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German Pages 605 [608] Year 2008
Uli Ring Substantivderivation in der Urkundensprache des 13. Jahrhunderts
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Studia Linguistica Germanica
Herausgegeben von Christa Dürscheid Andreas Gardt Oskar Reichmann Stefan Sonderegger
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Walter de Gruyter · Berlin · New York
Uli Ring
Substantivderivation in der Urkundensprache des 13. Jahrhunderts Eine historisch-synchrone Untersuchung anhand der ältesten deutschsprachigen Originalurkunden
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Zugl.: Erlangen-Nürnberg, Univ., Diss. 2007. D 29 Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-018975-9 ISSN 1861-5651 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2008 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Laufen
Vorwort der Projektleiter Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat von 2002 bis 2005 das Projekt »Wortbildung in der deutschen Urkundensprache des 13. Jahrhunderts« in zwei Teilprojekten an den Universitäten Erlangen-Nürnberg und Erfurt gefördert. Ziel des Gesamtvorhabens war es, das noch weitgehend unerforschte Wortbildungssystem des Mittelhochdeutschen anhand eines repräsentativen Textkorpus zu untersuchen. In dem von uns geleiteten Erlanger Teilprojekt wurde die nominale, in dem von Mechthild Habermann geleiteten Erfurter Teilprojekt die verbale Wortbildung bearbeitet. Mit der Abhandlung von Uli Ring zur Substantivderivation und dem in Kürze erscheinenden zweiten Band zur Adjektivderivation von Christine Ganslmayer werden die Ergebnisse der Erlanger Arbeitsgruppe vorgelegt. In methodisch-theoretischer Hinsicht knüpft das Vorhaben an die Erlanger Vorgängerprojekte zur »Wortbildung im Nürnberger Frühneuhochdeutsch um 1500« an (Müller 1993, Habermann 1994, Thomas 2002). In ihnen ist ein Modell der historisch-synchronen Wortbildungsanalyse entwickelt worden, dessen Grundidee darin besteht, die Wortbildungen eines Textkorpus systematisch zu erfassen und im Hinblick auf ihre synchrone Motiviertheit morphologisch-semantisch auszuwerten. Die Ergebnisse erhielten durch einen Vergleich mit der Wortbildung der Gegenwartssprache auch eine diachrone Perspektive. Für weitergehende Vergleiche fehlten aber einschlägige Untersuchungen zur mittelhochdeutschen Wortbildung. Dafür sollte das vorliegende Projekt die Grundlage liefern. Für eine entsprechende Untersuchung der mittelhochdeutschen Wortbildung wurde als Textgrundlage das von Friedrich Wilhelm begründete »Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300« ausgewählt, das eine ganze Reihe von Vorteilen für eine solche Wortbildungsanalyse bietet. Es handelt sich um Prosatexte, in denen ganz unterschiedliche politische, rechtliche, soziale und ökonomische Aspekte der mittelalterlichen Gesellschaft thematisiert sind und die als Originale aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts überliefert sind. Ein besonderer Vorteil der Textsorte »Urkunde« besteht in der zumeist genauen Datierbarkeit und sprachräumlichen Zuweisbarkeit der Texte. Mit dem »Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300« liegt zudem eine weitgehend abgeschlossene Wortschatzdokumentation des Wilhelm-Corpus vor. Soweit schienen die Bahnen für eine erfolgreiche Untersuchung geebnet. Es zeigte sich jedoch bald, dass das Wilhelm-Corpus als Ansammlung
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Vorwort der Projektleiter
von Texten den heutigen Erwartungen der Korpuslinguistik nur eingeschränkt entspricht, denn Doppel- und Mehrfachausfertigungen von Urkunden drohten die statistische Auswertung der Wortbildungen zu verfälschen. Nicht eindeutig datierbare und lokalisierbare Urkunden beeinträchtigen im Übrigen den authentischen Charakter des Korpus. Aus diesem Grund haben die beiden Projektmitarbeiter zunächst eine bereinigte Fassung des Wilhelm-Corpus erstellt, eine sehr mühselige Aufgabe, da sämtliche 4.617 Urkunden gesichtet und zeitlich-räumlich eingeordnet werden mussten. Diese wichtige Vorarbeit, die zu einer Komprimierung und Systematisierung der Corpus-Urkunden führte, stellt nicht nur für dieses Projekt, sondern auch für künftige Nutzungen des Wilhelm-Corpus einen grundlegenden Beitrag dar. Sie trug aber auch dazu bei, dass die ohnehin sehr aufwendige Wortbildungsanalyse nicht im Rahmen der Drittmittelförderung abgeschlossen werden konnte und erst jetzt im Rahmen von zwei Monographien publiziert wird. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danken wir, dass sie diese Untersuchung der mittelhochdeutschen Wortbildung ermöglicht hat. Ursula Schulze und Sibylle Ohly haben den Projektmitarbeitern Recherchen in der Berliner Arbeitsstelle des »Wörterbuchs der mittelhochdeutschen Urkundensprache« ermöglicht und zahlreiche Auskünfte erteilt. Dafür danken wir sehr. Großen Nutzen zogen wir auch aus der Kooperation mit dem von Kurt Gärtner und Andrea Rapp geleiteten Trierer DFG-Projekt »Digitalisierung des ›Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300‹, seine Aufbereitung für komplexe Recherchen und seine Bereitstellung im Internet«, das wir mitangeregt haben. Aus der schnell fortschreitenden Arbeit an diesem Projekt wurden uns Textdateien des Corpus zur Verfügung gestellt, die zu einer wesentlichen Arbeitserleichterung führten. Dafür danken wir nachdrücklich. Großen Dank schulden wir auch Mechthild Habermann, die als Leiterin des Teilprojekts zur verbalen Wortbildung eng mit uns kooperierte und wertvolle Ratschläge gab, die unserer Arbeitsgruppe zugutekamen. Insbesondere aber danken wir den Projektmitarbeitern Uli Ring und Christine Ganslmayer. In jahrelanger philologischer Kärrnerarbeit haben sie eine für die Untersuchung tragfähige Korpusgrundlage geschaffen und die zahlreichen spezifischen Probleme urkundensprachlicher Wortbildungen mit historischem Gespür und wissenschaftlicher Kreativität bewältigt. Ihre ausführlich dokumentierten Ergebnisse sind auch für die Lexikologie und Lexikographie des Mittelhochdeutschen von Belang. Erlangen, im August 2008
Peter O. Müller und Horst Haider Munske
Vorwort des Autors Die vorliegende Arbeit ist im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft von 2002 bis 2005 geförderten Projektes »Wortbildung in der deutschen Urkundensprache des 13. Jahrhunderts« entstanden und wurde im Sommersemester 2007 von der Philosophischen Fakultät II der Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie geringfügig überarbeitet und um die Register erweitert. Mein besonderer Dank gilt in erster Linie den Initiatoren des Forschungsprojektes, Prof. Dr. Peter O. Müller und Prof. Dr. Horst Haider Munske, die mir besonders in der schwierigen Phase der Einarbeitung zur Seite standen. Besonderen Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Peter O. Müller, dem Betreuer dieser Arbeit. Seine guten Ratschläge und intensive Auseinandersetzung mit auftretenden Problemen aller Art haben sehr wesentlich und stets motivierend zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Auch für seine unschätzbare Hilfe bei der Korrektur des Manuskriptes bedanke ich mich sehr. Für ihr immer offenes Ohr und ihr Interesse an meiner Arbeit danke ich auch Frau Prof. Dr. Mechthild Habermann. Für die freundliche Betreuung während der Belegrecherchen in der Berliner Arbeitsstelle des WMU sage ich herzlichen Dank der Leiterin, Frau Prof. Dr. Ursula Schulze, und ihren Mitarbeitern, insbesondere Frau Dr. Sibylle Ohly. Meiner Kollegin Christine Ganslmayer bin ich besonders zu Dank verpflichtet. Einmal hat sie durch ihr wissenschaftliches Feingespür keinen geringen Beitrag zu dieser Arbeit geleistet, sie fand auch in Zeiten, als kein Ende der Arbeit in Sicht war und die Zahl der Belege und Probleme nicht geringer zu werden schien, stets aufmunternde Worte. Zuletzt gilt mein Dank der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Bereitstellung eines Druckkostenzuschusses und dem Verlag Walter de Gruyter für die Veröffentlichung dieser Arbeit. Erlangen, im August 2008
Uli Ring
Inhaltsverzeichnis Vorwort der Projektleiter ................................................................................ V Vorwort des Autors .......................................................................................VII Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen ....................................... XIX 0. Einleitung ......................................................................................................... 1 Teil I: Grundlagen .............................................................................................. 5 I.1. Die Materialbasis......................................................................................... 7 I.1.1. Das Urkundenkorpus ................................................................................. 7 I.1.1.1. Das Kernkorpus.....................................................................................13 I.1.1.2. Das Urkundenformular.........................................................................16 I.2. Methodik der Wortbildungsanalyse ....................................................18 I.2.1. Forschungsansatz......................................................................................18 I.2.2. Das Präfix ge- ............................................................................................19 I.2.3. Wortbildungsfunktion..............................................................................21 I.2.4. Motivationsdichte .....................................................................................28 I.2.5. Semantische Motivation...........................................................................30 I.2.5.1. Lexikalisierung und Idiomatisierung...................................................30 I.2.5.2. Doppelmotivation..................................................................................31 I.2.5.3. Diachronie und Synchronie..................................................................32 I.2.6. Nichtbehandelte Bildungen.....................................................................33 I.2.7. Darstellungsprinzipien .............................................................................33
Teil II: Wortbildungsanalyse .........................................................................35 II.1. Derivationstypen .....................................................................................37 II.1.1. -ach..............................................................................................................37 a. Lexembestand (7).........................................................................................37 b. Morphologie .................................................................................................37 c. Motivationsdichte.........................................................................................38 d. Wortbildungsfunktion.................................................................................38 e. Diachroner Vergleich ..................................................................................40 II.1.2. -e .................................................................................................................40 a. Lexembestand (219).....................................................................................40 b. Morphologie .................................................................................................43
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1. Suffixetymologie ..........................................................................................43 2. Apokope........................................................................................................44 3. Suffixmorphologie .......................................................................................47 4. Basisalternanz ...............................................................................................48 5. Basisaffinität..................................................................................................50 6. Genus der Bildungen...................................................................................51 c. Motivationsdichte.........................................................................................51 d. Wortbildungsfunktion.................................................................................52 A. Abstrakta (BV-e1): ›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹ .................................54 B. Patientiva (BV-e2): ›das, was jmd. BV/BV wird‹.....................................77 C. Agentiva (BV-e3): ›jmd./etw., der/das BV‹..............................................86 D. Abstrakta (BA-e4): ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹............................93 E. Instrumentativa (BV-e5): ›das, womit jmd. BV‹ ......................................99 F. Lokativa (BV-e6): ›Ort, wo jmd./etw. BV‹ .............................................106 G. Agentiva (BA-e7): ›jmd./etw., der/das BA ist‹......................................109 H. Agentiva [DM] (BS/BV-e8): ›jmd., der etw. mit BS tut/BV‹ .............111 I. Abstrakta [DM] (BA/BV-e9): ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist/BV‹ 113 J. Agentiva (BS-e10): ›jmd., der etw. mit BS tut/aus BS stammt‹.............113 K. Lokativa (BS-e11): ›Ort, wo BS tätig ist/sich BS befindet‹ ..................114 L. Abstrakta (BS-e12): ›Tatsache, dass jmd. wie BS handelt‹.....................115 M. Agentiva [DM] (BA/BV-e13): ›etw., das BA ist/BV‹...........................115 N. Idiofunktionalia (BS-e14): ›BS‹ .................................................................115 O. Patientiva (BS-e15): ›das, was BS in seinen Besitz gebracht hat‹.........116 e. Diachroner Vergleich ................................................................................116 II.1.3. -(e)de .........................................................................................................118 a. Lexembestand (63).....................................................................................118 b. Morphologie ...............................................................................................119 1. Suffixetymologie ........................................................................................119 2. Genus der Bildungen.................................................................................120 3. Basisaffinität................................................................................................121 4. Suffixmorphologie .....................................................................................122 5. -eze ................................................................................................................124 6. Basisalternanz .............................................................................................125 c. Motivationsdichte.......................................................................................127 d. Wortbildungsfunktion...............................................................................127 A. Abstrakta (BV-(e)de1): ›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹..........................129 B. Patientiva (BV-(e)de2): ›das, was jmd. BV/BV wird‹.............................140 C. Agentiva (BA-(e)de3): ›etw., das BA ist‹...................................................142 D. Idiofunktionalia (BS-(e)de4): ›BS‹.............................................................145 E. Agentiva (BV-(e)de5): ›jmd./etw., der/das BV‹......................................145 F. Abstrakta (BA-(e)de6): ›Tatsache, dass etw./jmd. BA ist‹.....................147
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G. Abstrakta [DM] (BA/BV-(e)de7): ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist/BV‹ ........................................................148 H. Lokativa (BV-(e)de8): ›Ort, wo jmd./etw. BV‹ ......................................149 I. Kollektiva (BS-(e)de9): ›alle/viele BS‹........................................................150 J. Lokativa [DM] (BV/BS-(e)de10): ›Ort, wo jmd. BV/jmd. etw. mit BS tut‹.....................................................151 K. Instrumentativa (BV-(e)de11): ›das, womit man BV‹.............................151 L. Lokativa (BS-(e)de12): ›Ort/Gebiet der BS‹.............................................152 M. Agentiva [DM] (BA/BV-(e)de13): ›etw., das BA ist/BV‹ .....................152 e. Diachroner Vergleich ................................................................................153 II.1.4. -el ..............................................................................................................154 a. Lexembestand (14).....................................................................................154 Konkurrenzbildungen ...................................................................................155 b. Morphologie ...............................................................................................156 1. Suffixetymologie ........................................................................................156 2. Suffixmorphologie .....................................................................................157 3. Basis: Wortart und Alternanz...................................................................158 c. Motivationsdichte.......................................................................................158 d. Wortbildungsfunktion...............................................................................158 A. Agentiva (BV-el1): ›jmd., der BV‹............................................................159 B. Instrumentativa (BV-el2): ›das, womit man BV‹....................................161 C. Agentiva [DM] (BV/BS-el3): ›jmd., der etw. mit BS tut/BV‹ .............162 D. Idiofunktionalia (BS-el4): ›BS‹..................................................................163 e. Diachroner Vergleich ................................................................................164 II.1.5. -er(e)..........................................................................................................166 a. Lexembestand (364)...................................................................................166 b. Morphologie ...............................................................................................171 1. Suffixmorphologie .....................................................................................171 2. -ner(e), -ler(e).................................................................................................172 3. Basisalternanz .............................................................................................174 4. Basisaffinität................................................................................................178 c. Motivationsdichte.......................................................................................178 d. Wortbildungsfunktion...............................................................................179 A. Agentiva (BS-er(e)1a): ›jmd., der BS besitzt/etw. mit BS tut/in, an BS tätig ist‹ .........................182 B. Agentiva (BS-er(e)1b): ›jmd., der BS herstellt/macht‹............................194 C. Agentiva (BS-er(e)1c): ›jmd., der zu BS gehört‹ ......................................198 D. Agentiva (BS-er(e)1d): ›jmd., der in/im Zustand von BS ist‹ ...............199 E. Agentiva (BV-er(e)2): ›jmd., der BV‹........................................................199 F. Agentiva [DM] (BS/BV-er(e)3): ›jmd., der BV/etw. mit BS tut/BS herstellt etc.‹ .......................................214 G. Instrumentativa (BV-er(e)4): ›das, womit man BV‹ ..............................218
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H. Patientiva (BV-er(e)5): ›jmd., der BV wird‹.............................................219 I. Agentiva [DM] (BA/BS-er(e)6): ›jmd., der BA ist/ sich im Zustand der BS befindet‹................................220 J. Motionsbildungen (BS-er(e)7): ›männliches BS‹ ......................................221 K. Agentiva (BZ-er(e)8): ›etw., das den Wert BZ hat‹................................221 L. Agentiva (BZ-er(e)9): ›einer von BZ‹ .......................................................222 e. Diachroner Vergleich ................................................................................222 II.1.6. -er(îe)/-eie .................................................................................................224 a. Lexembestand (6).......................................................................................224 b. Morphologie ...............................................................................................225 c. Motivationsdichte.......................................................................................226 d. Wortbildungsfunktion...............................................................................227 A. Lokativa (BS-(er)îe/-eie1): ›Verwaltungsbereich/Arbeitsplatz von BS‹................................................227 B. Abstrakta (BS-(er)îe/-eie2): ›Tatsache, dass jmd. BS ist‹........................228 C. Abstrakta (BV-(er)îe/-eie3): ›Tatsache, dass jmd. BV‹ ...........................228 e. Diachroner Vergleich ................................................................................229 II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)..........................................................................230 a. Lexembestand (70).....................................................................................230 b. Morphologie ...............................................................................................232 1. Suffixetymologie ........................................................................................232 2. Suffixmorphologie .....................................................................................233 2.1. Diphthonggraphie...................................................................................233 2.2. Suffixallomorphie ...................................................................................235 -heit.. ..................................................................................................................235 -keit. ..................................................................................................................237 -ekeit/-icheit.......................................................................................................238 3. Basismorphologie.......................................................................................241 4. Basisaffinität................................................................................................241 c. Motivationsdichte.......................................................................................244 d. Wortbildungsfunktion...............................................................................245 A. Abstrakta (BA-heit1): ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹ ......................246 B. Agentiva (BA-heit2): ›etw./jmd., das/der BA ist‹ ..................................257 C. Abstrakta (BV/BV[part]-heit3): ›Tatsache, dass jmd. (etw.) BV‹ ........262 D. Abstrakta (BS-heit4): ›Tatsache, dass jmd. BS ist‹ .................................267 E. Idiofunktionalia (BS-heit5): ›BS‹ ...............................................................269 F. Abstrakta [DM] (BA/BV/BV[part]-heit6): ›Tatsache, dass jmd. BA ist/ jmd./etw. BV‹ ..............................................271 G. Kollektiva (BS-heit7): ›alle BS‹..................................................................273 H. Patientiva (BV[part]-heit8): ›das, was jmd. BV/BV wird‹ ....................274 I. Agentiva [DM] (BA/BV-heit9): ›etw., das BA ist/BV‹ ..........................274 e. Diachroner Vergleich ................................................................................275
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II.1.8. -in(ne)........................................................................................................277 a. Lexembestand (71).....................................................................................277 b. Morphologie ...............................................................................................278 1. Suffixmorphologie .....................................................................................279 2. Basisalternanz .............................................................................................280 3. Basisaffinität................................................................................................281 c. Motivationsdichte.......................................................................................282 d. Wortbildungsfunktion...............................................................................282 A. Motionsbildungen (BS-in(ne)1a): ›Frau/Tochter von BS‹ ....................284 B. Motionsbildungen (BS-in(ne)1b): ›weiblicher BS‹...................................288 C. Markierung des gramm. Geschlechts (BS-in(ne)1c)...............................292 D. Idiofunktionalia (BS-in(ne)2): ›BS‹ ...........................................................293 e. Diachroner Vergleich ................................................................................294 II.1.9. -lîn.............................................................................................................295 a. Lexembestand (48).....................................................................................295 b. Morphologie ...............................................................................................296 1. Suffixmorphologie .....................................................................................296 2. Basisalternanz .............................................................................................297 3. Basisaffinität und Genus der Bildungen.................................................299 c. Motivationsdichte.......................................................................................299 d. Wortbildungsfunktion...............................................................................299 e. Diachroner Vergleich ................................................................................308 II.1.10. -linc .........................................................................................................309 a. Lexembestand (9).......................................................................................309 b. Morphologie ...............................................................................................309 1. Suffixmorphologie .....................................................................................309 2. Basisalternanz .............................................................................................310 c. Motivationsdichte.......................................................................................310 d. Wortbildungsfunktion...............................................................................310 A. Agentiva (BA-linc1a): ›jmd./etw., der/das BA ist‹.................................311 B. Agentiva (BA-linc1b): ›etw., das von BAdv ist‹.......................................311 C. Agentiva (BZ-linc2): ›BZ-ter Teil von etw.‹............................................312 D. Agentiva (BV-linc3): ›jmd., der BV‹.........................................................313 E. Abstrakta (BS- linc4): ›Tatsache, dass jmd. etw. mit BS tut‹ ................313 e. Diachroner Vergleich ................................................................................314 II.1.11. -nisse .......................................................................................................315 a. Lexembestand (58).....................................................................................315 b. Morphologie ...............................................................................................316 1. Suffixmorphologie .....................................................................................316 2. Basisalternanz .............................................................................................317 3. Basisaffinität................................................................................................318 Fugenelement..................................................................................................319
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4. Genus der Bildungen.................................................................................320 c. Motivationsdichte.......................................................................................320 d. Wortbildungsfunktion...............................................................................321 A. Abstrakta (BV-nisse1): ›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹..........................321 B. Patientiva (BV-nisse2): ›das, was jmd. BV/BV wird‹.............................332 C. Abstrakta (BA-nisse3): ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹.....................334 D. Idiofunktionalia (BS-nisse4): ›BS‹.............................................................335 e. Diachroner Vergleich ................................................................................335 II.1.12. -ôt/-ât.....................................................................................................336 a. Lexembestand (11).....................................................................................336 b. Morphologie ...............................................................................................337 c. Motivationsdichte.......................................................................................339 d. Wortbildungsfunktion...............................................................................339 A. Abstrakta (BV-ôt/-ât1): ›Tatsache, dass jmd. BV‹.................................339 B. Agentiva (BA-ôt/-ât2): ›etw., das BA ist‹ ................................................340 C. Abstrakta (BA-ôt/-ât3): ›Tatsache, dass jmd. BA ist‹............................340 D. Idiofunktionalia (BS-ôt/-ât4): ›BS‹...........................................................340 e. Diachroner Vergleich ................................................................................341 II.1.13. -sal ..........................................................................................................341 a. Lexembestand (10).....................................................................................341 b. Morphologie ...............................................................................................341 1. Suffixetymologie ........................................................................................341 2. Korpusbefund ............................................................................................342 3. Suffixmorphologie .....................................................................................344 4. Basisalternanz und Genus der Bildungen ..............................................344 c. Motivationsdichte.......................................................................................345 d. Wortbildungsfunktion...............................................................................345 A. Abstrakta (BV-sal1): ›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹.............................346 B. Instrumentativa (BV-sal2): ›das, womit jmd. BV‹..................................347 C. Agentiva (BV-sal3): ›etw., das BV‹...........................................................348 D. Idiofunktionalia (BS-sal4): ›BS‹................................................................348 e. Diachroner Vergleich ................................................................................349 II.1.14. -sami .......................................................................................................349 a. Lexembestand (8).......................................................................................349 b. Morphologie ...............................................................................................350 1. Herkunft des Suffixes................................................................................350 2. Korpusbefund ............................................................................................350 3. Basisaffinität................................................................................................351 c. Motivationsdichte.......................................................................................351 d. Wortbildungsfunktion...............................................................................351 A. Abstrakta (BV-sami1): ›Tatsache, dass jmd. BV‹ ...................................352 B. Kollektiva (BS-sami2): ›alle BS‹.................................................................353
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C. Abstrakta (BS-sami3): ›Tatsache, dass jmd. BS ist‹ ................................354 D. Abstrakta (BA-sami4): ›Tatsache, dass etw. BA ist‹ ..............................354 E. Idiofunktionalia (BS-sami5): ›BS‹ .............................................................355 F. Patientiva (BV-sami6): ›das, was jmd. BV/BV wird‹.............................355 e. Diachroner Vergleich ................................................................................355 II.1.15. -schaft......................................................................................................356 a. Lexembestand (47).....................................................................................356 b. Morphologie ...............................................................................................357 1. Suffixetymologie ........................................................................................357 2. Suffixvarianten............................................................................................358 3. Basismorphologie.......................................................................................358 4. Basisaffinität................................................................................................359 c. Motivationsdichte.......................................................................................359 d. Wortbildungsfunktion...............................................................................360 A. Abstrakta (BS-schaft1): ›Tatsache, dass jmd. (jmds.) BS ist‹ .................361 B. Kollektiva (BS-schaft2): ›alle BS‹ ...............................................................368 C. Abstrakta (BV/BV[part]-schaft3): ›Tatsache, dass jmd. (jmdn.) BV‹ ..372 D. Lokativa (BS-schaft4): ›Gebiet von BS; Verwaltungsbereich von BS‹ 374 E. Abstrakta [DM] (BS/BV-schaft5): ›Tatsache, dass jmd. BS ist/BV‹ ...375 F. Idiofunktionalia (BS-schaft6): ›BS‹ ............................................................377 G. Agentiva (BA-schaft7): ›jmd./etw., der/das BA ist‹...............................379 H. Patientiva (BV-schaft8): ›das, was jmd. BV/BV wird‹...........................380 I. Abstrakta (BA-schaft9): ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹.....................381 J. Patientiva (BS-schaft10): ›das, was BS bringt, verkauft‹...........................382 K. Abstrakta [DM] (BA/BS-schaft11): ›Tatsache, dass etw. BA/BS ist‹..383 e. Diachroner Vergleich ................................................................................384 II.1.16. -t .............................................................................................................385 a. Lexembestand (51).....................................................................................385 b. Morphologie ...............................................................................................387 1. Suffixmorphologie .....................................................................................387 2. Basisaffinität................................................................................................389 3. Genus der Bildungen.................................................................................391 c. Motivationsdichte.......................................................................................391 d. Wortbildungsfunktion...............................................................................392 A. Abstrakta (BV-t1): ›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹................................392 B. Patientiva (BV-t2): ›das, was jmd. BV/BV wird‹...................................405 C. Agentiva (BV-t3): ›jmd./etw., der/das BV‹............................................408 D. Lokativa (BV-t4): ›Ort, wo jmd. BV‹......................................................410 E. Instrumentativa (BV-t5): ›das, womit man BV‹.....................................411 e. Diachroner Vergleich ................................................................................412 II.1.17. -tuom.......................................................................................................413 a. Lexembestand (13).....................................................................................413
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b. Morphologie ...............................................................................................413 1. Suffixstatus..................................................................................................413 2. Suffixvarianten............................................................................................414 3. Basisalternanz und Genus ........................................................................414 4. Basisaffinität................................................................................................415 c. Motivationsdichte.......................................................................................415 d. Wortbildungsfunktion...............................................................................415 A. Abstrakta (BS-tuom1): ›Tatsache, dass jmd. BS ist‹ ...............................416 B. Lokativa (BA-tuom2): ›Gebiet von BS; Verwaltungsgebiet von BS‹ ...418 C. Abstrakta (BS-tuom3): ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹.....................418 D. Agentiva (BA-tuom4): ›etw., das BA ist‹..................................................420 E. Abstrakta (BA-tuom5): ›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹ .........................420 e. Diachroner Vergleich ................................................................................420 II.1.18. -unge (-igunge) .........................................................................................422 a. Lexembestand (202)...................................................................................422 b. Morphologie ...............................................................................................425 1. Suffixmorphologie .....................................................................................425 Synkope............................................................................................................427 Variation an der Bildungsfuge......................................................................427 2. Vokalalternanzen der Basis ......................................................................430 3. Basisaffinität................................................................................................430 c. Motivationsdichte.......................................................................................433 d. Wortbildungsfunktion...............................................................................433 A. Abstrakta (BV-unge1): ›Tatsache, dass jmd. (etw.) BV‹ ........................435 B. Patientiva (BV-unge2): ›das, was jmd. BV/BV wird‹ .............................474 C. Instrumentativa (BV-unge3): ›das, womit jmd. BV‹...............................480 D. Idiofunktionalia (BS-unge4): ›BS‹ .............................................................482 E. Agentiva (BV-unge5): ›jmd./etw., der/das BV‹......................................485 F. Abstrakta (BA-unge6): ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹ .....................486 G. Lokativa (BV-unge7): ›Ort, wo jmd./etw. BV‹.......................................487 H. Abstrakta [DM] (BV/BA-unge8): ›Tatsache, dass jmd./etw. BV/BA ist‹ ........................................................488 I. Agentiva (BA-unge9): ›jmd./etw., der/das BA ist‹ ..................................489 e. Diachroner Vergleich ................................................................................490 II.1.19. Zusammenfassung zum semasiologischen Teil..............................492 II.2. Onomasiologische Darstellung.........................................................496 II.2.1. Modifikation...........................................................................................496 II.2.1.1. Diminutivbildungen...........................................................................496 II.2.1.2. Kollektivbildungen.............................................................................497 II.2.1.3. Motionsbildungen ..............................................................................498 II.2.2. Transposition .........................................................................................499 II.2.2.1. Grammatische Abstrakta ..................................................................500
Inhaltsverzeichnis
XVII
II.2.2.1.1. Deverbale Abstrakta .......................................................................501 II.2.2.1.2. Deadjektivische Abstrakta .............................................................505 II.2.2.1.3. Desubstantivische Abstrakta .........................................................507 II.2.2.1.4. Doppelmotivierte Abstrakta..........................................................508 1. Abstrakta mit Basisverb und Basisadjektiv...............................................508 2. Abstrakta mit Basisverb und Basissubstantiv...........................................509 3. Abstrakta mit Basissubstantiv und Basisadjektiv.....................................509 II.2.2.2. Agentivbildungen ...............................................................................509 II.2.2.2.1. Desubstantivische Agentiva ..........................................................510 II.2.2.2.2. Deverbale Agentiva.........................................................................511 II.2.2.2.3. Deadjektivische Agentiva...............................................................514 II.2.2.2.4. Agentiva mit Basiszahlwort ...........................................................516 II.2.2.2.5. Doppelmotivierte Agentiva ...........................................................516 1. Agentiva mit Basisverb und Basissubstantiv ............................................516 2. Agentiva mit Basisverb und Basisadjektiv ................................................517 3. Agentiva mit Basisadjektiv und Basissubstantiv ......................................517 II.2.2.3. Patientivbildungen..............................................................................518 II.2.2.3.1. Patientiva mit Basisverb.................................................................518 II.2.2.3.2. Patientiva mit Basissubstantiv.......................................................520 II.2.2.4. Instrumentativbildungen...................................................................521 II.2.2.5. Lokativbildungen................................................................................522 II.2.2.5.1. Deverbale Lokativa.........................................................................523 II.2.2.5.2. Desubstantivische Lokativa...........................................................524 II.2.2.5.3. Doppelmotivierte Lokativa............................................................525 II.2.3. Idiofunktionale Bildungen ...................................................................526 II.2.4. Zusammenfassung zu Transposition und Modifikation .................527 II.3. Resümee ...................................................................................................529 Verzeichnis der Abkürzungen und Symbole .........................................537 Bibliographie ....................................................................................................539 1. Hilfsmittel: Wörterbücher, Nachschlagewerke, Textkorpus..................539 2. Literatur..........................................................................................................542 Sach- und Terminologieregister .................................................................563 Wortregister .....................................................................................................565 Register lateinischer und mittellateinischer Wörter .....................................565 Register mittelhochdeutscher Wörter ............................................................566
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen Tabelle I.1.1.1. Verteilung aller Urkunden des Wilhelm-Corpus nach Zeitabschnitten................................................................................................................................ 8 Tabelle I.1.1.2. Anzahl ausgeschlossener Urkunden mit Ausschlussgrund .............. 9 Tabelle I.1.1.3. Verteilung der aufgenommenen Urkunden nach Zeitabschnitten......................................................................................................... 11 Diagramm I.1.1.4. Sprachlandschaftliche Verteilung der aufgenommenen Urkunden bis 1279............................................................................................................ 12 Diagramm I.1.1.5. Sprachlandschaftliche Verteilung der aufgenommenen Urkunden von 1280 bis 1289 .......................................................................................... 12 Diagramm I.1.1.6. Sprachlandschaftliche Verteilung der aufgenommenen Urkunden von 1290 bis 1299 .......................................................................................... 13 Tabelle I.1.1.7. Anzahl aufgenommener Urkunden und entsprechende Zeilenzahl nach Zeitabschnitten ................................................. 13 Tabelle I.1.1.1.1. Abschnitt I (bis 1279): Zeilen pro Sprachlandschaft ................... 15 Tabelle I.1.1.1.2. Abschnitt II (1280 – 1289): Zeilen pro Sprachlandschaft........... 15 Tabelle I.1.1.1.3. Abschnitt III (1290 – 1299): Zeilen pro Sprachlandschaft ......... 15 Tabelle I.2.3.1. Übersicht über die verwendeten Paraphrasen zur Ermittlung der Wortbildungsfunktion.................................................................... 28 Übersicht I.2.4.1. Basisrangsystem ................................................................................. 29 Übersicht I.2.7.1. Die dialektalen Interferenzräume und ihre Abkürzungen ......... 34 Tabelle II.1.1.1. Suffixmorphologie des Suffixes -ach ................................................. 38 Tabelle II.1.1.2. Funktionelle Verwendung der -ach-Derivate................................... 38 Tabelle II.1.2.1. Prozentanteile der -e-Apokope, getrennt nach Sprachlandschaften und Kasus im Singular........................................ 45 Tabelle II.1.2.2. Funktionelle Verwendung der -e-Derivate....................................... 52 Tabelle II.1.2.3. Funktionsklassenunabhängige Verteilung der an der Wortbildung beteiligten Basiswortarten beim Suffix -e ...................................................................... 53 Tabelle II.1.2.4. Funktionelle Verteilung der -e-Bildungen (basiswortunabhängig)...................................................................................................... 53 Tabelle II.1.2.5. Verteilung der Genera mit -e gebildeter Substantive nach Funktionsklassen...................................................................................................... 54 Tabelle II.1.2.6. Funktionelle Verteilung der -e-Derivate im diachronen Vergleich... .............................................................................................116 Tabelle II.1.3.1. Suffixmorphologie von -(e)de............................................................122 Tabelle II.1.3.2. Suffixvarianten der Belege von geswisterde.......................................124
XX
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
Tabelle II.1.3.3. Umlaut des Basisvokals bei -(e)de-Derivaten .................................126 Tabelle II.1.3.4. Funktionelle Verwendung der -(e)de-Derivate...............................128 Tabelle II.1.3.5. Basiswortunabhängige Verteilung der an der Wortbildung beteiligten Funktionsklassen beim Suffix -(e)de..........................................................128 Tabelle II.1.3.6. Funktionelle Verteilung der -(e)de-Derivate im diachronen Vergleich ................................................................................................153 Tabelle II.1.4.1. Instrumentative Konkurrenzbildungen der Suffixe -el, -er(e) und -e..........................................................................................155 Tabelle II.1.4.2. Agentive Konkurrenzbildungen der Suffixe -el, -er(e) und -e ......156 Tabelle II.1.4.3. Funktionelle Verwendung der -el-Derivate....................................159 Tabelle II.1.4.4. Funktionelle Verteilung der -el-Derivate im diachronen Vergleich... .............................................................................................164 Tabelle II.1.5.1. Suffixmorphologie des Suffixes -er(e) .............................................171 Tabelle II.1.5.2. Regionale Unterschiede bei -ner(e) und -er(e) .................................173 Tabelle II.1.5.3. Graphische Markierung des Umlauts bei -er(e)-Derivaten..........175 Tabelle II.1.5.4. Prozentverhältnisse für graphisch markierte Umlaute nach Sprachregionen.......................................................................................................176 Tabelle II.1.5.5. Graphische Realisierungen der Umlaute bei -er(e)........................177 Tabelle II.1.5.6. Funktionelle Verwendung der -er(e)-Derivate ...............................179 Tabelle II.1.5.7. Funktionsklassen bei -er(e)-Derivaten.............................................181 Tabelle II.1.5.8. Funktionelle Verteilung der -er(e)-Derivate im diachronen Vergleich ................................................................................................223 Tabelle II.1.6.1. Suffixmorphologie der -(er)îe/-eie-Derivate....................................226 Tabelle II.1.6.2. Funktionelle Verwendung der -(er)îe/-eie-Derivate.......................227 Tabelle II.1.6.3. Funktionelle Verteilung der -(er)îe/-eie-Derivate im diachronen Vergleich ................................................................................................229 Tabelle II.1.7.1. Diphthonggraphie im Suffix-heit (-keit, -ekeit/-icheit)....................233 Tabelle II.1.7.2. Das Suffixallomorph -heit .................................................................235 Tabelle II.1.7.3. Das Suffixallomorph -keit.................................................................237 Tabelle II.1.7.4. Das Suffixallomorph -ekeit/-icheit....................................................238 Tabelle II.1.7.5. Lexeme mit verschiedenen Suffixallomorphen ............................239 Tabelle II.1.7.6. Morpho-semantische Doppelmotivation.......................................240 Tabelle II.1.7.7. Endungen der morpho-semantisch doppelmotivierten -heit-Derivate ....................................................................................................................240 Tabelle II.1.7.8. Funktionelle Verwendung der -heit-Derivate ................................245 Tabelle II.1.7.9. Funktionsklassenunabhängige Verteilung der an der Wortbildung beteiligten Basiswortarten beim Suffix -heit ................................................................246 Tabelle II.1.7.10. Funktionelle Verteilung der -heit-Derivate im diachronen Vergleich ................................................................................................275 Tabelle II.1.8.1. Suffixvarianten von -in(ne) in den verschiedenen Kasus nach sprachlandschaftlicher Verteilung.......................................................................279 Tabelle II.1.8.2. Graphische Markierung des Umlauts bei -in(ne)-Derivaten........280
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
XXI
Tabelle II.1.8.3. Prozentualer Anteil umgelauteter Vokale nach Sprachlandschaften................................................................................................281 Tabelle II.1.8.4. Funktionelle Verwendung der -in(ne)-Derivate.............................282 Tabelle II.1.8.5. Funktionelle Verteilung der -in(ne)-Derivate im diachronen Vergleich ................................................................................................294 Tabelle II.1.9.1. Morphologie des Suffixes -lîn ..........................................................296 Tabelle II.1.9.2. Graphische Markierung des Umlauts bei -lîn-Derivaten.............298 Tabelle II.1.9.3. Funktionelle Verwendung der -lîn-Derivate..................................299 Tabelle II.1.10.1. Funktionelle Verwendung der -linc-Derivate ..............................310 Tabelle II.1.10.2. Funktionelle Verteilung der -linc-Derivate im diachronen Vergleich ................................................................................................314 Tabelle II.1.11.1. Morphologie des Suffixes -nisse .....................................................316 Tabelle II.1.11.2. Funktionelle Verwendung der -nisse-Derivate.............................321 Tabelle II.1.11.3. Funktionelle Verteilung der -nisse-Derivate im diachronen Vergleich ................................................................................................335 Tabelle II.1.12.1. Morphologie der Suffixe -ôt/-ât.....................................................338 Tabelle II.1.12.2. Funktionelle Verwendung der -ôt/-ât-Derivate ..........................339 Tabelle II.1.13.1. Konkurrenzbildungen zu -sal-Derivaten......................................343 Tabelle II.1.13.2. Funktionelle Verwendung der -sal-Derivate................................345 Tabelle II.1.14.1. Funktionelle Verwendung der -sami-Derivate.............................351 Tabelle II.1.15.1. Funktionelle Verwendung der -schaft-Derivate ...........................360 Tabelle II.1.15.2. Funktionelle Verteilung der -schaft-Bildungen (basiswortunabhängig)....................................................................................................361 Tabelle II.1.15.3. Prozentuale Verteilung der Basiswortarten bei der Wortbildung mit -schaft......................................................................................361 Tabelle II.1.15.4. Funktionelle Verteilung der -schaft-Derivate im diachronen Vergleich ................................................................................................384 Tabelle II.1.16.1. Funktionelle Verwendung der -t-Derivate...................................392 Tabelle II.1.16.2. Funktionelle Verteilung der -t-Derivate im diachronen Vergleich...............................................................................................412 Tabelle II.1.17.1. Funktionelle Verwendung der -tuom-Derivate ............................415 Tabelle II.1.17.2. Funktionelle Verteilung der -tuom-Derivate im diachronen Vergleich ................................................................................................421 Tabelle II.1.18.1. Morphologie des Suffixes -unge......................................................426 Tabelle II.1.18.2. Variation an der Bildungsfuge bei verschiedenen -unge-Derivaten nach sprachlandschaftlicher Verteilung.........428 Tabelle II.1.18.3. Sprachlandschaftlicher Vergleich der Basisaffinität hinsichtlich der Verben stæten, stætigen, bestæten und bestætigen...................................432 Tabelle II.1.18.4. Funktionelle Verwendung der -unge-Derivate .............................433 Tabelle II.1.18.5. Funktionelle Verteilung der -unge-Derivate im diachronen Vergleich ................................................................................................490
XXII
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
Tabelle II.1.19.1. Übersicht über die absoluten und prozentualen Anteile der Einzelsuffixe im Korpus .........................................................................................492 Tabelle II.1.19.2. Diachroner Vergleich der Einzelsuffixe.......................................493 Tabelle II.1.19.3. Diachroner Vergleich der zehn jeweils meistbelegten Suffixe.495 Tabelle II.2.1.2.1. Übersicht über die Derivationstypen der Kollektiva................497 Tabelle II.2.1.2.2. Übersicht über kollektive Derivationstypen im diachronen Vergleich ................................................................................................498 Tabelle II.2.1.3.1. Übersicht über die Derivationstypen der Motion im Urkundenkorpus........................................................................................................498 Tabelle II.2.1.3.2. Übersicht über die Derivationstypen der Motion im diachronen Vergleich ................................................................................................499 Abbildung II.2.2.1. Prozentverhältnisse der behandelten Transpositionsbildungen............. .............................................................................................................500 Tabelle II.2.2.1.1. Übersicht über die Derivationstypen der grammatischen Abstrakta im Urkundenkorpus .....................................................................................501 Tabelle II.2.2.1.1.1. Die Derivationstypen der deverbalen Abstrakta im Urkundenkorpus........................................................................................................501 Tabelle II.2.2.1.1.2. Die Derivationstypen der deverbalen Abstrakta im diachronen Vergleich ................................................................................................502 Tabelle II.2.2.1.1.3. Deverbale Abstrakta: Übersicht über die an Konkurrenzbildungen beteiligten Derivationstypen .........503 Tabelle II.2.2.1.1.4. Deverbale Abstrakta: Übersicht über konkurrierende Lexeme................ .....................................................505 Tabelle II.2.2.1.2.1. Die Derivationstypen der deadjektivischen Abstrakta im Urkundenkorpus........................................................................................................505 Tabelle II.2.2.1.2.2. Die Derivationstypen der deadjektivischen Abstrakta im diachronen Vergleich ................................................................................................506 Tabelle II.2.2.1.2.3. Deadjektivische Abstrakta: Übersicht über konkurrierende Lexeme ..............................................................................................................................507 Tabelle II.2.2.1.3.1. Die Derivationstypen der desubstantivischen Abstrakta im Urkundenkorpus........................................................................................................507 Tabelle II.2.2.1.3.2. Die Derivationstypen der desubstantivischen Abstrakta im diachronen Vergleich ................................................................................................508 Tabelle II.2.2.1.4.1. Die Derivationstypen doppelmotivierter Abstrakta im Urkundenkorpus (Basisverb und Basisadjektiv) ..................................................508 Tabelle II.2.2.2.1. Übersicht über die Wortbildungsbasen der Agentivbildungen... ............ ............................................................................................. 509 Tabelle II.2.2.2.1.1. Die Derivationstypen der desubstantivischen Agentiva im Urkundenkorpus........................................................................................................510 Tabelle II.2.2.2.1.2. Die Derivationstypen der desubstantivischen Agentiva im diachronen Vergleich ................................................................................................511
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
XXIII
Tabelle II.2.2.2.2.1. Die Derivationstypen der deverbalen Agentiva im Urkundenkorpus..............................................................................................................511 Tabelle II.2.2.2.2.2. Die Derivationstypen der deverbalen Agentiva im diachronen Vergleich ................................................................................................512 Tabelle II.2.2.2.2.3. Deverbale Agentiva: konkurrierende Lexeme........... .............513 Tabelle II.2.2.2.2.4. Deverbale Agentiva: Übersicht über die an Konkurrenzbildungen beteiligten Derivationstypen .........514 Tabelle II.2.2.2.3.1. Die Derivationstypen der deadjektivischen Agentiva im Urkundenkorpus........................................................................................................514 Tabelle II.2.2.2.3.2. Die Derivationstypen der deadjektivischen Agentiva im diachronen Vergleich ................................................................................................515 Tabelle II.2.2.2.3.3. Deadjektivische Agentiva: konkurrierende Lexeme ..............515 Tabelle II.2.2.2.4.1. Die Derivationstypen der Agentiva mit Basiszahlwort im Urkundenkorpus........................................................................................................516 Tabelle II.2.2.2.5.1. Die Derivationstypen doppelmotivierter Agentiva im Urkundenkorpus (Basisverb und Basissubstantiv) ..............................................516 Tabelle II.2.2.2.5.2. Doppelmotivierte Agentiva (Basisverb und Basissubstantiv): Übersicht über konkurrierende Lexeme......................................................................517 Tabelle II.2.2.2.5.3. Doppelmotivierte Agentiva (Basisverb und Basisadjektiv): Übersicht über konkurrierende Lexeme......................................................................517 Tabelle II.2.2.3.1. Übersicht über die Wortbildungsbasen der Patientivbildungen....... ...................................................................................................................518 Tabelle II.2.2.3.1.1. Die Derivationstypen der Patientiva im Urkundenkorpus...518 Tabelle II.2.2.3.1.2. Die Derivationstypen der Patientiva im diachronen Vergleich.. ..............................................................................................519 Tabelle II.2.2.3.1.3. Patientiva: Übersicht über konkurrierende Lexeme ..............520 Tabelle II.2.2.3.1.4. Patientiva: Übersicht über die an Konkurrenzbildungen beteiligten Derivationstypen..........................................................................................520 Tabelle II.2.2.3.2. Die Derivationstypen der desubstantivischen Patientiva im Urkundenkorpus........................................................................................................520 Tabelle II.2.2.4.1. Die Derivationstypen der Instrumentativbildungen im Urkundenkorpus........................................................................................................521 Tabelle II.2.2.4.2. Die Derivationstypen der Instrumentativbildungen im diachronen Vergleich ................................................................................................522 Tabelle II.2.2.5.1. Übersicht über die Wortbildungsbasen der Lokativbildungen.............................................................................................................. .523 Tabelle II.2.2.5.1.1. Die Derivationstypen der deverbalen Lokativa im Urkundenkorpus........................................................................................................523 Tabelle II.2.2.5.1.2. Die Derivationstypen der deverbalen Lokativa im diachronen Vergleich ................................................................................................523 Tabelle II.2.2.5.2.1. Die Derivationstypen der desubstantivischen Lokativa im Urkundenkorpus........................................................................................................524
XXIV
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
Tabelle II.2.2.5.2.2. Die Derivationstypen der desubstantivischen Lokativa im diachronen Vergleich ......................................................................................................525 Tabelle II.2.3.1 Die Derivationstypen idiofunktionaler Bildungen im Urkundenkorpus........................................................................................................526 Abbildung II.2.4.1. Zusammenfassende Darstellung der Modifikations- und Transpositionsbildungen im Urkundenkorpus ..........................................................527 Tabelle II.3.1. Distribution der Funktionsklassen .....................................................529
0. Einleitung Seit nunmehr 20 Jahren ist das Interesse an der historisch-synchronen Erforschung des deutschen Wortbildungssystems ungebrochen. Mit den Erlanger Arbeiten von Peter O. Müller und Mechthild Habermann zum Nürnberger Frühneuhochdeutsch wurde ein weithin rezipierter Forschungsansatz vorgelegt, der nicht zuletzt auch der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt. Fußend auf den Innsbrucker Bänden zur deutschen Wortbildung (DW 1–3) – synchronen, korpusbezogenen Analysen des deutschen Wortbildungssystems – und der in Tübingen von Gersbach/Graf (1984/85) erarbeiteten »Wortbildung in gesprochener Sprache« wurde die dort angewandte Methode nun auch für historische Texte nutzbar gemacht und entsprechend erweitert.1 Das neuentwickelte Konzept der ›Motivationsdichte‹ zur Bestimmung des Motiviertheitsgrades eines historischen Wortbildungsprodukts2 war dabei z.B. wegweisend. Im Rahmen des Erlanger Projektes sind mit dem Erscheinen der Arbeit von Barbara Thomas (2002) zur Adjektivwortbildung nun alle drei Hauptwortarten untersucht. Aber die ›Erlanger Schule‹ hat überdies auch Projekte an anderen Standorten angeregt und beeinflusst. So z.B. die Arbeiten von Döring/Eichler (1996) und Brendel et al. (1997), die sich mit der Wort- und Begriffsbildung in frühneuhochdeutscher Wissensliteratur befassen. In jüngerer Zeit hat sich das Forschungsinteresse auf das in dieser Hinsicht bislang weitgehend unerforschte Mittelhochdeutsche3 verlagert. Neben dem Erlanger Projekt zur mittelhochdeutschen Urkundensprache wird an den Universitäten Bochum, Bonn und Halle der Wortbildungsteil der neuen wissenschaftlichen Grammatik des Mittelhochdeutschen auf der Grundlage eines diatopisch-diachronisch gestaffelten Korpus unterschiedlicher Textsorten erarbeitet. Im Rahmen der Reihe ›Studien zur mittelhochdeutschen Grammatik‹, herausgegeben von Thomas Klein, Hans Joachim Solms und Klaus-Peter Wegera, sind mit den Arbeiten von Birgit Herbers (2002) und Aletta Leipold (2006) mittlerweile zwei Monographien zur verbalen Wortbildung im Mittelhochdeutschen erschienen. Die vorliegende Arbeit erforscht das System der Substantivderivation in der mittelhochdeutschen Urkundensprache des 13. Jahrhunderts. Ein _____________ 1 Vgl. Müller (2002: 2f.) 2 Vgl. Müller (1993b: 417). 3 Vgl. Zutt (2000).
2
0. Einleitung
deutlicher Schwerpunkt liegt hierbei auf dem West- und Ostoberdeutschen, denn die deutschsprachige Beurkundung »ging vom dt. SW, dem Oberrheingebiet mit den Schreiborten Konstanz, Zürich, Basel, Freiburg und Straßburg aus, verbreitete sich zunächst in das BayrischÖsterreichische, setzte sich nach N und NO aber nur zögernd fort.«4 Als Gründe für das vermehrte Auftreten deutscher statt lateinischer Urkunden in den Jahren nach 1230 werden maßgeblich sozial- und kulturhistorische Veränderungen genannt, wie stärkere Beteiligung der Laien am Rechtsleben, wachsender Einfluss der Ministerialität, der Aufstieg unterer Bevölkerungsschichten und die Entstehung der städtischen Kanzleien. Ferner wird aber auch die Veränderung des Urkundenwesens selbst angeführt, indem ein Übergang von reinen Beweisurkunden zu rechtsetzenden Urkunden erfolgt, die, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, in der Volkssprache verlesen werden mussten.5 Im ersten Teil der Arbeit (I.1.) erläutere ich die Grundlagen meiner Untersuchung. Hier wird das Urkundenkorpus als Materialbasis vorgestellt. Es folgt ferner eine ausführliche Darlegung der vorgenommenen Modifikationen an der Wilhelm'schen Materialsammlung (Korpusstrukturierung, Korpuskomprimierung), die nötig waren, um die Wissenschaftlichkeit unseres Korpus zu gewährleisten. Speziell für die Bearbeitung des Substantivs war es nötig, ein Kernkorpus zu erarbeiten, das es als repräsentatives Kleinkorpus ermöglichen sollte, auch hochfrequente und nicht über das Wörterbuch der Mittelhochdeutschen Urkundensprache (WMU) zugängliche Lexeme exemplarisch zu bearbeiten. Auch darauf wird detailliert eingegangen. Anschließend wird die Methodik der Wortbildungsanalyse vorgestellt (I.2.). Der zweite Teil der Arbeit (II.1.) widmet sich zum einen der Darstellung der Einzelsuffixe nach semasiologischen Gesichtspunkten. Nach der Auflistung des analysierten Lexembestandes erfolgen jeweils Erläuterungen zur Suffixetymologie, Suffix- und Basismorphologie und der Motivationsdichte. Danach folgt die Einzeldarstellung der im Urkundenkorpus feststellbaren Wortbildungsfunktionen der Einzelsuffixe. Am Ende der Einzeldarstellungen wird in der Regel der Befund des Urkundenkorpus durch den Vergleich mit Befunden zum Frühneuhochdeutschen und Gegenwartsdeutschen diachron eingeordnet. Nach einer kurzen Zusammenfassung zum semasiologischen Teil folgt in II.2. die Darlegung der Ergebnisse unter onomasiologischer Betrachtung. Ausgehend von den jeweiligen Funktionsklassen erfolgt auch hier eine diachrone Einordnung der Ergebnisse anhand des Vergleichs mit _____________ 4 HRG (V: 594). 5 A.a.O.: 594f.
0. Einleitung
3
den maßgeblichen Arbeiten zum Frühneuhochdeutschen und Gegenwartsdeutschen. In einem Resümee werden am Ende der Arbeit die wichtigsten Ergebnisse kurz zusammengefasst. 0. Einleitung
Teil I: Grundlagen
I.1. Die Materialbasis I.1.1. Das Urkundenkorpus Die Grundlage dieser Untersuchung stellt das von Friedrich Wilhelm 1932 begründete ›Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300‹ dar, das (annähernd) vollständig alle deutschsprachigen Urkunden vom Jahr 1200 bis 1299 erfasst. Das Wilhelm-Corpus enthält 4422 Urkunden verschiedener sprachlandschaftlicher Provenienz, die in vier Bänden und einem Nachtragsband erfasst sind. Die in den Urkunden behandelten Themenbereiche sind äußerst vielfältig und berühren die verschiedensten politischen, rechtlichen, sozialen und ökonomischen Aspekte der mittelalterlichen Gesellschaft. Es finden sich u.a. Friedensverträge, Schieds- und Schlichtungsurkunden, Kaufverträge, Zunftordnungen, Pfandsetzungen, Testamente, Heiratsverlöbnisse, Schenkungen etc. Ein besonderer Vorzug des Corpus ist der Umstand, dass alle aufgenommenen Urkunden ausnahmslos als Originale belegt sind, und sie somit authentische mittelhochdeutsche Sprachzeugnisse darstellen. Dank der strengen textdiplomatischen Vorgehensweise und paläographischen Genauigkeit der Herausgeber stehen die Texte im Corpus in größtmöglicher Nähe zum handschriftlichen Original.1 Mit ›Urkunden‹ sind hier »beglaubigte Schriftstücke, die in bestimmten Formen zum Zeugnis über Vorgänge rechtlicher Natur aufgezeichnet sind«2, gemeint. Das lange gegen die wissenschaftliche Nutzung des Korpus ins Feld geführte Argument der Formelhaftigkeit der Urkunden kann mittlerweile als revidiert gelten. Auch wenn es sich bei den Urkunden sicherlich um eine an spezifische Produktionsbedingungen geknüpfte Textsorte handelt, »darf nicht gefolgert werden, daß sie ein spezielles Idiom repräsentieren, das lexikalisch stereotyp und begrenzt, syntaktisch stark formalisiert und dessen Merkmale genau zu umreißen wären.«3 Ein besonderer Vorteil der Textsorte Urkunde besteht in der meist genauen Datierbarkeit und sprachräumlichen Zuweisbarkeit der Texte. _____________ 1 2 3
Texteingriffe der Herausgeber betreffen v.a. die Normalisierung der s-Schreibung und die Zusammenschreibung von Komposita, die aus dem handschriftlichen Befund nicht immer eindeutig bestimmbar ist. Vgl. Schulze (2002: 437). Vgl. Schulze (1990b: 135).
I.1. Die Materialbasis
8
Aufgrund paläographischer Untersuchungen ist es sogar möglich, einen Teil der Urkunden bekannten Schreibern zuzuordnen. Den 4422 Urkunden nach der Zählung des Wilhelm-Corpus (Bd. I bis IV: Nr. 1 – 3598 sowie die Urkunden des Nachtragsbandes N1 – N 824) entspricht eine reale Anzahl von 4617 Einzeltexten, was damit zusammenhängt, dass im Wilhelm-Corpus parallel auftretenden Einzeltexten keine eigene Urkundennummer zugewiesen ist (A/B-Urkunden). Die Einzelurkunden verteilen sich auf die von uns auf das Wilhelm-Corpus angewandte zeitliche Gliederung in drei Abschnitte (s.u.) folgendermaßen: Abschnitt I (bis 1279) Urkundenzahl
621
Abschnitt II Abschnitt III (1280 – 1289) (1290 – 1299) 1095
2901
Gesamt 4617
Tabelle I.1.1.1. Verteilung aller Urkunden des Wilhelm-Corpus nach Zeitabschnitten
Obwohl das Wilhelm-Corpus die Prinzipien moderner Korpusforschung, wie Handschriftentreue und Strukturiertheit hinsichtlich ›Raum‹, ›Zeit‹ und ›Textsorte‹, voll erfüllt, kann es nicht bedenkenlos als Basis einer modernen korpusbasierten Untersuchung genutzt werden. Da wir uns zu Beginn der Arbeit mit dem Urkundenmaterial vieler dieser Aspekte nicht bewusst waren, stieg erst mit zunehmendem Erkenntnisgewinn die Gewissheit, dass einerseits das Gesamtkorpus alleine aufgrund seines Umfangs nicht bearbeitet werden konnte, andererseits eine nachträgliche Bearbeitung des Korpus vonnöten war, um zu systematisch gewonnenen, kritischer Betrachtung standhaltenden Ergebnissen zu kommen. Der Verlust kostbarer Bewilligungszeit ließ sich daher nicht vermeiden. Die modifizierenden Vorarbeiten betrafen vor allem die zahlreichen Doppel- und Mehrfachausfertigungen ein und derselben Urkunde, die, um die Aussagekraft der Ergebnisse nicht zu beeinträchtigen, aus der Untersuchung ausgeschlossen werden mussten. Bei inhaltlich identischen Abschriften lässt sich weiterhin zwischen zeitidentischen und zeitfernen Abschriften unterscheiden. Während das Erkennen von zeitidentischen Urkunden aufgrund der chronologischen Anordnung im Korpus und der Kennzeichnung als A- und B-Urkunden keine Probleme bereitet, gestaltet sich das Aufspüren zeitferner Abschriften, wie Friedensverträge und Stadtrechtsurkunden, schwieriger.4 Als Dubletten haben wir auch zeitidentische Gegenurkunden gewertet, d.h. Urkunden, die inhaltlich identisch sind, die aber verschiedene Perspektiven der Urkundenparteien berücksichtigen. Sie stehen im Korpus meist direkt hintereinander. _____________ 4
Vgl. Ganslmayer/Müller/Ring (2003: 326f.).
I.1.1. Das Urkundenkorpus
9
Auszuschließen waren auch einige wenige Urkunden, die dem heutigen Verständnis eines Formulars sehr nahe kommen. Sie beziehen sich stets auf identische Rechtsgeschäfte, an denen verschiedene Parteien beteiligt sind. Aus pragmatischen Gründen weisen diese Urkunden einen unverändert abgeschriebenen Text auf, bei dem nur die jeweiligen Namen der Rechtspersonen, verschiedene Kaufsummen oder Verkaufsgüter individuell eingesetzt wurden. Neben diesen Dubletten und Gegenurkunden wurden ferner alle Dokumente ausgeschlossen, die nicht in ausreichendem Maß datierbar und lokalisierbar waren. Des Weiteren fanden Fälschungen des 14. Jh.s, Texte anderer Textsorten oder verderbte Urkunden keine Aufnahme in das Untersuchungskorpus. Die folgende Übersicht bietet einen Überblick über die Anzahl der ausgeschlossenen Urkunden und Ausschlussgründe. Ausschlussgrund Dublette inhaltliche Dublette Gegenurkunde unklare Datierung unklare Lokalisierung verderbt Fälschung Textsorte Gesamt
Anzahl ausgeschlossener Urkunden 172 160 40 78 34 7 2 2 495 (= 11,54 %)
Tabelle I.1.1.2. Anzahl ausgeschlossener Urkunden mit Ausschlussgrund
Daneben bleiben natürlich alle 35 lateinischen und 293 niederländischen Urkunden unberücksichtigt. Somit reduziert sich also die Gesamtzahl der Urkunden von 4617 (inkl. fremdsprachiger Urkunden und Mehrfachausfertigungen) auf insgesamt 3794 zu wertende Dokumente, die die Grundlage unserer Untersuchungen bilden. Es hat sich schon in einem frühen Bearbeitungsstatus gezeigt, dass die soeben geschilderte ›natürliche Reduktion‹ des Corpus die zu bearbeitende Menge der Belege vor allem für die Untersuchung der Substantivwortbildung nicht in ausreichendem Maß reduziert. Daher wurde intensiv über einen gangbaren Weg der Textreduktion nachgedacht, bei dem die Heterogenität des Corpus hinsichtlich Zeit und Raum weitgehend erhalten bleiben sollte. Das Ziel war also ein reduziertes Korpus, das prozentual
I.1. Die Materialbasis
10
ein repräsentatives Abbild des Gesamtkorpus darstellen sollte.5 Das vorrangigste Problem war hierbei die Lokalisierung der Einzelurkunden, der Faktor ›Raum‹. Erste Anhaltspunkte für die lokale Einordnung einer Urkunde bieten das zum WMU gehörige Schreibortverzeichnis (SVO) und die Regesten. Beide bieten jedoch keine sprachgeographische Zuordnung. Unser Ziel war es daher, aufgrund textinterner und außersprachlicher Gegebenheiten zu jeder Urkunde den entsprechenden Sprachgroßraum zu ermitteln, in dem die Urkunde entstanden ist. Ein Problem besteht darin, dass der in der Kopfzeile der Urkunde genannte Ausstellungsort nicht per se mit dem Entstehungs- oder Schreibort der Urkunde identisch ist6, aber als Verhandlungsort oder Sitz einer Urkundenpartei zumindest einen Bezug zum vollzogenen Rechtsakt aufweist. Deshalb darf man davon ausgehen, dass der Ausstellungsort einen wichtigen Anhaltspunkt für den Entstehungsraum der Urkunde darstellt7, auch wenn Empfängerausfertigungen, vor allem bei Ausfertigungen an einem dritten Ort, sehr häufig sind.8 Die in einer Urkunde genannten Personengruppen (unmittelbar und mittelbar beteiligte Personen) sind ein weiterer wichtiger Faktor bei der räumlichen Zuordnung einer Urkunde, da häufig nicht nur der Herkunftsort der direkten Urkundenparteien, sondern auch anwesende Zeugen und ihre Herkunft genannt werden. Um auch in einem reduzierten Korpus eine ähnliche Themenvielfalt wie im Gesamtkorpus gewährleisten zu können, wurden die Urkunden soweit möglich in inhaltliche Gruppen, wie Verkaufsurkunden, Schenkungen, Testamente etc., eingeteilt. Inhaltliche Aspekte, wie Lage eines verkauften Gutes, die Herkunft von Eigenleuten, die gültige Währung, können ebenfalls für die räumliche Zuordnung instrumentalisiert werden.9 Nach der Ermittlung der genannten Faktoren folgte die Einordnung der Urkunden in eine Sprachregion gemäß der gängigen diatopischen Gliederung des Mhd. und Mnd.10 Sprachliche Interferenzräume wurden hierbei gesondert berücksichtigt (vgl. I.2.7.). Um möglichst genau die prozentualen Textanteile jeder Sprachlandschaft im reduzierten Korpus ermitteln zu können, durfte nicht von Urkunden pro Landschaft ausgegangen werden, da diese ja in ihrer Länge stark variieren. Es war daher für jede Sprachregion die jeweils überlieferte Zeilenzahl zu ermitteln. _____________ 5 6 7 8 9 10
Eine ausführlichere Beschreibung der Vorgehensweise als im Folgenden findet sich in Ganslmayer/Müller/Ring (2003: 331ff.). Vgl. Schreibortverzeichnis (1991: 7f.). Vgl. Schulze (2001: 475). Vgl. Reiffenstein (1969a: 178). Vgl. Reiffenstein (1969a: 178). Vgl. PWG (1998: 6).
I.1.1. Das Urkundenkorpus
11
Schließlich war auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Überlieferung deutschsprachiger Urkunden im 13. Jh. nicht in allen Sprachregionen gleichzeitig beginnt und die Produktivität der einzelnen Landschaften zum Teil starken Veränderungen unterliegt. So setzt die Urkundenüberlieferung von 1200 bis 1250 erst sporadisch ein. Aus der Zeit vor 1250 sind weniger als 0,2% der Urkunden des Wilhelm-Corpus belegt. Ein allmählicher Zuwachs zeigt sich erst in den drei folgenden Jahrzehnten bis 1279. Der Hauptüberlieferungsschwerpunkt liegt jedoch in den letzten beiden Jahrzehnten, vor allem aber im letzten Jahrzehnt des 13. Jh.s. Aus genannten Gründen wurde folglich der Gesamtüberlieferungszeitraum in drei Abschnitte unterteilt, wie in der folgenden Übersicht erkennbar ist.
Urkundenzahl
Abschnitt I (bis 1279) 476 (= 12,55 %)
Abschnitt II (1280-1289) 887 (= 23,38 %)
Abschnitt III (1290-1299) 2431 (= 64,07 %)
Gesamt 3794
Tabelle I.1.1.3. Verteilung der aufgenommenen Urkunden nach Zeitabschnitten
Auch die geographische Herkunft der Urkunden ist sehr heterogen. Es besteht ein ausgeprägter Schwerpunkt im oberdeutschen Bereich, aus dem über 90% des Urkundenmaterials stammen. Das Mitteldeutsche weist einen wesentlich geringeren Anteil von 3,03% auf, und niederdeutsche Ausfertigungen liegen deutlich unter einem Prozent. Während die deutschsprachige Beurkundung im Ostoberdeutschen erst nach 1260 einsetzt und bis 1279 erst 7,77% ausmacht, erweist sich das alemannisch-oberrheinische Gebiet mit den Hauptschreiborten Konstanz, Zürich, Basel, Straßburg und Freiburg in diesem Zeitraum als die produktivste Schreibregion. Die folgenden Balkendiagramme zeigen für jeden Zeitabschnitt des Untersuchungskorpus die Verteilung der Urkunden und Zeilenzahlen auf die überliefernden Sprachregionen und ihre Übergangsgebiete.11
_____________ 11
Mit IR1 bis IR6 werden sprachliche Interferenzräume zwischen den großen Dialektgebieten bezeichnet, vgl. I.2.7. Darstellungsprinzipien.
I.1. Die Materialbasis
12
74,16% 67,89%
Sprachlandschaftliche Verteilung bis 1279 (Abschnitt I)
80%
70%
Urkundenzahl Zeilenzahl
60%
50%
40%
0,42% 0,26%
1,89% 1,75%
0,63% 1,37%
1,05% 1,17%
0,42% 2,53%
0,21% 0,22%
7,77% 6,33%
1,47% 1,01%
2,31% 1,16%
0,42% 0,40%
sonstige
IR3
König
ofrk.
omd.
IR4
10%
0,63% 1,97%
20%
8,61% 13,93%
30%
0%
bair.
IR1
alem.-schw.
alem.
IR2
wmd.
nd.
Diagramm I.1.1.4. Sprachlandschaftliche Verteilung der aufgenommenen Urkunden bis 1279
Sprachlandschaftliche Verteilung 1280 bis 1289 (Abschnitt II)
80%
Urkundenzahl
70%
Zeilenzahl
52,65% 46,47%
60%
50%
28,07% 28,17%
40%
30%
1,35% 1,41%
0,34% 0,56%
0,23% 0,18%
1,13% 0,79%
2,71% 6,19%
1,24% 2,24%
4,51% 4,67%
0,45% 0,49%
3,27% 2,40%
0,79% 0,54%
3,16% 5,75%
omd.
sonstige
IR3
IR5
ofrk.
IR1
IR4
alem.-schw.
10%
0,11% 0,14%
20%
0%
König
bair.
alem.
IR2
wmd.
nd.
Diagramm I.1.1.5. Sprachlandschaftliche Verteilung der aufgenommenen Urkunden von 1280 bis 1289
I.1.1. Das Urkundenkorpus
13
Sprachlandschaftliche Verteilung 1290 bis 1299 (Abschnitt III)
80%
Urkundenzahl
70%
Zeilenzahl 38,79% 39,37%
50%
43,40% 41,03%
60%
40%
30%
1,93% 2,16%
1,32% 1,67%
0,04% 0,09%
0,33% 0,20%
0,08% 0,07%
1,28% 1,68%
0,70% 1,00%
0,95% 0,80%
2,92% 3,32%
5,18% 4,42%
0,78% 0,74%
1,89% 2,82%
IR6
IR3
IR5
ofrk.
omd.
IR4
10%
0,41% 0,65%
20%
0%
sonstige
König
bair.
IR1
alem.-schw.
alem.
IR2
wmd.
nd.
Diagramm I.1.1.6. Sprachlandschaftliche Verteilung der aufgenommenen Urkunden von 1290 bis 1299
Hinsichtlich der Gesamtzahlen für Urkunden und Zeilen ergibt sich folgendes Bild: Urkundenzahl Zeilenzahl
Abschnitt I 476 (12,55%) 13067 (13,74%)
Abschnitt II 887 (23,38%) 23042 (24,23%)
Abschnitt III 2431 (64,07%) 59002 (62,03%)
Gesamt 3794 95111
Tabelle I.1.1.7. Anzahl aufgenommener Urkunden und entsprechende Zeilenzahl nach Zeitabschnitten
Anhand der gewonnenen Daten galt es nun eine pragmatische Lösung für eine Reduktion der zu bearbeitenden Substantivbelege zu finden, die im Folgenden beschrieben wird. I.1.1.1. Das Kernkorpus Die Grundidee des Kernkorpus (KK) ist es, eine systematisch reduzierte, repräsentative Teilmenge des Gesamtkorpus zu schaffen, mittels derer auch die Belege jener Lexeme erfasst werden können, die zum Zeitpunkt der Bearbeitung noch nicht unmittelbar über das WMU zugänglich waren. Die Belege von Lexemen, deren Belegzahl bis zu 100 beträgt, sind über das WMU vollständig erfassbar. Für Lexeme mit bis zu 131 Belegen wur-
I.1. Die Materialbasis
14
den während zweier jeweils einwöchiger Aufenthalte die Belegstellen in den Zettelkästen der Berliner Arbeitsstelle des WMU eruiert. Für Lexeme mit größeren Belegzahlen war dies jedoch nicht zu leisten, zumal auch die Belege jener Lexeme in Berlin erfasst werden mussten, die jenseits der bereits im WMU veröffentlichten Alphabetstrecke lagen. Da uns jedoch die Gesamtbelegzahlen aller Wortbildungen bekannt waren, erschienen ca. 10% der Belege von Lexemen mit über 131 tokens ein innerhalb der Projektphase bearbeitbares Maß darzustellen. Da Lexeme mit Belegen zwischen 132 und rund 4000 Belegen mit dem Kernkorpus erfasst werden sollten, musste ferner eine feiner arbeitende, aber noch pragmatische und handhabbare Differenzierung eingeführt werden. Anstatt nur eines Kernkorpus mit zehn Prozent der Textmenge wurden daher drei Kernkorpora á jeweils zehn Prozent erstellt, die dann in Kombination zwischen zehn und 30 Prozent der Textmenge repräsentieren. Die Belege von Lexemen, die zwischen 132- und 199-mal auftreten, wurden somit in 30% der Textmenge ermittelt (KK1 + KK2 + KK3), Lexeme mit Belegzahlen von 200 bis 499 wurden in 20% der Textmenge (KK1 + KK2) und Lexeme mit Belegzahlen ab 500 wurden in nur zehn Prozent der Textmenge (KK1) gesucht. Erste Testläufe hatten relativ früh gezeigt, dass bei einer Anwendung der Komprimierung auf zehn Prozent für alle Lexeme die Gefahr bestand, dass sich die Lexemzahl (types) zu stark reduzieren würde. Dies erklärt sich dadurch, dass relativ viele Lexeme mit nur wenigen Belegen (tokens) vertreten sind bzw. nur relativ wenige Lexeme letztlich die Ursache für die enorme Belegmasse darstellen. Das Ziel bestand jedoch darin, einerseits die Vielfalt der types zu bewahren und andererseits die tokenMenge zu verringern, um dadurch das für unsere Untersuchung ungünstige type-token-Verhältnis auszugleichen.12 Zudem hat sich gezeigt, dass beim Wegfall geringer belegter Lexeme oft inhaltlich interessante Aspekte (vor allem auch in Hinblick auf Konkurrenzbildungen) verlorengehen würden, dass hingegen die hochfrequenten Lexeme in der Regel nur wenig Abwechslung bieten, da diese häufig in standardisierten Kontexten auftreten, was wiederum durch die Textsorte Urkunde begründet ist. Für die so gewonnenen Belege wurde nach der Wortbildungsanalyse der in Abhängigkeit von der Gesamtbelegzahl prozentuale Anteil je Wortbildungsfunktion ermittelt und auf die Gesamtbelegzahl umgerechnet.13 Die auf diese Weise ermittelten Belegzahlen sind in der Arbeit mit ° gekennzeichnet. Die Problematik dieser Vorgehensweise ist mir natürlich bewusst, es war m.E. jedoch eine gesamtheitliche Betrachtung aller Belege einer gesonderten Auswertung der Kernkorpusbelege vorzuziehen. _____________ 12 13
Vgl. Ganslmayer/Müller/Ring (2003: 335). Dies konnte allerdings nur auf die Belegzahl im Gesamtkorpus geschehen, da uns natürlich nicht die Belegzahlen für das modifizierte Untersuchungskorpus vorlagen.
I.1.1. Das Urkundenkorpus
15
Die folgenden Übersichten zeigen den prozentualen Anteil der jeweiligen Sprachlandschaften pro Abschnitt, die daraus errechnete zu berücksichtigende Textmenge und die letztlich für das jeweilige Kernkorpus aufgenommene Textmenge. Prozent
Soll-Wert
KK1
KK2
KK3
alem. wmd. bair. ofrk. IR3 Kg.
69,05% 13,93% 6,33% 1,17% 1,75% 1,37%
934 200 85 44 39 26
902 182 83 15 23 18
926 171 97 40 24
912 174 91 30 26
IR1
1,01%
23
19
24
153 22
Tabelle I.1.1.1.1. Abschnitt I (bis 1279): Zeilen pro Sprachlandschaft
alem. bair. wmd. Kg. IR1 ofrk. IR2 IR3
Prozent
Soll-Wert
KK1
KK2
KK3
48,87% 28,17% 5,75% 6,19% 4,67% 2,24% 0,72% 0,79%
1126 649 133 143 108 52 17 18
1125 753 233 204 131 61 54 32
1133 642 148 154 102 61 26 30
1119 646 131 163 134 49 35 34
Tabelle I.1.1.1.2. Abschnitt II (1280 – 1289): Zeilen pro Sprachlandschaft Prozent
Soll-Wert
KK1
KK2
KK3
alem. bair. IR1
43,79% 41,03% 3,32%
2584 2421 196
2542 2435 208
2566 2428 216
2631 2430 211
wmd. Kg.
2.82% 1,67%
166 99
184 147
171 139
188 122
ofrk. IR2
1,77% 0,81%
104 48
117 56
112 66
127 66
IR4 IR3
0,8% 0,2%
47 12
55 29
61 31
57 39
Tabelle I.1.1.1.3. Abschnitt III (1290 – 1299): Zeilen pro Sprachlandschaft
Die für die Zusammenstellung der Textmenge herangezogenen Urkunden wurden im Großen und Ganzen willkürlich ausgewählt, es wurde jedoch angestrebt, die Vielfalt der Urkundeninhalte auch im Kernkorpus beizu-
I.1. Die Materialbasis
16
behalten. Ferner sollte die Anzahl der Einzelurkunden möglichst gering gehalten werden, d.h. es galt primär möglichst umfangreiche Urkunden zu berücksichtigen. Dadurch sollte gewährleistet sein, dass sich die ohnehin häufigen standardisierten Kontexte in Einleitung und Schluss der Urkunden etwas reduzieren. Aus diesem Grund erhöht sich auch mit zunehmendem ›Urkundenverbrauch‹ die Anzahl der die Textmenge repräsentierenden Urkunden von KK1 (116) zu KK2 (162) zu KK3 (220). Von der Trierer Arbeitsgruppe um Kurt Gärtner, die an der Digitalisierung des »Corpus der altdeutschen Originalurkunden« arbeitet14, wurden uns freundlicherweise die Textdateien des Wilhelm-Corpus zur Verfügung gestellt. Somit konnte nach einigen Modifikationen der Texte ein einfaches Konkordanzprogramm verwendet werden, um pro Lexem die Belege im Kernkorpus zu ermitteln. Ohne diese EDV-Lösung wäre eine Erfassung der Belege nicht möglich gewesen. I.1.1.2. Das Urkundenformular In diesem kleinen Exkurs soll kurz auf das mittelalterliche Urkundenformular15, d.h. den Aufbau der Urkunden, eingegangen werden, da in der vorliegenden Arbeit häufig auf die mit ihren Fachbegriffen bezeichneten Urkundenabschnitte verwiesen wird. Die mhd. Urkunden orientieren sich in ihrem Aufbau am Vorbild des lateinischen Urkundenformulars, dem sie hinsichtlich der Anordnung der Urkundenabschnitte streng folgen. Dies heißt aber nicht zwingend, dass alle dessen Teile immer übernommen werden. Vor allem rechtlich unerhebliche Teile, wie Invocatio, Salutatio und Arenga, werden besonders häufig weggelassen.16 Oft werden zwei oder mehrere Abschnitte auch in einem Satz verbunden.17 Den Anfang einer Urkunde bildet das Protokoll, das aus Invocatio (Anrufung Gottes: In Gottes Namen Amen), Intitulatio (Nennung von Name und Titel des Ausstellers), Inscriptio (Nennung des Empfängers, evtl. mit Salutatio = Begrüssung) und Arenga (Begründung der schriftlichen Fixierung) bestehen kann. Darauf folgt der eigentliche Text der Urkunde, der _____________ 14 15 16 17
Vgl. http://germazope.uni-trier.de/Projects/Corpus/start/index.html (Stand März 2006) und die Online-Version mit Recherchemöglichkeiten: http://gepc189.uni-trier.de/cgibin/iRMnet/RMnetIndex.tcl (Stand März 2006). Ein ausführliche Darstellung des Urkundenformulars bietet der Artikel Urkundenlehre von Frenz im HRG (V: 584ff.) und der Artikel Urkundensprache von Schmidt-Wiegand (a.a.O.: 593ff.). Vgl. Reiffenstein (1969a: 184). Vgl. Reiffenstein (a.a.O.: 190).
I.1.1. Das Urkundenkorpus
17
in eine Narratio (Schilderung des Sachverhalts und der besonderen Umstände der jeweiligen Urkundenausstellung) und Dispositio (rechtlich erheblicher Teil einer Urkunde) unterteilt sein kann, in der Regel eingeleitet durch die Promulgatio oder Publicatio. Den Schluss der Urkunde leitet die Corroboratio ein, in der die Gültigkeit des Verfügten bekräftigt wird und die entsprechenden Beglaubigungsmittel (Urkunde, Zeugen) genannt werden. Die Urkunde schließt mit dem Eschatokoll (Schlussprotokoll), in dem die Unterschriften der bei der Ausstellung Anwesenden aufgenommen sind.
I.2. Methodik der Wortbildungsanalyse I.2.1. Forschungsansatz Diese Arbeit steht in der Tradition einer Reihe von Wortbildungsuntersuchungen, die es sich ab der Mitte der achtziger Jahre zur Aufgabe machten, das von der Innsbrucker Arbeitsstelle (DW 1973–1978) für die geschriebene Gegenwartssprache und das in Tübingen für die Wortbildung der gesprochenen Gegenwartssprache (Gersbach/Graf 1984/85) entwickelte System einer synchronen korpusbasierten Analyse des deutschen Wortbildungssystems zu modifizieren und auf historische Korpora zu übertragen. Vor allem die Arbeiten von Peter O. Müller (1993a) und Mechthild Habermann (1994) zur Wortbildung im Nürnberger Frühneuhochdeutsch waren in methodischer Hinsicht und bezüglich der Anlage für diese Arbeit bestimmend. Wichtige Anregungen und Ideen entstammen daneben aber auch den Arbeiten von Brigitte Döring und Birgit Eichler (1996) und Bettina Brendel et al. (1997) zum Substantiv in der frühneuhochdeutschen Wissensliteratur. War es die Intention der genannten Arbeiten, etwas gegen den bis dato »unzureichenden Stand der Erforschung frühneuhochdeutscher Wortbildung« (Fleischer 1988b: 185) zu tun, stellt das Mittelhochdeutsche in dieser Hinsicht ein immer noch weitgehend unerforschtes Gebiet dar. Das Desiderat einer »methodisch operationalisierten synchronen Darstellung zur […] mittelhochdeutschen Wortbildung« (Müller 1993b: 395) versucht die vorliegende Arbeit im Bereich der Substantivwortbildung zu erfüllen. Trotz der durchwegs strukturalistischen systemorientierten synchronen Darstellung der Bildungstypen und ihrer funktionellen Distribution muss auch an dieser Stelle erneut die enorme Bedeutung der jungrammatisch geprägten Arbeiten zur deutschen (und germanischen) Wortbildung von Wilmanns (1899), Paul (1920b), Kluge (1925) und Henzen (1965) betont werden. Das in ihnen zusammengetragene Material macht diese Schriften auch heute noch zu »nicht ersetzbare[n] Fundgruben historischen Wissens« (Habermann 2002: 41), und sie sind trotz ihres streng suffixorientierten atomistischen Vorgehens immer noch maßgeblich,
I.2.2. Das Präfix ge-
19
wenn man sich mit der Wortbildung historischer Sprachstufen des Deutschen beschäftigt.1 Wie schon gesagt folge ich in meiner Untersuchung den methodischen Leitlinien wie sie für die Untersuchung des Frühneuhochdeutschen entwickelt wurden. Die in den folgenden Abschnitten dargelegte Methodik der Wortbildungsanalyse konzentriert sich neben allgemeinen Punkten daher vor allem auf die Gegebenheiten dieser Arbeit oder besondere Aspekte der Untersuchungsmethode. Wie die Vorgängerarbeiten ist auch diese Arbeit in einen semasiologischen und einen onomasiologischen Teil untergliedert. In der semasiologischen Darstellung beleuchte ich das einzelne Suffix mit seinem Lexembestand, seiner Morphologie und seiner Bildungssemantik. Die Kapitel schließen mit einer Betrachtung der funktionellen Verwendung des betreffenden Suffixes im diachronen Vergleich mit dem Frnhd. und der Gegenwartssprache. In der onomasiologischen Synopsis erfolgt die Darstellung nach Funktionsklassen. Hier zeigt sich, welche Derivationstypen an der Ausprägung der einzelnen Funktionsbereiche beteiligt sind. Auch hier werden in einem diachronen Vergleich Abweichungen und Gemeinsamkeiten mit späteren Sprachstufen dargestellt. In der onomasiologischen Darstellung werden die im semasiologischen Teil stets für den diachronen Vergleich herangezogenen Arbeiten von Brendel et al. (1997) und Döring/Eichler (1996) nicht systematisch berücksichtigt, da in beiden Untersuchungen -e-Ableitungen zusammen mit affixlosen Bildungen behandelt werden. Dadurch können die in diesen Arbeiten ermittelten Prozentanteile nicht für einen rein auf Suffixableitungen basierten Systemvergleich herangezogenen werden.
I.2.2. Das Präfix geEin besonderes Problem stellte während der Arbeit mit dem Urkundenkorpus die Behandlung der zahlreichen substantivischen Bildungen mit gedar, die in desubstantivische und deverbale (selten deadjektivische) Bildungen zu trennen sind. Bildungen, die ich als desubstantivisch gebildet klassifiziert habe, finden in der vorliegenden Arbeit keine Berücksichtigung, wenn sie zu nichtsuffigierten Bildungen des Typs ge-BS-ø gehören oder wenn sie Bildungen des Typs ge-BS-e sind, in denen dem diskontinu_____________ 1
Eine kritische und analytische Auseinandersetzung mit den genannten Arbeiten – vor allem im Vergleich mit modernen Methoden – bietet der genannte Aufsatz von Habermann (2002).
I.2. Methodik der Wortbildungsanalyse
20
ierlichen Morphem ge-…-e kollektive Funktion zukommt. Der Ausschluss dieser beiden Typen ist zum einen durch die in dieser Arbeit im Vordergrund stehende Wortbildung mittels Suffixen gerechtfertigt, zum anderen sind zeitpragmatische Überlegungen dafür verantwortlich. Fälle, die nicht auf die Beteiligung von ge- an der Wortbildungsfunktion hinweisen, sind auch im Falle desubstantivischer Bildungen unter dem Suffix behandelt (z.B. gemerkede, geteilide1). Zuerst hat jedoch die Beurteilung der Bildungsweise jedes einzelnen Derivats zu erfolgen. Eindeutig ist die Bewertung solcher Derivate, die nur zu einem Basissubstantiv gebildet sein können, wie z.B. die Kollektiva geböume ›Baumbestand‹ ← boum oder gebeine ← bein. Schwieriger ist jedoch oft die Frage, ob eine Bildung desubstantivisch oder deverbal gebildet ist, ob gestifte etwa als idiofunktionale ge-Bildung zu synonymem stifte oder als deverbale Bildung zu den synonymen Verben stiften, gestiften zu klassifizieren ist. Wie Brendel et al. (1997: 42) bevorzuge ich bei verbaler Motivierbarkeit einer Bildung den Bezug auf das Basisverb auch dann, wenn der Bezug auf ein von derselben verbalen Basis ohne geabgeleitetes Simplex morphologisch möglich wäre. Die meist synonymen Derivate können beide am besten deverbal paraphrasiert werden.2 Die somit als Deverbalia klassifizierten Bildungen werden stets dem Suffix zugeordnet, denn wie im Fall von gestifte besteht in den meisten Fällen auch doppelte Bezugsmöglichkeit der Bildungen auf ein mit gepräfigiertes und unpräfigiertes Basisverb. Ein Bedeutungsunterschied zwischen dem präfigierten und dem Simplexverb, der für die Wortbildungsbedeutung des Derivats relevant wäre, konnte im Allgemeinen nicht festgestellt werden. Während ge- im Mhd. noch das am häufigsten verwendete Präfix ist, ist es im Nhd. als Wortbildungspräfix kaum mehr erhalten. Hinsichtlich seiner Funktion im Mhd. kann festgestellt werden, dass es »in den meisten seiner Fälle gegenüber dem Simplexverb keine der definierten Wortbildungsfunktionen zu realisieren [scheint]« (Solms 1991: 118). Das Präfix hat also im Großen und Ganzen kaum eigene denotative Bedeutung. geVerben stellen also bis auf wenige Ausnahmen bedeutungslose Doppelformen dar3, die vielmehr eine Signalwirkung ausüben, das betreffende Wort hervorheben, aber semantisch nicht ursächlich modifizieren.4 Wie Brendel et al. erachte ich es daher aus Sicht der Wortbildung als marginal, ob »als Basis das Simplexverb oder das präfigierte herangezogen wird, oder ob man von einer Doppelmotivation ausgeht« (1997: 43). Eine Bil_____________ 2 3 4
Ein anderes Vorgehen hätte zudem auch zu einer enormen Anzahl desubstantivischer Idiofunktionalia geführt. Vgl. Wilmanns (1899: 172). Vgl. Brendel et al. (1997: 42).
I.2.3. Wortbildungsfunktion
21
dung gilt daher als vollständig motiviert, wenn entweder das präfigierte oder das Simplexverb nachweisbar ist.5 Dementsprechend wird pro Beleg/Bildung auch stets der bestmögliche Basisrang (vgl. I.2.4.) vergeben. Aufgrund der Heterogenität des Urkundenkorpus und der Vielzahl der Bildungen mit ge- wäre die methodische Anwendung des Basisrangsystems und die Berücksichtigung der Basisbeleghäufigkeit nicht sinnvoll gewesen. Die eingehende Prüfung jeder Bildung mit ge- und anfängliche Versuche, systematisch und individuell für jedes Lexem nach Basislage zu unterscheiden, haben schnell gezeigt, dass dies zu einer unnötigen und der sprachlichen Realität nicht gerecht werdenden Heterogenität in der Darstellung geführt hätte. Bis auf einige Ausnahmefälle (z.B. geriute, geswende) ließ sich für die meisten Bildungen neben dem Simplexverb ein mit gepräfigiertes Verb im Korpus nachweisen. Nur in wenigen Fällen (z.B. gelebe) ist das ge-Verb nur bei Lexer nachweisbar, während das Korpus ausschließlich das nicht präfigierte Verb aufweist.
I.2.3. Wortbildungsfunktion Die Ermittlung der Wortbildungsfunktion der hier behandelten Suffixe erfolgt mittels weitgehend standardisierter Wortbildungsparaphrasen, die sich des Nhd. als Metasprache bedienen. Der metasprachlichen semantischen Analyse geht die Eruierung der aktuellen lexikalischen Kontextbedeutung des zu analysierenden Lexems voraus. Wie Brendel et al. (1997) folge ich dem Grundsatz, dass in einer synchronisch orientierten Wortbildungsuntersuchung keine Unterteilung der Suffixfunktionen in ›primär‹ oder ›sekundär‹ erfolgen sollte, wie dies etwa in DW (1975) und bei Gersbach/Graf (1984/1985) der Fall ist. Infolge dessen werden alle Wortbildungstypen eines Affixes gleichrangig behandelt, wobei, wie Brendel et al. richtig bemerken, »die unterschiedlichen Frequenzen des einen oder anderen Typs in der Regel die Richtung der Bedeutungsentwicklung der Bildungen zeigen« (1997: 27). Dennoch ist der in der vorliegenden Arbeit gebrauchte Terminus ›Wortbildungsfunktion‹ an dieser Stelle in seinem Absolutheitsanspruch zu relativieren. Die jeweilige Darstellung der funktionellen Distribution eines Suffixes fußt auf kontextabhängigen semantischen Analysen, die jeden Einzelbeleg in seiner aktuellen Verwendung erfassen wollen. Wird ein Beleg dann einer Funktionsklasse zugewiesen, ist damit in Wirklichkeit noch keine Aussage darüber gemacht, ob die vorliegende Belegbedeutung eventuell aufgrund kontextgebundener metonymischer Verwendung realisiert ist oder ob stattdessen eine dem Suffix _____________ 5
Vgl. Habermann/Müller (1987: 133).
22
I.2. Methodik der Wortbildungsanalyse
eigene Funktion für die aktuelle Bedeutung verantwortlich ist. Besonders gilt dies für Suffixe, deren Hauptfunktion synchron die Ableitung deverbaler Abstrakta ist. Ob und in welchem Maß dem Suffix weitere Funktionen (z.B. patientive Funktion) zukommen bzw. inwiefern metonymische Verschiebungen der Lexembedeutung schon in den Funktionsbereich des Suffixes übergegangen sind, kann m.E. kaum zuverlässig beantwortet werden. Es gilt nämlich zu berücksichtigen, und darauf wird in meinen Augen zu selten in Wortbildungsuntersuchungen hingewiesen, dass die aus Wortbildungssicht polysemen Suffixen zugeschriebenen Wortbildungsbedeutungen auch bei nicht wortgebildeten Simplizia beobachtet werden können, denn die »semantische (Weiter-)Entwicklung von Wörtern (Erweiterung, Reduktion, Umgestaltung der Sememstruktur) ist an sich kein Gegenstand der Wortbildung […]«, wenn sie sich auch »zumindest teilweise - systematisieren […] und damit auch einem Wortbildungsmodell zuordnen« lassen (Fleischer/Barz 1995: 20). Das Simplex Talent (Er hat großes Talent) etwa kann ähnlich wie das -heit-Derivat Schönheit (Die Schönheit der Natur) eine abstrakte Eigenschaft, aber auch ganz konkret eine talentierte (Er ist ein echtes Talent) bzw. schöne Person (Sie ist eine wahre Schönheit) bezeichnen. Im Fall des Simplex handelt es sich jedoch aus lexikologischer Sicht um Bedeutungserweiterung, im zweiten Fall wird -heit in einer Wortbildungsanalyse als Suffix mit agentiver Funktion behandelt. Im System der Wortbildung bietet sich sicherlich die Möglichkeit, dass reihenhafte metonymische Bedeutungsübertragungen und eine große Gruppe von Wörtern, die diese repräsentieren, letztlich dazu führen, dass einem Suffix eine neue Benennungsfunktion zuteilwird. Ausschließlich konkrete Bildungen mit primär Abstrakta bildenden Suffixen, wie z.B. -unge, ohne das gleichzeitige Vorkommen von abstrakten Belegen, seien sie auch nur außerhalb des Korpus belegt, finden sich im Urkundenkorpus jedoch kaum. Daher muss wohl auch in dieser Arbeit die Frage Horst Haider Munskes (2002: 36): »Beginnt dieser Prozeß bei jeder Neubildung von vorne, also in der Funktion eines Nomen actionis, das erst nach seiner Bildung einem metonymischen Bedeutungswandel unterliegt? Oder liefern nicht die zahlreichen Wörter aus den o.g. Funktionsbereichen eine hinreichende Grundlage für entsprechende eigene produktive Wortbildungsmodelle?«
weitestgehend unbeantwortet bleiben. Mittels einer Wortbildungsparaphrase wird »die Art der semantischsyntaktischen Variation« beschrieben, »die ein Derivat gegenüber seiner Basis aufweist und die durch den Motivationsbezug auf die Wortbildungsbasis begründet ist« (Müller 1993a: 58). Die einzelnen Ableitungsklassen
I.2.3. Wortbildungsfunktion
23
werden in zwei Funktionstypen6, Modifikation und Transposition, unterteilt. Unter Modifikation versteht man eine Subklassifizierung des Wortbildungsprodukts gegenüber der Wortbildungsbasis aufgrund zusätzlicher modifizierender semantischer Merkmale, die die Begriffsklasse der Basis nicht verändern.7 Im Bereich der im Korpus untersuchten Suffixderivation sind als modifizierende Funktionen die Diminution, Kollektivierung und Motion von Basissubstantiven nachweisbar. Die bei Modifikationsbildungen angewandten Wortbildungsparaphrasen bestehen aus attributiven Konstruktionen, in denen die Wortbildungsbasis als Kern und das zusätzliche semantische Merkmal als Attribut auftreten. Diminutiva (z.B. güetelîn ← guot) werden somit mittels der Attributskonstruktion ›klein + BS‹ beschrieben. Für Kollektiv- und Motionsbildungen lauten die Umschreibungen dementsprechend ›alle/mehrere/viele BS‹ (z.B. bruoderschaft1 ← bruoder) und ›weiblicher BS bzw. Frau/Tocher von BS‹ (z.B. burcgrævîn ← burcgrâve). Anders ist der Funktionstyp der Transposition zu beschreiben, der dann vorliegt, wenn eine Nominationseinheit für einen neuen Begriff gebildet wird, mit der ein Wechsel der Begriffsklasse einhergeht.8 Transpositionsbildungen können die Wortart der Basis wechseln (erbärme ›Erbarmen‹ ← erbarmen) oder beibehalten (bürgeschaft ← bürge). Mittels Transposition werden grammatische Abstrakta, Patientiva, Agentiva, Instrumentativa und Lokativa gebildet.9 Grammatische Abstrakta10 sind Nominalisierungen verbaler11, adjektivischer und seltener substantivischer Prädikationen (Paraphrase: ›Tatsache, dass jemand BV/BA ist/BS ist‹). Abhängig von ihrer Bildungsbasis können Abstraktbildungen Vorgänge (im Korpus insgesamt eher selten, z.B. gehellunge), Handlungen (z.B. heimsuochunge), Eigenschaften (z.B. bôsheit), Zustände (z.B. trunkenheit) und ähnliche nicht gegenständliche Begriffe bezeichnen. Auffällig häufig finden sich im Korpus Abstrakta, die in ihrer kontextuellen Verwendung ein ›Recht, etwas zu tun‹ bezeichnen (z.B. ansprâche ›Anspruchsrecht‹). Gleichermaßen kann dadurch auch eine Fähigkeit oder Möglichkeit ausgedrückt sein.12 Im Korpus finden sich auch oft deverbale Abstrakta, denen eine modale Nebenbedeutung zukommt. Sie bezeichnen die ›Art und Weise‹ in der ein Vorgang oder eine Handlung ausgeführt wird/wurde.13 Ich behandle diese Bildungen im Gegensatz zu _____________ 6 7 8 9 10 11 12 13
Vgl. Müller (1993a: 59). Vgl. Fleischer/Barz (1995: 8). Vgl. Fleischer/Barz (1995: 8). Termini nach Müller (1993a: 62f.). Vgl. allgemein DW (1975: 209f.) und die dort angeführt Literatur. Zu den deverbalen Bildungen zähle ich auch Bildungen zu Lexemgruppen. Vgl. Szadrowsky (1933: 44). Vgl. Kolde (1972: 182f.), Pusch (1972: 46) spricht von ›Modalnominalisierungen‹.
I.2. Methodik der Wortbildungsanalyse
24
Brendel et al.14 nicht als eigenen Wortbildungstyp, sondern subsumiere sie den regulären Abstraktbildungen. Auf das Vorkommen dieser Nebenbedeutung, die mittels der Paraphrase ›Art und Weise, wie jemand BV‹ erfasst werden kann, wird jeweils individuell für jedes Lexem hingewiesen. Die Beschreibung grammatischer Abstrakta kann gemäß ihres Bezugs auf den Inhalt eines Satzes15 in der Regel durch eine dass-Satz-Paraphrase (›Tatsache, dass …‹) erfolgen.16 »Die ›grammatischen Abstrakta‹ entsprechen transformationell den Inhaltssätzen oder weglaßbaren Infinitivkonstruktionen […]« (DW 1975: 210). Das folgende Beispiel aus dem Urkundenkorpus zeigt anschaulich die Aufnahme eines vorhergehenden Satzinhaltes durch das Abstraktum abelâzunge (›Erlass von Abgaben‹): dar vmb so vergich ich ... daz selb fGter [Futterlieferungen, UR] ab ze lân bi gGtten trúwen vnd sol och die selben reht náman von minen wegen...niemer me gefordren och bin ich in nit dester minder schuldig vsszerihtend zins oder zehenden vnd (ndrú reht so zM dem selben closter zGgeh=rend von ablasung wegen des vorgenanten fGtters (Corp. 454, 395.27ff.).
Nicht immer ermöglichen jedoch die Urkundenkontexte die zweifelsfreie Analyse eines Belegs als Abstraktum. Vor allem die zahlreichen standardisierten, floskelhaften Wendungen in bestimmten Urkundenteilen erschweren die Analyse. In vielen Textstellen bleibt daher die Unterscheidung zwischen abstrakter oder konkreter Bedeutung unsicher. Bisweilen lassen sich jedoch Kriterien anwenden, die von gewissen Prämissen ausgehend quasi als ›Indizienbeweise‹ für abstrakte Bedeutung herangezogen werden können. Zum einen gehört hierzu das Auftreten von Begriffen in Funktionsverbgefügen (FVG).17 Des Weiteren kommt auch den an Substantive gebundenen dass-Sätzen bei der Funktionsklassenermittlung eine besondere Rolle zu.18 Mit Rosemarie Lühr vertrete ich die Ansicht, dass mit einem _____________ 14 15 16 17
18
1997: 30 u.ö. Vgl. Porzig (1930/31, 1962: 263). Vgl. z.B. Kolde (a.a.O.: 180ff.), DW (ebda.). Im Grunde handelt es sich hier um den von von Polenz (1987) als Nominalisierungsverbgefüge (NVG) bezeichneten ›ganzen heterogenen Bereich‹, wo mit Hilfe einer »Verb + Substantiv-Verbindung […] ein Verb oder Adjektiv durch Nominalisierung in substantivischer Form als Prädikatsausdruck verwendet« wird (S. 170). Da sich meines Erachtens jedoch die Unterscheidung zwischen FVG und NVG in der Sprachwissenschaft im Allgemeinen nicht in der von von Polenz gewünschten Form durchgesetzt hat, verwende ich in dieser Arbeit den gebräuchlichen Terminus der FVG. Zur Bewertung der Substantive als Abstrakta in FVG und NVG sei besonders auf die Seiten 171 und 175 des genannten Aufsatzes verwiesen. Stötzel (1966: 306ff.) führt in dieser Hinsicht einige anschauliche Beispiele bei Meister Eckhart an. Für die »zuweilen schwierige Unterscheidung von Konkreta und Abstrakta nicht nur des heutigen, sondern auch des früheren Deutsch« stellt Rosemarie Lühr folgendes syntaktische Kriterium auf: »Man weitet den Begriff Abstraktum so aus, daß man die Kombinierbarkeit mit einem attributiven daß-Satz als eines der Kriterien für abstrakt einführt« (Lühr
I.2.3. Wortbildungsfunktion
25
attributiven dass-Satz verbundene Substantive als Abstrakta zu werten sind. Gerade die Urkundensprache kennt zahlreiche solcher Kombinationen und die Anwendung dieses Verfahrens hat die Analyse der Kontexte maßgeblich erleichtert und vereinheitlicht. Als Agentiva werden Subjekte verbaler, adjektivischer oder substantivischer Prädikationen bezeichnet, sie werden mittels der Paraphrase ›jemand/etwas, der/das BV/BA ist/BS hat etc.‹ erfasst. Subjekte der Prädikation sind nicht ausschließlich auf Personenbezeichnungen zu reduzieren. Auch Sachbezeichnungen und weitergefasste nichtgegenständliche Begriffe können als Agens in einer Prädikation aufgefasst werden. Bisweilen kommt es in meiner Beurteilung von Agentivbildungen zu Unterschieden im Vergleich mit anderen Arbeiten. Insbesondere werden in anderen Arbeiten Bildungen als Lokativa bewertet, die ich unter den Agentivbildungen behandle (z.B. ebene, hœhe). Solange sich ein Lexem als Subjekt einer Prädikation paraphrasieren lässt, wird es, unabhängig davon, ob es einen Gegenstand oder einen Ort bezeichnet, auf den die Prädikation zutrifft, als Agentivum behandelt. Nur Substantive, die ausschließlich mittels einer Lokativparaphrase beschreibbar sind, werden als solche klassifiziert. Auch Patientiva gehören zu den konkreten Funktionsklassen und sind Objekte einer verbalen Prädikation. Die patientive Bedeutung eines Derivats wird mittels der Paraphrase ›das, was jmd. BV/BV wird‹ erfasst. Das Wortbildungsprodukt ist das effizierte Objekt eines transitiven Verbs und kann neben gegenständlichen Dingen, wie z.B. grabe ›Graben‹ (›das, was gegraben wurde, das Gegrabene‹) oder erbe (›das, was jemand erbt/geerbt hat‹), auch Nichtgegenständliches, wie gelobnisse (›das, was jemand gelobt‹) oder meinunge (›das, was jemand meint‹), bezeichnen.19 Die Anzahl patientiv verwendeter Bildungen, die nicht ebenfalls als Abstrakta im Korpus auftreten, ist vergleichsweise gering. In der Regel kann davon ausgegangen werden, dass abstrakte Lexeme durch metonymische Verschiebung konkret werden und nicht von einer unmittelbaren Leistung des jeweiligen Suffixes auszugehen ist. Die Verbalabstrakta können durch den Verwendungskontext als Konkreta aufgefasst und in der Folge als solche verwendet werden. Instrumentativbildungen stellen das Instrument einer verbalen Handlung im weitesten Sinne dar. Die Wortbildungsparaphrase, mittels derer sie erfasst werden, lautet ›das, womit jemand etwas tut‹. Klassische _____________ 19
1993: 84). In ihren beiden Aufsätzen (1991, 1993) zu diesem Thema behandelt sie neben den grammatischen vor allem den Bereich der lexikalischen Abstrakta. Drei Lexeme sind im Korpus als desubstantivische Patientiva gewertet (bot(e)schaft, koufmanschaft, diube2). Sie werden mittels der Paraphrasen »das, was der bote bringt«, »das, was der koufman verkauft« bzw. mit ›das, was der diep in seinen Besitz gebracht hat‹ erfasst.
I.2. Methodik der Wortbildungsanalyse
26
Beispiele für Instrumentativa sind natürlich konkrete Werkzeugbezeichnungen wie presse, sege oder slüzzel. Aber wie andere konkrete Funktionsklassen weist auch die Klasse der Instrumentativa Bildungen und Belege mit nichtgegenständlicher Bezeichnungsrelation auf, wie z.B. die Lexeme ergetzunge (›Entschädigung, Schadensersatz‹) oder müejesal. Bisweilen tritt bei der Analyse das Problem auf, ob ein Beleg agentiv oder instrumentativ zu bewerten ist. Bei den genannten Bildungen habe ich mich aufgrund des kontextuellen Gebrauchs in der Regel für die instrumentative Lesart entschieden.20 In den Kontexten der Urkunden ist vielfach ein Agens Ausgangspunkt der Ergötzung oder der Mühsal. Ich interpretiere die Bildungen daher als »etwas, womit jemand jemanden ergötzt, müht«. Die als Lokativa klassifizierten Bildungen sind deverbal oder desubstantivisch gebildete Lexeme, die den Ort einer Tätigkeit oder Handlung bezeichnen (z.B. gebiete, weide) oder als Benennungsgröße für den Einflussund Wirkungsbereich einer (Amts-)Person (z.B. grâveschaft, vogetîe) dienen. Die Paraphrasen lauten ›Ort, wo jmd./etw. (etw.) tut‹ oder ›Gebiet/Verwaltungsbereich von BS‹. In Gegensatz zu anderen Arbeiten21, die auch adjektivische Prädikationen als Grundlage für Lokativa heranziehen (›Ort, der BA ist‹), werden solche Bildungen in dieser Arbeit als Agentiva behandelt (s.o.). Als Idiofunktionalia22 bezeichne ich mit Müller (1993a: 61) desubstantivisch gebildete Derivate, bei denen »der semantische Zusammenhang mit dem Basis-Substantiv so eng ist, daß dem Wortbildungsmorphem keine näher bestimmbare modifizierende Funktion zugewiesen werden kann.« Sie sind im Gegensatz zu den Modifikations- und Transpositionsbildungen funktional nicht klassifizierbar und stellen reine Varianten der Basis dar.23 Die standardisierten Wortbildungsparaphrasen sind, wie schon an einzelnen Beispielen gezeigt, im Einzelfall mehr oder weniger anzupassen, um bei der Beschreibung verschiedene Nuancen einzelner Wortbildungsbedeutungen herausarbeiten zu können. In der folgenden Übersicht sind alle in der Arbeit für gesamte Funktionsklassen verwendeten Wortbildungsparaphrasen aufgeführt. Nur für die Beschreibung einzelner Wortbildungen verwendete Paraphrasen (›Recht, etw. zu tun‹ etc.) bleiben unberücksichtigt. _____________ 20 21 22 23
Anders Brendel et al. (1997: 30). Vgl. Döring/Eichler (1996: 39 u.ö.). Andere Arbeiten zur Wortbildung bezeichnen Bildungen dieser Art auch als ›pleonastische Bildungen‹ oder ›Varianten der Basis‹. DW (1975: 206ff.) und Gersbach/Graf (1984/85: 241ff.) behandeln Bildungen dieses Typs als Anhang zu den Modifikationsbildungen, da sie mit ihnen das Merkmal ›Weglaßbarkeit des Affixes‹ gemeinsam haben.
I.2.3. Wortbildungsfunktion
Modifikationsbildungen Diminutiva:
Paraphrasen
Transpositionsbildungen
Paraphrasen
›kleines BS‹ ›Frau/Tochter von BS/EN (Eigenname)‹ ›weiblicher BS‹ Motionsbildungen: ›Markierung des gramm. Geschlechts‹ ›männliche BS‹ Kollektiva: ›viele/alle BS‹
Abstrakta:
Agentiva:
mit BV: ›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹, ›Tatsache, dass jmd. (etw.) BV‹ mit BA: ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹, ›Tatsache, dass etw. BA ist‹ mit BS: ›Tatsache, dass jmd. wie BS handelt‹ ›Tatsache, dass jmd. BS ist‹ ›Tatsache, dass jmd. etw. mit BS tut‹ ›Tatsache, dass jmd. (jmds.) BS ist‹ DM: ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist/BV‹, ›Tatsache, dass jmd. BA ist/ jmd. jmdn./etw. BV‹ ›Tatsache, dass jmd. BS ist/BV‹ ›Tatsache, dass etw. BA/BS ist (Recht auf BS)‹ ›Tatsache, dass jmd./etw. BV/BA ist‹ mit BV: ›jmd./etw., der/das BV‹ mit BA (auch Basisadverb und -zahlwort): ›jmd./etw., das BA ist‹ ›etw., das von BAdv ist‹ ›BZ-ter Teil von etw.‹ ›etw., das den Wert BZ hat‹ ›einer von BZ‹ mit BS: ›jmd., der etw. mit BS tut/aus BS stammt‹ ›jmd., der BS besitzt/etw. mit BS tut/ in, an BS tätig ist‹
27
I.2. Methodik der Wortbildungsanalyse
28
Patientiva:
Instrumentativa:
Lokativa:
›jmd., der BS herstellt/macht‹ ›jmd., der zu BS gehört/in BS wohnt‹ ›jmd., der in/im Zustand von BS ist‹ DM: ›jmd., der etw. mit BS tut/BV‹ ›etw., das BA ist/BV‹ ›jmd., der etw. mit BS tut/BV‹ ›jmd., der BV/ etw. mit BS tut/ BS herstellt etc.‹ ›jmd., der BA ist/im Zustand der BS ist‹ mit BV: ›das, was jmd. BV/BV wird‹ ›jmd., der BV wird‹ mit BS: ›das, was BS in seinen Besitz gebracht hat‹ ›das, was BS bringt, verkauft‹ ›das, womit man BV‹ ›das, womit jmd. BV‹ mit BV: ›Ort, wo jmd./etw. BV‹ mit BS: ›Ort, wo BS tätig ist/sich befindet‹ ›Ort/Gebiet der BS‹ ›Gebiet von BS; Verwaltungsbereich von BS‹ DM: ›Ort, wo jmd. BV/ jmd. etw. mit BS tut‹
Tabelle I.2.3.1. Übersicht über die verwendeten Paraphrasen zur Ermittlung der Wortbildungsfunktion
I.2.4. Motivationsdichte Seit den Arbeiten zum Nürnberger Frühneuhochdeutsch hat sich ein System bewährt, mit dem anhand objektiver Kriterien Aussagen über die synchrone Motiviertheit von Wortbildungen in historischen Texten gemacht werden können.24 Die sogenannte ›Motivationsdichte‹ stellt eine Raum-Zeit-Determinante dar, mit der die angenommene Motivationsbeziehung zwischen Wortbildungsbasis und -produkt in einen nach Rängen klassifizierten Motiviertheitsgrad eingeteilt wird. Die jeweiligen Wortbildungsbasen indizieren den jeweiligen Grad der Motivationsdichte (Basis_____________ 24
Vgl. Habermann/Müller (1989: 45-64).
I.2.4. Motivationsdichte
29
rang).25 Für die Bearbeitung des Urkundenkorpus galt es, ein individuelles Basisrangsystem zu erarbeiten, das für die behandelte Textsorte und Überlieferungssituation angemessen schien. So war z.B. aufgrund der relativen Kürze unserer Texte das Kriterium des textinternen Basisnachweises nicht mit einem eigenen Basisrang zu versehen, und auch dem Faktor ›Zeit‹ kommt, da das Urkundenkorpus in sich synchron ist, nur bei korpusexterner Beleglage ein gewisser Stellenwert zu.26 Von größerer Bedeutung ist hingegen der Faktor ›Raum‹. Unterschieden wird bei der Basissuche zwischen eng syntopisch, weit syntopisch und diatopisch, was zu einer zusätzlichen Differenzierung zwischen Sprachklein- und Sprachgroßräumen (obd., md.) führt.27 Das Ergebnis dieser Überlegungen ist ein fünfgliedriges Basisrangsystem: – mit dem Kriterium korpusinterner Belegbarkeit der Wortbildungsbasis: Rang 1:
synchron – eng syntopisch – korpusintern, d.h. die Basis ist in einer Urkunde desselben Sprachkleinraums belegt;
Rang 2:
synchron – weit syntopisch – korpusintern, d.h. die Basis ist in einer Urkunde desselben Sprachgroßraums (obd. bzw. md.) belegt;
Rang 3:
synchron – diatopisch – korpusintern, d.h. die Basis ist in einer anderen Urkunde mit differierender sprachgroßräumlicher Prägung (obd. vs. md.) belegt;
– mit dem Kriterium korpusexterner Belegbarkeit der Basis: Rang 4:
synchron – korpusextern, d.h. die Basis ist in anderen Textsorten und/oder lexikographischen Werken für einen synchronen Zeitraum belegt;
Rang 5:
diachron – korpusextern, d.h. die Basis ist in anderen Textsorten und/oder lexikographischen Werken nur für andere Sprachstadien belegt.
Übersicht I.2.4.1. Basisrangsystem
Aufgrund der Tatsache, dass die Urkunden auf viele verschiedene Gewährsmänner zurückgehen, kommt dem Basisrangsystem in dieser Arbeit eine andere Bedeutung zu als etwa in den Schriften Dürers. Auch die wenig explikative Natur der Texte im Urkundenkorpus unterscheidet sie deutlich vom Dürer-Korpus, das in besonderem Maße durch die Prägung _____________ 25 26 27
Vgl. Müller (1993b: 417). Anders z.B. im Basisrangsystem des Projekts ›Mittelhochdeutsche Grammatik‹, dessen Korpus stärker zeitlich strukturiert ist, vgl. Klein/Sieburg (2002: 175-177). Die Herkunft der Texte aus vielen verschiedenen Sprachregionen macht für jedes Lexem die Suche der Basis in den entsprechenden Belegregionen nötig. Für Sprachregionen, die mit nur relativ wenigen Texten im Korpus repräsentiert sind, ist das Basisrangsystem allerdings von geringerer Aussagekraft, da sich die Chancen, die gesuchte Basis eng-syntopisch (s.u.) zu finden, selbstverständlich minimieren.
30
I.2. Methodik der Wortbildungsanalyse
neuer Fachtermini und ihrer Erläuterung geprägt ist. Begriffserklärungen und Definitionen der verwendeten Lexeme finden sich innerhalb der Urkunden praktisch nicht. Die Wortbildungsbasen finden sich aber häufig in syntaktischen Parallelkonstruktionen, die einen Sachverhalt z.B. verbal ausdrücken, anstatt ihn zu nominalisieren. Aufgrund der starken sprachlandschaftlichen Aufgliederung des Urkundenkorpus muss der Basisrang jeweils individuell für jede Sprachregion ermittelt werden. Der Basisrang ist also bei unterschiedlichen Befunden für verschiedene Sprachregionen nicht immer pro Lexem, sondern für die einzelnen Belege eines Lexems zu ermitteln. Bei der Zuweisung der Basisränge können überdies natürlich nur diejenigen Belege berücksichtigt werden, die tatsächlich zur Analyse vorlagen. Später für das Funktionsklassensystem hochgerechnete Belegzahlen finden bei der Darstellung der Motivationsdichte also keine Berücksichtigung. So erklären sich etwaige Abweichungen zwischen den bei der Motivationsdichte und bei der Darstellung der Funktionsklassen behandelten Belegzahlen.
I.2.5. Semantische Motivation I.2.5.1. Lexikalisierung und Idiomatisierung Bei der semantischen Analyse von Wortbildungsprodukten tritt immer wieder das Phänomen auf, dass sich bestimmte Bildungen nicht adäquat mittels der standardisierten Wortbildungsparaphrasen beschreiben lassen. Um die Bildungen angemessen zu erfassen, bedarf es bisweilen eines semantischen ›Mehrs‹, das als nicht vorhersehbares, aus dem aktuellen Kontext zu erschließendes Element in die Beschreibung miteingeht. Das Derivat stellt somit nicht mehr nur eine neutrale Nomination der Wortbildungsbasis dar, sondern es enthält idiosynkratische Elemente, die den semantischen Referenzbereich der Wortbildung einschränken, ohne dass die Bildungen jedoch ihre semantische Motiviertheit verlieren. Diesen Prozess, für den hier der Terminus ›Lexikalisierung‹ verwendet wird, definiert Lipka (1977: 155) wie folgt: »Unter Lexikalisierung verstehe ich die Erscheinung, daß einmal gebildete komplexe Lexeme bei häufigem Gebrauch dazu tendieren, eine einzige lexikalische Einheit mit spezifischem Inhalt zu werden. Durch die Lexikalisierung geht der syntagmatische Charakter in mehr oder weniger starkem Maße verloren.«
Das Lexem anwande z.B. bezeichnet einen Acker (!), der anwandet (= angrenzt), mit der bete wird das bezeichnet, was der Lehnsherr (!) erbittet, u.s.w. Im Gegensatz zur Lexikalisierung verstehe ich unter Idiomatisie-
I.2.5. Semantische Motivation
31
rung die vollständige Demotiviertheit einer Bildung28, d.h. es besteht semantisch nicht länger ein Referenzbezug zwischen Wortbildungsprodukt und Wortbildungsbasis (z.B. bote ← bieten, ritter ← rîten, bürger ← burc). Bildungen, die ich als idiomatisiert betrachte, sind im Gegensatz zu Müller nicht in die Übersichten aufgenommen. Die relevanten Bildungen werden jedoch in den einleitenden Teilen der jeweiligen Suffixkapitel besprochen. I.2.5.2. Doppelmotivation Besondere Fälle stellen Wortbildungen dar, die nicht nur durch eine Basis motiviert sind, sondern für deren Motivation synchron (mindestens) zwei Basen in Frage kommen, auf die das Wortbildungsprodukt gleichermaßen bezogen werden kann. Beim möglichen Bezug einer Wortbildung z.B. auf ein Basissubstantiv und ein Basisverb ist daher synchron Doppelmotivation anzunehmen. Die selbst im Nhd. subjektive Einschätzung über die größere Nähe einer Wortbildung zu einem bestimmten Substantiv oder Verb29 als Kriterium für eine Wortbildungsanalyse führt im behandelten Zeitraum aufgrund der fehlenden muttersprachlichen Kompetenz zu keinem befriedigenden Ergebnis. Um zu einer pragmatischen, aber dem Untersuchungsmaterial gerecht werdenden Verfahrensweise zu gelangen, müssen also verschiedene Kriterien gegeneinander abgewägt werden. Dies sind im Rahmen einer korpusbasierten Untersuchung auf formaler Ebene die Berücksichtigung des Basisranges und der Belegzahlen der relevanten Basen. Dennoch darf der formale Befund nicht überbewertet, die semantische Motivation nicht unterbewertet werden. Vor allem die zu starke Gewichtung der Belegzahlen würde in manchen Fällen zu Ergebnissen führen, die vermutlich der Sprachwirklichkeit zuwiderliefen, wie z.B. bei mûrære (25) ›Maurer‹ ← mûre (133), mûren (18), wenn es ausschließlich als desubstantivische Bildung angesehen würde. Ich nehme Doppelmotivation immer dann an, wenn eine Paraphrase über beide möglichen Basen (semantisch) plausibel erscheint, wobei primär die im Korpus belegte lexikalische Bedeutung der Basislexeme zu berücksichtigen ist. Dass ›Plausibilität‹ letzten Endes auch immer eine gewisse Subjektivität miteinschließt, muss dabei in Kauf genommen werden. Ist von zwei möglichen Basen nur eine Basis im Korpus belegt, diese aber nur mit sehr geringen Belegzahlen, dann wird, wenn die zweite Basis _____________ 28 29
»Die Idiomatisierung ist mit der Lexikalisierung eng verbunden. Die beiden Termini können dennoch meiner Ansicht nach nicht synonym verwendet werden. […] die Idiomatisierung ist in der Regel eine Folge der Lexikalisierung.« (Lipka 1977: 155). Vgl. die Kritik von Gersbach/Graf (1984/85: 269) an DW (1975).
I.2. Methodik der Wortbildungsanalyse
32
mhd. als geläufig einzuschätzen ist und ihr Fehlen im Korpus sich etwa aufgrund der Textsorte erklären lässt, ebenfalls Doppelmotivation angenommen, z.B. kemmer ›(Woll-)Kämmer‹ < kambe (1), kemmen (0). Keine Doppelmotivation wird hingegen angenommen, wenn 1. eine Basis nur bei Lexer belegt ist, die andere aber im Korpus in akzeptabler Anzahl und nicht zu hohem Basisrang vorliegt, 2. durch korpus- und besonders textinterne Kriterien (z.B. Basissemantik, Basis in selber Urkunde) eine bestimmte Ableitungsrichtung nahegelegt wird, 3. das Belegzahlenverhältnis so ungleich ist, dass sinnvollerweise kaum von Doppelmotivation ausgegangen werden sollte, wie z.B. bei verkoufære < verkouf (4), verkoufen (1332). Ferner betrachte ich Derivate, die sowohl durch Lexemgruppen motiviert (Zusammenbildung) sind und auch als Determinativkomposita analysiert werden können (z.B. turnhüeter, wazzerleite), im Rahmen der Funktionsklassenanalyse nicht als doppelmotiviert. Als motivierenden Kern der Bildungen sehe ich das Verb an (›verbaler Nexus‹). 30 Da in dieser Arbeit Präfixbildungen nicht behandelt werden, finden mit un-präfigierte Bildungen nur dann Aufnahme, wenn sie auf eine präfigierte korpusintern belegte Basis bezogen werden können. Dabei bleibt die eventuelle synchrone Doppelmotivation mancher Bildung (Präfigierung und Suffigierung) unberücksichtigt. I.2.5.3. Diachronie und Synchronie Eine Untersuchung des Wortbildungssystems unter synchronen Gesichtspunkten kommt immer wieder an den Punkt, an dem der synchrone Befund dem diachronen widersprechen muss. Ehemals deadjektivische Ableitungen werden z.B. synchron auf Verben bezogen, oder die veränderte Semantik einer Bildung legt den Bezug auf ein schwaches Verb näher als auf das etymologisch starke Basisverb (z.B. bivelde, lâge). Bisweilen lassen sich Bildungen auch gleichzeitig als Wortbildungsbasis und Wortbildungsprodukt interpretieren. Einmal kann dies ein ursprünglich als Wortbildungsbasis dienendes Lexem sein (z.B. sige ›Sieg‹, rede), aber auch Lexeme, bei denen etymologisch nicht geklärt werden kann, ob das betroffene Lexem Basis oder Produkt eines Wortbildungsprozesses darstellt (z.B. _____________ 30
Vgl. Marchand 1969. Auch Scherer (2006: 109) behandelt solche Bildungen in ihrer Arbeit als deverbal motiviert: »Dies bedeutet, dass beispielsweise Derivate, die auf Verben (Spieler) und solche, die auf verbalen Phrasen (Klavierspieler) beruhen, gleich – nämlich als deverbal – klassifiziert werden. Die Basiswortart wird somit in jedem Fall ausgehend vom morphologischen bzw. syntaktischen Kopf der Basis bestimmt.«
I.2.6. Nichtbehandelte Bildungen
33
spende), gehören hierzu. Bildungen dieser Art bezeichne ich mit Müller als reversible Ableitungen.31 Hierher gehören auch Bildungen wie riuwe, das synchron zwar mit riuwen in ein reversibles Ableitungsverhältnis gebracht werden kann, wenn sich auch beide Wörter aus etymologischer Sicht nebeneinander entwickelt haben.32 Wie bei Müller (1993a: 54) werden Bildungen, »für die lediglich eine Interpretation als Basis-Lexeme zu verbalen Derivaten angemessen erscheint, als Simplizia von der Untersuchung ausgeschlossen.« Im Korpus sind dies z.B. (an-, ange-)wette, hûfe (›Haufen‹), minne, ruowe, schade, smerze, stiure (i.S.v. ›Steuer‹) oder wideme.
I.2.6. Nichtbehandelte Bildungen Wie erwähnt muss sich diese Arbeit auf die Wortbildung durch Suffixe beschränken. Somit sind zum einen alle Präfixbildungen auszuschließen, des Weiteren aber auch der Wortbildungstyp der ›affixlosen Derivation‹ (z.B. Wurf ← werfen, Fall ← fallen), der ›Konversion‹ (das Gehen, das Rot) und ferner ›wortbildungsmäßige‹ Adjektive wie der, die, das Alte.33 Unter dieser Prämisse müssen neben Lexemen, die von etymologischer Warte »durch die Declinationstypen« (Wilmanns 1899: 182ff.) bestimmt sind und synchron als Nullableitungen auftreten, auch echte Suffixderivate mittelhochdeutsch-synchron als affixlose Bildungen analysiert werden, wenn durch lautliche Veränderungen kein Unterschied zur Basis feststellbar ist. In unserem Korpus führt das zu dem besonderen Fall, dass deadjektivische Abstraktbildungen wie milde, stæte und veste (ahd. miltī, stātī, festī), die sich im Mhd. morphologisch nicht von ihren Basisadjektiven milde, stæte, veste (ahd. milti (-e), state, festi (-e)) unterscheiden und somit nicht als -e-Ableitungen klassifiziert werden können, unberücksichtigt bleiben müssen. Aus arbeitspragmatischen Gründen werden ferner alle in Komposita auftretenden Wortbildungsbausteine, auch solche, die im Korpus nicht außerhalb der Komposita auftreten, nicht in die Arbeit aufgenommen.
I.2.7. Darstellungsprinzipien Die Anordnung der im Folgenden dargestellten Subtypen der Suffixderivation ist alphabetisch. Lexeme, die mit einem * gekennzeichnet sind, _____________ 31 32 33
Vgl. Müller (1993a: 53f.). Vgl. Duden Etym. (1963: 576), vgl. ferner Müller (1993a: 283). Vgl. Müller (1993a: 40f.).
