlich kann ein Opfertod für die Freiheit der Kirche 188, 3 und verwandte hohe Aufgaben, wenn er passiv erduldet wird in einem Ritterorden, verdienstlicher sein als frommes Leben in einem Kloster zu einer Zeit, da die Kirche auf Leben und Tod um ihren Bestand kämpft. Die soziologische Umstrukturierung der letzten Jahrhunderte hat die internationale Gesellschaft so gewandelt, daß einfache Recht-Unrecht-Verhältuisse in Schwarz-weiß-Manier kaum mehr gegeben sind. Darum ist es völlig unvorstellbar, daß heute ein Orden gegründet würde für den Waffendienst, der zu einem großen Teil fast nur noch aus Technikern bestehen würde, welche alle Dämonien der Zerstörung entfesseln würden über Schuldige und Unschuldige zugleich: eine sakrilegische Idee. Im Zeitalter der Kriegsdienstverweigerung aus religiösen Gründen hat ein geistlicher Ritterorden keinen Sinn mehr. Zu 1. Das Wort J e s u : „Wollet dem Unrecht nicht widerstehen" (Mt 5, 39) wird im Matthäuskommentar (nach M a n s e r 1256—59 oder 1264—65) ausführlich erörtert. Moses hat Wiedervergeltung („Aug' um Aug', Zahn um Zahn") erlaubt, um größeres Übel, Vervielfältigung und Verzehnfachung des erlittenen Unrechts zu verhindern. C h r i s t u s aber mahnt, dem Bösen nicht zu widerstehen, nämlich dem zeitlichen Übel (Übel der S t r a f e ) ; dem Übel der Schuld hingegen (Sünde) muß widerstanden werden bis aufs Blut. Ist diese Ermahnung Gebot oder Rat? Öffentliches Übel muß nach Rom 3, 4 (und nach Augustinus) auf Befehl des Fürsten zurückgeschlagen werden (repelli), ist also Gebot für Herren und Untertanen. Privates Unrecht hingegen kann erwidert werden 1. durch Verhinderung (Paulus, Apg 23, 17), 2. durch.Widerlegung (Christus, J o 18, 23), 3. durch Notwehr ohne Waffen (Laien und Kleriker) oder mit Waffen (letzteres nur für Laien), 4. mit Rachsucht. Verhinderung und Widerlegung ist jedermann erlaubt, j a durch Rat empfohlen. Passiver Widerstand, Notwehr ohne Waffen ist jedermann erlaubt; aktiver Widerstand in Notwehr vielleicht den Laien, nicht aber den K l e r i k e r n ; es liegt also ein Gebot für K l e r i k e r vor und ein Rat für Laien. Harter Gegenschlag — Rachsucht — ist allen verboten. Der folgende Rat J e s u : „Wenn dich einer auf die rechte Wange s c h l ä g t . . ( M t 5, 39), bezog sich auf die Apostel für die Gründerzeit der Kirche, damit die Menschen an der Geduld und Leidensfähigkeit der Apostel die göttliche Übermacht erkennen und zum Glauben kommen konnten. Soweit die Matthäus-Erklärung. — Die Summa-Thesen stellen einerseits eine Abkürzung und Vereinfachung dar, anderseits eine problematische Zuspitzung und Verschärfung; denn hier behauptet Thomas, das tatenlose Mitansehen des Unrechts, das anderen zugefügt wird, sei Unvollkommenheit oder Fehler, was nach den Darlegungen des Matthäuskommentars nicht ohne weiteres zutrifft. Zu 4. Kriegführen auf eigene Faust ist auch den geistlichen Ritterorden untersagt. Das Verbot, Büßer in weltliche Feldtruppen eintreten zu lassen, hat die wohltuende Wirkung, daß verwegene Temperamente, hemmungslose Draufgänger, welche charakterlich gefährdet sind, nicht weiteren Belastungsproben

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188, 3 ausgesetzt werden. Der Eintritt in einen geistlichen Orden hingegen schützt sie durch die charakterlich starke Umgebung vor weiteren Verstößen und Übergriffen. 188, 4

4. S e e l s o r g e a l s O r d e n s z i e l (Art. 4). — Der Artikel nimmt Probleme von 187, 1 wieder auf, wozu das Wesentliche an Ort und Stelle bereits gesagt ist. Nachdem bewiesen wurde, daß Orden f ü r die Zwecke des tätigen Lebens gegründet werden sollen (188, 2), folgt mit erhöhter Sicherheit hier, daß Orden für Zwecke höherer Ordnung (Aufbau des Reiches Gottes in den Seelen) gegründet werden können. Den besten Kommentar hat Thomas selbst verfaßt in den umfangreichen Ausführungen von CI 4. Es kann hier darauf verzichtet werden, das patristische und kanonistische Material wiederzugeben. Als neu kommen folgende Überlegungen hinzu. Wenn es erlaubt ist, einen Ritterorden zu gründen zum irdischen Waffendienst des Volkes Gottes auf Erden, dann ist es erst recht erlaubt, einen geistlichen Ritterorden zu gründen für den geistlichen Waffendienst, welchen die Prediger versehen im Aufbau des Reiches Gottes. Thomas erwähnt ausdrücklich, daß die Bestimmung des 4. L a t e r a n konzils bezüglich theologischer Lehrer an den Domschulen noch nicht ausgeführt wurde, weil die Kräfte fehlten, während sie jetzt nach Aufkommen der Bettelorden im Überfluß vorhanden seien. Er beweist mit vielen Gründen aus Schrift und Kirchenrecht, daß die Bischöfe Gehilfen haben können, welche nicht der regulären Pfarrseelsorge anzugehören brauchen; daß Predigt und Sakramentenspendung delegiert werden dürfen und nicht ausschließliches Recht der territorialen ordentlichen Seelsorge sind; sodann, daß es zweckmäßig sei, diese Delegation vorzunehmen (Mt 9, 38; Wsh 6, 28; 2 Tim 2, 4; Apg 6, 2; 1 Esdras 8; ferner mit Bibelzitaten belegte Ausführungen G r e g o r s d e s G r o ß e n ) . In der Folge wird ausführlich dargetan, daß die Ordensleute — Thomas meint naturgemäß die Mendikanten — geeignet sind, diese Form der Seelsorge zu leisten. Das Konzil von T r i e n t hat die Bischöfe strengstens verpflichtet, Gehilfen auszusenden für Predigt, wenn sie selbst das Predigtamt nicht voll verwalten können, und verstärkt damit die Dringlichkeit der Ausführungen des hl. Thomas (Sessio 5 und 24). Zu 5. Besonders wichtig ist die Erwähnung der Transversalgruppen und die Begründung ihres Rechtes in der Lösung Zu 5. Der Einwand hatte dahin gelautet, daß außer Bischöfen und Pfarrern (in der alten, nur territorialen Gliederung der Seelsorge) kein Orden das Recht zu Predigt und Seelsorge haben solle. Die Lösung betont die Zweckmäßigkeit der Ausbildung von spezialisierten Fachkräften für die Kirchengemeinden (plebes) wegen Priestermangels und niedrigen Bildungsstandes des Klerus, wobei man vor allem an die Betreuung der Landseelsorge durch ungenügend unterrichtete Priester zu denken hat. Transversale Gruppen brauchen dem Grundsatz der ordentlichen Seelsorge, daß eine einzige höchste verantwortliche Instanz, der Bischof, die Angelegenheiten seines Sprengeis leiten

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solle, durchaus nicht zu widersprechen. Der Bischof braucht 188, 4 lediglich die Tätigkeit der Transversalgruppen zu prüfen, wenn tunlich, gutzuheißen, zu genehmigen und beständig zu überwachen. 5. P f l e g e d e r W i s s e n s c h a f t a l s O r d e n s z i e l 188, (Art. 5). — Thomas steht im Fluß einer mächtigen Entwicklung, die von D o m i n i k u s entscheidende Anstöße erhielt und zur hochschulmäßigen Gestaltung des Studiums an mittelalterlichen Universitäten wesentlich beitrug. So ist Thomas zugleich Miturheber und Gesetzgeber wie auch theologischer Begründer einer neuen Studienauffassung. Die Wurzel des unaufhaltsamen Aufschwungs im Studienwesen des Hochmittelalters liegt in der Freikämpfung von Forschung und Wissenschaft als Eigenzielen sowohl für klösterliche Hochschulen als auch für freie Universitäten, welche oft aus einem Studium generale hervorgingen oder in Verbindung mit ihm groß wurden. Das L a t e r a n konzil von 1179 hatte bestimmt, daß in jeder Kathedralkirche ein theologischer Lehrer unentgeltlich höheren Unterricht erteilen solle für Studenten und Priester. Weil diese Anweisung fast nirgends ausgeführt wurde, erließ das folgende L a t e r a n konzil von 1215 erweiterte und verschärfte Bestimmungen. Thomas erklärt in CI 11, wegen Mangels an vorgebildeten Theologen habe die Bestimmung des Konzils von 1215 nicht eingehalten werden können; dagegen hätten die Ordensleute diese Bestimmung viel umfangreicher, als vorgesehen, verwirklicht, nicht nur am Sitz von Erzbischöfen, sondern auch in Bischofsstädten. Unter diesen Umständen müßte man sich wundern, daß ein neuer Lehrorden noch großer Rechtfertigung bedurfte, würde nicht Ärger die Mendikantengegner verblendet haben. A. Stellung des Studiums im Predigerorden. — „In der Ordensgeschichte ist der Predigerorden der erste, welcher mittels Gesetzen die Studien geregelt und gefördert h a t . . . " : dem Ordensgeneral H u m b e r t zufolge hat D o m i n i k u s eine Regel gewählt, welche so großzügig war, daß sie neue Satzungen über das Studium ermöglichte ( D e n i f l e 23). D o m i n i k u s hat den ersten eigentlichen Studienkonvent gegründet und die anderen Orden, auch die älteren, übernahmen Teile aus den Ordenssatzungen der Dominikaner ( D e n i f l e 24/25). Ziel des Ordens ist die Seelsorge. Nach den Konstitutionen von 1228 muß das Studium in den Dienst des Seeleneifers treten, das Studium hat also nur den Rang eines, wenn auch höchst wichtigen Mittels, das dem Hauptzweck untergeordnet ist. Es heißt im Prolog der Konstitutionen von 1228: „Unser Studium muß hauptsächlich und eifrig dahin zielen, daß wir in der Lage sind, den Seelen der Mitmenschen nützlich zu sein". Der Ordensgeneral H u m b e r t erläutert dieselben Satzungen mit den Worten: „Das Studium ist nicht das Ziel des Ordens, aber höchst notwendig für die genannten Ziele: Predigt und Seelsorge, weil wir ohne Studium zu keinem von beiden fähig sind." Eine genauere Rangordnung gibt er mit dem Satz:

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188, 5 „Das Studium ist hingeordnet auf die Predigt, diese auf das Heil der Seelen, welches höchstes Ziel ist". B. Das Studium in den früheren Ordensregeln. — Nimmt man einen kurzen Rückblick, so zeigt sich, daß die Kette der Zeugnisse aus Väterzeit und Mittelalter für die Wichtigkeit der Lesung, des Studiums, der Betrachtung fast ununterbrochen ist. Auch die früheren Ordensregeln enthalten manche Bestimmung, die dem geistlichen Leben seinen Rückhalt sichern soll. Und doch ist ein gewaltiger Unterschied zwischen alten und neuen Orden unverkennbar. So betont der Geschichtsschreiber des Franziskanerordens: „Kein einziger der alten Orden hat durch seine Regeln oder anderweitige Konstitutionen das Studienwesen geordnet" ( F e l d e r S. 74). Der Hauptunterschied zu den früheren Regelungen der geistlichen Beschäftigung in anderen Orden besteht darin, daß 1. jene das Studium unter den Namen Lesung, Betrachtung, Beschauung usw. als Teil neben anderen Teilen, oft minder berechtigt, eingebaut hatten, und selbst wenn Studium bei einigen Gelehrten den Hauptinhalt ihres klösterlichen Lebens ausmachte, handelte es sich um vielleicht gern geduldete Ausnahmen von der Regel; 2. sie keinen systematischen Studienplan aufstellten, sondern einfach Bestimmungen der Domschulen und Stiftsschulen über Trivium und Quadrivium gelten ließen. In der neuen Regelung aber nimmt das Studium die alles beherrschende Stellung ein, so daß von diesem zentralen höchsten Gesichtspunkt aus einschneidende und für Vertreter der althergebrachten Anschauung fast unfromm erscheinende Dispensen gegeben und alle anderen Aufgaben reguliert werden können. Auch die bis dahin sakrosankte Regel des hl. B e n e d i k t : „Dem Werke Gottes darf nichts vorgezogen werden", welche besagt, daß Gottesdienst und Chorgebet die höchsten Rangstufen einnehmen, wurde von den Dominikanern durchbrochen. C. Funktion des Studiums im geistlichen Leben (Antwort). — Die vom Ordensstifter aufgestellte und von seinen Nachfolgern immer wieder straff betonte Hierarchie der Ziele ist gleich zu Beginn hergestellt durch Aufzeigung der zwei großen Bereiche: beschauliches und tätiges Leben. Der Aufbau des Artikels schreitet gleichsam von einer Mitte aus, um sich durch Erweiterung in konzentrischen Kreisen auszudehnen. Zunächst der engste Kreis: Das beschauliche Leben der Ordensleute wird mannigfach befruchtet durch Studium. Der nächste Kreis betrifft den Anteil derjenigen, welche sich durch Studium für die Aufgabe des tätigen Lebens — Predigt und Seelsorge — rüsten. Am umfangreichsten ist der Kreis sämtlicher Orden überhaupt bis zu den Laienorden einschließlich, welche ebenfalls durch Studium gefördert werden. Vita contemplativa ist zunächst ein neutraler, wissenschaftstheoretischer Begriff, der von der Metaphysik des A r i s t o t e l e s her und den Kommentaren, welche Thomas dazu schrieb, als bekannt vorausgesetzt werden kann. 1 Daß Thomas ihn auf die theologische Kontemplation im engsten Sinne einschränkt, geht aus der Formulierung hervor: „Diejenige Form des beschaui In Fr. 180 (Bd. 23) eingehend behandelt.

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liehen Lebens, v o n d e r w i r j e t z t s p r e c h e n , ist in igg, 5 d e r Hauptsache auf Betrachtung der göttlichen Dinge ausgerichtet", d. h., n a c h d e m m a n den W e g von den Geschöpfen h e r zu ihrem unsichtbaren Schöpfer hin zu beschreiten begonnen hat, gelangt m a n zur „ e r h a b e n e n Betrachtung der göttlichen W a h r h e i t " (Fr. 180, 4 : Bd. 23). Von hier aus gewinnt man erst das Verständnis des zunächst undeutlichen Begriffes ,Studium literarum', der in der Antwort f ü n f m a l w i e d e r k e h r t und eine fest umrissene Größe zu bezeichnen scheint. W a s bedeutet e r ? Das Trivium und Q u a d r i v i u m ? U m f a ß t er also n u r den U m f a n g heutiger Gymnasialbildung? Oder eine Vorstufe zur Theologie? Oder diese selbst? Die K l ä r u n g erfolgt in der Lösung Zu 2. D. Die Bedeutung des Studiums für den Aufbau des Gottesreiches. — Die weitblickende B e g r ü n d u n g des j u n g e n Thomas von CI 11 ist zur Vollständigkeit der B e w e i s f ü h r u n g unentbehrlich. Es heißt Is 5, 13: „Deswegen wird Mein Volk in die Gefangenschaft weggeführt, weil es keine Erkenntnisse hatte" (die alte Lesart der Vulgata bedeutet auch ,Wissenschaft', was in letzter u n d höchster Sicht auf dasselbe h i n a u s k o m m t ; gemeint ist jedenfalls klares Wissen um die G r u n d w a h r h e i t e n des Daseins). Dazu kommt Osee 4, 6: „Verstummt ist Mein Volk, weil es k e i n e E r k e n n t n i s h a t t e : Weil du die E r k e n n t n i s verschmäht hast, will auch Ich dich verschmähen". Die S t u f e n o r d n u n g d e r Stände verlangt nach der z u g r u n d e liegenden Idee des hl. Thomas, daß den geistigen und geistlichen B e r u f e n ihr voller Anteil im f o r t w ä h r e n d e n Selbstaufbau d e r menschlichen Gesellschaft e i n g e r ä u m t w e r d e . Sind die geistigen B e r u f e vom Kontakt mit d e r sozialen Entwicklung abgeschnürt, so verengt die Gesellschaft ihre Lebensgrundlage, e r k r a n k t an u n h e i l b a r e m Siechtum, weil zerstörende K r ä f t e — das U n k r a u t unter dem Weizen — die Oberhand gewinnen. Ein w a r n e n d e s Beispiel bietet die russische Kirche, welche der Theologie k e i n e n Raum verstattete zur u n u n t e r b r o c h e n e n Weiterentfaltung, sich auf d e n dogmatischen Stand des 9. J a h r h u n d e r t s festbannte und damit in freiwilliger Sterilität v e r b l i e b (vgl. Bd. 15, S. 460 f.). So entglitt ihr infolge i n n e r e r L ä h m u n g langsam die Führungsmacht, und n u n g e w a n n eine a n d e r e Intelligenz, die revolutionäre, langsam die Oberhand, bis sie imstande war, durch List und Gewalt sich endgültig durchzusetzen. Dieser I d e e entspricht die anderweitige Feststellung des Aquinaten, daß die Priesterweihe eingesetzt sei „gegen die Zersetzung der Gesellschaft" (III 65, 1: Bd. 29, S. 133). In dem Maße, wie die Orden die soziale Funktion des Weltpriestertums w e i t e r f ü h r e n ünd vertiefen, welches doch ,Salz der Erde' und ,Licht auf dem Leuchter' sein soll, ja noch m e h r : die ,Stadt auf dem Berge' zur Unterrichtung d e r Völker, stemmen sie sich als Schutzgeflecht und Stützgewebe dem u n a u f haltsamen Zerfall der Menge entgegen. Wo die Orden diese Funktion nicht m e h r erfüllen, scheiden sie f ü r die i n n e r e Durchfestigung des Sozialgefüges aus und v e r l i e r e n damit nicht n u r ihre Daseinsberechtigung vor Gott, s o n d e r n auch vor Kirche und Gesellschaft. E. Gefahren des Studiums (Zu 2). — Nimmt Forschung und 29

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188, 5 Wissen im Sinne eines nur ,erworbenen' Gehabens — scientia acquisita — überhand, die Beschauung dagegen im Sinne eines eingegossenen Gehabens — scientia infusa — ab, so bedeutet das im günstigsten Fall den Sieg der aktiven Tugenden über die passiven und damit trotz relativer Tugendübung — wenn sie überhaupt vorhanden ist — das unausbleibliche Versiegen des schöpferischen Quells (darüber Näheres im Kommentar zu 188, 6). In dem Maße, als das Studium in den Mittelpunkt der Lebensgestaltung gerückt wird, erhöhen sich dessen Gefahren. Drei Klippen bedrohen das geistliche Leben des Intellektuellen im Studienorden: a) Thomas stellt eigene Warnungstafeln auf gegen ü b e r t r i e b e n e W i ß b e g i e r in Fr. 167: Bd. 22. Aus dem ungeheuren Ozean des Wissensmöglichen hat der zuchtvolle Forscher und Seelsorger das für ihn Sinnvolle und Zweckmäßige herauszuholen und in echter Aszese die an und für sich gute Wißbegier zu zügeln, damit er nicht dem Fluch unterliege: „Qui trop embrasse, mal etreint". So wird im Dominikanerorden das Studium, welches unter gewissen Gesichtspunkten Freude zu bringen bestimmt ist, zur Buße — prima poenitentia — auch unter dem Gesichtspunkt der Aszese des Spezialisten. b) Die Versuchung, das S t u d i u m und seine Nachbarfunktionen d e m Gebet als innere Haltung vorzuz i e h e n , führt dazu, daß das Wichtigere verkümmert. Viele Heilige machen sich Vorwürfe, das Gebet vernachlässigt zu haben zugunsten des Studiums. In diesem Zusammenhang findet man eine Selbstbezichtigung aus A u g u s t i n u s bei Thomas 167, 2 Antwort. H i e r o n y m u s läßt Gebet auf Studium folgen und Studium auf Gebet. Auch diese Aszese will gemeistert sein, wie im Brief des Kirchenvaters an L a e t a gezeigt wird (Cap. 9; PL 22/875 B). Väterzeugnisse in diesem Sinne lassen sich häufen, und alle geistlichen Autoren der späteren Zeit sind in dieser Frage einer Meinung. c) Als Ausgangspunkt und Endergebnis alles Studiums ist mit allen anderen Tugenden vornehmlich die Demut anzustreben, welche das Fundament des geistlichen Gebäudes bildet. Der ganze Tugendorganismus, wie ihn die Moral in ihren zwei Büchern darstellt (I—II und II—II), soll durch das Studium aktiviert werden. Würde der Organismus der Tugenden nicht in seiner ganzen Schönheit entfaltet, dann hat das Studium sein Ziel verfehlt, wie Thomas ausdrücklich betont. F. Primat der Theologie (Zu 3)..— „Es ist nicht Sache der Ordensleute, deren g a n z e s Leben für die göttlichen Dienste in Beschlag genommen ist, sich anderen Fächern zu widmen, es sei denn in Hinordnung auf die Theologie." Man erinnere sich des in 186, 6 Gesagten über die Gottesweihe. Aus der scharfen Formulierung geht hervor, daß jedes weltliche Studium von Ordensleuten in dem Augenblick seinen Sinn verliert, wo die enge Verklammerung mit der Theologie gelöst wird, und das geschieht oft fast unmerklich. Die Zielsetzung weltlicher Studien innerhalb der Orden ist — wenn schon überhaupt weltliche Studien betrieben werden sollen — mit einer

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Genauigkeit herausgestellt, die nicht überboten werden kann. 188, 5 Hierbei wird als selbstverständlich vorausgesetzt, daß z. B. die Philosophie in organischem Zusammenhang mit der Theologie steht und in Dienstbarkeit zu ihr hin zu ordnen ist. So wird der Primat der Übernatur gewahrt und der Philosophie und ihren Tochterwissenschaften der größte Dienst erwiesen! Denn „ein jedes Wesen wird dadurch vollendet, daß es dem ihm zugeordneten Höheren unterstellt wird". Bei C a j e t a n erhält diese Lösung Zu 3 eine Spitze gegen die den humanistischen Studien ergebenen Ordensleute der Renaissance, eine Spitze, die auch heute manchmal angebracht wäre, wenn auch in ganz anderen Zusammenhängen. Er stellt eine Gleichung auf zwischen weltlichen Geschäften und weltlichen Studien. So wie die Betreibung weltlicher Geschäfte ausnahmsweise erlaubt sein kann um höherer Zwecke willen (187, 2), so kann auch die Betreibung weltlicher Studien erlaubt sein um der göttlichen Wissenschaft willen. Das Ziel aber dieser weltlichen Studien muß heißen: Widerlegung der Irrtümer und Einschau in die Geheimnisse der Gottheit. Die Ordensleute haben sich „hauptsächlich", d. h. in erster Linie mit Theologie zu befassen. Sich mit anderen Wissenschaften zu befassen, ist ihnen nur gestattet, wenn diese auf die Theologie hingeordnet sind, ihr also dienen. Diese Lehre hat Thomas wahrgemacht, indem er seine ganze Philosophie ,Magd der Theologie' sein ließ, wie aus dem streng theologischen, das aber heißt übernatürlichen Apriori der Summa (I 1, 1: Bd. 1) hervorgeht. Dieses Apriori ist die göttliche Offenbarung als solche, welche im echten Vollzug nur durch ein übernatürliches Licht erkannt wird. Diese Auffassung des Primates der Theologie verzahnt sich genau mit der Begründung von 187, 4, derzufolge die Lebensfristung mit Hilfe von Almosen gerechtfertigt ist, wenn die Mönche das Studium der Heiligen Schrift betreiben zum Nutzen der Gesamtkirche. Höhepunkt der Laufbahn eines mittelalterlichen Theologen war nicht ein Lehramt in der Philosophie, sondern in uer Sacra Pagina, also die umfassende und in großen Zusammenhängen durchdachte Auslegung der Heiligen Schrift. Der schlechthinnige Primat der Theologie, und zwar einer in erster Linie auf Auslegung der Heiligen Schrift beruhenden Theologie, ist für Thomas fraglos. Nach diesen Ausführungen ergibt sich, daß der Begriff Studium Literarum sowohl die Vorbildung (etwa heutige Gymnasialbildung) als auch die lebenslängliche Befassung mit Philosophie und Theologie unter sich begreift. 6. B e s c h a u l i c h e u n d t ä t i g e O r d e n (Art. 6). — 188,6 Die Titelfassung läßt aufhorchen, die Wahl des Ausdrucks potior ist bezeichnend. Es heißt nicht dignior, ranghöher oder ähnlich, obwohl auch dieser Gesichtspunkt (in Form von excellentia am Anfang, in Form von praeeminentia am Ende der A n t w o r t ) als Wirkung per accidens auftaucht. Um Rangstreitigkeiten geht es Thomas nicht. In dem Ausdruck potior bricht die ganze Dynamik des thomistischen Weltbildes durch. Die Unterscheidung der drei Formen des geistlichen Lebens — tätiges, beschauliches, gemischtes Leben — hat A u g u s t i29*

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188, 6 n u s im Anschluß an den Römer V a r r o ausführlich entwickelt (Gottesstaat 19, 19). Auch G r e g o r kennt die drei Formen und bespricht sie. Beide Kirchenlehrer sind darin einig, daß die dritte Form, welche Thomas als höchstes der drei möglichen Ideale theoretisch begründet, die beste ist, weil sie die Vorteile der beiden Extreme vereinigt und ihre Nachteile ausschließt. Thomas stuft die Orden nach den Zielen so gegeneinander ab: zuerst die Orden, welche durch ihre Predigt und Lehrtätigkeit dem Stand der Bischöfe benachbart sind, also die dritte Lebensform verwirklichen, welche das tätige mit dem beschaulichen Leben verbindet; dann die rein beschaulichen Orden; hierauf die Orden des tätigen Lebens, wobei wiederum je nach Zielhöhe ein Orden der Gefangenenbefreiung den Vorrang hat vor einem Orden, der Herberge gewährt usw. A. Vier Phasen der Erleuchtung. — „Wie es mehr ist, Licht auszusenden, als nur Licht in sich zu haben, so ist es auch mehr, anderen das in der Beschauung Erworbene mitzuteilen, als nur in der Beschauung für sich selbst zu leben" (Antwort). Es sind vier Phasen des Erleuchtungsvorganges im ganzen denkbar. 1. Gott erleuchtet den Prediger durch Aussendung Seines übernatürlichen Lichtes. 2. Der Prediger wird erleuchtet durch das übernatürliche Licht im Tiefengrund der Seele; dieser Vorgang ist ein rein innerliches Geschehen oder, wie Meister Eckehart sagt, eine ,innebleibende Weise'. 3. Der also Erleuchtete gibt das Licht weiter an andere durch Lehre, Predigt usw. 4. Der Empfänger nimmt diese Abstrahlung in sich auf, und zwar so, daß auf der Skala der Möglichkeiten zwei Grenzfälle hervorragen: a. als oberer Grenzfall die gnadenhafte Erleuchtung, welche große Erlebnisse auf Seiten des Hörenden zur Folge hat, Bekehrung, Bewunderung, Begeisterung usw., b. als unterer Grenzfall die rein technische Belehrung, welche bei ungenügender oder gar fehlerhafter „Erleuchtung" von Seiten des Predigers als dürres Gerippe übrig bleibt; sie betrifft jedes durch gewöhnliche Mittel der Aussage mitteilbare und annehmbare Wissen. Der voll ausgeführte Akt der Erleuchtung im Apostolat gliedert sich also in vier Phasen auf, von welchen die erste Gott allein betrifft, die zweite und dritte den Prediger und die vierte den Hörer. Dabei verhält sich Gott aktiv und nicht passiv, der Prediger verhält sich zuerst passiv im Empfangen und „Verarbeiten" des göttlichen Lichtes, dann aktiv im Weitergeben, der Hörer ist als Empfänger nur passiv. In unserem Artikel ist ausschließlich von 2 und 3 die Rede, vom Licht in sich haben (lucere) als Folge einer göttlichen Lichteinstrahlung und vom Weiterausstrahlen dieses Lichtes zu den Menschen hin (illuminare). Lucere — in sich selbst Licht haben. Die Formulierung könnte zu einein Mißverständnis verleiten; wenn das Wort geht vom „n u r Leuchten", so ist das nicht im Sinne irgendeines Aktivismus minder zu werten. Das ,n u r Leuchten' ist durch die Formulierung scheinbar niedriger gesetzt, weil das Wörtchen ,nur' eine Einschränkung bedeuten kann. Es mag auch vielleicht so sein, daß ,nur Leuchten' weni-

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ger wäre unter dem Gesichtspunkt des Apostolats. Keinesfalls 188, 6 jedoch ist das ,nur Leuchten' weniger, es ist im Gegenteil — metaphysisch und theologisch gesehen — m e h r . Denn das Ausspenden des empfangenen Lichtes, das Er-leuchten ist ein sekundärer Akt; der primäre Akt hingegen ist das innere Schauen und Kosten, das mit ,Leuchten' bezeichnet wird und am besten als „in sich selbst Licht h a b e n " übersetzt wird. ,Licht in sich selbst haben' ist mehr als Licht weitergeben, weil dieses den Primärakt voraussetzt, daß man Gottes des Unendlichen ,inne' geworden sei und Sachverhalte in den Griff bekomme, die in Menschensprache nicht ausgedrückt werden können, während der Sekundärakt — Lichtaussendung — nur Bruchteile des Erlebten und Erfahrenen mitteilen kann Von diesem ,Licht in sich selbst haben' gilt Meister E c k e h a r t s W o r t : „Dein tiefstes Empfangen ist dein höchstes Schaffen". Empfangen haben in der Überfülle und voll sein bis zum Rande — lucere — ist wichtiger als Ausfließen um jeden Preis. Nur wer randvoll ist und mehr als das: überrandvoll, kann überfließen, ohne zu verlieren, während Ausfließen ohne vorherige Überfülle bis zur Selbstentleerung führt und Selbsterschöpfung gerade d i e Gefahr ist, die in jedem Aktivismus lauert. W e r geben will, ohne vorher in sich selbst überzufließen, verfällt in den Fehler, das Ziel unversehens aus dem inneren Mittelpunkt in Gott herauszurücken und in die äußere Tätigkeit zu verlagern. Macht liegt im Er-leuchten nur, wenn es aus dem Leuchten — lucere — kommt, und so kann Thomas kurz darauf sagen: „Das Gebet ist mächtiger als die Lesung" (Antwort). Unter Lesung dürfte hier Studium aller Art zu verstehen sein. Beten ist eine bessere Weise der Beschauung als Studium und erst recht als tätiges Leben, weil im tiefen und guten Gebet die göttliche Eigentätigkeit größer und die menschliche geringer ist, während es sich beim gewöhnlichen Studium und in der gewöhnlichen äußeren Tätigkeit meist umgekehrt verhält; nur die Heiligen bilden darin eine Ausnahme.

