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German Pages 213 Year 1975
BJÖRN BURKHARDT
Der "Rücktritt" als Rechtsfolgebestimmung
Strafrechtliche Abhandlungen' Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser ord. Professor der Recllte an der Universität Hamburg
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtelehrem der deutschen Universitäten
Band 23
Der .,.,Rücktritt" als Rechtsfolgebestimmung Eine Untersuchung anhand des Abgrenzungsproblems von beendetem und unbeendetem Versuch
Von
Dr. Björn Burkhardt
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Prof. Dr. Albin Eser, Tübingen
Alle Rechte vorbehalten
© 1975 Duncker & Humblot, Berlin 41
Gedruckt 1975 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 03281 0
Meiner Mutter
Vorwort Die nachfolgende Schrift hat 1973 dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld als Dissertation vorgelegen. Die nach Abschluß der Arbeit bis April 1974 erschienene Literatur konnte teilweise noch eingearbeitet werden. Mein besonders herzlicher Dank gilt Herrn Professor Dr. Albin Eser, der die Arbeit wissenschaftlich betreut und in allen Phasen mit großem Verständnis gefördert hat. Dank schulde ich auch Herrn Professor Dr. Eberhard Schmidhäuser für seine Anregungen und die Aufnahme der Schrift in die Reihe "Strafrechtliche Abhandlungen / Neue Folge". Gerne erwähne ich ferner Herrn Professor Dr. Ernst-Joachim Lampe, der mit seiner hilfreichen Kritik zum Entstehen dieser Arbeit beigetragen hat. Bielefeld, im September 1974
Björn Burkhardt
Inhaltsverzeichnis Einführung
15
Erster Teil
I. Das Abgrenzungsproblem bei Rücktritt von beendetem und unbeendetem Versuch ..............................................
17
1. Der Untersuchungs bereich ................. . ....................
17
2. Die Abgrenzungspraxis ..................... . ..................
20
3. Kritik der Abgrenzungspraxis ... . ........... . .... . .............
21
a) Manipulierbarkeit .......................................... b) Ungerechtfertigte Privilegierung ............................
21 23
4. Der Täterplan als alleiniges Grenzkriterium ....................
24
5. Die natürliche Handlungseinheit als Grenzkriterium ............ a) b) c) d)
24
Vorschlag von Dreher ...................................... Vorschlag von Schmidhäuser ................................ Vorschläge von Otto und Roxin .............................. Tendenzen in BGHSt 23, 356 ................................
27 27 28 29
6. Unzulänglichkeit der dargestellten Lösungsvorschläge ..........
30
a) Mängel im Ergebnis ........................................ b) Mängel in der Begründung
30 34
7. .. Isolierungstheorien "
43
a) Lösungsvorschläge .......................................... b) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
43 47
11. Ratio der Rücktrittsvorschriften als Basis der Abgrenzung ..........
49
1. Änderung der Fragestellung ..................................
49
2. Verwendung von Gefahr- und Gefährlichkeitskriterien im Versuchsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorkommen ................................................ b) Funktion von Gefahr- und Gefährlichkeitsurteilen ..........
53 53 57
3. Theoretische Brauchbarkeit von Gefahr- und Kausalurteilen ....
58
10
Inhaltsverzeichnis 4. Komponenten des Gefahrurteils ................................
65
a) Abhängigkeit des Gefahrurteils von der Informationsbasis des Beurteilers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
aal Die Zeitpunktfrage ...................................... bb) Die Bezugsperson ......................................
65 67
b) Abhängigkeit der Gefahr von der Wahl des gefährdeten Objektes ..................................................... ; aal Gefährdung der Rechtsordnung .......................... bb) Rechtsgut als Angriffsobjekt ............................ cc) Intentionale Angriffsobjekte ............................
70 71 72 74
c) Abhängigkeit von der Gefahrquelle ..........................
77
aal "Gefährlichkeit der Handlung" ............... . .......... bb) "Täter und Tatwille als Gefahrquellen" ........... . .... cc) "Vereinigungstheorie"
78 81 81
5. Willensgefahr und Zustandsgefährlichkeit ......................
87
a) Zustandsgefährlichkeit ...................................... b) Willensgefahr ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Abgrenzungsvorschlag de lege lata ..........................
87 89 90
6. Tätergefährlichkeit als Abgrenzungskriterium ..................
94
a) Exkurs - § 23 111 n. F. ...................................... 97 b) Das Einordnungsproblem und seine praktische Relevanz .... 103 aal bb) cc) dd)
Strafaufhebungsgrund .................................. Negatives Begriffsmerkmal .............................. Schuldaufhebungsgrund Lehre vom Gesamttatbestand ..........................
105 108 112 114
7. Zur Möglichkeit einer Einordnung des Rücktritts als Rechtsfolgebestimmung .................................................... 116 Zweiter Teil I. Die Trennung von Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
121
1. Die Differenzierung von Tatbestand und Rechtsfolge unter funk-
tionalen Gesichtspunkten ...................................... 123 a) Unrechts- und Schuldbezogenheit der Strafzumessungsfaktoren aal Indizkonstruktion ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) "Manipulation" des Tatbegriffs .......................... cc) "Manipulation" am Schuldbegriff ........................
128 128 129 130
b) Eigenständigkeit der Strafzumessungsfaktoren .............. 131 aal Quantitative Differenz der verwertbaren Umstände .... 131
Inhaltsverzeichnis bb) cc) dd) ee) ff)
Differenz bei der Schuldquantifizierung ........ . ....... Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit ................ Lösung der Täterkomponente aus der Tatschuld ........ Qualitative Selbständigkeit der Strafwürdigkeitsrelevanzen Lösung der Schuld vom Verbrechensbegriff ..............
c) Leistungsfähigkeit der Konstruktionen
11 132 134 135 136 137 138
2. Die Struktur des Beziehungsverhältnisses von "Tatbestand" und Rechtsfolge .................................................... 145 a) b) c) d) e) f)
Tatbestand im Sinne der Rechtstheorie ...................... Struktur des Beziehungsverhältnisses ........................ Genetisch-funktionaler Erklärungsversuch ..... . ............ Unzulänglichkeit der konditionalen Sicht .................... Entscheidungsstruktur und Rechtssicherheit .................. Die Strafrechtsnorm als "intensive Implikation"
3. Begriffslogische Aspekte der Rechtsfolgebestimmung
145 145 158 153 160 163 166
a) Formale Logik des Komparativs ............................ 169 b) Klassifizierende und ordnende Begriffe im Strafrecht ........ 172 4. Die prozessuale Trennung von Schuldspruch und Strafausspruch 182
11. Rücktritt und Absehen von Strafe ................................ 184 1. Charakter des Absehens von Strafe ............................ 187
a) Systematischer Standort .................................... 187 b) Allgemeiner Regelungswert; Absehen von Strafe als eigenständige strafrechtliche Reaktionsmöglichkeit ................ aal EinbruchsteIle für den Gefährlichkeitsaspekt bzw. einen materiellen Unrechts begriff ............................ bb) überwindung des "statischen" Tatbegriffes .............. ce) Strafe als Erziehungsmaßnahme ........................
190 190 193 195
2. Regelungswert im Hinblick auf die Rücktrittsvorschriften ...... 195
111. Schlußbemerkung Literaturverzeichnis
........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 202 ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 204
Abkürzungsverzeichnis a.A.
a.a.O. Abs. AE a.F. Anm. AöR ARSP AT Aufl. Art. BTD Begr. BGH BGHSt BT BVerfGE Diss. DJT Ent. ebd. ete. f./ff.
Festg. Festschr. Fn. GA GG GS h.L. i. d. R. insbes. i. S. d./v. i. V.m. JA JGG JR
anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz Alternativentwurf alte Fassung Anmerkung Archiv für öffentliches Recht Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Allgemeiner Teil Auflage Artikel Bundestags-Drucksache (mit Wahlperiode und Nummer) Begründung Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Besonderer Teil Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Dissertation Deutscher Juristentag Entwurf ebenda et eetera folgende/fortfolgende Festgabe Festschrift Fußnote Goltdammers Archiv für Strafrecht Grundgesetz Zeitschrift "Der Gerichtssaal" herrschende Lehre in der Regel insbesondere im Sinne des/von in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Jugendgerichtsgesetz Zeitschrift "Juristische Rundschau"
Abkürzungsverzeichnis JuS JW JZ krit. Lb. LK Mat. m.a.W. m.E. m. w. Nachw. MonSchrKrim n. F. NJ NJW OWiG Prot. PrALR Rdnr. RG RGSt ROW Rspr. s. S. seil. StGB Urt. u.U. VDA vgl. Vorbem. WStrG Ziff. ZStW
Zeitschrift "Juristische Schulung" Juristische Wochenschrift J uristenzei tung kritisch Lehrbuch Leipziger Kommentar Materialien mit anderen Worten meines Erachtens mit weiteren Nachweisen Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechts reform neue Fassung Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Ordnungswidrigkeitengesetz Protokolle Preußisches Allgemeines Landrecht Randnummer Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Zeitschrift "Recht in Ost und West" Rechtsprechung siehe Seite scilieet Strafgesetzbuch Urteil unter Umständen Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts vergleiche Vorbemerkung Wehrstrafgesetz Ziffer Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
13
Einführung Trotz zahlreicher Abhandlungen und höchstrichterlicher Entscheidungen ist der Problemkreis um den Rücktritt vom Versuch nach wie vor umstritten. An dieser Situation wird auch § 24 n. F.1 nichts Grundsätzliches ändern. Zwar dürfte diese Gesetzesvorschrift nicht in dem Maße Wertungswidersprüche produzieren wie § 46 mit seiner unterschiedlichen Fassung der Rücktrittsvoraussetzungen bei beendetem und unbeendetem Versuch. Sie wird jedoch ansonsten zur Klärung oder Lösung der Probleme nicht viel beitragen. Daher stellt sich nach wie vor nicht nur die Frage nach einer sinnvollen und widerspruchsfreien Interpretation der bestehenden Rücktrittsregeln, sondern nach ihrer Angemessenheit und Zweckmäßigkeit überhaupt. Die vorliegende Untersuchung erörtert diese Frage anhand des Abgrenzungsproblems von beendetem und unbeendetem Versuch, das in den letzten Jahren die Rechtsprechung mehrfach beschäftigt hat. Dabei erweist sich, daß eine sinnvolle Abgrenzung nur mittels einer Orientierung an der Gefährdung des angegriffenen Rechtsgutes, an der kriminellen Energie des Täters sowie weiteren präventiven Elementen möglich ist. Diese Faktoren drängen dazu, den Rücktritt vom Versuch unter strafzweckfunktionalem Blickwinkel zu begreifen. Freilich ist eine derartige Sicht keinesfalls neu. Soweit es um die ratio des Rücktrittsprivilegs geht, hat es an zweckorientierten Betrachtungsweisen nie gefehlt. Erklärungen wie z. B. die der "kriminalpolitischen Theorie", der "Strafzwecktheorie" und - sofern man die Frage nach dem Sinn der Rücktrittsregel komplementär zur Frage nach dem Strafgrund des Versuchs begreift - der generalpräventiv orientierten "Eindruckstheorie" beweisen dies. Um so interessanter ist, weshalb alle diese Ansätze die geltende Regelung und deren praktische Auswirkungen nicht vollständig erklären können und weshalb es nicht gelungen ist, sie ohne Widersprüche mit dem dogmatischen System in Einklang zu bringen. Dies dürfte hauptsächlich zwei Ursachen haben. Einerseits sind § 46 und § 24 n. F. so konzipiert, daß sie bestimmte Verhaltensweisen als Rücktritt klassifizieren und mit obligatorischer Straffreiheit verknüp1 §§ ohne Gesetzesangaben sind solche des 8tGB. Die Vorschriften des 2. 8trafrechtsreformgesetzes vom 4.7.1969, die ab 1. Januar 1975 gelten, sind durch den Zusatz "n. F." gekennzeichnet.
16
Einführung
fen. Darin steckt ein "Alles-oder-Nichts-Prinzip", das nur dann befriedigend wäre, wenn der Rücktritt (in seinen gesetzlich normierten Voraussetzungen) in jedem Einzelfall ohne Rücksicht auf sonstige Einzelheiten die allein ausschlaggebenden Momente für die Frage von Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit der Versuchstat bzw. des Versuchstäters enthielte. Dies ist aber - zumindest in Grenzbereichen - außerordentlich zweifelhaft. Hier erfahren Sachverhalte, die nur in Nuancen voneinander abweichen, eine erheblich unterschiedliche Beurteilung, ohne daß diese sich im einzelnen begründen ließe. Andererseits sind die Gründe für die Schwierigkeiten im System selbst zu suchen. Das Strafrecht klassischer Provenienz hat Dogmatik und Kriminalpolitik streng getrennt und enthält daher kaum oder keine Einbruchsstellen für strafzweckfunktionales Denken. Die Kategorien von Unrecht (Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit) und (Tat-)Schuld wurden grundsätzlich nicht nur als notwendige, sondern als hinreichende Voraussetzung für das Ob und Wie der Strafe angesehen. Auch dem dogmatisch nicht aufbereiteten Bereich der Strafzumessung kommt (historisch gesehen) keine eigenständige Bedeutung für die Berücksichtigung strafzweckorientierter Momente zu. Vielmehr wird die konkrete Strafe aus dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat abgeleitet, wobei außerhalb der Tat liegenden Umständen allenfalls indizielle Bedeutung (für Schuld und Unrecht) zukommen kann. Das darin liegende Bestreben, alle für die konkrete Strafe bedeutsamen Momente auf Unrecht und Schuld zu reduzieren, kommt auch in der Einordnung des Rücktritts als Schuldaufhebungsgrund, negatives Tatbestandsmerkmal (Unrecht!) oder - indifferent - als Strafaufhebungsgrund zum Ausdruck. Bedenkt man, daß Unrecht und Tatschuld nur die Berücksichtigung eines verhältnismäßig engen Kreises möglicher Strafzumessungstatsachen zulassen und sich grundsätzlich an dem orientieren, was geschehen ist, weniger daran, was in concreto die Strafe erreichen kann und soll, so lassen sich die Spannungen zwischen system- und problemgerechter Lösung leicht vorstellen. Die vorliegende Arbeit versucht unter Heranziehung materiellrechtlicher, funktioneller und formallogischer Aspekte aufzuzeigen, daß sich Schwierigkeiten und Systemwidrigkeiten nur vermeiden lassen, wenn man die Frage nach dem "Ob" und "Wie" der Strafe trennt, dem Strafzumessungsvorgang einen eigenständigen, von Unrecht und Schuld losgelösten Funktionsbereich einräumt und § 46 bzw. § 24 n. F. lediglich als Rechtsfolgebestimmungen begreift, deren Funktion sich im wesentlichen darin erschöpft, dem Richter gewisse Richtlinien für die Strafzumessung zu geben.
Erster Teil
I. Das Abgrenzungsproblem bei Rücktritt von beendetem und unbeendetem Versuch 1. Der Untersuchungsbereich Die mit der Abgrenzung von beendetem und unbeendetem Versuch zusammenhängende Problematik steht eigentlich seit jeher ein wenig im Schatten der klassischen Fragenkomplexe: der richtigen Versuchstheorie, der Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch; der ratio des Rücktrittsprivilegs und der Freiwilligkeitsdiskussion. Dazu mag der Eindruck beigetragen haben, daß es sich hier um ein Randproblem von verhältnismäßig geringer Bedeutung handele, über das sich leicht Einigkeit erzielen lasse. In den letzten Jahren haben jedoch eine Reihe höchstrichterlicher Entscheidungen, die sich mit dem Abgrenzungsproblem beschäftigt haben, wiederholt die Aktualität und praktische Relevanz bewußt gemacht und zu einer Auseinandersetzung in der Literatur geführt. Besonders kontrovers sind dabei Fälle, in denen der Täter durch mehrere gleichartige, in unmittelbar zeitlichem Zusammenhang stehende Einzelakte einen bestimmten tatbestandsmäßigen Erfolg zu verwirklichen versuchtl, wobei jeder Einzelakt für sich2 den Erfolg herbeiführen soll, also bei isolierender Betrachtung bereits einen beendeten Versuch darstellt. Das Problem kann dabei in verschiedenen Variationen auftreten: Der Täter kann eine bestimmte oder unbestimmte 3 Anzahl von Einzelakten geplant haben, wobei jeweils bereits jeder Einzelakt für sich den Erfolg herbeiführen soll. Der Täter kann aber auch mehr oder weniger planlos einen oder mehrere Einzelakte, von denen jeder für sich den Erfolg herbeiführen sollte, erfolglos durchgeführt haben und im unmittelbaren Anschluß daran in der Lage sein, weitere erfolgversprechende Akte auszuführen. In allen Fällen ist zweifelhaft, bis zu welchem Handlungsstadium strafbefreiender Rücktritt möglich sein soll. Die Auseinandersetzung um 1 Im folgenden werden diese Fälle in Anlehnung an Maiwald, Handlungseinheit, S. 70 ff. auch unter dem Begriff der "iterativen Tatbestandsverwirklichung" zusammengefaßt. 2 D. h. ohne die weiteren hinzukommenden Akte. Gegensatz: der Erfolg ergibt sich erst aus einem Zusammenwirken der Einzelakte. 3 Beispiel: der Täter will bis zur Erfolgserreichung handeln.
2 Burkhardt
Erster Teil: I. Das Abgrenzungsproblem
III
diese Fälle zeigt, daß bisher kaum befriedigende Resultate gefunden sein dürften. Das ist um so bedauerlicher, als zwar § 24 n. F. die herkömmliche Unterscheidung zwischen Rücktritt vom be endeten und dem Rücktritt vom unbeendeten Versuch nicht mehr so stark betont, aber dennoch beibehält. Angesichts dieser Situation erscheint es gerechtfertigt, die Diskussion neu aufzugreifen. Wenn dabei im folgenden von "Abgrenzung" die Rede ist, so ist damit nicht nur und nicht in erster Linie an eine Grenzziehung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch gedacht. Vielmehr wird mit einer neuerdings wohl an Stimmen gewinnenden Ansicht zusätzlich der "fehlgeschlagene Versuch" als selbständige Kategorie eingeführt und von beendetem und unbeendetem Versuch unterschieden. Es wäre m. E. nur sinnvoll, das entscheidende Gewicht auf die Differenzierung von beendetem und unbeendetem Versuch zu legen, wenn zwischen diesen beiden Gruppen ein prinzipieller wertungsmäßiger Unterschied bestünde und dieser Unterschied bereits maßgebliche Gesichtspunkte dafür enthalten würde, bis zu welchem Handlungsstadium an den Rücktritt eine Strafbefreiung zu knüpfen ist. Dies ist indessen nicht der Fall. Die Unterscheidung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch ist zunächst nur sachlogischer, nicht wertungs mäßiger Natur. Damit ist gemeint, daß man die Unterscheidung ganz unabhängig davon treffen muß, ob man diese Gruppen auch wertungsmäßig differenziert. Wer alles zur Erfolgserreichung Erforderliche getan hat, muß den Erfolgseintritt aktiv verhindern, wer noch nicht alles getan hat, braucht nur die weitere Ausführung aufzugeben. Allerdings ist es möglich, den be endeten Versuch so zu definieren, daß ein wertungsmäßiger Unterschied besteht. Eine wertungsmäßige Unterscheidung von beendetem und unbeendetem Versuch lag der früher häufig anzutreffenden Hervorhebung des delictum perfectum (im Gegensatz zum conatus remotus bzw. zum conatus proximus) zugrunde. Einzelne Partikulargesetzbücher kannten nur den Rücktritt vom unbeendeten Versuch4 • Für die Notwendigkeit einer Differenzierung trat etwa auch Goldschmidt eins: Die Stufe des beendigten Versuchs im Vergleich zu der des unbeendigten weise nicht nur ein quantitativ größeres Maß an objektiver Gefährlichkeit auf, sondern auch ein qualitativ verschiedenes: die Gefahr sei nicht nur eine extensiv stärkere, sondern eine intensiv höhere. In neuerer Zeit wird eine solche Unterscheidung, soweit ersichtlich, nur von Armin Kaufmann gefordert 6 • Im Zusammenhang mit der Vgl. Frank, VDA, AT Bd. V, S. 198 ff., 202 f. Die Lehre vom beendigten und unbeendigten Versuch, S. 51 f. e Die Dogmatik im AE, ZStW 80, 50 ff. Ihr liegt die Auffassung zugrunde, daß Unrecht identisch sei mit Handlungsunrecht und die Norm bereits mit 4
5
1. Der Untersuchungs bereich
19
Frage, ob der Versuch obligatorische Strafmilderung nach sich ziehen solle, verwirft er die Trennung zwischen Versuch und Vollendung und schlägt als Alternative eine Differenzierung zwischen beendetem Versuch und Vollendung einerseits und unbeendetem Versuch andererseits vor. Kaufmanns Vorschlag mag - vorausgesetzt, man überträgt ihn auf den Rücktrittsbereich - bei einer entsprechenden Definition des beendeten Versuchs richtig sein. Daß er im Zusammenhang mit der gebräuchlichen Differenzierung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch nicht überzeugen kann, zeigt sich an der Begründung, die Kaufmann seinem Vorschlag beifügt: "Wer noch nicht alles, was zur Tatdurchführung erforderlich ist, getan hat, hat weniger zu verantworten; die letzte Entscheidung über das Ob der Tat bleibt noch in seiner Hand." Diese Begründung deckt nicht nur Fälle des unbeendeten Versuchs. Auch wer alles getan hat, was zur Tatdurchführung erforderlich ist, kann die letzte Entscheidung über das Ob der Tat noch in seiner Hand behalten. Kaufmanns Vorschlag überzeugt nur, sofern man den Begriff des beendeten Versuchs auf bestimmte Fälle beschränkt: auf solche, in denen der Täter "die letzte Entscheidung über das Ob der Tat" wirklich aus der Hand gegeben hat7. In diesen Fällen ist es nicht nur schwer zu begründen, weshalb der Versuch milder bestraft werden soll als die Vollendung, es ist auch schwer zu erklären, weshalb nach einem Fehlschlagen des ersten Versuchsaktes noch strafbefreiender Rücktritt möglich sein soll, sofern nur der Täter von weiteren möglichen Versuchsakten absieht. Gerade diese Fälle sind aber in der folgenden Untersuchung nicht als beendete, sondern als fehlgeschlagene Versuche eingeordnet. Auf den ersten Blick scheint auch die unterschiedliche Formulierung von § 46 Nr. 1 und Nr. 2 auf eine wertungsmäßige Differenzierung hinzudeuten. Die Paradoxie, die durch die "objektive" Fassung des Freiwilligkeitskriteriums in § 46 Nr. 2 entsteht und die in manchen Fällen dazu führt, daß der beendete Versuch gegenüber dem unbeendeten privilegiert wird, belehrt jedoch eines besseren. Die scheinbare Differenzierung des § 46 wurde dementsprechend von einem großen Teil der Lehre durch "berichtigende" Auslegung beseitigt. Und in der Neufassung des § 46 durch § 24 n. F. wird der Unterschied zwischen beendetem und unbeendetem Versuch auf einen kürzeren Nenner gebracht, der eine wertungsmäßige Unterscheidung nicht mehr erkennen läßt8 • dem (beendeten) Versuch vollständig übertreten sei, der konkret eingetretene Erfolg also für das Unrecht ohne Bedeutung sei. Vgl. dazu Horn, Gefährdungsdelikte, S. 78 ff. 7 Aus diesem Bereich stammen auch die Beispiele, die Kaufmann zur Stützung seiner Ansicht heranzieht. 8 So wohl auch Schmidhäuser, 15/79; Maurach, AT, § 41 VAl; Fahrenhorst,
20
Erster Teil: I. Das Abgrenzungsproblem
2. Die Abgrenzungspraxis Vergegenwärtigt man sich kurz die herrschende Abgrenzungspraxis, so besteht zunächst Einigkeit, daß die Abgrenzung von beendetem und unbeendetem Versuch nicht nach objektiven Kriterien, sondern nach dem subjektiven Vorstellungsbild des Täters vorzunehmen ist 9 • Der Versuch ist unbeendet, wenn der Täter noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zum Eintritt des Erfolges notwendig ist, dagegen beendet, wenn er alles Notwendige getan zu haben glaubtl°. Diese scheinbar recht einfache und praktikable Abgrenzungsformel läßt allerdings zwei Fragen offen: Nämlich welcher Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorstellungsbildes des Täters maßgebend ist, wenn sich seine Vorstellung über die Tauglichkeit der Ausführungshandlungen während des Tatverlaufs ändert, und wie zu entscheiden ist, wenn der Täter bei Tatbeginn keine festen Vorstellungen über den Tatverlauf, die Tatausführung, oder die Tatmittel hattell. Die Beantwortung dieser Fragen durch die gegenwärtige Rechtsprechung läßt sich aus der resümierenden Entscheidung in BGHSt 22, 330 ablesen 12 • Auf die Vorstellung des Täters bei Tatbeginn komme Rücktritt, S. 11 spricht von einem Unterschied von nur natürlicher Wichtigkeit. 9 So die ganze h. L. Vgl. etwa Baumann, § 33 II; Jescheck, § 51 II 2; Maurach, AT, § 41 VA 2; Dreher, § 46,1; Mayer, AT, § 36 II; § 78 II; Schmidhäuser, 15/85; Schänke / Schröder, § 46 Rdnr., 6 f.; Welzel, § 25 I 1; LK (Busch), § 46 Rdnr. 6; Stratenwerth, 759; aus der Rspr. vgl. RGSt 45, 183/5; 57, 278/9; 68, 306/8; BGHSt 4, 181; 22, 176; 22, 330. Anders freilich die objektive Versuchstheorie, wonach der Versuch noch nicht beendet sein soll, wenn der Täter noch nicht alles getan hat, was nach allgemeiner Erfahrung zur Erfolgsherbeiführung notwendig ist; vgl. etwa Treplin, ZStW 76, 441. Gegen eine derartige objektive Abgrenzung statt vieler Schröder, JuS 1962, 81 ff.: Einer objektiven Theorie könne man deshalb nicht folgen, weil die Unterschiedlichkeit der Rücktrittsvoraussetzungen in den Ziff. 1 und 2, insbesondere im Bereich der Freiwilligkeit, darauf hindeute, daß das Rücktrittsverhalten sich danach richten solle, wie der Täter das Stadium seiner Tat-Durchführung und deren Gefährlichkeit beurteile. Zudem seien letztlich für § 46 subjektive Kriterien maßgeblich, da die Verdienstlichkeit des Täters in seiner inneren Umkehr liege. Eine Darstellung der Abhängigkeit der Abgrenzung von der zugrunde gelegten Versuchstheorie sowie eine übersicht über die ältere Literatur findet sich bei Goldschmidt, insbesondere S. 57 ff. 10 Derartige Formulierungen finden sich wenn nicht dem Wortlaut, so doch dem Sinn nach - bei allen unter Fn. 9 genannten Autoren. Vgl. auch v. Scheurl, Rücktritt, S. 43 m. w. H. 11 Die durch den subjektiven Maßstab auftauchenden Irrtumsprobleme interessieren in diesem Zusammenhang nicht; dazu etwa Stratenwerth, 765. 12 Um die Widerholung von bereits Bekanntem auf das Notwendigste zu beschränken, ist die Darstellung dieser nahezu allgemein anerkannten Position bewußt knapp gefaßt. Näher dazu Eser, StrafR II, 33 (zu BGHSt 22, 330).
3. Kritik der Abgrenzungspraxis
21
es an, wenn der Täter von vornherein den Erfolg durch eine oder mehrere bestimmte Handlungen verwirklichen wollte. Erkenne er na,..h Ausführung dieser Handlungen die mangelnde Eignung seines Tuns, so sei dies ohne Bedeutung. Habe der Täter dagegen bei Tatbeginn keinen festumrissenen Plan gehabt, so könnten "nur die Überlegungen des Täters nach der letzten Ausführungshandlung Aufschluß darüber geben, ob der Versuch beendet war oder nicht". Halte der Täter zu diesem Zeitpunkt das bisherige Tun nicht für ausreichend, um den erstrebten Erfolg herbeizuführen, so sei der Versuch noch nicht be endet. Dagegen sei er beendet, wenn der Täter den Erfolgseintritt aufgrund seines bisherigen HandeIns zumindest für möglich halte. Dies geIte unabhängig davon, ob der Täter bedingt oder direkt vorsätzlich handele l3 • 3. Kritik an der Abgrenzungspraxis Gegen diese Rechtsprechung werden hauptsächlich zwei Bedenken geltend gemacht1 4 • a)
Manipulierbarkeit
Durch das alleinige Abstellen auf das subjektive Vorstellungsbild bei Tatbeginn oder - sofern zu diesem Zeitpunkt feste Vorstellungen fehlen - bei Beendigung der verwirklichten (Teil-)Handlung werden die Entscheidungen in aller Regel beliebig manipulierbar, denn einer eindeutigen Feststellung der Tätervorstellung stehen enorme Beweisschwierigkeiten entgegen l5 • Otto 16 hat anhand praktischer Rechtsprechungsbeispiele dargetan, daß letztlich Zufälligkeiten oder eine geschickte Einlassung des Täters über Strafe bzw. Straffreiheit entscheiden. Und Roxin17 sagt zu Recht, die Frage, auf die die Rechtsprechung abstelle, 13 Ferner etwa BGHSt 14, 75; BGH GA 1966, 208; BGH bei Dallinger, MDR 66, 22; 70, 381. Im wesentlichen zustimmend Maurach, AT § 41 VA 2; Wetzet, § 25 I 1; Schönke / Schröder, § 46 Rdnr. 8; ebenfalls LK (Busch), § 46 Rdnr. 8 ff.: Zwar wird unter ausführlicher Darstellung des Streitstandes darauf
hingewiesen, daß die Differenzierung des BGH bei Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit unbefriedigend sein könne. Unter Rdnr. 8 wird jedoch betont, die Grundsätze des BGH seien ohne Einschränkung "auch" anzuwenden, wenn dem Täter bedingter Vorsatz zur Last falle. 14 Weitere Bedenken ergeben sich im Zuge der nachfolgenden Erörterungen. 15 Zu Recht betont Dehter, Zweckmoment, S. 117, daß infolge der immer stärker werdenden Subjektivierung des Strafrechts oftmals der Blick dafür verlorengegangen ist, wie schwer die Feststellung des Täterwillens ist. Bedenken äußert auch Henket, JW 1937, 2375 ff.; Geilen, JZ 1972,336. 18 Dtto, GA 1967, 144 ff. 17 Roxin, Kriminalpolitik, S. 38 Fn. 38. Zum Versagen der "psychologischen Lösungsversuche" im Rücktrittsbereich auch Roxin, Rücktritt, S. 251, 265 f. und passim: die psychologische Lösung liefere keine rational kontrollierbaren Ergebnisse.
22
Erster Teil: 1. Das Abgrenzungsproblem
nämlich ob der Täter mit einem oder mit mehreren Schlägen töten wolle, sei von vornherein wenig sinnvoll, weil sie je nach den gewünschten Ergebnissen zu psychologischen Fiktionen führe. Ein sinnfälliges Beispiel für das Zutreffen dieser Kritik findet sich in BGHSt 22,176: Der Angeklagte hatte sich aus Eifersucht entschlossen, seine Stieftochter zu töten. Er versetzte ihr zu diesem Zweck von hinten einen heftigen Schlag über den Kopf. Dabei nahm er an, der Schlag werde die Stieftochter sofort töten. Sie war jedoch nur benommen. Der Angeklagte erkannte dies zwar sofort, ließ aber von weiteren Schlägen ab. Nach der Feststellung, daß der Angeklagte von der sofortigen tödlichen Wirkung des Schlages ausgegangen war, hätte die Annahme eines beendeten Versuchs nahegelegen, denn der Angeklagte hatte bei Tatbeginn bestimmte Vorstellungen über die Tauglichkeit seiner Handlung und entsprechend diesen Vorstellungen war auch alles zur Erfolgsherbeiführung Erforderliche bereits getan. Einen Anlaß, sich über weitere Schläge Gedanken zu machen, hatte er schon deshalb nicht, weil er davon ausging, bereits der erste Schlag werde töten. Das waren wohl auch die Gründe, aus denen das Schwurgericht als Vorinstanz beendeten Versuch angenommen hatte. Demgegenüber meint jedoch der BGH: die Vorstellung von der Tödlichkeit des ersten Schlages bedeute nicht, daß der Versuch nach dem ersten Schlag beendet sei, vielmehr mache der Täter, der " ... mit unbedingtem Mordvorsatz unter solchen Umständen und in einer solchen Weise auf einen anderen einschlägt, wie der Angeklagte es getan hat, sich in der Regel keine bestimmten Gedanken über die Zahl der Schläge, die er seinem Opfer zu versetzen beabsichtigt, ... "18. Davon abgesehen, daß der BGH mit dieser Argumentation in den Bereich einer objektiven Abgrenzung und damit in Widerspruch zu seiner erklärten Ausgangsposition gerät, wie dies häufig der Fall ist, wenn eine subjektive Abgrenzung auf Regeln und Erfahrungsurteile zurückgreifen muß, wird auch deutlich, daß eine psychologisierende Abgrenzung ohne jede Schwierigkeit das jeweils genehme Ergebnis "herbeizaubern" kann. Es ist ohne weiteres möglich, das Vorliegen eines beendeten wie auch das Vorliegen eines unbeendeten Versuchs zu begründen. Damit entsteht ein außerordentlich unbefriedigender Rechtszustand, weil nicht nur jede Berechenbarkeit, sondern auch jede Richtigkeitskontrolle schwierig, wenn nicht gar unmöglich wird 19 • BGHSt 22, 177. Vgl. zu BGHSt 22, 176 auch die kritische Anm. von Dreher, JR 1969, 105, auf die im weiteren Zusammenhang noch näher eingegangen wird. Dreher meint, der BGH habe auf unzulässige Weise eine neue Beweiswürdi18
19
3. Kritik der Abgrenzungspraxis
23
b) Ungerechtfertigte Privilegierung
Ein weiterer, häufig an der Differenzierung des BGH kritisierter Punkt ist die kaum zu rechtfertigende Privilegierung des gedankenlosen oder weitplanenden Täters. Es ist nicht recht einzusehen, daß der planlos Handelnde oder der kaltblütig mehrere Verwirklichungsversuche (etwa 20 Schüsse auf das Opfer) Kalkulierende besser behandelt wird als derjenige, der bei Tatbeginn eine bestimmte Handlung für ausreichend hält 20 . Daß es sich bei derartigen Beispielen nicht um theoretische Spielereien handelt, läßt sich an folgendem Sachverhalt erkennen, der dem BGH zur Entscheidung vorlag 21 : Ein Soldat beabsichtigte, sich mit einem Schnellfeuergewehr (19 Schuß) den Weg aus der Kaserne freizuschießen. Dabei ging er davon aus, daß er "allenfalls mit Hilfe einer Reihe schnell hintereinander abgegebener Schüsse" einen Posten treffen, möglicherweise töten und zudem den Widerstand der übrigen Wachen niederkämpfen könne. Nach zwei fehlgegangenen Schüssen gab der Soldat seinen Plan auf.
In konsequenter Durchführung seiner Abgrenzungspraxis sah der BGH in dem Aufgeben einen strafbefreienden Rücktritt vom unbeendeten Mordversuch, weil der Soldat die geplante Handlung (die Abgabe einer Reihe von Schüssen) noch nicht durchgeführt habe. Anders hätte das Gericht aber entscheiden müssen, wenn der Soldat von vornherein nur einen einzigen Schuß auf den Posten geplant hätte und nach dessen Fehlgehen das Vorhaben hätte aufgeben wollen. Nach Fehlgehen dieses Schusses hätte er (möglicherweise) wegen versuchten Mordes (§§ 211, 43/22,23 n. F.) bestraft werden müssen. Die Frage nach dem Sachgrund für diese Ungleichbehandlung, die c;ich in der harten Realität von 3 Jahren Freiheitsstrafe (vgl. §§ 44 Abs. 2 / 23 H, 49 I 1 n. F.) ausdrückt, wird kaum beantwortbar sein. Eine derartige Lösung kann nur zu der paradoxen Konsequenz führen, daß man einem potentiellen Täter empfehlen muß, bei der Planung der Tat jede Menge von Verwirklichungsversuchen einzukalkulieren und sich (auch was die Tatmittel betrifft)22 alles offenzulassen 23 . Auf diese Weise kann er ein gung vorgenommen; ebenso Roxin, Rücktritt, S. 268. Ähnlich sprechen Schönke / Schröder, § 46 Rdnr. 8 von einer willkürlich erscheinenden Korrektur der Vorstellung des Täters; GeHen, JZ 1972, 336 von der "Aufstellung
einer (nicht existierenden) Erfahrungsregel ". 20 Vgl. etwa die Kritik bei Baumann, § 33 II; Jescheck, § 51 II 3; Dreher, JR 1969, 176; Geilen, JZ 1972, 336; jeweils mit weiteren Nachweisen. Auch früher wurde das Problem bereits in seiner ganzen Schärfe gesehen: vgl. Frank, VDA, V, 237 f.; Fahrenhorst, Rücktritt, S. 27 f. 21 BGH GA 1966, 208. 22 Siehe dazu BGHSt 10, 129/31, wo die Entscheidung praktisch davon abhängig gemacht wird, ob es dem Täter auf ein ganz bestimmtes Tötungsmittel ankam.
24
Erster Teil: I. Das Abgrenzungsproblem
frustrierendes Moment weitgehend ausschalten, nämlich trotz Nichterreichung des deliktischen Ziels bestraft zu werden.
4. Der Täterplan als alleiniges Begrenzungskriterium Diese sachfremde Privilegierung des planenden und möglicherweise gefährlicheren Täters sowie die Manipulierbarkeit der Abgrenzungsergebnisse waren für einen Teil der Rechtsprechung und Lehre Anlaß genug, mehr oder weniger offen nach einer Korrekturmöglichkeit zu suchen. Der Ansatzpunkt dafür wurde verständlicherweise im Täterplan als dem alleinigen Abgrenzungskriterium gesehen. Denn ob beendeter oder unbeendeter Versuch vorlag, darüber entschied ja nur der Plan des Täters 24 • Vereinfachend läßt sich das hinter der geschilderten Abgrenzungspraxis stehende Leitprinzip auch dahingehend skizzieren, daß unbeendeter Versuch angenommen wird, wenn ein Weiterhandeln vom ursprünglichen Täterplan gedeckt wäre, beendeter dagegen dann, wenn ein Weiterhandeln einen neuen Tatentschluß vorausgesetzt hätte. Der Täterplan konnte also einerseits, wenn er nur entsprechend weit gefaßt war, sogar ganz komplexe Versuchshandlungen zu einem einzigen Versuch verknüpfen und so ein breites Feld für die Anwendung des § 46 Nr. 1 schaffen. Andererseits bildete jeder neue Entschluß eine Zäsur, die einen neuen Versuch einleitete, den alten also als beendet erscheinen ließ und so von Fall zu Fall den Anwendungsbereich für § 46 Nr. 1 stark einengen konnte25 •
5. Die natürliche Handlungseinheit als Grenzkriterium In dieser Situation mag es nahegelegen haben, die Zäsur, die ein neuer Entschluß mit sich brachte, mittels der Figur der natürlichen Handlungseinheit wieder zu beseitigen, und zwar dann, wenn man davon ausgeht, daß die natürliche Handlungseinheit auf Konkurrenzebene verschiedene Einzelhandlungen zu einer Tat (im Rechtssinne) verknüpfen kann, ohne von einem einheitlichen Entschluß durchlaufen zu sein 28 • Dies um so mehr, als auch die Rechtsprechung bereits sehr 23 Ähnlich die Polemik von Dtto, GA 1967, 147 f.; kritisch auch Roxin, Rücktritt, S. 267 f. 24 Zutreffend weist allerdings Geilen, JZ 1972, 336 darauf hin, daß die Rspr. zwar verbal an der Planperspektive festhält, aber schon früher das Abgrenzungsmerkmal mit der "natürlichen Auffassung" korrigiert: ausdrücklich BGHSt 4, 180. 25 Der "neue Tatentschluß" als Kriterium wird etwa besonders in BGHSt 10, 129/31; 14, 75/9 angesprochen. 26 Dafür etwa Maiwald, Handlungseinheit, S. 48 ff., 70 ff., 89 ff., der die vorliegend problematischen Fälle unter dem Begriff der "iterativen Tat-
5. Natürliche Handlungseinheit als Grenzkriterium
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viel früher die Abgrenzungsfrage von beendetem und unbeendetem Versuch in Zusammenhang mit der natürlichen Handlungseinheit brachte und auf diese Weise um ein objektives Moment anreicherte, ohne daß damit allerdings eine brauchbare Lösung verbunden gewesen wäre. Als Paradebeispiel dient BGHSt 10,12927 : Der Täter hatte seiner Braut mit Tötungsvorsatz eine Flasche auf den Kopf geschlagen. Als dies nicht zum Erfolg führte, würgte er sie, ließ aber dann von ihr ab. Dazu meint das BGH: Wenn der Täter von vornherein damit gerechnet habe, daß der Schlag mit der Flasche eventuell nicht ausreichen würde und entschlossen war, dem Opfer für diesen Fall weitere Gewalt anzutun, liege " ... es nahe, sein gesamtes, auf den tödlichen Erfolg gerichtetes Verhalten als ein einheitliches Geschehen im natürlichen Sinne und demgemäß rechtlich als eine natürliche Handlungseinheit zu werten". Dann liege ein einziger unbeendeter Tötungsversuch vor. Dasselbe gelte, wenn der Angeklagte zwar zunächst mit einem Mißerfolg des Schlages mit der Flasche nicht gerechnet habe, es ihm aber auf die Art des Tötungsmittels von vornherein nicht angekommen sei und er zur Flasche nur darum gegriffen habe, weil sie gerade nahe lag. Die nach dem Fehlschlag des ersten Mittels unmittelbar anschließende Verwirklichung bestandsverwirklichung" ordnet: "Die Antwort auf die Frage, wann menschliche Willensbetätigung, die begrifflich die mehrfache Verwirklichung eines Tatbestandes darstellt, als eine Handlung anzusehen ist, lautet ... wie folgt: Wenn der Zusammenhang in einer konkreten Situation die Einzelakte als einheitliche Äußerung derselben psychischen Lage des Täters erscheinen läßt." (S. 77) Dem schließt sich Jescheck, § 66 III 2 ausdrücklich an: maßgebend für die Annahme einer Handlungseinheit soll "das Fortbestehen der Motivationslage bei einheitlicher Tatsituation" sein. Ferner Dreher, Vorb. § 73 1 A, sowie JR 1969, 105 unter Bezugnahme auf Maiwald; wohl auch Schmidhäuser, 18/14: "Innerhalb desselben Straftatbestandes ist der enge räumliche und zeitliche Zusammenhang (seil. als Kriterium der natürlichen Handlungseinheit) maßgebend." Schließlich sehen auch die - freilich allein gebliebenen - Entscheidungen von RGSt 74, 375 und BGHSt 4, 219 von der Einheitlichkeit des Entschlusses ab. Demgegenüber verlangt die st. Rspr. wie auch die wohl h. L. einen einheitlichen Entschluß bzw. eine einheitliche WiIIensbetätigung; vgl. etwa LK (Mösl), Vorb. § 73 Rdnr. 10; Rudolph Schmitt, ZStW 75, 43 fU58; aus der Rechtsprechung RGSt 30, 67; 58, 113. Im großen und ganzen steht man der Figur der natürlichen Handlungseinheit kritisch gegenüber. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert die Frage nach der Richtigkeit der verschiedenen Ansichten nur insoweit, als lediglich die u. a. von Maiwald vertretene Ansicht den fehlenden einheitlichen Entschluß ersetzen könnte. Eine weitere noch zu beantwortende Frage ist dabei, ob Entschluß und Handlungseinheit überhaupt sachgerechte Abgrenzungskriterien sind. 27 Diese Entscheidung ist Gegenstand vieler Untersuchungen, die sich mit der natürlichen Handlungseinheit befassen. Vgl. insbesondere Maiwald, Handlungseinheit, S. 50 H., 89 H.; Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, S. 286 ff.; Gutmann, Rücktritt, S. 93 f. Auch BGHSt 14, 75 und BGH GA 1966, 208 stellen das Abgrenzungsproblem in Beziehung zur HandIungseinheit.
Erster Teil: 1. Das Abgrenzungsproblem
26
desselben Tötungsentschlusses mit einem anderen Mittel könne allein dann als im natürlichen und rechtlichen Sinne selbständige Handlung gesondert gewertet werden, wenn der Täter seinen Tötungswillen ursprünglich nur mit einem bestimmten Mittel hätte verwirklichen wollen. Der neu gefaßte Entschluß, mit einem zunächst abgelehnten anderen Mittel zu töten, müsse dann als selbständiger Tötungsversuch gewertet werden. Freilich geht - wie die beiden letzten Sätze zeigen - BGHSt 10, 129 im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung28 grundsätzlich noch davon aus, daß ein einheitlicher Willensentschluß notwendige Bedingung der natürlichen Handlungseinheit sei. Wenn man so will, bietet die natürliche Handlungseinheit in diesem Sinne eine Begrenzung des Täterplankriteriums. Ferner läßt sich nicht einmal sicher feststellen, ob das Urteil tatsächlich mit der Vorstellung brechen wollte, daß ein Versuch immer dann beendet sei, wenn der Täter das ursprünglich Geplante durchgeführt habe 29 • Daher bietet diese Entscheidung auch keine neue Lösung, und die natürliche Handlungseinheit ersetzt oder ergänzt noch keineswegs die Funktion des Täterplankriteriums. Nichtsdestoweniger werden mittels der natürlichen Handlungseinheit bereits die scharfen und als unangemessen empfundenen Linien, die das Täterplankriterium (wenigstens theoretisch) zieht, relativiert und verwischt. Das zeigt sich besonders daran, daß eine Handlungseinheit auch dann noch vorliegen soll, wenn der Täter ein Mittel ergreift, an das er ursprünglich nicht gedacht hat. Vorausgesetzt wird nur, daß es ihm nicht auf ein bestimmtes Mittel ankam. Dementsprechend ergibt sich ein neuer Handlungsabschnitt erst, wenn der Täter ein Mittel ergreift, das er ursprünglich nicht verwenden wollte, wenn er sich also ursprünglich bewußt auf ein anderes Mittel beschränkt hatte. Die so verstandene Differenzierung des BGH ist freilich praktisch schwierig und nicht gerade lebensnah. Denn wann wird sich ein Täter bezüglich seiner Mittel solchen Selbstbeschränkungen unterwerfen? Und wie soll eine solche Selbstbeschränkung nachweisbar sein? Es wird zu zeigen sein, daß neben diesen Unzulänglichkeiten auch das Ergebnis nicht zu befriedigen vermag. Zunächst gilt es aber nur festzuhalten, daß bereits die Rechtsprechung die Abgrenzungsfrage mit der Figur der natürlichen Handlungseinheit in Verbindung gebracht hat. Dieser Zusammenhang wurde von einer Reihe von Autoren weiterverfolgt. Eine Lösung des Abgrenzungsproblems mittels der natürlichen Handlungseinheit setzt freilich voraus, daß die natürliche Handlungseinheit nicht ihrerseits von einem einheitlichen Tatentschluß ab28 29
Vgl. etwa RGSt 59, 318; 76, 140; BGHSt 1, 168. Zweifel bei Dreher, JR 1969, 107.
5. Natürliche Handlungseinheit als Grenzkriterium
27
hängt. Denn sie soll ja die Funktion des einheitlichen Täterplanes für die Abgrenzung gerade übernehmen. Konsequenterweise nehmen diejenigen, die eine Lösung mittels einer natürlichen Handlungseinheit anstreben, eine natürliche Handlungseinheit auch bei fehlendem durchlaufendem Entschluß an 30 . Soweit Besonderheiten dazu Anlaß bieten, sollen die einzelnen Lösungsvorschläge in dieser Richtung kurz dargestellt werden. a) Vorschlag von Dreher
Der Lösungssatz über die natürliche Handlungseinheit ist in jüngster Zeit unter ausdrücklicher Anknüpfung an die zitierten Entscheidungen des BGH31 am deutlichsten von Dreher weiterverfolgt und zur Diskussion gestellt worden 32 . Was die natürliche Handlungseinheit betrifft, so schließt sich Dreher ohne nähere Begründung der Auffassung von Maiwald an und kommt zu dem Ergebnis, selbst bei Erforderlichkeit eines neuen Entschlusses könne ein unbeendeter Versuch "stets dann, aber auch nur dann angenommen werden, wenn die neuen Handlungsakte mit dem alten zu einer natürlichen Handlungseinheit verschmelzen würden". Unbeendeter Versuch komme auch in Betracht, "wenn der Täter meinte, mit einer einzigen Handlung zum Ziel kommen zu können, nach Fehlschlagen dieser Handlung aber die Möglichkeit hat und erkennt, weitere erfolgversprechende Akte vorzunehmen, jedoch darauf verzichtet". Dreher betont ausdrücklich, daß damit die These nicht mehr aufrechterhalten werden könne, daß allein der ursprüngliche Tatplan über die Abgrenzungsfrage entscheide. Er verspricht sich von seiner Auffassung "gleichmäßigere" Ergebnisse, räumt aber gleichzeitig ein, daß sie eventuell kriminalpolitisch bedenklich sei, weil sie den Bereich des unbeendeten Versuchs zu weit ausdehne, meint aber in einer resignierenden Wendung, daß dies auf dem Umstand der obligatorischen Straflosigkeit bei Rücktritt beruhe. b) Vorschlag von Schmidhäuser
Ganz ähnlich glaubt Schmidhäuser 33 die Problematik lösen zu können: "Maßgebend ist eine Betrachtung der Handlungseinheit ... wenn der Täter glaubt, im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang durch ein neues gleiches oder andersartiges Handeln doch noch zum Ziel kommen zu können, dann wird man - im Sinne einer natürlichen HandlungsVgl. die in Fn. 26 Genannten. BGHSt 10, 129; 14, 75 und BGH GA 1966, 208. 32 Anm. zu BGHSt 22, 176 in JR 1969, 105 ff. In der Begründung und im Ergebnis übereinstimmend Jescheck, § 51 rr 3. 30 31
33
15/81, 83.
28
Erster Teil: I. Das Abgrenzungsproblem
einheit - von einer Tat sprechen können; dann ist das Abbrechen oder schon das völlige Unterlassen des Weiterhandelns für die ganze Tat Rücktritt, und es liegt nicht etwa für den ersten Tatabschnitt fehlgeschlagener Versuch vor. Man wird freilich gen au zu prüfen haben, ob dem Täter die Fortsetzung der Tat wenn auch mit anderem Mittel psychisch ohne weiteres möglich war." Die Ansicht von Schmidhäuser hat allerdings zwei Besonderheiten. Einmal stellt er neben den be endeten und unbeendeten die Kategorie des fehlgeschlagenen Versuchs, bei dessen Vorliegen sich die Frage nach der Anwendung des § 46 bzw. des § 24 n. F. gar nicht mehr stellt34 • Von dieser Position aus ergibt sich übrigens die eingangs angedeutete Korrektur unserer Problemstellung: Präzise formuliert geht es in den vorliegenden Zweifelsfällen dann nicht um eine Abgrenzung von beendetem und unbeendetem Versuch, sondern vielmehr um die Frage, ob "für bestimmte Fälle beendeter Deliktsversuche § 46 Nr. 1 analog angewendet werden kann oder nicht"35. Ferner ist zu beachten, daß Schmidhäuser im Versuchsbereich zwischen Zielunrecht und Gefährdungsunrecht unterscheidet 36 . Für das Zielunrecht spielt dabei der Entschluß die entscheidende Rolle: "Nicht so sehr vom Verwirklichten als vielmehr vom Gewollten" muß man ausgehen. Dagegen komme es beim Gefährdungsunrecht " ... nur insoweit auf den Entschluß des Täters an, als sein Wille auf die Fortführung der objektiv gefährlichen Handlung gerichtet" sei. Mit dieser Differenzierung kann Schmidhäuser - wie noch zu zeigen ist - eine ganze Reihe von Ungereimtheiten vermeiden, die sich ergeben, wenn man vom Standpunkt der herrschenden Lehre Entschluß und Vorsatz gleichstellt und dabei den dolus eventualis einbezieht37 • c) Vorschläge von otto und Roxin
Zwei weitere Lösungsvorschläge von Roxin 38 und Otto 39 können in diesem Zusammenhang Erwähnung finden. Sie weichen zwar in der 34 Fehlgeschlagen sei ein Versuch dann, wenn der Täter zu der Meinung komme, das Ziel dieses seines Handeins für diesen Zeitpunkt verfehlt zu haben. Dann sei ein Rücktritt, d. h. ein Rückzug von der Tat nicht mehr möglich; auf die Voraussetzung des § 24 n. F./46 und auf die Unterscheidung von beendetem und unbeendetem Versuch komme es für die Rechtsfolge gar nicht mehr an (15/81). Ähnlich Hruschka, JZ 1969,495/98 Fn. 27. 35 Vgl. dazu den treffenden Hinweis von Hruschka, JZ 1969, 495/98. 36 15/22 ff. 37 Schmidhäuser, 15/24. Allgemein zur Problematik, ob bedingter Vorsatz als Entschluß i. S. d. § 43 angesehen werden kann, Lampe, NJW 1958, 332. 38 Roxin, Kriminalpolitik, S. 37/8; ders., in ZStW 77, 94 Fn. 31, 97 f. 39 Dtto, GA 1967, 144 ff.; zustimmend v. Scheurl, Rücktritt, S. 50 ff. Ähnlich haben wohl auch bereits eine Reihe älterer Autoren entschieden. Vgl. etwa
5. Natürliche Handlungseinheit als Grenzkriterium
29
Begründung ab, entsprechen aber in der Struktur und der (ausweitenden) Tendenz völlig der Lösung mittels der natürlichen Handlungseinheit: Roxin wie auch Otto versuchen, vom Entschluß als alleinigem Abgrenzungskriterium wegzukommen. Sie sehen bereits darin ein Abstehen von der Tat, daß der Täter eine konkret sich bietende Fortsetzungsmöglichkeit außer acht läßt. Roxin meint, daß ein Verbrecher, der eine sich bietende Verletzungs- oder Wiederholungsmöglichkeit nicht ausnütze, wider die Verbrechervernunft handele und sich so vom Verbrechensentschluß distanziere. Und Otto operiert mit dem Argument, verdienstlich sei nicht nur freiwilliger Rücktritt, sondern auch das freiwillige Unterlassen der weiteren konkret möglichen Erfolgsverwirklichung, denn auch hier habe der Täter aus eigenem Antrieb auf den Weg des Rechts zurückgefunden. Er will daher bei einem Abstehen von weiterer Erfolgsverwirklichung § 46 Nr. 2 analog anwenden, wenn der Täter keinesfalls umständlich einen neuen Plan fassen brauche, sondern die Wiederholung des Versuchs oder eine unmittelbare Fortsetzung der Erfolgsanstrebung unter Anknüpfung an das bisherige Geschehen sich geradezu aufdränge und dem Täter dies auch bewußt sei40 • d) Tendenzen in BGHSt 23, 356
Ähnlich weit und über die bisherige Rechtsprechung hinaus scheint schließlich BGHSt 23, 356 gehen zu wollen. In Zusammenhang mit einem Raubmordversuch hatte der Täter einer Frau einen zusammengedrehten Strumpf über Kopf und Hals geworfen und ihn fest zugezogen, um die Frau zu erdrosseln. Diese wurde besinnungslos und stürzte zu Boden. Als sie wieder zu sich kam, sagte der vor ihr stehende Angeklagte, ihr passiere nichts, wenn sie sich still verhalte. Unmittelbar darauf schlug er ihr beide Fäuste mit voller Wucht an den Kopf, so daß sie erneut das Bewußtsein verlor. Dann lief er in die Küche, holte aus einer Schublade ein Messer und fügte der Frau damit sieben Stiche am Kopf und weitere an Brust und Oberschenkel zu. Danach ließ er von der Frau ab. Trotz der schweren Verletzungen konnte die Frau gerettet werden. Der BGH scheint offenbar in Erwägung zu ziehen, daß dieses Gesamtverhalten als unbeendeter Mordversuch zu beurteilen sei (S. 359) und stellt in seinen allerdings undeutlichen Formulierungen allein darauf ab, ob der Angeklagte "nach seinen Vorstellungen das zur geplanten Tötung der Frau Erforderliche getan hat". Ungeklärt bleibt, welcher Zeitpunkt für die Vorstellung maßgeblich bzw. ob der TötungsRücktritt vom Versuch, S. 57: "Straflos ist, wer aus Furcht oder Reue die in seiner Macht liegende Wiederholung unterläßt." Dagegen Gutmann, Rücktritt, S. 91 f., mit weit. Nachw. 40 GA 1967, 148 f. Zur Zweifelhaftigkeit des methodischen Ansatzes vgl. unten 6 a.
Hatzig,
30
Erster Teil: I. Das Abgrenzungsproblem
vorgang in seiner Gesamtheit gemeint ist. Allerdings wird man diese Ausführungen nur mit Vorbehalt als Beleg für eine Ausweitungstendenz heranziehen können, weil sie sich in Andeutungen erschöpfen 41 •
6. Unzulänglichkeit der dargestellten Lösungsvorschläge Bei näherer Betrachtung erweisen sich die gemachten Lösungsvorschläge in mancherlei Richtung als unzulänglich. Die Begründung der Ansichten läßt in methodischer wie sachlicher Hinsicht Zweifel aufkommen und erreicht nicht das gesteckte Ziel, nämlich die Beseitigung ungereimter Ergebnisse, wie sie in der Rechtsprechung und dem ihr zustimmenden Teil der Lehre auftreten. Schließlich kann nicht einmal der Vorwurf erspart werden, daß neue andersartige Bedenken hinzutreten, wo alte entfallen. a) Mängel im Ergebnis
aa) Immer noch wird in kriminalpolitisch zweifelhafter Weise derjenige begünstigt, der sich nach einem mißlungenen Versuch geschickt und gerissen eine konkrete Fortsetzungsmöglichkeit (als Ausrede) einfallen läßt 42 . Damit bleiben die Entscheidungen nach wie VOr unsicher und manipulierbar. Man kann sich leicht vorstellen, welches Rätselraten bei den Gerichten einsetzen wird, wenn neben die "schreckliche Problematik" der Freiwilligkeit die nicht minder schreckliche tritt, "nämlich ob dem Täter die Fortsetzung der Tat, wenn auch mit anderen Mitteln, psychisch ohne weiteres möglich war"43. bb) Auch ein weiteres Ergebnis, welches bereits RGSt 17, 158/60 resignierend als "mißständig" bezeichnet hat, können die genannten Lösungsvarianten nicht vermeiden. Denn wie will man erklären, "daß der Täter, dessen in mörderischer Absicht abgefeuerte Kugel an dem Gegner vorübergeflogen ist, unter allen Umständen wegen eines Mordversuchs bestraft werden muß (vorausgesetzt nur, es war der einzige oder der letzte Schuß), während er nUr für Körperverletzung haftet, 41 Kritisch Geilen, JuS 1972, 73/4; ders., JZ 1972, 336 f., 339 f. 42 So mit Recht Baumann, § 33 II; ebenso wohl Geilen, JZ 1972, 338; er weist zutreffend darauf hin, daß dies mit der Tatsache zusammenhänge, daß die im Einzelfall umsichtigere Planung eben nicht nur die subjektive Planerperspektive erweitere, sondern in aller Regel auch in einer entsprechend besseren objektiven Vorsorge ihren Niederschlag finde. 43 So die Abgrenzungsformel von Schmidhäuser, 15/83. Hier scheint freilich eine Differenz zu der Auffassung von Ro:vin, Kriminalpolitik, S. 38 Fn. 77 zu bestehen, die Roxin übersieht, wenn er zustimmend auf Schmidhäuser verweist. Während die Formulierung von Schmidhäuser nämlich unweigerlich zu zusätzlichen "verquälten psychologischen Konstruktionen" führen muß, will Roxin dies gerade vermeiden. Ob der dazu eingeschlagene Weg über den "unvernünftigen Verbrecher" freilich erfolgversprechend ist, erscheint zweifelhaft.
6. Unzulänglichkeit der Lösungsvorschläge
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im Falle er den Gegner in dieser Absicht sogar getroffen, dann aber den Eintritt des drohenden Todes durch eigene Tätigkeit abgewendet hatte"44. cc) Besteht der Mangel der geschilderten Fälle lediglich darin, daß bereits vorhandene Ungereimtheiten weiterhin existieren, so erfahren sie unter Umständen eine Vertiefung, wenn der Versuchstäter nur mit dolus eventualis handelt. Bekanntlich sollen die jeweils entwickelten Grundsätze ohne Einschränkung auch dann gelten, wenn dem Täter nur bedingter Vorsatz zur Last fällt 45 . Zur Veranschaulichung der Konsequenzen soll folgendes Beispiel dienen: Angenommen, A und B schießen (unabhängig voneinander) auf den C, wobei A den C töten und B den C nur verletzen will, dabei aber auch eine eventuell tödliche Verletzung in Kauf nimmt. Verletzen beide Schüsse den C nur, so entsteht die paradoxe Situation, daß zwar A, dem es auf den Tod des C ankam, mit strafbefreiender Wirkung vom Totschlagsversuch zurücktreten kann, wenn er nur von möglichen weiteren Schüssen absieht. Demgegenüber steht für B eine Bestrafung gemäß den §§ 212, 43/22 n. F., 223 ff., 73/52 n. F. fest. Für ihn läßt sich die Frage nach der Möglichkeit des Weiterhandelns infolge " Zweck erreichung " überhaupt nicht mehr sinnvoll stellen. Die Formel, "ob der Täter durch neues gleiches oder andersartiges Handeln noch zum Ziel kommen könne"46, versagt hier, weil der deliktische Erfolg (scil. der Tod) nicht Ziel des Täters ist. Das widersinnige Ergebnis läßt sich freilich in einigen Fällen vermeiden, wenn man mit Schmidhäuser zwischen Ziel- und Gefährdungsunrecht differenziert, und zwar dann, wenn die mit dolus eventualis ausgeführte Handlung ungefährlich ist. Wie jedoch unser Beispiel zeigt, in dem eine objektive Gefährdung vorliegt, bleibt auch für Schmidhäuser ein nicht unwesentlicher Rest zweifelhafter Ergebnisse. Wie bedenklich die Abgrenzung der h. L. in Fällen ist, in denen der Täter den tatbestandsmäßigen Erfolg nur billigend in Kauf nimmt, zeigt sich ebenfalls in BGHSt 22, 330, wenn auch das der Entscheidung zugrunde liegende Beispiel die ganze Zweifelhaftigkeit des Ausgangspunktes zunächst etwas verbergen mag. 44 Die Zweifelhaftigkeit dieses Ergebnisses hat die Lehre seit jeher beschäftigt, vgl. etwa Bockelmann, Untersuchungen, S. 146. Eine Lösung bietet nur Herzog, Rücktritt, S. 236 ff. an. Keinen Mißstand sieht Baer, Rücktritt, S. 40 in diesem Ergebnis. 45 So jedenfalls BGHSt 22, 330/2; LK (Busch), § 46 Rdnr. 14; Welzel, § 25 1. Dreher, Otto und Roxin lassen sich - soweit ersichtlich - zu dieser Frage nicht besonders aus. Das muß dahin gewertet werden, daß auch sie nicht differenzieren wollen. Eine nur teilweise Verbesserung ergibt sich durch die Differenzierung von Ziel- und Gefährdungsunrecht i. S. von Schmidhäuser,
15/22 ff. 46
So etwa die von Schmidhäuser, 15/83.
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Erster Teil: I. Das Abgrenzungsproblem
Der Angekl. hatte seiner Geliebten in einem Wutanfall mit einem Stilettmesser mehrere Stiche beigebracht, von denen einige lebensgefährlich waren. Er war sich dabei im klaren, daß einer der Stiche tödlich wirken könnte, nahm aber diese Möglichkeit billigend in Kauf.
Der - nur scheinbar klare - Abgrenzungsvorschlag lautet wie folgt: Beabsichtige der Täter einen (bestimmten) Messerstich mit direktem Körperverletzungsvorsatz und bedingtem Tötungsvorsatz und führe er ihn aus, so sei der Versuch der Tötung beendet, gleichgültig, was sich der Täter nach seiner Durchführung für Vorstellungen über den Erfolg mache. Habe sich dagegen der Täter - mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnd - nur (!?) vorgenommen, seinem Opfer eine unbestimmte (!) Anzahl von Stichen beizubringen und höre er nach einigen (!) Stichen auf, so hänge die Frage der Beendigung davon ab, welche Wirkungen der Täter seinem bisherigen Tun beimesse. Im zweiten Beispiel wird also einerseits davon ausgegangen, der Täter wolle dem Opfer eine "unbestimmte Anzahl" von Stichen beibringen und andererseits, daß er ihm "einige" Stiche beigebracht habe. Aber entspricht damit das Getane (= Beibringen einiger Stiche) nicht dem, was der Täter sich vorgenommen hat (= Beibringen einer unbestimmten Anzahl von Stichen)? Und gibt es dann irgendeinen Grund, unbeendeten Versuch anzunehmen? Die geschilderte Ansicht des BGH hat dagegen zur Folge, daß der mit bedingtem Vorsatz handelnde Täter ausführt, was er sich vorgenommen hat, und trotzdem keine Versuchsstrafe fürchten muß, vorausgesetzt nur, er hätte seinem Opfer noch weitere Stiche zufügen können, denn dann ist in dem "Abstehen" von weiteren Handlungen ein strafbefreiender Rücktritt zu sehen. Der Grund solch kurioser Ergebnisse liegt darin, daß nur der vom Täter intendierte, nicht aber der bloß billigend in Kauf genommene Erfolg eine sinnvolle Projektionsebene für das Ausmaß der bereits durchgeführten und noch durchzuführenden Handlungen bilden kann. Handelt der Täter mit direktem Tötungsvorsatz, so wird die Zahl der 'Stiche auch bei fehlenden oder ungenauen Vorstellungen doch sinnvoll begrenzt durch die Bezugnahme auf den intendierten Todeserfolg. Auch wenn man nicht weiß, was und wieviel der Täter sich vorgenommen hat, so läßt sich doch in aller Regel vermuten, er werde bis zur Erfolgserreichung weiterhandeln. Und bricht er dann wider Erwarten vorher ab, so ist es immerhin sinnvoll zu sagen, er habe sein verbrecherisches Vorhaben (die "beabsichtigte Handlung" bzw. die "weitere Ausführung der Tat") aufgegeben. In den Fällen bedingt vorsätzlichen Handeins fehlt dagegen eine derartige Vergleichsebene, weil der vom Täter faktisch gewollte Erfolg (wie im Beispiel des BGH die Körperverletzung)
6. Unzulänglichkeit der Lösungsvorschläge
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vielleicht längst erreicht wurde und der billigend in Kauf genommene Erfolg nicht in diesem Sinne gewollt ist. Neben diesen inneren Widersprüchlichkeiten fehlt es auch an der Sachgerechtigkeit der erzielten Ergebnisse 47 . Betrachtet man die beiden genannten Fallgestaltungen, die BGHSt 22, 330 beispielhaft gegenübergestellt hat, so fällt auf, daß der Täter privilegiert wird, wenn er sich mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgenommen hat, seinem Opfer eine unbestimmte Anzahl von Stichen beizubringen: Er kann auch nach mehrmaligem Zustechen noch gem. § 46 Nr. 1 strafbefreiend zurücktreten, sofern er nur annimmt, sein bisheriges Verhalten könne den billigend in Kauf genommenen Erfolg noch nicht herbeiführen und ein Weiterhandeln sei möglich48 . Es muß aber bezweifelt werden, ob eine derartige Wertung sachgerecht ist. Betrachtet man die Formulierung des BGH49, mit der er das zweite Beispiel einleitet ("hat sich der Täter . .. nur vorgenommen, seinem Opfer eine unbestimmte Anzahl von Stichen beizubringen ... "), so kann man feststellen, daß mit dem Wort "nur" ganz beiläufig der Eindruck erweckt wird, als handele es sich im zweiten Fall um ein Weniger gegenüber dem ersten. Aber genau das Gegenteil ist der FalL Wenn der Täter den tatbestandsmäßigen Erfolg nicht intendiert (Zielunrecht im Sinne von Schmidhäuser), sondern ihn für den unbestimmten Fall seines Eintretens nur billigend in Kauf nimmt, so kann man bei der Feststellung des jeweiligen Unrechtsgehaltes der Tat nicht in erster Linie auf das Gewollte, sondern muß auf das Verwirklichte, also auf die jeweilige Rechtsgutgefährdung abstellen50 • Damit dürfte aber im zweiten Fall ein objektiv und bewußt gefährlicheres Verhalten vorliegen. Denn mit jedem zusätzlichen Stich wird sich in aller Regel auch die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Erfolges - und damit des Unrechtsgehaltes der Tat - erhöhen51 • Damit führt die Ansicht des BGH aber zu der Konsequenz, daß ein unter Umständen beachtliches Mehr an Gefährdung in bestimmten Fällen mit einem Mehr an Rücktrittsmöglichkeit honoriert wird, wie überhaupt dieses ganze Vorgehen wie eine verkrampfte Suche wirkt, den Täter irgendwie zu belohnen: ein Resultat, das nur derjenige in Kauf nehmen kann, der auf den resignierenden Standpunkt steht, daß sich alle Ungereimtheiten eben nicht vermeiden ließen. 47 Die Mängel liegen insbesondere in einer völligen Außerachtlassung des Gefährdungsmomentes. Dazu unten 11,1. 48 Auf eventuelle Irrtumsprobleme braucht in diesem Zusammenhang nicht eingegangen zu werden. 49 BGHSt 22, 333. 50 Dazu die zutreffenden Ausführungen von Schmidhäuser, 8/29 ff.; 15/22 ff. 51 Quantitative Steigerung des Unrechtsgehaltes, J escheck, §§ 51 11 3; 80 I 2. Unrichtig m. E. Roxin, Rücktritt, S. 268 f. Fn. 52.
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dd) Schließlich ist zu betonen, daß die Teilbereinigung des Widerspruchs mit einer bedenklichen Ausweitung des § 46 Nr. 1/24 I 1 1. Alt n. F. und damit des Rücktrittsprivilegs überhaupt erkauft wird 52 • Denn jeder kann straflos Verbrechensversuche begehen und dabei Handlungsobjekte aller Art gefährden, solange er sich nur einen einzigen konkreten Verwirklichungsversuch in Reserve hält. Auf diese Weise wird dem Täter ein straffreier Spielraum zugesichert, der ihm erlaubt, die günstige Gelegenheit des geringsten Risikos auszumachen. Nur wer so töricht ist und sich seiner letzten Verwirklichungsmöglichkeit begibt, kann sich nicht mehr durch bloßes Abstehen vom WeiterhandeIn Straffreiheit sichern und läuft Gefahr, wegen fehlgeschlagenen Versuchs bestraft zu werden. Was spricht aber eigentlich dafür, demjenigen Soldaten - in einer Abwandlung des obigen Beispiels den einfachen Rücktrittsweg über § 46 Nr. 1/24 I 1 1. Alt. n. F. offenzuhalten, der mit Mordvorsatz 15 Schüsse seines Magazins ergebnislos abgefeuert hat. Ist es in diesem oder ähnlichen Fällen nicht mehr oder minder Zufall, welcher der Schüsse tödlich trifft? Man wird daher einer derartigen Lösung den Vorwurf eines rein erfolgsstrafrechtlichen und kriminalpolitisch blinden Denkens, das den Zufall zum entscheidenden Leitprinzip macht, nicht ersparen können 53 • Daß damit die Abgrenzung einen archaischen Einschlag bekommt, sei nur nebenbei erwähnt. Jedenfalls hätte man angesichts der enormen Gefahrquellen, die der Täter offenbar straflos schaffen darf, erwarten dürfen, daß die Begründung für eine so weitreichende Ausweitung des Rücktrittsprivilegs handfeste Argumente enthält. Ob das der Fall ist, soll im folgenden näher untersucht werden. b) Mängel in der Begründung
aa) Die Begründungen von Dreher, Jescheck und Schmidhäuser beschränken sich mit einem Hinweis auf die natürliche Handlungseinheit. So meint etwa Schmidhäuser 54, maßgebend für die Möglichkeit strafbefreienden Rücktritts durch bloßes Unterlassen der Vornahme weiterer konkret möglicher Versuchshandlungen sei eine Betrachtung der natürlichen Handlungseinheit. In gleichem Sinne sieht Dreher das Hauptproblem in einer befriedigenden Bewältigung des Problems der Tatidentität. Die damit aber naheliegende Frage, warum gerade dieses 52 Das räumt auch Dreher, JR 1969, 10517 ein, entschuldigt seine Lösung aber mit dem Hinweis auf das "übel" des obligatorischen Strafausschlusses. Kritisch auch Geilen, JZ 1972, 338 f., der u. a. darauf hinweist, daß die verschärften Rücktrittsvoraussetzungen des § 46 Nr. 2 unterwandert werden. 53 Bereits Herzog, Rücktritt, S. 237 bemängelte, daß bei einer derartigen Lösung der Zufall, nicht der Wille des Täters den Ausschlag gebe. 54
Schmidhäuser, 15/83; Jescheck, § 51 II 3.
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Kriterium maßgebend sein soll, wird nicht mehr gestellt oder findet allenfalls darin eine Antwort, daß man andernfalls einen einheitlichen Vorgang auseinanderreiße und in Schwierigkeiten bei der Entscheidung des Verhältnisses mehrfacher Versuche zueinander komme 55 • Ist aber diese Begründung wirklich ausreichend? Selbst wenn man das Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit als prinzipiell sachgerechtes Abgrenzungskriterium ansehen könnte, bestünden doch ganz erhebliche Bedenken gegen eine Verknüpfung mit der Rücktrittsfrage. Denn über Begriff und Grenzen dieser Rechtsfigur bestehen so unterschiedliche Auffassungen 56 , daß sie als Kriterium strafbefreienden Rücktritts zu einer Potenzierung der im Rahmen des § 46/24 I 1 n. F. ohnehin schon bestehenden Differenzen führen müßte 57 • Diesen praktischen Konsequenzen kann man nicht gleichgültig gegenüberstehen, wenn man auf eine transparente, leicht handhabbare und allgemein akzeptable Abgrenzung Wert legt. Die viel schwerwiegenderen Zweifel an dem Wert der obigen Begründung und damit an der Verknüpfung von Rücktritt und natürlicher Handlungseinheit überhaupt entstehen jedoch dadurch, daß die tateinheitliche Zusammenfassung mehrerer (Versuchs-)Handlungen von ganz anderen Sachgesichtspunkten getragen wird, als die mit der Abgrenzung zusammenhängende Privilegierung. Ohne eine Funktionsbestimmung der Rücktrittsvorschriften bzw. der natürlichen Handlungseinheit vornehmen zu wollen, läßt sich doch folgendes feststellen: Eine sachgerechte Abgrenzung des in § 46/24 n. F. gesteckten Rahmens muß die Frage nach der ratio der Rücktrittsvorschriften stellen, denn die Lösung des Abgrenzungsproblems bleibt nicht ohne Rückwirkung auf den Anwendungsbereich des § 46/24 n. F. überhaupt. Mithin geht es auch hier um spezifisch kriminalpolitische Probleme, wie zum Beispiel, ob die kriminelle Energie des Täters schon ausreichend erwiesen ist oder welche Tat eine derart unerträgliche Rechtsgutgefährdung enthält, daß sie eine Sanktion erfordert. Ein ganz anderes Anliegen hat die natürliche Handlungseinheit. In der Praxis dazu benützt, § 74/ 53 n. F. zugunsten von § 73/52 n. F. zurückzudrängen, hat sie mit allen Konkurrenzerwägungen den Grundgedanken 58 gemeinsam, daß bei 55 So insbes. Dreher, JR 1969, 106; Schönke / Schröder, § 46 Rdnr. 8 c in einer Polemik gegen die Ansichten von Baumann, § 33 11 und Gutmann, Rücktritt, S. 92 ff., welche auf eine isolierende Betrachtungsweise der Einzelakte abstellen wollen. Dazu näher unten I, 7. 56 Neben den in Fn. 26 Genannten vgl. etwa Geerds, Konkurrenz, S. 282 ff.; Warda, JuS 1964, 81/83 f.; Schönke / Schröder, § 73 Vorb. 8 f., 10 ff. 57
Geilen, JZ 1972, 338.
Es besteht in diesem Rahmen keine Notwendigkeit, den Standort der Konkurrenzprobleme zu klären, insbesondere also, ob es in erster Linie um Schuldfragen, um Gedanken der Strafanwendung oder um beides gleichermaßen geht. 58
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einem wie auch immer gearteten Zusammentreffen mehrerer tatbestandsmäßiger, rechtswidriger und schuldhafter Handlungen eine schlichte Addition der für jede Handlung getrennt bemessenen Strafe das postulierte Entsprechungsverhältnis von Schuld und Strafe verzerren würde5D • Schönke / Schröder 60 sprechen davon, das Leiden (nicht die Strafwirkung!) des Verurteilten wachse progressiv und damit über das Maß der Schuld hinaus. Das dürfte vom Ausgangspunkt eines Schuldstrafrechts gesehen zutreffen. Die Präventionswirkung wächst ebenfalls nicht proportional mit der Höhe der Strafe. Damit gerät aber bei einer Addition mehrerer Freiheitsstrafen auch die (postulierte) Verhältnismäßigkeit zwischen Strafwirkung und Strafübel aus dem Gleichgewicht. Bereits diese Skizzierung der Problemkreise dürfte ausreichend dartun, daß es von der Sache her keine Berührungspunkte gibt. Dann besteht aber auch kein Grund, das Abgrenzungsproblem in Abhängigkeit von der natürlichen Handlungseinheit zu bringen. Darauf hat übrigens auch Maiwald gelegentlich seiner ausführlichen Erörterungen der sog. sukzessiven bzw. iterativen Tatbestandsverwirklichung ausdrücklich hingewiesen und der Entscheidung in BGHSt 10, 129 eine unzulässige Verquickung der Maßstäbe vorgeworfen61 • Zu Unrecht hat sich daher Jescheck62 zur Stützung seiner Ansicht auf Maiwald und Gutmann berufen. Gutmann 63 wendet sich zwar nicht prinzipiell gegen eine Verknüpfung der natürlichen Handlungseinheit mit der Abgrenzungsfrage, lehnt aber die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit im Fall von BGHSt 10, 129 ab. Nicht ganz korrekt sind auch die Hinweise Drehers 64 : Er zitiert Maiwald nur insoweit, als die Notwendigkeit eines von vornherein durchgängigen Entschlusses bei der natürlichen Handlungseinheit in Frage steht. Damit wird der "wunde Punkt" des Diskussionsvorschlages stillschweigend umgangen. Mit der Feststellung, daß unsere Abgrenzungsfrage ganz andere Problemkreise berührt als die natürliche Handlungseinheit, wird auch eine weitere Überlegung Drehers gegenstandslos. Wenn er meint, eine 59 Es wird bewußt vermieden, von einer "Potenzierung" der Strafwirkung zu sprechen, weil damit der Eindruck erweckt werden könnte, die Wirkung der Strafe potenziere sich mit der Strafhöhe. Nach gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen scheint aber das Gegenteil der Fall zu sein; vgl. Haag, Rationale Strafzumessung, S. 62 ff., 190 f. 60 Vor § 73 Rdnr. 2 a. 61 Handlungseinheit, insbes. S. 85 ff., 92 f. Kritisch auch Geilen, JZ 1972, 338, Hruschka, JZ 1969, 498 Fn. 27. 62 AT (1. Aufl.), § 51 II 3 Fn. 29 (geändert in der zweiten Auflage). 63 Rücktritt, S. 92. 84 JR 1969, 107.