34
I.2. Methodik der Wortbildungsanalyse
stellen im WMU verzeichnete Erstbelege dar. Bei Lexemen, die mit ° gekennzeichnet sind, wurden aufgrund ihrer großen Belegfrequenz nicht vollständig alle Belege des Urkundenkorpus ausgewertet. Gemäß der dargelegten Prinzipien (vgl. I.1.1.1.) wurden hier die Belege in den entsprechenden Kernkorpora ermittelt. In den Tabellen angegebene Zahlenwerte mit ° weisen daraufhin, dass der Anteil der Gesamtbelege an den nachgewiesenen Funktionsklassen anhand der ermittelten Zahlen für die Kernkorpora hochgerechnet wurde. Wenn Lexeme an mehreren Funktionsklassen beteiligt sind, werden sie durch eine an der Frequenz orientierte Indexierung (tiefgestellte Ziffern) voneinander unterschieden. Einige Lexeme weisen neben dieser Indexnummer auch einen hochgestellten Index auf. Mit diesem ist impliziert, dass es sich einmal um homonyme Bildungen handelt oder um Bildungen, die zwar ebenfalls als Homonyme bezeichnet werden, deren Homonymie aber lediglich eine Folge der Ergebnisse der Wortbildungsanalyse ist. Als solche Homonyme werden etwa Lexeme klassifiziert, die sich je nach Kontext nur unterschiedlichen Basen zuweisen lassen – also entweder deverbal oder desubstantivisch – und somit nicht als doppelmotiviert, aber auch nicht als Bildungen zu einer Basis gewertet werden können. Die Graphie der Lexeme und Textbelege folgt im Wesentlichen den Prinzipien des WMU. Für jedes Lexem wird in der Regel in Klammern die Zahl der ausgewerteten Belege angegeben, für jeden Beispielbeleg wird die Quellurkunde mit Seiten- und Zeilenzahl genannt (z.B. Corp. 2345, 452.20). Die Wortbildungsbasen werden in der Einzeldarstellung der Derivate jeweils mit der korpusinternen Belegzahl angegeben bzw. mit der entsprechenden Fundstelle bei Lexer oder in anderen Wörterbüchern. Mit den Abkürzungen IR1 bis IR6 sind sprachliche Interferenzräume, also Übergangsgebiete zwischen den Einzeldialekten, bezeichnet. Sie verteilen sich wie folgt: Interferenzraum 1 (IR1): Interferenzraum 2 (IR2): Interferenzraum 3 (IR3): Interferenzraum 4 (IR4): Interferenzraum 5 (IR5): Interferenzraum 6 (IR6):
alemannisch-schwäbisch/bairisch rheinfränkisch/alemannisch alemannisch/bairisch/ostfränkisch ostfränkisch/nordbairisch ostfränkisch/alemannisch-schwäbisch ostfränkisch/rheinfränkisch
Übersicht I.2.7.1. Die dialektalen Interferenzräume und ihre Abkürzungen
Teil II: Wortbildungsanalyse
II.1. Derivationstypen II.1.1. -ach a. Lexembestand (7) birkach dornach erlach stöckach/stöckache striuzach/striuzich stûdach zîlach/zeilach Bei der Ermittlung der Wortbildungsbedeutung der -ach-Bildungen bereitet der Umstand Schwierigkeiten, dass hinsichtlich eines jeden Einzelbelegs entschieden werden muss, ob es sich um eine motivierte Bildung handelt, oder ob das Lexem eventuell als Flurname verwendet wird. Ein Wald mag z.B. birkach bezeichnet werden, obwohl dort keine Birken (mehr) wachsen. Da die Beurteilung eines Belegs aufgrund der vorliegenden Kontexte getroffen werden kann, muss eine entsprechende Unschärfe in Kauf genommen werden. Relativ eindeutig erweisen sich im Korpus haselach* und wîdach als Flurnamen. Daher sind sie im Folgenden nicht berücksichtigt. b. Morphologie Das mhd. Suffix -ach entsteht durch Apokope aus dem ahd. Suffix -ahi.1 -ach2 fungiert im Hochdeutschen (v.a. im Bair.) als Kollektivsuffix, wobei es bevorzugt an Basen tritt, die Pflanzen bezeichnen. Die Wortbildungsprodukte werden häufig zur Bezeichnung eines Ortes3 gebraucht. Durch weitere lautliche Entwicklungen (vgl. Wilmanns 1899: 367) entwickelt es _____________ 1 2 3
Vgl. Henzen (1965: 139f.), Wilmanns (1899: 367). In dieser Form -ach haben es »oberdeutsche Mundarten in Baiern, Salzburg, Steyer und Kärnthen bewahrt« (Wilmanns ebda.). Vgl. Henzen (ebda.), Wilmanns (ebda.).
II.1. Derivationstypen
38
sich im Nhd. zum Suffix -icht, das substantivische und nun auch verbale (Kehricht) und selten adjektivische Basen (Dickicht) ableitet. Laut Fleischer/Barz (1995: 163) sind diese »Modelle nur noch schwach produktiv, aber die gespeicherten WBK analysierbar.«4 Trotz des geringen Vorkommens von -ach-Bildungen im Korpus überrascht die morphologische Vielfalt des Suffixes. Lexem birkach dornach erlach stöckach striuzach stûdach zîlach
alem -ache5 -ahe (4) -ach (4) -
bair -ach -ach, -æch -ich -ach
alem-schw -a -ach -
IR2 -ach (3) -
IR4 -ech -
-
-
Tabelle II.1.1.1. Suffixmorphologie des Suffixes -ach
Bei drei Lexemen ( D.Sg. bair., N.Sg. alem. 4, Akk.Sg. nordbair.) ist teilweise Umlaut des Basisvokals nachweisbar. c. Motivationsdichte Für sechs Lexeme kann Basisrang 1 vergeben werden. Einzig die Basis des Lexems birkach ist nicht im Korpus belegt, weshalb formal Basisrang 4 vergeben werden muss. Von einer hohen Geläufigkeit des Lexems birke kann aber natürlich ausgegangen werden. d. Wortbildungsfunktion6 Funktionsklasse Kollektiva -ach
Paraphrase ›Viel BS‹
Basiswortart Substantiv
Beispiel birkach, stûdach
Lexeme/Belege 7/20
Tabelle II.1.1.2. Funktionelle Verwendung der -ach-Derivate
_____________ 4 5 6
Vgl. DW (1975: 104, 174, 417). Bei dieser Form kann aufgrund des Vorliegens im D.Sg. nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem -e um ein Flexiv handelt. Auf die Darstellung der regionalen Verteilung der Derivate innerhalb der Funktionsklassen kann hier verzichtet werden, da sie der Darstellung zur Suffixmorphologie entspricht.
II.1.1. -ach
39
Bei der Beurteilung der Bezeichnungsfunktion von -ach ist neben der kollektiven Bedeutung in der Regel eine lokale Bedeutungskomponente (›Ort mit viel BS‹) nachweisbar, die im Einzelfall auch überwiegen kann. Als primäre Bildungsfunktion des Suffixes werte ich jedoch die der Kollektivbildung.7
birkach (›Birkenwald‹): ← birke sw.F. (Lexer I: 281) Darzv die welde vnd die h=ltzer die her nach geschriben stant · daz ist · pirkech · Hocholtz · zerAwe · Vnser Newgereuth bi Tagesteten … (Corp. 1972A, 226.8).
dornach (›Dorngebüsch‹): ← dorn (4) st.M. Vnder dem selben gFt / het ich fNmfzehen schilling pfenning gæltes wienner mNniz / ouf dem hof der da leit bei heimvelden in dem d=rnæch… (Corp. 2403, 488.14).
erlach: ← erle (5) st.sw.F. …haben gechaufet ir Burch · obersoltzp~ch · den perch · besuchet vnd vnbesuchet · den satz an der Chirchen · den wingarten · …daz erlach… (Corp. 839, 190.44).
stöckach (›Holzschlag mit Wurzelstöcken und Baumstümpfen‹): ← stoc (›Baumstamm, -stumpf‹) st.M. (5) (vgl. Lexer II: 1206)
do sprach kunic RGdolf von rome zu den Burgern von wimpen sie heten einen walt v] ein stockach daz wolten sie Ruthen · daz sollten sie nit dGn wan er horte daz riche an (Corp. 1490, 671.1).
striuzach: ← strûz (›Strauß, Strauch, Büschel‹) st.M. (Lexer II: 1255) Do riten si · vnd gengen dar vf · di vor geschriben sind! vnd wásten · von · dem loche oberhalp des risenprvnn · ze der rehten hant an eynen Pirpavm avf einem rainen von dann di leyten · avf · biz an eynen geneigten pavm · ob ChMnclins gerevt · vnd von dann · avzerhalp eins grozzen pirpavms in der hegge vnder den Mdelhers · prvnn · vnd denn · cehant daz strevzich den perch avf · an · den hohen raynen (Corp. 462, 399.44).
stûdach (›Gruppe von Stauden, mit Stauden bewachsener Ort‹)8: ← stûde (›Staude, Strauch‹) (5) st.(sw?)F. den haben wir gegeben einen aker / heiset der Lette / der lit ze bNch / v] ein stvdach / mit grvnde / mit wasen v] mit zwige / lit in alten steige in Rosberger holze (Corp. 2225, 373.9).
zîlach: ← zîl (›Dornbusch, Hecke‹) st.M.N. (Lexer III: 1113) …daz ich fFr mích…vnd alle meín erben / swie sî genant sínt / den Túrn / vnder Reysperch / der mich zv gehôrt mín) herren von Saltzburch …ledichlich vf han gegeben / mit samt dem weíngarten der do vnder leit / vnd den zwaín leiten neben des weíngartens / der aínev get Mntz an den weg / div ander Mntz an
_____________ 7 8
Vgl. DW (1975: 174f.), Brendel et al. (1997: 339). Vgl. DWB (17: 1140).
II.1. Derivationstypen
40
daz ceilach / vnd dem ChrGtgarten / vnd div Hofstat div do vor leit Mntz an æppleíns gemercht… (Corp. 2204, 360.30).
e. Diachroner Vergleich Der diachrone Vergleich mit dem Nhd. und Frnhd. kann aufgrund der Verhältnisse in den Vergleichskorpora in aller Kürze erfolgen. Nur das Würzburger Korpus und das Korpus der geschriebenen Gegenwartsprache belegen vergleichbare Bildungen auf -icht. Das Würzburger Korpus weist zwei desubstantivische Kollektivbildungen (roerach, gestrippach) mit insgesamt drei Belegen auf. DW weist im Korpus fünf desubstantivische Kollektiva (1975: 104,174f.) und die deverbale Patientivbildung Kehricht (1975: 104, 417) auf. Dieser letztgenannte Bildungstyp ist in den historischen Korpora nicht belegt.
II.1.2. -e a. Lexembestand (219) abegenge anegeng/e ansprâch[e]° (91/1330) becke1 (19) bescheide (2) bierbriuwe breche (2) briuwe (17) bürste eben/e (2) elte erbe2° (47/779) gebe gebreite (28) gegenwertige* (3) gehôrsam[(e)] (20) geleb/e* geloube (3) gelübe (51) geriute (27) gesetze (3)
æze*/etze (5) anklage (2) antwürte (15) becke2 beswære bliuwe (2) breit(e) (10) buoze° (54/174) diube (24) einhelle* (2) erbärme erne (8) gebet(e) (5) gebreste (60) geheim[/e] (2) gehüge (6) geleit[e] (46) geloubsame (14) gemeinsam(e) (8) gescheide gesez(ze), (gesæze, -sitze) (20)
âgezzel/e anleite (14) anwande (58) begrebe* bete° (41/850) brâche breste (34) bürge° (168/1260) dürfte (9) einvalt[/e] erbe1 ° (260/3750) gâbe° (31/176) gebiet[e] (25) gedinge° (74/613) geheiz[e] (23) gehülle* (2) geliute (2) gelte (9) geriht[e]° (217/1601) geschelle (5) gespræche (4)
II.1.2. -e
gestifte° (45/146) gevære (37) gewæge° (7/156) gieze gruobe (17) gülte2 (10) halbe (1) heiz[e] (13) hirt[e] (9) hübesche kempfe kost[e]° (41/232) krenke lâge ledergerwe (9) leng(e) (11) mære (2) meine (2) missehelle (84) müej(e) (7) mûre nâme (3) pên[e] (42) presse (2) rede° (31/565) rihte1 riute (7) satze*/setze (3) schide* schütze2 (3) sige smelze* snite* sperre (5) stege (5) suone° (35/543) torwart[e] (7) ûfgâbe (4) urliuge° (52/202) urvêhe (6) vâr[e] (33) verwese volge (23)
geswend/e (5) gevehte (8) gewande (12) grabe° (42/151) güete (8) güsse heimelîche (4) helfe° (54/245) hœhe (5) hulde° (66/277) kerze(n)wîhe (8) koufe kürze lamparte (2) leide (3) lêre (2) male* (3) mêre* missehulle* (5) mügelîche nâchkome° (96/1004) niderlege (7) phlege (7) râche (2) reise (11) rihte2 (11) riuwe (2) schære (2) schorre* (2) sege (2) sleife smîde sorge (3) spîse (10) steig(e) (38) swertvürbe (9) treibe* underrede (2) ursuoche (2) ûzriht(e) (2) vaste° (25/188) vlieze vorhte (13)
41 geteile (4) gevelle (2) gewerf, gewerb[e] (28) grœze gülte1° (60/728) habe (16) heimsuoche (19) herberge (35) holzwart[e] huote (5) klage° (66/278) krâme (3) lade lâze lem[/e] (15) liebe° (32/156) mâze (28) metgeb/e miste müle° (17/505) næhe nôtzoge plâge râtgebe (72) reite rinne sage (18) scherme (7) schütze1 (24) seige slîfe smitte (4) spende (2) sprâch(e) (2) stiur[e]° (4/163) tiefe twâle ungehôrsame (2) urteile ûzzoge verwarlose* vlige* vrâge (19)
II.1. Derivationstypen
42 vrevel[e] (40) vrône (5) vuor(e) (3) walke weide° (22/159) widersache wille° (194/2949) wîze ziuge (4)
vridesame (2) vrum(e) (84) vürspreche (36) warte (3) werre (17) widersag(e) wisse* wunde1 (34) zuogehœre
vrîhels(e) (4) vuog(e) (5) wâge (20) wazzerleite (2) widerrede° (22/290) widersprâche (28) wîte (7) wunde2 (24) zuohelle*
Für das Lexem wunde werden aufgrund des für das Urkundenkorpus angenommenen verschiedenen Basisansatzes (wunde1: deadjektivisch, wunde2: deverbal) jeweils zwei Homonyme angesetzt. Ausgeschlossene Lexeme: Als demotivierte bzw. mhd.-synchron semantisch nicht motivierbare Bildungen werden u.a. folgende Lexeme nicht in der Untersuchung berücksichtigt: abeleite (›Besitzabtretungsgebühr‹) ← abeleiten (›etw. als Lehngut aufgeben‹), bote ← bieten, êhaft(ig)e (›Herrschaftsrecht, Berechtigung, Gerechtsame‹) ← êhaft(ig) (›rechtsgültig, rechtmäßig, bevollmächtigt‹), êhalte (›Dienstbote‹), gedœze (›Wasserfall‹) ← diezen (›rauschen‹), gegene (›Gegend‹) ← gegen, gewige (›Münzsorte, Währung‹) ← wegen, hebe/heve (›Hefe‹) ← heben, hege (›Hecke‹, vgl. DWB 10: 775), höuwe (›Heu‹) ← houwen, manslege (›Mörder‹), rihte1 (›Richtung‹), sache, scheff(en)e (›Schöffe‹) ← schaffen, schenke (hier: Amtstitel) ← schenken, schultheize, selle (›Geselle‹) ← sal, sidele (›Sessel‹; vgl. DWB 16: 860ff.), steinmetze (vgl. DWB 18: 2126ff.; Paul 1920b: 63, s.v. §47) ← metzen?, ûfrihte (›Holz für eine ûfrihte ›Gerüst‹), ver/vere/verje (u.a. ›Fährmann‹; vgl. Lexer III: 67) ← varn (bzw. fēren, Fār vgl. Szadrowsky 1918: 127), vetere (›Vetter, Cousin‹) ← vater, wirde (›Würde‹) ← wert, witze (›Verstand‹) ← wizzen, zeche (›Einrichtung, Institution, Vereinigung etc.‹) ← zechen (›(ver)fügen, schaffen, veranstalten etc.‹). Neben motivierten Belegen finden sich bei anleite (i.S.v. ›Abgabe bei Einführung in e. Besitz‹), diube (i.S.v. ›Strafzahlung bei Diebstahl‹), geleite (i.S.v. ›Geleitgeld‹), gewæge (i.S.v. ›Währung‹), halbe (i.S.v. ›Grundstück, dessen Pächter die Hälfte des Ertrags als Zins zu entrichten hat‹) und mâze (i.S.v. ›Art u. Weise, Ausmaß‹) idiomatisierte Belege, die durch metonymische Bedeutungsverschiebung semantisch nicht mehr über das Basisverb motiviert werden können. Aufgrund ihrer Verwendung als Personennamen, Flurnamen, unsicherer Lexembedeutung o.ä. werden u.a. folgende Lexeme nicht berücksichtigt: krieche (›Grieche‹), krinne (›Kerbe?‹ in einer Flurbezeichnung), rode* (Flurname), schotte (›Schottenbruder, Mitglied e. Schottenklosters‹), schupfe (›Wippgalgen‹ oder ›Scheune‹), stülze (›Hinkender, Stelzfuß‹), swende (›Verschwender‹), vischi* (Flurname), vülle (?), winde (?), werbe (›Wirbel; Damm‹?).
II.1.2. -e
43
Lexeme, die sich auch synchron nur angemessen als Basen verbaler Wortbildungen beschreiben lassen und somit nicht als reversibel9 kategorisierbar gelten können, sind in der Untersuchung nicht berücksichtigt (z.B. an(ge-)wette, hûfe (›Haufen‹), minne, ruowe ›Ruhe‹, schade, smerze, stiur[e] (i.S.v. ›Steuer‹), wideme). Ebenso bleiben Bildungen auf -sæze/-sezze (hindersezze, umbesezze, stuolsezze ›-sitzender‹) und -lœse (dinclœse, holzlœse , kirchlœse ›-abgabe‹) unberücksichtigt, da zwar der zweite Bestandteil der Bildungen nicht frei vorkommt, die Bildungen aufgrund ihrer Struktur jedoch eher als Komposita denn Zusammenbildungen zu analysieren sind. Keine Aufnahme findet ferner das einmal bair. (Hohenzoll am Inn) belegte Lexem birge. Auch aus synchroner Sicht ist das Lexem m.E. nicht als kollektive -e-Bildung nach dem Muster der schon im Ahd. nicht mehr produktiven germ. neutralen -ja-Ableitungen (vgl. ahd. erbi, kunni etc.) zu bewerten. Das germ. -ja-Suffix ist bei der Bildung von Kollektiva nur in Verbindung mit dem Präfix ge- zu Bedeutung gelangt (vgl. Paul 1920b: 55 s.v. §44). Als ein Vertreter dieser Bildungsweise liegt im Korpus insgesamt 16-mal das Lexem gebirge vor. Für birge hingegen ist die Annahme eines abgefallen Präfixes ge- ungleich wahrscheinlicher. Dies legt zumindest ein Eintrag im DWB (4: 1606) im Artikel Ge- mit einem Zitat aus Schmellers Bairischer Grammatik nahe, in dem für das »gebiet der Donau, des Lech, der Pegniz u. a.« auf Ausfallerscheinungen des ge- mit Schmellers Beschreibung hingewiesen wird »man erkennt blosz den ansatz, den die zunge nehmen will, er schreibt es 'úbunden, 'úgeben, 'útan, auch 'útraid getraid, 'úkrös gekröse, 'úbirg gebirg, 'úbiet gebiet, 'úbot n. gebot«. b. Morphologie 1. Suffixetymologie Das in der Urkundensprache weitgehend als sehr einheitliches Suffix auftretende Wortbildungsmorphem -e erweist sich in diachronischer Betrachtung als ein Ergebnis des lautlichen Phänomens der Nebensilbenabschwächung, wodurch eine Anzahl verschiedener Suffixe und Morpheme wie das ahd. Suffix -ī(n) zur Ableitung deadjektivischer Abstrakta (z.B. hœhe, kürze, wîte etc.), das alte Suffix -ni- zur Ableitung deverbaler Nomina actionis (z.B. geloube, (wasser-)leite) und schließlich die stammbildenden Morpheme der einzelnen Deklinationsklassen wie die fem. -ô-Stämme (z.B. klage, sprâch(e)), die mask. -an-Stämme (z.B. vürspreche, widersache), -ja_____________ 9
Vgl. Müller (1993a: 53f.).
II.1. Derivationstypen
44
Stämme (z.B. hirt[e]), neutrale -jan-Stämme (z.B. erbe) etc. in -e zusammengefallen sind. So sind also in synchroner Betrachtungsweise einst stammbildende Morpheme als Derivationsmorpheme zu analysieren, während in anderen Fällen ursprüngliche Derivate durch den lautlichen Zusammenfall synchron als Ableitungen ohne Affix zu behandeln sind. Dies ist etwa der Fall bei den Lexemen milde, stæte und veste (ahd. miltī, stātī, festī), die sich im Mhd. morphologisch nicht von ihren Basisadjektiven milde, stæte, veste (ahd. milti (-e), state, festi (-e)) unterscheiden.10 2. Apokope Bei der synchronen Beurteilung eines Lexems als Suffixderivat gilt es, das Phänomen des Endungsabfalls (Apokope) in Betracht zu ziehen. Der Ausschluss der Derivate ohne Affix (Nullableitungen) aus dieser Untersuchung macht eine gesonderte Behandlung der -e-Bildungen erforderlich, auch wenn das Phänomen der Apokope für einzelne Sprachlandschaften (insbesondere das Bair. und der IR1) unter Umständen auch schon für unseren Zeitraum eine gemeinsame Behandlung von Lexemen mit apokopiertem -e-Suffix und Bildungen ohne Suffix rechtfertigen könnte. Die gesonderte Behandlung der -e-Derivate ist jedoch nicht nur aus arbeitsund zeitpragmatischen Gründen, sondern auch aufgrund der überregionalen sprachlichen Ausrichtung des Gesamtkorpus nahezulegen.11 Als Materialsammlung von Texten unterschiedlicher sprachlandschaftlicher Herkunft kann die Apokope nicht für alle Regionen gleichermaßen als Kriterium für eine gemeinsame Behandlung von Nullableitungen und -eBildungen herangezogen werden. Diese Herangehensweise wurde aufgrund der Ergebnisse Lindgrens (1953: 178f.) noch vor der Erfassung der Einzelbelege gewählt, denn dieser stellt für das Mhd. fest, »dass die Apokope zuerst, im 13. und Anfang des 14. Jhs., im Bairischen auftritt. Etwa 100 Jahre später folgen das Ostfränkische und das Schwäbische, noch etwas später das Ober- und das Niederalemannische. Im Rheinfränkischen tritt die Apokope im 15. Jh. auf, aber gelangt nicht vor 1500 zum Abschluss. Im Ostmittel-
_____________ 10
11
Vgl. Kluge (1925: §18). Dass vor allem die alem. Texte jedoch noch teilweise auslautendes i zeigen, konnte in der Behandlung der überregional ausgerichteten Urkundensprache nicht gesondert berücksichtigt werden. Ebensowenig konnte in der Regel der Vollzugsgrad der Apokope bei Basisadjektiven hinsichtlich der Zuweisung des Bildungstyps einbezogen werden. In der Regel würde dies immer zu einem auf gewisse Sprachregionen beschränkten Befund führen. Die Arbeiten zum Frnhd. unterscheiden sich hier in ihrem Vorgehen voneinander. Müller (1993a: 262ff.) trennt in seiner Arbeit -(e)-Bildungen von den Derivaten ohne Affix, während Brendel (1997: 68ff.) und Döring/Eichler (1996: 106ff.) eine Trennung für ihr Korpus für nicht gerechtfertigt halten.
II.1.2. -e
45
deutschen ist sie gar nicht eingetreten. Das Böhmische zeigt die typische Mittelstufe zwischen Bair. und Omd.: die Apokope tritt schon im 14. Jh. auf, aber gelangt nicht zur vollständigen Durchführung. - Im südlichsten Bair. und Obal. scheint die Apokope gegenüber den Kernlandschaften schwächer zu sein […].«
Die folgende Übersicht gibt einen Überblick über den jeweiligen prozentualen Anteil apokopierter Formen innerhalb der ausgewerteten Belege des Urkundenkorpus. Da mit dieser Darstellung nur ein grober Einblick in die Verhältnisse ermöglicht werden soll, wurden nur die Kasus des Singulars jeweils nach Sprachregion ausgewertet.12 Bei den schwachen Deklinationen und im Genitiv mask. und neutr. wurden Formen mit -e-Elision als apokopierte Formen gewertet. Einige in der Auswertung mit dem Oberbegriff der ›Apokope‹ erfassten Belege sind vermutlich eher als Nullableitungen zu bewerten, da aber in anderen Regionen auch entsprechende Belege mit -e auftreten, wurde eine Unterscheidung der Formen und Auftrennung in separate Lemmata hier nicht vollzogen (s.u. Leitformen auf -[e]). Lexeme, die in allen Regionen (auch apokopierenden) ausschließlich ohne -e nachweisbar sind und für die auch Lexer endungslose Varianten lemmatisiert, werden als Nullableitungen kategorisiert und ausgeschlossen (gevâr-e, geschrei-e). Ausnahme: ûfgâbe, widersprâche evtl. ›echte‹ Apokope (rhfrk.-pfälz.). Kasus bair
IR1
alem
wmd
nd
ofrk
IR2
IR3
IR4
N.Sg.
51,6 23,8
9,9
0,0
Kg
15,8 0,0
a-s omd 0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
G.Sg.
28,1
0,0
6,0
16,7
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
-
0,0
-
D.Sg.
46,2
9,7
2,0
2,9
0,0
9,7
0,0
0,0
0,0
6,3
[0,0]
[0,0]
A.Sg.
50,8 34,6
11,0
14,6*
6,5
0,0
0,0
0,0
0,0
[25,0] [20,0]
0,0
Tabelle II.1.2.1. Prozentanteile der -e-Apokope, getrennt nach Sprachlandschaften und Kasus im Singular
Im Wesentlichen zeigt sich also auch im Urkundenkorpus der von Lindgren (1953) beschriebene Zustand. Während das Bair. und in geringerem Maße der IR1 sich zwar schon im behandelten Zeitraum als stark apokopierende Regionen herausstellen, trifft dies noch nicht in gleichem Maße auf das Alem. und noch weniger auf das Wmd., Omd oder das Ofrk. zu. Die weitgefächerte Provenienz der Texte und die sprachlich vielfach im Vergleich zum Frühneuhochdeutschen noch sehr eindeutigen morphologischen Gegebenheiten rechtfertigen also eine gesonderte Behandlung der -e-Bildungen. Dennoch soll mittels der in dieser Untersuchung verwendeten Lexemleitformen versucht werden, dem Leser einen kleinen Einblick _____________ 12
Die Belegzahlen sind abgesehen vom Alem. und Bair. insgesamt zu gering, um fundierte Aussagen über die anderen Sprachregionen machen zu können.
II.1. Derivationstypen
46
in das lexemindividuelle Vorkommen apokopierter Belege zu geben. Dabei ist vor allem das Bair. als die apokopierende Sprachregion und der IR1 besonders zu berücksichtigen. Ich unterscheide in der Darstellung der Einzellexeme folgende vier Leitformen13: 1. Beispiel: klage°. Dies ist die überwiegend anzutreffende Normalform. Mit ihr ist impliziert, dass nicht apokopierende Sprachlandschaften typischerweise Formen auf -e zeigen und dass im Bair. und im IR1 Formen üblicherweise apokopiert, jedoch auch Formen mit -e belegt sind. Dabei genügt jedoch eine nicht apokopierte Form (vorzugsweise Nom.Sg., Akk.Sg.), um das Lexem in dieser Form zu führen. 2. Beispiel: müej(e). Diese Leitform stellt eine unmittelbare Erweiterung der gerade vorgestellten dar. Sie zeigt an, dass ein Lexem in verschiedenen Sprachregionen belegt ist, die Belege einer typischerweise apokopierenden Sprachregion aber alle ohne vokalischen Auslaut belegt sind. 3. Beispiel: gebiet[e], gehôrsam[(e)]. Hier treten Formen ohne auslautenden Vokal auch in, gemessen am Überlieferungszeitraum, für Apokope untypischen Regionen auf (z.B. Alem., Wmd.), und Lexer verzeichnet neben der -e-Form auch eine Variante ohne -e-Suffix. Das -[e] gibt also an, dass sich innerhalb der Belege Formen der nicht suffigierten Wortbildung befinden können, u.U. also zwei verschiedene Lexeme der Leitform zugeordnet sind.14 (Ausnahme: ansprâch[e]) 4. Beispiel: eben/e. Diese Leitform betrifft fast ausschließlich bair. Belege. Mit ihr soll bezeichnet werden, dass für ein Lexem vermutlich nur apokopierte Formen belegt sind. Hinsichtlich der zugrunde liegenden Lexemform orientiere ich mich (unter Berücksichtung des Genus, vgl. gebet(e) st.F. vs. gebet st.N.) an den bei Lexer lemmatisierten Lexemformen. Führt Lexer für ein Lexem nur einen Eintrag mit -e, ist wohl mit großer Sicherheit von Apokope auszugehen. Einen Sonderfall stellt hier z.B. das Lexem lem[/e] dar, das korpusintern nur bair. belegt ist, in allen Fällen aber vokallose Endungen zeigt. Lexer verzeichnet neben leme die Nebenform lem, weshalb in diesem Fall eine klare Zuweisung offenbleiben muss. Die Leitform im Korpus lautet daher lem[/e] (vgl. Punkt 3).15
_____________ 13 14 15
Die im Folgenden vorgestellten Leitformen werden aus Gründen der Einfachkeit und Handhabbarkeit nur innerhalb der Tabellen der einzelnen Funktionsklassen und bei der Besprechung der Einzellexeme angewendet. Das Beispiel gebiet[e] wird hier behandelt, da im Korpus nur alem. und bair. Belege im »aussagelosen« Dat. Sg. belegt sind. Kombinationen der einzelnen Leitformen sind im Einzelfall möglich (vgl. lem[/e] oder gehôrsam[(e)]).
II.1.2. -e
47
3. Suffixmorphologie Auf die Erscheinungsformen des Suffixes soll an dieser Stelle nur kurz eingegangen werden. Es bleibt festzuhalten, dass sich besonders im Alem. neben der normalen Endung -e auch Formen mit einfach auslautendem -i (119) und -j (24) (selten -P (6) und -y (1)) (8,8%) zeigen. In nennenswertem Ausmaß zeigt sie ebenfalls noch das Alem.-Schwäb. (-i (11), -j (1)) (10,7%). Selten zeigen sich bei den Feminina noch im Alem. Formen, die vermutlich altes -a, -â der -ô-Stämme (z.B. N.Pl., Akk.Sg.(Pl.?), G.Sg.(Pl?)) oder -o der maskulinen -nStämme ()16 aufweisen. Typischer sind alem. archaische Flexionsformen auf -on oder -un im Plural. In der schwachen Flexion und im Plural finden sich -i-Graphien mit Ausnahme des Bair. nur sehr vereinzelt im restlichen Obd., ausgeprägter ist ihr Vorkommen im Md. (Reduktionsvokal).17 Ein aus den obliquen Kasus in den Nominativ Singular eingedrungenes -n18 zeigen neben regulären -e-Formen lediglich die Maskulina breste und gebreste. Lexeme, deren Form im Korpus auf einen Nominativ mit -en (z.B. bogen, vgl. WMU I: 274) hindeutet, sind aus der Untersuchung ausgeschlossen. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben die Feminina auf -in, -ine (menine, mülin, riutine), da ihre Formen sie als alte -inō-Bildungen oder Lehnwörter aus lat. Fem. auf -ina ausweisen.19 Allen genannten Lexemen stehen im Korpus Formen auf -e gegenüber. Die Adjektivabstrakta auf ahd. -î(n)20 (mhd. güete, hœhe, lenge etc.) zeigen in den ausgewerteten Korpusbelegen im Nominativ keine Reste der alten schwachen -n-Deklination, obgleich Weinhold (1883: 502) feststellt, dass »in volksthümlicher, namentlich alemannischer Sprache […] die abstracten Feminina in -in, Plur. -inen -inan -ina bis in die Gegenwart« fortdauerten.21 Viele dieser Lexeme zeigen jedoch in den obliquen Kasus schwache Flexionsformen, die aber häufig mit starken Formen konkurrieren.
_____________ 16 17 18 19 20 21
Vgl. Braune/Eggers (1987: §223). Vgl. Gr.Frnhd. I,2 (1973: §37, §39). Vgl. Gr.Frnhd. (III: 109f.). Vgl. Braune/Eggers (1987: §211 Anm. 3) und die dort angeführte Literatur, ferner Weinhold (1863: §406f.; 1883: §462) und Gr.Frnhd. I, 2 (1973: §24). Vgl. PWG (1998: §183 Anm. 3). Hinsichtlich der vielen Lexeme, die im Korpus nur in obliquen Kasus belegt sind, lässt sich diesbezüglich keine Aussage machen.
II.1. Derivationstypen
48
4. Basisalternanz Hinsichtlich der Vokalalternation lassen sich Bildungen mit Ablaut oder Umlaut unterscheiden. Ablaut liegt im Korpus bei 27 Bildungen mit starken Verben als Basen vor. Einige davon weisen zudem einen Umlaut des ablautenden Vokals auf. Diese Bildungen sind ebenfalls als umgelautete Bildungen gezählt. 26 Bildungen zeigen im Verhältnis zur Wortbildungsbasis vorwiegend umgelauteten Basisvokal. Davon sind 19 Lexeme zu einer verbalen und neun Lexeme zu einer adjektivischen Basis gebildet. Strittig ist hinsichtlich dieser Kategorisierung das als doppelmotiviert gewertete kempfe (zu kampf oder kempfen). Ferner zeigen lâze (D.Pl) und nâme (D.Pl.) in den obliquen Kasus teils umgelautete Formen bzw. Graphien, die auf Umlaut hindeuten. Es besteht also die Möglichkeit, dass schon von umgelauteten Varianten im Nominativ ausgegangen werden kann. Bei der Normalform der Lexeme folge ich aber dem Lemmaansatz des WMU. Nicht bei allen Lexemen ist der Umlaut jedoch in gleichem Maße realisiert. Auch nichtumgelautete Formen zeigen bürge (alem. 29/58, bair. 32/67, 12 , IR3 2/4, IR4 2/2, omd. 1/1, wmd. 5/5), dürfte (alem. 1/2, bair. 1/6, IR1 1/1), gehülle (alem. 1/2) gelübe (bair. 39/49), güete (alem. 1/1? , bair 1/5? ), gülte1° (alem. 5/24, bair. 15/26, IR1 2/2, wmd. 2/6), gülte2 (alem. 1/9? , alem.-schwäb. 1/1), güsse (bair. 1/1), hœhe (IR1 1/2), müle° (alem. 4/11, bair. 3/4), schütze1 (alem. 1/5, bair. 3/13, wmd. 3/3? ). Die Lexeme grœze (nd. ) und schütze2 (IR2/wmd. 3/3 ) weisen entgegen des Lemmaansatzes im Korpus keine graphisch markierten Umlaute auf. Das Lexem vrum(e) ist bisweilen mit -oVokalismus belegt22 (alem. 1, wmd. 1, omd. 2, nd. 1), insgesamt neunmal zeigt sich die Graphie 23, drei bair. Graphien deuten auf Umlaut hin. Ein omd. Beleg des Lexems widersprâche weist die Graphie auf, die in ihrer Deutung auf Umlaut oder eine eigenständige Bildung zum Infinitiv hinweisen kann. missehulle zeigt einmal alem. Umlaut . Als Vokalvariante zu helfe (hilfe) werte ich innerhalb der
_____________ 22 23
Vgl. PWG (1998: §64). Diese Graphie ist je nach Sprachlandschaft vermutlich unterschiedlich zu deuten. Die insgesamt drei Belege im Ofrk. und Wmd. sind wohl eher als Zeichen von Senkung zu bewerten, während im Bair. (sechs Belege), die Graphie durchaus auch für den Umlaut /ü/ stehen kann. Dies zeigt der folgende Beleg aus Urkunde N498: ...daz die prNder iren frNm schaffen... Vgl. hierzu die Untersuchung von Bürgisser (1988: 101ff.).
II.1.2. -e
49
aufgenommenen Belege die Form 24, die sich in einer Königsurkunde (evtl. Colmar?) findet. Neben herberge tritt selten v.a. rhfrk. herburge (wmd. 3, IR2 2) auf.25 Des Weiteren sind verschiedene andere Vokalunterschiede zwischen Basis und Derivat zu beobachten, die an dieser Stelle besprochen werden sollen. Auf das Phänomen der Senkung von /u/ zu /o/26 gehen die Paare bürge : borgen27, gelübe : (ge)loben, hulde : holt und vorhte : vürhten zurück. Dem Wandel von /e/ und /i/28 unterliegen im Korpus (ge)bete : bitten, hirt[e] : hert. Das germ. /i/ ist in stege und scherme zu /e/ gesenkt.29 Vermutlich aus dem Flexionsparadigma des Singular Präsens sind die gelegentlich beobachtbaren -i-Formen bei hilfe (weitaus überwiegend helfe) eingedrungen. Das -i- in dem nur einmal bair. belegten Lexem vlige*, das vermutlich zu vlêhen (vlêgen) zu stellen ist, werte ich als mundartliche Variante. Als sprachlandschaftliche Variante von geriht[e] behandle ich Belege mit -e-Vokalismus (gerehte30), die sich vorwiegend im Md. und viermal im (nördlichen) Elsässischen finden. Vermutlich handelt es sich hier entweder um das Phänomen der md. Senkung von /i/ zu /e/31 oder es zeigt sich die »Vorliebe« des Md. für ë (vgl. Weinhold 1883: §2).32 Im Gegensatz zu ihren Basen weisen buoze, huote, suone, vuog(e) und vuor(e) keinen oder sehr selten Umlaut auf. Synchron lassen sich alle Bildungen jedoch als Formen des Rückumlautes der jeweils schwachen Basisverben beschreiben. Rückumlaut zeigt ebenfalls ein Beleg von setze < satze> und das Lexem vrône (bis auf einen Beleg mit umgelauteten Vokal des Basisverbs), das ich auf das Verb vrœnen beziehe. Morphologisch auch aus synchroner Betrachtungsweise nicht durch Formen der Basen gestützt sind die Lexeme müle, pên[e] und smîde.33 Aufgrund ihrer Semantik und anzunehmender Analogie gehe ich jedoch von _____________ 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33
Vgl. Wilmanns (1911: 249, s.v. §180.3): »Nhd. hülfe geht auf auf ein älteres hulfe zurück, das im Md. öfters, ganz vereinzelt im Ahd. begegnet; das u ist wohl nicht andere Ablautstufe, sondern jüngere durch l bewirkte mundartliche Färbung des Vokales.« Vgl. dazu den Artikel Gebirg im DWB (4: 1774, v.a. ab 1776f.). Vgl. PWG (1998: §34). Vgl. Duden Etym. (1963: 77 s.v. borgen), Wilmanns (1899: 235 s.v. §185.2). Vgl. PWG (1998: §32). A.a.O.: §33. Zu stege vgl. auch DWB (17: 1385). Das Verb schirmen zeigt in seinen Belegen nicht selten den Vokal -e- (WMU II: 1519). Im WMU (I: 654) als gerehte gesondert aufgenommen. Vgl. Boesch (1946: 88, s.v. §8, mit Korpusbeleg Urk. 1780). Vgl. PWG (1998: §50, §64, §65). Zum Elsässischen vgl. Weinhold (1863: §114). Eine genauere Besprechung der Morphologie findet sich innerhalb der semantischen Beschreibung der jeweiligen Lexeme.
II.1. Derivationstypen
50
einem morphologisch teilmotivierten Verhältnis mit den synchron herangezogenen Basen (maln, pînen, smiden) aus. Ein Sonderfall in mehrerlei Hinsicht ist das Lexem diube einerseits als desubstantivisches Femininum an sich34, andererseits aufgrund des lautlichen Verhältnisses zur Basis diep.35 Als Bildungsvariante des Lexems nâchkome behandle ich das vom WMU als eigenes Lexem verzeichnete nâchkomene* (4 alem. Belege). Konsonantische Basisalternanz ist bei fünf Bildungen zu beobachten. anegeng/e und abegenge zeigen eine für das Flexionsparadigma des Wurzelverbs gên/gân charakteristische Veränderung, gesez(ze)/gesæze weist eine Variante des starken Verbs sitzen36 auf. Der Konsonantismus in becke1/becke2 : bachen und schütze1 : schiezen kann jeweils nur mit Hilfe der historischen Lautlehre erklärt werden.37 5. Basisaffinität Die überwiegende Mehrzahl (171 Lexeme, 78,1%) der hier behandelten -eBildungen sind zu einer verbalen Basis gebildet. Insgesamt 60 Bildungen weisen eine Basis mit Verbzusatz38 auf: abe- (1), an(e)- (5), be- (3), er- (3), ge(28)39, heim- (1), her- (1), misse- (2)40, nâch- (1), nider- (1), nôt- (1), ûf- (1), under- (1), ûz- (2), ver/vür- (3), wider- (4), zuo- (2). 36 Derivate (16,4%) sind durch ein Basisadjektiv motiviert. Davon sind neun Lexeme zu einem suffigierten Basisadjektiv gebildet: -ig (1), -sam (5), -lich (2), -isch (1). Ein Substantiv als Basis liegt bei sechs Lexemen (diube, hirt[e], krâme, lamparte, miste, smitte) vor (2,7%). Vier Bildungen (1,8%) können als durch ein Basisverb und ein Basissubstantiv doppelmotiviert gelten (gelte, kempfe, scherme, schütze2). Für zwei Derivate (einhelle, vrum(e); 0,9%) ist adjektivischer und verbaler Motivationsbezug möglich. _____________ 34 35 36 37 38 39 40
Vgl. Wilmanns (1899: 217 Anm 3.): »Feminina, die als Ableitungen von anderen Substantiven erscheinen [...] sind [...] selten;« Vgl. PWG (1998: §35). Vgl. PWG (1998: §250). Vgl. PWG (1998: §96α ›Gemination vor /j/‹). Die Basisverben antwürten und urliugen betrachte ich synchron als Simplizia. Für die Bildungen geriute und geswende ist auch korpusextern keine präfigierte Basis nachweisbar. Die Bildungen missehelle und missehulle sind hier als eigenständige Lexeme in die Auswertung eingegangen.
II.1.2. -e
51
Die Bildung wunde wird aufgrund des korpusinternen Befundes entgegen der Etymologie41 in eine Adjektivbildung wunde1 und ein deverbal aufgefasstes Lexem wunde2 aufgetrennt. Beide Bildungen werden als zueinander homonym angesehen und als eigenständige Lexeme innerhalb des jeweiligen Bildungstyps erfasst. 6. Genus der Bildungen Für mit dem Suffix -e gebildete Substantive sind im Korpus drei verschiedene Genera nachweisbar. Mit 143 Lexemen sind die Feminina am ausgeprägtesten vertreten. 40 Lexeme sind mit maskulinem Genus belegt und 20 Lexeme erweisen sich als Neutra. 15 der neutralen Derivate weisen das Präfix ge- auf. Für einige Lexeme ist das Genus nicht feststellbar bzw. es zeigen sich neben unbestimmbaren Belegen auch solche mit verschiedenen Genera. Feminine und maskuline Formen zeigen erne und werre, maskuline und neutrale das Lexem geheiz[e]. Formen des Femininums, Neutrums und unbestimmbare Formen zeigen æze*/etze, begrebe, gebiet[e], gehülle, gelübe, gevære, mære, riute42 und urteile. Formen aller drei Genera neben teils vielen unbestimmbaren Formen weisen anwande, gedinge°43 und heiz[e] auf. c. Motivationsdichte Für 91,2% aller Belege lässt sich die synchrone Basis in der gleichen Sprachregion nachweisen, und es kann Basisrang 1 vergeben werden. Basisrang 2 wurde für 3,9% (146) der bearbeiteten Belege ermittelt und Basisrang 3 für 1,3% (48 Belege). Nur bei Lexer war die Basis für 30 Lexeme44 (132 Belege) nachweisbar. Für ein Lexem (vrîhels(e)) ist die Basis synchron nicht nachweisbar. _____________ 41 42
43 44
Vgl. Kluge (1999: 898). Die von WMU (II: 1449) getrennt lemmatisierten, aber bedeutungsgleichen Lexeme riute st.F. (2) und riute st.N. (12) werden aufgrund unbestimmbarer Belege, die das WMU unter der neutralen Form vezeichnet, zusammengelegt. Die Situation ist hier m.E. nicht verschieden von anderen Lexemen, für die schwankendes Genus angesetzt wird. Das WMU (I: 580f.) führt drei getrennte Lexeme gedinge st.N. (379), gedinge st.(sw.)F. (118) und gedinge sw.M. (7), die jedoch aus Gründen einer pragmatischen Belegermittlung im Kernkorpus zusammen behandelt werden müssen. Dies sind: âgezzel/e, bürste, einhelle, einvalt[/e], geheim[/e], gehüge, gemeinsam(e), geschelle, geswend/e, krâme, lâge, lamparte, mære, pêne, plâge, schære, schorre*, schütze1, schütze2, seige, sege, sige, slîfe, smelze, smîde, sorge, spende, twâle, urvêhe, zuohelle.
II.1. Derivationstypen
52
d. Wortbildungsfunktion Funktionsklasse
Paraphrase
A. Abstrakta -e1 B. Patientiva -e2 C. Agentiva -e3 D. Abstrakta -e4 E. Instrumentativa -e5 F. Lokativa -e6 G. Agentiva -e7 H. Agentiva [DM] -e8 I. Abstrakta [DM] -e9 J. Agentiva -e10 K. Lokativa -e11 L. Abstrakta -e12 M. Agentiva [DM] -e13 N. Idiofunktionalia -e14 O. Patientiva -e15 Gesamt
›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹ ›das, was jmd. BV/BV wird‹ ›jmd./etw., der/das BV‹ ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹ ›das, womit man BV‹ ›Ort, wo jmd./etw. BV‹ ›jmd./etw., das BA ist‹ ›jmd., der etw. mit BS tut/BV‹ ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist/BV‹ ›jmd., der etw. mit BS tut/aus BS stammt‹ ›Ort, wo BS tätig ist/sich befindet‹ ›Tatsache, dass jmd. wie BS handelt‹ ›etw., das BA ist/BV‹ ›BS‹ ›das, was BS in seinen Besitz gebracht hat‹
Basiswortart Verb Verb
Beispiel anegeng/e, widersprâche gebe, gestifte°
Lexeme / Belege Anzahl Prozent 93/8132° 36,0/38,8 41/3743°
15,9/17,8
36/7049°
14,0/33,6
Adjektiv
anwande, ledergerwe breit(e), güete
30/550°
11,6/2,6
Verb
bliuwe, presse
21/776°
8,1/3,7
Verb
gebiet[e]
12/459°
4,7/2,2
eben/e, gebreite gelte, kemphe
10/118
3,9/0,6
5/21
1,9/0,1
Verb
Adjektiv Substantiv/ Verb Adjektiv/ Verb
einhelle
2/77
0,8/0,4
Substantiv
hirt[e]
2/11
0,8/0,1
Substantiv
miste
2/5
0,8/0,0
Substantiv
diube1
1/22
0,4/0,1
Adjektiv/ Verb Substantiv
vrum(e)2
1/9
0,4/0,0
krâme
1/3
0,4/0,0
Substantiv
diube2
1/2
0,4/0,0
258/20977°
Tabelle II.1.2.2. Funktionelle Verwendung der -e-Derivate
Die funktionelle Verteilung des Suffixes -e zeigt ihren eindeutigen Schwerpunkt bei der Bildung deverbaler Abstrakta (36,0%). Relativ ausgewogen zeigt sich ein hinsichtlich der Belegzahlen deutlich von den Verbalabstrakta abgegrenztes Mittelfeld mit Patientivbildungen (15,9%), deverbalen Agentiva (14,0%) und deadjektivischen Abstrakta (11,6%). Im Bereich unter 10% kommt den Instrumentativbildungen (8,1%), den deverbalen Lokativa (4,7%) und deadjektivischen Agentiva (3,9%) noch eine
II.1.2. -e
53
Bedeutung zu. Alle anderen Funktionsklassen machen zusammen nur einen Gesamtprozentsatz von 5,9% aus. Auch bei -e sind hierin alle als doppelmotiviert klassifizierten Bildungen zu finden (insgesamt 3,1%). Deutlich erkennbar ist der geringe Anteil eindeutig desubstantivischer Bildungen, die sich allerdings mit einem Anteil von nur 2,8% auf nicht weniger als fünf Funktionsklassen erstrecken. Die folgende Übersicht zeigt die Verteilung der an der Wortbildung beteiligten Basiswortarten unabhängig von der Funktionsklasse (doppelmotivierte Bildungen bleiben unberücksichtigt): Basiswortart Verb Adjektiv Substantiv
Bildungen/Prozent 203 / 78,7 40 / 15,5 7 / 2,7
Tabelle II.1.2.3. Funktionsklassenunabhängige Verteilung der an der Wortbildung beteiligten Basiswortarten beim Suffix -e
Mit der folgenden Darstellung soll ein Überblick über die funktionelle Verteilung der -e-Bildungen ohne Anschauung der Basiswortart gegeben werden: Funktionsklasse abstrakt agentiv patientiv instrumentativ lokativ idiofunktional
Bildungen/Prozent 126 / 48,8 54 / 21,0 42 / 16,3 21 / 8,1 14 / 5,4 1 / 0,4
Tabelle II.1.2.4. Funktionelle Verteilung der -e-Bildungen (basiswortunabhängig)
Das Suffix -e bildet im Urkundenkorpus Substantive aller drei Genera, die sich, wie im Folgenden dargestellt, auf die einzelnen Funktionsklassen verteilen. Funktionsklassen -e-Derivate abstrakt (BV) patientiv (BV) agentiv (BV) abstrakt (BA) instrumentativ (BV) lokativ (BV)
f. 65 25 5 30 19 7
m. 8 4 27 1 -
n. 11 6 4 1 3
Genus f./n. f./m./n. 5 2 3 2 1 2 -
m./n. 1 1 -
f./m. 1 -
II.1. Derivationstypen
54 Funktionsklassen -e-Derivate agentiv (BA) agentiv (BS/BV) abstrakt (BA/BV) agentiv (BS) lokativ (BS) abstrakt (BS) agentiv (BA/BV) idiofunktional (BS) patientiv (BS) Gesamt
f. 10 1 2 1 1 1 167
m. 4 1 2 1 48
n. 25
Genus f./n. f./m./n. 10 5
m./n. 2
f./m. 1
Tabelle II.1.2.5. Verteilung der Genera mit -e gebildeter Substantive nach Funktionsklassen
In der Übersicht spiegeln einige markante Auffälligkeiten die etymologische Polygenese des mhd. Suffixes -e wieder. So sind zum einen deadjektivische Bildungen (abgesehen von doppelmotivierten) ausschließlich Feminina, während deverbale Agentivbildungen vor allem als Bezeichnungen von individuellen Personenbezeichnungen (keinen Gruppen, die aus mehreren Personen bestehen wie gerihte, reise oder reite) mit 73,0% zu den Maskulina gehören. Als einzige maskuline Sachbezeichnung findet sich gieze. Die Neutra erweisen sich synchron ausschließlich als Deverbalia. A. Abstrakta (BV-e1): ›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹ Lexem abegenge anegeng/e anklage anleite ansprâch[e]1° antwürte1 begrebe* bescheide1 beswære bete1° breche breste1 buoze2° erbärme erne gâbe1° gebet(e)1 gebreste1
Belege 1 1 2 14 77 (1125°) 11 1 1 1 26 (539°) 2 20 21 (68°) 1 8 30 (170°) 3 48
alem bair 2 5 37 5 18 17 8 1 6 7 4
1 1 4 31 4 1 1 1 1 1 1 9 13 3 38
alemwmd IR1 Kg ofrk IR2 IR3 IR4 omd nd Rest schw 5 6 2 1 1 1 2 2 1 2 1 1 1 2 2 2 2 1 7 2 2 2 -
II.1.2. -e Lexem gedinge1° geheiz[e]1 gehüge gehülle* geleb/e* geleit[e]1 geliute geloube gelübe2 geriht[e]1° geschelle gespræche gevære gevehte gewerb[e]2 gülte12° güsse habe2 heimsuoche heiz[e]2 helfe° herberge2 huote kerze(n)wîhe klage1° lâge lâze lem[/e] meine missehelle missehulle* müej(e) nâme nôtzoge pên[e]2 phlege1 râche rede2° reise1 rihte22 riuwe sage2 schide* seige sige sorge sprâch(e)1 suone° twâle ûfgâbe underrede
Belege 38 (315°) 17 6 2 1 38 2 3 16 97 (704°) 5 4 37 8 7 12 (146°) 1 1 19 5 54 (245°) 14 5 8 49 (206°) 1 1 15 2 84 5 7 3 1 9 5 2 9 (164°) 9 2 2 2 1 1 1 3 1 35 (543°) 1 4 2
alem bair 26 6 1 2 8 2 46 3 8 1 6 1 7 2 29 5 4 3 24 2 74 3 2 4 3 3 2 1 1 1 11 1 1
6 2 5 1 21 2 1 16 11 34 6 4 1 2 1 8 3 14 15 5 2 4 1 3 3 1 2 1 15 3 -
alemwmd IR1 Kg ofrk schw 3 1 1 8 1 1 2 1 1 3 7 8 2 2 16 2 1 2 2 1 6 1 1 1 5 1 7 3 2 1 1 2 1 3 1 1 3 5 3 5 2 2 1 3 1 1 1 1 2 1 1 1 6 2 1 1 1 -
55 IR2 IR3 IR4 omd nd Rest 1 1 1 1 -
1 1 -
2 -
1 2 4 2 2 1 -
1 -
1 2 1 -
II.1. Derivationstypen
56 Lexem urliuge° ursuoche urteile ûzriht(e) ûzzoge vâr[e] vaste° verwarlose* vlige* volge vorhte vrâge1 vrône vuog(e) vuor(e) warte werre widerrede° widersag(e) widersprâche wille1° wisse* wunde2 zuohelle* Gesamt
Belege 52 (202°) 2 1 2 1 33 25 (188°) 1 1 23 13 18 5 5 3 3 17 22 (290°) 1 28 168 (2567°) 1 24 1 1375 (8132°)
alem bair
alemwmd IR1 Kg ofrk IR2 IR3 IR4 omd nd Rest schw 7 2 5 1 1 11 1 1 2 1 1 1 1 2 2 2 1 1 1 1 2 2 1 1 1 4 1 1 2 8 1 2 1 1 1 3 3 2 1 1 1 4 1
27 1 1 15 6 1 9 6 2 4 1 13 7
11 2 2 14 1 6 3 14 1 2 2 3 8 4
102
39
4
3
7
3
3
4
3
-
-
-
-
1 6 -
8 -
-
1
1 -
1 -
2 -
-
-
-
6 -
-
-
36
88
42 49
58
13
15
4
27
9
6
605 423
abegenge n. (›Ende‹): ← abegân (›aufhören etc.‹) (261) st.V. Der prif ist geshriben vnd geben des nasten tages nach vnsers herren besneidunge von gotes geburte vber tausent zway hundert fFmf vnd nevtzkh iar an dem ab genge des sechsten (Corp. 2315a = N 748, 540.6).
Die Lexembedeutung von abegenge kann hinsichtlich der Bedeutung und Verwendung des Basisverbs abegân nur ›Ende‹ bedeuten.45 Etwas verwirrend ist in diesem Kontext das Ausstellungsdatum der Urkunde, der zweite Januar 1296. Man erwartet, dass hier der Anfang des neuen siebten (!) Jahres als Datumsangabe verwendet würde. anegeng/e n. (›Anfang‹): ← anegân (›beginnen etc.‹) (140) st.V. Jn dem namen dez vater vnd dez sunes vnd dez hæligen gaystz · Allew gGtew dinhc an angeng nement · vnd ain vollent · (Corp. 2320, 438.03).
anklage (›Anklage(recht)‹): ← aneklagen (4) sw.V. …vnh Aller anderre Ansprache vnh Anclage - svaz jch mit jn ze schaffenne hate - han jch mich verzigen An disem gegenwartigen Brieue (Corp. 2179, 348.39).
_____________ 45
Vgl. aber die Bedeutungsangabe ›Anfang‹ im WMU (I: 18).
II.1.2. -e
57
anleite (›Inbesitznahme eines Lehens; Grenzbesichtigung‹): ← aneleiten (9) sw.V.
a) Wir setzen v] gebiten swer sin clag mit reht volfuret daz im an lait ertailet wirt vf die leute oder vf div gut dor avf er geclaget hot daz dem der rihter einen an laiter geb den er vordert v] sol der an laiter die an lait geben (Corp. 3110, 336.42). b) Jch...vergiehe…dc ich / nach manger missehellede die ich han gehebt mit den geistlichen livten…mich ervarn han v] mit offenr anleite bewiset bin / dc dc GNt in dem Mettental mit namen von der swarzen floe…des Gotshus eigen ist (Corp. 460, 398.10).
Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei anleite ursprünglich um ein Kompositum aus ane und leite und nicht um eine deverbale Bildung. Das Verb aneleiten ›einweisen, die Anleite erteilen‹ scheint hingegen aus dem Substantiv gebildet, wie die früher und häufiger belegten anleiteBelege vermuten lassen.46 Auch im Korpus ist das Verb deutlich seltender. Mhd.-synchron kann anleite jedoch auf das Verb aneleiten bezogen werden. In metonymisch übertragener Bedeutung wird mit anleite auch die mit der Einweisung in ein Lehen anfallende Gebühr bezeichnet. Diese acht Belege werden als idiomatisiert gewertet. Das vergleichbare Lexem abeleite liegt korpusintern nur in der Bedeutung ›Gebühr bei der Besitzabtretung‹ vor und ist idiomatisiert (vgl. WMU I: 22). ansprâch[e]1 (›Rechtsanspruch, Einspruch, rechtl. Forderung; Rechtsstreit‹): ← anesprechen (›gerichtl. beanspruchen, anfechten, rechtl. beanstanden; Klage über etw. erheben; anklagen, beschuldigen‹) (346) sw.V. Swer zehen iar v] einen tack vzzerhalb landes ist / oder mer / der mack in diser Stat vmb dehein eigen angesprechen / Swer ein eigen an sprichet der sol daz offenlichen tNn vor geriht / v] sol der ansprach nach gen als im ertailt wirt! tvt er des niht in iares frist / v] in einem tag / im ist gebrosten an sinem reht/ v] hat iener sin eigen mit rehte! (Corp. 1975A, 230.44)
Das Lexem ansprâch[e] bezeichnet in den Urkunden typischerweise einen Rechtsanspruch bzw. ein Anspruchsrecht und ist somit als Abstraktum zu werten. 15 der ausgewerteten 90 Belege lassen sich jedoch in ihren Kontexten besser als Objektbezeichnungen analysieren (vgl. ansprâch[e]2). Sie bedeuten ›das, was jmd. beansprucht‹. Eine genaue Ermittlung der Verwendungsbedeutung ist im Einzelfall jedoch sehr schwierig und die Klassifizierung als Abstraktum oder Patientivum hängt häufig von kleinen, kaum objektiv greifbaren Bedeutungsnuancen oder syntaktischen Kriterien (z.B. Relativsatz, Plural) ab. antwürte1 (›Verteidigung; Überantwortung‹): ← antwürten (720) sw.V. _____________ 46
Vgl. z.B. DWB (1: 400 s.v. Anleite, Anleiten).
58
II.1. Derivationstypen
Da sprachen aber vnsers herren des bischoffes ratlGte, daz kein man an gerithe geladet Trde, da er zerethe antSrten solte, sente er sinen boten fGr sich dar der in verenTrten solte, ob in selben irret ehafte not, wer daz der bote siech Trde, stFrbe oder geuangen Trde oder durch lazheit die anTrte versFnde, daz der selbe man der also fGr gelat wrde der ansprache nith verlustig mothe werden… (Corp. 1145a = N 408, 303.37).
Der Großteil der Belege des Lexems antwürte liegt in abstrakter Verwendung vor. Es lassen sich jedoch auch einige Patientiva (›das, was jmd. antwortet‹) nachweisen (vgl. antwürte2). begrebe* n./f. (›Begräbnis‹): ← begraben (11) st.V. …ein pNch von der toten pigrebe… (Corp. 1187, 458.12).
bescheide1 (›Entscheidung, Bedingung‹): ← bescheiden (192) st.V. …daz mich von minem vater / vnd von minen vorvodern ze rehtem erb ist ledichlichen / vnd aîgenlichen an gevoll'en han gegeben dem chloster datz sand Heîmeram vreîlichen vnd aîgenlichen an alle widerred! mit der bescheiden / daz ich drei leib dar auf gestætigt han (Corp. 299, 294.13f.).
beswære (›Schädigung‹): ← beswæren (160) sw.V. …vnd hat mir min herre / vnd sin Gotshaus vergeben Louterlich / allen den schaden / der im / vnd sinem Gotshause / von mir / oder von den meinen/ mit Raub oder mit Brand / oder mit anderr beswære [854A: beswærunge] / in der Stat ze Petowe…ist geschehen (Corp. 854B, 203.24).
bete1° (›Bitte, Ersuchen; Fürsprache; Antrag‹): ← biten/bitten (510) st.V. Dise gGt han ich geben vron gGten miner elichen wirtin ze eime rehten widemen / v] durch mine flehelichen bette noch dem lantsitten lech sie ir bisschof wernher ze eime lehen (Corp. 1008, 334.14).
Neben der vorwiegend abstrakten Verwendung i.S.v. ›Bitten‹ zeigen einige Belege des Lexems bete eine stärkere Betonung des Inhalts der Bitte. Diese umschreibe ich mit ›das, was jmd. (er)bittet‹ und werte sie als Objektbezeichnungen. Ebenfalls als Objektbezeichnungen können häufig vorkommende Belege mit der Bedeutung ›Abgabe‹ gewertet werden (vgl. WMU I: 227f.). Sie sind zwar noch mittels derselben Paraphrase erfassbar, zeigen aber eine starke Tendenz zur Lexikalisierung (vgl. bete2°). breche m. (›Zerwürfnis; Schaden‹): ← brechen (660) st.V. a)…ob das gesch(he / des goth niht enwelle / das si vmbe dikain sache mit ain andir zirbr(chin sich / da ensoltti enwedirri tail niht zN tNn / e das si ain ander beschaidinlichin / vnd gNtlichin / iern brechin liessin virsten (Corp. 1829, 139.37). b) …swer im dar vber dhainen brechen tet mit ihtev daz wer mir niht libe… (Corp. 2480, 534.13).
Die vorliegenden Bedeutungen des Lexems breche lassen sich über das Verb brechen i.S.v. ›Recht brechen, jmdm. gegenüber Recht oder Gesetz brechen‹ (vgl. WMU I: 283ff.) motivieren.
II.1.2. -e
59
breste1 m. (›Schaden, Verlust; Mangel, Missstand; Gebrechen‹): ← bresten (7) st.V.
…das der selbe her jacob gNnde dem vorgenanten Brotmeister ein tich ze machende Ns dem tich obwendig der MPli ze allen winden zweilf fúsze wit / doch mit solicher gedinge swenne der MPli ze allen winden wassers brêste / das der / der die MPli danne hat / den tich des brotmeisters mit rehte verslahen mag / ane menegliches widerrede / alse lange / vnz das die MPli ze allen winden wassers gnNg gewinnet / v] al die wile die selbe MPli ze allen winden wassers niht bresten hât / so sol man den tich des brotmeisters / och niht verslahen durh keine ander sache (Corp. 1957, 217.05).
Das Lexem breste tritt in der Mehrzahl der Belegkontexte als Abstraktum auf. Dieser Bezeichnungsfunktion können verschiedene lexikalische Bedeutungen des Lexems entsprechen, die dabei die Bedeutungen des Basisverbs bresten ›brechen, reißen; fehlen, mangeln‹ mehr oder weniger ausgeprägt metaphorisch aufgreifen. Im zitierten Kontext, dem einzigen mit textinterner Motivationsbasis, liegt das Lexem in der Bedeutung ›(Wasser)Mangel‹ vor. Neben der Verwendung als Abstraktum interpretiere ich das Lexem in 15 Fällen als Agentivum (vgl. breste2). Der Bildung kommt hier die Bezeichnung einer fehlenden Sache oder eines konkreten Mangels zu. buoze2° (›Buße, Strafe‹): ← büezen (63) sw.V.; vgl. buoze1 da chom Ludewich fure! vnde Lobt dem bischolf zebuzen! den schaden auf die rede! daz der bischolf sinem wibe einen tach gebe! unde tet ir recht! also sine man in baiden ertailten! Den tach gab der bischolf der frauwen . dar auf daz der schade! vor des tages virzehen tage wrde gebuzet! vnde Lobet Ludewich daz also zetune! Do der tach wart dar zu chom der bischolf / vnde auch deu frauwe do mante der bischolf Ludewigen sines gelubdes! vmbe di buze deu nicht geschehen waz · als er gelobt hete· do iach Ludewich eines andern dinges · do wolde der bischolf sine rede haben! er erzuget da ze stet · mit biderben Leuten! vnde hietz auch wol getan! vmbe die buze als er Ludewich iz gelobt hete! vnde hiet der bischolf! der frauwen mit recht · allez alantrechtes· wol gewaigert des tages! da von daz deu buze nicht gelaistet was · als iz gelopt wart! (Corp. 23B, 42.1ff.)
erbärme (›Erbarmen‹): ← erbarmen (3) sw.V. V] vert ane erberme rehte alse ein irzvrnetir low / v] als ein blNtender ber / der niemanne schonen kan (Corp. 93, 137.28)
erne f./m. (›Ernte, Erntezeit‹): ← ernen (4) sw.V. Ze ernen sol dv ebtissin, obe si ir gGt selbe erbeitet, nemen, si vnd der von Ansoltsheim ober ouch selbe erbeitet sin gGt, die ehthere [Fronarbeiter, UR], vnde sol men die in zvei teilen v] iewerre han die halben, v] svlnt die einen dag helfen sniden vir gebene, vnde sol men in gen ir ahthe broth (Corp. 0807b = N 306, 234.19).
gâbe1° (›Gabe, Schenkung; Einsetzung‹): ← geben (13000) st.V.
60
II.1. Derivationstypen
a) V] Vnserin herrin Von Veringin beiden grauin Heinrichin · dîen Wir vf gabin die selbin v?teîge ber dîe vrien lPte v] ir eigen gMtir · v] inphiengin die BrMdere die gabe der selbin v?têige von dîen vorgenantin herrin eigenliche v] ewickliche zebisizenne (Corp. 305, 298.1). b) …die vorgenanten Stift/ vnd swaz guetes dar zv ch=men mach / vnd da bei ist / mit der Vogtai / vnd mit der gabe der Abtessinne / oder einer Maistrinne… (Corp. 1860, 160.17).
Ähnlich wie die Konkurrenzbildung gift wird das Lexem gâbe in den ausgewerteten Korpusbelegen nahezu ausschließlich als Abstraktum verwendet. Wie der Beispielkontext a) exemplarisch zeigt, muss die Bildung auch in der Konstruktion eine gâbe enphâhen nicht notwendigerweise als Konkretum analysiert werden (vgl. gâbe2). Das zweite Textbeispiel b) zeigt das Lexem in der lexikalischen Bedeutung ›Einsetzung (einer Äbtissin, Meisterin)‹. Nur einer der ausgewerteten Belege lässt m.E. eine relativ klare Deutung als Patientivum (›das, was gegeben wird‹) zu (vgl. gâbe2). gebet(e)1 (›Bitte‹): ← biten/bitten (520) st.V., gebiten (Lexer I: 755f.) …daz wir sehs swaige in Hausekkær tal…vron Elspetn dez Hausekkær havssvr?n / ist daz si in Mber lebt / vnd deheinen andern wiert niht ennimt / lazzen vnd lazzen haben / auch ze rehtm Leipgeding / durch dez hausekkær / vnd auch ir selbs gebêt / mit dem reht vnd mit aller der berichtigvng als si gestiftt sint… (Corp. 2723, 99.12).
gebreste1 m. (›Schaden; Mangel, Missstand; Fehlbetrag; Fehler; Misshelligkeit; Gebrechen‹): ← bresten (7), gebresten (29) st.V.
a) ez enwær dann / daz eîn Diener od ein pvrger in solhem gebresten [Notlage, UR] wær / daz er genaden wol bedarf / dem svln wir vreyvng gebn / nah der zwelfer rat (Corp. 1817, 133.27) b) vnd sol mir mein herr dar an beholfen sin mit dem rehten an dez Gotshauz schaden vnd geprestn (Corp. 3483, 566.8).
Vgl. die Bemerkungen zu breste1. Auch im Fall von gebreste überwiegt die abstrakte Verwendung des Lexems. Rund 20% der Belege können als Agentivbildungen analysiert werden. In einigen Fällen ist die Unterscheidung zwischen abstrakter und konkreter Verwendung nicht immer eindeutig. Zumeist habe ich mich bei der Zuordnung dann zugunsten der abstrakten Lesart entschieden. gedinge1° f./m./n. (›Bedingung; Abmachung, Verhandlung‹): ← dingen (93), gedingen (21) sw.V. Der selbe Ellenhart het daz gGt vns /Nf gegeben in scheffels wiz / von der vorgenanten durftigen wegen mit solicher gedinge / daz der nNtz sin si (Corp. 3244A, 413.16).
geheiz[e]1 m./n. (›Befehl, Anordnung‹): ← geheizen (18), heizen (1175) st.V. Dirre eînung ist also gesetzet: swer der ist, der ane eînz schultheîzen von Offenburg vnd der zweluer aller oder dez mêrren teilz vrlobe vnd geheîz howet oder
II.1.2. -e
61
heîzet howen in den selben welden oder furbaz howet danne ime erloebet ist, der sol dez eînungez schuldig sin alse dicke er daz tFt… (1687a = N 568, 410.8).
In der Mehrzahl der Fälle liegt das Lexem geheiz[e] in abstrakter Verwendung vor. Oft ist die Paraphrase kausal ›weil jmd. etw. geheizen hat‹ zu formulieren. Bei fünf Belegen tritt der Inhalt des Befehls stärker hervor als die ›Tatsache, dass jmd. etw. befohlen hat‹. Diese werden als Patientivbildungen gewertet (vgl. geheiz[e]2). gehüge (›Gedächtnis, Erinnerungsvermögen; Erinnerung, Gedenken‹): ← gehügen (Lexer I: 793), hügen sw.V. (Lexer I: 1379) a) Wan alles des daz geschiht / lihte vergezzen wirt / ez werde danne der gehNge enpholhen / mit der geschrift / vnd mit gezivgen… (Corp. 1901, 179.2). b) …vmb den selben zins / der vierzehen phvnde / svln wir begen sin iarzit nach sinem tode/ v] sol man ie dem Chorherren / der bei der iarzit ist / geben von dem zins win vnd broht/ nach dez Gotzhaus gewonheit / aver die wil er lebt / so svln wir sin GehMg begen / an sant katherin abent… (Corp. 1747, 63.31).
gehülle* f./n. (›Einwilligung, Einverständnis‹): ← gehellen (29), hellen (7) st.V.
…mit gunste, willen vnde gehélle vnsers capitels ze Strazburg vnd durch der stete ere vnd des landes nucz… (Corp. 2320b = N 752, 546.11).
geleb/e* n. (›Labung, Erfrischung‹): ← gelaben (Lexer I: 804), laben (1) sw.V
…daz der Maister dez vor genanten spitales von Regenspurch daz pfvnt pfenninge daz der vor genant hof gilltt · halbes geb alle iÇr bei vns lebentigen avf div sihstuben den sáchen zv ainem gelæb dvrch ein vrchivnd des gMtes (Corp. 2470, 528.12).
Aufgrund des Vorkommens des Lexems gelebe in der Präpositionalphrase mit ze bleibt sein einziger Beleg semantisch uneindeutig. Ich habe mich für eine abstrakte Deutung (›Zweck des Labens, um zu laben‹) entschieden, eine kontextgebunde Interpretation der Bildung als Instrumentativbildung (›das, womit man jmdn. labt‹) scheint jedoch ebenfalls plausibel. geleit[e]1 n. (›Geleit, Schutz; Geleitrecht‹): ← geleiten (29) sw.V. …wir setzen avch daz nieman in dem land / dehein geleitt geben sMl · dann di herren selb · oder dem si ez besunderlich enpfelhent (Corp. 1800A, 118.32f.).
Neben den abstrakt verwendeten Belegen des Lexems geleite finden sich innerhalb der analysierten Kontexte ferner ein agentiver (vgl. geleite3) Beleg und sieben lokative (vgl. geleite2) Belege. In der Bedeutung ›Geleitgeld‹ (s.o.) ist die Bildung idiomatisiert. geliute n. (›Glockenläuten, Geläute‹): ← geliuten (3), liuten (12) sw.V. …vnd shaffe…dem mesn(r vīer phennīdaz er min iarzit mit gelevtte begê (Corp. 653, 75.35).
geloube m. (›Glaube‹): ← gelouben (54) sw.V.
II.1. Derivationstypen
62
gelübe2 n./f. (›Zustimmung, Verpflichtung, Versprechen‹): ← geloben (1530), loben (287) sw.V. Vnd daz der chovf vnd daz gelvb des schermes vnd des gNtes von mier oder von meinen erwen oder meiner afterchvnft iht werde her nach ze brochen mit deheiner widertrahtunge oder vergezvnge (Corp. 1551a = N 528, 376.8).
geriht[e]1° n. (›Gerichtshoheit, -zuständigkeit; Gerichtsverhandlung; Rechtfertigung‹): ← gerihten (48), rihten (715) sw.V. a) V] gebieten ovch vnsern fursten daz sie mit der buze twingen die von in gerihte habent daz sie rehte rihten vnd der buze nit lazen die in irteilit wirt (Corp. 879W, 220.29). b) …v] sPln die selben vierv]zweinzig die man iergeliches kiesen sol / glichen gewalt han mit den alten vierv]zweinzigen gemeinlich in dem râte / ze sezzende / v] ze entsezzende / an allen dingen / die d§ stat ze friburg angânt / v] ir ere / v] ir gefMre/ an gerihte vrteilde ze sprechende / als gewonlich ist (Corp.1797A, 104.44).
Das Lexem geriht[e]47 lässt sich trotz seiner ausgeprägten lexikalischen Polysemie (vgl. WMU I: 655ff.) mit den angegebenen Bedeutungen in seiner abstrakten Verwendung zusammenfassen. Einmal ist mit geriht[e] ›das Recht/die Pflicht, zu richten‹ (vgl. a), zum andern das Richten selbst und damit auch die Gerichtsverhandlung, der Gerichtstag bezeichnet (vgl. b).48 Neben der abstrakten Verwendung erweist sich die Bildung fast gleich häufig als Subjektbezeichnung i.S.v. ›richterliche Instanz‹, die ich mit ›das, was richtet‹ paraphrasiere (vgl. gerihte2). Geringer ausgeprägt ist die Verwendungsweise als Lokativum zur Bezeichnung eines Gerichtsbezirkes (vgl. gerihte3). geschelle n. (›Tumult, Aufruhr‹): ← geschallen (Lexer I: 896), geschellen (a.a.O.: 900), schallen (Lexer II: 643f.), schellen (a.a.O.: 693) sw.V. von erst han wir gesetzet / das / swa ein gescelle oder ein zorn / oder ein missehelle geschit in der stat oder in den vorsteten / so svlent die burgere gemeinliche zN deme rihtere swer der ist gan / also / das si ime helfen den zorn vnde die missehelle stillen vnde wern vnde den fride schirmen (Corp. 816, 175.38).
Etymologisch handelt es sich bei geschelle vermutlich um eine Kollektivbildung zu schal.49 Aber auch das DWB (5: 3831) sieht daneben den verbalen Bezug (schallen, schällen) als wahrscheinlich an. Der Bezug auf das Verb ist m.E. in allen Kontexten zu bevorzugen. Der aktionale Aspekt des ›Schallmachens‹ tritt deutlicher hervor als eine etwaige kollektive Bedeutung ›viel _____________ 47 48 49
Das vom WMU getrennt geführte Lemma gerehte betrachte ich als allomorphische (vorwiegend md.) Variante zu gerihte (vgl. o. Morphologie). Darunter fallen m.E. auch phraseologische Wendungen wie ze gerihte sitzen, die das WMU (I: 659) mit ›richten, Recht sprechen‹ umschreibt. Vgl. Lexer (I: 899).
II.1.2. -e
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Schall‹. Inwiefern jedoch geschelle schon iterativen Charakter zeigt (vgl. nhd. Gesinge, Gebelle) kann für das Mhd. nicht beantwortet werden.50 gespræche n. (›Besprechung, Beratung‹): ← gesprechen (42) st.V., sprechen (1980) st.V. In allen steten ist daz recht daz die richtere richtet mit vrteile · offenbare ne sal die man vorgerichte nicht sprechen · sint her einen vorspreche hat · mer vraget in die richtere ob her an sines vorspreche wort gie· her mGz wol sprechen ia · oder nein · oder gespreches beten (Corp. 51, 83.5).
gevære f./n. (›Betrug, böse Absicht, Vorbehalt‹): ← gevâren (Lexer I: 957), vâren (Lexer III: 21f.) sw.V.; vgl. die Bemerkungen zu geværde.
gevehte n. (›Kampf, Feindseligkeit, Fehde‹): ← gevehten (Lexer I: 959), vehten (18) st.V.
v] were ?ch das die vorgenanten gebrGdre / von vrlúge oder von gevêhte / har in zvgen / v] in dem hvse wolten sin / so sol aber der vorgenante Diethelm inen ein gadem lihen v] svllen si ime den zins geben / den ime vremde lúte gêben (Corp. 2844, 177.1).51
Bei der Zuordnung des Lexems gevehte als Bildung zu (ge)vehten folge ich der Vorgabe des WMU (I: 703). Es sei jedoch an dieser Stelle bemerkt, dass es sich bei einigen Belegen ebenso gut um eine -ede-Bildung zum Adj. gevêch ›feindlich,feindeselig‹ (Lexer I: 958) handeln könnte.52 Auf die Vermischung von gevehte und gevêhede weist auch das DWB (4: 2134f.) hin. gewerf, gewerb[e]2 m. (›Tätigkeit, Handeln, Tun; Abmachung;‹): ← gewerben (3), werben (161) st.V. Vnd swie ich nach getriwem gewerbe · daz nicht vol fNerin mag · so danne ze aller heiligen dvlt wirt· wil der probist v] daz Capitil von disem gesheffede vnd dem k?fe mich lidig lân · so sol ih mich dar nach ze dem zwelftin tage · vnd min hein her Heinrich von Sh=ninwert· vnd her ChNnrat welle · vnd her Heinrich in dem Hove · dem Probist vnd dem Capitil· gisel ligen (Corp. 32, 62.12).
Die Mehrzahl der Belege des Lexems gewerf, gewerb[e] liegt als Objektbezeichnungen im Korpus vor (vgl. gewerf, gewerb[e]1). Die verbleibenden abstrakten Belege sind zumeist in funktionsverbgefügeähnlichen Konstruktionen mit geschehen belegt. gülte12° (›Bezahlung, Begleichung e. Schuld‹): ← gelten (1135) st.V. …so sal he diese schadin beide samen Geldin na des greuin vordin uan din berge inde ze wat ziedin he setze die Gulde (Corp. 21A, 33.19; vgl. 21B: ›ad terminum quem ipse comes de Monte duxerit statuendum‹).
_____________ 50 51 52
Vgl. Kluge (1925: §16), der den Ursprung dieses Typs der Verbalabstrakta ins Mhd. legt (»in mhd. zeit beginnend«). Dieser Beleg ist auch im DRW (III: 1419f.) unter ›Gefecht‹ gebucht. Morphologisch steht dieser Annahme nichts im Wege, denn die im Alem. nachweisbaren Belege des Lexems urvêhede treten wie das ausschließlich alem. belegte gevehte ebenso in der Form auf.
II.1. Derivationstypen
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güsse1 (‹Überschwemmung‹): ← giezen (1) st.V. Man shol avch den selben cins / alle jar / an alle árrvng / an sant Michels tag / oder vor / dem geben / der des probst amman ist in der Rádmarich / swa man den selben tag savmt / an êhaft not / daz ist gvsse / oder offens Mrlevg / so ist man dem probst shvldig des nechsten tags / dreizk phenning ze wandil · (Corp. 2716, 95.32)
habe2: ← haben (ca. 25000) sw.V. Das man hoher herren gesezte die wirdig sint ze gedenkinne von des cites lengi iht vergesse so haint die wisen erdaht daz man si mit scriftlicher habe vnuergeslig mache / da von so kúndin wir beschaidenliche an dis briefes habe in ganzen truwen das wir Pnseren lieben burgerren von wintert~ gesezzet v] gegeben hant sunderliche von Pnseren genaden / disú reht dú hie nach gesriben stant… (Corp. 2596, 20.10).
Nur der erste Beleg des Lexems habe in der zitierten Textstelle ist als Abstraktum i.S.v. ›Festhalten‹ zu werten. Er bleibt für das Lexem auch der einzige. Die anderen Belege bezeichnen entweder den konkreten Inhalt eines brieves wie schon im zweiten Beleg der Textstelle53 oder des Weiteren die Habe im heutigen Verständnis als ›Besitz‹. heimsuoche (›Hausfriedensbruch‹): ← heimsuochen (14) sw.V. Wir hain och ze reht vmb die hainsGchi swer der ist der den andern freuenlich haime sGchet inrunt drin fussen vor siner túr sines huses der het verschuldet enhainsGchi / v] sol die bFssen mit drin pfunden dem cleger v] Pnserm herren och mit drin pfunden (Corp. 2596, 22.22f.).
heiz[e]2 f./m./n. (›Anraten, Befehl‹): ← heizen (1175) st.V. Do chauft ich gNt von mines herren haizze / wider hern ortlieb von walde daz ist bezzer dann fivnzich march… (Corp. 898, 257.16).
helfe° (›Hilfe‹): ← helfen (480) st.V …v] svln wir d) anderm tail / daz gehorsam ist / mit vnser hilfe beid gæntzlich zN gesten vnd geholfen sin… (Corp. 1966, 223.6).
herberge2 (›Beherbergung, Herbergspflicht‹): ← herbergen (19) sw.V. Jst aber daz der den d?htslag hat getan der pênin inpflúhet vnde ingât so ist er schuldig daz er hat an daz riche geraten / mit allen den die in mit herberge / oder mit wielicher geselleschaft inpfahint (Corp. 1653, 779.12). …daz wir i(richclihen / vnd alle iar · da von niht nemen svlen zevogtreht oder durich chain aufsatz / weder fMter oder herwerig · oder stewer · oder nahtseld (Corp. 2320, 438.23).
Die Auswertung der Belege des Lexems herberge gestaltet sich schwieriger als erwartet, da das Lexem neben der konkreten Bezeichnung für eine Herberge oder Unterkunft (vgl. herberge1) auch als Abstraktum zum eigent_____________ 53
Man vergleiche hierzu häufig vorkommende verbale Wendungen wie ›an disen dingen, also der prief hât‹ oder ›als ir brieve habent vnde bescheident‹.
II.1.2. -e
65
lich desubstantivisch gebildeten Verb herbergen54 aufgefasst werden kann. Dem Lexem kommt neben der Bezeichnung des Vorgangs des Beherbergens auch die Benennung des Rechts auf Herberge oder des Rechts, beherbergt zu werden, zu.55 Mitunter scheint in diesem Fall die hier abstrakt gewertete Bezeichnungsfunktion aus metonymischer Übertragung des Konkretums entstanden. Da jedoch jeder der betreffenden Belege verbal motivierbar ist56, gehe ich auch von einem deverbalen Abstraktum aus. Die Klassifizierung der Einzelbelege gestaltet sich, wie anhand der obigen Textbeispielen ersichtlich wird, bisweilen schwierig. huote (›Hut, Schutz; Bewachung‹): ← hüeten (47) sw.V. Daz wir Otte der Schultheize / v] der gesworn Rât von vilingen / mit gemeinem Râte / dur nuz v] dur h?te vnser Steitte / ein Ergeir Hiezen Machen / vnde sezzen uf der steitte mure…(Corp. 911, 269.24).
Das Lexem huote ist etymologisch eine Rückbildung zum schwachen Verb hüeten.57 kerze(n)wîhe (›Kerzenweihe (Mariä Lichtmess)‹): ← wîhen (7) sw.V. …vnde gescha diz ze Lindowe in Pnser stvbvn do von gottes gebPrte warent zewelf hundert v] ains v] NPnzec iar · andem fPnften tage vor der kerzon wihi (Corp. 1362, 585.40). Vnde mit deme dritten deile sal man den vorgenanten vrowen ouch daz selbe dGn Ahte dage vor vnser Vrowen dage alse man kherzen wihet / an des Heiligen dage der da heizet sente Polikarpus (Corp. 319, 306.16).
Wie das zweite Textbeispiel zeigt, kann das Lexem kerze(n)wîhe als Zusammenbildung analysiert werden. Es kann sich jedoch ebenso um ein Determinativkompositum handeln. klage1° (›Klage, Klageerhebung; Beschwerde‹): ← klagen (306) sw.V. …noch ensol iener / der den zins versessen hât / niemir enhain ansprache / noch klage / an gaistlichem gerihte / noch an Weltlichem / dar nach habin (Corp. 528, 460.30).
Mit dem Abstraktum klage ist ausgesprochen häufig ein gerichtliches Klagerecht bezeichnet (vgl. Textbeispiel). In einigen Fällen kann in den Kontexten klage den Klageinhalt (›das, was jmd. klagt‹) bezeichnen. Diese Belege wurden klage2 zugeordnet. lâge (›Wegelagerei‹): ← lâgen ›nachstellen, auflauern‹ sw.V. (Lexer I: 1814) _____________ 54 55 56
57
Vgl. Duden Etym. (1963: 262). Vgl. Lexer (I: 1252). Man vergleiche hierzu auch das vom WMU (I: 829) als Konversion lemmatisierte herbergen ›Beherbergung, Einquartierung‹ st.N. Doch ist auch dieser Lemmaansatz aufgrund der Belege problematisch, denn es könnte sich auch um schwache Feminina handeln bzw. umgekehrt könnten die wenigen schwachen Feminina auch neutrale Belege sein (a.a.O.: 828f.). Vgl. Kluge (1999: 390).
II.1. Derivationstypen
66
lage v] daz man vrouwen notet · v] heimsGche richtet die bGrchgraue v] anderes nieman (Corp. 0051, 81.3).
lâge, ursprünglich eine Intensivbildung zu liegen58, die insbesondere ›das Liegen im Hinterhalt‹ bezeichnete (Paul WB 1992: 502), kann synchron über das vermutlich desubstantivisch gebildete Verb lâgen59 (ahd. lâgên, lagôn) motiviert werden. Zwischen Substantiv und Verb besteht synchron ein reversibles Ableitungsverhältnis. lâze (›Aderlass‹): ← lâzen (1235) st.V. ain vierdaál der selben gGlt · sol man iemer me ze wilar den suestern geben · die von trÖnch · ald von laássin · ald von ander licher cranhaith ir reuendar nith gehalten múgen / (Corp. 1624, 758.21).
lem[/e] (›Lähmung, Lahmheit‹): ← lemen (2) sw.V. Swie ainer den ander Yndet an Lem / der sol dem Rihtær ein phvnt geben / Lemt er in / so sol er dem Rihtær fvmf phvnt (Corp. 3452, 540.36).
Die meisten Belege des Lexems lem[/e] erweisen sich korpusintern als Handlungsabstrakta zum Verb lemen.60 In einigen Fällen kann sich der Bezeichnungsbereich auf den Zustand des Gelähmt-Seins ausdehnen.61 Hier besteht die Möglichkeit, die Bildung ferner auf das korpusintern nicht belegte Adjektiv lam zu beziehen. Korpusintern konkurriert lem[/e] mit der -ede-Bildung lemede und dem nd. lemesle. meine1 (›Absicht‹): ← meinen (8) sw.V. Swer zPrich dekeinen métte sPdet · den er verk?ft / sament / ald in schenket · ze deme zapfen · ald in von der stat / sendet alder fMrent · in dien meinon · daz man in verk?ffe · Dc der ist / dien vorgnanden · Dietelon · zwei pfvnden schuldig (Corp. 2149, 332.10).
Trotz des Pluralbelegs analysiere ich meine in der zitierten Textstelle als Abstraktum. Wie der Kontext zeigt, bezieht sich das Lexem nur auf den Verkauf von Met. Vermutlich ist hier der Plural eher aus stilistischen Gründen gewählt, eine grammatische Begründung hat er m.E. nicht. Gemäß meinem Vorgehen bei Konstruktionen mit folgendem dass-Satz (vgl. I.2.3.) entscheide ich mich also auch in diesem Fall für eine abstrakte Lesart der Bildung. Anstatt der -e-Bildung könnte an der gleichen Stelle im Text ohne ersichtlichen Bedeutungsunterschied eine Konstruktion mit _____________ 58 59 60 61
Vgl. DWB (12: 61). Vgl. DRW (VIII: 284f., s.v. lagen), Lexer (I: 1814). Die -ede-Bildung lemede zeigt urkundeninterne Motivation über das mit lemen bedeutungsgleiche präfigierte Verb belemen (4). Noch heute kann im Schweizerdeutschen »Lähmi Lähmung oder Lahmheit bedeuten« (Henzen 1965: 173). Die Bezugsmöglichkeit auf Verb und Adjektiv erklärt sich neben der »Vermischung der […] zugrunde liegenden Vorstellungsweisen« (a.a.O.: 172) (Vorgang oder Zustand) aus morphologischer Sicht auch durch den lautlichen Zusammenfall ehemals deverbaler -ni- und deadjektivischer - ī(n)-Abstrakta (ebda.).
II.1.2. -e
67
dem Partizip Präsens (›meinend/beabsichtigend, dass…‹) stehen. Bei einem weiteren Beleg des Lexems habe ich mich für eine Interpretation als Objektbezeichnung entschieden (vgl. meine2). missehelle, missehulle* (›Misshelligkeit, Streit‹): ← missehellen (29) st.V. Wir brGder HenR von gottes gnaden Byschof ce Basil / vnd wir Graue Thyebald von Phirtte tGn kunt aller menlichem / dc wir vmbe die mizhelle vnd die vordrunge die wir gegen ein ander hatten liepliche vnd gFteliche versliht sin… (Corp. 466, 402.41).
Etymologisch handelt es sich bei der Bildung missehelle um ein deadjektivisches Abstraktum (vgl. ahd. missehelli), das Verb missehellen ist vermutlich erst im Mhd. belegt62 (vgl. aber ahd. hellan). Mhd.-synchron kann das Lexem missehelle semantisch durch das Adjektiv und das Verb motiviert sein. Als Folge dessen gestaltet sich die eindeutige Zuweisung des Derivats zu einem Bildungstyps jedoch problematisch. Das Adjektiv liegt korpusintern ausschließlich alem. in der Form missehelle (vgl. WMU II: 1237f., acht Belege) vor, synchron wäre das Substantiv daher als Nullableitung zu werten.63 Bei verbalem Bezug ist eine Klassifizierung als -e-Derivat möglich. Aufgrund der höheren Belegzahlen des Verbs und der fünf abgelauteten Formen des Lexems missehulle*, die den verbalen Bezug deutlicher hervortreten lassen, habe ich mich für die Klassifizierung auch von missehelle als deverbales -e-Derivat entschieden. Die sehr formalistisch ausgerichtete Darstellung der Bildungstypen in dieser Arbeit macht eine eindeutige Zuweisung nötig, die in einigen Fällen nicht exakt die tatsächlichen sprachlichen Gegebenheiten in ihrer Komplexität abzubilden vermögen. müej(e) (›Mühe, Beeinträchtigung; Bemühung‹): ← müejen (11) sw.V. Daz wár der wGr Vnd auch des wGrslages / gewer vnd scherm wellen sein · Mit vnser selber chostte Vnd mit vnser mF / gegen allen den die da engegen ihttesicht zesprechen habent (Corp. 1156, 433.9).
Die Abstraktbildung zum Verb müejen64 liegt fünfmal in der Bedeutung ›Beeinträchtigung‹ vor, davon viermal in der Präpositionalphrase âne müeje. Zweimal liegt dem Lexem statt transitivem der reflexive Gebrauch des Verbs zugrunde (vgl. Textbeispiel). In dieser Verwendung ist es nur bei Lexer (I: 2213) belegt. nâme (›Raub‹): ← nemen (2000) st.V. Vnser Neve / eruarn V] besagen die brúche / die do geschehen sint / Von nâmen oder Von anderem dinge… (Corp. 986, 321.37).
_____________ 62 63 64
Vgl. DWB (12: 2298). Vgl. aber Lexer (I: 1265), der das Adjektiv in der Form missehel lemmatisiert, aber im Artikel auch eine Form missehelle führt. Andererseits deutet auch das Lexem missehel st.(sw).M., vmtl. ein Konversionsprodukt (vgl. vrevel), auf ein dreisilbiges Adjektiv hin. Laut dem DWB (12: 2626) ist Mühe vorzugsweise im Hochdeutschen belegt.
II.1. Derivationstypen
68
Die Bildung nâme hat in ihrem Verwendungsbereich eine semantische Einschränkung auf das ›unrechtmäßige Nehmen‹ erfahren. nôtzoge (›gewalttätige Behandlung, Gewalttat‹): ← nôtzogen (1) sw.V. Were euer dat eynichme vnschuldichme manne zG den ziden einicherhande schade gescheige / Doitslag / offende / wGnde / noytzoige / oue des gelich… (Corp. 3470, 556.16).
Mhd.-synchron besteht ein reversibles Ableitungsverhältnis zwischen dem fem. Substantiv nôtzoge und dem Verb nôtzogen, welches korpusintern zwar nur in der Bedeutung ›vergewaltigen‹, bei Lexer (I: 115) aber noch in der Motivationsbedeutung ›gewalttätig behandeln‹ belegt ist. Korpusintern konkurriert das st.M. nôtzoc, das vermutlich ebenso wie notzuht (← notzüchten)65 etymologisch als Rückbildung zum schwachen Basisverb zu bewerten ist. pên[e]2 (›Strafe, Bestrafung, Buße‹): ← pînen sw.V. (Lexer II: 272) …wande nieman sich sines gefFres [Nutzen, Vorteil, UR] weern sol / dar vmg sû keine pene vûruallen s=llent sin / vsgenommen die / die es tGnt / obe pene von der Herschaft dar ûber gesetzet wûrde (Corp. 1047, 361.16f.).
Neben rein morphologischen Kriterien bereitet auch die semantische Analyse von pêne Schwierigkeiten, die eigentlich immer im Zusammenhang mit Lexemen aus dem Bezeichnungsbereich ›Strafe, Buße‹ auftreten. Im Einzelfall gestaltet sich die Entscheidung, ob es sich um eine abstrakte Bildung eventuell mit modaler Nebenbedeutung (Art und Weise) oder um eine instrumentative Verwendungsweise (›das, womit jmd. büßt, man ihn bestraft‹) des Lexems handelt, außerordentlich schwierig. Aus morphologischer Sicht besteht die Problematik, beurteilen zu müssen, ob das mlat. Lehnwort (< mlat. pēna < lat. poena)66 in seiner Lautform anders als das nur zweimal belegte pîne über das nur korpusextern, aber seit dem Ahd. belegte Verb pînen motivierbar ist. Aufgrund der vergleichbaren Verwendung von pêne und pîne und dem wohl für den mhd. Sprecher offensichtlichen Zusammenhang zwischen beiden Substantiven und dadurch auch mit dem Verb habe ich mich dafür entschieden, pêne als unter dem Aspekt der semantischen Attraktion synchron motivierte Bildung (vgl. Seebold 1981: 224) zu behandeln. Das Motivationsverhältnis zwischen dem Substantiv und dem Verb ist dabei als reversibel zu bewerten. Die zwei Belege des Lexems pîne, das ich als allomorphische Variante zu pêne ansehe, sind als Instrumentativbelege klassifiziert (vgl. pêne1). phlege1 (›Pflegeamt‹): ← phlegen (96) st.sw.V. _____________ 65 66
Vgl. Kluge (1999: 592), Paul WB (1992: 620). Das mlat. pēna ist zweimal ins Deutsche entlehnt worden. Die in alter Zeit entlehnten Bildungen verändern sich lautlich dahingehend, dass das ē im altdeutschen (vgl. auch vîre, krîde, Rîn) zu î wird (vgl. Weinhold 1883: § 97). »Auf einer späteren Entlehnung aus lat.mlat. poena beruht mhd. pēne […]« (Duden Etym. 1963: 499).
II.1.2. -e
69
a) Er hat auch vns / vnd vnseren Goteshaus gesworn / daz er der Heuser / vnd der Stat / ze Petowe / getreulich phleg! Also doch daz er von der selben phlege / in der Stat / niht anderes noch mer Rehtes hab noch verieh / wan als vil / als im / Bischolfs fRideriches Hantueste / hat benennet (Corp. 0854A, 204.30). b) Daz manger hande chriege v] chlage waren / zwischen vnsers lieben herren des Edlen v] des Obrosten ChMnick Rudolfes des R=mschen ChMniges liFten / die ovf dem lande v] in den steten in vnserre phlege waren (Corp. 1131, 417.38).
Die Problematik, die patientive Verwendung des Lexems phlege von einer eventuell abstrakten zu unterscheiden, deutet sich schon durch die nicht weiter differenzierten Bedeutungsangaben im WMU (II: 1391) ›Pflegamt, Vogtei, Verwaltungsbezirk‹ an. Mit der Bedeutung ›Pflegeamt‹ scheint bisweilen keine konkrete Vorstellung, sondern das phlegen i.S.v. ›Verwalten‹ eines Bezirkes, Gutes etc. und die damit verbundene Stellung gemeint zu sein. Wie das Textbeispiel b) zeigt, ist der Interpretationspielraum jedoch groß. Zwei der insgesamt sieben aufgenommenen Belege werden (in einem Fall vorbehaltlich) als Patientiva (vgl. phlege2) klassifiziert. Für die verbleibenden fünf Belege halte ich die Lesart als Abstrakta für plausibler. râche (›Strafe‹): ← rechen (34) st.V. a) …seit rehter gewalt von alten ziten ze rache der begangenne iNdischen sNnden den selben ivden ewigen dienst hat auf gesetzet (Corp. 2345, 453.4). b) Kvniclicher hohte betrachtvnge v] fursihtikeit/ …div sol billiche betrahtent v] fursehen daz si des getruwen soliche reht mache v] gebe da von die gNten v] die vnschuldigen lvte infridelicheme gemache bliben v] vf die vbeln v] die schadeberc sint solhe rache v] gerihte valle alse ir missetat verschuldet (Corp. 372, 344.38).
Während der erste Beleg a) des Lexems râche sich eindeutig als Abstraktum erweist, könnte der zweite Beleg b) gegebenenfalls auch als Instrumentativum interpretiert werden. Ich ziehe an dieser Stelle jedoch nicht zuletzt aufgrund des ebenfalls als Abstraktum zu interpretierenden geriht[e] hier die Klassifizierung als ein Abstraktum der Art und Weise vor (›Art und Weise, wie man jmdn. bestraft‹). rede2° (›Rede, mündl. Äußerung‹): ← reden (110) sw.V. Welre in der stat wônet/ v] einen burger zN rede setzit vor welme rihter vssewendig des vmbegriffis der selbin stat / der sol in ovch ledig machen von dem selbin rihter / v] sol gebin sime gesattin Rihter driv phunt (Corp. 1653, 778.36).
reise1 (›Zug, Kriegszug‹): ← reisen (›zu e. Kriegszug ausziehen etc.‹) (6) sw.V.
so sollen wir / etewen / vnsern heimlicher / zG in senden / der in vFrlege / vnsern willen / vnd war [wohin, UR] / die Reise ge / (Corp. 2785A, 136.29).
rihte22 n.: ← rihten (715) sw.V. Swer den andern insinem huse dar er inne sezhaft ist frevelichen sNchet swaz im der da inne tvt da sol dekein rihte nach gan (Corp. 372, 345.31).
II.1. Derivationstypen
70
In insgesamt drei Fällen analysiere ich das Lexem rihte2 als Abstraktum. Wie im obigen Beispiel bezeichnet das Lexem ›das Richten, die Gerichtsverhandlung‹. riuwe (›Reue, Bedauern‹): ← riuwen (3) sw.V. Wir RGdolf von Gottes gnaden der alte Margraue von Baden / kúnden bettelichen vnde mit r§we / Vnsern Sûnen…daz wir mit rehter erkantnûste vnsers herzen/ widerlázen / vnde / wider han gelan / allez daz ligende gNt / daz wir mit vnrehte hatton besessen (Corp. 1053, 364.23).
Das Substantiv riuwe kann mhd.-synchron mit dem Verb riuwen in ein reversibles Ableitungsverhältnis gebracht werden, wenn sich auch beide Wörter aus etymologischer Sicht nebeneinander entwickelt haben.67 sage2 (›Rede, Bericht, Aussage‹): ← sagen (535) sw.V. …daz wir han hervarn an den rithern der sint sibene z§ seldingen / daz das g§t di wingarten / dar vmbe di vorgenante fr?we von Nidelingen hat geclaget vor gerihte / ist cinsthaft / v] hat gecinset iar v] dac v] mê / den herren von alben / wir frageten ?ch ein vngeswornen man von seldingen / derz sprach / er hete wol gehoret von dem cinse sage / ern sehes aber niht daz man gelt / (Corp. 952, 302.27).
schide* (›Entscheidung, Schiedsspruch‹): ← scheiden (380) st.V. An dirre schiden was / Abbet Meinwart von Thennebach / V] brGder Meinwart (Corp. 1980, 238.1).
seige (›Niedersinken, Fall‹): ← sîgen (›sich senken, niderfallen, sinken‹) (Lexer II: 916f.) st.V.
Swelhes purgers svn oder sein vreGnde vngevolgich oder vngevGrich wære · vnd di purger oder ander læGte ze saige tribe / mit seiner vnzNhte · vnd des bechlaget wirt vor den purgern · den sol der rat von der stat haizzen den rihter vahen · vnd legen hintz dem Nahrihtær · vnd sol auz der vanchnGsse niht chomen an der purger willen (Corp. 2345, 31).
Hinsichtlich der Lexembedeutung des Lexems seige schließe ich mich der Deutung des WMU (II: 1547) an, das sich bewusst gegen die bei Lexer wohl für den gleichen Beleg gegebene Bedeutung ›zum Waffengebrauch, zur Abwehr nötigen‹ entscheidet.68 Träfe diese Lexembedeutung hier zu, wäre die Bildung als idiomatisiert zu werten. Letztlich bleibt die Textstelle in ihrer Deutung jedoch unsicher. sige m. (›Sieg‹): ← gesigen (1), sigen sw.V. (Lexer II: 916) Nv zieren helde / edelen rittere von Tivtscheme lande / gedenkent dc vch der sige behalten ist / v] das ir ie gesigetent den vngelobigen an / v] strittent nv vmbe das ewige erbeteil · das vch got bereit hat / (Corp. 93, 138.20).
_____________ 67 68
Vgl. Duden Etym. (1963: 576), vgl. ferner Müller (1993a: 283). Zum inhaltlichen Zusammenhang mit der Verbbedeutung vgl. DWB (16: 196).
II.1.2. -e
71
Das Verb sigen ist ursprünglich eine desubstantivische Ableitung von sige. Synchron kann jedoch ein reversibles Ableitungsverhältnis zwischen sige und dem Verb angenommen werden.69 sorge (›Sorge, Besorgnis‹): ← sorgen (›in Sorge, bekümmert sein‹) sw.V. Do chomen zv vns erber v] beschaiden liute vnser libe friwende burger von Ovspurch · v] legten vns fFr friwentlich v] beschaidenlich daz der bow dem Gotshuse ze Ovspurch / v] auch der stat schedlich wære / niht dar vmbe / daz sie vorhte gen vns heten wan daz si sorge / v] forhte heten / swan wir enweren / daz der bowe danne dem Lande schedlich wurde / v] baten vns liplich / daz wir durh ir willen den bowe ab liezzen (Corp. 668, 83.15).
Auch das Lexem sorge ist in etymologischer Hinsicht keine deverbale Bildung.70 Synchron kann das Substantiv jedoch mit dem Verb in ein motiviertes wechselseitiges Ableitungsverhältnis gebracht werden.71 sprâch(e)1 (›Gerichtsrede‹): ← sprechen (1980) st.V. Ez sol auch vnder den siben nieman an di sprach geen wan di zwen vorsprechen / den sol ez erloubet sin (Corp. 1475, 661.36).
suone° (›Sühne, Sühnevertrag, Aussöhnung, Vergleich‹): ← süenen sw.V.
Die Etymologie weist das Verb süenen als zum Substantiv suone (mhd. auch süene) gehörig aus. Die Richtung des Ableitungsverhältnisses zwischen Verb und Substantiv – wenn ein solches besteht – ist allerdings sprachhistorisch wohl nicht sicher eruierbar.72 Aus synchroner Betrachtungsweise kann suone und süenen jedoch ein wechselseitiges Motivationsverhältnis attestiert werden. In semantischer Hinsicht zeigt sich die Bildung als Handlungs- und Zustandsabstraktum. Häufig ist auch eine modale Überfärbung zu beobachten, die sich mittels der Paraphrase ›Art und Weise, wie jmd. gesühnt ist« umschreiben lässt. twâle (›Verzögerung, Säumnis‹): ← twellen, tweln, twelen sw.V. (Lexer II: 1597f.) …ane allerslahte twale (Corp. 100, 150.3).
ûfgâbe (›Aufgabe‹): ← ûfgeben (6) st.V. Jch Chunrat…tuen chunt…daz ich vnde RFdiger mein sun…Nf gegeben / vnde verzigen / han / minem herren Pischof Emchen von frisingen / in sine hant / sinem gotshuse / ze ewigem recht / an allez vnderdinge / allez daz recht / daz Perchtold von LFchsenekke / mit nutz vnde mit gewer / gehabt het…vnd han gelopt fFr mich / vnd diu selben chint / vnde erben / daz wir der vorgenanten Nfgabe/ vnde vFrziht / sin / vnde seines gotshauses gewer sein… (Corp. 1814, 130.22).
underrede (›Unterredung, Unterhandlung‹): ← underreden (1) sw.V. _____________ 69 70 71 72
Vgl. auch Gersbach/Graf (1984/85: 245). Vgl. Duden Etym. (1963: 651f.), Kluge (1999: 772). Vgl. Müller (1993a: 283). Vgl. Kluge (1999: 808), Duden Etym. (1963: 695).
II.1. Derivationstypen
72
Das der / von deime geclaget wirt noch kein sin frvnth / oder jiman von sinen weigen vffeme hofe / oder vffeme sale kein vnderreide oder irresale dvn den gezvgen (Corp. 903, 262.36).
urliuge° n. (›Krieg, Kampf, Streit‹): ← urliugen (›Krieg führen, kämpfen, streiten‹) (59) sw.V.
Geschæh ovch / daz daz Lant dehein not an gieng / also daz ein fMrst od ein ander herre dvrch vrlevg in daz Lant ze Baiern ch=m geriten… (Corp. 1944, 205.7).
Das Verb urliugen ist aus diachroner Sicht wohl eine Ableitung aus dem Substantiv urliuge. Synchron kann jedoch ein reversibler Motivationsbezug zwischen beiden Lexemen hergestellt werden. Diese Ansicht stützen m.E. die bei Lexer (II: 2009) belegte Infinitivkonversion urliugen und die -ungeBildung urliugunge. ursuoche (›gerichtl. Belangen‹): ← ersuochen (2) sw.V. Dis gelobe wir vGr vns v] vnsere erben iemer stété ze haltende v] verzihent vns aller der dinge v] der helfe geistliches v] weltliches rehtes v] aller der vrsGche gew=nlicher oder geschribenre besezzede oder rehtes, da mitte wir mohtent kommen oder getGn wider disen brief an gerihte oder ane gerihte (Corp. 0421a = N 176, 139.2).
Die beiden Belege des Lexems ursuoche deuten auf eine rechtssprachliche Verwendung des Lexems ursuoche hin. Die Bedeutungsangaben bei Lexer (II: 2013) können das Lexem in den vorliegenden Kontexten nicht angemessen beschreiben. Ich erschließe die angegebene Bedeutung aus den Einträgen des DRW (III: 291) zum Verb ersuochen.73 Die gesuchte Motivationsbedeutung ›(Gericht usw.) anrufen‹ belegt das DRW aber erst ab dem 15. Jh. urteile f./n. (›Urteil‹): ← erteilen (312) sw.V. …daz Her Basilius ein TGmherre von Goslar · kom vur gerihte vnde gerte ze ervarnde in einer gemeiner vrteile · ob er vnde die TGmherren von Goslar vor keinem gerihte solten ze rehte stan wan vor geistlichem gerihte (Corp. 1280, 526.17).
Vgl. die Bemerkungen bei urteilde1 (s.u. -ede). ûzriht(e) (›Verrichtung‹): ← ûzrihten (mind. 4?) (u.a. ‹ ausführen, vollbringen‹) sw.V. …vnd ze ewiger avzriht vnd gehFgnuss · han · ich min ynsigel · an disen brief gehenchet! (Corp. 462, 400.12).
ûzzoge (›Kriegszug‹): ← ûzzogen (1) sw.V., ûzziehen st.V. (Lexer II: 2036) Swenne man eine gemeine uszoge [248A: einin vszoge] gebûtet/ swel burger daz h=rit / v] nût usuert / dem sol man sîn hûs niderslahîn / er mûge sich denne enschuldigon mit ehaftiger nôt (Corp. 248B, 255.24).
Das Lexem ûzzoge kann morphologisch und semantisch sowohl auf das schwache Verb ûzzogen als auch das starke Verb ûzziehen, das korpusintern _____________ 73
Zur Verteilung von ur- und ir-/er- vgl. z.B. Wilmanns (1899: 566).
II.1.2. -e
73
nicht belegt ist, bezogen werden.74 Dass der Bezug auf das schwache Verb zu berücksichtigen ist, zeigt der korpusinterne Verbbeleg, der wie das Substantiv in einem militärischen Kontext verwendet ist: Sû sûllent ?ch obe die Herschaft not an got von vintschaft wegen/ helffen wachen v] vszogen alse zimmelich / v] gefFge ist / also doch / wenne die von Baden zwo nehte vor gewachent / v] usgezoges [ûzgezoc!] eine naht vs sint (Corp. 1047, 361.34).
vâr[e] (›Betrug, böse Absicht, Vorbehalt‹): ← gevâren (Lexer I: 957), vâren
(Lexer III: 21f.) sw.V. Vgl. die Bemerkungen zu gevære. Die aufgenommenen Belege des Lexems vâr[e] treten ausschließlich in der formelhaften Wendung âne/sunder vâre auf. vaste° (›Fasten, Fastenzeit‹): ← vasten (4) sw.V. a) Diser brief wart gegeben zG Luzerne an dem Dunrestage angande der vasten… (Corp. 574, 8.40) b) V] gebent vch gewalt ze twingende alle tivtsche livte / mit deme banne / beide man v] wib / die antheize [Gelübde, Versprechen, UR] hant getan an vasten / oder an swelre hande bitverte / sie entheizen hant /… (Corp. 93, 140.10).
Das Lexem vaste tritt im Korpus vorwiegend zur Bezeichnung der Fastenzeit in Datumsbezeichnungen auf (vgl. Beispiel a). In der Regel steht das Lexem in der Präpositionalphrase in der vasten. Das zweite Textzitat (b) bleibt innerhalb der 25 analysierten Belege der einzige, der das Fasten an sich bezeichnet. verwarlose* (›Unachtsamkeit‹): ← verwarlôsen (›unachtsam behandeln‹) (2) sw.V. Wirt oh der hof verbrant von siner verwarlosin, so sol er in wider bvwen mit sime kosten (Corp. 1061a = N 383, 287.14). virwarlosin aber die win schrodere einis mannis win / oder bier / oder andirs waz / daz si vf oder nider schrodin/ daz soln si selbe geldin (Corp. 1161A, 445.4).
vlige* (›Flehen‹): ← vlehen (vlegen) (1) sw.V. durih vnser vlig vnd pæt... (Corp. 1117, 33).
volge (›Unterstützung, Zustimmung, Folgeleistung; Lehnsfolge; Heeresfolge‹): ← volgen (119) sw.V.
da enzwischen nimpt ez der Rihter vnd der rat vnder die hant / vnd versNchent mit allem fleizz rehtiv frivntschaft vnde sMn / swederhalb si des niht volg vindent der git an die Stat drizeck pfvnt oder er vert vz der Stat /… (Corp. 1975A, 229.36).
_____________ 74
Das starke Fem. zoge kommt laut Lexer (III: 1145) nicht frei vor (»in ge-, nôt-, ûzzoge»).
II.1. Derivationstypen
74
vorhte (›Furcht, Angst, Besorgnis‹): ← vürhten (vurhten, vörhten, vorhten) (10) sw.V.
Swer §zsewendig dirre stat het missetan v] von der vorhte siner schulde fluht hat herin zN dirre stat, der sol sicher hîe inne bliben vnd ensol in nieman freueliche anegrifen; (Corp. 0610a = N 238A, 179.24).
Etymologisch gehen das Substantiv und das Verb auf ein ausgestorbenes Adjektiv ahd. foraht, forht zurück.75 Synchron besteht zwischen vorhte und vürhten ein reversibles Ableitungsverhältnis. Das Verb zeigt in seinem Stammvokal im Mhd. vorwiegend ungebrochenes, später umgelautetes u.76 vrâge1 (›Frage‹): ← vrâgen sw.V. …so sollent die andern vorgenanten zwo stette / ane vrage vurbas / der selben stat helfen / vlissekliche vnde vestekliche / ane geuerde… (Corp. 1788A, 87.46).
Zwischen vrâge und vrâgen besteht synchron ein wechselseitig motiviertes Ableitungsverhältnis. Das Verb ist in diachronischer Betrachtung eine Ableitung zum Substantiv.77 Zwölf von 18 abstrakt verwendeten Belegen des Lexems vrâge treten in der formelhaften Wendung mit vrâge unde mit urteil auf. Mit dieser Formel wird ein bestimmtes Prozedere in Gerichtsverhandlungen bezeichnet. Dem Urteil geht erst die »Frage an die Urteilsfinder im Gerichtsverfahren« (DRW III: 659f., s.v. Frage I.4.) vorraus. Ein Beleg erweist sich im Kontext patientiv verwendet (vgl. vrâge2). vrône (›gerichtl. Beschlagnahme‹): ← vrœnen (›entziehen, beschlagnahmen‹) (13) sw.V. Wirt ein) manne sin gGt gevronet mit rechte · daz sal iener besitzen / der iz in de vrone gebrach hat mit der vrone (Corp. 2265, 16f.).
Alle fünf aufgenommenen Belege des Lexems vrône sind textintern durch das Basisverb vrœnen motiviert. Die Semantik des Adjektivs vrôn »was den herrn (geistl. od. weltl.) betrifft, ihm gehört: heilig (gottes, Christi), herrschaftlich, öffentlich« (Lexer III: 529f.) kann m.E. nicht so eindeutig wie das Basisverb die Bildung in den vorliegenden Kontexten motivieren.78 Das Derivat kann in den Belegen als Zustandsabstraktum analysiert werden. vuog(e) (›Schicklichkeit‹): ← vüegen (›passen, sich schicken‹) (114) sw.V. Disú versazzunge v] diz verk?fen sol gegen dem gotshus von Basil v] ?ch gegen den andern, die dis gGt k?fent oder phendent, in der vGge geschehen, als biderbe lúte achtent, daz es gelimphlich si… (Corp. 0346a = N 154A, 117.4).
_____________ 75 76 77 78
Vgl. Kluge (1999: 291f.), DWB (4: 683ff. Furcht; 695ff. fürchten). Vgl. DWB (ebda.), allgemein zur Brechung vgl. PWG (1998: §34). Vgl. Duden Etym. (1963: 182). In der vorliegenden Bedeutung bezieht das DWB (4: 234) Frohnen auf das Verb: »3) gewalt des herrn, hand des herrn, publication, confiscation, beschlagnahme […].s. frohnen 2.«
II.1.2. -e
75
Auch in etymologischer Hinsicht erweist sich vuog(e) (bzw. vuoc st.M.) als deverbale Bildung.79 vuor(e) (›Transport‹): ← vüeren (239) sw.V. Dit ist von der fNre / des kornes vnd der legelin. fevret ein man ein vaz vf sime wagene/daz er fullen wolle mit Biere / mit sime korne / vnde kovffit er daz Biere / mit deme selben korne / da von en sal er niht Slegeschatzen. Jst aber me kornes dar vber · da von sal er geben Slegeschatz (Corp. 1161B, 439.8).
Wie der Beispielbeleg zeigt, ist das Derivat vuor(e) synchron durch das schwache Verb vüeren motiviert. Ursprünglich ist das »Wort […] wohl eine dehnstufige Ableitung zu fahren, steht aber mindestens semantisch auch unter dem Einfluß von führen« (Kluge 1999: 290).80 warte (›Anwartschaft‹): ← warten (71) sw.V …so schol min hof ze erkenprehtesreut ledik sin / v] svln min frauwen ze d) vor genanten closter kein ansprach noch kein wartt fvr baz dar avf haben / (Corp. 3428, 525.26).
werre m./f. (›Verwirrung, Streit‹): ← werren (14) sw.V. Daz ich vnde mine kynt · vmme alle die missehellunge vnt di werren · die zvssen mime lieben herren Greuen bertolde von hennenberg waren v] mi · berichtet sin alse hie nach gescriben stet (Corp. 3318, 461.3).
widerrede° (›Einspruchsrecht‹): ← widerreden (25) sw.V.
Das Lexem widerrede tritt ausschließlich in der Präpositionalphrase âne (alle) widerrede im Rahmen des ›Einredeverzichts‹ auf.81 Die Bildung kann gut durch das zusammengesetzte Verb widerreden motiviert werden, es ist jedoch ebenfalls denkbar, dass es sich um eine Zusammenbildung aus einer Verbalphrase wider und reden bzw. ein Kompositum handelt. widersag(e) (›Aufkündigung?‹): ← widersagen sw.V. …wan sie h(t des selben gGthes mit fircihen · v] mit vólkomer widersage · enhterpht ál ir erben · v] hat die vor genamphten goczehuser an dem dail erwelth · v] erkoren· ze rehten erben (Corp. 1624, 757.43).
Die lexikalische Bedeutung von widersag(e) ist anhand des vorliegenden Kontextes schwer zu ermitteln.82 Mit großer Sicherheit bedeutet die Bildung ›Gegenrede, Antwort; Widerspruch, Weigerung; Kriegsankündigung‹, wie bei Lexer (III: 851) angeführt. Als Motivationsbedeutung kann _____________ 79 80
81 82
Vgl. Kluge (1999: 289f. fügen; 289 Fuge1). Zwei Belege des Lexems in Urk. 67 bleiben hinsichtlich ihrer lexikalischen Bedeutung undeutlich und können nicht innerhalb der semantischen Analyse behandelt werden. Eventuell kann in der Urkunde mit vuore ein Zuggespann oder der Spanndienst (vgl. DRW III: 1044f., s.v. Fuhre1) bezeichnet sein. Vgl. DWB (30: 1147f., s.v. 4a). Die Regesten (S. 346) umschreiben die zitierte Textstelle folgendermaßen: »Sie hat alle ihre Erben in aller Form davon enterbt und die beiden Gotteshäuser zu rechten Erben eingesetzt.«
II.1. Derivationstypen
76
hingegen ›aufkündigen, absprechen, abschlagen‹ herangezogen werden, die für das Verb widersagen belegt ist (Lexer ebda.). Im Rahmen einer Enterbung bzw. Aufgabe von Erbrecht erscheint die Lexembedeutung ›Aufkündigung‹ durchaus plausibel. widersprâche (›Einspruchsrecht‹): ← widersprechen (14) st.V. Bis auf den zitierten Beleg erscheint widersprâche ausschließlich in der Präpositionalphrase âne/sunder (alle) widersprâche im Rahmen des ›Einredeverzichts‹. Hinsichtlich der Bildungsweise gilt das bzgl. widerrede Gesagte. Das Lexem konkurriert im Korpus mit den jeweils einmal belegten Bildungen widersprechunge und widersprechen st.N. wille1° m.: ← wollen (3075) an.V. 170 der 195 analysierten Belege des usuellen Lexems wille sind kontextuell als Abstraktbildungen zu analysieren. Häufig ist mit ihnen eine kausale Nebenbedeutung (›weil jmd. etw. will‹) verbunden. Im Fall von 25 Belegen scheint stärker der Inhalt des Wollens, das Gewollte betont zu sein. Sie werden der Patientivbildung wille2 zugerechnet. wisse* (›Wissen, Genehmigung‹): ← wizzen (762) an.V. Dise fiêre mit vnsere wisse/ rate / v] gehelle / hesent uf den eth / dc su alle die man telent / die ir vettere mit en ander nith getelet hant / des su bedesite briue habent (Corp. 89, 131.17).
wunde2 (›Verwundung‹): ← wunden (107) sw.V. Wirt îeman wunt oder erslagen, swie der wunde oder sine frivnd der vmbe gins vatter, brGder, sPne oder vettern oder duhein siner mage ieman anders, der vnschuldig ist, vmbe die getat ánl>fet vnd ein vnschuldigen man wundet, vmbe soliche wunde sol er v] sine helfer vunf iar §zse sin eine mile von der stat,… (Corp. 0610a = N 238A, 183.3). Swer auch vnder in beschuldiget wirt / von einer inziht / vmb æinen Totslach vmb wGnten / oder vmb swelherlai sache ez ist / (Corp. 2383, 478.12).
Das Lexem wunde bereitet bei der Analyse unerwartet große Schwierigkeiten. Eine Vielzahl korpusinterner Belege deutet m.E. eindeutig auf eine Verwendung als Handlungsabstraktum mit Bezug auf das Verb wunden hin (vgl. Textzitat), während das Lexem im Allgemeinen jedoch ausschließlich als deadjektivische Bildung anzusehen ist.83 Ein auffälliger Befund ist jedoch, dass im Mhd. neben einem bei Lexer gebuchten verwundunge (nur ein Beleg in der Nürnberger Polizeiordnung) und wundât (2 Korpusbelege) keine weiteren Nomina actionis i.S.v. ›Verwundung‹ bezeugt sind. Gerade in den vorliegenden rechtssprachlichen Urkundentexten (Stadtrechte, Urteilssprüche etc.) kann jedoch davon ausgegegangen werden, dass neben der Benennung einer wunden Stelle auch der Vorgang der Verwundung nominal ausgedrückt werden musste. Ich nehme daher für einige _____________ 83
Vgl. Brendel et al. (1997: 177), Döring/Eichler (1996: 116, 119, 132f. u.ö.).
II.1.2. -e
77
Lexeme deverbale Motivation an. Problematisch bleibt natürlich die genaue semantische Bestimmung der Einzelbelege, nicht zuletzt da aufgrund des auch schwach flektierenden Lexems Pluralbelege meist kaum von schwachen Formen unterschieden werden können, was jedoch für die Analyse von großer Wichtigkeit ist. Schwierig bleibt auch zu beurteilen, inwiefern wunde in der Rechtssprache einen Terminus technicus für den Straftatbestand der Verwundung darstellt. Der vermeintlich beobachtbare aktionale Aspekt der Bildung in einigen Belegen wäre dann nicht als Wortbildungsvorgang zu erklären, sondern als fachsprachliche Verwendung des Konkretums. zuohelle* (›Zustimmung?‹): ← zuohellen st.V. (Lexer TWB Nachtr: 501) Da von wellen wir mit gemein) mNte, zGhelle vnd wolgevallvnge vnd setzent vesteclich ze haltenne:… (Corp. 0090a = N 77, 55.28).
Als Basis der Bildung zuohelle kann entweder das Verb zuohellen oder eine nicht nachweisbare Verbalphrase zuo etw. hellen angenommen werden. Das Gleiche trifft auf die nur bei Lexer (III: 1192) belegte -unge-Bildung zuohellunge zu. B. Patientiva (BV-e2): ›das, was jmd. BV/BV wird‹ Lexem ansprâch[e]2° antwürte2 bescheide2 bete2° brâche erbe2° gâbe2° gebe gebet(e)2 gedinge2° geheiz[e]2 gelübe1 geriute gesetze gestifte° geswend/e gevelle gewerb[e]1 grabe° gruobe gült[e]11° habe1 heiz[e]1 klage2°
Belege
alem
bair
14 (205°) 4 1 15 (311°) 1 47 (779°) 1 (6°) 1 2 36 (298°) 6 35 27 3 45 (146°) 5 2 21 42 (151°) 17 48 (582°) 15 8 17 (72°)
4 2 9 1 24 27 3 2 17 1 4 36 9 18 3 2 7
4 1 3 4 1 1 2 1 2 33 9 5 17 5 8 22 7 3 4
alemwmd IR1 Kg ofrk IR2 IR3 omd nd schw 3 2 1 1 1 1 2 3 4 8 1 3 - 4 2 2 1 1 2 45 2 1 2 4 2 3 2 1 2 1 1 1 2 1 -
II.1. Derivationstypen
78 Lexem kost[e]1° lade lêre mære meine phlege2 rede1° rihte1 riute (f.2+n.5) sage1 satze*/setze smîde spende sprâch(e)2 treibe* vrâge2 wille2° Gesamt
Belege
alem
bair
39 (221°) 1 2 2 1 2 22 (401°) 1 7 16 3 1 2 1 1 1 25 (382°) 540 (3743°)
16 1 2 1 1 5 4 4 2 1 16
12 1 7 1 3 11 2 1 7
222
177
alemwmd IR1 Kg ofrk IR2 IR3 omd nd schw 1 6 1 1 1 1 1 1 3 3 4 1 1 1 1 1 1 20
74
8
11
13
3
3
7
2
ansprâch[e]2° (›Beanspruchtes‹): ← anesprechen (346) st.V. Swaz ovch wir Graf Hartman von Habspurch/ ansprach haben / an Gvt - oder an Lovt / oder an Recht · oder vmb dehainer slacħt ding/ gen dem Hertzogen Albrechten van Osterrich / oder gen sin Bruder seligen svn / Johannes/ der ansprach / svlen wir si gerubet lan · vnd svlen si nicht haben gen im / van Sand Bartholomevs tag / di nehsten zwai iar - vnd werden wir in den selben zwain iaren vmb di selben ansprach nicht verrichtet mit ein ander / so mvgen wir di ansprach haben gen in / vnd svlen si vns danne recht tvn / an den Steten / da si ez vns zerecht tvn svlen· Daz selbe svlen wir ovch / dem Hertzogen vnd sines Bruder svn hin wider tvn · Swaz ovch wir Bischolf Rvdolf van vnser selbes wegen / oder van vnsers goteshvses wegen den Hertzogen van Osterrich / oder sines Bruder svn · an zesprechen haben / oder si vns her wider / oder vnser goteshavs / da svlen wir baidenthalben einander vnverzogen reht tvn (Corp. 1613, 746.45 – 747.9).