Illuminare

— Licht

ausstrahlen.

a) Es besteht eine doppelte Möglichkeit, sich die Beschauung zum Ziel zu setzen: einmal als immer neu zu bewältigende Durchgangsphase zu einer eben durch diese Beschauung gesteigerten und vertieften Tätigkeit, sodann als Endpunkt und Hochgipfel eines Weges. Im ersten F a l l ist Lehre, Predigt, Seelsorge das Hauptziel, und Betrachtung oder Beschauung — der innerliche Umgang mit Gott — wird in die Rolle eines Mittels verwiesen, das der äußeren Tätigkeit Tiefgang und Durchschlagskraft verleihen soll. Die gesamte Lebensführung wird ausgerichtet auf das tätige Leben, was sich nicht bestreiten läßt, da j a das Ziel den Ausschlag gibt für die Bestimmung des Gesamtniveaus und dieses selbst ins tätige Leben verlegt wird. Eine solche Tieferlegung ist nicht sinnvoll, sie würde die Vollauswirkung der Beschauung verhindern, weil diese Form der Liebe nicht „geordnet" ist (nach Hl 2, 4). Das i Darum leiden wirkliche Geistesmänner unter der Pflicht zur Verkündigung und Predigt, weil sie ihre grundständige Unfähigkeit, das Ton Gott Erlebte und Gesehaute wiederzugeben, bitterlich empfinden.

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188, 6 höchste Gut, das höchster Liebe würdig ist — Gott selbst —, würde nur geliebt in Hinordnung auf eine, wenn auch noch so ideal gedachte Tätigkeit. Das höchste Gut aber soll nicht nur im Hinblick auf eine äußere Tätigkeit — also beiläufig im Sinne eines Mittels zu anderen Zwecken —, sondern an und für sich geliebt werden. b) In welchem Sinne nun ist das Er-leuchten rechtmäßige und dann auch voll ausgewirkte Frucht der Beschauung? Unter Er-leuchten sind alle Arten des Apostolats zu verstehen, nicht nur Lehre und Predigt im engeren Sinne, sondern auch jede Art des Aufbaus des Reiches Gottes in den Seelen. Jeder weiß aus Erfahrung, daß manche, oft ganz einfache Worte ganze Horizonte eröffnen, während andere, oft tiefsinnige Worte nur interessieren', aber nicht aufwühlen und bekehren. Woher der Unterschied? Es gibt eine Form des Sprechens mit unerhörtem Tiefgang und eine solche, die kalt läßt und leer läuft, ungeachtet des Stimmaufwandes, der inhaltlichen Gründlichkeit und blendender Rhetorik. Manche Predigten gleichen einem Pflug, der mit flachgestellter Pflugschar über den Boden dahinstreift, während andere Predigten einem Pflug gleichen, der mit tiefgestellter Pflugschar die Erde aufreißt, umbricht, die Schollen hochwirft und Furchen zieht für die Saatkörner Gottes, B. Verhältnis von beschaulichem und tätigem Leben. — Ein Orden, der als Hauptziel nur das Gebet aufstellt, steht höher als ein Orden, der als Hauptziel nur Studium aufstellt; ein Orden hingegen, der beides in richtiger Zuordnung verbindet und das Verbundene zum Hauptziel macht, steht höher als ein Orden, der bloß eine der beiden Haltungen als Hauptziel anstrebt. (Ausführliches über das gegenseitige Verhältnis von tätigem und beschaulichem Leben in Fr. 182: Bd. 23). Thomas lehrt (3, d. 25: 1, 4), daß der Verzicht auf die Wonne der Beschauung verdienstvoller ist als das Verharren in ihr, wenn der Fortschritt anderer auf dem Spiel steht, weil es größere Liebe verrät, sich der Tröstungen zu entschlagen und den Ruhm Gottes in der Bekehrung anderer zu suchen; denn auch in der menschlichen Freundschaft suche der Freund eher das Wohl des Freundes als das Vergnügen seiner Gegenwart. Nach P a s s e r i n i kommt diese Selbstberaubung geistlichem Wucher gleich, der hundertfachen Zins einträgt. Die biblische Begründung dieser Ausnahme von der Regel der Beschauung liegt bei Paulus in Rom 9, 3, da er „verbannt und von Christus getrennt sein wollte für seine Brüder"; in Phil 1, 23 ff.: „Ich bin im Gedränge nach zwei Seiten: ich sehne mich danach, aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein, was um vieles besser ist. Im Fleische aber zu bleiben ist notwendig e u r e t w e g e n . . . zu eurer Förderung und zur Freude im Glauben". Das Beispiel des hl. M a r t i n , dessen Losung zum Wappenspruch vieler Gottesmänner wurde: „Wenn ich meinem Volke noch notwendig bin, verweigere ich die Arbeit nicht", weist in dieselbe Richtung. Das Verhältnis der beiden Lebensformen gleicht einem nie zur endgültigen Ruhe kommenden Ineinanderwogen und Gegeneinanderwallen zweier mächtiger Ströme, wobei jetzt das beschauliche Element den Sieg davonträgt über das tätige, dann wieder das tätige die Oberhand gewinnt über das beschauliche.

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Man darf das Verhältnis der beiden Lebensformen nicht als igg 6 Statik auffassen, als zwei unverrückbar festliegende und gegen' einander abgegrenzte Bereiche; eine solche Auffassung verstößt gegen die ausdrückliche Setzung von 179, 1 und 2. Dort wird die gegenseitige Beziehung der beiden Formen nicht als starres Nebeneinander, als hermetische Bereichsabschließung. sondern als wechselseitiges Ineinander mit jeweiliger Richtungsverschiedenheit des Wirkens angegeben. Das beschauliche Leben hat h a u p t s ä c h l i c h , aber nicht ausschließlich die Betrachtung der Wahrheit (Zusammenleben mit dem Freunde) zum Gegenstand; das tätige Leben hat h a u p t s ä c h l i c h , aber nicht ausschließlich die äußere Handlung zum Gegenstand; m. a. W.: auch der beschauliche Mensch muß dann und wann dem tätigen Leben Opfer bringen; auch der tätige Mensch muß immer wieder zur Beschauung zurückkehren, wenn das Leben sowohl der einen als auch der anderen Gruppe nicht gänzlich verkü mmern soll (179, 1: Bd. 23). Noch genauer wird diese Dynamik umrissen in der Lösung 179, 2 Zu 2, die zur Verdeutlichung der Lehre hier unverkürzt Platz finden soll: „Das Mittelstück ist zusammengesetzt aus den Endgliedern, und darum ist es der Kraft nach in ihnen enthalten; wie das Laue im Heißen u n d Kalten, das Graue im Weißen u n d Schwarzen. Ähnlich wird unter dem tätigen bzw. beschaulichen Element das einbegriffen, was aus beiden zusammengesetzt ist. Und doch, wie in einer jeden Mischung eines der einfachen Elemente überwiegt, so überwiegt auch in der mittleren (der dritten oder gemischten) Lebensform b i s w e i l e n das beschauliche Element, b i s w e i l e n das tätige Element". Wenn man in Betracht zieht, daß Thomas hier von den höchsten Gegebenheiten des irdischen Daseins überhaupt spricht, dann ist es an der Zeit, die Rede von der Statik des thomistischen Weltbildes zum Schweigen zu bringen. C. Widersprüche bei Thomas? — G e r h a r d D e M o n t e ( t 1480) zitiert in seiner Konkordanz, einer Sammlung von scheinbaren oder wirklichen Widersprüchen in Thomaswerken, unseren Artikel zum endgültigen Beweis des Ausgleichs zwischen 182, 2 und 3, d. 35: 1, 4; sol. 2. 1 In der Summa hatte Thomas den Vorrang des beschaulichen Lebens an sich mit dem ausdrücklichen Vorbehalt größerer Liebe bei einem dem aktiven Leben hingegebenen Menschen festgestellt. Im Sentenzenkommentar hingegen war ein Unterschied begründet worden zwischen dem Verdienst der Schuldentilgung und dem Verdienst der Glorienerwerbung. In bezug auf das Erstere sei das aktive Leben verdienstvoller, in bezug auf das Zweite das beschauliche Leben. Was hinwiederum die Steigerung des Verdienstes angehe, sei das beschauliche Leben verdienstvoller als das aktive. G e r h a r d löst die Schwierigkeit dahin, daß Thomas zufolge das beschauliche Leben schlechthin und an sich verdienstvoller sei als das n u r tätige Leben. In gewisser Hinsicht jedoch und beiläufig könne das Verdienst des tätigen Lebens größer sein als das des beschaulichen Lebens; nicht in bezug auf die Erlangung der Glorie, wohl aber in bezug auf die Nachlassung der I G . M e e r s s e m a n O.P., Concordantiae, art. 40, S. 84.

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188, 6 Schuld oder die größere Genugtuung für die begangene Schuld, unter dem Gesichtspunkt größerer Liebe oder unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit oder des Zusammenhangs mit dem beschaulichen Leben. Aus der Zitation unseres Artikels bei G e r h a r d D e M o n t e zeigt sich anschaulich, daß in der Summa eine letzte Reifung des Gedankens vorliegt, insofern sowohl im Bereich des beschaulichen Lebens als auch im Bereich des tätigen Lebens eine klare Rangfolge aufgestellt wird. So lösen sich die Widersprüche in nichts auf. D. ,Rangstufen' der Orden (Zu 3). — Ein allgemein verbreiteter Irrtum besteht darin, zu wähnen, mit der Strenge eines Klosters oder Ordens nehme automatisch die Vollkommenheit seiner Mitglieder zu. Ganz abgesehen von der Frage, ob die Mitglieder auch wirklich die oft berufenen „Strengheiten" auf sich nehmen oder ob sie nicht vielmehr diese als lästige, überflüssige, „mittelalterliche" Bürde abzuwerfen sich befugt fühlen, ist obige Meinung falsch. Thomas widerspricht ihr ausdrücklich. Man kann die Sachlage durch folgendes Schema veranschaulichen. Gemeinsamer Ausgangspunkt: Anfänger

Anfang in der Liebe .. J-

'S

Fortschreitende

o 3S ®

Sich Vollendende

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M 5 Gemeinsamer Zielpunkt:

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'S a> §

C 2"°

Vollkommenheit der Liebe

Aus diesem Schaubild ergibt sich, daß ein Mensch auf allen drei Wegen am Anfang, in der Mitte oder am Ende stehen kann. Das Wort Jesu: „Eng ist die Pforte und schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind es, die ihn finden" (Mt 7, 13. 14) gilt gleicherweise für alle drei Wege. Es gilt zunächst für den Laienstand. Vielleicht werden Familienväter, die eine zahlreiche Kinderschar ihr eigen nennen und in Beruf und Familie aufs äußerste angespannt sind, einen Einwand erheben. Sie sagen, ihre Lebensführung und die Auswahl der Mittel zur Heiligung sei durch die Notwendigkeiten der Berufsausübung und der Familienunterhaltung und -führung auf eine ganz schmale Linie eingeengt. Das ist richtig für die einmal frei gewählte Weichenstellung, die sich nachträglich allerdings in zunehmendem Maße verengt. Trotzdem bleiben zwei Tatsachen, die für die größere Breite des ersten Weges (Laienstand) sprechen, unbestreitbar. Einmal der Umstand, daß zu Beginn des Weges die Auswahl der Mittel (Berufswahl, Brautwahl, Bestimmung sehr vieler Einzelheiten im Aufbau der Lebensgestaltung) wirklich größer war als bei einem Ordensmann, bei dem vom Anfang an alles vorgegeben ist. Sodann der Umstand, daß der Familienvater Gesetzgeber in seiner Familie ist, wenn auch in freiem Einvernehmen mit der Gattin,

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während der wirklich treue Ordensmann unter dem Gehorsam 188, » eines anderen Gesetzgebers, seines Oberen, steht. Das Schaubild enthält eine bittere Wahrheit f ü r die sogenannten strengen Orden: ihrer viele sind oft nach anfänglich großartigem Aufschwung relativ schnell erlahmt oder gar schmählich erlegen. Die Erfahrungen der Kirchengeschichte in bezug auf Niedergang und Verfall großer und ruhmreicher Gesellschaften sprechen eine zu deutliche Sprache, als daß sie wie unbequeme Mahner überhört werden könnten. Nur ein einziger Orden scheint eine Ausnahme zu bilden — Carthusia numquam reformata, quia numquam deformata — „Die Kartause mußte niemals wiederhergestellt werden, weil sie niemals ent-stellt wurde". Man kann das Problem der sachlichen Vorzüge einzelner Lebensformen von der Praxis her angehen und B i s m a r c k sprechen lassen, der einen Staat mit schlechten Gesetzen und guten Beamten einem Staat mit guten Gesetzen und schlechten Beamten vorzog. Die letzte Entscheidung in der Frage des Wetteifers unter den Orden fällt die Praxis: „Der Geist ist es, der lebendig macht, der Buchstabe tötet" (2 Kor 3, 6). 7. G e m e i n s c h a f t s b e s i t z und O r d e n s s t a n d 188,7 (Art. 7). — Die Formulierung der Ü b e r s c h r i f t ist sorgfältig zu beachten. Sie enthält in ihrer knappen Fassung zwei Möglichkeiten: es wird offenbar vorausgesetzt, daß es Vollkommenheit sei, wenn Ordensleute auf gemeinsamen Besitz ganz verzichten; anderseits offen gelassen, daß der Nichtverzicht die Vollkommenheit des Ordens nicht schmälere. Die Titelfassung erlaubt, zu erkennen, an welche Adresse der Artikel gerichtet ist. Die S p i r i t u a 1 e n hatten behauptet, daß die Vollkommenheit des Ordens bei gemeinsamem Besitz geschmälert würde; die G e r a l d i n e r dagegen erklärten es, wie in CI 6 berichtet wird, für unerlaubt, „nach Preisgabe alles Eigentums arm in einen Orden einzutreten, der keine Besitztümer oder Einkünfte hat, es sei denn, man beabsichtige, Handarbeit zu treiben". Das A n d e r s e i t s hat apodiktischen Charakter und umfaßt in seiner allgemeinen Formulierung sowohl Kirchengut als Ordenseigentum. a) Die Frage. — Zunächst ist zu fragen, welche Art von Vollkommenheit des Ordensstandes gemeint sei: Die einem jeden Orden zukommende, welche im gemeinsamen Ziel aller Orden besteht — Freisein für die göttlichen Dienste —, oder die ganz bestimmten Orden zukommende Vollkommenheit, wie sie für die besonderen Ziele eines bestimmten Ordens anzustreben ist? Die Gedankenfolge entwickelt sich so, daß zunächst einmal ein für das ganze christliche Leben gültiger Grundsatz aufgestellt wird. Dabei muß jedoch ein umfassendes System der für alle gültigen christlichen Ethik die Anwendungsbereiche verschiedener Normen sorgfältig voneinander trennen. b) Die Lehre. — Die Hauptthesen des Artikels sind folgende: 1. Mäßiger Besitz widerstreitet der christlichen Vollkommenheit im allgemeinen nicht. 30

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188, 7 2. Gemeinschaftsbesitz überschüssiger Reichtümer ist ein Hindernis der Vollkommenheit, wenn auch kein unüberwindliches. B. Gemeinschaftsbesitz des zum Lebensunterhalt Notwendigen ist kein Hindernis der Vollkommenheit. 4. Gemeinschaftsbesitz ausreichender Reichtümer zur Durchführung besonderer Ordensaufgaben ist notwendig. 5. Privatbesitz widerstreitet der Vollkommenheit des Ordensstandes. Nun ist die Vorfrage geklärt: Es ist wohl die Vollkommenheit des Ordensstandes im allgemeinen als auch die Vollkommenheit einzelner Orden mit ihren besonderen Zielen ins Auge gefaßt und unter dem Gesichtspunkt des Besitzes bestimmt. Wenn es im dritten Absatz der A n t w o r t heißt: „Es ist notwendig, daß der Mensch sich irgendwie kümmert um Gewinnung oder Bewahrung von äußeren Dingen . . . diese Sorge widerspricht der Vollkommenheit des christlichen Lebens nicht", so dürfte dieser Satz, wenn er auf eine kleine Schar von Jüngern Christi (Bettelorden z. B.) bezogen wird, unmittelbar einer Weisung im Testament des hl. F r a n z i s k u s widersprechen. Franziskus hatte verfügt: „Wie Pilger und Fremdlinge" sollen die Brüder durch diese Welt gehen und sich kein Haus, keinen Ort und keine Sache aneignen; wo Arbeit nicht zum Unterhalt ausreicht, sollen Almosen erbeten werden. Es leuchtet ein, daß Thomas sich mit einem solchen heiligen Heroismus nicht befreunden kann, wenn er als Norm für einen ganzen Orden aufgestellt wird. Jedenfalls wendet sich die Antwort gegen eine Auslegung von Bibelstellen, die für die Unzulässigkeit des Gemeinbesitzes ins Feld geführt wurden. Die Widerlegung dieser Auslegung (von Mt 6, 34; 10, 9. 10; 19, 21; 1 Kor 7, 32) ist zwar ausführlich und sorgfältig, aber gegenüber den franziskanischen Mitbrüdern, deren Existenz im Bettelordensstreit mit auf dem Spiele stand, schweigsam schonend und wohlwollend. Hier steht Thomas, ohne selbst die Stellung zu wechseln, auf Seiten der Mendikantengegner aus dem Weltklerus g e g e n die S p i r i t u a 1 e n, welche um jene Zeit eine mächtige Tätigkeit entfalteten (vgl. Kommentar zu 185, 7). Zwischen Laxismus (s. These 5), wie er später so oft im Lauf der Ordensgeschichte gerügt wird, und Rigorismus (s. These 2—4) zieht der Aquinate den gesunden Trennungsstrich. c) Wandlungen bei Thomas? — Hat Thomas in dieser Lehre eine Wandlung durchgemacht? Es heißt in CI 6: „Zum 17. ist zu sagen . . . ; doch folgt daraus nicht, daß es Menschen, die auf ihr Eigentum verzichtet haben, nicht zuträglich sei, ohne gemeinsame Besitzungen zu leben. Obwohl die apostolische Vollkommenheit nicht aufgehoben ist bei denen, welche Gemeinbesitz haben, so wird sie doch ausdrücklicher bewahrt bei denen, welche nach Verzicht auf ihr Privateigentum auch keinen Gemeinbesitz mehr haben". Diese ausdrückliche Anerkennung des S p i r i t u a l e n -Standpunktes wird in unserem Artikel an mehreren Stellen abgeschwächt durch die Frage nach dem angemessenen Verhältnis zwischen Mittel und Zweck. Man könnte einen Rest der früheren Gutheißung des SpiritualenStandpunktes in dem Satze finden: „Jenen Orden, welche dar-

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auf hingeordnet sind, das in der Beschauung Erworbene anderen weiterzugeben, kommt es zu, ein Leben zu führen, das am meisten von äußeren Sorgen frei ist". J e nachdem, ob man die F r a n z i s k a n e r unter diese Orden rechnet oder nicht, löst sich auch die F r a g e , ob Thomas von der schwungvollen Bejahung im J u g e n d w e r k 1256 abgerückt ist oder nicht. Daß obige Äußerung nicht vereinzelt dasteht, zeigt auch die Lösung zu 21 an derselben Stelle: „Wenn einige ein Werk der Übergebühr vollbringen wollen, indem sie der Kirche ohne Besitztümer dienen, sind sie l o b e n s w ü r d i g e r . . . wie auch Paulus". In CG I I I 135 werden vier Weisen des Lebens in der Armut unterschieden: 1. Leben vom Erlös verkaufter Güter, was nur für eine Zeitlang vorhält, weshalb die Urkirche diesen Brauch aufgab; 2. Leben vom gemeinsamen Besitztum und dessen Einkünften; 3. Leben vom Ertrag der eigenen A r b e i t ; 4. Leben von den Gaben anderer. Zu 2. wird bemerkt, daß, wenn wenige für das Wirtschaftliche sorgen, die anderen für das Geistige frei sind'; auch die Eintracht leide nicht. Das zur Rechtfertigung der 4. Lebensweise Gesagte gilt auch für die D o m i n i k a n e r , kann also nicht ausschließlich zugunsten der Spiritualen geltend gemacht werden. Vergleichen wir noch CR, welches um dieselbe Zeit etwa wie der Summa-Artikel geschrieben wurde. Nachdem in Kap. 14 die Argumente der Mendikantengegner aufgezählt wurden, mit welchen sie zu beweisen versuchen, daß gemeinsamer Besitz der evangelischen Vollkommenheit nicht widerspreche, beweist e r in Kap. 15, daß Christus arm war, daß die ,Armut im Geiste' Verzicht auf Besitzungen fordere, daß die Apostel Christus in demselben Sinne verstanden haben wie die Mendikantenorden. Es gehört zur ,.Strenge der evangelischen Zucht", es ist der „Gipfel der Vollkommenheit", sich jeden irdischen Besitzes, sei er gemeinsam, sei er privat, zu entschlagen; gemeinsamer Besitz jedoch ist, sofern er das Lebensnotwendige umfaßt, nach Apg 4, 32 nicht verboten. Wenn die Gläubigen zu J e r u s a l e m ihre Äcker und Häuser verkauften, so geschah das, weil die Apostel voraussahen, daß die Kirche in Jerusalem keinen Bestand haben würde wegen der Hartnäckigkeit der J u d e n und der Zerstörung Jerusalems. Also ist es besser, gemeinsame Besitzungen zu haben. Kap. 15 schließt mit dem Ergebnis: Die These, es sei kein Zeichen der Vollkommenheit, auf gemeinsame Reichtümer zu verzichten um Christi willen, ist eitel, pestbringend und der christlichen Lehre zuwider. Nach Kap. 16 dürfen diejenigen, die nicht höchster Vollkommenheit fähig sind, gemeinsame Besitztümer h a b e n ; die Regel des hl. B e n e d i k t schließe gemeinsamen Besitz nicht aus, denn er habe aus Entgegenkommen gegen die Schwächen seiner Zeit die Regel gemildert im Vergleich zu der früheren Strenge. Im übrigen wird die Rechtfertigung des Gemeinbesitzes in der Reihenfolge der Argumente zu Ende geführt. Als Ergebnis dieser vergleichenden Betrachtung läßt sich buchen: Von CI (1256) bis CR (1270) ist die Linie gleich geblieben, mag auch der Ton im CI etwas energischer sein. Ist dann aber vielleicht eine Änderung spürbar von CR zur S u m m a ? Das 30*

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188,1

188, 7 wird schwerlich exakt zu beweisen sein. Die Formulierungen unseres Artikels sind so umfassend, daß sowohl die dominikanische Besitzpraxis als auch die franziskanische frühe Praxis samt ihren Milderungen durch B o n a v e n t u r a darunter einbezogen werden kann. Die bereits zitierten Lobesprädikate, die in beiden Streitschriften an die S p i r i t u a l e n ausgeteilt werden, fehlen in der Summa gänzlich. Man könnte höchstens in der Lösung Zu 1 eine Anerkennung entdecken: „Wenn es möglich wäre, daß ein Übermaß von Armut einen Orden vollkommener macht, weil er ärmer ist, so würde dieses Übermaß ihn doch nicht schlechthin vollkommener machen". Wenn man in Betracht zieht, daß Thomas das hohe Ideal der Spiritualen al6 Sonderideal für eine kleine Schar gewiß nicht herabsetzen wollte, dann dürfte obiges Zitat Zu 1. eine wenn auch eingeschränkte Anerkennung der Spiritualen bedeuten. Oder aber man zieht radikal den Schluß, Thomas habe sich gewandelt, weil den Spiritualen in der Summa eine ausdrückliche und namentliche Anerkennung versagt bleibt; er habe also sein Lob, das er etwa zwei Jahre vorher 1270 in CR noch gespendet hat, gleichsam zurückgezogen. Zu 2. Die für die Geschichte des Franziskanerordens richtungweisend gewordene Bulle „Exiit qui seminat" von N i k o l a u s III. (14. 8. 1279) empfiehlt, daß sich die Mitglieder des Ordens der göttlichen Vorsehung in der Weise anheimgeben, daß sie den Weg menschlicher Vorsorge nicht verachten. 188, 8