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Isolierung der Teilakte bei der Beurteilung der Rücktrittsfrage müsse eventuell dazu führen, daß der Täter wegen mehrfachen Versuchs oder gar wegen Vollendung und Versuchs bestraft werde, so ist diese Folgerung genauso wenig berechtigt, wie die Befürchtung, ein einheitlicher Vorgang werde auseinandergerissen. Einmal spricht nichts dagegen, für die Frage des Rücktritts die Teilakte zu isolieren, aber trotzdem über die natürliche Handlungseinheit zu einer Tat im Rechtssinne zu gelangen. Im Gegenteil, folgt man etwa der Auffassung, daß die natürliche Handlungseinheit sowieso erst dort beginnt, wo der gleiche Tatbestand65 mehrmals ganz oder teilweise verwirklicht wurde, weil sonst gar kein Konkurrenzproblem entstünde66 , so ist die Feststellung isolierter Teilakte geradezu der erste Schritt auf dem Wege zur natürlichen Handlungseinheit. Aber selbst wenn man zu einer Handlungsmehrheit zwischen Versuch und Vollendung käme, so wäre damit noch immer nicht gesagt, daß wegen mehrerer Delikte bestraft werden müßte. Hier kann immer noch die :Figur des Versuchs als mitbestrafter Vortat oder der Gedanke der Subsidiarität zu einem anderen Ergebnis führen 67 • Kommt man somit zu dem Ergebnis, daß kein sachlicher Grund besteht, von dem (potentiellen) Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit auf die Rücktrittsmöglichkeit zu schließen, so könnte man sich zunächst darüber wundern, daß Entscheidungen, die mit der natürlichen Handlungseinheit operieren, ohne Bruch neben solchen Urteilen stehen, die allein nach dem Tatplankriterium entscheiden. Bei näherer Betrachtung stellt man jedoch fest, daß nicht erst mit der natürlichen Handlungseinheit, sondern bereits über den Täterplan Konkurrenzerwägungen mit Rücktrittsproblemen vermischt werden. Das bedarf einer kurzen Verdeutlichung. Nach der bekannten Abgrenzungsformel soll be endet er Versuch vorliegen, wenn der Täter alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Erfolgserreichung notwendig ist. Die Rechtsprechung und die überwiegende Lehre gehen nun offenbar davon aus, daß das, was der Täter plane und zu was er sich auch entschließe, mit dem nach seiner Vorstellung zur Erfolgserreichung Notwendigen identisch sei. Plane er z. B. mehrere Schüsse, so halte er auch mehrere Schüsse zur Erfolgserreichung für notwendig, wobei freilich jeder einzelne Schuß für sich bereits Erfolgstauglichkeit besitzen könne und solle68 • Aus diesem Vor65 Der Fall, daß mehrere Tatbestände verwirklicht werden, interessiert hier nicht. 68 So etwa Rudolf Schmitt, ZStW 75, 43 ff.l58, ferner Geerds, Konkurrenz, S. 284 ff. 61 Maiwald, Handlungseinheit, S. 91; Maurach, AT § 54 II A 2. 68 Der andere denkbare Fall, daß der Erfolg erst aus dem Zusammen-
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Erster Teil: 1. Das Abgrenzungsproblem
verständnis heraus entwickelt sich dann mit scheinbar logischer Konsequenz die Folgerung, daß auch der Versuch i. S. des § 46/24 I n. F. erst beendet ist, wenn der Täter seine geplanten Handlungen durchgeführt hat. Aber es ist keineswegs selbstverständlich, erst die Summe der geplanten Handlungen zum Gradmesser für das jeweilige Versuchsstadium zu machen, wenn (nach der Vorstellung des Täters) jede Handlung für sich bereits potentiell tauglich ist, das Delikt zu vollenden. So ist es etwa bei der Frage der Vollendung ganz selbstverständlich, daß sie sich nicht daran bemißt, was der Täter geplant hat. Beabsichtigt A, dem B fünf Faustschläge zu versetzen und hält dann nach dem dritten Schlag inne, so wird niemand auf die unsinnige Idee kommen, vollendete Körperverletzung abzulehnen, weil der Täter seinen Plan nicht ganz durchgeführt hat. Und dies wiederum bedeutet keinesfalls, daß A wegen drei Körperverletzungen bestraft werden müßte. Ebensowenig läßt sich aber beendeter Versuch immer und allein deshalb verneinen, weil der Täter seinen Plan noch nicht ganz durchgeführt hat. Denn der Täterplan enthält oft kalkulierte Fehlschläge, und es ist nicht sinnvoll, die Frage nach der Beendigung des Versuchs von diesen Kalkulationen abhängig zu machen. Der Grund für die Bezugnahme auf die Summe der geplanten Willensbetätigungen dürfte auf einem Fehlverständnis von der Funktion des Täterplankriteriums beruhen. Dem Täterplan kommt im Versuchsbereich eine unbestreitbar große Bedeutung zu. Er gibt darüber Auskunft, ob und wie der Täter einen deliktischen Erfolg verwirklichen Will69 • Erst unter Heranziehung der sich im Täterplan niederschlagenden Vorstellung des Täters kann auch beantwortet werden, ob ein beendeter oder unbeendeter Versuch vorliegt. Weitere, aber andersartige Bedeutung hat der Täterplan in der Konkurrenzlehre. Er kann (zumindest) als Indiz dafür dienen, daß mehrere Willensbetätigungen in einem psychologischen Zusammenhang stehen und daher (unter Schuldgesichtspunkten) eine Einheit bilden, obwohl jede einzelne dieser Willensbetätigungen bereits eine tatbestandsmäßige Handlung darstellt. Aber gerade in diesen Fällen wiederholter Willensbetätigung, von denen jede für sich (bei isolierender Betrachtung) einen "beendeten" Versuch darstellt, gibt ein Vergleich des Realisierten mit dem Geplanten für die Frage, ob beendeter oder unbeendeter Versuch vorliegt, nicht viel her. Ebensowenig wie sich daraus schlußfolgern läßt, daß immer schon dann beendeter Versuch vorliegt, wenn der Täter das wirken mehrerer Teilakte (etwa mehrmaliger Giftgabe) resultiert, ist unproblematisch. 69 Baumann, § 33 IV 1 b; Rechtsprechungsnachweise bei Fiedler, Vorhaben,
S. 39 f., 54.
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(zunächst) für erforderlich Gehaltene getan hat, läßt sich ableiten, daß immer erst dann ein beendeter Versuch anzunehmen sei. Beendet könnte der Versuch etwa bereits sein, wenn der Täter soviel getan hat, daß aus seiner Sicht (ex ante!) ohne weiteres Zutun die Möglichkeit des Erfolgseintritts bestehFO, beendet könnte er aber auch erst dann sein, wenn dem Täter die Fortsetzung der Tat im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang durch gleiche oder andersartige Mittel nicht mehr möglich ist71 • Anscheinend überträgt der BGH und die ihm folgende Lehre trotzdem die auf Konkurrenzebene sinnvolle Annahme, daß ein einheitlicher Entschluß wiederholte Willensbetätigungen zu einer Handlung (im Rechtssinne) zusammenfassen könne, in den Rücktrittsbereich. Eine solche Übertragung mag möglich sein. Sie läßt aber nicht den Schluß zu, daß unbeendeter Versuch erst vorliege, wenn diese Handlung (d. h. die gesamten Willensbetätigungen, die der Täterplan umfaßt)12 auch durchgeführt ist. Wie schon mit dem Abstellen auf die natürliche Handlungseinheit wird mit der Bezugnahme auf den Gesamtplan des Täters die Konkurrenzproblematik mit der Rücktrittsproblematik verknüpft. Der Nachweis dafür, daß dies notwendig oder auch nur sinnvoll ist, wird nicht erbracht. Jedenfalls bleibt festzuhalten, daß die rein begriffliche Berufung auf die natürliche Handlungseinheit keinen Grund für irgendeine Ausweitung des Rücktrittsprivilegs abgibt. Denn sie bleibt ohne Rücksicht auf die gebotenen Sachargumente und verlangt Opfer in Form der Ausweitung der Rücktrittsmöglichkeit, ohne damit die Ungleichbehandlung entscheidend verringern zu können. bb) Beschränken sich Dreher, Jescheck und Schmidhäuser mit dem formalen Hinweis auf die natürliche Handlungseinheit, so bemühen sich Dtto und Roxin um eine materielle Erklärung mittels normativer Elemente. Die (allerdings knappen) Andeutungen von Roxin73 gehen etwa dahin, daß es doch kaum zu leugnen sei, daß eine verminderte verbrecherische Energie auch vorliege, wenn der Handelnde seinen Plan aufgebe, obwohl er ihn ungehindert verwirklichen könne. Eine Aufgabe des Planes trotz konkreter Fortsetzungsmöglichkeit sei von den " ... Maßstäben des Verbrecherhandwerks als unvernünftig und damit vom Standpunkt des Gesetzes als Rückkehr zur Legalität ... " anzusehen. 70 So etwa die "Isolierungstheorien" von Baumann und Gutmann; vgl. unten I, 7. 71 So etwa der Vorschlag von Schmidhäuser, 15/53. 72 Etwa BGH GA 1966, 208; eine Reihe von Schüssen. 73 ZStW 77, 94; ders., Kriminalpolitik, S. 37/38 u. Fn. 77; ders., Rücktritt,
S.256.
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Erster Teil: I. Das Abgrenzungsproblem
Denn was der Täter selbst vor dem Erfolgseintritt wiedergutgemacht habe, brauche ihm nicht vergolten zu werden. Eine Allgemeinabschreckung sei überflüssig, und auch der Sicherungs- und Besserungszweck entfalle74 • Diese Hinweise sind m. E. nicht stichhaltig. Zwar soll nicht bestritten werden, daß das Abstehen von weiteren möglichen Versuchshandlungen auf geringe kriminelle Intensität hindeuten kann und es sogar Fälle geben mag, in denen Strafe nicht angebracht erscheint. Denn unter der Herrschaft eines Strafrechts, dessen Schwerpunkt nicht in der Vergeltung des Unrechts, sondern in der präventiven Schutzfunktion liegen sollte, vermag man Strafe gegenüber solchen Tätern kaum zu rechtfertigen, bei denen der erstrebte Erfolg, nämlich das Abstehen von weiteren strafbaren Handlungen bereits vorher erreicht zu sein scheint. Einerseits kann und sollte aber ein derart problematisches Urteil besser im Bereich der Strafzumessung berücksichtigt werden, weil ihm dort eine breitere Basis verliehen und die Täterpersönlichkeit einer umfassenderen Würdigung unterzogen werden kann. Zum anderen führt die Anwendung des § 46/24 n. F. obligatorisch zur Straflosigkeit. Und gerade die damit verknüpfte Aussage, daß die bereits erwiesene kriminelle Energie wie die damit verbundene Rechtsgutgefährdung gleichsam unbeachtet bleiben könnten, daß sich also in besagten Fällen general- wie spezialpräventive Eingriffe gegenüber dem Versuchstäter stets erübrigten, bleibt eine vage Spekulation. Auch wenn es im Rahmen dieser Darlegung nicht möglich ist, die Prämissen dieser Schlußfolgerung nur einigermaßen darzustellen, so erscheint sie doch schon deshalb zweifelhaft, weil sie auf einer Simplifizierung beruht: sie setzt sich schlicht darüber hinweg, daß das Motivationsgefüge des Täters sich während der Tat ständig verschieben kann und auch die Faktoren der aktuellen Handlungssituation andauernd fluktuieren. Das findet darin seinen Niederschlag, daß der Täter die Handlungsresultate, die Realisierungschancen und -folgen ständig anders beurteilt und daraus Folgerungen für sein weiteres Verhalten ableitet, ohne daß sich daraus ein direkter Schluß auf die Notwendigkeit der Strafe ziehen ließe. Daß die Argumente von Roxin an den problematischen Fällen eigentlich vorbeigehen, zeigt sich dann auch bei genauerer Betrachtung der 74 Es sei bereits an dieser Stelle hervorgehoben, daß Roxin wie auch Otto hauptsächlich mit präventiven Argumenten, also mit "zumessungstypischen" Erwägungen arbeiten; die Straflosigkeit wird aus der Strafzwecklehre begründet; Roxin, Rücktritt, S. 270. Das ist durchaus ungewöhnlich, wenn man davon ausgeht, daß es sich beim Rücktritt um ein negatives Tatbestandsmerkmal, um einen Schuldausschließungs- oder Strafaufhebungsgrund handelt. Bei Roxin ist diese Argumentation allerdings damit in Zusammenhang zu sehen, daß er - in Abkehr von den gängigen Schuldauffassungen die Schuld als Einflußbereich von Zumessungserwägungen sieht. Darauf wird noch zurückzukommen sein.
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angeführten Rechtsprechungsbeispiele. Ihre Durchsicht ergibt, daß die Angeklagten größtenteils im Zustand affektiver Erregung gehandelt hatten, ohne allerdings unzurechnungsfähig zu sein: BGHSt 10, 129: der Angeklagte handelt aus Wut und in plötzlicher Gefühlsaufwallung. BGHSt 14, 75: Totschlagsversuch nach Zustellung der Scheidungsklage; Wut, Erregung, Eifersucht. BGH GA 1966, 208: aufgestaute Wut und Alkoholeinwirkung. BGHSt 22, 330: Wutanfall aus Eifersucht. BGHSt 24, 48: Erregung, Eifersucht. BGH MDR 1951, 117 f.: sinnlose Wut, starker Affekt. Dabei liegt der Regelfall so, daß sich die innere Spannung in der Ausführungshandlung entlädt und zwar unabhängig davon, ob diese den eventual einkalkulierten oder direkt angestrebten Erfolg hat oder nicht. Bedenkt man nun, welch verschiedene Gründe sich hinter einem solchen Affekt bzw. seinem Verschwinden verbergen können 75 , so ist der Rücktritt als Basis für eine Beurteilung der kriminellen Intensität des Täters wie auch der sozialen Unerträglichkeit der Tat denkbar unzureichend. In derartigen Fällen läßt sich auch nicht sagen, daß die Aufgabe des Entschlusses von den Maßstäben des Verbrecherhandwerkes aus unvernünftig sei. Und zwar schon deshalb nicht, weil diese Formel einseitig nur Fälle erfaßt, in denen das Verbrechen als "Handwerk" verstehbar ist und man von "Verbrechervernunft" überhaupt reden kann 78. Auch die Argumente Ottos77 überzeugen in entscheidenden Punkten nicht. Bereits im methodischen Ansatz wird wenig deutlich, weshalb er eine Lösung gerade über eine analoge Anwendung des § 46 Nr. 2 erreichen will, wobei er ja nicht nur die in § 46 Nr. 2 vorausgesetzte tatsächliche Erfolgsabwendung, sondern auch das Erfordernis der "eigenen Tätigkeit" mittels eines Analogieschlusses überwinden muß. Stellt man aber die Manifestation der Abkehr vom verbrecherischen Vorhaben durch bloße Aufgabe möglichen Weiterhandelns dem "ernstlichen Bemühen, den Erfolg abzuwenden" gleich, so schraubt man mittels des Analogieschlusses die Voraussetzungen des § 46 Nr. 2 auf die der Nr. 1 zurück und beseitigt so den Unterschied zwischen beiden Vorschriften. So gesehen wäre eine analoge Anwendung des § 46 Nr. 1 methodisch richti75 Geilen, JZ 1972, 340 f.: Apathie, eine durch das bisherige Tun bereits eingetretene Affektentleerung oder ambivalente Täter-Opfer Beziehungen sind häufig Grund für das Zustandekommen des Rücktritts. 78 Gegen letzteres spricht, daß die Kriminalsoziologie einen prinzipiellen Unterschied zwischen Kriminellen und Nichtkriminellen mit überzeugenden Gründen geleugnet hat, ob es damit noch möglich ist, von einer "Verbrechervernunft" zu sprechen, erscheint zweifelhaft. Zumindest läuft man Gefahr nach realitätsfernen Fiktionen und Begriffen zu unterscheiden. 77 GA 1967, 144 ff.
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ger 78 • Aber auch die wohl tragenden Argumente 79 für eine analoge Anwendung des § 46 Nr. 2 auf den Fall, daß der Täter nach fehlgeschlagenen Versuchen von konkret möglichen weiteren Versuchen absieht, kommen über den Wert eines Bekenntnisses nicht hinaus. Wenn Otto behauptet, (auch) in diesen Fällen könne die Strafe weder spezialnoch generalpräventiv wirken, so gilt das bereits zu Roxin Gesagte. Soweit es dagegen um die Frage des Sühneinteresses geht, scheinen mir die Ausführungen sogar widersprüchlich zu sein. Otto 80 meint, ein berechtigtes Sühneinteresse liege nicht vor, wenn der Täter eine konkrete Wiederholungsmöglichkeit unterlasse, weil ein Erfolgsunwert, der über eine Gefährdung hinausgehe, fehle. Daß aber die Gefährdung keine eigenständige Bedeutung habe, wird auf die kaum beweiskräftige und kritiklos übernommene Argumentation gestützt, daß sie auch der in der Rechtsprechung des BGH einer Straffreiheit nicht entgegenstehe. Nachdem der Gefährdungsgedanke auf diese Weise überspielt wurde, folgt noch einmal die Behauptung, daß ein berechtigtes Sühneverlangen der Rechtsgemeinschaft fehle, eine Sühneleistung des Täters als Beitrag zur Aussöhnung mit der Rechtsgemeinschaft unnötig sei, denn die Notwendigkeit einer Wiederherstellung der Rechtsordnung sei nicht ersichtlich, weil ein Erfolg nicht eingetreten sei. Wäre aber diese These richt~g, so könnte die Strafe bei allen Versuchs- und Gefährdungsdelikten jedenfalls nicht mit einem Sühnebedürfnis begründet werden. Dies dürfte allerdings auch nicht die Ansicht von Otto sein. Seine Ausführungen enthalten wenige Zeilen später folgenden Satz: "Fehlt es an dem Erfolgsunwert, der auch in einer Gefährdung liegen kann, so ist die Strafe nur zu rechtfertigen, wenn das pflichtwidrige Verhalten des Täters Anreiz für andere sein kann, Rechtsgüter zu beeinträchtigen, oder aber die Annahme begrün78 Zutreffend Hruschka, JZ 1969, 495/8 Fn. 18. Er weist darauf hin, daß es bei dem hier im Mittelpunkt stehenden Problemkomplex um die Frage geht, "ob ... für bestimmte Fälle beendeter Deliktsversuche § 46 Nr. 1 analog angewandt werden kann oder nicht". Ein derart methodisch klarer Ansatz hat den Vorteil, daß "... die Merkmale sauber herausgearbeitet werden können, bei deren Vorliegen aus teleologischen oder kriminalpolitischen Gründen eine Anwendung des § 46 Nr. 1 als zulässig angesehen werden soll". Hruschka betont dabei übrigens ausdrücklich, es sei kein ausreichender Gesichtspunkt, daß die Einzelakte eine natürliche Handlungseinheit bildeten. Auch Geilen, JZ 1972, 335 f. stellt klar, daß es sich hier um eine "Akzentverlagerung" zugunsten des § 46 Nr. 1 handelt. 79 Bedenklich scheint mir auch, daß Otto der Gegenmeinung die Berufung auf den Wortlaut des § 46 Nr. 1 mit dem Vorwurf der Unredlichkeit abzuschneiden versucht (S. 148) und dabei den Eindruck erweckt, als müßten die Zweifel, welche § 46 Nr. 2 im Hinblick auf die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs umgeben, die Vorschrift in jeder Hinsicht suspekt machen. 80 Von der eigenständigen Bedeutung des Sühnegedankens soll hier einmal ausgegangen werden. Zu dem spekulativen Charakter dieser Strafzweckbestimmung, MüHer-Dietz, Strafbegriff und Strafrechtspflege, S. 26 f.
7. "Isolierungstheorien"
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det ist, daß der Täter selbst weitere Rechtsgutbeeinträchtigungen anstreben wird81 ." Dieser Satz dürfte in gewissem Widerspruch zu der Behauptung stehen, daß ein Sühneinteresse fehle, weil ein Erfolg nicht eingetreten sei. Er enthält nämlich die Aussage, daß bei Vorliegen einer Gefährdung (= Erfolgsunwert) eine Strafe auch dann zu rechtfertigen sei, wenn keine besonderen präventiven Notwendigkeiten bestünden. Damit erlangt die Gefährdung also doch eigenständige Bedeutung, und mit der (konkreten) Gefährdung ist doch ein Erfolg eingetreten82 • In Wirklichkeit läßt sich das Sühne bedürfnis eben auch dann nicht so ohne weiteres ausschließen, wenn der Täter von weiteren möglichen Verwirklichun,gsversuchen absieht. Besonders nicht in Fällen, in denen bereits der erste Verwirklichungsversuch eine beachtliche Gefährdung mit sich gebracht hat (also etwa, wenn ein Schuß das Opfer nur knapp verfehlt). So bleibt abschließend die Feststellung, daß weder die Berufung auf die natürliche Handlungseinheit noch die Begründungen von Roxin und Otto eine befriedigende Erklärung für die Ausdehnung des § 46/ 24 n. F. abgeben können, zum al jede dieser Ansichten einen erheblichen Rest ungereimter Ergebnisse hinterläßt. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb einige Autoren eine Lösung in gerade entgegengesetzter Richtung suchen. 7. "Isolierungstheorien" Hatten sich die oben dargestellten Lösungsvorschläge um die Herstellung einer Tatidentität bemüht, um möglichst häufig unbeendeten Versuch annehmen zu können, so will eine andere Meinung selbst durch einen einheitlichen Entschluß verbundene Versuchshandlungen isolieren und einer getrennten Betrachtung unterwerfen und gelangt auf diese Weise recht früh zu der Annahme eines beendeten Versuchs. a) Lösungsvorschläge aal So meint etwa Baumann 83 , es sei richtiger, " ... im Rahmen der §§ 43, 46 bei der natürlichen Handlungseinheit wie auch unstreitig beim Fortsetzungszusammenhang84 die Gesamtbetrachtung aufzugeben und auf die Einzelakte abzustellen". GA 1967, 151. Das dürfte übrigens kaum streitig sein. Nachweise bei Volz, Gefährdungsdelikte, S. 28/50; Horn, Gefährdungsdelikte, S. 7, 30. 83 § 33 11 unter Hinweis auf Gutmann, Rücktritt, S. 95 und Maiwald. 84 Dazu Hruschka, JZ 1969, 495 ff. in einer Rezension von BGHSt 21, 319. Sehr informativ BGH bei Dallinger, MDR 1956, 394 - 395: In einem Fall mehrfach versuchter Abtreibungshandlungen zunächst mit einer Häkelnadel, 81
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Erster Teil: I. Das Abgrenzungsproblem
bb) Zu demselben Ergebnis dürfte Gutmann gelangt seins5 • Er steht auf dem Standpunkt, daß bereits das Aufgeben i. S. des § 46 Nr. 1 begriffsnotwendig die subjektive Anschauung des Täters voraussetze, noch nicht genug getan zu haben, um den Erfolg "möglich" zu machen. Daraus folgert er, daß ein Aufgeben i. S. des § 46 Nr. 1 nicht mehr möglich sei, wenn der Täter einmal eine Handlung durchgeführt habe, die für sich zum Erfolg hätte führen sollen. Und zwar auch dann nicht, wenn er weitere von vornherein für den Fall des Fehlschlagens geplante Ausführungsakte unterlasse. Es handele sich lediglich um die Nichtwiederholun,g eines Versuchs. Eine Ausnahme soll allerdings vorliegen, wenn der Täter nur töten wolle, ohne sich überhaupt auf ein Mittel festzulegen. Hier sei der Vorsatz ganz allgemein gefaßt. Der Täter greife zu jedem Mittel, das sich ihm gerade biete. Vom WeiterhandeIn könne er hier abstehen s6 • Von seinem Standpunkt aus gelangt später mit Spülungen, lehnt der Senat strafbefreienden Rücktritt mit folgender Begründung ab: Der Angekl. habe durch die späteren Teilakte nicht einen begonnenen Versuch fortgesetzt, sondern einen fehlgeschlagenen wiederholt, auch wenn er bereits vor der ersten Einzelhandlung mit der Möglichkeit gerechnet hätte, daß diese noch nicht zum Erfolg führe, und sich die Wiederholung, falls sie erforderlich werden sollte, von vornherein vorgenommen hätte. Denn nach dem Willen des A sollte jeder Teilakt für sich allein den Erfolg herbeiführen. Zwischen den einzelnen Abtreibungshandlungen lag auch jeweils ein gewisser Zeitraum, währenddessen A den Erfolg oder Mißerfolg abwartete, so daß die einzelnen Teilakte dadurch klar voneinander abgehoben waren. Auch nach § 46 Nr. 2 konnte A nicht mehr Straflosigkeit erlangen. Er konnte den Eintritt des zur Verbrechens vollendung gehörenden Erfolges nicht mehr durch eigene Tätigkeit abwenden, da seine Versuche bereits fehlgeschlagen waren. 85 Gutmann, Rücktritt, insbes. S. 83 ff., 92 ff. Zur Stützung seiner Ansicht beruft er sich auf einige ältere Autoren wie etwa Baer, Spohr und Fahrenhorst. Diese Autoren arbeiten mit dem Begriff des "delit manque", der sachlich gleichbedeutend sein dürfte mit dem "fehlgeschlagenen Versuch". In den Fällen des "delit manque" wird der Rücktritt generell ausgeschlossen, da ein Eingreifen unmöglich sei, wenn der Nichteintritt des Erfolges feststehe. Der methodische "Aufhänger" wird im Begriff des "Aufgebens" gesehen. Für unsere kritischen Fälle meint etwa Fahrenhorst, Rücktritt, S. 28: "Der Täter hält einen Akt nicht für genügend, er rechnet also mit der Notwendigkeit mehrerer Akte. Das bedeutet, daß er mit der Notwendigkeit einer oder mehrfacher Wiederholung des ersten Aktes rechnet, und in dem Unterlassen einer solchen Wiederholung ist kein Aufgeben zu erblicken. Z. B. weil er der Durchschlagskraft seiner Waffe auf die vorliegende Entfernung mißtraut, hält der Täter mehrere Schüsse zur Tötung für erforderlich. Hier ist subjektiv nicht erst durch die Summe der Schüsse, sondern mit jedem einzelnen Schuß die Tötung gewollt, erhofft und ihr eventueller Eintritt gebilligt ... Hört der Täter hier trotz der Möglichkeit weiterer Schüsse nach ein oder zwei Schüssen auf, so ist darin lediglich ein Unterlassen der Wiederholung, kein Aufgeben zu erblicken." Die Unzulänglichkeit dieser Argumentation liegt darin, daß das Ergebnis allein mit dem Begriff des "Aufgebens" i. S. d. § 46 zu begründen versucht wird. 86 Vgl. Gutmann, Rücktritt, S. 96. Die Ausnahme ist schwer zu begreifen und nur im Hinblick auf BGHSt 10, 129 verständlich. Vgl. dazu die folgende Kritik.
7. "Isolierungstheorien "
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Gutmann folgerichtig zu einem anderen Ergebnis als etwa die in BGHSt 10, 129 abgedruckte Entscheidung. Er meint, es sei nicht richtig, den erfolglosen Schlag mit der Flasche und das nachfolgende Würgen für eine natürliche Handlungseinheit zu halten und deshalb einen einzigen unbeendeten Versuch anzunehmen. Natürliche Handlungseinheit liege nicht vor, weil die Handlungen des Täters Produkte selbständiger Willensakte gewesen seien. Der Täter könne zwar das Würgen aufgeben, aber nicht mehr von dem Schlag mit der Flasche abstehen 87 • Selbst wenn man aber wie der BGH von einer natürlichen Handlungseinheit ausgehe, biete sich eine andere Lösung an. Beim Fortsetzungszusammenhang, der wie die natürliche Handlungseinheit mehrere Teilakte zu einer Handlung im Rechtssinne zusammenfasse, lasse der Rücktritt vom letzten Teilakt die übrigen Teilakte unberührt. Genauso sei es möglich, bei einer natürlichen Handlungseinheit vom letzten Teilakt zurückzutreten mit der Wirkung, daß (nur) diese Teilhandlung aus der Verurteilung auszuscheiden habe. Auch der Lösungsvorschlag Gutmanns erweckt in mehrfacher Hinsicht Bedenken. Unbefriedigend ist bereits, daß er sein Ergebnis in erster Linie aus dem Begriff des "Aufgebens" abzuleiten versucht. Mit dem Begriff als solchem ist jedoch auch eine Auffassung in Einklang zu bringen, die im Nichtwiederholen eines Versuchs (unter bestimmten weiteren Umständen) einen Rücktritt sieht. Sie muß nur die Wiederholung (unter wertenden Gesichtspunkten) als Teil der aufzugebenden (Gesamt-)Handlung ansehen. Klarheit läßt sich daher erst gewinnen, wenn es gelingt, die jeweilige Interpretation auf hinter dem Begriff stehende materielle Gesichtspunkte, auf das "Vorverständnis" zurückzuführen. Schwer verständlich ist ferner die von Gutmann gemachte Ausnahme. Anscheinend bezieht auch sie sich auf Fälle natürlicher Handlungseinheit, als deren Voraussetzung Gutmann neben einem objektiven Zusammenhang einen "ganz allgemein gefaßten Vorsatz" verlangt. In solchen Fällen sollen wohl der Rücktritt vom letzten Teilakt und die Nichtwiederholung jeweils als Rücktritt von der Gesamthandlung anzusehen sein, und zwar unabhängig davon, ob die bereits vorangegangenen Teilakte bei isolierender Betrachtung noch i. S. des § 46 Nr. 1 aufgegeben werden könnten. Warum diese Ausnahme gemacht wird, bleibt unklar. Es wird auch nicht begründet, worin der (wertungsmäßige) Unterschied zu den Fällen besteht, in denen der Täter einen Schuß als eventuell nicht ausreichend ansieht und daher weitere einplant, nach dem ersten vergeblichen Schuß den zweiten möglichen aber
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Rücktritt, S. 94 f.
Erster Teil: I. Das Abgrenzungsproblem
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unterläßt. Darin sieht Gutmann ja kein Aufgeben88, sondern nur eine Nichtwiederholung des Versuchs. Das Fehlen einer Begründung für diese Differenzierung wiegt um so schwerer, als durch die Ausnahme in einem weiten Bereich die ganzen Unstimmigkeiten, die eine "isolierende" Betrachtungsweise vermeiden soll, erhalten bleiben. Denn die Fälle, daß der Täter bezüglich des Tatverlaufs und der Tatmittel gar keine bestimmten Vorstellungen hat, sondern nur töten will, sind recht häufig. Gutmann scheint ebenfalls zu übersehen, daß die natürliche Handlungseinheit (gleichgültig, ob sie einen einheitlichen Entschluß erfordert oder nicht) keine notwendigen Schlüsse für das Vorliegen eines beendeten bzw. unbeendeten Versuchs ergibt. Nur so ist auch zu erklären, daß er die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit in BGHSt 10, 129 angreift, obgleich bei seinem Ausgangspunkt das Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit dahingestellt bleiben könnte. cc) Von größtem Interesse ist, daß man im Sonderausschuß für Strafrechtsreform des Deutschen Bundestages89 allem Anschein nach auch auf eine Einzelbetrachtung abstellen wollte, wobei natürlich nicht erwartet werden darf, in den Protokollen eine rechtsdogmatische Fundierung der geäußerten Ansichten zu finden. Die Diskussion wurde angefacht durch die Frage des Abgeordneten Schlee, ob aus den Worten "wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt" (so jetzt § 24 Abs. 1 n. F.) zu entnehmen sei, daß ein Täter, der fortgesetzt handele, beim Aufgeben weiterer Einzelhandlungen straflos werde. Im Rahmen der Auseinandersetzung vertrat dann Dreher als Vertreter des Bundesjustizministeriums die auch in der Rechtsprechung und Lehre herrschende Meinung, daß der Täter, der die Absicht gehabt habe, durch mehrere Schüsse zu töten, aber vor Abgabe aller beabsichtigten Schüsse freiwillig aufgebe, vom Mordversuch zurückgetreten sei. Corves meinte, ein derartiges Ergebnis sei bei der extrem subjektivistischen Ausrichtung des Versuchsbegriffes möglich, und Schlee äußerte zwar seine Zweifel, ob in diesem Falle Straflosigkeit "verdient" sei, meinte aber, man könne ein solches Ergebnis hinnehmen, obwohl es dogmatisch (!?) bedenklich sei. Demgegenüber legte der Abgeordnete Arndt unter Zustimmung des Vorsitzenden Müller-Emmert ausdrücklich Wert auf die Feststellung, daß der Ansicht von Dreher seitens des Ausschusses nicht zugestimmt werde. Niemand solle aus den Protokollen entnehmen können, der Ausschuß sei sich in dem Fall, daß der Täter mehrere Schüsse abgeben wolle, aber nach einem Schuß aufhöre, darüber einig gewesen, daß ein freiwilliger Rücktritt vorliege. Bereits der erste S.92. Vgl. die Protokolle des Sonderausschusses für Strafrechtsreform, 5. Wahlperiode, 88. Sitzung, 29. Nov. 1967, S. 1757 -1759. 88 89
7. "Isolierungstheorien "
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Schuß, den der Täter abgebe, sei Mordversuch, von dem er nicht mehr zurücktreten könne. dd) Schließlich sind auch die Lösungsvorschläge von Herzog und Goldschmidt. in diesen Zusammenhang zu stellen, da sie zumindest im Ergebnis mit den vorgenannten übereinstimmen. Anscheinend sind diese Autoren in Vergessenheit geraten. Dies ist zu bedauern, weil sich beide um eine theoretische Fundierung der erzielten Ergebnisse bemüht haben. Herzog 90 geht auf der Basis der sogenannten Präsumptionstheorie91 davon aus, daß ein Versuch, bei dem der Erfolgseintritt einmal vom Wollen und Können des Täters unabhängig geworden sei, von vornherein immer Strafe begründe. Im Gegensatz zu den Fällen des unbeendeten Versuchs lägen hier eine Normübertretung wie auch (zumindest subjektiv) eine Potentialität des Schadens und somit alle Eigenschaften des Delikts vor. Dem liegt die Auffassung zugrunde, daß eine Normverletzung erst dann gegeben sei, wenn der Mensch die Herrschaft über sein Verhalten verloren habe. Alles, was vor diesem Moment liege, sei nicht Normverletzung, also vom allgemeinen Standpunkt nicht strafbar. Der Rechtfertigungsgrund der Strafe beruhe in diesen Fällen auf dem Glauben (Präsumption), daß eine Vollendungspotenz vorliege.
Goldschmidt 92 - anders im Ansatzpunkt - stuft den Versuch nach Gefahrgraden ein und meint, daß die Gefahr ihren höchsten Intensitätsgrad bei solchen Erscheinungsbildern des beendigten Versuchs finde, bei welchen sich der Täter überhaupt der Möglichkeit begeben habe, den Eintritt des Erfolges durch eigene Tätigkeit abzuwenden. "Begriffsmäßig" (?) müßten diese Fälle des beendigten Versuchs stets strafbar sein, weil bei ihnen beendeter Versuch und fehlgeschlagenes Verbrechen zusammenfalle. b) Würdigung
Es dürfte kaum zu leugnen sein, daß sich diese Lösungsansätze, zu einer Einengung des Rücktrittsprivilegs führen, vom Ergebnis nicht der Kritik aussetzen, welche gegen die Rechtsprechung und ausweitenden Vorschläge vorgebracht werden kann 93 • Stellt man
die her die bei
Herzog, Rücktritt, insbes. S. 198, 236 ff. Weitere Vertreter bei Liszt / Schmidt, StGB, § 44 I 3. Für unsere späteren Ausführungen ist interessant, daß Liszt / Schmidt meinen, die Präsumtionstheorie betone einseitig die Gefährlichkeit des Täters. 92 Die Lehre vom beendigten und unbeendigten Versuch, S. 51 f. 93 Ebenso Geilen, JZ 1972, 337 ff. Er unterstreicht die positiven Seiten einer trennenden Betrachtungsweise und meint, daß sich nur auf diese Weise die paradoxe Privilegierung des umsichtiger planenden Täters vermeiden 90
91
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Erster Teil: 1. Das Abgrenzungsproblem
der Abgrenzung auf die Einzelakte ab, so kann von einer Ungleichbehandlung bzw. von einer Privilegierung des weitplanenden oder sich gar nichts denkenden Täters nicht mehr die Rede sein. Denn gleichviel ob der Täter viel oder wenig geplant hat, für den Rücktritt steht jeweils nur der einzelne Handlungsakt zur Debatte. Man kann daher nur bedauern, daß diese offenbar begrüßenswerten Ansätze in neuerer Zeit ohne dogmatische und kriminalpolitische Fundierung geblieben sind und insbesondere auch kein eventuell dahinterstehendes einheitliches Prinzip erkennen lassen. Man vermißt auch hier den eigentlichen Sachgrund für die Beschränkung des Rücktrittsprivilegs in § 46 Nr. 11 24 I 1 1. Alt. n. F. auf den jeweils dargestellten Bereich. Im folgenden soll nun versucht werden, solche Sachgründe für die Abgrenzungsfrage zu finden.
lasse. Es sei jedoch kaum anzunehmen, daß sich die Rspr. dazu entschließen werde, ihren Standpunkt zu korrigieren und die Rücktrittsmöglichkeit so entscheidend zu verkürzen.
11. Ratio der Rücktrittsvorschriften als Basis der Abgrenzung
Die Suche nach einer sachgerechten Abgrenzung kommt an der Frage nach der ratio der Rücktrittsvorschriften nicht vorbei!. Denn die Gesichtspunkte, die für die Straflosigkeit bei Rücktritt ausschlaggebend sind, spielen auch für die Abgrenzungsfrage eine Rolle. Diese bleibt ja nicht ohne Rückwirkung auf den Umfang der Rücktrittsmöglichkeit überhaupt: So führt etwa die Lösung über die natürliche Handlungseinheit zu einer ganz beachtlichen Ausdehnung strafbefreienden Rücktritts, während die Einzelbetrachtung eine Einengung zur Folge hat.
1. Änderung der Fragestellung Nun steckt jedoch gerade die Erklärung der ratio der Rücktrittsvorschriften in einer Dauerkrise. Das läßt sich teilweise bereits auf die Fragestellung der herkömmlichen Betrachtungsweisen, die auch als "Trennungstheorien" bezeichnet werden, zurückführen. Sie gehen davon aus, daß durch den Versuch zunächst ein staatlicher Strafanspruch entstehe, der dann durch den Rücktritt wieder beseitigt werde~. Damit wird aber die Beantwortung der Frage, weshalb der Rücktritt einen bereits vorhandenen Strafanspruch3 beseitige, schon deshalb schwierig, 1 Neuerdings dazu wieder Munoz-Conde, ZStW 84, 756 ff.; er betont die Verknüpfung von theoretischer Begründung und systematischer Stellung der Straflosigkeit bei Rücktritt. Der 3-fache Zusammenhang, nämlich daß die ratio des Rücktrittsprivilegs dessen Voraussetzungen und systematische Einordnung bestimmt, wird zunehmend bewußter, Roxin, Rücktritt, S. 251 ff.; Scheurl, Rücktritt, S. 20 ff. 2 Die ganz h. L. sieht § 46 als Strafaufhebungsgrund (oder sachlich gleichbedeutend als Strafausschließungsgrund). LK (Busch), § 46 Rdnr. 1 und 7 m. w. N.; überblick bei v. Scheurl, Rücktritt, S. 12 Fn. 2; die auf dieser Basis aufbauenden Theorien, als deren gegenwärtig wichtigste die Theorie von der "goldenen Brücke" (auch: "Kriminalpolitische Theorie"), die Gnadentheorie (auch: Prämientheorie) und die Indiz-, Präsumtions- oder Strafzwecktheorie zu nennen wären, werden wegen ihrer strukturellen Trennung von Versuch und Rücktritt auch als "Trennungstheorien" bezeichnet. Auf dem Boden einer Trennungstheorie etwa Baumann, §§ 30 11, 111; 34 I 2; Jescheck, § 52 I 2; Maurach, AT, § 35 VB 3 a; Mayer, AT, § 36 I; Mezger ! Blei, AT, § 102 I; Welzel, § 25 vor I; Stratenwerth, 199, 754. Ein überblick über ältere Autoren findet sich bei Reinh. v. Hippel, Untersuchungen, S. 30 Fn. 200; Munoz-Conde, ZStW 84, 757. Abweichende Einordnungsversuche unten 11,6 b. 3 Die Problematik, die in einem Denken in "Strafansprüchen" steckt, soll dahingestellt bleiben.
4 Burkhardt
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Erster Teil: II. Ratio der Rücktrittsvorschriften
weil jeder Fall des § 46/24 n. F. als Ausnahme von der prinzipiellen Versuchsstrafbarkeit und damit als Systemwidrigkeit erscheint. Daß diese Fragestellung auch auf einem kategorialen Denkansatz beruht und zudem mit dem Einordnungsproblem verknüpft ist, kann zunächst dahingestellt bleiben 4 • Jedenfalls dürfte sie dazu beigetragen haben, daß trotz des umfangreichen Schrifttums 5 eine restlos überzeugende Antwort auf die Sinnfrage bisher kaum gefunden ist und unter dem Blickwinkel der Trennungstheorien vielleicht gar nicht gefunden werden kann 6• Angesichts dieser Sachlage und um nicht in endlose Wiederholung von bereits Bekanntem zu verfallen, kann und soll auf eine Darstellung des Für und Wider dieser Theorien verzichtet werden. Einen demgegenüber vielversprechenderen und strukturell ganz anderen Blickwinkel, der vorläufig nicht material diskutiert werden, aber als konstruktiver Ansatzpunkt dienen soll, hat neuerdings LangHinrichsen wieder zur Diskussion gebracht7. Er verwirft aus der Sicht eines teleologischen Straftatbegriffes die Trennung von Versuch und Rücktritt und meint, daß sich die Strafbarkeit erst aus einer wertenden Ganzheitsbetrachtung ergebe, in die der Rücktritt einbezogen sei8 • Verneine der Gesetzgeber auf Grund einer Gesamtwürdigung bei freiwilligem Rücktritt die Strafwürdigkeit, so entstehe erst gar kein Strafanspruch. Mithin sei man auch der "quälenden" Gedankenoperation enthoben, das Entfallen eines solchen zu begründen. Allerdings wird durch diese Ganzheitsbetrachtung die Sinnfrage nicht eo ipso gelöst, und Lang-Hinrichsen selbst bemüht sich offenbar auch gar nicht um eine konkrete Lösung. Er beschränkt sich vielmehr Dazu Reinh. v. Hippet, Untersuchungen, S. 30 H. übersicht bei Gutmann, Rücktritt, S. 30 H.; ferner etwa die kurze Darstellung bei Jescheck, § 51 I; Lang-Hinrichsen, Tatbegriff, S. 366 f.; MunozConde, S. 757 ff. 6 Dazu Eser, StrafR II Nr. 32 A 13 ff. Diese Unklarheiten dürften auch der Grund gewesen sein, daß früher einige Autoren die Straffreiheit bei Rücktritt grundsätzlich für verfehlt erachteten. Nachweise bei Herzog, Rücktritt, S. 160 ff.; Gutmann, Rücktritt, S. 7 ff. 7 Tatbegriff, S. 366 ff. S Rücktritt und Versuch stellen unter Wertgesichtspunkten eine Einheit dar, darum auch "Einheitstheorie"; zustimmend Schmidhäuser, 13/9. Eine kurze Darstellung dieser Einheitstheorie findet sich auch bei LK (Busch), § 46 Rdnr. 5. Den Ausgangspunkt der Ganzheitsbetrachtung hat Lang-Hinrichsen gemeinsam mit allen, die den Rücktritt als negatives Tatbestandsmerkmal sehen, wie neuerdings etwa Reinh. v. Hippet und v. Scheurt, sowie mit einem Teil der sog. Rechtstheorien, welche das Wesen der Straflosigkeit bei Rücktritt mit dem Fehlen eines allgemeinen Verbrechensmerkmals begründen wollen. Insbes. sind in diesem Zusammenhang hervorzuheben Binding, Grundriß des deutschen Strafrechts, S. 125/6; ders., in: GerS 68, S. 23; Herzog, Rücktritt, insbes. S. 168 ff. Von diesen Theorien, die seit langem als widerlegt gelten, versucht sich Lang-Hinrichsen allerdings abzusetzen. 4
5
1. Änderung der Fragestellung
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auf die Feststellung, daß die Gesamttat jedenfalls eine andere Beurteilungsgrundlage für die Strafwürdigkeit 9 darstelle als das bloße Versuchsverhalten, wobei es dem Gesetzgeber offen bleibe, die Strafwürdigkeit als gemindert oder als ausgeschlossen zu betrachten10 • Die einzelnen Kriterien, die das Gesamtverhalten strafwürdig erscheinen lassen, bleiben dabei ungenannt. Das ist insofern unbefriedigend, als erst durch die Hervorkehrung dieser Kriterien der Begriff der Strafwürdigkeit überprüfbaren Gehalt bekommt und eine Hilfestellung bei der Lösung von Einzelfragen geben kann. Daher dürfte das eigentlich Beachtenswerte an der Ganzheitsbetrachtung auch weniger in einer neuen Antwort auf die Sinnfrage als vielmehr darin zu sehen sein, daß sich die Fragestellung in konstruktiv wertvoller Weise verändert. Sie lautet nicht mehr, weshalb der Rücktritt einen bereits vorhandenen "Strafanspruch" wieder beseitige, sondern weshalb der Versuch bei Rücktritt keine Strafe begründe bzw. schon gar keinen Strafanspruch entstehen lasse ll , 12. Damit weicht die dogmatische, in erster Linie an Schuld und Unrecht orientierte Sicht einer eher kriminalpolitischen Betrachtungsweise, die vor allem zwei Faktoren für die Bestimmung der Strafwürdigkeitsgrenze interessant erscheinen läßt: die kriminelle Energie des Täters (Gefährlichkeit) und die Intensität der Rechtsgutgefährdung 13 • Akzeptiert man einmal diesen Ansatzpunkt als Hypothese für die weitere Untersuchung, ohne daß im einzelnen schon geklärt wäre, was unter Gefährlichkeit und Rechtsgutgefährdung zu verstehen ist1 4, so 9 Wenn Schmidhäuser, 15174, 79, demgegenüber meint, der Rücktritt könne die Strafwürdigkeit ausschließen, weil sich in solchen Fällen das Verbrechen nicht in der Gesellschaft behaupte, so kommt diese Formel über den Charakter einer Beteuerung nicht hinaus. 10 Tatbegriff, S. 373. 11 Vgl. auch Roxin, Kriminalpolitik, S. 36: "Auch für den Richter geht es nicht um Strafaufhebung; er hat darüber zu entscheiden, ob in Rücktrittsfällen eine Strafe überhaupt erst verhängt werden soll." Diese Fragestellung ist freilich nicht neu. So stellt zum Beispiel bereits Herzog fest, daß es zwar materiell keinen Unterschied mache, ob man etwas als eine Ausnahme von der Regel betrachte, oder ob es schon äußerlich gar nicht unter eine solche falle. Nur erscheine es natürlich als Resultat eines verschiedenen Denkprozesses. Zu den Untersuchungen über den materiellen Wert der verschiedenen Fragestellungen vgl. Rücktritt, S. 168 und insbes. S. 199 f. 12 Die oft erörterte Frage, ob sich eine Gesamtbetrachtung auf Grund der Trennung von Versuch und Rücktritt verbiete, dürfte hinreichend verneint sein. Zur Entstehungsgeschichte Herzog, Rücktritt, S. 201 ff., 212 ff., 220; Reinh. v. Hippel, Untersuchungen, S. 34 ff. Die Konsequenzen einer Gesamtbetrachtung bleiben davon natürlich unberührt. 13 Vgl. Reinh. v. Hippel, Untersuchungen, S. 27. 14 Vorläufig bleibt offen, ob mit dem Begriff der Gefährlichkeit nur die ·im Tatwillen zum Ausdruck kommende Gefahr für das angegriffene Rechtsgut gekennzeichnet werden soll oder ob es sich um ein umfassenderes Urteil
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Erster Teil: 1I. Ratio der Rücktrittsvorschriften
wird dadurch auch die Antwort auf die Frage nach der ratio der Rücktrittsvorschriften bereits in gewisser Weise vorstrukturiert. Nämlich dahingehend, daß in den Fällen des § 46 und des § 24 n. F. die Intensität der Rechtsgutgefährdung noch kein sozial unerträgliches, friedensstörendes Maß erreicht habe bzw. die kriminelle Energie des Täters nicht hinreichend erwiesen sei. Die Abgrenzungspraxis des BGH sowie die Lösungsvorschläge, die sich der natürlichen Handlungseinheit bedienen, lassen die im Versuch zum Ausdruck kommende Gefährdung und die Gefährlichkeit der Handlung bzw. des Täters weitgehend unberücksichtigt. Die Vernachlässigung dieser Momente kommt bereits in dem rein formal verstandenen und lediglich mit einer quantitativen Begrenzungsfunktion versehenen Täterplan bzw. Tatentschlußkriterium zum Ausdruck. Sie verfestigt sich durch die Bezugnahme auf die natürliche Handlungseinheit. Das zeigt sich etwa daran, daß in keiner Weise darauf abgestellt wird, wie oft und wie intensiv der Täter das Rechtsgut gefährdet hat. Selbst in dem geschilderten Fall, in dem der Angeklagte das Opfer in Tötungsabsicht zunächst bis zur Bewußtlosigkeit würgte und dann mit einem Messer siebenmal in Brust und Kopf stach15 , wurde in der Rechtsprechung ein strafbefreiender Rücktritt wenigstens im Prinzip genauso für möglich gehalten, wie in einem Fall, wo der Täter dem Opfer das vorgesetzte Gift wieder wegnahm, bevor das Opfer davon getrunken hatte 16. Es wird lediglich gefragt, ob der Täter sich noch im Rahmen seines ursprünglichen Planes befand bzw. ob er noch eine Möglichkeit hatte, weitere Versuche vorzunehmen, die mit den bereits durchgeführten eine natürliche Handlungseinheit gebildet hätten. Zum Teil wird sogar ganz ausdrücklich auf das Gefahrurteil verzichtet. So behauptet etwa der BGH17 - freilich ohne nähere Begründung -, bei der Abgrenzung von beendetem und nichtbeendetem Versuch komme es nicht auf die Gefährdung und auf die objektive Eignung des einzelnen Angriffsteiles an. Und Otto, der selbst feststellt, daß auch sein Lösungsvorschlag den Gefährdungsgedanken außer acht läßt, meint, die Geüber die Verhaltensdisposition des Täters und die sich daraus ergebende Wahrscheinlichkeit künftiger Delikte handelt. Ähnlich unklar ist auch der Begriff der Rechtsgutgefährdung. Damit kann sowohl die Gefährdung des konkreten Handlungsobjektes, wie auch die Beeinträchtigung der Geltungsgewißheit des Rechts gemeint sein. 15 So der Sachverhalt vom BGHSt 23, 356. 16 Ähnlich der dem RGSt 72, 350 zugrunde liegende Sachverhalt. 17 BGH GA 1966, 208/9. Die Formulierung ist nur damit erklärbar, daß der BGH von Entscheidungen wie z. B. RGSt 34, 219; 75, 92 die Behauptung übernommen hat, die Gefährlichkeit spiele keine Rolle; vgl. die Darstellung bei Fiedler, Vorhaben, S. 46. Diese Behauptung muß jedoch relativiert werden. Dazu unten II 2.
2. Gefahr- und Gefährlichkeitskriterien im Versuchsbereich
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fährdung könne keine eigenständige Bedeutung erlangen, denn sie stehe auch in der Rechtsprechung des BGH einer Straffreiheit nicht entgegen 18. Derartige Behauptungen müssen freilich um so mehr erstaunen, als auch die Gerichte im Versuchsbereich stets auf Gefahr- und Gefährlichkeitskriterien abgestellt haben und der BGH in einem Fall die Straflosigkeit des Rücktritts ausdrücklich als Resultat geringerer Tätergefährlichkeit verstanden hat1 9 • Die Nichtberücksichtigung des Gefährdungsgedankens hat daher nahezu Ausnahmecharakter. Denn ganz unabhängig von der jeweils vertretenen Position im Theorienstreit scheint keine der Versuchstheorien ohne eine Orientierung am Gefährdungsgedanken auszukommen. Freilich hat das Gefahrurteil dabei unterschiedliche Färbungen. Sie reichen von der Hervorhebung der Gefährdung eines konkreten Rechtsgutes über den Gefahrbegriff in seiner friedensstörenden Rolle bis zur stärkeren Betonung prognostisch ausgerichteter Tätergefährlichkeit. Aber selbst wenn man - wie offenbar manchmal das RG20 - der Ansicht sein sollte, die Gefährlichkeit sei kein notwendiger Bestandteil des Versuchs, so bliebe doch offen, ob nicht vorhandener Gefährlichkeit eine besondere Bedeutung zukommt.
2. Verwendung von Gefahr- und Gefährlichkeitskriterien im Versuchsbereich a) Vorkommen Soweit es um den Strafgrund des Versuchs geht, mag es bei oberflächlicher Betrachtung den Anschein haben, als orientiere sich von den heute im wesentlichen vertretenen Theorien 21 nur die sogenannte 18 GA 1967, 144/50. Zur Zweifelhaftigkeit derartiger Argumentation vgl. schon oben I 6 b, bb. 19 Vgl. BGHSt 9, 48/52; 14, 75/80: Strafbefreiender Rücktritt, weil sich die im Versuch zum Ausdruck kommende Gefährlichkeit nachträglich als wesentlich geringer erweise. Auf die Kritik an dieser Formel, wie sie namentlich von Lang-Rinrichsen artikuliert wurde, soll zunächst genausowenig eingegangen werden, wie auf die Besonderheit, daß das Gefahrargument hier durch eine Verschiebung auf die Tätergefährlichkeit eine präventive Färbung bekommt. Zutreffend stellt Roxin fest, daß in BGHSt 9, 48 ff. (50) erstmals kriminalpolitische Erwägungen im Sinne der Strafzwecktehre zum Durchbruch drängen; Kriminalpolitik, S. 36, Fn. 75. Eingehend zum Ganzen unten H, 6, 7. 20 Etwa RGSt 34,217/9; 75, 92. 21 Knappe Zusammenstellung etwa bei Jescheck, § 49 H. Die objektiven Theorien gehen in aller Regel ohnehin davon aus, daß der Strafgrund in der Gefährdung des geschützten Handlungsobjektes bzw. in der hohen Wahrscheinlichkeit des Erfolgsunrechtes liege. Sie orientieren sich also unzweifelhaft am Gefahrmoment. Vgl. etwa die klassischen Ausführungen von Rob. v. Rippet, Deutsches Strafrecht, § 29 IX. Aber auch von Liszt / Schmidt, StGB, § 44 I 3: Die Gefährlichkeit macht das Wesen des Versuchs aus. M. E.
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Erster Teil: 11. Ratio der Rücktrittsvorschriften
an der Gefährdung, und zwar derart, daß die Gefahrquelle für das geschützte Rechtsgut im Tatwillen gesehen wird. Aber auch die anderen Versuchstheorien müssen sich früher oder später zu dem Gefahr- oder Gefährlichkeitsgedanken bekennen. Die Formel der heute herrschenden subjektiven Theorie 23 , wonach der Strafgrund des Versuchs in der betätigten rechtsfeindlichen Gesinnung liegen soll, hat in dieser Form praktisch keinen großen Aussagewert. Die darin enthaltene Ablehnung des Gefahrkriteriums betrifft einen objektiven Gefahrbegriff und ist historisch im Zusammenhang mit dem Kausalbegriff der Äquivalenztheorie zu sehen 24 • Sie denkt nur in der Alternative kausal oder nichtkausal und verschließt sich so von vornherein die Möglichkeit von Wahrscheinlichkeitserklärungen. Mit der so zu erklärenden Behauptung, daß alle Versuche konkret ungefährlich seien (RGSt 8, 202) oder daß eine objektive Gefährdung des Rechtsgutes nicht erforderlich sei (etwa RGSt 72, 94), ist aber keinesfalls das Gefahrmoment aus der Versuchstheorie verbannt, sondern allenfalls die Argumentation mit dem objektiven Gefahrbegriff und seiner Bezogenheit auf konkrete, real seiende Handlungsobjekte. So erkennt etwa auch die Rechtsprechung an, daß die Gefährlichkeit den Gesetzgeber bei der Bestimmung, bezüglich welcher Delikte der Versuch strafbar zu erklären sei, und den Richter bei der Strafzumessung leiten könne; nur für die Schuldfrage sei sie ohne Bedeutung (RGSt 34, 219; 75, 92).
Tätertheorie 22
In Wirklichkeit läßt sich der Gefährdungsgedanke nur scheinbar aus der Versuchstheorie verdrängen. Folgende Erwägung mag dies verdeutlichen: Die Verhängung von Strafe setzt - das dürfte kaum bestreitbar sein - einen Anknüpfungspunkt in der Realebene, eine irgendwie reale Störung des gesellschaftlichen Zusammenlebens voraus. Das ergibt sich aus der Funktion des Rechts, die nur in der Gewährleistung des Bestandes äußeren menschlichen Zusammenlebens liegen kann. Nur wenn in der Außenwelt Störungen drohen oder erfolgt sind, ergibt sich ein Anknüpfungspunkt für eine Sanktion. Reale Störungen können aber nur liegen (1) in einem Angriff auf das RegeMayer, AT, S. 344 f. sieht den Versuch als abstraktes Gefährdungsdelikt. Kurze Darstellung der Gefahrtheorie in der Versuchslehre bei Salm, Versuch, S. 105 f. 22 Vertreten etwa von Engisch, Unrechtstatbestand, S. 4011434 ff.: "Der untaugliche Versuch ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt, und zwar in dem Sinne abstrakt, daß abgesehen wird von der Eignung der Ausführungshandlung, das dem Tatbestand zugeordnete Rechtsgut in individueller Verkörperung ... zu gefährden." Auch Kohlrausch / Lange, StGB, § 43 Vorb. IU 4; zust. Oehler, Zweckmoment, S. 121. 23 Statt vieler Schönke / Schröder, § 43 Vorb. 6. Ganz pointiert die Entscheidungen RGSt 15, 317; 39, 316: verbrecherischer Wille als Strafgrund. 24 Reinh. v. Rippel, Untersuchungen, S. 1 ff.; ders., in: Gefahrurteile, S. 63 ff., 99 ff.; Maurach, AT, § 41 IU B 3 c.
2. Gefahr- und Gefährlichkeitskriterien im Versuchsbereich
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lungssubstrat (Verletzung oder Gefährdung der konkreten Handlungsobjekte) und/oder (2) in der Gefährlichkeit des Täters (im Hinblick auf zukünftig von ihm zu erwartende Verletzungen oder Gefährdungen konkreter Handlungsobjekte)25 und/oder (3) in einer Beeinträchtigung der Geltung der Rechtsordnung (Verletzung oder Gefährdung der Geltungsgewißheit des Rechts)26. Verzichtet man auf eine Gefährdung des konkreten Handlungsobjektes (1), wie die subjektive Theorie dies tut, so bleiben als reale Anknüpfungspunkte nur der Täter (2) und die Rechtsgemeinschaft, deren Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit des Rechtssystems beeinträchtigt ist (3)27. Die Eindruckstheorie hat dem Rechnung getragen, indem sie zwar den Strafgrund des Versuchs im verbrecherischen Willen sieht, aber nur, sofern er das Gefühl der Geltungsgewißheit des Rechts beeinträchtigt28 . Beeinträchtigen bedeutet dabei nichts anderes als verletzen oder gefährden. Der berechtigte Grundgedanke dieser Theorie, in welchem auch der reale Anknüpfungspunkt für eine Strafe steckt, besteht in der "spezifischen Eigenart" der Funktionstüchtigkeit des Rechtssystems, nämlich daß das Vertrauen seiner "Benutzer" in die Funktionstüchtigkeit konstitutiv für die Funktionstüchtigkeit ist29 . In25 Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob der so verstandene Anknüpfungspunkt nur als mögliches Unrecht anzusehen ist, auf das nicht mit einer Bestrafung - weil noch kein (teil-)wirkliches Unrecht, sondern nur mit einer präventiven Maßnahme (erzieherischen Charakters) reagiert werden darf. Zu ähnlichen Erwägungen Lampe, Rechtsanthropologie, S. 76 f. 26 Die Trennung zwischen Verletzung und Gefährdung ist in diesem Zusammenhang nicht sehr sinnvoll. 27 Dazu v. Gemmingen, Rechtswidrigkeit, S. 133 ff., 141 ff., 161 ff.; Reinh. v. Hippel, Untersuchungen, S. 2 ff. Es soll auch an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß es sich bei (2) und (3) um Argumente spezial- und generalpräventiven Charakters handelt. Es wird etwa ganz offen zugegeben, daß die sog. Eindruckstheorie, welche auf die Erschütterung der Geltungsgewißheit des Rechts abstellt, aus der "Generalprävention als Aufgabe des Strafrechts" abgeleitet sei. Vgl. etwa Jescheck, § 50 14; v. Gemmingen, Rechtswidrigkeit, S. 38; v. ScheuTl, Rücktritt, S. 26 ff. sieht die ratio der Straflosigkeit des Rücktritts in der fehlenden Rechtsfriedensstörung. Ebenso deutlich tritt bei der Anknüpfung an den Täter in seiner Eigenschaft als Gefahrquelle der spezialpräventive Gedanke hervor. Im vorliegenden Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob mit dem Anknüpfen an eine "Erschütterung der Rechtsordnung" eine unzulässige Erweiterung der Versuchsstrafbarkeit eingeführt wird (so wohl Reinh. v. Hippel, Untersuchungen, S. 1 ff.) und ob die Bezugnahme auf den Täter als Gefahrquelle eine Wiederbelebung der symptomatischen Verbrechensauffassung enthält. Auch die symptomatische Verbrechensauffassung kommt zu besonderen Schlußfolgerungen nur für die Strafzumessung im Rahmen des Tatstrafrechts;
Jescheck, § 6II!. 28 Jescheck, § 50 I 2 b, 4; v. Gemmingen, Rechtswidrigkeit, S. 160 ff.; Mezger / Blei, AT, § 76 II!.
29 "Das Recht muß zum mindesten so verläßlich sein, daß die Illusion der Rechtssicherheit nicht in handlungsrelevanter Weise massenhaft verloren-
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Erster Teil: Ir. Ratio der Rücktrittsvorschriften
teressant ist in diesem Zusammenhang auch noch, daß die Vertreter der Eindruckstheorie bei der Frage, wann die Rechtsordnung erschüttert und wie diese Erschütterung zu messen sei, ein weiteres Mal den Gefahrbegriff (jetzt wohl bezogen auf die Regelungssubstrate) einführen: Entscheidend sei der "Eindruck der Gefährlichkeit der Tat auf die Allgemeinheit". Sobald die Tat gefährlich scheine, entstehe jene Beunruhigung, welche das Sanktionsbedürfnis wachrufe 30 , 31. Eine Versuchstheorie, die auf den Gefährdungsgedanken ersatzlos verzichtet, gibt auch keine Hilfestellung in Abgrenzungsfragen. Bezeichnend ist daher, daß auch die Vertreter subjektiver Theorien sich spätestens dann gewisser "Hilfskriterien" bedienen, wenn es nicht mehr um die rein theoretisch entscheidbare Frage nach dem Rechtsgrund der Versuchsstrafe, sondern um die praxisorientierten Probleme der Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch oder des sogenannten untauglichen Versuchs geht. Bei der Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch zeigt sich die überwiegende Tendenz zur Eingrenzung strafbaren Versuchs an Hand des Gefährdungsmomentes32 • Ebenso orientiert sich die Frage nach der Strafbarkeit des sogenannten untauglichen Versuchs an der Gefährlichkeit als Grenze, wobei geht. Ist das Vertrauen in die Rechtsordnung bei denjenigen erschüttert, deren Handlung durch die Rechtsordnung ermöglicht werden soll, so entstehen Nachteile, die auf die Wirksamkeit der Rechtsordnung zurückwirken." So F. X. Kaufmann, Sicherheit, S. 101, 103. Zur Bedeutung der Realisierungssicherheit und Ordnungszuversicht auch Th. Geiger, Vorstudien, S. 102 f.; Drost, Ermessen, S. 166 ff. 30 Vgl. Jescheck, § 50 I 2 b, 4; v. Gemmingen, Rechtswidrigkeit, S. 162. 31 Vgl. auch Maurach, AT, § 41 III B 3 c; er kehrt den Gefahrbegriff in seiner friedensstörenden Rolle hervor und sieht in der Betätigung der rechtsfeindlichen Gesinnung eine Gefährdung des allgemeinen Rechtsfriedens. Aus dieser Sicht glaubt er auch aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts den Gefährdungsgedanken herausdestillieren zu können: "Daß die ratio sententiae die im Versuch enthaltene abstrakte Gefährdung war, kann bei richtiger Würdigung der reichs gerichtlichen Judikatur kaum zweifelhaft sein ... " Welche Problematik freilich in einem derartigen Ansatz steckt, zeigt sich in den Ausführungen des RGSt 24, 383/4: "Ob die Wirkung eines Delikts nur in der Gefährdung der öffentlichen Rechtsordnung oder in einer tatsächlichen Verletzung des Rechts besteht, ist ... für den Versuchsbegriff einflußlos." Das Reichsgericht scheint aber dabei zu übersehen, daß mit der "öffentlichen Rechtsordnung" ein neues Rechtsgut eingeführt wird, was nicht ohne weiteres zulässig ist. Neben der (konkreten und abstrakten) Gefährdung der einzelnen dem StGB vorgegebenen Rechtsgüter ist eine selbständig bedeutsame, unrechtbegründende Gefährdung der Rechtsordnung nicht anzuerkennen; zutreffend Reinh. v. Hippel, Untersuchungen, S. 3 f. 32 Vgl. etwa Schänke / Schröder, § 43 Rdnr. 10 ff. Aus der Rechtsprechung RGSt 59, 386; 68, 340; 71, 153/4. BGHSt 2, 381; 9, 64. Weitere Nachweise bei Fiedler, Vorhaben, S. 37 f., 53 f., wo hervorgehoben ist, daß der Gefährdungsgedanke insbesondere im Zusammenhang mit Diebstahls- und Raubfällen behandelt wird.
2. Gefahr- und Gefährlichkeitskriterien im Versuchsbereich
57
lediglich streitig war und ist, ob die Gefahr mit der objektiven Theorie konkret und individuell oder mit der subjektiven abstrakt und generell gesehen werden muß33. Und schließlich wird die Straflosigkeit bei Rücktritt als Resultat geringerer Tätergejährlichkeit gesehen 34 . Interessant ist hierbei, daß die Indizwirkung, die dem Rücktritt zugemessen wird, eine Parallele zur "doppelspurigen Indizkonstruktion" bei Berücksichtigung des Nachtatverhaltens im Bereich der Strafzumessung sichtbar macht. Zieht sich also die Orientierung am Moment der Gefahr oder Gefährlichkeit wie ein roter Faden durch den Versuchsbereich, so überrascht es zumindest, daß bei der Abgrenzungsfrage bezüglich des Rücktritts dieser Gedanke in neuerer Zeit nicht aufgetaucht ist35 . Man kann nur vermuten, daß die vorschnelle und unreflektierte Orientierung am Täterplankriterium zu seiner Verschüttung beigetragen hat. Hinzu kommt, daß die Rückwirkungen und die Verflochtenheit der Abgrenzungsfrage mit den Grenzen strafbaren Versuchs nicht ausreichend betont wurden. b) Funktion von Gefahr- und Gefährlichkeitsurteilen
Hinter der Einführung von Gefahr- 36 und Gefährlichkeitsurteilen37 steht das Anliegen, auch im Versuchsbereich eine materielle Orientierung an Rechtsgüterschutz und Erfolgsunrecht zu erhalten und damit gleichzeitig den Unrechtsgehalt des Versuchs zu begründen, zu begrenzen und eine Beziehung zwischen dem Täter und dem von ihm gewollten (tatbestandsmäßigen) Erfolg herzustellen (Problem der objektiven Zurechenbarkeit). Bei vollendeten Verletzungsdelikten erfolgt die Verknüpfung von Verhalten und Erfolg durch ein Kausalurteil. Fehlt eine Verletzung, so liegt es nahe, an die Stelle des Kausalurteils ein Gefahrurteil treten zu lassen, welches eine irgendwie (subjektiv oder objektiv) reale Beziehung zwischen Verletzung und Verhalten herstellt, wobei nur das dem Kausalurteil scheinbar immanente Element der Notwendigkeit durch das der bloßen Wahrscheinlichkeit ersetzt werden muß. 33 Baumann, § 32 I 2 c; ausführlich Maurach, AT, § 46 II! B; Mezger / Blei, AT, § 76 II!; Gössel, GA 1971,232. 34 BGHSt 9, 48/52; zustimmend für § 46 Nr. 1 Arzt, GA 1964, 1/9; früher schon Seeger, GA 17, 333; Fahrenhorst, Rücktritt, S. 11. 35 Eine ausführliche Stufung des § 46 nach Gefahrmomenten findet sich noch bei Goldschmidt, Die Lehre vom beendigten und unbeendigten Versuch,
S. 54 ff. 36 37
Bezogen auf Handlungen und/oder Zustände als deren Folge. Bezogen auf Personen und deren Verhalten.
Erster Teil: 11. Ratio der Rücktrittsvorschriften
58
Auf eine solche Materialisierung des Unrechts läßt sich historisch gesehen auch die (im Versuchsbereich relevante) Lehre von den subjektiven Unrechtselementen bzw. in concreto die Deklarierung des Vorsatzes als subjektives Unrechts element zurückführen38, 39. Das subjektive Unrechts element des Vorsatzes mag nun zwar zur materiellen Unrechtsbegründung beitragen. Es enthält gewissermaßen den Kerngehalt des Unrechts, der in jeder Handlung mit subjektiv rechtsgutverletzender Tendenz steckt 40 . Die im Versuchsbegriff steckenden "graduellen und prinzipiellen Abgrenzungsprobleme"41 lassen sich aber damit nicht bewältigen. Der Rahmen bleibt schon deshalb zu weit, weil alles "Vorgesetzte" erfaßt wird, gleichviel ob es real existiert oder mit real existierenden Mitteln intendiert wird. Nicht jedes Geschehen, das in diesem Sinne unwertig ist, ist auch strafwürdig 42 . Infolgedessen werden für die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch, für die Grenzbereiche des untauglichen Versuchs und für die Begrenzung strafbefreienden Rücktritts weitere Kriterien gesucht. Und als solche bieten sich Gefahr- und Gefährlichkeitsurteile an: Gefahrurteile, weil sie als Vorstufen der Verletzungsurteile eine besondere Orientierung am Rechtsgüterschutz und am Erfolgsunrecht erlauben, Gefährlichkeitsurteile, weil damit die Gefahrquelle als Komponente des Gefahrurteils besonders hervorgehoben werden kann.
3. Theoretische Brauchbarkeit von Gefahr- und Kausalurteilen Nun könnte freilich aus anderen Gründen eine berechtigte Scheu bestehen, die Strafbarkeit des Versuchs von Gefahr- und Gefährlichkeitsurteilen abhängig zu machen. Schon sehr früh kam man zur Einsicht, daß es nicht gelingen würde, dem Begriff der Gefahr "ein wissenschaftliches Gepräge", "Bestimmtheit und Allgemeingültigkeit" zu verleihen und daß bei der Begriffsbestimmung über eine gewisse 38
Schmidhäuser, 8/108.
Der in diesem Zusammenhang oft erhobene Vorwurf, subjektive Unrechts elemente bedeuteten im Rahmen einer grundsätzlich objektiven Unrechtsbegründung einen Systembruch und die Berücksichtigung des Vorsatzes als Schuld- und Unrechtselement sei inkonsequent, überzeugt nicht. Er basiert auf der verfehlten Vorstellung, das Verbrechen bestehe aus den selbständig zerlegbaren Teilen von Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld. Sinnvollerweise kann man aber nur sagen, daß das Verbrechen und damit als sein Bestandteil auch der Vorsatz des Täters unter Schuld- und Unrechtsgesichtspunkten zu würdigen sei. Zutreffend Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 183; Engisch, Unrechts tatbestand, S. 436; Lampe, Personale Unrechtslehre, S. 62; Roxin, Kriminalpolitik, S. 42; Jescheck, § 24 III 3. 40 Dazu Schmidhäuser, 8/29 ff., 15/6; Jescheck, § 24 II, IU. 41 Vgl. v. Gemmingen, Rechtswidrigkeit, S. 89. 39
42
Schmidhäuser, 15/18.
3. Theoretische Brauchbarkeit von Gefahr- und Kausalurteilen
59
Relativität nicht hinauszukommen sei 43 . In der Folge davon wurde der Gefahrbegriff für objektiv gar nicht bestimmbar gehalten44 . Zumindest wurde bezweifelt, ob die Entscheidung, daß ein Rechtsgut gefährdet gewesen sei, vom Gesetzgeber oder Richter auf eindeutige Grundlagen gestellt werden könne4s . Diese Zweifel sind auch heute keineswegs beseitigt46 . BGHSt 18, 272 beginnt etwa mit den Sätzen: "Der Begriff der ,Gefahr' entzieht sich genauerer wissenschaftlicher Umschreibung. Er ist nicht allgemeingültig bestimmbar ... " Und Reinh. v. Hippel 47 kommt in seiner tiefgründigen Untersuchung von Gefahrurteilen zu dem Ergebnis, daß diese traditionelle Einsicht der Rechtsprechung endgültig sein dürfte. Gefahr- und Gefährlichkeitsurteile enthalten neben dem Werturteil, daß das zu erwartende Ereignis schädigenden Charakter habe, ein Wahrscheinlichkeitsurteil, und damit ein in hohem Maße hypothetisches Moment. Damit fehlt ihnen häufig die für eine intersubjektive Nachvollziehbarkeit so wichtige Evidenz, die Kausalurteilen zukommt, wenn diese durch den Erfolg bestätigt zu sein scheinen 48 . So dürfte zu erklären sein, daß die Einwände gegen Gefahr- und Gefährlichkeitsurteile auch oft an die gegen alles wahrscheinlichkeitstheoretisch gewonnene Wissen erhobenen Bedenken erinnern: Dem Gefahrurteil korrespondiere ein unsicheres, fehlerhaftes und vorläufiges Wissen. Es beruhe auf einem Mangel an Information oder auf nur wahrscheinlichen Folgerungen 49 . Es werde erst durch die Unzulänglichkeit der menschlichen Erkenntnis denkbarso. Damit wird zum Teil die Verwendbarkeit des Gefahrurteils für das Strafrecht bezweifelt, weil man glaubt, auf derart unvollkommenes Wissen keine Rechtsfolge mit weittragenden Konsequenzen stützen zu können s1 . Hinzuweisen ist ferner auf die in unserem Zusammenhang bedeutende Entscheidung des Reichsgerichts, mit der es die Brauchbarkeit des Vgl. Busch, Gefahr, S. 5. Etwa die Darstellung bei Renekel, Gefahr, S. 3 ff., Fn. 6, S. 19; M. E. Mayer, AT, Kap. 4 B II, Fn. 2. 45 M. E. Mayer, AT, Kap. 8 A I 3. 46 Lackner, Gefährdungsdelikt, S. 15 f. 47 Gefahrurteile, S. 108. 48 Reinh. v. Rippel, Gefahrurteile, S. 107. 49 Bassenge, Gefahrbegriff, S. 22 m. w. H. 50 Lackner, Gefährdungsdelikt, S. 17; auch die Behauptung von Volz, Gefährdungsdelikte, S. 8: "Ein Mensch mit vollständiger Kenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten (ontologische Kenntnis) könnte mit seinem Erfahrungswissen aufgrund der Kausalgesetze (nomologisches Wissen) einen zukünftigen Erfolg mit Sicherheit voraussehen. Ein Möglichkeitsurteil gäbe es für ihn nicht." 51 Z. B. Dahlmann, Rücktritt vom Versuch, S. 80. Sein Argument richtet sich gegen die Präsumptionstheorien. 43 44
60
Erster Teil: H. Ratio der Rücktrittsvorschriften
Gefahrbegriffes im Versuchsbereich leugnete 52 • Das Reichsgericht wandte sich gegen die Auffassung, " ... , daß die Handlungen, wenn sie als Versuch strafbar sein sollen, in einem Kausalverhältnis zur Vollendung, in welcher diese für jede Strafe notwendige Gefährdung oder Verletzung des Rechts enthalten ist, stehen müssen. . .. Denn kausal für den Erfolg ist eine Handlung nie, wenn ein Erfolg nicht eingetreten; der Nichteintritt zeigt eben, daß sie nicht kausal war". Um das wirkliche Gewicht dieser Vorbehalte gegen die Brauchbarkeit von Gefahr- und Gefährlichkeitsurteilen zu ermessen, soll kurz auf die sich zum Teil gegenseitig bedingenden Prämissen eingegangen werden, auf denen die Zweifel beruhen. Hier sind m. E. zwei Gesichtspunkte aufschlußreich. a) Zum Teil scheinen die Bedenken gegen Gefahr- und Gefährlichkeitsurteile auf einem ontologischen Kausal- und Gefahrbegriff zu beruhen. Kennzeichnend für die letztlich philosophischen Prämissen, die dabei zugrunde liegen, sind etwa die Ausführungen von Bassenge 53 • "Die Feststellung, daß der Täter eine Gefahr herbeigeführt hat, ist also eine Aussage über die (mögliche) kausale Beziehung zwischen einem gegenwärtigen und einem zukünftigen Zustand in der Außenwelt. Das führt zu der grundlegenden Frage, in welcher kausalen Beziehung zwei zeitlich aufeinanderfolgende Zustände in der Außenwelt überhaupt stehen können .... Das tatsächliche Geschehen steht unter dem Gesetz von Ursache und Wirkung. Jeder Erfolg beruht auf einer Ursache, jede Ursache führt eine Wirkung herbei. ... Grundsätzlich kann daher zwischen zwei zeitlich aufeinanderfolgenden Zuständen nur die kausale Beziehung der Notwendigkeit (der zukünftige Erfolg muß eintreten) oder der Unmöglichkeit bestehen (der zukünftige Zustand kann nicht eintreten)54." Diese Ausführungen entsprechen der Argumentation, mit welcher RGSt 1, 439 ff. die Brauchbarkeit des Gefahrbegriffs im Versuchsbe52 RGSt 1, 439 ff.; ferner RGSt 8, 198 ff., 202 f. Das RG beschränkte seine Ablehnung des Gefahrurteils auf den Versuchsbereich; vgl. Reinh. v. Rippet, Gefahrurteile, S. 98 ff. 53 Gefahrbegriff, S. 19 ff.; ganz ähnlich auch Votz, Gefährdungsdelikte, S. 8; Busch, Gefahr, S. 11. 54 In diesem Zitat wird auch eine gewisse Parallele zur "Realmöglichkeit" bei Nicolai Rartmann, Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 238 ff. deutlich. Gibt es zwischen zwei zeitlich aufeinanderfolgenden Zuständen nur die kausale Beziehung der Notwendigkeit, so kann es in Wahrheit auch keinen Kreis von Möglichkeiten geben: "Die ,Vielfalt des Möglichen' sinkt in sich zusammen, und es besteht überhaupt nur die eine Realmöglichkeit. Das aber ist die Möglichkeit dessen, was im Fortgang des Prozesses wirklich wird." "Es ist stets nur eines möglich, dasjenige, was wirklich wird; alles andere ist durchaus unmöglich." Zustimmend insoweit Lampe, Rechtsanthropologie, S. 67 ff. Informativ zum Ganzen StegmüHer, Hauptströmungen, S. 259 ff., 285; er meint, daß sich in einer genaueren Analyse zeigen lasse, daß das Spaltungsgesetz der Realmöglichkeit eine versteckte Formulierung des allgemeinen Kausalprinzips (i. S. eines Prinzips des universellen Determinismus) beinhalte.