Die zitierte Textstelle zeigt exemplarisch, wie schwierig die Beurteilung konkret-patientiver und abstrakter Verwendung des Lexems ansprâch[e] im Einzelfall sein kann. Während sich die ersten beiden Belege des Lexems im Kontext noch eindeutig als Abstrakta (vgl. ansprâch[e]1) erweisen (vgl. die parallel verwendete verbale Wendung am Ende des Zitats), ist der folgende dritte Beleg mit ›das, was jmd. beansprucht‹ zu umschreiben. Er bezieht sich auf das/die beanspruchte/n Objekt/e. Der folgende vierte Beleg hingegen zeigt m.E. schon wieder abstrakte Verwendung (›Anspruchsrecht‹). Ob im Einzelfall das geforderte Objekt oder das Anspruchsrecht einer Person, das an ein Objekt gebunden ist, im Kontext gemeint ist, ist häufig äußerst schwierig zu beurteilen. Auch Relativsatz-
II.1.2. -e
79
konstruktionen oder Pluralformen des Lexems können oft nur bedingt zur Disambiguierung schwieriger Textstellen und zur Objektivierung der Analyse beitragen. antwürte2 (›Antwort‹): ← antwürten84 (720) sw.V. Des antwrt frowe Gedrvt div Limpacherin mit fMrsprechen / daz sælb aigen het ir / ir wirt der vorgenant geben mit andrem sinem gNt / da er ez wol getGn mohte…/ Div chlage v] ovch div antwrt dauht die Ratgeben baidenthalben starck genNck v] habent ez dar zv braht mit gMten / daz dáv sælbe sache von baiden tailen willichlich gelazzen wart an hern Hain den schongawer / vnd hern Herborten vor sant Mauricen / (Corp. 3133, 347.35).
bescheide2 (›Entscheidung‹): ← bescheiden (192) st.V. Vnd darvm hat mir geben der probst vnd dy samnung des vorgenanten gotshaus von ir beschaiden ir siechhaus, do ich pawet mein haus dacz Haihenpach… (Corp. 0227b = N 123A, 90.14).
bete2° (›Abgabe; Bitte‹): ← biten/bitten (510) st.V. NP han wir kunig Adolf an gesehin die lútther drúwe vnde die inner liebe / die die vorgenanten burger von Hagenowe zN Romischen Riche von alter her hant gehabet / Vnde habe wir ir bette irh?ret / vnde hant geheissen in abeSriben die vor genante hantfestin in thPtzsche / vnde habe wir si in ernúwet in thútzsche (Corp. 1653. 740.38).
Gelegentlich lässt die Verwendung des vorwiegend als Abstraktum vorliegenden Lexems bete eine Betonung des Inhalts einer Bitte erkennen. Diese Belege werte ich als Patientiva. Die Hauptzahl der konkret verwendeten bete-Belege hingegen tritt zur Bezeichnung einer erbetenen oder freiwillig geleisteten Abgabe auf.85 In dieser Bedeutung zeigt das Lexem sicherlich starke Lexikalisierungstendenzen. Dass für den Sprecher synchron der Zusammenhang mit dem Basisverb nicht verloren war, zeigt jedoch ein Beleg im DRW (I: 1336, s.v. Bede I.1.b.) von 1349: bede, die wy bidden edder beden mogen. brâche (›Brache, Brachland‹): ← brechen (›umbrechen, umpflügen‹) (660) st.V. Daz vihe so ez gnNc gizzet vf den maten so sol erz vz triben an die brache vmbe daz, vindet ez dekein man an siner maten ligende, darvmbe sol ime der meier bezzern drizic schillinge (Corp. 3598b = N 815, 582.8).
Ob zwischen brâche und brechen ein etymologischer Zusammenhang besteht, ist nicht mit vollständiger Sicherheit zu sagen.86 Synchron lässt sich _____________ 84 85 86
Vgl. ferner auch die vom WMU getrennt lemmatisierten Verbvarianten antwarten (7), antwerten (73), antworten (27). Vgl. DRW (I: 1336, s.v. Bede I.1.). Lt. Kluge (1999: 129) ist ein Anschluss an »g. *brek-a- ›brechen‹, der semantisch zur Not glaubhaft gemacht werden könnte, nicht ratsam.« Anders beurteilen etwa Paul (1920b: 79) und Duden Etym. (1963: 79) das Lexem, die es beide als zu brechen gebildet auffassen.
II.1. Derivationstypen
80
jedoch morphologisch und semantisch ein Bezug zwischen beiden herstellen. Inwiefern dieser jedoch von einem Sprecher des Mhd. in höherem Grade empfunden wurde als von einem Sprecher des Nhd., bleibt spekulativ. Das Adjektiv brach, das im Nhd. als Motivationsbasis des Substantivs herangezogen werden kann87, entsteht erst im 17. Jh. aus der mhd. Wendung in brâche ligen.88 erbe2° n. (›Erbe, Erbgut‹): ← erben (216) sw.V. V] vmbe daz erbe daz vor gîescriben ist · daz enhain gotzehvz / noch enhain Gaîstlich man / noch enhain Ritter / in der Stat erben sol / daz ist daz erbe oder daz gNt/ daz zemargthireth lit (Corp. 1262, 504.31).
gâbe2°: ← geben (13000) st.V. Auch sol dehainer auz dem rat durch lengvnge / oder durch savmvnge der vrtail / der an si gedinget wirt / dehain gabe nemen /· Swer ez dar Nber tæte / der sol von dem Rate sein · vnd wellen in dennoch swærlich bGzzen / ob er sein Nberredet wirt von dem Rat (Corp. 2345, 456.22).
Von 31 analysierten Belegen bleibt der an dieser Stelle zitierte der einzige, der sich relativ sicher als Konkretum erweist. Die Beurteilung vereinzelter Belege des vorwiegend abstrakt verwendeten Lexems scheint in Richtung einer konkreten Verwendung zu deuten, letztlich ist jedoch in keinem der Fälle die Interpretation als Abstraktum auszuschließen (vgl. gâbe1). gebe (›Abgabe, Gebühr‹): ← geben (13000) st.V. v] ob daz dehain gebe chostet gegen dem pischolf · v] dem gotsh?s · von salzpurch · die schol der probst von Seccowe gebn (Corp. 1301, 541.34).
gebet(e)2 (›Bitte‹) : ← biten/bitten (520) st.V, gebiten (Lexer I: 755f.) Wir…veriehen An disem brief / daz wir daz Scheffreht / daz vnser diener friderich der Ch=pfelman von Levtwinen hern Heinriches sun von LaNffen gechouffet hat / dem selben friderich nah der Scheffherren gebet verlihen haben / vnd doch daz wir dar an getan haben / das sol den vorgenanten Scheffherren niht schaden an ir Hantvest / wand di wellen wir in gAntz vnd vnzebrochen behalten (Corp. 1941, 203.12).
gedinge2° f./m./n. (›Vereinbarung, Bestimmung‹): ← gedingen (21), dingen (93) sw.V.
…och ist gedinget ob der vorgenande RGdolf der nehsten zwaier iare ze dekain) der vorgenanden Cile den Cins v] die gúlte die er ze dem zil rihten sol nút rihtet so sol den vorgenanden der priorin v] dem Conuente des vorgenanden Closters von ime dú vorgenande múli ledig sin an allen crieg / v] swenne dú vorgenanden zwaj jar vs koment so sol er die vorgenandun múli vmb den rehten Cins als da vor gesriben ist haben vnz an sinen tot an alles angewet ob si nut ledig ist worden der zwaier jare von den gedingen als da vor gesriben ist (Corp. 2541, 569.23).
_____________ 87 88
Vgl. Gersbach/Graf (1984/85: 264 s.v. §423). Vgl. Duden Etym. (ebda.).
II.1.2. -e
81
geheiz[e]2 m./n. (›Befehl, Anordnung; Versprechen‹): ← geheizen (18), heizen (1175) st.V.
…v] darumbe daz diz státe belibe / v] er / alde sin husvrowe / an disem gehaisse den wir in getan han / niemmer beswáret werdent / so geben wir in baiden dise hantvesti / besigilt mit vnsirs herren dez bishoffez RGdolfis von kostenz insigil… (Corp. 1207, 476.12).
gelübe1 f./n. (›Verpflichtung, Versprechen‹): ← geloben (1530) sw.V. Swo auer ich des gelubes vergæs danchs oder vndanches, so sholt er iz dannoch haben zN ener beshaidenheit auf mir vnd auf aller meiner hab (Corp. 1737a = N 582, 419.32).
geriute n. (›Rodung‹): ← riuten (13) sw.V.89 gesetze n. (›Gesetz, Vorschrift; Bürgschaftssumme‹): ← gesetzen (33), setzen (2000) sw.V.
Wir Manegolt von gotes gnaden bischof zN Wirzeb~g tNn kvnt allen den die disen brief lesen Oder horen lesen /· daz wir von vnser prelaten rate der dienstmanne v] der bNrgere die ze vnserme rate horent Dise gesetze die an disem brieve gescrieben sint mit gNtem willen v] dNrch svnderliche gnade gesetzet han… (Corp. 2302, 28).
Ein Beleg des Lexems gesetze bedeutet nach Angaben des WMU ›Einsatz, Bürgschaftssumme‹. Auch in dieser Bedeutung kann die Bildung über die Bedeutung des Basisverbs i.S.v. ›festgesetzte, angesetzte Summe‹ als motiviert gelten. gestifte° n. (›Stift: Domstift; Kloster‹): ← gestiften (Lexer I: 930), stiften (63) sw.V. Das Lexem gestifte ist im Korpus ausschließlich in wmd. Urkunden belegt. geswend/e n. (›Schwende, Rodung‹): ← swenden (›ausreuten, v.a. das Unterholz eines Waldes‹) sw.V. (Lexer II: 1359) gevelle n. (›Gefälle: Abgabe, Ertrag‹): ← gevallen (277), vallen (330) st.V. vnde sol das halbe geuelle von freuel vnde von wette darvmme vallen dem closter von vserstal (Corp. 2746, 114.19).
gewerf, gewerb[e]1 m. (›Tätigkeit; Abmachung‹): ← gewerben (3), werben (161) st.V.
wan Daz dikke v] oftj gishiht / Daz mit der hingændin zit Der luitj giwerb hin gat v] virgessin wirt / so spulgin [= spulgen ›pflegen, gewohnt sein‹, UR] wise lPtj Daz si giwerbin v] gishaffin zi virshribinde / Darvmbe Daz man des gidenkj (Corp. 2976, 249.32).
Obwohl sich im Korpus eindeutige abstrakt und patientiv gebrauchte Belege des Lexems gewerf, gewerb[e] nachweisen lassen, bleibt die Bewertung des jeweiligen Einzelbelegs oft unsicher, da nicht entschieden werden kann, auf welcher zugrunde liegenden semantisch-syntaktischen Verwen_____________ 89
Vgl. Lexer (I: 884): »geriuten swv. […] nicht zu belegen«.
II.1. Derivationstypen
82
dung des Basisverbs (ge)werben der jeweilige Kontextbeleg beruht.90 In der Mehrzahl der Fälle scheint m.E. eine Objektbezeichnung mit dem Substantiv verbunden (s.o.). Die Einteilung der Belege in abstrakte und konkrete Bedeutung ist jedoch mit Vorbehalt zu sehen. grabe° m. (›(Stadt-, Burg-)Graben‹): ← graben (8) st.V. gruobe (›Grube, Steinbruch‹): ← graben (8) st.V. gült[e]11° (›regelmäßige Einkünfte o. Abgaben; Schuld‹): ← gelten (1135) sw.V. Wir hain och ze reht das aines ieklichen burgers wip erben sol nach ir mannes tode alles sin varnde gGt v] da uon nút gelten es wer denne das ir man ain kofman oder enwerbent man were v] er uffe sich gGt neme sturbe der man so sol si das gGt das er uffe sich genomen hat von dem varnd) gGt gelten v] anders enkain gúlt wan die si gelopt hat ze geltinne (Corp. 2596, 23.6).
habe1 (›Habe, Besitz‹): ← haben (25000) sw.V. Swelich dief begrepen wert dages oder nachtes · dat sal man don mit gerochte · v] sal ine vore bringen mit gerochte · v] mit dere seluen haue vorebringen de he sich vnderwunden heuet · de sal man ime oppe den rucgke binden · v] dar mide over winnen mit sines enes hant (Corp. 2, 3.13).
heiz[e]1 f.m.n. (›Anraten, Befehl‹): ← heizen (1175) st.V. Dar zv nach miner bet vnd' nach minem hæizze hat Tlving auf dem havse ze Randek sitzet minem herren dem Bishof gehæizzen bi sinen triwen also er Sweren shol· fur sich vnd' fGr siniv kint (Corp. 216, 220.4).
klage2° (›Klage‹): ← klagen (306) sw.V. …vnd sol der Rat die twingen / das si ze den heilgen sweren / der vorgenanden herren klage / vnd ouch der burger klage gegen dem vorgenand) gozhuse vndir lúten ze h=renne / vnd vs ze richtenne / inrunt acte tagen ze minnen oder ze rechte… (Corp. 1681, 15.24).
kost[e]1° m. (›Kosten, Aufwand‹): ← kosten (12) sw.V.
In der Urkundensprache kann das Lexem kost[e] über die Bedeutung ›kosten, ausgeben, aufwenden‹ des Verbs kosten als motiviert gelten.91 Anders stellen sich die Verhältnisse schon im Frnhd. durch die weitgehend erfolgte Bedeutungsverengung des Verbs auf die alleinige Bedeutung ›kosten‹ dar.92 kost[e] liegt im Korpus vorwiegend als Patientivum vor und bezeichnet ›das, was jmd. aufwendet, ausgibt‹. Zwei der ausgewerteten Belege kommt die Bedeutung ›Verpflegung, Verköstigung, Lebensmittel‹ (vgl. WMU II: 1030f.) zu, die wiederum über die Verbbedeutung ›für einen den Unterhalt bestreiten, ihn beköstigen‹ (vgl. Lexer I: 1689) motivierbar ist. _____________ 90 91 92
Vgl. zu werben ausführlich DWB (29: 153ff., v.a. II D, 2a-c). Beide Lexeme sind im 13. Jh. als Lehnwörter ins Deutsche gekommen (vgl. Kluge 1999: 480 s.v. Kosten, kosten1). Vgl. Müller (1993a: 203 s.v. costung).
II.1.2. -e
83
In dieser Bedeutung ist das Derivat als Instrumentativbildung zu werten (vgl. koste2).93 lade (›Lade, Kasten, Truhe‹): ← laden (›laden, beladen‹) (10) st.V. Inwiefern das usuelle und deutlich zur Lexikalisierung neigende Lexem lade in mhd. Zeit noch auf das etymologische Basisverb laden94 bezogen wurde, ist nicht zu klären. Ein formales Motivationsverhältnis kann jedoch mhd.-synchron aufgrund des Umstandes, dass laden auch ›beladen‹ bedeutet, angenommen werden. lêre: ← lêren (75) sw.V. V] wir kiesen vch dar zN · v] von uwiren ordinen · alle die ir dar zN zezent / v] die ir sehent das sie dar zN nvzze sint. V] sezzentz vch / v] in / vur alle ir svnde / dc sie nach uwirre v] der ir wisheit / v] lere die in got het gegeben predien v] tNn / vnde werben / vnde sich vliziche erbietent / an dirre botschefte (Corp. 93, 138.36).
Aufgrund der Kontexte (vgl. Textbeispiel, m.E. zu verstehen als ›gemäß der lêre‹) habe ich mich dafür entschieden, lêre entgegen der Interpretation des WMU nicht als Zustandsabstraktum i.S.v. ›Gelehrtheit, Wissen‹, sondern als Patientivbildung aufzufassen, mit der der ›Inhalt der Lehre (was gelehrt wird)‹ bezeichnet ist.95 mære f./n. (›Kunde, Nachricht‹): ← mæren (›verkünden, bekannt machen‹) sw.V. (Lexer I: 2046f.) …so clagen wir vch, dc si mêre v] brieve, die wir ieze inne hant, mit irme offenen ingesigele allen den stetten hant gesant… (Corp. 0054b = N 2A, 5.10).
Das synchrone Motivationsverhältnis zwischen mære und mæren bestätigt den etymologischen Befund, wonach das Substantiv als Ableitung eines germanischen deadjektivischen Faktitivums anzusehen ist.96 Korpusintern liegt das Derivat nur in patientiver Bezeichnungsfunktion vor. mene (›Fuhrwerk, Gespann, Zugvieh‹): ← menen (›(Vieh) treiben, führen‹) (1) sw.V. Das Lexem mene97 erweist sich als Ableitung zum Basisverb menen, ein Lehnwort aus lat. minare ›Zug- oder Reittiere treiben‹.98 phlege2: ← phlegen (96) st.V. _____________ 93 94 95 96 97 98
Diese Bedeutungsentwicklung von kost[e] erklärt sich durch die spezifische Verwendung i.S.v. »ausgabe für bewirtung und pflege« und die damit einhergehende metonymische Übertragung auf die »bewirtung, verpflegung, speisung selber« (DWB 11: 1849). Vgl. Kluge (1999: 498). Beide Bedeutungen sind für das Mhd. und schon früher bezeugt (vgl. DRW VIII: 1016ff., s.v. Lehre). Vgl. Kluge (1999: 539f.). Zwei Formen, die auf die erweiterte Form menine (vgl. b. Morphologie) hinweisen, wurden ausgeschlossen. Vgl. DWB (12: 1464), Szadrowsky (1927: 54).
84
II.1. Derivationstypen
a) …zweine schazze rÜben / die da ligent in der phlegke bi des Burggrauen rÜben (Corp. 1154, 432.8). b) Vnd hat vns in dev selben Lant [Österreich und Steier, UR] gesazt ze einem gemainem Verweser vnd ze einem gewaltigen pfleger vnd hat daz getan Vor allen den Lantherren / Vor den purgern vor den Steten! Vor armen vnd vor richen /· noch ir aller Willen vnd noch ir pêt! vnd bestætet vns allen sinen gewalt an der Vorgenanten pfleg · mit sinen hantfesten die wir ouch do vber haben (Corp. 477, 419.11).
In den beiden zitierten Textstellen kann phlege plausibel als Konkretum analysiert werden (vgl. phlege1). Im Textbeispiel b) ist dabei jedoch vorauszusetzen, dass phlege sich auf die beiden genannten zu verwaltenden Gebiete Österreich und Steier bezieht. Ich interpretiere phlege2 trotz des jeweiligen Bezugs auf räumliche Einheiten als Patientivum, da primär die Paraphrase ›etw. (hier: Ort, Gebiet), das gepflegt, verwaltet wird‹ anzusetzen ist. rede1° (›Rede, mdl. Äußerung‹): ← reden (110) sw.V. Daz die vorgenanten dinc vnd die rede die dar vber gesriben sint stete bliben vnd vncerbrochen / des verbinde wir vns vnde vnser stifte mit disem brieue (Corp. 1126A, 415.5).
Etymologisch stellt rede die Ableitungsbasis des schwachen Verbs dar. rihte1 (›Mahlzeit‹): ← rihten (›anrichten, Speisen auftragen‹ vgl. Lexer II: 433f.) (715) sw.V. …dar vmbe git man den herren / einer rihte dester mer / von dem Oblaj [Lebensmittelspende, UR] / da ich div æigen / v] miniv chint / zN hant geben / v] geschaffet… (Corp. 2419, 497.10).
riute f./n. (›Rodung, gerodetes Land‹): ← riuten (13) sw.V. sage1 (›Rede, Bericht, Aussage‹): ← sagen (535) sw.V. …vnd dar nah / vnd wir diu warhait an diser sache nah des Tvmbrobst friderichs / vnd hern Ekkarts von Tanne sag / vnd ouch von der erbærn ziuge sag / gæntzlich funden haben / so haben wir nah dem rehte v] gewizzen bá vnsern triwen dar vber gesprochen v] gêvrtailt als her nah van wort ze wort geschriben stat (Corp. 3060A, 306, 48).
satze*, setze (›Satzung, Rechtsfestlegung‹): ← setzen (2000) sw.V. vnd och dvrch vnser vor genanter Stat frvm / vnd ere / haben wir in fMr vns / vnd fMr vnsern vor genanten brNder Lodwigen / elliv div reht / v] alle die sætzze / die in von vnsern vordern her verschreiben sint / dar vmbe daz vnser Stat dester baz fMr sich chomen mMg / vnd och si vns dester baz gedienen mMgen / verniwet / als her nach geschriben stet / (Corp. 1975A, 228.16).
Die vom WMU getrennt lemmatisierten satze und setze sind als allomorphe Bildungen anzusehen und werden als ein Lexem behandelt. Dem im Beispielkontext im WMU (II: 1558) unter setzte erfassten Beleg steht interessanterweise in der Parallelausfertigung 1975B der Beleg gegen-
II.1.2. -e
85
über. Besonders auffällig ist die Lexemverteilung in der Urkundengruppe 879W,L,H,K,Sp,Sa. Dort treten an der gleichen Stelle neben setze (879H) und satze (879K) verschiedene andere Suffixbildungen zum Basisverb setzen auf: satzunge (879W), gesetzede (879Sp).99 smîde (›Metallgerät‹): ← smiden (›hämmern, schmieden‹) sw.V. (Lexer II: 1011) dazN lage vnser sieden vnwesenlich [lag darnieder, UR] an smiden v] an andern sachen (Corp. 2515, 553.42)
Obgleich smîde etymologisch nicht vom schwachen Verb smiden abgeleitet ist100, ist doch die semantische Zusammengehörigkeit beider Lexeme im vorliegenden Fall so deutlich, dass smîde trotz morphologisch eingeschränkter Motiviertheit (Langvokal) synchron als Bildung zu smiden aufgefasst werden kann. In der Beurteilung des lexikalischen Bedeutung des Lexems smîde folge ich der Einschätzung des WMU (II: 1603f.).101 Das Derivat erweist sich dann i.S.v. ›geschmiedetes Werkzeug‹ als Patientivum.102 spende (›Spende‹): ← spenden sw.V. (Lexer II: 1078) Laut Pfeifer (2000: 1321) sind »ahd. spenta (um 800), mhd. spende […] entweder Bildungen zu spenden [...] oder Entlehnungen aus mlat. spenda, spenta ›Almosengabe der Klöster an die Armen, Ausgabe, Gabe‹ (zu mlat. spendere) [...].« Auch wenn also die Etymologie des Wortes im Deutschen als nicht völlig geklärt gelten kann, besteht mhd.-synchron ein reversibles Motivationsverhältnis zwischen spende und spenden. sprâch(e)2 (›Sprache‹): ← sprechen (1980) st.V. ob sich zwene vnder ein ander wunden binnen wichbilde · die beide von windischer art sin here komen · v] doch nine winede [Wenden, UR] sin · die eine kome vore v] klage nach windischen site · die ander ne darf ime zG rechte nicht an warten · ob her wol beklaget inan der sprache diu ime an geboren ist· nach wichbildes rechte (Corp. 51, 82.14).
treibe*: ← trîben (›etw. tun oder treiben etc.‹) (71) st.V. V] swa min helferre in dirre treibe / der selbon bNzse niht hant geleist / die sun ganzlich an min zorn vs der sNne sin (Corp. 2362, 468.21).
Das Lexem treibe wird vom WMU mit den Interpretamenten ›Gewalt, Gewalttat, Raub‹ beschrieben. In der Tat scheint das im Findebuch (1992: 351) belegte Lexem trîbe ›(Trieb)Kraft, Gewalt‹ diese Bedeutung zu unterstützen. Aus Sicht der Wortbildung behandle ich treibe im vorliegenden _____________ 99 Vgl. WMU (II: 1484, s.v. *satze). 100 Zur Etymologie der Wortgruppe um das nhd. Schmied, vgl. z.B. Duden Etym. (1963: 614 Schmied; 215f. Geschmeide). 101 Die Regesten (S. 527) kennzeichnen den Beleg in seiner Bedeutung als unsicher. 102 Vgl. DWB (5: 3936, s.v. Geschmeide, v.a. 2).
II.1. Derivationstypen
86
Fall als Patientivbildung zum Basisverb trîben und paraphrasiere mit ›das, was jmd. tut, treibt (getan, getrieben hat)‹. Die negative Konnotation des Lexems im vorliegenden Beleg kann sich aus dem Kontext heraus für den Sprecher ergeben und ist nicht notwendigerweise ein Zeichen von Lexikalisierung. vrâge2 (›Frage‹): ← vrâgen (77) sw.V. …daz mich do vraget bi der gehorsam min herre der Bischof der vorgenant / was mir gewissen wær / vmbe den hof ze sant/ sant Sifrin ze Auspurch…/ Do wurden dar nach von minem herren dem Bischof dem vorgenanten / her Hainrich der Schongwær / vnd her Otte der Hvrnlohær burgær ze Auspurch der selben vrage / auch gevraget §f den Aît (Corp. 2258, 397.14).
Der zitierte Beleg des Lexems vrâge ist der einzige von insgesamt 19, der eine patientive Verwendung zeigt. Sonst tritt die Bildung nur als Abstraktum auf (vgl. vrâge1). wille2° m.: ← wollen (3075) an.V.; Vgl. wille1 Swer dP mPnze ze friburg hat / der sol den vierv]zweinzigen v] den bvrgern darvmbe entwûrten / v] die pfenninge swer oder liht machen nah irme willen (Corp. 1797A, 108.26).
C. Agentiva (BV-e3): ›jmd./etw., der/das BV‹ Lexem anwande becke1 bierbriuwe breste2 briuwe bürge° erbe1° gebreste2 geleit[e]3 geriht[e]2° gescheide geteile gieze gülte2 holzwart[e] ledergerwe metgeb/e mûre nâchkome° râtgebe
Belege 58 19 1 14 17 168 (1260°) 260 (3750°) 12 1 93 (675°) 1 4 1 10 1 9 1 1 96 (1004°) 72
alem bair
alemwmd IR1 Kg ofrk IR2 IR3 IR4 omd nd schw 1 8 3 -
58 1 13 -
10 1 14
60
67
8
5
21
-
-
-
4
2
1
-
119
98
11
8
5
8
2
3
2
4
-
-
4 58 1 1 1 9 4 1
6 1 19 3 1 -
1 3 1 5 -
6 -
1 1 -
-
5 -
1 -
-
-
1 -
-
-
64
30
-
-
1
-
-
1
-
-
-
-
7
29
1
-
28
-
1
-
5
-
1
-
II.1.2. -e Lexem
Belege
reise2 reite rihte21 schorre* schütze1 smelze* snite* steig(e) swertvürbe torwart[e] verwese vlieze vürspreche widersache ziuge zuogehœre
2 1 9 2 24 1 1 38 9 7 1 1 36 1 4 1 977 (7049°)
Gesamt
alem bair 1 5 36 3 3 1 1 5 1 1
1 13 1 1 1 2 13 4 -
458
315
87
alemwmd IR1 Kg ofrk IR2 IR3 IR4 omd nd schw 1 9 2 3 3 1 1 3 2 1 1 11 2 1 3 1 35
25
85
11
8
5
12
6
7
10
anwande m./f./n. (›Anwandacker, Pflugwendacker‹): ← anewanden (›an-
grenzen‹) (1) sw.V. Die usuelle Bildung anwande zeigt durch die semantische Verengung als Bezeichnung eines Ackers Spuren von Lexikalisierung. Dennoch betrachte ich die Bildung synchron als motiviert. Die Basis, das Verb anewanden, ist nur einmal im Korpus belegt. Mit dem -e-Derivat konkurriert korpusintern die -er(e)-Bildung anwender, deren Gesamtbelegzahl jedoch mit insgesamt 144 Belegen deutlich höher ausfällt. becke1 m. (›Bäcker‹): ← bachen (13) st.V. die selben wochen svln die pecken ir Cins ledic sin von dem obern prothvs. Vnd daz den pecken daz stæte belibe vnd vnzerbrochen / dar vmb habn wir in disen brief gigeben ' verinsigelt vnd vervestent / mit vnserm insigel · von der stat (Corp. 580, 11.39f.).
bierbriuwe m. (›Bierbrauer‹): ← bier (23) st.N., briuwen (5) st.V.; briuwe (19) sw.M.
dez ist gezivh der herre hæinrich der lvppriester der birbrNwe· v] v] alliv div saminvnge (Corp. 497, 443.32).
breste2 m. (›Fehlendes, Mangelndes‹): ← bresten (7) st.V. Vnde in swelem iare Von hagel ald von Vngewechste der groze cehende minre gulte denne funfcech stvke / so sullent sP vber dP cehen iar den selben cehenden also lange niezen / Vnz daz der schade Vnde der breste wirt irwllet Vnde ersecet (Corp. 1895, 175.43).
briuwe m. (›Brauer‹): ← briuwen (5) st.V. Swer der drier Sætze iht brichet / ez si ritter oder mMnzzær· oder briwe · oder burgær · daz der · Hvndert · pfvnt · pfenning gebe (Corp. 476, 418.38).
II.1. Derivationstypen
88
bürge° m.: ← borgen (16) sw.V.
Die usuelle Bildung bürge führe ich wie das konkurrierende bürgel (65) auf die verbale Basis borgen zurück.103 Ein sekundärer Motivationsbezug über das desubstantivische Verb bürgen ist zwar denkbar104, doch ist im Korpus nur die abgeleitete Form verbürgen (31-mal) belegt. Die etymologische Basis borgen105 ist mit sechs von 16 Belegen in der gesuchten Basisbedeutung ›bürgen, sich verbürgen‹ belegt (WMU I: 275). Eine urkundeninterne Motivation durch die Basis konnte innerhalb der analysierten Kontexte nicht beobachtet werden. Die Vokalalternanz ü - o, die zwischen Basis und Ableitung besteht, wirkt sich m.E. nicht mindernd auf die synchrone morphologische Motiviertheit aus. Auch wenn diese Alternanz nicht im Flexionsparadigma des schwachen Verbs auftritt, ist dieser Wechsel in mhd. Zeit vermutlich noch ein den Sprachteilnehmern geläufiges Lautphänomen.106 Viele bair. Belege zeigen, eventuell in Analogie zum Verb, -oVokalismus. erbe1° m. (›Erbe, Erbberechtigter‹): ← erben (216) sw.V. Das Maskulinum erbe (ahd. erbo) stellt etymologisch betrachtet eine desubstantivische -jan-Bildung zum neutralen -ja-Stamm erbe (ahd. erbi) dar. Aus synchroner Betrachtungsweise kann die Bildung zusätzlich über das Verb erben motiviert werden. Problematisch gestaltet sich dann jedoch die morphologische Kategorisierung des Lexems, da bei dem Basisbezug auf erbe st.N. synchron nicht von einer Suffigierung ausgegangen werden kann. Der Ansatz einer doppelmotivierten Bildung würde also zur Einordnung in zwei verschiedene Bildungsmuster führen (Nullableitung und Suffigierung). Da dieser Weg wenig praktikabel ist, folge ich der Beurteilung des Lexems in Wortbildungsuntersuchungen zum Frnhd. und Nhd., in denen die Subjektbezeichnung stets auf das Verb bezogen wird.107 gebreste2 m. (›Fehlendes, Mangelndes‹): ← gebresten (29) st.V. Swelhen gebresten min herre an den vorgnanten sachen erfvnde / oder swa ich im ihtes Mber fFr / daz vor geschriben ist / so sMln di selben porgen…ze Regenspurch in varn / in swelichz haus in min herre der bischof benennet / in vierzehen tagen nach mines herren manvng / vnd sGln dar inn laisten / auf minen schaden / als lang Mntz daz ich minem herren den selben gebresten gepezzer vnd ab leg / (Corp. 2363, 469.6ff.).
geleit[e]3 n.: ← geleiten (29) sw.V. _____________ 103 Vgl. Wilmanns (1899: 235, 2). 104 Bürge wäre dann als reversible Bildung einzustufen. 105 Vgl. Duden Etym. (1963: 90); Kluge (1999: 126) spricht hingegen nur von einem ersichtlichen Zusammenhang. 106 Vgl. PWG (1998: §34). 107 Vgl. Döring/Eichler (1996: 111), Brendel et al. (1997: v.a. 129, 131), Gersbach/Graf (1984/85: 260, markiert als ›Stammableitung‹, vgl. a.a.O.: 22), DW (1975: 58f., 350).
II.1.2. -e
89
…wir svlen auch vnseres Chaimes læut gelaitte sein ze æisteten…(Corp. 2423, 499.34).
geriht[e]2° n. (›Gericht, richtende Instanz‹): ← gerihten (48), rihten (715) sw.V.
Jch spriche ouch vmbe dotslege der vmbe si bedensite clagent daz in lúte erslagen sint daz men vùr einen voget man sPle geben fPnf pfunt vúr einen eiginen man einen alse gGten oder in gelten sol mit phenningen oder mit silbere alse gGt so er waz / men sol ouch deme gerihte do ez inne geschihet besseren alse reht ist vnde do ez vz erklaget wrt alse reht ist (Corp. 1953, 214.18).
gescheide n. (›Grenze‹): ← gescheiden (25), scheiden (380) sw.V. von ie dem Swin sûllent sû geben sehs Hallere / v] nût me / mit solicher gedinge daz die selben entlehentû Swin fûr das gescheide nût enkommen denne andere entlehentû swin (Corp.1047, 362.1).
geteile m. (›Teilhaber, Mitbesitzer‹): ← geteilen (10), teilen (360) sw.V. …daz ich min Hube ze wichendorf · dem Gotshâvs vnd der brMderschaft ze Gærsten· ze rechtem aigen · han gegeben · vnd svllen weder min erben · noch min Getailen swie die sint genennet · nach der selben Hube · nimmermer dechain foderunge gewinnen! (Corp. 1520, 686.40).
Handelt es sich etymologisch bei geteile auch um ein Nomen agentis zu geteil108 n., einer verstärkten Bildung zum Simplex teil109, liegt m.E. jedoch mhd. semantisch der Bezug auf das Verbum (ge)teilen näher, denn auch lt. dem DWB bezeichnet die Bildung »diejenigen, die mit einander zu theilen haben.« Ein Simplex *teile sw.M. ist im Deutschen nicht nachweisbar. Der Bildung kommt aufgrund der Paraphrase ›jmd., der mit einem teilt‹ eine soziative Nebenbedeutung zu (vgl. geteilide). gieze m. (›Wasserarm, Fluss-/Bachlauf‹): ← giezen (›fließen, strömen‹) (1) st.V. aber I ager mit maten vber den giessen vor den lohen vmbe Sigelin von Heiligenstein (Corp. 0324B = N 150,107.16).
gülte2 m. (›Schuldner, Gläubiger‹): ← gelten (1135) st.V.
Die Bildung gülte kann neben einem ›Schuldner‹ auch den ›Gläubiger‹ und somit beide an einem Schuldgeschäft beteiligten Personen bezeichnen. Beide Bedeutungen sind prinzipiell mit den Paraphrasen ›jmd., der gilt, zahlt‹ erfassbar, es ändert sich dann jeweils die Perspektive, wer als Zahler oder Geldempfänger angesehen wird.110 Im Gegensatz zu den Konkurrenzbildungen geltære und gelte, die ich als jeweils durch gelten und gelt doppelmotivierte Bildungen auffasse, behandle ich gülte aufgrund des syn-
_____________ 108 Vgl. DWB (5: 4372 s.v. Getheile). 109 Ebda. (s.v. Getheil). 110 Vgl. Szadrowsky (1918: 79ff., 127).
II.1. Derivationstypen
90
chron über das Verb erklärbaren umgelauteten Ablautvokals nur als deverbal motivierte Bildung.111 holzwart[e] m. (›Forstaufseher, Waldhüter‹): ← holz (617) st.N., warten (71) sw.V. Das Lexem holzwart[e], das im Korpus nur in einem Beinamen belegt ist, kann als Zusammenbildung aus holz und warten bzw. als Kompositum mit dem nur korpusextern belegten warte, wart (Lexer III: 696) als Grundwort analysiert werden. ledergerwe m. (›Ledergerber‹): ← leder (5), gerwen (8) sw.V. …iohannes der gerw(r v] BrNder R?dolh der ledergarwe v] BrNder Bvrcarht te gnNge… (Corp. 1489, 670.33). der phister v] ander bederbe l
Das Lexem ledergerwe tritt im Korpus nur in Beinamen auf. Die Bildung kann als Zusammenbildung aus leder und gerwen analysiert werden. Das Zweitglied -gerwe kommt im Gegensatz zur -er(e)-Bildung gerwer kaum als freies Nomen agentis vor112, so dass kaum von einem Kompositum auszugehen ist. metgeb/e m. (›Met ausschenkender Wirt‹): mete, met (7) st.M., geben (13000) st.V. Das Lexem metgeb/e interpretiere ich als Zusammenbildung. Das Zweitglied gebe sw.M. kommt weder im Korpus noch bei Lexer (I: 748 »nur in compos.«) als freies lexikalisches Morphem vor. mûre m. (›Maurer‹): ← mûren (18) sw.V. Das Lexem mûre liegt nur als Bestandteil eines Personennamens vor. Aufgrund der morphologischen Eindeutigkeit beziehe ich das Lexem im Gegensatz zu mûrære nur auf das Verb mûren. Ein doppelter Motivationsbezug auch auf das Substantiv mûre (›jmd., der Mauern herstellt‹) hätte in diesem Fall eine Klassifizierung auch als Nullableitung zur Folge. nâchkome° m. (›Nachkomme, Nachfolger‹): ← komen (3170) st.V., nâch Präp./Adv. Das Lexem nâchkome ist als Zusammenbildung aus nâch und komen zu analysieren. Man vergleiche dazu den folgenden Beleg: also / daz si dem Probst / noch dheinem der nach im chom / nimmer me dhein stiwer svln geben / noch dheinen dienst / als vor beschaiden ist (Corp. 1553, 710.19).
Vier Belege sind anscheinend zum Infinitiv des Verbs gebildet. Das vom WMU als eigenes Lemma aufgenommene nâchkomene* betrachte ich lediglich als Bildungsvariante und zähle die Belege zu denen von nâchkome. _____________ 111 Szadrowsky (1918: 156) geht davon aus, dass Gëlt(en) und Gült als »Ausdrücke rechtlicher und gerichtlicher Natur […] wahrscheinlich denominativer Herkunft sind«. 112 Vgl. Lexer (III Nachtr.: 197).
II.1.2. -e
91
râtgebe m. (›Ratgeber, Berater; Schiedsmann‹): ← rât st.M. (2735), geben
(13000) st.V. Das Zweitglied der Bildung râtgebe, -gebe, kommt, wie Lexer (I: 748) anführt, nur in Komposita vor. Das vorliegende Lexem kann deshalb vorbehaltlos als Zusammenbildung analysiert werden. reise2 (›ziehendes Heer‹): ← reisen (6) sw.V. daz ich vúr den schaden / den der Rat v] die bvrger von ZPrich getan hatton den lPten dez Gotteshvses Von oberwintertur / do si vGoren mit ir reise Vúr Wile / V] si uf ir gMtern lagen / han emphangen Von den Vorgenanden dem Râte V] dien bvrgern Von zPrich fPnfzehen phvnt phenninge zvricher mPnze / der sP mir schvldig Wrden (Corp. 1835, 142.33).
Zwei Belege des Lexems reise bezeichnen nicht den Kriegszug als Vorgang (vgl. reise1), sondern aus dieser Bedeutung »ergibt sich ferner die anwendung auf das zu felde ziehende heer« (DWB 14: 719, 2d). reite (›ziehendes (reitendes) Heer‹): ← rîten (62) st.V. Gewinne Wir hus / oder stete die der vinde sint / die svlen Wir teilen Gewnnen aber Wir dekeine Vesten / die Vnser eines Vor were gewesen / der sol si wider nemen. Swaz ?ch Von gedinge geviele in deme lant zv Duringe / daz svlen wir geliche teilen· waz aber vzwendik dez landes zv Duringen / Von gedinge gevellet daz sal der nehmen aleine / dez die reite ist / Vnde die kost tNt (Corp. 1393, 607.35).
Lexer (II: 398) bucht nur abstrakte Bedeutungen für das Lexem reite. Der vorliegende Kontext legt m.E. jedoch eine konkrete Lesart des Lexems nahe.113 rihte21 n. (›Gericht, richtende Instanz‹) : ← rihten (7000) sw.V. Swelich man sich sines tvges beropet vmbe gelt · v] is ime borst wert · he ne darf dheme richte nicht wedden wane ver scilł (Corp. 2,1.18).
schorre* m. (›Tuchscherer‹): ← schern st.V. (Lexer II: 709f.) …alle die giene die in diese brGderschaf gehorint…inde die an diesme brieve niet genGmt ensint alincstendere / schrodere / schorre / inde Nndercoufere… (Corp. 53, 87.4).
schütze1 m. (›Schütze‹): ← schiezen st.V. (Lexer II: 727) Ez ensol nieman dheinen schMtzen fMren / er hab dann drizzich phvnt gMlt / oder er si ein rihter / swer anders sogetan schFtzen begreifet / der sol in di hengest / vnd div armst nemen / vnd sol di schMtzen / an daz geriht antwrten / fFr schedlich lævt / (Corp. 475A, 412.11ff.).
Das Lexem schütze kann trotz der konsonantischen Basisalternation synchron als durch das Verb schiezen motivierte Bildung angesehen werden. Das genannte Verb stellt auch etymologisch die Basis des Nomen agentis _____________ 113 Der Eintrag im WMU (II: 1439 ›Kriegszug‹) bleibt hier ambig.
II.1. Derivationstypen
92
dar.114 Aus semantischer Sicht ist die Bildung vollmotiviert, hinsichtlich der Morphologie ist von Teilmotivation auszugehen.115 smelze* m. (›Schmelzer‹): ← smelzen sw.V. (Lexer II: 1007) snite* m. (›Schnitter, Mäher‹): ← snîden (22) st.V. …daz man vns von der hofstat shol dienen alle jar setzich phenning vnd swaz ein ander hold dienet oder dienen schol vnd ein sniten vnd zevoit reht nevn phenning… (Corp. 1819a = N 600, 435.35).
Das Lexem snite konkurriert mit der -er(e)-Bildung sniter, die in der Parallelausfertigung der Belegurkunde an der entsprechenden Stelle steht. steig(e) (›Steige, steile Straße‹): ← stîgen (1) st.V. ein acker an der steigen wider RGdolfes acker von Bercheim (Corp. 0811a = N 308, 236.3).
Das Basisverb stîgen ist in der Motivationsbedeutung ›steigen, aufsteigen‹ nur bei Lexer (II: 1194) belegt.116 swertvürbe m. (›Schwertfeger,- schmied‹): ← swert (32), vürben (›reinigen, säubern, putzen, fegen‹) (1) sw.V. Die Zusammenbildung swertvürbe tritt korpusintern wie das konkurrierende swertvürbel (2) nur in Verbindung mit Personennamen auf. Ein frei vorkommendes *vürbel ist bei Lexer nicht belegt. torwart[e] m.: ← tor (145) st.N., warten (71) sw.V. Aht wahtern / zwein torwarten/ v] ainem turenmaister ahtelhalp pfunt (Corp. 1718, 42.28).
verwese m. (›Verwalter‹): ← verwesen (›verwalten etc.‹) (2) st.V. …der vorgenanden vrowen von Rathusen · gewîzer verwese v] botte · BrNder · wern · geheizen (Corp. 364, 339.7).
vlieze (›Fluss, Strömung‹): ← vliezen (33) st.V. vürspreche m. (›Fürsprech, Anwalt‹): ← versprechen117 (›verteidigen etc.‹) (79) st.V.
Der vrteil dinget der frauwen vorspreche anz Riche! (Corp. 23, 43.64)
Das Lexem vürspreche »ist mit dem einfachen ahd. sprëhho, sprecher, zusammengesetzt, wobei natürlich einflusz des ahd. furisprëhhan, durch rede oder schrift vertreten oder vertheidigen, in einer sache vertreten, waltete« (DWB 4: 833). Aus korpusinterner Sicht ist der verbale Bezug zu bevorzugen. Das Lexem spreche118 kommt nicht im Korpus vor. _____________ 114 115 116 117 118
Vgl. Kluge (1999: 746). Vgl. Müller (1993a: 267, 288). Gersbach/Graf (1984/85: 290) werten das Lexem als primäres Lokativum. Vgl. auch vürsprechen Lexer (III: 611). Vgl. Lexer (II: 1112).
II.1.2. -e
93
widersache m. (›Prozessgegner‹): ← widersachen sw.V (Lexer III: 850); wider, sachen (1) sw.V.
…TFring der cleger / vnd Symon sin widersache… (Corp. 2369, 472.19).
Das Lexem widersache kann einerseits auf das Verb widersachen (›widerstreben, widersprechen) zum anderen aber auch auf das Verb sachen in Verbindung mit wider (Zusammenbildung) bezogen werden.119 ziuge m. (›Zeuge‹): ← ziugen (8) sw.V. …so gib ich in disen brif ze vrchvnde versigelt mit minem Jnsigel vnd bestegt mit den zevgen di hie geschriben sint… (Corp. 1685, 18.17).
zuogehœre (›Dazugehöriges, Zubehör‹): ← gehœren (1206) sw.V., zuo Präp. …vnseriv gFter / ze schurhain / vnde ze Tainingen / mit allem rehte / vnde mit aller zGgeh=ri / bi wasen / vnde bi zwige / fundens / vnde vnfundens… (Corp. 3558, 608.1).
Vgl. die Bemerkungen zur bedeutungsgleichen -ede-Bildung zuogehœrde. D. Abstrakta (BA-e4): ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹ Lexem âgezzel/e breit(e) dürfte einvalt[/e] elte gegenwertige*/ gegenwürtige* geheim[/e] gehôrsam[(e)] geloubsame gemeinsam(e)2 grœze güete heimelîche hœhe1 hübesche hulde° krenke kürze leide1 leng(e) liebe° mügelîche
bair
alemwmd IR1 Kg schw 1 -
Belege
alem
1 10 9 1 1
9 2 1
3
3
-
-
-
-
2 20 14 3 1 8 4 4 1 66 (277°) 1 1 2 11 32 (156°) 1
9 14 3 2 2 1 1 19 1 1 9 15 1
2 2 5 1 27 1 1 9 -
2 2 1 -
2 2 3 -
2 2 2 -
1 1 6 1 -
ofrk IR2 IR3 omd nd Rest -
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
1 10 1 -
6 1 2 -
1 1 -
1 -
-
1 -
1
1 -
-
_____________ 119 Vgl. DWB (29: 1160; Widersache m.) und DWB (14: 1602 Sachen v.) mit einem nd. Beleg aus Schiller-Lübben (»saken weder enen«). Weinreich (1971: 74) stellt ahd. uuídersácho zu widersahhan.
II.1. Derivationstypen
94 Lexem næhe tiefe ungehôrsame urvêhe vridesame vrîhels(e) wîte2 wîze Gesamt
Belege
alem
bair
1 1 2 6 2 4 2 1 215 (550°)
1 2 2 1 99
1 6 4 68
alemwmd IR1 Kg schw 1 1 5 8 8 12
ofrk IR2 IR3 omd nd Rest 9
2
1
1
1
1
âgezzel/e (›Vergessen, Vergesslichkeit‹) : ← âgezzel Adj. (Lexer I: 28) Wan von altem sit v] nutzer gewonheit enhêr chomen ist, swaz von endelichen sachen wirdet geworiben v] getrahtet, daz man zestæter gehFgenFsse mit schrift v] mit geziuge daz sol bestêtigen v] vesten, daz iht von agezzel v] von langen zeiten die mit der tage menige hin gênt v] fliezzent, da von die gehFgenFsse ab nimet v] entsleiffet, redelich v] rehte sache mit chriege her nach iht werden gechrencket v] gevelschet,… (1819b = N 601, 436.04).
breit(e) (›Breite‹): ← breit (28) Adj. Vnde swer ?ch dekain smale linwat vf vnserm marcht ch?fet / oder verk?fet div niht die reht braiti habe wissentlich · der sol vivnf schillinge costenzer mvnze geben… (Corp. 584,14.10).
dürfte (›Notwendigkeit, Not, Bedürftigkeit‹): ← durft (1) Adj. …daz Siffrid von Schalekke / nach vnser lange bet durch sein grozze durfte versatzet vnt geantwrt hat hâvs vnt purchGt ze peylstein vnt lehen… (Corp. 926, 279.44).
Innerhalb der Belege, die das WMU (I: 410) dem Lexem durft zuordnet, befinden sich acht bair. Belege, deren Graphien auf Umlaut von /u/ hindeuten. Es ist wahrscheinlich, dass diese Belege apokopierte Formen des Lexems dürfte (ahd. durftī) darstellen. Trotz der Apokope behandle ich diese Formen deshalb unter den -e-Bildungen als Bildung zum Adjektiv durft.120 einvalt[/e] (›Arglosigkeit‹): ← einvalt Adj. (Lexer I: 530) vnd ob dehein gebrest an der selben schiedvng gewesen ist von einvalt / oder von vergezzenheit / den bezzeren wir mit disem bráf vnd mit vnserem gwalt also / daz… (Corp. 1302, 542.37).
Korpusintern ist nur das suffigierte Adjektiv einvaltic (7) belegt, den komplexen Wortbildungstyp einer Suffixsubstitution nehme ich für einvalt[/e] jedoch nicht an. Als Basis setzte ich das nur korpusextern belegte Adjektiv einvalt an. elte (›Alter‹): ← alt (1140) Adj. _____________ 120 Vgl. die Bemerkungen zur -t-Bildung durft.
II.1.2. -e
95
Wande aber nv der briefe eilt/ dP schrift dP dar stat verb=st / da von sint disiv selben reht an disen nPwen brief geschriben /… (Corp. 1797A, 95.3).
gegenwertige*/gegenwürtige* (›Anwesenheit, Gegenwart‹): ← gegenwartic (36), ~wertic (272), ~wurtic (350) Adj. Ich behandle die vom WMU als getrennte Lemmata geführten gegenwertige (1) und gegenwürtige (2) als ein Lexem, da ich ebenfalls die Basisadjektive mit unterschiedlichem Vokal im Zweitglied als allomorphische Varianten auffasse. geheim[/e] (›Vertrauen‹): ← geheim (›heimlich, vertraut‹) Adj. (Lexer I: 786) Jch Lieb · Schuelerinne von Lintz · vergich an disem brief…daz ich durich genad / fuderunge / vnd gehaim · die mein wirt / v] ich lange / von dem Tvmbrobst / v] von dem Capitel ze Salzburch enphangen haben daz Haus auf TNlantz hofstat / in der Rinchmower ze Lintz…gib zerechtem Selgræt · durich mines wirtes Engelbrechtes sel (Corp. 1436, 638.7).
gehôrsam[(e)] (›Gehorsam (Ordensgelübde)‹): ← gehôrsam (119) Adj. so habin wir gelobt dc wir enhain froWn her in nemin sie globe dc selbe ze behalten ist sie ze ir tagen komen · ist sie aber ain kint · e dc sie danne professe werde so sol sie dc selbe geloben v] anders sol man sie niht enphahen ze gehorsami (Corp. 287, 287.9).
Das Lexem gehôrsame zeigt neben der rein abstrakten Verwendung i.S.v. ›Gehorsam‹ in der Bezeichnung des Ordensgehorsams (vgl. Textbeispiel) und besonders des Ordensgelübdes bzw. Gehorsamsversprechens eine starke Tendenz zur Lexikalisierung (vgl. die Wendung gehôrsame tuon ›das Ordensgelübde ablegen‹). Dennoch ist die Bildung m.E. in den vorliegenden Kontexten noch über das Basisadjektiv motivierbar und als Bildung durchsichtig. geloubsame (›Glaubwürdigkeit, Bekräftigung, Beglaubigung‹): ← geloubsam (›glaubwürdig, zuverlässig‹) (7) Adj. Wir von gottis ginadin abte wilħ · von sante Gallin kúndin allen den die dizen brieue lesint oder h=rrint lesin ain gelopsami v] æn warhæt aller der ding so hie nah gischribin stat… (Corp. 3501, 578.25).
Der Rechtsterminus geloubsame ist ausschließlich im Alem. bezeugt.121 gemeinsam(e)2 (›(Besitz)Gemeinschaft; Gemeinschaftsrecht‹): ← gemeinsam Adj. (Lexer I: 842f.) obe dehein§ vnder §ns, die iezo bi §ns sint alde har nah zG §ns koment, iemer vreuellich vngehorsan wirt, si loufe von §ns alde si belibe bi §ns, vnde in vngehorsamj belibet drie tage, daz si n§t wider keret, alde begriffen wirt mit mannen
_____________ 121 Vgl. DWB (7: 7912). Der Belegzeitraum des Lexems kann anhand der Urkundenbelege auf das 13. Jh. (frühester Beleg in Urk. 333 aus dem Jahr 1277) vorverlegt werden (vgl. DWB ebda. ›14. -16. Jh. ‹).
II.1. Derivationstypen
96
an offenlichen vnde argwanlichen stetten, alde anders offenber wirt, daz si mit mannen veruallen ist, daz d§ swester sol han verlorn §nser geselleschaft vnde §nser gemeinsami vnde dar zG alles daz gGt, daz wir haben alde gewinnen alde daz si zG §ns brahte (Corp. 1031a = N 373A, 280.13).
grœze (›Größe, Höhe; Ausmaß‹): ← grôz (270) Adj. So scolen sie na der grote des scaden dNn gnade den luden / (Corp. 1310B, 551.40).
güete (›Güte, Freundlichkeit; Qualität, (gute) Beschaffenheit;‹): ← guot (1643) Adj.
vnd sol der abte - vnd daz Capitel - van Sand Gallen - mit vns in lieb - vnd in gueten sein - vnd sol zwischen vns lauter vreuntschaft sein… (Corp. 2269, 404.5). So sulent si verkouffen br?t / indeme c?ffe v] inder gFtte nach der gewônheit zN Houelden v] zN Swindratsheim / (Corp. 1653, 780.13).
heimelîche (›Vertrautheit; Vertrauensverhältnis; Ungestörtheit): ← heimelich (›vertraut; vertraulich; persönlich; heimlich‹) (4) Adj.
Man sol wissen dc si ewalt hant vf die selben Mvre ze bu wende / dvr ir heinliche / vnde / der lPte vppiges kapfen swie hohe sie went (Corp. 347, 328.27).
Der obige Beleg zeigt das Lexem in der Bedeutung ›Ungestörtheit, Privatsphäre‹. Drei weitere Belege bezeichnen ein Vertrauensverhältnis. Beide Bedeutungen sind durch das Basisadjektiv heimelich gut motivierbar. hœhe1 (›Höhe; Erhabenheit‹): ← hôch (135) Adj. Vnde swaz si bwent oben / ob si lihte vber die Mvre griffen wolten / zwene schvhe oder drj / daz sol in der hohin sin daz man drvnder geriten mvge vnde gan / daz ez iht irre (Corp. 560, 501.12). WJr bewaren mit allen disen genaden · vnd mit disen Hantvesten von der h=he vnserre gGete / div Stat · vnd di Purgær ze Wienne (Corp. 2345, 457.16).
Viermal liegt das Lexem hœhe in abstrakter Funktion im Korpus vor. Im zweiten Textzitat umschreibt das WMU h=he vnserre gGete komplett mit ›Erhabenheit‹, was m.E. nicht nötig ist. Ein Beleg erweist sich in der Bedeutung ›Anhöhe‹ als Agentivum (vgl. hœhe2). hübesche (›außereheliche Verbindung‹): ← hübsch (›unterhaltend, leichtfertig‹) (1) Adj. V] sol der Spitale / oder swem er das hus anders machet / niht mit dem huse ze tGn han / wirt es den kinden / v] wirt es der wirtinne / so sol aber niemen an dem gemecht han / es si danne das si ainen man ze hébsche / oder ze der ê neme / nach dem vorgenanthainriche / so sol si nivt me mit dem huse han ze tGne (Corp. 2016, 257.45).
Wie das nur korpusextern belegte Lexem hübschheit (DRW V: 1577, mit Beleg von 1281) kann auch hübesche ein außereheliches Verhältnis bezeichnen. Lexer (I: 1373) verzeichnet für hübesche nur die Lexembedeutung ›Schönheit‹. Für die vorliegende Verwendung des Lexems ist eine Motiva-
II.1.2. -e
97
tion durch das Adjektiv hübsch i.S.v. ›unterhaltend, leichtfertig‹122 gegeben. Die außereheliche Verbindung steht einer geschlossenen Ehe dann als ein der Unterhaltung dienendes oder leichtfertiges Verhältnis zwischen Mann und Frau gegenüber. hulde° (›Huld, Wohlwollen, Treuepflicht‹): ← holt (›gewogen, treu ergeben‹) (3) Adj. …dc er in mines herrin des kvniges / v] siner svne der vorginanton hertzogen hvlde v] ginade komen mohte… (Corp. 920, 274.17).
krenke (›Schwäche, Unzulänglichkeit‹): ← kranc (›schwach, unzulänglich; gering‹) (20) Adj.
won Mencilicher sin von krenki der nature / bl=de ist v] virgessilich dauon so ist ez núz v] erber · dc man ez bihalt · mit brieuin · swas ewiger · kraft bidarf · v] stæt bilibin sol (Corp. 3220, 396.13).
Mit der -e-Ableitung krenke konkurriert im Korpus in der Funktion eines Zustandsabstraktums die -heit-Bildung krancheit. kürze (›Kürze‹): ← kurz (53) Adj. Das wir Pnseren lieben burgerren disú reht gegeben v] gesezzet habin des sint gezúge die hie nach genemmet sint die es horten v] sahen…v] ander vil die nieman nemmet d~ [durch, UR] die kúrzi (Corp. 2596, 21.20).
leide1 (›Abneigung, Missgunst‹): ← leit (9) Adj. …daz sie allen den werren · uzrichten nach minnen · oder nach rechte · vnde nicht an sehen libe · leide vruntschapht… (Corp. 517, 454.32).
Ein Beleg des Lexems erweist sich aufgrund seiner korpusinternen Verwendung als Agentivum (vgl. leide2). leng(e) (›Länge‹): ← lanc (247) Adj. Das man hoher herren gesezte die wirdig sint ze gedenkinne von des cites lengi iht vergesse so haint die wisen erdaht daz man si mit scriftlicher habe vnuergeslig mache / (Corp. 2596, 20.9).
liebe° (›Liebe, Verbundenheit, Freundschaft; Wohltat, Gunst‹): ← liep (›lieb, teuer, wert‹) (650) Adj. …dc wir...vmbe die liebe vnde die friuntschaft, die wir lange hant gehebet zN Annen vnser beder iuncfrowe vmbe den dienest vnde die erbeit, di si het vlizzecliche vnde getruweliche in vnserme dieneste getragen zwenzig iar oder méé, so la wir lidig v] vrigent ir einen rebe acker, den si hat gekouft in demme banne ze Wangen… (Corp. 0421a = N 176, 138.26).
Korpusintern erweist sich das Lexem liebe trotz des vorwiegenden Auftretens in standardisierten, formelhaften Kontexten als motivierte Bildung. Der Gegensatz zum heutigen Begriff der Liebe zeigt sich in den Urkunden vor allem im Ausdruck der Gewogenheit und freundschaftlichen Verbun_____________ 122 Das Adjektiv wird z.B. zur Charakterisierung von Spielleuten (so im Korpus), Freudenmädchen und unehelichen Kindern gebraucht (vgl. DRW V: 1577, s.v. 1hübsch III.).
II.1. Derivationstypen
98
denheit zu einer Person. In dieser Hinsicht kann das Abstraktum liebe noch als über seine etymologische Basis123, das Adjektiv liep, voll motiviert gelten (›Tatsache, dass jmd. jmdm. liep ist‹).124 Eine Motivation durch das nur einmal belegte Verb lieben kann für das Korpus nicht angenommen werden. mügelîche (›Möglichkeit‹): ← mügelich (›angemessen, recht u. billig; möglich‹) (8) Adj. Beslafet eins bvrgers svn heinlich eins bvrgers tohter / v] wirt das offen dar nah ist ein mvgelichi da / so sol man ir vetter twingen / daz si sP zesamen geben / ob sP ez gerne tNnt (Corp. 1797A, 107.46).
Die Motivationsbedeutung ›möglich‹ des Basisadjektivs mügelich (vgl. Lexer I: 2217f.) ist nur bei Lexer belegt. næhe (›Nähe‹): ← nâch (1410) Adj. Jch verich ouch daz ich den Turn vnder Reisperch den ich mit minem gGt· han gechouffet · dem Gotteshaus von / Salzburch ebileichen han gegeben · vnd sol im von min) herren Von hevnburch - vnd von heinrichen von dem Turren · von Ansprach bringen. iner jares frist - vnd sol in ouch furbaz vnd min Erben dem gotteshaus Schermen mit reht · vnd sol iner jares frist zu dem Turn in zeitleicher nÜhen · Ahzehen march lediger gult dem gotteshause ze widerwehsel miner lehenschefte geben (Corp. 1833, 141.42).
tiefe (›Tiefe‹): ← tief (8) Adj. …v] sPln den Graben rvmen in der tiefi als er oberthalp ist (Corp. 347, 328.26).
ungehôrsame (›Ungehorsam‹): ← ungehôrsam (23) Adj. obe dehein§ vnder §ns, die iezo bi §ns sint alde har nah zG §ns koment, iemer vreuellich vngehorsan wirt, si loufe von §ns alde si belibe bi §ns, vnde in vngehorsamj belibet drie tage… (Corp.1031a = N 373A, 280.7f.).
Mit der -e-Ableitung ungehôrsame konkurriert im Korpus die -heit-Bildung ungehôrsamecheit. urvêhe (›Verzicht auf Rache für erlittene Feindschaft‹): ← urvêh (›frei von Feindschaft, unangefochten‹) Adj. (Lexer II: 2016) Si habnt auch gesetzzet / daz die selben geuangen von sant Marteins messe iner vierzehen tagen / vor dem herren von des wegen si geuangen warn/ oder vor swem er ez haizzet / vruehe swern / vnd swer nicht swert in derselben vrist / da sol man vmb manen die vorgenanten burgen… (Corp. 935, 289.26).
An dieser Stelle sei auf die Bemerkungen zu der -ede-Bildung urvêhede verwiesen, die gleichermaßen auf urvêhe zutreffen. vridesame (›Friedfertigkeit‹): ← vridesam (›friedfertig, friedlich, ruhig‹) (1) Adj. _____________ 123 Vgl. DWB (12: 917). 124 Anders Brendel et al. (1997: 108).
II.1.2. -e
99
…das wir mit gemainem rate v] gNtem willen vnbetwungenlich ane alle geværde vnserm lieben frãnde, herren v] vogget, dem hern Hainrich von Wildenberc, v] sinen rehten erbon dur fridesamie v] besserunge willen vnsers gotteshuses habint gegeben en wehsels namen nîvn schillinge en werde an korne… (Corp. 1024a = N 371, 278.4).
vrîhels(e) (›Freiheit‹): ← vrîhals Adj. (vgl. DWB 10: 250, 5, s.v. Hals) Wir geben in auch daz reht / daz niemen sol noch einmach / dem oder dem / der oder die / bei vnsern vorgenanten Burgærn sitzent / vnd mit in chauffent / vnd verchauffent / dehæin freihels fFr dinst geben / dann nach vnserm ze vorderst / vnd danach der Burgær rat (Corp. 2383, 478.8).
Das der Bildung vrîhels(e) zugrunde gelegte Basisadjektiv vrîhals ›liber‹ ist lt. dem DWB (ebda.) im Ahd. belegt. Das Mhd. Wörterbuch von Lexer (III: 517) folgert wiederum die Existenz eines Abstraktums vrîhals st.M. aus vrîhels(e). wîte2 (›Weite‹): ← wît (32) Adj. v] sol der wec and) tivlle oder an dem zvne abe gan ·/ der vorgenanten BrGder hof v] sol der sin inder wîtj daz ain karre oder ain wagen · vf v] abe muge gan âne gevârde (Corp. 532A, 472.22).
Zwei Belege des Lexems wîte liegen in den Urkunden in abstrakter Verwendung vor. In fünf weiteren Kontexten bezeichnet das Lexem in der Funktion eines Agentivums einen weiten Raum oder ein weites Feld. wîze (›Weißheit: Silbergehalt einer Münze‹)125: ← wîz (101) Adj. swenne aber die Burgere dunket daz sich die phenninge wandiln an der wizze vnde an der swerde · so svlen si manen des Ertzebischoues vicetNm oder sinen Munzmeister· daz si griffen in der Husgenozzen Budele· vnd versuchen daz (Corp. 1161B, 441.32).
Im Korpus bezeichnet das Abstraktum wîze den Silbergehalt von Münzen. Wie das DWB (28: 1190) nachweist, wird das Adjektiv »weisz schon im 13. jh. auch terminologisch in der sprache des münz- und goldschmiedegewerbes zur unterscheidung der relativen farbqualität gebraucht, in der sich der silbergehalt kund tut.« E. Instrumentativa (BV-e5): ›das, womit jmd. BV‹ Lexem becke2 bliuwe buoze1° bürste gewæge°
Belege
alem
bair
1 2 33 (106°) 1 7 (26°)
1 2 18 6
11 -
_____________ 125 Vgl. DWB (28: 1205).
alemwmd schw 1 -
IR1 Kg ofrk IR2 IR3 omd nd Rest -
1 1
-
-
-
2 1 -
-
-
II.1. Derivationstypen
100 Lexem kost[e]2° male* mâze müle° pên[e]1 plâge presse schære sege slîfe sperre spîse stiur[e]° wâge walke wazzerleite Gesamt
Belege
alem
bair
2 (11°) 3 28 17 (505°?) 33 1 2 2 2 1 5 10 4 (13°) 20 2 2 178 (776°)
3 5 11 8 2 1 6 1 9 2 2 77
1 9 4 7 2 1 5 2 2 2 46
alemwmd schw 1 1 1 1 1 14 1 5 2 24
IR1 Kg ofrk IR2 IR3 omd nd Rest 2 2 4
5 2 9
1 1
1 1
1 1
2 1 2 8
2 1 1 4
1 1
becke2: ← bachen (13) st.V. Die Mélne sullen och bereit sin mit wannon / mit siben / vnd mit ander bereitschaft / dc die / die da malent enkeinen bresten haben · Swer och fertgvnge bedarf / der sol §s / vnd in zefFrrenne gêben einen phenning von der Béke · vnd sol da mitte gerichtet sin (Corp. 3474, 559.41).
Die Beurteilung des nur einmal im Alem. belegten Lexems becke2 gestaltet sich schwierig, da die Lexembedeutung nicht eindeutig ermittelbar ist (›Gebackenes o. Backmaterial‹ vgl. WMU I: 148). Auch die Mundarten zeigen unterschiedliche Befunde. Die Regesten zu Urkunde 3474 (S. 724) verweisen an dieser Stelle auf das Schweizer Idiotikon (IV: 956), das die Bedeutung »was auf einmal verbacken werden kann, für 10-12 Laibe« führt. Man vergleiche hierzu auch die bei Schmeller (I: 201) für die Oberpfalz gebuchte Bildung Beck f. »eine zum Backen in Bereitschaft gesetzte Quantität Mehl«. Da m.E. eine Patientivparaphrase nicht geeignet ist, um das Backmaterial ›Mehl‹ semantisch zu beschreiben126, bevorzuge ich an dieser Stelle aus der Sicht der Wortbildung die Paraphrase ›das, womit man [eine bestimmte Menge Brot?] bäckt‹.127 bliuwe (›Bleumühle‹): ← bliuwen (3) st.V. …dc zeden ziten so man dis korn geben sol / dc si / die malent nét irren sol / weder bl=we / noch walche · noch enkein ander rát (Corp. 3474, 559.29).
_____________ 126 Gebacken wird ja nicht das Mehl, sondern der Teig. 127 becke unterscheidet sich hier von der bei Henzen (1965: 175) besprochenen mundartlichen -ete-Bildung Backete, »die das Ergebnis einer Tätigkeit, namentlich aber eine gewisse Menge, die auf einmal erscheint« bezeichnet, in diesem Fall also »was auf einmal […] gebacken wird«. Diese Bildung ist also eindeutig patientiv verwendet.
II.1.2. -e
101
Hinsichtlich der lokativen Nebenbedeutung von bliuwe vgl. die Bemerkungen zu müle. buoze1°: ← büezen (63) sw.V. Slât aber der burger / den selder · von dem selben zorne / dar nâ / so sî geschêden werdent! so besserot [!] der b~ger! fvnf schilłg /· v] fîerzen nacht / in dîe n§wen stat! das ist des burgers gr=ste bGse! gegen dem selder! (Corp. 1295, 535. 47).
33 der analysierten Belege des Lexems buoze liegen im Korpus in instrumentativer Bezeichnungsfunktion vor. Im Gegensatz zum abstrakten buoze2 bezeichnet die Bildung als Konkretum ›Bußgeld; Gerichtsgebühr‹ oder eine bestimmte Strafe oder ein Strafmaß. In dieser Verwendung lässt sich das Lexem mit der Paraphrase ›das, womit jmd. büßt‹ beschreiben, wenn sicherlich auch schon Lexikalisierungstendenzen (›Bußgeld‹) spürbar sind. Wie bei vergleichbaren Bildungen (z.B. bezzerunge) muss auch bei buoze darauf hingewiesen werden, dass die Analyse der Einzelbelege eine eindeutige Entscheidung zwischen abstrakter oder konkreter Lexemverwendung nicht immer zulässt. Auch hier ist besonders die Präpositionalphrase mit ze ein Unsicherheitsfaktor. Das Verb büezen und buoze sind aus synchroner Sicht wechselseitig motiviert (büezen = buoze tuon, buoze = Tatsache, dass man büezt‹).128 Sprachhistorisch gesehen sind beide Lexeme jedoch zu der dem Komparativ baz ›besser‹ zugrunde liegenden Wurzel gebildet.129 bürste: ← bürsten sw.V. (Lexer I: 398) Noch ist manegerhande kleinote · daz dar zG horet · aleine nie benGme ich iz sunderliche nicht · alse bGrste · v] schere · v] spiegele… (Corp. 51, 82.36).
Etymologisch handelt es sich beim Lexem bürste vermutlich um eine Bildung zu borste130 bzw. eventuell auch um eine Rückbildung aus dem schwachen Verb.131 Aus mhd.-synchroner Sicht trifft jedoch die gleiche Beobachtung zu, die DW (1975: 437f.) für das Nhd. macht. Das Substantiv bürste kann demzufolge einmal als Basis für eine Verbalisierung erscheinen, sich gleichzeitig aber auch als Nominalisierung in das instrumentative Paradigma einfügen. Die Motivationsbeziehung zwischen Substantiv und Verb ist somit reversibel. gewæge° n. (›Gewichtsstück‹): ← gewegen (Lexer I: 980), wegen (28) st.V. …swer mit minre oder mit merer maze oder gewege / k?fet / oder verk?fet / der begat d§pstal (Corp. 1797A, 105.8).
_____________ 128 129 130 131
Vgl. Müller (1993a: 282). Vgl. Duden Etym. (1963: 91f.). A.a.O.: 91. Vgl. Kluge (1999: 147).
II.1. Derivationstypen
102
Neben der vorliegenden, motivierten Bedeutung ›Gewichtsstück‹ tritt gewæge hauptsächlich in der Bedeutung ›Münzgewicht, Währung‹ auf, in der ich die Bildung als idiomatisiert betrachte. kost[e]2 m. (›Verpflegung, Verköstigung, Lebensmittel‹): ← kosten (12) sw.V.; Vgl. koste1 v] wenn der herr von dem land raisen wil so sol man in einen vertigen wagen mit chost mit elleu antwurten alz man stat an in vint (Corp. 1632, 763.8).
male* (›Mahlgang: Vorrichtung zum Mahlen‹): ← maln (43) st.V. …v] sol der selbe wernher · vffen der selben hofstat / ein MNli b?wen · mit zewein· malon…(Corp. 632, 62.26).
mâze (›Maßeinheit, Messgefäß‹): ← mezzen (5) st.V. Ein iegelicher winman alle iar so men Núwen win geliset / vnde er den verk?ffin wil / So sol er RMffin dem buttille v] sime vndertân vnde andern getrúwen livthen von der stat / vnde sol redeliche besetzin vor dem Rihter vmbe die winmasse / v] wie dúre men den win gebe / v] die selbe Masse so si geordint sint sol er vol wines gebin dem búttille von dem eirstin fGder / Aber dem Rihter sol er der selbin Masse gebin zwei vierteil zN rehte/ v] da nach alles daz jar / sol er friliche win verkouffen / daz er kein reht me alzo da von gebe die wile die ordenunge vnverwandilt ist (Corp. 1653, 780.5ff.). Alle die maze da mit man veile dinc mizzet v] alle div gewege da mit man silber oder golt wiget v] ander weile dinc wiget dar vber sol der schultheize v] der rat zwene biderbe burger sezen daz die bewaren daz beide div mez v] div gel=te reht sin (Corp. 372, 346.44).
müle°: ← maln (43) st.V. Für die Analyse des Lexems müle werden nur die Belege aufgenommen, die in ihren Flexionsformen nicht auf die Form mülin hinweisen132, die häufig neben müle auftritt. In mülin hat das Lehnwort im Gegensatz zu müle das auslautende -n des spätlat. molīna bewahrt133 und ist daher nicht im Rahmen der -e-Ableitungen zu behandeln. müle hingegen kann trotz des etymologischen Befundes und unter Annahme morphologischer Teilmotiviertheit »synchron als Analogiebildung zu der Vokalalternanz der ablautenden Verben« angesehen (Brendel et al. 1997: 78) und in ein Motivationsverhältnis mit dem Verb maln gestellt werden.134 Darauf weisen auch viele Textstellen hin, die müle und maln im gleichen Kontext aufweisen.135 _____________ 132 Ausgeschlossen werden also Formen wie múlina (A.Sg.) oder Pluralformen wie mulinon (D.Pl.) etc. (vgl. WMU II: 1256f., s.v. A2). Viele Formen in obliquen Kasus können jedoch nicht eindeutig zugewiesen werden, sie können sowohl als Formen von mülin als auch als schwach flektierte müle-Formen aufgefasst werden (vgl. ebda). Diese Belege werden unter Vorbehalt der Nominalform müle zugewiesen. 133 Vgl. Wilmanns (1899: 304 Anm.1, 305, 315 Anm. 3). 134 Vgl. ferner die folgenden Bemerkungen von Brendel et al. (a.a.O.: 98f.) zum Frnhd., die ebenso für das Mhd. Gültigkeit haben: »Obwohl der Vokalwechsel a > ü nicht in das Paradigma des frühneuhochdeutsch noch starken Verbs paßt, wird er vom Sprachgefühl integ-
II.1.2. -e
103
Hinsichtlich der semantischen Analyse von müle bevorzuge ich es im Gegensatz zu Brendel et al. (a.a.O: 99, 175), als primäre Bezeichnungsfunktion des Lexems ein Instrument anzusehen, mit dem man etw. mahlt. Die Interpretation als Lokativum erklärt sich daher, dass man bei einer Mühle »ohne nähere bezeichnung, an die wassermühle, und zwar sowol an das mühlwerk (den gang), als an das es umschlieszende gebäude« denkt (DWB 12: 2637, 2). Der lokale Aspekt ist m.E. hier nicht als Ergebnis eines Wortbildungsvorgangs zu interpretieren und unterscheidet sich auch als Resultat metonymischer Bedeutungsübertragung von anderen sekundären Lokativa darin, dass die Ausgangsbedeutung schon konkret ist (Instrumentbezeichnung) und nicht abstrakt.136 Wie bei bliuwe, presse, sege und walke lässt sich auch bei müle beobachten, dass die Instrumentbezeichnung oft in den Kontexten als Ortsbezeichnung verwendet wird. Dies liegt natürlich daran, dass die genannten Maschinen Immobilia sind, d.h. einen festen Standort haben und eventuell ein sie schützendes, umgebendes Gebäude, das in das Bezeichnungskonzept aufgenommen wird. Dennoch ist die Wortbildung primär als Instrumentativum aufzufassen. Die Wortbildungsparaphrase darf also nicht lauten ›Ort, wo man mahlt‹, sondern der lokale Aspekt entsteht aus der Aussage »Ort, wo die Maschine steht, mit der man mahlt«. pên[e]1 (›Strafe, Bestrafung‹): ← pînen sw.V. (Lexer II: 272) Swer diese vor genanthe satzvnge brichet / der sal di pennege geiben / e / er widder in di stat kvmme. Brichet er daz oder kvmmet er / e / siner zith her in / so sal er zwifeldege pene Lieden (Corp. 903, 263.10).
Vgl. die Bemerkungen zu pêne2. plâge (›Plage‹): ← plâgen sw.V. (Lexer II: 276) Qveme ock dat also dar os got vorbeware daz ein grot plage also hagel oder ein herenoth mit brande v] mit dingede dit benomede gGt groueliken verwoste / v] verderfde/ (Corp. 1310B, 550.34).
_____________ riert. Daß an einem unmotivierten Vokalwechsel kein Anstoß genommen werden muß, beweisen im Neuhochdeutschen -Ø/-e-Ableitungen wie Schuß oder Flug. Auch wenn im gegenwartssprachlichen Flexionsparadigma der starken Verben schießen und fliegen der Stammvokal u nicht mehr vorkommt, werden die Substantive als Ableitungen dieser Verben empfunden. Ebenso muß es dem frühneuhochdeutschen Sprecher gegangen sein und er interpretierte müle als Ableitung von mahlen.« 135 Z.B.: »Si sprachen och / swer da vor hat gemaln dc der Mélner sin Mé élin vf haben sol / vnd si bereiten / swer nach im da malen welle / dc der sin Mélin vinde bereit als ers von rêcht vinden sol · vnd swer dar nach malen wil der sol die mé éli féllen« (Corp. 3474, 559.34ff.). Aufgrund der Belegermittlung mittels des Kernkorpus (10% der Textmenge) und der damit einhergehenden starken Reduktion der Belege (19/505) finden sich solche Kontexte mit textinterner Motivationsbasis leider nicht in den eruierten Textstellen. 136 Vgl. DW (1975: 454ff.).
II.1. Derivationstypen
104
plâge wurde im Spätahd. aus dem Lat. entlehnt (lat. plāga). Das Verb plâgen ist eine desubstantivische Bildung.137 Synchron kann ein wechselseitiges Ableitungsverhältnis zwischen Substantiv und Verb angenommen werden. Die Klassifizierung von plâge als Instrumentativum138 erklärt sich daher, dass sich hinter dem Vorgang des Plagens bzw. dem Instrument des Plagens ein Subjekt verbirgt, das jemanden mit etwas plagt. Bis zum 16. Jh. konnte dieses Subjekt ausschließlich Gott sein, eine plâge wurde also als göttliche Heimsuchung verstanden.139 presse: ← pressen (4) sw.V. vnd schvlen alle an wider rede den selben win / pressen / in vnser presse / vnd schvlen vns den gancen cehent geben mit dem dinst / swer aber niht pressen wil noh enmach in vnser presse / der schol vns chvnt tun swen er liset / vnd schol vns zehent vnd dinst geben ovz der botegen for dem wingarten / (Corp. 2573, 6.12ff.).
Das Substantiv presse und das Verb pressen wurden jeweils unabhängig voneinander ins Deutsche entlehnt.140 Im Untersuchungszeitraum kann presse synchron als instrumentative Ableitung zum Verb analysiert werden.141 schær[e]: ← schern st.V. (Lexer II: 709f.) schære ist aus etymologischer Sicht keine deverbale Wortbildung.142 Synchron kann jedoch eine Motivation durch das Verb schern angenommen werden.143 sege (›Säge oder Sägemühle‹): ← segen st.V. (Lexer II: 847) …sehs schillinge phenninge geltes / die wir haben vf dem huse vnd vf der hofstat bi den oberen segen / dú Gerlaches seligen waz… (Corp. 2922, 217.26).
Etymologisch ist sege die Wortbildungsbasis des abgeleiteten Verbs segen. Aus synchroner Sicht kann jedoch von einer wechselseitigen Motivationsbeziehung von Substantiv und Verb ausgegangen werden.144 slîfe (›Schleifmühle, Schleiferei‹): ← slîfen (4) st.V. Daz her peter dem man sprichet senfteli v] sin hvs vro adelheit hant gegeben den vrowen von klingental dvr got v] dvr ir selen heil diz gNt bi der slifen fvnf ivcherten… (Corp. 571, 6.2).
sperre (›Sperre, enge Öffnung, Stadttor‹): ← sperren (6) sw.V. …dem chloster / zesande Peter / in der sperre / daze der Niwenstat… (Corp. 2336, 446.14).
_____________ 137 138 139 140 141 142 143 144
Vgl. Duden Etym. (1963: 513f.). Döring/Eichler (1996: 128) bewerten die Bildung als Agentivum. Vgl. Paul WB (1992: 655). Vgl. Kluge (1999: 646 s.v. Presse, s.v. pressen). Über die Bewertung der eventuell lokalen Nebenbedeutung vgl. die Bemerkungen zu müle. Zur Etymologie und Sachgeschichte vgl. Duden Etym. (1963: 600). Vgl. Döring/Eichler (1996: 133). Vgl. DW (1975: 437f.).
II.1.2. -e
105
Obgleich das Lexem sperre im Korpus ausschließlich »im Namen des Dominikanerinnenkl. St. Peter in der Sperr (am Stadttor) in Wiener Neustadt« (WMU II: 1619) auftritt, ist der appellative Gehalt des Lexems unbestritten. spîs(e) (›Speise, Lebensmittel, Verpflegung‹): ← spîsen (1) sw.V. V] geben vch gewalt vber pfaffen v] leien / die dc cruce nement / das ir siv mvgent vzir banne lazen · nah der ecclesien forme / von vnsirme gewalt ob sie waren gevarn zime heiligemme grabe / wider der gebotte / die dar vber gewalt hant / von deme stNle ze Rome / v] die den heidnen spise / brahtent/ oder harnasch · oder dienest v] helfe tatent (Corp. 93, 139.42).
spîse ist eine Entlehnung aus »ml. spesa […] ›das ausgegebene Geld, der Aufwand‹ [...]. Die Bedeutung ›Nahrung‹ hat das Wort schon im klösterlichen Latein angenommen« (Kluge 1999: 776). Das abgeleitete Verb spîsen ›jmdn. speisen, beköstigen‹ kommt in der Bedeutung ›etw. speisen, essen‹ erst ab dem 17. Jh. vor.145 Das Motivationsverhältnis zwischen spîse und spîsen ist aus synchroner Sicht reversibel. stiur[e]° (›Unterstützung, Hilfe‹): ← stiuren (u.a. ›unterstützen‹) (26) sw.V. …daz man die sechs vnd zwaynch march silbers einem prvder schol geben ze stevwer (Corp. 1429a = N 498, 358.29).
Etymologisch ist das Verb stiuren eine denominale Ableitung zu stiur[e]. Beide Wörter sind schon in mhd. Zeit stark auf die Verwendung als Begriffe des Steuersystems eingeschränkt. In diesem Gebrauch halte ich eine Motivation von stiur[e] ›Steuer, Geldabgabe‹ über das Verb stiuren ›Steuer entrichten, steuerpflichtig sein‹ für nicht sinnvoll. Die Motivationsrichtung verläuft m.E. einseitig vom Substantiv zum Verb. Anders liegt der Fall bei der noch vereinzelt nachweisbaren Bedeutung ›Unterstützung‹, die der Bildung vor ihrer semantischen Spezialisierung zukam.146 Hier ist m.E. ein reversibler Motivationsbezug um einiges wahrscheinlicher. Problematisch bleibt die semantische Interpretation der Bildungen. Da die zwei einzigen Verbbelege in der Bedeutung ›unterstützen‹ in Konstruktionen mit der Präposition mit auftreten, habe ich mich dafür entschieden, die drei entsprechenden Belege von stiur[e] als Instrumentativa zu werten. wâge (›Waage; Gewichtsstück‹): ← wegen (28) st.V. Ein iegelich bvrger der hât wol eine wage da mit er wiget sinen bvrgern/ v] nPt den fr=mden · Swas man vmbe die geste k?fet oder verk?fet / das sol man wegen mit vrone wage (Corp. 1797A, 111.43ff.).
walke (›Walkmühle‹): ← walken (8) st.V. _____________ 145 Vgl. Paul WB (1992: 614). 146 Diese Bedeutung entstand durch Übertragung des urspünglich konkreten Lexems ahd. stiura ›Stütze, stützender Pfal, stützendes Fundament, Steuerruder‹ (vgl. Pfeifer 2000: 1358).
II.1. Derivationstypen
106
Vgl. den Belege unter bliuwe. Hinsichtlich der lokativen Nebenbedeutung vgl. die Bemerkungen zu müle. wazzerleite (›Wasserleitung‹): ← wazzer (336) st.N., leiten sw.V. (30) Wir binden Pns ?ch an disen brief da wir den vorgenanten · Adelhaide · ir kinden v] ir liperbon iemer me die selbun wasserlaiti rihten son / von allen den Pber der gGt alde an der gGt ez hin rinnet in der wesunge als es iezont flúzet (Corp. 2440, 509.7).
Das Substantiv leite ist im Korpus nicht in der konkreten Bedeutung ›Leitung‹ belegt.147 Das Verb leiten begegnet hingegen sechsmal in der Bedeutung ›(einen Wasserlauf) leiten, lenken‹ (WMU II: 1121): ?ch vergehen wir des den vorgenanten brNdern · dc der bach · der da an vnser mPli gat in der stat ze zovingen· dc sj den leiten vnd Mren svllen als sj wellent vnd inen wol kvmet in den ziln als inen hie vor geschriben ist! (Corp. 824, 180.32).
Aus synchron korpusbezogener Sicht erscheint daher die Analyse des Lexems wazzerleite als Zusammenbildung wahrscheinlicher als die Klassifizierung als Determinativkompositum. F. Lokativa (BV-e6): ›Ort, wo jmd./etw. BV‹ Lexem æze*/ etze gebiet[e] geleit[e]2 geriht[e]3° gesez(ze) gewande herberge1 niderlege rinne sleife stege weide° Gesamt
Belege
alem
5 25 7 27 (196°) 20 12 21 7 1 1 5 22 (159°) 153 (459°)
2 2 5 16 11 7 1 4 10 58
bair 3 22 1 6 4 3 7 1 1 7 55
alemschw 1 1 1 3
wmd
Kg
ofrk
1 10 1 7 1 20
2 2
3 4 1 8
IR2 IR4 omd 2 2 4
1 1
1 1 2
æze*/etze f./n. (›Weideland, Weideplatz‹): ← atzen/etzen (›(das Vieh) weiden lassen‹) (4) sw.V.
vmbe alle dye vordur dye ich hatte andas hus vnde an dye brGdere vnde an ir lute vnde an ir gNt vmbe ecinan vnde vmbe holz howin vnde zwiger graben…vmbe ain benandes gNt des bin ich gewert vnde sundurbar vmbe das gNt ze cranmos das ich sprach es lage in der esse Von Nttenhusen (Corp. 649, 72.21).
_____________ 147 Vgl. bei Lexer (I: 1872f.) die Bedeutung »tonne, fass zum verführen einer flüssigkeit«.
II.1.2. -e
107
Im Gegensatz zu drei bair. Belegen ( Urk. 2640) zeigen zwei alem. Belege die Schreibung . Die Bedeutung ›Weideland‹ weist das WMU (I: 134) als unsicher aus. Der urkundeninterne Beleg des mit vier Belegen sehr seltenen Verbs atzen/etzen (vgl. Textbeispiel) kann jedoch eventuell als Indizienbeweis für die angenommene Bedeutung gelten.148 gebiet[e] f./n. (›Herrschaftsbereich, -gebiet, Zuständigkeitsbereich‹): ← gebieten (439) st.V. ..vmb di levte die di Gol · ansprechent vron Jrmegarten chind / vnd Æshweinen auf der TMnt / vnd sin geslehte halbes sprech wir / Jn swez gebiete di Levte Sitzen zwihssen in baiden / der gebiet in auf di Stat / vnd auf den tach / vnd tN in iz der andere chvnt (Corp. 631, 59.48).
geleit[e]2 n. (›Geleitgebiet‹): ← geleiten (29) sw.V. Jn swelhes herre gerihte oder geleite ez si vf lande oder vf wazzer ein kovfman oder sus ein man berovbit wirt von dez herren gesinde / amtman/ burchmane oder dinstmanne · der der herre gewaltic ist an alle argeliste daz sol der herre in dez gerihte oder geleite der berovbet ist gelten / (Corp. 879W, 222.18ff.).
geriht[e]3° n. (›Gerichtsbezirk‹): ← gerihten (48), rihten (715) sw.V. Wil ein burger ziehen von friburg / so sol in der herre geleiten mit libe v] mit gNte / vnzit enmitten vf den rin / v] dvr alles sin geriht (Corp. 1797A, 96.6).
gesez(ze) n. (›Anwesen, Besitz, Wohnsitz‹): ← gesitzen (14), sitzen (675) st.V.
…daz wir den frowen demme man sprichet von sante katherinen / der Predier ordenes / haben vri gelasen / …die hofstat ze wFri / da si îeze uffe sizent / vnde haben in die eigenschaft geben / vnde haben in die gnade getan / daz si da ein Closter mvgen machen / des vorgenanten ordenes · vnde swas si dar zG hofstete / vmbe das selbe gesêse bedúrfen / ze einer Closterstat / ane alle geverde / da sun si die selbe vriheit haben… (Corp. 2741A, 111.16).
Ein Beleg des Lexems gesezze149 wird vom WMU (I: 674f.) mit der Bedeutung ›Belagerung‹ wiedergegeben. Diese bisweilen belegte Verwendung mit aktionalem Aspekt150 ist jedoch nicht durch das Basisverb motivierbar. Hierbei handelt es sich nach meiner Einschätzung wohl eher um eine semantische Erweiterung zur konkret-lokativen Nebenbedeutung des Lexems als Bezeichnung eines Heeres- oder Kriegslagers151 (›Ort, wo das Heer sitzt‹), die auch im vorliegenden Beleg noch angenommen werden kann: _____________ 148 Vgl. Szadrowsky (1927: 60): »En etzi, ätzi (zum Zeitwort etzen nähren, abweiden lassen u.ä.) ist eine weide, besonders [...] ein stück weide, das in einem tag abgeätzt werden kann.« 149 Die Lemmaformen gesæze (1 alem., 2 bair.) (vgl. WMU I: 664) und gesitze (2 bair.) werden als allomorphische Varianten unter gesezze mitbehandelt. 150 Vgl. DRW (IV: 416 IV.). 151 Vgl. DWB (5: 3808, s.v. 1, l), DRW (IV: 416 III.).
II.1. Derivationstypen
108
…daz in der mishellvng div zwischen vns vnd dem Bischolf von Salzburch ist gewesen / da wir Mvldorfær mit gesezze haben geirret… (Corp. 754, 135.1).
gewande (›Gewann: Acker-, Flurstreifen (Unterteilung der Feldflur)‹): ← gewenden (Lexer I: 983), wenden (81) sw.V. So ligent zwa Jvchhart vf irrandes gewande · ziehent einsite vffen dez schusseleres gewande andersite vffen Sê · vn het ein site der Schusselere · · andersite irranz (Corp. 207, 215.44).
herberge1 (›Herberge, Unterkunft‹): ← herbergen (›Herberge nehmen; beherbergen‹) (19) sw.V.
Swaz man strowez bedarf v] howes daz get vzer phaffen houen · v] sol daz stro bliben in den herbergen swa die rittere slaffent (Corp. 29, 55.25).
Da die Mehrzahl der konkret verwendeten Belege des Lexems herberge nicht ausschließlich Unterkünfte für Heere oder ähnliches bezeichnen, sondern schon weitgehend bedeutungsneutral verwendet werden, bietet sich die Motivation ausschließlich über das Verb herbergen an. Eine Zusammenbildung ist daher aus semantischen Gründen nicht anzunehmen.152 Synchron kann aber ein reversibler Bezug angenommen werden. niderlege (›Warenniederlage, Stapelplatz‹): ← niderlegen (35) sw.V. Im Korpus ist neben niderlege einmal die -unge-Bildung niederlegunge vertreten. Das -e-Derivat ist siebenmal in Urkunde 477 belegt. rinne (›Rinne, Regenrinne‹): ← rinnen (9) st.V. swer îe daz mein hovs innen hat / daz der die selben Movre / sol mit gvten rinnen / wol behvten / v] bewaren / also / daz in da von an ir hovse / dehein schade iht geschehen sol! (Corp. 2171, 343.17).
sleife (›Schleife: durch Schleifen des Holzes entstandener Weg‹): ← sleifen sw.V. (Lexer II: 970)
stege (›Stiege, Treppe‹): ← stîgen (1) st.V. V] sol das fenster, da man zG hern Heincen stegen vf gat, das sol îemerme offen bliben, doch der in deme huse ist gesessen, der sols versprigeln vestecliche, das nieman durdurch gestigen mvge in hern Heincen hof (Corp. 0122a = N 91, 64.9).
weide° (›Weide, Weideplatz‹): ← weiden (3) sw.V.
Das Verb weiden stellt aus etymologischer Sicht eine desubstantivische Ableitung dar.153 Synchron kann das usuelle weide (›Ort, wo man das Vieh weidet‹) jedoch durch das Verb weiden motiviert sein.154 Eine Motivation des Verbs über das Substantiv scheint mir hingegen synchron wenig wahrscheinlich.
_____________ 152 Dieser Bildungstyp ist jedoch aus etymologischer Sicht der ursprüngliche (vgl. Kluge 1999: 370). 153 Vgl. Kluge (1999: 881), Duden Etym. (1963: 758). 154 Vgl. Gersbach/Graf (1984/85: §487), Döring/Eichler (1996:140).
II.1.2. -e
109
G. Agentiva (BA-e7): ›jmd./etw., der/das BA ist‹ Lexem eben/e gebreite gemeinsam(e)1 halbe hœhe2 leide2 mêre* vrevel[e] wîte1 wunde1 Gesamt
Belege 2 28 5 1 1 1 1 40 5 34 118
alem 28 4 26 3 6 67
bair 2 1 1 1 5 2 13 25
a-s 4 4
wmd IR1 Kg 1 1 2 1 3 1 1 7 1 2
ofrk IR3 omd nd 1 1 - 1 8 1 1 1 9 1
eben/e (›Ebene‹): ← eben (3) Adj./Adv. …daz Holtz daz da leit zwischen wurmze vnd sleyenpach · oben avf der eben (Corp. 2803, 148.34).
gebreite (›Ackerbreite, breites Ackerstück‹): ← breit (28) Adj.
DW (1975: 50) führt das Lexem Gebreite als Ge-...-ø-/-e Bildung innerhalb einer Restgruppe, die »vereinzelte Bildungen mit verbaler oder adj. Basis [...]« umfasst, »die nicht reihenhaft ausgeprägt sind«. Da auch bei Lexer kein Adjektiv mit ge-Präfix nachweisbar ist, könnte in diesem Fall eine ge…-e Bildung erwogen werden. Ich habe mich jedoch dazu entschlossen, auch in diesem Fall keinen eigenen Bildungstyp anzunehmen. Etymologisch handelt es sich bei gebreite um eine »alte nebenform zu breite f.« (DWB 4: 1858). Synchron kann die Bildung trotz des morphologischen Unterschieds als durch das Basisadjektiv breit motiviert gelten. Die Bildung breite liegt im Korpus ausschließlich als Adjektivabstraktum vor. gemeinsam(e)1 (›Gemeinde‹): ← gemeinsam Adj. (Lexer I: 842f.) CNnrat sin svn die edelen knehte vnd die Bvrger v] dar zN dv gemeinsammi des selben dorfes von Crozzingen / tMn kvnt allen den so disen brief an sehent alder h=rent lesen / daz… (Corp. 671, 84.32).
halbe (›Hälfte‹): ← halp (1150) Adj. Brechen wir diz an irme libe oder anme hGse alse da vor gesprochen ist So Sin wir inphallen an vnsern leenen die wir han von deme grauen von veldenze · die Solen halbe weesen des grauen v] die anderhalbe des an deme der brech geschiit (Corp. 904, 264.3).
Der zitierte Belege ist der einzige, der im Korpus als motiviert gelten kann. Die verbleibenden vier Belege (alle in Urk. 2054, Zürich) zeigen halbe als Terminus aus dem Pachtrecht, genauer der Halbpacht, und bezeichnen ein »Grundstück, dessen Pächter (Halbbauer, Halber) die Hälfte des Ertrags als Zins zu entrichten hat« (WMU I: 786). Auch wenn der semantische Bezug zum Basisadjektiv noch erkennbar ist, kann diese Be-
II.1. Derivationstypen
110
deutung der Bildung jedoch nicht mehr mittels einer standardisierten Wortbildungsparaphrase erfasst werden. halbe ist in dieser Verwendung idiomatisiert. hœhe2 (›Anhöhe‹): ← hôch (135) Adj. vnd von dann · avzerhalp eins grozzen pirpavms in der hegge vnder den Mdelhers · prvnn · vnd denn · cehant daz strevzich den perch avf · an · den hohen raynen · vnd also nach dem selben · raynen / di · h=hen · ob dem vFrholz (Corp. 462, 399.45).
leide2 (›Leid, Böses‹): ← leit (›leid, unlieb‹) (9) Adj. vnde áren beiden kinden be holfen mit ganzen v] mit guden trwen / wider allen den / dá án leide wollin tun / vnde be swerin / (Corp. 2878, 194.39).
mêre* (›Mehrbetrag‹): ← mêr (1700) Adj./Adv. Ez piete =tte den Haider an Ahtzehenpfvnt beraiter pfenning / Jeh denne der Haider daz iz [ein Gut, UR] mer ste / daz bered mit sinem aide / vnd hab daz selbe gMt inne vFr die mære (Corp. 631, 61.21).
vrevel[e] (›frevelhafte Tat, Vergehen‹): ← vrevel, vrevele (2?) Adj.
Lexer (III: 503f.) lemmatisiert vrevele, vrevel mit zwischem maskulin und feminin schwankendem Genus. Die Analyse von 53 Korpusbelegen hat zu dem Ergebnis geführt, dass die elf Belege, die definitiv maskulin sind, in keinem Kasus auslautendes -e oder -i zeigen. Hingegen zeigen neun von 13 eindeutig femininen Belegen auslautenden Vokal. Dies lässt vermuten, dass es sich auch bei den Belegen mit formal nicht feststellbarem Genus dann relativ sicher um Feminina handelt, wenn sie vokalischen Auslaut aufweisen.155 Dies träfe dann auf zusätzliche 16 von 27 Belegen zu. Die jeweiligen Relationen verbessern sich noch etwas, wenn man die bairischen Belege (dreimal f. oder m., zweimal f.), die ohnehin Apokope aufweisen, vorerst ausklammert. Der vorliegende Befund hat mich dazu veranlasst, vrevel[e] als feminine -e-Bildung (inklusive der im Genus unsicheren Belege) aufzunehmen und vrevel als maskuline Nullableitung zu behandeln. In semantischer Hinsicht beziehe ich vrevel[e] auf seine etymologische adjektivische Basis vrevel. Dafür sprechen trotz der geringeren Belegzahlen des Adjektivs die meisten Belege in der konkret aufzufassenden Bedeutung ›frevelhafte Tat‹. Als zweite synchrone Motivationsbasis ist u.U. das zum Substantiv gebildete Verb vrevelen156 zu berücksichtigen. Einige Belege könnten deverbal aufgefasst werden, der Motivationsbezug zwischen vrevel[e] und vrevelen wäre somit reversibel. Doppelmotivation kann jedoch in den wenigsten Fällen angenommen werden, da sich die Wortbildungspa_____________ 155 Hier zeigt sich noch gut das Nebeneinander des alten feminen deadjektivischen -îAbstraktums vrevele neben dem zu den Maskulina übergetretenen vrevel, das sich bis heute erhalten hat, während das Feminum untergegangen ist (vgl. Henzen 1965: 171). 156 Kluge (1999: 286).
II.1.2. -e
111
raphrase bei verbalen Bezug nicht mehr konkret formulieren lässt (vgl. einen vrevel tuon). wîte1 (›weiter Raum, weites Feld‹): ← wît (32) Adj. …vnde von der houestat / oder uon der witj dú uon mime huse da dîe kawerschi inne sint / vngebuwen lit…/ (Corp. 2659, 60.33).
wunde1: ← wunt (24) Adj.; Vgl. die Bemerkungen zu wunde2 Were ?ch / das der burger / wndot den selder! vnd d§ wnde / alse tief ist! das si gat an das / erste / t§mengelêch · das ist der blGdsclag (Corp. 1295, 536.14).
H. Agentiva [DM] (BS/BV-e8): ›jmd., der etw. mit BS tut/BV‹ Lexem gelte kempfe koufe scherme schütze2 Gesamt
Belege 9 1 1 7 3 21
alem 9 1 1 11
bair 6 6
Kg 1 1
Rest 3 3
gelte m. (›Schuldner, Gläubiger‹): ← gelt (1190) st.N., gelten (1135) st.V. Analog zur -er(e)-Bildung geltære behandle ich das Lexem gelte als ein durch das Substantiv gelt und das Verb gelten doppelmotivierte Bildung.157 Das Lexem zeigt wie gülte oder geltære ›korrelative Bedeutung‹ und kann den Schuldner und gleichzeitig den Gläubiger bezeichnen. Ich fasse das Derivat in beiden Bezeichnungsfunktionen als Agentivum auf und paraphrasiere ›jmd., der für einen Geld gibt/einem Geld geben muss‹ oder ›jmd., der (für einen) gilt/einem gelten muss‹. Ob im Einzelfall debitor oder creditor bezeichnet werden, hängt von der jeweiligen Perspektive ab. kempfe m. (›Kämpfer, Streiter‹): ← kampf (67) st.M., kempfen (26) sw.V. Wurt dekein kampf ze Colmer fur sich gnade so sol der kempfen iewederre ein halsperc an haben v] swei swert… (Corp. 372, 347.24).
Das Nomen agentis kempfe ist aus etymologischer Sicht eine desubstantivische -jan-Bildung zum Substantiv kampf.158 Synchron kann die Bildung jedoch zusätzlich zum Basissubstantiv kampf (›jmd., der an einem kampf teilnimmt‹) auch auf das schwache Verb kempfen (›jmd., der kempft‹) bezogen werden.159 koufe m. (›Kaufmann‹): ← kouf (›Handel‹) (1050) st.M., koufen (›Handel treiben‹) (1660) sw.V. _____________ 157 Vgl. Szadrowsky (1918: v.a. 79f., 156 ›wahrscheinlich denominativer Herkunft‹). 158 Vgl. Kluge (1999: 421), Weinreich (1971: 69). 159 Vgl. Wilmanns (1899: 197), Bürgisser (1983: 195), Brendel et al. (1997: 103).
II.1. Derivationstypen
112
koufe ist ein Lehnwort zu lat. caupo ›Schankwirt, Kleinhändler‹, zu dem vermutlich auch das Verb koufen gebildet ist.160 kouf wiederum ist »eine alte Rückbildung« (Duden Etym. 1963: 318) zu koufen. Synchron ist m.E. aufgrund der Bedeutung ›Kaufmann‹ ein doppelter Motivationsbezug von koufe auf kouf (›jmd., der Handel betreibt‹)161 und koufen (›jmd., der mit etw. handelt‹) gegeben. scherme m. (›Gewährsmann, Sachwalter bei Rechtsgeschäften‹): ← schirm (›Schutz, Gewähr etc.‹) (265) st.M., schirmen (›schützen, beschützen etc.‹) (273) sw.V. vmb daz vor genant gut setz ich mich selben…ze rehtem schermen fFr alle ansprach als landes reht ist (Corp. 0905a = N 328, 251.2).
Aus etymologischer Sicht ist nicht entscheidbar, ob die Bildung schirme, ein alter jan-Stamm (ahd. scirmeo), auf das Substantiv schirm, scherm (ahd. scërm, scirm) oder das Verb schirmen, schermen (ahd. scirmen) zurückzuführen ist.162 Auch mhd.-synchron kann das Lexem semantisch und morphologisch auf Substantiv (›jmd., der schirm gibt‹) und Verb (›jmd., der schirmt‹) bezogen werden. Die Bildung ist als doppelmotiviert zu bewerten.163 schütze2 m. (›(Flur-)Schütz, Feldhüter‹): ← schuz (Lexer II: 837, u.a. ›Schutz, Schim‹, im WMU: ›Schutzvorrichtung, Eindämmung am Wasser‹) (1) st.M., schützen sw.V. (a.a.O.: 836) Da sageten dá Selben zwene vor genanten man ze mersten vffe irn eit / daz dá MFnche ir wisen / v] ir egger mit irme Shuzzen sulin behFten (Corp. 1149, 428.29).
Im Fall von schütze spricht die Etymologie für eine deverbale Ableitung des Lexems, da das Substantiv schuz selbst eine erst mhd. belegte Bildung zum Verb darstellt.164 Aus synchroner Sicht ist jedoch auch schütze morphosemantisch über Substantiv und Verb motivierbar, es besteht strukturell kein Unterschied etwa zu schirme (s.d.).
_____________ 160 161 162 163 164
Vgl. Henzen (1965: 127). Vgl. die Wendung kouf trîben (WMU II: 1032). Vgl. Wilmanns (1899: 197). Anders Weinreich (1971: 49f. Anm. 92), der das Lexem als deverbale Bildung analysiert. Beide Lexeme, Verb und Substantiv, sind nach Ausweis der Wörterbücher erst ab dem 14. Jh. belegt. Das Alter des Verbs muss, wie sich anhand des innergermanischen Vergleichs zeigt, höher sein (vgl. z.B. DWB 15: 2128ff. schützen; a.a.O.: 2120f. Schutz; Paul WB 1992: 773).
II.1.2. -e
113
I. Abstrakta [DM] (BA/BV-e9): ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist/BV‹ Belege
alem
bair
einhelle vrum(e)1
2 75
2 1
66
alemschw 1
Gesamt
77
3
66
1
Lexem
wmd
ofrk
IR3
Rest
3
2
1
1
3
2
1
1
einhelle* (›Einhelligkeit, Übereinstimmung‹): ← einhel Adj. (Lexer I: 534), einhellen st.V. (a.a.O.: 525)
…daz allez daz v] îegelichez / in alle wise / alz an disem brîeue stat gescriben / getan v] gelobt ist / v] daz wirz tFnt v] gelobent / mit einhelle v] mit willen / … (Corp. 3462, 547.37).
vrum(e)1 m. (›Gewinn, Nutzen, Vorteil‹): ← vrum (174) Adj., (ge)vrumen
(14), (ge)vrümen (23) sw.V. Etymologisch stellt das Lexem vrum(e) die Wortbildungsbasis für das Adjektiv vrum und die Verben (ge)vrumen, (ge)vrümen dar165, die aus synchroner Sicht wiederum als Wortbildungsbasen zu vrum(e) aufgefasst werden können.166 Die semantische Klassifizierung des usuellen Lexems ist aufgrund der starken Einbettung in formelhafte rechtssprachliche Wendungen erschwert. Besonders häufig tritt mit 51 Belegen z.B. die Wendung iemanes vrum [mit etw.] schaffen (wohl i.S.v. ›zu seinem Nutzen verwenden‹) auf, in der vrum(e) aller Wahrscheinlichkeit nach als Abstraktum zu analysieren ist. Insgesamt erweisen sich 75 von 84 aufgenommenen Belegen als Abstrakta. In neun Fällen ist das Lexem jedoch im Kontext besser mittels einer Agentivparaphrase (›etw., das nützt‹) zu beschreiben (vgl. vrume2). J. Agentiva (BS-e10): ›jmd., der etw. mit BS tut/aus BS stammt‹ Lexem
Belege
alem
alem-schw
hirt[e] lamparte
9 2
8 2
1 -
Gesamt
11
10
1
hirt[e] m. (›Hirte‹): ← hert (›Herde‹) (3) st.F.
Die Bildung hirt[e] ist etymologisch eine »Zugehörigkeitsbildung (Täterbezeichnung) zu Herde« (Kluge 1999: 377), die mit dem alten Suffix -jaabgeleitet ist.167 Darüber, ob der mhd. Sprecher das Lexem noch auf hert _____________ 165 Vgl. z.B. Duden Etym. (1963: 187, 188). 166 Vgl. DWB (4: 245f. s.v. Fromme). 167 Vgl. Wilmanns (1899: 233ff.).
II.1. Derivationstypen
114
bezogen hat, kann nur spekuliert werden. Ein Motivationsverhältnis soll formal jedoch nicht ausgeschlossen werden. Die Paraphrase ›jmd., der etw. mit einer hert tut (sie hütet)‹ reiht sich problemlos in die vergleichbare Gruppe der -er(e)-Bildungen ein (vgl. die Konkurrenzbildung hertære ›Hirte‹). lamparte m. (›Lombarde, Norditaliener‹): ← Lampardîe st.F. (Lexer I: 817) vnd den zol den min herre s(lic von vaz nam vnd noh siniv kint nement ze cl(venne von den lamparten - des ensol der bisschof div kint niht enirren / si nement in / swa si wellent von den lamparten! (Corp. 688, 99.23f.).
lamparte ist das einzige -e-Derivat, das als motivierte Herkunftsbezeichnung (›jmd., der aus BS stammt, in BS lebt‹) aufgenommen ist.168 Wie bei nhd. deonymischen Bewohnerbezeichnungen zu Basen auf -ei (mhd. -îe) ist auch im Mhd. bei der Personenbezeichnung eine Suffixsubstitution mit -e zu beobachten (vgl. nhd. Lombarde : Lombardei).169 K. Lokativa (BS-e11): ›Ort, wo BS tätig ist/sich BS befindet‹ Lexem miste smitte Gesamt
Belege 1 4 5
alem 1 2 3
bair 2 2
miste (›Mistplatz, Hofplatz‹)170: ← mist (7) st.M. …vnd sol daz closter in siner frihait beliben vntz vf den tach, daz die lehen herren vf die mîstî [vgl. Regesten S. 51 »auf den Hof [eigentlich auf den Misthaufen, vgl. Schwäb. Wb. Bd. IV, Sp. 1694] kommen«] koment vnd dar vmb rehtGnt… (Corp. 0501c = N 208, 160.31).
smitte (›Schmiede‹): ← smit (165) st.M. Ich klassifiziere smitte aufgrund des Korpusbefundes als desubstantivische Bildung zum Nomen agentis smit (›Ort, wo der smit arbeitet‹). Semantisch kann die Bildung jedoch auch auf das nur korpusextern belegte Verb smiden bezogen werden (›Ort, wo geschmiedet wird‹).171
_____________ 168 Bildungen wie krieche (nur in Verbindung mit Personennamen belegt) oder schotte (›Schottenbruder, Bruder in einem Schottenkloster‹) wurden nicht berücksichtigt. 169 Vgl. Fleischer/Barz (1995: 148). 170 Gersbach/Graf (1984/85: 290) analysieren das Lokativum Miste als deverbale Bildung zum Verb misten. 171 Vgl. DWB (15: 1058 s.v. Schmiede).
II.1.2. -e
115
L. Abstrakta (BS-e12): ›Tatsache, dass jmd. wie BS handelt‹ Lexem
Belege
diube1
22
alem
bair
Kg
omd
nd
6
11
2
1
2
diube1 (›Diebstahl‹): ← diep (51) st.M.
22 von insgesamt 32 aufgenommenen Belegen des Lexems diube treten im Korpus in abstrakter Funktion auf. Das Derivat dient der Bezeichnung der ›Tatsache, dass jmd. wie ein Dieb handelt‹.172 diube bleibt als desubstantivische Bildung in abstrakter und patientiver (vgl. diube2) Verwendung ein Einzelfall. In der metonymischen Bedeutung ›Bußzahlung für Diebstahl‹ (vgl. WMU I: 390) ist das Lexem idiomatisiert. M. Agentiva [DM] (BA/BV-e13): ›etw., das BA ist/BV‹ Lexem vrum(e)2
Belege 9
bair 4
IR2 2
omd 2
nd 1
vrum(e)2 m. (›Gewinn, Nutzen, Vorteil‹): ← vrum (174) Adj., (ge)vrumen (14), (ge)vrümen (23) sw.V.
Daz wir wisseclichen… zukoufe geben han / hern Einhart vnde hern Gunther zveingebrGderen von phorzhen · vnseriu zuei dorfer…vmme funfhundert pfh]de ane funfpfunt also daz die vorgenantden dorfer / mit allem dem frumen vnde nuzze an lFtden / an zinsen / in velde in wazzer / in walde / an allerhande nuzze/ oder an lehenen diu zG disen zuem dorfern horent… hern Einhartdes hern Gunthers vnde ir Erben sin ledecliche vnde friliche ane allerhande ansprache (Corp. 376, 349.11).
N. Idiofunktionalia (BS-e14): ›BS‹ Lexem krâme
Belege 3
bair 2
IR4 1
krâme (›Krambude, Krämerladen‹): ← krâm st.M. (Lexer I: 1704f.)
krâme kann nur als idiofunktionale Nebenform zu dem maskulinen Substantiv krâm (DWB 11: 1986) gedeutet werden, das u.a. in der gleichen Bedeutung verwendet wird. _____________ 172 Vgl. Brendel et al. (1997: 178f.).
II.1. Derivationstypen
116
O. Patientiva (BS-e15): ›das, was BS in seinen Besitz gebracht hat‹ Lexem
Belege
bair
Kg
diube2
2
1
1
diube2 (›Diebesgut‹): ← diep (51) st.M. Swer rovb oder divf wizzenlichen chovffet / den sol man an des divbes stat / vnd an des rovbærs stat haben / vnd sol er bezzern / als vor von Rovbærn vnd divben gesetzet ist (Corp. 475A, 411.26).
Zwei der aufgenommenen Belege von diube bezeichnen das Diebesgut. Die Beleglage im Korpus und die Semantik des nur korpusextern nachweisbaren Verbs diuben ›wie ein Dieb handeln, verstohlen bringen‹ (vgl. Lexer I: 442) legen eine desubstantivische Motivation des Lexems diube nahe.173 Die Paraphrase für dessen patientive Bedeutung174 kann lauten ›das, was der diep in seinen Besitz gebracht hat‹. Der Bildungstyp der desubstantivischen Patientiva ist im Korpus neben diube mit zwei -schaftBildungen (bot(e)schaft, koufmanschaft) vertreten. e. Diachroner Vergleich -e Funktionsklasse Abstrakta (BV) Patientiva (BV) Agentiva (BV) Abstrakta (BA) Instrumentativa (BV) Lokativa (BV) Agentiva (BA) Agentiva (BS/BV) Abstrakta (BA/BV) Agentiva (BS) Lokativa (BS) Abstrakta (BS) Agentiva (BA/BV) Idiofunktionalia (BS) Patientiva (BS)
Mhd. K-Urk 36,0 15,9 14,0 11,6 8,1 4,7 3,9 1,9 0,8 0,8 0,8 0,4 0,4 0,4 0,4
Frnhd. K-Dü 16,3 [18,8] 10,9 [18,8] 6,5 [5,4] 31,5 [25,9] 7,6 [8,9] 2,2 [1,8] 25,0 [20,5] -
Nhd. K-Ggespr. 21,8 [24,8] 21,8 [24,2] 2,3 [3,0] 13,5 [11,0] 18,8 [19,4] 6,8 [5,5] 6,8 [5,5] -
K-Ggeschr. 40,6 [59,8] 8,6 [9,3] 5,3 [4,6] 14,0 [7,7] 17, 3 [10,7] 6,1 [3,4] 8,1 [4,5] -
Tabelle II.1.2.6. Funktionelle Verteilung der -e-Derivate im diachronen Vergleich
_____________ 173 Vgl. Lexer (I: 441), der die Bildung ebenfalls als zu diep gehörig ausweist. 174 Vgl. Brendel et al. (1997: 179).
II.1.2. -e
117
An dieser Stelle soll der Vergleich der funktionellen Verteilung der -eDerivate im Urkundenkorpus mit den entsprechenden Ergebnissen zur Dürersprache und dem gesprochenen und geschriebenen Nhd. erfolgen.175 Da in dieser Arbeit bei Basisverben und -adjektiven kein eigener Bildungstyp ge-…-e angesetzt wird, wurden aus den zum Vergleich stehenden Arbeiten die für diesen Bildungstyp ermittelten Angaben (ohne Bildungen mit Basissubstantiv) in die Übersicht miteinbezogen und mit den Prozenten der entsprechenden Funktionsklassen verrechnet.176 Diese Zahlen sind in der Darstellung in eckigen Klammern angegeben. Wie ersichtlich, führt dies nur im Fall der geschriebenen Gegenwartsprache zu einer geringfügigen Verschiebung der Hierarchie der Funktionsklassen. Bei der Gegenüberstellung der Einzelergebnisse zeigt sich als markanter Befund, dass im Urkundenkorpus die noch in geringer Zahl nachweisbaren desubstantivischen Bildungen zum Nhd. hin aufgegeben werden. Ebenso verringert sich die Bedeutung der in der Urkundensprache drittwichtigsten Funktion von -e, deverbale Agentiva zu bilden, beträchtlich. Durchschnittlich macht dieser Bildungstyp in den Vergleichskorpora nur noch ein Drittel des Anteils in der Urkundensprache aus. Mit dem Nhd. hat die Urkundensprache gemein, dass der Anteil deadjektivischer Abstrakta eindeutig eine Position im Mittelfeld einnimmt. Deutlich weicht hiervon das Dürer-Korpus ab. Die fachsprachliche Ausrichtung der Dürertexte mit einer starken Gewichtung abstrakter Eigenschafts- und Maßbezeichnungen (vgl. Müller 1993a: 271) kann hierfür verantwortlich gemacht werden. Dies trifft gleichermaßen auf die in den Texten Dürers an zweiter Stelle stehenden deadjektivischen Agentiva zu. Auch hier zeigen die Urkundensprache und das Nhd. einen deutlich geringeren Anteil innerhalb der -e-Derivate. Geringer ausgebaut ist in der Urkundensprache und bei Dürer die instrumentative Bezeichnungsfunktion des Suffixes. In den Korpora zum Nhd. ist der entsprechende Anteil jeweils mehr als doppelt so hoch.
_____________ 175 Die Angaben wurden den jweiligen Arbeiten entnommen. Zu Dürer vgl. Müller (1993a: 271f.; 290f.), zum gesprochenen Nhd. vgl. Gersbach/Graf (1984/85: 184), zum geschriebenen Nhd. vgl. DW (1975: 58f.). Die Prozentzahlen bei Gersbach/Graf und in DW gehen mit den von Müller vorgenommenen Modifikationen (a.a.O.: 290f. Anm. 195) in die Darstellung ein. Auf einen Vergleich mit den Ergebnissen von Brendel et al. (1997) und Döring/Eichler (1996) zum Frnhd. muss aufgrund der gemeinsamen Behandlung von -eund -ø-Bildungen in diesen Arbeiten verzichtet werden. 176 Vgl. Müller (a.a.O.: 134), Gersbach/Graf (a.a.O.: 178), DW (a.a.O.: 50f.). Eine weitere Differenzierung nach ›echten‹ suffixlosen Bildungen fand für die Lexeme aus Müller nicht statt.
118
II.1. Derivationstypen
II.1.3. -(e)de a. Lexembestand (63) begirde (3) bekêrde (5) bewærde (4) erbermede (3) gebærde (7) gehellede* (2) gejageze gemælde gemechesede gesagede geswisterde (95) getregede (4) gewehsede gewizzende* hügede lemede setzede* unbilde (2) verhengede (5) vlêhede vrümede (2)
begrebede (11) besetzede* bivelde/bivilde (10) ernde (8) gebûrde (2) gehœrde (4) gejegede (2) gemechede/gemechte (12) gemeinde° (44/265) gescheffede° (62/145) geteilide1(4) geværde° (147/1115) gewerde1 gewonde* (10) ingesigelde* (5) lübede siuchede urteilde (96) versmæhede vrœnde (3) wizzende° (45/142)
behügede (7) beswærde (11) dingede gearnede gedingede (40) gehügede (43) gelübede° (68/391) gemechenze gemerkede (3) gesetzede (54) geteilide2 gevrœnde gewerde2 hœhede/hœhte (3) klegede missehellede* smæhede/smæhte (3) urvêhede (16) vischenze (20) vröude (4) zuogehœrde (2)
Für die Lexeme geteilide und gewerde werden aufgrund des für das Urkundenkorpus angenommenen verschiedenen Basisansatzes jeweils zwei Homoyme angesetzt. Dadurch erhöht sich die Lexemzahl um zwei Lexeme. Die vom WMU unterschiedenen, aber bedeutungsgleichen Lemmata gedingede (33) st.N. und gedingede (3) st.F. werden hier als ein Lexem behandelt. Zu Genusschwankungen siehe b. Morphologie. Folgende Bildungen werden als idiomatisiert angesehen und im Rahmen der Funktionsklassenanalyse nicht behandelt: bürde (s.u.), selde ›Bauernhaus‹ ← sal, tregede (treit) ›Getreide‹ ← tragen, tugende/tugent ← tugen, urkünde (s.u.). In Teilbedeutungen sind idiomatisiert: gemechede (3) ›Ehemann, Ehefrau‹, getregede (12) ›Getreide‹, vrœnde (zweimal in der Verwendung als Flurname). Das im WMU als vancnüssede lemmatisierte Lexem ist unter dem Suffix -nisse als allomorphische Variante -nust behandelt (s.d.). Die Bildung gewiste* (1) kann aufgrund semantischer und morphologischer Undeutlich-
II.1.3. -(e)de
119
keit nicht mit ausreichender Sicherheit einem Bildungstyp zugewiesen werden und wird deshalb von der Untersuchung ausgeschlossen. Bei dem Lexem könnte es sich evtl. um eine bair. Form von mhd. gewizzede (< ahd. giwizzida) handeln. Aber auch die Bearbeiter des WMU (I: 733) sind sich hinsichtlich der Bildungsweise nicht sicher. Gesondert möchte ich bürde ›Bürde, Last, Belastung‹ besprechen, dessen semantischer Bezug auf das starke Verb bern synchron kaum noch zu rechtfertigen ist.177 Lexer (I: 195) verzeichnet für das Verb nur die Bedeutung ›hervorbringen, gebären‹, die Lexer auch in übertragener Bedeutung in Urkundenformeln ansetzt.178 Eine ›neutrale‹ Bedeutung ›tragen‹ des Verbs, die zur Motivation von bürde in obengenannter Bedeutung nötig wäre, kann also mhd. schon nicht mehr vorausgesetzt werden. Schließlich wurde auch urkünde aus der Reihe der motivierten Bildungen ausgeschlossen. Das Lexem ist sprachgeschichtlich betrachtet aus dem partizipialen Adjektiv »*urkund, g. uskunþs ›erkannt, bekannt, offenbar‹ gebildet [...] zu g. *uskunnan ›herauskennen‹; vgl. erkennen« (DWB 24: 2455). erkennen synchron als Basisverb anzunehmen, bereitet vor allem morphologisch Schwierigkeiten, da zwar die lautliche Varianz zwischen den Präfixen er- beim Verb und ur- beim Substantiv im Wortbildungssystem des Mhd. noch aktiv ist (vgl. erteilen – urteil), der Ablaut -u- (auch umgelautet zu -ü-) jedoch über das schwache »rückumlautende« Verb erkennen nicht abgedeckt ist. Durch die weitgefächerte Polysemie des Verbs besteht zwar grundsätzlich ein semantischer Bezug zu urkünde, jedoch zeigt sich auch anhand der Belegzahlen die Verselbständigung von urkünde (1630 Belege zu erkennen 135 Belege). Das schwache Verb urkünden (56), welches eindeutig sekundär zu urkünde gebildetet ist, kann nicht zuletzt aufgrund des Belegzahlenverhältnisses synchron nicht als Basis angenommen werden. b. Morphologie 1. Suffixetymologie Das mhd. Suffix -(e)de geht im Wesentlichen auf zwei im Ahd. noch getrennte Suffixe zurück. Das Suffix -ida bildete ursprünglich starke fem. Adjektivabstrakta, aber schon im Ahd. gewinnt der deverbale Bildungstyp, _____________ 177 Anders Kronenberger (1999: 68). Unverständlich bleibt folgende Äußerung in Brendel et al. (1997: 205): »Infolge des Verlustes der morphologischen Basis bërn erscheint die Bildung zusehends demotiviert [...].« 178 In einem vergleichbaren Kontext ist auch der einzige bern-Beleg im Korpus nachweisbar. Das WMU (I: 196) gibt als Bedeutung ›einbringen, eintragen‹ an.
120
II.1. Derivationstypen
dem auch im Urkundenkorpus weitaus die meisten Bildungen angehören, immer stärker an Bedeutung, so dass in jüngeren ahd. Denkmälern der deverbale Bildungstyp bereits dominiert (Henzen 1965: 174; Öhmann 1920: 67; Öhmann 1921: 12 Anm. 2). Die adjektivischen -ida-Bildungen verschwinden nach dem Jahr 800 merklich aus dem Hd., verursacht durch die Ausbreitung der -î-Abstrakta (Öhmann 1921: 33; Baumann 1914: 33). Öhmann (1921: 34f.) vertritt daher die Auffassung, dass die meisten obd. Adjektivabstrakta auf -ede »als überreste einer nicht mehr lebendigen bildungsweise zu betrachten [...]« seien. Deadjektivische Bildungen bleiben vorwiegend im Md. und Ndd. in Gebrauch, während -ede im süddeutschen Raum vorwiegend an verbale Basen tritt.179 Ursprünglich auf neutrale denominale Substantivkollektiva, teils mit persönlicher Bedeutung (z.B. geveterde, geswisterde), beschränkt war das Suffix -idi.180 Seit dem Spätalthochdeutschen kam es zu einer Berührung der Suffixe, so dass von da an auch Verbalabstrakta auf -idi auftreten, entweder durch Übertritt fem. -ida-Bildungen oder durch direkte Neubildung mit -idi. Dies erklärt sowohl das Vorkommen von reinen Neutra und Feminina als auch von Wörtern mit ›schwankendem‹ Genus.181 Morphologisch fallen durch die Abschwächung der Nebensilben beide Suffixe in mhd. -(e)de zusammen. Vor allem bei Lexemen mit ge- lässt sich häufig ein Nebeneinander von fem. und neutr. Belegen feststellen. Als Bildung ohne ge- weist laut Wilmanns (1899: 351) einzig urteilde Schwankungen zwischen Femininum und Neutrum auf. 2. Genus der Bildungen Für die ausgewerteten Belege des Korpus ergibt sich folgendes Bild: – 13 -(e)de-Bildungen erweisen sich sicher als feminin, – 16 Bildungen weisen nur feminine und unbestimmbare Belege auf, – elf Lexeme werden vom WMU mit femininem Genus lemmatisiert, haben jedoch keine bestimmbaren Belege, – sieben Lexeme sind eindeutig neutral, – vier Lexeme weisen neben unbestimmbaren nur neutrale Belege auf, _____________ 179 Vgl. Doerfert (1994: 42). 180 Vgl. Wilmanns (1899: 350). 181 Vgl. Dittmer (1989: 57), Wilmanns (ebda.). Das Suffix -ado/-ido zur Bildung schwacher Maskulina »erlischt« im Mhd. (vgl. Wilmanns 1899: 349). Nur sporadisch treten mask. Einzelbelege auf, die jedoch vermutlich anderen Ursprungs sind. Dies sind ein Beleg von begrebede, das ich als Lexem den Feminina zurechne und das vom WMU aufgrund des attributiven Adj. erberen (Akk. Sg.) als Mask. analysiert wird, und drei Belege von ernde, dessen Dental auf einem »unorganisch« eingefügten d, t bzw. einem alten Mask. auf ahd. -ôd, -ôt (arnôd) beruhen kann (Wilmanns 1899: 343f., Anm.1; 345).