8. G e m e i n s c h a f t s o r d e n u n d E i n s i e d l e r o r d e n (Art. 8). — Man ist versucht zu denken, dem A n d e r s e i t e eigne apodiktischer Charakter, weil sich aus dem Ergebnis der Untersuchung klar zu ergeben scheint, daß die Schlußfolgerung gleich lautet wie der Inhalt des Anderseits: Das Leben der Einsiedler ragt über das gemeinschaftliche Leben empor. Bedurfte es in den Tumulten der S p i r i t u a l e n kämpfe einer Rechtfertigung des Einsiedlertums? Einiges spricht für diese Hypothese, wie die Bekämpfung der in die Einsamkeit geflüchteten Spiritualen durch die Konventualen vermuten lassen könnte. Es ist wohl wahr, daß die Mendikantengegner die rein kontemplativen traditionellen Orden nicht angegriffen haben. Im Gegenteil. a) Rückblick auf Frage 188. — In diesem Falle würde Thomas Art. 8 ähnlich wie Art. 3, 4, 5 aus Gründen der theologischen Aktualität eingesetzt haben. Oder leitete ihn die Sorge um die thematische Vollständigkeit des Ordenstraktates? Letztere Vermutung läßt sich zur Gewißheit erheben, wenn man die Gliederung der Frage 188 überprüft. Es ist nicht denkbar, daß der oft allen Gegenwartssorgen entrückte erste große Systematiker des Mönchtums auf eine umfassende Darstellung der drei Aufbauelemente habe verzichten wollen. Art. 2—4 handeln vom tätigen Leben; Art. 5 betrifft sowohl tätiges als beschauliches Leben; Art. 6 untersucht die Rangordnung der verschiedenen Orden; Art. 7 klärt eine damit verwandte zeitgenössische Streitfrage; Art. 8 fügt das bisher noch fehlende Aufbauelement hinzu, da die zweite Lebensform — rein beschauliches Leben — bis dahin noch nicht in Betracht gezogen wurde. Demgemäß

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ist mit Art. 8 der Problemkreis geschlossen. Systematisch ein- 188, 8 geteilt w ü r d e der Plan so aussehen: Allgemeines: Art. 1 tätige Lebensform Art. 2, 3, 4

gemischte Lebensform Art. 4, 5

rein beschauliche Lebensform Art. 8

Rangordnung: Art. 6 und 7 b) Geschichtliches. — Thomas ließ sich, wie man weiß, regelmäßig aus den Collationes des J o h a n n e s Cassianus (f um 435) vorlesen. Aus diesen Berichten über das Leben der Wüstenväter wußte er um die radikale Formulierung der vita eontemplativa, welche bis zum Verzicht auf Gemeinschaft geht und in die Einsamkeit flieht, um nur ja nicht gestört zu werden. Die Anschauungen Cassians wiederum weisen unter anderem auf ein Idealbild zurück, welches K l e m e n s v o n A l e x a n d r i e n vom Gnostiker gezeichnet hat. Diese und a n d e r e ideengeschichtliche Zusammenhänge können hier nicht verfolgt werden. Es genügt zu wissen, daß es ununterbrochen Einsiedler gab, welche dieses Ideal anstrebten, und daß B e n e d i k t in seiner Regel diese Möglichkeit ausdrücklich vorsieht. In Kapitel 1 seiner Regel unterscheidet der Vater des abendländischen Mönchtums die in Gemeinschaft lebenden Mönche von den Einsiedlern, welche er als rechtmäßige Gattung anerkennt, wenn sie nicht im ersten Eifer der Bekehrung, sondern nach langwieriger Bewährung und Anerkennung durch das Kloster zum geistlichen Kampf in die Einsamkeit ziehen. I s i d o r (2 De officiis 15; PL 83/794 C) unterscheidet Eremiten (Wüstenbewohner ohne Dach und regelmäßige Nahrung) und Anachoreten (Bewohner der Einsamkeit mit geregeltem Leben); diese Unterscheidung hat sich nicht durchgesetzt, da schon B e n e d i k t die beiden Worte wahlweise gebraucht. (Für die reichen Ausprägungen des Einsiedlertums in der Kirchengeschichte — man denke etwa an die „asketische Heimatlosigkeit" der Wandermönche und Pilger, an die Reklusen und Styliten — vgl. LThK III 604.) Das Ertragen der Einsamkeit ist nicht Akt einer besonderen Tugend; vielleicht ließe sich sagen, daß erst die Hochgemutheit den sehr erschwerten und darum heroischen Grad der Tugendausübung in der Einsamkeit ermöglicht, da s i e hauptsächlich dazu beiträgt, etwas „darum zu tun, weil es schwer ist". Die große Schar von heiligen Einsiedlern beweist, daß diese Lebensform trotz ihrer offenkundigen Gefahr möglich war. Mit Beginn der Neuzeit wird sie immer seltener. In einer Gesellschaft, in welcher das Gesetz der Arbeitsteilung das ganze weltliche Sozialgefüge durchformt und fast tyrannisiert, scheint f ü r religiöse Einsiedler im engeren Sinne der Weltflucht kein Platz mehr zu sein; seit Staat und Wirtschaft, Behördenwesen, Technik und Statistik alles und jedes in die Klauen und Fänge ihrer Maschinerie hereinziehen, scheint religiöse Anonymität keinen rechtmäßigen Ort mehr zu haben. c) Die Rechtsfrage. — Die Frage, w e r als Einsiedler Ordens-

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8 mann sei, ist von vornherein bei solchen Orden gelöst, welche den Übergang zur Einsamkeit für bestimmte Stufengrade des geistlichen Lebens offenlassen: solche erprobte Ordensangehörige haben die drei Gelübde abgelegt und bleiben ihnen auch in der Einsamkeit verpflichtet. Die anderen Einsiedler sind nur dann Ordensleute, wenn sie die drei Gelübde in die Hände des Bischofs abgelegt haben mit dem Versprechen, nach einer bestimmten Regel zu leben (186, 5 Zu 3). Damit erhebt sich die Frage, ob die großen Einsiedler des Altertums Ordensleute im heutigen Sinne waren. Die Wahrscheinlichkeit spricht nicht dafür, wie sich entnehmen läßt aus dem Kommentar zu 186, 6. Doch auch wenn sie keine Ordensleute waren, besaßen sie die Gaben des Heiligen Geistes im Überschwang, sie waren teilweise mit Charismen begnadet, waren einzigartige Büßer und große Menschenführer, im Kampf mit den Dämonen geschult. So besaßen diese Heiligen — gewaltige Triebkräfte für neue Aufbrüche in der Kirche — Verdienste und Gnaden des Ordensstandes, ohne ihm formell anzugehören. „Das Leben der Einsiedler hat den Vorrang vor dem gemeinschaftlichen Leben" (Antwort). Was ist der wahre Sinn dieses Satzes? Wird mit dieser These nicht der in Art. 6 erarbeitete Vorrang der überhöhten (dritten oder gemischten) Lebensform wieder umgestoßen? Von der Deutung diese» schwierigen Satzes hängt die Entscheidung darüber ab. ob das Anderseits die tiefste Absicht des Autors wiedergibt oder nicht, ob es also apodiktischer oder aporetischer Natur sei. Ein Versuch, die absolute Vollkommenheit des Einsiedlerstandes über die gemischte Lebensform zu erweisen — etwa unter Berufung auf A u g u s t i n u s (Zitat im Anderseits) —, ist von vornherein aussichtslos, weil die Vollkommenheit eines Standes von seinem Ziel abhängt und die Mittel ausschließlich vom Ziel her bestimmt werden. Unter dem Gesichtspunkt des Zieles gewinnt aber derjenige Orden, der zu einem höheren Ziel hingeordnet ist, schlechthin die Palme des Vorrangs; und darum ist die überhöhte oder dritte Leben-form als solche schlechthin vollkommener. Die Einsamkeit ist nur ein — wenn auch heroisches — Mittel zur Vollkommenheit, nicht aber die Vollkommenheit selbst Darum scheidet sie als Begründung für den Vorrang des Ein^iedlerstandes als solchen zwangsläufig aus. d) Rangstufe von Einsiedlern, — Bezüglich derjenigen Einsiedler, die von ihren Oberen rechtmäßig in die Einsamkeit entlassen werden, besteht kein Problem, was den Standesvorrang angeht; sie bleiben, wie bereits erwähnt, im Mutterorden und behalten auch dessen Rang bei, welcher er sein mag. Diese Überlegungen schließen naturgemäß nicht aus, daß viele Einsiedler auf Grund ihres persönlichen Strebens heiliger sind als die Angehörigen der überhöhten Lebensform; denn die Frage geht nicht, wie bereits in 188, 6 entwickelt, darum, ob Einzelpersonen heiliger sind, sondern um den Stand als solchen. Die Schlußfolgerung des Artikels betrifft lediglich die Stufung innerhalb der beschaulichen Orden, also der zweiten Lebensform. Darum ist die Einsamkeit nicht allen Angehörigen eines beschaulichen Ordens zuträglich, sondern nur den dazu Veranlagten und auch dann nur, wenn sie die Vollkommenheit

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bereits erreicht haben, u n d f ü r diese bedeutet sie den Gipfel 188, 8 der Vollkommenheit im Vergleich zu den a n d e r e n Angehörigen desselben beschaulichen Ordens. Es ist auffällig, daß Thomas in diesem Artikel nicht Orden mit Orden, s o n d e r n Leben mit Leben vergleicht, wie teilweise bereits aus der Überschrift, endgültig a b e r aus d e r Fassung der Schlußfolgerung (Vorrang des Einsiedlertums) hervorgeht. Und selbst w e n n es um d e n Vergleich von Orden als solchen ginge, also um Lebensordnungen oder Stände, was hier nicht d e r Fall ist, w ü r d e bloß folgen: Hätte es je einen reinen Orden von Einsiedlern gegeben ohne Z u s a m m e n h a l t s m e r k m a l e —• also eine Gemeinschaft, von d e r e n Mitgliedern ein jedes in seiner eigenen isolierten, a b e r echten Vollkommenheit lebte —, so w ä r e dieser Orden zwar vollkomm e n e r im Bereich d e r beschaulichen Orden, a b e r nicht wegen des Zieles, sondern von einem Mittel her, welches n u r tauglich ist f ü r solche, die bereits die Vollkommenheit erreicht haben. Wollte man einen e x a k t e n Vergleich d u r c h f ü h r e n , so müßten die vollkommenen Mitglieder der überhöhten Lebensform verglichen w e r d e n mit vollkommenen Einsiedlern, und a u s diesem Vergleich w ü r d e von selbst hervorgehen, d a ß obige Schlußfolgerung nicht den Vorrang der Einsiedler vor den Mitgliedern des ü b e r h ö h t e n Lebensstandes besagen k a n n . Denn hier gilt dann, unter der Voraussetzung, daß n u r Gleiches mit Gleichem verglichen w e r d e n d a r f : Es ist mehr, Licht in sich selbst zu haben und zugleich Licht auszusenden, als n u r Licht in sich selbst zu haben und kein Licht auszusenden. Unter diesen Umständen ist zu schließen, daß obiges Axiom n u r innerhalb des Bereichs der beschaulichen Orden gilt. Dann aber folgt, d a ß das Anderseits aporetische Funktion hat und die L e h r e des Artikels 6 vom V o r r a n g der überhöhten Lebensform in k e i n e r Weise einschränkt. e) Einsamkeit und Apostolat (Zu 4). — Daß Menschen von außerordentlicher G n a d e n f ü l l e zur Gesellschaft ganz allgemein in einem f r u c h t b a r e n Verhältnis stehen und die leidende und suchende Menschheit mit Weisung und Trost reich beschenken, ist b e k a n n t ; die Kunst hat sich mit diesem Motiv des Rat und Trost s p e n d e n d e n Einsiedlers g e r n e befaßt bis zu L u d w i g R i c h t e r s Bildern hin. Daß die streng Kontemplativen trotz ihrer Abgeschlossenheit und scheinbaren Isolierung der Kirche ergeben sind, leuchtet nach 1 Kor 12 ein, weil es ein und derselbe Geist ist, der den einen in die Einsamkeit f ü h r t und ihn erleuchtet, den a n d e r e n bei diesem Einsamen Rat und Hilfe suchen läßt. Weltflucht heißt nicht Flucht in die b e q u e m e Etappe, sondern Vorstoß aus der vordersten Frontstellung zum geistlichen Gegenangriff gegen die sichtbaren und vor allem gegen die unsichtbaren Feinde des Reiches Gottes auf Erden. A n t o n i u s d e r G r o ß e machte als Einsiedler in d e r T h e b a i s die beschwerliche F u ß r e i s e nach Alexandria, utn im hohen Alter gegen die A r i a n e r Zeugnis abzulegen f ü r den alten G l a u b e n : ein schlagender Beweis f ü r seine Volks- und Kirchenv e r b u n d e n h e i t . Hugo B a l l hat das Verdienst, als einer der ersten in Deutschland das Gespinst der landläufigen liberalen und rationalistischen Mißverständnisse, die m a n um die Gestalt d e r Styliten oder Säulenheiligen g e w o b e n hatte, zerrissen zu

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188, 8 haben. 1 Daß heroische Verborgenheit und Abgeschlossenheit weltweite Strahlungswellen wirft, hat T h e r e s i a v o n L i s i e u x für unsere neueste Zeit jedem, der hören und sehen will, zum Bewußtsein gebracht. Es wäre ein großes Unrecht, wollte man in diesem Zusammenhang all die Männer vergessen, die oft durch wunderbare Fügungen aus selbstgewählter Einsamkeit herausgerissen wurden und ßich dem L e b e n der Gemeinschaft zur Verfügung stellten. Auch aus diesen Beispielen geht die Relativität dieser Lebensformen hervor: man erwählt sie als End- oder Gipfelpunkt zum Abschluß eines reichen tätigen Lebens oder man verläßt sie, um zu einem noch höheren Gipfel aufzusteigen. IV. DER ORDENSEINTRITT

(Frage J89, 1

189)

Von den zehn aufgeworfenen Problemen dürften einige sicher nur historische Bewandtnis haben (Art. 1, 5—7, 9 ) ; die anderen sind zwar in die damalige Situation eng hineinverflochten, behalten ihre Bedeutung jedoch in stärkerem Maße auch heute noch. Die Mendikantengegner hatten den Zulauf, dessen sich die jungen aufblühenden Orden erfreuten, durch eine theoretische Gegenwehr großen Stiles im Keime zu ersticken versucht. Teilweise waren sie damit erfolgreich. Darum hier in der Summa die eingehende Befassung mit Fragen, die in solcher Ausführlichkeit ohne konkrete und dringlichste Anlässe nicht behandelt worden wären, wie sich aus Bemerkungen des Aquinaten entnehmen läßt. Die Hochgemutheit einer kulturell aufsteigenden Zeit leuchtet aus diesen Ausführungen entgegen. Das Vertrauen auf die göttliche Hilfe ist so groß, die freudenreichen Erfahrungen, die man im Ordensstand hat machen dürfen, sind so lebendig, daß überhaupt kein Zweifel auftaucht über die unausbleibliche Gnadenfülle, welche sich über W e r k e der Übergebühr ergießt. Vergleicht man die heutige Zeit mit ihrem Zögern und Mißtrauen gegenüber göttlichen Dingen, welch ein Unterschied! Selten wird der geheime, a b e r höchst lebendige Zusammenhang zwischen einzelnen Teilen der Summa so spürbar wie an dieser Stelle, wo der Geist der Hochgemutheit (Fr. 129: Bd. 21) still, aber machtvoll die F e d e r führt und die ganze Architektur der geistlichen Standesethik durchwebt. 1. B e g r i f f d e s E i n t r i t t s (Art. 1). — P a s s e r i n i versteht unter Eintritt in den Ordensstand das Noviziat, weil die Einkleidung allein für die Gelübdeablegung nicht genüge, sondern eine Bewährungsfrist letzterer vorausgehe. Erst die Ablegung der Gelübde vervollständige den Eintritt. Das Noviziat ist P a s s e r i n i zufolge „eine wechselseitige Erprobung, welche bei der Einkleidung beginnt, unter Einhaltung sämtlicher Rechtsbedingungen". Zu diesen Rechtsbedingungen gehören das Tragen der Ordenstracht, rechtmäßiges Alter, ein bestimmter Wohnraum innerhalb der Klausur, unverkürzte und ununterbrochene, gegebenenfalls ordentlich verlängerte Bei Hugo B a l l ,

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Byzantinisches Christentum; München 1923.

Währungsfrist usw. Nach den Konstitutionen von 1228 zu 189, i schließen, wäre e,s allerdings fraglich, ob unter Eintritt in den Ordensstand unbedingt das Noviziat im heutigen Sinne verstanden werden müßte. Es heißt dort im Absatz 15: „Wir setzen als Bewährungsfrist sechs Monate fest oder länger, wie es den Oberen gut s c h e i n t . . . , sofern nicht ein gereifter und besonnener Anwärter auf die genannte Bewährungszeit verzichten will und sich sofort erbietet, Gelübde abzulegen" (D e n i f 1 e 38). H u m b e r t v o n R o m a n s (f 1277) kennt im Anschluß an eine päpstliche Regelung um die Jahrhundertmitte in seiner Erläuterung der Konstitutionen bereits das einjährige Noviziat; Thomas setzt in Art. 2 und 4 ebenfalls die einjährige Bewährungsfrist voraus; doch ist der Schluß von hier zu einer Gleichsetzung von Ordenseintritt und Noviziat nicht ohne weiteres berechtigt. Erst nach Ablauf des Noviziates fällt die endgültige Entscheidung, und diese dürfte von Thomas in der Hauptsache gemeint sein. Das Konzil von T r i e n t hat die einjährige Bewährungsfrist so unwiderruflich festgelegt, daß ein Verzicht auch im beiderseitigen Einverständnis nicht mehr möglich ist. a) Drei Gruppen von Anwärtern. — Thomas will in diesem Artikel drei verschiedene Fragen lösen: ob junge ideale Menschen, ob Konvertiten kurz nach ihrer Konversion, ob „Sünder" bzw. Büßer in einen Orden eintreten dürfen, wobei wiederum in der Hauptsache an die Bettelorden gedacht Ist, weil sie den Stein des Anstoßes bildeten. Die obige Dreiteilung stammt von Thomas selbst, der in CR für jede dieser drei Klassen je ein Kapitel verwendet, um deren Ordenseintritt als sinnvoll zu erweisen. Hören wir zunächst, wie Thomas im Jahre 1270 in CR II/III das Problem angeht. Daß die Behauptungen der Mendikantengegner auf Knaben nicht zutreffen, wird bewiesen aus dem Brauch der Knabenweihe (Oblation), welche von der Kirche geübt wird, ferner aus D i o n y s i u s A r e o p a g i t a . Hinzu kommen als biblische Beweisgründe Mt 19, 13 und 21, Klgl 3, 27 und Spr 22, 6. Im Bereich der Vernunftgründe tritt A r i s t o t e l e s mit je einem Zitat aus Ethik und Politik auf; sogar der römische Militärschriftsteller V e g e t i u s , der für Kadettenerziehung ein Wort einlegt, muß einspringen. Daß die Behauptungen der Mendikantengegner nicht auf NeoKonvertiten zutreffen, wird bewiesen aus dem Beispiel der Apostel, die von Christi Botschaft ergriffen wurden, und aus dem Beispiel Pauli nach Galater 1, 15 ff. Auch hier bürgt der Brauch der Kirche seit Anbeginn für die Richtigkeit des Verfahrens. In seiner Empörung ruft Thomas, der sonst so gelassene Theologe, aus: „Wer wird ein so unfähiger Debatter sein, daß er es wagt, (den Neubekehrten) den Rat zu geben, sie möchten lieber in der Welt bleiben, als im Orden die empfangene Taufgnade zu bewahren? Wer, der noch gesunden Sinnes ist, würde den Neubekehrten an seinem Vorsatz hindern, Christus, den er durch das Sakrament der Taufe schon angezogen hat, in vollkommener Nachahmung noch besser anzuziehen?" Daß endlich Sünder in den Orden eintreten können, wird gezeigt am Beispiel des Apostels Matthäus (Lk 5, 28), ferner der kirchlichen Theorie und Praxis, nach Glossen, Kirchenvätern und Kirchenrecht, am Beispiel der Heiligen und

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189, i w i e d e r u m aus einer These des A r i s t o t e l e s . Die Wurzel des I r r t u m s sieht Thomas, wie er ausführlich darlegt, in d e r Anschauung, daß die Räte den Gipfel d e r Vollkommenheit darstellen und die Gebote als Unvollkommenes auf die Räte als Vollkommenes hingeordnet seien. b) Behandlung der Frage in Qlb IV. — Kurz darauf behandelt Thomas dasselbe Problem zwischen Winter 70 und Ostern 71 im Qlb IV 22. Die hohe Zahl von 23 Einwänden und 6 Gegeneinwänden erklärt sich durch die Streitgespräche, die etwa zur gleichen Zeit, wie die Abfassung dieses Artikels, in Paris stattfanden. Er b e m e r k t eingangs, daß ein echtes Problem nicht bestehe und die Frage n u r behandelt w e r d e n müsse, weil Streitsüchtige die Wahrheit zu v e r d u n k e l n suchten. Grundsätzlich ist es „nicht schlecht, K i n d e r vor den Unterscheidungsj a h r e n in den Orden a u f z u n e h m e n , sondern förderlich und fruchtbar, weil das in der J u g e n d A u f g e n o m m e n e vollkommener und fester behalten wird". Darum hätten die Apostel, D i o n y s i u s zufolge, schon Kinder zum christlichen Glauben zugelassen und nach dem Beispiel der ersten G e m e i n d e in J e r u salem seien auch die Orden v e r f a ß t ; d a r u m h a b e Bened i k t u s die Zöglinge M a u r u s und P l a c i d u s , dem Beispiel der Apostel folgend, schon als Kinder in den Orden a u f genommen. Dazu kommt, daß die Befolgung der Räte mithilft, die Gebote leichter zu befolgen. Doch gilt dies alles n u r u n t e r dem Vorbehalt der väterlichen Gewalt. So weit die Entscheidung in Qlb IV. In der S u m m a ist die G e d a n k e n f ü h r u n g viel abstrakter und noch mehr aufs Wesentliche au-gerichtet. Das A n d e r s e i t s erinnert an ein H e r r e n w o r t (Lk 5, 28), dessen Beweiskraft unanfechtbar ist, das man jedoch im Qlb IV vergeblich sucht. Der vierte Einwand übersteigt bei weitem das übliche Format, was sich leicht erklärt, wenn man in CR 7 aus dem Munde von Thomas selbst hört: „Die Glossenstelle wollen wir sorgfältiger erörtern, weil sie (die Gegner) diese Stelle, obzwar frivol, viel ins Gefecht f ü h r e n . . c) Verhältnis von Rat und Tugend. — Das G e d a n k e n g u t des Artikels läßt sich nach C a j e t a n f o l g e n d e r m a ß e n aufgliedern. Der Gottesliebe (striktes Gebot Gottes) stehen g e g e n ü b e r die Gelegenheiten zur S ü n d e ; der Vollendung d e r Gottesliebe (freier Rat Gottes) stehen gegenüber die Hindernisse der Volle n d u n g ; die Wurzel der beiden negativen Beziehungsglieder (Gelegenheiten zur Sünde und Hindernisse der Vollendung) ist die Anhänglichkeit ans Irdische. Wird diese Wurzel ausgehoben, so sind die beiden positiven Beziehungsglieder (Gottesliebe und ihre Vollendung) in der Entfaltung nicht gehindert. Da im Ordensstand diese Wurzel ausgerottet wird, stellt er einen geeigneten Raum dar, der die Beobachtung sowohl der Gebote als auch der Räte, also die Entfaltung der Gottesliebe und ihrer Vollendung sichert. Sachlich hängt die F r a g e aufs engste zusammen mit der bereits erörterten, ob die Vollkommenheit in den Räten oder in den Geboten bestehe (184, 3). Denn w e n n die Räte auch auf die Gebote hin ausgerichtet sein können, dann ist die Behauptung, man müsse zuerst in den Geboten sich bewährt haben, um zur Gipfelhöhe der Räte aufzusteigen, falsch.