3. Theoretische Brauchbarkeit von Gefahr- und Kausalurteilen
61
reich leugnete. Sie beruhen auf der Annahme eines allgemeinen Kausalprinzips, das auch der ebenfalls ontologisch verstandenen Äquivalenztheorie zugrunde lag, mit welcher das RG seine Entscheidung stützte55 • Vom Standpunkt einer entsprechenden ontologischen Deutung des Kausal- und Gefahrbegriffes ist die Ablehnung von Gefahrurteilen auch konsequent, weil sie praktisch sinnlos wären. Gegenüber einem Gefahrbegriff, der den ontologischen Ausgangspunkt nicht teilt, greifen jedoch die Ablehnungsgründe nicht durch 56 • Sobald man das Moment der Notwendigkeit aus dem Kausalbegriff eliminiert und es durch das der bloßen Wahrscheinlichkeit ersetzt, bekommen Gefahrurteile einen Sinn. Im vorliegenden Zusammenhang kann und muß das philosophische Problem eines Kausalprinzips außer Betracht bleiben. Daß ein derartiges Prinzip durch gewichtige Einwände der Erkennungstheorie und durch die Revision des mechanistischen Wissenschaftsbegriffs in der theoretischen Physik an Überzeugungs kraft verloren hat, sei nur erwähnt. Heute versteht man das Kausalprinzip weniger als theoretischen Deklarativsatz mit logischem oder empirischem Wahrheitsgehalt, sondern eher als pragmatische Voraussetzung wissenschaftlicher Tätigkeit57 • Selbst wenn aber die Auffassung von einem allgemeinen Kausalprinzip richtig wäre, so könnte das Recht nicht daran gebunden sein, weil es unter dem Postulat der Möglichkeit von Praxis steht58 • Praktisch kann es durchaus notwendig sein, eine Rechtsfolge an Verhaltensweisen zu knüpfen, die nur mit einer gewissen (statistischen) Wahrscheinlichkeit zu einem tatbestandsmäßigen Erfolg führen 59, und umgekehrt an Erfolge, die nur mit Wahrscheinlichkeit auf ein bestimmtes Verhalten rückführbar sind60 • Das hat neuerdings wieder Armin Kauf55 Dazu Reinh. v. Hippel, Gefahrurteile, S. 23, 62 ff., 98 f. Er weist nach, daß sich die Äquivalenztheorie des RG auf einen heute überwundenen aber zur Zeit ihrer Entstehung noch herrschenden mechanistischen Wissenschaftsbegriff zurückführen läßt. Zum Verhältnis des Kausalbegriffs zu der conditio - sine - qua - non Formel vgl. Engisch, Weltbild, S. 130 ff.; ders., in: v. Weber-Festschrift, S. 260 f. 56 Auch der Gefahrbegriff, den das RG außerhalb des Versuchsbereichs verwendet, wird von dieser Kritik nicht berührt; vgl. Reinh. v. Hippel, Gefahrurteile, S. 99 f. 57 Etwa Stegmüller, Wissenschaftstheorie, Bd. I, S. 438 ff.; Eisermann, Soziologie und Geschichte, S. 601, 620; Luhmann, Zweckbegriff, S. 13 ff., 15, 133 f.: bei der Kausalkategorie handele es sich nicht um die Bezeichnung einer "an sich" wirklichen Umweltgegebenheit, die Entstehen und Vergehen der Systeme durch bestimmte Ursachen zu erklären vermöchte; sondern die Schematisierung des Wirklichen im Sinne der Kausalkategorie sei eine echte Systemstrategie, die auf ihre Funktion hin untersucht werden könne. Zweifelnd Lampe, Rechtsanthropologie, S. 189 f. m. w. H. 58 Reinh. v. Hippel, Gefahrurteile, S. 5, 22, 66 f. und passim. 59 Z. B. "folgenlose Verkehrsgefährdung", "taugliche Versuchshandlungen". 60 Vgl. etwa die hypothetische Vermeidbarkeitsbetrachtung bei Fahrlässig-
62
Erster Teil: II. Ratio der Rücktrittsvorschriften
am Beispiel des Contergan-Verfahrens deutlich gemacht 61 • Die Reduktion der Zurechnung auf streng kausale Abhängigkeiten erreicht in diesen Fällen die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Es besteht die Notwendigkeit, andere Zurechnungskriterien zu finden, eine Sanktion eventuell an nur "unsicheres Wissen", an nur statistische Zusammenhänge zwischen Verhalten und Erfolg, an das Eingehen eines bloßen Risikos zu knüpfen. Die Kriterien, die über die Notwendigkeit solcher Anknüpfungen entscheiden, sind normativer Natur. Damit soll gesagt sein, daß sich Gefahrurteile im Recht auf "Möglichkeiten" ohne konkret nachweisbare ontologische Valenz beziehen können und beziehen müssen. Die rechtswissenschaftlichen Untersuchungen zur Kausalität tragen dieser Tatsache häufig Rechnung, indem sie sich auf den "Kausalbegriff" beschränken und das Problem eines "Kausalprinzips" außer Betracht lassen 62 • Es steht dann nichts entgegen, einen juristischen Kausalbegriff zu bilden, wie er etwa in der Adäquitätstheorie enthalten ist. Das Merkmal der Notwendigkeit des Kausalzusammenhanges wird dabei ersetzt durch das der Wahrscheinlichkeit, der Adäquität oder der Gefährlichkeit eines bestimmten Verhaltens im Hinblick auf einen tatbestandsmäßigen Erfolg 63 • mann
Aus einem ontologischen Gefahr- oder Kausalbegriff können daher keine Bedenken gegen einen Gefahrbegriff hergeleitet werden, der als rechtlicher Funktionsbegriff (objektive) Zurechnungsprobleme lösen soll. b) Von Bedeutung für die Bedenken gegen die Berücksichtigung hypothetischer Momente, wie sie in Gefahrurteilen enthalten sind, keitsdelikten: Zurechnung der Pflichtwidrigkeit und damit des Erfolges, wenn die Verletzung der Sorgfaltspflicht eine gegenüber der Normalgefahr erheblich gesteigerte Gefährdung mit sich bringt; etwa Roxin, ZStW 74, 430 ff.; ders., Gedanken zur Problematik der Zurechnung im Strafrecht, S. 133 ff.; Jescheck, § 28 I; hier ist der übergang von empirischer Kausalitätsfeststellung zu der normativen Frage objektiver Erfolgszurechnung besonders deutlich. Vgl. auch Lampe, Rechtsanthropologie, S. 82 ff.; Ansätze zu einer vom Kausaldogma losgelösten Zurechnungslehre bei Honig, Kausalität und objektive Zurechnung, S. 174 ff. 61 JZ 1971, 569 ff., 572. 62 Etwa Engisch, Weltbild, S. 110 f. Auch Lampe, Rechtsanthropologie, S. 82 f.: Rein juristische Kausalität sei eine praktische (im Gegensatz zur ontologischen). 63 Besonders deutlich wird der Zusammenhang zwischen Adäquität und Gefährlichkeit bei Engisch, Weltbild, S. 136 f.; Reinh. v. HippeL, Untersuchungen, S. 20 f.; und v. Gemmingen, Rechtswidrigkeit, S. 101 hervorgehoben. Es ist daher in erster Linie ein terminologisches Problem, ob man von "Gefahrzusammenhängen", von "Eignung", "Adäquanz", "Sinn- oder Wirkungszusammenhängen" spricht. M. E. ist aber der Gefahrbegriff deshalb vorzugswürdig, weil Störungen des Zusammenlebens durch Gefährdungen und Verletzungen erfolgen und der Gefahrbegriff als Zurechnungsbegriff anschaulich ist.
3. Theoretische Brauchbarkeit von Gefahr- und Kausalurteilen
63
dürfte auch sein, daß das traditionelle Strafverfahren unter den Maximen von "Wahrheit und Gerechtigkeit" steht. Die gerichtliche Entscheidung habe mit "unbedingter", "ausschließlicher Intention auf Wahrheit und Gerechtigkeit" zu erfolgen64 • Diesem Postulat "unbedingter Wahrheit" als Ziel des Strafverfahrens scheint eine Anknüpfung der Strafe an "unvollkommenes Wissen" bzw. an hypothetische Momente zuwiderzulaufen65 • Indessen darf auch dieses Postulat nicht zu genau genommen werden. Es findet seine Grenzen bereits darin, daß nur ein ". .. Standpunkt, der auf Erkenntnis der vollen objektiven Wahrheit ein für allemal verzichtet, ... der dem Menschen allein adäquate (ist)"66. Eine genauere Analyse des Beweisverfahrens bestätigt diese Erkenntnis~7. Auch die Anknüpfung an die conditio-sinequa-non-Formel bietet nur scheinbar sichere Zurechnungs kriterien. In Wirklichkeit tauchen die ganzen Unsicherheitsmomente im Beweisrecht wieder auf, oder es werden Korrekturen verschiedenster Art unter Schuld- und Adäquanzgesichtspunkten vorgenommen, so daß die Bedingungstheorie nur noch virtuell aufrechterhalten bleibt68 • Ist also prinzipiell nichts gegen eine Verwendung von Gefahrurteilen einzuwenden, und käme - angesichts der zahlreichen konkreten und abstrakten Gefährdungsdelikte69 und zahlreicher Wahrscheinlichkeitsaussagen bei Einzelproblemen70 - die Ablehnung von Gefahrurteilen einem Protest gegen Notwendigkeiten gleich, so ist doch der Vorwurf gerechtfertigt, daß der Gefahrbegriff vage ist. Die teils nur in Nuancen, teils stärker sich unterscheidenden Definitionen von "Gefahr" 64 So mehrfach Eb. Schmidt, Deutsches Strafprozeßrecht, S. 15 ff.; ferner die Hinweise bei Luhmann, Legitimation, S. 18 ff.; Geerds, MSchr Krim 43, 92 ff., 111. 65 Vgl. etwa auch die bei Göppinger, Kriminologie, S. 236 f. skizzierten dogmatischen Einwände gegen die auf Prognoseuntersuchungen gestützten Entscheidungen. 66 So die zutreffende Feststellung von Lampe, Rechtsanthropologie, S. 156. Auch die Rechtsprechung teilt diese Erkenntnis, vgl. etwa RGSt 61, 202/ 6; 66, 163/4; BGH NJW 1951, 83; BGH VRS 29, 14. 61 Dazu die gesamten Kommentierungen zu § 261 StPO; vgl. auch Luhmann, Legitimation, S. 18 ff. 68 Zutreffend Reinh. v. Hippet, Gefahrurteile, S. 62, 64, 66, 68 f. 69 Hierzu Schröder, Gefährdungsdelikte im Strafrecht, ZStW 81, 7 - 28; Lackner, Das konkrete Gefährdungsdelikt, 1967; Gallas, Abstrakte und konkrete Gefährdung, in: Festschrift für Ernst Heinitz, 1972, S. 171 - 184. E. Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973. 70 Etwa in allen Fällen einer ex ante Beurteilung mit Wahrscheinlichkeitsaussagen. So in § 53/32 n. F., wo die Frage, ob ein rechtswidriger Angriff bevorstand, nur mit einer nachträglichen Wahrscheinlichkeitsaussage beantwortet werden kann, welche die Gegebenheiten der Notwehrsituation als Erfahrungsdaten verwendet. Ebenso die Wahrscheinlichkeitstheorie in der Diskussion um den dolus eventualis.
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Erster Teil: Ir. Ratio der Rücktrittsvorschriften
helfen nicht viel weiter 70 &. Insbesondere bleiben in diesen Definitionen häufig die Faktoren undeutlich, von denen Gefahr- und Gefährlichkeitsurteile abhängig sein können. Gerade die Herausstellung dieser Abhängigkeiten ist aber eine wesentliche Voraussetzung für die Präzisierung und die Beurteilung der konkreten praktischen Anwendbarkeit solcher Urteile. Im folgenden sollen daher die einzelnen Faktoren, von denen Gefahr- und Gefährlichkeitsurteile im Versuchsbereich abhängen können, etwas näher untersucht werden. Erst wenn dies geschehen ist, läßt sich sagen, inwieweit Gefahr und Gefährlichkeit brauchbare Kriterien für die Strafwürdigkeitsgrenze und damit auch für die Abgrenzungsproblematik von beendetem und unbeendetem Versuch enthalten. Vorauszuschicken ist, daß dabei die Begriffe ,Gefahr' und ,Gefährlichkeit' nicht verwendet werden sollen für den Gegenstand des Urteils, für " ... den in der realen Wirklichkeit vorhandenen Zustand, an den das Möglichkeitsurteil anknüpft"7t, sondern als Urteile bezogen auf eine bestimmte Situation, die als ,gefährlich' prädiziert wird 72 . 70a "Der Ausdruck ,Gefahr' und ,Gefährdung' bedeutet die größere oder geringere Wahrscheinlichkeit eines in naher oder entfernter Zukunft nach menschlicher Erfahrung und den Gesetzen der Kausalität zu erwartenden schädlichen Ereignisses. Wie stark die Wahrscheinlichkeit und wie nahe die danach zu befürchtende Eventualität sein muß, um von vorhandener Gefahr sprechen zu können, läßt sich eben nur für den Einzelfall entscheiden." (RGSt 6, 39617) - "Man bezeichnet damit (seil. mit dem Begriff der Gefahr) einen Zustand, in welchem nach den zur Zeit bekannten Verhältnissen der Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich zu gelten hat, oder, was dasselbe sagen will, eine naheliegende Möglichkeit, eine begründete Besorgnis eines Schadens besteht." (RGSt 10, 173/6; ähnlich RGSt 30, 178/9) - "Zwei Merkmale bilden den Begriff der Gefahr: die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses und der schädliche Charakter desselben ... Gefahr ist also die größere oder geringere Wahrscheinlichkeit eines verletzenden Ereignisses, die mehr oder minder gesteigerte Möglichkeit seines Eintretens." (Rohland, Die Gefahr, S. 1) - "Gefahr bedeutet ... drohendes übel; sie liegt vor, wenn mehrere, aber noch nicht alle Bedingungen für den Eintritt eines Schadens gegeben sind." (Dahs, NJW 1955, 1448/9). Vgl. ferner Mezger / Blei, AT, S. 96; Jescheck, § 26 Ir 2; Maurach, AT, § 20 III 3; Schröder, ZStW 81, 8 f.; Lackner, Gefährdungsdelikt, S. 16; Stöger, Versuch, S. 45; F. X. Kaufmann, Sicherheit, S. 167 f. Zum Gefahrbegriff der BGH-Rspr. BGHSt 8, 31; 11,164; 13,70; 18,271. 71 Dazu Henckel, Gefahrbegriff, S. 16 f. 72 Reinh. v. Hippel, Gefahrurteile, S. 2, 80 ff. Gegen ein derartiges Verständnis wendet sich mit beachtlichen Erwägungen Horn, Gefährdungsdelikte, S. 31 ff. Wenn die Gefahr im folgenden trotzdem als beurteilter Zustand begriffen wird, so geschieht dies, weil es sich für die Analyse von Gefahrurteilen im Versuchs bereich als zweckmäßig erweist. Es ermöglicht, das Gefahrurteil im Hinblick auf seinen jeweiligen Funktionszusammenhang zu differenzieren. Geht es etwa um den Handlungsunwert, so kommt als Basis für das Gefahrurteil nur das dem Täter zugängliche Wissen in Be-
4. Komponenten des Gefahrurteils
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Diese Festlegung rechtfertigt sich im Hinblick auf die Bewertungsfunktion, die der Gefahrbegriff als rechtlicher Begriff übernehmen soll, und sie erlaubt gleichzeitig, die Relativität der Urteilsbasis im Hinblick auf den Beurteiler in den Gefahrbegriff hereinzuziehen. Der Satz "eine Gefahr liegt vor" bedeutet also: "ein Zustand liegt vor, den ein Beurteiler als gefährlich prädiziert". 4. Komponenten des Gefahrurteils
Gefahrurteile sind abhängig von der festgestellten Situation (Gefahrquelle) (1), die als gefährlich prädiziert wird, von dem Objekt (2), das als gefährdet prädiziert wird und - wenn auch nicht auf gleicher Ebene wie (1) und (2) - von dem Beurteiler (3), der das Gefahrurteil zu fällen hat. Jede dieser Komponenten kann maßgeblichen Einfluß nicht nur auf das "Ob" der Gefahr, sondern auch auf ihre Größe gewinnen, die als "Unrechtsgröße" ihrerseits in einer gewissen Relation zur Strafhöhe stehen dürfte 73 • Man kann sich leicht vorstellen, daß in ein und demselben Handlungszusammenhang das Urteil über die Gefährdung des konkreten Handlungsobjektes anders ausfällt als über die "Gefährdung der Rechtsordnung". Damit wird auch die begrenzende Funktion des Gefahrurteils ganz unterschiedlich verwirklicht, je nachdem welche Komponenten man ihm zugrunde legt. a) Abhängigkeit des Gefahrurteils von der Informationsbasis des Beurteilers
Das Gefahrenurteil muß in Relation gesehen werden zu der jeweils zur Verfügung stehenden Informationsbasis. Diese ändert sich aber einerseits mit dem Zeitablauf und ist andererseits personell unterschiedlich. Bereits damit stellt sich die entscheidende Frage, wessen Wissen und zu welcher Zeit dieses Wissen dem Gefahrurteil zugrunde zu legen ist.
aa) Die Zeitpunktfrage Was den Zeitpunkt des Gefahrurteils betrifft, so gewinnt man bei oberflächlicher Betrachtung leicht den Eindruck, als seien Gefahr und Gefährlichkeit Begriffe, die stets eine Prognose ·ex ante voraussetzen74 • Maßgeblich für die Urteilsbasis wären danach die zum Tatzeitpunkt tracht. Anders, wenn es - wie bei Horn - um den "Gefahr-Erfolg" geht. In diesem Sinne differenziert jetzt zutr. GaUas, Abstrakte und konkrete Gefährdung, S. 177 f. 73 Bruns, S. 367 f.; J escheck, § 80 1. 74 Etwa Rob. v. Hippel, Strafrecht, Bd. II § 30 VIII; Lang-Hinrichsen, Tatbegriff, S. 369; Bassenge, Gefahrbegriff, S. 33 f. 5 Burkhardt
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Erster Teil: H. Ratio der Rücktrittsvorschriften
d. i. der Zeitpunkt der Handlung, nicht etwa der des Erfolgseintritts oder sonst ein späterer Zeitpunkt (so jetzt auch § 8 n. F.) - bekannten Umstände. Der Richter hätte sich zurückzuversetzen in die Lage zur Zeit der Tat, also alles auszuschließen, was erst hinterher bekannt wurde. Für die Richtigkeit dieses Standpunktes scheint zunächst das prognostische Moment des Gefahrurteils zu sprechen. Enthält das Gefahrurteil eine Aussage über eine möglicherweise künftig eintretende Verletzung, so setzt dies sinngemäß die Unkenntnis der Umstände voraus, die in der Folge den tatsächlichen Ablauf bestimmen75 . Zur vielleicht einseitigen Hervorkehrung gerade dieses prognostischen Moments mag nicht zuletzt die Auseinandersetzung mit der sog. "älteren objektiven Theorie"76 und der auf einem ontologischen Gefahrbegriff beruhenden Ansicht des RG, daß der Nichteintritt einer Verletzung unwiderleglich die objektive Ungefährlichkeit eines jeden Versuchs beweise77 , beigetragen haben. In jüngster Zeit hat nun wieder Horn 78 mit überzeugenden Argumenten nachgewiesen, daß eine Beschränkung auf das zur Tatzeit Bekannte dann nicht gelten kann, wenn man den Eintritt einer Gefahr als einen auf eine Handlung zurückführbaren Erfolg versteht. Auch Gallas 79 hält für die Feststellung eines konkreten Gefährdungserfolges eine Erweiterung der Prognosebasis auf ex post gewonnene Kenntnisse nicht nur für logisch unbedenklich, sondern auch für sachlich geboten. Zutreffend führt er hierzu aus, daß man differenzieren müsse, je nachdem, ob die Prognose den Sinn eines Verhaltens maßstabes oder einer Lagebeurteilung habe. Nur wenn es darum geht, ob der Täter durch sein Verhalten ein Gefährdungsverbot verletzt hat (Handlungsunwert-Zielunrecht), kommt es auf die zum Handlungszeitpunkt bestehende Schädigungsaussicht an, so daß als Prognosebasis nur ein dem Täter zugängliches ex ante gegebenes Wissen in Betracht kommt 80 • Eine Beschränkung auf das zum Tatzeitpunkt Bekannte wäre auch in den Fällen sachfremd, in denen das Gefahrurteil nicht an die Tathandlung, sondern an die (darin zum Ausdruck kommende) Verbrechensdisposition des Täters im Hinblick auf zukünftige Rechtsgüterverletzungen anknüpft. Dann sind alle zum Urteilszeitpunkt bestehenden 15
18
Gallas, Gefährdungsdelikte, S. 177 f. Gefahrbeurteilung ex post; vgl. die Darstellung bei Maurach, AT, § 41
111; Stöger, S. 45 f.
11 Vgl. RGSt 1, 439; 8, 202 f. und oben S. 60 ff. Zur rechtlichen Unbrauchbarkeit dieser Theorie vgl. Rob. v. Hippel, Strafrecht, § 30 VI; Henckel, Gefahrbegriff, S. 1 ff.; Reinh. v. Hippel, Untersuchungen, S. 1 ff., 18 f. 18 Horn, Gefährdungsdelikte, S. 14 ff. 19 Abstrakte und konkrete Gefährdung, S. 178. 80 Ebd., S. 178.
4. Komponenten des Gefahrurteils
67
Erkenntnisse einzubeziehen. Das verkennt wohl Lang-Hinrichsen81 , wenn er meint, daß Gefahr und Gefährlichkeit - ob die des Täters oder die der Versuchstat sei dahingestellt - Begriffe seien, die stets eine Prognose ex ante voraussetzen.
bb) Die Bezugsperson Ganz unterschiedliche Auffassungen - und hier stellen sich bereits die Weichen zwischen einer objektiven oder subjektiven Versuchstheorie - sind auch bei der Beantwortung der Frage denkbar, wessen ontologisches und nomologisches Wissen bzw. wessen Informationsbasis dem Gefahrurteil zugrunde zu legen ist 82 • Ist es die Sicht eines objektiven und unbefangenen 83 oder die eines sachverständigen Beobachters oder gar die äußerste Grenze der zeitigen Erkenntnismöglichkeit? Oder kommt es darauf an, wie der Täter die Situation einschätzte84 ? Soweit ersichtlich, ist die Abhängigkeit des Theorienstreits von dieser Frage nur bei Stratenwerth betont. Er legt dar, daß der Gegensatz zwischen eingeschränkt subjektiver und neuerer objektiver Theorie sich auf den Unterschied bezüglich des zugrundegelegten Erfahrungswissens reduzieren lasse85 • Urteilt man auf der Basis eines durch das Wissen des "objektiven Beobachters" begrenzten Sachverhaltes, so führt dies zu einem konkreten Gefahrurteil und in der Folge davon zu einer objektiven Versuchstheorie. Beschränkt man sich auf das Wissen des Täters, wobei sinnvoll nur auf sein Wissen zum Tatzeitpunkt abgestellt werden kann, so entspricht dies der subjektiven Versuchstheorie. Im folgenden wird das Täterwissen dem Gefahrurteil zugrunde gelegt und damit auch einer subjektiven Theorie gefolgt. Ob eine solche Annahme auch außerhalb des Versuchsbereichs sinnvoll ist86 , kann dahingestellt bleiben. Betont sei allerdings, daß ein Abstellen auf die Tätervorstellung natürlich dann sinnlos ist, wenn als Gefahrquelle nicht die geplante und durchgeführte Handlung, sondern der Täter selbst angesehen wird. Dann kommt nur ein Urteil in Betracht, das dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft entspricht. Das Gefahrurteil auf der Basis des Täterwissens entspricht jedenfalls der überwieTatbegriff, S. 369; ebenso v. Scheurl, Rücktritt, S. 23 f. Ausführlich dazu die allerdings nicht auf den Versuch bezogenen Ausführungen von Bassenge, Gefahrbegriff, S. 33 ff., 43 ff.; Lackner, Gefährdungsdelikte, S. 18 f.; Horn, Gefährdungsdelikte, S. 32 f. 83 So die jüngere objektive Theorie: Rob. v. Hippel; v. Liszt. Weitere Nachw. bei Lackner, Gefährdungsdelikt, S. 18 Fn. 64. 84 So etwa Appel, Das Verbrechen der Gefährdung von Leib und Leben, S. 13; Merkel / Liepmann, Die Lehre von Verbrechen und Strafe, S. 56. 81 82
85
86
5·
Stratenwerth, 738.
Wohl mit Recht ablehnend Horn, Gefährdungsdelikte, S. 32 f. m. w. H.
Erster Teil: II. Ratio der Rücktrittsvorschriften genden Ansicht, wonach die Vorstellung des Täters über das Stadium seiner Tat für die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch maßgebend ist und der entsprechend auch § 22 n. F. auf die "Vorstellung des Täters von seiner Tat" abstellt 87 • Die durchweg außerdogmatischen Gesichtspunkte, die für die grundsätzlich subjektive Sicht sprechen, sollen hier nicht wiederholt werden. Ihnen sind aber bezüglich des Gefahrurteils einige Zweckmäßigkeitsüberlegungen hinzuzufügen: Daß ein Abstellen auf den sachverständigen Beobachter bzw. auf die äußerste Grenze der zeitigen Erkenntnismöglichkeit kriminalpolitischen Anliegen nicht Rechnung trägt, scheint weder bestritten, noch bestreitbar zu sein. Demgegenüber könnte es naheliegen, auf die Sicht eines objektiven und unbefangenen Beobachters abzustellen. Dabei ist aber folgendes zu bedenken: Auch wenn man den objektiven Beobachter zugrunde legt, ist man immer dann genötigt, eine Ausnahme zu machen, wenn der Täter mehr weiß und ein objektiver Beobachter mit diesem "Mehr-Wissen" zu einem Gefahrurteil käme. Ferner ist das Gefahrurteil jedenfalls nicht damit zu entsubjektivieren und von Unsicherheiten zu befreien, daß man die Sicht eines objektiven und unbefangenen Beobachters ausschlaggebend sein läßt. Vielmehr begünstigt gerade die fiktive Person des unbefangenen Beobachters den Einfluß unkontrollierter Wertungen. Den einzig festen Punkt bildet das Tatsachenwissen des Täters88 • In diesem Zusammenhang ist es immerhin interessant, daß auch die Wissenschaftstheorie bei der rationalen Erklärung menschlicher Handlungen auf die Informationsbasis des Handelnden abstellt: "Relativ auf die Ziele sowie auf die Informationsbasis kann uns eine Tätigkeit als vernünftig oder als unvernünftig erscheinen." "Die doppelte Relativität ist dabei zu beachten: Die Überzeugungen eines Handelnden können als gänzlich unsinnig erscheinen, ebenso seine Zielsetzung; trotzdem kann seine Tätigkeit vernünftig sein, wenn wir diese beiden motivierenden Faktoren als gegebene Daten betrachten. Eine Erklärung, in welcher der Nachweis 81 Vgl. auch Maurach, AT, § 41 I B 4; Jescheck, § 49 IV 3 c; Rechtsprechungsnachweise bei Fiedler, Vorhaben, S. 40; ferner etwa auch RGSt 53, 336. Es kommt also nicht darauf an, ob er glaubt, dies oder jenes sei bereits der Anfang der Ausführung, sondern "... ob der Täter - von seinem Standpunkt aus gesehen - objektiv zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt" (Maurach, AT, § 41 I B 4). Entsprechend wäre auch das Gefahrurteil zu formulieren. 88 Dazu Reinh. v. Hippet, Gefahrurteile, S. 108: Bei den angegebenen Bezugsgrößen handele es sich um ontisch-pragmatische Fiktionen, denn für die Feststellung des jeweiligen "Erfahrungswissens" fehle jegliche Voraussetzung. Eine Ausnahme mache lediglich das Erfahrungswissen des Täters, der als konkreter vorhanden sei. Auch v. Gemmingen, Rechtswidrigkeit,
S.132.
4. Komponenten des Gefahrurteils
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erbracht wird, daß die Tätigkeit eines Menschen eine in diesem Sinne vernünftige Handlung darstellte, bildet eine rationale ErklärungS9 ." In Anlehnung an diese Ausführungen könnte man auch daran denken, als Minimalanforderung von der Handlung des Versuchstäters zu verlangen, daß sie sich in einer "irrealen Konditionalaussage" festhalten läßt, in welcher die Erfüllung eines Straftatbestandes festgestellt wird: Wenn die Situation so gewesen wäre, wie der Versuchstäter sie gesehen hat - wobei es keine Rolle spielt, ob er sie so gesehen hat, wie wir sie jetzt sehen -, dann ist das, was er getan hat, identisch mit dem, was hätte getan werden müssen, um den Straftatbestand zu erfüllen90. Es liegt auch in diesem Zusammenhang wieder nahe, eine Parallele zu den Risikodelikten neuen Typs zu ziehen, wie sie Armin Kaufmann gelegentlich seiner Ausführungen zur "Tatbestandsmäßigkeit und Verursachung im Contergan-Verfahren"91 gefordert hat. Risikodelikte und Versuchsdelikte hätten dann gemeinsam, daß sie Handlungen unterbinden wollen, von denen (einerseits nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft, andererseits nach den Vorstellungen des Täters) nicht vorherzusehen ist, ob sie einen Schaden zur Folge haben. Für Risikodelikte will Kaufmann den rechtspolitisch erwünschten Effekt in der Tatbestandsfassung durch eine negative Klausel erreichen: " ... ohne daß eine Schädigung anderer an Leib oder Leben auszuschließen ist92 ." Fällt man das Gefahrurteil auf der Informationsbasis des Täters, so läßt sich damit eine (scheinbare) Inkonsequenz vermeiden, welche Vgl. Stegmüller, Wissenschaftstheorie I, S. 379. Formulierung in Anlehnung an Stegmüller, Wissenschaftstheorie, S. 381; vgl. schon die Formulierung bei Frank, StGB, III zu § 43: "Wäre der Erfolg möglich gewesen, wenn die Sachlage der Vorstellung entsprochen hätte, die der Täter z. Zt. der Handlung hatte?" 91 JZ 71, 569/76. 92 Vgl. auch die §§ 151 Abs. 1, 157 Abs. 1 und 2 AE: "Wer ... , ohne daß im Zeitpunkt der Handlung eine Schädigung anderer an Leib oder Leben auszuschließen ist, wird ... bestraft." Ferner Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 17, 213 ff. Ganz ähnlich bereits der Gedankengang von Volz, Gefährdungsdelikte, S. 143 ff.: Er sieht Unrecht und Schuld abstrakter Gefährdungsdelikte in dem Risiko, das der Täter im Hinblick auf eine mögliche Verletzung eingeht (und zwar ohne Rücksicht auf die Folgen, die im konkreten Fall eintreten können). Damit wird die Unrechtsanalyse nicht mehr auf die tatsächliche oder mögliche Handlungswirkung bezogen, sondern auf das genannte Risiko. Volz begründet dies u. a. mit einer Gesetzesanalogie zu verschiedenen Rücktrittsvorschriften. Interessanterweise stellt er verschiedene Gruppen abstrakt gefährlicher Handlungen gegenüber (S. 191): Solche, bei denen subjektive Unrechtselemente (Absicht, Vorsatz) das Unrecht konstituieren, und andere, deren Unrechts- und Schuld gehalt nur mit dem "Prinzip des Risikoeingehens" bestimmt werden können. Dies dürfte der Differenzierung von Ziel- und Gefährdungsunrecht i. S. v. Schmidhäuser entsprechen. 89
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Erster Teil: Ir. Ratio der Rücktrittsvorschriften
der subjektiven Versuchstheorie oft zum Vorwurf gemacht worden ist, nämlich daß sie in den Fällen untauglichen Versuchs auf das Gefahrmoment verzichte, aber bei verschiedenen Grenzfragen dann doch dieses Kriterium heranziehe. Ein derartiges Gefahrurteil erlaubt es, auch bei untauglichen Versuchshandlungen eine Beziehung zum (subjektiv konkreten) Rechtsgut herzustellen. Damit transponiert man allerdings neben anderem das Rechtsgutsubstrat vom Objektiven ins Subjektive, das heißt, es braucht nur noch intramental zu existieren93 • Gefahr ist in diesem Sinne nur noch eine andere Bezeichnung für den Handlungsunwert, der in dem Verhalten mit rechtsgutverletzender Willenstendenz zum Ausdruck kommt. Mit dem Gefahrurteil wird zwar wieder der Kerngehalt des Unrechts festgestellt, eine Begrenzung des Strafbaren ist damit aber nur insoweit möglich, als Handlungen erst (aber auch schon) dann als gefährlich bezeichnet werden, wenn sie nach dem Täterplan eine Gefährdung darstellen. Man erhält auf diese Weise also keine besonderen Strafwürdigkeitsmomente. Für die Umgrenzung strafbefreienden Rücktritts und für die Abgrenzung VOn beendetem und unbeendetem Versuch ist damit nichts erreicht. b) Abhängigkeit der Gefahr von der Wahl des gefährdeten Objektes (maßgebliches Angriffsobjekt)
Neben der Informationsbasis kommt der Frage, was als Objekt der Gefährdung anzusehen ist, eine wichtige Bedeutung für das Gefahrurteil zu. Ein und dieselbe Handlung kann im Hinblick auf das konkrete Angriffsobjekt durchaus ungefährlich sein und doch gleichzeitig den Rechtsfrieden und die Rechtssicherheit gefährden. Die Wahl des Bezugspunktes bleibt daher nicht ohne Rückwirkung auf das Gefahrurteil und - soweit man die Strafwürdigkeit des Versuchs davon abhängig macht - auf die Grenzen strafbaren Versuchs. Eine Untersuchung über die Brauchbarkeit von Gefahrurteilen muß also diese Komponente einbeziehen. Nach zunehmendem Abstraktionsgrad geordnet sind als maßgebliche Angriffsobjekte denkbar: das konkrete Handlungsobjekt, das jeweilig spezifizierte Rechtsgut, wobei zu klären wäre, was sich hinter diesem Begriff verbirgt, und schließlich die Rechtsordnung. Auf alle diese Bezugspunkte wird bei der Diskussion um den Strafgrund des Versuchs praktisch zurückgegriffen. So gehen die objektiven Versuchstheorien in der Regel davon aus, daß die Gefährdung einer konkreten Erscheinungsform des im Tatbestand geschützten Rechtsgutes, also eines von 93 Zum selben Ergebnis kommt man, wenn man als (zwischen Handlung und Rechtsgut mittelnde) Rechtsgutsubstrate auch "intentionale" Gegenstände zuläßt; dazu unten II 4 b, ce.
4. Komponenten des Gefahrurteils
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der Tätervorstellung unabhängig existierenden Angriffsobjektes, notwendige Bedingung für die Strafwürdigkeit des Versuchs sei. Demgegenüber sehen die Vertreter einer subjektiven Versuchstheorie zum Teil die Rechtsordnung (in ihrer Geltungsgewißheit) als Angriffsobjekt und begründen die Strafbarkeit mit der "Gefährdung der Rechtsordnung" oder der "allgemeinen Rechtssicherheit" . aa) Gefährdung der Rechtsordnung
Stellt man auf die Gefährdung der Rechtsordnung ab, so scheint sich damit eine weitere Möglichkeit zu bieten, die Ergebnisse der subjektiven Versuchstheorie zu begründen, ohne auf das Vorliegen einer Gefahr verzichten zu müssen. Auch wenn eine Versuchshandlung untauglich ist, so läßt sich darin dennoch eine Gefährdung der Rechtssicherheit, der Rechtsordnung oder der Geltungsgewißheit des Rechts sehen94 • Allerdings ist eine derartige Sicht einigen schwerwiegenden Einwendungen ausgesetzt. Denn entweder nimmt man an, jeder Versuch enthalte eine Gefährdung der Rechtsordnung mit der Folge, daß neben der Handlung mit rechtsgutverletzender Tendenz keine zusätzlichen Strafwürdigkeitsmomente gewonnen sind. Oder es stellt sich die Frage, mit welchen Mitteln und auf welchem Wege der Strafrichter den gegen die abstrakte Rechtsordnung gerichteten Angriff, die Beeinträchtigung der Geltungsgewißheit des Rechts oder die Gefährdung der Rechtssicherheit und des Rechtsbewußtseins soll wägen können 95 • Davon abgesehen handelt es sich bei der Geltungsgewißheit des Rechts und dem Rechtsbewußtsein um generalpräventive Postulate, was die sog. Eindruckstheorie auch ausdrücklich zugibt. Das Ungewöhnliche daran ist der übergang von dogmatischen zu präventiven Argumenten bei der Strafbegründung bzw. bei der Begrenzung des Strafbaren. Regelmäßig ist eine Straftat dann gegeben, wenn (tatbestandsmäßiges) Unrecht und Schuld vorliegen. Präventive Erwägungen werden erst und allenfalls im Bereich der Strafzumessung herangezogen (vgl. etwa § 23 94 Vgl. auch Volz, Gefährdungsdelikte, S. 138 f.; er spricht von einer "zweckdienlichen" Neuformulierung des Rechtsgutes: "So sieht sie (die Rechtsprechung) den Strafgrund des untauglichen Versuchs in der "Gefährdung der Rechtsordnung" (RGSt 24, 382/3; BGHSt 11, 32417; Begründung zu § 27 E 62), in der "Gefährdung der allgemeinen Rechtssicherheit" oder in der "allgemeinen Auflehnung gegen die rechtlich geschützte Ordnung" (RGSt 1, 439/ 43; BGHSt 4, 254; 11, 271). Der Vorteil solcher Definition liegt auf der Hand. Auch wenn eine Versuchshandlung nur generell gefährlich ist, im Einzelfall das individuelle Rechtsgut nicht gefährdet, so läßt sich rein logisch begrifflich eine Gefährdung solch allgemeiner Rechtsgüter dennoch bejahen." 95 So die begründeten Zweifel der "defense social", Mare Ancel, Die neue Sozialverteidigung, S. 187. Aus ähnlichen Gründen lehnt es etwa auch Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 63 f. ab, den untauglichen Versuch als Verstoß gegen die "Rechtsordnung als solche zu deuten".
72
Erster Teil: II. Ratio der Rücktrittsvorschriften
III/56 III n. F. "Verteidigung der Rechtsordnung"), also nachdem festgestellt ist, ob überhaupt eine Straftat, ein vom Standpunkt sozialer Konfliktsregelung falsches Verhalten, vorliegt. Mit dem Abstellen auf die Gefährdung der Rechtsordnung spielen demgegenüber generalpräventive Erwägungen bereits bei der Begrenzung des Strafbaren eine Rolle. Auf den ersten Blick scheint darin ein logischer Widerspruch zu liegen. Denn der Bereich dessen, was vom Standpunkt sozialer Konfliktsregelung her gesehen falsch und daher mit Strafe bedroht ist, kann nicht davon abhängig sein, ob es (aus präventiven Gründen) notwendig und erfolgversprechend ist, auf ein derartiges Verhalten mit Strafe zu reagieren 96 • Dieser Widerspruch läßt sich nur vermeiden, wenn man eine Straftat bereits bei Vorliegen eines in der Ausführungshandlung sich manifestierenden rechtsgutverletzenden Willensverhaltens bejaht, die Strafbarkeit dieser Tat aber von weiteren, am Zweckgedanken orientierten Gesichtspunkten abhängig macht 97 •
bb) Rechtsgut als Angrifjsobjekt Auf den ersten Blick mag es naheliegen, das Rechtsgut als Objekt der Gefährdung anzusehen, zum al "Rechtsgutgefährdung" ein gebräuchlicher Begriff ist und das Denken in Rechtsgütern trotz mancher Anfeindungen nach wie vor eine zentrale Stellung in der Strafrechtsdogmatik einnimmt98 • Auch der Wandel von einer liberal-statischen zu einer mehr dynamischen Rechtsgutauffassung 99 und die sich offenbar durchsetzende Ansicht, daß das Rechtsgutdenken mit einern personalen Pflichtdenken zu verknüpfen sei, haben daran nichts geändert. Vielmehr ist anerkannt, daß die Funktion des Strafrechts durch den Gedanken des Rechtsgüterschutzes (vor Verletzungen und Gefährdungen) gleichermaßen begründet, begrenzt und rationalisiert wird 10o • Bedenkt Vgl. auch Jacobs, Studien, S. 11. Ähnlich differenziert etwa Schmidhäuser zwischen dem Strafgrund des Versuchs und seiner Strafwürdigkeit, wobei die Strafwürdigkeit Elemente enthalten soll, die über Unrecht und Schuld hinausgehen. Der Nachteil am Begriff der "Strafwürdigkeit" liegt nur darin, daß die dahinter stehenden Sachgründe nicht ohne weiteres erkennbar sind. 98 Vgl. etwa Jescheck, § 1 III 1; 26 I; Reinh. v. Hippet, Untersuchungen, S. 15; MüHer-Dietz, Strafbegriff, S. 57 f.; Rudotphi, Rechtsgutbegriff, S. 151; Würtenberger, Geistige Situation, S. 63 ff.; Otto, Rechtsgutbegriff und Deliktstatbestand, in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, S. 1 ff. A. A. aber etwa Wetzet, StrafR, § 1 I: er sieht die Aufgabe des Strafrechts im Schutz der elementaren sozialethischen Gesinnung und erst darin eingeschlossen den Schutz der einzelnen Rechtsgüter. Polemisch auch Frank, VDA V, S. 171 f. Zu den Angriffen der Kieler Schule (Dahm, Schaffstein) vgl. Schwinge / Zimmert, Wesensschau, S. 70 ff.; Schönke / Schröder, vor § 1 Rdnr. 21. 99 Dazu Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 113 ff.; 166 f. 100 Allgemein zum Rechtsgutbegriff auch Jescheck, § 26 I; Es er, The 96
97
4. Komponenten des Gefahrurteils
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man die zentrale Aufgabe, die dem Rechtsgutbegriff bei der Auslegung der Tatbestände, bei der die ganze Unrechtslehre durchziehenden Güter- und Interessenabwägung 101 und schließlich bei der Ausscheidung bloßer Moralwidrigkeiten zukommt, so ist auch gar nicht ersichtlich, ein wie geartetes funktionales Äquivalent an seine Stelle treten sollte. Um so interessanter ist die Frage nach dem Inhalt des Rechtsgutbegriffes. Ohne Kenntnis dieses Inhalts läßt sich nicht beurteilen, ob in dem Erfordernis der Rechtsgutgefährdung ein taugliches Kriterium für strafwürdige Versuchsfälle enthalten ist. Weitgehende Einigkeit dürfte darüber bestehen, daß Rechtsgut und konkretes Handlungsobjekt nicht identisch sind 102, sondern allenfalls in besonderen Fällen einmal tatsächlich zusammentreffen können 103. Das Rechtsgut wird unterschieden von dem konkreten Gegenstand, gegen den sich die strafbare Handlung richtet. Zwar wird davor gewarnt, das "Rechtsgut" von seinem Träger gelöst zu sehen und in einer Abstraktion wie etwa im allgemeinen Begriff der Rechtsordnung aufgehen zu lassen 104. Gleichwohl sind Rechtsgüter "nicht als greifbare Gegenstände der realen Welt zu verstehen, sondern sie sind ideelle Werte der Sozialordnung, auf denen die Sicherheit, Wohlfahrt und Würde des Daseins der Gemeinschaft beruhen"105. Sie sind rechtlich anerkennte Interessen an bestimmten Gütern als solchen in ihrer generellen Erscheinungsart106. Schmidhäuser 107 versteht darunter den Achtungsanspruch, der von den Gütern des Gemeinschaftslebens ausgeht. Rechtsgutverletzung wird damit zur Verletzung eines derartigen Achtungsanspruches, zum "geistigen Verhalten", wobei es folgerichtig ist, principle of harm, 374 f., 376 ff. Marx, Zur Definition des Begriffes "Rechtsgut", 1971. 101 Insbesondere im Rahmen der Notwehr, des übergesetzlichen Notstandes und der Wahrnehmung berechtigter Interessen. 102 Baumann, § 12 II 3; Jescheck, § 26 I 4; Maurach, AT, § 19 II 1; Mezger / Blei, AT, § 36; Schmidhäuser, 2/31; 8/29; Salm, Versuch, S. 179; Eser, Principle of harm, S. 378; Tiedemann, Tatbestandsfunktion, S. 116. 103 Dazu Maurach, AT, § 19 II A 2. 104 Maurach, AT, § 19 II A 1 mit Hinweis auf E. Wolf, Die Stellung der Verwaltungsdelikte, S. 516, 537 f.; ferner Würtenberger, Die geistige Situation, S. 68; Eser, Principle of harm, S. 380: "If the connection of our criminal law with the sociological substratum is to be preserved, this growing trend of abstraktion must be terminated; legal interests must once again be related to their natural basis - namely to specific rights and needs of individuals, social-groups or the state." 105
108 107
Jescheck, § 26 I 4. So Maurach, AT, § 19
II A 1.
2/30 ff.; vgl. ferner die Zusammenstellung bei Otto, Rechtsgutbegriff,
S. 2 f. Er schließt sich übrigens der Meinung an, daß es sich bei der Bestimmung des Rechtsgutes wesentlich um eine Beziehung von Personen und Objekten handele (S. 8); ebenso Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 115.
Erster Teil: II. Ratio der Rücktrittsvorschriften
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nur noch von Rechtsgutverletzung, nicht mehr von Gefährdung zu reden. Bereits diese Definitionen, die durchaus repräsentativ sind, dürften zeigen, daß ein derart ideell gesehenes Gut als Objekt einer Gefährdung für eine praktische Begrenzung kaum noch sinnvoll sein kann. Das Rechtsgut als idealer Wert ist dem unmittelbaren Zugriff des Täters entzogen. Zwar kann man sagen, daß das Rechtsgut dann gefährdet sei, wenn ein real existierendes Angriffsobjekt als Rechtsgutsubstrat gefährdet ist. Aber dies ist gerade nicht der problematische Fall. Schwierigkeiten entstehen erst, wenn etwa ein real existierendes Angriffsobjekt fehlt. Ist auch in diesen Fällen der ideale Wert gefährdet bzw. der Achtungsanspruch verletzt? Eine Antwort wird man - wenn überhaupt - nur in der Form geben können, daß eine Handlung bereits aufgrund ihrer subjektiven Tendenz rechtsgutverletzend ist, "also (schon) dann, wenn das Willensziel des Handelnden auf Verwirklichung des vollen Unwertsachverhalts gerichtet ist". Bereits darin liegt ja die Mißachtung des jeweiligen ideellen Wertes. Damit ist aber wieder nur der "Kerngehalt" des Unrechts erfaßt; zusätzliche Strafwürdigkeitskriterien, die eine darüber hinausgehende Begrenzung des strafbaren Versuchs erlauben würden und bei der Abgrenzung von beendetem und unbeendetem Versuch hilfreich sein könnten, werden durch das Erfordernis der Rechtsgutgefährdung nicht gewonnen. ce) Intentionale Angrifjsobjekte
Die Untersuchungen von Reinh. v. Hippel und Fiedler geben Anlaß zur Überprüfung der Frage, inwieweit neben den noch verbleibenden konkreten Objekten, gegen die sich die Handlung richtet, auch nur intentional existierende Objekte als mögliche Angriffsobjekte in Betracht kommen. Reinh. v. Hippepo8 hat unter Berufung auf Fiedler "nachdrücklich" darauf hingewiesen, daß Angriffsobjekte im teleologischen System auch im intentionalen Gegenstand gedacht werden könnten. Er betont, daß es beim Versuch auf das Zurückbleiben des Realisierten hinter dem Intentionalen überhaupt nicht ankomme, solange nur die Beziehung (der Handlung) zu dem der Strafausdehnung logisch vorausgehenden Deliktsbegriff und dem von diesem geschützten Rechtsgut konkret hergestellt werden könne. Diese Beziehung zwischen Handlung und Rechtsgut (als Rechtswert der Rechtsidee zugeordnet) sei nicht unmittelbar gegeben, sondern werde durch das Angriffsobjekt (als Substrat des Rechtswertes) vermittelt. Mittelnde Rechtsgutsubstrate seien aber nicht nur die vom Täter unabhängig 108
Untersuchungen, S. 26 f.
4. Komponenten des Gefahrurteils
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existierenden physischen, sondern auch die gleichfalls realseienden109 intentionalen Gegenstände. Gerade dies habe die objektive Versuchstheorie bis heute in folge naturalistischer Fehldeutung verkannt und so den Kreis möglicher Angriffsobjekte ohne Not verengt. Die teleologische llO Rechtfertigung der Strafe soll in diesen Fällen in der aktuellen Tätergejäh rlichkeit ll1 liegen. Was es mit den intentionalen Gegenständen auf sich hat, läßt sich den Ausführungen Fiedlers entnehmen 1l2 • Er entwickelt unter Bezugnahme auf philosophische und psychologische Literaturll3 ein "Modell der Fehlhandlung" als modifiziertes Modell der Willenshandlung. Von zentraler Bedeutung ist dabei die "gegenständliche Gerichtetheit" des Wollens und der Ausführungshandlung, das darin enthaltene intentionale Moment: "Dem ,Wollen' ist ein spezielles gegenständliches Korrelat zugeordnet, ein Ziel oder Projekt als zu Realisierendes, auf welches das Wollen als Erleben und als wirksame Kraft abzielt1l4 ." Im Wollen bestehe eine erlebte innere Gerichtetheit des Handelnden. Das im Wollen nur intendierte Ziel werde dann erfüllt und realisiert durch die Ausführungshandlung, wobei diese ihrerseits nicht nur reales, sondern auch wieder gerichtetes, orientiertes und erlebtes Verhalten sei. Auf dieser Basis diagnostiziert Fiedler eine scheinbare Eigenart gegenständlich gerichteter Verhaltensweisen, nämlich die Tatsache, daß man die Aussage, der Täter habe eine bestimmte Handlung (mutatis mutandis einen bestimmten Erfolg) gewollt, ganz unabhängig davon machen kann, ob diese Handlung in der objektiven Welt des Gemeinschaftslebens jemals wirklich oder möglich wird. Der Gegenstand seines Wollens gehöre dann so, wie er vermeint sei, nicht der objektiven Welt des Gemeinschaftslebens an, sondern der subjektiven 109 Real-seiend bedeutet hier wohl: der sozialen Realität entsprechend; vgl. auch Fiedler, Vorhaben, S. 85 f. 110 Bei Reinh. v. Hippel steht die ganze Erörterung im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Systemfrage : kategoriales contra teleologisches System. Darauf soll hier nicht eingegangen werden. 111 Es ist darauf hinzuweisen, daß sich auch hier in dem Argument der Tätergefährlichkeit bereits ein übergang von dogmatischen zu kriminalpolitisch-präventiven Argumenten andeutet. Vgl. die Parallele zu dem Abstellen auf die Tätergefährlichkeit in BGHSt 9, 52. Ferner auch Bockelmann, Untersuchungen, S. 138, der auf die Gründe der Strafbarkeit untauglichen Versuchs hinweist: eigentlicher Sinn der Versuchsbestrafung sei, auf die persönliche Gefährlichkeit des Täters zu reagieren, die sich auch in einer mißlungenen Betätigung des verbrecherischen Entschlusses manifestiere. 112 Vorhaben, S. 57 ff. 113 Insbes. Ed. Husserl, Scheler und Nicolai Hartmann auf philosophischer, Ach und Lewin auf psychologischer Seite. 114 Fiedler, Vorhaben, S. 61 f., 66, 69 und passim.
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Erster Teil: II. Ratio der Rücktrittsvorschriften
Welt des Lebens und Erlebens 115 • Davon bleibt freilich die Tatsache unberührt, daß der Handelnde gerade das Real-Sein seiner Handlung in der objektiven Welt will und daß dem intentionalen Gegenstand ein inhaltlich gen au übereinstimmender, an sich seiender Gegenstand entsprechen kann. Im folgenden verwendet Fiedler "als technische Bezeichnung für das Gewollte als solches, den intentionalen Gegenstand des Wollens", den Ausdruck "Vorhaben", mittels dessen gleichermaßen mögliche wie unmögliche Projekte des Täters erfaßt werden können. Auf gegenständliche Verhaltensweisen übertragen, ergibt sich daraus ein Modell der Fehlhandlung, welches davon abstrahiert, ob dem Gegenständlichen der Orientierung des Handelnden - dem Vorhaben also - ein gleichgestaltetes reales Beziehungsgefüge entspricht oder nicht116 • War nur das Vorhaben ein Tötungsverbrechen, so kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob der Täter ein harmloses Mittel als giftig ansieht oder die Strohpuppe für einen Menschen hält. Damit besteht aber die Möglichkeit, als Objekt der Gefährdung ein nur intentional vorhandenes Objekt ausreichen zu lassen, von konkreter Gefahr also auch dann zu sprechen, wenn ein entsprechendes reales Beziehungsgefüge fehlt. Von der Konstruktion her läßt sich gegen dieses "Modell der Fehlhandlung" kaum etwas einwenden. Die grundlegende Erkenntnis, daß die Intentionalität Gattungsmerkmal aller psychischen Phänomene sei, geht bereits auf den Philosophen Franz Brentano zurück, den Fiedler allerdings nicht zitiert. Bei Brentano findet sich auch der Hinweis, daß dasjenige, worauf wir uns bewußtseinsmäßig beziehen, nicht zu existieren braucht 117 • Ebenso ist bei jedem zielgerichteten Verhalten das Ausbieiben des Erfolges denkbar. Unabhängig davon beruft man sich aber zur Erklärung des Verhaltens auf den (intendierten) Erfolg, wobei die Richtigkeit der Erklärung davon unabhängig ist, ob der Erfolg eintritt oder nicht eintritt. Die hierbei auftauchende Paradoxie, daß ein Verhalten, das stattgefunden hat, (scheinbar) durch einen Erfolg erklärt wird, der nicht stattfindet, ist allerdings kein Spezifikum der Willens115 Dies entspricht der Ansicht des "jüngeren" Brentano, für den alle Gegenstände der intentionalen Akte eo ipso intramental existierten, was zu einer Verdoppelung der Welt führt. Diese Auffassung wurde von allen Brentano-Schülern, auch von Husserl übernommen. Kritisch gegenüber dieser Intentionalitätslehre etwa Otto Jansen, Vorstudien, insbes. S. 48 ff., 62 ff. Er meint, der Husserlsche Gedanke einer "Abschattung der Dinge im Erlebnisstrom", mit anderen Worten, die intramentale Existenz der Welt, beruhe auf einer Fiktion. "Intentionale Gegenstände" gebe es nicht. Interessanterweise hat auch der "spätere" Brentano seine Auffassung dahin geändert, daß die Objekte der intentionalen Akte immer bewußtseinstranszendent seien. 116 Fiedler, Vorhaben, S. 68, 74 ff., 77. 117 überblick bei Stegmüller, Hauptströmungen, S. 3 f.
4. Komponenten des Gefahrurteils
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handlung, sondern ein ganz allgemeines Problem teleologischer Erklärungen, deren bekanntestes Beispiel freilich die Erklärung menschlicher Handlungen ist. Mit den hier anstehenden Problemen hat sich auch die Erkenntnistheorie befaßt und dabei klargestellt, daß teleologische Erklärungen, in denen man sich auf Ziele als Erklärungsinstanzen beruft, i. d. R. nur verschleierte Formen kausaler Erklärungen sind: "Teleologie in diesem Sinn ist Motivkausalität118 ." Der Bereich der Motivkausalität ist aber natürlich die subjektive Welt des Erlebens. Die Schwierigkeiten, die sich im teleologischen Erklärungsschema dadurch stellen, daß eine Erklärung unabhängig davon richtig ist, ob ein real existierendes Ziel als Erklärungsinstanz vorliegt, hat man u. a. durch die Einführung "neuer Entitäten"l19 zu bewältigen versucht, das sind "Sachverhalte", die sowohl wahren wie falschen Sätzen korrespondieren können. Durchaus in Entsprechung dazu ist der Begriff des "Vorhabens" bei Fiedler zu sehen. Was nun die praktische Brauchbarkeit des "Modells der Fehlhandlung" betrifft, so dürfte damit nichts gewonnen sein. Die Tatbestandsmäßigkeit wird über das Vorhaben ausgesagt 120. Der Begriff des Vorhabens bezeichnet die Tat im Planungsstadium. Dies bedeutet, daß auch die Frage der Gefahr auf der Ebene des "Vorhabens" zu beurteilen ist, womit wieder das Wissen des Täters zur Basis für das Gefahrurteil wird. Die Ergebnisse von Fiedler entsprechen daher grundsätzlich der subjektiven Versuchstheorie und dem oben gemachten Vorschlag, die Tätervorstellung als Basis für das Gefahrurteil heranzuziehen. Ihr eigentlicher Wert liegt in der Beseitigung des scheinbaren Widerspruchs 121 bei der Ablehnung (objektiver) Gefahr in den Fällen des untauglichen Versuchs einerseits und dem Rückgriff auf die Gefahr bei verschiedenen Grenzfragen andererseits. c) Abhängigkeit von der Gefahrquelle
Neben der Abhängigkeit des Gefahrurteils von der Informationsbasis des Beurteilenden und von dem Objekt der Gefährdung besteht ferner ein Zusammenhang mit der Gefahrquelle. Er wird für einen Abgrenzungsvorschlag de lege lata von Bedeutung sein. Als Gefahrquellen scheinen bei vordergründiger Betrachtung der Täter, der Tatwille, die 118 Freilich ist damit "Teleologie" nur unzulänglich gekennzeichnet. Eingehender etwa Luhmann, Zweckbegriff, S. 9 ff.; StegmüHer, Wissenschaftstheorie, Bd. I S. 518 ff. 119 StegmüHer, Wissenschaftstheorie Bd. I, S. 540 ff. 120 Fiedler, Vorhaben, S. 110. 121 Daß dieser Widerspruch, der auch oft dem RG zum Vorwurf gemacht worden ist, in Wirklichkeit nicht existiert, hat schon v. Gemmingen, Rechtswidrigkeit, S. 137 ff., herausgearbeitet.
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Erster Teil: II. Ratio der Rücktrittsvorschriften
Handlung und der durch die Handlung geschaffene Zustand in Betracht zu kommen. aa) "Gefährlichkeit der Handlung"
Sofern gegenwärtig ausdrücklich Unterscheidungen getroffen werden, stellen sie in der Regel die Gefährlichkeit der Handlung der Gefährlichkeit des Täters gegenüber I22 ,123. Henkel 124 etwa beschränkt seine Untersuchungen von vornherein auf die Gefährlichkeit der Handlung und betont, daß die auf die Verbrechenstat, nicht die auf den Täter bezogene Gefährlichkeit gemeint sei. Damit könnte leicht der Eindruck erweckt werden, die Gefährlichkeit der Handlung lasse sich vom Täter trennen, auch wenn dieser sich seines Einflusses auf die Handlungsfolgen noch nicht begeben hat, wie etwa beim bloßen Anlegen eines ungespannten Revolvers mit Tötungsvorsatz (RGSt 59, 386) oder beim Bereitstellen giftigen Kaffees, den das Opfer zu sich nehmen soll (RGSt 72, 350). Aber in diesen Fällen handelt es sich nicht allein um eine Gefährlichkeit der "Tat" oder um die Gefährlichkeit der Situation im Hinblick auf einen bestimmten Erfolg. Zumindest wäre diese Terminologie mißverständlich, denn sie kann leicht zu der Folgerung verleiten, daß in diesem Handlungsstadium bereits eine objektive täterunabhängige Gefährdung des Angriffsobjektes vorliege, an die sich eine materielle Versuchsbegrenzung, die über das bloß subjektive Unrechtselement des Vorsatzes hinausreiche, anknüpfen lasse. Nun mag sich zwar die Handlung als "außenweltliche Zwischenstation zwischen Willen und Erfolg" (auch Gefährdungserfolg!)125 oder als "dialektische Einheit von Wollen und Tun" als Gefahrenquelle anbieten. Dazu ist aber zu betonen, daß die Handlung entweder bereits zu einer Zustandsgefährlichkeit 126 geführt hat, nämlich wenn der Täter einen möglicherweise nicht mehr beherrschbaren Kausalverlauf in Gang gesetzt hat, wie etwa mit der Abgabe des Schusses oder mit dem 122 Zum Begriff der Gefährlichkeit Drost, Ermessen, S. 214; Mezger, Kriminalpolitik, S. 254; Zipf, Strafmaßrevision, S. 124. Bockelmann, Untersuchungen, S. 139 spricht von der Gefährlichkeit der Täterperson, auf die man auch bei einer untauglichen Versuchshandlung schließen kann und die auf der Besorgnis beruht, man werde sich von einem solchen Menschen weiterer Angriffe auf die Rechtsordnung zu versehen haben; ders., auch in: Studien zum Täterstrafrecht II, S. 71 f. 123 Horn, Gefährdungsdelikte, S. 12 f. hält es vor allem aus Gründen terminologischer Klarheit für sinnvoll, das Wort "gefährlich" als Attribut einer Handlung auszuscheiden. Volz, Gefährdungsdelikte, S. 10, 20 differenziert MögIichkeitsurteile, die sich auf eine Handlung und solche, die sich auf einen von der Handlung geschaffenen Zustand beziehen. 124 Gefahrbegriff, S. 1; speziell zum Versuch S.37 ff. 125 Horn, GefährdungsdeIikte, S. 11 ff. 126 Zu diesem Begriff vgl. unten II 5, er entspricht dem der Handlung nachfolgenden "Gefahr-Erfolg".
4. Komponenten des Gefahrurteils
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Trinkenlassen des Giftes. Oder aber der Täter hat den Erfolgseintritt noch in der Hand, dann hängt aber auch noch alles von seinem Willen oder, wenn man diesen in einen größeren Zusammenhang stellen will, von seiner Gefährlichkeit ab. Auf den ersten Blick mag es vielleicht scheinen, als würden hier unter Vernachlässigung von Zwischenstufen nur Extrempositionen gegenübergestellt. Salm 127 ist etwa folgender Auffassung: "Eine gewisse Gefahr für den tatbestandlich geschützten Erfolg ist schon damit gegeben, daß überhaupt der Entschluß gefaßt wurde, diesen Zustand zu ändern " ... Bei seiner fortschreitenden Verwirklichung in den weiteren Handlungsabschnitten kommt der Wille dem Güterschaden immer näher entgegen und fällt schließlich immer rapider dem Erfolge zu, bis er ihm derart verfallen ist, daß nunmehr nur noch der rettende Eingriff des äußeren ,Zu-Falls' den Erfolgseintritt (,doch noch') abwenden kann ... " Inwieweit sich diese Auffassung mit der sog. Zielgradientenhypothese128 in Einklang bringen läßt, kann hier nicht untersucht werden. Wie immer man aber derartige Zwischenstufen beurteilt, in denen ein Ablassen von der Erfolgsverwirklichung noch denkbar erscheint, immer ist das Urteil, mit dem die Gefahr begründet wird, nämlich daß der Täter dem Erfolg bereits "verfallen" sei, ein Urteil über den Täter, seinen Tatwillen, seine Persönlichkeit und seine Gefährlichkeit. Dies gilt gleichermaßen bei Handlungen mit "subjektiver" und "objektiver" Tendenz, wie ja überhaupt die Frage nach der Gefahrquelle losgelöst von dem Problem des untauglichen Versuchs erörtert werden kann. Das scheint nicht immer deutlich genug gesehen zu werden. Aber die Notwendigkeit eines Zurückgreifens auf den Tatwillen, wie auch auf die Tätergefährlichkeit stellt sich ja nicht nur in den Fällen des untauglichen Versuchs, sondern bereits immer dann, wenn man von einer Gefährdung des angegriffenen Objekts reden will, bevor der Täter sich des Einflusses auf den Erfolgseintritt möglicherweise begeben hat. Um in diesen Fällen zu einem Gefahrurteil zu kommen, muß der Wille des Täters, eine Verletzung herbeizuführen bzw. eine Verletzung nicht zu vermeiden, mitberücksichtigt werden. Auch die Lehre vom "objektiven Zweckrnoment" bietet hier keine Alternative, zumal sich im kritischen Versuchsbereich mit dieser Lehre nicht arbeiten läßt. Ein die Gefahr für das Handlungsobjekt feststellendes Urteil ist in diesem Stadium nur möglich, wenn der Tatwille bzw. der Täter als eine Urteilskomponente einbezogen wird 129 • Salm, Versuch, S. 27 ff. Annäherungsgeschwindigkeit nimmt mit der Zielannäherung zu; dazu etwa Dollard / Miller, Personality and Psychotherapy, S. 174 ff. 129 In diesem Zusammenhang kann auch auf eine Parallele in der von 127
128
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Erster Teil: 11. Ratio der Rücktrittsvorschriften
Dem kann man sich auch nicht dadurch entziehen, daß man statt der konkreten Handlung die "Handlung ihrer Gattung nach" als gefährlich bzw. als Unrecht bezeichnet (wobei die Gattung von der konkreten Gefährlichkeit der realisierten Handlung und vom Realisierungsstadium abstrahieren müßte). Denn auch dies wirkt sich so aus, daß nicht so sehr die gefährliche Tat, als vielmehr die Gefährlichkeit des Täters im Hinblick auf künftige Rechtsgutverletzungen in den Vordergrund tritt130 • Ist es damit aber letztlich doch notwendig, auf den Tatwillen oder die Tätergefährlichkeit zu rekurrieren, so erscheint der Umweg über die Handlung allenfalls deshalb gerechtfertigt, weil der Handlung eine gewisse Indizfunktion zukommt und weil sie die Teilrealisation des Willens anzeigt. Dem steht der bereits genannte Nachteil gegenüber, daß die Bezugnahme auf die "Gefährlichkeit der Handlung" (insbesondere wenn sie der Gefährlichkeit des Täters gegenübergestellt wird) die Vorstellung erwecken kann, als lasse sie sich von der Gefährlichkeit des Täters auch trennen, wenn dieser sich seines Einflusses auf die Folgen seiner Handlung noch nicht begeben hat. In Wirklichkeit enthält jedoch bis zu diesem Zeitpunkt jedes Gefahrurteil über eine Handlung persönlichkeitsbedingte GefährZichkeitsfaktoren. Aus diesen Gründen erscheint es auch insoweit sinnvoll, das Wort "gefährlich" als Attribut einer Handlung nicht zu gebrauchen 131 •
Eser, Sanktionen gegen das Eigentum, S. 254 ff. vorgenommenen Unter-
suchung des "einziehungsbegründenden Gefahrurteils" hingewiesen werden. Bekanntlich sind unter bestimmten weiteren Voraussetzungen gern. § 40 II 2 StGB bzw. § 18 II 2 OWiG Gegenstände einzuziehen, wenn sie nach Art und Umständen die Allgemeinheit gefährden oder die Gefahr besteht, daß sie der Begehung rechtswidriger Taten dienen werden. Dabei ist es gebräuchlich, zwischen sogenannten abstrakt und nur relativ gefährlichen Gegenständen zu unterscheiden. Abstrakt gefährlich sollen solche sein, die unabhängig davon, in wessen Händen sie sich befinden, gefährlich erscheinen, während die nur relativ gefährlichen von Natur aus harmlos seien und nur durch die besonderen verbrecherischen Neigungen des Inhabers zur GefahrqueUe werden können. Mit Recht wendet Eser dagegen ein, es bleibe auch bei dieser Unterscheidung immer noch der maßgebliche Bezugspunkt des Gefahrurteils offen. Gegenstände, die in jeder Hinsicht, also gleichsam per se gefährlichere seien, gebe es im Grunde nicht. Daher sei eine völlig abstrakte und allein aus der Art und Beschaffenheit gewonnene Beurteilung ohnehin faktisch ausgeschlossen. Vielmehr ergebe sich die Notwendigkeit, in jedes einziehungsbegründende Gefahrurteil auch persönlichkeitsbedingte Gefährlichkeitsfaktoren mit einzubeziehen. In einem weiteren Schritt folgert Eser daraus, daß das gesetzliche Gefährlichkeitsurteil nicht in einer genereLLen GefährLichkeitspräsumption, sondern nur in einer individueHen Gefährlichkeitsprognose des Richters möglich sei. Vgl. im einzelnen S. 265 f. 130 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 168. 131 So ausdrücklich Horn, Gefährdungsdelikte, S. 13.
4. Komponenten des Gefahrurteils
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bb) "Täter und TatwiHe als Gefahrquellen" Wenn vom Täter als Gefahrquelle die Rede ist, so scheint damit in erster Linie die im Tatwillen zum Ausdruck kommende Gefährlichkeit gemeint zu sein132 . Von der Gesamtpersönlichkeit des Täters, die sich bei näherer Betrachtung als gefährlich wie auch als ungefährlich erweisen könnte, wird der Tatwille isoliert und als Gefahrquelle angesehen. Damit " ... erscheint die Ausführungshandlung nur noch als Verkörperung derjenigen Gefahr, die in einem Wollen steckt, das ein Rechtsgut der fraglichen Art zu attackieren bereit war und diese Bereitschaft durch eine solche Handlung manifestiert hat, die zwar durch einen "umgekehrten" tatbestandlichen Irrtum objektiv fehlgebildet wurde, aber auf der Basis der Vorstellungen und Strebungen des Täters ... einen Anfang der Ausführung ... darstellte"133. Der Tatwille bzw. das Wollen ist in diesem Zusammenhang jedoch gar nichts anderes als der Vorsatz des Täters. Und gefährlich ist in diesem Sinne jeder Versuch. Damit handelt es sich bei der Willensgefahr, die bereits mit dem Vorliegen des Täterwillens bejaht wird, im Ergebnis um nicht mehr als um eine Tautologisierung des Vorsatzes als subjektives Unrechts element134 . Weder eine darüber hinausgehende Begrenzung noch ein darüber hinausgehender tatbestandlich faßbarer Unrechtsgehalt ist gewonnen. Denn als Rechtsgutverletzung wird jedes Handeln angesehen, das mit dem Willensziel vorgenommen wurde, ein Rechtsgutsubstrat zu verletzen. Will man daher über den Täter als Gefahrquelle eine Begrenzung und Materialisierung erreichen, so genügt es nicht, auf den Täterwillen allein abzustellen, sondern die Gefahrquelle muß in Richtung auf die Tätergefährlichkeit (jetzt bezogen auf die Gesamtpersönlichkeit) erweitert werden. Daß eine derartige Erweiterung vorsichtig geschieht, versteht sich von selbst. Denn es drängt sich ja auf, daß die Heranziehung der Gefährlichkeit des Täters zur Begründung des Unrechts zumindest ungewöhnlich ist und auf den ersten Blick mit dem Tatstrafrecht unvereinbar scheint. ce) "Vereinigungstheorie"
Eine Erweiterung in diese Richtung hat Lange mit der sogenannten "Vereinigungstheorie" vollzogen. Danach liegt strafbarer Versuch vor, lS2 lSS 134
"Aktuelle Tätergefährlichkeit", vgl. II 4 c, ce.
Engisch, Unrechtstatbestand, S. 435. Das übersieht auch Engisch nicht. Insofern dürfte er aber nicht mit
Lange übereinstimmen. Im übrigen ist hier ein weites Feld für Kontroversen.