II.1.3. -(e)de
121
– drei weitere Lexeme sind im WMU ohne bestimmbare Belege als Neutra ausgewiesen,
– bei sechs Lexemen (gedingede, gelübede, gesetzede, geværde°, setzede, urteilde)
sind feminine und neutrale Belege nachweisbar, wobei jedoch meistens die femininen überwiegen, – für ernde (8) lassen sich drei maskuline Belege nachweisen. 3. Basisaffinität Hinsichtlich der Basisaffinität von -(e)de ergibt sich folgendes Bild: 45 Bildungen (71,4%) sind durch ein Basisverb motiviert. Davon sind 33 Lexeme zu präfigierten Basen gebildet, die sich wie folgt verteilen: be- (8), er- (2)182, ge-183 (23, davon einmal zuoge-), ver- (2).184 Von Präfix und Partikel abgesehen, tritt das Suffix bevorzugt an einsilbige Infinitivstämme. Mehrsilbige Formen liegen vor bei gemechesede*, das eine Erweiterung des Stammes des Basisverbs gemachen um ein sonderbares -es(e)- zeigt, und vermutlich liegt das -en- des Infinitivs in gemechenze ← gemachen und wizzende ← wizzen vor. Sieben Derivate (11,1%) sind durch ein Basisadjektiv motiviert. Davon sind vier Lexeme zu präfigierten Basen gebildet185: ge- (3), un- (1). gewizzende beziehe ich auf das part. Adj. gewizzen. Sechs Lexeme (9,5%) sind durch ein Basissubstantiv motiviert. Fünf Basen sind mit ge- präfigiert.186 Wie Brendel et al. (1997: 203) richtig bemerken, wäre es denkbar, für das desubstantivische geswisterde »ein eigenes Wortbildungsmorphem ge-de anzusetzen«. Ich rechne die Bildung jedoch wie sie zu den -(e)de-Bildungen. Bei drei Lexemen (4,8%; missehellede, vröude, vrümede) besteht die Möglichkeit der Motivation über ein Basisverb und ein Basisadjektiv. Bei einer Bildung (missehellede) liegt ein präfigiertes Basisverb oder Basisadjektiv vor. _____________ 182 Hierzu zähle ich auch das Basisverb erteilen → urteilde (s.d.). 183 Die präfigierten Basisverben gearnen → gearnede (s.d.) und gejagen → gejegede, gejageze (s.d.) sind nur bei Lexer belegt, während die unpräfigierten korpusintern belegt sind. Die Basisverben mâlen, gemâlen → gemælde (s.d.) sind nur bei Lexer belegt, gemâlen nur in den Nachträgen. Gemäß meines Verfahrens hinsichtlich ge- (vgl. I.2.2.) setze ich aber deswegen keinen eigenen Bildungstyp an. Korpusintern nicht belegte ge-Basisverben werden lediglich nicht in der Reihe der präfigierten Basen aufgeführt. 184 Die Affinitität von -(e)de, an präfigierte Basisverben zu treten, lässt sich schon im Ahd. nachweisen, wo es das bevorzugte Suffix zur Ableitung präfigierter Basisverben war (Dittmer 1989: 55f.). 185 Das Adjektiv urvêh (→ urvêhede) kann synchron wohl als Simplex betrachtet werden. 186 Darunter auch das mehrsilbige, um in- erweiterte ingesigel. Die Basis von gemerkede (marke) ist unpräfigiert.
II.1. Derivationstypen
122
Das Derivat vischenze, das eine Erweiterung des Stammes um -en- zeigt, ist sowohl über ein simplizisches Basisverb als auch Basissubstantiv motiviert. Das Lexem smæhede2 (1,3%) kann über ein Basisadjektiv und ein Basisverb motiviert sein. Die Bildungen geteilide und gewerde weisen je nach Semantik unterschiedlichen Basisbezug auf. Daher werden sie in deverbale (geteilide2, gewerde1) und desubstantivische (geteilide1, gewerde2) Lexeme getrennt und als eigenständige homonyme Lexeme den jeweiligen Mustern zugeordnet. 4. Suffixmorphologie Suffixtypen
Bel.
479 (7) -de -ede (-edi) 131 (1) -ide (-idi)188 50 (2) -te (-ti) 48 (1) -t 46 -d 39 -id (-it) 9 (1) -et 5 -ete 3 Gesamt 822 (-d)187
alem
bair
a-s IR1 IR2 IR3
316 (6) 81 (1) 43 (2) 19 (1) 12 3 2 (1) 3 2 492
51 2 1 25 33 34 7 2 155
24 13 1 1 39
11 4 4 - 1 (1) 1 15 7
3 2 5
IR4 IR5 ofrk wmd omd Kg 2 1 2 1 6
1 1 1 3
16 41(1) 11 8 2 27 52
1 1
11 2 1 1 15
nd 2 2 1 5
Tabelle II.1.3.1. Suffixmorphologie von -(e)de
Die Leitvariante des Suffixes ist -de (59,1%). Sie findet sich gleichmäßig in allen Belegregionen. Daneben steht an zweiter Stelle -ede (16%), gefolgt von dem fast nur alem. vorkommenden -ide (6,2%), das noch die ahd. Formen durchscheinen lässt. Die synkopierten Suffixformen überwiegen mit 75,4% deutlich gegenüber den nichtsynkopierten. Synkopierte Suffixvarianten finden sich bei vielen Lexemen neben nichtsynkopierten, sie erscheinen jedoch regelmäßig nach Stammauslaut auf -r und häufig auch bei auslautendem -l und -n. Auffällig ist die Vorliebe des Bair. für die synkopierten Varianten, die unter Einwirkung der Apokope zu rein dentalen Endungen werden können. Der innerbair. Anteil an nichtsynkopierten Formvarianten ist mit 7,7% äußerst gering.
_____________ 187 Neben -de erscheinen sporadisch alem.: -da, -di, -dj, -die, -dP (pl., 2), wmd: -din (pl.). 188 Einmal erscheint alem. im Plural die Form -idiv.
II.1.3. -(e)de
123
Der Anteil von Formen mit Fortis -t- ist im Bair. nicht nur im Vergleich der Prozentzahlen (38,7% : 7,9%) größer als im Alem., sondern selbst die absoluten Belegzahlen sind im Bair. höher. Aussagen für andere Sprachregionen über das Verhältnis zur Leitform hinaus sind aufgrund der geringen Belegzahlen nicht möglich, außer dass das Alem.-Schwäb. auch hinsichtlich dieses Suffixes tendenziell stärker dem Alem. ähnelt als dem Bair. Die Annahme Wilmanns' (1899: 340 Anm.), dass das »t, das sich in mhd. Zeit öfters findet« auf »einem jüngeren, durch Unterdrückung des Vocals veranlassten Übergang des stimmhaften in den stimmlosen Laut« beruhe, spiegelt so nicht den Korpusbefund wider, wie etwa die hohe Zahl der synkopierten Formen auf -de zeigt. Vielmehr scheint der vorhergehende Konsonant über Stimmhaftigkeit oder Stimmlosigkeit des Dentals zu bestimmen. Die Formen auf -te (-ti) beispielsweise finden sich bis auf einen Belege in geswisterde ausschließlich in hœhte (vgl. Wilmanns: ebda.), smehte, urvêhte, versmehte, gemechte, gescheffte und gesetzte, die im Stamm Auslaut auf stimmlosen Hauchlaut, stimmlosen Frikativ oder stimmlose Affrikate zeigen. Dieses Phänomen findet sich v.a. im Oberdeutschen. Die Endung -te (-ti) im Nominativ kann daher als kombinatorische fakultative Variante von -de nach stimmlosem Konsonanten angesehen werden. Tritt jedoch Apokope ein, kann die Endung -t < -te < -de ausdrucksseitig nicht mehr von dem eigenständigen Suffix -t anderer Genese (Vgl. II.1.16.) unterschieden werden. Der Umlaut der -(e)de-Bildungen, der bei -t-Bildungen sprachgeschichtlich nicht zu erwarten ist, kann vielleicht nicht als entscheidendes Kriterium herangezogen werden, darf m.E. aber auch nicht völlig außer Acht gelassen werden. Aus dieser Beobachtung resultiert die Frage, ab wann eine Bildung noch als -ede- oder schon als -t-Bildung zu klassifizieren ist. Verkompliziert wird der Sachverhalt dadurch, dass apokopierte Formen in unseren Texten ein noch vorwiegend bairisches Phänomen sind, diese Arbeit aber das mhd. Wortbildungssystem untersuchungen will. Ist nun ein vorwiegend oder gar ausschließlich im Bair. belegtes Lexem, das in der Mehrzahl der Formen -t im Nominativ und Akkusativ aufweist, aus diesem Grund synchron als -t-Bildung zu werten? Ich habe mich in keinem der in Frage kommenden Fälle für eine Zuordnung zu den -t-Bildungen entschieden. Exemplarisch soll dies kurz an der in dieser Hinsicht problematischsten Bildung gescheffede189 st.N.(F.) dargestellt werden, die mit 57 von insgesamt 62 ausgewerteten Belegen im Bair. vertreten ist. Die bair. Belege weisen im Nom. folgende Formen auf: -t _____________ 189 gescheffede und die -t-Bildung geschaft gehen beide in nhd. Geschäft auf, einer »Abstraktbildung zu schaffen ›arbeiten‹. Der Form nach liegt einerseits ein ti-Abstraktum zu schaffen mit der Bedeutung ›Schöpfung, Geschöpf‹ [...] vor, andererseits eine Ableitung auf -ida, worauf sich die beiden Formen vermischen« (Kluge 1999: 317).
II.1. Derivationstypen
124
(12), -te (7), -(e)de (3), im Akk.: -t (11), -te (6). Die Formen des Genitivs und Dativs sind v.a. mit -te (11) und -t (6) gebildet, nur eine Form im Genitiv lautet -edes (nordbair.). Ein Beleg in einer Königsurkunde und drei alem. Belege weisen nur -(e)de-Formen auf, die unter gescheffede zu behandeln blieben. Ein weiterer Beleg im IR4 (ofrk./nordbair.) zeigt -te (Akk. Sg.). Das noch häufige Vorkommen von -te im Nominativ und Akkusativ zeigt, dass gescheffede noch nicht zu den -t-Ableitungen zu rechnen ist.190 Auch der Umlaut im Nominativ spricht nicht für eine Zuordnung zum Suffix -t. Suffix -eid/-eit -nde -ode -ged -gid -geide -gide -git -gite -giv -igden
Belege 10 3 1 1 7 3 9 11 1 1 3 50
alem 3 1 4 9 9 3 29
bair 10 1 1 12
alem-schw wmd IR1 2 1 1 1 1 4 1 1
IR3 2 2
alem/ a-s 1 1
Tabelle II.1.3.2. Suffixvarianten der Belege von geswisterde
Die obige Tabelle zeigt die Suffixvarianten der Belege von geswisterde, die sich nicht in das oben dargestellte Suffixschema einreihen ließen. Auf die Herkunft der Formen soll hier nicht näher eingegangen werden. Ich verweise daher an dieser Stelle nur auf die Sekundärliteratur.191 5. -eze Die Nähe der Bildungen auf -eze zu denen auf -ede (Wilmanns 1899: 365) in morphologischer und semantischer Sicht hat mich veranlasst, dem Suffix kein eigenes Kapitel zu widmen, sondern es innerhalb des Kapitels zu -ede zu behandeln.192 Dass nur drei Lexeme (gemechenze, gejageze, vischenze193) _____________ 190 Vgl. Brendel et al. (1997: 430f.), die nach Belegzahlen vorgehen und geschäft zu den -tBildungen rechnen. 191 Vgl. v.a. DWB (5: 4004ff.), aber auch Schmeller (II: 651), Lexer (I: 941). Wilmanns (1899: 350), Henzen (1965: 139, vgl. Fußnote 52 und die dortigen Wörterbuchverweise), ferner auch Brendel et al. (1997: 202). 192 Die gleiche Argumentation findet sich bei Brendel et al. (1997: 202). 193 Vgl. Weinhold (1863: 214).
II.1.3. -(e)de
125
mit diesem Suffix gebildet sind, ist ein weiterer Grund dafür. Die genaue Herkunft des Suffixes ist nicht vollends geklärt. In Frage kommt eine »Verhochdeutschung des mndd. Kollektivsuffixes ge- ― -te (= ahd. gi- ― -idi)« (Öhmann 1934: 429) oder aber ein Zusammenhang »mit dem spärlich belegten Verbalabstrakta bildenden ahd. Suffix -izzi« (a.a.O.: 430).194 Die wenigen Lexeme und Belege im Korpus ermöglichen keine Aussagen über die regionale Verteilung des Suffixes. Die generelle Beobachtung eines gehäuften Auftretens von (ge-) -eze im Md., im Mfränk., besonders im Ripuarischen195, lässt sich jedoch nicht bestätigen. Einzig gejagaze verweist vermutlich in die angesprochene Region.196 Die Belege zu vischenze und gemechenze sind ausschließlich obd. vischenze f., das ein »eingeschobenes n vor z«197 hat (Wilmanns 1899: 366 Anm.) geht auf ahd. fisgizzi n.198 zurück und ist wohl ein nur oberdeutsches Phänomen.199 n-Einschub ist auch in gemechenze vorhanden, das mit den anderen bei Wilmanns (1899: 365) genannten gemeinmhd. Verbalsubstantiven und ihren Konkurrenzbildungen auf -ede vergleichbar ist (z.B. gebûweze – gebûwede, gedingeze – gedingede). 6. Basisalternanz Umlaut des Basisvokals /a/
/ā/
/ō/
/u/
/ū/
alem.
20010; 26/29
2; 81/83
1; 2/2
2 ; 26/29
-
bair.
1; 61/61
1; 29/29
-
1; 26/33
-
IR1
-
1; 4/4
-
-
-
alem.-schw.
1; 1/1
2; 9/9
-
-
-
IR4
2; 2/2
-
-
1; 0/1
-
IR5 Kg.
1; 1/1
-
1; 0/1
1; 1/3
-
_____________ 194 So auch Henzen (1965: 139), Wilmanns (1899: 365), Kluge (1899: 36, 72f.). 195 Öhmann (1934: 432), Wilmanns (1899: 365). Krahe/Meid (1969: 176f.) erwägen für die genannte Sprachregion die Möglichkeit, dass es sich um ein mit -ede (germ. -iþja-) identisches Suffix aus einer Substratsprache mit nicht verschobenem idg. -t- (-itja-) handeln könne. 196 Eine genaue Lokalisierung der Urkunde, die den Beleg aufweist, ist nicht möglich. Die ausstellende Partei (Herr v. Dahn, b. Pirmasens) entstammt zumindest dem rhfrk.-pfälz. Gebiet. An der Ausstellung ist aber auch vermutlich eine Partei aus dem Elsass beteiligt. 197 Wilmanns (1899: 365) führt aber auch mhd. Formen ohne diese n-Erweiterung an: vischetze, vischatz. 198 fiscizzi: Kluge (1899: 72), Henzen (1965: 139). 199 Im Urkundenkorpus ist wmd. zweimal vischerîe belegt. 200 Lies: (Lexeme); (n-mal Umlaut markiert) / (von n Belegen).
II.1. Derivationstypen
126
Umlaut des Basisvokals /a/ 1; 1/1 3; 8/8 1; 1/1
wmd. ofrk. nd. wmd./alem.
/ā/ 2; 22/22 2; 8/8 -
/ō/ -
/u/ 1; 2/2 1; 0/2 1; 0/1 -
/ū/ 1; 0/2 -
Tabelle II.1.3.3. Umlaut des Basisvokals bei -(e)de-Derivaten
Von der Untersuchung des Umlauts wurden diejenigen Lexeme ausgeschlossen, deren Verhältnis zum Basisvokal nicht eindeutig bestimmbar war, da zum gegenwärtigen Zeitpunkt die jeweilige Basis noch nicht im WMU nachprüfbar ist, oder die nicht im Korpus belegte Basis bei Lexer als Form mit oder ohne Umlaut lemmatisiert ist. Bei manchen Lexemen bleibt auch trotz im Korpus belegter Basis die Situation uneindeutig, weil etwa eine doppelmotivierte Bildung auf eine umgelautete und eine nichtumgelautete Basis bezogen werden kann. In die Auswertung der umgelauteten Formen wurden deshalb folgende Lexeme nicht aufgenommen: für /ā/ smæhede und versmæhede, für /a/ lemede und gearnede und für /ou/ vröude. gebærde und vrümede werden als umgelautete Formen gewertet, bei (ge)hügede scheint die umgelautete Basis wahrscheinlicher (überbehügen im Korpus)201. Die Formen von (ge)lübede (< ahd. (gi)lubida) werden trotz der Basis geloben unter dem Umlaut von /u/ behandelt.202 Der Umlaut ist in den umlautfähigen Basen fast durchwegs graphisch markiert. Die Übersicht zeigt, dass der Umlaut von /a/ außer bei drei Belegen203 im Alem. in allen Fällen konsequent bezeichnet ist. Ähnlich ist das Ergebnis für /ā/, das außer in zwei alem. Belegen von geværde immer mit Umlautmarkierung vorliegt. Der Umlaut von /ō/ lässt sich nur anhand des alem. belegten Lexems hœhede/hœhte beobachten, ein Beleg in einer Königsurkunde zeigt dagegen keine graphische Markierung des Umlauts. Umlaut von /u/ lässt sich bei (ge)lübede und vrümede beobachten. Während Letzteres in allen beiden alem. Belegen Umlaut zeigt, sind einige Belege von (ge)lübede im Alem., Bair., im IR4 und im Ofrk. ohne graphische Umlautmarkierung. Wmd. und nd. steht . Das wmd. belegte gebûrde zeigt keinen Umlaut. Die Graphien und zeigen stattdessen zur Bezeichnung des Langvokals /ū/.204 _____________ 201 202 203 204
Umlautlose Formen von hügen sind lt. Lexer (I: 1379) auf das Md. beschränkt. Zum Phänomen vgl. PWG (1998: §34, S. 58). Betroffen sind: gemechede, gescheffede, gesegede. Vgl. PWG (1998: §162, S. 173).
II.1.3. -(e)de
127
Ein Vokalwechsel von e > i205 lässt sich bei begirde (< begern), bivelde (< bevelhen) und geswisterde (< swester) beobachten und ist nur einmal alem. (geswisterde) und einmal bair. (bivelde) nicht belegt. Die Alternanz /iu/ – /ie/ weist siuchede ← siech auf.206 c. Motivationsdichte Für 78,3% (700 Belege) aller eruierten Belege ist die Basis eng-syntopisch nachweisbar (Basisrang 1). 9,3% (83 Belege) der Belege haben Basisrang 2 und 3,5% (31 Belege) Basisrang 3. Für acht Lexeme (80 Belege, 8,9%) ist die Basis nicht korpusintern, sondern nur bei Lexer nachweisbar (Basisrang 4). Davon machen allein die Belege der zum Verbstamm -hüg- gebildeten Lexeme 63,8% aus. d. Wortbildungsfunktion Funktionsklasse
Paraphrase
A. Abstrakta -(e)de1 B. Patientiva -(e)de2 C. Agentiva -(e)de3 D. Idiofunktionalia -(e)de4 E. Agentiva -(e)de5 F. Abstrakta -(e)de6
›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹ ›das, was jmd. BV/BV wird‹ ›etw., das BA ist‹ ›BS‹
G. Abstrakta [DM] -(e)de7 H. Lokativa -(e)de8 I. Kollektiva -(e)de9 J. Lokativa [DM] -(e)de10 K. Instrumentativa -(e)de11
›jmd./etw., der/das BV‹ ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹ ›Tatsache, dass jmd./etw. BV / BA ist‹ ›Ort, wo jmd./etw. BV‹ ›alle/viele BS‹ ›Ort, wo jmd. BV/ jmd. etw. mit BS tut‹ ›das, womit man BV‹
_____________ 205 Vgl. PWG (1998: §31b, S. 57). 206 Vgl. PWG (1998: §35, S. 58f.).
begirde
Lexeme / Belege Anzahl Prozent 36/1610° 47,4/62,2
Verb
gelübede°1
13/517°
17,1/20,0
Adjektiv
gemeinde°
5/280°
6,6/10,8
Substantiv
ingesigelde*
4/13
5,3/0,5
Verb
zuogehœrde
4/6
5,3/0,2
Adjektiv
siuchede
3/18
3,9/0,7
Adjektiv/ Verb
vröude
3/7
3,9/0,3
Verb
begrebede1
3/14
3,9/0,5
Substantiv
geswisterde
1/95
1,3/3,7
Verb/ Substantiv
vischenze1
1/19
1,3/0,7
Verb
gehügede2
1/4
1,3/0,2
Basiswortart Verb
Beispiel
II.1. Derivationstypen
128 Funktionsklasse
Paraphrase
L. Lokativa -(e)de12 M. Agentiva [DM] -(e)de13 Gesamt
›Ort/Gebiet der BS‹ ›etw., das BA ist/BV‹
Basiswortart Substantiv Adjektiv/ Verb
Beispiel gebûrde smæhede2
Lexeme / Belege Anzahl Prozent 1/2 1,3/0,1 1/1
1,3/0,0
76/2586°
Tabelle II.1.3.4. Funktionelle Verwendung der -(e)de-Derivate
Das Suffix -(e)de zeigt eine große funktionale Breite. Seine Hauptfunktion besteht in der Ableitung deverbaler Abstrakta. Mit 47,4% aller Lexeme und 62,2% aller Belege fallen auf diesen Bildungstyp rund die Hälfte aller Lexeme und Belege. Erst mit einigem Abstand (17,1% der Lexeme, 20% der Belege) folgt die noch deutlich hervortretende Gruppe der Patientiva. Ein Vergleich der deverbalen (75% der Lexeme, 83,2% der Belege) mit den deadjektivischen Bildungen (10,5% der Lexeme, 8,6% der Belege) (Doppelmotivation nicht mitgerechnet) zeigt, dass Letzteren insgesamt keine große Bedeutung zukommt. Nur zwei Funktionsklassen werden allein durch Basisadjektive konstituiert. Die Adjektivabstrakta, die alte Domäne der -ida-Bildungen, sind mit weniger als 4% an den Lexemen beteiligt, die Belegzahlen liegen prozentual noch niedriger. Sechs weitere Funktionsklassen sind mit jeweils weniger als 4% an der Lexemzahl beteiligt. Hinsichtlich der Belegzahlen schert aus dieser Reihe einzig die kollektive Klasse mit dem häufig belegten geswisterde aus. Auffällig sind sicherlich die drei lokativen Funktionsklassen mit insgesamt nur fünf Lexemen und 35 Belegen. Die folgende, nicht nach Basiswortarten differenzierte Darstellung soll einen Überblick über die Gewichtung der verschiedenen Funktionsklassen von -(e)de geben. Deutlich tritt die Dominanz der Abstraktbildungen hervor. Lexeme/Belege Funktionsklasse abstrakt patientiv agentiv lokativ idiofunktional kollektiv instrumentativ
Anzahl 42/1635 13/517 10/287 5/35 4/13 1/95 1/4
Prozent 55,3/63,2 21,1/20,0 13,2/11,1 6,6/1,4 5,3/0,5 1,3/3,7 1,3/0,2
Tabelle II.1.3.5. Basiswortunabhängige Verteilung der an der Wortbildung beteiligten Funktionsklassen beim Suffix -(e)de
II.1.3. -(e)de
129
A. Abstrakta (BV-(e)de1): ›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹ Lexem begirde begrebede2 behügede bekêrde beswærde bewærde bivelde1 dingede erbermede ernde gebærde gedingede1 gehellede gehœrde1 gehügede1 gejageze gelübede2° gemælde gemechede2 gemechesede gescheffede2° gesetzede2 geværde° gevrœnde gewerde1 hügede klegede lemede lübede smæhede1 urteilde1 verhengede versmæhede vlêhede vrœnde wizzende° Gesamt
Belege
alem bair
3 3 1 1 7 7 5 5 11 8 4 3 8 1 3 3 8 7 7 4 33 9 2 1 2 2 39 29 1 13 (75°) 10 1 4 4 1 1 19 (44°) 2 2 2 147 79 (1115°) 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 2 73 71 5 4 1 1 1 1 3 3 45 (142°) 39 458 304 (1610°)
1 8 2 3 16 -
alemwmd IR1 schw 1 3 5 1 7 1 7 1 -
Kg
ofrk
IR2 IR3 nd IR5
Rest
1 1 1 -
2 1 -
3 -
4 -
1 -
1 1 -
1 1 -
29
6
22
4
-
7
-
-
-
-
-
1 1
1 1 1
-
-
1 1
2
1
-
1 1 -
-
-
61
26
23
12
5
12
4
4
3
2
2
begirde (›Wunsch, Ersuchen‹): ← begern (6) sw.V. Unser genade dunket billich / dz wir uns neigen genedenclige gegen der betliche begirde div uns lobt / und impfilit vzgen=melich getruwer dienst mit steten willen (Corp. 574, 7.38).
begrebede2 (›Begräbnis‹): ← begraben (11) st.V.
II.1. Derivationstypen
130
Swa och deheîn ir zunf gnoz inwendic drin milen Von Basil stirbet Were der lichte als arm das er erberen bigrebide nith erzugen mohte den sullîn si rÜthen Vnd holen mit ir koste ze Basil în Vnd in da erberlich bestatten mit opphir Vnd mit lîethe... (Corp. 155, 187.31).
Bei der semantischen Bestimmung von begrebede folge ich den Angaben des WMU, wo neben dem obigen abstrakten Beleg zehn weiteren Belegen lokale Bedeutung zugesprochen wird. Die Kontexte behandeln meist das weln (Wählen) einer begrebede und liegen so auch für das eindeutige Lokativum grap vor: ...vnd dar vmb han ich mir pei minem lemtigem leibe vor manigen jaren vnd awch nv min grab da erwelt, daz ich da wil begraben werden in mines vater grab (Corp. 0417a = N 174, 137.34).
Neben begrebede liegt im Korpus als weitere -(e)de-Bildung der Bedeutung ›Begräbnis, Begräbnisstätte‹ bevilde vor (s.d.). behügede (›Gedächtnis, Erinnerung‹): ← behügen sw.V. (Lexer I: 157) Vnd zeiner behúgede dirre dinge so ist dirre brief besigelt mit vnserm jngesigle (Corp. 1353c = N 477A, 343.30f.).
Dreimal ist die lexikalische Bedeutung des Lexems behügede ›Gedächtnisfeier‹, die im Rahmen einer abstrakten Paraphrase ›Tatsache, dass jmd. jmds. [feierlich] gedenkt‹ erfasst werden kann.207 Zweimal erscheint das Lexem dann in Verbindung mit dem Verb begân. bekêrde (›Bekehrung‹): ← bekêren (59) sw.V. Dis geschach / do von gottes geburt waren / zwelfhundert v] NPnzig Jar v] dar nach in dem dritt) Jare · drier tage vor sant Paulus bichêrde ZPrich... (Corp. 1675, 11.39).
Das Lexem bekêrde liegt im Korpus ausschließlich zur Bezeichnung des kirchlichen Gedenktages der Bekehrung St. Pauls am 25. Januar vor.208 Die Verwendung des Lexems in der Datierung verursacht m.E. keine Einschränkung der Motiviertheit der Bildung. bekêrde ist auch innerhalb der Datumsbezeichnung eindeutig als Abstraktum analysierbar. beswærde (›Schädigung, Beeinträchtigung, Belästigung‹): ← beswæren (160) sw.V. Die von Kolmer svlnt vmbe sweret [= unbeschwert, UR] bliben von demme bischouf von Strasburc v] sinen helferen ane geverde beidv von geistlicher v] wertlicher beswerde (Corp. 0061a = N 14, 13.09).
bivelde/bivilde1(›Begräbnis‹): ← bevelhen (55) st.V. _____________ 207 Auf diese Bezeichnungsfunktion der nomina actionis weist Szadrowsky (1927: 49) hin. Ihm schließen sich auch Brendel et al. an (1997: 207). 208 Der Beleg aus Urkunde 1682: »an dem Cistage nach sant pawels bekert tage«, der im WMU als Kompositum *bekêrtac lemmatisiert ist (WMU I: 174), wurde bekêrde zugerechnet.
II.1.3. -(e)de
131
...daz daz selb chloster alle iar an sant Marien Magdalen tag ein erber mal minnern brudern ze Wienne geb, da si gepiuildet ist... So tFn ich auch chunt allen den, die nu sint vnd her nah chumftich sint, daz ich erwelt han piuilde v] zeligen datz minnern brudern ze Wienne... (Corp. 1130b = N 430, 298.32).
An der obigen Textstelle lassen sich die Probleme darstellen, die sich bei der Analyse von bivelde ergeben. Zum ersten die Frage der synchronen Wortbildungsbasis. Der Bildung liegt etymologisch das Verb bevelhen ›überantworten, befehlen etc.‹ zugrunde.209 Die Bedeutung der Wortbildung bivelde ist deshalb jedoch nicht zwingenderweise metaphorisch zu sehen i.S.v. ›Anbefehlung (der Leiche an die Erde)‹. Denn auch wenn dieser Gebrauch mhd. bezeugt ist, kann das Verb dennoch auch eigenständig ›begraben‹ bedeuten.210 Dies ist in Hinblick auf das schwache Verb bivilden (2) ›begraben, bestatten‹ zu bedenken, das in der zitierten Textstelle vorliegt. Das denominal zu bivelde gebildete Verb kann synchron sicherlich sekundär motivierend wirken, als primär motivierend betrachte ich jedoch auch aufgrund der Belegzahlen bevelhen, auch wenn es im Korpus nicht in Bezug auf eine Bestattung vorkommt. 211 bewærde (›Beweis, Bestätigung, Bekräftigung‹): ← bewæren (142) sw.V. Dis beschach / vnd dirre brief wart gegebin / an dem vorgenantin tage / der vorgenantin jarzal - bisigilt / ze einer bewerde / dis dinges / mit dem jnsigil vnsirre / Maiestat (Corp. 1734, 54.42).
Das Lexem bewærde ist Teil einer großen Gruppe von Bildungen verschiedenster Suffixe und Stämme, die in der Corroboratio formelhaft die den Urkundeninhalt bestätigende Funktion des ausgestellten und besiegelten briefes, der Urkunde, ausdrücken. In u.a. dieser Funktion ist auch das zum gleichen Basisverb gebildete bewærunge belegt. dingede: Qveme ock dat also dar os got vorbeware daz ein grot plage also hagel oder ein herenoth mit brande v] mit dingede dit benomede gGt groueliken verwoste / v] verderfde... (Corp. 1310B, 550.97).
_____________ 209 Vgl. Wilmanns (1899: 343). 210 Vgl. Lexer (I: 248). Zur Bedeutungsentwicklung des Verbs befehlen vgl. DWB (1: 1253ff.). 211 Bei primärem Bezug auf bivilden wäre bivelde/bivilde als -e-Derivat zu klassifizieren. Neben bivelde ist das ebenfalls nur bair. belegte bivilinge (WMU I: 266f.) zu erwähnen, das Kronenberger (1999: 65) aufgrund seiner Dentallosigkeit ebenfalls auf bevelhen zurückführt und als weiteres Argument gegen eine Motiviation von bevilde/bivilde über bivilden heranzieht. Das Suffix in bilvilinge* ist graphisch einmal und einmal (vermutlich mit Nasalstrich). Schmeller (I: 840) verzeichnet ein Substantiv Bivilg – vermutlich unser *bivilinge – neben den Verben bevilgen, bevillen. Es ist deshalb eventuell schon in mhd. Zeit von bair. weiteren verbalen Sonderformen in der Bedeutung ›begraben‹ auszugehen, von denen vermutlich auch bivilden eine ist. Sie könnten für Bildungen wie bevilinge* und bevilde dentallose Basisvarianten darstellen, die nicht mehr unmittelbar auf bevelhen zurückzuführen sind und eigene Neubildungen prägen. Einen deutlichen Bezug auf bevelhen zeigt wiederum das Lexem bevelhunge in einer Wiener Urkunde (Corp. 521).
II.1. Derivationstypen
132
Das Lexem dingede, in der lat. Urkunde 1310A als exactio wiedergegeben, wird vom WMU als ›durch Brandandrohung erpresste Zwangsabgabe‹ paraphrasiert. Dem entspricht inhaltlich das Lexem Brandschatz ›Geldzahlung, um sich von Plündern und Niederbrennnen freizukaufen‹.212 Das Verb dingen trägt korpusintern keine kompatible Bedeutung, korpusextern ist es jedoch auch in der Bedeutung ›brandschatzen‹ nachweisbar (Lexer I: 438; DRW II: 956, s.v. dingen B II, 2a). In dieser Bedeutung zeigen die Belege des DRW das synchrone Vorkommen des Verbs in der nd. Sprachregion des korpusinternen Belegs. Die Bildung dingede ist also synchron durchaus motiviert. erbermede (›Erbarmen‹): ← erbarmen (3) sw.V. ...dc sie dc lant zerst=rent / v] die cristenen totent ane erbermede... (Corp. 93, 137.14).
ernde: ← ernen (4) sw.V. ... in dem sibenden iare an dem nehsten samstage nach vnser vrown tult ze dem ernde... (Corp. 2769, 127.11). ...dc beschach...an der mitken vor vnser vr?wen erende... (Corp. 2479, 534.2).
Für unseren Zeitraum erweist sich ernde noch eindeutig als -(e)de-Bildung, da noch kein dentalhaltiges Verb (vgl. nhd. ernten) belegt ist. Das Lexem konkurriert korpusintern mit dem -e-Derivat erne. Die obigen Textstellen zeigen das vorwiegende Vorkommen des Lexems im Korpus zur Bezeichnung eines Festtages (15. August Mariae Himmelfahrt und 1. August St. Peter), der zeitlich nicht durch Angabe eines Monats eingeordnet wird, sondern dadurch, dass er sich in der Erntezeit213 befindet. Der zweite Beleg steht stellvertretend für drei weitere so konstruierte Belege, in denen jedoch tult ausgefallen ist. Die zusammengezogene Phrase vnser vr?wen ernde zur Bezeichnung für Mariae Himmelfahrt zeigt deutliche Spuren der Lexikalisierung. Die vier Belege werden vorbehaltlich aber noch mitgezählt. gebærde (›Rechtsgebärde‹): ← gebâren sw.V. (Lexer I: 748) ...v] haben daz dem selb) Clôster gegeben / mit allem rehte / mit worten v] gebærden/ dú ze ainem rehtem v] redelich) koufe h=rent... (Corp. 1786, 84.56).
Das Lexem gebærde ist korpusintern stets in der formelhaften Verwendung mit worten unde gebærden belegt. Die Lexembedeutung ›Rechtsgebärde‹ beinhaltet Handlungen, die für rechtlich wirksame Vereinbarungen vorgesehen waren und ist vom Aktionsgehalt des Verbs geprägt. Ich entscheide mich daher mit dem DWB (4: 1729ff.), Kluge (1999: 303) und Paul (1920b: 69) für die Klassifikation von gebærde als deverbale Ableitung, während etwa _____________ 212 Paul WB (1992: 142). 213 Döring/Eichler (1996: 141) ordnen das Lexem aufgrund dieser Bedeutung einer eigenen temporalen Klasse zu.
II.1.3. -(e)de
133
Henzen (1965: 174) und Wilmanns (1899: 342) von einer deadjektivischen Ableitung aus gebære ›angemessen, schicklich‹ ausgehen. Sowohl das Verb gebâren (gebæren) als auch das Adj. gebære sind nur korpusextern bei Lexer nachweisbar. Das Abstraktum zeigt semantisch eine zusätzliche modale Bedeutung, die sich mit der Paraphrase »Art und Weise, wie sich jmd. gebärdet‹ beschreiben lässt. gedingede1 (›Vereinbarung, Bestimmung; Bedingung‹): ← dingen (93), gedingen (21) sw.V. Diz gedingede geschach ze Fuehtewanc Nffe frenkescher erde des sehsten tages nach vnsers herrin gebuerte des iares do von gotes gebuerte waren Tusent iar zvei hundert iar Aht vnde FGnfzec iar (Corp. 38, 68.44).
Im obigen Kontext erweist sich gedingede in Verbindung mit dem Vorgangsverb geschehen als Abstraktum. Das Lexem tritt ferner 21-mal in der Bedeutung ›Bedingung‹ auf: ...daz wir rehte vnd redelichen...vns gevzzert v] verzigin han / des eigenes oder des gGtis...in sogetanem gedingede/ daz unser vorgenantiv svester gerdrud / noch irme tode vnser trier vorgenanten swesterin/ vnd vnseren kindin ieclicher / uf dem eigene zeZotenshouen / ein phunt gulte / hat gegiebin... (Corp. 967, 308.18).
gehellede* (›Einwilligung, Einverständnis‹): ← gehellen (29), hellen (7) st.V. ...daz wir den vorgeschribenen k?f stête haben / âne alle geverde / v] erbeschehen ist mit vnserre gehellede / v] mit vnserme gNten willen (Corp. 689, 100.17).
gehœrde1 (›Gehör, Hören‹): ← gehœren (1206), hœren (4370) sw.V. Diz selbe gGt,...daz hat der vorgenante herre disen vorgenanten brudern ze anegesithe siner wrde v] ze gehorde andern biderber lGite...geben mit alleme rethe (Corp. 0341a = N 152, 111.04).
gehügede1 (›Gedächtnis, Erinnerung, Gedenken‹): ← gehügen (Lexer I: 793), hügen (a.a.O.: 1379) sw.V.
...dar vmbe das er des vorgenanten liehtz dest gerner vnd getrúleicher pflege / vnd ze ainer rehter gehúget / dirre gift / vnd dise dinges / so gib ich allú iare...zewene schillinge pfenninge Costenzer múnz...an das lieht des vorgenant) múnsterz... (Corp. 3297, 448.25).
Zwölfmal wird durch die Abstraktbildung die Fähigkeit zu gehügen, das Erinnerungsvermögen, betont.214 Vier Bildungen erweisen sich als Instrumentativa, vgl. gehügede2. Das Basisverb (ge)hügen ist nur bei Lexer nachweisbar. gejageze (›Jagdrecht‹): ← gejagen (Lexer I: 801), jagen (25) sw.V. ...walt, wasser, weide vnde gerihte, das ich han zN lehenne von deme bistNme von Spire, vnde den gezoch den ich han von deme herzogen von Lvtringen, den bi-
_____________ 214 Zu diesen ›Abstrakta der Fähigkeit‹ siehe auch Brendel et al. (1997: 207, 437).
II.1. Derivationstypen
134
neflug vnde das geiegetze vnde swas ich zN lehenne von deme herzogen habe... (0726b = N 279, 219.6).
Der obige Beleg weist gejageze als ein Abstraktum des Rechts aus.215 Der Kontext zeigt deutlich, dass das Lexem hier eher ein Jagdrecht, nicht ein Jagdgebiet bezeichnet, wie dies bei gejegede der Fall ist. gelübede2° (›Zusage, Verpflichtung, Versprechen‹): ← geloben (1530), loben (287) sw.V. ...alle di / di sich dem vorgenant) hertzogen/ vnd sinen brMderen gebvnden habent mit aiden / mit hantvesten / mit gelvbde... (Corp. 1475, 660.38).
Synchron ist die etymologisch deadjektivische Bildung216 nur deverbal aufzufassen. 13 Belege von gelübede werden den Abstrakta zugerechnet. Drei Belege sind nicht deutlich von Patientiva zu trennen.217 Das ursprünglich ahd. Femininum auf -ida weist im Korpus starke Schwankungen zwischen fem. und neutr. Genus auf.218 Im Nhd. hat sich das Neutrum durchgesetzt. gemælde (›Münzbild‹): ← gemâlen (Lexer III Nachtr.: 190), mâlen (Lexer I: 2017) sw.V. Swer auch ein ander Munsse machete oder slFge / dan von dem Reiche von Alter her chomen ist / swi gewære oder gGt div wære / es si an gewihte / gemælde / oder swære / den sol man vGr ainen valscher haben... (Corp. 879W, 241.14).
Die Bildung ist durch das korpusexterne Verb (ge)mâlen synchron motivierbar und nur in Parallelausstellungen des Würzburger Reichslandfriedens vorhanden. Aufgrund der Prinzipien der Korpuskomprimierung (vgl. I.1.1.) darf nur einer der insgesamt zehn Belege aufgenommen werden. Die oben aufgeführte Textstelle zeigt für gemælde eine modale Nebenbedeutung, die mit der Paraphrase »Tatsache/Art und Weise, wie etwas gemalt ist« erfasst werden kann. Gleichzeitig wird auch die immer wieder zu beobachtende Nähe dieser Abstrakta der Art und Weise zu den Patientivbildungen deutlich. Aufgrund der Nennung in einer Reihe mit gewichte und swære habe ich mich jedoch gegen eine Einordnung als Patientivum entschieden. Eine Verwendungsweise wie im obigen Kontext ist bei nhd. Gemälde nicht mehr möglich. gemechede2 (›Verfügung, Vermächtnis‹): ← gemachen (18), machen (870) sw.V. so entzihe ich mich...alles dez rechtez...ez si von eygenschaft / ald von lenschaft / von k?ffe / ald von phantschatze / von gifte ald von gem( (chde / ald von gemainde / ald von dehainer slaht sache / ald rehte...(Corp. 2417, 495.16).
_____________ 215 216 217 218
Vgl. Szadrowsky (1933: 43f.), Brendel et al. (1997: 120). Vgl. Wilmanns (1899: 350). Dies betrifft folgende Urkunden: Corp. 206,18, Corp. 466,28, Corp. 531,17. Vgl. Wilmanns (1899: 350).
II.1.3. -(e)de
135
Vier Belege von gemechede sind als Abstrakta interpretierbar. Acht Belege wurden den Patientiva zugeordnet, vgl. gemechede1. In der Bedeutung ›Ehemann, Ehefrau‹, die dreimal vorkommt, ist das Lexem idiomatisiert.219 gemechesede* (›Abmachung, Verfügung‹): ← gemachen (18), machen (870) sw.V. Wir Conrad vnd Herman die Waldiner die genante brNder fir iehin dir vor genante gemechiside vnd des gelbides alse hie vor bescheiden ist, vnd henken vnser jngisigil ze einre vrkénde an disen brief (Corp. 0424a = N 799, 574.08f.).
Dieser einzige Beleg für gemechesede täuscht auf den ersten Blick und scheint eine Interpretation als Patientivum (›das, was abgemacht wurde‹) nahezulegen. An einer andereren Stelle der Urkunde zeigt sich jedoch, dass es sich um eine Vermachung von Lehen, also einen Vorgang, handelt: ...das for vns Conrad der Waldiner vnd Herman sin brNder ellu dé lehen, die sé von vns hant, einander hant gemachit als sze rechte solten vnd mochten... (Corp. 0424a = N 799, 573.56).
gescheffede2° (›Geschäft; Rechtsakt; Testament‹): ← geschaffen (13), schaf-
fen (650) st.V.
Vnd das da nieman enheinerslahte gescheffede sol han âne ir willen · es were danne / das es rechtú not tête ze werenne vnser stat (Corp. 1756, 67.26).
Die Bildung gescheffede liegt hauptsächlich in patientiver Bedeutung im Korpus vor, vgl. gescheffede°1. Die 19 hier behandelten Belege tragen hauptsächlich abstrakte Bedeutung. Die Trennung von den Patientiva fällt jedoch in einigen Fällen schwer und ist in anderen kaum möglich. gesetzede2 (›Vereinbarung; Verfügung, Vorschrift‹): ← gesetzen (33), setzen (2000) sw.V. DisP gesetzide beschach in dem Jare / do von Gottes gebPrte waren Tusent Zwei Hundert/ vúnfzig / vnd zwei Jar · An dem vierden Tage Jngendes Meien (Corp. 26A, 53.31).
Durch das Vorgangsverb geschehen erweist sich der oben dargestellte Beleg des Lexems gesetzede in der einem Funktionsverbgefüge ähnlichen Struktur als Abstraktum. Nur noch ein weiterer Beleg ist abstrakt. Im Korpus überwiegt die Bedeutung als Patientivum ›etw., das gesetzt wurde‹, vgl. gesetzede1. geværde° (›Betrug, böse Absicht‹): ← gevâren (Lexer I: 957), vâren (Lexer III: 21f.) sw.V. Das Lexem geværde kommt in unseren Belegen nahezu ausschließlich usuell in der formelhaften Verwendung âne (alle/alles) geværde vor. Entgegen Paul (1920b: 69) und Wilmanns (1899: 343) wird die Bildung nicht als zu dem _____________ 219 Vgl. DWB (5: 3144): »GEMÄCHT,GEMÄCHTE, n. mit verschiedner bedeutung und verschiedenem ursprung, die aber in berührung und vermischung gekommen sind. I. uns am fernsten gerückt ist es von g a t t e n.«
136
II.1. Derivationstypen
korpusintern nicht belegten Adj. gevære gebildet betrachtet, sondern die »eig. nur vollere nebenform von gefähr« (DWB 4: 2073) führe ich wie alle anderen Bildungen dieses Wortbildungsnests220 auf ein allen zugrunde liegendes Verb (ge)vâren zurück221, das nur einmal im Korpus als Infinitivkonversion vâren belegt ist. Dadurch lassen sich alle Bildungen zu diesem Stamm homogen behandeln, ohne etwa von einer Anzahl idiofunktionaler Bildungen zu (ge)vâre ausgehen zu müssen. Die Zurückführung der Bildung auf ein Verb entspricht auch besser der Semantik der Präpositionalphrase âne geværde als Unbedenklichkeitserklärung. gevrœnde (›Beschlagnahme‹): ← gevrœnen* (4), vrœnen (13) sw.V. ...das hvs sol er fr=nen / v] sol das sehs vochen in gefr=nde ligen... (Corp. 1797A, 110.13).
Dieser einzige aufgenommene Beleg des Lexems gevrœnde weist es als Zustandsabstraktum (Tatsache, dass etw. gevrœnet ist‹) aus. gewerde1: ← gewern2 (46) sw.V., wern2 (828) sw.V. ...v] ze einer gewerde der selben aigenscheft gebent si vns iærchlich zwen phening auz dem selben gGt... (Corp. 2110, 312.04).
Die Bedeutungsangabe ›Gewährschaftsleistung‹ des WMU (I: 720) für gewerde greift hier m.E. zu weit, da die gezahlte Summe in die Semantik des Interpretaments mitaufgenommen wurde. Es handelt sich hier jedoch eindeutig um ein Abstraktum (attributiver Genitiv), motiviert durch die Bedeutung ›gewährleisten‹ des Basisverbs. Das Homonym gewerde2 ›Besitz‹ wird unter den Idiofunktionalia behandelt. Das WMU behandelt beide unter einem Lemmaeintrag. hügede (›Gedächtnis, Erinnerung‹): ← hügen sw.V. (Lexer I: 1379) Swaz nivzir dinge an disim vuruarndim zite gishiht / daz div mit dem selbin zite iht mugin viruarn / so pfligt man siv an schrift v] vndir ersamir gezivge hugide namen ze sezzinne (Corp. 173, 195.40).
klegede (›Klage‹): ← klagen (306) sw.V. Jst das iemanne iht geschiht, spart er die clage iar v] tag, die clegide sol man danach nvmme h=ren (Corp. 0610a = N 238A, 182.15).
Dieser einzige Beleg von klegede scheint dem Zufall oder einem Lapsus Calami des Schreibers zu verdanken zu sein. Er steht einer großen Zahl von 278 klage-Belegen gegenüber und in der Parallelurkunde N238B befindet sich an entsprechender Stelle ebenfalls die -e-Bildung klage (). lemede (›Lähmung‹): ← lemen (2) sw.V. Swelich man wert gewvndit ane l(methe... (Corp. 2, 1.26). _____________ 220 Korpusintern liegen ferner vor: gevære (43) st.F.N., gevâre (7) st. F.(M.), vâre (66) st.F. 221 Vgl. DWB (4: 2069) und verstärktes gefahren (DWB 4: 2079f.), das schweizerisch bis ins 18. Jh. bezeugt ist (Paul WB 1992: 318 nach DWB).
II.1.3. -(e)de
137
Urkundenintern ist neben lemen das bedeutungsgleiche Verb belemen (4) nachgewiesen.222 Dies spricht für eine deverbale Motivation des Derivats lemede. Es besteht jedoch semantisch ebenfalls die Möglichkeit, eine Motivation über das nur korpusextern belegte Adjektiv lam anzunehmen. Semantisch scheint die verbale Paraphrase den Sachverhalt treffender wiederzugeben, eine Paraphrase ›Tatsache, dass jmd. lahm ist/wird‹ ist jedoch denkbar.223 Im Korpus liegt die konkurrierende -e-Bildung leme mit 16 aufgenommenen Belegen vor. Ferner ist ein nd. lemesle belegt. lübede (›Gelübde, Versprechen‹): ← loben (247) sw.V. Queme auer dat also dat her werner · Oder her gardun / Oder sie beide er der kinder gelove sturven · V] newolden er kindere sic nicht bebinden mit suschedane louede / So schal al dit vor bescreuene gGt Sunder allerleye widersprake ledich wesen... (Corp. 1310B, 550.25).
smæhede1 (›Schmähung, Beleidigung‹): ← smæhen, smâhen sw.V. (Lexer II: 998f.)
...daz der Meister v] die brNder von de Tutschenhvse / vmbe die missehelli / v] die ansprache die si hatten an die Bûrger / v] die stat ze friburg in brisg=we/ vmbe die smehte / v] den schaden / der inen an irme hvse / v] iren brNdern / v] irem gesinde / ze friburg / beschach / mit einander...sint Pber ein komen... (Corp. 1651A, 774.14).
Die beiden abstrakten Belege von smæhede betrachte ich als besser über das Verb motivierbar, während für den agentiven Beleg smæhede2 eine zusätzliche Motivation über das Adjektiv smæhe (Lexer II: 996f.) anzunehmen ist. Beide Basen sind korpusintern nicht nachweisbar. Das Verb versmâhen ist jedoch siebenmal belegt, vgl. versmæhede. urteilde1: ← erteilen (312) sw.V. Dar nach sprechen wir mit vrteilde / dc indem holze / dc man da nemmet grozholz / der LPprister von BPllach enhein rechtunge hat... (Corp. 311. 300.19).
Die Kontexte der Urkunden zeigen zumindest für das Lexem urteilde ein ungebrochenes Motivationsverhältnis zwischen Substantiven auf ur- und den dazugehörigen Verben auf ir-/er- durch das häufige Auftreten des Basisverbs erteilen (312 Belege) an kontextnaher Stelle.224 Das an urteil angelehnte Verb urteilen ist im Korpus ebenfalls belegt, es ist jedoch aufgrund seines mit 29 Belegen noch geringen Vorkommens nicht als Basis zu berücksichtigen. Bei der Analyse stellt sich die Frage, ob die Bildung in verbalen Verbindungen wie ein Urteil sprechen, verkünden etc. als Patientivum ›das Geurteilte‹ oder als nicht vom Verbum dicendi zu trennender Bestandteil im
_____________
222 Swelich man den anderen bel(meth... (Corp. 2, 1.22). 223 Vgl. Henzen (1965: 173): »Im Schweizerdeutschen kann Lähmi Lähmung oder Lahmheit bedeuten.« 224 Zur Verteilung von ur- und ir-/er- vgl. z.B. Wilmanns (1899: 566).
138
II.1. Derivationstypen
Rahmen einer Art Funktionsverbgefüge als Abstraktum zu behandeln ist. Ich tendiere zu Letzterem, da durch ein performatives Verb wie erteilen die Handlung im Moment ihrer Äußerung vollzogen wird, d.h. das Urteil entsteht im Moment des Urteilens. Eine ›Streckform‹ mit einem Verb wie sprechen im oben dargestellten Beispielkontext verlagert lediglich das Moment der Äußerung auf das neutrale sprechen, jedoch ohne dass sich dabei der semantische Gehalt von urteilde zum Patientivum verschöbe. Die zitierte Urkunde bietet neben dieser einen Stelle mit dem Substantiv urteilde eine Reihe verbaler Belege, die diese Annahme stützen. Zweimal verwendet der Schreiber sprechen vmbe und viermal ertailen vmbe wie z.B. in: Vmbe die • XX • Jvcharten wolfegerda vnde gebreita / erteilen wir dc... (Corp. 311, 300.17).
Die Umschreibung mit der Präpositionalphrase mit vrteilde dient also hier vermutlich nur der variatio. Mit insgesamt 73 von 96 untersuchten Belegen ist der Anteil der abstrakten Bildungen sehr hoch. Auch wenn ca. 6% der Bildungen zwischen abstrakter und patientiver Bedeutung oszillieren, sind die Verhältnisse eindeutig, vgl. urteilde2. Erwähnenswert ist an dieser Stelle noch, dass urteilde und die im Korpus konkurrierende und häufigere -Ø-Bildung urteil (272) bisweilen in der selben Urkunde auftreten. verhengede (›Einwilligung, Erlaubnis; Schickung‹): ← verhengen (23) sw.V. ...mit der verhengede u] gunst miner húsfrówe u] miner kinde... (Corp. 1870, 166.16).
Neben der Bedeutung ›Erlaubnis‹ kann das Abstraktum auch dreimal ›Schickung‹ bedeuten und ein kausatives Verhältnis ausdrücken wie im folgenden Beleg: Wir · Dietheln von gottes verhengede / Abbet...dez Gotteshvses von petershvsen... (Corp. 2504A, 548.34).
versmæhede (›schmähliche Behandlung‹): ← versmâhen (7) sw.V. Vnde vmbe den schaden v] die versmachte so mir wc von in geschen mit der beschrotunge (Corp. 2059, 283.5).
vlêhede (›Flehen‹): ← vlêhen (1) sw.V. vnde daz wir mit den selben gGteren ane anderes Pnseres gGtes schaden / mit getriuwer bete vnde flehede / mit §fgende vnde mit lihende / mit arebaiten vnde allen anderen dingen / ane alle geu(rde allez daz tGien / des Pns von dem vorgeredeten clostere zG wirt gemGtot... (Corp. 3239, 408.33).
vrœnde (›Beschlagnahmung‹): ← vrœnen (13) sw.V. ...v] wîste daz gerichte vf daz selbe erbe / v] schNf das ez gevr=nt wart mit recht) gerichte / v] wart dP vr=nde dem vorge] Johanse mit des gerichtes brieve / v] mit HeinR dem Amman kvnt getan... (Corp. 2026, 264.10).
II.1.3. -(e)de
139
Im Gegensatz zu gevrœnde ist bei dem einen Beleg von vrœnde nicht sicher zu ermitteln, ob es sich um ein Handlungs- oder Zustandsabstraktum handelt. wizzende° (›Wissen‹): ← wizzen (762) an.V. In den aufgenommenen 45 Belegen tritt das Lexem wizzende bis auf einen Beleg immer in einer Präpositionalphrase mit âne oder mit auf und ist in formelhafte Wendungen wie mit willen, wissende vnde gvnst o.ä. eingebunden. Die Zuordnung der Bildung bereitet nicht geringe Probleme, zumal auch die Behandlung in der Literatur nicht ganz eindeutig erfolgt. Denkbar wäre eine Bildung zum starken Partizip wizzen (Lexer III: 962) (vgl. part. Adj. gewizzen ›bekannt‹ 52-mal im Korpus), mit dessen Vorkommen im Korpus aber nicht zu rechnen ist.225 Eine Bildung zu dieser Basis ist vor allem in Hinsicht auf die funktionelle Konkurrenz von -(e)de mit -e (< -î) und -heit als Formantien zur Bildung deadjektivischer Abstrakta bedenkenswert. Neben der -e-Bildung gewissene (Wilmanns 1899: 255) ist in dieser Hinsicht vor allem auch das im Korpus nicht belegte wissenheit zu betrachten, das sowohl Doerfert (1994:176) als auch Brendel et al. (1997: 293) morphologisch auf das Part. Prät. zurückführen.226 Der Basisansatz des Part. Präs. würde im Fall von wizzende aufgrund der mhd. Normalform des Part. Präs. (un)wizzende synchron zur Klassifikation als Konversion oder affixlose Bildung führen, das Part. Prät. zur Analyse als -(e)de-Bildung. Das DWB (24: 2241) führt das Substantiv unwissende vermutlich auf das Part. Präs. zurück, da es unter dem Partizip unwissend verzeichnet ist.227 Dem entspricht wohl der Eintrag bei Henzen (1965: 171), der mhd. unwizzende unter alten auf Partizipien zurückgehenden Ableitungen auf ahd. -ī(n) nennt, was dann eine Partizipialform mit Dental voraussetzt.228 Als letzte Möglichkeit soll nicht ungenannt bleiben, dass man das Lexem auch als idiofunktionale Bildung zum starken Neutrum wizzen auffassen könnte. Das Verhältnis der Belegzahlen von wizzende° (142-mal) zu wizzen (62-mal) scheint jedoch (noch) nicht für diese Annahme zu sprechen.229 _____________ 225 Zumindest ist es nicht gesondert auf der vorläufigen Lemmaliste der Arbeitstelle des WMU aufgeführt. 226 Müller (1993a: 298) hingegen führt für sein Korpus wissenheit auf das Part. Präs. zurück und beschreibt den Wegfall des auslautenden Dentals als ›konsonantische Basisalternation‹. 227 »u n w i s s e n d e, f. n., dasselbe wie unwissen, n., unwissenheit; mhd. unwizzende, f.; mnd. unwetende, n.; vgl. ungewissene, f. [...]« (ebda.). 228 Henzen (1965: 189) führt ebenso »Bildungen wie [...] Unwissenheit [...] letztlich auf ein Part. Präs. zurück; vgl. ahd. (un)wizzantheit neben diu unwizzende [...].« 229 Laut dem DWB (30: 743) wird »wissen erst in frühnhd. zeit als ›kunde, nachricht, kenntnis‹, besonders in festen verbindungen« gebräuchlich, während wissende (DBW 30: 773) »ein in der mhd. dichtung gut bezeugtes wort« ist. Döring/Eichler (1996: 174f.) beobachten in manchen Fällen eine Austauschbarkeit von wissenheit, wissenschaft und wissen, was auf die
II.1. Derivationstypen
140
Aufgrund des formelhaften Gebrauchs des Lexems, durch den es einerseits der Konversion wizzen und damit dem Verb semantisch sehr nahe steht, neige ich letztlich dazu, wizzende als deverbale -(e)de-Bildung zu betrachten. Korpusintern legt das 762-mal belegte Verb wizzen eine deverbale Motivation nahe. Dies ermöglicht schließlich auch eine zu wizzenschaft homogene Analyse, das sich laut Wilmanns (1899: 392) an den Infinitiv anlehnt.230 B. Patientiva (BV-(e)de2): ›das, was jmd. BV/BV wird‹ Lexem besetzede* gearnede gedingede2 gelübede1° gemechede1 gemechenze gescheffede1° gesagede gesetzede1 getregede setzede urteilde2 vischenze2 Gesamt
Belege
alem
bair
1 1 7 55 (316°) 8 1 43 (101°) 1 52 4 1 23 1 198 (517°)
1 1 17 5 1 1 1 47 4 1 19 98
1 30 1 41 2 75
alemschw 2 3 1 6
wmd
IR1
Kg
ofrk
IR3
IR4
2 1 3
2 2
3 1 1 5
2 1 3 6
1 1
1 1 2
besetzede* (›Festsetzung, Vereinbarung‹): ← besetzen (151) sw.V. ...v] verzihent vns aller der dinge v] der helfe geistliches v] weltliches rehtes v] aller der vrsGche gew=nlicher oder geschribenre besezzede oder rehtes, da mitte wir mohtent kommen oder getGn wider disen brief an gerihte oder ane gerihte (Corp. 0421a = N 176, 139.3).
gearnede (›Ernte, Ertrag‹): ← ernen (4), gearnen sw.V. (Lexer I: 746) di gemaine vnserre liben getriwen · reicher · vnd armer · der Purgær ze Wienne mit rehten triwen / vnd mit gantzær stætichait ir Herschaft ... vnd auch vns vndertænich ist gewesen · Dar vmbe si des wol wert ist · daz si gepriset vnd gevGrdert werde nach den geærnden irer triwe von vns · vnd von vnsern Nachchomen... (Corp. 2345, 452.18).
Im Beispiel handelt es sich um einen übertragenen, aber durchsichtigen Gebrauch von gearnede. _____________ Verhältnisse unseres Korpus bezogen ebenso zutrifft (vgl. wizzenschaft), und analysieren die betreffenden Bildungen dann als pleonastisch zu wissen. 230 Vgl. auch Kluge (1999: 895).
II.1.3. -(e)de
141
gedingede2 (›Vereinbarung, Bestimmung‹): ← dingen (93), gedingen (21) sw.V.
diser brief vnd dize gedingde ganz vnd Steite blibe dar vnb geben wir in disen brief ver jnsigelten mit der Stete jnsigen von Noerdelingen... (Corp. 2056, 282.4).
gelübede°1: ← geloben (1530), loben (287) sw.V. Dar zG habnt si gesetzzet / daz die sætzze / vnd disiu gelubde / diu an diser hantfeste begriffen sint / nach des Chvnigs hantfeste von sant Michels tag der næwelichen hin ist / zwischen vns driu iar weren / vnd stæt sol sin... (Corp. 935, 291.19).
Mit 55 Belegen überwiegt im Korpus die patientive Funktion gegenüber der abstrakten, was wohl dem heutigen Gebrauch des Lexems entspricht. Im Würzburger Korpus zum Frühneuhochdeutschen zeigt sich hingegen mit 15 patientiven und 39 abstrakten Belegen ein anderes Verhältnis.231 gemechede1 (›Verfügung, Vermächtnis‹): ← gemachen (18), machen (870) sw.V. diz gemechde mit disen sechs fphvnden · als hie geschriben stet · sol eweklichen Weren (Corp.1581, 725.19).
gemechenze* (›Vermächtnis‹): ← gemachen (18), machen (870) sw.V. ...daz vor Pns...div edel vr?we vr? Adelheit...der gemenchentze vnde dez lipgedingdes, dez Pnser herre her Dietrich von Rotenberc ir wirt ir hatte gemachet, an den nach genanten gNten verzech sich mit ir vogtes handen... (Corp. 0350a = N 157, 123.10).
gescheffede°1: ← geschaffen (13), schaffen (650) st.V. ...vnd shaffe es vestichlichen / das man das selger(t / vnd das gesh(fte / das ich da geschaft han / nicht zest=ren sol noch zerbrechen/ noch verchvmbern / noch versetzen durch deheinerlei not willen... (Corp. 653, 76.10).
gesagede (›Aussage‹): ← gesagen (13), sagen (535) sw.V. Der vmbe so besante wir di biderben lîvte, di hîe nidenan genemet sint, v] hant di vffe irn eide drumbe geseit v] nah irre gesagede so sin wir miteinander vber ein komen, das wirs alsvs gescheiden hant... (Corp. 0474a = N 195, 152.19).
Die Präposition nâch trägt hier nicht temporale Bedeutung, sondern bedeutet ›gemäß, entsprechend‹, wodurch eine Betonung des Inhalts zu beobachten ist. Dies rechtfertigt die Interpretation als Patientivum. gesetzede1 (›Festsetzung‹): ← gesetzen (33), setzen (2000) sw.V. ...vmbe solich bruch der geschehen ist / an dem gesezede daz zwischen vnserm/ vatter / vns / v] jm / wart gemath! (Corp. 588, 16.38).
getregede: ← getragen (8), tragen (220) st.V. ... vmbe ein ros / vnde ander getregede / daz er vns zN k?fende het geben... (Corp. 2713, 92.43).
_____________ 231 Vgl. Brendel et al. (1997: 206ff.).
II.1. Derivationstypen
142
Im Gegensatz zu der als idiomatisiert zu betrachtenden Bedeutung ›Getreide‹, die zwölfmal vorliegt232, können vier alem. Belege i.S.v. ›Fahrhabe, Mobilie‹ trotz tendenzieller Lexikalisierung noch als motiviert gelten. Die Paraphrase lautet dann ›etw., das getragen wird/werden kann‹ und ist natürlich auf ein Pferd, wie im obigen Kontext, nur noch sehr bedingt anwendbar. Interessanterweise sind alle Belege dieser Bedeutung nicht in der kontrahierten Form , belegt, die konsequent für ›Getreide‹ verwendet wird. setzede (›gesetzliche Fügung, Vorschrift‹): ← setzen (2000) sw.V. ...es/ si Geistlich recht / oder wertlich recht sunderrecht / oder setzede... (Corp. 515, 453.22).
urteilde2: ← erteilen (312) sw.V. Wirdet dehein missehelli · enzwischont den burgern / also das ein teil wil haltin ein vrteilde / v] das andir teil nût / so mun zwen der vier v] zweinzigon / v] nût mænlich / die vrteilde ziehen gegin k=lne / V] komint die denne har wider mit gNtem urkûnde von k=lne daz ir urteilde reht si · so sol der andir teil jnen abe tGn alle jr koste / die si dar vmbe hant getan... (Corp. 248A, 256.11ff.).
vischenze2: ← vischen (14) sw.V. ...v] swenne den herron ir zîns / von der vischenze vergolten wirt / swaz die vischer ander vische hant / die sont sîe in dîe stat ze margthie tragen / v] vrilichen verk?fen... (Corp. 1262, 504.03).
Neben dem doppelmotivierten Lokativum vischenze1 ist das Lexem auch einmal als Patientivum analysierbar. Im obigen Kontext scheint das Lexem am angemessensten mit ›das, was gefischt wird/wurde‹ (›Fischertrag‹) paraphrasierbar. C. Agentiva (BA-(e)de3): ›etw., das BA ist‹ Lexem gemeinde° gewizzende gewonde hœhte1 unbilde Gesamt
Belege
alem
bair
44 (265°) 1 10 2 2 59 (280°)
29 1 2 32
2 2
alemschw 7 7
wmd
Kg
ofrk
9 9
3 1 4
5 5
gemeinde° (›Gemeinde, Gemeinschaft; gemeinschaftlicher Besitz‹): ← gemeine (675) Adj. _____________ 232 Die Belege verteilen sich wie folgt: bair. (7), ofrk. (3), omd. (2).
II.1.3. -(e)de
143
...der Amman • • V] der Rat / V] div gîemêinde / von der selbun Stat... (Corp. 1262, 503.10). Da wider swaz bGerere gemeínde han / daz sol och sín volcmars gemeínde... (Corp. 7, 22.3).
Wie die beiden Kontexte zeigen, liegt das Lexem gemeinde in zwei verschiedenen agentiven Bedeutungen im Korpus vor. Das erste Beispiel steht für die usuelle Bedeutung ›Gemeinde, Gemeinschaft von Personen‹, die über die Bedeutung ›zusammengehörig, gemeinsam, alle umfassend, gesamt‹ (vgl. Lexer I: 839f.) des polysemen Basisadjektivs gemeine noch als motiviert angesehen werden kann. Für dieses ›Sammelwort‹ nehme ich keine eigene Bezeichnungsklasse an wie Doerfert (1994: 253f.). Die Paraphrase ›Gruppe von Personen, die zusammengehörig ist‹ bezieht sich zwar auf mehrere Personen, diese Bedeutung ist jedoch schon im Grundwort angelegt. Eine Person allein kann nicht zusammengehörig sein. Im zweiten Beispielkontext liegt das Lexem in der Bedeutung ›gemeinschaftlicher Besitz‹ vor. In dieser Bedeutung sind sechs Belege im Kernkorpus nachgewiesen. Eine abstrakte Verwendung von gemeinde konnte in den Belegen des Kernkorpus nicht festgestellt werden, sie ist im Gesamtkorpus aber vereinzelt nachweisbar.233 Konkurrierend liegt die Bildung gemeine vor, die aufgrund des auf -e auslautenden Basisadjektivs als affixlose Bildung zu klassifizieren ist und deshalb in dieser Arbeit nicht berücksichtigt ist. gewizzende (›Wissen, Kenntnis‹): ← gewizzen (52) part. Adj.; vgl. wizzende Vmbe den kleinen zehenden sprechen wir daz die burger den geben sulint von dem gGte alsie von alter gigeben hant vnd von swelichim gGte sie nit von alter gigeben hant / da sol man sie girGwet lan ân ansprache vfir giwizzinde (Corp. 680, 93.45).
Das einmal belegte Lexem gewizzende kann korpusintern auf das partizipiale Adjektiv gewizzen in der Bedeutung ›bekannt‹ und das Verb wizzen (762) bezogen werden. Dies würde jedoch jeweils zur Einordnung in unterschiedliche Funktionsklassen führen, da Adjektive niemals in patientive Paraphrasen überführt werden können und gewizzen bei verbalem Bezug nicht Agens ist, sondern Objekt einer Prädikation: ›etw., das gewusst wird/das jmd. weiß‹. Aus formal morphologischen Gründen ziehe ich es in diesem Fall vor, die Bildung auf das Adjektiv gewizzen zu beziehen und agentiv aufzufassen, zumal sich aufgrund des einmaligen Vorkommens von gewizzende kein bestimmtes Ableitungsverhältnis in Abhängigkeit von den Basisbelegzahlen aufdrängt. gewonde (›Gewohnheit, Herkommen, Brauch‹): ← gewon (7) Adj. _____________ 233 Vgl. Kronenberger (1999: 67).
II.1. Derivationstypen
144
So wa vnsis gestihtis Reht · vriheit · gude inde redeliche gewoneden/ inde hantuestingen / vntzwiflig sint dat wir inde vnse gestihte da ane sitzen inde bliuen gerGliche... (Corp. 43A, 71.41).
Die Belege zu gewonde lassen sich alle mit einer attributiven Konstruktion ›gewohntes Recht, gewohnte Handlung‹ oder mit einer Relativsatzparaphrase erfassen und erweisen sich somit als Agentiva. hœhede/hœhte1 (›hoch gelegener Ort‹): ← hôch (135) Adj. Jtem I ager vf der h=hti et est anewender (Corp. 0432d = N 184, 145.45).
unbilde: ← unbil Adj. (Lexer II: 1771) Swer der ist der den Lantfride st=ren wil / er sei hoh oder nider / den sol man des ersten Laden fvr den Landesherren / vmb daz vnpilde daz er getan hat (Corp. 467, 404.39).
Sprachhistorisch betrachtet handelt es sich bei dem vorliegenden Lexem um eine Präfigierung von bilde, ahd. bilidi (obd. biladi, bilodi) mit dem Suffix un-.234 Aus der alten Bedeutung von bilde ›Vorbild, Muster‹ konnte sich die rechtssprachliche Bedeutung für unbilde ›Unrecht, Ungerechtigkeit etc.‹ entwickeln i.S.v. »was nicht zum vorbilde taugt« (DWB 24: 390, Lexer II: 1771). Bei Betrachtung der vorliegenden Kontexte scheint eine Paraphrase ›falsches, schlechtes bilde‹235 jedoch wenig plausibel. Den Prinzipien der historisch-synchronen Wortbildung folgend spricht hingegen alles dafür, die Bildung über das zwar seltene236, aber bei Lexer (II: 1771) belegte, viel naheliegendere Adjektiv unbil ›ungemäß‹237 zu motivieren und unbilde synchron als -(e)de-Derivat aufzufassen.238 Im Vergleich mit den Derivaten der Gruppe der sekundären Neutra auf -(e)de, die ahd. den Feminina auf -ida oder den Maskulina auf -ôd angehörten239, fällt unbilde jedoch einmal durch seine Präfigierung mit un- auf, während alle anderen Substantiva mit gegebildet sind. Andererseits zeigen die bei Wilmanns (ebda.) genannten Bildungen bis auf das wiederum als Ausnahme zu betrachtende urteilde alle deverbale Herkunft und gehören zu den Abstrakta oder Patientiva. Die Frage nach der historisch-synchronen Motiviertheit des Lexems kann wohl nicht völlig geklärt werden. Es muss offen bleiben, auf welche Basis ein Sprecher des Mittelhochdeutschen das Lexem zurückgeführt hätte. Meinen Ausführungen folgend berücksichtige ich die Bildung unter Vorbehalt. _____________ 234 Vgl. Kluge (1999: 109f., 847). 235 Brendel et al. (1997 :63) behandeln unpild als negativ taxierende un-Bildung. Leider wird für den einen Beleg kein Kontext angegeben, so dass ein Vergleich der Lexemverwendung nicht möglich ist. 236 Wilmanns (1899: 348). 237 Kluge (1999: 847) gibt für unbil als Bedeutung ›unrecht, unbillig‹ an. 238 Vgl. Kluge (1899: 35). 239 Vgl. Wilmanns (1899: 350f.).
II.1.3. -(e)de
145
D. Idiofunktionalia (BS-(e)de4): ›BS‹ Lexem gemerkede geteilide1 gewerde2 ingesigelde* Gesamt
Belege
alem
bair
IR1
wmd
3 4 1 5 13
4 4
3 3
1 1
5 5
gemerkede (›Grenze, Gebiet‹): ← marke (61) st.(sw.)F. ...swa zolbær gNt vber Baierichs gemercht chvmt... (Corp. 1944, 205.22).240
Bei der Verwendung des Lexems lässt sich anhand der Belege kein Bedeutungs- oder Verwendungsunterschied zu dem 61-mal belegten marke feststellen, weshalb es den Idiofunktionalia zugeschlagen wird. Eine kollektive Bedeutung, wie sie das DWB (5: 3276) für Gemerke, Gemerk zugrunde legt, rechtfertigt sich vermutlich nur unter etymologischer Betrachtung. Sie lässt sich auch bei korpusintern belegtem gemerke nicht nachweisen.241 Formal ist gemerkede als ge-...-ede-Bildung zu analysieren (vgl. geswisterde). Da alle drei bair. Belege auf t enden, könnte erwogen werden, sie unter die -t-Bildungen einzureihen, wenn auch der durchgeführte Umlaut zumindest aus diachroner Sicht eher gegen diese Klassifizierung spricht. Innerhalb der ausschließlich zu verbalen Basen gebildeten -t-Derivate wäre das Lexem ein ausgenommener Sonderfall. geteilide1(›Teil, Anteil‹): ← teil (1360) st.M.N.; Vgl. die Bemerkungen unter geswisterde. ...dar zN ein gNt daz dez selben gNtez geteilid waz... (Corp. 2841, 174.11).
gewerde2 (›Besitz‹): ← gewer1 (390 st.(sw.)F., gewer (1) st.N., wer1 (6) st.F. ...swen ich enbin swer daz huz in nuz v] in gwerde hat... (Corp. 601, 24.31).
ingesigelde* (›Siegel‹): ← ingesigel (2620) st.N. E. Agentiva (BV-(e)de5): ›jmd./etw., der/das BV‹ Lexem gehœrde2 geteilide2 gewehsede zuogehœrde Gesamt
Belege
alem
bair
2 1 1 2 6
1 1 1 2 5
1 1
_____________ 240 Vgl. diesen Beleg bei Lexer (I: 845) unter gemerkede. 241 gemerke findet als ge-...-Ø-Bildung keine Aufnahme in dieser Untersuchung.
II.1. Derivationstypen
146
gehœrde2 (›dazugehöriges Gebiet‹): ← gehœren (1206), hœren (4370) sw.V. ...daz ich Randolt...verchovfet han Dieterichem von Eben vnd siner hNsfrowen Hailichen vnd iren kinden solich gNt vnd min eigen was ze SlNs in dem dorff vnd inder gehorde... (Corp. 0458a = N 189, 148.13).
Ohne einen präpositionalen Zusatz, vgl. zuogehœrde, ist das Lexem in dieser Bedeutung weder bei Lexer noch im DWB verzeichnet. Das WMU (I: 597) verweist in diesem Zusammenhang auf das Schwäbische Wörterbuch von Fischer (III: 214). Die Motiviertheit der Bildung steht trotz der Tatsache, dass die Paraphrase um eine Präposition zu ergänzen ist, außer Frage. Ungeklärt muss bleiben, ob es sich etwa um eine Kurzform aus zuogehœrde handelt. geteilide2: ← geteilen (10), teilen (360) sw.V. ...die ansprache / die / die Stubenwegen von Strazburg / v] ir geteilide hetent / an die burger von Slezstat / vmbe den ladehof zG Slezstat... (Corp. 1936, 200.42).
Das WMU lemmatisiert das Lexem geteilide als starkes Neutrum, verweist jedoch auf die Möglichkeit, dass es sich auch um ein homographes starkes Maskulinum handeln kann, das bei Lexer verzeichnet ist (I: 943)242. Der einzige Kontext, in dem das Lexem auftritt, ermöglicht keine nähere Bestimmung des Genus. Dem Bildungstyp nach entspräche geteilide als Neutrum der bei Wilmanns (1899: 350) angeführten Bezeichnung für »zusammengehörige Wesen« auf ahd. -idi, die Henzen (1965: 139) als Kollektivbildungen mit »persönlicher Bedeutung« bezeichnet und für die er als Lexembedeutung ›Teilnehmer‹ angibt. Das Lexem konkurriert im Korpus mit der nur im Plural verwendeten -e-Bildung geteile (4) sw.M., die eine ›Person, die mit jemandem teilt‹, bezeichnet. Darauf führt wiederum das DWB (5: 4372f.) die -ede-Bildung zurück und bringt sie damit mit Wilmanns (ebda.) in eine Reihe mit Bildungen wie geveterde oder geswisterde. Die Verwendung des Wortes im Singular mit maskulinem Genus kennt aber auch das DWB. Ich habe mich gegen eine Interpretation von geteilide als Kollektivum entschieden und betrachte das Lexem als deverbale Bildung zu (ge)teilen. Der Bildung kommt aufgrund der Paraphrase ›jmd., der mit einem teilt‹ jedoch eine soziative Nebenbedeutung zu. gewehsede (›Gewächs‹): ← gewahsen (9), wahsen (34) st.V. ...zwene sovme wizes wines / dez gewehsdes von kenzingen... (Corp. 2482, 535.10).
Während Lexer (I: 981) für gewehsede nur die Bedeutung des Nomen actionis ›Wachstum‹ ansetzt, kann der Beleg im vorliegenden Kontext als Agentivum angesehen werden (›etw., das wächst‹). Das DWB (6: 4724ff.) verzeichnet für Gewächs eine »eigenartige entwicklung«, die »der gebrauch _____________ 242 Vgl. auch Lexer (III Nachtr.: 204).
II.1.3. -(e)de
147
[...] in der anwendung auf die pflanzengattung der rebe genommen« hat. Die im DWB verzeichneten Bedeutungsnuancen sind stark aufgefächert und nicht immer deutlich agentiv. Der Beleg des Wilhelm-Corpus ist semantisch kontextuell auf ›Wein, der wächst‹ verengt und weist Spuren von Lexikalisierung auf. zuogehœrde: ← gehœren (1206) sw.V., zuo Präp. ...daz wir dP selben gGt mit allem rehte / vnd mit aller zGgeh=rdj haint geluhen ze ainem st(tem zinslehen... (Corp. 1202, 473, 15).
Das von Doerfert (1994: 255) nach Kriterien Wellmanns als ›Mengenwort‹ eingeordnete zugehörde weist das Charakteristikum auf, »daß es im Unterschied zu den Kollektiva nicht möglich ist, die Bildung durch ›die Pluralform des vom GW [Grundwort] aus zu benennenden Individuativums‹ (Wellmann 1969b: 49) zu ersetzen«. Ihrem Schluss, dafür einen eigenen Bildungstyp anzusetzen, folge ich jedoch nicht. Die von Doerfert angesetzte Paraphrase ›alles, was dazu gehört‹ (S. 256) ist zwar logisch und würde auch unseren zwei Belegen gerecht, ist aber m.E. nicht notwendig. Die Bildung trägt in sich die Möglichkeit, sich auf ein Objekt oder mehrere zu beziehen. Dies wird jedoch ebenso über die Paraphrase ›das, was dazu gehört‹ abgedeckt. Mit zuogehœrde konkurrieren korpusintern zuogehœrunge und zuogehœre mit jeweils einem aufgenommenen Beleg. F. Abstrakta (BA-(e)de6): ›Tatsache, dass etw./jmd. BA ist‹ Lexem hœhte2 siuchede urvêhede Gesamt
Belege
alem
wmd
Kg
ofrk
nd
omd
1 1 16 18
-
7 7
1 1
1 1
1 1
1 1
7 7
hœhede/hœhte2 (›Erhabenheit‹): ← hoch (135) Adj. Kvniclicher hohte betrachtvnge v] fursihtikeit/ von der div reht fliezent v] mit der alliv reht gestan mNzent... (Corp. 372, 344.34).
Die übertragene Bedeutung ›Erhabenheit‹ von hœhede kann schon durch die Bedeutung ›hochgeboren, von hohem Stand‹ des Basisadjektivs hôch bedingt sein. siuchede (›Krankheit‹): ← siech (112) Adj. ...wende her also vngewaltig were sines libes v] siner sinne, daz ern weste weder vbel noch gGt, .. wenne er stFrbe der selben sFchede... (Corp. 1145a = N 408, 302.43).
Im obigen Beleg von siuchede lässt sich eine modale Bedeutungskomponente ›Art und Weise, wie jmd. siech/krank ist‹ beobachten.
II.1. Derivationstypen
148
urvêhede (›Verzicht auf Rache für erlittene Feindschaft‹): ← urvêch Adj. (Lexer II: 2016)
Dit selue verzighnisse sal duên die stait van Colne vp den erchebischof inde sine helpere vGr si / inde ver alle ire helpere · also dat id si in beidenthaluen eine ganze Nruede (Corp. 42A, 71.16).
Etymologisch handelt es sich bei urvêhede um eine Ableitung mit dem mhd. nicht mehr produktiven Präfix »*uz (s. ur-) in der alten Bedeutung ›aus‹» (Kluge 1999: 850). »In der älteren Sprache sind diese Bildungen beliebt [...]; allmählich sterben sie ab, und werden durch Composita mit -los, unersetzt« (Wilmanns 1899: 566f.). Für urvêhede sieht Wilmanns jedoch die Möglichkeit einer deadjektivischen Ableitungsbeziehung: »Einen Rest bewahren wir in Urfehde, mhd. ur-vêhede, -vêhe von ur-vêh Adj. ausserhalb, frei von Feindschaft« (ebda.).243 Bei einer synchronen Motivation bleibt somit nur der Bezug auf das nur bei Lexer nachweisbare Adjektiv. Eine Paraphrase kann für alle Belege gebildet werden, ist aber nicht in allen Fällen gleichermaßen stimmig. Und zwar vor allem da, wo das sonst viermal mit swern verbundene Substantiv in zehn Fällen mit tuon konstruiert wird. Dadurch kommt ein eindeutiger Aktionsgehalt zum Tragen, der so im Adjektiv nicht angelegt ist. Es lässt sich vielleicht argumentieren, dass hier der verbale Gehalt aus der Formel urvêhede swern in urvêhede eingedrungen ist oder der mhd. Sprecher statt des performativen Verbs swern das Handlungsverb tuon hier als eine Art Verbum dicendi verwendet. Eventuell wurde also das Ritual des Urfehdeschwörens als Ganzes aufgefasst und konnte dann auch ›getan‹ werden. Die Motivierung gestaltet sich einfacher, wenn man sich von der angegebenen Bedeutung als Nomen actionis244 löst und als vermittelnde Paraphrase ›Freisein von Feindschaft‹ ansetzt. Ein im DWB aufgenommener Beleg aus dem Sachsenspiegel zeigt den Versuch, die Bildung synchron zu motivieren, sie kommt aber leider ohne das Adjektiv aus: »orveide het vrede, di over veide gesworen werd, also dat di veide enwech is« (DWB 24: 2410). Das Lexem kann wohl unter gewissem Vorbehalt noch als synchron motivierte Bildung aufgenommen werden, es ist aber mit einem hohen Lexikalisierungsgrad zu rechnen. G. Abstrakta [DM] (BA/BV-(e)de7): ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist/BV‹ Lexem missehellede
Belege
alem
nd
1
1
-
_____________ 243 Wilmanns (1899: 342) führt auch die Bildung gevêhede ›Feindseligkeit‹ auf gevêh (Lexer I: 958 gevêch ›feindlich, feindselig‹) zurück. 244 Vgl. DWB (24: 2409).
II.1.3. -(e)de Lexem vrümede vröude Gesamt
149
Belege
alem
nd
2 4 7
2 3 6
1 1
missehellede* (›Misshelligkeit, (Rechts-)Streit‹): ← missehellen (29) st.V., missehel(le) (8) Adj.
...nach manger missehellede die ich han gehebt mit den geistlichen livten... (Corp. 460, 398.9).
Das nur einmal im Wilhelm-Corpus belegte missehellede fällt in seiner Belegfrequenz weit hinter die zwei häufig belegten Bildungen missehell(e) und missehellunge zurück. Generell ist im Korpus das Wortbildungsnest zum Stamm -hell- stark ausgebaut, und die meisten Bildungen lassen sich nur auf ein Verb beziehen. Auch bei missehellede scheint die deverbale Motivation gefühlsmäßig etwas stärker ausgeprägt, ein doppelter Motivationsbezug zum nur alem. belegten Basisadjektiv (vgl. Belegregion) ist jedoch gegeben. vrümede (›Bravheit, Tüchtigkeit‹): ← vrum (174) Adj., (ge)vrumen (14), (ge)vrümen (23) sw.V. ...dc ich dc selbe gotshus niemer bekúmber / noch beswer / mit worten / noch mit werchen / mit rate / noch mit frúmde (Corp. 2051A, 278.30).
Aufgrund der Basisbelegzahlen erscheint das Adjektiv vrum ›tüchtig, brav etc.‹ mit 174 Belegen gegen die 37 Verbbelege primär motivierend. Eine Doppelmotiviertheit der Bildung soll jedoch nicht ausgeschlossen werden und ist über die jeweilige Basisbedeutung plausibel.245 vröude (›Freude‹): ← vröwen (5) sw.V., vrô (2) Adj. ...daz man ze disem libe deste seliger ist/ alse diu schrift sprichet / vnde dar zG die ewigen frowede besizet... (Corp. 296, 292.15).
H. Lokativa (BV-(e)de8): ›Ort, wo jmd./etw. BV‹ Lexem
Belege
alem
bair
10 2 2 14
4 4
2 1 3
begrebede1 bivelde2 gejegede Gesamt
alemschw 1 1
begrebede1 (›Begräbnisstätte‹): ← begraben (11) st.V. _____________ 245 Vgl. Lexer (III: 549, 551f.).
IR4
IR2
ofrk
1 1
2 2
2 1 3
II.1. Derivationstypen
150
...wir tNn avch kvnt daz wir vnser begrebde erwelt haben datz den Minnern Brvdern ze Nverenberk in dem Chôre (Corp. 3368, 489.17).
bivelde2 (›Begräbnisstätte‹): ← bevelhen (55) st.V.; vgl. bivilde1 ...v] han brudershaft von in enphangen · v] min pivilde dar geshafen... (Corp. 1665, 4.19).
gejegede (›Jagdgebiet‹): ← gejagen (Lexer I: 801), jagen (25) sw.V. ...umbe den kriek den wir han vmbe die liGte zebGchele / und umbe die liGte indem ambete ze Rot]uels / und umbe dG gerihte ze karbach ze Birkenuelt ze wisentuelt / umbe das geiegede inder mennbiegen... (Corp. 504, 446.44).
Mit der Bedeutungsangabe ›Jagdgebiet, Jagdrecht‹ verzichtet das WMU (I: 607) auf eine Trennung der abstrakten und lokalen Bedeutung des Lexems gejegede. Die Kontexte sprechen jedoch m.E. durch die kontextuelle Einbettung in Orts- und Gutsbeschreibungen für eine Zuordnung zu den Lokativa.246 I. Kollektiva (BS-(e)de9): ›alle/viele BS‹ Lexem geswisterde
Belege
alem
bair
95
61
20
alemschw 4
wmd
IR1
IR3
IR4
IR5
3
2
2
2
1
Der Klasse der Kollektiva wurde nur geswisterde zugeordnet, da trotz gewisser Einordnungsprobleme eine kollektive Bedeutung noch wahrgenommen werden kann. Als weitere desubstantivische Kollektivbildungen waren geteilide und gemerkede in Betracht zu ziehen, doch schien im Fall von geteilide für einen Beleg nur die Interpretation als idiofunktionale Bildung zu teil gerechtfertigt, für zwei andere Belege schien ein deverbaler Bezug wahrscheinlicher (s.d.). Für gemerkede lässt sich anhand der Textstellen keine kollektive Bedeutung sicher nachweisen, weshalb es als idiofunktional zu marke angesehen wird (s.d.). Die Bezeichnung von zusammengehörigen Personen und Gegenständen, die ahd. den Neutra auf -idi zukam247, ist somit korpusintern nur marginal vertreten. geswisterde: ← swester (1030) st.sw.F. Die semantische Zuordnung der Bildung, die fast ausschließlich im Plural gebraucht wird (ebenso DWB 5: 2004, 4a) und deshalb kaum als echtes Kollektivum aufgefasst werden kann, bleibt problematisch. Interessanterweise bezeichnet geswisterde zwar teils ausschließlich weibliche Geschwister, teils aber auch ausschließlich Brüder, die Hauptfunktion besteht jedoch in _____________ 246 Vgl. das abstrakte gejageze. 247 Vgl. Wilmanns (1899: 350).
II.1.3. -(e)de
151
der Bezeichnung der Gesamtheit aller Brüder und Schwestern, wodurch es von der eigentlichen Motivationsbedeutung der Kollektiva ›alle/viele BS‹ natürlich abweicht. Die Bedeutung ist weniger als kollektiv im herkömmlichen Verständnis aufzufassen, sondern eher als eine Art Zusammenfassung von noch als solchen wahrgenommenen Einzelpersonen nach dem Kriterium des Bruder-Schwester-Verhältnisses. Brendel et al. (1997: 210) rechnen die Bildung zu den Kollektiva, gehen jedoch auf die Pluralform ihres zitierten Belegs nicht ein (das Lexem ist in ihrem Korpus feminin). Auch Wortbildungslehren des Nhd. betrachten das vergleichbare Geschwister durchwegs als nichtidiomatisierte Kollektivbildung.248 J. Lokativa [DM] (BV/BS-(e)de10): ›Ort, wo jmd. BV/jmd. etw. mit BS tut‹ Lexem vischenze1
Belege
alem
19
13
alemschw 3
IR1 3
vischenze1 (›Ort, wo gefischt wird‹): ← visch (84) st.M., vischen (14) sw.V. ...mit gerihten / V] allen rehten / V] geWonheiten / so zN der selben bvrg / V] der Herschaft/ V] der Vogeteie h=rent / in brisg=We / es si an holze / an Velde / an Wassern / an Ackern/ an Mattan / an reben / an Vischenzen / oder an dekeinen andern dingen... (Corp. 1678, 12.39).
Ich habe mich hier für eine lokative Interpretation des Lexems vischenze entschieden, doch ist auch für einige Fälle eine zusätzliche abstrakte Interpretation i.S.v. jus piscandi249 möglich. Das vorwiegende Auftreten der Bildung in Aufzählungen, meist im Kontext mit konkreten Substantiven wie Wald, Äcker etc., macht im Einzelfall die konkrete lokale Bedeutung wahrscheinlicher, ohne jedoch eine immer vorhandene Unschärfe der Bedeutung auszuschließen. Die Doppelmotiviertheit der Bildung erklärt sich durch die mögliche Paraphrasierung ›Ort, wo gefischt wird/Ort, wo Fische gefangen werden‹. K. Instrumentativa (BV-(e)de11): ›das, womit man BV‹ Lexem
Belege
alem
bair
gehügede2
4
3
1
_____________ 248 Vgl. Fleischer/Barz (1995: 200), DW (1975: 163). 249 Vgl. DWB (3: 1683), Lexer (III: 370).
II.1. Derivationstypen
152
gehügede2: ← gehügen (Lexer I: 793), hügen (a.a.O.: 1379) sw.V. ...v] sol das rathûs ein ewig gehugede sin, das wir mit den burgern von Colmere alsus vber ein sin komen lieblich vmbe den bv der do vor genemet ist (Corp. 2178a = N 714, 515.42).
In vier Fällen zeigt das Lexem gehügede instrumentative Bedeutung. Eine Interpretation als Agentivum ›etw., das jmdn. erinnert‹ ist angesichts der bei Lexer angegebenen Verwendung des Basisverbs unwahrscheinlich. gehügen scheint mhd. nicht mit sächlichem Subjekt konstruiert werden zu können. Dies liegt an der Bedeutung ›gedenken, sich erinnern‹, die sich auf menschliche Denkprozesse beschränkt. Das Basisverb bedeutet nicht ›erinnern (an etw.)‹. L. Lokativa (BS-(e)de12): ›Ort/Gebiet der BS‹ Lexem
wmd
gebûrde
2
gebûrde (›Landschaft, Gebiet‹): ← gebûr (61) st.sw.M. ...inde sin wir dan ze kolne / ove ze BGnne / ove ze Andernachge / ove ze Nuisse / ove in dieser gebG Girden... . Were oug dat sachge dat wir dan binnen dieser gebuirden niet entweren... (Corp. 255, 268.03ff.)
Die Bildung gebûrde kann i.S.v. ›Nachbarschaft‹ als motiviert gelten, wenn statt der korpusinternen Basisbedeutung ›Bauer‹ die bei Lexer (I: 764) belegte Bedeutung ›Dorfgenosse, Nachbar, Mitbewohner‹ berücksichtigt wird. Doch ist das Lexem in dieser Bedeutung sicherlich auf dem Weg der Lexikalisierung. M. Agentiva [DM] (BA/BV-(e)de13): ›etw., das BA ist/BV‹ Lexem
alem
smæhede2
1
smæhede2: ← smæhen, smâhen sw.V. (Lexer II: 998f.), smæhe Adj. (a.a.O.: 996f.)
...swer gegen Pnserm herren Gotte / ald siner mNter ald sinen heiligen / dehein smehte / ald dehein scheltwort / getár gesprechen ald getGn / innerhalb vnsers vrides ciln... (Corp. 26A, 52.18).
Aufgrund des doppelten Motivationsbezugs von smæhede2 wird die Bildung als Agentivum behandelt. Nur mittels einer Agentivparaphrase können
II.1.3. -(e)de
153
beide Basen derselben Funktionsklasse zugeordnet werden. Bestünde nur ein Bezug auf das Basisverb, wäre zu erwägen, die Bildung den Instrumentativa zuzuordnen, da die Paraphrase ›das, womit jmd. jmdn. schmäht‹ eventuell dem Kontext besser gerecht würde. Die smæhede kann als Mittel verstanden werden, mit dem ihr Urheber das Schmähen vollzieht.250 e. Diachroner Vergleich -(e)de Funktionsklasse Abstrakta (BV) Patientiva (BV) Agentiva (BV) Idiofunktionalia (BS) Agentiva (BV) Abstrakta (BV/BA) [DM] Abstrakta (BA) Lokativa (BV) Kollektiva (BS) Lokativa (BV/BS) [DM] Instrumentativa (BV) Lokativa (BS) Agentiva (BA/BV) [DM]
Mhd. K-Urk 47,4% 17,1% 6,6% 5,3% 5,3% 3,9% 3,9% 3,9% 1,3% 1,3% 1,3% 1,3% 1,3%
K-Dü 50,0% (30,0%) (30,0%) 16,7% (10,0%) (10,0%) 16,7% (10,0%) 16,7% (10,0%) -
Frnhd. K-Wü 43,6% 23,1% 5,1% 7,7% 7,7% 12,9% -
K-Erf 62,5% 12,5% 25,0% -
Tabelle II.1.3.6. Funktionelle Verteilung der -(e)de-Derivate im diachronen Vergleich
Die Übersicht251 zeigt, dass das Suffix -(e)de im mhd. Urkundenkorpus im Vergleich mit den anderen historischen Korpora252 mit insgesamt 13 Funktionsklassen die weitgestreuteste funktionelle Vielfalt aufweist. Als _____________ 250 Für das Determinativkompositum scheltwort gilt m.E. die gleiche Beobachtung. Die Interpretation als ›Wort, mit dem man schilt‹ scheint plausibler als ›Wort, das schilt‹. Vgl. DWB (s.v. Schmachwort und Schmähwort). 251 Vgl. Müller (1993a: 349; 148), Brendel et al. (1997: 246f.), Döring/Eichler (1996: 246f.). Bei den Zahlen zum Dürer-Korpus geben die Werte in Klammern die Prozentverhältnisse unter Einbezug der von Müller dem Bildungstyp g(e)-d(e) zugerechneten Bildungen wieder (a.a.O.: 148). Dabei wurden aber nur die Bildungen aufgenommen, die nicht in dieser Arbeit unter -t besprochen werden. Die Lexemzahlen bei Dürer bleiben dennoch insgesamt sehr gering (sechs, respektive zehn Bildungen). Die von Döring/Eichler (ebda.) als »Thematisierung der Art und Weise einer Prädikation« klassifizierten Bildung berd(e) und geberd(e) (25,0%) sind in der obigen Darstellung innerhalb der Gruppe der deverbalen Abstrakta erfasst. 252 Die Untersuchung zur gesprochenen Gegenwartssprache verzeichnet jeweils nur das Lexem Freude, welches als einzige Bildung aus sprachhistorischer Sicht dem Suffix -ede zuzurechnen ist (Jagd < ahd. jagōd) (vgl. Gersbach/Graf 1984/85: 213). Wellmann verzeichnet in DW (1975: 236) neben zwei Bildungen auf -d (Typ: Jagd, s.o.) insgesamt drei Bildungen auf -de (Typ: Freude), die er aber nicht hinsichtlich ihrer Wortbildungsfunktion klassifiziert.
II.1. Derivationstypen
154
gemeinsames Charakteristikum aller Korpora erweist sich jedoch die primäre Funktion des Suffixes, Verbalabstrakta zu bilden. Die Patientivbildungen rangieren im Würzburger wie im Urkundenkorpus an zweiter Stelle. Als einziges Patientivum zeigt das Erfurter Korpus die Bildung geluebde, die jedoch aufgrund des insgesamt geringen Lexembestandes (7 Lexeme, 8 Bildungen) mit 12,5% Prozent zu Buche schlägt. Ein erwähnenswerter Unterschied besteht in der geringen Ausprägung der Instrumentativa im Urkundenkorpus (eine Bildung), deren Anteil in den anderen Vergleichsuntersuchungen um ein Vielfaches größer ist. Abgesehen von den Agentivbildungen, die auch das Dürer-Korpus und das Korpus der Würzburger Arbeitsgruppe aufweisen, bleiben die restlichen Funktionsklassen im Urkundenkorpus und auch in den frnhd. Korpora von marginaler Bedeutung. Lediglich für Bildungen mit lokativer Bedeutung, Kollektiva und Instrumentativa kann im Vergleich mit dem einzigen hier aussagekräftigen Würzburger Korpus im Frnhd. ein prozentualer Zuwachs verzeichnet werden. Im Nhd. ist das Suffix nicht mehr produktiv.253 II.1.3. -(e)de
II.1.4. -el a. Lexembestand (14) bliuwel (2) gürtel (5) köufel slegel spîchwertel stocwertel* torwartel, torwertel (4)
bürgel (56) klegel scheffel2 (81) slüzzel (4) steinmeizel swertvürbel* (2) vleischheckel (2)
Bildungen, die sich nur durch Bemühung der Etymologie als -el-Bildungen erweisen, deren Bezug zur Basis also semantisch und morphologisch verlorengegangen ist, wie z.B. bengel < *bangen254, speichel < spîwen, stadel < stân, oder deren Basen untergegangen oder unbekannt sind, vgl. stagel*255, sind _____________ 253 Vgl. Fleischer/Barz (1995: 198f.). 254 Vgl. Lexer (I: 121). 255 stagel* st.F. ›Stützstange‹ ist einmal appellativ in einer Züricher Urkunde (WMU II: 1636) belegt. Das DWB (17: 538) verzeichnet neben dieser Bildung auch das Verb stagen (nicht bei Lexer belegt), für das die Bedeutung ›stützen‹ nur im Holländischen nachgewiesen ist. Das Verb steht vmtl. mit dem Begriff stag (DWB 17: 537) der Seemannsprache in Zusammenhang. Auch im Schweizerischen ist das Verb stagen belegt, jedoch in der Bedeutung
II.1.4. -el
155
nicht als Wortbildungen erfasst worden und werden hier nicht behandelt. Als idiomatisierte Bildungen betrachte ich eichel256, (ge)bütel (35) ›Gerichtsdiener, Gerichtsbote‹ und scheffel257 (59) in der Bedeutung ›Schöffe‹. (ge)bütel ist auf das starke Verb (ge)bieten ›gebieten, herrschen; befehlen‹ zurückzuführen und vergleichbar mit der ebenfalls idiomatisierten -e-Bildung bote. Es besteht zwar synchron ein morphologischer Bezug zum Basisverb, der semantische Bezug ist jedoch verlorengegangen. Das Gleiche ist bei scheffel1 zu beobachten, das etymologisch vom starken Verb schaffen ›schaffen, machen; anweisen; veranlassen,...‹ abgeleitet ist. Ich sehe diese rechtssprachlich stark institutionalisierte Bildung (vgl. auch scheffe, scheffene) als nicht mehr durch das Basisverb motiviert an.258 Nur in Personennamen sind belegt: genennel* ›Namensvetter‹, heckel ›Hacker, Hauer‹, strobel ›Strubbelkopf‹ und zwickel ›Keil‹. Insgesamt drei Belege von slüzzel und slegel sind als mittelbare Berufsbezeichnungen ausgeschlossen worden. Auf den Sonderfall des Lexems ermel gehe ich in einem kleinen Exkurs ein, der auf die Darstellung der Funktionsklassen folgt. Konkurrenzbildungen Nomina agentis und Nomina instrumenti auf -el »konkurrieren mit den kräftigeren Bildungen auf -er [...], die Nomina agentis überdies mit den älteren auf -o [...]« (Henzen 1965: 156). Diese Aussage bestätigt sich im Wesentlichen für das Urkundenkorpus. Die folgenden Tabellen sollen – ausgehend von den Belegen für -el – eine Übersicht bieten: -el bliuwel gürtel (5) slegel slüzzel (4)
Instrumentative Lexeme -er(e) -
-e bliuwe (2) -
Tabelle II.1.4.1. Instrumentative Konkurrenzbildungen der Suffixe -el, -er(e) und -e
_____________ »gleichbedeutend mit staben [...] starren, erstarren« (DWB 17: 538). Einen plausiblen Zusammenhang zwischen dem Verb stagen und der Bildung stagel* in Korpus sehe ich als nicht gegeben, weshalb ich diese Bildung ausschließe. 256 Zu eichel vgl. die Argumentation von Brendel et al. (1997: 236 petit), der ich mich anschließe. 257 Homonym mit scheffe (102), einer Bezeichnung für ein Hohlmaß. 258 Motiviert hingegen sind die Bildungen schaffære, schaffenære ›Verwalter,...‹, bei denen der semantische Bezug zum Verb in vollem Maße gegeben ist.
II.1. Derivationstypen
156
Agentive Lexeme -el bürgel (57) klegel köufel scheffel 102 spîchwertel steinmeizel stocwertel swertvürbel* (2) torwartel (4) vleischheckel (2)
-er(e)
-e
klager (226) koufer (24) stochwarter (6) vleischhacker (3)
bürge (1260) koufe scheffe (32), scheffene (120) swertvürbe (10) torwart(e) (7) -
Sonstige koufmann (53) spîchwart -
Tabelle II.1.4.2. Agentive Konkurrenzbildungen der Suffixe -el, -er(e) und -e
Es ist auffällig, dass die instrumentativen Bildungen auf -el in der Regel ohne Konkurrenzbildung auf -e oder -er(e) bleiben. Von bliuwel, gürtel, slegel und slüzzel steht lediglich bliuwel eine Konkurrenzbildung auf -e gegenüber (vgl. aber Henzen ebda.). Anders verhalten sich die Agentiva zueinander. Neben den Bildungen auf -el stehen eine Reihe anderer -e- und -er(e)Derivate mit gleicher lexikalischer Bedeutung bzw. im Fall von köufel, koufer und koufe zusätzlich auch eine Komposition auf -mann, bei spîchwertel eine Nullbildung. b. Morphologie 1. Suffixetymologie Noch im Ahd. teilt die Sprachgeschichte -el in »drei Gruppen, die weder für sich ganz durchsichtig noch auch leicht auseinanderzuhalten sind: Diminutiva, Nomina agentis und Nomina instrumenti« (Henzen 1965: 155).259 Die beiden letzten Gruppen lassen sich im Korpus noch als reihenhaft ausgeprägte Funktionsklassen nachweisen. Die alten Diminutivbildungen und/oder Hypokoristika, die schon für das Vormhd. nicht deutlich erfassbar sind, spielen im Mhd. keine Rolle mehr bzw. sind nicht als solche zu erkennen.260 Die drei Gruppen dieses historischen Typs bil_____________ 259 Für gesamthafte Darstellungen zur Entstehung und Entwicklung des Suffixes, die über das hier Dargestellte hinausgehen, vgl. Henzen (1965: 141f., 155ff.) sowie Wilmanns (1899: 260ff.). 260 »Das Verhältnis zu den alten Diminutiven mit demselben Suffix (§ 89) bleibt in Einzelfällen unklar, außer in solchen wie ahd. seckil Säckel < lat. sacellus [...]. Gewöhnlich betrachtet man als Diminutiva ahd. armilo Ärmel [...]; ferner etwa ahd. nezzila Nessel [...], eichila, ringila
II.1.4. -el
157
den ausschließlich Maskulina und Feminina.261 Dies ist zu beachten, wenn im Mhd. Bildungen auftreten, die ebenfalls auf -el enden, jedoch neutrales Genus zeigen. Diese vorwiegend im Bair. (z.T. im Omd.) belegten Bildungen sind verkürzte Formen des im obd. und omd. verwendeten Diminutivsuffixes mhd. -(e)lîn262 und somit morphologisch mit altem -el zusammengefallen. Dies muss an dieser Stelle erwähnt werden, da andere Darstellungen zur historischen Wortbildung -el auch als Diminutivsuffix behandeln.263 Für das Urkundenkorpus hat sich diese Vorgehensweise als nicht haltbar erwiesen, denn lediglich drei niederfrequente Bildungen sind nur in der -el-Form belegt und so im WMU lemmatisiert. Viele eigentliche -lîn-Bildungen haben jedoch v.a. bair. Nebenformen auf -el, die dann jedoch nicht ausschließlich verwendet werden, sondern auch im Bair. nur neben -lîn-Formen auftreten und somit als regionale lautliche Varianten des Suffixes -lîn zu werten sind. Ein eigener Bildungstyp -elDim soll daher für das Urkundenkorpus nicht angenommen werden. 2. Suffixmorphologie Das Suffix erscheint in 103 Fällen in der Normalform -el. 18-mal zeigen die Belege -il, wobei alem., bair. und omd. Belege gleichermaßen vertreten sind. Es kann sich einerseits um Vokalschwächung in der Nebensilbe handeln (omd.)264, andererseits könnten sich auch Reste der ahd. Suffixformen -il- zeigen (alem., bair.). Nur die Belege des Lexems scheffel zeigen 42-mal die Endung -ol, das Vorkommen beschränkt sich für unser Material auf das Alem. und Alem.-Schwäb.265 Eine wirkliche Erklärung dieser Form habe ich nicht. Evtl. könnte es sich um Vokalharmonie handeln, dann wäre aber als Grundform im DWB (14: 2383) verzeichnetes schuffel anzunehmen. Das Suffix tritt nie in synkopierter Form -l- auf.
_____________ 261 262 263 264 265
[...], Wörter, denen ein synonymes Grundwort zur Seite steht. Doch zwingen zu dieser Annahme weder Bildungsweise noch Bedeutung« (Henzen 1965: 157 Anm.1). Vgl. Henzen (1965: 155ff.). Vgl. Henzen (1965: 145f.). Vgl. Brendel et al. (1997: 227ff.). Hier v.a. für das Omd. anzunehmen, vgl. PWG (1998: 173, 7.). Vgl. Grammatik d. Frnhd. (I, 2: 158f.), wo das Phänomen für das Oberdeutsche beobachtet wird. Auch dort findet sich ein Beleg scheffol in einer niederalem. Urkunde (Freiburg 1319).
158
II.1. Derivationstypen
3. Basis: Wortart und Alternanz 78,6% (11 Lexeme) der -el-Bildungen sind mit verbaler Basis gebildet. Die Bildungen köufel, klegel (14,3%) betrachte ich zusätzlich durch ein Basissubstantiv doppelmotiviert. Nur das Lexem scheffel erweist sich als rein desubstantivisch. Umlaut der Basis zeigen 94 von insgesamt 152 Belegen mit umlautfähiger Basis, das entspricht 62,1%. Darunter sind 10 Belege von scheffel, die die Graphie -=- aufweisen.266 Nichtumgelautete Belege finden sich erwartungsgemäß vorwiegend im Bair. (52 Belege, 34,2%). Betroffen ist bis auf einmal a in torwertel, torwartel immer nur der Vokal u. Bei den Belegen zu gürtel, der einzigen Bildung, für die eine umgelautete Basis anzusetzen ist, ist der Umlaut zweimal bair. nicht markiert. An dieser Stelle ist noch erwähnenswert, dass bürgel in sieben bair. Belegen noch die alte Stammform burig-/purig- zeigt. Fünf davon zeigen auch den ahd. Lautstand des Suffixes -il. Auf eine Ablautstufe gehen slüzzel und bürgel (s.d.) zurück. Stammalternation durch grammatischen Wechsel weist slegel auf. c. Motivationsdichte In 97 Fällen kann Basisrang 1 vergeben werden, 46-mal Basisrang 2 und elfmal Basisrang 3. Obwohl sliezen nicht im Korpus belegt ist, wurde für slüzzel Basisrang 1 vergeben, da das Verb Basis in einer ganzen Reihe präfigierter Verben ist: be-, ent-, ûz-, versliezen. Basisrang 4 betrifft die Lexeme gürtel267 und steinmeizel. Für doppelmotiviertes vleischheckel kann je nach Basisansatz Basisrang 1 oder 4 vergeben werden. d. Wortbildungsfunktion Wie die folgende Tabelle zeigt, besteht die Hauptfunktion des Suffixes in der Bildung deverbaler Agentiva. An zweiter Stelle rangieren die Instrumentativbildungen. Eine Bildung ist als idiofunktionale Bildung zu analysieren. Sie macht allein 50% aller Belege aus.268 _____________ 266 Diese ist entweder auf Rundung von -e- oder Umlaut einer Basis mit Stammvokal -ozurückzuführen. Formen mit -o- kommen siebenmal vor. Evtl. ist aber auch -o- ein graphisch nicht markierter Umlaut -=-. 267 Das Partizip *umbegegurtet ist zweimal im Korpus belegt, die Belegstellen konnten jedoch nicht eruiert werden. Daher wird für diese Bildung der Basisrang 4 belassen. 268 Das Suffix -el ist im Neuhochdeutschen nicht mehr produktiv. Die wenigen in DW (1975: 125, 440) verzeichneten instrumentalen und diminutiven Bildungen sind »semantisch größ-
II.1.4. -el Funktionsklasse
Paraphrase
A. Agentiva -el1 B. Instrumentativa -el2 C. Agentiva [DM] -el3
›jmd./etw., der/das BV‹ ›das, womit man BV‹ ›jmd., der etw. mit BS tut/BV‹ ›BS‹
D. Idiofunktionalia -el4 Gesamt
Basiswortart Verb Verb Verb/ Substantiv Substantiv
159 Lexeme / Belege Anzahl Prozent 7/67 50,0/41,4
Beispiel bürgel bliuwel, slüzzel klegel, köufel
4/12
28,6/7,4
2/2
14,3/1,2
scheffel2
1/81
7,1/50,0
14/162
Tabelle II.1.4.3. Funktionelle Verwendung der -el-Derivate
A. Agentiva (BV-el1): ›jmd., der BV‹ Lexem bürgel spîchwertel steinmeizel stocwertel swertvürbel* torwartel, -wertel vleischheckel Gesamt
Belege
alem
bair
IR1
Kg
ofrk
56 1 1 1 2 4 2 67
1 1 2 4
55 4 59
2 2
1 1
1 1
bürgel (›Bürge‹) ← borgen (16) sw.V. Daz er daz lediche verchavffen oder versetzzn solde an alle ansprache · vmb div pvrgelschafft · da her Livpolt · vmb pvrgel was worden · fMr sinen =chaim (Corp. 1495, 674.24).
bürgel, das im Korpus mit dem 1260-mal belegten bürge konkurriert, kann wie dieses auf die verbale Basis borgen zurückgeführt werden.269 Ein weiterer sekundärer Motivationsbezug über das Verb bürgen ist ebenfalls denkbar, doch ist im Korpus nur die abgeleitete Form verbürgen (31-mal) belegt. borgen ist mit seinen 16 Belegen nur sechsmal in der gesuchten Basisbedeutung ›bürgen, sich verbürgen‹ belegt (WMU I: 275). Generell bedeutet dies, dass von einem hohen Usualisierungsgrad sowohl von bürge als auch von bürgel auszugehen ist. Urkundeninterne Motivation durch die Basis _____________ tenteils schon vom BV gesondert«, »ansatzweise schon isoliert« und »wie Simplizia« verwendet. Laut Gersbach/Graf (1984/85: 211f., 234) fungiert -el in der gesprochenen Sprache noch »durchaus als produktives Suffix« (1984/85: 211), die Häufigkeit des Musters ist aber auch dort gering, wobei die Diminution wie in DW (1975: 104) die Hauptfunktion darstellt (1984/85: 212). 269 Vgl. Wilmanns (1899: 235).
II.1. Derivationstypen
160
konnte nicht beobachtet werden. Die Vokalalternanz ü - o, die zwischen Basis und Ableitung besteht, wirkt sich m.E. nicht mindernd auf die synchrone morphologische Motiviertheit aus. Auch wenn diese Alternanz nicht im Flexionsparadigma des schwachen Verbs auftritt, ist dieser Wechsel270 in mhd. Zeit als ein dem Sprachteilnehmer geläufiges Lautphänomen zu betrachten.271 spîchwertel (›Verwalter des Speichers‹): ← spîcher (2) st.M., warten (71) sw.V. Jch herre Joħes Ritter / v] Nlrich kneht / gebrMder / herren Joħes sæligen dez spichwærtelz sMne / vergehin andisem brávi... (Corp. 2677, 73.33).
Das Lexem ist eine Zusammenbildung aus der substantivischen Basis spîcher bzw. der Nebenform spîch (vgl. Lexer II: 1086)272 und dem schwachen Verb warten. spîcher und warten sind im Korpus belegt. Von einer zusätzlichen morphologischen Interpretation als Komposition gehe ich in diesem Falle nicht aus, da wartel, wertel nicht im Korpus belegt ist bzw. sein freies Vorkommen anhand des Eintrags bei Lexer (III: 697) für das Mhd. wohl in Frage steht. Durch die Verwendung als Bestandteil eines Personennamens ist keine verlässliche Aussage über die tatsächliche Motiviertheit der Bildung im Korpus möglich. steinmeizel (›Steinmetz‹): ← stein (171) st.M., meizen (›hauen, schneiden‹) sw.V. (Lexer I: 2091) …Meister Heinrich der Steinmeizel… (Corp. 2503, 546.38).
Das Lexem steinmeizel kann mhd.-synchron als Zusammenbildung aus dem Substantiv stein und dem Verb meizen273 analysiert werden. Ferner ist auch die Möglichkeit eines Kompositums aus stein und korpusintern nicht belegtem meizel (Lexer I: 2090) in Betracht zu ziehen. stocwertel (›Stockmeister, Gefängniswärter‹): ← stoc (18) st.M., warten (71) sw.V. Zur Bildungsweise vgl. spîchwertel. Auch dieses Lexem erscheint nur in Zusammenhang mit einem Personennamen Hug der stokwertel (Corp. 1986, 241.31). Da die Konkurrenzbildung stocwarter/stocwerter neben dem Gebrauch als Bestandteil eines Personennamens auch als Appellativum verwendet wird, kann auch hier nicht ausgeschlossen werden, dass stocwertel appellativen Gehalt besitzt. swertvürbel* (›Schwertfeger, Schwertschmied‹): ← swert (32) sw.M., vürben (1) sw.V. _____________ 270 Vgl. PWG (1998: §34). 271 Vgl. auch bürge, mit vielen Fällen von o-Vokalismus in bair. Belegen. 272 Aus dem Eintrag bei Lexer geht nicht hervor, ob diese Form evtl. auf spîchwertel beschränkt ist. 273 Vgl. auch DWB (12: 1986 s.v. meiszen).
II.1.4. -el
161
Dis ist das gGt das hainr der swertfurbel s(lich liez / in sines wirtis hus hern Nlriches im houe ze Costenze (Corp. 866, 210.9).
Die Zusammenbildung swertvürbel wird korpusintern wie die Konkurrenzbildung swertvürbe nur in Verbindung mit Personennamen benutzt. Ein frei vorkommendes *vürbel ist bei Lexer nicht verzeichnet. torwartel, torwertel (›Torwächter‹): ← tor (145) st.N., warten (71) sw.V. ...vnd swaz man Turnærn wahtærn / Torwarteln geben sol / des sol ich si an allez vnderlaz verrihtten / (Corp. 2363, 486.46).
Zur Bildungsweise vgl. spîchwertel. Zwei der vier Belege sind in Verbindung mit Personennamen gebraucht. vleischheckel (›carnifex; Fleischer‹): ← vleisch (34) st.N., hacken sw.V. (Lexer I: 1138) Daz selb Rint / han jch ChMnrad der Chastner / gelâssen / Chvnrad dē flaischhæîchel dem alten / ze fridperch / (Corp. 2386, 171.32).
Anhand dieses Beleges wird deutlich, warum es nicht gerechtfertigt ist, pauschal alle Lexeme, die in Verbindung mit Personennamen auftreten, auszuschließen. Für sich genommen unterscheidet sich die Nominalgruppe Chvnrad der flaischhæîchel nicht von anderen, die in gleicher Form auftreten. Dennoch zeigt hier der Kontext eindeutig, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine motivierte unmittelbare Berufsbezeichnung handelt. Auch der zweite Beleg bestätigt dieses Bild: Jst aber ein ander burger der gen Venedie niht vert vnde gen Franchriche vert der chorngulte hat vnde daz her in fMret / vnde Hew / oder swaz er her in fvret / der sol auch geben ein halp phunt phffers ze Jarzolle · vnde der korherre zT Gense · vnde der flaisheckel zwai bain · Vnde suln da mit ledik sin. (Corp. 548A, 490.21).
Die Bildung ist als Zusammenbildung aus dem Substantiv vleisch und dem Verb hacken zu analysieren. Des Weiteren ergibt sich die Möglichkeit, von einem Kompositum mit heckel als Grundwort auszugehen, das im Korpus aber nur einmal als Personenname belegt ist. Korpusinterne Konkurrenzbildungen sind vleischer und vleischhacker. B. Instrumentativa (BV-el2): ›das, womit man BV‹ Lexem bliuwel gürtel slegel slüzzel Gesamt
Belege 2 5 1 4 12
alem 1 1 2
bliuwel (›Bleumühle‹): ← bliuwen (3) st.V.
bair 1 5 2 8
IR1 1 1
nd 1 1
II.1. Derivationstypen
162
daz ich dem huse von Clingenowe v] den brGdern von sante Johanne des ordens von dem heiligen spitale von Ierusalem han gegeben zwo múlina v] ein bliwele... (Corp. 251a = N 134, 95.36).
gürtel: ← gürten sw.V. (Lexer I: 1126f.) Geschiht aber notnuft · Nf dem aigen · oder tivfe · div vber ain halpt phunt ist · den selben sol man vns antwurten ab dem aigen auch als er mit der gMrtel bevangen ist (Corp. 3167A, 367.5).
Das Lexem kann entgegen dem etymologischen Befund unter synchroner Betrachtung als Instrumentativbildung zum schwachen Verb gürten angesehen werden.274 Die alte fem. -ila-Bildung hat ihr Geschlecht im Mhd. noch bewahrt. Das Vorkommen im Korpus beschränkt sich auf den rechtssprachlich gebundenen Gebrauch mit (der) gürtel bevangen, der sich auf einen festgenommenen Tatverdächtigen bezieht, »nur mit dem bekleidet, was der Gürtel hält« (WMU I: 775).275 slegel: ← slahen (220) st.V. Ein wagen mit Trgen oder mit Slegeln oder mit hacpretern... (Corp. 548A, 489.5).
slüzzel: ← sliezen (Lexer II: 976) st.V. wir setzen ovch daz der stat Jnsigel / mit fvmf sluzzeln beslozzen si... (Corp. 888, 251.12).
Obwohl das Basisverb sliezen nicht im Korpus belegt ist, betrachte ich slüzzel dennoch als korpusintern motivierte Basis, da eine Vielzahl präfigierter Verben zu sliezen im Korpus belegt sind (be-, ent-, ûz-, versliezen). C. Agentiva [DM] (BV/BS-el3): ›jmd., der etw. mit BS tut/BV‹ Lexem klegel köufel Gesamt
Belege 1 1 2
alem 1 1
ofrk/bair 1 1
klegel (›Kläger‹): ← klagen (306) sw.V., klage (278) st.(sw.)F. Da nah sol der schultheize mit zweîn der vier v] zweinzigon mit rehtîr urteilde ze hûs v] ze houe gan / v] sol mit sinem gNt ob er ût vindit dem klægil geltin da /... (Corp. 228B, 259.24).
Die Bildung steht mit nur einem Beleg einer überwältigenden Menge von 228 klager/kleger-Belegen gegenüber. Fast macht es den Eindruck, als wäre
_____________
274 So verfahren auch Brendel et al. (1997: 232). Zur Etymologie vgl. etwa Kluge (1995: 343), Pfeifer (2000: 488) und Wilmanns (1899: 263), der es ohne Kommentar auf g. gairdan bezieht. 275 Vgl. auch DWB (9: 1176).
II.1.4. -el
163
hier dem Schreiber ein Lapsus Calami unterlaufen, denn selbst in der Belegurkunde finden sich an anderen Stellen reichlich Belege für die -er(e)Bildung. köufel (›Kaufmann‹): ← koufen (1660) sw.V., kouf (1050) st.M. Wir beiehn ovch wol - daz den chovf in dem lande von vnserm Rihter nieman gewinnen sol · - niwan di chevfel di in enneher ze reht gewnnen habnt / chovfet ein man oder verchovffet iht durch sin notdurft in sinem hovs / oder dar ovz / der sol dar vmb niht schuldich sin (Corp. 1100A, 395.16).
Diese Ableitung ist durch kouf und koufen doppelmotiviert. Die Paraphrase kann sowohl lauten ›jmd, der kauft (i. S. v. ›Handel treiben‹, vgl. WMU: 1034, B1)‹ und ›jmd, der kouf treibt‹ (vgl. WMU II: 1032, B3). D. Idiofunktionalia (BS-el4): ›BS‹ Lexem
Belege
alem
bair
scheffel2
81
49
1
alemschw 8
IR1
omd
9
11
alemschw/IR1 3
scheffel2 (›ein Hohlmaß‹): ← schaf (55) st.N.
Die Weiterbildung zu schaf276, ebenfalls ein Hohlmaß, trägt keine offensichtlichen semantischen Merkmale, die aufgrund eines Wortbildungsvorgangs erklärbar wären. In der Tat scheint scheffel2 überhaupt keinen semantischen Mehrwert gegenüber schaf zu besitzen. In der Annahme einer pleonastischen Bildung zu schaf folgen wir dem Befund der Wörterbücher, denn die Belege des Korpus lassen keine weiterführenden Schlüsse zu. Auffällig ist die regionale Verteilung der Basis, die nur im Bairischen belegt ist, und dazu das Auftreten des wortgebildeten Lexems mit neun Belegen im Grenzgebiet zum Schwäbischen und nur einem bair. Beleg. Es stellt sich daher die Frage, ob es sich bei beiden eventuell um einander mehr oder weniger landschaftlich ausschließende Lexeme handelt. Exkurs
ermel (›Ärmel‹): ← arm (3) st.M.
ein rok svnder ermelen... (Corp. 51, 83.40). Die Bildung ermel (ahd. armilo), sprachgeschichtlich ein altes Diminutivum zum Substantiv arm277, stellt für die synchrone Wortbildungsanalyse ein gewisses Problem dar, zumal nicht zu leugnen ist, dass ein morphologi_____________ 276 Vgl. DWB (14: 2383ff.; 2383). 277 Vgl. Henzen (1965: 157 Anm. 1).
II.1. Derivationstypen
164
scher und auch ein semantischer Zusammenhang zum Basissubstantiv besteht. Die Frage jedoch ist, wie und ob die Wortbedeutung im Rahmen einer Wortbildungsbedeutung analysierbar ist. Brendel et al. (1997: 241) behandeln das Maskulinum278 ärmel neben vingerl unter einer eigenen Funktionsklasse ›etwas, das BS kleidet‹, einer semantischen Subklasse der Agentiva oder evtl. auch Instrumentativa (S. 243). Ihre Argumentation basiert auf der Beobachtung, dass in ihrem Korpus neben vingerl auch noch die -lein-Bildung vingerlein dieselbe onomasiologische Kategorie konstituiert. Sie verweisen ferner auf gegenwartssprachliche Bildungen wie Fäustling, Däumling, Füßling desselben Typs.279 Für das Urkundenkorpus ist neben ermel ebenfalls vingerlîn ›Ring‹ belegt. Ich kann zwar die Argumentation von Brendel et al. nachvollziehen, doch schließe ich mich ihr nicht an. Ich glaube, dass die synchrone morphosemantische Analysierbarkeit hier nicht zur Aufnahme in ein Funktionsklassenschema rechtfertigt, da das Suffix -el hier keine Reihen ausgebildet hat und auch nicht mehr ausbildet. Die nhd. Beispiele auf -ling zeigen dies jedoch zumindest ansatzweise, wodurch sich auch die Aufnahme in eine Restgruppe in DW für -ling begründen lässt. e. Diachroner Vergleich -el
Mhd.