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Das bereits in 184, 3 Entwickelte soll hier ergänzt werden 189, l durch die Ausführungen von Qlb IV, 24. Die Räte sind auf die Verwirklichung der Tugenden in doppelter Weise ausgerichtet. Innerliche Tugendakte (Reinheit und Liebe) sind das Ziel der Räte, d. h. die Befolgung der Räte soll dazu dienen, Reinheit und Liebe in der Geistseele zur höchsten Entfaltung zu bringen. Hingegen sind die Räte in bezug auf äußere Tugendakte nur Mittel, um deren Ausübung sicherer und fester zu gewährleisten. Wenn diese Überlegungen richtig sind, dann springt die Sinnlosigkeit der von Thomas angefochtenen These erst recht in die Augen. Befolgen nämlich ganz junge Menschen unter dem Antrieb der Gnade die Räte, so steigt die Wahrscheinlichkeit, daß die Gebote befolgt werden, höher an, als wenn sie zuerst versuchen, sich auf dem Übungsgelände der Gebote zu betätigen, ohne von dem Hochschwung des Geistes der Räte unterstützt zu werden. 2. U m d i e E r l a u b t h e i t d e r (Artikel 2)

Knabenweihe

a) Das Problem. — Der zweite Artikel wirft eine Frage auf, 189, t die nur durch sorgfältige Abwägung der historischen und systematischen Gesichtspunkte lösbar ist. In 88, 9 (Bd. 19) war gegen die Praxis der Kirche im ersten Jahrtausend und gegen die ausdrückliche Lehre des hochangesehenen Abtes von Fulda, R h a b a n u s M a u r u s , entschieden worden, daß Kinder sich erst nach erlangtem Gebrauch der Vernunft durch Gelübde zum Ordenseintritt verpflichten können, unter Vorbehalt der elterlichen Zustimmung; nach erlangter Mündigkeit bzw. Reifezeit besteht diese Möglichkeit auch ohne Zustimmung der Eltern. Dabei war ausdrücklich im Gegensatz zu der bisherigen Gepflogenheit die aktive Form des Gelobens schon in der Titelfassung an die Spitze gerückt, also bereits in der Form der Fragestellung eine Vorentscheidung getroffen gegen das Institut der Knabenweihe. Hier in 189, 2 ist der Gesichtspunkt verschoben. die Frage lautet nicht mehr wie in 88, 9, ob Kinder sich selbst (aktiv) verpflichten können, sondern es wird jetzt die passive Form gewählt in der Artikel-Überschrift, in den drei Einwänden und am Ende der Antwort. Warum wird hier die passive Form der Überschrift gewählt? 88, 9 war demonstrativ die aktive Form der Gelübdeablegung durch den Betreffenden selbst betont und damit schon in der Titelstellung eine Wendung vollzogen. Soll das Institut der „Gottesverlobung" von Kindern durch ihre Eltern, auch ,Knabenweihe' genannt, aufs neue mitverteidigt werden, wenn diesmal eine passive Form gewählt wird? C a j e t a n spricht in seinem Kommentar zur Stelle von einer anderen Möglichkeit der Interpretation des Artikels; er denkt an junge Leute, die von befreundeten Ordensangehörigen zu einem Gelübde, später einmal einzutreten, veranlaßt bzw. überredet werden. Welche der beiden Möglichkeiten der Interpretation des Artikels ist die richtige? Thomas scheint ihit der passiven Form beides zu umgreifen: Knabenweihe (Oblatur von Seiten der Eltern) und Überredung selbständiger, in der Welt lebender junger Menschen durch Freunde, und so

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i in abstracto beides unter einen Hut zu bringen. Die Formulierung der E i n w ä n d e 1—3 spricht für die erste Annahme. Der erste Einwand schließt in passiver Form mit dem Ergebnis: „Also scheint es, daß noch viel weniger die noch in der Welt Lebenden durch ein Gelübde zum Ordensstand verpflichtet werden dürfen"; das Ergebnis der beiden anderen Einwände ist gleichlautend. Das A n d e r s e i t s hingegen bringt am Schluß die aktive Form: „Also ist es besser, daß jemand sich selbst durch Gelübde verpflichtet zum Ordenseintritt". Das Ende der A n t w o r t läßt uns weithin im unklaren: „Und darum ist es a n s i c h lobwürdig, durch ein Gelübde zum Eintritt in den Ordensstand verpflichtet zu werden"; es sieht demnach so aus, daß es — nicht an sich, sondern per accidens betrachtet — nicht lobenswürdig sei, durch Gelübde zum Ordenseintritt verpflichtet zu werden. Nachdem die Antwort keine genaueie Auskunft erteilt über den tieferen Grund der passiven Form, fragen wir die Lösungen zu den Einwänden; und da scheint tatsächlich die Lösung zu E. 1 wenigstens im Ansatz das Dunkel zu erhellen. Bevor wir jedoch auf die Frage näher eingehen, welche den konkreten Ertrag unseres Artikels 2 für die damalige Zeit herausarbeiten soll, vernehmen wir die anderen Äußerungen des Aquinaten zum selben Thema. b) Die Entwicklung des Problems bei Thomas. — Das ungefähr gleichzeitige Qlb III 5 von Ostern 1270 enthält nähere Ausführungen. Grundsätzlich wird zugegeben, daß es schlecht sein kann, jemanden zum Orden heranzulocken oder ihn gar durch Gelübde zu verpflichten, wenn z. B. unverbesserlicher Wankelmut vorliegt. Die Behauptung aber, daß junge Menschen überhaupt nicht in den Orden aufgenommen werden dürfen — oSenbar ist gedacht: nicht durch Gelübde oder Eid zum Eintritt veranlaßt werden dürfen •—, sei teuflisch. Unter den Beweisen für die Erlaubtheit hat ein Herrenwort die Führung: „Lasset die Kindlein zu Mir k o m m e n . . . " (Mt 19, 14). Daß die Zustimmung der Eltern vor dem Unterscheidungsalter unerläßlich ist — wegen des natürlichen Rechtes der Eltern auf die Kinder —, wurde schon in 88, 9 betont; mit deren ausdrücklicher Zustimmung jedoch können Kinder unter Eid oder Gelübde verpflichtet werden, falls sie das freiwillig von sich aus tun. Thomas unterscheidet drei Gruppen: charakterlich feste, auf die Verlaß ist, unverbesserlich wankelmütige und eine mittlere Gruppe. Eid oder Gelübde abzunehmen wäre überflüssig bei fester Charakterveranlagung, ebenso bei tiefsitzendem Wankelmut, wenn Treue nicht erwartet werden kann; für die mittlere Gruppe, die weder ganz zuverlässig noch im eigentlichen Sinne unzuverlässig ist, sind Gelübde oder Eid angebracht. In dem ungefähr gleichzeitigen CR 12 werden zu unserer Frage folgende Gründe beigefügt: a. Die Festigung des Willens durch Gelübde wird negativ bewiesen durch Spr 13, 4, positiv durch 1 Kor 15, 58. Hinzu tritt die Autorität des A r i s t o t e l e s , demzufolge es zur Tugend erforderlich ist, daß sie fest und unerschütterlich wirke. Nun tragen aber Eid und Gelübde dazu bei, den Willen im Guten zu befestigen, wie Ps 119 (118), 106 lehrt. Als weiterer Grund dienen die Ge-

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pflogenheiten der menschlichen Gesellschaft, b. Das Wirken 188, z einer niederen Tugend wird um so wertvoller, je mehr es an das Wirken einer höheren Tugend angeschlossen ist. Nun ist aber die Gelübdeablegung Werk der Gottesverehrung, also wird jede Tugendübung, falls durch Gelübde verfestigt, zugleich ein Werk der Anbetung, nach Is 19, 2 und Ps 76 (75), 12. Unser Argument b. wird in der Summa nur mit einer flüchtigen Andeutung gestreift: „Gelübdeablegen ist Akt der Gottesverehrung, die eine gewisse Ehrenstellung einnimmt unter den Tugenden". Für Thomas war die Unterordnung der niederen und die Überordnung der höheren Tugenden so geläufig mit allen ihren Folgerungen, daß die kurze Anspielung für den Kenner seiner Tugendlehre (vgl. 88, 6) genügen konnte. c) Unabhängigkeit der Entschließung (Antwort). — Junge, in der Welt lebende Menschen können sich durch einfache Gelübde verpflichten zum Ordenseintritt. Warum aber sagt Thomas nicht: Es ist an sich lobwürdig, daß junge Menschen sich selbst zum Ordensstand verpflichten? Man kann vermuten, daß die Wahl der passiven Form der Auskunft Thomas nur deswegen unbedenklich scheint, weil nach den Entscheidungen von 88, 9 die Gefahr einer Blockierung der freien Selbstbestimmung im Gelübde nicht mehr akut ist bei Menschen, die Thomas hier vor Augen hat; man denkt etwa an Studenten gegen Ende des zweiten Jahrzehntes ihres Lebens. Jedenfalls muß die passive Form — obligari — interpretiert werden vom Anderseits her, welches die Uberzeugung des Autors im Sinne einer aktiven Entscheidung zum Ausdruck bringt, die einer jeden echten Gelübdeablegung als Kern innewohnen muß. C a j e t a n macht Vorbehalte gegen die leichte Ablegung eines Gelübdes; ob er dabei Oblaten im Sinne hat oder frei in der Welt lebende junge Menschen oder bewußt beide zusammenfaßt, ist aus seinem Text nicht zu entnehmen. Er schließt folgendermaßen: so wie das Werk des Ordenseintritts eine ungewöhnlich große Geldspende oder eine weite Wallfahrt überrage, so überrage das Gelübde des Ordenseintritts das Gelübde einer großen Geldspende oder einer weiten Wallfahrt. Wie man vorher sich wohl überlege, ob man eine große Summe Geldes spende oder eine langwierige Wallfahrt unternehme, so müsse man erst recht lang und gründlich überlegen, bevor man den Ordenseintritt gelobe. Seine Worte zeugen von großer Nüchternheit: „Obwohl es löblich ist, jemand zum Ordenseintritt zu bewegen, 60 lobe ich doch nicht denjenigen, der zu einem Gelübde bewegt, das darauf abzielt, den Eintritt in den Ordensstand zu sichern. Denn das Gelübde, welches durch Veranlassung (inductio) eines anderen abgelegt wurde, geschieht nicht völlig aus eigener Entschließung, und darum scheint es nicht ganz frei zu sein. Die Erfahrung aber, die Meisterin des Lebens, bezeugt, daß späteres Ördensleben weniger froh zugebracht wird, wenn jemand sich daran erinnert, nicht freiwillig, nicht aus eigener Neigung, sondern durch fremde Veranlassung eine solche Wahl getroffen zu h a b e n . . . und erst recht, wenn es sich darum handelt, im Fleische außerhalb des Fleisches zu leben, in der Armut usw." Diese Ausführungen C a j e t a n s betreffen den Fall, daß

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2 e i n e g e w i s s e A u f d r i n g l i c h k e i t v o n Seiten d e s z u m G e l ü b d e R a t e n d e n v o r l i e g t , e i n e A r t v o n G e s c h ä f t i g k e i t o d e r Interessiertheit, die d e r E n t s c h l i e ß u n g des a n d e r e n v o r a n g e h t und d e s w e g e n s e i n e F r e i h e i t leicht zu b e e i n t r ä c h t i g e n G e f a h r l ä u f t . E s gibt jedoch e i n e a n d e r e A r t v o n Z u r a t e n , die in der R i c h t u n g d e r schon f e s t g e l e g t e n , w e n n auch noch nicht a u s d r ü c k l i c h entf a l t e t e n W i l l e n s e n t s c h e i d u n g des a n d e r e n liegt. D a s K r i t e r i u m f ü r g u t e s oder schlechtes Z u r a t e n , also zur U n t e r s c h e i d u n g e i n e s echten L i e b e s d i e n s t e s v o n A u f d r i n g l i c h k e i t und Interessiertheit, ist leicht zu finden. F l i e ß e n m e n s c h l i c h e G e s i c h t s p u n k t e irdischer Art (Sicherung sorglosen Lebensunterhaltes, G e n u ß von R e i c h t ü m e r n , P f r ü n d e n usw., D o k t o r - P r o m o t i o n , A u f r ü c k e n in E h r e n s t e l l u n g e n u. ä.) in den Rat ein, so ist das Z u r a t e n schlecht. S i n d ausschließlich G r ü n d e ü b e r n a t ü r l i c h e r O r d n u n g m a ß g e b e n d , so besteht k e i n e G e f a h r des M i ß b r a u c h s , d e n n solcho G r ü n d e a p p e l l i e r e n an die höchsten T u g e n d e n : O p f e r e e i s t , Hochgemutheit, Gottvertrauen; und von der Gipfelhöhe solcher B e w e g g r ü n d e a u s ist S c h m e i c h e l e i , V e r l o c k u n g o d e r Verführung undenkbar. d) Stand und Freiheit. — Es ist h i e r d e r Ort, e i n i g e s G r u n d sätzliches zum P r o b l e m S t a n d und F r e i h e i t zu s a g e n . S c h ö n d e r Eintritt in den S t a n d d e s C h r i s t e n schlechthin setzt F r e i h e i t v o r a u s , w i e a u s F r a g e n und A n t w o r t e n des T a u f g e l ü b d e s h e r v o r g e h t , w o b e i die Z u s a g e in d e r K i n d e r t a u f e d u r c h S t e l l v e r t r e t u n g erteilt und nachträglich noch e i n m a l v o n d e m T ä u f l i n g e i n g e h o l t w i r d , d e r d i e erste Z u s a g e d e r P a t e n ratifiziert und e n d g ü l t i g macht. — D e r Eintritt in den E h e s t a n d ist so s e h r ein A k t d e r F r e i h e i t , d a ß d i e F r e i w i l l i g k e i t d e r Z u s t i m m u n g ( e h e l i c h e r K o n s e n s ) die G ü l t i g k e i t des s a k r a m e n t a l e n V o l l z u g s b e g r ü n d e t ; w a r d e r K o n s e n s m a n g e l h a f t , so ist die Ehe null und nichtig, das S a k r a m e n t nicht e m p f a n g e n . — ist e b e n f a l l s u n m ö g l i c h D e r Eintritt in d e n O r d e n s s t a n d ohne freie Entscheidung; wird die Unfreiheit nachgewiesen, so ist das G e l ü b d e u n g ü l t i g . D a r u m w i r d h e u t e v o r d e r G e lübdeablegung vom B e w e r b e r eine schriftliche Erklärung über d i e F r e i h e i t des zu v o l l z i e h e n d e n Schrittes g e f o r d e r t ; so d a ß s p ä t e r e E i n r e d e n g e g e n die G ü l t i g k e i t d e r G e l ü b d e a b l e g u n g fast d u r c h w e g s h i n f ä l l i g w e r d e n , es sei denn, d i e U n t e r s c h r i f t vor der G e l ü b d e a b l e g u n g w ä r e irgendwie nachweisbar durch Furcht, Z w a n g o d e r List e r p r e ß t w o r d e n . — Ä h n l i c h e s gilt f ü r die G ü l t i g k e i t des S a k r a m e n t e s d e r P r i e s t e r w e i h e . Auch d e r b i s c h ö f l i c h e Stand ist n u r in F r e i h e i t e r r e i c h b a r , w e i l zu s e i n e r Ü b e r n a h m e e i n e R e i h e v o n B e d i n g u n g e n gesetzt w e r d e n , die n u r in F r e i h e i t s e t z b a r s i n d . D e r N a c h w e i s f ü r die Richtigkeit o b i g e r T h e s e n w i r d a b e r auch grundsätzlich g e f ü h r t mit H i l f e v o n P r i n z i p i e n . G a n z allg e m e i n gilt, d a ß j e d e r t u g e n d h a f t e A k t n u r in F r e i h e i t gesetzt w e r d e n k a n n , also auch d e r Eintritt in d i e oben g e n a n n t e n S t ä n d e . K e i n e m e n s c h l i c h e Macht k a n n z u m Eintritt in i r g e n d e i n e n g e i s t l i c h e n Stand z w i n g e n ; d e n n n u r f r e i e , d. h. vollm e n s c h l i c h e A k t e h a b e n die K r a f t zur G r u n d l e g u n g e i n e s so e n t s c h e i d e n d e n W e r k e s . S e l b s t w e n n es e i n e Macht g ä b e , die d e n M e n s c h e n z w i n g e n k ö n n t e , das S t r e b e n nach V o l l k o m m e n heit als Z i e l zu e r g r e i f e n , so w ü r d e d i e s e A u f l a g e v o n s e i t e n

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e i n e r h ö h e r e n Macht nie u n d n i m m e r den Stand d e r Voll- 189, a kommenheit als solchen f ü r den Betreflenden zur Folge h a b e n ; dieser Stand k a n n n u r durch ein freies, selbsterwähltes Gelübde e r g r i f f e n w e r d e n . Ähnliche S t ä n d e — Hospitaldienst, Ehelosigkeit, Caritas als L e b e n s a u f g a b e — e r f o r d e r n ein ähnliches, festbestimmtes Vorhaben. Die hier z u g r u n d e liegende Problematik w ü r d e m o d e r n ausgedrückt etwa so l a u t e n : D i a l e k t i k v o n L e x (äußerer Stand) u n d P n e u m a (innerer Stand), von Gesetz und Geist. J e m e h r e i n e r das Gesetz ernst nimmt und verwirklicht, um 60 nachdrücklicher wird er durch den Hl. Geist selbst — eine göttliche Person — vom tötenden Gesetz des Buchstabens gelöst und in die lebendigmachende — personale — Freiheit g e f ü h r t . U m g e k e h r t : J e m e h r ein Mensch vom Geiste Gottes in die Freiheit h i n e i n g e f ü h r t wird, um so t r e u e r dient er um der Gemeinschaft willen, die nicht n u r aus Vollkommenen, s o n d e r n auch aus Unvollkommenen besteht, dem Gesetz, dessen gerade die Unvollkommenen besonders b e d ü r f e n . Der Geist der W a h r heit also, d e r Geist Gottes, f ü h r t Seine Freien nicht in den Libertinismus, s o n d e r n in i m m e r tiefere Bindungen hinein, welche aber nicht als Fessel, s o n d e r n durch große Gnade auf h ö h e r e r E b e n e w i e d e r u m als Freiheit e m p f u n d e n w e r d e n . So können Menschen, welche innerlich hocherhaben sind ü b e r kleinliche Gesetzesvorschriften, F e i n d e jedes Legalismus, Menschen also, welche die freiesten sind vor Gott, zugleich Vorbilder sein f ü r treueste Gesetzeserfüllung. So sagt Christus: „Ich bin nicht gekommen, das Gesetz a u f z u h e b e n , sondern es zu e r f ü l l e n " (Mt 5, 17). W e n d e t man diese E r k e n n t n i s auf den Ordensstand an. so w ä r e zu s a g e n : Der Gnadenstand ist unsichtbar, innerlich und ein Stand der F r e i h e i t ; der Ordensstand als ,Stand' der Vollkommenheit ist sichtbar, äußerlich und ein Stand der Dienstbarkeit. Zwischen diesen beiden Bestimmungen besteht kein Widerspruch, weil die erreichte Liebe i m m e r mehr in die Freiheit h i n e i n f ü h r t . Stand der Gnade und Liebe ist Ziel des Standes d e r Dienstbarkeit. W e n n wir also im Stande der Dienstbarkeit ernstlich dienen, mit a n d e r e n Worten, w e n n w i r u n s e r e Dienstbarkeit — eben die Lex — ernst n e h m e n , so wachsen wir immer tiefer h i n e i n in die herrliche Freiheit der K i n d e r Gottes (Rom 8, 21), welche in G n a d e und Liebe besteht: P n e u m a . Darum heißt es in der G r u n d r e g e l vieler Orden, auch des D o m i n i k a n e r o r d e n s : ,,Ihr sollt leben nicht wie Knechte u n t e r dem Gesetz, s o n d e r n wie F r e i e u n t e r der G n a d e " (Augustinusregel). Verpflichtet der Stand der Vollkommenheit zu inneren Akten? Einer solchen Verpflichtung steht das b e r ü h m t e Axiom entg e g e n : Die Kirche schreibt k e i n e rein i n n e r e n Akte vor, ein Satz, der irgendwie v e r w a n d t ist mit dem römischen Grundsatz: „Über das I n n e r e urteilt der Richter nicht". Dazu ist zu b e m e r k e n , daß der Mensch aus freiem Willen sich zu i n n e r e n Akten verpflichten kann, damit die Freiheit d a n n in organischer A u s w i r k u n g zum Schmuck d e r Kirche in ä u ß e r e n H a n d lungen aufleuchte. W ä r e es nicht eine Sinnlosigkeit, n u r ä u ß e r e H a n d l u n g e n zu setzen, tote A t t r a p p e n u n d leere Kulissen, gleichsam Rinde ohne Kernholz?

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189, 2

Über die Bedeutung dieser Freiheitstheologie als Gegengewicht gegen drückende äußere Unfreiheiten und Ungerechtigkeiten im Sländewesen des Mittelalters handelt Schwer1. Nicht nur Predigten und Schachbücher, auch theologische Summen heben ausführlich die Dialektik der Freiheit und Knechtschaft ins Licht. Wert, Würde und Freiheit der christlichen Person konnte nicht gründlicher herausgearbeitet werden, als es gerade in den Summen geschah. „In einem Zeitalter, das den modernen Gedanken der Gleichheit aller vor dem Recht nur in erheblich eingeschränktem Umfang kannte und dessen unglaublich schwerfälliges und langwieriges Rechtsverfahren vielfach gerade im kleinen Manne das bittere Gefühl der vollkommenen Minderwertigkeit und Rechtlosigkeit mußte aufkommen lassen, war es von kaum zu überschätzender Bedeutung, daß wenigstens der christliche Glaube einen Boden herstellte, auf dem alle Stände gleichwertig und gleichberechtigt nebeneinander standen".*

189,3

3. Verpflichtung zum Ordenseintritt auf G r u n d e i n e s G e l ü b d e s (Art. 3). — Die Fassung der Überschrift könnte die Vermutung auftauchen lassen, es handle sich um diejenige Erfüllungspflicht, welche bei Oblaten vorliegt, da aus der passiven Formulierung an sich nicht hervorgeht, wer das Gelübde (Eltern oder K i n d e r ? ) abgelegt hat. Die A n t w o r t bringt Aufklärung: Im Artikel selbst ist mehrmals die aktive Form gewählt (vovit; mancipat; se obligat; se obligare intendit), woraus hervorgeht, daß es sich nicht um Oblatenverpflichtungen alten Stils, die von den Eltern für die Kinder übernommen wurden, sondern um freiwillig eingegangene Gelübde selbständiger Personen handelt. Zu 1. Wenn der Grundsatz, daß, wer ein Gelübde nicht gänzlich zu erfüllen in der Lage ist, gehalten sei, es wenigstens teilweise zu erfüllen, richtig ist, erhebt sich die F r a g e : Muß jemand, der Ordenseintritt gelobt hat, jedoch infolge eigener Schuld oder infolge Ablehnung der Oberen nicht aufgenommen wurde, wenigstens einen Teil seines Gelübdes — Keuschheit und Armut — verwirklichen? W e n n Armut und Keuschheit nicht als direktes Ziel Gegenstand des Gelübdes waren, sondern nur mittelbar als Folge eines faktisch vollzogenen Ordenseintrittes mitgesetzt waren, Keuschheit und Armut also nicht fürs weltliche Leben versprochen wurden, ist der Abgewiesene nicht gehalten, sie zu beachten. Hätte e r Keuschheit und Armut hauptsächlich, den Ordenseintritt nebensächlich gelobt, so wäre er in Kraft des Gelübdes gehalten, auch als Abgewiesener und in der Welt Verbleibender Armut und Keuschheit zu halten. Schwierigere Einzelfragen sind zu entscheiden nach dem genauen Wortlaut bzw. Inhalt des Gelübdes. Es gehört zur Aufrichtigkeit Gott gegenüber, daß man nach erfolgtem Gelübde keine Hindernisse des Eintrittes schaffe, um durch dieses Hinterpförtchen entschlüpfen zu können, sondern es muß Sorgfalt aufgewendet werden, damit das Gelübde nicht 1 Wilhelm S c h w e r , Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters. Paderborn 1934, S. 57. 2 S c h w e r. S. 55.

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scheitere; zukünftigen Hindernissen ist also nach Kräften vor- 189, 3 zubeugen. Ebenso sind Bedingungen, die mit dem Gelübde gesetzt wurden, nicht zu vereiteln, um den Folgen des Gelübdes entgehen zu können. Die Bitte um Ordenseintritt muß nachdrücklich vorgetragen werden, so daß nicht Lauheit oder Gleichgültigkeit vermutet werden kann und so wegen ungenügenden Eifers die Aufnahme versagt werde. Muß der um Ordenseintritt Ersuchende sein Gelübde erwähnen? Die Autoren sind uneinig in Beantwortung dieser F r a g e ; sicher ist nur, daß es erwähnt werden muß, wenn sonst die Ablehnung gewiß wäre. W e r bedingungsweise Gelübde ablegt, ist, wenn er den Eintritt der Bedingung hindert, zwar nicht verpflichtet, das Gelübde zu erfüllen, aber er sündigt schwer; er muß Buße tun für eine Verletzung der Tugend der Gottesverehrung, deren Folgen lebenslänglich sind. W e r sich absichtlich ungeeignet oder untauglich macht zur Erfüllung des Gelübdes, anstatt sich darauf vorzubereiten, sündigt ebenfalls schwer. Die Pflicht zur Vorbereitung auf den Ordenseintritt ist nach abgelegtem Gelübde zu urgieren; also muß ein Gymnasiast, der Ordenseintritt gelobt hat, normalerweise sein Abitur machen; ein Fortbildungsschüler oder Lehrling muß normalerweise ein Handwerk lernen, um das Gelübde erfüllen zu können. Würde ein Anwärter sich irren über wesentliche Bedingungen (z. B. Abitur für das Priestertum im Ordensstand), so wäre er vom Gelübde befreit, wenn e r die Bedingung nicht leicht nachholen könnte. Was die Frist der Gelübdeerfüllung betrifft, so ist sie kurz bemessen in Anbetracht der hohen Bedeutung, obwohl gerechte Ursachen einen Aufschub rechtfertigen, z. B. Krankheit, abzulegende Prüfungen usw. W e r aus Saumseligkeit den Ordenseintritt aufschiebt, ohne irgendwie gehindert zu sein, begeht ein Unrecht, weil e r das versprochene Gut — Hingabe seines L e b e n s im Ordensstand — ohne Not verkürzt. Andere Gelübde hingegen verkleinern den Inhalt des Gelübdes nicht, wenn sie aufgeschoben werden (Wallfahrt, Geldspende u. ä.), und darum ist bei solchen Gelübden der unnötige Aufschub weniger bedenklich. Ergibt sich aus einer geplanten Verschiebung die spätere Unwahrscheinlichkeit oder gar Unmöglichkeit der Erfüllung, so ist es nicht erlaubt zu verschieben. Gerechte Hindernisse wären Krankheit oder plötzlich eingetretene Schuldenlast, welche im Stande des Ordens nicht beseitigt werden können. Die umfangreiche Kasuistik, welche von den alten Autoren in bezug auf Ehehindernisse in Verbindung mit Ordensgelübden durchgearbeitet wurde, können wir auf sich beruhen lassen. Ähnliche Verwicklungen entstehen bei Pflichtenzusammenstoß zwischen einem Gelübde des Ordenseintritts und der Wahl zum Bischof; auch diese Erörterungen sind selten praktisch. Zu 2. „Wer das tut, was an ihm l i e g t . . d e r Ausdruck bedarf der Klärung. Wann hat ein Anwärter genug getan? Auch hier hat sich die Kasuistik der Vielfalt möglicher Fälle beinächtigt und drei Gruppen unterschieden: Gelübde des Eintritts in ein bestimmtes Kloster, in einen bestimmten Orden, in einen Orden überhaupt. W e r zurückgewiesen wird ohne eigene Schuld, ist frei und des Gelübdes ledig. W e r daran zweifelt,

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189, 3 ob er bei der Gelübdeablegung ein bestimmtes Kloster im Auge hatte oder ganz im allgemeinen Gelübde ablegte, darf zu seinen Gunsten interpretieren im Sinn der leichteren Lösung, d. h. der minderen Verpflichtung; man kann auch das Sicherere wählen oder das Wahrscheinlichere. Ist es notwendig, nach der Zurückweisung, die aus bekannten oder unbekannten Gründen erfolgte, einen zweiten Versuch zu machen, wenn ein Wechsel in den Ämtern eingetreten ist und eine Aufnahme deswegen wahrscheinlicher wird? War der Anwärter für immer abgelehnt worden, so besteht keine Notwendigkeit, ein zweites Mal die Aufnahme zu versuchen, wenn ein Wechsel in den Ämtern eingetreten ist; anders, wenn er nur zeitweilig zurückgestellt worden war. Wer also einmal ernstlich zurückgewiesen wurde, bleibt frei für immer, es sei denn, er habe besondere Hartnäckigkeit gelobt, um an vielen Pforten anzuklopfen. Kurz gefaßt: Solange irgendeine begründete Hoffnung besteht, den Eintritt irgendwo zu erlangen, ist die Bitte um Aufnahme zu stellen. Wird sie abschlägig beschieden, dann erlischt die Verpflichtungskraft des Gelübdes. Auch hier beschäftigt sich die Kasuistik ausgiebig mit der Frage, welche Arten von Orden unter das Gelübde des Ordenseintritts fallen, ob Eintritt in Orden mit verfallener Zucht erlaubt sei, ob Übertritt vom strengeren zum milderen Orden und umgekehrt möglich ßei usw. Wer über diese mit dem Gelübde zusammenhängenden Fragen ausgiebigste Informationen wünscht, lese bei P a s s e r i n i im Kommentar zu unserem Artikel nach. Zu 3. Thomas lehrt in 88, 3 kurz und bündig, daß die Tugend der Treue verlange, das Gott gegenüber abgelegte Gelübde einzuhalten. Es gehört zum Wesen der Treue, zu dem Versprochenen zu stehen. Und dies am allermeisten Gott gegenüber, um Seiner Oberherrschaft und um der Dankbarkeit willen, die wir Ihm schulden. Wer also ein abgelegtes Gelübde nicht verwirklicht, begeht Treubruch; von hier aus ist der Zugang zur Lösung unseres Artikels leicht. Wir treffen sowohl in der Antwort als in der Lösung Zu 3 den bereits erläuterten Begriff der mancipatio aus 186, 1, der auch hier in seiner ganzen Strenge zu verstehen ist. Modernen Versuchen gegenüber — sie beginnen mit C a j e t a n in seinem Kommentar zu 88, 11 —, die Meinung des Aquinaten abzuschwächen, muß man die Folgerichtigkeit bewundern, mit der Thomas an der Unverbrüchlichkeit des einmal Gott dargebrachten Geschenkes festhält. All diese Aussagen über das Gelübde, mögen sie mehr oder weniger Abstand haben von der Kernfrage der mancipatio, sind fest untereinander verklammert. 189,4