6 Burkhardt
Erster Teil: 11. Ratio der Rücktrittsvorschriften
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" ... wenn die Handlung für das angegriffene Rechtsgut gefährlich war oder sonst den Täter als gefährlichen Angreifer dieses Rechtsgutes erweist"135. Zustimmend wird diese Formel etwa aufgegriffen von Engisch, Reinh. v. Hippel, Lampe und Stöger, ohne daß freilich immer dasselbe herausgelesen bzw. hineininterpretiert würde136. Zur Begründung wird dabei zum Teil darauf verwiesen, Tat und Täter bildeten eine unlösbare Sinneinheit137, daher sei der Gefährlichkeitsgedanke nicht nur auf die Tat zu beziehen, sondern müsse mit dem richtigen Kern der subjektiven Theorie verbunden werden: lIder Erfassung des verbrecherischen Willens als tatgestaltendem oder über die Einzeltat hinaus relevanten Faktors." Dies dürfte im Ansatz einer dynamischen Verbrechensauffassung entsprechen, die auf das Ganze von Tat und Täter gerichtet ist, also Tat und Täter nicht getrennt sieht, sondern in ihrer gegenseitigen Verbundenheit und inneren Einheit erfaßt138. Das bedeutet, daß die Persönlichkeit des Täters stärker in den Vordergrund tritt, "in der jenes Ganze von Tat und Täter wurzelt"139. Unter dem Begriff der Persönlichkeit, der innerhalb kriminologischer und strafrechtlicher Erörterungen sehr verschiedenes bedeuten kann, versteht die dynamische Verbrechensauffassung dabei das "Ganze" der menschlichen, körperlich -seelischen Indi vid uali tä t 140. Wenn die Vereinigungstheorie diese Hinwendung zur Täterpersönlichkeit nicht so deutlich vollzogen hat, so mag das an den Schranken liegen, die das geltende Tatstrafrecht schafft. Jedenfalls ist der über die Einzeltat hinausFeichende Gefährlichkeitsgedanke deutlich spürbar. So etwa in der spezialpräventiven Erwägung, daß der Täter bestraft werde, weil er sich durch die Rechtsgutverletzung oder Gefährdung als gefährlich erwiesen habe, sowie in dem Hinweis auf § 20 a a. F. (gefährliche Gewohnheitsverbrecher) und auf die §§ 123 11, 223 a; 181 a; 244, 245 a. F., die nach der Auffassung von Lange neben der Rechtsgutverletzung die Tätergefährlichkeit als Aufbauelement enthalten sollen141 . Damit bekommen auch hier Argumente einen Einfluß, die regelmäßig nur bei der Strafzumessung herangezogen werden. 135 Kohlrausch / Lange, StGB, § 43 III 3. Engisch, Unrechts tatbestand, S. 435; Reinh. v. Hippel, Untersuchungen, S. 27 f.; Lampe, Personale Unrechts lehre, S. 58 f.; Oehler, Zweckmoment, S. 112 ff., 121; Stöger, Versuch, insbes. S. 53 ff. 137 Kohlrausch / Lange, StGB § 43 III 3. 138 Dazu Mezger, Kriminalpolitik, S. 164 ff. 139 Mezger, Kriminalpolitik, S. 165. 140 Mezger, Kriminalpolitik, S. 182. 141 Die letztgenannten Beispiele scheinen mir allerdings nur in beschränktem Umfang hierher zu passen. Denn etwa § 223 a bedroht den Täter nicht mit höherer Strafe, weil Täter mit gefährlichen Werkzeugen gefährlicher 136
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Noch deutlicher kommt diese Tendenz bei Stöger zum Ausdruck. Er ist der Auffassung, daß nicht der Vorsatz, sondern der Täter Träger der Rechtsgutgefährdung sei (S. 64). Zwar lehnt er die besondere Herausstellung des spezialpräventiven Gedankens ab und bezieht sich auch nicht auf die §§ 20 a, 181 a, 245 a a. F. Das liegt aber dar an, daß er die Gefährlichkeit als konstitutives Element der Rechtswidrigkeit ansieht. Während es nämlich für die spezialpräventive Begründung der Strafe auf die zum Urteilsz.eitpunkt zu ermittelnde Gefährlichkeit des Täters hinsichtlich seines zukünftigen Verhaltens ankommt, muß Stöger auf die Gefährlichkeit im Zeitpunkt des Versuchsbeginns abstellen, weil es sonst an der Prädizierbarkeit der Handlung als rechtmäßig oder rechtswidrig fehlen würde. In Wirklichkeit geht es ihm daher gar nicht um die generelle Ausschaltung spezialpräventiver Aspekte bei der Konstituierung des Gefährlichkeitsurteils. Seine eigenen Erörterungen zeigen vielmehr, daß sein Gefährlichkeits- und Rechtswidrigkeitsurteil weitgehend von solchen (präventiven) Gesichtspunkten getragen wird, die sonst nur bei der Strafzumessung Einfluß gewinnen. Die Gefährlichkeit des Täters wird etwa definiert als " ... jene objektive Finalität, jene seelische assoziative Tendenz des Täters als gefährlicher Persönlichkeitszustand, der - unabhängig vom Bewußtsein - eine Wiederholung befürchten läßt"142. Die Entwicklung der modernen Anthropologie lehre, daß die Struktur der menschlichen Seele noch viel zu wenig erforscht sei, um sichere Prognosen zuzulassen. Daher bestehe die Notwendigkeit zu generalisieren, denn auch die objektiv nachträglichen Gefährlichkeitsprognosen des Gerichts seien viel zu vage, um Grundlage eines Strafurteils zu sein. Aus praktischen Gründen ergebe sich die Notwendigkeit, als abstrakt gefährlich jeden Täter anzusehen, " ... der physisch und rechtlich die Möglichkeit besitzt, als Täter in Zukunft das versuchte Delikt mit besserem Erfolg zu wiederholen". Auch Stöger fragt sich, wie diese Gefährlichkeit des Täters dogmatisch einzuordnen seP43, kann jedoch die Frage m. E. nicht überzeugend lösen. Auch das soll an seiner eigenen Argumentation dargetan werden. Er stellt zunächst klar, daß seine Ausführungen nicht dahin mißverstanden werden dürften, daß beim Versuch ein rechtswidriges "So-Sein" bestraft werde, sondern daß das Strafrecht an das "So-Versind, sondern weil Taten, bei denen gefährliche Werkzeuge oder Waffen im Spiel sind, in der Regel zu größeren Verletzungen führen. Der Art und Beschaffenheit der Sache kommt hier ein "angeborener Indizwert" zu. Demgegenüber kann ein Täter mit Waffe bei weitem ungefährlicher sein als ein unbewaffneter. Kritisch auch Stöger, Versuch, S. 57 f. 142 Stöger, Versuch, S. 63 f. 143 Ebd., S. 56. 6'
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Erster Teil: 11. Ratio der Rücktrittsvorschriften
halten" anknüpfe. Allerdings bildeten Tat und Täter eine unlösbare Sinneinheit, so daß auch der Täter zur Unrechtsfärbung beisteuere, was am Beispiel Täterschaft-Teilnahme nachzuweisen versucht wird. Mit diesen Argumenten kommt er zu dem Ergebnis: "In bezug auf den untauglichen Versuch müssen wir formulieren: Beim untauglichen Versuch ist die Handlung rechtswidrig, wenn sie von einem für das angegriffene Rechtsgut gefährlichen Täter begangen worden ist" (S. 57). Auf diese Weise könne man den Gefährlichkeitsgedanken auf den Täter beziehen, ohne das Tatstrafrecht aufgeben zu müssen. Und dementsprechend weist er den von Salm 144 gegen Kohlrausch / Lange erhobenen Vorwurf, hier werde das Prinzip der Einzeltatvergeltung preisgegeben, als unzutreffend zurück145 • Aber ist es dann nicht ein Widerspruch, wenn Stöger wenige Seiten später (S. 67) feststellt: "Da wir unter Rechtsgutgefährdung nur die objektiv-finale Substratwidrigkeit als aktuelles-Hierauf-objektiv-gerichtet-sein verstehen, ist die Versuchsstrafe folglich im äußersten Falle keim' Vergeltung für geschehene Rechtsgutgefährdung, sondern generalisierende Maßnahme zum Schutz der Rechtsgüter"? Und bleibt wirklich das Prinzip der Einzeltatschuld bestehen, wenn die aktuelle Tätergefährlichkeit die dogmatische Führung bei der Strafbegründung innehat? Läßt sich die Tätergefährlichkeit wirklich so ohne weiteres mit Unrecht und Einzeltatschuld verflechten? Zumindest hätten diese sich aufdrängenden Fragen einer eingehenden Untersuchung bedurft. In diesem Zusammenhang bleibt nur soviel anzumerken: Die Vereinigungstheorie in dieser exponierten Form enthält - wie schon die Eindruckstheorie die Tendenz, die Strafbegründung umzukehren. Denn in der Regel knüpft die Strafe an eine rechtswidrige und schuldhafte Handlung an. Von ihr aus schließt man im Bereich der Strafzumessung auch auf die Gefährlichkeit des Täters und verwendet sie mehr oder weniger als Indiz für die spezialpräventiv begründete Notwendigkeit einer bestimmten Sanktion. Anders aber etwa im Bereich des untauglichen Versuchs. Hier wird von einem aktuell gefährlichen Täter auf eine rechtswidrige Tat geschlossen. Das mag nicht immer klar erkennbar sein, vor allem deshalb nicht, weil Tat und Täter als Einheit begriffen werden und dabei Tat- und täterschaftliche Elemente konfundieren. Deutlicher aber, als Stöger 146 die Umkehrung zum Ausdruck bringt, läßt sie sich kaum formulieren: "Beim untauglichen Versuch ist die Handlung rechtswidrig, wenn sie von einem für das angegriffene Rechtsgut gefährlichen Täter begangen worden ist." Salm, Versuch, S. 137. Stöger, Versuch~S. 57 Fn. 296. 146 a.a.O., S. 57, ferner Reinh. v. Hippel, Untersuchungen, S. 27: die teleologische Rechtfertigung der Strafe liege in der aktuellen Tätergefährlichkeit; Bockelmann, Untersuchungen, S. 138. 144
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Das Ungewöhnliche, das dieser Argumentation auf den ersten Blick innezuwohnen scheint, schließt selbstverständlich nicht aus, daß sie zutreffende und kriminalpolitisch sinnvolle Erwägungen enthalten kann. Sie könnten etwa dahin gehen, daß in Randbereichen des Versuchs die Feststellung von Unrecht und Schuld nicht ausreicht, um Strafe zu legitimieren, daß dazu vielmehr bereits alles herangezogen werden muß, was sonst erst bei der Strafzumessung berücksichtigt zu werden pflegt147 • Gestützt werden könnte dies etwa auf die Erwägung, daß die Unrechtsbasis - soweit sie nur in Gestalt subjektiver Unrechtselemente bzw. einer objektiv noch indifferenten Betätigung besteht viel schmaler und formaler ist, als bei vollendeten Delikten und daß daher bereits bei der Frage, ob überhaupt eine Sanktion erfolgen soll, ein über die begangene Tat hinausreichender "Strafzumessungssachverhalt" herangezogen werden muß. Allerdings können dadurch nicht allgemeine Strafzumessungserwägungen plötzlich zu unrechts- oder schuldrelevanten Umständen werden. Denn die präventiven Zumessungsgründe gehen von prospektiven Überlegungen aus, während die Feststellung von Unrecht und Tatschuld notwendig retrospektiv an der bega'"1.genen Tat orientiert ist. Im übrigen ist auch hier - wie schon gegenüber dem Abstellen auf die Gefährdung der Rechtsordnung - zu betonen, daß prinzipiell die Frage, ob der Täter vom Standpunkt sozialer Konfliktsregelung her gesehen falsch gehandelt hat, von dem (Strafzumessungs-)Problem ge147 Eine ganze Reihe von Äußerungen zum Strafgrund des Versuchs bestätigen m. E. diese Annahme. Neben der Tätertheorie dir Eindruckstheorie, die statt spezial- generalpräventive Argumente in den Vordergrund stellt; vgl. etwa v. Gemmingen, Rechtswidrigkeit, S. 38, 160 ff., 167: Bejahe man die objektive Gefahr als Erfordernis der Versuchsbestrafung, so bedürfe es keiner weiteren Berücksichtigung der Geltungswidrigkeit. Verzichte man aber auf das Erfordernis einer objektiven Geeignetheit der Versuchshandlung, so sei eine Rücksichtnahme auf die objektive Bedeutung der Tat als Schädigung der Rechtsmacht unabweislich. Ferner die Ausführungen von Otto, GA 1967, 151. Interessant sind auch die Erwiigungen, die Lampe, Rechtsanthropologie, S. 76 f. im Zusammenhang mit 9 49 a angestellt hat: Betrachtet man den untauglichen Versuch als " (nur) mögliches", "nochnicht-wirkliches Unrecht", so fehlt zwar ein Anknüpfungspunkt für Strafe, wogegen ein strafrechtliches Einschreiten im Sinne speziatpräventiver Besserung nicht ausgeschlossen wäre. Dies setzt freilich die Notwendigkeit einer Besserung voraus. Damit kommt man auch von diesem Standpunkt aus zu dem Ergebnis, daß das Ob der "strafrechtlichen" Reaktion von präventiven Erwägungen abhängig ist, wobei es folgerichtig und sachnotwendig ist, auch die Sanktion dem spezialpräventiven Charakter der Reaktion anzupassen. Der Feststellung, daß der Täter "nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt" hat, kommt in diesen Fällen eine rein formal begrenzende Funktion zu, sie bildet sozusagen den "Anknüpfungspunkt": nicht schon die böse Gesinnung soll präventive Reaktionen auslösen können. Die Strafbegründung steckt in dem Hinweis auf präventive Notwendigkeiten. Votz, Gefährdungsdelikte, S. 62; Reinh. v. Hippet, Untersuchungen, S. 2 ff.
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trennt werden muß, mit welcher Sanktion auf die Handlung am effektivsten reagiert werden kann. Die Gefährlichkeit des Täters, verstanden als Urteil über seine Gesamtpersönlichkeit und über seine Verbrechensdisposition, hat mit der Frage der Rechtswidrigkeit nichts zu tun. Sieht man also in der Tätergefährlichkeit einen über die Einzeltat und den Tatwillen hinausreichenden Faktor und versucht sie zur Begrenzung des Strafbaren heranzuziehen, so setzt man sich beträchtlichen konstruktiven Schwierigkeiten aus. Sie beginnen mit der Einordnung der Tätergefährlichkeit in das geltende dogmatische System und reichen bis hin zu der Frage, ob ein Anknüpfen an die Tätergefährlichkeit den Erfordernissen des Art. 103 Abs. 2 GG überhaupt genügen kann. Stöger geht hier allzuleicht über die Einwände Bockelmanns 148 hinweg, daß nicht jeder Versuch ein sicheres Zeichen für Tätergefährlichkeit sei. Gerade die Notwendigkeit, generalisieren und damit im Einzelfall Tätergefährlichkeit fingieren zu müssen, bestätigt diese Bedenken. Auch die von Stöger zur Stützung seiner Argumentation herangezogene Parallele zu den abstrakten Gefährdungsdelikten149 ist nicht sonderlich überzeugend, weil bei ihnen - ebenso wie bei vollendeten Verletzungsdelikten - die Täterkomponente gerade fehlt. Abstrakte Gefährdungsdelikte umschreiben die Herbeiführung abstrakt gefährlicher, d. h. in ihren Auswirkungen regelmäßig nicht mehr beherrsch148 Studien, S. 71 f. Bockelmann betont, daß auch die Versuchsstrafe nicht als Täterstrafe angesehen werden könne, weil dazu der Schluß aus der versuchten Tat auf eine bestimmte Eigenart des Verbrechers nötig wäre. Dieser Schluß ließe sich aber nicht immer ziehen. Daher gelange selbst eine Auffassung, die im Versuch allein die subjektive Gefährlichkeit des Täters strafen wolle, zu eigentlich täterschaftlichen Erwägungen nicht. Interessanterweise betont aber Bockelmann im gleichen Zusammenhang, daß eine rein krinvinalpolitische Betrachtung der Versuchslehre zwar nicht gerecht werde, aber dennoch eine Rolle spiele: "Daraus sollte die Folgerung gezogen werden, daß dann, wenn im einzelnen Fall nicht einmal diese kriminalpolitischen Gründe gegeben sind, eine Bestrafung zu unterbleiben hat. So ließe sich vielleicht die Straflosigkeit des abergläubischen Versuchs auch vom subjektiven Standpunkt aus rechtfertigen." In dieser Formulierung dürfte bereits die Regelung des § 23 III n. F. durchschimmern (vgl. dazu unten S. 97 ff.). 149 Als "abstraktes Gefährdungsdelikt" bezeichnen im übrigen auch M. E. Mayer, AT, Kap. 8 A I 3; Engisch, Unrechtstatbestand, S. 435 und Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 167 den Versuch. Ferner Kohlrausch / Lange, StGB, Vorb. III, 2 vor § 43; emmer, Vollrauschtatbestand, S. 64; Oehler, Zweckmoment, S. 114 ff.; Sauer, Allg. StrL, S. 98. Zurecht kritisch gegenüber diesen Auffassungen Volz, Gefährdungsdelikte, S. 62: Keiner der Autoren könne die Rechtswidrigkeit der Handlung allein mit einer Gefährlichkeit für ein bestimmtes Rechtsgut erklären. Entweder würden subjektive Unrechtselemente eingeführt oder die Schutzobjekte in dem "allgemeinen Rechtsfrieden" bzw. "der Rechtsordnung" gesehen.
5. Willensgefahr und Zustandsgefährlichkeit
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barer Situationen, wie sie etwa typisch bei Trunkenheitsfahrten vorliegen. Festzustellen bleibt, daß in der Vereinigungstheorie das Bedürfnis zum Ausdruck kommt, über die Einzeltat hinausreichende Faktoren für die Begrenzung des Strafbaren heranzuziehen, daß aber die Schwierigkeiten, die sich bei einer Bezugnahme auf die Gesamtpersönlichkeit und ihre Gefährlichkeit ergeben, keinesfalls zufriedenstellend gelöst sind. Daß dies auf einer mangelhaften Trennung von Unrechtsund Schuldfeststellung einerseits und "Rechtsfolgebestimmung" andererseits beruht und daß die Täterpersönlichkeit in ihrer gesamten Problematik zwar bei der Rechtsfolgebestimmung, nicht aber bei der Feststellung von Schuld und Unrecht berücksichtigt werden kann, wird noch darzustellen sein. Das 2. StrRG scheint jedenfalls mit § 23 UI n. F. zumindest dem Problem des untauglichen Versuchs eher gerecht zu werden, als die bisher genannten Erörterungen. Es schafft eine Möglichkeit, in Grenzbereichen eine widerspruchslose Korrektur150 mit dem Argument fehlender Tätergefährlichkeit vorzunehmen, indem es die Probleme in den Bereich der Strafzumessung verlagert. Angesichts der widerspruchslosen Ergebnisse, die sich mit dieser Vorschrift erzielen lassen. ist die Polemik, die bereits vor ihrem Inkrafttreten gegen sie geführt wird, kaum verständlich. Bevor jedoch darauf eingegangeri wird, soll auf die Möglichkeit einer analytischen Trennung der Gefahrquellen hingewiesen werden.
5. Willensgefahr und Zustandsgefährlichkeit Während die bisher als möglich in Betracht gezogenen Gefahrquellen sich mehr oder weniger als ein Tat-Täterkonglomerat dargestellt haben, ist es möglich, - zunächst nur analytisch - zu unterscheiden zwischen Zustandsgefährlichkeit1S1 (wobei es keiner Betonung bedarf, da'3 "Außenweltgefahr" bzw. Zustandsgefährlichkeit strafrechtlich nur interessieren, soweit sie auf den Täter zurückführbar, d. h. zurechenbar sind) und Willensgefahr. Es wird zu zeigen sein, daß sich diese Differenzierung für unser Abgrenzungsproblem fruchtbar machen läßt. Zuvor muß jedoch näher verdeutlicht werden, was unter den Begriffen "Zustandsgefährlichkeit" und "Willensgefahr" zu verstehen ist. a) Zustandsgefährlichkeit
Mit dem Begriff der Zustandsgefährlichkeit soll eine vom Täter geschaffene Situation bezeichnet werden, die für ihn willentlich (mög150 151
Zutreffend Schmidhäuser, 15/50. Synonym etwa der Begriff der "Außenweltgefahr" ; vgl. Salm, Versuch,
S.119.
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Erster Teil: H. Ratio der Rücktrittsvorschriften
licherweise) nicht mehr beherrschbar ist und die (subjektiv bzw. objektiv) geeignet erscheint, einen rechtlich mißbilligten Erfolg herbeizuführen. Zustandsgefährlichkeit bezeichnet also den der Handlung nachfolgenden "Gefahr-Erfolg". Sie liegt etwa in dem Moment vor, in welchem das Opfer in Tötungsabsicht überfahren (BGHSt 24, 48) oder das Abtreibungsmittel, über dessen Wirkung keine Klarheit besteht (RGSt 39, 220), angewandt wird. Derart gefährliche Zustände liegen der Erscheinungsform nach auch den Gefährdungsdelikten zugrunde. In allen diesen Fällen hat sich der Täter des Einflusses auf den Kausalverlauf, den Erfolg, das Ob und die Intensität eines Schadenseintritts zu irgendeinem Zeitpunkt begeben, wobei natürlich nicht ausgeschlossen ist, daß er ihn - etwa nach Fehlgehen des Schusses - wieder erlangt. Damit wird allerdings deutlich, daß es nur bei einem beschränkten Kreis von Delikten sinnvoll ist, in der angegebenen Weise zu unterscheiden, nämlich nur da, wo der Moment, in dem der Täter sich des willentlichen Einflusses auf den Erfolg begibt, nicht automatisch mit dem Erfolg zusammenfällt. Diese Bedingung ist aber in all den Fällen, in denen unser Abgrenzungsproblem akut werden kann, erfüllt. Die den Entscheidungen BGHSt 10, 129; 14, 75; 21, 216; 22, 176; 22, 330; 23, 356; 24, 48 zugrunde liegenden Sachverhalte weisen alle eine Phase auf, in der ein Verletzungserfolg noch nicht eingetreten ist, der Täter aber seine Handlung bzw. deren Auswirkungen nicht mehr oder nicht mehr voll beherrscht. Salm, von dem der Begriff der "Außenweltgefahr" als Gegensatz zur "Willensgefahr" übernommen wurde, sieht anscheinend diese praktischen und naheliegenden Fälle nicht. Denn um den Begriff der "Außenweltgefahr" zu verdeutlichen, konstruiert er die kuriose Situation, in der die Gefahr besteht, daß der Schuß aus dem angelegten Gewehr sich durch einen Windstoß oder das Rascheln einer Maus löst, das den Täter zusammenzucken läßt. Demgegenüber hätten sich weit praktischere Beispiele aus der reichsgerichtlichen Rechtsprechung entnehmen lassen, insbesondere zu dem Bereich des § 218, soweit Mittel eingesetzt wurden, deren Wirkung weder vorhersehbar noch beherrschbar war (etwa RGSt 39,220). Ist also der Eintritt des Erfolges zum Spiel des Zufalls geworden, so soll von "Zustandsgefährlichkeit" die Rede sein. Dabei erscheint noch folgende Klarstellung notwendig: Man könnte geneigt sein, Zustandsgefährlichkeit bereits dann anzunehmen, wenn der Täter alles seiner Ansicht nach Notwendige getan, gleichwohl aber den Erfolgseintritt noch nicht aus der Hand gegeben hat. Im folgenden soll jedoch wegen der prinzipiellen Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen sowie der möglichen Umkehrbarkeit von Verboten und Geboten das "Aufgeben und Verhindern" (bzw. "Abwenden") im Sinne von § 24 I n. F. bzw.
5. Willens gefahr und Zustandsgefährlichkeit
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§ 46 gleichgesetzt werden. Daß dies offenbar auch der Standpunkt des § 24 I n. F. ist, wurde eingangs bereits betont; ob es der Sachgerechtigkeit entspricht, wird sich erweisen. b) Willensgefahr
Nur von Willensgefahr soll demgegenüber in all den Fällen die Rede sein, in welchen der Täter mit dem Versuch begonnen, aber das "Ob" oder "Ob-Nicht" des Erfolgseintritts (worunter eine Verletzung oder die Herbeiführung eines gefährlichen Zustandes zu verstehen ist) noch nicht aus der Hand gegeben hat, sei es, daß er noch nicht alles zur Erfolgserreichung Notwendige getan hat oder die bereits in Gang gesetzte Kausalkette noch aufhalten kann. Von Gefahr kann in diesen Fällen nur die Rede sein, wenn man den Willen des Täters, eine Verletzung herbeizuführen, mitberücksichtigt, also davon ausgeht, daß der Täter weiterhandelt oder eine Erfolgsabwendung nicht beabsichtigt. Mithin wird ein Gefahrurteil nur möglich, wenn der Täter als Gefahrquelle eine Urteilskomponente bildet. Damit knüpft aber auch das Urteil nicht mehr allein an eine Tat, sondern (zumindest) auch an den Täter bzw. den Täterwillen an 152 • Eine ähnliche Unterscheidung wie die zwischen Willensgefahr und Zustandsgefährlichkeit, dürfte den sog. Präsumptionstheorien zugrunde liegen, als deren Vertreter namentlich Herzog hervorzuheben war. Er stellte sich die Frage, wann eine Norm verletzt sei und kam zu dem Ergebnis: dann erst, aber auch schon dann, wenn der Mensch die Herrschaft über das Verhalten verliere, wenn der Eintritt des Erfolges nunmehr unabhängig sei von seinem Wollen und Können. Dann stehe sein Verhalten in einer festen, nunmehr der Geschichte angehörenden Relation zum Erfolg, den es herbeiführen sollte. Auf diese Weise kommt Herzog allerdings beim unbeendeten Versuch zu einer Strafe ohne Normverletzung, was letztlich nicht unerheblich dazu beigetragen haben dürfte, daß sich die Präsumptionstheorie nicht behaupten konnte und heute fast in Vergessenheit geraten ist. Jedenfalls läßt sich die Fallgruppe, in welcher tatbestandsmäßiger Erfolg oder Mißerfolg noch willensabhängig sind, nicht nur analytisch klar von den Fällen trennen, in denen sich der Täter des Einflusses auf den Erfolg (möglicherweise)153 begeben hat. Vielmehr kommt in dieser Unterscheidung auch ein materielles Gefahrmoment zum Ausdruck, das sich für die Abgrenzungsfrage fruchtbar machen läßt. Hat 152 Sieht man daher das Rechtsgutverletzende in der objektiven Tendenz der Handlung, so ist damit die vorgenommene Handlung gemeint; Schmidhäuser, 8/32. 153 D. h. dolus eventualis ist ausreichend.
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Erster Teil: H. Ratio der Rücktrittsvorschriften
der Täter den "Kausalverlauf" aus der Hand gegeben, so ist das Verhalten in eine Zustandsgefahr, in eine Außenweltgefahr umgeschlagen. Diese Zustandsgefahr läßt sich als "Erfolg" deuten, wie von zahlreichen abstrakten und konkreten Gefährdungsdelikten bekannt ist1 54 • In der Differenzierung zwischen Willens- und Zustandsgefahr liegt ein brauchbarer Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung von beendetem, unbeendetem und fehlgeschlagenem Versuch. Er soll als Zwischenergebnis festgehalten und kurz dargelegt werden. Folgendes muß dem noch vorausgeschickt werden: Die Wahl gerade dieses Faktors des Gefahrurteils als Abgrenzungskriterium macht das Problem unabhängig von der Position, die man im Theorienstreit um den Strafgrund des Versuchs bezieht, hat also eine objektive Versuchstheorie weder zur Voraussetzung noch zur Folge. Das verdeutlicht sich, wenn man sich daran erinnert, daß die Theorienfrage auf die jeweils zugrunde gelegte Informationsbasis reduziert und durch das zu gefährdende Objekt modifiziert werden kann. Die Differenzierung nach der Gefahrquelle läßt sich also sowohl auf subjektiver wie auf objektiver Ebene vornehmen. Im folgenden soll allerdings aus den oben genannten Gründen die Informationsbasis des Täters dem Gefahrurteil (bezogen auf einen Zustand als Folge der Handlung) zugrunde gelegt werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Täter glaubt, dies oder jenes sei gefährlich, sondern ob er von seinem Standpunkt aus gesehen einen objektiv gefährlichen Zustand herbeigeführt hat (objektiviert-subjektiver Standpunkt). c) Abgrenzungsvorschlag de lege lata (§ 46 und § 24 n. F.)165
Hat der Täter einmal einen Tatplan gefaßt, so erscheint von diesem Moment an das Wahrscheinlichkeitsurteil, daß ein dem Plan entsprechend in Gang gesetzter Kausalverlauf auch zum Erfolg führen werde, als statischer Faktor in dem Gefahrurteil. Denn wenn der Plan bekannt ist, so ist seine Erfolgseignung beurteilbar. Damit ist aber die Größe der Gefahr nur noch abhängig davon, inwieweit der Täter den Plan realisiert hat. Realisieren bedeutet dabei Abwicklung des Planes in der Außenwelt, Emanzipation der Handlung in Richtung Erfolg. Dabei lassen sich drei typische Stadien unterscheiden: 154 Insofern hat der Versuch in diesem Stadium, aber auch erst in diesem Stadium Ähnlichkeit mit einem (abstrakten) Gefährdungsdelikt. Notwendig ist dazu, daß der Täter einen Gefährdungserfolg herbeiführt: das ist eine Situation, in welcher der Täter den Eintritt eines Schadens (möglicherweise und erfahrungsgemäß) nicht mehr willentlich steuern kann. Etwa bei überhöhter Geschwindigkeit, bei Herbeiführung einer überschwemmung etc. Zur Frage, inwieweit Gefahr als Erfolg gedacht werden kann, Volz, Gefährdungsdelikte, S. 28/50. Lackner, Gefährdungsdelikt, S. 7; Schmidhäuser, 8/43; Gallas, Abstrakte und konkrete Gefährdung, S. 176; Horn, Gefährdungsdelikte, S. 7 ff., 14 ff. 155 In groben Zügen findet sich dieser Abgrenzungsvorschlag bereits bei Es er, StrafR II, 33 A 11 - 44.
5. Willens gefahr und Zustandsgefährlichkeit
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aal Hat der Täter Einzelakte vorgenommen, die nach seiner Vorstellung als solche (d. h. ohne weitere hinzukommende Akte) noch nicht geeignet sind, den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen, so haben diese Einzelakte im Hinblick auf den Erfolg noch keine selbständige Bedeutung. Ein sanktionsauslösendes Gefahrurteil scheint zwar bereits möglich, der Täter hat es jedoch in der Hand, dieses Urteil zu unterlaufen, indem er verhindert, daß sich der Erfolg realisiert. Bereits wenn der Täter von weiteren Handlungen absieht, erweist sich, daß das Gefahrurteil auf falschen Ansätzen (nämlich auf einer falsch eingeschätzten kriminellen Energie) beruht. Dem trägt § 46 Ziff. 1 bzw. § 24 I 1 1. Alt. n. F. Rechnung 156 • bb) Hat der Täter Einzelakte vorgenommen, die nach seiner Vorstellung (möglicherweise oder gar sicher) geeignet sind, ohne weitere hinzukommende Akte den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen, geht er aber davon aus, den Erfolgseintritt auch noch abwenden zu können157 , so hat seine Handlung im Hinblick auf die Erfolgsherbeiführung relativ selbständige Bedeutung. Relativ deshalb, weil der Erfolg noch durch einen gegenläufigen Akt des Täters aufhaltbar ist, weil die Handlungsfolgen durch den Täter noch steuerbar sind. Insofern hat auch dieses Stadium mit dem vorhergehenden eines gemeinsam: nämlich daß ein Gefahrurteil zu diesem Zeitpunkt immer noch die willensabhängige kriminelle Betätigung als Faktor enthält und sich daher infolge des weiteren Täterverhaltens als falsch angesetzt erweisen kann. ce) Hat der Täter Einzelakte vorgenommen, die nach seiner Vorstellung (möglicherweise oder gar sicher) geeignet sind, einen tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen, und rechnet er gleichzeitig damit, den Erfolgseintritt nicht mehr abwenden zu können, so hat seine Handlung im Hinblick auf den Erfolg absolut selbständige Bedeutung erlangt168 ; und zwar unabhängig davon, ob der Täter weitere Handlungen geplant hat oder - bei fehlendem Täterplan - im Anschluß an den 156 Vgl. auch Reinh. v. Rippet, Untersuchungen, S. 67, der meint, das Rücktrittsprivileg bewahre gerade vor einer Prognose. 157 Auf den Fall, daß insoweit ein Irrtum vorliegt (der Täter glaubt, noch nicht alles zur Erfolgserreichung Notwendige getan zu haben, der Erfolg tritt aber bereits aufgrund des Getanen ein, oder er glaubt, den Erfolg noch verhindern zu können, in Wirklichkeit ist der Erfolg aber nicht mehr abwendbar), braucht in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen zu werden. Fraglich ist hier lediglich, ob es sich um eine wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf handelt. Vgl. etwa Schmidhäuser, 15/80 m. w. H. In der Regel wird dies verneint. 158 Der Täter hat den "Kausalverlauf" aus der Hand gegeben. Darauf wird auch abgestellt bei der Frage nach dem Versuchsbeginn bei unechten Unterlassungsdelikten; vgl. Jescheck, S. 488. Zur Verbindungslinie zwischen Rücktrittslösung und Unterlassungsdelikt auch Geilen, JZ 1972, 342.
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Erster Teil: 11. Ratio der Rücktrittsvorschriften
Einzelakt weitere Einzelakte durchführen konnte. Die im betätigten rechtsfeindlichen Willen zum Ausdruck kommende Gefährlichkeit hat damit ihren Höhepunkt erreicht. Als Folge der Tätergejährlichkeit ist ein gefährlicher Zustand entstanden. Die durch den Entschluß und den Anfang der Ausführung hervorgerufene Vermutung, der Täter werde sich in einem (nach seiner Vorstellung) zur Erfolgserreichung notwendigen Ausmaß betätigen, hat sich unwiderruflich zur Gewißheit verdichtet. Ob ein Versuch fehlschlagen wird, kann zwar in einem Teil der Fälle - etwa beim Versuch mit absolut untauglichen Mitteln oder am untauglichen Objekt - schon vor diesem Zeitpunkt beurteilt werden. Vor diesem Zeitpunkt ist jedoch nicht sicher, ob der Täter sich überhaupt in einem aus seiner Sicht notwendigen Ausmaß betätigen wird. Erst wenn das, was als Folge einer Handlung geschieht, willentlich nicht mehr beherrschbar und beeinflußbar ist, besteht auch die Gefahr einer voreiligen Prognose, daß der Täter in einem zur Erfolgserreichung notwendigen Ausmaß tätig werde, nicht mehr. Das Gefahrurteil bleibt als richtig, wenn auch als überholt bestehen, ob nun der Erfolg eintritt oder nicht eintritt. Es fehlt die Notwendigkeit einer Korrektur. Bereits aus dieser theoretischen Sicht handelt es sich daher nicht um ein Stadium beendeten oder unbeendeten Versuchs, sondern um den Fall eines jehlgeschlagenen. Betrachtet man unter diesem Aspekt BGHSt 24, 48 159 , so ergibt sich die Unanwendbarkeit des § 46 Nr. 2 bereits daraus, daß kein beendeter, sondern ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt. Das intrikate Prohlem, das mit dem Tatbestandsmerkmal des "Entdecktseins" verbunden ist, hätte dahingestellt bleiben können. Es wäre lediglich auf die leicht zu bejahende Frage angekommen, ob der Angeklagte bei seinem Anschlag auf seine frühere Freundin zu irgendeinem Zeitpunkt den Einfluß über Erfolg oder Nichterfolg aus der Hand gegeben hat: dann liegt fehlgeschlagener Versuch vor, die Frage nach einem Rücktritt stellt sich nicht mehr. Die Richtigkeit dieser Lösung drängt sich m. E. geradezu auf, wenn man den Fall leicht abwandelt. Angenommen, der F wäre - ceteris paribus - bei dem Anschlag wie durch ein Wunder nichts passiert oder wenigstens nur so viel, daß keine Hilfe seitens des Angeklagten erforderlich gewesen wäre, so hätte er nach h. M. wegen versuchten Totschlags bestraft werden müssen, weil es keinen Erfolg abzuwenden gab. Strafbarkeit also, obwohl subjektiv gleich viel und objektiv weniger vorlag als im Vergleichsfall. Wer zu einem solchen Ergebnis nicht 159 Der Angeklagte hatte seine frühere Freundin F mit einem PKW von hinten angefahren, um sie zu töten. Nachdem die F auf die Straße geschleudert worden war und erheblich verletzt dalag, holte der Angeklagte einen Arzt.
5. Willensgefahr und Zustandsgefährlichkeit
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mehr zu sagen hat, als daß dies "Pech" für den Täter sei, oder wer resignierend dem § 46/24 n. F. die Schuld zuschiebt, der muß sich vorwerfen lassen, daß er ohne Not mit einem Rezept arbeitet, das nicht an Sachgerechtigkeit, sondern am Zufall orientiert ist. Leider befassen sich auch die Anmerkungen zu BGHSt 24, 48 von Dreher 160 und Bringewat 161 nicht mit dieser Frage. Die Berücksichtigung ihrer - freilich nicht unberechtigten, aber immanent bleibenden - Kritik führt nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis zu einer verfehlten Entscheidung. Ist der Versuchstäter einmal so weit gegangen, so ist es schwer, einen auch nur einigermaßen plausiblen Grund dafür zu finden, daß er prinzipiell keiner Strafe bedürfe, wenn er von weiteren möglichen Gefährdungen absieht oder die Gefahr - nachdem sie zufällig wieder für ihn beherrschbar wird - abwendet. Solche Handlungen mögen evtl. einen kompensierenden Effekt haben und lassen sich eher mit einer Wiedergutmachung nach Vollendung der Tat vergleichen und im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigen. In diesem Bereich des fehlgeschlagenen Versuchs erscheint daher die Versuchsstrafe grundsätzlich angebracht, weil derartige endgültige Rechtsgutgefährdungen typisch unerträglich sind und zeigen, daß sich der Täter von der Norm nicht beeindrucken ließ. Daß demgegenüber der Hinweis auf die behauptete Evidenz geringerer verbrecherischer Energie gering wiegt, wurde bereits dargetan 162 • Daneben ist auch der Einwand unbegründet, daß durch die hier vorgeschlagene Lösung dem Täter jeder Anreiz zum Abstehen von der Tat genommen werde, wenn man ihm die Möglichkeit strafbefreienden Rücktritts von einem fehlgeschlagenen Versuch versperre. Einerseits basiert dieser Einwand auf der bekannt zweifelhaften These, daß der Täter um die Feinheiten des Rücktrittsprivilegs wisse. Zum anderen unterschätzt er die weitaus bekanntere und auch spezialpräventiv wirksamere Tatsache der unterschiedlichen Strafdrohung bzw. Strafverhängung für Versuch und Vollendung163 • Schließlich läßt sich auch das oben 164 erwähnte Kuriosum vermeiden. Der Versuchstäter, der mit Tötungsvorsatz handelnd sein Opfer nur verletzt und dann rettet, wird nicht mehr besser gestellt als der, dessen Handlung völlig fehl geht. Das konnte am Beispiel von BGHSt 24, 48 gezeigt werden. NJW 1971, 1046. JuS 1971, 403. 182 Oben I 6 b. 163 Ausführlich mit zusätzlichen Argumenten Fahrenhorst, Rücktritt, S. 15 ff.; knapper, aber informativer überblick bei v. Scheurl, Rücktritt, S. 21 f. 184 16 a, bb. 160 161
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Erster Teil: 11. Ratio der Rücktrittsvorschriften
Unsere zurückhaltende Interpretation des Rücktrittsprivilegs bringt auch keine sachlich unvertretbaren Ergebnisse mit sich. Einmal kann nämlich in den Fällen, in denen man glaubt, auf Strafe verzichten zu müssen, die Milderungsmöglichkeit des § 44 III (§§ 23 II, 49 I n. F.) ausgeschöpft, die Strafe also bis auf ein Viertel der Mindestandrohung ermäßigt werden. Zum andern kann man unter bestimmten Voraussetzungen gern. § 23 II/56 II n. F. eine Strafe bis zu zwei Jahren zur Bewährung aussetzen. Lediglich in einigen wenigen Fällen, so wenn lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter 10 Jahren angedroht ist165 , ist es derzeit unmöglich, auf den Vollzug der Strafe zu verzichten. Mit dem Inkrafttreten des neuen Allgemeinen Teils ab 1. 1. 1975 fällt aber selbst diese Schranke, wie die §§ 56 II i. V. m. § 59 I Ziff. 3 n. F. zeigen. Es ist also höchst unwahrscheinlich, daß die vorgeschlagene Abgrenzung zu ungerechtfertigten und harten Strafen zwingt. De lege lata lassen sich damit jedenfalls für die kritischen Abgrenzungsfälle befriedigendere Lösungen finden, die zudem auf ein dahinter stehendes materielles Prinzip rückführbar sind. Der Versuch ist in den Fällen, in denen der Täter die Beherrschung der Auswirkungen seiner Handlung aus der Hand gegeben hat, prinzipiell strafbar, weil damit nicht nur eine typisch unerträgliche Rechtsgutgefährdung (Tätervorstellung als Urteilsbasis!) gegeben, sondern auch die kriminelle Energie des Täters zumindest dahingehend erwiesen ist, daß er sich bereit gezeigt hat, bis zur Erfolgserreichung zu handeln. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten: Strafbefreiender Rücktritt ist (grundsätzlich) ausgeschlossen, wenn der Täter (1) einen Einzelakt durchgeführt hat, der für sich zum tatbestandsmäßigen Erfolg hätte führen sollen und (2) damit rechnet, daß er sich (möglicherweise) des Einflusses auf den Erfolgseintritt begeben hat. Auf den Umfang des Geplanten und den Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorstellungsbildes des Täters kommt es dabei nicht mehr an. 6. Tätergefährlichkeit als Abgrenzungskriterium Mit der de lege lata vorgenommenen Abgrenzung, die sich in der grundsätzlichen Weichenstellung zwischen Rücktrittsausschluß einerseits und (abstufbarem) Rücktritt andererseits an der Herbeiführung einer Zustandsgefährlichkeit orientiert, dürfte allerdings kaum das abschließende Wort über das Problem gesprochen sein. Es handelt sich eher um ein Provisorium, weil einige Zweifelsfragen offen bleiben. So liefert der Vorschlag zwar ein "Prinzip", aber kein Kriterium für eine individuelle und sachnahe Einzelfallentscheidung. Es wurde 165
Vgl. etwa die §§ 80, 211, 251, 307 und 324.
6. Tätergefährlichkeit als Abgrenzungskriterium
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darauf hingewiesen, daß die praktisch gewordenen Fälle sich zum großen Teil aus im Erregungszustand begangenen Taten rekrutieren. Dabei war festgestellt worden, daß eine generelle Verneinung des Strafbedürfnisses bei freiwilligem Abstehen nach einer fehlgeschlagenen Versuchshandlung im Einzelfall fiktiv wäre. Dies gilt aber auch für die entgegengesetzte Behauptung. Auch die Notwendigkeit einer Sanktion läßt sich nicht generell dartun, sondern muß von Fall zu Fall begründet werden. Ferner orientiert sich der Abgrenzungsvorschlag zwar an der ratio der Rücktrittsvorschriften. Diese Orientierung wäre aber nur dann problemlos, wenn sich die Sinnfrage auf Unrechts- und Schulderwägungen zurückführen ließe, die Straffreiheit also mit geringerem oder fehlendem Schuld- bzw. Unrechtsgehalt begründbar wäre. Auf dieser Annahme beruht auch mehr oder weniger der obige Abgrenzungsvorschlag. Die "Gefahr" stellt dabei die Unrechts komponente, die "kriminelle Energie" die Schuldkomponente166 • Liegen beide Komponenten vor, so hat man einen fixierten Anknüpfungspunkt für eine vergeltende, d. h. auf Unrechts- und Schuldausgleich gerichtete Strafe. Die Reduzierung des Rücktritts auf Schuld- und Unrechtselemente wird aber der Problematik nicht gerecht. Einmal liefert die auf die Rechtsgutgefährdung gestützte Unrechtskomponente als solche kein ausreichendes Grenzelernent. Zumindest dann nicht, wenn man das Gefahrurteil auf der Basis des Täterwissens fällt, also im Ergebnis die subjektive Tendenz der Handlung bzw. den Vorsatz zum konstitutiven Element der Rechtswidrigkeit macht. Auf diese Weise wird der Unrechtsbereich zwar klar umgrenzt, aber um den Preis einer sehr weiten Fassung. Dem kann man natürlich dadurch Rechnung tragen, daß in Grenzbereichen die Strafe nicht allein mit dem geschehenen Unrecht legitimiert wird. Wie sich bei der Untersuchung der Komponenten des Gefahrurteils gezeigt hat, wird bei der Suche nach Elementen zur Begrenzung des Strafbaren immer wieder auf präventive Postulate zurückgegriffen, wenn dies auch - wie etwa bei der sog. Eindruckstheorie und der sog. Vereinigungstheorie nicht immer klar hervortritt. Auch im Rücktrittsbereich liegt ein solcher Rückgriff nahe, zumal die Rücktrittsregel nach einem strafzweckfunktionalen Verständnis drängt. 166 "Kriminelle Energie" steht hier für die rechtlich fehlerhafte Gesinnung, das "aktuelle Gesonnensein", das zwar bereits im Tatentschluß zum Ausdruck kommt, aber den vollen Vorwurf erst dann rechtfertigt, wenn der Täter gezeigt hat, daß er nicht nur fähig ist, sich zu einer Tat zu entschließen, sondern sie auch bis zu einer Erfolgserreichung durchzuführen. Erst damit läßt sich das Bild von der Gesamtheit der Handlungsmaximen abrunden. Der Bezugspunkt ändert sich natürlich, je nachdem was als Gegenstand des Schuldurteils angesehen wird. Darauf kann aber hier nicht näher eingegangen werden.
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Erster Teil: Ir. Ratio der Rücktrittsvorschriften
Hinzu kommt, daß das Gefahrurteil notwendig eine Täterkomponente enthält, solange noch keine Zustandsgefährlichkeit herbeigeführt wurde. Will man diese Täterkomponente nicht auf den unrechtsrelevanten Tatwillen reduzieren oder statisch auf das in der Tat zum Ausdruck Gekommene fixieren, so verlagert sich auch insofern die Gewichtung von der Gefährlichkeit der Tat auf die Gefährlichkeit des Täters im Hinblick auf zukünftige Rechtsgutverletzungen. Es findet ein übergang von unrechtsrelevanten Umständen zu präventiven Argumenten statt. Die so verstandene Täterkomponente entzieht sich dem Unrechtsbegriff. Aber auch in das Tatschuldurteil dürfte sie nicht integrierbar sein. Bereits das unterschiedliche begriffliche Instrumentarium weist auf eine Differenz. So spricht man weniger davon, daß der Rücktritt auf geringere Schuld hindeute, sondern daß er als Erweis geringerer Tätergefährlichkeit, als Ausdruck eines weniger intensiven verbrecherischen Willens zu sehen seP67. Die häufig anzutreffende Behauptung, daß Tätergefährlichkeit oder kriminelle Energie Maßstab der 'Schuldzurechnung seien, übergeht dabei das Problem allzuschnell. Immerhin ist das Tatschuldurteil doch retrospektiv auf die Tat gerichtet und fixiert. Insofern kann es seinen wesensmäßigen Zusammenhang mit dem Sühne- und Vergeltungsgedanken nicht leugnen. Eine ganz andere Blickrichtung ist dagegen etwa mit der Frage nach der Tätergefährlichkeit bzw. der umfassender verstandenen kriminellen Energie verbunden. Ihr geht es um ein Urteil über die Verbrechensdisposition des Täters und die sich daraus ergebende Wahrscheinlichkeit zukünftiger Delikte. Zum Teil wird das hier bestehende Problem freilich umgangen, indem die Täterpersönlichkeit über die Forderung nach der Charakteradäquanz der Tat in das Tatschuldurteil aufgenommen wird. So meint etwa Dahlmann 168 , eine Handlung sei nur dann eine schuldhafte, der Persönlichkeit des Handelnden vorwerfbare, wenn bei ihrer Motivierung der Charakter als mitbestimmender Faktor in einem solchen Grad beteiligt sei, daß wir aus ihr auf die Qualität des Charakters schließen könnten. Ein so geartetes Schuldurteil bedarf aber der Bewertung des Charakters als Ganzen. Es geht dabei - wie dies im Ansatz der Vereinigungstheorie entspricht - um die Gesamtpersönlichkeit, um eine dynamische, auf das Ganze von Tat und Täter gerichtete Verbrechensauffassung. Dies erfordert die Heranziehung von Faktoren, die außerhalb des engeren Tatbereichs stehen. Daß solche Faktoren nicht zur 187 BGHSt 9, 52; Fahrenhorst, Rücktritt, S. 11. In dieser Allgemeinheit wird die Behauptung freilich wieder zur Fiktion. 168 Dahlmann, Rücktritt, S. 98; Fahrenhorst, Rücktritt, S. 11 f.
6. Tätergefährlichkeit als Abgrenzungskriterium
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Strafbegründung gehören - und das 'Schuldurteil ist zunächst ein Teil der Strafbegründung -, sondern allenfalls zur Zumessung herangezogen werden können, ist bisher eigentlich kaum bezweifelt, sondern allenfalls übersehen worden.
Damit ist man aber bei der bereits angesprochenen Frage, ob sich überhaupt mittels präventiver Faktoren, insbesondere der Tätergefährlichkeit, abgrenzen läßt, wenn ja, wie sie dogmatisch einzuordnen sind, ohne daß dadurch das Tatstrafrecht in Gefahr gerät, und schließlich, wie eine flexible Abgrenzung im einzelnen auszusehen hätte. In diesem Zusammenhang ist interessant, wie der Rücktritt bisher eingeordnet wurde, ob, wie und inwieweit es also gelungen ist, die damit verbundenen Sachfragen dem herkömmlichen dogmatischen System ohne inneren Widerspruch zu integrieren. Da sich die Fragen jedoch nicht nur für die Grenzbereiche des Rücktritts, sondern auch für die Grenzbereiche des untauglichen Versuchs stellen und für die letzteren das 2. Strafrechtsreformgesetz eine interessante Neuformulierung vorgenommen hat, soll zunächst darauf eingegangen werden. a) Exkurs - § 23 111 n. F.
Nach § 23 III n. F. u ••• kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern", wenn der Täter aus grobem Unverstand verkannt hat, u ••• daß der Versuch nach Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte". Diese Vorschrift resultiert aus der Erkenntnis, daß sich im Bereich des untauglichen Versuchs eine allgemeine Grenzlinie zwischen den Fällen, die Strafe verdienen, und denen, die straffrei bleiben mögen, nicht finden lasse169 • Es lasse sich nicht durch bestimmte objektive Kriterien abgrenzen, welche untauglichen Versuche schlechthin straflos bleiben sollten und welche nicht170 • Man werde den in der Praxis vorkommenden Fällen mit der fakultativen 'Straffreiheit besser gerecht als mit der obligatorischen l7l • Die fakultative Straflosigkeit sei besser als der aussichts189 So die Begründung zu § 27 E 62, S. 145; ähnlich die Begründung zum E 1927, S. 24. Auch der E 27 schlug bereits eine dem 2. Strafrechtsreformgesetz entsprechende Lösung vor. Danach sollte das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern oder - in besonders leichten Fällen - von Strafe absehen können, wenn der Versuch schon wegen der Art des vom Täter ausersehenen Mittels oder Gegenstandes überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte. 170 Corves, in: Protokolle des Sonderausschusses für Strafrechtsreform, 88. Sitzung, S. 1751; ferner BTD V/4095, S. 12. 111 Diemer-Nicolaus, Prot. S. 1752.
7 Burkhardt
Erster Teil: II. Ratio der Rücktrittsvorschriften
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lose Versuch, die Fallgruppen obligatorischer Straffreiheit zu definieren. Diese pragmatischen Argumente sind weniger das Ergebnis einer Resignation, als der Versuch, einen Schlußstrich unter einen Streit zu ziehen, der sich in den Grenzbereichen, wo es um die Unterscheidung zwischen untauglichem und irrealem Versuch geht, ohnehin nie gelohnt haben dürfte. Bestätigt wird dies durch eine Betrachtung der Beispiele, die in der Diskussion des Für und Wider herangezogen wurden. Etwa das 80jährige Mütterchen, das sich vom Teufel schwanger glaubt, scheint eine ungeheure Anziehungskraft zu besitzen. Insgesamt wähnt man sich eher in einem Kabinett von Kuriositäten, als im Bereich des rechtlich Relevanten, und die Auseinandersetzung ist weniger wissenschaftlich als peinlich. Der Vorwurf, daß gerade im Versuchsbereich an die Stelle der sozialen Wirklichkeit die reine Rechtstechnik getreten ist und daß es sich um eine selbstgefällige, spielerische und mithin sozial mißbräuchliche Verwendung der Rechtstechnik handelt172 , bestätigt sich nicht selten. Anerkennt man die prinzipielle Strafbarkeit auch des untauglichen Versuchs, so muß man sich nahezu zwangsläufig in Ungereimtheiten verwickeln, wenn man mit der Differenzierung zwischen abstrakt und konkret gefährlichen bzw. untauglichen und irrealen Versuchen gewisse Fälle wieder ausscheiden will. Es ist widersprüchlich, zunächst auf das Vorliegen einer objektiven Gefahr (oder exakter: auf die Gefahrbeurteilung durch einen objektiven oder sachverständigen Dritten) zu verzichten, dann aber den Strafbarkeitsbereich mit artverwandten Kriterien doch wieder einengen zu wollen. Daß ferner die klassifizierende Einteilung in strafbares und nichtstrafbares Verhalten mittels von Begriffen, die auf die Abstufung von Gefahrgraden hin angelegt sind, schwer möglich ist, wird noch zu zeigen sein. Will man den zugegebenermaßen weiten Bereich strafbaren Versuchs wieder einschränken, so muß man sich dazu zumindest solcher Argumente bedienen, die sich mit denen, die für die Ausdehnung herangezogen werden, nicht von vornherein in Widerspruch setzen. Hier kommen in erster Linie präventive Erwägungen in Betracht. Und genau diesem Gesichtspunkt trägt § 23 III n. F. Rechnung. Betrachtet man die zugrunde liegenden Materialien, so scheint allerdings die Begründung zu (dem im wesentlichen mit § 23 III n. F. identischen) § 27 E 62 schon einen Schritt weiter gewesen zu sein oder die Problematik besser artikuliert zu haben, als dies im Sonderausschuß für Strafrechtsreform geschehen ist. Während im Sonderausschuß hauptsächlich noch damit argumentiert wurde, daß der Versuch, das "Tun" oder die Handlung 172
Ancel, Die neue Sozialverteidigung, S. 220 ff.
6. Tätergefährlichkeit als Abgrenzungskriterium
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in den Randbereichen ungefährlich sei oder sein könne, betont die Begründung zum E 62, daß auch (aber nicht notwendigerweise) in einem völlig untauglichen Versuch ein erheblicher verbrecherischer Wille zutage treten könne, der befürchten lasse, daß er sich nach dem Fehlschlag auf andere taugliche Weise durchzusetzen suche173 • Ohne diese Begründung im einzelnen einer Analyse unterziehen zu wollen, wird doch die darin vollzogene Wendung deutlich. Fragen die Begründungen üblicherweise mit einem Blick auf die Tat bzw. den statisch fixierten Täterwillen, ob eine Gefahr vorgelegen habe, der soziale bzw. rechtliche Relevanz zukomme, so ändert sich nun die Fragerichtung hin auf die präventive Notwendigkeit der Strafe, die Wiederholungsgefahr, die Tätergefährlichkeit. Freilich - und dieser Einwand liegt nahe - soll gegen das Argument des E 62 entscheidend sprechen, daß bloße Wiederholungsgefahr nicht als Strafbarkeitsgrund anerkannt werden könne 174 • Das dürfte schon deshalb zutreffen, weil jede andere Auffassung das Tatschuldprinzip mit allen darin enthaltenen rechtsstaatlichen Garantien aufzulösen droht. Trotzdem geht das obige Argument im konkreten Anwendungsfall an der Sache vorbei, weil es nur zutrifft, soweit es um die Begründung der Strafbarkeit im Sinne des "Ob" der Strafe geht. Die hierfür relevanten Fragen, ob Unrecht und Schuld vorliegen, können nicht von präventiven Erwägungen wie z. B. Wiederholungsgefahr oder Tätergefährlichkeit abhängig sein. Anders aber bei der Zumessungsfrage, wenn es um das "Wie" der Strafe geht. Daß im Bereich der Strafzumessung etwa die Wiederholungsgefahr neben anderem legitimer Strafzumessungsgrund sein kann, dürfte im Prinzip kaum bestritten sein. Und da es sich bei § 23 III n. F. um eine Strafzumessungsregel handelt, besteht kein Grund, der daran hindert, über diese auch präventive bzw. Persönlichkeits-Momente in die Abgrenzungsfrage zu bringen. Praktisch könnte man sich die Vorschrift des § 23 III n. F. etwa folgendermaßen veranschaulichen: Schuld und Unrecht liegen auch in den zweifelhaften Fällen des untauglichen Versuchs vor. Da aber Unrecht weitgehend nur in subjektiven Elementen, sei es im Tatwillen oder der "rechtsgutverletzenden Willenstendenz" , zum Ausdruck kommt und daher nicht materialisiert oder objektiviert ist, reichen Schuld und Unrecht nicht zur Begründung einer Strafe aus, die über den bloßen Schuldspruch (unter Strafverzicht, und so wirkt sich das Absehen von Strafe aus) hinausgeht175 • Vielmehr muß jeder darüber hinausreichende Auch LK (Busch), § 43 Rdnr. 69. So Gössel, GA 1971, 230 f. 175 Dem entspricht es, daß an erster Stelle in § 23 III n. F. die Möglichkeit des "Absehens von Strafe" als Regelfall genannt wird. Damit verband we173 174
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Erster Teil: II. Ratio der Rücktrittsvorschriften
Strafausspruch besonders und im speziellen Fall begründet sein, wobei in erster Linie präventive Überlegungen jeder Art in Frage kommen, soweit mit ihnen legitime Anliegen verbunden sind. Zu nennen ist hier an erster Stelle etwa die Tätergefährlichkeit, wie sie sich aus einer Würdigung der Gesamtpersönlichkeit ergibt, aber auch generalpräventive Gesichtspunkte, wie sie hinter der Theorie vom Geltungsschaden stecken. Gerade an diesem Punkt zeigt sich übrigens deutlich, daß auch bereits bisher präventive Erwägungen für die Abgrenzungsfrage herangezogen wurden, wenn auch unter anderem "Etikett" und daher nicht als typische Zumessungserwägungen kenntlich. Zwar läßt sich argumentieren, daß bei fehlender Beeinträchtigung der Rechtsordnung auch kein strafbares Unrecht existiere. Konsequent ist dies aber nur, wenn man den Strafgrund des Versuchs in der Gefährdung der Rechtsordnung sieht. Hält man demgegenüber auch für den Versuchsbereich am jeweils tatbestandlich geschützten Rechtsgut fest, so kann die "Gefährdung der Rechtsordung" nicht als Konstitutivum oder Grundelement in den Unrechtsbereich eingeführt werden. Trotzdem hat die Lehre vom Geltungsschaden eine legitime Einbruchstelle, nämlich als generalpräventives Element in der Strafzumessung, deren Argumentenbereich sich über das Tatunrecht bzw. die Tatschuld (im rechtsstaatlichen Sinne) hinaus erstreckt176 • Hier werden dann auch die Parallelen zum Argument der "Verteidigung der Rechtsordnung" deutlich, von dem etwa die Zulässigkeit kurzer Freiheitsstrafen abhängig sein kann. Jedenfalls ist auch die Polemik, die gegen § 23 In n. F. geführt und bisher vornehmlich von Gössel artikuliert wurde 177 , kaum verständlich. Der Schwerpunkt der Beanstandung liegt in der Behauptung, daß der Gesetzgeber einen Streit wieder aufleben lasse, der längst geschlichtet schien, nämlich um die Differenzierung zwischen abstrakt und konkret ungefährlichem Versuch, eine Abgrenzung, die schon die sogenannte ältere objektive Theorie mit der Unterscheidung zwischen relativ und absolut untauglichem Versuch vergeblich versucht habe. Es ist jedoch weniger die Vorschrift des § 23 In n. F. als die Interpretation, die sie erfahren hat, welche zu einer derartigen Differenzierung zwingt. Zwar wird man Gössel zustimmen, soweit er hervorhebt, das Wort "überhaupt" in § 23 In n. F. könne nur den Sinn haben, aus der Genigstens der Sonderausschuß die Intention, daß der Richter zunächst daran denken solle, überhaupt nicht zu bestrafen; Diemer / Nicolaus, Prot. S. 1752; Müller / Emmert, Prot. S. 1757. Zur rechtstechnischen und begriffslogischen Fassung von Regelfallnormen vgl. unten Zweiter Teil I 3 b. 176 Vgl. auch oben II 2, insbes. Fn. 27, 29. 177 Gössel, GA 1971, 225; ferner Maurach, AT, § 41 III A; Blei, JA 1971, 176 (654). Ähnlich polemisch gegen § 27 E 1927 Drost, Ermessen, S. 206.
6. Tätergefährlichkeit als Abgrenzungskriterium
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samtmenge aller Versuche, die nicht zur Vollendung führen konnten, einen Teil hervorzuheben und daß folglich die nur konkret ungefährlichen nicht gemeint sein könnten. Bedenken ergeben sich aber aus dem weiteren: Im Lichte der amtlichen Begründung könne das Wort "überhaupt" folglich nur solche Fälle des untauglichen Versuchs bezeichnen, die weder konkret noch abstrakt gefährlich seien178 : erst die abstrakt ungefährlichen Versuche seien einer Privilegierung zugänglich, die nur konkret ungefährlichen seien es nicht. Daraus folgert Gössel dann die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen abstrakt ungefährlichen und konkret ungefährlichen Versuchen. Wenn indessen eine solche Unterscheidung notwendig und sinnvoll wäre, dann nicht zwischen abstrakt und konkret ungefährlichen. Denn nach Gössels eigenem Dafürhalten sollen ja nur die gleichzeitig abstrakt und konkret ungefährlichen Handlungen einer Anwendung des § 23 In n. F. zugänglich sein. Diese Klasse läßt sich aber gerade nicht durch eine Abgrenzung der abstrakt ungefährlichen von den konkret ungefährlichen Handlungen ermitteln. Vielmehr müßte man einerseits differenzieren zwischen konkret gefährlichen und konkret ungefährlichen, andererseits zwischen abstrakt gefährlichen und abstrakt ungefährlichen Versuchen. Neben diesen eher die Logik der Unterscheidung betreffenden Bedenken wäre zudem zu bemerken, daß die Formulierung als flexible Strafzumessungsregel eine Differenzierung zumindest im Ergebnis weitgehend entschärft. Und schließlich muß bezweifelt werden, ob sich § 23 In n. F. allein an der Gefährlichkeit der Handlung orientieren kann und soll. Abgesehen davon, daß die "Gefährlichkeit der Handlung" erst aufgeschlüsselt werden müßte, kann sich § 23 In n. F. als Strafzumessungsregel auch an präventiven Gesichtspunkteri orientieren und schafft damit eine viel breitere Basis für die Abgrenzung. Es liegt also gar keine Notwendigkeit für die von Gössel prophezeiten und gefürchteten atavistischen Abgrenzungen vor. Ein weiteres Monitum ist schließlich nur von einem Standpunkt aus verständlich, der glaubt, zwischen untauglichem und irrealem Versuch trennen zu müssen: Die neueren Bestimmungen ließen unklar, wie der irreale vom untauglichen Versuch abzugrenzen sei, und § 23 In n. F. sei auf irreale Versuche nicht anwendbar. Aber weder für die Notwendigkeit einer derartigen Unterscheidung noch für die Beschränkung der Anwendbarkeit des § 23 In n. F. läßt sich aus den neueren Versuchsvorschriften oder aus der amtlichen Begründung etwas entnehmen. Allein aus der gelegentlichen Verwendung des Begriffs "untauglicher Versuch" kann dies auch nicht hergeleitet werden. Vielmehr läßt
178
Vgl. zu dem Wort "überhaupt" auch Arndt, Prot. S. 1756.
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Erster Teil: 11. Ratio der Rücktrittsvorschriften
gerade die Formulierung des § 23 III n. F. eher vermuten, daß der Gesetzgeber diese Unterscheidung nicht für relevant hält179 • So liegen denn die kritischen Fälle auch nicht im Bereich des 80jährigen Mütterchens, das sich vom Teufel schwanger glaubt und mit Zuckerwasser abzutreiben versucht. Eher könnte die Unterscheidung schon bei Fehleinschätzungen im rechtlichen Bereich praktisch werden: Wie etwa ist zu entscheiden, wenn der Täter in grobem Unverstand eine Sicherungsübereignung für wirksam gehalten hat und den für übereignet gehaltenen Gegenstand veräußert l80 ? Hierfür bietet § 23 III n. F. als Strafzumessungsregel eine durchaus flexible und angemessene Regelung l81 . Selbst wenn es aber zutreffen würde, daß § 23 III n. F. in der Praxis auch bei irrealen Versuchen eine Ausdehung der Strafbarkeit zur Folge hätte - was allerdings zu bezweifeln ist -, so wäre immer noch zu klären, ob dies wirklich nachteilig wäre. Denn als Rechtsfolge kommt auch dann nur ein Schuldspruch unter Strafverzicht in Frage (Absehen von Strafe), mit dem eine durchaus positive erzieherische Wirkung verbunden sein kann l8" Schließlich ist auch noch zu bedenken, daß ein Teil der Fälle gemäß § 153 a StPO überhaupt nicht zur Verhandlung kommen wird. Man wird daher kaum von vornherein Unangemessenheit oder Unvertretbarkeit behaupten können. Die Formulierung des § 23 III n. F. als Strafzumessungsregel und damit verbunden - die Verlagerung des Grenzproblems in den Rechtsfolgebestimmungsvorgang l83 ermöglicht also nicht nur eine problemlose Berücksichtigung der Verbrechens disposition des Täters, sondern auch einen widerspruchslosen Strafverzicht in Fällen, in denen. für einen Strafausspruch kein Bedürfnis besteht. Daß eben diese Frage, nämlich ob im konkreten Fall ein Strafbedürfnis vorhanden ist, auf eine breitere Basis gestellt wird, als es etwa mit der Bezugnahme auf die Gefährlichkeit der Handlung oder den fixierten Täterwillen geschieht, bleibt ein weiterer Vorteil der ZumessungsregeP84. Auch das Urteil 179 So auch Schmidhäuser, 15/50. 180 Beispiel in Anlehnung an OLG Stuttgart, NJW 1962, 65. 181 Ebenso Schmidhäuser, 15/50: "Will man in den Fällen des abergläubischen Versuchs zu einer Straflosigkeit kommen, so gelingt dies ohne Widerspruch nur über eine Strafzumessungsregel, wie sie § 23 111 n. F. enthält; ... ". 182 Näher unten Zweiter Teil 11 1 b, cc. 183 Zu diesem Begriff Peters, Gutachten, S. 5 ff. 184 Wagner, GA 1972, 33/39 dürfte dem Regelungswert des § 23 111 n. F. daher kaum gerecht werden: Ohne festzustellen, daß die Abgrenzungsfrage um einen neuen (präventiven) Argumentenkatalog bereichert wird, meint er, es sei sehr fraglich, ob in § 23 111 n. F. überhaupt ein Schuldfeststellungsbedürfnis bestehe, und das "Absehen" von ~trafe ermögliche es nicht, sich um die Abgrenzungsfrage zu drücken. Dazu auch unten Zweiter Teil II.
6. Tätergefährlichkeit als Abgrenzungskriterium
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über die Verbrechensdisposition des Täters im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit künftiger Delikte fordert ja eine über die Einzeltat hinausgreifende Bewertung der Gesamtpersönlichkeit. Im folgenden soll nun die Frage untersucht werden, ob und wie sich bei der Abgrenzung der Rücktrittsjälle präventive Argumente, insbesondere eine Orientierung an der Tätergefährlichkeit, verwerten lassen und wie eine Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte mit dem dogmatischen System ohne Widerspruch in Einklang gebracht werden kann. Um den Strafzumessungscharakter der Rücktrittsregel deutlicher hervortreten zu lassen, wird das alte dogmatische Einordnungsproblem aufgegriffen185 • Dabei soll sich auch zeigen, inwieweit die bisherigen Einordnungen der Beantwortung der anstehenden Fragen förderlich waren bzw. inwieweit sie sie blockiert haben. So wurde etwa bereits erwähnt, daß die Schwierigkeiten bei der Frage nach der ratio der Rücktrittsvorschriften zum Teil auf die Einordnung zurückzuführen sind. b) Das Einordnungsproblem und seine praktische Relevanz
Wie sich die Rücktrittsregelung in das Sanktionssystem einfügt, war seit jeher zweifelhaft186 • Neuerdings wird dieses Problem zu••ehmend verknüpft mit der Frage, ob Versuch und Rücktritt einer getrennten Betrachtung (Trennungstheorie) zu unterwerfen sind oder ob sich das jeweilige Ergebnis aus einer einheitlichen Gesamtwürdigung von Versuch und Rücktritt (Einheitstheorie) ergibt. Prinzipiell läßt sich eine Gesamtbetrachtung unabhängig davon vornehmen, ob man den Rücktritt im Unrechtsbereich, bei der Schuldfrage oder als Strafausschließungsgrund einordnet. Ein Unterschied ergibt sich dabei insofern, als die trennende Betrachtung zunächst zur Annahme rechtswidrigen bzw. schuldhaften bzw. strafbaren Verhaltens kommt und dieses dann durch den Rücktritt aufgehoben wird. Daß damit eventuell Schwierigkeiten bei der Erklärung der ratio der Rücktrittsvorschriften auftreten, wurde erwähnt. Die einheitliche Betrachtung kommt dagegen erst nach einer wertenden Zusammenschau von Versuch und Rücktritt zu einem Urteil. 185 Das Einordnungsproblem weist gewisse Parallelen zur Behandlung der Frage auf, wie und in welchem Umfang außer halb der Tat im engeren Sinne liegende Umstände bei der Strafzumessung berücksichtigt werden können, ohne in Kollision mit dem Tatschuldprinzip zu geraten (dazu unten S. 127 ff.). Das rührt daher, daß auch die Rücktrittsregel ein Verhalten betrifft, das bei isolierter Betrachtung dem strafbaren Versuch nachfolgt, also insoweit außerhalb der Versuchstat oder zumindest an der Grenze zum Nachtatverhalten liegt. 186 Dazu jetzt wieder Munoz-Conde, ZStW 84, 756 ff., 764 ff.; v. Scheurl, Rücktritt, S. 12 ff.
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Erster Teil: H. Ratio der Rücktrittsvorschriften
Praktische Folgerungen kann die Einordnung für die Frage der jeweiligen Prädizierbarkeit der Handlung als rechtmäßig oder rechtswidrig und für die Teilnahme haben187 • Hier sollen die unterschiedlichen Konsequenzen nur an einem Problem demonstriert werden, das neuerdings wieder in BGHSt 23,256 aktuell geworden ist, nämlich ob auch bei einem vom Versuch zurückgetretenen Täter eine Unterbringung gern. § 42 b bzw. § 63 n. F. möglich ist. Der BGH legt dabei die nicht ganz unbedenkliche, aber wohl herrschende Meinung zugrunde, wonach der Zurechnungsunfähige, der zur Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung fähig ist, prinzipiell auch in der Lage sei, freiwillig vom Versuch zurückzutreten188 • Sieht man unter dieser Voraussetzung den Rücktritt als negatives Tatbestandsmerkmal oder als Teil des Gesamttatbestandes an, so scheint die Verhängung von Sicherungsmaßregeln ausgeschlossen zu sein, denn es fehlt dann an einer mit "Strafe bedrohten Handlung" bzw. an einer "rechtswidrigen Tat". Ähnlich aber auch, wenn man den Rücktritt als Schuldaufhebungsgrund begreift. Dann käme eine Unterbringung nicht in Betracht, weil der durch den Rücktritt bewirkte Schuldausschluß nicht symptomatisch im Sinne des § 42 b/63 n. F. wäre. Demgegenüber kann die Einordnung als Strafaufhebungsgrund auf andere Weise zu zweifelhaften Folgerungen verleiten. Das verdeutlicht sich u. a. an den Ausführungen von Schlegzt 89 • Er weist darauf hin, daß neben dem Rücktritt auch die Verfolgungsverjährung und die Amnestie Strafaufhebungsgründe seien und folgert daraus, daß die Unterbringungsfrage im Falle eines Rücktritts nicht anders gelöst werden könne als bei Amnestie und Verjährung. In diesen Fällen sei aber anerkanntermaßen keine Unterbringung möglich. Die Unzulänglichkeit einer derartigen Argumentation ist evident. Bei einem so heterogenen Begriff wie dem des Strafaufhebungsgrundes ist es völlig ausgeschlossen, aus dem Begriff sachliche Folgerungen abzuleiten, ohne auf die dahinterstehenden Sachbezüge einzugehen. Ähnlich verfehlt ist übrigens auch das weitere Argument von Schlegl, daß der Unzurechnungsfähige deshalb nicht vom Rücktritt abgeschnitten werden könne, weil er nicht schlechter gestellt werden dürfe als der Zurechnungsfähige. Daß dem eine Verkennung der unterschiedlichen 187 188 189
Zum letzten etwa v. Scheurl, Rücktritt, S. 35 ff. Schlegl, NJW 1968, 25; BGHSt 23, 356. Schlegl, NJW 1968, 25. Vgl. dazu auch v. Scheurl, Rücktritt, S. 34 Fn. 105,
der von seinem sehr weiten Tatbestandsbegriff aus meint, es sei nicht möglich, aus der Einordnung eines Verbrechensmerkmales für neue Probleme rein logisch weitere Schlußfolgerungen abzuleiten.
6. Tätergefährlichkeit als Abgrenzungskriterium
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Fragestellung bei beiden Personengruppen zugrunde liegt, hat bereits Geilen 1UO dargetan. Eine Einordnung des Rücktritts als Rechtsfolgebestimmung deutet dagegen auf die Zulässigkeit der Unterbringung trotz Rücktritts. Der Rücktritt ändert dann weder etwas an der "mit Strafe bedrohten Handlung" noch an der "rechtswidrigen Tat" und verleitet auch nicht zu irgendwelchen sachfremden Parallelen zu anderen Strafaufhebungsgründen. Dasselbe Problem kann sich für das geltende Recht übrigens in den Grenzfällen des irrealen bzw. untauglichen Versuchs stellen, wenn man davon ausgeht, daß derartige Versuche keine mit Strafe bedrohten Handlungen seien. Damit ist auch eine Unterbringung gern. § 42 b/63 n. F. ausgeschlossen. An der Sachgerechtigkeit dieses Ergebnisses kann man jedoch zweifeln, wenn man bedenkt, daß gerade der irreale oder absolut untaugliche Versuch oft mit einem geistigen Defekt des Täters gepaart sein dürfte. Kommt hier noch die Gefährlichkeit des Täters hinzu, so kann aller Grund für eine Unterbringung vorhanden sein. Das 2. Strafrechtsreformgesetz läßt auch in dieser Hinsicht keine Zweifel: § 23 III n. F. berührt die Rechtswidrigkeit des grob unverständigen Versuches nicht, sondern ermöglicht nur ein Absehen von Strafe. Im folgenden sollen die wichtigsten Einordnungsversuche skizziert werden. aa) Strafaufhebungsgrund
Die ganz herrschende Lehre sieht § 46 als Strafaufhebungsgrund an1U1 , und auch § 24 n. F. wird sicher per se kein Anlaß sein, diese Deutung zu ändern. Strafaufhebungsgründe sind " ... Umstände, die erst nach der Begehung der strafbaren Handlung eintreten und bereits entstandene Strafbarkeit rückwirkend wieder beseitigen"lu2. Man geht davon aus, daß sie zwar das zur Zeit der Tat belastende Vorwurfsurteil nicht zu entkräften vermögen, daß aber nachträglich das Strafbedürfnis beseitigt werde. Aus derartigen Formulierungen läßt sich jedoch allenfalls zweierlei herauslesen: nämlich daß Strafaufhebungsgründe eine Straftat in allen ihren Merkmalen schon voraussetzen bzw. daß sie außerhalb von Schuld und Unrecht stehen. Geilen, JuS 1972, 79. Vgl. die unter Fn. 2 Genannten. Ferner etwa v. Liszt, Strafrecht, S. 271; Frank, StGB, S. 145: "Straf aufhebungs gründe sind solche Umstände, die das entstandene Strafrecht regelwidrig wieder beseitigen;" Spohr, Rücktritt, S. 66 ff.; RGSt 39, 37; 42, 294; 47, 360. 192 So statt vieler Jescheck, § 52 II 2. 190
191
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Erster Teil: 11. Ratio der Rücktrittsvorschriften
Bei genauerer Betrachtung stellt man dann fest, daß sich hinter dieser Rubrik ganz zweckverschiedene Rechtserscheinungen verbergen l93 . Wenn demgegenüber als Gemeinsamkeit hervorgehoben wird, daß es sich um Umstände handelt, die erst nach Begehung der Tat eintreten, so ist das eine sehr vordergründige Klassifizierung. Denn selbst die zeitliche Verknüpfung mit der Tat ist ja ganz unterschiedlich. Während ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang der Straftat mit deren Verjährung, einer Begnadigung oder einer Amnestie gar nicht besteht, ist eine solche Verknüpfung zwischen Versuch und Rücktritt durchaus gegeben. Daß daneben die einzelnen Institute ganz verschiedene Funktionen haben, braucht nicht besonders betont zu werden l94 . Im folgenden soll uns daher auch nur der "Strafaufhebungsgrund" Rücktritt beschäftigen, und zwar insbesondere dessen eigenartige Stellung zwischen Rechtsvoraussetzung (Unrecht und Schuld) und Rechtsfolge. Dazu hat bereits Sauer 195 bemerkt: Strafausschließungsgründe und Strafaufhebungsgründe " ... sind in dieser ihr von der herrschenden Dogmatik gegebenen Struktur nichtssagend. Es fragt sich gerade, weshalb ausnahmsweise die Strafe entfällt. ... Die Strafausschließungsund Strafaufhebungsgründe sind überflüssige Kategorien, die aufzuteilen sind"196. Auch wenn man nicht so weit gehen will, so wird man doch Radbruch zustimmen müssen, wonach unter einer solchen Rubrik nur Umstände eingeordnet werden können " ... , die mit der Strafwürdigkeit und so mit der kriminalpolitischen Verbrechenseigenschaft der Tat und der kriminalpsychologischen Verbrechereigenschaft des Täters in keinerlei Zusammenhang stehen, ... "191. Das aber ist gerade 193 Neben dem Hauptbeispiel des Rücktritts vom Versuch werden u. a. der Straferlaß gern. § 25 al/56 g n. F., die Begnadigung, die Amnestie und die Strafverfolgungsverjährung genannt. Ob das "Absehen von Strafe" (etwa gern. § 16/60 n. F.) als Strafaufhebungsgrund einzuordnen ist, ist zweifelhaft. Bejahend offenbar Jescheck, § 52 11 2 Fn. 8. Demgegegenüber meint etwa Schmidhäuser, 13/9, diese Momente gehörten erst in den Bereich der Strafzumessung; sie enthielten nicht einen schon im Tatgeschehen begründeten notwendigen Ausschluß der Straftat. Darauf wird noch einzugehen sein. 194 Kemsies, Tätige Reue, S. 11 ff., 17 ff. Er sieht allerdings tätige Reue und belohnende Begnadigung als wesensverwandt an (S. 20). 195 Grundlagen des Strafrechts, S. 352/637; Kemsies, Tätige Reue, S. 17/23 spricht von der überflüssigkeit und Prinzipienlosigkeit dieser Kategorie. Ferner v. Weber, MDR 1956, 705/6: "Der Begriff des Strafausschließungsgrundes ist nichtssagend. Er drückt nur negativ aus, daß die Strafe aus anderen Gründen als wegen fehlenden Unrechts oder fehlender Schuld entfällt"; v. Scheurl, Rücktritt, S. 15 f. 196 Und zwar will sie Sauer den Bereichen der Rechtswidrigkeit, der Schuld oder aber den Prozeßvoraussetzungen zuweisen. Man muß sich aber fragen, ob diese Kategorien ausreichend sind. 197 Radbruch, Handlungsbegriff, S. 163 f.; zustimmend Reinh. v. Hippel, Untersuchungen, S. 55; ebenso wohl Roxin, Kriminalpolitik, S. 36: "Kate-
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beim Rücktritt nicht der Fall. Bei ihm handelt es sich um ein "spezifisch kriminalpolitisches Problem". Die Einordnung des § 46/24 n. F. als Strafaufhebungsgrund wird übrigens auch von der herrschenden Lehre nicht ganz ernst genommen. Denn würde sie dies tun, so müßte auch (wie etwa bei der Indemnität oder bei objektiven Strafbarkeitsbedingungen) allein die objektive Sachlage ausschlaggebend sein198 • Ein derartiger Standpunkt wäre zumindest für die subjektive Theorie nicht vertretbar und ist auch nie vertreten worden. Versucht man unter diesen Umständen eine Begründung für die Einordnung des Rücktritts als persönlichen Strafaufhebungsgrund zu finden, so bleibt ein historisch-genetischer und ein scheinbar sachlogischer Grund. Historisch-genetisch gesehen könnte die Tatsache, däß der Gesetzgeber in bewußtem Gegensatz zu § 31 des PrStGB, wo der freiwillige Rücktritt als negatives Tatbestandsmerkmal gefaßt war, zunächst in § 43 die Merkmale des Versuchs aufzählt und dann drei Paragraphen später dem Versuch bei freiwilligem Rücktritt Straflosigkeit zuspricht, ein Indiz dafür sein, daß sich der Zurücktretende bereits einer strafbaren Handlung schuldig gemacht hat1 99 • Daß aber diese Begründung keinesfalls überzeugend und zwingend ist, haben Herzog und Reinh. v. Hippel hinreichend dargetan 2oo • Die redaktionelle Änderung hatte ihren Grund in den Schwierigkeiten bei Beweisfragen im Schwurgerichtsprozeß. Als scheinbar zwingend und sachlogisch taucht allenthalben folgende Argumentation auf: "In dem Augenblicke, in dem die Grenzlinie zwischen straflosen Vorbereitungshandlungen und strafbarer Ausführung überschritten wird, ist auch die auf den Versuch gesetzte Strafe verwirkt. Diese Tatsache kann nicht mehr geändert, nicht mehr ,nach rückwärts annulliert', nicht aus der Welt geschaffen werden201 ." Auch diese Argumentation beruht j.edoch - wie Reinh. v. Hippel nachgewiegorien wie die persönlichen Strafaufhebungsgründe erhalten demgegenüber ihren Inhalt nicht aus kriminalpolitischen, sondern aus davon unabhängigen rechtspolitischen überlegungen." Etwa die Indemnität von Abgeordneten etc. Gegen eine Einordnung als Strafaufhebungsgrund auch v. Scheurl, Rücktritt, S. 14 ff., 170. 19B SO mit Recht Reinh. v. Hippel, Untersuchungen, S. 56 f. 199 So Spohr, Rücktritt, S. 67; Fahrenhorst, Rücktritt, S. 5 f.; auch LangHinrichsen, Tatbegriff, S. 367 Fn. 37 mißt dieser Trennung Bedeutung bei. 200 Herzog, Rücktritt, S. 201 ff., 212 f.; Reinh. v. Hippel, Untersuchungen, S. 34 ff., 43 ff.; v. Scheurl, Rücktritt, S. 16. 201 So statt vieler v. Liszt, Strafrecht, § 46 I. Diese Formulierung ist insbesondere gegen die sog. Rechtstheorien bzw. als deren Spezies gegen die "Annulationstheorie" gerichtet. Ähnliche Formulierungen findet man auch für vollendete Delikte: vgl. etwa bei Arthur Kaufmann, Schuld prinzip, S. 259. Er meint, es könne kein Zweifel sein, daß mit der Vvllendung der Tat die beiden Größen Unrecht und Schuld für immer feststehen. Mit Schuld ist dabei Einzeltatschuld gemeint.