Funktionsklasse Agentiva (BV) Instrumentativa (BV) Agentiva (BV/BS DM) Idiofunktionalia (BS) [Diminutiva (BS)] Agentiva (BS) Patientiva (BV) Abstrakta (BV) Restgruppe
K-Urk 50,0% 28,6% 14,3% 7,1% -
Frnhd. K-Wü 6,8% 6,3% [83,0%] 3,5% 0,5% -
Nhd. K-Erf 23,5% 41,2% 5,9% 5,9% 23,5%
K-Ggespr. 37,5% [62,5%] -
K-Ggeschr. 23,5% [76,5%] -
Tabelle II.1.4.4. Funktionelle Verteilung der -el-Derivate im diachronen Vergleich
Der diachrone Vergleich280 gestaltet sich für -el vor allem aufgrund des unterschiedlichen Verfahrens mit den Diminutivbildungen kompliziert. Die Würzburger Arbeitsgruppe behandelt in ihrem Korpus unter -el auch _____________ 278 Brendel et al. verbuchen auch ein Neutrum als Diminutivum ›kleines BS‹ (1997: 234 petit). 279 Vgl. DW (1975: 86) als Restgruppe -ling6. 280 Die Werte entstammen Brendel et al. (1997: 538f.), Döring/Eichler (1996: 226), Gersbach/Graf (1984/85: 211f.) und DW (1975: 105). Aufgrund der geringen Belegfrequenz im Dürer-Korpus (Müller 1993a: 352ff.) unterbleibt hier der Vergleich.
II.1.4. -el
165
jene Diminutivbildungen (171 Lexeme, 83,0%), die auf eine (vor allem ostoberdeutsche) »Morphemvariante von -lein« (1997: 233) zurückzuführen sind. Auch Gersbach/Graf verzeichnen für ihr Korpus der gesprochenen (westoberdeutsch gefärbten) Gegenwartssprache fünf diminutive -el-Bildungen (62,5%). Für die Urkundensprache werden diese Formvarianten nicht zuletzt aufgrund ihrer relativ geringen und regional gebundenen Verbreitung und dem sprachlandschaftsübergreifenden Untersuchungsmaterial unter dem Suffix -lîn behandelt. DW (1975: 125) weist 13 Bildungen nur unter Vorbehalt den Diminutiva zu, da -el »nicht mehr als produktives Deminutivsuffix« fungiert und trotz erkennbarer Ableitungsbeziehung zwischen Derivat und substantivischem Grundwort dem Suffix keine erkennbar ausgeprägte Funktion zugeschrieben werden kann, die Lexeme also wie Simplizia gebraucht werden. Die mundartlich gebundene Suffixvariante -el (< -lein) stellt Wellmann zu -lein und behandelt sie nicht systematisch (a.a.O.: 124f.). Der Vergleich der Einzelkorpora kann also nur unter Ausschluss der Diminutivbildungen erfolgen. Dabei zeigt sich, dass -el in allen Zeitstufen als Instrumentativsuffix analysierbar bleibt, wenn dieser Typ bei -el auch schon seit dem Spätmhd. als nicht mehr produktiv gelten kann281, es also kaum noch zu Neubildungen kommt.282 Agentivbildungen auf -el sind in den Korpora zum Nhd. nicht belegt. Im Urkundenkorpus kommt dieser alten Funktion des Suffixes -el noch die Hauptbedeutung zu. Auch im Würzburger Korpus beliefe sich nach Abzug der Diminutivbildungen der Anteil der Agentiva auf 40%. Im Erfurter Korpus sind nur sächliche Subjekte nachweisbar.283 Die teils in den frnhd. Korpora nachgewiesenen Agentiva mit Basissubstantiv, Patientiva und deverbalen Abstrakta scheinen Einzelerscheinungen ohne reihenhafte Ausprägung darzustellen.
_____________ 281 Vgl. Kluge (1925: 37). 282 Vgl. DW (a.a.O.: 440), Gersbach/Graf (a.a.O.: 285). 283 Döring/Eichler (1996: 223).
166
II.1. Derivationstypen
II.1.5. -er(e) a. Lexembestand (364) æhter (21) anleiter (2) anwender° (109) badære (5) behaltære (6) betrüebære binder (2) blatener (2) bliuweler* bortner (2) boumgarter* (3) brennære (17) briuwer (3) brunner* (6) bursære*/bursenære butericher (3) dorfhüeter (2) ebenære (5) eselære (2) forstnære* gehaltære gemeiner gewerer (5) glasære grabære gürtelære harmarkter* (3) heimelîchære hentschuoher (6) hœrære houwer hüetære (31) huobner (2) înnemære (2) îsener (4) kæser (4)
almuosenære (2) anstœzer apotêker (6) badestuber beschirmære (2) bîhtære (25)/ biutelære (2) bleicher (3) bogenære (3) botwarer brâtære (3) bretsleifer brôtbecker (3) bûre (3) bürster* (2) chuchler (7) dræhseler enphâher* êwangêljer (3) gartenære (8) geltære (15) gerwer (13) gîgære (8) glockenære/glocker grâtuocher halber harpfære helfære° (65/415) hertære (6) hoser höuwer (3) huller (2) hûsære (11)/ irher (4) jegere (5) kamerære° (48)
angrîfer antwürter (2) armbruster becherer (4) betelære (2) bîhtegære (4) blâsære blîdreyer* borgære (4) boumgartenære (9)/ bredigære° (31) brievære brucker burgære° (2) bütenære (7) dienære° (93/233) drescher ervarer (5) forstære (36)/ gebûr (42) gemeinder (9) gewaltesære gipsære* goltweber* gugelære (3) hantwerker (2) havenære (37) helmer hingeber houbetlachener* (2) hover* huober (45)/ hûsener*/hiuseler* (5) îsenbleger kacheler kanzelære (12)
II.1.5. -er(e)
kappellære* (9) kemmer* (6) kezzelære (9) kirchenphleger klôsenære (9) kœrner (2) krebezer (2) kübelære (5) kurdewæner (4) lantvrider* leczener (2)/leczier (2) lederhoser* lêhentrager (2) lêrære (2) lînwâter (2) liuhtære luogære manære mêrer (45) merzer (2) metzjære (26) münzære (68) nâdelære (3) obezære (4) öler (4) pergamenter phender (7) phlegære° (23/315) phrüendenære (6) porzenære (7) riemer (2) riutære rottære* sæjære sateler (7) schaffære (42)/ schapëlære schepfære schiltær (4) schirer (3)
karrer (2) ken(ne)ler (2) kieser (11) klager° (87/228) koler (10)/kolner (2) koufer (21) kriuzære (3) küefer (5) kürsenære (27) lapper* lederære (9) leffeler (2) leider* lernære lînweber (2) lodwürkære* mâdære (6) marterære (19) merkære metzeler (2) mezzerære (4) mûrære (23) nageler obleier (4) ougustîner (2) phannære* phîfer phluoger (3) phundære* rebere* (3) rihtære° (184/1400) roder* (8) roubære (10) sager (5) schachner* (3) schaffenære (57) schedeler (5) scherære (26) schindeler (2) schirmære (25)
167 kastenære (20) kerzære* (3) kirchenære (2) klingeler* (6) kolzer krâmære (43) krûter kurbeler lægeler (3) lebzelter (2) ledergerwer (5) lêhenphlegære leister (6) lesære lîrer lôwer (2) maler (12) melzeler/melzer merzeler metzener* (3) mülnære° (5/205) mûtære (13) nâtære (8) ohsenære (2) paternosterer pharrære° (25) phlanzære phrüendære (11)/ portenære (4)/porter* redære/redenære rîsenære (3) rœster sachener samenære (3) schæfære schafter* scheider scherpfer* schinder schouwære
168 schrîbære° (39) schuldære/ schüzzelere seigære (2) seldener/selder (18) setzer (3) sinner slozzer snîdære (26) sôder soumære (2) spiegelære (3) spinner* spitzer (2) staheler* (4) stifter (9) stœrære (2) süener (4) sweiger (5) tagedinger (20) tescheler (5)/ tolker* trager (16) turner (25) übeltæter ûzrihter verkoufære (2) vertreter ver-/vor-*/ vezzelsnîdære vleischer (3) vlœzer volger vorderer vridebrecher (4) wahtære (7) wambeiser (3) wâtsacer* wehselære (5) wezzerer
II.1. Derivationstypen
schrîer schuldenære (33) segenser (3) seiler (5) semeler (5) sideler (3) slaher slüzzelære (2) snitære (5) soler* (2) spalter* spilære spîsære (24) sporære (8) stathalter stocker (4) strælære (10) sündære (2) swerter* tavernære (4) tescher* (2) topelære trœstere (5) turnhüeter überhœrer (5) valschære (4) verrihter (2) vertuære vürweser (25) vischer (40) vleischhacker (4) vloitære volleister vrâgære vüerer (4) waldenære (6) wanner* webære (19) weitære (5) widemer (14)
schrôtære (40) schuolære (35) seger seitkoufer senger (44) singære (6) slahtære (3) smelzer (2) snitzære (12) solsnîder* spengeler (3) spiller* (3) spitâlære (30) stadelære (4) stempfer (2) stocwarter (3) stubbeweschere sûter (39) swerzer teiler tockeler* (2) toufære (41) tuochscherer türwarter* underteidinger vazzer (5)/vezzeler (5) versprecher (5) verwer (4) verzerer vlader vleischhouwer vogeler (3) volvüerer vreveler (2) wagener (28)/wegenler walker (8) wasteler weggeler* (BN) werer (3) widerrechener*
II.1.5. -er(e)
widerweher wînmezzer witewer wollenslaher (5) zehendære (5)/ zenger (5) ziegeler (7) zinsære (5) zower zwelver
wildenære (2) wînschrôter (3) wîzlederer* würzære* (2) zehendenære (11) zerbrecher zigerer* zoller (10)/ zuoloufer*
169 wiltwerker wîsære (2) wollære (10)/wollener zapfenære zeinler (3) ziecher* (3) zimberer* (2) zolnære (42) zweinziger
1. Aufgrund von Idiomatisierung sind burgære in der Bedeutung ›Stadtbewohner‹ und rittere als Standesbezeichnung ›Ritter‹ aus der Untersuchung ausgeschlossen. Die Lexeme sind jeweils nicht mehr semantisch über ihre etymologischen Basen burc und rîten motivierbar. 2. Aus morphologischen Gründen werden kellære und kelnære nicht als -er(e)-Bildungen behandelt. kellære liegt fast ausschließlich als im Korpus vor und ist dadurch mit der Basis keller identisch. kelnære (aus lat. cellenarius) ist ferner morphologisch zu weit von keller entfernt. 3. Das Lexem übelære/übeler wird aus der Untersuchung ausgeschlossen, da der Wortbildungstyp nicht eindeutig ermittelt werden kann. Der einzige Beleg des Lexems bietet keine Möglichkeit zu entscheiden, ob es sich um eine -er(e)-Bildung oder, wie m.E. wahrscheinlicher, ein substantiviertes Adjektiv wie das auch im Kontext auftretende (arcwænic Adj.) handelt284: Swer nahtes mit messern oder mit andern waffen gat als ein vbiler vnd ein argweniger, von deme solman rihten, ern mvge sich denne rehte vnd eheftecliche entreden (Corp. 0610a = N 238A, 185.5).
4. Ferner wurden etliche Bildungen nicht aufgenommen, die im Zusammenhang mit Personennamen auftreten und nicht auf Berufsbezeichnungen zurückgeführt werden können (z.B. twingære, lechelære, hoppeler ›Mensch mit hüpfendem, hoppelndem Gang‹ (WMU II: 881)). Die Aufnahme von Berufsbezeichnungen, die in Form von Beinamen in den Urkunden auftreten, birgt zwar einen gewissen Unsicherheitsfaktor in sich, da in vielen Fällen keine zuverlässigen Aussagen über den appellativen Gehalt der Bildungen gemacht werden können, für den Untersuchungszeitraum kann jedoch bei Beinamen, die einen Beruf bezeichnen, mit großer Wahrscheinlichkeit vom tatsächlichen Beruf des Beinamenträgers ausgegangen werden, denn bei »der Form von BN [Beinamen, UR], die auf sozio_____________ 284 Die zitierte Urkunde zeigt an anderer Stelle im Text den einzigen Beleg des Lexems übeltæter (S.188, Z.12), in der Parallelausstellung N238B steht an beiden Stellen übelære/übeler.
170
II.1. Derivationstypen
ökonomische Stellung […] des Namenträgers verweist, also den Benennungen nach Stand, Amt, Beruf [...] vollzog sich die Erstarrung zum FN [Familennamen, UR] in der Regel nicht vor dem 14. und 15. Jh.« (NölleHornkamp 1992: 42).285 Dennoch wurden von diesen Lexemen nur diejenigen aufgenommen, deren Motiviertheit einigermaßen haltbar schien.286 Ferner wurden alle Lexeme ausgeschlossen, die schon auf einen ausgeprägten Familiennamen hindeuten. Der Lexem- und Belegbestand des WMU wurde unter Berücksichtigung der Arbeit von Iris Nölle-Hornkamp (1992) da, wo es sinnvoll erschien, erweitert.287 5. Keine Aufnahme fanden Lexeme wie auspurger* st.M., passouwer* st.M., regensburger* st.M., die als Münzbezeichnungen dienen. »Diese Wörter sind eigentlich adjectivisch gebrauchte Gen. pl. von persönlichen Wörtern, die dadurch, dass das regierende Substantivum ausgelassen ist, selbst zu Substantiven geworden sind« (Wilmanns 1899: 293). Bei der Behandlung dieser Wörter unter den unpersönlichen -er(e)-Bildungen geht Wilmanns nicht darauf ein, dass Bildungen wie Münchner, Erlanger (Bier) (ebda.) das Genus des ausgelassenen Substantivs tragen, vgl. auch Frankfurter N. ›Würstchen‹, Nürnberger M. ›Lebkuchen‹, und somit Adjektive darstellen. Dass die genannten Münzbezeichnungen maskulines Genus tragen, erklärt sich durch den attributiven Bezug auf phenninc st.sw.M. 6. Bildungen mit verdoppeltem Suffix, z.B. und , werden aufgrund ihres vermutlichen Status als Personennamen ausgeschlossen.288 7. Ausgeschlossen werden ferner Bildungen wie kuster oder mes(s)enære, die als Lehnwörter im Mhd. auf keine Basis bezogen werden können. Einen volksetymologischen Motivationsbezug von mes(s)enære (< lat. mansionarius) zu messe, nehme ich nicht zuletzt aufgrund der Ausdrucksseite nicht an.289
_____________ 285 Viele Belege, die eine »Identität von Name und Beruf« aufweisen, finden sich auch im 14.Jh. in Regensburg, vgl. Kohlheim (1996: 1282 und 2002: 102ff.). 286 Der Anteil der Belege, die als Beiname auftreten, beträgt rund 44%. 287 49 Lexeme wurden zusätzlich zu den Lexemen des WMU aufgenommen: biutelære, blîdreyer*, bliuweler*, bogenære, bortner, bretsleifer, bürster*, butericher, chuchler, kœrner, glocker, grabære, grâtuocher, gugelære, helmer, hoser, houbetlachener*, huller, îsenbleger, îsener, ken(ne)ler, kolzer, krebezer, kurbeler, lægeler, lapper*, melzer/melzeler, nâdelære, pergamenter, rebere*, rœster, schapëlære, scherpfer*, schindeler, schirer, schüzzelere, segenser, slozzer, soler*, solsnider*, swerter*, tockeler, wambeiser, wasteler, wâtsacer*, wegenler, wiltwerker, zenger, zower. 288 Vermutlich handelt es sich dabei um eine patronymische Verdoppelung des -er-Suffixes, »wie sie insbesondere im bair. Raum üblich war« (Nölle-Hornkamp 1992: 554 und 109, 385). Vgl. auch Henzen (1965: 161 Anm. 16). 289 Das Lexem erscheint in der Schreibung stets mit einfachem .
II.1.5. -er(e)
171
b. Morphologie 1. Suffixmorphologie Suffix
Bel. alem
bair
a-s
7
2237 1189
640
85
21
96
75
78
14
9
15
5
9
-
1
324
189
18
2
71
10
7
7
2
-
-
1
15
2
-
296
23
243
8
2
13
3
-
3
1
-
-
-
-
-
36
22
3
1
4
4
-
1
-
-
-
-
1
-
-
-
18
1
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
19
wmd IR1 Kg ofrk IR2 IR3
IR4
IR5 omd nd Rest
16
13
1
-
2
-
-
-
-
-
-
-
15
6
2
3
1
2
-
-
1
-
-
-
-
-
14
2
7
-
-
-
-
1
4
-
-
-
-
-
-
3
-
2
-
-
-
-
-
1
-
-
-
-
-
-
1
-
-
-
-
1
-
-
-
-
-
-
-
-
125 86
87
25
10
15
6
25
Gesamt 2961 1444
934
100
101
2
1
Tabelle II.1.5.1. Suffixmorphologie des Suffixes -er(e)
In der obigen Darstellung sind die Belege der Lexeme, die eine Erweiterung des Suffixes291 um -n- und -l- zeigen, nicht gesondert angeführt und unter der jeweiligen Form ohne Erweiterung eingeordnet (vgl. 2.).292 Die oben angeführten graphischen Varianten lassen sich in Anlehnung an die Grammatik des Frühneuhochdeutschen293 in einen e-Typ[-e-,-æ-, -(-, -Ö-], einen a-Typ, wobei Letzterer fast ausschließlich im oberdeutschen Sprachgebiet vertreten ist294, und eine Form mit i einteilen, die ebenfalls selten bleibt und sich neben alem. und bair. Belegen nur noch im Wmd. findet. _____________ 290 Einmal zeigt sûter alem. die Endung -ur, die ich unter -er verbuche. Ob es sich dabei um einen Nachklang des lat. sutor handelt, muss offen bleiben. 291 Zur Etymologie des Suffixes vgl. etwa Wilmanns (1899: 283ff.) und Henzen (1965: 158f.). 292 Um die Darstellung möglichst übersichtlich zu gestalten, wurden einige Suffixformen nicht eigens aufgelistet, sondern unter der Hauptvariante verrechnet: (IR1 mülner, mercellarius > merzeler. Es lässt sich ferner die Möglichkeit in Betracht ziehen, und dies ist für die meisten Bildungen unseres Korpus anzunehmen, dass Bildungen zu schwachen Substantiven ihr -n- aus den obliquen Kasus übernommen haben.303 Die Besonderheit der desubstantivischen -er(e)-Agentiva liegt ja nicht zuletzt in der Wortbildungsparaphrase, die sich aber als solche nicht grundlegend von einer normalsprachlichen Umschreibung der Bildungen unterscheidet. Das Basis-substantiv erscheint als Akkusativobjekt oder im Rahmen einer Prä_____________ 299 Im Korpus ist jedoch die in dieser Arbeit nicht behandelte Bildung nahtgengelære* (WMU II: 1287) belegt, die eindeutig verbalen Bezug zeigt. 300 Brendel et al. (1997: 268ff.) können eine semantische Differenzierung eher für -ler als für ner (1997: 276ff.) nachweisen, wodurch sich ihrer Meinung nach die Ausgliederung von -ler besser begründen lässt als die von -ner (S. 244). 301 »Nach Ausfall des unbetonten -e- der Mittelsilbe« kam es zu einer »Verschiebung der Sprechsilbengrenze« und es konnten sich eigenständige Suffixe bilden (Fleischer/Barz 1995: 156). 302 Vgl. Henzen (1965: 160), Paul (1920b: 61). 303 Vgl. Henzen (ebda.), Paul (ebda.).
174
II.1. Derivationstypen
positionalphrase in einem obliquen Kasus. So ist z.B. kirchenære als ›derjenige, der die kirchen pflegt‹ zu paraphrasieren. Natürlich ist dies nicht in allen möglichen Fällen realisiert (vgl. apotêker aus etwa ›jmd., der in der apotêken arbeitet, der die apotêken hat‹). Die häufig begegnenden Doppelformen -ner(e) : -er(e) lassen sich aber so gut erklären (z.B. boumgarter*: boumgartenære). Die Durchsicht der 34 behandelten Lexeme, die eine Erweiterung mit -n- zeigen, hat ergeben, dass lediglich acht nicht auf ein schwaches oder zwischen schwach und stark schwankendes Substantiv bezogen werden können. Bei redenære erklärt sich die Form etymologisch aus ahd. redina304 (Wilmanns 1899: 294) und bei zolnære aus lat. tolonarius (DWB 32: 63). Daher ist im Untersuchungskorpus nur bei forstnære, hûsener, rîsenære, schuldenære, waldenære und wildenære von ›echten‹ -ner(e)-Bildungen auszugehen. Bei den acht aufgenommenen Bildungen auf -ler(e) besteht in einigen Fällen die Frage, ob als zugrunde liegende Basis ein Diminutivum vorliegen kann (z.B. hiuseler ← hûs oder hiusel(în)?). Da dies in keinem Fall zweifelsfrei beantwortet werden kann, werden alle Bildungen auf eine nicht diminuierte Basis bezogen. Im Fall von merzeler ›Kleinhändler‹ (< lat. mercellarius) ist je nach Basisansatz merz(e), merzeln von einer -l-Erweiterung auszugehen oder nicht.305 Ein auslautendes -e der Ableitungsbasis kann bei Antritt von -ner(e) synkopiert sein306 (in 30,6% der Belege), bei Basen, die auf Konsonant enden, tritt in einigen Fällen neben -ner(e) (z.B. forstnære) und -ler(e) (z.B. zeinler) auch -ener(e), -eler(e) (z.B. hiuseler ← hûs, waldenære ← walt) an. Das unter dem Gesichtspunkt der -e-Synkope mitgerechnete deverbale schaffenære bezieht sein -(e)n evtl. aus dem Infinitiv des Basisverbs. 3. Basisalternanz Lexeme, bei denen nicht mit relativer Sicherheit von einer nicht umgelauteten Basis ausgegangen werden kann307, sind nicht in der folgenden Darstellung erfasst. Dies ist etwa der Fall, wenn zum gegenwärtigen Zeitpunkt die jeweilige Basis noch nicht im WMU nachprüfbar ist oder die nicht im _____________ 304 Mhd.-synchron ist redenære durch rede und reden als doppelmotiviert zu betrachten. 305 Ich betrachte die Bildung prinzipiell als doppelmotiviert. Da -lere als Allomorph zu -ere gewertet wird, ist eine Entscheidung hinsichtlich der Basis nicht notwendig. 306 Bei Antritt von -ler(e) ist nur bei einem Beleg von tescheler Synkope zu beobachten, die Vergleichsgröße ist aber bei zwei in Frage kommenden Bildungen (tescheler, tockeler) zu gering. 307 Im Korpus sind etwa Formen von schulde/schult mit Umlautmarkierung nachgewiesen (WMU II: 1530), weshalb in der Darstellung auf die Einbeziehung von schuld(en)ære verzichtet wird.
II.1.5. -er(e)
175
Korpus belegte Basis bei Lexer als Form mit oder ohne Umlaut lemmatisiert ist. Auch bei doppelmotivierten Bildungen, auf die dieses Kriterium zutrifft, wie phender ← phant, phenden können keine Aussagen über den Umlaut des Basisvokals gemacht werden. Die Übersicht zeigt das Verhältnis der umgelauteten Belege umlautbarer Lexeme zu nichtumgelauteten Belegen in absoluten Zahlen. Das Alem. zeigt bei vielen Lexemen sehr konsequent bezeichneten Umlaut von /a/ (55,1%) und /ā/ (41,4%). Auch bei so hochfrequenten Bildungen wie anwender sind 107 von 109 aufgenommenen Belegen umgelautet. Einzig bei krâmære und vaszer kommt es zu einem wirklichen Nebeneinander von Belegen mit und ohne Umlautmarkierung. Die Bezeichnung des Umlauts von /ō/ beschränkt sich alem. auf 26 Belege des Lexems schrôtære. vlœzer bleibt ohne Umlautmarkierung. Für die anderen Vokale bleibt die Markierung des Umlauts vereinzelt und auf wenige Lexeme beschränkt.308
alem. bair. IR1 alem.schw. IR4 IR5 IR3 Kg. wmd. ofrk. IR2 omd. nd.
/a/ 39; 211/383309 42; 14/213 12; 1/41
/ā/
/o/
11; 29/70 8; 4/33 2: 0/8
21; 8/106 9; 0/35 5; 0/8
7; 0/15
2; 0/3
5; 0/6
1; 0/1 1; 0/1 2; 0/2 4; 10/16 11; 11/22 7; 4/13 4; 2/7 5; 9/10 -
2; 9/10 -
1; 0/1 2; 0/3 6; 0/14 3; 0/5 1; 0/1 -
/ō/
/u/
3; 26/32
5; 0/27
2; 0/11 1; 0/6
3; 0/7 -
/ū/ 4; 2/54310 3; 3/21 2; 0/6
/ou/
/uo/
5; 2/50
8; 9/83
6; 0/13 1; 0/1
3; 6/22 2; 1/2
-
-
2; 0/9
1; 1/5
3; 1/5
2; 0/5 -
1; 0/1 -
1; 0/1 1; 0/1 -
1; 0/2 1; 0/3 2; 0/4 1; 0/1 1; 0/1 1; 0/1
1; 0/1 1; 0/1 1; 0/1 2; 0/2 1; 0/1 -
Tabelle II.1.5.3. Graphische Markierung des Umlauts bei -er(e)-Derivaten
Das Bair. zeigt Umlautmarkierung bei /a/ in 6,6% und bei /ā/ in 12,1% aller Belege und damit ein wesentlich schlechteres Verhältnis als das Alem. Nur insgesamt sieben Lexeme zeigen Umlautmarkierung in allen Belegen: /ā/: æhter (4); /a/: jegere (3)311, schapëlære, senger (ebda.), stempfer, tescheler und zenger (5). Bei wahtære zeigt einer von neun, bei stadelære einer von drei Be_____________ 308 Einmal alem. (badestuber) wird aufgrund der Form (badestube) der Basis innerhalb derselben Urkunden als nicht umgelautet gewertet. 309 Lies: (Lexemzahl); (n-mal Umlaut markiert) / (von n Belegen). 310 Fraglich ist, ob ein Beleg von sûter (34-mal alem.) als Umlaut oder Längenmarkierung (häufiger in den Urk. , ) zu werten ist. Aufgrund dieser Unsicherheit wurde der Beleg als nicht umgelautet gewertet. 311 Vgl. Moser (1929: 89 Anm. 1).
II.1. Derivationstypen
176
legen Umlautmarkierung. Ferner zeigen Umlautmarkierung für /ū/ nur die drei Belege von hiuseler < hûs und für /uo/ sechs Belege von schuolære (18). Im IR1 ist Umlaut von /a/ nur beim einzigen Beleg von harpfære und von /uo/ nur beim einzigen Beleg von schuolære graphisch markiert. Im Alem.-Schwäb. zeigt einmal schuolære und einmal toufære (5) Umlautmarkierung. Nicht genauer lokalisierbare Königsurkunden zeigen in 62,5% aller Belege eine graphische Markierung des Umlauts von /a/. Dies betrifft den einzigen Beleg von senger und neun von 13 klager-Belegen. Relativ häufig sind umgelautete Formen im Wmd. markiert. Sechs von elf Lexemen weisen bis auf einen Beleg von klager° (4) immer Umlautgraphien auf, was für /a/ Umlautmarkierung in 50% aller Belege bedeutet. Alle anderen umlautbaren Vokale weisen in den wmd. Belegen nur unmarkierte Graphien auf. Im Ofrk. sind 30,8% der Belege mit /a/ und 90% der Belege mit /ā/ (æhter, kurdewæner) mit Graphien belegt, die als Umlaut gewertet werden. Bei klager (4) und valschære (2) sind jeweils die Hälfte der Belege ohne Umlautmarkierung belegt. Die wenigen Belege des Omd. zeigen bis auf kanzelære in allen anderen Fällen (klager (4), sager, wahtære) Umlaut von /a/.312 Die Prozentverhältnisse für graphisch markierte Umlaute aller umlautfähigen Vokale ergeben sich für jede Sprachregion wie folgt: bair
IR1
alemschw
IR4
IR5
IR3
Kg
35,6% 7,6%
2,8%
4,7%
0%
0%
0%
45,5%
alem
wmd
ofrk
IR2
omd
nd
23,4% 40,6% 18,2% 81,8% 0%
Tabelle II.1.5.4. Prozentverhältnisse für graphisch markierte Umlaute nach Sprachregionen
Fazit: Die ungleichen Belegzahlenverhältnisse zwischen den einzelnen Sprachregionen, die aufgrund der Struktur des Wilhelm-Corpus zustande kommen, lassen nicht für alle Sprachräume eine verbindliche Aussage über morphologische Phänomene wie den Umlaut zu. Dennoch liefern die vorliegenden Daten im Wesentlichen ein Bild, das ohne weiteres als Vorläufer der Verhältnisse im Frühneuhochdeutschen gesehen werden kann.313 Am konsequentesten ist der Umlaut in den alem. Urkunden (v.a. bei /a/, /ā/ und /ō/) bezeichnet. Die bair. Texte zeigen für /a/, /ā/, /u/, /ū/ und /uo/ zögerlich Umlautgraphien. Außer den ofrk., den mitteldeutschen und den königlichen Urkunden sind in den Texten anderer _____________ 312 Die Graphie (Akk. Pl.) wird als umgelautete Form von wahtære gewertet. 313 Vgl. Moser (1929: 87ff.).
II.1.5. -er(e)
177
Sprachregionen Umlaute nur sporadisch bezeichnet, wenn auch die Belegzahlen hier keine angemessene Auswertung zulassen. Die folgende Übersicht zeigt, wie die verschiedenen Umlaute graphisch realisiert werden. Graphische Realisierungen der Umlaute alem. (3), (2), (203), (1) bair. (5), (9) alem./alem-schw. (2) IR1 (1) /a/ Kg. (9), (1) IR2 (2) ofrk. (4) omd. (8), (1) wmd. (11) alem. (1), (28) /ā/ bair. (4) ofrk. (9) /o/ alem. (1), (7), (1) /ō/ alem. (26) /u/ -/alem. (1),
(1) /ū/ bair. (1), (1), (1) alem. (2) /ou/ alem.-schw. (1) alem. (4),
(1), (4) alem.-schw. (1) /uo/ bair. (6) IR1 (1) Tabelle II.1.5.5. Graphische Realisierungen der Umlaute bei -er(e)
Weitere Alternanzen der Basis: Geht eine Basis auf -el, -en oder -er in die Bildung ein, so kann es zur Synkope des unbetonten e der Mittelsilbe kommen.314 Bei -el ist dies in 17,4%, bei -en in 23,4% und bei -er in 19,8% der untersuchten Belege nachweisbar. Nur wenige Bildungen sind aus synchroner Sicht mit Ablaut gebildet (senger, snitære). Das Lexem gewaltesære zeigt eine Erweiterung der Basis gewalt um -es(vgl. DWB 6: 5101). _____________ 314 Vgl. Gr.Frnhd. (I,1: 84 -122) und Brendel et al. (1997: 246).
178
II.1. Derivationstypen
In einigen wenigen Fällen treten bei marterære, kamerære und scherære haplologische Formen auf.315 4. Basisaffinität 187 Lexeme (51,4%) sind durch Substantive motivierbar. 16 Bildungen (8,6%) liegt als komplexe Basis ein Kompositum zugrunde. Drei desubstantivische Bildungen (1,6%) weisen eine mit ge- präfigierte Basis auf.316 138 Bildungen (37,9%) sind durch ein Basisverb motiviert. Davon weisen 27 Bildungen (19,6%) einen Verbzusatz auf: an- (4), be- (3), en- (1?), er- (1), ge- (2), hin- (1), în- (1), über- (1), under- (1), ûz- (1), ver- (7), vol- (1), wider- (2), zer- (1). 27 Bildungen (7,4% gesamt, 19,6% der deverbalen Bildungen) weisen als Basis eine Lexemgruppe auf, als deren Kern ich das Verb ansehe (Zusammenbildung). Diese Lexeme werden deshalb den deverbalen Bildungen zugeordnet. 15 Lexeme (55,6%) dieser Zusammenbildungen können wegen des korpusintern freien Vorkommens des mit -er(e) suffigierten Zweitgliedes auch als Komposition aufgefasst werden.317 36 Lexeme (9,9%) können sowohl durch ein Substantiv als auch durch ein Verb motiviert sein. Eine komplexe Basis findet sich hier bei den drei Lexemen anleiter, gewerer und tagedinger. Die Bildungen zweinziger und zwelver (0,6%) haben ein Zahlwort als Basis. Das Lexem heimelîchære (0,3%) kann sowohl auf ein Adjektiv als auch auf ein Substantiv bezogen werden. c. Motivationsdichte Für 87,2% aller Belege (2585 Belege) ist die Basis eng-syntopisch nachweisbar (Basisrang 1). Für 2,4% der Belege (72 Belege) ist Basisrang 2 und für 1,8% (54 Belege) Basisrang 3 zu vergeben. Für 8,6% der Belege (254 Belege) kann nur Basisrang 4 vergeben werden, d.h. die Basis ist nicht korpusintern, sondern nur bei Lexer nachweisbar. Für das nur einmal _____________ 315 Im Gegensatz dazu gehe ich bei kellære, das bis auf Einzelfälle vorwiegend als keller vorliegt und aus der Untersuchung ausgeschlossen wurde, nicht mehr von Haplologie aus. 316 Die Bildungen wîzlederer und grâtuocher werden als Zusammenbildungen mit »Adjektiv als erstem Glied« (Henzen 1965: 69) behandelt (›jmd., der graues Tuch, weißes Leder herstellt‹), vgl. auch nhd. Weißgerber, ahd. rōtgerber (ebda.). wîzlederer könnte auch auf das bei Lexer nicht belegte Substantiv wîzleder (DWB 28: 1220) bezogen werden, für welches das DWB aber nur deutlich spätere Belege angibt (ab dem Jahr 1642). 317 Dies sind: dorfhüeter, goltweber*, kirchenphleger, ledergerwer, lêhenpflegære, lêhentrager, lînweber, seitkoufer, solsnider*, tuochscherer, turnhüeter, vezzelsnîdære, vleischhouwer, wînschrôter, wollenslaher.
II.1.5. -er(e)
179
belegte Lexem statthalter lässt sich die Basis nur für einen späteren Zeitraum im DWB nachweisen (Basisrang 5). d. Wortbildungsfunktion Funktionsklasse A. Agentiva -er(e)1a
B. Agentiva -er(e)1b C. Agentiva -er(e)1c D. Agentiva -er(e)1d E. Agentiva -er(e)2 F. Agentiva [DM] -er(e)3 G. Instrumentativa -er(e)4 H. Patientiva -er(e)5 I. Agentiva [DM] -er(e)6 J. Motionsbildungen -er(e)7 K. Agentiva -er(e)8 L. Agentiva -er(e)9 Gesamt
Paraphrase ›jmd., der BS besitzt/ etw. mit BS tut/ in, an BS tätig ist‹ ›jmd., der BS herstellt/macht‹ ›jmd., der zu BS gehört/ in BS wohnt‹ ›jmd., der in/im Zustand von BS ist‹ ›jmd./etw., der/das BV‹ ›jmd., der BV/ etw. mit BS tut/ BS herstellt etc.‹ ›das, womit man BV‹ ›jmd., der BV wird‹ ›jmd., der BA ist/im Zustand der BS ist‹ ›männliches BS‹ ›etw., das den Wert BZ hat‹ ›einer von BZ‹
Basiswortart
Beispiel apotêker, forst(n)ære
Substantiv
Verb Verb/ Substantiv
münzære, wagener spitâlære
Lexeme / Belege Anzahl Prozent 93/1152° 25,3/19,5
90/464
24,5/7,9
4/51
1,1/0,9
æhter1, schuldenære2
2/17
0,5/0,3
rihtære, schrîbære klager, vischer
135/3344°
36,8/56,6
36/853°
9,8/14,4
Verb
seigære, phundære*
2/3
0,5/0,0
Verb
marterære
1/19
0,3/0,3
Adjektiv/ Substantiv
heimelîchære
1/1
0,3/0,0
Substantiv
witewer
1/1
0,3/0,0
Zahlwort
zweinziger
1/1
0,3/0,0
Zahlwort
zwelver
1/1
0,3/0,0
367/5907°
Tabelle II.1.5.6. Funktionelle Verwendung der -er(e)-Derivate
Besonders ausgeprägt ist bei -er(e) der Bildungstyp der desubstantivischen Agentiva (51,4%). Die hierunter behandelten Lexeme sind meist Personenbezeichnungen und lassen sich in verschiedene semantische Gruppen einordnen, je nachdem welches Verb der angewendeten Paraphrase zugrunde liegt. Die so entstehenden Untergruppierungen -er(e)1a,b,c,d sind nicht als eigene Funktionsklassen zu verstehen, sie können aber dazu die-
180
II.1. Derivationstypen
nen, die verschiedenen Benennungsrelationen innerhalb dieser Wortbildungsreihe aufzudecken, zu systematisieren und diese große Klasse damit insgesamt übersichtlicher zu gestalten.318 Die erste Gruppe -er(e)1a umfasst eine Vielzahl von Bildungen, die aufgrund ihrer Paraphrasierbarkeit (›jmd., der BS besitzt/etw. mit BS tut/in, an BS tätig ist‹) zusammengefasst werden können. Durch die Pauschalität der zugrunde gelegten Paraphrase können zusammengehörig empfundene Bildungen gemeinsam behandelt werden, auch wenn die Prädikatsinhalte pro Lexem unterschiedlich erfüllt werden, wie an folgenden Beispielen gezeigt werden soll: apotêker: + besitzen, + tun mit (verwalten), + tätig sein in turner ›Turmwächter‹: − besitzen, + tun mit (bewachen), ± tätig sein in hertære ›Gemeindehirte‹: − besitzen, + tun mit (verwalten), − tätig sein in Die zweitgrößte Gruppe -er(e)1b setzt sich aus Bildungen zusammen, die ein Subjekt einer Prädikation bezeichnen, von dem ausgesagt wird, dass es das mit der Basis Bezeichnete herstellt.319 Ich habe mich für eine gesonderte Darstellung dieser Gruppe entschieden, weil sie bis auf einige kontextuell-lexikalische Unklarheiten in sich sehr geschlossen erscheint und in den meisten Fällen klar von einer ›tun mit‹-Prädikation (-er(e)1a) abgrenzbar ist.320 Das Objekt innerhalb der Paraphrase ist kein affiziertes, sondern ein effiziertes. Es wird nichts mit ihm getan oder mit ihm vollzogen, sondern es wird erst durch ein besonderes Tun hervorgebracht.321 _____________ 318 Bildungen, die innerhalb von -er(e)1a,b,c,d verschiedenen Paraphrasen zugerechnet werden (æhter1a,d, burs(en)ære1a,b, schuld(en)ære1a,d), werden, obwohl sie in beiden Gruppen als Agentiva behandelt werden, aufgrund der unterschiedlichen Benennungsmotivation als eigene Bildungen gewertet. 319 DW (1975: 374ff.) subsumiert diesen Typ unter »Ableitungen aus BS und TunPrädikationen«. Genauso verfahren Döring/Eichler (1996: 187f.) und, jedoch ohne eigens darauf einzugehen, Brendel et al. (1997: 259f.) und Gersbach/Graf (1984/85: 267). 320 Bildungen wie armbruster bleiben dabei uneindeutig, da anhand der Kontexte nicht ermittelt werden kann, ob es sich um einen Hersteller von Armbrüsten oder einen berufsmäßigen Armbrustschützen handelt. Sie wurden immer der ›herstellen‹-Paraphrase zugeordnet. Bildungen des Typs kæsære ›Käsemacher o. Käsehändler‹ werden ebenfalls unter der ›herstellen‹-Paraphrase erfasst, da ich davon ausgehe, dass in den Kontexten Hersteller und Verkäufer/Händler identisch sind. Natürlich lässt sich dies umgekehrt nicht annehmen. Bedeutete das Lexem nur ›Käsehändler‹, was anhand der Kontexte nicht feststellbar ist, wäre es nur über die ›tun mit‹-Paraphrase zu beschreiben. In der Praxis ergeben sich dadurch jedoch kaum Probleme, da sich der Typ kæsære doch relativ klar von den zweideutigen Fällen wie armbruster unterscheidet. 321 Derivierte Lexemgruppen auf -macher treten korpusintern noch nicht mit den desubstantivischen Hersteller-Bildungen in Konkurrenz. Für die Dürersprache weist Müller (1993a: 243) hingegen 12 derartige Bildungen (13%) nach. Vgl. ferner DW (1975: 375) zum Nhd., wo das »desubst. Muster [...] als kürzere, wenn auch weniger präzise Bildung mit Komposi-
II.1.5. -er(e)
181
In einigen Bildungen zu Substantiven mit lokaler Bedeutung wird das Subjekt der Prädikation definiert als ›jmd., der zu BS gehört‹. Unter dieser Gruppe wurden nur Bildungen subsumiert, die mit der Paraphrase von -er(e)1a nur ungenügend beschreibbar waren. Dadurch unterscheiden sich Bildungen wie klôsenære ›Klausner, Einsiedler‹ von den unter -er(e)1a besprochenen wie apotêker. Da im WMU Herkunftsbezeichnungen wie nhd. Münchner, Ingolstädter etc.322 (›jmd., der aus BS stammt‹) i.d.R. nicht aufgenommen sind, können sie dadurch in dieser Arbeit nicht systematisch erfasst werden. Es ist jedoch aus Kenntnis der Urkunden von einer sehr hohen Zahl derartiger Bildungen auszugehen. Die geringe Anzahl der in -er(e)1c aufgenommenen Lexeme kann daher für das Urkundenkorpus nicht repräsentativ sein. Zwei weitere Lexeme wurden in einer eigenen Gruppe -er(e)1d erfasst, der die Paraphrase ›jmd., der in/im Zustand der BS ist‹ zugrunde liegt. Die Bildungen bezeichnen das Subjekt einer Prädikation, das sich in einem durch das Basissubstantiv bezeichneten Rechtszustand befindet. Die deverbalen Agentiva, mit denen ausschließlich Personen bezeichnet werden, machen 36,8% der Lexemgesamtzahl aus. Als deutliche Klasse treten auch die durch ein Basisverb und ein Basissubstantiv doppelmotivierten Agentiva hervor (9,8%). Die restlichen sechs Funktionsklassen sind nur mit insgesamt 2% an der Bildung von Lexemen beteiligt. Lexeme/Belege Funktionsklasse agentiv instrumentativ patientiv Movierung
Anzahl 363 2 1 1
Prozent 98,9 0,5 0,3 0,3
Tabelle II.1.5.7. Funktionsklassen bei -er(e)-Derivaten
Wie die obige Darstellung zeigt, wird das Suffix -er(e) korpusintern nahezu ausschließlich zur Bildung von Agentiva gebraucht. Instrumentativa, Patientiva und Movierungen sind kaum vertreten. In der folgenden Darstellung der Lexeme und Funktionsklassen werden nur diejenigen Bildungen einzeln besprochen, die in mindestens einem Fall nicht an einen Personennamen gebunden sind bzw. die einen im Kontext motivierten Beinamen zeigen (z.B. badestuber). Dies ermöglicht _____________ ta, deren Zweitglied aus verbalen Bezeichnungen des lexikalischen Paradigmas ›herstellen‹ abgeleitet ist: Kübler ≈ Kübelmacher, Nadler ≈ Nadelmacher, Broschürer ≈ Broschürenmacher [...]«, konkurriert. 322 Vgl. z.B. Wilmanns (1899: 290), Fleischer/Barz (1995: 154f.).
II.1. Derivationstypen
182
einerseits, an der gewohnten Darstellung festzuhalten, andererseits wird so das Verhältnis der Beinamen zu den reinen Appellativa durchsichtiger. Bildungen, die an Personennamen gebundene Belege zeigen, sind unabhängig von deren Frequenz mit BN (Beiname) gekennzeichnet. A. Agentiva (BS-er(e)1a): ›jmd., der BS besitzt/etw. mit BS tut/in, an BS tätig ist‹ Lexem apotêker (BN) bîhtære bîhtegære boumgartenære (BN) boumgarter* (BN) chuchler (BN) forstære (BN) forstnære* (BN) gartenære (BN) gemeinder hertære (BN) huober (BN) huobner (BN) hûsære (BN) hûsener* (BN) hiuseler* kamerære° (BN) kanzelære kastenære (BN) krâmære (BN) mâdære (BN) metzjære (BN) mûtære (BN) pharrære° phrüendære (BN) phrüendenære porzenære roder* (BN) schuldære1 schuldenære1 schuolære (BN) seldener selder spîsære (BN) turner (BN) wahtære (BN) waldenære (BN) widemer (BN) wollære (BN)
Belege
alem bair
alemwmd schw 1 12 1 -
6 25 4
6 10 -
2
9
-
9
-
3 7 36 1 8 9 6 45 2 11 1 5 48 (174) 12 20 43 6 26 13 25 (266) 11 6 7 8 1 32 35 1 18 24 25 7 6 14 10
3 28 4 9 4 39 5 1 2 14 27 3 25 11 4 8 22 13 1 15 12 22 1 6 11 2
7 5 1 3 1 2 1 1 3 17 2 17 9 2 13 24 18 12 3 1 3 8
1 1 3 2 1 1 1 1 3 -
IR1 Kg ofrk IR2 IR3 IR4 omd 1 -
-
1
-
-
1 -
-
-
-
-
-
-
-
-
-
1 1 1 1 5 7 -
1 1 5 14 3 5 1 2 -
1 4 1 1 8 1 -
1 1 -
1 1 1 -
1 1 -
-
1 1 -
II.1.5. -er(e) Lexem
Belege
wollener (BN) zehendenære zehendære (BN) zinsære (BN) zoller (BN) zolnære (BN) Rest
1 5 11 5 10 42 135 785 (1152)
Gesamt
alem bair 5 2 4 24 72
11 5 8 42
415
230
alemwmd schw 3 3 7 3 26
183 IR1 Kg ofrk IR2 IR3 IR4 omd
34
3 4
-
1 3 4
1 -
1
1 2
-
40
16
11
4
3
4
2
Rest mit je unter sechs Belegen (60 Lexeme): almuosenære (2), badestuber (BN), bliuweler* (BN), brievære, brucker (BN), burgære (2), bursære1*, ehter2* (5), eselære (BN) (2), êwangêljer (3), gemeiner, gewaltesære, glockenære (BN)/glocker (BN), halber, hantwerker (2), höuwer (BN) (3), hover* (BN), îsener (BN) (4), karrer (BN) (2), kerzære* (3), kirchenære (BN) (2), kœrner (BN) (2), kriuzære (BN) (3), lapper* (BN), leczener (2)/leczier (2), lôwer (BN) (2), merzer (BN) (2), metzener* (BN) (3), mülnære° (BN) (5/205), obezære (BN) (4), obleier (BN) (4), ohsenære (2), ougustîner (2), phannære* (BN), phluoger (BN) (3), portenære (BN) (4)/porter*, rebere* (BN) (3), rottære*, sachener, schachner* (3) (BN), schæfære (BN), schafter*, seger (BN), sôder (BN), soumære (BN) (2), stadelære (BN) (4), stocker (BN) (4), sweiger (BN) (5), tavernære (BN) (4), tolker*, valschære (4), vleischer (3), vlœzer (BN), vloitære (BN), vogeler (BN) (3), wildenære (2), wiltwerker (BN), würzære* (2) (BN), zapfenære (BN), zower (BN).
almuosenære (›Armenpfleger‹): ← almuosen (69) st.N.(F./M.) ...die namen der gezeugi den der chouf wol chvnt ist · BrNeder ChNenrat der herzoginn almNesner · her pilgreim der perchmaister · her Ortolf von Entzeinsdorf... (Corp. 1668, 5.34).
badestuber: ← badestube (33) sw.F. ...daz ich...verlMhen han ze rechtem Erbe nach der stat gewonheit / Martin dem BatstMber / v] GNten sinr Elich wirtin · Min BatstMben vnder den kremern... (Corp. 2343, 451.19).
bîht(eg)ære (›Beichtvater‹): ← bigiht (1) st.F. Die gGlde sGlen wir dGen keren so war si bescheidet bit rade ieres bigethtirs / inde ierre truhende (Corp. 255, 266.4).
In der vorliegenden Bedeutung ›Beichtvater‹ ist das Lexem nur über das Substantiv bigiht motivierbar, verstanden als ›jemand, der die Beichte abnimmt‹. Bei der um -eg- erweiterten Form bîhtegære handelt es sich vermutlich um Analogie zum Verb bîhtegen (Lexer I: 272), neben bîhten.323 brievære (›Schreiber von Urkunden‹): ← brief (12200) st.M. _____________ 323 Vgl. Brendel et al. (1997: 245f., 248, 251).
184
II.1. Derivationstypen
So het min herre der abbet vnde daz gotzhus reht / an sibenzehen knehten die denkein dienst sFln dGn deme gerihte · der sint drige vischere drie Rebemanne / zwene k=che / zwene Ohsenere / einen súter / einen kFrsenner / einen scherer einen phister / einen Gastmeister/ einen brieuer / vnde einen f=rster (Corp. 244B, 245.10).
Das WMU (I: 290) verzeichnet diesen Beleg unter dem Lemma brievære, obwohl eine mögliche Lesart briuwære eingeräumt wird. Der Kontext, d.h. die Aufzählung vorwiegend handwerklicher Berufe, macht m.E. die Zuordnung zu briuwære aus dem Kontext heraus grundsätzlich plausibler, die konstante Schreibung auch in Parallelausstellungen und das Vorkommen im Alem. (briuwer und briuwe sind sonst nur bair. belegt), lässt jedoch keine andere Einschätzung als die des WMU zu. burgære (›Burgmann‹): ← burc (800) st.F. V] sont siv die selben Burch ze Blatton bewarn / vnde behFten / alse burger von rehte sont (Corp. 325, 312.19).
burgære ist laut dem WMU (I: 323) in nur drei Fällen in der Bedeutung ›Burgmann‹ belegt, wovon aber aufgrund der nachträglichen Bearbeitung mit dem Kernkorpus nur zwei Belege berücksichtigt werden können. Nur in dieser Bedeutung ist das Lexem als noch motiviert zu betrachten. In der Bedeutung ›Stadtbürger‹ ist die Bildung auch im behandelten Zeitraum bereits idiomatisiert. ehter2* (›Fronarbeiter‹): ← âhte (234) st.F. Ze ernen sol dv ebtissin, obe si ir gGt selbe erbeitet, nemen ...die ehthere,..., v] svlnt die einen dag helfen sniden vir gebene, vnde sol men in gen ir ahthe broth (Corp. 0807b = N 306, 234.21).
Neben der Bildung æhter ›Geächteter‹ setzt das WMU für ehter* ein eigenes Lemma an, das ebenfalls zur Basis âhte gebildet ist, das dieser Bildung aber in der Bedeutung ›Fronarbeit‹ zugrunde liegt. êwangêljer (›Diakon‹): ← êwangêlje (4) st.sw.N. Da ze gegeni waren / her ChGnvon sant Gallen / her · Heinvon Holderberg zwen priestere / her RGđ · Trachsel ein ewangelier · Jacob Chrieg... (Corp. 3153, 359.13).
forst(n)ære ← forst (53) st.M. Vnde daz div gemeinde sol einen hirten vnde einen forster wellen vber daz holz vnde vber daz velth... (Corp. 49, 77.21).
gartenære: ← gart(e) (310) sw.(st.) M. ...Das wir mit rate Pnsers Capitels / nsers gotzhus dienstmanne / nsers Râtz. Vnd Pnsers gedigens gemeynliche / irl?ben dien Gartnern / dien Obzern / vnd dien Menkellern ein zvnft... (Corp. 80, 123.21).
gemeinder (›Mitbesitzer‹): ← gemeinde (265) st.(sw.)F. das die vorgenanten heinrich vnd RNdolf die gebrNder von Rotahvsen vnd ir gemaindere vnd ir erben gewalt han vnd haben son die lehenschaft die sie an den
II.1.5. -er(e)
185
vorgesprochenn zwain mvlinan hent zevirkovfinne swem sie went... (Corp. 2432, 504.27).
Die vorliegende Bildung gemeinder trägt einen soziativen Nebensinn. Sie bezeichnet nicht nur jemanden, der eine gemeinde ›gemeinschaftl. Besitz‹ besitzt, sondern zeichnet ihn des Weiteren als Teil einer Besitzgemeinschaft, als Mitbesitzer aus. gemeiner (›Mitbesitzer‹): ← gemeine (77) st.F. gewaltesære (›Machtausübender‹): ← gewalt (920) st.M.F. Wir clagent och: sit die almeinden gemeine svln sin arm v] richen, so hant doch die gewaltiser von Strazburc der almeinden vil vnder sich gezogen v] geteilet beide in der stat v] da vór... (Corp. 0054b = N 2A, 2.34).
halber (›Halbpächter‹): ← halbe (5) st.F. ...das ein stoz was / zwischen den erberen vrowen · · der Ebtissin vnd dem conuent der swestron von Seldenôwe einhalb / vnd Jacobe von valtersbach / der ir lenman v] ir halber ist / vf ir gGte / das da lit bi zúrich... (Corp. 2054, 280.5).
Die Bildung halber ist mhd.-synchron durch die Bedeutung »um die Hälfte des Ertrags verpachtetes bzw. zinspflichtiges Grundstück« (WMU I: 786) der Basis i.S.v. ›jmd., der eine halbe bewirtschaftet‹ gut motiviert. hantwerker: ← (h)antwerc (22) st.N. wir uerbieten ovch bi fvmf phunden alle gesworn Ainung/ an des Pischofes willen v] wizzen / zwischen Purgærn wider Purgær / hantwercher wider hantwercher / geslæhte wider geslæhte... (Corp. 888, 251.10f.).
hertære (›Hirte‹): ← hert (3) st.F. Die bvrgere die sun och den herter v] den hirten wellen · v] sol in div ampt der schvltheiz lihen (Corp. 678A, 90.19).
Die -er(e)-Bildung hertære zur Basis herte ›Herde‹ ist nach dem DWB (10: 1079) als ›Hüter der Gemeindeherde‹ von hirte zu unterscheiden.324 Unklar muss bleiben, ob ein Beleg in Urkunde 2199 eventuell als Härter (zum Verb herten oder Adjektiv hart) zu verstehen ist, also »der arbeiter einer gewehrfabrik, der klingen, ladestöcke und andere geräte, die die härte erhalten sollen, härtet« (DWB 10: 511). Auch das DWB ist sich bei der Zuweisung der dort angeführten Belegstellen unsicher und weist sie eher hertære ›Hirte‹ zu. Auffällig ist dennoch die Nennung des Bruderpaares hainr der staheler / v] Engelhart der herter sin brGder (Corp. 2199, 358.17), wo die Verbindung mit staheler ›Stahlverarbeiter, -hersteller‹ (s.d.) eventuell auf Metallverarbeitung hindeuten könnte.325 _____________ 324 Die an dieser selben Stelle im DWB getroffene Aussage, dass bei gemeinsamer Nennung hertære diesem nachgestellt sei, bewahrheitet sich für den obigen einzigen Beleg mit beiden Lexemen nicht. 325 Vgl dazu Nölle-Hornkamp (1992: 255f.), die den angesprochenen fraglichen Beleg zum Metallhandwerk zählt.
II.1. Derivationstypen
186
höuwer (›Heumacher‹): ← höuwe (52) st.N. ...vnser meder håwer sniter leser · v] gemeinlich alles dc gesinde / dc vnser kloster v] vnser) convent an håret... (Corp. 194, 207.33).
Das nur einmal belegte desubstantivische Verb höuwen rechtfertigt nicht die Annahme von Doppelmotivation.326 huob(n)er (›Inhaber e. Hube‹): ← huobe (638) st.(sw.) F. ...ze winnaht / so sol ein hNbere von der hNben zwei Tder vercovfen / v] ein lehenman eins (Corp. 679, 92.31).
kamerære° (›Kämmerer‹): ← kamere (23) st.(sw.) F. Wir der Techan · der Camere · der custer · der senger der kelnere v] der portenere· v] das Capitel gemeinliche von Grbach han gelobet bi trFwe an eins eides stat... (Corp. 775, 148.30).
Haplologische Formen von kamerære bleiben unter den 49 analysierten Belegen eine Ausnahme. Die Bildung, deren Bedeutung mit ›Kämmerer, Schatzmeister; Vorsteher und Verwalter der Kammereinkünfte‹ anzugeben ist, greift in diesem Bedeutungsspektrum Seme der Basis kamere auf, die sowohl im weltlichen als auch im geistlichen Bereich u.a. den ›Ort für Finanzgeschäfte und Zinsabgaben‹ (WMU II: 973) bezeichnet. kanzelære (›Vorsteher e. Kanzlei; Erzkanzler‹): ← kanzelîe st.F. (Lexer I: 1511) Wir Gerhart Ertzebischof von Meintze dez heligen Riches Oberster Canzelar vber Tútsche lant... (Corp. 2070, 288.32).
Vermutlich kann das Lexem kanzelære, handelt es sich dabei auch um ein Lehnwort aus dem lat. cancellarius327, mit gewissen Einschränkungen mhd.synchron als über das Lexem kanzelîe semantisch motiviert gelten. Es ist dann jedoch von der Tilgung der Endung -îe der Basis auszugehen. kanzlære kann dann als gut motivierte Bildung angesehen werden, wenn sie denjenigen bezeichnet, der einer Kanzlei vorsteht, oder in ihr arbeitet.328 Von zunehmender Lexikalisierung ist jedoch bereits bei denjenigen Belegen auszugehen, die den Titel des Erzkanzlers bezeichnen. Hier lässt sich der inhaltliche Bezug zu einer Kanzlei wohl nur noch bedingt herstellen.329 Einen indirekten Beweis des bestehenden Motivationszusammenhangs _____________ 326 Der im WMU (II: 888) angegebene Verbbeleg ist zudem m.E. nicht zweifelsfrei von houwen zu trennen. 327 Vgl. Kluge (1999: 424). 328 Vgl. Stricker (2000: 108, 115, 119), die Kanzler im Rahmen einer Klasse mit der Paraphrase ›Person, die an dem in dem Basissubstantiv genannten Ort/Institution (zumeist) in leitender Funktion tätig ist‹ (S. 108) aufnimmt. 329 Nicht ganz klar ist die Behandlung des Lexems bei Brendel et al. (1997: 449), die es einmal als nicht über kanzel bzw. kanzlei gestützte Bildung gerne als Simplex behandeln möchten, es an anderer Stelle jedoch innerhalb einer Funktionsklasse behandeln (S. 259f.).
II.1.5. -er(e)
187
zwischen kanzelîe und kanzelære erbringt das bei Lexer (I: 1511) belegte und zu kanzelære mit -îe weitergebildete kanzelerîe ›Kanzlei‹. kastenære (›Kastner‹): ← kaste (17) sw.M. ...daz si iærchlich von dem selben Hof dienen v] geben suln d) Tvmbrobst v] dem capitel ze Salzburch / oder irm chostner / in der Stat ze Muldorf / ein phunt pfenning Regenspurger... (Corp. 3448, 535.39).
Durch die Bedeutung ›grundherrliche Vorratskammer; städt. Kornspeicher; Kastenamt‹ der polysemen Basis ist die vorliegende -er(e)-Bildung kastnære, die den Verwalter oder Inhaber eines solchen kastens bezeichnet, synchron als motiviert zu betrachten. kerzære (›zur Wachsabgabe Verpflichteter‹): ← kerze (8) sw.(st.)F. ...das alle spitalær / kerzÖr / kamerer / v] amptlPte swer dîe sint / v] swa dîe sint / aînen abbet svnderlich h=rent an / v] svnt ze reht im dîenen (Corp. 3493, 573.2).
Alle drei Belege des Lexems kerzære entstammen der angeführten in Ragaz im Kanton St. Gallen ausgestellten Urkunde. kirchenære (›Mesner‹): ← kirche (363) sw.(st.)F. Dieterich der shriber kirchener zv vnserre vrowen zv Babenberch... (Corp. 2665, 65.24).
krâmære (›Krämer, Händler‹): ← krâme (3) st.F. Alle die disen brief gesehent oder geh=rent lesen die svllent wissen daz alle die sachen v] alle die missehellunge Die die smide hetten wider die Cremere vmbe daz sP sporen veile hattent v] ander gesmide Dez sint sP mittenander vber ein komen gMtliche v] gewillecliche v] mit gehellede daz die Cremere sPllent veile haben sporen v] aller hande gesmide (Corp. 2948, 233.37f.).
Die Bildung krâmære lässt sich auf die Basis krâme ›Krambude, -geschäft‹ mit lokaler Bedeutung zurückführen. Der Krämer wäre hier also durch seinen Arbeitsplatz definiert, einer ursprünglich mit krâm ›(Zelt-)Tuch‹ bespannten Marktbude (DWB 11: 1986, 1d). Die Bildung könnte sich synchron auch auf die Handelsware des Krämers beziehen, diese Bedeutung von krâme ist jedoch nur korpusextern belegt. leczier/leczener (›Lektor, Subdiakon‹): ← lecze (1) st.sw.F. ...ein pfaffe / vnd ein lechzier... (Corp. 2386, 479.38).
Die Bildung leczener geht auf lat. lectionarius zurück330, kann aber synchron semantisch und morphologisch gut über das kirchensprachlich verbreitete lecze ›Schriftlesung bei der Messe‹ (lat. lectio) motiviert werden.331 Die allomorphische Variante leczier kann u.U. schon als indigene Bildung direkt zu lecze angesehen werden. Das vermutlich semivokalische -i- im Suffix ist _____________ 330 Vgl. Lexer (I: 1851). 331 So auch Brendel et al. (1997: 275ff.).
II.1. Derivationstypen
188
wohl auf eine Formvariante der Basis zurückzuführen, die bei Lexer (ebda.) angeführt ist. mâdære (›Mäher‹): ← mât332 (1) st.N. ...den chovf setzen / vnd daz lon / smiden / webærn sneidærn / schGchstærn / madærn / zimberlævten... (Corp. 475A, 416.48).
Morphologisch lässt sich die Bildung mâdære nur auf das Substantiv mât beziehen, wenn man sie auch gefühlsmäßig gerne auf ein Verb zurückführen möchte, wie auch Henzen (1965: 159) bemerkt: »Sind wir heute doch oft geneigt, sogar solche Bildungen als deverbativ zu empfinden, deren Form dies geradezu ausschließt, z.B. Sänger, Täter, Mähder, Wächter, Redner.« Auch Gersbach/Graf (1984/85: 267) verzeichnen Mahder in ihrem Korpus der gesprochenen Gegenwartssprache und führen es auf eine substantivische Basis (Mahd) zurück. metzjære: ← metzje (12) st.F. Wir gebiettent / daz die Metziger verk?ffent gesPnt vnde frisch flesch ... (Corp. 1653, 780.25).
Die Zuordnung von metzjære ist nicht zuletzt aufgrund seiner nicht völlig klaren Etymologie problematisch. Kluge (1999: 557) geht von einer Vermischung von mlat. mattiārius ›Wurstler‹ und mlat. macellārius ›Fleischwarenhändler‹ aus. Denkbar wäre aber auch eine »Herleitung über ein *maceum zu mhd. metzje ›Fleischbank‹, wovon dann mhd. metzjer, metzger gebildet sein könnte« (König 2001: 197). Aus synchroner Sicht kann auch ein Bezug auf das bei Lexer belegte Verb metzjen, metzigen (Lexer I: 2128) erwogen werden333. Wegen der korpusinternen Beleglage beziehe ich die Bildung jedoch primär auf metzje. mülnære°: ← mül, müle, mülin (505) st.sw.F. V] swaz dP selbe MPli vergelten mag / daz sol mir halbes werden / also daz mir dar vmbe nPt sol abegan / vb er me MPlner hat danne ich... (Corp. 1180, 455.2).
Handelt es sich bei mülner334 sprachgeschichtlich gesehen vermutlich um ein Lehnwort aus dem lat. molinarius335, so kann synchron für das Mittelhochdeutsche ohne weiteres ein Motivationsbezug zu mül, müle, mülin angenommen werden.336 Das Subjekt der Agentivbildung ist über seinen Arbeitsplatz und Wirkungsbereich definiert. Das Gros der Belege liegt als _____________ 332 Korpusintern liegt mât nur als ›Wiese‹ vor, Lexer (I: 2060) verzeichnet aber auch die hier angenommene Grundbedeutung ›das Mähen, die Heuernte‹. 333 Als Basis von metzker betrachten z.B. Brendel et al. (1997: 205f.) das Verb meczgen. Vgl. auch Gersbach/Graf (1984/85: 259). 334 Die Form müller liegt im Korpus vor (WMU II: 1259), aufgrund der starken Belegreduzierung wurden jedoch keine Belege dafür erfasst. Nach Angaben des DWB (12: 2654) ist die nasallose Form wohl erst im 14. Jh. zu erwarten. 335 Vgl. Kluge (1999: 573). 336 Vgl. Brendel et al. (1997: 276f.).
II.1.5. -er(e)
189
Bestandteil von Personennamen vor. Die Belege, die vom WMU (II: 1259) als Name einer Züricher Familie oder als Flurname identifiziert wurden, sind nicht berücksichtigt. obezære (›Obsthändler‹): ← obez (15) st.N. Swer Vnder înen deheynen vnrechten / oder verbotten k?f / ez si An krute / oder An obzse / oder An hMnrren veil hêt ...der sol geben drie schillinge. ...Swel obzser Aber / oder Gartner / oder Menkeller / daz sicht / der sol ez rMgen... (Corp. 80, 123.40).
obleier (›Einnehmer und Verwalter einer Stiftung‹): ← oblei (›(Lebensmittel-)Spende‹) (5) st.N.F.
....swenne er den zins versitzet vber daz gesatzte zil ze vierzehen tagen vber des willen der danne oblaîær ist / so sol er von allem dem rehte gevallen sin daz er andem vor genantem gvte hat (Corp. 1129, 417.8).
ohsenære (›Ochsenknecht‹): ← ohse (26) sw.M. v] sint dis die nivne ambahtmanne, die lidig svlnt sin der kellere, der schenke, der schultheisse, der ohssenere, der stadelere, der pfistere v] der cohc v] der kirwarte, dîe an der pfrGnden die eltesten sint, v] der mvllere... (Corp. 0178a = N 109A, 82.19).
ougustîner (›Augustinermönch‹): ...den barvGzsen >ch sehzig pfennig symeln, den Augustinern also vil... (Corp. 0151b = N 103, 75.19).
Wie Müller (1993a: 261) anmerkt, kann ougustiner nicht als ›Gruppenzugehörigkeitsbezeichnung‹ klassifiziert werden. Die Bildung wird deshalb der ›tun mit‹-Paraphrase zugerechnet (›jmd., der einem Orden angehört, der den Regeln Augustins folgt‹). pharrære°: ← pharre (55) st.(sw.)F. ...daz der pharrar von sanct Peter / mit den s(lben phaffen den ich min selger(t geschaffet han! alle iar min iarzit begê... (Corp. 653, 75.38).
phrüendære, phrüendenære (›Pfründner‹): ← phruonde (128) st.sw.F. ...swe der livppriester der da phrNnder ist / old ieman von sînen wægen / âne sîn gesazten phrGnde nimet klein old grôz von Opphir old von selgerte / âne dez livppriesters willen von Erchingen / dc ime old der kilchen schædelich sî / mag ær des vberzivgot wærden v] vberret / so ist zehant div phrNnde lidic ân alle gnâde (Corp. 838, 189.26).
port(en)ære (›Pförtner‹): ← porte (20) sw.(st.)F. Wir der Techan · der Camere · der custer · der senger der kelnere v] der portenere· v] das Capitel gemeinliche von mGrbach... (Corp. 775, 148.30).
Das Lexem port(en)ære geht auf mlat. portenarius (Paul 1920b: 61) zurück, kann aber synchron durch porte motiviert werden. Belege, in denen eindeutig eine Augsburger Patrizierfamilie Portner gemeint ist, wurden nicht berücksichtigt.
II.1. Derivationstypen
190
porzenære (›Pförtner‹): ← porze (10) sw.st.F. rottære* (›Inhaber e. Rotte‹): ← rote, rotte, rot (›Anteil jedes Genossen in
einer Marktgenossenschaft‹) st.sw.F. (Lexer II: 504f.)
Vorwert sal dit Goizhus e] dir voit ere gemeinde nGzzen / alse id gemeinden reht is. Darna der scheffene / alse id reht is · dar na der ackerman. Dar na der hGuenere. Dar na der Rottere · e] alle die in deme gerihte gesezzen sien! (Corp. 55, 88.12).
schafter* (›Rechtsvertreter‹): ← geschaft (3) st.N. ...mit dem insigel des edeles herren ernChunrates von Pilchtorf, der eîn verweser vnd ein schafter ist gegeben den vorgenanten prudern... (Corp. 1201a = N 428, 318.15).
schafter* lässt sich nur als präfixloses Derivat zum Basissubstantivs geschaft337 ›Geschäft, Abmachung etc.‹ erklären. Das bei Lexer nicht belegte Lexem deutet auf eine okkasionelle Bildung hin. schuolære (›Schüler; junger Geistlicher, Hilfsgeistlicher‹): ← schuole (10) st.F. Jz sol in dehainem LeithNs vf dehainen schvlær / vnd vf dehains BNrgær kint / vmb spil / vmb trinkchen niemmen mer niht borgen / nNr als vil er / an dem leibe hab... (Corp. 3452, 541.45).
In Kontexten, wo schuolære als Beiname gebraucht ist, scheint die Lexembedeutung eher ›Lehrer‹ zu sein.338 schuld(en)ære1 (›Schuldner; Gläubiger‹): ← schulde/schult (360) st.F. ...sô suln wir / die vorgenanten schuldener / gebunden sin / umbe die schulde... (Corp. 3003, 265.16).
Das Lexem schuldenære339 kann sowohl den ›Schuldner‹ als auch in drei Fällen den ›Gläubiger‹ bezeichnen.340 Diese korrelative Bedeutung341, die besonders »dem Bezirk des öffentlichen Lebens« (Szadrowsky 1918: 82) angehört, entsteht wohl eher aufgrund der gegensätzlichen Perspektiven im Rahmen eines Schuldverhältnisses als aufgrund von Wortbildungsvorgängen. Das Geben und Nehmen von schulde i.S.v. ›ent-, ausgeliehenes Geld‹ betrifft sowohl debitor als auch creditor. 342 _____________ 337 Das Lexem schaft ›Geschöpf; Gestalt, Bildung; Beschaffenheit etc.‹ (vgl. Lexer II: 635) kann aufgrund seiner Bedeutung nicht als Basis herangezogen werden. 338 Vgl. Szadrowsky (1918: 79 Anm. 4). 339 Das nur einmale belegte schulder liegt nur in der Bedeutung ›Schuldner‹ vor. 340 Vgl. DWB (15: 1922f.), Paul WB (1992: 770). Das Lexem Gläubiger ist erst seit dem 14. Jh. belegt (Kluge 1999: 326). 341 Vgl. Szadrowsky (1918: 79f.). 342 Vgl. DWB (15: 1872) : »[...] ferner ist zu beachten, dasz schuld nicht nur von dem entleihenden gesagt wird, der doch allein die zahlungsverpflichtung hat, sondern auch in bezug auf den darleiher, indem man damit nur noch den begriff des ausgeliehenen geldes verbindet [...].«
II.1.5. -er(e)
191
Eine deverbale Motivation über das korpusintern nicht belegte schulden oder über das Verb soln (20900), das neben seiner Funktion als Modalverb auch selten als Vollverb ›schulden, schuldig sein‹ belegt ist (WMU II: 1614), nehme ich nicht an. Mit einer Verbparaphrase könnte nur die Bedeutung ›Schuldner‹ erfasst werden (›jmd., der [jmdm.] etw. schuldet‹).343 Das oben Gesagte spricht für eine primär desubstantivische Bildungsweise344 der im mhd. belegten ›passiven‹ Personenbezeichnung.345 Bei rein nominalem Bezug gibt es diese passivische Bedeutung, wie oben dargelegt, jedoch nicht (Perspektivenwandel!). Sie kommt vermutlich erst zustande, indem Bildungen wie æhter auf transitive Verben bezogen und dann als Patientiva (›jmd., der geächtet, angeklagt wird‹) aufgefasst werden können. seld(en)er (›Inhaber e. Selde‹): ← selde (›Bauernhaus, -hütte (mit zugehörigem Grund)‹) (8) st.(sw.)F. Dar nach hant aber die herren / die vogthîe / erthailt / daz enhain hNber / noch die Cl=sterherren/ noch nîeman / an daz Margthîereth / enhainen selder vf sin) gNte haben sol / der dehâine vehe / vf die wâide habe gende... (Corp. 1262, 504.14).
soumære (›Saumtierführer‹): ← soum (›Saumtier‹) st.M. (Lexer II: 1060f.)346
...daz di S?mer hin uarent / vnd her varent... (Corp. 695, 103.30).
Das Lexem soumære ist ein frühes Lehnwort aus mlat. sagmarius und bezeichnet zuerst das Saumtier, später aber auch seinen Besitzer bzw. den Saumtiertreiber.347 Laut dem DWB (ebda.) findet sich die letztgenannte Bedeutung ›Saumthierhalter‹ zuerst im 14. Jh. im Münchner Stadtrecht, was durch die Belege im Korpus zu revidieren ist. Obgleich im Falle von soumære diachron von Begriffsbildung durch metonymische Verschiebung auszugehen ist, kann das Lexem synchron durch das Simplex soum, das neben der ›Last, die das Saumtier trägt‹ auch »häufig im mhd.« (DWB 14: 1909) das ›Saumtier‹ selbst bezeichnet, als motivierte -er(e)-Bildung gelten. spitâlære (›Angehöriger e. Spitalgemeinschaft; Johanniter‹): ← spitâl (870) st.M.(N.) _____________ 343 Das indirekte Objekt eines Aktivsatzes kann nicht Subjekt des entsprechenden Passivsatzes werden (›dem etwas geschuldet wird‹). Dies muss auch in der Wortbildung berücksichtigt werden. Objektbezeichnungen oder Patientivbildungen könnten nur direkte Objekte betreffen, was für -er nur sächliche Objekte betrifft, vgl. nhd. Aufkleber. 344 Zu dieser Ansicht kommt auch Szadrowsky bzgl. der »älteren Beispiele« (1918: 82ff.). 345 Vgl. Szadrowksy (ebda.). 346 soum wird korpusintern 121-mal nur zur Bezeichnung der ›Traglast eines Maultieres‹ (WMU II: 1616) verwendet. Die Bedeutung ›Saumtier‹ ist nur bei Lexer (ebda.) belegt. 347 Vgl. DWB (14: 1915).
II.1. Derivationstypen
192
...vmbe Johannesen von vilters v] sine geschlæhte / dîe spitalær v] kerzær sint... (Corp. 3493, 573.4).
stadelære (›Verwalter e. Scheune, Inhaber e. stadelhoves‹): ← stadel (20) st.M.
...die nivne ambahtmanne, die lidig svlnt sin: der kellere, der schenke, der schultheisse, der ohssenere, der stadelere, der pfistere v] der cohc v] der kirwarte, dîe an der pfrGnden die eltesten sint, v] der mvllere... (Corp. 0178a = N 109A, 82.19).
sweiger (›Bewirtschafter e. Schweige‹): ← sweige (›Viehhof mit Weide‹) (62) st.F.
...swenn man einen swaigær verchert / daz er daz dem andern swaigær lazzen sol / dem swen div vor genant Priorinn / v] der Conuent dar setzent ist... (Corp. 2487, 538.1f.).
tolker (›Kelterer‹): ← torkel (4) st.M. Es ist verbotten, das man den veilen win in den schiffen vf der Brusch noch vf den wagenen vor deme mPnstere niht verc>ffen sol noch stechen sol vor primen; die t=lkere, die ensulnt niht in das schif gan, sîe envordernt es denne v] si in erl>bet von den burgern (Corp. 0610a = N 238A, 186.6).
tolker, die alem. Entsprechung zu torkelære348, geht auf das Substantiv torkel ›Kelter‹ zurück, einer Entlehnung des lat. torculum (DWB 21: 890f.). Die vier alem. Belege für torkel im Korpus fügen sich in die vom DWB geschilderte regionale Verbreitung »auf südschwäb., schweiz. und tirol. boden« (ebda.).349 Die Motiviertheit des nur in Urkunde N238AB belegten Lexems ist anhand der obigen Textstelle gut ersichtlich. turner (›Turmwächter‹): ← turn (202) st.M. ...swaz man Turnærn wahtærn / Torwarteln geben sol / des sol ich si an allez vnderlaz verrihtten... (Corp. 2363, 468.46).
valschære (›Falschmünzer, Betrüger‹): ← valsch (39) st.M. ein iechlich velschere die da begriffen wirt mit valschem phenningen mit eime Schillinge / oder mer / deme sal man slahen abe die hant (Corp 1161B, 439.46). Wir nemen aber auz der vreivnge • Nber sait læGte • vnd valschær • vnd raubær • vnd prennær • vnd dibe... (Corp. 2345, 457.9).
Das Lexem valschære ist im Korpus nur in Stadtrechten und Urkunden des Würzburger Reichslandfriedens vom 24. März 1287 belegt. Außer in Urkunde 2345 (s.o.), wo das Lexem eventuell nur ›Betrüger‹ bedeutet, beziehen sich alle anderen Kontexte eindeutig auf Falschmünzerei und den Gebrauch falscher Münzen. Dies macht den Bezug auf das Substantiv valsch ›Betrug, gefälschtes Metall, falsche Münze, Falschmünzerei‹ (Lexer _____________ 348 WMU (Lief. 19: 1755). 349 Man vergleiche etwa die in der Bodenseeregion heute noch gefeierten Torkelfeste.
II.1.5. -er(e)
193
III: 13) am wahrscheinlichsten. Das wenig belegte Verb velschen (4) wird korpusintern nicht i.S.v. ›Münzen fälschen‹ gebraucht und scheidet daher als mögliche Basis aus. Eine gleichwertige Motivation über das Adjektiv valsch (29) ›unredlich; unecht‹ (Lexer III: 12f.) über die Paraphrase ›jmd., der falsch ist‹ ziehe ich aufgrund der korpusintern sehr spezifischen Verwendung von valschære und der kaum ausgeprägten deadjektivischen Agentiva auf -er(e) nicht in Betracht. vleischer: ← vleisch (34) st.N. Ein ouzzer vlaischer · mach in dem Marcht · vreileich / sein vlaissch verchouffen · zwir in der wochen · Ertages · v] suntags... (Corp. 3068, 313.34).
Ist Fleischer heutzutage, was den Benennungsbereich ›Fleischer/Metzger‹ anlangt, »das Wort des mittel- und norddt. Ostens« (König 2001: 197), finden sich die drei Belege des Korpus ausschließlich in einer Urkunde aus der Steiermark. Im Gebiet des heutigen Österreich tritt ferner konkurrierend dreimal das Lexem vleischhacker (s.d.) auf (a.a.O.: 196). vloitære (›Flötenbläser‹): ← vloite sw.st.F. (Lexer III: 411) Dis sint die gezPge die es horton v] sahen · her RNd' · der LPpráster von Rorboz · der kilcherre von Rorboz · her otto kilcherre ze vischital · wern· der schenke · · der winman · Nl · in Gassun · RNd · der Giger · der Fl?eter · der Boller v] ander erber lPte von Rorboz... (Corp. 1130, 417.29).
Bei Lexer ist kein Verb *vloiten belegt, sondern nur das Verb floitieren, das jedoch nicht als Motivationsbasis heranzuziehen ist. Das Lexem, dessen Status als Appellativum hier nicht eindeutig ist, kann daher nur auf das Substantiv vloite ›Flöte‹ bezogen werden. wahtære: ← wahte (15) st.F. ...gelicher wise alse ime selben / vnde TvrnhMter vnde wahter vnde torwarten... (Corp. 1925, 196.7).
Vgl. Henzen (1965: 159) und die Argumentation bei mâdære. wildener (›Wildschütz, Jäger‹): ← wilt (4) st.N. ...daz mein wildner chriegent vber di gemerch der si recht habent von ir stiftern... (Corp. 2496, 542.15).
wollære/woll(e)ner (›Wollenschläger, -weber etc.‹): ← wolle (15) sw.F. ...zwen ovz den scherærn · zwen ovz den wollærn · zwen ovz den ledrærn vnd den irhærn · zwen ovz den webærn · vnd zwen ovz den Weitærn! (Corp. 46, 75.26).
zehend(en)ære (›Zehntmann‹): ← zehende (›zehnter Teil (als Abgabe)‹) (489) sw.st.M.
Suuaz die herren von St?fenberg die vor genanten / an gúlte oder an zehende verboten oder genommen hant / dem cl?ster von Gengenbach / ane die zehende von Romswilre v] von Balsbach / dc suln Sj wider geben / Also / dc sú dez cl?sters zehendere vnclagehaft machen... (Corp. 206, 214.5).
II.1. Derivationstypen
194
zinsære (›Zinsgeber; Zinseinnehmer‹): ← zins (1006) st.M. ...v] sol der probist v] div samenunge von Madelberc / von den selben drin mannen / wan sie ir zinser sint / nemen zins / hovbet reht / v] vælle / als sit v] gewonlich ist (Corp. 2720, 97.30).
Von der Annahme eines doppelten Motivationsbezugs des Lexems zinsære in der Bedeutung ›Zinsgeber‹ durch das desubstantivische Verb zinsen (33) ›Zins geben, zahlen‹ sehe ich aufgrund der weit überwiegenden substantivischen Basis ab. Beide Bedeutungen des polysemen Lexems können auf das Basissubstantiv zurückgeführt werden: ›jmd., der Zins gibt/ (ein)nimmt‹.350 zollære/zolnære (›Zolleinnehmer, Zöllner‹): ← zol (334) st.M.N. ...vmbe den zol der vorgenanten Stat ze vilingen / das in der zolner nemen sol von den gesten die da k?fent vnde verk?fent... (Corp. 2521. 557.3).
Nach dem DWB (32: 63) geht das Wort »unmittelbar auf das volkslateinische tolonarius zurück [...] und gehört zu den masculina persönlicher bedeutung, welche das lat. suffix -arius ins deutsche gebracht haben«. B. Agentiva (BS-er(e)1b): ›jmd., der BS herstellt/macht‹ Lexem
Belege
brunner* (BN) bütenære (BN) havenære (BN) hentschuoher (BN) kezzelære (BN) koler (BN) kolner (BN) kürsenære (BN) münzære (BN) nâtære (BN) sateler (BN) sporære (BN) strælære (BN) sûter (BN) tescheler (BN) tescher* (BN) vazzer (BN) vezzeler (BN)
alem bair 2
alemwmd IR1 schw 1 2 6
Kg
ofrk
-
1 -
6 7 37
4 5 27
6
5
-
-
-
-
-
-
9 10 2 27 68 8 7 8 10 39 5 2 5 5
8 8 14 40 6 4 8 3 34 4 2 5 -
1 1 2 7 13 2 1 7 1 5
5 5 -
2 -
2 -
1 -
6 1 -
IR2 IR3
IR4
IR5
2 -
-
-
-
-
1
-
1 -
-
1 1 -
4 -
-
-
_____________ 350 Vgl. aber Szadrowsky (1918: 78), der für beide Bedeutungen von Zinser verbale und nominale Ableitung annimmt. Vgl. dazu DWB (31: 1511): »4) auch der zinsgeber kann, wenn auch selten, als objekt erscheinen; zinsen wird dann wie ein zusammengesetztes verb nach der art von besteuern gebraucht; bedeutung ›jemand zins auferlegen und von ihm erheben‹ [...]«.
II.1.5. -er(e) Lexem wagener (BN) wegenler* (BN) ziegeler (BN) Rest Gesamt
Belege 28 1 7 167 464
alem bair 15 1 6 112 311
9 35 86
alemwmd IR1 schw 3 1 1 6 3 23 2 12
195 Kg
ofrk
1 2
6 14
IR2 IR3 2 3
2
IR4
IR5
2 5
4
Rest mit je unter sechs Belegen (73 Lexeme): armbruster (BN), becherer (BN) (4), biutelære (BN) (2), blatener (BN) (2), bogenære (BN) (3), bortner (BN) (2), bursenære2 (BN), bürster* (BN) (2), butericher (BN) (3), glasære (BN), grâtuocher (BN), gugelære (BN) (3), gürtelære (BN), helmer (BN), hoser (BN), houbetlachener* (BN) (2), huller (BN) (2), irher (BN) (4), kacheler (BN), kæser (BN) (4), ken(ne)ler* (BN) (2), kolzer (BN), krûter (BN), kübelære (BN) (5), küefer (BN) (5), kurbeler (BN), kurdewæner (BN) (4), lægeler (BN) (3), lantvrider*, lebzelter (BN) (2), lederhoser* (BN), leffeler (2) (BN), lînwâter (BN) (2), melzer (BN)/melzeler (BN), mezzerære (BN) (4), nâdelære (BN) (3), nageler (BN), öler (4), paternosterer (BN), pergamenter (BN), riemer (BN) (2), rîsenære (BN) (3), schapëlære (BN), schedeler (BN) (5), schiltær (BN) (4), schindeler (BN) (2), schüzzelere (BN), segenser (BN) (3), seiler (BN) (5), semeler (BN) (5), sideler (BN) (3), slozzer (BN), slüzzelære (BN) (2), soler* (BN) (2), spengeler (BN) (3), spiegelære (BN) (3), spiller* (BN) (3), staheler* (BN) (4), süener (BN) (4), sündære (2), swerter* (BN), tockeler (BN) (2), übeltæter, vlader (BN), wambeiser (BN) (3), wanner*, wasteler (BN), wâtsacer (BN), weggeler* (BN), wîzlederer* (BN), zenger (BN) (5), ziecher (BN) (3), zigerer* (BN).
irher (›Weißgerber, Hersteller v. Weißleder‹): ← irch, irh st.M. (Lexer I: 1449)
...zwen ovz den scherærn · zwen ovz den wollærn · zwen ovz den ledrærn vnd den irhærn... (Corp. 46, 75.26).
Das bairisch und kärntnisch gebrauchte Verb irchen (DWB 10: 2154) ist bei Lexer nicht nachgewiesen. kurdewæner (›Hersteller v. Corduanleder‹): ← kurdewân (5) st.N. ...daz die kvrdewenre meistere v] kurdewenre v] die ledergerwere mittenander mit liebe lebent... (Corp. 0371a = N 159, 125.24).
kürsenære (›Kürschner‹): ← kürsen (›Pelz, Pelzkleid‹) st.F. (Lexer I: 1794f.)
...Drie rebeman · zwene k=che · zwene ohsiner · einin súter · einin kvrsener · ein scherer· ein phister... (Corp. 244B, 245.3).
lantvrider: ← lantvride (271) st.(sw.)M. Swer den lantfriden brichet v] den bruch nit vf rihten wil v] darumbe von dem lantfriden besezet wirt oder die die den lantfriden gesworn hant da von zeschaden bringet / den sol der Lantfrider twingen daz er mit allen sinen vesten v] mit
II.1. Derivationstypen
196
sinem gute / ie dem manne nach siner mazze sine schaden ablege also verre sin gut gelangen mac (Corp. 879W, 225.34f.).
Denkbar wäre es, hier auch ein mit -er(e) suffigiertes Syntagma das lant vriden als Ausgangsbasis der Bildung lantvrider anzunehmen (Zusammenbildung). Doch zeigt die obige Textstelle eindeutig die textinterne Motivation des Belegs durch das Basissubstantiv lantvride.351 Der nur in zwei Fassungen (auch in Corp. 879L) des Würzburger Reichslandfriedens von 1287 belegten Bildung stehen in anderen Ausstellungen dieses Reichstags die Agentivbildungen lantfride (Corp. 879H,K,Sp) und lantfrid (Corp. 879Sa) gegenüber. münzære: ← münze (300) st.sw.F. ...v] vmb alle di vnzvht vnd vnvug di vnder den MMnzern geschieht in der MMnz... (Corp. 2237B, 381.6).
Wie das obige Textbeispiel zeigt, kann münze auch die Münzprägestätte bezeichnen. Das Verfertigen von Münzen ist jedoch als die primäre Benennungsmotivation der Agentivbildung münzære anzusehen. Eine Definition des Münzers durch seine Tätigkeit in einer Münzprägestätte (vgl. apotêker) kann zwar sekundär angenommen werden, hier aber unberücksichtigt bleiben. Aus etymologischer Sicht handelt es sich bei münzære um ein Lehnwort aus lat. monetarius.352 staheler* (›Stahlschmied‹): ← stahel/stâl (13) st.M.(N.?) ...hainr der staheler / v] Engelhart der herter sin brGder... (Corp. 2199, 358.17).
»Da stahel im Mittelhochdeutschen nicht nur den Werkstoff ›Stahl‹ bezeichnet [...], sondern auch eine Reihe aus diesem Material gefertigter Gegenstände und Waffen [...], kann die entsprechende BBZ [Berufsbezeichnung, UR] neben dem Hersteller von Stahl ebenso verschiedene Spezialhandwerker wie den Armbrustmacher u.a. [...] benennen« (NölleHornkamp 1992: 261).353 Das gemeinsame Vorkommen mit herter (s.d.) kann u.U. ein Indiz für den appellativen Charakter der Bildung sein. süener (›Versöhner, Schlichter‹): ← suone (560) st.sw.F., [süenen (20) sw.V.] ...nach manegen tegedingen komen dar under sNnere mine vrPnde und des gotshus die deme abbete Anshelme uon Ensidellon und mir und mineme vvirte hern heinriche von der Balme der do min vvirt vvas ein susgetane sNne gerieten daz... (Corp. 8, 22.21).
_____________ 351 Die Zuordnung von lantvrider* zur Untergruppe, die sich durch die ›herstellen/machen‹Paraphrase auszeichnet, mag auf den ersten Blick verwirren. Das Lexem fügt sich jedoch in die Gruppe ein, wenn man bedenkt, dass auch ein lantvride, der vorher nicht bestanden hat, ›gemacht‹ wird. Das bei Lexer (III: 511) belegte vridemacher ›Friedensstifter‹ stützt diese Ansicht. 352 Vgl. Henzen (1965: 158). 353 Das DWB (17: 568) betrachtet Stähler als »unübliches thäterwort zu stählen«. Ein abgeleitetes schwaches Verb zu stâl, stahel ist jedoch bei Lexer noch nicht verzeichnet.
II.1.5. -er(e)
197
Von den vier Belegen von süener ist nur der obige nicht an eine Person gebunden. Aufgrund des deutlichen Gefälles hinsichtlich der Basisbelegzahlen354 sehe ich das Lexem als desubstantivische Bildung an. Dennoch kann aufgrund der geringen Belegzahl von süener eine sekundäre Motivation auch über das Verb nicht völlig ausgeschlossen werden. sündære: ← sünde (21) st.F. ...do er sich vmbe vns Armen svndere gab An die martyre... (Corp. 93, 136.45).
sûter (›Näher‹): ← sûte st.F. (Lexer II: 1329) Der sint Drie Vischere · Drie rebeman · zwene k=che · zwene ohsiner · einin súter · einin kvrsener · ein scherer· ein phister... (Corp. 244B, 245.53).
Das aus dem lat. sūtor ›Flickschuster‹ entlehnte sûter (ahd. sūtāri, sūter) (Kluge 1999: 745) kann mhd.-synchron auf das bei Lexer (ebda.) belegte Substantiv sûte ›Naht‹ bezogen werden. Die Bildung unterscheidet sich dadurch strukturell nicht von indigenen Bildungen wie nâtære (← nât) oder mâdære (← mât), die morphologisch lediglich substantivischen Bezug zulassen. Semantisch steht sûter wie die genannten Bildungen sicherlich dem Verb siuwen, sûwen näher. Die oben angeführte Stelle zeigt den einzigen Kontext, in dem sûter nicht als Beiname auftritt. übeltæter: ← übeltât st.F. (Lexer II: 1606) v] treit er ein verborgen messer, man sol in haben vur ein vbilteter, v] stat groz gerihte vber in (Corp 0610a = N 238A, 188.12).
Die Bildung übeltæter lässt morphologisch nur den Bezug auf das bei Lexer belegte Substantivum übeltât zu, auch wenn das korpusintern belegte Verb übeltuon ‹übeltun, übel behandeln‹ durch seinen aktionalen Gehalt der Bildung gefühlsmäßig näher zu stehen scheint.355 wagener (›Wagenmacher‹): ← wagen (158) st.M. ...daz die wagenere von lintal · so si gedingent· di dingen wellent · iergilich mit din probiste von lutenbach · oldir mit sinen bottinn · howen m?gint swes si bidorfint nNwe wagene ze machinde... (Corp. 20, 28.31).
wîzlederer* (›Weißgerber‹) ← leder (5) st.M., wîz (101) Adj. ...wernher den zinberman / Meister RMdeger der smit / L=chelin den protbecken · hartman den Múller· Cvnrat der wislederer Eberhart den Scherer/ Burcart den beler / wernher Beging / hessen Regenolten / heinrichen den schNler / heinrich den keuer / peter de vischer /... (Corp. 1651A, 776.16).
_____________ 354 Vgl. folgenden Eintrag im DWB (20: 1022) zu sühnen: »ursprünglich wie das zugehörige subst. sühne ein wort der rechtssprache und als solches in der bedeutung ›richten‹ schon ahd. darnach von mhd. zeit bis LUTHER einschlieszlich häufig verwendet, wenn auch niemals in der fülle des subst. seit dem 16. jh. verschwindet es bis zur ersten hälfte des 18. jh. immer mehr aus der lebendigen sprache [...].« 355 Vgl. Müller (1993a: 243), Henzen (1965: 159).
II.1. Derivationstypen
198
Das Substantiv wîzleder ist bei Lexer nicht belegt. Die Belege im DWB (28: 1220) sind deutlich später datiert, so dass es sich evtl. sogar um eine Rückbildung aus wîzlederer handeln kann, das synchron als Zusammenbildung mit Adjektiv als Erstglied zu interpretieren ist.356 Eine Komposition aus wîz und lederær ist semantisch unwahrscheinlich. C. Agentiva (BS-er(e)1c): ›jmd., der zu BS gehört‹ Lexem harmarkter* (BN) kappellære* (BN) klôsenære (BN) spitâlære (BN) Gesamt
Belege
alem
bair
wmd
IR1
omd
3 9 9 30 51
2 17 19
3 3 9 10 25
1 1
3 3
3 3
kappellære: ← kappelle (120) st.sw.F. Dieser sGnen / inde dieser VGrWorde sint gezuch/ der VGregenande bischof Albreht / inde Vnse Priore Van kolne bit namen / her CGnrait der DGmdegchin · her Wernere der proust Van sente Gereone Vnse keppelere... (Corp. 75, 115.39).
Belege mit Personennamen, die vermutlich auf eine Familie von Kappellen (nach einem Ort in Oberösterreich) verweisen, wurden aus der Untersuchung ausgeschlossen. Das WMU verzeichnet Herkunftsbezeichnungen bei Personen nicht systematisch, dadurch können sie in dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden. Belege, die hingegen auf die Zugehörigkeit zu einer Institution, wie dem Kollegiatsstift zur Alten Kapelle in Regensburg, hindeuten, wurden selbstverständlich berücksichtigt. Ein Beleg aus dem Westmitteldeutschen (Corp. 75) bezeichnet vermutlich einen »Leiter d. erzbischöfl. Kanzlei in Köln, seit 1219 aus der Mitte des Domkapitels bestellt, wohl auch zuständig für Unterhalt u. Besetzung d. erzbischöfl. Kapellen [...]« (DRW VII: 753f.) und geht auf das mlat. cappelarius (ebda.) zurück. Ich nehme den Beleg auf, da eine Bezugnahme zum Basissubstantiv noch denkbar ist, wenn auch mit einem hohen Lexikalisierungsgrad zu rechnen ist. spitâlære (›Spitalvorsteher, Spitalbruder‹): ← spitâl (870) st.M.(N.) ...so hat der Ortolf des selben hovses spitaler v] verweser / mir verlihen di selben Swæig ze einem lehen v] leibgedinge... (Corp. 959, 305.4).
_____________ 356 Vgl. Henzen (1965: 69).
II.1.5. -er(e)
199
D. Agentiva (BS-er(e)1d): ›jmd., der in/im Zustand von BS ist‹ Lexem
Belege
alem
bair
ofrk
16 1 17
3 1 4
4 4
9 9
æhter1 schuldenære2 Gesamt
æhter1 (›Geächteter‹): ← âhte (234) st.F. Jch spriche ouch vmbe die ehtere die der von Bercheim enthált indem gerihte v] inden ban do si ze ahte wrdent getan / vber der rihter willen swaz die ehtere schaden hant getan den von andelahe oder irn lúten daz den der von Berchei abe tNn sol v] bessern v] sol ouch dem gerihte bessern alse reht ist (Corp. 1953, 215.23f.)
Eine deverbale Motivation ist bei æhter korpusintern nicht anzunehmen. Das schwache Verb æhten ist im Gegensatz zu 234-mal belegtem âhte nur zweimal im Korpus belegt. æhter in der Bedeutung ›jmd., der die Acht verhängt‹ ist korpusintern nicht belegt.357 Die anzuwendende (passivische) Paraphrase358 ›jmd., der in der Acht ist‹ beschreibt das Subjekt als im Rechtszustand der Acht befindlich. schuldenære2 (›Schuldiger‹): ← schulde/schult (360) st.F. Slât aber eîn selder / dvn andern! in der stat / der schuldener git · Cehen · schill›g· v] / drie wochen vurd stat (Corp. 1295, 536.6).
In der Bedeutung ›Schuldiger‹ tritt das Lexem schuldenære nur einmal auf. Ich behandle es mit æhter an dieser Stelle, da beide Bildungen einen Rechtszustand beschreiben, in dem sich das Subjekt der Prädikation befindet. Neben einer ›haben‹-Prädikation ›jmd., der Schuld hat‹ kann auch paraphrasiert werden ›jmd., der in der Schuld ist‹. E. Agentiva (BV-er(e)2): ›jmd., der BV‹ Lexem anwender° behaltære bredigære° brennære (BN)
Belege 109 (144) 6 31 (230) 17
alem bair
alemwmd IR1 schw
Kg ofrk IR2 IR3 IR4 omd Rest
109
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
1 19 7
5 6 9
-
4 -
2 -
-
-
-
1
-
-
-
_____________ 357 Interessanterweise verbucht das Schweizer Idiotikon ebenfalls nur »Belege für die passive Bed.« von Ächter (Szadrowsky 1918: 80f. Anm. 2.). 358 Vgl. Wilmanns (1899: 289): »Passive Bedeutung ist selten, aber in der älteren Zeit nicht unerhört. æhter bedeutet im Mhd. Mnd. und älteren Nhd. nicht nur den, der die Acht verhängt, sondern auch den, über den sie verhängt wird.«
II.1. Derivationstypen
200 Lexem dienære° gebûr (BN) gerwer (BN) hüetære (BN) kieser klingeler* (BN) koufer leister (BN) maler (BN) mêrer phlegære° rihtære° schaffære schaffenære scherære (BN) schrîbære° (BN) schrôtære (BN) senger (BN) singære (BN) snîdære (BN) snitzære (BN) stifter toufære trager ver-/vor-*/ vürweser walker (BN) webære (BN) Rest Gesamt
Belege 93 (233) 42 13 31 11 6 21 6 12 45 23 (315) 184 (1400) 42 57 26 39 (240) 40 44 6 26 12 9 41 16
alem bair
alemwmd IR1 schw 11 1 4 5 2 1 3 1 2 3 2 5 2 1
Kg ofrk IR2 IR3 IR4 omd Rest
4 17 6 10 11 4 14 6 6 7 9
78 6 1 16 4 1 7 9
24 -
1 2 3 1 -
7 -
1
1
1 1 -
1 1 -
17
110
2
3
1 51 22 14 30 39 1 8 7 5 33 5
37 4 16 2 1 1 16 1 4 4
1 2 2 2 4 2 5 3
1 2 1 3 -
-
16
3 1 6 6 4
1 2
29
-
-
-
7
-
-
3 1
1 -
-
-
-
25
9
16
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
8 19 201 1261 (3344°)
6 12 64
2 6 90
1
14
13
1 3
3
2
1
2
7
1
554
452
36
40
54
47
39
13
4
3
16
3
Rest mit je unter sechs Belegen (105 Lexeme): angrîfer, anstœzer, antwürter (2), beschirmære (2), betelære (2), betrüebære, binder (BN) (2), blâsære (BN), bleicher (BN) (3), blîdreyer*, borgære (4), brâtære (BN) (3), bretsleifer (BN), briuwer (BN) (3), brôtbecker (BN) (3), bûre (BN) (3), dorfhüeter (BN) (2), dræhseler (BN), drescher (BN), ebenære (5) (BN), enphâher*, ervarer (5), gehaltære, goltweber* (BN), grabære (BN), hingeber, hœrære, houwer (BN), înnemære (2), îsenbleger (BN), jegere (BN) (5), kirchenphleger, ledergerwer (BN) (5), lêhenphlegære, lêhentrager (2), leider*, lêrære (BN) (2), lernære (BN), lesære, lînweber (BN) (2), liuhtære, lodwürkære*, luogære, manære, metzeler (BN) (2), merkære, sager (5), sæjære (BN), samenære (3), scheider, schepfære, scherpfer* (BN), schinder (BN), schirer (BN) (3), schouwære (BN), schrîer (BN), seitkoufer (BN), setzer (BN) (3), sinner (BN), slaher, slahtære (BN) (3), smelzer (BN) (2), snitære (5), solsnider* (BN), spalter* (BN), spinner* (BN), spitzer (BN) (2), stathalter, stempfer (BN) (2), stocwarter (BN) (3), stœrære (2), stubbeweschere, swerzer, teiler, tuochscherer (BN), turnhüeter, türwarter* (BN), überhœrer (5), underteidinger, ûzrihter, verkoufære (2), verrihter
II.1.5. -er(e)
201
(2), versprecher (5), vertreter, vertuære, verwer (BN) (4), verzerer, vezzelsnîdære (BN), vleischhacker (BN) (4), vleischhouwer (BN), volger, volvüerer, vorderer, vridebrecher (4), vüerer (BN) (4), weitære (BN) (5), werer (3), widerrechener*, widerweher, wînmezzer, wînschrôter (3), wîsære (BN) (2), wollenslaher (BN) (5), zerbrecher, zuoloufer*.
angrîfer: ← anegrîfen (136) st.V. Wer aber das ieman / keine dirre drier stette / anegriffe / mit zuckende / mit R?bende / oder mit ander leidigunge / v] niht reht von ir nemen wolte / vnd der Rat der selben stat / oder das merreteil des Rates/ sprichet das in vnreht geschehe / vnde kundet ?ch das / den andern zwein stetten / kumet der anegrifer / in etzliche der andern vorgenanten stat... (Corp. 1788A, 88.34ff.).
antwürter (›Beklagter‹): ← antwürten359 (820) swv., [antwürte (15) st.F.] ...so mach der chlagær / oder der antwurtær denne wol an vns dingen... (Corp. 2345, 456.20).
Die Lexembedeutung von antwürter erklärt sich aus dem Verständnis, dass sich der Beklagte vor Gericht verantwortet bzw. vor Gericht Antwort gibt, antwortet. Die Belegzahlen sprechen eher für eine deverbale Interpretation, auch wenn bei so gering belegten Lexemen wie antwürter ein klares Ableitungsverhältnis anhand der Belegzahlen der Basis nicht zweifelsfrei ermittelt werden kann. anstœzer (›Anrainer, Nachbar‹): ← stôzen (226) st.V., ane Präp. ...ob decheiner unser lanthere / oder vnser anestozzer vnser einen durh sine gewalt / oder durh sin gût/ zu vnrehte wolte dringen... (Corp. 369, 343.13).
Die Motiviertheit der Bildung anstœzer ist korpusintern gegeben. Es lässt sich unter stôzen (WMU II: 1674f.) unter anderem eine Konstruktion mit der Präposition ane nachweisen. Ein eigenes Lexem anestôzen setzt das WMU nicht an. Die nachprüfbaren Verbbelege werden immer in sächlichem Kontext verwendet. Das Agentivum im obigen Kontext bezeichnet jedoch eine Person, wodurch die Bildung zu verstehen ist als ›jmd., der mit seinen Ländereien an die eines anderen stößt‹. anwender° (›Pflugwendeacker, angrenzender Acker‹): ← anwanden (›angrenzen‹) sw.V. Die nach der Belegeingrenzung verbleibenden 109 Belege (von 144) verteilen sich auf nur zehn Urkunden und erscheinen dann meist in längeren Aufzählungen einzelner Grundstücke. Die usuelle Bildung kann wohl als motiviert betrachtet werden, ist auch die Basis nur einmal belegt. Korpusintern konkurriert die -e-Bildung anwande, deren Gesamtbelegzahl jedoch mit 59 Belegen um mehr als die Hälfte geringer ist. _____________ 359 In der Leitform antwürten (720) sind hier die allomorphischen Varianten antwerten (73) und antworten (27) inbegriffen.
II.1. Derivationstypen
202
behaltære (›Erlöser, Erhalter; Rechtsvertreter; Verwalter, Beschützer‹): ← behalten (›behaupten, durchsetzen; bewahren, erlösen; gewährleisten, sichern‹) (770) st.V. ...so sein wir der vorgenanten gGt · ir gewer vnd ir behalter als landes vnd ægens reht ist... (Corp. 2849A, 179.8).
beschirmære (›Beschützer, Schirmherr‹): ← beschirmen (108) sw.V. Wir RNdolf hertzog von Baiern / haben vnser insigel dvrch stcetigvnge an dis hant veste gegeben / wan wir dirr sceligen vrowen gNtes vberal bediv herr vnd avch beschermer sin (Corp. 2120, 316.38).
betelære (›Bettelmönch‹): ← betelen sw.V. (Lexer I: 236) ...brGder iacob der bettuler brNder... (Corp. 649, 72.27).
betrüebære (›Störer, Beeinträchtiger‹): ← betrüeben (7) sw.V. Swer si dar Nber an greiffet / der sol werden gerihtet / als ein zerbrecher des vrides / vnd ein betrGbær des landes (Corp. 2345, 457.8).
borgære (›Gläubiger, Darlehensgeber‹): ← borgen (16) sw.V. Swer iht schúlde schúldig wâz e er in die stât zôch da zN verlibin / so der da burger reht gewinnet wirt er an gesprochin von sime borger so sol er jme entwrten nach rehte (Corp. 1653, 778.33).
bredigære° (›Angehöriger des Predigerordens, Dominikaner‹): ← bredigen (6) sw.V.
...do besant wir prediger vnd minner brGder [Minoriten, UR] / di weisisten vnd di besten! (Corp. 477, 420.19).
Das Lexem bredigære bezeichnet im Korpus stets Angehörige des Predigeroder Dominikanerordens, des ordo fratrum praedicatorum. Wie viele anderen deutschen Ordensbezeichnungen (Barfüßer, Reuerinnen etc.) geht auch diese auf einen historischen Hintergrund oder eine bestimmte Besonderheit (hier das Recht die Beichte zu hören und zu predigen360) des Ordens zurück. Trotz der zusätzlichen idiosynkratischen Elemente kann die Bildung noch als motiviert gelten. brennære: ← brennen (67) sw.V. Vmb di prennær - di nahtes oder tags verholn brennen... (Corp. 1800A, 120.37).
bûre (›Bauer‹): ← bûwen (470) sw.V.; vgl. gebûr(e) ...vnd swaz ich dar zM gehabte han / Den pħgnich Mber pruchke / wisemat pavern holtze vnd vazer... (Corp. 938, 294.11).
dienære°: ← dienen (444) sw.V. ...daz ez alle ir Dienstman / Diener / vnd Lævt / stet behalten / swi si genant sein... (Corp. 1390, 605.47).
_____________ 360 Meyers Taschenlexikon (1999, Bd. 5: 166).
II.1.5. -er(e)
203
ebenære (›Schiedsrichter, Schlichter‹)361: ← ebenen (15) sw.V. ...mit hern vlrichs Jnsigel · von Chappelle · der des chriges ist gewesen · shidman vnd ebenær · tzwishen vns peden (Corp. 2660, 67.16).
enphâher* (›Empfänger‹): ← enphâhen (805) st.V. ...vnd des bin ich willehalm des selbes gotshauses diener / enpfaher gewesen... (Corp. 2527, 560.25).
ervarer (›Ermittler‹): ← ervarn (227) st.V. ...daz vnser herre...hat gesatzet / mit vnserm gGten willen · v] von vnserr pet / den ersamen man brGder Tlfingen von stubenberch / Prior ze friesach /an seiner stat / ze einem ervarer / vmb alle sache... (Corp. 3369, 489.33).
gebûr(e) (›Bauer‹): ← bûwen (470) sw.V., gebûwen (12) sw.V. Swer deheines schaden bezigen wirt / lovgent er / so sol er gerihten / vnd sich des schaden bereden / mit zwain zv im · siner genozzen er si dienstman · Chovfman · oder gebovr... (Corp. 482, 423.10)
Die komplexe Etymologie des Wortes Bauer lässt verschiedene desubstantivische und deverbale Bildungen (ahd. bHari ›Bewohner‹) als Grundlage erkennen.362 Die vorliegende ge-Bildung geht eigentlich auf ein Substantiv mhd. ahd. bûr, bHr ›Wohnort, Haus‹ zurück und bezeichnet ursprünglich jemanden, der ›im gleichen bHr wohnt‹ (ebda).363 Laut Kluge ist unklar, ob es sich bei dem Lexem in seiner jüngeren Bedeutung ›Landmann‹, die im Korpus vorliegt, um eine Agentivbildung mit dem Suffix -er handelt (ebda.). Synchron kann die Bildung jedoch m.E. als eine solche aufgefasst werden, zumal das Basisverb i.S.v. ›(Land, Boden) bebauen, bewirtschaften‹ (WMU I: 330f.) verwendet und das Lexem somit als Nomen agentis zum BV verstanden werden kann.364 Im Korpus bestätigt sich die für das Mhd. zu erwartende dominierende Stellung von gebûr(e) gegenüber bûr(e) deutlich.365 Den dargelegten Prinzipien zum Umgang mit ge- folgend (vgl. I.2.2.) wird die Bildung unter dem Suffix behandelt. gehaltære (›Erhalter, Stütze‹): ← gehalten (51) st.V., halten (710) st.V. Jch her Hartman von Baldeke ein gehalter dez heiligen Richez... (Corp. 684, 796.37).
hingeber (hier: ›Verkäufer‹): ← hingeben (25) st.V. _____________ 361 Zwei Belege, die das WMU unter einem eigenen Lexem ebener* wohl unter Vorbehalt mit der Bedeutung ›in der Ebene Ansässiger‹ (WMU I: 413) verbucht, werden als Belege des vorliegenden Lexems behandelt. 362 Vgl. Kluge (1999: 86). 363 gebûr ist somit gleich konstruiert wie etwa geselle. 364 Vgl. Brendel et al. (1997: 251), die die Bildung ebenfalls für ihren Untersuchungszeitraum als über das Verb motiviert ansehen. Anders dagegen Müller (1993a: 240). 365 Die ge-losen Formen gelten laut dem DWB (4: 1658) als für das 13. Jh. »eigentlich noch nicht nachgewiesen« und »nur durch wegfall des ge- entstanden.«
204
II.1. Derivationstypen
...wær daz præche · der hat verl=ren daz gGt / swaz daz ist / daz er gechoufft hat · vnd der hingeber daz / allez / daz er dar vmb enphangen hat... (Corp. 3068, 313.6).
hœrære (›der anhörende Beauftragte o. Richter‹): ← hœren (1206) sw.V. Dar vber hab auch wier gebeten hern vlrichen van wolfgerstorf den Lant Rihter / der diser sache h=rer vnd rihter was... (Corp. 3310, 475.5).
hüetære: ← hüeten (47) sw.V.; [huote (8) st.(sw.)F.] ...alle die stain der seu bedGrfen zG ár pawe oder zu sweu sir bedGrfen inder selben staingrGb schulen prechen vnd nemen / Vnd der selben stain schol der vorgenant chGnrat phlegen vnd hGtten als ein hGtter van reht schol (Corp. 1650, 773.47).
Nicht nur der obige Urkundenkontext mit der verbalen Basis in unmittelbarer Nähe der Wortbildung, sondern auch der Vergleich mit der Bildung turnhüeter (s.d.), die sowohl als Kompositum als auch als Zusammenbildung aus der Wortgruppe turn hüeten interpretierbar ist, macht in diesem Fall die deverbale Interpretation von hüetære wahrscheinlicher. înnemære (›Einnehmer, Empfänger‹): ← înnemen (109) st.V. ...di aber weil Reinbot lebet so wil er des selben tNches in nemær vnd tailer sein (Corp. 1517, 685.32).
kieser (›Wähler, Prüfer‹): ← kiesen (245) st.V. Swie >ch vnder den vorgenanten kiesern einre sturbet, so sol Wernher von Nvgurte oder, ob er niht enist, so suln wir ein andern kiesen an des stat... (Corp. 0086d = N 74, 53.34).
koufer (›Käufer‹): ← koufen (1660) sw.V., [kouf (1050) st.M.] Si sGln auch mit gesworem aide allen vailen dingen rehten chauf / vnd rehten marcht auf setzen · vnd auch allem chauffe · ze chauffen / vnd ze verchauffen also auflegen / daz dem chauffær · vnd dem verchauffer nach der gestalt der zeit vnd auch der dGrftichait werde behalten (Corp. 2345, 455.6).
koufer betrachte ich aus semantischen Gründen als deverbale Bildung. Im Gegensatz zu koufe und köufel ›Kaufmann‹ ist die Motivation über kouf in der Bedeutung ›Kauf, Verkauf, Kaufvertrag‹, um die Position des Käufers zu beschreiben, zu uneindeutig. Des Weiteren kann vielleicht mit einem Einfluss des eindeutig deverbalen verkoufære gerechnet werden. ledergerwer: ← leder (5) st.N., gerwen (8) sw.V.; gerwer (13) st.M. ...so hant sie vf gesetzet, das die ledergerwere iemerme sulnt bluwen das halbe kurdewan... (Corp. 0371a = N 159, 125.25).
Bei dem Lexem ledergerwer ist neben dem Bildungstyp der Derivation eines Syntagmas (Zusammenbildung) auch die Möglichkeit einer Komposition mit gerwer als Grundwort zu erwägen. lêhenphlegære: ← lêhen (1900) st.N., phlegen (96) st.V.; phlegære (315) st.M. ...ein svnder lehenphlegere... (Corp. 0291b = N 143B, 101.63f.).
II.1.5. -er(e)
205
Neben der Interpretation als Zusammenbildung ist bei lêhenphlegære auch die Wahrscheinlichkeit eines Kompositums sehr hoch. Das Lexem phlegære ist 351-mal im Korpus belegt. lêhentrager: ← lêhen (1900) st.N., tragen (3) st.V.; trager (19) st.M. ...swem si mich daz selbe gNt hæisset liehen dem sol is lihen vnde sol er irz tragen in allem dem reht als die forgenanten lehentrager... (Corp. 1022, 346.45).
Die zitierte Urkunde ist die einzige Belegquelle des Lexems lêhentrager. In ihr ist sowohl das Verb tragen als auch das Substantiv trager belegt. Das Lexem kann somit sowohl als Zusammenbildung als auch als Determinativkompositum analysiert werden. leider* (›Angeber, Ankläger‹): ← leiden (3) sw.V. V] beshehe aber dirre ch?ffe oder dirre gabe dekein heinliche, da sol dem leider werden ein phvnt... (Corp. 1877a = N 613, 442.33).
Die Bildung geht auf das nur dreimal belegte schwache Verb leiden ›beleidigen, anklagen‹ zurück. lêrære: ← lêren (75) sw.V., [lêre (2) st.F.] ...meister andres der kinden lerer... (Corp. 2729, 103.39).
Das Verhältnis der Belegzahlen zwischen dem Verb lêren (75) und dem Substantiv lêre (2) ›Gelehrtheit, Wissen‹ macht einen deverbalen Bezug des hier behandelten Lexems sehr wahrscheinlich. Anders scheint die Situation sich noch im Ahd. darzustellen. Henzen (1965: 159) nennt l)rari in einer Reihe von Bildungen, die er mit »einiger Wahrscheinlichkeit« auf ein nominales Grundwort bezieht, da »ein Verb daneben ungebräuchlich oder wenigstens seltener ist«. Die Geläufigkeit des Verbs lêren im Urkundenkorpus begünstigt jedoch der Argumentation Henzens (ebda.) folgend den synchronen Bezug auf dasselbe. lesære (›Sammler, Leser‹): ← lesen (3340) st.V. ...daz man vnser meder håwer sniter leser · v] gemeinlich alles dc gesinde / dc vnser kloster v] vnser) convent an håret... vergebene v] ane allen lon / v] ane ber vGren sol... (Corp. 194, 207.33). geverde
liuhtære: ← liuhten sw.V. (Lexer I: 1941) ...v] alliz daz zG der rade horet· daz sin alle scaph · v] gense · kasten mit vf gehavenen liten · al gârn · bette · pGle · kussene· lilachene · tischlache · badelachenen: · dwelen · beckene · luchtere... (Corp. 51, 82.32).
liuhtære366 ist eines von wenigen Lexemen auf -er(e), die einen unbelebten Gegenstand bezeichnen.367 Sachbezeichnungen auf -er sind auch im Kor-
_____________ 366 Bzgl. der Zuordnung von liuhtære zu den Agentiva vgl. DW (1975: 340). 367 Vgl. Wilmanns (1899: 293f.), Henzen (1965: 162).
II.1. Derivationstypen
206
pus der Würzburger Arbeitsgruppe die Ausnahme.368 Dürer schöpft dieses Benennungspotential etwas weiter aus.369 lodwürkære*: ← lode (18) sw.M., wirken (45) (würken, wurken) sw.V./an.V. ...zwên schroter vnd vier vz den selben lodwurchæren... (Corp. 614A, 45.37).
Die folgende Textstelle, die der selben Urkunde wie der obige Beleg entnommen ist, zeigt die textinterne Motivation von lodwürkære über das Syntagma aus Verb und Substantiv (Zusammenbildung). Die Möglichkeit einer Komposition mit dem nur bei Lexer (II: 930) belegten wirker, würker als Grundwort kann hier vernachlässigt werden. Alten loden niht wan einer zal minner / v] di loden von der Alten woll · sol man wurchen vnerschozzen. Man sol ouch hinder zwainzec ellen dehein tGch / noh loden · niht enwurchen · vnd dehein rinder har noh Acchamp sol man niht wurchen... (Corp. 614A, 45.16ff.).
luogære (›Aufseher‹): ← luogen sw.V. (Lexer I: 1987) Dit ist von des Mvncemeisters lugern zu erforte (Corp. 1161B, 441.16).
manære (›Mahner‹): ← manen (562) sw.V. ...vnd min frivnt die danne lebent die sMllen dez gesh(ftes alle iar maner sin / gen dem pharr(r innechlichen durch got / vnd durch ir triwen willen (Corp. 653, 76.8).
mêrer: ← mêren (19) sw.V. Wir RGdolf von gotesgnaden Romischer Chunich / vnd alle zit ein Merær des Reiches... (Corp. 787, 155.14).
Das Lexem tritt in allen Belegen nur im Titel des deutschen Königs als »deutsche Entsprechung des lat. (semper) augustus« auf (WMU II: 1222). Die Belege des Verbs mêren (ebda.) zeigen drei Fälle, bei denen anstatt des Substantivs eine Konstruktion mit dem Partizip Präsens bevorzugt wird (mêrende sîn). merkære (›Aufpasser, Beobachter‹): ← merken (14) sw.V. ...so wat die Merkere gelouint / van irre kGre dat sal manlich na sime rethe stede haldin... (Corp. 146, 181.10).
phlegære° (›Pfleger, Treuhänder; Vormund‹): ← phlegen (96) st.V.; [phlege (10) st.F.]
Vnd hat vns in dev selben Lant gesazt ze einem gemainem Verweser vnd ze einem gewaltigen pfleger...vnd bestætet vns allen sinen gewalt an der Vorgenanten pfleg· mit sinen hantfesten die wir ouch do vber haben (Corp. 477, 419.9).
Durch die Bedeutung ›Pflegeamt, Vogtei, Verwaltungsbezirk‹ des Substantivs phlege ist es möglich, phlegære in einigen Kontexten auf das Substantiv phlege zu beziehen. Die im WMU nachweisbaren Belege von phlege sind _____________ 368 Vgl. Brendel et al. (1997: 256, 540ff.). 369 Vgl. Müller (1993a: 243ff.).
II.1.5. -er(e)
207
aber vorwiegend in konkreter Bedeutung (›Verwaltungsbezirk‹) aufzufassen, so dass das Lexem aufgrund der doch relativ geringen Lexemzahl nicht wirklich als Basis in Betracht zu ziehen ist, um die vielfältigen Bedeutungsbereiche von phlegære (s.o.) abzudecken. Ich ziehe es daher vor, die Bildung als deverbal motiviert anzusehen. Auf diese Lesart deuten eventuell auch Bildungen wie kirchen-, lêhenphlegære (s.d.) hin. rihtære: ← rihten (715) sw.V. Ez ensol auch dehein vnser Rihter niht rihten von des vorgenanten Goteshavses aigen... (Corp. 2087, 299.30).
sager (›Schiedsmann; Verleumder‹): ← sagen (535) sw.V.; [sage (21) st.F.] Wie haben oich in trvwen gelobet vnseme svne / ab in / vns / ichein man beseite / v] wie daz offenbar redeten / oder in des selben begruzten [anklagen, UR] / oder begruze liezen den seger / sul wie ime sege... (Corp. 1286, 529.9).
Die große Geläufigkeit des Verbs sagen und der obige Kontext spricht im Fall von sager mit nur sieben Belegen gegen die Annahme eines zusätzlichen Motivationsbezugs über das Substantiv sage. samenære (›Geldeinnehmer‹): ← samenen (25) sw.V. ...die vunf schillinge suln verzere die samener (Corp. 29, 54.44).
schaff(en)ære (Schaffner; Verwalter etc.): ← schaffen (650) st.sw.V. Swer denne priorinne ist Vnd schaffer ist · di schNln fNrpaz immermer / schaffen von der gNltte daz dev samnvnge An miner ierzit mit win · mit vischen · vnd mit sch=n) brote · getr=stet werd (Corp. 1259, 501.42).
scheider (›Schiedsrichter‹): ← scheiden (380) st.V. Daz wir aller der sache...ein teidinger waren vnd ein minneclich scheider alse wir des ir brieve han... (Corp. 3264, 426.7).
schepfære (›Schöpfer‹): ← schepfen (7) sw.V. Nv lazen schowen alle gelobigen livte wie in zi herzen gange irs sch=pfers irs behalters laster v] sin smacheit... (Corp. 93, 138.6).
scherære (›(Tuch-)Scherer‹): ← schern st.V. (Lexer II: 709f.) Jz sol nimen vnder di scherær dehein tvch bereiten daz iht lenger hab denne virzec ellen oder man bereitet im sin niht · Jz schln di scherær allen lÉvten gvtiv tvch bereiten swer den lÉvten daz versag in der weis daz er den satz gern bræch der geb driv pfvnt oder di hant als vor geschriben ist dem rihtær einz zwei an di stat (Corp. 46, 75.17f.).
schrîbære: ← schrîben (4500) st.V. ...dissen brief schrêp / M,ster· N · dur burger schriber (Corp. 1295, 538.6).
schrôtære (›Tuchschneider, Schneider‹): ← schrôten (2) st.V. So sulen wir alle iar von vnsern burgærn sehs welen / zwên schroter vnd vier vz den selben lodwurchæren... (Corp. 614A, 45.36).
II.1. Derivationstypen
208
18 Belege von schrôtære, die das WMU als Name einer Augsburger Bürgerfamilie ausweist, wurden aus der Erhebung ausgeschlossen. Die der Bildung zugrunde liegende Bedeutung ›(zu)schneiden etc.‹ des Basisverbs ist nur korpusextern nachweisbar (Lexer II: 804ff.). senger (›Kantor, kirchl. Sänger‹): ← singen (81) st.V. Die Belege des Lexems senger beschränken sich auf Attribute zu Personennamen, die hin und wieder mit dazugehöriger Ortsangabe stehen, was mithin auf den Wirkungsbereich des Kantors schließen lässt, z.B. der sengere zu Strazburg. Trotz der formal denominalen Herkunft des Lexems aus (ge)sanc (3) besteht ein quantitativ eindeutiges Verhältnis zugunsten des Verbs singen (81). Auch semantisch ist der Bezug zum Verb enger.370 Ich behandle die Bildung daher als deverbal mit dem bei -er(e) seltenen Fall ablautender Basis.371 Es wird hier anders verfahren als etwa bei mâder, nâtære und sûter, die morphologisch keinen vertretbaren Bezug auf eine Verbform zulassen. slaher (›(Woll-)Schläger‹): ← slahen (220) st.V. Jz enschol dehein slahær dehein rinderhar vnd dehein streichhar vnd dehein walchhar vnd dehein scherhar vnd deheinen sleien slahen ovch bi drin pfvnden oder bi der hant als vor geschriben ist dem rihtær einz zwei an di stat (Corp. 46, 75.8).
snîdære (›Schneider‹): ← snîden (22) st.V. Ez sol ein iglich rihtær/in iglicher stat / vnd in iglicher pfarre / mit Æhten den besten / vnd den tivrsten bi dem aid vor der chirchen den chovf setzen / vnd daz lon / smiden / webærn sneidærn / schGchstærn... (Corp. 475A, 416.48).
snitære (›Schnitter‹): ← snîden (22) st.V. Ez ensol auch chain Sniter von chaime sime Lone daz er duzze verdient hat chainen zol gben ez lige vf wgenn oder vf karren oder er tragez vf sime Rugge (Corp. 548A, 490.2).
Vgl. die Argumentation bei senger. stathalter: ← stat halten (DWB 17: 995) ...brGder g=tfrid Von St?phen der Stat halter brGder Heinriches Von Bokzberg meister dez huses des Spitâls zeJerusalem/ vnd der húsern ze thútschen landen / dez ordens Sant Johans... (Corp. 327, 313.31).
