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German Pages 305 Year 2003
LORENZ STÖKL
Der welthandelsrechtliche Gentechnikkonflikt
Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit H e i n z - D i e t e r A s s m a n n , B u r k h a r d Heß K r i s t i a n K ü h l , Hans v. M a n g o l d t Wernhard Möschel, M a r t i n Nettesheim Wolfgang Graf V i t z t h u m , Joachim Vogel sämtlich in Tübingen
Band 65
Der welthandelsrechtliche Gentechnikkonflikt Die europarechtlichen Handelsbeschränkungen für gentechnisch veränderte Lebensmittel und ihre Vereinbarkeit mit Welthandelsrecht
Von Lorenz Stökl
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D 21 Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7654 ISBN 3-428-11084-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand als Forschungsprojekt am Tuebingen University Research Centre for International Economic Law (TURCIEL) der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Dort wurde die Arbeit i m Sommersemester 2002 als Dissertation angenommen. Sie wurde von Professor Dr. Dr. h. c. Wolfgang Graf Vitzthum betreut. Das Zweitgutachten erstellte Professor Dr. Martin Nettesheim. Beiden gebührt dafür mein ganz herzlicher Dank. Dankbar bin ich auch für die Gelegenheit, in sehr angenehmer und kollegialer Atmosphäre am Lehrstuhl von Professor Dr. Martin Nettesheim mitgearbeitet zu haben, woraus sich Synergieeffekte für die Arbeit ergaben. Als hilfreich erwiesen sich auch Kontakte mit der WTO. Namentlich erwähnen möchte ich Professor Dr. Ernst-Ulrich Petersmann, Dr. Gabrielle Marceau und Gretchen Stanton. Unter denjenigen, die die Arbeit durch zahlreiche Hinweise erleichterten, möchte ich ferner Dr. Thomas Mehring, Dr. Gerald Sander und Wiebke Franken hervorheben. Mein großer Dank gilt schließlich der Studienstiftung des deutschen Volkes, die die Arbeit durch ein Stipendium förderte. Seit A p r i l 2002 arbeite ich i m Referat Bio- und Gentechnik, Sicherung genetischer Ressourcen im Agrar- und Ernährungsbereich i m Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ( B M V E L ) . Die Argumente und Schlussfolgerungen in dieser Arbeit stellen meine persönliche Rechtsauffassung dar und müssen nicht denen des B M V E L entsprechen. Rechtsprechung und Literatur habe ich bis zum Frühsommer 2002 eingearbeitet. Bonn, i m August 2002
Lorenz Stökl
Inhaltsübersicht I.Teil Einführung A. Problemstellung B. Gang der Untersuchung C. Die Bedeutung des Einsatzes gentechnischer Methoden bei Lebensmitteln
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2. Teil Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels mit gentechnisch modifizierten Lebensmitteln
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A. Überblick über Entstehung und Systematik des EG-Rechts für gentechnisch modifizierte Lebensmittel 27 B. Die Novel Food-Verordnung 40 C. Sonstige produktspezifische Vorschriften für gentechnisch modifizierte Lebensmittel 97 D. Der Kommissionsvorschlag KOM (2001) 425 endg. für eine Verordnung über gentechnisch veränderte Lebens-und Futtermittel 101 E. Die horizontale Freisetzungsrichtlinie 105 F. Der Kommissionsvorschlag KOM (2001) 182 endg. für eine Verordnung über die RückVerfolgbarkeit und Kennzeichnung 110
3. Teil Die Vereinbarkeit des EG-Rechts für gentechnisch modifizierte Lebensmittel mit WTO-Recht A. Exkurs: Das Recht für gentechnisch veränderte Lebensmittel in den USA B. Der welthandelsrechtliche Rahmen C. Bestimmung des für die welthandelsrechtliche Überprüfung der EG-Handelsbarrieren maßgeblichen WTO-Abkommens D. Die europäische Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel und ihre Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen E. Die Kennzeichnung nach Artt. 81 (b) NFVO, 2 (b) VO 50/2000/EG und ihre Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen F. Die übrigen europarechtlichen Kennzeichnungstatbestände und ihre Vereinbarkeit mit dem TBT-Abkommen
113 115 121 133 142 204 209
8
Inhaltsübersicht
G. Vereinbarkeit der sonstigen Handelsbeschränkungen der EG für gentechnisch veränderte Lebensmittel mit den WTO-Abkommen 234 H. Der Einfluss des Biosafety Protocol 237 4. Teil Zusammenfassung
276
Anhang: Tabellarischer Überblick über die Hauptvorschriften des europäischen Sekundärrechts für den Handel mit gentechnisch modifizierten Lebensmitteln 280 Literaturverzeichnis
284
Sachverzeichnis
301
Inhaltsverzeichnis LTeil Einführung Α. Problemstellung Β. Gang der Untersuchung C. Die Bedeutung des Einsatzes gentechnischer Methoden bei Lebensmitteln 1. Grundbegriffe 2. Anwendung gentechnischer Methoden in der Lebensmittelherstellung 3. Chancen durch Gentechnik bei Lebensmitteln 4. Risiken durch Gentechnik bei Lebensmitteln
15 15 16 17 17 19 20 22
2. Teil Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels mit gentechnisch modifizierten Lebensmitteln Α. Überblick über Entstehung und Systematik des EG-Rechts für gentechnisch modifizierte Lebensmittel 1. Die 70er Jahre: Unsicherheit über die Risiken der neuen Gentechnik 2. Die erste Hälfte der 80er Jahre: Förderung der Gentechnik als Wachstumsbranche 3. Die zweite Hälfte der 80er Jahre: Horizontale Reglementierung 4. Seit 1990: Vertikalisierung und Verschärfung des europäischen Gentechnikrechts a) Modifizierung der FreisRL 90/220/EWG b) Vertikalisierung des Sekundärrechts für gentechnisch modifizierte Lebensmittel: Die Novel Food-Verordnung c) Vertikalisierung des Sekundärrechts für gentechnisch veränderte Lebensmittel: Sonstige Vorschriften (1) Sondervorschriften für Bt-Mais und RR-Soja (2) Bereichsausnahmen der NFVO B. Die Novel Food-Verordnung 1. Ratio legis der Novel Food-Verordnung a) Quellen b) Die Erwägungsgründe der NFVO c) Sonstige gesetzgeberische Zielsetzungen der NFVO 2. Anwendungsbereich der Novel Food-Verordnung a) Der Bestimmtheitsgrundsatz im Europarecht b) Der Anwendungsbereich nach Art. 1 NFVO (1) Lebensmittel oder Lebensmittelzutat
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27 27 28 29 31 31 33 36 37 39 40 40 40 41 45 47 47 48 48
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Inhaltsverzeichnis
(2) Die Neuartigkeit des Lebensmittels (a) Nennenswerter Umfang (b) Nachträglicher Wegfall der Neuartigkeit (c) Die Neuartigkeit i. S. d. NFVO und das Rückwirkungsverbot (3) Aufgezählte Fallgruppen (a) Gentechnisch veränderte Lebensmittel oder -zutaten (Kategorien (a) und (b)) (b) Die Kategorien (c), (d) und (e) (c) Lebensmittel oder -zutaten mit unüblichem Herstellungsverfahren (Kategorie (0) (4) Inverkehrbringen c) Die Bereichsausnahme nach Art. 2 NFVO ( 1 ) Wirkung der Bereichsausnahme (2) Praxisrelevante Lücken zwischen den Sondervorschriften für Zusatzstoffe, Aromen und Extraktionslösungsmittel und der NFVO 3. Die Zulassungspflicht für das Inverkehrbringen gentechnisch modifizierter Lebensmittel a) Anwendungsbereich der Zulassungsregeln b) Art des Zulassungsverfahrens: Genehmigung/Anzeige c) Verfahrensmäßige Besonderheiten des Anzeigeverfahrens d) Materielle Genehmigungsvoraussetzungen und Vorsorgeprinzip e) Verfahrensmäßige Besonderheiten des Genehmigungsverfahrens f) Der Eingriffscharakter der Zulassungspflicht 4. Die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch modifizierte Lebensmittel a) Die Vorgaben von Art. 8 NFVO (1) Art. 81(d) NFVO (2) Art. 81(a) NFVO (3) Art. 81(b) NFVO (4) Art. 81(c) NFVO b) Art. 8 NFVO und der Bestimmtheitsgrundsatz c) Der Eingriffscharakter der Kennzeichnungspflicht C. Sonstige produktspezifische Vorschriften für gentechnisch modifizierte Lebensmittel 1. Die Sondervorschriften für Bt-Mais und RR-Soja a) Ratio legis der Sondervorschriften für Bt-Mais und RR-Soja b) Anwendungsbereich der Sondervorschriften für Bt-Mais und RR-Soja c) Die Kennzeichnungspflicht nach den VO 1139/98/EG und 49/2000/EG 2. Die Sondervorschrift VO 50/2000/EG für Zusatzstoffe und Aromen a) Ratio legis der VO 50/2000/EG b) Der Anwendungsbereich der VO 50/2000/EG c) Die Kennzeichnungspflicht nach der VO 50/2000/EG D. Der Kommissionsvorschlag KOM (2001) 425 endg. für eine Verordnung über gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel 1. Der geplante Anwendungsbereich 2. Die geplante Zulassung gentechnisch veränderter Lebensmittel 3. Die geplante Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel 4. Widerstand gegen den Kommissionsvorschlag
50 51 52 54 56 56 58 58 59 60 60 61 62 63 65 70 71 77 81 82 84 87 87 92 94 95 96 97 97 97 98 98 99 99 100 100 101 101 102 103 104
Inhaltsverzeichnis E. Die horizontale Freisetzungsrichtlinie 1. Anwendungsbereich der FreisRL für Lebensmittel 2. Ratio legis der FreisRL 3. Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Organismen enthaltende Produkte 4. Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Organismen enthaltende Produkte 5. Die FreisRL und das de facto-Moratorium F. Der Kommissionsvorschlag KOM (2001) 182 endg. für eine Verordnung über die RückVerfolgbarkeit und Kennzeichnung
105 105 106 107 108 109 110
3. Teil Die Vereinbarkeit des EG-Rechts für gentechnisch modifizierte Lebensmittel mit WTO-Recht A. Exkurs: Das Recht für gentechnisch veränderte Lebensmittel in den USA 1. Grundsätze 2. Food and Drug Administration (FDA) a) Genehmigungspflicht b) Kennzeichnung 3. Environmental Protection Agency (EPA) 4. United States Department of Agriculture (USDA) 5. Bewertung der Unterschiede zum europäischen Recht B. Der welthandelsrechtliche Rahmen 1. Die WTO-Abkommen für das Spannungsverhältnis Freihandel-Umweltschutz ... a) Artt. I, III, XI, XX GATT b) Das Abkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS-Abkommen) c) Das Abkommen über technische Handelshemmnisse (TBT-Abkommen) d) Die Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten (DSU) 2. Das Verhältnis zwischen GATT, SPS- und TBT-Abkommen C. Bestimmung des für die welthandelsrechtliche Überprüfung der EG-Handelsbarrieren maßgeblichen WTO-Abkommens 1. Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel a) Anwendbarkeit des SPS-Abkommens auf vor 1995 geschaffene Handelshemmnisse b) Eignung zur Beeinträchtigung des internationalen Handels c) Gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahme 2. Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel a) Anwendbarkeit des SPS-Abkommens auf die Kennzeichnungspflicht b) Anwendbarkeit des TBT-Abkommens auf die Kennzeichnungspflicht 3. Sonstige Handelsbeschränkungen der EG für gentechnisch veränderte Lebensmittel D. Die europäische Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel und ihre Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen 1. Verfahrensmäßige Besonderheiten in Fällen nach dem SPS-Abkommen
113 115 115 116 116 117 119 120 120 121 121 123 124 126 128 129 133 134 134 134 135 137 137 139 141 142 143
12
Inhaltsverzeichnis
a) Beweislast und Beweismaß für Verstöße gegen das SPS-Abkommen 143 b) Kontrolldichte 145 c) Hinzuziehung von Experten durch das Panel 146 2. Die europarechtliche Zulassungspflicht und ihr Verhältnis zu internationalen Standards, Richtlinien und Empfehlungen i. S. v. Art. 3 SPS-Abkommen 147 a) Inbezugnahme internationaler Normen durch Art. 3 SPS-Abkommen 147 b) Die internationalen Standards, Richtlinien und Empfehlungen i. S. v. Art. 3 SPS-Abkommen 150 (1) Die Codex Alimentarius Kommission (CAK) 150 (2) Die International Plant Protection Convention (IPPC) 153 (3) Das International Office of Epizootics (IOE) 154 c) Internationale Standards, Richtlinien und Empfehlungen i. S. v. Art. 3 SPS-Abkommen für die Zulassung gentechnisch modifizierter Lebensmittel 155 3. Rechtfertigung der Zulassungspflicht nach Artt. 2, 51 SPS-Abkommen 161 a) Die Struktur der Artt. 2, 5 SPS-Abkommen 161 b) Risk Assessment, Art. 51 SPS-Abkommen 165 (1) Zeitpunkt des Risk Assessment 165 (2) Die Qualität der zu berücksichtigenden Risiken 167 (3) Die Quantität der zu berücksichtigenden Risiken 170 (4) Spezifizität des Risk Assessment 171 c) Stützen der nationalen Handelsbeschränkung auf das Risk Assessment, Art. 51 SPS-Abkommen 173 (1) Rational Relationship 173 (2) Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Mindermeinungen 174 (3) Das Vorsorgeprinzip im Rahmen von Art. 51 SPS-Abkommen 175 (4) Ist die Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel auf ein Risk Assessment gestützt? 178 (a) Das Prüfverfahren 178 (b) Die Zulassungsentscheidung 181 4. Das Vorsorgeprinzip nach der NFVO und nach Art. 5 VII SPS-Abkommen 184 5. Die Zulassungspflicht und das Diskriminierungsverbot der Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen 187 a) Unterschiedliche Schutzniveaus in vergleichbaren Situationen 188 b) Willkürlich oder ungerechtfertigt unterschiedliches Schutzniveau 189 c) Diskriminierung oder verschleierte Handelsbeschränkung 191 6. Die Zulassungspflicht und das Verbot rein verfahrensbezogener Handelsbeschränkungen 194 7. Die Zulassungspflicht und die Necessity Clause des Art. 5 V I SPS-Abkommen .. 196 8. Die Zulassungspflicht und die gegenseitige Anerkennung nach Art. 4 SPS-Abkommen 202 9. Die Zulassungspflicht und das Transparenzgebot nach Art. 7 i.V.m. Annex Β SPSAbkommen 203 E. Die Kennzeichnung nach Artt. 81 (b) NFVO, 2 (b) VO 50/2000/EG und ihre Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen 204 1. Internationale Standards für eine Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel hinsichtlich individueller Unverträglichkeiten 205
Inhaltsverzeichnis 2. Verhältnis von Art. 8 I (b) NFVO zum Codex-Standard und Vereinbarkeit mit Artt. 3, 211, 51 SPS-Abkommen 206 3. Art. 81 (b) NFVO und das Diskriminierungsverbot nach Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen 207 4. Art. 81 (b) NFVO und die Necessity Clause des Art. 5 V I SPS-Abkommen 208 F. Die übrigen europarechtlichen Kennzeichnungstatbestände und ihre Vereinbarkeit mit dem TBT-Abkommen 209 1. Internationale Standards zur Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel 209 2. Die Kennzeichnungspflicht und die Gebote der Meistbegünstigung und Inländergleichbehandlung nach Art. 21 TBT-Abkommen 210 a) Naturwissenschaftlich messbare Eigenschaften 212 b) Einsatzmöglichkeiten der Produkte 214 c) Verbraucherpräferenzen 215 d) Sonstige Kriterien zur Beurteilung von Like Products 221 e) Ausblick: Eine rein verfahrensbezogene Kennzeichnungspflicht und Art. 21 TBT-Abkommen 221 3. Die Kennzeichnungspflicht und die Necessity Clause des Art. 2 II TBT-Abkommen 225 a) Legitimes Ziel 225 b) Notwendigkeit der EG-Kennzeichnungsregeln zur Vermeidung irreführender Praktiken 227 4. Die Kennzeichnungspflicht und die Pflicht zur Orientierung technischer Vorschriften an der Gebrauchstauglichkeit nach Art. 2 VIII TBT-Abkommen 233 G. Vereinbarkeit der sonstigen Handelsbeschränkungen der EG für gentechnisch veränderte Lebensmittel mit den WTO-Abkommen 234 1. Die Produktbeobachtungspflicht und ihre Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen 234 2. Die Dokumentationspflicht und ihre Vereinbarkeit mit dem TBT-Abkommen .... 236 H. Der Einfluss des Biosafety Protocol 237 1. Problemstellung 237 2. Entstehung und Inhalt des Biosafety Protocol 238 a) Die Entstehungsgeschichte des BP 238 b) Die Hauptbestimmungen des BP 242 (1) Zielsetzungen 242 (2) Anwendungsbereich 243 (3) Einfuhrbeschränkungen 243 (4) Dokumentationspflichten 245 (5) Streitschlichtung 246 3. Der Diskussionsstand zum Verhältnis von WTO-Recht und MEAs 246 a) MEAs in der Diskussion zwischen den WTO-Mitgliedem 247 b) Grundsätze zur Berücksichtigung von MEAs in der WTO-Streitschlichtung . 248 c) Das Verhältnis zwischen MEAs und WTO-Recht aus Sicht des Schrifttums .. 251 4. Das Verhältnis des Biosafety Protocol zum WTO-Recht 253 a) Das Konkurrenzverhältnis für BP-Mitglieder 254 b) Das Konkurrenzverhältnis für Nichtmitglieder 260 c) Exkurs: Paradigmatik des Mutual Support-Konzeptes 263
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Inhaltsverzeichnis 5. Die einheitliche Auslegung von WTO-Recht und BP und ihre Konsequenzen für die EG-Handelsbeschränkungen 264 a) Das BP als internationaler Standard i. S. v. Art. 3 SPS-Abkommen? 265 b) Die einheitliche Auslegung der Regelungen über Einfuhrbeschränkungen durch Artt. 10 ff. BP mit Artt. 51, 2 II SPS-Abkommen 266 (1) Risk Assessment nach SPS-Abkommen und BP 266 (2) Berücksichtigung nichtnaturwissenschaftlicher Aspekte für die Importentscheidung 267 (3) Das Vorsorgeprinzip nach SPS-Abkommen und BP 268 c) Die einheitliche Auslegung der Regelungen über Einfuhrbeschränkungen durch das BP mit Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen 271 d) Die einheitliche Auslegung der Dokumentationsvorschriften des BP mit Art. 21 TBT-Abkommen 272 e) Die einheitliche Auslegung der Dokumentationsvorschriften des BP mit Art. 2 II TBT-Abkommen 273 4. Teil Zusammenfassung
276
Anhang: Tabellarischer Überblick über die Hauptvorschriften des europäischen Sekundärrechts für den Handel mit gentechnisch modifizierten Lebensmitteln 280 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
FreisRL 90/220/EWG NFVO RL97/35/EG VO 1813/97/EG VO 1139/98/EG VO 49/2000/EG VO 50/2000/EG FreisRL 2001/18/EG KOM (2001) 425 endg KOM (2001) 182 endg
280 281 281 281 281 281 282 282 282 283
Literaturverzeichnis
284
Sachverzeichnis
301
Ì. Teil
Einführung Α. Problemstellung In der Europäischen Gemeinschaft bestehen weitreichende sekundärrechtliche Regelungen für den Handel mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln. Diese Regeln schränken die Freiheit des Welthandels weitaus deutlicher ein als etwa das Gentechnikrecht der USA. Die seit 1995 i m Rahmen der W T O mit amerikanischer und europäischer Beteiligung abgeschlossenen Handelsabkommen, insbesondere das Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS-Abkommen 1 ) und das Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (TBT-Abkommen 2 ), lassen jedoch Einschränkungen der Handelsströme nur unter bestimmten Voraussetzungen zu. Die Rechtslage wird noch unüberschaubarer durch das i m Jahre 2000 außerhalb des WTO-Rahmens abgeschlossene Biosafety Protocol 3, weil dessen Auswirkungen auf das Welthandelsrecht weitgehend ungeklärt sind. Die europarechtlichen Normen für gentechnisch veränderte Lebensmittel und die zwischen den USA und der EG umstrittene Frage ihrer welthandelsrechtlichen Konformität unter Berücksichtigung des Biosafety Protocol sind Thema dieser Arbeit. Dieses Thema ist in vierfacher Hinsicht exemplarisch: Erstens ist der Handel mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln nur ein Beispiel für eine polygonale Problemstruktur im Öffentlichen Recht. 4 Der Staat versucht, die Interessen der Inverkehrbringer von gentechnisch veränderten Lebensmitteln einerseits und der Verbraucher andererseits zu einem gerechten Ausgleich zu bringen. A u f ähnliche Weise kollidieren die Interessen der verschiedenen Beteiligten beispielsweise im Arzneimittelrecht miteinander. Diese Konstellation ist i m Öffentlichen Recht zwar nicht ungewöhnlich. Eine Besonderheit des Gentechnikkonfliktes besteht jedoch darin, dass sich zeigt, wie durch die welthandelsrechtlichen Verpflichtungen der EG das 1 Text im Internet unter http://www.wto.org/english/tratop_e/sps_e/spsagr_e.htm ; die nicht authentische deutsche Übersetzung findet sich unter ABl. EG 1994 Nr. L 336/40 ff. 2 Text im Internet unter http://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/17-tbt.pdf ; die nicht authentische deutsche Übersetzung findet sich unter ABl. EG 1994 Nr. L 336/86 ff. 3 Text im Internet unter http://www.biodiv.org/doc/legal/cartagena-protocol-en.pdf . 4 Vgl. zur polygonalen Problemstruktur bei neuartigen Lebensmitteln Huber, Neue Lebensmittel: Marktfreiheit oder Zulassungsprinzip, ZLR 1996, S. 277 ff. (294ff.).
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1. Teil: Einführung
polygonale Verhältnis Staat-Inverkehrbringer-Verbraucher um eine Dimension erweitert ist. Zweitens sind die europarechtlichen Handelsbeschränkungen für gentechnisch modifizierte Lebensmittel beispielhaft für europäische Beschränkungen des Welthandels, die durch den Gedanken motiviert sind, bestimmte Rechtsgüter wie insbesondere die Umwelt, die Gesundheit der Verbraucher und ihre Wahlfreiheit i m Hinblick auf den Verzehr bestimmter Erzeugnisse zu schützen. Der Vergleich mit den EG-Normen für den Handel mit Hormonfleisch, über die bereits die WTO-Berufungsinstanz entschieden hat, 5 drängt sich jedenfalls hinsichtlich des Gesundheitsschutzes auf. Die Erkenntnisse aus der Hormonentscheidung sind für die Beurteilung der gentechnisch veränderten Lebensmittel zu berücksichtigen, und es ist zu überlegen, inwieweit die auf diese Weise gewonnenen Ergebnisse für zukünftige Fälle zu gebrauchen sind, in denen die EG den Welthandel zugunsten der genannten Rechtsgüter beschränkt. Drittens ist erneut auf das Biosafety Protocol hinzuweisen. Möglicherweise lassen sich aus der Untersuchung der Auswirkungen des Biosafety Protocol auf die welthandelsrechtlichen Abkommen Erkenntnisse gewinnen, die auch für das Verhältnis anderer multilateraler Umweltschutzabkommen zum WTO-Recht von Bedeutung sind. Schließlich beinhaltet die Untersuchung der Normen für gentechnisch modifizierte Lebensmittel ein Problem, dem der Jurist häufig begegnet - oft ist es für die juristische Beurteilung bestimmter Technologien erforderlich, naturwissenschaftliche Risiken einzuschätzen. Dies ist umso schwieriger, je umstrittener die betreffenden Techniken unter Naturwissenschaftlern und in der Bevölkerung sind. Diese Arbeit versucht darzustellen, welche Konsequenzen sich daraus für Europa- und Welthandelsrecht ergeben.
B. Gang der Untersuchung Zunächst soll i m Rahmen dieser Einführung die Bedeutung von Gentechnik bei Lebensmitteln mit der Terminologie, den Einsatzmöglichkeiten, den Chancen und Risiken dargestellt werden. I m ersten Hauptteil, dem europarechtlichen Teil der Arbeit, wird dann untersucht, auf welche Weise europäisches Sekundärrecht für gentechnisch modifizierte Lebensmittel die Freiheit des Welthandels beschränkt. Dabei werden die sekundärrechtlichen Regelungen insoweit untersucht, als sich zumindest ein mittelbarer Zusammenhang mit der Frage der welthandelsrechtlichen Vereinbarkeit ergibt, sich die 5 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body, 16.01.1998 (WT/DS26/AB/R und WT/DS48/AB/R; http://www.wto.org/english/ tratop_e/dispu_e/hormab.pdf).
C. Die Bedeutung des Einsatzes gentechnischer Methoden
17
Ergebnisse dieses ersten Hauptteils also für den zweiten Hauptteil verwerten lassen. 6 Insbesondere ist zu analysieren, auf welcher ratio legis die europarechtlichen Handelsbeschränkungen genau beruhen, denn beispielsweise die Frage, ob die EG-Normen überhaupt am Maßstab des SPS-Abkommens oder eines anderen WTO-Abkommens zu messen sind, ist danach zu beantworten, ob es sich um gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Normen handelt oder eine andere gesetzgeberische Motivation zugrunde liegt. Von Bedeutung ist zweitens der Anwendungsbereich der verschiedenen sekundärrechtlichen Vorschriften, da dieser die Reichweite der Handelsbeschränkungen beschreibt. U m die Schwere des Eingriffes zu erfassen, muss drittens analysiert werden, mit welchen konkreten Mitteln die europäischen Normen die Handelsfreiheit einschränken. U m den Überblick über das komplexe Geflecht des Sekundärrechts zu erleichtern, befindet sich i m Anhang eine tabellarische Zusammenstellung der verschiedenen Vorschriften und ihrer Hauptgedanken. 7 A u f den Erkenntnissen des ersten Teiles aufbauend, beschäftigt sich dann der zweite Hauptteil der Arbeit mit den genauen Anforderungen des Welthandelsrechts auf der Grundlage der Entscheidungen des Appellate Body und damit, inwieweit die europarechtlichen Handelsbeschränkungen den Anforderungen des Welthandelsrechts genügen. Da der Einfluss des Biosafety Protocol auf die WTO-Regeln umstritten ist, wird die Frage der WTO-Konformität zunächst unabhängig vom Biosafety Protocol erörtert, um anschließend die Auswirkungen des Biosafety Protocol auf die welthandelsrechtliche Bewertung der EG-Normen darzustellen.
C. Die Bedeutung des Einsatzes gentechnischer Methoden bei Lebensmitteln 1. Grundbegriffe Der Begriff der Biotechnologie wird nicht ganz einheitlich verwendet. 8 Die meisten Begriffsbestimmungen tendieren dazu, darunter die integrierte Anwendung von Biochemie, Mikrobiologie, Molekularbiologie und Verfahrenstechnik zu verstehen, mit deren Hilfe Mikroorganismen, Zell- und Gewebekulturen genutzt werden. 9 6 Vgl. zu einer Einführung in weitere Fragen des europäischen Gentechnikrechts insbesondere Sheridan, EU Biotechnology Law and Practice; Di Fabio in Rengeling (Hrsg.), Handbuch für europäisches und deutsches Umweltrecht, § 64. 7 Siehe unten S. 280. 8 Schenek, Das Gentechnikrecht der Europäischen Gemeinschaft, S.28, weist darauf hin, dass es in der EG mindestens 41 verschiedene Definitionen dieses Begriffes gebe. 9 Vgl. Schenek (siehe oben Fn. 8), S. 28; JanylGreiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, http://www.bfa-ernaehrung.de/BfeDeutsch/Information/e-docs/janyberi.htm, 1.2.; Europäische Föderation für Biotechnologie, zitiert bei Rücker, Die Entstehung der Novel Food-Verordnung der Europäischen Union, S.45; ähnlich die Definition im OECD-Report of the Task Force for The Safety of Novel Foods and Feeds , 17.05.2000, C(2000)86/ADD1, S.8.
2 Stökl
1. Teil: Einführung
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Nach der von den Organen der EG im Allgemeinen verwandten Terminologie ist dabei die neue Biotechnologie eine der Gentechnik übergeordnete Querschnittskategorie, nämlich derjenige Teil der allgemeinen Biotechnologie, der „sich auf die Beseitigung der derzeitigen wissenschaftlichen und technischen Schranken für die Förderung der Gesundheit und die Entwicklung der Industrie und Landwirtschaft bezieht". 1 0 Nach der Definition der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages Chancen und Risiken der Gentechnologie 11 ist Gentechnik 12 „die Gesamtheit der Methoden zur Charakterisierung und Isolierung von genetischem Material, zur Bildung neuer Kombinationen genetischen Materials sowie zur Wiedereinführung und Vermehrung des neu kombinierten Erbmaterials in anderer biologischer Umgebung". Damit bezieht sich die Definition auf eine Wissenschaftssparte, deren Grundstein Avery 1944 durch den Beweis dafür legte, dass die Desoxyribonukleinsäure (DNA) Träger der Erbinformation in der Zelle ist. 1 3 Seither sind verschiedene Verfahren entwickelt worden, um das Genom, die Gesamtheit des genetischen Materials von Lebewesen, über die Grenzen der Kreuzbarkeit hinaus spezifisch zu verändern. 14 Die Verwendung des Begriffes des gentechnisch veränderten Organismus in dieser Arbeit knüpft an die Definitionen in Art. 2 der EG-Freisetzungsrichtlinie 15 und § 3 GenTG 1 6 an, wonach unter Organismus jede biologische Einheit zu verstehen ist, die fähig ist, sich zu vermehren oder genetisches Material zu übertragen, und gentechnisch 17 veränderte Organismen solche Organismen sind, deren genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise durch Kreuzen und natürliche Rekombination nicht möglich ist. Trans gene Pflanzen oder Tiere nennt man solche, die durch die Anwendung gentechnischer Verfahren ein ursprünglich fremdes Gen stabil in ihr Genom aufgenommen haben und exprimieren. 18 10
KOM (1983) 672 endg., S. 2. BT-Drucks. 10/6775 vom 06.11.87, S. 1 ff. (7). 12 In dieser Arbeit wird der Begriff der Gentechnik dem häufig synonym gebrauchten Begriff der Gentechnologie vorgezogen, vgl. zur Terminologie auch Schenek (siehe oben Fn. 8), S. 16. 13 Dingermann, Gentechnik/Biotechnik, S.3. 14 Vgl. dazu etwa Teuber, Gentechnik für Lebensmittel und Zusatzstoffe, S. 7 ff. (8 f.); Janyl Greiner (siehe oben Fn.9), 1.3. 15 RL 90/220/EWG, siehe unten Fn.77. 16 BGB1.I 1990, S. 1080 ff. 17 Im Gemeinschaftsrecht ist anders als im deutschen Gentechnikrecht meistens von genetischen Veränderungen die Rede, ohne dass ein juristischer Unterschied zur gentechnischen Veränderung ersichtlich wäre. Der Begriff der gentechnischen Veränderung ist aus Gründen der Klarheit vorzugswürdig und wird daher in dieser Arbeit verwendet. Vgl. hierzu auch v. Kameke, Gemeinschaftliches Gentechnikrecht, die Freisetzungsrichtlinie 90/220/EWG, S. 17f. 18 Gassen/Bangsow/ Ηektor/König/Sinemus, Entwicklungen der Biotechnologie, ZLR 1996, S. 381 ff. (387). 11
C. Die Bedeutung des Einsatzes gentechnischer Methoden
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Der Begriff der gentechnisch modifizierten Lebensmittel, wie er in dieser Arbeit verwendet wird, ist umfassend und meint zunächst solche Lebensmittel, die selbst gentechnisch veränderte Organismen sind oder solche enthalten. Ebenfalls fallen Lebensmittel darunter, die gentechnisch veränderte D N A oder andere Spuren der gentechnischen Veränderung enthalten. Schließlich erfasst in dieser Arbeit der Begriff der gentechnisch modifizierten Lebensmittel prinzipiell auch solche Lebensmittel, die aus oder mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen hergestellt wurden, aber keine gentechnisch veränderte D N A mehr enthalten. 19 Unten 2 0 wird dargestellt, inwieweit der Anwendungsbereich der EG-Vorschriften diesem Verständnis entspricht. Die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten gentechnischer Verfahren in der Lebensmittelindustrie sind i m folgenden Abschnitt dargestellt.
2. Anwendung gentechnischer Methoden in der Lebensmittelherstellung Seit den 80er Jahren werden gentechnische Methoden in nennenswertem Umfang kommerziell angewandt. Während zunächst vor allem die Entwicklung von Arzneimitteln i m Mittelpunkt stand, 21 ermöglicht der technische Fortschritt mittlerweile auch in der Lebensmittelindustrie den Einsatz von Gentechnik. Die wichtigsten davon betroffenen Pflanzen sind bislang Sojabohnen, Mais, Tomaten, Raps und Kartoffeln. Ferner spielen gentechnische Verfahren eine wichtige Rolle bei der Optimierung von Mikroorganismen (wie beispielsweise Bakterien und Hefen für die Erzeugung fermentierter Lebensmittel wie Brot oder Bier), bei Zusatzstoffen und bei Aromen. 2 2 Bei Tieren wird Gentechnik in der Lebensmittelproduktion bislang vorwiegend indirekt eingesetzt, nämlich für Futtermittel, Wachstumshormone, Impfstoffe und Arzneimittel. Weniger weit fortgeschritten ist bislang die kompliziertere Forschung beim direkten Einsatz gentechnischer Verfahren auf Tiere, um bestimmte Eigenschaften zu beeinflussen wie etwa das Verhältnis zwischen Fett- und Fleischanteil oder die Kältetoleranz von Fischen. 23 Für das Verständnis, warum es überhaupt zur Diskussion um die welthandelsrechtliche Konformität des europäischen Gentechnikrechts kam, ist von Bedeutung, dass 19 Vgl. zum Begriff der gentechnisch veränderten Lebensmittel Lange, Anforderungen an gentechnisch veränderte Lebensmittel nach der Novel Food-Verordnung und deren Durchsetzung, NuR 1999, S. 247 ff. (247); vgl. auch Jany/Greiner (siehe oben Fn.9), 1.4. 20 S. 47 ff. 21 Vgl. Schenek (siehe oben Fn. 8), S. 36 f. 22 Vgl. Gassen/Bangsow/HektorlKönig/Sinemus (siehe oben Fn. 18), S.384; Schauzu, Risiken und Chancen der Gentechnik für die Lebensmittelherstellung, ZUR 1999, S.3 ff. (3); Tappeser in Streinz (Hrsg.), Novel Food, S.76; Jany/Greiner (siehe oben Fn.9), 1.4. 23 Vgl. hierzu Steinhart/Biernoth, Begriff der neuartigen Lebensmittel - Anwendungsfälle, in Streinz (Hrsg.), Neuartige Lebensmittel, S.67.
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1. Teil: Einführung
die meisten mit gentechnischen Methoden hergestellten Nahrungsmittelpflanzen in Nordamerika entwickelt wurden und Lebensmittel dort sehr häufig Anteile insbesondere von gentechnisch verändertem Mais oder Soja enthalten. 24 In der EG stellen Lebensmittel, die noch Anteile gentechnisch veränderter Zutaten enthalten, bislang die Ausnahme dar. 25 Hingegen werden auch in der EG gentechnisch veränderte Erzeugnisse bei der Lebensmittelproduktion außerordentlich häufig eingesetzt - insbesondere stellt man bereits seit Jahren Enzyme aus gentechnisch veränderten M i kroorganismen her. Etwa bei der Stärkeherstellung oder der Ölverarbeitung werden fast immer gentechnisch veränderte Enzyme verwendet. 26 Dementsprechend gibt es Schätzungen, wonach insgesamt etwa zwei Drittel der Lebensmittel hierzulande in irgendeiner Weise unter Einsatz gentechnischer Verfahren hergestellt werden. 27 Außerdem ist zum Verständnis der Auseinandersetzung zu berücksichtigen, dass der Einsatz gentechnischer Verfahren bei Lebensmitteln ein überaus beachtliches kommerzielles Potential besitzt. Zwar ist dessen tatsächliches Ausmaß schwer abzuschätzen, weil es auch um noch nicht existierende, erst zu entwickelnde Produkte geht. Angesichts der bisherigen Marktentwicklung in diesem Bereich überrascht jedoch nicht, wenn das Volumen des Handelskonfliktes zwischen USA und EG in US $ deutlich jenseits der Milliardengrenze angesiedelt wird. 2 8
3. Chancen durch Gentechnik bei Lebensmitteln Die verstärkte Anwendung gentechnischer Methoden bei der Herstellung gentechnisch veränderter Pflanzen ist darauf zurückzuführen, dass i m Vergleich zu her24 Vgl. Schauzu (siehe oben Fn.22), S.4; Rungel Jackson, Labelling, Trade and Genetically Modified Organisms, JWT 2000, S. 111 ff. (114); nach Hinweis der amerikanischen Lebensmittelbehörde Food and Drug Administration (FDA), Are Bioengineered Foods Safe? http://vm.cfsan.fda.gov/~dms/fdbioeng.html , S. 1, waren 1999 50% des Soja-Anbaus in den USA gentechnisch veränderte Sojabohnen. 25 1999 stellte das Landesuntersuchungsamt für das Gesundheitswesen Südbayern in 9,4% der untersuchten Sojaprodukte und 5,7% der untersuchten Maisprodukte Spuren gentechnischer Veränderungen fest (Zahlen nach Verbraucherinitiative Transgen, http://www.transgen. de). 26 Jany/Greiner (siehe oben Fn. 9), 1.4.1.1. 27 Vgl. etwa Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) u. a., Vielfalt fördern - Innovationspotenzial wahren, Thesenpapier zur Grünen Gentechnik, Oktober 2002, S. 2; auch Saint, Objectives and purpose of consumer information in Community legislation, EFLR 1997, S. 377 ff. (386), vermutet, dass zukünftig die allermeisten Lebensmittel in der EG in irgendeinem Stadium der Herstellung mit gentechnischen Verfahren in Berührung kommen. 28 Vgl. Stewart!Johanson , Policy in Flux: The European Union's Laws on Agricultural Biotechnology and Their Effects on International Trade, Drake Journal of Agricultural Law 1999, S. 243 ff. (292); Krenzler/MacGregor , GM Food: The Next Major Transatlantic Trade War?, European Foreign Affairs Review 2000, S.287ff. (287); Schweizer , The Negotiation of the Cartagena Protocol on Biosafety, Environmental Lawyer 2000, S.577ff. (Fn.91); Saigo , Agricultural Biotechnology and the Negotiation of the Biosafety Protocol , Georgetown International Environmental Law Review, S.779ff. (810).
C. Die Bedeutung des Einsatzes gentechnischer Methoden
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kömmlichen Kreuzungsverfahren definierte Merkmale von prinzipiell sämtlichen Organismen aufpflanzen übertragen werden können. Damit erlauben gentechnische Methoden das Verfolgen von Zuchtzielen, die mit herkömmlichen Kreuzungsmethoden nur schwer oder gar nicht erreichbar sind. 2 9 Teilweise bietet die Gentechnik auch einen Zeitvorteil gegenüber Züchtung mit konventionellen Methoden, wobei häufig die Produktion kommerzieller Sorten in beiden Fällen einen vergleichbaren Zeitraum beansprucht. 30 Dabei verweisen Befürworter der Gentechnik bei Lebensmitteln darauf, dass der Einsatz von Gentechnik quantitative und qualitative Vorteile gewährleiste: Ertragssteigerungen würden ermöglicht etwa durch eine erhöhte Toleranz von Pflanzen gegenüber Schädlingen oder Krankheitserregern wie auch gegenüber Herbiziden. 31 Qualitätsverbesserungen könnten durch gentechnische Verfahren erlangt werden etwa hinsichtlich des Nährwertes, des Geschmackes, der Verarbeitungseigenschaften oder der Haltbarkeit von Lebensmitteln. 32 Auch könne das allergene Potential bestimmter konventionell hergestellter Lebensmittel mit Hilfe gentechnischer Veränderungen der Produktzusammensetzung gezielt bekämpft werden. 33 Diese Quantitäts- und Qualitätssteigerungen könnten prinzipiell gerade i m Hinblick auf den Ernährungsnotstand in der 3. Welt Bedeutung erlangen. 34 Wirtschaftlich biete die Gentechnik für die Lebensmittelindustrie ebenfalls Vorteile. So könnten beispielsweise bei der Enzymherstellung durch den Einsatz gentechnischer Verfahren erhebliche Kosten eingespart werden. 35 Dabei bedeute die vom Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen in der Lebensmittelproduktion er29 Vgl. den Bericht der Food and Drug Administration (FDA) FDA's Policy for Foods Developed by Biotechnology, http://vm.cfsan.fda.gov/~lrd/biopolcy.html , S. 1; Schauzu (siehe oben Fn. 22), S. 3; Gassen/Bangsow/Hektor/König! Sinemus (siehe oben Fn. 18), S. 386f.; Jany/Greiner (siehe oben Fn.9), 1.3. 30 Jany/Greiner (siehe oben Fn. 9), 1.3. 31 Vgl. den Bericht der FDA (siehe oben Fn. 29), S. 1; Schauzu (siehe oben Fn. 22), S. 3; Deutsche Forschungsgemeinschaft, Gentechnik und Lebensmittel, abgedruckt in Eberbach/ Lange/Ronellenfitsch, Bd. 3, S.2; Jany/Greiner (siehe oben Fn.9), 1.3. 32 Das vielleicht bekannteste Beispiel ist die 1994 in den USA als erstes gentechnisch verändertes Nahrungsmittel zugelassene Flavr Savr-Tomate, auch „Anti-Matsch-Tomate" genannt; vgl. Gassen/Bangsow/Hektor/König/Sinemus (siehe oben Fn. 18), S.387; Schauzu (siehe oben Fn. 22), S. 3; Deutsche Forschungsgemeinschaft (siehe oben Fn. 31), S. 2; Jany/Greiner (siehe oben Fn.9), 1.3. 33 Vgl. Schauzu, Chancen und Risiken bei der Lebensmittelherstellung, ZLR 1996, S.655 ff. (662); Deutsche Forschungsgemeinschaft (siehe oben Fn. 31 ), S. 2. 34 Serageldin, Biotechnology and Food Security in the 21st Century, Science 285, 1999, S.387 ff.; ähnlich DellaPenna, Nutritional Genomics: Manipulating Plant Micronutrients to Improve Human Health, Science 285, 1999, S. 375 ff. (375 f.); ähnlich die Pressemitteilung 99/2 der FAO http://www.fao.org/waicent/ois/press_ne/presseng/1999/pren9902.htm ; National Legal Center for the Public Interest, The Campaign against Genetically Modified Food, Judicial/Legislative Watch Report 2000, S. 1 ff. (1). 35 Vgl. Schauzu (siehe oben Fn.22), S.3.
1. Teil: Einführung
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möglichte Effizienzsteigerung letztlich einen Preisvorteil gerade für den Verbraucher. 36 Ebenso wird vorgebracht, dass etwa die gentechnische Herstellung von Enzymen, die in der Lebensmittelbearbeitung Anwendung finden, wesentlich energie- und abfalleffizienter sei als die konventionelle Gewinnung entsprechender Enzyme oder die Anwendung alternativer technischer Verfahren zur Lebensmittelbearbeitung. Ebenso werde durch den Anbau gentechnisch veränderter schädlingsresistenter Pflanzen die Umwelt dadurch geschont, dass weniger Pestizide und weniger Pestizidarten verwendet werden müssten. 37
4. Risiken durch Gentechnik bei Lebensmitteln Während die Vorteile des Einsatzes gentechnischer Methoden in der Lebensmittelindustrie jedenfalls i m Grundsatz kaum bestritten sind, wird über die Risiken ungleich heftiger diskutiert. Die Diskussion findet nicht nur unter Verbrauchern statt, wobei diese in der Europäischen Gemeinschaft gentechnisch veränderten Lebensmitteln eine erhebliche Skepsis entgegenbringen, 38 sondern auch unter Naturwissenschaftlern bestehen Meinungsunterschiede über die von gentechnisch veränderten Lebensmitteln ausgehenden Risiken. 3 9 Weitgehend Einigkeit besteht noch insofern, als sich die naturwissenschaftliche Kritik mittlerweile kaum mehr gegen gentechnische Verfahren überhaupt richtet: Gentechnik gilt nicht als per se gefährlich. Vielmehr weisen Naturwissenschaftler auf Risiken durch den Einsatz gentechnischer Verfahren im Einzelfall hin. 4 0 Auch die Art der i m Einzelfall möglichen Risiken ist wenig umstritten, denn auch in Äußerungen etwa der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) werden die meisten Kritikpunkte prinzipiell anerkannt. 41 36
Vgl. Moschini , Biotech-Who Wins? Economic Benefits and Costs of Biotechnology Innovations in Agriculture, The Estey Centre Journal of International Trade Law and Policy 2001, S.93ff. 37 Jany/Greiner (siehe oben Fn. 9), 1.5.; Kunich, Mother Frankenstein, Doctor Nature, and the Environmental Law of Genetic Engineering, Southern California Law Review 2001, S. 807 ff. (812f.). 38 Vgl. zur Haltung der europäischen Verbraucher zu gentechnisch veränderten Lebensmitteln ausführlich unten S. 215 ff. 39 Einen guten Eindruck über die Auseinandersetzung bieten die Diskussionsbeiträge in Tester et al., Seeking Clarity in the Debate Over the Safety of GM Foods, Nature 402,1999, S.575. 40 Vgl. etwa OECD (siehe oben Fn.9), 12ff.; Kinderlerer, Genetically Modified Organisms: A European Scientist's View, New York University Environmental Law Journal 2000, S.556ff. (558); Schauzu (siehe oben Fn. 22), S.4ff.; Gassen/Bangsow/Hektor/König/Sinemus (siehe oben Fn. 18), S. 390; Teuber (siehe oben Fn. 14), S. 17; Deutsche Forschungsgemeinschaft (siehe oben Fn. 31), S.8. 41 Vgl. insbesondere FDA (siehe oben Fn. 24), S.2f.; ähnlich die Aufstellung der Sicherheitskriterien in FDA, Emerging Technologies - Biotechnology, http://vm.cfsan.fda.gov/ ~lrd/bioeme.html, S.2ff.
C. Die Bedeutung des Einsatzes gentechnischer Methoden
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Jedoch besteht erstens Streit über die Signifikanz einzelner Risikofaktoren, was i m Folgenden anhand der wichtigsten Beispiele näher erläutert wird. 4 2 Damit zusammenhängend, wird zweitens nicht einheitlich beurteilt, ob wegen dieser Einzelfallrisiken gentechnisch veränderte Lebensmittel insgesamt gefährlicher sind als durch herkömmliche Verfahren hergestellte Lebensmittel. Nach überwiegender Auffassung ist dies nicht der Fall. 4 3 Schließlich gibt es Auseinandersetzungen über konkrete Einzelfälle, in denen sich Risiken gentechnisch veränderter Lebensmittel gezeigt haben sollen. Sehr instruktiv für eine solche Kontroverse ist etwa die Auseinandersetzung um den schottischen Wissenschaftler Arpad Pusztai, der behauptet, in Tierversuchen negative Auswirkungen durch gentechnisch veränderte Kartoffeln nachgewiesen zu haben wie insbesondere Beeinträchtigungen des Immunsystems - Pusztais Ergebnisse sind hochumstritten und wurden von einer Überprüfungskommission abgelehnt, jedoch auch von anderen Wissenschaftlern als beachtenswert bezeichnet. 44 Was die einzelnen Risiken betrifft, weisen Naturwissenschaftler zunächst darauf hin, dass durch die bislang nur begrenzte Erforschtheit gentechnischer Verfahren transgene Pflanzen als Nebeneffekt neben der eigentlich beabsichtigten Modifikation auch unerwünschte Eigenschaften bekommen könnten. Dies liege nicht zuletzt daran, dass nicht nur die Art einer in das Genom eines Empfängerorganismus eingeschleusten Gensequenz die Eigenschaften des Organismus bestimme, sondern auch die genaue Position der Gensequenz (sog. Positionseffekte). 45 Ebenfalls sei es schwierig, pleiotrope Effekte, die unterschiedliche Wirkung derselben Erbanlage auf verschiedene Eigenschaften einer Pflanze, mit der erforderlichen Sicherheit vorherzusagen. Insbesondere könnten so die Organismen im Einzelfall bestimmte toxische Eigenschaften in höherem Maße aufweisen als die gegenwärtig auf dem Markt erhältlichen herkömmlichen Züchtungen. 46 42 Vgl. etwa die Hinweise oben bei Fn.41 zur Auffassung der FDA, die (im folgenden dargestellten) Haupteinwände gegen die Anwendung gentechnischer Verfahren bei der Lebensmittelherstellung beruhten auf einer Fehleinschätzung der Risiken. 43 Zu einer Vergleichbarkeit tendieren etwa OECD (siehe oben Fn. 9), S. 12 ff.; Jany/Greiner (siehe oben Fn.9), 1.6. und 1.7.; dagegen etwaKrimsky inBaram/J urna/ Krimsky! King, Transgenic Agriculture: Biosafety and International Trade, Boston University Journal of Science and Technology Law 1998, S. 1 ff. (17f., 21, 24); Kahl, zitiert bei Nanda, Modified Food and International Law - The Biosafety Protocol and Regulations in Europe, Denver Journal of International Law and Policy 2000, S. 235 ff. (240); vgl. zum Streit um die Gesamtbewertung der ökologischen Risiken etwa Paabo, Agriculture: Neolithic Genetic Engineering, Nature 398, 1999, S. 194 f.; Watkinson et al., Predictions of Biodiversity Response to Genetically Modified Herbicide-Tolerant Crops, Science 289,2000, S. 1554ff.; Haas, Ökologische Risikobewertung der Gentechnik am Beispiel transgener Pflanzen (2), in Haniel/Schleissing/Anselm (Hrsg.), Novel Food, S. 75 f. 44 Vgl. dazu Enserink, Preliminary Data Touch off Genetic Food Fight, Science 283, 1999, S. 1094f.; Altered Food Redux, Science 284, 1999, S. 1247. 45 Tappeser (siehe oben Fn. 22), S. 77; Jany/Greiner (siehe oben Fn. 9), 1.3. 46 Vgl. Schauzu (siehe oben Fn. 22), S. 4; Jany/Greiner (siehe oben Fn. 9), 1.3.; OECD (siehe oben Fn.9), S.15.
1. Teil: Einführung
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Ebenfalls bestehe das Risiko, dass einige der neuen Produkte ein allergenes Potential besitzen, da gentechnisch modifizierte Pflanzen sich von herkömmlichen Pflanzen regelmäßig durch eine andere Proteinzusammensetzung unterscheiden und Lebensmittelallergene meist Proteine sind. 4 7 So wurde beispielsweise in Iowa bei gentechnisch veränderten Sojabohnen noch vor der Vermarktung durch unternehmensinterne Tests und Untersuchungen der University of Nebraska ein allergenes Potential festgestellt. 48 Weiterhin sei grundsätzlich eine Beeinträchtigung von Antibiotikatherapien möglich, und zwar auf zwei Wegen: In die Pflanze wird zur Identifizierung gentechnischer Veränderungen meistens zusätzlich ein sogenannter Selektionsmarker eingeschleust. Als Selektionsmarker kommen insbesondere Antibiotika-Resistenzgene in Frage, 49 bei deren Verwendung in den betreffenden gentechnisch veränderten Pflanzen ein Enzym entwickelt wird, durch das die Pflanzenzellen resistent werden gegen bestimmte Antibiotika. Auch wenn in den bisher überprüften Fällen keine tatsächlichen negativen Konsequenzen festgestellt wurden, könne nicht schlechthin ausgeschlossen werden, dass der Verzehr von aus diesen Pflanzen hergestellten Lebensmitteln gleichzeitig eingenommene Antibiotika inaktiviere. 50 Als zweite Möglichkeit der Beeinträchtigung von Antibiotikatherapien wird unter bestimmten Umständen ein horizontaler Gentransfer befürchtet, also die Übertragung rekombinanter genetischer Information auf andere Organismen über die Artgrenze hinweg. Auch dies könne für den Menschen kurzfristig negative Konsequenzen haben durch eine Immunität gegenüber bestimmten Antibiotika, wenn i m menschlichen Verdauungstrakt das Antibiotika-Resistenzgen auf pathogene Keime transferiert werde. In den bislang untersuchten Fällen wurde auch eine derartige Beeinträchtigung von Antibiotikatherapien verneint, weil in casu die schwierigen Bedingungen für einen horizontalen Gentransfer nicht erfüllt waren und die betreffenden Antibiotika jedenfalls i m Falle von Kanamycin und Neomycin normalerweise nur noch angewandt werden, wenn der Patient wie bei Darmoperationen ohnehin keine Nahrung aufnehmen darf. 5 1 Für einen bestimmten gentechnisch veränderten Mais, bei dem A m p i c i l l i n das betroffene Antibiotikum ist, wird die Diskussion um eine mögliche Beeinträchtigung von Antibiotikatherapien besonders vehement geführt. 5 2 47
Vgl. OECD (siehe oben Fn. 9), S. 14; Schauzu (siehe oben Fn. 33), S. 663; Tappeser (siehe oben Fn. 22), S. 81 ; ähnlich auch der Bericht der FDA (siehe oben Fn. 29), S. 5. 48 Vgl. Francer , Frankenstein Foods or Flavor Savers? Regulating Agricultural Biotechnology in the United States and European Union, Virginia Journal of Social Policy and the Law Association 2000, S.257ff. (292). 49 Gegenwärtig wird vor allem das nptll-Markergen verwendet, das eine Resistenz gegen die Antibiotika Kanamycin und Neomycin bewirkt, vgl. Schauzu (siehe oben Fn. 22), S. 5. 50 Vgl. Schauzu (siehe oben Fn.22), S.5; Ver braucher initiativ e TransGen, Streitfall Markergene, http://www.transgen.de. 51 Vgl. Schauzu (siehe oben Fn.22), S.5; Gassen/Bangsow/Helctor/KöniglSinemus (siehe oben Fn. 18), S. 389, Steinhart!Biernoth (siehe oben Fn. 23), S. 68.
C. Die Bedeutung des Einsatzes gentechnischer Methoden
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Auch die ökologischen Folgen seien nicht hinreichend absehbar. Insbesondere sei jedenfalls bei einigen durch gentechnische Verfahren herbizidresistenten Pflanzen nicht auszuschließen, dass durch eine Übertragung auf andere Pflanzen als die eigentlich veränderten etwa durch Pollenflug das Ökosystem durch eine unkontrollierte Ausbreitung der Herbizidresistenz beeinträchtigt werde. 53 Der Anbau herbizidresistenter Pflanzen senke auch trotz entsprechender Ankündigungen nicht den Einsatz von Herbiziden, sondern steigere ihn. 5 4 Ebenfalls wird durch den Anbau insektizidhaltiger Pflanzen eine Vermehrung von resistenten Insekten befürchtet. 55 Ein weiterer Streitpunkt ist, inwieweit insektizidhaltige Pflanzen schädliche Auswirkungen auch auf Insekten haben, die nicht das eigentliche Ziel der Resistenz darstellen. Dies wird insbesondere für einen durch gentechnische Veränderung gegen bestimmte Schädlinge resistenten Mais diskutiert. 5 6 Teilweise wird durch die Durchsetzung der gentechnisch veränderten Arten auch ein Rückgang der unterschiedlichen konventionellen Spezies und damit eine Beeinträchtigung der Artenvielfalt befürchtet. 57 Durch die bislang nur begrenzten Erfahrungswerte seien die Langzeitauswirkungen kaum zu beurteilen. Dies gelte sowohl für gesundheitliche als auch für ökologische Folgen. 5 8 Neben diesen naturwissenschaftlichen Bedenken wird gegenüber der „unnatürlichen" Gentechnik allgemein und dementsprechend auch bei Lebensmitteln religiös oder ethisch motivierte Kritik vorgebracht. Diese Kritik ist meist verbunden mit der 52 Mann, Position der Verbraucherzentrale Bayern e.V. zu gentechnisch hergestellten Lebensmitteln, in Haniel/SchleissinglAnselm (Hrsg.), Novel Food, S.45ff. (46); O'Rourke, European Food Law, S. 152 f. 53 Ammann, Ökologische Risikobewertung der Gentechnik am Beispiel transgener Nutzpflanzen (1), in Haniel/Schleissing/Anselm (Hrsg.), Novel Food, S.49ff. (54, 57 f.); Haas (siehe oben Fn.43), S.72ff.; Kunich (siehe oben Fn.37), S. 817 ff.; Pimentel, Overview of the Use of Genetically Modified Organisms and Pesticides in Agriculture, Indiana Journal of Global Legal Studies 2001, S. 51 ff. (54); vgl. auch den Bericht der Untersuchungsgruppe der National Academy of Sciences, dargestellt in Kaiser; Transgenic Crops Report Fuels Debate, Science 288, 2000, S. 245; Tappeser (siehe oben Fn. 22), S. 77 f., 79 f.; vgl. auch Deutsche Forschungsgemeinschaft (siehe oben Fn. 31 ), S. 4f. 54 Vgl. BNA International Environmental Daily vom 16.05.2001. 55 McHughen, Pandora's Picnic Basket: The Potential and Hazards of Genetically Modified Foods, S. 108. 56 Vgl. Union of Concerned Scientists , http://www.ucsusa.org/agriculture/gen.risks.html ; Adler , More Sorry Than Safe: Assessing the Precautionary Principle and the Proposed International Biosafety Protocol , Texas International Law Journal 2000, S. 173 ff. (180); nach einer im September 2001 vorgelegten Reihe von Studien der National Academy of Sciences besteht durch den betreffenden gentechnisch veränderten Mais ein geringes Risiko auch für nicht anvisierte Insekten, vgl. Sears et al., Impact of Bt Com Pollen on Monarch Butterfly Populations: A Risk Assessment, Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 14.09.2001, vgl. dazu auch BNA International Environmental Daily vom 18.09.2001. 57 Haas (siehe oben Fn.43), S.75f.; Saigo (siehe oben Fn.28), S.793. 58 Vgl. insbesondere Kinderlerer (siehe oben Fn.40), S.558.
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1. Teil: Einführung
Forderung nach einer Kennzeichnung von Lebensmitteln, bei deren Herstellung Gentechnik eingesetzt wurde, um dem Verbraucher eine individuelle Entscheidung über den Verzehr gentechnisch veränderter Lebensmittel vorzubehalten. 59 Ebenfalls werden sozioökonomische Bedenken vorgebracht, insbesondere in der Dritten Welt könnten kleinbäuerliche Strukturen dadurch beeinträchtigt werden, dass die Entwicklung gentechnisch veränderter Lebensmittel einen erheblichen Kostenaufwand bedeute, der sich bei Kleinabnehmern kaum rentiere. Das Technologiegefälle zwischen Erster und Dritter Welt vergrößere sich. 6 0 Daher sei zu befürchten, dass auch die Anwendung gentechnischer Verfahren bei der Lebensmittelproduktion das Hungerproblem in der Dritten Welt nicht löse. 61
59 Vgl. Church of England , Genetically Modified Organisms: A Briefing Paper, http://www.monsanto.co.uk/news/99/september99/150999_church.html, S. Iff.; vgl. zu den ethischen Implikationen der Gentechnik bei Lebensmitteln auch Honnefelder, Novel Food - Ethische Aspekte, S. 21 ff. (zur Kennzeichnung insbesondere S. 34); vgl. auch die Ausführungen bei Rücker (siehe oben Fn.9), S. 100ff. 60 Vgl. Lange (siehe oben Fn. 19), S. 248; Rossen, Was darf man wissen? „Novel food"-Kennzeichnung und die Meiungsbildungsfreiheit des mündigen Marktbürgers, in Beobachten - Entscheiden - Gestalten, S. 37 ff. (67). 61 Vgl. Francer (siehe oben Fn. 48), S. 264; Sagoff, Biotechnology and Agriculture: The Common Wisdom and its Critics, Indiana Journal of Global Legal Studies 2001, S. 13 ff. (15 ff.); eine ausführliche Darstellung der Diskussion um die sozioökonomischen Folgen findet sich bei Brush , Genetically Modified Organisms in Peasant Farming: Social Impact and Equity, Indiana Journal of Global Legal Studies 2001, S. 135ff.
2. Teil
Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels mit gentechnisch modifizierten Lebensmitteln U m die WTO-Konformität des Sekundärrechts für gentechnisch veränderte Lebensmittel prüfen zu können, ist zunächst der Blick darauf zu richten, inwieweit die Freiheit des Welthandels durch europäisches Sekundärrecht für gentechnisch modifizierte Lebensmittel eingeschränkt wird. Die Anzahl der sekundärrechtlichen Normen ist groß und ihr Verhältnis zueinander kompliziert. 6 2 Die verschiedenen Regeln sind nicht ohne einen Überblick über die Entstehungsgeschichte und die Systematik des Sekundärrechts zu verstehen, wobei der Blick auch darauf zu richten ist, wie sich parallel der transatlantische Konflikt über das Europarecht für gentechnisch modifizierte Lebensmittel entwickelt hat.
A. Überblick über Entstehung und Systematik des EG-Rechts für gentechnisch modifizierte Lebensmittel 1. Die 70er Jahre: Unsicherheit über die Risiken der neuen Gentechnik Ansätze für ein eigenständiges Gentechnikrecht der Europäischen Gemeinschaft 63 lassen sich bis in die 70er Jahre zurückverfolgen. Nachdem 1975 Wissenschaftler auf der Konferenz von Asilomar (USA) erste Vorschläge für Sicherheitsmaßnahmen i m Bereich der damals noch jungen Gentechnik gemacht hatten 64 und daraufhin in den USA die ersten Sicherheitsrichtlinien der Gesundheitsbehörden erlassen wurden, 6 5 legte in der Europäischen Gemeinschaft die EG-Kommission 1978 einen ersten Richtlinienvorschlag für Sicherheitsmaßnamen bei gentechnischen Ar62 Dementsprechend wundert es nicht, wie Schweizer /Calarne, Das Gentechnikrecht der Europäischen Gemeinschaft, RIW 1997, S.34ff. (44), mit einer gewissen Süffisanz anmerken, dass selbst die Darstellung des geltenden Rechts in diesem Bereich durch die Kommission in KOM (1994) 219 endg., S. 17 ff., nicht vollständig ist. 63 Damals noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft genannt bis zum Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages über die Europäische Union am 01.11.1993. 64 Schenek (siehe oben Fn. 8), S. 57 f.; v. Kameke (siehe oben Fn. 17), S. 33. 65 Schenek (siehe oben Fn. 8), S. 57, siehe oben Fn. 155.
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
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beiten vor. 6 6 Nach diesem Vorschlag sollten sämtliche gentechnische Arbeiten je nach Risikopotential einer Anmeldung oder Genehmigung bedürfen, 67 was wegen der nur sehr eingeschränkten Differenzierung nach dem Zweck auf die erhebliche Unsicherheit über die Risiken der Gentechnik zu jener Zeit hindeutet.
2. Die erste Hälfte der 80er Jahre: Förderung der Gentechnik als Wachstumsbranche Der erwähnte Richtlinienvorschlag wurde nicht realisiert. Vielmehr erließ der Rat 1982 eine bloße Empfehlung an die Mitgliedstaaten, nach der gentechnische Arbeiten im Labor einer Registrierung bedurften. 68 Dies entsprach der zu jener Zeit auch bei der Kommission vorherrschenden Auffassung, die Gentechnik müsse als Zukunftsindustrie stärker gefördert werden. Dieses Konzept basierte auf der Annahme, mit der Gentechnik seien keine erkennbaren Risiken verbunden. 69 Die damalige Absicht der Kommission, gentechnische Anwendungen deutlicher zu protegieren, drückt sich zum einen darin aus, dass die Biotechnologie in verschiedene europäische Förderprogramme aufgenommen wurde. 7 0 Zum anderen unterließ es die Kommission in jener Phase weitgehend, Bio- und Gentechnik durch die Initiierung sekundärrechtlicher Vorschriften in ihren Anwendungsmöglichkeiten einzuschränken. Vielmehr beschränkte sie sich darauf, die nationale Rechtssetzung in den Mitgliedstaaten 71 zu kontrollieren und zu konzertieren, ohne selbst den Erlass europäischer Rechtsvorschriften einzuleiten. 72 Immerhin existierten verschiedene allgemeine Vorschriften zur Gefahrenvermeidung, die zwar keinen speziellen Bezug zur Gentechnik hatten, aber wegen ihres all66
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Sicherheitsmaßnahmen gegen hypothetische Gefahren beim Umgang mit neukombinierter DNS, ABl. EG 1978 Nr.C 301/5. 67 Artt. 21, 3 des Richtlinienvorschlages. 68 Empfehlung 82/472/EWG des Rates vom 30.06.1982 betreffend die Erfassung von Arbeiten über neukombinierte Desoxyribonukleinsäure, ABl. EG 1982 Nr.L 213/15. 69 So ausdrücklich KOM (1983) 672 endg., Anhang, S.62. 70 Vor allem in das BAP (Biotechnology Action Programme, ABL EG 1985 Nr.L 83/1 und ABl. EG 1988 Nr.L 206/38) und das BEP (Biomolecular Engineering Programme, ABl. EG 1981 Nr.L 375/1 und ABl. EG 1983 Nr.L 305/11); vgl. im übrigen Schenek (siehe oben Fn.8), S. 61, und Rücker (siehe oben Fn. 9), S. 115 ff., zur damaligen Biotechnikpolitik der EG. 71 Wenig später wurde das Gentechnikgesetz in Dänemark vom 04.06.1986 erlassen (Lov om miljö og genteknologi, Lov nr. 288). 72 Vgl. KOM (1983) 672 endg., S . E l l ; das einzige damals schon konkrete gesetzgeberische Ziel der Kommission zur Ausarbeitung einer Patentschutzregelung (KOM (1983) 672 endg., Anhang S.56ff.) wurde erst 1998 mit der Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (ABl. EG 1998 Nr.L 213/13, http://europa.eu.int/smartapi/cgi/ sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg=DE&numdoc=398L0044&model= guichett) erreicht.
Α. Überblick über Entstehung und Systematik des EG-Rechts
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gemeinen Ansatzes auch diesen Sektor erfassten. 73 Außerdem fallen bereits in diese Phase die Vorarbeiten zur Arzneimittel-Richtlinie von 1986, 74 einer Vorschrift mit ausdrücklichem Bezug zur Biotechnologie. Schließlich enthielt das Weißbuch der Kommission von 1985 den Plan zum Erlass einer Allgemeinen Richtlinie für neue Lebensmittel, die mit biotechnologischen Verfahren erzeugt werden. 75
3. Die zweite Hälfte der 80er Jahre: Horizontale Reglementierung In die zweite Hälfte der 80er Jahre fallen die Grundlagen für die 1990 erlassenen ersten beiden Hauptnormen für Gentechnik in der Europäischen Gemeinschaft, die Richtlinie des Rates über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen (SystRL) 7 6 und die Richtlinie des Rates über die absichtliche Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt (FreisRL 90/220/EWG) 7 7 . 1986 veröffentlichte die OECD ihre Recombinant Safety Considerations 78, deren Grundgedanken das europäische Sekundärrecht erheblich beeinflussten. 79 Insbesondere lässt sich die Trennung des europäischen Gentechnikrechts in eine Vorschrift für die Anwendung in geschlossenen Systemen und eine Vorschrift für das Freisetzen und Inverkehrbringen bereits in den Recombinant Safety Considerations wiederfinden. 80 Ebenfalls nahm die Rechtssetzung i m Gentechnikbereich insbesondere in den nördlichen Mitgliedstaaten zu. 8 1 U m einer Rechtszersplitterung in der EG vorzubeugen, definierte daraufhin die Kommission den Erlass gentechnischer Reglemen73
Vor allem die „Seveso-Richtlinie" von 1982 (RL 82/501/EWG, ABl. EG 1982 Nr. L 230/1), die „UVP-Richtlinie" von 1985 (RL 85/337/EWG, ABl. EG 1985 Nr.L 175/40) und die „Abfallexport-Richtlinie" von 1984 (RL 84/631/EWG, ABl. EG 1984 Nr.L 326/31). 74 Richtlinie des Rates zur Angleichung der einzelstaatlichen Maßnahmen betreffend das Inverkehrbringen technologisch hochwertiger Arzneimittel, insbesondere aus der Biotechnologie, ABl. EG 1987 Nr.L 15/38. 75 KOM (1985) 310 endg. (BR-Drucks. 1985 289/85), Anhang zum Weißbuch, S.20. 76 RL 90/219/EWG, ABl. EG 1990 Nr.L 117/1, http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc? smartapi ! celexapi ! prod ! CELEXnumdoc&lg=DE&numdoc=390L0219&model=guichett. 77 RL 90/220/EWG, ABl. EG 1990 Nr. L 117/15, http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc? smartapi ! celexapi ! prod ! CELEXnumdoc&lg=DE&numdoc=390L0220&model=guichett; die FreisRL wurde seit 1990 mehrfach revidiert und heißt nach der jüngsten Änderung RL 2001/18/EG; bei der Zitierung wird im folgenden die betreffende Fassung der FreisRL mit angegeben, soweit dies für das Verständnis erforderlich ist. 78 Text unter http://www.oecd.org/pdf/M00032000/M00032689.pdf . 79 Vgl. KOM (1986) 573 endg., S.2ff.; Schenek (siehe oben Fn.8), S.64, weist daraufhin, dass diese Beeinflussung nicht zuletzt an der Mitarbeit von Kommissions-Vertretern bei der Ausarbeitung der OECD-Richtlinien liegt. 80 Vgl. S.26ff. der Recombinant Safety Considerations (siehe oben Fn.78); vgl. auch Schenek (siehe oben Fn. 8), S. 138, nach dem diese Trennung sogar „in der Natur der Sache" liegt. 81 v.Kameke (siehe oben Fn. 17), S.35.
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
30
tierungen als ein Hauptziel der Rechtssetzung. 82 Gleichzeitig erklärte sie, ihre Maßnahmen mit den wichtigsten Handelspartnern der EG abzustimmen. 83 1988 legte die Kommission die ersten Vorschläge für SystRL und FreisRL 90/220/EWG vor. 8 4 Beide Richtlinien folgen dem horizontalen Ansatz, d. h. sie regeln gentechnische Tätigkeiten unabhängig davon, um welche gentechnisch veränderten Mikroorganismen bzw. Organismen es sich handelt. Dieser medienübergreifende Ansatz wird wegen seiner Ausrichtung auf das gentechnische Verfahren auch als „process approach " bezeichnet. 85 Er korreliert mit der Auffassung des Gesetzgebers, die Gentechnik verlange wegen ihrer spezifischen methodenabhängigen Risiken eine gesonderte gesetzgeberische Behandlung. 86 Der horizontale Ansatz bewirkt, vom technischen Verfahren her betrachtet, eine übersichtliche Regelung in einem Gesetz. 87 Die SystRL und die FreisRL sollen sich zu einem umfassenden horizontalen System dahingehend ergänzen, dass alle gentechnischen Tätigkeiten von einer der beiden Normen erfasst sind. 8 8 Von beiden Richtlinien ist die FreisRL für den Handel mit gentechnisch modifizierten Lebensmitteln ungleich bedeutsamer als die SystRL, weil die FreisRL in Teil C das Inverkehrbringen gentechnisch modifizierter Organismen regelt. Immerhin war die SystRL zu jener Zeit insgesamt praxisrelevanter, weil sich die gentechnische Forschung damals eher auf Laboranwendungen bezog. 8 9 Die FreisRL enthält als Hauptgedanken die Einführung eines Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt für die Freisetzung und das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen. Ebenfalls gab es bereits in der ersten Fassung der FreisRL 90/220/EWG Regelungen über die Produktkennzeichnung. 90 Die gentechnische Industrie verfügte zum entscheidenden Zeitpunkt über keine geeignete gemeinsame Interessenvertretung und beklagte sich später, nicht hinreichend am Erlass der Richtlinien beteiligt gewesen zu sein. 91 Für die außereuropäische Dimension ist bedeutend, dass es bereits 1989 vor Erlass der Richtlinie nordamerikanische Warnungen vor einem zu strikten europäischen Gentechnikrecht 82
KOM (1986) 573 endg., S.4f. KOM (1986) 573 endg., S. 6. 84 KOM (1988) 160 endg. (ABl. EG 1988 Nr. C 198/19) für die FreisRL 90/220/EWG; vgl. v.Kameke (siehe oben Fn. 17), S.36ff., zu den späteren Änderungen des ursprünglichen Vorschlages. 85 Schweizerl Calarne (siehe oben Fn. 62), S. 36; Schenek (siehe oben Fn. 8), S. 125. 86 Schenek (siehe oben Fn. 8), S. 140. 87 Schenek (siehe oben Fn. 8), S. 139. 88 Di Fabio (siehe oben Fn. 6), Rn. 89; vgl. zu Lücken zwischen FreisRL und SystRL ders., Rn. 95 f., und v. Kameke (siehe oben Fn. 17), S. 64ff. 89 v.Kameke (siehe oben Fn. 17), S.34. 90 Artt. 1112. SpStr. i.V. m. Anhang III Β Nr. 5, 14 RL 90/220/EWG. 91 v. Kameke (siehe oben Fn. 17), S. 39. 83
Α. Überblick über Entstehung und Systematik des EG-Rechts
31
gab. 92 Darin können die ersten Ansätze für die heutige Auseinandersetzung zwischen den nordamerikanischen Staaten und der EG über die welthandelsrechtliche Vereinbarkeit des europäischen Gentechnikrechts gesehen werden.
4. Seit 1990: Vertikalisierung und Verschärfung des europäischen Gentechnikrechts a) Modifizierung
der FreisRL 9012201EWG
Seit Inkrafttreten der FreisRL 90/220/EWG wurde das europäische Gentechnikrecht erheblich verändert. Diese Anpassungen beruhen auch auf dem gewachsenen Erkenntnisstand, der eine differenziertere Beurteilung gentechnischer Chancen und Risiken verlangt. 93 Ebenfalls werden seit Beginn der 90er Jahre verstärkt ethische und soziale Aspekte der Biotechnologie berücksichtigt. 94 Die Kommission bekräftigte bereits bei den ersten Modifikationen der FreisRL 90/220/EWG, die welthandelsrechtlichen Verpflichtungen und das Gentechnikrecht anderer Staaten weiterhin berücksichtigen zu wollen, insbesondere das der U S A . 9 5 Dabei ist zwischen internen Modifikationen der FreisRL 90/220/EWG einerseits und externen Veränderungen andererseits zu unterscheiden: Die internen Umgestaltungen sind solche, die i m Rahmen der FreisRL 90/220/EWG von vornherein vorgesehen waren, um sie dem technischen Fortschritt anzupassen. Externe Änderungen gestalteten die FreisRL 90/220/EWG neu, ohne sie lediglich dem technischen Fortschritt anzupassen. 96 Gestützt auf die Kompetenz nach Art. 20 der FreisRL 90/220/EWG passte die Kommission die FreisRL 90/220/EWG durch die Richtlinie 94/15/EG vom 15.04.1994 und die Richtlinie 97/35/EG vom 18.06.1997 insofern dem technischen Fortschritt an, als die vom Inverkehrbringer i m Verfahren vorzulegenden Informationen mehr auf die Art des jeweiligen Produkts zugeschnitten und erweitert wurden. Gleichzeitig wurde die Pflicht zu einer gentechnikspezifischen Kennzeichnung präzisiert. 97 92 Vgl. Young/ Miller, Deliberate Releases in Europe: Over-regulation May Be the Biggest Threat of All, Gene 75, 1989, S. 1 f., und den bei v.Kameke (siehe oben Fn. 17), S. 39, erwähnten Briefwechsel im Anschluss an diesen Artikel - an dem Briefwechsel waren auch die Kommission und die US-Botschaft in Brüssel beteiligt. 93 Vgl. KOM (1994) 219 endg., S.3; v.Kameke (siehe oben Fn. 17), S. 103f. 94 Vgl. KOM (1994) 219 endg., S. 13 f.; vgl. auch den Bericht über die 1991 gegründete Beratergruppefür ethische Fragen der Biotechnologie in EuZW 1995, S. 291 f.; vgl. jetzt etwa Erwägungsgründe 9, 57, 62, Art. 29 der FreisRL 2001/18/EG. 95 KOM (1994) 219 endg., S.2, 17. 96 Vgl. zur Terminologie KOM (1994) 219 endg., S.4, und Schweizer/ Calarne (siehe oben Fn. 62), S.42. 97 Vgl. RL 97/35/EG, Anhang III, Teil C.
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
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Ebenfalls sah Art. 6 V FreisRL 90/220/EWG von vornherein vor, dass die Kommission für bestimmte Arten von gentechnisch modifizierten Organismen bei hinreichendem Erfahrungsstand ein vereinfachtes Verfahren genehmigen kann. Von dieser Möglichkeit hat die Kommission Gebrauch gemacht. 98 Die FreisRL 90/220/EWG wurde jetzt auch auf eine Weise verändert, die nicht von vornherein in ihr angelegt war. Obwohl diese grundlegende Novellierung schon Mitte der 90er Jahre ins Auge gefasst wurde, 9 9 wurde der Rechtssetzungsprozess mit dem Erlass der neuen FreisRL 2001/18/EG erst am 12.03.2001 abgeschlossen, weil es lange Zeit Meinungsunterschiede zwischen dem i m Mitentscheidungsverfahren einflussreichen Europäischen Parlament und den übrigen Organen gab. 1 0 0 Insbesondere sieht die neue FreisRL 2001/18/EG eine Präzisierung der Kennzeichnungsvorschriften und die Pflicht zur Produktbeobachtung, einem Monitoring, vor. 1 0 1 Aus außereuropäischer Perspektive ist zu beachten, dass die neue FreisRL 2001/18/EG trotz i m Vergleich mit der FreisRL 90/220/EWG teilweise strengerer Regelungen gemäß ihrem Erwägungsgrund 13 den internationalen Handelsverpflichtungen auf diesem Gebiet in angemessener Weise Rechnung tragen soll. Die neue FreisRL 2001/18/EG wird ergänzt werden durch Detailvorschriften für Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit, wofür die Kommission am 25.07.2001 einen ersten Vorschlag vorgelegt hat. 1 0 2
98
Vgl. die Entscheidungen der Kommission vom 22.10.1993, ABl. EG 1993 Nr.L 279/42, und die vom 04.11.1994, ABl. EG 1994 Nr. L 292/31, und die Ausführungen dazu bei Schweizerl Calarne (siehe oben Fn.62), Fn. 36. 99 v.Kameke (siehe oben Fn. 17), S. 109f. 100 YgL - den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der RL 90/220/EWG über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt vom 23.02.1998; - den geänderten Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der RL 90/220/EWG über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt vom 25.03.1999; - die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament gemäß Art. 251 II 2. UAbs. EG über den Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 09.12.1999 im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der RL 90/220/EWG und - die Stellungnahme der Kommission gemäß Art. 251 II c EG zu den Abänderungen des Europäischen Parlaments des gemeinsamen Standpunkts des Rates betreffend den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der RL 90/220/EWG des Rates vom 16.05.2000. 101 Siehe zu den Neuerungen der FreisRL 2001/18/EG ausführlich unten S. 105 ff. 102 Siehe zu dem Verordnungsvorschlag ausführlich unten S. 110f.
Α. Überblick über Entstehung und Systematik des EG-Rechts
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b) Vertikalisierung des Sekundärrechts für gentechnisch modifizierte Lebensmittel: Die Novel Food-Verordnung Die wichtigste Modifikation des europäischen Gentechnikrechts seit 1990 ist die Vertikalisierung. Unter einem vertikalen Ansatz ist die Integrierung der gentechnikspezifischen Anforderungen in ansonsten produktspezifische Gesetze zu verstehen. 1 0 3 Ein solches Konzept wird auch als „product approach" 104 bezeichnet. Ein horizontales Vorgehen bringt zwar nicht zwingend strengere Handelsbeschränkungen und ein höheres Schutzniveau mit sich als ein nach dem vertikalen Konzept ausgerichtetes System. 1 0 5 Rein tatsächlich ist das Gentechnikrecht in den Ländern mit horizontalem Normensystem aber regelmäßig strenger. 106 Auch daraus erklärt sich, dass die Industrie den vertikalen Ansatz meist bevorzugt. 107 Während einige Staaten von vornherein ihr Gentechnikrecht in die jeweiligen Produktnormen einfügten, 1 0 8 schafften andere Staaten horizontales Sonderrecht. 109 Selten orientierte sich jedoch dabei ein Staat ausschließlich an dem einen oder an dem anderen Konzept. Vielmehr handelt es sich fast immer um mehr oder minder deutliche Mischsysteme. 1 1 0 Ein solches Mischsystem besteht mittlerweile auch in der Europäischen Gemeinschaft. Zunächst wurde mit der SystRL und der FreisRL ein horizontales System errichtet, weil bereits in den 70er und 80er Jahren die gentechnische Methode als solche für regelungsbedürftig gehalten wurde. 1 1 1 Allerdings enthielten bereits diese 103 Dieses Begriffsverständnis knüpft an die in grundlegenden Arbeiten verwandte Terminologie an, insbesondere an Schenek (siehe oben Fn. 8), S. 138 f.; ihm folgend Schweizer/Calame (siehe oben Fn.62), S. 36; in die gleiche Richtung Vitzthum!Schenek, Die Europäisierung des Gentechnikrechts, in Vitzthum (Hrsg.), Europäische und Internationale Wirtschaftsordnung aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland, S.47ff. (61 f.); teilweise wird in der Literatur eine in Details abweichende Begrifflichkeit verwandt - etwa Di Fabio (siehe oben Fn. 6), Rn. 25, oder Meier, Risikosteuerung im Lebensmittel- und Gentechnikrecht, S. 136 f., definieren den vertikalen Ansatz dahingehend, dass die betreffende Norm bestimmte Produkte wie etwa Lebensmittel völlig unabhängig von der Herstellungsmethode erfasse. 104 Schweizer! Calarne (siehe oben Fn.62), S.36. 105 Schweizer/Calame (siehe oben Fn.62), S.40. 106 Schenek (siehe oben Fn. 8), S. 140. 107 Schenek (siehe oben Fn. 8), S. 140. 108 Etwa Großbritannien setzte die horizontalen SystRL und FreisRL vertikal um; vgl. Schenek (siehe oben Fn. 8), S. 138; siehe unten S. 115 ff. zu den in den USA bestehenden Vorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel, die prinzipiell überhaupt keine gentechnikspezifischen Anforderungen enthalten. 109 Beispielsweise setzte die Bundesrepublik Deutschland die SystRL und FreisRL durch das GenTG von 1990 (BGB1.I 1990, S. 1080) um. 110 Frankreich schuf ein sehr deutliches Mischsystem, indem es die Gentechnikrichtlinien in ein horizontales Rahmengesetz mit dazugehörigen vertikalen Umsetzungsverordnungen transformierte, vgl. Schenek (siehe oben Fn. 8), S. 139. 111 Siehe oben S. 27 ff. zur Entwicklung in den 70er und 80er Jahren.
3 Stökl
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
34
prinzipiell horizontalen Regeln Differenzierungen für bestimmte Produkte und damit vertikale Elemente: Für den Handel mit gentechnisch modifizierten Lebensmitteln ist wie für das Inverkehrbringen anderer gentechnisch veränderter Produkte Art. 10 I I FreisRL 90/220/EWG entscheidend. Nach dieser Vorschrift gelten die Art. 11-18 FreisRL 90/220/EWG über das Inverkehrbringen nicht im Anwendungsbereich spezieller Produktvorschriften mit einer entsprechenden Umweltverträglichkeitsprüfung wie nach der FreisRL 90/220/EWG. M i t dieser Öffnung durch das materielle Verschlechterungsverbot des Art. 10 I I FreisRL 90/220/EWG 1 1 2 war das Gentechnikrecht der EG von vornherein auf eine Vertikalisierung ausgerichtet. Die Kommission berichtete 1991, es gebe keine produktspezifischen Vorschriften, welche die Anforderungen von Art. 10 I I FreisRL 90/220/EWG erfüllten, 1 1 3 und beschloss i m gleichen Jahr, die Vertikalisierung des Gentechnikrechts voranzutreiben. 1 1 4 Dem Bestreben, auf diese Weise ein einheitliches produktspezifisches Genehmigungsverfahren zu schaffen, liegt die sogenannte „one-door-one-key" - Politik zugrunde. 115 In der Folgezeit wurden etliche Produktnormen für den Bereich der Gentechnik erlassen. 116 Seit dem 15.05.1997 ist die wichtigste europäische Regelung für gentechnisch modifizierte Lebensmittel in Kraft, die sogenannte Novel Food-Verordnung ( N F V O ) 1 1 7 . Diese beschränkt die Freiheit des Handelsverkehrs zum einen durch Kennzeichnungsanforderungen und zum anderen durch einen Genehmigungsvorbehalt für bestimmte Arten neuartiger (insbesondere gentechnisch veränderter) Lebensmittel und Lebensmittelzutaten ähnlich wie nach der FreisRL 90/220/EWG und anders als nach dem i m Lebensmittelrecht meistens 118 geltenden Missbrauchsprinzip. 119 Daneben vervollständigen Sonderregeln für bestimmte gentechnisch veränderte Mais- und Sojalinien und für Lebensmittelzusatzstoffe und Aromen die Vertikalisierung in diesem Bereich. Durch die Vertikalisierung nach dem horizontalen Anfangskonzept gelten einerseits auf die jeweiligen Produkte zugeschnittene Regeln. Daneben besteht als Auf1,2
Schenek (siehe oben Fn. 8), S. 144. Entscheidung 91/274/EWG vom 21.05.1991, ABl. EG 1991 Nr.L 135/56, http://europa. eu .int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi ! celexapi ! prod ! CELEXnumdoc&lg=DE&numdoc= 391 D0274&model=guichett. 114 KOM (1991) 629 endg., S. 20. 115 Di Fabio (siehe oben Fn. 6), Rn. 26, vgl. schon KOM (1991) 629 endg., S. 20, zur Akzentuierung dieses Gedankens durch die Kommission. 116 Vgl. den Überblick bei Di Fabio (siehe oben Fn.6), Rn. 165 ff. 117 Verordnung 258/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.01.1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten, ABl. EG 1997 Nr.L 43/1, http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg=DE& numdoc=397R0258&model=guichett. 118 Vgl. zu Ausnahmen vom Missbrauchsprinzip die Nachweise bei Wahl/Groß, Die Europäisierung des Genehmigungsrechts am Beispiel der Novel Food-Verordnung, DVB1. 1998, S.2ff. (6). 119 Vgl. Streinz, Rechtliche Probleme der Novel Food-Verordnung, ZLR 1995, S. 397ff. (403). 113
Α. Überblick über Entstehung und Systematik des EG-Rechts
35
fangvorschrift die horizontale FreisRL fort als eine Grundentscheidung der Gemeinschaft für eine Sonderrolle der Gentechnik. Insofern verbindet dieses horizontal-vertikale System einerseits die technischen Vorteile beider Ansätze. Andererseits ist es ausgesprochen unübersichtlich. 120 Die Entstehungsgeschichte der N F V O als Zentralnorm der Vertikalisierung für den Lebensmittelbereich zeugt von i m Grundsatz und i m Detail bestehenden Interessengegensätzen innerhalb der Organe der Europäischen Gemeinschaft und zwischen den Organen. 121 Schon 1985 erwähnte die Kommission i m Rahmen ihrer neuen Strategie zur Entwicklung des europäischen Lebensmittelrechts und Konkretisierung des Weißbuchs zur Vollendung des Binnenmarkts, 1 2 2 dass „gewisse Verfahren der Biotechnologie" harmonisierungsbedürftig seien. 123 Bereits 1987/1988 sollte hiernach eine Allgemeine Richtlinie für neue Lebensmittel, die mit biotechnologischen Verfahren erzeugt werden, erlassen werden. 1 2 4 Dennoch war die Ausarbeitung der NFVO außerordentlich kompliziert und dauerte bis 1997. Erst der elfte Entwurf der Kommission wurde am 07.07.1992 als Kommissionsvorschlag vorgelegt. 125 In seiner Stellungnahme vom 27.10.1993 1 2 6 kritisierte das i m Mitentscheidungsverfahren einflussreiche Europäische Parlament insbesondere einen unklaren Anwendungsbereich und eine nicht ausreichende Kennzeichnungspflicht. Die Kommission berücksichtigte die Änderungswünsche des Parlaments i m geänderten Vorschlag vom 01.12.1993 1 2 7 nur teilweise. Auch innerhalb des Rates war ein Kompromiss schwer zu finden, wobei insbesondere Deutschland, Österreich, Dänemark und Schweden für eine strengere Regelung eintraten. 1 2 8 Gegen die Stimmen dieser Länder wurde am 23.10.1995 ein Kompromissvorschlag als Gemeinsamer Standpunkt beschlossen. 129 Das mitentscheidende Parlament verlangte am 12.03.1996 wiederum Änderungen, 1 3 0 und es konnte zwischen den Organen keine Einigkeit erzielt werden, so dass ein Vermittlungsausschuss eingesetzt wurde. Dessen Kompromissvorschlag vom 27.11.1996 wurde vom Rat am 17.12.1996 und vom Parlament am 16.01.1997 gebilligt. 120
Siehe bereits oben Fn. 62. Vgl. aus politologischer Sicht zu den unterschiedlichen Interessen und der jeweiligen Sicht der EG-Organe und Mitgliedstaaten Rücker (siehe oben Fn.9), S. 177ff. 122 KOM (1985) 310 endg. (BR-Drucks. 1985 289/85). 123 KOM (1985) 603 endg., S.8, Nr. 15. Dieser Harmonisierungsgedanke findet sich in Erwägungsgrund 1 der NFVO wieder. 124 KOM (1985) 310 endg. (BR-Drucks. 1985 289/85), Anhang zum Weißbuch, S.20. 125 ABl. EG 1992 Nr.C 190/3. 126 ABl. EG 1993 Nr.C 315/139. 127 KOM (1993) 631 endg. 128 Streinz, Die EG-Verordnung über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzusätze, EuZW 1997, S. 487 ff. (488). 129 ABl. EG 1995 Nr.C 320/1. 130 ABl. EG 1996 Nr.C 96/26. 121
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2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
Dass trotz der teilweise fundamentalen Meinungsunterschiede überhaupt eine Einigung erzielt werden konnte, liegt zu einem wesentlichen Teil daran, dass bereits in verschiedenen Mitgliedstaaten 1 3 1 nationales produktspezifisches Recht für gentechnisch modifizierte Lebensmittel bestand und einer weiteren Rechtszersplitterung vorgebeugt werden sollte. Außerdem hatte sich die öffentliche Diskussion durch die Nachricht über die Marktreife gentechnisch veränderter Lebensmittel verstärkt. 132 Gemäß ihrem Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit vom 12.01.2000 133 beabsichtigt die Kommission, die von der N F V O vorgesehenen Verfahrensvorschriften zu erlassen, die Kennzeichnungsvorschriften zu präzisieren und die Harmonisierung der N F V O mit der FreisRL zu initiieren. 1 3 4 Für dieses Vorhaben hat sie i m Juli 2001 einen Verordnungsvorschlag für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel präsentiert, bei dessen Verwirklichung sowohl Zulassungs- als auch Kennzeichnungsvorschriften auch in grundlegenden Fragen strenger geregelt würden. 1 3 5 Dieser Vorschlag und der gleichzeitig vorgelegte Kommissionsvorschlag für eine Verordnung über die RückVerfolgbarkeit und Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Organismen und daraus hergestellten Lebens- und Futtermitteln 1 3 6 stehen in engem Zusammenhang mit dem unten näher beschriebenen de facto-Moratorium 137: Seit 1998 wurde wegen heftiger Diskussionen zwischen den Mitgliedstaaten über die mit gentechnisch veränderten Organismen verbundenen Risiken für keinen weiteren gentechnisch veränderten Organismus und für kein gentechnisch verändertes Lebensmittel eine Genehmigung zum Inverkehrbringen erteilt. Die Kommission hat die genannten Verordnungsvorschläge gerade auch vorgelegt, um den Bedenken bestimmter Mitgliedstaaten zu begegnen, die bestehenden Regelungen gewährleisteten nicht hinreichend den Schutz von Umwelt und Gesundheit und die Wahlfreiheit der Verbraucher für oder gegen den Verzehr gentechnisch veränderter Lebensmittel.
c) Vertikalisierung des Sekundärrechts für gentechnisch veränderte Lebensmittel: Sonstige Vorschriften Auch für den Bereich der Lebensmittel beschränkt sich der Vertikalisierungsprozess nicht auf die NFVO. Außerhalb des Anwendungsbereiches der N F V O sind vor allem zwei Komplexe für den Lebensmittelsektor von Bedeutung. Zum einen gibt es 131 Insbesondere in Dänemark, Österreich und den Niederlanden, vgl. dazu Streinz (siehe oben Fn. 119), S. 400ff. 132 Knörr, Die Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Lebensmittel, S. 195. 133 KOM (1999) 719 endg., http://www.europa.eu.int/comm/off/white/com99_719.htm . 134 KOM (1999) 719 endg., S.32f. (Rn.76), S.42 (Rn. 103). 135 Ausführlich zu dem Kommissionsvorschlag KOM (2001) 425 endg. unten S. 101 ff. 136 Siehe zu dem Kommissionsvorschlag KOM (2001) 182 endg. unten S. 1 lOff. 137 Siehe zum Moratorium ausführlich unten S. 109ff.
Α. Überblick über Entstehung und Systematik des EG-Rechts
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spezielle Regeln für bestimmte gentechnisch veränderte Mais- und Sojalinien, zum anderen Sondervorschriften für Lebensmittelzusatzstoffe und Aromen.
(1 ) Sondervorschriften
für Bt-Mais und RR-Soja
Bereits vor Inkrafttreten der NFVO genehmigte die Kommission das Inverkehrbringen bestimmter Linien von gentechnisch verändertem Mais (Bt-Mais 1 3 8 ) und Soja (RR-Soja 1 3 9 ) auf Grundlage der FreisRL 90/220/EWG. M i t Erlass der NFVO war umstritten, ob sie und damit ihre Genehmigungs- und Kennzeichnungspflicht auf diese bereits vor Inkrafttreten der N F V O genehmigten Produkte anwendbar war. 1 4 0 Nach Auffassung der Kommission war die N F V O nicht anwendbar, weil BtMais und RR-Soja bei Inkrafttreten der NFVO auf dem Markt waren und daher nicht mehr als neuartig i. S. v. Art. 1 N F V O bezeichnet werden könnten. 1 4 1 In einigen Mitgliedstaaten wurden nationale Kennzeichnungsvorschriften für Bt-Mais und RR-Soja erlassen; Österreich, Italien und Luxemburg untersagten oder beschränkten gar unter Berufung auf die Schutzvorschrift Art. 16 FreisRL 90/220/EWG den Import von Bt-Mais in ihr Hoheitsgebiet. 142 Die Diskussion wurde dadurch teilweise entschärft, dass auf Gemeinschaftsebene spezielle Kennzeichnungsvorschriften für Bt-Mais und RR-Soja als Ergänzungsverordnung zur NFVO geschaffen wurden. Dies geschah zunächst durch die Verordnung 1813/97/EG 1 4 3 , die Art. 8 N F V O nachgebildet war und eher allgemeine Kennzeichnungsregeln enthielt und später durch die präzisere Verordnung 1139/98/EG 1 4 4 ersetzt wurde. Durch die Verordnung 49/2000/EG 1 4 5 wurde für Bt-Mais und RR-Soja ein Schwellenwert von 1 % für zu138 Wenn im Folgenden von „Bt-Mais" die Rede ist, ist damit der unter die Entscheidung 97/98/EG der Kommission (ABl. EG 1997 Nr.L 31/69, http://europa.eu.int/smartapi/cgi/ sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg=DE&numdoc=397D0098&model= guichett) fallende gentechnisch veränderte Mais (Zea Mays L.) mit der kombinierten Veränderung der Insektizidwirkung des BT-Endotoxin-Gens und erhöhter Toleranz gegenüber dem Herbizid Glufosinatammonium gemeint. 139 Wenn im Folgenden von „RR-Soja" die Rede ist, sind damit unter die Entscheidung 96/281/EG der Kommission (ABl. EG 1996 Nr.L 107/10, http://europa.eu.int/smartapi/cgi/ sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg=DE&numdoc=396D0281&model= guichett) fallende gentechnisch veränderte Sojabohnen (Glycin max.L.) mit erhöhter Verträglichkeit des Herbizids Glyphosat gemeint. 140 Streinz (siehe oben Fn. 128), S.489. 141 Erwägungsgrund 5 der VO 1139/98/EG. 142 Hierzu Long! Car donnei, Practical Implications of the Novel Foods Regulation, EFLR 1998, S. 11 ff. (22); Streinz , The Precautionary Principle in Food Law, EFLR 1998, S.413ff. (414); O'Rourke (siehe oben Fn.52), S. 156f.; Stewart/Johanson (siehe oben Fn.28), S.260ff. 143 ABl. EG 1997 Nr.L 257/7. 144 ABl. EG 1998 N r . L 159/4, http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc? smartapi! celexapi ! prod ! CELEXnumdoc&lg=DE&numdoc=398R 1139&model=guichett. 145 ABl. EG 2000 Nr. L 6/13, http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc? smartapi! celexapi ! prod ! CELEXnumdoc&lg=DE&numdoc=300R0049&model=guichett.
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
38
fällig vorhandenes gentechnisch verändertes Material eingeführt, ab dem die Kennzeichnungspflicht gilt. Durch den Erlass dieser Verordnungen für Bt-Mais und RRSoja gelten besondere Anforderungen an die Produktkennzeichnung, die über die allgemeinen Anforderungen der Kennzeichnung von Lebensmitteln 1 4 6 hinausgehen und Besonderheiten der Gentechnik Rechnung tragen sollen. Die USA haben anlässlich der Kennzeichnungsvorschriften für Bt-Mais und RRSoja auf das Welthandelsrecht gestützte Einwände gegen das europäische Sekundärrecht für gentechnisch veränderte Lebensmittel erhoben. 147 Die Kritik der damaligen US-Außenministerin Albright richtete sich wegen der besonderen wirtschaftlichen Bedeutung der unter die VO 1813/97/EG fallenden Produkte Bt-Mais und RR-Soja unmittelbar gegen diese Vorschrift und die daran anknüpfenden Auslegungsvorschläge der Kommission, die mittlerweile in der VO 1139/98/EG Ausdruck finden. Mittelbar richtet sie sich gegen die gentechnikspezifische Kennzeichnung allgemein, also auch die Kennzeichnung nach der N F V O . 1 4 8 Kritisiert wird einerseits, die Kennzeichnungsnormen seien wegen der gewählten Kennzeichnungskriterien nicht auf eine vernünftige wissenschaftliche Beurteilung signifikanter Unterschiede in der Produktzusammensetzung gestützt, so dass der Verbraucher nicht informiert, sondern desinformiert werde. 1 4 9 Andererseits wird bemängelt, die Kennzeichnungsanforderungen seien zu unbestimmt, weil sie insbesondere keine Angaben über die heranzuziehenden Testverfahren enthielten. 1 5 0 Indirekt verlangten die Kennzeich146
Vgl. insbesondere die allgemeine Etikettierungsrichtlinie 2000/13/EG (ABl. EG 2000 Nr. L 109/29, http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEX numdoc&lg=DE&numdoc=300L0013&model=guichett). 147 Vgl. die Submission by the United States G/TBT/W/94 beim WTO-Komitee für technische Handelsbeschränkungen und die Äußerungen der damaligen amerikanischen Außenministerin Albright, zitiert bei Streinz, The Novel Food Regulation - A Barrier to Trade in the International Movement of Goods? EFLR 1998, S. 265ff. (Fn. 110a); vgl. zur amerikanischen Kritik am europäischen Gentechnikrecht auch Perdikis, A Conflict of Legitimate Concerns or Pandering to Vested Interests? Estey Centre Journal of International Law and Trade Policy 2000, S.51 ff. (57 f.); Falkner, Regulating biotech trade: the Cartagena Protocol on Biosafety, International Affairs 2000, S.299ff. (301 f.). 148 So wohl auch Streinz (siehe oben Fn. 147), S. 286 f., da er die Kritik der damaligen Außenministerin Albright unter der Überschrift „Attacks on the Novel Food Regulation" präsentiert. 149 Submission by the United States G/TBT/W/94, S. 3 f.; Albright (siehe oben Fn. 147): „We are especially concerned... that the Commission is considering labelling based on detectable genetically modified protein or genetically modified DNA. Any labelling that is based solely on the presence of a food component derived from biotechnology, such as a protein or DNA, would not be based on sound scientific determination of significant changes to the food's composition." 150 Submission by the United States G/TBT/W/94, S.4; Albright (siehe oben Fn. 147): „Labelling requirements should be transparent. They should stipulate how the labelling requirements will be implemented. If testing methods are required they should be clearly described and validated with limits of detection clearly addressed. Any labelling requirement should be based on science, non-discriminatory and objective in its application making sure that it does not stigmatise biotechnology products nor imply health or environmental risks that do not
Α. Überblick über Entstehung und Systematik des EG-Rechts
39
nungsvorschriften eine übermäßig kostenintensive Trennung gentechnisch veränderter und konventioneller Erzeugnisse. 151 Diese Äußerungen präzisieren und juridifizieren die oben 1 5 2 erwähnte rechtspolitische Kritik am europäischen Sekundärrecht vor dem Hintergrund der mittlerweile geschlossenen WTO-Abkommen. I m Übrigen betrifft die nordamerikanische Kritik nicht nur die Kennzeichnungsregeln. I m Hinblick auf die Zulassungspflicht wird kritisiert, das Verfahren dauere zu lang und gegenwärtig würden wegen des Zulassungsmoratoriums überhaupt keine Genehmigungen für gentechnisch veränderte Organismen oder Lebensmittel erteilt. Die Prüfungskriterien seien nicht hinreichend eindeutig und basierten auf der unzutreffenden Annahme, gentechnisch veränderte Lebensmittel seien qualitativ etwas ganz Anderes als herkömmliche Erzeugnisse. Die Vorschriften änderten sich zu häufig. 153 Politische Organe wie Kommission und Ministerrat hätten einen zu großen Einfluss. Die Entscheidung über die Zulassung eines Produkts dürfte nach Auffassung der USA nur von rein naturwissenschaftlich orientierten Stellen getroffen werden. 1 5 4
(2) Bereichsausnahmen der NFVO Neben den Sekundärnormen für Bt-Mais und RR-Soja wurden in der EG weitere Sondervorschriften für bestimmte gentechnisch veränderte Lebensmittel geschaffen: Die N F V O ist nach Art. 2 N F V O nicht anwendbar auf Lebensmittelzusatzstoffe, Aromen und Extraktionslösungsmittel, die in den Anwendungsbereich genau aufgeführter anderer sekundärrechtlicher Vorschriften fallen. 1 5 5 Diese in Art. 2 N F V O zitierten Sonderregeln enthalten zwar unterschiedlich ausgestaltete Zulassungsschranken für das Inverkehrbringen und Verwenden dieser Stoffe, aber keine Kennzeichnungsvorschriften speziell für den Einsatz gentechnischer Verfahren. Während gentechnisch veränderte Extraktionslösungsmittel bei Lebensmitteln bisexist... We believe a number of issues addressed in the proposed regulation have a questionable scientific basis and are ambiguous and impractical." 151 Submission by the United States G/TBT/W/94, S.4. 152 Siehe oben S. 31. 153 Vgl. Stewart/Johanson (siehe oben Fn.28), S.246f. 154 Vgl. Perdikis (siehe oben Fn. 147), S.57f.; Falkner (siehe oben Fn. 147), S.301 f. 155 Vgl. - für Lebensmittelzusatzstoffe Rahmenrichtlinie 89/107/EWG (ABl. EG 1989 Nr.L 40/27, http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc7smartapi ! celexapi! prod !CELEXnumdoc&lg= DE&numdoc=389L0107&model=guichett); - für Aromen Richtlinie 88/388/EWG (ABl. EG 1988 Nr.L 184/61, http://europa.eu.int/ smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg=DE&numdoc= 388L0388&model=guichett); - für Extraktionslösungsmittel Richtlinie 88/344/EWG (ABl. EG 1988 Nr.L 157/28, http:// europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg=DE& numdoc=388L0344&model=guichett).
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
40
lang keine große praktische Relevanz haben, ist die Anwendung von Gentechnik bei Zusatzstoffen und Aromen von erheblicher Bedeutung. 1 5 6 Ähnlich wie bei den Sondervorschriften für Bt-Mais und RR-Soja ist diese Lücke durch die Verordnung 50/2000/EG 1 5 7 insofern geschlossen worden, als es jetzt für Lebensmittel und -zutaten, die gentechnisch veränderte oder aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellte Zusatzstoffe und Aromen enthalten, eine Etikettierungspflicht auch hinsichtlich der Anwendung von Gentechnik gibt.
B. Die Novel Food-Verordnung Nach diesem Überblick über die Entstehung und Systematik des Sekundärrechts ist im Folgenden die Kernvorschrift des horizontal-vertikalen Mischsystems genauer darzustellen, die Novel Food-Verordnung. Die auch innerhalb Europas erhebliche politische Brisanz der N F V O wurde anhand der langwierigen Entstehungsgeschichte aufgezeigt. 158 I m Wesentlichen schränkt die NFVO die Freiheit des Handelsverkehrs für bestimmte Lebensmittelgruppen, zu denen auch gentechnisch modifizierte Lebensmittel zählen, durch die Einführung eines Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt und einer Kennzeichnungspflicht ein. Für die spätere welthandelsrechtliche Beurteilung, insbesondere für die Ermittlung des einschlägigen WTO-Abkommens, ist zunächst die ratio legis von Bedeutung, also die Motivation des europäischen Gesetzgebers für die Handelsbeschränkungen. Anschließend ist für die spätere Erörterung der WTO-Konformität der Anwendungsbereich der N F V O darzustellen, der die Reichweite der Beschränkungen beschreibt. Schließlich wird die Schwere der Einschränkungen erörtert, indem die Zulassungspflicht und die Kennzeichnungspflicht näher untersucht werden.
1. Ratio legis der Novel Food-Verordnung a) Quellen Der Regelungszweck der N F V O ergibt sich hauptsächlich aus den zwölf ausdrücklichen Erwägungsgründen der Vorschrift. Außerdem ist zu überlegen, inwieweit sich zusätzliche Motive aus den Vorschriften der NFVO oder dem gentechnikrechtlichen Gesamtkontext destillieren lassen, die nicht ausdrücklich in den Erwägungsgründen aufgeführt sind. 156
Gassen/Bangsow/Hektor/König/Sinemus, (siehe oben Fn. 18), S. 384; Rehbinder, Das Konzept des anlagen- und produktbezogenen EG-Gentechnikrechts, ZUR 1999, S.6ff. (10). 157 ABl. EG 2000, Nr.L 6/15, http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi ! prod!CELEXnumdoc&lg=DE&numdoc=32000R0050&model=guichett. 158 Siehe oben S. 33 ff. zur Entstehung der NFVO.
Β. Die Novel Food-Verordnung b) Die Erwägungsgründe
41
der NFVO
Zu den ausdrücklich aufgeführten Erwägungsgründen der NFVO zählt zunächst die Absicht, einer Rechtszersplitterung i m Gemeinsamen Markt vorzubeugen. 159 Unmittelbar danach wird ein weiterer wichtiger Erwägungsgrund genannt, der Gesundheitsschutz. 1 6 0 I m Folgenden findet sich ebenfalls der Umweltschutz als ein gesetzgeberisches Motiv der N F V O . 1 6 1 Die Kennzeichnungspflicht der N F V O soll dem Informationsbedürfnis des Verbrauchers dienen, gerade auch bei ethischen Vorbehalten bestimmter Bevölkerungsgruppen gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmitteln. 1 6 2 Dabei ist teilweise nicht eindeutig, worauf diese Erwägungsgründe abzielen. Zwar ist der Wille, einer Rechtszersplitterung entgegenzuwirken, noch aus sich heraus verständlich. Ebenso lassen sich Gesundheits- und Umweltschutz dahingehend auslegen, dass sie an die oben 1 6 3 dargestellten umstrittenen Risiken der Anwendung gentechnischer Verfahren bei Lebensmitteln anknüpfen und die Verwirklichung dieser Risiken vermieden werden soll. Hinsichtlich des Umweltschutzes ist dabei anzumerken, dass er i m Verhältnis zum Gesundheitsschutz schon durch die ausdrückliche Nennung nicht ausschließlich i m Sinne eines indirekten Schutzes der menschlichen Gesundheit verstanden werden kann. Jedoch lässt sich der Umweltschutzgedanke in der N F V O nur mit der entscheidenden Einschränkung als ökozentrisches Element verstehen, dass die N F V O von Menschen für Menschen geschaffen wurde und insofern die menschliche Perspektive auf die Umwelt und die menschliche Vorstellung einer „idealen" Umwelt dem Umweltbegriff der N F V O immanent sind. 1 6 4 Verständnisschwierigkeiten bereitet dagegen die Absicht, durch die Kennzeichnungspflicht den Verbraucher zu informieren. Es wird nämlich nicht hinreichend ausgeführt, warum der Verbraucher informiert werden soll. Immerhin soll die Information ausdrücklich denjenigen Kreisen zugute kommen, deren ethischen Vorbehalten der Konsum gentechnisch veränderter Lebensmittel widerspräche. 165 Diesem 159
Erwägungsgrund 1. Erwägungsgrund 2. 161 Erwägungsgrund 5. 162 Erwägungsgrund 8. 163 Siehe oben S.22ff. zu den Risiken gentechnisch veränderter Lebensmittel. 164 Vgl. allgemein zum Umweltbegriff im Europarecht Grabitz/Nettesheim in Grabitz/Hilf Art. 130r EGV, Rn. 8; vgl. zum Problem der Bestimmung des Schutzgutes „Umwelt" im deutschen Staats- und Verwaltungsrecht beispielsweise Kloepfer, Umweltrecht, § 3, Rn. 27; vgl. aus philosophischer Perspektive zu einer nicht antrophozentrischen, sondern anthroporelationalen Ethik insbesondere Honnefelder (siehe oben Fn. 59), S. 24ff. 165 Gemeint sind insbesondere bestimmte Glaubensgemeinschaften; dass die betroffenen Bevölkerungskreise im Erwägungsgrund 8 nicht näher präzisiert werden, bewirkt unten auf S. 94 dargestellte Folgeprobleme bei der Auslegung von Art. 8 NFVO, der die Kennzeichnungspflicht enthält. 160
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
42
Gedanken entspricht i m eigentlichen Verordnungstext Art. 8 I (c) NFVO, der bei ethischen Vorbehalten bestimmter Bevölkerungsgruppen eine Kennzeichnungspflicht konstituiert. Unabhängig von der Frage, ob für den europäischen oder deutschen Gesetzgeber insoweit eine Pflicht zur Einführung einer Kennzeichnung besteht, 1 6 6 hat sich der europäische Gesetzgeber für den Schutz ethischer Bedenken gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel entschieden. Daraus dass in Erwägungsgrund 8 S. 3 die Erwähnung der ethischen Vorbehalte den allgemeinen Ausführungen über ein Informationsbedürfnis erst nachfolgt und sprachlich davon getrennt ist und Art. 81 N F V O neben den ethischen Vorbehalten noch weitere Fälle einer Kennzeichnungspflicht enthält, lässt sich jedoch schließen, dass die Intention, den Verbraucher über gentechnische Veränderungen zu informieren, nicht nur diese ethischen Vorbehalte alleine betrifft. Damit stellt sich die Frage, ob Erwägungsgrund 8 auf einem allgemeinen selbständigen Informationsrecht des europäischen Verbrauchers basiert. Es hat sich herauskristallisiert, dass die EG-Organe auch außerhalb des Gentechnikbereiches der Information durch Produktkennzeichnung eine erhebliche Bedeutung beimessen: Bereits im Ersten Verbraucherprogramm von 1975 wird neben einem Recht auf Gesundheit und Sicherheit (und weiteren Rechten) ein Recht auf Unterrichtung erwähnt. 1 6 7 Dieser Gedanke eines neben dem Recht auf Gesundheit bestehenden Informationsrechts setzt sich in weiteren Äußerungen fort 1 6 8 bis zum Weißbuch 2000 zur Lebensmittelsicherheit, 169 und mittlerweile spricht auch Art. 153 EG von einem Recht auf Information. Ebenso hat der EuGH insbesondere in seiner Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mehrfach Etikettierungspflichten einem Verkehrs verbot für bestimmte Produkte vorgezogen. 170 Indem die Kennzeichnung als zum Schutze des Verbrauchers geeignet angesehen wird, impliziert diese Rechtsprechung, dass nach Auffassung des EuGH der mündige Verbraucher regelmäßig in der Lage und bereit ist, die in einer Lebensmittelkennzeichnung enthaltenen vorschriftsmäßigen Informationen zur Kenntnis zu nehmen und zu verstehen. 171 Unabhängig davon, ob sich daraus bereits ein tatsächliches subjektives Recht des europäischen Verbrauchers auf Information herleiten lässt, das mit einer Informa166
Dagegen Knörr (siehe oben Fn. 132), S. 146 ff. ABl. EG 1975 Nr.C, 92/1 (2, 9ff.). 168 Vgl. dazu Knörr (siehe oben Fn. 132), S. 110 f.; vgl. auch Horst!Mrohs, Das Europäische Lebensmittelrecht am Scheideweg - Das Weißbuch der Kommission zur Lebensmittelsicherheit, ZLR 2000, S. 125 ff. (137 f.), zum neuen Weißbuch 2000 und dessen Kapitel 7 über Verbraucherinformation. 169 KOM (1999) 719 endg. (siehe oben Fn. 133). 170 Vgl. nur EuGH, Rs. 120/78, Cassis de Dijon, Slg. 1979, S.649ff.; Rs.C-196/89, Nespoli , Slg. 19901, S. 3647 if. 171 Vgl. hierzu insbesondere Leisner, Der mündige Verbraucher in der Rechtsprechung des EuGH, EuZW 1991, S. 498 ff. (502). 167
Β. Die Novel Food-Verordnung
43
tionspflicht der EG-Organe korrespondiert, 172 lässt sich daher jedenfalls erkennen, dass die Organe der Europäischen Gemeinschaft den Verbraucher prinzipiell möglichst weitgehend informieren möchten. Damit ist aber noch nicht festgestellt, inwieweit das von den EG-Organen angesprochene „Recht auf Unterrichtung" neben dem Recht auf Gesundheitsschutz und sonstigen Rechten selbständig ist oder jeweils ein besonderes Informationsbedürfnis verlangt. Auch wenn das Informationsrecht nämlich von den EG-Organen in den erwähnten Äußerungen neben das Recht auf Gesundheit und die übrigen Rechte gestellt wird, was auf eine gewisse Selbständigkeit des Informationsrechts schließen lässt, 173 ist diese Selbständigkeit begrenzt: Eine Information des Verbrauchers ohne besonderes Informationsbedürfnis beträfe alle nur erdenklichen Umstände und wäre daher sowohl dem Verständnis des Verbrauchers abträglich als auch technisch unerfüllbar. Daher muss die in Erwägungsgrund 8 erwähnte Information des Verbrauchers über gentechnische Veränderungen mit einem besonderen Informationsbedürfnis hinsichtlich der gentechnischen Veränderungen zusammenhängen. Erwägungsgrund 8 enthält, abgesehen von den Ausführungen über ethische Vorbehalte, keine ausdrückliche Aussage über die Umstände, die bei gentechnisch modifizierten Lebensmitteln ein Informationsbedürfnis begründen. Die oben dargestellten Risiken bestimmter gentechnischer Lebensmittel für die menschliche Gesundheit werden bereits in einem aufwendigen Zulassungsverfahren geprüft. Unabhängig davon, ob das Zulassungsverfahren tatsächlich einen sicheren Schutz vor Gesundheitsrisiken gibt, die für jeden Konsumenten des betreffenden Lebensmittels gelten, 1 7 4 wäre es widersinnig anzunehmen, der europäische Gesetzgeber beabsichtige durch die Kennzeichnung die Information wegen auch aus seiner Sicht bestehender allgemeiner Gesundheitsrisiken, die über das auch bei anderen Lebensmitteln unvermeidbare Maß an Restrisiken hinausgehen: Immerhin wird das Inverkehrbringen nur genehmigt, wenn nach Auffassung der entscheidenden Behörden gerade keine allgemeine Gefährdung der Gesundheit besteht. Allergische Reaktionen und andere individuelle gesundheitliche Sensibilitäten betreffen dagegen nur einen Teil der Bevölkerung, und diese speziellen Sensibilitäten sind in einem allgemeinen Prüfverfahren schwerer zu berücksichtigen. Deshalb ist davon auszugehen, dass der Erwägungsgrund 8 auch ein besonderes Informationsbedürfnis für diese Bevölkerungsgruppen anerkennt. 175 Dafür spricht auch, 172
Dagegen Pfleger, „Novel Food-Verordnung" - Zur Kennzeichnung gentechnisch hergestellter oder veränderter Lebensmittel, ZLR 1993, S. 367 ff.; sich ihm anschließend Knörr (siehe oben Fn. 132), S. 119ff.; dafür Gorny, The Right to Information, EFLR 1998, S. 373ff. (375); Leible, Kennzeichnung gentechnisch hergestellter Lebensmittel, EuZW 1992, S. 599 ff.; Grube, Verbraucherschutz durch Lebensmittelkennzeichnung? S. 246ff. 173 So zurecht Knörr (siehe oben Fn. 132), S. 109f. 174 Dazu neigt optimistisch Knörr (siehe oben Fn. 132), S.99; zweifelnd Oberenderl Η erzberg/Kienle, Brauchen wir eine Zulassungspflicht für neuartige Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten? Grundsätzliche ordnungspolitische Bemerkungen, in Streinz (Hrsg.), Novel Food, S.56. 175 Vgl. Knörr (siehe oben Fn. 132), S. lOOff.