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Erster Teil: II. Ratio der Rücktrittsvorschriften
sen hat202 - in erster Linie auf konstruktiver 'Schwerfälligkeit bzw. einem naturalistischen und kategorialen Denkansatz. Einerseits wird bereits das Entscheidende vorausgesetzt: " ... , daß nämlich die tatbestandsmäßige Versuchshandlung lediglich das Überschreiten der Vordergrenze des Versuchs sei und mit dem Rücktritt oder der tätigen Reue neue, auch rechtlich selbständige Handlungen bzw. Unterlassungen begönnen". Zum anderen: Weder das Argument der Objektivität des Unrechts noch das Erfordernis der jeweiligen Prädizierbarkeit der Handlung als rechtmäßig oder rechtswidrig fordern zwingend eine Einordnung als Strafaufhebungsgrund. Daher erscheint diese als Verlegenheitslösung und bleibt ohne tieferen 'Sinn und Erklärungswert. Im Gegenteil, wie bereits gezeigt wurde, scheint ein derartiges Verständnis, das den Rücktritt nur als "regelwidrig"203 begreifen kann, den Gehalt des "Privilegs" verschüttet oder schwer zugänglich gemacht zu haben.
bb) Negatives Begriffsmerkmal (Tatbestandsmerkmal) In jüngster Zeit hat sich Reinh. v. Hippel wieder dafür eingesetzt, den Rücktritt als negatives Begriffsmerkmal des Versuchs zu sehen 204 • Danach berührt der Rücktritt die Tatbestandsmäßigkeit des Versuchs, er hat zur Folge, daß nie ein strafbarer Versuch vorgelegen hat205 . Freilich ist ein derartiger Ansatz in der Strafrechtsgeschichte nicht neu. Etwa das PrStGB206 hat auf diese Weise das Problem gelöst, und im Ergebnis deckt sich die Lösung auch mit einem Teil der Rechtstheorien, welche die Straflosigkeit mit dem Fehlen eines allgemeinen Verbrechenselements begründen 207 . Hippels Verdienst ist es, die Diskussion um eine Reihe neuer Argumente bereichert zu haben. Es mag nun naheliegen, gegen eine derartige Einordnung ähnliche Bedenken geltend zu machen, wie sie bereits gegen die Rechtstheorien Untersuchungen, S. 43 ff.; Lang-Hinrichsen, JR 1968, 278/9 und v. Rücktritt, S. 18 teilen diese Bedenken. 203 Vgl. die Definition von Frank, oben Fn. 191. 204 Untersuchungen, insbesondere S. 58 ff., 68 ff.; im Anschluß daran aber mit eigenständiger Begründung von v. Scheurl, Rücktritt vom Versuch, S. 26 ff.; auch Maiwald, ZStW 83, 667, sieht den Rücktritt als unrechtsrelevant an: "Hier ist ebenfalls der Gedanke wirksam, daß das im Tatgeschehen verwirklichte Unrecht durch den Rücktritt tangiert ist: Der Täter hat durch eigene Leistung das geschehene Unrecht gleichsam aus der Welt geschafft." 205 v. Scheurl, Rücktritt, S. 14. 206 Vgl. § 31 des PrStGB von 1851: "Der Versuch ist nur dann strafbar, wenn derselbe durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung enthalten, an den Tag gelegt und durch äußere, vom Willen des Täters unabhängige Umstände gehindert worden oder ohne Erfolg geblieben ist." Weitere Hinweise bei Lang-Hinrichsen, Tatbegriff, S. 366 Fn. 35. 207 Nachweise bei Gutmann, Rücktritt, S. 13 ff. 202
Scheurl,
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vorgebracht worden sind und diesen zum Wert "kurioser Antiquitäten" verholfen haben: nämlich daß (im Falle eines fehlenden freiwilligen Rücktritts) der Versuch bereits mit dem Beginn der Ausführung rechtswidrig sei und daher auch durch den späteren Rücktritt nicht wieder rechtmäßig werden könne 208 • Diese Behauptung scheint auf den ersten Blick nicht nur ein Postulat widerspruchsfreier Sachlogik, sondern im Hinblick auf die Notwehrproblematik auch praktisch unabdingbar zu sein. Denn was die Notwehr betrifft, muß die Angriffshandlung zu jedem Zeitpunkt als rechtmäßig oder rechtswidrig prädizierbar sein, da ja die Prädikation der Verteidi,gungshandlung ihrerseits davon abhängig ist. Derartigen Einwänden liegt jedoch das Vorverständnis zugrunde, daß die Rechtswidrigkeit eine Eigenschaft sei, die der Tat von einem gewissen Augenblick an zukomme und auch durch deren Fortentwicklung nicht mehr beseitigt werden könne 209 • Dahinter steckt eine "naturalistische" Fehldeutung, welche verkennt, daß es sich bei der Rechtswidrigkeit um ein über die Tat gefälltes Unwerturteil handelt, wobei es eine Frage normativer Relevanz ist, welche Elemente dem Urteil zugrunde gelegt werden 210 • Auch der Begriff der Rechtswidrigkeit ist "final" in Bezug auf einen bestimmten Ordnungszusammenhang. Nur in diesem Zusammenhang lassen sich daraus explikative Folgerungen ziehen 211 • Es ist daher nicht widersprüchlich für die Frage der Notwehr, der das Prinzip des Selbstschutzes zugrunde liegt, die Rechtswidri,gkeit anders zu beurteilen als bei der Bewertung der Tat in anderem Zusammenhang. Insoweit mag es durchaus möglich sein, den Rücktritt als negatives Tatbestandsmerkmal zu begreifen. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß eben die Klarheit und Einfachheit eines Systems darunter leiden, wenn unter subtiler funktioneller Differenzierung derselbe Begriff mit verschiedenen Bedeutungsinhalten gebraucht wird. Ferner besagt die logisch-konstruktive Möglichkeit einer Einordnung noch nichts über deren' Brauchbarkeit und Erklärungswert. So stellt sich auch für die Einordnung als negatives Tatbestandsmerkmal die weitere Frage, ob sie dem bei Auslegungszweifeln und Grenzfragen so wichtigen Durchgriff auf die ratio der Rücktrittsregelung dienlich ist und eine sachnahe und flexible Entscheidung ermöglicht oder ob sie das in der obligatorischen Straffreiheit zum Ausdruck kommende "Entweder-Oder" unterstreicht und Neuerdings wieder Munoz-Conde, ZStW 84, 771. Dagegen Reinh. v. Hippet, Untersuchungen, S. 43 ff. Ferner schon Engisch, Subjektive Tatbestands- und Unrechtselemente, S. 173. 210 Reinh. v. Hippet, Untersuchungen, S. 50 ff.; v. Scheurt, Rücktritt, S. 18 ff. 211 Dazu auch Widmaier, JuS 1970, 611; Eser, StrafR I 18 A 5 ff.; Esser, Vorverständnis, S. 102 f. 208 209
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Erster Teil: 11. Ratio der Rücktrittsvorschriften
zu konstruktiven Zwangsfolgen führt. Solche Zwangsfolgen deuten sich immerhin an bei der Frage der Unterbringung eines vom Versuch zurückgetretenen Täters gern. §§ 42 b bzw. 63 n. F. und für das Problem, ob der Rücktritt des Täters den Teilnehmer von Strafe befreit. Das von Reinh. v. Rippel zwar für unverdient gehaltene, aber doch gebilligte Ergebnis, daß auch die selbst nicht zurückgetretenen Gehilfen und Anstifter aufgrund der Akzessorietät straflos bleiben 212 , dürfte kaum im 'Sinne des Gesetzes sein 213 • Freilich kann man diesen Schwierigkeiten entgehen, wenn man es ablehnt, aus der Einordnung eines Verbrechensmerkmals für neue Probleme Schlußfolgerungen zu ziehen214 • Nur fragt es sich dann, welchen Wert die systematische Einordnung, um die man sich so viel Mühe macht, überhaupt noch hat. Der Einordnung des Rücktritts als negatives Tatbestandsmerkmal stehen ferner insoweit Bedenken entgegen, als sie der "Verbrechensdisposition des Täters" im Hinblick auf künftige Delikte von vornherein keinen Einfluß auf die Rechtsfolge bei Rücktritt gewährt. Denn die Beachtlichkeit des Rücktritts innerhalb des Gesamtgeschehens ergibt sich nach dieser Einordnung aus Wertungsprinzipien, welche der Kategorie des Unrechts zugrunde liegen. In diesem Zusammenhang sind die Ausführungen v. Scheurls interessant, der seine Einordnung zusammenfassend wie folgt begründet: "Der Rücktritt macht straflos, weil der Versuch nur dann den Rechtsfrieden nachhaltig stört, wenn es für den Täter kein Zurück mehr gibt, nicht aber, wenn dieser sich noch deutlich vom Verbrechen absetzt. ,Rechtsfriedensstörung' ist aber gerade der Gesichtspunkt, der Handlungs- und Erfolgsunwert zum Tatbestand der h. L. zusammenzufassen vermag. Der Rücktritt ist daher als negatives Tatbestandsmerkmal anzusehen 215. " Diese Ausführungen stehen der Eindruckstheorie nahe und beinhalten eindeutig generalpräventive Postulate. Daran läßt auch v. Scheurl keine Zweifel, wenn er meint, staatliche Strafe finde ihre letzte Rechtfertigung in dem staatspolitischen Grund der Generalprävention 216 • Wann die Notwendigkeit vorliege, strafend einzugreifen, lasse sich aus der beabsichtigten Wirkung der Strafe auf die Allgemeinheit herleiten: ein Verhalten könne nicht mehr geduldet werden, wenn anders ernstUntersuchungen, S. 71 f. Kritisch Lang-Hinrichsen, JR 1963, 279; ferner Baumann, § 34 I 2. 214 So v. Scheurl, Rücktritt, S. 35 ff., der es auch bei einer Einordnung als negatives Tatbestandsmerkmal nicht für zwingend hält, daß der Täterrücktritt dem Teilnehmer zugute komme. 215 Rücktritt, S. 28. 216 Rücktritt, S. 26, 28. 212 213
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liche Zweifel an der Unverbrüchlichkeit des Rechts aufkämen, wenn es den Glauben an die Rechtssicherheit erschüttern würde. Hier finde der Gedanke der Rechtsfriedensstörung seine Begründung217 • Dies sind ähnliche Erwägungen, wie sie auch in den §§ 14,23 UI bzw. §§ 47 I, 56 IU n. F. durch die Bezugnahme auf die Verteidigung der Rechtsordnung zum Ausdruck kommen. Um so ungewöhnlicher ist es, daß diese - vom Gesetz ganz offensichtlich der Strafzumessung zugeschlagenen Argumente - dem Tatbestand zugeordnet werden. Der herkömmliche Tatbestandsbegriff umschreibt grundsätzlich unter dem Leitmotiv der Gesetzesbestimmtheit die sozial unerwünschten Verhaltensweisen. Er besagt nichts darüber, ob und welche präventiven Maßnahmen einzusetzen sind, um die unerwünschten Verhaltensweisen wirkungsvoll einzudämmen. Wenn daher v. Scheurl generalpräventive Erwägungen, wie etwa die "Rechtsfriedensstörung", die Beeinträchtigung der Geltungsgewißheit des Rechts oder die Notwendigkeit der "Verteidigung der Rechtsordnung", dem Tatbestand zuordnen will, so ist dies nur über einen "erweiterten Tatbestands-Begriff" möglich, den er "Unrechtstatbestand" nennen Will218 • Einen der dabei auftretenden Nachteile sieht er selbst: "Der Tatbestand entwickelt in dieser Konzeption eine gewaltige Expansionskraft und droht andere Verbrechensmerkmale zu schlucken und so seine Konturen zu verlieren 219 ." Abgesehen davon, ob es überhaupt möglich und sinnvoll ist, einen Tatbestand zu bilden, in dem die Verbrechensmerkmale mit präventiven Erwägungen konfundieren, bleibt auch hier die Frage, ob mit der Einordnung des Rücktritts in den Unrechtstatbestand eine befriedigende Deutung des Rücktrittsprivilegs möglich ist. Denn die Behauptung, daß "ein Versuch nur dann (und im Hinblick auf die gegenwärtige Fassung des § 46 bzw. § 24 n. F. wird man auch sagen müssen: immer dann) den Rechtsfrieden nachhaltig stört, wenn es für den Täter kein Zurück mehr gibt", enthält eine nicht minder kühne Hypothese als die Annahme, der zurückgetretene Täter bedürfe in allen diesen Fällen aus spezialpräventiven Gründen keiner Strafe mehr 219a • Das mag der Grund gewesen sein, weshaJb auch v. Scheurl seine Hypothese entscheidend Rücktritt, S. 27. Hier ist eine deutliche Parallele zu dem von Lang-Hinrichsen entwickelten "Gesamttatbestand" sichtbar; dazu unten dd. 219 Rücktritt, S. 30. 219a So die Einwände von Lang-Hinrichsen gegen die Strafzwecktheorie, denen auch v. Scheurl zustimmt. Daß die Strafzwecktheorie (besser ist der Begriff "Indiztheorie", weil es sich auch bei der Eindruckstheorie um eine Strafzwecktheorie handelt) nicht wie die Gnadentheorie das "Stück Zufall" zu umfassen vermag, das über die Versuchsbestrafung (de lege lata) mitentscheidet, sollte weniger Anlaß sein, die Strafzwecktheorie für unzureichend zu erklären, als zur überprüfung der Theorie oder Regelung führen, aus der jene Zufallsergebnisse resultieren. 217 218
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Erster Teil: I1. Ratio der Rücktrittsvorschriften
abschwächt. Die Behauptung, daß ein Versuch, den der Täter von sich aus abgebrochen oder dessen Erfolg er selbst freiwillig abgewendet habe, den Rechtsfrieden nicht nachhaltig störe, nimmt er teilweise zurück, indem er ergänzend hinzufügt: "oder jedenfalls nicht so stark"220. Seine Überlegung, daß bei einem Rücktritt dem Handeln das Aufreizende fehlt, das den Beweis verlangt, daß Recht noch Recht sei, bezeichnet er "selbstverständlich nur" als eine Deutung der gesetzlichen Wertentscheidung, aus der Straflosigkeit nicht etwa zwingend folge 221 . Die (einseitig) generalpräventiv orientierte Sicht des Rücktrittsprivilegs dürfte auch kaum brauchbare Entscheidungshilfen in Zweifelsfällen geben. Hinzu kommt, daß eine Entscheidung, die damit begründet wird, daß der Rechtsfrieden nachhaltig gestört sei, nur schwer kontrollierbar sein dürfte. Wann der Rechtsfriede gestört und ob soziale Beunruhigung eingetreten ist, läßt sich wohl noch weniger überprüfen als die Behauptung, daß aus spezialpräventiven Erwägungen eine Strafe notwendig oder nicht notwendig sei. Schon dies sollte Grund genug sein, neben generalpräventiven Aspekten auch die eher spezialpräventiv orientierte Strafzwecktheorie heranzuziehen. Das kann aber eine Deutung als negatives Begriffsmerkmal trotz des expansiven Tatbestandsbegriffes nicht leisten.
ce) Schuldaufhebungsgrund Als Schuldproblem wird der Rücktritt von einer Mindermeinung angesehen. Dabei gehen die einen auch hier ,Von einer trennenden Beurteilung von Versuch und Rücktritt aus, nehmen also an, daß bereits vorhandene Schuld rückwirkend wieder beseitigt werde, während andere das Gesamtgeschehen beurteilen und erst gar nicht zu einem Schuldurteil kommen. Die trennende Betrachtungsweise, die den Rücktritt als Schuldtilgungs- oder Schuldaufhebungsgrund bezeichnet222 und 220 221
Rücktritt, S. 28. Rücktritt, S. 28 Fn. 78.
222 Schönke / Schröder, § 46 Rdnr. 38; Sauer, Grundlagen, S. 637; ders., Allgemeine Strafrechtslehre, S. 115 f.; Kemsies, Tätige Reue, insbes. S. 40 ff.; Dahlmann, Rücktritt, 1911; Fahrenhorst, Rücktritt, 1928. Vgl. auch Welzel, Strafrecht, § 25, der den wahren Sinn der Privilegierung des Zurücktretenden in der Geringfügigkeit seiner Schuld sieht, die sich im Rücktritt zeige. Er meint, von hier aus müsse die bisherige Interpretation des § 46 überprüft werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Äußerung Welzels in der 20. Sitzung der großen Strafrechts kommission (Niederschriften 2, 1958, S. 198): "Die Schuldtheorie steht auf dem Standpunkt, daß der Rücktritt ein Schuldmilderungsgrund ist." Daran wird die Folgerung geknüpft: "Dann darf man aber nicht sagen, daß der Täter nicht bestraft wird; vielmehr muß man auch hier die Möglichkeit vorsehen, daß von Strafe abgesehen wird."
6. Tätergefährlichkeit als Abgrenzungskriterium
113
Straffreiheit damit begründet, daß das durch die Versuchshandlung begründete Verschulden durch die Verdienstlichkeit des Rücktritts getilgt werde, ist konstruktiv auf dieselbe Schwerfälligkeit zurückzuführen, wie die Sicht des Rücktritts als Strafaufhebungsgrund223 • Im übrigen bedarf die Betrachtung des Rücktritts als Schuldproblem insofern einer Präzisierung, als der Schuldbegriff extrem unklar ist und auf Forderungen der Ethik, der öffentlichen Sicherheit, der Eigenart der Antriebssteuerung beim Menschen oder dem Zweck der Strafe aufgebaut sein kann224 • Versteht man etwa unter Schuld die psychologische Beziehung des Täters zu seiner Tat225 , so müßte man, um in obigem Modell zu bleiben, annehmen, daß der spezielle Charakter dieser Beziehung durch den Rücktritt " getilgt " werde. Sachlich gesehen bleiben aber derartige Feststellungen ohne Wert und verhindern eher eine treffende Entscheidungsfindung, weil sie die Beobachtung der sozialen und psychischen Realität durch Spekulation ersetzen. Der berechtigte Kern, der in den obigen Formulierungen stecken mag, nämlich daß der Rücktritt Rückschlüsse auf eine positiv veränderte innere Einstellung zulasse, wird durch seine Verallgemeinerung (als strenge Präsumption, die sich insbesondere in der obligatorischen Straffreiheit zuspitzt) im Einzelfall zur Fiktion, wie überhaupt der Rücktritt eine viel zu enge Basis für ein derartiges Urteil abgeben dürfte. Insofern ist es auch interessant, daß Dahlmann, Kemsies und Fahrenhorst228 eine Verbreiterung vornehmen, indem sie mit dem Erfordernis der "Charakteradäquanz der Tat" über die Tat im engeren Sinne hinausgehen. Denn ob eine Tat charakteradäquant ist, kann letzten Endes erst nach einer Bewertung der Gesamtpersönlichkeit beurteilt werden, und diese ist ihrerseits nur im Hinblick auf das zukünftige Verhalten des Täters von Interesse. Richtig an diesem Ansatz dürfte sein, daß die Sicht des Rücktritts als Schuldproblem erst dann plausibel wird, wenn man das Schuldurteil in Richtung einer charakterologischen Schuldauffassung ausdehnt. Damit droht aber wieder der Konflikt mit dem Tatschuldprinzip. Die Argumentation bekommt spezialpräventive Färbung227 • 223 Speziell dazu auch Kemsies, Tätige Reue, S. 27 ff. Er hilft sich weiter, indem er Schuld nicht als Urteilsgegenstand, sondern als "abänderbares" Urteil begreift. 224 Dazu Jescheck, § 38 111; überblick über die verschiedenen Schuldbegriffe bei MüHer-Dietz, Grenzen des Schuld gedankens, 1967. 225 So Schönke / Schröder, Vorb. § 1 Rdnr. 15 f., ohne daß dies freilich das abschließende Schuldverständnis wäre. 226 Vgl. oben Fn. 222. Auch Munoz-Conde, ZStW 84, 772 f. meint, daß die Sicht des Rücktritts als Schuldaufhebungsgrund auf einer Schuldkonzeption beruhe, die nichts mit der Einzeltatschuld zu tun habe. 227 Dazu unten Zweiter Teil 11 a, cc.
8 Burkhardt
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Erster Teil: 11. Ratio der Rücktrittsvorschriften
Einen Schritt weiter in eben diese Richtung geht Roxin 22B mit seiner Behandlung des Rücktritts als Schuldproblem. Er ist mit den vorgenannten Autoren insofern nicht vergleichbar, als er einerseits im Anschluß an Lang-Hinrichsen eine Gesamtbetrachtung vertritt: "Gegenstand strafrechtlicher Beurteilung sind nicht die Teilmomente, sondern alle relevanten Umstände des Gesamtgeschehens, d. h. also die Versuchshandlung unter Einschluß des Rücktritts229 ." Zum anderen weicht er, was das Wesen der Schuld betrifft, von allen sonst vertretenen Auffassungen ab. Er geht davon aus, daß alles, was unter dem Gesichtspunkt der Schuld abgehandelt zu werden pflege, mit der Frage zu tun habe, ob das vom Standpunkt sozialer Konfliktsregelung falsche Täterverhalten Strafe verdiene. Wenn sich damit auch ein ganzer Komplex neuer Fragen eröffnet, so wird doch das Anliegen von Roxin deutlich, nämlich die Rücktrittsfrage über die Schuld mit der Strajzwecklehre zu verknüpfen. Hierin liegt auch materiell ein wesentlicher Berührungspunkt zu dem "normativen Tatbestand", mittels dessen Lang-Hinrichsen die Schwierigkeiten zu bewältigen sucht.
dd) Lehre vom Gesamttatbestand Diese Lehre vom Gesamttatbestand 230 stellt die Gesamtbetrachtung in den Vordergrund und geht davon aus, daß im Falle eines Rücktritts das ursprüngliche Versuchsverhalten lediglich ein Fragment der Wertung sei. Zur vollen Werterfassung müsse ergänzend die weitere Verhaltensweise, nämlich der Rücktritt hinzugenommen werden. Der Rücktritt gehört damit zur Tat, wobei der Begriff der Tat ein teleologischer Begriff ist, und zwar teleologisch in dem Sinne, daß er im jeweiligen Funktionszusammenhang seine Aufgabe sinnhaft erfüllen kann. Damit setzt Lang-Hinrichsen der psychologisch-naturalistischen Betrachtungsweise, auf welcher vorwiegend die Trennungstheorien beruhen dürften, eine normative Betrachtungsweise entgegen, die den vollen Wert und Sinngehalt der Tat soll erfassen können. Diese Konstruktion ist im Zusammenhang mit dem für die Strafzumessung er228 Kriminalpolitik, S. 35 ff.; ders., Rücktritt, S. 273 ff. Ähnlich in der Begründung bereits auf eine Gesamtschau abstellend Schoetensack, GS 91, 398: "Das Handeln im Hinblick auf die Vollendung bildet eine Zweck einheit. Die Einzelakte sind nur als Bestandteile der Tötungshandlung verboten; werden sie aus freien Stücken aus der Verbindung befreit, so fällt mit diesem Zusammenhang die schuldhafte Handlung dahin." 229 Kriminalpolitik, S. 35; ders., Rücktritt, S. 273. 280 Lang-Hinrichsen, Tatbegriff, S. 352 ff., 366 ff.; ders., Civitas II 1963, 217; ders., JR 1968, 278. Positive Stellungnahmen grundsätzlich von Roxin, Kriminalpolitik, S. 35 Fn. 74; Schmidhäuser, 13/74 ff. Schmidhäuser geht von einer Gesamtbetrachtung aus, behält jedoch den Begriff "Strafaufhebungsgrund" bei.
6. Tätergefährlichkeit als Abgrenzungskriterium
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weiterten Tatbegriff zu sehen231 • Auslösendes Moment war das Bedürfnis, der Strafzumessung auch außertatbestandliche Umstände zugrunde zu legen, ohne dabei mit dem Prinzip der Einzeltatschuld in Konflikt zu geraten 232 • Rechtsprechung und Lehre haben überwiegend, aber meist ohne ein erkennbar dahinterstehendes Prinzip solche Umstände herangezogen 233 , oft mit dem resignierenden Hinweis auf Lücken im Schuldprinzip. Lang-Hinrichs.en unterscheidet nun teleologisch zwischen dem gesetzlIchen Tatbestand, der aus der Fülle des Gesamtgeschehens nur einige typische Merkmale herausgreife, und der Gesamttat, die auch solche Umstände enthalte, welche der Tat im Sinne des gesetzlichen Tatbestandes vorausgehen, sie begleiten oder ihr nachfolgen. Damit gelingt es ihm, das aus dem Verhalten nach der Tat sich ergebende Verschulden im Sinne der Strafzumessung als Tatverschulden auszugeben und so das Dogma von der Einzeltatschuld als leitendes und begrenzendes Prinzip der Strafzumessung beizubehalten. Nach den Ausführungen von Lang-Hinrichsen liegt es nahe, eine Einordnung des § 46/24 n. F. auf der Ebene der Strafzumessungsgründe vorzunehmen, zum al er selbst betont, die Lösung des Problems sei nicht wie in früheren Gesetzen geschehen auf der Tatbestandsebene, noch wie es Binding und andere versucht hätten, auf der Rechtswidrigkeitsebene, noch wie es neuerdings zuweilen geschehe auf der Schuldebene, noch auf der des entstandenen und wieder aufgehobenen Strafanspruchs zu suchen, sondern auf der Ebene der Strafwürdigkeit der "Tat" im Sinne der Gesamttat bei werteinheitlicher Betrachtung234 • An anderer Stelle scheint jedoch Lang-Hinrichsen eine derartige Interpretation seiner Ausführungen zurückzuweisen235 • Nicht die Strafzumessung sei das tertium comparationis, sondern der erweiterte Tat231 Lang-Hinrichsen, Tatbegriff, S. 371: "Auch hier muß also die Tat über die tatbestandsmäßige Versuchshandlung hinaus durch Einbeziehung des nachträglichen Rücktrittsverhaltens erweitert werden, ähnlich wie bei der Strafzumessung das Nachtatverhalten in die Tat einbezogen werden muß." 232 Dazu insbesondere Lang-Hinrichsen, Civitas 11, S. 210, 217 f. in einer Besprechung von Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, 196!. 233 Dazu eingehend unten S. 128 ff. Ferner Lang-Hinrichsen, Tatbegriff, S. 353 ff.: insbesondere die Hinweise auf die von Beting und Spendet vertretene Lehre von der "Außenzone" (Vorbereitungshandlungen, Nachsphäre, seitliche Außenzone), die zwar nicht dem vertypten Tatbestand unterfällt, aber für die Strafzumessung bedeutsam sein soll. Ferner die in der Rechtsprechung und bei Bruns vertretene "Indiztheorie". 23' Lang-Hinrichsen, Tatbegriff, S. 374. Auch Reinh. v. Hippet, Untersuchungen, S. 56 Fn. 353 deutet dies im Sinne einer Einordnung als Strafzumessungsgrund, meint allerdings, es sei zwar logisch eine solche Einordnung zulässig, aber teleologisch sinnwidrig, da § 46 als ius strictum Straflosigkeit vorschreibe. Das ist gerade deshalb nicht richtig, weil auch im Falle des ius strictum die Einordnung für die Auslegung eine entscheidende Rolle spielen kann. Vgl. auch unten 7. 235
JR 1968, 279.
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Erster Teil: 11. Ratio der Rücktrittsvorschriften
begriff. Zwar habe eine Gesamtbetrachtung stattzufinden, jedoch nicht im Sinne einer Einordnung des § 46 in den Tatbestand des Versuchs, sondern im Sinne einer Einordnung des im § 46 umschriebenen nachträglichen Verhaltens in die Versuchstat. Diese stelle - ganzheitlich betrachtet - ein Wertgejüge eigenen Ranges dar, das vom Gesetzgeber nicht für strajbedürjtig erachtet und daher straflos gelassen werde. Nun läßt sich allerdings aus der Feststellung, daß der Gesamttatbestand ein "Wertgefüge eigenen Ranges" sei und daß es sich um die "Ebene der Strafwürdigkeit" handele, nicht entnehmen, ob der Gesamttat neben Unrecht, Schuld und Strafzumessung wirklich eine in funktioneller Hinsicht eigenständige Bedeutung zukommt. Zwar wird deutlich, daß der Gesamttatbestand Umstände erfassen und begrenzen soll, welche bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. Andererseits wird damit nur ein Teil der strafzumessungsrelevanten Faktoren erfaßt. Lang-Hinrichsen unterscheidet nämlich " ... zwischen den das Tatverhalten (mit seiner äußeren und inneren Seite) betreffenden Merkmalen und den täterschaftlichen Merkmalen (Persönlichkeit, Gefährlichkeit usw.) ... "236. Die täterschaftlichen Faktoren seien Anknüpfungspunkte für spezialpräventive Zwecke. Sie werden also wohl einem von der Gesamttat getrennten Bereich der Strafzumessung zugeschlagen. Davon abgesehen aber, daß gerade fraglich ist, ob sich die Rücktrittsregel auf das Tatverhalten reduzieren läßt, dürfte es kaum sinnvoll sein, im Hinblick auf die Strafzumessung einen erweiterten Tatbegriff zu schaffen, der keine täterschajtlichen Faktoren enthält, schon deshalb nicht, weil auch dem Tatgeschehen in mehrfacher Hinsicht Bedeutung zukommen kann. Denn es bildet nicht nur die Basis für das Schuld- und Unrechts urteil, sondern kann gleichzeitig auch von indizieller Bedeutung für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Verbrechens disposition im Hinblick auf zukünftige Delikte sein. 7. Zur Möglichkeit einer Einordnung des Rücktritts als Rechtsfolgebestimmung Keiner der genannten Einordnungsvorschläge vermag voll zu überzeugen237 • Die Einordnung als Strajaujhebungsgrund hält das Rücktrittsproblem in einem strafrechtsdogmatisch und kriminalpolitisch aussagelosen Raum. Allenfalls läßt sich daraus entnehmen, daß der Rücktritt mit Unrecht und Schuld nichts zu tun habe. Damit findet auch die Auslegung in Grenzbereichen keinerlei Hilfestellung in der 236 237
Tatbegriff, S. 361. Im Ergebnis ebenso Munoz-Conde, ZStW 84, 774.
7. Einordnung des Rücktritts als Rechtsfolgebestimmung
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systematischen Einordnung. Und wenn trotzdem auf die kriminelle Energie abgestellt wird, so setzt sich diese Argumentation sogar in gewissen Widerspruch zum "Strafaufhebungsgrund". Denn kriminelle Energie läßt sich entweder (tatbezogen) als Schuldmoment oder (umfassender) als Urteil über die Verbrechensdisposition des Täters verstehen, das nur im Hinblick auf spezialpräventive Strafzumessungserwägungen relevant sein kann. In gewissem Grade bedingen sich auch die Einordnung als Strafaufhebungsgrund und die obligatorische Straffreiheit bei Rücktritt gegenseitig. Denn jeder Spielraum bei der Bestimmung der Rechtsfolge - wie ihn etwa eine fakultative Straffreiheit mit sich brächte - müßte ja gerade unter Berücksichtigung der Gesichtspunkte (sei es nun Unrecht, Schuld, Rechtsfriedensstörung oder Tätergefährlichkeit) konkretisiert werden, die eine Einordnung als Strafaufhebungsgrund verdeckt hält. Je mehr Entscheidungsmöglichkeiten bestehen, je weniger also die Entscheidung durch das Gesetz vorprogrammiert ist, um so wichtiger wird die Frage nach der ratio legis und nach den entscheidungserheblichen Gesichtspunkten. Bei obligatorischer Straffreiheit ist diese Frage nur noch im Hinblick auf eine teleologische Auslegung interessant. Auch die Einordnung als negatives Tatbestandsmerkmal oder als Schuldaufhebungsgrund dürften einer strafzweckorientierten Handhabung der Rücktrittsregel kaum förderlich sein. Grundsätzlich mag zwar eine solche Zuordnung zu Unrecht oder Schuld denkbar sein, weil der Rücktritt auf der Grenze zwischen Tat und Nachtatverhalten steht und man ihn daher durchaus unter dem Aspekt sehen kann, was der Täter getan hat (im Unterschied zu der Frage, wie er zu behandeln ist). Ebenso kann man im Hinblick auf das Schuldurteil (spekulativ) sagen, daß es dem zurückgetretenen Täter an einer aktuell wirklich mißbilligenswerten Gesinnung fehlt. Allerdings bliebe dabei zweifelhaft, ob der Rücktritt einem Gesamtverhalten ohne Rücksicht auf sonstige Einzelheiten einen so völlig anderen Schuld- und Unwertgehalt verleihen kann, daß damit generell über Ob oder Ob-nicht der Strafe entschieden werden könnte. Wie anläßlich der Erörterung der Abgrenzungsfrage dargelegt wurde, ist dies zumindest in Grenzbereichen nicht der Fall. Diese Grenzfälle können nur mittels einer Orientierung am konkreten zweckhaften Strafbedürfnis einer zufriedenstellenden Lösung zugeführt werden. Es geht dann nicht mehr (oder nur noch mittelbar) um die Frage, was der Täter getan hat, sondern darum, ob und wie er zu behandeln ist. Gerade den Durchgriff auf den dabei maßgeblichen Strafzweck erlaubt eine Einordnung als Schuldaufhebungsgrund oder negatives Tatbestandsmerkmal nicht, zumindest dann nicht, wenn man den herkömmlichen Unrechts- und Tatschuldbegriff zugrunde legt.
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Erster Teil: H. Ratio der Rücktrittsvorschriften
Es ist daher kennzeichnend, daß eine Einordnung als negatives Tatbestandsmerkmal oder als Schuldaufhebungsgrund unter gleichzeitiger Zugrundelegung eines strafzweckorientierten Verständnisses des Rücktrittsprivilegs zu einer Erweiterung oder Modifizierung des Tatschuldund Tatbestandsbegriffes geführt hat. So wurde einerseits darauf hingewiesen, daß die Einordnung als Schuldaufhebungsgrund häufig mit einer über die Tatschuld hinausreichenden charakterologischen Schuldauffassung einher geht, hinter welcher der Gedanke einer spezialpräventiven Ausrichtung der Strafe steht. Explizit kommt diese Strafzweckorientierung auch bei Roxin zum Ausdruck, wenn er die systematische Grundkategorie der Schuld als von der Strafzwecklehre her geprägt sieht. Andererseits zeigte sich die Ausweitung des Tatbestandsbegriffes in dem im Hinblick auf die Strafzumessung konzipierten "Gesamttatbestand" und in der generalpräventiv orientierten Auffassung, welche die "Rechtsfriedensstörung" als (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal begreift. Diese Auffassungen sind allerdings schon deshalb enger, weil sie täterschaftlichen Elementen nur in sehr begrenztem Umfang Zugang ermöglichen. Wenn aber auf diese konstruktiv recht mühevolle Weise bei der Festsetzung der Strafe Tatsachen herangezogen werden und Gesichtspunkte Einfluß gewinnen, die der (herkömmliche) Schuld- und Unrechtstatbestand nicht enthält und die nur (indizielle) Bedeutung dafür haben, ob Strafe unter Strafzweckgesichtspunkten notwendig ist, so fragt es sich, warum der Rücktritt nicht als Strajzumessungsregel begriffen wird. Dabei könnte man (de lege ferenda) in erster Linie an eine Lösung denken, wie sie § 23 IU n. F. für den grob unverständigen Versuch bereitstellt und die dahin zu fassen wäre, daß das Gericht bei Rücktritt des Täters von dessen Bestrafung absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern kann. Damit wäre nicht nur eine flexible Handhabung des Abgrenzungsproblems zu erreichen, sondern es könnten ohne systematische Zwänge diejenigen präventiven Strafzweckgesichtspunkte Einfluß gewinnen, auf denen die ratio des Rücktrittsprivilegs basiert. Mit der Bezugnahme auf die Verbrechensdisposition des Täters sowie den Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung wäre auch eine viel breitere Grundlage für die Abgrenzung geschaffen. Gleichzeitig ließe sich damit klarstellen, daß in diesen Grenzbereichen nicht Unrecht und Schuld alleine über das "Ob" der Strafe entscheiden. Vielmehr erfolgt ein Schuldspruch; lediglich auf Strafe wird aus präventiven Gründen verzichtet. Allerdings fällt es de Lege la ta bedeutend schwerer, die Rücktrittsregelung der Problematik der Rechtsfolgen zuzuordnen, weil § 46 und
7. Einordnung des Rücktritts als Rechtsfolgebestimmung
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§ 24 n. F. zwingend Straflosigkeit vorschreiben und daher eine Einordnung als Strafzumessungsregel "teleologisch sinnwidrig" erscheint. Die Vorstellung von einer Strafzumessungsregel ist grundsätzlich mit einem Spielraum, mit mehreren Möglichkeiten der Strafe verknüpft, die der Richter zu konkretisieren hat. Daran fehlt es, wenn das Gesetz nur eine Rechtsfolge zur Verfügung stellt. Immerhin käme einem obligatorischen Absehen von Strafe insofern Bedeutung zu, als damit klargestellt wäre, daß zwar Schuld und Unrecht gegeben sind, daß es sich aber bei der zu entscheidenden Frage um einen Grenzfall der Strafzumessung handelt, in dem von Fall zu Fall Strafe unter Zweckgesichtspunkten nicht gerechtfertigt erscheint. Der Verzicht auf Strafe, die Entscheidung über das "Ob" der Strafe ist damit Ergebnis eines Denkprozesses, der sich wesentlich an den Strafzweckgesichtspunkten orientiert. Damit sind auch Richtlinien für die Auslegung gegeben. Freilich ist diese Trennung von Straftatfeststellung einerseits und Strafzumessung andererseits nur unter einer weiteren Voraussetzung wirklich sinnvoll, die bisher zwar stillschweigend mitgedacht wurde, die aber alles andere als selbstverständlich ist, nämlich daß es sich um eigenständige Regelungsmaterien mit unterschiedlichen Funktionsbereich handelt. Nur dann ist es auch gerechtfertigt, von eigenständigen Strafzumessungsvorschriften238 oder - wie diese hier in Beziehung auf die Konkretisierung der Rechtsfolge auch genannt werden sollen von "Rechtsfolgebestimmungen" zu sprechen239 • Ein solcher mit Eigenständigkeit versehener Bereich der "Rechtsfolgebestimmung" scheint allerdings im herkömmlichen Strafrechtssystem keinen Ansatzpunkt zu haben und in Widerspruch zu der auch heute - zumindest unterschwellig - noch weithin verbreiteten Vorstellung zu stehen, daß über die Fragen des "Ob" und "Wie" der Strafe bereits im Bereich von Unrecht und Schuld endgültig entschieden wird, d. h. die Rechtsfolge sich i. d. R. im Wege eines zwingenden Schlusses aus Unrecht und Schuld ableiten lasse. Grundlage für die Zumessung 238 Der Begriff "Strafzumessungstatbestand" wird bewußt vermieden, weil darin ein "statisches" Moment zum Ausdruck kommt, während für den Bereich der Rechtsfolgebestimmung gerade die "Beweglichkeit" des Systems charakteristisch ist. Dazu unten Zweiter Teil I 3 b. 239 Auch der Begriff "Bestimmung" ist mehrdeutig. Es kann damit einerseits der Vorgang der genauen Umschreibung, Abgrenzung und Entscheidung gemeint sein. In dieser Bedeutung spricht Peters, Gutachten, S. 5 von richterlicher "Rechtsfolgebestimmungstätigkeit", die er der "Sachverhaltsfeststellung" und der "Einreihung des Sachverhalts unter den gesetzlichen Tatbestand" gegenüberstellt. In der anderen Bedeutung bezeichnet der Begriff "Rechtsfolgebestimmung" eine (strafrechtliche) Vorschrift, die sich an den Richter wendet und ihm mehr oder weniger zwingende Richtlinien (Muß-, Soll- oder Kannbestimmung) für seine Rechtsfolgebestimmungstätigkeit gibt.
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Erster Teil: Ir. Ratio der Rücktrittsvorschriften
der Strafe ist die Schuld des Täters. Ob und wieweit daneben spezialoder generalpräventive Erwägungen die Strafe nach unten oder oben beeinflussen dürfen, ist kontrovers. Schuld und Unrecht sind danach nicht nur notwendige, sondern prinzipiell hinreichende Voraussetzungen für die konkrete Strafe. Von diesem Standpunkt aus ist es konsequent, alle für die konkrete Rechtsfolge relevanten Momente diesen Kategorien zuzuordnen. Auch in den genannten Einordnungsvorschlägen kommt dies teilweise deutlich zum Ausdruck. Einen eigenständigen Bereich der Rechtsfolgebestimmung gibt es danach nicht240 • Gerade die mangelhafte Durchdringung dieser Fragen dürfte ein Grund dafür sein, daß bisher nicht erkannt wurde, daß manches, was man heute entweder mit Hilfe der allgemeinen Lehren vom Verbrechen oder aber als bei den einzelnen Deliktstypen zu behandelnde Voraussetzung der Strafbarkeit wertet, in Wahrheit in die Problematik der Rechtsfolgen gehört241 • Von der Regelungsmaterie her gesehen geht es dabei um Problembereiche, die flexible und zweckorientierte Lösungsmöglichkeiten erfordern und bei denen eine Heranziehung solcher Faktoren notwendig ist, die außerhalb der Tat i. e. S. stehen. Daß diesem Erfordernis im Strafrecht nur bedingt Rechnung getragen werden kann, ergibt sich aus rechtsstaatlichen Gründen, die in noch größerem Umfang als im übrigen Rechtssystem feste Tatbestandsbildungen verlangen, so daß eine variable Bestimmung der Rechtsfolge durch richterliches Ermessen ausgeschlossen zu sein scheint. Eine abschließende Tatbestandsbildung ist aber auch im Strafrecht nicht möglich oder sie wäre es nur auf Kosten einer sachgerechten Problemlösung. Vielmehr erfordert zumindest der Bereich der Strafzumessung ein System, in dem bestimmte Umstände gegeneinander abzuwägen sind, ohne daß ein Rangverhältnis ein für alle mal feststünde m , geschweige denn die Entscheidung mittels einer Subsumtion im herkömmlichen Sinne auf dem Wege der Ableitbarkeit aus dem Gesetz zu erreichen wäre. Dies macht eine Neubesinnung über das Verhältnis von Rechtsfol~ gevoraussetzung und Rechtsfolge notwendig, wobei näherhin auch auf die funktionelle Trennung von Zumessung und Zurechnung einzugehen ist. Dabei wäre dann endgültig zu klären, ob sich dem Anliegen der Rücktrittsvorschriften nicht viel besser im Bereich der Strafzumessung Rechnung tragen ließe, was nicht zuletzt an der Abgrenzungsfrage nachzuweisen bleibt. 240 In diese Richtung gehen auch die allerdings unklaren Andeutungen von Munoz-Conde, ZStW 84, 777 f. Er ordnet den "Rücktritt" in die "Strafbarkeit" ein und spricht von einem "Strafbarkeitsausschließungsgrund". 241 So die Feststellung von Geerds, Einzelner und Staatsgewalt, S. 24 f. 242 Canaris, Systemdenken, S. 79.
Zweiter Teil
I. Die Trennung von Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung Bereits eine oberflächliche Betrachtung ergibt, daß bei der Straftatfeststellung eine ganz andere Blickrichtung im Vordergrund steht als bei der Strafzumessung. Die Straftatfeststellung ist retrospektiv; es geht - auch wenn man die Tat nicht nur als Anlaß der Strafe sieht - um die Anknüpfungsfrage und die Bewertungsfunktion der Norm. Orientierungspunkt ist mit sachlicher Notwendigkeit die begangene Tat. Demgegenüber enthält die Rechtsfolgebestimmungstätigkeit des Richters Zukunftserwägungen, und zwar nicht nur in einem präventiv ausgerichteten Strafrecht. Denn daß bei der Strafzumessung die Strafempfänglichkeit des Täters in Anschlag zu bringen ist, ist auch auf der Basis des Schuld-Sühne-Prinzips anerkannt. Die Frage nach der Strafempfänglichkeit ist aber die nach der Wirkung der Strafe auf den Täter und muß deshalb prognostisch ausgerichtet werden l • Auch im Zusammenhang mit der Diskussion um das Schuldinterlokut wird die Notwendigkeit einer Trennung von Schuldspruch und Strafausspruch u. a. damit begründet, daß die erste Phase, die mit einem Schuld- oder Freispruch ende, retrospektiv sei (feststellen, was früher geschah), während die zweite Phase, in der es um den Strafausspruch gehe, prognostisch zu orientieren sei (was soll mit dem Täter geschehen, um ihn für die Gemeinschaft unschädlich zu machen oder zu resozialisieren)2. Und zum Teil ist in dieser unterschiedlichen Blickrichtung sogar ein Gesichtspunkt für die Unterscheidung von Straf- und Zivilrecht gesehen worden: "Der Blick des Strafrechts ist in die Zukunft, der des Zivilrechts in die Vergangenheit gerichtet, und aus dieser funktionellen Verschiedenheit folgt notwendig die Gegensätzlichkeit der Rechtsfolgen, Schadenersatz und Strafe3 ." Beachtung verdient in diesem Zusammenhang auch die sog. "Zeitpunktfrage", die bereits bei der Erörterung der Gefahr- und Gefährlichkeitsurteile gestreift wurde: Mehr und mehr beginnt sich die Er1
Zutr. Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 440; Zipf, Straßmaßrevision, S.
119, 127.
2 So die Äußerung von Dahs in der 23. Sitzung des Rechtsausschusses des Bundestags vom 10. 5. 1962. 3 Hirschberg, Schuldbegriff, S. 29.
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Zweiter Teil: I. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
kenntnis durchzusetzen, daß sich für die Frage nach der Tatschuld und der Gefährlichkeit ganz verschiedene Beurteilungspunkte anbieten, nämlich die Tatzeit einerseits und die gerichtliche Entscheidung andererseits 4 • Für die Strafzumessung kommt es nicht nur darauf an, wie der Mensch zur Zeit der Tat beschaffen war, sondern es ist wesentlich, welche Prognosen hinsichtlich seines weiteren Verhaltens zum Urteilszeitpunkt gestellt werden können. Weitere, hier nur kurz anzudeutende Aspekte, die für die Eigenständigkeit der Rechtsfolgebestimmung sprechen, liegen etwa darin, daß der Stellenwert, den eine Strafzumessungstatsache unter dem Gesichtspunkt der Prävention beansprucht, von ihrer Valenz bei der Schuldfrage möglicherweise erheblich abweicht und Schuld und Prävention in Gegensatz geraten könnens. Ferner zeigen sich in dem Nebeneinander des nullum crimen Grundsatzes einerseits und der weiteren Strafrahmen andererseits unterschiedliche Funktionen. Einer anderen Sicht muß der Strafrahmen als Widerspruch zum Bestimmtheitsgrundsatz erscheinen6 • Im Gegensatz zu diesen nur andeutungsweise und unvollständig aufgezählten Aspekten, die für eine Trennung von Straftatfeststellung und Strafzumessung sprechen, wird immer wieder betont, daß Unrecht und Schuld nicht nur zur Legitimierung der Strafe überhaupt, sondern gleichermaßen zur Bestimmung der konkreten Strafhöhe dienen. Unrecht und Schuld sollen nicht allein über das "Ob", sondern auch über das "Wie" der Strafe entscheiden. Beide Begriffe seien Steigerungsbegriffe7 • Dahinter steht der Gedanke eines Ausgleichs der Tatschuld durch Strafe, der sich zwangsläufig auf die Vergangenheit, die Tat, 4 Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 118, 132, 426; Zipf, Strafmaßrevision, S. 127; ferner Androulakis, ZStW 82, 492, 514 ff., der diesen Gesichtspunkt unter dem Blickwinkel der "personalen Identität" einer eingehenderen Würdigung unterzieht. 5 Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, 1972; Schaffstein, Schädliche Neigungen, S. 465 f.; Peters, Gutachten, S. 30 f. A. A. aber wohl Noll, Schuld und Prävention, S. 219. Noll setzt sich aber mit den Folgen und Konsequenzen seiner Ansicht nicht überzeugend auseinander, obgleich diese in einer Auflösung des Tatschuldprinzips liegen dürften. 8 Warnungen in dieser Richtung ausdrücklich bei Baumann, § 42 11; ders., Grenzen, S. 117 ff. 1 Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 356 f., 362 ff.; Baumann, Grundbegriffe, S. 69 ff.; Goldschmidt, Schuld begriff, S. 436, 455 ff.; Frank, StGB, S. 137: Schuld als Strafzumessungsgrund; Kern ZStW 64, 255 ff.; Heinitz, ZStW 63, 63; Engisch, Konkretisierung, S. 287; Zimmerl, Aufbau, S. 41 f., 65, 72, 161 ff.; Küper, Grundlagen der Kompensation, JZ 1968, 651; Lampe, Das personale Unrecht, S. 262; NoH, ZStW 68, 181 ff. A. A. etwa Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 206 ff., der meint, dem Unrecht fehle jede Steigerungsfähigkeit. Differenzierend zwischen Unrecht und Rechtswidrigkeit Lenckner, S. 32 ff.; er hält das Rechtswidrigkeitsurteil nicht für graduierbar, da die Verneinung dessen, was gesollt sei, schon begrifflich nicht steigerungsfähig sei. Ebenso schon Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 21.
1. Differenzierung unter funktionalen Gesichtspunkten
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bezieht8 • Damit erklärt sich auch das Bestreben, neben Unrecht und Schuld grundsätzlich keine für die konkrete Strafe maßgeblichen Faktoren zuzulassen. Inwieweit sich freilich mit dem Übergang von der Straftatfeststellung zur Strafzumessung unbemerkte Sinnverschiebungen in den Tat- und Schuldbegriff einschleichen und damit präventive Erwägungen zum Durchbruch gelangen, bleibt zu untersuchen. Wenn sich jedenfalls Straftatfeststellung und Strafzumessung funktional unterscheiden, so liegt die Frage nahe, ob die Regeln, die in diesen Bereichen die richterliche Entscheidung vorstrukturieren, nicht ebenfalls Unterschiede aufweisen müssen. Im folgenden soll daher auf das Erfordernis einer mit eigenständiger Funktion versehenen Rechtsfolgebestimmung eingegangen werden, wobei es weniger um Vollständigkeit als um die Sichtbarmachung gewisser sachlicher Notwendigkeitengeht. Dabei lassen sich mehrere Aspekte unterscheiden: funktionale (1), strukturelle (2), begriffslogische (3) und prozessuale (4).
1. Die Differenzierung von Tatbestand und Rechtsfolge unter funktionalen Gesichtspunkten Je mehr man sich von dem Vergeltungsstrafrecht klassischer Provenienz entfernt und nicht mehr der Ansicht ist, daß die rein tatschuldorientierte Strafe gleichermaßen die gerechteste wie auch zweckmäßigste sei, desto größere Probleme ergeben sich. Sie werden deutlicher, wenn man sich die Spannungen vergegenwärtigt, unter denen dann jede Strafrechtsnorm und jede Strafrechts anwendung steht. Es ist dies der bekannte Widerstreit zwischen dem Interesse an klaren und schematischen Grenzen einerseits und den scheinbar gegenläufigen Bedürfnissen nach möglichst weitgehender Zweckausrichtung andererseits. Klare Grenzen bezüglich des "Ob" der Strafe sind bereits aus rechtsstaatIichen Gesichtspunkten notwendig. Die Garantie, die in Art. 103 II GG und in § 2 (bzw. § 1 n. F.) enthalten ist, zwingt zur gesetzlichen Formulierung der Strafbarkeitsvoraussetzungen und zumindest zum Erfordernis der Bestimmbarkeit jeder Norm. Aus dieser Sicht hat auch das Lisztsche Wort vom Strafrecht als der magna charta des Verbrechers seine volle Gültigkeit. Daneben gibt es aber weitere Gründe für das Interesse am Schematischen und die Forderung nach einer objektiven Entsprechung von Tat und Rechtsfolge 9• Hierbei hanMüller-Dietz, MDR 1974, 4. Neuerdings wieder Maiwatd, ZStW 83, 663, 673 ff.; Peters, Die kriminalpolitische Stellung des Strafrichters, S. 234 ff. unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen "abstrakter" und "konkreter" Zweckmäßigkeit: "Der Vergeltungsgedanke löst sich von der konkreten Zweckmäßigkeit, er erfor8
9
124
Zweiter Teil: 1. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
delt es sich im Wesentlichen um Erwägungen im Interesse der Einfachheit und Funktionsfähigkeit des Strafrechts: Die Notwendigkeit, die Handlungsfreiheiten der Normadressaten miteinander in Einklang zu bringen, fordert generalisierende Regelungen und typisierende bzw. schematisierende Beschreibungen der untersagten Verhaltensweisen1o • Nur sie können eine im allgemeinen Bewußtsein anerkannte Ordnung schaffen und so den Schutzumfang im einzelnen bestimmen11 • Erst damit wird die Grundlage für die Berechenbarkeit zwischenmenschlichen Verhaltens und die Wirkungschance durch Determination (Androhungsprävention) geschaffen l2 . Demgegenüber scheint sich mit der Zunahme und Verfeinerung der zu bewertenden Elemente auch die Möglichkeit abweichender Bewertung zu potenzieren, was in zunehmender Unsicherheit zum Ausdruck kommt. Schließlich ist ein nicht zu unterschätzender generalpräventiver Aspekt (im Sinne einer Internalisierung der Rechtsnormen) darin zu sehen, daß ein lineares Entsprechungsverhältnis von Tat und Rechtsfolge das Gewicht der Tat eher verdeutlicht als eine individuell zugeschnittene Strafel3 . Demgegenüber ist aber unbestritten, daß das Strafrecht seine Sanktionen individualisieren mußl4. Es ist dies nicht nur die notwendige Folge dert einen Ausgleich der gestörten Rechtsordnung entsprechend der Tat und der ihr für die Rechtsordnung zukommenden Bedeutung. Ob die Strafe im konkreten Fall zweckmäßig ist, ist unter diesem Gesichtspunkt gleichgültig. In der Verwirklichung des Ausgleichs liegt bereits eine Stärkung, Erhaltung und Stütze der Rechtsordnung, die es unerheblich erscheinen lassen, ob sie im einzelnen Fall erhebliche Vorteile bietet. Die Generalprävention und Spezialprävention zielen dagegen darauf ab, auch im konkreten Fall die Strafe zweckmäßig zu gestalten." 10 Peters, Gutachten, S. 27. Das gilt keineswegs nur für die Unrechts-, sondern auch für die Schuldkategorie. Zwar fordert die h. M., daß der Schuldvorwurf den Täter in seiner Individualität treffe. Mit Recht hat aber Maurach, AT, § 30 I 2 b dem entgegengehalten, daß das geltende Recht eine derartige Individualisierung nur bei der Strafzumessung, nicht bei der Schuldbegründung kenne. Hier arbeite es mit Generalisierungen, Typisierungen und daher mit Schuldfiktionen; Kaufmann, Schuldprinzip, S. 195: in der Tatschuld sei eine Formalisierung und Wesensverringerung des reinen Schuldsachverhaltes enthalten. Daß man unter diesen Aspekten die zusammengefaßten Schuldkomponenten (Zurechnungsfähigkeit, Zumutbarkeit, Bewußtsein der Rechtswidrigkeit) eventuell aufgliedern müßte, kann hier nicht weiterverfolgt werden. Vgl. auch Maihojer, Objektive Schuldelemente, S. 185 ff. Ferner Stratenwerth, Tatschuld, S. 31, der die Tatschuld nach dem in generalisierten Kategorien faßbaren Freiheitsspielraum des Täters beurteilen will. Zur Notwendigkeit einer Typisierung auch Volz, Gefährdungsdelikte, S. 53 ff., 115 ff. m. w. H. 11 Maiwald, ZStW 83, 673 ff.; Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 355: die Notwendigkeit einer generalisierenden Ordnung des Lebensstoffes und seiner schablonisierenden Behandlung nach Tatbestand und Rechtsfolge im Gesetz ergebe sich bereits aus der Begrifflichkeit des Rechts; Peters, Gutachten, S. 27. 12 "Motivationsfunktion", vgl. Munoz-Conde, ZStW 84, 768. 13 Drost, Ermessen, S. 168 ff.
1. Differenzierung unter funktionalen Gesichtspunkten
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spezialpräventiven Zweckdenkens, sondern auch die der Forderung individueller Gerechtigkeit. Darin mag der Grund liegen, daß häufig versucht wird, die Individualisierung an der konkreten Tatschuld auszurichten 15 • Deutlicher aber als die Verknüpfung von Individualisierung und Tatschuld ist der enge Zusammenhang zwischen der Individualisierung der Rechtsfolgen und einer verstärkten Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit. Die dabei offene Frage, wie weit die Individualisierung bzw. die Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit jeweils getrieben werden soll (etwa nur im Rahmen der Tatschuld oder darüber hinaus), ist natürlich abhängig von den für maßgeblich gehaltenen Strafzwecken. Denn: "Für die Schuldwertung interessiert nur der kleine unmittelbar auf die Tat weisende, vergangenheitsbezogene Ausschnitt aus der Täterpersönlichkeit. Ganz anders ist es im Bereich der Prävention. Hier geht es um die ganze Persönlichkeit ... 16." Insoweit wird ein vorrangig spezialpräventives Zweckdenken eher zu individualisieren geneigt sein als ein Vergeltungs- oder Schuld-Sühne-Strafrecht, denn die Täterpersönlichkeit gibt bei einer spezialpräventiven Ausrichtung den dominierenden Gesichtspunkt ab 17 • Auch das gegenwärtig (noch) herrschende Schuld-Sühne-Strafrechtl 8 anerkennt zumindest innerhalb des Schuldrahmens spezialpräventive Gesichtspunkte. Primäre Strafzumessungstatsache ist zwar die Tat selbst in ihrem Unrechts- und Schuldgehalt, gleichzeitig aber wird betont, daß die gerechte Strafe nur durch Anpassung ihres Maßes an die Täterpersönlichkeit gefunden werden könne19 • Die Tendenz zu verstärkter Beachtung der Täterpersönlichkeit kommt auch in den Strafrechtsreformgesetzen von 1969 bis 1973 zum Ausdruck20 • Im Hinblick auf die in § 13 Abs. 2 (§ 46 Abs. 2 n. F.) vorgeschriebene Berücksichtigung des Vor14 Etwa Heinitz, Individualisierung, 1960; Baumann, Grenzen, S. 141; Maiwald, ZStW 83, 679 m. w. H., Fn. 20; Würtenberger, Die geistige Situation, S. 87 ff. 15 Arthur Kaufmann, JZ 1967, 556; Würtenberger, JZ 1970, 435; Maiwald, ZStW 83,679; Heinitz, Individualisierung, S. 8.
Zipf, Strafmaßrevision, S. 119. Daher hat auch die Strafzumessungslehre der Weimarer Zeit diesen Gesichtspunkt in den Vordergrund gerückt. Drost, Ermessen, S. 200 ff. Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 425 spricht auch von dem "... extrem spezialpräventiven Gehalt der früher viel erörterten These, die Tat sei entscheidend für die Schuldfrage, die Täterpersönlichkeit dagegen richtungsweisend für die Straffrage". Neuerdings etwa die Ausführungen von Zipf, Strafmaßrevision, S. 119: die Strafzumessung entwickle sich von der Tat zum Täter, von der Frage, welche Strafe die Tatschuld zulasse, zu der weiteren, wie der Täter mit der Strafe ansprechbar sei. 18 Statt vieler dazu Bruns, S. 237 ff. Auch § 13 bzw. § 46 n. F. steht auf dem Boden des traditionellen Schuldprinzips; vgl. etwa eramer, JurA 1970, 187 ff.; Schönke / Schröder, Vorb. § 13, Rdnr. 5 f. 19 Nachweise bei Stratenwerth, Tatschuld, S. 8 f. 20 Dahs, NJW 1970,1705 f.; Horstkotte, JZ 1970, 122 ff. lß
17
126
Zweiter Teil: 1. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
lebens des Täters sowie seines Verhaltens nach der Tat kann man sogar die Frage stellen, ob damit der Tatschuldrahmen nicht bereits gesprengt wird. Auch wenn die wohl überwiegende Auffassung glaubt, dies verneinen zu können, so spricht sie damit der Täterkomponente ihre Eigenständigkeit neben der Tatschuld nicht ab. Das zeigt sich an der ausdrücklichen Unterscheidung von Umständen, welche die Tatschuld erhöhen, und solchen, die Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Täters, seine Gefährlichkeit und die Chancen einer wirksamen Behandlung zulassen. Und wenigstens theoretisch wird differenziert, ob das Vorleben und das Nachtatverhalten brauchbare Indizien für den Grad des Unrechts, der Tatschuld oder aber der Gefährlichkeit des Täters enthalten21 • Praktisch freilich wird häufig aus denselben (persönlichen) Umständen gleichermaßen erhöhte Tatschuld und größere Tätergefährlichkeit gefolgert und damit Schuld und kriminelle Energie mehr oder weniger gleichgesetzt. Das ist schon deshalb bedenklich, weil dieselbe Strafzumessungstatsache unter Schuld- und Präventionsgesichtspunkten ganz unterschiedliche Bedeutung haben kann22 • Die Differenzierung zwischen Momenten der Tatschuld und der Gefährlichkeit ist in gewisser Hinsicht auch Anzeichen für ihre Notwendigkeit. In Wirklichkeit handelt es sich bei dem scheinbar gegenläufigen Interesse an fixierten Grenzen und klarer Unterscheidbarkeit von Recht und Unrecht einerseits und an zweckhaften und individualisierten Rechtsfolgen andererseits um zwei verschiedene, aber notwendige Funktionen der Strafrechtsnorm. Die Funktionsfähigkeit des Strafrechts und der wegen gravierender Eingriffsmöglichkeiten gerade hier notwendige Bestimmtheitsgrundsatz verlangen nach einer klaren, einfachen, überschaubaren und der Intention nach eindeutigen Normierung der Verhaltensweisen, die - weil sozial unerwünscht - eine strafrechtliche Sanktion zur Folge haben. Individualisierung und Zweckstrafe drängen nach einer Verbreiterung der Urteilsbasis, nach Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit und prognoseorientierten Rechtsfolgen. Die Strafrechtsnorm muß also einerseits eine "routinemäßige", der klassifizierenden Trennung von Recht und Unrecht und der Rechtssicherheit entgegenkommende Handhabung gewährleisten, andererseits muß sie die Berücksichtigung individueller, persönlichkeitsbezogener und prognostischer Elemente erlauben und eine Orientierung an den Erfolgsaussichten und der Notwendigkeit der anzuwendenden Maßnahmen ermöglichen. 21 Einerseits Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 502, der von einer "doppelspurigen Indizkonstruktion" spricht; Baumann, NJW 1962, 1794; andererseits
Lang-Hinrichsen.
22 Näher dazu Stratenwerth, Tatschuld, S. 22 ff. Vgl. auch Eb. Schmidt, ZStW 69, 385 f.
1. Differenzierung unter funktionalen Gesichtspunkten
127
Will man diese sich widerstreitenden Interessen derart integrieren, daß man alle für die Rechtsfolge maßgebend werdenden Faktoren als Schuld- oder Unrechts elemente auszugeben versucht und daraus das Entscheidungsergebnis quasi deduziert, so verwickelt man sich notwendig in Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten. Das zeigt sich am besten an der Auseinandersetzung um die Berücksichtigung außerhalb der Tat liegender Umstände, mit der die Frage nach der Orientierung der 'Strafe an der Täterpersönlichkeit eng verzahnt ist: eine Würdigung der Täterpersönlichkeit muß, wenn sie eigenständige Bedeutung haben soll, auf andere und weiter gestreute Gesichtspunkte zurückgreifen können, als sie in der Tat zum Ausdruck kommen. Bei der Auseinandersetzung, inwieweit und auf welche Weise außerhalb der Tat liegende Umstände zu berücksichtigen sind, hat sich die Problematik alsbald auf die Frage verschoben, ob den nach Gesetz, Rechtsprechung und Lehre anerkanntermaßen verwertbaren Umständen 23 eine selbständige Bedeutung zukommt, oder ob sie letztlich nur ein Erkenntnismittel für die Beurteilung der eigentlichen Tat darstellen, also (nur) Indizcharakter haben24 • Dabei zeigt sich ein breites Band von Meinungen, die nicht nur zufällig gewisse Parallelen zu der Einordnungsfrage bei Rücktritt aufweisen 25 • Sie reichen von der Annahme einer völligen Ableitbarkeit der konkreten Strafe aus Unrecht und Schuld (wobei Unrecht und Schuld durch außerhalb der Tat liegende Indizien mehr oder weniger ergänzt werden) über die Anerkennung eines im Zumessungsbereich modifizierten (erweiterten) Schuldbegriffs bis hin zur Forderung eines selbständigen und eigenen Strukturprinzipien folgenden Strafzumessungstatbestandes. Wo dabei die konkrete Strafe - wenn auch mittels gewisser Hilfskonstruktionen - noch allein aus Unrecht und Tatschuld abgeleitet wird, und wo etwa das Tatschuldprinzip durch die Anerkennung der Eigenständigkeit der Strafzumessungsfaktoren oder durch eine zum Tatschuldprinzip hinzutretende Zweckorientierung relativiert ist, läßt sich schwer sagen. 23
24
überblick bei Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 492 ff., 504 ff. Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 495. Dabei dürfte allerdings nicht
ernsthaft in Frage stehen, daß solche Tatsachen, die weder eine Beziehung zur Tat noch zum Täter haben, bei der Strafzumessung nicht herangezogen werden können. Insofern ist die Fragestellung bei Bruns, ob zusätzliche Tatsachen auch ohne Beziehung zu Tat und Täter bei der Strafzumessung berücksichtigt werden dürfen, mißverständlich. 25 Es handelt sich hier um dasselbe Problem, das sich auch bei der Abgrenzungsfrage im Versuchs- bzw. Rücktrittsbereich stellte: Wie läßt sich in einem Tatstrafrecht ohne systematischen Bruch eine verstärkte Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit und außerhalb der Tat liegender Umstände erreichen? Und wie hat eine Norm auszusehen, damit die durch sie "programmierten" Rechtsfolgen nicht nur als Ergebnis einer Deduktion aus Unrecht und Tatschuld erscheinen, sondern am Strafzweck orientiert sind?
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Zweiter Teil: I. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
Eine eingehende Untersuchung soll hier auch nicht vorgenommen werden. Die Meinungen sind nur grob aufgeschlüsselt in solche, die das Tatschuldprinzip mehr oder weniger bis in die Strafzumessung hinein aufrechterhalten und solche, die anerkennen, daß sich nicht alle Faktoren auf Schuld- und Unrechtselemente reduzieren lassen. a) Unrechts- und Schuldbezogenheit der Strafzumessungsfaktoren
Will man das Tatschuldprinzip auch im Bereich der Strafzumessung und bei umfassender Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit und der außerhalb der "Tat im engeren Sinne" liegenden Umstände aufrecht erhalten, so sind grundsätzlich drei Wege denkbar. Entweder man mißt den außerhalb der Tat liegenden Umständen nur indizielle Bedeutung bei, oder man manipuliert am Tat- bzw. am Schuldbegriff, wobei allerdings zu fragen wäre, inwieweit diese Manipulation faktisch zur Durchbrechung des Prinzips führt. Alle drei Wege werden auch vorgeschlagen:
aal Indizkonstruktion Für den bloßen Indizcharakter außerhalb der Tat liegender Umstände treten bekanntlich Rechtsprechung und herrschende Lehre ein26 • Das Vorleben und Nachtatverhalten wird als ErkenntnismitteZ für tatbezogene Schuld mit dem Tatschuldprinzip in Einklang gebracht. Durchaus in Übereinstimmung damit ist zu sehen, daß überwiegend betont wird, der Begriff der Schuld müsse im Bereich der Strafzumessungs- und Zurechnungs frage gleichbedeutend sein 27 • Diese postulierte Identität des Schuldbegriffes ist freilich keineswegs selbstverständlich und schon gar nicht aus dem begrifflichen Gleichklang abzuleiten. Denn in gewissem Sinne ist jeder Rechtsbegriff auf die ihm gestellte Ordnungsaufgabe hin relativ. Wie sich zeigen wird, handelt es sich auch hier meist um bloße Scheinidentität der Schuldbegriffe im Bereich der Zumessungs- und Zurechnungsfrage. Ihr berechtigtes Anliegen hat die Indizkonstruktion in der Notwendigkeit, die zusätzlich verwertbaren Umstände irgendwie zu beschränken und die Tat als entscheidenden Strafzumessungsfaktor aufrechtzuerhalten 28 • Nur solche Umstände finden Berücksichtigung, denen eine für die Tat (d. h. für Unrecht, Tatschuld und Täterpersönlichkeit, soweit sie sich mit der Tatschuld in Einklang bringen läßt) indizielle Bedeu26 Statt vieler Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 495 ff. m. w. H. auf die Rechtsprechung. 27 Bruns, S. 130 aber auch S. 381; .spendet, ZStW 83, 221; wohl auch Androutakis, ZStW 82, 501. 28 Dazu Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 499/504; Baumann, NJW 1962, 1793.
1.
Differenzierung unter funktionalen Gesichtspunkten
129
tung zukommt. Allerdings liegt auch gerade hier der Punkt, wo der Indiztheorie entgegengehalten wird, sie sei einerseits zu eng, andererseits trage sie aber die Gefahr einer zu weitgehenden Ausdehnung in sich 29 •
bb) "Manipulation" des Tatbegriffs Einen speziell für die Strafzumessung "erweiterten Tatbegriff" schlägt daher Lang-Hinrichsen als Alternative mit seiner - bereits mehrfach erwähnten - Lehre vom Gesamttatbestand vor. Auch Spendel 30 wählt einen ähnlichen Weg, wenn er vorschlägt, bestimmte Vor-, Nach- und Nebenhandlungen zu berücksichtigen. Er stellt dem Begriff des Tatbestandes abweichend von der Terminologie des § 59 den Begriff des Tatumstandes gegenüber, unter dem er nur die für die Strafzumessung beachtlichen und erheblichen (das sind die realen Strafzumessungsgründe und die gesetzlich nicht benannten Strafänderungsgründe), nicht die dem Tatbestand unterfallenden Tatsachen verstanden wissen will. "Tatumstände" ergäben die Realgründe der Bestrafung im einzelnen Fall, sie dienten der Abstufung des Gewichts innerhalb der durch den Strafrahmen repräsentierten Schwereskala31 • Unter Berufung auf Beling, dessen Ausführungen allerdings weniger im Hinblick auf die Strafzumessung als auf die Verbrechensfixierung bei Versuchs- und Beihilfehandlungen zu sehen sind, vermutet Spendel, der Tatbestand könne für die Tatumstände nicht ohne Einfluß sein. Er spricht sich deshalb dafür aus, daß (nur) solche Vor-, Nach- und Nebenhandlungen für die Strafzumessung relevant seien, die in die Interessensphäre des Tatbestandes hineinfielen und insofern mit ihm ein Ganzes bildeten: "Als Tat-Umstände, die für das Strafmaß mitbestimmend sind, als reale Strafzumessungsgründe kommen mithin nur objektive wie subjektive Tatsachen in Betracht, die irgendwie unter der Ausstrahlung und der Herrschaft der (durch den Tatbestand geformten) Tat und in einem inneren, wesensmäßigen Zusammenhang mit ihr stehen, die in ihrer juristisch relevanten Sphäre liegen, die ihren Stempel tragen ... 32." Kritisch ist diesen Ausführungen allerdings hinzuzufügen, daß eine exakte Auseinandersetzung mit dem Stellenwert, den die "Tatumstände" haben sollen, fehlt. Insbesondere ist weder die Indizkonstruktion, noch die Frage der Graduierbarkeit von Schuld und Unrecht, noch
Lang-Hinrichsen, Tatbegriff, S. 358. Strafmaß, S. 225, 233 ff. unter Anknüpfung an Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 251 ff. 29
30 31 32
Ebd., S. 229/30. Ebd., S. 235.
9 Burkhardt
130
Zweiter Teil: I. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
der eventuelle Konflikt mit dem Tatschuldprinzip (der hier freilich nur gering sein kann) erwähnt. Im Ergebnis dürfte der Kreis der zu berücksichtigenden Umstände enger sein als bei der Indizkonstruktion und dem Gesamttatbestand.
ce) "Manipulation" am Schuldbegrijf Insbesondere das Bedürfnis nach einer stärkeren Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit dürfte dazu geführt haben, den Kreis der für die Strafzumessung relevanten Faktoren mittels einer gegenüber der Tatschuld veränderten Schuldkonzeption zu erweitern. Im Zusammenhang mit der Erörterung der systematischen Einordnung des Rücktritts wurde darauf hingewiesen, daß auch die Betrachtung des Rücktritts als Schuldaufhebungsgrund teilweise mit einer solchen Ausdehnung des Schuldbegriffs einhergeht33 • Diese Erweiterung vollzog sich, indem die Tatschuld durch die Lebensführungsschuld, die sog. Dispositionsschuld oder durch die Charakterschuld ersetzt wurde 34 • Zwar werden diese Schuldkonzeptionen - insbesondere die Charakterschuld - in der Regel in Zusammenhang mit dem Problem der Willensfreiheit gebracht und als Versuch gewertet, das Freiheitsproblem, ohne es letztlich lösen zu können, zu verschieben 35 • Historisch-genetisch dürften sie aber vorwiegend von der Absicht getragen sein, das Prinzip der Spezialprävention für ein schuldorientiertes Vergeltungsstrafrecht akzeptabel zu machen 36 und über den Schuldbegriff ein präventives Instrumentarium, insbesondere die Tätergefährlichkeit, einzuführen37 • Dies hat aber auch dazu geführt, in den Begriffen der Lebensführungs-, Charakter- und Dispositionsschuld einen "Etikettenschwindel" zu seVgl. oben S. 113 f. Auch die Rspr. erliegt häufig dieser Versuchung, wenn etwa der "charakterlichen Haltung und dem Persönlichkeitsbild" des Täters ausschlaggebende Bedeutung für den Umfang der Schuld beigemessen wird. Mit Recht weist Schaffstein, Schädliche Neigungen, S. 465 f. darauf hin, daß darin ein Verständnis des Schuldbegriffs zum Ausdruck kommt, das der "Charakter-" oder "Lebensführungsschuld", aber nicht mehr der Tatschuld entspricht. 35 Eser, StrafR I 13 A, 10 ff. 36 Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 131, 478; Stratenwerth, Tatschuld, S. 5 ff. 37 So bes. Eb. Schmidt, der auch bemüht war, diesen Gedanken in den E 62 einzubringen; vgl. Materialien zur Strafrechtsreform, Bd. I, S. 21; ZStW 69, S. 385 f. Der E 62 läßt die Frage offen: Ob und inwieweit mit der Lebensführungsschuld für den Bereich der Strafzumessung eine Erweiterung des Begriffes der Tat über die bloße Tatbestandsverwirklichung oder aber eine Ausdehnung des Schuldbegriffes über die Tatschuld hinaus vorzunehmen sei, stehe nicht zur Entscheidung des Gesetzgebers, sondern müsse der Erörterung in Rechtsprechung und Literatur überlassen bleiben. Vgl. Begründung zum E 62, S. 180; ferner Bruns, S. 475. 33 34
1. Differenzierung unter funktionalen Gesichtspunkten
131
hen und sie abzulehnen 3B • Den hierin liegenden Einwänden sind letztlich auch die Auffassungen ausgesetzt, die den Rücktritt als Schuldaufhebungsgrund einordnen und dabei eine charakterologische Schuldkonzeption voraussetzen. b) Eigenständigkeit der Strafzumessungsfaktoren
Neben der geschilderten Veränderung der Schuldkonzeption, mittels derer auf der Seite der Rechtsfolgevoraussetzung bereits tatschuldfremde Faktoren in die Strafzumessung einfließen, werden verschiedentlich Unterschiede zwischen dem dogmatischen Schuldbegriff und dem Schuldbegriff der Strafzumessungslehre eingestanden. Damit ist auch der Strafzumessung in einem ersten Schritt eine gewisse Besonderheit zuerkannt. Volle Eigenständigkeit erlangt sie freilich erst mit der Trennung von Schuld und Prävention.
aal Quantitative Differenz der verwertbaren Umstände So räumt Müller-Dietz 39 immerhin die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Schuldbegriffen ein, meint allerdings, die Differenz zwischen ihnen könne ausschließlich in der quantitativen Verwertung von Tatumständen im weitesten Sinne liegen: Bei der Strafzumessung könnten auch Umstände berücksichtigt werden, die dem gesetzlichen Tatbestand nicht zugehören, während die Zurechnung notwendig tatbestandsbezogen sei. Ähnlich spricht Bruns40 von einem bei der Strafzumessung erweiterten Schuldbegriff, wobei er dessen Besonderheit primär darauf zurückführt, daß die Schuld bei der Strafzumessung ein Steigerungsbegriff sei und nach ihrer "Schwere" beurteilt werden müsse41 • Ganz ähnliche Erwägungen enthält auch die Begründung zum E 62 42 , wobei freilich gleichzeitig Argumente für die Indiztheorie und für eine eigenständige Berücksichtigung außerhalb der Tat liegender Umstände 38 So etwa Bruns, S. 478 gegenüber der Lebensführungsschuld. Es ist aber hervorzuheben, daß selbst Bruns, der diese Manipulation am Schuldbegriff ablehnt, die Lebensführungsschuld im Zumessungsbereich als denkbar ansieht: "Auch heute ist noch ungeklärt, ob nicht ... immerhin die Lebensführungsschuld als selbständiger Faktor zumindest auf der Strafzumessungsebene - neben der Tatschuld anerkannt werden muß." Ferner Mezger / Blei, AT § 106 11; BGH MDR 66, S. 382; Baumann, Studienbuch, S. 97 hält interessanterweise Lebensführungsschuld bei der Feststellung des Tatschuldgrades für heranziehbar. Weitere Hinweise bei Jescheck, § 38 IV 2. 39 Grenzen des Schuldgedankens, S. 43, 45, 81. 40 Strafzumessungsrecht, S. 381, 478; ferner Baumann, Studienbuch, S. 97. 41 Zu dem begriffslogischen Unterschied zwischen einem klassifizierenden und einem komparativen Schuldbegriff vgl. unten S. 166 ff. 42 §§ 62, 63, S. 180. Lang-Hinrichsen, Tatbegriff, S. 360 Fn. 22.