4. V o m S i n n d e r P r o b e z e i t (Art. 4). — Die Fragestellungen des Artikels lassen sich verfeinern. Wer an Stelle des Gelübdes, in einen Orden einzutreten, ganz allgemein das Gelübde ablegt, Mönch zu werden, tut dem Gelübde nicht genug, wenn er nur das Noviziat mitmacht und dann austritt; er ist gehalten zu bleiben, es sei denn, daß schwerwiegendste Tatsachen eine Umwandlung des Gelübdes ermöglichen. Wie steht es mit dem ohne vernünftige Gründe Austretenden? Dazu zwei Erwägungen: 1. Die Erprobung während des ganzen

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Noviziates wäre sinnlos, wenn der kirchenrechtlich und formal- 189, 4 juristisch unbestreitbar erlaubte Austritt vollzogen würde, trotzdem sich keine Gründe gegen das Bleiben im Ordensstand entdecken lassen. Der Sinn einer Erprobung liegt, um was immer es sich handeln möge, darin, das als gut Erkannte und Erprobte anzunehmen. Wer das nicht tut, verfehlt sich gegen die guten Sitten. Die bloße Ausübung des Rechtes der Freiheit ist vor dem Gewissen und vor Gott als Austrittsgrund allein nicht stichhaltig; in diesem Falle wird eine Sünde gegen das Gelübde des Eintritts begangen, sogar dann, wenn das Gelübde sich nur auf die Erprobung bezog. 2. Da das Noviziat eine Art zweiseitiger Abmachung darstellt, läßt sich aus der Umkehrung der Betrachtung dasselbe Ergebnis erzielen: Würde ein Kloster einen als gut und tüchtig erkannten Novizen ablehnen unter bloßer Berufung auf die Freiheit, so wäre auch dieses Verhalten ein Verstoß gegen Treu und Glauben, ein Verstoß gegen die guten Sitten, trotz der Freiheit, es zu tun. Der Ordensaustritt ist an sich, sittlich betrachtet, weder gut noch böse; er wird jedoch böse, wenn er nicht auf ein sittlich gutes Ziel hingeordnet ist; er wird gut, wenn er auf ein sittlich gutes Ziel hingeordnet ist. So kann z. B. ein Novize sich sagen: Ich diene Gott besser in einem weltlichen Beruf und in der Ehe. Faßt er diese Gründe als sittlich gutes Ziel auf, und er tut es, da der Dienst Gottes als übergeordneter Gesichtspunkt fungiert, so ist der Austritt nicht schlecht, sondern gut. Wer austritt, ohne gerechte Gründe zu haben, sündigt zwar nicht gegen das Gesetz, welches die Freiheit ausdrücklich festlegt, auch nicht gegen das Gelübde, wenn das Verbleiben im Ordensstande nicht ausdrücklich versprochen war; er sündigt jedoch gegen die Klugheit und gegen die Liebe, in letzter Instanz gegen den einladenden und von ihm verschmähten Herrn. Wer entlassen wurde ohne eigene Schuld, hat dem Gelübde Genüge getan. Die Dutzende von Möglichkeiten, welche von den Kanonisten erwogen wurden, um der Gelübdeerfüllung trotz Entlassung gerecht zu werden, gehören in ein Lehrbuch der Kasuistik. 5. K i n d e r a l s , O b l a t e n ' d e r O r d e n s g e m e i n - 189, 5 schaft (Art. 5). — Zur Geschichte des Oblateninstituts von den Anfängen im AT bis zum 12. Jahrhundert bietet L ec 1 e r q neue, zum Teil bislang unveröffentlichte Unterlagen (Dict. Arch. Chret. Lit., Art. Oblats). Die Regeln von P a c h o m i u s (t346?), B a s i l i u s (f379), C ä s a r i u s (f543), B e n ed i k t u s (t um 550), A u r e l i a n (t 551) sehen vor, daß Kinder beiderlei Geschlechtes durch Gottesverlobung an ein Kloster übergeben werden, ohne die Möglichkeit der Rückkehr in die Welt zu haben. Es scheint, daß B e n e d i k t v o n A n i a n e (t 821) das Verdienst zukommt, die nachträgliche Einwilligung der Oblaten nach Erlangung des Vernunftalters gefordert zu haben (Kapitulare von A a c h e n 817), wenn auch nicht feststeht, ob damit eine Möglichkeit verbunden war, bei Nichtablegung der Gelübdeerneuerung in die Welt zurückzukehren. Das Institut blieb unangefochten, bis der Mönch G o t t s c h a l k (+868/9), der in früher Kindheit von seinen Eltern bzw. Ver-

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189, 5 w a n d t e n d e m K l o s t e r F u l d a als Oblate ü b e r g e b e n w o r d e n w a r , als Erster d i e Gültigkeit seines Gelübdes mit m e h r f a c h e r Begründung anfocht; das K o n z i l von M a i n z hat ihm 829 die Ungültigkeit bestätigt, ein Zugeständnis, welches jedoch auf Einspruch seines A b t e s R h a b a n u s M a u r u s später zurückgen o m m e n w u r d e . D e r als B i b e l e r k l ä r e r berühmte A b t schreibt g e g e n G o t t s c h a l k s V e r l a n g e n das „Buch über die K n a b e n w e i h e " , um sich zu rechtfertigen. Nach s e i n e r A u f f a s s u n g ist F r e i h e i t s m a n g e l auf Seiten des K i n d e s kein Nachteil, da man ja durch Ordensgelübde d e r Knechtschaft der Sünde entgehe ( P L 107/419 fi.). Auch a n d e r e R ü c k f ä l l e b l e i b e n nicht aus: die K o n z i l i e n v o n W o r m s 868, v o n T r i b u r 895 bestimmen, daß Oblaten nach erlangter M ü n d i g k e i t nicht m e h r austreten dürfen, sie sollen zum B l e i b e n g e z w u n g e n w e r d e n ; ein letztes M a l haben Gesichtspunkte des römischen Rechtes (väterliche G e w a l t ) und die Macht der kirchlichen T r a d i t i o n über g e r m a nische Freiheitsanschauungen gesiegt. D i e K l o s t e r r e f o r m e n des 10. und 11. Jahrhunderts b r i n g e n e i n e n W a n d e l , insofern die W e i h e d e r K i n d e r auf das 15. Jahr verschoben w i r d . Die K o n g r e g a t i o n von H i r s a u hat als erste das Institut beseitigt, zum T e i l auch w e g e n d e r v i e l e n damit v e r b u n d e n e n Mißbräuche. Aristoteles unterscheidet zu Beginn d e r Ethik drei Altersstufen der K l u g h e i t : v o r d e m 7. Jahre w e d e r selbständig e r Verstand noch Verständnis dessen, w a s a n d e r e e r k l ä r e n ; v o r d e m 14. Jahre noch unselbständiger Verstand, a b e r V e r ständnis dessen, w a s a n d e r e e r k l ä r e n ; nach d e m 14. Jahre selbständiger V e r s t a n d und Verständnis dessen, was a n d e r e erklären. Das heutige Kirchenrecht setzt die Erreichung des V e r n u n f t gebrauches nach V o l l e n d u n g des 7. L e b e n s j a h r e s a n ; die Erreichung der Geschlechtsreife bei K n a b e n mit 14, bei Mädchen mit 12 J a h r e n ; nach V o l l e n d u n g des 21. L e b e n s j a h r e s beginnt die V o l l j ä h r i g k e i t (Can. 88). Ü b e r Grundsätzliches zur F r e i h e i t der Standeswahl s. K o m m e n t a r zu 184, 3 und 4. W a s d i e v ä t e r l i c h e A u t o r i t ä t betrifft, so ist mit allem Ernst v o n namhaften A u t o r e n behauptet w o r d e n , d e r V a t e r tue recht daran, seinen S p r ö ß l i n g f ü r i m m e r e i n e m Orden zu übergeben, w e i l er auf diese W e i s e ein väterliches Recht ausübe und das Beste des Sohnes erreiche, da Keuschheit, Gehorsam und A r m u t den K i n d e r n leicht f a l l e , w ä h r e n d es E r w a c h s e n e n s c h w e r falle. D i e s e z w e i f e l l o s in g u t g l ä u b i g e r Absicht v o r g e tragenen E r w ä g u n g e n sind leicht zu w i d e r l e g e n . D i e Ausübung des unbestreitbaren väterlichen Rechtes muß sich auf die allg e m e i n e väterliche E r z i e h u n g zum christlichen L e b e n beschränk e n ; über das, w a s f ü r das K i n d das Beste sein soll, entscheidet endgültig nicht der V a t e r , sondern Gott und das K i n d selbst in f r e i e r W a h l . D i e S c h w i e r i g k e i t der Einhaltung v o n G e l ü b d e n kann das K i n d noch nicht ermessen, darum muß bis zu d e r e n A b l e g u n g eine Zeit a b g e w a r t e t w e r d e n , in w e l c h e r die e i n i g e r maßen ausreichende Beurteilung d e r S c h w i e r i g k e i t e n von seiten des G e l o b e n d e n selbst, der sich bis zum T o d e b i n d e n soll, möglich ist. D i e f r ü h e r e n S c h w a n k u n g e n betreffs des Eintrittsalters, w e l c h e s von Orden zu Orden, v o n Jahrhundert zu Jahrhundert dem W e c h s e l u n t e r w o r f e n w a r , sind heute durch das

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Kirchenrecht beseitigt, welches in Kanon 555 bestimmt, daß das 189, ~> Noviziat erst nach Ablauf des vollendeten 15. Lebensjahres besonnen werden darf. ö. K i n d e s p f l i c h t

und

Elternpflicht

(Artikel 6) a) Pflicht der Eltern gegenüber den Kindern. — Die Eltern 189. '> verhalten sich nicht nur biologisch, sondern auch geistig zu ihren Kindern wie der Ausgangsgrund zu dem Erzeugten. Dieser oberste Gesichtspunkt behält seine Gültigkeit nach der Geburt weiter bis zur völligen Selbständigkeit des Kindes. Das Wesen des Ausgangsgrundes als solchem besteht darin, sich mitzuteilen und zu vollenden, nicht aber zu empfangen und vollendet zu werden. Hingegen besteht das Wesen des Erzeugten als solchem darin, zu empfangen und vollendet zu werden, nicht aber darin, mitzuteilen und zu vollenden. Diese Selbstmitteilung und Vollendung von Seiten des Ausgangsgrundes erfolgt in der Richtung vom Ausgangsgrunde her (Vaterschaft, Mutterschaft) zum Erzeugten hin (Kindschaft), nicht aber umgekehrt. Darum ist die Unterhaltspflicht der Eltern den Kindern gegenüber a n und f ü r sich eine stärkere als die Unterhaltspflicht der Kinder den Eltern gegenüber. Hier liegt der Grund dafür, daß die Eltern die Pflicht haben, so lange mitzuteilen und zu vollenden, als ihre Kinder des Empfangens und Vollendetwerdens fähig und willig sind. Darum dürfen Eltern ihre Kinder nicht verlassen, auch nicht um des Eintritts in ein Kloster willen, so lange die Kinder bedürftig sind; sind sie geistig selbständig und wirtschaftlich unabhängig geworden, also der elterlichen Sorge in jeder Beziehung eitwachsen, dann sind die Eltern frei. Sind die Kinder jedoch unselbständig (geistig oder körperlich zurückgeblieben) und abhängig (zum eigenen Lebensunterhalt unfähig), dann bleibt die Pflicht der elterlichen Fürsorge f ü r die Kinder unvermindert bestehen, sei es, daß die Eltern unmittelbar sie wahrnehmen, sei es, d a ß sie durch a n d e r e diese Pflicht w a h r n e h m e n lassen; Stellvertretung ist also erlaubt. Ähnliches gilt in Kraft oben erwähnten Sachverhaltes f ü r die Großeltern, falls die Eltern ausfallen, gegenüber den Enkeln, nicht aber umgekehrt. b) Pflicht der Kinder gegenüber den Eltern. — P a s s e r i n i unterscheidet drei Stufen der Notlage, die man etwa so konkretisieren k a n n : Dürftigkeit der Lebenshaltung ohne einschneidende Entbehrungen; bittere Armut und Entblößung, also erhebliche Senkung des Lebensstandards, unter Umständen mit Standesdegradierung oder Standesverlust; äußerste Not, wenn Todesgefahr vorliegt infolge Unterernährung, E r f r i e r e n oder Verhungern. Im ersten Falle dürfen Kinder ohne Zweifel in den Ordensstand eintreten, im letzten Falle ohne Zweifel nicht; diese beiden Grenzfälle leuchten von selbst ein. Schwierigkeit bereitet die mittlere Stufe der Notlage, weil körperliches Wohl der Eltern gegen geistliches Wohl der zum Ordensstand entschlossenen Kinder steht. Die überwiegende Mehrzahl der Theologen entscheidet sich zugunsten der Eltern. Wie liegt die Sache, wenn ein Gelübde des Ordenseintritts von Seiten

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189, 6 eines Kindes vorliegt? Hier haben die naturrechtlichen Überlegungen den Vorrang; darum gilt dasselbe wie bei denjenigen, •welche ohne Gelübde des Ordenseintritts sich zu entscheiden haben. Müssen solche Anwärter den Eltern, o h n e Gelübde abgelegt zu haben, beistehen und in Kraft der oben angegebenen Gründe auf den Ordenseintritt verzichten, dann müssen sie auch m i t Gelübde auf Ordenseintritt verzichten. Es ist keine Sachlage denkbar, wo im Zweifelsfall Wahlfreiheit gegeben wäre; denn entweder sind die Gründe für den Ordenseintritt stärker, dann bewahren sie ihr Übergewicht um jeden Preis; oder die Gründe gegen den Ordenseintritt und für die Unterhaltung der Eltern sind stärker, dann ist ihre Gewichtigkeit zwingend; m. a. W.: beides zugleich kann in einem und demselben Falle nicht richtig sein. Zu 3. Die langwierigen Erörterungen früherer Theologen über die Verpflichtungen, welche vor dem Ordenseintritt zu erfüllen sind, regelt das heutige Kirchenrecht in § 542 und seinen Erläuterungen (Schulden; Verpflichtung zur Rechnungsablage ; juristisch fixierte Bindung durch weltliche Abmachungen irgendwelcher Art). 189, 7

7. P r i m a t d e r G e i s t e s f ü h r u n g (Art. 7). — Das A n d e r s e i t s enthält den berühmten Canon Duae sunt leges, der dem Papst U r b a n II. (1088—99) zugeschrieben wird. Dieser Kanon spricht den Primat der Geistesführung gegenüber dem kirchlichen Amt aus. Wie E s c h m a n n nachwies, hat sich Thomas erst in späterer Zeit zur letzten Ausschöpfung dieses Grundsatzes aufgeschwungen; aus den Einwänden rückt der Canon Duae gegen Ende der Laufbahn des Aquinaten in das Anderseits, welches in unserem Artikel als apodiktisches anzusprechen ist. Wir übersetzen den in seiner Wichtigkeit unübersehbaren Kanon, welcher die unerhörte Kühnheit des Mittelalters in Fragen des Personalismus wie in einem Brennpunkt zusammenfaßt: „Es gibt zweierlei Gesetze, ein öffentliches und ein privates. Das ö f f e n t l i c h e Gesetz ist von den heiligen Vätern durch Schriften bekräftigt, wie das der kirchenrechtlichen Vorschriften, welches um der Überschreitungen willen weiter tradiert wird; z. B. ist in den kirchenrechtlichen Vorschriften bestimmt, daß ein Kleriker nicht von seinem Bistum zu einem anderen wandern darf ohne Empfehlungsschreiben seines Bischofs, was um der Frevler willen beschlossen worden ist, damit keine ehrlosen Personen von irgendeinem Bischof aufgenommen werden. Denn diese hatten die Gewohnheit, in einem anderen Bistum ihre Dienste auszuüben, da sie es im eigenen Bistum nicht vermochten, was jedoch im Recht durch Gebote und Schriften geahndet wird. Das p r i v a t e Gesetz aber ist jenes, das durch den Antrieb des Hl. Geistes ins Herz geschrieben wird, so wie es der Apostel von einigen sagt: „Sie tragen das Gesetz Gottes in ihr Herz geschrieben" (Rom 2, 15) und anderswo: „Da die Heiden das Gesetz nicht haben, sind sie sich selbst Gesetz, wenn sie von Natur aus das, was des Gesetzes ist, tun* (Rom 2, 14). Wenn also jemand, der in seiner Pfarrei unter Aufsicht des Bischofs das Kirchenvolk regiert und in der Welt

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lebt, vom Heiligen Geiste angehaucht wird und in einem Klo- 189, 7 ster oder einem regulierten Chorherrenorden seine Seele retten will, so fordert keinerlei Überlegung, daß er durch öffentliches Gesetz gehindert werde, weil er durch ein privates Gesetz geführt wird. Denn w ü r d i g e r i s t d a s P r i v a t g e s e t z a l s d a s ö f f e n t l i c h e , ist doch der Geist Gottes selbst Gesetz und „die durch den Geist Gottes geführt werden" (Rom 8, 14), werden vom Gesetz Gottes geführt, und „Wer könnte dem Heiligen Geist widerstehen?" (Apg 7, 51). Jeder also, der von diesem Geist geführt wird, soll frei ziehen können in Kraft Unserer Autorität, auch wenn sein Bischof widerspricht. „Dem Gerechten nämlich ist das Gesetz nicht aufgestellt" (1 Tim 1, 9), sondern: „Wo der Geist Gottes ist, da ist Freiheit" (2 Kor 3, 17) und: „Wenn ihr vom Geiste Gottes geführt werdet, seid ihr nicht unter dem Gesetz" (Gal 5, 18). Vom Standpunkt des Gemeinwohls aus gesehen, bedeutet der von den Mendikantengegnern aller Richtungen so bitter angefochtene Übergang der Weltpriester in den Ordensstand nicht nur etwa einen soziologischen Wechsel des Standes, sondern mehr als das: den Übergang in eine höhere Form der Wirksamkeit und der Gemeinnützigkeit. Die Nachweise hierfür sprengen den Rahmen eines Kommentars. Vgl. dazu E s c h m a n n (Bonum commune melius, IV). Heute ist auch diese Frage endgültig geregelt durch Kanon 188, 1 und 584. — Wenn in der A n t w o r t die eidliche Verpflichtung der Bischöfe auf das geistliche Wohl ihres Bistums „ein feierliches Gelübde" genannt wird, so ist der Ausdruck im weiteren, nicht im engeren Sinne zu nehmen; denn Thomas selbst erklärt das feierliche Gelübde des Mönches für indispensabel (88, 11), das des Bischofs für lösbar von seiten des Papstes (184, 6; 185, 4). Die Begründung Zu 2 geht dahin, daß Tugend selten sei; die Erhaltung des Menschengeschlechtes wird von H i e r o n y m u s auf Begehrlichkeit und Sinnlichkeit zurückgeführt. Der junge Thomas weiß einen besseren Grund: Die Vorsehung hat den Menschen verschiedene Neigungen eingesenkt: Landwirtschaft, Kriegsdienst, Ehe, Jungfräulichkeit, Beschauung usw. sind Berufe; die Selbstgliederung der Menschen nach Berufsständen erfolgt auf Grund ihrer Veranlagung und das Ergebnis dieser Selbsteinstufung ist die Harmonie der Gesellschaft (4, d. 26: 1, 2 Zu 3). 8. Ü b e r t r i t t v o n e i n e m O r d e n z u m

anderen

(Artikel 8) a) Der geschichtliche Sinn des Artikels. — Die erste Hälfte 189, 8 des Artikels ist den Gründen gewidmet, die g e g e n den Ordenswechsel sprechen; die zweite Hälfte den Gründen, welche f ü r ihn sprechen. Die Lösung der E i n w ä n d e zeigt, daß Thomas dem Ordenswechsel abhold ist, solange der Orden in der debita perfectio, also in der ihm gebührenden Vollkommenheit sein inneres Gleichgewicht hat; ging dieses verloren, so neigen seine Sympathien unverhohlen dem Übertritt zu. Heutzutage sind die gegenseitigen Verhältnisse der Orden weitgehend im Sinne einer religiösen Statik festgelegt; in

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189,8 Kanon 632—36 werden die Bedingungen des Übertritts beschrieben. Die Möglichkeit des Ordenswechsels hat jedoch zur Zeit, da Thomas schrieb, noch einen ganz anderen Sinn, in einer Zeit religiöser Dynamik also, wo Reiormkongregationen fast in jedem Orden aufeinanderfolgten. Während in der Moderne fast nur noch ganz neue Gemeinschaften entstehen mit völlig neuen Satzungen, sind im Mittelalter viele Gemeinschaften auseinander hervorgegangen, wie etwa Prämonstratenser, Zisterzienser, Kamaldulenser usw. aus den alten Benediktinerabteien, Kapuziner aus den Franziskanern sich ablösten. B e r n h a r d v o n C l a i r v a u x beweist in seinem „Buch über Gebot und Dispens" (PL 182/860 f.), daß es möglich ist, die Gelübde von einer laxeren zu einer strengeren Regelhandhabung umzuwandeln. Darum ist Bernhard grundsätzlich damit einverstanden, wenn auch unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Aufrichtigkeit und Beharrlichkeit, daß Prämonstratenser und Kluniazenser zu den Zisterziensern übergehen. In diesem Falle bedeute das Verlassen der laxeren Richtung eine neue Form der Weltflucht, eine ,zweite Bekehrung', was im aufschlußreichen Kapitel 16 desselben Buches entwickelt wird (ebd. Seite 885). Er beglückwünscht im Brief 34 einen Mönch zum Übertritt — seine Formulierungen sind zwar in der Form biblisch, inhaltlich aber überkühn — und steift ihm den Rücken gegen alle Widerstände (ebd. S. 139). Ähnliche Verhältnisse mögen in vielen Klöstern und Kongregationen geherrscht haben. Wenn man in Betracht zieht, daß die einzelnen Orden sich mit Hilfe päpstlicher Verbote des Übertritts in neuere Orden gegen die Gefahr der Aushöhlung zu sichern suchten, erhalten die Thesen des Artikels erhöhtes Gewicht; sie bedeuten eine entschlossene Parteinahme. Man verfehlt also den Sinn dieses Artikels, wenn man ihn nur im heutigen Sinne als Übergang von einem historisch längst festgelegten zu einem anderen ebenfalls historisch längst fastgelegten Ordensgefüge versteht. Der Sinn dieses Artikels liegt, geschichtlich betrachtet, in nichts anderem als in der Forderung freien Wettbewerbs während des stillen Kampfes zwischen älteren laxeren und neueren strengeren Richtungen, ein Wettbewerb, der sich naturgemäß zugunsten der strengeren Abspaltung auswirken soll. Diese Absicht ist im A n d e r s e i t s genau getroffen, es hat also apodiktischen Charakter. Beim Übergang zu einem strengeren Orden wird das erste Gelübde gleichsam zu tieferer Auswirkung gebracht oder in ein besseres umgewandelt, ohne Schaden der früheren Gemeinschaft, da in jedem Gelübde stillschweigend die Bedingung enthalten ist, daß das im Gelübde Versprochene kein Hindernis höherer Vollkommenheit werde. Überdies wird das Gelübde in erster Linie Gott gegenüber, dem Vorgesetzten gegenüber erst in zweiter Linie abgelegt, wie es auch nicht um des Vorgesetzten willen, sondern um Gottes willen abgelegt wird. b) Bestimmung des ,sirengeren' Ordens. — Was versteht Thomas unter einem ,strengeren' Orden? Nach seiner ausdrücklichen Lehre ist der strengere Orden nicht ohne weiteres vollkommener, weil nur diejenige Gemeinschaft vollkommener ist,

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welche ein höheres Ziel anstrebt und geeignetere Mittel zur lyg. » Erreichung dieses höheren Zieles ins Werk setzt. Sind es die äußeren Gepflogenheiten: Fasten, Klausur und Stillschweigen, rauhe Kleidung und körperliche Kasteiung, welche die größere Strenge begründen? Einige Autoren entscheiden sich zugunsten der größeren Strenge, andere zugunsten der höheren Vollkommenheit des Ordenszieles; wieder andere glauben diese Alternative ausschließen zu können durch Überhöhung, indem sie die größere Heiligkeit ausschlaggebend sein lassen. Nicht der Buchstabe der Regel allein, auch nicht die Satzungen allein, sondern die praktische Handhabung ermöglicht ein Urteil darüber, ob der Begriff eines strengen Ordens erfüllt ist oder nicht. Dieses Urteil ist von Fall zu Fall und erst nach genauer Kenntnisnahme der wirklichen Verhältnisse abzugebenUnter diesen Umständen ist nach allgemeiner Auffassung der Übergang von einem nominell strengeren Orden, dessen ursprüngliche Regelhandhabung verlassen wurde, zu einem nominell weniger strengen Orden, dessen Regelhandhabung äußerst gewissenhaft erfolgt, erlaubt. Denn in Wirklichkeit fordert der nominell weniger strenge Orden Schwereres als der nominell strengere, in Wirklichkeit aber lax gewordene. Besteht innerhalb eines früher strengen, später lax gewordenen Ordens die Möglichkeit, Reformkonvente zu gründen, und ist die Hoffnung, daß solche Gründungen nicht wieder zerschlagen oder gar schon im Keime erstickt werden, berechtigt, dann ist ein Übergang in einen anderen Orden nicht erlaubt, da ja die Wiedergewinnung der früheren Strenge innerhalb des eigenen Ordens in absehbarer Zukunft zu erwarten steht. c) Gleiches Recht für Laienbrüder und Kleriker. — Man hat in allem Ernst den Laienbrüdern und Oblaten das Recht, welches Thomas ausdrücklich zugesteht, unter Berufung auf längst überholte Rechtsvorschriften bezüglich der Leibeigenschaft in Klosterverbänden, bestritten. Die Hl. Schrift kennt solche Unterschiede nicht, auch der bereits zitierte Canon Duae sunt leges macht solche Unterscheidungen nicht. Die Rechte der Oberen, den Übergang zu einem wirklich strengeren Orden zu verweigern — Rechte, über welche die Kanonisten sich ausführlichst verbreitet haben —, haben ihre unumstößliche Schranke an der schriftgemäßen Lehre des Canon Duae: Wenn der Untergebene vom Heiligen Geist geführt wird, muß der Übertritt in einen strengeren Orden gewährt werden. d) Ordenswechsel bei Priestern. — Die Lösung Zu '2 bietet Schwierigkeiten, wenn die geschichtliche Differenzierung, die Thomas im Auge hat, nicht beachtet wird. Die einfachste Lösung würde, in geschichtlich eindeutige Stichworte übersetzt, so lauten: Der Übergang von einem Laienorden oder Mönchsorden alten Stils zu einem Klerikerorden oder Priesterorden ist erlaubt, weil es sich um einen sinnvollen Aufstieg handelt; der Übergang von einem Klerikerorden (Priesterorden) zu einem Laienorden ist nicht erlaubt, weil es sich um einen Abstieg, fast möchte man sagen, um eine Degradierung handelt. Der Übergang von einem Klerikerorden zu einem Mönchsorden mit Klerikat, in Wirklichkeit also zu einem Priesterorden, ist gestattet, weil mindestens kein Abstieg erfolgt. 31

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188, x

F ü r den rechtmäßigen Übergang werden gewöhnlich drei Gründe namhaft gemacht: Sühne einer Verfehlung, Sehnsucht nach vollkommenerem Leben oder nach Verborgenheit, Mangel an Eignung. Im ersten Falle könnte man, wenn die kirchenrechtlichen Bedingungen eingehalten werden, von einer Art freiwilliger Strafversetzung sprechen; im zweiten F a l l e ist ein Übergang oder Abstieg deswegen nicht gestattet, weil sich in Anbetracht aller Umstände bei diesem Abstieg der Verzicht auf ein höheres und besseres Gut ergeben würde. Übergang wegen inangelnder Eignung ist unmöglich, solange keine absolute Unfähigkeit nachgewiesen ist im S i n n e der Nichtigkeit des Weiheempfangs. Eine relative Unfähigkeit ist kein Grund zur Rückversetzung in den Laienstand.