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
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dass Art. 81 (b) N F V O eine Kennzeichnungspflicht gerade zum Schutz der Gesundheit bestimmter Bevölkerungsgruppen statuiert. Der Schutz von individuellen gesundheitlichen Empfindlichkeiten (Art. 8 I (b) NFVO) und ethischen Vorbehalten (Art. 8 1 (c) NFVO) macht jedoch nur zwei der vier Varianten von Art. 81 N F V O aus; daneben fordert Art. 81 (a) N F V O eine Kennzeichnung, wenn das betreffende Lebensmittel mit konventionellen Lebensmitteln nicht gleichwertig ist, und nach Art. 8 I (d) N F V O besteht eine Kennzeichnungspflicht hinsichtlich noch vorhandener gentechnisch veränderter Organismen. Daher muss es ein weiteres Informationsbedürfnis geben, das Art. 81 (a) und (d) N F V O zugrunde liegt. Kaum ein Lebensmittelbereich ist in der Öffentlichkeit umstrittener als gentechnisch modifizierte Lebensmittel. Die Bedenken in der Bevölkerung entsprechen einerseits häufig nicht den objektiven naturwissenschaftlichen Risiken, 1 7 6 andererseits liegt ihnen häufig auch keine ethische Motivation zugrunde, sondern sie entspringen einer subjektiven Skepsis gegenüber der relativ neuen Gentechnik und ihren vermeintlichen Risiken. Diese Bedenken, die sich in einem Verbraucherumfragen zu entnehmenden ausdrücklichen Wunsch der Verbraucher nach Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel ausdrücken, 177 respektiert der europäische Gesetzgeber: Einerseits ist er der Ansicht, dass durch das Zulassungsverfahren Risiken für Umwelt und Gesundheit auf ein zulässiges Maß reduziert werden, andererseits konzediert er dem Verbraucher die Möglichkeit einer noch vorsichtigeren Haltung. Dadurch dass Art. 81 N F V O die Kennzeichnungspflicht über den Gesundheitsschutz für individuell Empfindliche und die Berücksichtigung ethischer Vorbehalte hinaus festschreibt, schützt die Kennzeichnungspflicht der N F V O ebendieses - möglicherweise objektiv ungerechtfertigte - Misstrauen, die Möglichkeit der individuellen Sicherheitsentscheidung gegen gentechnisch modifizierte Lebensmittel. 1 7 8 Damit dient die N F V O auch der „Stärkung des Sicherheitsbewusstseins der Bevölkerung", das der europäische Gesetzgeber gegen teilweise heftige K r i t i k 1 7 9 i m Bereich gen176
Siehe dazu oben S. 22ff. Siehe unten zur Skepsis des europäischen Verbrauchers gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmitteln auf S. 215 ff.; der Verbraucherwunsch nach Kennzeichnung manifestiert sich deutlich in Umfrageergebnissen, vgl. etwa die /MßE-Studie „Public Perceptions of Agricultural Biotechnologies in Europe" vom Dezember 2001 (www.pabe.net), die einen deutlichen Wunsch der beteiligten Verbraucher nach Kennzeichnung feststellt, ohne diesen zu quantifizieren (vgl. insbesondere S.64f. der Studie); vgl. auch die Ergebnisse einer 1997 durchgeführten Emnid-Umfrage, wonach etwa 90% der Befragten eine Kennzeichnung wünschen, http:// www.greenpeace.de/GP_DOK_3P/HINTERGR/C05HI32.HTM; vgl. zu anderen Umfragen mit ähnlichen Ergebnissen die Hinweise bei Knörr (siehe oben Fn. 132), Fn. 494; vgl. auch die Hinweise bei Katzek, Anforderungen an die Kennzeichnung gentechnisch hergestellter oder modifizierter Lebensmittel, EFLR 1993, S. 205 ff. (214), auf in Großbritannien durchgeführte Umfragen mit ähnlichen Ergebnissen. 178 Streinz, Divergierende Risikoabschätzung und Kennzeichnung, in ders. (Hrsg.), Novel Food, S. 141, führt dafür den Begriff der „divergierenden Risikoabschätzung" ein. 179 Vgl. etwa Rossen (siehe oben Fn.60), S.58. 177
Β. Die Novel Food-Verordnung
45
technisch veränderter Lebensmittel für wichtiger hält als die dadurch betroffenen wirtschaftlichen Interessen. 180 Ähnliche Überlegungen führten bereits zur Einführung der Deklarationspflicht bei bestrahlten Lebensmitteln. 1 8 1 Auch den neuen Kennzeichnungsvorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel in Australien und Neuseeland liegt der Grundgedanke einer Information zugrunde, damit der Verbraucher losgelöst von tatsächlichen Sicherheitsrisiken eine individuelle Entscheidung treffen kann. 1 8 2 Gleiches gilt etwa für die japanischen Kennzeichnungsregeln. 1 8 3 c) Sonstige gesetzgeberische Zielsetzungen der NFVO Es stellt sich die Frage, ob sich der europäische Gesetzgeber neben den genannten Motiven noch von anderen Zielsetzungen hat leiten lassen. Insbesondere ist dabei an die Absicht zu denken, die Entwicklung der Biotechnologie und speziell der Gentechnik und die Vermarktung der betreffenden Produkte zu fördern. Zunächst wirkt es befremdlich, dass eine Vorschrift wie die N F V O mit Zulassungs- und Kennzeichnungspflichten als Einschränkungen der Handelsfreiheit überhaupt fördernden Charakter haben soll. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Verunsicherung der Verbraucher auch für die Lebensmittelindustrie nachteilig ist und eine Zulassungspflicht dieses Vertrauen stärkt. Auch eine Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel kann, auch wenn sie zunächst viele Verbraucher vom Erwerb eines gekennzeichneten Produktes abhalten mag, insbesondere dadurch den Lebensmittelproduzenten nützen, dass sie vor einer allgemeinen Verängstigung des Verbrauchers bewahrt, die möglicherweise auch ganz andere, konventionell hergestellte Produkte desselben Produzenten oder anderer Hersteller beträfe. 184
180
Ähnlich zum Grund der Kennzeichnungspflicht Berg, Riskmanagement im Rechtsstaat am Beispiel der Novel Food-Verordnung, ZLR 1998, S.375 ff. (387); Dederer, Kennzeichnung gentechnischer Lebensmittel nach Europäischem Gemeinschaftsrecht, EWS 1999, S. 247 ff. (248); vgl. auch Pfleger (siehe oben Fn. 172), S. 384; die Pressemitteilung der Kommission vom 18.12.1997, Labelling of Genetically Modified Organisms, unterscheidet ebenfalls ausdrücklich zwischen Sicherheit und Kennzeichnung. 181 Vgl. dazu Grube (siehe oben Fn. 172), S.255; Leible (siehe oben Fn. 172), S.600f. 182 Vgl. dazu Uetz, A Precautionary Tale: The International Trade Implications of Regulating Genetically Modified Foods in Australia and New Zealand, Pacific Rim Law and Policy Journal 2001, S.41 Iff. (423). 183 BNA Food Safety Report vom 04.07.2001. 184 Vgl. zum Nutzen einer Kennzeichnungspflicht für die Lebensmittelindustrie auch Bjerregaard, Labelling of Novel Food, EFLR 1998, S. 1 ff. (9); EuroCommerce (Dachverband des Groß- und Einzelhandels) bei Rücker (siehe oben Fn.9), S. 223; aus Sicht des Wirtschafts- und Sozialausschusses der EG Katzek (siehe oben Fn. 177), S. 216 ff.; Long/Cardonnel (siehe oben Fn. 142), S.24.
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
46
Ein weiteres Indiz dafür, dass auch die Förderung der Gentechnik in die Konzeption der NFVO mit eingeflossen ist, findet sich in der bereits erwähnten Absicht des Erwägungsgrundes 1, einer übermäßigen Rechtszersplitterung auf dem Gemeinsamen Markt vorzubeugen. Nationale Handelsbeschränkungen könnten strenger sein als die NFVO, so dass durch eine Vermeidung nationaler Handelsbeschränkungen die gentechnische Industrie gefördert w i r d . 1 8 5 Einen weiteren Anhaltspunkt stellt Art. 14 I I N F V O dar, wonach die Kommission die Auswirkungen der N F V O auch auf das Funktionieren des Binnenmarktes hin zu überwachen hat. Daraus lässt sich schließen, dass die Förderung der Gentechnik auch ein gesetzgeberisches Anliegen der N F V O ist. Dies entspricht auch den in Art. 3 EG erwähnten Zielen, zu denen sowohl die Förderung der Wirtschaft und Forschung (Art. 3 I m , n ) als auch der Verbraucherschutz (Art. 3 I t ) zählen. Schon die Tatsache, dass die Förderungsabsicht nicht ausdrücklich in den Erwägungsgründen der N F V O aufgeführt wird, sondern indirekt herzuleiten ist, zeigt jedoch, dass dem Förderungsmotiv i m Verhältnis zu den übrigen Schutzgütern der N F V O eine geringere Bedeutung beigemessen wird: Die Gentechnik soll nur insoweit gefördert werden, als dies ohne die Verwirklichung von Risiken für Umwelt und Gesundheit möglich ist. 1 8 6 Welthandelsrechtlich ist erwähnenswert, dass der Fördergedanke bereits prinzipiell nicht nur den Handel innerhalb der EG, sondern auch den Welthandel betrifft. Dass die N F V O auch speziell auf die außergemeinschaftlichen Handelsströme Rücksicht nehmen w i l l , impliziert Erwägungsgrund 9 NFVO: Gerade für Großlieferungen soll durch die unten 1 8 7 näher dargestellte Kann-Kennzeichnung die Kennzeichnungspflicht nach Art. 8 N F V O deshalb erleichtert werden, weil Kontaminationen konventionell hergestellter Lebensmittel durch gentechnisch veränderte Bestandteile häufig unvermeidlich sind. Die Privilegierung der Kann-Kennzeichnung betrifft insbesondere Lieferungen aus Nordamerika, wo regelmäßig konventionelle und gentechnisch veränderte Erzeugnisse nicht voneinander getrennt werden. 1 8 8 Jedoch ist wie schon für die Förderung der Gentechnik auch für die Rücksichtnahme auf den Welthandel festzustellen, dass sie mehr impliziert als hervorgehoben wird und damit unter den Schutzgütern der NFVO nicht die exponierte Stellung einnimmt wie das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes, der Umwelt- und Gesundheitsschutz und die Verbraucherinformation.
185
Ähnlich die Ausführungen für die FreisRL bei Schweizerl Calarne (siehe oben Fn. 62),
S.40. 186 Vgl. zu diesem Motiv eines Ausgleiches divergierender Interessen durch die NFVO Peters in Streinz (Hrsg.), Novel Food, S.20. 187 Siehe unten S. 91. 188 Vgl. nur Bjerregaard (siehe oben Fn. 184), S. 8; Verbraucherinitiative Transgen, http://www.transgen.de/Anwendung/Pflanzen/Soja/vermischen.html .
Β. Die Novel Food-Verordnung
47
2. Anwendungsbereich der Novel Food-Verordnung Die Reichweite des Eingriffes in die Welthandelsfreiheit durch die NFVO hängt von ihrem Anwendungsbereich ab. Der Anwendungsbereich der N F V O wird positiv von Art. 1 N F V O beschrieben, während Art. 2 N F V O bestimmte Produkte aus dem Anwendungsbereich herausnimmt. Wie bei der NFVO insgesamt wird auch bei den Vorschriften über den Anwendungsbereich i m Schrifttum die mangelhafte Bestimmtheit kritisiert. 1 8 9 Bei der Auslegung der Vorschriften über den Anwendungsbereich ist daher jeweils zu prüfen, ob die Anforderungen an die Bestimmtheit eingehalten sind. Dafür müssen diese Anforderungen zunächst dargestellt werden, und zwar an dieser Stelle zunächst aus europarechtlicher Perspektive, um unten i m zweiten Hauptteil dieser Arbeit etwaige welthandelsrechtliche Konsequenzen zu prüfen.
a) Der Bestimmtheitsgrundsatz
im Europarecht
Wie das BVerfG 1 9 0 hat auch der EuGH die Möglichkeit des Gesetzgebers, unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden, prinzipiell anerkannt, dafür aber Grenzen aufgestellt. In der Rechtssache Gondrand Frères ì9\ einer der beiden Grundsatzentscheidungen zu diesem Thema, äußerte der EuGH zum Bestimmtheitsgrundsatz als allgemeinem Rechtsgrundsatz: „Der Grundsatz der Rechtssicherheit verlangt, dass eine den Abgabepflichtigen belastende Regelung klar und deutlich ist, damit er seine Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen und somit seine Vorkehrungen treffen kann." In der anderen Grundsatzentscheidung Hoffmann - La Roche 192 verwarf der EuGH das Vorbringen der Klägerin, eine wettbewerbsrechtliche Geldbuße sei mangels hinreichender Bestimmtheit der entscheidenden primärrechtlichen Vorschriften rechtswidrig. Dabei stützte sich der EuGH hauptsächlich auf drei Argumente: Erstens hätte die Klägerin nach den einschlägigen wettbewerbsrechtlichen Vorschriften ein spezielles Verfahren einleiten können, in dem die Kommission die Unbedenklichkeit des Verhaltens der Klägerin prüft und gegebenenfalls bestätigt. Zweitens seien die angeblich unbestimmten Begriffe durch die Praxis der mitgliedstaatlichen Behörden hinreichend konkretisiert. Schließlich wies der EuGH die Argumentation 189 Etwa von Streinz, Anwendbarkeit der Novel Food-Verordnung und Definition von Novel Food, ZLR 1998, S. 19 ff.; Berg, Die Problematik der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, dargestellt am Beispiel der Novel Food-Verordnung, ZLR 1993, S.455 ff. 190 Vgl. nur BVerfGE 21, 73 ff. (79); 31, 255 ff. (264). 191 EuGH, Rs. 169/80, Gondrand Frères, Slg. 1981, S. 1931 ff. (1942). 192 EuGH, Rs. 85/76, Η offmann-La Roche, Slg. 1979, S.461 ff. (553 ff.).
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
48
der Klägerin deshalb zurück, weil jedenfalls in concreto das Verhalten der Klägerin eindeutig unter die betreffenden Verbotsnormen zu subsumieren sei. Bei der Überlegung, ob die Normen der N F V O aus europarechtlicher Perspektive hinreichend bestimmt sind, ist neben den genannten Kautelen des EuGH speziell für die N F V O zu berücksichtigen, dass sich die Normen der NFVO jedenfalls zunächst an den Inverkehrbringer eines neuartigen Lebensmittels richten und nicht an Behörden. Seine Auffassung darüber, ob ein Lebensmittel in den Anwendungsbereich der N F V O fällt und er daher die Zulassungs- und Kennzeichnungsvorschriften einhalten muss, ist mit erheblichen finanziellen Folgen verbunden, die durch das Verfahren selbst und durch etwaige Wettbewerbsnachteile gegenüber Konkurrenten entstehen. 193 Ebenfalls ist jedoch zu bedenken, dass die Bestimmtheitsanforderungen immer relativ sind, indem sie sich - gerade in technisch komplizierten Materien - immer danach richten, wie präzise sich der jeweilige Sachverhalt durch ein Gesetz umschreiben lässt. 1 9 4
b) Der Anwendungsbereich
nach Art. 1 NFVO
Nach Art. 1 I I N F V O hängt es von vier Voraussetzungen ab, ob der Anwendungsbereich der N F V O eröffnet ist: Es muss sich erstens um ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat handeln, das zweitens bislang noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr genutzt wurde und drittens unter eine der aufgezählten Gruppen fällt. Viertens muss das Produkt in Verkehr gebracht werden. M i t jeder dieser vier Voraussetzungen sind Auslegungsprobleme verknüpft.
( 1 ) Lebensmittel oder Lebensmittelzutat Die N F V O enthält keinen eigenen Lebensmittelbegriff. Ein solcher findet sich hingegen seit Januar 2002 in Art. 2 der Verordnung 178/2002/EG zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit über die Grundsätze des Lebensmittelrechts 195: „Definition von Lebensmittel' Im Sinne dieser Verordnung sind ,Lebensmittel' alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. 193
Vgl. Streinz (siehe oben Fn. 189), S.27f. Vgl. Streinz (siehe oben Fn. 189), S.23. 195 Abi. EG 2002, Nr.L 31/1 (http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc7smartapi Icelexapi! prod!CELEXnumdoc&lg=DE&numdoc=32002R0178&model=guichett). 194
Β. Die Novel Food-Verordnung
49
Zu Lebensmitteln' zählen auch Getränke, Kaugummi sowie alle Stoffe - einschließlich Wasser - , die dem Lebensmittel bei seiner Herstellung oder Ver- oder Bearbeitung absichtlich zugesetzt werden. Wasser zählt hierzu unbeschadet der Anforderungen der Richtlinien 80/778/EWG und 98/83/EG ab der Stelle der Einhaltung im Sinne des Artikels 6 der Richtlinie 98/83/EG. Nicht zu ,Lebensmitteln' gehören: a) Futtermittel, b) lebende Tiere, soweit sie nicht für das Inverkehrbringen zum menschlichen Verzehr hergerichtet worden sind, c) Pflanzen vor dem Ernten, d) Arzneimittel im Sinne der Richtlinien 65/65/EWG(21) und 92/73/EWG(22) des Rates, e) kosmetische Mittel im Sinne der Richtlinie 76/768/EWG(23) des Rates, f) Tabak und Tabakerzeugnisse im Sinne der Richtlinie 89/622/EWG(24) des Rates, g) Betäubungsmittel und psychotrope Stoffe im Sinne des Einheitsübereinkommens der Vereinten Nationen über Suchtstoffe, 1961, und des Übereinkommens der Vereinten Nationen über psychotrope Stoffe, 1971, h) Rückstände und Kontaminanten." Zwar regelt diese Definition den Lebensmittelbegriff unmittelbar nur „für diese Verordnung", die Verordnung 178/2002/EG. Es spricht aber nichts dagegen, die Begriffsbestimmung - ganz i m Einklang mit dem Grundsatzcharakter der Verordnung 178/2002/EG - auch für die N F V O entsprechend anzuwenden. Die Lebensmitteldefinition in Art. 2 der Verordnung 178/2002/EG ist relativ weit. Die entscheidende Voraussetzung liegt in der subjektiven Zweckbestimmung („dazu bestimmt sind") oder objektiven Erwartung („von denen erwartet werden kann"). In bestimmten Fällen kann es schwierig sein, diese subjektiv-objektive Tatbestandsvoraussetzung zu überprüfen, so dass selbst auf Grundlage der Definition in Art. 2 der Verordnung 178/2002/EG Zweifel bestehen, ob der Lebensmittelbegriff in Art. 1 I I N F V O hinreichend bestimmt ist. 1 9 6 Die Kommission selbst wies schon 1997 i m Grünbuch über die Allgemeinen Grundsätze des Lebensmittelrechts in der Europäischen Union 197 darauf hin, dass insbesondere einige Rohmaterialien wie beispielsweise Kartoffelstärke sowohl für Nahrungsmittel als auch für Zwecke außerhalb der Lebensmittelindustrie verwendet werden können. Auch in diesen Fällen wäre die subjektiv-objektive Tatbestandsvoraussetzung nach dem Kommissionsvorschlag entscheidend für die Qualifikation als Lebensmittel, und auch der Lebensmittelbe196
Vgl. Schroeter, Die Novel Food-Verordnung - Ausgewählte Abgrenzungsfragen, ZLR 1998, S. 397 ff. (398); Dannecker, Sorgfaltspflichten im Hinblick auf das Inverkehrbringen und die Kennzeichnung neuartiger Lebensmittel und neuartiger Lebensmittelzutaten nach der Novel Food-Verordnung und der Neuartige Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung, in Streinz (Hrsg.), Neuartige Lebensmittel, S. 170. 197 KOM (1997) 176 endg. 4 Stökl
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
50
griff nach dem Grünbuch oder der Verordnung enthält keine genauen Kriterien, wonach das Vorliegen einer entsprechenden Verwendungsabsicht oder -erwartung festgestellt werden könnte. Dennoch ist dieses Auslegungsproblem des Lebensmittelbegriffes in Art. 1 I I N F V O hinzunehmen. Erstens handelt es sich eher um einen Randbereich, denn jedenfalls bei den bisherigen Entwicklungen i m gentechnischen Bereich 1 9 8 ist die Beurteilung, ob es sich um ein Lebensmittel handelt, meist unproblematisch. Zweitens gibt es nach Art. 1 I I I N F V O die Möglichkeit für den Antragsteller, durch ein eigenes Verfahren feststellen zu lassen, ob ein Lebensmittel in den Anwendungsbereich des Art. 1 I I N F V O fällt, und in einem solchen Verfahren könnte gegebenenfalls auch festgestellt werden, dass es sich gar nicht um ein Lebensmittel handelt. Oben 1 9 9 wurde aufgezeigt, dass bei unbestimmten Rechtsbegriffen diese Prüfungsmöglichkeit durch ein eigenes Verfahren nach der Hoffmann - La Roche-Rechtsprechung ein wesentliches Argument für die hinreichende Bestimmtheit ist. Drittens beruht die Auslegungsunsicherheit auf äußeren Gegebenheiten (nämlich der mehrfachen Verwendungsmöglichkeit desselben Stoffes) und ist somit für den Gesetzgeber der NFVO nur schwer vermeidbar gewesen. Entsprechend enthält beispielsweise das deutsche L M B G auch keine ausreichenden Prüfungskriterien für die Beurteilung des Verwendungszweckes. Die Präzisierungen zur Verwendungsabsicht sind auch i m deutschen Recht im Wesentlichen von der Rechtsprechung entwickelt worden. 2 0 0 Der Lebensmittelbegriff in Art. 1 I I N F V O i.V. m. Art. 2 der Verordnung 178/2002/EG ist somit hinreichend bestimmt. Der Begriff der Lebensmittelzwtai knüpft an den des Lebensmittels an. Für seine Auslegung kann prinzipiell auf die Richtlinie 2000/13/EG über die Etikettierung von Lebensmitteln 2 0 1 zurückgegriffen werden, da nicht zu erkennen ist, warum der in Art. 1 I I N F V O verwandte Begriff von dem der Richtlinie 2000/13/EG i m Grundsatz abweichen sollte. 2 0 2
(2) Die Neuartigkeit
des Lebensmittels
Der Anwendungsbereich der N F V O nach Art. 1 I I 1 N F V O verlangt als zweite Voraussetzung, dass das betreffende Lebensmittel bislang in der Europäischen Ge198
Siehe oben S. 19 ff. zu den wichtigsten Beispielen. Siehe oben S.47f. zum Bestimmtheitsgrundsatz im Europarecht. 200 Vgl. Zipfel!Rathke, Lebensmittelrecht, C100, § 1, Rn. 11 ff. 201 Siehe oben Fn. 146. 202 In diesem Sinne auch Schroeter (Rn. 196), S.407, zur RL 79/112/EWG, die mit ihren Veränderungen durch die RL 2000/13/EG lediglich kodifiziert wurde und deren Zutatendefinition mit der in der RL 2000/13/EG übereinstimmt; vgl. auch die zutreffende Präzisierung bei Zipfel/Rathke (siehe oben Fn. 200), C 150, Art. 1, Rn. 15 f., wonach die von Art. 6 IV RL 2000/13/EG aus dem Anwendungsbereich herausgenommenen Stoffe als Lebensmittelzutat i. S. d. NFVO gelten müssen. 199
Β. Die Novel Food-Verordnung
51
meinschaft noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurde. Diese Tatbestands Voraussetzung enthält das wesentliche Kriterium für die Beantwortung der Frage, ob ein neuartiges Lebensmittel i m Sinne der Novel Food- Verordnung vorliegt. M i t diesem Tatbestandsmerkmal sind allerdings Probleme verbunden: Was bedeutet „ i n nennenswertem Umfang"? Kann die Neuartigkeit, wenn sie einmal vorliegt, wieder entfallen? Wie verhält sich die Neuartigkeit i. S. d. N F V O zum Rückwirkungsverbot?
(a) Nennenswerter Umfang Was das Kriterium des nennenswerten Umfanges betrifft, so wird in der Literatur bezweifelt, dass es hinreichend justitiabel ist: Zwar wird nicht die hinreichende Bestimmtheit des unbestimmten Rechtsbegriffes „nennenswert" in Frage gestellt. Es sei aber nicht klar, ob ein nennenswerter Umfang nur mengenmäßig vorliegen könne. Der Wortlaut lasse auch zu, von einem zeitlich (wie lange schon wird ein bestimmtes Lebensmittel in der Gemeinschaft verzehrt?) oder geographisch (in welchen Teilen der Gemeinschaft wird das Produkt verzehrt?) nennenswerten Umfang zu sprechen. 203 Zunächst ist festzuhalten, dass logisch auch ein Verbrauch über längere Zeit oder in weiten Teilen der Gemeinschaft immer noch ein mengenmäßiger Verbrauch ist, wenn man nur die Summe der zeitlichen oder geographischen Addition betrachtet. Außerdem spricht der Wortlaut mancher Fassungen der N F V O und der Normzweck dafür, auch einen zeitlich oder geographisch nennenswerten Umfang ausreichen zu lassen. Einige Versionen verzichten nämlich auf den Begriff Umfang und beziehen sich nur auf einen (nicht) „zu vernachlässigenden Gebrauch", 2 0 4 wonach auch ein zeitlich oder räumlich bedeutender Verbrauch erfasst wäre. Der sprachliche Unterschied zu den übrigen Fassungen der N F V O ist nach allgemeinen Grundsätzen 205 wegen der Gleichwertigkeit der verschiedenen Fassungen entsprechend dem Gedanken von Art. 33 W V R K dadurch zu lösen, dass die gesetzgeberische Intention ermittelt wird. Die N F V O wurde mit ihrem Zulassungsverfahren und ihren Kennzeichnungsvorschriften insbesondere wegen verbleibender Bedenken gegenüber neuartigen Lebensmitteln erlassen. 206 Umgekehrt sind die Handelsbeschränkungen der N F V O nicht notwendig für solche Produkte, die bereits etabliert sind und über die es daher ausreichende Erfahrungswerte in der Gemeinschaft gibt. Deshalb 203
So Schroeter (Rn. 196), S. 399. Etwa die französische Version umschreibt den nennenswerten Umfang mit den Worten: „pour lesquels la consommation humaine est jusqu'ici restée négligeable"; ähnlich ist beispielsweise die portugiesische Fassung („ainda näo significativamente utilizados"). 205 Ygi z u m Problem der sprachlichen Unterschiede bei Sekundärrecht EuGH, Rs. 100/84, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1985, S. 1169 ff.; Oppermann, Europarecht, Rn.683; Streinz, Europarecht, Rn.240ff. m.w.N. 204
206
4*
Siehe oben S.41 ff. zu den Erwägungsgründen der NFVO.
52
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
knüpft die N F V O in ihrer deutschen Fassung an den nennenswerten Umfang des bisherigen Verbrauches an, weil aufgrund des Umfanges genügend Erfahrungen mit dem betreffenden Lebensmittel gemacht worden sein sollen. Genügend Erfahrungswerte liegen allerdings auch dann vor, wenn der Umfang des bisherigen Verzehrs (und damit das Ausmaß der Erfahrungen) nicht punktuell und nur in einem M i t gliedstaat nennenswert ist. Vielmehr kann sich das Wissen aufgrund des bisherigen Verzehrs auch daraus ergeben, dass die Informationen in verschiedenen Mitgliedstaaten oder erst i m Laufe einer gewissen Zeit gemacht wurden. Der von 1 I I 1 N F V O anvisierte Umfang kann also auch in räumlicher oder zeitlicher Hinsicht nennenswert sein. Der Begriff ist hinreichend deutlich und justitiabel.
(b) Nachträglicher Wegfall der Neuartigkeit Teilweise wird i m Schrifttum behauptet, die einmal festgestellte Neuartigkeit eines Lebensmittels nach Art. 1 I I N F V O könne nicht zeitlich unbegrenzt sein. Dies ergebe sich schon aus einem wertenden Vergleich mit dem Wettbewerbsrecht. Wenn dort das Recht, ein Produkt als „neuartig" zu bezeichnen, zeitlich begrenzt sei, müsse dies spiegelbildlich auch für die NFVO gelten, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. 2 0 7 Diese Auffassung verkennt jedoch die Zielsetzung von Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht nach N F V O und der nach Wettbewerbsrecht nur zeitlich beschränkten Werbemöglichkeit: Sowohl die nach Wettbewerbsrecht zeitlich beschränkte Werbemöglichkeit als auch Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht nach N F V O schützen Mitbewerber und den Verbraucher, der keine falschen Vorstellungen über Eigenschaften des Produktes haben soll. 2 0 8 Die Auszeichnung „neuartig" als positive Werbung und eine Kennzeichnung über die Anwendung gentechnischer Verfahren drücken dementsprechend andere Dinge aus. Eine zeitliche Beschränkung der Neuartigkeit und damit der Kennzeichnungspflicht nach N F V O liefe der Intention des Verbraucherschutzes zuwider. Daher ist der Hinweis auf den vermeintlichen Wertungswiderspruch verfehlt. Im Schrifttum findet sich ein zweiter Ansatz, warum eine einmal gegebene Neuartigkeit nicht unbegrenzt andauern könne: Wenn ein Wettbewerber ein in den Anwendungsbereich der N F V O fallendes Produkt nach Zulassung gemäß der NFVO auf den europäischen Markt bringe und es entsprechend den Anforderungen der N F V O kennzeichne und sich dieses Produkt auf dem Markt etabliere, werde es irgendwann in nennenswertem Umfang verzehrt. Dementsprechend müsse ein zweiter Wettbewerber, der (unter Einhaltung der patentrechtlichen Vorschriften) ein 207 In diesem Sinne Schroeter, Anwendungsprobleme der Novel Food-Verordnung, ZLR 1997, S. 373 ff. (388 f.); ders. (siehe oben Fn. 196), S.401 ; Grugel, Die Novel Food-Verordnung in der Praxis, ZLR 1998, S.71 ff. (76); zweifelnd dagegen Streinz (siehe oben Fn. 189), S. 31. 208 Vgl. zum Irreführungsverbot nach § 3 UWG Baumbach/ Ηeferme hl, § 3 UWG, Rn. 3.
Β. Die Novel Food-Verordnung
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identisches Produkt in Verkehr bringen wolle, sich weder an die Zulassungs- noch an die Kennzeichnungsvorschriften der N F V O halten, weil das Produkt gar nicht mehr in den Anwendungsbereich der N F V O falle. Diese unterschiedliche Behandlung sei für den ersten Inverkehrbringer nicht hinnehmbar, so dass auch für ihn die Anforderungen der N F V O wegfallen müssten. 209 Diese Argumentation beruht auf einer unzutreffenden Auslegung der missverständlichen Wendung „die in dieser bisher noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden" 2 1 0 in Art. 1 I I NFVO. Der Wortlaut ist zweideutig, weil „bisher" einerseits an den Zeitpunkt des Inkrafttretens der NFVO, andererseits an den Zeitpunkt des Inverkehrbringens eines Lebensmittels anknüpfen könnte. Für eine Anknüpfung an einen noch vor Inkrafttreten der NFVO liegenden Zeitpunkt wie etwa die Veröffentlichung des Gemeinsamen Standpunktes 2 1 1 gibt es dagegen keine Hinweise. Daher ist der unklare Wortlaut auszulegen: Die hauptsächliche Intention der N F V O ist, den Verbraucher einerseits dadurch zu schützen, dass bestimmte Produkte nur nach einem Zulassungsverfahren auf den Markt gebracht werden dürfen. Andererseits soll dem Verbraucher durch die Kennzeichnungsvorschriften eine persönliche Entscheidung über den Kauf der betreffenden Produkte vorbehalten bleiben. 2 1 2 Dieser gesetzgeberischen Absicht entspricht es, wenn ein zweiter Inverkehrbringer des gleichen Produktes zwar nicht noch einmal ein Zulassungsverfahren durchlaufen, dafür aber die Kennzeichnungsvorschriften einhalten muss. Diese Auslegung lässt sich ohne weiteres mit dem Wortlaut von Art. 1 I I N F V O in Einklang bringen. „Bisher" knüpft dann nicht an den Zeitpunkt des zweiten Inverkehrbringens an, sondern an den Zeitpunkt des Inkrafttretens der NFVO. Diese zeitliche Anknüpfung des Tatbestandes der N F V O an ihr Inkrafttreten entspricht auch der Intention des Gemeinschaftsgesetzgebers. 213 Folglich lässt sich auch nicht aus dem Problem des zweiten Inverkehrbringens eines einmal zugelassenen Produktes ableiten, dass eine Neuartigkeit i. S. v. Art. 1 I I N F V O nachträglich wegfallen könne. Auch der mit den gerade diskutierten Argumenten verknüpfte Vorschlag, das Ende der Neuartigkeit (jedenfalls de lege ferenda) spiegelbildlich zu ihrem Beginn 209
Vgl. Schroeter (siehe oben Fn. 196), S.401 f. Hervorhebung vom Verfasser; dem „bisher" in der deutschen Fassung entsprechen in den übrigen Versionen der NFVO beispielsweise: „hitherto" in der englischen Fassung, „jusqu'ici" in der französischen, „hasta el momento" in der spanischen, „ainda näo" in der portugiesischen, „non ancora" in der italienischen. 2,1 Dafür Zipfel!Rathke (siehe oben Fn.200), C 150, Art. 1, Rn. 19. 212 Siehe oben S.41 ff. zur ratio legis der NFVO. 213 Erwägungsgrund 5 der VO 1139/98/EG für Bt-Mais und RR-Soja: „Diese zusätzlichen spezifischen Etikettierungsanforderungen [Anm. des Verf.: die nach der NFVO] finden nicht auf Lebensmittel und Lebensmittelzutaten Anwendung, die bereits vor dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 258197 gemeinschaftsweit in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und deshalb nicht als neuartig gelten." (Hervorhebung vom Verf.). 210
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2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
festzulegen und an den Zeitpunkt anzuknüpfen, ab dem das betreffende Lebensmittel in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwandt w i r d , 2 1 4 überzeugt nicht: Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht der N F V O gelten pauschal für die in den Anwendungsbereich fallenden Produkte, weil diese Produkte bestimmte gemeinsame Eigenschaften aufweisen, denen gegenüber nach Auffassung des Gemeinschaftsgesetzgebers Bedenken bestehen, insbesondere hinsichtlich der Anwendung gentechnischer Verfahren. Wegen dieser gemeinsamen Eigenschaft kann auch nur für alle Produkte, die die jeweilige Eigenschaft wie insbesondere die Anwendung gentechnischer Verfahren aufweisen und von der N F V O erfasst sind, bei einem gewachsenen Wissensstand über die Ungefährlichkeit dieser Produkte die Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht in Frage gestellt werden. Ein Wegfall der Neuartigkeit für ein individuelles Produkt ist damit nicht möglich.
(c) Die Neuartigkeit i. S. d. N F V O und das Rückwirkungsverbot Schon nach dem Wortlaut von Art. 1 I I N F V O gilt die N F V O prinzipiell auch für das Inverkehrbringen bereits vor dem Inkrafttreten i m Verkehr befindlicher Lebensmittel, sofern diese nur marginal verbreitet waren. 2 1 5 Es werden im Schrifttum teilweise Zweifel geäußert, ob dadurch ein Inverkehrbringer eines bei Inkrafttreten der N F V O in geringem Umfang auf dem Markt befindlichen Produktes verpflichtet wird, dieses (nicht genehmigte) Produkt zurückzunehmen oder zumindest das weitere Inverkehrbringen bis zur Erlangung einer Genehmigung zu unterlassen. In einer solchen Auslegung läge nach dieser Auffassung ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot. Deshalb wird gefordert, die N F V O auch nicht auf solche Lebensmittel anzuwenden, die bei Inkrafttreten in geringem Umfang in Verkehr waren. Diese Auffassung stützt sich außer auf das Rückwirkungsverbot auch darauf, für die bereits vor Inkrafttreten der N F V O nach der FreisRL 90/220/EWG genehmigten BtMais und RR-Soja habe der Gemeinschaftsgesetzgeber gerade deshalb Kennzeichnungsvorschriften 216 erlassen, weil er selbst die N F V O wegen Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Rückwirkung für nicht anwendbar gehalten habe. 2 1 7 Dieser zweite Gedanke, die Interpretation des gesetzgeberischen Willens, ist unzutreffend. Die Sondervorschriften für die gentechnikspezifische Kennzeichnung von Produkten aus Bt-Mais und RR-Soja hielt der europäische Gesetzgeber nicht deshalb für neben der NFVO notwendig, weil eine umfassendere Auslegung der N F V O dem Rückwirkungsverbot widerspräche. Vielmehr lässt sich den Erwägungsgründen der Sondervorschriften entnehmen, dass die EG-Organe schlicht den Tatbestand von Art. 1 I I N F V O für nicht einschlägig hielten, weil Bt-Mais und RR2,4
So Schroeter (siehe oben Fn. 196), S.402. Vgl. auch Schroeter (siehe oben Fn. 207), S. 376. 216 Siehe unten S.97ff. zu den Sondervorschriften für Bt-Mais und RR-Soja. 217 So insbesondere Schroeter (siehe oben Fn.207), S.376; ders. (siehe oben Fn. 196), S.400; sich ihm anschließend Streinz (siehe oben Fn. 189), S. 31. 215
Β. Die Novel Food-Verordnung
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Soja nach ihrer Auffassung bei Inkrafttreten der N F V O bereits in nennenswertem Umfang im Verkehr gewesen seien. 218 Was die Überlegungen zum Rückwirkungsverbot betrifft, so ist in der Tat das aus den Grundsätzen von Rechtssicherheit und Vertrauensschutz entspringende prinzipielle Rückwirkungsverbot auch für das Europarecht anerkannt. 219 Dabei wird ähnlich wie i m deutschen Verfassungsrecht prinzipiell unterschieden zwischen einer echten (retroaktiven) Rückwirkung, also einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen für bereits abgeschlossene Sachverhalte, und einer unechten (retrospektiven) Rückwirkung, dem Anknüpfen von Rechtsfolgen an in der Vergangenheit begonnene und noch andauernde Sachverhalte. 220 A n diesem Maßstab gemessen, entfaltet Art. 1 I I N F V O jedoch schon nach seinem Wortlaut keine Rückwirkung: Art. 1 I I N F V O gilt nämlich nicht unabhängig von einer Handlung für alle bei Inkrafttreten der NFVO gar nicht oder nur in geringem Umfang verbreiteten Lebensmittel der aufgeführten Kategorien, sondern ausdrücklich nur für deren Inverkehrbringen. Die N F V O gibt keinen zweifelsfreien Hinweis darauf, dass damit auch ein in der Vergangenheit liegendes bereits abgeschlossenes Inverkehrbringen umfasst ist. Ein eindeutiges Indiz wäre aber erforderlich, da nach der Rechtsprechung des EuGH wegen des grundsätzlichen Rückwirkungsverbotes europäischen Normen eine Rückwirkung nur zuzuschreiben ist, „wenn aus dem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen i s t " 2 2 1 . Ein bei Inkrafttreten der N F V O bereits abgeschlossenes Inverkehrbringen löst daher weder Zulassungsnoch Kennzeichnungspflicht aus. Dagegen erfasst Art. 1 I I N F V O den Fall, dass nach Inkrafttreten der NFVO zusätzliche Exemplare eines bereits auf dem Markt befindlichen Produktes in Verkehr gebracht werden. Darin liegt aber keine Rückwirkung, da das Inverkehrbringen dieser Exemplare in der Vergangenheit noch nicht begonnen hatte. Selbst wenn man i m Wege einer Gesamtbetrachtung auf das Inverkehrbringen eines Produktes insgesamt abstellte und ein Teil dieser Handlung somit vor Inkrafttreten der N F V O läge, wäre dies nur eine unechte Rückwirkung. 2 2 2 Eine solche ist aber auch europarechtlich grundsätzlich zulässig, 223 und es gibt keinen Hinweis, dass der Vertrauensschutz des Inverkehrbringers ausnahmsweise anderes verlangte, zumal die langjährige Entste218
Vgl. den Erwägungsgrund 5 der VO 1139/98/EG (oben zitiert in Fn.213). Vgl. nur die Hinweise bei Pernice in Grabitz/Hilf, Art. 164, Rn. 91; Oppermann (siehe oben Fn. 205), Rn.678f. 220 Oppermann (siehe oben Fn.205), Rn.678f. 221 EuGH, Rs. 212-217/80, Salumi , Slg. 1981, S. 2735 ff. (2751). 222 Auch Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 215, Fn. 36, nimmt allenfalls eine unechte Rückwirkung an. 223 Vgl. EuGH, Rs. 1/73, Westzucker GmbH, Slg. 1973, S. 723 ff.; Oppermann (siehe oben Fn.205), Rn.679. 219
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
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hungsgeschichte der N F V O , 2 2 4 die geringe Marktverbreitung der betreffenden Produkte und die gewichtigen Schutzgüter der N F V O 2 2 5 deutlich gegen ein schutzwürdiges Vertrauen sprechen. Art. 1 I I N F V O verstößt daher nicht gegen das Rückwirkungsverbot. (3) Aufgezählte Fallgruppen Neben der Qualifikation als Lebensmittel oder Lebensmittelzutat und der Neuartigkeit ist die dritte Anwendungsvoraussetzung nach Art. 1 I I NFVO, dass das Produkt in eine der aufgezählten Kategorien fällt. Dabei wird deutlich, dass die NFVO zwar in erster Linie, aber nicht ausschließlich auf Lebensmittel abzielt, bei deren Produktion gentechnische Verfahren angewandt worden sind. Die Anwendung gentechnischer Verfahren ist erfasst durch die Gruppen (a) und (b) (Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten mit oder aus gentechnisch veränderten Organismen), außerdem kommt die Gruppe (f) (nach neuen Verfahren hergestellte Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten) in Betracht. (a) Gentechnisch veränderte Lebensmittel oder -zutaten (Kategorien (a) und (b)) Die Gruppen (a) (Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die gentechnisch veränderte Organismen i m Sinne der FreisRL 90/220/EWG enthalten oder aus solchen bestehen) und (b) (Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt wurden, solche jedoch nicht enthalten) erfassen gentechnisch veränderte Lebensmittel. Lebensmittel der Gruppe (a) unterscheiden sich dabei von solchen der Gruppe (b) dadurch, dass die Erstgenannten noch gentechnisch veränderte Organismen enthalten. Von den oben 2 2 6 genannten Anwendungsbeispielen für gentechnisch veränderte Lebensmittel fallen etwa gentechnisch veränderte Tomaten oder auch Fisch unter die Kategorie (a). 2 2 7 In die Kategorie (b) gehören solche Lebensmittel oder -zutaten, die aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt worden sind, aber solche nicht mehr enthalten. Allerdings sind schon nach dem Wortlaut Lebensmittel nicht erfasst, die nicht aus, sondern nur mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen hergestellt werden. 2 2 8 Maßgeblich ist also die Verwendung i m Endprodukt nicht mehr vorhandener gentechnisch veränderter Organismen zur Herstellung, wobei im Endprodukt noch aus dem gentechnisch veränderten Organismus gewonnene Stoffe 224 225 226
Siehe oben S. 33 ff. zur langwierigen Entstehungsgeschichte der NFVO. Siehe oben S.40 zu den Schutzgütern der NFVO. Siehe oben S. 19 ff. zur Anwendung gentechnischer Verfahren in der Lebensmittelindus-
trie. 227 228
Vgl. Groß (siehe oben Fn.222), S.220. So jetzt ausdrücklich klarstellend KOM (2001) 425 endg., Erwägungsgrund 15.
Β. Die Novel Food-Verordnung
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vorhanden sein müssen. Ein wichtiges Beispiel für die Kategorie (b) ist Pflanzenöl aus transgenen Ölsaaten. 229 Problematisch kann insbesondere bei Kategorie (b) i m Einzelfall der Nachweis sein, ob ein Produkt aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt wurde. 2 3 0 Gerade bei Raffinationsvorgängen zur Herstellung von Ö l und Zucker ist i m Endprodukt jedenfalls i m Idealfall keine D N A mehr vorhanden, mit deren Hilfe eine gentechnische Veränderung des Ausgangsproduktes nachgewiesen werden könnte. 2 3 1 Nach neuesten Hinweisen könnte es immerhin künftig möglich sein, auch aus raffinierten Ölen amplifikationsfähige D N A zu isolieren. 2 3 2 Ebenfalls ist nicht völlig unumstritten, ob Tierprodukte wie Fleisch, Eier und M i l c h als gentechnisch hergestellte Lebensmittel im Sinne von Art. 1 I I N F V O anzusehen sind, wenn die Tiere mit transgenem Mais oder Soja gefüttert worden sind. Die zutreffende herrschende Meinung stellt darauf ab, dass die D N A aus den Futtermitteln i m tierischen Organismus verstoffwechselt wird, und verneint deshalb für die Tierprodukte das Vorliegen eines gentechnisch veränderten Lebensmittels i. S. d. NFVO.233 Einen weiteren praktisch bedeutsamen Problemfall stellt es dar, wenn beispielsweise in Schiffsladungen aus Nordamerika gentechnisch veränderte Sojabohnen und konventionelle Sojabohnen vermischt werden. Ein ähnliches Problem gibt es etwa bei Honig, wenn Honigbienen auch Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen in ansonsten aus Pollen unveränderter Pflanzen hergestellten Honig einbringen, oder bei einer Auskreuzung durch Pollenflug. Hier stellt sich die Frage, ob solche Lebensmittel aus dem Anwendungsbereich der NFVO herausfallen, die nur mengenmäßig unbedeutsame, technisch unvermeidbare Anteile gentechnisch veränderten Materials enthalten. 234 Die N F V O löst dieses Problem nicht ausdrücklich; sie enthält lediglich in Erwägungsgrund 9 einen Hinweis darauf, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber insbesondere i m Falle von Großlieferungen eine modifizierte Kennzeichnung dergestalt erlaubt, dass auf das mögliche Vorhandensein gentechnischer Veränderungen hingewiesen wird. Die VO 49/2000/EG führt für das entsprechende Problem bei Bt-Mais und RR-Soja einen Schwellenwert von 1 % für zufällige Verunreinigungen ein. Daraus dass somit zwei Arten einer Sonderbehandlung 229
Steinhart! Βiernoth (siehe oben Fn. 23), S. 63 ff. Vgl. zu den gegenwärtigen Nach weis verfahren insbesondere Schauzu, Nachweismöglichkeiten der gentechnischen Herkunft in der Praxis, in Streinz (Hrsg.), Neuartige Lebensmittel, S. 147 ff.; Hemmer/Pauli, Labelling of Food Products Derived from Genetically Engineered Crops - a Survey on Detection Methods, EFLR1998, S.27 ffJany/Greiner (siehe oben Fn.9), 3. 231 Steinhart/Biernoth (siehe oben Fn.23), S.70. 232 Schauzu (siehe oben Fn. 230), S. 150. 233 Steinhart/Biernoth (siehe oben Fn.23), S.71; so jetzt auch die Klarstellung in KOM (2001) 425 endg., Erwägungsgrund 15. 234 Dafür Steinhart/Biernoth (siehe oben Fn.23), S.72; dagegen Lange (siehe oben Fn. 19), S.250. 230
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
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für zufällige geringfügige Kontaminationen zur Verfügung stehen, lässt sich i m Gegenschluss folgern, dass derartige Produkte nicht völlig aus dem Anwendungsbereich der N F V O herausfallen, sondern nur Besonderheiten hinsichtlich der Kennzeichnung bestehen. 235 (b) Die Kategorien (c), (d) und (e) Diese Gruppen betreffen nicht mehr den Anwendungsbereich gentechnischer Verfahren bei Lebensmitteln. Ein in der Praxis bedeutsames Anwendungsbeispiel für Lebensmittel mit neuer oder gezielt modifizierter primärer Molekularstruktur (Gruppe (c)) sind bestimmte Fettersatzstoffe, die vom Körper unverdaut wieder ausgeschieden werden. 2 3 6 Ein Beispiel für Lebensmittel aus Mikroorganismen, Pilzen oder Algen (Gruppe (d)) ist der aus Schimmelpilzen hergestellte Fleischersatz „ Q u o r n " . 2 3 7 Ein Beispiel für die Gruppe (e), die besonders auf in der Europäischen Gemeinschaft bislang unbekannte Produkte abzielt, können bestimmte exotische Pflanzenarten sein. 2 3 8 (c) Lebensmittel oder -zutaten mit unüblichem Herstellungsverfahren (Kategorie (f)) In die Kategorie (f) fallen beispielsweise hochdruckpasteurisierte Lebensmittel oder Lebensmittel mit Oberflächensterilisierung durch energiereiche Lichtblitze. 2 3 9 Für bestrahlte Produkte gelten dagegen hinsichtlich der Bestrahlung eigene Vorschriften. 2 4 0 Nach in Europa traditionellen Verfahren hergestellte neuartige Lebensmittel sind ebenfalls nicht erfasst, da Art. 1 I I (f) NFVO neben der Neuartigkeit ein unübliches Herstellungsverfahren und eine dadurch bewirkte bedeutende Änderung des Lebensmittels voraussetzt. Die N F V O gilt daher nicht für alle neuartigen Lebensmittel. 2 4 1 Teilweise wird erwogen, wegen des unüblichen Herstellungsverfahrens gentechnisch veränderte Lebensmittel in die Kategorie (f) einzuordnen, sofern sie nicht bereits von den Gruppen (a) oder (b) erfasst sind. 2 4 2 Diese Auffassung überzeugt aber 235
Siehe unten zur Sonderkennzeichnung bei geringfügigen Beimischungen S.89f. Steinhart/Biernoth (siehe oben Fn.23), S.70. 237 Steinhart!Biernoth (siehe oben Fn.23), S.70f. 238 Steinhart!Biernoth (siehe oben Fn.23), S.71. 239 Steinhart/Biernoth (siehe oben Fn.23), S.71. 240 Groß (siehe oben Fn. 222), S. 255 f. 241 Vgl. zu dieser Beschränkung des Anwendungsbereiches auch Groß (siehe oben Fn. 222), S.227, 230. 242 So Steinhart!Biernoth (siehe oben Fn.23), S.71; Groß (siehe oben Fn.222), S.210f.; im Sinne der hier vertretenen Gegenansicht dagegen Cozigou, Un nouveau cadre juridique pour les applications biotechnologiques dans le secteur alimentaire: le règlement „Nouveaux aliments", Revue du marché unique européen 1997, S.67ff. (75). 236
Β. Die Novel Food-Verordnung
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aus systematischen Erwägungen schon deshalb nicht, weil ansonsten sowohl Kategorie (a) als auch Kategorie (b) überflüssig wären. Ferner spricht gegen die Subsumtion gentechnisch veränderter Lebensmittel unter die Kategorie (f), dass die Kommission in ihrem im Juli 2001 vorgelegten Vorschlag für eine Verordnung für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel betont, dass bestimmte gentechnisch veränderte Lebensmittel wie insbesondere mit Hilfe von gentechnisch veränderten Enzymen hergestellter Käse auch von der jetzigen N F V O nicht erfasst sind. 2 4 3 Ein weiteres Indiz dafür, dass die Einordnung von Gentechnik in die Kategorie (f) auch kaum der Absicht des Gesetzgebers entsprechen dürfte, findet sich in der Empfehlung der Kommission 97/618/EG 2 4 4 , in deren Ausführungen über nach neuartigen Verfahren hergestellten Lebensmitteln (was der Kategorie (f) entspricht 2 4 5 ), gentechnische Verfahren keine Rolle spielen. 2 4 6 Obwohl Empfehlungen nach Art. 249 UAbs. 5 EG unverbindlich sind, sind nach Auffassung des EuGH sogar mitgliedstaatliche Gerichte verpflichtet, Empfehlungen „zu berücksichtigen' 4 , insbesondere wenn sie zur Ergänzung verbindlichen Gemeinschaftsrechts ergehen. 247 Die Empfehlung, deren Ermächtigungsgrundlage Art. 4 I V N F V O ist, betrifft unmittelbar nur das Genehmigungsverfahren der N F V O und nicht den Anwendungsbereich, stellt jedoch ein Indiz für die Auslegung der Regeln über den Anwendungsbereich durch die EG-Organe dar.
(4) Inverkehrbringen Schließlich ist Tatbestandsvoraussetzung von Art. 1 NFVO, dass ein Produkt in Verkehr gebracht wird. Der Begriff des Inverkehrbringens wird von der N F V O selbst nicht näher definiert. Vielmehr greift die N F V O mit dem Begriff des Inverkehrbringens auf die Terminologie der horizontalen FreisRL 90/220/EWG zurück. Nach Art. 2 Nr. 5 FreisRL 90/220/EWG ist Inverkehrbringen i m Sinne der FreisRL 90/220/EWG die Abgabe an Dritte oder die Bereitstellung für Dritte. Da die horizontale FreisRL 90/220/EWG vor Inkrafttreten der N F V O auch das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Lebensmittel regelte, spricht nichts dagegen, das Inverkehrbringen für die NFVO jedenfalls grundsätzlich so auszulegen wie für die FreisRL 90/220/EWG, so dass insoweit die Forschungsergebnisse über das Inver243
Vgl. KOM (2001) 425 endg., Erwägungsgrund 15. Empfehlung der Kommission vom 29. Juli 1997 zu den wissenschaftlichen Aspekten und zur Darbietung der für Anträge auf Genehmigung des Inverkehrbringens neuartiger Lebensmittel und Lebensmittelzutaten erforderlichen Informationen sowie zur Erstellung der Berichte über die Erstprüfung gemäß der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EG 1997 Nr. L 253/1. 245 Vgl. Schroeter, Das Antrags- und Prüfungsverfahren nach der Novel Food-Verordnung, ZLR 1998, S. 39ff. (42). 246 Vgl. Teil 1, 4., Kategorie 6 der Empfehlung 97/618/EG. 247 EuGH, Rs. 322/88, GrimaldilFonds des Maladies Professionnelles, Slg. 1989, S.4407 ff., Rn. 18. 244
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2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
kehrbringen i. S. d. FreisRL 90/220/EWG auch für die N F V O Gültigkeit beanspruchen können. 2 4 8 c) Die Bereichsausnahme nach Art. 2 NFVO Während Art. 1 N F V O den Anwendungsbereich der N F V O positiv beschreibt, nimmt Art. 2 N F V O bestimmte Produkte aus dem Anwendungsbereich heraus. Es handelt sich um Lebensmittelzusatzstoffe, Aromen und Extraktionslösungsmittel, die unter genau aufgeführte spezielle sekundärrechtliche Vorschriften fallen. 2 4 9 Gemäß Art. 2 I I N F V O gilt diese Bereichsausnahme nur, solange das Sicherheitsniveau der N F V O dem der aufgeführten speziellen Sekundärrechtsnormen entspricht. 250 Art. 2 I I I N F V O verpflichtet die Kommission sicherzustellen, dass die Sicherheitsniveaus der N F V O und der genannten Sekundärnormen sich entsprechen. ( 1 ) Wirkung
der Bereichsausnahme
Seit Erlass der N F V O wird heftig darüber diskutiert, wie die Bereichsausnahme in Art. 2 N F V O zu interpretieren ist: Vor allem bis zum Erlass der VO 50/2000/EG für Lebensmittel und -zutaten mit gentechnisch veränderten Zusatzstoffen und Aromen wurde wegen der damals völlig fehlenden Kennzeichnungsvorschriften für Gentechnik in den Sondervorschriften für Zusatzstoffe, Aromen und Extraktionslösungsmittel die Gleichwertigkeit des Sicherheitsniveaus der Sondervorschriften für diese Stoffe mit dem der N F V O bezweifelt und damit die Bereichsausnahme in Frage gestellt. Dann wäre auf Zusatzstoffe, Aromen und Extraktionslösungsmittel die N F V O anwendbar. 251 Dies war und ist nicht die Auffassung des Gemeinschaftsgesetzgebers, denn wenn die Bereichsausnahme mangels Gleichwertigkeit der Sicherheitsniveaus nicht gälte, wäre für die gentechnikspezifische Kennzeichnung Art. 8 N F V O anwendbar gewesen und die V O 50/2000/EG mit ihren Kennzeichnungsvorschriften für Lebensmittel und -zutaten mit gentechnisch veränderten Zusatzstoffen und Aromen hätte nicht erlassen werden müssen. 252 248
So auch Groß (siehe oben Fn.222), S.237; Gorny, Novel-Foods-Verordnung und Gentechnikgesetz, ZLR 1993, S. 105 ff. (109); vgl. auch Di Fabio (siehe oben Fn.6), Rn. 181; vgl. zum Inverkehrbringen i.S.d. FreisRL insbesondere v.Kameke (siehe oben Fn. 17), S.54ff.; Di Fabio (siehe oben Fn.6), Rn.90ff. mit Verweis auf die Guidance for Interpretation of the Term „Placing on the Market " with reference to directive 9012201EEC (abgedruckt bei Schenek (siehe oben Fn. 8), S.289). 249 Siehe oben Fn. 155 zu den in Bezug genommenen Normen. 250 Vgl. zur Reihenfolge der Formulierung auch Groß (siehe oben Fn.222), S.252f. 251 In dieser Richtung Streinz (siehe oben Fn. 128), S.489, 491; Rehbinder, (siehe oben Fn. 156), S. 10; unklar, aber wohl wie die in dieser Arbeit vertretene Ansicht Groß (siehe oben Fn.222), S.238ff.; nach Zipfel/Rathke (siehe oben Fn.200), C 150, Art.2, Rn. 13f., begründet dagegen das Fehlen von Kennzeichnungsvorschriften als Element der Aufmachung eines Produkt kein anderes Schutzniveau. 252 Vgl. auch Erwägungsgrund 1 der VO 50/2000.
Β. Die Novel Food-Verordnung
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Die Auffassung des Gemeinschaftsgesetzgebers überzeugt. Es mag zwar zutreffen, dass vor Einführung der Kennzeichnungspflicht (und wegen der Beschränkung der V O 50/2000/EG auf Zusatzstoffe und Aromen gilt dies auch jetzt noch für Extraktionslösungsmittel) das Sicherheitsniveau der Sondervorschriften dem der N F V O nicht entsprach. Damit ist aber nur festgestellt, dass die Prämisse von Art. 2 N F V O nicht zutrifft, das Sicherheitsniveau sei gleich. Dennoch ist die Bereichsausnahme hinzunehmen, denn der Wortlaut von Art. 2 I I N F V O schließt die genannten Produkte aus dem Geltungsbereich aus, „solange" sich die Sicherheitsniveaus entsprechen, nicht „insoweit", „wenn", „falls" oder dergleichen. 253 Aus Art. 2 I I I N F V O ergibt sich nichts anderes, denn die Norm verlangt nur von der Kommission sicherzustellen, dass sich die Sicherheitsniveaus entsprechen, ohne eine Aussage darüber zu machen, ob dies gegenwärtig der Fall ist oder nicht. Ferner ist zu berücksichtigen, dass Erwägungsgrund 3 der N F V O Zusatzstoffe, Aromen und Extraktionslösungsmittel, die den genannten Sondervorschriften unterfallen, pauschal und ohne Einschränkung bezüglich des Sicherheitsniveaus vom Anwendungsbereich der N F V O ausnimmt. 2 5 4 Außerdem müsste der Inverkehrbringer andernfalls ständig auf sein Risiko hin überprüfen, ob und inwieweit die Sicherheitsniveaus der Sonderregeln dem der NFVO entsprechen. Dies wäre nicht nur eine übermäßig schwere Bürde für ihn, sondern es widerspräche auch dem ausdrücklichen Auftrag von Art. 2 I I I NFVO, die Kommission solle die Gleichwertigkeit der Schutzniveaus sicherstellen. Dementsprechend ist der Auffassung zuzustimmen, die Bereichsausnahme für Zusatzstoffe, Aromen und Extraktionslösungsmittel gelte unabhängig davon, dass eine Kennzeichnungspflicht hinsichtlich des Einsatzes gentechnischer Methoden erst jetzt und auch nicht für Extraktionslösungsmittel eingeführt wurde. 2 5 5
(2) Praxisrelevante Lücken zwischen den Sondervorschriften für Zusatzstoffe, Aromen und Extraktionslösungsmittel und der NFVO Die Bereichsausnahme gemäß Art. 2 N F V O gilt ausdrücklich nur für solche Zusatzstoffe, Aromen und Extraktionslösungsmittel, die auch tatsächlich in den Anwendungsbereich der in Art. 2 I N F V O genannten Sekundärrechtsnormen fallen. Von denjenigen Stoffen, die nicht unter diese Sondervorschriften fallen, sind diejenigen von der NFVO erfasst, bei denen es sich zumindest um eine Lebensmittelzutat handelt. Deswegen gilt es zu untersuchen, welche praxisrelevanten Lücken zwi253 Die übrigen Fassungen entsprechen der deutschen Version an dieser Stelle: beispielsweise „for so long as... correspond" in der englischen Version, „tant que... équivaudront" in der französischen Version. 254 Dederer (siehe oben Fn. 180), S.251, Fn.40. 255 So auch Dederer, (siehe oben Fn. 180), S. 251, Fn. 40, und Schroeter (siehe oben Fn. 196), S.405.
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
62
sehen N F V O und den Regeln für Zusatzstoffe, Aromen und Extraktionslösungsmittel bestehen. Verarbeitungshilfsstoffe fallen nach Art. 1 l i l a der R L 89/107/EWG 2 5 6 nicht in den Anwendungsbereich der Regeln für Zusatzstoffe; sie sind nach der Definition in der Fußnote 6 der R L 89/107/EWG aber auch keine Lebensmittelzutaten. Da nicht ersichtlich ist, wieso der Zutatenbegriff in der N F V O ein anderer sein sollte, fallen daher Verarbeitungshilfsstoffe jedenfalls ganz regelmäßig weder unter die Regeln für Zusatzstoffe noch unter die N F V O . 2 5 7 Einen weiteren Problemfall stellen Enzyme dar. Enzyme sind, wie oben ausgeführt, mittlerweile ein wichtiger Anwendungsfall für den Einsatz gentechnischer Verfahren in der Lebensmittelindustrie. 258 Regelmäßig fallen Enzyme nicht unter das europäische Zusatzstoffregime, so dass die Sondervorschriften für Zusatzstoffe nur in Ausnahmefällen auch für Enzyme gelten. Normalerweise sind Enzyme Verarbeitungshilfsstoffe und fallen daher praktisch nicht in den Anwendungsbereich der NFVO. Dagegen können Enzyme von der N F V O erfasst sein, wenn sie noch i m Endprodukt enthalten sind. Gewöhnlich gelten aber für Enzyme weder die Regeln für Zusatzstoffe noch die N F V O . 2 5 9
3. Die Zulassungspflicht für das Inverkehrbringen gentechnisch modifizierter Lebensmittel Nach der Reichweite des Eingriffes in die Freiheit des Handelsverkehrs soll i m Folgenden dargestellt werden, mit welcher Intensität die NFVO den Handelsverkehr einschränkt. Dazu sind die beiden Handelsbarrieren der NFVO näher zu untersuchen, zum einen das Zulassungsverfahren, zum anderen die Kennzeichnungsvorschriften. Durch die Zulassungspflicht für die in den Anwendungsbereich der NFVO fallenden neuartigen Lebensmittel - insbesondere gentechnisch veränderte Lebensmittel i. S. v. Art. 111(a), (b) N F V O - durchbricht die N F V O das im Lebensmittelrecht i m Allgemeinen gültige Missbrauchsprinzip, wonach Lebensmittel ohne vorherige Zulassung in Verkehr gebracht werden dürfen. 2 6 0 Vergleichbare Zulassungsregeln vor dem Inverkehrbringen von Produkten gibt es insbesondere i m Pflanzenschutzrecht und i m Arzneimittelrecht. 2 6 1 Die Einführung einer derartigen Zulassungspflicht 256
Siehe oben Fn. 155 zur RL 89/107/EWG. Vgl. Schroeter (siehe oben Fn. 196), S.406f., auch zu dem eher theoretischen Ausnahmefall, dass für das Lebensmittel, zu dessen Produktion der betreffende Verarbeitungshilfsstoff eingesetzt wird, Art. 1 II (f) NFVO einschlägig ist. 258 Siehe oben S. 20. 259 Schroeter (siehe oben Fn. 196), S.406. 260 Siehe oben Fn. 118 f. zum Missbrauchsprinzip und zu Ausnahmen davon. 261 Vgl. dazu Huber (siehe oben Fn.4), S.288. 257
Β. Die Novel Food-Verordnung
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stellt, wie unten 2 6 2 näher ausgeführt wird, einen Eingriff in die Freiheit des Handelsverkehrs dar, und zwar nicht erst dann, wenn für ein konkretes Produkt wegen einer fehlenden Zulassung der Vertrieb untersagt w i r d . 2 6 3 Dies ergibt sich daraus, dass das rechtmäßige Inverkehrbringen eines neuartigen Lebensmittels nur nach Durchführung eines zeitlich und finanziell aufwendigen ZulassungsVerfahrens möglich ist. 2 6 4 Bei der näheren Untersuchung der Zulassungsregeln stehen folgende Aspekte i m Mittelpunkt: Inwiefern knüpfen die Zulassungsregeln an den oben 2 6 5 dargestellten Tatbestand von Art. 1 I I N F V O an? Was für Arten des Zulassungsverfahrens gibt es, und in welchen Fällen gelten sie? Was sind ihre verfahrensmäßigen Besonderheiten und materiellen Voraussetzungen?
a) Anwendungsbereich
der Zulassungsregeln
Die Vorschriften der N F V O über die Zulassung neuartiger Lebensmittel und -zutaten entsprechen nicht gänzlich dem oben dargestellten Anwendungsbereich der NFVO. Nach Art. 3 I I UAbs. 1 N F V O sind die Vorschriften über die Genehmigung (Artt. 4, 6, 7, 8 NFVO) zwar prinzipiell für alle in den Anwendungsbereich der N F V O fallenden Produkte anwendbar. Eine erste Ausnahme beschreibt aber Art. 3 I I UAbs. 2 NFVO, wonach bei Lebensmitteln oder -zutaten, die aus den Richtlinien 70/457/EWG (Sortenkatalogsrichtlinie für landwirtschaftliche Pflanzenarten) 266 und 70/458/EWG (Gemüsesaatgutsrichtlinie) 2 6 7 unterfallenden Pflanzen hergestellt sind, die Genehmigungsentscheidung i m Rahmen der in diesen Richtlinien vorgesehenen Verfahren getroffen wird, sofern dabei die in der NFVO definierten Prüfungsgrundsätze sowie die Zulassungskriterien der N F V O berücksichtigt werden. Diese Regelung entspricht dem one-door-one-key-Prinzip, was aber dadurch eingeschränkt wird, dass die Kennzeichnung ausdrücklich nach Artt. 8, 13 N F V O erfolgen soll, also möglicherweise ein weiteres Verfahren (nach Art. 13 NFVO) durchlaufen w i r d . 2 6 8 262
Ausführlich zum Eingriffscharakter der Zulassungspflicht unten S. 81 ff. Zweifelnd noch Streinz, Die Novel Food-Verordnung - Handelshemmnis im internationalen Warenverkehr? in ders. (Hrsg.), Neuartige Lebensmittel, S. 239ff. (260). 264 Vgl. Berg (siehe oben Fn. 180), S. 385; vgl. zu den volkswirtschaftlichen Risiken derartiger Zulassungsverfahren (Abwanderung der Unternehmen ins Ausland, Fehlallokation von Ressourcen, Verschiebung der Marktanteile zugunsten von Großunternehmen) Oberenderl Herzberg/Kienle (siehe oben Fn. 174), S.57f. 265 Siehe oben S.48ff. zum Tatbestand von Art. 1 II NFVO. 266 ABl. EG 1970 Nr. L 225/1, http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc7smartapi Icelexapi! prod!CELEXnumdoc&lg=DE&numdoc=370L0457&model=guichett. 267 ABl. EG 1970Nr.L225/7,http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc7smartapi Icelexapi! prod!CELEXnumdoc&lg=DE&numdoc=370L0458&model=guichett. 268 Schroeter, Verfahrensrechtliche Regelungen der Novel Food-Verordnung, in Streinz (Hrsg.), Neuartige Lebensmittel, S. 113ff. (130), Groß (siehe oben Fn.222), S.318ff. 263
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2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
Eine weitere Ausnahme sieht Art. 3 I I I N F V O vor. Hiernach gelten die Zulassungsregeln nicht für Produkte i. S. v. Art. 1 I I (b) N F V O (Lebensmittel und -zutaten, die aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt wurden, solche jedoch nicht enthalten), wenn der betreffende gentechnisch veränderte Organismus selbst nach den Vorschriften der N F V O in Verkehr gebracht wird. Zurecht wird i m Schrifttum darauf hingewiesen, dass für die unter Art. 3 I I I N F V O fallenden Produkte auch keine Anzeige erforderlich ist. Dies ergibt sich daraus, dass Art. 3 I I I N F V O zu dem die Anzeige regelnden Art. 3 I V N F V O speziell ist. Außerdem schließt Art. 3 I I I N F V O die Anwendung von Art. 3 I I N F V O aus, dessen Anwendbarkeit die Mindestvoraussetzung auch für die Anzeigeregeln ist. 2 6 9 Schwieriger zu beantworten ist dagegen die Frage, ob für die unter Art. 3 I I I N F V O fallenden Lebensmittel und -zutaten die Kennzeichnungsregeln nach Art. 8 N F V O gelten. Hiergegen spricht, dass Art. 3 I I I N F V O anders als die dargestellte Ausnahmeregel Art. 3 I I UAbs. 2 NFVO nicht explizit vorschreibt, dass die Kennzeichnungsregeln der N F V O anwendbar sind. Jedoch ist dieser ausdrückliche Hinweis in Art. 3 I I UAbs. 2 N F V O lediglich deklaratorisch, denn Art. 3 I I UAbs. 1 N F V O erklärt nur, dass die Genehmigungsentscheidung für die betreffenden Produkte i m Rahmen der Genehmigung nach den erwähnten Richtlinien zu treffen ist, und macht keine Aussage über die Kennzeichnung, so dass die Kennzeichnungsregeln nach Art. 8 N F V O auch ohne den klarstellenden Hinweis gälten. Dementsprechend ist es auch unschädlich, dass Art. 3 I I I N F V O diesen klarstellenden Hinweis nicht enthält, so dass auch im Bereich von Art. 3 I I I N F V O die Kennzeichnung nach Maßgabe von Art. 8 N F V O zu beurteilen ist. 2 7 0 Schließlich enthält Art. 3 I V N F V O den problematischsten Ausnahmefall. Nach dieser Vorschrift ist für Produkte i. S. v. Art. 111(b) (Lebensmittel und -zutaten, die aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt wurden, solche jedoch nicht enthalten), (d) (Lebensmittel und -zutaten aus Mikroorganismen, Pilzen oder A l gen) und (e) (exotische Lebensmittel und -zutaten) kein Genehmigungsverfahren durchzuführen, sondern nur eine Anzeige nach Maßgabe von Art. 5 N F V O erforderlich, wenn die betreffenden Produkte hinsichtlich bestimmter Kriterien im Wesentlichen gleichwertig sind gegenüber bestehenden Lebensmitteln. Wegen der problematischen Tatbestandsfassung und der erheblichen praktischen Konsequenz dieser Erleichterung gegenüber dem allgemeinen Genehmigungsverfahren auch für den außereuropäischen Inverkehrbringer ist näher zu beleuchten, in welchen Fällen eine bloße Anzeige ausreicht.
269 270
Schroeter (siehe oben Fn. 268), S. 131 ; Groß (siehe oben Fn. 222), S. 277. So im Ergebnis auch Schroeter (siehe oben Fn.268), S. 131.
Β. Die Novel Food-Verordnung b) Art des Zulassungsverfahrens:
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Genehmigung/Anzeige
Die N F V O versucht, dem unterschiedlichen Risikopotential der in ihren Anwendungsbereich fallenden Lebensmittel und -zutaten dadurch gerecht zu werden, dass sie in bestimmten Fällen eine Anzeige genügen lässt. Gegenüber dem zunächst auf mitgliedstaatlicher und anschließend gegebenenfalls auf gemeinschaftlicher Ebene durchgeführten zweistufigen Genehmigungsverfahren handelt es sich um eine erhebliche Erleichterung für den Inverkehrbringer neuartiger Lebensmittel. 2 7 1 Insofern versucht die NFVO, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu entsprechen. 272 Die Anzeige reicht für das Inverkehrbringen unter zwei Voraussetzungen aus: Erstens muss das Produkt unter eine der Kategorien von Art. 111(b), (d) oder (e) N F V O fallen. Zweitens muss es den vorhandenen Lebensmitteln hinsichtlich Zusammensetzung, Nährwert, Stoffwechsel, Verwendungszweck und Gehalt an unerwünschten Stoffen im Wesentlichen gleichwertig sein. Die Interpretation dieses Begriffes stellt eines der wesentlichen Auslegungsprobleme der NFVO dar und soll daher näher untersucht werden. Die N F V O selbst enthält bezüglich der wesentlichen Gleichwertigkeit nur wenige Angaben: Art. 3 I V N F V O verlangt, dass der Beweis über die wesentliche Gleichwertigkeit entweder über die verfügbaren und allgemein anerkannten wissenschaftlichen Befunde oder über eine Stellungnahme der für das Verfahren zuständigen mitgliedstaatlichen Behörde zu führen ist. Außerdem nennt er die Kriterien, hinsichtlich derer die wesentliche Gleichwertigkeit vorliegen muss (Zusammensetzung, Nährwert, Stoffwechsel, Verwendungszweck, Gehalt an unerwünschten Stoffen). Schließlich weist Art. 3 I V UAbs. 2 N F V O darauf hin, dass über ein Verfahren nach Art. 13 N F V O entschieden werden kann, ob ein Produkt die Anforderungen von Art. 3 I V UAbs. 2 N F V O einschließlich der wesentlichen Gleichwertigkeit erfüllt. Von der N F V O unbeantwortet bleibt damit insbesondere die Kernfrage, wann die wesentliche Gleichwertigkeit bezüglich der genannten Kriterien vorliegt. Eine Antwort lässt sich nur finden, indem andere Erkenntnisquellen als die N F V O selbst betrachtet werden. M i t dem Kriterium der wesentlichen Gleichwertigkeit greift die N F V O auf ein schon vor der N F V O verwendetes Unterscheidungsmerkmal zurück. Das Konzept der substantial equivalence findet sich bereits im OECD-Bericht Safety Evaluation of Foods Derived by Modern Biotechnology von 1993 2 7 3 und wird seitdem von zahlreichen Internationalen Organisationen verwendet. 2 7 4 Der Grundgedanke dieses 271
Dies betont auch Sheridan (siehe oben Fn.6), S. 142. Streinz (siehe oben Fn. 128), S.490. 273 Text im Internet unter http://www.oecd.org/pdfA100033000/M00033002.pdf , der Begriff der substantial equivalence findet sich auf S. 11 ff. des OECD-Berichts. 274 Vgl. die Hinweise bei Hammes/Bräutigam/Schmidt!Hertel, Neuartige Lebensmittel - ein Vergleich von Abhandlungen und Gesetzesvorlagen zu ihrer Inverkehrbringung unter besonderer Berücksichtigung wissenschaftlicher Aspekte, ZLR 1996, S. 525 ff. (528). 272
5 Stökl
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
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Konzepts ist eine Risikobewertung, nach der das betreffende neuartige Lebensmittel hinsichtlich verschiedener Parameter mit bereits bekannten Lebensmitteln verglichen wird. Ist das neue Lebensmittel hinsichtlich dieser Kriterien den vorhandenen Lebensmitteln wesentlich gleichwertig, sind keine weiteren Untersuchungen erforderlich. Besteht keine wesentliche Gleichwertigkeit, müssen weitere Untersuchungen darüber angestellt werden, ob das Produkt als hinreichend sicher angesehen werden kann. 2 7 5 Eine zweite Erkenntnisquelle außerhalb der NFVO stellt die Empfehlung der Kommission 97/618/EG 2 7 6 dar. Wie schon oben beim Anwendungsbereich 277 lässt sich auch an dieser Stelle die Empfehlung 97/618/EG nicht direkt, aber immerhin als Indiz für die praktische Anwendung der NFVO verwerten. 2 7 8 In der Empfehlung weist die Kommission i m Übrigen ausdrücklich darauf hin, dass die NFVO für die Abgrenzung zwischen Genehmigung und Anzeige auf das von der OECD entwickelte Konzept der wesentlichen Gleichartigkeit neuartiger Lebensmittel mit den bestehenden zurückgreife. 279 Die Empfehlung 97/618/EG nimmt insbesondere zu einer wichtigen Frage im Zusammenhang mit der wesentlichen Gleichartigkeit Stellung: Problematisch ist, mit welchen „bestehenden" Lebensmitteln neuartige Lebensmittel zu vergleichen sind und ob auch ein Vergleich mit von der N F V O als neuartig behandelten und mittlerweile zugelassenen Lebensmitteln möglich ist. Nach Auffassung der Kommission enthält das Konzept der wesentlichen Gleichartigkeit „ein dynamisches Element" in dem Sinne, dass nicht unbedingt das gleiche alte Ausgangsprodukt Vergleichsobjekt sei, sondern auch jüngere Lebensmittel, die früher selbst mit dem alten Lebensmittel verglichen wurden. 2 8 0 Diese Auffassung entspricht Äußerungen im Schrifttum 2 8 1 und überzeugt, denn der Vergleich eines neuartigen mit einem „bestehenden" Lebensmittel dient der Überprüfung der Unbedenklichkeit des neuartigen Lebensmittels. Wenn sich aber ein neuartiges Lebensmittel i m Rahmen des Zulassungsverfahrens und seitdem in der Praxis als unbedenklich erwiesen hat, eignet es sich auch als Bezugspunkt für den Vergleich mit einem jetzt neuartigen Lebensmittel. Insofern besteht in diesem Zusammenhang keine strikte Alternativität zwischen den Begriffen „neuartige" und „bestehende" Lebensmittel. I m Zusammenhang mit der Möglichkeit, die wesentliche Gleichwertigkeit auch durch einen Vergleich mit bereits zugelassenen neuartigen Lebensmitteln vorweisen zu können, wird in der Literatur daraufhingewiesen, dass auf diese Weise die N F V O 275
OECD (siehe oben Fn. 273), S. 11 f. Siehe oben Fn. 244. 277 Siehe oben S.59 zur entsprechenden Argumentation von oben. 278 Streinz (siehe oben Fn. 189), S.32f.; Long/Cardonnel (siehe oben Fn. 142), S. 17f. 279 Empfehlung 97/618/EG (siehe oben Fn.244), Anhang Teil 1, 3.3. 280 Empfehlung 97/618/EG (siehe oben Fn.244), Anhang Teil 1, 3.3. 281 Vgl. Schroeter (siehe oben Fn. 245), S. 49; Hammes/Bräutigam/Schmidt/Hertel oben Fn. 274), S.528. 276
(siehe
Β. Die Novel Food-Verordnung
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denjenigen benachteilige, der ein neuartiges Lebensmittel entwickle und nach Durchlauf des aufwendigen Genehmigungsverfahrens in Verkehr bringe. Es sei nämlich vorteilhafter, darauf zu warten, dass ein anderes Unternehmen das gleiche oder ein im Wesentlichen gleichwertiges neuartiges Lebensmittel mit Genehmigung in Verkehr bringe, denn dann könne man das eigene gleiche oder i m Wesentlichen gleichwertige Produkt mit einer bloßen Anzeige auf den Markt bringen - jetzt bestehe j a wesentliche Gleichwertigkeit mit einem bestehenden Lebensmittel. Der erste Inverkehrbringer könne sich nur eingeschränkt über den Patentschutz für sein Produkt absichern. 282 Es stimmt zwar, dass die N F V O auf diese Weise den zweiten Inverkehrbringer begünstigt, dessen Produkt mit dem des ersten Inverkehrbringers wesentlich gleichwertig ist. Dies ist aber systemgerecht, denn die Sachlage hat sich j a i m Vergleich zum ersten Inverkehrbringen dadurch geändert, dass durch die Erkenntnisse über das erste Produkt im aufwendigen Genehmigungsverfahren für das zweite Produkt mehr Informationen über die Unbedenklichkeit vorliegen. Insofern ist die unterschiedliche Behandlung die Konsequenz daraus, dass durch die Differenzierung zwischen Genehmigung und Anzeige die Rechtsgüter Umwelt und Gesundheit geschützt werden sollen. Weder aus den Äußerungen der OECD noch aus der Empfehlung 97/618/EG lassen sich allerdings weitergehende Erkenntnisse darüber gewinnen, wann die Gleichwertigkeit wesentlich i. S. v. Art. 3 I V N F V O ist. Einigkeit besteht zunächst darüber, dass in diesem Adjektiv der entscheidende Unterschied zur unten 2 8 3 näher dargestellten Gleichwertigkeit i. S. v. Art. 81(a) N F V O liege. 2 8 4 Darüber hinaus gibt es Versuche, „wesentlich" als „ins Gewicht fallend" auszulegen 2 8 5 oder „wesentlich gleichwertig" mit „hinreichend ähnlich" zu übersetzen. 286 Derartige Umschreibungen ersetzen jedoch lediglich einen unbestimmten Rechtsbegriff durch einen anderen. Damit stellt sich die Frage, ob der unbestimmte Rechtsbegriff der wesentlichen Gleichwertigkeit den oben 2 8 7 dargestellten Anforderungen des europarechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes entspricht: Es wurde erwähnt, dass der EuGH als ein bedeutendes Argument gegen einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot anerkennt, wenn ein besonderes Verfahren zur Klärung eines unbestimmten Rechtsbegriffes besteht. 288 Art. 3 I V UAbs. 2 N F V O eröffnet diesem Gedanken des EuGH entspre282
So Schroeter (siehe oben Fn.268), S. 133 f. Siehe unten S. 87 ff. zu Art. 81 (a) NFVO. 284 Vgl. Streinz, Allgemeine Voraussetzungen und Fragen zur Kennzeichnung von Novel Food, ZLR 1998, S.53ff. (57); Schroeter (siehe oben Fn.245), S.49. 285 Schroeter (siehe oben Fn.245), S.49. 286 Barlow, What is food safety? The basics, EFLR 1998, S.399ff. (400). 287 Siehe oben S.47f. zu den europarechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit. 288 Siehe oben Fn. 192 zur Hoffmann - La /toc/ie-Rechtsprechung. 283
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2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
chend die Möglichkeit, ein Verfahren nach Art. 13 N F V O einzuleiten, um zu klären, ob die Voraussetzungen für eine bloße Anzeige erfüllt sind. Der Wortlaut von Art. 3 I V UAbs. 2 N F V O verlangt nämlich nicht für die Einleitung des Prüfverfahrens, dass bereits Streit besteht, ob die Anforderungen für die Anzeige erfüllt sind, sondern lässt es zu, dass das Prüfverfahren präventiv durchgeführt wird. Es entspricht darüber hinaus auch dem Zweck von Art. 3 I V NFVO, wenn ein Inverkehrbringer ein Prüfverfahren durchführen kann, weil er das Risiko scheut, ein Produkt lediglich mit einer Anzeige in Verkehr zu bringen, obwohl möglicherweise eine Genehmigung erforderlich wäre 2 8 9 - nur so ist die Norm mit dem unbestimmtem Rechtsbegriff der wesentlichen Gleichwertigkeit überhaupt praktisch anwendbar, abgesehen von den seltenen Fällen, in denen die Voraussetzungen von Art. 3 I V N F V O offensichtlich erfüllt sind. Außerdem spricht gegen einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit immer relativ daran zu messen sind, wie präzise sich eine Situation gesetzgeberisch umschreiben lässt. 2 9 0 I m Hinblick auf die „Wesentlichkeit" lässt sich nicht allgemeingültig festlegen, wann eine Gleichwertigkeit „wesentlich" i. S. v. Art. 3 I V N F V O ist. Dies ergibt sich schon aus Art. 3 I V NFVO: Die Vielzahl und Verschiedenheit der für die wesentliche Gleichwertigkeit genannten Kriterien (Zusammensetzung, Nährwert, Stoffwechsel, Verwendungszweck, Gehalt an unerwünschten Stoffen) erklärt sich daraus, dass jedes neuartige Lebensmittel unterschiedlich ist und die Beurteilung über die Unbedenklichkeit von zahlreichen verschiedenen Faktoren abhängt und somit eine fallbezogene Wertung der zuständigen mitgliedstaatlichen Behörde verlangt. 2 9 1 Wenn die jeweiligen Kriterien für die Gleichwertigkeit fallbezogen sind, muss dies auch für die Wesentlichkeit gelten. Daher lässt sich die wesentliche Gleichwertigkeit i. S. v. Art. 3 I V N F V O vom Gesetzgeber nicht exakt vorgeben. Ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz liegt nicht vor. Ein weiteres, von Art. 3 I V N F V O nicht ausdrücklich behandeltes Problem entsteht dann, wenn die Beurteilung der wesentlichen Gleichwertigkeit unterschiedlich ausfällt. Nicht explizit geregelt ist nämlich der Fall, dass ein Unternehmer ein neuartiges Lebensmittel als einem bestehenden Lebensmittel wesentlich gleichwertig betrachtet und es mit Anzeige in Verkehr bringt, die Kommission oder ein Mitgliedstaat die wesentliche Gleichwertigkeit dagegen verneinen. 292 Immerhin enthält Art. 3 I V UAbs. 2 N F V O den Hinweis, dass ein Verfahren nach Art. 13 N F V O durchgeführt werden kann zur Prüfung, ob ein Produkt die Anforderungen für eine bloße Anzeige erfüllt. Die Frage, ob ein Lebensmittel oder eine -zutat den Voraussetzungen von Art. 3 I V UAbs. 1 N F V O entspricht, wird auch und ge289 Siehe sogleich zu den Konsequenzen, wenn der Inverkehrbringer die Voraussetzungen von Art. 3IV NFVO anders beurteilt als die Kommission oder ein Mitgliedstaat. 290 Siehe oben Fn. 194 und die dazugehörigen Ausführungen. 291 Vgl. Hammes/Bräutigam/Schmidt/Hertel (siehe oben Fn.274), S.528. 292 Schroeter (siehe oben Fn.268), S. 128 f.
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rade dann relevant, wenn Inverkehrbringer einerseits und Kommission oder ein M i t gliedstaat andererseits unterschiedlicher Auffassung sind über die wesentliche Gleichwertigkeit. Dementsprechend ist bei einem Streit über die wesentliche Gleichwertigkeit ein Verfahren nach Art. 13 N F V O durchzuführen. 293 Wenn in diesem Verfahren festgestellt wird, dass keine wesentliche Gleichwertigkeit besteht, also ein Genehmigungsverfahren durchzuführen ist, muss das komplette Genehmigungsverfahren zunächst bei der mitgliedstaatlichen Behörde durchgeführt werden, 2 9 4 bis die Voraussetzungen zur Weiterleitung des Verfahrens auf die gemeinschaftliche Ebene vorliegen. Das Genehmigungsverfahren anders als nach dem unten 2 9 5 beschriebenen üblichen Ablauf gleich auf Gemeinschaftsebene beginnen zu lassen, wäre nur dann sinnvoll, wenn die Voraussetzungen erfüllt wären, unter denen ansonsten nach der N F V O das Verfahren auf Gemeinschaftsebene hochgestuft wird, also nur bei einem begründeten Einwand eines anderen Mitgliedstaates oder der Kommission gegen die mitgliedstaatliche Genehmigung, oder wenn der prüfende Mitgliedstaat dies selbst veranlasst. Der bloße Widerspruch von Kommission oder einem Mitgliedstaat gegen eine Anzeige kann sich aber darauf beschränken, dass keine wesentliche Gleichwertigkeit bestehe. Gemäß den oben 2 9 6 dargestellten Grundsätzen zum Konzept der wesentlichen Gleichwertigkeit bedeutet das Fehlen wesentlicher Gleichwertigkeit aber nicht, dass ein Produkt überhaupt nicht genehmigungsfähig ist, sondern dass zunächst lediglich weitere Untersuchungen angestellt werden müssen. Dementsprechend muss sich ein Protest gegen die Anzeige nicht notwendigerweise auch gegen eine Genehmigungsfähigkeit richten. Ungeklärt bleibt, ob Art. 3 I V N F V O so auszulegen ist, dass bei einem Streit über die wesentliche Gleichwertigkeit während des Verfahrens nach Art. 13 N F V O das Produkt vorläufig weiter vertrieben werden darf. I m Schrifttum wird vorgeschlagen, nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu differenzieren und ein Verbot der weiteren Vermarktung bis zum Abschluss des Verfahrens nach Art. 13 N F V O nur dann anzunehmen, wenn der Inverkehrbringer das Anzeigeverfahren missbraucht hat, also wenn die Voraussetzungen für eine Anzeige offensichtlich nicht erfüllt waren. 2 9 7 Die Suche nach einer Lösung für dieses Problem muss sich i m Sinne einer Doppelhypothese an einem Vergleich der jeweiligen Irrtumsfolgen orientieren. 298 Hält man nämlich einen weiteren Vertrieb des Produktes auch während des Verfahrens nach Art. 13 N F V O für erlaubt und erweist sich in dem Prüfverfahren, dass das Pro293
So auch Schroeter (siehe oben Fn.268), S. 129. Offen gelassen bei Schroeter (siehe oben Fn.268), S. 129. 295 Siehe unten S.77ff. zum Genehmigungsverfahren im einzelnen. 296 Siehe oben S. 66 zur wesentlichen Gleichwertigkeit. 297 So Schroeter (siehe oben Fn.268), S. 129. 298 Diese Konstruktion gibt es auch im deutschen Verwaltungsprozessrecht, vgl. etwa zum einstweiligen Rechtsschutz im Normenkontrollverfahren nach §47 VwGO Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, S.692. 294
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2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
dukt tatsächlich die Voraussetzungen für eine Anzeige erfüllt, ist es aus ex post-Perspektive gerechtfertigt gewesen, den Vertrieb auch während des Verfahrens zuzulassen. Ebenso ist es ex post richtig gewesen, ein Verbot des Vertriebs während des Prüfverfahrens anzunehmen, wenn sich später tatsächlich herausstellt, dass das Produkt nicht die Anforderungen von Art. 3 I V N F V O erfüllte und ein Genehmigungsverfahren zur näheren Prüfung der Unbedenklichkeit erforderlich ist. Problematisch sind dagegen die Irrtumsfälle, wenn entweder das Inverkehrbringen während des Verfahrens als verboten angesehen wird und sich in dem Verfahren erweist, dass die Voraussetzungen für eine Anzeige vorgelegen hätten oder wenn der Vertrieb während des Verfahrens erlaubt wird und sich herausstellt, dass das Produkt nicht die Anforderungen einer Anzeige erfüllt und ein Genehmigungsverfahren zur näheren Prüfung der Unbedenklichkeit erforderlich wäre. I m ersten Irrtumsfall erleidet der Unternehmer durch die Unmöglichkeit, das Produkt während des Verfahrens zu vertreiben, einen wirtschaftlichen Verlust. I m zweiten Irrtumsfall ist ein Produkt vorläufig auf dem Markt, dessen Unbedenklichkeit noch nicht in einem Genehmigungsverfahren bestätigt worden ist. Bei einer vergleichenden Betrachtung ergibt sich, dass der erste Irrtumsfall (zu Lasten des Inverkehrbringers) aus europarechtlicher Perspektive eher hinzunehmen ist als der zweite. 2 9 9 Dafür spricht zum einen, dass nach dem oben 3 0 0 Festgestellten der Schutz von Verbraucher und Umwelt einen höheren Rang unter den Schutzgütern der N F V O einnimmt als die Förderung der Gentechnik. Zum anderen ergibt sich dies daraus, dass der wirtschaftliche Verlust kompensiert wird, wenn die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch gegen die EG nach Artt. 235,288 I I EG (bei Widerspruch der Kommission) oder gegen den widersprechenden Mitgliedstaat nach einem gemeinschaftsrechtlich begründeten Amtshaftungsanspruch 301 vorliegen.
c) Verfahrensmäßige
Besonderheiten des Anzeigeverfahrens
Wenn die dargestellten Voraussetzungen des Notifikationsverfahrens nach Art. 3 I V N F V O erfüllt sind, richtet sich das Verfahren für die Anzeige nach Art. 5 NFVO. Danach ist das Inverkehrbringen der Kommission mitzuteilen unter Angabe der Voraussetzungen für die Anzeige. Die Kommission teilt dies dann den Mitgliedstaaten mit. Art. 5 UAbs. 2 N F V O stellt klar, dass sich die Kennzeichnung weiterhin nach Art. 8 N F V O richtet. Der Wortlaut („unterrichtet... über das Inverkehrbringen") lässt dabei auch zu, dass das Produkt erst in Verkehr gebracht wird und dann die Anzeige erfolgt. Dem 299
Im Ergebnis ähnlich Groß (siehe oben Fn. 222), S. 279. Siehe oben S.40ff. zur gesetzgeberischen Intention der NFVO. 301 Vgl. dazu Oppermann (siehe oben Fn.205), Rn. 163ff., 176ff.; Streinz (siehe oben Fn.205), Rn.353. 300
Β. Die Novel Food-Verordnung
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Anliegen der NFVO, Umwelt und Verbraucher effektiv zu schützen und andererseits durch ein größeres Vertrauen der Verbraucher die biotechnische Industrie zu fördern, würde damit jedoch nicht Rechnung getragen. Daran dass auch keine Frist genannt ist, innerhalb der die Kommission dann über das Inverkehrbringen zu informieren wäre, ist zu erkennen, dass eine nachträgliche Anzeige auch nicht vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen sein kann. Folglich muss die Notifikation spätestens beim Inverkehrbringen erfolgen. 3 0 2
d) Materielle
Genehmigungsvoraussetzungen
und Vorsorgeprinzip
Sind die Voraussetzungen von Art. 3 I I UAbs. 2, I I I oder I V N F V O nicht erfüllt, muss das Produkt das Genehmigungsverfahren durchlaufen. Wenn die Anzeige mangels wesentlicher Gleichwertigkeit nicht möglich ist, ergibt sich schon aus dem dargestellten Konzept der wesentlichen Gleichartigkeit, dass jetzt weitere Prüfungen über die Unbedenklichkeit des Produktes durchzuführen sind. Im weiter unten 3 0 3 dargestellten Genehmigungsverfahren sind die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen zu prüfen, die Art. 31 N F V O formuliert: Neuartige Lebensmittel und -zutaten dürfen hiernach keine Gefahr für den Verbraucher verkörpern, ihn nicht irreführen und keine Ernährungsmängel bewirken. Von diesen drei Aspekten ist der zweite Gesichtspunkt, das Irreführungsverbot, eng mit dem unten dargestellten Kennzeichnungsgebot verknüpft. 3 0 4 Als Zulassungskriterium soll mit dem Irreführungsverbot verhindert werden, dass ein Verbraucher einem neuartigen Lebensmittel wegen dessen Erscheinungsbild irrtümlich besondere Eigenschaften wie etwa einen spezifischen Geschmack attestiert. Der Zusammenhang mit der Kennzeichnungspflicht wird dadurch deutlich, dass eine Irreführungsgefahr dann nicht besteht, wenn eine entsprechende Produktkennzeichnung über die tatsächlichen Eigenschaften aufklärt. Demnach ist das Inverkehrbringen dann nicht nach Art. 3 1 2 . SpStr. N F V O zu untersagen, wenn den Kennzeichnungsvorschriften genügt wird und eine Irreführungsgefahr nicht besteht. 305 I m Hinblick auf das dritte Kriterium, die Vermeidung von Ernährungsmängeln, gilt klarzustellen, dass insofern eine relative Wertung für jedes neuartige Lebensmittel entsprechend seiner Zweckbestimmung zu erfolgen hat: Gerade unter den neuartigen Lebensmitteln gibt es Produkte für bestimmte Ernährungszwecke, beispielsweise für die kalorienarme Ernährung. 3 0 6 Der von Art. 313. SpStr. N F V O anvisierte „normale" Verzehr, in Bezug auf den keine Ernährungsmängel entstehen dürfen, hängt bei neuartigen wie bei konventionellen Lebensmitteln immer von der Zweck302 303 304 305 306
So auch Schroeter (siehe oben Fn. 245), S. 50, Fn. 12. Siehe unten S.77ff. zum Genehmigungsverfahren. Siehe unten S.82ff. zur Kennzeichnungspflicht. Vgl. Groß (siehe oben Fn. 222), S. 337. Siehe oben S.58 zu neuartigen Fettersatzstoffen.
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
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bestimmung für das jeweilige Lebensmittel ab. Daher kann bei für bestimmte Ernährungszwecke vorgesehenen Produkten, sofern die Kennzeichnungsvorschriften auch hinsichtlich der jeweiligen Besonderheiten eingehalten sind, 3 0 7 auch nicht automatisch von Ernährungsmängeln gesprochen werden. 3 0 8 Der erstgenannte Gesichtspunkt, neuartige Lebensmittel dürften keine Gefahr für den Verbraucher darstellen, ist der bedeutendste. M i t ihm knüpft die NFVO an das Schutzgut der Verbrauchergesundheit an. 3 0 9 Zu untersuchen ist dabei insbesondere, wie der Ausdruck „Gefahr" auszulegen ist, ob und inwieweit sich der Begriff vom Gefahrenbegriff des deutschen Polizeirechts unterscheidet. I m Schrifttum besteht nämlich weitgehend Einigkeit, dass der Gefahrenbegriff des Art. 311. SpStr. N F V O und derjenige des deutschen Rechts nicht deckungsgleich seien, die NFVO vielmehr wie die FreisRL 90/220/EWG 3 1 0 auch insoweit dem Vorsorgeprinzip Rechnung trag e 3 „ I m deutschen Polizeirecht wird „Gefahr" im Anschluss an eine Definition des preußischen OVG als eine Sachlage begriffen, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die von dem jeweiligen Gesetz geschützten Rechtsgüter führt. 3 1 2 Von der Gefahrenabwehr unterscheidet das deutsche Polizeirecht die bloße Vorsorge: Die für die Anwendung des Vorsorgeprinzips einschlägigen Situationen werden üblicherweise als „Noch-nichtGefahren" 3 1 3 begriffen, insbesondere Sachlagen mit geringerer Wahrscheinlichkeit der Risikoverwirklichung. 3 1 4 Das Vorsorgeprinzip lässt sich mittlerweile auch i m Gemeinschaftsrecht an mehreren Stellen wiederfinden. 315 Umfangreiche Hinweise lassen sich insbesondere der Mitteilung der Kommission über das Vorsorgeprinzip 316 entnehmen. Die Kommis307
Siehe unten S. 82ff. zur Kennzeichnungspflicht. Schroeter (siehe oben Fn.207), S. 379; vgl. zum Erfordernis einer relativen Auslegung auch Lister, Biotechnology and Novel Foods, EFLR 1993, S.71 ff. (78). 309 Statt aller Groß (siehe oben Fn. 222), S. 330ff. 310 Schweizerl Calarne (siehe oben Fn.62), S.40, Fn.66; Rehbinder (siehe oben Fn. 156), S.7. 311 Vgl. nur Rehbinder (siehe oben Fn. 156), S. 11 ; Streinz (siehe oben Fn. 263), S. 259; Wahl! Groß (siehe oben Fn. 118), S. 9; Groß (siehe oben Fn. 222), S. 328. 3,2 Vgl. nur Kloepfer (siehe oben Fn. 164), §4, Rn. 10. 313 Kloepfer (siehe oben Fn. 164), §4, Rn. 12. 3]4 Vgl. Kloepfer (siehe oben Fn. 164), §4, Rn. 12; Meier (siehe oben Fn. 103), S.24ff.; ähnlich jetzt § 2 Nr. 5 des Entwurfes der unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (UGB KomE). 315 Vgl. zum Vorsorgeprinzip im Gemeinschaftsrecht aus der Literatur insbesondere Rengeling, Bedeutung und Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips im europäischen Umweltrecht, DVB1. 2000, S. 1473 ff.; McNelis, EU Communication on the Precautionary Principle, JIEL 2000, S. 545ff.; Sheridan (siehe oben Fn. 6), S. 266ff.; Appel, Europas Sorge um die Vorsorge, NVwZ 2001, S. 395 ff. 316 Mitteilung der Kommission über das Vorsorgeprinzip, KOM (2000) 1 endg. 308
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sion gibt dort eine Begriffsbestimmung für das Vorsorgeprinzip und definiert - ausdrücklich auf die Erfordernisse der welthandelsrechtlichen Abkommen abzielend - den Rahmen für die Anwendung des Vorsorgeprinzips. Das Vorsorgeprinzip sei zwar primärrechtlich nur für den Bereich des Umweltschutzes erwähnt, nämlich in Art. 174 EG. Inzwischen stelle das Vorsorgeprinzip aber darüber hinaus ein Leitprinzip auch in anderen Bereichen dar und gelte für solche Sachverhalte, in denen zwar naturwissenschaftliche Indizien für mögliche schädliche und nach dem angestrebten Schutzniveau nicht hinnehmbare Auswirkungen auf die Umwelt oder die Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen bestünden, der exakte naturwissenschaftliche Nachweis aber nicht möglich sei. 3 1 7 Eine Manifestation des Vorsorgeprinzips sei insbesondere die Einführung von Genehmigungspflichten für das Inverkehrbringen bestimmter Produkte, weil Genehmigungspflichten ein Risikopotential für diese Produkte unterstellten und der Inverkehrbringer die Beweislast dafür trage, dass sein Produkt unbedenklich sei. 3 1 8 Die Kommission und das Europäische Parlament erwähnen das Vorsorgeprinzip ebenfalls in verschiedenen anderen Dokumenten, u.a. i m Grünbuch von 1997 zu den Allgemeinen Grundsätzen des Lebensmittelrechts 319 und i m Weißbuch von 2000 zur Lebensmittelsicherheit. 320 Es wird im welthandelsrechtlichen Teil dieser Arbeit darauf zurückzukommen sein, wie sich die EG i m Hormonfall auf welthandelsrechtlicher Ebene auf das Vorsorgeprinzip berufen hat. 3 2 1 Auch in der Rechtsprechung des EuGH findet das Vorsorgeprinzip mittlerweile Erwähnung i m dargestellten Sinn. 3 2 2 317
KOM (2000) 1 endg., S. 9f. KOM (2000) 1 endg., S. 20. 319 Siehe oben Fn. 197 zum Grünbuch; vgl. KOM (2000) 1 endg., S.23 zu sonstigen Äußerungen von Kommission und Parlament. 320 Siehe oben Fn. 133 zum Weißbuch. 321 Siehe unten 175 ff. 322 Noch nicht ausdrücklich, aber der Sache nach in (vgl. dazu auch Sheridan (siehe oben Fn.6), S.27Iff.): - EuGH, Rs.C-157/96 -National Farmers Union - 05.05.1998, Slg. 19981, S. 2236ff., http://www.europa.eu.int/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de&Submit=Suchen&docrequire alldocs&numaff=C-157%2F96&datefs=&datefe=&nomusuel=&domaine=&mots=& resmax=100) und - EuGH, Rs. C-l80/96 - Vereinigtes Königreich/Kommission - 05.05.1998, Slg. 1998 1, S. 2265 ff., http://www.europa.eu.int/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de&Submit=Suchen& docrequire=alldocs&numaff=C-180%2F96&datefs=&datefe=&nomusuel=&domaine=& mots=&resmax= 100), jetzt ausdrücklich in - EuGH, Rs. C-329/99 - Pfizer Animal Health/Rat -18.11.1999, Slg. 19991, S. 8343 ff., http:// www.europa.eu.int/jurisp/cgi-bin/gettext.pl?lang=de&num=80008881C19990329_l& doc=T&ouvert=T&seance=ORD&where=(txtdoc=CONTAINS= ,Vorsorgeprinzip') und - EuGH, Rs. 184/97 - Kommission!Deutschland - 10.06.1999, http://www.europa.eu.int/ jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de&Submit=Suchen&docrequire=alldocs&numaff=&datefs= &datefe=&nomusuel=&domaine=&mots=Vorsorgeprinzip&resmax= 100). 3,8
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
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Weitere Hinweise über das Vorsorgeprinzip im Europarecht finden sich in der Entschließung des Rates über die Anwendung des Vorsorgeprinzips vom Dezember 2000. 3 2 3 A n die Kommissionsmitteilung anknüpfend, hält der Rat das Vorsorgeprinzip im Einklang mit dem Völkerrecht für anwendbar, wenn sich Hinweise auf mögliche schädliche Auswirkungen für Gesundheit oder Umwelt ergeben, aber die Wahrscheinlichkeit der Risikoverwirklichung noch nicht abschließend beurteilt werden kann. 3 2 4 Bei der Risikobewertung seien naturwissenschaftliche Mindermeinungen zumindest durch einen Hinweis auf sie zu berücksichtigen. 325 Eine etwaige Anwendung des Vorsorgeprinzips sei eine politische Entscheidung, 326 müsse aber dem Verhältnismäßigkeitsgebot genauso Rechnung tragen 3 2 7 wie dem Diskriminierungsverbot. 328 Außerdem müssten auf Grundlage des Vorsorgeprinzips getroffene Entscheidungen laufend darauf überprüft werden, ob sie noch gerechtfertigt seien. 3 2 9 In diesem Rahmen solle das Vorsorgeprinzip auf Gemeinschaftsebene angewandt werden, und es sei auch außergemeinschaftlich, gerade auch auf WTOEbene zu propagieren. 330 Die nach der N F V O erlassene neue FreisRL 2001/18/EG und die allgemeine Lebensmittelverordnung 178/2002/EG enthalten an diese vom Rat formulierten Grundsätze angelehnte Regelungen für das Vorsorgeprinzip. 331 Folgende Erwägungen sprechen dafür, dass der Begriff „Gefahr" in Art. 3 I 1. SpStr. N F V O tatsächlich nicht wie der Gefahrenbegriff des deutschen Polizeirechts, sondern i m umfassenderen Sinne der Risikovorsorge nach dem Vorsorgeprinzip auszulegen ist. 3 3 2 Ein gewisses Indiz stellt bereits der Wortlaut von Art. 3 1 1. SpStr. N F V O dar, der in den anderen Sprachen teilweise den Begriff „Risiko" verwendet. 3 3 3 Einige Versionen der N F V O benutzen an vergleichbaren Stellen abwechselnd den Begriff „Gefahr" und den Begriff „ R i s i k o " , 3 3 4 was ebenfalls gegen eine enge Auslegung des Gefahrenbegriffes in Art. 31 N F V O spricht. Auch in Art. 9 I I der deutschen Fassung der NFVO heißt es nicht „Gefahr", sondern „etwaige schädliche Auswirkungen", und zwar jeweils i m Zusammenhang mit gentechnischen Lebens323
Annex III der Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Nizza), SN 400/00. Rn. 7 der Entschließung (siehe oben Fn. 323). 325 Rn. 10 der Entschließung (siehe oben Fn.323). 326 Vgl. Rn. 12 der Entschließung (siehe oben Fn.323). 327 Rn. 17 der Entschließung (siehe oben Fn.323). 328 Rn. 18f. der Entschließung (siehe oben Fn.323). 329 Rn.21 der Entschließung (siehe oben Fn.323). 330 Rn. 24 f. der Entschließung (siehe oben Fn. 323). 331 Erwägungsgrund 8, Artt. 1, 4 FreisRL 2001/18/EG, Artt. 11, 7 der Verordnung 178/ 2002/EG. 332 So dass in Anlehnung an die Terminologie der NFVO auch im Rahmen dieser Arbeit der Gefahrenbegriff nicht streng i.S.d. deutschen Polizeirechts zu verstehen ist. 333 Während etwa die englische und französische Version von „danger" reden, heißt es in der portugiesischen Fassung „riscos", in der italienischen „rischi", in der spanischen „riesgo". 334 Anders als in der deutschen Fassung, die auch in Erwägungsgrund 5 den Begriff „Gefahr" beinhaltet, heißt es in der englischen Version in Erwägungsgrund 5 „risks" und in der französischen Version „risques". 324
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mittein, so dass kein Grund für eine absichtliche inhaltliche Differenzierung ersichtlich wäre. Auch die deutsche Version legt demnach eine enge Auslegung von „Gefahr" in Art. 3 1 1 . SpStr. N F V O i m Sinne des deutschen Polizeirechts nicht nahe. Es ist ferner zu berücksichtigen, dass die begriffliche Differenzierung zwischen Gefahr und Risiko nach deutschem Polizeirecht anders als die inhaltliche Unterscheidung den Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten und der EG weniger bekannt ist, so dass auch deshalb der vom europäischen Gesetzgeber in der NFVO benutzte Gefahrenbegriff nicht der i m deutschen Polizeirecht üblichen Differenzierung entsprechen muss. 3 3 5 Ein weiteres Indiz für eine weite Auslegung des Gefahrenbegriffes in Art. 311. SpStr. N F V O i m umfassenden Sinne des Vorsorgeprinzips ist die Ermächtigungsgrundlage i m EG-Vertrag, denn Art. 95 EG verpflichtet die Kommission zu Vorschlägen mit einem hohen Schutzniveau. 336 Schließlich spricht für ein Verständnis des Gefahrenbegriffes in Art. 3 1 1 . SpStr. N F V O i m Sinne des Vorsorgeprinzips die dargestellte Kommissionsmitteilung zum Vorsorgeprinzip, 337 wonach die Einführung von Zulassungspflichten zum Gesundheitsschutz eine Ausprägung des Vorsorgeprinzips darstelle 338 : Wenn die Einführung der Zulassungspflicht für neuartige Lebensmittel durch die NFVO bereits Ausdruck des Vorsorgeprinzips ist, liegt es nahe, auch das maßgebliche Zulassungskriterium i m Sinne des Vorsorgeprinzips auszulegen. Folglich ist die Situation, vor der Art. 3 1 1 . SpStr. N F V O den europäischen Verbraucher schützen möchte, nicht erst eine, in der der Verzehr neuartiger Lebensmittel mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu Gesundheitsschäden führen würde. Vielmehr soll der Verzehr von neuartigen Lebensmitteln i m Sinne der Risikovorsorge bereits dann vermieden werden, wenn für das betreffende Produkt naturwissenschaftliche Hinweise auf mögliche schädliche Auswirkungen für die Gesundheit von Menschen bestehen. Dabei ist für die Beurteilung der Risiken grundsätzlich auf den Durchschnittsverbraucher abzustellen. Für individuelle Unverträglichkeiten reicht normalerweise eine Kennzeichnung des Produktes nach Art. 81(b) N F V O . 3 3 9 Nur wenn besonders schwere Schäden drohen oder ungewöhnlich viele Verbraucher von einem Produkt gefährdet sind, ist eine Kennzeichnung selbst dann nicht ausreichend effektiv, wenn man das Leitbild des EuGH vom verständigen Verbraucher 340 zugrunde legt. In diesem Fall besteht daher die Gefahr für „den" Verbraucher i. S. v. Art. 3 1 1 . SpStr. NFVO, und das Inverkehrbringen des Produktes ist zu untersagen. 341 335
Wahl/Groß (siehe oben Fn. 118), S.9; Streinz (siehe oben Fn. 142), S.416. Rehbinder (siehe oben Fn. 156), S. 11; Wahl/Groß (siehe oben Fn. 118), S. 9, siehe oben Fn. 61. 337 Siehe oben Fn.316 zur Kommissionsmitteilung. 338 Arnold, Lebensmittelsicherheit und Vorsorge, ZLR 2000, S. 227ff. (228 f.). 339 Siehe dazu unten S.92ff. 340 Siehe dazu oben S. 42. 341 So auch Groß (siehe oben Fn. 222), S. 334ff. 336
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2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
Abgesehen von den in Art. 31 N F V O genannten materiellen Genehmigungskriterien ist hinsichtlich der materiellen Zulassungsanforderungen noch Art. 9 I I NFVO zu erwähnen: Da die N F V O speziell zur horizontalen FreisRL 90/220/EWG sein soll, 3 4 2 aber das Schutzniveau der FreisRL 90/220/EWG nicht unterschreiten soll, verlangt Art. 9 I I N F V O bei der Genehmigungsentscheidung nach der NFVO für solche neuartigen Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten oder daraus bestehen, die Umweltsicherheitsanforderungen nach der FreisRL 90/220/EWG zu berücksichtigen. Damit schließt die NFVO insbesondere Art. 4 1 FreisRL 90/220/EWG mit ein. Dass die N F V O somit materiell die Umweltsicherheitsanforderungen der FreisRL 90/220/EWG inkorporiert, entspricht den oben 3 4 3 dargestellten Erwägungsgründen der NFVO, zu denen auch der Schutz der Umwelt gehört. Art. 9 I I N F V O birgt jedoch ein Auslegungsproblem: Der Wortlaut der Vorschrift verpflichtet zur Berücksichtigung der Umweltsicherheitsanforderungen der FreisRL 90/220/EWG nur für die gemeinschaftliche Genehmigung nach der NFVO und nicht bei der nach dem unten 3 4 4 beschriebenen Verfahrensgang prinzipiell auch möglichen mitgliedstaatlichen Genehmigung. Dies widerspricht aber Art. 9 I UAbs. 2 NFVO, der die Regelungen der FreisRL 90/220/EWG für das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen ausdrücklich für den gesamten Anwendungsbereich der N F V O ausschließt, also auch für die mitgliedstaatliche Genehmigung. Der Wortlaut von Art. 9 I I N F V O ist daher nur eindeutig, 3 4 5 wenn man ihn isoliert von Art. 91 UAbs. 2 N F V O betrachtet. In der Praxis dürfte der Widerspruch weitgehend folgenlos bleiben, weil wegen der politischen Brisanz die Zulassung von Lebensmitteln, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten oder daraus bestehen, regelmäßig höchstens durch gemeinschaftliche Entscheidung erfolgen dürfte. In den verbleibenden Ausnahmefällen überzeugt es nicht, für die betreifenden Lebensmittel stets eine gemeinschaftliche Entscheidung zu verlangen 3 4 6 : Dem steht nämlich entgegen, dass die N F V O die gemeinschaftliche Entscheidung nicht zwingend voraussetzt, obwohl dies in Entwürfen für diesen Teilbereich erwogen wurde. 3 4 7 Auch erscheint es nicht als angemessen, den Widerspruch innerhalb von Art. 9 N F V O zugunsten des zweiten Absatzes zu lösen und nur bei der gemeinschaftlichen Entscheidung die Vorschriften der FreisRL 90/220/EWG anzuwenden. 348 Der one-door-one-key-Gedanke ist weder nach seinem Sinn noch nach seiner Ausprägung gerade in der one-door-one-key-Grundnorm Art. 10 I I 342 Siehe unten S. 105 ff. zur Frage, inwieweit bei Lebensmitteln für die FreisRL neben der NFVO überhaupt noch ein Anwendungsbereich verbleibt. 343 Siehe oben S.40ff. zu den Erwägungsgründen. 344 Siehe unten S.77ff. zum Genehmigungsverfahren. 345 So Groß (siehe oben Fn. 222), S. 302. 346 So der erste Vorschlag von Groß (siehe oben Fn. 222), S. 303 f. 347 Vgl. die Hinweise auf Entwürfe bei Groß (siehe oben Fn. 222), S. 302f. 348 So der zweite Vorschlag von Groß (siehe oben Fn. 222), S. 303.