9·
132
Zweiter Teil: 1. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
angeführt werden: "Es hängt das (d. i. die Notwendigkeit der Einbeziehung weiterer Umstände bei der Strafzumessung) damit zusammen, daß das Gesetz die zeitlicl1en Grenzen der Tatbestandsverwirklicl1ung nach dem Gesichtspunkt bemißt l welche Merkmale die Strafbarkeit begründen, nicht aber danach, welche Merkmale für das Maß der Strafe Bedeutung haben sollen (Argument für selbständige Berücksichtigung dieser Umstände!). Es hängt dies weiter damit zusammen, daß die Tat durch ihr vorausgehende oder nachfolgende Umstände in ihrer Bedeutung beschränkt oder verändert werden kann" (Argument für die Indiztheorie!). Freilich sind diese Andeutungen noch vage und lassen auch den Kreis der zu berücksichtigenden Umstände nicht erkennen. Im Unterschied zu der oben erörterten Veränderung der Schuldkonzeption wird jedoch kein für Zurechnung und Zumessung einheitlicher Schuldbegriff vertreten, sondern dem Schuldbegriff in den verschiedenen Funktionsbereichen unterschiedlicher Inhalt zuerkannt. D. h., im Rechtsfolgebereich gilt ein - wenn auch vorerst nur in quantitativer Hinsicht anderer Schuldbegriff. Und die Merkmale, welche die Strafe begründen, sind andere als die für das Strafmaß bedeutungsvollen. Damit ist aber auch der erste Schritt dazu getan, das sachliche und begriffliche Instrumentarium auf die unterschiedlichen Aufgaben von Tatbestand und Rechtsfolge auszurichten. bb) Differenz bei der Schuldquantifizierung Noch deutlicher wird die Eigenständigkeit der Zumessung bei Androulakis, der unter Bezugnahme auf die Schuldlehre des griechischen Strafrechtswissenschaftlers Chorafas von einer Durchbrechung der Einheitlichkeit des Schuldurteils spricht 43 • Auch hier wird die Notwendigkeit der Trennung in den Schwierigkeiten gefunden, denen sich das Tatschuldprinzip bei der Bemessung der Strafe gegenübersieht. Zwar mögen Schuld und Unrecht Steigerungsbegriffe sein. Trotzdem kann - wie Androulakis im einzelnen darlegt - bei Beschränkung auf Unrecht und Tatschuld die Schuldquantifizierung nicht in vollem Umfang erklärt werden. Infolgedessen rekurriert man auf die Gesinnung, charakterologische Erwägungen bzw. die Persönlichkeitsadäquanz der Tat, freilich nicht ohne die ständig wiederkehrende Versicherung, daß diese Elemente nur zu verwerten seien, soweit sie in der Tat wirksam waren. Zu Recht betont jedoch Androulakis, daß eine Bewertung des 43 ZStW 82, 492/514; Androulakis sieht in der Schuldlehre von Nicolaos Chorafas "... die überwindung der strengen Tatschuld und zugleich, da Chorafas auf die Ausschließlichkeit der Tatschuld als Strafbegründungsfaktor nicht verzichten will, die Durchbrechung der Einheitlichkeit des Schuldurteils".
1.
Differenzierung unter funktionalen Gesichtspunkten
133
Charakters nur insoweit, als er in der Tat wirksam geworden sei, d. h. seine Punktualisierung und Reduzierung auf eine Tat, schlechthin undenkbar zu sein scheint 44 • Vielmehr müsse der Charakter als Ganzes herangezogen werden, wobei allerdings die Seiten, die mit der Tat nicht im Zusammenhang stehen (etwa Hang zum Inzest, der nicht in die Bewertung eines Diebstahls hereingenommen werden darf), außer acht zu bleiben hätten. Hinzu kommt, daß eine Fixierung und Beschränkung der Täterbewertung auf die Tat gerade in den Fällen, in denen sich der Täter als gefährlich erweist und es sich um eine persönlichkeitsadäquate Tat handelt, zu einer Minderung der Tatschuld führen müßte, weil damit in der Regel auch eine Einengung des konkreten Handlungsspielraumes angezeigt ist 45 • Daß dies aber einer spezialpräventiven Strafe zuwiderlaufen kann, ist so offensichtlich, daß es kaum näher belegt zu werden braucht. Androulakis folgert daraus, daß nur die wirkliche, in die Zukunft blickende Gefährlichkeit des Täters hier von Belang sei, diese aber in der Tatschuld keinen Ausdruck finden könne. Die Erhöhung der Schuld, um die es hier gehe, sei keine Erhöhung der Tatschuld. Allerdings bezeichnet Androulakis dieses Zwischenergebnis als nicht akzeptabel, weil die so geartete Strafzumessungsschuld im Bereich der Strafbegründung keine Entsprechung habe. Strafzumessung sei nichts anderes als Strafbegründung im Hinblick auf die in concreto angemessene Strafe. Wenn Strafe überhaupt nur durch die herkömmliche Tatschuld legitimiert werden könne, wie könne dann eine Erschwerung der Strafe, die ja nichts anderes als Strafbegründung sei, durch etwas anderes legitimiert sein. Im folgenden versucht er dann nachzuweisen, daß die Erweiterung des Tatschuldurteils durch "psychostatische" Elemente nur scheinbar eine solche sei und demgemäß die Einheitlichkeit der Strafbarkeits- und Strafzumessungsschuld doch nicht in Gefahr sei: Die "personale Identität" des Täters seit der Tatbegehung könne als Schuldelement gerade die Schuldquantifizierung in Anbetracht der Gefährlichkeit der Täterpersönlichkeit tragen: "Die positive Feststellung der Täterpersönlichkeit ist nur eine Qualifizierung der negativen Feststellung dessen, daß der Täter sich seit der Tatzeit nicht geändert hat46 ." Die dafür angegebene und im einzelnen wenig überzeugende Beweisführung wäre freilich nicht notwendig gewesen. Denn die Behauptung, daß Erschwerung der Strafe Strafbegründung sei, ist in den verschieEbd., S. 511. Androulakis, ZStW 82, 512; Stratenwerth, Tatschuld, S. 1 ff., auch zum Widerspruch einer Valenz einer Strafzumessungstatsache hinsichtlich Schuld und Prävention, S. 22. u ZStW 82, 522. 44
45
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Zweiter Teil: I. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
denen Funktionszusammenhängen, die hier zur Debatte stehen, keineswegs zwingend und wird auch dadurch nicht überzeugender, daß sie als Binsenwahrheit deklariert wird. In Wirklichkeit wird damit das m. E. Entscheidende übersehen, nämlich daß es bei Zumessung und Zurechnung um funktionell verschiedene Bereiche geht, die auch ein unterschiedliches Instrumentarium erfordern und daß die Tatsache, daß das Tatschuldurteil die Quantifizierung nicht voll begründen kann, ein handfestes Indiz für die Unterschiedlichkeit von Zurechnung und Zumessung bietet 47 • cc) Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit
In anderem Zusammenhang kommt eine weitere - wenn auch anders strukturierte - Trennungstendenz zum Ausdruck. Stratenwerth legt seiner Untersuchung der Eigenberechtigung von objektiven Strafbarkeitsbedingungen die Unterscheidung von Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit zugrunde48 • Schuld allein vermöge den strafweisen Eingriff nicht zu legitimieren. Zu der Strafwürdigkeit müsse die staatliche Notwendigkeit der Strafe, das Strafbedürfnis hinzutreten. Ein Strafbedürfnis bestehe, wenn es notwendig sei, zum Schutze der Rechtsordnung strafend einzugreifen. Diese Notwendigkeit verschärfe sich in dem Grade, in dem sich das verbots- und gebotswidrige Verhalten als Störung der rechtlichen Ordnung auswirke. Freilich hänge von den Umständen, die das Strafbedürfnis begründen, in aller Regel schon die Existenz der Strafvorschrift und nicht erst der Anwendungsbereich ab. Aber so braurne es nicht zu liegen; bei an sich gleichermaßen vorwerfbaren Verhaltensweisen könne das Strafbedürfnis wechseln 49 • Diese neben Schuld und Unrecht stehende Frage nach der Strafbedürftigkeit, die sich (u. a.) daran orientiert, ob das verbotswidrige Verhalten sich als Störung der rechtlichen Ordnung auswirkt, enthält den 47 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Differenzierung von Hirschberg, Schuldbegriff, S. 72 ff. zwischen a) Schuld als Haftungsgrund = innere
Rechtswidrigkeit, b) Schuld als horizontale Haftungsbegrenzung = Erfolgsbestrafung nur soweit Schuld, c) Schuld als vertikale Haftungsbegrenzung = Bestrafung nach dem Grade der Schuld. Im Ergebnis will Hirschberg den Schuldbegriff nur noch als Zumessungsschuld im Sinne von c) anerkennen und im übrigen die Begriffe "innere Rechtswidrigkeit" (für a)) und "Erfolgszurechnung" (für b» verwenden. 48 ZStw 71, 565 ff. Zustimmend Rudolphi, ZStW 83, 108; Wagner, GA 1972, 35. An dem inhaltlich wenig übereinstimmenden Gebrauch der Begriffe Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit in der Strafrechtslehre darf man sich in diesem Zusammenhang nicht stoßen. "Strafwürdigkeit" wird etwa unterschiedlich gebraucht bei Schmidhäuser, Mezger, Sax und Sauer. Vgl. dazu Es er, Die Abgrenzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, S. 129 ff. 48 ZStw 71,568.
1. Differenzierung unter funktionalen Gesichtspunkten
135
Zweckgedanken. Sie erinnert dabei an die Argumentation mit der Rechtsfriedensstörung bzw. der Geltungsgewißheit des Rechts im Versuchs- und Rücktrittsbereich und stützt sich wie diese auf generalpräventive Erwägungen. Ohne in diesem Zusammenhang näher darauf eingehen zu wollen, bleibt zu bedauern, daß Stratenwerth nach dem "Strafbedürfnis" nur in Bezug auf die objektiven Strafbarkeitsbedingungen gefragt hatSo. Es liegt doch zumindest nahe, dies auch hinsichtlich der Strafaufhebungsgründe zu tun, die ja mit den objektiven Strafbarkeitsbedingungen in der Behandlung durch die herrschende Lehre zumindest gemeinsam haben, daß sie sich nicht in den aus Unrecht und Schuld bestehenden Verbrechensbegriff einfügen. Und wenn es beim Strafbedürfnis um die Frage geht, ob die Strafe für den Bestand der Rechtsordnung erforderlich ist, so tangiert dies doch nicht nur die objektiven Strafbarkeitsbedignungen, sondern auch weite Bereiche der Strafzumessung. Gerade in der Frage nach der N otwendigkeit der anzuwendenden Maßnahme kommt typisches "Rechtsfolgebestimmungsdenken" zum Ausdrucks1 . dd) Lösung der Täterkomponente aus der Tatschuld In jüngster Zeit hat Stratenwerth aber auch in noch anderer prononcierter Weise eine Trennung von Tatschuld und präventiver Strafzumessung gefordert 52 : Die bisherige Strafzumessungslehre und -praxis zeigten mit völliger Klarheit, daß der Durchbruch zu einer realistischen, nüchtern-rationalen Beurteilung der Erfordernisse und Möglichkeiten präventiver Einwirkung solange nicht vollzogen würde, wie die angemessene Würdigung der Täterpersönlichkeit unter Schuldgesichtspunkten als die primäre Aufgabe erscheine (S. 31). Eine Würdigung der Täterpersönlichkeit unter dem Blickwinkel der Schuld sei ernstlich gar nicht durchführbar5 3 (S. 15). Dies wird an einem außerhalb der Tat liegenden Strafzumessungsfaktor dargetan: dem Vorleben bzw. den Vorstrafen des Täters. Die h. L. berücksichtigt "einschlägige" Vorstrafen erschwerend. Sie sollen eine "Steigerung der kriminellen Intensität", eine "erhöhte Rechtsfeindschaft" und eine "Schuldsteigerung" ersichtlich machen. Auch die eigentliche Rückfallverschärfung nach § 17/48 n. F. erscheint Ohne allerdings seine überlegungen darauf zu beschränken, zStW 71, ff. 51 Peters, Gutachten, S. 19 f. 52 Tatschuld und Strafzumessung, 1972; auch Zipf, Strafmaßrevision, S. 94 f., 127 f. 53 Ebenso wohl schon Peters, Gutachten, S. 30 f.; ferner Schaffstein, Schädliche Neigungen, S. 463 der die Unmöglichkeit einer Harmonisierung von Schuld strafe und Erziehungsstrafe (mit Re-Sozialisationsziel) betont. 50
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Zweiter Teil: I. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
von hier aus als "echte Schuldstrafe" (so Maurach), zumal sie nur denjenigen treffen soll, der sich die früheren Verurteilungen nicht hat zur Warnung dienen lassen. Mit Recht hält Stratenwerth solche Regeln in jeder Hinsicht für realitätsfern und doktrinär, weil von "Fruchtlosigkeit der Warnung" nur dort die Rede sein könne, wo der Rückfall ein besonderes Maß an verbrecherischer Energie offenbare, während der typische Rückfalltäter überwiegend durch Willensschwäche oder doch durch Persönlichkeits defekte gekennzeichnet sei, die ihn für die Warnfunktion einer Verurteilung wenig empfänglich erscheinen lasse. Das lasse sich nicht zuletzt aus der Rückfallstatistik ablesen. Daher sei es im Ansatz verfehlt, vom Rückfall auf größere kriminelle Intensität zu schließen (S. 16). Als genauso suspekt wird die Gleichsetzung von erhöhter krimineller Energie und erhöhter Schuld angesehen (S. 17). Die praktischen Folgen der "Antinomie der Strafzwecke", insbesondere der häufig diametrale Widerspruch zwischen der Valenz einer Strafzumessungstatsache hinsichtlich Schuld und Prävention, werde nicht sichtbar, wenn man mit der Faustregel operiere, ... "daß dem Maß der kriminellen Energie des Täters im Zweifel ebenso die Größe seiner Schuld wie der Grad seiner Gefährlichkeit entspreche" (S. 22)64.
Stratenwerth fordert daher, die Täterkomponente und die an sie anknüpfenden präventiven Argumente aus der Verflechtung mit der Tatschuld herauszulösen 55 • Allein die Situation, in der die Tat begangen sei, bestimme die Tatschuld. Außer Betracht zu bleiben hätten unter Schuldgesichtspunkten Vorleben und Vorstrafen, Gefährlichkeit und verbrecherische Energie, Charakter und Gesinnung des Täters, sein Verhalten nach der Tat, insbesondere im Strafverfahren selbst, also Reue und Wiedergutmachung und so fort (S. 29). Dies sind Faktoren, denen auch bei einer flexiblen Rücktrittsregelung in Grenzfällen erhebliche Bedeutung zukommen würde. ee) Qualitative Selbständigkeit der Strafwürdigkeitsrelevanzen Für eine Trennung von Zumessungs- und Zurechnungsfrage spricht sich auch Hassemer aus 58 • Der Unrechts- und Schuldsachverhalt sei nicht nur zu eng, sondern - wegen der andersartigen Fragerichtung seiner Konstitutionsgesichtspunkte - ungeeignet, als tatsächliches SubVgl. auch Peters, Gutachten, S. 35. Ähnliche Überlegungen auch bei Zipf, Strafmaßrevision, S. 95, 119, 218, 240: Die Tatschuldbewertung sei ohne persönlichen Eindruck vom Täter durchführbar. 66 Die rechtstheoretische Bedeutung des gesetzlichen Strafrahmens, S. 281 ff. 54
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1. Differenzierung unter funktionalen Gesichtspunkten
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strat des Strafzumessungsverfahrens zu dienen: Die Strafzumessung befrage den Lebensvorgang nicht nach Unrechts- oder Schuldrelevanzen (wie im Verfahren der tatbestandlichen Verhaltensqualifizierung), sondern nach speziellen Strafwürdigkeitsrelevanzen. Ohne den dafür existierenden Strafrahmen wäre die Sachverhaltsentscheidung nichts anderes als unausgewiesene Reduktion der Vielfalt des Lebens auf ein Begriffsschema. Daher sei zwischen dem Unrechts- und Schuldsachverhalt einerseits und dem Strafzumessungssachverhalt andererseits zu trennen. Im Strafzumessungssachverhalt sei nicht nur die im Unrechts- und Schuldsachverhalt geleistete Vorarbeit wieder aufzugreifen, sondern es seien ganz andere, ganz neue Züge des Lebens von Bedeutung. ff) Lösung der Schuld vom Verbrechensbegriff Schließlich soll in diesem Zusammenhang noch auf den sogenannten "dualistischen Straftatbegriff" hingewiesen werden 57 • Die Schuld ist danach nicht mehr Bestandteil des Verbrechensbegriffes, sondern Anknüpfungspunkt für die Strafzumessung, nicht mehr Teil der Verbotsseite der Norm, sondern Element der Strafseite. Damit eröffnen sich neue Perspektiven im Verhältnis von Rechtsfolgevoraussetzung und Rechtsfolge, von denen allerdings bis heute wenig Notiz genommen wurde.
Kantorowicz ging davon aus, daß Schuld kein Begriffsmerkmal der Handlung, sondern eine Qualität des Handelnden sei (S. 76). Schuld bedinge nicht die Strafbarkeit der Handlung, sondern die des Handelnden. Ihrem Begriff nach sei die strafbare Handlung nicht eine schuldhafte, sondern nur eine tatbestandsmäßige, nicht gerechtfertigte Handlung (S. 61). Im Straftatsystem führt dies zu einer Trennung von Verbrechen (Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit bzw. "personalem" Unrecht) einerseits und Täter (Zurechenbarkeit, Zurechnungsfähigkeit etc.) andererseits58• Nun mag es zunächst so scheinen, als bringe der "dualistische Verbrechensbegriff" für unser Problem wenig. Kantorowicz läßt nämlich die Frage der Verwertbarkeit außerhalb der Tat im engeren Sinne liegender Umstände außer Betracht. Er glaubt etwa die Strafaufhebungsgründe und damit auch den Rücktritt aus seiner Untersuchung ausklammern zu können: mit dieser Kategorie habe sich seine Untersuchung nicht zu befassen, weil sie eine Straftat nach allen zu suchenden Merkmalen bereits voraussetze (S. 214). Ferner betont er, daß man der Schuld, auch wenn man sie als persönliche Qualität des Handelnden ansehe, nicht das Moment der Dauer beilegen dürfe. Sonst sei sie keine Einzeltatschuld mehr, sondern Charakterschuld (S. 251). Zu diesem Gegensatz brauche der "dualistische Verbrechensbegriff" keine Stellung zu nehmen. Diese "Ausklammerung" dürfte jedoch u. a. damit zu er57 Begründet von Kantorowicz, Tat und Schuld, 1933; zustimmend Lampe, Personale Unrechtslehre, S. 265 f.; Radbruch, Zur Systematik der Verbrechenslehre, S. 170 f. 58 So Radbruch, S. 170 f.; auch Maihofer, Handlungsbegriff, S. 74 unterscheidet im System der Strafzumessung zwei dualistisch auf Tat und Täter bezogene Elemente der Strafbarkeit und Strafwürdigkeit.
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Zweiter Teil: 1. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
klären sein, daß die Untersuchung von Kantorowicz hauptsächlich mit einer Stroßrichtung gegen die bis zum 19. 5. 1943 geltende "extreme" Akzessorietät versehen war. Ungeachtet dessen bleibt in diesem Zusammenhang bemerkenswert, daß
Kantorowicz in jedem Strafgesetz die das Verbot aussprechende Norm und
die auf ihre Übertretung ausgesetzte Strafdrohung unterscheiden will (S. 220), und daß die Schuld dabei auf der Strafseite, nicht auf der Verbotsseite steht. Zustimmend spricht auch Lampe 59 von einer selbständigen Bedeutung der Strafzumessung gegenüber der Strafbemessung. Es sei verfehlt, Strafe an die Schuld des Täters anzuknüpfen und sie als Schuldvergeltung zu bezeichnen. Wer Strafe unmittelbar auf die Schuld des Täters gründe, übersehe den Unterschied zwischen Strafbemessung und Strafzumessung. Das Maß der Strafe ergebe sich aus dem personalen Unrecht der Tat, die Schuld sei allein für die davon verschiedene Frage der Auferlegung der einmal bemessenen Strafe bedeutsam 6o.
Ohne in diesem Rahmen näher auf den "dualistischen Verbrechensbegriff" eingehen zu können, erscheint es denkbar, daß auf diese Weise nicht nur die in gewissem Grade festgefahrene Diskussion um das Schuldprinzip neue Impulse bekommen könnte, sondern hier auch ein Ansatz zur Neuorientierung im Verhältnis Rechtsvoraussetzung - Rechtsfolgebestimmung liegt. Die daraus zu ziehenden Konsequenzen, die wohl mit einer Aufspaltung des Schuldbegriffes in Zumutbarkeit, Zurechnungsfähigkeit und Bewußtsein der Rechtswidrigkeit einherzugehen hätten, können im einzelnen nicht weiterverfolgt werden 61 . Zu erwägen wäre jedenfalls eine Zuordnung der an der Tat haftenden objektiven Schuldelemente, die eine Vertypung bestimmter Fälle von Anomalität von Umwelt bzw. Anlage enthalten, zur Rechtsvoraussetzung. Alle individuellen und tatfernen "Schuldfaktoren" wie äußere "begleitende Umstände" und "objektive persönliche Verhältnisse"62 wären demgegenüber der Strafzumessung zuzuschlagen 63 . c) Leistungsfähigkeit der Konstruktionen Der kurze Überblick dürfte gezeigt haben, daß es kaum möglich ist, alle für die konkrete Rechtsfolge maßgeblichen Faktoren als Unrechtsoder Schuldelemente auszugeben. Weder der erweiterte Tatbegriff Personale Unrechtslehre, S. 264 f. Ebd., S. 264; ähnlich bereits Hirschberg, Schuldbegriff, S. 72 ff., der Schuld nur noch als Zumessungsschuld im Sinne einer vertikalen Haftungsbegrenzung (Bestrafung nach dem Grade der Schuld) verstehen will. Im Ergebnis auch Roxin, Kriminalpolitik, S. 33, wonach sich Schuld von der Strafzwecklehre her bestimmen soll; ders., Rücktritt, S. 273 f.: Präventive Gründe gebieten in solchen Fällen keine Strafe, und das genüge für den Schuldausschluß. 61 Etwa Maurach, AT, § 30 Ir C 2. 62 Dazu Maihofer, Objektive Schuldelemente, S. 193. 63 Dies entspräche durchaus auch der Forderung von Zipf und Stratenwerth, die Tatschuld von der Täterkomponente weitgehend zu befreien und nach dem "in generalisierten Kategorien faßbaren Freiheitsspielraum des Täters" zu beurteilen. Stratenwerth, Tatschuld, S. 31; Zipf, Strafmaßrevision, S. 95, 119, 218, 240. 59
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1. Differenzierung unter funktionalen Gesichtspunkten
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noch die Indizkonstruktion, die beide auf Rettung des Tatschuldprinzips und damit gleichzeitig auf die Begrenzung der verwertbaren Umstände angelegt sind, gewährleisten eine strafzweckorientierte Entscheidung. Die nahezu unbestritten notwendige Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit findet in der Tatschuld einen zu engen Rahmen 64 • Zwar lassen sich auch aus der Einzeltat Schlüsse auf die Täterpersönlichkeit und Gefährlichkeit ziehen. Das darf aber nicht dazu verleiten, die Einzeltat und mehr oder weniger mit ihr verknüpfte oder auf sie projizierbare Umstände als einzige Urteilsbasis zu benutzen. Hierauf zielten auch die Ausführungen von Androulakis, daß ihm eine Bewertung des Charakters nur insoweit, als er in der Tat wirksam sei, d. h. eine Punktualisierung und Reduzierung desselben schlechthin undenkbar scheine65 • Nicht von ungefähr wurde daher der Tatschuldbegriff durch andere Schuldkonzeptionen modifiziert, mit der Folge allerdings, daß er als situationsbedingter Begrenzungsfaktor unbrauchbar zu werden drohte. Die Versuche, auf diese Art zu einer umfassenderen Würdigung der Täterpersönlichkeit und zu einer zweckorientierten Strafe zu kommen, sind daher mit Recht gescheitert. Was den erweiterten Tatbegriff betrifft, so hat man ihm entgegengehalten, daß es offensichtlich abwegig sei, die Berücksichtigung einer einschlägigen Vorstrafe, die eventuell mehrere Jahre zurückliegt, auf diese Weise erfassen zu wollen66 • Lang-Hinrichsen meint allerdings, dieser Einwand sei deshalb gegenstandslos, weil der erweiterte Tatbegriff nur das Verhalten betreffende Merkmale enthalte, nicht aber täterschaftliche Faktoren (wozu er die Vorstrafen zu rechnen scheint), die Anknüpfungspunkte für spezialpräventive Zwecke seien67 • Aber liegt nicht genau darin der entscheidende Mangel des erweiterten Tatbegriffs? Er ist speziell im Hinblick auf die Strafzumessung konstruiert, enthält aber keine täterschaftlichen Faktoren (wie etwa Gesinnung, Gefährlichkeit etc.) und kann sie auch nicht enthalten. Damit könnenwenn überhaupt - die anstehenden Strafzumessungsprobleme allenfalls partiell erfaßt und gelöst werden. Alle Fragen, vor denen auch die Indiztheorie steht, bleiben, soweit es um täterschaftliche Faktoren geht, offen. Und es wäre interessant zu wissen, welche Momente Lang-Hinrichsen bei der Bewertung der TäterpersönIichkeit zuläßt, ob er nicht gar auf die Indiztheorie zurückgreifen muß. Der erweiterte Tatbegriff 64 Eb. Schmidt, ZStW 69, 385; Zipf, Strafmaßrevision, S. 109 und passim; Androulakis, ZStW 82, 492/511. 65 ZStW 82, 511; auch Reinh. v. Hippel, Untersuchungen, S. 60. Eine Zurichtung des Täters zum statischen Beurteilungsobjekt sei dem Strafrecht verwehrt. 66 So namentlich Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 494. 67 Tatbegriff, S. 361 f.
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Zweiter Teil: I. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
könnte daher allenfalls einem rein an der Tatschuld orientierten Vergeltungsstrafrecht von entscheidendem Nutzen sein. Ein solches Strafrecht wird aber auch von Lang-Hinrichsen nicht befürwortet. Schon aus diesem Grunde stellt sich die Frage, ob es nicht besser wäre, den erweiterten Tatbegriff durch einen Strafzumessungstatbestand (Rechtsfolgebestimmung) zu ersetzen, der auch die täterschaftlichen Faktoren enthält. Es kommen aber weitere Bedenken hinzu. Wenn Lang-Hinrichsen der Indizkonstruktion entgegenhält, sie sei einerseits zu weit, andererseits zu eng, so muß er sich die Frage gefallen lassen, wo denn der erweiterte Tatbegriff solche Grenzen zieht, ja, ob er überhaupt solche ziehen kann. Jedenfalls dürften die Grenzen des Verwertbaren sowohl durch die formale Bezugnahme auf den Tatbestand (Spendel / Beling), wie auch durch die Indiztheorie (auch wenn die Gefahr psychologischer Fiktionen besteht) besser gewahrt sein, als durch den Hinweis, daß es auf das Vorliegen einer "Werteinheit" ankomme. Wenn man dartun muß, daß ein bestimmtes Verhalten nach der Tat indizielle Rückschlüsse auf den Unrechts- oder Tatschuldgehalt zuläßt, so steckt darin immer noch ein schärferer Begründungszwang und damit auch gleichzeitig eher ein Beitrag zu rationaler Strafzumessung, als wenn man argumentieren kann, daß zwischen einem Nachtatverhalten und der Tat eine Werteinheit vorliege. Ein weiterer Einwand leitet bereits zur Indizkonstruktion über, weil er sich gleichermaßen gegen sie richtet. Es ist dies die Frage, ob man das Verhalten des Täters vor und nach der Tat nicht nur soweit soll heranziehen dürfen, als sich aus diesem Verhalten Rückschlüsse auf die Tätergefährlichkeit bzw. auf präventive Möglichkeiten ziehen lassen, daß demgegenüber die Argumentation verwehrt wird, Nachoder Vor-Tatverhalten erhöhten Schuld bzw. Unrecht 68 • Dafür gibt es einige Gründe: Wie Bruns gelegentlich seiner Ausführung zur "doppelspurigen Indizkonstruktion" bemerkt, wurde " ... im Anfang die Indizfunktion nur zur Gefährlichkeit in Beziehung gesetzt, also spezialpräventiv ausgerichtet ... ". So ergibt etwa eine Durchsicht der Rechtsprechung des RG, daß es in fast allen Fällen um die Persönlichkeit oder die Gesinnung geht, und zwar im Hinblick auf eine spezialpräventive Berücksichtigung der Tätergefährlichkeit. Das RG spricht davon, die Strafe werde der Persönlichkeit des Täters angepaßt, wie sie durch sein Verhalten vor Gericht erkennbar hervorgetreten sei. Und in RG JW 1930, 713 (Unterlassen von Angaben über den Verbleib der Beute) bzw. RGSt 67, 279 88 Vgl. auch Stratenwerth, Tatschuld, S. 32, der soweit ersichtlich diese Frage als einziger anspricht. Er meint, auf diese Weise verliere das Vor- und Nachtatverhalten auch das viel zu große Gewicht, das die Praxis ihm irrationalerweise beilege.
1. Differenzierung unter funktionalen Gesichtspunkten
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finden sich Rückschlüsse auf die Stärke der bei dem Angeklagten bestehenden verbrecherischen oder niedrigen Gesinnung 69 • Allerdings dürfte die hervorgehobene Berücksichtigung der Gesinnung insbesondere in den beiden letztgenannten Entscheidungen damit in Zusammenhang stehen, daß auch in den StGB-Entwürfen zwischen 1909 und 1930 die Gesinnung und die Täterpersönlichkeit eine weit größere Rolle gespielt haben als in der gegenwärtigen Praxis7o • Jedenfalls wurde die Indizkonstruktion erst später auf Schuld und Gefährlichkeit (Doppelspurigkeit) ausgedehnt 71 , ohne daß dem ein bestimmtes Konzept zugrunde gelegen hätte, es sei denn die Befürchtung, das Schuld-SühnePrinzip werde durch die Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit tangiert. So mag es zu erklären sein, daß heute der Hinweis auf durch tatfremde Faktoren indizierte und erhöhte Tatschuld häufig den Eindruck einer bloßen - oft moralisierenden - Floskel macht. Die Heranziehung tatfremder Faktoren als Indizien für die Größe der Tatschuld wurde dadurch begünstigt, daß der Schuld begriff der Spekulation weiten Raum läßt und damit auch zu einem Sammelplatz durchaus heterogener Probleme wird 72 • Es gibt nahezu keinen Strafzumessungsfaktor, der nicht schon auf ein Schuld problem reduziert worden wäre. So kann Bruns von der Erfahrung sprechen, daß die persönlichen Umstände, auf denen die erhöhte Strafempfänglichkeit beruhe, gleichzeitig eine höhere Schuld erkennen ließen 73 • Und gar nicht so selten wird sich hinter der Berufung auf höhere Schuld eine verkappte Berücksichtigung der Tätergefährlichkeit finden, die ihr Extrem in der unverhohlenen Forderung hat, die "Gefährlichkeit als Schuldmoment" zu begreifen 74 • Insofern dürfte Roxin praktisch gar nicht so sehr "von allen sonst vertretenen" Auffassungen abweichen, wenn er meint, die Schuld werde kriminalpolitisch von der Strafzwecklehre her geprägt75 • Er faßt nur bereits Praktiziertes in ein Programm. Diese ständige Verknüpfung und Verschränkung von Tatschuld, Täterpersönlichkeit und präventiven Faktoren kann nur verständlich sein durch das dahinterstehen69 Die Rechtsprechung des BGH und der OLGe verwenden die Indizkonstruktion demgegenüber wahllos bezüglich Schuld und Prävention. Nachweise etwa bei Baumann, NJW 1962, 1795 f. 70 Vgl. Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 104 ff., 131. 71 BGHSt 1, 103 spricht von einem Schluß auf das Maß der persönlichen Schuld und den Grad der Gefährlichkeit; BGHSt 1, 342: hartnäckiges Leugnen könne nur dann strafschärfend wirken, wenn daraus ungünstige Schlüsse auf die Persönlichkeit des Angeklagten, insbesondere auf sein inneres Verhalten zur Tat zu ziehen sind. Weitere Hinweise bei Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 503; Baumann, NJW 1962, 1795 ff. 72 Auch Peters, Gutachten, S. 30 f. 73 Strafzumessungsrecht, S. 442. 74 Grünhut, in: Festgabe für Aschaffenburg, MonKrim Psych 1926, Beiheft 1, S. 87 ff. Das volle Gewicht dieser Forderung wird sichtbar, wenn man sie in Zusammenhang mit den StGB Entwürfen von 1925/27 sieht. Weitere Nachweise über die Gefährlichkeit als Schuldmoment bei Müller-Dietz, Grenzen, S. 22. 75 Kriminalpolitik, S. 33.
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Zweiter Teil: 1. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
de Anliegen, die Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit zu beschränken. Denn von einer schrankenlosen - und das heißt hier wohl: über die Tatschuld hinausgehenden Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit befürchtet man eine "seelische Entkleidung" und "Durchleuchtung" des Täters, "Sittenriecherei" und "Gesamtabrechnung". Daß diese Befürchtung begründet ist, wurde freilich nie bewiesen. Eher für das Gegenteil spricht, daß in der spezialpräventiven Ära der Weimarer Republik die hervorgehobene Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit und Gefährlichkeit zu allgemein milderen Strafurteilen geführt haF6. Selbst wenn man aber die Befürchtung prinzipiell für begründet halten mag, so wäre es doch sachgerechter und methodenehrlicher, die Erforschung der Täterpersönlichkeit nicht zu verketzern, sondern im Bereich der Strafzumessung als eigenständig anzuerkennen und dann nach einer sachgerechten Begrenzung des Untersuchungsund Berücksichtigungsumfanges zu forschen 77 • Denn die Verknüpfung von Tatschuld und Täterpersönlichkeit wirkt sich im Ergebnis negativ aus. Einerseits wird die Tatschuld in ihrer Funktion als auf die Tat bezogener Begrenzungsfaktor ausgehöhlt. Zum anderen muß die Würdigung von Täterpersönlichkeit bzw. tatfremden Faktoren unter Schuld- wie unter Präventionsgesichtspunkten die Unsicherheit auf dem Gebiet der Strafzumessung fast zwangsweise steigern 78 .
In diesem Zusammenhang wäre auch noch die Frage zu stellen, wie denn in concreto durch irgendwelches Vor- oder Nachtatverhalten höheres "Tatunrecht" oder höhere Tatschuld entstehen oder indiziert werden solle. Gerade dieser Punkt wird mit einer gewissen Leichtigkeit übergangen, und so scheint auch die Indiztheorie die allgemeine Floskelverwendung zu fördern 79 • Das kann nicht nur einer fehlenden Begründung gleichkommen und zu fehlender Kontrollmöglichkeit führen, sondern irrationalen oder "vulgär-moralisierenden" Erwägungen Tür und Tor öffnen80 • Demgegenüber ist es empirisch - wenn auch i. d. R. nur mittels statistischer Wahrscheinlichkeiten - überprüfbar, ob bestimmte Umstände, die vor oder nach der Tat liegen, eine erhöhte Tätergefährlichkeit indizieren, wie überhaupt die präventiven Erwägungen eine Einbruchstelle für das gesamte Erfahrungswissen über Verbrechensursachen und Wirkungszusammenhänge der Strafe bieten81 • 76 Gegen diese "Knochenerweichung" hat ja dann das Dritte Reich zunächst mit der Hervorhebung des Schuld-Sühne-Prinzips und sodann der Generalprävention mit "viel Erfolg" gekämpft. Insofern dürfte auch diese Strömung der Weimarer Zeit dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen sein. 77 Daß dabei auch Kosten- und Praktikabilitätserwägungen eine Rolle spielen, sollte nicht verschleiert werden. 78 Dazu Stratenwerth, Tatschuld, S. 22 ff. 7~ Kritische Anklänge auch bei Baumann, NJW 1962, 1798, der hervorhebt, die Herausstellung der selbständigen Unrechtsrelevanz des Nachtatverhaltens zwinge immerhin dazu, das konkrete Unrecht festzustellen und zu belegen. 80 Letzteres betont Stratenwerth, S. 36: "Es gibt ... gar keine rechtlichen, sondern eben nur moralische Normen für die Bewertung nahezu aller Strafzumessungsfaktoren unter Schuldgesichtspunkten. " 81 .stratenwerth, Tatschuld, S. 32.
1. Differenzierung unter funktionalen Gesichtspunkten
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Und trotz aller Unzulänglichkeiten ist die Individual- und Sozialpsychologie in der Lage, aus bestimmten Verhaltensweisen Rückschlüsse auf die Täterpersönlichkeit zu ziehen, die weit wissenschaftlichere Unterlagen für eine präventive Strafanknüpfung bieten als die aus Spekulation und Intuition gemischte Behauptung, gewisse Umstände erhöhten das Unrecht oder die Tatschuld. Freilich wird gerade an dieser Stelle immer wieder für die schuldangemessene Strafe mit dem Argument plädiert, es mangele an hinreichender Kenntnis präventiver Notwendigkeiten82 . Das ändert aber letztlich nichts daran, daß die unterschiedliche Funktion und Gewichtung von Straftatfeststellung und Strafzumessung zur Anerkennung eines gegenüber Tatschuld und Unrecht selbständigen und eigenen Strukturprinzipien folgenden Strafzumessungstatbestandes drängt83 . Während bei der (Unrecht und Tatschuld umfassenden) Straftatfeststellung die Entscheidung weitgehend determiniert sein muß84, besteht bei der Strafzumessung ein Bedürfnis nach einem Entscheidungsspielraum. Innerhalb dieses Spielraums hat der Richter zu wählen, welche Rechtsfolge ihm als Mittel zur Erreichung des Strafzweckes am ehesten geeignet erscheint, wobei Strafzumessungsregeln die Wahl auf unterschiedliche Art und Weise und mehr oder weniger einengen und festlegen können. Die dabei auftretende Unterschiedlichkeit in der Blickrichtung gegenüber dem auf Schuld- und Unrechtsfeststellung gerichteten dogmatischen Denken wurde bereits mehrfach hervorgehoben. So kann etwa die in die Zukunft blickende Frage nach der Gefährlichkeit des Täters nur im Bereich der Strafzumessung von Belang sein; mit dem Tatschuldurteil läßt sie sich nicht oder nur bruchstückhaft erfassen. Wie Androulakis richtig betont, rührt die Irrelevanz der Gefährlichkeit im Rahmen des Tatschuldurteils vor allem von der grundverschiedenen Blickrichtung her 85 . 82 Horstkotte, JZ 1970, 125 mit Hinw. auf Gallas, Jescheck; tenwerth, Tatschuld, S. 34; Göppinger, Kriminologie, S. 235 ff.
kritisch Stra-
83 Gleichbedeutend damit ist die Trennung von Tatschuld und Zumessungsschuld, von der Frage, "ob" überhaupt eine Straftat vorliegt und der Frage, "welche" Strafe im konkreten Fall zu verhängen ist. Dabei kann man noch genauer unterscheiden zwischen der Frage, welche von mehreren (qualitativ unterschiedlichen) Rechtsfolgen eintreten soll (etwa Freiheitsstrafe und/oder Geldstrafe; in der verwaltungsrechtlichen Terminologie: "Auswahlermessen") und der Frage, in welchem Umfang eine (quantitativ abstufbare) Rechtsfolge auszusprechen ist (wie hoch also etwa eine Freiheitsstrafe sein soll: "Ausmaßermessen"). Auf diese Differenzierung kommt es aber in diesem Zusammenhang nicht an. 84 Die Determination wird unterstrichen durch Art. 103 II GG und durch das daraus abgeleitete Analogieverbot. Der Richter darf den gesetzlichen Tatbestand nicht ändern. 85 ZStW 82, 514.
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Zweiter Teil: I. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
Die Vorteile einer zweckorientierten Strafzumessung liegen in ihrer Offenheit und Elastizität gegenüber einer kaum vorhersehbaren und im Interesse der Einfachheit und Übersichtlichkeit auch nicht vorentscheidbaren Vielzahl von Einzelfällen. Dagegen belastet die Starrheit einer genau determinierten und das heißt auch ableitbaren Entscheidung die sachgerechte Problemlösung im Einzelfall86 . Ein Beispiel dafür bietet etwa der dargestellte Versuch, die konkrete Strafe aus der Tatschuld zu deduzieren. Ein weiteres enthält die mit obligatorischer Straffreiheit versehene und als Schuldaufhebungsgrund oder negatives Tatbestandsmerkmal eingeordnete Rücktrittsvorschrift des § 46/24 n. F. Die Rücktrittsproblematik läßt sich - ebenso wie die Gefährlichkeitsargumentation in Grenzbereichen des untauglichen Versuchs eher mit einer selbständigen zweckorientierten Strafzumessungsregel erfassen. Das zeigt sich an der zumessungstypischen, kriminalpolitisch orientierten Begründung der Straflosigkeit. Die erwiesene oder nicht erwiesene kriminelle Energie des Täters oder die Überlegung, daß die Tat das Gefühl der Rechtssicherheit erschüttert habe und die Sanktion dieses wieder herstellen müsse (so die Argumentation der Eindruckstheorie) findet im Schuld- und Unrechtsargument allenfalls teilweise eine Ausdrucksmöglichkeit. Eine Begründung wie die des BGH87, daß im Falle des Rücktritts die Gefährlichkeit des Täters noch nicht ausreichend erwiesen sei, löst sich von Schuld und Unrecht. Und es führt nur zu Verzerrungen und zu Widersprüchlichkeiten, wenn man sie auf Schuld und Unrecht zurückführen will. Es handelt sich hier eben um Grenzbereiche der Strafbarkeit, in denen allein mit einer klassifizierenden und schematisierenden Feststellung von Schuld und Unrecht ein Strafausspruch noch nicht hinreichend legitimiert werden kann. Dem Rücktritt kommt auch kein solcher Wertgehalt zu, der ohne Rücksicht auf sonstige Einzelheiten Straflosigkeit rechtfertigen könnte. Vielmehr bekommt die unter präventiven Vorzeichen gestellte Frage nach dem Strafbedürfnis, nach der Notwendigkeit der Strafe, die in der Regel schon mit der Existenz der Strafvorschrift grundsätzlich bejaht sein mag, in diesen Randbereichen Einfluß auf das "Ob" der Strafe. Im folgenden wird zu zeigen sein, daß die unterschiedlichen funktionalen Gesichtspunkte in der Struktur des Beziehungsverhältnisses von Tatbestand und Rechtsfolge ihre Entsprechung finden.
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Vgl. dazu auch unten I 2 e. BGHSt 9, 52.
2. Struktur des Beziehungsverhältnisses
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2. Die Struktur des Beziehungsverhältnisses von "Tatbestand" und Rechtsfolge a) Tatbestand im Sinne der Rechtstheorie
Einer Erörterung der Beziehung von Tatbestand und Rechtsfolge muß vorausgeschickt werden, was unter Tatbestand zu verstehen ist. Denn in verschiedenen Funktionszusammenhängen wird der Begriff mit durchaus unterschiedlicher Bedeutung gebraucht. So unterscheiden etwa Sauer 88 und Lang-Hinrichsen89 zwei, Mezger 90 drei und Engisch91 sogar fünf unterschiedliche Begriffsbildungen, ganz abgesehen von den mannigfachen Varianten und Wandlungen, welche die Tatbestandslehre im Laufe der Strafrechtsgeschichte erfahren hat 92 • Im vorliegenden Zusammenhang muß als Ausgangspunkt der Tatbestand im Sinne der allgemeinen Rechtstheorie verstanden werden: er ist das "Korrelat zur Rechtsfolge, ... der Inbegriff aller materIellen Voraussetzungen der Strafdrohung ... "93. Tatbestand bedeutet " ... die Gesamtheit aller Voraussetzungen, an deren Vorhandensein eine bestimmte Rechtsfolge (hier also die Bestrafung) geknüpft ist". Oder: "Zum Tatbestand gehört alles, was die Situation betrifft, an die das Sollen gebunden ist, zur Rechtsfolge, alles was den Inhalt dieses Sollens betrifft94 ." Bereits in diesen Formulierungen zeichnet sich ab, daß man die Norm als konditionales Entscheidungsprogramm95 sieht, in dem geregelt ist, welcher Tatbestand welche Rechtsfolge auslöst. b) Struktur des Beziehungsverhältnisses
Sämtliche Untersuchungen zur Struktur des Rechtssatzes bringen in irgendeiner Weise zum Ausdruck, daß die Relation zwischen den Rechtsfolgen und ihren gesetzlichen Voraussetzungen Implikationscharakter trägt: Der Rechtssatz sei seiner Form nach eine hypothetische In: Mezger-Festschrift, S. 117 ff. JR 1952, 303, wobei diese Begriffe nicht identisch sind mit dem späteren "normativen Tatbestand". 90 Mezger, NJW 1953, 2 ff. 91 In: Mezger-Festschrift, S. 127 ff. 92 Dazu etwa Schweikert, Wandlungen der Tatbestandslehre, 1957; überblick bei Schmidhäuser, 8/8; vgl. ferner die Bedeutung des Tatbestandsbegriffes bei Lang-Hinrichsen und v. Scheur!. 93 So Engisch, in: Mezger-Festschrift, S. 127/30; Mezger, NJW 1953, 2 f.; ferner Kantorowicz, Tat und Schuld, S. 13: Voraussetzung, an die eine "Strafpflicht" geknüpft ist. 94 Engisch, Einführung, S. 33; er verweist darauf, daß im Einzelfall die Grenze zwischen Tatbestand und Rechtsfolge flüssig sein könne; auch Larenz, Methodenlehre, S. 186. 95 "Programm" i. S. eines festgelegten Entscheidungsablaufs. Zum Programmbegriff auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 227. 88 89
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Geltungsanordnung. Er besagt: "Wenn der Tatbestand T in einem (konkreten) Sachverhalt S verwirklicht ist, dann gilt jeweils für diesen Sachverhalt die Rechtsfolge R96." Hypothetisch-imperative Rechtssätze, welche Gebote oder Verbote an einzelne enthalten, " ... gelten, wenn sowohl ihr indikativer Vorsatz (der gesetzliche Tatbestand) als auch ihr imperativer Nachsatz gültig sind und wenn der Vorsatz als zureichender Grund des Nachsatzes gesetzt ist.... Vorsatz und Nachsatz stehen zueinander in einer Wenn - dann - Beziehung. Diese Beziehung erlangt ihren Rechtscharakter dadurch, daß sie die Geltung einer Rechtsfolge für einen axiomatisch als zureichender Grund gesetzten Tatbestand zum Ausdruck bringt"97. Gleichbedeutend wird das Verhältnis auch als konditionales gekennzeichnet: " ... der Tatbestand umschreibt als abstrakter Bestandteil des Rechtssatzes die Bedingungen, unter denen die Rechtsfolgeanordnung Platz greift 98 ." Eine Bestätigung findet die konditionale Charakterisierung der Rechtssatzstruktur durch die Einführung der Logistik in die Rechtswissenschaft bzw. durch die juristische Semantik und durch die soziologische Systemtheorie99. Mit der Kennzeichnung der Rechtssatzstruktur als "konditional" oder als Implikation ist die Norm (als Mittel zur Lösung einer Entscheidungsaufgabe oder als Mittel zur Vermeidung bestimmter Erfolge) jedoch nur unvollkommen beschrieben. Ausgespart bleibt nicht -nur das gesamte hermeneutische Problem 1oo , sondern auch die Frage, ob zwischen Voraussetzung und Rechtsfolge ein Sinnzusammenhang und eine Wechselwirkung besteht. Die Charakterisierung ist ferner bei solchen Rechtssätzen unzulänglich, die (als Implikat) keine zwingende und konkrete Rechts96 Larenz, S. 187, 230. Soweit keine Probleme der Deontik erörtert werden, ist es gleichgültig, ob bei der Beschreibung der Implikationsrelation der Sollenscharakter der Norm zum Ausdruck kommt. 97 Lampe, Semantik, S. 58. 98 Engisch, Einführung, S. 35. Ferner Larenz, S. 182: "Die Rechtsfolge tritt, ... , auf Grund der Rechtsnorm und wegen ihrer ,generellen Natur' in jedem einzelnen Fall, in dem sich der Tatbestand der Norm verwirklicht, ,rechtslogisch notwendig' ein." 99 Einerseits Esser, Vorverständnis, S. 101 f. mit dem Hinweis auf Lampe, Juristische Semantik, 1970, andererseits Luhmann, Lob der Routine, S. 129 ff.: bei Konditionalprogrammen hätten die Entscheidungsprämissen die Form von Ursachen; ders., in: Funktionale Methode, AöR 1969, 1 ff., wo betont ist, der Jurist finde seine Aufgabe typisch konditional programmiert oder allen Entscheidungen zwingenden Rechts lägen Routineprogramme zu Grunde. Ferner Hubert Rodingen, ARSP 1972, S. 161 ff., 166 ff. ; Otte, Komparative Sätze, S. 301 ff.; Jutta Minas v. Savigny, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 8 ff. und passim; KLug, Juristische Logik, S. 95. 100 Gemeint sind die Probleme der Auslegung und der Sachverhaltsgewinnung, also die Teile der Rechtsanwendung, bei denen man mit Subsumtionsschlüssen nicht auskommt. Vgl. etwa Esser, Vorverständnis, S. 132 ff.; Hassemer, Tatbestand und Typus, S . 98 ff., 118 ff., 127; Larenz, Methodenlehre, S. 254 ff., 291 ff. -
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folge, sondern nur einen Rahmen für verschiedene mögliche Entscheidungen enthalten: Hauptbeispiele dafür sind Ermessungsspielräume im Verwaltungsrecht und Strafrahmen im Bereich der StrafzumessunglOl • In diesen Fällen ist der einseitige Hinweis auf den Implikationscharakter sogar geeignet, einem Mißverständnis Vorschub zu leisten, nämlich daß das Implikans (der gesetzliche Tatbestand) sämtliche Voraussetzungen für die konkrete Rechtsfolge enthalte. Ein derartiges Verständnis, das sich auch im Begriff der Rechtsfolge niedergeschlagen hat, erweckt ferner den Anschein, daß sich die konkrete Rechtsfolge im Wege eines simplen Scl1lusses aus dem Tatbestand ergebe, dieser also der allein bestimmende Faktor seP02. Schließlich dürfte die einseitige Betonung der konditionalen Struktur der Rechtsnormen zu der eindeutigen Anhäufung der Probleme auf der Seite der Rechtsfolgevoraussetzung beigetragen haben. Es sieht so aus, als habe der Rechtsanwendende nur herauszufinden, " ... , ob die ,Wenn'-Bedingungen erfüllt sind, die das ,Dann' auslösen", wobei freilich die Wenn-Bedingungen auszulegen und Informationen daraufhin zu prüfen sind, ob sie diese Bedingungen erfüllen 103. Bedenkt man nun, daß im Strafrecht der Unrechts- und Schuldtatbestand grundsätzlich die Rechtsfolgevoraussetzung bilden, d. h. der Tatbestand ist der Inbegriff aller das Unrecht und die Schuld bestimmenden Elemente, so zeichnet sich darin bereits die scheinbare Notwendigkeit ab, alle die konkrete Strafe bestimmenden Faktoren entweder dem Unrecht oder der Schuld zuzuordnen104. Allenfalls für gewisse Ausnahmen mag eine Eingruppierung als Strafbarkeitsbedingung, als Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgrund offen sein. Hier ist es besonders das Dogma vom Tatschuldprinzip, das mit dem Anspruch auf Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit alle maßgeblichen Faktoren auf der Tatbestandsseite zu fixieren, zu konzen101 Es mag dahingestellt bleiben, ob bei der Strafzumessung im konkreten Fall - in Parallele zum echten verwaltungsrechtlichen Ermessen - zwei verschiedene Entscheidungen "gleich richtig" sein können, oder ob es nur eine einzig richtige Endstrafe gibt; vgl. dazu Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 68, 277 f., 286, 576; Zipf, Strafmaßrevision, S. 165 ff. Peters, Die kriminalpolitische Stellung des Strafrichters, S. 22 ff.; Drost, Ermessen, S. 20 ff.; Frisch, NJW 1973, 1345 ff. In diesem Zusammenhang kommt es allein darauf an, daß Strafrechtsnormen als Rechtsfolge i. d. R. "nur" einen Strafrahmen enthalten. 102 Darauf hat mit Recht Eser, Sanktionen, S. 139 hingewiesen. Er spricht sich in Anlehnung an Schmidhäuser für ein rückwirkendes Korrespondenzverhältnis von Strafe und Straftat aus. Vgl. ferner BVerfGE 25, 269, 286; Arzt, JuS 1972, 385 f.; Jakobs, Studien, S. 10; Peters, Gutachten, S. 17 f., weist darauf hin, daß die Frage, ob "mildernde Umstände", besonders schwere Fälle etc. vorliegen, vom Richter nicht mehr rein im Subsumtionsweg vorgenommen werden, sondern daß die Bejahung von der Rechtsfolge her abhängig wird. 103 So etwa Luhmann, Funktionale Methode, S. 3. 104 Vgl. schon S. 119 f.
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trieren und zu begrenzen versucht und jede Berücksichtigung außerhalb der Tat liegender Faktoren ausschließt. So erscheint es auch als ganz selbstverständlich, die Voraussetzungen des Rücktritts in irgendeiner Weise den angegebenen "Wenn"-Bedingungen unterzuordnen. Bezeichnenderweise gibt es dabei für die Autoren, welche den Verlegenheitscharakter der Strafaufhebungsgründe betonen, nur die Alternative einer Zuordnung zu Schuld oder Unrechtl° 5 • Daß sich die Tendenz, alles in diese Bereiche zu packen, wie ein roter Faden durch die Strafzumessungslehre zieht, hat sich bei der Frage nach der Berücksichtigung außerhalb der Tat liegender Umstände gezeigt. Dies ist nun freilich nicht auf die konditionale "Verknüpfung" von Rechtsfolgen und ihren Voraussetzungen zurückzuführen. Eher mögen bestimmte historische Ausformungen des Strafrechts eine Erklärung dafür abgeben, daß auch bei Strafrechtssätzen einseitig der Implikationscharakter hervorgehoben wird. c) Genetisch-funktionaler Erklärungsversuch
Die einseitige Betonung der Wenn-dann-Beziehung zwischen der Rechtsfolge und ihren Voraussetzungen und der allenthalben sichtbare Trend, alle- Entscheidungsgründe als Bedingungen in dem gesetzlichen Tatbestand zu suchen, dürfte - was das Strafrecht betrifft bis zu einem gewissen Grade aus der historischen Entwicklung heraus zu erklären sein. In der Strafrechtsgeschichte gibt es eine Reihe von Beispielen, in denen sich die Relation zwischen Rechtsfolge und Voraussetzung mit dem Hinweis auf den Implikationscharakter hinreichend beschreiben läßt. Die Entscheidungsprämissen haben in diesen Fällen bezüglich der Rechtsfolgen - die Form von Ursachen. Man kann von einer Tatbestands-Rechtsfolge-Automatik sprechen, weil sich in der Regel bereits aus dem Vorliegen des Tatbestandes eine genau bestimmte Rechtsfolge ergeben soll, ohne daß zur "Auffindung" dieser Rechtsfolge weitere nicht im Tatbestand enthaltene Überlegungen herangezogen werden müßten. Primitive Strafrechtsordnungen, aber auch ein einseitig an der Tat orientiertes Vergeltungsstrafrecht, dem eine Individualisierung wesensmäßig fremd ist, verfahren zum Teil nach dem Prinzip, daß ein bestimmter Erfolg eine genau bestimmte konkrete Rechtsfolge auslöst106 • 105
S. 108, 150.
Anders etwa in weiten Bereichen die Constitutio Criminalis Carolina von 1532. Häufig wird nur bestimmt, daß der übeltäter "nach Gelegenheit der Verhandlung und Rat der Rechtsverständigen ... gestraft werden" soll, oder es werden mehrere Alternativen angegeben. Vgl. etwa die Art. CXXIII, CLIX der CCC. 106
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Dies läßt sich etwa am germanischen Recht verdeutlichen, das den Gedanken der Rache in unverfälschter Form enthält. "Rache aber sieht auf die Tat als solche, auf den Schaden und auf die Kränkung, die sie hervorgerufen hat; sie ist dem Täter gegenüber blind ...107." Wird der Unwert und die Rechtsfolge allein vom Erfolg her bestimmt, so ist es nur konsequent, " ... in einer großen Anzahl von Einzelbestimmungen für alle denkbaren Verletzungen und Schädigungen die "Bußen" gesondert und einzeln festzusetzen"108. Die Struktur der dabei entstehenden Rechtssätze läßt sich mit dem Hinweis auf ihren Implikationscharakter vollkommen beschreiben. Mit dem Taterfolg steht die Rechtsfolge fest, und es ist nur folgerichtig, wenn bei fehlendem Taterfolg, also etwa bei Versuch, auch keine Rechtsfolge vorgesehen istt0 9• Ebenso entsprach dem Tatstrafrecht der Aufklärungszeit ein starres System genau fixierter Rechtsfolgen, wobei freilich andere Gründe maßgeblich waren als im Germanischen Strafrecht. Im Vordergrund standen hier Freiheit, Gleichheit und Unabhängigkeit des Einzelnen, der nur dem Gesetz untertan sein sollte. "Die Tatadäquanz der strafrechtlichen Sanktion, die eine Individualisierung ausschloß, entsprach dem Ideal von der egalite aller Bürger und bewirkte einen Automatismus zwischen Schuldspruch und Rechtsfolge llO ." Um dies zu gewährleisten, sollte sich auch die Tätigkeit des Richters ausschließlich in der Form, eines logischen Syllogismus vollziehen, mithin restlos fungibel sein111 . Dieselbe Automatik kommt in logischer Reinheit in der Vergeltungstheorie zum Ausdruck, wie sie sich in den berühmten Ausführungen Hegels darstellt - Verbrechen als Negation des Rechts und Strafe als Negation der Negationll2 - , und hat auf diesem Wege ihren Einfluß bis heute nicht verloren113 • Die Strafe repariert hier im Sinne eines Eb. Schmidt, Geschichte, § 16. Ebd., §§ 7, 16. 109 Ebd., § 21. 110 Vgl. Blau, ZStW 81, 31, der in diesem Zusammenhang von einem Ideal des klassischen Idealismus spricht. Ferner Fischinger, ZStW 81, 60; ausführlich Drost, Ermessen, S. 80 ff., 88 ff., der insbesondere auch die von der Aufklärung erhobene Forderung nach einer Proportion von Strafe und Tat hervorhebt. Dem Inhalt nach unterscheidet sich allerdings diese auf dem Abschreckungsgedanken beruhende Proportion von dem auf qualitativen Ausgleich angelegten Äquivalenzprinzip, das im Vergeltungs- und Talionsgedanken steckt. 111 Nachweise bei Drost, Ermessen, S. 87. 112 Vgl. dazu Noll, Strafe ohne Metaphysik, S. 48 ff. Er spricht von einer mechanistischen, "an alte Himmelsmechaniken erinnernden Metaphysik" (S. 49) bzw. von einer "Primitivarithmetik". 118 Vgl. etwa die Kritik von Seiten der DDR-Strafrechtslehre, Buchholz, NJ 1959, S. 60 ff. 107
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qualitativen bzw. "realsymbolischen" Ausgleichs das auf der Tatbestandsseite vorgefundene Unrecht114 • Ein Musterbeispiel für diesen Ansatz und seiner Verknüpfung mit dem Vergeltungs gedanken sowie den sich ergebenden Schlußfolgerungen für die Rücktrittsregel findet sich bei Kemsies 115 : "Die Strafe ist ihrem Wesen nach (in abstracto) Vergeltungsstrafe, so ergeben sich für uns zwei Voraussetzungen, eine objektive: (schweres) Unrecht und eine subjektive: Schuld. Jeder Ausschluß, jede Aufhebung der Strafe muß also letzten Endes auf das Fehlen oder auf den Wegfall einer dieser allgemeingültigen Voraussetzungen der Strafe zurückzuführen sein, oder aber der Grund ist nicht im materiellen Recht, sondern auf dem Gebiet des Prozeßrechts zu suchen, d. h. Ursache der Straffreiheit ist nicht das Fehlen oder Wegfallen des Strafrechts, sondern des Strafklagerechts. Andere Möglichkeiten gibt es nicht." Diese Hypothese führt Kemsies dazu, den Rücktritt als Schuldaufhebungsgrund einzuordnen. Eine Sicht des Rücktritts als Rechtsfolgebestimmung, welche auf präventive Notwendigkeiten abstellt, kommt für diesen Denkansatz von vornherein nicht in Frage. In prozessualer Hinsicht hat diese Auffassung, wonach die Feststellung des Straftatbestandes den Ausspruch der daran geknüpften Strafe notwendigerweise nach sich zieht, im Laufe des 19. Jahrhunderts dazu geführt, die beiden Phasen Schuld- und Straffrage im kontinentalen Bereich Europas mehr und mehr zu verwischen und auszulöschen116. Freilich mag diese mechanistische Verknüpfung einmal eine notwendige Funktion erfüllt haben und in diesem Sinne auch "berechtigt" gewesen sein. Entkleidet man sie ihrer archaisch-rituellen oder ihrer idealistisch-verbrämten Fassung, so liegt der pragmatische Grund, der etwa hinter einem Prinzip wie: die Tat tötet den Mann, oder in der klassischen Vergeltungstheorie steckt, in der Verdrängung vielschichtiger und eine Entscheidung belastender Faktoren und deren Rückführung auf leicht handhabbare Prinzipien und Gesetze. Was unverständlich erscheint und wegen seiner Kompliziertheit irritieren oder einer klaren und einfachen Entscheidung entgegenstehen könnte, wird - gleichgültig ob es sich um Sachaufklärung oder um kriminalpolitische Wirkungszusammenhänge handelt - gleichzeitig verdrängt und 114 Zum Ganzen auch Müller-Dietz, Strafbegriff, S. 22 f.; Drost, Ermessen, S. 151 ff. 115 Tätige Reue, S. 11; ferner etwa auch Sauer, Grundlagen, S. 626: "Ja die gesamte Strafzumessungslehre ist nichts weiter als die Verfolgung der von den beiden großen Strafvoraussetzungen Rechtswidrigkeit und Schuld auslaufenden Fäden ins Einzelne; es kann dies ja auch gar nicht anders sein: Soll eine Strafgröße im Einzelfalle ermittelt werden, so müssen die Gründe in den wissenschaftlichen ,Voraussetzungen' der Bestrafung beschlossen liegen; ... " Ganz entsprechend sind für Sauer etwa Leugnen bzw. Rache gegen den Anzeigenden schulderhöhende Gründe (S. 653) und der Rücktritt ein Schuldminderungsgrund. 111 Ancet, Sozialverteidigung, S. 236.
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bewältigt117 • Daß dementsprechende Reduktionen sicher nur zum geringsten Teil bewußt vorgenommen wurden, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß unzureichende wissenschaftliche und wirtschaftliche Möglichkeiten den maßgebenden Grund abgegeben haben dürften118 • Und in der Sache bestehen gar keine großen Unterschiede, wenn heute zum Teil offen argumentiert wird, daß angesichts des ungemein dürftigen empirischen Wissens hinsichtlich der Wirkungen dessen, was wir im Strafrecht tun, die schuldangemessene Strafe diejenige sei, die den Bedürfnissen des Rechtsgüterschutzes am besten entspreche119 • Daneben steckt in der linearen Tatbestand-Rechtsfolgebeziehung der begrenzende Gedanke des Ausgleichs zwischen Verletzung und Strafe, der zunächst nur auf den Erfolg, später auch auf die Schuld bezogen ist l20 • Ferner bringt eine so begründete und begrenzte Strafe gleich117 Ferner der Gedanke von NoH, Strafe ohne Metaphysik, S. 60: "Die rituelle, ideologische und metaphysische überhöhung der Strafe ... , gewinnt demnach einen rationalen Sinn in der Funktion, normative Inhalte den Beteiligten bewußt zu machen und zu introjizieren." Zu der hierin steckenden Möglichkeit sozialer Integration, die freilich nur in einfachen Gesellschaften besteht, auch Luhmann, Legitimation, S. 121. Er weist auch auf die Entlastungstechnik hin, die in derartigen Ritualisierungen steckt (S. 38). 118 Auf die Beibehaltung formlos gehandhabter Inquisitionsprozesse aus Kosten- und Bequemlichkeitsgründen ist bei Eb. Schmidt, Geschichte, § 155, hingewiesen. Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 517 bemerkt zu der schematischen Verwertung bestimmter Strafzumessungstatsachen, daß Praktikabilität höher im Kurs stehe als sachliche Argumente. Auch heute noch spielen Kosten- und Praktikabilitätsgesichtspunkte eine wesentliche Rolle. Sie können nur versachlicht werden, wenn man sie offen nennt. UD Vgl. Lackner, JZ 1967, 515; er meint, in absehbarer Zeit bestehe keine Aussicht, den Motivationsmechanismus der Abschreckung ausreichend aufzuhellen, so daß man keine bestimmteren Aussagen über die Gestaltung der Reaktionsmittel machen könne. Vgl. ferner die Argumentationen bei GaHas, ZStW 80, 4 ff.; Jescheck, ZStW 80, 58 ff.; Horstkotte, JZ 1970, 125. Ganz ähnlich hört sich die Begründung an, mit der Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 185 ff./195 gegen eine Persönlichkeitsschuld anstelle der Tatschuld argumentiert: aus erkenntnistheoretischen Gründen könne der Täter nur in den Grenzen seiner Tat, nicht in seinem Sosein und Sogewordensein als Persönlichkeit strafrechtlich beurteilt und zur Verantwortung gezogen werden. Der Gedanke der Tatschuld bedeute - so gesehen - die mit der Positivierung des Schuldprinzips notwendig einhergehende Formalisierung und Wesensverrringerung des reinen Schuldsachverhaltes. Speziell im Hinblick auf den Rücktritt Kemsies, Tätige Reue, S. 52; er begründet die Notwendigkeit der Schuldtypen damit, daß selbst bei psychologischer Schulung aller Organe der Strafrechtspflege sich keine einwandfreie Beobachtung des Täters durchführen lasse. Er sieht daher die tätige Reue als notwendige Vertypung des Schuldwegfalles. Sämtliche Äußerungen sind von dem Wunsch getragen, die ungeheuer komplexen Probleme, die eine Bezugnahme auf die Täterpersönlichkeit und die verschiedenen Motivationsmechanismen enthält, zu reduzieren und zu formalisieren. Sie geraten jedoch dabei in Strukturzwänge, die letztlich eine Problemlösung wieder belasten. 120 NoH, in: H. Mayer-Festschrift, S. 220; Peters, Gutachten S. 29 f.; Drost, Ermessen, S. 151 ff., 161.
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zeitig der Allgemeinheit das Gewicht der objektiv gedachten Tat ins Bewußtsein121. Andererseits kann die Tatbestand-Rechtsfolgeautomatik nicht nur zur Verdrängung und Vereinfachung, sondern auch zur Schaffung und Verfestigung von Machtstrukturen beitragenl22 • Das läßt sich etwa deutlich am Beispiel des Preußischen Allgemeinen Landrechts ablesen. Wenn dort das Verhältnis von Richter und Gesetz dahingehend geregelt ist, daß der Richter bei Auslegungszweifeln nicht etwa unter Berücksichtigung der "Meinungen der Rechtslehrer" bzw. von "Präjudizien" entscheiden darf, sondern die Auffassung der Gesetzeskommission einzuholen hat, so dient dies sicher auch dem Zweck, der vorprogrammierten Entscheidung des Gesetzgebers eine unveränderliche Geltung zu verbürgen123 • Insofern trug die Rechtsanwendung zur Verfestigung und Erhaltung der monarchischen Macht bei, und man kann sagen, daß auch in dieser Hinsicht das ALR auf dem Wege zum Rechtsstaat im Gesetzesstaat steckengeblieben ist. Damit läßt sich also feststellen, daß eine zwingende konditionale Verknüpfung von Tatbestand und konkreter Rechtsfolge auch ganz besonders hierarchischen Organisationsstrukturen entgegenkommt. In diesem Zusammenhang ist interessant, daß auf seiten der funktionsanalytischen Soziologie ebenfalls davon ausgegangen wird, der Jurist finde seine Entscheidung typisch konditional programmiert vor und nicht primär durch Zwecke und Funktionen festgelegt1 24 • Sein Programm habe die Form Wenn-Dann, und seine Aufgabe sei, herauszufinden, ob die Wenn-Bedingungen erfüllt sind, die das Dann auslösen. Allen Entscheidungen, die zwingendes Recht anwenden, liege eine Routineprogrammierung zugrunde. Die zwingende Norm sei ein Entscheidungsprogramm, das regele, welcher Tatbestand welche Rechtsfolge auslöse. Die Verbindung von Tatbestand und Rechtsfolge in dieAusführlicher dazu Maiwald, ZStW 83, 663 ff., 675 f. Zur Entlastung der hierarchischen Aufsicht durch konditionale Programmierung Luhmann, Rechtssoziologie, S. 232. 123 Der zwingenden Norm und der strengen Bindung des Richters an das Gesetz entspricht wieder die einseitig konditionale Sicht des Rechtssatzes. Der Richter hat im Grunde bei seiner Entscheidungsfindung gar keine Probleme eigenverantwortlich zu lösen. Die Norm enthält (scheinbar) bereits die Problemlösung; der Richter hat sie nur noch anzuwenden, zu subsumieren. 124 So Luhmann, Funktionale Methode, S. 3 ff.; ders., Lob der Routine, S. 122 ff.; ders., Zweckbegriff und Systemrationalität, S. 63 ff.; ders., Rechtssoziologie, S. 227 ff. Er weist darauf hin, daß die Tendenz, Recht in erwartbaren Wenn-Dann-Zusammenhängen zu denken, weit älter als das positive Recht sei, daß aber das positive Recht sich schärfer und ausschließlicher als frühere Rechtsordnungen umstellen müsse, weil nur auf diese Weise sehr hohe Komplexität in kongruent erwartbare Entscheidungen umgesetzt werden könne. 121
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sem Sinne sei invariant. In solchen Konditional- bzw. Routineprogrammen hätten Zwecke keine wesentliche Funktion, sie seien vielmehr Programm eines andersartigen entgegengesetzten Stils, da sie nicht auslösende Ursachen, sondern zu bewirkende Wirkungen konstant setzten. Zweckerwägungen könnten nur sekundär, zur Ausräumung von Auslegungszweifeln herangezogen werden. Die finale Struktur sei nur noch für die Setzung und für die Auslegung von Normen relevant, wobei unterstellt wird, daß die einzig richtige Antwort auf Auslegungszweifel im Tatbestand enthalten ist und nur ans Licht gezogen zu werden braucht1 25 • Dies führt zu einer Beschränkung des Argumentationsbereichs auf innersystematische Richtigkeitskriterien. Ein derartiges Nonnverständnis, welches einer Positivierung und Dogmatisierung des Rechts das Wort zu reden scheint und insofern zutreffend mit der Reinen Rechtslehre verglichen worden ist126 , hat natürlich seine Vorteile. Einmal lassen sich auf diese Weise komplizierte Vorgänge hochgradig schematisieren und vereinfachen. Das trifft sich mit der Vorstellung, daß in hochdifferenzierten Ordnungen nicht erwartet werden kann, daß die Fallentscheidung unvermittelt soziale Wirklichkeit reflektiert, sondern nur in den Rahmen und Perspektiven, die durch ihr Programm gesetzt sind. "Die Programmausführung muß von soziologischer Orientierung weitgehend entlastet werden, schon weil es unmöglich ist, sie adäquat zu leisten oder fertig zu beziehen127 ." Hochdifferenzierte Systeme sind also in ähnlicher Weise, wenn auch aus ganz anderen Gründen, zur Schematisierung gezwungen wie primitive Ordnungen: einmal um die vom System selbst vorgenommenen Differenzierungen in ein praktikables Regelungsprogramm zu fassen, zum anderen, weil schon das System aus irgendwelchen Gründen zu einer Differenzierung nicht in der Lage ist. d) Unzulänglichkeit der konditionalen Sicht
Es wurde bereits mehrfach betont, daß die Charakterisierung der Beziehung von Tatbestand und Rechtsfolge als "konditional" oder als "Implikation" einseitig ist und den Rechtsfindungsprozeß nicht adäquat beschreibt. Der Blick nach vorn, nach der ratio legis bleibt etwa dabei ausgespart. Wenn nun im folgenden davon die Rede ist, daß zu dem in der Strafrechtsnorm enthaltenen Konditionalprogramm Lob der Routine, S. 123. Esser, Vorverständnis, S. 142. 127 Luhmann, Funktionale Methode, S. 22. Ders., Legitimation durch Verfahren, S. 130 ff.; eine konditionale Programmierung lenke die Entscheidungskritik auf sehr viel engere Bahnen und erlaube in weitem Sinne ein Abschieben der Verantwortlichkeit nach oben. 125
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ein Zweckprogramm 128 hinzutritt, das erst eine hinreichende Beschreibung des funktionalen Charakters der Normen erlaubt, so muß dem eine begriffliche Klarstellung vorausgeschickt werden, weil Normen in ganz unterschiedlicher Bedeutung als Zweckprogramm oder als "final" verstanden werden können. aa) Normen können bereits insoweit als Zweckprogramme bezeichnet werden, als jeder Normsetzungsakt auf ein Handeln im weiteren Sinne ausgerichtet ist. Der Begriff "Bestimmungsnorm" und die sog. "Bestimmungsfunktion der Norm" streichen dieses finale Moment besonders heraus, das ganz unabhängig davon existiert, ob es sich um zwingendes Recht handelt, ob dem Rechtsanwender ein Ermessensspielraum zugestanden oder ob ihm sogar jede Auslegung untersagt ist: Die Norm enthält danach ein Sollen im Sinne, daß etwas geschehen SOll129, also einen Imperativ, einen Befehl. Diese Deutung der Norm als Imperativ implantiert " ... die beim Erlaß der Norm intendierten Zwecke des Gesetzgebers der Norm selbst"130. Der Wille des Gesetzgebers wird dabei zum "Willen des Gesetzes" oder - wie Jakobs 131 es formuliert, - an die Stelle der Teleologie des Normsetzungsaktes tritt die Normteleologie. 128 Gleichbedeutend auch "Finalprogramm". Der Programmbegriff ist auch hier i. S. einer (mehr oder weniger weitgehenden) FestIegung des Entscheidungsablaufs zu verstehen. Die Norm dient dabei als Mittel zur Lösung eines bestimmten Problems, das zur Entscheidung ansteht. Diese Bedeutung des Programmbegriffes ist nicht zu verwechseln mit der weiteren Bedeutung i. S. v. "Plan", "Ziel", Darlegung von Grundsätzen. Zu dem Begriff "Zweck" vgl. auch Zipf, Strafmaßrevision, S. 52. Die Gegenüberstellung von Konditionalprogramm und Zweckprogramm knüpft an die grundlegenden Untersuchungen von Luhmann an: "Das Konditionalprogramm fixiert den Eingang des Systems, die Art der Umweltinformationen, die als Ursache die Entscheidung auslösen sollen; das Zweckprogramm regelt den Ausstoß des Systems, die Wirkung in der Umwelt, die das System bewirken soll" (vgl. Luhmann, Lob der Routine, S. 124; ders., Zweck begriff, S. 68; Rechtssoziologie, S. 227 ff., 234 ff.). Diese Gegenüberstellung ist nicht unangefochten geblieben. Insbesondere ist eingewandt worden, daß auch bei der Auslegung der Konditionalprogramme immer die vom Gesetz verfolgten Zwecke maßgebend seien und Zweckprogramme immer auch von konditionalen Rechtssätzen durchsetzt seien. Dazu insbes. Esser, Vorverständnis, S. 142 ff.; NoH, Gesetzgebung, S. 252 f. Zum Teil dürften diese Differenzen darauf beruhen, daß man in ganz unterschiedlicher Bedeutung von der Finalität einer Norm sprechen kann (dazu im folgenden). An der grundsätzlichen Unterscheidbarkeit von Normen, die bewußt als Zweckprogramme konzipiert sind, indem sie das Ziel fixieren und die Mittel mehr oder weniger offen lassen und solchen, die in bestimmten Situationen feste Anweisungen für den Rechtsanwendenden enthalten, ändern die Einwände jedoch nichts. 129 Im Gegensatz dazu, daß etwas nur sein soll; vgl. Lampe, Semantik, S. 37, 41 f. 130 Zutreffend Jakobs, Studien, S. 8. 131 Studien, S. 8.