Das vorliegende Lexem stathalter ist eine Nachbildung von mlat. lociservator oder locumtenens (DWB 17: 1024). Die Bildung kann zwar als Agentivbildung zu statt halten aufgefasst werden, dieses ist aber »nur vereinzelt vom 15. bis 17. jahrh. belegt, während das danach gebildete statthalter überaus
_____________ 370 Vgl. Henzen (1965: 159). 371 Vgl. Brendel et al. (1997: 246).
II.1.5. -er(e)
209
häufig ist« (a.a.O.: 995)372. Der vorliegende Beleg für stathalter von 1277 revidiert ferner den im DWB (ebda.) angegebenen Erstbeleg für 1410, was jedoch formal den Bezug auf die Lexemgruppe noch unwahrscheinlicher macht. Wenn sich jedoch auch die Wortgruppe stat halten bei Lexer und im Korpus in dieser Form nicht nachweisen lässt, so scheint es doch wenig plausibel, sie synchron nicht als indigene Bezugsbasis der Lehnübersetzung stathalter anzunehmen, wenn sie auch nicht direkt aus dieser hervorgegangen ist. Ein Sprecher des Mhd. wäre aber wohl jederzeit zu dieser Transferleistung fähig gewesen. Das Substantiv haltære kommt frei nur in der Bedeutung ›Inhaber, Bewahrer etc.‹ (Lexer I: 1160) vor und kann wohl nicht als Grundwort eines Kompositums in Betracht gezogen werden. stifter (›Stifter; Veranlasser; Verleiher v. Rechten‹): ← stiften (63) sw.V.; [stift (177) st.F.M.N.] ...des vorgenanten weingarten oberister stifter vnd storer... (Corp. 3011, 270.21).
Mit der Formel stifter vnde stœrer wird derjenige bezeichnet, »der das verfügungsrecht über ein lehen hat u. s. w., belehnen und das lehen wieder entziehen kann« (DWB 19: 411). Diese Verwendung, aber auch andere appellative Belege legen eher deverbalen Bezug der Bildung nahe. Wenn auch in einigen Fällen ein Bezug auf das Substantiv stift möglich ist, betrachte ich die Bildung korpusintern dennoch als deverbal. stocwarter (›Stockmeister, Gefängniswärter‹): ← stoc (18) st.M., warten (71) sw.V. Den stokwertir v] die herter sun die burger wellen sweli sû went... (Corp. 248A, 249.18).
Im Korpus ist kein frei vorkommendes warter, werter (Lexer III: 698) belegt. stœrære: ← stœren (10) sw.V.; vgl. stifter stubbeweschere (›Gold(staub)wäscher‹): ← stüppe, stuppe373 st.N. (Lexer II: 1275), waschen (2) st.V.; wescher st.M. (Lexer III: 798) ez en sal nieman haben ein essen da man silber vffe burne · danne der Muntzemeister vnde die husgenozzen / vnde · Goltsmide/ vnde Stubeweschere... (Corp. 1161B, 440.24).
Die geringe Belegzahl des Verbs waschen (2) ermöglicht keine eindeutige Festlegung auf ein abgeleitetes Syntagma (Zusammenbildung). Mit einiger Wahrscheinlichkeit kann es sich bei stubbeweschere auch um ein Determinativkompositum mit wescher als Grundwort handeln. swerzer (›Schwarzfärber‹): ← swerzen (4) sw.V. lz enschol dehein swerzær dehein rinderhar swerzen... (Corp. 46, 75.4). _____________ 372 Vgl. Müller (1993a: 257) und die dort über das DWB hinausgehenden Wörterbuchverweise. 373 stubbe ist die mnd. und mnl. Form von stüppe, stuppe ›Staub‹ (DWB 20: 568).
II.1. Derivationstypen
210
teiler (›Verteiler‹): ← teilen (360) sw.V. ...so wil er des selben tNches in nemær vnd tailer sein... (Corp. 1517, 685.32).
toufære (›Täufer‹): ← toufen (2) sw.V. ...dis geschach vnde dirre brief wart geben zv Erfurte An dem MAntage vor sancte Johannes tAge des Toufers / do mAn zalte von Gotes geburte Tvsent zweihvndert vnde Nvnzig jar.... (Corp. 1276A, 524.16).
Die meisten Belege des Lexems beziehen sich vornehmlich auf den Festtag Johannes des Täufers (24. Juni). In zwei Belegen trägt ein Kloster seinen Namen. trager (›Träger; Vertreter, Gewährleister‹): ← tragen (220) st.V. ...daz die selben die die lehenschaft enphahent / trager des gGtes sein dem / dem ez mein here vnd mein prGder geschaffet... (Corp. 944, 298.6).
turnhüeter: ← turn (202) st.M., hüten (47) sw.V.; hütære (28) st.M. ...das die vns beholfen svln sin / vnde das die Burkman vns hvlden svln zv gelicher wise alse ime selben / vnde TvrnhMter vnde wahter vnde torwarten... (Corp. 1925, 196.7).
Das Lexem turnhüeter kann als Zusammenbildung aus der Lexemgruppe turn hüten oder als Determinativkompositum aus turn und hüetære interpretiert werden. überhœrære (›Verhörer‹): ← überhœren sw.V. (Lexer II: 1627) Des sint geziMge die vorgenante Rihtere v] uberh=rere die an dem taidinge zeHaslach waren... (Corp. 1131, 418.42).
Neben der heute geläufigen Bedeutung ›nicht beachten‹ kann im Mhd. das Verb überhœren ›befragen, verhören‹ bedeuten. In dieser Bedeutung motiviert es die im Kontext vorliegende Agentivbildung überhœrære. underteidinger (›Unterhändler, Vermittler‹): ← undertegedingen sw.V. (Lexer II: 1807) ...nach rate meiner lieben herren hern Marquarts / des Abtes von Tegernse/ hern Hugen des wildengrauen · hern Otten von zelkingen / vnde der andern / die des vnderteidinger waren... (Corp. 1814, 130.29).
Im Gegensatz zu tagedinger (s.d.) kann die hier vorliegende Bildung underteidinger nur deverbal aufgefasst werden. ûzrihter (›Ausrichter, Vollführer, Schiedsrichter‹): ← ûzrihten (11374) sw.V. ...des sol ich sein gewere / vnd Nzrihter sein an allen sinem schaden... (Corp. 2990, 256.41).
verkoufære: ← verkoufen (1332) sw.V. Si sGln auch mit gesworem aide allen vailen dingen rehten chauf / vnd rehten marcht auf setzen · vnd auch allem chauffe · ze chauffen / vnd ze verchauffen
_____________ 374 Das Verb ûzrihten ist nicht auf der vorläufigen Lemmaliste des WMU verzeichnet, konnte aber mindestens elfmal im Korpus nachgewiesen werden.
II.1.5. -er(e)
211
also auflegen / daz dem chauffær · vnd dem verchauffer nach der gestalt der zeit vnd auch der dGrftichait werde behalten (Corp. 2345, 455.6).
verrihter (›Ordner, Verwalter‹): ← verrihten (453) sw.V. ...vnd bin der selben sache verrihttær / vnd taidingær gewesen... (Corp. 2475, 531.11).
versprecher (›Anwalt, Verteidiger‹): ← versprechen (79) st.V. ...v] pin ich... steter vertreter v] versprecher ze tage v] ze taidinge auf gaistleichem v] aGf weltleichem recht... (Corp. 1294, 535.22).
vertreter: ← vertreten (13) st.V. Vgl. den Beleg bei versprecher.
vertuære (›Vertuer, Verschwender‹): ← vertuon (21) an.V. So sGln di Ratgeben Nber div sache sitzen vnd vlizzichlich ahten · daz der man oder daz wip ditzes gutes niht vnpillicher verzerær oder vertvær · sein... (Corp. 2345, 456.39).
ver-/vor-/vürweser (›Verwalter; Stellvertreter‹): ← verwesen (2/2) st.sw.V. ...Grave Albreht der verweser in =sterrich (Corp. 482, 424.22).
Die auf der vorläufigen Lemmaliste des WMU als Einzellexeme behandelten Lexeme werden hier als ein Lexem aufgefasst. Als Basis der Bildung kann sowohl das starke (›verwalten, vertreten‹) als auch das schwache Verb verwesen (›vertreten‹) herangezogen werden, die beide jeweils zweimal im Korpus belegt sind. verzerer: ← verzeren (14) sw.V. Vgl. den Beleg bei vertuoære. volger (›Begleiter, Anhänger‹): ← volgen (119) sw.V. ...dat dar kwam johan der da heizit boze van waldecke v] sine volgere... (Corp. 3374, 492.12).
volvüerer: ← volvüeren (192) sw.V. ...wan ich des geschæftes werær / vnd volvFrær gewesen bin (Corp. 3397, 503.32).
vorderer: ← vordern (293) sw.V., [vorder (28) st.F.] ...daz sie niemer clage · Vorderunge · noch ansprache · an gæislichem alde weltlichem gerihte · an diheime tæile swie er ginemit si · von in sælbin · botin · alde vordirerin svn gewinnen · noch inhæin ir vorderunge vurbaz inpfr=miden lihen oder verk?fen (Corp. 7, 26.16).
Die obige Textstelle spricht relativ eindeutig für eine deverbale Deutung des nur hier belegten Lexems vorderer. vridebrecher: ← vride (490) st.sw.M., brechen (660) st.V. So sal iener bewisen die wunden · so vrage her an eineme vrteile zN vorsuchene ob her den vriedebrechere irgen an kome ob her in icht bestetegen mGze van gerichtes halben (Corp. 51, 85.4).
II.1. Derivationstypen
212
Das der Bildung vridebrecher zugrunde liegende Syntagma den vriden brechen (Zusammenbildung) ist korpusintern nachweisbar (WMU I: 284). brecher kommt nicht frei im Korpus vor. vüerer: ← vüeren (239) sw.V. vmb di engung di man tGt / den fFrærn / die saltz in Bairen fFrent / vnd her widerouf / choren (Corp. 695, 103.35).
webære: ← weben (2) st.V. ...zwen ovz den scherærn · zwen ovz den wollærn · zwen ovz den ledrærn vnd den irhærn · zwen ovz den webærn · vnd zwen ovz den Weitærn! (Corp. 46, 75.27).
weitære (›Blaufärber‹): ← weiten (›färben, blaufärben‹) (1) sw.V.; [weit, weid st.M. (Lexer III: 747)] Jz schol dehein weitær dehein rinderhar vnd dehein streichhar vnd dehein walchhar vnd dehein scherhar vnd deheinen sleien vnd dehein vngrisch wolle vnd dehein hås wolle vnd dehein wollein tvch vnd dehein wollein garn niht weiten... (Corp. 46, 75.13).
Für weitære wird durch den textinternen Beleg des Basisverbs weiten eine deverbale Interpretation nahegelegt. Belege für das Substantiv weit, weid, eine Färbepflanze, »die früher zum färben verwendet und in Deutschland viel angebaut wurde« (DWB 27: 1032 sv. Waid), fehlen im Korpus. werer (›Gewährleister, Bürge‹): ← wern (828) sw.V., [wer (17) st.F.] ...ich albreht der Cupete v] Henrich des waltramis Bubelinis Sun! sint dis gutes shuldenere v] och werere alse man Egin v] Erbe zu rehte werin sol ... (Corp. 941, 297.2).
Die hohe Belegzahl des Verbs und der angeführte Kontext lassen nur eine deverbale Interpretation von werer in Frage kommen (vgl. gewerer). widerrechener*: ← widerrechenen (1) sw.V. ...daz brNder Johannes Von Malberc des ain phleger sol sin / V] ain Widerrechener / also lange biz dc sie in genement Sehzek V] hvndert marke gNtes silbers... (Corp. 1597, 735.21).
Das bei Lexer nicht belegte Substantiv widerrechener erweist sich im Kontext als Agentivbildung zur Bedeutung ›gegenrechnen, gegenseitig abrechnen, Rechnung, Rechenschaft ablegen‹ des Basisverbs widerrechenen (Lexer III: 847), das »nur mhd. und vereinzelt frühnhd.« belegt ist (DWB 29: 1143). widerweher (›Widersacher, Gegner‹): ← wehen st.V. (Lexer III: 731), wider Präp. Swer ditze gebot Nberget / oder wider wehær wirt · des gebov sol man auz dem grGnde brechen · vnde st=ren... (Corp. 2345, 456.30).
II.1.5. -er(e)
213
Der Bildung widerweher375 kann einerseits eine verbale Wortgruppe wider (jmdm.) wehen zugrunde gelegt werden, es handelte sich dann um eine Zusammenbildung mit einer Präposition als Erstglied. Da wehen und weher nicht im Korpus nachweisbar sind, kann aber auch eine Komposition von wider und weher nicht ausgeschlossen werden. wînmezzer: ← wîn (413) st.M., mezzen (16) st.V. Vmbe vnrecht messen: Swer och vnrecht misset, den win messere sol man schuppfen v] der wirt, des der win ist, der git ein pfunt (Corp. 0610a = N 238B, 186.36).
Der Bildung wînmezzer liegt das Syntagma den wîn mezzen zugrunde (Zusammenbildung). mezzer kommt nicht frei im Korpus vor. wînschrôter (›jmd., der Weinfässer auf- und ablädt‹): ← wîn (413) st.M., schrôten (2) st.V. Ein ieclich Burgere mac wol Schrotin vf / odir nidir ein halb fGdir ane vare in sin hus · virwarlosin aber die winschrodere einis mannis win / oder bier / oder andirs waz / daz si vf oder nider schrodin/ daz soln si selbe geldin (Corp. 1161B, 444.41).
Das polyseme Verb schrôten kann neben ›schneiden etc.‹ auch ›auf-, abladen‹ bedeuten. Nur in der letztgenannten Bedeutung liegt es im Korpus vor (vgl. schrôtære). Neben der Interpretation als Zusammenbildung, die der obige Kontext nahe legt, ist es ferner auch möglich, winschrôter als Kompositum mit schrôtære als Zweitglied anzusehen. Die Bedeutung ›Verlader‹ (Lexer II: 804) ist für die appellativen schrôtære-Belege allerdings korpusintern nicht nachweisbar, weshalb ich die Bildung korpusintern als deverbal auffasse. wîsære (›Führer, Anweiser‹): ← wîsen (1?) sw.V. Ze einer stætichait dicz gewerftez geb wir disen brief versigelten mit dem insigel vnsers weisærs dez ersam Aptez von Oberach... (Corp. 2110, 312.6).
zerbrecher: ← zerbrechen (127) st.V. Vgl. den Beleg unter betrüebære. zuoloufer*: ← loufen (20) st.V., zuo Präp. (WMU II: 1158) Die besserunge der BlGtrûnse h=her nût sol kommen denne fûnf schillinge strazburger Mûnsze der es mit der hant tGt / oder Rat dar zG git / oder gegeben hat / oder slege / oder st=sse / oder willen hat ze slahende den / der da wund ist worden / zGl?ffer mit gewaffenter hant zwene schillinge (Corp. 1047, 361.29).
_____________ 375 Interessant ist an dieser Stelle der Vergleich des zitierten Belegs aus dem Wiener Stadtrecht vom 12. Februar 1296 mit einer anderen Fassung des Wiener Stadtrechts vom 24. Juni 1278 in einer Abschrift aus dem ersten Drittel des 14. Jh.s, wo der gleiche Sachverhalt folgendermaßen ausgedrückt wird: »Wer diczs unsers potes widrer oder ubergeer ist, desselben paw schol man auzreutten gar aus dem grunt...« (Csendes 1986: 87).
II.1. Derivationstypen
214
Das Lexem zuoloufer ist zu einer verbalen Wortgruppe aus der Präposition zuo und dem Verb loufen gebildet (Zusammenbildung). loufære ist korpusintern nicht als freies Lexem belegt. F. Agentiva [DM] (BS/BV-er(e)3): ›jmd., der BV/etw. mit BS tut/BS herstellt etc.‹ Lexem
Belege
alem bair
badære (BN) 5 2 geltære 15 gewerer 5 gîgære (BN) 8 4 helfære° 65 (415°) 31 kemmer (BN) 6 6 klager° 87 (228°) 36 lederære (BN) 9 mûrære (BN) 23 13 phender (BN) 7 roubære 10 1 schirmære (BN) 25 5 tagedinger 20 1 trœstere 5 4 vischer (BN) 40 22 Rest 32 16 362 Gesamt 141 (853°)
13 1 3 15 26 6 3 5 4 17 11 10 10 124
alemwmd IR1 Kg ofrk IR2 IR3 IR4 omd nd schw 2 1 2 4 1 12 2 5 4 13 4 4 2 1 4 1 1 1 2 1 3 1 3 7 1 1 3 3 1 1 1 1 1 2 1 14
20
19
20
13
2
1
3
4
1
Rest mit je unter fünf Belegen (21 Lexeme): anleiter (2), botwarer, gipsære*, harpfære (BN), krebezer (BN) (2), lîrer (BN), merzeler (BN), phîfer (BN), phlanzære (BN), redære/redenære, riutære (BN), rœster (BN), spilære, topelære, volleister, vrâgære, vreveler (2), wehselære (BN) (5), wezzerer376 (BN), zeinler (BN) (3), zimberer* (BN) (2).
anleiter (›Anleiter, Vollzieher einer Anleite‹): ← aneleiten (9) sw.V., anleite (22) st.F.
...daz dem der rihter einen an laiter geb den er vordert v] sol der an laiter die an lait geben... (Corp. 3110, 336.42).
badære (›Bader‹): ← baden (4) sw.V., bat (3) st.N. ...daz wir vnser badestuben auf dem graben die maister Cunrat der bader vnde sin frau alhait von vns het ze lehen haben gelihen maister friderich vnde siner frauen veren... (Corp. 3263, 425.31).
_____________ 376 Vgl. DWB (27: 2384).
II.1.5. -er(e)
215
botwarer (›Verleumder‹): ← botwarn (›Verleumdung, Falschaussage‹) sw.V., botwar (›Falschaussage‹) st.F.
Ob ein man chlæglich ein maget / oder ein wip ansprichet · daz si mit im haimlich ze gelGbde sei chomen · vnd ze chon manne · in habe gelobet ze nemen · vnd gebristet dem der bewærGnge · vnd der bezevgGnge · vnd sein botwaren vor dem gerihte enbl=zzet wirt · dem botwarer sol man div zvnge auz dem halse sneiden · oder er ravme div stat · vnd ch=me nimmermer darin... (Corp. 2345, 456.3).
Die im Korpus nur im Wiener Stadtrecht vom 12. Februar 1296 belegte Bildung geht auf botwar, ein Lehnwort aus dem Tschechischen potvora ›Missgestalt‹, zurück (Lexer III Nachtr.: 98; DRW II: 439). Unter synchroner Betrachtung kann das Lexem über die korpusintern (bair.-öster.) belegten Lexeme botwar und das Verb botwarn, das nur im Textbeispiel und nur als Konversion vorliegt, motiviert werden. geltære (›Schuldner; Gläubiger‹): ← gelten (1135) st.V., gelt (1190) st.N.M. Da zN wellen wir v] gebieten vestichlich / daz nieman fMr deheinen gelter sin gelaitt svl gebn in die Stat ze Chamb · ez ensi dann des gelters wille (Corp. 1817, 133.19).
Wie schuldenære (vgl. die Argumentation dort) kann auch geltære neben ›Schuldner‹ auch ›Gläubiger‹ bedeuten und somit beide an einem Schuldgeschäft beteiligten Personen bezeichnen. Beide Bedeutungen sind prinzipiell mit den Paraphrasen ›jmd., der gilt, zahlt‹ und ›jmd., der Geld gibt‹ erfassbar, es ändert sich dann jeweils die Perspektive, wer als Zahler oder Geldempfänger angesehen wird.377 gewerer* (›Gewährsmann, Sachwalter‹): ← gewern2 (46) sw.V., wern2 (828) sw.V., gewer1 (390) st.sw.F. Da gebe ime der kunig hern Gerlachen von Bruberg sinen ammetman zu eime gewerer v] die gewer zG bescirhmenen also, daz er Conraden von Trimpberg vf daz hus ze Trimpberg v] vf allez daz dar zG horet geweren solte... (Corp. 1145a = N 408, 304.13).
Die bei Lexer nicht belegte Bildung gewerer* kann im Gegensatz zu werer (s.d.) auch über das Substantiv gewer ›Besitz, Besitzrecht‹ i.S.v. ›jmd., der die gewer beschirmt‹ motiviert sein. Drei weitere Kontexte in Urkunde N408 legen diese zusätzliche Motivation nahe. gipsære: ← gipsen sw.V. (Lexer I: 1019), gips st.M. (ebda.) ...mit rate Vnsirs Capitels / vnsirre Gothus dienestmanne / vnsirs Rates vnsirs gidigenes gemeinlich / der Murer der Gipser / der zimerlute der Vasbinden... (Corp. 155, 187.4).
helfære°: ← helfen (480) st.V., helfe (245) st.(sw.)F. _____________ 377 Vgl. Szadrowsky (1918: 79f.).
II.1. Derivationstypen
216
...daz diselben Herzogen / liplich vnd gNtlich mit einander leben sNln/ vnd einen frid mit einander haben fNr sich fNr alle ir helfer vnd diener si sin hoh oder nider... (Corp. 1549, 707.36).
Im Mittelhochdeutschen besteht noch die Möglichkeit, helfære morphologisch-semantisch zusätzlich über das Substantiv helfe zu motivieren378, während im Nhd. Helfer nur noch als deverbale Bildung zu helfen aufgefasst werden kann. klager°: ← klagen (306) sw.V., klage (278) st.(sw.)F. Beclaget ein burger den Andern vmbe schúlt so sol der rihter gebiettin dem Schúldener daz er sich setze mit dem clegere in den ahte dagin... (Corp. 1653, 779.34).
lederære (›Ledergerber‹): ← ledern (3) sw.V., leder (5) st.N. zevht sich / ein man · in den marht · von swanne der sei · v] gewinnet purchreht da inne · ist er / vleischer · eder ledrer · er sol niht sten · zv den anderen / Maisteren · des selben hantwerches · noh entar · vnz er / von den selben · daz vrloub · gewinnet... (Corp. 3068, 313.28).
Unter synchronen Gesichtspunkten muss auch das sekundäre Verb ledern ›gerben‹ als Basis von lederære berücksichtigt werden.379 mûrære: ← mûre (133)380 sw.M., mûren (18) sw.V. ...mit rate...vnsirs gidigenes gemeinlich / der Murer der Gipser / der zimerlute der Vasbinden / der waginer der wanner / der Trehsil... (Corp. 155, 187.4).
phender (›Pfänder, Pfandnehmer‹): ← phant (209) st.N., phenden (151) sw.V.
Swer den herzogen gepfent hat · daz sol er wider tNn · v] swas in der pfandunge verlorn w(re / das sol der pfender gelten · v] daz reht dar nach tNn (Corp. 1728, 48.28).
Bei phender kann grundsätzlich eine Motivation über das hochfrequente Substantiv phant (›jmd., der pfant nimmt‹) als auch über die in einigen Urkunden besser belegte verbale Basis angenommen werden. red(en)ære (›Redner, Ankläger; Anwalt‹): ← rede (565) st.F., reden (110) sw.V. Des sint zwischen vns redener gewesen... (0662b = N 253, 205.4).
In den Texten des Wilhelm-Corpus kann redære, redenære sowohl deverbal als auch desubstantivisch motiviert sein.381 rede bezeichnet meist die ›Stel_____________ 378 Das WMU (I: 820) weist die Form mit Vokal -e- als die weit überwiegende aus. Formen mit -i- finden sich vorwiegend bair. 379 Ich halte an dieser Entscheidung fest, obwohl das Verb nur als adjektivisch gebrauchtes Part. Prät. geledertiu hût (WMU II: 1105) im Korpus nachweisbar ist. 380 Die hohe Frequenz des Lexems mûre erklärt sich durch die häufigen Ortsbeschreibungen, in denen eine Mauer als Landmarke herangezogen wird. 381 Im heutigen Deutsch ist Redner in anderer Bedeutung nur desubstantivisch motivierbar.
II.1.5. -er(e)
217
lungnahme im Rahmen eines Rechtsverfahrens‹ (WMU II: 1416), also eine ›Gerichtsrede‹. Das Basisverb reden ist nicht auf Gerichtssituationen spezialisiert, es kann jedoch redære, redenære i.S.v. ›jmd., der [für einen vor Gericht] redet‹ motivieren.382 roubære (›Räuber‹): ← rouben (55) sw.V., roup (114) st.M. Swelic man gerouet wert dhe sal den rouere vredelos lecken so mach ene verwinnen oder mit der hanthachtigen dat (Corp. 95, 146.33). ...ist ez ein rovb so sol man vbir in rihten als vber ein roubere (Corp. 879W, 223.37).
schirmære (›Schutzherr; Gewährsmann‹): ← schirmen (273) sw.V., schirm
(265) st.M.
...daz si fNrbaz des Gvetes vnd der Stift voget / Schermer / vnd herren sein (Corp. 1860, 160.8).
spilære (›Spieler, Glücksspieler‹): ← spil (6) st.N., spiln (9) sw.V. Von den spilern: Swer vunden wirt spilende in eime win húse nach der dritten wacht glogken, der wirt git ein pfunt (Corp. 0610a = N 238A, 189.23).
tagedinger (›Vertreter vor Gericht, Schiedsmann‹): ← tagedingen (120)
(›Gericht halten; vor Gericht behandeln, aushandeln‹) sw.V., tagedinge (›Gerichtsverhandlung, -termin etc.‹) (310) st.F. Vber di sach alle verbáten wir allen den vorsprechen / vnd taidingæren / di in vnserem lande sint bi dem aide vnd fvmf pfvnden - daz si immer iht getaidingen / oder ertailn wider allen den vreitvm / vnd wider div reht div wir dem Gotshavs ze Ratenhaslach / enhant haben / vnd im gevestet haben mit vnseren bráven... (Corp. 2087, 299.17).
topelære (›Würfelspieler‹): ← topel st.M.N. (Lexer II: 1461f.), topelen sw.V.
(ebda.)
Wand got von himel · vnd di hiligen aller maist werdent gescholten an den Plætzen · da di toplær vnd di vræihait zvvart habent · di wilent in daz gerihte dienten · di wir durch vnser sele hail · vnd durch der Purger bete vGder taten · di verbieten wir vestichlich vnd ewichlich an allen steten in der stat (Corp. 2345, 454.5).
Das Lexem topelære kann durch topel ›Würfelspiel‹ und topeln ›würfeln‹ motiviert werden. Beide Lexeme sind nur bei Lexer nachweisbar. trœstere (›Helfer, Gewährleister‹): ← trôst (34) st.M., troesten, trôsten (19) sw.V. Des gib ich ime zainer sicherheit / Minen =haimen hern RGdolfen v] Gerien von Willer / mit mir vnverschaidenlichen / ze tr=stern v] ze wern... (Corp. 2042, 272.28).
vischer: ← visch (84) st.M., vischen (14) sw.V. _____________ 382 Vgl. DWB (14: 484, 1).
II.1. Derivationstypen
218
dar vber hant dez gotzhus livte die Vischere heizent solich reht · daz si s*lnt vische vachen durch daz jar v] svlnt da von dienin dem gotzhus... (Corp. 244B, 243.64).
Trotz der häufiger belegten substantivischen Basis visch ist die Bildung synchron auch über das Verb vischen motiviert. volleister (›Vollführer; Helfer‹): ← volleist (10) st.M.F., volleisten (6) sw.V. von erste wellen wir vnd ahten daz des selgeretes vnd gescheftes pfleger vnd vollaister sin / vnser Bvle Grave Cvnrat von abenberk... (Corp. 3368, 489.5).
Die Bildung volleister ist synchron als doppelmotiviert zu betrachten. Das Nomen postverbalium (Henzen 1965: 127) volleist ›Vollendung; Hilfe etc.‹ (Lexer III: 448f.) kann als mögliche Basis von volleister herangezogen werden. vrâgære: ← vrâgen (77) sw.V., vrâge (25) st.F. ...daz man di vorsprechen Nz den siben di vorgenant sint / nemen sol / vnd auch einer Nz den siben vrager sej (Corp. 1475, 661.34).
vreveler: ← vrevelen (18) sw.V., vrevele (81) st.F.M. ...v] swer in darúber huset v] hofet der mGs Pnserm herren geben drú pfunt fur die freueli daz er enen behalten hat der da vs gesrúwen ist der selbe freueler der sol die stat miden Jar v] tag... (Corp. 2596, 22.17).
Brendel et al. (1997: 247) führen freveler auf das in ihrem Korpus besser belegte Basissubstantiv zurück. Ich betrachte die Bildung als doppelmotiviert. wehselære (›(Geld-)Wechsler‹383): ← wehseln (58) sw.V., wehsel (145) st.M. Dit ist von den wechseleren die da sint zN Erforthe (Corp. 1161B, 439.44).
Die Motiviertheit der Agentivbildung wechselære lässt sich innerhalb der zitierten Urkunde gut nachweisen: Dit ist von deme wehsele zv Erforthe in der stat: ieman sal wechselen silber mit der wage vmbe phenninge / oder phenninge vmbe silber · danne zv dem Muntzemeistere... (Corp. 1161B, 439.30ff.).
Wenn auch die deverbale Paraphrase aus heutigem Verständnis naheliegender scheint, kann Doppelmotiviertheit von wehselære nicht ausgeschlossen werden. G. Instrumentativa (BV-er(e)4): ›das, womit man BV‹ Lexem phundære* seigære Gesamt
wmd 1 2 3
_____________ 383 Zum gesamten Tätigkeitsbereich des Wechslers vgl. etwa DWB (27: 2780ff.).
II.1.5. -er(e)
219
phundære*: ← punden sw.V. (Schiller-Lübben III: 386) ...die ansprache die sie hant gehabit / vmbe die wage / v] vmbe den fGndere / v] vmbe den zol / v] vmbe die munze / v] vmbe die Marauwe / v] vmbe alle die lehin die sie hattin in dem Burgfriden zv wor^ (Corp. 882, 247.24).
Entgegen der Bedeutungsangabe ›Waagemeister‹ des WMU (II: 1397) gehe ich bei phundære aufgrund des obigen Kontextes von einer Sachbezeichnung aus. Das Lexem punder (Schiller-Lübben ebda.) ›eine große Schnellwaage‹ ist aus dem lat. pondarium entlehnt. Ein synchroner Ableitungsbezug kann nur über das schwache Verb punden (Schiller-Lübben ebda.) hergestellt werden, punder könnte dann als Instrumentativbildung ›etw., womit man pundet‹ analysiert werden. Im Mittelniederdeutschen Wörterbuch von Schiller-Lübben werden jedoch neben einer Vielzahl von Belegen für punder nur vier Belege für das Verb angeführt. Trotz dieses ungünstigen Verhältnisses kann jedoch ein synchroner Bezug auf das Verb punden nicht ausgeschlossen werden, und das Lexem soll, wenn auch unter Vorbehalt, berücksichtigt werden. seigære (›Waage zur Prüfung des Münzgewichts‹): ← seigen sw.V. (Lexer II: 855f.) Dit ist von deme Seigere des Mvncemeisters. Ez in sal ouch nieman habin dicheinin seiger · dan der Mvncemeister (Corp. 1161B, 440.38f.).
Die synchrone Motiviertheit des Lexems seigære kann korpusextern nachgewiesen werden. Lexer (ebda.) verzeichnet unter dem Verb seigen den Beleg phenninge seigen in der Bedeutung ›wägen, u. die bessern aussondern‹. Die obige Textstelle, die das Lexem in seiner Verwendung im Bereich des Münzwesens zeigt, und der Beleg bei Lexer lassen die instrumentative Interpretation der Wortbildungsbedeutung des Lexems als ›etw., mit dem man seigt‹ akzeptabel erscheinen.384 H. Patientiva (BV-er(e)5): ›jmd., der BV wird‹ Lexem
Belege
marterære
19
alem
bair
6
8
alemschw 1
wmd
ofrk
IR5
2
1
1
marterære (›Märtyrer‹): ← martern (6) sw.V.; [marter/martyre (3) st.sw.F.] _____________ 384 Anders ist der Ansatz von Stricker (2000: 117), die das Lexem ebenfalls in ihrer Arbeit behandelt. In ihrer Paraphrase ›Sache, die als Bestandteil eine Größe enthält, die das in der Basis Genannte tut‹ berücksichtigt sie stärker die Etymologie des Basisverbs seigen, eines Kausativums der Bedeutung ›sinken machen‹ zum starken Verb ahd. sîgan, mhd. sîgen ›herabsinken, gleiten etc.‹ (DWB 16: 197). Lexer (ebda.) führt die Bedeutung ›wägen‹ von seigen auf »die wage sinken machen« zurück. Vgl. aber die Annahme romanischen Ursprungs von seigære im DWB (16: 196 s.v. seige).
II.1. Derivationstypen
220
Jndem Nivntem iar des tages / do di / siben brMder / vnd marterær / wurden gemartert (Corp. 1133, 419.30).
Die Belege des Lexems martære erscheinen ausnahmslos in Kontexten, die auf die Feiertage bestimmter Märtyrer Bezug nehmen. Nur der oben aufgenommene Beleg zeigt die Wortbildungsbasis in näherer Umgebung des Lexems. Das etwas häufiger belegte Verb und dessen Auftreten im unmittelbaren Kontextumfeld führen zur Klassifizierung des Lexems als Patientivum. Diese Funktion ist für -er(e) im Nhd. entsprechend selten und findet nur für Sachbezeichnungen Anwendung.385 Der ebenfalls mögliche Bezug auf das Substantiv marter würde zu einer Einschätzung der Bildung – wenn auch aufgrund der Paraphrase ›jmd., der die marter erleidet (!)‹ nur bedingt – als Agentivum führen.386 Aufgrund dieser Doppeldeutigkeit habe ich mich für die etwas wahrscheinlichere erstgenannte Lösung entschieden.387 I. Agentiva [DM] (BA/BS-er(e)6): ›jmd., der BA ist/ sich im Zustand der BS befindet‹ Lexem heimelîchære
Kg 1
heimelîchære (›Vertrauter, Bevollmächtigter‹): ← heimelich (15) Adj., heimelîche (4) st.F.
...so sollen wir / etewen / vnsern heimlicher / zG in senden / der in vFrlege / vnsern willen... (Corp. 2785A, 136.27).
Die vorliegende Bildung heimelîchære eröffnet, wenn sie auf das Adjektiv heimelich (15) zurückgeführt wird, eine Klasse deadjektivischer Agentiva auf -er(e), die im Deutschen nie richtig Fuß fassen konnte.388 Die Arbeiten zur frühneuhochdeutschen Wortbildung verzeichnen kaum Bildungen dieses Typs.389 Fleischer/Barz nennen nur Gläubiger (1995: 156), DW (1975: 64) führt ferner nur Schuldiger und Barfüßer in einer Restgruppe an. Die Adjektivbelege in der Bedeutung ›eng, vertraut‹ weisen u.a. dreimal die attributive Konstruktion heimelicher rât(gebe) auf, die inhaltlich der vorliegenden _____________ 385 Vgl. DW (1975: 415f.). 386 Vgl. Brendel et al. (1997: 259f.), die die Bildung aufgrund der Beleglage auf das Substantiv beziehen. 387 Döring/Eichler (1996: 188) erfassen diese Ambiguität in einem deverbalen Sonderfall. 388 Vgl. Brendel et al. (1997: 245), die dafür die partielle Homonymie mit der Adjektivflexion verantwortlich machen. 389 Döring/Eichler (1996: 189f.) führen als einziges Lexem dieses Typs in ihrem Korpus klugler an.
II.1.5. -er(e)
221
Agentivbildung ›Vertrauter, Bevollmächtigter‹ sehr nahe steht und in Anlehnung an die das -er(e)-Derivat gebildet worden sein könnte. Die besondere Nähe zum Adjektiv zeigt sich auch bei dem von Lexer verzeichneten Beleg ein heimlîch heimelîchære (I: 1217). Wilmanns (1899: 290) leitet heimelîchære von heimelîche (4) ›Vertrautheit, Vertrauensverhältnis‹ ab. Mit der Paraphrase ›jmd., der sich im Zustand der heimlîche befindet‹ kann auch dieser Motivationsbezug plausibel hergestellt werden, weshalb ich das Lexem mhd.-synchron als doppelmotiviert betrachte. J. Motionsbildungen (BS-er(e)7): ›männliches BS‹ Lexem
bair
witewer
1
witewer: ← witewe (112) st.sw.F. Man schol auch nieman twingen weder vrawen noch man zv eelichir heirat wider seinen willen · ist abir daz ain witwe ainen andern man nimt / an der vreunde rât / die urawen schol niht mer an geuallen weder erbis noch beraitschaft / wan als der chinde ainem · Ez ist auch vmme den witwer daz selbe reht (Corp. 1914, 187.27).
Der einzige Repräsentant für ein moviertes Maskulinum ist im Korpus das Lexem witewer. Auch im Frnhd. und Nhd. kommt dieser Bildungstyp nicht reihenhaft ausgeprägt vor.390 K. Agentiva (BZ-er(e)8): ›etw., das den Wert BZ hat‹ Lexem zweinziger
bair 1
zweinziger: ← zweinzec (829) Zw. ...vFnfhundert · March / an zwainczeg(rn / Meraner phenninge... (Corp. 2457, 520.6).
Entgegen Brendel et al. (1997: 262), die das vergleichbare zechner ›Münze, die den Wert zehn hat‹ desubstantivischen Bildungen mit einer haben_____________ 390 Für das Frnhd. verzeichnen Brendel et al. (1997: 540) in ihrem Korpus nur zwei movierte mask. Lexeme (tuber, kuter). Auch DW (1975: 64) gibt für das Nhd. nur wenige Beispiele als nicht reihenhaft vorkommend in einer Fußnote an, Gersbach/Graf (1984/85: 231) verzeichnen ebenfalls nur Witwer.
II.1. Derivationstypen
222
Prädikation zuordnen391, setze ich für diese Münzbezeichnung mit einem Zahlwort als Basis eine eigene Funktionsklasse an.392 L. Agentiva (BZ-er(e)9): ›einer von BZ‹ Lexem zwelver
bair 1
zwelver (›Mitglied des Zwölferkollegiums, einer von zwölf‹): ← zwelf (1725) Zw.
Swer dem rihter oder der zwelfer zwain frid ze vier wochen verzeihet der gelt an die Stat fMnf pfvnt... (Corp. 1975A, 229.22).
Grundsätzlich von dem Bildungstyp -er(e)8, das ein aus n-Teilen bestehendes Ganzes bezeichnet, ist die hier vorliegende Bildung zwelver zu unterscheiden. Das Wortbildungsprodukt bezeichnet ein Subjekt, das als Teil einer Gesamtheit gesehen wird, die aus zwölf Mitgliedern besteht bzw. durch die Zahl zwölf charakterisiert wird.393 Im weiteren Sinne zeigt sich hier die für die -er(e)-Bildungen nicht untypische Bezeichnung einer Zugehörigkeit (›jmd., der zu den BZ gehört‹), die sich in diesem Falle aber nicht etwa auf einen Ort bezieht, sondern auf eine gesellschaftliche Institution, die sich über die Zahl ihrer Mitglieder definiert. e. Diachroner Vergleich -er Funktionsklasse
Mhd. K-Urk
K-Dü
Frnhd. K-Wü
K-Erf
Agentiva (BS) Agentiva (BV/ Lexemgruppe) Agentiva [DM](BS/BV) Agentiva [DM](BA/BS) Agentiva (BZ)
51,4%
28,3%
16,8%
19,1%
20,9%
15,1%
36,8%
57,6%
81,7%
77,4%
47,1%
67,8%
9,8%
5,4%
-
-
6,8%
-
0,3%
-
-
-
-
-
Instrumentativa (BV)
Nhd. K-Ggespr. K-Ggeschr.
0,6%
-
-
-
0,5%
1,4%
0,5%
8,7%
0,4%
(0,9%?)
16,5%
10,2%
_____________ 391 Sie verfahren angeblich nach DW (1975: 62f.), wo aber in der Funktionsklassenübersicht zwischen -er6 (haben-Prädikation mit BS) und -er7 (Basiszahlwort) unterschieden wird. In dem beide Funktionsklassen umfassenden Kapitel werden Bildungen, die dem »Muster BZ-er7 (Z = Zahlwort)« folgen, als eigene Bildungen herausgestellt (a.a.O.: 393ff.). 392 Vgl. Wilmanns (1899: 293), Szadrowsky (1918: 6). 393 Vgl. Szadrowsky (ebda.), DWB (32: 1439f.).
II.1.5. -er(e) -er Funktionsklasse
Mhd. K-Urk
K-Dü
Frnhd. K-Wü
223 K-Erf
Nhd. K-Ggespr. K-Ggeschr.
Patientiva (BV)
0,3%
-
0,8%
0,9%
1,9%
Motion (BS)
0,3%
-
0,4%
0,9%
0,5%
-
-
-
-
-
3,9%
3,4%
Abstrakta (BV)
1,3%
Tabelle II.1.5.8. Funktionelle Verteilung der -er(e)-Derivate im diachronen Vergleich
Ein prozentualer Vergleich der funktionellen Verteilung von -er(e)/-er in den unterschiedlichen Teilkorpora ist aufgrund verschiedener Faktoren nur bedingt möglich. 1. Das WMU, die Hauptquelle für die Erfassung der Lexeme und Belege des Urkundenkorpus, verzichtet auf die systematische Aufnahme von ›Herkunftsbezeichnungen‹ des Typs Ingolstädter auf -er. Bei dieser zu den Agentiva (Subjektbezeichnungen) zählenden Gruppe ist innerhalb des Korpus mit hohen Lexem- und Belegzahlen zurechnen, da diese Bezeichnung nach dem Herkunftsort ähnlich wie die Berufsbezeichnungen häufig als identifizierende Beinamen verwendet wurden. Für die desubstantivischen Agentiva ist daher aufgrund der Textsorte ›Urkunde‹ mit noch höheren Lexemzahlen zu rechnen. 2. Das unterschiedliche methodische Vorgehen der Bearbeiter der einzelnen Korpora hinsichtlich der Behandlung von doppelmotivierten Bildungen und Lexemen aus derivierten Wortgruppen (Zusammenbildungen) ermöglicht diesbezüglich nur eingeschränkte Vergleichsmöglichkeiten.394 3. In den einzelnen Untersuchungen wird -ner und -ler teilweise Suffixstatus zugesprochen395, teilweise werden sie, wie in dieser Arbeit, als Allomorphe zu -er behandelt396, so dass auch hier ein Vergleich erschwert wird. Der deutlichste Unterschied zwischen dem Urkundenkorpus und den Vergleichskorpora zeigt sich in der primären Verwendung von -er zur Bildung desubstantivischer Agentiva. Trotz des relativ großzügigen Aus_____________ 394 Um eine bessere Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wurden die bei Müller (1993a: 243f.) und Döring/Eichler (1996:184f.) gesondert aufgeführten derivierten Wortgruppen (auch die bei Müller als doppelmotiviert analysierten) zu den deverbalen Agentiva hinzugezählt. Bildungen dieser Art werden in den anderen Arbeiten nicht extra aufgeführt (zu DW und Gersbach/Graf vgl. Müller 1993a: 259). Ein Vergleich der bei Müller und Döring/Eichler genannten Zahlen mit denen des Urkundenkorpus ergibt folgendes Prozentverhältnis: Agentiv (Basis-Lexemgruppe): Urkundenkorpus 7,1%, Dürer-Korpus 31,5%, K-Erf 20,9%. 395 Brendel et al. (1997: 268ff., 274ff.), Gersbach/Graf (1984/85: 190f.) und DW (1975: 64f., 66f. u.ö.) behandeln -ner und -ler als eigene Suffixe. Der hier durchgeführte Vergleich bezieht sich nur auf die anhand der genannten Arbeiten ermittelten Prozentverhältnisse zum Suffix -er. 396 Vgl. Müller (1993a: 46f.), Döring/Eichler (1996: 180ff.).
224
II.1. Derivationstypen
schlusses zweifelhafter Bildungen verbleibt eine hohe Anzahl von Lexemen, die nur in Verbindung mit (Vor)Namen auftreten und vermutlich als Beinamen auf den Beruf des Bezeichneten verweisen. Der Befund stellt also eine textsortenbedingte Abweichung zu den anderen Korpora dar. Einzig das Dürer-Korpus zeigt aufgrund der handwerklichen Ausrichtung seiner Texte eine vergleichsweise hohe Prozentzahl desubstantivischer Agentiva. Das Auftreten der deverbalen Agentiva erst an zweiter Stelle ist ein Befund, der sich mit keiner anderen Untersuchung zum Frnhd. und Nhd. deckt. Insgesamt sind deverbale Bildungen mit insgesamt nur 37,6% der Lexeme im Verhältnis zu den anderen Korpora deutlich unterrepräsentiert. Es ist sicherlich aufgrund der genannten Umstände schwierig, anhand dieses Ergebnisses zuverlässige Aussagen über einen Wandel von -er(e) von einem primär Substantive ableitenden Suffix zu einem Suffix für hauptsächlich deverbale Bildungen zu machen, auch wenn sich dieser Wandel sprachgeschichtlich so vollzogen haben mag.397 Es zeigt sich also zum Frnhd. hin ein Vordringen der deverbalen Bildungen. Gemeinsamkeiten mit den anderen Korpora (außer dem DürerKorpus, in dem -er nur bifunktional verwendet ist) zeigen sich in der Polyfunktionalität von -er. Die größte Übereinstimmung zeigt sich dabei mit dem Würzburger und Erfurter Korpus. Auch dort werden fast ausschließlich Agentiva gebildet, und die Prozentzahlen für Instrumentativa und Patientiva bleiben zusammen unter zwei Prozent. Motionsbildungen bleiben in allen Korpora, in denen sie nachweisbar sind, unter einem Prozent.398
II.1.6. -er(îe)/-eie a. Lexembestand (6) abbeteie (23) brobestîe (8) kusterîe (5) phisterîe vischerîe (3) vogetîe° (41/564)
Nicht behandelt wird das Lexem latenîe*, das laut dem WMU (II: 1093) die Gemeinschaft der Hintersassen bezeichnen soll (vgl. DWB 12: 212 s.v.
_____________
397 Vgl. Henzen (1965: 159), Wilmanns (1899: 285ff.). 398 DW (1975: 62ff.) führt sie nur in einer Restklasse.
II.1.6. -er(îe)/-eie
225
Lasse). Die Lautform mit -t- könnte nur über die niederdeutsche Form lat (vgl. Schiller-Lübben II: 634) des Lexems erklärt werden, die allerdings für die alem.-schwäb. Belegurkunde (Corp. 2326) kaum anzunehmen ist. Da dies der einzige Beleg des Lexems, nicht nur im WMU sondern wohl im Deutschen überhaupt ist, und der Beleg in der Zeugenliste keine ausreichend zuverlässige Aussage über die Lexembedeutung zulässt, muss das Lexem unberücksichtigt bleiben. b. Morphologie Die an dieser Stelle behandelten Suffixformen -îe und -eie dürfen streng genommen nicht als Allomorphe behandelt werden, da weder das Kriterium der phonologisch-graphemisch geringen Strukturvarianz noch der komplementären Distribution zutreffend ist.399 Auch die Frage nach dem etymologischen Zusammenhang ist nicht bis ins Letzte zu klären (vgl. Öhmann 1966: 246f.). Dennoch sollen beide Morpheme gemeinsam behandelt werden, zumal in der Wortbildungsforschung die Form mit -ei- als »ältere Nebenform« (Henzen 1965: 186) zu -îe angesehen wird. -îe ist über die Vermittlung aus dem Mlat. ins Deutsche gekommen und gelangt vor allem durch weitere mit demselben Suffix gebildete Lehnwörter aus dem Afrz. im 13. Jh. zu größerer Bedeutung auch als Suffix für die Lehnwortbildung (vgl. Öhmann 1966: 245). Die Lexeme auf -eie bleiben in ihrer Anzahl auf wenige Wörter religiös-gelehrter Prägung beschränkt. Schließlich werden auch die -eie-Bildungen, die schon seit dem 11. oder 12. Jh. im Deutschen verbreitet sind (abbeteie, municheie, pfistreia, probstei, uogitteie), allmählich durch das sich als produktives Suffix etablierende -îe verdrängt.400 Das geringe Vorkommen von Derivaten mit dem Lehnsuffix -îe im Korpus ist sicherlich mit der Textsorte ›Urkunde‹ erklärbar, da -îe vor allem als charakteristisches Merkmal der höfischen Dichtersprache und von ihr beeinflussten Textgattungen gilt.401 Bis auf das deverbal gebildete Lexem vischerîe, das als einziges eine indigene Lehnbildung mit dem erweiterten Suffix -erîe darstellt402, sind alle anderen Bildungen Lehnwörter. Da ihre substantivischen Basen jedoch als vollständig ins mittelhochdeutsche Lexikon integriert gelten können, sind sie als Suffixbildungen analysierbar. Alle Bildungen sind feminin. Die Beurteilung, ob als Suffix -eie oder -îe vorliegt, bereitet vor allem in den diphthongierenden Sprachregionen (Bair. und IR1) Schwierigkeiten. _____________ 399 400 401 402
Vgl. Müller (1993a: 46f.). Vgl. Öhmann (1966: 246). Vgl. PWG (1998: §9.1.). Zur Entstehung von -erîe vgl. v.a. Öhmann (1973), zu vischerîe vgl. a.a.O.: 414.
II.1. Derivationstypen
226
Mit den graphischen Realisierungen des Diphthongs mit dem Vokal -awird wohl schon, wie für das Bair. in frnhd. Zeit charakteristisch, die gesenkte Form des alten Diphthongs /ei/ in Differenzierung zum neuentstandenen Diphthong /ei/ < /ī/ angezeigt.403 Der Befund im Alem. würde dadurch durch das Bair. eine weitgehende Bestätigung erfahren. Den alem. -ei-Formen in abbeteie und brobestîe entsprächen die bair. -aiGraphien. Wie das Alem. würde dann auch das Bair. bei vogetîe beide Formen aufweisen, während bei abbeteie nur das Alem. -îe-Belege aufwiese. kusterîe, phisterîe und vischerîe wären dann korpusintern relativ eindeutig als -îe-Bildungen zu werten. Lexem
alem
bair
abbeteie
-ei (6), -eia, -eie (7), -eige (4), -ige (2) -ei (3), -eie (2), eige -ige, -ie -ige -erie -æie (2), -ai, -aie, -ig, -aye, -ei, -eie (5), -ige, -ye (5), -yge
-aîe, -ay
brobestîe kusterîe phisterîe vischerîe vogetîe
-ay -ei -aá, -ay, -Öi, -ey, -eye
alemschw -ai (2), -aige
ofrk
IR1
wmd
IR3
-
-
-
-
-eie -ie (3)
-ei, -æi -erie (2) -ay -ie
-ay
wmd/ alem -ein -
Tabelle II.1.6.1. Suffixmorphologie der -(er)îe/-eie-Derivate
Die häufig nachweisbaren Suffixformen mit -g- deuten vermutlich auf ein dialekttypisches Merkmal im Alem. hin, wo seit »alter Zeit […] g als Bildungsconsonant an Stelle von j verwandt« wird (Weinhold 1863: 182, Belege dort u.a. vogtayg, eppetîge). Die schließlich von Weinhold (ebda.) angeführten Reimpaare lassen auch auf eine plosive Aussprache von -gschließen. c. Motivationsdichte Für alle Lexeme ist die Basis synchron eng-syntopisch im Korpus nachweisbar (Basisrang 1).
_____________ 403 Vgl. Bürgisser (1987: 73ff.). Ferner vgl. Gr.Frnhd. (I,1: 168), PWG (1998: §159, 13) und Hartweg/Wegera (1989: 104) und in dieser Arbeit die Ausführungen bei -heit (Morphologie).
II.1.6. -er(îe)/-eie
227
d. Wortbildungsfunktion Funktionsklasse A. Lokativa -îe/eie1 B. Abstrakta -îe/eie2 C. Abstrakta -îe/eie3 Gesamt
Paraphrase
Basiswortart
›Verwaltungsbereich von BS‹ ›Tatsache, dass jmd. BS ist‹ ›Tatsache, dass jmd. BV‹
Substantiv
Lexeme / Belege Anzahl Prozent 5/298° 71,4/49,3
Beispiel
Substantiv
abbeteie, kusterîe vogetîe1°
Verb
vischerîe
1/303°
14,3/50,2
1/3
14,3/0,5
7/604°
Tabelle II.1.6.2. Funktionelle Verwendung der -(er)îe/-eie-Derivate
A. Lokativa (BS-(er)îe/-eie1): ›Verwaltungsbereich/Arbeitsplatz von BS‹ Lexem abbeteie brobestîe kusterîe phisterîe vogetîe2° Gesamt
Belege
alem
bair
wmd
IR1
ofrk
23 8 5 1 19 (261°) 56 (298°)
19 6 2 1 6 34
3 1 1 9 14
1 1
2 2
1 3 4
wmd/ alem 1 1
abbeteie (›Abtei‹): ← abbet (1660) st.M. v] svlent daz kvnt dNn der abtissen oder dem conuent, ob die abtige asezze ware (Corp. 0567a = N 226, 173.24).
brobestîe (›Probstei‹): ← brobest/probst (730) st.M. …vnde sagen auch an disen geinwertigen briefe Hern Heinrich von Crentse vnde vern GGthen sin Eliche frouwen / vnd ir erben ledic vnde l=s alles des zinses den sie solten geben alle iar vnser probesteie von árme houe in vnserm dorfe zu stokheim vnde von anderm irme gGthe… (Corp. 2958, 239.32).
kusterîe (›Küsterei: Vermögensverwaltung eines Klosters‹): ← kuster (139) st.M.
…die múli dú aller nehst dir nit lit · von der der Custerie ellú iar ze sant Martins dult drú malter kernen v] drú roggen stainer messes ze zinse gant (Corp. 2440, 509.11).
phisterîe (›Bäckerei‹): ← phister (40) st.M. Des cornes, daz alzo vnz von deme vergenanten Huge geentwirtet wirt, oder aber von sinen kinden, des horent zwie vnde vierzic d) probest an v] sehzic die gemendv in die pfisterige (Corp. 0152b = N 106, 77.32).
vogetîe2° (›Vogtei‹): ← voget (1150) st.M.
II.1. Derivationstypen
228
Jch vergihe ?ch dem vorgenanton mime =haim / daz in fûnfe v] sehzzig march gúlt / der ich în bewisen sol · als da vor gescriben ist / der halpteil / der vogtye von eigenscheft v] swaz dar zG h=ret / an lút / v] an gGt / ze beiden hall?wen / dem obern / v] dem nidern / v] ze hemmendal begriffen ist /… (Corp. 2021, 260.30). Ouch han wir jnen gegeben v] geben mit disem briefe ze varnde v] ze nîessende den luten die das gut buwent gemeinsamj holz velt wnne v] weide / vf vnser vogteje swa dv da lit / · (Corp. 2126, 319.18).
Bei der Ermittlung der lexikalischen Bedeutung des Lexem vogetîe treten Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von lokaler und abstrakter Bedeutung (›Vormundschaft‹) auf, auch wenn sich beide Bezeichnungsfunktionen mit eindeutigen Beispielen im Korpus belegen lassen. 19 Belege werte ich als Toponyme, während für 22 Belege abstrakte Bedeutung angenommen wird. B. Abstrakta (BS-(er)îe/-eie2): ›Tatsache, dass jmd. BS ist‹ Lexem
Belege
alem
bair
alem-schw
IR1
IR3
vogetîe1°
22 (303°)
13
4
3
1
1
vogetîe1° (›Vogtamt, Vormundschaft‹): ← voget (1150) st.M. v] sol in der herzoge losen · als hie vor beschaiden ist· swa er in hat versezzet · Vmme die fogtaige · die her kraft von Tachenhusen / vber ainer Burgerinún gGt von kirchain ze Tetinhat (Corp. 1728, 48.42).
C. Abstrakta (BV-(er)îe/-eie3): ›Tatsache, dass jmd. BV‹ Lexem
Belege
alem
wmd
vischerîe
3
1
2
vischerîe (›Fischerei‹): ← vischen (14) sw.V. die Nuwestat…mit allendeme / daz dar zN gehoret / Dorf / wazzer / weyde / wyse / welde / felt v] acker MGlen / wazzerlauf / fischerie / wiltbende / gerihte / gesuht / vnde vngesuht/ vnde allez daz / daz vnser Selige vater der vorgenante LGdewig besezzen hatte (Corp. 1919A, 190.41).
Lexer weist für das Lexem vischerîe nur abstrakte Bedeutung i.S.v. ›Fischerei, das Recht zu fischen‹ nach.404 Die Belege des Derivats könnten in den vorliegenden Belegen jedoch auch in lokativer Verwendung vorliegen (vgl. _____________ 404 Vgl. Öhmann (1973: 414), ferner auch DRW (III: 553, s.v. Fischerei).
II.1.6. -er(îe)/-eie
229
vischenze). Ich entschließe mich aufgrund der Unbestimmtheit der Belege jedoch dazu, das Lexem als Abstraktum zu werten. Hinsichtlich der Bildungsbasis ist der Bezug auf das Verb vischen am wahrscheinlichsten, das Derivat erweist sich somit als -erîe-Bildung.405 Wenn auch m.E. ein zusätzlicher Bezug auf visch als Basis nicht auszuschließen ist, wird er doch im Zusammenhang mit vischerîe in der Wortbildungsliteratur nicht diskutiert und soll deshalb auch an dieser Stelle formal unberücksichtigt bleiben. e. Diachroner Vergleich -(er)îe/-eie Funktionsklasse Abstrakta (BV) Abstrakta (BS)
Mhd. K-Urk 14,3% (1) 14,3% (1)
K-Dü 25% (1) 25% (1)
Frnhd. K-Wü 46,9% (15) 40,6% (13)
Lokativa (BV)
-
-
-
-
17,1% (14)
8,1% (39)
Lokativa (BS)
71,4% (5)
-
-
10,0% (2)
25,6% (21)
7,3% (35) 2,9% (14)
K-Erf 64,3% (9)
Nhd. K-Ggespr. K-Ggeschr. 43,9% (36) 55,8% (268) 7,3% (6) 19,4% (93)
Kollektiva
-
-
-
-
3,7% (3)
Patientiva (BS)
-
-
-
10,0% (2)
2,4% (2)
1,5% (7)
Patientiva (BV)
-
25% (1)
-
-
-
5,0% (24)
Instrumentativa
-
25% (1)
3,1% (1)
5,0% (1)
-
-
Tabelle II.1.6.3. Funktionelle Verteilung der -(er)îe/-eie-Derivate im diachronen Vergleich
Ein diachroner Vergleich ist aufgrund der geringen Lexemmenge im Urkundenkorpus kaum möglich. Als Gesamteindruck lässt sich in der Gegenüberstellung406 jedoch feststellen, dass im Verhältnis zu den historischen Korpora die Anzahl der Bildungen zum Nhd. ebenso zunimmt wie die funktionelle Vielfalt des Suffixes. Die historischen Korpora zeigen zwischen drei und vier verschiedene Funktionsklassen, während die nhd. Korpora einmal sechs und einmal sieben Funktionsklassen aufweisen. Die funktionelle Hauptleistung des Suffixes im Urkundenkorpus, die Bildung _____________ 405 Die Behauptung Öhmanns (ebda.), dass das Lexem erst für das 14. Jh. belegt sei, ist mit dem Korpusbefund revidiert. 406 Die Angaben wurden den jeweiligen Arbeiten entnommen (Müller 1993a: 360f.; Brendel et al. 1997: 536f.; Döring/Eichler 1996: 219; Gersbach/Graf 1984/85: 192; DW 1975: 68f.). Für den Vergleich wurden die bei Brendel et al. getrennt aufgeführten desubstantivischen Abstrakta -ei2 und -ei3 zusammengerechnet, die Sonderfälle bleiben unberücksichtigt. Unter Berücksichtigung der Vorgehensweise von Döring/Eichler wurden alle Abstrakta zusammengerechnet, die angeführten Lehnwortbildungen wurden nicht miteingerechnet. Die bei Gersbach/Graf angeführte Restgruppe wird nicht erfasst, doppelmotivierte Lokativa (BS/BV) werden in Angleichung an DW als verbale Bildungen behandelt. Die in DW vorkommenden Restgruppen werden ebenfalls nicht in den Vergleich miteinbezogen. Die desubstantivischen Patientiva der Gruppen -(er)ei8 und -(er)ei4 wurden miteinander addiert.
II.1. Derivationstypen
230
desubstantivischer Lokativa, rangiert im Korpus der gesprochenen Gegenwartssprache an zweiter Stelle (25,6%), in der geschriebenen Gegenwartsprache liegt das Suffix in dieser Funktion auf dem vierten Platz (7,3%). Abstraktbildungen mit -(er)ei nehmen in den Vergleichskorpora unabhängig von der Basiswortart die Spitzenposition ein. Das Urkundenkorpus belegt hier nur zwei Bildungen. Instrumentativbildungen fehlen im Urkundenkorpus wie in den Korpora zur Gegenwartsprache ganz. Die Korpora zum Frnhd. buchen in dieser Funktion jeweils ausschließlich das Lexem Arznei. Kollektiva sind nur in den gegenwartsprachlichen Korpora nachweisbar.
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit) a. Lexembestand (70) barmherzekeit bescheidenheit1° (7/41) bôsheit (2) edelkeit engegenwurticheit* ganzheit gerehtecheit (2) gewisheit (29) heilecheit kintheit kristenheit (14) ledecheit (2) miltecheit (6) redelîcheit (1) sælicheit (11) sicherheit2° (4/18) stætecheit1° (35/169) tumpheit unstætecheit (3) vergezzenheit (2) verrihticheit (3) vorbedæhticheit wârheit° (53/312) wonheit
bedæhtikeit bescheidenheit2° (41/239) drîvaltecheit (7) einhellecheit/-hellekeit (2) êrbærkeit gegenwertecheit (4) gewarheit (22) gewonheit° (76/370) heimelîcheit krancheit1 (5) kuonheit manheit nôtecheit (2) rehtecheit (6) schalcheit (3) sihticheit* stætecheit2° (1/5) übeltætekeit* valschheit vergezzicheit versûmecheit vrîheit° (22/176) wirdecheit
berihtikeit bestætecheit (15) dürfticheit einmüetecheit êwicheit (4) gelegenheit (8) gewarsamecheit gîtecheit irrecheit krancheit2 (4) lazheit menschheit (6) phafheit (27) rîchheit sicherheit1° (39/177) smâcheit (4) trunkenheit ungehôrsamecheit verdrozzenheit vernünsticheit vestecheit (17) vürsihticheit (2) wîsheit (10)
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
231
Vier Lexeme des Bestandes sind jeweils verschiedenen Basiswortarten zuzuordnen. Drei Lexeme treten als deadjektivische oder deverbale Bildungen im Korpus auf, ein Lexem ist in einer Bedeutung in einigen Kontexten nur deadjektivisch beschreibbar, in anderen liegt substantivischer Bezug näher. Dieses Phänomen lässt sich nicht mehr adäquat als Polysemie beschreiben, es ist von homonymen Bildungen (gekennzeichnet durch hochgestellte Ziffern) auszugehen. Die vier betroffenen Lexeme werden deshalb zweimal gezählt, wodurch sich eine Gesamtlexemzahl von 70 statt 66 Lexemen ergibt. Keine Aufnahme fanden die Bildungen êwirdicheit, gebrechlicheit und vrîheit st.M. êwirdicheit ›Rechtmäßigkeit‹ kann synchron semantisch nicht über das im WMU belegte Basisadjektiv êwirdic ›ehrwürdig‹ motiviert werden, das laut Lexer (I: 717) »wol nur eine alte verwechslung« mit êrwirdec darstellt.407 Das Lexem ist daher nicht als motivierte -heit-Bildung analysierbar. Zu erwägen ist die Möglichkeit, dass es sich um ein Kompositum aus êwe/ê ›Gesetz, Recht etc.‹ (vgl. WMU I: 539) und dem Lexem wirdecheit (1) handelt. Aber auch diese Annahme bleibt spekulativ. gebrechlicheit ist nur in in einer gefälschten Urkunde aus dem 14. Jh. (Corp. 222AB) belegt, die aus der Materialgrundlage dieser Untersuchung ausgeschlossen wurde. Hinsichtlich der Bildungsweise des einmal belegten Lexems vrîheit408 st.M. ›Vagabund, Landstreicher‹ bestehen in den Wörterbüchern verschiedene Ansichten. Das DWB (4: 122) und Schmeller (1: 815) gehen von einer Entstellung aus vrîhart aus, Lexer (III: 517, s.v. vrîhart) hingegen grenzt sich von dieser Beurteilung ab und nimmt die entgegengesetzte Entwicklung (vrîhart aus vrîheit) an. Unabhängig von dieser Beurteilung lässt sich das Lexem jedenfalls aus synchroner Sicht nicht in ein anderes bei -heit beobachtbares Bildungsschema einreihen. Andere als Subjektbezeichnungen klassifizierte -heit-Bildungen treten nur in der Personenanrede auf und behalten das feminine Genus des Adjektivabstraktums bei, wie es bei metonymischer Übertragung üblich ist.409 Es muss offen bleiben, ob es sich hier eventuell um ein Determinativkompositum mit dem freien lexikalischen Morphem heit st.M. ›persona‹ (Lexer I: 1224) handelt (›freie Person‹), das lt. Lexer (ebda.) aber nur noch in ëbenheit ›Genosse‹ vorkommt. _____________ 407 Auch die Bedeutung von êwirdecheit umschreibt Lexer (ebda.) mit reverentia. 408 »Wand got von himel · vnd di hiligen aller maist werdent gescholten an den Plætzen · da di toplær vnd di vræihait zvvart habent · di wilent in daz gerihte dienten · di wir durch vnser sele hail · vnd durch der Purger bete vGder taten · di verbieten wir vestichlich vnd ewichlich an allen steten in der stat« (Corp. 2345, 454.5). 409 Interessanterweise verbucht Lexer (ebda.) ein feminines vrîheit als Bezeichnung für eine weibliche Landstreicherin. Es ist also wohl von einem natürlichem Geschlecht der Bildungen auszugehen.
II.1. Derivationstypen
232
b. Morphologie 1. Suffixetymologie Das Suffix -heit (-keit, -ekeit/-icheit) war ursprünglich ein selbständiges Wort mit der Bedeutung ›Art und Weise, Beschaffenheit, Person, Stand, Rang, Ehre‹.410 Im Mhd. hingegen hat es schon weitgehend den Status eines freien lexikalischen Morphems gegen den eines Suffixes oder suffixartigen Wortbildungsmorphems eingetauscht.411 heit kommt mhd. als Substantiv nur noch vereinzelt vor412, im Korpus ist das Lexem nicht belegt.413 Als Suffix zur Bildung von femininen Abstrakta tritt -heit zunächst an vorwiegend persönliche Substantive (z.B. phafheit, manheit, kintheit)414, schon ahd. aber vor allem an Adjektive. »Im Mhd. verlagert sich das Schwergewicht der Wortbildung mit -heit endgültig auf das Gebiet der Adjektivabstrakta: Die -i und -ida-Suffixe der alten Adjektivbildungen werden jetzt durch -heit ersetzt [...]. -heit wird zum produktivsten Adjektivabstraktsuffix im Deutschen und hat sich als solches bis heute immer mehr ausgebreitet« (Piltz 1951: 8f.).
Besonders beliebt war -heit als Abstraktsuffix bei den theologischphilosophischen Schriftstellern des 13. – 15. Jh.s vor allem in Verbindung mit Adjektiven auf -ec.415 Bildungen zum Partizip Präteritum der starken (später auch der schwachen) Verben werden im Mhd. geläufig, »weil dieses dieselbe Form hat wie geläufige Adjektive und kaum von ihnen zu trennen ist« (Wilmanns 1899: 388). Vereinzelt erwähnen Wortbildungslehren für historische Sprachstufen -heit-Bildungen zu aktiven Nominalformen des Verbs (Infinitiv, Part. Präs.) oder zum Verbstamm.416 Die Möglichkeit, mit -heit Handlungs- und Vorgangsabstrakta zu bilden, wie sie sich für das Mhd. und das Frnhd. bietet, ist im Nhd. nicht mehr vorhanden.417 _____________ 410 Zur Verwendung im Ahd. und in anderen germ. Sprachen vgl. Erben (2006: 145f.). 411 A.a.O.: 146 und Oberle (1990: 76f.). 412 Erben (2006: 146) nennt als einen der letzten literarischen Gewährsmänner Oswald von Wolkenstein (ca. 1377 – 1445). 413 Eventuell handelt es sich jedoch bei vrîheit st.M. ›Vagabund‹ noch um eine Komposition mit dem mask. heit i.S.v. ›Person‹. 414 Vgl. Wilmanns (1899: 383f.), der auch seltene ahd. und mhd. Bildungen zu sächlichen Substantiven aufführt (S. 384). Dieser Typus fehlt im Urkundenkorpus (vgl. aber die idiofunktionalen Bildungen) und Bildungen dieser Art sind später wieder untergegangen (ebda.; vgl. auch Henzen 1965: 188). 415 Vgl. Weinhold (1883: 284). 416 Vgl. hier v.a. Weinhold (1883: 284), Wilmanns (1899: 389) und Grimm II (1878: 694). 417 Vgl. die Untersuchung von Doerfert (1994: 180ff.) und Brendel et al (1997: 330ff.) für das Frnhd. und die Ergebnisse dieser Untersuchung.
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
233
Die Entwicklung der allomorphischen Varianten -keit und -ekeit/-icheit, soll hier nur in aller Knappheit und nur für den hier relevanten Zeitraum dargestellt werden.418 Das Suffix -heit tritt schon ahd. besonders häufig an mit ahd. -ag/-īg abgeleitete Adjektive419, im Mhd. nimmt die Zahl der Ableitungen zu Basisadjektiven auf mhd. -ec/-ic weiter zu. Im Mhd. konnte durch Verschiebung der Silbengrenzen und lautliche Assimilationsprozesse an der Bildungsfuge -c + h- zum Frikativ ch oder aspiriertem k verschmelzen420, was dann dazu führte, dass -keit oder -cheit als eigenständige Form aufgefasst wurde.421 Das Nebeneinander von Adjektiven mit und ohne Ableitungssuffix -ic bei gleichem Grundmorphem (z.B. gîric : gîr) ermöglichte es den Sprechern, Ableitungen zu suffigierten Adjektiven auf deren unsuffigierte Entsprechung zu beziehen (gîricheit: gîric + -heit oder gîr + -icheit). Diese Morphemkombination entwickelte sich zu einem eigenen Suffixallomorph, das nun auch an Adjektive treten konnte, für die keine entsprechende Form auf -ec/-ic nachweisbar ist (z.B. miltecheit ← milde, milte).422 2. Suffixmorphologie 2.1. Diphthonggraphie Graphie
Bel.
alem bair
a-s
IR1 ofrk wmd omd Kg
< Ü>
320 176 14 10 6 5 2 2 1 1
142 46 10 2 1 5 2 1 -
7 10 4 -
4 18 -
80 97 8 1 1
14 1 -
27 2 -
4 1 -
32 2 1 -
IR2 IR3 IR4 IR5 nd 1 1 -
2 1 -
3 -
1 -
3 2 -
Tabelle II.1.7.1. Diphthonggraphie im Suffix-heit (-keit, -ekeit/-icheit)
_____________ 418 Verwiesen sei hier v.a auf die umfangreiche Darstellung von Oberle (1990: 76f.) und ferner die zusammenfassende Darstellung bei Doerfert (1994: 33ff.). 419 Vgl. Henzen (1965: 189), Oberle (1990: 77). 420 Zur sprachlandschaftlichen Verteilung dieser Varianten siehe die zusammenfassende Bemerkung nach der Auswertung der einzelnen Allomorphe. 421 »Althochdeutsch -ag-heit oder -îg-heit wurde mittelhochdeutsch zu -ec-heit und verschmolz zu (spät-)mittelhochdeutsch und frühneuhochdeutsch -ekeit und -ikeit, neuhochdeutsch keit. Aus mittelhochdeutsch -(e)c + -heit wurde phonotaktisch das neue Suffix -keit« (Oberle 1990: 78). 422 Für historische Sprachstufen muss hinsichtlich solcher Aussagen jedoch immer die Problematik des Belegzufalls berücksichtigt werden.
234
II.1. Derivationstypen
Anhand der obigen Übersicht lässt sich eine nach Sprachlandschaften differenzierbare unterschiedliche graphische Realisierung des Suffixdiphthongs beobachten. Relative Einheitlichkeit besteht hinsichtlich der Verwendung des Digraphen im Md., Ofrk. und in den sprachgeographisch nicht zuweisbaren Königsurkunden.423 Im Alem., Bair., Alem.Schwäb. und IR1 hingegen findet sich neben häufig der Digraph . In den drei letztgenannten Sprachgebieten stellt er sogar die Leitform dar. Eine genauere Untersuchung der alem. Urkunden zeigt, dass die Graphie bis auf eine Ausnahme (Straßburg) nie im Elsass auftritt, aber im Bodenseeraum (z.B. Konstanz) und im Gebiet der heutigen Schweiz (z.B. Kanton St. Gallen) nicht selten ist.424 Unsicher bleibt die Bewertung von und vergleichbaren Schreibungen im Bair. und Schwäbischen. Ob anhand dieses Befundes der graphischen Realisierung schon auf sich andeutende frnhd. Verhältnisse geschlossen werden darf, muss hier unbeantwortet bleiben.425 Zehn Belege des Belegmaterials zeigen im Suffix statt eines Diphthongs die Vokalgraphie als geschwächte Form der Nebensilbe.426 Der Vergleich mit dem Frnhd. (14. bis 16. Jh.) zeigt ein gehäuftes Vorkommen dieser Graphien im Md., während im Obd. und dominieren.427 Prozentual gesehen stimmt diese Aussage mit dem Korpusbefund überein, wenn die wenigen Belege für das Md. auch keine ausreichende Basis für zuverlässige empirische Aussagen sind. Rund 8,8% der md. Belege (3 von 34), aber nur 3,4% der alem. Belege weisen die
_____________ 423 Die Graphien in den anderen Sprachgebieten sollen hier aufgrund der geringen Belegfrequenzen unberücksichtigt bleiben. 424 Für den Zeitraum von 1350–1700 ist im Elsass und im Osthochalemannischen vorwiegend die Graphie nachweisbar (vgl. Doerfert 1994: 53). Für die vorliegende Untersuchung besteht zwischen den Graphien und in diesem als ›Alem.‹ bezeichneten Sprachraum (noch) ein Verhältnis von 3:1. 425 Im gesamten Obd. (frmhd. schon im Bair. und Schwäbischen) außer dem Alem. wird der alte mhd. Diphthong /ei/ zu /ae/ gesenkt (vgl. Gr.Frnhd. I,1: 168; PWG 1998: §159, 13) und im Bair. und teils auch im Schwäb. in frnhd. Schreibsprachen zumeist von dem im Rahmen der frnhd. Diphthongierung aus mhd. ī entstandenen neuen Diphthong /ei/ graphisch unterschieden (vgl. Hartweg/Wegera 1989: 104): aus mhd. /ei/ und aus mhd. ī. Eventuell weist in den Urkunden die noch stark variable Schreibung im Bair. auf die in bestimmten Gebieten des Bair. erst beginnende Senkung bzw. die beginnende Umsetzung dieses lautlichen Phänomens in der Schreibung hin. 426 Vgl. Gr.Frhnd. (I,3: 225, Anm. 1). 427 A.a.O.: 225.
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
235
Vokalgraphie auf.428 Das Bair. hat stets eine Variante des Diphthongs.429 2.2. Suffixallomorphie In den folgenden Übersichten zu den Suffixallomorphen verzichte ich darauf, die verschiedenen Diphthongschreibungen gesondert darzustellen. Stellvertretend für alle Graphien wird der Diphthong stets mit wiedergegeben, da diese die am häufigsten anzutreffende Form darstellt (s.o.). 27 Belege zeigen im Genitiv und Dativ Singular die flektierten Formen -heite und -heide430, die ebenfalls nicht gesondert in der Darstellung aufgeführt werden. -heit Basis:
-ec/-ic (14/31)
-0 (18/242)
-e (5/32) -en (5/73) -er (1/42) -lich (1/1)
Endung ekeit ikeit igheit ekheit icheit ichheit heit het eit et eheit iheit heit eheit enheit enhet erheit licheith
alem 3 2 1 1 1 103 7 2 9 29 3 29 -
bair 9 1 64 1 16 29 8 -
a-s ofrk 2 10 6 1 2 1 1 2 1 3 1 -
Kg 1 1 21 1 1 1
wmd nd IR3 IR4 IR1 IR2 omd 2 1 2 2 1 1 6 1 10 2 2 1 1 1 1 4 2 1 5 1 -
Tabelle II.1.7.2. Das Suffixallomorph -heit
_____________ 428 Die alem. Belege bewahren zudem das anlautende h des Suffixes. Die md. Belege sind zu und reduziert. 429 Auf Reduktionsformen des Suffixes -heit (kranket ›Krankheit‹, wôret ›Wahrheit‹) weist auch Kluge (1925: 20) hin. Er bezeichnet sie aber als ein Phänomen der »neueren hd. volksmundarten«. 430 Sie verteilen sich wie folgt: alem. Dat. (14), Gen. (5), wmd. Dat. (7) (davon einmal -heiden).
236
II.1. Derivationstypen
Dem Suffixallomorph -heit werden diejenigen Belege/Bildungen zugerechnet, deren Endung die volle Form -heit zeigt oder die an velaren Plosiv der Endung -ec/-ic assimiliertes k () aufweisen. Insgesamt werte ich 43 Lexeme (421 Belege) als -heit-Bildungen. 14 Derivate (31 Belege) sind zu Basisadjektiven auf -ec/-ic gebildet. Zehn Belege von acht Lexemen431 zeigen hier die assimilierte Form -ekeit/-ikeit, während 21 Belege von sieben Lexemen anhand ihrer Graphie noch deutlich die Morphemgrenze zwischen dem Suffix des Basisadjektivs (-ek-, -ig-, -ic(h)-) und dem Derivationsmorphem -heit erkennen lassen.432 Im Gegensatz zum gegenwartssprachlichen Befund tritt -heit in einem Fall an eine Basis mit -lich (redelich); die andere im Korpus vorliegende mit -heit derivierte Basis auf -lich zeigt den Regeln des Nhd. gemäß433 die allomorphische Variante -keit (heimelich : heimelichkeit). Einsilbige Basen ohne Ableitungssuffix werden in der Regel mit -heit abgeleitet (15 Lexeme, 112 Belege). Zwei alem.-schwäb. Belege von gewonheit zeigen -e- zwischen Basis und Suffix. Ein Beleg von rehtecheit zeigt die Endung -ihait (bair.), stætecheit (1) liegt einmal in der Form (ofrk.) vor. Ob es sich hierbei um -(e)heit-Belege oder Verschreibungen handelt, muss offen bleiben. Als -heit-Bildungen werte ich diese Belege nicht. Sie werden unter der entsprechenden -ekeit/-icheit-Bildung subsumiert. Das auf -k auslautende Simplex schalcheit zeigt in beiden Belegen Ausfall von anlautendem -h- in Folge von lautlicher Assimilation (aber in allen Fällen steht krancheit mit -heit). Bei auf Frikativ -sch oder -ch auslautenden Basen ist graphisch das zum Stamm gehörende -h mit dem anlautenden h- des Suffixes verschmolzen, so entstehen Reduktionsformen434 wie , oder . Fünf zu Basen auf -e gebildete Lexeme (bôsheit (2), gewarheit (22), menschheit (6), phafheit (27)) weisen die Suffixvariante -heit auf. Der auslautende Vokal der zweisilbigen Basen wird in der Regel getilgt. phaffe wird in der Wortbildung phafheit auf eine Silbe gekürzt. Zweimal treten jedoch Belege (alem., wmd.) mit der Vollform phaffe- auf. Häufiger ist bei Basen auf -e die Ableitung mit -ekeit/-icheit.435 _____________ 431 Dies sind: einmüetecheit, êwicheit, gegenwerticheit, gîtecheit, heilecheit, nôtecheit, vernünsticheit, vürsihticheit. 432 Zur lautlichen Realisierung vgl. Oberle (1990: 78): »Ob bei der Verschmelzung von -ig und -heit das g bzw. ch – z.B. in êwicheit/êwecheit (daneben aber auch noch ewigheit) → êwikeit/êwekeit – von Anfang an als Verschluß- oder zunächst noch als Reibelaut ausgesprochen wurde, bleibt allerdings unklar.« 433 Vgl. DW (1975: 30f.). 434 Vgl. Müller (1993a: 294 Anm. 197). 435 Interessanterweise scheinen sich im Korpus die von Kolb (1985: 4) für das Nhd. festgestellten Bildungsprinzipien bei Basen auf synchronem und diachronem -e zu bestätigen. Nur -heit oder das von Kolb ›explizierend‹ genannte -igkeit treten an Basen, bei denen »e-
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
237
Bei Basen auf -en (zumeist ein Partizip Präteritum der starken Verben) ist die Ableitung mit -heit im Nhd. die Regel.436 Dies bestätigt sich auch für die Urkundensprache. Nur insgesamt 5 Belege (bescheidenkeit (4), verdrozzenkeit (1 wmd.)) zeigen stattdessen -keit/-cheit. Das einzige mit -heit abgeleitete Adjektiv auf -er, sicher, wird wie im Nhd. mit -heit deriviert. Ein nd. Beleg zeigt jedoch die erweiterte Form -icheit/-ekeit- (s.d.). Elf (39,3%) der 28 mehrsilbigen Basen sind Präfixbildungen oder Komposita: be- (1), ein(1), (en)gegen- (2), ge- (4), ver- (2), vür- (1). -keit Basis: -bære (1/1) -ic (1/2) -lich (1/1) -same (1/1) -en (2/5) -el (1/1)
Endung berkeit ichkeit lichkeit samecheit encheit enkeit elkeit
alem 1 1 -
bair 2 3 1
Kg 1 -
wmd 1 1 -
Tabelle II.1.7.3. Das Suffixallomorph -keit
Das Suffixallomorph -keit wird nur bei elf ausgewerteten Belegen angesetzt. Als -keit-Belege/Bildung werden solche gewertet, bei denen -keit (-cheit) direkt an die Basis tritt (edelkeit, êrbærkeit) oder bei denen trotz eines Basisauslauts auf -ec/-ic -keit als eigenständige Form erkennbar ist. Insgesamt sieben Lexeme sind mit diesem Allomorph belegt437, fünf davon sind als -keit-Bildungen zu werten. bescheidenheit und verdrozzenheit zeigen als einzige Bildungen zu präfigierten starken Partizipien bzw. Partizipialadjektiven auf -en Formen auf -keit. Das nur einmal belegte verdrozzenheit kann korpusintern als -keit-Bildung klassifiziert werden. Die Lexeme bescheidenheit und sælicheit438 werden trotz vereinzelter -keit-Belege aufgrund ihrer häufigsten Erscheinungsform als -heit-Bildungen klassifiziert. Übereinstimmung mit dem nhd. Wortbildungssystem besteht hinsichtlich der Ableitung der Basis auf -bære (nhd. -bar) (êrbære) mit der Suffixvariante _____________ hemals ein -e im Wortauslaut des Basisadjektivs vorhanden war«, während -keit in solchen Fällen nicht auftritt. 436 Vgl. DW (1975: 30f.). 437 Dies sind: bescheidenheit, erbærkeit, gewarsamekeit, heimelîcheit, sælicheit, verdrozzenheit. 438 Zwei bair. Belege des Lexems sælicheit ← sælic sind aufgrund ihrer Graphien dem Allomorph -keit- zugeordnet. Mit hoher Wahrscheinlichkeit darf Spirantisierung des Adjektivsuffixes angenommen werden. In Urkunden des 13. Jh.s gilt für im Auslaut zu /k/ verhärtetes /g/ nach Vokal das Bair. als »Kerngebiet für /-ch/, das an den oberen Main und ins Alem. ausgreift« (PWG 1998, §137).
II.1. Derivationstypen
238
-keit.439 Bei Basen auf -el überwiegt im Nhd. die Ableitung mit -heit440, das Korpus zeigt jedoch für das einzige -el-Adjektiv edel eine Ableitung mit -keit. Adjektive auf -lich verbinden sich im Nhd. ebenfalls mit -keit.441 Die beiden Basen heimelich und redelich sind im Korpus jedoch verschieden abgeleitet (redelich + heit, heimelich + keit). Besonders zu erwähnen ist die Bildung gewarsamekeit, die als idiofunktionale Bildung zum Substantiv gewarsame betrachtet wird und die deshalb als -(e)keit-Bildung einzustufen ist. -ekeit/-icheit Basis:
-0 (9/16)
-e (4/61)
-er (1/1) -sam (1/1)
Endung ekeit ikeit icheit icheiht/ichhait icheyt echeit/echait icheit/icheiht icheide/-geide egeth ekeit ikeit (ick-; kg/omd) erygheyt samekeit
alem 1 11
bair 8 1 1 27 -
a-s 1 2
ofrk 1 -
Kg 1 1 1
wmd nd 1 1 1 1 1 4 1 2 -
IR1 2 -
IR5 omd 1 1 -
1
-
-
-
3
-
-
-
-
1
1
-
-
-
-
-
1 -
-
-
-
Tabelle II.1.7.4. Das Suffixallomorph -ekeit/-icheit
Unter der Suffixvariante -ekeit/-icheit442 werden Bildungen zusammengefasst, die gemäß dem korpusbezogenen Basisansatz mit dem kombinierten Suffixallomorph deriviert erscheinen. 15 Lexeme (79 Belege) sind mit diesem Suffixallomorph gebildet. Neun Lexeme werden auf Basen ohne Ableitungssuffix bezogen. Die morphologische Einordnung als -ekeit/ -icheit-Bildungen fällt hier dementsprechend eindeutig aus. Schwieriger ist die Beurteilung des Suffixes bei vier Basen, die auf -e enden443, denn hier kann prinzipiell sowohl von einer Verbindung mit der Suffixvariante -keit (-cheit) ausgegangen werden als auch von einer Anfügung von -ekeit mit Tilgung des auslautenden Vokals. Aufgrund der sehr häufig auftretenden _____________ 439 440 441 442 443
Vgl. DW (1975: 30f.). Ebda. Ebda. Der Ansatz dieser Suffixvariante erfolgt nach den beiden am meisten belegten Formen. Inwiefern die Ausgangsform eventuell apokopiert im Korpus vorliegt, bleibt hierbei unberücksichtigt.
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
239
Formen, die auf eine ›analytische‹ Suffixform -ic-heit schließen lassen, und des häufigen -i-Vokalismus habe ich mich entschlossen, die Belege an dieser Stelle zu behandeln. Bei jedem der vier betroffenen Lexeme (miltecheit, stætecheit, unstætecheit, vestecheit) treten beide Formen -ekeit und -icheit stets nebeneinander auf. miltecheit wird sogar in derselben mitteldeutschen Königsurkunde (Corp. 1653) einmal und einmal geschrieben. Besonders erwähnenswert ist die nd. Form 444 (Corp. 1913) zum Basisadjektiv sicher. Neben 195 Belegen der regulären -heit-Bildung sicherheit bleibt sie eine Einzelerscheinung. Die einzige auf ein -sam-Adjektiv bezügliche Bildung des Korpus, ungehôrsamecheit, weist ebenfalls das kombinierte Suffix auf. Im Nhd. werden -samAdjektive üblicherweise mit -keit abgeleitet.445 Auf einsilbige Basen sind nur irrecheit (wegen verbalen Motivationsbezugs) und rehtecheit zu beziehen. Von den verbleibenden zwei- (9), drei- (3) und viersilbigen (1) Bildungen sind acht zu präfigierten Basen gebildet: be(2), ge- (1), un- (2), ver- (2), vor- (1). Eine Basis ist ein Determinativkompositum (übeltât). Trotz des großen Variantenreichtums der Suffixgraphien herrscht hinsichtlich der Verteilung der Suffixallomorphe auf die einzelnen Lexeme bemerkenswerte Einheitlichkeit. Lexem bescheidenheit sælicheit sicherheit
-heit 280° 9 195
-keit 4 2 –
-ekeit/-icheit – – 1
Tabelle II.1.7.5. Lexeme mit verschiedenen Suffixallomorphen
Wie die obige Tabelle zeigt, weisen nur drei Lexeme – worauf schon unter den einzelnen Allomorphen hingewiesen wurde – Formen auf, die verschiedenen Suffixvarianten zugewiesen werden müssen. Fünf Bildungen (26 Belege) sind hinsichtlich ihrer Basis morphologisch und semantisch doppelmotiviert und können deshalb keinem Suffixallomorph eindeutig zugewiesen werden: Lexem barmherzekeit bestætecheit drîvaltecheit _____________ 444 Vgl. DWB (16: 724). 445 Vgl. DW (1975: 30f.).
Basis 1 (Basisrang) barmherze (4) bestæten (1) drîvalt (4)
Basis 2 (Basisrang) barmherzec (4) bestætigen (1) drîvaltec (4)
II.1. Derivationstypen
240 Lexem einhellecheit446 versûmecheit
Basis 1 (Basisrang) einhel (4) versûmen (1)
Basis 2 (Basisrang) einhellec (3) versûmec (4) aber sûmic (1)
Tabelle II.1.7.6. Morpho-semantische Doppelmotivation
Die Endungen dieser Bildungen weisen in den Urkunden folgende Formen auf: Basis: -ec, -0/-e (DM)
Endung ekeit ikeit icheit/igheit (igchæit) ichheit/ichhait
alem 2 -
bair 1
ofrk 2 -
Kg -
wmd 3 -
1
13
-
2
-
-
2
-
-
-
Tabelle II.1.7.7. Endungen der morpho-semantisch doppelmotivierten -heit-Derivate
Zum Schluss soll an dieser Stelle noch auf einen wichtigen sprachgeographischen Aspekt eingegangen werden. Es lässt sich ein markanter Unterschied der schriftlichen Umsetzung von -ekeit/-icheit447 zwischen dem westlichen und östlichen Obd. beobachten.448 Zu beachten sind hierbei heit-Bildungen zu Basen auf -ec/-ic, -keit-Bildungen zu Basen auf -ec/-ic und -ekeit/-icheit-Bildungen zu Basen auf -0 und -e. Das Alem. zeigt für die -heit-Bildungen verschiedene Formen (-ekeit (4), -ikeit (2), -igheit (1), -ekheit (1), -icheit (1)), für -keit- keinen Beleg und bei -ekeit/-icheit-Bildungen nur die Varianten -ekeit (11) und -ikeit (1). Das Bair. hingegen zeigt bei -heit siebenmal -icheit und einmal -ichheit, bei -keit zweimal -ichkeit und bei -ekeit/-icheit einmal -echeit und 27-mal -icheit. Während also das Alem. bis auf drei Ausnahmen vorwiegend die assimilierte Variante e + k + eit bevorzugt, zeigt das Bair. eine ausgeprägte Präferenz für die aus graphischer Sicht ›analytische‹ Endung i + c + heit (keit).449 Unsicher bleibt die aussprachliche Realisierung einmal als das Verschmelzungsprodukt von c-h _____________ 446 Als mögliche Basis von einhellecheit ist einhellec dreimal im Korpus belegt. Die Motivationsdichte ist mit Basisrang 3 m.E. nicht hoch genug, um einen morphologisch eindeutigen Bezug auf das suffigierte Adjektiv zu rechtfertigen. Die Belegzahl ist mit drei Belegen ebenfalls zu gering, um die bei Lexer (I: 524) belegte Basis einhel aus der Betrachtung auszuschließen. Daher gehe ich auch in diesem Fall von Doppelmotivation aus. 447 Zur Verteilung und Graphie des -e-Typs mhd. -ec-heit und des -i-Typs mhd. -ic-heit im Frnhd. vgl. Gr.Frnhd. (I, 2: 128f.). 448 Vgl. Gleißner/Frings (1941: 109f.) 449 A.a.O.: 109: »Die Normalschreibung ist ch, das die Silbengrenze und damit die Entstehungsart noch erkennen läßt.«
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
241
zu /ch/ oder als aspiriertes k (vgl. Oberle 1990: 78). Gleißner/Frings gehen von einer plosivischen Aussprache für das gesamte Obd. aus.450 3. Basismorphologie Alternanzen der Wortbildungsbasen sind bei -heit nicht sonderlich ausgeprägt. Umlaut weisen nur bedæhtikeit und vorbedæhtikeit auf, die ich auf das schwache Partizip (vor)bedâht beziehe. bôsheit und kuonheit sind im Gegensatz zu ihrer Basis nicht umgelautet. Dies hat sprachhistorische Gründe. Es handelt sich um Bildungen zu -ja-stämmigen Adjektiven451, »bei denen der fugenvokal geschwunden ist, bevor die umlautswirkung eingesetzt hat« (Öhmann 1921: 26). Dieses »regelrechte resultat der lautgesetze« (ebda.) wird später analogisch ausgeglichen (Kühnheit), und nur Bosheit behält seine ursprüngliche Form.452 Die Bildung wirdecheit liegt im Korpus mit e-Vokalismus vor . Dies entspricht der Aussage des DWB (30: 2122): »mhd. ist wërdecheit, auch im obd., häufiger als wirdecheit.« Für die unterschiedliche Vokalqualität von Basis und Ableitungen werden Akzentverhältnisse angeführt.453 Zur Tilgung von auslautendem -e der Basen etc. bei der Suffigierung sei auf die Bemerkungen bei den einzelnen Suffixallomorphen verwiesen. 4. Basisaffinität 45 Lexeme (64,3%) sind zu einem Adjektiv gebildet. 40% (18 Lexeme) der Basisadjektive sind Suffixbildungen. Die Suffixe verteilen sich wie folgt: -ec/-ic (14), -lich (2), -sam (1), -bære (1). Vier Basisadjektive sind mit ge- präfigiert, zwei weisen das Präfix un- auf.454 Neun deadjektivischen -heitBildungen (20%) liegt eine einsilbige Basis zugrunde. Bei drei Lexemen ist _____________ 450 A.a.O.: 110: »Wir dürfen deuten: -ec-heit ist überall im Süden in der Aussprache zu -ekeit geworden. In dem Gebiet, das als Regel für anlautendes k die Schreibung ch kennt, störten sich die herkunftsgerechte Schreibung und Aussprache demnach nicht. Das trifft zu für Bayern und Österreich. In einem Gebiet, das für anlautendes k vorzugsweise k schreibt, schreibt man lautgerecht -ekeit. Das gilt für den Westen, vor allem für Schwaben.« Auch Öhmann (1921: 21) spricht von »obd. provenienz des suffixes -(e)keit«. 451 Vgl. Wilmanns (1899: 385). 452 Ebda., vgl. ferner Kluge (1925: 20f.). 453 DWB (ebda.): »da ein ähnliches nebeneinander in mhd. wërdecliche – wirdecliche vorliegt (s. würdiglich), nicht aber für zweisilbiges wirde, wirden und wirdic gilt, dürften hier akzentverhältnisse maszgebend sein.« 454 Darunter auch das ebenfalls als -sam-Basis gewertete ungehôrsam.
242
II.1. Derivationstypen
der Basisbezug morphologisch uneindeutig: barmherzekeit, einhellecheit und drîvaltecheit können sowohl auf suffigierte als auch auf unsuffigierte Basen bezogen werden. Der Basisrang und die Belegfrequenz der Basisadjektive lassen keine Festlegung auf eine eindeutige Basis zu (vgl. Tabelle II.1.7.6.). Neun Bildungen (12,9%) sind durch ein Basissubstantiv motiviert. Für zwei idiofunktional gewertete Bildungen (gewarsamekeit, übeltætekeit) sind die Basen aus dieser Sicht komplex. Die verbleibenden Basissubstantive sind Simplizia. Sieben Bildungen (10%) sind aufgrund ihrer Verwendungsweise im Korpus durch ein Basisverb bzw. den Verbstamm zu motivieren. Vier Verben sind präfigiert: be- (2), ver- (2). Die Bildung bestætecheit kann über das Verb bestætigen bzw. bestæten motiviert sein. Zwei Bildungen (sicherheit2, stætecheit2) sind kontextbedingt in einigen Fällen nur über eine verbale Paraphrase motivierbar. Die deadjektivischen Bildungen (sicherheit1, stætecheit1) überwiegen bei Weitem (vgl. die Bemerkungen zu diesen unter -heit1). Aufgrund der verschieden anzunehmenden Basiswortarten werden sie in dieser Arbeit als zueinander homonym betrachtet. Sieben Bildungen (10%) liegt morphologisch ein Partizip zugrunde. bedæhtikeit und vorbedæhticheit weisen das Partizip II des schwachen Verbs bedenken auf. vorbedæhticheit erweist sich zudem als Zusammenbildung aus der Wortgruppe vor + bedâht, die im Korpus nachweisbar ist (vgl. WMU I: 149 s.v. bedâht). Formen des Partizips II der starken Verben zeigen bescheidenheit, gelegenheit, trunkenheit455, verdrozzenheit, vergezzenheit. Die Behandlung solcher Bildungen ist in den diversen Wortbildungsuntersuchungen und Wortbildungslehren nicht immer einheitlich.456 Prinzipiell schließe ich mich der u.a. von Oberle vertretenen Ansicht an, dass solche Bildungen, »auch wenn ihre Nähe zum Verbalsystem durchaus erkennbar ist, in die Darstellung der Adjektivbildungen einbezogen werden [müssen], denn sie kommen häufig vor und können an ihrer syntaktischen Position mit ›normalen‹ Adjektiven ausgetauscht und in ihrer Funktion mit diesen verglichen werden« (1990: 90f.). Die genannten Bildungen werden, wenn die Semantik und Verwendung der Basis457 es zulässt, unter den deadjektivi_____________ 455 trunken ist »der form nach präfixloses partiz. perf. pass. von trinken, das schon urgerm. in aktivischer funktion verwendet wurde und sich als adjektiv in der bedeutung ›ebrius‹ verselbständigte« (DWB 23: 1391). 456 DW (1975: 72f; 257ff.; 321ff.) und Gersbach/Graf (1984/85: 195; 266; 257) behandeln etwa Begebenheit oder Gewandtheit als Bildungen mit Basispartizip von den Bildungen mit Basisadjektiv getrennt, während Erben (2006: 98), Oberle (1990: 90f.) und Brendel et al. (1997: 293) Derivate mit partizipialen Basen vorwiegend als Adjektivbildungen behandeln. Müller geht in seiner Untersuchung zur Dürersprache nach semantischen und wortartspezifischen Kriterien differenzierend vor (1993a: 296 Anm. 203). 457 Für den vollzogenen Wortartwechsel vom Partizip zum Adjektiv gibt es verschiedene Indikatoren (vgl. Oberle 1990: 90f.) wie attributive Verwendung, Komparierbarkeit, Präfi-
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
243
schen Zustands- bzw. Eigenschaftsbezeichnungen behandelt. bescheidenheit, gelegenheit und vergezzenheit verhalten sich jedoch auffällig, und bei ihrer Behandlung musste nach Kompromisslösungen gesucht werden, wie im Folgenden etwas ausführlicher dargelegt werden soll. vergezzenheit ist hierbei die unproblematischste Ausnahme. Aufgrund der Lexemverwendung kann nicht entschieden werden, ob die Bildung eine Eigenschaftsbezeichnung (›Vergesslichkeit‹) oder ein Verbalabstraktum (›Vergessen‹) darstellt. Die Bedeutung ›Vergesslichkeit‹ wäre über das semantisch eigenständige Partizipialadjektiv vergezzen zu motivieren, i.S.v. ›Vergessen‹ als Handlung liegt verbaler Bezug vor. Diese morphosemantische Unsicherheit hat mich dazu veranlasst, die Bildung als doppelmotiviert zu klassifizieren. Problematischer gestaltet sich das Lexem bescheidenheit. Dieses kann einmal in der Bedeutung ›Verständigkeit, Einsicht‹ über das semantisch vom Verb isolierte Partizipialadjektiv bescheiden, das in der entsprechenden Motivationsbedeutung im Korpus vorliegt, motiviert werden. Die überwiegende Mehrzahl der Belege ist jedoch i.S.v. ›Entscheidung, Festlegung etc.‹ eindeutig an die entsprechende Verbbedeutung geknüpft, die Wortbildungsparaphrase kann ebenfalls ausschließlich mit dem Verb formuliert werden (›Tatsache, dass jmd. etw. BV‹). Aufgrund dieses Befundes sind zwei homonyme458 Basen verschiedener Wortart anzusetzen, was zu einer gesonderten Behandlung der Wortbildungsprodukte ebenfalls als Homonyme führt (bescheidenheit1, bescheidenheit2). Zuletzt gilt es, die Bildung gelegenheit zu besprechen, die als Agentivum mit lokaler Bedeutung (gelegenheit2 ›gelegener, liegender Ort‹) eher adjektivischen, als Abstraktum (gelegenheit1 ›Sachlage‹) eher verbalen Charakter zeigt. Beide Verwendungen können jedoch über die Grundbedeutung ›liegen‹ des Basisverbs motiviert werden.459 Die Festlegung auf eine Basiswortart gestaltet sich in diesem Fall also schwierig. Aus pragmatischen Gründen werden beide Bedeutungen den jeweiligen Bildungstypen zugeordnet, die ihnen semantisch am nächsten stehen. Das Agentivum kann dabei aufgrund des in der Motivationsbedeutung vorliegenden Partizipialadjektivs als deadjektivische Bildung behandelt werden. Hinsichtlich der Abstraktbildung besteht jedoch eine Diskrepanz zwischen morphologischem Er_____________ gierbarkeit mit un-, Verwendung als Adverb und die Ausbildungen einer eigenen Semantik unter inhaltlicher »Loslösung des Partizipialadjektivs vom Ausgangsverb« (S. 91). 458 Vgl. Fleischer/Barz (1995: 276f.). 459 Das vom WMU (I: 610) als Partizipialadjektiv ausgewiesene gelegen zeigt neben der noch sehr verbnahen Grundbedeutung ›gelegen, liegend, sich befindend‹ in den weiteren polysemen Bedeutungen ›nahe gelegen, günstig, passend; beigelegt, erledigt‹ eine sich zunehmend vom Verb lösende semantische Eigenständigkeit. Das mit un- präfigierte partizipiale Adjektiv ungelegen ›ungelegen, ungünstig/fern gelegen‹ greift nur diese zuletzt genannten Bedeutungen auf.
244
II.1. Derivationstypen
scheinungsbild und Wortbildungssemantik.460 I.S.v. ›Sachlage, Beschaffenheit‹ ist gelegenheit adäquat mittels einer verbalen Paraphrase ›Art und Weise, wie etw. liegt‹ zu motivieren.461 Daher werden die hierzu gehörigen Belege der Gruppe der zu Verbstämmen oder Partizipien gebildeten -heitDerivate zugeordnet (-heit3). Unter diesen Handlungsabstrakta ist gelegenheit als Vorgangsbezeichnung eine Ausnahme. Zwei weitere Bildungen (smâcheit, versûmecheit; 2,9%) sind hinsichtlich ihrer Basiswortart doppelmotiviert. Als morphosemantische Basis kann kontextuell ein Adjektiv oder ein Verb in Frage kommen.462 c. Motivationsdichte 485 analysierte Belege (91,0% von 533 Belegen) sind durch eine räumlich nahe Basis motiviert (Basisrang 1). Für 27 Belege (5,1%) kann die Basis nur im angrenzenden Sprachgroßraum nachgewiesen werden. Für einen wmd. Beleg von gewonheit kann nur Basisrang 3 vergeben werden. Die Basis von neun Bildungen (18 Belege, 3,4%) war nur korpusextern bei Lexer ermittelbar.463 Für die doppelmotivierten Bildungen einhellecheit (zwei Belege) und versûmecheit (ein Beleg) kann kein Basisrang im herkömmlichen Sinne vergeben werden, denn das morphologisch ambige einhellecheit beziehe ich trotz einer korpusintern (Basisrang 3) belegten Basis auch auf die Basis bei Lexer (Basisrang 4). Das deverbal und deadjektivisch motivierbare versûmecheit ist korpusintern durch das Verb versûmen motiviert (Basisrang 1), die eigentliche deadjektivische Basis versûmec ist nur bei Lexer belegt (Basisrang 4). Gestützt wird die deadjektivische Motivation jedoch durch das korpusintern belegte sûmic (Rang 1).
_____________ 460 Dies mag vielleicht dadurch begründet sein, dass der »örtliche begriff übertragen [wurde] auf v e r h ä l t n i s s e aller art, zu deren bezeichnung ja auch liegen (neben stehen) vielfach dient […]« (DWB 5: 2941). 461 Hinsichtlich der verbalen Umschreibung von gelegenheit und der Bewertung als Vorgangsabstraktum sind sich die Wörterbücher zum Mhd. einig, vgl. BMZ (I: 988): »art und weise wie etwas liegt; lage, beschaffenheit«, ebenso Lexer (I: 807). Für diese Interpretation spricht wohl auch das im DWB (12: 1017) zwar viel später (18. Jh.) belegte, aber eindeutig zum Infinitiv gebildete Lexem Liegenheit in derselben Bedeutung. 462 Zu diesen beiden unter -heit7 behandelten Bildungen wird aus wortbildungssemantischen Gründen auch vergezzenheit gestellt (s.o.), wenn sich dieses durch den Bezug auf ein Basisadjektiv und verbales Partizip (Infinitiv?) auch von den anderen Bildungen unterscheidet. 463 Dies sind die Lexeme: barmherzekeit, drîvaltecheit, kuonheit, lazheit, smâcheit, trunkenheit, übeltætekeit, verdrozzenheit, vernünsticheit.
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
245
d. Wortbildungsfunktion Funktionsklasse
Paraphrase
A. Abstrakta -heit1 B. Agentiva -heit2 C. Abstrakta -heit3 D. Abstrakta -heit4 E. Idiofunktionalia -heit5 F. Abstrakta [DM] -heit6
›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹ ›jmd./etw., der/das BA ist‹ ›Tatsache, dass jmd. (etw.) BV‹ ›Tatsache, dass jmd. BS ist‹ ›BS‹
G. Kollektiva -heit7 H. Patientiva -heit8 I. Agentiva [DM] -heit9 Gesamt
Basiswortart (part.) Adjektiv (part.) Adjektiv Verb/ Verb[part] Substantiv
Beispiel barmherzekeit, stætecheit11° wârheit2
Lexeme / Belege Anzahl Prozent 43/847° 51,8/48,1 16/559°
19,3/31,7
9/249°
10,8/14,1
kintheit
5/12
6,0/0,7
Substantiv
übeltætekeit
3/6
3,6/0,3
›Tatsache, dass jmd. BA ist/ jmd. jmdn./ etw. BV‹ ›alle BS‹
Adjektiv/ Verb; Adjektiv/ Verb[part] Substantiv
vergezzenheit
3/5
3,6/0,3
kristenheit
2/40
2,4/2,3
›das, was jmd. BV‹ ›etw., das BA ist/BV‹
Verb[part]
bescheidenheit22° smâcheit2
1/41°
1,2/2,3
1/2
1,2/0,1
Adjektiv/ Verb
bestætecheit
83/1761°
Tabelle II.1.7.8. Funktionelle Verwendung der -heit-Derivate
Wie die Übersicht zeigt, zeichnet sich eine deutliche Fokussierung der -heit-Bildungen auf die Funktionsbereiche abstrakt und agentiv ab. Mit 72,3% aller beteiligten Bildungen überwiegen eindeutig die grammatischen Abstrakta im Korpus. Jedoch nur 51,8% der Abstrakta sind auf ein Adjektiv oder partizipiales Adjektiv zu beziehen. Besondere Beachtung verdienen die semantisch auf Verben, morphologisch auf den Verbstamm oder das verbale Partizip bezüglichen Abstraktbildungen, die mit 10,8% an der Bildung abstrakter Lexeme beteiligt sind. 6,0% der abstrakten Bildungen sind zu einem Basissubstantiv gebildet. Drei Abstrakta (3,6%) können über ein Basisadjektiv oder Basisverb motiviert werden, sie werden im Korpus als doppelmotivierte Bildungen behandelt. An zweiter Stelle rangieren mit 16,9% die Agentivbildungen. 19,3% der Agentiva sind sicher über ein Basisadjektiv motiviert. Ein Lexem (1,2%) ist als doppelmotiviert zu bewerten, da synchron auch ein verbaler Bezug denkbar ist. Bei drei auf Basissubstantive bezüglichen Bildungen (3,6%) ist keine feststellbare semantische Modifikation der Ausgangsbedeutung gegeben. Sie sind als idiofunktionale Bildungen gewertet. Die Gruppe der desubstantivischen Kollektiva ist mit 2,4% nur marginal ausgeprägt. Mit nur einem Lexem (1,2%) ist die patientive Klasse repräsentiert.
II.1. Derivationstypen
246
Die folgende Übersicht zeigt die Verteilung der an der Wortbildung mit -heit beteiligten Basiswortarten unabhängig von der Funktionsklasse (doppelmotivierte Bildungen sind nicht angeführt): Basiswortart Adjektiv Verb/Verb[part] Substantiv
Lexeme/Prozent 59/71,1 10/12,1 10/12,1
Tabelle II.1.7.9. Funktionsklassenunabhängige Verteilung der an der Wortbildung beteiligten Basiswortarten beim Suffix -heit
A. Abstrakta (BA-heit1): ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹ Lexem
Belege alem bair
barmherzekeit bedæhtikeit bescheidenheit11° drîvaltecheit2 dürfticheit einhellecheit einmüetecheit engegenwurticheit* êrbærkeit êwicheit ganzheit gegenwertecheit gerehtecheit1 gewarheit gewisheit1 gewonheit2° gîtecheit heilecheit krancheit1 kuonheit lazheit ledecheit miltecheit nôtecheit redelîcheit rehtecheit1 rîchheit sælicheit
1 1 5 (29°) 1 1 1 2 1 1 1 4 2 1 4 1 1 22 5 23 3 3 (15°) 1 1 1 1 5 2 1 1 1 2 6 2 2 1 4 1 1 11 3 35 22 (159°) 1 33 8 (159°) 1 1
sicherheit11° sihticheit* stætecheit11° trunkenheit
2 1 1 1 1 1 15 13 2 2 1 1 3 6
alemwmd Kg ofrk IR1 IR2 IR3 IR4 IR5 omd nd schw 1 1 1 1 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 1 1 1 2 1 1 1 2 2 1 1 1 1 1 1 -
7
3
-
-
1
1
-
-
-
-
-
1
1
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
11
2
7
3
-
1
-
-
-
-
1
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit) Lexem
Belege alem bair
tumpheit ungehôrsamecheit unstætecheit vernünsticheit vestecheit vorbedæhticheit
1 1 1 1 3 2 1 17 16 1 1 22 14 1 (176°) 2 1 29 23 5 (171°) 1 1 9 8 1 265 103 95 (847°)
vrîheit° vürsihticheit wârheit1° wirdecheit wîsheit1 Gesamt
247
alemwmd Kg ofrk IR1 IR2 IR3 IR4 IR5 omd nd schw 1 1 1 -
3
1
-
2
1
-
-
-
-
-
-
-
1
-
-
-
-
-
-
-
-
-
1
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
6
21
13
6
6
2
1
1
1
5
5
barmherzekeit (›Barmherzigkeit‹): ← barmherzec Adj. (Lexer I: 130), barmherze Adj. (ebda.)
...daz disu sazzunge des vorgenanten selgeretes gotlich ist vnd ein werg der barmherzekeit... (Corp. 2252, 394.28).
bedæhtikeit (›Besonnenheit‹): ← bedâht (24) Part. Prät./Part Adj. So sprechen wir mit vrteile / mit gFter bedehtikeit... (Corp. 1524, 688.28).
Aufgrund der häufig im Korpus belegten Parallelkonstruktion mit bedahtem...willen/muote (vgl. WMU I: 149) mit dem adjektivisch verwendeten Partizip Präteritum gehe ich von einer Motivation des Lexems bedæhtikeit über die nicht suffigierte Basis aus. Das entsprechende -ic-Adjektiv bedæhtic ist nur korpusextern belegt (Lexer I: 139) und scheint insgesamt selten zu sein. Im Korpus kommt jedoch das an entsprechender Stelle in den Urkundentexten verwendete Adverb bedæhticlîche (13) vor, bei dem es sich aber wahrscheinlich ebenfalls um eine Bildung zu bedâht mit kombiniertem Suffix -iclîche handelt. bescheidenheit11° (›Verständigkeit, Einsicht, Urteilsvermögen; Angemessenheit‹): ← bescheiden (›verständig, wohlunterrichtet; angemessen‹) (127) Part. Adj. Daz her Chvnrat der Pvllær vnsers Goteshovses ERwærgær dienstman mit gesvntem · Vnd mit lebentigem liebe / vnd vch an sinen lesten ziten mit gewizzen v] mit ordenlicher beschaidenheit betraht / Vn sach an siner sele heil / vnd verriht sich mit vns vnd mit vnserm goteshovse... (Corp. 937, 292.28). Jn · Gotes NaMen · AMen. Wan daz reht daz leret · V] div beshaidinhait daz ratdet! daz Man gezvigen v] beriven inphelhen sol swaz Man in ganzir gehugede behaben wil v] sol!... (Corp. 2033, 267.41).
Die zwei zitierten Textstellen zeigen, dass dem Lexem bescheidenheit1 eindeutig das adjektivisch verwendete Partizip bescheiden zugrunde liegt. In
II.1. Derivationstypen
248
beiden Textstellen trägt das Lexem die Bedeutung ›Einsicht, Verständigkeit‹. Der zweite Kontext zeigt die häufiger vorkommende Verwendung des Lexems in der Arenga. In den vorliegenden Belegen sind Bildungen zu den Bedeutungen des Partizipialadjektivs relativ klar von Belegen mit verbalem Bezug zu trennen. Insgesamt sind nur vier Belege semantisch als Adjektivabstrakta klassifizierbar.464 Zwei Belege des Lexems sind als deadjektivische Agentiva gewertet (vgl. bescheidenheit12). drîvaltecheit2 (›Dreifaltigkeit‹): ← drîvalt Adj. (Lexer I: 466), drîvaltec (a.a.O.: 467) Adj. Nach Christes Geburt Tavsent Jar · zwei Hundert Jar · vnt in dem aht vnt ahtzegistem Jare! des Phintztages Nach dem Sunnetage der drivaltichæit vnsers Herren (Corp. 1023, 347.27).
In der zitierten Textstelle trägt die Lehnübertragung465 drîvaltecheit im Rahmen der Festtagsbezeichnung (›Sonntag Trinitatis, Erster Sonntag nach Pfingsten‹) eindeutig abstrakten Charakter, der vor allem durch den angeschlossenen subjektiven Genitiv vnseres Herren verdeutlicht wird. Die anderen Belege des Lexems treten ebenfalls in der erwähnten Datumsbezeichnung und in Gebetsformeln auf. Mit ihnen scheint jedoch überwiegend eine konkret-persönliche Auffassung der Dreifaltigkeit verbunden, weshalb ich diese Belege als Agentivbildungen werte (vgl. drîvaltecheit1). dürfticheit (›Notwendigkeit‹): ← dürftic (2) Adj. ...vnd auch allem chauffe · ze chauffen / vnd ze verchauffen also auflegen / daz dem chauffær · vnd dem verchauffer nach der gestalt der zeit vnd auch der dGrftichait werde behalten (Corp. 2345, 455.6).
einhellecheit (›Einhelligkeit‹): ← einhellic (3) Adj., einhel Adj. (Lexer I: 524) ...vnd begernt zG einhellekeit vnd einmMtekeit durch gemein nvtz vnd gGt der richen vnd der armen vnsern ernstlichen vliz vnd trahtvnge keren (Corp. 0090a = N 77, 55.26f.).
Ein weiterer Beleg von einhellecheit deutet auf eine allegorische Verwendung des Lexems hin. Korpusintern konkurrieren die jeweils doppelmotivierten einhelle* und einhellunge. einmüetecheit (›Einigkeit‹): ← einmüetic (4) Adj., [einmuote, einmuot Adj. (Lexer I: 527)] Vgl. den Beleg bei einhellecheit. engegenwurticheit* (›Gegenwart‹): ← engegenwertic/-wurtic (22) Adj. _____________ 464 Die geringe Zahl der deadjektivischen Abstrakta liegt vermutlich vor allem an dem stark formelhaften Vorkommen in Wendungen, die sinnvollerweise nur deverbal gedeutet werden können (vgl. bescheidenheit21). Die Belegauswahl durch das Kernkorpus kann sicherlich ein weiterer Grund sein. Doch zeigt etwa auch der Artikel im DRW (II: 78ff., s.v. Bescheidenheit) ein deutliches Übergewicht deverbal zu deutender Bedeutungen. 465 Vgl. Paul WB (1992: 180).
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
249
So hain wir erchebisschof van Colne in jntgeinwordigheide der heiliger ewangelien / gesworen ir bescheit vGr uns inde vnse gestihte mit gehenknisse vnser priore stede ce haldene... (Corp. 43A, 72.35f.).
êrbærkeit (›Ehre, Ansehen‹): ← êrbære (1180) Adj. Das wir durch gantze druwe / vnde bewerte stedikeit / die wir / vnde vnser erbern vorvarn / keysere / vnde kunge / von Rome / bevunden hânt / vnde gewar sin / worden / gentzliche / vnd ?gsFnekliche / zu nutze / vnde zu erberkeit des heilgen Riches / an mangen dingen / vnde zu allen stunden / an den ersamen wisen lFten / den Burgern / von wormesse / vnde von spire / vnsern lieben / vnde getruwen (Corp. 2785A, 134.20).
êwicheit (›Ewigkeit‹): ← êwic (425) Adj./Adv. Wan bedarf wol daz man div dinch mit briefen / vnde mit gezivgen stætecliche wernde mache · div stæte vnde ewekait / ane alle widerrede haben sont (Corp. 325, 312.6).
Neben êwicheit tritt im Korpus die einmal belegte -unge-Bildung êwigunge (s.d.) auf, die sich hinsichtlich ihrer Basiswortart uneindeutig verhält. ganzheit (›Vollständigkeit, Unanfechtbarkeit‹): ← ganz (631) Adj. Vnt vffe dirre teidinc ganzheit / v] stetikeit / habe wie geheizen / gescriben diesen brif... (Corp. 544, 479.41).
gegenwertecheit (›Gegenwart‹): ← gegenwertic466 (308) Adj. Im Korpus konkurrieren mit dem einmal belegten Lexem die frequenteren Nullableitungen gegenwart (25)/gegenwurt (25) und ferner gegenwertige*. gerehtecheit1 (›Gerechtigkeit‹): ← gereht (14) Adj. Auch sol ein islich man / der vmb ein sache dingen wil / swern des / daz er an allez triegen · vnd an alle b=se liste / vnd durch dehainen auf schub sein dingen tv · nvr durch vinden laGtter worheit des rehtes / vnd der gerehtichait (Corp. 2345, 456.26).
Die semantische Analyse des zitierten Belegs von gerechtecheit erweist sich als problematisch. Mag der Beleg auf den ersten Blick konkret verwendet scheinen (›etw., das gerecht ist‹), ist doch eine abstrakte Deutung bei genauer Betrachtung wahrscheinlicher (›Zustand der Gerechtigkeit‹) und aufgrund des allgemein gehaltenen Kontextes zu bevorzugen. Vor allem das abstrakte erste Glied wârheit des rehtes in der durch die Konjunktion unde verbundenen Aufzählung deutet auf den ebenfalls abstrakten Charakter von gerehtecheit hin. gewarheit (›Sicherheit, Beglaubigung, Garantie‹): ← gewære (77) Adj. des gebe wir der vorgenanten vnser housfrowen ze sihtiger erckantnFsse disen brief mit vestenunge vnseres insigels durich sicherheit v] gewarheit mit den geziugen dÜ da bey sint gewesen (Corp.1124a = N 398, 295.9).
_____________ 466 In die Belegzahl von gegenwertic sind 36 Belege der Form gegenwartic eingerechnet, die das WMU getrennt lemmatisiert.
II.1. Derivationstypen
250
Das Lexem gewarheit bereitet in mehrerlei Hinsicht Analyseprobleme. Zum einen ist die Abgrenzung von gewâhrheit467 ›Wahrheit; Sicherheit, Sicherstellung‹, das zum Adj. gewære, verstärktem wâr, gebildet ist468, problematisch, zum anderen ist gewarheit synchron nicht über das etymologische Basisadjektiv gewar469 (3) ›aufmerksam, sorgfältig, vorsichtig etc.‹ motivierbar. Semantisch kann das Lexem gewarheit in der im Korpus vorliegenden Bedeutung nur über das Basisadjektiv gewære470 ›wahr, sicher, unverfälscht etc.‹ motiviert werden. Auch das DWB weist auf diesen inhaltlichen, hinsichtlich morphologischer Kriterien jedoch uneindeutigen Bezug hin.471 Vor allem die vielen Belege des Lexems in der Corroboratio zeigen im Korpus deutlich den inhaltlichen Bezug zu gewære. Der inhaltliche Bezug zur etymologischen Basis ist m.E. synchron nicht im Rahmen einer standardisierten Wortbildungsparaphrase herstellbar.472 Daher beziehe ich auch Belege auf gewære, die das DWB unter gewahrheit I (mhd. gewarheit) verzeichnet, namentlich jene sieben Belege, die sich auf das Seelenheil einer Person beziehen, z.B.: nah miner sel vnd miner housvrowen der vorgenanten vron Mehthilden sel geworhait han hintz dem heiligen Chreutz der samnunge in daz siechhovse geschaffet minen gFten weingarten dotz Chlaitzinge (Corp. 3148, 356.6).
Das DRW (IV: 665, s.v. gewahrheit) führt nur ein Lemma und trennt im Übrigen letztgenannte Belege nicht von solchen in der Corroboratio. Es subsumiert beide unter der Bedeutung ›Sicherheit, Sicherung‹. Die im Korpus vorliegende Bildung ist also u.U. aufgrund der unterschiedlichen Vokallänge (und des Umlautes?) der Basis morphologisch eingeschränkt motiviert. _____________ 467 Ob es sich bei dem im WMU verzeichneten Lemma gewarheit in einigen Fällen um das Lexem gewârheit (vgl. DWB 6: 4865, s.v. gewahrheit II) handelt, kann nicht zweifelsfrei geklärt werden. Die Schreibung der Lexeme in den Urkunden gibt keinen Hinweis auf Vokallänge oder -kürze. 468 Vgl. DWB (6: 4759). 469 Korpusintern liegt das Adjektiv gewar nur in der Bedeutung ›gewahr‹ vor (vgl. WMU I: 714). 470 Vor allem in prädikativer Verwendung sind nicht wenige Formen des Adjektivs mit nicht umgelautetem Vokal belegt. Eventuell sind diese als Adverbbelege zu deuten (vgl. WMU I: 714f.). 471 Vgl. DWB (6: 4864, s.v. gewahrheit I, 2c): »in einer reihe von belegen ist der begriff der sicherheit, sicherstellung auf rechtliche verpflichtungen begründet und der ehrenhaften gesinnung des andern anheimgegeben. das letztere moment berührt sich enger mit gewâre, gewære [...] als mit gewar, und da die formellen anhaltspunkte (in bezug auf die quantität des stammvokals) versagen, werden die beispiele unter gewârheit, s. gewahrheit II eingereiht.« 472 Über die historische Entwicklung der »objektive[n] fassung des begriffes: gewahrheit, sicherheit, sicherstellung, gewahrsam« aus gewar vgl. DWB (6: 4859ff.). Den Angaben des DWB (a.a.O.: Sp. 4859) zufolge findet sich dieser Bedeutungsstrang besonders in mhd. Zeit, »hier bezeichnet gewareheit einen in äuszeren verhältnissen begründeten zustand, die sicherung, sicherheit.«
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
251
gewisheit1 (›Sicherheit, Beglaubigung, Garantie‹) : ← gewis (110) Adj. Auch gelob wir durch rehte gewihsheit kunfdiger dinge / daz... (Corp. 2664, 64.29).
Das Lexem gewisheit liegt vorwiegend in abstrakter Funktion im Korpus vor. Einige Belege erweisen sich im Kontext als agentive Bildungen, auch wenn die Abgrenzung in einigen Fällen schwierig ist (vgl. gewisheit2). gewonheit2°: ← gewon (7) Adj.; vgl. gewonheit1 da waren die baruGzen [Barfüßermönche, UR]/ vnd die bredier / in ein gewonheit komen · dc si wolten erben vzzer dien kl=stern in die welt · vnd swa ein richer man / oder ein richP vrowe an ir tode lagen / da liefen si hin / vnd vberretten den / dc er in gab allis sin gGt / vnd wurden denne also alle sin erben / enterbet / vnd verderbet (Corp. 902, 260.40).
Insgesamt sind nur drei Belege von gewonheit abstrakt zu werten. Die oben zitierte Textstelle zeigt das Lexem gewonheit in einem für das Korpus untypischen Belegkontext. Die einem Funktionsverbgefüge ähnelnde Konstruktion in ein gewonheit komen kann durch gewon sîn/werden mit prädikativem Adjektiv ersetzt werden, was als Indiz für die abstrakte Verwendung des Lexems gewertet wird. gîtecheit (›Gier, Begierde‹): ← gîtec (›begierig‹) (1) Adj. wande sich leider vf erterich ein alt vntNgende tegelich alse man sith nPwit, dc ist der lPten vnsteitekeit, dP zigitekeit gineiget ist v] dvr gNtes giwin nîth v] mengerhande vntrPwe brPwet v] brPveth vride v] gnade st=ret, die warheit ze valzhie verkerit... (Corp. 1454a = N 503, 361.27).
heilecheit (›Heiligkeit, Frömmigkeit‹): ← heilic (581) Adj. [heil (1) Adj.] Daz ich nach cristenlicher heilikeith · mith sinnegem mNthe · mith wolbedachtem herzen! dvrch heil miner sele · han gesezeth / vnd seze min selgerethe · mith willen vnd verhencnisse mines wirthes (Corp. 1530, 694.35).
krancheit1 (›Schwäche; Krankheit‹): ← kranc (20) (›schwach, unzulänglich‹) Adj.
a) Seid dehain Gewerft var Menschlicher chranchæît mach stet beleiben / er werd denne bestetigt / mit Hantvesten / vnd mit gezevgen (Corp. 2131, 322.33). b) ain vierdaál der selben gGlt · sol man iemer me ze wilar den suestern geben · die von trÖnch · ald von laássin · ald von ander licher cranhaith ir reuendar nith gehalten múgen (Corp. 1624, 758.21f.).