Β. Die Novel Food-Verordnung
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FreisRL 90/220/EWG auf gemeinschaftliche Entscheidungen beschränkt. Das Problem ist daher zugunsten von Art. 9 1 N F V O zu lösen, und Art. 9 I I N F V O ist so zu verstehen, dass, weil die Zulassungsvorschriften der FreisRL 90/220/EWG im Anwendungsbereich der N F V O insgesamt nicht anwendbar sind, die Umweltsicherheitsanforderungen auch bei einer mitgliedstaatlichen Genehmigung zu berücksichtigen sind. 3 4 9
e) Verfahrensmäßige
Besonderheiten des Genehmigungsverfahrens
I m Folgenden ist das Genehmigungsverfahren nach Art. 4 ff. N F V O insofern darzustellen, als es dem Inverkehrbringer neuartiger Lebensmittel bestimmte Maßnahmen abverlangt und dadurch die Handelsfreiheit beschränkt. A m Ende dieses Abschnittes ist der Verfahrensgang in einem Schema zusammengefasst. 350 Das Genehmigungsverfahren ist zweistufig ausgestaltet und besteht aus einer mitgliedstaatlichen und gegebenenfalls einer gemeinschaftlichen Komponente. Es beginnt gemäß Art. 4 1 N F V O mit einem Antrag des für das Inverkehrbringen Verantwortlichen, also beispielsweise des Geschäftsführers einer G m b H . 3 5 1 Der Antrag ist nach Art. 4 1 N F V O in demjenigen Mitgliedstaat zu stellen, in dem das Produkt erstmals in Verkehr gebracht werden soll. In Deutschland ist nach § 1 der Ausführungsverordnung N L V 3 5 2 für neuartige Lebensmittel i. S. v. Art. 111(a) N F V O das Robert-Koch-Institut zuständig, für die sonstigen in den Anwendungsbereich der N F V O fallenden neuartigen Lebensmittel das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin. Die Kommission erhält eine Kopie des Antrags vom Inverkehrbringer. Der Antrag muss umfangreiche Angaben enthalten, die sich in allgemeiner Formulierung aus Art. 61 N F V O ergeben, nämlich „ - die erforderlichen Angaben, einschließlich einer Kopie der durchgeführten Studien, und alle sonstigen Elemente, anhand deren nachgewiesen werden kann, dass das Lebensmittel oder die Lebensmittelzutat den Kriterien gemäß Artikel 3 Absatz 1 entspricht, sowie - einen angemessenen Vorschlag für die Aufmachung und Etikettierung des Lebensmittels oder der Lebensmittelzutat entsprechend den Anforderungen des Artikels 8. Femer ist dem Antrag - eine Zusammenfassung des Antragsdossiers beizufügen." 349
So der dritte Vorschlag von Groß (siehe oben Fn. 222), S. 424. Siehe unten S. 82. 351 Vgl. Schroeter (siehe oben Fn. 268), S. 114 zu weiteren Beispielen. 352 Verordnung zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten und über die Kennzeichnung von Erzeugnissen aus gentechnisch veränderten Sojabohnen und gentechnisch verändertem Mais sowie über die Kennzeichnung ohne Anwendung gentechnischer Verfahren hergestellter Lebensmittel (Neuartige Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung - NLV), Neufassung vom 14.02.2000, zu finden unter BGBl. 12000 vom 29.02.2000, S. 124ff. 350
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
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Häufig dürfte sich insbesondere der Etikettierungsvorschlag als problematisch erweisen, weil Art. 8 N F V O verschiedene unten 3 5 3 dargestellte Auslegungsschwierigkeiten enthält. Zu einigen der verlangten Angaben macht die gemäß Art. 4 I V 1. SpStr. N F V O ergangene Empfehlung 97/618/EG 3 5 4 erheblich präzisere Vorgaben. Die Angaben nach der Empfehlung sind teilweise nur mit einigem technischen und damit finanziellen Aufwand beizubringen. 355 Die Empfehlung selbst bezeichnet einige der Angaben als nicht obligatorisch, aber da teilweise für Abweichungen eine wissenschaftliche Begründung verlangt w i r d , 3 5 6 empfiehlt sich jedenfalls für die Praxis, den umfangreichen Vorgaben der Empfehlung zu folgen. 3 5 7 Die beizubringenden Angaben sind nach Art. 9 1 N F V O umfassender für solche neuartigen Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Organismen i m Sinne der FreisRL 90/220/EWG enthalten oder daraus bestehen. Über die in Art. 61 N F V O genannten Angaben und Unterlagen hinaus sind vorzulegen: „ - eine Kopie der schriftlichen Zustimmung der zuständigen Behörde zur absichtlichen Freisetzung genetisch veränderter Organismen für Forschungs- und Entwicklungszwecke gemäß Artikel 6 Absatz 4 der Richtlinie 90/220/EWG, soweit eine solche Zustimmung erforderlich ist, sowie die Ergebnisse der Freisetzungen in bezug auf Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt; -
das vollständige technische Dossier mit den in Artikel 11 der Richtlinie 90/220/EWG verlangten maßgeblichen Informationen und der aufgrund dieser Informationen vorgenommenen Umweltverträglichkeitsprüfung sowie die Ergebnisse von Untersuchungen zu Forschungs- und Entwicklungszwecken bzw. gegebenenfalls die Entscheidung über die Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Teil C der Richtlinie 90/220/EWG".
Versäumt es der Antragsteller, die von ihm verlangten Unterlagen und Informationen vollständig beizubringen, erfüllt er die Beibringungspflicht aus Artt. 61, 9 N F V O nicht und kann nicht beweisen, dass die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind, so dass sein Antrag abgelehnt w i r d . 3 5 8 Die erste Verfahrensstufe findet nach Art. 6 I I NFVO in dem Mitgliedstaat statt, in dem das Produkt erstmalig in Verkehr gebracht werden soll. Die zuständige Behörde 353
Siehe unten S. 82ff. zu Art. 8 NFVO. Siehe oben Fn.244. 355 Vgl. dazu im einzelnen Schroeter (siehe oben Fn.268), S. 115ff. 356 Empfehlung 97/618/EG, TEILI (Empfehlungen zu den wissenschaftlichen Aspekten der für die Befürwortung von Anträgen auf Genehmigung des Inverkehrbringens neuartiger Lebensmittel und Lebensmittelzutaten erforderlichen Informationen), Punkt 5 (Festlegung der für die Verträglichkeitsprüfung erforderlichen Informationen): „...Es liegt auf der Hand, dass ein formalistischer Ansatz nicht allen NL gerecht werden kann. Sind für die Bewertung andere Informationen verfügbar oder relevant, dann sollten diese vorgelegt werden. Wird jedoch vorgeschlagen, bestimmte Informationen, die in einem der Bewertungsschemata gefordert sind, wegzulassen, dann ist dafür eine wissenschaftliche Begründung abzugeben." 357 So auch Schroeter (siehe oben Fn. 268), S. 115. 358 Ygi n u r Schroeter (siehe oben Fn.245), S.45. 354
Β. Die Novel Food-Verordnung
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prüft, ob der Antrag die erforderlichen Informationen und Unterlagen enthält und ob die materiellen Anforderungen nach Artt. 3 I, 9 N F V O eingehalten sind. 3 5 9 Dabei überrascht, dass nach der Empfehlung 97/618/EG insbesondere die wesentliche Gleichwertigkeit des Produktes mit konventionellen Lebensmitteln geprüft werden soll, 3 6 0 denn die N F V O selbst verwendet das Kriterium der wesentlichen Gleichwertigkeit in der oben dargestellten Weise 3 6 1 zur Abgrenzung zwischen Anzeige- und Genehmigungsbedürftigkeit und nicht innerhalb des Genehmigungsverfahrens. Der i m Schrifttum vertretene Erklärungsversuch, die Empfehlung vermute eben, dass die Prüfungsbehörde auch i m Anzeigeverfahren eingeschaltet werde, 3 6 2 ist nicht überzeugend, denn die Ausführungen zur wesentlichen Gleichartigkeit in der Empfehlung betreffen ausdrücklich die Erstprüfung, also nur das Genehmigungsverfahren. Vielmehr ist die Konstellation zu bedenken, dass ein Inverkehrbringer sein Produkt als nicht wesentlich gleichwertig erachtet und die Prüfungsbehörde dies in dem Genehmigungsverfahren dann anders beurteilt. Es ist nur verfahrensökonomisch, wenn in diesem Fall das Genehmigungsverfahren erheblich vereinfacht wird, so wie es die Empfehlung vorsieht, indem nach dem Konzept der wesentlichen Gleichwertigkeit auf weitere Untersuchungen dann verzichtet werden kann. 3 6 3 Nach Art. 6 I I I N F V O muss die Prüfungsbehörde innerhalb von drei Monaten ab Eingang des vollständigen (!) Antrags einen Bericht über die Erstprüfung erstellen. A n diesen Bericht schließt sich eine ergänzende Prüfung auf gemeinschaftlicher Ebene nach Artt. 7,13 N F V O an, wenn die Prüfungsbehörde dies als erforderlich erachtet: Dieser Verfahrensgang ist dann notwendig, wenn die Prüfungsbehörde die Genehmigungsvoraussetzungen als (noch) nicht erfüllt ansieht. Demnach sieht die N F V O nicht vor, dass die mitgliedstaatliche Prüfungsbehörde einen Antrag ohne weitere Prüfung auf gemeinschaftlicher Ebene endgültig ablehnen kann. 3 6 4 Hält die Prüfungsbehörde ein ergänzendes Verfahren für nicht erforderlich, hält sie mit anderen Worten die Genehmigungsvoraussetzungen für erfüllt, schließt sich zunächst das Konsultationsverfahren nach Art. 6 I V N F V O an, in dem Kommission oder ein anderer Mitgliedstaat durch einen begründeten Einwand eine ergänzende Prüfung 3 6 5 auf gemeinschaftlicher Ebene veranlassen können. 359 Vgl. Empfehlung 97/618/EG (siehe oben Fn.244), Teil III (Empfehlungen zu den wissenschaftlichen Aspekten der Erstellung der Berichte über die Erstprüfung von Anträgen auf Genehmigung des Inverkehrbringens neuartiger Lebensmittel und Lebensmittelzutaten). 360 So Empfehlung 97/618/EG (siehe oben Fn.244), Teil III, 2.1.1. 361 Siehe oben S.65ff. zur Abgrenzung Anzeige/Genehmigung. 362 So Schroeter (siehe oben Fn.268), S. 120. 363 Vgl. Teil III 2.1.1 der Empfehlung 97/618/EG (siehe oben Fn.244). 364 Vgl. Wahl/Groß (siehe oben Fn. 118), S.7; Rehbinder (siehe oben Fn. 156), S. 11. 365 Terminologisch unterscheidet die NFVO (vgl. Art. 4 II UAbs. 2 1. SpStr. und Art. 7 I NFVO) zwischen einer von dem für die Erstprüfung zuständigen Mitgliedstaat eingeleiteten ergänzenden Prüfung auf Gemeinschaftsebene und dem Fall, dass die Kommission oder ein anderer Mitgliedstaat Einwände erheben und das Verfahren dadurch auf Gemeinschaftsebene gehievt wird. Des einfacheren Verständnisses wegen wird in dieser Arbeit der Begriff der „ergänzenden Prüfung" für beide Konstellationen verwendet.
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
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Das Konsultationsverfahren nach Art. 6 I V N F V O gibt der Kommission und den übrigen Mitgliedstaaten die Möglichkeit, innerhalb von 60 Tagen, nachdem die Kommission den Bericht über die Erstprüfung an die übrigen Mitgliedstaaten weitergeleitet hat, gegenüber der Kommission begründete Einwände gegen das Inverkehrbringen des betreffenden Produktes abzugeben. Die Kommission hat die Einwände noch innerhalb der erwähnten Frist von 60 Tagen an die Mitgliedstaaten zu übermitteln. Ein solcher Einwand bewirkt ein ergänzendes Verfahren nach Artt. 7, 13 NFVO. Der Einwand kann, ohne dass Art. 6 I V NFVO dies ausdrücklich erwähnen muss, die dargestellten formellen und materiellen Genehmigungsvoraussetzungen betreffen. Art. 6 I V S. 3 N F V O erlaubt explizit auch einen Einwand gegen die Aufmachung oder Etikettierung. Da ethische Bedenken nicht zu den Genehmigungsvoraussetzungen zählen, aber bei der Etikettierung, wie weiter unten 3 6 6 dargestellt, relevant sein können, sind sie daher als Einwand auch nur i m Hinblick auf Aufmachung oder Etikettierung zulässig. 367 Der Einwand muss ferner „begründet 4 ' 3 6 8 sein. Während es nach dem deutschen Wortlaut möglich schiene, „begründet" als „zutreffend" zu übersetzen, ergibt sich aus Sinn und Zweck, dass es sich nur um eine formale Begründung handeln kann, die allerdings den Einwand inhaltlich näher erläutern muss und nicht alleine die bloße Tatsache des Einwandes wiederholen darf. 3 6 9 Zur Prüfung, ob der Einwand tatsächlich zutrifft, existiert das Verfahren der ergänzenden Prüfung nach Artt. 7, 13 NFVO. Wenn in dem Konsultationsverfahren dagegen kein Einwand vorgebracht wird, befürworten die Kommission, der prüfende Mitgliedstaat und die übrigen Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen des Lebensmittels. In diesem Falle erteilt der prüfende Mitgliedstaat dem Inverkehrbringer eine Genehmigung nach Art. 4 I I UAbs. 2 1. SpStr. NFVO. Die ergänzende Prüfung nach Artt. 7, 13 N F V O wird, wie bereits dargestellt, durchgeführt, wenn entweder der für die Erstprüfung zuständige Mitgliedstaat dies beschließt oder im Konsultationsverfahren die Kommission oder ein anderer M i t gliedstaat Einwände vorbringen. In diesem Verfahrens stadium liegen die maßgeblichen Kompetenzen bei der Kommission, dem Ständigen Lebensmittelausschuss und dem Rat. 3 7 0 Wird in diesem nicht fr ist gebundenen (!) Verfahren das Inverkehrbringen befürwortet, ergeht nach Art. 7 II, I I I N F V O eine Genehmigung durch die Kommission unter Einbindung der Mitgliedstaaten. Deren Geltungsbereich kann ausdrück366
Siehe unten S. 94f. zu Art. 81 (c) NFVO. Zweifelnd noch Long!Car donnei (siehe oben Fn. 142), S. 15. 368 Beispielsweise die englische Fassung lautet: „reasoned", die französische Fassung: „motivée", die portugiesische und spanische Fassung: „fundamentadas", die italienische Fassung: „motivata", die dänische Fassung: „begründet". 369 So auch Schroeter (siehe oben Fn. 245), S. 47, Fn. 5. 370 Vgl. auch Wahl/Groß (siehe oben Fn. 118), S. 10, zu der für den WTO-Zusammenhang nicht weiter relevanten kompetenzrechtlichen Problematik der Hochstufung auf die Gemeinschaftsebene; vgl. zum Verfahren nach Art. 13 NFVO auch Groß (siehe oben Fn.222), S. 352ff. 367
Β. Die Novel Food-Verordnung
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lieh eingeschränkt werden, ebenso können die Verwendungsbedingungen, die Bezeichnung, die genauen Merkmale oder die Etikettierung des betreffenden Produkts festgelegt werden. Andernfalls wird der Antrag endgültig abgelehnt. Die Ablehnung kann nach Maßgabe von Art. 2 3 0 I V EG vor dem EuGH i m Wege der Nichtigkeitsklage angefochten werden. f) Der Eingriffscharakter
der Zulassungspflicht
Aus welthandelsrechtlicher Perspektive ist zur Zulassungspflicht festzuhalten, dass die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen die Handelsfreiheit in beachtlichem Umfang einschränken. Dies liegt zum einen daran, dass wegen des sowohl anthropozentrisch als auch eingeschränkt ökozentrischen Konzeptes nicht nur der Schutz des Verbrauchers vor Gesundheitsschäden und Irreführung, sondern auch der Umweltschutz zu den Rechtsgütern zählt, an die die materiellen Genehmigungsanforderungen anknüpfen. Zum anderen ist die Schwere des Eingriffes in die Handelsfreiheit darauf zurückzuführen, dass die Schutzgüter der NFVO in einem großen Umfang geschützt werden, da der Gefahrenbegriff in Art. 311. SpStr. N F V O im Sinne des Vorsorgeprinzips weit auszulegen ist. Das Genehmigungsverfahren erschwert das Inverkehrbringen neuartiger Lebensmittel ebenfalls erheblich, und die Voraussetzungen für die bloße Anzeigepflicht sind für viele Produkte nicht zu erfüllen. Der Verfahrensaufwand ist beachtlich, selbst wenn es sich um ein materiell genehmigungsfähiges Produkt handelt. Es ist an die umfangreichen Unterlagen und Angaben zu erinnern, die nach Artt. 61,91 N F V O und der Empfehlung 97/618/EG für die Genehmigung erforderlich sind. A u f diese Weise werden dem Antragsteller erhebliche finanzielle Opfer abverlangt, die über die durch die bloße Verzögerung des Inverkehrbringens entstehenden Kosten hinausgehen, so dass das Zulassungsverfahren insoweit auch nicht nur eine vorläufige Handelsbeschränkung darstellt. Daran anknüpfend, ist an den Zeitfaktor zu erinnern. Selbst i m für den Inverkehrbringer günstigsten Fall, also bei einer Genehmigung durch die mitgliedstaatliche Prüfungsbehörde nach einem vollständigen Antrag und einem Konsultationsverfahren ohne Einwand dürfte die Dauer des Genehmigungsverfahrens fünf bis sechs Monate kaum unterschreiten. 371 Schon wegen der hohen Voraussetzungen für die Vollständigkeit des Antrags, wegen der politischen Brisanz der Materie und der unten 3 7 2 ausführlich beschriebenen Skepsis der Gemeinschaftsbürger gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmitteln ist es unwahrscheinlich, dass Genehmigungsverfahren innerhalb dieser Mindestfrist durchgeführt werden, so dass für die Praxis mit einer erheblich längeren Verfahrensdauer zu rechnen ist, was entsprechend höhere finanzielle Nachteile bewirkt. 3 7 3 Daher dürften fast nur größere 371 Vgl. Schroeter (siehe oben Fn.245), S.47; ders. (siehe oben Fn.268), S. 124; Groß (siehe oben Fn. 222), S.306. 372 Siehe unten S. 215 ff. 373 Schroeter (siehe oben Fn.268), S. 120f.; Rehbinder (siehe oben Fn. 156), S. 10f.
6 Stökl
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2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
Unternehmen in der Lage sein, den für das Genehmigungsverfahren erforderlichen technischen, zeitlichen und - damit zusammenhängend - finanziellen Aufwand zu leisten. 3 7 4 Insgesamt ist für die EG-Zulassungspflicht also zu konstatieren, dass sie die Freiheit des Handelsverkehrs auf zwei Ebenen beschränkt: Zum einen 2ist das Prüfverfahren als solches wegen des zeitlichen und technischen Aufwandes bereits ein Handelshemmnis. Zum anderen birgt die Zulassungspflicht das Risiko, dass ein Produkt die hohen Zulassungsanforderungen nicht erfüllt und daher gar nicht in Verkehr gebracht werden darf.
Antrag des Inverkehrbringers bei Mitgliedstaat
t Erstprüfung durch Mitgliedstaat
positive Erstprüfung
keine positive Erstprüfling
»
positiv
•
negativ
4. Die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch modifizierte Lebensmittel Neben der Zulassungspflicht und den dafür zu erfüllenden formellen und materiellen Anforderungen ist die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch modifizierte 374
Schroeter (siehe oben Fn.245), S.45; ders. (siehe oben Fn.268), S. 132.
Β. Die Novel Food-Verordnung
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Lebensmittel 3 7 5 der zweite Eingriff in die Freiheit des innergemeinschaftlichen Handels und des Welthandels. Die Kennzeichnungsanforderungen speziell im Hinblick auf die Anwendung gentechnischer Verfahren richten sich hauptsächlich nach Art. 8 NFVO, einer der i m Gesetzgebungsverfahren am vehementesten umstrittenen Vorschriften. Die teilweise äußerst unpräzisen Formulierungen in Art. 8 N F V O erklären sich gerade dadurch, dass die Vorschrift einen politischen Kompromiss darstellt. 3 7 6 Bereits in Erwägungsgrund 8 der N F V O wird aber darauf hingewiesen, dass die übrigen Etikettierungsanforderungen nach sonstigen EG-rechtlichen Vorschriften von Art. 8 N F V O nicht verdrängt werden, womit vor allem die allgemeine Etikettierungsrichtlinie 2000/13/EG 3 7 7 gemeint ist. Es wird noch darauf einzugehen sein, inwiefern sich aus den allgemeinen Gemeinschaftsnormen für die Etikettierung von Lebensmitteln auch Rückschlüsse auf die gentechnikspezifische Kennzeichnung nach Art. 8 N F V O ziehen lassen. Ebenfalls wird zu untersuchen sein, inwieweit als weitere Erkenntnisquellen für die Auslegung von Art. 8 N F V O die Sondervorschriften für Bt-Mais und RR-Soja 3 7 8 und für Zusatzstoffe und A r o m e n 3 7 9 in Betracht kommen. Die von Art. 8 I I I N F V O erwähnten „etwaigen" Durchführungsbestimmungen zu Art. 8 N F V O sind dagegen noch nicht erlassen worden. I m Weißbuch 2000 zur Lebensmittelsicherheit findet sich der mittlerweile überholte Hinweis, für September 2000 würden präzisere und einheitliche Kennzeichnungsvorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel angestrebt. 380 Nach dem i m Juli 2001 ergangenen Vorschlag der Kommission zur Neuregelung der Zulassung und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel würden gerade die Kennzeichnungsvorschriften in unten 3 8 1 dargestellter, grundlegender Weise verändert. Die gentechnikspezifische Kennzeichnungspflicht nach Art. 8 N F V O wird i m Folgenden darauf überprüft, wann und wie sie in die Handelsfreiheit eingreift. Schließlich ist zu untersuchen, inwieweit die Unbestimmtheit der Kennzeichnungsvorschriften den Inverkehrbringer gentechnisch veränderter Lebensmittel belastet. Ein Sonderfall für die gentechnikspezifische Kennzeichnung ist der Etikettierungshinweis darauf, ein Produkt sei gentechnihfrei. Da in dieser Möglichkeit je375 Wegen des Themas der Arbeit bleibt außer Betracht, inwieweit die Kennzeichnungspflicht auch sonstige neuartige Lebensmittel i.S.d. NFVO erfasst. 376 Vgl. zu den verschiedenen Vorschlägen im Gesetzgebungsverfahren Knörr (siehe oben Fn. 132), S.201 ff. 377 Siehe oben Fn. 201. 378 Insbesondere die VO 1139/98/EG und 49/2000/EG (siehe ausführlich unten S.97ff.). 379 Insbesondere die VO 50/2000/EG (siehe ausführlich unten S.99ff.). 380 KOM (1999) 719 endg., Rn.76, 103, Anhang Nr.52. 381 Siehe unten S. 101 ff. *
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2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
denfalls prinzipiell keine Beschränkung der Welthandelsfreiheit liegt, wird diese Negativkennzeichnung hier nicht erörtert. 382
a) Die Vorgaben von Art. 8 NFVO Ausgangspunkt für den Anwendungsbereich von Art. 8 N F V O ist der Anwendungsbereich der N F V O insgesamt, der sich nach Artt. 1, 2 N F V O richtet. 3 8 3 Damit stellte sich hauptsächlich, aber nicht nur in der Vergangenheit die Frage, ob für diejenigen Zusatzstoffe, Aromen und Extraktionslösungsmittel, die von Art. 2 N F V O aus dem Anwendungsbereich der NFVO herausgenommen werden, die Kennzeichnungsvorschrift des Art. 8 NFVO, wenn nicht direkt, 3 8 4 so doch zumindest analog anzuwenden ist, wie dies von Teilen des Schrifttums vorgeschlagen w i r d . 3 8 5 Nach Erlass der V O 50/2000/EG mit ihren gentechnikspezifischen Kennzeichnungsvorschriften für Lebensmittel und -zutaten mit gentechnisch veränderten Zusatzstoffen und Aromen ist das Problem nur noch für Extraktionslösungsmittel und für nicht in den Anwendungsbereich der V O 50/2000/EG fallende neuartige Zusatzstoffe und Aromen aktuell. Gerade durch den auf Zusatzstoffe und Aromen beschränkten Erlass der V O 50/2000/EG hat der Gemeinschaftsgesetzgeber jedoch deutlich gemacht, dass eine Kennzeichnungspflicht auch für Extraktionslösungsmittel gegenwärtig nicht seinem Willen entspräche. Da es somit an einer planwidrigen Lücke mangelt, kommt insoweit auch keine Analogie in Betracht. 3 8 6 Aus welthandelsrechtlicher Perspektive ist hinsichtlich des Anwendungsbereiches von Art. 8 N F V O bemerkenswert, dass die Kennzeichnungspflicht ausdrücklich „zur Unterrichtung der Endverbraucher' 4 gilt. Daraus wird teilweise geschlossen, der Wortlaut verlange eine Kennzeichnung nur gegenüber dem Endverbraucher und nicht gegenüber Zwischenhändlern, 387 was für internationale Großlieferungen ein bedeutender Unterschied wäre. Diese Auffassung ist jedoch in dieser Weite nicht überzeugend. Schon der Wortlaut der zitierten Formulierung besagt nicht, dass die Kennzeichnung nur gegenüber 382 Vgl. zur Negativkennzeichnung § 5 NLV (siehe oben Fn. 352) und aus dem Schrifttum etwa Loosen, Zur Kennzeichnung neuartiger Lebensmittel, ZLR 2000, S.434 ff. (454 ff.) m. w. N. 383 Siehe oben S.47ff. zum Anwendungsbereich der NFVO. 384 Siehe oben S.60f. dazu, dass die Bereichsausnahme in Art. 1 NFVO wörtlich zu nehmen ist, so dass Art. 8 NFVO auf die betreffenden Produkte nicht angewandt werden kann. 385 So insbesondere Streinz, Umwelt- und Verbraucherschutz durch den Einkaufskorb - Möglichkeiten und Grenzen der Kennzeichnung neuartiger Lebensmittel, ZUR 1999, S. 16 ff. (18); Herdegen/Spranger in Herdegen (Hrsg.), IPGenTR, Bd. 1, EG-Recht/VO 258/97/EG, Rn. 60; Loosen (siehe oben Fn. 382), S. 443. 386 Im Ergebnis ebenso Dederer (siehe oben Fn. 180), S. 251, Fn.40; vgl. bereits vor Erlass der VO 50/2000/EG Simon, Die Regelung gentechnisch hergestellter Lebensmittel in der „Novel Food"-Verordnung und im Gentechnikgesetz - Wertungsdifferenzen, Gesetzeslücken und Lösungsmöglichkeiten, in Streinz (Hrsg.), Novel Food, S.85ff. (92). 387 So Knörr (siehe oben Fn. 132), S. 226.
Β. Die Novel Food-Verordnung
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dem Endverbraucher erfolgen müsse, sondern beschreibt nur ihre Intention. Systematisch lässt sich gegen die einschränkende Auslegung einwenden, dass der Anwendungsbereich der gerade zur Erstreckung der Kennzeichnungsregeln von Art. 8 NFVO erlassenen Kennzeichnungsvorschriften für Bt-Mais und RR-Soja 3 8 8 so formuliert ist, dass die Kennzeichnung nicht erst gegenüber dem Endverbraucher erfolgen muss, sondern für Lebensmittel gilt, die „als solche", also ohne weitere Verarbeitung, zur Abgabe an den Endverbraucher oder gemeinschaftliche Einrichtungen wie etwa Gaststätten bestimmt sind. 3 8 9 Die allgemeine Etikettierungsrichtlinie 2000/13/EG, die der V O 1139/98/EG zugrunde liegt, gilt ebenfalls für ohne weitere Verarbeitung an den Endverbraucher abgegebene Lebensmittel. 3 9 0 Dass diese Vorschriften damit nicht erst die Abgabe an den Endverbraucher meinen, wird auch aus Art. 13 1(b) R L 2000/13/EG deutlich, wo es innerhalb des Anwendungsbereiches der R L 2000/13/EG ausdrücklich um für den Endverbraucher bestimmte Produkte geht, aber auf einer der Abgabe an ihn vorangehenden Stufe. 3 9 1 I m Übrigen redu388
Siehe zur VO 1139/98/EG unten S.97ff. Art. 11 VO 1139/98/EG: „Diese Verordnung gilt für Lebensmittel..., die als solche an den Endverbraucher weitergegeben... werden." Noch deutlicher wird die bloße Zweckbestimmung etwa im englischen Wortlaut („...are to be delivered as such...") oder im französischen („...destinés à ètre proposés tels quels ...") oder im italienischen („da fornire in quanto tali ", Hervorhebungen vom Verfasser). Seit der VO 49/2000 ist auch die Abgabe an gemeinschaftliche Einrichtungen wie Gaststätten oder Krankenhäuser erfasst. 390 Art. 11 RL 2000/13/EG: „Diese Richtlinie gilt für die Etikettierung von Lebensmitteln, die ohne weitere Verarbeitung an den Endverbraucher abgegeben werden sollen,..." Der englische Wortlaut lautet: „This Directive concerns the labelling of foodstuffs to be delivered as such to the ultimate consumer..."; der französische Wortlaut lautet: „...denrées alimentaires destinées à ètre livrées en l'état au consommateur final..." (Hervorhebungen vom Verfasser). Bemerkenswert ist im Übrigen ein Übersetzungsfehler beim unten (S. 101 ff.) vorgestellten Kommissionsvorschlag KOM (2001) 425 endg. für eine Verordnung für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel: Zuerst wurde der englische Wortlaut veröffentlicht, der den Anwendungsbereich wie die VO 1139/98/EG oder die RL 2000/13/EG definiert für „... foods which are to be delivered as such to the final consumer". Die deutsche Übersetzung spricht dagegen von Lebensmitteln, „die direkt an den Endverbraucher... geliefert werden sollen". Diese ungenaue Übersetzung wird nicht unterstützt etwa von der französischen Version, die ähnlich wie die VO 1139/98/EG oder die RL 2000/13/EG von „... denrées alimentaires qui sont fournies telles quelles au consommateur final..." spricht. Auch die italienische Version knüpft an die VO 1139/98/EG und die RL 2000/13/EG an und spricht von „... agli alimenti destinati in quanto tali al consumatore finale..." Ebenso die portugiesische Fassung mit der Formulierung „... alimentos que sejam apresentados corno tal ao consumidor final" (Hervorhebungen vom Verfasser). 391 Art. 131(b) RL 2000/13/EG: „Sofern die vorverpackten Lebensmittel - für den Endverbraucher bestimmt sind, aber auf einer dem Verkauf an den Endverbraucher vorangehenden Stufe vermarktet werden, sofern diese Stufe nicht der Verkauf an eine gemeinschaftliche Einrichtung ist, - an gemeinschaftliche Einrichtungen abgegeben werden sollen, um dort zubereitet, verarbeitet, aufgeteilt oder abgegeben zu werden, brauchen die in Artikel 3 und Artikel 4 Absatz 2 genannten Angaben abweichend von Buchstabe a) und unbeschadet der Gemeinschaftsvorschriften für die Nennfüllmengen nur in den dazugehörenden Geschäftspapieren aufgeführt zu sein, wenn sichergestellt ist, dass diese Pa389
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ziert Art. 131(b) R L 2000/13/EG die Kennzeichnungsanforderungen zwar in diesem Stadium vor der Abgabe an den Endverbraucher oder bei der Abgabe an gemeinschaftliche Einrichtungen und lässt ausreichen, dass die betreffenden Produktcharakteristika in einem Begleitschreiben enthalten sind. Bestimmte Essentialia wie insbesondere die Angaben über die Verkehrsbezeichnung müssen aber nach Art. 131(c) R L 2000/13/EG auch dann auf der äußeren Verpackung stehen. Bei bestrahlten Lebensmitteln muss sich außerdem auf der Verpackung die mit der Verkehrsbezeichnung verbundene Angabe befinden, dass es sich um ein mit ionisierenden Strahlen behandeltes Lebensmittel handelt. 3 9 2 Dies ist der gentechnikbezogenen Kennzeichnung vergleichbar, insbesondere wurde die Kennzeichnungspflicht für bestrahlte Lebensmittel aus ähnlichen Gründen eingeführt. 393 Das spricht dafür, dass auch die gentechnikbezogene Kennzeichnung nach Art. 8 N F V O zumindest auf der äußeren Verpackung sein muss. Auch teleologische Erwägungen sprechen für eine Kennzeichnungspflicht bereits beim ersten Inverkehrbringen, wenn die Lebensmittel als solche irgendwann an den Endverbraucher oder gemeinschaftliche Einrichtungen abgegeben werden sollen, denn die von Art. 8 N F V O beabsichtigte „Unterrichtung der Endverbraucher" ist am effektivsten dadurch sicherzustellen, dass bereits gegenüber Zwischenhändlern eine entsprechende Kennzeichnung erfolgt. Ohnehin wären auch nach einer einschränkenden Auslegung von Art. 8 N F V O Lieferungen an Zwischenhändler indirekt von der Kennzeichnungspflicht betroffen. Für denjenigen Händler, der die Ware an Endverbraucher abgibt, gälte in jedem Fall die Kennzeichnungspflicht, so dass er zumindest eine Information von seinen Lieferanten verlangen würde, mit der er beurteilen kann, ob die von ihm abgegebene Ware kennzeichnungspflichtig ist. Befürchtete der kennzeichnungspflichtige Händler Einbußen beim Verkauf kennzeichnungspflichtiger Waren, würde er sich wahrscheinlich an Zulieferer wenden, deren Produkte er weiterverwenden könnte, ohne zur Kennzeichnung verpflichtet zu sein. Schließlich ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass der unten 3 9 4 ausführlich beschriebene Kommissionsvorschlag über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Organismen und daraus hergestellter Lebens- und Futtermittel bestimmte Dokumentations- und Kennzeichnungsanforderungen enthält, die ausdrücklich auch vor der Abgabe an den Endverbraucher gelten sollen.
piere mit allen Etikettierungsangaben entweder die Lebensmittel, auf die sie sich beziehen, begleiten oder vor bzw. gleichzeitig mit der Lieferung abgesandt wurden." (Hervorhebung vom Verf.). Ähnlich bereits Art. 111(b) der ursprünglichen Etikettierungsrichtlinie 79/112/EWG. 392 Art. 5 III UAbs. 2 RL 2000/13/EG. 393 Siehe oben S.45. 394 Siehe unten S. 110ff.
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(1) Art. 81(d) NFVO Von den in Art. 8 I (a)-(d) N F V O genannten Fallgruppen der Kennzeichnungspflicht ist die unter (d) genannte Kategorie relativ unproblematisch: Hiernach gilt eine besondere Etikettierungspflicht hinsichtlich noch vorhandener gentechnisch veränderter Organismen i. S. d. FreisRL 90/220/EWG, wovon Lebensmittel und Lebensmittelzutaten i. S. v. Art. 111(a) N F V O betroffen sind wie beispielsweise gentechnisch veränderte Tomaten.
(2) Art. 81(a) NFVO M i t den drei übrigen Fallgruppen sind dagegen teilweise erhebliche Auslegungsschwierigkeiten verbunden: Art. 8 I (a) N F V O begründet eine Kennzeichnungspflicht für: „alle Merkmale oder Ernährungseigenschaften, wie -
Zusammensetzung,
-
Nährwert oder nutritive Wirkungen,
-
Verwendungszweck des Lebensmittels,
die dazu führen, dass ein neuartiges Lebensmittel oder eine neuartige Lebensmittelzutat nicht mehr einem bestehenden Lebensmittel oder einer bestehenden Lebensmittelzutat gleichwertig ist. Ein neuartiges Lebensmittel oder eine neuartige Lebensmittelzutat gilt als nicht mehr gleichwertig im Sinne dieses Artikels, wenn durch eine wissenschaftliche Beurteilung auf der Grundlage einer angemessenen Analyse der vorhandenen Daten nachgewiesen werden kann, dass die geprüften Merkmale Unterschiede gegenüber konventionellen Lebensmitteln oder Lebensmittelzutaten aufweisen, unter Beachtung der anerkannten Grenzwerte für natürliche Schwankungen dieser Merkmale. In diesem Fall sind auf der Etikettierung diese veränderten Merkmale oder Eigenschaften sowie das Verfahren, mit dem sie erzielt wurden, anzugeben." Art. 81 (a) NFVO zählt zu den umstrittensten Vorschriften der NFVO. Vor allem ist problematisch, was unter Gleichwertigkeit i. S. d. Vorschrift zu verstehen ist. Der Begriff ist kaum trennschärfer als die in anderen Verordnungsentwürfen enthaltene Wendung „signifikanter Unterschied". 3 9 5 Einigkeit besteht noch, dass Gleichwertigkeit enger zu verstehen ist als die für die Abgrenzung von Anzeige und Genehmigung in Art. 3 I V N F V O entscheidende „wesentliche Gleichwertigkeit" 3 9 6 . Ebenso ist eindeutig, dass die Anwendung gentechnischer Verfahren bei Lebensmitteln dann nicht unter Art. 81 (a) N F V O fällt, wenn überhaupt kein naturwissenschaftlich 395 396
Vgl. Rossen (siehe oben Fn.60), S.46. Siehe oben S. 65 ff. zur wesentlichen Gleichwertigkeit.
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
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nachweisbarer 397 Unterschied zu einem konventionellen Lebensmittel mehr besteht, weil dann Gleichwertigkeit i. S. d. Vorschrift vorliegt. Ferner bleiben schon nach dem Wortlaut analytische Unterschiede innerhalb der natürlichen Schwankungen außer Betracht. Ansonsten verbleiben jedoch Auslegungsschwierigkeiten, da der Begriff der Gleichwertigkeit in Art. 81 (a) UAbs. 2 N F V O durch weitere unbestimmte Rechtsbegriffe definiert wird wie insbesondere „wissenschaftliche Beurteilung" oder „angemessene Analyse". Vor allem ist umstritten, ob die nach Art. 81 (a) UAbs. 2 N F V O genannten Unterschiede bereits dann vorliegen, wenn in dem untersuchten Produkt eine gentechnisch bewirkte DNA-Veränderung nachweisbar ist. I m Schrifttum wird teilweise angezweifelt, dass die DNA-Veränderung überhaupt ein taugliches Unterscheidungsmerkmal für die Frage der Gleichartigkeit in Art. 81 (a) N F V O ist: Nach Wortlaut („wissenschaftliche Beurteilung") und Zweck der Vorschrift könnten analytische Unterschiede nicht alleine maßgeblich, sondern nur der Ausgangspunkt einer Wertung sein, die nur Unterschiede mit ernährungsphysiologischer Relevanz ausreichen lasse. 398 Die Übertragung eines neuen Gens in eine Kulturpflanze beeinflusse deren DNA-Gehalt quantitativ nur minimal, und bloße DNA-Veränderungen hätten keine ernährungsphysiologische Relevanz. 399 Eher sei eine Veränderung der Proteinstruktur ein geeignetes Abgrenzungskriterium wegen der Auswirkungen auf das allergene Potential des betreffenden Lebensmittels. 400 Diese Auslegung der Gleichartigkeit i. S. v. Art. 81(a) N F V O ist jedenfalls mittlerweile nicht mehr überzeugend. Unabhängig von der Frage, ob das Kriterium der ernährungsphysiologischen Relevanz überhaupt tauglich ist, 4 0 1 lässt sich nämlich inzwischen den Kennzeichnungsvorschriften für Bt-Mais und RR-Soja entnehmen, dass nach Auffassung des Gemeinschaftsgesetzgebers auch bloße DNA-Veränderungen eine Kennzeichnungspflicht begründen können: Die V O 1139/98/EG für BtMais und RR-Soja, die erst nach der NFVO erlassen wurde, die der N F V O nachempfundene V O 1813/97/EG ersetzt und eine gentechnikspezifische Kennzeichnungspflicht für Bt-Mais und RR-Soja konstituiert, stellt dafür alternativ auf gentechnisch veränderte Proteine oder D N A ab, 4 0 2 und in den Erwägungsgründen werden gentechnisch veränderte Proteine oder D N A das momentan probateste Abgrenzungskriterium genannt. 403 Diese Auffassung des EG-Gesetzgebers lässt sich verall397
Siehe oben Fn. 230 zu Hinweisen auf die verschiedenen Nachweismethoden. So Schroeter (siehe oben Fn. 207), S. 385; sich ihm anschließend Loosen (siehe oben Fn. 382), S.439; Streinz (siehe oben Fn. 385), S. 17; Toussaint, Kennzeichnungsfragen aus Sicht der Wirtschaft, ZLR 1998, S. 81 ff. (82); Minol, Der Begriff der „Gleichwertigkeit" aus naturwissenschaftlicher Sicht, in Streinz (Hrsg.), Neuartige Lebensmittel, S. 137 ff. (138); ebenfalls Rossen (siehe oben Fn.60), S.47ff., tendiert in diese Richtung. 399 Toussaint (siehe oben Fn. 398), S. 82f.; Minol (siehe oben Fn. 398), S. 139ff. 400 Toussaint (siehe oben Fn. 398), S. 82; Minol (siehe oben Fn. 398), S. 139ff. 401 Streng dagegen Dederer (siehe oben Fn. 180), S. 252. 402 Art. 2 II UAbs. 1 VO 1139/98/EG. 403 Erwägungsgrund 13 VO 1139/98/EG. 398
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gemeinern und analog auf die vor der V O 1139/98/EG erlassene N F V O übertragen 4 0 4 : Für die Vergleichbarkeit der Kennzeichnungssituation nach der N F V O einerseits und nach der VO 1139/98/EG andererseits spricht zunächst, dass die V O 1139/98/EG ausdrücklich gleiche Grundsätze für die Kennzeichnung der in ihren Anwendungsbereich fallenden Bt-Mais und RR-Soja wie für die unter die N F V O fallenden Produkte einführen w i l l . 4 0 5 Die V O 1139/98/EG beruht ferner auf den allgemeinen Leitlinien für die Kennzeichnung gentechnischer Produkte der Kommission vom Juli 1997. 4 0 6 Die Übertragung entspricht außerdem dem i m Weißbuch 2000 zur Lebensmittelsicherheit 407 von der Kommission geäußerten Gedanken, die Kennzeichnungsvorschriften für neuartige Lebensmittel zu harmonisieren. 4 0 8 Enthält dabei ein Lebensmittel nicht nur gentechnische Protein- oder DNA-Veränderungen, sondern auch gentechnisch veränderte Organismen, oder besteht es daraus, fällt es prinzipiell unter Art. 81 (a) wie unter Art. 81 (d) NFVO. Erschöpft sich die Nichtgleichwertigkeit in der Existenz der gentechnisch veränderten Organismen, ist die Hinweispflicht auch nach Art. 81 (a) N F V O allerdings dadurch erfüllt, dass nach Art. 8 1 (d) N F V O auf die gentechnisch veränderten Organismen hingewiesen wird. Eine darüber hinausgehende Kennzeichnung nach Art. 8 I (a) N F V O bezüglich sonstiger Merkmale oder Ernährungseigenschaften ist nur dann erforderlich, wenn außerdem noch beispielsweise der Nährwert des Produktes unterschiedlich ist oder sich Unterschiede hinsichtlich des Verwendungszwecks ergeben. 409 Allerdings ist insbesondere aus welthandelsrechtlicher Sicht zu überlegen, ob auch jeder minimale Anteil gentechnischer D N A - oder Proteinveränderungen die Kennzeichnungspflicht nach Art. 81 (a) N F V O auslöst, denn gerade bei Schiffslieferungen aus Nordamerika, wo gentechnisch veränderter Mais und Soja sehr verbreitet sind und von konventionellen Produkten während des Transports nicht hinreichend getrennt werden, ist es aus technischen Gründen nur schwer vermeidbar, dass jedenfalls geringe Anteile der Lieferung auch von Pflanzen mit gentechnischen Veränderungen stammen. 4 1 0 Das Sonderrecht für Bt-Mais und RR-Soja enthält deshalb seit der unten 4 1 1 ausführlicher dargestellten VO 49/2000/EG einen Schwellenwert, 404 Ähnlich Streinz (siehe oben Fn. 385), S. 19; Bjerregaard (siehe oben Fn. 184), S. 7; Dederer (siehe oben Fn. 180), S. 252; Knörr (siehe oben Fn. 132), S. 228; Loosen (siehe oben Fn. 382), S. 439; Herdegen/Spranger (siehe oben Fn.385), Bd. 1, VO 258/97, Rn.72; Janyl Greiner, Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln, LuR 1998, S. 25 ff.
(28).
405 Erwägungsgrund 6 VO 1139/98/EG. 406 IP/97/700; vgl. dazu Dederer, Novel Foods im EG-Kennzeichnungsdickicht, ZFL 1998, Teil 2, Nr. 6, S.46ff. (46); O'Rourke (siehe oben Fn.52), S. 163. 407 408 409 410 411
Siehe oben Fn. 133 zum Weißbuch. Siehe oben Fn. 134 zum Harmonisierungsbestreben. Vgl. Dederer (siehe oben Fn. 180), S. 252. Vgl. nur die Hinweise oben bei Fn. 188. Siehe unten S.97ff. zu den Sondervorschriften für Bt-Mais und RR-Soja.
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wonach die Kennzeichnungspflicht nicht gilt, wenn das Material aus gentechnisch veränderten Organismen höchstens 1 % der jeweiligen Lebensmittels oder der Lebensmittelzutat ausmacht und nur zufällig vorhanden ist. 4 1 2 Dabei gilt der Schwellenwert ausdrücklich auch für Kombinationen zufälliger Bestandteile von Bt-Mais und RR-Soja und von in den Anwendungsbereich der N F V O fallenden Produkten. Gegen eine unmittelbare Anwendung des Schwellenwertes auf Lebensmittel, die nur mit unter die N F V O fallenden Produkten geringfügig kontaminiert sind, 4 1 3 spricht Erwägungsgrund 9 der V O 49/2000/EG 4 1 4 und die Tatsache, dass die V O 49/2000/EG nur die V O 1139/98/EG ändert und nicht auch die NFVO. Hinsichtlich einer analogen Anwendung des Schwellenwertes für den Bereich der N F V O besteht zunächst eine planwidrige Lücke - die sogleich näher beschriebene Kann-Kennzeichnung gilt als besondere Kennzeichnungsart nämlich nur für solche Fälle, in denen ein Nachweis von gentechnisch veränderten Anteilen gerade nicht gelingt. 4 1 5 Ein Nachweis ist aber bereits heute regelmäßig auch unterhalb der 1 %-Schwelle möglich. 4 1 6 Auch gelten die Gründe, warum der Schwellenwert für Bt-Mais und RR-Soja eingeführt worden ist, ebenfalls für nach der N F V O zugelassene Produkte: Für konventionelle Lebensmittel ist das Kontaminationsrisiko mit Material aus gentechnisch veränderten Organismen auch anderer Arten als Bt-Mais und RR-Soja während des Anbaus, der Ernte, des Transports, der Lagerung und der Verarbeitung 417 nicht gänzlich auszuschließen. Es entspricht daher dem kennzeichnungsrechtlichen Harmonisierungsbestreben der E G , 4 1 8 die Mindestschwelle der 4,2
Art. 1 Nr. 2 VO 49/2000/EG. So wohl Jany /Kiener /Tornitici Greiner, Novel Food Verordnung (EC) Nr. 258/97 - Kennzeichnung und Nachweisverfahren von neuartigen Lebensmitteln, http://www.bfa-emaehrung. de/Bfe-Deutsch/Information/e-docs/PCR-Vortrag.pdf, S. 5, 8; Groß (siehe oben Fn. 222), S.385. 414 Erwägungsgrund 9 VO 49/2000/EG: „Es gilt, klar festzustellen, dass der Prozentsatz von 1 % der Toleranzwert nicht nur für das zufällige Vorhandensein von Material aus den oben genannten genetisch veränderten Organismen sein sollte, sondern auch für das zufällige Vorhandensein derartigen Materials, zusammen mit sonstigem Material aus anderen genetisch veränderten Organismen, das gemäß der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates in Verkehr gebracht wurde." (Hervorhebung vom Verfasser). 4,5 Vgl. Bjerregaard (siehe oben Fn. 184), S. 8, und Erwägungsgrund 9 NFVO: „Bei Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten, die für die Abgabe an den Endverbraucher in Verkehr gebracht werden sollen, und die sowohl genetisch veränderte als auch konventionelle Erzeugnisse enthalten können, entspricht es unbeschadet der übrigen Etikettierungsvorschriften dieser Verordnung - als Ausnahme insbesondere für Großlieferungen - den Anforderungen des Artikels 8, wenn der Verbraucher über die mögliche Anwesenheit von genetisch veränderten Organismen in den betreffenden Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten informiert wird." (Hervorhebungen vom Verfasser). 416 Vgl. nur Schauzu (siehe oben Fn.230), S. 150 und insbesondere 152; darauf beruht auch die VO 49/2000/EG, worauf ihr Erwägungsgrund 8 hinweist: „...Es gibt bereits Nachweisverfahren - oder es wird diese in Kürze geben - , die es ermöglichen, diesen Wert einzuführen..." 4,7 So die Beispiele in Erwägungsgrund 4 VO 49/2000/EG. 418 Siehe oben Fn. 133 f. zum Weißbuch 2000 zur Lebensmittelsicherheit und den dortigen Ausführungen zur Harmonisierung der Kennzeichnungsvorschriften. 413
Β. Die Novel Food-Verordnung
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V O 49/2000/EG auch außerhalb des Sonderrechts für Mais und Soja für die nach der N F V O zugelassenen Lebensmittel und -zutaten anzuwenden. 419 Auch die in Erwägungsgrund 9 der N F V O genannte Kann-Kennzeichnung ist als Erleichterung für Großlieferungen vorgesehen. Hiernach erfüllt gerade (aber nicht ausschließlich) bei Großlieferungen eine Information über die möglicherweise enthaltenen gentechnisch veränderten Bestandteile die Kennzeichnungsanforderungen. Daraus lässt sich e contrario schließen, dass die Zulassungspflicht unberührt bleibt. Die Kann-Kennzeichnung wird rechtspolitisch kritisiert, 4 2 0 ist aber als in den Erwägungsgründen auftauchende Äußerung des gesetzgeberischen Willens bei der Auslegung von Art. 8 N F V O prinzipiell zu berücksichtigen. 421 Dabei soll die KannKennzeichnung dann anwendbar sein, wenn das Vorhandensein auch gentechnisch veränderter Bestandteile nicht ausgeschlossen, aber auch nicht bewiesen werden kann. 4 2 2 Daran lässt sich erkennen, dass der Anwendungsbereich der Kann-Kennzeichnung umso kleiner wird, je präzisere Nachweisverfahren zur Verfügung stehen. Die Sensitivität der heute zur Verfügung stehenden Nachweisverfahren ermöglicht aber schon heute den Nachweis deutlich unterhalb des Schwellenwertes von 1 % , 4 2 3 der durch die V O 49/2000/EG für den Anwendungsbereich der V O 1139/98/EG (die i m Übrigen entgegen ersten Entwürfen keine Kann-Kennzeichnung enthält 4 2 4 ) eingeführt wurde, aber nach den getroffenen Feststellungen auf die nach der NFVO zugelassene Produkte analog anwendbar ist. Praktisch ist damit für die Kann-Kennzeichnung auch i m Anwendungsbereich der NFVO wegen der Genauigkeit der Nachweisverfahren und des insoweit anwendbaren Schwellenwertes jedenfalls für den welthandelsrechtlich besonderes interessanten Bereich der Großlieferungen kaum mehr ein Anwendungsbereich vorstellbar. Was die Platzierung und Formulierung der Kennzeichnung nach Art. 8 (a) N F V O betrifft, so enthält die Vorschrift wie die übrigen Fallgruppen keine präzisen Vorgaben. Aus Perspektive des Inverkehrbringers wird dieses Problem teilweise gelindert, 4,9 Auch Spranger, Neue Vorgaben für den Bereich der Novel Foods durch die Verordnungen (EG) Nr.49/2000 und 50/2000, Lebensmittel- & Biotechnologie 2000, S.51 ff. (53), spricht von einer „Präjudizwirkung" des Schwellenwertes für den Bereich aller neuartigen Lebensmittel. 420 Vgl. etwa Herdegen/Spranger (siehe oben Fn. 385), Bd. 1, VO 258/97, Rn. 78 f.; Dannecker (siehe oben Fn. 196), S. 205; Dederer (siehe oben Fn. 406), S. 47; ders. (siehe oben Fn. 180), S.249. 421 Dederer (siehe oben Fn. 180), S.253; vgl. auch Long/Cardonnel (siehe oben Fn. 142), S.20. 422 Siehe oben Fn.415 zu dieser Anwendungsvoraussetzung der Kann-Kennzeichnung. 423 Vgl. Schauzu (siehe oben Fn.230), S. 150, 152. 424 In Erwägungsgrund 20 VO 1139/98/EG ist lediglich erwähnt, dass freiwillig eine Kennzeichnung erfolgen kann, wenn der Beweis für das Vorhandensein gentechnischer Bestandteile nicht durch naturwissenschaftliche Beweismittel, sondern nur anderweitig möglich ist; vgl. auch Herdegen/Spranger (siehe oben Fn. 385), Bd. 1, VO 258/97, Rn.79; Dederer (siehe oben Fn. 180), S. 250; Girnau, Gentechnik und Lebensmittel - Aktueller Stand der Rechtssetzung, in Streinz (Hrsg.), Neuartige Lebensmittel, S.25ff. (29).
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indem nach Art. 7 I I 3. SpStr. N F V O die genaue Etikettierung bei der gemeinschaftlichen Genehmigung vorgegeben werden kann. Diese gewisse Hilfestellung befreit jedoch nicht von der Verpflichtung des Inverkehrbringers zu einem „angemessenen" Etikettierungsvorschlag i m Genehmigungsverfahren 425 und entfällt in den Fällen, in denen es keine Genehmigung nach Art. 7 N F V O gibt wie bei der Anzeige. Grundsätzliche Hinweise für die Art der Kennzeichnung lassen sich den allgemeinen Kennzeichnungsvorschriften entnehmen. Insbesondere der Leitgedanke des EuGH vom verständigen Verbraucher 426 ist auch bei der gentechnikbezogenen Kennzeichnung zu berücksichtigen, so dass ein gewisser Verständnishorizont beim Verbraucher vorausgesetzt werden kann. Der Grundsatz vom verständigen Verbraucher korreliert allerdings mit dem allgemeinen Gedanken des Irreführungsverbots nach Art. 2 der R L 2000/13/EG, 4 2 7 so dass etwa die Kennzeichnung „hergestellt mit Verfahren der modernen Biotechnologie" nicht den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen genügt. 4 2 8 I m Einklang mit diesen allgemeinen Regeln sind so wie das die Kennzeichnungspflicht auslösende Kriterium der D N A - oder Proteinveränderung auch die konkreten Vorgaben der V O 1139/98/EG zu Platzierung und Formulierung zu übertragen. Dies betrifft Art. 2 I I I V O 1139/98/EG, der präzise Angaben enthält wie insbesondere die Formulierung „aus genetisch veränderten Sojabohnen hergestellt".
(3) Art. 81(b) NFVO Nach Art. 81 (b) N F V O ist ein Hinweis erforderlich auf „vorhandene Stoffe, die in bestehenden gleichwertigen Lebensmitteln nicht vorhanden sind und die Gesundheit bestimmter Bevölkerungsgruppen beeinflussen können." Art. 81 (b) N F V O dient damit dem Schutz von Menschen mit individuellen Lebensmittelunverträglichkeiten wie insbesondere Allergikern. 4 2 9 Allerdings werden medizinisch nicht alle individuellen Unverträglichkeiten gegenüber Lebensmitteln als Allergien bezeichnet. Art. 81 (b) NFVO ist durch seine abstrakte Formulierung weiter gefasst und umfasst auch andere individuelle Unverträglichkeiten. Durch Art. 8 I (b) N F V O sollen beispielsweise Verbraucher mit einer Allergie gegen bestimmte Nussproteine vor dem Risiko bewahrt werden, ein sojahaltiges 425
Was Streinz (siehe oben Fn. 385), S. 17, zurecht betont. Siehe dazu bereits oben S.42 zum Verbraucherleitbild des EuGH. 427 Siehe oben Fn.201 zur RL 2000/13/EG. 428 Vgl. dazu Streinz (siehe oben Fn. 385), S. 17; Schroeter (siehe oben Fn. 207), S. 388. 429 Vgl. nur Schroeter (siehe oben Fn. 196), S.410; Dederer (siehe oben Fn. 180), S.253; Loosen (siehe oben Fn. 382), S.441; vgl. zu Lebensmittelallergien allgemein Biesalski et al. (Hrsg.), Ernährungsmedizin, S.463 ff. 426
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Lebensmittel zu verzehren, dass aufgrund gentechnischer Veränderungen diese aus Nüssen bekannten Allergene enthält. 4 3 0 U m in dieser Situation den Verbraucher zu warnen, ist es allerdings nicht ausreichend, wenn die Kennzeichnung darauf hinweist, dass es sich um Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Sojabohnen handelt. Vielmehr sind die nach Art. 81 (b) N F V O anzugebenden „Stoffe" dahingehend zu verstehen, dass auch ein Hinweis auf das enthaltene Allergen erforderlich ist. 4 3 1 Damit ist ein Auslegungsproblem verknüpft: Der Tatbestand von Art. 8 I (b) N F V O unterscheidet sich von Art. 81 (a) N F V O dadurch, dass Art. 81 (b) N F V O gerade die Gleichwertigkeit mit einem konventionellen Produkt voraussetzt. Schon aus systematischen Gründen ist die Gleichwertigkeit in beiden Vorschriften gleich zu verstehen. Außerdem spricht Art. 81 (a) UAbs. 2 N F V O explizit von „gleichwertig im Sinne dieses Artikels". 432 Damit ist Art. 81(b) N F V O alternativ zu dem die Ungleichwertigkeit voraussetzenden Art. 81(a) N F V O . 4 3 3 Folglich sind Lebensmittel oder -zutaten, die beispielsweise wegen einer gentechnisch veränderten Proteinstruktur als ungleichwertig bereits unter Art. 8 I (a) N F V O fallen, von Art. 8 I (b) NFVO nicht mehr erfasst. Dies überrascht i m Hinblick auf den Normzweck von Art. 81 (b) NFVO, weil die Vorschrift hauptsächlich den Schutz von Allergikern anvisiert und Lebensmittelallergene meistens Proteine sind. 4 3 4 Würde i m genannten Beispielsfall auf Grundlage von Art. 81 (a) N F V O nur ein Hinweis erfolgen, wonach das Produkt gentechnisch veränderte Sojaanteile enthält, wäre dies pauschaler und damit weniger informativ als die Kennzeichnung nach Art. 81 (b), die sich auch auf das enthaltene Allergen bezöge. Ein Indiz dafür, dass es in diesen Fällen auch nicht dem gesetzgeberischen Willen entspräche, Art. 8 1(b) N F V O zugunsten von Art. 8 I (a) N F V O unberücksichtigt zu lassen, ergibt sich aus dem erwähnten, unten 4 3 5 ausführlich dargestellten Kommissionsvorschlag für eine Neuregelung der Zulassung und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel: Die dort vorgesehenen Kennzeichnungsregeln lösen die Art. 81 (b) N F V O entsprechende Kategorie der Kennzeichnung wegen individueller gesundheitlicher Unverträglichkeiten von der Voraussetzung der Gleichwertigkeit mit bestehenden Lebensmitteln. 4 3 6 Soweit sich daher aus der weiten Auslegung von Art. 81 (a) N F V O ein Informationsdefizit für den Verbraucher ergäbe, ist dem bei der Art der Kennzeichnung nach Art. 8 I (a) N F V O Rechnung zu tragen: Der Hinweis auf „Merkmale oder Ernäh430
Siehe zu diesem Beispiel bereits oben S.24. Vgl. Dederer (siehe oben Fn. 180), S.253. 432 Hervorhebung vom Verfasser; dass sich die Ausführungen zur Gleichwertigkeit auf „diesen Artikel" beziehen, übersehen Zipfel/Rathke (siehe oben Fn. 200), C 150, Art. 8, Rn. 21. 433 Dederer (siehe oben Fn. 180), S.253; Rossen (siehe oben Fn.60), S.52. 434 Siehe oben Fn.47. 435 Siehe zu dem Kommissionsvorschlag KOM (2001) 425 endg. unten S. 101 ff. 436 Vgl. Art. 1411(a) des Verordnungsvorschlages KOM (2001) 425 endg. 431
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rungseigenschaften" nach Art. 81 (a) N F V O muss dann auch das betreifende Allergen nennen. 437
(4) Art. 81(c) NFVO Nach Art. 81 (c) N F V O sind anzugeben „vorhandene Stoffe, die in bestehenden gleichwertigen Lebensmitteln nicht vorhanden sind und gegen die ethische Vorbehalte bestehen". Diese Vorschrift knüpft an Erwägungsgrund 8 der N F V O an, wonach „Bevölkerungsgruppen mit festen Emährungsgewohnheiten über Stoffe, die in bestehenden gleichwertigen Lebensmitteln nicht vorhanden sind und gegen die ethische Vorbehalte in dieser Bevölkerungsgruppe bestehen, informiert werden." Unter Art. 8 I (c) N F V O wäre beispielsweise zu subsumieren, wenn bestimmte Gene aus dem Schwein in pflanzliche Lebensmittel eingebracht würden, da dies den ethischen Überzeugungen von Angehörigen bestimmter Religionen und von bestimmten Vegetariern widerspräche. 438 Die Anwendung gentechnischer Verfahren in der Lebensmittelherstellung schlechthin kann hingegen aus systematischen Gründen kein Fall von Art. 8 I (c) N F V O sein, da andernfalls Art. 81 N F V O nicht vier getrennte Kategorien enthielte, sondern allgemein eine Kennzeichnung der Spuren gentechnischer Veränderungen verlangte. Eine lückenlose Kennzeichnungspflicht für die Anwendung gentechnischer Verfahren in der Lebensmittelherstellung sieht die N F V O eben nicht vor. 4 3 9 Für Art. 81(c) N F V O gilt genauso wie für Art. 81(b) NFVO, dass die Vorschrift nur anwendbar ist, wenn es bestehende gleichwertige Lebensmittel gibt, so dass nach der oben dargestellten Auslegung von Art. 81 (a) N F V O viele Anwendungsfälle von Art. 81 (c) N F V O bereits unter Art. 81 (a) N F V O fallen. Dies ist insofern problematisch, als bei Art. 81 (c) N F V O zur effektiven Information die anzugebenden „vorhandenen Stoffe" so zu verstehen sind, dass über den bei Art. 81 (a) N F V O erfolgenden Hinweis auf die gentechnische Veränderung hinaus die biologische Herkunft des verwandten Materials angegeben wird. Entsprechend ist auch hier die weite Auslegung von Art. 81 (a) N F V O bei der Art der Kennzeichnung zu berücksichtigen. 4 4 0 437
So auch Dederer (siehe oben Fn. 180), S. 253. Vgl. nur Streinz (siehe oben Fn.284), S.55; Loosen (siehe oben Fn.382), S.441; Herdegen/Spranger (siehe oben Fn.385), Bd. 1, VO 258/97, Rn.54; hinsichtlich der Vegetarier ohne Begründung zweifelnd Knörr (siehe oben Fn. 132), S.221, Fn.756; ähnlich Zipfel/Rathke (siehe oben Fn. 200), C 150, Art. 8, Rn.22a. 439 Siehe zu den weitergehenden Kennzeichnungsregeln nach dem Kommissionsvorschlag KOM (2001) 425 endg. für eine Verordnung für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel unten S. 101 ff. 440 Vgl. Dederer (siehe oben Fn. 180), S.253. 438
Β. Die Novel Food-Verordnung
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b) Art. 8 NFVO und der Bestimmtheitsgrundsatz Die vor allem in der Zeit direkt nach dem Inkrafttreten der NFVO geäußerte Kritik an der mangelnden Bestimmtheit der NFVO richtet sich auch und gerade gegen die Kennzeichnungsregeln des Art. 8 N F V O . 4 4 1 Sogar die unmittelbare Vollziehbarkeit der Vorschrift wurde jedenfalls anfangs bezweifelt. 4 4 2 Die Verwendung zahlreicher unbestimmter Rechtsbegriffe ist für den Inverkehrbringer besonders problematisch beim Etikettierungsvorschlag im Genehmigungsverfahren und in den Anzeigefällen, weil dort die Möglichkeit des Art. 7 I I 3. SpStr. N F V O fehlt, in der Genehmigung präzise Hinweise zur Etikettierung vorzusehen. Die Kritik ist mittlerweile unter Berücksichtigung der seit Inkrafttreten der NFVO erlassenen Kennzeichnungsvorschriften für Bt-Mais und RR-Soja zu würdigen, die nach den obigen Erkenntnissen auch für die Auslegung von Art. 8 N F V O bedeutsam sind. Bei Art. 81 (a) N F V O konzentriert sich die Kritik auf das Kriterium der Gleichwertigkeit und - damit zusammenhängend - auf die „angemessene Analyse", die zur Prüfung der Gleichwertigkeit durchzuführen ist. 4 4 3 Nachdem für den Bereich der gentechnisch veränderten Lebensmittel zunächst unklar war, ob auf D N A - oder Proteinveränderungen oder sonstige Modifikationen abzustellen ist und in welchem Maße eine Wertung der ernährungsphysiologischen Relevanz der Veränderungen stattfindet, sind nach den obigen Feststellungen inzwischen die Gleichwertigkeitsmerkmale der VO 1139/98/EG übertragbar. Durch die nach der V O 1139/98/EG alternativen Kriterien der Protein- oder DNA-Veränderung wird ebenso alternativ auf die entsprechenden Prüfungsverfahren der Protein- bzw. DNA-Analyse verwiesen. 4 4 4 Vollkommen präzise kann die „angemessene Analyse" ohnehin nicht festgelegt werden, da das Nach weis verfahren von der jeweiligen gentechnischen Veränderung abhängt. 445 M i t der V O 1139/98/EG als Auslegungshilfe ist Art. 8 1(a) N F V O daher hinreichend bestimmt, jedenfalls für den hier interessierenden Bereich gentechnisch veränderter Lebensmittel. Ebenso wird die mangelnde Bestimmtheit von Art. 81 (b) und (c) N F V O kritisiert, denn bei Gruppe (b) ist die Bestimmung der „bestimmten Bevölkerungsgruppen" ebenso schwierig wie bei Kategorie (c) die Festlegung der von den „ethischen Vorbehalten" Betroffenen. 446 Insofern ist aber erstens zu berücksichtigen, dass beispielsweise bei einer seltenen gesundheitlichen Unverträglichkeit, die nur eine kleine Gruppe betrifft, der Inverkehrbringer die Kennzeichnungsvorschriften mögli441 Vgl. insbesondere Schroeter (siehe oben Fn.207), S. 383 ff.; ders. (siehe oben Fn. 196), S.408ff.; Streinz (siehe oben Fn.284), S.56ff.; Groß (siehe oben Fn.222), S. 134. 442 Vgl. Schroeter (siehe oben Fn. 196), S. 408 ff. 443 Vgl. Schroeter (siehe oben Fn. 196), S.409f.; Streinz (siehe oben Fn.284), S.56f. 444 Vgl. dazu insbesondere Schauzu (siehe oben Fn. 230), S. 149 ff. 445 Vgl. nur Schauzu (siehe oben Fn.230), S. 148; Dederer (siehe oben Fn. 180), S.248. 446 Schroeter (siehe oben Fn. 196), S.410; Streinz (siehe oben Fn.284), S.58; Groß (siehe oben Fn.222), S.393.
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
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cherweise nicht sorgfaltswidrig verletzt, so dass sein Verhalten im Sinne der mitgliedstaatlichen strafrechtlichen Ausführungsnormen zur N F V O 4 4 7 nicht fahrlässig ist. Zweitens ist zu bedenken, dass eine exaktere Abgrenzung deshalb nicht möglich ist, weil der europäische Gesetzgeber in Art. 81 (b) und (c) N F V O nicht nur die vermeintlich „herrschenden" ethischen Überzeugungen, 448 sondern eine Vielzahl von individuellen gesundheitlichen Unverträglichkeiten, Religionen und Weltanschauungen anvisiert. Ein abstrakt ebenso kaum lösbares Auslegungsproblem ist aus dem deutschen Verfassungsrecht beispielsweise bei der Abgrenzung des Anwendungsbereiches von Art. 4 GG bekannt. 4 4 9 Problematisch ist insofern weniger die Bestimmtheit als die Reichweite der Vorschrift, die unten am Maßstab der welthandelsrechtlichen Vorschriften geprüft w i r d . 4 5 0 Insgesamt ist somit festzustellen, dass ursprünglich bei Inkrafttreten der NFVO in der Tat zweifelhaft war, ob Art. 8 N F V O hinreichend bestimmt ist. Durch die Übertragung verschiedener Regelungen des Sonderrechts für Bt-Mais und RR-Soja stehen mittlerweile jedoch Auslegungshilfen zur Verfügung, mit deren Hilfe die Auslegungsschwierigkeiten erheblich reduziert werden können, und die verbleibenden Unsicherheiten sind angesichts der umfassenden gesetzgeberischen Zielsetzung nicht zu vermeiden. Die europarechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit werden somit jetzt durch Art. 8 N F V O nicht verletzt. 4 5 1 c) Der Eingriffscharakter
der Kennzeichnungspflicht
Die Kennzeichnungspflicht beschränkt in mehrfacher Hinsicht die Handelsfreiheit: Der Inverkehrbringer muss seine Waren, wenn sie zur Abgabe an den Endverbraucher oder gemeinschaftliche Einrichtungen bestimmt sind, entsprechend den Anforderungen der N F V O deklarieren, was zusätzliche Kosten verursacht. Bei der Abgabe an einen Zwischenhändler muss er je nach Zweckbestimmung der Produkte zumindest den Zwischenhändler vertragsgemäß informieren und durch aufwendige und damit kostenintensive Testverfahren und die gerade in Nordamerika unübliche Trennung gentechnischer und konventioneller Erzeugnisse dafür sorgen, dass er seinen Abnehmer entsprechend beliefert. 4 5 2 Angesichts der weitverbreiteten Ablehnung gentechnisch veränderter Lebensmittel durch die europäischen Verbraucher 453 ist außerdem zu befürchten, dass sich zumindest vorerst die betreffenden Waren er447 448 449 450 451
Siehe oben Fn. 352 zur deutschen NLV In diesem Sinne Zipfel/Rathke (siehe oben Fn. 200), C 150, Art. 8, Rn. 22a. Vgl. dazu nur Maunz/Dürig/ Η erzog/Scholz, Art. 4, Rn.68. Siehe unten S. 231. So auch Dederer (siehe oben Fn. 180), S. 252; vorsichtiger Streinz (siehe oben Fn. 385),
S. 19. 452 Vgl. Fredland, Unlabel Their Frankenstein Foods! Evaluating a U.S. Challenge to the European Commission's Labeling Requirements for Food Products Containing GeneticallyModified Organisms, Vanderbilt Journal of Transnational Law 2000, S. 183 ff. (192). 453 Siehe ausführlich zur Haltung des europäischen Verbrauchers unten S. 215 ff.
C. Sonstige produktspezifische Vorschriften
97
heblich schlechter verkaufen. Dies ist allerdings nicht für alle gentechnisch veränderten Lebensmittel zwingend - etwa bei einer von einer britischen Supermarktkette angebotenen Käsesorte, die mit gentechnisch verändertem Chymosin an Stelle von tierischem Labferment hergestellt war, erwies sich die entsprechende Kennzeichnung insbesondere gegenüber Tierschützern nicht als Verkaufshemmnis. 454
C. Sonstige produktspezifische Vorschriften für gentechnisch modifizierte Lebensmittel 1. Die Sondervorschriften für Bt-Mais und RR-Soja Wie oben erwähnt, 4 5 5 war der Gemeinschaftsgesetzgeber der Meinung, die auf Grundlage der FreisRL 90/220/EWG bereits vor Inkrafttreten der N F V O genehmigten Produkte Bt-Mais und RR-Soja seien nicht neuartig i. S. v. Art. 1 I I N F V O und fielen daher nicht in den Anwendungsbereich der NFVO. U m die Kennzeichnungsregeln der N F V O auch auf Produkte aus Bt-Mais und RR-Soja anzuwenden, wurde zunächst die V O 1813/97/EG 4 5 6 erlassen, die Art. 81 N F V O nachgebildet war. Diese Verordnung wurde durch die präzisere VO 1139/98/EG 4 5 7 ersetzt, die wiederum durch die V O 49/2000/EG 4 5 8 insbesondere um den Schwellenwert für geringfügige zufällige Kontaminationen ergänzt wurde. a) Ratio legis der Sondervorschriften
für Bt-Mais und RR-Soja
Die gesetzgeberischen Grundgedanken der Sondervorschriften sind hauptsächlich der V O 1813/97/EG zu entnehmen, während die V O I 139/98/EG und 49/2000/EG mehr technische Präzisierungen und Ergänzungen enthalten. Bei den Erwägungsgründen der VO 1813/97/EG überrascht zunächst, dass als Grund für die Erstreckung der Kennzeichnungsvorschriften der N F V O auf Produkte aus Bt-Mais und RR-Soja die oben 4 5 9 genannten Schutzgüter der N F V O nicht unmittelbar aufgegriffen werden. Vielmehr betont der Gemeinschaftsgesetzgeber sowohl in Erwägungsgrund 6 als auch in Erwägungsgrund 8 der V O 1813/97/EG, dass er die gleichen Kennzeichnungsregeln auch für Lebensmittel aus Bt-Mais und RR-Soja zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen gelten lassen möchte. Es wäre dennoch nicht gerechtfertigt anzunehmen, die übrigen Schutzgüter von Art. 8 454
Grube (siehe oben Fn. 172), S. 240, 245 f.; auf den möglichen Werbeeffekt einer Kennzeichnung weist etwa auch das Biotech-Unternehmen Monsanto hin, vgl. Marshall: What's in a Label, AgBioForum 1998, S.35ff. 455 Siehe oben S. 37. 456 Siehe oben Fn. 143. 457 Siehe oben Fn. 144. 458 Siehe oben Fn. 145. 459 Siehe oben S.41 ff. zu den Schutzgütern der NFVO. 7 Stökl
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
98
N F V O gälten nicht für die V O 1813/97/EG: Dies ergibt sich daraus, dass Art. 2 der V O 1813/97/EG die Kennzeichnungsregeln von Art. 81 N F V O praktisch i m Wortlaut übernimmt und jedenfalls der Gesundheitsschutz bestimmter Bevölkerungsgruppen und das Informationsbedürfnis aus ethischen Motiven und zur Ermöglichung einer individuellen Risikoentscheidung in Art. 8 I N F V O manifestiert sind. Nach der Grundentscheidung für die Erstreckung der Kennzeichnungspflicht Produkte aus Bt-Mais und RR-Soja durch die VO 1813/97/EG präzisieren V O 1139/98/EG und 49/2000/EG den Inhalt der Kennzeichnungsregeln, ohne gesetzgeberischen Ziele der VO 1813/97/EG grundlegend zu verändern. Durch Einführung eines Schwellenwertes in der VO 49/2000/EG, der ähnlich wie Kann-Kennzeichnung gerade Großlieferungen aus Nordamerika betrifft, wird merhin die Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers deutlich, auf die Belange Welthandels in einem gewissen Maße Rücksicht zu nehmen. b) Anwendungsbereich
der Sondervorschriften
auf die die die die imdes
für Bt-Mais und RR-Soja
Unmittelbar betrafen die V O 1813/97/EG und betreffen die V O 1139/98/EG und 49/2000/EG lediglich die in Art. 11 VO 1813/97/EG und Art. 1 11139/98/EG angesprochenen Produkte aus Bt-Mais und RR-Soja. 4 6 0 Es wurde aber ausgeführt, inwiefern die Regelungen aus der V O 1139/98/EG und der V O 49/2000/EG wegen ihrer Präjudizwirkung auch auf die NFVO übertragbar sind. Insofern lässt sich feststellen, dass zwar zunächst Bt-Mais und RR-Soja nur durch eine nachträgliche Regelung den Kennzeichnungsvorschriften der N F V O unterworfen wurden, die späteren Präzisierungen des Sonderrechts aber Vorreiterfunktion auch für die unter die N F V O fallenden Produkte haben. c) Die Kennzeichnungspflicht
nach den VO 11391981EG und 49120001EG
Nachdem für Bt-Mais und RR-Soja bereits die auf Grundlage der FreisRL 90/220/EWG getroffenen Marktzulassungen vorliegen, ist von den für die NFVO erörterten Beschränkungen der Freiheit des Welthandels für den Bereich der Maisund Soja-Sondernormen nur noch die Kennzeichnungspflicht bedeutsam. Da die V O 1813/97/EG lediglich die Kennzeichnungsregeln von Art. 81 N F V O für Lebensmittel und -zutaten transkribierte, die zumindest teilweise aus Bt-Mais oder RR-Soja hergestellt werden, ergaben sich durch diese Verordnung keine über die zu Art. 8 N F V O dargestellten hinausgehenden Erkenntnisse. Die i m Zusammenhang mit Art. 8 1 N F V O bereits erwähnten Detailregelungen zur Kennzeichnung von Bt-Mais und RR-Soja sind erst durch Art. 2 V O 1139/98/EG geschaffen und durch die V O 49/2000/EG ergänzt worden. Anders 460
Siehe oben Fn. 138 f. zu den Entscheidungen 96/281/EG und 97/98/EG.
C. Sonstige produktspezifische Vorschriften
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als nach der Art. 8 I N F V O nachempfundenen VO 1813/97/EG stellt die VO 1139/98/EG nur noch auf die Nichtgleichwertigkeit ab und nicht mehr auf Gesundheitsrisiken für bestimmte Bevölkerungsgruppen oder ethische Vorbehalte: Dabei schließt Art. 2 I I (a) V O 1139/98/EG solche Produkte von den Kennzeichnungsregeln aus, die weder gentechnische D N A - noch Proteinveränderungen enthalten, worüber nach Art. 2 IIa N F V O eine nicht enumerative und nicht konstitutive 4 6 1 Negativliste mit den entsprechenden Produkten anzufertigen ist. Art. 2 11(b) V O 1139/98/EG enthält den durch die VO 49/2000/EG eingeführten Schwellenwert von 1 % für zufällige Kontaminationen, wobei der Inverkehrbringer für die Zufälligkeit der Kontaminationen nachweisen können muss, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der Kontamination ergriffen zu haben. Je nach Einzelfall kann dazu eine entsprechende Garantie des Lieferanten ausreichen, gegebenenfalls in Verbindung mit einer Analyse der gelieferten Produkte. 4 6 2 Art. 2 I I I V O 1139/98/EG gibt die präzisen Anforderungen für die gentechnikspezifische Kennzeichnung mit Anweisungen zu Formulierung, Schriftgröße und Platzierung wider.
2. Die Sondervorschrift VO 50/2000/EG für Zusatzstoffe und Aromen Zusatzstoffe, Aromen und Extraktionslösungsmittel werden von Art. 2 1 N F V O und 1 I I V O 1139/98/EG vom Anwendungsbereich und damit auch von den Kennzeichnungsvorschriften ausgenommen, soweit sie in den Anwendungsbereich von in Art. 21 N F V O aufgeführten Sondernormen fallen. Diese Sondernormen enthalten keine Pflicht zu einer gentechnikbezogenen Kennzeichnung, eine Lücke, die für Lebensmittel und -zutaten, die gentechnisch veränderte oder aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellte Zusatzstoffe und Aromen enthalten, durch die V O 50/2000/EG geschlossen wurde.
a) Ratio legis der VO 50120001EG Hinsichtlich der gesetzgeberischen Motive, die zum Erlass der VO 50/2000/EG geführt haben, gibt es Parallelen zur ratio legis der Kennzeichnungsregeln für BtMais und RR-Soja: Die Begründung, warum die gentechnikspezifische Kennzeichnung auch auf Lebensmittel und -zutaten erstreckt werden soll, die gentechnisch veränderte oder aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellte Zusatzstoffe und Aromen enthalten, bleibt teilweise unausgesprochen, 463 teilweise wird wie bei der V O 49/2000/EG auf die Gefahr von Handelshemmnissen durch mitgliedstaatli461 462 463
τ
Vgl. Dederer (siehe oben Fn. 180), S.251. Vgl. Loosen (siehe oben Fn.382), S.449. Vgl. Erwägungsgrund 4 VO 50/2000/EG.
100
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
che Sondervorschriften verwiesen. Wie oben bei der VO 1813/97/EG für Bt-Mais und RR-Soja gilt aber auch für die V O 50/2000/EG, dass durch die Übernahme der Kennzeichnungsregeln des Art. 81 N F V O auch die Schutzgüter dieser Norm übernommen werden, also auch der Gesundheitsschutz und das Informationsbedürfnis. b) Der Anwendungsbereich
der VO 50120001EG
Der Anwendungsbereich der V O 50/2000/EG umfasst nach Art. 1 Lebensmittel und -zutaten, die Zusatzstoffe und Aromen i. S. d. Bereichsausnahme in Art. 2 I N F V O und 1 I I V O 1139/98/EG enthalten, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten, daraus bestehen oder daraus hergestellt sind. Daher sind solche Zusatzstoffe oder Aromen nicht von der V O 50/2000/EG betroffen, die als solche an den Endverbraucher verkauft werden. Für die letztgenannten Zusatzstoffe und Aromen sollen Sondermaßnahmen zur Kennzeichnung getroffen werden. Zu erinnern ist an dieser Stelle zum einen daran, dass das allgemeine und in Art. 21 N F V O angesprochene EG-Zusatzstoff- und Aromenregime bestimmte Stoffe von seinem Anwendungsbereich ausnimmt, für die daher im Einzelfall zu prüfen ist, ob es sich um ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat i. S. v. Art. 11 N F V O handelt, so dass dann die NFVO anwendbar ist. 4 6 4 Zum anderen ist in Erinnerung zu rufen, dass Art. 8 N F V O nicht analog auf diejenigen Stoffe angewandt werden kann, die von Art. 2 1 N F V O aus dem Anwendungsbereich der N F V O herausgenommen werden und die nicht von der V O 50/2000/EG erfasst sind, weil es insofern an der Planwidrigkeit der Lücke fehlt. 4 6 5 c) Die Kennzeichnungspflicht
nach der VO 50/2000/EG
Die V O 50/2000/EG enthält anders als die N F V O und die FreisRL kein gentechnikspezifisches Zulassungsverfahren, die jeweiligen Zulassungsschranken sind vielmehr hauptsächlich den in Art. 21 N F V O erwähnten Sondernormen für Zusatzstoffe und Aromen zu entnehmen. Die VO 50/2000/EG beschränkt sich auf spezielle Kennzeichnungsregeln. Inhaltlich ist die V O 50/2000/EG, vereinfacht ausgedrückt, eine Synthese aus Art. 8 I N F V O und der V O I 139/98/EG für Bt-Mais und RR-Soja: Art. 2 V O 50/2000/EG entspricht weitgehend Art. 8 I NFVO. Die Ausführungen zur Gleichwertigkeit in Art. 81 (a) UAbs. 2 N F V O sind in Art. 3 V O 50/2000/EG enthalten, der außerdem das Kriterium der gentechnischen D N A - oder Proteinveränderung aus der V O 1139/98/EG aufgreift. Die Art der Kennzeichnung nach Art. 4 V O 50/2000/EG ist überwiegend den Anforderungen nach der VO 1139/98/EG nachgebildet. 464 465
Siehe dazu oben S. 61. Siehe oben S. 84f.
D. Verordnung über gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel
101
D. Der Kommissionsvorschlag K O M (2001) 425 endg. für eine Verordnung über gentechnisch466 veränderte Lebens- und Futtermittel Nachdem die Kommission bereits 2000 i m Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit ankündigte, die Zulassungs- und Kennzeichnungsvorschriften nach der NFVO zu präzisieren und mit den anderen EG-Normen zu harmonisieren, 467 hat sie am 25.07.2001 einen Vorschlag vorgelegt, wonach die unterschiedlichen Vertikal Vorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel zusammengefasst und ihre Zulassung und Kennzeichnung aus der Novel Food-Verordnung herausgelöst und teilweise erheblich strenger ausgestaltet würden. 4 6 8 Dieser Vorschlag ergeht insbesondere vor dem Hintergrund, dass die europäischen Vorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel mit der unten 4 6 9 dargestellten neuen FreisRL 2001/18/EG zu harmonisieren sind 4 7 0 und die Kommission hofft, durch strengere Vorschriften das unten 4 7 1 näher beschriebene Zulassungsmoratorium zu beenden. Die Kommission betont, sie habe darüber hinaus bei der Ausgestaltung ihres Vorschlages die internationalen Verpflichtungen der EG und vor allem das 2000 abgeschlossene Biosafety Protocol berücksichtigt. 4 7 2 Wegen der verbleibenden politischen Streitigkeiten ist allerdings an zahlreichen Stellen nicht absehbar, inwieweit der Kommissionsvorschlag realisiert wird.
1. Der geplante Anwendungsbereich Der Kommissionsvorschlag sieht vor, dass so, wie die geltende N F V O für den Bereich gentechnisch veränderter Lebensmittel eine vertikale Spezialvorschrift zur horizontalen FreisRL 90/220/EWG ist, auch die geplante Verordnung für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel die Voraussetzungen erfüllt, um als Sondervorschrift für ihren Anwendungsbereich vorrangig zur neuen FreisRL 2001/18/EG zu sein. 4 7 3 Was den vom Kommissionsvorschlag anvisierten Bereich gentechnisch modifizierter Lebensmittel betrifft, 4 7 4 so erfasst der Vorschlag nach Art. 3 gentechnisch veränderte Organismen zum Lebensmittelgebrauch selbst, Lebensmittel, die gen466 467 468
Zur Terminologie „gentechnisch" bzw. „genetisch" siehe bereits oben Fn. 17. Siehe bereits oben S. 36 zur Harmonisierungsabsicht. KOM (2001) 425 endg., http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/pdf/2001/de_501PC0425 .
pdf. 469 470 471 472 473 474
Siehe unten S. 105 ff. zur FreisRL 2001/18/EG. Vgl. S.2ff. des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. Siehe unten S. 109 ff. Erwägungsgrund 38 des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. Erwägungsgrund 29, Art. 6 V des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. Futtermittel bleiben im Rahmen dieser Arbeit außer Betracht.
102
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
technisch veränderte Organismen enthalten oder daraus bestehen, und Lebensmittel, die selbst oder deren Zutaten aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt sind. Dabei wird klargestellt, dass solche Produkte nicht erfasst sind, die wie mit gentechnisch veränderten Enzymen produzierter Käse nur mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen oder Verarbeitungshilfsstoffe hergestellt sind. 4 7 5 Hinsichtlich der von Art. 2 N F V O weitgehend aus dem Anwendungsbereich der N F V O ausgenommenen Aromen und Zusatzstoffe ist bemerkenswert, dass sie vom Kommissionsvorschlag prinzipiell erfasst sind und eine Kennzeichnung und Risikobeurteilung nach den Vorgaben der geplanten Verordnung erfolgen muss, auch wenn die Zulassungsentscheidung letztlich nach den Spezialvorschriften erfolgen soll. 4 7 6 Schließlich ist hinsichtlich des Anwendungsbereiches erwähnenswert, dass für bei Inkrafttreten der geplanten Verordnung legal in Verkehr gebrachte Produkte Übergangsregelungen vorgesehen sind. 4 7 7
2. Die geplante Zulassung gentechnisch veränderter Lebensmittel Das nach der N F V O geltende Zulassungsregime würde von der geplanten Verordnung erheblich verändert: Hinsichtlich des Verfahrens ist bemerkenswert, dass nur noch eine gemeinschaftliche Genehmigung möglich ist, wobei die durch die allgemeine Lebensmittelverordnung 178/2002/EG errichtete europäische Lebensmittelbehörde 4 7 8 für die naturwissenschaftliche Risikobeurteilung zuständig ist. 4 7 9 Sowohl die mitgliedstaatliche Verfahrensstufe als auch die Zweiteilung in Anzeige- und Genehmigungsverfahren entfällt. Zwar sind prinzipiell ähnliche materielle Zulassungskriterien wie bisher vorgesehen. 4 8 0 Bedeutsam ist aber insoweit, dass neben diesen Kriterien der Risikovermeidung für Gesundheit und Umwelt und der Vermeidung einer Irreführung und von Ernährungsmängeln und der darauf basierenden Risikobeurteilung durch die Europäische Lebensmittelbehörde für die Zulassungsentscheidung auch „andere legitime Faktoren" zu berücksichtigen sein sollen. 4 8 1 Dabei enthält der Kommissionsvorschlag keine näheren Angaben über die Art dieser nicht-naturwissenschaftlichen Aspekte oder Vorgaben, inwieweit von der naturwissenschaftlichen Risikobeurteilung abgewichen werden darf. Jedenfalls ist ausdrücklich vorgesehen, dass die Zulassungsentscheidung vom Ergebnis der naturwissenschaftlichen Risikobeurteilung durch die Europäische Lebensmittelbehörde abweichen darf. 4 8 2 Dieses Vorgehen ist 475 476 477 478 479 480 481 482
Erwägungsgrund 15 des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. Vgl. Erwägungsgründe 11 f. des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. Artt. 9, 45 des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. Vgl. zur europäischen Lebensmittelbehörde Kapitel III der Verordnung 178/2002/EG. Artt. 6 ff. des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. Vgl. Art. 41 des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. Erwägungsgrund 28, Art. 81 des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. Erwägungsgrund 28, Art. 81 des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg.
D. Verordnung über gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel
103
nach Auffassung der Kommission mit den internationalen Regeln des Codex A l i mentarius zu vereinbaren. 483 Der Kommissionsvorschlag sieht außerdem einen Schwellenwert von grundsätzlich 1 % für zufällige oder unvermeidbare Anteile gentechnisch veränderten Materials vor, bis zu dem anders als nach der geltenden Regelung nicht nur die Kennzeichnungspflicht, sondern auch die Genehmigungspflicht nicht besteht. 484 Für das betreffende gentechnisch veränderte Material muss der zuständige Wissenschaftliche Ausschuss oder die europäische Lebensmittelbehörde die Auffassung vertreten, es sei für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt nicht gefährlich. Eine entsprechende Änderung der FreisRL 2001/18/EG wird vorgeschlagen. 485 Nach dem Kommissionsvorschlag gelten Zulassungen auf zehn Jahre beschränkt und sind erneuerbar. 486 Die Zulassungsentscheidung ist unter Umständen mit besonderen Pflichten zur Produktbeobachtung, einem Monitoring, verknüpft. 4 8 7
3. Die geplante Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel Auch die Kennzeichnungsregeln nach dem Kommissionsvorschlag unterscheiden sich teilweise erheblich vom Kennzeichnungssystem nach der NFVO: Während bisher vor allem das Vorhandensein gentechnisch veränderter Organismen oder zumindest von gentechnischen D N A - oder Proteinveränderungen maßgebliches Kriterium ist, soll künftig eine allgemeine Pflicht zur Kennzeichnung in den Anwendungsbereich der Verordnung fallender Lebensmittel als gentechnisch verändert gelten, sofern sie einen Schwellenwert für zufällige Kontaminationen überschreiten. 488 Insbesondere Raffinationsprodukte sind dann von der Kennzeichnungspflicht erfasst, während bislang die Kennzeichnungsvorschriften der N F V O in diesen Fällen regelmäßig nicht greifen. 4 8 9 Als Grundlage für diese jedenfalls für den Anwendungsbereich der Verordnung allgemeine Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Lebensmittel wird ausdrücklich das in Art. 153 EG genannte Informationsrecht des Verbrauchers aufgeführt. 490 Über diese allgemeine gentechnikbezogene Kennzeichnung hinaus sollen bestimmte Eigenschaften angegeben werden. Die dafür in Art. 14 I I des Vorschlags genannten Kategorien erinnern an Art. 8 I N F V O - die Ungleichwertigkeit wird als 483
S.7f. des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. Erwägungsgründe 23 ff., Art. 5 des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. 485 Art. 42 des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. 486 Art. 8 V des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. 487 Erwägungsgrund 30, Art. 10 des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. 488 Vgl. Artt. 13, 141 des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. 489 Siehe oben S.87ff. zur Voraussetzung einer nachweisbaren gentechnischen DNA- oder Proteinveränderung für eine Kennzeichnungspflicht nach Art. 81 (a) NFVO. 490 Erwägungsgrund 16 des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. 484
104
2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
Kennzeichnungsgrund genannt, wobei anders als nach Art. 81 (b) NFVO die Kennzeichnung von Merkmalen i m Hinblick auf individuelle gesundheitliche Unverträglichkeiten nach dem Kommissionsvorschlag auch ein Fall der Ungleichartigkeit sein soll. Ebenfalls ethische oder religiöse Bedenken können eine Kennzeichnung bestimmter Merkmale oder Eigenschaften auslösen, wobei anders als nach Art. 81 (c) N F V O die Gleichwertigkeit mit bestehenden Lebensmitteln nicht mehr verlangt wird. Die Kennzeichnungsvorschriften der geplanten Verordnung sollen ergänzt werden durch Vorschriften über die RückVerfolgbarkeit gentechnisch veränderter Lebensmittel in der Produktionskette. Zusammen mit dem Vorschlag für eine Neuregelung des Zulassungs- und Kennzeichnungsregimes gentechnisch veränderter Lebensmittel hat die Kommission einen unten 4 9 1 dargestellten Vorschlag präsentiert für eine horizontal-vertikale Verordnung über die RückVerfolgbarkeit und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Organismen und RückVerfolgbarkeit daraus hergestellter Lebens- und Futtermittel.
4. Widerstand gegen den Kommissionsvorschlag Gegen den Kommissionsvorschlag und seine Zulassungs- und Kennzeichnungsregelungen ist bereits vor seiner Veröffentlichung und seitdem Protest geäußert worden: Seitens der USA wird kritisiert, der Vorschlag sei entgegen den WTO-Anforderungen bei weitem nicht nur auf gesundheitsschutzrechtliche Aspekte gestützt, sondern vor allem die Kennzeichnungsregeln hätten ein welthandelsrechtlich nicht anerkanntes Recht des Verbrauchers auf Information als Grundlage. Dass etwa mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen oder Verarbeitungshilfsstoffe hergestellte Lebensmittel wie Käse, der mit Hilfe gentechnisch veränderter Enzyme hergestellt wird, nicht erfasst seien, lasse auf eine protektionistische Absicht der EG schließen. Der Vorschlag würde unpraktikable und unangemessene Handelsbeschränkungen mit sich bringen. Gerade Entwicklungsländer würden dadurch in ihrem Bestreben gehemmt, die Ernährungslage zu verbessern, die Produktionskosten und den Pestizideinsatz zu senken. 492 Bemerkenswert ist, dass es wegen der welthandelsrechtlichen Unwägbarkeiten auch innerhalb der Kommission Widerstand gegen den Vorschlag gab, insbesondere von dem für das Handelsressort zuständigen Pascal Lamy. 4 9 3 Von Umweltschutzorganisationen 494 wird dagegen vorgebracht, der 1 %-Schwellenwert sei verfehlt und der Entwurf daher nicht restriktiv genug. Angesichts dieser Meinungsunterschiede 491
Siehe unten S. 110f. zu dem Kommissionsvorschlag. Vgl. BRIDGES Weekly Trade News Digest Vol. 5, No. 29 vom 31.07.2001 ; BN A International Environmental Daily vom 27.07.2001; BN A Food Safety Report vom 08.08.2001. 493 BN A International Environmental Daily vom 28.08.2001. 494 Vgl. die Aussagen von Greenpeace-Vertretern in BRIDGES Weekly Trade News Digest Vol. 5, No. 29 vom 31.07.2001. 492
E. Die horizontale Freisetzungsrichtlinie
105
ist gegenwärtig nicht genau absehbar, inwieweit der Kommissionsvorschlag umgesetzt wird und wie lange der Rechtssetzungsprozess dauern wird.
E. Die horizontale Freisetzungsrichtlinie Die FreisRL 90/220/EWG gilt zwar noch, sie wurde aber grundlegend novelliert durch die neue FreisRL 2001/18/EG vom 12.03.2001 495 . Die FreisRL 2001/18/EG ist bereits in Kraft, 4 9 6 die Mitgliedstaaten sind zur Umsetzung bis zum 17.10.2002 verpflichtet, und am selben Tag wird die FreisRL 90/220/EWG aufgehoben. 497 Da einerseits die alte FreisRL 90/220/EWG und ihre Transformation in mitgliedstaatliches Recht noch existieren, andererseits die neue FreisRL 2001/18/EG durch die Umsetzungspflicht schon jetzt für die Mitgliedstaaten maßgeblich ist, werden i m Folgenden beide Versionen dargestellt. Zunächst muss untersucht werden, inwieweit die horizontale FreisRL für den Handel mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln überhaupt noch einen Anwendungsbereich findet, um anschließend ihre Handelsbeschränkungen in diesem Bereich darzustellen.
1. Anwendungsbereich der FreisRL für Lebensmittel Die horizontale FreisRL regelt in ihrem Teil C (Artt. 10 ff. der FreisRL 90/220 EWG, 12 ff. FreisRL 2001/18/EG) das Inverkehrbringen von Produkten, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten oder daraus bestehen. Darunter können prinzipiell auch gentechnisch veränderte Lebensmittel fallen, sofern sie eben gentechnisch veränderte Organismen enthalten oder daraus bestehen, also Lebensmittel und -zutaten i. S. v. Art. 111(a) NFVO. Dem oben dargestellten one-door-one-keyPrinzip entsprechend ist aber gemäß Artt. 10 I I FreisRL 90/220/EWG, 121 FreisRL 2001/18/EG der Teil C nicht anwendbar für von solchen EG-Vorschriften erfasste Produkte, die der FreisRL vergleichbare Anforderungen enthalten. Diese Anforderungen erfüllt bislang, wenn man die FreisRL 90/220/EWG zugrunde legt, die NFVO, was Art. 9 I UAbs. 2 N F V O feststellt. Dementsprechend kann die FreisRL 90/220/EWG auf den Handel mit Lebensmitteln oder -zutaten nur noch außerhalb des Anwendungsbereiches der N F V O direkt angewandt werden. Dies betrifft im Vorfeld des Inverkehrbringens von Lebensmitteln und -zutaten insbesondere Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Indirekt ist die FreisRL 90/220/EWG aber auch im Anwendungsbereich der NFVO noch anwendbar: Wie gezeigt, sind nach Art. 91 N F V O die im Genehmigungsverfahren nach der 495
ABl. EG2001 Nr.L 106/1,http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi ! prod ! CELEXnumdoc&lg=de&numdoc=32001L0018&model=guichett. 496 Art. 37 FreisRL 2001/18/EG. 497 Artt. 341, 361 FreisRL 2001/18/EG.
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2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
N F V O beizubringenden Unterlagen umfangreicher, wenn die betreffenden Lebensmittel gentechnisch veränderte Organismen i. S. d. FreisRL 90/220/EWG enthalten oder daraus bestehen, und nach Art. 9 I I N F V O sind materiell dann die Umweltsicherheitsanforderungen der FreisRL 90/220/EWG auch i m Genehmigungsverfahren nach der N F V O zu berücksichtigen. 498 Außerdem wurde bereits erwähnt, dass die N F V O in ihrer Terminologie teilweise an die Begriffe der FreisRL 90/220/EWG anknüpft, so dass auch die Erkenntnisse zu den entsprechenden Begriffen der FreisRL 90/220/EWG für die N F V O zu berücksichtigen sind. 4 9 9 Die Praxisrelevanz der FreisRL 90/220/EWG ist daher i m Lebensmittelbereich mittlerweile deutlich eingeschränkt. Dies ist bei der neuen FreisRL 2001/18/EG insofern anders, als sie weitergehende Handelsbeschränkungen enthält. Diesen strengeren Vorgaben entsprechend sollen nach Art. 12 I I I S. 1 FreisRL 2001/18/EG im Bereich sektoraler Sondervorschriften gleichwertige Anforderungen wie nach der FreisRL 2001/18/EG gelten. Für den Bereich gentechnisch veränderter Lebensmittel soll bei Realisierung des oben 5 0 0 dargestellten Verordnungsvorschlages der Kommission Art. 6 V der geplanten Verordnung die Anwendung der FreisRL 2001/18/EG ausschließen.
2. Ratio legis der FreisRL In der FreisRL 90/220/EWG sind der Gesundheitsschutz, 501 der Umweltschutz 5 0 2 und das Vermeiden von Wettbewerbs Verzerrungen 503 die in den Erwägungsgründen und Art. 11 FreisRL 90/220/EWG am deutlichsten betonten Ziele. Das Motiv, die risikolose Entwicklung der Gentechnik zu fördern, wird im Verhältnis zur N F V O in der FreisRL 90/220/EWG deutlicher unterstrichen. 504 Eine gewisse Berücksichtigung des Welthandels wird seit der Änderung der FreisRL 90/220/EWG durch die R L 97/35/EG und die damit eingeführte Kann-Kennzeichnung deutlich, 5 0 5 zumal die Kann-Kennzeichnung mit der R L 97/35/EG gerade i m Hinblick auf die Gefahr eines Handelskriegs zwischen der EG und den USA eingeführt wurde. 5 0 6 Dagegen findet das von der N F V O betonte Informationsbedürfnis des Verbrauchers in der FreisRL 90/220/EWG weniger Beachtung, auch in den Erwägungsgründen der R L 97/35/EG, die die Vorschriften der FreisRL 90/220/EWG für die gentechnikspe498
Siehe oben S. 76 zur Beachtlichkeit der materiellen Zulassungsvoraussetzungen der FreisRL im NFVO-Verfahren. 499 Siehe oben beispielsweise zum Begriff des Inverkehrbringens S. 59 f. 500 Siehe oben S. 101 ff. zum Kommissionsvorschlag KOM (2001) 425 endg. 501 Vgl. Erwägungsgründe 3, 5, 6 und Art. 11 FreisRL 90/220/EWG. 502 Vgl. Erwägungsgründe 1, 2, 3, 5, 6 und Art. 11 FreisRL 90/220/EWG. 503 Vgl. Erwägungsgrund 4 und Art. 11 FreisRL 90/220/EWG. 504 Vgl. insbesondere Erwägungsgrund 4 und insbesondere Erwägungsgrund 6 FreisRL 90/220/EWG. 505 Anhang III. C. der RL 97/35/EG. 506 Vgl. O'Rourke (siehe oben Fn.52), S. 157.
E. Die horizontale Freisetzungsrichtlinie
107
zifische Kennzeichnung präzisiert hat. Trotzdem war es ein Hauptgrund für den Erlass der R L 97/35/EG einige Monate nach Erlass der NFVO, dem Verbraucher auch im Anwendungsbereich der FreisRL 90/220/EWG durch die Kennzeichnung eine individuelle Entscheidung über den Verzehr der betreffenden Produkte zu ermöglichen, auch wenn dies in den Erwägungsgründen nicht unmittelbar ausgedrückt wird.507 Die FreisRL 2001/18/EG greift diese Motive auf und legt ihren Regelungen sogar ausdrücklich das Vorsorgeprinzip zugrunde. 508 Besondere Beachtung verdient, dass Erwägungsgrund 9 FreisRL 2001/18/EG bei der Zulassungsentscheidung die Berücksichtigung ethischer Aspekte ausdrücklich erlaubt 5 0 9 und bei der mittelfristigen politischen Beurteilung auch sozioökonomische Aspekte gerade von Landwirten und Verbrauchern berücksichtigt werden sollen. 5 1 0 Ebenfalls wird betont, dass die FreisRL 2001/18/EG den internationalen Verpflichtungen und insbesondere dem Biosafety Protocol Rechnung trage. 5 1 1
3. Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Organismen enthaltende Produkte Die Zulassungspflicht für das Inverkehrbringen solcher Produkte, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten oder daraus bestehen, ist in den Artt. 10 ff. FreisRL 90/220/EWG, 12 ff. FreisRL 2001/18/EG geregelt. In Bezug auf die materiellen Zulassungskriterien ist aus welthandelsrechtlicher Sicht bemerkenswert, dass wiederum ähnlich wie bei der NFVO nicht nur Gefahren i. S. d. deutschen Polizeirechts abgewehrt werden sollen, sondern das Vorsorgeprinzip auch für Zulassungsentscheidungen nach der FreisRL g i l t . 5 1 2 Nachdem der Wortlaut von Art. 4 FreisRL 90/220/EWG insoweit noch unklar war, betont jetzt die FreisRL 2001/18/EG die Funktion des Vorsorgeprinzips als Grundlage für ihre Ausarbeitung und Implementierung. 5 1 3 Ebenfalls ist bemerkenswert, dass die materiellen Zulassungs Voraussetzungen auch nach der FreisRL 2001/18/EG zwar grundsätzlich naturwissenschaftlicher Art sind, 5 1 4 wobei dem oben 5 1 5 beschriebenen Problem der Antibiotikaresistenzgene besondere Bedeutung beigemessen und ihre Abschaffung bis 2004 bzw. 2008 gefordert wird, sofern Gesundheits- oder Umweltri507
Vgl. die Ausführungen der Kommissarin Bjerregaard (siehe oben Fn. 184), S.4. Erwägungsgründe 6, 8 FreisRL 2001/18/EG. 509 Vgl. auch Erwägungsgrund 57 FreisRL 2001/18/EG. 510 Vgl. Erwägungsgrund 62 FreisRL 2001/18/EG. 511 Erwägungsgrund 13 FreisRL 2001/18/EG. 512 Vgl. bereits für die FreisRL 90/220/EWG statt aller Rehbinder (siehe oben Fn. 156), S.7 m. w. N. 5,3 Erwägungsgrund 8, Art. 1 FreisRL 2001/18/EG. 514 Vgl. insbesondere Annex II FreisRL 2001/18/EG. 515 Siehe oben S. 24 zum Problem von Antibiotikaresistenzen. 508
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2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
siken zu befürchten sind. 5 1 6 Über die bei der Risikobeurteilung zu berücksichtigenden naturwissenschaftlichen Gesichtspunkte hinaus unterstreicht die FreisRL 2001/18/EG allerdings, dass bei der Zulassungsentscheidung auch ethische Aspekte beachtlich sind, ohne dafür präzise Vorgaben zu machen. 5 1 7 Hinsichtlich des Verfahrens lässt sich feststellen, dass schon nach der FreisRL 90/220/EWG ähnlich wie nach der NFVO das Verfahren zunächst mitgliedstaatlich durchgeführt und auf einen begründeten Einwand eines anderen Mitgliedstaates hin auf die gemeinschaftliche Ebene hochgestuft wurde. 5 1 8 Die Prüfung auf gemeinschaftlichem Niveau ist in der Praxis regelmäßig der Fall. 5 1 9 Erwägungsgrund 29 der FreisRL 2001/18/EG verlangt eine Prüfung von Maßnahmen zur Verbesserung des Verfahrens wie insbesondere der Zentralisierung des Verfahrens auf europäischer Ebene, wie es auch der Vorschlag zur Neuregelung der Zulassung und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel vorsieht. Eine beachtliche Neuerung der FreisRL 2001/18/EG für das Verfahren ist, dass künftig die Öffentlichkeit beteiligt wird und insbesondere während des Zulassungsverfahrens Gelegenheit erhält, Bemerkungen abzugeben. 520 Bei der bislang in der EG weitverbreiteten Skepsis von Verbrauchern gegenüber gentechnisch veränderten Organismen insbesondere i m Lebensmittelbereich 521 könnte daraus ein politischer Druck auf die beteiligten Behörden entstehen, ein Produkt nicht zuzulassen. Aus welthandelsrechtlicher Perspektive betrachtet, ist daher auch das Zulassungsverfahren nach der FreisRL eine erhebliche Handelsbeschränkung.
4. Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Organismen enthaltende Produkte Die Kennzeichnungspflicht nach der FreisRL 90/220/EWG ist 1997 durch den Erlass der R L 97/35/EG präzisiert und erweitert worden: Vorher war jedenfalls nach der bei der Kommission vorherrschenden Auslegung von Anhang I I I B.5. der FreisRL 90/220/EWG eine gentechnikspezifische Kennzeichnung nur bei besonde516
Art. 4 II FreisRL 2001/18/EG. Vgl. die Erwägungsgründe 9 und 57 und Art. 29 FreisRL 2001/18/EG, vgl. zu einer sozioökonomischen Bewertung gentechnisch veränderter Organismen Erwägungsgrund 62 FreisRL 2001/18/EG. 518 Vgl. Rehbinder (siehe oben Fn. 156), S. 6; vgl. zu dem Fall, dass der die Erstprüfung durchführende Mitgliedstaat nach der Hochstufung auf die gemeinschaftliche Ebene seine Meinung über die Unbedenklichkeit des Produkts ändert, EuGH, Rs. C-6/99, Association Greenpeace!Ministère de I'Agriculture et de la Pèche, 21.03.2000, Slg. 20001, S. 1651 ff. 519 Vgl. Rehbinder (siehe oben Fn. 156), S.7; Matthee/Vermersch, The International Integration of European Precautionary Measures on Biosafety, European Environmental Law Review 2001, S. 183 ff. (185). 520 Art. 24 FreisRL 2001/18/EG. 521 Siehe dazu ausführlich unten S. 215 ff. 517
E. Die horizontale Freisetzungsrichtlinie
109
ren Sicherheitsbedenken erforderlich. 5 2 2 Seit der R L 97/35/EG muss dagegen nach Anhang I I I C. FreisRL 90/220/EWG die Etikettierung allgemein darauf hinweisen, dass das Produkt gentechnisch veränderte Organismen enthält oder daraus besteht. Bei mit konventionellen Produkten vermischten gentechnisch veränderten Produkten ist eine Kann-Kennzeichnung vorgesehen. Die Änderungsrichtlinie 97/35/EG fand i m Übrigen auf die bereits vor Erlass der R L 97/35/EG nach der FreisRL 90/220/EWG genehmigten Bt-Mais und RR-Soja keine Anwendung, weshalb die dargestellten Sonderkennzeichnungsregeln für Bt-Mais und RR-Soja erlassen werden mussten. 523 Ergeht eine - zeitlich beschränkte 524 - Zulassung nach der FreisRL 2001/18/EG, verpflichtet Art. 21 FreisRL 2001/18/EG die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass auf allen Stufen des Inverkehrbringens die Kennzeichnungspflicht beachtet wird, wobei ein Schwellenwert festgelegt werden kann. Eine Kann-Kennzeichnung ist dagegen in der FreisRL 2001/18/EG nicht mehr enthalten. I m unten 5 2 5 beschriebenen Vorschlag für eine Verordnung über die RückVerfolgbarkeit und Kennzeichnung wird die in Art. 4 V I FreisRL 2001/18/EG nur allgemein ausgesprochene Rückverfolgbarkeit detailliert geregelt. Außer der Kennzeichnungspflicht gelten nach Art. 20 FreisRL 2001/18/EG in der Zulassungsentscheidung i m Einzelnen festzulegende Monitoring- bzw. Produktbeobachtungspflichten. Dadurch wird die Zulassungspflicht gewissermaßen zeitlich verlängert, indem die Einhaltung der Sicherheitsanforderungen hinsichtlich sich erst nach der Produktzulassung herausstellender Risiken effektiv sichergestellt werden soll. Insgesamt lässt sich zur FreisRL 2001/18/EG festhalten, dass sie ähnlich wie der beschriebene Verordnungsvorschlag für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel die Anforderungen für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Lebensmittel teilweise erheblich strenger ausgestaltet als die alte FreisRL 90/220/EWG. Diese restriktivere Gentechnikpolitik der EG ist gerade auch von der äußerst skeptischen Haltung einiger Mitgliedstaaten beeinflusst, die sich im sogleich dargestellten de facto-Moratorium manifestiert.
5. Die FreisRL und das de facto-Moratorium Vor Erlass der neuen FreisRL 2001/18/EG traten einige EG-Mitgliedstaaten vergeblich für ein offizielles Zulassungsmoratorium innerhalb der EG ein, weil sie die geltenden Vorschriften für nicht ausreichend hielten. Jedoch besteht seit 1998 insofern ein de facto-Moratorium, als wegen des Streits um die Zulassung von gentech522 Vgl. Dederer, Novel Food im EG-Kennzeichnungsdickicht, Teil 1, ZFL 1998, Nr. 5, S. 52ff. (52) m. w. N.; Bjerregaard (siehe oben Fn. 184), S. 3. 523 Dederer (siehe oben Fn. 522), S. 53. 524 Art. 15IV FreisRL 2001/18/EG. 525 Siehe unten S. 110f. zu dem Kommissionsvorschlag.
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2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
nisch verändertem M a i s 5 2 6 Mitgliedstaaten ankündigten, auf Grundlage des Vorsorgeprinzips die Zulassung für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen zu verhindern. Die Kommission ließ diesem Anliegen entsprechend bis zur Novellierung der FreisRL 90/220/EWG für keine weiteren gentechnisch veränderten Organismen das Inverkehrbringen zu. 5 2 7 Auch seit der Novellierung wurde für keine weiteren gentechnisch veränderten Organismen das Inverkehrbringen zugelassen, obwohl nach Auffassung der Kommission die neue FreisRL 2001/18/EG den Sicherheitsbedenken ausreichend Rechnung trägt und das Moratorium gegen Europarecht verstößt. Da jedoch verschiedene Mitgliedstaaten 5 2 8 auch nach der Novellierung der FreisRL 90/220/EWG an dem Moratorium festhalten wollen, erwägt die Kommission eine Klage gegen diese Mitgliedstaaten, wenn die USA ihrerseits ein WTO-Streitschlichtungsverfahren wegen der EG-Handelsschranken einleiten sollten. 5 2 9 Meistens wird das de facto-Moratorium nur i m Zusammenhang mit der FreisRL erwähnt. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass bislang auch nach der NFVO keine Genehmigung für das Inverkehrbringen gentechnisch verändertes Lebensmittel erteilt worden ist und die Bedenken der betreffenden Mitgliedstaaten gerade auch für den Lebensmittelsektor gelten. 5 3 0
F. Der Kommissionsvorschlag K O M (2001) 182 endg. für eine Verordnung über die RückVerfolgbarkeit und Kennzeichnung Der Kommissionsvorschlag für eine Verordnung über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung genetisch veränderter Organismen und die RückVerfolgbarkeit aus genetisch veränderten Organismen hergestellter Lebens- und Futtermittel 526
Siehe zu dieser Auseinandersetzung oben S.25 f. Vgl. KrenzierIMacGregor (siehe oben Fn.28), S.287, 297; Kuilwijk , Genetically Modified Organisms: Proposed Changes to the E.U. Regulatory Regime, International Trade Law & Regulation 1999, S.89ff. (91); Nanda (siehe oben Fn.43), S.262; MacKenzielFrancescon, The Regulation of Genetically Modified Foods in the European Union: An Overview, New York University Environmental Law Journal 2000, S. 530ff. (542 f.); Sheridan (siehe oben Fn.6), S.87ff. 528 Diejenigen Mitgliedstaaten, die ausdrücklich auch nach der Novellierung der FreisRL an dem Moratorium festhalten wollen, sind Österreich, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Italien und Luxemburg. Vgl. zu den verschiedenen Gruppen von Mitgliedstaaten Tromans, Promise, Peril, Precaution: The Environmental Regulation of Genetically Modified Organisms, Indiana Journal of Global Legal Studies 2001, S. 187 ff. (196 ff.). 529 BN A International Environmental Daily vom 26.02.01. 530 So zurecht der Hinweis von Bentley, A Re-Assessment of Article XX, Paragraphs (b) and (g) of GATT 1994 in the Light of Growing Consumer and Environmental Concern about Biotechnology, Fordham International Law Journal 2000, S. 107ff. (124). 527
F. Verordnung über die RückVerfolgbarkeit und Kennzeichnung
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( R K V O ) 5 3 1 könnte zusammen mit der geplanten Verordnung über die Zulassung und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel die Politik des de facto-M Oratoriums beeinflussen und zumindest ein Schritt auf dem Weg zu seiner Aufhebung sein, weil er i m Einklang mit dem Verordnungsvorschlag für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel eine weitere Verschärfung des europäischen Gentechnikrechts vorsieht: Die R K V O soll insbesondere die neue FreisRL 2001/18/EG ergänzen, die die Mitgliedstaaten allgemein verpflichtet, die RückVerfolgbarkeit und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Organismen in allen Stadien des Inverkehrbringens sicherzustellen. 532 Der Kommissionsvorschlag enthält dafür Detail V o r s c h r i f t e n . Da diese Vorschriften auch besondere Regelungen für Lebens- und Futtermittel enthalten, wird die R K V O einen horizontal-vertikalen Mischcharakter haben. Die Rückverfolgbarkeit gentechnisch veränderter Organismen und daraus hergestellter Produkte wird von der Kommission als notwendig angesehen, insbesondere um die bestehenden Kennzeichnungs- und Produktbeobachtungsregelungen nach den übrigen sekundärrechtlichen Normen zu realisieren. A u f diese Weise könne etwa ein sich nachträglich als gefährlich erweisendes Produkt leichter vom Markt genommen werden. 5 3 3 Insgesamt lässt sich daher die vorgeschlagene R K V O als Flankierungsmaßnahme zu den Zulassungs- und Kennzeichnungsregeln nach den bestehenden Normen begreifen. In horizontaler Hinsicht, also in Bezug auf gentechnisch veränderte Organismen enthaltende oder daraus bestehende Produkte allgemein, enthält der Vorschlag zur R K V O in Art. 4 zum einen eine Kennzeichnungspflicht bei abgepackten Produkten für alle Stadien des Inverkehrbringens, also nicht nur für den ursprünglichen Inverkehrbringer. Zum anderen werden die am Inverkehrbringen beteiligten Akteure zur Weitergabe und zur Aufbewahrung bestimmter Informationen über die Produkte und die Handelspartner weiterverpflichtet, wozu insbesondere eine vor allem an Arbeiten der OECD ausgerichtete spezifische Produktcodierung zählt. Eine praktisch wichtige Ausnahme von diesen Pflichten soll nach Art. 6 I I I für gentechnisch veränderte Organismen gelten, die nicht für den Anbau, sondern für den direkten Gebrauch als Lebens- oder Futtermittel oder die Verarbeitung vorgesehen sind und unter die nach dem Willen der Kommission in die neue FreisRL 2001/18/EG einzufügende Mindestgrenze für zufällige oder unvermeidliche Anteile gentechnisch veränderten Materials fallen. Daneben reduziert Art. 4 I I UAbs. 2 die Dokumentationspflichten für gentechnisch veränderte Organismen, die nur für den direkten Gebrauch als Lebens- oder Futtermittel oder die Verarbeitung vorgesehen sind: Insoweit soll es ausreichen, die spezifischen Codes für die gentechnisch veränderten Organismen anzugeben, die in dem Produkt enthalten sein können. Diese Erleichte531
KOM (2001) 182 endg., http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/pdf/2001/de_501PC0182 .
pdf. 532 533
Artt. 4 VI, 21 FreisRL 2001/18/EG. Vgl. Erwägungsgründe 3 ff., Art. 1 des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 182 endg.