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Diese Teleologie des Normsetzungsaktes oder das in einem imperativen Satzmodus zum Ausdruck kommende finale Sollenselement sind nicht gemeint, wenn im vorliegenden Zusammenhang von einem Zweckprogramm gesprochen wird. Es kann dahingestellt bleiben, ob Strafrechtsnormen einen imperativen Satzmodus haben und ob es sich dabei um hypothetische oder kategorische Imperative handelt. Für ein funktionales Verständnis der Rechtssätze (als Mittel zur Herbeiführung oder Vermeidung bestimmter Erfolge) ist eine imperative Deutung nicht unbedingt erforderlich. überdies käme der imperative Satzmodus einer Norm unabhängig davon zu, ob diese eine zwingende Verknüpfung von (gesetzlichem) Tatbestand und Rechtsfolge enthält. Im folgenden werden daher Sätze mit der Form "x soll nicht stehlen" oder "x soll bestraft werden" nicht als imperative, sondern als indikative Sätze verstanden, die nur darüber Auskunft geben, ob etwas rechtens ist132 • bb) Von der Norm als Zweckprogramm könnte ferner insoweit die Rede sein, als für die Auslegung von Normen bei der Rechtsanwendung finale Elemente entscheidend sind. In der juristischen Methodenlehre ist es inzwischen Allgemeingut, daß sämtliche Rechtssätze normative (im Gegensatz zu rein deskriptiven) Elemente enthalten, daß Rechtssätze nicht nur eine richtige Deutung zulassen und daß es sich bei den reinen Subsumptionsurteilen nur um den einfachsten Fall oder ein idealisiertes Modell der Rechtsanwendung handelt183 • Allenfalls die Interpretationslehre Kelsens, die historischen und teleologischen Interpretationsmethoden den rechtswissenschaftlichen Erkenntniswert abspricht, kann daher auch der Sicht der Norm als Konditionalprogramm gerecht werden134 • Freirechtsschule, Interessenjurisprudenz 132 Jakobs, Studien, S. 3 ff.; zur KlarsteIlung bezeichnet er als Norminhalt nicht ein Sollen, sondern die Aussage, daß etwas "richtig" oder "falsch" sei. Zu der Doppeldeutigkeit des Sollensbegriffes vgl. Lampe, Semantik, S. 40 ff.; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 73 ff., 77, 81 ff. Insofern trägt übrigens die Unterscheidung Kelsens von Rechtsnormen und Rechtssätzen zur Klärung bei: "Rechtssätze sind hypothetische Urteile, die aussagen, daß im Sinn einer ... der Rechtserkenntnis gegebenen Rechtsordnung ... bestimmte Folgerungen eintreten sollen. Rechtsnormen sind ... ihrem Sinn nach Gebote und als solche Befehle, Imperative." 133 Aus dem unübersehbaren Schrifttum Larenz, Methodenlehre, S. 227/37; Engisch, Logische Studien, S. 15, 22 f.; Esser, Vorverständnis, insbes. Kap. V, VI; Hassemer, Tatbestand und Typus, S. 127 - 148; Arthur Kaufmann, Geschichtlichkeit, S. 243 ff. 134 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 349 f. Vgl. dazu auch Larenz, Methodenlehre, S. 85; Esser, Vorverständnis, S. 142: "Ein reines Konditionalprogramm kehrt zu jener analytischen Jurisprudenz zurück, die sich auf formale Kriterien der Rechtsverwirklichung beschränken möchte." Auch Kelsen hat übrigens stets betont, daß die Rechtsnorm nicht nur eine einzige, die "richtige" Deutung zulasse, sondern daß es sich hierbei um eine "Fiktion" der Eindeutigkeit handele. Er meint nur, daß ein Schriftsteller - und dasselbe gilt für den rechtsanwendenden Richter - keine rechtswissenschaftliche,
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Zweiter Teil: I. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
und "topisches Denken" haben aber die Unzulänglichkeit eines derartigen Verständnisses, das die "Rechtsanwendung" außer Betracht läßt, nachgewiesen. Zwar ist die Entscheidung nicht jeweils voll auf neu zu diskutierende rechtspolitische und historische Bezüge auszurichten, die Basis bilden vielmehr positiv dogmatisierte Gesichtspunkte. Nichtsdestoweniger haben Zwecke eine wesentliche Funktion: Die Frage, ob die Folgen der Entscheidung mit dem Normzweck übereinstimmen, ist bei der Rechtsanwendung Teil der Entscheidung. Neben das "Stabilitäts- und Kontinuitätsinteresse" tritt das Fortbildungsinteresse. Und mit Recht hat Esser den systemtheoretischen Ausführungen von Luhmann entgegengehalten, daß mit dem "Konditionalverhältnis" weder der Normzweck noch irgendwelche außersystematische Ordnungsziele als das Eigentliche des Regelungsmusters erfaßt, sondern in unlogischer Weise ausgeklammert werden135 : "Auch im Konditionalprogramm haben Zwecke eine wesentliche Funktion, und zwar selbst dann, wenn das Programm formal im Sinne der zu bewirkenden Wirkungen eindeutig konzipiert ist. Ob nämlich die Wirkungen im Programm voll einkalkuliert waren und welche der einzelnen Wirkungen im Programm nicht oder unrichtig vorgestellt waren, darüber hat der Rechtsanwender im Sinne der Interpretation der Zweckprogrammsetzung ein verantwortliches Urteil. Dazu muß er hinter die Kulissen der Programmierung blicken - nicht im Sinne der Motivforschung, sondern im Sinne der aktuell ersichtlichen Aufgabenstellung der betreffenden Norm, ihrer Rechtfertigung bei der Bemessung von Zweck und Mittel unter einem plausiblen Sachgesichtspunkt138." ce) Im vorliegenden Zusammenhang ist jedoch mit "Zweckprogramm" auch nicht das geschilderte und in jeder Rechtsanwendung enthaltene finale Element gemeint. Vielmehr ist der Begriff in einer weiteren, dritten Bedeutung gebraucht. Man kann nämlich unterscheiden zwischen Rechtssätzen, die ein Zweckprogramm "nur" als (mehr oder weniger ungewollte) Folge des hermeneutischen Problems enthalten, und Rechtssätzen, die vom Gesetzgeber bewußt als Zweckprogramm konzipiert sind. Letzteres ist immer dann der Fall, wenn das Gesetz nicht nur einen bestimmten Tatbestand umschreibt, der in der Form einer Ursache eine bestimmte Rechtsfolge nach sich zieht, sondern wenn es (daneben) eine Reihe von Mitteln zur Verfügung stellt, von denen der Richter unter bestimmten (Straf-) Zweckgesichtspunkten das geeignete auszuwählen hat. Diese Besonderheit besteht für alle Strafrechtsnormen, soweit sie Strafrahmen enthalten. Sie erfordert eine andersartige und intensivere Zweckargumentation, die sich von sondern eine rechtspolitische Arbeit leiste, wenn er unter mehreren Interpretationen eine ganz bestimmte als die richtige "auszeichne". 135 Vorverständnis, S. 113. 138 Esser, Vorverständnis, S. 145.
2. Struktur des Beziehungsverhältnisses
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dem allgemeinen Problem der Rechtsanwendung abheben läßt und sich einer konditionalen Sicht der Norm fast entziehtt 37 • Das läßt sich vielleicht am besten verdeutlichen, wenn man im Strafrecht unterscheidet zwischen Strafzweck und Normzweck, wobei freilich beide Faktoren erst in ihrem Zusammenwirken und ihrer gegenseitigen Verschränkung sinnvoll und verständlich sind. Insofern erscheint jedoch eine Differenzierung möglich, als der Normzweck den Schutzund Interessenbereich der Norm absteckt, während unter dem Strafzweck dem Problem nachgegangen wird, mit welcher Sanktion auf eine Normverletzung individuell und generell am gerechtesten und effektivsten reagiert werden kann. M. a. W., die Frage nach dem Normzweck steht im Zusammenhang damit, ob das, was der Täter getan hat, vom Standpunkt sozialer Konfliktsregelung aus gesehen falsch war. Demgegenüber geht es bei den Strafzwecken darum, ob und wie auf das falsche Verhalten strafend reagiert werden soll, um zukünftig ähnliche Verhaltensweisen zu unterbinden oder einzudämmen. Man könnte auch daran denken, diese zwei Stufen durch die Unterscheidung von "Primärnorm" und "Sekundärnorm" zu verdeutlichen, wobei erstere die Rechtsunterworfenen, letztere die Rechtsanwender zum Adressaten hat: Das Gesetz setzt in der Primärnorm einen Diebstahl als verboten voraus und schließt an die Übertretung des Verbots in einer Sekundärnorm das (an die Rechtsanwender gerichtete) Gebot der Bestrafung an 13S • Diese Differenzierung würde jedoch den Unterschied in Funktion und Struktur, um den es im folgenden geht, nicht genügend herauskehren. Sie verdeutlicht nur, daß imperative Rechtssätze zwei unterschiedliche Gebote enthalten können und zwar unabhängig davon, ob es sich um zwingendes Recht handelt oder ob Strafrahmen vorgegeben sind. Insofern ist die gelegentlich anzutreffende Unterscheidung zwischen Verhaltensnorm und Sanktionsnorm schon aufschlußreicher139 • Mit ihr soll unterstrichen werden, daß eine Norm, in der alles Unrecht, alle Schuld und alle sonstigen Strafvoraussetzungen konfundieren, sich nicht bilden läßt, wenn die Beziehung des Subjekts zur Norm für Schuld und Prävention beachtlich sein soll. "Neben das System der Rechtssätze, die den Zweck des Gesetzgebers, bestimmte Erfolge zu vermeiden, für die Motivation des Rechtsunterwor137 Das gilt wenigstens dann, wenn man nicht mit dem klassischen Vergeltungsstrafrecht der Ansicht ist, daß die der Tatschuld entsprechende Strafe auch die präventiven Zwecke am ehesten erfülle. Neuestens leugnet Noll, Schuld und Prävention, S. 219 den Gegensatz zwischen Schuld und Prävention. Derartige Behauptungen werden aber erst möglich, wenn man den Tatschuldbegriff aufgibt. Vgl. auch Roxin, Kriminalpolitik, S. 33 ff.; Schafjstein, Schädliche Neigungen, S. 465. 138 Vgl. Lampe, Semantik, S. 52. 139 Dazu Jakobs, Studien, S. 9 ff.
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Zweiter Teil: 1. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
fenen formulieren, muß demnach ein weiteres System treten, das im Blick auf den Strafzweck formuliert wird, und erst in diesem zweiten System findet das Verhältnis des Rechtsunterworfenen zum Recht seinen Platz 140 ." Diesen zwei nebeneinander bestehenden Rechtssatzsystemen entsprechen i. d. R. unterschiedliche Programmstrukturen: konditionale und finale; Die Unzulänglichkeit der nur konditionalen Sicht wird gerade dann deutlich, wenn man davon ausgeht, daß im Strafrecht die Rechtsfolge, d. i. das (scheinbar) implizierte "Dann", unter dem Gesichtspunkt von Strafzwecken zu sehen ist. Dann können sich bei gleichem Unrechtsund Tatschuldgehalt ganz unterschiedliche Strafen ergeben, je nachdem, welche Strafzwecke man für ausschlaggebend und inwieweit man eine Implikation i. S. einer Ableitbarkeit der konkreten Strafe aus Schuld und Unrecht für möglich hält. Spätestens mit der Hervorkehrung der Prävention enthält die Rechtsfolge jedoch Argumente, die in der Rechtsvoraussetzung keine Entsprechung haben. Der Argumentenbereich wird nicht nur erweitert, sondern bekommt auch eine andersartige Gewichtung. Dies entspricht wiederum den unterschiedlichen Aufgaben strafrechtlicher Normanwendung, die sich bei undifferenzierter Betrachtung als gegenläufig erweisen können. Einerseits müssen (auf Seiten des Normzwecks) die regelungsbedürftige Materie und damit auch die Grenzen der Norm in hohem Maße formalisiert werden, um sie hinreichend sicher und vorhersehbar zu machen. Damit ist das Strafrecht auch prädestiniert für ein hochdifferenziertes dogmatisches Tatbestandsdenken. Zur klaren Begrenzung des Anwendungsbereichs - und dies ist auch gegenwärtig noch ein durchaus notwendiges politisches Postulat - müssen in weit größerem Maße als in anderen Regelungsbereichen Rückgriffe auf vorjuristische Bezüge und Wertungen untersagt werden, zumindest soweit es um die Ausdehnung des strafbaren Bereichs geht. Damit soll nicht behauptet werden, daß die politischen und historischen Bezüge sowie die konkrete zeitliche Situation, die ein Zweckdenken bestimmen, im Strafrecht keinen Platz haben. Auch der Regelungsbereich muß (wie schon das Rechtsgut, das ihn ja mitbestimmt) dynamisch gesehen werden. Die Argumentation, daß ein bestimmtes Verhalten einen Straftatbestand erfüllt, muß aber weit mehr auf innersystematische Merkmale zurückgedrängt werden, weil hinter jeder Ausdehnung der Norm ein verstärkter und erweiterter Eingriff in die Individualsphäre steht1 41 • Jakobs, Studien, S. 11. Vgl. auch Roxin, Kriminalpolitik, S. 6: dem topischen Denken seien wegen des nullum-crimen-Grundsatzes enge Grenzen gesetzt; Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 103 II Rdnr. 112; Baumann, Grenzen, S. 117 ff. 140 141
2. Struktur des Beziehungsverhältnisses
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Andererseits aber erfordert es der Strafzweck142 , kombiniert mit dem Postulat individueller Gerechtigkeit, daß auch persönlich-individuelle Faktoren einbezogen werden und daß dargetan wird, mit welcher Rechtsfolge die beste und am wenigsten einschneidende Wirkung zu erzielen ist. Der Strafrahmen, den die Norm zur Verfügung stellt, eröffnet diesem Anliegen den Zugang. Diese Strafrahmen mit Bemessungsbreiten von 5 oder gar 10 Jahren Freiheitsstrafe bestätigen, daß die konditionale Sicht nur mit Vorbehalt zu gebrauchen ist1 43 • Sie existieren nicht nur deshalb, weil es praktisch unmöglich ist, etwa die Klasse der Diebstahlsfälle nach im Unrechtsgehalt sich unterscheidenden Begehungsformen in eine Unzahl von Tatbeständen zu zerlegen. Genauso wichtig ist der weitere Grund, daß auch in Fällen, in denen Unterschiede im Unrechts- und Schuldgehalt nicht bestehen, unterschiedliche Mittel (Strafen, Maßnahmen) notwendig oder ausreichend sein können, um dieselben (konstant gesetzten) Ziele w. z. B. die (Re-)Sozialisierung oder die "Bewährung der Rechtsordnung" zu erreichen. Innerhalb des Strafrahmens, den das Konditionalprogramm festlegt, ist also die Strafe (auch) nach Strafzweckgesichtspunkten auszurichten 144 • Der Richter hat in diesem Bereich der "Rechtsfolgebestimmungstätigkeit" aus einer Vielzahl möglicher Strafen unter Zweckgesichtspunkten die geeignetste auszuwählen, wobei er selbstverständlich gewissen Beschränkungen unterliegt. Das ändert aber nichts daran, daß er hier vor einer Aufgabe steht, wie sie sonst der Gesetzgeber bei der Normsetzung innehat145 • D. h. auch, daß er 142 Gemeint ist hier die "konkrete Zweckmäßigkeit" im Gegensatz zu einer "abstrakten Zweckmäßigkeit", die auch im Vergeltungsgedanken enthalten ist; zu dieser Differenzierung Peters, Kriminalpolitische Stellung, S. 234 ff. 143 So auch Engisch, Einführung, S. 46. Vgl. ferner Henkel, Die "richtige" Strafe, S. 21. 144 Das Schuldprinzip selbst, das auf gerechte Anpassung des Strafübels an die Schuld des Täters gerichtet ist, enthält keinen - zumindest keinen "konkreten" - Strafzweck; vgl. Zipf, Strafmaßrevision, S. 51 f.; a. A. etwa Roxin, Kriminalpolitik, S. 33 ff.; NoH, Schuld und Prävention, S. 219. 145 Vgl. Peters, Die kriminalpolitische Stellung des Strafrichters bei der Bestimmung der Strafrechtsfolgen, S. 235 ff.: "Nur wo und insoweit der Richter auf Zweckmäßigkeitserwägungen seine Entscheidungen gründet, bewegt er sich auf dem Gebiet der Kriminalpolitik. Als kriminalpolitische Entscheidungen kommen daher nur solche in Betracht, die durch generaloder spezialpräventive Erwägungen getragen werden (S. 235) ... Die kriminalpolitische Betätigung des Richters bezieht sich im wesentlichen auf die Bestimmung der Rechtsfolgen (S. 236) ... Das Gesetz muß einen Teil der strafrechtlichen Verwirklichung der freien, selbständigen richterlichen Tätigkeit überlassen. Hier bedeutet die Rechtsprechung mehr als die bloße Verwirklichung des gesetzlichen Willens. Hier umfaßt sie die Verwirklichung selbständigen richterlichen Wollens. Soweit diese sich auf Zweckmäßigkeitserwägungen stützt, findet politisches Wirken innerhalb der Rspr. statt" (S.237).
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Zweiter Teil: I. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
selbst Probleme zu lösen und nicht nur vom Gesetzgeber gefundene Problemlösungen anzuwenden hat. Damit wird der Richter in diesem Bereich tatsächlich zu einer Art "social engineer". Daß dies mit erhöhter Eigenverantwortung verbunden ist und daß unter diesem Gesichtspunkt erhöhte Anforderungen an die Ausbildung des Richters und an seine Persönlichkeit zu stellen sind, bedarf keiner näheren Begründung146. e) Entscheidungsstruktur und Rechtssicherheit
Es soll nicht bestritten werden, daß bei einer Zweckorientierung und einer verstärkten Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit die Entscheidung vielleicht nicht in gleicher Weise festgelegt werden kann wie durch das Tatschuldprinzip, das strafauslösende Ursachen konstant setzt und danach die Strafe bemißt 147 • Es mag richtig sein, daß mit zunehmender Heranziehung tatfremder, täterbezogener und spezialpräventiver Erwägungen die Strafzumessungsgründe "fragiler" werden und daß der Tatschuldgedanke die Rechtssicherheit fördert 148 . Den Vorteilen einer "nur" durch den Zweck in Grenzen gefaßten Entscheidung, die in einer weitgehenden Offenheit bezüglich der zu berücksichtigenden Faktoren und der zu wählenden Mittel liegen, stehen insoweit bekannte und bedeutsame Bedenken gegenüber. Sie liegen u. a. in einer Überspannung richterlichen Ermessens und in der fehlenden Klarheit über die maßgeblichen Strafzwecke 14D . Freilich droht die Verwischung der Grenzen des Garantietatbestandes i. S. v. Art. 103 Abs. 2 GG sowie die Gefahr, daß über " ... die Strafzumessung praeter legern Poenalisierungseffekte erreicht werden, die die gesetzliche Poenalisierung eines Tages überspielen könnten"150, nicht nur von einer Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit, sondern ebenso von der Heranziehung selbständig oder indizierend wirkender außertatbestandsmäßiger Schuld- oder Unrechtsrelevanzen151 . Vgl. Peters, Gutachten, S. 38 f.; Henkel, Die "richtige" Strafe, S. 34 f. Zur Frage der Vereinbarkeit einer zweckorientierten Entscheidung mit Art. 3 GG vgl. Peters, Gutachten, S. 25. 148 Baumann, Grenzen, S. 141 f. Seiner Auffassung, daß auch die individuelle Gerechtigkeit gefördert werde, wird man nur beipflichten können, wenn man von der Prämisse ausgeht, daß die Gerechtigkeit gerade in dem konditionalen Entsprechungsverhältnis von Tat und Strafe zu sehen sei. 149 Vgl. auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 242: die weiterreichende Kon:' sequenz einer Entbindung von konditionalen Programmen liege in einem beachtlichen Verlust an Rechtssicherheit (und damit auch an Rechtsorientierung des Verhaltens im täglichen Leben), zum andern in einem verstärkten politischen Druck auf die Justiz, deren politische Neutralisierung in dem Maße an Berechtigung verliere, als sie Gestaltungsaufgaben übernehme. 150 Baumann, NJW 1962, 1793. 151 Zweckorientierung und Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit sind 146
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2. Struktur des Beziehungsverhältnisses
161
Auch wäre es zu einseitig, die Strafrahmen, welche eine Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit und der Strafzwecke ermöglichen, nur in ihrer potentiellen Gegnerschaft zur Rechtssicherheit zu sehen. Zutreffend ist darauf hingewiesen worden, daß fehlende Strafrahmen, d. h. starre Rechtsfolgen wie etwa bei § 211, die eine flexible, zweckhafte Reaktion nicht erlauben, zu einer "Verbiegung" der Rechtsfolgevoraussetzung führen können. Im Ergebnis können also Strafrahmen insoweit auch der Rechtssicherheit entgegenkommen, als sie den Tatbestand von Zweckvorstellungen entlasten. D. h. es fällt leichter, bezüglich der Rechtsfolgevoraussetzung auf starren und formalen Grenzen zu bestehen, wenn eine zweckhafte Korrektur innerhalb der Strafrahmen vorgenommen werden kann. Oder um eine Brücke zu der Abgrenzungsproblematik im Rücktrittsbereich zu schlagen: man kann eher die Grenzen beziehungsweise den Unrechtsgehalt des Versuchs in Grenzbereichen formalisieren, wenn die Möglichkeit besteht, auf der Rechtsfolgeseite eine adäquate Korrektur unter funktionalen Gesichtspunkten vorzunehmen. Schließlich ist der Richter auch bei einer zweckorientierten Strafzumessung nicht völlig frei. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, den Kreis der als Mittel in Frage kommenden Rechtsfolgen einzuschränken 152 . Eine ganz wesentliche, wenn auch unzureichende Eingrenzung hat der Gesetzgeber bereits durch die Strafrahmen geschaffen 153 • Weitere Beschränkungen liegen im - freilich nach wie vor kontroversen - Strafzweck154, der im Sinne einer zu bewirkenden Wirkung einerseits als Leitfaden bei der Wahl der geeignetsten Strafe und andererseits als Rechtjertigung 155 dieser Strafe dient. Je genauer dabei eng verbunden. Es wäre wirklich kaum vorstellbar, wollte man Strafe auf die Persönlichkeit des Täters hin zumessen und nicht gleichzeitig ihren Sinn darin sehen, daß der Täter von seinen kriminellen Strebungen befreit wird. Dies gilt nicht nur für eine spezialpräventiv orientierte Strafzumessung, wie sie bei Eb. Schmidt (vgl. etwa ZStW 69, 359, 384 ff.; NJW 1967, 1939) zu Grunde liegt, sondern bis zu einem gewissen Grade von jeder Strafzumessung, die auch die Täterpersönlichkeit berücksichtigt. 152 Allgemein zu den Möglichkeiten der Begrenzung eines "opportunistischen" - weil prinzipiell alle Mittel rechtfertigenden Zweckprogrammes Luhmann, Zweckbegriff, S. 183 ff., 195 ff. Zu den rechts staatlichen Anforderungen bei der Bestimmung der Rechtsfolgen, Drost, Ermessen, S. 209 ff. 153 Dazu Henkel, Die "richtige" Strafe, S. 20 f.; Peters, Gutachten, insbes. S. 18 ff. 154 Peters, Gutachten, S. 19 und passim; Drost, Ermessen, S. 44 f. 155 Hier kommt der normative Gedanke der Verhältnismäßigkeit ins Spiel. Die Strafe als Mittel muß durch die zu bewirkende Wirkung gerechtfertigt werden. Die Eingrenzung setzt dabei eine Schilderung aller Wirkungen voraus. Vgl. in diesem Zusammenhang den positivrechtlichen Hinweis in § 13 I 2/46 I 2 n. F.: "Die Wirkungen, die von der Strafe für das zukünftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen." Ferner § 23/56 I 2 n. F. 11 Burkhardt
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Zweiter Teil: I. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
der Strafzweck festgelegt ist, desto enger ist auch der Kreis der in Frage kommenden Rechtsfolgen l56 • Ferner kann dieser Kreis durch eine Reihe "Anreicherung,en" des Strafzwecks eingeengt werden, die hier nur stichwortartig zu nennen sind l57 : - Durch die Angabe von Wirkungen, die nicht eintreten sollen; z. B. soll der Täter soweit möglich durch die Strafe nicht aus seinen sozialen Verflechtungen gerissen werden (sog. Negativbestimmungen). - Durch die Abstufungen mehrerer zu erreichender Wirkungen; z. B. in erster Linie Resozialisierung, in zweiter Linie Generalprävention (sog. Vorrangordnung)158. - Durch Einführung zusätzlicher Wertgesichtspunkte, die (nur) dann zu beachten sind, wenn die angestrebte Strafwirkung durch (qualitativ) unterschiedliche Strafen zu erreichen wäre. In diesem Sinne wohl § 14/47 n. F. bei Freiheitsstrafen unter 6 Monaten. - Durch die Begrenzung der Umstände, die bei der Festsetzung der Rechtsfolge verwertet werden dürfen (sog. Stoppregeln). Hierher gehört auch die erörterte Frage, inwieweit außerhalb der Tat liegende Umstände berücksichtigt werden können oder inwieweit die Täterpersönlichkeit erforscht werden darf l59 • Die Frage nach den verwertbaren Umständen kann nicht generell entschieden werden, denn damit würde man die in der Offenheit liegenden Vorteile, die eine Zweckprogrammierung hinsichtlich der Individualisierung und der Verwertung von Persönlichkeitsfaktoren bietet, gerade wieder verspielen. Sie muß daher (in gewissen Grenzen) "situationsnah und situationsrelativ" vom Richter selbst beantwortet werden, und zwar aufgrund der konkreten Informationsbasis, die die Situation selbst gibt. Die Entscheidung über den Kreis der verwertbaren Umstände dürfte dementsprechend weitgehend auf den Richter zu delegieren sein l60 • 156 Hier verdeutlicht sich die Notwendigkeit zur Konkretisierung der Strafzwecke. Auf die Frage, inwieweit Strafzwecke gesetzlich formuliert werden sollten, kann hier nicht näher eingegangen werden; dazu etwa Peters, Gutachten, S. 32; ders., Die kriminalpolitische Stellung, S. 234 ff. 157 Die folgende Aufzählung folgt in der Terminologie wie in der Sache weitgehend der Untersuchung von Luhmann, Zweckbegriff, S. 183 ff., 195 ff. 158 Zum "Vorrang" eines Strafzweckes Henkel, Die "richtige" Strafe, S. 17 f.; zur Hierarchie der Zwecke Drost, Ermessen, S. 48 f. 159 Eine Begrenzung der verwertbaren Umstände enthält etwa BGH MDR 1972,879: keine strafschärfende Verwertung getilgter Vorstrafen. 180 Vgl. dazu auch die Begründung zu §§ 62, 63 E 62, der die Frage, ob Tatbegriff und Tatschuldbegriff im Bereich der Strafzumessung zu erweitern seien, der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassen will. Das ist m. E. ein Zeichen dafür, daß auch der E 62 die Frage nicht für generell entscheidbar hielt.
2. Struktur des Beziehungsverhältnisses
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- Schließlich kann der Kreis der in Frage kommenden Rechtsfolgen auch eingeschränkt werden, indem der Gesetzgeber bei Vorliegen zusätzlicher Voraussetzungen in Form von Entscheidungsbedingungen das Auswahl- und Ausmaßermessen in ganz bestimmter Weise bindet. Dabei müssen die Voraussetzungen nicht notwendig die ZweckJesichtspunkte enthalten, die für die Entscheidung letztlich ausschlaggebend sind. Sie können lediglich die Fälle umschreiben, an die regelmäßig eine bestimmte Rechtsfolge geknüpft ist, und konditionalisieren insoweit den Entscheidungsablauf161 • In aller Regel haben sie aber auch einen indizierenden Sinn. Sie enthalten Anzeichen für Wertaspekte, die sie mitverwirklichen sollen. Hier wäre § 23 III n. F. und - wie noch zu zeigen ist - eine entsprechend gefaßte Rücktrittsvorschrift einzuordnen182. f) Die Strafrechtsnorm als "intensive Implikation"
Rein logisch oder aus einer formal systemtheoretischen Sicht ist es natürlich auch dann möglich, von einer hypothetischen GeItungsanordnung, einer Implikation oder einem Konditionalprogramm zu sprechen, wenn bei Vorliegen von Schuld und Unrecht die Rechtsfolge nicht wie jetzt etwa noch in den absoluten Strafdrohungen der §§ 211, 220 a 16S - feststeht, sondern ein Strafrahmen gegeben ist. Impliziert wird in diesem Fall eben keine konkrete Rechtsfolge wie etwa in § 211, wo mit Vorliegen der Rechtsvoraussetzungen auch die lebenslange Freiheitsstrafe feststeht 164, sondern ein bestimmter Strafrahmen, d. h. eine "Mittelwahl"165 zwischen einer Reihe (quantitativ und qualitativ) unter161 Sie werden mittels eines Subsumtionsvorganges festgestellt. Daß es sich jedoch meist um keinen reinen Subsumtionsvorgang mehr handelt, hat Peters, Gutachten, S. 19 dargelegt. Er weist auch darauf hin, daß S"\bsumtionen ebensogut im Rechtsfolgebestimmungsvorgang vorkommen können. 162 Ferner §§ 51 11, 55 II bzw. § 21 n. F.; Regelbeispiele in § 243; §§ 105, 106 JGG als Strafzumessungsgesichtspunkte (BGHSt 5, 209). 163 Der AE will auch für die §§ 211, 220 a die absolute Strafdrohung beseitigen. Zu den Folgen des totalen Ausschlusses der Strafzumessung Hassemer, JuS 1971, 626. Für die absolute Strafdrohung demgegenüber etwa noch Spendel, Strafmaß, S. 161. 164 Man könnte auch sagen, Unrecht und Schuld i. S. d. § 211 enthielten einen axiomatisch als zureichend gesetzten Grund für die lebenslange Freiheitsstrafe. 165 Begriff von Steinmüller, EDV, S. 61. Gelegentlich wird auch in der Strafrechtslehre mehr oder weniger deutlich von einer Mittelwahl zur Erreichung einer Wirkung gesprochen: "Bei der Bemessung der Strafe hat das Gericht zu erwägen, welche Mittel notwendig sind, um den Verurteilten zu einem gesetzmäßigen und geordneten Leben zu führen". Kohlrausch, Mitt. IKV, N. F., Bd. 3, S. 24 ff.; Eb. Schmidt, NJW 1967, 1940; vgl. auch Zipf, Strafmaßrevision, S. 167: "Aus der Anzahl gerechter Strafen gilt es, die eine richtige Strafe herauszufinden, die die optimal verbrechenshem-
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Zweiter Teil: I. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
schiedlicher Strafen und Maßnahmen, von denen der Richter die geeignetste auszuwählen hat. Um jedem Mißverständnis vorzubeugen, empfiehlt es sich daher, bezüglich der Relation zwischen Rechtsfolgen und ihren gesetzlichen Voraussetzungen nicht einfach von einer "Implikation" oder einem Konditionalverhältnis zu sprechen, sondern zwischen verschiedenen Implikationsarten zu unterscheiden. Und zwar kann man trennen zwischen extensiver ("stets dann, wenn - so"), intensiv·er ("nur dann, wenn - so") und gegenseitiger ("stets dann und nur dann, wenn so")166 Implikation. Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob in logischer Hinsicht eine Differenz zwischen den genannten Implikationsarten besteht und ob sie sich letztlich aufeinander zurückführen lassen. Zur genaueren Kennzeichnung des Beziehungsverhältnisses ist es jedenfalls zweckmäßig, die einzelnen Arten zu trennen167. Nur durch diese Differenzierung kann man erreichen, daß bei der Beschreibung der Rechtssatzstruktur der gesetzliche Tatbestand stets als Implikans und Position und die Rechtsfolge als Implikat auftritt. Denn die einzelnen Implikationsarten lassen sich jedenfalls nur dann auseinander ableiten, wenn man Implikans und Implikat negiert oder vertauscht 168 • Die Differenzierung findet auch in den drei Bedingungsarten ("hinreichende", "notwendige", "hinreichende und notwendige Bedingung") der Form nach eine Entsprechung 169 • Es handelt sich dabei um Implikationen im weiteren Sinne. Unterscheidet man zwischen verschiedenen Implikationsarten, so wird deutlich, daß die Implikationsrelation zwischen der Rechtsfolge und ihrer gesetzlichen Voraussetzung nicht bemende Wirkung beim Täter erwarten läßt." Freilich behauptet Zipf, daß es keine Wahlmöglichkeit, sondern nur eine einzige täteradäquate Strafe gebe. Die Richtigkeit dieser Behauptung kann an sich schon deshalb dahingestellt bleiben, weil die Strafzumessung ein außerordentlich komplexer und vieldimensionaler Vorgang ist, der letztlich nie zu einer Optimallösung führt, und weil die Strafzumessung Wertbezüge enthält, die nicht intersubjektiv transmissabel sind. Im übrigen wäre aber die Behauptung auch nur dann richtig, wenn die (meßbar) gleiche Wirkung nicht durch unterschiedliche Mittel herbeigeführt werden könnte und die Mittel durch den Zweck genau determiniert wären. Zu diesem Fragenkreis etwa Drost, Ermessen, S. 20 ff.; Peters, Die kriminalpolitische Stellung, S. 22 ff.; Henkel, Die "richtige" Strafe, S. 31; Henkel hält die Annahme, daß es nur eine "absolut richtige Strafe" als vorgegebene, feste Maßeinheit gebe, im Hinblick darauf für eine reine Fiktion, daß es sich bei der Strafzumessung nicht um einen Erkenntnisvorgang, sondern um einen Wertungsakt handele. 166 Diese Implikationsart wird i. d. R. unter dem Begriff der "Äquivalenz" erörtert. 187 Zutreffend Klug, Logik, S. 27 ff., 32, 42. A. A. Schreiber, Logik, S. 23 f.; er meint, die Einführung der intensiven Implikation würde das System der Logik des Rechts (unnötig) komplizieren. 168 169
Klug, S. 32 f., 46. Klug, S. 41.
2. Struktur des Beziehungsverhältnisses
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deuten muß, daß sämtliche Voraussetzungen für die konkrete Rechtsfolge im (gesetzlichen) Tatbestand enthalten sind. Die intensive Implikation etwa, die im juristischen Bereich vorherrscht170, besagt lediglich, daß bestimmte Rechtsfolgen "nur" unter bestimmten Voraussetzungen eintreten. Sie läßt offen, ob für die Rechtsfolge weitere Gesichtspunkte bestimmend sind, die sich mit der Implikationsrelation nicht erfassen lassen. Die Implikationsrelation zwischen dem (gesetzlichen) Unrechts- und Schuldtatbestand und der konkret auszusprechenden Rechtsfolge hat also außer in den Fällen absoluter Strafdrohungen die Form einer "intensiven Implikation": nicht schon "immer dann", wenn Schuld und Unrecht als Rechtsfolgevoraussetzung vorliegen, hat der Richter die konkret zu verhängende Strafe "gefunden", sondern "nur dann" kann er zu dieser Strafe gelangen, wenn - unter anderem - Schuld und Unrecht vorliegen. Drückt man die Relation mittels des Bedingungsbegriffes aus, so heißt dies: Schuld und Unrecht sind zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Strafe, die im konkreten Fall ausgesprochen werden soll. Sehr deutlich kommt diese Form einer intensiven Implikation in dem oben erörterten § 23 11 n. F. zum Ausdruck. Einerseits ist darin die Aussage enthalten, daß nicht immer dann Strafe auszusprechen ist, wenn 'Schuld und Unrecht vorliegen. Zwingend ist in den Fällen, in denen der Täter die Untauglichkeit des Versuchs aus grobem Unverstand verkannt hat, lediglich der Schuldspruch (unter Strafverzichtp71. Andererseits ist nicht schon immer dann von Strafe abzusehen, wenn der Täter "grob unverständig" gehandelt hat. Allerdings dürfte § 23111 n. F. für den verbleibenden Entscheidungsspielraum noch die weitere Anweisung enthalten, daß desto eher von Strafe abzusehen ist, je unverständiger sich der Täter bei seinen untauglichen Versuchshandlungen verhält. Das an dieser Anweisung besonders Beachtliche liegt darin, daß sie nicht in der Form "wenn ..., dann" erfolgt, also nicht die Struktur eines klassifizierenden Gesetzes trägt. Vielmehr gibt sie (nur) an, daß bei der Entscheidung bestimmte Umstände zu berücksichtigen und in bestimmter Richtung mit zu verwerten sind. Im folgenden soll auf den Aussagegehalt und die Struktur derartiger Sätze näher eingegangen werden. Damit soll einerseits gezeigt werden, daß Straftatfeststellung und Strafzumessung auch ein Zutreffend Klug, S. 46. 23 III n. F. wird, um die logische Struktur hervorzukehren, isoliert betrachtet. Weitere Möglichkeiten, etwa eine Einstellung nach § 153 a II StPO, nach denen auch ein Schuldspruch entfallen kann, bleiben außer Betracht. 170
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Zweiter Teil: 1. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
begriffslogisch unterschiedliches Instrumentarium erfordern. Andererseits wird deutlicher, daß das Rücktrittsproblem und die Abgrenzungsfrage am besten mit einer (komparativen) Rechtsfolgebestimmung zu erfassen sind. 3. Begriffslogische Aspekte der Rechtsfolgebestimmung Unbeschadet der Fragen, ob zwischen Straftatfeststellung und Strafzumessung ein funktionaler Unterschied besteht und ob Schuldspruch und Strafausspruch (prozessual) getrennt werden sollen, ist bei der Anwendung strafrechtlicher Normen zunächst zu prüfen, ob überhaupt eine bestimmte Straftat vorliegt. Erst wenn dies feststeht, ergibt sich die Aufgabe, innerhalb des gefundenen Strafrahmens die konkrete Rechtsfolge zu bestimmen. Dann geht es nicht mehr um das "Ob" einer Strafe, sondern um die Frage, welche von mehreren (laut Gesetz) möglichen Strafen (z. B. Geld- UIid/oder Freiheitsstrafe) verhängt werden soll und in welcher Höhe die betreffende Strafe auszusprechen ist. Entsprechend der unterschiedlichen Fragestellungen liegt es nahe, auch ein unterschiedliches begriffslogisches Instrumentarium zu vermuten. Dagegen scheinen allerdings die Behauptungen zu sprechen, daß Begriffe wie "Unrecht" und "Schuld" nicht nur klassifizierend über das "Ob" der Strafe entscheiden, sondern auch "abstufbar", also Steigerungsbegriffe sein sollen. Immerhin werden aber bei der Feststellung einer Straftat Prädikate verwendet, bei denen zumindest zweifelhaft ist, ob sie von ihrer Bedeutung her einer solchen Abstufung, die sich sprachlich in einem Komparativ oder in der Hinzufügung eines "mehr", "weniger" oder "eher" ausdrücken läßt, zugänglich sind. Hierher wären etwa die Begriffe "tatbestandsmäßig", "rechtswidrig", "zurechenbar" zu zählen l72 • Aber auch wenn man die Begriffe "Unrecht" und "Schuld" einer näheren Betrachtung unterzieht, so stellt man fest, daß sie in verschiedenen Funktionszusammenhängen bzw. Fragestellungen formallogisch eine ganz unterschiedliche Begriffsstruktur haben. Ebenso läßt sich zeigen, daß Straftatbeständen und Strafzumessungsvorschriften i. d. R. eine in logischer Hinsicht un172 Vgl. etwa Androulakis, ZStW 82, 500, der den Begriff der Zurechenbarkeit im Gegensatz zu dem der "Schuld" für nicht quantifizierbar hält. Diese Aussage wird allerdings dadurch relativiert, daß er den von der Zurechenbarkeit vorausgesetzten Begriff der Zurechnungsfähigkeit als abstufbar ansieht. Auch viele Tatbestandsmerkmale wie z. B. "fremd" scheinen sich einer Quantifizierung zu entziehen. Ferner Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 32 ff., der das Rechtswidrigkeitsurteil nicht für verschieden graduierbar hält; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 21: ein Verhalten könne einer objektiv gültigen Norm nur entsprechen oder nicht entsprechen, nur widersprechen oder nicht widersprechen, aber nicht mehr oder weniger entsprechen oder widersprechen. Vgl. ferner unten Fn. 218.
3. Begriffslogische Aspekte
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terschiedliche Satz struktur zugrunde liegt. Das bedarf einer näheren Verdeutlichung. Die Antwort auf die Frage, ob überhaupt eine Straftat vorliegt, ergibt sich aus den gesetzlichen Straftatbeständen, die - wie dargestellt - ihrem logischen Sinn nach besagen: "Wenn ein Tatbestand T in einem konkreten Sachverhalt S verwirklicht ist, dann gilt für diesen Sachverhalt die Rechtsfolge R173." Bei derartig strukturierten Rechtsnormen handelt es sich um Implikationen, der Grundform nach also um klassifizierende Gesetze174• Nur mittels klassifizierender Gesetze und entsprechender klassifizierender Begriffe kann der Gesetzgeber die von ihm gern. Art. 103 11 GG, § 2 bzw. § 1 n. F. verbindlich zu treffende Vorentscheidung formulieren: "Eine Tat kann nur dann bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war ... " Jedes Verhalten muß entweder der Klasse des strafbaren oder des nichtstrafbaren Verhaltens zuzuordnen sein. Eine Straftat liegt dann vor, wenn ein Straftatbestand in einem konkreten Sachverhalt verwirklicht ist1 76 • Es wurde bereits betont, daß bei der einseitigen Hervorhebung des klassifizierenden Charakters der Strafrechtsnormen die ganzen Probleme der Sachverhaltsgewinnung und der Auslegung, die sich bei jeder Rechtsanwendung stellen, außer Betracht bleiben. Die Gewinnung der konkreten Rechtsfolge ließe sich über klassifizierende Normen nur erreichen, wenn Rechtsnormen stets nur eine, die "richtige" neutung zuließen. Genauere Untersuchungen haben jedoch ergeben, daß es solche Normen nicht gibt, daß es sich dabei vielmehr um Fiktionen zur Aufrechterhaltung des Ideals der Rechtssicherheit handelt176• Rechtsbegriffe, auch die sog. rein deskriptiven, enthalten immer normative Elemente und erfordern daher eine Wertung. Sie sind (außerhalb historischer Kontexte) relativ und unbestimmt und erlauben keine Subsumption im traditionellen Sinne177• Die Frage, ob eine kon173 174
Larenz, Methodenlehre, S. 230. Otte, Komparative Sätze, S. 301: "Gesetz" ist hier nicht (nur) im recht-
lichen Sinne zu verstehen. Die Einteilung von Rechtsnormen mit der Grundstruktur klassifizierender Gesetze einerseits und komparativer Gesetze andererseits betrifft die Begriffsform, in der die Gesetze ausgedrückt sind. 176 Von der Intention her darf es hier keine Doppeldeutigkeiten oder fließende übergänge geben. Vgl. etwa H. J. Wolff, Studium Generale V (1952), S. 195/203; Larenz, Methodenlehre, S. 441 f. spricht von "geschlossenen Typen" im Strafrecht; Engisch, Konkretisierung, S. 242 f.; Peters, Gutachten, S. 20, 27 meint, der Sachverhaltseinreihungsvorgang gehe der Idee nach auf ein eindeutiges Ergebnis; Erdmann, Logik § 186 gebraucht eine Formulierung, die sich immer wieder findet: Bei den eigentlichen Klassenbegriffen stelle sich die Subsumtionsfrage so, daß es nur ein ja oder nein gebe (im Gegensatz zum Typus, wo verschwommene Grenzen und fließende übergänge das Charakteristische seien und es Zugehörigkeit bis zu einem gewissen Grade gebe). 178 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 352 f. 177 Reinh. v. Hippel, Gefahrurteile, S. 6 ff., 11; Esser, Vorverständnis, S.
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Zweiter Teil: 1. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
krete Straftat vorliegt, läßt sich auch mit einer klassifizierenden Rechtsnorm letztlich nicht vollständig vorentscheiden. Wenn in diesem Zusammenhang dennoch die klassifizierende Form des Straftatbestandes hervorgehoben wird, so deshalb, weil die vom Gesetzgeber gem. Art. 103 II GG verbindlich zu treffende Vorentscheidung, in welchen Fällen ein strafbares Verhalten vorliegt, nur mittels klassifizierender Normen getroffen wird und (auf diese Weise auch immer noch am ehesten und weitgehendsten) getroffen werden kann.
Demgegenüber zeigt eine eingehendere Betrachtung der gesetzlichen Strafzumessungsvorschriften und bestimmter in der Rechtspraxis gehandhabter Strafzumessungsregeln, die zur Eingrenzung des Strafrahmens verwendet werden, daß diese i. d. R. nicht die Grundform einer Implikation bzw. eines klassifizierenden Gesetzes haben. Zumindest enthalten sie, auch wenn man sie in die Form einer Implikation zu bringen versucht (ev. neben klassifizierenden), komparative 178 Begriffsformen und bekommen damit die Grundstruktur . komparativer Gesetze. Ein einfaches Beispiel dafür bietet § 44 I/23 II n. F.: "Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat." Ohne auf die komplexen Probleme der Strafbemessung beim Versuch eingehen zu müssen179 , zeigt sich das Ungewöhnliche an dieser Formulierung: man kann unter sie nicht einfach subsumieren, sondern muß bei der Anwendung einen - mindestens gedanklich entschiedenen - Vergleichsfall voraussetzen 180 . § 23 II n. F. beschreibt keine Klasse, sondern eine ver~ gleichende Beziehung zwischen zwei unbenannten Fällen: "Es liegt in der Natur der Sache, daß die Beurteilung der im Versuch steckengebliebenen Tat und die Bemessung der ihr entsprechenden Strafe nicht ohne vergleichende Beziehung zur vollendeten Tat und zur hypothetischen Vollendungsstrafe erfolgen kann"181. Das Fehlen des Erfolges mildert die auszusprechende Strafe - verglichen mit derjeni59 ff.; Hassemer, Tatbestand und Typus, S. 132 ff.; Th. HeUer, Logik, S. 93 ff.; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 90 ff. jeweils mit weiteren Hinweisen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein von Otte, Komparative Sätze, S. 318 f. hervorgehobener Gesichtspunkt. Seiner Ansicht nach müssen Interpretationslehren und Gerechtigkeitsprinzipien als komparative Gesetze aufgefaßt werden. Bereits diese logische Struktur hat Spielräume zur Folge, die keine sichere Ableitung von Entscheidungen mehr gestattet. Rechtsanwendung ist nicht mehr "intersubjektiv transmissabel". 178 Gleichbedeutend: abstufbare, ordnende, topologische Begriffsformen. Man versteht darunter Relationsbegriffe, die Vergleichsfeststellungen im Sinne eines Mehr, Weniger oder Eher ermöglichen. 179 Dazu Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 391 ff.; Zipf, Strafmaßrevision, S. 33 ff.; Stratenwerth, Die fakultative Strafmilderung beim Versuch, S. 247 ff. 180 Vgl. die zutreffenden Ausführungen von Otte, Komparative Sätze, S. 305 ff. 181 So Bruns, S. 401.
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gen, die bei demselben Täter und derselben Tat im Falle der Vollendung hätte verhängt werden müssen 182 • Bei anderen Strafzumessungsregeln tritt die komparative Satz- und Begriffsstruktur nicht so offen zu Tage. Häufig sind sie in irgendeine "KurzformeI" gekleidet1 83 • So enthalten etwa die §§ 13 II/46 II n. F. die Formulierung "das Gericht ... wägt Umstände gegeneinander ab" und zählen im Anschluß daran eine Reihe der abzuwägenden Umstände auf184 • Der komparative Charakter dieser Formulierung wird jedoch spätestens mit der Berücksichtigung bestimmter Umstände bei der konkreten Fallentscheidung sichtbar 185 • Die vorgeschriebene Beachtung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters könnte dabei etwa in den Satz gefaßt werden: "Eine Geldstrafe kann um so höher sein, je besser die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters sind." Der 20. Titel des Pr ALR von 1794 enthält eine ganze Reihe von Strafzumessungsregeln, die in diese sprachliche Form gebracht sind. So lautet etwa § 23: "Je mehr Bewegungsgründe jemand gehabt hat, die begangene strafbare Handlung zu unterlassen, desto mehr muß sie ihm zugerechnet werden. " § 25: "Je größer und unvermeidlicher der Schade oder die Gefahr ist, welche aus dem Verbrechen entstehen; desto schärfer muß dasselbe geahndet werden." Weitere Beispiele enthalten die §§ 24, 1125, 1126 des Pr ALR. In den neueren Strafgesetzen sind allerdings so gefaßte Regeln offenbar ungebräuchlich geworden. a) Formale Logik des Komparativs
Die komparativen Begriffsformen, wie sie auch in den genannten Strafzumessungsvorschriften enthalten und mit der Fragestellung nach dem "Mehr" oder "Weniger" verbunden sind, können mit den Mitteln der klassischen Logik nicht adäquat erfaßt werden, denn die traditionelle Logik ist eine Logik der klassifizierenden Begriffsbildung 186 • Erst 182 Ähnlich die Formulierung bei Stratenwerth, Fakultative Strafmilderung, S. 260. 183 Hinweise dazu bei Otte, Komparative Sätze, S. 305. 184 Typisch etwa auch der Satz: "Strafe bestimmt sich nach dem Maß der Schuld." Die komparative Vorstellung wird nicht satzmäßig ausgedrückt. 185 Otte, Komparative Sätze, S. 305. 180 Oder (im Sinne der sog. Relationstheorie) der einstelligen Satzfunktionen. Das wurde der klassischen Logik oft genug zum Vorwurf gemacht. So meint etwa StegmüHer, Wissenschaftstheorie 11, S. 21, das klassifikato-
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Zweiter Teil: I. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
mit den Hilfsmitteln der Logistik, insbesondere der Relationstheorie, ist es gelungen, die logische Form des Komparativs zu bestimmen187 • Bahnbrechend waren dabei die Untersuchungen von Hempel und Die von ihnen erarbeiteten Regeln und Adäquatheitsbedingungen für die Einführung komparativer Begriffe sind häufig dargestellt worden und brauchen zum Verständnis des folgenden im einzelnen nicht wiederholt zu werden189 • Es soll lediglich darauf hingewiesen werden, daß eines ihrer wesentlichen Ergebnisse darin besteht, daß klassifizierende und ordnende Begriffe - auch wenn sie sich rein äußerlich nicht unterscheiden - formallogisch eine ganz verschiedene Struktur haben, welche - und das ist in unserem Zusammenhang von Wichtigkeit - auch eine ganz unterschiedliche Definition der Begriffe voraussetzen. Das soll an zwei Sätzen, die jeweils zur Beschreibung eines Sachverhalts dienen, näher erläutert werden, und zwar an dem klassifizierenden Satz "A ist verletzt" (1) einerseits und dem komparativen Satz "A ist verletzter als B" (2) andererseits 190 • Auch ohne auf eine Darstellung mittels mathematischer Symbole zurückgreifen zu müssen 191 , dürfte sich verdeutlichen lassen, daß die Sätze (1) und (2) Oppenheim 188 •
rische System leide an einer nicht zu behebenden Begriffsarmut : es vermittle zu wenig Informationsgehalt. Die klassische Logik vollzieht die Verfeinerung der Begriffe durch Bildung immer weiterer Unterklassen bzw. durch Hinzufügen "akzidenteller Merkmale". Klassisches Veranschaulichungsbeispiel ist hier der "Begriffsbaum" des Porphyrius. Zum Ganzen auch Otte, Dialektik, S. 57 f., 65 f., 88, 123: Die (prädikative oder kategorische) Urteilslehre des Aristoteles beschränke sich auf einstellige Prädikate. Damit sei sie so rudimentär, daß sie den Bedürfnissen der Praxis nicht genüge und zu Simplifizierungen zwinge. Sie teile zwar über die einfachen Formen alles überhaupt Wissenswerte mit, überlasse aber die komplizierten uneingestanden der Intuition. 187 Zur Inhaltsbestimmung moderner (hier im Sinne kalkülisierter) Logik, Klug, Juristische Logik, S. 13 ff. 188 earl G. Hempel und P. Oppenheim, Der Typusbegriff im Lichte der neuen Logik, 1936. 189 Darstellungen bei HempellOppenheim, insbesondere S. 21 ff.; Stegmüller, Wissenschaftstheorie II, S. 27 ff.; v. Kempski, Zur Logik der Ordnungsbegriffe, S. 205 ff., 212 ff. 190 Sprachlich besser wäre wohl die Formulierung: "A ist schwerer verletzt als B." Indessen ist diese Ausdrucksweise insoweit mißverständlich, als es sich dabei auel) um die Vergleichsform des in bestimmten Sachzusammenhang klassenbildenden Begriffes "schwerverletzt" handeln kann. 191 Den Begriff der Satzfunktion erläutern Hempell Oppenheim, S. 11 wie folgt: "Man denke sich aus einem bestimmten Satz einen oder mehrere Bestandteile herausgenommen und die ,Leerstellen' durch verschiedene Zeichen - etwa ,x', ,y', ,z' - kenntlich gemacht. Der so entstandene Ausdruck heißt eine Satzfunktion. " Beispiel einer einstelligen Satzfunktion ist etwa ,,,x' ist eine Stadt", das einer zweistelligen ,,,x' ist der Sohn von ,y"', wobei "x" und "y" jeweils Variable sind. Bei der Darstellung werden sämtliche in der Satzfunktion auftretenden Variablen als Argumente der Satzfunktion in eine Klammer gesetzt: also z. B. "Stadt (x)" bzw. "Sohn (xy)". Das in
3. Begriffslogische Aspekte
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einer ganz unterschiedlichen Definition der Verletzung bedürfen, um der Funktion, die sie haben, gerecht zu werden. Bei Satz (1) handelt es sich um eine sogenannte einstellige Satzfunktion; das ist nichts weiter als eine eindeutige Zuordnung von Objekten eines Bereichs zu den Objekten eines anderen: Im konkreten Fall, A zu der Klasse der Verletzten192 • Dafür reicht es aus, Kriterien festzulegen, die den Nichtverletzten vom Verletzten unterscheiden, wie z. B. daß das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit gegenüber dem Zustand vor der Einwirkung vermindert ist. Aufgrund dieser Kriterien kann man bereits festlegen, ob eine Verletzung gegeben ist oder nichtt 93 , oder - um eine Parallele zu § 223 zu ziehen - diese Definitionen reichen aus, um das Vorliegen einer Körperverletzung und mithin der objektiven Tatbestandsmäßigkeit im Sinne des § 223 festzustellen. Sie befähigen jedoch keinesfalls zu einer Erklärung im Sinne von Satz (2), nämlich daß A verletzter ist als B. Um der ordnenden Funktion von Satz (2) gerecht zu werden, bedarf es vielmehr ähnlicher Definitionen, wie z. B., daß der Verletzungsgrad mit der Dauer der Beeinträchtigung oder des notwendigen Heilprozesses wächst oder von der Schwere der (irreparablen) Schäden abhängtt 94 • Oder, um die strafrechtliche Relevanz deutlich zu machen: Wenn man festgestellt hat, daß eine Verletzung und damit Unrecht im Sinne des § 223 vorliegt, so muß man, um den Unrechtsgrad festzustellen, erst eine weitere Definition geben. Vereinfacht könnte diese etwa folgendermaßen aussehen: Je dauerhafter die körperliche Beeinträchtigung ist, um so schwerer ist auch der Unrechtsgehalt einer Straftat gern. § 223 195 • ForKlammer stehende Zeichen heißt Prädikat, mehrstellige Prädikate sind
Relationen.
Bereits mit diesem Instrumentarium läßt sich leicht verdeutlichen, daß es sich bei der Klassifizierung um einstellige Satzfunktionen handelt, bei der Verwendung des Komparativs aber um zweistellige. Satz (1) wäre allgemein etwa auszudrücken als "Verletzung (x)" oder kürzer "V (x)". Diese Schreibweise bringt zugleich zum Ausdruck, daß "x" eine Klasse bildet, mit all denen, die eine Verletzung haben. Ist "V (x)" eine Satzfunktion, so ist "V (A)" ein wahrer Satz, wenn A eine Verletzung hat. Satz (2) wäre entsprechend auszudrücken als "V (x, y)". 192 Stegmüller, Wissenschaftstheorie II, S. 44. 193 Probleme die bei der Interpretation durch unscharfe Begriffsgrenzen und mangelhafte semantische Erfaßbarkeit sowie durch fehlende personelle und interpersonelle Konsistenz entstehen, bleiben dabei allerdings außer Betracht. Insofern handelt es sich um eine theoretische Idealisierung. 194 Etwa Graßberger, Strafzumessung, S. 15: "Bei Gesundheitsbeschädigungen ergibt sich die Intensität der Normverletzung aus ihrer Dauer und ihrem Grade." Hempel / Oppenheim, S. 38 f. demonstrieren den Unterschied am Merkmalbegriff "intelligent". 195 Auch die Begriffe Gefahr und Gefährlichkeit kann und muß man auf ihren ordnenden bzw. klassifizierenden Gebrauch hin unterscheiden. Die o. a. Definition, wonach Gefahr die Möglichkeit des Eintritts eines als nega-
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Zweiter Teil: I. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
mallogisch erfordert Satz (2) einerseits das Aufstellen einer sogenannten "Äquivalenz- bzw. Koinzidenzrelation", die angibt, unter welchen Voraussetzungen zwei Verletzungen (bzw. zwei Unrechtssachverhalte im Sinne des § 223) gleich (schwer) sind. In Anknüpfung an die oben gebrauchte, stark simplifizierende Definition könnte sie lauten: "Zwei Personen sind gleich (schwer) verletzt, wenn die Dauer der Beeinträchtigung gleich ist." Andererseits ist eine sogenannte "Vorgängerrelation" erforderlich, mit der definiert wird, unter welchen Umständen eine Verletzung größer oder kleiner ist als eine andere196 : A ist verletzter als B, wenn die körperliche Beeinträchtigung bei A dauerhafter ist als bei B. Diese für Satz (2) notwendigen Definitionen sind ihrerseits für eine klassifizierende Begriffsverwendung nicht brauchbar197 • Denn die Erklärung, wann eine Verletzung gleich groß oder größer ist als eine andere, informiert nicht darüber, was eine Verletzung ist, wann und ob sie vorliegt1 98 • Damit dürfte aber zugleich deutlich werden, daß es sich bei dem komparativ (ordnend) gebrauchten Begriff (der Verletzung) gegenüber dem klassifizierenden nicht nur um eine Begriffsverfeinerung durch Bildung von Unterklassen handelt, sondern um einen logisch ganz andersartig aufgebauten Begriff. b) Klassifizierende und ordnende Begriffe im Strafrecht
Die Anwendung der Erkenntnisse über komparative Begriffs- und Satzstrukturen und die damit eröffnete Möglichkeit, zu einem sachgerechteren begrifflichen Instrumentarium zu gelangen, scheint im Strafrecht durch eine Reihe von Vorurteilen blockiert zu sein. tiv bewerteten Ereignisses ist, hat etwa klassifizierenden Charakter. Bereits eine Quantifizierung läge vor, wenn man die Größe der Gefahr nach dem Produkt aus dem Wahrscheinlichkeitsgrad des Ereigniseintritts und den ins Auge gefaßten Wertgesichtspunkten definierte, wie dies etwa F. X. Kaufmann, Sicherheit, S. 273 ff. tut. Insofern ist es mißverständlich, wenn Reinh. v. Hippel, Untersuchungen, S. 17 behauptet, die Gefahr könnte nicht als Quantität extensiv, sondern nur als Qualität relational bestimmt werden. Freilich taugt die als Quantität definierte Gefahr nicht zur Klassifizierung und insofern auch nicht zur Bestimmung einzelner qualitativer Gefahrgruppen, wie sie etwa in den §§ 223 a, 330 c etc. als Tatbestandsmerkmale formuliert sind. 196 Die zusätzlichen Bedingungen für eine "Quasiordnung" wie Transitivität, Symmetrie und Totalreflexivität bei der Äquivalenzrelation bzw. Transitivität, Irreflexivität und Konnexivität bei der Vorgängerrelation brauchen hier nicht dargestellt zu werden. Vgl. dazu StegmiiHer, Wissenschaftstheorie H, S. 29 ff. 197 Bisweilen wird dies auch in der strafrechtlichen Auseinandersetzung betont. Etwa Fahrenhorst, Rücktritt, S. 11, der von der Unmöglichkeit spricht, eine scharfe Grenzziehung zwischen graduellen, quantitativen Unterschieden zu erreichen. 198 Vgl. auch das Beispiel bei Hempel / Oppenheim, S. 80 f.
3. Begriffslogische Aspekte
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So besteht etwa die Vorstellung, daß die Rechtswissenschaft es nicht mit in Zahlen meß- und faßbaren "Quantitäten", sondern mit "Qualitäten" von Menschen und Dingen zu tun habe, welche Messungen und Formeln nicht zugänglich seien 199. Auch das Gewicht der Tat lasse sich oft gar nicht unmittelbar quantitativ oder zahlenmäßig bestimmen. Verbrechen und Strafe seien nur in Beziehung zu setzen, wenn man sie als gleichwertige Größen auffasse, wenn man sie gerade nicht "quantifiziere", sondern "qualifiziere"20o. Diese Prämissen sind häufig von der Vorstellung begleitet, daß es sich bei dem Unterschied zwischen qualitativ und quantitativ um einen solchen in der denk- und sprachunabhängigen Wirklichkeit handele 201 . Die angeführten Äußerungen Spendels bestätigen, daß bei den Einwänden gegen die quantitative Methode im Bereich des Strafrechts nur die Alternative qualitativ oder quantitativ gesehen wird. Dabei mögen die gegen eine Quantifizierung und Metrisierung geäußerten Bedenken (zumindest beim gegenwärtigen Stand der Wissenschaft) weitgehend zutreffen. Sie rechtfertigen aber nicht den resignierenden Rückzug auf qualitative Begriffsformen. Denn die komparativen Begriffe - die ein Zwischenglied zwischen qualitativen und quantitativen Begriffen bilden 202 - erlauben es, auch bei Fehlen einer Meßtechnik zu einer gewissen Reihenordnung zu kommen. Eine solche Reihenordnung dürfte geradezu erforderlich sein, wenn man die Straftat mittels einer numerisch festgesetzten Strafhöhe in ihrer Schwere charakterisieren oder zu präventiven Zwecken in Beziehung setzen will. Im übrigen wird in der Wissenschaftstheorie mit 199 So Spendet, Strafmaß, S. 171. Es wäre reizvoll zu fragen, inwieweit auch hierin noch die auf Aristoteles zurückzuführende Lehre steckt, wonach die Beschäftigung mit fließenden übergängen gar nicht zum Metier des Logikers gehört, weil die formale Logik nur das "Entweder - Oder" des klassifizierenden Denkens kenne. Allgemein dazu Otte, Dialektik, S. 66 f. 200 So Spendet, ZStW 83, 238. 201 Wohl auch bei Spendel, Strafmaß, S. 186: "Die realen Erscheinungen des ,Strafübels' und des ,Verbrechens' sind Fakta (die allerdings zu Werten in Beziehung gesetzt werden), gehören als solche der Seinssphäre an und unterstehen insofern der Kategorie der ,Quantität'. Soweit das erste Faktum als ,Strafe' und als gerechte Vergeltung, das letztere als schuldhaft rechtswidriges, strafbares Verhalten, ... , begriffen werden soll, haben sie wertbezogenen Charakter und sind der Kategorie der ,Qualität' zuzuordnen." Damit kommt übrigens auch zum Ausdruck, daß Spendet "Qualität" und "Quantität" im Sinne der Kategorienlehre des Aristotetes versteht, wo Stoff und Form die Wirklichkeit ausmachen. Diese Begriffsverwendung sowie die Nachweise, die Spendet unter Berufung auf Aristotelisches Gedankengut in diesem Zusammenhang für "die prinzipielle Mehrdeutigkeit des Strafmaßes (Unbestimmtheit) im konkreten Falle" anführt, dürften gegenwärtigen wissenschaftstheoretischen Anforderungen kaum genügen. Vgl. auch Otte, Dialektik, S. 59 ff., 66, 123. 202 StegmüHer, Wissenschaftstheorie 11, S. 29.
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beachtlichen Argumenten die Ansicht vertreten, daß den Begriffen "qualitativ" und "quantitativ" kein ontologisches Verhältnis, kein Unterschied in der denk- und sprachunabhängigen Wirklichkeit korrespondiere und daß die quantitative Methode im Prinzip (d. h. im potentiellen Sinne) universell sei 203 • Es ist daher zu vermuten, daß neben dem überkommenen und beherrschenden Einfluß der klassifizierenden, - und in der Folge davon - deduzierenden und subsumierenden Logik auch im Strafrecht die Unklarheit über eine Meßtechnik, über heranzuziehende Bemessungsfaktoren und über brauchbare Umrechnungsmaßstäbe für Meßwerte zu einem weitreichenden Erstarren in qualitativen Begriffsformen beigetragen haben. Der erste Versuch, die Ergebnisse von Hempel und Oppenheim für das Strafrecht fruchtbar zu machen, ist Radbruch zu verdanken 204 • Er meint, daß das herrschende Rechtsdenken zwar grundsätzlich auf der Seite der klassifizierenden Methode stehe und dies auch aus Gründen der zweifelsfreien Anwendung des Rechts, also der Rechtssicherheit, unentbehrlich sei, daß aber die richterliche Strafzumessung innerhalb der gesetzlichen Strafrahmen das Gebiet der Typenbegriffe 205 und der Reihenordnungen sei. Die Einordnung zwischen dem denkbar schwersten und dem denkbar leichtesten Fall eines Verbrechens dürfte nicht der Intuition des Richters überlassen, sondern müsse von objektiven Strafzumessungskriterien geleitet werden. Dabei ergebe sich für jeden der Strafzumessungsgründe eine Reihenordnung (insgesamt also eine mehrdimensionale Reihenordnung), die es bei der Festsetzung der konkreten Strafe zu reduzieren gelte 206 • Radbruch betont im Anschluß an Hempel und Oppenheim, daß der Begriff des Verbrechens als "Steigerungsbegrijf" nicht mit dem klassifizierenden Verbrechensbegriff identisch sei 207 • Der klassifizierende Verbrechensbegriff habe ganz scharfe und geschlossene Grenzen, abzugrenzen gegen das Nichtverbrechen sei sogar seine einzige Funktion. Demgegenüber wolle der abstufbare Verbrechensbegriff gerade die Berücksichtigung von fließenden übergängen und Verbindungen frei machen. Trotz einiger weiterer Auseinandersetzungen mit komparativen Begriffen haben diese als Anregung verstandenen Ausführungen Radbruchs kaum eine Vertiefung erfahren 208 , geschweige denn zu einer Vgl. zum Ganzen StegmüHer, Wissenschaftstheorie II, S. 16 ff. Klassenbegriffe und Ordnungsbegriffe, S. 167 ff. 205 Zum Typusbegriff vgl. unten Fn. 209. 208 Radbruch, Klassenbegriffe und Ordnungs begriffe, S. 171. 207 Ebd., S. 172. 208 Eine Ausnahme bildet insoweit der Aufsatz von Hassemer, Strafrahmen, S. 281 ff. Jetzt auch Otte, Komparative Sätze, S. 301 - 320. 203
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3. Begriffslogische Aspekte
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methodisch sauberen Argumentation in der Strafzumessung geführt. Das dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, daß die Ordnungsbegriffe auch in der Rechtswissenschaft sehr häufig in Zusammenhang mit dem Typusbegriff gebracht wurden 209 • Wie sich bereits aus dem Titel der Schrift von Hempe~ und Oppenheim ergibt, befaßt sich ihre Arbeit ebenfalls mit der Bedeutung der Ordnungsbegriffe in der und für die Typologie. Ebenso stellt Radbruch
eine Beziehung zu dem "konkreten Ordnungsdenken" und der aus dem Typus heraus urteilenden Denkweise earl Schmitts her210 • Während Hempel und Oppenheim aber noch darauf hingewiesen haben, daß neben dem ordnenden häufig auch ein klassifizierender Gebrauch des Typusbegriffes vorkommt, und dementsprechend eine scharfe Trennung durchführten, scheint in der übrigen Auseinandersetzung die Verknüpfung der ordnenden Begriffe mit dem Typus gerade zur Verwischung der logisch unterschiedlichen Begriffsstruktur und der Notwendigkeit unterschiedlicher Definition beigetragen zu haben. Hempel und Oppenheim haben an mehreren Stellen darauf hingewiesen, daß zwei Hauptanwendungsformen der Typenbegriffe zu unterscheiden seien 211 : eine ordnende und eine klassifizierende Form. Der k~assifizierende und der ordnende Gebrauch des Typusbegriffes seien logisch völlig voneinander unabhängig (S. 82). Im ersten Fall stelle der Typusbegriff die Klasse aller Objekte dar, welche in ein bestimmtes Intervall fallen, im zweiten Fall repräsentiere er ein Ordnungsprinzip (S. 86).
Diese scharfe Unterscheidung hat sich bisher in der juristischen Terminologie nicht eingebürgert. Engisch kann mit Recht feststellen, daß die meisten sog. Typenbegriffe keine Steigerungsbegriffe, sondern unscharfe Klassenbegriffe seien212 • Während es Hempel und Oppenheim nicht um die Frage ging, ob ein Individuum dem oder jenem Typus 209 Vgl. H. J. WoZff, Stud. Gen. V (1952), S. 195 ff.; Engisch, Konkretisierung, S. 237 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 423 ff.; Hassemer, Tatbestand und Typus, 1968; ders., Strafrahmen, S. 281 ff.; ZippeZius, Die Verwendung von Typen in Normen und Prognosen, S. 224 ff. 210 earl Schmitt, über die drei Arten des rechts wissenschaftlichen Denkens, 1934. Gegenübergestellt werden die "normativistische Methode", das "Entscheidungs denken" und das von ihm befürwortete und nationalsozialistisch gefärbte "Denken aus konkreten Ordnungen". Unter konkreter Ordnung wurden dabei etwa Familie, Sippe, Heer, Staat verstanden. Nur daraus ". " können Begriffe wie Führer, Gefolgschaft, Treue, Disziplin und Ehre verstanden werden". Diese Ausführungen sind weit entfernt von dem Ordnungs- und Typusbegriff bei Hempel/ Oppenheim. Es handelt sich dabei um idealtypisch bestimmte Prämissen, die zu einer möglichst exakten begrifflichen Entscheidung vorzudringen versuchen. Vgl. H.J.Wolff, S. 197. 211 HempeZ / Oppenheim, S. 79, 82, 86, 103, 111. 212 Engisch, Konkretisierung, S. 289 f.
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angehöre, sondern um die Stellung des Individuums in einer fraglichen Abstufungsreihe, trat in der Rechtswissenschaft dem abstufbaren Typus von Anfang an der repräsentative gegenüber und wurde dominierend 213 • Das zeigt sich beispielsweise, wenn von strafrechtlichen Deliktstypen oder tatbestandlichen Tätertypen die Rede ist, die für die Auslegung und die Strafzumessung von heuristischem Wert sein mögen21 4, die aber mit der Unterscheidung zwischen klassifizierenden und ordnenden Begriffen kaum etwas zu tun haben. Deliktstypen etwa sind klassifikatorische Voraussetzungen der Bestrafung, die mit der Kodifizierung regelmäßig zu multiplen Klassen erstarrt sind215 • Freilich sind mit einer jeweils auf den klassifizierenden und ordnenden Gebrauch hin differenzierten Begriffsdefinition die Schwierigkeiten im Bereich der Strafzumessung nicht gelöst. Die oben aufgestellte Definition des Unre.chtsgrades einer Körperverletzung, die diesen von der Dauer der körperlichen Beeinträchtigung abhängig macht, ist noch weit davon entfernt, einen (vom Beurteiler) entsubjektivierten, irgendwie meßbaren Begriff des Unrechts zu gewährleisten. Zudem sind etwa Unrecht und Strafe von vielen Faktoren 216 abhängig, so daß in der Regel auch außerordentlich komplexe Reihenordnungen notwendig sind. Nichtsdestoweniger dürfte an dem genannten Beispiel nachzuweisen sein, daß sich mit einem auf die ordnende Funktion hin erläuterten Begriff des Unrechts ein besseres Ergebnis erzielen läßt, als wenn man das Unrecht nur auf seinen klassifizierenden Gebrauch hin (als Herbeiführung einer Körperverletzung) definiert hat und auf der Basis dieser Definition die Schwere des Unrechts intuitiv schätzt. Diese Gefahr intuitiver Schätzung als Folge mangelhafter Unterscheidung von positiven und komparativen Begriffsformen haben Hempel und Oppenheim bereits für den Bereich der Topologie aufgezeigt 217 • Sie ist deshalb besonders groß, weil sich keineswegs immer die logische Form eines Begriffs erkennen läßt und weil man rein sprachlich " ... zu dem Positiv jedes218 Adjektivs ohne weiteres den Komparativ bilden (oder, was hiermit gleichbedeutend ist, den Positiv mit einem Zu213 Auch bei Radbruch, Klassenbegriffe, S. 168170 scheinen bereits entsprechende Tendenzen dazu vorhanden zu sein. 214 Zur Anknüpfung der Prognose an Typen sowie zu typisierenden Erfahrungsregeln Zippelius, S. 232 ff. 215 So auch WoZfi, S. 203; Larenz, Methodenlehre, S. 441; Engisch, Konkretisierung, S. 284. 216 Vgl. etwa § 13 11 bzw. § 46 11 n. F. 217 a.a.O., S. 39, insbesondere Fn. 2, S. 48 ff. 218 Ausgenommen sind allerdings, was HempeZI Oppenheim offenbar übersehen haben, Adjektive, die zwar ein Wesen oder Ding der Art nach charakterisieren, deren Bedeutung aber einen Gradunterschied nicht zuläßt: etwa schriftlich, tot, rund ete.; vgl. Der Große Duden, Bd. 4, Rdnr. 407.
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satz ,in höherem Grade' versehen) [kann], und so kommt es häufig vor, daß Merkmalsbegriffe klassifikatorisch, nämlich in der Positiv-Form definiert, dann aber ordnend angewandt werden oder umgekehrt"219. Diese Gefahr hat sich im Strafrecht auch realisiert. Wenn immer wieder betont wird, daß die Höhe der Strafe sich nach dem Grad des verwirklichten Unrechts und nach dem Grad der Schuld bemesse, so ist diese Formel ohne großen Aussagewert. Denn ist es angesichts der verschiedenen Auffassungen über den Inhalt von Schuld schon zweifelhaft, ob es sinnvoll ist, sich bei der Strafzumessung auf "die Schuld" zu berufen, so erscheint dies völlig aussichtslos, solange Schulddefinitionen, nach denen sich eine Quantifizierung vornehmen ließe, in aller Regel fehlen 220 . Die Unklarheit wird dadurch perfekt, daß auch noch gesagt wird, die Schuld wachse mit dem Unrecht, wobei wiederum keine Kriterien genannt werden, mittels derer sich eine Ordnung verschiedener Unrechtsgrade vornehmen ließe. Die stereotype Formel, daß die Höhe der Strafe von der Höhe der Schuld und des Unrechts abhänge, ist freilich in ihrer Funktion zu sehen, die Komplexität der Strafzumessungsfaktoren zu reduzieren. Auch darauf hat für den Bereich der Strafzumessung bereits Radbruch hingewiesen: eine Reihung der Strafzumessungsfaktoren sei mehrdimensional, die möglichen Strafmaße bildeten aber nur eine eindimensionale Reihe 221 . Daraus entstehe die Aufgabe, die Reihenordnung zu reduzieren bzw. einer "integrativen" Verschränkung zuzuführen222 . Dieses Problem scheint sich natürlich dadurch enorm zu vereinfachen oder gar zu lösen, daß man statt der vieldimensionalen Ordnung nur noch mit zwei Dimensionen - Unrecht und Schuld - arbeitet, zumal die Schuld sich - wie bereits betont - auch an der Quantität des zu ver219 Hempet / Oppenheim, Komparative Sätze, S. 39; Vgl. auch Otte, S. 304 Fn. 9: "Gleich" und "höher" seien zwar komparative, also mehrstellige Ausdrücke; "gleich S" und "höher als S" seien dagegen einstellige Ausdrücke, die folglich nur Klassen und keine Reihen konstituieren könnten. 220 So wohl auch Schaffstein, Schädliche Neigungen, S. 466 f.: so unbestritten die Steigerungsfähigkeit von Unrecht und Schuld sei, so habe man sich doch in Lehre und Rechtsprechung viel mehr Gedanken über die Begründung der Schuld, über ihr ob und wie und über den Schuldausschluß gemacht, als über Maßstäbe und Kriterien, die über den Grad (von) der Schuld bestimmen; ferner Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 381. 221 Klassenbegriffe, S. 171; ders., in: Frank-Festgabe, Systematik, S. 172 f. Strafzumessungssätze haben also etwa die Form: "je mehr a und je mehr b und je weniger c ... , desto höher die Strafe." Vgl. dazu Otte, Komparative Sätze, S. 304; zu den Schwierigkeiten auch S. 317 und S. 320 Fn. 44 die Erwägung, daß man Strafzumessungsfehler als Vektorenvertauschung und Berücksichtigung "unzulässiger Vektoren" erfassen und von daher die Grenzen der Revisibilität deutlicher formulieren könne. 222 Begriff bei Eser, Sanktionen, S. 111.