189, »

9. E r l a u b t h e i t d e r W e r b u n g (Art. 9). — Das im A n d e r s e i t s verwandte Bild ist aus der Beschreibung der Stiftshütte genommen, deren Bestandteile in höheren und niederen Betrachtungsebenen gedeutet wurden, also jeweils einen mehrfachen Sinn aufweisen. Die Erläuterung des Bildes von den Teppichen findet sich I — I I 102, 1 Zu 8 (Bd. 13). Die Verwendung dieser Stelle in einer so wichtigen F r a g e — es ging um den Nachwuchs der Bettelorden — ist ein Beweis mehr dafür, daß die fast nicht enden wollenden Ausführungen der riesigen Quaestionen in Bd. 13 alles andere als Spielereien sein wollen. Es handelt sich nicht uin die Erlaubnis, andere für den Ordenseintritt zu gewinnen, sondern um eine Aufforderung, wie aus der Titelfassung klar hervorgeht. Thomas schließt nach Ausschaltung ungebührlicher Umstände (Gewalt; finanzielle Verlockung; Unwahrhaftigkeit) ohne Zögern auf ein Sollen. Der Einwand, daß man nur den vom Heiligen Geist Gerufenen den Rat zum Eintritt erteilen dürfe, ist nicht stichhaltig; einmal, weil der Ruf des Heiligen Geistes auch durch die Werbung eines Freundes erfolgen kann, sodann, weil der Eintritt in einen unter dem Anhauch des Heiligen Geistes gegründeten Orden an und für sich ein gutes W e r k ist. W e r also die Fortsetzung eines solchen unter dem Anhauch des Heiligen Geistes gegründeten Werkes durch Nachwuchsförderung begünstigt, wirkt im Sinne des Heiligen Geistes als dessen Werkzeug. Man kann die These von der Rechtmäßigkeit der Werbung dahin verschärfen, daß die Werbung an der Unfehlbarkeit des Heiligen Geistes teilnimmt, wenn der Werbende sich als Werkzeug des Gottesgeistes angetrieben weiß. D e n n : ist er Werkzeug des Geistes, dann ist sein Handeln insofern auch klug und richtig; ist er es nicht, dann ist sein Handeln insofern unklug und falsch, wenn nichts Schlimmeres zutrifft. Auch hier wieder ist der Rückgriff auf die discretio stillschweigend vorausgesetzt (vgl. [ 8 1 ] ) . Die Werbung für den Ordensstand wird unter zwei Bedingungen als heiliges Bemühen gewertet: a) Der Werbende darf sich keiner Gewalt, keiner Schmeichelei, k e i n e r irdischen Versprechungen bedienen. Die Beweggründe müssen im wesentlichen rein übernatürlicher Art sein

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und bei aller möglichen und individuell erwünschten Mannig- 189, 9 faltigkeit irgendwie in der Nachfolge Christi gipfeln. b) Der Orden oder das Kloster, für welche geworben wird, muß vorbildlich sein. Wenn die älteren Patres nachlässig leben, die Jüngeren ebenfalls, droht die Gefahr des Ärgernisses für die Neuen, welche eintreten. Darum ist frühzeitig darauf aufmerksam zu machen, daß der Anwärter Enttäuschungen erleben wird, wenn er bei näherer Fühlungnahme erfährt, daß die Gemeinschaft, für welche geworben wird, der Reform bedarf. Wird diese Vorsichtsmaßregel eingehalten, so kann später gegen den Werbenden nie der Vorwurf erhoben werden, er habe falsche Eindrücke vorgespiegelt. Es ist durchaus denkbar, daß Gott Menschen in einen vom Ideal abgesunkenen Orden ruft, denen er die Kraft verleiht, trotz der Enttäuschungen das Ideal zu leben, um weiteres Absinken zu verhindern oder gar das Niveau zu heben. Die Pflicht zur Wahrhaftigkeit fordert, daß der Werbende mindestens im großen und ganzen den wahren Stand der Dinge schildert bzw. andeutet. Entscheidend für die spätere Beurteilung und Stellungnahme ist die innere Berufung. Ist sie echt, dann hat die Werbung mehr den Sinn eines Anlasses für die Wahl gerade dieses Ordens oder jener Gemeinschaft als den Sinn einer ausschließlichen und eigentlichen Verursachung. Gott, der Berufende, weiß, warum Er ruft und wohin Er ruft. Dieser Umstand ist so wesentlich, daß von ihm allein die Berechtigung oder Nichtberechtigung eines späteren Austrittes abhängt. Hat jemand eine echte Berufung erhalten, dann bietet sich ihm später auch keine Möglichkeit, sich dem übernommenen Stande zu entziehen etwa mit der Begründung: Ich habe mich getäuscht. Ich war gutgläubig, aber ich habe nicht gewußt, in was für eine Räuberhöhle (Mt 21, 13) ich geraten würde. Gott hat es gewußt, der ihn gezogen hat. Es mag lebensuntüchtige Menschen geben, die ins Kloster eintreten, um unter dem Anschein der Lebenserhöhung auf der leichten Bahn des geringeren Widerstandes weiterzugleiten; solche Menschen schlittern in den Ordensstand hinein, indem sie aus dem Leben flüchten; sie sind für das Kloster kein Gewinn, sondern eine Gefahr. Trotzdem bleibt wahr: Der Hl. Geist bedient sich in Seiner göttlichen Freiheit aller Möglichkeiten und zu diesen Möglichkeiten der Veranlassung gehören Unzulänglichkeiten aller Art. Wie aber soll der Ordensobere unterscheiden, ob der Bewerber aus Enttäuschungen. Mißerfolgen im Beruf, Abscheu gegen das Elternhaus, aus bitterer Armut und Lebensuntüchtigkeit den Weg zur Klosterpforte eingeschlagen hat, und nur deswegen? Oder ob diese selben Umstände Mittel des Heiligen Geistes waren, um den Betreflenden, der vielleicht früheren Berufungsgnaden widerstanden hatte, endgültig in den Orden zu ziehen? Grundsätzlich lautet die Antwort so: Sind diese negativen Lebensumstände nur Anlaß, nicht aber Ursache des Klostervorhabens, so dürfen sie kein Hindernis bilden. Wer sich auf der Bahn des stärkeren Widerstandes emporarbeitet, wer den Höhenweg des Evangeliums nicht nur zu Beginn, sondern lebenslänglich einzuhalten gewillt ist > uhd den Mut- hat, wird dem Ordensoberen willkommen sein, der allerdings .-»einerseits der Einsprechung 31*

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189, 9 des Heiligen Geistes bedarf, um zu erkennen, ob die erwähnten negativen Lebensumstände nur Anlaß oder Ursache de« Klostervorhabens sind. In Anbetracht neuerer Strömungen, die den Ordensstand als überholt, als eine geschichtliche Einrichtung von zwar großen Verdiensten in der Vergangenheit, jedoch ohne echte Gegenwartsbedeutung hinstellen, ist eine Gewissenserforschung von Seiten der Orden unerläßlich. Entweder entsprechen diese Orden ihrem Gründungszweck voll und ganz, dann sind die Angriffe auf solche Orden ungerecht und in Anbetracht der kirchlichen Verlautbarungen über die Heiligkeit dieses Standes, um das Mindeste zu sagen, verwegen. Oder aber sie entsprechen diesem Gründungszweck nicht mehr voll und ganz, dann haben diese Angriffe ihre je nachdem schwächere oder stärkere Berechtigung: videant cónsules! Selbstverständlich genügt es nicht, daß der Gründungszweck bejaht wird; so einfach liegen die Dinge nicht. Das Problem liegt in der Anwendung der Mittel zur Erreichung des Gründungszweckes, kurz: in der tatsächlichen Nachfolge des Ordensstifters. Und hier wird sich selbst in einem Orden, in welchem Schwung und Begeisterung vorherrschen, noch mancher an die Brust klopfen müssen. Man kann gemeinhin sagen, daß die Einschätzung des Ordensstandes, wie sie durch Thomas erfolgt, auch die Einschätzung der Kirche ist, und man begreift nur schwer, wie ein Gegner dieser Einschätzung sich zu einer Ablehnung des Instituts als solchen fortreißen lassen kann, wenn er nicht mit der kirchlichen Tradition in Widerspruch geraten will. S t i l d e r W e r b u n g : Hier gilt ein Grundgesetz der Gnadenökonomie: Wer übernatürliche Ziele anstrebt, muß übernatürliche Mittel einsetzen; umgekehrt: Wer nur Mittel natürlicher Ordnung einsetzt, wird nur Ziele natürlicher Ordnung — wenn nicht Minderes — erreichen. Verlockende Gesichtepunkte natürlicher Ordnung brauchen zwar nicht ausgeschaltet, sie dürfen nebenher miteingeschaltet werden, jedoch nicht so, daß sie Ursache des Ordensvorhabens werden, sondern höchstens Anlaß. Die Gefahr ist gegeben, daß verlockende Gesichtspunkte natürlicher Ordnung die übernatürlichen auf lange Sicht verdrängen. Je mehr eine religiöse Gemeinschaft sich bemüht, anzudeuten oder nachzuweisen, daß sie mit modernsten Errungenschaften Schritt hält — also Einsatz von Mitteln natürlicher Ordnung —, um so mehr wird sie ihre Selektionsbasis senken und so ungewollt ihr eigenes Niveau niederdrücken. Selektionsbasis kann und darf nur sein: Liebe zum Kreuz Christi und zu den drei Räten. Die Kunst der Werbung mag darin bestehen, das „ E i n e N o t w e n d i g e " (Lk 10. 42) des Ordensstandes nicht ungebührlich zurücktreten zu lassen hinter vielen, wenn auch noch so verlockenden modernen Zutaten. 189, lo

10. O b u n d m i t w e m m a n s i c h ü b e r d e n O r d e n se i n t r i t t b e r a t e n s o l l (Art. 10). — Dieser Artikel hat historische Bewandtnis: er faßt das grundsätzlich längst geklärte Problem des Ordenseintritts noch einmal unter einem neuen, durch die Mendikantengegner notwendig gewordenen Gesichts-

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p u n k t zusammen. Die U e r a l d i n e r hatten behauptet, man 189, 10 müsse besonders lange Überlegungen anstellen vor dem Ordenseintritt, weil das V o r h a b e n ein besonders schwieriges sei. Auch die Begriffsbestimmung des Gelübdes bot eine H a n d h a b e , weil es die nach reiflicher E r w ä g u n g d e s Geistes befestigte Versprechung sei; da n u n das Gelübde der Gottesverehrung in d e r Selbstübergabe das festeste u n d unauflöslich sei, müsse auch die v o r h e r g e h e n d e Ü b e r l e g u n g sich entsprechend lang hinziehen. F e r n e r w u r d e 2 Kor 11, 14 — V e r k l e i d u n g des Satans in einen Engel des Lichtes — gegen rasche Entschlußfassung ins Treffen g e f ü h r t ; a n d e r e E i n w ä n d e h a t Thomas selbst in diesem Artikel w i e d e r a u f g e n o m m e n . Das A n d e r s e i t s ist im höchsten Grade apodiktisch, es u m g r e i f t in einem einzigen Schriftwort die ganze L e h r e des Artikels. Daß d e r Ordensstand ein besseres Gut ist — ein Umstand, der zur W e s e n s e r f ü l l u n g des Gelübdes notwendig ist —, steht a u ß e r Frage. Es ist auch nicht gefragt, ob das Bessere, welches a n und f ü r sich grundsätzlich ein Besseres ist, getan w e r d e n müsse, s o n d e r n ob das u n t e r dem Gesichtspunkt des Situationsgerechten Bessere oder das individuell f ü r diesen besonderen Menschen hier und jetzt Bessere mit Sicherheit getan w e r d e n müsse, so nämlich, daß dessen Vernachlässigung ein .sittliches Übel, eine S ü n d e s e i ? M. a. W.: Bedeutet es eine sittliche Unvollkommenheit, das m i n d e r e Gut zu wählen, w e n n das a n d e r e , hier und jetzt k o n k r e t mögliche Gut als höheres Gut e r k a n n t ist? Man hat das verneint, 1. weil auch Gott ohne jede Unvollkommenheit eine w e n i g e r gute Welt hätte erschaffen könn e n ; 2. weil die Pflicht zur E r l a n g u n g des h ö h e r e n Gutes mit der Untersuchung jedes einzelnen Falles eine unerträgliche Gewissenslast nach sich ziehen w ü r d e ; 3. weil das m i n d e r e Gut immer noch ein Gut bleibt, d e r zum m i n d e r e n Gut sich Entschließende also aus der Ordnung des Guten nicht heraustritt. Zur Lösung dieser F r a g e sind zwei Fälle d e n k b a r : Das eine Gut steht beträchtlich h ö h e r als das andere, oder beide stehen etwa gleich hoch. Im zweiten Falle ist die Wahl freigestellt, weil kleine Unterschiede im sittlichen Bereich vernachlässigt w e r d e n d ü r f e n . Im ersten Fall jedoch wird u n t e r dem Gesichtspunkt u n s e r e s Artikels Gott zurückgesetzt gegenüber irgendeinem irdischen, w e n n auch noch so hohen Out. Das bedeutet die Bevorzugung eines beliebigen endlichen Gutes gegenüber dem einzigen unendlichen Gut. W e r ein mögliches höheres Gut ausschlägt, v e r h i n d e r t eben dadurch zudem noch ein anderes höheres Gut; er u n t e r b i n d e t in der Folge seinen i n n e r e n Fortschritt, der n u r durch die Wahl des h ö h e r e n Gutes gesichert wäre, gefährdet vielleicht sogar durch einmalige U n t e r b i n d u n g einer n u r einmal sich bietenden Fortschrittsmöglichkeit bereits das ewige Heil. Setzt man diese Sachverhalte voraus, so ergibt sich von n e u e m , daß es u n v e r n ü n f t i g ist, lange zu überlegen, ob ein höheres Gut, d a s einem durch die G n a d e als hier und jetzt möglich und e r r e i c h b a r vorgestellt wird, auch wirklich anzustreben u n d zu verwirklichen sei. Die M o t i v a t i o n e n e i n e s O r d e n s v o r h a b e n s sind tausendfältig. Es lassen sich a u s der möglichen Mannigfaltigkeit u. a. zwei H a u p t g r u p p e n h e r a u s h e b e n .

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189, io

a) Religiöse Romantik: ideale, aber wirklichkeitsfremde Vorstellungen aller Art vom Ordensleben können Ursache eines Ordensvorhabens sein. Wie ist diese Motivgruppe zu bewerten? Gott bedient sich aller möglichen, auch falscher Voraussetzungen, wenn nur die Eierschalen eines jugendlichen Übereifers langsam, aber rechtzeitig abgestoßen werden. Auch hier gilt die Lösung: Religiöse Romantik darf Anlaß, ein von Gott zugelassener fördernder Umstand, nie aber Ursache oder innere Wurzel eines Ordensvorhabens sein. b) Der Teufel gibt bisweilen gute Gedanken und Vorsätze ein; sogar ein Ordensvorhaben kann seiner Anstiftung entspringen. Wie ist ein solcher Plan zu unterscheiden von einem durch Gott inspirierten Vorsatz des . Ordenseintritts? Das Ordensvorhaben als solches, das im Hinblick auf das christliche Gemeingut gefaßt wird, ist an sich immer gut, wenn nicht besondere Umstände die Gutheit beeinträchtigen bzw. aufheben: z.B. könnte eine Pflicht — Unterhalt der Eltern — oder ein Hindernis, z. B. Krankheit, seiner Verwirklichung im Wege stehen. Ist sich jemand keines hindernden Umstände« bewußt, so darf man annehmen, sein Ordensvorhaben stamme vom Heiligen Geist, sogar auf die Möglichkeit hin. daß der böse Feind die Hand mit im Spiel hätte; wenn nur in dem Berufenen die Glaubensüberzeugung vorwaltet, daß das Böse der Gnade gegenüber im letzten Grunde ohnmächtig ist. Nach Passerini könnte der Heilige Geist zulassen, daß der Teufel aus böser Absicht — z. B. Anstachelung des Ehrgeizes — ein an sich gutes Ordensvorhaben eingibt, und daß ein Mensch dieser Eingebung ahnungslos, aber in guter Absicht stattgäbe und zur Enttäuschung des Widersachers seinen Klauen entrissen, dafür aber Gott zugeführt werde. M. a. W.: Der Heilige Geist kann sich des Teufels als Werkzeug bedienen, um Menschen durch eine böswillige Eingebung guten Inhaltes, die jedoch gutwillig befolgt wird, gleichsam in eigene Regie zu übernehmen.

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A N H A N G

Der Bischof als

I

Vollender

(Zu F r . 185) Es ist erstaunlich, mit welcher Gründlichkeit sich Thomas die A II. 1 dionysianische Idee des Bischofs als der treibenden und emporreißenden Kraft seiner Herde aneignet und mit welcher Zähigkeit er sie durchführt. Dieser Begriff des Bischofs als Lichtquell und F e u e r h e r d seines Bistums, als Vollender seiner Gläubigen, kehrt allein in der Summa zwölfmal wieder. 1 Zwei ganze Kapitel handeln davon in dem Büchlein „Von der Vollkommenheit des geistlichen Lebens". 5 I. D i e

Quelle

Hören wir zunächst die Texte des Gewährsmannes aus dem christlichen Altertum. Die Planvorzeichnung liegt für Dionysius Areopagita in der himmlischen W e l t : „Bei dieser heiligen Vollendung wirken in der obersten Stufenordnung die erlauchtesten, um Gott weilenden Geister als Lichtvermittler und Führer. Sie vermitteln an die tieferstehenden heiligen Ordnungen . . . die gottgewirkten Erkenntnisse, welche ihnen selbst ununterbrochen von der schlechthin vollkommenen und die göttlichen Geister mit Weisheit erfüllenden Urgottheit gespendet werden." 3 Mit a n d e r e n W o r t e n : Seraphim. Cherubim und Thronengel sind die himmlischen Urbilder der Bischöfe. Feuersglut der Liebe, Lichtfülle der Erkenntnis und Festigkeit der Beharrung drängen danach, die von Gott geschenkten Reichtümer aus ihrer Stauung zu entlassen in die nächstniederen Ordnungen. „Geziemenderweise läßt der Urborn und Grund jeder sichtbaren und unsichtbaren Ordnungspracht die göttlich wirkenden Strahlen zuerst in die gottähnlicheren Geister eindringen, und durch diese hindurch, die als hellerleuchtete Geister zur Aufnahme und Weiterleitung des Lichtes von Natur aus befähigt sind, strahlt sie in die tieferstehenden Wesen ein und wird ihnen je nach ihrer Empfänglichkeit sichtbar. So obliegt es also diesen Männern, welche Gott zunächst schauen, den Gliedern der zweiten Ordnung in dem dieser Ordnung entsprechenden Maße neidlos die auf heilige Weise von ihnen selbst geschauten göttlichen Betrachtungsbilder zu enthüllen. Ihnen, die in alle göttlichen Geheimnisse ihrer eigenen Stufenordnung in vollkommenem Wissen aufs beste eingeweiht sind, steht es zu, andere in die hierarchischen Kenntnisse einzuweihen, da sie hierzu die vollendende Gewalt der mystischen Einführung besitzen. Nur denen, welche mit tieferem E r k e n n e n und in vollem Umfange der Hochstufe des Priestertums teilhaft geworden sind, kommt es zu, das Heilige auch anderen mitzuteilen." * D i o n y s i u s wird nicht müde, diesen Grundgedanken einzu1 II—II 184, 5. 6. 7; 185, 1 u. 8; 186, 5; 188, 1 u. 6; III 67, 1 u. 2; 71, t; 82, 8. 2 Kap. 17 u n d 23; lerner Kap. 19; Quodlibet 3, 17; Q. Disp. dp Car. 11; t Sent., Dist. 7. q. 3, art. 1; Dist. 13, q. 1, art. 1; Dist. 23, q. 2 art. 1; Dist. 24, q. 2, art. 1. 3 Wir übertragen im Anschluß an Stiglmayrs Übersetzung in der Komischen Väterausgabe der Kirchlichen H i e r a r c h i e : Kap. V; § 2. S. ifi-|. 4 Klid.. s I. i5. 167.

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Aah. I schärfen. Begnügen wir uns damit, noch zwei Gedanken des syrischen Unbekannten anzuhören. „Der göttliche Stand der Hierarchen ist der erste unter den gottschauenden Ständen; er ist auch der höchste und letzte, denn in ihm ist die ganze Einrichtung unserer heiligen Stufenordnung vollendet und abgeschlossen. Denn wie wir die Gesamtstufenordnung in Jesus als ihrem Ziel und Endpunkt gipfeln sehen, so jede einzelne in ihrem gotterfüllten Hierarchen.'' 1 In § 6 faßt Dionysius seine Auffassung noch einmal zusammen: „Der Stand der Hierarchen ist also mit der Vollendungsgewalt erfüllt, er vollzieht in bevorzugter Weise die Dienste, welche die Krone der übrigen bilden, er führt in erleuchtender Predigt in die Wissenschaft der Heilsordnung ein und belehrt über deren Stände und Gewalten." 2 Das sind in kurzen Auszügen die Unterlagen, die Thomas ausgewertet hat. Es bliebe jedoch eine Lücke, würde nicht ein weiterer Grundgedanke des Areopagiten Erwähnung finden. Da der Bischof erster Lehrer seines Bistums ist, gelten von ihm in hervorragender Weise die Ausführungen, die Thomas als junger Magister in seiner Antrittsvorlesung 3 zu Paris 1256 entwickelt hat. „Der König der Himmel hat dieses Gesetz von Ewigkeit her begründet, daß die Gaben Seiner Vorsehung durch Mittelglieder hindurch zu den untersten Gliedern hinabgelangen. Darum sagt Dionysius: ,Es ist ein heiligstes Gesetz der Gottheit, daß die Mittelglieder durch die obersten Glieder zu Ihrem göttlichsten Lichte hinaufgeführt werden. Dieses Gesetz findet sich nicht nur im Bereich des Geistigen, sondern auch im Bereich des Körperlichen.' Darum erklärt Augustinus: ,So wie die gröberen und schwächeren Körper durch die feineren und stärkeren irgendwie gelenkt werden, so auch alle Körper zusammen durch den Geist des vernunftbegabten Lebens.' Darum hat Gott das besagte Gesetz, das bei der Mitteilung geistlicher Weisheit beobachtet wird, unter dem Bilde körperlicher Dinge vor Augen gebracht: ,Er bewässert die Gebirge aus der Höhe; von der Frucht Deiner Werke wird die Erde gesättigt' (Ps 104 [103], 13). Wir sehen mit eigenen Augen, wie von den Höhenregionen der Wolken die Regen ausströmen. Von diesen Wolken bewässert, senden die Berge Flüsse aus, durch welche die Täler der Erde getränkt und befruchtet werden. Auf ähnliche Weise werden die Geistgründe der Lehrer, für welche die Berge als Sinnbild eingesetzt sind, von den Höhen der göttlichen Weisheit her bewässert. Durch ihre Vermittlung wird das Licht der göttlichen Weisheit weiter bis zu den Geistgründen der Hörer hinabgleitet." Die Geistgründe der Lehrer sind zuerst passiv im Empfangen, sie nehmen die tiegenspendenden Fluten der Höhe auf; dann sind sie aktiv im Weitergeben, sie senden Ströme aus. Die folgende Darstellung darf nicht den Eindruck erwecken, als sei die aktive Tätigkeit des Bischofs reine Aktivität. Im vierten Teil derselben Antrittsrede wird eigens entwickelt: Gott besitzt die Weisheit von Natur aus, 1 Ebd., § 5, S. 168. « Ebd., § 6, S. 169. 3 Editio Mandonnet, Tomus IV, Opusculum 40: Breve prineipium . . . de commendatione S. Scriptura«.

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die Lehrer haben nur teil an der Weisheit. Gott besitzt die Anh. i Mitteilungsgewalt aus eigener K r a f t ; die L e h r e r hingegen übernehmen nur die Mittlerrolle; darum werden ihre-Erfolge nicht ihnen, sondern den Gnadenwirkungen Gottes zugeschrieben. Wie man weiß, hat Thomas die ihm vorliegenden Quellen im Sinne seiner eigenen größeren Zusammenschau in einem viel genauer gesehenen Rahmen j e nach Sachlage mehr oder weniger umgeformt. Es mag wahr sein, daß auch die dionysianische Emanationsidee — der Hintergrund seiner Hierarchielehre — mit dem Akt-Potenz-Schema in nähere Verbindung gebracht wurde, als das ursprünglich der Fall war. Das lag insofern nahe, als j a Dionysius seihst das Akt-Potenz-Verhältnis der Sache nach mannigfaltig herausarbeitet und gleichsam die Handhabe bietet zur Umstellung auf die Akt-Potenz-Metaphysik. J e d e n f a l l s sind die angeführten Zitate einwandfrei interpretiert im S i n n e ihres Urhebers.i Der Aquinate hat das Thema der Emanation, das er bei dem vermeintlichen Apostelschüler vorfand, nicht nur nicht abgeschwächt, sondern sogar gesteigert oder zum mindesten entfaltet.2 Man wird zusammenfassend sagen dürfen, daß die Idee der Hierarchien und ihres Austausches untereinander keiner großen Veränderungen bedurfte, um in das mehr a r i s t o t e l i s c h bestimmte Lehrgebäude des Fürsten der Scholastik einzugehen. II. D i e V o r g ä n g e r

und

Zeitgenossen

Es scheint durchaus nicht so zu sein, daß die Thomas vorliegende Überlieferung, etwa die der Frühscholastik, das Bischofsamt so stark ausprofiliert hat, wie es Thomas tut. W e r f e n wir zunächst einen Blick auf die vor Thomas vorhandenen Schilderungen des bischöflichen Amtes, soweit sie aus gedruckten Quellen erreichbar sind und einige theologische Bedeutung verraten. H i n c m a r v o n R e i m s hat die Pflichten der Bischöfe beschrieben, indem er weitgehend zurückgriff auf Äußerungen der Päpste, der Quellen des Kirchen- und Landesrechtes.® Papst S i l v e s t e r I I . ( G e r b e r t) hat eine Predigt verfaßt über die Bildung der Bischöfe, die ebensowenig wie der Sakramententraktat des B r u n o v o n A s t i auf patristische Quellen zurückgreift.* Der heilige B e r n h a r d von Clairvaux entwickelt seine erbauliche Abhandlung „Über die Sitten und das Amt der Bischöfe" ganz ausschließlich aus der Heiligen Schrift."» Die sehr kurze Darstellung des Bischofsamtes bei H u g o v o n S t . V i c t o r beschränkt sich auf die Aufzählung der Rechtspflichten und liturgischen Funktionen. Nur in einem Sätzlein leuchtet eine Spur dessen auf, was Thomas ausführen wird: „Während j e d e r Geistliche in seinem besonderen Amtsbereich 1 Durantel J . , Saint Thomas et lc Pseudo-Denis. Paris 1919. S. 119—1L'8. 5 Ders.. S. 221, 224 ff. 3 PL 125, 1087 ff. * Silvester II.. PL 139. 169 ff. (De informatione episcoporum); Bruno von Asti, PL 165, 1103 (Tractatus de Sacramentis). 5 Epistola 62 an den Erzbisehof Heinrich von Sens; PL 182 . 809 ff.