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2. Teil: Die europarechtlichen Beschränkungen des Handels
rung ist gerade i m Hinblick auf Mischlieferungen gentechnisch veränderter und konventioneller Erzeugnisse i m internationalen Handelsverkehr bedeutsam. In vertikaler Dimension sind für aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellte Lebens- oder Futtermittel in Art. 5 ebenfalls Dokumentationspflichten vorgesehen. Auch insoweit soll nach Art. 6 I V eine Ausnahme gelten für Produkte, die unter den Schwellenwert fallen, der in der geplanten Verordnung für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel festgelegt wird. Die USA haben auch gegen den Vorschlag zur R K V O mit dem Hinweis protestiert, er verstoße aus ähnlichen Gründen wie die geplanten Kennzeichnungsvorschriften gegen WTO-Recht. Insbesondere liege eine Diskriminierung darin, dass zwar raffinierte Derivativprodukte erfasst seien, nicht aber für die europäischen Erzeuger wichtige Produkte wie Käse oder Wein, die nur mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen oder Verarbeitungshilfsstoffe produziert würden. 5 3 4 Resümierend lässt sich zu den verschiedenen existierenden und geplanten Vorschriften des EG-Sekundärrechts für gentechnisch veränderte Lebensmittel festhalten, dass sie bereits gegenwärtig den Handel durch Zulassungs- und Kennzeichnungsvorschriften beschränken, die ergänzt werden durch Produktbeobachtungspflichten und künftig voraussichtlich durch Dokumentationspflichten. Inwieweit dies mit den Vorgaben des Welthandelsrechts vereinbar ist, wird im jetzt anschließenden zweiten Teil dieser Arbeit analysiert.
534 BN A Food Safety Report vom 06.06.2001 und deutlicher BN A Food Safety Report vom 01.08.2001; BRIDGES Weekly Trade News Digest Vol. 5, No. 30 vom 13.09.2001.
3. Teil
Die Vereinbarkeit des EG-Rechts für gentechnisch modifizierte Lebensmittel mit WTO-Recht Bereits Mitte der 90er Jahre wiesen Autoren auf beiden Seiten des Atlantiks darauf hin, dass die europäischen Vorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel mit dem Recht der Welthandelsorganisation W T O kollidieren könnten. 5 3 5 Die bereits erwähnte Auseinandersetzung um die sekundärrechtlichen Vorschriften zwischen der EG und den U S A 5 3 6 ist dabei ein weiteres wichtiges Beispiel für Konflikte dieser Handelspartner, die auch mit einem prinzipiellen politischen Unterschied zusammenhängen, den Kommissionsmitglied Pascal Lamy mit folgenden Worten pointiert beschreibt: „ I n the U.S. they believe that i f no risks have been proven about a product, it should be allowed. In the E U we believe something should not be authorized i f there is a chance of r i s k " . 5 3 7 Der wohl bekannteste Fall, in dem dieser fundamentale Unterschied bisher relevant wurde, ist der in der WTO-Streitschlichtung ausgetragene Konflikt um die europäischen Regelungen für Wachstumshormone bei Rindfleisch, auf den noch detailliert einzugehen sein wird. Sollte der grundlegend unterschiedliche Ansatz, mit dem EG und USA versuchen, naturwissenschaftlich nicht konkretisierten Risiken gerecht zu werden, fortbestehen, ist mit Auseinandersetzungen in anderen Handelsbereichen zu rechnen. 538 Oben 5 3 9 wurde die auf das Welthandelsrecht gestützte Kritik bereits dargestellt, die insbesondere die USA am europäischen Gentechnikrecht üben, in jüngerer Zeit 535 Vgl. Eckert, Die neue Welthandelsordnung und ihre Bedeutung für den internationalen Verkehr mit Lebensmitteln, ZLR 1995, S. 363 ff. (390); Barton, Biotechnology, The Environment, and International Agricultural Trade, Georgetown, International Environmental Law Review 1996, S. 95 ff. 536 Siehe oben S. 38 ff. zum Protest der USA gegen die EG-Normen für gentechnisch veränderte Lebensmittel. 537 Zitiert bei Charnovitz, The Supervision of Health and Biosafety Regulation by World Trade Rules, Tulane Environmental Law Journal 2000, 271 ff., Fn. 181; mit abweichendem Wortlaut, aber gleichem Sinn ist das Zitat auch dargestellt bei Krenzler/MacGregor (siehe oben Fn. 28), S.307. 538 Ygi Perdikis/Kerr/Hobbs, Can the WTO/GATT Agreements on Sanitary and Phytosanitary Measures and Technical Barriers to Trade be Renegotiated to Accomodate Agricultural Biotechnology? Vortrag auf Konferenz Transitions in Agbiotech: Economics of Strategy and Policy am 24./25. Juni 1999 in Washington, D.C., S.692ff. (697). 539
8 Stökl
Siehe obenS.38ff.
114
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
beispielsweise i m März 2002 in den zuständigen WTO-Ausschüssen 540 : Das Zulassungsverfahren beruhe auf der naturwissenschaftlich so nicht haltbaren unterschiedlichen Behandlung gentechnischer und konventionell hergestellter Neuentwicklungen i m Lebensmittelbereich, es sei zu lang, mit dem de facto-Moratorium würden überhaupt keine Produkte mehr zugelassen, und die Entscheidungskriterien seien unklar. Die Rückverfolgbarkeitspflichten seien ebenfalls diskriminierend. Die Kennzeichnungsvorschriften seien zu unbestimmt und naturwissenschaftlich nicht gerechtfertigt. Der Export gentechnisch veränderter Pflanzen und Lebensmittel ist bereits in der Gegenwart insbesondere für die USA von erheblicher Bedeutung. Wegen der Zukunftschancen auf diesem Gebiet übertrifft der transatlantische Gentechnikkonflikt den Hormonstreit in seiner ökonomischen Tragweite deutlich. 5 4 1 Angesichts des Hormonstreits, der massiven Kritik der USA am europäischen Gentechnikrecht und der ökonomischen Implikationen erschiene es konsequent, wenn die USA ein WTO-Streitschlichtungsverfahren einleiteten. 542 Dass es dazu bislang nicht gekommen ist und stattdessen Verständigungsversuche stattfinden und dafür sogar eine Expertenkommission eingesetzt wurde, 5 4 3 mag juristische und politische Ursachen haben: Juristisch macht die Klage bei der W T O unattraktiv, dass außerordentlich umstritten ist, ob das europäische Recht für gentechnisch veränderte Lebensmittel WTO-widrig ist. 5 4 4 Aus politischer Sicht ist erstens zu bedenken, dass in den USA ein gewisser Stimmungsumschwung bei den Verbrauchern zu Lasten gentechnisch veränderter Lebensmittel festzustellen ist. 5 4 5 Außerdem könnte es sich aus nordamerikanischer Sicht langfristig als kontraproduktiv erweisen, wenn die europäischen Verbraucher noch mehr den Eindruck erhielten, die welthandelsrechtlichen Abkommen würden ihren Bedenken nicht gerecht. 546 540
Vgl. zum Protest gegen die europäischen Gentechniknormen im SPS- und TBT-Ausschuss im März 2002 BRIDGES Trade BioRes Vol. 2, No. 6 vom 04.04.2002. 541 Vgl. KrenzierIMacGregor (siehe oben Fn.28), S.288. 542 Vgl. Fredland (siehe oben Fn.452), S. 192; Charnovitz (siehe oben Fn.537), siehe oben Fn. 39 m. w. N. 543 Der im Dezember 2000 vorgelegte Abschlussbericht des EU/US Consultative Forum on Biotechnology findet sich unter http://europa.eu.int/comm/external_relations/us/biotech/ report.pdf; vgl. zum EU/US Consultative Forum on Biotechnology BN A Food Safety Report vom 07.06.2000 und vom 19.12.2000; Sheridan (siehe oben Fn.6), S.252ff. 544 Auf dieses Hindernis für die Einleitung eines Streitschlichtungsverfahrens weisen beispielsweise hin: Kennedy , Resolving International Sanitary and Phytosanitary Disputes in the WTO: Lessons and Future Directions, Food and Drug Law Journal 2000, S.81 ff. (101); Wolff, America's Ability to Achieve its Commercial Objectives and the Operation of the WTO, Law and Policy in International Business 2000, S. 1013 ff. (1030). 545 Siehe unten S. 216 zur Haltung der US-Verbraucher; vgl. auch Krenzier IMacGregor (siehe oben Fn.28), S.316. 546 Vgl. Gupta , Governing Trade in Genetically Modified Organisms - The Cartagena Protocol on Biosafety, Environment 2000, S.23ff. (31).
Α. Recht für gentechnisch veränderte Lebensmittel in den USA
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In der Tat ist die Frage der WTO-Konformität des europäischen Gentechnikrechts schwierig zu beantworten angesichts der komplizierten EG-Regelungen einerseits und des ebenso mit erheblichen Auslegungsschwierigkeiten behafteten WTO-Regelwerkes andererseits. Teilweise wird daher gar vertreten, das Welthandelsrecht sei mit dieser Frage überfordert. 547 Die Situation ist nicht übersichtlicher geworden durch das außerhalb des WTO-Rahmens abgeschlossene Biosafety Protocol. I m folgenden zweiten Teil der Arbeit wird auf den Ergebnissen des ersten Teils aufbauend erörtert, inwieweit diese Bedenken berechtigt sind, ob und gegebenenfalls inwieweit das europäische Sekundärrecht für gentechnisch veränderte Lebensmittel mit dem Welthandelsrecht vereinbar ist. Zunächst wird ein Überblick über das amerikanische Recht in diesem Bereich gegeben. Angesichts des Themas dieser Arbeit geht es dabei nicht darum, welches Rechtssystem das für die Chancen und Risiken gentechnisch veränderter Lebensmittel angemessenere Konzept beinhaltet. Vielmehr soll der Blick auf ein Alternativmodell den Vorwurf erklären, das EGRecht sei wissenschaftlich nicht gerechtfertigt. I m Anschluss werden die WTO-Anforderungen dargestellt und das EG-Recht daran gemessen. Eine außerordentliche wichtige Funktion wird dabei der bisherigen WTO-Streitschlichtung zu den betreffenden WTO-Abkommen zukommen. Schließlich wird diskutiert, inwieweit das Biosafety Protocol Auswirkungen auf die Frage der Vereinbarkeit der europäischen Vorschriften mit WTO-Recht hat.
A. Exkurs: Das Recht für gentechnisch veränderte Lebensmittel in den USA 1. Grundsätze In der Europäischen Gemeinschaft bestehen, wie aufgezeigt, verfahrensspezifische Vorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel. Demgegenüber wird das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Lebensmittel in den USA von dem Grundsatz beherrscht, bei gentechnischen Verfahren handele es sich lediglich um Weiterentwicklungen konventioneller Züchtungsmethoden, und prinzipiell reichten die bereits vorhandenen Regeln aus, um Mensch und Umwelt vor Schäden zu bewahren. 5 4 8 Die unten 5 4 9 detaillierter beschriebenen kulturellen Unterschiede zwi547 So Kerr, International Trade in Transgenic Food Products: A New Focus for Agricultural Trade Disputes, The World Economy 1999, S. 245 ff. (253 f.); Wolff (siehe oben Fn. 544), S. 1023 f.; ähnlich Murphy, Biotechnology and International Law, Harvard International Law Journal 2001, S.47ff. (85); Buckingham! Phillips, Issues and Options for the Multilateral Regulation of GM Foods, The Estey Centre Journal of International Trade Law and Policy 2001, S. 178ff. (183, 185). 548 Ygi Francer (siehe oben Fn. 48), S. 265 ff.; Η erdegen/Dederer in Herdegen (IP-GenTR, Bd. 2, USA/Erläuterungen, Rn. 2; Berkey, The Regulation of Genetically Modified Foods, http://www.asil.org/insights/insigh37.htm, II.A; Stewart/Johanson (siehe oben Fn.28), S.247;
8=
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
sehen Europa und Nordamerika spiegeln sich in diesem anderen politischen Grundkonzept wider, das sich bereits 1986 im Coordinated Framework for Regulation of Biotechnology und seitdem in weiteren politischen Grundsatzerklärungen manifestierte. 5 5 0 Außerdem ist bemerkenswert, dass in diesem Bereich föderale Regeln entscheidend sind und einzelstaatliche Normen bisher eine untergeordnete Rolle spielen. 551 Ferner ist charakteristisch, dass als Konsequenz aus der Ablehnung eines verfahrensspezifischen Systems je nach Art des Produktes verschiedene Behörden mit sich teilweise überlappenden Kompetenzbereichen auf Grundlage verschiedener Gesetze tätig werden. 5 5 2 Die wichtigsten Behörden und die von ihnen angewandten Regeln für gentechnisch veränderte Lebensmittel sollen i m Folgenden dargestellt werden.
2. Food and Drug Administration (FDA) I m Bereich gentechnisch modifizierter Lebensmittel wird die FDA vor allem auf Grundlage des Federal Food, Drug and Cosmetic Act (FFDCA) tätig. Der FFDCA enthält - entsprechend dem oben dargestellten Grundsatz - keine Sonderregelungen für Gentechnik.
a)
Genehmigungspflicht
In den USA besteht keine generelle Genehmigungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel. Nach § 409 FFDCA sind unter Umständen Lebensmittelzusätze genehmigungspflichtig. Als Lebensmittelzusätze kommen bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln prinzipiell das übertragene genetische Material und das beabsichtige Expressionsprodukt in Betracht. 5 5 3 Die Genehmigungspflicht gilt jedoch nicht für solche Produkte, die unter die Generally-recognized-as-safe Teel , Regulating Genetically Modified Products and Processes: An Overview of Approaches, New York University Environmental Law Journal 2000, S.649ff. (662). 549 Siehe unten S. 218. 550 Francer (siehe oben Fn. 48), S. 265 ff.; Ηerdegen!Dederer (siehe oben Fn. 548), Rn. 1 ff.; vgl. zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für das Freisetzen gentechnisch veränderter Organismen in den USA, insbesondere zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, Freisetzung im deutschen und US-amerikanischen Recht. 551 Η erdegen!Dederer (siehe oben Fn.548), Rn. 10; vgl. zu Projekten der US-Bundesstaaten für Kennzeichnungsregeln immerhin Phillips!McNeill, Labeling for GM Foods: Theory and Practice, AgBioForum 2000, S.219ff. 552 Drahos, Genetically Modified Organisms and Biosafety: The Global Regulatory Issues, Bio-science Law Review 1999/2000, S.40ff. (41); KrenzlerIMacGregor (siehe oben Fn.28), S.298f. 553 Vgl. Η erdegen! Dederer (siehe oben Fn.548), Rn. 189; Francer (siehe oben Fn. 48), S.269.
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(G/MSJ-Regel fallen. Bei neuartigen Lebensmitteln ist dies nach Auffassung der FDA regelmäßig der F a l l . 5 5 4 Es besteht de lege lata auch keine allgemeine Notifikationspflicht für neuartige Lebensmittel. Jedoch ist die FDA nach der General Safety Clause (§ 402(a) I FFDCA) befugt, den Vertrieb von Lebensmitteln zu untersagen, die eine Gefahr für den Verbraucher darstellen. Darauf aufbauend, „empfiehlt" die FDA, neuartige Lebensmittel nicht in Verkehr zu bringen, ohne zuvor die Unbedenklichkeit des Produkts in Konsultationen mit der FDA bestätigt zu haben. Dieses Anmeldungsverfahren halten die Inverkehrbringer in der Praxis normalerweise ein. 5 5 5 Für Aufsehen sorgte, als dennoch Lebensmittel aus gentechnisch verändertem Mais (StarLink) in Supermarktregalen gefunden wurden, bei denen Allergierisiken nicht auszuschließen waren. 5 5 6 Insbesondere Japan reduzierte daraufhin den Maisimport aus den USA.557 Die Regierung Clinton kündigte i m M a i 2000 an, für die Zukunft werde eine Notifzierungspflicht entwickelt. 5 5 8 I m Januar 2001 legte die FDA einen entsprechenden Vorschlag für eine Neuregelung vor, wonach spätestens 120 Tage vor Inverkehrbringen eines gentechnisch veränderten Lebensmittels eine Notifizierung bei der FDA erfolgen muss und durch Unterlagen zu belegen ist, dass das Produkt für den Menschen unbedenklich ist. 5 5 9 Während der Vorschlag von den Lebensmittelherstellern begrüßt wird, empfinden ihn viele Verbraucherverbände als unzureichend. 560 Es bleibt abzuwarten, wie sich die Lage weiterentwickelt.
b) Kennzeichnung Die Kennzeichnungsregeln in den USA für gen technisch veränderte Lebensmittel sind erheblich zurückhaltender als die entsprechenden Normen in der EG oder etwa in Australien oder Indien. 5 6 1 Gesetzlicher Ausgangspunkt der Kennzeichnungspolitik der FDA ist das Irreführungsverbot nach § 403 (a) FFDCA. Daran anknüpfend, sind bei der Produktkennzeichnung „facts material in the light of such representations or material with re554
Ηerdegen! Dederer (siehe oben Fn.548), Rn. 189. Francer (siehe oben Fn. 48), S. 269; Perdikis (siehe oben Fn. 147), S. 56; Adler (siehe oben Fn. 56), S. 182; Η erdegen! Dederer (siehe oben Fn.548), Rn. 188 ff.; Teel (siehe oben Fn. 548), S. 665; Stewart!Johanson (siehe oben Fn. 28), S. 248. 556 Vgl. dazu BNA Food Safety Report vom 20.12.2000, vom 21.01.2001 und vom 24.01.2001. 557 BNA Food Safety Report vom 24.01.2001. 558 Francer (siehe oben Fn. 48), S. 276. 559 BNA Food Safety Report vom 21.01.2001. 560 BNA Food Safety Report vom 24.01.2001. 561 Vgl a u c h z u Beispielen aus anderen Ländern Teel (siehe oben Fn. 548), S. 682; Herdegen, IP-GenTR (passim). 555
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
spect to consequences which may result from the use of the article" 5 6 2 zu berücksichtigen. 5 6 3 Die FDA zieht aus dieser Gesetzeslage folgende Konsequenzen: Da es sich bei gentechnischen Verfahren lediglich um Weiterentwicklungen herkömmlicher Züchtungsverfahren handele und i m Allgemeinen gentechnisch veränderte Lebensmittel sich nicht wesentlich von konventionellen Lebensmitteln unterschieden, stelle es auch keine Irreführung des Verbrauchers dar, wenn kein Hinweis auf die Anwendung gentechnischer Verfahren auf dem Etikett erfolge. Eine Kennzeichnung sei nur in Einzelfällen erforderlich, wenn etwa Allergiker auf Allergene hingewiesen werden müssten, die sie in den betreffenden Produkten nicht erwarteten, oder bei signifikanten Unterschieden zu herkömmlichen Lebensmitteln wie beispielsweise dem völligen Fehlen von Vitamin C bei einer Tomate. 5 6 4 Auch in den Ausnahmefällen, in denen die FDA bislang eine besondere Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel verlangte, war keine verfahrensspezifische Kennzeichnung erforderlich, sondern ein neuer Produktname reichte aus. 5 6 5 Die FDA hat i m Januar 2001 erklärt, insoweit an ihrer bisherigen Kennzeichnungspolitik festzuhalten und lediglich die freiwillige Kennzeichnung zu vereinheitlichen. 566 Diese Kennzeichnungspolitik wird im amerikanischen Schrifttum überwiegend akzeptiert. 567 Dabei wird auf eine Entscheidung des U.S. Federal Appeals Court verwiesen, der eine Kennzeichnungspflicht für M i l c h von Kühen verworfen hat, die mit gentechnisch hergestellten Hormonen behandelt werden: Die Kennzeichnungspflicht verstoße gegen das von der Verfassung gewährte Recht, sich nicht zu äußern. 5 6 8 Außerdem wird eine Entscheidung des District Court des District of Columbia zitiert, der ausdrücklich die Regelungen der FDA akzeptiert, weil ein etwaiger Verbraucherwunsches nach Kennzeichnung ohne tatsächliche Produktunterschiede 562
Hervorhebungen vom Verfasser. 563 v g l Francer (siehe oben Fn. 48), S. 272. 564 Vgl. FDA (siehe oben Fn.24); Francer (siehe oben Fn.48), S. 272ff.; Teel (siehe oben Fn.548), S. 665 ff.; Stewart!Johanson (siehe oben Fn.28), S.250f.; Η erdegen!Dederer (siehe oben Fn.548), Rn.208ff. 565 Η erdegen!Dederer (siehe oben Fn. 548), Rn. 212, mit dem Beispiel des mit „Laurate canola" gekennzeichnetem Öl aus gentechnisch verändertem Raps. 566 BN A Food Safety Report vom 24.01.2001. 567 Etwa von Goldman , Labeling of Genetically Modified Foods: Legal and Scientific Issues, Georgetown International Environmental Law Review 2000, S.717ff.; Leggio , Limitations on the Consumer's Right to Know: Settling the Debate over Labeling of Genetically Modified Foods in the United States, San Diego Law Review 2001, S. 893 ff.; die Grundlagen der USKennzeichnungspolitik verteidigt ebenfalls Beates, Modification and Consumer Information: Modern Biotechnology and the Regulation of Information, Food and Drug Law Journal 2000, S. 105 ff.; auf den bisherigen Kennzeichnungsgrundsätzen aufbauend, macht Miskiel, Voluntary Labeling of Bioengineered Food: Cognitive Dissonance in the Law, Science and Public Policy, California Western Law Review 2001, S. 223 ff., Vorschläge für die Ausgestaltung einer freiwilligen Kennzeichnung. 568 Vgl z u d e r Entscheidung „International Dairy Foods Association v. Amestoy" etwa Goldman (siehe oben Fn.567), S.732f.
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nicht ausreiche. 569 Teilweise wird die FDA-Politik dagegen als unzureichend und falsche Auslegung der FFDCA-Normen kritisiert. 5 7 0 Bereits 1999 wurde (erfolglos) von einem Kongressabgeordneten der Demokratischen Partei ein Gesetzesentwurf zur Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel eingebracht. 571 Gegenwärtig ist kaum abzusehen, ob und gegebenenfalls inwieweit mittelfristig die Kennzeichnungsprinzipien für gentechnisch veränderte Lebensmittel erweitert werden, auch wenn eine Kennzeichnungspflicht wie in der EG sehr unwahrscheinlich ist. 5 7 2
3. Environmental Protection Agency (EPA) Die EPA wird bei bestimmten gentechnisch veränderten Pflanzen tätig, den sogenannten plant-incorporated protectants (PIPs), 5 7 3 also solchen gentechnisch veränderten Pflanzen, die selbst eine Pestizidsubstanz enthalten. Die Gesetze, auf deren Grundlage die EPA hierbei agiert, sind vor allem der bereits erwähnte FFDCA, der Toxic Substances Control Act (TSCA) und der Federal Insecticide , Fungicide and Rodenticide Act (FIFRA). Während der TSCA vorwiegend im Hinblick auf gentechnisch veränderte Mikroorganismen relevant ist, 5 7 4 verlangt der FIFRA beim Inverkehrbringen von PIPs eine Registrierung des Produktes bei der EPA, wofür der Inverkehrbringer demonstrieren muss, dass das Produkt keine Gefahr für die öffentliche Gesundheit oder Umwelt darstellt. 5 7 5 Der FFDCA fordert, dass das Produkt den EPA-Grenzwert für Pestizidrückstände einhält, sofern insoweit keine Ausnahme zugelassen worden ist. 5 7 6 I m Übrigen wird die EPA durch die Erteilung sogenannter Experimental Use Permits bereits bei Freilandversuchen tätig. 5 7 7 569
Vgl. zu der Entscheidung „Alliance for Bio-Integrity v. Shalala" etwa Miskiel (siehe oben Fn. 567), S. 235 ff.; Leggio (siehe oben Fn. 567), S. 915 f. 570 Vgl. insbesondere Kirby, Genetically Modified Foods: More Reasons to Label than not, Drake Journal of Agricultural Law 2001, S. 351 ff.; Winn, Special Labeling Requirements for Genetically Engineered Food: How Sound are the Analytical Frameworks Used by FDA and Food Producers? Food and Drug Law Journal 1999, S. 667 ff. (669 ff.); Steiner , Food Fight - the Changing Landscape of Genetically Modified Foods and the Law, RECIEL 2000, S. 152ff. 57 1 Krenzler/MacGregor (siehe oben Fn. 28), S. 302; BNA Food Safety Report vom 17.11.1999 und 24.01.2001; zu neueren Entwicklungen der US-Kennzeichnungspolitik auch Bailey IBolduan, Genetically Modified Foods: Labeling Issues Are Driving the Regulators and Counsel, Defense Counsel Journal 2001, S.308ff. 572 Vgl. BNA Food Safety Report vom 24.01.2001. 573 Früher als plant pesticides bekannt; vgl. zur neuen Terminologie BNA Food Safety Report vom 24.01.2001. 574 Vgl. zum Handeln der EPA unter dem TSCA Kunich (siehe oben Fn. 37), S. 824ff. 57 5 Nelson/Abramson, High-Tech Crops: Emerging Legal Issues, ACCA Docket 1999, S. 35 ff. (49); Adler (siehe oben Fn.56), S. 182 f.; Η erdegen/Dederer (siehe oben Fn. 548), Rn. 216. 576 Vgl. Nelson/Ahramson (siehe oben Fn. 575), S. 50; Η erdegen/Dederer (siehe oben Fn. 548), Rn. 217. 577 Vgl. Teel (siehe oben Fn.548), S.663.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Angesichts des oben erwähnten Aufsehens um den nicht für den menschlichen Verzehr zugelassenen Mais erwog auch die EPA, ihre Politik gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmitteln zu verändern. 578 Tatsächlich wurden jedoch Anfang 2001 die alten Grundsätze lediglich mit Detailänderungen fortgeführt. 579
4. United States Department of Agriculture (USDA) Aufgabe des Landwirtschaftsministeriums ist, die Landwirtschaft vor Schäden zu bewahren. Der zum USDA gehörende Animal Plant and Health Inspection Service (APHIS) wird i m Zusammenhang mit dieser Aufgabenstellung insbesondere auf Grundlage des Federal Plant Protection Act (FPPA) und des Plant Quarantine Act (PQA) tätig. I m Bereich gentechnisch veränderter Pflanzen verlangt der APHIS für Freilandversuche, den Handel zwischen Bundesstaaten und den Import von Pflanzen, die eine Gefahr darstellen können, eine Genehmigung oder Anmeldung zur Prüfung der Unbedenklichkeit. 5 8 0 Für fast alle gentechnisch veränderten Pflanzen genügt aus Sicherheitsgründen nach jetziger Auffassung des APHIS jedoch die Durchführung des AnmeldungsVerfahrens. 581 Zahlreiche gentechnisch veränderte Pflanzen haben den non-regulated-status erlangt, wonach keine weitere Regulierung durch den APHIS stattfindet. 582
5. Bewertung der Unterschiede zum europäischen Recht Sowohl die zuständigen US-Behörden als auch die Unternehmen der biotechnischen Industrie halten das Regelwerk der USA für angemessener als die europäischen Normen, 5 8 3 und zwar auch nach den jüngsten Vorschlägen der FDA zur Änderung der bisherigen Politik. 5 8 4 Dies ist konsequent angesichts der Grundentscheidung, mit gentechnischen Verfahren erzeugte Lebensmittel nicht prinzipiell anders zu behandeln als konventionelle Produkte. Als Folge dieser Grundentscheidung besteht außerhalb des Kompetenzbereiches von EPA und APHIS bislang noch nicht einmal eine allgemeine Notifikationspflicht, während in der EG die N F V O vom Grundsatz der Genehmi57 8
BN A Food Safety Report vom 20.12.2000. BN A Food Safety Report vom 24.01.2001. 580 Beach, No „Killer Tomatoes": Easing Federal Regulation of Genetically Engineered Plants, Food and Drug Law Journal 1998, S. 181 ff. (182f.); vgl. zu den materiellen Kriterien für die Anmeldung Belson, US Regulation of Agricultural Biotechnology: An Overview, AgBioForum 2000, S. 268 ff. (270). 581 Beach (siehe oben Fn.580), S. 183. 582 Nelson!Ahramson (siehe oben Fn.575), S.42f.; Beach (siehe oben Fn.580), S. 184. 583 Herdegen (siehe oben Fn.385), IP-GenTR/Einführung, Rn.315f. 584 Vgl. BN A Food Safety Report vom 24.01.2001. 57 9
Β. Der welthandelsrechtliche Rahmen
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gungspflicht ausgeht und Ausnahmen nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässt. Bei der Kennzeichnungspflicht sind die Unterschiede noch deutlicher, woraus verständlich wird, warum sich die Kritik der USA am EG-Recht gerade gegen die europäischen Kennzeichnungsregeln richtet und sie als wissenschaftlich unhaltbar bezeichnet. Schließlich ist hervorzuheben, dass sich die Anforderungen für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Lebensmittel in den USA nicht so häufig geändert haben wie in der E G . 5 8 5 Insgesamt ist festzustellen, dass auch in den USA beachtliche Beschränkungen für den Handel mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln bestehen, nicht zuletzt durch die verschiedenen beteiligten Behörden. 5 8 6 Diese Beschränkungen basieren aber auf dem Grundsatz der Gleichwertigkeit gentechnischer und traditioneller Produktionsverfahren und ermöglichen eine schnellere und kostengünstigere Vermarktung als in der E G . 5 8 7
B. Der welthandelsrechtliche Rahmen Die fundamentale Weiterentwicklung des Welthandelsrechts durch die Schaffung der W T O 5 8 8 ist auch und gerade für das Spannungsverhältnis zwischen Freihandel und Umweltschutz von erheblicher Bedeutung. I m Folgenden wird der rechtliche Rahmen beschrieben, den die W T O in diesem Bereich bietet, soweit er für die Beurteilung der welthandelsrechtlichen Konformität des EG-Rechts für gentechnisch veränderte Lebensmittel relevant ist.
1. Die WTO-Abkommen für das Spannungsverhältnis Freihandel-Umweltschutz Dass Freihandel einerseits und Umwelt- und Gesundheitsschutz andererseits zwar nicht in einem Verhältnis strikter Alternativität zueinander stehen, sich aber häufig gegenseitig beeinflussen, ist eine eher banale Feststellung. 589 Das ursprüngliche GATT von 1947 enthielt jedoch nur wenige Bestimmungen mit gesundheitsund umweltschutzrechtlichem Bezug, was daraus resultiert, dass in der Nachkriegs585
Krenzier IMacGregor (siehe oben Fn. 28), S. 302; Stewart!Johanson (siehe oben Fn. 28),
S.246. 586
Η erdegen!Dederer (siehe oben Fn. 548), Rn. 319. Perdikis (siehe oben Fn. 147), S. 57; KrenzlerlMacGregor (siehe oben Fn. 28), S. 297; Adler (siehe oben Fn.56), S. 183. 588 Vgl. dazu grundlegend Jackson, The World Trading System; Senti, WTO - System und Funktionsweise der Welthandelsordnung, S.64ff. 589 Vgl. aus dem neueren Schrifttum dazu Altemöller, Welthandelsordnung und einzelstaatliche Umweltschutzpolitik-Ein Widerspruch? RabelsZ 2000, S.213ff. (214f.); Hilf, Freiheit des Welthandels contra Umweltschutz? NVwZ 2000, S.481 ff. (482); Epiney, Welthandel und Umwelt-Ein Beitrag zur Dogmatik der Art. III, IX, XX GATT, DVB1. 2000, S.77ff. (77). 587
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
zeit Aspekte des Umweltschutzes nicht die gleiche Aufmerksamkeit genossen wie in den 80er und 90er Jahren. 590 Seit dem GATT 1947 hat sich das physikalische wie das politische Klima verändert. Als Höhepunkt dieser Entwicklung lässt sich festhalten, dass nach verschiedenen Umweltkatastrophen und besorgniserregenden Prognosen 1992 in Rio de Janeiro die Konferenz für Umwelt und Entwicklung stattfand. Diese hielt die GATTStaaten während der seit 1986 laufenden Uruguay-Runde dazu an, Umweltschutzaspekte verstärkt zu berücksichtigen. 591 Seit dem Abschluss der Uruguay-Runde 1994 bestehen innerhalb des WTO-Rahmens erheblich deutlichere gesundheits- oder umweltschutzrechtliche Bezüge als nach dem GATT 1947. Institutionell ist dabei der Ausschuss für Handel und Umwelt (Committee on Trade and Environment, C T E ) 5 9 2 bemerkenswert, der beispielsweise 1999 einen ausführlichen Bericht über die gegenseitige Beeinflussung von Freihandel und nationaler Umweltschutzpolitik veröffentlichte. 593 Inhaltlich ist zunächst die Präambel des WTO-Übereinkommens zu nennen, die die optimale Nutzung der Ressourcen der Welt und die nachhaltige Entwicklung als Ziele anvisiert, 594 auch wenn diese dem Freihandel nicht gleichgeordnet werden. 5 9 5 Für nichttarifäre Handelshemmnisse wie das EG-Recht für gentechnisch veränderte Lebensmittel sind die Bestimmungen des jetzigen GATT 1994 5 9 6 , das Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS-Abkomm e n 5 9 7 ) und das Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (TBT-Abkommen 5 9 8 ) von besonderer Bedeutung. Außerdem ist die Vereinbarung über Regeln 590
Senti (siehe oben Fn. 588), S. 294f. Senti (siehe oben Fn. 588), S. 295 ff., zu sonstigen historischen Einflüssen, deretwegen die umweltschutzrechtlichen Bestimmungen in das WTO-Recht aufgenommen wurden. 592 Vgl. zum CTE Senti (siehe oben Fn. 588), Rn. 306ff. 593 Trade and Environment, http://www.wto.org/english/tratop_e/envir_e/environment.pdf ; dass das CTE in diesem Bericht nicht ausführlich auf die Biotechnologie eingeht, nennt Carlsten, The World Trade Organization Millenium Conference in Settie: The WTO Recognizes a Between Trade and the Environment and its Effect on Developing Countries, Colorado Journal of International Environmental Law and Policy 2000, „conspicuously absent". 594 „Recognizing that their relations in the field of trade and economic endeavour should be conducted with a view to raising standards of living, ensuring full employment and a large and steadily growing volume of real income and effective demand, and expanding the production of and trade in goods and services, while allowing for the optimal use of the world's resources in accordance with the objective of sustainable development, seeking both to protect and preserve the environment and to enhance the means for doing so in a manner consistent with their respective needs and concerns at different levels of economic development,...". 595 Senti (siehe oben Fn.588), S.299; Epiney (siehe oben Fn.589), S.78. 596 Text im Internet unter http://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/06-gatt.pdf ; die nicht authentische deutsche Übersetzung des GATT 1994 findet sich unter ABl. EG 1994 Nr.L 336/1 Iff.; der Text des inkorporierten GATT 1947 findet sich unter http://www.wto. org/ english/docs_e/legal_e/gatt47.pdf. 597 Siehe oben Fn. 1. 598 Siehe oben Fn. 2. 591
Β. Der welthandelsrechtliche Rahmen
123
und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten ( D S U 5 9 9 ) zu nennen, da die Frage der WTO-Konformität des EG-Rechts nicht isoliert von den prozessualen Implikationen beantwortet werden kann und außerdem die bisherige WTO-Streitschlichtung von erheblicher Wichtigkeit für die Auslegung der genannten Abkommen ist. Die i m Rahmen dieser Arbeit relevanten Bestimmungen dieser Abkommen werden sogleich in ihren Grundzügen skizziert. Daran anschließend wird erörtert, welche der Vorschriften auf die europäischen Handelsbeschränkungen für gentechnisch modifizierte Lebensmittel anzuwenden sind, um danach zu prüfen, inwieweit das EG-Recht den einschlägigen WTO-Anforderungen genügt.
a) Artt. I, III, XI, XX GATT Von den Bestimmungen des GATT sind für nichttarifäre Beschränkungen des Handels mit Waren, die zum Schutze von Gesundheit und Umwelt ergehen, insbesondere die Artt. I, III, X I und X X GATT von Bedeutung. Artt. I, I I I GATT enthalten die Gebote der Meistbegünstigung und Inländergleichbehandlung. Erfasst sind grundsätzlich auch faktische Diskriminierungen. 6 0 0 Problematisch ist häufig die Beurteilung, ob die angeblich benachteiligte Ware tatsächlich gleichartig mit der angeblich bevorzugten Ware ist, also wirklich ein like product vorliegt, da andernfalls das Gleichbehandlungsgebot auch nicht verletzt sein kann. 6 0 1 Nach Art. X I GATT ist es den Mitgliedstaaten verwehrt, mengenmäßige Handelsschranken zu errichten, wobei Art. X I GATT verschiedene Konstellationen aufzählt, in denen die Handelsschranken ausnahmsweise gerechtfertigt sind. Ein Hauptproblem bei der Anwendung von Art. X I GATT ist die Abgrenzung von Artt. I, I I I GATT, insbesondere bei Vermarktungsverboten für bestimmte Produkte. Schließlich ist Art. X X GATT zu nennen, die zentrale Norm zur Rechtfertigung von andernfalls GATT-widrigen Gesundheits- und Umweltschutzmaßnahmen, die i m Katalog des Art. X X GATT mit den Fallgruppen (b) („human, animal or plant life or health") und (g) („conservation of exhaustible natural resources") anvisiert werden. Art. X X GATT rechtfertigt ausdrücklich nur Maßnahmen, die nicht mehr als notwendig die Handelsfreiheit beschränken. Außerdem dürfen die Maßnahmen nach dem Einleitungssatz zu Art. X X GATT, der sogenannten Chapeau-Regelung, 6 0 2 nicht zu einer „willkürlichen und ungerechtfertigten Diskriminierung" oder zu einer „verschleierten Beschränkung des internationalen Handels" führen. 599
Text im Internet unter http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/dsu_e.htm ; die nicht authentische deutsche Übersetzung findet sich in ABl. EG 1994 Nr. L 336/234 ff. 600 Vgl. statt aller Zedalis, Labeling of Genetically Modified Foods, The Limits of GATT Rules, JWT 2001, S. 301 ff. (316ff.). 601 Vgl. hierzu etwa Senti (siehe oben Fn. 588), S. 300, 311 if.; Altemöller (siehe oben Fn.589), S.221 ff.; Epiney (siehe oben Fn.589), S.79f.; /////(siehe oben Fn.589), S.484f. 602 Vgl. zu dieser Formulierung beispielsweise Epiney (siehe oben Fn. 589), S. 80.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht b) Das Abkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS-Abkommen)
Das soeben dargestellte System des GATT ist für die Lösung bestimmter Handelskonflikte nicht ausreichend. Dies gilt insbesondere für in nicht diskriminierender Weise angewandte Handelshemmnisse zum Gesundheits- und Umweltschutz, gerade wenn deren naturwissenschaftliche Notwendigkeit umstritten ist. Die bislang bekannteste Konstellation einer solchen Handelsbarriere stellt das Sekundärrecht dar, das die EG seit etwa 20 Jahren für den Handel von Rindfleisch aufgestellt hat, bei dessen Produktion bestimmte Hormone verwendet werden. Auch i m Hinblick auf den jahrelangen und noch andauernden Streit zwischen der EG einerseits und den USA, Kanada und einigen anderen Exportstaaten andererseits hin ist während der Uruguay-Runde das SPS-Abkommen konzipiert worden 6 0 3 als ein Instrument zur Prüfung, ob eine Maßnahme tatsächlich dem Gesundheits- und Pflanzenschutz dient oder ihr eine protektionistische Intention zugrunde liegt. 6 0 4 Dementsprechend ist die Entscheidung des Appellate Body zum Hormonfall 6 0 5 , die beide Seiten als Sieg für sich reklamieren, 6 0 6 wie die Entscheidungen zu den beiden anderen bislang zum SPS-Abkommen ausgetragenen Streitigkeiten 607 von entscheidender Bedeutung für die Auslegung des jungen SPS-Abkommens. 603 Vgl. speziell zum Hormonfall als Entstehungsgrund des SPS-Abkommens Hilf!Eggers, Der WTO-Panelbericht im EG/USA-Hormonstreit, Anstoß zum grenzenlosen Weltbinnenmarkt für Lebensmittel oder Eigentor der WTO? EuZW 1997, S.559ff. (560); Quintillàn, Free Trade, Public Health Protection and Consumer Information in the European and WTO Context, Hormone-treated Beef and Genetically Modified Organisms, JWT 1999, S. 147 ff. ( 155); Wirth , European Communities - Measures Concerning Meat and Meat Products, American Journal of International Law 1998, S.755ff. (756); O'Connor , EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), EFLR 1998, S. 143 ff. (143). 604 Vgl. zu diesem Grundgedanken des SPS-Abkommens PerdikislKerr/Hobbs, Reforming the WTO to Defuse Potential Trade Conflicts in Genetically Modified Goods, The World Economy 2001, S.379ff. (382f.). 605 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones) - Bericht des Panel im von den USA angestrengten Verfahren: WT/DS26/R/USA, 18.08.1997, http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/horml.wp5 ; - Bericht des (personalidentischen) Panel im von Kanada angestrengten Verfahren: WT/ DS48/R/CAN, 18.08.1997, http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/horm2.wp5 ; - Bericht des Appellate Body zu beiden Fällen: WT/DS26/AB/R, 16.01.1998, im Internet unter http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/hormab.wp5 . 606 Ygi z u fen unterschiedlichen Reaktionen der Verfahrensbeteiligten etwa McNiel, The First Case under the WTO's Sanitary and Phytosanitary Agreement: The European Union's Hormone Ban, Virginia Journal of International Law 1998, S. 89ff. (92); Schohe, The WTO Appellate Decision on Hormone-Treated Meat: Seriously Bridling EC-Protectionism? EFLR 1998, S.253ff. (258). 601 Japan - Measures Affecting Agricultural Products - Bericht des Panel: WT/DS76/R, 27.10.1998, http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/ 76r.pdf; - Bericht des Appellate Body: WT/DS76/AB/R, 22.02.1999, http://www.wto.org/english/ tratop_e/dispu_e/542d.pdf.
Β. Der welthandelsrechtliche Rahmen
125
Der Anwendungsbereich des SPS-Abkommens erfasst in Art. 11 i.V. m. Annex Α. 1 näher definierte Maßnahmen zum Gesundheitsschutz von Menschen und Tieren und zum Pflanzenschutz. Insofern ist auch das SPS-Abkommen kein allgemeines Umweltabkommen i m WTO-Rahmen, 6 0 8 erfasst aber jene genauer spezifizierten Maßnahmen gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Natur. Nach der Devise protection, but no protectionism 609 versucht das SPS-Abkommen, einen Ausgleich zu finden zwischen Freihandel und dem souveränen Recht der Mitgliedstaaten zur Bestimmung des Schutzniveaus für die Gesundheit von Menschen und Tieren und den Pflanzenschutz. Dementsprechend betonen die Präamb e l 6 1 0 und Art. 21 SPS-Abkommen, dass die Mitgliedstaaten dieses souveräne Recht auch weiterhin ausüben dürfen, aber bestimmte Schranken dabei zu respektieren sind. Die wichtigste Pflicht ist, dass nach Art. 2 I I SPS-Abkommen nationale gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Handelshemmnisse auf naturwissenschaftliche Grundsätze und hinreichenden Nachweis gestützt sein müssen und nur i m notwendigen Maße angewandt werden dürfen. Zur Vermeidung von Handelskonflikten strebt das SPS-Abkommen nach den Erwägungsgründen 4 - 6 und nach Artt. 31, 3 I V SPS-Abkommen die internationale Harmonisierung der nationalen Normen genauso an wie nach Art. 4 SPS-Abkommen die gegenseitige Anerkennung gleichwertiger nationaler Regeln. Zur Erreichung dieser Ziele stellt das SPS-Abkommen den Mitgliedstaaten nach der Auslegung durch den Appellate Body i m Hormonfall drei Optionen zur Verfügung 6 1 1 : Sie können ihre nationalen Bestimmungen so formulieren, dass sie den internationalen Standards, Richtlinien oder Empfehlungen, die von den in Anhang A . 3 SPS-Abkommen bestimmten Organisationen festgelegt werden, entsprechen (Fall des Art. 3 I I SPS-Abkommen). Die nationalen Handelshemmnisse können zweitens sich auf die internationalen Standards stützen, ohne ihnen zu entsprechen (Fall des Art. 31 SPS-Abkommen). Schließlich kann der Mitgliedstaat nach Art. 3 I I I SPS-Abkommen auch einen Sicherheitslevel festlegen, der von den internationalen Standards dergestalt abweicht, dass die nationalen Normen auch nicht mehr auf inAustralia - Measures Affecting Importation of Salmon - Bericht des Panel: WT/DS18/R, 12.06.1998, http://www.wto.org/english/tratop_e/ dispu_e/18rOO.pdf (Teil 1) und http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/18r01.pdf (Teil 2); - Bericht des Appellate Body: WT/DS 18/AB/R, 20.10.1998, http://www.wto.org/english/ tratop_e/dispu_e/ds 18abr.pdf. 608 Epiney (siehe oben Fn.589), S.81; vgl. auch /////(siehe oben Fn.589), S.485. 609 Eggers, Die Entscheidung des WTO Appellate Body im Hormonfall, EuZW 1998, S. 147 ff. (150); das von Eggers zitierte „Understanding the Agreement on Sanitary and Phytosanitary Measures" enthält die Formulierung in seiner heutigen Fassung (http:// www.wto.org/english/tratop_e/sps_e/spsund_e.htm ) nur noch sinngemäß. 610 Erwägungsgrund 1 SPS-Abkommen. 611 Vgl. zu diesen drei Möglichkeiten EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 170ff.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
ternationale Standards gestützt sind. 6 1 2 Je nachdem, in welchem Verhältnis die nationalen Regeln zu internationalen Normen stehen, sind die Rechtfertigungsanforderungen unterschiedlich: Während bei Art. 3 I I SPS-Abkommen die Konformität der Maßnahme mit dem SPS-Abkommen und dem GATT vermutet wird, muss i m Falle von Art. 3 I I I SPS-Abkommen die Abweichung ohne Einschränkung den Anforderungen der Artt. 5,211 SPS-Abkommen an eine naturwissenschaftliche Risikobewertung genügen. Dieser letztgenannte Maßstab gilt auch, wenn es für den betreffenden Bereich keine internationalen Standards gibt. 6 1 3 Ferner gilt nach Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen ein Diskriminierungsverbot sowohl hinsichtlich einer unterschiedlichen Behandlung mehrerer WTO-Mitgliedstaaten als auch hinsichtlich einer unterschiedlichen Behandlung gleichartiger Produkte. Schließlich dürfen die nationalen gesundheitspolizeilichen oder pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen nach Art. 5 V I SPS-Abkommen nicht das notwendige Maß überschreiten. A u f diesen beiden Grundsätzen aufbauend, enthält Art. 8 i.V. m. Annex C SPS-Abkommen einige nähere Anforderungen an Genehmigungsverfahren und verlangt etwa, dass unnötige Verzögerungen zu vermeiden sind. Für den Fall, dass für eine naturwissenschaftliche Risikobewertung nicht ausreichend Erkenntnisse zu erlangen sind, erlaubt Art. 5 V I I SPS-Abkommen unter bestimmten Voraussetzungen vorläufige nationale Schutzmaßnahmen.
c) Das Abkommen über technische Handelshemmnisse (TBT-Abkommen) Anders als das mit der Uruguay-Runde geschaffene SPS-Abkommen gab es das TBT-Abkommen in anderer Form schon seit 1980. Es ist jedoch erheblich revidiert worden. Insbesondere ist es mittlerweile kein plurilaterales Abkommen mehr, sondern es ist als multilaterales Abkommen innerhalb des WTO-Rahmens für alle WTO-Mitglieder obligatorisch. 6 1 4 Grundgedanke des TBT-Abkommens ist nach der Präambel, dass technische Handelsbeschränkungen zum Schutze bestimmter Rechtsgüter wie insbesondere dem Gesundheits- oder Umweltschutz notwendig sein können, aber darüber hinaus 612 Im Rahmen dieser Arbeit ist dabei nur der Fall relevant, dass der nationale Sicherheitslevel höher festgelegt wird als der internationale Standard. Ob und inwieweit auch der Gegenfall eines niedrigeren nationalen Sicherheitslevels vom SPS-Abkommen erfasst wird, ist umstritten. Vgl. dazu Victor, The Sanitary and Phytosanitary Agreement of the World Trade Organization: An Assessment after Five Years, New York University Journal of International Law and Politics 2000, S.865ff. (883 f.); Charnovitz (siehe oben Fn.537), S.276; Kennedy (siehe oben Fn. 544), S. 87; Silverglade , The WTO Agreement on Sanitary and Phytosanitary Measures: Weakening Food Safety Regulations to Facilitate Trade? Food and Drug Law Journal 2000, S. 517ff. (520). 613 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), US-Panel (siehe oben Fn. 605), Rn. 8.251 ; Kanada-Panel (siehe oben Fn. 605), Rn. 8.254. 614 Senti (siehe oben Fn. 588), S. 521 ff.
Β. Der welthandelsrechtliche Rahmen
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ein ungerechtfertigtes Handelshemmnis darstellen und daher zu vermeiden sind. 6 1 5 Auch das TBT-Abkommen strebt nach der Präambel 6 1 6 und Art. 2 V I TBT-Abkommen die internationale Harmonisierung und nach Art. 2 V I I TBT-Abkommen die gegenseitige Anerkennung gleichwertiger technischer Normen und Standards an. Das TBT-Abkommen ist auf technische Handelshemmnisse anwendbar, was technische Vorschriften und Standards umfasst. Diese Begriffe sind in Annex 1.1 und 1.2 näher definiert und unterscheiden sich dadurch, dass technische Vorschriften anders als Standards obligatorisch sind. Etikettierungsvorschriften sind als ein Anwendungsbeispiel ausdrücklich erwähnt. Zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit von technischen Handelshemmnissen nimmt das TBT-Abkommen in etwas anderer Weise als das SPS-Abkommen auf internationale Regelwerke Bezug. 6 1 7 Art. 2 I V TBT-Abkommen verpflichtet die M i t gliedstaaten dazu, ihre technischen Vorschriften auf bereits existierende oder zumindest fast fertiggestellte internationale Regeln zu stützen. Wenn eine nationale Norm in Übereinstimmung mit einer internationalen Regel ist, besteht nach Art. 2 V TBT-Abkommen die widerlegbare Vermutung, dass die nationale Regel die Handelsfreiheit nur in notwendigem Maße einschränkt. Den Mitgliedstaaten bleibt aber ausdrücklich eine andere Regelung vorbehalten, wenn die Basierung auf internationale Regeln zur Verfolgung der in Art. 2 I I TBT-Abkommen nicht abschließend aufgezählten legitimen Ziele ineffektiv oder unangemessen wäre. Insofern trägt der Mitgliedstaat eine besondere Rechtfertigungslast. 618 Wenn es keine entsprechenden internationalen Normen gibt, verlangt Art. 2 I X TBT-Abkommen eine Veröffentlichung der nationalen Vorschrift unter Beachtung bestimmter Vorgaben. Die nationale Norm darf nach Art. 21 TBT-Abkommen ausländische Waren weder gegenüber inländischen Waren diskriminieren (Gebot der Inländergleichbehandlung) noch gegenüber Waren aus Drittländern (Meistbegünstigungsgrundsatz). Nach Artt. 2 II, 2 I I I TBT-Abkommen darf sie den Handel nicht stärker oder länger beeinträchtigen als notwendig. Insbesondere Art. 51 SPS-Abkommen über die naturwissenschaftliche Rechtfertigung findet folglich keine Entsprechung i m TBT-Abkommen. 6 1 9
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Vgl. Erwägungsgründe 5-7 TBT-Abkommen. Vgl. Erwägungsgründe 3-4 TBT-Abkommen. 617 Vgl. dazu Marcich, Trade and Environment: What Conflict? Law and Policy in International Business 2000, S. 917 ff. (917). 6,8 Drahos (siehe oben Fn.552), S.45. 619 Vgl. Ritter, Das WTO-Übereinkommen und seine Auswirkungen auf das Deutsche und Europäische Lebensmittelrecht, EuZW 1997, S. 133 ff. (135). 616
128
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht d) Die Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten (DSU)
Die fundamentale Weiterentwicklung des welthandelsrechtlichen Streitschlichtungssystems bis zu seiner heutigen Form innerhalb des WTO-Rahmens 6 2 0 ist auch für Fälle mit umweltschutzrechtlichen oder gesundheitspolizeilichen Bezügen von entscheidender Bedeutung. Sowohl das SPS-Abkommen als auch das TBT-Abkommen verweisen auf die Streitschlichtung nach dem D S U . 6 2 1 Die entscheidenden Neuerungen sind insbesondere, dass nach dem jetzt in Artt. 16IV, 17 X I V DSU manifestierten Prinzip des umgekehrten Konsenses die Annahme der Berichte der Panels und des Appellate Body durch das Streitschlichtungsorgan DSB nicht mehr durch das Veto eines Mitgliedstaates verhindert werden kann, 6 2 2 und die Straffung der Verfahrensfristen. 623 Erfüllt ein Mitgliedstaat die Vorgaben der Entscheidung des DSB nicht innerhalb der ihm dafür gesetzten Frist, kann sich der Verfahrensgegner nach Art. 22 I I D S U vom DSB zu Vergeltungsmaßnahmen ermächtigen lassen. 624 Auch wegen dieser Stärkung des Streitschlichtungssystems liegen seit 1995 alleine für das SPS-Abkommen drei Berichte des Appellate Body vor, aus denen entscheidende Hinweise für die praktische Anwendung des Abkommens gewonnen werden können. 6 2 5 Nachdem der Appellate Body im Asbestfall festgestellt hatte, dass eigentlich das TBT-Abkommen einschlägig gewesen wäre, 6 2 6 ist der Sardinen620
Vgl. grundlegend etwa Petersmann, The GATT/WTO Dispute Settlement System; vgl. auch Senti (siehe oben Fn.588), S. 134ff. 621 Artt. 11 SPS-Abkommen und 14 TBT-Abkommen. 622 Was Petersmann, The Dispute Settlement System of the World Trade Organisation and the Evolution of the GATT Dispute Settlement System since 1948, Common Market Law Review 1994, S. 1157 ff. (1214), als „the important innovation of quasi-automatic decision-making" bezeichnet. 623 Vgl. Senti (siehe oben Fn. 588), S. 362. 624 Vgl. zur Umsetzung in EC - Measures Concerning Meat and Meat Products ( Hormones ) und Australia - Measures Affecting Importation of Salmon Pauwelyn , The WTO Agreement on Sanitary and Phytosanitary (SPS) Measures as Applied in the First Three SPS Disputes, JIEL 1999, S. 641 ff. (662ff.). 625 Siehe oben Fn. 605 und 607 zu diesen Fällen; einen Überblick über die WTO-Streitschlichtung seit Schaffung der WTO gibt Hudec, The New WTO Dispute Settlement Procedure: An Overview of the First Three Years, Minnesota Journal of Global Trade 1999, S. 1 ff. 626 Der Appellate Body stellte immerhin im Asbestfall fest, dass eigentlich das TBT-Abkommen einschlägig gewesen wäre, European Communities - Measures affecting asbestos and products containing asbestos, - Report of the Panel, DS135/R und DS135/R/Add.l, 18.09.2000, http://www.wt0.0rg/english/trat0p_e/dispu_e/l 35r_a_e.pdf (Teil 1 ), http://www.wt0.0rg/english/trat0p_e/dispu_e/l 35r_b_e.pdf (Teil 2), http://www.wt0.0rg/english/trat0p_e/dispu_e/l 35r_c_e.pdf (Teil 3), http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/135ral_a_e.pdf (Add. 1, Teil 1), http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/135ral_b_e.pdf (Add. 1, Teil 1);
Β. Der welthandelsrechtliche Rahmen
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fall von 2002 6 2 7 die erste Entscheidung, der ein Panel das TBT-Abkommen zugrunde gelegt hat. Zwar wirken diese und andere Entscheidungen von Panels und Appellate Body unmittelbar nur inter partes, jedoch ist die Präzedenzwirkung daraus ersichtlich, dass Panels und Appellate Body in ihren Berichten außerordentlich häufig auf frühere Entscheidungen rekurrieren. Inhaltlich ist zu den bisherigen Entscheidungen bemerkenswert, dass Panels und Appellate Body in allen drei Entscheidungen zum SPS-Abkommen die nationale Maßnahme als mit dem SPS-Abkommen unvereinbar angesehen haben. I m Sardinenfall wertete das Panel die Handelsbeschränkung als Verstoß gegen das TBT-Abkommen. Auch die nach dem GATT ergangenen Entscheidungen zum Umwelt- und Gesundheitsschutz sind im Ergebnis regelmäßig ähnlich streng, 628 auch wenn Panel und Appellate Body im Asbestfall 6 2 9 eine nationale Handelsbeschränkung als GATT-konform angesehen haben. Unten wird bei der Untersuchung des EG-Rechts für gentechnisch modifizierte Lebensmittel darauf zurückzukommen sein, inwieweit sich aus den einzelnen Erwägungen der Panels und des Appellate Body zu den Bestimmungen der jeweiligen Abkommen eine Auslegung ergibt, die Raum für nationale Verbraucher- und Umweltschutzpolitik lässt.
2. Das Verhältnis zwischen GATT, SPS- und TBT-Abkommen Wenn eine nationale Handelsbeschränkung in den Anwendungsbereich nicht nur eines dieser drei Abkommen fällt, ist die Frage nach dem dann anwendbaren Abkommen nur für das Verhältnis von SPS- und TBT-Abkommen problemlos zu beantworten. Nach Artt. 1 I V SPS-Abkommen, 1 V TBT-Abkommen sind derartige Handelshemmnisse nur nach Maßgabe des SPS-Abkommens zu beurteilen. Ein solcher Fall kann insbesondere bei gesundheitspolizeilichen Kennzeichnungsvorschriften auftreten, da sie einerseits zu den ausdrücklichen Anwendungsfällen des TBT-Abkommens zählen, andererseits als gesundheitspolizeiliche Maßnahmen ausdrücklich auch vom SPS-Abkommen erfasst sind, sofern sie sich unmittelbar auf die Lebensmittelsicherheit beziehen. 630 Das Konkurrenzverhältnis zwischen SPS-Abkommen und GATT ist dagegen noch nicht abschließend geklärt. 6 3 1 Es existiert zwar die allgemeine Konkurrenzre- Report of the Appellate Body, WT/DS135/AB/R, 12.03.2001, http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/135abr_e.doc . 627 E C _ T md e Description of Sardines, Report of the Panel , WT/DS231/R, 29.05.2002, http://d0cs0nline.wt0.0rg/DDFD0cuments/t/WT/DS/231 R.doc. 628 Vgl. zu diesen Entscheidungen etwa Altemöller (siehe oben Fn. 589), insbesondere S. 225 ff., 236ff. 629 Siehe oben Fn.626. 630 „Labelling requirements directly related to food safety", Annex Α. 1 SPS-Abkommen. 631 Darauf weisen insbesondere hin Howse/Mavroidis , Europe's Evolving Regulatory Strategy for GMOs - The Issue of Consistency with WTO Law: Of Kine and Brine, Fordham In-
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
gel für die WTO-Abkommen in Annex 1. A zum WTO-Übereinkommen, wonach bei Konflikten zwischen GATT und den multilateralen Handelsabkommen wie dem SPS-Abkommen das GATT zurücktritt. 6 3 2 Nach Auffassung des Appellate Body besteht ein Konflikt zwischen zwei Abkommen jedoch nur, wenn ein Handeln, um dem einen Abkommen zu genügen, zwingend das andere Abkommen verletzt. 6 3 3 Aus der allgemeinen Konkurrenzregel lassen sich daher insbesondere keine generellen Schlussfolgerungen für zwei Problemfälle herleiten: Erstens ist fraglich, ob das SPS-Abkommen als Grundvoraussetzung eine Verletzung des GATT verlangt. Zweitens ist problematisch, ob eine SPS-konforme Maßnahme anschließend am Maßstab des GATT zu prüfen ist. Was die erste Frage betrifft, ist die i m Schrifttum 6 3 4 oft zitierte Formulierung aus der Präambel des SPS-Abkommens, das SPS-Abkommen enthalte Anwendungsregeln zum GATT, insbesondere zu Art. X X (b) G A T T , 6 3 5 missverständlich. Diese Terminologie könnte dahingehend verstanden werden, dass das SPS-Abkommen nur anwendbar ist, wenn zunächst eine Verletzung des GATT festgestellt ist. Gegen dieses Vorbringen der EG und Stimmen aus der Literatur, 6 3 6 hat das Panel im Hormonstreit klargestellt, dass trotz der Formulierung in der Präambel eine Verletzung des SPS-Abkommens auch ohne Verletzung des GATT möglich ist. Zurecht verweist das Panel hauptsächlich darauf, dass der Wortlaut des SPS-Abkommens weder in der Präambel noch i m eigentlichen Vertragstext eine zuvor festgestellte Verletzung des GATT verlangt, sondern eigenständige, auch in der Präambel betonte Verpflichtungen enthält. 6 3 7 Die Auffassung des Panels wird auch dadurch gestützt, dass das ternational Law Journal 2000, S. 317 ff. (321 ff.); Buck, Das Cartagena Protokoll über Biologische Sicherheit in seiner Bedeutung für das Verhältnis zwischen Umweltvölkerrecht und Welthandelsrecht, ZUR 2000, S. 319 ff. (327); Sander, Gesundheitsschutz in der WTO - eine neue Bedeutung des Codex Alimentarius im Lebensmittelrecht? ZEuS 2000, S. 335 ff. (362). 632 „In the event of conflict between a provision of the General Agreement on Tariffs and Trade and a provision of another agreement in Annex 1A to the Agreement Establishing the World Trade Organization (referred to in the agreements in Annex 1A as the „WTO Agreement"), the provision of the other agreement shall prevail to the extent of the conflict." 633 Guatemala - Anti-Dumping Investigation Regarding Portland Cement from Mexico, Report of the Appellate Body, WT/DS60/AB/R, 02.11.1998, Rn. 65; anderer Ansicht noch das Panel in European Communities - Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Report of the Panel, WT/DS27/R (USA), 22.05.1997, Rn.7.159, wonach auch ein Zusammentreffen von Verbot einerseits und ausdrücklicher Erlaubnis andererseits unter den Konfliktbegriff fällt; vgl. dazu auch die Ausführungen bei Marceau: Conflicts of Norms and Conflicts of Jurisdictions: The Relationship between the WTO Agreement and MEAs and other Treaties, JWT 2001, S. 1081 ff. ( 1083 ff.) m. w. N., und bei MontagutU Lugard , The GATT 1994 and other Annex 1A Agreements: Four Different Relationships? JIEL 2000, S.473ff. (475 ff.). 634 So beispielsweise Eckert (siehe oben Fn.535), S. 369; Wetzig, Einfluss der EG und der WTO auf das Lebensmittelrecht, S.81, 86; Ritter (siehe oben Fn.619), S. 133. 635 Erwägungsgrund 8 SPS-Abkommen. 636 Vgl. die Hinweise bei Quick/Blüthner, Has the Appellate Body Erred? An Appraisal and Criticism of the Ruling in the WTO Hormones Case, JIEL 1999, 603 ff. (627). 637 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), US-Panel (siehe oben Fn. 605), Rn. 8.33 ff.; Kanada-Panel (siehe oben Fn.605), Rn. 8.36ff.
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SPS-Abkommen gerade auf den seit langen Jahren schwelenden Hormonstreit hin konzipiert wurde, dessen Gegenstand nichtdiskriminierende Handelsbeschränkungen waren. 6 3 8 Auch wenn die Präambel das SPS-Abkommen als Durchführungsvorschrift bezeichnet, ist daher das SPS-Abkommen anwendbar, ohne dass vorher eine Verletzung des GATT festgestellt werden muss. I m Hinblick auf das zweite Problem des Konkurrenzverhältnisses zwischen SPSAbkommen und GATT ist noch nicht endgültig geklärt, ob innerhalb des Anwendungsbereiches des SPS-Abkommens das GATT vollständig verdrängt w i r d 6 3 9 oder das GATT subsidiär anwendbar ist, wenn das SPS-Abkommen nicht verletzt wurde. 6 4 0 Dies ist insbesondere insofern relevant, als der Appellate Body, wie zu zeigen sein wird, die Diskriminierungsregeln des SPS-Abkommens teilweise anders auslegt als die des GATT. 6 4 1 Nach Art. 2 I V SPS-Abkommen wird vermutet, dass eine i m Einklang mit den Vorschriften des SPS-Abkommens stehende Maßnahme auch GATT-konform ist. Entscheidend ist, ob diese Vermutung widerlegbar ist. 6 4 2 In den bisherigen Entscheidungen zum SPS-Abkommen wurde dies nicht relevant, da stets auf eine Verletzung des SPS-Abkommens erkannt wurde. Die Panels haben sich auf diese Feststellung beschränkt und mit der verfahrensökonomischen Begründung keine Verletzungen des GATT mehr geprüft, bei einer Verletzung der GATT-Bestimmungen müssten sie bei der Rechtfertigungsprüfung nach Art. X X GATT ohnehin auf das SPS-Abkommen zurückkommen, gegen das die untersuchte Maßnahme nach den Feststellungen verstoße. 643 Die Auslegung von Art. 2 I V SPS-Abkommen und die Lösung des Konkurrenzproblems müssen sich an der erwähnten Funktion des SPS-Abkommens orientieren, bereichsspezifische Anwendungsregeln zum GATT, insbesondere zu Art. X X (b) GATT zu enthalten. Diese Funktion würde konterkariert, wenn vom SPS-Abkommen erfasste und damit vereinbare Maßnahmen nicht auch mit Art. X X (b) GATT vereinbar wären. Die Argumentation der Panels lässt sich daher auf den bislang noch nicht entschiedenen Fall übertragen, dass eine Maßnahme SPS-konform ist - eine Analyse einer SPS-konformen Maßnahme am Maßstab der GATT-Vor638 Siehe oben Fn. 603 zum Hormonstreit als maßgeblichem Anlass für die Schaffung des SPS-Abkommens. 639 So Sander (siehe oben Fn.631), S.362; wohl auch Burchardi, Labelling of Genetically Modified Organisms: A Possible Conflict with the WTO? ZLR 2001, S. 83 ff. (Fn. 18); Wiemer, Produktsicherheit und freier Warenverkehr in GATT/WTO, S. 85, 87; Matthee/Vermersch (siehe oben Fn.519), S. 187; Marceau (WTO Legal Division, Interview am 10.04.2001). 640 So Quick!Blüthner (siehe oben Fn. 636), S. 629 ff.; Stanton (WTO Agriculture and Commodities Division, Interview am 10.04.2001). 641 Siehe unten S. 187 ff. zu einer Analyse der Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen. 642 So die Auffassung von Australien im Hormonfall, vgl. EC -Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 87. 643 Vgl. insbesondere EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), US-Panel (siehe oben Fn. 605), Rn. 8.272 f.; Australia - Measures Affecting Importation of Salmon, Report of the Panel (siehe oben Fn.607), Rn. 8.185.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Schriften wäre verfahrensökonomisch unsinnig, wenn dabei Art. X X untersuchen wäre, was wiederum eine Prüfung des SPS-Abkommens den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass i m Anwendungsbereich des mens eine Vereinbarkeit der EG-Regeln für gentechnisch veränderte mit den GATT-Vorschriften nicht mehr zu prüfen ist.
(b) GATT zu verlangt. Für SPS-AbkomLebensmittel
Was das Verhältnis zwischen TBT-Abkommen und GATT betrifft, hat auch der Panel-Bericht im Sardinenfall keine vollständige Klarheit gebracht: Insoweit den Parteien folgend, hat das Panel seine Analyse der Handelsbeschränkungen auf Grundlage des TBT-Abkommens begonnen und nach der Feststellung, das TBT-Abkommen sei verletzt, das GATT mit der Begründung der judicial economy nicht mehr untersucht. 644 Dementsprechend ist auch einerseits für eine Prüfung des TBTAbkommens nicht erforderlich, zuvor eine Verletzung des GATT festzustellen. Andererseits lässt sich dem Bericht nicht genau entnehmen, inwieweit das GATT subsidiär anwendbar wäre, wenn eine Handelsbeschränkung zwar in den Anwendungsbereich des TBT-Abkommens fiele, dessen Anforderungen aber erfüllte. Jedenfalls ist diese Frage erneut nicht auf Grundlage der allgemeinen Konkurrenzregel in Annex 1. A zum WTO-Gründungsübereinkommen zu beantworten wegen deren oben beschriebener beschränkter Reichweite. Davon abgesehen, enthält das TBT-Abkommen anders als das SPS-Abkommen keine ausdrückliche Vorschrift, wonach es Anwendungsregel zum GATT ist. 6 4 5 Es gibt auch keine Regel i m TBT-Abkommen, die Art. 2 I V SPS-Abkommen entspräche. Dennoch lässt sich zumindest für den Gentechnikkonflikt ein für das Verhältnis SPS-Abkommen/GATT wesentlicher Gedanke auf das Verhältnis TBT-Abkommen/GATT übertragen: Für den Bereich der technischen Handelshemmnisse enthält das TBT-Abkommen i m Verhältnis zum GATT eigenständige, spezifische Vorschriften. Die Gebote der Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung als auch i m Gentechnibereich relevante Hauptanforderungen der Artt. I, I I I GATT finden sich in Art. 21 TBT-Abkommen wieder. Ohnehin läge kein Verstoß gegen Vorschriften des GATT vor, wenn die Voraussetzungen der Rechtfertigungsnorm Art. X X GATT erfüllt wären. 6 4 6 Auch wenn das TBT-Abkommen nicht ausdrücklich als Anwendungshilfe für Art. X X GATT bezeichnet ist, enthält es Vorgaben, die den i m Gentechnikkonflikt in Frage kommenden Rechtfertigungsvoraussetzungen von Art. X X GATT nachgebildet sind. Insbesondere verlangt Art. 2 I I TBT-Abkommen, dass das technische Handelshemmnis zur Erreichung eines legitimen Zieles notwendig ist, wovon für den Gentechnikbereich der Schutz der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen, der Umweltschutz und die Vermeidung irreführender Praktiken relevant sind, was an 644
EC - Trade Description of Sardines , Report of the Panel (siehe oben Fn. 627), Rn.4.118ff.,7.14ff., 7.147ff. 645 Vgl. lediglich Erwägungsgrund 2 TBT-Abkommen: „Desiring to further the objectives of GATT 1994". 646 Dies gilt auch für Art. IX GATT, dessen Relevanz im Gentechnikkonflikt allerdings ohnehin zweifelhaft ist, weil er schon nach seiner Überschrift ausdrücklich für Ursprungsbezeichnungen gelten soll, vgl. dazu Zedalis (siehe oben Fn. 600), S. 306ff., 331 ff.
C. Bestimmung des maßgeblichen WTO-Abkommens
133
Artt. X X (b), (d) und (g) GATT anknüpft. Bereits die Präambel des TBT-Abkommens wiederholt die Chapeau-Regeiung 641 von Art. X X GATT. Somit ist jedenfalls für den Gentechnikkonflikt festzustellen, dass soweit die EG-Handelsbeschränkungen unter das TBT-Abkommen fallen und dieses einhalten sollten, aufgrund derselben Erwägungen auch das GATT nicht verletzt sein könnte. Eine subsidiäre Prüfung des GATT würde daher zu keinem anderen Ergebnis führen und erübrigt sich deshalb. 6 4 8 Zurecht findet daher das GATT in den Analysen der EG-Vorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel durch das Schrifttum kaum Beachtung. 6 4 9 Insgesamt besteht demnach eine Anwendungshierarchie SPS-Abkommen, TBTAbkommen, GATT, wobei bei Einschlägigkeit eines Abkommens die Vorschriften der nachrangigen Abkommen nicht mehr zu prüfen sind. I m folgenden Abschnitt ist zu erörtern, am Maßstab welcher Abkommen die verschiedenen EG-Regeln für gentechnisch veränderte Lebensmittel auf ihre WTO-Konformität zu prüfen sind.
C. Bestimmung des für die welthandelsrechtliche Überprüfung der EG-Handelsbarrieren maßgeblichen WTO-Abkommens I m ersten Teil dieser Arbeit wurde festgestellt, dass das EG-Recht für gentechnisch modifizierte Lebensmittel die Freiheit des Welthandels durch die Einführung eines Zulassungsverfahrens, einer Kennzeichnungspflicht und verschiedener Nebenpflichten beschränkt. Die Überlegungen, welches WTO-Abkommen Maßstab für die welthandelsrechtliche Überprüfung dieser europarechtlichen Handelsbeschränkungen ist, müssen aufgrund der soeben dargestellten Anwendungshierarchie der WTO-Abkommen mit dem SPS-Abkommen beginnen.
647
Siehe oben Fn.602. Nicht auf den Gentechnikkonflikt beschränkt und trotz eines anderen Ausgangspunktes im Ergebnis ähnlich Wiemer (siehe oben Fn. 639), S. 196; für eine Verdrängung des GATT durch das TBT-Abkommen auch van Calster, International & EU Trade Law, Rn. 50; Okubo, Environmental Labeling Programs and the GATT/WTO Regime, Georgetown International Environmental Law Review 1999, S.599ff. (616f.); auch Macmillan! Blakeney, Genetically Modified Organisms and the World Trade Organization, Tulane Journal of Technology and Intellectual Property 2001, S.93ff. (112f.), neigen zu einer Verdrängung des GATT durch das TBT-Abkommen. 649 Vgl. etwa Charnovitz (siehe oben Fn. 537); Dederer (siehe oben Fn. 180); Burchardi (siehe oben Fn. 639); Macmillan! Blakeney (siehe oben Fn. 648); Streinz (siehe oben Fn. 263); eine ausführliche Analyse der theoretisch zur Überprüfung der EG-Normen für gentechnisch veränderte Lebensmittel in Betracht kommenden GATT-Vorschriften findet sich bei Zedalis (siehe oben Fn. 600). 648
134
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
1. Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel Das SPS-Abkommen ist nach Art. 11 SPS-Abkommen auf gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen anwendbar, die direkt oder indirekt den internationalen Handel beeinträchtigen können.
a) Anwendbarkeit des SPS-Abkommens auf vor 1995 geschaffene Handelshemmnisse Das SPS-Abkommen macht seine Anwendbarkeit indes nicht davon abhängig, dass die betreffenden Handelshemmnisse erst nach Inkrafttreten des SPS-Abkommens geschaffen wurden. Insofern erübrigen sich Überlegungen, ob die EG-Zulassungspflicht deshalb aus dem Anwendungsbereich des SPS-Abkommens herausfallen könnte, weil jedenfalls ihre ursprüngliche Fassung für den Bereich gentechnisch veränderter Organismen in der FreisRL 90/220/EWG enthalten war und daher von 1990 datiert. Panel und Appellate Body haben i m Hormonfall zurecht auf Art. 28 W V R K über die Nichtrückwirkung von Verträgen verwiesen. 6 5 0 Aus einem Gegenschluss zu Art. 28 W V R K ergibt sich, dass das SPS-Abkommen auf solche Sachverhalte anwendbar ist, die wie die FreisRL noch nach Inkrafttreten des SPS-Abkommens fortwirken.
b) Eignung zur Beeinträchtigung
des internationalen
Handels
Was die Voraussetzung betrifft, die nationale Maßnahme müsse den internationalen Handel direkt oder indirekt beeinträchtigen können, so deutet schon der Wortlaut daraufhin, dass dieses Tatbestandsmerkmal leicht zu erfüllen ist. Es ist ausreichend, dass die Maßnahme geeignet ist, den Handel zu behindern. Dementsprechend muss nicht nachgewiesen werden, dass durch die betreffende Handelsbeschränkung tatsächlich die internationalen Handelsströme in einem bestimmten Maße zurückgegangen sind. 6 5 1 I m Übrigen lässt sich Annex C. l . ( a ) SPS-Abkommen, wonach die Mitgliedstaaten bei der Anwendung ihrer gesundheitspolizeilichen Maßnahmen unnötige Verzögerungen vermeiden müssen, entnehmen, dass bereits Verzögerungen prinzipiell als Handelsbeeinträchtigung gelten. Daher ist nicht erst der Hinweis auf das de facto-Moratorium erforderlich, um die Eignung der Zulassungspflicht zur Beeinträchtigung des internationalen Handels festzustellen.
650
EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.605), Rn. 128. 651 McNiel (siehe oben Fn.606), S. 113; Fredland (siehe oben Fn.452), S. 199.
C. Bestimmung des maßgeblichen WTO-Abkommens c) Gesundheitspolizeiliche
oder pflanzenschutzrechtliche
135 Maßnahme
Die andere Voraussetzung von Art. 11 SPS-Abkommen ist, dass es sich um eine gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahme handeln muss. EG-Richtlinien und Verordnungen passen grundsätzlich in den Katalog der in Annex Α. 1 aufgezählten Rechtsformen. Schwieriger zu beurteilen ist aber die gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Natur der Maßnahme. Was darunter zu verstehen ist, ist in Annex Α. 1 (a)-(d) SPS-Abkommen in vier Fallgruppen näher definiert. Die ersten drei Fallgruppen (a)-(c) sind dabei so konstruiert, dass zunächst ein zu schützendes Rechtsgut genannt wird (Gesundheit und Leben von Menschen, Tieren oder Pflanzen) und dann eine Gefahr für das betreifende Rechtsgut wie beispielsweise die Ausbreitung von Krankheiten. Die vierte Fallgruppe ist ein Auffangtatbestand für schädlingsbedingte Risiken. Dabei liegt eine SPS-Maßnahme bereits mit der Absicht zur Abwehr dieser Risiken vor. Ob das Risiko tatsächlich besteht, ist eine Frage der Rechtfertigung der Maßnahme. Wenn andererseits eine Maßnahme schon subjektiv nicht dem Gesundheitsschutz, sondern etwa der allgemeinen Bekämpfung von Verbraucherängsten dienen soll, ist sie nicht vom SPS-Abkommen erfasst und unterliegt dann nicht seinen spezifischen Anforderungen insbesondere hinsichtlich der naturwissenschaftlichen Rechtfertigung. 652 Damit eine gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahme vorliegt, muss die Maßnahme folglich zunächst überhaupt den Schutz der in Annex Α . 1 SPS-Abkommen genannten Rechtsgüter beabsichtigen, also den Schutz von Gesundheit oder Leben von Menschen, Tieren oder Pflanzen. Im ersten Teil dieser Arbeit wurde festgestellt, dass Gesundheits- und Umweltschutz schon nach den Erwägungsgründen von N F V O und FreisRL zu den Zielen der Zulassungspflicht zählen. Dass es darüber hinaus noch weitere gesetzgeberische Ziele wie beispielsweise das Vermeiden von Wettbewerbsverzerrungen in der EG gibt, ist ähnlich wie i m Hormonfall 6 5 3 unschädlich: Das Zusammentreffen unterschiedlicher gesetzgeberischer Intentionen ändert nichts daran, dass die EG sich für ihre Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel auch auf Gesundheits- und Umweltschutz beruft und umstritten ist, ob dafür eine naturwissenschaftliche Rechtfertigung besteht. Gerade für solche Streitfälle wurde das SPS-Abkommen geschaffen. Über die allgemeine Absicht, Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen zu schützen, hinaus muss die von Annex Α. 1 (a)-(d) SPS-Abkommen geforderte Absicht sich aber gerade auf die Abwehr der aufgelisteten speziellen Risiken beziehen. In dieser Auflistung gibt es keine gesonderte Gruppe, die auf die Ri652
Vgl. zu diesem subjektiven Test McNiel , Furthering the Reforms of Agricultural Policies in the Millenium Round, Minnesota Journal of Global Trade 2000, S.41 ff. (Fn. 293). 653 Vgl. zu den dort genannten rationes legis McNiel (siehe oben Fn.606), S. 115.
136
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
siken bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln zugeschnitten wäre. In einigen Fällen ist immerhin Kategorie (a) einschlägig, beispielsweise hinsichtlich des Risikos, dass eine gentechnisch bewirkte Herbizidtoleranz sich unkontrolliert ausbreitet und somit die Gefahr der Ausbreitung einer Schädlingsplage besteht, worunter nach Fußnote 4 zu Annex Α. 1 SPS-Abkommen auch Unkraut zu verstehen ist. 6 5 4 Wenigstens teilweise zu passen scheint auch Gruppe (b), weil sie als einzige ausdrücklich auf Lebensmittel Bezug nimmt. Auch insoweit muss es sich aber um Gefahren durch „Zusatzstoffe, Verunreinigungen, Gifte oder krankheitsverursachende Organismen 4 ' in Lebensmitteln handeln. Sofern es sich nicht wie beispielsweise bei Lecithin aus gentechnisch verändertem Soja eindeutig um einen Zusatzstoff handelt, fällt es schwer, gentechnische Veränderungen unter den Begriff des Zusatzstoffes zu subsumieren. Auch wenn in den USA das Zusatzstoffregime nach nationalem Recht prinzipiell auch auf gentechnische Veränderungen angewandt w i r d , 6 5 5 entspricht dies bislang jedenfalls nicht dem europäischen Begriffsverständnis. Auch die Kategorie der Verunreinigung passt höchstens bei einer unbeabsichtigten Kontamination konventioneller Lebensmittel mit gentechnisch verändertem Material 6 5 6 und ist jedenfalls in den Fällen unpassend, in denen die betreffende gentechnische Veränderung absichtlich herbeigeführt wurde. Autoren auf beiden Seiten des Atlantiks bezweifeln deshalb zurecht, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel allgemein über den Begriff des Zusatzstoffes oder den Begriff der Verunreinigung unter das SPS-Abkommen subsumiert werden können. 6 5 7 Die Subsumtion unter die Gruppe der krankheitsverursachenden Organismen scheitert jedenfalls daran, dass nicht alle gentechnisch veränderten Lebensmittel noch Organismen enthalten. Dass die Fallgruppen des Annex Α. 1 SPS-Abkommen gentechnisch veränderte Lebensmittel nicht vollständig erfassen, mag daran liegen, dass das SPS-Abkommen auch im Hinblick auf den Hormonstreit ausgearbeitet wurde. 6 5 8 Seitdem hat die Bedeutung gentechnisch modifizierter Lebensmittel erheblich zugenommen. Das Vertragsziel des SPS-Abkommens, eine naturwissenschaftliche Grundlage für gesundheitsschutzrechtliche Maßnahmen der WTO-Mitgliedstaaten zu verlangen, 654 Bernasconi-Osterwalder, The Cartagena Protocol on Biosafety: A Multilateral Approach to Regulate GMOs, in Weiss/Jackson (Hrsg.), Reconciling Environment and Trade, S. 689 ff. (702); ähnlich mit dem Beispiel der Insektenplage auch Charnovitz (siehe oben Fn. 537), S.276f. 655 Siehe oben S. 116. 656 So McNiel (siehe oben Fn. 652), S. 82; Dederer, Die neuen EG-Richtlinien über die ionisierende Bestrahlung von Lebensmitteln im welthandelsrechtlichen Rahmen der WTO, ZLR 1999, S. 695 ff. (696), hält die auf Lebensmittelbestrahlung beruhenden chemischen Veränderungen für Verunreinigungen i.S.d. SPS-Abkommens. 657 Vgl. Sander (siehe oben Fn.631), S. 357 ff.; Kerr (siehe oben Fn.547), S.250; Perrez, Taking Consumers Seriously: The Swiss Regulatory Approach to Genetically Modified Food, New York University Environmental Law Journal 2000, S. 585 ff. (Fn. 67); ähnlich Macmillan! Blakeney , Regulating GMOs: Is the WTO Agreement on Sanitary and Phytosanitary Measures Hormonally Challenged? International Trade Law & Regulation 2000, Part I, S. 131 ff. (133). 658 Siehe dazu oben Fn. 603.
C. Bestimmung des maßgeblichen WTO-Abkommens
137
passt auch in den Fällen gentechnisch veränderter Lebensmittel, die sich nicht direkt unter die Kategorien in Annex Α. 1 SPS-Abkommen subsumieren lassen. Auch in diesen Fällen ist es sinnvoll, im Wege der teleologischen Extension die spezifischen naturwissenschaftlichen Anforderungen des SPS-Abkommens an Stelle der weniger auf diese Konstellation zugeschnittenen Regeln des TBT-Abkommens oder des GATT anzuwenden. Deshalb ist die Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel nach der N F V O und der FreisRL einheitlich nach dem SPS-Abkommen zu beurteilen. 659
2. Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel Während hinsichtlich der Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel nur umstritten ist, ob sie vollständig nach dem SPS-Abkommen zu beurteilen ist, werden für die Kennzeichnungspflicht alle denkbaren Lösungen vertreten: Teilweise wird die Kennzeichnungspflicht umfassend unter das SPS-Abkommen subsumiert. 6 6 0 Teilweise wird sie komplett dem TBT-Abkommen unterstellt. 661 Teilweise wird auch differenziert und einige Kennzeichnungsregeln werden dem SPS-Abkommen, andere dem TBT-Abkommen zugeordnet. 662
a) Anwendbarkeit
des SPS-Abkommens auf die Kennzeichnungspflicht
Fielen die Kennzeichnungsregeln auch in den Anwendungsbereich des SPS-Abkommens, wäre dieses nach der Anwendungshierarchie gegenüber dem TBT-Abkommen vorrangig. Wie dargestellt, fallen Handelsbeschränkungen zur Abwehr der von gentechnisch veränderten Lebensmitteln ausgehenden Gesundheits- und Umweltrisiken prinzipiell als gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen i. S. v. Annex Α. 1 unter das SPS-Abkommen. Auch bereits erwähnt wurde, dass Annex Α. 1 SPS-Abkommen ausdrücklich Kennzeichnungsvorschriften erfasst, wenn sie einen direkten Bezug zur Lebensmittelsicherheit haben. 659 Ebenso Sander (siehe oben Fn. 631 ), S. 359; Kerr (siehe oben Fn. 547), S. 250; Macmillan/ Β lakeney (siehe oben Fn. 657), S. 133 f.; McNiel (siehe oben Fn. 652), S. 82; Wiemer (siehe oben Fn.639), S.77; ähnlich Stoll, Controlling the Risks of Genetically Modified Organisms: The Cartagena Protocol on Biosafety and the SPS Agreement, Yearbook of International Environmental Law 1999, S.82ff. (113). 660 So Teel (siehe oben Fn. 548), S. 687; wohl auch Fredland (siehe oben Fn. 452), S. 212. 661 So Sander (siehe oben Fn. 631), S.359; Spranger, WTO-rechtliche Probleme der Genehmigungspflicht für neuartige Lebensmittel im Hinblick auf das SPS-Übereinkommen, ZLR 2000, S. 111 ff. (112); Burchardi (siehe oben Fn. 639), S. 86ff. 662 So Eggers/ Mackenzie, The Cartagena Protocol on Biosafety, JIEL 2000, S. 525 ff. (535 f.); Stanton (WTO Agriculture and Commodities Division, Interview am 10.04.2001); eingeschränkt auch Streinz (siehe oben Fn. 263), S. 258 ff., 260; wohl auch Dederer (siehe oben Fn. 180), S.255.
138
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Dementsprechend ist für die verschiedenen Fälle einer Kennzeichnungspflicht zu fragen, ob sie direkt mit der Lebensmittelsicherheit zusammenhängen oder ob sich in ihnen eine andere gesetzgeberische Intention manifestiert. Eindeutig ist die Antwort in folgenden Fällen: Dient einerseits die Kennzeichnungspflicht wie Art. 81 (c) N F V O dem Schutz religiöser oder weltanschaulicher Bedenken, besteht kein Bezug zur Lebensmittelsicherheit, so dass das SPS-Abkommen nicht anzuwenden ist. Dies gilt auch für die von der Kommission für die Zukunft angestrebte allgemeine Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel als solcher, da statt der Lebensmittelsicherheit ausdrücklich die Ermöglichung einer individuellen Entscheidung Grundlage dieser Maßnahme sein soll. 6 6 3 Besteht andererseits die Kennzeichnungspflicht wie bei Art. 81 (b) N F V O zum Schutz der Gesundheit bestimmter Bevölkerungsgruppen wie insbesondere Allergikern, liegt der Zusammenhang mit der Lebensmittelsicherheit vor, und das SPS-Abkommen ist einschlägig: Aufgrund der zahlreichen individuellen Empfindlichkeiten und Unempfindlichkeiten gegenüber Lebensmitteln gibt es keine absolute, sondern nur eine relative Lebensmittelsicherheit. 6 6 4 Schwieriger ist nach den Erkenntnissen des ersten Teils dieser Arbeit die ratio legis und damit das maßgebliche WTO-Abkommen zu ermitteln, wenn die Kennzeichnungspflicht wie bei Art. 81 (d) N F V O oder bei der FreisRL dadurch ausgelöst wird, dass in dem Produkt gentechnisch veränderte Organismen oder wie bei Art. 8 1(a) N F V O oder der V O 1139/98/EG gentechnisch veränderte D N A oder Proteine vorhanden sind. Da die Anwendung gentechnischer Verfahren in der Lebensmittelproduktion und das Vorhandensein gentechnisch veränderter D N A oder Proteine nach ganz überwiegender Auffassung nicht per se ein Gesundheitsrisiko bedeuten 665 und außerdem die betreffenden Lebensmittel nur in Verkehr gebracht werden können, wenn ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit zuvor in einem Zulassungsverfahren bestätigt wurde, kann auch keine gesetzgeberische Absicht festgestellt werden, durch die Kennzeichnung in diesen Fällen Gesundheitsrisiken verhindern zu wollen. In diesen Fällen liegt, wie oben dargestellt, die ratio legis vielmehr darin, dem Verbraucher eine individuelle Entscheidung für oder gegen den Verzehr gentechnisch veränderter Lebensmittel zu ermöglichen, um unabhängig von tatsächlichen Sicherheitsrisiken seinem Sicherheitsbewusstsein zu dienen. 6 6 6 Da somit ein direkter Bezug zur Lebensmittelsicherheit in diesen Fällen der Kennzeichnungspflicht nicht besteht, ist das SPS-Abkommen nur auf die unverträglichkeitsbezogene Kennzeichnung nach Art. 81 (b) NFVO anzuwenden.
663
Siehe oben S.44 zu dieser ratio der Kennzeichnungspflicht. Auch nach Groß (siehe oben Fn.222), S. 151, dient die allergiespezifische Kennzeichnung dem Gesundheitsschutz. 665 Siehe oben S.22ff. zur naturwissenschaftlichen Bewertung der Risiken gentechnisch veränderter Lebensmittel. 666 Siehe oben S.44. 664
C. Bestimmung des maßgeblichen WTO-Abkommens b) Anwendbarkeit
139
des TBT-Abkommens auf die Kennzeichnungspflicht
Was die Einschlägigkeit des TBT-Abkommens betrifft, ist Annex 1.1 TBT-Abkommen zwar zu entnehmen, dass Etikettierungsvorschriften durchaus technische Vorschriften i. S. d. TBT-Abkommens sein können. Immer noch nicht ganz geklärt ist jedoch, ob nur solche Etikettierungsvorschriften vom TBT-Abkommen erfasst sind, die an Eigenschaften anknüpfen, die i m Endprodukt noch vorhanden sind, oder auch rein verfahrensbezogene Etikettierungsvorschriften in den Anwendungsbereich fallen, sogenannte non-product related processing and production methods (PPMs). Dies wäre i m Hinblick auf die zukünftige Ausgestaltung der EG-Kennzeichnungsregeln bedeutend: Während die geltenden EG-KennzeichnungsVorschriften nach der NFVO an im Endprodukt nachweisbare Unterschiede anknüpfen wie etwa eine gentechnische DNA-Veränderung und daher mangels ausschließlich verfahrensbezogener Ausgestaltung unter das TBT-Abkommen fallen, 6 6 7 sollen nach dem Verordnungsvorschlag der Kommission zukünftig alle in den Anwendungsbereich der Verordnung fallenden Lebensmittel als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden. 6 6 8 Dadurch wären insbesondere auch aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellte Derivativprodukte unabhängig davon erfasst, ob i m Endprodukt ein naturwissenschaftlicher Unterschied zum herkömmlichen Pendant vorhanden ist. Eine solche Kennzeichnungsregelung würde zwar i m Unterschied zu den klassischen Beispielsfällen für rein verfahrensbezogene Handelsbeschränkungen wie etwa Kennzeichnungsvorschriften für mit „delphinfreundlichen' 4 Methoden gefangenen Thunfisch an naturwissenschaftliche Unterschiede zu nicht gentechnisch veränderten Lebensmitteln i m Aus gang sprodukt anknüpfen, nämlich an das Vorhandensein gentechnisch veränderter Organismen i m Ausgangsprodukt. Das für die Beurteilung maßgebliche 669 Endprodukt könnte sich von nicht gentechnisch veränderten Lebensmitteln unterscheiden durch Spuren der gentechnischen Modifikation wie etwa DNA-Veränderungen. Vor allem bei Raffinationsprodukten wären aber normalerweise keine Unterschiede zu herkömmlichen Lebensmitteln nach667 So auch Burchardi (siehe oben Fn. 639), S. 99; Teel (siehe oben Fn. 548), S. 675; offengelassen bei Fredland (siehe oben Fn.452), S. 216, der aber verkennt, dass nur eine rein verfahrensbezogene Kennzeichnungsvorschrift anders zu beurteilen ist, so dass bei Unterschieden im Endprodukt die Kennzeichnung für das betreffende Verfahren vom TBT-Abkommen erfasst ist, vgl. Okubo (siehe oben Fn. 648); vgl. zum Verfahrensbezug der EG-Kennzeichnungsvorschriften auch Petersmann, Prevention and Settlement of International Trade Disputes Between the European Union and the United States, Tulane Journal of International and Comparative Law 2000, S. 233 ff. (252ff.). 668 Sofern sie nicht unter einen Schwellenwert für zufällige geringfügige Kontaminationen fallen, siehe oben S. 103 f. zu den geplanten Kennzeichnungsregeln. 669 Zwar ist terminologisch meist nur die Rede von non-product related PPMs, ohne dabei ausdrücklich auf das Endprodukt abzustellen. Bei den klassischen Beispielsfällen wie dem Thunfischfall ist dieser Unterschied aber ohnehin irrelevant. Ausdrücklich stellen auf das Endprodukt ab etwa Bernazani, The Eagle, the Turtle, the Shrimp and the WTO: Implications for the Future of Environmental Trade Measures, Connecticut Journal of International Law 2000, S.207ff. (210); Perrez (siehe oben Fn.657), Fn.5.
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
140
weisbar. Die technische Unmöglichkeit, Unterschiede nachweisen zu können, muss dabei nicht bedeuten, dass keine Unterschiede vorhanden sind. Es ist aber nicht gänzlich ausgeschlossen, dass ein aus gentechnisch veränderten Organismen hergestelltes Derivativprodukt über das Nachweisbarkeitsproblem hinaus tatsächlich keine naturwissenschaftlichen Unterschiede zu einem konventionellen Pendant mehr aufweist. 6 7 0 Soweit die von der Kommission anvisierte Kennzeichnungspflicht derartige Lebensmittel erfasst, ist sie rein verfahrensbezogen. 671 Die Ansicht, wonach rein verfahrensbezogene Vorschriften von vornherein nicht vom TBT-Abkommen erfasst sind, wird auch heute noch sowohl i m Schrifttum 6 7 2 als auch auf politischer Ebene von einigen WTO-Mitgliedern 6 7 3 vertreten. Gegen sie spricht aber schon der Wortlaut von Annex 1.1 TBT-Abkommen, dessen S. 2 anders als S. 1 für das Vorliegen einer technischen Vorschrift gerade nicht verlangt, dass sich das Verfahren auf Eigenschaften des Endproduktes auswirkt. 6 7 4 Dabei ist S. 2 ausdrücklich gleichwertig mit S. 1, 6 7 5 so dass die Einschränkungen von S. 1 für S. 2 keine Bedeutung haben. Aus der Entstehungsgeschichte des TBT-Abkommens, insbesondere aus den Unterschieden zum Standards Code als Vorgänger des TBT-Abkommens, lassen sich keine entscheidenden Argumente für oder gegen die Einbeziehung rein verfahrensbezogener Kennzeichnungsvorschriften in den Anwendungsbereich des TBT-Abkommens herleiten 6 7 6 - vielmehr ist die Entstehungsgeschichte gerade von einer Auseinandersetzung zwischen den Mitgliedstaaten über diese Frage geprägt. Jedoch ist, unabhängig von der später zu untersuchenden Frage der WTOKonformität rein verfahrensbezogener Kennzeichnungsvorschriften, wertungsmäßig kein Differenzierungsgrund erkennbar, warum sie von vornherein ganz aus dem 67 0
Mellenthin (Bund für
02.10.2001).
Lebensmittelrecht
und Lebensmittelkunde,
Interview am
671 In diesem Sinne wohl auch Perrez (s. o. Fn. 657), Fn. 5, nach dem Regelungen für gentechnisch veränderte Lebensmittel normalerweise keine rein verfahrensbezogenen Vorschriften darstellen, weil naturwissenschaftliche Unterschiede zu herkömmlichen Produkten bestehen. 672 Etwa von Wiemer (siehe oben Fn.639), S. 187 f. m. w.N.; Fredland (siehe oben Fn.452), S. 208 ff.; vgl. aus dem älteren Schrifttum etwa Staffln, Trade Barrier or Trade Boon? A Critical Evaluation of Environmental Labeling and its Role in the „Greening" of World Trade, Columbia Journal of Environmental Law 1996, S.205ff. (237). 673 Vgl. die Ausführungen bei Bartenhagen, The Intersection of Trade and the Environment: An Examination of the Impact of the TBT-Agreement on Ecolabelling Programs, Virginia Environmental Law Journal 1997, S.51 ff. (74ff.). 674 „Technical regulation: Document which lays down product characteristics or their related processes and production methods, including the applicable administrative provisions, with which compliance is mandatory. It may also include or deal exclusively with terminology, symbols, packaging, marking or labelling requirements as they apply to a product, process or production method ." (Hervorhebungen vom Verfasser). 675 Vgl. in Fn. 674 die Einleitung von S. 2 durch „also". 676 Vgl. die unterschiedlichen Schlussfolgerungen aus der in der Anmerkung des WTO-Sekretariats WT/CTE/W/10, G/TBT/W/11 dargestellten Entstehungsgeschichte bei Bartenhagen (siehe oben Fn.673), S.74ff.; Wiemer (siehe oben Fn.639), S. 187f.
C. Bestimmung des maßgeblichen WTO-Abkommens
141
Anwendungsbereich des TBT-Abkommens herausfallen sollen. 6 7 7 Dementsprechend hat das TBT-Komitee i m Zusammenhang mit den Notifikationspflichten nach dem TBT-Abkommen einen Beschluss gefasst, wonach alle Kennzeichnungsvorschriften erfasst sind, auch wenn es sich um non-product related PPMs handelt. 6 7 8 Diese Auffassung lässt sich im Einklang mit Wortlaut und ratio des TBT-Abkommens auf das gesamte Abkommen erweitern, so dass das TBT-Abkommen auch auf die geplanten, rein verfahrensbezogenen EG-Kennzeichnungsregeln für gentechnisch veränderte Lebensmittel anwendbar ist. Resümierend ist festzustellen, dass das SPS-Abkommen auf die EG-Kennzeichnungspflicht insoweit anzuwenden ist, als der Kennzeichnungspflicht wie bei Art. 81 (b) N F V O der Gesundheitsschutz bei individuellen Unverträglichkeiten zugrunde liegt. Ansonsten ist das TBT-Abkommen einschlägig. 6 7 9
3. Sonstige Handelsbeschränkungen der EG für gentechnisch veränderte Lebensmittel Neben Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht ist die Produktbeobachtungspflicht nach der FreisRL 2001/18/EG ein beachtliches Handelshemmnis, das nach dem oben erwähnten Verordnungsvorschlag jedenfalls i m Einzelfall auch für gentechnisch veränderte Lebensmittel gelten soll. Als Konsequenz zur Subsumtion der Zulassungspflicht unter das SPS-Abkommen ist auch die Produktbeobachtungspflicht unter das SPS-Abkommen zu subsumieren, da sie die Einhaltung der materiellen Zulassungsanforderungen für den Gesundheits- und Umweltschutz in das Stadium nach der Produktzulassung verlängert. Die Einordnung der Dokumentationspflichten nach der ebenfalls bisher nur geplanten Verordnung über die RückVerfolgbarkeit und Kennzeichnung ist dadurch problematisch, dass diese Dokumentationspflichten nach den Erkenntnissen aus dem ersten Teil dieser Arbeit sowohl die Kennzeichnungsregeln flankieren als auch die Vorschriften über die Produktbeobachtung, damit ein Produkt leichter vom Markt genommen werden kann, wenn sich nach dem Inverkehrbringen Sicherheitsmängel herausstellen. 680 Da die Produktbeobachtungsregeln, wie soeben festgestellt, unter das SPS-Abkommen fallen und dieses gegenüber dem TBT-Abkommen 677 So auch Bartenhagen (siehe oben Fn.673), S.76ff.; van Calster (siehe oben Fn. 648), Rn. 15. 678 Vgl. dazu WT/CTE/W/10, G/TBT/W/11, Rn. 19 ff.; auf dieser Grundlage spricht sich Okubo (siehe oben Fn. 648), S. 619, dafür aus, auch rein verfahrensbezogene Kennzeichnungsvorschriften unter das TBT-Abkommen zu subsumieren. 679 So auch Eggers! Mackenzie (siehe oben Fn. 662), S.535f.; eingeschränkt auch Streinz (siehe oben Fn. 263), S. 258 ff., 260, der aber offen lässt, ob Art. 81 (d) NFVO unter das SPSAbkommen zu subsumieren ist; wohl auch Dederer (siehe oben Fn. 180), S. 255, der jedenfalls die „gentechnikspezifische" Kennzeichnung dem TBT-Abkommen unterwirft, womit er nach den Ausführungen auf S. 248 insbesondere Art. 81 (b) NFVO nicht meint. 680 Siehe oben S. 111 zu diesem Grundgedanken der Dokumentationspflicht.
142
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
vorrangig ist, spräche dies für eine Subsumtion der Dokumentationspflichten unter das SPS-Abkommen. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass das SPS-Abkommen für die Anwendbarkeit auf Verpackungs- und Kennzeichnungsvorschriften ausdrücklich einen direkten Bezug zur Lebensmittelsicherheit verlangt, ein Gedanke, der sich wertungsmäßig auf die DokumentationsVorschriften übertragen lässt. 681 Die Dokumentationsregeln dienen, auch soweit sie die Durchsetzung der Produktbeobachtungspflichten gewährleisten sollen, nicht direkt der Lebensmittelsicherheit, sondern nur indirekt über ebendiese Produktbeobachtungspflichten. Daher fallen sie nicht unter das SPS-Abkommen, sondern unter das TBT-Abkommen. 6 8 2 I m Folgenden sind die Regeln über Zulassung, Kennzeichnung, Produktbeobachtung und Dokumentation auf ihre WTO-Konformität anhand des jeweils einschlägigen WTO-Abkommens zu überprüfen.
D. Die europäische Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel und ihre Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen Wie oben 6 8 3 skizziert, verlangt das SPS-Abkommen, dass nationale Handelsbeschränkungen gesundheitspolizeilicher oder pflanzenschutzrechtlicher Natur, wenn sie von internationalen Standards, Richtlinien und Empfehlungen abweichen oder solche für den betreffenden Bereich nicht existieren, in Artt. 2, 5 SPS-Abkommen spezifizierte Anforderungen für eine naturwissenschaftliche Rechtfertigung erfüllen müssen. Ob ein Panel in einem etwaigen WTO-Streitschlichtungsverfahren die europäische Zulassungspflicht für gentechnisch modifizierte Lebensmittel materiell als SPS-konform werten würde, hängt jedoch entscheidend auch von den formellen Kautelen der WTO-Streitschlichtungsverfahren in diesem Bereich ab. Daher werden zunächst die verfahrensmäßigen Besonderheiten i m Zusammenhang mit dem SPS-Abkommen und ihre Auswirkungen auf die Problematik der gentechnisch veränderten Lebensmittel dargestellt.
681 So auch für die Dokumentationsregeln des Biosafety Protocol Egger stMackenzie (siehe oben Fn.662), S.536. 682 So auch für die Dokumentationsregeln des Biosafety Protocol Eggers! Mackenzie (siehe oben Fn.662), S.536. 683 Siehe oben S. 124ff.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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1. Verfahrensmäßige Besonderheiten in Fällen nach dem SPS-Abkommen a) Beweislast und Beweismaß für Verstöße gegen das SPS-Abkommen Auch bei WTO-Streitschlichtungsverfahren ist die Frage der Beweislast von erheblicher praktischer Bedeutung für die Durchsetzung der materiellen Rechte und Pflichten aus den WTO-Abkommen. Insbesondere dem auf frühere WTO-Entscheidungen rekurrierenden Bericht des Appellate Body i m Hormonfall 6 8 4 sind wertvolle Hinweise darüber zu entnehmen, wie im Rahmen des SPS-Abkommens die Beweislast zu beurteilen ist. Nach Auffassung des Appellate Body muss der Beschwerdeführer einen prima facie-Beweis dafür erbringen, dass der Beschwerdegegner seine Pflichten aus dem SPS-Abkommen verletzt hat. Hierfür genügt nicht der Nachweis, dass die nationalen Handelsbarrieren nicht auf internationalen Standards basieren: Dies ist nämlich noch keine Verletzung des SPS-Abkommens, da die Mitgliedstaaten des SPS-Abkommens weiterhin das Recht haben, ein eigenes Schutzniveau zu bestimmen, und Art. 3 I I I SPS-Abkommen keine Ausnahmevorschrift darstellt. 685 Vielmehr muss der Beschwerdeführer den prima facie-Beweis auch für einen Verstoß gegen Vorschriften wie etwa Artt. 2, 5 SPS-Abkommen erbringen. 6 8 6 Sofern der Beschwerdeführer diesen prima facie-Beweis erbringt, muss der Beschwerdegegner den Vortrag des Beschwerdeführers durch den Nachweis widerlegen, dass er seine Verpflichtungen aus dem SPS-Abkommen eingehalten hat. 6 8 7 Wann er den prima facie-Beweis als erbracht ansieht, erklärt der Appellate Body, indem er seinen Bericht United States - Shirts and Blousons 688 in Bezug nimmt: Dort beschreibt der Appellate Body, dass er einem international weithin akzeptierten Prinzip entsprechend für die Beweiserbringung den Nachweis so vieler Informationen verlange, dass die Richtigkeit der behaupteten Tatsache vermutet werden könne. 6 8 9 Der Appellate Body ergänzt i m Hormonfall, dass der prima facie-Beweis 684 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 97 ff. 685 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.605), Rn. 102ff., 104ff. 686 Vgl. EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 109. 687 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 109. 688 United States - Measure Affecting Import of Woven Wool Shirts and Blouses from India, Report of the Appellate Body, WT/DS33/AB/R, 25.04.197, http://www.wto.org/ english/ tratop_e/dispu_e/wlshirab. wp5. 689 United States - Measure Affecting Import of Woven Wool Shirts and Blouses from India, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.688), unter IV: „It is, thus, hardly surprising that various international tribunals, including the International Court of Justice, have generally and
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
dann erbracht sei, wenn der Beschwerdeführer ohne wirksame Verteidigung des Beschwerdegegners Erfolg hätte. 6 9 0 I m Gentechnikkonflikt müssten die USA nach dem Konzept des Appellate Body den prima facie-Beweis dafür erbringen, dass die EG durch die Zulassungspflicht ihre Verpflichtungen aus dem SPS-Abkommen verletzt. Dazu zählt insbesondere die Pflicht zur naturwissenschaftlichen Grundlage von Handelsbeschränkungen, so dass die USA prima facie beweisen müssten, dass sich die Zulassungspflicht auf keine naturwissenschaftliche Grundlage stützt. Jedoch liegt in dieser Beweislast entgegen einer teilweise geäußerten Auffassung 691 keine allzu schwere Bürde, weil nach den dargestellten Äußerungen des Appellate Body die Anforderungen an den prima facie-Beweis nicht sehr hoch sind. Daher ist kaum damit zu rechnen, dass ein Panel oder der Appellate Body in einem Verfahren um gentechnisch modifizierte Lebensmittel bereits den prima facie-Beweis für das Fehlen einer naturwissenschaftlichen Grundlage als nicht erbracht ansehen könnte. 6 9 2 Erhebliche Auswirkungen auf den Gentechnikstreit oder andere Verfahren, die unter das SPS-Abkommen fallen, hätte der von einigen Autoren geäußerte Vorschlag, der Beschwerdeführer solle über einen bloßen prima facie-Beweis hinaus den vollen Beweis für die Ungefährlichkeit der in Frage stehenden Produkte erbringen müssen. 693 Dies betrifft direkt die Frage des naturwissenschaftlichen non liquet hinsichtlich einer etwaigen Gefährlichkeit bestimmter Produkte. Abgesehen davon, dass kaum eine derart grundlegende Änderung der Auffassung des Appellate Body zur Beweislastverteilung zu erwarten ist, verbirgt sich hinter diesem Vorschlag die Frage, was materiellrechtlich i m Falle eines naturwissenschaftlichen non liquet die consistently accepted and applied the rule that the party who asserts a fact, whether the claimant or the respondent, is responsible for providing proof thereof. Also, it is a generally-accepted canon of evidence in civil law, common law and, in fact, most jurisdictions, that the burden of proof rests upon the party, whether complaining or defending, who asserts the affirmative of a particular claim or defence. If that party adduces evidence sufficient to raise a presumption that what is claimed is true, the burden then shifts to the other party, who will fail unless it adduces sufficient evidence to rebut the presumption."; ähnlich sind die Definitionen für den prima facie-Beweis bei Macmillan/Blakeney, Regulating GMOs: Is the WTO Agreement on Sanitary and Phytosanitary Measures Hormonally Challenged? International Trade Law & Regulation 2000, Part II, S. 161 ff. (164); Walker, Keeping the WTO from Becoming the „World TransScience Organization": Scientific Uncertainty, Science Policy, and Factfinding in the Growth Hormones Dispute, Cornell International Law Journal 1998, S.251 ff. (Fn. 187). 690 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 104. 691 Vgl. Schohe (siehe oben Fn.606), S.258f. 692 Ähnlich Hurst , Hormones: European Communities - Measures Affecting Meat and Meat Products, European Journal of International Law 1998, No. 1, http://www.ejil.org/journal/ V0I9/N01 /sr 1 g.html, S.23; Kennedy (siehe oben Fn.544), S.99; Thorn/Carlson, The Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures and the Agreement on Technical Barriers to Trade, Law and Policy in International Business 2000, S. 841 ff. (850). 693 So Sander (siehe oben Fn. 631 ), S. 365; Macmillan/Blakeney (siehe oben Fn. 689), S. 164.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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welthandelsrechtlichen Konsequenzen sind. Diese Frage wird unten i m Zusammenhang mit dem Vorsorgeprinzip erörtert.
b) Kontrolldichte M i t der soeben dargestellten Beweislastverteilung ist die Frage verknüpft, wie Panels und Appellate Body das ihnen von den Parteien vorgelegte Beweismaterial werten. Von großer Bedeutung auch i m Hinblick auf gentechnisch veränderte Lebensmittel wäre insbesondere, wenn dem Beschwerdegegner bei der Anwendung des SPS-Abkommens ein von Panels und Appellate Body nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zustünde. I m Hormonstreit vertrat die EG die Auffassung, ähnlich wie bei der Kontrolle von Antidumpingzöllen nach Art. 17 V I des Antidumping-Übereinkommens 6 9 4 sei die Kontrolldichte auch für unter das SPSAbkommen fallende Maßnahmen beschränkt, und das Panel dürfe statt des Ergebnisses der nationalen Risikobewertung nur das zu diesem Ergebnis führende Verfahren bewerten. 695 Der Appellate Body hat dem entgegnet, die Kontrolldichte für unter das SPS-Abkommen fallende Maßnahmen müsse der i m SPS-Abkommen manifestierten Balance zwischen den von den Mitgliedstaaten übertragenen und den ihnen vorbehaltenen Überprüfungskompetenzen entsprechen. 696 Für die Umsetzung dieser Balance orientiert sich der Appellate Body an der von Art. 11 D S U den Panels vorgeschriebenen objektiven Bewertung der vorgelegten Tatsachen. 697 Bemerkenswert ist dabei, dass nach Auffassung des Appellate Body in der Berufungsinstanz wegen der Beschränkung auf eine Rechtskontrolle durch Art. 17 V I D S U nur in Extremfällen gerügt werden kann, ein Panel habe diesem Maßstab nicht genügt. 6 9 8 694
Vgl. dazu Hilf/Eggers (siehe oben Fn. 603), S. 565. EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 1 lOff. 696 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 115. 697 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 116. 698 „The deliberate disregard of, or refusal to consider, the evidence submitted to a panel is incompatible with a panel's duty to make an objective assessment of the facts. The wilful distortion or misrepresentation of the evidence put before a panel is similarly inconsistent with an objective assessment of the facts. „Disregard" and „distortion" and „misrepresentation" of the evidence, in their ordinary signification in judicial and quasi-judicial processes, imply not simply an error of judgment in the appreciation of evidence but rather an egregious error that calls into question the good faith of a panel. A claim that a panel disregarded or distorted the evidence submitted to it is, in effect, a claim that the panel, to a greater or lesser degree, denied the party submitting the evidence fundamental fairness, or what in many jurisdictions is known as due process of law or natural justice." EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 132 f.; die konkrete Anwendung dieses Maßstabs durch den Appellate Body im Hormonstreit wird kritisiert etwa von 695
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Für die Problematik um gentechnisch veränderte Lebensmittel gilt derselbe Maßstab: Es besteht kein allgemeiner Beurteilungsspielraum, ein Panel wäre daher nicht auf die Überprüfung des Verfahrens der nationalen Risikobewertung beschränkt, sondern hätte die ihm vorgelegten Informationen objektiv auch hinsichtlich des Ergebnisses der Risikoabschätzung zu bewerten. Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass ein Panel nach der eigenen, umfassenden Tatsachenbewertung nur ein Ergebnis für die Risikobeurteilung gelten lässt. Dies ist keine Frage der Kontrolldichte allgemein, sondern hängt davon ab, inwieweit die einzelnen Bestimmungen des SPS-Abkommens unterschiedliche nationale Maßnahmen zulassen und wird im Zusammenhang mit diesen Bestimmungen des SPS-Abkommens erörtert. c) Hinzuziehung von Experten durch das Panel I m Zusammenhang mit der Beweislast und der Kontrolldichte ist prozessual noch darzustellen, auf welche Weise ein Panel mit Sachverständigen zusammenarbeiten kann. Gerade in naturwissenschaftlich so komplexen Gebieten wie der Gentechnik ist bedeutend, wie i m Streitschlichtungsverfahren Expertenwissen durch das Panel selbst beschafft werden kann. Art. 11 I I SPS-Abkommen und Art. 13 I I i.V. m. Appendix 4 DSU erwähnen die Möglichkeit für Panels, Experten zu befragen. Die dort ebenfalls genannte Möglichkeit, ein Expertengremium zu berufen, ist jedoch nur eine von mehreren Methoden, so dass ein Panel ebenfalls individuelle Sachverständige konsultieren kann, wie es in den bisherigen unter das SPS-Abkommen fallenden Fällen regelmäßig geschehen ist. 6 9 9 Dann müssen insbesondere die Verfahrensregeln für die Bildung von Sachverständigengremien nicht berücksichtigt werden. 7 0 0 Art. 14 I I TBT-Abkommen sieht zwar lediglich die Bildung von Expertengruppen vor. Da sich die komplizierten naturwissenschaftlichen Fragen i m Hinblick auf gentechnisch veränderte Lebensmittel jedoch i m Rahmen des SPS-Abkommen stellen, kommt Art. 14 I I TBT-Abkommen i m Gentechnikbereich keine nennenswerte Bedeutung zu.