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Zweiter Teil: I. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
antwortenden Unrechts bemessen soll· und umgekehrt223 • Damit sieht es tatsächlich so aus, als habe man eine verhältnismäßig einfache zweidimensionale Ordnung. Abgesehen von der vorwiegend retrospektiven Blickrichtung dieser Ordnung, dürfte nur eine oberflächliche und naive Betrachtungsweise darin einen Vorteil sehen, solange Schuld und Unrecht nicht in ihren vielfältigen Abhängigkeiten dargelegt und einigermaßen geordnet sind. Denn dies ist eine Voraussetzung dafür, daß die reduzierte Ordnung der wirklichen wenigstens in etwa gleichwertig ist. Daher kann mit Recht festgestellt werden, daß gegenwärtig die Hauptschwierigkeit in der angemessenen Bewertung und Gewichtung der vielfältigen Faktoren liegt, die bisher völlig undurchsichtig unter Schuldgesichtspunkten herangezogen werden 22 4, dies um so mehr, als es keine wie immer geartete Skala gibt, die gestatten würde, den Grad der Be- oder Entlastung durch schuldrelevante Merkmale auch nur annähernd zu bestimmen225 . Zwar kann man auch durch die Bildung von Unterklassen und deren Bewertung im einzelnen eine gewisse Abstufung erzielen und ähnliche Ergebnisse zu erreichen suchen wie mit der Einführung des Komparativs 226 • Allerdings wäre dabei der konstruktive und begriffliche Aufwand außerordentlich viel größer als bei der Verwendung einer komparativen Begriffsform. Denn - um bei unserem Beispiel zu bleiben teilt man die Bandbreite möglicher Verletzungsgrade zwischen unbedeutender körperlicher Beeinträchtigung und tödlicher Verletzung in "n" Klassen ein, so sind dazu auch "n" Prädikate (bzw. "n" akzidentelle Merkmale) notwendig. Mit dem komparativen Begriff kann man demgegenüber die "n" Prädikate durch die Festlegung einer Koinzidenzund einer Vorgängerrelation ersetzen und damit eine quasi "fugenlose" Reihung von Verletzungsgraden erreichen. Daran zeigt sich, daß komparative Begriffe es ermöglichen, " ... dort gedankliche Differenzierungen vorzunehmen, wo dies bei alleiniger Verwendung klassifikatorischer Begriffe nicht möglich wäre oder nur möglich wäre über einen außerordentlichen begrifflichen Aufwand und auf Kosten der übersichtlichkeit"227. Die Wichtigkeit komparativer Begriffsformen für ein Strafrecht, das einerseits einfache und übersichtliche Verhaltensregeln geben, andererseits aber einer nicht überschaubaren Vielzahl von Einzelfällen auf individuelle Weise "gerecht" Vgl. etwa Baumann, § 11 II 2; Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 361 f. Stratenwerth, Tatschuld, S. 25; Schaffstein, Schädliche Neigungen, S. 467 ff. 225 Stratenwerth, Tatschuld, S. 35. 226 Vgl. etwa Klassen der "geringen" bzw. " schweren " Schuld in § 11 WStG. 227 Stegmüller, Wissenschaftstheorie II, S. 28. 223 224
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werden soU228 , dürfte daher kaum zu überschätzen sein229 • Deshalb ist es auch notwendig, überall wo es innerhalb eines bestimmten Strafrahmens auf eine Abstufung ankommt und wo diese Abstufung nach bestimmten Gesichtspunkten geregelt werden soll, auf komparativ strukturierte Strafzumessungsvorschriften überzugehen. Eines allerdings und darin scheint auf den ersten Blick das Wesentliche einer Rechtsnorm zu liegen - leisten komparative Gesetze gerade nicht: sie lassen offen, ob und wann eine bestimmte Rechtsfolge eintritt und können darum auch eine "willkürliche" Handhabung nie ganz ausschließen 230 , 231. Daher hat Otte festgestellt, daß dem komparativen Gesetz nicht nur ein anderer, sondern in gewisser Hinsicht sogar ein geringerer Informationsgehalt zukomme als dem klassifizierenden232 • Indessen läßt sich gerade diese Offenheit und Unbestimmtheit 233 , solange es 228 Und zwar in mehrfacher Weise: durch Individualisierung, Gleichbehandlung und (im Rahmen des Möglichen) (Vor-)Bestimmtheit. 229 Weitere Vorteile ergeben sich aus der Darstellung bei Stegmüller, Wissenschaftstheorie I, S. 454; Ir, S. 27 ff., 38: Vereinfachte Darstellungsform, Möglichkeit singulärer Vergleichsfeststellung; Verschärfung qualitativer Gesetze. Auch Otte, Komparative Sätze, S. 310 ff., stellt den unterschiedlichen Gehalt komparativer und klassifizierender Gesetze fest. Er meint aber, der Gehalt komparativer Sätze sei in gewisser Hinsicht geringer. Das stimmt natürlich insoweit, als das komparative Gesetz nicht angibt, ob eine Rechtsfolge eintritt, sondern nur über die Richtung informiert, in welcher sich das Wie der Strafe verändert. Von einem gegenüber klassifizierenden Sätzen geringeren Informationsgehalt wird man aber deshalb nicht grundsätzlich sprechen können. Es handelt sich einfach um etwas funktionell Verschiedenes. Im übrigen läßt sich mittels komparativer Sätze und Präjudizien die Rechtsfolge weitgehend und dem Gleichheitssatz entsprechend konkretisieren. 230 Der komparative Begriff führt nicht zu einer Reihe, sondern nur zu einer sog. "Quasireihe". Dies bedeutet, daß unterschiedliche Elemente u. U. dieselbe Position einnehmen können bzw. nicht jedem Element eine eindeutige Position in der Quasiordnung zugewiesen werden kann. 231 Daher ist es auch nicht möglich, im Bereich der §§ 43 ff./22 ff. n. F. mittels komparativer Gefahr- und Gefährlichkeitsbegriffe bestimmte Grenzen festzulegen. Insoweit hat Fahren horst, Rücktritt, S. 11, recht, wenn er meint, mit einem bestimmten Intensitätsgrad des verbrecherischen Willens könne man Strafbarkeit schwerlich begründen, weil eine scharfe Grenzziehung unmöglich sei. Die daraus gefolgerte Ablehnung des verbrecherischen Willens für die Strafbefreiung beim Rücktritt vom Versuch beruht freilich auf der Voraussetzung, daß es bei der Rücktrittsfrage um das Ob von Strafe und d. h. um das Ob von Schuld und Unrecht gehen soll. Ein anderer Ansatz, der etwa den Rücktritt als Rechtsfolgebestimmung sehen würde, wird gar nicht erwogen. 232 Komparative Sätze, S. 303 ff. Vielleicht liegt hierin auch ein Grund für die Bevorzugung klassifizierender Sätze, zum al der andere theoretisch denkbare Weg zu einer exakten Rechtsfolge, der übergang zu quantitativen Begriffen, im rechtlichen Bereich (bisher) nicht gangbar ist. Auch Stegmüller, Wissenschaftstheorie Ir, S. 27. 233 Sie beruht auch zu einem nicht geringen Teil darauf, daß im Strafrecht die Verletzung materieller Güter mit Sanktionen immaterieller Art verknüpft sind, wobei erhebliche Bewertungsdifferenzen entstehen können; vgl. dazu etwa Drost, Ermessen, S. 153 f.
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Zweiter Teil: 1. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
Strafrahmen gibt, nicht vermeiden. Sie ist ja auch sonst vorhanden und wird durch die komparativen Sätze nur offen ausgesprochen. Immerhin führen komparative Strafzumessungsvorschriften innerhalb der Strafrahmen zu einer gewissen Gliederung und erlauben noch am ehesten die vergleichende Feststellung, welche Fälle geringerer, gleicher oder höherer Strafe bedürfen. Einen Überblick über komparative Sätze im Recht gibt Otte 234 • Er unterscheidet im wesentlichen 4 Grundformen von Gesetzen, in denen komparative Prädikate vorkommen, und interpretiert sie folgendermaßen: (I) (I!) (lI!) (IV)
je mehr, desto mehr je mehr, desto eher wenn, dann mehr wenn, dann eher
Dabei stehen der Begriff "mehr" für den Grad der Intensität und "eher" für den Grad der Wahrscheinlichkeit eines Merkmals. Man braucht keine eingehenderen Untersuchungen anzustellen, um zu verdeutlichen, daß mit Hilfe der Konjunktion "je - desto" die ganzen Zumessungskomponenten des § 13 bzw. des § 46 n. F. in eine komparative Form zu bringen sind. Beispielsweise ließe sich formulieren: -
je größer das Maß an Pflichtwidrigkeit ist, desto höher kann die Strafe sein; je schwerer die verschuldeten Auswirkungen der Tat sind, desto höher kann die Strafe sein; je größer das Bemühen des Täters ist, den Schaden wiedergutzumachen, desto eher ist die Strafe zu mildern.
So formulierte Regeln, wie sie etwa in den §§ 23 - 25, 1125, 1126 des 20. Titels des Pr ALR enthalten sind, geben dem Richter eine Hilfestellung, indem sie diejenigen Kriterien aufzählen, die die Ausübung des Ermessens (mit-)bestimmen sollen. Da das Gewicht und das Rangverhältnis dieser Kriterien nicht von vornherein feststeht uncl von Fall zu Fall unterschiedlich sein kann, kann man von einem "beweglichen System" sprechen 235 • Für eine komparative Formulierung der Rücktrittsvorschrift eignet sich die Grundform "wenn, dann eher bzw. mehr" besser. Eine entKomparative Sätze, S. 303 ff.; ferner Hempel /Oppenheim, S. 34 ff. Zu diesem Begriff Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950; Canaris, Systemdenken, S. 74 ff.; Otte, Komparative Sätze, S. 318, hält das Strafzumessungsrecht für das umfangreichste "bewegliche System" im geltenden Recht. 234
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3. Begriffslogische Aspekte
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sprechend dem § 23 III n. F. gefaßte Regel, daß der Richter bei freiwilligem Rücktritt des Täters von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern kann, dürfte das dahinter stehende Anliegen sprachlich nicht voll zum Ausdruck bringen. Sie läßt nämlich (scheinbar) offen, ob das Absehen von Strafe bzw. die Strafmilderung in das freie Ermessen des Richters gestellt ist. Das wäre weder wünschenswert noch sachgerecht. Genau besehen dürfte diese Formulierung weitere Aussagen enthalten. Eine davon läßt sich mit der Grundform "wenn, dann eher" etwa wie folgt fassen: "Wenn freiwilliger Rücktritt, dann eher Absehen von Strafe als bloße Strafmilderung und eher Strafmilderung als Regelstrafe. " M. a. W., in erster Linie kommt ein Absehen von Strafe in Betracht; wenn dies nicht angebracht ist, Strafmilderung, und nur ganz ausnahmsweise die Strafe, die bei fehlendem Rücktritt zu verhängen wäre 236 • Weitere Aussagen lassen sich in folgende Form bringen: - "Je größer der Grad der Freiwilligkeit, desto eher Strafmilderung bzw. Absehen von Strafe237 ." - "Je deutlicher der Täter bereits gezeigt hat, daß er fähig ist, bis zur Erfolgserreichung zu handeln, und je größer die dadurch herbeigeführte Gefährdung des Handlungsobjektes war, desto weniger kommt als Rechtsfolge ein Absehen von Strafe in Betracht." Im übrigen enthält auch eine wie oben formulierte Rücktrittsregel kaum Kriterien, die die Ausübung des richterlichen Ermessens mitbestimmen. Der "Rücktrittstatbestand" (d. i. die "Wenn"-Bedingung) beschränkt sich vielmehr darauf, die Sachverhaltsklasse zu umschreiben, die der Ermessensentscheidung unterliegen soll, wobei die Entscheidung sich an Kriterien zu orientieren hat, die in der Norm nicht oder nur unzureichend genannt sind 238 , nämlich hauptsächlich an präventiven Erfordernissen. Zusammenfassend läßt sich jedenfalls sagen, daß Rechtsfolgebestimmungen in der Regel im Gegensatz zu dem klassifikatorischen Unrechts- und Schuldtatbestand eine komparative Struktur haben und haben müssen, wenn sie dem Richter bestimmte Richtlinien für die 238 Vgl. auch die Protokolle des Sonderausschusses für Strafrechtsreform, 88. Sitzung, wo Diemer-Nicolaus, S. 1752 und MüHer-Emmert, S. 1757 betonen, daß die in § 23 Abs. 3 n. F. an erster Stelle genannte Möglichkeit des Absehens von Strafe die Regel sein solle. 237 Damit ließe sich der Tatsache Rechnung tragen, daß sich nur in den seltensten Fällen sagen läßt, der Täter sei allein aus autonomen bzw. aus heteronomen Motiven zurückgetreten. In Wirklichkeit wird es sich meist um ein Konglomerat autonomer und heteronomer Motive handeln. 238 Dazu allgemein Otte, Komparative Sätze, S. 308.
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Zweiter Teil: I. Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung
Strafzumessung geben und trotzdem eine zweckorientierte, individuelle Entscheidung ermöglichen sollen. Daß die komparative Struktur nur selten satzmäßig zum Ausdruck kommt, liegt an der ungewöhnlichen und auf den ersten Blick komplizierten sprachlichen Form komparativ gefaßter Aussagen. Bevor nun darauf eingegangen wird, wie der Rücktritt regelungstechnisch in eine Rechtsfolgebestimmung gefaßt werden kann, sind der Vollständigkeit halber die prozessualen Aspekte einer Trennung von Schuldspruch und Strafausspruch zu erwähnen. 4. Die prozessuale Trennung von Schuldspruch und Strafausspruch Prozessual haben sich die Trennungstendenzen deutlich in der Forderung nach dem Schuldinterlokut niedergeschlagen, nach der Trennung von conviction und sentenee, von Schuldspruch und Strafausspruch, von der Frage, ob eine Straftat vorliegt und welche Strafe zu verhängen ist239 • Die Gründe, die für eine solche Trennung sprechen, sollen hier im einzelnen nicht wiederholt werden; sie sind in den angeführten Beiträgen ausreichend nachgewiesen worden. Untet anderem ist die Forderung nach dem Schuldinterlokut jedenfalls als prozessuales Gegenstück zu einer verstärkten Individualisierung bzw. als prozessualer Zugang für eine wissenschaftliche Täterdiagnostik zu sehen 240 • Blau spricht von einem Mehr an Sozialpädagogik, und Römer meint, daß dem Gericht eine soziale Persönlichkeitsdiagnose und Zukunftsprognose ermöglicht werden müsse. Dabei wird durchgehend deutlich, daß bei der Erforschung der Täterpersönlichkeit241 mehr als zur Feststellung der Schuld erforderlich ist: Die Forderung nach dem Schuldinterlokut beruhe auf der Einsicht, daß die Fragen nach dem Ob und Wie der Bestrafung zu einem erheblichen Teil verschiedenes Beweismaterial verlangt. 239 Dazu Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 227 f.; Dahs, NJW 1970, 1705; Blau, ZStW 81, 31; Herrmann, Die Reform der deutschen Hauptverhandlung nach dem Vorbild des angloamerikanischen Strafverfahrens, S. 137 ff.; Drost, Ermessen, S. 222 ff.; Kleinknecht, "Informelles Schuldinterlokut", S. 651 ff.; Peters, Kriminalpädagogik, S. 69 f., 174 f.; Fischinger, ZStW 81, 49; Kaiser, Strategien und Prozesse, S. 20, 68 ff.; Römer, GA 1969, 333. Zweifelnd Heinitz, in: "Sinn und Werden im Recht", Festgabe für v. Lübtow zum 70. Geburtstag, 1970, S. 835 ff. 240 Römer, S. 336 f.; Dahs, S. 1705 f. mit Hinweisen auf die jüngsten Ge-
setzgebungsrichtlinien und Strafzumessungen. 241 Daß es insbesondere bei schweren Delikten - einer solchen bedarf, kann als gesichert gelten. Vgl. etwa BGH MDR 1971, 937; für die Frage der Bewährung BGH MDR 1971, 146: Die Vorschrift des § 23 II setze voraus, daß außer der günstigen Sozial prognose besondere Umstände sowohl in der Tat, als auch in der Persönlichkeit des Angeklagten vorliegen. Besonders deutlich auch schon BGH NJW 1951, 770.
4. Prozessuale Trennung von Schuldspruch und Strafausspruch
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Wenn insoweit in materiell-rechtlicher wie in prozessualer Beziehung der Wunsch nach einer Trennung von Schuldspruch und Strafausspruch durch die verstärkte Individualisierungstendenz und Zweckausrichtung der Strafe wachgerufen wird, so bestehen in der näheren Begründung doch Unterschiede. Während der Anlaß für eine Trennung materiell gesehen insbesondere in der Schwierigkeit liegt, auf rechtsstaatlich bzw. systematisch befriedigende und am Tatschuldprinzip festhaltende Weise die Täterpersönlichkeit, deren Gefährlichkeit und eine Zweckausrichtung ausreichend zu erfassen, geht es prozessual auch um ein Mehr an Persönlichkeitsschutz242 • Der verfassungsrechtlich gesicherte Anspruch auf Achtung der Menschenwürde, der Persönlichkeit und des Intimlebens soll wenigstens so lange respektiert werden, solange die Schuld des Angeklagten nicht als bewiesen gelten kann. Zu welch unbefriedigendem Zustand es führen kann, wenn die Vorstrafen des Angeklagten, seine familiären und sonstigen persönlichen Verhältnisse, die mit dem Delikt im eigentlichen Sinne nichts zu tun haben, vor Gericht ausgebreitet werden, bevor überhaupt die Frage geklärt ist, ob er die Tat begangen hat, ist oft genug betont worden. Durch nichts begründete Bloßstellungen bzw. Beeinträchtigungen der Unvoreingencmmenheit des Gerichts sind unvermeidbar, wenn man Tat und Täter verknüpft oder sogar die Erörterung der persönlichen Verhältnisse an den Beginn des Verfahrens stellt243 • Insoweit wird natürlich das Maß der Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit auch präjudiziert, wenn man eine Trennung von Tat- und Täterwürdigung für unmöglich hält. Dann muß tatsächlich eine verstärkte Berücksichtigung der Persönlichkeit auf Bedenken stoßen und als "seelische Entkleidung" erscheinen. Bei einer Trennung scheint diese Gefahr demgegenüber weit weniger gegeben, zumal eine sinnvolle und sachliche Begrenzung insbesondere unter Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit denkbar ist. Problematisch ist allerdings, wo die Grenze zwischen Ob und Wie der Strafe und wo - prozessual gesehen - die Verhandlungsabschnitte zu verlaufen hätten. Diese bisher keineswegs geklärte Frage bedarf einer speziellen Untersuchung, die an dieser Stelle nicht vorgenommen werden kann. Daß jedenfalls das geltende Recht auf dem Standpunkt steht, daß Schuld und Straffrage grundsätzlich trennbar sind, zeigt sich etwa an der Möglichkeit auf das Strafmaß beschränkter Rechtsmitteleinlegung und an dem Institut des Absehens von Strafe. Allgemein zur Begründung HerTmann, S. 139. Hierzu die sarkastische Bemerkung von Karl Kraus, Sittlichkeit und Kriminalität, S. 160: "Und siehe, der Mangel an Beweisen dafür, daß Frau Klein gemordet hat, ward reichlich wettgemacht durch den überfluß an Beweisen für ihren unsittlichen Lebenswandel." 242
243
11. Rücktritt und Absehen von Strafe Wenn es darum geht, den Rücktritt in eine Strafzumessungsvorschrift zu fassen, so scheint regelungstechnisch das fakultative "Absehen von Strafe" eine naheliegende und sachgerechte Rechtsfolge zu sein, nicht nur, weil damit materiell-rechtlich der scheinbar prinzipielle Zusammenhang von Schuld- und Straffra,ge gelöst wird, sondern auch, weil bereits im geltenden Recht eine Reihe von Regelungen darauf zurückgreifen. Überdies ist ein Schuldspruch unter Strafverzicht folgerichtiger als ein Freispruch, wenn es letztlich präventive Gründe sind, die eine Strafe als nicht notwendig erscheinen lassen. Freilich dürften über die Eigenart und den Regelungswert eines Schuldspruchs unter Strafverzicht bis vor kurzem kaum ausreichende Vorstellungen existiert haben. Erst in jüngster Zeit hat eine eingehendere, nicht zuletzt durch § 16/60 n. F. angefachte Auseinandersetzung stattgefunden244 • Dabei herrscht, soweit ersichtlich, Einigkeit über die weiteren rechtlichen Folgen eines Absehens von Strafe, die das Wesen des Instituts
mitbestimmen:
Wie sich aus § 260 IV 2 StPO ergibt, enthält das Absehen von Strafe nicht nur eine prozessuale, sondern eine Sachentscheidung. Der Schuldspruch wird als Beschwer und damit als Voraussetzung einer Rechtsmitteleinlegung angesehen. Daß eine Kostenpflicht des Verurteilten besteht, ergibt sich ausdrücklich aus § 465 I 2 StPO. Letzteres kann sich übrigens bei entsprechend hohen Verfahrenskosten als praktisch ganz empfindliche Sanktion auswirken, die im Einzelfall für den Schuldiggesprochenen weit schwerer wiegt, als die Verhängung einer Geldstrafe oder einer eventuell auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe245 • Wenn man also wirklich mit dem Absehen von Strafe ernst machen will und ein zweckhafter Einsatz des Instituts nicht nur auf dem Papier stehen soll, so wäre durchaus eine flexible Regelung der Kostentragungspflicht zu erwägen. Sie könnte u. a. auch an den finanziellen Möglichkeiten des Schuldiggesprochenen orientiert sein. Die Notwendigkeit einer solchen Regelung 244 Vgl. die Beiträge von Eser, Absehen von Strafe Schuldspruch unter Strafverzicht, in: Maurach-Festschrift, 1972, S. 257 ff.; Maiwald, Absehen von Strafe nach § 16 StGB, ZStW 83, 663 ff.; Wagner, Die selbständige Bedeutung des Schuldspruchs im Strafrecht, insbesondere beim Absehen von Strafe nach § 16, GA 1972,33 ff. 245 Vgl. v. Els, MDR 1972,577.
11. Rücktritt und Absehen von Strafe
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ergibt sich auch daraus, daß die Verfahrenskosten unabhängig von der Tatund Schuldschwere entstehen.
Ferner ist aber anerkannt - und hier unterscheidet sich der Schuldspruch unter Strafverzicht von einer Bestrafung -, daß ein Absehen von Strafe nicht gleich Strafe ist und dementsprechend auch nicht als Vorstrafe gilt, schließlich, daß keine Eintragung ins Strafregister erfolgt 246 • Darüber ist zwar im Gesetz nichts zu finden, vielmehr werden die Ergebnisse - fast auf dem Wege einer petitio principii - daraus gefolgert, daß der Angeklagte im Falle eines Absehens von Strafe weder freigesprochen noch bestraft sei. Kritisch ist dem hinzuzufügen, daß eine ausgewogene Begründung den Sinn und Zweck des Strafregisters einzubeziehen hätte. Zusätzlich kann man dahingehend argumentieren, daß - wie § 465 I 2 StPO zeigt - die Folgen eines Absehens von Strafe, soweit sie denen einer Bestrafung gleichstehen, ausdrücklich normiert sind. Sind keine entsprechenden Vorschriften vorhanden, so kommt nur eine Gleichstellung mit einem Freigesprochenen in Betracht. Bezüglich der Voraussetzungen des Absehens von Strafe kommen dagegen die einzelnen Beiträge, ungeachtet ihrer unterschiedlichen Stoßrichtung247 , alle zu dem Ergebnis, daß sich die Regelungen im geltenden Recht, die ein Absehen von Strafe enthalten, weder auf ein bestimmtes kriminal politisches Konzept, noch auf ein durchgängiges Prinzip zurückführen lassen 248 • Bereits eine historisch-genetische Betrachtung macht jeden einheitlichen Nenner unwahrscheinlich. Dem StGB von 1871 war ein Absehen von Strafe unbekannt. Im StGB-Vorentwurf von 1909 tauchte das Institut zum ersten Mal auf, fand aber erst 1935 Eingang in das StGB (§ 175 II) und erfährt bis heute eine zwar ständig zunehmende, aber eben nur punktuelle und konzeptionslose Ausweitung. Was den sachlichen Hintergrund betrifft, so wird das 246 Unklar insoweit Roggemann, ROW 1969, 149 Fn. 199, der davon spricht, daß der Schuldspruch ins Strafregister eingetragen werden könne. 247 Maiwald setzt sich in erster Linie mit § 16 aus·einander, Wagner versucht die Notwendigkeit eines besonderen Schuldfeststellungsbedürfnisses zu begründen und Eser erörtert die Ausformung des Instituts im DDR-StGB, wo es sich, im Gegensatz zu der nur punktuellen Westdeutschen Regelung, auf ein kriminalpolitisches Konzept und einen materiellen Straftatbegriff zurückführen läßt. 248 Selbst wenn man glaubt, einen einheitlichen Generalnenner darin sehen zu können, daß es der konkreten Tat so sehr an Strafbedürftigkeit fehle, daß eine Strafe nicht mehr veranlaßt erscheine, so ist wegen der Inhaltlosigkeit eines derartigen Generalnenners auch nichts Weiterführendes gesagt. Auch wenn das "Schuldfeststellungsbedürfnis" das Gemeinsame der Fälle des Absehens von Strafe wäre (so Wagner), wäre die weitere, nach wie vor offene Frage, ob sich das Schuldfeststellungsbedürfnis aus Schuld-, Unrechts- oder Zweckmäßigkeitsüberlegungen ergibt.
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Zweiter Teil: 11. Rücktritt und Absehen von Strafe
Absehen von Strafe sowohl auf geringes Unrecht und geringe Schuld wie auch auf den (Straf-)Zweckverfehlungsgedanken zurückgeführt. Angesichts dieser Unbestimmtheit und fehlenden Einheitlichkeit erscheint auch die Frage nach dem "systematischen Ort des Absehens von Strafe"249 oder der Versuch einer Einordnung in das Rechtsfolgesystem müßig, weil nicht einheitlich beantwortbar. Und es kann nicht erstaunen, wenn das Absehen von Strafe einerseits dem Bereich der Strafzumessung zugeordnet wird, weil es nicht einen schon im Tatgeschehen begründeten notwendigen Ausschluß der Straftat enthalte25o , andererseits aber den persönlichen Strafaufhebungsgründen25 t, bei deren Aussagelosigkeit sich alles unterbringen läßt. Wenn daher im folgenden auf den Gehalt und Regelungswert des "Absehens von Strafe" eingegangen wird, um den Wert des Instituts für den Rücktrittsbereich ausloten zu können, so bedarf dies zunächst einmal der gedanklichen Loslösung von den überkommenen Einzelfallregelungen. Auf diese Weise wird man am ehesten verhindern können, daß das Besondere und Ungewöhnliche dieses Instituts in der Konzeptionslosigkeit der bestehenden Vorschriften untergeht oder durch sie verzerrt wird. Daß diese Gefahr tatsächlich besteht, zeigt sich an dem Einfluß der Regelungen des geltenden Rechts. Sie dürften nicht unmaßgeblich zu der überwiegenden Annahme beigetragen haben, es handele sich beim Absehen von Strafe um Fälle, bei denen wegen des geringen Unrechts- und Schuldgehalts der Tat deren Strafwürdigkeit fehle 252 . Ein ganz anderer - in der Lehrbuchliteratur nur von Schmidhäuser betonter Aspekt - geht dabei meist verloren, nämlich daß der Strafausschluß (im Sinne des Absehens von Strafe) nicht bereits in der Tat begründet sei und daß es sich daher um den Bereich der Strafzumessung handele 253 • Diese Sicht gerät erst neuerdings stärker ins Blickfeld, und zwar durch § 16 bzw. § 60 n. F., der sich offensichtlich nicht auf Schuld- und Unrechtsminderungsgründe stützen läßt. Sie eröffnet ganz neue Perspektiven und macht deutlich, daß auch außerhalb von Schuld und Unrecht stehende Gesichtspunkte auf die Strafgrenze Einfluß nehmen können.
249 Vgl. v. Weber, MDR 1956,705.
Schmidhäuser, 13/9; 20173 ff. Bezüglich § 16 auch Maiwald, ZStW 83, 666 f.: Er sieht den Unterschied zwischen Strafaufhebungs- bzw. -ausschließungsgründen und dem Absehen von Strafe darin, daß erstere nicht erst die Frage der Wirkung, die eine Bestrafung auf den Täter und die Allgemeinheit hervorruft, betreffen. 251 J escheck, § 52 H. 2:;2 Etwa Wagner, GA 1972, S. 35 ffi. w. H. 253 Ähnlich auch die unter Fn. 250 genannten Ausführungen von Maiwald. 250
1. Absehen von Strafe
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1. Charakter des Absehens von Strafe
Soweit es um den Charakter des Absehens von Strafe geht, haben sich zwei Standpunkte herauskristallisiert: einerseits die Sicht als "Grenzfall der Strafzumessung "254, andererseits die Sicht als "eigenständige Sanktionsform"255. Beide Ansichten widersprechen sich keinesfalls, sondern betreffen verschiedene Aspekte derselben Sache. Die eine mehr den systematischen, regelungs technischen Standort, die andere den allgemeinen Regelungswert. a) Systematischer Standort
Der systematische Standort des Absehens von Strafe dürfte von der überwiegenden Lehre zutreffend als Grenzfall der Strafzumessung gekennzeichnet sein 258 • Ist ein Absehen von Strafe nicht obligatorisch vorgeschrieben, so handelt es sich sogar um einen echten Fall der Strafzumessung. Dementsprechend wird als Beleg für die genannte Ansicht u. a. auch darauf hingewiesen, daß die Möglichkeit des Absehens von Strafe in den meisten Fällen fakultativ neben eine Strafmilderung gestellt sei, was die Verwandtschaft mit der Strafzumessung beweise. Freilich stellt diese Charakterisierung nicht klar, welche Gründe hier zu einem Grenzfall und damit - von der Frage des Wie der Strafe herkommend - zu einer Strafgrenze führen. Das Absehen von Strafe kann genauso unter dem Aspekt der Schuld- und Unrechtsminderung wie der Zweckverfehlung i. w. S. gesehen werden, und de !ege la ta ist dies sogar notwendig. Je nachdem erreicht man allerdings die Strafgrenze von verschiedenen Seiten her: einmal durch Reduzierung der dogmatischen Kategorien von Schuld und Unrecht auf Null, zum andern durch zunehmenden Wegfall von Strafzweckgesichtspunkten. Zumindest was den zweiten Fall betrifft, ist ein Absehen von Strafe regelungstechnisch unbedingt notwendig, wenn man Zweckgesichtspunkten Einfluß auf die Strafgrenze geben und gleichzeitig klar umgrenzte Kategorien von Unrecht und Schuld beibehalten will. 254 So von Weber, MDR 1956, 706; Wagner, GA 1972, 36; Schröder, Gutachten zum 41. DJT, Bd. 1, S. 98; Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 29; ferner Jescheck, Lange, BGHSt 16, 399/400 f.: Beim Absehen von Strafe werde diese auf Null reduziert. 255 In dieser Richtung die jüngsten Ausführungen von Maiwald, Wagner und Es er. Die gelegentlich anzutreffende Charakterisierung als "Gnadenakt" bleibt außer Betracht. Sie kommt freilich dem Standpunkt entgegen, der Strafe als notwendige Folge von Unrecht und Schuld sieht. Für ihn kann ein Strafverzicht nur gnadenhalber, d. h. aus nicht-rechtlichen und nichtkriminalpolitischen Gründen verstehbar sein. Ganz entsprechend dürfte die Gnadentheorie im Zusammenhang mit § 46/24 n. F. zu erklären sein. 256 Vgl. die in Fn. 254 Genannten; ferner Henkel, a.a.O., S. 50: Maßnahme der Strafzumessung im weiteren Sinne; ebenso wohl schon Peters, Die kriminalpolitische Stellung, S. 33 Fn. 5.
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Zweiter Teil: 11. Rücktritt und Absehen von Strafe
Aber streng genommen besteht diese regelungstechnische Notwendigkeit auch, wenn man davon ausgeht, daß es sich beim Absehen von Strafe um Fälle handelt, bei denen wegen des geringen Unrechts- und Schuldgehaltes der Tat die Strafwürdigkeit fehlt2 57 • Hier markiert der Schuldspruch nicht den Einschnitt zwischen Zweck- und Konditionalprogramm, sondern den übergang von klassifizierenden zu komparativen Begriffsformen. Zwar kann man sich fragen, weshalb bei einem auf Schuld- und Unrechts minderung beruhenden Fehlen der Strafwürdigkeit überhaupt ein Schuldspruch erforderlich ist. Denn - so könnte man sagen - wenn Schuld oder Unrecht so geringfügig sind und gleichsam Bagatellcharakter haben, warum soll man dann nicht freisprechen, warum ist dann ein Schuldspruch notwendig 258 ? Auf die rechts technische Möglichkeit nicht nur eines "fakultativen Absehens von Strafe", sondern auch eines "fakultativen Freispruchs" deutet etwa die Regelung des "entschuldigenden Notstandes" in § 35 n. F. Das Gesetz geht davon aus, daß der Notstandstäter in der Regel schuldlos handelt, also freizusprechen ist. Es relativiert jedoch diese Regelung dahingehend, daß nur eine Strafmilderung (u. U. nicht einmal diese) in Betracht kommt, wenn dem Notstandstäter den Umständen nach eine Hinnahme der Gefahr zugemutet werden könne. Mittels des flexiblen Maßstabes der Zumutbarkeit läßt sich praktisch eine ebenso flexible Abstufung der Schuld bis hin zu einem Untersc.1-jreiten der Zumutbarkeitsschwelle und d. h. bis zu einem Schuldwegfall erzielen. Diese Regelung erscheint auf den ersten Blick vielleicht konsequenter als ein Absehen von Strafe, wenigstens soweit es um einen Strafverzicht aufgrund von Schuldmiriderung geht. Es sei jedoch angemerkt, daß unter rechtstheoretischen und begriffslogischen Gesichtspunkten die bereits bekannten Schwierigkeiten auftreten. Die flexible Abstufung bedarf komparativer Begriffsformen und Gesetze bzw. einer entsprechenden Definition der Zumutbarkeit. Andererseits kann mit dem so bestimmten Zumutbarkeitsbegriff die Klasse des Zumutbaren nicht von der Klasse des Unzumutbaren getrennt werden. Man muß also innerhalb des § 35 n. F. mit unterschiedlichen Zumutbarkeitsbegriffen arbeiten. Zwischen dem komparativen und klassifikatorischen Zumutbarkeitsbegriff besteht ein Einschnitt, der herkömmlicherweise als der nicht greifbare oder nicht genau bestimmbare Punkt angesehen wird, an dem die nur quantitative Differenz in eine qualitative umschlagen soll. Macht man sich den (rein) sprachlogischen Unterschied von Qualität und Quantität bewußt, so wird schnell klar, daß es logisch gesehen diesen Punkt, wo Quantitatives in Qualitatives umschlägt, im begrifflichen Bereich gar nicht gibt, und jeder Versuch, diesen Punkt zu fassen, von vornherein scheiWagner, GA 1972, 35 m. w. H.; Schönke / Schröder, vor § 13 Rdnr. 50. So wohl auch die Problemstellung bei Wagner; er kommt auf diesem Wege dazu, ein Schuldfeststellungsbedürfnis als Voraussetzung des Absehens von Strafe zu fordern. 257
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tern muß. Auch die Untersuchung von Otte 259 gibt hierfür eine Bestätigung. In seinem Beitrag zur logischen Struktur komparativer Sätze stößt er auf solche, mit der Form "wenn eher, dann" oder "wenn mehr, dann", die auf den ersten Blick den Umschlag von " ... ,Quantität in Qualität', mit anderen Worten Sachverhalte, in denen bei steigender Intensität oder Wahrscheinlichkeit eines Merkmals ein bestimmter Zustand erreicht wird, auszudrücken scheinen". Otte selbst zweifelt jedoch daran, ob derartige Formen komparativer Sätze überhaupt sinnvoll seien. Denn entweder sei die Schwelle für einen solchen Umschlag nicht bekannt, - dann könne man nur formulieren "je mehr - desto eher" -, oder sie sei bekannt, dann handele es sich in Wirklichkeit um eine Klassifizierung. Diese Zweifel sind schon deshalb begründet, weil es den fließenden übergang von Quantität in Qualität in der denk- und sprach unabhängigen Wirklichkeit nicht gibt. Das Umschlagen ist durch einen Einschnitt gekennzeichnet: den übergang von klassifikatorischen zu komparativen Gesetzen. Dieser Einschnitt kann bei einem exakten Vorgehen zu scheinbaren Widersprüchen führen, wenn man mittels des ersten klassifizierenden Schrittes zu dem Ergebnis kommt, eine Hinnahme der Gefahr sei zumutbar gewesen, andererseits aber die Gradation der Zumutbarkeit zu so niedrigen Unrechts- und Schuldgehalten führt, daß eine Strafe verzichtbar erscheint. Will man sich in diesem Fall nicht auf einen Strafausspruch oder einen theoretisch nicht exakten - weil dem klassifizierenden Ergebnis widersprechenden Freispruch einlassen, so braucht man eine Zwischenstufe: den Schuldspruch unter Strafverzicht260 • Insoweit ist die Ansicht von Welzel 261 korrekt, der meint, wenn Komparative Sätze, S. 304. Diese Ausführungen wollen nicht die Fassung des § 35 n. F. kritisieren. Der Regelungswert einer Norm hängt nicht immer davon ab, ob diese begriffs- und sachlogisch völlig exakt ist. Es sollte nur dargetan werden, daß streng logisch an der Stelle des überganges vom Quantitativen zum Qualitativen der Schuldspruch unter Strafverzicht zu stehen hat und sich hier auch eine hinreichende Begründung für das Institut des Absehens von Strafe ergibt. Dies dürfte Wagner übersehen haben, wenn er meint, den selbständigen Schuldspruch nur mittels eines Schuldfeststellungsbedürfnisses rechtfertigen zu können. Seine Ausführungen unterliegen übrigens auch in anderer Hinsicht Zweifeln: Denn entweder billigt man den Kategorien Unrecht und Schuld Eigenwert zu und geht dementsprechend davon aus, daß es Aufgabe des Gesetzes sei, Verhaltensweisen zu vertatbestandlichen, die wenn nicht strafbedürftig - so doch schuldfeststellungsbedürftig sind (in diesem Sinne auch Wagner, GA 1972, 38, aber ohne daraus Schlußfolgerungen zu ziehen). Wenn mit dem Vorliegen von Unrecht und Schuld aber eo ipso ein Schuldfeststellungsbedürfnis vorliegen soll, dann fragt man sich, wo der Sinn liegt, ein solches noch besonders zu fordern. Oder man geht so weit, das Schuldfeststellungsbedürfnis in Abhängigkeit von präventiven Argumenten zu bringen. Dann beseitigt man letztlich die Eigenständigkeit von Schuld und Unrecht oder zumindest deren feste Grenzen. Der verfehlte Standpunkt, der Strafe als notwendige Folge von Unrecht und Schuld sieht, schlägt in sein gegenteiliges Extrem um, wenn er Schuld und Unrecht in Abhängigkeit von präventiven Argumenten bringt. Das Schuldurteil ist ausreichend legitimiert durch das Vorliegen eines tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens als der notwendigen aber nicht hinreichenden Bedingung jeder ~trafe, ohne daß eine weitere Begründung 259
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Zweiter Teil: 11. Rücktritt und Absehen von Strafe
der Rücktritt ein Schuldminderungsgrund sei - und das sei der Standpunkt der Schuldtheorie -, so dürfe man nicht sagen, der Täter werde "nicht bestraft". Vielmehr müsse man auch hier die Möglichkeit vorsehen, daß von Strafe abgesehen werde. Diese Ausführungen dürften bereits deutlich gemacht haben, daß das Absehen von Strafe als Grenzfall der Strafzumessung an der Schwelle des überganges von einem Konditional- zu einem Zweckprogramm und von klassifikatorischen zu komparativen Begriffsformen steht. Es ist das rechtstechnische Instrumentarium, mit dem das Dogma des prinzipiellen Zusammenhanges von Schuldspruch und Strafe, von dem das StGB von 1871 noch keine Ausnahme kannte, wenigstens partiell aufgelöst wird. Den materiellen Regelungswert, den dieses Institut damit haben kann, hat man freilich bisher kaum nutzbar gemacht. b) Allgemeiner Regelungswert; Absehen von Strafe als eigenständige strafrechtliche Reaktionsmöglichkeit
Den über punktuelle Strafvorschriften hinausreichenden Regelungswert des Absehens von Strafe hat Eser 262 anhand des DDR-Strafrechts verdeutlicht. Bekanntlich macht das DDR-StGB in viel umfassenderem Maße von diesem Institut Gebrauch und offenbart dabei dessen große Eignung, neue zweckorientierte kriminaipolitische Vorstellungen in das Tatschuldstrafrecht einzubringen. Ohne die Ausführungen Esers wiederholen zu wollen, seien einige der interessierenden Hauptgesichtspunkte hervorgehoben, die sich freilich an verschiedenen Stellen überlagern. Damit dürfte auch die Bedeutung des Instituts für die Rücktrittsproblematik deutlich werden. aal Einbruchstelle jür den GejährZichkeitsaspekt bzw. einen materiellen Unrechtsbegrijj Gerade wenn man den Bereich strafbaren Verhaltens mit stark formalisierten Grenzen versieht und dabei komplexe Bewertungs- und in Form eines Schuldfeststellungsbedürfnisses notwendig wäre. Es ist auch nicht ersichtlich, wie der Richter entscheiden sollte, der während des Verfahrens zum Ergebnis kommt, daß Schuld und Unrecht vorliegen, aber eine Strafe unter Zweckgesichtspunkten verfehlt wäre. Wollte er mit dem Argument fehlenden Schuldfeststellungsbedürfnisses freisprechen, so kämen die notwendig formalen Unrechts- und Schuldgrenzen nicht nur durcheinander, es wäre auch nicht mehr sichtbar, wo diese Grenzen liegen. Dem entspricht es, wenn § 153 a II Stpo eine Einstellung nur bis zum Beginn der Hauptverhandlung zuläßt. Später können prozeßökonomische Gründe nicht mehr für eine Einstellung ausschlaggebend sein. 281 20. Sitzung der großen Strafrechtskommission, Niederschriften 2, 1958, S.198. 282 Absehen von Strafe, S. 261 ff.
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individuelle Differenzierungsfaktoren auszuschalten versucht, um die Verbotsgrenzen hinreichend sicher, die Verbotsmaterie deutlich erkennbar und in einem Entscheidungsprogramm leicht handhabbar zu gestalten, wird es notwendig, dadurch entstehende Spannungen auszugleichen. Es ist verständlich, daß die Korrekturen weniger in zentralen, aber um so mehr in den Randbereichen des Strafbaren notwendig werden können. Gerade bei den Problemkomplexen des "untauglichen Versuchs" und des "Rücktritts" steht man doch immer wieder vor der Frage, ob sich in den Fällen, in denen das Unrecht weitgehend formalisiert ist, eine Strafe noch rechtfertigen läßt. In gewisser Weise ist es auch kennzeichnend, daß in keiner der Regelungsmaterien des StGB von der Möglichkeit eines Absehens von Strafe so oft Gebrauch gemacht wird, wie im Staats schutz-Strafrecht. Das Institut ist hier fast genauso häufig anzutreffen, wie im gesamten restlichen StGB283. Der Hinweis, daß es sich hierbei um Fälle geminderten Unrechts oder geminderter Schuld handele, erklärt dieses gehäufte Auftreten nur unzulänglich. Hinzu kommt nämlich, daß im Staatsschutz-Strafrecht der Bereich des Strafbaren sehr weit vorverlagert ist und es daher häufig an einer materiellen Unrechtssubstanz fehlen wird, obgleich das Delikt bereits formell vollendet ist. Formalisiert man aber die Unrechtsgrenzen in diesem Maße, so besteht das Bedürfnis, sie in einem zweiten Schritt wieder zu materialisieren, also bei fehlendem Bedürfnis von Strafe abzusehen264 . Die Korrektur der durch die Formalisierung hervortretenden Unstimmigkeiten kann leicht erfolgen, wenn man die klassifizierende Tatschuldfeststellung auf ihre Abgrenzungs- bzw. Zurechnungs- und Beschränkungsfunktion (der Strafe auf zurechenbare Handlungen) verweist. Das Ergebnis der klassifizierenden Feststellung kann nur in einem Freispruch oder in einem Schuldspruch bestehen. Wie schon mehrfach hervorgehoben, sind die so verstandenen Schuld- und Unrechtskategorien nicht eo ipso als hinreichende, sondern nur als notwendige Bedingungen eines Strafausspruches zu sehen. Bei dem Verhältnis von Rechtsvoraussetzung - Rechtsfolge handelt es sich um eine sogenannte "intensive Implikation". Zutreffend hat man in diesem Zusammenhang davon gesprochen, daß die Tatbestandsmäßigkeit mit dem Absehen von Strafe relativiert werde: Sie wird beschränkt und bezogen auf ihren Funktionsbereich265 • 283 Vgl. die §§ 83 a; IV, V; 85 111; 86 IV; 86 a 111; 87 111; 89 111; 98 11; 99 III. 264 Vgl. auch § 153 c Stpo. 265 Zu einer kriminalpolitisch funktionalen Betrachtungsweise der dogmatischen Kategorien Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld vgl. Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 1970. Es ist allerdings problematisch, inwieweit man den unter anderen Aspekten entstandenen Kategorien, insbesondere der Schuld, Kriminalpolitik einfach "aufsetzen" kann.
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Stehen einmal Schuld und Unrecht als notwendige Voraussetzungen einer Strafe fest, so ist damit erst der Zugang zu erneuter materialer Diskussion der Tatfolgen, der Beziehung des Täters zu seiner Tat, des Vor- und Nachtatverhaltens geöffnet. Sie sollte nicht mehr unter Tatschuldgesichtspunkten, sondern unter speziell zumessungstypischen Erwägungen erfolgen 266 • Dem Konditionalprogramm ist ein präventiv-orientiertes und mit komparativen Sätzen arbeitendes Zweckprogramm aufgesetzt. Eine solche "Programmverbindung" ist natürlich nur dann eigentlich sinnvoll, wenn - wie die vorliegende Untersuchung nachzuweisen versuchte - beide Programme eine unterschiedliche Zielsetzung haben 267 • Die erste Phase ist insofern formal, als sie sich auf die Feststellung von Unrecht und Schuld beschränken kann und sich im einzelnen Fall prinzipiell nicht um die Rechtfertigung der Folgen dieser Entscheidung zu kümmern braucht. Eine gründliche Abwägung der Folgen der Entscheidung für den individuellen Fall ist nicht Teil der Entscheidung 268 • Ja, man kann sogar einen Schritt weiter gehen: aus der Sicht des Art. 103 II GG darf sie (vom Auslegungsspielraum einmal abgesehen) gar nicht Teil der Entscheidung sein. Ein klassisches Beispiel der negativen Auswirkung einer Einbeziehung der Folgen in die Frage der Rechtsvoraussetzung bildet der sogenannte "Badewannen-Fall" in RGSt 74, 85. Das Gericht hat, um ein drohendes Todesurteil zu vermeiden, die animus-Theorie bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme "zu Tode geritten"269 und damit bis heute die Teilnahmelehre in negativer Weise belastet. Der Zwang zu einer derartigen Mitberücksichtigung der Folgen in der Rechtsvoraussetzung ist allerdings und das rechtfertigt das Reichsgericht bei der konkreten Entscheidung darauf zurückzuführen, daß das Fehlen eines Strafrahmens eine Folgendiskussion bei der Strafzumessung verhindert hat27o . 266 So zutreffend auch Hassemer, Strafrahmen, insbesondere S. 286. 267 Das bedeutet nicht, daß Schuld und Unrechts argumente aus dem Rechtsfolgenbereich verbannt sein müßten. Im Gegenteil: Die Notwendigkeit einer Reaktion unter generalpräventiven Aspekten läßt sich nicht beantworten, ohne daß Schuld und Unrechtsgrößen bekannt wären. Dies gilt gerade unter dem Aspekt einer "geläuterten" Generalprävention, der es um die "Bewährung der Rechtsordnung", d. h. die Internalisierung von Rechtsnormen geht. 268 Allgemein dazu Luhmann, Funktionale Methode, S. 3 bezüglich des Konditionalprogramms; zur unterschiedlichen Blickrichtung und zur Koordination von Zukunft und Vergangenheit in einem Verknüpfen beider Programmformen: Luhmann, Legitimation, S. 130. 269 So die Formulierung von Baumann, § 36 I 3 c. Zu den Hintergründen der Entscheidung Hartung, JZ 1954, 430. 270 Dazu auch Hassemer, JuS 1971, 626; ders., Strafrahmen, insbesondere S. 287 ff. Arzt, JuS 1972, 385/7 nennt § 211 als deutlichstes Beispiel, wo starre Strafrahmen zu der Bestrebung geführt hätten, den Tatbestand aufzuweichen. über den Zusammenhang zwischen Strafrahmen und Tatbestand komme es zu Bestrebungen, die im Strafrahmen nicht mögliche Milderung über die Tatbestandsauslegung zu erreichen.
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Demgegenüber zielt die zweite Phase, die zweckprogrammierte Strafzumessung, auch auf eine Rechtfertigung der Strafe im konkreten Fall, in ihren individuellen Auswirkungen. Damit bekommt die schlußendlich herauskommende Sanktion wieder materiellen Gehalt und einen Bezug zur Tätergefährlichkeit. Der Schuldspruch unter Strafverzicht ermöglicht es, dann von Strafe abzusehen, wenn ein materieller Unrechtsgehalt fehlt und auch die Tätergefährlichkeit Strafe nicht indiziert 271 •
bb) Überwindung des "statischen" Tatbegriffs Will man aus den bekannten Gründen am Tatschuldstrafrecht festhalten, so kommt man zunächst nicht daran vorbei, daß sich das Unrechts- und Schuldurteil auf einen historisch bestimmten, notwendig statischen Seins-Sachverhalt beziehen muß272. Daß dadurch in mancherlei Hinsicht die Beziehung zur Wirklichkeit durchtrennt wird, scheint eine der negativen Seiten des Tatschuldprinzips zu sein. Tat und Täter können weder genetisch noch in ihrer (problematischen) Weiterentwicklung begriffen werden. Vielmehr scheinen sie aus der Zeit und aus der gesellschaftlichen Entwicklung herausgeschnitten und fixiert zu sein. Diese Reduktion der komplexen Wirklichkeit auf den Tatbestand bzw. - was den Täter betrifft - auf die Tatschuld, erleichtert natürlich den formalen Entscheidungsvorgang (im Sinne eines Konditionalprogramms) beträchtlich. Würde man es aber dabei belassen, so würde die Erleichterung häufig um den Preis einer wirklichkeitsfremden Entscheidung erkauft. Mit Recht hat Hassemer 273 in diesem Zusammenhang auf den vorläufigen Charakter der Norm gegenüber der konkreten Fallentscheidung hingewiesen. Die Sachverhaltsentscheidung sei nichts anderes als unausgewiesene Reduktion der "Vielfalt des Lebens" auf ein Begriffsscherna. Gerade weil Strafe eine "bittere" im Interesse der Gesellschaft bestehende Notwendigkeit ist, läßt sie sich nur rechtfertigen, wenn sie zweckmäßig ist und dem Anspruch individueller Gerechtigkeit genügt. Voraussetzung dafür ist, daß sie sich an der Vielfalt des Lebens orien271 Auch Roggemann, ROW, 1969, 149 billigt dem Institut des Absehens von Strafe positive Seiten zu und sieht in ihm eine Einbruchstelle für eine Gefährlichkeitskonzeption. Allerdings weist er auch darauf hin, daß das DDR-StGB keiner Gefährlichkeitskonzeption folge. Demgegenüber kann der in § 3 DDR-StGB verankerte materielle Unrechts begriff nicht geleugnet werden. Gleichzeitig kritisiert er am westdeutschen Strafrecht, daß nur auf die Tatsituationen und ihre Folgen - womit besonders auf § 16 bzw. § 60 n. F. angespielt ist -, nicht dagegen auf das Verhalten nach der Tat oder den Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse abgestellt werde. 272 Dazu auch Reinh. v. Hippel, Untersuchungen, S. 60. 273 Strafrahmen, S. 285.
13 Burkhardt
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Zweiter Teil: 11. Rücktritt und Absehen von Strafe
tiert. Diesen Wirklichkeitsbezug können m. E. die verschiedenen Konstruktionen, welche außerhalb der Tat i. e. S. liegende Umstände mehr oder weniger zu berücksichtigen versuchen 274 , nicht wiederherstellen. Sie begeben sich durch ihre ständige Verknüpfung mit Unrecht und Tatschuld in kategoriale Systemzwänge und blockieren damit das eigene Anliegen. Die Bedenken, die gegen eine Reduktion der Wirklichkeit auf den Schuld- und Unrechtssachverhalt bestehen, dürften sich jedoch stark vermindern, wenn man den Entscheidungsvorgang mit dem Tatschuldurteil nicht im wesentlichen als abgeschlossen ansieht, sondern dieses Urteil als Auftakt zu einer neuerlichen materialen und eigenständigen Diskussion des zur Entscheidung anstehenden Lebensvorganges unter Zumessungsgesichtspunkten versteht275 • In diesem Stadium kann die Tat als dynamischer Prozeß gesehen, und der Täter in seiner Gesamtpersönlichkeit und ihrer Entwicklung begriffen werden 276 • Ohne in Konflikt mit dem Tatschuldprinzip zu geraten, kann man es überwinden, wenn man es auf seinen Funktionsbereich verweist. Die Tat wird auf diese Weise auch im Strafverfahren zu dem, was sie ist: nicht statischer Einzelpunkt, sondern dynamischer Handlungsprozeß. Bereits Eser277 hat angedeutet, daß damit die "Strafverzi ttsfälle beim rücktritts ähnlichen Verhalten im Nachhinein eine dogmatische Bestätigung" erfahren können. Das ist zutreffend und unterstreicht die Bedeutung des Absehens von Strafe für den Rücktritt und seinen dogmatischen Stellenwert im Strafrechtssystem. Besonders in den Fällen, in denen das Gesetz auch nach formeller Vollendung des Delikts ein Absehen von Strafe bei Rücktritt vorsieht, wird dies deutlich. Hier bestehen für ein System, das jede Strafaufhebung auf einen Schuldoder Unrechtswegfall glaubt zurückführen zu können, erhebliche Schwierigkeiten. Auf dem vorgezeichneten Weg, der es erlaubt, im Bereich der Strafzumessung die Tat als dynamischen Handlungsprozeß zu begreifen, den Täter in seiner Gesamtpersönlichkeit zu erfassen und Strafe dann unter einer Summe von Zweckgesichtspunkten zu diskutieren, fügt sich auch eine Strafaufhebung aufgrund von "Nachtatverhalten" zwanglos in das dogmatische System.
Dazu oben I 1. So auch Hassemer, Strafrahmen, S. 287. m Es ist interessant und kommt nicht von ungefähr, daß Hempel / Oppenheim, S. 8 die Klassifizierung als "statische", das Ordnen demgegenüber als "dynamische Subsumtion" kennzeichnen. Ferner Hassemer, Tatbestand und Typus, S. 133 f. 277 Absehen von Strafe, S. 273. 274
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2. Regelungswert
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ce) Strafe als Erziehungsmaßnahme
Daß gerade eine Sicht der Strafe unter Zweckgesichtspunkten die Trennung von Ob und Wie der Strafe nahelegt, ist dargestellt worden. Für eine Norm, die nur konditionales Entscheidungsprogramm sein will, bliebe eine solche Trennung ohne Sinn. Als ein sehr wichtiger Untergesichtspunkt der Zweckstrafe erscheint nun der Erziehungsgedanke 278 ; auch dies hat Eser am Beispiel des DDR-StGB hervorgehoben. Versteht man unter Erziehung die Entwicklung und Durchsetzung bestimmter Verhaltensmuster, so wird deutlich, daß gerade unter diesem Aspekt das Absehen von Strafe als wichtige und eigenständige Reaktionsform erscheinen kann: nämlich dann, wenn das Erziehungsziel bereits durch das Verfahren bzw. den Schuldspruch erreicht ist279• 2. Regelungswert im Hinblick auf die Rücktrittsvorschriften Die Verbesserungen, die mit der Rechtsfolge des Absehens von Strafe im Rücktrittsbereich erzielt werden können, ergeben sich im Grunde bereits aus den Ausführungen, die den Rücktritt als Strafzumessungsgrund vorwiegend präventiven Charakters einzustufen suchen. Das ist damit zu erklären, daß das Absehen von Strafe ja nur das rechts- bzw. regelungstechnische Instrumentarium darstellt, welches erlaubt, die Strafgrenze mit Tatschuld-, aber auch mit Präventionsgesichtspunkten zu konkretisieren. Insofern handelt es sich im folgenden eher um eine abschließende Zusammenfassung: Geht man davon aus, daß das Absehen von Strafe nicht einen schon im Tatgeschehen begründeten notwendigen Ausschluß der Straftat enthalte, so kann man den Rücktritt über eine Verknüpfung mit dem Absehen von Strafe zu einer tatschuldgelösten Strafzumessungsregel machen. Damit befreit man die Rücktrittsproblematik gleichzeitig von den ganzen kategorialen Systemzwängen, in denen sie durch die bisherigen Einordnungsversuche verhaftet war. Zweifelsfragen und Grenzfälle können auf diese Weise unter dem Leitgesichtspunkt der Prävention entschieden werden. Es eröffnet sich ein ganz neuer - und wie bereits BGHSt 9, 48 ff. gezeigt hat - notwendiger Argumentenbereich. Wie anders als unter Zumessungsgesichtspunkten soll folgende Begründung von eben dieser Entscheidung begriffen werden? Nämlich: Dazu etwa Peters, Kriminalpädagogik, insbes. S. 95 ff. Beachtenswert, daß das DDR-Strafrecht auch noch den öffentlichen Tadel kennt. Vgl. § 37 II: "Mit dem öffentlichen Tadel wird dem Täter durch das Gericht die Mißbilligung seines HandeIns ausgesprochen, um ihn zur gewissenhaften Erfüllung seiner Pflichten gegenüber der sozialistischen Gesellschaft zu ermahnen." Daraus läßt sich ablesen, daß das Absehen von Strafe im DDR-StGB eine Mißbilligung in diesem Sinne nicht enthält. 278
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Zweiter Teil: Ir. Rücktritt und Absehen von Strafe
"Steht der Täter vom begonnenen Versuch freiwillig ab, so zeigt sich darin, daß sein verbrecherischer Wille nicht so stark war, wie es zur Durchführung der Tat erforderlich gewesen wäre. Seine Gefährlichkeit (!), die im Versuch zunächst zum Ausdruck gekommen war, erweist sich nachträglich als wesentlich geringer. Aus diesem Grunde sieht das Gesetz davon ab (!), den "Versuch als solchen" zu ahnden. Denn eine Strafe erscheint ihm nicht mehr nötig, um den Täter für die Zukunft von Straftaten abzuhalten (Spezialprävention!), um andere abzuschrecken (Generalprävention!) und die verletzte Rechtsordnung wieder herzustellen 280 • Besonders den ersten Zweck und den Gedanken der Gerechtigkeit hält das Gesetz für besser gewahrt, wenn es dem Täter den verbrecherischen Entschluß, den er rechtzeitig aufgegeben hat, nicht mehr zurechnet ... " Der präventive Charakter dieser Ausführungen ist unverkennbar 281 • Ohne die Kollision mit der gegenwärtigen Einordnung festzustellen, dürfte der BGH (intuitiv) die einzig mögliche und richtige Begründung in Anspruch genommen haben. Es wurde - was allerdings der Rechtspraxis kaum vorzuwerfen ist - lediglich übersehen, daß sich diese Argumenation streng genommen nicht mit einem Freispruch, sondern nur mit einem Schuldspruch unter Strafverzicht verträgt. Ein auf präventive Argumentation gestützter Freispruch droht Schuld- und Unrechtsgrenzen zu verwischen. Insoweit hat natürlich die Einordnung des Rücktritts in die im negativen Sinn neutrale Kategorie der Strafaufhebungsgründe die Argumentation des BGH erst ermöglicht. Wenn die systematische Lokalisierung eines Argumentes über seinen Charakter keine Auskunft mehr gibt, fließen leicht (an sic~) systemunverträgliche Begründungen ein. So mag es zu erklären sein, daß der BGH das ganz und gar Ungewöhnliche seiner Argumentation, nämlich die Begrenzung des Strafbaren mittels präventiver Gründe, mit großer Selbstverständlichkeit vorgebracht hat. 280 Hier dringt wohl der Tatschuldgedanke etwas durch, die Negation der Negation, der ideelle, auf höherer Wertebene stattfindendE Ausgleich von Schuld und Strafe. Man kann allerdings auch dieses Argument ohne Schwierigkeiten auf seinen richtigen generalpräventiven Gedanken zurückführen. 281 Zutreffend auch Roxin, Rücktritt, S. 269 f. Er will die Ausführungen des BGH wie folgt präzisieren: "Generalpräventive Gründe fordern keine Bestrafung, weil der Erfolg nicht eintritt, und der Täter, indem er sich im entscheidenden Augenblick als rechts treu erweist, kein schlechtes Beispiel gibt. Spezi al präventive Einwirkungen sind unnötig, weil der Täter durch seinen Rücktritt in die Legalität zurückgekehrt ist; seine etwaige Labilität, die schon durch den Versuch in Erscheinung tritt, ist, solange er von der Erfolgsherbeiführung freiwillig Abstand nimmt, kein ausreichender Grund für die strafrecht!. Sanktion. Und auch ein Schuldausgleich erweist sich als überflüssig, weil der Täter die in seinem Versuch steckende Schuld durch seinen freiwilligen Rücktritt selbst wieder gutgemacht und ausgeglichen hat."
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Durch die Öffnung des neuen Argumentenbereichs verliert die Tat ihren statischen Charakter und erlangt die wirklichkeits entsprechende dynamische Struktur als Straftat wieder. Sie ist etwas in der Zeit und der Gesellschaft Gewordenes und weiter Wirkendes und muß als solches gesehen werden. Insofern ist die umfassende Einbeziehung von Vor- und Nachtatverhalten in diesem Bereich als Basis für eine zweckhafte Ausrichtung der Strafe weniger eine Besonderheit als vielmehr eine Notwendigkeit. Die Eröffnung eines neuen Argumentenbereichs bleibt allerdings auch für den Rücktritt eine halbe Sache, wenn man eine umfassende Argumentation durch obligatorischen Strafverzicht verhindert. Auch die zitierten Ausführungen von BGHSt 9, 48/52 ff. hätten allgemein größere überzeugungskraft besessen, wenn sie den Indizienschluß vom Rücktritt auf geringere Tätergefährlichkeit nicht als zwingend (" ... , erweist sich ... geringer") dargestellt hätten. Ursache dafür ist allerdings die obligatorische Straffreiheit im geltenden Recht. Solange sie beibehalten wird, kann auch der Vorwurf von LangHinrichsen 282 aufrechterhalten werden, nämlich daß der Indizienschluß in seiner zwingenden Form auf eine Fiktion, eine unwiderlegliche Präsumption bzw. eine äußerst kühne kriminologische Prognose hinauslaufe. Diese Einwände entfallen aber, wenn der Rücktritt wirklich nur als ein - wenn auch gewichtiges und typisches - Indiz für fehlende Notwendigkeit283 der Strafe unter Zweckgesichtspunkten herangezogen wird. Daneben kann eine weitere (auf Vor- und Nachtatverhalten basierende) Würdigung der Täterpersönlichkeit das Rücktrittsindiz von Fall zu Fall bekräftigen oder auch widerlegen. Erst ein fakultatives Absehen von Strafe ermöglicht es, dementsprechend zu reagieren. Es dürfte sich daher empfehlen, eine Rücktrittsvorschrift entsprechend der Regelung des grob unverständigen Versuchs in § 23 III n. F. zu formulieren 284 • Sie hätte dann etwa zu lauten: (1) Hat ein Tatbeteiligter freiwillig und endgültig die weitere Ausführung der Tat aufgegeben oder deren Vollendung verhindert, Tatbegriff, S. 369 f. Das verkennt m. E. v. ScheuTl, Rücktritt, S. 23 f., der vorschnell zur Ablehnung der Indiztheorie kommt. Allerdings kann die Indiztheorie, samt den dahinter stehenden sachlichen Erwägungen die geltende gesetzliche Regelung nicht vollständig rechtfertigen. Damit ist aber noch nicht gesagt, was unzureichend ist, die Theorie oder die gesetzliche Regelung. Kaum stichhaltig dürften auch die Argumente sein, die SchmidhäuseT, 15/78, gegen die Indiztheorie ins Feld führt. Er meint, die Auffassung, die den Rücktritt als Indiz für geringe Schuld oder Gefährlichkeit ansehen wolle, setze ein Täter-Straf(-Behandlungs-)Recht im Lisztschen Sinne voraus und ein solches Strafrecht hätten wir nicht. Gegen eine täterbezogene Strafzumessung bestehen jedoch keine Bedenken (arg. §§ 13/46 n. F.). 284 Für eine derartige Fassung hat wohl auch Welzel plädiert, Große Strafrechtskommission, Niederschriften Bd. 2, S. 198. 282
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Zweiter Teil: II. Rücktritt und Absehen von Strafe
so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern. Dies gilt auch für den Fall, daß die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet wird, wenn er sich ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern. (2) Sind mehrere an der Tat beteiligt, so kann das Gericht bei dem Beteiligten von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern, der freiwillig die Vollendung verhindert, jedoch genügt ... (entsprechend § 24 II 2 n. F.). Wie bereits oben dargetan, würde der Gehalt einer derartigen Vorschrift nicht ausgeschöpft, wenn man sie nur als Implikation verstünde zwischen dem Tatbestand (freiwilliger Rücktritt) und der Befugnis des Richters zum Absehen von Strafe. Auch Otte 284a hat anhand des insoweit parallel liegenden § 199 nachgewiesen, daß es sich hier um Regelungen handelt, die als komparative Gesetze der Form "wenn, dann eher" verstanden werden können. Der Ausdruck "eher" auf der Rechtsfolgeseite bedeutet, daß bei der Anwendung der Norm keine völlige Freiheit, aber auch keine unbedingte Bindung besteht 285 • Es handelt sich um "Sollvorschriften" bzw. um "RegeIfallnormen". Die Einengung des richterlichen Ermessens durch derartig strukturierte Rechtsfolgebestimmungen erfolgt über eine Verteilung der Argumentationslast, und zwar in der Weise, daß - in unserem Rücktrittsbeispiel - für ein "Absehen von Strafe" nur die Feststellung freiwilligen Rücktritts notwendig ist, während das Gericht einen besonderen Grund haben muß, wenn es trotz des Rücktritts Strafe aussprechen will. Bei einer derartigen Fassung der Rücktrittsregel, die keine obligatorische Straffreiheit, sondern fakultatives Absehen von Strafe als Rechtsfolge enthält, dürfte sich das gesamte Abgrenzungsproblem zwischen beendetem, unbeendetem und fehlgeschlagenem Versuch auf ein Minimum reduzieren und folgendermaßen bewältigen lassen: Solange der durch die Handlung in Gang gesetzte "Kausalablauf" in Richtung Erfolg für den Täter noch steuerbar ist 286 , hat ein freiwilliger Rücktritt grundsätzlich Strafverzicht (unter Beibehaltung des Schuldspruchs) zur Folge. Soll ausnahmsweise Strafe verhängt werden, so wäre dies besonders zu begründen. Die Begründung kann sich dabei auf Vor- und Nachtatverhalten, auf die Art der Ausführung, die Berücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit des Täters und dergleichen mehr stützen. Es handelt sich um eine (problematische) Optimierung Komparative Sätze, S. 306. Ebd., S. 315. 286 Vgl. oben S. 91; Fallgruppe des be endeten und unbeendeten Versuchs (bloße Tätergefährlichkeit). 28 4a 285
2. Regelungswert
199
von (Straf-)Zwecksetzungen: lassen außergewöhnliche Begleitumstände bzw. eine Würdigung der Täterpersönlichkeit bzw. seiner Gefährlichkeit ausnahmsweise die Notwendigkeit eines Strafausspruches erkennen? Genau umgekehrt wäre m. E. zu gewichten, wenn der Täter zu einem Zeitpunkt bereits (möglicherweise) nicht mehr in der Lage war, den "Kausalverlauf" zu steuern287 • Hier ist grundsätzlich Strafe zu verhängen, auch wenn der Täter - nach dem Fehlschlag der ersten Handlung - freiwillig von weiteren, im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang konkret möglichen Handlungen absteht 288 • Soll ausnahmsweise von Strafe abgesehen werden, so wäre dies wieder unter umfassender Berücksichtigung aller Umstände im Hinblick auf den Strafzweck besonders zu begründen. Allerdings wird man eine derartige Behandlung der Fallgruppe des "fehlgeschlagenen Versuchs mit konkreter Fortsetzungsmöglichkeit" nur schwer aus der oben vorgeschlagenen Fassung der Rücktrittsregel herauslesen können. Wollte man sie irgendwie gesetzlich verankern, so könnte dies etwa durch den Zusatz geschehen: "Ein Absehen von Strafe kommt regelmäßig nicht in Betracht, wenn der Täter nur die konkret mögliche Wiederholung eines fehlgeschlagenen Versuchs unterläßt." Es dürfte jedoch auch ohne solchen Zusatz auszukommen sein, wenn man davon ausgeht, daß in den Fällen des fehlgeschlagenen Versuchs aus den genannten Gründen eine Ausnahme von dem prinzipiellen Strafverzicht bei freiwilligem Rücktritt liegt. D. h., der Argumentationslast des Gerichts, eine Ausnahme von dem Grundsatz darzulegen, ist genüge getan, wenn festgestellt ist, daß es sich im konkreten Fall um einen fehlgeschlagenen Versuch handelt. Dies bedeutet, daß zwar auch der Rücktritt vom fehlgeschlagenen Versuch möglich ist, sofern der Täter eine konkrete, im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang bestehende Fortsetzungsmöglichkeit nicht ausnutzt, daß aber in diesen Fällen ein Absehen von Strafe regelmäßig nicht in Betracht kommt. Auf diese Weise dürften sich die kriminalpolitischen und strafrechtsdogmatischen Schwierigkeiten des Grenzproblems weitgehend ausräumen lassen. Daß damit weitere Vorteile verbunden sind, soll im folgenden kurz dargelegt werden. 287 Vgl. oben S. 91 f.; Fallgruppe des fehlgeschlagenen Versuchs (Zustandsgefahr). 288 Zur Begründung, die sich hauptsächlich auf die Gefährdung sowie die erwiesene Bereitschaft des Täters stützt, bis zur Erfolgserreichung zu handeln, vgl. oben S. 92 f.
200
Zweiter Teil: 11. Rücktritt und Absehen von Strafe
Eine flexible Rücktrittsregel wird zu einer erheblichen Entlastung der Freiwilligkeitsdiskussion führen. Schon Dreher 289 hat beiläufig darauf aufmerksam gemacht, daß die "so schreckliche Problematik der Freiwilligkeit des Rücktritts" durch die obligatorische Straflosigkeit belastet wird. Ist die Entscheidung, ob ein Rücktritt freiwillig ist oder nicht, an sich schon schwierig genug, so verschärfen sich die damit verbundenen Probleme, wenn mit ihr Strafe in der Form des "Alles oder Nichts" gekoppelt ist. Die Kategorien des freiwilligen bzw. unfreiwilligen HandeIns sind in gewissem Sinne Idealtypen, die sich durch eine stufenlose Reihe von Mischformen miteinander verbinden lassen. In Wirklichkeit wird oft ein Konglomerat von sogenannten autonomen und heteronomen Motiven vorliegen und dazu führen, daß eine Klassifizierung nur noch sehr schwer durchführbar ist. Gerade bei der Frage, wie der Täter Realisierungschancen und -folgen beurteilt, bzw. ob er aus der Tat entstehende Nachteile vernünftigerweise noch in Kauf nehmen kann, wird deutlich, wie flüssig und individuell unterschiedlich hier die übergänge zwischen freiwillig und unfreiwillig sein können 29o • Entscheidungshilfen wie z. B. die Franksche Formel (ich kann nicht, selbst wenn ich wollte, bzw. ich will nicht, selbst wenn ich könnte), oder der Hinweis, daß ein freiwilliger Rücktritt aus autonomen, ein unfreiwilliger dagegen aus heteronomen Motiven zu folgern sei, werden sich daher häufig als wirklichkeitsferne Schablonen erweisen. Diese Schwierigkeiten lassen sich zum großen Teil vermeiden, wenn man den Mischformen von Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit durch eine ebenso flexible Strafabstufung von Strafverzicht über die Strafmilderung Rechnung tragen kann. Das ist auch insoweit angebracht, als das Freiwilligkeitskriterium ja in gewisser Beziehung den Maßstab für spezialpräventive Notwendigkeiten abgibt. Ferner hat Frank 291 darauf hingewiesen, daß durch die mehr oder weniger willkürliche Bestimmung des Vollendungszeitpunktes für die Frage des Rücktritts "teils ungerechtfertigte Differenzen, teils erhebJR 1969, 10517. Auch Schröder, in: H. Mayer-Festschrift, S. 390 spricht von durchaus fließenden übergängen: "Die äußeren Umstände, die auf die Entschließung des Täters einwirken, können stark oder weniger stark sein, so daß es angemessen erscheint, dem Gericht die Möglichkeit zu geben, die unterschiedliche Stärke heteronomer Motive des Täters bei der Entscheidung über die Strafhöhe zu berücksichtigen. Je größer die motivatorische Kraft der Umstände war, die von außen auf den Täter eingewirkt haben, um so größer ist auch das Bedürfnis seiner Privilegierung und umgekehrt, so daß zumindest überall da, wo die Rücktrittsfolgen von der Freiwilligkeit des Rücktritts abhängen, eine Regelung vorzuziehen wäre, bei der neben der Straflosigkeit auch die Möglichkeit einer Herabsetzung der Strafe besteht." Der komparativen Form dieser Aussage ist nichts hinzuzufügen. Vgl. ferner DaHinger, MDR 1966, S. 22 zu BGH MDR 1965, 1003. 291 VDA, Bd. V, S. 167. 289
290
2. Regelungswert
201
liche Zweifel" entstehen. Die von ihm hauptsächlich bemängelten Unterschiedlichkeiten sind zwar inzwischen durch Gesetzesänderung ausgeräumt292 • Angesichts der Vorverlagerung des Vollendungszeitpunktes bei Unternehmensdelikten 293 sowie der punktuellen und willkürlich erscheinenden Rücktrittsmöglichkeiten vom formell vollendeten Delikt 294 sind die Differenzen aber keineswegs beseitigt. Eine flexible Rücktrittsfolge würde auch diesbezüglich Unstimmigkeiten, wenn nicht ausräumen, so doch mildern. Schließlich würde ein "Absehen von Strafe" als Rücktrittsfolge in § 46 bzw. § 24 n. F. auch zu einer Koordinierung der Rücktrittsvorschriften beitragen. Dadurch, daß das geltende Recht den Rücktritt einerseits mit einem Freispruch verknüpft (etwa die §§ 24, 31 n. F., 310) andererseits nur mit einer Strafmilderung bzw. einem Strafverzicht (etwa die §§ 83 a, 315 IV, 311 b, 316 a), werden Unterschiede gemacht, die von der Sache her kaum zu rechtfertigen und allenfalls historisch zu erklären sind. Im einen Fall wird der Zurücktretende verurteilt und hat die Verfahrenskosten zu tragen, im anderen Fall wird er freigesprochen. Mit Recht hat auch Schräder 295 betont, daß jeder plausible Grund dafür fehle, daß das Recht völlig gleichartige Situationen derart unterschiedlich behandle. Es gehe sowohl in den §§ 46, 49 a, 310 wie auch in den anders konstruierten Bestimmungen der §§ 315 VI, 316 a II, 311 b um die gleiche Frage, nämlich darum, daß einen Täter, der sich freiwillig zur Umkehr entschlossen hat, keine Strafe treffen solle.
292 Früher war zwar beim Betrug ein Rücktritt bis zum Eintritt der Vermögensbeschädigung möglich, nicht aber bei der Erpressung. Vgl. § 253 a a. F.: "Wer um sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, einen anderen durch Gewalt oder Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, ist wegen Erpressung ... zu bestrafen. " 293 Dazu Burkhardt, JZ 1971, 352 ff. 294 Vgl. etwa die §§ 83 a, 310, 316 a II. Zur Frage, ob eine Ausdehnung durch Analogie geboten ist vgl. Burkhardt, JZ 1971, 375 f. 295 In: H. Mayer-Festschrift, S. 377/89 ff.; vgl. ferner Zielinski, JZ 1973, S. 199, 197 f.
III. Schlußbemerkung Gewiß konnte auch diese Untersuchung die Problematik der Rücktrittsregelung nicht erschöpfen, geschweige denn die Konsequenzen einer Trennung von Tatbestand und Rechtsfolgebestimmung ins Einzelne weiterverfolgen. Es dürfte aber klar geworden sein, daß gerade in dem zwischen Tat und Nachtatverhalten liegenden Rücktrittsbereich, ebenso wie beim untauglichen Versuch, dessen Unrechtsgehalt sich häufig ins Subjektive verflüchtigt, präventive Argumente den Kreis des Strafbedürftigen zumindest mitbestimmen. Die strafrechtsdogmatischen Theorien, die in diesen Zusammenhängen gebildet worden sind, enthalten dementsprechend auch in verstärktem Maße zumessungstypische Erwägungen, ohne diese allerdings widerspruchslos mit dem herkömmlichen dogmatischen System in Einklang bringen zu können. Eine systematische Einbruchsstelle für derartige Erwägungen ist nitmlich nur gegeben, wenn man die Rücktrittsvorschrift bereits de lege lata (ebenso wie den § 23 III n. F.) als Strafzumessungsregel begreift und gleichzeitig anerkennt, daß der Strafzumessung ein eigenständiger, von Schuld und Unrecht losgelöster Funktionsbereich zukommt. Eine Auffassung, die glaubt, Strafe in diesem Zusammenhang allein mit Unrecht und Schuld legitimieren zu können, begibt sich entweder wertvoller Abgrenzungskriterien oder verwickelt sich in Widersprüche zum System. Sie vermag auch das Entfallen von Strafe grundsätzlich nur mit fehlender Schuld und/oder fehlendem Unrecht zu begründen. Die weitere Möglichkeit, daß auf Strafe trotz des Vorliegens von Unrecht und Schuld verzichtet werden kann, weil unter Zweckgesichtspunkten kein Bedürfnis besteht, wird daneben oft übersehen. Hier bietet gerade das Nebeneinander von Freispruch und Schuldspruch unter Strafverzicht eine zweckdienliche Möglichkeit die unterschiedlichen Gründe, aus denen Strafe entfallen kann, gesetzestechnisch hervorzuheben. Insofern wäre es schon zu begrüßen gewesen, wenn der Rücktritt gern. § 24 n. F. statt Freispruch nur ein Absehen von Strafe zur Folge gehabt hätte.
III. Schluß bemerkung
203
Will man freilich darüber hinaus vermeiden, daß die präventiven Erwägungen, denen auf diese Weise deutlich Zugang verschafft werden kann, in Präsumptionen oder gar Fiktionen enden, so erfordert dies de lege ferenda eine Rücktrittsregelung mit flexibler Rechtsfolge. Das Vorliegen eines Sachverhaltes, der die Voraussetzungen des § 24 n. F. erfüllt, verleiht einem Gesamtgeschehen nicht in jedem Fall einen so unterschiedlichen Wertgehalt, daß allein damit über das Ob oder ObNicht von Strafe entschieden werden könnte. § 24 n. F. kann lediglich eine Fallgruppe umschreiben, an die regelmäßig eine bestimmte Rechtsfolge geknüpft ist, und damit dem Richter gewisse Richtlinien für die Strafzumessung geben.
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