Fünf Belege des Lexems krancheit sind ohne weitere Schwierigkeiten als deadjektivische Abstraktbildungen analysierbar. Viermal erscheint das Lexem in Arengen in der Bedeutung ›Schwäche, Unzulänglichkeit‹ (Beispiel a). Einmal ist das Lexem wohl schon weitgehend im heutigen Sinne von ›Krankheit‹ gebraucht (Beispiel b). Als deadjektivische Eigenschaftsbezeichnung konkurriert die -heit-Bildung mit dem -e-Derivat krenke (1),
II.1. Derivationstypen
252
das ebenfalls in einer Arenga belegt ist. Auf das Substantiv kranc st.M. werden vier Belege bezogen (vgl. krancheit2). kuonheit (›Kühnheit‹): ← küene, küen Adj. (Lexer I: 1764) ...zi vorderost die vursten / die herren / die grauen die vrien vnde die dienestman · von tivtscheme lande / an die got me éren mit romeschereme riche dc ob allen irdeschen kvnecrichen ist het geleit v] mere manheit/ V] vrumiger ritterschaft / v] kvnheit v] richeit libes vn mNtes... (Corp. 93, 138.12).
lazheit (›Trägheit, Nachlässigkeit‹): ← laz Adj. (Lexer I: 1841) ...wer daz der bote siech Trde, stFrbe oder geuangen Trde oder durch lazheit die anTrte versFnde... (Corp. 1145a = N 408, 303.37).
ledecheit: ← ledic (1545) Adj. ...vnde hant si selue gut wider intfangen van mir ze rechter Ledicheit also det he vnde sine nacomelinge mine Ledige man dan aue sulen sin die wile ich leuen (Corp. 111, 156.28).
Das Lexem ledecheit ist nur in Urkunde 111 belegt. Als Begriff des Feudalrechts bezeichnet ledecheit eine Verpflichtung des Ledigmannes, des homo ligius, seine Burg dem Ledigherren zu öffnen.473 Wie im zitierten Textbeispiel deutlich wird, zeigt das motivierende Basisadjektiv die gleiche rechtssprachliche Gebundenheit. miltecheit (›Milde, Gnade, Freigebigkeit‹): ← milte (1) Adj. Es zimit wol keiserlicher Milthekeit wol tNn den die dem Riche zM allen zithen getrúwe sint (Corp. 1653, 778.4).
nôtecheit (›Not, Armut‹): ← nôtic (2) Adj. ...ob wir...unser gut vercaufen musten / von kummer oder Notekeit... (Corp. 2529, 562.38).
redelîcheit (›Gültigkeit‹): ← redelich (›ordnungsgemäß, (rechts-)gültig etc.‹)
(73) Adj.
Daz selbe welle wir stetigen so mit redelicheiht des rehtis So mit bestetigheit vnsers gewaltis (1653, 778.7).
rehtecheit1 (›Rechtmäßigkeit‹): ← reht (3330) Adj. Vnde daz dárre gewerfte aller ensampt / der do redleich vnd rehtichleich ist zN gegangen ein Nrchunde hab rehtichæit / vnde gantzer warhæit / dar umbe leg ich wolfhart andisen bráf / mein insigel ze einer stetichæit (Corp. 1051, 363.43).
Drei von sechs Belegen erweisen sich anhand ihrer Kontexte als Abstrakta. Drei weitere Belege lassen agentive Verwendung erkennen (vgl. rehtecheit2). rîchheit (›Reichtum, Macht, Kraft‹): ← rîche (128) Adj. Vgl. den Beleg bei kuonheit. _____________ 473 Vgl. v.a. DRW (VIII: 851, s.v. Ledigkeit), DWB (12: 506), HRG (II: 234ff., s.v. Homo ligius).
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
253
sælicheit (›Seligkeit, Seelenheil‹): ← sælic (765) Adj. ...daz ich durih got / vnt durih vnser frauwen willen / vnt auh durih mein / vnt aller meiner vorfodern sælicheit / han gegeben / der Samnung / vnt dem Gotzhaus ze Raitenhaslach / meins rehten Aigens / zwai gGt datz Chirichperch ze einem ewigem sælgræt (Corp. 664, 81.24).
sicherheit11°: ← sicher (86) Adj. Man sol ouch den schidleuten geben, swelich vrchvnde si von gotsh=vsern oder von vns oder von dem hertzogen vordernt, vnd sol man sogetan vrchvnde in twingen an swelicher stat si ez vordernt, ob man in des wider wêr, dar vmb daz si vber vnser beider sache mit merer gewizzen vnd sicherheit dest schirerer vnd dest liblicher gesprechn mvgen (Corp. 1197a = N 425, 315.13).
Die überwiegende Mehrzahl der analysierten Belege des Lexems sicherheit tritt im Korpus in der Funktion eines Adjektivabstraktums auf. Rund die Hälfte der Belege ist in der Corroboratio in der Präpositionalphrase ze (einer) sicherheit belegt und bezeichnet die ›Tatsache, dass etwas sicher ist/bleibt‹.474 Die Verwendung des Lexems in rechtssprachlichen Phraseologismen wie sicherheit tuon, geben, nemen, vordern etc.475 bereitet bei der semantischen Analyse jedoch Probleme. Einmal bekommt das Lexem vor allem durch tuon einen aktionalen abstrakten Charakter, der sich mit ›sicher machen‹ zwar noch adjektivisch umschreiben lässt, der das Lexem semantisch aber deutlich in die Nähe des Verbs sichern rückt.476 In einigen Fällen kann deverbaler Bezug daher nicht völlig ausgeschlossen werden. In Verbindung mit nemen, geben, vordern fällt oft die Abgrenzung zur agentiven Bedeutung (vgl. sicherheit12) schwer, da anhand der Kontexte kaum festgestellt werden kann, ob ein Zustand des Sicher-Seins oder konkrete Gegenstände oder Inhalte gemeint sind, die sicher sind. Schwierig ist des Weiteren die Einordnung von vier Belegen mit der Bedeutung ›Bündnis, Verschwörung‹.477 Diese konnte sich wohl aus dem Zustand des Sicher-Seins entwickeln478, kann aber synchron nicht mit einer standardisierten adjektivischen Wortbildungsparaphrase erfasst werden und wäre aus dieser Sicht als idiomatisiert zu betrachten. Andererseits bedeutet das Verb sichern in reflexiver bzw. reziproker Verwendung ›sich _____________ 474 Vgl. hierzu die häufig in der Corroboratio anzutreffenden adjektivischen Parallelkonstruktionen (vgl. WMU II: 1569) wie z.B. v] dc dis sicher v] stete belibe, des geben wir disen brief (Corp. 228, 232.7). 475 Vgl. DWB (16: 724f.). 476 Vgl. Brendel et al. (1997: 323f.). Das zweimal im Korpus belegte Lexem sicherunge kann entsprechend nicht eindeutig als ausschließlich deverbale Bildung gewertet werden und ist als doppelmotiviert analysiert. 477 Drei Belege in Urkunde 26A werden in der lat. Parallelausfertigung 26B jeweils mit contractus, confederatio und conspiratio wiedergegeben. 478 Vgl. DWB (16: 724, s.v. sicherheit 1a): »sicherheit hân, sicherheit ist unter zweien (sie haben sich durch zusage gebunden)«.
II.1. Derivationstypen
254
verbünden, sich verschwören‹.479 sicherheit ist also letzlich auch in dieser Bedeutung motiviert, der synchrone Motivationsbezug hat aber über das Verb zu erfolgen (vgl. sicherheit2). sihticheit* (›Augenscheinlichkeit, sichtbares Zeugnis‹): ← sihtic (52) Adj. Diser dinge zesihticheit, ze zeugnusse vnd gewarheit han ich disn brief haizzen versigeln mit nsigeln (Corp. 0689a = N 265, 212.4).
Bis auf einen Beleg tritt das Basisadjektiv sihtic stets in der Corroboratio in der Wendung ze einem (einer) sihtigen urkunde, wârheit etc. auf (vgl. WMU I: 1576f.). Der vorliegende Substantivbeleg zeigt einmal mehr das in diesem Urkundenabschnitt immer wieder beobachtbare Phänomen, dass attributiv gebrauchte Adjektive auch substantiviert in der Präpositionalphrase mit ze in Funktion eines Abstraktums auftreten können. stætecheit11°: ← stæte (4000) Adj./Adv. [stætic (6) Adj.] a) vnd das selger(t st(t vnd vnzerbrochen belibe dar vmb hat man disen brief gestatigt vnd gevestent...mit minem insigel zeiner ewigen staticheit vnzerbrochenlichen... (Corp. 653, 76.25). b) vmb swaz chlage · oder gutes / oder sache · oder vrtail vor dem Statrihtær wirt vGrbaz gedinget · ditze dingen sol ze chainem manne / swaz amptes / oder swaz wirde er habe / geschehen · ob ez aber geschæhe / so ne habe weder chraft noch stætichait (Corp. 2345, 456.9).
Die als Adjektivabstraktbildungen klassifizierten Belege von stætecheit sind in ca. 70% der Fälle in der Corroboratio, meist in der formelhaften Wendung ze (einer) stætecheit, belegt (vgl. Beispiel a). Ein Unterschied zu den in gleichen Kontexten belegten -unge-Bildungen stætunge und stætigunge ist dabei anhand der Kontexte meist nicht feststellbar. Die Verwendung als Zustandsabstraktum ist daher oft eher angenommen als ermittelt. Sowohl die -heit- als auch die -unge-Bildungen zeigen bisweilen in ihrer Semantik eine Tendenz zur eigentlich suffixuntypischen Wortart, d.h. die -ungeBildungen tragen zum Teil deadjektivischen, die -heit-Bildungen zum Teil verbalen Charakter.480 Ausgehend von der primären Basisaffinität des Suffixes werden diese ambigen Belege prinzipiell als Deverbalia (bei -unge) oder Deadjektiva (bei -heit) behandelt. Nur die ausgesprochen wenigen, die aus kontextspezifischen und semantischen Gründen ausschließlich nur auf eine andere Wortart bezogen werden können, werden unter einem anderen Bildungstyp behandelt. Bei stætecheit betrifft dies nur einen Beleg des Kernkorpus (vgl. stætecheit2). Die Zahl der Belege, die gleichermaßen auf _____________ 479 Vgl. WMU (II: 1751) und Lexer (II: 903f.). 480 Vgl. Dittmer (1989: 63): »Bei der Bildung von stætigunge kann das ältere Adjektivabstraktum stæticheit [FN 73: Graf VI 647; Lexer stæticheit. Die Bedeutung ›Gültigkeit, Bekräftigung‹ ist vor den Urkunden jedoch ganz vereinzelt] das Vorbild gewesen sein, denn stæticheit lässt sich (wie oft die Adjektivabstrakta) semantisch als Verbalabstraktum auffassen.«
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
255
ein Basisverb zu beziehen wären, ist jedoch höher einzuschätzen. Zwei Belege sind als deadjektivische Agentivbildungen gewertet (vgl. stætecheit12). trunkenheit: ← trunken Part. Adj. (Lexer II: 1546) Jst daz ieman den andern in der stat tages wundet / wirt er des MberzMget / man sol im dP hant abe slahen / sleht er in ze tode / ez gât im an das h?bet / beschiht / ez aber nahtis / oder in eime winhvs / ez si nahtes oder tages / so sol man in kempfen · wande das winhvs glichet sich der naht von trvnkenheit (Corp. 1797A, 98.26).
tumpheit (›Dummheit, Unerfahrenheit‹): ← tump (2) Adj. Chintlich tvmphait Nbet ofte vnzimlich boshait (Corp 2345, 453.32).
ungehôrsamecheit: ← ungehorsam (23) Adj. vnd ist aber er vngehorsam an gerihte, der burger meister v] der rat twingent in ze besserne v] vmbe sin vngehorsamekeit v] den freuel... (Corp. 0610a = N 238A, 189.2).
unstætecheit: ← unstæte (13) Adj.; stætecheit (176) st.F. Uvande nah der welte vnstetekeit die lPte verwandelent sich v] ir getÉt / so ist gar dvrft v] nvzzeber / daz der lvte getÉt mit scriften v] mit ingesigelen also bestetiget werden v] bevestent... (Corp. 679, 91.24).
Das nur in Arengen belegte Derivat unstætecheit kann zugleich als unPräfigierung zu stætecheit aufgefasst werden. verdrozzenheit (›Verdrossenheit, Überdruss‹): ← verdrozzen (›verdrießlich‹) Part. Adj. (Lexer III: 99) ...ein wurzel allez vbels, daz ist die missehellvnge, die gote vnd den lFten widerwertig ist, schaden, laster vnd verdroszenkeit den, die ir nach volgent (Corp. 0090a = N 77, 55.24).
vernünsticheit (›Vernunft?‹): ← vernünstic Adj. (Lexer III: 190) Der bescheiden vernMnstekeit hat erkant, daz vnder allen den dingen, die man handelt, notdFrftig ist ein mGter allez gGtes, daz ist die einhellekeit... (Corp. 0090a = N 77, 55.20).
Die gesamte Wendung bescheiden vernünsticheit gibt das WMU (I: 202) mit ›Einsicht‹ wieder. vestecheit: ← veste (223) Adj. Vnd daz daz da vor geschriben ist craft habe vnd vestekeit, so han wir disen brief mit vnser stette jnsigele besigelt vnd becreftiget (Corp. 0090a = N 77, 56.3).
14 von insgesamt 17 aufgenommenen Belegen des Lexems vestecheit treten in der Konstruktion vestecheit haben im Rahmen der Corroboratio auf. Nur dreimal ist das Lexem in der Präpositionalphrase ze (einer) vestecheit belegt. Die überwiegend eindeutig deadjektivischen Belege veranlassen mich jedoch dazu, diese fraglichen Belege ebenfalls hier zu behandeln, zumal sich die Ermittlung der genauen Lexembedeutung innerhalb der erwähnten Konstruktion ohnehin oft schwierig gestaltet.
II.1. Derivationstypen
256
vorbedæhticheit (›Vorbedacht‹): ← vorbedâht (2) Part. Adj., bedâht (24) Part. Adj., vor Adv.
Daz ich mit rat v] mit gNter vorbedæhticheit han gelobt minem herren bischof Gotfriden von Pazzowe / vurbaz zedinen vnd zewarten / mit mir selb v] mit minem hovs / v] mit all div daz mich an geh=ret... (Corp. 573, 7.20).
Korpusintern ist das Lexem gut über die Wendung mit vorbedâhten muot/willen etc. (vgl. WMU I: 149) motivierbar. Es kann nicht entschieden werden, ob es sich, wie wahrscheinlich, um eine Zusammenbildung aus vor und bedâht handelt oder ob das Lexem direkt zu vorbedâht gebildet ist, dessen Verwendung aber auf andere Kontexte beschränkt ist. Das mit einem Beleg bei Lexer (III: 461) gebuchte Adjektiv vorbedæhtic berücksichtige ich aufgrund der korpusinternen Motivierbarkeit von vorbedæhticheit nicht als Basis. vrîheit°: ← vrî481 Adj. so han ich mit der vorgenanden miner erben willen / mir selbun behalten vrîheit v] macht ze habenne / v] ze gebenne Min husrat / v] min vernde gNt / swaz des ist / gesunt v] siech / v] an meinem tode / nach minem willen / daz mich dar an nieman sol besweren (Corp. 1180, 455.18).
22 von 176 Belegen des Lexems vrîheit wurden analysiert. Nur in drei Fällen ist das Lexem nicht in der Wendung reht (maht/gewonheit) unde vrîheit belegt. Eine Abgrenzung der lexikalischen Bedeutung ›Freiheit‹ von ›Privileg‹ ist innerhalb dieser Wendung nicht immer einfach. In der Bedeutung ›Privileg‹ weist das Lexem Spuren von Lexikalisierung auf. vürsihticheit: ← vürsihtic (›voraussehend, vorausbedacht, verständig‹) (3) Adj. Kvniclicher hohte betrachtvnge v] fursihtikeit/ von der div reht fliezent v] mit der alliv reht gestan mNzent v] svlnt div sol billiche betrahtent v] fursehen daz si des getruwen soliche reht mache v] gebe da von die gNten v] die vnschuldigen lvte infridelicheme gemache bliben v] vf die vbeln v] die schadeberc sint solhe rache v] gerihte valle alse ir missetat verschuldet (Corp. 372, 344.34).
Wie der obige Textausschnitt zeigt, wird vürsihticheit im Kontext durch das Verb vürsehen gestützt. Dies entspricht der Beobachtung in DW (1975: 264): »Manchmal bezieht ein Autor das Abstraktum dieses Typs nicht auf ein Basisadjektiv, sondern auf eine verbale Konstruktion, aus der es wiederum abgeleitet ist«.482 Dies beeinträchtigt im vorliegenden Fall jedoch nicht die Bildungssemantik von vürsihtigkeit, das relativ sicher als Eigenschaftsabstraktum zum Basisadjektiv vürsihtic aufzufassen ist. wârheit1°: ← wâr (854) Adj. _____________ 481 Zum Bearbeitungszeitpunkt liegt mir keine genaue Belegzahl für vrî vor. Das Adjektiv ist jedoch im Korpus sicherlich viele tausend Mal belegt. 482 Vgl. auch Brendel et al. (1997: 305).
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
257
...dez vergihe ich mit disem / brieve daz ez wâr ist · v] ze ainer vestenvnge der warhait / so henche ich ?ch min selbez Jnsigel / an disen gegenwrten brief (Corp. 528, 461.10).
Das Lexem wârheit tritt sehr häufig in stark rechtssprachlich geprägten Phraseologismen auf, die eine wortbildungssemantische Analyse des -heitDerivats erschweren. Es wurde hier versucht, anhand der Gesamtbedeutung der Wendung die zugrunde liegende Bedeutung des Lexems zu ermitteln. In der Verbindung vf ir ait v] vf ir wârhait ist z.B. von der Lexembedeutung ›Wahrhaftigkeit, treue, redliche Gesinnung‹483 auszugehen, wârheit ist daher als Abstraktum zu werten. In der Wendung nach minnen nach rehte/ oder nach wârheit484 klassifiziere ich das Derivat als Agentivbildung (›gemäß dem, was wahr ist (sich als wahr erweist)‹) (vgl. wârheit2). wirdecheit (›Würdigkeit, hohes Ansehen etc.‹): ← wirdec (14) Adj. Vnser vGrstlich werdichait tewert vnde meret sich / vnd h=het ir gewalt / ob wir den gen*dich sein / di sich mit trewen / vnd mit dienst vnserm gebot machent vndertan (Corp. 2918, 214.30).
Das Lexem wirdecheit ist nur in der zitierten floskelhaften Wendung belegt.
wîsheit1: ← wîs (44) Adj.
Nur drei von insgesamt zehn Belegen des Lexem wîsheit treten nicht in der Wendung so leret daz div rehte wîsheit auf, die ausnahmslos in Arengen verwendet wird. Ein Beleg ist in agentiver Funktion im Korpus belegt (vgl. wîsheit2). B. Agentiva (BA-heit2): ›etw./jmd., das/der BA ist‹ Lexem bescheidenheit12° bôsheit drîvaltecheit1 edelkeit gelegenheit2 gerehtecheit2 gewisheit2 gewonheit1° heimelîcheit rehtecheit2 sicherheit12° stætecheit12°
Belege
alem
bair
2 (12) 2 6 1 1 1 6 73 (355) 1 2 4 (18) 2 (10)
1 1 1 39 4 -
1 4 1 5 21 1 -
alemschw 4 1 -
wmd 1 1 -
IR1
Kg
ofrk
IR3
1 1 -
1 1 5 -
1 2 2
1 -
_____________ 483 Vgl. Lexer (III: 690f.). 484 Die Regesten übersetzen die gesamte Wendung »auf gütlichem oder rechtlichem Weg oder durch Wahrheitsbeweis« (Regesten S. 229). Vgl. bei Lexer das in vergleichbaren Kontexten auftretende Lexem wâr st.N. (III: 688).
II.1. Derivationstypen
258 Lexem valschheit wârheit2° wîsheit2 wonheit Gesamt
Belege
alem
bair
1 24 (141) 1 1 128 (559)
13 1 1 61
3 36
alemschw 1 3 9
wmd 2 4
IR1
Kg
ofrk
IR3
2
7
3 8
1
bescheidenheit12°: ← bescheiden (›verständig, vertrauenswürdig etc.‹) (127)
Part. Adj.
da welle wir in daz reht vmme tvn als ivr bescheidenheit citlich vnd reht dvnchet (Corp. 3578, 620.30).
In zwei Fällen wird bescheidenheit in der Personenanrede (klassifiziert als Agentivum ›jmd., der BA ist‹) verwendet (vgl. edelkeit). Das partizipiale Adjektiv bescheiden wird häufig als Epitheton ornans gebraucht, um eine Person vor dem Recht als ›vertrauenswürdig, verständig, wohlunterrichtet‹ auszuweisen (vgl. WMU I: 201f.). bôsheit (›Bosheit, Übeltat‹): ← bœse (29) Adj. Swer An offenrre bewertir bozheît schvldic ist / vnd îme dar vmbe sin zvnft genomen wirt / daz gebietin wir inen vffen ir eît / daz si in nîemer zir gîselleschefte lazen komen (Corp. 80, 124.2).
Alle beiden Belege des Lexems bôsheit erweisen sich in ihren Kontexten als Konkreta. Im obigen Textbeispiel wird ersichtlich, dass nicht ein BöseSein gemeint ist, sondern eine offenkundig bewiesene böse Tat oder ein böses Verhalten. drîvaltecheit1 (›Dreifaltigkeit, Trinitas‹): ← drîvalt Adj. (Lexer I: 466), drîvaltec Adj. (a.a.O.: 467) Die selbe hantvestin sprichet zN thPtsche also Jn dem nâmmen der heiligen v] der vnteilichen Drivaltigheiht Amen (Corp. 1653, 778.3)
Sechsmal ist das Lexem drîvaltecheit als persönliche Subjektbezeichnung im Korpus verwendet. edelkeit: ← edel (404) Adj. V] da von bitte ich / v] vlehe iwer hochgelobte edelkeit / swaz iwer hof hie vber erteile / daz ir daz gerGchet mir heizen schriben vnder iwerm insigel / wan des ist mir v] dem lande not / wan alsogetaniv clage dike vur mich kvmet (Corp. 536, 474.40).
Das Lexem edelkeit ist im Korpus nur einmal in einer Anrede belegt.485 Ich werte diesen Beleg als Subjektbezeichnung486, die über das hierarchisch _____________ 485 Vgl. Oberle (1990: 303): »Nur in Einzelfällen können heit-Bildungen usuell einzelne Personen als Vertreter eines Standes, als Titel [...] bezeichnen, z.B. Berühmtheit, (veraltet) Erlauchtheit, Hoheit, Lieblichkeit, Fürstlichkeit [...].« 486 Vgl. die zahlreichen anderen personenbezeichnenden Wortbildungen im Korpus mit dem Erstglied edel-: edelherre, edelinc, edelkneht, edelliute, edelman, (der) edelvrîe*, edelvrouwe.
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
259
klassifizierende Basisadjektiv edel motiviert ist.487 gelegenheit2: ← gelegen (385) Part. Adj. Vmbe die vogtei des closters ze Wislinkon · sints also gischeiden · daz der von Lvpfen v] sin erbin niemer an livten noh an gNte dihein ansprache gwinnen · dar vmbe liht im dir Bischof zi vier marchin geltis in der ginandvn gilæginhæit (Corp. 17, 26.33).
Die Bedeutungsangabe ›Lage, Gegend‹ des WMU (I: 611) legt eine Interpretation des zitierten gelegenheit-Belegs als Konkretum nahe.488 Das Lexem kann mittels der Hilfskonstruktion ›gelegener, liegender Ort‹ umschrieben werden. Eine vergleichbare neuere Bildung stellt etwa nhd. Liegenschaft489 dar. Ich fasse das Lexem als deadjektivische Bildung auf. In der zugrunde liegenden Bedeutung besteht jedoch kein Unterschied zwischen dem Partizipialadjektiv und dem verbalen Partizip. Hier lassen sich partizipiales Adjektiv und Partizip Präteritum nicht als Homonyme490 voneinander trennen. gerehtecheit2 (›Rechts-/Machtbefugnis‹): ← gereht (14) Adj. Da nach von vnserir [des Königs, UR] gerehticheiht setze wir daz reht also / von eirst/ wirt ein manslecke da vúnden / vnde begriffen des h?bet sol men verteiln ane widersprache... (Corp. 1653, 779.5).
In der vorliegenden Bedeutung ist das Lexem gerehtecheit als Agentivum zu werten.491 Auch hier kann die Bildung über das Basisadjektiv gereht motiviert gelten, wenn die Bildung eventuell aufgrund der inhaltlichen Entsprechung mit gerehte st.N. auch Züge einer idiofunktionalen Bildung aufweist. Zwölf weitere Belege des Lexems sind in einer gefälschten Urkunde aus dem 14. Jh. belegt (Corp. 222AB) und daher ausgeschlossen. gewisheit2: ← gewis (6) Adj. Das vmbe solche Gvlte / vnde Ander gewissehait da vnser Erbar herre / Bischof · wolfhart · von Auspurch / vnser ethelich Chorherren / vnde Auch ethelich Burgar von der State / versetzet hat in Burgescheft / vmbe den kauffe / der geschehen ist / zewischen im / vnde sinem Gotesh§s an Ainem tail / vnde den Edeln herren / Grauen Ludewigen von =tingen... (Corp. 2229, 375.10).
gewonheit1°: ← gewon (7) Adj. _____________ 487 So verfahren auch Brendel et al. mit vergleichbaren Bildungen in ihrem Korpus (1997: 324f.). Müller (1993a: 314) hingegen behandelt solche Derivate in seinem Korpus als idiomatisiert. 488 M.E. ist jedoch nicht völlig auszuschließen, dass der hier angeführte Beleg des Lexems noch abstrakt zu deuten ist. Der Urkundenkontext könnte sich auf ein abgemachtes Vorgehen beziehen. gelegenheit wäre dann als ›Art und Weise, wie etw. gelegen ist‹ umschreibbar. Die lokal-konkrete Bedeutung ist bei Lexer in den Nachträgen belegt (III Nachtr.: 186). 489 Vgl. DWB (12: 1017). 490 Vgl. Fleischer/Barz (1995: 276f.). 491 Vgl. DWB (5: 3611, s.v. Gerechtigkeit 12 a): »das rechtmäszig zugehörige oder auferlegte. a) rechtlich begründete oder verliehene befugnis, recht, das einem zusteht, vorrecht [...].«
II.1. Derivationstypen
260
Der Ertzpischolf/ sol si ovh lazzen beleiben - bei allem dem rehte / vnd bei aller der alten gewonheit/ di si bei pischolf Eberharten / vnd bei andern pischolfen vor im / vnd nah im gehabt habent (Corp. 1197B, 468.11). Wir sezen v] gebieten bi vnsern hulden daz alle vnser fursten / v] alle die die gerihte von vns habent / rehte rihten / als des Landes sitte v] gewoneit si... (Corp. 879W, 220.22).
Als rechtssprachlicher Begriff bezeichnet gewohnheit das »Herkommen im Gegensatz zu gesatztem Recht«492 (DRW IV: 813f., s.v. Gewohnheit II.1.). Basis der Bildung ist das Adjektiv gewon, nicht wie gegenwartssprachlich das Partizip Präteritum des schwachen Verbs (ge)wonen (vgl. Lexer I: 997 gewonen; III: 975 wonen). Die meisten der Belege lassen sich eindeutig mit einer attributiven Konstruktion ›gewohntes Recht, gewohnte Handlung‹ oder mit einer Relativsatzparaphrase erfassen und erweisen sich somit als Agentivbildungen. Aufgrund der lexikalisch etablierten Bedeutung ›gewohntes Recht‹ des usuellen Lexems ist bei auf den ersten Blick uneindeutigen Fällen in der Regel die konkrete Lesart zu bevorzugen. Drei Belege sind als Abstrakta gewertet (vgl. gewonheit2). heimelîcheit (›freundschaftliche Übereinkunft, Bündnis‹): ← heimelich (›vertraut; vertraulich; persönlich; heimlich‹) (15) Adj. daz wir bit deme edelen manne / Gre H******Gderiche fon Liningen eine heimelichkeit v] eine frunts********** v] vbertragen han / Also · daz vnser eldeste s=n der nach vns vnsere Grafschaf besizzen sal / sine dohter Mehtilde ... haben mag .../ zu eime elichen wibe nemen sal v] rehte / e / bit ire follenbrengen... (Corp. 1000, 329.17f.).
rehtecheit2 (›Rechtmäßigkeit‹): ← reht (3330) Adj. ...daz ein vrteil wart gegeben von vns wider Johansen den sitelich vnde den mvlneren / die an das wazzer sprachen ob der erle mvlin biz an die schindel mvlin wider der rechtekeit / ze der Priorin vnde des Conventes schaden v] beswerde (Corp. 2824, 163.11).
sicherheit12°: ← sicher (86) Adj. Jch Nlrich von Rameswag / virzihe mich ?ch / allir der anesprache / Allir der brieve / allir der hantvesten / v] allir der sichirhait swie siv namen hant... (Corp. 325, 312.38).
Eindeutig konkret zu wertende Belege des Lexems sicherheit bleiben unter den analysierten Belegen vereinzelt. Zu unsicher ist die Trennung von der abstrakten Bedeutung, die auch in Phraseologismen mit nemen, geben, vordern etc. vorliegen kann. Als wichtiges Indiz für die weitgehend abstrakte Bezeichnungsfunktion des Lexems kann das vollständige Fehlen von Pluralformen (vgl. WMU II: 1570) angesehen werden.493 Dennoch deuten _____________ 492 Zur Entwicklung vgl. DWB (6: 6530ff.). 493 Vgl. den Aufsatz von Kolb (1969).
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
261
einige Belege, wie das obige Beispiel, durch ihre kontextuelle Verwendung auf eine konkrete Verwendung hin.494 stætecheit12°: ← stæte (4000) Adj./Adv. [stætic (6) Adj.] Nber dc dcz deste steter si hat er im gegeben warperc vnd dc dar zu h=ret an dc hie vor Nz genomen ist Also dc erz insiner gewalt sol haben iar vnd' tac so dc iar Nz kumet svelhe stetteheit denne min her Ruđ von d›me hohinhuse · vnd' min her Ruđd der foge von Dorenberc mahchent der sol si bede begnGgen (Corp. 38,
68.13).
valschheit: ← valsch (29) Adj. Darumbe scriben wir disen brief in gotes namen zainem vrkvnde · daz div falsheit verlieze alle ir fvnde [= vunt (vgl. Lexer III: 569f.) ›Ausgedachtes, Ersonnenes, Kunstgriff, Kniff, List‹495] / da mit siv welle crenken die warhait · die vns dirre brief / mit gancer truwen sait (Corp. 3449,536.15).
Der zitierte Korpusbeleg von valschheit deutet auf eine konkrete, vermutlich allegorische Verwendung der Bildung hin. Ich werte sie unter Vorbehalt als Agentivum. wârheit2°: ← wâr (854) Adj.; vgl. wârheit1 ...v] sol sie der herzoge twingen / das sie die warhait dar vmme sagen (Corp. 1728, 48.32).
24 Belege der -heit-Bildung wârheit liegen in konkret-agentiver Verwendung im Korpus vor. Das Verhältnis zwischen konkreten und abstrakten Belegen (29-mal) ist relativ ausgeglichen. wîsheit2: ← wîs (44) Adj. Wir wellen auch di lernvnge der lernten gemæhlich beruchen / da von div weishait gechGndet wirt der christenhait · vnd daz vngelert allter von chinthait wirt geweiset vnd gelert (Corp. 2345, 453.22).
Ein Beleg von wîsheit wird als konkreter Beleg gewertet. Er bezeichnet vermutlich »weisheit als i n h a l t des wissens« (DWB 28: 1119) und ist am besten mit einer Agentivparaphrase umschreibbar (›das, was weise ist‹). Der zitierte Beleg deutet durch die Verwendung des Verbum dicendi künden relativ sicher auf eine Vermittlung von Inhalt hin, eine Vermittlung von Weisheit i.S.v. ›Zustand des Weise-Seins‹ ist jedoch nicht völlig auszuschließen. wonheit (›Gewohnheit(srecht)‹): ← gewôn (7) Adj. _____________ 494 Die konkrete Bedeutung sicherheit weist Adelung im mhd. Schwabenspiegel nach (Adelung 4: 79f., s.v. 2.): »Dasjenige, was uns Sicherheit gewähret, besonders in engerm Verstande, was uns vor der Gefahr eines Verlustes sicher stellet, wo vornehmlich in den Rechten, eine Handschrift, ein Unterpfand, Caution und Bürgschaft, mit einem allgemeinen Ausdrucke Sicherheiten genannt werden, in welcher Bedeutung es schon im Schwabensp. vorkommt. Ich muß Sicherheit haben.« 495 Vgl. DWB (4: 531, s.v. vunt 3c)).
II.1. Derivationstypen
262
...das er in sol lazen alle dv reht v] die wonheit, die si hatte bi bischoufs Bertoldes ziten... (Corp. 0061a = N 14, 13.25).
Die »nichtpräfigierte nebenform zu gewohnheit« (DWB 30: 1221), wonheit, stellt einen seltenen Fall dar, da sie auf ein Adjektiv mit ge- bezogen werden muss, neben dem es keine unpräfigierte Form gibt.496 Dieses Phänomen tritt ebenfalls bei der nur korpusextern belegten -e-Ableitung wone st.F. (vgl. Lexer III: 975) auf. Eine morphologische Stütze erfährt die Bildung eventuell durch das präfixlose Verb wonen (vgl. Lexer III: 975; u.a. ›gewont werden od. sein, zu tun pflegen‹). Dass die ge-lose Form, ohne durch eine morphologische Basis gestützt zu sein, neben der usuellen geVariante (s.o.) stehen kann, zeigt einmal mehr die pleonastische Funktion von ge-.497 C. Abstrakta (BV/BV[part]-heit3): ›Tatsache, dass jmd. (etw.) BV‹ Lexem berihtikeit bescheidenheit21° bestætecheit gelegenheit1 irrecheit sicherheit2° stætecheit2° vergezzicheit verrihticheit Gesamt
Belege 1 34 (198°) 15 7 1 4 (18°) 1 (5°) 1 3 67 (249°)
alem bair 7 2 7 1 3 20
1 18 11 1 3 34
alemschw 1 1
wmd IR1 Kg 1 1
5 1 6
1 1
ofrk IR3 IR4 1 1
1 1
1 1
IR5 1 1
Einige Lexeme zeigen -heit in der Funktion eines Suffixes zur Bildung deverbaler Vorgangs- und Handlungsabstrakta. Diese hat das Suffix zum Nhd. hin vermutlich einmal unter dem starken Einfluss des prototypischen Suffixes zur Verbalableitung -ung498, aber auch aufgrund der hohen Produktivität von -heit als Suffix zur Adjektivableitung selbst gänzlich eingebüßt. Einige historische Darstellungen zur Wortbildung verweisen auf deverbale -heit-Bildungen499, und auch Doerfert (1994: 180ff.) und Brendel et al. (1997: 330ff.) weisen jeweils eine geringe Zahl deverbaler -heit-Abstrakta im Frnhd. nach. Durch die Berücksichtigung eines deverbalen Bildungsmusters eröffnet sich jedoch auch ein neuer Interpretati_____________ 496 Schon im Ahd. steht eine ge-Form giwonaheit neben der unpräfigierten Variante wonaheit (vgl. Schützeichel 1989: 300). 497 Laut Lexer ist das Adjektiv won (III: 974) nur in gewon belegt. 498 Vgl. Doerfert (1994: 181). 499 Vgl. Weinhold (1883: 284), Wilmanns (1899: 389) und Grimm II (1878: 694).
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
263
onsspielraum bei der Analyse von Bildungen, die auf den ersten Blick als deadjektivische Derivate erscheinen, die bei näherer Betrachtung jedoch auch verbalen Bezug zulassen. Häufig treten in vergleichbaren Kontexten z.B. auf -nisse, -unge oder -sal gebildete Verbalabstrakta auf, was zudem eine verbale Deutung auch der entsprechenden -heit-Bildungen nahelegt.500 Im Urkundenkorpus sind neun Lexeme diesem Typ zugewiesen worden. Zwei Bildungen liegt morphologisch eine Partizipialform zugrunde. Semantisch können sie aber wie die anderen hier angeführten Bildungen nur mittels einer verbalen Prädikation erfasst werden. Nicht zuletzt aus Gründen der Übersichtlichkeit habe ich mich dazu entschlossen, hier die Semantik stärker zu gewichten und dem Unterschied in der Basiswortart nicht mit einer eigenen Klasse Ausdruck zu verleihen. Die Funktionsklasse -heit3 lässt also sowohl den Verbstamm als auch das verbale Partizip als mögliche Basiswortart zu. berihtikeit (›rechtl. Regelung, Schlichtung, Abmachung‹): ← berihten (71) sw.V. ...vnt vmb ander sache / di ich hernach an dem brieve benenne / nach vnser Schidelævt berihtvng / di ich vnt min brvder dar zv haben erwelt / vnt benant / vnt nach des edelen mannes berihtichait heren Seivrides von Chranchperch / der ein gemainer Vberman ist gewesen... (Corp. 345, 326.7).
Dieser Beleg zeigt sehr eindrucksvoll das Nebeneinander von Lexemen auf -unge und -heit in der Verwendung als Verbalabstrakta. Der vorliegende Beleg von berihtikeit ist ebenfalls der einzige bei Lexer (I: 193) gebuchte Beleg des Lexems. bescheidenheit21° (›Ermessen; Entscheidung; Bedingung‹): ← bescheiden (192) st.V.[part] Jr werde denne gedinget / vGr den gesworen Rat der Stat · daz ist vGr di Ratgeben · von den alles dingens vnd aller vrtail wirde / vnd stætev beschaidenhait / vnd endvnge sol bech=men (Corp. 2345, 456.10). Swer auch in die Stat gelten sol / den sol vnser sachwalt / oder vnser Stat Rihter / auf beschaidenhait wan ze æinem mal hin in belaitten / rihtet er ez danne niht ab / so sol in fFrwaz nieman mer belaitten in die Stat / vntz er daz gelte abgerihtet (Corp. 2383, 478.29).
38 ausgewertete Belege des Lexems bescheidenheit2 sind semantisch auf das Verb bescheiden zu beziehen. 26-mal tritt das Lexem in der Wendung mit (der/sogetâner/solher) bescheidenheit auf, in 18 Fällen gefolgt von einem dassSatz. Die gesamte Konstruktion ist mit ›unter der Bedingung‹ wiederzugeben, die in den Urkunden mit verschiedenen Lexemen aus dem Wort_____________ 500 In einigen Kontexten kann jedoch weder der deadjektivischen noch der deverbalen Bildungsweise der Vorzug gegeben werden. Die betroffenen Bildungen werden daher als doppelmotiviert angesehen (vgl. -heit7 und -heit9).
II.1. Derivationstypen
264
feld ›entscheiden, festlegen, bestimmen‹ realisiert wird.501 Besonders auffällig ist die häufig korrespondierende Verwendung des Adverbs bescheidenlîche und des vom WMU auch hier als Part. Adj. klassifizierten bescheiden502 in derselben Bedeutung.503 Die Wortbildungsbedeutung des Substantivs wird hier stets abstrakt interpretiert. Bei einigen Belegen gestaltet sich die Analyse schwierig. Innerhalb der Wendung ane iemanes (z.B. rât, abbet etc.) bescheidenheit setzen/stân setzt das WMU (I: 202) die deverbale Bedeutung ›Ermessen, Entscheidung, Urteil‹ an, was sich mit den Angaben des DRW (II: 78f., s.v. Bescheidenheit II.) deckt. Anders scheint das DWB eine vergleichbare Stelle zu deuten (1: 1557: »das soll der bescheidenheit des richters befohlen werden«), wo die angegebenen Interpretamente peritia, scientia, discretio, erfahrenheit, einsicht, verstand eher auf die Bezeichnung einer Eigenschaft hindeuten. Ich habe mich hier für die deverbale Lesart entschieden, gemeint ist m.E. das ›zuständige Entscheiden‹.504 Starke Lexikalisierungstendenzen zeigen Wendungen, in denen das Lexem nur noch bedingt als eigenständige Wortbildung analysierbar ist, wie eine bescheidenheit tuon, die das WMU mit ›jmdm. Entgegenkommen erweisen‹ umschreibt. Ein Beleg in der Präpositionalphrase durch bescheidenheit ›in der Absicht‹ mit abhängigem Infinitiv kann u.U. als Zustandsabstraktum (›Entschiedenheit?‹) interpretiert werden. Hier berührt sich die deverbale mit der deadjektivischen Funktionsklasse: Swo aber ein geschichte geschehe bi tage oder bi nachte da sal nieman zN lovfen Nffe sinen eit denne dNrch bescheidenheit die selben geschichte ze scheidene ze bezzerne vnde nicht ze ergerne (Corp. 2302, 426.12).
Als eindeutig deverbale Bildungen treten im Korpus bescheit (17), bescheide (4), bescheidunge505 (6) und bescheitnisse (2) auf. bestætecheit: ← bestætigen (225) sw.V., bestæten (147) sw.V. _____________ 501 So z.B. auch mit der -e-Bildung bescheide (4) (vgl. WMU I: 200). 502 Vgl. WMU (I: 202, s.v. B6). Hier liegt es dann in der sonst nicht belegten Bedeutung ›bestimmt, festgesetzt‹ vor, in der es auch attributiv verwendet werden kann (vgl. Lexer I: 204) und die einen deutlich stärkeren verbalen Bezug des Part. Adj. zeigt. 503 1) Substantivbeleg: »den sol er mit sogetaner bescheidenheit pfenten / daz der bvrgær fMr den er pfendet oder des Bvrgeres Bot in manen sol« (1975A, 231.6). 2) Adverbbeleg: »Dise selben gFlte sMlen die vorgenanten brGder alle iâre in nemen / also bescheidenlich / das si von der selben gFlte...geben zehen pfvnt haller« (Corp. 3166, 365.39). 3) Adjektivbeleg: »daz wár...ein lechen...haben hin gegeben...also beschaiden, daz wár div aigenshaft ovf gegeben haben vnser vrowen...« (Corp. N 606, 439.3). 504 Vgl. Doerfert (1994: 182), die einen bedeutungs- und verwendungsgleichen Beleg des Lexems underscheidenheit (Das sal in der ebdissen underscheidinheide stan) mittels der Umschreibung »Das soll bei der Abtissin liegen, daß sie (dies) bestimmt« als zum BV gebildet erfasst. 505 Unter bescheidunge sind die Allomorphe bescheidenunge (2) und beschidunge* (1) subsumiert.
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
265
a) vnd geben in dar vber disen brief ze einer ewigen bestetichait diser sache versigelten mit des erwern Herren insigel hern Hadmars des probstes von Nivnburch... (Corp. 3011, 270.19). b) Div bestæticheit ist geschehen mit Chvnrat willen von Steinchirchen vnt mit siner bet vnt mit vnserm willen vnt mit vnser hant (Corp. 0095a = N 78, 56.21).
Aufgrund der Beleglage sehe ich davon ab, bestætecheit als deadjektivische Bildung der Bedeutung ›Beständigkeit‹ auch in jenen Kontexten aufzufassen, die u.U. eine Motivation über das Adjektiv bestætec (Lexer I: 224) zuließen (vgl. Beispiel a). Das Vorgehen ist hierbei das schon bei bestætunge und bestætigunge angewandte, denn bestætecheit unterscheidet sich in seiner Verwendung nicht von den -unge-Bildungen. Die Mehrzahl der Bildungen liegt eindeutig in der Bedeutung ›Bestätigung‹ (vgl. Beispiel b) vor.506 gelegenheit1 (›Sachlage, Gelegenheit, Angelegenheit‹): ← ligen (1330) st.V.[part] ...so súlen wir vf in varen der den Lantfride gebrochen hat / als die selben schidelúte vnd der oberman / vns heizent vf ir eit / oder der mêr teil vnder in · nach der gelegenheit der getat / Vnd des dem da beschehen ist (Corp. 1961, 219.38).
In der vorliegenden abstrakten Bedeutung ist das Lexem gelegenheit über die Grundbedeutung ›liegen‹ des Basisverbs ligen (1330) motiviert507, morphologisch liegt die Form des Partizips Präteritum508 vor. Das Vorgangsabstraktum weist eine modale Färbung auf, die mittels der Paraphrase ›Art und Weise, wie etw. liegt‹ erfasst werden kann. Ein Beleg des Lexems wird gemäß der Einschätzung des WMU als Agentivum mit lokalem Bezug gewertet (vgl. gelegenheit2). irrecheit (›Beeinträchtigung, Störung‹): ← irren (345) sw.V. so sind dP vorgenanten gMter den brNdern v] huse von Honrein / lidig v] lere / wider gevallen / vmbekPmbert / an alle ansprache / v] irrekeit (Corp. 2841, 174.17).
Das Auftreten deadjektivischer Bildungen in der Präpositionalphrase mit âne ist sehr untypisch und ist außer bei irrecheit nur noch bei kranchheit zu beobachten. Bildungen in dieser häufig verwendeten Phrase sind sonst stets Verbalabstrakta. Eine Interpretation als Zustandsabstraktum zu irre (1) oder irrec (Lexer I: 1451) scheint daher wenig wahrscheinlich. Für die Interpretation als Bildung mit verbalem Bezug spricht neben der Bedeutungsangabe des WMU (s.o.) ferner, dass das Verb irren im Gegensatz zu den erwähnten Adjektiven hochfrequent im Korpus belegt ist. Der lexikalische Vergleich mit anderen Bildungen zur Wurzel -irr- stützt des Weite_____________ 506 Vgl. WMU (I: 217), wo nur ›Bestätigung‹ als Bedeutungsangabe angeführt ist. 507 Vgl. DWB (5: 2941). 508 Das Part. Adj. gelegen (385) ›gelegen, liegend; nahe gelegen, günstig, passend; beigelegt, erledigt‹ kann hier semantisch nicht zur Motivation herangezogen werden.
II.1. Derivationstypen
266
ren diese Lesart. Insgesamt sind im Korpus vier weitere Bildungen mit der Wurzel irr- gebildet, die bis auf irrecheit alle eindeutig auf das Basisverb zu beziehen sind. Alle Bildungen kommen in vergleichbaren Kontexten vor und bedeuten ›Störung, Hinderung, Beeinträchtigung‹.509 sicherheit2° (›Bündnis, Verschwörung‹): ← (sich) sichern (›verbünden, verschwören‹) (43) sw.V. ob dehein Pnser burger hinnan vúr werbe old mache dehein solich Pbelliche sicherheit / daz er dc bezsern sol mit cehen Marchen silbers (Corp. 26A, 47.32 ).
Vgl. die Anmerkungen unter sicherheit1. stætecheit2° (›Bestätigung‹): ← stæten (116) sw.V., stætigen (86) sw.V. Den selben hof ze Tenfridingen sol ich stæten beidiM in des Bischofes Chammer / V] ovch hern Berhtolt p=lan v] sinen erben nachs landes reht. ... Ob in der Hof anspræch wurde von swelhen sachen daz geschæhe in den zilen als ich in stæten sol / des sol ich si vertretten v] versprechen v] sol in die ansprach entl=sen ane allen iren schaden...Swann ovch min herre her Vlrich der Chamrer von Wellenburch heren Berhtoldes des p=lans v] siner erben bFrge wirt vmbe die vorgenanten stætechait / V] in bFrgeschafft durnæhtlichen gelobt so ist Heinrich von Batzzenhoven siner burgeschafft ledik (Corp. 976, 315.20).
Im obigen Textbeispiel nominalisiert die -heit-Bildung stætecheit die im Text zweimal durch das Verb stæten bezeichnete Verbalhandlung. Dies lässt ausschließlich eine Interpretation als Verbalabstraktum zu (vgl. die Anmerkungen unter stætecheit11°). vergezzicheit: ← vergezzen (133) sw.V. Wann vergeszekeit der Sachen dicke den léten widermNte vnde vngemach machet / dar vmbe ist ez wislich vnde nNzlich daz man sie bevestene mit vrkvnde der scrifte... (Corp. 2539, 567.34).
Die bei Lexer gegebene Bedeutungsangabe letargia stimmt mit der vorliegenden Verwendung des Lexems vergezzicheit nicht überein. Der objektive Genitiv der Sachen weist im Text explizit auf die Verwendung des Lexems als Handlungsabstraktum hin. Morphologisch und semantisch ist daher der Bezug auf das Verb vergezzen (133) dem auf das Adjektiv vergezzic (Lexer III: 114) vorzuziehen. verrihticheit (›Schlichten, Aussöhnung‹): ← verrihten (›beilegen, schlichten etc.‹) (453) sw.V. Do wart der Tvmbrobst vnd daz Capitel / mit des richtærs gvnst v] willen des gebeten / daz man den tag lenget vf minnchleicher verrichtichæit vf den andern tag / ob si in der frist niht verrihte wurden / her Ekkart von Tanne der antwurtte dem Tvmbrobst vnd dem Capitel als reht wære (Corp. 3060A, 305.33f.).
_____________ 509 Diese sind: irr(eg)unge (20), irresal (46), irresame (2), irretuom.
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
267
...daz di Geistlichen frowen / der predigær Ordens ze Altenhohenawe / sich verrihtet habent / mit hermann zyzyza vmbe daz Sieden / vnd vmbe daz wazzer / daz da zN geh=rt · ... Vnd div selb verrihticheit geschach datz Hall / in der Stat · vor sant Gyligen Chirchen / da ez Riche / vnd Arme horten · (Corp. 1302, 542.31).
Lexer (III: 204) bucht nur einen Beleg für das Lexem verrihticheit, das sich in der Bedeutung ›Verstand‹ als Adjektivabstraktum zum Basisadjektiv verrihtic ›recht, ordentlich, verständig‹ erweist. Anders liegt der Fall im Korpus. Wie die zitierten Belege zeigen, wird das Lexem in den Urkunden eindeutig als Verbalabstraktum verwendet. Besonders der zweite Beleg zeigt deutlich den Rückbezug auf die zuvor genannte Verbalhandlung. D. Abstrakta (BS-heit4): ›Tatsache, dass jmd. BS ist‹ Lexem kintheit manheit menschheit phafheit2 schalcheit Gesamt
Belege
alem
bair
1 1 6 1 3 12
1 2 2 5
1 1 2
wmd IR1 1 1
3 3
Kg 1 1
Im Korpus sind fünf desubstantivische Abstrakta mit dem Suffix -heit gebildet. Die einzige mittelhochdeutsche Neubildung ist phafheit, alle anderen sind schon ahd. belegt. Die Produktivität dieses Bildungstyps ist schon im Mhd. als gering einzustufen. Die meisten der im Mhd. belegten Bildungen sind im Nhd. untergegangen.510 Den Derivaten ist gemeinsam, dass sie aus der Grundbedeutung des ›BS-Seins‹ den »Träger dieser Eigenschaft oder Beschaffenheit in einen Stand, Status, Rang oder Zustand (z.B. Lebensalter)« einordnen (Oberle 1990: 315). Im Fall von kintheit und menschheit ist ein relativ allgemeiner Zustand bezeichnet, während bei manheit, phafheit und schalcheit prototypische Verhaltensweisen und Eigenschaften (positiv oder negativ) der mit dem Basislexem bezeichneten Person in der -heit-Bildung zum Tragen kommen.
kintheit (›Kindheit, Kindesalter‹): ← kint (2235) st.N. Wir wellen auch di lernvnge der lernten gemæhlich beruchen / da von div weishait gechGndet wirt der christenhait · vnd daz vngelert allter von chinthait wirt geweiset vnd gelert (Corp. 2345, 453.23).
_____________ 510 Vgl. Oberle (1990: 314).
II.1. Derivationstypen
268
Das in der Bildung wahrnehmbare temporale Bedeutungselement ›Zeit des Kind-Seins‹ kommt dadurch zustande, dass die Kindheit einen zeitlich begrenzten Abschnitt im Leben eines Menschen darstellt, den Zeitbezug also in sich trägt. Sie ist somit nicht als das Ergebnis eines Wortbildungsprozesses aufzufassen. Es ist daher nicht notwendig, dieser Nebenbedeutung eine eigene Funktionsklasse zu widmen.511 manheit (›Mannhaftigkeit, Kraft‹): ← man (2050) st.(sw.)M. Vgl. den Beleg unter kuonheit (-heit1). menschheit: ← mensche (66) sw.(st.)M.(N.) a) vnde schimphent v] spotent vnsirs herren nv me v] handelent sinen heiligen nammen wurs / denne die heidene v] die juden taten die in martiretent an sinre menscheite (Corp. 93. 138.1). b) Wan div menneschait bloede ist / v] elliv dinc zerganchlich / wan alaine div got an horent / so ist diz mugelich v] gewonlich / swaz man creftiger dinge tN / div ewic sin svn / daz man daruber gezivge neme v] kvntschaft v] vrkvnde der gescrift (514, 452.22).
Die zwei angeführten Belege des Lexems menschheit lassen sich im Rahmen einer Abstraktparaphrase ›Tatsache, dass jmd. (wie ein) Mensch ist‹ erfassen. In Beispiel b ist u.U. eine kollektive Lesart der Bildung zu erwägen, die jedoch das WMU (II: 1218) nicht annimmt.512 Vier weitere Belege, die sich im Korpus auf das Alem.-Schwäb. bzw. den Raum Augsburg (IR1) beschränken, finden sich im Rahmen von Datumsangaben, wo die jeweilige Jahreszahl ab der menshait vnseres/des herren berechnet wird. Hier bedeutet das Lexem nach Angabe des WMU (ebda.) ›Menschwerdung‹.513 Das Lexem erscheint in dieser Verwendung als Vorgangsabstraktum, lässt sich aber u.U. auch hier noch über die Grundbedeutung eines Zustandsabstraktums514 ›Mensch-Sein‹ unter Berücksichtigung einer temporalen Komponente wortbildungssemantisch erfassen (›seit der Herr Mensch ist‹).515 phafheit2 (›geistl. Würde‹): ← phaffe (260) sw.M. _____________ 511 Anders Doerfert (1994: 223f.) und Brendel et al. (1997: 333), die jeweils für kindheit und manheit eine eigene temporale Klasse aufstellen. DW (1975: 74f.) rechnet das »Abstraktum Kindheit« zu den desubstantivischen Abstrakta, bezeichnet es aber im heutigen Deutsch aufgrund seiner »Komponente ›Jugendzeit‹» als »semantisch eingeschränkt«. 512 Die kollektive Bedeutung ist mhd. jedenfalls bezeugt (vgl. Lexer I: 2104). Uneindeutig ist die Bedeutungsangabe im DRW (IX: 535) zu diesem Beleg ›Gesamtheit der Menschen, auch das Wesen des Menschen‹. 513 Wie Brendel et al. (1997: 327) anhand ihrer Texte zeigen können, trifft das Deutsche in diesem Fall keine lexikalische Unterscheidung zwischen lat. humanitas und incarnatio, obwohl das Lexem menschwerdunge schon mhd. belegt ist (vgl. Lexer I: 2105). 514 Vgl. hierzu Doerfert, die für die wohl einzigen beiden desubstantivischen Bildungen gotheit und menschheit, für die sich dieser aktionale Aspekt beobachten lässt, eine eigene Funktionsklasse desubstantivischer Vorgangsabstrakta ansetzt (1994: 182f.). 515 Lexer (I: 2103) verzeichnet ein Verb menschen »zum menschen machen« und ein wohl dazugehöriges -unge-Derivat menschunge »incarnatio« (a.a.O.: 2105).
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
269
V] haben in mit Vns ze burgen...Vnde Phaffen · heinriche mit der triwe/ Vf sine Phaffeheit ze laistenne mit den anderen (Corp. 1597, 736.07).
Dieser Beleg des Lexems phafheit ist der einzige, der abstrakten Charakter trägt. Er thematisiert Wesen und Zustand des phaffe-Seins und damit verbundene moralisch-sittliche Wertvorstellungen.516 Alle anderen Belege sind kollektiv verwendet (vgl. phafheit1). schalcheit (›Bosheit, Schlechtigkeit‹): ← schalc (›Schurke, böswilliger Mensch‹) (3) st.M. Swer durch sine schalkheit iemanne da vneirliche handilt mit scheltworten/ wirt der / der vmbe beclaget / vnde wirt des uberwúnden mit getrúwen liuthen von der stat / der sol vmbe die Missedâht bessern dem Rihter vnde dem clêger nach rehte (Corp. 1653, 779.40).
Der desubstantivischen Eigenschaftsbezeichnung schalcheit steht im Korpus ein deverbales Vorgangsabstraktum schalkunge (s.d.) gegenüber. Lexer (II: 641) verzeichnet ein Adjektiv schalc, das ich aber aufgrund des mit Basisrang 1 belegten Substantivs nicht als Basis in Betracht ziehe. E. Idiofunktionalia (BS-heit5): ›BS‹ Lexem gewarsamecheit krancheit2 übeltætekeit Gesamt
Belege
alem
bair
wmd
1 4 1 6
1 1
4 4
1 1
gewarsamecheit (›Sicherheit, Garantie‹): ← gewarsame (66) st.sw.F. das ich mit mines wirtes hant / viuianes / des vor genanten / gab vor mime herren Bisscof Henriche / von Basele / mit allergewarsamecheit / alles das goet/ das ich geerbet hatte (Corp. 199, 210.23).
Hinsichtlich seiner kontextuellen Verwendung unterscheidet sich das einmal im Korpus belegte Lexem gewarsamecheit nicht von dem gut belegten, als -same-Bildung klassifizierten gewarsame. Bemerkenswerterweise kommen beide Lexeme nur im Alem. vor. Die synchrone semantische Motivierbarkeit über das Adjektiv gewarsam in seiner bei Lexer (I: 978) gebuchten Bedeutung ›sorgsam, vorsichtig‹ bereitet in beiden Fällen Schwierigkeiten.517 _____________ 516 Vgl. DWB (13: 1595). 517 DWB 6: 4874f. s.v.: »die adjectivbildung [gewarsam, UR] musz in reichlicherer verwendung und für eine frühere zeit, als sie belegt ist, vorausgesetzt werden, weil das substantiv gewahrsam, gewarsame (s. d.), das auf ihr beruht, weit zurückreicht. die objective fassung [›sicher‹, UR] ist am adjectiv wenig belegt, sie bildet aber die hauptgrundlage für unsere substantivbildung gewahrsam.«
270
II.1. Derivationstypen
Daher beziehe ich das Substantiv gewarsame wie gewarheit (s.d.) auf das häufig im Korpus belegte Adjektiv gewære (77). Aufgrund des ausschließlichen Vorkommens von gewarsame in alem. Urkunden und der identischen Verwendung von gewarsamecheit gehe ich von einer idiofunktionalen Bildung zu dem -same-Derivat aus, auch wenn dies vermutlich dem etymologischen Befund widerspricht.518 kranchheit 2 (›Beeinträchtigung, Schädigung‹): ← kranc (4) st.M. [krenken (26) sw.V.] Problematisch ist die Einordnung von vier bair. Belegen des Lexems krancheit, wovon drei in der Corroboratio innerhalb der Wendung âne krancheit belîben auftreten, die erfahrungsgemäß typisch für Verbalabstrakta ist.519 Das WMU (I: 1039) gibt für sie die Bedeutung ›Beeinträchtigung, Schädigung‹ an, und in der Tat scheint krancheit in dieser Verwendungsweise mit anderen eindeutig deverbalen Bildungen wie der Konversion krenken* (1), der -nisse-Bildung krenkenus (1) oder dem -ungeDerivat krenkunge* (1) austauschbar. Doch zeigen diese durch ein angeschlossenes Genitivattribut (des rehts) deutlich transitiven Charakter, während vergleichbare Belege bei krancheit fehlen. Der Bezug auf das Basisadjektiv kranc ›schwach, unzulänglich, gering; aber auch: böse, schlecht‹ (vgl. Lexer I: 1708) stellt hingegen semantisch keine befriedigende Lösung dar. Die vergleichbaren deverbalen Konkurrenzbildungen und die als Handlungsabstrakta aufzufassenden Belege des Lexems sprechen deutlich für einen inhaltlichen Bezug der vier angesprochenen krancheit-Belege zum rückumlautenden Verb krenken ›schädigen, beeinträchtigen, anfechten‹. Der fehlende Umlaut der -heit-Bildung erschwert aber den morphologischen Bezug. Bei der Beurteilung des -heit-Derivats kommt daher dem Lexem kranc (4) st.M., ein gemäß dem DRW (VII: 1394) in »vorwiegend bair. Quellen d. 14./15. Jh.« (Erstbeleg 1333) belegtes Wort mit der Bedeutung ›Schaden, Minderung, Mangel, Abzug, Beeinträchtigung‹, eine wichtige Rolle zu.520 Aufgrund des sprachlandschaftlichen und diachronen Befundes – kranc ist in der beschriebenen Bedeutung ›Beeinträchtigung, Abbruch‹ noch »im ersten nhd.« (DWB 11: 2028) gebucht, während krankheit in dieser Bedeutung nur im Korpus belegt zu sein scheint521 – ist _____________ 518 Vgl. DWB (6: 4885). 519 Vgl. auch irrecheit. 520 Auch die Bedeutungsangaben im DWB (11: 2028) deuten auf deverbale Auffassung von kranc hin (s.v. Krank, 2): »beeinträchtigung, abbruch, s. kränken 4; so mhd. (auch schwäche, mangel, unvollkommenheit)«. 521 Das DRW etwa verzeichnet krankheit nicht. Dies kann als ein Beweis e negativo dafür gewertet werden, dass krankheit als Rechtswort keine Bedeutung erlangen konnte.
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
271
es daher zu bevorzugen, krankheit in der genannten Bedeutung als idiofunktionale Bildung zu kranc zu interpretieren. übeltætekeit* (›Übeltat‹): ← übeltât st.F. (Lexer II: 1606) Diz ist, daz wir nit ewenig vbeltedekeit, die von missehellvnge vns biz her vf gestanden sint, vFr baszer bewarn wellent, so verre wir m=gent, vnd begernt zG einhellekeit vnd einmMtekeit durch gemein nvtz vnd gGt der richen vnd der armen vnsern ernstlichen vliz vnd trahtvnge keren (Corp. 0090a = N 77, 55.25).
Das einmal attributiv mit Personenbezug im Korpus vorkommende Adjektiv übeltætic ›übel handelnd, maleficus‹ kann aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zur Motivation des Lexems übeltætekeit herangezogen werden.522 Ich bevorzuge daher, von einer -ekeit-Erweiterung zu übeltât auszugehen, der keine eigene Bildungssemantik zukommt.523 F. Abstrakta [DM] (BA/BV/BV[part]-heit6): ›Tatsache, dass jmd. BA ist/ jmd./etw. BV‹ Lexem smâcheit1 vergezzenheit versûmecheit Gesamt
Belege 2 2 1 5
alem 2 1 3
bair 2 2
smâcheit1 (›Schmähung, Schimpf, Beleidigung‹): ← smæhe/smâch Adj. (Lexer II: 996), smæhen/smâhen sw.V. (a.a.O.: 998f.)
Nv lazen schowen alle gelobigen livte wie in zi herzen gange irs sch=pfers irs behalters laster v] sin smacheit / v] irs herren des zeichen sie tragent... (Corp. 93, 138.6).
Von den historischen Wortbildungslehren wird das Lexem smâcheit als deadjektivische Bildung behandelt.524 Auf die Möglichkeit, die Bildung jedoch semantisch als Handlungsabstraktum zu interpretieren, weisen z.B. _____________ 522 Für das Adjektiv lassen sich außerhalb des Korpus nur attributiv auf eine Person und einmal auch auf leben (BMZ 4: 149) bezogene Belege erbringen. Eine Verwendung mit strafbaren Handlungen und unbelebten Konkreta, die etwa zu einer agentiven Verwendung von übel-tæteckeit (vgl. die pluralische Verwendung im Kontext) führen könnte, sind für das Mhd. zumindest anhand der meist nur in Form von Stellenverweisen vorliegenden Belege in den Wörterbüchern nicht nachweisbar. (Eine solche Verwendung kann jedoch vereinzelt in späterer Zeit bei Wohltätigkeit nachgewiesen werden, vgl. DWB (30: 1190). Die MHDBDB kennt ebenfalls nur einen personenbezogenen Beleg (Mönch von Salzburg: Geistliche Lieder, Kapitel 1, Lied 33, Stanza 1, Zeile 6 - 12). 523 Der vom DWB angesetzte Bedeutungsunterschied malevolentia (23: 52, s.v. Übelthätigkeit) und maleficium (23: 47, s.v. Übelthat) lässt sich anhand des vorliegenden Belegs nicht beobachten. 524 Vgl. Weinhold (1883: 284) und Kluge (1925: 20).
II.1. Derivationstypen
272
Brendel et al. (1997: 316f.) und die Einträge im DWB hin.525 Die Belege im Urkundenkorpus können anhand ihrer Kontexte nicht eindeutig semantisch klassifiziert werden. Die Kontexte erlauben die Interpretation der Bildung als Zustands- oder Handlungsabstraktum. Aus diesem Grund werte ich das Lexem smâcheit unter synchronem Gesichtspunkt als doppelmotivierte Bildung. Korpusintern konkurriert mit dem -heit-Derivat die ebenfalls als doppelmotiviert klassifizierte -ede-Bildung smæhede (8).526 Zwei weitere Belege sind kontextuell als Agentivbildungen aufzufassen (vgl. smâchheit2). vergezzenheit: ← vergezzen (3) Part. Adj., vergezzen (133) st.V.[part.] vnd ob dehein gebrest an der selben schiedvng gewesen ist von einvalt / oder von vergezzenheit / den bezzeren wir mit disem bráf... (Corp. 1302, 542.37). ...ob ieman deheinen brief in vnser vnmNzze / od von vnser vergezzenheit dar vber gewnne... (Corp. 1817, 133.18).
vergezzenheit ist nach Paul (1920b: 85) zum (adjektivischen) Partizip vergezzen gebildet. Das als Adjektiv verwendete Partizip vergezzen ›vergessen; vergesslich‹ ist jedoch nach dem Eintrag bei Lexer (III: 114) und nach dem Korpusbefund zu urteilen im Mhd. eher spärlich bezeugt.527 Häufig begegnet im Korpus jedoch das verbale Partizip in prädikativer Konstruktion mit sîn oder werden. Wie die einzigen zwei Belege des Lexems zeigen, ist in beiden Kontexten eine Interpretation als Zustandsabstraktum i.S.v. ›Vergesslichkeit‹ (›Tatsache, dass jmd. vergezzen ist‹) oder auch als Handlungsabstraktum i.S.v. ›Vergessen‹ (›Tatsache, dass jmd. etw. vergisst‹) möglich.528 _____________ 525 Laut dem DWB (15: 882) bezeichnet »schmachheit in gleichem sinne wie schmach [...] herabsetzung, kränkung, verunglimpfung durch worte oder handlungen, zustand des verachtetseins, verächtlicher, verachtungswürdiger zustand oder handlung«. Besonders aufschlussreich ist auch der Kommentar zu Schmach (a.a.O.: 877f.): »schmach bezeichnet einerseits die handlung des schmähens, die verunglimpfung durch wort und that, in älterer sprache prägnant die beschimpfung, herabsetzung durch die rede (vgl. schmähen), andrerseits die an der betreffenden person haftende kränkung, erniedrigung; ferner den zustand, in dem man verachtung erfährt, entweder durch eine von anderen ausgehende handlung oder durch eigenes verhalten. schlieszlich wird das wort ganz von der beziehung auf personen gelöst und bezeichnet allgemein das verächtliche, verachtungswürdige, entehrende, z. b. einer handlung oder eines zustandes.« 526 Der verbale Bezug erklärt sich u.U. auch durch die zahlreichen Bildungen zum Präfixverb versmâhen, die Lexer belegt (korpusintern nur versmæhede), darunter auch versmæhekeit (Lexer III: 236), das z.B. Weinhold (1883: 284) als Bildung zum Verbalstamm wertet; vgl. dazu Brendel et al. (1997: 331). 527 Laut der vorläufigen Lemmaliste der Berliner Arbeitsstelle des WMU ist das Part. Adj. im Korpus nur dreimal belegt. 528 Auch das DWB (25: 422f.) unterscheidet zwischen einer Bedeutung, die das Vergessen als Handlung (auch mhd.), und einer Bedeutung, die den Zustand des Vergessenseins bezeichnet. Vgl. zur ersten Bedeutung den folgenden Beleg aus dem DWB: »er fragt nicht, ob
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
273
versûmecheit: ← versûmec Adj. (Lexer III: 257), sûmic (11) Adj., versûmen (49) sw.V.
wer aber das · das von versumekeit ein zins den andern ergriffe · so sFlent die selben reben ane alle wirde rede min v] minre erben den vorgenanten her von Paris lidig sin (Corp. 2752, 117.30).
Die deadjektivische Motivation des Lexems ist morphosemantisch über das nur korpusextern und wohl insgesamt selten belegte Adjektiv versûmec gewährleistet. Korpusintern ist die -heit-Bildung durch das elfmal belegte nicht präfigierte Adjektiv sûmic gestützt. Die Bildung kann im vorliegenden Kontext jedoch auch als Handlungsabstraktum gedeutet werden. Die Bildung ist dann über das gut belegte Verb versûmen (49) motiviert. Von insgesamt fünf Bildungen im Korpus, die zur Wurzel -sûm- gebildet sind529, sind bis auf versûmecheit alle auf ein Basisverb zu beziehen. Auch die kontextuelle Verwendung in der Präpositionalphrase mit von ist bei den anderen Bildungen belegt. G. Kollektiva (BS-heit7): ›alle BS‹ Lexem kristenheit phafheit1 Gesamt
Belege
alem
bair
IR1
Kg
14 26 40
13 4 17
1 4 5
5 5
13 13
kristenheit: ← kristen530 (27) st.(sw.)M. V] vert ane erberme rehte alse ein irzvrnetir low / v] als ein blNtender ber / der niemanne schonen kan · v] het die hobetvestene der cristenheit! Cesariam also mit vntruwen gewnnen v] bezezzet! v] die er drinne begref virderbet v] gevangen (Corp. 93, 137.29).
Allein zwölf von 14 Belegen des Lexems kristenheit sind in Urkunde 93 belegt, einer Freiburger Übersetzung einer Papsturkunde, in der zur Unterstützung bei Kreuzzügen aufgerufen wird. phafheit1 (›Geistlichkeit, Klerus‹): ← phaffe (260) sw.M. daz...[d]er derchan oder der ansinerstat ist virbieten den heren eder den phaphen daz sie kein korn vz vGren oder geben vz zivGren swenne der rat daz selbe den burgern vurboten hat/ War aber daz der rat / oder die burger irlobeten ieman korn vz zivGren gimeinlich eder sunderlich / offenlich / eder heinlich / also vil aso vil irloboch der dechan der phapheit vz zivuren (Corp. 680, 93.23).
_____________ sieben oder wenig zeugen eines testaments seien, ob auch anders vorhanden, ausz welches versaumung oder vergessenheit ein zanck den erben und gewin den gerichtsschwätzern pflegt zu erstehen.« 529 Dies sind: sûmesal, sûmnisse, sûmunge, versûmunge. 530 Zur Form vgl. PWG (1998: §187 Anm. 3).
II.1. Derivationstypen
274
Ein Beleg des weitgehend kollektiv gebrauchten Lexems phafheit trägt abstrakte Bedeutung (vgl. phafheit2). H. Patientiva (BV[part]-heit8): ›das, was jmd. BV/BV wird‹ Lexem bescheidenheit22°
Belege 7 (41)
alem 1
bair 6
bescheidenheit22°: ← bescheiden (192) st.V.[part] a) Daz auch wir im ein bescheidenheit schaffen / von dem gNt daz er in genomen hat / fur sin aribeit... (Corp. 1475, 662.1). b) Mæht aber der Bischolf von hinne vntz ze der næhsten Liehtmesse / vnd von danne in jaresfrist Sultzpach niht ledich gemachen mit reht oder mit minne als vor geschriben ist / so stet danne an vns swaz wir den Morspechen fur daz selbe Dorf ze Svltzpach zN R=ting nach vnserr bescheidenheit / vnd nach des Abbtes / vnd nach der virer rat die vor genant sint/ heizzen Antwurten vnd widerlegen (Corp. 1058, 368.6).
Einige Belege von bescheidenheit sind in patientiver Verwendung belegt und weisen dadurch verbalen Bezug auf. Einmal kann bescheidenheit ein zugesprochenes Stück eines Gutes bezeichnen (vgl. Beispiel a, WMU I: 200, s.v. bescheiden B3), in den anderen Fällen referiert die Bildung im Urkundenkontext auf den Inhalt einer Festlegung oder Entscheidung (vgl. Beispiel b). Hier besteht jedoch die ausführlich unter -unge besprochene Problematik, etwaige modale Bildungen (›Art und Weise, wie jmd. etw. festlegt/über jmdn. entscheidet‹) eindeutig von Objektbezeichnungen zu trennen. Die Verwendungsweise des Basisverbs lässt prinzipiell beide Lesarten zu. Der vorliegende Beleg scheint jedoch eher für die patientive Lesart zu sprechen. I. Agentiva [DM] (BA/BV-heit9): ›etw., das BA ist/BV‹ Lexem smâcheit2
alem 2
smâcheit2: ← smæhe/smâch Adj. (Lexer II: 996), smæhen/smâhen sw.V. (a.a.O.: 998f.)
...die dorne/ die nagele / daz sper / die in vewundetent! die speicheln die ime vnder sin wnneclich Antlvzze wurdent gespMwen / v] alle die smâcheit die ime vffen ertriche îe wrdent erboten/ schrient zN allen den die cristeinen gel=ben hant / nivt Allein mit l§ter stimme / als er an dem cruce tét! wan ?ch mit offenē zai-
II.1.7. -heit (-keit, -ekeit/-icheit)
275
chen siner verchwnden / die vns ain vrkvnde v] ein war ingesigele sint sinre bitteren martyre! vnde siner erbeite die er dur vns leit (Corp. 93, 137.3).
e. Diachroner Vergleich -heit Funktionsklasse Abstrakta (BA) Agentiva (BA) Abstrakta (BV/(BV[part]) Abstrakta (BS) Idiofunktionalia (BS) Abstrakta [DM] (BA/BV, BA/BV[part]) Kollektiva (BS) Patientiva (BV[part]) Agentiva [DM] (BA/BV) Abstrakta (ZW)
Mhd. K-Urk 51,8% 19,3%
K-Dü 82,1% 15,4%
Frnhd. K-Wü 80,6% 11,0%
K-Erf 55,8% 30,0%
Nhd. K-Ggespr. K-Ggeschr. 56,4% 88,4% 32,7% 10,5%
10,8%
-
1,1%
-
-
-
6,0% 3,6%
2,6% -
1,8% 1,3%
1,5% 10,7%
1,8% -
0,4% -
3,6%
-
-
-
-
-
2,4% 1,2%
-
0,9% -
2,0% -
1,8% -
0,4% -
1,2%
-
-
-
-
-
-
-
-
-
1,8%
-
Tabelle II.1.7.10. Funktionelle Verteilung der -heit-Derivate im diachronen Vergleich
An dieser Stelle soll die funktionelle Verwendung der -heit-Derivate im mhd. Urkundenkorpus mit den diesbezüglichen Ergebnissen der Korpora zum Frnhd. und der Gegenwartssprache verglichen werden.531 Auf den _____________ 531 Um eine bessere Vergleichbarkeit zu gewährleisten, mussten die Prozentzahlen der Einzelkorpora gemäß der in dieser Untersuchung angewandten Einteilung teilweise neu berechnet werden. Die Angaben wurden den jeweiligen Arbeiten entnommen (Müller 1993a: 300f.; Brendel et al. 1997: 546f.; Döring/Eichler 1996: 178; DW 1975: 72f.; Gersbach/Graf 1984/85: 195). Für das Dürer-Korpus besteht in zwei Punkten Adaptionsbedarf. Die bei Müller (ebda.) zu verbalen Partizipien gestellten Lexeme (-heit3) werden aufgrund ihrer Wertung als Zustandsabstrakta den Abstraktbildungen mit Basisadjektiv bzw. partizipialem Adjektiv zugeordnet (2,6%). Ferner werden die von Müller in einer eigenen Klasse als doppelmotiviert erfassten un-/-heit-Bildungen ebenfalls unter der erwähnten Funktionsklasse subsumiert (7,7%). Die im Würzburger-Korpus (Brendel et al., ebda.) eigens aufgeführte Klasse ›Zeit, in der jmd. BS ist‹ besteht aus zwei Lexemen (kinthait und manhait) und wird für den Vergleich zu den desubstantivischen Abstrakta gezählt (0,4%). DW (ebda.) und Gersbach/Graf (ebda.) trennen in ihrer Darstellung formal zu Partizipien bzw. Partizipialadjektiven gebildete Zustandsabstrakta (DW: 11,8%; Gersbach/Graf: 1,8%) und Agentiva (DW: 1,2%; Gersbach/Graf: 10,9%) von anderen deadjektivischen -heit-Bildungen der genannten Funktionsklassen. Dieser Unterschied wurde für den hier angestellten Vergleich aufgehoben, die entsprechenden Prozentzahlen addiert und unter den Funktionsklassen Abstrakt (BA) und Agentiv (BA) erfasst. Die bei Brendel et al. als semantisch vage klassifizierten Belege (2,2%) und die in DW und Gersbach/Graf in Restklassen erfassten Bildungen sind hier nicht berücksichtigt, weshalb die Prozentzahlen der genannten Arbeiten in der Übersicht geringer als 100% ausfallen.
276
II.1. Derivationstypen
ersten Blick scheint zwischen dem Urkundenkorpus und den anderen Korpora ein gravierender Unterschied zu bestehen. Dieser relativiert sich jedoch, wenn man berücksichtigt, dass zwei Funktionsklassen nur aufgrund angenommener Doppelmotivation bestehen. Abgesehen von den verbalen Vorgangs- und Handlungsabstrakta, die sich im Urkundenkorpus mit 10,8% deutlich als eigene Klasse etablieren, bestehen hinsichtlich der funktionellen Verteilung der verbleibenden -heit-Derivate offensichtliche Gemeinsamkeiten mit den Vergleichskorpora. Die Bildung deadjektivischer Abstrakta nimmt in allen Korpora den ersten Rang ein. Es bilden sich bei der Betrachtung der Einzelkorpora zwei Gruppen heraus. In der einen liegt der Prozentsatz im Bereich von über 80% Gesamtanteil, in der zweiten Gruppe in einem Bereich von ca. 50% Gesamtanteil. Am höchsten ist der Anteil im Korpus der geschriebenen Gegenwartssprache (88,4%), am geringsten im Urkundenkorpus (51,8%). Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich hinsichtlich des Anteils der deadjektivischen Agentiva. Hier weisen vier Korpora eine Spanne zwischen 10,5% und 15,7% auf, während in zwei weiteren ein Anteil um 30% ermittelt wurde (vgl. Übersicht). Ein System lässt sich hinter dieser Verteilung jedoch nicht feststellen. Die Verteilung lässt keine offensichtlichen Gemeinsamkeiten hinsichtlich Sprachstufe oder Textsorte erkennen. Auffällig ist der vergleichsweise hohe Anteil desubstantivischer Abstrakta im Urkundenkorpus (6,0%). Er ist mehr als doppelt so hoch wie der Prozentsatz im Dürer-Korpus, das hinsichtlich dieses Ableitungstyps die zweite Position einnimmt (2,6%). Hier zeigt sich eindeutig ein diachroner Wandel im Wortbildungssystem, denn mit Ausnahme des Dürer-Korpus zeigt kein anderes Korpus des Frnhd. oder der Gegenwartssprache einen höheren Anteil als 1,8%. In der geschriebenen Gegenwartssprache sind -heit-Bildungen in dieser Funktion gesamtanteilig sogar nur mit 0,4% belegt. Ähnliches, wenn auch nicht so ausgeprägt, zeigt sich für die modifizierende Funktion von -heit, Kollektiva zu prägen. Auch dieser Bildungstyp ist mit 2,4% im Urkundenkorpus funktionell noch am stärksten ausgelastet. Vergleichskorpora, die ihn ebenfalls belegen, weisen einen maximalen Anteil von 2,0% (K-Erf.) auf, die gesprochene Gegenwartssprache zeigt noch einen Prozentsatz von 1,8%. Der sicherlich auffälligste Befund, in dem sich das Urkundenkorpus am gravierendsten von den Vergleichskorpora unterscheidet, ist das Vorkommen bzw. der hohe Anteil deverbaler Abstrakta. Einzig das Korpus der Würzburger Arbeitsgruppe verzeichnet neben dem Urkundenkorpus diesen Bildungstyp für -heit.532 Dass sich -heit nicht stärker in dieser Funk_____________ 532 Nomina actionis zu -heit weist aber im Frnhd. auch Doerfert in ihrer Untersuchung nach (1994: 180ff.). Der Anteil in ihrem Korpus beträgt 0,8% (a.a.O.: 296).
II.1.8. -in(ne)
277
tion etablieren konnte, liegt sicherlich an dem großen Einfluss von -ung als dem maßgeblichen Suffix zur Ableitung von Verbalabstrakta, aber auch an der Entwicklung von -heit zum prototypischen Suffix zur Bildung von Adjektivabstrakta. In fast allen Fällen handelt es sich bei den verbal analysierten -heit-Bildungen um Ausdrucksalternativen zu Wortbildungen mit deutlich enger an Verben gebundenen Suffixen wie -nisse und -unge oder zur Infinitivkonversion.
II.1.8. -in(ne) a. Lexembestand (71) ammanin* beierinne* (10) brobestinne* dienærinne (2) gesellinne (4) helbelingin* (2) hoveherrinne* hûswirtinne* (8) kellærinne (2) krâmerinne (3) kusterinne (2) malerinne marterærinne (2) messenærinne phalenzgrævinne (2) prîorinne° (32/411) riuwærinne (3) schenkinne (3) schirmærinne smidinne* (4) sûterin* (2) turnerinne* vogetinne (2) wescherinne
badærinne (2) bredigærinne* (2) burcgrævîn (4) eptissin° (41/800) grævinne° (27) herzoginne (26) hoverin* jüdinne (6) kelnærinne (10) kuchenmeisterîn (2) lantgrævinne (18) marcgrâvinne (5) meierinne (10) mülnærinne (3) phisterinne* procurâtrin* schaffærinne (2) scherærinne (2) sengerinne (2) subpriorinne* (4) techantinne* (4) underprîorinne* vriundinne (5) wirtinne° (27/833)
behalterinne briumeisterin* burgærinne (31) gebûrinne havenærinne* höuwerinne* hüetærin kamerærinne klôsenærinne (4) küniginne (10) lecherlerin* (4) marschalkîn meisterinne (42) münzerin* (2) phlegærinne rebemannin* schaffenærinne schifmennin* siechmeisterinne süenerinne truhtsæzinne (2) verwærinne vürstinne
278
II.1. Derivationstypen
Ausgeschlossen wurden die korpusintern als Komposita zu wertenden Lexeme êwirtinne und kornmeisterinne.533 Das Lexem gebererinne ist nur in einer gefälschten Urkunde aus dem 14. Jh. (Corp. 222AB) belegt und wird deshalb ebenfalls ausgeschlossen. Ferner bleibt das Lexem zehendærinne im Namen eines Weingartens (Corp. 3101) unberücksichtigt. Über das WMU sind als Beinamen gebrauchte Herkunftsbezeichnungen (Typ Ingolstädter) und andere (Familien)Namen in der Regel nicht erfassbar. Movierte Bildungen zu maskulinen Herkunftsbezeichnungen wie Pilichdorferinn534 oder zu maskulinen Eigennamen wie wallerinn535, die sich mit Sicherheit sehr zahlreich in den Urkunden finden, sind ebenfalls nicht im WMU lemmatisiert, konnten aber aus Zeitgründen auch nicht zusätzlich in den Urkundentexten ermittelt werden.536 Der angegebene Lexembestand darf daher nicht als für das ›Corpus der altdeutschen Originalurkunden‹ repräsentativ angesehen werden. b. Morphologie Das morphologische Erscheinungsbild des mhd. Suffixes -in(ne), das man vereinfachend in eine ein- und eine zweisilbige Variante einteilen kann, hat seinen Ursprung nach Wilmanns (1899: 310) schon im Ahd., wo »die längere Form -inna aus den Cas. obliquis in den Nominativ, und die kürzere -in umgekehrt aus dem Nom. in die Cas. obliqui dringt. Beide bestehen im Mhd. nebeneinander, bis sie durch die jüngere Apokope wieder in der Form -in(n) zusammenfallen [...].« Aussagen über den Anteil der Dehnungsform -în537, die im Mhd. ziemlich verbreitet gewesen sein soll (ebda.), sind anhand der Korpusdaten nicht möglich, da Vokallänge in der Regel nicht markiert wird.
_____________ 533 êwirt ist als mögliche Basis nur bei Lexer (I: 717) belegt, die hohe Belegzahl von wirtinne (833) im Korpus spricht m.E. für die Analyse als Kompositum. Für kornmeisterinne ist bei Lexer keine Basis *kornmeister nachweisbar, die Bildung wird deshalb als Komposition mit meisterinne als Grundwort aufgefasst. 534 Corp. 1821a = N 603, 437.38. 535 Corp. 453, 395.14. Vgl. in derselben Urkunde auch: so getan eeigen als der Gozwin hêt der waller. 536 Auch auf die Erfassung zusätzlicher Lexeme und Belege anhand der Arbeit von Iris NölleHornkamp (1992), wie sie für -er(e) vorgenommen wurde, wurde bei der Behandlung der -in(ne)- Bildungen verzichtet, da sie sich als zu zeitaufwendig erwiesen hat. 537 Vgl. Weinhold (1883: 269f.), auch zur Verwendung in der mhd. Dichtung.
II.1.8. -in(ne)
279
1. Suffixmorphologie Das Suffix538 erscheint v.a. in den Varianten , (nur bair.539), und , wobei bei den auslautenden Vokalen v.a. alem. bisweilen im Nom. und in den obliquen Kasus im Plural steht. Vereinzelt treten abgeschwächte Suffixformen auf -en- auf. Sie finden sich im Wmd. und Alem., wo sie schon Weinhold (1883: 268) (bei md. Dichtern) und Wilmanns (1899: 310) (ahd. in der Mda. Notkers) nachweisen. Auf eine gedehnte Form -în des Suffixes (s.o.) lässt lediglich eine diphthongierte Form im IR4 (ofrk./nordbair.) (kusterinne) schließen. Wie die folgende Übersicht zeigt, präferiert das Bair. (65,5%) die zweisilbige Form -inne im Nominativ, während im Alem. (91,3%) und Alem.Schwäb. (92,9%) bevorzugt -in steht. Dieser Befund ist dahingehend überraschend, dass bair. nur in 13,8% der Nominativ-Belege die apokopierte Form -inn verwendet wird, also -inne als Leitform des Bair. gelten kann. Darüber hinaus zeigt sich anhand der Daten, dass das Eindringen der zweisilbigen Formen in den Nominativ im Bair. weiter fortgeschritten ist als im Alem., im Alem. aber -in stärker in die obliquen Kasus vorgedrungen ist (außer D.Sg.). Auch wmd. ist -inne (93,8%) die Standardvariante.540 Kasus/ Numerus N.Sg. N.Pl. G.Sg. G.Pl. D.Sg. D.Pl. A.Sg. A.Pl.
Typ
alem
bair
-in(n) -in(n)e -in(n) -in(n)e -in(n) -in(n)e -in(n) -in(n)e -in(n) -in(n)e -in(n) -in(n)e -in(n) -in(n)e -in(n) -in(n)e
105 10 3 4 29 19 33 44 2 2 6 4 1 -
10 19 1 9 15 4 13 1 1 1 -
alemschw 13 1 1 1 1 3 1 -
wmd
ofrk
IR1
IR2
IR3
IR4
1 15 1 1 6 -
1 1 2 -
3 2 1 1 -
2 1 2 1 -
1 2 -
4 1 1 1 -
Tabelle II.1.8.1. Suffixvarianten von -in(ne) in den verschiedenen Kasus nach sprachlandschaftlicher Verteilung
_____________ 538 Vgl. Gr.Frnhd. (I,3: 166ff.). 539 Die Belege für diese apokopierte Form von -inne verteilen sich wie folgt auf die einzelnen Kasus: N.Sg. (4), G.Sg. (5), D.Sg. (3), A.Sg. (1). 540 Vgl. Sieburg (2002: 222).
II.1. Derivationstypen
280
2. Basisalternanz
alem. bair. alem.-schw. ofrk. IR1 IR2 IR3 IR4 wmd.
/a/ 8; 42/48 6; 4/10 1; 0/1 1; 1/1 -
/ā/ 5; 23/29 2; 1/3 1; 0/3 2; 1/3 3; 16/22
Umlaut des Basisvokals /o/ /ō/ 4; 0/32 1; 0/4 5; 1/29 2; 1/2 1; 0/2 -
/u/ 5; 5/31 1; 0/1 2; 0/6 1; 0/1 2; 0/2 -
/ū/ 2; 1/3 -
Tabelle II.1.8.2. Graphische Markierung des Umlauts bei -in(ne)-Derivaten
Von den 15 mit -in(ne) gebildeten Lexemen, deren (nichtumgelautete) Basen auf -er(e) enden, zeigen einzig zwei alem. von insgesamt vier krâmerinne-Belegen eine graphische Umlautmarkierung .541 Auch das Lexem gebûrinne zeigt vermutlich markierten Umlaut (G. Sg. o. Pl). Ein systematischer Unterschied zwischen der Umlautmarkierung in grævinne und den -in(ne)-Bildungen burg-, marc- lant-, phalenzgrævinne542, die von zusammengesetzten Basen abgeleitet sind, ist nicht erkennbar. Alem. sind 95%, wmd. 77,3%, bair. und im IR4 jeweils 33,3%, und alem.schwäb. 0% der Bildungen umgelautet. Von den verbleibenden Bildungen weisen v.a. diejenigen Umlautgraphie auf, deren Basis in der Wortbildung einsilbig ist (auch durch -eTilgung543) oder wo sich der umlautfähige Vokal (/a/, /o/, /u/) in der letzten Silbe des Stammes befindet: brobestinne , eptissin, herzoginne , jüdinne, marschalkîn , schifmennin*544, techantinne . Die Bildungen prîorinne° und sub-, underprîorinne bleiben in den analysierten Belegen ohne Umlautmarkierung. Unter Vorbehalt wird der einzige Beleg des Lexems procurâtrin aufgrund der Graphie als umgelautet gewertet. Insgesamt beträgt der Anteil der Formen mit Umlautmarkierung je Sprachlandschaft: _____________ 541 Vgl. Paul (1920b: 53): »Insbesondere entbehren alle aus Personenbezeichnungen auf -er abgeleiteten Wörter wie Malerin den Umlaut, soweit ihn nicht schon das Grundwort hat.« 542 Die Motionsbildungen zu Basen mit grâve (Simplex oder Komposita) machen rund 22% der umlautfähigen Lexeme aus. 543 Vgl. DW (1975: 38). 544 Die anderen Bildungen auf -man(n)in bleiben ohne Umlautmarkierung.
II.1.8. -in(ne)
281
alem
bair
alemschw
ofrk
IR1
IR2
IR3
IR4
wmd
48,3%
14,0%
0%
0%
33,3%
0%
100%
20%
72,7%
Tabelle II.1.8.3. Prozentualer Anteil umgelauteter Vokale nach Sprachlandschaften
Haplologische Formen finden sich unter den Belegen des Korpus nicht. Die Basen der Bildungen kellærinne und kelnærinne kommen nie mit -er(e)Suffix vor.545 3. Basisaffinität Alle -in(ne)-Derivate können auf maskuline (persönliche) Basissubstantive bezogen werden.546 32 Lexeme (45,1%) sind zu Nomina agentis auf -er(e) gebildet, darunter das präfigierte gebûre. 15 Lexeme (21,1%) weisen ein Kompositum als Basis auf, drei davon sind Komposita mit man als Grundwort. Eine Basis ist ein präfigiertes Nomen agentis, das mit dem Suffix -e gebildet ist (geselle), eine weitere Basis ist mit dem Suffix -linc gebildet.547 Die verbleibenden 22 Bildungen (31,0%) sind zu simplizischen _____________ 545 Deshalb werden sie auch nicht unter -er(e) behandelt. 546 Auf die Möglichkeit, movierte Nomina agentis ebenfalls auf die Basis der zugrunde liegenden agentiven Maskulina zu beziehen, weisen Wellmann in DW (1975: 108f.) und Brendel et al. (1997: 345) hin: »raecherinn z.B. ist nicht nur als >weiblicher RächerFrau, die sich rächt< zu paraphrasieren [...].« Ich teile die von Wellmann und Brendel et al. vertretene Ansicht, belasse es an dieser Stelle jedoch mit einem Verweis auf diese zusätzliche Lesart. Bildungen des Typs -in(ne)1b, die eine solche Deutung zulassen (z.B. bredigærinne, dienærinne), kann also auch implizit die Paraphrase ›Frau, die BV/etw. mit BS tut etc.‹ zugrunde gelegt werden. Döring/Eichler (1996: 237f.) setzen für vergleichbare Bildungen eine eigene Funktionsklasse ›Subjekt‹ an, mit dem Argument, dass wenn Luther Maria als dieneryn bezeichnet, er dies nicht tue, weil Maria die ›Frau eines Dieners‹ oder eine ›weibliche Dienerin‹ sei, sondern weil sie »der Welt und Gott« diene (a.a.O.: 238). Dass die matrimonielle Paraphrase ausscheidet versteht sich im genannten Beispiel von selbst. Dass Döring/Eichler jedoch die Paraphrase ›weiblicher BS‹ als inadäquat empfinden, ist m.E. unverständlich. Denn selbst wenn Maria als handelnde Person aufgefasst wird, ist sie doch sowohl eine ›weibliche Person, die dient‹ als auch als ein ›weiblicher Diener‹, denn ein Diener ist eine Person, die dient. Der verbale Bezug ist möglich, aber i.d.R. sekundär und zusätzlich zur desubstantivischen Motivation anzunehmen. Eine unzureichende Bedeutungserfassung, wie von Döring/Eichler angenommen, sehe ich hier nicht. Denn ist z.B. nur der Bezug auf ein Substantiv möglich, wie z.B. bei der Gleichsetzung von Maria mit einer Königin oder Fürstin, muss die Paraphrase ›weiblicher BS‹ angewendet werden, und sie wird ohne Einschränkungen der Benennungsmotivation gerecht. 547 Beide Bildungen sind zu Familien- oder Geschlechternamen gebildet. Im Falle von -linc sind die sonst bei -inne geltenden Bildungsbeschränkungen, die schon im Ahd. nur derivierte Maskulina auf -âri als Basen zulassen (vgl. Doleschal 1992: 36f.), aufgrund der matrimoniellen Motion außer Kraft gesetzt. Henzen (1965: 154) und DW (1975: 109) führen für
II.1. Derivationstypen
282
Basen gebildet.548 Elf Bildungen können prinzipiell auch als Komposita zu -in(ne)-Bildungen interpretiert werden. Innerhalb dieser Arbeit werden sie aufgrund der korpusintern nachweisbaren Basen nur als -in(ne)-Derivate behandelt. c. Motivationsdichte Für 97,8% (399 von 408 analysierten Belegen) der Belege ist Basisrang 1 zu vergeben. Der Anteil an textintern belegten Wortbildungsbasen ist mit insgesamt 15,2% relativ hoch. Für fünf Belege (1,2%) von zwei Lexemen (klôsenærinne, procurâtrin) lässt sich die Basis nur im gleichen Sprachgroßraum (obd.) wie die jeweilige Wortbildung nachweisen. Für wescherinne und riuwærinne (vier Belege, 1,0%) sind die Basen nur bei Lexer nachweisbar (Basisrang 4). d. Wortbildungsfunktion Funktionsklasse A. Motionsbildungen -in(ne)1a B. Motionsbildungen -in(ne)1b C. Markierung des gramm. Geschlechts -in(ne)1c D. Idiofunktionalia -in(ne)2 Gesamt
Paraphrase ›Frau/Tochter von BS/EN‹ ›weiblicher BS‹
›BS‹
Basiswortart
Substantiv
Substantiv
grævinne°
Lexeme / Belege Anzahl Prozent 38/267° 52,1/10,8
prîorinne°
33/1412°
45,2/56,9
behalterinne
1/1
1,4/0,0
1/800°
1,4/32,3
Beispiel
eptissin
73/2480°
Tabelle II.1.8.4. Funktionelle Verwendung der -in(ne)-Derivate
Das Suffix -in(ne) trägt die Funktion, maskuline Basen in eine feminine Form zu überführen (Motion). Korpusintern sind die Basen in der Regel Personenbezeichnungen mit natürlichem maskulinem Geschlecht.549 Das Suffix erfüllt dabei vor allem zwei Benennungsrelationen: _____________ movierte -ling-Derivate nur »ungewöhnliche Bildungen« (Henzen) aus der (jüngeren) Literatur an. 548 Ich behandle hierunter auch unter sprachhistorischem Gesichtspunkt wortgebildete Wörter wie truhtsæze und auch das »bereits mhd. (hist.)« (Paul WB 1992: 559) marschalk als Simplizia. 549 Vgl. aber behaltærinne.
II.1.8. -in(ne)
283
1. Bei der ›funktionellen‹ Motion550 wird zu einem maskulinen Appellativum eine weibliche Entsprechung gebildet, z.B. prîor : prîorinne. Die Paraphrase für derartige Lexeme lautet ›weiblicher BS‹. 2. Bei der ›matrimoniellen‹ Motion551 bezeichnet das zu einem Beinamen oder Eigennamen gebildete movierte Femininum die Zugehörigkeit der so bezeichneten Frau zu einem Mann als ihrem Ehemann oder Vater.552 Die einzelnen Urkunden bieten häufig nicht die benötigten Informationen, um eine eindeutige Bestimmung der aktuellen Lexembedeutung zuzulassen. Es ist daher nicht immer feststellbar, ob es sich bei einer Bildung um eine weibliche Berufsbezeichnung oder um eine matrimonielle Bildung handelt. Obwohl für das späte Mittelalter mit einem relativ hohen Grad selbständig berufstätiger Frauen in allen erdenklichen Bereichen zu rechnen ist553, eine badærinne also durchaus die Besitzerin oder eine Arbeiterin in einer Badstube bezeichnen kann554, habe ich in der Regel Zweifelsfälle, für die sich nicht mindestens einmal eine Berufsbezeichnung relativ sicher nachweisen ließ, unter -in(ne)a verzeichnet.555 Für die Einordnung unter -in(ne)1b ist in der Konsequenz also das mindestens einmalige Vorkommen als Berufsbezeichnung erforderlich. Bei auf dieser Grundlage gemachten Zuordnungen muss eine gewisse unvermeidliche Fehlerquote in Kauf genommen werden. Für Bildungen wie gebûrinne, krâmerinne, phisterinne etc. kann sicherlich, wenn es sich nicht um eine ohnehin selbständige Frau handelt, von einer mitarbeitenden Ehefrau eines Bauern, Krämers oder Pfisters ohne eigene Erwerbstätigkeit ausgegangen werden.556 Diesem Umstand soll jedoch nicht mit einer eigens geprägten Paraphrase Rechnung getragen werden. Zu sehr spielen hier m.E. die enzyklopädische Bedeutung des einzelnen Berufsfeldes und die damit für die Frau verbundenen gesellschaftlichen _____________ 550 551 552 553 554 555
Vgl. Fleischer/Barz (1995: 182f.). Ebda. Dies schließt die Bezeichnungen einer Frau als Witwe ein. Vgl. Händler-Lachmann (1980: 131ff.). A.a.O.: 153ff. Die genannten Zweifelsfälle ohne mindestens einen eindeutigen Beleg sind folgende 14 Lexeme: ammanin*, badærinne, briumeisterin*, gebûrinne, hoverin*, hüetærin, krâmerinne, messenærinne, phisterinne*, rebemannin, scherærinne, schifmennin*, süenerinne, verwærinne. Für meierinne finden sich Belege für -in(ne)a und -in(ne)b. Hier wurden die uneindeutigen Belege -in(ne)b zugeschlagen. 556 Vgl. Eisermann (2003: 28) und ihre herausgearbeitete Mischklasse aus funktioneller und matrimonieller Motion -in3 [Berufsbezeichnung und Ehefrau] (S. 205). Vgl. ferner auch ihren Kommentar zu Brendel et al. (S. 53f.). Vgl. ebenso Brendel et al. (1997: 349) und die dort geführte Diskussion über die ihrer Ansicht nach unzureichende Bedeutungserschließung von Bäuerin als ›Frau des Bauern‹ oder ›weibliche Bäuerin‹ und die vorgeschlagene Paraphrase ›weibliche Angehörige einer bestimmten sozialen Schicht‹.
II.1. Derivationstypen
284
Gegebenheiten und Verpflichtungen eine Rolle, als dass sie als Bedeutungselement des Suffixes gesehen werden sollten. Zudem würden sich in vielen Fällen die Probleme bei der Interpretation nur verschieben, denn ist eine Königin als ›Frau eines Königs‹ weniger durch Anforderungen an ihre Person am Beruf des Mannes beteiligt, als eine Bäuerin an der Führung eines Bauernhofs? Aufgrund des hohen Anteils adeliger Aussteller und Ausstellerinnen können viele Bildungen eindeutig als matrimonielle Bildungen identifiziert werden, da in den meisten der vorliegenden Belege von einem (Erb)Titel des Ehemannes ausgegangen werden kann. Ebenso zuverlässig lassen sich die vielen Lexeme, die weibliche geistliche Würdenträger oder Klosterschwestern mit ihrem Tätigkeitsfeld bezeichnen, der funktionellen Motion zuordnen. Die Gruppe -in(ne)b birgt dadurch eigentlich kaum Zweifelsfälle. Bei den im Folgenden aufgeführten Einzellexemen werden bei -in(ne)1a Textbeispiele nur in den Fällen gegeben, wo sich aus dem Kontext heraus oder im Vergleich mit anderen Urkunden ein Aufschluss über die aktuelle Lexembedeutung ergibt. A. Motionsbildungen (BS-in(ne)1a): ›Frau/Tochter von BS‹ Lexem ammanin* badærinne briumeisterin* burcgrævîn gebûrinne grævinne° havenærinne* helbelingin* herzoginne höuwerinne* hoveherrinne* hoverin* hüetærin kamerærinne krâmerinne kuchenmeisterîn küniginne1 lantgrævinne/ -in lechelerin* malerinne marcgrâvinne marschalkîn meierinne2 messenærinne münzerin*
Belege
alem
1 2 1 4 1 27 (155°) 1 2 26 1 1 1 1 1 3 2 8 18 4 1 5 1 1 1 2
1 1 8 1 2 2 1 1 1 3 2 1 12 4 1 5 1 -
bair 1 1 1 23 1 1 7 -
alemwmd schw 1 3 16 5 1 -
IR1
ofrk
IR4
IR3
1 -
1 -
2 1 2
1 -
II.1.8. -in(ne) Lexem phalenzgrævinne phisterinne* rebemannin* schenkinne scherærinne schifmennin* smidinne* süenerinne sûterin* truhtsæzinne turnerinne* (EN) verwærinne vogetinne Gesamt
Belege
alem
2 1 1 3 2 1 4 1 2 2 1 1 2 139 (267°)
1 1 2 2 1 3 1 2 1 1 1 1 64
bair 2 1 1 39
alemwmd schw 1 1 5 23
285 IR1
ofrk
IR4
IR3
1
1
5
1
ammanin*: ← ambetman (600) st.M. badærinne: ← badære (5) st.M. ...kúnde ich vro adelhait / div baderin /· das her nah geschriben stât Jch tGn m(ngelichem kunt / das ich min hus v] die hofstat · da es vf gebuwen ist · das da lit bi der altun batstubun / in amlunges gassun das aigellichen min was / das ich v] miniv kint / hus v] hofstat vf gâben · mit hern CGnrat dem Ménzer v] mit hern Johans von houe · die nser salman [Mittler, Treuhänder, UR] wâren ber... (Corp. 2586, 13.20). dar
briumeisterin*: ← briumeister (1) st.M. burcgrævîn: ← burcgrâve (215) sw.M. gebûrinne: ← gebûr (61) st.M. grævinne°: ← grâve (2410) sw.M. havenærinne: ← havenære (40) st.M. ...dc wir mit gNtem rate / v] mit eînhellig) willen / alles Pnsers conuentes / han gelobet / v] geloben mit ganzen trPwen / fPr Pns v] Pnser nakomen / dem erbern man hern CNnrat d) Havener...dc wir dc almNsen ...geben v] entWrten sPn îemerme...ce vron annvn seligvn siner wîrtennvn · II · lig· Swester adelheit der havenerinvn siner tohter · III · lig· die wile si lebet... (Corp. 2764, 123.9).
helbelingin: ← helbelinc (194) st.M. (auch als EN)
Bei helblingin handelt es sich eindeutig um eine Motionsbildung zu einem maskulinen Übernamen. herzoginne: ← herzoge (1360) sw.(st.)M. ...daz mein herre der edel Hertzog albreht van sterreich / vnd van Steyr / mit guetem willen meiner vrawen / vravn Elsbeten / der edelen Hertzoginne / ...sein Dorf ze schriche / mir / vnd meiner hausvrawen...verlihen hat zerehtem lehen... (Corp. 2593, 17.30).
höuwerinne: ← höuwer (4) st.M.
286
II.1. Derivationstypen
Das in einer Konstanzer Urkunde (Corp. 2016) belegte Lexem höuwerinne bezeichnet mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verwandte, Angehörige oder die Frau des in folgender Urkunde genannten Mannes: Livtolt des Bischofes amman von kostenze / dem man da sprichet der h=wer... (Corp. 924, 278.21).
hoveherinne*: ← hoveherre (51) sw.M. ...daz ich Ladmein dev hofherrinne...ledig lazze vnd sag alles des rehtes, des si mir von aigenschaft waren gepunden (Corp. 1213a = N 437, 323.24).
Der folgende Beleg aus einer früher datierten Urkunde zeigt, dass Ladmein die Ehefrau des dort genannten Hofherren ist. ...daz her Chvnrat von Wartenuelz durch miner pet willen mier hat drev phvnt pfenning Salzburgar gelihen vf den hof ze alten Chalheim ...vnt vf des hofherren hovsfrowen vrow(e)n Lademy(e)en... (Corp. 0451a = N 187, 147.25).
hoverin*: Der eine Beleg von hoverin* entzieht sich einer klaren Einordnung. Der Gatte von Agnesa der Houerin wird in der selben Urkunde (3475) peter von amerazwilre genannt, eine Benennung nach dem Ehemann liegt hier also nicht vor. Vermutlich hat Agnesa ihren Familiennamen behalten (nach einem Ort Hof gebildet?). hüetærin: ← hüetære (28) st.M. kamerærinne: ← kamerære (174) st.M. Jch Elsbet von Lengenbach Chamererinne in sterrich - vergich an disem brief... (Corp 1732, 53.30). ...vnde ist daz geschechen mit meines wirtes frideriches des Chamerers in sterrich / gvetem willen/ (a.a.O.: 53.35).
krâmerinne: ← krâmer (46) st.M. kuchenmeisterîn: ← küchenmeister (38) st.M. ...vro Anginesa / der chvchimeistiron swestir... (Corp. 880, 246.30).
Der folgende Beleg aus der selben Urkunde legt eine Interpretation des zitierten Belegs von kuchenmeisterin als Angehörige oder Frau des küchenmeisters (vermutlich ein Familienname) nahe. Der andere Beleg des Lexems lässt keine nähere Bestimmung zu. ...heinricH der cHvchimeister ein tNmHerre von Basil... (a.a.O.: 246.43).
küniginne1: ← künic (660) st.M.
Die im Korpus genannten (weltlichen) Königinnen erweisen sich in allen Fällen als Ehefrauen von Königen, v.a. der Könige des Interregnums. In zwei Belegen wird Maria metaphorisch als Königin bezeichnet. Diese Belege werden als ›weibliche BS‹ klassifiziert. lantgrævinne: ← lantgrâve (154) sw.M.
II.1.8. -in(ne)
287
...geschehe dem lantgrauen iht obe er sturbe · oder die lantgrevin sturbe · vor deme zile... (Corp. 343, 324.26).
lechelerin: ← lechelære (2) st.M. (EN) Her CNnrat Bletz v] her Dietrich sin brGder veriehent vron LPggart der Lechelerin v] iren vorgeschribenen kinden ir rehtes an dem lihenne... (Corp.1634a = N 549, 400.03).
Der folgende Beleg in derselben Urkunde weist LPggart als Witwe des Lechelers aus. ...vro LPggart hern Heinriches seligen des Lechelers wirtinne... (a.a.O.: 399.40).
malerinne: ← maler (10) st.M. marcgrâvinne: ← marcgrâve (225) sw.M. Wir von gottes gnaden Heinrich der Margraue von Hahberc / v] wir Anne sine Elich frowe dú Margrauin... (Corp. 246, 247.15).
marschalkîn: ← marschalc (225) st.M. meierinne2: ← meier (381) st.M. ...so ist sin brNdir meiier Rvdiger v] sin hvsfrowe vro Mathilt dP meiierin von Chempz gelt v] die bvrgin zilosinne (Corp. 0527a = N 214, 164.25).
Der obige Beleg von meierinne ist der einzige, der für dieses Lexem sicher auf eine matrimonielle Motion schließen lässt. Korpusintern findet sich ebenfalls ein Beleg, der relativ sicher auf eine weibliche Meierin, d.h eine Gutsverwalterin hinweist. Auch bei den verbleibenden Belegen scheint mir diese Lesart wahrscheinlich. Diese Belege wurden deshalb vorbehaltlich ebenfalls als ›weibliche BS‹ klassifiziert. messenærinne: ← messenære (18) st.M. münzerin*:← münzer (71) st.M. ...vnd vmb daz selbe almvsen svle wir gedenken hern frideriches des mvnzers vnd vern hiltgarten der mvnzzerin siner frÇwen div beidiv des klosters gNte frvnde sint... (Corp. 2603, 31.15).
phalenzgrævinne: ← phalenzgrâve (135) sw.M.
Mit einem der zwei Belege wird eine Angehörige der pfalzgräflichen Familie bezeichnet.557 phisterinne*: ← phister (40) st.M. rebemannin*:← rebeman (18) st.M. schenkinne: ← schenke (289) sw.M Die in den Belegen bezeichneten Frauen erweisen sich als Angehörige der Schenken von Ried und Konstanz (WMU II: 1504f.). scherærinne: ← scherære (29, ca. 16-mal in EN) st.M. schifmennin*: ← schifman (4) st.M. smidinne*:← smit (165) st.M. _____________ 557 Es handelt sich um Agnes, der edlen hertzogen swester von Baiern (Corp. 3188, 378.20).
II.1. Derivationstypen
288
...fro Mechtħ dú Vorgenante Smidîn / V] iru kint... (Corp. 1306, 545.3).
In der zitierten Urkunde wird deutlich, dass es sich um die Witwe eines Schmiedes handelt. ...fro Mechthild hern Berchtoltz seligen elichu wirtenne des Smides / eîn burgerin Von Rinuelden / v] Johans ir sun... (a.a.O.: 544.39).
Die anderen drei Belege des Lexems können nicht näher bestimmt werden und werden als matrimonielle Bildungen behandelt. süenerinne: ← süener (4) st.M. sûterin*:← sûter (43) st.M. truhtsæzinne: ← truh(t)sæze (204) sw.M. turnerinne*: ← turner (35) st.M. (EN) Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei der in einer Freiburger Urkunde (Corp. 638) bezeichneten turnerinne um eine Angehörige einer Freiburger Familie turner (WMU II: 1788). verwærinne: ← verwære (5) st.M. vogetinne: ← voget (1150) st.M. Jnde hauent Nns / inde Nnseme wive de Vadinnen Voren Gerdrude / inde Nnser beidere kinderen / Np dat wir Nnse Grsproggene Vadie behalden Nnvercouft... (Corp. 76, 116.23). ...hain wir RGthgeir der vGregenande Vaith / inde vor Gerdruit Nnse wif... (a.a.O.: 116.47).
B. Motionsbildungen (BS-in(ne)1b): ›weiblicher BS‹ Lexem beierinne* bredigærinne brobestinne* burgærinne* dienærinne gesellinne hûswirtinne* jüdinne kellærinne kelnærinne klôsenærinne küniginne2 kusterinne marterærinne meierinne1 meisterinne mülnærinne phlegærinne prîorinne°
Belege
alem
bair
10 2 1 31 2 4 8 6 2 10 4 2 2 2 9 42 3 1 32 (411°)
9 23 4 8 5 2 4 4 1 5 33 2 1 27
1 1 1 1 4 2 2 2 4 3
alemschw 5 1 2 1 4 1 -
wmd
IR1
ofrk
IR2
IR4
IR3
-
1 1 1 -
2 -
1 2
1 1 -
-
II.1.8. -in(ne) Lexem procurâtrin* riuwærinne schaffærinne schaffenærinne schirmærinne sengerinne siechmeisterinne subpriorinne* techantinne* underprîorinne* vriundinne vürstinne wescherinne wirtinne° Gesamt
Belege
alem
bair
1 3 2 1 1 2 1 4 4 1 5 1 1 27 (833°) 227 (1412°)
1 3 1 1 1 2 1 1 19 158
1 1 1 1 4 1 1 1 1 33
alemschw 2 16
289 wmd
IR1
ofrk
IR2
IR4
IR3
1 1
1 1 1 6
1 3
3 6
2
2 2
beierinne*: ← beier (50) st.M. bredigærinne: ← bredigære (230) st.M. ...so diene daz gNth den Bredegerinnen · zN Sancte Johannes Spital zehen pfvnt... (Corp. 1530, 695.7).
brobestinne*: ← brobest/probst (739) st.M. burgærinne: ← burgære (4200) st.M. Swelch burger des andern b~gers oder burgerinne gedingotten knecht slecht... (0610a = N 238A, 193.26).
dienærinne: ← dienære (233) st.M. ...den sæligen frawen da selbes / v] den Dienæ v] dinærinnen in dem uor genanten chloster zestivre v] zehilfe... (Corp. 702, 107.34).
gesellinne: ← geselle (59) sw.M. ...ob Pns keine ain frowe ain oder mit ainer gesellin da so groz bilde an lege oder bezzerPnge Pnsers closters · oder des landes frowe mit ir gesellin oder dP kvnigin oder ir tohter och mit ir gesellin so ir iemer minst werden mag (Corp. 287, 287.5ff.).
Neben den Begleiterinnen der Königin werden mit einem Beleg auch weibliche Klosterangehörige bezeichnet. hûswirtinne*: ← hûswirt (1) st.M. jüdinne: ← jude (170) sw.M. ...die selben Jvden v] JPdine / der Gemeinde von Berne... (Corp. 1984, 240.24).
kellærinne: ← kellære (63) st.M. ...v] swenne dem closter daz selbe gNt ledic wirt so sol man ez dvr enhein not verk?fen noch versezen v] sol man ez enphelhen allP iar swelP den priolin alde kellerin ist (Corp. 1515, 684.30).
kelnærinne: ← kelnære (227) st.M.
II.1. Derivationstypen
290
...daz ein chriech waz zwischen der Tekkentinn vnd der kelnnerinn vnd der sammvng der frovn von Nidenburch ze einem tail · vnd vlrichem dem Smeltzen vnd siner housfrovn Jevten ze dem anderm tail... (Corp. 2531, 564.8).
klôsenærinne: ← klôsenære (13) st.M. ...den zwein closenerinan von Keppenbach / swester Margerêten / v] swester Metzin / v] deme clostere von Thennebach... (Corp. 1980, 237.44).
küniginne2: ← künic (660) st.M. daz ich ein Capellen/ vnd in der s(lben Cappellen einen alter gestiftet han / in den eren vnsers herren lichnams/ vnd sines blMtes · vnd siner mMter der hohen chMniginne sanct Marien (Corp. 653, 75.23)
Die Bezeichnung Marias als Königin lässt nur die Paraphrase ›weiblicher BS‹ zu. In einer anderen Urkunde wird Maria als himmlische vürstinne bezeichnet (s.d.). kusterinne: ← kuster (139) st.M. ...swester alheit des selben Gotshovs Gvstrein... (Corp. 3208, 390.24).
marterærinne: ← marterære (20) st.M. ...an dem ohten tag /sant Agnesen tag · der marterrerinne (Corp 972, 313.16).
meierinne1: ← meier (381) st.M. ...den Hof ze Riederawe / vnd adelhaiden des selben Hofes magerinnvn gar / vnd Bercholden der nu genanden adelhaiden wirt... (Corp. 3314, 459.7).
meisterinne: ← meister (1010) st.M. ...ich / swester Mæhthilt dû meisterin der swesteran ze Nûwehusen / mit aller der samenvnge... (Corp. 1183, 456.25).
mülnærinne: ← mülnære (205) st.M. Heinrich von Schafhvsen / v] fro Mehthilt dP MPllerin / sin elich wirtinne / swas si rehtes an der MPli ze Obern wFrj / dú da lit ze Oberost bi dem tor...hatten... (Corp. 2008, 253.23).
An der obigen Textstelle lässt sich eine aufgrund ihrer eigenen Berufstätigkeit motivierte, vom Ehemann unabhängige Bezeichnung der genannten Frau als Müllerin mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit annehmen.558 Die anderen zwei Belege des Lexems lassen sich nicht näher bestimmen. phlegærinne: ← phlegære (315) st.M. ...v] het >ch der Abbet die frowan gesezet ze phlegerinnan Pber das gGt... (Corp. 1904, 180.43).
prîorinne°: ← prîor (252) st.M. ...Hie zN bindet sich dP priorin v] dP procPratrin swaz von dem gNtern kome daz si daz alles in drin tagen dem Covent zidienste geben... (Corp. 1228, 486.27).
_____________ 558 Es darf wohl im behandelten Zeitraum von verschiedenen Beschäftigungen von Ehepartnern ausgegangen werden (vgl. Händler-Lachmann (1980: 136) mit Beispielen aus dem 16. Jh.).
II.1.8. -in(ne)
291
procurâtrin: ← procurâtor (3) st.M.
Vgl. den Beleg unter prîorinne. riuwærinne: ← riuwære st.M. (Lexer II: 472) ...dien vrowon die den selben orden tragent / Vnd geheizen sint sant Marivn Magdalenvn swestren vnd die Rvwrin... (Corp. 506, 448.7).
schaffærinne: ← schaffære (47) st.M. ...Brvder perhtold des priors geselle · her vlrich von chvnestetin der vrowen schaffer der do der mvnich gehaizen ist / · Her vlrich der List /· Swester marigret dev vnderpriorinne /· Swester christein dev schafferinne... (Corp. 3259, 423.32).
schaffenærinne: ← schaffenære (60) st.M. Vgl. den Beleg unter subprîorinne. schirmærinne: ← schirmære (26) st.M. Jch han avch miner frawen / frawen agnesen / miner vorgenanten herren / der edlen hertzogen swester von Baiern den selben hof enpfolhen / daz si des schermærinne sol sein nach minem tod... (Corp. 3188, 378.22).
sengerinne (›Vorsängerin in einem Kloster‹): ← senger (56) st.M. Geziwge sint...Swester Agnes div priorin · Agnes von Luzingen · Agnes von Biberbach. Judent div suppriorin · Livgart div alte sangerin... (Corp. 354, 332.3).
siechmeisterinne: ← siechmeister (15) st.M. ...daz man den frawen die ze siehhavs sint ir pfrvnt da von bezzern sol / nach ir abtessinne vnd nach ir siehmaisterinne rat... (Corp 3188, 378.14).
subpriorinne*: ← subprîor (22) st.M. ...v] beschach dis ze Adelnhvsen vor vns der vorgenemeter Priorinvn / vor svester Elsebethvn kMchelinvn der Subpriorinvn / svester Villiep der Schafenerinvn... (Corp. 638, 66.27).
techantinne: ← techan (310) st.M. ...daz wir Margret div Techentinne / Alheît div Chelnerinne / v] vber al div Samnvng der vrowen von Nidenbvrch ze Pazzowe... (Corp 461, 398.33).
underprîorinne: ← underprîor (14) st.M. ...Swester marigret dev vnderpriorinne... (Corp. 3259, 423.32).
vriundinne: ← vriunt (839) st.M. ...dc die Erberú vrowe v] vnsere getruwe vrúndin Vro Gisele hern Burcardes seligen von ensichesheim eliche wirtin hat vns v] vnserme Clostere durch got v] irre selen heil v] irs wirtes v] irre vordern nPnzehen jucher · reben gegeben... (Corp. 1741, 58.21).
vürstinne: ← vürste (286) sw.M. Vnd loben mit diser shrift fFr vns vnd fFr vnser nach chomen mit samt herm Marchwarten vnd vrawen Gedrauten der sel geræt ez ist vnser vrawen der himelisshen fFrstinne gotes mGter Marie (Corp. 2315a = N 748, 539.34).
II.1. Derivationstypen
292
vürstinne ist korpusintern nur als Bezeichnung für Maria belegt und als ›weiblicher BS‹ zu paraphrasieren. wescherinne: ← wescher st.M. (Lexer III: 798) ...daz der ambaht livte nivne sulnt sin vnd ein wescherin, dîe âne man si (Corp. 0178a = N 109A, 82.16).
wirtinne: ← wirt (470) st.M. ...von des herren halbon von Clingen alder siner wirtinne alder siner Tohtrin... (Corp. 127A, 169.14).
C. Markierung des gramm. Geschlechts (BS-in(ne)1c) Lexem behalterinne
bair 1
behalterinne (›Erhalterin, Bewahrerin‹): ← behaltære (7) st.M. ...daz si [di gemaine vnserre liben getriwen...der Purgær ze Wienne] gepriset vnd gevGrdert werde nach den geærnden irer triwe von vns · vnd von vnsern Nachchomen · als si mit wirden · vnd mit eren von vnsern Vodern geeret vnd gevriet ist · als ein havbet vnd ein behaltærinne vnseres Fourstentvmes (Corp. 2345, 452.20).
Eine besondere Verwendung zeigt das Suffix -in(ne) im Fall von behaltærinne in der Ausstellung des Wiener Stadtrechts vom 12. Februar 1296. -in(ne) dient im vorliegenden Fall der Markierung des Lexems als Femininum und soll somit die semantische und grammatische Beziehung zum femininen Bezugslexem gemeinde verdeutlichen.559 Auch wenn eine allegorischmetaphorische Verwendung560 des Lexems (man beachte havbet) nicht absolut ausgeschlossen werden kann, trifft m.E. das Argument Wellmanns zu (DW 1975: 108), dass in der zitierten Textstelle unterschiedslos das unmovierte Maskulinum (behaltære) verwendet werden könnte.561
_____________ 559 Vgl. DW (1975: 108). 560 Vgl. Doleschal (1992: 40), die für das Nhd. die Ansicht vertritt, dass in »den Fällen, wo eine Movierungsbildung als Kongruenzmarker auftritt, [...] sie als Personifizierung aufgefaßt werden [muß]«, wenn auch im vorliegenden Fall nicht »das erhöhte Sprachbewußtsein [...] auf Grund der feministischen (u.a.) Sprachkritik« dafür verantwortlich gemacht werden kann. 561 Müller (1993a: 339f.) wertet vergleichbare Bildungen als Idiofunktionalia. Brendel et al. (1997: 345) sprechen sich hingegen für eine Klassifizierung als Motionsbildungen aus und weisen auf die Unschärfe zwischen Genus- und Sexusmarkierung hin, die aufgrund allegorischer Verwendung entstehen könne.
II.1.8. -in(ne)
293
D. Idiofunktionalia (BS-in(ne)2): ›BS‹ Lexem eptissin°
alem 41 (800°)
Die Bildung eptissin ist eine Weiterbildung mit dem Suffix -in(ne) zum kirchenlat. Lehnwort abbātissa (ahd. abbatissa) (Kluge 1999: 10). Entgegen der Angabe bei Kluge (ebda.), wo die »Erweiterung mit -in« auf das 15. Jh. datiert wird, stellt diese schon im Korpus die Hauptform dar.562 Geht man bei eptisse, was m.E. die plausibelste Lesart ist, mhd. von einem Simplex aus, so ist das antretende -in(ne) aus funktionaler Sicht als pleonastisch – allenfalls verstärkend – zu klassifizieren, da das Ausgangslexem schon fem. Genus trägt. Für eine starke Lexikalisierung des Lexems spricht ferner das Fehlen einer indigenen Bildung *eptin zur Basis abbet, wie bei prîorin ← prîor neben korpusintern nur einmal belegtem prîorisse aus mlat. prîorissa563. Bei Berücksichtung des Lexems abbet als Wortbildungsbasis wäre morphologisch ein erweitertes Ableitungsmorphem -issin(ne) anzunehmen564, das u.U. mhd. (noch) als Variante von -in(ne) behandelt werden könnte.565 Von einer Integration des Fremdsuffixes -isse ist jedoch m.E. für das Mhd. nicht auszugehen.566 Insgesamt ließen sich mit dem ›Rückläufigen Wörterbuch der Mittelhochdeutschen Sprache‹ von Bachhofer/v. Hahn/ Möhn nur fünf Lexeme auf -(e/i)sse im Mhd. nachweisen.567 In allen Fällen handelt es sich m.E. ›nur‹ um integrierte Fremdwörter, wenn auch die mask. Basis in allen Fällen erkennbar ist. Die Annahme eines mhd. (Fremd)Suffixes -isse ginge meiner Auffassung nach zu weit. eptissin wird daher als idiofunktionale Bildung zu eppetisse behandelt.568 _____________ 562 563 564 565
Vgl. WMU (I: 481). Vgl. Lexer (II: 296). Vgl. DW (1975: 111) und Brendel et al. (1997: 283). Vgl. Brendel et al. (ebda.), die ebtissin zwar als -(e/i)ss(e/in) Bildung gesondert behandeln, dies aber abschließend einräumen. 566 Brendel et al. (1997: 283) führen als Kriterium der Integration von -(e/i)sse als Suffix die fehlende lat. Flexion und die morphologische Vielfalt an. Die Endung -e des Suffixes zeugt jedoch lediglich von einer Integration ins mhd. Lautsystem mit Abschwächung der Nebensilben, was aufgrund des Auftretens der Lexeme schon im Ahd. nicht verwunderlich ist. Eine Anpassung an das deutsche Flexionssystem ist ebenfalls kein notwendiges Kriterium für die Intergration des Suffixes. 567 Diese sind: ducisse, eppetisse (abatisse), phîtonisse (= vaticinatrix ›Weissagerin‹, evtl. ein Eigenname), prophêtisse, prîorisse. Korpusintern ist ein bei Lexer nicht belegtes Lexem professe (Vgl. WMU II: 1405) gebucht. 568 Vgl. Henzen (1965: 154), der u.a. Baronessin als ›pleonastische‹ Bildung einstuft, und Paul (1920b: 55 Anm.3). Ferner Henzen (1958/81: 67): »[...] in Wirklichkeit stellen Äbtissin und Prinzessin einfach nachträgliche Erweiterungen durch -in zwecks Verdeutlichung der fremden Femininbildungen abbâtissa-eppetisse und princesse dar, gleich wie etwa neueres Diakonissin
II.1. Derivationstypen
294
e. Diachroner Vergleich Die in der folgendn Tabelle angeführten Vergleichszahlen569 entsprechen im Falle des Dürer-Korpus und des Erfurter Korpus nicht den in den entsprechenden Arbeiten angegebenen Zahlen. Stattdessen wurden die dort aufgeführten Bildungen nach den in dieser Arbeit angewandten Analysemethoden einsortiert und die Zahlen neu berechnet.570 Der Vergleich ist also nur bedingt möglich und hat eingeschränkte Gültigkeit. -in(ne) Funktionsklasse
Mhd. K-Urk
K-Dü
Frnhd. K-Wü
K-Erf
K-Ggespr.