Christoforou , Settlement of Science-Based Trade Disputes in the WTO: A Critical Review of the Developing Case Law in the Face of Scientific Uncertainty, New York University Environmental Law Journal 2000, S.622ff. (644ff.). 699 Vgl. dazu Christoforou (siehe oben Fn.698), S. 627 ff. 700 Vgl. Christoforou (siehe oben Fn. 698), S. 633 f., zu den Prinzipien bei der Befragung individueller Experten, wie sie sich in den bisherigen Entscheidungen herauskristallisiert haben.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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2. Die europarechtliche Zulassungspflicht und ihr Verhältnis zu internationalen Standards, Richtlinien und Empfehlungen i. S. v. Art. 3 SPS-Abkommen Was die materiellen Anforderungen des SPS-Abkommens betrifft, behält, wie oben 7 0 1 dargestellt, Art. 2 I SPS-Abkommen den Mitgliedstaaten prinzipiell die Möglichkeit vor, den Handel beschränkende gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen zu erlassen, sofern die Schranken des SPS-Abkommen respektiert werden. Nach Artt. 2 I V , 3 I I SPS-Abkommen wird vermutet, dass nationale Handelshemmnisse die Schranken von SPS-Abkommen und GATT einhalten, wenn sie internationalen Standards, Richtlinien oder Empfehlungen entsprechen. Diese internationalen Normen sind folglich wesentlicher Bezugspunkt des SPS-Abkommens. I m Folgenden wird dargestellt, wie sich die EG-rechtliche Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel zu internationalen Standards, Richtlinien und Empfehlungen verhält. Dazu wird zunächst kurz erläutert, wie das SPS-Abkommen internationale Normen genau in Bezug nimmt. Danach geht es darum, um welche internationalen Normen es sich allgemein handelt, um anschließend die internationalen Normen mit Bedeutung für die europarechtliche Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel darzustellen.
a) Inbezugnahme internationaler
Normen durch Art. 3 SPS-Abkommen
Oben wurde bereits skizziert, dass der Appellate Body i m Hormonfall die drei verschiedenen Möglichkeiten des Art. 3 SPS-Abkommen aufgezeigt hat, nationale gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen auf internationale Normen abzustimmen, und dass die Rechtfertigungsanforderungen jeweils unterschiedlich sind. 7 0 2 Der Mitgliedstaat kann gemäß Art. 3 I I SPS-Abkommen seine gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahme so gestalten, dass sie internationalen Standards, Richtlinien oder Empfehlungen entspricht. Dann wird nach Art. 3 I I SPS-Abkommen vermutet, dass die Maßnahme zum Gesundheits- und Pflanzenschutz notwendig und mit GATT und SPS-Abkommen konform ist. Ferner kann der Mitgliedstaat entsprechend 31 SPS-Abkommen seine Handelsbeschränkung auf internationale Normen stützen, ohne dass sie internationalen Normen entspricht. Der Appellate Body korrigierte i m Hormonfall das Panel zurecht dahingehend, dass die allgemeine Verpflichtung in Art. 31 SPS-Abkommen, nationale Maßnahmen auf internationale Normen zu stützen, einen anderen Fall anvisiere als Art. 3 I I SPS-Abkommen. Dafür spricht in der Tat zunächst der unterschiedliche Wortlaut, da schon der allgemeine Sprachgebrauch zwischen „stützen" („based on") 701
Siehe oben S. 124ff. zu den Grundsätzen des SPS-Abkommens. Vgl. EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 169ff. 702
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
und „entsprechen" („conform to") unterscheidet. 703 Auch die Systematik spricht für eine differenzierende Auslegung, da Art. 211 und Art. 2 I V SPS-Abkommen die gleiche Unterscheidung enthalten. Außerdem spricht, wie der Appellate Body zurecht feststellt, auch die Zielsetzung von Art. 3 I SPS-Abkommen gerade i m Lichte der völkerrechtlichen Auslegungsregel in dubio pro mitius gegen eine Auslegung, die „stützen" und „entsprechen" synonym verwendet: Art. 3 I SPS-Abkommen macht die tatsächliche Harmonisierung der nationalen Normen der Mitgliedstaaten zu seinem Ziel und nicht zu seinem Ausgangspunkt, 704 Die grundsätzlich überzeugende Differenzierung des Appellate Body zwischen „stützen" und „entsprechen" belässt zwei Probleme: Der Appellate Body hat erstens bislang noch keine hinreichende Definition dafür geliefert, unter welchen Voraussetzungen eine nationale Maßnahme auf eine internationale Norm „gestützt" ist. Im Hormonfall findet sich dazu hauptsächlich die Aussage, eine auf eine internationale Norm gestützte Handelsbeschränkung enthalte lediglich einige Elemente der internationalen Norm, ohne mit ihr identisch zu sein. 7 0 5 Zu diesem Interpretationsansatz passt die Auslegung des gleichen „based on" in Art. 51 SPS-Abkommen durch den Appellate Body: U m i. S. v. Art. 5 1 SPS-Abkommen auf eine Risikobewertung gestützt zu sein, müsse eine „reasonable relationship" zwischen Maßnahme und Risikobewertung bestehen. 706 Dementsprechend ist eine nationale Maßnahme dann auf eine internationale Norm gestützt i. S. v. Art. 31 SPS-Abkommen, wenn sie zumindest die Grundgedanken der internationalen Norm aufweist. Das zweite Problem der Differenzierung zwischen „stützen" und „basieren" ist die Rechtsfolge von Art. 31 SPS-Abkommen: Anders als bei Art. 3 I I SPS-Abkommen wird bei Art. 3 1 SPS-Abkommen die Konformität der Maßnahme mit GATT und SPS-Abkommen einerseits jedenfalls nicht ausdrücklich vermutet. Soll das Konzept des Appellate Body mit den drei Wahlmöglichkeiten des Mitgliedstaates i m Rahmen von Art. 3 SPS-Abkommen Bestand haben, muss andererseits bei Art. 31 SPS-Abkommen auch eine andere Rechtsfolge als bei Art. 3 I I I SPS-Abkommen eintreten, so dass bei Art. 31 SPS-Abkommen ein anderes Verhältnis als bei Art. 3 I I I SPS-Abkommen zu den Anforderungen der Artt. 2, 5 SPS-Abkommen an eine naturwissenschaftliche Rechtfertigung der Maßnahme gelten muss. 7 0 7 Die Lösung liegt auch hier in der parallelen Struktur von Artt. 31 und 51 SPS-Abkommen: Wenn eine nationale Maßnahme auf eine internationale Norm gestützt ist und somit Art. 31 SPS-Abkommen erfüllt, ist sie auch i. S. v. Art. 51 SPS-Abkommen auf eine Risiko703 So EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.605), Rn. 163. 704 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 165. 705 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.605), Rn. 171. 706 Siehe dazu ausführlich unten S. 173 ff.; für die entsprechende Auslegung von „based on" in Artt. 3.1 und 5.1 SPS-Abkommen spricht sich auch Hurst (siehe oben Fn. 692), S.6 aus. 707 Vgl. Hurst (siehe oben Fn. 692), S. 6f.; Pauwelyn (siehe oben Fn. 624), S. 656.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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bewertung gestützt. 708 Anders als bei Art. 3 I I SPS-Abkommen wird aber nicht vermutet, dass die übrigen Schranken des SPS-Abkommens eingehalten sind. Die dritte Möglichkeit, das Verhältnis zwischen einer gesundheitspolizeilichen oder pflanzenschutzrechtlichen Maßnahme und internationalen Standards, Richtlinien oder Empfehlungen auszugestalten, besteht nach Art. 3 I I I SPS-Abkommen darin, dass die nationale Handelsbeschränkung von der internationalen Norm abweicht, ohne auf ihr zu basieren. Nach der soeben dargestellten Auslegung von Art. 3 I SPS-Abkommen liegt eine Abweichung i. S. v. Art. 3 I I I SPS-Abkommen dann vor, wenn die nationale Norm nicht einmal die Grundprinzipien der internationalen Norm enthält. In diesem Fall sind die Anforderungen des Art. 51 SPS-Abkommens für eine naturwissenschaftliche Rechtfertigung der Maßnahme zu erfüllen: Zwar scheint der Wortlaut von Art. 3 I I I S. 1 SPS-Abkommen neben der Rechtfertigung über Art. 5 I SPS-Abkommen noch eine weitere „naturwissenschaftliche Rechtfertigung" zu kennen. 7 0 9 Insoweit ist der Vertragstext jedoch missverständl i c h 7 1 0 : Der die „naturwissenschaftliche Begründung" definierenden Fußnote zu Art. 3 I I I SPS-Abkommen 7 1 1 und Art. 3 I I I S. 2 7 1 2 SPS-Abkommen ist zu entnehmen, dass im Falle von Art. 3 I I I SPS-Abkommen stets alle Anforderungen des SPS-Abkommens erfüllt sein müssen, also auch Art. 51 SPS-Abkommen. Dieses Verständnis des unklaren Wortlautes entspricht dem Ziel des SPS-Abkommens, einerseits den Mitgliedstaaten das Recht zur autonomen Bestimmung des für erforderlich gehaltenen Schutzniveaus zu belassen, andererseits eine naturwissenschaftliche Absicherung nach spezifischen Regeln zu verlangen. 713 Eine wortgetreue Auslegung von Art. 3 I I I SPS-Abkommen in dem Sinne, dass neben der Risikobewertung nach Art. 5 I SPS-Abkommen eine weitere Rechtfertigungsmöglichkeit besteht, würde 708
Hurst (siehe oben Fn. 692), S. 6f. „Members may introduce or maintain sanitary or phytosanitary measures which result in a higher level of sanitary or phytosanitary protection than would be achieved by measures based on the relevant international standards, guidelines or recommendations, if there is a scientific justification, or as a consequence of the level of sanitary or phytosanitary protection a Member determines to be appropriate in accordance with the relevant provisions of paragraphs 1 through 8 of Article 5." (Hervorhebung vom Verfasser). 710 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.605), Rn. 175: „Article 3.3 is evidently not a model of clarity in drafting and communication." 711 „For the purposes of paragraph 3 of Article 3, there is a scientific justification if, on the basis of an examination and evaluation of available scientific information in conformity with the relevant provisions of this Agreement , a Member determines that the relevant international standards, guidelines or recommendations are not sufficient to achieve its appropriate level of sanitary or phytosanitary protection." (Hervorhebung vom Verfasser). 712 „Notwithstanding the above, all measures which result in a level of sanitary or phytosanitary protection different from that which would be achieved by measures based on international standards, guidelines or recommendations shall not be inconsistent with any other provision of this Agreement ." (Hervorhebung vom Verfasser). 713 Vgl. EC -Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 177. 709
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
daher zu Wertungswidersprüchen mit Art. 5 1 SPS-Abkommen und somit zu einer inkonsistenten Interpretation des SPS-Abkommens führen. 7 1 4 Schließlich wurde bereits erwähnt, dass dieser zuletzt genannte Maßstab auch dann gilt, wenn es für die betreffende Handelsbeschränkung überhaupt keine internationalen Standards, Richtlinien oder Empfehlungen i. S. d. SPS-Abkommens gibt. Auch in diesem Fall sind also die Anforderungen der Artt. 2, 5 SPS-Abkommen für eine naturwissenschaftliche Rechtfertigung als Grundvoraussetzung für gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Handelsbeschränkungen zu berücksichtigen. 7 1 5
b) Die internationalen Standards, Richtlinien und Empfehlungen i. S. v. Art. 3 SPS-Abkommen Annex A . 3 SPS-Abkommen ist zu entnehmen, welche internationalen Normen nach Art. 3 SPS-Abkommen den Maßstab für nationale Handelsbeschränkungen darstellen sollen: Für den Bereich der Lebensmittelsicherheit die Normen der Codex Alimentarius Kommission (CAK), für die Gesundheit von Pflanzen die Regeln des Sekretariats der International Plant Protection Convention (IP PC) und für die Gesundheit von Tieren die Vorschriften des International Office of Epizootics (I Ο E). Daneben gibt es noch eine Auffangvorschrift für nicht von diesen Organisationen abgedeckte Sachbereiche. (1) Die Codex Alimentarius
Kommission (CAK)
Die C A K ist eine gemeinsame Unterorganisation der Food and Agriculture Organization (FAO) und der World Health Organization (WHO). Nach Art. 1 a der Satzung der C A K ist das Hauptziel der C A K einerseits der Gesundheitsschutz der Verbraucher und andererseits die Sicherung fairer Praktiken i m Lebensmittelhandel. 716 Sie besteht seit 1962 und ist damit deutlich älter als das SPS-Abkommen. 7 1 7 Bereits Ende der 90er Jahre repräsentierten die Mitgliedstaaten der C A K 97 % der Weltbevölkerung. 7 1 8 Die EG ist zwar Mitglied in der WTO, aber anders als ihre fünfzehn 7,4 Dies übersehen bei ihrer Kritik an der Auslegung des Appellate Body Ηohmann, Die WTO-Streitbeilegung in den Jahren 1998-1999, EuZW 2000, S.421 ff. (424); Hughes, Limiting the Jurisdiction of Dispute Settlement Panels: The WTO Appellate Body Beef Hormone Decision, Georgetown International Environmental Law Review 1998, S. 915 ff. (923 f.). 715 Siehe oben S. 126. 7,6 Die Satzung der CAK ist im Internet zu finden unter ftp://ftp.fao.org/codex/manual/ Manuall2ce.pdf. 717 Zur Entstehungsgeschichte der CAK vgl. Lupien, The Codex Alimentarius Commission: International Science-Based Standards, Guidelines And Recommendations, AgBioForum 2000, S. 192ff. 718 Vgl. Understanding the Codex Alimentarius, http://www.fao.org/docrep/w9114e/ W9114eOO.htm#TopOfPage; Sander (siehe oben Fn.631), S. 338.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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Mitgliedstaaten ist die EG selbst bislang kein Mitglied der C A K , auch wenn sie die Mitgliedschaft anstrebt. 719 Dass die EG nicht Mitglied der C A K ist, beeinflusst nicht die Inbezugnahme der Standards und sonstigen Rechtsakte der C A K durch das SPSAbkommen mit Wirkung auch gegen die E G , 7 2 0 was nicht zuletzt i m Hormonstreit deutlich wurde. Die C A K wird bei der Erfüllung ihrer Aufgaben von verschiedenen Gremien unterstützt: Zum einen bestehen verschiedene Komitees für bestimmte geographische Regionen oder Themen. Für besonders aktuelle Inhalte gibt es daneben Ad hoc Intergovernmental Task Forces. Schließlich sind die von W H O und FAO gemeinsam eingesetzten und mit wissenschaftlichen Experten besetzten beratenden Gremien erwähnenswert. 721 Das Mittel, mit dem die C A K zur Verwirklichung ihres Doppelzieles beitragen soll, ist die Ausarbeitung internationaler Standards, Codes of Practice und Guidelines für Lebensmittelsicherheit, wobei die Standards von größerer Bedeutung sind wegen der Möglichkeit, sie zu verbindlichen Normen zu machen: Während Codes of Practice und Guidelines die Mitgliedstaaten nie binden, werden die in einem achtstufigen Verfahren 722 zustande kommenden Standards der C A K für die Mitgliedstaaten verbindlich, wenn sie von diesen förmlich angenommen und umgesetzt werden. 7 2 3 Eine solche förmliche Annahme ist allerdings selten, insbesondere die M i t gliedstaaten der EG lehnen die Annahme der CAK-Standards normalerweise als für einen effektiven Gesundheitsschutz unzureichend ab. 7 2 4 Außerhalb der förmlichen Annahme sind die CAK-Standards trotz der Einbeziehung durch das SPS-Abkommen de iure nicht bindend: Der Appellate Body hat i m Hormonstreit das Panel bei dessen oben dargestellter Interpretation von Artt. 31, I I SPS-Abkommen korrigiert, weil die Auffassung des Panels dazu geführt hätte, dass die CAK-Normen eine ihnen nicht zustehende Verbindlichkeit erhalten - die Har719
Vgl. Weißbuch 2000 zur Lebensmittelsicherheit (siehe oben Fn. 133), S.44. Dies betont zurecht Sander (siehe oben Fn. 631), S. 365. 721 Vgl. zu diesen Untergruppen Sander (siehe oben Fn. 631), S. 339 ff., Victor (siehe oben Fn. 612), S. 886; Kimbrell, What is Codex Alimentarius? AgBioForum 2000, S. 197ff. 722 Die Verfahrensregeln finden sich unter Procedures for the Elaboration of Codex Standards and Related Texts , im Internet unter ftp://ftp.fao.org/codex/manual/Manuall2ce.pdf ; Sander (siehe oben Fn. 631), S. 347f. und Rabe, Auswirkungen der Welthandelsordnung auf das deutsche und das europäische Lebensmittelrecht, ZLR 1998, S. 129 ff. (136), kritisieren das Verfahren wegen seiner Demokratie- und Transparenzdefizite. 723 Vgl. Procedures for the Elaboration of Codex Standards and Related Texts (siehe oben Fn. 722), Part 3: Subsequent Procedure Concerning the Publication and Acceptance of Codex Standards; vgl. zur daneben existierenden sogenannten Verkehrsfähigkeitserklärung, wonach importierte und dem Standard entsprechende Produkte frei zirkulieren dürfen, ohne dass dem Standard nicht entsprechende Waren verboten wären, Sander (siehe oben Fn. 631), S. 346f.; Wetzig (siehe oben Fn. 634), S. 89. 724 Wetzig (siehe oben Fn.634), S.90; Sander (siehe oben Fn.631), S.349; vgl. auch Wetzig (siehe oben Fn. 634), S. 90ff. und Sander (siehe oben Fn. 631 ), S. 349 f., zur gegenseitigen Beeinflussung von EG-Recht und Standards. 720
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
monisierung nationaler Lebensmittelvorschriften sei gerade ein für die Zukunft zu verwirklichendes Z i e l . 7 2 5 Von einer über Art. 3 SPS-Abkommen vermittelten de facto-Bindung auch der nicht angenommenen CAK-Standards 7 2 6 könnte man reden, jedoch nur mit der entscheidenden Einschränkung, dass Art. 3 SPS-Abkommen die Mitgliedstaaten nicht einfach zur Einhaltung der CAK-Standards verpflichtet. Vielmehr bieten Artt. 31 und 3 I I I SPS-Abkommen die Möglichkeit, von den CAK-Standards unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen abzuweichen, weil Leitmotiv des SPS-Abkommens die naturwissenschaftliche Rechtfertigung ist. Diese kann auch anders erreicht werden als durch eine Bindung an CAK-Standards. Deshalb ist es treffender, nicht die CAK-Standards als (indirekt) obligatorisch zu bezeichnen, sondern die bindende Kraft lediglich den Vorschriften des SPS-Abkommens zuzusprechen, die von den CAK-Standards für den jeweiligen Bereich nähere Vorgaben erhalten. 727 U m zukünftige Standardisierungsvorhaben zu beschließen und bereits ausgearbeitete Standards zu verabschieden, gibt es alle zwei Jahre eine Konferenz der C A K . Jeder Mitgliedstaat entsendet dazu einen Vertreter. NGOs dürfen nur ohne Stimmberechtigung teilnehmen. Vor allem in den 90er Jahren erschienen i m Übrigen Vertreter von solchen NGOs selten, deren Ziel der Verbraucherschutz ist. 7 2 8 Damit ein Beschluss der C A K zustande kommt, reicht prinzipiell zwar eine einfache Mehrheit. 7 2 9 Jedoch sollen Annahme oder Abänderung von Standards i m Konsens geschehen, sofern nicht alle Möglichkeiten dazu ausgeschöpft sind. 7 3 0 Diese Verpflichtung, eine konsensfähige Entscheidung jedenfalls zu suchen, ist erst vor kurzer Zeit eingeführt worden, nachdem die i m Hormonstreit maßgeblichen CAK-Standards mit einer knappen Mehrheit zustande gekommen waren. 7 3 1 Inhaltlich ist zu den Arbeiten der C A K anzumerken, dass sie insbesondere seit den 90er Jahren eine Konzentration auf naturwissenschaftliche Elemente widerspiegeln und andere Gesichtspunkte wie etwa nicht naturwissenschaftlich begründete Verbraucherpräferenzen oder ethische Beweggründe bei der Formulierung der CAK-Normen wenig berücksichtigt werden. 7 3 2 Gerade im Zuge dieser Tendenz sind 725 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 165. 726 So Ritter (siehe oben Fn.619), S. 135; Eckert (siehe oben Fn.535), S.381. 727 Ähnlich Quick!Blüthner (siehe oben Fn.636), S.613; Rahe (siehe oben Fn.722), S. 135. 728 Vgl. Victor (siehe oben Fn. 612), S. 886; Sander (siehe oben Fn. 631), S. 352f. 729 Regel 611 der Rules of Procedure of the Codex Alimentarius Commission (im Internet unter ftp://ftp.fao.org/codex/manual/Manual 12ce.pdf). 730 Regel 10 II der Rules of Procedure of the Codex Alimentarius Commission (siehe oben Fn.729). 731 Vgl. zu der Verfahrensänderung Eckert, Das Lebensmittelrecht an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, ZLR 1999, S. 579 ff. (593); vgl. zu den Mehrheitsverhältnissen im Hormonstreit Wtetzig, Bedeutung des SPS-Übereinkommens der WTO für das europäische Lebensmittelrecht und umgekehrte Diskriminierung am Beispiel des Hormonverbots, ZLR 2000, S. 11 ff.
(22).
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Vgl. Sander (siehe oben Fn.631), S.352.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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die CAK-Standards zustande gekommen, auf deren Grundlage die USA und Kanada im Hormonstreit die Streitschlichtungsverfahren einleiteten. 733 U n t e n 7 3 4 wird näher dargestellt, mit welchem Ergebnis sich die EG bemüht, gegen den Widerstand insbesondere der USA diesen other legitimate factors (OLFs) größere Bedeutung bei der Ausarbeitung der CAK-Normen zukommen zu lassen. (2) Die International
Plant Protection Convention (IP PC)
Die Tätigkeiten der C A K haben bislang erheblich mehr Aufmerksamkeit genossen als die beiden anderen Kategorien internationaler Normen, die das SPS-Abkommen in Bezug n i m m t . 7 3 5 Dies gilt insbesondere für die bisher unter der International Plant Protection Convention (IPPC) zustande gekommenen Arbeiten, was sich aber in Zukunft ändern könnte. Die IPPC wurde von der Konferenz der FAO für den Bereich des Pflanzenschutzes beschlossen und trat 1952 in Kraft. Die ursprüngliche Version der IPPC ist seitdem zweimal revidiert worden, 1979 und insbesondere 1997. Die noch nicht in Kraft getretene 736 Revision von 1997 ist gerade darauf zurückzuführen, dass die Mitgliedstaaten das Regelwerk der IPPC seit Inkrafttreten des SPS-Abkommens für unzureichend hielten. 7 3 7 Bis zum Inkrafttreten der IPPC in der Fassung von 1997 besteht unter der IPPC keine der C A K vergleichbare Struktur zur Schaffung internationaler Standards. Seit 1993 gibt es lediglich eine von der FAO gebilligte ad hoc-Prozedur, die von vielen Mitgliedstaaten der IPPC als unbefriedigend empfunden w i r d . 7 3 8 Dementsprechend sind bisher i m Vergleich mit der C A K nur wenige Standards ausgearbeitet worden. 7 3 9 Unter der 1997 beschlossenen Fassung der IPPC, die anders als die bisherige Fassung in ihren Erwägungsgründen neben dem Pflanzenschutz den Welthandel ausdrücklich hervorhebt, 740 wird es eine an die C A K angelehnte Kommission für die 733
Ritter (siehe oben Fn.619), S. 137; Wetzig (siehe oben Fn.731), S.21. Siehe dazu unten S. 156 ff. 735 Vgl. nur Victor (siehe oben Fn. 612), S. 894. 736 Vgl. Art. XXII IPPC (revidierte Fassung, Text im Internet unter http://www.ippc.int). 737 Stewart/Johanson, The SPS Agreement of the World Trade Organization and International Organizations: The Roles of the Codex Alimentarius Commission, The International Plant Protection Convention and the International Office of Epizootics, Syracuse Journal of International Law and Commerce 1998, S.27ff. (47). 738 Vgl. Stewart/Johanson (siehe oben Fn.737), S.48. 739 Vgl. die Übersicht International Standards for Phytosanitary Measures (ISPMs) unter http://www.ippc.int. 734
740
V
g
L
- Präambel in der bisherigen Fassung: „The contracting parties, recognizing the usefulness of international cooperation in controlling pests of plants and plant products and in preventing their spread, and especially their introduction across national boundaries, and desiring to ensure close coordination of measures directed to these ends, have agreed as follows:...";
154
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Annahme internationaler Standards geben. 741 Bis zum Inkrafttreten der IPPC von 1997 gibt es bereits eine vorläufige Kommission, die 1998 zum ersten M a l zusammentrat. 7 4 2 Von den bei der Ausarbeitung neuer Standards beteiligten Untergruppen sind insbesondere das innerhalb der FAO bestehende IPPC-Sekretariat und das seit 2000 existierende und mit Pflanzenschutzexperten besetzte Interim Standards Committee und die verschiedenen Arbeitsgruppen erwähnenswert. 743
(3) Das International
Office
of Epizootics (I Ο E)
Das International Office of Epizootics ist eine bereits seit 1924 bestehende Organisation, die sich in ihrer Struktur anders als die IPPC nicht grundlegend geändert hat. I m Unterschied zu C A K und IPPC gibt es zwischen IOE und FAO keine organisatorischen Verknüpfungen, jedoch unterhält das IOE mit FAO und W H O wie auch mit der W T O gegenseitige Kontakte. Die Beziehungen zur W T O bestehen hauptsächlich darin, dass beide Organisationen sich in Angelegenheiten gemeinsamen Interesses gegenseitig konsultieren, an Zusammenkünften teilnehmen und Informationen austauschen. 744 Ähnlich wie bei C A K und IPPC ist auch beim IOE die Zielsetzung, zwar den Tierschutz weiterzuentwickeln. Jedoch sollen die diesbezüglichen Regeln gerade deshalb harmonisiert werden, damit der Welthandel nicht unnötig eingeschränkt wird.745 Innerhalb des IOE ist das Internationale Komitee das für die Beschlussfassung verantwortliche Organ, das auch für die Verabschiedung internationaler Standards entscheidend ist. Zur Umsetzung der Beschlüsse ist das Zentrale Büro berufen. Bei der Ausarbeitung der Beschlüsse, insbesondere bei der Standardsetzung wird das Internationale Komitee von verschiedenen Untergruppen unterstützt - verschiedenen Kommissionen mit Sonderzuständigkeiten und Arbeitsgruppen. 746 - Präambel der 1997 beschlossenen Fassung : „... recognizing the necessity for international cooperation in controlling pests of plants and plant products and in preventing their international spread, and especially their introduction into endangered areas; recognizing that phytosanitary measures should be technically justified, transparent and should not be applied in such a way as to constitute either a means of arbitrary or unjustified discrimination or a disguised restriction, particularly on international trade; ..." (Hervorhebung vom Verfasser). 741 Art. X I IPPC (revidierte Fassung, siehe oben Fn.736). 742 Vgl. Interim Commission on Phytosanitary Measures (ICPM) unter http://www.ippc.int. 743 Vgl. The IPPC Secretariat unter http://www.ippc.int. 744 Stewart/Johanson (siehe oben Fn.737), S.50. 745 Vgl. Safeguarding Health in World Trade, http://www.oie.int/eng/OIE/en_securite.htm. 746 Vgl. zur inneren Organisation des IOE The ΟΙΕ at a Glance ... (http://www.oie.int/ eng/ OIE/en_enbref.htm) und zu den verschiedenen Organen http://www.oie.int/eng/OIE/ organisation/en_organi sation. htm.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
155
Bei der Setzung internationaler Standards kann das IOE auf eine längere Tradition zurückblicken als C A K und IPPC. 7 4 7 Dennoch finden die Arbeiten des IOE bislang nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie die der C A K . Dies mag damit zusammenhängen, dass das öffentliche Interesse i m Bereich Lebensmittelsicherheit größer ist als beim Tierschutz, wobei künftig i m Überschneidungsbereich etwa im Zusammenhang mit BSE auch dem IOE mehr Aufmerksamkeit zukommen könnte. 7 4 8
c) Internationale Standards, Richtlinien und Empfehlungen i. S. v. Art. 3 SPS-Abkommen für die Zulassung gentechnisch modifizierter Lebensmittel Bislang gibt es keine internationalen Normen i. S. v. Art. 3 SPS-Abkommen für die Zulassung gentechnisch veränderter Lebensmittel. Sowohl bei der C A K als auch unter der IPPC und beim IOE bestehen aber verschiedene Projekte, um derartige internationale Maßstäbe zu entwickeln. 1989 diskutierte die C A K zum ersten M a l über die Implikationen der Biotechnologie auf Grundlage eines von den USA vorgelegten Arbeitspapiers. Themen waren unter anderem die Sicherheit und die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel. 7 4 9 1990 fand eine Joint FAOÌWHO Consultation zum Thema der Sicherheit biotechnisch hergestellter Lebensmittel statt. 7 5 0 Das Fazit der Überlegungen, Biotechnik sei nicht prinzipiell unsicher, wurde 1991 von der C A K auf ihrer 19. Sitzung unterstützt. 751 A u f ihrer 20. Sitzung 1993 erklärte die C A K die Ausarbeitung von Richtlinien zur Beurteilung biotechnisch hergestellter Lebensmittel zu einem mittelfristigen Z i e l . 7 5 2 Die Joint FAO/WH Ο Consultation zur Sicherheit biotechnisch hergestellter Lebensmittel akzeptierte 1996 das von der OECD entwickelte Konzept der wesentlichen Gleichwertigkeit, ohne dass die C A K dazu ausdrücklich Stellung nahm. 7 5 3 Im Zuge des sich Ende der 90er Jahre zuspitzenden Konflikts auf welthandelsrechtlicher Ebene sind die Arbeiten an internationalen Normen für gentechnisch 747
Vgl. die Übersicht zu den bisherigen Standards unter http://www.oie.int/eng/normes/ en_norm.htm. 748 Stewart/Johanson (siehe oben Fn.737), S.50ff. 749 Vgl. Codex Ad Hoc Inter governmental Task Force on Foods Derived from Biotechnology , CX/FBT/00/2 (http://www.who.int/fsf/GMfood/CX_FBT_00_2.pdf ), S.5. 75 0 Joint FAO/WHO Consultation on the Assessment of Biotechnology in Food Production and Processing as Related to Food Safety , eine Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse findet sich unter Codex Ad Hoc Inter gov emmental Task Force on Foods Derived from Biotechnology (siehe oben Fn.749), S. 11. 75 1 Codex Ad Hoc Intergovernmental Task Force on Foods Derived from Biotechnology (siehe oben Fn.749), S.6. 75 2 Codex Ad Hoc Intergovernmental Task Force on Foods Derived from Biotechnology (siehe oben Fn.749), S.6. 75 3 Codex Ad Hoc Inter gov emmental Task Force on Foods Derived from Biotechnology (siehe oben Fn.749), S.6; siehe oben S.65ff. zum Konzept der wesentlichen Gleichwertigkeit.
156
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
hergestellte Lebensmittel sowohl von FAO und W H O als auch von ihrer Unterorganisation C A K beschleunigt worden. Im Sommer 1999 wurde auf der 23. Sitzung der C A K die Einsetzung einer besonderen Arbeitsgruppe beschlossen, der Codex Ad Hoc Intergovernmental Task Force on Foods Derived From Biotechnology 154. Diese soll bis 2003 einen endgültigen Bericht über ihre Tätigkeit abliefern. Die Mitglieder der Task Force kamen zur ersten Sitzung im März 2000, zur zweiten Sitzung im März 2001 und zur dritten Sitzung im März 2002 zusammen. In ihrem Bericht über die erste Sitzung betonte die Task Force, dass die Zielsetzung und die Vorschriften des Biosafety Protocol als Teil des rechtlichen Rahmens für die Ausarbeitung und Anwendung der CAK-Standards bei den Arbeiten der Task Force „zu berücksichtigen" seien. 755 Uneinigkeit herrschte insbesondere darüber, inwieweit das Prinzip der substanziellen Gleichwertigkeit einer Überprüfung bedürfe. 756 Ebenso gingen die Meinungen darüber auseinander, ob die Risikobewertung dieser Lebensmittel nur mit einer Genehmigungspflicht vor Inverkehrbringen des Produkts möglich sei. 7 5 7 Auch blieb umstritten, inwieweit nichtnaturwissenschaftliche Faktoren (OLFs) für die Beurteilung gentechnisch veränderter Lebensmittel zu berücksichtigen seien. Schließlich zählt auch zu den nicht einheitlich beurteilten Fragen, inwieweit das Vorsorgeprinzip in die Arbeiten der Task Force Eingang finden soll. 7 5 8 Die Mitglieder der Task Force stimmten immerhin darin überein, dass das Vorsorgeprinzip und die OLFs ebenso Priorität in den Arbeiten des Codex Committee on General Principles genießen sollten, wie Kennzeichnungsfragen vorrangig vom Codex Committee on Food Labelling und Umweltrisiken nach IPPC, Biosafety Protocol und anderen Instrumenten zu behandeln seien. 759 Nach den Arbeiten des Codex Committee on General Principles können OLFs, wenn sie weltweit anerkannt sind, bei den Codex-Arbeiten unter Umständen berücksichtigt werden, ohne dass dadurch aber ungerechtfertigte Handelshemmnisse geschaffen werden dürfen. 7 6 0 Diese eingeschränkte und vage formulierte Beachtlichkeit von OLFs wurde 75 4 Codex Ad Hoc Intergovernmental Task Force on Foods Derived from Biotechnology (siehe oben Fn.749), S. 1. 155 Report of the First Session of the Codex Ad Hoc Intergovernmental Task Force on Foods Derived from Biotechnology , ALINORM 01/34 (http://www.who.int/fsf/GMfood/al01_34e . pdf), S.3. 756 Vgl. Report of the First Session of the Codex Ad Hoc Inter gov emmental Task Force on Foods Derived from Biotechnology (siehe oben Fn.755), S. 3. 757 Vgl. Report of the First Session of the Codex Ad Hoc Inter gov emmental Task Force on Foods Derived from Biotechnology (siehe oben Fn.755), S. 3. 758 Vgl. Report of the First Session of the Codex Ad Hoc Intergovernmental Task Force on Foods Derived from Biotechnology (siehe oben Fn.755), S. 3. 75 9 Report of the First Session of the Codex Ad Hoc Intergovernmental Task Force on Foods Derived from Biotechnology (siehe oben Fn.755), S.4. 760 Vgl. Report of the Sixteenth Session of the Codex Committee on General Principles (ftp://ftp.fao.org/codex/alinorm01/al0133ae.pdf ), Rn.84ff. und Appendix III; die genaue Formulierung lautet: „Criteria for the Consideration of the Other Factors Referred to in the Second Statement of Principle
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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im Juli 2001 von der C A K angenommen. 761 Dagegen konnte bisher kein Kompromiss hinsichtlich des Vorsorgeprinzips gefunden werden. 7 6 2 Bis zu ihrer zweiten Sitzung i m März 2001 erarbeitete die Task Force einen Entwurf für Grundsätze über die Risikoanalyse von mit moderner Biotechnik hergestellten Lebensmitteln und einen Entwurf für eine Richtlinie über die Sicherheitsbewertung von Lebensmitteln mit rekombinanter D N A . Beide Entwürfe befinden sich nach der Billigung durch die C A K i m Juli 2001 und weiteren Arbeiten bei der dritten Sitzung der Task Force 2002 mittlerweile auf Stufe 8 des 8-stufigen Entstehungsprozesses, woraus zu schließen ist, dass die Entwürfe vermutlich schon 2003 von der C A K angenommen werden können. A u f Stufe 5 befinden sich ein Entwurf für die allergiebezogene Risikobeurteilung und ein Entwurf für eine Richtlinie über die Risikobewertung von mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen erzeugten Lebensmitteln. - when health and safety matters are concerned, the Statements of Principle Concerning the Role of Science and the Statements of Principle Relating to the Role of Food Safety Risk Assessment should be followed; - other legitimate factors relevant for health protection and fair trade practices may be identified in the risk management process, and risk managers should indicate how these factors affect the selection of risk management options and the development of standards, guidelines and related texts; - consideration of other factors should not affect the scientific basis of risk analysis; in this process, the separation between risk assessment and risk management should be respected, in order to ensure the scientific integrity of the risk assessment; - it should be recognized that some legitimate concerns of governments when establishing their national legislation are not generally applicable or relevant world-wide [Confusion should be avoided between justification of national measures under the SPS and TBT Agreements and their validity at the international level.]; - only those other factors which can be accepted on a world-wide basis, or on a regional basis in the case of regional standards and related texts, should be taken into account in the framework of Codex; - the consideration of specific other factors in the development of risk management recommendations of the Codex Alimentarius Commission and its subsidiary bodies should be clearly documented, including the rationale for their integration, on a case-by-case basis; - the feasibility of risk management options due to the nature and particular constraints of the production or processing methods, transport and storage, especially in developing countries, may be considered; concerns related to economic interests and trade issues in general should be substantiated by quantifiable data; - the integration of other legitimate factors in risk management should not create unjustified barriers to trade [According to the WTO principles, and taking into account the particular provisions of the SPS and TBT Agreements.] ; particular attention should be given to the impact on developing countries of the inclusion of such other factors." 76 1 Report of the 24th Codex Alimentarius Commission , http://www.codexalimentarius.net/ cac24/alinorm0141/httoc.htm, Appendix III. 762 Vgl. Report of the Sixteenth Session of the Codex Committee on General Principles (siehe oben Fn. 760), Rn.49ff.; Vgl. auch BN A Food Safety Report vom 02.05.2001 und Fuchs/ Herrmann , Die Regulierung genetisch veränderter Lebensmittel im Lichte aktueller Entwicklungen auf europäischer und internationaler Ebene, ZLR 2001, S. 789 ff. (792).
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Inhaltlich zeigen die Entwürfe eine internationale Einigkeit darüber, dass die betreffenden Lebensmittel vor ihrem Inverkehrbringen einer einzelfallsbezogenen Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen sind. 7 6 3 Nicht ganz eindeutig ist hingegen, in welchem rechtstechnischen Rahmen diese Sicherheitsüberprüfung stattzufinden hat und ob insbesondere eine grundsätzliche Genehmigungspflicht wie nach der NFVO davon gedeckt wäre. Immerhin ist davon die Rede, dass dem Inverkehrbringer bestimmte Bedingungen für eine Genehmigung gestellt werden könnten, 7 6 4 woraus sich indirekt schließen lässt, dass eine Genehmigungspflicht von den Entwürfen prinzipiell umfasst ist. Was die Faktoren betrifft, die der Entscheidung über die Zulässigkeit des Inverkehrbringens zugrunde liegen sollen, so wird neben einer naturwissenschaftlichen Risikobewertung, in der der Vergleich des betreffenden Lebensmittels mit seinem konventionellen Pendant nach dem Prinzip der wesentlichen Gleichwertigkeit Ausgangspunkt ist, 7 6 5 die Berücksichtigung von nichtnaturwissenschaftlichen Aspekten (OLFs) nach den oben beschriebenen vagen Codex-Grundsätzen beim risk management zugelassen. 766 Ein auch von den Entwürfen ungeklärtes, wesentliches Problem ist, inwieweit der Entscheidung über die Zulässigkeit des Inverkehrbringens das Vorsorgeprinzip zugrunde liegen darf. Es ist lediglich von einer „verhältnismäßigen" Reaktion auf die naturwissenschaftliche Risikobewertung die Rede, 7 6 7 ohne dass dieser Begriff i m Hinblick gerade auf das Vorsorgeprinzip näher konkretisiert wird. Maßnahmen zur Produktbeobachtung nach dem Inverkehrbringen werden als zulässig erachtet, wenn sie im betreffenden Fall angemessen sind. 7 6 8 A u f der dritten Sitzung der Task Force wurde darüber hinaus Einigung darüber erzielt, dass Maßnahmen zur Rückverfolgung im Rahmen des risk management prinzipiell möglich sind, ohne allerdings genaue Vorgaben dafür zu machen. 7 6 9 Parallel zu den Arbeiten der Task Force werden die Sicherheitsaspekte gentechnisch veränderter Lebensmittel von naturwissenschaftlichen Experten im Auftrag der FAO und der W H O erörtert, um die Task Force zu unterstützen: I m Sommer 2000 fand die erste Joint FAO/WHO Expert Consultation on Foods Derived from Biotechnology statt. I m Bericht über die Expert Consultation werden der Aufgabenverteilung mit der Task Force entsprechend die naturwissenschaftlichen Aspekte analysiert, jedoch keine rechtlichen Schlussfolgerungen etwa über die Ausgestal763
Rn. 12 der Draft Principles for the Risk Analysis of Foods Derived from Modern Biotechnology , in Report of the Third Session of the Codex Ad Hoc Intergovernmental Task Force on Foods Derived from Biotechnology, ALINORM 03/34., ftp://ftp.fao.org/codex/alinorm03/ al03_34e.pdf. 764 Rn. 19 der Draft Principles (siehe oben Fn.763). 765 Rn. 12 f. der Draft Guideline for the Conduct of Food Safety Assessment of Foods Derived from Recombinant-DNA Plants, in Report of the Third Session of the Codex Ad Hoc Intergovernmental Task Force on Foods Derived from Biotechnology (siehe oben Fn.763). 766 Rn. 16 der Draft Principles (siehe oben Fn.763). 767 Rn. 16 der Draft Principles (siehe oben Fn. 763). 768 Rn. 19 f. der Draft Principles (siehe oben Fn. 763). 769 Rn. 21 der Draft Principles (siehe oben Fn. 763).
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
159
tung des Prüfverfahrens gezogen. Insbesondere wird betont, dass wie traditionelle Züchtungsverfahren auch gentechnische Verfahren das Risiko unbeabsichtigter Nebeneffekte bärgen. 770 Risiken eines Gentransfers von gentechnisch veränderten Pflanzen auf den Menschen seien extrem gering. Jedoch solle wegen des nicht völlig auszuschließenden Risikos auf den Gebrauch von Markergenen verzichtet werden. 7 7 1 Das allergene Potential neuartiger Lebensmittel sei zu untersuchen. 772 Zur Abschätzung der erwähnten Risiken sei das Konzept der wesentlichen Gleichwertigkeit ein prinzipiell probates Instrument. 7 7 3 Speziell zu Allergierisiken fand i m Januar 2001 die zweite Joint FAO /WHO Expert Consultation statt, bei der insbesondere ein Entscheidungsbaum entwickelt wurde, um Allergierisiken gentechnisch veränderter Lebensmittel angemessen bewerten zu können. 7 7 4 Die dritte Joint FAO! WHO Expert Consultation i m September 2001 befasste sich mit aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellten Lebensmitteln. 7 7 5 Neben den Bemühungen der Task Force der C A K und der naturwissenschaftlichen Unterstützung durch die Expert Consultations finden auch Projekte unter der IPPC und beim IOE zur Erarbeitung internationaler Normen statt, die dem Aufgabenbereich von IPPC und IOE entsprechend mehr auf pflanzen- und tierschutzrechtliche Aspekte zugeschnitten sind. Unter der IPPC wurde 2000 eine Working Group on Phytosanitary Aspects of Genetically Modified Organisms , Biosafety and Invasive Species eingerichtet. In ihrem ersten Bericht unterstreicht die Working Group die Dringlichkeit, internationale Maßstäbe für nationale Normen in diesem Bereich zu schaffen. 776 Auch beim IOE wurde eine Working Group speziell für Aspekte der Biotechnologie eingerichtet. 777 Neben diesen Projekten der in Annex A . 3 SPS-Abkommen aufgeführten Institutionen wird i m Schrifttum teilweise erwogen, das Biosafety Protocol als internatio77 0 Report of a Joint FAO /WHO Expert Consultation on Foods Derived from Biotechnology , http://www.who.int/fsf/GMfood/FAO-WHO_Consultation_report_2000.pdf , S.9. 77 1 Report of a Joint FAO/WHO Expert Consultation on Foods Derived from Biotechnology (siehe oben Fn.770), S. 11 ff. 77 2 Report of a Joint FAO/WHO Expert Consultation on Foods Derived from Biotechnology (siehe oben Fn.770), S. 15. 77 3 Report of a Joint FAO/WHO Expert Consultation on Foods Derived from Biotechnology (siehe oben Fn.770), S.7f. 774 Vgl. Report of a Joint FAO/WHO Expert Consultation on Allergenicity of Foods Derived form Biotechnology , im Internet unter http://www.who.int/fsf/GMfood/Consultation_ Jan2001/report20.pdf. 775 Vgl. die Tagungsagenda unter http://www.who.int/fsf/GMfood/Information_Notes _Sep01.pdf. 776 Vgl. The Interim Commission on Phytosanitary Measures Exploratory Working Group on Phytosanitary Aspects of Genetically Modified Organisms, Biosafety and Invasive Species (http://www.ippc.int), Rn. lOf. 77 7 Buckingham/Phillips, Hot Potato, Hot Potato: Regulating Products of Biotechnology by the International Community, JWT 2001, S. 1 ff. (5); vgl. zu dieser Working Group und den anderen Working Groups des IOE http://www.oie.int/eng/OIE/organisation/en_GT.htm.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
nalen Standard i.S.d. SPS-Abkommens und des TBT-Abkommens zu begreifen. 778 Der einzig gangbare Weg dafür wäre Annex A . 3 . ( d ) SPS-Abkommen. Diese Vorschrift gibt dem SPS-Komitee die Befugnis, für von den ausdrücklich genannten Organisationen nicht abgedeckte Bereiche weitere Organisationen zur Standardsetzung zu bestimmen. Obwohl sich die genannten Organisationen mit der Ausarbeitung von internationalen Maßstäben befassen, ist der Bereich bisher in der Tat nicht abgedeckt. 779 Wegen der unten dargestellten, ausgesprochen kontroversen Aushandlung des Biosafety Protocol und der aktuellen Projekte der genannten Organisationen ist jedoch praktisch ausgeschlossen, dass das nach Art. 121 SPS-Abkommen im Konsens verfahren entscheidende SPS-Komitee eine derartige Entscheidung trifft. 7 8 0 Gegenwärtig gibt es demnach noch keine internationalen Standards, Richtlinien oder Empfehlungen i. S. v. Art. 3 SPS-Abkommen für die Zulassung gentechnisch veränderter Lebensmittel. Folglich liegt für die Zulassungspflicht der EG weder ein Fall von Art. 31 noch von Art. 3 I I oder I I I SPS-Abkommen vor. Es wurde aber bereits erwähnt, dass die Anforderungen der Artt. 2, 5 SPS-Abkommen für eine wissenschaftliche Rechtfertigung auch dann zu erfüllen sind, wenn es für den betreffenden Fall keine internationalen Orientierungspunkte gibt. Die zukünftige Entwicklung ist trotz der beschriebenen Entwürfe der Task Force nur schwer absehbar. Bislang bestehen auch in grundsätzlicher Hinsicht deutliche Unterschiede zwischen den bestehenden Zulassungs Vorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel in der EG und in anderen WTO-Staaten, insbesondere in den U S A . 7 8 1 Die ökonomischen Implikationen sind beachtlich, ebenso die politischen, nicht zuletzt seit den jüngsten Lebensmittelskandalen in der EG. Ein prozessualer Unsicherheitsfaktor speziell für die Arbeiten der C A K ist außerdem die erwähnte, in ihren praktischen Auswirkungen unklare Verpflichtung, vor einer Mehrheitsentscheidung der C A K die Möglichkeit des Konsenses auszuschöpfen. 782 Es ist daher zwar durchaus möglich, dass auf Grundlage der Entwürfe der Task Force internationale Bezugspunkte für Zulassungsregeln ausgearbeitet werden, deren 778
So Howse/Mavroidis (siehe oben Fn. 631), S. 354; vgl. auch Burchardi (siehe oben Fn.639), S.95f. 779 Insoweit zutreffend Howse/Mavroidis (siehe oben Fn.631), S. 354. 780 So auch Burchardi (siehe oben Fn. 639), S. 96; Macmillan/ Blakeney (siehe oben Fn. 648), S. 99; Stanton, WTO Agriculture and Commodities Division, eMail vom 21.05.2001: „... I think that the FAO Statement or the Biosafety Protocol could be considered as a relevant international standard, etc., but only if explicitly so recognized by the SPS Committee. And, I think it would be highly unlikely that the Committee could reach consensus to recognize either of these as international standards. If the Biosafety Protocol were primarily a technical, scientific document, or if the issue at hand were less commercially and politically controversial, then it might be possible for the Committee to reach agreement, but not, realistically, in the current situation..."; vgl. auch Gupta (siehe oben Fn.546), Fn.24. 781 Siehe zum Zulassungsregime in den USA oben S. 115 ff. 782 Siehe oben S. 152 ; auch im Bericht der Task Force über ihre erste Sitzung wird diese Verpflichtung hervorgehoben, vgl. Report of the First Session of the Codex Ad Hoc Intergovernmental Task Force on Foods Derived from Biotechnology (siehe oben Fn. 755), S. 2.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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Grundgedanken denen des EG-Regimes dergestalt ähneln, dass die europarechtliche Zulassungspflicht zumindest i. S. v. Art. 31 SPS-Abkommen auf internationale Normen gestützt wäre. 7 8 3 Nach den obigen Ausführungen zu den Rechtsfolgen des Art. 3 I SPS-Abkommen 7 8 4 wäre die Zulassungspflicht der EG dann welthandelsrechtlich leichter zu rechtfertigen. Angesichts der genannten Imponderabilien könnten die Projekte zur Ausarbeitung internationaler Zulassungsnormen aber ebenso gut ein anderes Resultat haben. Insbesondere ist gegenwärtig schwer vorstellbar, dass eine Einigung hinsichtlich des Vorsorgeprinzips erzielt wird, das einen Grundpfeiler des Zulassungsregimes der EG darstellt.
3. Rechtfertigung der Zulassungspflicht nach Artt. 2, 51 SPS-Abkommen Bislang ist die europarechtliche Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel daher ohne die Erleichterungen der Artt. 31, I I SPS-Abkommen an den Anforderungen der Artt. 2, 5 SPS-Abkommen zu messen.
a) Die Struktur der Artt. 2, 5 SPS-Abkommen Art. 2 SPS-Abkommen enthält nach seiner Überschrift die „Grundrechte und -pflichten" des SPS-Abkommens. Art. 21 SPS-Abkommen betont, die Mitgliedstaaten hätten das Recht, notwendige gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen zu treffen, wenn dies i m Einklang mit dem SPS-Abkommen geschehe. Art. 2 I I SPS-Abkommen verlangt, dass die Maßnahmen das zum Gesundheitsschutz von Menschen, Tieren und Pflanzen notwendige Maß nicht überschreiten, auf naturwissenschaftliche Grundsätze gestützt sind und nur bei hinreichendem naturwissenschaftlichen Nachweis aufrechterhalten werden. Art. 2 I I I SPS-Abkommen statuiert ein Diskriminierungsverbot, während nach Art. 2 I V SPS-Abkommen für eine mit dem SPS-Abkommen vereinbare Maßnahme vermutet wird, dass sie auch GATT-konform ist. Art. 5 I SPS-Abkommen verlangt für Handelsbeschränkungen erstens eine Bewertung der Risiken für Menschen, Tiere oder Pflanzen (risk assessment). Zweitens muss nach Art. 51 SPS-Abkommen die nationale Maßnahme auf die Risikobeurteilung gestützt sein. Begrifflich ist bei Art. 5 I SPS-Abkommen auffällig, dass zwar der erste Schritt, die Risikobeurteilung, ausdrücklich als assessment bezeichnet wird. Hingegen wird der zweite Schritt, die Abstimmung der nationalen Schutzmaßnahme auf das risk assessment, nicht als risk management bezeichnet, obwohl diese 783
Dies vermuten in ihrem 2000 erschienenen Beitrag bereits Krenzier/MacGregor oben Fn.28), S.310. 784 Siehe oben S. 148. 11 Stökl
(siehe
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Terminologie international üblich ist. 7 8 5 Auch das Panel i m Hormonstreit hat den Begriff des risk management verwendet. Der Appellate Body hat das Panel korrigiert, jedenfalls insoweit das Panel mit der begrifflichen Unterscheidung zwischen risk assessment und risk management entgegen der Auffassung des Appellate Body bestimmte Gesichtspunkte aus dem risk assessment herausnehme. 786 Inhaltlich könnte der Kritik des Appellate Body gleichermaßen mit einer umfassenderen Auslegung des risk assessment Rechnung getragen werden, auch wenn man an der begrifflichen Unterscheidung zum risk management festhält. In dieser Arbeit wird zur Klarstellung der Begriff des risk management bei der Auslegung von Art. 5 1 SPSAbkommen nicht verwandt. Artt. 5 I I und 5 I I I SPS-Abkommen enthalten Faktoren, die beim risk assessment und der Festlegung des nationalen Schutzlevels zu berücksichtigen sind. Art. 5 I V SPS-Abkommen betont das Ziel, bei der Festlegung des Schutzniveaus den internationalen Handel möglichst wenig zu beschränken. Art. 5 V SPS-Abkommen enthält ein Diskriminierungsverbot im Anschluss an Art. 2 I I I SPS-Abkommen. Art. 5 V I SPS-Abkommen ist die necessity clause des SPS-Abkommens und verlangt wie bereits Art. 2 I I SPS-Abkommen, dass nationale Handelsbeschränkungen das notwendige Maß an Beeinträchtigung des Handels nicht überschreiten. Art. 5 V I I SPS-Abkommen ist eine Sondervorschrift für vorläufige Maßnahmen, die dann getroffen werden können, wenn die naturwissenschaftlichen Nachweise zur Gefahrenbewertung unzureichend sind. Art. 5 V I I I SPS-Abkommen verpflichtet die Mitgliedstaaten, auf Verlangen eines anderen Mitgliedstaates Auskunft zu erteilen über den Grund spezifischer Handelsbeschränkungen, wenn diese nicht auf internationale Normen gestützt sind oder keine internationalen Normen existieren. Noch nicht endgültig geklärt ist das Verhältnis von Artt. 2 und 5 SPS-Abkommen zueinander. I m Hormonstreit etwa vertraten sowohl die USA als auch die EG die Auffassung, unabhängig von der Vereinbarkeit mit Art. 51 SPS-Abkommen könne eine nationale Handelsbeschränkung Art. 2 I I SPS-Abkommen verletzen, wonach die Handelsbeschränkung notwendig sein, auf naturwissenschaftlichen Grundsätzen basieren und durch hinreichenden naturwissenschaftlichen Nachweis gestützt sein muss. 7 8 7 Auch ein Teil des Schrifttums vertritt die Auffassung, Art. 2 I I könne unabhängig von Art. 51 SPS-Abkommen verletzt sein. 7 8 8 785 Vgl. etwa Thorn!Carlson (siehe oben Fn. 692), S. 853; Victor (siehe oben Fn. 612), S. 914; Hurst (siehe oben Fn. 692), S. 7; Arnold (siehe oben Fn. 338), S. 227ff.; Rn. 16ff. der Draft Principles (siehe oben Fn. 763); Artt. 16 Biosafety Protocol (siehe oben Fn. 3). 786 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 181, 206. 787 Vgl. EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 73, 79. 788 Dezidiert in dieser Richtung Quick/Blüthner (siehe oben Fn. 636), S. 629,634; Goh/Ziegler, A Real World Where People Live and Work and Die, JWT 1998, S. 271 ff. (277); der Großteil derjenigen Literatur, die dieses Problem aufgreift, beschränkt sich dagegen auf eine Darstellung der nachfolgend beschriebenen Äußerungen des Appellate Body.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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Der Appellate Body hat diese Frage i m Hormonfall ausdrücklich offen gelassen, 7 8 9 weil dort wie in den übrigen bisherigen Entscheidungen nicht verfahrenserheblich war, ob eine mit Art. 5 1 SPS-Abkommen zu vereinbarende Maßnahme gegen Art. 2 I I SPS-Abkommen verstoßen kann. Immerhin lässt sich aus den bisherigen Berichten Folgendes resümieren: Artt. 2 I I und 5 1 SPS-Abkommen sind nach Auffassung des Appellate Body stets zusammen zu lesen und auszulegen, weil Art. 2 I I SPS-Abkommen die Grundregel der naturwissenschaftlichen Rechtfertigung statuiere und Art. 5 I SPS-Abkommen dazu Detailanforderungen enthalte. 790 Dementsprechend führt eine Verletzung von Art. 5 I SPS-Abkommen automatisch zu einer Verletzung von Art. 2 I I SPS-Abkommen. 7 9 1 I m Hormonstreit begann der Appellate Body im Anschluss an das Panel die Prüfung i m Hormonstreit noch mit Art. 5 I SPS-Abkommen, drückte aber seine Verwunderung über diese vom Panel gewählte Reihenfolge aus, weil Art. 2 SPS-Abkommen nach seiner Überschrift die Grundrechte und -pflichten des SPS-Abkommens enthalte. 7 92 In der Varietal-Entscheidung war dagegen Art. 2 I I SPS-Abkommen Ausgangspunkt der Analyse. 7 9 3 Der Aufbau des SPS-Abkommens legt in der Tat nicht nahe, dass sich der Bedeutungsgehalt der Grundpflichten des Art. 2 I I SPS-Abkommen in Art. 5 I SPS-Abkommen erschöpft. Ob Art. 2 I I SPS-Abkommen noch ein eigenständiger Anwendungsspielraum zukommt, hängt jedoch nicht nur von dieser Grundstruktur ab, sondern vor allem von der Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale von Art. 2 I I SPS-Abkommen. Von den drei in Art. 2 I I SPS-Abkommen enthaltenen Pflichten korrespondiert das Gebot, Handelsbeschränkungen nur i m notwendigen Maße zu erlassen, mit der necessity clause des Art. 5 V I SPS-Abkommen, so dass der Notwendigkeitsgedanke vollständig in Art. 5 V I SPS-Abkommen behandelt werden kann. 7 9 4 M i t der Pflicht, Handelsbeschränkungen müssten auf naturwissenschaftlichen Grundsätzen beruhen, verlangt Art. 211 SPS-Abkommen eine verfahrensmäßig korrekte naturwissenschaftliche Risikobewertung als Grundlage für Handelsbeschränkungen. Indem Art. 211 SPS-Abkommen daneben einen hinreichenden naturwissenschaftlichen Nachweis fordert, postuliert die Vorschrift, dass das Ergebnis der naturwissenschaftlichen Risikobewertung die Handelsbeschränkung stützt. 7 9 5 789 Vgl. EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 250. 790 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 180. 791 Australia - Measures Affecting Importation of Salmon, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 607), Rn.l37f. 792 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 250. 793 Vgl. Japan - Measures Affecting Agricultural Products, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.607), Rn.72ff. 794 Siehe unten S. 196ff. zu Art. 5 VI SPS-Abkommen. 795 Vgl. Bisgaard, Assessing the Standard of Review for Trade-Restrictive Measures in the Sanitary and Phytosanitary Agreement, in Weiss/Jackson (Hrsg.), Reconciling Environment and Trade, S. 353 ff. (362).
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
M i t diesen zwei zuletzt genannten Voraussetzungen hängt Art. 51 SPS-Abkommen eng zusammen, der die Detailvorgaben für eine naturwissenschaftliche Rechtfertigung von Handelsbeschränkungen enthält: Art. 51 SPS-Abkommen ist nach der erwähnten Auffassung des Appellate Body stets mit Art. 2 I I SPS-Abkommen zusammen zu lesen. Insbesondere liege hinreichender naturwissenschaftlicher Nachweis i. S.v. Art. 211 SPS-Abkommen vor, wenn zwischen naturwissenschaftlichem Nachweis und Maßnahme eine „vernünftige Beziehung" („rational relationship") bestehe. 7 9 6 Zu dieser Erkenntnis gelangt der Appellate Body gerade dadurch, dass auch Art. 51 SPS-Abkommen die „vernünftige Beziehung" zwischen naturwissenschaftlicher Risikobeurteilung und Maßnahme verlange. 797 A u f diese Weise stellt der Appellate Body zwischen Artt. 2 I I und 51 SPS-Abkommen Einklang her, und die Risikobeurteilung i. S. v. Art. 5 I SPS-Abkommen ist letztlich nichts anderes als die auch verfahrensmäßig korrekte Analyse der Risiken. Erfüllt daher eine Handelsbeschränkung die Detailvorgaben von Art. 5 1 SPS-Abkommen, beruht sie notwendigerweise auch auf naturwissenschaftlichen Grundsätzen i. S. v. Art. 2 I I SPS-Abkommen und entspricht der dritten Komponente des Art. 211 SPS-Abkommen, wonach Handelsbeschränkungen nur bei hinreichendem naturwissenschaftlichen Nachweis aufrechterhalten werden dürfen. Deshalb mag es zutreffen, dass Art. 2 I I SPS-Abkommen die grundlegenden Rechte und Pflichten enthält. Wegen der Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Artt. 2 II, 5 SPS-Abkommen durch den Appellate Body ist es jedoch im Ergebnis nicht möglich, dass eine Handelsbeschränkung mit Art. 5 SPS-Abkommen konform ist, aber gegen Art. 2 I I SPS-Abkommen verstößt. 798 Da der Appellate Body die meisten Erkenntnisse zur naturwissenschaftlichen Rechtfertigung von Handelsbeschränkungen i m Hormonfall i m Zusammenhang mit Art. 5 1 SPS-Abkommen getroffen hat, ist die EG-Zulassungspflicht zur besseren Anschaulichkeit gleich an Art. 51 SPS-Abkommen zu messen, und das Ergebnis dieser Prüfung gilt sowohl für Art. 51 als auch für Art. 2 I I SPS-Abkommen. Dabei sei daran erinnert, 7 9 9 dass bereits das EG-Prüfverfahren als solches eine Handelsbeschränkung darstellt und daher den Anforderungen von Art. 5 SPS-Abkommen genügen muss, so dass insbesondere schon der Einführung eines Prüfverfahrens eine Risikobeurteilung zugrunde liegen muss. Ebenfalls bereits festgestellt wurde, dass auch die Zulassungspflicht als solche nicht als vorläufige, sondern als endgültige Handelsbarriere zu qualifizieren ist, auch wenn man nicht auf die fortbe796
Japan - Measures Affecting Agricultural Products, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 607), Rn. 84. 797 Japan - Measures Affecting Agricultural Products, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 607), Rn.76. 798 So auch Stanton (WTO Agriculture and Commodities Division, Interview am 20.04.2001 ), Marceau (WTO Legal Division, Interview am 20.04.2001). Auch Bisgaard (siehe oben Fn. 795), S. 364, spricht sich gegen eine getrennte Untersuchung von Artt. 2II und 51 SPSAbkommen aus und verlangt stattdessen eine gemeinsame Betrachtung. 799 Siehe bereits oben S. 81.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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stehende Zulassungspflicht für alle in den Anwendungsbereich der N F V O fallenden Produkte abstellt, sondern auf ein einzelnes Lebensmittel 8 0 0 : Selbst wenn das Inverkehrbringen dieses Lebensmittels zugelassen wird, verbleiben nicht nur die Kosten durch den Zeitverlust, die auch bei vorläufigen Handelshindernissen entstehen können, sondern auch die wegen der hohen formellen und materiellen Zulassungsanforderungen beträchtlichen Kosten zur Durchführung des Zulassungsverfahrens. Die etwaige zusätzliche Handelsbeschränkung, eine Zulassungsverweigerung, muss ebenfalls mit Art. 5 SPS-Abkommen vereinbar sein: Da die Zulassungsentscheidung nach der NFVO ihrerseits eine Risikobeurteilung voraussetzt, kommt es insofern darauf an, ob diese Risikobeurteilung und die nach der N F V O damit verbundenen Konsequenzen nach den Grundsätzen des Art. 51 SPS-Abkommen aufgebaut sind. Ob die Zulassungspflicht für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Lebensmittel in der EG i. S. v. Art. 51 SPS-Abkommen auf eine Risikobeurteilung gestützt ist, wird i m Schrifttum unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird vertreten, es gebe schon keine den Anforderungen des Art. 51 SPS-Abkommen genügende Risikobewertung. 8 01 Nach anderer Ansicht ist die Zulassungspflicht der EG jedenfalls grundsätzlich mit Art. 51 SPS-Abkommen in Einklang zu bringen. 8 0 2
b) Risk Assessment, Art. 51 SPS-Abkommen Die erste wesentliche Voraussetzung zur Rechtfertigung der Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel über Art. 5 SPS-Abkommen ist demnach die Durchführung einer Risikobewertung.
( 1 ) Zeitpunkt des Risk Assessment Im Bericht des Appellate Body i m Hormonstreit findet sich eine erhebliche Erleichterung für Mitgliedstaaten, die den Handel beschränken: Anders als das Panel vertritt der Appellate Body die Auffassung, aus dem Wortlaut von Art. 51 SPS-Abkommen, wonach die nationalen Maßnahmen auf eine Risikobewertung „gestützt" 800 Zu einer Bewertung der Zulassungspflicht als vorläufige Handelsbeschränkung neigt Herrmann , Internationale Rahmenbedingungen eines Verzichts auf „Grüne Gentechnik", http://www.gruene-gentechnik.de/Doku_runde4/HenTnann_vortrag.pdf , S.9. 801 So etwa Spranger (siehe oben Fn. 661), S. 114; auch Phillips/Kerr, Alternative Paradigms, The WTO Versus the Biosafety Protocol for Trade in Genetically Modified Organisms, JWT 2000, S. 63 ff. (71 f.), sind der Ansicht, Handelsbeschränkungen für gentechnisch veränderte Organismen ließen sich nur als vorläufige Maßnahmen auf Art. 5 VII SPS-Abkommen stützen; auch Murphy (siehe oben Fn. 547), S. 84, vertritt die Auffassung, die EG-Normen hielten den WTO-Anforderungen nicht stand. 802 So Streinz (siehe oben Fn. 263), S. 258 ff.; für die FreisRL im Ergebnis ähnlich Howse/ Mavroidis (siehe oben Fn.631).
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
sein müssen, lasse sich keine prozessuale Verpflichtung herleiten, der Mitgliedstaat müsse beweisen, er habe das risk assessment bereits bei Erlass der handelsbeschränkenden Maßnahme berücksichtigt. Dementsprechend seien für das risk assessment nicht nur die Erwägungsgründe oder sonstigen Dokumente aus der Entstehungszeit einer handelsbeschränkenden Vorschrift zu berücksichtigen. 803 Diese Entscheidung des Appellate Body ist auch und gerade für den Konflikt um gentechnisch modifizierte Lebensmittel bedeutsam: Wenn es tatsächlich zu einem Streitschlichtungsverfahren wegen der Zulassungspflicht für gentechnisch modifizierte Lebensmittel kommt, ist die EG nicht auf bei Erlass der sekundärrechtlichen Vorschriften oder bei einer Zulassungsverweigerung vorliegende Beweise beschränkt, sondern kann alle im Augenblick des Streitschlichtungsverfahren vorhandenen Erkenntnisse vorbringen. So können beispielsweise etwaige Langzeitwirkungen in das risk assessment mit einbezogen werden, die bei Erlass der Vorschriften oder bei Ablehnung eines Produktes noch nicht bekannt waren. Ebenfalls können hiernach Einzelfälle verwertet werden, wenn sich nachträglich gentechnisch veränderte Lebensmittel als gefährlich erwiesen haben. Die Auffassung des Appellate Body ist kritisiert worden. Sie schränke die Wirksamkeit des SPS-Abkommens deshalb ein, weil auf ihrer Grundlage Mitgliedstaaten einen Anreiz bekämen, Handelsbeschränkungen zu erlassen, ohne zu wissen, ob sie naturwissenschaftlich gerechtfertigt sind. 8 0 4 Dieser Kritik ist zuzugeben, dass für noch nicht absehbare Risiken nach der Systematik des SPS-Abkommens eigentlich vorläufige Maßnahmen gemäß Art. 5 V I I SPS-Abkommen vorgesehen sind. Jedoch sprechen sowohl Gründe der Verfahrensökonomie als auch der Sinn des SPS-Abkommens letztlich für die Auffassung des Appellate Body. Zum einen wäre es nicht verfahrensökonomisch, wenn in einem Fall, wo später bekannt gewordene Gründe eine ursprünglich nicht gerechtfertigte Maßnahme nachträglich als gerechtfertigt erscheinen lassen, die Maßnahme als WTO-widrig erkannt würde und der Staat sie dann auf Grundlage der neuen Beweise inhaltlich identisch erneut erließe. 805 Zum anderen ist ratio legis des SPS-Abkommens, die Balance zwischen Gesundheitsschutz und Freihandel dahingehend zu definieren, dass naturwissenschaftlich gerechtfertigte Gesundheitsschutzmaßnahmen den Freihandel in legitimer Weise einschränken. Dieser Zielsetzung entspricht es, so wie der Appellate Body die Rechtfertigung einer Handelsbeschränkung objektiv zu beurteilen und alles zur Verfügung stehende Beweismaterial zu berücksichtigen. 806
803 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 189ff. 804 Hurst (siehe oben Fn. 692), S. 12 f. 805 Walker (siehe oben Fn.689), S.289. 806 Walker (siehe oben Fn.689), S.289.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen (2) Die Qualität der zu berücksichtigenden
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Risiken
In Annex A . 4 des SPS-Abkommens ist definiert, was unter dem risk assessment i. S. v. Art. 51 SPS-Abkommen zu verstehen ist. Zusammengefasst, geht es um die Identifizierung von Risiken und die Einschätzung der Möglichkeit ihres Eintrittes. A u f Grundlage dieser allgemein gehaltenen Begriffsbestimmung lässt sich noch nicht beantworten, wie eng der Kreis der für das risk assessment zu berücksichtigenden Faktoren ist. Nach Art. 51 SPS-Abkommen sind Gesundheitsriükzn zu bewerten, wofür Art. 5 I I SPS-Abkommen bestimmte Faktoren aufzählt. Nur soweit es um Risiken für Tiere und Pflanzen geht, sind nach Art. 5 I I I SPS-Abkommen ausdrücklich auch die ökonomischen Implikationen zu beachten wie die Folgekosten bei Verwirklichung des Risikos. Daraus ergibt sich jedoch keine eindeutige Lösung des gerade i m Hinblick auf gentechnisch veränderte Lebensmittel bestehenden Problems, ob das zu identifizierende Risiko ausschließlich naturwissenschaftlich-objektiv zu beurteilen ist oder darüber hinaus - möglicherweise irrationalen - Verbraucherbedenken bei der Risikobeurteilung Rechnung getragen werden kann. Die EG strebte bei der Aushandlung des SPS-Abkommens an, Verbraucherbedenken und sonstige OLFs i m Vertragstext mit zu berücksichtigen. 807 Die Aufzählung der beim risk assessment zu beachtenden Faktoren in Artt. 5 I I und 5 I I I SPS-Abkommen gibt keinen Aufschluss, ob dieses Verlangen im Ergebnis erfolgreich war. I m Hormonstreit hat der Appellate Body immerhin konstatiert, die Aufzählung der Artt. 5 I I und 5 I I I SPS-Abkommen sei nicht enumerativ. 808 Grundsätzlich lässt sich dies mit dem Wortlaut der Artt. 5 I I und 5 I I I SPS-Abkommen in Einklang bringen, der in der Tat keinen Hinweis auf einen abschließenden Charakter enthält. Andererseits geht aus dem Wortlaut auch nicht hervor, dass die Aufzählung lediglich beispielhaft ist. 8 0 9 Deshalb ist darauf abzustellen, inwieweit sich in concreto weitere in die Risikobeurteilung einbezogene Faktoren mit der Zielsetzung des SPS-Abkommens aus Präambel und Art. 2 SPS-Abkommen in Übereinstimmung bringen lassen, insbesondere mit der Verpflichtung einer naturwissenschaftlichen Absicherung aus Art. 2 I I SPS-Abkommen. Die Formulierung des Appellate Body i m Hormonfall, „It is essential to bear in mind that the risk that is to be evaluated in a risk assessment under Article 51 is not only risk ascertainable in a science laboratory operating under strictly controlled conditions, but also risk in human societies as they actually exist, in other words, the actual potential for adverse effects on human health in the real world where people live and work and die." 810 807
Quintillàn (siehe oben Fn.603), S. 155. EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 187. 809 So zurecht Quick! Blüthner (siehe oben Fn.636), S.617f.; vgl. auch Neugebauer , FineTuning WTO Jurisprudence and the SPS Agreement: Lessons from the Beef Hormone Case, Law and Policy in International Business 2000, S. 1255 ff. (1260). 810 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 187. 808
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
ist mit dieser Zielsetzung durchaus vereinbar. M i t dieser Formulierung schließt der Appellate Body insbesondere das Risiko in das risk assessment mit ein, dass von einem bestimmten Stoff per se noch keine nennenswerten Gefahren ausgehen, aber von der missbräuchlichen Verwendung des Stoffes. Dies ist zutreffend und entspricht den Grundprinzipien des SPS-Abkommens, weil in diesem Falle immer noch eine naturwissenschaftlich-objektive Gesundheitsgefahr von dem Stoff ausgeht. Hingegen ist zweifelhaft, ob mit der Zielsetzung des SPS-Abkommens auch zu vereinbaren wäre, von tatsächlichen Gesundheitsgefahren unabhängige Verbraucherbedenken in den Kreis der für das risk assessment beachtlichen Faktoren einzubeziehen. Anders als das Panel 8 1 1 hat der Appellate Body dies zwar nicht expressis verbis abgelehnt, so dass die Auffassung des Appellate Body diesbezüglich nicht völlig frei von Unklarheiten ist. 8 1 2 Die zitierte Äußerung des Appellate Body spricht allerdings gegen eine Einbeziehung der Verbraucherbesorgnis in das risk assessment: Immerhin bezieht sich der Appellate Body ausdrücklich auf Risikofaktoren, die wie das Missbrauchsrisiko tatsächlich eine Gesundheitsgefahr bedeuten („actual potential"), auch wenn sie nicht immer quantifizierbar sind. Die Einbeziehung von objektiv unbegründeten Verbraucherängsten hätte dagegen eine andere Qualität, denn hier besteht tatsächlich keine Gesundheitsgefahr. Irrationale Verbraucherängste für das risk assessment nicht zu berücksichtigen, passt auch zu Art. 2 I I SPS-Abkommen, wonach Handelsbeschränkungen notwendig sein müssen für den Schutz der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen. Dementsprechend zählen von nachweisbaren Gesundheitsrisiken unabhängige Verbraucherbedenken de lege lata nicht zu den in die Risikobeurteilung des Art. 51 SPS-Abkommen mit einzubeziehenden Faktoren. 813 Die EG bemüht sich, bei einer etwaigen Änderung des SPS-Abkommens Verbraucherbesorgnisse auch im Vertragstext zur Geltung kommen zu lassen. 814 Oben 8 1 5 wurde beschrieben, inwieweit dieses Bestreben bei den Arbeiten zur Standardsetzung für Lebensmittel durch die C A K einen sehr eingeschränkten Erfolg hat, wobei auch der Entwurf der Task Force für Grundsätze zur Risikoanalyse eine etwaige Berücksichtigung von OLFs erst beim risk management ermöglicht, also nicht schon bei der eigentlichen Risikobeurteilung. 8 1 6 811
Vgl. EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), US-Panel (siehe oben Fn.605), Rn.8.105, 8.160, Kanada-Panel (siehe oben Fn.605), Rn.8.108, 8.163. 812 Thomas , Where's the Beef? Mad Cows and the Blight of the SPS Agreement, Vanderbilt Journal of Transnational Law 1999, S.487ff. (503). 813 So auch Quick! Blüthner (siehe oben Fn. 636), S. 618 f.; ähnlich Dederer (siehe oben Fn. 656), S. 698; im Ergebnis auch Rabe (siehe oben Fn. 722), S. 138 f.; unklar GohlZiegler (siehe oben Fn.788), S.279f., 289f.; Wiemer (siehe oben Fn.639), S. 112; wohl für die Möglichkeit einer Berücksichtigung von Verbraucherbedenken in das risk assessment Neugebauer (siehe oben Fn.809), S. 1266; Yu III, Compatibility of GMO Import Regulations with WTO Rules, in Weiss!Jackson (Hrsg.), Reconciling Environment and Trade, S. 575 ff. (600, 621). 814 Vgl. Perdikis/Kerr/Hobbs (siehe oben Fn.538), S.701 ff. 815 Siehe oben S. 156 f. zur Beachtlichkeit von OLFs nach dem Entwurf der Task Force beim risk management.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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I m Hinblick auf die Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel und ihre nach dem SPS-Abkommen zu beurteilende Vereinbarkeit mit Welthandelsrecht muss die Risikobeurteilung der EG daher auf tatsächliche Gesundheitsrisiken für Menschen, Tiere oder Pflanzen abzielen, also auf die oben 8 1 7 erwähnten, teilweise umstrittenen Gesundheitsrisiken für Menschen, Tiere und Pflanzen. Nur im Hinblick auf Gesundheitsrisiken für Tiere und Pflanzen sind nach Art. 5 I I I auch ökonomische Aspekte zu beachten. Diese vorwiegend naturwissenschaftlichen Kriterien gelten erstens für dasjenige risk assessment, das die Einführung eines Prüfverfahrens überhaupt rechtfertigt. Sie gelten zweitens für die nach der NFVO innerhalb des Zulassungsverfahrens erfolgende Risikobeurteilung: Insoweit ist festzustellen, dass die oben 8 1 8 dargestellten Zulassungskriterien der N F V O mit den nach dem SPS-Abkommen maßgeblichen Kriterien vereinbar sind. Der quantitativ im Sinne der Risikovorsorge weit ausgelegte Gefahrenbegriff in Art. 311. SpStr. N F V O betrifft den Schutz der menschlichen Gesundheit. Dies gilt auch für die von Art. 313. SpStr. N F V O anvisierte Vermeidung von Ernährungsmängeln. Die Irreführungsgefahr nach Art. 3 1 2 . SpStr. N F V O besteht zwar auch bei einer nicht auf die Gesundheit bezogenen Erwartungshaltung von Verbrauchern wie bestimmten geschmacklichen Eigenschaften des Produkts. Ihr wird aber nach den obigen Erkenntnissen bereits durch eine entsprechende Kennzeichnung des Produkts Rechnung getragen. Deshalb wird der Gesichtspunkt der Irreführungsgefahr nicht i m Zusammenhang mit dem SPS-Abkommen, sondern erst unten bei der nach dem TBT-Abkommen analysierten Kennzeichnungspflicht relevant. Schließlich nimmt Art. 9 I I N F V O für neuartige Lebensmittel i. S. v. Art. 1 I I (a) NFVO noch die Umweltsicherheitsanforderungen der FreisRL 90/220/EWG in Bezug. Insofern besteht ebenfalls ein Zusammenhang mit naturwissenschaftlichen Risiken für die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen. Insbesondere irrationale Verbraucherängste sind kein Zulassungskriterium nach der NFVO. Demnach entsprechen die für die Zulassung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln nach der N F V O relevanten Kriterien den Vorgaben des SPS-Abkommens. Hingegen wurde im ersten Teil dieser Arbeit festgestellt, dass der Kommissionsvorschlag für eine Verordnung für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel auch die Berücksichtigung „anderer legitimer Faktoren" zulässt. Allerdings betrifft dies die Entscheidung über die Produktzulassung und nicht die von der europäischen Lebensmittelbehörde durchzuführende Risikobeurteilung selbst. 819 Ebenso gestattet die FreisRL 2001/18/EG die Berücksichtigung ethischer Aspekte nicht beim risk assessment, sondern erst bei der Zulassungsentscheidung, während das risk assessment selbst naturwissenschaftlich ausgerichtet ist. 8 2 0 Daher lässt sich 816 817 818 819 820
Siehe oben S.158. Siehe oben S.22ff. Siehe oben S. 7 Iff. Artt. 7 f. des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. Vgl. insbesondere Annex II FreisRL 2001/18/EG.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
konstatieren, dass außer der N F V O auch die anderen bestehenden und geplanten EG-Vorschriften den WTO-Vorgaben für die in der Risikobeurteilung zu berücksichtigenden Faktoren entsprechen. Inwieweit die Berücksichtigung von OLFs bei der Zulassungsentscheidung WTO-konform ist, wird unten 8 2 1 bei der Frage erörtert, ob die Handelsbeschränkungen der EG auf die Risikobeurteilung gestützt sind.
(3) Die Quantität der zu berücksichtigenden
Risiken
Was das Ausmaß der in der Risikobeurteilung zu bewertenden Risiken betrifft, so darf sich das risk assessment nach Auffassung des Appellate Body einerseits nicht auf die letztlich immer bestehende prinzipielle Unsicherheit beziehen, die daraus resultiert, dass es nie eine absolute naturwissenschaftliche Sicherheit über etwaige Auswirkungen der betreifenden Produkte geben kann. Andererseits bestehe für die zu berücksichtigenden Risiken keine quantitative Mindestschwelle. 8 2 2 Die schwer zu ziehende Grenze zwischen diesen ineinander übergehenden Bereichen definiert der Appellate Body dahingehend, für das risk assessment seien nur nachweisbare („ascertainable") Risiken beachtlich. 8 2 3 Diese Risiken seien auch in ihrem Ausmaß möglichst exakt zu bewerten. 824 A n diesem Kriterium der Nachweisbarkeit sind daher auch die oben 8 2 5 erwähnten Gesundheitsrisiken gentechnisch veränderter Lebensmittel zu messen. Dabei ist allgemein in Erinnerung zu rufen, dass der naturwissenschaftliche Streit weniger die Risiken als solche betrifft, sondern neben konkreten Einzelfällen eher das Ausmaß der Risiken und die Frage, ob sie gentechnisch veränderte Lebensmittel insgesamt gefährlicher erscheinen lassen als konventionell hergestellte Neuentwicklungen. 8 2 6 Dieser Vergleich gentechnischer und herkömmlich hergestellter Neuentwicklungen ist an dieser Stelle aber ohne Relevanz, da es hier nur darum geht, überhaupt Risiken gentechnischer Produkte jenseits einer theoretischen Schwelle festzustellen. Die Auseinandersetzung um das Ausmaß der Risiken betrifft bei den Gesundheitsrisiken für den Menschen hauptsächlich die Frage, inwieweit Antibiotikatherapien beeinträchtigt werden können. Die meisten Untersuchungen auch von internationalen Organisationen schätzen dieses Risiko als äußerst gering ein, bestreiten aber nicht die Existenz eines sehr begrenzten Risikos über die niemals auszuschlie821
Siehe unten S. 181 ff. EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 186. 823 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 186; Australia - Measures Affecting Importation of Salmon, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 607), Rn. 125. 824 Vgl. Australia - Measures Affecting Importation of Salmon, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.607), Rn. 123f. 825 Siehe obenS.22ff. 826 Siehe oben S.22 zur naturwissenschaftlichen Auseinandersetzung. 822
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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ßende Restunsicherheit hinaus. 8 2 7 A u f Grundlage des vom Appellate Body formulierten Nachweisbarkeitskriteriums ist daher auch das Risiko der Beeinträchtigung von Antibiotikatherapien in das risk assessment mit einzubeziehen. Das Gleiche gilt für das ökologische Risiko der Ausbreitung von Herbizidresistenzen, das häufig als in seinem Ausmaß nur schwer einschätzbar beurteilt w i r d 8 2 8 : Auch insoweit geht es bei dem Streit nicht um das naturwissenschaftlich generell unvermeidbare Restrisiko, sondern lediglich um die Quantifizierbarkeit. Für die oben 8 2 9 erwähnten Langzeitrisiken ergibt sich aus dem Nachweisbarkeitskriterium Folgendes: Sofern es um die bereits angeführten Risiken wie das von Nebenwirkungen, der Beeinträchtigung von Antibiotikatherapien, der Ausbreitung von Herbizidresistenzen oder dergleichen geht, die nur auf einen längeren Zeitraum hin betrachtet werden sollen, sind die Langzeitrisiken in der Risikobewertung zu berücksichtigen. Insoweit geht es nicht nur um die stets unvermeidbare theoretische Restunsicherheit, die der Appellate Body als nicht ausreichend ansieht. Dagegen sind für das risk assessment solche Langzeitrisiken unbeachtlich, die sich ganz allgemein und ohne Bezug zu einem der genannten spezifischen Risiken aus der bislang nur eingeschränkten Erfahrung mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln ergeben: Diese Art von Langzeitrisiken sind gerade die theoretisch immer verbleibende naturwissenschaftliche Restunsicherheit. Damit ist festgestellt, dass die genannten spezifischen Risiken im risk assessment zu berücksichtigen und zu bewerten sind, auch wenn sie teilweise sehr gering sind. 8 3 0 Dies gilt sowohl für das risk assessment zur Rechtfertigung des Prüfverfahrens als auch für das risk assessment zur Rechtfertigung der Entscheidung über das Inverkehrbringen. Bei der Zulassungsentscheidung sind folglich die Entscheidungskriterien der NFVO, insbesondere die Verbrauchergefahr, so auszulegen, dass die für die Entscheidung maßgeblichen Faktoren zwar geringe Risiken sein können, aber nicht prinzipiell unvermeidbare Restrisiken. (4) Spezifizität
des Risk Assessment
I m Hormonfall machte der Appellate Body deutlich, dass er eine hinreichend spezifische Risikobewertung verlangt: Das risk assessment hätte exakt die von den EGSekundärnormen erfassten Hormonarten und die gerade von ihnen ausgehenden etwaigen Risiken betreffen müssen und nicht allgemein ein von Hormonen in der Tierproduktion ausgelöstes Krebsrisiko. 8 3 1 Dementsprechend bemängelte der Ap827 Vgl. etwa OECD (siehe oben Fn. 9), Rn. 70; Report of a Joint FAOÌWHO Expert Consultation on Foods Derived from Biotechnology (siehe oben Fn. 770), S . l l . 828 Vgl. etwa Deutsche Forschungsgemeinschaft (siehe oben Fn. 31), S. 5. 829 Siehe oben S. 25. 830 So auch Burchardi (siehe oben Fn. 639), S. 89. 831 EC- Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 200.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
peliate Body auch, nachdem er in oben dargestellter Weise das Risiko missbräuchlicher Verwendung der Hormone als für das risk assessment relevanten Faktor anerkannt hatte, dass die Risikobewertung der EG das behauptete Missbrauchsrisiko nicht hinreichend spezifisch belegte. 832 In der Literatur wird teilweise vertreten, die EG-Zulassungspflicht für gentechnisch modifizierte Lebensmittel könne diesem Spezifizitätstest nicht standhalten, weil sie umfassend alle derartigen Lebensmittel erfasse, Risikobeurteilungen i. S. v. Art. 51 SPS-Abkommen jedoch höchstens für einzelne gentechnisch veränderte Lebensmittel vorlägen. 8 3 3 Diese Argumentation verkennt indessen einen fundamentalen Unterschied zwischen den Hormonverboten und der in zwei Ebenen strukturierten Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel. Die für das risk assessment verlangte Spezifizität ist logisch eine relative Spezifizität: Das risk assessment muss sich immer auf die von den jeweiligen Handelsbeschränkungen betroffenen Produkte und die angeblich davon ausgehenden Risiken beziehen. Da die EGNormen im Hormonstreit nur bestimmte Hormone verboten, musste das risk assessment auch auf genau diese Hormone und die davon ausgehenden Gefahren zugeschnitten sein. Die EG-Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel unterscheidet sich von den Normen im Hormonstreit dadurch, dass die umfassend erfassten gentechnisch veränderten Lebensmittel nicht pauschal verboten werden, sondern zunächst einem Prüfverfahren unterliegen. Dementsprechend hält der europäische Gesetzgeber gentechnisch veränderte Lebensmittel, anders als von der oben zitierten Literatur suggeriert, nicht für per se gefährlich, sondern lediglich in bestimmten konkreten Fällen, auf deren Vorliegen er alle in den Anwendungsbereich der sekundärrechtlichen Normen fallenden gentechnisch veränderten Lebensmittel in einem Prüfverfahren untersucht. Wegen des Wesens des Prüfverfahrens, für einen breiten Anwendungsbereich das Vorliegen von Risiken erst festzustellen, um ihr Inverkehrbringen danach gegebenenfalls zu untersagen, muss das risk assessment für das Prüfverfahren auch weniger spezifisch sein. 8 3 4 U m die Schwelle des hinreichend spezifischen risk assessment für das Prüfverfahren zu bewältigen, reicht es daher aus, dass die EG bei einem etwaigen Streitschlichtungsverfahren - etwa auf Grundlage der Berichte der O E C D 8 3 5 - Studien vorlegt, wonach gentechnisch veränderte Lebensmittel unter Umständen bedenk832 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 205 ff. 833 Vgl. Spranger (siehe oben Fn.661), S. 114. 834 So auch Bernasconi-Osterwalder (siehe oben Fn. 654), S. 712; vgl. auch Howse/Mavroidis (siehe oben Fn. 631), Fn. 123; missverständlich Pauwelyn, An Overview of the WTO Agreements on Health and Technical Standards and their Impact on Communication, ZLR 2000, S. 843 ff. (848), wonach eine Risikobeurteilung für eine Produktgruppe ungenügend sei - Grundlage dieser Aussage ist aber das Verbot im Hormonfall und keine bloße Zulassungspflicht wie die der NFVO. 835 Siehe oben Fn. 9.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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lieh sein können wie etwa bei der Verwendung genetischen Materials, das Allergien auslösen kann, oder beim Einsatz bestimmter Markergene. A u f der zweiten Ebene der Zulassungspflicht, der Zulassungsentscheidung, sind die Spezifizitätsanforderungen wegen deren relativen Maßstabes höher: Da es hier um ein konkretes Produkt geht, muss sich die der Entscheidung zugrunde liegende Risikobewertung auch auf die spezifischen Risiken gerade dieses Produktes beziehen und nicht auf die mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln allgemein verbundenen Unwägbarkeiten. Dass die Zulassungsentscheidung nach der NFVO und den übrigen Vorschriften diesen Kriterien prinzipiell genügt, ergibt sich schon aus dem Unterschied zwischen einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt wie der NFVO und einem allgemeinen Verbot. Konkrete Hinweise auf die produktspezifische Entscheidung finden sich etwa in Artt. 61 NFVO, 13 I I FreisRL 2001/18/EG über die mit dem Antrag vorzulegenden Informationen. c) Stützen der nationalen Handelsbeschränkung auf das Risk Assessment, Art. 51 SPS-Abkommen Nach Art. 5 I SPS-Abkommen muss die gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahme auf die Risikobewertung gestützt („based on") sein. Dieses Tatbestandsmerkmal verknüpft eine nationale Handelsbeschränkung wie die Zulassungspflicht der EG mit dem risk assessment und ist daher ein entscheidender Schritt bei der Beantwortung der Frage, ob der Mitgliedstaat die diffizile Gratwanderung zwischen Gesundheitsschutz und Freihandel entsprechend den Anforderungen des SPS-Abkommens bewältigt hat. Bevor die Frage erörtert wird, ob die EGNormen für gentechnisch veränderte Lebensmittel auf ein risk assessment gestützt sind, sind zunächst drei Grundsätze aus den Berichten des Appellate Body darzustellen, die das Tatbestandsmerkmal des „based on" näher konkretisieren. (1 ) Rational
Relationship
Gerade bei der Auslegung des „based on" hat der Appellate Body den bereits erwähnten Zusammenhang zwischen Artt. 2 I I und 5 I SPS-Abkommen deutlich gemacht: Eine Maßnahme sei dann i. S. v. 51 SPS-Abkommen auf das risk assessment gestützt, und gleichzeitig liege „sufficient scientific evidence" i. S. v. Art. 211 SPSAbkommen vor, 8 3 6 wenn zwischen dem risk assessment und der Handelsbeschränkung eine vernünftige Verbindung („rational relationship") bestehe. 837 Dies verlange eine Betrachtung des Einzelfalles und hänge auch von der Art der betreffenden Handelsbeschränkung und Qualität und Quantität der vorliegenden Nachweise für 836 Japan - Measures Affecting Agricultural Products, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.607), Rn.73, 84. 837 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.605), Rn. 193.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Gesundheitsrisiken ab. 8 3 8 Prinzipiell sei nicht ausgeschlossen, dass ein Mitgliedstaat einen Null-Risiko-Level wähle. 8 3 9 Bereits erwähnt wurde, dass nach Auffassung des Appellate Body „based on" objektiv auszulegen ist, so dass der Mitgliedstaat bei Erlass der Maßnahme das risk assessment nicht unbedingt berücksichtigt haben muss. 8 4 0
(2) Berücksichtigung
naturwissenschaftlicher
Mindermeinungen
Der Appellate Body hat ferner dargelegt, dass je nach Fall die rational relationship selbst dann bestehen könne, wenn die Handelsbeschränkung auf einer naturwissenschaftlichen Mindermeinung zu dem betreffenden Risiko gründe. Gerade, aber nicht nur bei Lebensgefahren könne die rational relationship auch vorliegen, wenn der Mitgliedstaat seine Maßnahme an einer naturwissenschaftlichen Mindermeinung qualifizierter Experten ausrichte, denn gerade ein naturwissenschaftlicher Streit könne eine naturwissenschaftliche Unsicherheit darstellen. 841 Wie großzügig oder zurückhaltend der Appellate Body bei der Anwendung dieses Grundsatzes tatsächlich verfährt, ist nicht einfach zu beurteilen: Immerhin hat der Appellate Body deutlich gemacht, dass nicht jede naturwissenschaftliche Mindermeinung ausreicht, um die vernünftige Verbindung zu begründen. 842 Er hat explizit ausgeführt, dass es sich um die Mindermeinung qualifizierter Naturwissenschaftler handeln müsse. A n einer Stelle ist darüber hinaus von qualifizierten und anerkannten Experten die Rede. 8 4 3 I m Bericht des Appellate Body i m Hormonfall findet sich ein interessantes Beispiel für eine solche Mindermeinung: Die Ansicht von Dr. Lucier, Leiter des Environmental Toxicology Programme am amerikanischen National Institute of Environmental Health Sciences, die vom Ergebnis her möglicherweise das Hormonverbot hätte rechtfertigen können, lehnte der Appellate Body ab. Es ist nicht restlos klar, aus welchen Gründen der Appellate Body das Gutachten des Dr. Lucier als unzureichend empfand. 8 4 4 Da der Appellate Body jedoch nicht darauf abstellte, dass die Schlussfolgerungen des Dr. Lucier naturwissenschaftliche Mindermeinung sind, lässt sich wegen der grundsätzlichen Akzeptanz derartiger Mindermeinungen durch den Appellate Body vermuten, dass prinzipiell auch die Ansicht eines einzelnen Experten die vernünftige Verbindung begründen 838
Japan-Measures Affecting Agricultural Products, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 607), Rn. 84. 839 Australia - Measures Affecting Importation of Salmon, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 607), Rn. 125. 840 Siehe oben S. 165 zum Zeitpunkt des risk assessment. 841 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 194. 842 Dies betont zurecht Hurst (siehe oben Fn. 692), S . l l . 843 „Qualified and respected sources", EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 194. 844 Neugebauer (siehe oben Fn. 809), S. 1268; Charnovitz (siehe oben Fn. 537), S. 282.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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kann, sofern seine Schlussfolgerungen hinreichend spezifisch sind, durch objektive Beweise gestützt werden und nicht anderweitig als unvernünftig erscheinen. 845 Die Tragweite dieser Auffassung des Appellate Body hinsichtlich anderer unter das SPS-Abkommen zu subsumierender Fälle ist erheblich. Die Ansicht, es komme nur sehr selten zu Auseinandersetzungen von Naturwissenschaftlern zu einem konkreten Thema, 8 4 6 ist nicht überzeugend: Die Geschehnisse um Dr. Lucier im Hormonstreit oder die in dieser Arbeit relevanten Meinungsunterschiede von Naturwissenschaftlern um die Gefährlichkeit gentechnisch veränderter Lebensmittel im Vergleich mit konventionell hergestellten Neuentwicklungen sind zwei bereits erwähnte Beispiele, die dagegen sprechen. 847 Gerade in diesen Streitfällen führt die Ansicht des Appellate Body dazu, dass die beteiligten Mitgliedstaaten die ihnen zur Verfügung stehenden naturwissenschaftlichen Ressourcen mobilisieren werden, um ihre rechtlichen Schlussfolgerungen notfalls gegen eine herrschende Auffassung naturwissenschaftlich zu untermauern. 848
(3) Das Vorsorgeprinzip
im Rahmen von Art. 51 SPS-Abkommen
Im Hormonstreit hat die EG zur Rechtfertigung ihrer Handelsbeschränkungen auf das nach ihrer Ansicht mittlerweile als Völkergewohnheitsrecht oder jedenfalls als allgemeiner Rechtsgrundsatz etablierte Vorsorgeprinzip rekurriert. 8 4 9 Die Auffassung, das Vorsorgeprinzip stelle Völkergewohnheitsrecht dar, wird i m Schrifttum zunehmend unterstützt. 850 Auch in verschiedenen multilateralen Umweltabkommen 845
Vgl. Hurst (siehe oben Fn.692), S. 10f., 14; Neugebauer (siehe oben Fn.809), S. 1268; Ambrose , Review of Key Substantive Agreements, Agreement on Technical Barriers to Trade (TBT) and Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures (SPS), Science and the WTO, Law and Policy in International Business 2000, S. 861 ff. (864). 846 So Neugebauer (siehe oben Fn. 809), S. 1275 ff., 1277. 847 Gegen die Ansicht von Neugebauer sprechen sich auch Perdikis/Kerr/Hobbs (siehe oben Fn. 538), S.705, aus. 848 Vgl. zur Rolle der Naturwissenschaften in Handelskonflikten und den insoweit unterschiedlichen tatsächlichen Möglichkeiten der verschiedenen Mitgliedstaaten je nach ihrem Entwicklungsniveau Drahos (siehe oben Fn. 552), S.45. 849 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 16. 850 Aus der neueren Literatur in diesem Sinne etwa Hohmann, Der Konflikt zwischen freiem Handel und Umweltschutz in WTO und EG, RIW 2000, S. 88 ff. (95); Burchardi (siehe oben Fn. 639), S. 93; Macmillan! Blakeney (siehe oben Fn. 689), Fn. 4, weisen darauf hin, dass unter den vom Appellate Body im Hormonfall zitierten Autoren zu dieser Frage die aktuelleren Stellungnahmen dazu neigen, das Vorsorgeprinzip als Völkergewohnheitsrecht anzuerkennen; ausdrücklich gegen eine Anerkennung des Vorsorgeprinzips als Völkergewohnheitsrecht oder allgemeiner Rechtsgrundsatz Priess/Pitschas, Protection of Public Health and the Role of the Precautionary Principle under WTO Law: A Trojan Horse before Geneva's Walls? Fordham International Law Journal 2000, S.519ff. (528 f.); gegen eine Anerkennung als allgemeines Gewohnheitsrecht auch Vitzthum, Völkerrecht, S 462; Stone, Is There a Precautionary Principle? Environmental Law Reporter 2001.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
lassen sich in unterschiedlicher Terminologie und mit unterschiedlichen Nuancen 8 5 1 Vorsorgeprinzip („precautionary principle") oder Vorsorgeansatz („precautionary approach") wiederfinden: Besonders deutlich 8 5 2 manifestiert sich das Vorsorgeprinzip etwa in der Deklaration zur nachhaltigen Entwicklung der Ministerkonferenz von Bergen 1990 8 5 3 und insbesondere in der Deklaration von Rio de Janeiro 1992 8 5 4 und jetzt auch im Biosafety Protocol von 2000. 8 5 5 Zum Status des Vorsorgeprinzips und seiner Einordnung in die Prüfung einer nationalen Handelsbarriere nach Art. 51 SPS-Abkommen hat sich der Appellate Body zurückhaltend geäußert: Ob das Vorsorgeprinzip als Völkergewohnheitsrecht oder allgemeiner Rechtsgrundsatz anzusehen ist, hat er nicht abschließend beurteilt - seiner Auffassung nach ist die Anerkennung des Vorsorgeprinzips durch die WTOMitgliedstaaten bislang noch unklar, zumal es zumindest außerhalb des Völkerumweltrechts noch keine allgemeingültige Begriffsbestimmung für das Vorsorgeprinzip gebe. 8 5 6 Jedenfalls könnten die speziellen Anforderungen des SPS-Abkommens nicht durch eine Berufung auf das allgemeine Vorsorgeprinzip umgangen werden. Immerhin ließen sich in verschiedenen Bestimmungen des SPS-Abkommens Elemente eines Vorsorgeprinzips wiederfinden: A m deutlichsten sei dies der Fall bei Art. 5 V I I SPS-Abkommen über vorläufige Schutzmaßnahmen bei unzureichenden Nachweisen über Risiken. Ebenso 8 5 7 spiegelten der 6. Erwägungsgrund und Art. 3 I I I SPS-Abkommen das Vorsorgeprinzip wider: Hiernach behielten die Mitgliedstaaten das Recht, ihr Schutzniveau zu bestimmen, das gegebenenfalls höher sei als das nach den einschlägigen internationalen Normen. Schließlich müsse ein Panel bei der Frage nach der ausreichenden naturwissenschaftlichen Rechtfertigung für eine Handelsbeschränkung berücksichtigen, dass bei Risiken für das menschliche Leben und sonstigen nicht rückgängig zu machenden Gefahren für die menschliche Ge851 Beispielsweise ist das Vorsorgeprinzip teilweise mit einer Kosten-Nutzen-Analyse verknüpft, vgl. dazu Charnovitz (siehe oben Fn. 537), S. 293 ff. 852 Vgl. zu weiteren Beispielen Schweizer (siehe oben Fn.28), S.577ff. (Fn. 114); ausführlich Katz, The Mismatch between the Biosafety Protocol and the Precautionary Principle, Georgetown International Environmental Law Review 2001, S.949ff. (956ff.). 853 „Where there are threats of serious or irreversible damage, lack of full scientific certainty should not be used as a reason for postponing measures to prevent environmental degradation." 854 „In order to protect the environment, the precautionary approach shall be widely applied by States according to their capability. Where there are threats of serious or irreversible damage, lack of full scientific certainty shall not be used as a reason for postponing cost-effective measures to prevent environmental degradation." 855 Siehe unten S. 268 ff. zum Vorsorgeprinzip innerhalb des Biosafety Protocol. 856 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 123. 857 Die folgenden Ausführungen des Appellate Body werden im Schrifttum überraschend oft übersehen und das Vorsorgeprinzip ausschließlich in Art. 5 VII SPS-Abkommen verortet, vgl. etwa Gupta (siehe oben Fn.546), S.25; Schoenhaum, International Trade in Living Modified Organisms: The New Regimes, International and Comparative Law Quarterly 2000, S. 856 ff. (862).
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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sundheit verantwortungsvolle Regierungen gemeinhin aus einer vorsorglichen Haltung heraus handeln. 8 5 8 Gerade mit dieser letzten Aussage hat der Appellate Body deutlich gemacht, dass das Vorsorgeprinzip zwar die ausdrücklichen Regeln des SPS-Abkommens nicht beseitigt, diese Regeln dem Vorsorgegedanken aber durchaus Rechnung tragen. 8 5 9 I m Zusammenhang mit der ausdrücklichen Stellungnahme des Appellate Body zum Vorsorgeprinzip ist daran zu erinnern, dass der Appellate Body eine Mindestschwelle für die im risk assessment zu berücksichtigenden Risiken ablehnt 8 6 0 und die rational relationship i. S. ν. Art. 5 1 SPS-Abkommen unter Umständen auch bei einer Null-Risiko-Politik 8 6 1 und selbst dann bestehen kann, wenn die nationale Handelsbeschränkung nur von einer naturwissenschaftlichen Mindermeinung getragen w i r d . 8 6 2 Auch dadurch wird den WTO-Mitgliedstaaten erleichtert, dort Handelsbeschränkungen zu erlassen, wo sich - ganz i m Sinne des Vorsorgeprinzips - ein eindeutiger und exakter naturwissenschaftlicher Nachweis für Risiken noch nicht führen lässt. 863 A n den Anforderungen des Appellate Body sind auf dem Vorsorgeprinzip beruhende Handelsbarrieren zu überprüfen. Je nach dem, auf welcher naturwissenschaftlichen Grundlage die Handelsbeschränkungen beruhen und welche Regelungen sie beinhalten, kann die Antwort auf die Frage nach der Konformität mit dem SPS-Abkommen unterschiedlich ausfallen. Eine einheitliche Beurteilung der WTOKonformität von aus dem Vorsorgegedanken heraus getroffenen Maßnahmen ist nicht möglich. In ihrer im ersten Teil dieser Arbeit bereits erwähnten Mitteilung zum Vorsorgeprinzip 8 6 4 versucht die Europäische Kommission, dieser differenzierten Ansicht des Appellate Body gerecht zu werden. Abgesehen davon, dass die Kommission ausdrücklich auf den Appellate Body Bezug n i m m t , 8 6 5 wird dies insbesondere daran deutlich, dass sie verschiedene Anforderungen des SPS-Abkommens und anderer internationaler Abkommen wie das Verhältnismäßigkeitsgebot und das Diskriminierungsverbot als Schranken des Vorsorgeprinzips betrachtet. 866 I m Übrigen bemüht sich die EG gegenwärtig bei Verhandlungen, das Vorsorgeprinzip in seiner Interpretation durch den Appellate Body im Text des SPS-Abkom858 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.605), Rn. 124. 859 So auch Bernasconi-Osterwalder (siehe oben Fn.654), S.709. 860 Siehe oben S. 170. 861 Siehe oben S. 173. 862 Siehe oben S. 174. 863 Vgl. Streinz (siehe oben Fn. 142), S.428f.; Eggers (siehe oben Fn.609), S. 150. 864 KOM (2000) 1 endg. (siehe oben Fn.316). 865 KOM (2000) 1 endg. (siehe oben Fn.316), S. 11 und (deutlicher) S.26f. 866 Vgl. KOM (2000) 1 endg. (siehe oben Fn.316), S. 17ff.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
mens deutlicher zum Ausdruck zu bringen, gerade im Hinblick auf die Lebensmittelsicherheit. 867 Insbesondere die USA und einige Entwicklungsländer widersetzen sich diesem Ansinnen jedoch mit dem Hinweis, die WTO-Abkommen trügen bereits in ihrer gegenwärtigen Fassung dem Vorsorgegedanken hinreichend Rechnung. 8 6 8
(4) Ist die Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel auf ein Risk Assessment gestützt? Bei der Erörterung der Frage, ob die Zulassungspflicht der EG auf eine Risikobewertung i. S. v. Art. 5 I SPS-Abkommen gestützt ist, muss zunächst unterstrichen werden, welche Aspekte erst an späterer Stelle zu berücksichtigen sind: Dies gilt insbesondere für die Frage, ob die Zulassungspflicht der EG zwischen gentechnischen und konventionell hergestellten Neuentwicklungen diskriminiert, was unten im Rahmen von Art. 5 V SPS-Abkommen zu analysieren ist. Ebenso ist erst bei Art. 5 V I SPS-Abkommen zu untersuchen, ob die EG das gleiche Schutzniveau auch durch anderweitige Maßnahmen erreichen könnte. Das entscheidende Kriterium bei Art. 51 SPS-Abkommen ist, wie dargelegt, die rational relationship. Ob eine solche vernünftige Verbindung zwischen einer auf Gesundheitsrisiken für Menschen, Tiere und Pflanzen beschränkten Risikobewertung und der Zulassungspflicht der EG besteht, ist unter Berücksichtigung der Ausführungen des Appellate Body zu naturwissenschaftlichen Mindermeinungen und dem Vorsorgeprinzip zu beurteilen. Dabei ist erneut zu differenzieren zwischen den beiden mit der Zulassungspflicht zusammenhängenden Handelsbeschränkungen, dem Prüfverfahren insgesamt und einer etwaigen Zulassungsverweigerung.
(a) Das Prüfverfahren I m Hinblick auf das Prüfverfahren ist zunächst festzustellen, dass naturwissenschaftlich praktisch unbestritten i m Einzelfall von gentechnisch veränderten Lebensmitteln Gefahren ausgehen können. 8 6 9 U m beurteilen zu können, ob ein solcher Einzelfall vorliegt, erscheint ein Prüfverfahren grundsätzlich als sinnvoll. Für die Zulassungspflicht ist entgegen einer Ansicht im Schrifttum 8 7 0 ohne Belang, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel nicht per se riskant sind. Wenn der europäische Gesetzgeber von der Gefährlichkeit dieser Produkte schlechthin ausginge, wäre nicht eine Zulassungspflicht, sondern ein Verbot die sinnvolle Konsequenz. 867 Vgl. unter http://www.europa.eu.int/comm/agriculture/extemal/wto/officdoc/foodsafety _ en.htm die Äußerungen der Kommission. 868 BRIDGES Weekly Trade News Digest, Vol. 5, No. 29 vom 01.08.2001; BNA Food Safety Report vom 01.08.2001. 869 Siehe oben S. 22ff. 870 Spranger (siehe oben Fn. 661), S. 114.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
179
Allerdings muss das Prüfverfahren entsprechend effizient ausgestaltet sein, um von einer vernünftigen Beziehung sprechen zu können. Insofern fließen in die Bewertung der rational relationship über den Effizienzgedanken Erwägungen ein, die im deutschen Verfassungs- und Verwaltungsrecht bei der Kategorie der Geeignetheit eines staatlichen Eingriffes relevant sind. Die Effizienz des Prüfverfahrens wird zwar dadurch in Frage gestellt, dass sich ein Prüfverfahren immer nur am gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Erkenntnisstand orientieren und daher bestimmte Restrisiken nicht vollständig vermeiden kann. 8 7 1 Dieses Problem ist jedoch allen naturwissenschaftlichen Risikobewertungen immanent, so dass es von vornherein nicht um eine völlige Gefahrenvermeidung, sondern nur um eine größtmögliche Gefahrenreduzierung gehen kann, was durch ein Prüfverfahren grundsätzlich erreicht wird. Über diese prinzipiellen Grenzen von Prüfverfahren hinaus lässt sich allerdings die Effizienz eines Prüfverfahrens gerade für gentechnisch veränderte Lebensmittel deshalb bezweifeln, weil es teilweise schwierig ist, gentechnisch modifizierte Lebensmittel überhaupt als solche zu identifizieren. 872 Dies gilt insbesondere für die Kategorie des Art. 111(b) NFVO, unter die auch raffinierte Produkte fallen. 8 7 3 Erstens ist jedoch zu beachten, dass selbst bei Raffinationsprodukten erhebliche Fortschritte bei der Entwicklung von Nachweisverfahren geschehen sind und zukünftig die Identifizierung dieser Produkte häufiger gelingen könnte. 8 7 4 Außerdem sind die bislang eingeschränkten naturwissenschaftlichen Nachweismöglichkeiten deshalb kein durchschlagendes Argument gegen die Effizienz eines Prüfverfahren, weil der Nachweis auch anderweitig erbracht werden kann, beispielsweise durch eine Untersuchung der Produktionsmethoden innerhalb des betreffenden Unternehmens oder durch Zeugenaussagen. 875 Schließlich ist auch an dieser Stelle daran zu erinnern, dass es ohnehin nur um eine größtmögliche Gefahrenreduzierung geht und nicht um eine völlige Vermeidung. Gegen die grundsätzliche Zweckmäßigkeit des Prüfverfahrens zur Verringerung der Risiken für Menschen, Tiere und Pflanzen lässt sich auch nicht einwenden, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel prinzipiell auch für die menschliche Gesundheit und die Umwelt vorteilhafter sein können als ihre konventionellen Pendants, beispielsweise durch die gentechnische Veränderung von Lebensmitteln zur Erhöhung des Vitamingehalts oder geringeren Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln oder im Verhältnis zur Bodenfläche höhere Erträge. 8 7 6 Zwar wird die Nutzbar871 Vgl. zu diesen Grenzen von Produktprüfungen OberenderlHerzberg/Kienle (siehe oben Fn. 174), S.56. 872 Streinz (siehe oben Fn. 178), S. 150f.; Berg (siehe oben Fn. 180), S. 390. 873 Siehe dazu oben S. 56. 874 Siehe oben S.57. 875 Vgl. Streinz (siehe oben Fn. 178), S. 151. 876 Vgl. zu diesem Einwand etwa Kershen, The Risks of Going Non-GMO, Oklahoma Law Review 2000, S. 631 ff.; Adler (siehe oben Fn. 56), S. 195 f., 204; siehe auch oben S. 20 ff. zu den Chancen durch gentechnische Verfahren in der Lebensmittelherstellung.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
keit derartiger Vorteile durch die Zulassungspflicht zumindest zeitlich hinausgezögert. Jedoch ist gerade der Sinn eines Prüfverfahrens, zu ermitteln, ob die betreffenden Produkte tatsächlich für Mensch und Umwelt vorteilhaft sind oder von ihnen nennenswerte Risiken ausgehen. In letzterem Falle ist es zur Gefahrenreduzierung angemessen, das Inverkehrbringen des Produktes zu untersagen: Etwa von einem Reis mit erhöhtem Vitamin-Α-Anteil profitiert niemand, wenn der Reis gleichzeitig eine hohe Toxizität aufweist. Dabei ist die Eignung eines Prüfverfahrens zur Gefahrenreduzierung maßgeblich. Ob das Prüfverfahren der EG tatsächlich die mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln verbundenen Risiken verringert, ist eine praktisch kaum zu beantwortende Frage: Dafür sind die in einer solchen Gesamtbewertung über Jahre zu berücksichtigenden Gesichtspunkte zu zahlreich und ihre Abwägung kaum möglich. Aus ähnlichen Erwägungen hat der Appellate Body i m Benzinfall i m Zusammenhang mit Art. X X (g) GATT dargelegt, ein empirischer Effektivitätstest für Umweltschutzmaßnahmen sei unangemessen. 877 Auch die Ausführungen des Appellate Body zum Vorsorgeprinzip sprechen dafür, dass zwischen einer Beurteilung der naturwissenschaftlichen Risiken einerseits und dem das Vorsorgeprinzip manifestierenden Prüfverfahren der EG andererseits die rational relationship i. S. ν. Art. 51 SPS-Abkommen besteht: Insbesondere ist in Erinnerung zu rufen, dass der Appellate Body bei nicht wieder rückgängig zu machenden Schäden für die menschliche Gesundheit ein vorsorgliches Handeln sogar als gewöhnlich („commonly") ansieht. Es ist in diesem Sinne „gewöhnlich", durch ein Prüfverfahren für gentechnisch veränderte Lebensmittel zu analysieren, ob i m Einzelfall die Risiken vorliegen, die nach fast einhelliger naturwissenschaftlicher Ansicht bestehen können. Dementsprechend verwundert es nicht, dass die Sicherheit gentechnisch veränderter Lebensmittel sowohl in der EG als prinzipiell auch in den USA behördlich geprüft wird, ungeachtet der unterschiedlichen Ausgestaltung mit der grundsätzlichen Genehmigungspflicht in der EG und der bislang meist nur faktischen Anmeldepflicht in den USA. Auch die amerikanisch-europäische Expertenkommission für Biotechnik empfiehlt in ihrem Ende 2000 vorgestellten Bericht die obligatorische Untersuchung der Sicherheitsrisiken vor Markteinführung gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel. 8 7 8 Demnach besteht zwischen einer allgemeinen Beurteilung der bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln prinzipiell möglichen Risiken und der Einführung eines Prüfverfahrens die rational relationship. Die EG-Zulassungspflicht entspricht jedoch nur dann insgesamt Art. 51 SPS-Abkommen, wenn sie so ausgestaltet ist, dass 877 United States - Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, Report of the Appellate Body WT/DS2/AB/R, 29.04.1996, http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/ gasoline.wp5, S. 19. 878 EU/US Consultative Forum on Biotechnology , Final Report (siehe oben Fn. 543), S. 8.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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auch ihre zweite Komponente, die Zulassungsentscheidung, auf einer Risikobeurteilung beruht.