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24

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Anh, 1 die Führung innehat, ist der Bischof der vorausplanende und bestimmende Geist in allen diesen B e r e i c h e n " . ! Die Worterklärungen Hugos im „Buch über die kirchlichen Ä m t e r " scheinen zurückzugehen auf H o n o r i u s Augustodunensis und führen in unserer Frage nicht viel weiter. 2 Die Abhandlung des Abtes G o t t f r i e d v o n V e n d o m e „Über die Weihe der Bischöfe und die Investitur der L a i e n " betrifft mehr die Rechtmäßigkeit und Gültigkeit der Weihe, als daß sie geistliche Umrisse des Amtes aufscheinen läßt. 3 Um von den Vorgängern in der theologischen Behandlung des bischöflichen Amtes ganz zu schweigen, sind auch bei den bedeutendsten Zeitgenossen kaum Spuren einer Fruchtbarmachung dionysianischer Richtpunkte festzustellen. B o n a v e n t u r a hat die erwähnte Grundidee des Dionysius weder aufgenommen noch weiterentwickelt. An der Stelle, wo in seinem System die Frage nach dem bischöflichen Amte auftaucht, in seinem Kommentar zum Lombarden, kennt er wohl die drei Stufen des Reinigens, Erleuchtens und Vollendens, enthält sich aber in bezug auf die Nachfolger der Apostel j e d e r Entfaltung dieses Gedankens. 4 A l b e r t d e r G r o ß e läßt in seinem Sentenzenkommentar ebensowenig eine Spur aufscheinen von einer Idee, die so nahe lag. 5 Der Kommentar zur kirchlichen Hierarchie bietet nicht den geringsten Ansatz zur Profilierung des bischöflichen Amtes.11 Man wird bei ihm vergeblich nach einer theologischen Vorlage suchen für Thomas, der hier unmittelbar auf Quellen zurückgeht, die jedermann zur Hand waren. Albert hat auch im Compendium theologicae veritatis in der Schilderung des Weihesakramentes keine Ausführungen über das Bischofsamt. W i e aber kommt Thomas dazu, gerade dieser Idee solches Gewicht zu verleihen? Falls nicht aus ungedruckten Quellen anderer Autoren ein Gegenbeweis erbracht werden sollte, handelt es sich um eine ausgesprochene Eigenlehre. Zu der in ihrer Ausdehnung heute noch kaum bekannten Liste von selbständigen Neuschöpfungen gesellt sich nunmehr auch die Ausarbeitung der Idee des Areopagiten, deren Beginn in die Zeit der Abfassung des Vierten Buches der Sentenzen (um 12S6), deren kraftvolle Ausarbeitung in die letzten L e b e n s j a h r e zu verlegen ist. Besonders von 1270 ab, also in der vollen Mannesreife, hat Thomas diese Gedanken entwickelt. Sie sind ein heiliges Vermächtnis an die Hierarchie der Kirche. III. M e t a p h y s i s c h e

Begründung

Der Adlerblick des Aquinaten stößt vor in eine tiefste Wurzelschicht: erst seine Metaphysik enthüllt die Zusammenhänge. 1 Hugo von St. Victor, De Saeramentis 2. 3; c. 12; PL 176. 430. 2 Ders., De Officiia eccles., c. 40; PL 177, 401. Vergleiche Honorius Augustodunensis, Gemma Animae I, 183. PL 161, 601. 3 Gottfried von Vendöme, De ordinatione episcoporum et de investltura laicorum. PL 167, 281 Eq. * Es handelt sich beim Lombarden um 4 Sent., 24, 3. 4. Dazu Bonaven- • tura, Ausgabe von Quaracchi, Tom. IV.. S. 632 sq. 5 Albertus Magnus, Borgnet; Tom. 30 zur Stelle. « Ebd., Tom. 14, S. 684 sq.

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Das Axiom ,Quod non est in actu, non est in potentia', das in Anh. I mannigfaltigen Formen abgewandelt wird, läßt sich etwa so übertragen: Was nicht im wirkmächtigen Vermögen übersprudelt, fehlt in dem zugeordneten Empfangsvermögen. Dieser Lehrsatz beherrscht einen fast unbeschränkten Anwendungsbereich, er gilt auch für das Verhältnis von Hirt und Herde. Nicht nur die Gläubigen sind Potenz, bestimmungsbedürftiges Vermögen ihrem Pfarrer gegenüber, auch das Kirchenvolk eines ganzen Bistums ist mitsamt seiner Geistlichkeit Potenz gegenüber dem Oberhirten, der in hervorragendem Sinne Christus darstellt (III 83, 5 Zu 6 : Bd. 30). Wieviel mehr muß obiges Grundgesetz von den einfachen Gläubigen gelten, wenn schon die Mönche — weil erst auf dem Wege zur Vollkommenheit befindlich — unter die geistliche Obsorge des Bischofs gestellt werden (187, 1; 188, 4). Diese Eigenschaft, Perfector, Vollender zu sein, erstreckt sich auf die drei großen Aufgabenbereiche des bischöflichen Standes: der Bischof ist der erste Lehrer, der erste Hirt, der erste Priester seines Bistums, von dem sowohl Laienschaft als Priesterschaft geistliche Gaben empfangen. Thomas führt einen Grundsatz des A r i s t o t e l e s an: Agnes est praestantius patiente. Man übersetzt den auch in anderen Formulierungen überlieferten Satz etwa so: Das Wirkende ist seinsmächtiger (edler) als das Leidende. Diese Überlegung, mit welcher die Überlegenheit des Bischofs über die Mönche dargetan wird (184, 7 Antw.), führt uns zu dem Ergebnis: Wenn Bischöfe schon über Mönche erhaben sind, weil diese die Vollkommenheit erlangen durch Predigt und Beispiel der kirchlichen Oberen, und weil letztere ihre Untergebenen beeinflussen, ihnen Sakramente spenden usf., um wieviel mehr müssen die Bischöfe Quell der Vollkommenheit sein für die Laien. Obiger Grundsatz stammt aus des Aristoteles „Buch über die Seele", zu dem wir einen Kommentar aus der Feder des Aquinaten besitzen. Dort wird ausgeführt, daß das Leidende — das Bestimmungsbedürftige — seine Formung durch den Künstler — das Bestimmungsmächtige — empfängt. So wird der Ton durch den Töpfer, das Erz durch den Erzgießer, der Marmor durch den Bildbauer, das Holz durch den Bildschnitzer geformt, der Schüler durch den Lehrer, der Jünger durch den Meister gebildet. Besonders einschneidend klingt die Schlußbemerkung: Das Wirkende ist seinsmächtiger (edler) als das Leidende nur insoweit, als das Wirkende t a t s ä c h l i c h wirkt. Ein träger Künstler, ein verbummeltes Genie, ein nachlässiger Seelsorger ist nicht seinsmächtiger (edler) als der ihm zugeordnete Wirkungsbereich, der doch begierig auf Formung und Bildung wartet, die er sich selbst nicht erteilen kann. 1 Thomas lehrt in dem Büchlein: ,,Von der Vollkommenheit des geistlichen Lebens", wo er von der Vollendungsgewalt de.« Bischofs handelt:? Omnis causa est potior suo effectu: Jede Ursache ist stärker als ihre Wirkung. Wenn dieses Gesetz nicht • Kommentar zu De Anima, Buch 3, Leetio 10. 2 De Pei'fectione Vltae spiritualis, cap. 17.

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Anh. I

immer gilt, so gilt es doch von der Ursache in dem ihr zugedachten Wirkungsbereich umfassend und ausnahmslos; darum sagt Thomas nachdrücklich in dem ihm vorschwebenden Sinne: omnis causa, jede Ursache. Sie enthält als Seinsheit höheren Ranges die Wirkung auf höhere Weise in sich voraus und besitzt darum ein höheres, mächtigeres Sein. Das gilt auch von der werkzeuglichen Ursache, insofern ihre Wirksamkeit überhöht wird durch den Hauptwirkenden. So wird der Bischof von Christus als beseeltes Werkzeug aufgenommen in Seine eigene Gnadenwirksamkeit; auf diese Weise können Arbeit und Mühe überhöht werden zu übernatürlichen Ergebnissen, die weit über die Möglichkeit des Anlasses hinausgreifen. Auch in der Weise der Zielursache (Ideal oder Vorbild) steht der Bischof höher als seine Untergebenen, die ihm, wie einem Transparent Christi, nacheifern. Die weitausgedehnte Ursachenlehre des Aquinaten auf unseren besonderen Fall anzuwenden, verbietet der Raum. Die Ursache kann im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit ihre Wirkung unbegrenzt wiederholen und vervielfachen. während die einzelne Wirkung für sich bleibt und über kurz oder lang erlischt. Wenn Thomas bündig sagt, jede Ursache sei stärker als ihre Wirkung, so darf der Begriff Wirkung in unserem Falle nicht dazu verleiten, an bloß sachliche, apersonale Auswirkungen oder Folgen zu denken. Thomas denkt an eine geordnete Vielheit von Personen, deren Wirkgewalt allerdings der übergeordneten Ursache gegenüber im Verhältnis des Werkzeugs steht. Der Bischof ist Ursache höheren Ranges gegenüber Ursachen weniger hohen Ranges, nämlich der gesamten Geistlichkeit seines Bistums. Die einzelnen Geistlichen hinwieder sind Ursache höheren Ranges gegenüber den aktiven Laien in Pfarren und anderen religiösen Verbänden, diese wiederum gegenüber dem Kirchenvolk. Es handelt sich da, von der hohen Warte des bischöflichen Amtes aus gesehen, um viele nach unten hin hierarchisch in die Breite verlaufende. gestaffelte Ursachenketten.i So trifft auf den Bischof in erhabener Form zu, was von der Ursache gilt: J e höher die Ursache, um so umfassender und vielfältiger ihre Wirkungen. Ein anderes Axiom spielt herein. Unumquodque perficitur per hoc, quod subditur suo superiori: Ein jedes Wesen wird dadurch vollendet, daß es sich dem nächst Höheren unterordnet. 2 So wird etwa der Leib vollendet durch seine vorbehaltlose Unterwerfung unter die Führung des Geistes, der leblose Stoff wird zu seiner höchsten Wirkung geführt durch das Licht, der Geist des Menschen wird seiner Tiefengründe bewußt durch die Erleuchtungen der Gnade. Die Schlußfolgerung trägt weit hinaus bis an die Grenzen menschlichen Könnens: Der Bischof soll in dreifacher Beziehung als das schöpferische Gestaltgesetz seines Sprengels wirksam sein — als forma gregis (1 PetrS, 3), Urbild seiner Scharen. Als das Höhere ist der Bischof die bestimmungsmächtige Kraft — Akt — ; die Gläubigen sind ihm gegenüber in geistlicher Hinsicht die Empfangenden — Potenz —. ,.Das Lehren, nämlich die Auslegung der Frohen Bot1 V g l . dazu Bd. 1. Anm. 24, S. 8M5. = I — I I S. 6 E . 8 und Antvv.: I I — I I 81. 7 Antw.

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schaft, ist eigentlich Sache des Bischöfe, dessen Tätigkeit darin Anh. I besteht, zu vollenden. Vollenden aber ist dasselbe wie Lehren." 1 Vor allem wird dem Bischof die Einführung in die abgründigen Mysterien des Olaubens und die Heranbildung zur Vollkommenheit des geistlichen Lebens zugewiesen. ,.Diese gehört von Amts wegen den Bischöfen zu." 2 IV. Ü b e r d i e

Lehrgewalt

Der Bischof hält in Lehrbefugnis und Lehrverpflichtung den obersten Rang innerhalb seines Sprengeis. „Lehren — das heißt die Auslegung der Frohen Botschaft — ist im eigentlichen Sinn Sache des Bischofs, dessen Wesensverwirklichung (actus) darin besteht, zu vollenden. Vollenden aber ist dasselbe wie Lehren" (III 67, 1 Antw.: Bd. 29). Das Lehramt ist den Bischöfen in der Weise anvertraut, daß sie es als ihr „hauptsächlichstes Anliegen (munus principalissimum) selbst ausüben" müssen, während sie die Sakramentenspendung durch andere vollziehen lassen können (Ebd., Art. 2). Mit diesen Überlegungen ist die Aktivität der Weitergabe nach unten hin, der Eifer in der Predigt des Heils dargestellt. Diese Eigentätigkeit hat zur Voraussetzung die Passivität des Empfangens von oben her als notwendiges Gegenstück. Der Bischof ist, wie ausgeführt, der erste Lehrer seines Bistums. Daraus folgt, daß er in der Tugend des Glaubens hervorragen muß, bevor er beginnen darf, seinen Gläubigen die Geheimnisse Gottes zu erläutern. Seine hohe Stellung als Mittler zwischen Gott und den Menschen, worüber noch zu handeln ist, hat Thomas einschlußweise angedeutet anläßlich der Frage, ob alle Menschen gleicherweise verpflichtet seien zu ausdrücklichem Glauben. Es heißt da in der Antwort: ,,Die göttliche Offenbarung ist nach einer gewissen Ordnung zu den Untergeordneten durch Übergeordnete gelangt, nämlich zu den Menschen durch Engel und zu den Engeln niederer Ordnung durch Engel höherer Ordnung (Dionysius). Und so gebührt es sich denn auch, daß die Glaubensentfaltung gleichermaßen durch höhergeordnete zu den untergeordneten Menschen gelange. Wie aLso die höheren Engel, welche die untergeordneten erleuchten, eine vollkommenere Kenntnis in den göttlichen Dingen besitzen als die untergeordneten (Dionysius), so sind auch die höhergestellten Menschen, denen es obliegt, die andern (im Glauben) zu unterrichten, gehalten, eine vollständigere Kenntnis von dem zu Glaubenden zu besitzen und in höherem Maße ausdrücklich zu glauben" (II—II 2, 6: Bd. 15). In der Lösung Zu 1 desselben Artikels und im folgenden Artikel wird näherhin ausgeführt, daß die Notwendigkeit des ausdrücklichen Glaubens wächst mit der Höhe der Rangstufe, in welcher ein Lehrer steht. Hier wird einesteils höchste Passivität gefordert: steigt doch die Empfänglichkeit für den Glauben mit der Höhe der Gnaden. Der absolute Höhepunkt des Glaubens als Tugend liegt in den Gaben des Heiligen Geistes, welche im Lauschen. Hören. Foli I I I 67, 1 Zu 1 i III 71, 4 Zu 3.

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Anh. I gen ihre Erfüllung finden, also in passiven Verhaltensweitjen. Die Tagend des Glaubens will bereitmachen und bereitstehen für Erleuchtungen. Das übernatürliche Licht selbst wird geschenkt, nicht erzeugt: reine Passivität des Glaubens. Andernteils wird höchste Éigentatigkeit verlangt, wie dies schon aus dem systematischen Ort dieser Frage 185 in der Moraltheologie deutlich wird. Weihevollmachten bedeuten an sich noch keine sittlichen Befähigungen. Diese müssen vom Träger des Amtes wirksam erarbeitet, erlitten und erstritten werden. Der junge Thomas hat das mit unerbittlicher Klarheit betont: „Die persönliche Vollkommenheit trägt nichts aus zur Spendung der Sakramente, wie schon daraus hervorgeht, daß sie von guten und schlechten Verwaltern gespendet werden. Sondern es ist erforderlich, daß die Vollkommenheit dem Diener der Kirche aktiv eigne. So ist es auch im Bereich der natürlichen Dinge notwendig, daß — wenn eine Form sich nur auf einen andern Stoff in ihrer Ähnlichkeit übertragen soll — eine wirkmächtige Kraft vorhanden sei." 1 Selbstverständlich will Thomas hier nicht etwa sagen, daß der Beichtzuspruch eines heiligen Priesters dem eines unheiligen Priesters gleich sei; denn er spricht hier von der Gültigkeit der Lossprechung, die bei beiden gleich ist. Der Beicht z u s p r u c h gehört bereits in die moralische Ordnung. Ähnlich verhält es sich bei den anderen Sakramenten, und vor allem beim sakramentalen Wirken des Bischofs. Darum ist die ganze Abhandlung sinnvoller weise als ein Gipfelpunkt religiöser Möglichkeiten, aber auch religiöser Verpflichtungen ans Ende der Moral und nicht in die Sakramentenlehre eingefügt. Man möchte fast den Vergleich wagen, daß die Einordnung der Standeslehre für Bischöfe in die Moraltheologie noch viel schärfer, als es in Worten ausgesprochen wird, die Dynamik des bischöflichen Amtes charakterisiert, während im Sakramententraktat mehr die Statik desselben Amtes aufleuchten soll. Wer an dieser Stelle nicht die zugeordneten Horizonte mitschaut, vor allem die Lehren über den Stand der Vollkommenheit als aktiver unaufhörlicher Ergreifung und unermüdlicher Aufarbeitung sittlicher Pflichtenkreise, ist unfähig zu erkennen, daß Thomas nicht einen Klassentraktat über den Weihestand, sondern einen Moraltraktat über die noch zu leistende Erklimmung eines nie ganz erreichten höchsten Gipfels der Vollkommenheit entworfen hat. Im Bischofsamt fallen also zwei Höhepunkte zusammen; es ist der Schnittpunkt zweier aufsteigender Linien, Spitze einer Pyramide; der oberste Endpunkt der einen Linie heißt Weihegewalt (Statik der Ständeordnung, Rangstufe der Hierarchie); derselbe oberste Endpunkt der anderen Linie heißt Vollendungsgewalt (Dynamik der eigenen sittlichen Selbstvervollkommnung mit dem Ziele der Vollendung anderer). V. Ü b e r d i e

Weihegewalt

Thomas bringt die sittlichen Forderungen des StändeIraktates an den Träger der Amtsgewalt heran und will sie gleichsam 1

4 Si'nt.. disi. 7. qu. S. art. 1 ad 2.

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ihrem Träger eingrüiiden, wenn er im dritten Buch lehrt: „Oer Anh. 1 Bischof empfängt die Gewalt, in der Person Christi auf den mystischen Leib einzuwirken, d. h. auf die Kirche. Diese Gewalt empfängt der Priester bei seiner Weihe nicht, wenn er sie auch durch besonderen Auftrag des Bischofs erhalten k a n n . . . Dem Bischof aber steht es zu, nicht nur dem Volke, sondern auch den Priestern das zu spenden, wessen sie zur Ausübung ihres eigenen Amtes bedürfen." 1 Gemeint sind die verschiedenen heiligen Öle, die Weihen von Gewändern und Gefäßen. Man vergegenwärtige sich die unerhörte Verdichtung aller apostolischen Sendungsgewalt, die im Nachfolger der Apostel zusammengefaßt ist und sich von seiner Person aus über den Riesenbereich eines ganzen Bistums erstreckt, um sich auf jede einzelne Seele auszudehnen. Der Bischof begründet die Möglichkeit jeder Sakramentenspendung auf mehrfache Weise. Zunächst weiht er alljährlich Priester als seine beseelten Organe. Ihnen gibt er alljährlich neu die Möglichkeit, Sakramente zu spenden, indem er am Gründonnerstag die heiligen Öle weiht. Alle Täuflinge des ganzen Bistums werden getauft mit dem heiligen Wasser, das durch am Gründonnerstag geweihtes Kateuhumenenöl und Chrisam zum Taufwasser wird und so einen jeden Empfänger in Beziehung bringt zur Weihevollmacht des Bischofs und über ihn zu Christus. Alle Firmlinge eines ganzen Bistums werden gesalbt mit dem am Gründonnerstag vom Bischof geweihten Chrisma. Alle Kranken des ganzen Bistums werden gesalbt mit heiligem Öle, das der Bischof am selben Gründonnerstag für ein ganzes Jahr zur übernatürlichen Wirksamkeit erhoben hat. Man könnte fast den Vergleich wagen: Was das Leben Jesu als einmaliger zeitlich begrenzter Ablauf im Weltall und in der Weltgeschichte bedeutet, das bedeutet die Weihehandlung des Bischofs am Gründonnerstag für ein ganzes Jahr und für seinen ganzen Sprengel. Der Bischof weiht die sakramentalen Mittel für Lebensbeginn, Lebenslauf u n d Lebensende seiner Diözesanen. So werden alle Gläubigen eines ganzen Bistums, die überhaupt Sakramente empfangen, in sakramentale Beziehung gesetzt zu ihrem Bischof, dem ersten Vermittler des sakramentalen Heils aus Christus. In dieser Weise ist die Weihetätigkeit des Bischofs — sein Priesteramt — gleichsam Grundlegung, aber auch Krönung seiner Hirten- und Lehrtätigkeit. Es wurde bereits unter III. erwähnt, daß der Bischof Christu* nachbilden und seine Vollkommenheit darstellen soll. Zunächst in seiner Bedeutung „als Mittler zwischen Gott und den Menschen" (1 Tim 2, 5) .2 So heißt es von Moses, der ein Schattenbild des kommenden Messias w a r : „Ich stand in jener Zeit als Sachwalter und Mittler zwischen dem Herrn und e u c h . . (Dt 5, 5). Dieselbe Mittlerrolle wird im Hebräerbrief erwähnt: ,,Jeder Hohepriester wird aus den Menschen genommen und 1 III 82. 1 Zu 4; 82. 3 Zu 3; Suppl. 40, 4 Zu 3; 40, 5 A n t w . ; 40. 7 Aritw. und Zu 3. - Vgl. zum Folgenden; Thomas. De Perfectionti Vitae spiritualis, cap. 16; Der Stand der Vollkommenheit k o m m t Bischöfen. und Ordenslmiten ?t>m e i n s a m zu.

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Anh. I für die Menschen bestellt in ihren Angelegenheiten bei Gott, damit er Gaben f ü r die Sünden darbringe" (Hb 5, 1). Noch deutlicher wird die Stellvertretung Christi durch den Bischof am Beispiel des Völkerapostels, die Thomas also schildert: Der Bischof „vertritt die Person Gottes dem Volke gegenüber, indem er dem Volke gleichsam in der Kraft des Herrn Urteile, Beweise, Beispiele und Sakramente mitteilt. Darum sagt der Apostel: ,Meine Verzeihung ist geschehen um euretwillen in der Person Christi' (2 Kor 2, 10). Und im selben Briefe sagt er: ,Ihr fordert ja einen Beweis, daß Christus in mir redet' (2 Kor 13, 3)." Man könnte das kühne Wort hinzufügen: „Wie einer, der aus Gott redet, so reden wir vor Gott in Christus" (2 Kor 2, 17). Der Kardinal C a j e t a n betont, daß unmittelbares Daseinsziel und Lebensinhalt eines Bischofs die Seelsorge ist. Sie beseelt als Hauptidee, als Forma oder „schöpferisches Gestaltgesetz" alle Arbeiten und Gebete des Bischofs und bringt sie jeglichem Widerstande zum Trotz ans gute Ende. So wie die Erbauung eines Hauses das eigentliche Ziel des Baumeisters ist, nicht aber Einzelarbeiten, wie Ausschachtung oder Heizung, Bedachung oder Bemalung, sondern das ganze Haus bis zur schlüsselfertigen Übergabe: so ist die Seelsorge als christförmige Kunst das eigentliche Ziel und der Lebensinhalt des Bischofs, nicht Verwaltungsaufgaben, nicht Finanzprobleme, nicht Rechtsgeschäfte, nicht Wissenschaft, sondern unmittelbare Seelsorge als solche. Die Rechtfertigung, daß die untergeordneten Aufgaben doch mittelbar oder unmittelbar der Seelsorge dienen, mag ihren Sinn haben; doch werden diese, von der Seelsorge her gesehen mehr peripheren Aufgaben, besser von treuen und befähigten Fachleuten wahrgenommen. Ein Bischof soll nicht gewählt werden, weil er ein befähigter Finanzmann oder glänzender Verwaltungsjurist und Doktor des kanonischen Rechtes oder ein hervorragender Theologe ist; das alles mag er in zweiter Linie seih. Sondern er soll gewählt werden, weil er in glühendem Eifer für die Seelen Neuland aufbricht und in dieser Kunst — „Von nun an sollt ihr Menschenfischer sein" (Mt 4, 19) — eine wahre Meisterschaft erreicht hat, die anderen zum Vorbild dient, andere anspornt, begeistert, mitreißt. VI. F o l g e r u n g e n Wie sehr vom Bischof außerordentliches Format, überdurchschnittliche Befähigung zur Menschenführung gefordert ist, vor allem bei heutigen Verhältnissen in übergroßen Bistümern, wird im Supplement entwickelt, das bekanntlich weitgehend auf den Sentenzenkommentar zurückgreift. Es wird dort gesagt: Die Gewalt des Bischofs verhält eich zur Gewalt der untergeordneten Weihegrade wie die politische Gewalt, welche das Gemeinwohl im Auge hat, sich verhält zu den untergeordneten Künsten und Gewerben, welche irgendein Sonderwohl im Auge haben (38. 1: Bd. 32). Im Sentenzenkommentar wird dieser Gedanke ganz allgemein von jeder höheren kirchlichen Gewalt ausgesagt im Verhältnis zur niederen, unter Berufung auf die

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berühmte A r i s t o t e l e s - These, derzufolge das Gemeinwohl Anh. I höher steht als das Einzelwohl. Man hat die Eigenart des bischöflichen Standes dadurch schärfer zu charakterisieren versucht, daß man ihn abhob gegen den Stand der Mönche; die Mönche sind im Stande der eigenen Vollkommenheit, die Bischöfe im Stande der ,,fremden" Vollkommenheit, anders ausgedrückt: im Stande der auf andere Menschen überfließenden Vollkommenheit. Der Ordensmann strebt mit ganzer Kraft danach, vollkommen zu werden, wenn er es noch nicht ist, seine persönliche Vollkommenheit zu bewahren und zu vermehren. Im Stande der Bischöfe hingegen strebt der Amtsträger mit ganzer Kraft danach, andere vollkommen zu machen, wenn sie es noch nicht sind, ihre Vollkommenheit zu bewahren und zu vermehren. Darum sind die Mitglieder beider Stände in der Vollkommenheit; der Bischof jedoch so, daß seine Vollkommenheit gleichsam überströmt und ihren quellenden Reichtum niederfließen läßt in seinen Sprengel, wobei sowohl seine eigene Vollkommenheit als auch die seines Sprengeis vermehrt wird. Der Hierarch geht ganz auf und erschöpft sich in der glühenden Tätigkeit für das Heil der Seelen, ohne sich j e auszuschöpfen, weil er aus überirdischen Quellen gespeist wird, die nie versiegen. Voraussetzung hierfür ist ein selten hoher Grad der Liebe. Will ein Bischof dieser Idee des Vollenders entsprechen, so muß er erschreckend schwere Aufgaben erfüllen. Es leuchtet ein, daß bloße Beamtenfunktionen, und würden sie noch so gewissenhaft ausgeübt, nicht ausreichen, um solchen Forderungen zu genügen. Trägt man in Auswertung des obigen metaphysischen Grundsatzes vom Verhältnis zwischen Akt und Potenz die natürliche Schwerfälligkeit und die angeborene Unfähigkeit großer Massen auf Seiten der Potenz ein, dann müssen — soll überhaupt ein fruchtbares Wechselspiel zwischen Hirt und Herde zustande kommen — auf seifen des Aktes entsprechende Gegenkräfte zur Auswirkung drängen: Gegenkräfte, die nicht durch peinliche Einhaltung eines Zeremoniells oder durch schematische Erledigung eines genormten Pflichtenkreises erschöpft sein können. Die Grundidee des Bischofs als Perfector ist eine unerhört dynamische, sie verlangt schöpferische und erleuchtete Initiative, deren Ausstrahlungen sich auf das ganze Bistum bis in den letzten Winkel eines Einödhofes hinein erstrecken. Was läßt sich grundsätzlich von der Erfahrung her zu dieser Sonderlehre b e m e r k e n ? Alle großen Bischöfe haben sie in irgendeiner mannigfach abgewandelten Form verwirklicht. Die Theorie des Theologen Thomas wird durch die Praxis der Heiligen bestätigt. Besseres kann man von einer Theorie schwerlich aussagen.