(b) Die Zulassungsentscheidung Entsprechend den obigen 8 7 9 Ausführungen zur Spezifizität des risk assessment ist hierbei die maßgebliche Risikobeurteilung nicht die allgemeine Bewertung der von gentechnisch veränderten Lebensmitteln überhaupt ausgehenden Risiken, sondern die spezifische Bewertung der gerade mit dem betreffenden Lebensmittel zusammenhängenden Risiken. Diesbezüglich ist festzustellen, dass die EG-Vorschriften und insbesondere die NFVO prinzipiell so ausgestaltet sind, dass eine Zulassungsverweigerung auf der Einzelfallbewertung beruht: Indem die Risiken für die menschliche Gesundheit das maßgebliche Zulassungskriterium sind, wird zum einen eine spezifische Risikobeurteilung gefordert und zum anderen die Zulassungsentscheidung als diesem Kriterium entsprechende Reaktion auf diese Risikoanalyse ausgestaltet. Daher besteht nach der Konzeption der N F V O auch zwischen Zulassungsentscheidung und vorheriger Risikobeurteilung prinzipiell die erforderliche „vernünftige Beziehung". Allerdings ermöglichen - anders als die NFVO - die FreisRL 2001/18/EG und die geplante Verordnung für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel bei der Zulassungsentscheidung ausdrücklich die Berücksichtigung anderer Aspekte außer der naturwissenschaftlichen Risikobewertung. 8 8 0 Oben wurde festgestellt, das nach den Vorgaben des SPS-Abkommens für die Risikobewertung andere als naturwissenschaftlich-objektive Faktoren nicht maßgeblich sein dürfen. Hingegen hat der Appellate Body die Festlegung des Schutzievels für die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen explizit als Prärogative der WTO-Mitgliedstaaten bezeichnet. 881 Daraus lässt sich schließen, dass für die Bestimmung des Schutzievels unter Umständen auch nichtnaturwissenschaftliche Aspekte eine Rolle spielen dürfen. Dies entspräche den Ausführungen des Panels im Hormonfall, das anders als der Appellate Body die Kategorie des risk management i m Rahmen von Art. 5 I SPS-Abkommen verwendete und „soziale Werte" als insoweit prinzipiell beachtliche Faktoren anerkannte. 882 Jedoch entbindet auch nach den Ausführungen des Appellate Body die Tatsache, dass die Bestimmung des Schutzievels eine Prärogative 879
Siehe oben S. 171 ff. Siehe zum Kommissionsvorschlag KOM (2001) 425 endg. oben S. 102, zur FreisRL 2001/18/EG oben S. 108. Auch das EU/US Consultative Forum on Biotechnology (siehe oben Fn.543) empfiehlt in ihrem Abschlussbericht auf S. 15 die Berücksichtigung anderer als naturwissenschaftlicher Aspekte bei der Zulassung gentechnisch veränderter Produkte, ohne genaue Vorgaben dafür zu machen. 881 Australia - Measures Affecting Importation of Salmon, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 607), Rn. 199. 882 Siehe oben Fn.811. 880
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
des Mitgliedstaates ist, nicht von der Pflicht zur Beachtung der Pflichten nach dem SPS-Abkommen: Der Appellate Body trennte i m Lachsfall nachdrücklich zwischen der Festlegung des Schutzlevels und der gesundheitspolizeilichen oder pflanzenschutzrechtlichen Maßnahme selbst. 883 Zu den SPS-Pflichten zählen an erster Stelle die von Art. 51 SPS-Abkommen ausgefüllten Grundpflichten nach Artt. 2 SPS-Abkommen wie insbesondere die Pflicht, dass Maßnahmen nicht ohne naturwissenschaftlichen Nachweis aufrechterhalten werden und zwischen Maßnahme und naturwissenschaftlicher Risikobeurteilung die „vernünftige Beziehung" besteht. Deshalb sind die Vorschriften der FreisRL 2001/18/EG und des Verordnungsvorschlages der Kommission, wonach auch nichtnaturwissenschaftliche Aspekte zu berücksichtigen sind, WTO-konform dahingehend auszulegen, dass bei der Zulassungsentscheidung die „vernünftige Beziehung" zwischen naturwissenschaftlicher Risikobeurteilung und Maßnahme stets bestehen muss. Zwar könnten die welthandelsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich der Beachtlichkeit von OLFs zukünftig dadurch modifiziert werden, dass der oben 8 8 4 beschriebene Entwurf der CAK-Task Force die Berücksichtigung von OLFs beim risk management prinzipiell zulässt. Auch nach dem Entwurf wird jedoch die Beachtlichkeit von OLFs insbesondere dadurch eingeschränkt, dass sie nur solche OLFs betrifft, die auf weltweiter Basis akzeptiert werden können, und keine ungerechtfertigten Handelsbarrieren geschaffen werden dürfen. 8 8 5 Unzutreffend ist daher selbst auf der Grundlage des Entwurfes der Task Force jedenfalls in ihrer Weite die Auffassung der Europäischen Kommission, wonach im Einklang mit WTO-Recht die Zulassungsentscheidung wegen der Beachtlichkeit anderer legitimer Faktoren vom risk assessment abweichen könne. 8 8 6 Ein weiteres Problem für die rational relationship zwischen Risikobeurteilung und Zulassungsentscheidung liegt darin, dass die „Gefahr" für den Verbraucher bei Art. 3 1 1 . SpStr. N F V O nicht wie der Gefahrenbegriff nach deutschem Polizeirecht auszulegen ist, sondern umfassender i m Sinne der Risikovorsorge. Dies verhindert aber nicht die rational relationship : Die Ausführungen des Appellate Body zum Vorsorgeprinzip wurden dargestellt, insbesondere dass bei Gefahren für das menschliche Leben und sonstigen nicht rückgängig zu machenden Gefahren für die menschliche Gesundheit verantwortungsvolle Regierungen sogar gemeinhin aus einer vorsorglichen Haltung heraus handeln. 8 8 7 Zwar verdeutlicht der Appellate Body nicht hinreichend, was er mit dieser „vorsorglichen Haltung" meint. Immerhin bedeuten diese Ausführungen jedoch, dass bei drohenden irreparablen Schäden für die menschliche Gesundheit der Risikonachweis nicht i m gleichen Maße vorliegen 883
Australia -Measures Affecting Importation of Salmon, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 607), Rn. 200 ff. 884 Siehe oben S. 158. 885 Siehe oben S. 156. 886 Vgl. S.7f. des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. 887 Siehe oben S. 177.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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muss wie sonst. Zumindest in diesem Bereich lässt sich daher eine weite Auslegung des Gefahrenbegriffes der N F V O prinzipiell mit den welthandelsrechtlichen Anforderungen in Einklang bringen. Für das Risiko reparabler Schädigungen der menschlichen Gesundheit und für Tiere und Pflanzen betreffende Risiken fehlt es hingegen an einer solchen ausdrücklichen Öffnung des SPS-Abkommens für das Vorsorgeprinzip durch den Appellate Body. Zugunsten von Tieren und Pflanzen getroffene Vorsorgeentscheidungen bei unklarer naturwissenschaftlicher Beweislage sind nach der N F V O für Produkte i. S. v. Art. 1 I I (a) N F V O möglich, für deren Bewertung Art. 9 I I N F V O die Umweltsicherheitsanforderungen der FreisRL 90/220/EWG in Bezug nimmt, der ebenfalls das Vorsorgeprinzip zugrunde liegt. Sofern die Beweislage wegen einer Auseinandersetzung „qualifizierter und anerkannter" Naturwissenschaftler unklar ist, lässt sich immerhin noch der Gedanke des Appellate Body verwenden, wonach eine solche Auseinandersetzung eine Unsicherheit bedeutet und Schutzmaßnahmen nach Art. 51 SPS-Abkommen prinzipiell ermöglicht. Ist die Beweislage außerhalb des Risikos irreparabler Schädigungen der menschlichen Gesundheit und ohne naturwissenschaftliche Meinungsverschiedenheiten unklar, erlaubt das SPS-Abkommen Vorsorgeentscheidungen lediglich als vorläufige Maßnahmen nach Art. 5 V I I SPSAbkommen. Inwieweit die vorsorgliche Ablehnung eines unter Artt. 1 11(a), 9 NFVO fallenden Produktes mit Art. 5 V I I SPS-Abkommen vereinbar ist, wird sogleich i m Abschnitt zu Art. 5 V I I SPS-Abkommen erörtert. 888 Bislang wurde festgestellt, dass die EG-Vorschriften entsprechend den WTO-Anforderungen so ausgestaltet oder zumindest auslegbar sind, dass sie die vernünftige Beziehung zwischen naturwissenschaftlicher Risikobeurteilung und Zulassungsentscheidung verlangen. Für die rational relationship zwischen Risikobeurteilung und Zulassungsentscheidung kommt es jedoch nicht nur auf die Ausgestaltung der EGNormen an, denn auch ihre praktische Anwendung kann ein Handelshemmnis darstellen. Sofern im Einzelfall das Inverkehrbringen abgelehnt wird, obwohl die Risikobeurteilung ergibt, dass nur eine naturwissenschaftliche Mindermeinung das Produkt für gefährlich hält, ist von Bedeutung, dass der Appellate Body Auffassungen qualifizierter und respektierter Naturwissenschaftler nicht alleine deshalb verwirft, weil es sich um naturwissenschaftliche Mindermeinungen handelt. Wie oben dargestellt, 8 8 9 besteht nämlich gerade hinsichtlich konkreter Einzelfälle Streit um die mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln zusammenhängenden Risiken. Das vielleicht illustrativste Beispiel für die Auseinandersetzung unter Naturwissenschaftlern ist die in naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften ausgetragene Kontroverse um den schottischen Wissenschaftler Pusztai und seine umstrittene Studie über die Gefährlichkeit gentechnisch veränderter Kartoffeln. 8 9 0 Die Beurteilung der Studie 888 889 890
Siehe unten S. 184ff. zu Art. 5 VII SPS-Abkommen. Siehe oben S.23 zum Streit. Siehe oben S.23.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
des Dr. Lucier durch den Appellate Body im Hormonstreit deutet darauf hin, dass der Appellate Body die Ergebnisse von Pusztai nicht alleine deshalb zurückwiese, weil sie umstritten sind: In den Worten des Appellate Body ausgedrückt, besteht gerade Unsicherheit durch die unterschiedlichen Auffassungen von Naturwissenschaftlern. Natürlich ist vorstellbar, dass in der Praxis eine Zulassungsentscheidung getroffen wird, die weder den Vorgaben der N F V O noch denen des Welthandelsrechts entspricht. Insbesondere bezweifelt die Europäische Kommission, dass das oben 8 9 1 erwähnte de facto-Moratorium den europarechtlichen Vorgaben von FreisRL 2001/18/EG und NFVO entspricht. 8 9 2 Das de facto-M oratorium wird von den betreffenden Mitgliedstaaten zwar mit dem Vorsorgeprinzip begründet. Weil das Moratorium sich aber unabhängig von den jeweiligen Risiken pauschal auf alle gentechnisch veränderten Organismen bezieht, ist es von der Äußerung des Appellate Body über die bei drohenden irreparablen Schäden für die menschliche Gesundheit gemeinhin vorsorglich handelnden Mitgliedstaaten nicht mehr umfasst. Unabhängig von der Frage, ob das de facto-M oratorium europarechtlich gerechtfertigt ist, ist eine derartige Auslegung von N F V O und FreisRL 2001/18/EG WTO-rechtlich höchstens von dem sogleich dargestellten Art. 5 V I I SPS-Abkommen gedeckt. Insgesamt ist zur Frage, ob die EG-Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel auf eine Risikobeurteilung gestützt ist, folgendes festzuhalten: Die Einführung eines Prüfverfahrens lässt sich auf eine Risikobeurteilung über die allgemein mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln zusammenhängenden Risiken stützen. Die Entscheidung über die Zulassung des Inverkehrbringens eines solchen Produktes ist nach den Kautelen der NFVO ebenfalls auf die innerhalb des Prüfverfahrens erfolgende WTO-konforme Risikobeurteilung gestützt. Zwei Sonderfälle der Zulassungsentscheidung lassen sich hingegen höchstens durch Art. 5 V I I SPSAbkommen rechtfertigen: Dies gilt erstens für eine vorsorgliche Ablehnung, wenn die Beweislage über Risiken für Tiere oder Pflanzen oder für reparable Schädigungen der menschlichen Gesundheit ohne naturwissenschaftliche Meinungsverschiedenheit unklar ist. Zweitens betrifft dies das seit 1998 praktizierte de facto-Moratorium.
4. Das Vorsorgeprinzip nach der NFVO und nach Art. 5 V I I SPS-Abkommen Nach Art. 5 V I I SPS-Abkommen sind bei unzureichendem naturwissenschaftlichem Nachweis vorläufige Handelsbeschränkungen auf der Grundlage der verfügbaren relevanten Informationen möglich, wobei der Mitgliedstaat verpflichtet ist, zusätzliche Nachweise zu suchen und die Maßnahme dementsprechend innerhalb einer vernünftigen Zeitspanne zu überprüfen. 891 892
Siehe oben S. 109 zum de facto-Moratorium. BN A International Environment Daily, 26.02.01.
D. Zulassungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
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Wird das Inverkehrbringen eines Produktes vorsorglich abgelehnt, obwohl es sich nur um Risiken für Tiere oder Pflanzen oder das Risiko reparabler Schädigungen der menschlichen Gesundheit handelt, sind von diesen vier kumulativen 8 9 3 Kriterien des Art. 5 V I I SPS-Abkommen jedenfalls die ersten beiden erfüllt: Die relevanten naturwissenschaftlichen Nachweise sind - ansonsten handelt es sich nicht um eine vorsorgliche Zulassungsverweigerung - unzureichend, und die Schutzmaßnahme wird auf Grundlage der verfügbaren relevanten Informationen getroffen, denn dies verlangt auch ein weit ausgelegter Gefahrenbegriff der NFVO. Problematisch ist hingegen, dass Art. 5 V I I SPS-Abkommen nur zu vorläufigen Maßnahmen ermächtigt und auf diesem Grundgedanken aufbauend zusätzlich verlangt, der Mitgliedstaat müsse nach weiteren Informationen suchen und die Maßnahme entsprechend innerhalb einer vernünftigen Zeitspanne überprüfen. Die NFVO enthält keine Bestimmungen, wonach eine Produktablehnung nur vorläufig wäre und die Kommission zur Suche nach neuen Informationen und zur Überprüfung der Entscheidung verpflichtet wäre. Jedoch trifft sie ebenfalls keine Aussage dahingehend, dass eine Ablehnungsentscheidung endgültig wäre. Ein Verständnis, wonach ein neuer Antrag für ein bereits abgelehntes Produkt auf der Grundlage neuer Informationen gestellt werden kann, entspräche auch dem Hauptziel der NFVO, einer effektiven Gefahrenvermeidung. Wenn die Beweislage für die Risiken eines Produktes nicht eindeutig war, weil der Inverkehrbringer ihm vorliegende Informationen nicht unterbreitet hatte, so dass das Inverkehrbringen vorsorglich untersagt wurde, kann er sie auf diese Weise nachreichen. Für solche dem Inverkehrbringer vorliegende Informationen liegt in der Möglichkeit des Nachreichens eine effiziente Suche nach Informationen, wie sie Art. 5 V I I SPS-Abkommen verlangt. 8 9 4 War dagegen die Beweislage aus anderen Gründen unvollständig, etwa wegen allgemein unzureichender naturwissenschaftlicher Kenntnisse darüber, wie bestimmte Eigenschaften eines Produktes zu bewerten sind, kann sich die Informationssuche nicht auf den Inverkehrbringer selbst beschränken: In diesem Fall ist die NFVO WTO-konform und im Einklang mit ihrem Ziel der nur notwendigen Gefahrenvermeidung dahingehend auszulegen, dass sich die entscheidenden Organe stets um eine Erweiterung des naturwissenschaftlichen Erkenntnisstandes auch für bereits getroffene vorsorgliche Maßnahmen bemühen müssen. Ähnlich ist die vierte Voraussetzung von Art. 5 V I I SPS-Abkommen zu beurteilen, die Überprüfungspflicht: Erweist sich ein zunächst vorsorglich abgelehntes Produkt aufgrund neuer Erkenntnisse als zulassungsfähig, ist es auch zuzulassen. Liegt der Erkenntnisgewinn darin, dass der Inverkehrbringer neue entscheidende Informationen nachreicht, lässt sich sein Nachreichen sogar als konkludente Wiederholung des ursprünglichen Antrages begreifen. Hängen die zusätzlichen Informationen mit von der Behörde selbst gewonnenen neuen Erkenntnissen zusammen, ist bei lediglich vorsorglich abgelehnten Produkten der ursprüngliche Antrag weiterhin ausreichend, wenn der Antragsteller nicht inzwischen deutlich gemacht hat, dass er 893 Japan - Measures Affecting Agricultural Products, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 607), Rn. 89. 894 Insoweit zutreffend Howse/Mavroidis (siehe oben Fn. 631), S. 369.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
an seinem Antrag nicht festhalten möchte. Zwar ist es möglich, dass der Antragsteller sein Interesse an der Produktzulassung mittlerweile verloren hat, weil sich das Produkt beispielsweise als nicht wettbewerbsfähig erwiesen hat. 8 9 5 Dies kann jedoch auch bereits während des ersten Genehmigungsverfahrens, das nach den obigen 8 9 6 Erkenntnissen Monate oder gar Jahre dauert, der Fall sein. Daher sind die Fälle nicht unterschiedlich zu behandeln, und grundsätzlich ist davon auszugehen, dass dem Antragsteller weiterhin an einer positiven Zulassungsentscheidung gelegen ist. Dementsprechend lässt sich der insoweit offene Wortlaut der NFVO, soweit er vorsorgliche Zulassungsablehnungen auch außerhalb von Risiken irreparabler Schäden der menschlichen Gesundheit zulässt, in einer mit Art. 5 V I I SPS-Abkommen vereinbaren Weise auslegen. Für eine solche WTO-konforme Auslegung spricht auch, dass in denjenigen europarechtlichen Regelungen, die das Vorsorgeprinzip anders als die NFVO explizit und ausführlich aufgreifen, von einer Pflicht zur Überprüfung der Entscheidung nach einer angemessenen Frist die Rede ist. 8 9 7 Dieser Gedanke ist auf die NFVO, der das Vorsorgeprinzip als Entscheidungsmaßstab ebenfalls zugrunde liegt, übertragbar. Was dagegen das de facto-M oratorium betrifft, stellen bereits die ersten beiden Voraussetzungen von Art. 5 V I I SPS-Abkommen eine kritische Hürde dar: Da das de facto-M oratorium gerade nicht produktspezifisch zwischen den verschiedenen gentechnisch veränderten Lebensmitteln differenziert, sondern die betreffenden Staaten zumindest bis zum Erlass noch strengerer europäischer Vorschriften überhaupt keine gentechnisch veränderten Produkte auf der Grundlage der FreisRL 2001/18/EG oder der N F V O zulassen wollen, lässt sich auch nicht sagen, dass die naturwissenschaftlichen Nachweise für alle betroffenen Produkte unzureichend sind. Für bestimmte gentechnisch veränderte Lebensmittel sind die Nachweise nach naturwissenschaftlicher Beurteilung ausreichend, um anzunehmen, dass keine nennenswerten Risiken für Gesundheit oder Umwelt bestehen. 898 Wegen des pauschalen Ansatzes des de facto-Moratoriums besteht es auch nicht auf der Grundlage der verfügbaren relevanten Informationen - die gegenwärtig verfügbaren Informationen rechtfertigen wegen der grundlegenden Erkenntnis, dass gentechnisch veränderte Organismen oder Lebensmittel nicht per se gefährlich sind, eben nicht für sämtliche vom de facto-Moratorium erfassten Produkte vorläufige Schutzmaßnahmen.
895
Insoweit zutreffend Howse/Mavroidis (siehe oben Fn. 631), S. 369. Siehe zur Verfahrensdauer oben S. 81. 897 Vgl. jetzt insbesondere Art. 7 II S. 2 der allgemeinen Lebensmittelverordnung 178/ 2002/EG: „Diese Maßnahmen müssen innerhalb einer angemessenen Frist überprüft werden, die von der Art des festgestellten Risikos für Leben oder Gesundheit und der Art der wissenschaftlichen Informationen abhängig ist, die zur Klärung der wissenschaftlichen Unsicherheit und für eine umfassendere Risikobewertung notwendig sind." Ähnlich bereits die Entschließung des Rates über die Anwendung des Vorsorgeprinzips vom Dezember 2000, siehe oben S.74. 898 Vgl. zu einem Beispiel nur Schauzu (siehe oben Fn. 22), S. 3. 896
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u n g s p f l i c h t und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
187
Das de facto-Moratorium wird auch nicht dadurch gestützt, dass nach der NFVO das ergänzende Verfahren auf Gemeinschaftsebene nicht fristgebunden ist 8 9 9 : Durch die pauschale Entscheidung, vorerst für keine Produkte das Inverkehrbringen zu gestatten, entfällt gewissermaßen der Erlaubnisvorbehalt des europarechtlichen Verbotes. Eine Auslegung der Fristlosigkeit des ergänzenden Verfahrens zugunsten des de facto-Moratoriums würde daher den Grundcharakter der europarechtlichen Zulassungsregeln ändern und wäre rechtsmissbräuchlich. Diese zunächst europarechtliche Überlegung lässt sich durch Art. 8 i.V. m. Annex C. 1 (a) SPS-Abkommen auf die WTO-Ebene hieven: Diesen Vorschriften lässt sich der Gedanke entnehmen, dass Zulassungsverfahren ohne unnötige Verzögerung durchzuführen sind. Dementsprechend ist das de facto-Moratorium, dass das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt in ein Verbot transformiert, unabhängig von der Frage seiner europarechtlichen Rechtmäßigkeit 9 0 0 mit den welthandelsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar. 901 Von dieser Feststellung unabhängig kann je nach Risikolage im konkreten Fall selbstverständlich die Tatsache, dass wegen des de facto-M oratoriums für ein bestimmtes gentechnisch verändertes Lebensmittel keine Genehmigung zum Inverkehrbringen erteilt wird, unter Umständen SPS-konform sein. Da die EG-Zulassungspflicht, von dem de facto-Moratorium abgesehen, entsprechend Art. 5 I SPS-Abkommen auf eine Risikobeurteilung gestützt ist oder jedenfalls den Anforderungen von Art. 5 V I I SPS-Abkommen genügt, ist i m Folgenden zu untersuchen, ob auch die übrigen Anforderungen des SPS-Abkommens eingehalten sind.
5. Die Zulassungspflicht und das Diskriminierungsverbot der Artt. 2 I I I , 5 V SPS-Abkommen Das SPS-Abkommen enthält mehrere Diskriminierungs verböte, damit tatsächlich der Gesundheitsschutz von Menschen, Tieren und Pflanzen das Ziel von Handelsbeschränkungen ist und nicht die Schaffung von Wettbewerbs vorteilen. 9 0 2 Art. 2 I I I SPS-Abkommen verbietet die Diskriminierung zwischen WTO-Mitgliedstaaten. Dieses Diskriminierungsverbot wird von den europäischen Sekundärnormen für gentechnisch veränderte Lebensmittel nicht verletzt, da alle Lebensmittelproduzenten beim Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Lebensmittel die Anforderungen des EG-Rechts erfüllen müssen und potentiell auch europäische Lebensmittelproduzenten in diesem Marktbereich Gewicht hätten, 903 so dass auch kein Fall faktischer Diskriminierung vorliegt. 899 900 901 902 903
Siehe oben S. 80 zu dieser Besonderheit des Verfahrens. Vgl. dazu etwa Sheridan (siehe oben Fn. 6), S. 259. Offen gelassen bei Sheridan (siehe oben Fn.6), S. 259 ff. Vgl. Altemöller (siehe oben Fn. 589), S. 234f. (zu Art. XX GATT). Vgl. Perdikis/Kerr/Hobbs (siehe oben Fn.538), S.698f.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Daneben verbieten Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen die Diskriminierung zwischen Produkten als verschleierte Handelsbeschränkung. Für dieses produktbezogene Diskriminierungsverbot hat der Appellate Body drei Voraussetzungen herausgearbeitet 9 0 4 : Zunächst ist erforderlich, dass der betreffende Mitgliedstaat in vergleichbaren Situationen unterschiedliche Schutzniveaus aufgestellt hat. Ferner muss dieser Unterschied willkürlich oder ungerechtfertigt sein. Schließlich muss es sich um eine Diskriminierung oder verschleierte Handelsbeschränkung handeln. A n diesen Anforderungen ist der Vorwurf zu messen, die EG benachteilige zu Unrecht gentechnisch hergestellte Lebensmittel gegenüber nach herkömmlichen Methoden hergestellten Neuentwicklungen, 9 0 5 obwohl nach naturwissenschaftlich herrschender Auffassung deren Risiken prinzipiell vergleichbar seien. 9 0 6
a) Unterschiedliche
Schutzniveaus in vergleichbaren
Situationen
Das erste Element des produktbezogenen Diskriminierungsverbotes der Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen, die unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Produkte, erinnert an die etwa in Artt. I, I I I GATT oder Annex C SPS-Abkommen 9 0 7 verwendete Kategorie der like products. Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen stellen zumindest dem Wortlaut nach nicht auf like products ab. Außerdem haben Panels und Appellate Body wie die GATT-Arbeitsgruppe „Border Tax Adjustment" deutlich gemacht, dass die Kategorie der like products trotz einiger Gemeinsamkeiten selbst dort fallund normspezifisch auszulegen ist, wo sie tatsächlich in den WTO-Abkommen zu finden ist. 9 0 8 Deshalb haben Panels und Appellate Body zurecht die Kriterien für like products nicht einfach auf Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen transferiert, sondern trotz mancher Ähnlichkeiten eigene Maßstäbe dafür entwickelt, wann unterschiedlich behandelte Produkte vergleichbar sind. Dass die EG gentechnisch und herkömmlich hergestellte Neuentwicklungen unterschiedlich behandelt, ist in der Tat festzustellen: Wie im ersten Teil erwähnt, 9 0 9 904
EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.605), Rn. 214ff. 905 Vgl. Adler (siehe oben Fn.56), S. 179; zweifelnd auch Macmillan! Blakeney (siehe oben Fn. 648), S. 104. 906 Vgl. zur Gefährlichkeit von nach herkömmlichen Verfahren hergestellten Neuzüchtungen die Hinweise oben Fn.43. 907 Im Gentechnikkonflikt erörtert das Schrifttum die Frage, ob gentechnisch veränderte Lebensmittel und konventionell hergestellte Neuentwicklungen like products darstellen, regelmäßig nicht bei Annex C SPS-Abkommen, sondern im Zusammenhang mit Art. 21 TBT-Abkommen und den EG-Kennzeichnungsnormen. Da sich dort die entscheidenden Fragen gleichermaßen und teilweise mit noch größerer Relevanz stellen, wird dem hier gefolgt. Siehe dazu unten S.21 Off. 90s Vgl v o n fen jüngeren Berichten insbesondere European Communities - Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 626), Rn. 88 ff.; vgl. auch Senti (siehe oben Fn. 588), Rn. 439, 696 m. w. N. 909 Siehe oben S.47ff. zum Anwendungsbereich der NFVO, v.a. S.58 zu den Grenzen.
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beschränkt sich der Anwendungsbereich der NFVO zwar nicht auf gentechnisch hergestellte Lebensmittel, erfasst jedoch insbesondere nicht nach in Europa traditionellen Verfahren hergestellte neuartige Lebensmittel. Auch wenn die NFVO differenziert und für bestimmte Lebensmittel bei wesentlicher Gleichartigkeit mit bestehenden Lebensmitteln ein Anzeigeverfahren ausreichen lässt, liegt darin noch immer eine unterschiedliche Behandlung i m Vergleich zum im Lebensmittelrecht grundsätzlich geltenden Missbrauchsprinzip. Was die Vergleichbarkeit gentechnischer und nach herkömmlichen Verfahren hergestellter Neuentwicklungen betrifft, hat der Appellate Body im Hormonfall die Vergleichbarkeit zweier Situationen i. S. v. Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen abstrakt dahingehend beschrieben, dass sie zumindest einige gemeinsame Elemente aufweisen müssen. 910 Nach den Ausführungen i m Lachsfall kann dies bereits der Fall sein, wenn die unterschiedlichen Produkte das Risiko einer ähnlichen Krankheit aufweisen. 9 1 1 Es ist praktisch unbestritten, dass auch bei der Anwendung herkömmlicher Kreuzungsverfahren beispielsweise Nebenwirkungen auftreten können. Damit sind die Kriterien des Lachsfalles erfüllt. A u f dieser Stufe der Diskriminierungsprüfung lässt sich daher nicht einwenden, dass umstritten ist, ob gentechnisch veränderte Lebensmittel insgesamt gefährlicher sind als nach herkömmlichen Verfahren hergestellte Neuentwicklungen im Lebensmittelbereich. Vielmehr spricht die ausgesprochen weite 9 1 2 Auslegung der Vergleichbarkeit durch den Appellate Body dafür, die Vergleichbarkeit gentechnischer und konventionell hergestellter Neuentwicklungen zu bejahen.
b) Willkürlich
oder ungerechtfertigt
unterschiedliches
Schutzniveau
A u f der zweiten Stufe geht es darum, ob die unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Situationen willkürlich oder ungerechtfertigt ist. Gegen den Vorwurf, die EG diskriminiere zwischen gentechnisch veränderten Lebensmitteln und nach herkömmlichen Verfahren hergestellten Lebensmitteln, wird häufig eingewandt, er sei eine ähnliche „Absurdität" wie die vom Appellate Body im Hormonstreit mit dieser Formulierung zurückgewiesene These, die Ungleichbehandlung von künstlich zugefügten und natürlich vorhandenen Hormonen durch die EG sei willkürlich und ungerechtfertigt. 913 Tatsächlich ist die sprachliche 910
EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 217. 911 Australia - Measures Affecting Importation of Salmon, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 607), Rn. 152. 912 So auch Pauwelyn (siehe oben Fn. 624), S. 654. 913 Vgl. EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.605), Rn.221; auf diese Äußerung des Appellate Body stützen sich im Gentechnikkonflikt etwa Eggers (siehe oben Fn. 609), Fn. 37; ihr folgend Streinz (siehe oben Fn. 263), S. 254; Burchardi (siehe oben Fn. 639), S. 92; Teel (siehe oben Fn. 548), S. 696.
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Vehemenz bemerkenswert, mit der der Appellate Body den Vergleich im Hormonfall ablehnt. Hingegen ist nicht anzunehmen, dass der Appellate Body auch den Diskriminierungsvorwurf im Hinblick auf gentechnische und konventionell hergestellte Neuentwicklungen als „Absurdität" empfände: Der Appellate Body verwarf die Forderung nach einer Gleichbehandlung zugesetzter und natürlich vorkommender Hormone, weil ein Verbot natürlich vorkommender Hormone ein unsinniger Eingriff in die Freiheit der Verbraucher sei. 9 1 4 In der Tat müssten dann etliche auf dem Markt etablierte Produkte wie beispielsweise Hühnereier verboten werden. Anders als für natürlich vorhandene Hormone ist es aber nicht gleichermaßen abwegig, Neuentwicklungen nach herkömmlichen Verfahren ähnlich wie gentechnisch veränderte einzuschränken. Hier geht es nicht um bereits auf dem Markt vorhandene traditionelle Produkte. Außerdem handelt es sich im Gentechnikkonflikt anders als im Hormonstreit nicht um ein Verbot, sondern nur um eine Zulassungspflicht. Aus den Äußerungen des Appellate Body i m Hormonfall lässt sich daher nicht schließen, der Vorwurf, die EG diskriminiere zwischen herkömmlich produzierten und gentechnischen Neuentwicklungen, sei eine „Absurdität". Dem Bericht des Appellate Body im Hormonfall lässt sich entnehmen, dass auf der zweiten Stufe diejenigen Fälle herausfallen, in denen zwar naturwissenschaftliche Identität, aber keine wertungsmäßige Vergleichbarkeit zwischen zwei Produkten besteht. M i t dieser Begründung wurde eine Diskriminierung dafür verneint, dass die EG die gleichen Hormone, die sie prinzipiell verbot, bei bestimmten Anwendungen zuließ, weil bei diesen Anwendungen etwa die angewandten Mengen oder die Kontrollmöglichkeiten deutlich anders als i m Normalfall seien. Die Rechtfertigung lag also in den mit der jeweiligen Anwendung verbundenen Konsequenzen. Diese Überlegung ist aber auf den Vergleich gentechnischer und herkömmlich hergestellter Neuentwicklungen nicht übertragbar, weil es stets um dieselbe Anwendung geht, den Verzehr des betreffenden Lebensmittels. I m Lachsfall hat der Appellate Body zwar dem Diskriminierungsvorwurf letztlich stattgegeben. Nach seinen Ausführungen fehlt allerdings das zweite Diskriminierungselement, wo die betreffenden Produkte zwar ein Risiko gemeinsam haben, aber insgesamt eine Produktart als gefährlicher erscheint. 915 Oben wurde bereits dargestellt, dass der Appellate Body im Zusammenhang mit der Frage, wann eine nationale Handelsbeschränkung auf eine Risikobeurteilung gestützt ist, geäußert hat, dies könne durchaus auch der Fall sein, wenn dafür eine naturwissenschaftliche Mindermeinung qualifizierter und anerkannter Naturwissenschaftler die Grundlage sei - gerade ein Streit unter Naturwissenschaftlern könne eine naturwissenschaftliche Unsicherheit darstellen. 916 Auch wenn unter Naturwissenschaftlern die mehr914 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 221. 915 Vgl. Australia - Measures Affecting Importation of Salmon, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.607), Rn. 154, 158. 916 Siehe oben S. 174.
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heitliche Auffassung dahin gehen mag, gentechnisch veränderte Lebensmittel i m Vergleich mit herkömmlichen Neuentwicklungen nicht als prinzipiell gefährlicher anzusehen, gibt es Naturwissenschaftler, die dies zumindest dort anders beurteilen, wo im Endprodukt noch gentechnisch veränderte Organismen vorhanden sind. 9 1 7 Der Meinungsstreit nimmt bei Derivativprodukten in dem Maße ab, in dem die Unterschiede zu konventionellen Lebensmitteln geringer ausfallen. Diese naturwissenschaftliche Auseinandersetzung bewirkt eine Unsicherheit über die von gentechnisch veränderten Lebensmitteln ausgehenden Risiken. Aufbauend auf der Argumentation des Appellate Body, ist auch das Risiko eines Risikos ein Risiko. Diese Überlegung ist für die Prüfung der Diskriminierungsvoraussetzungen genauso plausibel wie für die Frage, ob eine Maßnahme auf eine Risikobeurteilung gestützt ist. Insofern ist die Öffnung des Appellate Body gegenüber qualifizierten naturwissenschaftlichen Mindermeinungen ein Argument dafür, dass wegen der insgesamt unterschiedlichen Unwägbarkeiten gentechnischer und konventionell hergestellter Neuentwicklungen der Diskriminierungsvorwurf bereits auf der zweiten Stufe scheitert, sofern es um gentechnisch veränderte Organismen i. S. v. Art. 1 11(a) NFVO geht. 9 1 8
c) Diskriminierung
oder verschleierte
Handelsbeschränkung
Da auch auf Grundlage der hier vertretenen Argumentation die zweite Stufe des Diskriminierungsverbotes jedenfalls für Derivativprodukte i. S. v. Art. 1 I I (b) N F V O zu bejahen ist, ist auf der dritten Stufe zu überlegen, ob die Zulassungspflicht der EG eine Diskriminierung oder verschleierte Handelsbeschränkung darstellt. Der Appellate Body hat im Hormonfall diese Voraussetzung des Diskriminierungsverbotes konkretisiert: Ob eine Diskriminierung oder versteckte Handelsbeschränkung i. S. v. Art. 5 V SPS-Abkommen vorliegt, beurteilt der Appellate Body nach der subjektiven Absicht, mit der ein Mitgliedstaat den Handel beschränkt. Diese Intention wiederum schließt er aus objektiven Indizien. I m Hormonfall verneinte der Appellate Body die Diskriminierung oder versteckte Handelsbeschränkung dafür, dass die EG die Verwendung bestimmter Hormone in der Rinderzucht untersagte, vergleichbare Stoffe in der Schweinezucht dagegen zuließ. Alleine aus der deutlichen Diskrepanz zwischen dem Verbot einerseits und der Erlaubnis andererseits sei noch nicht auf eine protektionistische Intention der EG zu schließen. 919 Auch sei unschädlich, dass die EG in den Erwägungsgründen der betreffenden Handelsbeschränkungen zum Ausdruck gebracht habe, durch die Beseitigung innergemeinschaftlicher Rechtsunterschiede den Rindfleischverbrauch zu steigern und dadurch 917
Vgl. etwa die Auffassung von Krimsky oder Kahl (siehe oben Fn. 43). Für ein Scheitern des Diskriminierungsvorwurfes auf der zweiten Stufe auch Yu Hl (siehe oben Fn. 813), S. 604. 919 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 239 f. 918
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
die Überproduktion an Rindfleisch zu reduzieren und die Situation heimischer Erzeuger verbessern zu wollen. Ebenfalls aus der Dominanz nordamerikanischer Erzeuger im Bereich hormonbehandelten Rindfleisches lasse sich die Diskriminierung oder versteckte Handelsbeschränkung i. S. v. Art. 5 V SPS-Abkommen nicht schließen. Die Tatsache dieser wirtschaftlichen Dominanz und die Verfolgung von Nebenzwecken änderten nichts daran, dass die Hauptabsicht der EG der Gesundheitsschutz gewesen sei. 9 2 0 Diese Überlegungen des Appellate Body sind von einem Teil des Schrifttums heftig kritisiert worden. Der Appellate Body interpretiere das Diskriminierungsverbot des SPS-Abkommens anders als nach dem GATT, was nicht zu dessen Charakter als Ausführungsbestimmung des GATT passe. 921 Der subjektiven Methode des Appellate Body mangele es an Grundsätzen. 922 I m Lachsfall hat der Appellate Body hingegen auf Grundlage der äußeren Indizien auf eine versteckte Handelsbeschränkung geschlossen. Das Fehlen eines hinreichenden risk assessment durch Australien, die willkürlichen und substantiellen Unterschiede zwischen der Behandlung vergleichbarer Risiken, eine unerklärte politische Kehrtwende in Australien zugunsten von Importbeschränkungen und die innerhalb Australiens sehr großzügigen Kontrollen in Bezug auf die betreffenden Risiken ließen den Appellate Body bei seiner Gesamtwürdigung der Indizien annehmen, tatsächlich habe Australien protektionistische Absichten verfolgt. 9 2 3 Trotz des unterschiedlichen Ergebnisses hat der Appellate Body auch im Lachsfall an seinem subjektiven Ausgangspunkt festgehalten. Dies entspricht der grundsätzlichen Zielsetzung von Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen, die der Appellate Body in der Abwehr von Protektionismusmaßnahmen sieht und nicht in der Herbeiführung „vollkommener Kohärenz" („perfect consistency") zwischen verschiedenen Risikomaßnahmen desselben Mitgliedstaates. 924 Da die Bewertung von den i m Einzelfall vorliegenden Indizien abhängt, ist der Lachsfall deshalb nicht als prinzipielle Abkehr von der Hormonentscheidung zu werten. Allerdings ist die Bedeutung bemerkenswert, die der Appellate Body im Lachsfall bestimmten Indizien beigemessen hat, insbesondere dem Fehlen einer hinreichenden Risikobeurteilung. 9 2 5 Hinsichtlich der EG-Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel lassen sich, wenn man den Grundsatz des Appellate Body und die in Hormon- und 920
EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 245 f. 921 Quick! Blüthner (siehe oben Fn.636), S.631 f. 922 Hurst (siehe oben Fn.692), S. 1, 20, 24; ebenfalls kritisch etwa Neugehauer (siehe oben Fn. 809), S. 1271 f. 923 Vgl. Australia - Measures Affecting Importation of Salmon, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 607), Rn. 159 ff. 924 EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.605), Rn.213. 925 Vgl. Pauwelyn (siehe oben Fn. 624), S. 655; Burchardi (siehe oben Fn. 639), S. 87.
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Lachsfall untersuchten Indizien anwendet, kaum Anzeichen dafür finden, dass die EG mit der Zulassungspflicht protektionistische Absichten verfolgt. Wie dargelegt, besteht zwar ein beachtlicher Unterschied hinsichtlich der Beschränkung des Inverkehrbringens gentechnisch veränderter Lebensmittel und der Beschränkungsfreiheit von nach herkömmlichen Verfahren hergestellten neuartigen Lebensmitteln. Dies ließe sich ähnlich wie i m Lachsfall noch eingeschränkt als ein auf eine protektionistische Haltung hindeutender Aspekt verwerten. Davon abgesehen, sprechen jedoch die überwiegenden Argumente deutlich gegen eine protektionistische Zielsetzung der EG: Trotz der oben 9 2 6 dargestellten, teilweise von Wechseln geprägten Entwicklung der europäischen Gentechnikpolitik lässt sich anders als im Lachsfall 9 2 7 nicht sagen, dass die Zulassungspflicht auf einer wegen unveränderter naturwissenschaftlicher Erkenntnisse unerklärlichen und abrupten Kehrtwende der EG beruhe. Vielmehr deutete sich die Einführung der erstmals in der FreisRL 90/220/EWG enthaltenen Zulassungspflicht über mehrere Jahre i m Normgebungsverfahren an, 9 2 8 und sie ist seitdem prinzipiell beibehalten worden. Ferner ist dem europäischen Gesetzgeber bekannt, dass trotz der bisherigen Dominanz nordamerikanischer Unternehmen auch die Entwicklungsmöglichkeiten einiger schon jetzt bedeutender europäischer Biotechnikunternehmen von den Beschränkungen betroffen sind. 9 2 9 Anders als im Lachsfall ist die EG also innergemeinschaftlich genauso rigide wie nach außen. Schließlich spiegeln die Erwägungsgründe der NFVO und der anderen Vorschriften die im Normgebungsverfahren diskutierten, von der EG mit dem Zulassungsverfahren verfolgten Ziele wieder, insbesondere den Gesundheits- und Umweltschutz. 9 3 0 Selbst i m Hormonstreit enthielten die Erwägungsgründe der maßgeblichen EG-Vorschriften deutlichere Hinweise auf eine protektionistische Intention, obwohl der Appellate Body sie letztlich verneinte. Dass die N F V O und die vom Kommissionsvorschlag K O M (2001) 425 endg. anvisierte Verordnung für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel keinen lückenlosen Anwendungsbereich haben, 931 ist ebenfalls unschädlich. Zwar unterwirft wie die N F V O auch die geplante Neuregelung solche Lebensmittel keiner Zulassungspflicht, die nicht aus, sondern nur mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen oder Verarbeitungshilfsstoffe hergestellt werden. Weder die Entstehungsge926 Siehe oben S.27ff. zur Geschichte der EG-Vorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel. 927 Vgl. im übrigen zu den Gründen für die Kehrtwende in Australien die sich entgegenstehenden Ausführungen bei Victor (siehe oben Fn. 612), S. 908; Taylor, The WTO Panel Decision on Australia's Salmon Import Guidelines: Evidence that the SPS Agreement Can Effectively Protect Human Health Interests, Pacific Rim Law and Policy Journal 2000, S.473ff. (481 f.). 928 Siehe oben S. 29 zur Entwicklung der EG-Gentechnikpolitik in den letzten Jahren vor Inkrafttreten der FreisRL. 929 Vgl. Perdikis/Kerr/Hobbs (siehe oben Fn.538), S.698f. 930 Siehe oben S.40ff. zu den rationes legis der NFVO. 931 Siehe oben S.48ff. zum Anwendungsbereich der NFVO, S. 101 zum Anwendungsbereich der geplanten Neuregelung.
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schichte der N F V O noch die des Kommissionsvorschlages (2001) 425 endg. geben jedoch den hohen Anforderungen des Appellate Body genügende, besondere Indizien für eine protektionistische Absicht her, die den europäischen Gesetzgeber zu der Differenzierung bewogen haben könnte. Nach den obigen Ausführungen ist aber gerade diese Absicht für die Beurteilung des Diskriminierungsverbotes durch den Appellate Body maßgeblich und nicht eine etwaige tatsächliche Wirkung. Schon deshalb ist an dieser Stelle unerheblich, dass bei bestimmten aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln im Endprodukt der analytische Nachweis für den Einsatz gentechnischer Verfahren ebenso unmöglich ist wie bei mit Hilfe von gentechnisch veränderten Organismen oder Verarbeitungshilfsstoffen hergestellten Lebensmitteln. Insgesamt ist festzustellen, dass nach den Maßstäben des Appellate Body die EGZulassungspflicht nicht protektionistisch motiviert ist. 9 3 2 Selbst wer die ersten beiden Elemente der Diskriminierungsprüfung bejaht, muss demnach den Diskriminierungsvorwurf auf der dritten Stufe scheitern lassen.
6. Die Zulassungspflicht und das Verbot rein verfahrensbezogener Handelsbeschränkungen Häufig finden sich im Anschluss an die noch zum GATT 1947 i m Zusammenhang mit Artt. I, III, X I , X X GATT erstellten Panelberichte in den Thunfisch-/Delphinfällen 9 3 3 auch i m Schrifttum Äußerungen, das WTO-Recht verbiete generell Handelsbeschränkungen, die nicht auf Produktunterschieden, sondern nur auf unterschiedlichen Herstellungsarten basierten (non-product related production and processing methods , PPMs). 9 3 4 Die Kategorie der rein verfahrensbezogenen Handelsbeschränkungen wurde bereits oben bei der Frage erwähnt, inwieweit die EGKennzeichnungspßicht unter das TBT-Abkommen zu subsumieren ist. Hier geht es darum, ob die EG-Zulassungspflicht, indem sie den Handel mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln beschränkt, während herkömmlich hergestellte Neuentwicklungen prinzipiell zulassungsfrei sind, zwar nicht gegen das Diskriminierungsverbot der Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen verstößt, aber gegen ein daneben bestehendes welthandelsrechtliches Verbot rein verfahrensbezogener Handelsbeschränkungen. 932 In dieser Richtung auch Perdikis/Kerr/Hohbs (siehe oben Fn. 604), S. 390f.; im Zusammenhang mit der Kennzeichnungspflicht ähnlich Petersmann (siehe oben Fn. 667), S. 254; Fredland (siehe oben Fn.452), S.214f. 933 Vgl. United States - Restrictions on Imports of Tuna, Report of the Panel , BISD 39S/155, 16.08.1991, 30 I.L.M. 1594 (1991), Rn.5.8ff.; United States-Restrictions on Imports of Tuna II, Report of the Panel, DS29/R, 16.06.1994, 33 I.L.M. 839 (1994), Rn.5.9, 5.38. 934 Vgl. etwa Diem, Freihandel und Umweltschutz in GATT und WTO, S.98ff.; Schlagenhof Trade Measures Based on Environmental Processes and Production Methods, JWT 1995, S. 123 ff., jeweils m. w. N.
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Zunächst ist festzustellen, dass sich diese Frage von vornherein nur insoweit stellt, als es um diejenigen gentechnisch veränderten Lebensmittel geht, die von der N F V O erfasst sind, aber überhaupt keine naturwissenschaftlichen Unterschiede zu nicht gentechnisch veränderten Produkten aufweisen. 935 Selbst soweit diese gentechnisch veränderten Lebensmittel betroffen sind, ist jedoch sehr zweifelhaft, ob die Zulassungspflicht gegen ein Verbot rein verfahrensbezogener Handelsbeschränkungen verstößt: Wie oben 9 3 6 ausführlich dargestellt, ist die Zulassungspflicht nicht an Artt. I, III, X I , X X GATT zu messen, an denen der besagte Grundsatz entwickelt wurde, sondern an den spezifischen Vorgaben des SPS-Abkommens. Davon abgesehen, ist i m Einklang mit der Rechtsprechung des Appellate Body ein generelles Verbot ausschließlich verfahrensbezogener Handelsbeschränkungen auch i m Rahmen des GATT nicht anzuerkennen: In seiner Garnelen-/Schildkrötenentscheidung verwarf der Appellate Body zwar die betreffende Handelsbeschränkung, aber nicht mit dem auf Grundlage der alten Rechtsprechung der GATT-Panels naheliegenden Argument, sie sei ausschließlich Verfahrens- und nicht produktbezogen. Ausdrücklich wies der Appellate Body die auf den Thunfisch-/Delphinfällen gründende Auffassung des Panel zurück, eine Maßnahme sei bereits dann nicht mit Art. X X GATT zu vereinbaren, wenn sie den Exportstaat zur Annahme bestimmter umweltpolitischer oder sonstiger politischer Ziele zwinge. Dieser Gedanke lasse sich Art. X X GATT nicht entnehmen, der nicht jede Durchsetzung von Anliegen des Umweltschutzes, sondern nur den Missbrauch verbiete. 937 Die zutreffende Argumentation des Appellate Body ist eine Abkehr vom PPM-Dogma. 9 3 8 Auch im Schrifttum mehren sich die Stimmen dafür, rein verfahrensbezogene Handelsbeschränkungen etwa dann nicht als WTO-widrig anzusehen, wenn das betreffende Verfahren eine besondere Umweltbelastung darstellt. 9 3 9 Insgesamt ist festzustellen, dass die EG-Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel nicht gegen ein Verbot rein verfahrensbezogener Handelsbeschränkungen verstößt.
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Siehe dazu oben S. 140. Siehe oben S. 133 ff. 937 United States - Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, Report of the Appellate Body , WT/DS58/AB/R, 12.10.1998, http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/ 58abr.doc, Rn.ll2ff. 938 So auch Charnovitz , The Law of Environmental „PPMs" in the WTO: Debunking the Myth of Illegality, Yale Journal of International Law 2002, S.59ff. (97); Mavroidis , Trade and Environment after the Shrimps-Turtles Litigation, JWT 2000, S.73ff. (74); Winter , Reconciling the GATT and WTO with Multilateral Environmental Agreements: Can We Have Our Cake and Eat It Too? Colorado Journal of International Environmental Law and Policy 2000, S. 223 ff. (228 f.); Biermann , The Rising Tide of Green Unilateralism in World Trade Law, Options for Reconciling the Emerging North-South Conflict, JWT 2001, S.421 ff. (430f.); Ginzky , Garnelen und Schildkröten - Zu den umweltpolitischen Handlungsspielräumen der WTOMitgliedstaaten, ZUR 1999, S.216ff. (221). 939 Vgl. etwa Senti (siehe oben Fn.588), Rn.702; Charnovitz (siehe oben Fn.938), S.59ff. 936
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7. Die Zulassungspflicht und die Necessity Clause des Art. 5 V I SPS-Abkommen Bei der Prüfung, ob die EG-Zulassungspflicht auf ein risk assessment i. S. v. Art. 51 SPS-Abkommen gestützt ist, wurden oben 9 4 0 bereits Überlegungen nutzbar gemacht, die im deutschen Verfassungs- und Verwaltungsrecht bei der Geeignetheit einer Maßnahme i m Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung relevant würden. Die necessity clause 941 des Art. 5 V I SPS-Abkommen ist demgegenüber mit der Kategorie der Erforderlichkeit vergleichbar. Die necessity clause ist keine allgemeine Kosten-Nutzen-Abwägung 9 4 2 : Nach Art. 5 V I SPS-Abkommen i.V. m. der dazugehörigen Fußnote ist eine Handelsbeschränkung nur rechtmäßig, wenn unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und technischen Machbarkeit keine Alternative vernünftigerweise zur Verfügung steht, die den angemessenen Schutzlevel erreicht und den Handel erheblich weniger beschränkt. A u f diesem allgemeinen Erforderlichkeitsgebot und dem bereits untersuchten Diskriminierungsverbot aufbauend, enthält Annex C SPS-Abkommen einige nähere Vorgaben auch für Genehmigungsverfahren und verlangt etwa, dass unnötige Verzögerungen zu vermeiden sind. Der Appellate Body hat bislang in beiden Fällen das Panel korrigiert, in denen das Panel auf eine Verletzung von Art. 5 V I SPS-Abkommen erkannt hatte. Insbesondere hat er im Lachsfall klargestellt, dass die Bestimmung des angemessenen Schutzlevels, der von der zu seiner Erreichung erlassenen Maßnahme zu unterscheiden sei, eine Prärogative des Mitgliedstaates sei und nicht in der Kompetenz von Panels und Appellate Body stehe. Nur soweit der Mitgliedstaat diesen Schutzlevel nicht ausdrücklich und hinreichend genau definiere, sei durch Auslegung zu ermitteln, welches Schutzniveau sich in der betreffenden Handelsbeschränkung widerspiegele. 943 Das von der EG mit der Zulassungspflicht angestrebte Schutzniveau ist zwar nicht, die Risiken auf N u l l zu reduzieren. 944 Ansonsten wäre auch ein Verbot gentechnisch veränderter Lebensmittel die konsequente Reaktion des EG-Gesetzge940
Siehe oben S. 178 ff. Das SPS-Abkommen verwendet im übrigen anders als etwa Art. XX GATT oder Art. 211 TBT-Abkommen nicht das Wort „necessity". Wegen der Anschaulichkeit des Begriffes wird in dieser Arbeit die Wendung „necessity clause" auch im Zusammenhang mit dem SPS-Abkommen gebraucht, wobei inhaltlich die Anforderungen von Art. 5 V I SPS-Abkommen zugrunde gelegt werden. 942 Vgl. zum Fehlen einer derartigen Abwägung im SPS-Abkommen Charnovitz (siehe oben Fn. 537), S.282. 943 Vgl. Australia - Measures Affecting Importation of Salmon, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.607), Rn. 199 ff. 944 So aber Hathcock , The Precautionary Principle - An Impossible Burden of Proof for New Products, AgBioForum 2000, S.255ff. (256), wonach das Vorsorgeprinzip eine Nullrisikopolitik verkörpere. 941
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bers. Immerhin lässt sich bereits den Erwägungsgründen der FreisRL 90/220/EWG entnehmen, dass die EG mit der Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Organismen ein „hohes Schutzniveau" anstrebt. 945 Dies entspricht auch dem Auftrag in der Ermächtigungsgrundlage zur NFVO, Art. 95 EG. Auch die FreisRL 2001/18/EG spricht von einem hohen Schutzniveau 946 und betont ähnlich wie die allgemeine Lebensmittelverordnung 178/2002/EG das ihr zugrunde liegende Vorsorgeprinzip. 947 Der Kommissionsvorschlag für eine neue Verordnung für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel visiert ebenfalls ausdrücklich ein hohes Schutzniveau an. 9 4 8 Auch i m internationalen Vergleich ist das von der EG anvisierte Schutzniveau verhältnismäßig hoch, insbesondere i m Vergleich mit den Vorschriften der USA in diesem Bereich. 9 4 9 Die Alternativen zur Zulassungspflicht sind daher an diesem Schutzniveau zu messen. Häufig wird vor allem von ökonomischer Seite vorgeschlagen, die EG solle sich statt der Zulassungspflicht auf eine Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel beschränken. 950 Gerade die Preise konventioneller Lebensmittel würden verhältnismäßig weniger deutlich steigen durch eine Kennzeichnung als bei drastischeren Handelsbeschränkungen. 951 In der Tat ist vor der Reglementierung eines Produktes durch allgemeine Zulassungsnormen zu überlegen, ob der gleiche Zweck nicht durch Kennzeichnungsvorschriften erreicht werden kann, die eine individuelle Entscheidung für oder gegen das betreffende Produkt ermöglichen. Dementsprechend wurde zurecht innerhalb der EG-Organe vor Einführung der Verbote für bestimmte Hormone erwogen, ob Kennzeichnungsregeln ausreichen. 952 Beispielsweise bei Zigaretten liegt es nahe, nach dem Grundsatz der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung die Entscheidung über die Risiken dem Verbraucher zu überlassen. 953 Da für die necessity clause des Art. 5 V I SPS-Abkommen aber nur Alternativen maßgeblich sind, mit der sich der 945 Erwägungsgrund 5 FreisRL 90/220/EWG: „Die Maßnahmen zur Angleichung der Vorschriften der Mitgliedstaaten, deren Ziel in der Verwirklichung des Binnenmarkts liegt, sollten in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz von einem hohen Schutzniveau in der gesamten Gemeinschaft ausgehen." 946 Vgl. etwa Art. 16 FreisRL 2001/18/EG. 947 Erwägungsgrund 8, Art. 1 FreisRL 2001/18/EG, Artt. 1 I, 7 der Verordnung 178/ 2002/EG. 948 Erwägungsgrund 2, Art. 1 (a) des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. 949
Siehe oben S. 115 ff. zu den Vorschriften in den USA. In diesem Sinne etwa Oberenderl ΉerzberglKienle (siehe oben Fn. 174), S. 55 ff.; ähnlich GaisfordIChui-Ha, The Case for and against Import Embargoes on Products of Biotechnology, Estey Centre Journal of International Law and Trade Policy 2000, S. 83 ff. (88 ff.), mit dem Vergleich Kennzeichnungsverfahren/Embargo. 951 GaisfordIChui-Ha (siehe oben Fn.950), S.88ff. 952 Quintillàn (siehe oben Fn.603), S. 170ff. 953 Ygi Thailand - Restrictions on Importation of and Internal Taxes on Cigarettes, Report of the Panel , DS10/R, 07.11.1990, und dazu die Ausführungen bei Altemöller (siehe oben Fn. 589), S.234. 950
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angemessene Schutzlevel erreichen lässt, kann nur produktspezifisch am Maßstab der Effizienz einer Kennzeichnung zum Schutze der jeweiligen Rechtsgüter entschieden werden, ob eine Kennzeichnungspflicht gegenüber einer Zulassungspflicht vorzugswürdig ist. Es gibt jedenfalls bestimmte gentechnisch veränderte Lebensmittel, bei denen eine Beeinträchtigung der Umwelt nicht auszuschließen ist, nämlich solche i. S. v. Art. 1 I I (a) N F V O . 9 5 4 Insoweit wäre eine Kennzeichnung für einen effektiven Schutz des gefährdeten Rechtsgutes nicht ausreichend, da sie den Schutz der Umwelt als Rechtsgut der Allgemeinheit von einer individuellen Verbraucherentscheidung abhängig machte. 9 5 5 Davon abgesehen, bestehen entscheidende Unterschiede zwischen gentechnisch veränderten Lebensmitteln und beispielsweise Zigaretten, bei denen eine Kennzeichnung als für den Gesundheitsschutz ausreichend angesehen werden kann: Während Zigaretten als solche leicht zu erkennen sind, lassen sich gentechnisch veränderte und herkömmliche Lebensmittel normalerweise äußerlich nicht unterscheiden. Solange wie bisher auf dem europäischen Lebensmittelmarkt gentechnisch veränderte Organismen oder daraus hergestellt Erzeugnisse eine untergeordnete Rolle spielen, kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Verbraucher die Kennzeichnung regelmäßig zur Kenntnis nimmt, so dass es sich beim Verzehr der betreffenden Produkte häufig nicht um eine freiwillige Selbstgefährdung handeln würde. 9 5 6 Sofern die Kennzeichnung nicht dem Gesundheitsschutz, sondern der davon unabhängigen Verbraucherinformation über bestimmte Eigenschaften des Produkts wie etwa das Herkunftsland dient, mag dem Verbraucher zwar zugemutet werden, die Konsequenzen daraus zu tragen, dass er sich mit einer Produktkennzeichnung nicht hinreichend auseinandersetzt, um äußerlich identische Produkte zu unterscheiden. 957 Die Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel dient aber dem Gesundheitsschutz, und zwar der Abwehr auch akuter Gesundheitsschädigungen, während die Gesundheitsrisiken etwa bei Zigaretten vorwiegend chronische Folgen betreffen. Daher gibt es bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln produktspezifische Besonderheiten neben den allgemeinen Grenzen einer Verbraucherinformation wie etwa der schwierigen Information von Analphabeten, deretwegen eine Kennzeichnungspflicht nicht gleichermaßen effektiv wäre zur Erreichung des von der EG angestrebten hohen Schutzniveaus der betroffenen Rechtsgüter. Deshalb ist die Kennzeichnungspflicht auch keine Alternative i. S. v. Art. 5 V I SPS-Abkommen zur Zulassungspflicht. Ebenso wäre es unmöglich, ein gleichermaßen hohes Schutzniveau durch die Errichtung eines Haftungsfonds zu erreichen, der durch eine Abgabe auf neuartige Lebensmittel gespeist würde und im Schadensfall die Differenz zwischen einer Versi954
Siehe dazu oben S. 56. Ähnlich Huber (siehe oben Fn.4), S. 300f. 956 Dies übersieht Huber (siehe oben Fn. 4), S. 301. 957 Vgl. zu diesem etwa der Rechtsprechung des EuGH zugrunde liegenden Gedanken Grube (siehe oben Fn. 172), S. 102ff. 955
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cherungsleistung des Inverkehrbringers und dem tatsächlichen Schaden kompensieren könnte 9 5 8 : Unabhängig von der Frage, ob dieses Modell wirklich volkswirtschaftlich günstiger wäre, wäre es für den Gesundheitsschutz jedenfalls nicht i m gleichen Maße effizient wie das Zulassungs verfahren zur Produktprüfung. Das Fondsmodell funktioniert nur insoweit, als mögliche Schäden mit finanziellem Aufwand reversibel oder zumindest kompensierbar sind. Spätestens bei einer Gefährdung menschlichen Lebens erreicht es daher seine Grenzen. Ein weiteres entscheidendes Problem wäre die RückVerfolgbarkeit von Schädigungen: Bei erst nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne auftretenden Gesundheitsschäden ist es praktisch unmöglich, das schädigende Lebensmittel zu identifizieren. Diese Schwierigkeit besteht prinzipiell zwar auch bei einem Zulassungsverfahren, wenn sich ein niemals ganz auszuschließendes Restrisiko verwirklicht. 9 5 9 Das Zulassungsverfahren bewirkt aber gerade, dass diese Restrisiken möglichst gering sind. Weil es innergemeinschaftlich keine im gleichem Maße wirksamen Alternativen zum Zulassungsverfahren gibt, ist zu überlegen, ob sich die EG vor der unilateralen Errichtung der Handelsbeschränkung um eine bi- oder multilaterale Problemlösung hätte bemühen müssen. In ihren bisherigen Berichten haben WTO-Panels und Appellate Body den Grundsatz etabliert, dass gegen einen einseitig den Handel beschränkenden Staat eingewandt werden kann, er habe sich nicht ausreichend um die Aushandlung eines bilateralen oder multilateralen Abkommens bemüht, um den Handelsstreit zu vermeiden. Dann gebe es eine Alternative, so dass die unilaterale Handelsbeschränkung nicht notwendig sei. 9 6 0 Die EG hat sich jedoch darum bemüht und bemüht sich noch, eine derartige Einigung über Zulassungsregeln zu erreichen: Mitte der 90er Jahre begannen im Rahmen des United Nations Environmental Programm (UNEP) die unten ausführlicher dargestellten Verhandlungen für das multilaterale Biosafety Protocol unter Beteiligung insbesondere der EG und der USA. Da die USA nicht Mitglied des Biosafety Protocol geworden sind, gibt es auch jetzt noch auf diplomatischer Ebene Versuche, den Gentechnikkonflikt zwischen EG und den USA beizulegen. 961 Dass eine Einigung bislang nicht gelungen ist, liegt nicht an mangelndem Eifer bei den Verständigungsversuchen, sondern an den teilweise grundlegenden Meinungsverschiedenheiten über die Ausgestaltung der Zulassungsregeln. I m Hinblick auf die necessity clause des Art. 5 V I SPS-Abkommen ist der EG jedenfalls nicht entgegenzuhalten, sie habe sich nicht ausreichend um eine bi- oder multilaterale Konfliktlösung bemüht. 958
So der Vorschlag von Oberenderl ΗerzberglKienle (siehe oben Fn. 174), S.62ff. So zurecht OberenderlHerzberglKienle (siehe oben Fn. 174), S.64. 960 Vgl. noch zum GATT 1947: United States - Restrictions on Imports of Tuna, Report of the Panel (siehe oben Fn. 933), Rn. 5.28); nach Schaffung der WTO etwa United States - Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.937), Rn. 166 ff . 961 Siehe oben S. 114 zu den Verständigungsversuchen. 959
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Teilweise wird die Erforderlichkeit der Zulassungspflicht nach der NFVO für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Lebensmittel auch mit dem Argument bezweifelt, es gebe auf europäischer Ebene bereits hinreichende Regelungen. Soweit damit gemeint ist, die Zulassungsverfahren der SystRL für Laboranwendungen und der FreisRL für Freilandversuche würden die Sicherheit gentechnisch veränderter Organismen bereits vor der Verwendung in der Lebensmittelindustrie garantieren, 9 6 2 wird schon übersehen, dass die Durchführung von Laboranwendungen und Freilandversuchen selbst nach der Konzeption der FreisRL 90/220/EWG nicht zwingende Voraussetzung für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen ist. 9 6 3 Soweit mit der Kritik gemeint ist, die Zulassungspflicht für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen nach der FreisRL reiche aus, 9 6 4 werden damit der über die FreisRL hinausgehende Anwendungsbereich, 965 das besondere Zulassungsverfahren 966 der N F V O und der Unterschied zwischen Verordnungen und Richtlinien 9 6 7 missachtet. Demnach gibt es keine Alternativmaßnahmen, die ein so hohes Schutzniveau erreichen wie die Zulassungspflicht. Zu erwägen ist immerhin, ob die EG-Zulassungspflicht unter Erreichung des gleichen hohen Schutzniveaus weniger restriktiv ausgestaltet sein könnte. Hauptsächlich stellt sich die Frage, inwieweit statt einer Genehmigungspflicht eine Anzeigepflicht ausreicht. Zunächst ist daran zu erinnern, dass die NFVO differenziert: Bei substantieller Gleichwertigkeit ist für bestimmte Lebensmittel eine Anzeige ausreichend. Für Lebensmittel i. S. v. Art. 1 I I (b) N F V O ist sogar nicht einmal mehr eine Anzeige notwendig, wenn der verwendete gentechnisch veränderte Organismus nach der N F V O zugelassen ist. 9 6 8 Ferner ist zu konstatieren, dass prinzipiell das mit einem Genehmigungsverfahren erreichte Schutzniveau höher ist als bei einem Anzeigeverfahren, weil jedenfalls i m Genehmigungsverfahren aufgedeckte Risiken sich nicht verwirklichen können, da das Inverkehrbringen vor einer positiven Zulassungsentscheidung untersagt ist. Gerade i m grundsätzlichen Erfordernis einer Genehmigung manifestiert sich aber das von der EG angestrebte hohe Schutzniveau - wie oben ausgeführt, ist nach dem Appellate Body der anvisierte Schutzlevel durch Auslegung zu ermitteln, wenn ausdrückliche Hinweise des Mitgliedstaates nicht hinreichend genau sind. In der Entscheidung für das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt präzisiert der europäische Gesetzgeber seine Vorstellungen von einem hohen Schutzlevel. Wegen der Bedeutung des Genehmigungsver962 963 964
In diese Richtung Berg (siehe oben Fn. 180), S. 386 f. Di Fabio (siehe oben Fn. 6), Rn. 160; vgl. auch Art. 101 1. SpStr. FreisRL 90/220/EWG. In dieser Richtung etwa Gorny (siehe oben Fn. 248), S. 117; Streinz (siehe oben Fn. 263),
S.259. 965
Siehe zum Anwendungsbereich der NFVO, insbesondere zu Art. 1 II (b) NFVO oben
S.48ff. 966
Siehe zum Zulassungsverfahren der NFVO oben S.62ff. Vgl. zur Notwendigkeit der NFVO gerade als Verordnung Groß (siehe oben Fn. 222), S. 153 ff. 968 Siehe zu diesen Differenzierungen innerhalb der NFVO oben S. 63 ff. 967
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fahrens für die Definition des von der EG angestrebten Schutzniveaus erweist sich das Anzeigeverfahren als nicht gleichwertige Alternative. Dementsprechend ist auch unschädlich, dass die EG auch bei wesentlicher Gleichwertigkeit insbesondere nicht für Produkte i. S. v. Art. 111(a) N F V O eine Anzeige statt einer Genehmigung ausreichen lässt, da sich gerade in dieser Einschränkung der Ausnahmeregelung das angestrebte Schutzniveau widerspiegelt. I m Übrigen verhält sich die EG durch diese Teileinschränkung auch nicht widersprüchlich, was i m Hinblick auf das Diskriminierungsverbot nach Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen bedenklich wäre: Die unterschiedliche Behandlung von Lebensmitteln und -zutaten i. S. v. Art. 1 I I (a) N F V O ist dadurch gerechtfertigt, dass gerade die ökologischen Risiken mit dem Vorhandensein gentechnisch veränderter Organismen zusammenhängen. A m angestrebten Schutzniveau gemessen, gibt es keine gleichwertige Alternative zum grundsätzlichen Genehmigungserfordernis der N F V O . 9 6 9 Nach dem oben 9 7 0 dargestellten Kommissionsvorschlag für eine neue Verordnung für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel soll die Differenzierung zwischen Genehmigung und Anzeige ganz wegfallen und stets eine Genehmigung erforderlich sein. Entsprechend den soeben getroffenen Feststellungen spricht entscheidend für eine Vereinbarkeit auch eines reinen Genehmigungssystems mit Art. 5 V I SPS-Abkommen, dass die EG mit einem derartigen Konzept demonstrieren kann, dass sie ein noch höheres Schutzniveau als bisher anstrebt und ein Anzeigeverfahren dazu eben keine gleichermaßen effiziente Alternative darstellt. Außerdem ist bei jeder Differenzierung die Praktikabilität der möglichen Entscheidungskriterien zu berücksichtigen, 971 und oben 9 7 2 wurde aufgezeigt, dass das Konzept der wesentlichen Gleichwertigkeit erhebliche praktische Anwendungsschwierigkeiten bewirkt. Für die konkrete Ausgestaltung der Zulassungspflicht sind vor dem Hintergrund des Notwendigkeitsgebotes ebenfalls die Erläuterungen in Annex C SPS-Abkommen zu beachten. Insbesondere sind hiernach unnötige Verzögerungen zu vermeiden. Die notwendige Dauer eines Verfahrens hängt aber davon ab, welche Schwierigkeiten die Untersuchung des jeweiligen Produkts aufweist und lässt sich daher letztlich nur in concreto bestimmen. Deshalb ist es welthandelsrechtlich unschädlich, dass die NFVO nicht für alle Verfahrensstufen Maximalfristen vorgibt. Wenn in einem etwaigen Streitschlichtungsverfahren die USA ein Zulassungsverfahren für ein konkretes Lebensmittel als unangemessen lang angreifen, kann sich die EG je nach Fallgestaltung möglicherweise auf den beschriebenen Zusammenhang zwischen Schutzniveau und Notwendigkeit berufen: Eine besonders sorgfältige Prüfung nimmt einerseits viel Zeit in Anspruch, beschreibt aber andererseits ein hohes 969
Ähnlich zum eingeschränkten Genehmigungserfordernis Streinz (siehe oben Fn. 263), S.259, 268. 970 Siehe oben S. 101 ff. zum Kommissionsvorschlag 2001 (425) endg. 971 So zurecht Huber (siehe oben Fn. 4), S. 305. 972 Siehe oben S.65ff. zum Konzept der wesentlichen Gleichwertigkeit.
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Schutzniveau, so dass die EG nicht auf eine kürzere, aber weniger sorgfältige Untersuchung verwiesen werden kann. Insgesamt lässt sich daher feststellen, dass die EG-Zulassungspflicht in der gegenwärtigen Ausgestaltung notwendig i. S. v. Art. 5 V I SPS-Abkommen ist. Dies wäre selbst der Fall, wenn die Zulassungsregeln dahingehend geändert würden, dass es nur noch eine Genehmigungspflicht und kein Anzeigeverfahren mehr gibt.
8. Die Zulassungspflicht und die gegenseitige Anerkennung nach Art. 4 SPS-Abkommen Es lässt sich als eine besondere Ausprägung des Notwendigkeitsgebotes begreifen, dass Art. 4 SPS-Abkommen vom Importstaat verlangt, zur Erreichung des angestrebten Schutzniveaus gleichwertige Schutzmaßnahmen des Exportlandes anzuerkennen und auf Anfrage Verhandlungen zur Anerkennung von Schutzbestimmungen anderer Mitgliedstaaten als gleichwertig aufzunehmen. Für die Gleichwertigkeit trägt der Exportstaat ausdrücklich die Beweislast. Insgesamt betrachtet, sind die Zulassungsvorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel gerade in den USA denen der EG weder gleichartig noch gleichwertig: Insbesondere fehlt in den USA eine grundsätzliche Genehmigungspflicht vor dem Inverkehrbringen gentechnisch modifizierter Lebensmittel, so dass Produkte ohne vorherige behördliche Risikoprüfung an den Verbraucher gelangen können. Dies betrifft vor allem die für den Gesundheitsschutz i m Lebensmittelbereich zuständige FDA, in deren Kompetenzbereich bislang noch nicht einmal eine allgemeine Notifikationspflicht g i l t . 9 7 3 Auch das den EG-Vorschriften zugrunde liegende und ihre Auslegung bestimmende Vorsorgeprinzip lässt sich in den US-Normen nicht in vergleichbarer Weise wiederfinden. Das Zulassungsregime der USA ist daher keine das EG-Schutzniveau erreichende Schutzmaßnahme i. S. v. Art. 4 SPS-Abkommen, so dass das legale Inverkehrbringen in den USA für die Zulassung in der EG nicht generell maßgeblich sein kann. Stellt man dagegen für die Schutzmaßnahme i. S. v. Art. 4 SPS-Abkommen nicht auf das Zulassungsregime als solches ab, sondern auf die Sicherheitsüberprüfung eines individuellen Produktes, kann eine Sicherheitsüberprüfung durch die US-Behörden trotz der unterschiedlichen Ausgestaltung der Zulassungsregeln durchaus den materiellen Anforderungen der NFVO entsprechen. Abstrakt lassen sich diese Fälle kaum beschreiben, da es entscheidend auf die jeweilige behördliche Auslegung der Regeln ankommt. I m Einzelfall kann es jedoch sein, dass eine konkrete Sicherheitsprüfung in den USA das Sicherheitsniveau einer Überprüfung nach den EG-Normen erreicht. Nach Art. 41 SPS-Abkommen ist dann die Sicherheitsprüfung der US-Behörden auch für das Inverkehrbringen in der EG anzuerkennen. 974 973 974
Siehe zum US-Recht für gentechnisch veränderte Lebensmittel oben S. 115 ff. So auch Streinz (siehe oben Fn. 263), S. 268.
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Dass die NFVO keine ausdrückliche Regelung für eine Anerkennung ausländischer Sicherheitsüberprüfungen enthält, ist unschädlich. 975 Art. 4 SPS-Abkommen schreibt nicht vor, auf welchem technischen Wege die Anerkennung zu erfolgen hat. Die Kommission konstatiert i m Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit, es sei für Art. 4 SPS-Abkommen erforderlich, dass die entsprechenden EG-Vorschriften eine Anerkennung im Einzelfall ermöglichen. 9 7 6 Da es sich hier nur um eine Anerkennung im Einzelfall handelt, ist ausreichend, die Vorschriften der NFVO, insbesondere Artt. 6, 9 N F V O so auszulegen, dass der Beweis für die Sicherheit eines Produktes auch durch die Vorlage einer gleichwertigen ausländischen Sicherheitsüberprüfung geführt werden kann. Dies entspricht durchaus der Zielsetzung der NFVO, insbesondere der effektiven Gefahrenabwehr. Dies erleichtert das Inverkehrbringen in der USA behördlich überprüfter Produkte, wenn auch nur in eingeschränktem Maße: Da, wie dargelegt, die Gleichwertigkeit der Sicherheitsprüfung nur im Einzelfall bestehen kann, muss gerade im Prüfverfahren nach der N F V O untersucht werden, ob die Gleichwertigkeit i m konkreten Fall besteht. Insofern ersetzt die US-Sicherheitsprüfung nicht ohne weiteres die EGUntersuchung. Immerhin wird die Zulassung nach der NFVO vor allem beschleunigt, wenn der Antragsteller Untersuchungsergebnisse der US-Behörden vorlegt, wonach das Produkt bestimmte naturwissenschaftliche Kriterien erfüllt.
9. Die Zulassungspflicht und das Transparenzgebot nach Art. 7 i.V. m. Annex Β SPS-Abkommen Art. 7 i.V. m. Annex Β SPS-Abkommen verpflichtet die Mitgliedstaaten, ihre Handelsbeschränkungen in einer für die übrigen Mitgliedstaaten verständlichen Form zu veröffentlichen. Dass die Handelsbeschränkungen somit klar und deutlich formuliert sein müssen, 977 lässt sich ebenfalls als Konsequenz des Notwendigkeitsgebotes nach Art. 5 V I SPS-Abkommen begreifen. 978 Oben 9 7 9 wurde festgestellt, dass die NFVO nicht in allen Passagen auf den ersten Blick verständlich ist, was grundsätzlich auch im Hinblick auf Art. 7 i.V. m. Annex Β SPS-Abkommen problematisch wäre. 9 8 0 Letztlich genügt nach den obigen Er975 So wohl auch Streinz (siehe oben Fn. 263), S. 268, der die gegenseitige Anerkennung nicht als prinzipielles Problem der NFVO, sondern mehr als Frage ihrer praktischen Umsetzung begreift. 976 KOM (1999), 719 endg. (siehe oben Fn. 133), Rn. 113. 977 Vgl. hierzu auch Victor (siehe oben Fn.612), S.913. 978 So auch Marceau (WTO Legal Division, Interview am 10.04.2001); Mavroidis (siehe oben Fn. 938), S. 81 f., begreift das Transparenzgebot als Ausprägung des Verbotes willkürlicher Diskriminierung. 979 Vgl. zum Anwendungsbereich insgesamt S.47ff. und zur Abgrenzung von Genehmigung/Anzeige S. 65 ff. 980 Vgl. Streinz (siehe oben Fn. 263), S. 266.
204
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
kenntnissen die N F V O aber dem europarechtlichen Bestimmungsgrundsatz. Ohne die europarechtlichen Kautelen ohne weiteres auf die welthandelsrechtliche Ebene zu transferieren, muss der Grundgedanke der europarechtlichen Beurteilung auch für das Transparenzgebot nach Art. 7 i.V. m. Annex Β SPS-Abkommen Geltung beanspruchen können, weil der zugrunde liegende Interessenkonflikt identisch ist: Handelsbeschränkungen müssen hinreichend präzise formuliert sein, aber die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist zulässig, soweit sich die Materie nicht anders regeln lässt. Weil die NFVO, wie dargelegt, diesem Grundsatz Rechnung trägt, ist auch das Transparenzgebot nach Art. 7 i.V. m. Annex Β SPS-Abkommen nicht verletzt. Die EG-Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel erweist sich damit als nach WTO-Recht zulässig: Entweder die EG-Vorschriften sind bereits von sich aus WTO-konform ausgestaltet, oder sie sind jedenfalls entsprechend auslegbar. Hingegen verletzt das de facto-Moratorium die Anforderungen des SPS-Abkommens, wobei auch die Vereinbarkeit des de facto-M oratoriums mit den EG-Vorschriften zweifelhaft ist. In den beiden nächsten Abschnitten geht es darum, inwieweit die europarechtlichen Kennzeichnungsregeln den welthandelsrechtlichen Anforderungen genügen. Oben 9 8 1 wurde festgestellt, dass die EG-Kennzeichnungsvorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel zwar prinzipiell am Maßstab des TBT-Abkommens zu messen sind, für die auf individuelle Unverträglichkeiten abzielende Kennzeichnung nach Artt. 81 (b) N F V O 9 8 2 dagegen das SPS-Abkommen einschlägig ist.
E. Die Kennzeichnung nach Artt. 81(b) NFVO, 2(b) VO 50/2000/EG und ihre Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen Da für die unverträglichkeitsspezifische Kennzeichnung das SPS-Abkommen einschlägig ist, ist sie auch an den gleichen Anforderungen zu messen wie die Zulassungspflicht. Allerdings bestehen insofern Besonderheiten, als für die unverträglichkeitsbezogene Kennzeichnung die Erarbeitung internationaler Standards erheblich fortgeschritten ist.
981
Siehe oben S. 137 ff. Die folgenden Ausführungen gelten analog für den Art. 8 I (b) NFVO nachgebildeten Art. 2(b) VO 50/2000/EG. 982
E. Kennzeichnungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
205
1. Internationale Standards für eine Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel hinsichtlich individueller Unverträglichkeiten Während unten bei der Beurteilung der übrigen Kennzeichnungsregeln noch zu zeigen sein wird, welche Hürden dort bei der Entwicklung internationaler Standards bestehen, ist die Ausarbeitung internationaler Standards für eine allergiebezogene Kennzeichnung für abgepackte Lebensmittel abgeschlossen: Das für die Ausarbeitung zuständige Codex Committee on Food Labelling erarbeitete einen Vorschlag bis zum Mai 2000, der von der C A K im Juli 2001 angenommen wurde. 9 8 3 Hiernach wurde in die Standards für abgepackte Lebensmittel folgender Passus eingefügt: „Section 4.2.2 The presence in any food or food ingredients obtained through biotechnology of an allergen transferred from any of the products listed in Section 4.2.1.4 shall be declared. When it is not possible to provide adequate information on the presence of an allergen through labelling, the food containing the allergen should not be marketed." I m Vergleich mit Art. 81 (b) N F V O ergeben sich folgende Unterschiede: Die Formulierung von Art. 81 (b) N F V O ist insofern offener, als nach den obigen Erkenntnissen alle individuelle Unverträglichkeiten gegenüber Lebensmitteln erfasst sind und nicht nur Allergien im technischen Sinne. 9 8 4 Ein Hinweis darauf, dass sich auch der Codex-Standard nicht auf Allergien i m technischen Sinne beschränkt, ist zwar die Formulierung des in Bezug genommenen Art. 4.2.1.4. des Codex-Standards für abgepackte Lebensmittel, wo von „Überempfindlichkeit" die Rede ist und dementsprechend nicht nur Allergene im technischen Sinne aufgezählt werden. 9 8 5 Jedoch ist im Codex Committee on Food Labelling bislang eine in der gleichen Weite wie Art. 8 I (b) N F V O explizit auf individuelle Unverträglichkeiten abstellende Kennzeichnungsregelung nicht mehrheitsfähig. 986 Dass der Codex-Standard nicht abstrakt auf Allergene, sondern auf den Katalog von Art. 4.2.1.4. des Codex-Standards 983
Report of the 24th Codex Alimentarius Commission (siehe oben Fn.761), Rn. 152. Siehe oben S.92. 985 „4.2.1.4 The following foods and ingredients are known to cause hypersensitivity and shall always be declared: - Cereals containing gluten; i.e., wheat, rye, barley, oats, spelt or their hybridized strains and products of these; - Crustacea and products of these; - Eggs and egg products; - Fish and fish products; - Peanuts, soybeans and products of these; - Milk and milk products (lactose included); - Tree nuts and nut products; and - Sulphite in concentrations of 10 mg/kg or more." 986 Vgl. Report of the Twenty-Ninth Session of the Codex Committee on Food Labelling, ALINORM 01/22A, ftp://ftp.fao.org/codex/alinorm01/al0122ae.pdf , Appendix V, 3.3. 984
206
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
für abgepackte Lebensmittel rekurriert, ist ein Detailunterschied, der wegen des umfangreichen Kataloges keine große praktische Relevanz hat. Ein signifikanterer Unterschied zwischen Art. 8 I (b) N F V O und dem CodexStandard besteht insofern, als letzterer in den Standard für abgepackte Lebensmittel eingefügt wurde, der nach seinem Art. 1 anders als die N F V O lose an den Endverbraucher abgegebenes Obst oder Gemüse nicht erfasst. 987 Wegen des nach Art. 1 beschränkten Anwendungsbereiches des Standards überzeugt es nicht, wenn teilweise versucht wird, die Abgabe nicht abgepackter gentechnisch veränderter Lebensmittel als einen Fall von Art. 4.2.2.2 des Codex-Standards zu behandeln, wonach die Vermarktung unterbleiben soll, wenn die Kennzeichnung die Information nicht sicherstellt. 988 Auch dieser Unterschied zwischen NFVO und Codex-Standard verliert jedoch im Ergebnis seine Tragweite angesichts der Funktion der Codex-Standards, eine Basis für nationale Normen gerade i m Hinblick auf das SPS-Abkommen darzustellen. In den Standards wird internationaler Konsens formuliert, und ein derartiger Konsens besteht zwischen EG und USA auch über den Bereich der abgepackten Lebensmittel hinaus, was daran zu erkennen ist, dass die FDA nach den oben dargestellten Grundsätzen eine Kennzeichnung bei Allergierisiken und anderen Besonderheiten ausnahmsweise für erforderlich erachtet, dies aber nicht auf den Bereich der abgepackten Lebensmittel beschränkt. 989 Deshalb ist die Einleitung eines Streitschlichtungsverfahrens durch die USA gegen die Kennzeichnung nach Art. 81 (b) N F V O äußerst unwahrscheinlich. Wegen der nur sehr eingeschränkten praktischen Relevanz ist nur kurz darzustellen, dass die unverträglichkeitsbezogene Kennzeichnung i m Übrigen auch den Anforderungen des SPS-Abkommens genügt, die Einleitung eines Streitschlichtungsverfahrens also erfolglos wäre.
2. Verhältnis von Art. 81(b) NFVO zum Codex-Standard und Vereinbarkeit mit Artt. 3, 2 II, 51 SPS-Abkommen Wie erwähnt, entsprechen sich der Codex-Standard und Art. 8 I (b) N F V O nicht völlig, da der Codex-Standard insbesondere nur für abgepackte Lebensmittel gilt. Für Art. 81 (b) N F V O ist jedoch unerheblich, ob die Vorschrift als i. S. v. Art. 31 SPSAbkommen auf einen internationalen Standard gestützt beurteilt wird, als i. S. v. Art. 3 I I SPS-Abkommen (teilweise) einem internationalen Standard entsprechend 987
Art. 1 des Codex Standards für abgepackte Lebensmittel: „Scope: This standard applies to the labelling of all prepackaged foods to be offered as such to the consumer or for catering purposes and to certain aspects relating to the presentation thereof." 988 So Doyran , Food Standards Officer, Joint FAO/WHO Food Standards Programme, eMail vom 22.07.2001: „As indicated in the amendment, when it is not possible to inform the consumer through adequate labelling (this is the case of products which are not prepackaged and not labelled) the product concerned should not be marketed." 989 Siehe oben S. 118.
E. Kennzeichnungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen
207
behandelt wird oder wegen eines höheren Schutzniveaus unter Art. 3 I I I SPS-Abkommen subsumiert wird. Von den verschiedenen Alternativen des Art. 3 SPS-Abkommen erfüllt Art. 8 I (b) N F V O nämlich selbst die strengen Anforderungen des Art. 3 I I I SPS-Abkommen, indem Art. 81 (b) N F V O auf eine Risikobeurteilung i. S. v. Art. 5 I SPS-Abkommen gestützt ist und hinreichender naturwissenschaftlicher Nachweis i. S. v. Art. 211 SPS-Abkommen vorliegt: Es ist naturwissenschaftlich unumstritten, dass auch gentechnisch veränderte Lebensmittel individuelle gesundheitliche Unverträglichkeiten bewirken können. Die Kennzeichnungspflicht nach Art. 81 (b) N F V O greift nur, wenn sich bei einem individuellen Produkt ein solches Risiko zeigt. U m die gefährdeten Bevölkerungskreise von einem Verzehr des betreffenden Produktes abzuhalten, ist eine entsprechende Produktkennzeichnung i m Normalfall eine effiziente Schutzmaßnahme. Nur wenn besonders gravierende Gesundheitsbeeinträchtigungen drohen oder außergewöhnlich viele Konsumenten gefährdet sind, ist ein Verbot des Inverkehrbringens vorrangig, was dem Konzept der NFVO entspricht, wie oben gezeigt wurde. 9 9 0
3. Art. 81(b) NFVO und das Diskriminierungsverbot nach Artt. 2 I I I , 5 V SPS-Abkommen Auch ein Verstoß der unverträglichkeitsbezogenen Kennzeichnung gegen das Diskriminierungsverbot nach Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen scheitert bereits auf der ersten Wertungsstufe, der unterschiedlichen Behandlung vergleichbarer Situationen. Zwar mögen prinzipiell auch konventionell hergestellte Neuentwicklungen, bei denen europarechtlich keine allgemeine Kennzeichnungspflicht besteht, individuelle Unverträglichkeiten auslösen können. Das Risiko ist jedoch insofern nicht vergleichbar, als gentechnisch veränderte Lebensmittel i m Vergleich zu ihren herkömmlichen Pendants regelmäßig keine besonderen äußeren Unterschiede aufweisen und über die Artgrenzen hinweg genetische Veränderungen möglich sind. Erst durch den Einsatz gentechnischer Verfahren können etwa Fischallergiker Unverträglichkeiten auch gegenüber Obstsorten mit entsprechend modifizierter Proteinstruktur aufweisen. Selbst nach der weiten Auslegung der Vergleichbarkeit durch den Appellate Body, wonach mehrere Produkte schon dann vergleichbar sind, wenn sie nur ein gemeinsames Risiko aufweisen, 991 sind gentechnisch veränderte Lebensmittel und Neuentwicklungen nach konventionellen Verfahren i m Hinblick auf individuelle gesundheitliche Beeinträchtigungen daher kaum vergleichbar. I m Übrigen wären spätestens die Voraussetzungen der dritten Stufe aus den gleichen Gründen wie oben bei der Zulassungspflicht 992 nicht erfüllt.
990 991 992
Siehe oben S. 75. Siehe oben S. 189. Siehe oben S. 191 ff.
208
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
4. Art. 81(b) NFVO und die Necessity Clause des Art. 5 V I SPS-Abkommen Die Kennzeichnung solcher gentechnisch veränderter Lebensmittel, die individuelle Unverträglichkeiten auslösen können, erfüllt auch die Anforderungen des Notwendigkeitsgebotes nach Art. 5 V I SPS-Abkommen. Die meisten der für die übrigen Kennzeichnungsvorschriften der EG vorgeschlagenen, unten diskutierten A l ternativen zu einer Kennzeichnung passen von vornherein nicht und ersetzen daher auch nicht in den USA die Art. 81 (b) N F V O ähnliche Kennzeichnung. Dies gilt etwa für das teilweise nicht nur kumulativ, sondern alternativ erwogene Recht zur Negativkennzeichnung: Über die allgemein gegen die Negativkennzeichnung sprechenden Gründe hinaus 9 9 3 würde ein Recht zur Präsentation eines Lebensmittels als „von bekannten gentechnischen Allergenen frei" oder dergleichen schon aus technischen Gründen nicht die positive Kennzeichnung nach Art. 81 (b) N F V O ersetzen, wonach bestimmte eine individuelle Unverträglichkeit auslösende Stoffe vorhanden sind: Durch die für die Verständlichkeit notwendigerweise pauschale und nicht nach verschiedenen Allergenen differenzierende Formulierung würden nämlich gesundheitlich empfindliche Verbraucher vom Verzehr eines nicht gekennzeichneten Produktes abgehalten, das zwar möglicherweise bei anderen Konsumenten, aber nicht bei ihnen eine Unverträglichkeitsreaktion bewirken würde. Ein Recht zur Negativkennzeichnung würde den Handel daher jedenfalls nicht weniger beeinträchtigen und scheidet als Alternative aus. Die Zulassungsprüfung der N F V O ist in ihrer jetzigen Ausgestaltung keine Alternative zur Kennzeichnungspflicht, weil in der Zulassungsprüfung normalerweise individuelle Unverträglichkeiten nicht maßgeblich sind. 9 9 4 Eine Zulassungsprüfung, mittels derer das Inverkehrbringen solcher gentechnisch veränderter Lebensmittel untersagt werden könnte, die nicht nur wie nach dem Konzept der N F V O eine besonders schwere, sondern irgendeine individuelle Unverträglichkeitsreaktion auslösen können, würde zwar eine Kennzeichnungspflicht überflüssig machen, wäre jedoch eine restriktivere Handelsbeschränkung, also keine Alternative i. S. v. Art. 5 V I SPS-Abkommen. Insgesamt ist daher die Kennzeichnung nach Art. 81 (b) N F V O mit den Anforderungen des SPS-Abkommens vereinbar. 995 Äußerungen i m Schrifttum, die Kennzeichnungspflicht nach der N F V O sei nicht mit dem SPS-Abkommen konform, 9 9 6 beziehen sich regelmäßig nicht speziell auf die Kennzeichnung wegen individueller Unverträglichkeiten, sondern auf die anderen Kennzeichnungstatbestände der NFVO, deren welthandelsrechtliche Konformität i m Folgenden untersucht wird. 993
Siehe dazu unten S. 230. So auch Knörr (siehe oben Fn. 132), S. 100ff. 995 So auch Streinz (siehe oben Fn. 263), S. 260. 996 So etwa Fredland (siehe oben Fn.452), S. 213; Kochenderfer in BNA International Environmental Daily vom 29.05.2001; offengelassen bei Burchardi (siehe oben Fn. 639), S. 88 ff. 994
. Kennzeichnungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem
-Abkommen209
F. Die übrigen europarechtlichen Kennzeichnungstatbestände und ihre Vereinbarkeit mit dem TBT-Abkommen Wie oben dargestellt, 997 ist für die sonstigen europarechtlichen Kennzeichnungstatbestände, Artt. 81 (a), (c) und (d) N F V O und die Pendants in den übrigen EG-Vorschriften, nicht das SPS-Abkommen, sondern das TBT-Abkommen einschlägig. Auch das TBT-Abkommen nimmt auf internationale Standards Bezug: Art. 2 I V TBT-Abkommen verpflichtet zur grundsätzlichen Orientierung an internationalen Standards. Art. 2 V S. 2 TBT-Abkommen vermutet widerleglich, dass eine Handelsbeschränkung notwendig ist, wenn sie eines der nach dem TBT-Abkommen legitimen Ziele verfolgt und mit einem internationalen Standard übereinstimmt.
1. Internationale Standards zur Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel Abgesehen von dem oben dargestellten Standard für eine Kennzeichnung im Hinblick auf Allergene gibt es bislang keine internationalen Standards für gentechnisch veränderte Lebensmittel. Sowohl beim Treffen des Codex Committee on Food Labelling 2000 als auch beim Treffen 2001 waren fundamentale Meinungsunterschiede nicht zu überbrücken. 998 Beim Treffen 2002 wurden keine nennenswerten Fortschritte erzielt. 9 9 9 Unüberbrückbar ist die Kluft etwa hinsichtlich der Frage, ob den Kennzeichnungsvorschriften die Motivation, den Gesundheitsschutz sicherzustellen, zugrunde liegen soll oder eher die Absicht, den Verbraucher unabhängig vom Gesundheitsschutz zu informieren. 1 0 0 0 Ebenfalls ist bei den Codex-Arbeiten beispielsweise ungeklärt, in welchem Maße Kennzeichnungsregeln auch rein verfahrensbezogen sein dürfen. 1 0 0 1 Die von EG und USA eingesetzte Expertenkommission empfiehlt in ihrem Abschlussbericht, zumindest Spuren gentechnischer Veränderungen im Endprodukt zu kennzeichnen, ohne präzise Vorgaben zu machen. 1 0 0 2 In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass sich USA und EG auf einen verfahrensbezogenen Kennzeichnungsstandard für bestrahlte Lebensmittel einigen konnten, obwohl auch diese Produkte nicht als grundsätzlich gefährlicher als ihre unbe997
Siehe oben S. 137 ff. Ein Überblick auch über die früheren Treffen des Codex Committee on Food Labelling im Hinblick auf die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel findet sich bei MacKenzie, The Process of Developing Labeling Standards for GM Foods in the Codex Alimentarius, AgBioForum 2000, S.203ff. 999 Vgl. Report of the Thirtieth Session of the Codex Committee on Food Labelling , ALINORM 03/22, ftp://ftp.fao.org/codex/alinorm03/A103_22e.pdf . io(x) v g i Report of the Twenty-Ninth Session of the Codex Committee on Food Labelling (siehe oben Fn.986), Rn.68ff. und Appendix V. 1001 Vgl. Report of the Twenty-Ninth Session of the Codex Committee on Food Labelling (siehe oben Fn.986), Rn.66. 998
1002
14 Stökl
EU! US Consultative Forum on Biotechnology , Final Report (siehe oben Fn.543), S. 15 f.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
handelten Pendants angesehen werden. 1 0 0 3 Wegen der für gentechnisch veränderte Lebensmittel verbleibenden grundsätzlichen Meinungsunterschiede sind die auf den Grundüberlegungen aufbauenden Detailvorschläge bei den Codex-Arbeiten bisher entsprechend uneinheitlich. 1 0 0 4 Angesichts der sich sowohl in den nationalen Normen als auch bei den internationalen Codex-Arbeiten manifestierenden grundlegenden politischen Meinungsunterschiede über den Zweck und die Ausgestaltung von Kennzeichnungsregelungen für gentechnisch veränderte Lebensmittel wäre es überraschend, wenn in absehbarer Zeit wesentliche Fortschritte in diesem Bereich erzielt würden. Auch der letztlich noch zustande gekommene Abschluss des unten ausführlich dargestellten Biosafety Protocol und seine Regeln zur Produktdokumentation ändern daran nichts Entscheidendes: Diese Dokumentationsnormen betreffen erstens lediglich den internationalen Transport und nicht die Kennzeichnung gegenüber dem Endverbraucher. Zweitens gilt das Biosafety Protocol von vornherein nicht für solche gentechnisch veränderten Lebensmittel, die keine gentechnisch veränderten Organismen mehr enthalten. Gerade die Kennzeichnung dieser Produktgruppe ist aber politisch hochumstritten und derzeit nicht kompromissfähig. 1 0 0 5 Da es bislang keinen internationalen Standard gibt, ist für die EG-Kennzeichnungsregeln die Verpflichtung zur Berücksichtigung internationaler Standards nach Art. 2 I V TBT-Abkommen unerheblich, und sie sind ohne die Vermutung der Notwendigkeit nach Art. 2 V S. 2 TBT-Abkommen an den Anforderungen des TBT-Abkommens zu messen. Maßgebliche Schranken des TBT-Abkommens sind dabei das Gebot der Meistbegünstigung und Inländergleichbehandlung nach Art. 21 TBT-Abkommen und die necessity clause der Art. 2 II, I I I TBT-Abkommen.
2. Die Kennzeichnungspflicht und die Gebote der Meistbegünstigung und Inländergleichbehandlung nach Art. 21 TBT-Abkommen Art. 21 TBT-Abkommen verpflichtet die WTO-Mitglieder dazu, i m Hinblick auf technische Vorschriften importierte Produkte nicht schlechter zu behandeln als gleichartige Produkte aus anderen Staaten oder dem Inland. Die Gebote der Meistbegünstigung und Inländergleichbehandlung sind damit eine besondere Ausprägung des Diskriminierungsverbotes, wobei Art. 2 1 TBT-Abkommen die aus dem GATT bekannte Kategorie der like products verwendet. I m Zusammenhang mit den Kennzeichnungsregeln für gentechnisch veränderte Lebensmittel stellt sich die Fra1003 Art. 5.2 des Codex-Standards für abgepackte Lebensmittel; vgl. dazu Einsiedel, Consumers and GM Food Labels: Providing Information or Sowing Confusion, AgBioForum 2000, S.23 Iff. (233). 1004 Vgl. Report of the Twenty-Ninth Session of the Codex Committee on Food Labelling (siehe oben Fn. 986), Appendix V. 1005 Siehe unten S. 243 zu dieser wichtigen Einschränkung des Anwendungsbereiches des Biosafety Protocol .
F. Kennzeichnungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem T B T - A b k o m m e n 2 1 1 ge, ob die EG zu Unrecht gentechnisch veränderte Lebensmittel und herkömmlich hergestellte neue Lebensmittel unterschiedlich behandelt, was voraussetzt, dass es sich um like products handelt. I m Anschluss an den Panelbericht United States - Measures affecting alcoholic and malt beverages me wurde zeitweilig das Vorliegen von like products hauptsächlich danach beurteilt, ob die schlechtere Behandlung einer Warengruppe dem Schutz der inländischen Produktion dienen soll und sie tatsächlich schützt (,&ims and effects'' -Test).1007 A u f dieser Grundlage wäre ähnlich wie bei der Prüfung der EG-Zulassungspflicht am Maßstab von Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen 1 0 0 8 festzustellen, dass auch die Kennzeichnungspflicht keiner protektionistischen Intention dient, sondern vielmehr die vom EG-Verbraucher verlangte Information gewährleisten soll. Nachdem Panel und Appellate Body in Japan - Taxes on Alcoholic Beverages den „aims and effects' 1-Test zur Beurteilung von like products verworfen hatten, 1 0 0 9 ist etwa i m Asbestfall wieder eine deutlichere Betonung der traditionellen Abgrenzungskriterien zur Beurteilung von like products festzustellen. 1010 Diese traditionellen Kriterien knüpfen an Erkenntnisse der GATT-Arbeitsgruppe „Border Tax Adjustments" an, wonach die Kategorie der like products fall- und normspezifisch auszulegen sei. Nach den in der Arbeitsgruppe gemachten Vorschlägen böten sich grundsätzlich als Kriterien etwa die naturwissenschaftlich messbaren Eigenschaften der Produkte, die Einsatzmöglichkeiten oder Verbraucherpräferenzen an. 1 0 1 1 Da bislang Art. 21 TBT-Abkommen in keinem Bericht untersucht wurde, 1 0 1 2 ist zwar nicht leicht zu prognostizieren, wie Panels den normspezifischen Begriff gerade für Art. 21 TBT-Abkommen auslegen, abgesehen von der Fallspezifizität des Begriffes. Die drei erwähnten Grundsatzkriterien stellen aber immerhin eine Orientierungshilfe dar. Dabei ist stets zu berücksichtigen, dass schon begrifflich like products keine völlige Identität verlangen, sondern lediglich Ähnlichkeit, wie der französische Wortlaut mit der Wendung „produits similaires" deutlicher erkennen lässt. 1 0 1 3 Ob eine solche 1006 United States - Measures affecting alcoholic and malt beverages, Report of the Panel, 19.06.1992, DS23/R, BISD 39S/206, Rn. 5.74; sich ihm anschließend United States - Taxes on Automobiles, Report of the Panel, 11.10.1994, 33 I.L.M. 1397 (1994), Rn.5.5ff. 1007 Vgl. Senti (siehe oben Fn.588), Rn. 380, 448f.; Epiney (siehe oben Fn.589), S.79f. 1008 Siehe oben S. 187 ff. 1009 Japan -Taxes on Alcoholic Beverages , WT/DS8/AB/R, WT/DS10/AB/R, WT/ DS11/AB/R, 04.10.1996, http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/alcohpr.wp5 , S. lOff. 1010 European Communities - Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 626), Rn. 88 ff.; zu weiteren Beispielen vgl. Wiemer (siehe oben Fn.639), S.204ff. 1011 Vgl. Report of the Working Party , BISD 18S/97, 02.12.1970. Hudec, „Like Product": The Differences in Meaning in GATT Articles I and III, in Cottier/Mavroidis (Hrsg.), Regulatory Barriers and the Principle of Non-Discrimination in World Trade Law, S. 101 ff. (113), weist darauf hin, dass die Kriterien nur von einigen Mitgliedern der Arbeitsgruppe vorgeschlagen worden seien und keine Empfehlung der Arbeitsgruppe selbst darstellten. 1012 Siehe oben Fn. 626 zum Asbestfall. 1013 Ygi European Communities - Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 626), S. 39 f.
1*
212
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Ähnlichkeit zwischen gentechnisch veränderten Lebensmitteln und herkömmlich hergestellten Neuentwicklungen vorliegt, ist also durch eine Gesamtbewertung anhand der Grundkriterien und möglicher anderer Gesichtspunkte zu ermitteln. a) Naturwissenschaftlich
messbare Eigenschaften
In ihrer gegenwärtigen Fassung knüpfen Artt. 8 1(a), (c) und (d) NFVO an bestimmte naturwissenschaftliche Unterschiede zu konventionellen Erzeugnissen an: Art. 8 I (a) N F V O setzt die Ungleichwertigkeit zu bestehenden Lebensmitteln voraus, die nach den obigen 1 0 1 4 Erkenntnissen parallel zur V O 1139/98/EG bei im Endprodukt nachweisbaren gentechnischen D N A - oder Proteinveränderungen vorliegt. Art. 81 (c) N F V O baut zwar auf der prinzipiellen Gleichwertigkeit mit bestehenden Lebensmitteln auf, verlangt aber, dass zusätzlich von Teilen der Bevölkerung als ethisch unakzeptabel angesehene Bestandteile vorhanden sind. Der naturwissenschaftliche Unterschied zu konventionell hergestellten Neuentwicklungen liegt hier darin, dass nur durch die Anwendung gentechnischer Verfahren ethisch brisante, äußerlich unerkennbare genetische Veränderungen möglich sind. Art. 81 (d) N F V O schließlich ist nur anwendbar, wenn in dem Lebensmittel noch gentechnisch veränderte Organismen vorhanden sind. M i t diesen gentechnisch bewirkten Unterschieden hängen teilweise noch i m Lebensmittel als Endprodukt vorhandene Eigenschaften zusammen wie beispielsweise ein veränderter Geschmack. Teilweise sind die gentechnischen Veränderungen im Endprodukt nur noch durch naturwissenschaftliche Analyse nachweisbar, etwa bei Verarbeitungsprodukten eines pestizidresistenten Ausgangsproduktes. Die Frage, ob diese naturwissenschaftlichen Unterschiede für oder gegen eine Ähnlichkeit i. S. d. like products sprechen, ist schwer zu beantworten. Das GATTPanel im Kaffeefall vertrat die Auffassung, dass genetische Aspekte nicht ausreichend seien für die Annahme einer Ungleichartigkeit. 1 0 1 5 Allerdings handelte es sich in casu nicht um gentechnische Veränderungen. Die Einschätzung der EG, dass gentechnische D N A - oder Proteinveränderungen eine Ungleichwertigkeit i. S. v. Art. 81 (a) begründeten, 1016 lässt sich nicht für Art. 2 1 TBT-Abkommen verwerten. Erstens kann die Beurteilung durch die EG die welthandelsrechtliche Bewertung nicht ohne weiteres vorwegnehmen. Zweitens ist selbst die EG bei ihrer Beurteilung auffällig zurückhaltend, indem sie explizit betont, die für die Ungleichwertigkeit maßgeblichen Kriterien könnten sich durchaus ändern. 1 0 1 7 Allerdings wäre es für die Wertung der naturwissenschaftlichen Unterschiede zwischen gentechnischen und konventionell hergetellten Neuentwicklungen bedeu1014
Siehe oben S. 87 ff. zur Ungleichwertigkeit i. S. v. Art. 81 (a) NFVO. .Spam - Tariff Treatment of Unroasted Coffee, Report of the Panel , 27.04.1981, L/5135-28S/102, http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/80coffee.wpf , Rn. 4.6. 10,6 Vgl. Erwägungsgrund 13 S. 1 der VO 1139/98/EG. 1017 Vgl. Erwägungsgrund 13 S.2 der VO 1139/98/EG. 1015
. Kennzeichnungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem
-Abkommen213
tend, wenn aus ihnen Gefahren für den Konsumenten resultierten. Der Appellate Body hat i m Asbestfall zurecht bekräftigt, dass das unterschiedliche Risikopotential zweier Produkte für die Beurteilung von like products von Bedeutung i s t . 1 0 1 8 Beim Vergleich der Gefahren zwischen gentechnisch veränderten und konventionell hergestellten Neuentwicklungen ist zunächst festzustellen, dass das Risiko einer individuellen Unverträglichkeit an dieser Stelle nicht mehr relevant ist, weil die auf dieses Risiko bezogene Kennzeichnungsregel Art. 81 (b) NFVO, wie dargelegt, nicht am Maßstab des TBT-Abkommens, sondern des SPS-Abkommens zu messen ist. I m Hinblick auf die von Art. 81 (c) N F V O geschützten ethischen Bedenken ist zu bemerken, dass sie zwar an naturwissenschaftliche Unterschiede anknüpfen, die Bedenken selbst jedoch nicht naturwissenschaftlicher, sondern eben ethischer Natur sind. Deshalb sind sie keine bei den naturwissenschaftlichen Eigenschaften zu berücksichtigende Gefahr, sondern vielmehr ein Aspekt der weiter unten 1 0 1 9 dargestellten Verbraucherpräferenzen. Gerade an dieser Stelle zeigt sich, dass die verschiedenen Kriterien zur Beurteilung von like products teilweise miteinander zusammenhängen, wie der Appellate Body zurecht betont hat. 1 0 2 0 Naturwissenschaftliche Risiken in dem Sinne, dass auch die Auswirkungen naturwissenschaftlich sind, sind bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln und herkömmlich hergestellten Neuentwicklungen die Risiken für Gesundheit und Umwelt. Bei der Frage, ob die als Anknüpfungspunkt der Kennzeichnungsregeln dienenden naturwissenschaftlichen Unterschiede auch in einem unterschiedlichen Gefahrenpotential resultieren, ist zu beachten, dass die zu kennzeichnenden Produkte bereits den Anforderungen des Zulassungs Verfahrens nach der N F V O genügen müssen: Wenn der Verbraucher die Gelegenheit hat, ein gentechnisch verändertes Produkt zu verzehren, müssen nach dem Konzept der N F V O die Risiken für Gesundheit und Umwelt bereits i m Genehmigungs- oder unter bestimmten Voraussetzungen im Anzeigeverfahren untersucht und für hinnehmbar befunden worden sein. Wegen der oben dargestellten strengen formellen 1 0 2 1 und materiellen 1 0 2 2 Anforderungen ist davon auszugehen, dass im Normalfall keine nennenswerten Risiken von auf dem europäischen Markt erhältlichen gentechnisch veränderten Lebensmitteln ausgehen. Allerdings können die Zulassungsregeln der N F V O Restrisiken nicht vollkommen ausschließen: Die europarechtliche Zulassungsprüfung kann insbesondere immer nur an den gegenwärtigen Stand der Technik anknüpfen. Dies ist jedoch eine immanente Effektivitätsgrenze für alle naturwissenschaftlichen Risikobeurteilun1018
European Communities - Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 626), S.49f. 1019 Siehe unten S. 215 ff. 1020 European Communities - Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 626), S. 45. 1021 Siehe oben S.65ff. zur Differenzierung zwischen Anzeige- und Genehmigungsverfahren. 1022 Siehe oben S.71 ff.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
gen und gilt daher prinzipiell auch für herkömmlich hergestellte Neuentwicklungen, bei denen das Fehlen einer allgemeinen Zulassungspflicht auf der Annahme beruht, dass sie normalerweise nicht gefährlich sind. 1 0 2 3 I m Anwendungsbereich der NFVO ist zwar möglich, dass ein Inverkehrbringer zu Unrecht die Voraussetzungen des Anzeigeverfahrens für gegeben ansieht und sein Produkt ohne vorherige behördliche Sicherheitsprüfung auf den Markt gelangt. Dieses Problem stellt sich für konventionell hergestellte Neuentwicklungen jedoch nicht als weniger schwerwiegend dar, da diese überhaupt keiner grundsätzlichen Zulassungspflicht unterliegen. Das Gleiche gilt für i m Anwendungsbereich der N F V O denkbare Fälle eines absichtlichen Verstoßes gegen die Zulassungspflicht, zumal sich ihnen kaum durch eine Kennzeichnungspflicht begegnen lässt, da ein Verstoß gegen die Kennzeichnungsvorschriften nahe liegt, um den Verstoß gegen die Zulassungsvorschriften zu verbergen. Die nach dem Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Lebensmittel verbleibenden Unsicherheiten für Gesundheit und Umwelt sind demnach jedenfalls nicht grundsätzlich größer als die für herkömmlich hergestellte Neuentwicklungen, zumal wenn man bedenkt, dass von vornherein nach überwiegender naturwissenschaftlicher Auffassung die von gentechnisch veränderten Lebensmitteln ausgehenden Risiken nicht prinzipiell größer sind. 1 0 2 4 Auch an dieser Stelle wird jedoch der Zusammenhang zwischen den naturwissenschaftlichen Unterschieden und der unten dargestellten Verbraucherpräferenz deutlich: Gerade weil schon die prinzipiellen Risiken gentechnisch veränderter Lebensmittel nicht gänzlich unumstritten sind, ermöglicht der europäische Gesetzgeber, wie oben im Zusammenhang mit der ratio legis der N F V O dargestellt wurde, 1 0 2 5 dem Verbraucher eine individuelle Entscheidung. Für die Frage, ob ein Vergleich der naturwissenschaftlichen Eigenschaften von kennzeichnungspflichtigen gentechnisch veränderten Lebensmitteln und nicht kennzeichnungspflichtigen herkömmlich hergestellten neuen Lebensmitteln eher für oder gegen das Vorliegen von like products spricht, lässt sich daher insgesamt Folgendes feststellen: Es bestehen bestimmte naturwissenschaftliche Unterschiede, die sich bei isolierter Betrachtung als wenig schwerwiegend darstellen. Unten wird zu untersuchen sein, welche Bedeutung diesen naturwissenschaftlichen Unterschieden mittelbar durch die Verbraucherreaktion zukommt.
b) Einsatzmöglichkeiten
der Produkte
Die Nutzungsmöglichkeiten der verglichenen Produkte sind ein zweiter zu berücksichtigender Aspekt. Hier wird ein Zusammenhang mit den naturwissenschaft1023 1024 1025
Vgl. OberenderlHerzberg/Kienle (siehe oben Fn. 174), S.56f. Siehe oben Fn.43. Siehe oben S.41 ff. zur ratio legis gerade der Kennzeichnungsregelung.
. Kennzeichnungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem
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liehen Eigenschaften deutlich: Prinzipiell dienen zwar gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere als Lebensmittel dem gleichen Grundzweck wie herkömmlich hergestellte Lebensmittel - dem Verzehr. Zusammenhängend mit der jeweiligen gentechnischen Veränderung ergeben sich jedoch dann spezifische Nutzungsmöglichkeiten, wenn die gleiche Modifikation nicht ohne den Einsatz gentechnischer Verfahren hätte erreicht werden können und sich i m Lebensmittel als Endprodukt noch auswirkt. Beispielsweise kann gentechnisch veränderter Reis mit besonderem Vitamin-A-Anteil gerade in Regionen der Dritten Welt verwendet werden, wo der Vitaminbedarf bislang nicht gedeckt wird. Hingegen kann eine Pflanze, in die genetisches Material aus dem Schwein durch gentechnische Verfahren eingefügt wurde, nicht mehr für die gleichen Zwecke verwendet werden, insbesondere nämlich nicht für die Ernährung bestimmter Religionsgruppen. Häufig wirkt sich die gentechnische Veränderung wie bei erhöhter Pestizidresistenz einer Pflanze dagegen im Lebensmittel als Endprodukt nicht weiter aus, so dass sich für das Lebensmittel insofern auch keine anderen Einsatzmöglichkeiten ergeben. Auch aus dem Kriterium der jeweiligen Nutzungsmöglichkeiten lassen sich daher keine entscheidenden Unterschiede zwischen gentechnisch veränderten Lebensmitteln und konventionellen Neuentwicklungen ableiten: Die Nutzungsmöglichkeiten unterscheiden sich zwar i m Einzelfall, aber nicht so kategorisch, wie der Anwendungsbereich der Art. 81 (a), (c) und (d) NFVO besondere Kennzeichnungsanforderungen konstituiert.
c) Verbraucherpräferenzen Die bestehenden Unterschiede der naturwissenschaftlichen Eigenschaften und der Einsatzmöglichkeiten ergeben also kein eindeutiges Ergebnis für die Frage, ob gentechnisch veränderte Lebensmittel und herkömmlich hergestellte Neuentwicklungen like products sind. Dafür hängen sie eng zusammen mit der Haltung des Verbrauchers zu diesen Produkten: Die Verbindung ist besonders deutlich bei Art. 81 (c) NFVO, der auf mit bestimmten analytischen Unterschieden zusammenhängende ethische Bedenken rekurriert. Ein ähnlicher Zusammenhang besteht aber auch bei Artt. 81 (a) und (d) NFVO: Indem diese Fallgruppen an mit den heutigen Nachweisverfahren identifizierbare Charakteristika anknüpfen und der europäische Gesetzgeber die Ungleichwertigkeit mit bestehenden Lebensmitteln bereits bei gentechnischen Protein- oder DNA-Veränderungen annimmt, erlauben sie eine an diesen Besonderheiten orientierte Entscheidung des Konsumenten. Bei der Frage, wie gentechnisch veränderte Lebensmittel und konventionell hergestellte Neuentwicklungen vom Verbraucher beurteilt werden, ist auf den Konsumenten innerhalb der EG abzustellen: Da sich die EG-Kennzeichnungsregeln nur auf die Kennzeichnung von in der Gemeinschaft in Verkehr gebrachten Produkten beziehen, kann nur die Haltung des Verbrauchers in der EG maßgeblich sein, weil nur der europäische Verbraucher von der Kennzeichnung direkt betroffen ist.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Innerhalb der EG gibt es zwar zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten gewisse Unterschiede, was die Verbrauchermeinung über gentechnisch modifizierte Lebensmittel betrifft. 1 0 2 6 Insgesamt zeigen aber aktuelle Umfragen, dass eine Mehrheit in den Staaten der EG und in anderen Importländern 1 0 2 7 skeptischer gegenüber diesen Produkten ist als gegenüber nach herkömmlichen Verfahren hergestellten Neuentwicklungen, 1 0 2 8 während in den USA bislang 1 0 2 9 gentechnisch modifizierte Lebensmittel positiver aufgenommen werden. 1 0 3 0 Eine Mehrheit der 1999 im Rahmen einer Eurobarometer Almixdigz Befragten glaubt nicht, dass viele Menschen von gentechnisch veränderten Lebensmitteln profitieren oder die Risiken akzeptabel seien. 1 0 3 1 5 3 % der Befragten würden auch höhere Preise für nicht gentechnisch modifizierte Lebensmittel zahlen, gegenüber 36 % mit ablehnender Haltung. 1 0 3 2 Während 33 % der Befragten Zucker kaufen würden, wenn alle Spuren gentechnischer Veränderung des Ausgangsproduktes beseitigt wären, votierten 4 2 % dagegen. 1033 1 9 % würden Hühnereier essen, wenn die Hühner mit gentechnisch veränderten Produkten gefüttert wären, 6 6 % lehnten dies ab. 1 0 3 4 Gerade bei 1026 Vgl. Eurobarometer 52.1, http://europa.eu.int/comm/research/pdf/eurobarometer-en . pdf, passim; Zechendorf, Agricultural Biotechnology: Why Do Europeans Have Difficulty Accepting It? AgBioForum 1998, S. 8 ff.; auf eine gewisse Korrelation zwischen wirtschaftlichem Reichtum eines Staates und der Ablehnung gentechnisch veränderter Lebensmittel durch seine Einwohner weist hin Siegrist, Poorer European Countries Are Less Concerned About Biotechnology than Richer Countries, Risk Issues in Health and Safety 2001, S.29ff.; der Einfluss von NGOs auf die öffentliche Diskussion wird dargestellt bei Teel, Rapporteur's Summary of the Deliberative Forum: Have NGOs Distorted or Illuminated the Benefits and Hazards of Genetically Modified Organisms? Colorado Journal of Environmental Law and Policy 2002, S. 137 ff.; auf die auch außerhalb des Problemkreises gentechnisch veränderter Lebensmittel bestehenden Unterschiede zwischen der Risikowahmehmung durch Naturwissenschaftler und durch Laien weist hin Walker , Consistent Levels of Protection in International Trade Disputes: Using Risk Perception Research to Justify Different Levels of Acceptable Risk, Environmental Law Reporter 2001. 1027 Auf die Vergleichbarkeit der Verbraucherhaltung in den Importländern weisen hin Bredahl/Kalaitzandonakes , Biotechnology, Can We Trade It? The Estey Centre Journal of International Law and Trade Policy 2001, 75 ff. (81). 1028 Vgl. Eurobarometer (siehe oben Fn. 1026), S. 12, 50ff.; Gaskell et al., Worlds Apart? The Reception of Genetically Modified Foods in Europe and the US, Science 285, 1999, S.384ff., passim. 1029 Vgl. zu neueren Entwicklungen in Richtung einer zunehmenden Kritik des amerikanischen Verbrauchers York, Global Foods, Local Tastes and Biotechnology: The New Legal Architecture of International Agriculture Trade, Columbia Journal of European Law 2001, S.423ff. (442); Rossen (siehe oben Fn.60), S.76; Francer (siehe oben Fn.48), S.298f.; eine ausführliche Analyse der gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmitteln kritischen Gruppen der US-Gesellschaft findet sich bei Reisner , Social Movement Organizations' Reactions to Genetic Engineering in Agriculture, American Behavioral Scientist 2001, S. 1389 ff. 1030 Gaskell et al (siehe oben Fn. 1028), S. 384ff. 1031 Vgl. Eurobarometer (siehe oben Fn. 1026), S.50ff. 1032 Eurobarometer (siehe oben Fn. 1026), S.60. 1033 Eurobarometer (siehe oben Fn. 1026), S.62. 1034 Eurobarometer (siehe oben Fn. 1026), S. 63.
. Kennzeichnungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem
-Abkommen217
der Lebensmittelherstellung ist die Ablehnung gentechnischer Verfahren durch den europäischen Verbraucher deutlicher ausgeprägt als etwa bei pharmazeutischen Anwendungen. 1 0 3 5 Nach der Eurobarometer-Mmfrzge, ist sogar eine Tendenz festzustellen, wonach Bio- und Gentechnik insgesamt in der EG heute vom Verbraucher skeptischer aufgenommen werden als Mitte der 90er Jahre. 1 0 3 6 Andere Umfragen zeigen meist vergleichbare Ergebnisse. 1037 Erwähnenswert ist eine 2002 veröffentlichte Allensbach-Umfrage, die eine im Vergleich zu früheren Untersuchungen zurückgegangene Skepsis der Befragten gegenüber dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen offenbart. Allerdings stellt diese Studie die Eurobarometer-Ergebnisse jedenfalls nicht grundsätzlich in Frage, da sie erstens nicht europaweit durchgeführt wurde und zweitens die Fragestellungen wesentlich von denen der Eurobarometer-Umfrage abwichen: Zwar wurde von Allensbach i m Hinblick auf den Einsatz gentechnischer Verfahren in der Landwirtschaft gefragt, ob die Befragten den Anbau etwa schädlingsresistenter Pflanzen befürworten oder ablehnen. Nicht untersucht wurde dagegen insbesondere, inwieweit die Befragten daraus produzierte Lebensmittel im Vergleich zu konventionell hergestellten Erzeugnissen beurteilen. 1 0 3 8 Angesichts dieser Umfrageergebnisse wird im Schrifttum häufig gefolgert, das Kriterium der Verbraucherhaltung spreche gegen eine Behandlung gentechnisch veränderter Lebensmittel und herkömmlicher Neuentwicklungen als like products. 1 0 3 9 Grundsätzlich erscheint diese Schlussfolgerung gerechtfertigt. Bei der Bewertung der Verbraucherhaltung in der EG sind allerdings die Ursachen für die überwiegende Ablehnung gentechnisch veränderter Lebensmittel i m Auge zu behalten. Insbesondere ist zu überlegen, ob nicht die Skepsis des Verbrauchers erst durch die Sonderbehandlung gentechnisch veränderter Lebensmittel durch die EG geschaffen w i r d . 1 0 4 0 Es wäre widersprüchlich, würde sich die EG i m transatlanti1035
Eurobarometer
(siehe oben Fn. 1026), S. 12, 27 ff.; Gaskell et al. (siehe oben Fn. 1028),
S.384. 1036
Eurobarometer (siehe oben Fn. 1026), S. 8. Vgl. etwa die bei Hampel/Renn (Hrsg.), Gentechnik in der Öffentlichkeit, die bei Perdikis/Kerr/Hobbs (siehe oben Fn. 604), S. 389 f., oder die bei Knörr (siehe oben Fn. 132), Fn. 494, zitierten Umfrageergebnisse. 1038 Eine Darstellung der für die Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft wesentlichen Ergebnisse findet sich unter http://www.transgen.de/Aktuell/chronik_2002.html. 1039 So etwa Burchardi (siehe oben Fn. 639), S. 99 f.; Howse/Mavroidis (siehe oben Fn. 631), S. 319; ähnlich, wenn auch zurückhaltender Appleton, The Labeling of GMO Products Pursuant to International Trade Rules, New York University Environmental Law Journal 2000, S. 566ff. (575 f.); Zedalis (siehe oben Fn.600), S.329, 331, hält es angesichts des Kriteriums der Verbraucherpräferenz zwar nicht für ausgeschlossen, aber insgesamt für unwahrscheinlich, dass ein Panel gentechnisch veränderte Lebensmittel und konventionelle Neuzüchtungen als ungleichartig begreifen könnte. 1040 In diesem Sinne Victor , Precaution or Protectionism? The Precautionary Principle, Genetically Modified Organisms, and Allowing Unfounded Fear to Undermine Free Trade, Transnational Lawyer 2001, S.295ff. (297 f.). 1037
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
sehen Gentechnikkonflikt zur Rechtfertigung ihrer Kennzeichnungsvorschriften auf eine von ihr selbst bewirkte Ablehnung durch den Verbraucher stützen. 1 0 4 1 Die Untersuchungen über die Ursachen für die Reserviertheit des europäischen Verbrauchers ergeben jedoch ein anderes Bild: Allgemein ist nach den in den Massenmedien intensiv dargestellten Lebensmittelskandalen vom Hormonfleisch über BSE bis hin zum Dauereinsatz von Antibiotika in der Schweinezucht ein in den letzten Jahren deutlich gewachsenes Misstrauen der Konsumenten in der EG gegenüber industriell produzierten Lebensmitteln festzustellen. 1042 Insoweit zeigt sich an der Haltung der europäischen Verbraucher auch die kulturelle Dimension des Gentechnikkonflikts: In Europa werden traditionelle, aber gesundheitlich nicht unbedenkliche Lebensmittel wie Rohmilchkäse eher akzeptiert als in Nordamerika, wo in Ernährungsfragen der Tradition ein geringerer Stellenwert beigemessen wird als der technischen Weiterentwicklung. 1 0 4 3 Ein zweiter, damit zusammenhängender Grund ist, dass zwar viele Verbraucher grundsätzlich eine politische Kontrolle der technischen Entwicklung wünschen, 1 0 4 4 aber kein ausreichendes Vertrauen haben, dass die staatlichen Regulierungsstrukturen in der Lage sind, die von gentechnisch veränderten Lebensmitteln ausgehenden Gefahren angemessen zu behandeln. 1 0 4 5 Gerade deshalb befürwortet die große Mehrheit der Verbraucher in der EG eine Kennzeichnungsregelung, um individuell eine Entscheidung für oder gegen den Verzehr dieser Produkte treffen zu können. 1 0 4 6 Neben dem Misstrauen im Hinblick auf die Risiken und Umwelt lässt sich die ablehnende Haltung teilweise durch besondere ethische oder religiöse Grundvorstellungen erklären. 1 0 4 7 Eben1041 Ygi z u diesem Gedanken jetzt auch EC - Trade Description of Sardines, Report of the Panel (siehe oben Fn.627), Rn.7.127. 1042 Gaskell et al. (siehe oben Fn. 1028), S. 385 f.; vgl. zu diesen Rahmenbedingungen für die Wahrnehmung der Risiken gentechnisch veränderter Lebensmittel durch den EG-Verbraucher auch Nelson, Risk Perception, Behavior, and Consumer Response to Genetically Modified Organisms, American Behavioral Scientist 2001, S. 1371 ff. (1382f.). 1043 Vgl. nur Echols , Food Safety Regulation in the European Union and the United States: Different Cultures, Different Laws, Columbia Journal of European Law 1998, S. 525 ff. (528ff.); Runge/ Bagnara/Jackson, Differing U.S. and European Perspectives on GMOs: Political, Economic and Cultural Issues, Estey Centre Journal of International Law and Trade Policy 2001, S.221 ff. (222 ff.); vgl. zu den kulturellen Aspekten von Essgewohnheiten auch Neumann, Eßgewohnheiten im kulturellen Wandel, in Haniel/Schleissing/Anselm (Hrsg.), Novel Food, S. 13 ff.; bemerkenswert auch die bereits 1776 von Adam Smith getroffene Feststellung „The laws concerning corn may every where be compared to the laws concerning religion." (zitiert bei Kerr (siehe oben Fn. 547), S. 245). 1044 Vgl. aus politologischer Sicht zu dem Problemkreis Primat der Technik oder Primat der Politik Rücker (siehe oben Fn. 9), S. 25 ff. 1045 Eurobarometer (siehe oben Fn. 1026), S.76ff.; Gaskell et al. (siehe oben Fn. 1028), S. 386. So auch die Ergebnisse der ΡΑΒΕ-Studie (siehe oben Fn. 177), S. 50, 60. 1046 Siehe oben Fn. 177. 1047 Eurobarometer (siehe oben Fn. 1026), S. 56ff.; vgl. zu dieser Ursache und anderen Gründen der Haltung des EG-Verbrauchers auch Perdikis/Kerr, Can Consumer based Demands for Protection be Incorporated in the WTO? - The Case of Genetically Modified Foods, Canadian Journal of Agricultural Economics 1999, S.457ff. (458 f.).
. Kennzeichnungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem
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falls ist die Ablehnung darauf zurückzuführen, dass die bisherigen gentechnisch veränderten Lebensmittel in den Augen des Verbrauchers keine hinreichenden Vorteile aufweisen. 1 0 4 8 Bemerkenswert ist i m Übrigen, dass die Untersuchungen zwar auch auf eine mangelhafte Kenntnis der naturwissenschaftlichen Implikationen beim Verbraucher schließen lassen. 1049 Sein Wissensstand hinsichtlich Gentechnik ist jedoch in den letzten Jahren leicht gestiegen, während seine Einstellung eher misstrauischer geworden i s t . 1 0 5 0 Diese Ursachen für die Verbraucherhaltung schließen eine Beeinflussung der Verbrauchermeinung durch die EG-Sonderbehandlung zwar theoretisch nicht aus. Dies bleibt jedoch spekulativ, denn es gibt keine konkreten Hinweise darauf, dass die Verbraucherablehnung maßgeblich durch die Sonderbehandlung gentechnisch veränderter Lebensmittel durch die EG beeinflusst wurde. Besonders unwahrscheinlich erscheint dies dadurch, dass die Ablehnung nicht nur auf den naturwissenschaftlichen Risiken, sondern teilweise auch auf ethischen oder religiösen Vorbehalten beruht. Entscheidend spricht für eine Selbständigkeit der Verbraucherhaltung gegenüber der EG-Politik, dass die Ablehnung durch den EG-Konsumenten noch kategorischer ist als das bisherige Risikodenken des europäischen Gesetzgebers, das den geltenden Gentechniknormen zugrunde liegt, indem sie auch Endprodukte betrifft, bei denen sich die gentechnische Veränderung nicht mehr nachweisen lässt. 1 0 5 1 Gerade deshalb strebt die Kommission für die Zukunft eine umfassendere Kennzeichnungspflicht a n . 1 0 5 2 Demnach hat der europäische Gesetzgeber die ablehnende Haltung der europäischen Verbraucher nicht zu verantworten. Daraus wiederum folgt, dass diese Verbraucherposition bei der Beurteilung, ob gentechnisch modifizierte Lebensmittel und konventionell hergestellte Neuentwicklungen like products sind, zu berücksichtigen ist. Bei der Gesamtabwägung ist grundsätzlich problematisch, die quantitative Grenze zu ziehen, ab der eine Verbraucherhaltung dergestalt ausschlaggebend sein kann, dass keine like products angenommen werden. 1 0 5 3 Erstens ist dies jedoch ein der Be1048 Dies betont etwa Cendrovicz, La problématique transatlantique de la biotechnologie et des OGM, Cahiers de Europe Environnement 1998, S. 1 ff. (8). Ähnlich die /M££-Studie (siehe oben Fn. 177), S.53. 1049 Eurobarometer (siehe oben Fn. 1026), S. 15 ff.; Boccaletti/Moro, Consumer Willingness-To-Pay for GM Food Products in Italy, AgBioForum 2000, S. 259ff. 1050 Eurobarometer (siehe oben Fn. 1026), S.25; Gaskell et al. (siehe oben Fn. 1028), S.386; auch Chess, Fearing Fear: Communication about Agricultural Biotechnology, AgBioForum 1998, S. 17 ff., hält das Verhältnis zwischen Verbraucherwissen und -akzeptanz gentechnisch veränderter Lebensmittel für unklar. Die PAßis-Studie (siehe oben Fn. 177) stellt auf S.49 fest, trotz der mangelhaften Kenntnis vieler Verbraucher erklärten sich die Hauptbedenken der Verbraucher nicht durch grundlegend fehlerhafte naturwissenschaftliche Vorstellungen. 1051 Siehe oben Fn. 1033. 1052 Erwägungsgrund 20 des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 425 endg. 1053 Vgl. Buechle , The Great, Global Promise of Genetically Modified Organisms: Overcoming Fear, Misconceptions, and the Cartagena Protocol on Biosafety, Indiana Journal
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
urteilung von like products immanentes Wertungsproblem, das sich prinzipiell genauso etwa bei der Bewertung der naturwissenschaftlichen Ähnlichkeit stellt. Jedenfalls i m Gentechnikbereich, wo eine Verbrauchermehrheit gentechnisch veränderte Lebensmittel ablehnt und eine entsprechende Kennzeichnung fordert, sprechen die Umfrageergebnisse deutlich gegen eine Behandlung von herkömmlichen und gentechnisch veränderten Neuentwicklungen als like products. Ein zweites Argument für die maßgebliche Berücksichtigung der Haltung des EG-Verbrauchers ergibt sich daraus, dass die Bewertung von like products fallspezifisch zu erfolgen hat: Eine Besonderheit liegt in casu darin, dass es um die WTO-Konformität von Kent izeichnungsnormen geht. Da die Kennzeichnungsregeln ein geringerer Eingriff sind als etwa Verbotsnormen, ist konsequent, wenn spiegelbildlich die Kriterien für like products enger ausgelegt werden und eine Ungleichartigkeit eher angenommen w i r d . 1 0 5 4 Diesem Gedanken entsprechend übertrifft der Anteil derjenigen Verbraucher, die sich in Umfragen für umfassende Kennzeichnungsregeln aussprechen, bei weitem den Anteil derjenigen, die den Verzehr gentechnisch veränderter Lebensmitel gänzlich ablehnen. 1 0 5 5 Drittens zeigt sich an dieser Stelle erneut die Verbindung der verschiedenen Kriterien zur Beurteilung von like products : Die Unterschiede der naturwissenschaftlichen Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten sprechen, isoliert betrachtet, weder eindeutig für noch gegen das Vorliegen von like products. Sie lassen sich aber mit der Verbraucherablehnung verknüpfen - soweit die Ablehnung auf eine Skepsis gegenüber den Gesundheits- und Umweltrisiken zurückzuführen ist, stellen das von Art. 81 (d) und (a) N F V O anvisierte Vorhandensein gentechnisch veränderter Organismen oder zumindest gentechnischer D N A - oder Proteinveränderungen als naturwissenschaftliche Unterschiede die deutlichsten Anknüpfungspunkte für diese Skepsis dar. Soweit die Zurückweisung gentechnisch veränderter Lebensmittel ihre Ursache in ethischen Vorbehalten findet, lässt sie sich mit den für die Anwendung von Art. 81 (c) N F V O notwendigen Produktbestandteilen verknüpfen, die ethische Bedenken auslösen könnten. Insgesamt zeigt sich daher an der Verbraucherreaktion, dass die eine Kennzeichnungspflicht auslösenden Unterschiede zwischen gentechnisch modifizierten Lebensmitteln und herkömmlich hergestellten Neuentwicklungen relevant sind und deswegen nach den klassischen Kriterien diese beiden Produktarten keine like products i. S. ν. Art. 21 TBT-Abkommen darstellen. Noch nicht beantwortet ist damit die Frage, ob die Verbraucherskepsis alleine, also ohne die genannten naturwissenschaftlichen Unterschiede zum gleichen Ergebnis führen würde. Diese Frage ist bei der gegenwärtigen Ausgestaltung der EGof Global Legal Studies 2001, S.283ff. (316); bereits 1993 aus europarechtlicher Sicht zu diesem Abgrenzungsproblem für die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel Pfleger (siehe oben Fn. 172), S. 384f. 1054 So auch Eiseman , Food Labeling: Free Trade, Consumer Choice, and Accountability, in Weiss!Jackson (Hrsg.), Reconciling Environment and Trade, S.373ff. (389). 105,5 Siehe oben Fn. 177 zu Umfrageergebnissen über den Wunsch nach Kennzeichnung.
. Kennzeichnungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem
-Abkommen
221
Kennzeichnungsregeln irrelevant, weil sie auf nachweisbare Unterschiede im Endprodukt abstellen. Sie wird im übernächsten Abschnitt erörtert. d) Sonstige Kriterien
zur Beurteilung
von Like Products
Nachdem festgestellt wurde, dass bei einer fallspezifischen Orientierung an den naturwissenschaftlichen Eigenschaften, den Verwendungsmöglichkeiten und vor allem der Verbraucherpräferenz keine like products vorliegen, ist zu überlegen, ob darüber hinaus noch andere Kriterien relevant sind. Der Appellate Body betont, die genannten Grundkriterien seien kein fester oder enumerativer Katalog. 1 0 5 6 Im Schrifttum werden weitere Gesichtspunkte diskutiert, die von Fall zu Fall zu berücksichtigen sind. Hauptsächlich 1 0 5 7 dreht sich die Diskussion bisher darum, ob like products vorliegen, wenn zwischen zwei Produkten rein herstellungs- und nicht produktbezogene Unterschiede etwa i m Hinblick auf eine Umweltbelastung bestehen. 1 0 5 8 Diese Frage knüpft an das oben 1 0 5 9 diskutierte, in seiner Allgemeinheit obsolete PPM-Dogma an. Für die EG-Kennzeichnungsregeln ergeben sich allerdings aus diesen Überlegungen keine weiteren Erkenntnisse, da sie in ihrer gegenwärtigen Fassung nicht rein herstellungsbezogen sind. Wie eine rein verfahrensbezogene Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel zu beurteilen wäre, wird im folgenden Abschnitt untersucht. Daher lässt sich zusammenfassen, dass die EG-Kennzeichnungsregeln in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung mit Art. 2 1 TBT-Abkommen vereinbar sind. 1 0 6 0 I m Folgenden geht es darum, ob auch die von der Kommission vorgeschlagene Änderung der Kennzeichnungsregeln, wonach auch ohne i m Endprodukt nachweisbare Unterschiede alle gentechnisch veränderten Lebensmittel i m Anwendungsbereich der geplanten Verordnung kennzeichnungspflichtig sein sollen, die Anforderungen des Art. 21 TBT-Abkommen erfüllt. e) Ausblick: Eine rein verfahrensbezogene Kennzeichnungspflicht und Art. 21 TBT-Abkommen Sollten die Kennzeichnungsregelungen der EG für gentechnisch veränderte Lebensmittel entsprechend dem Kommissionsvorschlag dahingehend geändert wer1056
European Communities - Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 626), S. 45. 1057 Vgl. zu dem insbesondere außerhalb von zollrechtlichen Streitigkeiten nur sehr eingeschränkt nutzbaren Kriterium der Zollkategorien etwa die Hinweise bei Zedalis (siehe oben Fn. 600), S.312. 1058 Vgl. dazu Senti (siehe oben Fn.588), Rn.701 f. 1059 Siehe oben S. 194ff. 1060 So auch Teel (siehe oben Fn. 548), S. 688; Burchardi (siehe oben Fn. 639), S. 101 ; Streinz (siehe oben Fn. 662), S. 267.
222
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
den, dass statt der bisher unter Art. 81 N F V O fallenden Produkte künftig alle gentechnisch veränderten Lebensmittel im Anwendungsbereich der geplanten Verordnung kennzeichnungspflichtig werden, 1 0 6 1 so dass die Kennzeichnungspflicht jedenfalls für bestimmte Fälle mangels Unterschieden im Endprodukt rein verfahrensbezogen wäre, 1 0 6 2 könnte dies Folgen im Hinblick auf Art. 21 TBT-Abkommen haben. Zwar wurde oben 1 0 6 3 festgestellt, dass das alte Dogma, das WTO-Recht verbiete rein verfahrensbezogene Handelsschranken, in dieser allgemeinen Form nicht gilt. I m Zusammenhang mit Art. 2 1 TBT-Abkommen stellt sich aber die Frage, ob eine nicht an Eigenschaften des Endproduktes, sondern ausschließlich am Herstellungsverfahren eines Produktes orientierte Handelsbeschränkung nicht automatisch eine Schlechterbehandlung von like products i s t . 1 0 6 4 Daher ist zu untersuchen, ob like products i. S. v. Art. 21 TBT-Abkommen nur dann nicht vorliegen, wenn die Produkte auch Unterschiede i m Endprodukt aufweisen, oder auch eine unterschiedliche Herstellungsart alleine ausreichen kann. Auch für eine in der dargestellten Weise veränderte EG-Kennzeichnungsregelung hätte es keine Bedeutung, dass von Teilen der Literatur gefordert wird, eine besonders umweltbelastende Herstellungsmethode müsse für die Beurteilung von like products auch dann berücksichtigt werden, wenn sie keine Auswirkungen mehr im Endprodukt habe. 1 0 6 5 Es kann nicht für alle gentechnisch veränderten Lebensmittel angenommen werden, sie seien umweltbelastend, was sich auch etwa in der jetzigen N F V O widerspiegelt, indem diese nur für bestimmte gentechnisch modifizierte Lebensmittel verlangt, die Umweltsicherheitsanforderungen der FreisRL 90/220/ E W G zu beachten. 1 0 6 6 Daher ist das Kriterium der Umweltbelastung i m Gentechnikkonflikt gerade nicht verfahrensspezifisch anwendbar. Dagegen wäre der Gesichtspunkt der Verbraucherpräferenz erneut nutzbar zu machen: Die Umfrageergebnisse deuten nicht nur dort auf eine Ablehnung gentechnisch veränderter Lebensmittel durch den europäischen Konsumenten hin, wo die Veränderungen nachweisbare Konsequenzen hinterlassen haben und das Endprodukt gentechnisch veränderte Organismen oder gentechnische Protein- oder D N A Veränderungen aufweist. Vielmehr ist die Reserviertheit gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmitteln kategorischer. Es wurde bereits erwähnt, dass nur 33 % der in der Eurobarometer-Umfrage Befragten Zucker aus gentechnisch verändertem Zuckerrohr verzehren würden, wenn alle Spuren der gentechnischen Veränderung des Ausgangsprodukt beseitigt wären. 4 2 % wären auch dann nicht bereit, ein solches Produkt zu verzehren. 19% würden Hühnereier auch essen, wenn die Hennen 1061
Siehe oben S. 101 zur geplanten Kennzeichnungspflicht. Siehe oben S. 140 zum Verfahrensbezug der geplanten Kennzeichnungspflicht. 1063 Siehe oben S. 194 ff. 1064 Vgl. Okuho (siehe oben Fn.648), S.621; Fuchs/Herrmann (siehe oben Fn.762), S.806, halten die geplante EG-Kennzeichungspflicht für WTO-widrig. 1065 So insbesondere die Überlegungen von Senti und Charnovitz (siehe oben Fn. 939). 1066 Siehe oben S.76 zur Beachtlichkeit der Umweltsicherheitsanforderungen der FreisRL 90/220/EWG innerhalb der NFVO. 1062
. Kennzeichnungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem
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mit gentechnisch veränderten Produkten gefüttert wären, 66 % waren dagegen. 1067 Diese Beispiele demonstrieren, dass die Verbraucherablehnung nicht nur die Fälle betrifft, in denen die Anwendung gentechnischer Verfahren sich i m Endprodukt noch nachweisen lässt. Das Kriterium der Verbraucherhaltung spräche daher auch dann gegen eine Behandlung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln und herkömmlichen Neuentwicklungen als like products , wenn die EG-Kennzeichnungsvorschriften entsprechend dem Vorschlag der Kommission ausgestaltet würden. Zwar ist die Plausibilität der Ablehnung größer, wenn sich noch naturwissenschaftliche Unterschiede im Endprodukt nachweisen lassen. In den Ausführungen der GATT-Arbeitsgruppe Border Tax Adjustment und der Panels und des Appellate Body wird jedoch die Verbraucherposition nicht nur bei einer bestimmten Plausibilität als Kriterium zur Beurteilung von like products akzeptiert. Dies wäre auch widersprüchlich: Weil die Verbraucherentscheidung als selbständiges Kriterium neben die übrigen Aspekte gestellt wird, kann sie nicht nur in Kombination mit ihnen relevant werden. Durch die Anerkennung der Verbraucherhaltung als abwägungsrelevanter Gesichtspunkt wird die alltägliche Realität akzeptiert, dass diese Verbrauchermeinung nicht immer vollständig rational nachvollziehbar i s t . 1 0 6 8 Dass auch unplausible Verbraucherpräferenzen überhaupt und möglicherweise auch entscheidend zu berücksichtigen sind, ergibt sich auch aus der Struktur des TBT-Abkommens: Technische Handelshemmnisse werden nicht generell untersagt. Tragender Gedanke muss insbesondere sein, dass sie einem legitimem Anliegen dienen. Art. 2 I I TBT-Abkommen zählt zu den legitimen Zielen unter anderem die Vermeidung der Irreführung von Verbrauchern. Darin liegt darin ein besonderes Argument für die selbständige Berücksichtigung von Verbraucheranliegen unabhängig von ihrer Plausibilität, denn es gibt auch i m TBT-Abkommen keinen Hinweis darauf, dass Art. 2 I I TBT-Abkommen nur eine solche Verbrauchererwartung schützen wollte, die rational oder plausibel ist. Gerade daran lässt sich feststellen, dass das TBTAbkommen weniger naturwissenschaftlich ausgerichtet ist als das SPS-Abkommen. Schließlich besteht ein weiteres Argument dafür, dass die mehrheitlich ablehnende Haltung der EG-Verbraucher nicht nur überhaupt zu berücksichtigen ist, sondern in der Gesamtabwägung entscheidend gegen das Vorliegen von like products spricht, auch wenn es außer der Verbraucherhaltung keine weiteren Unterschiede zwischen kennzeichnungspflichtigen gentechnisch veränderten und nicht kennzeichnungspflichtigen herkömmlich hergestellten Neuentwicklungen gibt. Oben wurde bereits betont, dass die Beurteilung von like products nicht nur norm-, sondern auch fallspezifisch erfolgen muss und es als Besonderheit im vorliegenden Fall nicht um Verbots-, sondern nur um Kennzeichnungsvorschriften geht, so dass we1067
Siehe oben S.216 zu diesen Beispielen. So auch Eiseman (siehe oben Fn. 1054), S.401. Außerhalb des Gentechnikkonflikts in diese Richtung auch Bronckers/McNelis, Rethinking the „Like Product" Definition in GATT 1994: Anti-Dumping and Environmental Protection, in Cottier/ Mavroidis (Hrsg.), Regulatory Barriers and the Principle of Non-Discrimination in World Trade Law, S. 345 ff. (374). 1068
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
gen des geringeren Eingriffes in die Handelsfreiheit das Vorliegen von like products auch eher abgelehnt werden kann. Diese Überlegung gilt gerade auch für den Fall, dass die EG-Vorschriften dem Kommissionsvorschlag entsprechend künftig nicht mehr auf Unterschiede i m Endprodukt abstellen. Eine wegen naturwissenschaftlicher Unterschiede im Endprodukt leichter nachvollziehbare Zurückweisung bestimmter Produkte mag daher bei der Abwägung zwar schwerer wiegen. Eine so deutliche Ablehnung, wie sie sich den Umfrageergebnissen im Gentechnikbereich entnehmen lässt, muss aber auch alleine ausreichen, es sei denn, der betreffende Mitgliedstaat selbst hätte diese Ablehnung zu verantworten. Dies ist, wie oben 1 0 6 9 gezeigt wurde, im Gentechnikstreit nicht der Fall, so dass auch eine rein verfahrensbezogene Kennzeichnung mit Art. 21 TBT-Abkommen prinzipiell vereinbar wäre. Allerdings ist zu beachten, dass die von der Europäischen Kommission anvisierte verfahrensbezogene Kennzeichnungspflicht auf dem Anwendungsbereich der geplanten Verordnung aufbaut und somit (wie die NFVO) solche Lebensmittel nicht erfasst, die nicht aus, sondern nur mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen oder Verarbeitungshilfsstoffe hergestellt werden. 1 0 7 0 In der Terminologie von Art. 21 TBT-Abkommen ausgedrückt, stellt sich folglich die Frage, ob aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellte Lebensmittel, in denen sich analytisch keine gentechnisch veränderten Bestandteile mehr nachweisen lassen, und mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen oder Verarbeitungshilfsstoffe hergestellte Lebensmittel, in denen gentechnisch veränderte Bestandteile ebenfalls nicht mehr nachweisbar sind, als like products anzusehen sind. Dieses Detail des Kommissionsvorschlages ist aus WTO-Perspektive nicht unbedeutend. Die Ergebnisse der Eurobarometer-Umfrage sprechen nämlich dafür, eine Kennzeichnungspflicht zumindest auf tierische Erzeugnisse zu erstrecken, wenn die Tiere mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden. 1 0 7 1 Für die Verwendung von Enzymen, die mit gentechnisch hergestellten Mikroorganismen hergestellt wurden, ist eine ähnliche Verbraucherhaltung jedenfalls nicht ausgeschlossen. M i t Verbraucherpräferenzen lässt sich die Differenzierung daher kaum rechtfertigen. Deutlich spricht jedoch gegen eine Annahme von like products , dass eine Kennzeichnungsvorschrift, die sich auch auf nur mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen oder Verarbeitungshilfsstoffe hergestellte Lebensmittel erstreckt, weitgehend unpraktikabel wäre. Es wäre wegen der Weite des unbestimmten Rechtsbegriffes „ m i t Hilfe" kaum möglich, eine Grenze zu ziehen zwischen diesen Lebensmitteln und solchen Lebensmitteln, zu deren Herstellung gentechnisch veränderte Erzeug1069
Siehe oben S.217 zu den Gründen für die Haltung des EG-Verbrauchers. Siehe oben S. 101 zum Anwendungsbereich der geplanten Verordnung. 1071 Siehe oben S.216 zur Bewertung von Hühnereiern, wenn die Hühner mit gentechnisch verändertem Futter gefüttert wurden. 1070
. Kennzeichnungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem
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nisse auf keiner Stufe des Herstellungsprozesses in irgendeiner Weise beigetragen haben. Außerdem ist festzustellen, dass auf dem europäischen Markt Lebensmittel, die aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt werden, erheblich seltener sind als solche Lebensmittel, die mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen oder Hilfsstoffe produziert werden: Etwa der Einsatz von aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen gewonnenen Enzymen, die in der Lebensmittelverarbeitung von fundamentaler Bedeutung sind, stellt schon seit Jahren auch in der EG in verschiedenen Bereichen keine Ausnahme, sondern den Regelfall dar. 1 0 7 2 Eine Kennzeichnung nahezu aller verarbeiteten Lebensmittel als gentechnisch verändert würde dem Verbraucher aber keine echte Wahlmöglichkeit bieten und wäre daher zwecklos. Die Sinnlosigkeit einer Kennzeichnungvorschrift, die auch alle mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen oder Hilfsstoffe hergestellte Lebensmittel erfasst, ist ein bei der Rechtssetzung in der EG entscheidender Aspekt. Sie ist aber auch auf WTO-Ebene zu berücksichtigen: Die schwierige Abgrenzbarkeit und die Tatsache, dass mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen oder Hilfsstoffe produzierte Lebensmittel auch auf dem europäischen Markt schon jetzt eine außerordentlich wichtige Rolle spielen, ergänzen in casu als fallspezifische Aspekte die klassischen Beurteilungskriterien für das Vorliegen von like products. Darüber hinaus kommt ihnen bei der Gesamtabwägung eine entscheidende Bedeutung zu, weil der praktische Sinn der Kennzeichnungsvorschriften von ihnen abhängt. Deshalb ist im Ergebnis festzustellen, dass die von der Europäischen Kommission geplante Kennzeichnungspflicht, die wie die Verordnung insgesamt mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen oder Hilfsstoffe hergestellte Lebensmittel nicht erfasst, nicht gegen Art. 21 TBT-Abkommen verstößt.
3. Die Kennzeichnungspflicht und die Necessity Clause des Art. 2 I I TBT-Abkommen Art. 2 I I TBT-Abkommen enthält neben dem Diskriminierungsverbot des Art. 21 TBT-Abkommen die zweite materielle Hauptanforderung des TBT-Abkommens. Hiernach muss eine Handelsbeschränkung zur Erreichung eines legitimen Zieles notwendig sein. Es ist umstritten, ob die EG-Kennzeichnungsregeln Art. 2 I I TBTAbkommen genügen. 1 0 7 3 a) Legitimes Ziel Art. 211 TBT-Abkommen enthält eine ausdrücklich als nicht enumerativ bezeichnete Aufzählung legitimer Ziele. Zu den aufgeführten Motiven zählt insbesondere 1072
Siehe dazu oben S. 20f. Für eine Vereinbarkeit der EG-Kennzeichnungsregeln mit Art. 2 II TBT-Abkommen ohne nähere Begründung etwa Teel (siehe oben Fn. 548), S. 688; Dederer (siehe oben Fn. 180), S. 255; dagegen etwa Fredland (siehe oben Fn.452), S. 216. 1073
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
die Verhinderung irreführender Praktiken. Teilweise wird bezweifelt, dass die EGKennzeichnungsregeln unter diese Kategorie zu subsumieren sind. 1 0 7 4 Diese Zweifel sind jedoch ungerechtfertigt. 1075 Wie erwähnt, lehnen bislang die Verbraucher in der EG mehrheitlich gentechnisch veränderte Lebensmittel ab. 1 0 7 6 Gegenwärtig stellen Lebensmittel, die noch gentechnisch verändertes Material enthalten, in der EG auch die Ausnahme dar. 1 0 7 7 Daraus resultiert eine Verbrauchererwartung, dass ein Produkt auch nicht gentechnisch verändert ist, sofern es nicht gesondert gekennzeichnet i s t . 1 0 7 8 Ist das Produkt dennoch gentechnisch modifiziert, wird der Verbraucher in dieser Erwartungshaltung enttäuscht, also irregeführt. Nichts deutet daraufhin, dass irreführende Praktiken i. S. v. Art. 211 TBT-Abkommen nur bei einer Erwartungshaltung vorliegen, die auf einer objektiv plausiblen Angst vor Gesundheitsschäden oder dergleichen gründet. I m Gegenteil - eine solche plausible Skepsis ist bereits dadurch abgedeckt, dass Art. 2 I I TBT-Abkommen den Gesundheitsschutz und den Schutz von Pflanzen und Tieren gesondert erwähnt. Die Irreführung verlangt daher keine Schädigungsgefahr. Ebenso gibt es kein Anzeichen dafür, dass die Fallgruppe der Vermeidung einer Irreführung nur bei einer bewussten Täuschung durch den Inverkehrbringer erfüllt ist. Deshalb sind wegen der faktischen Erwartungshaltung der EG-Verbraucher die EG-Kennzeichnungsregeln unter die Kategorie der Vermeidung einer Irreführung zu subsumieren. Dies gilt sowohl für die gegenwärtigen Vorschriften, die an bestimmte naturwissenschaftliche Unterschiede im Endprodukt anknüpfen, als auch für die Regeln nach dem Kommissionsvorschlag. Folglich erübrigt sich die Frage, ob zu den legitimen Zielen i. S. v. Art. 2 I I TBTAbkommen auch Zugeständnisse an die Verbraucherablehnung 1079 oder die Verbraucherinformation 1080 zählen: Die Umfrageergebnisse demonstrieren für die EG zwar bisher eine Verbraucherablehnung 1081 und ein derartiges Informationsbedürfnis bei gentechnisch modifizierten Lebensmitteln. 1 0 8 2 Dieser Verbraucherhaltung 1074
So insbesondere Appleton (siehe oben Fn. 1039), S.576f.; vgl. auch Stewart!Johanson (siehe oben Fn. 28), S.291f.; vgl. auch die Stellungnahme der USA zur VO 1139/98/EG G/TBT/W/94 unter IV. 1075 In dieser Richtung auch Eiseman (s.o. Fn. 1054), S. 393; ähnlich für das Schweizer Kennzeichnungsregime Perrez (siehe oben Fn. 657), S.602f.; aus Sicht des US-Kennzeichnungsrechts Winn (siehe oben Fn.570), S.678. 1076 Siehe oben S. 215 ff. 1077 Siehe oben S. 20. 1078 So bereits der Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments in seiner Empfehlung vom 23.02.1996, dargestellt bei Grube (siehe oben Fn. 172), S. 233. 1079 So Dederer (siehe oben Fn. 656), S. 699. 1080 So Burchardi (siehe oben Fn. 639), S. 100, der das Recht auf Information als legitimes Anliegen i. S. v. Art. 2 II TBT-Abkommen aus dem Ziel der Vermeidung der Irreführung folgert. 1081 Siehe oben S. 215 ff. zur Verbraucherhaltung. 1082 Siehe oben Fn. 177.
F. Kennzeichnungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem TBT-Abkommen
227
wird durch Art. 2 I I TBT-Abkommen aber bereits durch die Fallgruppe der Vermeidung irreführender Praktiken Rechnung getragen. Ebenfalls ist nicht erforderlich zu überlegen, ob die von der EG mit den Kennzeichnungsvorschriften auch beabsichtigte Rechtsvereinheitlichung in der Gemeinschaft 1 0 8 3 ein legitimes Ziel i. S. v. Art. 2 I I TBT-Abkommen darstellt. 1 0 8 4 Gegen ein Abstellen auf diesen Erwägungsgrund der Kennzeichnungsregeln spricht neben anderen Einwänden auch, dass sich aus ihm weniger Erkenntnisse für die Frage gewinnen lassen, wie die Kennzeichnungsregeln i m Einzelnen WTO-konform auszugestalten sind: Während die Vermeidung einer Irreführung durch die Verbrauchererwartung als Grundlage auch Maßstäbe dafür liefert, wie weit die Kennzeichnungsregeln gehen müssen, könnte eine Vereinheitlichung der nationalen Regelungen innerhalb der EG in unterschiedlicher Richtung erfolgen.
b) Notwendigkeit der EG-Kennzeichnungsregeln zur Vermeidung irreführender Praktiken Bei der Beantwortung der Frage, ob die EG-Kennzeichnungsvorschriften notwendig sind, um das legitime Ziel der Vermeidung irreführender Praktiken zu erreichen, ist festzustellen, dass ähnlich wie oben bei der Untersuchung von Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen auch hier Überlegungen einfließen, die i m deutschen Verwaltungs- und Verfassungsrecht bei der Kategorie der Erforderlichkeit relevant werden. Während oben beim SPS-Abkommen Erwägungen zur Geeignetheit der Maßnahmen bereits bei der rational relationship für Art. 5 I SPS-Abkommen eingebracht werden konnten, 1 0 8 5 kann die Frage der Geeignetheit im Rahmen des TBT-Abkommens als Vorfrage der Notwendigkeit einer Handelsbeschränkung erörtert werden, da eine zur Zweckerreichung ungeeignete Maßnahme nicht zur Zweckerreichung notwendig sein kann. Gegen die Geeignetheit der EG-Kennzeichnungsregeln für gentechnisch veränderte Lebensmittel wurde bereits während des langjährigen NormsetzungsVerfahrens vorgebracht, der pauschale Hinweis auf das Vorhandensein gentechnisch veränderter Organismen, D N A oder Proteine sei zur Verbraucherinformation ungeeignet, weil er keine Aussage über etwaige mit diesen Spuren gentechnischer Verfahren verknüpften Konsequenzen treffe. Eine Kennzeichnung erzeuge daher eine naturwissenschaftlich nicht gerechtfertigte Panik beim Verbraucher. 1086 Dieses Problem werde noch eklatanter, wenn - wie nach dem Vorschlag der Kommission - auch kein Hinweis mehr auf bestimmte Bestandteile, sondern auf die bloße Anwendung 1083
Vgl. etwa Erwägungsgrund 4 der VO 1139/98/EG. So Fredland (siehe oben Fn. 452), S. 216. 1085 Siehe oben S. 179. 1086 In diesem Sinne wandte sich etwa ursprünglich die Kommission gegen eine Kennzeichnungspflicht, vgl. EuZW 1992, S.324; ähnlich der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL), dargestellt bei Katzek (siehe oben Fn. 177), S. 213. 1084
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
gentechnischer Verfahren erfolge. 1 0 8 7 Die Kritik ist allerdings nicht überzeugend: Eine Besonderheit des Gentechnikkonfliktes besteht gerade darin, dass gentechnisch modifizierte Lebensmittel von einem großen Teil der Bevölkerung abgelehnt werden, obwohl diese Produkte nach herrschender naturwissenschaftlicher Auffassung nicht prinzipiell gefährlicher sind als herkömmliche Neuentwicklungen. Ein Hinweis auf die Konsequenzen gentechnischer Verfahren wäre daher verfehlt, denn zur Vermeidung einer Irreführung geht es nur um die Information über die gentechnische Veränderung - die Konsequenzen setzt der Verbraucher selbst. Da das TBTAbkommen, wie gezeigt, nicht die Plausibilität der Verbraucherhaltung verlangt, ist unerheblich, ob der Verbraucher zu einer „vernünftigen" Entscheidung in der Lage i s t . 1 0 8 8 Zur Erreichung einer derartigen Verbraucherinformation sind die Kennzeichnungsregeln daher auch dann geeignet, wenn sie wie die gegenwärtigen EG-Vorschriften nur auf das Vorhandensein bestimmter Spuren gentechnischer Modifikationen oder wie die von der Kommission beabsichtigte Neuregelung zusätzlich auf die bloße Anwendung gentechnischer Verfahren hinweisen. 1 0 8 9 Gegen die Geeignetheit der Kennzeichnungsvorschriften zur Verbraucherinformation spräche allerdings, wenn der Beweis dafür, dass ein bestimmtes Produkt kennzeichnungspflichtig ist, so schwierig wäre, dass die Kennzeichnungsregeln jedenfalls weitgehend ein nudum ius wären. 1 0 9 0 Für die EG-Kennzeichnungsnormen in ihrer augenblicklichen Fassung ist dieses Problem weniger schwerwiegend, da etwa gentechnische D N A - oder Proteinveränderungen prinzipiell nachgewiesen werden können. 1 0 9 1 Problematisch ist dies allerdings, wenn die in Frage stehende gentechnische Veränderung unbekannt i s t . 1 0 9 2 Noch heikler ist die Nachweisfrage für die von der Kommission beabsichtigten Kennzeichnungsregeln, wonach unabhängig von der Frage der Nachweisbarkeit auf die bloße Anwendung gentechnischer Verfahren abgestellt wird, so dass etwa auch raffinierte Produkte erfasst wären, bei denen der Nachweis einer gentechnischen Modifikation bislang besondere Schwierigkeiten bereitet. 1 0 9 3 Insofern ist die prinzipielle Geeignetheit der Kennzeichnungsregeln jedoch damit zu begründen, dass ähnlich wie bei geographischen Herkunftsbezeichnungen auf dem Etikett der Nachweis der Anwendung gentechnischer Verfahren nicht unbedingt durch eine Analyse des Endprodukts geführt werden muss - vielmehr sind andere Beweismöglichkeiten ausreichend wie etwa die Befragung von Zeugen oder die Untersuchung der Produktionsverfahren direkt in dem betreffenden Unternehmen. 1 0 9 4 Zukünftig sind die Nachweispflichten der ge1087
Pfleger (siehe oben Fn. 172), S. 379. Vgl. zur Beurteilung der Verbraucherfähigkeiten etwa Oberenderl ΗerzberglKienle (siehe oben Fn. 174), S.67; Katzek (siehe oben Fn. 177), S.216; Streinz (siehe oben Fn. 178), S. 154. 1089 v g l i n diesem Sinne Streinz (siehe oben Fn. 178), S. 150; aus grundrechtlicher Perspektive ähnlich Huber (siehe oben Fn. 4), S. 302. 1090 Vgl. Streinz (siehe oben Fn. 178), S. 150. 1091 Siehe zu den Nachweisproblemen oben S.57. 1092 Siehe oben S. 95. 1093 Siehe dazu oben S.57. 1094 Vgl. zu dieser Argumentation bereits oben S. 179. 1088
. Kennzeichnungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem
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planten Verordnung über die RückVerfolgbarkeit und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Organismen und daraus hergestellter Lebens- und Futtermittel bedeutsam. 1 0 9 5 Etwaige Nachweisschwierigkeiten für die die Kennzeichnungspflicht auslösenden Umstände sind daher weder für die gegenwärtigen noch für die von der Kommission angestrebten Regeln so groß, dass sie die Wirksamkeit der Regeln grundlegend in Frage stellen, und verhindern daher nicht die Geeignetheit. 1 0 9 6 Da die Kennzeichnungsregeln geeignet sind, das Ziel der Verbraucherinformation zu erreichen, stellt sich die Frage, ob sie auch erforderlich sind. Weil sich gentechnisch veränderte Lebensmittel regelmäßig von ihren herkömmlichen Pendants nicht sichtbar unterscheiden, kann das Ziel der Verbraucherinformation nur durch aktive Informationsmaßnahmen erreicht werden. Zu überlegen ist, ob es Altemativmaßnahmen gibt, mit denen dieses Ziel ebenso effektiv zu verwirklichen wäre wie durch Kennzeichnungsvorschriften. Nachdem oben 1 0 9 7 ermittelt wurde, dass das Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Lebensmittel keine Alternative für die Kennzeichnung wegen individueller Gesundheitsrisiken nach Art. 81 (b) N F V O darstellt, ist dies im Hinblick auf die anderen Kennzeichnungstatbestände zu untersuchen. In Bezug auf allgemeine Risiken für Gesundheit und Umwelt ist in der Tat fraglich, ob Kennzeichnungsvorschriften neben Zulassungsregeln notwendig sind, wenn die Zulassungsregeln so ausgestaltet sind, dass eine Zulassung nur möglich ist, wenn nach gegebenem naturwissenschaftlichen Kenntnisstand keine nennenswerten Risiken bestehen. 1098 Bei der Kennzeichnung nach Art. 81(a), (c), (d) NFVO geht es jedoch gerade nicht darum, ob nach geltender naturwissenschaftlich herrschender Auffassung nennenswerte Risiken verbleiben, sondern um ethische Bedenken und um ein über die geltende naturwissenschaftliche Mehrheitsmeinung hinausgehendes Sicherheitsbewusstsein des Verbrauchers. Den ethischen Bedenken i. S. v. Art. 81(c) N F V O wird nämlich durch das Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Lebensmittel nach der N F V O nicht Rechnung getragen, da die ethischen Bedenken nicht zu den materiellen Kriterien der Artt. 3, 9 N F V O gehören, nach denen die Zulassung eines Produktes versagt werden kann. Insbesondere die Irreführung des Verbrauchers nach Art. 3 1 3 . SpStr. N F V O greift nach den Erkenntnissen des ersten Teiles dieser Arbeit nicht, soweit eine Irreführung durch eine entsprechende Kennzeichnung vermieden werden kann, weil dies der geringere Eingriff in die Handelsfreiheit i s t . 1 0 9 9 Weil ethische Bedenken im Zulassungsverfahren demnach regelmäßig nicht die Versagung der Zulassungsentscheidung auslösen können, macht das Zulassungsverfahren die Kennzeichnungsvorschriften auch nicht überflüssig. 1095 1096 1097 1098 1099
Siehe zu diesem Verordnungsvorschlag oben S. 110ff. Ähnlich Streinz (siehe oben Fn. 178), S. 151. Siehe oben S. 208. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ähnlich Huber (siehe oben Fn.4), S. 302 ff. Siehe oben S. 71.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Dieser Gedanke ist übertragbar auf die Erforderlichkeit von Artt. 8 1 (a) und (d) NFVO, die das Sicherheitsbewusstsein der Bevölkerung unabhängig von tatsächlichen Risiken schützen: Die Zulassungsregeln der EG visieren selbst bei weiter Auslegung des Gefahrenbegriffes in Art. 311. SpStr. N F V O i m Sinne der Risikovorsorge nur die Vermeidung solcher Risiken an, für die es eine tatsächliche naturwissenschaftliche Mindestgrundlage gibt - in mit dem SPS-Abkommen konformer Auslegung muss zumindest eine Mindermeinung „qualifizierter und anerkannter" Naturwissenschaftler die Versagung einer Zulassungsentscheidung stützen. 1 1 0 0 Da aber die Ablehnung gentechnisch modifizierter Lebensmittel durch eine Verbrauchermehrheit in der EG über diese weite Auslegung der Zulassungsregeln der N F V O hinausgeht und noch kategorischer ist, tragen die Zulassungsvorschriften der über Artt. 81 (a) und (d) N F V O geschützten Verbraucherposition und der damit verbundenen faktischen Erwartungshaltung nicht ausreichend Rechnung. Folglich wird auch die Notwendigkeit von Artt. 81 (a) und (d) N F V O nicht durch die Zulassungsregeln für gentechnisch veränderte Lebensmittel verhindert. Zur Kennzeichnung als solcher gibt es daher keine Alternative. Was die Art der Kennzeichnung betrifft, wird teilweise statt der Pflicht zur positiven Kennzeichnung („dieses Produkt enthält gentechnisch veränderte Organismen" o. ä.) ein Recht zur negativen Kennzeichnung („dieses Produkt ist nicht gentechnisch verändert" o. ä.) vorgeschlagen. 1101 Allgemein ist für jeden Produkthinweis zu überlegen, ob es sinnvoller ist, auf das Vorliegen einer bestimmten Eigenschaft oder auf ihr Nichtvorliegen hinzuweisen. 1 1 0 2 Gegen das Konzept einer Negativkennzeichnung sprechen für gentechnisch veränderte Lebensmittel jedoch durchgreifende Gründe: Eine Negativkennzeichnung hätte eine geringere Informationswirkung, weil allgemein eine Produktdokumentation umso übersichtlicher und damit informativer ist, je stärker sie sich auf Besonderheiten des Produktes konzentriert. Jedenfalls in der EG sind Lebensmittel, die noch gentechnisch verändertes Material enthalten, bisher eine Ausnahme. 1 1 0 3 Daher wäre es einer effektiven übersichtlichen Information abträglich, nur auf die Abwesenheit gentechnischer Veränderungen hinzuweisen. 1 1 0 4 Unter den Möglichkeiten einer positiven Kennzeichnung ist die Kann-Kennzeichnung („dieses Produkt kann gentechnisch veränderte Organismen enthalten" o. ä.) letztlich keine Alternative zur europarechtlich jenseits eines Schwellenwertes für zufällige geringfügige Bestandteile vorgeschriebenen Ist-Kennzeichnung, 1105 so 1100
Siehe oben S. 174 zur Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Mindermeinungen durch den Appellate Body. 1101 Insbesondere von Runge/Jackson (siehe oben Fn. 24), S. 115 ff.; vgl. dazu auch Streinz (siehe oben Fn. 178), S. 151 f. 1102 Vgl. auch Streinz (siehe oben Fn. 178), S. 152. 1103 Siehe oben Fn. 25 zu den Untersuchungen des Landesuntersuchungsamtes für das Gesundheitswesen Südbayern. 1104 So im Ergebnis auch Burchardi (siehe oben Fn. 639), S. 91. Hos Ygi den Wortlaut der vorgeschriebenen Kennzeichnung nach dem verallgemeinerungsfähigen Art. 2 III VO 1139/98/EG.
. Kennzeichnungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem
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dass es nicht gegen Art. 2 I I TBT-Abkommen verstößt, dass nach den Feststellungen im europarechtlichen Teil dieser Arbeit die Kann-Kennzeichnung in der EG eine immer geringere Rolle spielt 1 1 0 6 : Zwar wäre es gerade bei internationalen Großlieferungen eine Erleichterung, wenn gentechnisch veränderte und herkömmliche Produkte nicht voneinander getrennt werden müssten, wie es die EG-rechtlichen Kennzeichnungsregeln mittelbar verlangen. 1 1 0 7 Jedoch ist schon zweifelhaft, ob es wirklich ein geringerer Eingriff in die Handelsfreiheit wäre, die eine Produkttrennung implizierende Ist-Kennzeichnung nur für die gentechnisch veränderten Produkte durch eine Kann-Kennzeichnung für alle Produkte dieser Großlieferungen zu ersetzen: Bei der gegenwärtigen pauschalen Ablehnung gentechnisch veränderter Lebensmittel durch den EG-Verbraucher liegt nahe, dass bei einer Kann-Kennzeichnung der Konsum vieler gekennzeichneten Produkte unabhängig davon zurückginge, ob das jeweilige Endprodukt tatsächlich gentechnisch verändert wäre. Davon abgesehen, würde durch eine Kann-Kennzeichnung das legitime Ziel der Vermeidung irreführender Praktiken weniger effizient verwirklicht 1 1 0 8 - der Informationsgehalt einer in dieser Weise formulierten Kennzeichnung wäre nämlich weniger präzise und würde so beim Verbraucher größere Zweifel über das Produkt bestehen lassen. Für den Fall geringfügiger und unbeabsichtigter Kontaminationen ist daran zu erinnern, dass insoweit der oben 1 1 0 9 ausführlich beschriebene Schwellenwert für die EG-Kennzeichnungspflicht Unbilligkeiten entgegenwirkt. Was den Anwendungsbereich der gegenwärtigen Kennzeichnungsnormen der N F V O betrifft, so kann ihnen auch nicht entgegengehalten werden, etwa der Begriff der „ethischen Vorbehalte 4 ' in Art. 81 (c) N F V O sei zu weit und daher unverhältnismäßig: Durch die Festlegung eines derart weiten Anwendungsbereiches wird gleichzeitig die Reichweite des angestrebten Zieles definiert. Eine Beschränkung der Kennzeichnungspflicht auf bestimmte Gruppen geschützter ethischer Bedenken etwa der drei Hauptreligionen würde diesem Informationsziel weniger effektiv dienen. Sollten die EG-Kennzeichnungsregeln entsprechend den Vorstellungen der Kommission geändert werden, könnte dem nicht Art. 2 I I TBT-Abkommen mit der Überlegung entgegengehalten werden, eine derartige Änderung sei nicht notwendig und die gegenwärtigen Normen vielmehr ausreichend: Wie dargelegt, geht die Erwartungshaltung der EG-Verbraucher dahin, dass nicht gekennzeichnete Produkte unabhängig von Unterschieden im Endprodukt nicht gentechnisch verändert sind. Insofern wäre eine deutlicher auf das Verfahren abzielende Kennzeichnung zwar weitergehend, würde aber das Ziel der Vermeidung irreführender Praktiken auch besser verwirklichen als die gegenwärtigen Kennzeichnungsvorschriften. 1106
Vgl. zur Bedeutung der Kann-Kennzeichnung im EG-Recht oben S.91. Vgl. die Stellungnahme der USA zur VO 1139/98/EG G/TBT/W/94, S.3f.; Stewart!Johanson (siehe oben Fn. 28), S. 292; vgl. auch die dortigen Ausführungen zu einem internen Kommissionspapier über die Implikationen der Ist-Kennzeichnung im Hinblick auf Art. 2 II TBT-Abkommen. 1108 So auch Burchardi (siehe oben Fn.639), S.91. 1109 Siehe oben S.90. 1107
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
U m der necessity clause des Art. 2 I I TBT-Abkommen zu genügen, müssen die EG-Kennzeichnungsregeln über ihren Grundansatz hinaus auch i m Detail entsprechend ausgestaltet sein: Insbesondere eine abwertende Kennzeichnung („genmanipuliert") ist nicht zulässig. 1 1 1 0 Die Formulierungen der EG-Kennzeichnungsvorschriften 1 1 1 1 sind wertneutral und haben keine unmittelbar stigmatisierende Wirkung. Dass gekennzeichnete gentechnisch veränderte Produkte in der EG möglicherweise weniger gekauft werden als nicht gekennzeichnete oder herkömmliche Lebensmittel, liegt nicht an einer Abwertung der betreffenden Lebensmittel durch die Kennzeichnung. 1 1 1 2 Vielmehr ist der Kennzeichnung die Ablehnung durch viele Verbraucher in der EG historisch vorgelagert, denn oben wurde dargestellt, dass die Ablehnung gerade nicht auf den EG-Handelsbeschränkungen für gentechnisch veränderte Lebensmittel beruht. Sollte nachweisbar sein, dass die Ablehnung gentechnisch veränderter Lebensmittel durch viele Verbraucher darauf beruht, dass bestimmte Personen oder Institutionen zum generellen Boykott dieser angeblich gefährlichen Produkte aufrufen, haben sich die betroffenen Inverkehrbringer dagegen mit zivilrechtlichen Ansprüchen zur Wehr zu setzen. 1113 Dementsprechend ist festzustellen, dass die EG-Kennzeichnungsregeln den Anforderungen der Necessity Clause des Art. 2 I I TBT-Abkommen bislang genügen und dies auch der Fall wäre bei einer deutlicher verfahrensbezogenen Ausrichtung im Sinne des Vorschlages der Kommission. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die tatsächlichen Grundlagen für die Vereinbarkeit der EG-Kennzeichnungsnormen mit Art. 2 I I TBT-Abkommen wie insbesondere die Erwartungshaltung des EG-Verbrauchers sich nicht nennenswert ändern. Das Notwendigkeitsgebot besteht auch in einer zeitlichen Dimension, was aus Art. 2 I I I TBT-Abkommen hervorgeht. Schon wegen dieser Verbindung der EG-Kennzeichnungspflicht mit dem Notwendigkeitsgebot auch in zeitlicher Hinsicht ist der Vorwurf unzutreffend, Art. 8 N F V O sei insofern inkonsequent, als seine tatsächliche Reichweite mit der Weiterentwicklung von Nachweisverfahren zunehme, während das Informationsbegehren voraussichtlich abnehme 1 1 1 4 - sollte der Informations wünsch von Verbraucherseite eines Tages tatsächlich nicht mehr bestehen, würde die NFVO keinem legitimem Anliegen mehr dienen und daher rechtswidrig werden. Dies ist aber unabhängig vom jeweiligen Stand der Nachweismöglichkeiten. Davon abgesehen, lässt sich jedenfalls für die letzten Jahre kaum feststellen, dass mit dem wachsenden Informationsgrad die Skepsis des Verbrauchers in der EG abnähme. 1 1 1 5
1110
Vgl. statt aller Streinz (siehe oben Fn. 178), S. 152. Vgl. insbesondere den verallgemeinerungsfähigen Art. 2 III VO 1139/98/EG. 1112 So aber etwa der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL), dargestellt bei Katzek (siehe oben Fn. 177), S.213. 1113 Vgl. Streinz (siehe oben Fn. 178), S. 154. 1114 So Knörr (siehe oben Fn. 132), S.225. 1,15 Siehe oben S. 217. 1111
. Kennzeichnungspflicht und die Vereinbarkeit mit dem
-Abkommen233
4. Die Kennzeichnungspflicht und die Pflicht zur Orientierung technischer Vorschriften an der Gebrauchstauglichkeit nach Art. 2 V I I I TBT-Abkommen Von einem Vertreter des Schrifttums wird der Vorwurf erhoben, die EG-Kennzeichnungsregeln verstießen gegen Art. 2 V I I I TBT-Abkommen, weil zumindest die auf gentechnische D N A - oder Proteinveränderungen abstellende Kennzeichnungspflicht nicht an der Gebrauchstauglichkeit dieser Produkte im Vergleich mit ihren herkömmlichen Pendants orientiert sei. 1 1 1 6 Art. 2 V I I I TBT-Abkommen verlangt, dass technische Vorschriften sich primär an der Gebrauchstauglichkeit statt an der Konstruktion oder an beschreibenden Merkmalen des Produktes orientieren, soweit dies angemessen ist. Der Kritik ist zuzugeben, dass es nach den obigen Feststellungen zu like products nicht leicht fällt, die gegenwärtigen Anknüpfungspunkte der EG-Kennzeichnungsvorschriften immer als Aspekte der Gebrauchstauglichkeit zu begreifen, jedenfalls wenn man diese Gebrauchstauglichkeit objektiv auslegt. 1 1 1 7 Dies gilt umso mehr für die von der Kommission geplante Kennzeichnung. Nach seinem Wortlaut erfasst Art. 2 V I I I TBT-Abkommen jedoch von vornherein nur produktbezogene technische Vorschriften, 1 1 1 8 so dass nicht produkt-, sondern ausschließlich verfahrensbezogene Vorschriften überhaupt nicht von Art. 2 V I I I TBT-Abkommen erfasst sind. Selbst produktbezogene Regelungen müssen außerdem ausdrücklich nur an der Gebrauchstauglichkeit des Produktes ausgerichtet sein, soweit dies angemessen ist. xu9 Durch diese Einschränkung wird eine Verbindung von Art. 2 V I I I TBT-Abkommen mit den übrigen Regelungen des TBT-Abkommens hergestellt, insbesondere den Vorschriften über die nach dem TBT-Abkommen legitimen Ziele: Es wurde festgestellt, wie unterschiedlich gentechnische und herkömmliche Neuentwicklungen aus Verbraucherperspektive beurteilt werden und dass zur Vermeidung einer Irreführung des Verbrauchers eine nicht an der objekti1116
So Fredland (siehe oben Fn.452), S.217. Vgl. zum Begriff der Gebrauchstauglichkeit auch das Beispiel bei Wiemer (siehe oben Fn.639), S.247. 1,18 Aus der deutschen (nicht authentischen) Übersetzung geht dies nicht hervor: „Soweit angebracht, umschreiben die Mitglieder die technischen Vorschriften eher in bezug auf die Gebrauchstauglichkeit als in bezug auf Konstruktion oder beschreibende Merkmale." Anders dagegen die authentischen Versionen: „Wherever appropriate, Members shall specify technical regulations based on product requirements in terms of performance rather than design or descriptive characteristics." „Dans tous les cas où cela sera approprié, les Membres définiront les règlements techniques basés sur les prescriptions relatives au produit en fonction des propriétés d'emploi du produit plutot que de sa conception ou de ses caractéristiques descriptives." „En todos los casos en que sea procedente, los reglamentos técnicos basados en prescripciones para los productos seran definidos por los Miembros en función de las propiedades de uso y empieo de los productos mas bien que en función de su diseno ο de sus caracteristicas descriptivas". (Hervorhebungen vom Verf.). 1119 Vgl. zur Auslegung dieses Begriffes auch Wiemer (siehe oben Fn.639), S.247 f. 1117
234
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
ven Gebrauchstauglichkeit orientierte Kennzeichnung dieser Produkte notwendig ist. Daher ist es, selbst wenn man die Gebrauchstauglichkeit i. S. v. Art. 2 V I I I TBTAbkommen objektiv auslegt, angemessen i. S. v. Art. 2 V I I I TBT-Abkommen, dass die EG-Kennzeichnungsnormen auf das Vorhandensein gentechnisch veränderter Organismen, D N A - oder Proteinveränderungen oder ethisch brisanter Bestandteile abstellen und nach dem Kommissionsvorschlag darüber hinaus künftig eine deutlicher verfahrensbezogene Kennzeichnungspflicht bestehen soll. Eine andere Beurteilung untergrübe den Schutz der indirekt von Art. 2 I I TBT-Abkommen als legitimes Ziel respektierten Verbrauchererwartung. Auch Art. 2 V I I I TBT-Abkommen ist daher nicht verletzt, so dass insgesamt die EG-Kennzeichnungspflichten, auch soweit sie vom TBT-Abkommen erfasst sind, mit den Anforderungen des Welthandelsrechts vereinbar sind.
G. Vereinbarkeit der sonstigen Handelsbeschränkungen der EG für gentechnisch veränderte Lebensmittel mit den WTO-Abkommen Nachdem festgestellt wurde, dass die Zulassungspflicht (von dem auch europarechtlich zweifelhaften de facto-M oratorium abgesehen) und die Kennzeichnungspflicht die Anforderungen der WTO-Abkommen erfüllen, ist noch die WTO-Konformität der beiden übrigen i m ersten Teil dieser Arbeit beschriebenen EG-Handelsbeschränkungen zu analysieren: Es handelt sich um die Produktbeobachtungspflicht nach der FreisRL 2001/18/EG, die von dem Kommissionsvorschlag für eine Verordnung für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel aufgegriffen wird, und die Dokumentationspflicht nach dem Kommissionsvorschlag für eine Verordnung über die RückVerfolgbarkeit und Kennzeichnung (RKVO). Da es sich, wie oben 1 1 2 0 festgestellt, um Flankierungsmaßnahmen handelt, die Zulassungs- und Kennzeichnungsvorschriften ergänzen, kann dabei teilweise auf die Erkenntnisse zu deren WTO-Vereinbarkeit zurückgegriffen werden.
1. Die Produktbeobachtungspflicht und ihre Vereinbarkeit mit dem SPS-Abkommen Eine unter das SPS-Abkommen zu subsumierende 1121 Pflicht zur Produktbeobachtung nach dem Inverkehrbringen, wie sie für gentechnisch veränderte Organismen die FreisRL 2001/18/EG und für den Bereich gentechnisch veränderter Lebensmittel darüber hinaus der Verordnungsvorschlag der Kommission vorsehen, 1122 1120 Siehe oben S. 109 zur FreisRL 2001/18/EG und S. 111 zum Kommissionsvorschlag für die RKVO. 1121 Siehe dazu oben S. 141. 1122 Letzterer nur in bestimmten Fällen, siehe oben S. 103.
G. Sonstige Beschränkungen und Vereinbarkeit mit WTO-Abkommen
235
sieht prinzipiell auch der Task Force-Entwurf für Grundsätze für die Risikoanalyse biotechnisch hergestellter Lebensmittel 1 1 2 3 vor: Nach dem Entwurf der Task Force, der nach den obigen 1 1 2 4 Erkenntnissen wahrscheinlich 2003 von der C A K verabschiedet wird, können Maßnahmen der Produktbeobachtung je nach Fallgestaltung angemessene Maßnahmen des risk management sein, um Produktrisiken auch nach dem Inverkehrbringen auszuschließen. 1125 Auch der Bericht der europäisch-amerikanischen Expertenkommission empfiehlt Maßnahmen zur Produktbeobachtung im Einzelfall. 1 1 2 6 Unabhängig von der Realisierung des Task Force-Entwurfes ist die Produktbeobachtungspflicht nach der FreisRL 2001/18/EG und dem Verordnungsvorschlag der Kommission aber bereits jetzt mit dem SPS-Abkommen zu vereinbaren: Was die Kernvoraussetzung nach Artt. 211, 51 SPS-Abkommen betrifft, die „vernünftige Beziehung" zwischen Maßnahme und naturwissenschaftlicher Risikobeurteilung, ergibt sich die SPS-Konformität der Produktbeobachtungspflicht daraus, dass oben die Vereinbarkeit der EG-Zulassungspflicht mit dem SPS-Abkommen festgestellt wurde und die Produktbeobachtungspflicht die Einhaltung der materiellen Zulassungskriterien in das Stadium nach dem Inverkehrbringen verlängert. Die Produktbeobachtungspflicht ist insoweit die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass manche Risiken erst nach dem Zulassungsverfahren sichtbar werden. M i t dem Diskriminierungsverbot nach Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen ist die Produktbeobachtungspflicht aus den gleichen Gründen wie oben 1 1 2 7 die Zulassungspflicht vereinbar; insbesondere kann eine protektionistische Absicht der EG nicht festgestellt werden. Was das Notwendigkeitsgebot nach Art. 5 V I SPS-Abkommen betrifft, so beschreibt gerade die Möglichkeit, Produktbeobachtungspflichten i m Einzelnen vorschreiben zu können, das von der EG angestrebte Schutzniveau, das anderweitig nicht erreichbar ist. Allerdings ist Art. 5 V I SPS-Abkommen auch bei der Formulierung der konkreten Produktbeobachtungspflichten im Einzelfall zu beachten. Insgesamt erweist sich die Produktbeobachtungspflicht als mit dem SPS-Abkommen vereinbare Verlängerung der EG-Zulassungsregeln.
1123 Draft Principles for the Risk Analysis of Foods Derived from Modern Biotechnology (siehe oben Fn.763). 1124 Siehe oben S. 158. 1125 Siehe oben Fn.768. 1126 EU/US Consultative Forum on Biotechnology , Final Report (siehe oben Fn.543), S. 12. 1127 Siehe oben S. 187 zur Prüfung der EG-Zulassungspflicht an Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen.
236
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
2. Die Dokumentationspflicht und ihre Vereinbarkeit mit dem TBT-Abkommen A u f der Task Force-Sitzung im März 2002 wurde, wie oben dargestellt, Einigung darüber erzielt, dass Maßnahmen zur Rückverfolgung beim risk management grundsätzlich getroffen werden können. 1 1 2 8 Ebenfalls wurde erwähnt, dass die Annahme der Task Force-Arbeiten durch die C A K 2003 wahrscheinlich ist. Unabhängig davon, inwieweit die von Art. 4 V I FreisRL 2001/18/EG allgemein vorgeschriebene Dokumentationspflicht, für die der Kommissionsvorschlag zur R K V O Detail Vorschriften enthält, durch die Task Force- Arbeiten Unterstützung erfahren könnte, erweist sich die Dokumentationspflicht jedoch bereits jetzt als mit dem T B T - A b k o m m e n 1 1 2 9 vereinbar. Ähnlich wie bei der Produktbeobachtungspflicht ergibt sich dies auch hier aus dem oben 1 1 3 0 beschriebenen Charakter der Dokumentationspflicht als Flankierungsmaßnahme, welche die Durchsetzung der übrigen Maßnahmen der EG gewährleisten soll, insbesondere die Durchsetzung von Produktbeobachtungs- und Kennzeichnungsvorschriften. Die Vereinbarkeit der R K V O mit den Geboten der Meistbegünstigung und Inländergleichbehandlung nach Art. 2 1 TBT-Abkommen resultiert aus den gleichen Erwägungen wie bei den EG-KennzeichnungsVorschriften: Zwar betrifft die R K V O nach dem Kommissionsvorschlag nicht nur gentechnisch veränderte Organismen, sondern auch daraus hergestellte Lebensmittel, ohne dabei auf im Endprodukt nachweisbare Unterschiede zu herkömmlichen Erzeugnissen abzustellen. O b e n 1 1 3 1 wurde jedoch bereits festgestellt, dass auch die von der Kommission geplanten Kennzeichnungsregeln für gentechnisch modifizierte Lebensmittel deutlicher verfahrensbezogen sind, aber wegen der Haltung des EG-Verbrauchers trotzdem mit den Anforderungen von Art. 21 TBT-Abkommen konform sind. Diese Schlussfolgerung ist auf die R K V O übertragbar. Das für Art. 2 I I TBT-Abkommen legitime Ziel der Dokumentationspflicht besteht darin, die Erreichung der Ziele der übrigen EG-Regeln zu unterstützen. Dies betrifft im Hinblick auf die Produktbeobachtungspflicht insbesondere den Schutz der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen, während die Kennzeichnungsvorschriften durch die unverträglichkeitsbezogene Kennzeichnung dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen und durch die übrigen Kennzeichnungsregeln irreführende Praktiken vermeiden sollen. Diesen von Art. 211 TBT-Abkommen anerkannten gesetzgeberischen Zielen dient indirekt auch die Dokumentationspflicht. 1,28 1129
Siehe oben S. 158. Siehe oben S. 141 f. zur Subsumtion der Dokumentationspflicht unter das TBT-Abkom-
men. 1,30
Siehe oben S. 111. Siehe oben S. 103 if. zur geplanten Kennzeichnungspflicht und S.221 ff. zur Vereinbarkeit mit Art. 21 TBT-Abkommen. 1131
Η. Der Einfluss des Biosafety Protocol
237
Bei der Frage, ob die Dokumentationspflicht zur Erreichung dieser Ziele auch notwendig i. S. v. Art. 211 TBT-Abkommen ist, muss zunächst berücksichtigt werden, dass die Einhaltung der Dokumentationspflichten nach der R K V O trotz eines gewissen Kostenaufwandes auch i m Interesse der Inverkehrbringer gentechnisch veränderter Lebensmittel liegen kann: Die Einhaltung der Kennzeichnungsvorschriften etwa würde äußerst kostenintensive Testverfahren verlangen, wenn die Information über die gentechnische Veränderung nicht entsprechend den Regeln der R K V O in der Vertriebskette weitergegeben würde. 1 1 3 2 Ebenfalls ist die etwaige Rücknahme eines Produktes vom Markt kostengünstiger, wenn Daten über die Lieferanten und Abkäufer vorhanden sind. 1 1 3 3 Über dieses Eigeninteresse der Inverkehrbringer an der Produktdokumentation hinaus ist nicht ersichtlich, welche Alternativmaßnahmen die Durchsetzung von Kennzeichnungs- und Produktbeobachtungsregeln ebenso effektiv garantieren könnten wie die DokumentationsVorschriften nach der R K V O . Schließlich spricht für die Notwendigkeit der R K V O , dass sie zur Vermeidung von Unbilligkeiten ähnliche Ausnahmeregeln mit einem Schwellenwert enthält wie die Kennzeichnungsvorschriften. 1134 Auch die von der FreisRL 2001/18/EG allgemein und der geplanten R K V O im Detail vorgesehene Dokumentationspflicht ist daher WTO-konform. Als Fazit lässt sich konstatieren, dass die EG-Handelsbeschränkungen bis auf das de facto-M orator ium die WTO-Anforderungen erfüllen. Wie mehrfach erwähnt, ist dies heftig umstritten. Ob sich zusätzliche Erwägungen aus dem außerhalb des WTO-Rahmens abgeschlossenen Biosafety Protocol ergeben, wird im Folgenden untersucht.
H. Der Einfluss des Biosafety Protocol 1. Problemstellung Der Abschluss der Verhandlungen für das Biosafety Protocol ( B P ) 1 1 3 5 für den internationalen Handel mit lebenden modifizierten Organismen ( L M O s ) 1 1 3 6 wird einerseits als „historischer Augenblick 4 ' und als „Durchbruch für internationale Handels- und Umweltabkommen" gewertet. 1 1 3 7 Andererseits gibt es Stimmen, die meinen, selbst aus Perspektive des Umweltschutzes schade es mehr, als es nütze. 1 1 3 8 1132 In diesem Sinne zurecht auch die Kommission auf S. 10 des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 182 endg. 1133 S. 10f. des Kommissionsvorschlages KOM (2001) 182 endg. 1134 Art. 6 III, IV des Kommissionsvorschlages. 1,35 Siehe oben Fn.3. 1136 Vgl. zum LMO-Begriff unten S.239. 1137 So die Kommissarin Wallström in der Presseerklärung IP/00/90 vom 28.01.2000, http://www.europa.eu.int/rapid/start/cgi/guesten.ksh?p_action.gettxt=gt&doc=IP/00/90l0l AGED&lg=EN. 1138 So Adler , The Cartagena Protocol and Biological Diversity; Biosafe or Bio-Sorry, Georgetown International Environmental Law Review 2000, S.761 ff. (764).
238
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Schon anhand dieser sehr unterschiedlichen Wertungen lässt sich die politische Kontroverse um das BP nachvollziehen. Juristisch ist insbesondere das Verhältnis des BP zum WTO-Recht problematisch: Gerade für den Gentechnikbereich stellt sich die seit Jahren in verschiedenen Foren diskutierte Frage, ob die welthandelsrechtlichen Vorschriften, wie sie in den WTO-Abkommen formuliert sind, beeinflusst werden durch außerhalb des WTO-Rahmens abgeschlossene multilaterale Umweltschutzabkommen (Multilateral Environmental Agreements, MEAs) wie das BP. Die im vorigen Teil dieser Arbeit ausführlich analysierte Auseinandersetzung, ob die EG-Regeln für gentechnisch veränderte Lebensmittel WTO-konform sind, ist i m Folgenden aus dem Blickwinkel einer möglichen Beeinflussung des WTORechts durch das BP zu betrachten. Da das BP zugunsten des Umwelt- und Gesundheitsschutzes zum einen selbst Handelshemmnisse enthält und zum anderen Handelsbeschränkungen durch die Mitgliedstaaten zulässt, ist der Einfluss des BP vor allem dann von Bedeutung, wenn man anders als nach den Schlussfolgerungen dieser Arbeit die Auffassung vertritt, die WTO-Regeln verböten die EG-Vorschriften bei isolierter Betrachtung des WTO-Rechts. A u f Grundlage der hier vertretenen Ansicht, wonach die EG-Regeln prinzipiell WTO-konform sind, könnten sich aus dem BP zusätzliche Argumente für diese These ergeben. Möglicherweise lässt sich auch das nach den obigen Feststellungen WTO-widrige de facto-M oratorium durch den Einfluss des BP rechtfertigen. Die Frage, welchen Einfluss das BP auf die welthandelsrechtlichen Regeln hat, war bereits während der Ausarbeitung umstritten und kann daher nicht ohne einen kurzen Blick auf die Entstehungsgeschichte und die wichtigsten Bestimmungen des BP verstanden werden. Anschließend wird zunächst der Diskussionsstand zur Frage dargestellt, in welchem Verhältnis M E A s allgemein und speziell das BP zum WTORecht stehen und eine Lösung für das Verhältnis von BP und WTO-Recht entwickelt. Die Übertragbarkeit dieser Lösung auch auf das Verhältnis anderer M E A s zu WTO-Recht wird diskutiert. Dann werden die konkreten Schlussfolgerungen aus der Lösung der Konkurrenzfrage erörtert, indem dargestellt wird, welche zusätzlichen Argumente für die welthandelsrechtliche Beurteilung der EG-Normen sich aus dem Verhältnis der WTO-Regeln zum BP ergeben.
2. Entstehung und Inhalt des Biosafety Protocol a) Die Entstehungsgeschichte
des BP
Grundlage für das BP ist die Convention on Biological Diversity (CBD) 1139, die ihrerseits unter dem United Nations Environmental Programme (UNEP) ausgehandelt wurde und seit 1993 in Kraft ist. Vertragsziele sind nach Art. 1 C B D „die Erhal1139
Text im Internet unter http://www.biodiv.org/doc/legal/cbd-en.doc.
Η. Der Einfluss des Biosafety Protocol
239
tung der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergebenden Vorteile". Zum Schutze der biologischen Vielfalt ermächtigt Art. 19 I I I C B D zur Aushandlung des B P . 1 1 4 0 Außer Art. 19 I U I C B D ist für die Biotechnik insbesondere noch Art. 8 (g) C B D erwähnenswert, der die Signatarstaaten der C B D auffordert, angemessene Mittel gegen die Risiken für die Artenvielfalt unter Berücksichtigung auch von Risiken für die menschliche Gesundheit zu treffen, die von biotechnisch erzeugten lebenden veränderten Organismen (LMOs) ausgehen. 1 1 4 1 Terminologisch ist bemerkenswert, dass bereits Art. 8 (g) C B D von „lebenden" und nicht von „gentechnisch" oder „genetisch" veränderten Organismen spricht. Hierin mag der Versuch gesehen werden, von dem von Polemik umgebenen Begriff des gentechnisch veränderten oder gar „manipulierten" Organismus abzukommen. 1 1 4 2 Ein prinzipieller sachlicher Unterschied zwischen L M O - und G M O Begriff ist unabhängig von Detailunterschieden in der konkreten legislativen Verwendung nicht ersichtlich, wenn man so wie nach dem Begriffsverständnis der FreisRL die vom BP mit dem Adjektiv „lebend" anvisierte Fähigkeit zur Übertragung oder Replikation genetischen Materials schon dem Begriff des Organismus zuordnet. 1 1 4 3 U m die Einheitlichkeit mit dem Vertragstext zu wahren, wird im Folgenden der Begriff des L M O verwendet. 1994 beschlossen die Mitglieder der C B D die Bildung einer Biosafety-Expertengruppe. Seit 1995 widmete sich eine Arbeitsgruppe der schwierigen Ausarbeitung des B P . 1 1 4 4 Zum Symbol der Interessengegensätze wurde die Stadt Cartagena in Kolumbien, wo 1999 die Verhandlungen auf dem ersten außerordentlichen Treffen der CBD-Mitgliedstaaten scheiterten. 1145 1140
„The Parties shall consider the need for and modalities of a protocol setting out appropriate procedures, including, in particular, advance informed agreement, in the field of the safe transfer, handling and use of any living modified organism resulting from biotechnology that may have adverse effect on the conservation and sustainable use of biological diversity." 1141 „Each Contracting Party shall, as far as possible and as appropriate:[...] Establish or maintain means to regulate, manage or control the risks associated with the use and release of living modified organisms resulting from biotechnology which are likely to have adverse environmental impacts that could affect the conservation and sustainable use of biological diversity, taking also into account the risks to human health." 1142 Vgl. zu diesem Motiv Gupta (siehe oben Fn. 546), S.25; Saigo (siehe oben Fn. 28), S.799f. und Fn.27; vgl. aber auch Cors , Biosafety and International Trade: Conflict or Convergence? International Journal of Biotechnology 2000, S.27ff. (28), Jacob, The Cartagena Protocol: A First Step to a Global Biosafety Structure? Transnational Lawyer 2001, S.79ff. (83), wonach der Begriff „LMO" eine größere naturwissenschaftliche Präzision biete. 1143 Etwa Schweizer (siehe oben Fn.28), Fn. 12, benutzt die Begriffe synonym. 1144 Vgl. zur Chronologie der Verhandlungen im einzelnen International Institute for Sustainable Development, Earth Negotiations Bulletin, Vol.9, No. 137, http://www. iisd.ca/ download/pdf/enb09137e.pdf. 1145 Nach diesem Ort in Kolumbien wird das BP häufig „Cartagena Protocol" genannt; vgl. zum „Scheitern von Cartagena" Dawkins , Unsafe In Any Seed - U.S. Obstructionism Defeats Adoption of An International Biotechnology Safety Agreement, Multinational Monitor 1999,
240
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Die Meinungsunterschiede spiegeln sich in den wichtigsten drei Koalitionen der Verhandlungspartner w i d e r 1 1 4 6 : Zur nach dem Ort eines Treffens dieser Gruppe benannten 1 1 4 7 „Miami-Gruppe" zählen die Hauptproduzenten gentechnisch veränderter Pflanzen, die USA, Kanada, Argentinien, Chile, Uruguay und Australien. Der Anteil dieser Staaten an der weltweiten Produktion gentechnisch veränderter Pflanzen betrug 1998 über 95%, der Anteil der USA alleine 7 4 % . 1 1 4 8 Die USA wurden als Weltmarktführer in den Verhandlungen akzeptiert und nahmen als Teil der Miami-Gruppe aktiv an den Verhandlungen zum BP teil, obwohl nach voriger Zurückhaltung der USA erst Präsident Clinton nach seinem Amtsantritt die C B D unterzeichnete, der Kongress sie aber bis heute nicht ratifiziert hat und die USA als Nichtmitglied der C B D nach Art. 321 C B D auch nicht Mitglied des BP werden können. 1 1 4 9 Das Interesse der USA bestand darin, das Verhandlungsergebnis des BP zu beeinflussen, ohne Mitglied werden zu müssen. 1 1 5 0 M i t einer Ratifikation der C B D durch die USA und einem Beitritt zum BP ist insbesondere wegen der ungeklärten welthandelsrechtlichen Auswirkungen vorerst nicht zu rechnen. 1 1 5 1 Nach dem Amtsantritt des Präsidenten George W. Bush sind auch frühere Aussagen der Clinton-Regierung, die USA würden auch ohne formellen Beitritt die Vorschriften des BP beachten, 1 1 5 2 mit Zurückhaltung zu würdigen. 1 1 5 3 Zu den Hauptzielen der Miami-Gruppe zählte, wegen ihrer wirtschaftlichen Bedeutung solche L M O s aus dem BP auszuklammern, die für den unmittelbaren Gebrauch als Lebens- oder Futtermittel oder für die Weiterverarbeitung („food, feed or processing") vorgesehen sind („LMO-FFPs"). LMO-FFPs machen 90% des Welthandels mit L M O s aus 1 1 5 4 und sind gerade für den i m Rahmen dieser Arbeit relevanten Lebensmittelbereich von größter Bedeutung. Die Argumentation der MiamiGruppe gegen die Einbeziehung von LMO-FFPs ging dahin, dass die Eigenart von LMO-FFPs gegen ein Risiko für die Artenvielfalt spreche, weil diese Produkte nicht in die Umwelt freigesetzt würden. 1 1 5 5 Außerdem würde es untragbare technische Vol. 20, No. 3, http://www.essential.org/monitor/mml999/mm9903.05.html; Hagen/Weiner, The Proposed Biosafety Protocol to the Convention on Biological Diversity, American Law Institute - American Bar Association Continuing Legal Education, 15.04.1999, S. 139ff. 1146 Vgl. daneben zur Gruppe der zentral- und osteuropäischen Staaten (CEE) und der „Kompromissgruppe" verschiedener Industriestaaten Schweizer (siehe oben Fn. 28), S. 589. 1147 Pomerance, The Biosafety Protocol : Cartagena and Beyond, New York University Environmental Law Journal 2000, S.614ff. (617). 1148 Gupta (siehe oben Fn.546), Fn.3. 1149 Vgl. zur Haltung der USA zur CBD Adler (siehe oben Fn. 56), S. 189. 1150 Vgl. zur Motivation der USA Falkner (siehe oben Fn. 147), Fn.7. 1151 Vgl. nur Gupta (siehe oben Fn. 546), S. 32. 1152 Vgl. Saigo (siehe oben Fn. 28), S. 810. Auch die EU/US Consultative Forum on Biotechnology (siehe oben Fn.543) empfiehlt in ihrem Abschlussbericht auf S.20 die Umsetzung des Biosafety Protocol. 1153 Auch O'Rourke (siehe oben Fn.52), S. 195, hält die Chancen, die USA würden das BP beachten, für gering. 1154 Eggers/ Mackenzie (siehe oben Fn.662), S.530.
Η. Der Einfluss des Biosafety Protocol
241
Schwierigkeiten bereiten, den i m BP vorgesehenen Mechanismus einer Vorabinformation des Ziellandes vor dem Export auf LMO-FFPs anzuwenden, weil diese regelmäßig in großen Lieferungen mit konventionellen Produkten vermischt seien. 1 1 5 6 Ein zweites Ziel war, das Vorsorgeprinzip so weit wie möglich aus dem BP fernzuhalten. 1 1 5 7 Ein drittes Anliegen war - parallel zum Protest der USA gegen die EGKennzeichnungsvorschriften 1158 - die Vermeidung von Dokumentationsvorschriften für L M O s vor allem im Hinblick auf Mischlieferungen zusammen mit konventionellen Produkten. 1 1 5 9 Vor allem strebte die Miami-Gruppe eine savings clause an, nach der das BP WTO-Recht nicht beeinflusst. Gegenpositionen zur Miami-Gruppe vertrat zum einen die sogenannte „Like Minded-G ruppe", zu der außer China vor allem Entwicklungs- und Schwellenländer zählen. 1 1 6 0 Die Like-Minded-Gruppe war insbesondere der Auffassung, LMO-FFPs müssten in den Anwendungsbereich des BP integriert werden, denn auch bei ihnen sei eine Freisetzung in die Umwelt und damit eine Gefährdung der Artenvielfalt nicht auszuschließen, da gerade in Entwicklungsländern auch ursprünglich als Lebens-, Futtermittel oder zur Weiterverarbeitung vorgesehene Produkte zur Aussaat verwendet würden. 1 1 6 1 A n der Opposition der Like-Minded-Gruppe, die sich auch für eine deutliche Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips und umfassende Rechte von Importländern zur Abwehr des Imports von L M O s einsetzte, 1162 wird auch eine Nord-Süd-Dimension des Biotechnikkonflikts deutlich. 1 1 6 3 Zum anderen hatte die EG eine besondere Verhandlungsposition: Für die EG war von besonderer Bedeutung, dass LMO-FFPs vielleicht eine Sonderbehandlung innerhalb der unter das BP fallenden Produkte erfahren könnten, aber schon wegen ihrer praktischen Bedeutung nicht ganz aus dem Abkommen herausfallen dürften. Außerdem trat die EG für umfassende Dokumentationspflichten ein. Insbesondere sprach sich die EG gegen eine savings clause aus und sah WTO-Recht und BP als gleichrangig a n . 1 1 6 4 1,55 Cosbey/Burgiel , The Cartagena Protocol on Biosafety: An Analysis of Results (im Internet unter http://iisd.ca/pdf/Biosafety.pdf ), S.7. 1156 Cosbey/Burgiel (siehe oben Fn. 1155), S.5; Gupta (siehe oben Fn.546), S.28; Schweizer (siehe oben Fn.28), S.594. Ii." Newell/ Mackenzie, The 2000 Cartagena Protocol on Biosafety: Legal And Political Dimensions, Global Environmental Change 2000, S. 313 ff. (315). 1158 Siehe dazu oben S. 38. 1159 Newell/ Mackenzie (siehe oben Fn. 1157), S. 316; Eggers/ Mackenzie (siehe oben Fn.662), S.527. 1160 Cosbey/Burgiel (siehe oben Fn. 1155), S.7. 1161 Schweizer (siehe oben Fn.28), S.592f.; Gupta (siehe oben Fn.546), S.28; Newell/ Mackenzie (siehe oben Fn. 1157), S. 315. 1162 Newell/ Mackenzie (siehe oben Fn. 1157), S. 315; Cosbey/Burgiel (siehe oben Fn. 1155), S.7f. 1163 Vgl. dazu insbesondere Falkner (siehe oben Fn. 147), S.301; Gupta (siehe oben 546), S. 24; Souza, Genetically Modified Plants: A Need for International Regulation, Annual Survey of International & Comparative Law 2000, S. 129 ff . 1164 Cosbey/Burgiel (siehe oben Fn. 1155), S. 8.
16 Stökl
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Nach dem Scheitern der Verhandlungen 1999 in Cartagena mag es überraschen, dass die verschiedenen Koalitionen sich i m Januar 2000 in Montreal noch auf ein Abkommen verständigen konnten: Das BP wurde nach intensivsten Verhandlungen mit vielen i m folgenden Abschnitt dargestellten Kompromissen verabschiedet und seitdem von über 100 Staaten unterzeichnet. 1165 Es wird am neunzigsten Tag nach der fünfzigsten Ratifikation in Kraft treten, voraussichtlich nicht vor 2003. 1 1 6 6 Dass die Verhandlungen schließlich von Erfolg gekrönt waren, mag zum einen an der Intensität liegen, mit der die Konsultationen fortgeführt wurden. Zum anderen ist dies jedoch darauf zurückzuführen, dass die Verhandlungspartner nach dem auch hinsichtlich des Themas Biotechnik erfolglosen WTO-Treffen i m Dezember 1999 in Seattle ein weiteres Scheitern bei dem hohen Erwartungsdruck der Öffentlichkeit gerade in Europa und inzwischen auch in Nordamerika 1 1 6 7 innenpolitisch schwer hätten rechtfertigen können. 1 1 6 8
b) Die Hauptbestimmungen
des BP
(1) Zielsetzungen Aus Art. 1 BP und der Präambel des BP geht hervor, dass der Schutz der Artenvielfalt und der menschlichen Gesundheit Hauptintention des Abkommens ist. Dies erstaunt insofern, als die Ermächtigungsgrundlage für das BP, Art. 19 I I I CBD, nur die Artenvielfalt erwähnt und nicht den Gesundheitsschutz. Jedoch ist in Art. 8 (g) C B D auch der Gesundheitsschutz als ein Ziel bei der Regulierung der Biotechnik aufgeführt, was die Mitgliedstaaten bei der Aushandlung des BP letztlich dazu bewogen hat, auch den Gesundheitsschutz als Hauptmotiv aufzunehmen. 1 1 6 9 Außerdem respektiert die Präambel einerseits die wachsende öffentliche Besorgnis über die Biotechnik, andererseits auch das bei angemessenen Schutzmaßnahmen durchaus positive Potential der modernen Biotechnik für den Menschen. 1 1 7 0 Darauf aufbauend, verlangt Art. 1 BP explizit einen „angemessenen" Schutz vor den Risiken durch LMOs. Die Präambel enthält daneben eine dreigliedrige Regel für das Verhältnis des BP zu anderen Abkommen, die unten bei der Erörterung des Verhältnisses zum W T O Recht ausführlich analysiert w i r d . 1 1 7 1 1165 Vgl. zum Stand der Unterzeichnungen und Ratifikationen http://www.biodiv.org/ Biosafety/signinglist.asp. 1,66 Cosbey/Burgiel (siehe oben Fn. 1155), S.4. 1167 Gupta (siehe oben Fn.546), S.27. 1168 Vgl. dazu Falkner (siehe oben Fn. 147), S. 305; Buck (siehe oben Fn. 631), S. 321. 1169 Steinmann/Strack, Die Verabschiedung des „Biosafety Protokolls" - Handelsregelungen im Umweltgewand? NuR 2000, S. 367 ff. (368 f.). 1170 Dies übersieht bei seinen Ausführungen über das BP Katz (siehe oben Fn. 852), S. 963 f., da die Präambel des BP für die Auslegung seiner einzelnen Bestimmungen relevant ist (Art. 3 I I I WVRK). 1171 Siehe unten S. 253 ff.
Η. Der Einfluss des Biosafety Protocol
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(2) Anwendungsbereich Nach Art. 4 BP ist das BP anwendbar auf den internationalen Verkehr mit LMOs, die für die Artenvielfalt oder die menschliche Gesundheit nachteilig sein können. Was unter einem L M O genau zu verstehen ist, lässt sich der Legaldefinition in Art. 3 (g) BP entnehmen. Beispiele für L M O s sind etwa gentechnisch veränderte Bakterien, Saatgut oder gentechnisch veränderte Tiere. 1 1 7 2 Gerade für den Lebensmittelsektor ist bedeutsam, dass der Begriff des L M O Derivativprodukte nicht erfasst, die nur aus oder mit Hilfe von L M O s hergestellt sind, ohne solche zu enthalten. Tomatenketchup aus gentechnisch veränderten Tomaten ist demnach grundsätzlich nicht vom BP erfasst. 1173 Durch den prinzipiell sektorunabhängigen LMO-Begriff als Hauptanknüpfungspunkt kann das BP gemäß der oben zum europäischen Gentechnikrecht entwickelten Terminologie als horizontal bezeichnet werden. Es gibt im BP jedoch erhebliche sektorspezifische vertikale Modifizierungen: Art. 5 BP nimmt Pharmazeutika für Menschen insoweit vom Anwendungsbereich aus, als sie von anderen internationalen Abkommen oder Organisationen geregelt werden. Nach Art. 6 BP gilt das Vorabinformationsverfahren, das sogenannte ΑΙΑ-Verfahren, nicht für Waren i m Transit oder L M O s zur anschließenden Verwendung in geschlossenen Systemen. Das AIA-Verfahren gilt nach Art. 7 I I I BP auch nicht für LMO-FFPs, für die Art. 11 BP eine Sonderregelung enthält. Nach Art. 7 I V BP können die Mitgliedstaaten außerdem bestimmte L M O s vom AIA-Verfahren ausnehmen. (3) Einfuhrbeschränkungen Im Sinne der oben beschriebenen Ziele enthält Art. 2 I I BP die allgemeine Verpflichtung, die Parteien müssten Risiken von L M O s für die Artenvielfalt und die menschliche Gesundheit möglichst gering halten. A u f dieser allgemeinen Pflicht aufbauend, schränkt das BP den internationalen Handel mit L M O s ein. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem grundsätzlich obligatorischen AIA-Verfahren zur Vorabinformation des Importlandes und den ebenfalls obligatorischen Dokumentationsvorschriften einerseits und den i m Rahmen des AIA-Verfahrens erlaubten Abwehrmaßnahmen des Importlandes andererseits, die das BP lediglich zulässt, ohne sie vorzuschreiben. Das als „zentrales Element" des BP bezeichnete 1174 AIA-Verfahren nach Artt. 7 ff. BP dient der Information des Importlandes, damit dieses über die Zulässigkeit des 1172
Vgl. Buck (siehe oben Fn.631), S.322, zu weiteren Beispielen. 1173 Vgl Gupta (siehe oben Fn. 546), S. 29, und Hagen/Weiner , The Cartagena Protocol on Biosafety: New Rules for International Trade in Living Modified Organisms, Georgetown International Environmental Law Review 2000, S.697ff., Fn.22, zu Randbestimmungen des BP, die auch derartige „products thereof" erfassen. 1174
1*
Steinmann/Strack
(siehe oben Fn. 1169), S.369; Buck (siehe oben Fn.631), S.322.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Imports entscheiden kann, und enthält die für die Entscheidung maßgeblichen Kriterien. Der bereits aus früheren internationalen Abkommen als Prior Informed Consent (PIC) bekannte 1 1 7 5 ΑΙΑ-Mechanismus lässt sich in drei Phasen einteilen: Zunächst muss nach Art. 8 BP das Exportland oder nach dessen Verpflichtung der Exporteur selbst der zuständigen Behörde des Importlandes den erstmaligen Import der betreffenden L M O s unter Angabe von in Annex I BP näher spezifizierten Informationen schriftlich anzeigen. Darauf muss nach Art. 9 BP der Importstaat innerhalb von 90 Tagen ab Erhalt der Anzeige ihren Empfang schriftlich bestätigen. Die dritte Phase besteht in der von Art. 10 i.V. m. Art. 15, Annex I I I BP geregelten Entscheidung des Importstaates über die Zulässigkeit des Imports. Art. 151 BP verlangt, dass die für die Entscheidung über die Zulässigkeit erforderliche Risikobeurteilung (risk assessment) naturwissenschaftlich vernünftig durchgeführt werden muss, wofür Annex I I I BP nähere Vorgaben enthält. Insbesondere verpflichtet Annex III. 8 BP dazu, die gerade von dem betreffenden L M O ausgehenden Risiken zu identifizieren, ihre Größe und ihre Konsequenzen zu bestimmen und eine Empfehlung zur Behandlung dieser Risiken abzugeben. Über die Basierung auf naturwissenschaftliche Kriterien hinaus ermöglicht Art. 26 BP, bei der Entscheidung über den Import sozio-ökonomische Faktoren zu berücksichtigen, sofern dies im Einklang mit den sonstigen internationalen Verpflichtungen der Parteien geschieht. Dabei ist insbesondere an lokale kleinbäuerliche Strukturen zu denken, die durch den Import von Saatgut multinationaler Großhersteller beeinträchtigt werden können. 1 1 7 6 Für die Entscheidung über den Import stellt Art. 10 V I BP im Sinne, aber ohne ausdrückliche Nennung des Vorsorgeprinzips fest, dass ein auf unzureichende Informationen über das Ausmaß der Gefahren zurückzuführender Mangel an naturwissenschaftlicher Gewissheit den Importstaat nicht von einer angemessenen Entscheidung über die Zulässigkeit des Imports abhalten kann. In dieser Deutlichkeit war das Vorsorgeprinzip vor Aushandlung des BP noch nicht in den materiellen Bestimmungen eines M E A enthalten. 1 1 7 7 Nach Art. 16 BP muss die Reaktion auf die Risikobeurteilung den ermittelten Risiken angemessen sein und darf das notwendige Maß nicht überschreiten. Insbesondere die Sonderbehandlung von LMO-FFPs in Art. 11 BP ist wegen deren immensen Anteils am LMO-Handel von erheblicher Praxisrelevanz: A u f Seiten des Exportstaats entfällt nach Artt. 7 II, III, 11 BP für LMO-FFPs das Erfordernis der Notifikation (und dementsprechend auch das der Empfangsbestätigung durch den Importstaat). Vielmehr muss nach Art. 111 BP ein Staat innerhalb einer Frist von 15 Tagen über den zentralen Informations- und Transparenzmechanismus des BP, den von Art. 20 BP geregelten Biosafety Clearing House-Mechanismus, seine 1175
Steinmann/Strack
(siehe oben Fn. 1169), S. 369; Eggers/ Mackenzie (siehe oben Fn. 662),
S.529. 1176 1177
Buck (siehe oben Fn.631), S.324. Vgl. Gupta (siehe oben Fn. 546), S. 30; Adler (siehe oben Fn. 1138), S. 763.
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Entscheidung über die inländische Zulässigkeit der LMO-FFPs bekannt geben. A u f Seiten des Importstaates ist anders als für die vom AIA-Verfahren erfassten L M O s bei LMO-FFPs nach dem Wortlaut von Art. 11 BP für die Importentscheidung grundsätzlich 1 1 7 8 keine Risikobeurteilung nach Art. 15 i.V. m. Annex I I I BP erforderlich: Art. 1 1 I V BP verlangt für Importentscheidungen lediglich, dass die Entscheidung mit der Zielsetzung des BP kompatibel sein muss, also insbesondere mit dem in Art. 1 BP erwähnten adäquaten Schutz vor Gefahren für Artenvielfalt und menschliche Gesundheit. Daran ändert sich nichts durch den erwähnten Art. I I I BP, wonach für die Entscheidung über das inländische Inverkehrbringen bestimmte Informationen über den Biosafety Clearing House-Mechanismus bekanntzugeben sind, wozu nach Art. 111 i.V. m. Annex I I (j) BP auch ein Bericht über eine Risikobeurteilung gehört 1 1 7 9 : Dass Art. 11IV BP eine Speziairegel für die Importentscheidung darstellt, ergibt sich nämlich aus einem Vergleich von Art. 11 BP mit Art. 101 BP, der innerhalb des AIA-Verfahrens ausdrücklich die Beachtung der Vorgaben von Art. 15 BP für das risk assessment verlangt und anders als Art. 1 1 I V BP nicht nur die Berücksichtigung der Ziele des BP voraussetzt. Insofern ist für LMO-FFPs, also für den statistischen Normalfall von LMOs, nicht nur das Verfahren deutlich reduziert i m Vergleich mit dem AIA-Verfahren. Auch die materiellen Anforderungen bleiben jedenfalls nach dem Wortlaut von Art. 11 BP erheblich hinter den Entscheidungskriterien innerhalb des AIA-Verfahrens zurück und lassen dem betreffenden Mitgliedstaat einen größeren Einschätzungsspielraum. 1180
(4)
Dokumentationspflichten
Für die Dokumentation von L M O s beim grenzüberschreitenden Verkehr enthält Art. 18 I I BP eine differenzierte Regelung: L M O s sind i m Normalfall als solche über eine entsprechende Dokumentation zu identifizieren, die außerdem näher spezifizierte Angaben enthalten muss. Handelt es sich jedoch um LMO-FFPs, ist eine Dokumentation ausreichend, wonach die Lieferung L M O s enthalten kann und die L M O s nicht zur Freisetzung in die Umwelt bestimmt sind. Der Erlass von Ausführungsbestimmungen dazu ist vorgesehen. Ähnlich wie hinsichtlich der Ausnahme vom AIA-Verfahren und den detaillierten Anforderungen für die Risikobeurteilung nach Art. 15 i.V. m. Annex I I I BP gilt also auch hinsichtlich der Dokumentation ein 1178 Art. 11 VI BP enthält eine detaillierte Ausnahmeregel für Entwicklungs- und Schwellenländer. 1179 Für eine Auslegung von Art. 111 BP dahingehend, dass auch Importentscheidungen von Art. 111 BP erfasst sind, aber offenbar Scheyli, Das Cartagena-Protokoll über biologische Sicherheit zur Biodiversitätskonvention, ZaöRV2000, S. 771 ff. (782f., 787 f.); im Sinne der hier vertretenen Auffassung dagegen Eggers/ Mackenzie (siehe oben Fn. 662), S. 540; Schoenbaum (siehe oben Fn. 857), S. 863. 1180 Aus rechtspolitischer Sicht sehr kritisch hierzu Lim Li Lin, The Core Issues in the Biosafety Protocol : An Analysis, http://www.twnside.org.sg/title/core.htm, S. 14.
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Kompromiss für die üblicherweise mit konventionellen Produkten vermischten LMO-FFPs. Produkte, die lediglich aus oder mit Hilfe von L M O s hergestellt wurden, ohne solche zu enthalten, sind entsprechend den obigen 1 1 8 1 Ausführungen zum Anwendungsbereich insgesamt auch von den Dokumentationsvorschriften nicht erfasst. Es ist zu betonen, dass sich die Dokumentationsregelungen nach Art. 18 BP nur auf den internationalen Transport beziehen und keinen unmittelbaren Bezug zu etwaigen nationalen Etikettierungsvorschriften zur Information des Endverbrauchers wie Art. 8 N F V O haben. Mittelbar ermöglichen die Dokumentationsvorschriften des BP immerhin die Identifikation von L M O s und gewährleisten insoweit die technische Machbarkeit nationaler Etikettierungsvorschriften. 1182 (5) Streitschlichtung Das BP selbst enthält keinen eigenen Streitschlichtungsmechanismus. Art. 34 BP verweist vielmehr auf Art. 37 CBD. Art. 37 C B D seinerseits verpflichtet bei Auseinandersetzungen zu Verhandlungen, unter bestimmten Voraussetzungen ist auch ein Schiedsverfahren oder ein Verfahren vor dem I G H möglich. Außerdem enthält Art. 34 BP den Auftrag zur Schaffung weiterer Mechanismen. 1 1 8 3 Darüber hinaus ist von entscheidender Bedeutung, dass die Bestimmungen des BP auch i m Rahmen eines Streitschlichtungsverfahrens vor einem WTO-Panel relevant werden können, wenn sich etwa die EG zur Rechtfertigung ihrer Handelsbeschränkungen auf das BP beriefe. In welchem Umfang ein WTO-Panel das BP zu berücksichtigen hätte, wird in den folgenden Abschnitten erörtert.
3. Der Diskussionsstand zum Verhältnis von WTO-Recht und MEAs Ob und inwieweit M E A s die WTO-Regeln beeinflussen, ist nicht nur eine für das BP umstrittene Frage. Ein weiteres aktuelles Beispiel, in dem der Einfluss eines M E A auf WTO-Recht zu klären ist, stellt die C B D und ihr Verhältnis zum TRIPsAbkommen der W T O dar. 1 1 8 4 In diesem Abschnitt wird dargestellt, wie über das Verhältnis von M E A s zu den WTO-Normen sowohl auf politischer Ebene unter den WTO-Mitgliedern debattiert wird als auch auf juristischer Ebene in der WTOStreitschlichtung und im Schrifttum.
1181
Siehe oben S. 243 ff. zum Anwendungsbereich des BP. Eggers/ Mackenzie (siehe oben Fn.662), S.532; Buck (siehe oben Fn.631), S.321. 1183 Vgl. zu den bisherigen Ergebnissen Report of the Intergovernmental Committee for the Cartagena Protocol on Biosafety on the work of its first meeting , UNEP/CBD/ICCP/1/9% 03.04.2001, http://www.biodiv.org/doc/meetings/iccp/iccp-01/official/iccp-01-09-en.doc . 1184 Vgl. dazu etwa WTO Trade and Environment Bulletin, PRESSATE/035 vom 20.02.2001. 1182
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a) MEAs in der Diskussion zwischen den WTO-Mitgliedern Das unklare Verhältnis zwischen WTO-Recht und M E A s ist Diskussionsthema unter den WTO-Mitgliedstaaten. Diskussionsforum ist hauptsächlich der Ausschuss für Handel und Umwelt (Committee on Trade and Environment , CTE). Bei der politischen Auseinandersetzung um das Verhältnis von M E A s zu WTO-Recht lassen sich i m Wesentlichen 1 1 8 5 zwei Standpunkte unterscheiden, die bereits 1996 im Singapur-Bericht des CTE anklangen 1 1 8 6 und zuletzt 2000 auf einem Informationstreffen des CTE erörtert wurden. 1 1 8 7 Die EG und die Schweiz sprechen sich dafür aus, die Lösung des Problems nicht der auf Einzelfallentscheidungen beschränkten WTO-Streitschlichtung zu überlassen, sondern ein allgemeines Konzept auszuarbeiten. 1188 Inhaltlich neigen sie dazu, MEAs und WTO-Recht als gleichrangig und „sich gegenseitig stützend" („mutually supportive") anzusehen. 1189 Für die technische Ausgestaltung dieses Gleichrangs machen sie verschiedene Vorschläge, darunter insbesondere die Einfügung einer Vermutungsregel in die WTO-Abkommen, wonach eine von einem M E A vorgesehene Handelsbeschränkung auch mit WTO-Recht vereinbar i s t . 1 1 9 0 Insbesondere die USA und zahlreiche Entwicklungsländer halten dagegen eine allgemeine Klarstellung für überflüssig. Die meisten Handelsbeschränkungen auf Grundlage von M E A s seien ohnehin WTO-konform, und die WTO-Streitschlichtung beachte M E A s hinreichend. 1 1 9 1 Wegen der unterschiedlichen Auffassungen konnte auf politischer Ebene bislang kein Lösungskonzept erarbeitet werden. Auch die Überlegung, der Allgemeine Rat der W T O könne zumindest für das Verhältnis von WTO-Recht und BP Interpretationsregeln beschließen, 1192 ist bisher ergebnislos geblieben. Immerhin findet ein Vorschlag von Neuseeland für ein freiwilliges Konsultations verfahren Unterstüt1185 Ygi Abd ei Motaal, Multilateral Environmental Agreements (MEAs) and WTO Rules, JWT 2001, S. 1215 ff. ( 1218 ff.) zu einer Darstellung der verschiedenen Ansichten im Einzelnen. 1186 Vgl. dazu Schwartz , Trade Measures Pursuant to Multilateral Environmental Agreements, Developments from Singapore to Seattle, RECIEL 2000, S.63ff. 1187 Vgl. WTO Trade and Environment Bulletin, PRESS/TE/033 vom 10.07.2000. 1188 Submission by Switzerland , WT/CTE/W/168 vom 19.10.2000, unter II. 5; Submission by the European Community , WT/CTE/W/170 vom 19.10.2000, unter 1. 1189 Vgl. Submission by Switzerland (siehe oben Fn. 1188), unter 1.1, III. 6; Submission by the European Community (siehe oben Fn. 1188), unter B. 14. 1190 So Submission by Switzerland (siehe oben Fn. 1188), unter III. 8; ähnlich Submission by the European Community (siehe oben Fn. 1188), unter C. 15; vgl. zu den einzelnen technischen Konzepten auch Abdel Motaal (siehe oben Fn. 1185), S. 1224 f. 1191 WTO Trade and Environment Bulletin (siehe oben Fn. 1187); sehr instruktiv zu den Ursachen für die Haltung insbesondere der Entwicklungsländer Abdel Motaal (siehe oben Fn. 1185), S. 1218 ff. 1192 y g i Raghavan, Reconciling Biosafety Protocol and WTO by Interpretation? http://www.twnside.org.sg/title/reconcile.htm, S. 1; vgl. dazu auch Biermann (siehe oben Fn.938), S. 434ff.