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A N H A N G Aristotelischer Anh. II

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Kurzkommenlnr

1. Wie alle Teile der geistigen Welt, die Thomas v. Aqitino mit seiner Summa umspannt, ist die Pyramide der geistigen Stände aus Bausteinen errichtet, die, wenn auch nur zu einem Bruchteil aristotelischen Ursprungs, doch aristotelisch „armiert" (wie Eisenbeton), von seiner Logik und Ontologie zusammengehalten sind. F ü r die erste Gruppe mehr oder weniger wörtlicher und ausdrücklicher Zitate legen die 30 Stellen Zeugnis ab, die zum lateinischen Text nach Seitenzählung der Preußischen Akademieausgabe angemerkt sind. Nachzutragen ist die Seitenzahl zur Nikomachischen Ethik 10, 8 unter 186, 3 Zu 4. Auf diese Gruppe von Zitaten wird aus Raumgründen im folgenden nicht mehr zurückgegriffen.i 2. F ü r die zweite Gruppe, bei der aristotelische Denkuiittel vorwiegend als Bindemittel dienen, sei vorweg auf die Antwort zu 184, 7 verwiesen, als auf den Grenzfall: Der Träger höherer Weihen, sagt Dionysius Areopagita, steht zum Träger niederer Weihen im Verhältnis des Vollenders zum Vollendeten. Das wird gestützt mit dem allgemeinen Grundsatz: ,,Immer ist das Wirkende vorzüglicher als das Gewirkte." E r ist wörtliches Zitat aus De anima 3, 5 ; Thomas aber belegt ihn aus Augustinus, stellt so zwischen den äußersten Gegensätzen des eisklaren Systematikers und des überschwenglichen M y s t i k e r s die platonisch-neuplatonische, stetige Verbindung her. So ist die von ihm geschaffene Theologie gewebt aus den haltbaren Gedankenfäden des S c h o l a s t i k e r s , getaucht in den Purpur heißer Gottesliebe des Heiligen; die Summa ein königlicher Mantel, den er vor Gott als Ehrengabe ausbreitet. 3. Die in der L o g i k grundlegende Unterscheidung universaler und partikulärer U r t e i l e (alle S sind P — einige S sind P) findet in der Antwort zu 184, 8 eine nicht alltägliche Anwendung. Dem begrifflichen Umfange nach fällt ein Amt mit dem Stande, dem es obliegt, zusammen; wieso verhalten .sie sich wie das Besondere zum Allgemeinen? — Schon die Analogieform deutet auf die Lösung hin: „Wie der Sehende zu dem, der Augen hat, sie aber nicht braucht"; allgemein ausgedrückt — wie die Wirksamkeit (actus) zur bloßen Möglichkeit (potentia; Metaph. 9, 6). Dieser Bedeutung voll entsprechend, unterscheidet die Nikomachische Ethik 3, 1 von der allgemeinen Charakteranlage die aus ihr erfließende „Handlung, die stets im bestimmten Falle erfolgt". 4. Auf den obersten Grundsatz des deduktiven S c h l i e ß e n s : „Man muß vom Früheren (logisch Übergeordneten) zum Späteren fortschreiten", Analytica posteriora 1, 3, bezieht sich der ü. Einwand zu 189, 1. Der entsprechende 5. Zusatz zur Antwort unterscheidet mit Aristoteles verschiedene Arten des „Früher und S p ä t e r " ; eine Ordnung der Absicht (intentio) und der Zeit, welch letztere sich der Ordnung dein Ziele nach 1 Die schon von E d i t i o L e o n i n a h e r a n g e z o g e n e n durch Sternchen kenntlich gemacht.

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Aristotelesstellen

sind

fügt: .,Die Wirksamkeit (actus) ist f r ü h e r als die Möglichkeit (potentia)" dem Wesen u n d d e r Zeit nach; Metaph. 9, 8. 5. Die Regel, daß m a n „vom Leichteren zum Schwierigeren ü b e r g e h e n müsse", Physik 1, 1, zieht der gleiche Artikel im 4. Zusatz heran, um darzutun, daß dieser oberste Grundsatz der theoretischen W i s s e n s c h a f t auf die praktische Frage, ob Unfertigen die A u f n a h m e in einen Orden gewährt w e r d e n solle, k e i n e A n w e n d u n g hat. ö. Der O n t o l o g i e gehört die Unterscheidung des „Mehr und M i n d e r " (magis et minus) a n ; sie ist das K e n n w o r t f ü r bestimmte K a t e g o r i e n , vor allem d e r Qualität, Categor. 8. Auch die Ü b e r t r a g u n g auf G r a d e der Tugend, wie sie im 3. E i n w a n d von 183, 3 v o r g e n o m m e n wird, ist zu belegen aus der Nikomachischen Ethik 10, 2. Die in 189, 6 Zu 2 g e b r a u c h t e F o r m e l „Etwas ist, w a s es ist, eines A n d e r e n " ist die Begriffsbestimmung d e r Relation nach Categor. 7; die A n w e n d u n g auf das Verhältnis des Sklaven zu seinem H e r r n findet sich in d e r Politik 1, 4. Ebenso ist die Unterscheidung in 184, 1 Zu 2, von G r a d e n der Vollkommenheit, je nachdem, ob sie i h r e m Träger „einfach", d. h. schlechthin (simpliciter) z u k o m m e n o d e r n u r „in Relation zu etwas", dem Aristoteles entlehnt, Metaph. 5, 16; doch erhält sie einen n e u e n I n h a l t : Die vollkommenste Tugend ist nach der Nikomachischen Ethik 5, 3 die Gerechtigkeit, und zwar als „relative" T u g e n d ; Thomas klärt das Verhältnis, indem er sie in d e r „Tugend schlechthin", d e r Caritas überhöht. Der ontologische Grundsatz, dessen er sich dabei b e d i e n t : Das schlechthin Gültige ist jeweils das Prinzip und das Hauptsächliche (maximum), ist nicht im Buch Ia (ed. Didot. = 2 uns. Zählung) der Metaphysik zu finden, wie Leonina will. Er steht vielmehr im Buch 5, 5: „Das Erste und hauptsächlich Notwendige ist das Einfache." ' 7. Zur B e g r i f f s b i l d u n g leiten zwei Sätze der Categorien ü b e r : Erstens aus Cap. 12 d e r a l l g e m e i n e Grundsatz: „Das F r ü h e r e in d e r Seinsfolge ist (mit dem Späteren) nicht u m k e h r bar". Wird die Gattung, das Allgemeine, aufgehoben, so auch ihre Spezies, das Besondere, Top. 6, 4; nicht aber umgekehrt. Mit dem Aussterben der Tiere w e r d e n alle Tierarten auss t e r b e n ; a b e r mit d e m Aussterben der S a u r i e r ist die Gattung „Tier" nicht ausgestorben. Ebenso w e r d e n , wie Einwand 5 in 189, 1 will, mit den allgemeinen Geboten d i e Räte a u f g e h o b e n ; nicht aber u m g e k e h r t . Zweitens aus Cap. 3 d e r Satz: „Was gattungsverschieden und e i n a n d e r nicht über- und untergeordnet ist, hat auch verschiedenartige Untenschiede". Übrigens nicht streng gültig; wie Aristoteles Topik 6, 6 selber berichtigt: Man unterscheidet z. B. u n t e r der Gattung ,,Säugetier" die Raubtiere, und ganz entsprechend Raubvögel und Raubfische. Die Antwort auf diesen 1. E i n w a n d von 183, 4 setzt sich denn auch über solche H a n d r e g e l der Elementarlogik hinweg. 8. Aus der Lehre vom b e g r i f f l i c h e n (essentiellen) S e i n stammt der Grundsatz: „Was im Wesentlichen ü b e r e i n k o m m t (d. h. im Wesentlichen identisch ist), ist verschieden n u r im Unwesentlichen (Akzidentellen), den 188, 1 als 2. E i n w a n d gegen eine Mehrzahl religiöser Orden wendet. Es handelt sich

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Anh. II um eine freie Wiedergabe von Analytica post. 2. 13: „Viele !i7a 12 Unterschiede kommen Gleichartigem zu; aber nicht gemäß dem Wesen". Die Definition des Ganzen — „was alleinsteht" (solitarium), einer hervorragenden Seinsweise als „dessen, dem nichts abgeht", gibt die Antwort zu 188, 8 im Wortlaut der * 207 a 9 Physik 3, 6. 9. Zur T e 1 e o 1 o g i e, demjenigen Zweig der Ontologie, in dem alles Werden und daher auch alles Gewordene als „zielstrebig" betrachtet wird, im Übergang befindlich von realer M ö g l i c h k e i t (potentia) zu der sie verursachenden W i r k l i c h k e i t (actus; causa finalis), gehören unter inhaltlichem Gesichtspunkt schon die beiden ersten Anwendungen formallogischer Grundsätze (vgl. oben). Als teleologischer Grundsatz * 146b 10 darf die Stelle der Topik 6, 8 gelten, die 188, 1 in der Antwort zitiert ist: „Das Ziel ist jeweils das Wichtigste, um seinet1072b ll willen das andere". Nach Metaph. 12, 7 gibt es drei Arten der N o t w e n d i g k e i t : „Durch Gewalt (violentia)" — ein Stein wird in die Höhe gehoben; „schlechthin (absoluta)" — er fällt, wenn man ihn losläßt; „ohne die ein Gut (Wert) nicht gewonnen werden kann" — der Stein wird dem Hausbau eingefügt, die zielstrebige teleologische Notwendigkeit (finalis). Der 2. Zusatz zu 189, 2 stellt sie dem „bedingungslosen Zwang (violentia absoluta)" gegenüber, um darzutun, daß die zielstrebige Nötigung eines Gelübdes zum Ordenseintritt nicht, wie der 2. Einwand will, mit den Worten Gregors in Widerspruch steht.

994 a 31 994b!)

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10. Als negatives Axiom der Teleologie läßt sich der Satz des 1. Einwandes zu 185, 4 auffassen: „Die U m k e h r von einer höheren zur niederen Vollendungsstufe ist versagt", mit dem Thomas den so geliebten Evangelientext von der „Hand, die an den Pflug gelegt ist", unterbaut. Er gehört zu Metaphys. 2, 2, wo sich das einleuchtende Beispiel findet: „Nicht wird aus dem Manne ein Knabe". 11. Auf dasselbe Kapitel der Metaphysik läßt sich zu der, gleichfalls ein teleologisches Prinzip aussprechenden Feststellung des 1. Zusatzes zu 188, 7 verweisen: „Ein M i t t e l (instrumentum) ¡.st nicht um seiner seihst willen da". Diezweite Hälfte des Satzes „es ist um des Zweckes" — oder schöner „Zieles willen da", steht in De partibus animalium 1, 5. Zum folgenden Beispiel „Wie der Arzt..." vgl. das Zitat aus der Politik zur Parallelstelle in 184, 3 Antw." 12. Wollte man unter dem Gesichtspunkt der E t h i k alle aristotelisch zu belegenden Stellen zusammenfassen, bei denen sittliche Werte den Inhalt bilden, so hätte man unter dieser Rubrik mehr oder weniger alle bisher zusätzlich beigebrachten Zitate zu wiederholen. Als formeller ethischer Grundsatz ist nachzutragen aus dem 1. Zusatz zu 185, 2: „Das Wohl der Menge hat vor dem Wohle des Einzelnen den Vorrang". Die Nikomachische Ethik 1. 1 redet statt dessen vom „Wohl des Staates" (nö/.eois, nicht ao/./.o>v). In der wörtlichen Wiedergabe folgt Thomas dem Irrtum seines Übersetzers oder dessen Handschrift; in der Anwendung auf das Verhältnis des einzelnen Klerikers zur Kirche stellt er dagegen den aristotelischen Sinn kongenial wieder her.

500

13. Nach Inhalt und Form der N a t u r p h i l o s o p h i e angehörig sind die Grundsätze: „Die Natur tut nichts umständlich, was sich einfach tun läßt"; 183, 2 Zu 2, frei nach De Coelo 2, 11 und De generatione animalium 2, 4 — „Nichte wird von Natur in entgegengesetzten Richtungen bewegt" (der Stein stets abwärts; die Flamme aufwärts); 185, 4 E. 2, nach Physik 8, 4. — Im gleichen Sinne „was gemäß der Natur, ist unveränderlich", 184, 4 Zu 1, nach der Nikomachischen Ethik 5, 10. Das De partibus animalium 4, 10 „die Hand ist nicht e i n Werkzeug, sondern viele" ausführende Beispiel von den Trutz- und Schutzmitteln; 187, 3 Zu 1. — Schließlich das aus De anima 3, 8 stammende, hoch in die Teleologie hinaufreichende Apercu der Antwort zu 187, 3: „Die Hand ist das Werkzeug der Werkzeuge".

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Anh. II 739b 19 29ibis 255a2 i m 6 -¿s• gut a 19 4.12 a 1*

NACHTRÄGE

UND

BERICHTIGUNGEN

I. E r g ä n z u n g z u d e n (Die Väter-Zilute Lalinorum (CSEL), Seite

28 30 30 43 47 47 50 51 51 52 57 63 65 68 68 69 72 74 86 86 88 91 101 108 111 112 114 114 121 128 130 130 138 139 144 148 150 158 158 159 159 159 159 159 159

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PL

Marginalien

Ecclesiasticorum im Corpus Scriptorum soweit die im Bande zitierten Werke dort erschienen sind.) CSEL

44/301B 42 15/1640A 32/1V 44/301B 42 41/647D 40/11 41/647C 40/11 34/467B 28/1 33/88B 34/1 33/228A 34/11 33/227D 34/11 22/1082C 56 22/1082C 56 41/647C 40/11 41/647D 40/11 33/188B 34/11 41/647D 40/11 41/648A 40/11 42/873C 33/740C 44 22/531A 54 33/487 44 34/1114A 43 3ä/809A 57 41/280D 40/1 41/223D 40/1 32/796B 33 33/124B 34/11 22/580C 54 22/1085B 56 4Q/392A 41 40/459D 41 34/1097B 43 33/487B 44 22/1080D 56 40/424A 41 44/263A 60 33/272B 34/11 22/352B 54 40/577D 41 40/549B 41 4Q/550D 41 40/551A 41 40/564D 41 40/565A 41 40/565A 41 40A565B 41

Seite

18 185 18 406 406 402 49 221 221 136 136 406 407 138 407 407 605 421 27 178 32 450 355 256 5f 529 142 222 362 141 28 133f 292 257 344 55 589 532 535 535f 564 564 564 565

160 165 166 166 166 166 170 172 174 174 175 176 176 176 177 179 179 180 181 182 185 187 191 195 200 209 211 211 212 219 222 223 228 228 228 231 231 232 234 234 235 245 246 249 255

l'L

CSKL

40/565C 41 22/1079A 56 40/549A 41 40/550A 41 40/551A 41 40/551A 41 40/566B 41 40/576B 41 40/565B 41 40/567D 41 40/567D 41 40/572D 41 40/573B 41 40/568B 41 41 40/573B 40/575D 41 40/575D 41 40/551A 41 22/584A 54 55 22/696D 22/535B 54 22/1075D 56 22/1194B 56 22/583A 54 57 33/855B 22/549B 54 22/543A 54 22/1078B 56 40/565B 41 54 22/596B 40/573D 41 41/436B 40/11 40/570D 41 40/571A 41 40/571B 41 22/1077C 56 22/1080D 56 40/570D 41 22/1077B 56 22/1077D 56 41/647D 40/11 15/1547B 32/1V 63/765A 67 33/487B 44 33/487B 44

565 131 532 534 535f 535f 566 586 565 570 569f 579 580 570f 580 585 585 535f 536 47 430 124 310f 533 133 464 449 130 565 563 581 56f 575 576 576f 128 134 575 127f 128 407 31f 65 28 28

Seite

l'I.

258 258 274

41/280D 32/605C 22/10820

CSEL

40/1 36 56

450 64f 136

II. V c r z e i c h n i s d e r /. Werkt'

Seite

HL

CSEL

280 282 284

33/1055D 22/549B 32/761B

57 54 33

570 464 192f

Abkürzungen

des hl. Thomas v. Aquin (außer Sentenzenkommenfar):

Summa

Iheol.

und

An. - Quaestio disputata de anima. In An. = In libros Aristotelis de anima expositio. ( (i -- Summa contra gentes. CI = Contra impugnantes Dei cultum et religionem. Col = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Colossense.s. Cor = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Corinthios. CR = Contra pestiferam doctrinam retrahentium homines a Religionis ingressu. C ï h = Compendium theologiae. Kph = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Ephesios. Gal = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Galatas. Hb = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Hebraeos. •lo = Expositio in evangelium S. Joannis. •lob = Expositio in Job. Mal. = Quaestiones disputatae de malo. Met. = In metaphysicam Aristotelis commentarla. Mt = Expositio in evangelium S. Matthaei. Or. Dom. = Expositio devotissima orationis dominicae. Periherm. = In libros Perihermeneias Aristotelis expositio. Pot. = Quaestiones disputatae de potentia. PVS = De perfectione vitae spiritualis. Qlb = Quodlibetum (quaestiones quodlibetales). Resp. de = Responsio de articulis. Rom = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Romanos. Subst. sep. = De substantiis separatis. Thess = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Thessalonicenses. Unit. int. = De unitate intellectus contra Averroistas. Ver. = Quaastiones disputatae de veritate. 2. Abkürzungen

und Ausgaben der öfters Zeitschriften

zitierten

Werke

und

HR = Biblisches Reallexikon. 2. Aufl. Hrsg. Edmund Kalt. Paderborn 1938 f. CJC = Codex Juris Canonici. CSEL = Corpus Scriptorum Ecclesiasticoruni Latinorum, ed. curis et impensis Academiae Litterarum Vindobonensis 1866 sqq. DC = Du Cange, Glossarium mediae et infimae LatinitatLs. Niort 1863 sqq. DThC = Dictionnaire de Théologie Catholique, hrsg. von A. Vacant und E. Mangenot, fortges. von E. Amann. Paris 1909 ff.

503

Dz = Denzinger-Umberg. Enchiridion Symbolorum etc. Ed. 18—20. Friburgi 1932. Ehses = Concilium Tridentinum. Tonni.-; lionus. Friburgi 1924. Frdb. = Friedberg, Corpus Juris Canonici. L = Editio Leonina. Romae 1882 sqq. Lomb. = Petrus Lombardus. LThK = Lexikon für Theologie und Kirche. 2. Aufl. Hrsg. Doktor Michael Buehberger. Freiburg 1930 ff. Mansi = Sacroruni conciliorum nova ot amplissima eollectio. Paris et Lipsiae 1903 sqq. P = Editio Piana. Romae 1570 sqq. PG = Migne, Patrologiae cursus completus, series Graeca. PL = Migne, Patrologiae cursus completus, series Latina. RkAW = Real-Enzyklopädie der klassischen Altertunis\viss,:nschaft, hrsg. von Pauly-Wissowa. Stuttgart 1894 ff. Sol. = Dionysiaca, Editio Solesmensis (1937). ThLL = Thesaurus Linguae Latinae. Lipsiae 1900 sqq. ThQSchr = Theologische Quartalschrift. Tübingen. WW = Kirchenlexikon, hrsg. von Wetzer und Welte. Freiburg 1886 ff. ZkTh = Zeitschrift für katholische Theologie, Innsbruck.

504

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506

A L P H A B E T I S C H E S N A M E N -

U N D

S A C H V E R Z E I C H N I S

A b k ü r z u n g e n : ( G e b r ä u c h l i c h e A b k ü r z u n g e n o d e r solche, d i e sich a u s d e m Z u s a m m e n h a n g von selbst v e r s t e h e n , sind n i c h t a n g e f ü h r t . ) a : an, a u f , a u s AB: Alter B u n d B: Bisehof B g r : Begriff Bst: B e s t i m m u n g bst: bestimmt C h r : Christus ehr: christlich d : der, die. das e: ein. eine. einer EK: E v a n g e l i s c h e R ä t e f: f ü r Frht: Freiheit G: Gott g t t l : göttlich GL: Gottesliebe Gg: G e g e n s t a n d gg(s): gegen, g e g e n ü b e r , gegenseitig Gib: G e l ü b d e Gm: Gemeinschaft Gn: Gnade Ost: Geist gpt: geistig

gstl: geistlich h : h a b e n , h a t , hatte(n) H1G: H e i l i g e r Geist KISchr: H e i l i g e S c h r i f t k : k e i n , k e i n e r , keine, kann K: K i r c h e kl: kirchlich Kl: K l e r i k e r m : mit M(n): Menschten) ml: menschlich Mglk(n): Möglichkeiten) n : nach, n i c h t N: N a t u r nl: natürlich NL: N ä c h s t e n l i e b e Ntw: Notwendigkeit ntw: notwendig o: oder, o h n e O: Orden OL: O r d e n s l e u t e Ordg(n): O r d n u n g ( e n )

Pr: Priester s: sein, seine, sein s.: siehe St: Stand Tg(n): T u g e n d (en) T h l : Theologie Ü-N: U b e r n a t u r Ü-nl: das U b e r n a t ü r l i c h e ü-nl: ü b e r n a t ü r l i c h u: und, unter U-sch: Unterschied u-sch: u n t e r s c h i e d e n Uvk(n): U n v o l l k o m m e n heit(en) uvk: unvollkommen v : von. v o m . vor Vh: Verhältnis Vk(n): V o l l k o m m e n heiten) Vn: Vernunft W: Welt WL: Weltleute z: zu. zum. zur

NB.: I n n e r h a l b d e r g r ö ß e r e n Titel ist die a l p h a b e t i s c h e R e i h e n f o l g e , wo es n ö t i g schien, d u r c h K u r s i v d r u c k k e n n t l i c h g e m a c h t . Die k u r s i v g e d r u c k t e n Z i f f e r n beziehen sich auf A n m e r k u n g u n d K o m m e n t a r . Wo E i n w a n d u n d A u f l ö s u n g in d e n A n g a b e n sich e n t s p r e c h e n , sind sie d u r c h / zusammengefaßt. A A b r a h a m 1 2 1 302. Absicht, bst Verdienstliehkt. 157f 424. — Wirkg ermöglicht Urteil ü b e r d A . 1 8 9 437. A c h a b . K ö n i g v I s r a e l 1 8 7 f 316. Ä m t e r . D r e i t e i l u n g 43ff 365. — - k a u f . s. S i m o n i e . — S t u f e n g r a d e 1 2 352. — U-ech durch Obliegenhtn llf. — V e r s c h i e d e n h e i t 4 350. v R a n g u S t 6. Ä r g e r n i s 78f 303J. — bei Wiederaustritt a 0 256f. Agens-patiens 47 2 9 9 f . Agrapha 3 2 0 f . Akt. d Tg nur i Frht setzbar 470.

— aktive u

passive

Haltg 47f.

2 9 9 f .

i S t r e b e n n V k (10). — A k t - P o t e n z = V h 2 4 6 331.

Akt, Akt-Potenz i Verhältnis v B u Bistum 4 9 0 f f 495. — b D i o n y s i u s 489. — aktuell-habituell im Seel i s c h e n 2 3 / 2 5 294. A l e x i u s , hl. 182. Allgemeinwohl, geht z e l w o h l 213f.

vor

Ein-

A l m o s e n , gst A. wichtiger als leibl. 205. — L e b e n s u n t e r h a l t d OL 1 7 2 « 428.

— o Not v A. d A r m e n l e b e n ist S ü n d e 1 7 1 / 1 7 8 f 320. Alteratio

32/35

297.

A n d r e a s , A p o s t e l 130 280. A n o n y m e M ä c h t e 313. A n t h r o p o m o r p h i t e n 210. A n t o n i u s hl. 215 218. A n t r i e b d H1G 245 3 2 9 f . A n w ä r t e r a O-St 253 4 7 3 f . A p o d i k t i k 356 478

480

432

436

442

457

485.

507

Apokalyptische Reiter 185 321. Apollo 209. Aporetik d S u m m a 300 307 347 356

361

430

432

436

463.

Apostaten, v Pr- u O-St 254fl 333.

Apostel, H a n d a r b e i t d A. 169. — h teil a d messianischen Ausstattung Chr 211 326. — Ausgang aller Vk d chr Lebens v d A.n 118. Apostolat, u Einsamkeit 235f 463.

— u Erleuchtg 453. — v Thomas i d Vordergrund gerückt (8). Apriori. Bdtg f d Forschung 329.

Arbeit, f r e i e Wahl v A-s-Art u -Platz 166 319. — u Gebet als G.s-Dienst 38 298

— nl Pflicht z A. 158ff 3 1 7 f f . — Pflicht d OL 158ff 425. geschichtl. 426. Gleichstellg v OL u W L i bzg a A.pflicht 165 426. — Recht a A. 319. s. H a n d a r b e i t . Arbeitsethik 161H 427. Arbeitslosigkeit 319. Arbeitsteilung. Gesetz d A. 8fl 352 461. Archidiakon 41/45 53ö 293. Arme, sind Eigentum G.s 320. — o Not v Almosen d A. leben ist Sünde 173ff 320. Armenhilfe, verpflichtend 165 317.

Armut (freiwillige): — n u r in rechter Absicht gut 110/114. — besser als Almosengeben lll/117f. —