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zung, wonach sich die WTO-Mitgliedstaaten vor der Errichtung von Handelsschranken auf Grundlage eines M E A darüber unterrichten. 1193 Einen gewissen Fortschritt stellt die auf der WTO-Ministerkonferenz in Doha/ Katar am 14.11.01 angenommene Deklaration dar: Sie enthält den Auftrag zu Verhandlungen innerhalb des CTE, um das Verhältnis zwischen WTO-Abkommen und M E A s zu klären. 1 1 9 4 Dieses Verhandlungsmandat ist allerdings insoweit beschränkt, als erstens die Situation von WTO-Mitgliedern, die nicht Mitglied des jeweiligen M E A sind, nicht Gegenstand der Verhandlungen sein soll. 1 1 9 5 Zweitens verweist die Deklaration an anderer Stelle darauf, dass die Verhandlungsergebnisse die Rechte und Pflichten der WTO-Mitglieder aus den WTO-Abkommen nicht vermindern oder vergrößern dürfen. 1 1 9 6 Abgesehen von diesen Beschränkungen scheinen die Meinungsunterschiede zwischen den WTO-Mitgliedern ohnehin gegenwärtig zu groß zu sein, als dass in absehbarer Zeit mit einer auf dem Verhandlungswege erzielten Lösung zu rechnen wäre. Darauf deutet auch der von deutlichen Divergenzen geprägte Verlauf des ersten CTE-Treffens im Rahmen des Verhandlungsmandates hin.1197
b) Grundsätze zur Berücksichtigung von MEAs in der WTO-Streitschlichtung Aus den Berichten der WTO-Panels und des Appellate Body lassen sich nur in beschränktem Maße Erkenntnisse darüber gewinnen, inwiefern sie M E A s berücksichtigen. 1 1 9 8 1193
WTO Trade and Environment Bulletin (siehe oben Fn. 1184). Art. 31 I S. 1 der WTO-Ministerdeklaration vom 14.11.01 (im Internet unter http:// www.wto.org/english/thewto_e/minist_e/min01_e/mindecl_e.htm ): „With a view to enhancing the mutual supportiveness of trade and environment, we agree to negotiations, without prejudging their outcome, on: (i)the relationship between existing WTO rules and specific trade obligations set out in multilateral environmental agreements (MEAs) [...]". 1195 Art. 311 S. 2 der Deklaration: „[...] The negotiations shall be limited in scope to the applicability of such existing WTO rules as among parties to the MEA in question. The negotiations shall not prejudice the WTO rights of any Member that is not a party to the MEA in question; [...]". 1196 Art. 32 der Deklaration: „[...] The outcome of this work as well as the negotiations carried out under paragraph 31(i) and (ii) shall be compatible with the open and non- discriminatory nature of the multilateral trading system, shall not add to or diminish the rights and obligations of members under existing WTO agreements, in particular the Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures, nor alter the balance of these rights and obligations, [...]". 1197 Vgl. BRIDGES Trade BioRes , Vol. 2, No. 6 vom 04.04.02. 1198 Ein Überblick über die bisherigen Berichte von Panels und Appellate Body zu diesem Thema findet sich etwa bei Hudec, The Relationship of International Environmental Law to International Economic Law, in Morrison (Hrsg.), International, Regional and National Environmental Law, S. 133 ff. (151 ff.). 1194
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I m Benzinfall 1 1 9 9 hat der Appellate Body angedeutet, dass er in Übereinstimmung mit dem Dispute Settlement Understanding (DSU) außer WTO-Recht unter Umständen auch andere Völkerrechtsquellen anwende. Art. 3 I I D S U 1 2 0 0 verlange ausdrücklich die Berücksichtigung völkergewohnheitsrechtlicher Auslegungsregeln, wozu etwa Art. 311 W V R K zähle. „Art. 31 WVRK, General rule of interpretation: 1. A treaty shall be interpreted in good faith in accordance with the ordinary meaning to be given to the terms of the treaty in their context and in the light of its object and purpose. 2. The context for the purpose of the interpretation of a treaty shall comprise in addition to the text, including its preamble and annexes: (a) any agreement relating to the treaty which was made between all the parties in connexion with the conclusion of the treaty; (b) any instrument which was made by one or more parties in connexion with the conclusion of the treaty and accepted by the other parties as an instrument related to the treaty. 3. There shall be taken into account, together with the context: (a) any subsequent agreement between the parties regarding the interpretation of the treaty or the application of its provisions; (b) any subsequent practice in the application of the treaty which establishes the agreement of the parties regarding its interpretation; (c) any relevant rules of international law applicable in the relations between the parties." A n der Beachtlichkeit von Art. 31 W V R K auch im WTO-Streitschlichtungsverfahren sei zu erkennen, dass sich das GATT nicht in „klinischer Isolierung" („clinical isolation") vom Völkerrecht befinde. 1 2 0 1 Aus dieser allgemeinen Aussage ergibt sich jedoch nicht, inwieweit der Appellate Body M E A s berücksichtigt, die zwar Völkerrecht darstellen, aber nicht völkergewohnheitsrechtliche Auslegungsregeln i.S.v. A r t . 3 I I DSU. Immerhin hat sich in den bisherigen Berichten der oben 1 2 0 2 bei der necessity clause der Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen bereits angewandte Grundsatz etabliert, dass gegen einen den Handel beschränkenden Staat eingewandt werden kann, er habe sich nicht ausreichend um die Aushandlung eines Abkommens mit den übrigen Konfliktparteien bemüht, um den Handelsstreit zu vermeiden. 1] " United States - Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 877). 1200 „...The Members recognize that it serves to preserve the rights and obligations of Members under the covered agreements, and to clarify the existing provisions of those agreements in accordance with customary rules of interpretation of public international law ..." (Hervorhebung vom Verfasser). 1201 United States - Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 877), S. 14. 1202 Siehe oben S. 199.
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Diese Überlegung zur Notwendigkeit von Handelsschranken gibt aber keinen Aufschluss über die hier entscheidende Frage, inwiefern Panels und Appellate Body bestehende M E A s zugunsten eines den Handel beschränkenden WTO-Mitglieds beachten. Dazu finden sich in den bisherigen Berichten nur wenige Hinweise: I m noch unter das GATT 1947 fallenden zweiten Thunfisch-/Delphinfall beriefen sich die USA darauf, ihre Handelsbeschränkung sei eine vom Washingtoner ArtenschutzÜbereinkommen allgemein zugelassene strengere Schutzmaßnahme. Das Panel verneinte jedoch die Beachtlichkeit des Artenschutzübereinkommens und anderer M E A s mit dem Hinweis, nicht alle GATT-Mitglieder seien auch Mitglieder der Umweltschutzabkommen. 1 2 0 3 Diese grundsätzliche Nichtberücksichtigung von M E A s in der welthandelsrechtlichen Streitschlichtung ist mittlerweile überholt: Nach Gründung der W T O beriefen sich die USA i m Garnelen-/Schildkrötenfall auf Grundsätze des Artenschutzübereinkommens und anderer MEAs. Der Appellate Body erklärte dazu, schon in der Präambel zum WTO-Gründungsübereinkommen würden die nachhaltige Entwicklung und der Umweltschutz als Ziele erwähnt, und auch die Existenz des CTE beweise die Akzeptanz des Umweltschutzgedankens im welthandelsrechtlichen Gefüge. 1 2 0 4 A u f dieser Grundlage griff er zur Auslegung von WTO-Normen auf verschiedene M E A s zurück: Der Begriff „exhaustible natural resources" in Art. X X (g) GATT sei „ i m Lichte gegenwärtiger Bedenken der Staatengemeinschaft hinsichtlich des Schutzes und der Bewahrung der U m w e l t " 1 2 0 5 auszulegen. Dabei ist bemerkenswert, dass nicht alle Konfliktparteien Mitglieder aller betreffenden M E A s waren. Auch das zur umstrittenen Umsetzung der Garnelen-/Schildkrötenentscheidung des Appellate Body eingesetzte Panel wandte M E A s zur Auslegung von W T O Recht an, wobei es diese indirekte Anwendung ausdrücklich auf Art. 31 I I I (c) W V R K stützte. 1 2 0 6 Die Garnelen-/Schildkrötenentscheidung formuliert damit den Grundsatz, dass M E A s jedenfalls indirekt zur Auslegung von WTO-Bestimmungen auch in der WTO-Streitschlichtung beachtlich sind. I m Detail bestehen allerdings erhebliche Meinungsunterschiede darüber, welche Konsequenzen aus der Garnelen-/Schildkrö1203 United States - Restrictions on Imports of Tuna II, Report of the Panel (siehe oben Fn.933), Rn.5.19. 1204 United States - Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.937), Rn. 129, 153ff. 1205 „... must be read by a treaty interpreter in the light of contemporary concerns of the community of nations about the protection and conservation of the environment.", United States - Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.937), Rn. 129. 1206 Siehe zum authentischen Wortlaut von Art. 31 III (c) WVRK oben S. 249; United States - Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, Recourse to Article 21.5 by Malaysia, Report of the Panel (WT/DS58/RW), 15.06.2001 (im Internet unter http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/58rw_e.doc ), Rn.5.57.
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tenentscheidung zu ziehen sind. Daher wird auf diese Entscheidung und auf weitere Äußerungen von Panels und Appellate Body unten noch vertieft einzugehen sein. c) Das Verhältnis zwischen MEAs und WTO-Recht aus Sicht des Schrifttums A u f Grundlage dieser Äußerungen des Appellate Body zur Berücksichtigung von M E A s im welthandelsrechtlichen Streitschlichtungsverfahren haben sich in der L i teratur unterschiedliche Auffassungen herausgebildet. Dabei ist mittlerweile weitgehend unbestritten, dass M E A s im WTO-Streitschlichtungsverfahren überhaupt beachtlich sind: Der Grundsatz, es gebe keine „clinical isolation" des WTO-Rechts, sei in der Tat nach Art. 3 I I DSU gerechtfertigt. 1207 Aus dem vom Appellate Body über Art. 3 I I DSU in das WTO-System eingeführten Art. 31 W V R K , vor allem aus Art. 31 I I I (c) W V R K , ergebe sich die Regel, internationale Abkommen möglichst harmonisch und konfliktvermeidend auszulegen. 1208 Daher folge aus Art. 31 I I I (c) W V R K die berechtigte evolutive Auslegung der WTO-Abkommen durch den Appellate Body i m Garnelen-/Schildkrötenfall. 1209 M i t dem Grundsatz der harmonischen Auslegung korrespondiere die allgemeine völkerrechtliche Vermutung, zwischen zwei Verträgen bestehe jedenfalls dann kein Widerspruch, wenn sie von denselben Parteien abgeschlossen seien. 1 2 1 0 Die Berücksichtigung gerade umweltrechtlicher Abkommen i m Wege der harmonischen Auslegung durch den Appellate Body sei tatsächlich insbesondere wegen der Präambel zum WTO-Übereinkommen und der Schaffung des CTE zutreffend. 1211 Umstritten sind dagegen bislang vor allem zwei Aspekte: Erstens ist unklar, in welchem Umfang M E A s beachtlich sind. Nach einer Ansicht haben WTO-Panels M E A s direkt anzuwenden, wenn sie nicht nach allgemeinen Konkurrenzregeln nachrangig zu WTO-Recht sind. 1 2 1 2 Nach der Gegenauffassung dürfen Panels andere Rechtsquellen als die WTO-Abkommen nur indirekt zur Auslegung von W T O Normen heranziehen, wie es der Appellate Body i m Garnelen-/Schildkrötenfall ge1207
Marceau , A Call for Coherence in International Law, JWT 1999, S.87ff. (107f.). 1208 Hohmann (siehe oben Fn. 850, S. 89; Marceau (siehe oben Fn. 1207), S. 117; Marceau (siehe oben Fn.633), S. 1086ff., 1102ff.; so auch Ginzky (siehe oben Fn.938), S. 221, der noch in früheren Äußerungen ausdrücklich einen Vorrang von MEAs gegenüber WTO-Recht bejaht hatte, vgl. etwa Ginzky , Umweltschutz und der internationale Handel mit Waren, ZUR 1997, S. 124ff. (130f.). 1209
Marceau (siehe oben Fn. 1207), S. 120; Marceau (siehe oben Fn.633), S. 1086 ff.,
1102 ff. 1210 Marceau (siehe oben Fn. 1207), S. 127; Boisson de Chazournes /Thomas et al.: The Biosafety Protocol: Regulatory Innovation and Emerging Trends, Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht 2000, S. 513 ff. (525). 1211 Vgl. /////(siehe oben Fn.589), S.488; Marceau (siehe oben Fn. 1207), S. 107f. 1212 Vgl. Palmeter/Mavroidis, The WTO Legal System: Sources of Law, American Journal of International Law 1998, S.398 ff.; Mavroidis (siehe oben Fn.938), S.77; ähnlich auch Hohmann (siehe oben Fn. 850), S.96f.
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tan hat. Gegen eine direkte Anwendung spreche, dass nach Artt. 7 und 11 DSU im WTO-Streitschlichtungsverfahren nur WTO-Bestimmungen maßgeblich seien und auch Art. 3 I I DSU nur die völkergewohnheitsrechtlichen InterpretationsxQgein einbeziehe. 1 2 1 3 Aus diesem Grund habe der Appellate Body - außerhalb des M E A - Z u sammenhanges 1214 - ein bilaterales Abkommen der Streitbeteiligten nicht angewandt, weil insoweit nur eine direkte Anwendung des bilateralen Abkommens möglich gewesen wäre. 1 2 1 5 Zweitens besteht i m Schrifttum keine Einigkeit darüber, wer Mitglied eines M E A sein muss, damit es beachtlich ist. Einhellig wird noch beurteilt, dass entgegen dem Panel i m zweiten Thunfisch-/Delphinfall nicht alle WTO-Mitglieder auch Mitglieder des M E A sein müssen. Zum einen hätte der Appellate Body im Garnelen-/Schildkrötenfall sonst gar keine M E A s beachten dürfen. Zum anderen spreche der maßgebliche Art. 31 I I I (c) W V R K anders als etwa Art. 31 I I (a) W V R K von „den Vertragsparteien" und nicht von „allen Vertragsparteien". Schließlich verlange auch die Rechtsnatur des multilateralen WTO-Rechts für die hier in Frage stehende bloße Interpretation nicht die Zustimmung aller Vertragsparteien. 1216 Unterschiedlich wird hingegen der Fall bewertet, wenn nicht alle Konfliktbeteiligten auch Mitglied des betreffenden M E A sind. Während teilweise nur WTO-Recht angewandt w i r d , 1 2 1 7 halten andere Autoren M E A s auch dann für prinzipiell beachtlich, wenn auch in geringerem Umfang, als wenn alle Streitbeteiligten Mitglied des M E A sind. Art. 31 I I I (c) W V R K verlange nur die Anwendbarkeit des betreffenden Völkerrechtssatzes „ i n den Beziehungen" zwischen den Parteien, was nach weiter Auslegung beispielsweise einschlägig sei, wenn die jeweilige M E A - N o r m wie etwa ein Importverbot gegenüber Nichtparteien des M E A Auswirkungen auf Nichtparteien habe. 1 2 1 8 Der Appellate Body habe im Garnelen-/Schildkrötenfall M E A s berücksichtigt, bei denen nicht alle Streitbeteiligten Mitglieder waren. 1 2 1 9 Außerhalb des MEA-Zusammenhanges 1 2 2 0 habe der Appellate Body auch eine vorvertragliche 1213 Marceau (siehe oben Fn. 1207), S. 110 ; Trachtman, The Domain of WTO Dispute Resolution, Harvard International Law Journal 1999, S.333ff. (342f.); /////(siehe oben Fn.589), S.488. 1214 European Communities - Measures Affecting the Importation of Certain Poultry Products , Report of the Appellate Body , WT/DS69, 23.07.1998, http://www.wto.org/english/ tratop_e/dispu_e/abrpoul2.doc. 1215 Marceau (siehe oben Fn. 1207), S. 111; Trachtman (siehe oben Fn. 1213), S. 342f. 1216 Marceau (siehe oben Fn. 1207), S. 124f. 1217 Vgl. etwa SteinmannlStrack (siehe oben Fn. 1169), S. 372. 1218 Zu dieser Argumentation neigt vorsichtig Marceau (siehe oben Fn. 1207), S. 126; bereits vor Inkrafttreten der WVRK für eine Heranziehung von Verträgen als Auslegungsinstrument auch gegenüber Nichtparteien Zuleeg, Vertragskonkurrenz im Völkerrecht, GYIL 1977, S. 247 ff. (271 f.). 1219 Auf den Garnelen-/Schildkrötenfall stützt sich Raghavan (siehe oben Fn. 1192), S. 5 ; ähnlich Burchardi (siehe oben Fn.639), S.97; Bernasconi-Osterwalder (siehe oben Fn.654), S.718. 1220 Customs classification of certain computer equipment, complaint by the United States against - „ The European Communities, United Kingdom and Ireland" , Report of the Appellate
Η. Der Einfluss des Biosafety Protocol
253
Übung nur einer Vertragspartei als einen für die Vertragsauslegung prinzipiell beachtlichen Gesichtspunkt behandelt. 1 2 2 1 Wegen dieser fortbestehenden Meinungsverschiedenheiten über das Verhältnis von WTO-Recht und M E A s allgemein, aber auch wegen unterschiedlicher Auffassungen über die im folgenden Abschnitt dargestellte Konkurrenzregel i m BP ist bislang auch unklar, inwieweit die WTO-Normen durch das BP beeinflusst werden. Es wird sowohl vertreten, dass BP genieße ab Inkrafttreten Vorrang gegenüber dem WTO-Recht, 1 2 2 2 als auch die gegenteilige Ansicht, wonach das WTO-Recht in seiner Wirkung vom BP unberührt bleibe. 1 2 2 3 Ebenso findet sich die dritte Meinung, WTO-Abkommen und BP seien ab Inkrafttreten gleichrangig und i m Sinne einer harmonischen Auslegung oder praktischen Konkordanz auszulegen. 1224 Wiederum umstritten ist der Einfluss des BP, wenn in einem WTO-Streitschlichtungsverfahren nicht beide Beteiligten auch Mitglieder des BP sind wie insbesondere bei einem Verfahren zwischen USA und E G . 1 2 2 5
4. Das Verhältnis des Biosafety Protocol zum WTO-Recht Wie erwähnt, würde die Frage, in welchem Verhältnis BP und WTO-Recht zueinander stehen, im Rahmen eines WTO-Streitschlichtungsverfahrens praktisch relevant. Der Einfluss des BP ist aber nicht nur allgemein umstritten, sondern gerade auch i m Hinblick auf ein Streitschlichtungsverfahren, bei dem nicht alle Beteiligten auch BP-Mitglieder sind. Daher ist das Verhältnis zwischen BP und WTO-Recht getrennt zu erörtern für die Konstellation, dass beide WTO-Streitbeteiligten auch BPMitglieder sind und anschließend für den Fall, dass nicht beide Konfliktbeteiligten auch Mitglieder des BP sind. Body, WT/DS62, 67, 68,05.06.1998, http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/62abr.doc , Rn. 93. 1221 Marceau (siehe oben Fn. 1207), S. 126. 1222 Dazu neigen Steinmann/Strack (siehe oben Fn. 1169), S. 372; Gastoni Abate, The Biosafety Protocol and the World Trade Organization: Can the Two Coexist? Pace International Law Review 2000, S. 107ff. (120); Lim Li Lin (siehe oben Fn. 1180), S. 15 f.; Stoll (siehe oben Fn. 659), S. 117; im Ergebnis ähnlich Burchardi (siehe oben Fn. 639), S. 96f. 1223 In dieser Richtung Kennedy (siehe oben Fn.544), S. 104; Glass, The Merits of Ratifying and Implementing the Cartagena Protocol on Biosafety, Northwestern Journal of International Law and Business 2001, S.491 ff. (510f.); dies ist ebenfalls die Auffassung des U.S. Department of State (http://www.usinfo.state.gov/topical/global/biotech/00021601.htm). 1224 So etwa Buck (siehe oben Fn. 631), S. 326ff.; EggerslMackenzie (siehe oben Fn. 662), S. 540; Newell!Mackenzie (siehe oben Fn. 1157), S. 315 f.; Cosbey/Burgiel (siehe oben Fn. 1155), S. 11 ff.; Schoenbaum (siehe oben Fn. 857), S. 865; Bernasconi-Osterwalder (siehe oben Fn.654), S.716ff.; Boisson de Chazournes/Thomas et al. (siehe oben Fn. 1210), S.527. 1225 pü r eine Berücksichtigung etwa Raghavan (siehe oben Fn. 1192), S. 5; ähnlich Bernasconi-Osterwalder (siehe oben Fn. 654), S. 719; dagegen Steinmann/Strack (siehe oben Fn. 1169), S.372.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht a) Das Konkurrenzverhältnis
für
BP-Mitglieder
Die Konkurrenzvorschrift in der Präambel des BP ist Ausgangspunkt der Überlegungen zum Verhältnis von BP und WTO-Abkommen, weil die Präambel speziell ist zu den allgemeinen Konkurrenzregeln der W V R K . Bis kurz vor Abschluss der Verhandlungen enthielt der Entwurf nicht in der Präambel, sondern in den eigentlichen Vertragsbestimmungen eine qualifizierte savings clause nach dem Vorbild von Art. 221 CBD, wonach das BP die Rechte und Pflichten aus anderen Abkommen nur bei ernsthafter Gefahr für die Artenvielfalt beeinträchtigen könne. 1 2 2 6 Während die Miami-Gruppe den Vorbehalt tilgen wollte, verlangte die EG, die Gleichrangigkeit von BP und anderen internationalen Abkommen festzustellen. 1227 Die endgültige Fassung knüpft an Formulierungen in der PIC-Konvention von Rotterdam a n 1 2 2 8 und gibt diese Interessengegensätze wider: „Recognizing that trade and environment agreements should be mutually supportive with a view to achieving sustainable development. Emphasizing that this Protocol shall not be interpreted as implying a change in the rights and obligations of a Party under any existing international agreements. Understanding that the above recital is not intended to subordinate this Protocol to other international agreements,..." Der diplomatische Kraftakt, der zur Einigung notwendig war, hat juristisch Spuren hinterlassen, da die Präambel logisch nicht konsistent ausgelegt werden kann. Unproblematisch ist es zwar, wenn der Wortlaut von Normen des BP und von Vorschriften eines anderen internationalen Abkommens wie insbesondere den WTOAbkommen von vornherein miteinander vereinbar ist. In diesem Fall ist allen Teilen der Konkurrenznorm Rechnung getragen. Erste Schwierigkeiten bestehen jedoch, wo der Wortlaut von BP und anderen Abkommen nicht den gleichen Inhalt hat, aber zumindest eine der Vorschriften Auslegungsspielraum bietet. Die erste Aussage, Handels- und Umweltabkommen sollten sich gegenseitig stützen, lässt sich erfüllen, indem man die Norm mit dem Auslegungsspielraum i m Sinne der anderen Vorschrift interpretiert und so beide Regeln harmonisiert. Der zweiten Aussage lässt sich hingegen nur entsprechen, wenn eine BP-Vorschrift i m Sinne etwa einer WTO-Norm harmonisiert wird. Die Auslegung einer WTO-Norm im Lichte des BP wäre eine untersagte Änderung welthandelsrechtlicher Rechte und Pflichten, indem diesen eine andere Bedeutung beigemessen wird, als sie ohne das BP hätten. Wird aber eine BP-Regelung i m Sinne einer WTO1226 1227
Vgl. international Institute for Sustainable Development (siehe oben Fn. 1144), S.4. Bernasconi-Osterwalder (siehe oben Fn. 654), Fn. 56; Falkner (siehe oben Fn. 147),
S. 309 f. 1228
Vgl. Hagen/Weiner (siehe oben Fn. 1173), S.715; Cosbey/Burgiel Fn. 4; Gupta (siehe oben Fn. 546), Fn. 2.
(siehe oben Fn. 1155),
Η. Der Einfluss des Biosafety Protocol
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Norm ausgelegt, wird insoweit der Inhalt des BP einseitig vom Inhalt des WTORechts abhängig gemacht und entgegen der dritten Aussage das BP anderen internationalen Abkommen untergeordnet. Wenn keine Norm Auslegungsspielraum bietet und die Unterschiede somit durch harmonische Auslegung nicht beseitigt werden können, wird die Widersprüchlichkeit der Präambel noch deutlicher: Ein mutual support i. S. d. ersten Aussage kann in dieser Konstellation erst durch eine korrigierende Auslegung herbeigeführt werden. Dabei können die Unterschiede nicht nivelliert werden, ohne dass entweder den Vorschriften des WTO-Rechts eine andere Bedeutung beigemessen oder das BP WTO-Recht untergeordnet wird. Unabhängig davon, inwieweit tatsächlich zwischen Vorschriften des BP und denen anderer internationaler Abkommen Widersprüche bestehen, lässt sich jedenfalls abstrakt die Präambel nicht ohne logische Brüche auslegen. 1229 Auch mit Hilfe der anderen Bestimmungen, die innerhalb des BP das Verhältnis zu anderen internationalen Abkommen wie den WTO-Abkommen regeln, lassen sich die logischen Friktionen der Präambel nicht beseitigen: Außer der Präambel nehmen noch Artt. 2 I V (strengere nationale Bestimmungen nur i m Einklang mit sonstigen Abkommen), 14 (Zulässigkeit anderer internationaler Abkommen außer bei niedrigerem Schutzniveau) und 26 (Berücksichtigung sozio-ökonomischer Erwägungen nur im Einklang mit sonstigen Abkommen) BP auf das Verhältnis zu anderen internationalen Abkommen Bezug. Gerade der Vorbehalt der Kompatibilität mit anderen Abkommen in Artt. 2 I V und 26 BP spräche bei isolierter Betrachtung für einen Vorrang von WTO-Recht gegenüber dem BP. 1 2 3 0 Eine Verallgemeinerung dieses Gedankens für das gesamte BP verbietet sich jedoch, da andernfalls die drei Aussagen in der Präambel auf die zweite reduziert würden. Außerdem stellte sich dann die Frage, warum die genannten Sonderregelungen in den Vertragstext statt einer allgemeinen Konkurrenzvorschrift aufgenommen wurden. Artt. 2IV, 141 und 26 BP sind daher nicht zu verallgemeinernde bereichsspezifische Sonderregeln. Da die Präambel nicht widerspruchsfrei ausgelegt werden kann, ist nach den Grundsätzen des Rechts völkerrechtlicher Verträge zunächst zu überlegen, ob ein die Unwirksamkeit des BP auslösender Dissens vorliegt. Dagegen spricht jedoch die Entstehungsgeschichte des BP: Zwar war der Interessengegensatz in der Frage des Verhältnisses zu anderen Abkommen nicht zu überbrücken. Jedoch hinderte er zum einen die Vertragsparteien nicht, das Abkommen insgesamt abzuschließen, und seitdem behandeln es die Parteien als wirksam, was sich an den bisherigen Folgetreffen erkennen lässt. 1 2 3 1 Zum anderen spricht gegen einen Dissens, dass gerade wegen des 1229 So auch Phillips!Kerr (siehe oben Fn. 801), S. 66; Buck (siehe oben Fn. 631), S. 326; Schoenbaum (siehe oben Fn. 857), S. 864; Steinmann!Strack (siehe oben Fn. 1169), S. 372; Gupta (siehe oben Fn. 546), S. 31. 1230 Vgl. HagenIWeiner (siehe oben Fn. 1173), S.708. 1231 Siehe zu den Treffen im Internet http://www.biodiv.org/Biosafety/meetings.asp.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
offenen Streits die Konkurrenzregel in die Präambel verschoben wurde: Auch wenn die Präambel für die Auslegung völkerrechtlicher Verträge heranzuziehen i s t , 1 2 3 2 haben die Verhandlungspartner durch die Verortung der Konkurrenzregel in der Präambel ihr eine geringere Bedeutung zugesprochen, 1233 wodurch sie ihren Willen für das Zustandekommen des BP ungeachtet des ungelösten Konkurrenzproblems ausgedrückt haben. Weil das BP keine logisch operable allgemeine Konkurrenzvorschrift enthält, aber wirksam ist, sind die allgemeinen Regeln nach W V R K und Völkergewohnheitsrecht anzuwenden. Zwei wichtige Anknüpfungspunkte sind dabei die gewohnheitsrechtliche Regel lex specialis derogat legi generali und die Regel lex posterior derogat legi priori aus Art. 30 I I I W V R K , die auch völkergewohnheitsrechtlich anerkannt i s t . 1 2 3 4 Daneben lässt sich, wie oben 1 2 3 5 ausgeführt, aus dem inzwischen ebenfalls gewohnheitsrechtlich verfestigten und vom Appellate Body daher im WTO-Streitschlichtungsverfahren angewandten Art. 31 I I I (c) W V R K das Gebot der harmonischen Auslegung völkerrechtlicher Verträge herleiten. Aus diesen Grundsätzen wird teilweise ein Vorrang des BP zum WTO-Recht hergeleitet, da das BP später zustande gekommen sei und die spezielleren Regelungen für den Handel mit L M O s enthalte. 1 2 3 6 Grundsätzlich lässt sich zwar gegen eine Anwendung der lex-posterior-Regel einwenden, dass der Zeitpunkt des Zustandekommens völkerrechtlicher Verträge häufig zufällig ist. 1 2 3 7 Die lex-specialis-Regel ist bei komplexen Vertragswerken mit unterschiedlich präzise geregelten Sachbereichen innerhalb desselben Abkommens ebenfalls oft nicht leicht anzuwenden. 1 2 3 8 Was das Verhältnis zwischen BP und WTO-Recht betrifft, erscheint diese allgemein durchaus plausible Kritik jedoch nicht gerechtfertigt: Der Zeitpunkt des Zustandekommens und Inkrafttretens von WTO-Recht einerseits und BP andererseits liegt eindeutig auseinander. Genauso ist der internationale Warenverkehr i m BP spezieller geregelt durch die Beschränkung auf LMOs. Gegen die Anwendung der lex-posterior- und lex-specialis-Primvpizn für das Verhältnis zwischen BP und WTO-Abkommen spricht jedoch erstens, dass sie nur 1232
Vgl. Art. 31 II WVRK (authentischer Wortlaut oben S. 249) und Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 127 f. 1233 Hagen/Weiner (siehe oben Fn. 1173), S. 707; Lim Li Lin (siehe oben Fn. 1180), S. 16. 1234 Vgl. Verdrosst Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 640-642, 672; Ηohmann (siehe oben Fn. 850), S. 89. 1235 Siehe oben S. 250. 1236 Siehe oben die Hinweise bei Fn. 1222. 1237 Vgl. /////(siehe oben Fn.589), S.481, bezeichnet die lex posterior-Regel daher als „hausbacken"; ähnlich Winter (siehe oben Fn. 938), S.237, und Wold, Multilateral Environmental Agreements and the GATT: Conflict and Resolution, Environmental Law 1996, S. 841 ff. (911). 1238 /////(siehe oben Fn.589), S.481.
Η. Der Einfluss des Biosafety Protocol
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anwendbar sind, wo die Normen zweier Abkommen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Eine derartige Unterschiede vermeidende Auslegung ist demnach vorrangig. 1 2 3 9 Zweitens ist eine ausdrückliche Regelung über das Rang Verhältnis vorrangig. 1 2 4 0 Die Konkurrenzregel in der Präambel des BP ist zwar nicht ohne logische Brüche auslegbar. Dennoch zeigt sie immerhin, dass eine einseitige Bevorzugung des einen Abkommens am wenigsten dem gemeinsamen Willen der Vertragspartner entspricht, weil somit außer der zweiten oder der dritten Aussage zusätzlich der Gedanke des mutual support nicht eingehalten wird. Demgegenüber entspricht eine aus Art. 31 I I I (c) W V R K abgeleitete einheitliche Auslegung dem mutual support. Zwar lässt sich nicht bestreiten, dass sie WTO-Recht teilweise verändert und das BP partiell anderen Abkommen unterordnet. Jedoch ist diese teilweise Missachtung der zweiten und dritten Aussage nicht bedeutender, als wenn durch eine einseitige Bevorzugung eines Abkommens die zweite oder dritte Präambelaussage vollständig unberücksichtigt blieben. Wenn die harmonische und gegebenenfalls korrigierende Auslegung die Friktionen in der Präambel des BP auch nicht zu beseitigen vermag, so entspricht sie dem Willen der Vertragsparteien eher als eine Anwendung der alternativen Prinzipien für Vertragskollisionen und ist ihnen daher vorzuziehen. Ein weiteres Argument spricht zugunsten einer am mutual support orientierten einheitlichen Auslegung und gegen die Bevorzugung des BP nach lex specialis- und lex posterior-Grundsätzen: Wie oben 1 2 4 1 dargelegt, ist nach den Berichten des Appellate Body im Benzinfall und in der Garnelen-/Schildkrötenentscheidung unstreitig, dass WTO-Panels M E A s zumindest indirekt zur Auslegung von WTO-Recht verwenden müssen. Ob sie darüber hinaus auch direkt andere Vorschriften als die des Welthandelsrechts anzuwenden haben, ist umstritten. Bei einer Auslegung von WTO-Recht und BP im Sinne des mutual support ist diese Streitfrage unerheblich, weil durch sie das BP nur indirekt zur Auslegung von WTO-Bestimmungen angewandt wird. Dies gälte im Übrigen nicht nur für eine harmonische Auslegung von WTO-Vorschriften mit Auslegungsspielraum, sondern auch für eine korrigierende Auslegung als ultima ratio über den Wortlaut der WTO-Normen hinaus: Auch dann würde das BP nur indirekt angewandt, denn WTO-Recht wäre immer noch Referenzpunkt zur Beurteilung des Handelskonfliktes und müsste gerade deshalb modifizierend ausgelegt werden. Deshalb steht eine harmonische oder korrigierende Interpretation von WTO-Recht und BP-Recht letztlich i m Einklang mit der mittelbaren Anwendung von M E A s durch den Appellate Body im Garnelen-/Schildkrötenfall. Die Begründung eines Vorranges des BP gegenüber WTO-Recht nach lex specialis- und lex posterior-Regel zöge demgegenüber das kaum lösbare prozessrechtliche Folgeproblem nach sich, begründen zu müssen, warum entgegen Art. 3 I I DSU 1239
Bernasconi-Osterwalder (siehe oben Fn. 654), S.716. Darauf verweisen zurecht Schoenbaum (siehe oben Fn. 857), S. 864 f.; Gastoni Abate (siehe oben Fn. 1222), S. 109, 117. 1241 Siehe oben S. 248ff. 1240
17 Stökl
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
und der bisherigen Praxis des Appellate Body im Streitschlichtungsabkommen andere Abkommen als die des WTO-Rahmens direkt anwendbar sein sollen. 1 2 4 2 Aufgrund des Parteiwillens und im Einklang mit dem über Art. 3 I I D S U auch für das WTO-Streitschlichtungsverfahren anwendbaren Art. 31 I I I (c) W V R K und der Auffassung des Appellate Body besteht daher kein Vorrangverhältnis zwischen WTO-Recht und BP, sondern WTO-Vorschriften und BP sind, sobald das BP in Kraft tritt, zu einem einheitlichen Ergebnis auszulegen. Dabei ist eine harmonische Interpretation vorrangig, solange Auslegungsspielraum besteht. Wenn weder der Wortlaut der WTO-Abkommen noch der des BP Auslegungsspielraum bieten, stellt sich die Frage, ob als ultima ratio i m Ausnahmefall auch eine den Wortlaut einschränkende oder ausdehnende korrigierende Auslegung völkerrechtlich zulässig ist. Gerade wurde festgestellt, dass die indirekte Anwendung von MEAs durch den Appellate Body im Garnelen-/Schildkrötenfall auch einer korrigierenden Interpretation von WTO-Bestimmungen durch MEA-Normen nicht entgegenstünde. Fraglich ist aber, ob eine solche korrigierende Auslegung von WTORecht auch mit Art. 31 W V R K vereinbar wäre, den der Appellate Body als für die Auslegung von WTO-Recht maßgebliche völkergewohnheitsrechtliche Auslegungsregel i. S. v. Art. 3 I I D S U begreift. Weil Art. 311 W V R K unter anderem verlangt, dass die Auslegung zwar i m Lichte des Vertragszweckes erfolgt, sie aber mit der gewöhnlichen Bedeutung der Vertragsbestimmungen in ihrem Zusammenhang übereinstimmen muss, 1 2 4 3 trägt Art. 31 W V R K hauptsächlich der objektiven, am Vertragstext als Ausdruck des Parteiwillens orientierten Auslegungsmethode Rechnung und nicht der subjektiven, vom Vertragstext unabhängig am Willen der Vertragsparteien orientierten Auslegungsmethode. 1 2 4 4 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Art. 31 W V R K bewusst im Singular als „Allgemeine Auslegungsregel" bezeichnet ist, und die verschiedenen in Art. 31 W V R K aufgeführten Auslegungselemente in Kombination miteinander anzuwenden sind. 1 2 4 5 Dieses Zusammenspiel zeigt sich darin, dass die Auslegung zwar mit dem Vertragstext in seiner gewöhnlichen Bedeutung übereinstimmen muss, die gewöhnliche Bedeutung sich aber nicht aus der Betrachtung einer isolierten Bestimmung, sondern gerade aus dem Vertragszusammenhang und seinem 1242
Vgl. zu den Konsequenzen dieses prozessrechtlichen Problems Marceau (siehe oben Fn. 633), S. 1100ff., 1107 f. 1243 Die Orientierung am Wortlaut wird bereits betont in StIGH, S.S. Wimbledon, Serie A, Nr. 1, 1923, S.24f.; StIGH, Acquisition of Polish Nationality, Serie Β, Nr. 7, 1923, S. 17; eine gegen Wortlaut und Geist eines Vertrages verstoßende Auslegung lehnt ab IGH Interpretation of Peace Treaties , 1950, S.221 ff. (229); ihm folgend IGH, South West Africa, 1966, S.48; aus dem Schrifttum etwa Zuleeg (siehe oben Fn. 1218), S.272. 1244 Im Sinne dieser Schlussfolgerung etwaBrownlie, Principles of Public International Law, S. 632; Verdross/ Simma (siehe oben Fn. 1234), § 776; Vitzthum (siehe oben Fn. 850), S. 67 f.; Ipsen, Völkerrecht, S. 116. 1245 So die International Law Commission selbst, zitiert etwa bei Brownlie (siehe oben Fn. 1244), S.633; Ipsen (siehe oben Fn. 1244), S. 118f.
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Zweck ergibt. 1 2 4 6 Art. 311 W V R K verlangt für die Berücksichtigung der Systematik und der ratio eines Vertrages nicht, dass der Wortlaut bei isolierter Betrachtung mehrere Auslegungsmöglichkeiten zulässt. Dies ergibt sich auch aus einem Gegenschluss zu Art. 32 W V R K , bei dem eine solche Unklarheit vorausgesetzt w i r d . 1 2 4 7 Nur unter diesem entscheidenden Vorbehalt der kontext- und ratiobezogenen Betrachtung kann die alte Vattel'sche Maxime , wonach nicht auslegungsfähig sei, was keiner Auslegung bedürfe, 1 2 4 8 für Art. 31 W V R K aufrechterhalten werden - ansonsten handelt es sich bei der Maxime um eine petitio principii. 1249 Als Teil des Vertragszusammenhanges gewinnen nach Art. 31 I I W V R K insbesondere die Bestimmungen der Präambel eines Vertrages an Gewicht für die Auslegung des Wortlautes der einzelnen Vertragsbestimmungen. So hat etwa der E G M R im Golder-Fall Art. 6 1 E M R K erweiternd im Sinne der Präambel der E M R K ausgelegt gegen die Kritik, diese Auslegung verletze die Exklusivität der ausdrücklich in der E M R K vorgesehenen Rechte und damit die Vorgaben von Art. 31 W V R K . 1 2 5 0 Da die inkonsistente Präambel des BP, wie oben aufgezeigt wurde, i m Sinne des mutual support auszulegen ist, ist folglich auch der Wortlaut der einzelnen Vertragsbestimmungen des BP im Lichte dieses Gebotes einer einheitlichen Auslegung zu verstehen. Wegen dieses übergeordneten Gebotes ist daher in Ausnahmefällen eine im Vergleich zu einer isolierten Betrachtung einschränkende oder erweiternde Auslegung des Wortlautes der BP-Normen mit Art. 31 W V R K vereinbar. Die WTO-Abkommen enthalten zwar den Gedanken des mutual support nicht in der gleichen Ausdrücklichkeit wie die Präambel des BP. Nach Art. 31 I I I (c) W V R K sind allerdings zusammen 1 2 5 1 mit dem Vertragszusammenhang auch sonstige relevante und in den in den Beziehungen zwischen den Parteien anwendbare Völkerrechtsregeln für die Auslegung zu berücksichtigen, woraus das Gebot einer einheitlichen Auslegung abzuleiten i s t . 1 2 5 2 Deshalb ist völkerrechtlich nicht ausgeschlos1246
Dies betonen zurecht etwa Brownlie (siehe oben Fn. 1244), S.634; Verdross!Simma (siehe oben Fn. 1234), §777; Ipsen (siehe oben Fn. 1244), S. 118 f.; Sinclair (siehe oben Fn. 1232), S. 121, 127. 1247 „Article 32. Supplementary means of interpretation Recourse may be had to supplementary means of interpretation, including the preparatory work of the treaty and the circumstances of its conclusion, in order to confirm the meaning resulting from the application of article 31, or to determine the meaning when the interpretation according to article 31 : (a) leaves the meaning ambiguous or obscure; or (b) leads to a result which is manifestly absurd or unreasonable." 1248 „La première maxime générale sur Γ interpretation est qu'il n'est pas permis d'interpréter ce qui n'a pas besoin d'interpretation." 1249 Vgl. etwa Ipsen (siehe oben Fn. 1244), S. 117; Seidl-Hohenveldern!Stein , Völkerrecht, Rn. 333; Sinclair (siehe oben Fn. 1232), S. 116. 1250 EGMR, Golder v. The United Kingdom, 00004451/70, 21.02.1975 (im Internet unter http://www.echr.coe.int/). 1251 Die nicht authentische deutsche Übersetzung spricht ungenau von „in gleicher Weise". 1252 Siehe oben S. 250ff. 17*
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sen, dass auch den WTO-Vorschriften durch die Betrachtung zusammen mit anderen völkerrechtlichen Regeln wie dem BP im Ausnahmefall eine andere Bedeutung beizumessen ist, als sie bei isolierter Betrachtung hätten. Ob bei einer derartigen modifizierenden Auslegung WTO-Recht oder BP teilweise zurücktritt, ist eine Einzelfallsfrage und hängt insbesondere davon ab, welche Korrektur sich besser mit dem sowohl im BP als auch in den WTO-Abkommen manifestierten Grundgedanken der Balance zwischen Handelsfreiheit und Umweltund Gesundheitsschutz vereinbaren lässt. Dies wird unten 1 2 5 3 bei der Lösung der Problemfälle näher veranschaulicht.
b) Das Konkurrenzverhältnis
für Ν ichtmitglieder
Bevor die möglichen Hauptunterschiede zwischen BP und WTO-Recht dargestellt und die Konsequenzen des mutual support im Hinblick auf diese Unterschiede aufgezeigt werden, ist zu untersuchen, inwieweit dieses Lösungskonzept auch gilt, wenn die Konfliktbeteiligten nicht beide Mitglieder des BP sind. Wie erwähnt, ist diese Fallgestaltung von erheblicher praktischer Relevanz, weil die USA als wichtigstes Exportland für gentechnisch veränderte Lebensmittel bei der Aushandlung des BP mitgewirkt haben, als Nichtmitglied der C B D aber nicht Mitglied des BP werden können. Art. 24 BP regelt den Handel mit Nichtmitgliedern und verlangt, auch dabei die Ziele des BP zu beachten. Insofern wirkt Art. 24 BP mittelbar auch auf Nichtmitglieder. Ungeklärt ist, inwieweit das BP darüber hinaus auch Nichtmitglieder betrifft und ob Vorschriften des BP über den Gedanken der harmonischen oder korrigierenden Auslegung in einem WTO-Streitschlichtungsverfahren auch gegen die USA oder ein anderes Nichtmitglied des BP angewandt werden könnten. Die USA selbst gehen auch nach der jetzigen Präambelfassung davon aus, dass das BP die welthandelsrechtliche Beurteilung von Handelsschranken für L M O s nicht beeinflusst, wobei sie diese Auffassung selbst für Mitglieder des BP vertreten. 1 2 5 4 Teile der Literatur sind der Ansicht, dass das BP keinen Einfluss auf welthandelsrechtliche Konflikte habe, wenn nicht alle Streitbeteiligten Mitglieder des BP seien. 1 2 5 5 Zwei der Hauptargumente für die am mutual support orientierte Auslegung gelten offensichtlich nicht, wenn nicht alle Streitparteien Mitglieder des BP sind: Erstens lässt sich der Gedanke, dass diese Auslegung am ehesten der Präambel entspricht, nicht ohne Zirkelschluss auf Nichtmitglieder übertragen, da die Wirkung des BP auf Nichtmitglieder gerade fraglich ist. 1253 Siehe unten S. 264ff. zur Analyse möglicher Unterschiede von BP und WTO-Recht und einer konfliktvermeidenden einheitlichen Auslegung der Vertragswerke. 1254 U.S. Department of State (siehe oben Fn. 1223). 1255 Vgl. die Hinweise für die unterschiedlichen Auffassungen im Schrifttum oben Fn. 1225.
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Zweitens stützt die Argumentation mit Art. 31 I I I (c) W V R K das Konzept des mutual support nicht gegenüber Nichtmitgliedern des BP: Die W V R K enthält als Ausprägung des völkerrechtlichen Souveränitätsgrundsatzes 1256 den Gedanken der relativen Wirkung völkerrechtlicher Verträge nur zwischen den Vertragsparteien in Art. 31 I I I (c) W V R K mit der Formulierung „ i n den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien" und darüber hinaus etwa in Artt. 3 0 I V ( b ) und 41 W V R K 1 2 5 7 : Dabei verbietet der auch vom Appellate Body verwandte 1 2 5 8 Grundsatz der souveränitätsfreundlichen Auslegung völkerrechtlicher Verträge die im Schrifttum 1 2 5 9 erwogene weite Auslegung der Wendung „ i n den Beziehungen" dahingehend, dass auch eine faktische Auswirkung eines Vertrages auf Nichtmitglieder eine „Beziehung" i. S. v. Art. 31 I I I (c) W V R K begründe. Im Übrigen entfällt durch die Souveränitätsorientierung der W V R K nicht nur ein Argument für die Anwendung des mutual supportKonzeptes auch gegenüber Nichtmitgliedern des BP, sondern darin liegt auch ein echtes Gegenargument, denn Art. 3 I I D S U 1 2 6 0 öffnet das WTO-Recht nicht für das übrige Völkerrecht schlechthin, sondern nur für die Auslegungsregeln wie insbesondere Art. 31 I I I (c) W V R K . Hingegen war oben der dritte tragende Grund für den mutual support-Gtdanken, dass harmonische und korrigierende Auslegung im Einklang stehen mit der indirekten Anwendung von M E A s durch den Appellate Body im Garnelen-/Schildkrötenfall. Dort hat der Appellate Body zur Auslegung von WTO-Begriffen „ i m Lichte der gegenwärtigen Bedenken der Staatengemeinschaft" auch Abkommen verwandt, bei denen nicht alle Konfliktparteien Mitglieder waren 1 2 6 1 und dadurch das WTO-Recht für die „Bedenken der Staatengemeinschaft" geöffnet ohne deutliche Beschränkung auf Bedenken, die zumindest die Konfliktbeteiligten in einem M E A formuliert haben. Dennoch sind diese Überlegungen des Appellate Body nicht dahingehend zu verallgemeinern, dass nicht von allen Streitbeteiligten ratifizierte Abkommen für die Auslegung von WTO-Normen i m rechtstechnischen Sinne erheblich sein können, und nur eine solche Erheblichkeit wäre von juristischem Interesse: Der Appellate Body zog mehrere M E A s ergänzend heran, ohne auszudrücken, die nicht von allen Konfliktparteien ratifizierten M E A s seien für das Ergebnis entscheidend. Insbesondere führte er an erster Stelle das UN-Seerechtsübereinkommen von 1982 an, das zwar von zwei Parteien nicht unterzeichnet oder ratifiziert war, aber nach den Ausführungen des Appellate Body von einer dieser Parteien und von dem zusätzlich zitierten Autoren insoweit als Völkergewohnheitsrecht angesehen werden. 1 2 6 2 Auch 1256
Vgl. dazu etwa Seidl-Hohenveldern/ Stein (siehe oben Fn. 1249), Rn.7. Vgl. Steinmann/Strack (siehe oben Fn. 1169), S.372; /////(siehe oben Fn.589), S.484; Bernasconi-Osterwalder (siehe oben Fn.654), S.714ff.; Winter (siehe oben Fn.938), S.238. 1258 Vgl. zum in dubio mitius- Prinzip EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 605), Rn. 165. 1259 Vgl. Marceau oben Fn. 1218. 1260 Siehe oben Fn. 1200 zum Wortlaut von Art. 3 II DSU. 1261 Siehe bereits oben S.250. 1262 United States - Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 937), Fn. 110. 1257
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
das zur umstrittenen Umsetzung der Entscheidung des Appellate Body eingesetzte 21 V-Panel betont, dass die Streitbeteiligten bei den meisten der Abkommen M i t glieder seien oder ihren Inhalt zumindest akzeptiert hätten. 1 2 6 3 Dies trifft für das BP auf die USA nicht zu. Insbesondere kann zumal nach dem Regierungswechsel in den USA nicht davon ausgegangen werden, dass die o b e n 1 2 6 4 zitierten Äußerungen der Clinton-Regierung, die USA würden auch ohne völkerrechtliche Verpflichtung den Bestimmungen des BP entsprechen, in einem WTO-Streitschlichtungsverfahren Bestand hätten, in dem das BP anders als die M E A s in der Garnelen-/Schildkrötenentscheidung gegen die USA angewandt werden könnten. Deshalb kann aus der Garnelen-/Schildkrötenentscheidung nicht abgeleitet werden, dass der Appellate Body auch ein nicht von allen Beteiligten ratifiziertes M E A als erhebliches Auslegungsinstrument heranzöge. Auch aus dem Bericht des Appellate Body i m Computerfall lässt sich entgegen der oben erwähnten Überlegung i m Schrifttum 1 2 6 5 nichts anderes herleiten. Der Appellate Body hielt dort lediglich die vorvertragliche Übung einer Partei für ein Auslegungskriterium für den letztlich maßgeblichen gemeinsamen Willen beider Parteie n . 1 2 6 6 Daraus kann nicht geschlossen werden, ein nach den WTO-Abkommen abgeschlossenes M E A könne ohne weiteres zur Auslegung des Willens von WTOMitgliedern verwendet werden, die nicht Mitglieder des M E A sind. Eine Anwendung des BP gegenüber den USA widerspräche deren Willen besonders deutlich. Sie haben zwar an der Aushandlung des BP teilgenommen, aber stets als ein höchstwahrscheinliches Nichtmitglied. Die USA setzten sich außerdem für eine eindeutige savings clause ein. Auch nach Abschluss des BP geht die US-Regierung davon aus, dass WTO-Recht vom BP nicht beeinflusst wird. 1 2 6 7 Sowohl die relative Zurückhaltung gegenüber dem BP insgesamt als auch die absolute Reserviertheit gegenüber welthandelsrechtlichen Auswirkungen lässt sich mit der Position des persistent objector vergleichen, dem gegenüber wegen seiner ständigen und deutlichen Ablehnung Völkergewohnheitsrecht nicht entstehen kann. 1 2 6 8 Folglich ist das BP für WTO-Streitigkeiten etwa zwischen EG und USA, wo nicht beide Streitparteien Mitglieder des BP sind, kein erhebliches Auslegungsinstrument. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass sich ein Panel bei der Interpretation von WTO-Normen trotzdem faktisch vom BP als internationalem Ausdruck der Bedenken über die Risiken gentechnisch veränderter Lebensmittel leiten lässt. 1263
United States - Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, Recourse to Article 21.5 by Malaysia, Report of the Panel (siehe oben Fn. 1206), Rn. 5.57. 1264 Siehe oben S. 240. 1265 Vgl. Marceau oben Fn. 1221. 1266 Ygi Customs classification of certain computer equipment, complaint by the United States against - „The European Communities, United Kingdom and Ireland" , Report of the Appellate Body (siehe oben Fn. 1220), Rn.93. 1267
Vgl. U.S. Department of State (siehe oben Fn. 1223). Vgl. hierzu VerdrosstSimma (siehe oben Fn. 1234), § 558; in der Grundtendenz ähnlich wie hier Murphy (siehe oben Fn.547), Fn. 167. 1268
Η. Der Einfluss des Biosafety Protocol
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Unabhängig davon kann das BP auch in einem Streitschlichtungsverfahren zwischen USA und EG als Beweismittel dienen - etwa i m Rahmen der necessity clause der WTO-Abkommen dafür, dass sich die EG um eine multilaterale Problemlösung bemüht hat. 1 2 6 9 Dies wurde oben bei der Untersuchung der EG-Regeln am Maßstab von Art. 5 V I SPS-Abkommen bereits festgestellt. 1270 Ebenso ist das BP - wie einseitige Akte - ein Beweismittel für die Motivation, aus der heraus die Mitgliedstaaten den Handel mit gentechnisch veränderten Organismen durch nationale auf das BP gestützte Maßnahmen beschränken, was welthandelsrechtlich bei der Frage bedeutend sein kann, ob eine verbotene protektionistische Maßnahme i. S. v. Art. 5 V SPS-Abkommen vorliegt: Gegen eine protektionistische Absicht der EG-Handelsbeschränkungen für gentechnisch veränderte Organismen spricht zusätzlich zu den obigen Erwägungen, dass sie teilweise ausdrücklich auf das BP rekurrieren und wie das BP den Umwelt- und Gesundheitsschutz zu ihrem Hauptziel machen. 1 2 7 1 Diese Beweisfunktion des BP gilt natürlich auch für den Fall, das beide WTO-Streitbeteiligten BP-Mitglieder sind. Zusammenfassend ist das Konkurrenzverhältnis von WTO-Recht und BP dahingehend zu lösen, dass beide Abkommen ab Inkrafttreten des BP durch eine einheitliche Auslegung in Einklang miteinander zu bringen sind, soweit es um das Verhältnis von Staaten geht, die sowohl Mitglieder der W T O als auch des BP sind. Ansonsten hat das BP lediglich die geschilderte Beweisfunktion.
c) Exkurs: Paradigmatik
des Mutual Support-Konzeptes
Die Frage, in welchem Maße sich dieses Konzept auf das Verhältnis zwischen anderen M E A s und WTO-Recht übertragen lässt, hängt entscheidend von der Ausgestaltung des betreffenden M E A ab, denn für das BP wurde der mutual support zwar nicht alleine, aber insbesondere auf den Wortlaut der Präambel gestützt. Wenn ein anderes M E A eine andere oder gar keine Konkurrenzvorschrift beinhaltet, ist anhand der jeweiligen Ausgestaltung, der betreffenden Materie und sonstiger Besonderheiten zu überlegen, welches Rangverhältnis sich ergibt. Obwohl demnach eine generelle Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen WTO-Recht und M E A s nicht möglich ist, spricht einiges dafür, dass künftige M E A s eine ähnliche Konkurrenzvorschrift enthalten wie das B P 1 2 7 2 und damit die Argumentation für den Gleichrang übertragbar ist: Erstens ist allgemein festzustellen, dass in internationalen Abkommen mit ähnlichen Vertragsgegenständen Formulierungen älterer Abkommen übernommen werden, insbesondere wenn diese 1269 Vgl. zur Verwendung von MEAs als Beweismittel Marceau (siehe oben Fn. 1207), S. 133 f.; Marceau (siehe oben Fn.633), S. 1098 f. 1270 Siehe oben S. 199. 1271 Vgl. die Erwägungsgründe 4, 5 und 13 der EG-Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG. 1272 Gupta (siehe oben Fn.546), Fn.21.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
Formulierungen bereits bei der ersten Aushandlung Ergebnis einer komplizierten Kompromisssuche waren und daher auch für spätere Abkommen als eher kompromissfähig erscheinen. Gerade aus diesem Grund ist die Präambel des BP an die der Konvention von Rotterdam angelehnt. 1 2 7 3 Zweitens könnte langfristig die Präambel des BP mit dem Gedanken des mutual support eine über das BP hinaus international akzeptierte Lösung für das Verhältnis zwischen Handelsfreiheit und Umwelt- und Gesundheitsschutz darstellen.
5. Die einheitliche Auslegung von WTO-Recht und BP und ihre Konsequenzen für die EG-Handelsbeschränkungen I m folgenden Abschnitt geht es darum, wie die Bestimmungen von W T O - A b kommen und BP im Einzelnen auszulegen sind, damit der mutual support besteht, und in welchem Maße sich daraus zusätzliche Argumente für die WTO-Konformität der EG-Handelsbeschränkungen herleiten lassen. Soweit die Handelshemmnisse mit den Vorgaben des im Sinne des mutual support ausgelegten BP vereinbar sind, sind sie als Konsequenz auch mit den WTO-Abkommen konform. Zwar wurde für die EG-Vorschriften festgestellt, dass sie mit SPS- und TBT-Abkommen auch unabhängig vom Einfluss des BP vereinbar sind. Die dieser Annahme zugrunde liegenden Erwägungen mögen außerdem, was i m Folgenden zu zeigen sein wird, den Argumenten ähneln, mit denen der mutual support zwischen den einzelnen Regelungen des BP und der WTO-Abkommen hergestellt wird. Auch die oben verwandten Argumente erhalten aber eine neue Qualität dadurch, dass sie sich auf den Gleichrang und das darauf gründende Gebot der einheitlichen Auslegung von BP und WTO-Abkommen stützen können. Möglicherweise lässt sich durch die einheitliche Auslegung von BP und WTO-Recht sogar das ansonsten WTO-widrige de factoMoratorium rechtfertigen. Obwohl das BP und damit der mutual support nicht gegenüber den USA als wichtigstem Exportland für gentechnisch veränderte Organismen und Lebensmittel anwendbar sind, sind das Konzept und die folgenden Ausführungen nicht ohne praktische Relevanz: Abgesehen davon, dass langfristig ein Beitritt der USA zwar unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen ist, haben verschiedene Exportländer dieser Produkte wie etwa Argentinien oder Kanada das BP immerhin unterzeichnet. 1 2 7 4 Im Falle der Ratifikation wären für einen welthandelsrechtlichen Konflikt zwischen diesen Ländern und der EG SPS- und TBT-Abkommen einerseits und BP andererseits zu einem einheitlichen Ergebnis auszulegen.
1273
Siehe oben Fn. 1228. Vgl. zum Stand der Unterzeichnungen und Ratifikationen http://www.biodiv.org/ Biosafety/signinglist.asp. 1274
Η. Der Einfluss des Biosafety Protocol a) Das BP als internationaler
265
Standard i. S. v. Art. 3 SPS-Abkommen?
Bereits erwähnt wurde, dass im Schrifttum teilweise erwogen wird, das BP als internationalen Standard i. S. d. SPS-Abkommens zu begreifen. 1 2 7 5 Darin läge in der Tat eine Harmonisierung von BP und WTO-Recht wegen der in Artt. 3 II, 2 I V SPSAbkommen enthaltenen Rechtmäßigkeitsvermutung für Handelsbeschränkungen, die internationalen Standards entsprechen. Oben wurde jedoch auch festgestellt, dass die einzige Möglichkeit, das BP als internationalen Standard i. S. d. SPS-Abkommens aufzufassen, Annex A. 3 (d) SPS-Abkommen wäre, wegen der äußerst kontroversen Aushandlung des BP und der laufenden Arbeiten der genannten Organisationen wie insbesondere der C A K jedoch nicht damit zu rechnen ist, dass das SPS-Komitee eine derartige Entscheidung trifft. 1 2 7 6 Für die Herstellung des mutual support zwischen WTO-Recht und BP sind daher die Hauptunterschiede der materiellen Bestimmungen zu untersuchen. I m Hinblick auf die materiellen Bestimmungen des BP wurde bereits erwähnt, dass das BP den Handel einerseits einschränkt, indem es Einfuhrbeschränkungen wie etwa ein Einfuhrverbot durch den Importstaat nach Artt. 10, 11IV BP zulässt. Dies könnte auch die Zulassungspflicht der EG für gentechnisch veränderte Lebensmittel umfassen. Insoweit befänden sich die EG und andere Mitgliedstaaten von W T O und BP zwar in keinem strikten Normenkonflikt i. S. e. echten Dilemmas, 1 2 7 7 da diese Einfuhrbeschränkungen, die nach einem Teil der Lehre vom SPS-Abkommen verboten sind, vom BP lediglich zugelassen und nicht geboten werden und die Mitgliedstaaten daher nicht zwingend eines der Abkommen verletzen müssen. Es wäre dennoch ein für die Ausrichtung der mitgliedstaatlichen Politik entscheidender Widerspruch, wenn ein Abkommen das vom anderen Abkommen erlaubte Verhalten verbieten sollte. 1 2 7 8 Darüber hinaus beschränkt das BP den Handel andererseits auch durch obligatorische Vorschriften, von denen etwa das AIA-Notifikationsverfahren zur Vorabinformation des Importlandes welthandelsrechtlich kaum umstritten ist, 1 2 7 9 während die obligatorischen Dokumentationsvorschriften äußerst kontrovers diskutiert werden. I m Folgenden wird zunächst dargestellt, wie das SPS-Abkommen und die BPNormen mit Bezug zur EG-Zulassungspflicht einheitlich auszulegen sind und welche zusätzlichen Argumente sich daraus für eine Konformität der EG-Zulassungspflicht mit dem SPS-Abkommen ergeben. Anschließend werden der mutual support 1275
Siehe oben S. 160. Siehe oben S. 160. 1277 In diesem engen Sinne versteht auch der Appellate Body den Konfliktbegriff, vgl. die oben unter Fn. 633 dargestellten Äußerungen. 1278 Auch Alexy , Theorie der Grundrechte, S.77ff., ordnet diese Erlaubnis-Verbot-Konstellation wie die Gebot-Verbot-Konstellation der Kategorie des „Regelkonfliktes" zu. 1279 Vgl. dazu Stoll (siehe oben Fn. 659), S. 112, Bernasconi-Osterwalder (siehe oben Fn. 654), S. 711 f. 1276
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
für die TBT-Regeln und die Dokumentationsvorschriften des BP und seine Konsequenzen im Hinblick auf die EG-Kennzeichnungsnormen erörtert.
b) Die einheitliche Auslegung der Regelungen über Einfuhrbeschränkungen durch Artt. 10ff. BP mit Artt. 51,211 SPS-Abkommen Den Anforderungen der Artt. 51,2 I I SPS-Abkommen, wonach Handelsbeschränkungen auf eine bestimmten Kriterien entsprechende Risikobeurteilung gestützt sein müssen, kann die Zulassung von Einfuhrbeschränkungen durch Artt. 10 ff. BP nur genügen, wenn sie für Einfuhrbeschränkungen ihrerseits vergleichbare Voraussetzungen aufstellt.
( 1 ) Risk Assessment nach SPS-Abkommen und BP Bei einem Vergleich der Anforderungen von BP und SPS-Abkommen stellt sich zunächst die Frage, ob das BP wie das SPS-Abkommen bei allen Produkten im Anwendungsbereich eine Risikobeurteilung für Einfuhrbeschränkungen verlangt. Grundsätzlich fordert Art. 101 i.V. m. Art. 15 BP die Durchführung eines risk assessment nach den Detailvorgaben von Annex I I I BP. Für die praktisch wichtigen L M O FFPs verpflichtet hingegen der Wortlaut von Art. 11 BP nicht zu einer Risikobeurteilung 1 2 8 0 : Art. 11IV BP verlangt lediglich, dass die Entscheidung über die Importzulassung mit den Zielen des BP kompatibel sein muss. Zu den Zielen des BP zählt insbesondere der in Art. 1 BP erwähnte Schutz vor Gefahren für Artenvielfalt und menschliche Gesundheit, der jedoch ausdrücklich „adäquat" sein muss, also nicht überhöht sein darf. Dieser Begrenzung des Schutzniveaus entspricht auch die Anerkennung der Chancen einer für Menschen und Umwelt sicheren Biotechnik in der Präambel. Außerdem gehört zur Zielsetzung nach der oben ausführlich analysierten Präambel auch der mutual support zwischen BP und Handelsabkommen. Für die Balance zwischen Handelsfreiheit einerseits und Umwelt- und Gesundheitsschutz andererseits ist unentbehrlich, dass vor Erlass einer Handelsbeschränkung die Risiken für Umwelt und Gesundheit überhaupt untersucht werden. Die Risikobeurteilung nach Art. 15 BP hat damit eine elementare Funktion zur Wahrung des mutual support zwischen Handelsfreiheit und Umweltund Gesundheitsschutz. Ohne sie können Handelsbeschränkungen nicht „adäquat" i. S. v. Art. 1 BP sein. Daher ist die von Art. 1 1 I V BP für Importentscheidungen bei LMO-FFPs verlangte Vereinbarkeit mit den Zielen des BP so auszulegen, dass auch ein risk assessment nach Art. 15 i.V. m. Annex I I I BP erforderlich ist. Bei dieser Auslegung besteht der mutual support zwischen SPS-Abkommen und BP i m Hinblick auf den Anwendungsbereich des risk assessment. 1280
Siehe oben S. 245.
Η. Der Einfluss des Biosafety Protocol
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Problematisch ist ferner, welche Qualität die in der Risikobeurteilung zu berücksichtigenden Faktoren haben müssen. Art. 15 BP i.V. m. Annex I I I BP enthält detaillierte Anforderungen für die Risikobeurteilung. Zu ihren Grundsätzen gehört nach Annex III. 3 BP insbesondere, dass die Risikobeurteilung „naturwissenschaftlich vernünftig" durchgeführt wird. Auch die nach Annex III. 9 in der Risikobeurteilung zu berücksichtigenden Aspekte sind deutlich naturwissenschaftlich orientiert. Art. 26 BP, der bei der Entscheidung über die Zulässigkeit von Importen die Berücksichtigung sozioökonomischer Faktoren gestattet, betrifft nicht die Risikobeurteilung selbst, so dass sich das SPS-Abkommen und das BP für die Risikobeurteilung auf naturwissenschaftliche Gesichtspunkte konzentrieren 1281 und miteinander harmonieren. Die EG-Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel erfährt durch diesen mutual support zwischen den Vorschriften des SPS-Abkommens und des BP über die Risikobeurteilung insofern Unterstützung, als jedenfalls für den Bereich gentechnisch veränderter Organismen als Teilbereich der gentechnisch veränderten Lebensmittel auch das zum WTO-Recht gleichrangige BP Einfuhrbeschränkungen mit einer einzelfallorientierten Risikobeurteilung zulässt. Die Einführung eines Zulassungsverfahrens durch die N F V O und die anderen EG-Normen wie insbesondere die FreisRL wird dadurch bestätigt. Dies gilt auch für die Kriterien, die im Rahmen des EG-Zulassungsverfahrens für die Risikobeurteilung maßgeblich sind: Wie nach Art. 15 i.V. m. Annex I I I BP beruht auch die Zulassungsprüfung für gentechnisch veränderte Lebensmittel nach der NFVO auf in Artt. 3, 9 N F V O vorgegebenen naturwissenschaftlichen Kriterien, nämlich insbesondere einer Beurteilung der Gefahren für Umwelt und menschliche Gesundheit, wie bereits oben bei dem Vergleich der materiellen Kriterien von N F V O und SPS-Abkommen festgestellt wurde. 1 2 8 2 Das de facto-Moratorium lässt sich dagegen auch nicht durch das BP rechtfertigen: Auch das BP verpflichtet zu einer Risikobeurteilung im Einzelfall. Dem steht der pauschale Verbotscharakter des de facto-Moratoriums entgegen.
(2) Berücksichtigung nichtnaturwissenschaftlicher für die Importentscheidung
Aspekte
Es wird vereinzelt behauptet, ein Widerspruch bestehe zwischen SPS-Abkommen und BP insofern, als Art. 26 BP bei der Entscheidung über die Zulässigkeit eines LMO-Imports auch die Berücksichtigung sozioökonomischer Faktoren gestatte. 1 2 8 3 Dies ist jedoch unzutreffend, denn Art. 26 BP vermeidet ausdrücklich den Wi1281
Vgl. Stoll (siehe oben Fn. 659), S. 113 f.; Bernasconi-Osterwalder
S.713. 1282 1283
Siehe oben S. 169. Vgl. Phillips/Kerr
(siehe oben Fn.801), S.73.
(siehe oben Fn. 654),
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
derspruch zum WTO-Recht durch den Vorbehalt, die Berücksichtigung müsse im Einklang mit sonstigen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten stehen, worunter auch die welthandelrechtlichen Verpflichtungen fallen. 1 2 8 4 Dieser Vorbehalt stand bereits relativ frühzeitig bei der Aushandlung des BP fest 1 2 8 5 Die o b i g e 1 2 8 6 Erkenntnis, die Berücksichtigung nichtnaturwissenschaftlicher Faktoren durch die FreisRL 2001/18/EG und den Kommissionsvorschlag für eine Verordnung für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel sei WTO-konform dahingehend auszulegen, dass die naturwissenschaftliche Absicherung der Zulassungsentscheidung im Sinne einer „vernünftigen Beziehung" zwischen naturwissenschaftlicher Risikobewertung und Zulassungsentscheidung gewahrt bleiben müsse, wird deshalb durch das BP und seinen Gleichrang mit WTO-Recht nicht beeinflusst. Durch den Vorbehalt von Art. 26 BP, die Berücksichtigung sozioökonomischer Faktoren müsse die sonstigen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten respektieren, wird Artt. 2 II, 5 1 SPS-Abkommen Vorrang eingeräumt, in deren Licht die FreisRL 2001/18/EG und der Kommissionsvorschlag auszulegen sind.
(3) Das Vorsorgeprinzip
nach SPS-Abkommen und BP
Zu den umstrittensten Aspekten des BP zählte bereits bei seiner Aushandlung die Frage, in welchem Umfang das BP Einfuhrbeschränkungen auf Grundlage des Vorsorgeprinzips zulassen sollte. 1 2 8 7 Das BP in seiner endgültigen Form enthält das Vorsorgeprinzip zwar nicht begrifflich. Auch der von der Miami-Gruppe favorisierte Begriff des precautionary approach findet sich in der Präambel und Art. 1 BP nur für das dort in Bezug genommene Prinzip 15 der Rio Deklaration für Umwelt und Entw i c k l u n g . 1 2 8 8 Inhaltlich findet sich das Vorsorgeprinzip aber außer in der Präambel und in Art. 1 auch in Artt. 10 V I , 11 V I I I , Annex III. 4 BP wieder, also auch in den für die Entscheidung über die Zulassung eines Imports maßgeblichen Bestimmungen. 1 2 8 9 Teilweise wird behauptet, Artt. 10 V I , 11 V I I I , Annex III. 4 BP seien mit dem SPS-Abkommen unvereinbar. 1290 1284
So auch Stoll (siehe oben Fn. 659), S. 97. Gupta , Advance Informed Agreement: A Shared Basis for Governing Trade in Genetically Modified Organisms? Indiana Journal of Global Legal Studies 2001, S.265ff. (278 f.). 1286 Siehe oben S. 182. 1287 Siehe oben S. 241. 1288 Vgl. zur Terminologie Falkner (siehe oben Fn. 147), S. 309. 1289 Vgl. etwa Art. 10 VI BP: „Lack of scientific certainty due to insufficient relevant scientific information and knowledge regarding the extent of the potential adverse effects of a living modified organism on the conservation and sustainable use of biological diversity in the Party of import, taking also into account risks to human health, shall not prevent that Party from taking a decision, as appropriate, with regard to the import of the living modified organism in question as referred to in paragraph 3 above, in order to avoid or minimize such potential adverse effects." Vgl. zu Detailunterschieden dieser im Rahmen der Entscheidung über die Zulassung von Importen maßgeblichen Definition zu anderen Erwähnungen des Vorsorgeprinzips insbesondere Bernasconi-Osterwalder (siehe oben Fn. 654), S. 705 ff. 1285
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Dabei ist Vergleichsmaßstab hauptsächlich Art. 5 V I I SPS-Abkommen, wonach bei unzureichendem naturwissenschaftlichen Nachweis vorläufige Maßnahmen auf Grundlage der vorhandenen Informationen zulässig sind, der Mitgliedstaat jedoch verpflichtet ist, nach weiterem Beweismaterial zu suchen und die Handelsbeschränkung nach einer angemessenen Zeit zu überprüfen. Bereits erwähnt wurde allerdings, dass der Appellate Body deutlich gemacht hat, Art. 5 V I I SPS-Abkommen erschöpfe den Vorsorgegedanken für das SPS-Abkommen nicht: Insbesondere sei außerhalb von vorläufigen Maßnahmen nach Art. 5 V I I SPS-Abkommen bei der Frage nach der Rechtfertigung für dauerhafte Handelsbeschränkungen zu berücksichtigen, dass bei Gefahren für das menschliche Leben und sonstigen nicht rückgängig zu machenden Gefahren für die menschliche Gesundheit verantwortungsvolle Regierungen gemeinhin aus einer vorsorglichen Haltung heraus handeln. 1 2 9 1 Im Schrifttum wird teilweise behauptet, zwischen den Vorgaben des SPS-Abkommens und des BP für das Vorsorgeprinzip bestehe insofern ein Unterschied, als Artt. 10 V I , 11 V I I I BP ausdrücklich nur bei unzureichenden naturwissenschaftlichen Erkenntnissen über das Ausmaß und nicht etwa über die Qualität der Risiken anwendbar sind. 1 2 9 2 Diese einschränkende Formulierung des BP ist aber unerheblich. Die Risiken von gentechnisch veränderten Organismen wie etwa das der unkontrollierten Ausbreitung von Pestizidresistenzen oder der Beeinträchtigung von Antibiotikatherapien oder der Zunahme von Lebensmittelallergien 1293 sind in ihrer Qualität prinzipiell bekannt. Umstritten und problematisch ist mehr das Ausmaß dieser Risiken. Daher bleibt der auf Unsicherheiten über das Ausmaß beschränkte Wortlaut von Artt. 10 V I , 11 V I I I BP ohne weitere Folgen. Ein relevanter Unterschied besteht dagegen nach Erlass einer auf das Vorsorgeprinzip gestützten Maßnahme. Während Art. 5 V I I S. 2 SPS-Abkommen dazu verpflichtet, zusätzliche Informationen über die Risiken zu suchen und die Maßnahme entsprechend zu überprüfen, enthalten Artt. 12 II, I I I BP lediglich eine Pflicht zur Überprüfung der Entscheidung auf Verlangen des Exportlandes oder Notifizierenden und nur für Importentscheidungen nach Art. 10 BP, also nicht für LMO-FFPs. Oben wurde bereits festgestellt, dass auf den Vorsorgegedanken gestützte Ablehnungsentscheidungen nach der NFVO, vom pauschalen de facto-M oratorium abge1290
Phillips/Kerr (siehe oben Fn. 801), S. 71 f.; Stoll (siehe oben Fn. 659), S. 114ff.; zweifelnd auch Eggers! Mackenzie (siehe oben Fn. 662), S. 539 f.; Grosko, Genetic Engineering and International Law: Conflict or Harmony? An Analysis of the Biosafety Protocol, GATT and the WTO Sanitary and Phytosanitary Agreement, Virginia Environmental Law Journal 2001, S. 295 ff. (321 ff.); zu einer Vereinbarkeit neigt dagegen Bernasconi-Osterwalder (siehe oben Fn.654), S.709. 1291 Vgl. EC - Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body (siehe oben Fn.605), Rn. 123 f. 1292 So Stoll (siehe oben Fn.659), S.98f., 116; sich ihm anschließend McCaffrey , Biotechnology: Some Issues of General International Law, Transnational Lawyer 2001, S.91 ff. (98). 1293 Vgl die Hinweise oben S.22ff. zu den Risiken durch gentechnisch veränderte Lebensmittel.
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3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
sehen, letztlich mit dem SPS-Abkommen konform sind. 1 2 9 4 Die dieser Überlegung zugrunde liegenden Argumente sind auf die Frage übertragbar, ob das Fehlen einer ausdrücklichen Pflicht zur Suche nach Informationen und zur Überprüfung der Maßnahme in den BP-Vorschriften mit dem SPS-Abkommen vereinbar ist: Wo es um Vorsorgemaßnahmen wegen des Risikos endgültiger Schäden für die menschliche Gesundheit geht, muss nach der erwähnten Auffassung des Appellate Body Art. 5 V I I SPS-Abkommen nicht angewandt werden, so dass dort die Unterschiede zu Artt. 10 V I , 11 V I I I BP unerheblich sind. 1 2 9 5 Ansonsten verlieren die Unterschiede an Bedeutung, sofern die Vorsorgemaßnahme getroffen wurde, weil der Antragsteller ihm vorliegende Erkenntnisse nicht mitgeteilt hat: Das BP ermöglicht in Art. 12 BP das Nachreichen zur Überprüfung der Entscheidung, worin ein effizientes Suchen dieser Informationen liegt. 1 2 9 6 Schwerer zu beseitigende Unterschiede zwischen BP und SPS-Abkommen verbleiben hingegen, soweit die Vorsorgemaßnahme nicht auf unzureichender Information durch den Antragsteller, sondern auf dem begrenzten naturwissenschaftlichen Kenntnisstand basiert, und hinsichtlich LMO-FFPs, für die ja Art. 12 BP nicht gilt. Während oben der offene Wortlaut der N F V O WTO-konform ausgelegt werden musste, bietet der Wortlaut von Art. 10 V I , 11 V I I I BP sogar einen Anhaltspunkt, um diese Kluft zu überbrücken: Er ermächtigt ausdrücklich zu vorsorglichem Handeln nur, wie es angemessen i s t . 1 2 9 7 Ferner verlangt Art. 16 I I BP, dass Maßnahmen nur im notwendigen Maße getroffen werden, was auch zeitlich zu verstehen ist. Wegen des von den Mitgliedern in der Präambel betonten mutual support von Umwelt- und Handelsabkommen und wegen der Notwendigkeitsschranke sind Artt. 10 V I und 11 V I I I BP so auszulegen, dass für alle LMOs, also auch für LMO-FFPs, vorsorgliche Handelsschranken nur „angemessen" sind, wenn der Mitgliedstaat stets den sich fortentwickelnden naturwissenschaftlichen Kenntnisstand auch für bereits getroffene vorsorgliche Maßnahmen beachtet. Wenn neue Erkenntnisse die Sicherheit eines L M O bestätigen, ist wegen der Notwendigkeitsschwelle das Ermessen zur Überprüfung und Abänderung von Handelsbeschränkungen nach Art. 121 BP auf N u l l reduziert. Aus dem auf diese Weise hergestellten mutual support zwischen dem Vorsorgeprinzip nach dem BP und dem SPS-Abkommen lassen sich im Ergebnis keine Folgen für die EG-Zulassungsregeln herleiten, da wegen ihres offenen Wortlautes auch die Bestimmungen des BP dergestalt WTO-konform zu interpretieren sind, dass sie im Ergebnis der Ermächtigung zur vorsorglichen Ablehnung einer Produktzulassung nach Artt. 3, 9 N F V O entsprechen. Immerhin lässt sich erneut zugunsten der EG-Regeln der allgemeine Gedanke anbringen, dass wie die NFVO auch das BP als ein mit dem SPS-Abkommen gleichrangiges Abkommen dem Vorsorgegedanken prinzipiell Rechnung trägt. ι 2 9 4 Siehe oben S. 175 ff. Bernasconi-Osterwalder (siehe oben Fn. 654), S.709. 1296 Vgl. Howse/Mavroidis (siehe oben Fn.631), S.368f. 1297 „...shall not prevent that Party from taking a decision, as appropriate ,...", „...de prendre comme il convieni une décision..." (Hervorhebungen vom Verf.). 1295
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c) Die einheitliche Auslegung der Regelungen über Einfuhrbeschränkungen durch das BP mit Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen Oben wurde festgestellt, dass die am SPS-Abkommen zu messende Zulassungspflicht der EG den Anforderungen des produktbezogenen Diskriminierungsverbotes in Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen genügt. Zusätzliche Argumente für diese Annahme könnten sich daraus ergeben, dass auch das BP die in seinen Anwendungsbereich fallenden gentechnisch veränderten Organismen besonders behandelt und mit den WTO-Abkommen zu einem einheitlichen Ergebnis auszulegen ist. Zwar verstößt das BP entgegen Äußerungen der Literatur 1 2 9 8 nicht gegen das alte und nach den obigen 1 2 9 9 Ausführungen in seiner Weite obsolete Dogma vom Verbot rein verfahrensbezogener Handelsbeschränkungen: Die Anknüpfung nicht an gentechnische Verfahren, sondern an das Vorhandensein von L M O s betrifft einen i m Endprodukt nachweisbaren Unterschied. Diese Anknüpfung und die damit verbundene Sonderbehandlung von L M O s müssen jedoch in Einklang gebracht werden mit dem nicht an Unterschieden schlechthin, sondern an wertungsmäßigen Unterschieden orientierten Diskriminierungsverbot der Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen, denn oben wurde ausgeführt, dass nach heute mehrheitlicher Auffassung Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Organismen nicht prinzipiell gefährlicher sind als konventionell hergestellte Neuentwicklungen, 1 3 0 0 und für diese sieht weder das BP noch ein anderes internationales Abkommen vergleichbare Handelsbeschränkungen vor. Aus ähnlichen Gründen wie oben bei der Prüfung der Zulassungspflicht der EG ist die Sonderbehandlung von L M O s durch das BP mit Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen vereinbar: L M O s und herkömmliche Neuzüchtungen sind zwar prinzipiell vergleichbar, da dafür ausreicht, wenn das Risiko einer ähnlichen Krankheit besteht. 1301 Die unterschiedliche Behandlung ist allerdings nicht willkürlich oder ungerechtfertigt, weil insgesamt L M O s dadurch als gefährlicher erscheinen, dass einige Naturwissenschaftler sie für grundsätzlich gefährlicher halten. 1 3 0 2 Außerdem scheitert ein Verstoß gegen Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen durch das BP am Fehlen einer Diskriminierung oder versteckten Handelsbeschränkung, weil die Mitgliedstaaten zum Schutze von Artenvielfalt und menschlicher Gesundheit handeln, was i m Vertragstext des BP insbesondere in der Präambel und den materiellen Risikokriterien deutlich zum Ausdruck kommt. Daher harmonieren Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen und das BP miteinander, ohne dass das SPS-Abkommen anders auszulegen wäre als oben bei der Prüfung der EGZulassungspflicht. Eines der Argumente zugunsten des BP ist immerhin als zusätzlicher Rechtfertigungsgrund auch für die EG-Zulassungspflicht und ihre Vereinbar1298 1299 1300 1301 1302
So Phillips!Kerr (siehe oben Fn. 801), S. 70; ähnlich Adler (siehe oben Fn. 56), S. 187. Siehe oben S. 194ff. Vgl. die Nachweise oben Fn.43. Siehe oben S. 189. Siehe oben S. 189 ff.
272
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
keit mit Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen nutzbar: Dass die Mitgliedstaaten des BP ausdrücklich nicht aus protektionistischen Erwägungen gegenüber Nichtmitgliedstaaten, sondern zum Umwelt- und Gesundheitsschutz und zur Vermeidung von Verbraucherängsten handeln, ist ein weiteres Indiz dafür, dass auch die Zulassungspflicht der EG nicht auf protektionistischen Motiven beruht. Diese Indizfunktion des BP ist dabei nach den obigen Feststellungen nicht nur i m Verhältnis zwischen den Mitgliedern des BP anwendbar, sondern wäre auch in einem WTO-Streitschlichtungsverfahren zwischen USA und EG einschlägig. A u f BP-Mitglieder beschränkt ist dagegen erneut die allgemeine Überlegung, dass die Sonderbehandlung gentechnisch veränderter Lebensmittel durch die EG jedenfalls für den Bereich der gentechnisch veränderten Organismen insofern durch das BP untermauert wird, als auch das mit den WTO-Abkommen gleichrangige BP eine Sonderbehandlung von L M O s vorsieht.
d) Die einheitliche Auslegung der Dokumentationsvorschriften mit Art. 21 TBT-Abkommen
des BP
Da die Dokumentationsregeln nach Art. 18 I I BP keinen direkten Bezug zur Lebensmittelsicherheit haben, fallen sie genauso unter das TBT-Abkommen, wie oben für die Dokumentationsregeln der geplanten R K V O festgestellt wurde. 1 3 0 3 Es wird bezweifelt, dass die Dokumentationsregeln des BP mit dem TBT-Abkommen vereinbar sind. 1 3 0 4 I m Hinblick auf Art. 21 TBT-Abkommen stellt sich zunächst die Frage, inwieweit die Sonderbehandlung von L M O s durch das BP mit dem Verbot der Schlechterbehandlung von like products zu vereinbaren ist: Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit von L M O s und herkömmlichen Neuzüchtungen ist ähnlich wie oben bei der Prüfung der EG-Kennzeichnungspflicht im Hinblick auf das Kriterium der naturwissenschaftlichen Ähnlichkeit festzustellen, dass jedenfalls in den Fällen, in denen die gleiche Eigenschaft wie etwa eine Pestizidresistenz nicht auch mit herkömmlichen Verfahren hätte erreicht werden können, ein über die gentechnische Veränderung als solche hinausgehender naturwissenschaftlicher Unterschied besteht. Was die naturwissenschaftlichen Produktrisiken angeht, besteht angesichts des Streits um die von L M O s im Vergleich zu herkömmlich hergestellten Neuzüchtungen ausgehenden Risiken 1 3 0 5 und auf der Argumentation des Appellate Body zu naturwissenschaftlichen Mindermeinungen als Risikofaktor aufbauend auch insofern ein naturwissenschaftlicher Unterschied, denn die Zulassungsvorschriften des BP bieten keine Garantie für eine im gleichem Maße risikovermeidende Zulassungsentscheidung der BP-Mitglieder wie die EG-Normen. Für das zweite like product- Kriterium der Nutzungs1303 So auch Eggers! Mackenzie (siehe oben Fn. 662), S. 536; Bernasconi-Osterwalder oben Fn.654), S.704. 1304 PhillipslKerr (siehe oben Fn. 801 ), S. 73 f. 1305 Siehe oben Fn.43.
(siehe
Η. Der Einfluss des Biosafety Protocol
273
Möglichkeiten gilt ähnlich wie oben, dass prinzipiell zwar auch gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere etwa dem Anbau, der Zucht oder dem Verzehr dienen, aber die Nutzungsmöglichkeiten unterschiedlich sind, wenn die gleiche Modifikation nicht konventionell hätte erreicht werden können. Entscheidend zur Bewertung dieser Unterschiede ist wie oben bei der Prüfung der EG-Kennzeichnungsvorschriften das dritte Kriterium der Verbraucher Präferenzen. Die Beurteilung von L M O s im Lebensmittelbereich durch die Verbraucher ist international nicht einheitlich, teilweise gibt es eine erhebliche Skepsis. 1 3 0 6 Zusätzlich lässt sich das BP selbst verwerten: Bereits in der Präambel erwähnt es die wachsenden Verbraucherängste im Zusammenhang mit L M O s 1 3 0 7 und ist somit internationaler Ausdruck von Verbraucherbedenken gegenüber LMOs. Eine Gesamtwürdigung spricht daher wie oben bei den von den EG-Kennzeichnungsregeln erfassten Produkten gegen eine Beurteilung von L M O s und nach herkömmlichen Verfahren hergestellten Neuzüchtungen als like products , so dass auch Art. 21 TBT-Abkommen und das BP miteinander harmonieren. Die dieser Schlussfolgerung zugrunde liegenden Argumente gleichen denen oben bei der Prüfung der EG-Kennzeichnungsregeln. Dies gilt zwar nicht für die Annahme, das BP sei internationaler Ausdruck von Verbraucherbedenken. Dieser Gedanke ist aber nicht auf die EG-Vorschriften übertragbar, weil dort festgestellt wurde, dass zur Beurteilung der Verbraucherpräferenzen auf den jeweiligen Verbraucher abzustellen ist, dort also nur auf den EG-Verbraucher. Erneut wird aber die Annahme einer Vereinbarkeit der EG-Kennzeichnungsvorschriften mit Art. 21 TBT-Abkommen zumindest i m Hinblick auf eine Kennzeichnung gentechnisch veränderter Organismen dadurch gefestigt, dass auch das i m Gleichrang mit WTO-Recht stehende BP für L M O s besondere Dokumentationspflichten konstituiert.
e) Die einheitliche Auslegung der Dokumentationsvorschriften mit Art. 2 II TBT-Abkommen
des BP
U m den mutual support zwischen den Vorgaben von Art. 2 I I TBT-Abkommen, wonach technische Vorschriften einem legitimen Ziel dienen müssen und den Handel nicht mehr als notwendig einschränken dürfen, und Art. 18 BP zu begründen, sind ähnliche Erwägungen einschlägig, aufgrund derer oben eine Vereinbarkeit der EG-Kennzeichnungsvorschriften mit Art. 2 I I TBT-Abkommen angenommen wurde: Aus dem ausdrücklich nicht enumerativen Katalog legitimer Ziele in Art. 2 I I TBT-Abkommen ist erneut die Verhinderung irreführender Praktiken anwendbar, weil Täuschung und Schädigung nicht notwendig miteinander zusammenhängen und das tatsächliche Risikopotential von L M O s für die Frage des Täuschungsschutzes daher irrelevant ist. Wegen der tatsächlich verbreiteten und in der Präambel des 1306 1307
18 Stökl
Vgl. dazu ausführlich oben S. 215 ff. „...and the growing public concern over its potential adverse effects ..."
274
3. Teil: Vereinbarkeit des EG-Rechts mit dem WTO-Recht
BP erwähnten Skepsis nicht nur europäischer Verbraucher gegenüber L M O s i m Lebensmittelbereich, die mit einer entsprechenden Erwartungshaltung verknüpft ist, ist der Täuschungsschutz einschlägig. 1 3 0 8 I m Hinblick auf die Notwendigkeitsschwelle ist ähnlich wie für die mit einem Zulassungsverfahren kombinierten EG-Kennzeichnungsregeln zunächst festzustellen, dass die Dokumentationspflicht erforderlich ist, obwohl das BP die Mitgliedstaaten ermächtigt, den Import von L M O s nach der Risikobeurteilung zu verbieten: Bestimmten vom BP geschützten Anliegen wird ein Zulassungsverfahren alleine nicht gerecht. Etwa der Gesundheitsschutz von Allergikern verlangt für zugelassene Produkte eine Kennzeichnung, die mittelbar durch die Dokumentationsregeln des BP ermöglicht wird. Ebenso wird den in der Präambel des BP erwähnten Verbraucherbedenken durch das Zulassungsverfahren nur eingeschränkt Rechnung getragen, da dieses eine andere Risikobewertung als Grundlage haben kann als die Verbraucherbedenken. Auch eine Negativdokumentation wäre ähnlich wie die Negativkennzeichnung keine gleichermaßen effektive und damit keine relevante Alternative, da L M O s noch nicht den Normalfall i m internationalen Handel mit Agrarprodukten darstellen, 1 3 0 9 so dass es einer übersichtlichen und effektiven Information abträglich wäre, nur auf die Abwesenheit von L M O s hinzuweisen. Auch die Dokumentationsregeln des BP sind daher mit dem TBT-Abkommen vereinbar. Erneut erfahren die EG-Kennzeichnungsvorschriften durch das mit dem TBT-Abkommen gleichrangige BP insoweit Unterstützung, als sie die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Organismen verlangen. Dass das BP seinerseits bei den Dokumentationsanforderungen differenziert und teilweise eine Kann-Kennzeichnung ausreichen lässt, 1 3 1 0 während die Kann-Kennzeichnung unter der N F V O praktisch keine Rolle mehr spielt, ist unschädlich, weil nach den obigen Erkenntnissen eine Kann-Kennzeichnung zur Verbraucherinformation weniger effektiv und daher keine zwingende Alternative ist. Resümierend lässt sich für den Einfluss des BP auf die EG-Handelsbeschränkungen feststellen, dass i m Verhältnis zwischen Staaten, die sowohl Mitglieder des BP als auch der WTO-Abkommen sind, BP und WTO-Recht wegen des Gleichranges ab Inkrafttreten des BP zu einem einheitlichen Ergebnis ausgelegt werden müssen. Zumindest soweit das BP die Möglichkeit von Zulassungsbeschränkungen und eine Pflicht zur Produktdokumentation vorsieht, lassen sich die Regeln des BP mit denen des WTO-Rechts durch eine solche Auslegung auch in Einklang bringen. Dadurch erfahren die EG-Handelsbeschränkungen, die ohnehin - vom de facto-Moratorium abgesehen - WTO-konform sind, Unterstützung wegen des Gleichranges zwischen 1308
Siehe oben S. 225 ff. zur entsprechenden Argumentation für die EG-Kennzeichnungs-
pflicht. 1309
36% der Weltsojaerzeugung des Jahres 2000 entfallen auf gentechnisch veränderte Pflanzen, bei Baumwolle sind es 16 %, bei Raps 11 %, bei Mais 7 % (Zahlen nach Verbraucherinitiative Transgen, http://www.transgen.de). 1310 Sehr kritisch hierzu Buechle (siehe oben Fn. 1053), S. 306ff.
Η. Der Einfluss des Biosafety Protocol
275
BP und WTO-Recht. Dieser Gedanke gilt nicht für das Verhältnis zwischen W T O Mitgliedern, die nicht auch Mitglieder des BP sind. Auch insofern besitzt das BP immerhin Beweisfunktion für die Motivation der EG-Handelsbeschränkungen und die von der EG unternommenen Versuche, den Handel mit gentechnisch veränderten Organismen und Lebensmitteln einer multilateralen Lösung zu unterstellen.
4. Teil
Zusammenfassung A u f europäischer Ebene ist nach anfänglichen Wechseln in der Ausrichtung der Politik für gentechnisch veränderte Lebensmittel festzustellen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber seit einigen Jahren die Beschränkungen für das Inverkehrbringen zunehmend verschärft. Kernstück des EG-Normensystems ist gegenwärtig die NFVO, die als vertikale Spezialvorschrift zur alten horizontalen FreisRL 90/220/EWG über den Bereich der gentechnisch veränderten Organismen hinaus ein Zulassungsverfahren und Kennzeichnungsregeln auch für Derivativprodukte und einige andere neuartige Lebensmittel einführt. Die Kennzeichnungsvorschriften der N F V O werden ergänzt durch vertikale Sondervorschriften für Bt-Mais und RR-Soja und für Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Zusatzstoffen und Aromen. Die neue FreisRL 2001/18/EG hebt die FreisRL 90/220/EWG am 17.10.2002 auf. Von diesen geltenden Vorschriften abgesehen, hat die Kommission i m Juli 2001 zwei Verordnungsvorschläge vorgelegt. Der eine soll die Zulassung und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel aus der N F V O herausnehmen und gesondert regeln, der andere betrifft die RückVerfolgbarkeit und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Organismen als Ergänzung zur FreisRL 2001/18/EG und die Rückverfolgbarkeit auch gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel. Die Zulassungsvorschriften sind als Grundentscheidung des EG-Gesetzgebers für naturwissenschaftlich nicht eindeutig zu bewertende Risikosituationen vom Vorsorgeprinzip geprägt. Insbesondere ist der Gefahrenbegriff des Art. 3 1 1 . SpStr. N F V O weit auszulegen. Verfahrensmäßig entspricht dieser vorsichtigen Grundhaltung, dass die augenblickliche Zweiteilung des Zulassungsverfahrens in ein Genehmigungsverfahren und ein Anzeigeverfahren für konventionellen Lebensmitteln im Wesentlichen gleichwertige Produkte nach dem Kommissionsvorschlag zukünftig zugunsten eines einheitlichen Genehmigungsverfahrens aufgehoben werden soll. Eine zweite Hauptbesonderheit der Zulassungsregeln ist, dass nach der FreisRL 2001/18/EG für den Bereich gentechnisch veränderter Organismen und durch den Verordnungsverschlag zur Neuregelung der Produktzulassung gentechnisch veränderter Lebensmittel auch für Derivativprodukte außer der naturwissenschaftlichen Risikobewertung ausdrücklich auch andere legitime Faktoren wie etwa ethische Aspekte beachtlich werden. Für die gegenwärtige Zulassungspraxis ist entscheidend, dass wegen des auf der ablehnenden Haltung einiger Mitgliedstaaten beruhenden de facto-Moratoriums keine Genehmigungen für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen oder Lebensmittel erteilt werden.
4. Teil: Zusammenfassung
277
Während die EG durch die Vorschriften zur Zulassung versucht, den Unwägbarkeiten für die menschliche Gesundheit und die Umwelt Rechnung zu tragen, huldigen die Kennzeichnungsvorschriften hauptsächlich einem vom europäischen Gesetzgeber anerkannten Recht des Verbrauchers auf Information unabhängig von dem i m Zulassungs verfahren untersuchten Gefahrenpotential. Diesem Gedanken entsprechend soll nach dem Kommissionsvorschlag künftig zusätzlich zur Kennzeichnung nachweisbarer Veränderungen i m Endprodukt eine verfahrensspezifische Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel gelten. Die Zulassungs- und Kennzeichnungsregeln werden ergänzt durch Nebenpflichten: Die FreisRL 2001/18/EG sieht wie der Kommissionsvorschlag eine Produktbeobachtungspflicht vor. Außerdem soll nach dem Willen der Kommission auch für gentechnisch veränderte Lebensmittel eine Dokumentationspflicht gelten, um die Durchsetzung der Kennzeichnungs- und Beobachtungspflichten und gegebenenfalls die Produktrücknahme vom Markt zu erleichtern. Diese Nebenpflichten sollen das System der EG-Normen auch deshalb verschärfen, damit die betreffenden Mitgliedstaaten von ihrer Politik des de facto-Moratoriums Abstand nehmen. Bei der Antwort auf die Frage, ob dieses Konzept der EG zur Lösung des eingangs 1 3 1 1 erwähnten polygonalen Interessenkonfliktes auf der WTO-Ebene mit den welthandelsrechtlichen Anforderungen vereinbar ist, ist zunächst bedeutsam, dass das für die Zulassungspflicht einschlägige SPS-Abkommen und das für die Kennzeichnungsregeln im Wesentlichen anwendbare TBT-Abkommen zwar die W T O Konformität von Handelsbeschränkungen erleichtern, wenn sich diese an internationalen Standards orientieren. Bislang gibt es jedoch lediglich im ohnehin kaum umstrittenen Bereich der allergiespezifischen Kennzeichnung einen solchen Standard. Bei verschiedenen Organisationen, insbesondere i m Rahmen des Codex Alimentarius, laufen weitere Projekte zur Ausarbeitung internationaler Standards. Hierbei ist für Zulassungsvorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel hauptsächlich umstritten, inwieweit das Vorsorgeprinzip als Hauptpfeiler der EG-Zulassungsregeln Aufnahme in diese Standards finden soll. I m Hinblick auf Kennzeichnungs Vorschriften ist auch mittelfristig kaum absehbar, ob sich die Grundsätze der EG-Regeln wie insbesondere das Recht des Verbrauchers auf Information bei den Verhandlungen durchsetzen werden. Auch nach gegenwärtiger Rechtslage sind die EG-Zulassungsregeln jedoch WTO-konform: Die Einführung eines Prüfverfahrens für gentechnisch veränderte Lebensmittel ist auf Grundlage des SPS-Abkommens grundsätzlich relativ unproblematisch, was auch daran zu erkennen ist, dass normalerweise etwa auch in den USA gentechnisch veränderte Lebensmittel vor ihrem Inverkehrbringen behördlich auf Umwelt- und Gesundheitsrisiken untersucht werden, obwohl diese Produkte dort insgesamt erheblich geringeren Restriktionen ausgesetzt sind. Darüber hinaus lässt sich aber unter Berücksichtigung der Entscheidungen von WTO-Panels und 13,1
Siehe dazu oben S. 15.
278
4. Teil: Zusammenfassung
Appellate Body nicht zuletzt i m Hormonfall auch die konkrete Ausgestaltung der EG-Zulassungsvorschriften welthandelsrechtlich rechtfertigen, gerade auch die Auslegung der materiellen Zulassungskriterien i m Sinne des Vorsorgeprinzips. Dabei ist die Beachtlichkeit auch nichtnaturwissenschaftlicher Aspekte bei der Zulassungsentscheidung nach der FreisRL 2001/18/EG, die die Kommission auch für Derivativprodukte einführen möchte, WTO-konform dahingehend auszulegen, dass eine „vernünftige Beziehung" zwischen naturwissenschaftlicher Risikobeurteilung und Zulassungsentscheidung stets gewahrt bleiben muss. Nicht vom SPS-Abkommen gedeckt ist das de facto-M oratorium, das die Zulassungspflicht in ein pauschales Quasi-Verbot transformiert. Bei der Rechtfertigung der EG-Kennzeichnungsregeln nach dem TBT-Abkommen ist entscheidend, dass das Recht des Verbrauchers auf Information als Fundament der EG-Normen zwar nicht ausdrücklich i m TBT-Abkommen anerkannt ist. Jedoch ist bei der Beurteilung von like products i m Rahmen des Diskriminierungsverbotes die weitgehende Ablehnung gentechnisch veränderter Lebensmittel durch den EG-Verbraucher maßgebliches Unterscheidungskriterium. Dies gilt auch für eine deutlicher verfahrensbezogene Kennzeichnung, wie sie die Kommission anstrebt. Über die Kategorie der Vermeidung irreführender Praktiken ist der von objektiven Umwelt- und Gesundheitsgefahren unabhängige Wunsch des europäischen Verbrauchers nach Information, der mit der Erwartung verknüpft ist, nicht entsprechend gekennzeichnete Lebensmittel seien normalerweise auch nicht gentechnisch verändert, auch ein legitimes Ziel i. S. d. TBT-Abkommens, das nur durch die EGKennzeichnungsregeln in gleichem Maße effizient verwirklicht werden kann. Als Konsequenz zur WTO-Konformität von Zulassungs- und Kennzeichnungsregeln genügen auch die Vorschriften über die Produktbeobachtung und die geplante Dokumentationspflicht den welthandelsrechtlichen Erfordernissen, weil sie die Grundgedanken der übrigen EG-Vorschriften lediglich aufnehmen und ihre Realisierbarkeit gewährleisten. Was das außerhalb des WTO-Rahmens abgeschlossene Biosafety Protocol betrifft, so ist sein Verhältnis zu den WTO-Abkommen unter Beachtung der Konkurrenzregel in der Präambel des BP, der einschlägigen Normen der W V R K und der Berichte von WTO-Panels und Appellate Body als maßgeblichen Kautelen dahingehend zu lösen, dass das BP und die WTO-Abkommen gleichrangig sind und ihre Vorschriften ab Inkrafttreten des BP gegenüber solchen Staaten zu einem einheitlichen Ergebnis ausgelegt werden müssen, die sowohl Mitglieder der W T O als auch des BP sind. Dies betrifft außer der EG etwa Kanada als ein Exportland für gentechnisch veränderte Pflanzen, wenn Kanada das BP ratifiziert. Die nach der hier vertretenen Auffassung ohnehin WTO-konformen EG-Normen erfahren dadurch insoweit zusätzliche Unterstützung, als sie wie das BP den Handel mit gentechnisch veränderten Organismen betreffen, weil auch das mit den WTO-Abkommen gleichrangige BP die EG-Zulassungsregeln und indirekt auch die Kennzeichnungsregeln autorisiert. Das de facto-M oratorium wird dagegen auch nicht durch das BP gerechtfer-
4. Teil: Zusammenfassung
279
tigt. I m Verhältnis zu Staaten, die wie die USA als Hauptexporteur gentechnisch veränderter Organismen nicht Mitglied des BP sind, hat das BP lediglich Beweisfunktion - insbesondere wird so durch das BP als weiteres Indiz die Erkenntnis untermauert, dass die EG-Zulassungsregeln das Diskriminierungsverbot der Artt. 2 III, 5 V SPS-Abkommen nicht verletzen. Welche Reglementierung gentechnisch veränderter Lebensmittel politisch opportun ist, war im Rahmen dieser Arbeit nicht zu diskutieren und wäre ohnehin angesichts der Vielzahl naturwissenschaftlicher, ökonomischer, sozialer, ethischer, juristischer und sonstiger Implikationen auch nicht für alle am welthandelsrechtlichen System beteiligten Staaten einheitlich zu beantworten. Die juristische Analyse der Antwort durch den EG-Gesetzgeber und ihrer Vereinbarkeit mit den WTO-Abkommen demonstriert jedoch, dass eine betont vorsichtige und am Informationswunsch des Verbrauchers orientierte Politik durchaus den welthandelsrechtlichen Anforderungen genügen kann. Damit ist das Ergebnis dieser Arbeit ein weiteres Beispiel dafür, dass das WTO-System keineswegs einseitig Freihandelsinteressen dient. Dies ist einerseits von Bedeutung für die normative Ausgestaltung anderer Rechtsfragen in der EG auch über den Bereich des Lebensmittelrechts hinaus. Andererseits ergibt sich daraus, dass sich in bestimmten Fällen die tatsächliche Bedeutung von internationalen Abkommen, die außerhalb des WTO-Rahmens zur Wahrung von Verbraucherinteressen geschlossen werden, darin erschöpfen kann, die welthandelsrechtliche Beurteilung von Handelsbeschränkungen zu bestätigen.
Anhang: Tabellarischer Überblick über die Hauptvorschriften des europäischen Sekundärrechts für den Handel mit gentechnisch modifizierten Lebensmitteln (in chronologischer
Reihenfolge)
1. FreisRL 90/220/EWG - Amtliche Bezeichnung: Richtlinie 90/220/EWG des Rates vom 23. April 1990 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt - Wesentlicher Inhalt: - Einführung einer Zulassungspflicht veränderter Organismen
für Freisetzung und Inverkehrbringen gentechnisch
- und einer Pflicht zur gentechnikspezifischen Kennzeichnung (die nach Auslegung der Kommission nur bei Sicherheitsbedenken gilt) - Quelle: http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc7smartapi !celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg= DE&numdoc=390L0220&model=guichett
2. NFVO - Amtliche Bezeichnung: Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten - Wesentlicher Inhalt: - speziell zur FreisRL 90/220/EWG - Zulassungspflicht
für neuartige Lebensmittel
- Kennzeichnungspflicht
für bestimmte neuartige Lebensmittel
- Quelle: http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg= DE&numdoc=397R0258&model=guichett
Anhang
281
3. RL 97/35/EG - Amtliche Bezeichnung: Richtlinie 97/35/EG der Kommission vom 18. Juni 1997 zur zweiten Anpassung der Richtlinie 90/220/EWG über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt an den technischen Fortschritt - Wesentlicher Inhalt: Einführung einer generellen gentechnikspezifischen Kennzeichnungspflicht auch im Anwendungsbereich der FreisRL 9012201EWG - Quelle: http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg= DE&numdoc=397L0035&model=guichett
4. VO 1813/97/EG - Amtliche Bezeichnung: Verordnung (EG) Nr. 1813/97 der Kommission vom 19. September 1997 über Angaben, die zusätzlich zu den in der Richtlinie 79/112/EWG des Rates aufgeführten Angaben auf dem Etikett bestimmter aus genetisch veränderten Organismen hergestellter Lebensmittel vorgeschrieben sind - Wesentlicher Inhalt: Übertragung der Kenzeichnungspflicht der NFVO auf Erzeugnisse aus vor Inkrafttreten der NFVO bereits genehmigtem Bt-Mais und RR-Soja
5. VO 1139/98/EG - Amtliche Bezeichnung: Verordnung (EG) Nr. 1139/98 des Rates vom 26. Mai 1998 über Angaben, die zusätzlich zu den in der Richtlinie 79/112/EWG aufgeführten Angaben bei der Etikettierung bestimmter aus genetisch veränderten Organismen hergestellter Lebensmittel vorgeschrieben sind - Wesentlicher Inhalt: Präzisierung der Kennzeichnungspflicht für Produkte aus Bt-Mais und RR-Soja: Einführung von Kriterien für Nichtgleichwertigkeit und Vorgaben für Formulierung und Platzierung - Quelle: http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg= DE&numdoc=398R 1139&model=guichett
6. VO 49/2000/EG - Amtliche Bezeichnung: Verordnung (EG) Nr. 49/2000 der Kommission vom 10. Januar 2000 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1139/98 des Rates über Angaben, die zusätzlich zu den in der Richtlinie 79/112/EWG aufgeführten Angaben bei der Etikettierung bestimmter aus genetisch veränderten Organismen hergestellter Lebensmittel vorgeschrieben sind - Wesentlicher Inhalt: Präzisierung der Kennzeichnungspflicht für Produkte aus Bt-Mais und RR-Soja: Einführung eines Schwellenwertes für zufällige, geringfügige Kontaminationen
Anhang
282
- Quelle: http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg= DE&numdoc=300R0049&model=guichett
7. VO 50/2000/EG - Amtliche Bezeichnung: Verordnung (EG) Nr. 50/2000 der Kommission vom 10. Januar 2000 über die Etikettierung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten, die genetisch veränderte oder aus genetisch veränderten Organismen hergestellte Zusatzstoffe und Aromen enthalten - Wesentlicher Inhalt: Einführung einer gentechnikspezifischen Kennzeichnungspflicht nicht von der NFVO erfasste Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Zusatzstoffen und Aromen
für
- Quelle: http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg= DE&numdoc=300R0050&model=guichett
8. FreisRL 2001/18/EG - Amtliche Bezeichnung: Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates - Erklärung der Kommission - Wesentlicher Inhalt: - Beachtlichkeit auch nichtnaturwissenschaftlicher dung
Aspekte bei der Zulassungsentschei-
- Einführung von Produktbeobachtungspflichten - Quelle: http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc7smartapi ! celexapi! prod !CELEXnumdoc&lg= de&numdoc=32001 LOO 18&model=guichett
9. KOM (2001) 425 endg. - Amtliche Bezeichnung: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel - Wesentlicher Inhalt: - Herauslösung der Zulassung und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel aus der NFVO - Wegfall des Anzeigeverfahrens - zusätzlich allgemeine verfahrensspezifische
Kennzeichnung
- Quelle: http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/pdf/2001/de_501PC0425.pdf
Anhang
283
10. KOM (2001) 182 endg. - Amtliche Bezeichnung: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die RückVerfolgbarkeit und Kennzeichnung genetisch veränderter Organismen und über die RückVerfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln sowie zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG - Wesentlicher Inhalt: Einführung von Dokumentationsvorschriften gen Beteiligten
für die am Inverkehrbrin-
- Quelle: http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/pdf/200 l/de_501 PCO 182.pdf
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averzeichnis AIA-Verfahren 243 Allensbach-Studie 217 allergiebezogene Kennzeichnung - nach NFVO 92 - Rechtfertigung nach SPS-Abkommen 204 - Subsumtion unter SPS-Abkommen 137 Aromen 99 Bereichsausnahme 60 Bestimmtheitsgrundsatz 47 Bestrahlung von Lebensmitteln 58 Biosafety Protocol 237 - Anwendungsbereich 243 - Dokumentationspflichten 245 - Einfuhrbeschränkungen 243 - Entstehung und Inhalt 238 - Streitschlichtung 246 - Verhältnis zum WTO-Recht 246 - Vorsorgeprinzip 268 - Zielsetzungen 242 Biotechnologie - Begriff 17 Bt-Mais - Sondervorschriften 37, 97 CBD siehe Convention on Biological Diversity Codex Ad Hoc Intergovernmental Task Force on Foods Derived From Biotechnology 156 Codex Alimentarius Kommission 150 Codex Committee on Food Labelling 205, 209 Codex Committee on General Principles 156 Committee on Trade and Environment, CTE 122 Convention on Biological Diversity 238 Coordinated Framework for Regulation of Biotechnology 116
CTE siehe Committee on Trade and Environment de facto-Moratorium - Begriff 109 - Rechtfertigung nach SPS-Abkommen 186 Dispute Settlement Understanding 128 Dokumentationspflicht siehe Rtickverfolgbarkeit DSU siehe Dispute Settlement Understanding Empfehlung 97/618/EG 59, 66 Entstehungsgeschichte der EG-Vorschriften 27 Environmental Protection Agency 119 Enzyme 59,62,224 EPA siehe Environmental Protection Agency ernährungsphysiologische Relevanz 88 ethische Vorbehalte 94 Eurobarometer-Umfrage 216 FDA siehe Food and Drug Administration Food and Drug Administration (FDA) 116 Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG 105 - Anwendungsbereich 105 - Kennzeichnungspflicht 108 - Produktbeobachtungspflichten 109 - ratio legis 106 - Zulassungspflicht 107 Freisetzungsrichtlinie 90/220/EWG 105 - Anwendungsbereich 105 - Entstehungsgeschichte 29 - Kennzeichnungspflicht 108 - ratio legis 106 - Zulassungspflicht 107 GATT 123 gegenseitige Anerkennung 202
302
averzeichnis
Gentechnik - Begriff 18 gentechnisch veränderte Lebensmittel - Begriff 19 - Chancen 20 - Risiken 22 - Verständnis nach der NFVO 56 gentechnisch veränderter Organismus - Begriff 18 horizontaler Ansatz 30 ims and effects-Test 211 individuelle Unverträglichkeiten, Kennzeichnung siehe allergiebezogene Kennzeichnung Informationsrecht 41 Inländergleichbehandlung 210 International Office of Epizootics (IOE) 154 International Plant Protection Convention 153 Inverkehrbringen 59 IOE siehe International Office of Epizootics IPPC siehe International Plant Protection Convention Joint FAO/WHO Expert Consultation on Foods Derived from Biotechnology 158 Kann-Kennzeichnung 91 Kennzeichnungspflicht - nach FreisRL 108 - nach KOM (2001) 425 endg. 103 - nach VO 1139/98/EG und 49/2000/EG 98 - nach VO 50/2000/EG 100 - Rechtfertigung nach SPS-Abkommen 204 - Rechtfertigung nach TBT-Abkommen 209 - Subsumtion unter SPS- und TBT-Abkommen 137 KOM 182 endg. 110 KOM 425 endg. 101 - Anwendungsbereich 101 - Kennzeichnungspflicht 103 - Zulassungspflicht 102
Konferenz für Umwelt und Entwicklung 122 Lebensmittel - Begriff 48 Lebensmittelzutat - Begriff 50 Like-Minded-Gruppe 241 like products 210 - Einsatzmöglichkeiten der Produkte 214 - naturwissenschaftlich messbare Eigenschaften 212 - non-product related production and processing methods 221 - Verbraucherpräferenzen 215 LMO-FFPs 240 LMOs 239 Lücken im EG-Gentechnikrecht 61 Meistbegünstigung 210 Miami-Gruppe 240 Monitoring - Begriff 109 - Rechtfertigung nach dem SPS-Abkommen 234 - Subsumtion unter das SPS-Abkommen 141 Moratorium siehe de facto-Moratorium Multilateral Environmental Agreements 238 mündiger Verbraucher 42 mutual support - Anwendung 264 - Begriff 247 necessity clause - des SPS-Abkommens 196 - des TBT-Abkommens 225 nennenswerter Umfang 51 neuartiges Lebensmittel 50 NFVO siehe Novel Food-Verordnung 258/97/EG non-product related processing and production methods - bei der like product-Beurteilung 221 - Subsumtion unter TBT-Abkommen 139 - WTO-Konformität 194 Novel Food-Verordnung 258/97/EG - Anwendungsbereich 47 - Anzeige 65
Sachverzeichnis -
Entstehungsgeschichte 33 Genehmigungsbedürftigkeit 65 Genehmigungsverfahren 77 Genehmigungsvoraussetzungen 71 Kennzeichnung, Gleichwertigkeit 87 Kennzeichnungspflicht, Eingriffscharakter 96 - ratio legis 40 - Zulassungspflicht 62 - Zulassungspflicht, Eingriffscharakter 81 OLFs siehe other legitimate factors one-door-one-key-Politik 34 other legitimate factors - Begriff 153 - Berücksichtigung bei Zulassungsentscheidungen 181 - Berücksichtigung beim risk assessment 167 polygonale Problemstruktur 15 PPMs siehe non-product related processing and production methods precautionary approach siehe Vorsorgeprinzip precautionary principle siehe Vorsorgeprinzip process approach 30 product approach 33 Produktbeobachtungspflicht siehe Monitoring rational relationship 173 Recombinant Safety Considerations 29 risk assessment - Begriff 161 - Voraussetzungen 165 risk management - Begriff 162 RL 2001/18/EG siehe Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG RL 90/219/EWG 29 RL 90/220/EWG siehe Freisetzungsrichtlinie 90/220/EWG RL 97/35/EG 108 RR-Soja - Sondervorschriften 37, 97 Rückverfolgbarkeit - Begriff 110
303
- Rechtfertigung nach TBT-Abkommen 236 - Subsumtion unter TBT-Abkommen 141 Rückwirkungsverbot 54 Schwellenwert 89 SPS-Abkommen 124 - Anwendbarkeit auf Zulassungspflicht 134 - Beweislast und Beweismaß 143 - de facto-Moratorium 186 - Diskriminierungsverbot 187 - gegenseitige Anerkennung 202 - Gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahme 135 - Hinzuziehung von Experten 146 - Kontrolldichte 145 - Necessity Clause 196 - Rechtfertigung der Kennzeichnungspflicht 204 - Rechtfertigung der Produkbeobachtungspflicht 234 - Rechtfertigung der Zulassungspflicht 161 - Transparenzgebot 203 - Vorsorgeprinzip 175, 182, 184 Standards, Richtlinien und Empfehlungen - allergiebezogene Kennzeichnung 205 - Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel 209 - Zulassungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel 147 StarLink 117 substantial equivalence 65 Systematik der EG-Vorschriften 27 Systemrichtlinie 90/219/EWG 29 Task Force siehe Codex Ad Hoc Intergovernmental Task Force on Foods Derived From Biotechnology TBT-Abkommen 126 - Anwendbarkeit auf PPMs 139 - Inländergleichbehandlung 210 - Meistbegünstigung 210 - necessity clause 225 - Rechtfertigung der Dokumentationspflicht 236
304
averzeichnis
- Rechtfertigung der Kennzeichnungspflicht 209 transgen - Begriff 18 Transparenzgebot 203 United States Department of Agriculture 120 unübliches Herstellungsverfahren 58 USDA siehe United States Department of Agriculture US-Vorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel 115 Verarbeitungshilfsstoffe 62 vertikaler Ansatz 33 V O I 139/98/EG 97 VO 1813/97/EG 97 VO 258/97/EG siehe Novel Food-Verordnung 258/97/EG VO 49/2000/EG 97
VO 50/2000/EG 99 Vorsorgeprinzip - Begriff 72 - im Rahmen des Biosafety Protocol 268 - im Rahmen des SPS-Abkommens 175, 182,184 Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit von 2000 36 wesentliche Gleichwertigkeit 65 Zulassungspflicht - nach Biosafety Protocol 243 - nach FreisRL 107 - nach NFVO 62 - Rechtfertigung nach SPS-Abkommen 142 - Subsumtion unter SPS-Abkommen 134 Zusatzstoffe 99