Nhd. K-Ggeschr.
Motionmatr.
52,1%
-
1,4%
-
2,3%
1,7%
Motionfunkt. Markierung des gramm. Geschlechts idiofunktional
45,2%
50% (4)
98,6%
100%
97,7%
98,3%
1,4%
50% (4)
-
-
-
-
1,4%
-
-
-
-
-
Tabelle II.1.8.5. Funktionelle Verteilung der -in(ne)-Derivate im diachronen Vergleich
Deutlich zeigt sich, dass das Urkundenkorpus bei den Personenbezeichnungen erneut (vgl. -er(e)) eigene Wege geht und die Daten sich stark von den Befunden der Vergleichskorpora unterscheiden. Während in den anderen Korpora der Typ der matrimoniellen Motion (Motionmatr.) kaum eine Rolle spielt, zeigt das Urkundenkorpus eine textsortengebunden besonders starke Ausprägung dieser Movierungsfunktion. Auch im Frnhd. ist jedoch mit einer hohen Produktivität dieses Bildungstyps zu rechnen, aufgrund der fachsprachlichen Ausrichtung der Vergleichskorpora ist er jedoch kaum repräsentiert.571
_____________ [...].« An anderer Stelle spricht Henzen von einem »sprachmechanischen Klärungsprozeß« (a.a.O.: 70). 569 Vgl. Müller (1993a: 339), Brendel et al. (1997: 548f.), Döring/Eichler (1996: 238), Gersbach/Graf (1984/85: 199), DW (1975: 86f.). 570 Die von Müller (1993a: 339ff.) als ›Idiofunktionalia‹ gewerteten Bildungen sind vergleichbar mit der im Urkundenkorpus belegten Bildung behaltærinne (s.d.). Wie Letztere werte ich die Bildungen im Dürer-Korpus daher für die Übersicht als Bildungen mit der Funktion, das grammatische Geschlecht einer Bezugsbildung zu markieren. Die Funktionsklasse ›Subjekt‹ bei Döring/Eichler (1996: 236ff.) wurde aufgelöst und ›traditionell‹ der Paraphrase ›weiblicher BS‹ zugeordnet. 571 Wie Müller (1993a: 343) einräumt, wäre in seiner Arbeit der Anteil an Motionsbildungen des Typs ›Frau/Tochter von BS‹ erheblich höher ausgefallen, wenn alle »nur abschriftlich überlieferten Texte Dürers (Briefe, Tagebuch, Familienchronik)« in seinem Korpus berücksichtigt worden wären.
II.1.9. -lîn
295
II.1.9. -lîn a. Lexembestand (48) anewenderlîn* (2) birgelîn* boumgertel* dechelîn eckerlîn (3) forstelîn* goltsteinlîn* hækel hiuselîn (5) hulzel* knebelîn magetlîn (2) riutelîn* (2) stübelîn türlîn (6) weselîn
angerlîn (3) bletzelîn brückelîn (6) dörflîn eigenlîn (2) gertelîn (3) grabelîn (2) heftel hovelîn (4) kindelîn (11) köpfelîn mettelîn (2) stegelîn stückelîn (10) vaterlîn (2) wiselîn (7)
bechelîn boumelîn (3) brünnelîn eckelîn eninklîn (11) gezzelîn (3) güetelîn (42) hegelîn* (2) hovestetelîn* kirchelîn loubelîn (3) pheffelîn stetelîn (5) tohterlîn vrouwelîn zehendelîn*
Folgende Lexeme wurden nur als Personenname nachgewiesen und deshalb aus der Untersuchung ausgeschlossen: geveterlîn, hemerlîn, hêrrelîn, lembelîn, smitlîn*, spænelîn, spengel, sporlîn, spœrlîn, stumpfelîn*, sünelîn, swenzelîn, swertelîn. Belege für Peronennamen waren unter anderem bei folgenden Lexemen auszuschließen: brünnelîn, vaterlîn, gezzelîn, hiuselîn. bürgelîn wird zur Bezeichnung einer Liegenschaft verwendet und daher ausgeschlossen. Für die Bildung gartenstückelîn* ist auch bei Lexer keine Basis *gartenstücke nachweisbar. Sie wird deshalb als Determinativkompositum aufgefasst und nicht berücksichtigt. Ebenfalls unberücksichtigt bleibt das Lexem vingerlîn ›Fingerring‹, das ich als idiomatisiert betrachte.572
_____________ 572 Brendel et al. (1997: 359f.) etablieren für diese Bildung eine eigene Funktionsklasse mit der Paraphrase ›etwas, das BS kleidet‹. Vgl. hierzu auch die Bemerkungen zu ermel unter dem Suffix -el (II.1.4.).
II.1. Derivationstypen
296
b. Morphologie 1. Suffixmorphologie -lîn
Belege
-lin -li -lein -el -le -ol -lîe Gesamt
97 39 10 13 4 1 1 165
alem
bair
64 30 1 1 96
15 9 11 4 39
alemschw 3 9 12
IR1
Kg
wmd
IR4
IR6
9 9
1 1
1 1
4 1 5
2 2
Tabelle II.1.9.1. Morphologie des Suffixes -lîn
Am häufigsten erscheint das Suffix korpusintern in der Form -lin (58,8%). Die Vokallänge ist graphisch nie markiert. -lin ist für 66,7% der alem. Belege die Leitform. 38,5% der bair. Belege, 25% der alem.-schwäb. und 100% der Belege für IR1 zeigen diese Form. Die wenigen Belege für die Interferenzräume IR4 (80%) und IR6 (100%) weisen fast ausschließlich diese Form auf. An zweiter Stelle rangiert die nasallose Variante -li mit insgesamt 23,6%, deren Verbreitung sich auf das Alem. und Alem.Schwäb. beschränkt. Innerhalb des Alem. beträgt der Anteil rund 31,3%, innerhalb des Alem.-Schwäb. 75%. Die Varianten -lein (6,1%), -el (7,9%) und -le (2,4%) sind mit Ausnahme dreier Belege auf das Bair. beschränkt. Die Verteilung innerhalb des Bair. ist folgendermaßen: -lein 23,1%, -el 28,2% und -le 10,3%. -el ist für das Wmd. (rhfrk.-pfälz.) ungewöhnlich.573 Zwei Erscheinungsformen des Suffixes fallen aus der Reihe. -ol in köphel, dessen Form identisch ist mit den zahlreichen alem. -ol-Endungen in scheffel (vgl. -el), das ebenfalls wie dieses Lexem eine Maßeinheit bezeichnet. Ferner die Form -lîe, deren Zuordnung unter einer der oberen Varianten nicht zweifelsfrei möglich ist, zumindest aber als nasallose Variante einzustufen ist.
_____________ 573 Vgl. Gr.Frnhd. (I,3: 138ff.).
II.1.9. -lîn
297
2. Basisalternanz Viele der Bildungen weisen einen Bindevokal -e-/-i- auf.574 Im Großen und Ganzen lässt sich für das Alem. feststellen, dass dieser regelmäßig an einsilbige Basen tritt. Er ist in 43 von 50 Fällen realisiert. Bei Basen auf -e tritt alem. in der Regel keine Synkope ein. Lediglich in einem von 34 Fällen (eckelîn) fällt -e- aus. Die Form des Suffixes -lin oder -li hat hier keinen weiteren Einfluss. Achtmal ist der Bindevokal -i-. Die auf das Bair. beschränkte Suffixvariante -el kann zweifelsfrei durch Antritt an eine Basis mit geschlossener Endsilbe in zehn Fällen nachgewiesen werden. Zweimal geht ein -e des Basissubstantivs voraus (hækel, boumgertel*). Abzüglich dieser Belege ist ein Fugenvokal -e- in nur sechs von 18 Fällen bei Basen mit geschlossener Endsilbe zu beobachten.575 Viermal ist bei Unterdrückung des Bindevokals die verwendete Suffixvariante -le. Bei Basen auf -e ist jedoch die Zahl der synkopierten Formen mit zwei synkopierten zu sieben Formen mit -e- auch hier relativ gering. Für die restlichen Sprachlandschaften zeigt sich folgendes Bild: In vier von vier Fällen576 ist im IR1 ein Fugenvokal unterdrückt, der Interferenzraum zeigt hier einmal mehr eher bair. Merkmale. Das Alem.-Schwäb. hat den Fugenvokal in sechs von acht Fällen577, synkopierte Formen bei Basen auf -e treten sonst nirgends auf. Eine generelle Beobachtung, die sich mit Aussagen der historischen Wortbildung deckt578, ist die, dass bei Basen auf -er grundsätzlich kein »Mittelvokal« auftritt. Dies ist korpusintern auch für Formen mit -(e)n in der Basis (eigenlîn, goltsteinlîn) beobachtbar, aufgrund zu geringer Belegzahlen jedoch nicht zur Regel zu machen.579 Alternanz des Basisvokals alem. bair. IR1 alem.-schw. IR6 IR4
/a/ 9; 16/20580 5; 6/6 2; 4/4 1; 1/1 -
/e/ 1; 1/1 -
/o/ 3; 2/6 2; 0/2 -
/u/ 4; 10/10 1; 1/1 1; 1/1 1; 0/1 -
/ou/ 2; 3/6 1; 1/1 -
/uo/ 1; 10/27 1; 5/7 1; 2/2 1; 0/6 -
_____________ 574 Zur Herkunft des Bindevokals vgl. z.B. Henzen (1965: 144f.). 575 Eingerechnet sind hier auch die sieben von acht eninklîn-Belege mit synkopierter Basis eninkl-. 576 Inkl. einmal enicl-. 577 Zweimal zeigt auch das Alem.-Schwäb. die synkopierte Form enicl-. 578 Vgl. Henzen (1965: 145). 579 Zumal bei einer der zwei eigenlîn-Belege das auslautende -n der Basis ausgefallen ist. 580 Lies: (Lexeme); (n-mal Umlaut markiert) / (von n-Belegen).
II.1. Derivationstypen
298
Alternanz des Basisvokals /a/ 1; 1/1 -
Kg. wmd.
/e/ -
/o/ -
/u/ 1; 0/1
/ou/ -
/uo/ -
Tabelle II.1.9.2. Graphische Markierung des Umlauts bei -lîn-Derivaten
Für neun Lexeme mit 20 Belegen ist im Alem. Umlaut von a zu erwarten, in 16 Fällen (80%) ist er durchgeführt. Der Umlaut von u ist in allen Fällen bei vier Lexemen mit 10 Belegen markiert.581 Umlaut von o ist bei drei Lexemen möglich (forstelîn, hovelîn, köphelîn), jedoch in nur zwei von sechs Belegen ist der Umlaut markiert.582 Ein Beleg weist e-Umlaut auf (birgelîn < berc). Die Umlautmarkierung bei ou erfolgt in drei von sechs Fällen (zwei Lexeme), wobei einmal -=- steht. Umlaut von uo betrifft lediglich das Lexem güetelîn. Zehn der 27 alem. Belege zeigen Markierung des Umlauts (-P-, -M-). Das Bairische ist bzgl. des a-Umlauts ähnlich progressiv wie das Alem. Die sechs Belege von fünf Lexemen sind zu 100% umgelautet. Bei dörflîn und tohterlîn ist kein o-Umlaut markiert. u-Umlaut wird bei brüchelîn gekennzeichnet. güetelîn mit sieben bair. Belegen markiert Umlaut des Diphthongs uo in fünf Fällen (-M-,-Fe-), einmal steht -ue-, einmal -v-. Fünf Lexeme mit zehn Belegen sind im IR1 auf Umlaut zu untersuchen. Bei angerlîn und hovestetelîn mit insgesamt vier Belegen ist a-Umlaut, bei vrouwelîn ou-Umlaut, bei brüchelîn u-Umlaut, und bei den zwei Belegen von güetelîn Umlaut von ue zu 100% markiert. IR6 zeigt a-Umlaut bei knebelîn. IR4 markiert keinen Umlaut bei türlîn. stetelîn in einer Königsurkunde ist umgelautet. güetelîn ist im Alem.-Schwäb. sechsmal mit der Graphie -G- realisiert, die nicht als Umlaut gewertet wird. hiuselin ist alem.-schw. als huselin wiedergegeben, der Umlaut also nicht markiert. Die für den wmd. (rhfrk.-pfälz.) Sprachraum unerwartete Bil_____________ 581 türlîn ist gemäß dem WMU (Lief. 19: 1787) als Diminutivbildung zu tür/türe, nicht zu tor anzusehen. Es ist also nicht von Basisumlaut auszugehen. Ich entscheide mich dafür, der Angabe des WMU zu folgen, obwohl ich glaube, dass es sich anhand der Kontexte eher um ein ›kleines Tor‹ handelt. Morphologisch wäre dies begründbar, da die dem Umlaut zugrunde liegende Form mit ungebrochenem u für tor durchaus gesetzmäßig wäre (vgl. g. *dura-, Kluge 1999: 828; zur Brechung u > o vgl. PWG (1998: 95f, §66). Die ungebrochene Form im Umlaut ist im Ahd. die Regel (vgl. Henzen 1965: 145) und auch mhd. häufig beobachtbar (vgl. PWG: 1998: 58, § 34). Die verstärkte Systematisierung des Umlauts im Mhd. führte jedoch letztlich zur Aufgabe dieser Vokalalternanz (Wilmanns 1899: 318) und zum Umlaut des Basisvokals. Somit ist als Diminutivum zu tor also torlîn, törlîn zu erwarten (vgl. Lexer II: 1468). 582 Zum besonderen Fall von köphelîn siehe unter 1. Suffixmorphologie und bei der Einzelbesprechung der Bildung.
II.1.9. -lîn
299
dung hulzel* bleibt ohne Umlaut. Kontraktion der Basis zeigen die zwei Belege für magetlîn (IR6, bair.). 3. Basisaffinität und Genus der Bildungen Wie für ein Diminutivsuffix kaum anders zu erwarten, tritt -lîn im Korpus stets an substantivische Basen. Nur drei der Basissubstantive sind Komposita. Alle Bildungen haben neutrales Genus. c. Motivationsdichte Für 161 Belege konnte Basisrang 1 vergeben werden. Basisrang 2 wurde für hækel und einen Beleg von türlin ermittelt, Basisrang 4 für goltsteinlîn und heftel. d. Wortbildungsfunktion Funktionsklasse
Paraphrase
Diminutiva -lîn
›kleines BS‹
Basiswortart Substantiv
Beispiel güetelîn, kindelîn
Lexeme / Belege Anzahl Prozent 48/165 100/100
Tabelle II.1.9.3. Funktionelle Verwendung der -lîn-Derivate
Die Funktion des Suffixes -lîn ist auf die Modifikation von Basissubstantiven beschränkt. Die Modifikation erfolgt durch Diminution, wobei sich das Bedeutungsspektrum der suffigierten Basen vor allem bei Personenbezeichnungen nicht auf die Bezeichnung von ›Kleinheit‹ allein reduzieren lässt (s.u.). In den meisten Fällen ist eine semantische Modifikation der Basis nicht anhand der Kontexte zu beweisen und kann nur aufgrund der Ikonizität der Ausdrucksseite als mehr oder weniger wahrscheinlich in Betracht gezogen werden.583 Hinweise auf eine Motiviertheit der Bildungen geben jedoch manche Urkundenkontexte, in denen den -lîn-Bildungen Simplizia vermutlich als nicht markierte Bildungen gegenüberstehen, wie auch attributive Konstruktionen mit dem Adjektiv klein. Es ist jedoch _____________ 583 Vgl. Brendel et al. (1997: 357): »Verallgemeinernd läßt sich feststellen, daß das Diminutivum als zunächst semantisch nicht weiter differenzierte Variante neben dem Grundwort steht und erst durch den Kontext eine spezifische Bedeutungskomponente erhält. Diese Tatsache ermöglicht auch Verwendungsweisen, in denen der Beleg keinerlei diminutive Bedeutung hat [...].«
300
II.1. Derivationstypen
darauf hinzuweisen, dass attributive Verbindungen mit klein, die für eine vorwiegend quantitativ modifizierende Bedeutung der -lîn-Derivate sprechen584, in den ausgewerteten Belegen des Korpus nur dreimal beobachtet werden konnten. Auch andere Attribute, die die quantitative Modifikation der Basis in Kombination mit dem Suffix betonen würden (jung, dünn etc.), kommen nicht vor. Auch hypokoristische Bildungen werden nicht durch Attribute wie etwa lieb etc. verstärkt oder verdeutlicht.585 Es hat die Zuordnung der Bildungen zu den Diminutiva also in vielen Fällen ohne gesicherten Nachweis zu erfolgen. Sie scheint in den meisten Fällen jedoch absolut plausibel und in der Alltagswelt verankert, wie die Gegenstandsbezeichnungen zeigen, die sich im Wesentlichen auf folgende Bezugsbereiche reduzieren lassen: Bezeichnung von landwirtschaftlichen oder gartenbaulichen Nutzflächen (z.B. anewenderlîn, eckerlîn, boumgertel), Gütern (z.B. eigenlîn, güetelîn), Bauwerken (z.B. brückelîn) oder Gebäudeteilen (z.B. dechelîn), ferner Elemente der Natur (z.B. bechelîn, forstelîn, goltsteinlîn), Ortschaften oder Teile davon (z.B. dörflîn, gezzelîn). Die Bildung heftel, laut Lexer eine Diminutivbildung zu haft st.M. und hafte (I: 1204), wird weder vom WMU noch von Lexer ausdrücklich als ›kleine Spange‹ bezeichnet. Vielleicht handelt es sich hier um einen Fall, der wie etwa die Bezeichnungen für Körperteile bei Dürer, eher generell die »Kleinheit«586 eines Gegenstandes bezeichnet, als ihn antonymisch zu etwas Großem aufzufassen. Dafür spricht evtl. auch der Kontext, in dem heftel als chlainot ›Kleinod‹ bezeichnet wird.587 Unsicher ist ferner, ob bei hækel semantische Modifikation vorliegt. Vor allem im Vergleich mit hâke in kontextähnlichen Textstellen will die Verwendung als Diminutivum nicht recht einleuchten. Der absolute Begriff der Kleinheit ist bei Personenbezeichnungen nicht plausibel. Wenn man eine Paraphrase ›kleines BS‹ ansetzt, so muss auch in diesem metasprachlichen Hilfskonstrukt die Polysemie des Adjektivs klein mitberücksichtigt werden, da der Ausdruck des Kleinen durch Bedeutungsnuancierung sowohl zum Ausdruck von Jugend, Vertraulichkeit (Koseform) als auch pejorativ zum Ausdruck von Geringfügigkeit und Minderwertigkeit benutzt werden kann.588 Letzteres lässt sich im _____________ 584 Vgl. Müller (1993a: 215). Müller spricht in diesem Zusammenhang auch von »kombinatorischer Diminution«, einer »Kombination analytischer (Attribut klein) und synthetischer Diminuierung (Suffix -lein)«. Vgl. ferner Döring/Eichler (1996: 156), die die Attribuierung der Diminutiva als ein ihre Funktionsklasse -lin² konstatierendes Kriterium heranziehen. 585 Vgl. Grimm II (1890: 638). 586 Vgl. Müller (1993a: 217). Nicht auf diesen Bezugsbereich beschränkt sind die Belege bei Polzin (1901: 37) für das Mhd. 587 Polzin (1901: 48) verweist darauf, dass es v.a. Schmuckstücke seien, »deren Bezeichnungen latinisierend deminuiert sind«, und nennt u.a. auch heftelîn (ebda.). 588 Vgl. Müller (1993a: 215) und Polzin (1901: 52).
II.1.9. -lîn
301
Korpus nicht beobachten. Hypokoristische Formen sind jedoch bei Personenbezeichnungen in Betracht zu ziehen, auch wenn dies nicht immer unbedenklich ist. So kann nicht zweifelsfrei ermittelt werden, ob z.B. bei kindelîn wirklich die Kleinheit durch das Diminutivum bezeichnet werden soll, wie dies die Bedeutungsangabe des WMU ›unmündiges Kind‹ (II: 999) wohl nahelegen will, oder ob es sich um Koseformen handelt. Das Simplex kint kann durchaus ohne weitere Kennzeichnung in Kontexten verwendet werden, in denen die Unmündigkeit eines Kindes deutlich ist. Eine Bezeichnung der Unmündigkeit durch -lîn wäre also rein fakultativ und würde m.E. dem Ausdruck eines rechtlichen Status mit elf Belegen (vgl. kint 2235 Belege) nicht gerecht. Ich gehe also in diesem Fall von einer hypokoristischen Form aus, auch wenn die Modifikation der Basis letztlich nur anhand der Ausdrucksseite angenommen und nicht bewiesen werden kann. Auch die anderen Personenbezeichnungen behandle ich unter diesem Aspekt als Koseformen. Aus der Reihe fällt das Lexem pheffelîn, das als einzige Bildung nicht dem familiären Bereich im weiteren Sinne zugerechnet werden kann. Während sich andere Bildungen relativ schnell als Personennamen erwiesen, besteht bei pheffelîn nach wie vor dahingehend eine gewisse Unsicherheit. Ich habe mich aber letztlich zur Aufnahme der Bildung entschieden, für die die Bedeutung ›junger Pfaffe‹ angenommen werden soll. Eine pejorative Interpretation ist aufgrund des Kontextes nicht denkbar. Lexem anewenderlîn* angerlîn bechelîn birgelîn* bletzelîn boumelîn boumgertel* brückelîn brünnelîn dechelîn dörflîn eckelîn eckerlîn eigenlîn eninklîn forstelîn* gertelîn gezzelîn goltsteinlîn* grabelîn güetelîn hækel
Belege
alem
2 3 1 1 1 3 1 6 1 1 1 1 3 2 11 1 3 3 1 2 42 1
2 1 1 1 3 4 1 1 1 3 1 3 3 1 2 28 -
bair 1 1 1 8 7 1
alemschw 2 5 -
wmd -
IR1
Kg
IR4
IR6
3 1 1 2 -
-
2 -
-
II.1. Derivationstypen
302 Lexem heftel hegelîn* hiuselîn hovelîn hovestetelîn* hulzel* kindelîn kirchelîn knebelîn köpfelîn loubelîn magetlîn mettelîn pheffelîn riutelîn* stegelîn stetelîn stübelîn stückelîn tohterlîn türlîn vaterlîn vrouwelîn weselîn wiselîn zehendelîn* Gesamt
Belege
alem
1 2 5 4 1 1 11 1 1 1 3 2 2 1 2 1 5 1 10 1 6 2 1 1 7 1 165
2 4 4 2 1 3 2 1 4 1 10 5 1 96
bair 1 9 1 1 1 1 2 3 1 39
alemschw 1 4 12
wmd 1 1
IR1
Kg
IR4
IR6
1 1 9
1 1
2 1 5
1 1 2
anewenderlîn* (›kleiner Anwandacker‹): ← anwender (144) st.M. Jtem ein zweiteil v] ist ein anewenderlin vor der gerúte von kolbotzheim... (Corp. 3244, 413.38).
Bei der Basis wird von der im Korpus überwiegend umgelauteten Form anwender ausgegangen. angerlîn (›kleines Stück Wiese‹): ← anger (28) st.M. ...ze nvtze / zwen ænger / ainen / da ainhalp an stozet des BriMtlinges anger / v] den andern / da an stozzet ain ængerlin... (Corp. 3280, 435.40).
bechelîn: ← bach (95) st.M.F. ...enzvischen dien inren Bechelin / niderhalp der herStrâze... (Corp. 167, 192.43).
birgelîn: ← berc (436) st.M. ....zvene ackere mit rebin an Birgeline... Corp. (0853a = N 321, 245.21).
Es scheint sich bei birgelîn um eine Flurbezeichnung zu handeln. Dies disqualifiziert die Bildung nicht von vornherein als motivierte Wortbildung. Da aufgrund des Kontextes keine Aussage über den Namencharak-
II.1.9. -lîn
303
ter der Bildung gemacht werden kann, erfolgt die Aufnahme des Lexems unter gewissem Vorbehalt. bletzelîn (›Fleckchen: kleines Stück Land‹): ← blez (17) st.M./N. ...vnde ein blezzili / eins bongartin / hindir / dem hûs... (Corp. 381, 353.42).
boumelîn: ← boum (66) st.M. Jtem ein halp acker nebent dem von steineburnen wider daz b?melin (Corp. 3244A, 414.42).
In zwei Fällen ist die lexikalische Bedeutung des Lexems nicht ganz eindeutig und die Bildung evtl. als ›kleiner Baumgarten‹ zu verstehen. Dann ist vielleicht von einer Klammerform aus boumgertelîn auszugehen. boumgertel*: ← boumgart(e) (128) sw./st.M. ...daz povmgertel zenahst an der selben weinpevnt... (Corp. 1043a = N 377, 283.16).
Das Lexem boumgertel analysiere ich hier als Diminutivbildung zur substantivischen Basis. Denkbar ist auch, dass es sich um ein Determinativkompositum zu gertel(în) (3) handelt, die hohe Beleghäufigkeit von boumgart(e) spricht jedoch für die erste Annahme. brückelîn: ← brucke (162) st.(sw.)F. Ein stucke an deme cleinen bruckeline (Corp. 0149a = N 101, 74.26).
brünnelîn: ← brunne (56) sw.(st.)M. alse der wasserual gat an veringer staige / zedeme brúnnelin zeder alten múli... (Corp. 738, 127.22).
dechelîn: ← dach (11) st.N. ...wan daz si daz tor oder daz tivlle / svlent deken mit ain) tÉchelin (Corp. 532A, 472.3).
dörflîn: ← dorf (810) st.N. Dar nach ain gFetle vnder zalazeit Dar nach daz dorfle zalazeit (Corp. 1294, 535.9).
eckelîn: ← ecke (29) st.F.M.N. ...daz · wernher · der· wizze · sol gen Jerlich ze sante Martins · dvlt von sime gGte / daz da lit hinder dem · Egglin· einen schilling phenninge ... So sol · Heinrich · Brúchi · von sime gGte/ daz da lit an BGcholter egge / ?ch ierlich gen ze sante · Martins dult sehs phenninge... (Corp. 1120, 409.26).
eckerlîn: ← acker (1730) st.M. jtem ein Eckerlin nebent dem schotten / jtem ein acker / zN dem vuhs loche / jtem ein halb acker / von st=ltzelins acker / nebent dem kPbeler... (Corp. 3487, 569.23).
eigenlîn (›kleines Eigen‹): ← eigen (2700) st.N. ...vber lebt aber si mich · so sol dev selbe vorgenant swester alheit des selben vorgesprochen Eigenleins geniezzen als vil als si mac (Corp. 3208, 390.28).
304
II.1. Derivationstypen
eninklîn (›Enkelkind‹) ← eninkel (15) st.M. ...vnd benn ich vnd meine chint vnd meine eniclein gestereben vnd gar tot sein... (Corp. 290, 288.20).
Die Perspektive eines Großvaters befürwortet in diesem Kontext die Deutung des Diminutivums als Hypokoristikum. forstelîn: ← forst (53) st.M. ...ein ager an deme vorsteline... (Corp. 0324b = N 150, 108.14).
gertelîn: ← gart(e) (310) sw.(st.)M. ...ein gerteli dc bi dem MPlihvse ze Stadelhoven ist... (Corp. 273, 279.34).
gezzelîn: ← gazze (87) sw.(st.)F.
...zwo hofstette die da ligent / vsserunt der Mure nser stat an der morderwise vntswschen dem clainem g(sselin da man da hin gât ze den Garton oberunt die da stozent / an die selben hofstette. (Corp. 753, 134.8).
goltsteinlîn (›Goldtopas‹) ← goltstein st.M. (Lexer I: 1050) ...vivnf lot Goldes v] · ain schillinch gewit · v] siben vierdunge silbers · v] · sehs March alter wiener · v] ain golt stainli · v] ain ack staine (Corp. 866, 210.12).
Die Bildung wird aufgrund der starken Lexikalisierung von goltstein ›Topas‹ nicht als Kompositum angesehen. grabelîn (›kleiner Graben‹): ← grabe (151) sw.(st.)M. ...v] dannan §f vntz an dc ober grebeli... (Corp. 1783, 82.5).
güetelîn: ← guot (7920) st.N. Ez lit och ein ander gNtelin vnder disem gNte daz ist miner tohter Mehthilt von vlahslanden... (Corp. 272, 279.5).
hækel (›kleiner Haken‹): ← hâke (2) sw.M. Swer Got oder die hæiligen schildet / oder vater / vnd mNter / dem sol man div zvnge an daz hækel legen... (Corp. 3452, 540.21).
Das Lexem kann wohl nur unter Vorbehalt als Diminutivum gewertet werden. Ein vergleichbarer Beleg in einem Würzburger Gesetzestext zeigt die nicht diminuierte Form: ...vnde han daz geboten daz man einen isenen haken machen sNln vnde slahen in den stoc vmme daz ob keiner boser lichter man oder ein bNbe spreche die wort die an gotes oder an der heiligen ere ge· daz man den selben an den haken mit der zvngen oder mit dem oren...(Corp. 2302, 426.20).
Es besteht die Möglichkeit, dass hækel hier unterschiedslos zu hâke verwendet wird. heftel (›Spange‹): ← haft st.M. (Lexer I: 1140) ...dar vm wil ich in geben ze lezze drev chlainot / zwai tassel / v] ein hæftel... (Corp. 898, 258.21).
Die Bezeichnung als Kleinod weist heftel als kleinen Gegenstand aus. Inwiefern noch eine direkter Zusammenhang zu haft ›Band, Halter‹ empfun-
II.1.9. -lîn
305
den wurde, bleibt fraglich. Das Lexem scheint schon im Prozess der Lexikalisierung befindlich. hegelîn* (›Wäldchen, Gesträuch‹) ← hecke/hege (8) st.F. Danach anderhalb acker nebent der anewande · Ein halb acker nebent hern Wilhelme vffes hegelin (Corp. 0149a = N 101, 73.28).
hiuselîn: ← hûs (3060) st.N. ...v] sPllen aber wir inen fPr daz hPsili...geben aht phvnt... (Corp. 2736, 108.46).
hovelîn: ← hof (2600) st.M. ...zN deme nidersten husbergen hant die ruwerin gekNft ein hus v] ein hovelin (Corp. 3573, 618.27).
hovestetelîn: ← hovestat/hofstat (789) st.F. ...daz wir durch vnserre baider sele willen haben geben dem Spitale des Hailigen Gaistes ze Auspurch / vnser Aigen da wir inne sin · daz ettewenne was hern Vlriches baumgarte des Hertschaiden ze rehtem aigen / hvs vnde Hofstat / vnde bavmgarten / mit elliv div vnd der zv hret / ane daz hof sttlin daz ettewenne was des Hailigen Cruces... (Corp. 549, 491.68f.).
Aufgrund der textinternen Basis hovestat legitimiert es sich, vor allem in Hinblick auf die Belegfrequenzen589, keine Doppelmotivation durch Komposition anzunehmen. hulzel* (›Wäldchen‹) ← holz (›Holz; Wald‹) (617) st.N. ...v] zG albenspach ein hulzel daz da heizet der creis hulz (Corp. 3568, 613.3).
kindelîn: ← kint (2235) st.N. do ist dev HGb · von mir · von meiner Housfrowen · v] von meinen chindelin · sein recht lehen (Corp. 2846, 178.5).
kirchelîn: ← kirche (363) sw.(st.)F. Daz ich...han gegeben / vnser vrowen / vnd dem Gotshavs datz Garzze / ledichleichen / den Hof datz dem Chirchlein / der mein rehtes aigen was... (Corp. 3145, 354.25).
knebelîn: ← knabe (9) sw.M. suaz do frauwen / kinde / Cnebelin / oder meidelin ist / die greifin Ruđ sint / die sullent folgen den mannen / vnd sullen greiuin henr sin (Corp. 1373, 593.24).
köpfelîn (›kleiner Becher, ein Hohlmaß‹): ← kopf (4) st.M. Dc rw iergilich Pnserm Convent gebin ein phvnt vmb vische v] ie · VI · swestern ein kophol wines (Corp. 166, 192.31).
Ob es sich im vorliegenden Fall bei köphelîn wirklich um einen kleinen koph ›Becher, Trinkgefäß; Hohlmaß‹ handelt, kann nur vermutet werden. loubelîn (›Abtritt, Abort‹): ← loube (56) sw.(st.)F. _____________ 589 stetelîn ist im Korpus insgesamt nur zehnmal belegt, nur fünf Belege konnten davon berücksichtigt werden.
II.1. Derivationstypen
306
...vnde sol CMnrat von zvtzendorf / geben wêg / CNnrade dem mâterer / jn sin) Garten / zeîme l=ubeline / fPnf SchGhe wît / v] ehtewer lang / v] sol dar vbere ein tach machen / eins mannes hoch / v] der vorhof / sol der houesêzen aller / gemeîne sin (Corp. 2391, 482.17).
Die Diminutivform von loube ›Laube, zur Straße hin offener Vorbau‹ wird hier interessanterweise als Hüllwort für ›Abtritt, Abort‹ verwendet. magetlîn590 (›Mädchen‹): ← maget (36) st.(sw.)F. Vgl. den Beleg bei knebelîn. mettelîn (›kleine Wiese‹): ← mate/matte (290) st.(sw.)F. …an zwein huseren di and) merchete ligent von eim rothelin ī amelsen tal v] ein metteli... (Corp. 2415, 494.9).
pheffelîn: ← phaffe (260) sw.M. ...vnd geben im dar Mber ze einer vrchMnde disen brief / mit des vorgenanten / Læutwines des Rihters / vnd mit Chunrades des Pfæfflines / die des chaufes taidinger warn Jnsigeln versigelt... (Corp. 2410, 491.43).
riutelîn* (›kleine Rodung‹): ← riute (12) st.F., riute (2) st.N. ...den vorgenanten hof zem Reutelin mit elliv div vnd derzv hret an holtze vnde an velde/ an wiesen vnde an waide... (Corp. 1099, 391.44).
stegelîn (›kleiner Weg‹): ← stec (›schmale Brücke, schmaler Weg‹) (53)
st.M.
...aber ein halben ager zG me steinin stegelin... (Corp. 0324b = N 150, 107.38).
Da kontextbedingt die Bedeutung ›kleiner Weg‹ plausibler scheint als ›kleine Treppe‹591, nehme ich als Basis der Bildung stec u.a. ›kleiner Weg‹ an, nicht das Femininum stege ›Stiege, Treppe‹. stetelîn (›kleine Stadt‹): ← stat (5000) st.F. Daz wir vnserm Lieben =heim Grauen Eberhart von wirtenberch haben wider gelazzen / di Burch ze Rams / vnd daz stætel daz Nivwewaibelingen haizzet... (Corp. 3114, 339.1).
In fünf weiteren, aber ausgeschlossenen Urkunden, die parallel zu oben stehender Urkunde ausgestellt wurden, variiert die Form des Suffixes zwischen viermal -lin (Corp. 3120, 3121, 3123, 3124) und einmal -lingen (Corp. 3120). Corp. 3114 3120 3121 3122 3123 3124
SL Kg Kg Kg Kg Kg Kg
Ort Nürnberg Nürnberg Nürnberg Nürnberg Nürnberg Nürnberg
Aussteller Kg. Albrecht I. Kg. v. Böhmen Hg. v. Oberbayern Mkgf. v. Brandenburg Mkgf. v. Brandenburg Ebf. v. Trier (Rh.-Pf.)
Partei Oheim Gf. v. Württemberg Kg. Albrecht / Gf. v. Württemberg Kg. Albrecht / Gf. v. Württemberg Kg. Albrecht / Gf. v. Württemberg Kg. Albrecht / Gf. v. Württemberg Kg. Albrecht / Gf. v. Württemberg
_____________ 590 Zum Einfluss des lateinischen puella vgl. Polzin (1901: 45). 591 Vgl. WMU (II: 1656).
II.1.9. -lîn
307
stübelîn: ← stube (33) sw.(st.)F. Disv ding sint geschehen in dem clein stúbelin vnsers garten... (Corp. 874, 215.8).
stückelîn: ← stücke (268) st.N. Ein zweiteil lit indem ebnode // an dem heln berge · eîn stPchlî // hînder der kilchun des selben dorfes... (Corp. 2380A, 167.10).
tohterlîn: ← tohter (760) st.(sw.)F. Jch han geschaft min) sNn den ich bei der vrevndinne han ze Ottenperge ein Hvbe / daz man in da von lerê / wirt er briester / so sei div Hvbe mines sNns · vnd wirdet er laey / so geb im min sNn fvr di Hvbe zwainzech phvnt v] sei im ledich. Minem dochterlin daz ich bi der selben vrowen han schaff ich avf dem zehenten daz Parschalichînge dreizech phvnt/ daz man ez da mit cze manne gebe. (Corp. 923, 277.45).
türlîn (›kleine Tür‹): ← tür, türe (31) st.(sw.)F. ...ein hûs / bi des kúniges túrlin... (Corp. 2092, 302.2). ...ir Teil gegen rechtem Teile des Garten / der da lît vor MPnsterhouer TPrli / zewischen dien Garten Pnser frowen der Ebthischinnen von zurich... (Corp. 2261, 398.28).
Die Bedeutung ›kleines Tor‹ scheint bei türlîn m.E. in einigen Belegen plausibler als ›kleine Tür‹. Sie ist jedoch aus morphologischen Gründen eher unwahrscheinlich. vaterlîn: ← vater (1173) st.M. ...daz wir vnd unser lieber BrGder Stephan / vns mit vnserem lieben herren Bischolf · wern · von Pazzawe / verrihtet haben vmb allen den schaden / der zwischen vnsern levten / vnd vnser diener levten Nf gelovfen was sint vnseres lieben væterlins hertzog Heinrichs tode... (Corp. 2500, 544.39).
vaterlîn ist die einzige -lîn-Bildung, deren hypokoristischer Charakter durch die Verbindung mit einem attributiven Adjektiv, in diesem Fall liep, verstärkt wird. vrouwelîn: ← vrouwe (4552) sw.st.F. ...daz fro Gerdrvt · div etswenne · Sibotes des schongawærs fræwelin wasz hat gekaufet vmbe. CNnraden des smides svn von Swabegge · æinen zehenden der gat vz der frawen · Houe von dem Sterne ze Bobingen...vnde het in der vor genante · CNnrat des Smides svn von mir zerehten lehen · von dem han ich vf genomen vnde han ingelihen ze rehten lehen · Hæinrich vnde Nlrich von ostern Aittingen der vor genanten frawen · Gerdrvde ze tragenne wan si selbe des lehens nith getragen mach (Corp. 1022, 346.30).
Auf die in der Urkunde genannte fro (!) Gerdrvt wird einmal als fræwelin und mehrmals als frawe Bezug genommen. Der Grund für die unterschiedliche Benennung scheint sich durch Gerdrvts Verhältnis zu Sibot dem Schongauer zu manifestieren. Als wahrscheinlichste Bedeutung ist hier wohl ›junge
II.1. Derivationstypen
308
Herrin‹ anzusetzen, die Bedeutung ›Geliebte‹ oder eine pejorative Bedeutung ist in dieser Textsorte nicht zu erwarten.592 weselîn: ← wase (›Rasenstück, -fläche‹) (61) sw.M. Jtem II 1/2 ager vffe das weselin an GGgenheim wege (Corp. 0432d = N 184, 145.17).
wiselîn: ← wise (458) sw.st.F. ...daz / Marquart / der Taechingaer / aein chlaeines wiselin / daz er von mir zelehen het / vnd daz gelegen ist / in dem wismat / datz / aehaym / daz / daz spital ze Regensp~ch an gehoeret / hat verchavfet... (Corp. 3075, 317.10).
zehendelîn* (›kleiner Zehnt?‹): ← zehende (489) sw.st.M. Daz Hvbe lazze ich ledich zwei zehentelin dem Tenzelin (Corp. 923, 277.36).
e. Diachroner Vergleich Im Urkundenkorpus erweisen sich alle Bildungen zum Suffix -lîn als desubstantivische Diminutivbildungen. Der diachrone Vergleich zeigt, dass das Suffix -lîn/-lein auch in den Vergleichskorpora593 weitgehend als Diminutivsuffix verwendet wird.594 Müller trennt in seiner Untersuchung zwischen regulären Suffixbildungen (94,23%) und solchen, die (unter Berücksichtigung der Motivationsdichte) auch als Determinativkomposita klassifizierbar sind und dadurch als doppelmotiviert gelten können (5,77%).595 In der vorliegenden Arbeit bleibt dieser Unterschied formal unberücksichtigt, die eventuelle Möglichkeit, eine Bildung auch als Determinativkompositum zu analysieren, ist jedoch beim betreffenden Einzellexem besprochen (vgl. boumgertel, goltsteinlîn, hovestetelîn). Bildungen, die sich höchstwahrscheinlich als Komposita erweisen, werden wie bei Müller nicht berücksichtigt (gartenstückelîn).596 Im Korpus der Würzburger Arbeitsgruppe ergibt sich für die Diminutivbildungen ein Anteil von 99% Prozent.597 Zwei Bildungen (1%), die mit _____________ 592 Vgl. Lexer (III: 541f.). Polzin (1901: 45) weist darauf hin, dass vrouwelîn als Bezeichnung einer jungen Adligen »dem terminus technicus der lateinischen Urkundensprache ›dominicella, domicella‹ [nfrz. demoiselle]« entspricht. 593 Vgl. Müller (1993a: 214ff.), Brendel et al. (1997: 548f.), Gersbach/Graf (1984/85: 216) und DW (1975: 123ff.). 594 Einzig das Korpus der Erfurter Arbeitsgruppe weist hier Besonderheiten im Gebrauch des Suffixes auf, wodurch der funktionelle Vergleich mit dieser Arbeit nicht möglich ist (vgl. Döring/Eichler 1996: 148ff.). 595 Vgl. Müller (ebda.). 596 Vgl. Müller (a.a.O.: 232ff.). 597 Vgl. Brendel et al. (ebda.).
II.1.10. -linc
309
der Paraphrase ›etw., das BS kleidet‹ paraphrasiert werden (knellefingerlein, vingerlein), werden von Brendel et al. in einer eigenen Funktionsklasse behandelt.598 Für das Urkundenkorpus betrachte ich die Bildung vingerlîn ›Ring‹ als idiomatisiert. Die Korpora zur gesprochenen und geschriebenen Gegenwartssprache weisen ausschließlich diminutive Funktion des Suffixes nach.
II.1.10. -linc a. Lexembestand (9) beckelinc (4) helbelinc/helblinc° (68/194) jungelinc vierdelinc zehenlinc
edelinc (2) hiurlinc nâchkomelinc° (8/145) vierlinc (10)
b. Morphologie 1. Suffixmorphologie Als Leitform des Suffixes599 wird im Korpus gemäß der zu erwartenden mhd. Auslautverhärtung -linc angesetzt. Eine genaue Aussage über die tatsächliche Realisierung dieser Form ist anhand unserer Belege nicht möglich. Die ausgewerteten Urkunden belegen nur einen einzigen Beleg mit der Form -linc im Nominativ, doch ist die Anzahl der Belege im Nom. Sg. sehr gering. Die flektierten Formen weisen sonst ganz regulär -ng- auf (24-mal). Die sprachlandschaftliche Verteilung dieser Suffixform zeigt sonst keine Auffälligkeiten. In 71 Fällen tritt die affrizierte Form -linch (ausschließlich im Akk.) auf (achtmal bair., einmal alem., 62-mal IR1), für die jedoch die auslautverhärtete Zwischenstufe -linc anzunehmen ist. 62 Belege verteilen sich allein auf die Urkunde 548A und das dort belegte Lexem helbelinc, während die Gesamtzahl sich nur auf insgesamt drei verschiedene Lexeme verteilt. Ein alemannischer Beleg des Lexems vierlinc zeigt die latinisierte Form -lingo (Akk. Sg.). _____________ 598 Ebda. 599 Das Suffix entsteht durch Reanalyse der Morphemgrenze bei -ing-Bildungen, deren Basen auf -l auslauteten (vgl. Wilmanns 1899: 372, Munske 1964: 30f.).
II.1. Derivationstypen
310
2. Basisalternanz Umlautfähig sind die Basen von beckelinc (backe), helbelinc (halp), jungelinc (junc) und nâchkomelinc (nâch komen). Bei edelinc < edel ist die Basis bereits umgelautet. Alle untersuchten Belege von beckelinc und helbelinc weisen Umlaut auf. jungelinc und nâchkomelinc sind nur ohne Umlaut belegt. Drei wmd. Belege von nâchkomelinc haben die Graphie -kGmelinc, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine andere Vokalqualität als Umlaut von /u/ bezeichnet. In nur zwei Belegen von helbelinc (bair., alem.) ist ein -e- zwischen Stamm- und Ableitungsmorphem getreten. In den anderen Belegen tritt das Suffix direkt an den Stamm. Das Gleiche ist bei jungelinc zu beobachten. Die einzige deverbale Bildung nâchkomelinc hat in sieben Fällen einen Fugenvokal -e-. c. Motivationsdichte Nur für beckelinc ist die Basis ausschließlich korpusextern bei Lexer nachweisbar (Basisrang 4). Für die restlichen Bildungen konnte Basisrang 1 vergeben werden. d. Wortbildungsfunktion Funktionsklasse A. Agentiva -linc1a B. Agentiva -linc1b C. Agentiva -linc2 D. Agentiva -linc3 E. Abstrakta -linc4 Gesamt
Paraphrase ›jmd./etw., der/das BA ist‹ ›etw., das von BAdv ist‹ ›BZ-ter Teil von etw.‹ ›jmd./etw., der/das BV‹ ›Tatsache, dass jmd. etw. mit BS tut‹
Basiswortart Adjektiv Adverb Zahlwort Verb Substantiv
Beispiel edelinc, jungelinc
Lexeme / Belege Anzahl Prozent 3/197° 33,3/54,9
hiurlinc
1/1
11,1/0,3
vierlinc, zehenlinc nâchkomelinc
3/12
33,3/3,3
1/145°
11,1/40,4
1/4
11,1/1,1
beckelinc
9/359°
Tabelle II.1.10.1. Funktionelle Verwendung der -linc-Derivate
II.1.10. -linc
311
A. Agentiva (BA-linc1a): ›jmd./etw., der/das BA ist‹ Lexem edelinc helbelinc° jungelinc Gesamt
Belege
alem
bair
IR1
alem-schw
2 68 (194°) 1 71 (197°)
2 1 3
5 5
62 62
1 1
edelinc (›Adliger, Edelmann‹) ← edel (404) Adj. ...hete ir deheiner ein lehen von eime edelinge / er si Ritter oder knecht... (Corp. 574, 8.24).
edelinc ist synchron als -ling-Bildung zu betrachten, deren Basis auf -l endet, auch wenn es nicht zu einer Verdoppelung von -l- kommt. Etymologisch handelt es sich um eine -ing-Bildung zu ahd. edili. Bildungen dieser Art waren dafür verantwortlich, dass sich durch Reanalyse der Morphemgrenzen aus dem ahd. Suffix -ing das Suffix -ling bilden konnte (vgl. Wilmanns 1899: 372; Paul 1920b: 65). helbelinc (›Helbling, Halbphennig‹) ← halp (1150) Adj. Das Lexem kommt ausschließlich zur Bezeichnung einer Münze vor, dem halben Pfennig. In dieser Bedeutung ist die Bildung in ihrem Bedeutungsbereich zwar eingeschränkt, semantisch verengt und um idiosynkratische Elemente erweitert (›Geldstück‹), doch kann sie m.E. noch mit der angewandten Paraphrase erfasst werden und als durchsichtig gelten.600 Andere Bildungen zum BA halp sind neben korpusinternem helfte auch halpteil (Lexer I: 1153). Beide sind jedoch nicht auf den monetären Bereich eingeschränkt. jungelinc (›Novize‹): ← junc (725) Adj. ...herren Peter · von Phlumeren · Herren· CGnr · von · Rutelig] · herren · Hai]r von Ervelse · v] anderen iungelingen der selbun Samenunge! (Corp. 1656A, 783.4).
B. Agentiva (BA-linc1b): ›etw., das von BAdv ist‹ Lexem hiurlinc
alem 1
hiurlinc (›Fisch von diesem Jahr‹): ← hiure (16) Adv. _____________ 600 Zur gleichen Entscheidung kommen auch Brendel et al. (1997: 365). Fraglich bleibt m.E., ob es sich bei dieser und vergleichbaren Bildungen um ›(Wort-)Prägungen‹ im Sinne Seebolds (2002: 17f.) handeln kann, wonach eine neue Wortbildung von vorneherein mit einer Spezialbedeutung gebraucht wird (»lexikalische Wortbildung«).
II.1. Derivationstypen
312
...ze den andern zwein dingen ze ietwederme daz brot daz von vierdemehalben sester weizen gebachen wirt · vnde ze ietwederme ein amen wines/ vnde ein zwiligen wider oder zwene hFrlinge · vnde sibendemehalben rozse vGter. (Corp. 244B, 241.47).
hiurlinc ist eine außergewöhnliche Bildung, als deren Basis nur das Adverb hiure ›heuer, dieses Jahr‹ herangezogen werden kann. Auch wenn dieser Bildungstyp keine reihenhafte Ausprägung erfährt, ist die Bildung selbst durchsichtig und motiviert. Das DWB (10: 1285) gibt neben der vorliegenden Bedeutung als weitere Bedeutung auch »junger schosz am rebstock« an. C. Agentiva (BZ-linc2): ›BZ-ter Teil von etw.‹ Lexem vierdelinc vierlinc zehenlinc Gesamt
Belege 1 10 1 12
alem 1 1 2
bair 9 9
obd 1 1
vierdelinc, vierlinc, zehenlinc:601
Diese Lexeme bezeichnen den durch ihr Basiszahlwort angegebenen Teil eines Ganzen. Die Wortbildungsfunktion dieser drei Lexeme kann also lauten ›n-ter Teil von etwas‹. vierling kann laut Lexer (II: 339) interessanterweise noch nicht ›eines von vier Kindern‹ bedeuten, seine heutige Bedeutung bildet sich also erst später aus. Das verbreitete Lexem zwillinc muss hierbei musterbildend gewirkt haben. Die Bildung *drîlinc ist mhd. nicht belegt.602 Das Pendant des zwillinc auf der Ebene der Teilangaben ist interessanterweise helbelinc (vgl. -ling1a), helfte oder halpteil (nur Lexer I: 1153). Korpusinterne Konkurrenzbildungen zu vierdelinc und vierlinc sind zahlenmäßig weitaus frequentere Komposita mit teil, das morphologisch reduziert in nhd. Viertel bewahrt ist.603 Für das Derivat zehenlinc ist eine entsprechende teil-Bildung nur bei Lexer (III: 1044) belegt. _____________ 601 Die ebenfalls häufig im Corpus belegte Bildung vierdunc ist ein Maskulinum auf -ung, das sich wie -ing bzw. daraus gebildetes -ling aus dem germanischen Suffix -inga/-unga entwickelt hat (vgl. z.B. Wilmanns 1899: 369ff.). Im Mhd. steht diese Bildung isoliert und wird von mir nicht berücksichtigt. Anders verhält sich der Fall bei Maskulina auf -unc, die neben Feminina auf -unge stehen, z.B. samenunc, einunc. Diese werden als Varianten von -unge behandelt. 602 Laut Kluge (1999: 194) Belege für Drilling (älter Dreiling) seit dem 15. Jh. 603 -tel sehen Fleischer/Barz (1995: 170) als Suffix eines produktiven Musters an, das »Neutra mit Kardinalzahl als Basis« bildet, wobei sie die Wortbildungsbedeutung mit ›Bruchzahl‹ angeben. Man darf also im Falle unserer -ling-Bildungen durchaus annehmen, dass neben den Komposita mit teil mhd. ein teilweise ausgebautes derivatives Parallelsystem bestand,
II.1.10. -linc
313
Problematisch gestaltet sich die Zuweisung der genannten Lexeme zu einer standardisierten Funktionsklasse. In der Literatur werden vergleichbare Bildungen entweder innerhalb von Restgruppen oder als Agentiva behandelt. D. Agentiva (BV-linc3): ›jmd., der BV‹ Lexem nâchkomelinc°
Belege 8 (145°)
alem 1
wmd 4
ofrk 3
nâchkomelinc° (›Nachkomme‹): ← komen (3170) st.V., nâch Präp./Adv. ...vnser herre der bischofe • oder sin nachkvmlinc • swer der were... (Corp. 331, 316.28).
nâchkomelinc ist der einzige Vertreter eines deverbalen Bildungstyps von -linc im Korpus (Zusammenbildung). Die Zahl deverbaler Bildungen nimmt zum Frnhd. und Nhd. hin zu. E. Abstrakta (BS- linc4): ›Tatsache, dass jmd. etw. mit BS tut‹ Lexem beckelinc
alem 4
beckelinc (›Ohrfeige, Backenstreich‹): ← backe sw.M. (Lexer I: 110) Swer >ch duhein vnschuldigen man vmbe die getat, als es daobenan bischeiden ist, sleht mit bengeln oder swamitte ern sleht oder ime ein beckeling git oder in r>fet oder stozset... (Corp. N238A, 183.20).
Die Bildung beckelinc ist als Sonderfall zu bezeichnen. Sie ist eine Einzelbildung, daher nicht Teil eines eingeführten Bildungstyps und könnte wohl als eine Restklasse bezeichnet werden. Trotz der etwas schwerfälligen Paraphrase sehe ich die Bildung jedoch als durchsichtig an.
_____________ das sich für den Bereich der Bruchzahlen aufgrund starker Konkurrenz durch die geläufigeren teil-Bildungen nicht durchzusetzen vermochte, sich aber auf die Bezeichnung ›einer von n‹ (Zwilling, Drilling, Vierling etc.) spezialisieren konnte. Fachsprachlich wurde weiterhin mit dem Bildungsmuster Zahlwort + -ling experimentiert, was die Bedeutung von zwiling bei Dürer beweist, der die Bildung als »Terminologisierung eines Konstruktionsverfahrens zur Veränderung der Horizontal- bzw. Vertikalmaße einer menschlichen Figur« verwendet (Müller 1993a: 373). »Da die Maßveränderung in diesem Falle mit Hilfe zweier Linien erfolgt [...] nennt er diese Hilfskonstruktion zwiling« (ebda.).
II.1. Derivationstypen
314
e. Diachroner Vergleich -linc
Mhd.
Funktionsklasse
K-Urk
K-Dü
Frnhd. K-Wü
K-Erf
K-Ggespr.
Nhd. K-Ggeschr.
Agentiva (BA)
44,4%
1 [50%]
23,1%
13,3%
33,3%
35,8%
Agentiva (BV)
11,1%
-
11,5%
40,0%
11,1%
16,0%
Abstrakta (BS)
11,1%
-
-
-
-
-
Agentiva (BZ)
33,3%
1 [50%]
3,8%
6,7%
11,1%
2,9%
Idiofunktionalia (BS) Instrumentativa (BV) Patientiva (BV)
-
-
23,0%
-
-
-
-
-
7,7%
-
-
-
-
-
11,5%
6,7%
33,3%
12,3%
Agentiva (BS)
-
-
19,1%
33,3%
11,1%
16,0%
Diminution (pej.)
-
-
-
-
-
11,3%
Restgruppe (BS)
-
-
-
-
5,7%
Tabelle II.1.10.2. Funktionelle Verteilung der -linc-Derivate im diachronen Vergleich
Aufgrund der geringen Bildungsfrequenz des Suffixes -linc im Urkundenkorpus (neun Lexeme) ist die Aussagekraft der vergleichenden Übersicht604 sehr eingeschränkt. Auch die Untersuchung zum gesprochenen Gegenwartsdeutschen weist jedoch nicht mehr Lexeme auf, und auch im Frnhd. bleiben die Lexemzahlen überschaubar (K-Dü zwei Bildungen, KWü 26 Bildungen, K-Erf 15 Bildungen). Einzig die Untersuchung zum geschriebenen Nhd. verzeichnet mehr als 106 Bildungen.605 Der Befund für die Urkundensprache bestätigt die weitgehend unverändert große Bedeutung der deadjektivischen Agentiva in der funktionellen Verteilung des Suffixes. Mit Ausnahme des Erfurter Korpus nehmen sie in allen anderen Vergleichskorpora die erste oder zweite Position ein. In der gesprochenen Gegenwartssprache belegen sie gemeinsam mit den _____________ 604 Die Prozentangaben sind den jeweiligen Arbeiten entnommen: Müller (1993a: 374), Brendel et al. (1997: 550f.), Döring/Eichler (1996: 230), Gersbach/Graf (1984/85: 199f.), DW (1975: 86f.). Die bei Gersbach/Graf und in DW innerhalb einer Restgruppe behandelten Bildungen mit Zahlwort als Basis sind in Anlehnung an die Arbeiten von Müller und der Würzburger und Erfurter Arbeitsgruppe als Agentivbildungen klassifiziert worden. Da bei Brendel et al. die einzige verzeichnete Bildung zwilling (a.a.O.: 365) jedoch bei Bildungen mit Basisadjektiv behandelt wird, habe ich hierfür die Prozentwerte neu berechnet. Die von Brendel et al. gesondert behandelten Bildungen zu Basissubstantiven mit der Prädikation ›haben‹ (-ling7, 3,8%) und ›gleichen‹ (-ling8, 3,8%) sind in der Übersicht zusammen mit der Funktionsklasse -ling3 (›jmd., der in/an/um etc. BS ist/steht/läuft etc.‹, 11,5%) in der Gruppe der desubstantivischen Agentiva erfasst worden (vgl. auch a.a.O.: 582). 605 106 Bildungen werden in DW innerhalb der funktionellen Darstellung behandelt. Drei weitere Lexeme, die »nicht reihenhaft ausgeprägt sind«, werden als »Einzelbildungen« nicht weiter behandelt (DW 1975: 86f.).
II.1.11. -nisse
315
Patientiva den ersten Rang. Das Urkundenkorpus belegt wie das Korpus zur gesprochenen Gegenwartssprache als einzige deverbale Bildung nur nâchkomelinc, nhd. Nachkömmling (Gersbach/Graf 1984/85: 199). Diese weist neben fünf weiteren Bildungen auch das Erfurter Korpus auf (Döring/Eichler 1996: 228). Als Sonder- und Einzelfall ist korpusintern und im diachronen Vergleich das Lexem beckelinc (›Ohrfeige, Backenstreich‹) zu beurteilen, das als desubstantivisches Abstraktum klassifiziert wurde und das noch im DWB (I: 1068 s.v. Bäckling) gebucht ist. Zu einer reihenhaften Ausprägung dieses Typs mit dem Suffix -ling ist es jedoch nicht gekommen. Drei Lexeme im Urkundenkorpus sind zu einem Basiszahlwort gebildet und werden als Agentivbildungen gewertet. Sie werden etwa im Gegensatz zum Nhd. ausnahmslos als Teilbezeichnungen i.S.v. ›Viertel, Zehntel‹ etc. verwendet und dienen nicht der Bezeichnung von Personen. Dennoch sind sie mit Bildungen des Typs nhd. Drilling, Vierling und der Dürer'schen terminologischen Eigenprägung zwiling606 vergleichbar. Lexeme in patientiver Bedeutung und desubstantivische Agentiva, die in den Vergleichskorpora gut bis sehr gut vertreten sind, fehlen im Urkundenkorpus völlig. Instrumentativbildungen sind nur im Würzburger Korpus, (negativ taxierende) Diminutiva nur in DW belegt.
II.1.11. -nisse a. Lexembestand (58) bedrencnisse* behaltnisse (5) bestætnüsse (2) betwancnisse bruchnisse entvalnisse* gedæhtnisse gehugnisse/gehugnusse (44) geltnüsse* getwancisse/getwencnisse grebnus/grabenus hugnisse (6) kumbernisse (2) twincnisse, twincnust (2) verdæhtnisse (3) _____________ 606 Vgl. Müller (1993a: 373).
begrebnisse bekentnisse betrahtnüsse/betrehtnisse betwungnust büntnisse (2) erkantnisse/-nust (23) gedenknüsse gelîchnisse/gelîchnüsse gemechenisse (2) gevancnisse (28) hancnisse* kantnusse, kantnust (4) phlegenisse, phlegenust (17) vancnisse (38) verdamnisse
behabnust (2) bescheitnisse betrüebenisse beziugnüsse (5) enthaltnisse galtnüsse (2) gehancnüsse/gehencnisse (11) gelobnisse*/ gelüpnus (3) gephlegenisse* geziugnisse, geziugnusse (35) hindernisse (8) krenkenus sûmnisse verbuntnisse (5) verdenknisse
II.1. Derivationstypen
316 verderpnisse (5) verrâtnisse verzigenisse (4) wolbehagnisse* ziugnüsse (18)
vergezzenüsse* verrednisse verzîhenisse (10) zerworfnüsse
verhencnisse (26) verstantnisse vürdernisse (2) zerwurfnüsse
b. Morphologie 1. Suffixmorphologie alemschw
IR1
Kg
ofrk
IR2
IR3
2
-
-
6
20
2
-
-
51
-
1
-
-
-
-
-
-
-
82
6
6
1
-
-
1
1
2
25
1
4
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
15
56
-
3
-
1
-
-
1
-
-
-
-
7
2
1
1
-
-
-
-
-
-
-
-
-
Typ
alem
bair
nisse
31
nist
1
nusse
1
nust nüsse nüst
nd
obdwmd
3
3
3
-
-
-
-
-
-
IR4 wmd omd
Tabelle II.1.11.1. Morphologie des Suffixes -nisse
Bei der Beurteilung der Vokalqualität der Suffixformen folge ich der Gr.Frnhd. (I,3: 51), die für das 14. bis 16. Jahrhundert die Graphien im Wesentlichen folgendermaßen zuordnet: F, ü, é, ú = ü; u, w = u; i, y = i. Die selten in unserem Korpus vorkommende Graphie -û- rechne ich der umgelauteten Variante -ü- zu. Die morphologischen Formen des Suffixes -nisse in den ausgewerteten Urkunden bestätigen die bisherigen Ergebnisse der Forschung. »Im Mhd. werden die Wörter als Neutra oder Feminina auf niss+ und nüss+ (nuss+) gebraucht, mit ü namentlich in Oberdeutschland, mit i in Mitteldeutschland« (Wilmanns 1899: 357). Ferner Besch (1967: 228): »Die u-Formen (-nussa, -nussî, -nussi) gehören vor allem dem Bairischen an und finden sich da schon in alten Denkmälern [...]. Diese im Keim schon seit Beginn der Schrifttradition angelegte Verteilung von i und u (i = fränkisch-alem.; u = bair.) scheint in mhd. Zeit stabilisiert und gebietsweise insofern ausgebaut zu sein, als nun auch im Alem. u (ü) gilt und sich so allmählich ein mitteldeutschoberdeutscher Gegensatz herausbildet.«
Auffällig ist der noch relativ hohe Anteil des Typs -nisse im Alem. und dessen Häufigkeit im Ofrk., das in dieser Hinsicht noch den ursprüngli-
II.1.11. -nisse
317
chen »fränkisch-alem.« Lautstand aufweist.607 -nisse ist wie zu erwarten der klare Favorit im Mitteldeutschen. Das Bair. zeigt nahezu nur -u-/-üFormen. Während der Typ mit t-Epithese bair. nur eine untergeordnete Rolle spielt, tritt das Alem. hier ganz deutlich als Präferenzraum dieser Suffixvariante hervor. Etymologisch ist das epithetisch angetretene -t608 auf um das Suffix -ida erweiterte althochdeutsche Formen zurückzuführen609, die Henzen (1965: 177) als »obd.-bair.« bezeichnet. Für das 13. und 14. Jh. zeigt das in der Gr.Frnhd. ausgewertete Material einen Schwerpunkt dieser Formen im Hochalemannischen. 2. Basisalternanz Während im Nhd -nis-Bildungen, die es schon in mhd. Zeit gab, grundsätzlich Umlaut aufweisen, ist dies im Mhd. noch nicht die Regel. »Der alte Umlaut kommt den Wörtern auf -nis nicht zu, den jüngeren haben die meisten. Von den Wörtern, die bereits im Ahd. und Mhd. belegt sind, haben sich ihm nur Erlaubnis [...] und Verdammnis entzogen; die übrigen, die ihn nicht anerkennen, sind jünger; Erfordernis, Befugnis, Besorgnis, Ersparnis, Wagnis, Bewandtnis« (Wilmanns 1899: 362).
Die Lehrmeinung jedoch, dass -nisse mhd. noch keinen Umlaut bewirke610, ist zu pauschal und wird einer angemessenen Beschreibung der umlautenden Wirkung des Suffixes nicht gerecht, denn die Belege des WilhelmCorpus zeigen, was den Umlaut der Basen anlangt, ein sehr heterogenes Bild. Von den 58 Lexemen auf -nisse sind z.B. die folgenden im Korpus nur mit Umlaut belegt611: begrebnisse, bekentnisse, betrehtnisse, gedæhtnisse, gemechenisse, getwancnisse, kumbernisse, verdæhtnisse, verstantnisse. Mit teilweise umgelauteter Basis sind belegt: behaltnisse ( 2/2 wmd., 0/1 alem., 0/2 bair.), büntnisse (1/2 bair.612), gevancnisse ( 8/8 wmd., 6/20 alem.), verbuntnisse ( 1/3 Kg. (md.)613, 1/1 obd./alem., 0/1 wmd. (rhfrk.)). vürdernisse (2) liegt in einer wmd. Urkunde in der Form vor614 und entspricht hierbei evtl. lautlichen Varianten des Verbs vürdern (Lexer III: 595). _____________ 607 -nus ist die Leitvariante bei Dürer (Müller 1993a: 318). Vgl. auch die Darstellung in der Gr.Frnhd. (I,3: 51ff). 608 Vgl. Gr.Frnhd. (I,3: 52). 609 Vgl. Besch (1967: 225f.). 610 Vgl. PWG (1998: §41 Anm. 11). 611 Die Form gelv(o)bnvste zu gelüpnus wird nicht als Umlaut gewertet. 612 In derselben Urkunde 2169 liegt auch ein Beleg ohne Umlautmarkierung vor. 613 In derselben Urkunde 2785A ist das Lexem zwei weitere Male ohne Umlautmarkierung belegt. 614 Vgl. PWG (1998: §66).
318
II.1. Derivationstypen
Für gehugnisse/gehugnusse und hugnisse ist eine Aussage schwierig, da die im Korpus nicht belegte zugrunde liegende Verbform bei Lexer (I: 1379 hügen, hugen, hogen) mit und md. ohne Umlaut angegeben ist. Bei gehugnisse/gehugnusse stehen 15 umgelautete Formen 30 Formen ohne Umlaut gegenüber. Bei hugnisse weisen zwei von sechs Belegen Umlaut auf. Den sogenannten Rückumlaut zeigen erkantnisse und hancnisse, in einem (wmd.) von elf Fällen auch gehencnisse, sowie verhencnisse in zwölf von 26 Fällen. 3. Basisaffinität Wird im Ahd. -nisse noch vorwiegend zur Bildung von Adjektivabstrakta verwendet, werden »durch die Vermittlung der Adjectiva und Participia« die Verbalabstrakta immer beliebter, »und schon im Mhd. treten die Adjectivabstrakta stark hinter ihnen zurück« (Wilmanns 1899: 360). So sind auch die -nisse-Bildungen in unserem Korpus fast ausschließlich zu verbalen Basen gebildet (55 Lexeme, 94,8%). Das Lexem bruchnisse ist als einziges auf eine substantivische Basis zu beziehen.615 Als deadjektivische Bildungen werte ich das Lexem gelîchnisse und das aller Wahrscheinlichkeit nach zum Partizipialadjektiv verdâht (182) gebildete verdæhtnisse. Auch für das Lexem geziugnisse, das wohl aus geziuc m. ›Zeugnis‹ abgeleitet ist, »da das Verbum (ge)ziugen vor 1300 selten ist« (Dittmer 1989: 57 Anm. 20), nehme ich korpusintern deverbale Motivation an616, da das Lexem mit anderen eindeutig deverbal aufzufassenden Bildungen zur Wurzel -ziug- bedeutungsgleich verwendet wird.617 25 Derivate (43,1%) sind von starken Verben gebildet. Den Infinitivvokal weisen sechs Derivate auf (Ablautreihe III (3), V (2), I (1)), acht Derivate von Basisverben der Ablautreihen VII (5), VI (2) und V (1) haben den Vokal des Infinitivs oder Partizips Präteritum (z.B. behaltnisse, entvalnisse), drei Derivate (Ablautreihe III) zeigen den Vokal des Singulars Präteritum (betwancnisse, getwancnisse, galtnüsse). Den Vokal des Partizips Präteritum oder des Plurals Präteritum zeigen zu Verben der Ablautreihe III betwuncnust und büntnisse, verbuntnisse, zu einen Verb der Ablautreihe I verzigenisse. zerwurfnüsse (Ablaut des Plurals Präteritum) und zerworfnüsse (Ablaut des Partizips Präteritum) werden aufgrund verschiedener Ablautstufen der Ablautreihe III als zwei Lexeme behandelt. Im Korpus sind -twanc-Bildungen, egal zu welchem Suffix, gut deverbal motiviert (betwingen _____________ 615 Vgl. Dittmer (1989: 57). 616 Brendel et. al haben aufgrund ihrer späteren Texte keine Motivierungsprobleme und können ein Basisverb ansetzen (1997: 379ff.). 617 Vgl. -nisse: beziugnüsse, ziugnüsse; -unge: beziugunge, erziugunge, ziugunge; -same: geziucsame, ziugsame; -schaft: geziugschaft.
II.1.11. -nisse
319
(58), getwingen (4), twingen (184)). Das Substantiv twanc ist jedoch gar nicht und getwanc nur einmal belegt. Dies spricht dafür, die Suffixbildungen historisch-synchron als deverbale Ableitungen zu klassifizieren. galtnüsse stelle ich wie geltnüsse zu den Ableitungen von starken Verben, da die schwachen Verben engelten, engalten nicht, die starken Verben engelten (38) und gelten (1135) hingegen sehr gut belegt sind.618 Für die Bildungen gevancnisse und vancnisse ist eine konsonantische Basisalternanz charakteristisch, die auf das Partizip Präteritum des Verbs vâhen zurückgeht. Das Lexem verstantnisse ist zum Wurzelverb verstân, verstên gebildet und zeigt die charakteristische Basisalternanz. 28 Bildungen (48,3%) sind zu schwachen Verben gebildet. Formen des Partizips Präteritum weisen hier die Lexeme bekentnisse, erkantnisse, gedæhtnisse und kantnusse619 auf. Das Basisverb behaben der Bildung behabnust liegt im Korpus stark und schwach vor. Fugenelement Ein Fugenelement -e- an der Morphemgrenze zwischen Stamm und Suffix weisen zum Teil folgende Lexeme auf: behabnust (2/2), bestætnüsse (1/2), beziugnüsse (1/5), gehancnüsse (1/11), gehugnisse (16/45), gemechenisse (2/2), grebnus/grabenus (1/1), krenkenus (1/1), phlegenisse (6/17), ziugnüsse (1/18), geziugnisse/geziugnusse (3/35), gevancnisse (10/28), verhencnisse (5/26), vergezzenüsse (1/1), verzigenisse (1/4), verzîhenisse (5/10), vancnisse (2/28). Im Einzelfall lässt sich nicht immer entscheiden, ob es sich bei -e- wirklich um ein Fugenelement zur Ableitung aus dem Infinitivstamm oder um die Endung des Partizips der starken Verben handelt, da Bildungen zu schwachen Verben dieses Element genauso aufweisen (z.B. gemechenisse). Die Heterogenität der Belege könnte durch den Ausfall des unbetonten -e(n)- der starken Partizipien (vgl. Paul 1920b: 70) und die analogische Übernahme in Wortbildungen mit schwachen Verben entstanden sein. Formen mit nn- Schreibung, wie -e-nn-isse-, ließen sich im Korpus nicht nachweisen. Kein Fugenelement im Verhältnis zur normalmhd. Leitform haben die Belege zu betrüebenisse und gephlegenisse. Es besteht eine große Affinität des Suffixes -nisse zu präfigierten Basen. 67,2% (39 Lexeme) aller Bildungen sind zu präfigierten Verben gebil_____________ 618 Dittmer (1989: 57) wertet getwencnisse als desubstantivische Bildung und betwancnisse, da es älter ist als betwanc und (ge)twancnisse, als Analogiebildung zu älterem (ge)twanc. galtnisse hält er für identisch mit Notkers ingaltnisse, das »aus dem schwachen Verbum der ersten Klasse engelten, engalten abgeleitet wird« (ebda.). 619 Vgl. DWB (11: 551).
320
II.1. Derivationstypen
det: be- (12), ent- (2), er- (1), ge- (11), ver- (11), zer- (2). Im Fall von wolbehagnisse ist von einer Zusammenbildung auszugehen. 4. Genus der Bildungen Das Genus der -nisse-Bildungen kann Femininum oder Neutrum sein, aber auch zwischen beiden Geschlechtern schwanken. Dies geht auf die ahd. Suffixformen -nissa N. und -nissî F. zurück, die mhd. aufgrund der Nebensilbenabschwächung lautlich zusammengefallen sind. 32 (135 Belege) der im Korpus belegten Bildungen (55,2%) sind feminin. Fünf Bildungen (8,6%) mit insgesamt 13 Belegen sind nur mit neutralem Genus belegt. Bei sieben Bildungen (12,1%) mit insgesamt acht Belegen ist das Genus nicht feststellbar. 14 Bildungen (24,1%) schwanken zwischen Neutrum und Femininum. Die 188 Belege dieser Bildungen verteilen sich wie folgt: 74 der Belege lassen sich keinem Genus zuordnen. 26 Belege sind neutral und 88 feminin. Bei vielen Lexemen überwiegen von den feststellbaren Genera die Femina oft bei weitem die spärlich belegten Neutra, so dass das Verhältnis insgesamt wohl noch deutlicher zugunsten der Feminina ausfallen würde. c. Motivationsdichte Auch beim Suffix -nisse sind die meisten Bildungen im Korpus gut motiviert. Für 290 Belege (84,3%) wurde Basisrang 1 vergeben. Für rund 13% dieser Belege konnten die Basen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, auch innerhalb derselben Urkunden nachgewiesen werden. Zu bedrengnisse ist korpusintern keine präfigierte Basis nachweisbar, doch sehe ich das nichtpräfigierte drengen (17) als hinreichende Motivationsbasis an. Nur zweimal wurde Basisrang 2, nur einmal Basisrang 3 festgestellt. Für drei Bildungen ist die Basis nur bei Lexer ermittelbar (Basisrang 4). Dies sind einmal hugnisse und gehugnisse, denn obgleich es drei alemannische Belege von überhügen gibt, sind diese nur in der Bedeutung ‹übergehen, geringschätzen, vergessen‹ verwendet. Ich sehe daher von einer Motivation über dieses Verb ab. Ein weiteres Lexem mit Basisrang 4 ist verdamnisse.
II.1.11. -nisse
321
d. Wortbildungsfunktion Funktionsklasse A. Abstrakta -nisse1
Paraphrase ›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹
B. Patientiva -nisse2
›jmd./etw., der/das BV wird‹ ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹ ›BS‹
C. Abstrakta -nisse3 D. Idiofunktionalia -nisse4 Gesamt
Basiswortart Verb/ Verb[part]
gehugnisse1, gehancnüsse
Verb/ Verb[part]
erkantnisse2, gelobnisse2
Lexeme / Belege Anzahl Prozent 52/326 80,0/94,8
Beispiel
10/13
15,4/3,8
Adjektiv
gelîchnisse
2/4
3,1/1,2
Substantiv
bruchnisse
1/1
1,5/0,3
65/344
Tabelle II.1.11.2. Funktionelle Verwendung der -nisse-Derivate
Anhand der Übersicht wird deutlich, dass das Suffix -nisse in der mhd. Urkundensprache weit überwiegend zur Bildung deverbaler Abstrakta verwendet wird.620 An zweiter Stelle rangieren die Patientiva mit 15,4%. Unter den wenigen Belegen befinden sich nur drei Bildungen (30%), die korpusintern nicht abstrakt verwendet werden. Nur zwei Lexeme repräsentieren den Bildungstyp der deadjektivischen Abstrakta. Ihre Bedeutung ist mit nur 3,1% marginal. Ein Lexem (bruchnisse) erweist sich als idiofunktionale Bildung. A. Abstrakta (BV-nisse1): ›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹ Lexem
Belege alem bair
bedrencnisse* begrebnisse behabnust behaltnisse bekentnisse bestætnüsse betrahtnüsse/ betrehtnisse betrüebenisse betwancnisse betwungnust beziugnüsse1 büntnisse
alemwmd IR1 schw 1 2 1 -
1 1 2 5 1 2
2 1 -
1 2 2
1
-
-
-
-
1 1 1 4 2
1 1 2 -
1 2
-
-
Kg
ofrk IR2
IR3
IR4
Rest
-
-
-
-
-
-
-
1
-
-
-
-
-
1 -
-
1 -
-
-
-
-
_____________ 620 Drei Lexeme (7,7%) können auch als Zustandsabstrakta verwendet werden. Nur das Lexem verdamnisse weist einzig diese Verwendungsweise auf.
II.1. Derivationstypen
322 Lexem enthaltnisse entvalnisse* erkantnisse/ erkantnust 1 gedæhtnisse gedenknüsse gehancnüsse/ gehencnisse gehugnisse/ gehugnusse1 gelobnisse2 geltnüsse* gemechenisse1 gephlegenisse* getwancnisse/ getwencnisse gevancnisse geziugnisse, geziugnusse grebnus/ grabenus hancnisse* hindernisse hugnisse kantnusse/ kantnust1 krenkenus kumbernisse phlegenisse, phlegenust sûmnisse twincnisse, twincnust vancnisse1 verbuntnisse verdamnisse verdenknisse verderpnisse vergezzenüsse verhencnisse verrâtnisse verstantnisse verzigenisse verzîhenisse vürdernisse wolbehagnisse* zerworfnüsse zerwurfnüsse ziugnüsse1 Gesamt
Belege alem bair
alemwmd IR1 schw 1 1 -
IR3
IR4
Rest
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
11
-
-
-
-
-
-
-
29
-
5
2
-
3
-
-
-
-
1 1 -
1 -
-
1
-
-
-
-
-
-
-
1
1
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
28
20
-
-
8
-
-
-
-
-
-
35
9
3
9
-
6
-
5
1
-
1
1
1
-
1
-
-
-
-
-
-
-
-
-
1 8 6
1 -
1 4
-
1 2 1
-
1 -
2 -
-
-
-
1 1
3
2
1
-
-
-
-
-
-
-
-
-
1 2
1 2
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
17
5
11
-
-
-
-
-
-
-
1
-
1 1
-
-
22
16
6
-
-
1 1
-
1 1
-
11
-
-
42
3
1 1 1 1
Kg
ofrk IR2
1
1
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
2
2
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
38 5 1 1 5 1 26 1 1 4 10 2 1 1 1 17 326
2 4 1 2 1 1 83
30 1 1 17 7 1 10 134
1 1 2 13
1 1 3 2 2 1 45
1 1 1 2 14
3 2 7
4 1 1 1 1 19
1
1 1
2
1 1 1 1 7
II.1.11. -nisse
323
bedrencnisse* (›Zwang, Druck‹): ← bedrengen (Lexer I: 142), drengen (17) sw.V.
...ane alle bedrenknisse der herren von vserstal · an allem irem rehte dc si in den vorgenanten dorfin hant (Corp. 2746, 114.32).
Formal-morphologisch ist für bedrencnisse621 ein Bezug auf das bei Lexer belegte Substantiv bedranc möglich. Das Verb bedrangen, bedrengen ist ebenfalls nur bei Lexer belegt. Ich sehe jedoch eine ausreichende Motivierung durch das 17-mal belegte Verb drengen gegeben. begrebnisse: ← begraben (11) st.V. ...wir svlen in avch niht betwingen zN deheiner begrebnvss / bei vns nach sinem tode (Corp. 1747, 63.40).
behabnust (›Urteil, Beilegung e. Rechtsstreits‹): ← behaben (238) st.sw.V. wrden ovch vor vns gelesen an vnser) gerihte des selben tages offenlich bider Selben behabenuste · den selben Shait aller Manegelich) ze wizende vnde ze kvndende. (Corp. 981, 318.25).
behaltnisse (›Bewahrung, Erlösung; Unterhalt; Vorbehalt‹): ← behalten
(770) st.V.
daz wir mit gGter vorbetrahtunge vnde vnbetwungenliche ze einer behaltnússe der eron vnde ouch §nser selon haben daz vffen §ns selben gesezzet vnde gelobot (Corp. 1031a = N 373A, 279.38).
Anders als bei Dürer622 oder im Nhd. wird das Lexem im Korpus nicht konkret i.S.v. ›Gefäß zur Aufbewahrung‹ verwendet. Es handelt sich vielmehr um ein Handlungsabstraktum zum Basisverb behalten623 (WMU I: 161f.) mit der hier zugrunde liegenden Bedeutung ›einhalten, festhalten, bewahren‹. bekentnisse (›Zeugnis, Beurkundung‹): ← bekennen (120) sw.V. Dirre rede allir geben ich heinrich Marscalc zG bekentnisse / disen brif... (Corp. 2878, 195.3).
bestætnüsse (›Bestätigung‹): ← bestæten (147) sw.V. Vnd haben im vnd seiner samnvnge vnd seinem Chloster bestetigt di vorgeschriben hantfeste / vnd allez daz dar inne stet ·Vnd zN einem Nrchvnde diser besttnvsse / so geb wier disen brief mit vnserm insigel versigelt (Corp. 1403, 616.17).
betrahtnüsse/betrehtnisse (›Überlegung, Bedacht‹): ← betrahten (15) sw.V.
Das Johannes von Liethenberg / v] walther von Hvneburg/ des Riches getruwen · Mit vnserre craft / mit vnsern willen / v] gehelle / einmFtecliche/ mit vol-
_____________ 621 Das Lexem ist laut Wilmanns (1899: 361) erst für das Nhd. nachweisbar. 622 Siehe Müller (1993a: 325f.). 623 Vgl. Brendel et al. (1997: 380).
II.1. Derivationstypen
324
ler betrethnisse / ir beder nuz / v] ir beder ere / vnde geuGre dermitte zGschaffenne / sint vberein komen · (Corp. 990B, 323.55).
betrüebenisse (›Beeinträchtigung, Schädigung‹): ← betrüeben (›beeinträchtigen, schädigen; betrüben‹) (7) sw.V.
...vnd si zirgezind der selbin bitr=pnuzze mit allim vlisse! (Corp. 1829, 139.32).
betwancnisse, betwungnust (›Zwang‹): ← betwingen (›Zwang ausüben; zwingen‹) (5) st.V.
daz ich versworn habe friliche vffen den heiligen ane bitwangnisse / ane vorhte / ane vnderrede vnd ane allen argen list (Corp. 207, 215.20). v] an alle betwungnúste mit geswornen aiden die wir geswern haîn mit gelerten worten zeden (Corp. 2070, 404.25).
beziugnüsse1 (›Zeugenbeweis, Zeugenaussage; Bezeugung, Bestätigung‹): ← beziugen (224) sw.V. vnd daz dirre vorgenant kof war vnd stet blib andisen gegenwertigen brief...henk ihc an disen brief ze ainer bezúknust dez kofez der da vor gescriben stat (Corp. 2890, 199.37).
Ein Beleg ist als Patientivum zu werten, vgl. beziugnüsse2. büntnisse (›Vertrag, Bündnis‹): ← binden (›sich (an jmdn.) binden, verpflichten‹) (405) st.V. a) Disev t(dinch · vnd pFntnFsse · die sint geschehen ze Vrmaruelt (Corp. 2169, 342.26). b) Daz ich mich vnd all mein erben · der vorgeschriben puntnFsse · han verpunden...(Corp. 2169, 342.29).
büntnisse wird gemeinhin als desubstantivische Wortbildung zu bunt st.M. aufgefasst624, doch lässt sich für unser Korpus anhand der Kontexte eine deverbale Motivation rechtfertigen (vgl. auch verbuntnisse). Während Beleg a als Vorgangsabstraktum verwendet wird, scheint für den zweiten Beleg b die Interpretation als Zustandsabstraktum angemessener. Wie ich die Textstelle verstehe, wird auf ein Verbundensein als Ergebnis einer eingegangenen Bindung rekurriert: ... vnd sei wir im · vnd seinen nachchomen · vnd dem Gotzhaus ze freysing · gepunden zetMn durch recht · vnd auch von dez Landez gwonhait... (Corp. 2169, 341.35).
enthaltnisse (›Obhut, Schutz‹): ← enthalten (›aufnehmen, Aufenthalt gewähren‹) (18) st.V.
ee wir vmmanne vnser vronde begFden ouch zu intaldene · wir insolen indes nimanne uf vnser hGs zu intelnisse neemen daz deeme zu schaden kome sin crich si ee uz (Corp. 904, 264.6).
_____________ 624 Vgl. Paul (1920b: 70), DW (1975: 88f., 207).
II.1.11. -nisse
325
entvalnisse (›Verlust, Einbuße‹): ← entvallen (›einbüßen, verlieren‹) (10)
st.V.
Wi wir diz niit steede inhailden so solen wir troweloiz v] meenedich sin · zodeme inphalnisse vnser leene als da vor gescriben stait (Corp. 904, 264.18).
Das Abstraktum entvalnisse ist durch das Basisverb entvallen in derselben Urkunde motiviert: Brechen wir diz an irme libe oder anme hGse alse da vor gesprochen ist So Sin wir inphallen an vnsern leenen die wir han von deme grauen von veldenze (Corp. 904, 264.2).
erkantnisse/erkantnust1: ← erkennen (135) sw.V. ...daz si von vnser monvng / vnd von ir selben gewizzen des zerchantnvsse chomen / also / daz si veriahen vnd erchanten offenlich / daz... (Corp. 3182, 375.14).
13 der 23 Belege sind in der formelhaften Wendung ain erkantnuste der nachgeschribenon dinge kúndin belegt. Fünf Belege erscheinen in der häufig gebrauchten Wendung ze ainer erkantnusse (einer Sache). Nur ein Beleg erweist sich sicher als Patientivum. Bei zwei weiteren ist mithin eine Deutung auch als Patientivum möglich, aber weniger eindeutig. gedæhtnisse (›Erinnerung; Gedenken‹): ← gedenken (82) sw.V. gib ich ...disen Prief · mit der erberen herren / anhangenden Jnsigelen gesigelten...ze ainer gedæchtnFsse der warhait (Corp. 3481, 564.25).
gedenknüsse (›Erinnerung, Gedenken‹): ← gedenken (82) sw.V. ...daz si alle jar / di weil ich leb / fMftzich Chæs in nemen von derselben Swaig / ze vrchvnde / vnd gedenchnvsse / vnd nah minem Tod gar in nemen / an allev irrsolvnge · (Corp. 2394, 483.30).
gehancnüsse/gehencnisse (›Zustimmung, Einwilligung‹): ← gehengen (1), hengen (23) sw.V.
v] bit vnsme gehencnisse solin di zuene brGdere Symon vnde Conrat bit vir esillin sich holzin in deme Rusberge ane gevar v] ane argelist (Corp. 0728a = N 282, 220.23).
gehugnisse/gehugnusse1 (›Gedächtnis, Erinnerungsvermögen; Erinnerung‹): ← gehügen (Lexer I: 793), hügen (a.a.O.: 1379) sw.V. Ze furkomende kvnftige arbait / v] ze ainr gehPgenPsse / beschenne dinge so ist durfte / daz man si ewic v] fêste machhe / mit briefen / v] mit gezivge · (Corp. 3499, 576.29).
Das Gros der Belege von gehugnisse erweist sich als Abstraktbildung. Nur bei zwei legt der Kontext die Interpretation als Patientivum nahe, vgl. gehugnisse/gehugnusse2. Drei Belege in Arengen lassen sich am besten mit ›Fähigkeit, einer Sache zu gedenken‹ umschreiben, bezeichnen also die
II.1. Derivationstypen
326
›Tatsache, dass sich jmd. einer Sache erinnern bzw. ihrer gedenken kann‹.625 ...daz iht von agezzel v] von langen zeiten die mit der tage menige hin gênt v] fliezzent, da von die gehFgenFsse ab nimet v] entsleiffet, redelich v] rehte sache mit chriege her nach iht werden gechrencket v] gevelschet... (Corp.1819b = N 601, 436.5).
Ein Beleg, dessen Bedeutung im WMU (I: 602) mit ›(jährl.) Anerkennungs-, Rekognitionszins‹ angegeben ist, wurde den Abstrakta zugeordnet. Das Genitivattribut deutet hier eindeutig auf ein Abstraktum hin: daz man alle Jar / di weil ich noch leb / sol geben dem vorgenanten Gotshavs / ze einer gehvgnMsse des selgerætes / halben dánst von dem Hof /· (Corp. 3145, 354.27).
geltnüsse* (›Einbuße; Abzüge‹): ← gelten (1135) st.V. ...daz ich han gegeben / nach mein) Tod / an allen abloz / dem Conuentt ze Mosburch / ze gemainer pfrFnt / auz dem hof ze Heder bei Ergolting / zwelf schilling Geltz / Regenspurger pfenning / ob ez daz Gvt vertragen mMg / ez Sloh Schawer / oder Pisez / oder Lantz Vrlevg / des schol mein Sel / vnd mein Jarzeit / dehain Geltnvzz haben (Corp. 2429, 502.12).
Entgegen dem Lemmaansatz des WMU (I: 546) unterscheide ich diese von mir aufgrund morphologischer und semantischer Gründe als eigenes Lexem behandelten Bildungen von dem Lexem galtnüsse. Die Bildung, die Dittmer (1989: 57) auf das schwache, nur bei Lexer belegte Verb engelten ›entgelten lassen, strafen mit‹ zurückführt, ist korpusintern wohl besser durch das zahlreich belegte starke Verb gelten zu motivieren.626 Dennoch bleibt die Bildung einer Paraphrase problematisch. Die anzunehmende Lexembedeutung ›Einbuße‹ (WMU I: 546) lässt sich evtl. über die Paraphrase ›Tatsache, dass jmd. etw. gelten muss‹ noch nachvollziehen, zeigt jedoch schon Zeichen einer beginnenden Lexikalisierung. Unter Vorbehalt habe ich diese Bildung noch den Abstrakta zugerechnet. Eine konkrete Bedeutung, wie sie etwa im DWB angegeben ist627, sehe ich an dieser Stelle nicht verwirklicht. gelobnisse2: ← geloben (1530) sw.V. her vmbe so henkent die bPrger von Clingenowe ir ingesigel an disen brief ze einer gelNbnvste dirre dinge... (Corp. 3467, 550.41).
gemechenisse1 (›Abmachung, Verfügung‹): ← gemachen (18), machen (870) sw.V.
_____________ 625 Vgl. die ›Abstrakta der Fähigkeit‹ bei Brendel et al. (1997: 207, 437). 626 Vgl. DWB (5: 3098). 627 »GELTNIS, f. n. entgelt, gezahlte busze, eig. entschädigung (s. gelten 3) [...].« (DWB 5: 3098).
II.1.11. -nisse
327
Wir die vor genanten rittere vnd knech, der namen hie vor gescriben stat, vir iehin an disime brive, das wir sahen vnd horten die vor genante gemechinische der lehine vnd das gelébide, das herre Herman der Waldiner sinen brGdris kinden hern Conradz hat getan... (Corp. 0424a = N 799, 574.11).
Ein weiterer Belege erweist sich als Patientivum, vgl. gemechenisse2. gephlegenisse* (›Aufsicht, Verwaltung‹): ← gephlegen (Lexer I: 868), phlegen (96) st.(sw.)V. ...alles das varende gGt / vnde fruht / es si win korn / oder phenninge/ oder ander fruht / oder gGt / das vorhanden was / vnd das vnder dem kFnge / in des gephlegnisse von banacker / vunden wart... (Corp. 1524, 691.4).
Ich interpretiere diesen Beleg mit dem WMU (I: 652) und den Anmerkungen in den Regesten628 als Abstraktum, auch wenn m.E. eine lokative Lesart nicht völlig auszuschließen ist. getwancnisse/getwencnisse (›Zwang‹): ← getwingen (4), twingen (184) st.V. Jch die vorgenante Grede vergihe =ffenliche, daz ich ane getwenknisse, ane vorhte, ane Pnderreden, ane schalkeit vnd ane allen argen list friliche v] ledicliche mit mins wurtes hant v] willen han verc>ft das vorgenante gGt... (Corp. 0144a = N 100, 71.29).
gevancnisse (›Gefangennahme, Gefangensein‹): ← gevâhen (8), vâhen (310) st.V.
a) Ouch so han wir lutterliche vnde genzeliche virzigen / op die selue vnde op al jr lude vor vns · vor vnse kint vor vnse nacomelinge / vor vnse vrunt vnde vor alle vnse mage · van deme geuenckenisse dat ich Salatin geuangen wart van der seluer vrouwen vrunden (Corp. 196, 208.33). b) Ez svln alle gevangen ledich sin / swie / oder vmb swev si gevangen sin an schaden/ si sein ein vanchnMzzen / oder ein borgscheften (Corp. 1694, 24.3).
Die Lexeme gevancnisse und vancnisse (s.d.) werden unterschiedslos verwendet. Beide Lexeme können als Handlungs- (a) und Zustandsabstrakta (b) verwendet werden. Die Urkundenkontexte lassen jedoch nicht immer eine eindeutige Unterscheidung dieser beiden Verwendungsweisen zu. Die Schwierigkeit, zwischen Zustands- und Handlungsabstraktum zu unterscheiden, mag folgender Beleg verdeutlichen: ...fur alle ir frúnt ane alle geuerde / vmb die gevangnische / so si von vch erlitten hant... (Corp. 3058, 304.41).
Bei dem erlittenen Gefängnis, von dem hier die Rede ist, kann es sich sowohl um das Erleiden einer Gefangennahme als auch um das Erleiden eines Gefangenseins handeln. Das Verhältnis zwischen der Verwendung als Handlungs- und Zustandsabstraktum beträgt bei gevancnisse 18 : 10 _____________ 628 Regesten, S. 323: »Alle Fahrhabe und alle Ernteerträgnisse, die [...] in der Verwaltung des Banackers waren [...].«
II.1. Derivationstypen
328
Belege und bei vancnisse 22 : 16 Belege. Eine lokative Bedeutung des Lexems629 lässt sich im Korpus nicht feststellen. geziugnisse, geziugnusse (›Bezeugung, Beglaubigung; Zeugnisleistung‹): ← geziugen (17), ziugen (8) sw.V. Das schwache Verb geziugen ist im Korpus 17-mal belegt, allerdings nur md. Doch finden sich für die -nisse-Bildung auch wmd. Belege, die sich auf das Verb beziehen lassen, so dass ich verbalen Motivationsbezug generalisierend auf alle Belege von geziucnisse übertrage.630 Da die Annahme der substantivischen Basis geziuc zur Einreihung in die Klasse der Idiofunktionalia führen würde und ich dies nicht als semantische gleichwertige Motivation ansehe, wird die Bildung nur innerhalb des Bereichs der Transposition behandelt. ...vnd ze eîner gezeMgnMsse vnd zv einer stæticheit diser getât haben wir gehangen vnser beder insigel an disen brief (Corp. 1104B, 400.76).631
29 der Belege werden formelhaft in Verbindung mit der Präposition ze verwendet. 21 davon sind mit attributivem Genitiv oder Präpositionalobjekt belegt, was ihren Gebrauch als Abstrakta verdeutlicht. Ein Beleg in einer Arenga ist als ›Abstraktum der Fähigkeit‹632 zu interpretieren: Div geziugenusse der gescrift oder der briefe ist lobelich vnde nuze · wan si verkumet kvnftigen criech / vnde machet daz man geschehener dinge nit vergisset (Corp. 1320, 561.33).
grebnus/grabenus: ← graben (8) st.V. ...daz wir so offenlich · mit vnsern triwen bá vnsern frivnten vnd bi den lantlaGten gestetigt haben vnd vervestent dazz ranshouen ze der grabenvsse vnsers bruders ChFnens dem got genad (Corp. 2899, 204.33).
Die Präpositionalphrase hat hier die temporale Bedeutung ›beim Begräbnis‹. hancnisse* (›Zustimmung, Einwilligung‹): ← gehengen (1), hengen (23) sw.V.; vgl. gehancnüsse/gehencnisse ...mit hanknisse / vnde mit willen vnsers Capitels von Meintze... (Corp. 1161B, 445.56).
hindernisse: ← hindern (42) sw.V. ...Daz min herre hat sibenzehen gevorste holzer · vmme daz hFs zv Masbach ligende v] stende · da mite he ane min · v] miner erben hindernisse tu vnde lazze sol swaz he wil (Corp. 3318, 461.6).
_____________ 629 Vgl. Müller (1993a: 326), Brendel et al. (1997: 392f.), Gersbach/Graf (1984/85: 302). 630 Bemerkt sei an dieser Stelle, dass es neben -nisse im Korpus auch Ableitungen auf -unge, schaft, und -same gibt, für die ich nach diesem Vorgehen verfahre. 631 Die lateinische Parallelurkunde 1104A hat an dieser Stelle in huius rei testimonium (Bd. 2, S. 400, Z. 43). 632 Vgl. Brendel et al. (1997: 207, 437).
II.1.11. -nisse
329
Acht Belege erweisen sich sicher als Abstrakta. Für einige wenige Belege ist darüber hinaus auch eine instrumentative Verwendung nicht auszuschließen, sie werden jedoch allesamt noch als Abstrakta gewertet. ...daz wir vnde vnser Erben / dekeynerhande vorderunge / oder Hindernisse haben / oder tGn / vnserme vorgenanten Herren (Corp. 1919A, 191.16).
hugnisse (›Gedenken, Erinnerung‹); vgl. gehugnisse/gehugnusse1. kantnusse/kantnust1: ← kennen (1) sw.V. Dar vber geb wir zer chantnvsse · vnd ze vrchvnde - disen brive (Corp. 652, 75.11).
Wie für erkantniss/erkantnust1 lässt sich auch für dieses Lexem patientive Bedeutung nachweisen, vgl. kantnusse/kantnust2. Das Basisverb kennen ist nur einmal ofrk. belegt. Das häufig belegte erkennen (135-mal) kann sicherlich als semantisch motivierende Stütze des Lexems angesehen werden. Von einer verkürzten Form ist bei kantnusse/kantnust wohl nicht auszugehen.633 krenkenus (›Schädigung, Beeinträchtigung‹): ← krenken (26) sw.V. der kriech...sol beliben vnde stan gMtelich / an ietweders / Schaden · vnde kr(nkenust sines rehtes (Corp. 884, 195.26).
kumbernisse (›Schädigung, Beeinträchtigung‹): ← kumbern (12) sw.V. ...fûr ein fri eigen ewecliche ze besitzende v] ze hande ane alle kûmbernûsse vnser / v] aller vnserre nachkommen... (Corp. 1047, 361.44).
phlegenisse/phlegenust: ← phlegen (96) st.(sw.)V.
Die 17 Belege von phlegenisse sind ausnahmslos abstrakt. Auffällig ist die ausgeprägte Nebenbedeutung ›Pflegeamt‹, die bei zehn Belegen zu beobachten ist. Abstrakta, die ein Amt bezeichnen, sind in der Regel desubstantivisch. Das Substantiv phlege nehme ich jedoch in diesem Fall nicht als Basis an. Der Bedeutungsübergang lässt sich wohl vielmehr als Verkürzung der Nominalphrase phlegenisse der ampt etc. erklären, die dreimal belegt ist. so vertreiben wir di Juden von der pflegenNsse der Ampt ze Wienne / dar vmbe / daz si vnder den eren der herschefte · oder des offenne amptes di Christen niht beswæren (Corp. 2345, 453.2). swer disen satz vbervert / den sol der herre des dienær er ist siner pflechnMzze zehant entsetzzen / also daz er dehein pflechnMzze niht haben sol / noch hauptman sein in dem Lande dieweile dieser satz wert (Corp. 1694, 24.19f.).
sûmnisse (›Säumnis, Versäumnis, Nachlässigkeit‹): ← sûmen (46) sw.V. ...blibet aber die missetat von des meisters wegen vngerihtet v] von siner sQniss... (Corp. 0610a = N 238A, 188.2).
_____________ 633 Vgl. DWB (11: 551ff.).
II.1. Derivationstypen
330
twincnisse/twincnust (›Zwang, Gewalt; Zwangsrecht‹): ← twingen (184) st.V.
...daz er reht derzN het · an der holzlose · an vnseren banMulin mit deheinre hande twincnisse · vrien haberen vf vnser eigin lute ze Sexowe oder anderswa · v] bette vf vnser ambahtlute ze legende (Corp. 1106, 401.23).
Der zitierte Beleg, vom WMU (19. Lief.: 1792) mit ›Zwangsrecht‹ interpretiert, ist für das Suffix -nisse das einzige Beispiel für die abstrakte Bedeutung ›Recht, etw. zu tun‹, die sich bei einer Vielzahl von Lexemen in unserem Korpus beobachten lässt. Auf diese Bedeutung weisen neben Szadrowsky (1933: 43f.) auch Brendel et al. hin (1997: 120), Letztere interessanterweise anhand des Lexems gerichtzwang, ebenfalls ein Lexem aus dem Stamm twing-/zwing-. vancnisse: ← vâhen (310) st.V.; vgl. gevancnisse vancnisse wird unterschiedslos zu gevancnisse verwendet, ist aber öfter belegt als dieses. Die Form ohne Präfix ist sprachgeschichtlich die ältere.634 verbuntnisse (›Bündnis, Verpflichtung‹): ← verbinden (94) st.V. ...daz man vns vnseren pacht oder zins sal antworten zu Magenze in die stat · ane allen vnseren schaden · mit verbuntnisse · vnser vore genanten burgen (Corp. 3067, 312.27).
verdamnisse (›Verdammung‹): ← verdamnen sw.V. (Lexer III: 90f.) Swer aber diz virbrichet, der sol sich wizzen in gotes banne v] in deme ewige verdampnisse (Corp. 1207a = N 433, 321.4).
Das Lexem verdamnisse ist in diesem Kontext als Zustandsabstraktum zu interpretieren. verdenknisse (‹Überlegung‹): ← verdenken (3) sw.V. ...mit gvter ver denchnvsse vnd mit miner tochter hant Margreten vnd mit ir gvtem willen... (Corp. 0809a = N 307, 235.9).
verderpnisse1: ← verderben (43) st.V. Swelich sun sinen vater von sinen burgen oder von anderem sinem gGte virstozet / oder in brennet / oder in rovbet / oder sich zu sines vater vinden machet / mit eiden oder mit truwen daz vf sines vatir ere gat oder vf sine virderbnisse... (Corp. 879W, 217.31).
Einer der sechs Belege des Lexems verderpnisse ist als Patientivum klassifiziert, vgl. verderpnisse2. vergezzenüsse* (›Vergessen‹): ← vergezzen (133) st.V. Want gelubde Chauf Nnt gedinge zerginge mit der zeit · solde man gelûbde · mit t gezi§gen · nicht ewigen · dar umme daz ich der selben schrift hantvesten · v
uergessenûsse wider ste... (Corp. 627, 54.45).
_____________ 634 Vgl. Paul (1920b: 70).
II.1.11. -nisse
331
Der Kontext legt für das Lexem vergezzenüsse eine Motivation über das Verb vergezzen und eine Interpretation als Handlungsabstraktum nahe. Das nur dreimal belegte Partizipialadjektiv vergezzen ›vergesslich‹ scheint m.E. hier nicht zur Paraphrasierung der Textstelle geeignet. verhencnisse (›Zulassung, Einwilligung, Erlaubnis‹): ← verhengen (23) sw.V. ...mit verhangnusse des Ersamen herren / manegoldes des Bischoves von wirzeburg... (Corp. 3165, 364.24).
verrâtnisse (›Verrat‹): ← verrâten (1) st.V. V] gedenken ob ieman soliche dinc tete mit morde / mit verratnisse / mit andiren vbilen dingen / die sie billich rechen solten... (Corp. 93, 138.14).
verstantnisse: ← verstân (89) an.V. Da widersprachen Conrades ratlGte von Trimpberg die vorgenanten, da der selbe Conrad ze sinen tagen keme, also daz her verstentenisse gewan... (Corp. 408, 303.41).
Auch bei diesem Beleg ist der Ausdruck einer Fähigkeit betont, hier der Fähigkeit, gewisse Dinge nach Erreichen der Volljährigkeit verstehen zu können. verzigenisse (›Verzichtleistung‹): ← verzîhen (933) st.V. ...wan er sich es vertzigen hat in die hant · Abt Hainr von vischinun · der dise selbin vertzignust enphienc an sines gotes huses stat zi vischinun. (Corp. 618, 47.14).
verzîhenisse: ← verzîhen (933) st.V. vürdernisse: ← vürdern (42) sw.V. ...bit gGder witzen durch minre selen heil inde vordenisse... (Corp. 624, 53.14).
wolbehagnisse*: ← behagen (5) sw.V., wol Adv. ...mit guter betrahtvng vnd rat, mit willen vnd wolbehagnusse vnd gunst meins aydems Vlrichs... (Corp. 0689a = N 265, 211.22).
zerworfnüsse, zerwurfnüsse (›Streit, Zerwürfnis‹): ← (sich) zerwerfen (2) st.V.
Geschæhe auch daz des got niht welle daz ein zerwurfnvsse wurde / zwischen vnsers herren gesinde / sinen Dienern / oder der burger / Vnd iren Dienern / ez wær mit Totslag / mit Wunden... (Corp. 2445, 513.28).
ziugnüsse1: ← ziugen (8) sw.V.
Das Lexem wird wie geziugnisse/geziugnusse verwendet (s.d.). Ein Beleg ist patientiv verwendet (vgl. ziugnüsse2). Das Lexem ist laut dem DWB (31: 860) »aus spätmhd. geziugnusse, -nisse, das ende des 13. jahrh.s als eine der erweiterungsformen des einfachen nomen actionis geziuc, m., aufkommt«, gebildet und als Kurzform »ohne das präfix ge- [...] seit dem 14. jahrh. beobachtet«.
II.1. Derivationstypen
332
B. Patientiva (BV-nisse2): ›das, was jmd. BV/BV wird‹ Lexem bescheitnisse beziugnüsse2 erkantnisse2 galtnüsse gehugnisse2 gelobnisse1 gemechenisse2 kantnusse2 verrednisse ziugnüsse2 Gesamt
Belege 1 1 1 2 2 2 1 1 1 1 13
alem 1 1
bair 1 1 1 1 1 5
alem-schw 1 1
wmd 2 1 3
IR1 2 2
Rest 1 1
bescheitnisse (›Bestimmung, Festlegung‹): ← bescheiden (192) st.V. ...so Sol die stat wider an den kFng vordern / das er ir bestetige vnde bevesten / mit sin offen besigelten brieuen / vnd ?ch stête halde / vnuerbrochenliche / ir vriheit / ir Reht / vnd ir gute gewonheit / sunder vnde samet / also si von sin voruarn / keisern vnde kungen / vnd ?ch von kung Rudolfe hat / mit den selben worten vnde bescheitnisse... (Corp. 1788A, 86.27).
beziugnüsse2: ← beziugen (224) sw.V. ...do wart im erteilt / m=ht er bezevgen...daz er des niht tNn solt dar vmb man in an spr(che / er solt wol / zeder zît der ansprache ledich sin vnd vFrbaz immer mer die wîle er vf dem hof s(zze ze Rempelchofen - vnd wart div bezivchnMss gezogen / mit volg vnd mit vrteil · an Heinrich den amman ze MMndr(ching... (Corp. 2122, 317.24).
Der zitierte Beleg von beziugnüsse ist vermutlich den Patientiva zuzuordnen. Nach meiner Lesart des Abschnittes ist mit beziugnüsse die Aussage des Bezeugenden gemeint. Es wäre aber auch möglich, dass es sich nochmals um einen eigenen Vorgang handelt, bei dem anderen die Aussage zur Beurteilung übergeben wird. erkantnisse2: ← erkennen (135) sw.V. ...daz ich von minem vater vnd ovch von minen vetern hern Rapoten vnd hern wFlfing die brMder warn / gehaizzen von der altenbvrch / bin vnderweist mit gMter gewizzen vnd mit rehter erchantnvsse / als ovch iz an sev was chomen von alten ding vnd von alter herschaft... (Corp. 3383, 496.24).
galtnüsse (›Geldstrafe, Geldbuße‹): ← gelten (1135) st.V. So ist er schuldick dem Vogte v] der stat ze galtnvsse fFmf schillinge Auspurger phenninge als offte als erz brichet / V] ist diM galtnvsse des Vogtes v] der stat (Corp. 1331, 569.16).
gehugnisse2: ← gehügen (Lexer I: 793), hügen (a.a.O.: 1379) sw.V. Wan div dink div niht gevestent werdent mit brieuen / dikke von der lengj der czit / vs der lúthe gehuknusze kument... (Corp. 2822, 160.23).
II.1.11. -nisse
333
Daz in der wandelweren zeit langewerentev dinch iht mvgen bechrenchet werden vnd von gehvgenusse niht entweichen, so ist des duerft, daz si be waret werden... (Corp. 1911a = N 620, 446.29).
Dies sind die einzigen Belege des Lexems, die als Patientiva gewertet werden. Die metaphorische Umschreibung dieser zwei Belege aus Arengen für das Vergessen spricht für diese Einordnung. Ich verstehe diese Belege nicht als Verweise auf das Gedächtnisorgan635, sondern vielmehr auf den Erinnerungsschatz, dem die festgehaltenen Fakten nicht entweichen sollen. Die Paraphrase für diese Stellen lautet also ›das, was erinnert wird‹. gelobnisse1: ← geloben (1530) sw.V. Vor dise gulde inde vor dit gelofnisse, so hain wir der selver vrouwen ze vnderpande gesat vnse hus ze Muffendorph inde allet dat gGt, dat dar zG gehoret... (Corp. 0560a = N 223, 170.26).
gemechenisse2: ← gemachen (18), machen (870) sw.V. ...daz dirre wideme mit mime Willen geschach alse recht was vnde gelobe ?ch bi miner truWe an eins eides stat dise gemechnisse iemer stete zv hande... (Corp. 1265, 506.16).
kantnusse2: ← kennen (1) sw.V.; vgl. erkantnisse2 Daz ich von Mein) vater…pin vnderweist / mit rechter gewizzen / vnt mit rechter chantnusse / als auch iz an sev was chom von alten dingen / vnt van alter hersaft (Corp. 3371, 490.32).
verrednisse (›Verabredung‹): ← verreden (2) sw.V. vnd enschuldigen / mit sim eide/ das er niht hies schriben / die wort / vnbe die verretnisse / also si stant / an eime vnbesigeltem brieue geschriben (Corp. 1524, 688.30).
Das Lexem verrednisse, zu dem bei Lexer nur das lat. Interpretament deliberatio angegeben ist, ist hier als Objekt einer Prädikation zum Basisverb verreden mit der hier vorliegenden Bedeutung ›versprechen, geloben‹ zu interpretieren. Lexer verzeichnet verredunge ›Verabredung‹. Diese Bedeutung ist auch für das vorliegende Lexem anzusetzen. ziugnüsse2: ← ziugen (8) sw.V. Daz div teidinck war sein vnd vnzerbrochen / beleiben / dar vmb ist diser brief / ze einem / vrchMnde der warheit vnd der stætickheit / versigelt / mit der Stat MMnchen gemeinem / insigel / der zivgnMsse / Do wir...des rates pflagen der Stat MMnchen (Corp. 2230, 376.1).
_____________ 635 Vgl. Müller (1993a: 323f.), der für gedechtnus eine instrumentative Verwendung nachweist und Brendel et al. (1997: 384), die für ihre Belege diese Möglichkeit zwar erwägen, aber diese Bedeutungskomponente dem Bedeutungsspektrum der tendenziell lexikalisierten Bildung zuschreiben.
II.1. Derivationstypen
334
Dies ist der einzige Beleg von ziugnüsse, der eine patientive Deutung zulässt. Die Bedeutung des Lexems in der Textstelle ist m.E. ›geleistete Zeugenaussage‹, also ›etw., das jmd. bezeugt hat‹. C. Abstrakta (BA-nisse3): ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹ Lexem gelîchnisse verdæhtnisse Gesamt
Belege 1 3 4
bair 1 1 2
omd 2 2
gelîchnisse: ← gelîch (176) Adj. Dar Nber elliv vailev dinch · vnd di chæGffe · di an dem vorgenantem Jarmarchte werden genomen · di sNln nach rehter satzGnge des Rates van der Stat werden gegeben / mit der wage · mit der zal · vnd mit der Mazze · vnd rehte pillich werden geahtet · also / daz dem der mit dem andern wirbet / vnd chauffet / dev ê · dev trewe · dev gelihnNsse werde behalten (Corp. 2345, 457.14).
Unter Verweis auf das DWB (4: 8204, 4) wird im WMU (I: 616) ›Übereinkunft, Vereinbarung‹ als Bedeutung für diesen einzigen Beleg von gelîchnisse angegeben. Die Analyse der Wortbildungsbedeutung über das Basisadjektiv gelîch oder das sekundäre Basisverb gelîchen würde sich bei Annahme dieser Lexembedeutung als schwierig erweisen, es wäre von einem relativ hohen Grad an Idiomatisierung auszugehen. In König Rudolfs Freiheitsbrief für Wien vom 24. Juni 1278 (nur Abschrift des 14. Jh.s) ist jedoch ein mit obenstehender Stelle inhaltlich identischer Passus enthalten, der ein etwas anderes Licht auf die Stelle wirft. Anstelle der -nisse-Bildung wird dort das -heit-Derivat geleichait eindeutig in der Funktion eines deadjektivischen Abstraktums verwendet. Von der rechten mazz und wag. Daruber alle verchæufleich ding und chaufschætz, di in den egenanten jarmærchten auzgelegt werdent, di schullen geacht und geschatzt werden nach rechter pilleicher wag, zal und mazze, nach rechter saczung und achtung der ratgeben unserr stat ze Wyenne, daz den, die dar ziechunden und chomund sind, gerechtichait und trewhait und geleichait behalten werd. (aus Csendes 1986: 83).
verdæhtnisse (›Besonnenheit; Verdächtigung‹): ← verdâht (›besonnen, überlegt; verdächtig‹) (142) Part. Adj.
...daz wir mit gveter verdehtnvsse vnd mit ver aintem mvete Offen von Emberberch verchavft haben vnd sein) erben zwo vnde fvnfzich hvebe... (Corp. 0813a = N 310, 237.12).
In diesem Beleg bedeutet verdæhtnisse ›Besonnenheit‹ und ist eine Abstraktbildung zum partizipialen Adjektiv verdâht (142), das aus dem Verb verdenken (3) gebildet ist. Der folgende Beleg ist ein Beispiel für die Bedeutung
II.1.11. -nisse
335
suspicio ›Verdacht, Verdächtigung‹, die auch über das partizipiale Adjektiv in der Bedeutung ›im Verdachte befindlich, beargwohnt, verdächtig, suspectus‹636 erklärt werden kann. Jedoch ist hier wohl auch ein Berührungspunkt zur Verbalhandlung gegeben. Dise vor genanten dri weme si gestein / di svllin an aller slachte vordechnisse belibin... (Corp. 1816, 133.5).
D. Idiofunktionalia (BS-nisse4): ›BS‹ Lexem bruchnisse
ofrk 1
bruchnisse: ← bruch (191) st.M. Also / ob der kriege oder der bruche keiner uf erste / da von krieg oder bruchnisse furbaz muge werden... (Corp. 1126A, 414.13).
Wie der Beleg zeigt, drängt sich die Interpretation des Lexems als idiofunktionale Bildung hier förmlich auf. Dadurch bestätigt hier die synchrone Analyse den diachronen Befund.637 e. Diachroner Vergleich -nisse
Mhd.
Funktionsklasse Abstrakta (BV/Part.) Patientiva (BV) Abstrakta (BA) Idiofunktionalia (BS) Instrumentativa (BV) Lokativa (BV) Agentiva (BV)
K-Urk 80,0% 15,4% 3,1% 1,5% -
Frnhd. K-Dü 52,2% 8,7% 8,7% 8,7% 8,7% 8,7% 4,4%
K-Wü 65,7% 4,0% 6,1% 5,1% 5,1%
Nhd. K-Erf 43,9% 14,6% 2,4% 2,4% 7,3% 2,4% 19,5%
K-Ggespr. 38,5% 38,5% 7,7% 7,7% 7,7%
K-Ggeschr. 51,4% 15,3% 11,1% 6,9% 4,2% 11,1%
Tabelle II.1.11.3. Funktionelle Verteilung der -nisse-Derivate im diachronen Vergleich
In nahezu allen Vergleichskorpora nimmt wie im Urkundenkorpus die Funktion, deverbale Abstrakta zu bilden, deutlich die Hauptfunktion des Suffixes ein.638 Dass diese im Urkundenkorpus mit 80,0% an der Bil_____________ 636 Vgl. Lexer (III, Sp. 89f.). 637 Vgl. Dittmer (1989: 57). 638 Die Prozentangaben sind den jeweiligen Arbeiten entnommen: Müller (1993a: 328), Brendel et al. (1997: 552f.), Döring/Eichler (1996: 207), Gersbach/Graf (1984/85: 200f.), DW (1975: 88f.). Die hier angeführten Prozentwerte für die geschriebene Gegenwartssprache weichen von den in den genannten Arbeiten angegebenen Zahlen ab, da DW die Lokativa
II.1. Derivationstypen
336
dungsfrequenz beteiligt ist, liegt jedoch nicht zuletzt an der insgesamt auffällig geringen funktionellen Streuung des Suffixes im Korpus. Die deutliche Ausgeprägtheit der patientiven Funktionsklasse im Urkundenkorpus lässt sich generell auch in den Vergleichskorpora des Frnhd. und der Gegenwartssprache beobachten, wenn auch die Patientiva in diesen nicht immer den zweiten Rang besetzen. In den untersuchten Urkunden sind die deadjektivischen Abstrakta prozentual gering ausgeprägt. Ihre Position als drittwichtigste Funktionsklasse ist jedoch weitgehend (mit Ausnahme des Erfurter Korpus) mit den Ergebnissen der Vergleichskorpora konform. Bemerkenswert ist das völlige Fehlen einer lokativen und agentiven Funktion der behandelten -nisseDerivate. Denn während Instrumentativa nur bei Dürer und im ErfurterKorpus nachweisbar sind, belegen ausnahmslos alle Vergleichskorpora lokative und agentive Bildungen. Letztere machen etwa im Erfurter Korpus sogar die zweithäufigste Klasse aus. Für eine lokative Bezeichnungsfunktion finden sich in den Urkundenkontexten keinerlei Hinweise. Einige Belege von hindernisse lassen zwar agentive Verwendung erahnen, sind aber aufgrund mangelnder Eindeutigkeit noch als Abstrakta gewertet worden.
II.1.12. -ôt/-ât a. Lexembestand (11) armuot (7) brûnât gehelzot* kleinôt (7) rüegât
bliuwât ebenôt(e)* (4) heimuote irrât (5) kriegôt* (2) wundât (2)
Sieben Lexeme werden in dieser Untersuchung nicht berücksichtigt: brâchôt und höuwet sind als Monatsnamen als idiomatisierte Bildungen an_____________ auf -nis zwar erwähnt (1975: 456), aber nicht in die Funktionsklassenübersicht aufnimmt. Das von Gersbach/Graf innerhalb einer Restgruppe gebuchte Lexem Gefängnis wurde als Lokativbildung in die obigen Übersicht aufgenommen. Für den Vergleich wurden ferner alle Abstrakta deverbaler Bildungsweise zusammengefasst, d.h. sowohl die sogenannten Zustandsabstrakta, die in DW (13,9%), Gersbach/Graf (7,7%) und Brendel et al. (9,1%) gesondert geführt werden und für die das Basisverb in der Funktion des Partizips Präteritum charakteristisch ist, als auch die von Müller (1993a: 320ff.) gesondert behandelten Abstrakta, denen morphologisch das Partizip Präteritum zugrunde liegt (30,4%).
II.1.12. -ôt/-ât
337
zusehen.639 Als idiomatisiert werte ich ebenfalls gegenôte ›Gegend‹ ← gegen, manôt ›Monat‹ ← mâne ›Mond‹, schreiât ›Pranger, Schandsäule‹ ← schrîen (vgl. DWB 15: 1723f.), wîsôt ›Abgabe bei jährlichem Besuch des Grundherren‹ ← wîsen ›besuchen‹. Einen besonderen Fall stellt das Lexem mundâte dar, das gemäß der Wörterbücher640 aus lat. immunitas gebildet ist. Abgesehen von lautlichen Hürden in Hinblick auf das lat. Ausgangswort bleibt fraglich, ob nicht doch eine -ât-Bildung zum Substantiv munt st.M.F. ›Schutz‹ (Lexer I: 2234) bzw. dem Verb munden ›schützen‹ (Lexer I: 2229) vorliegen könnte. b. Morphologie An dieser Stelle sollen Bildungen behandelt werden, die einmal auf das ahd. Verbalsuffix -ôd, -ôt bzw. dessen nominale Variante -ôdi, -ôti und das vermutlich dem Romanischen entstammende Lehnsuffix -âta zur Bildung von Verbalabstrakta641 zurückgehen. Letztere gehören zunächst vorwiegend dem Bereich der gerichtlichen Terminologie an.642 Eine separate Behandlung dieser weitgehend bedeutungsgleichen Suffixe, die im Mhd. bisweilen noch ihre ursprüngliche Lautform erkennen lassen, bietet sich nicht zuletzt aufgrund der geringen Bildungszahlen im Korpus nicht an. Die Suffixe sind in der nhd. Standardsprache nicht mehr produktiv und nur noch mit einigen Repräsentanten im nhd. Lexikon vertreten (z.B. Armut, Heimat, Monat, Zierrat). Anders gestaltet sich die Situation in einzelnen Mundarten des Deutschen, wo Suffixe wie -et, -eta, -ete und -ets auf die genannten Wortbildungsmorpheme, z.T. vermutlich unter Vermischung und Verwechslung, zurückgehen.643 Besonders interessant ist hier das Alem., das noch in mhd. Zeit eine Vorliebe für Abstrakta auf -ôd zeigte. »Noch die heutige Schweizer Mundart hat zahlreiche masc. Bildungen auf -et, die auf diesen Verbalabstractis beruhen, obschon sie nicht mehr ihre Bedeutung festhalten. Weniger beliebt sind die Wörter von Anfang an im Bairischen, und sehr ablehnend verhält sich das Md.« (Wilmanns 1899: 346).644
_____________ 639 Vgl. aber Brāchet und Heuet als Nomina actionis im Schweizerdeutschen (Szadrowsky 1933: 76). 640 Vgl. Lexer (I: 2228), DWB (12: 2699 s.v. Muntat) und DRW (IX: 1000f., s.v. Muntat). 641 Vgl. z.B. Wilmanns (1899: 345ff.), Henzen (1965: 175f.), Kluge (1899: §130, §134). 642 Die bei Szadrowsky (1933: 77) und Kluge (1899: §130) genannten Lexeme können durch die im Korpus belegten Bildungen rüegat und wundât, die gleichfalls von rechtsprachlicher Relevanz sind, erweitert werden. 643 Vgl. Henzen (1965: 175f.). 644 Zum Alemannischen sei hier besonders auf die Darstellung Szadrowskys (1933: 75-83) verwiesen, aber vgl. auch Gersbach/Graf (1984/85: 248) und Seidelmann (2004).
II.1. Derivationstypen
338
Die morphologische Auswertung des Korpusbefundes zeigt hinsichtlich der motivierten Lexeme folgendes Bild: Lexem
alem
armuot
-Gt (2), -Nt
bliuwât brûnât
-at-ete, -=te, -ode, -ot -ot -ot (3), -at, -ode -ad- (2), -ode (2), -ot -et -atten (2)
ebenôt(e) gehelzot heimuote irrât kleinôt kriegôt* rüegât wundât
bair -Gt (2), -vt (2) -at -
Kg
IR1
IR3
IR4
omd
Rest
-N t
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-=de
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-od
-ote
-
-
-
-
-Nt -
-
-
-at645 -
Tabelle II.1.12.1. Morphologie der Suffixe -ôt/-ât
armuot zeigt in 75% der Fälle eine diphthongierte Form des Suffixes646, ebenso ein Beleg von kriegôt. Umlaut des Suffixes geht auf die ahd. Formen -ôdi, -ôti zurück, mit denen Substantive oder Adjektive abgeleitet wurden, und er findet sich zum Teil bei ebenôte (ahd. ebanôti) und heimuote (ahd. heimōti). Zwei Belege des Lexems kleinôt und ein Beleg (!) von irrât weisen im Suffix -a-Vokalismus auf, was u.U. schon auf eine lautliche Beeinflussung durch das rom. -âta hinweisen könnte, wie er sich in nhd. Monat oder Heimat findet.647 Vereinzelt findet sich alem. auch die abgeschwächte Form -et-, die u.a. in diesem Dialekt bis heute fortlebt. Hinsichtlich der Bildungsbasen ergibt sich folgender Befund: vier Lexeme (armuot, brûnât, ebenôt(e), kleinôt) sind durch ein Adjektiv motiviert, sechs Derivate (bliuwât, gehelzot, irrât, kriegôt, rüegât, wundât) sind auf ein Verb zu beziehen, eine Bildung (heimuote) ist zu einem Basissubstantiv gebildet.
_____________ 645 Beleg unsicher lokalisiert: ofrk. oder bair.? 646 Vgl. Henzen (1965: 175). 647 Vgl. Wilmanns (1899: §262 Anm. 3).
II.1.12. -ôt/-ât
339
c. Motivationsdichte Bis auf das nur bair. belegte Lexem bliuwât, dessen Basisverb bliuwen nur alem. nachweisbar ist (Basisrang 2), ist für alle anderen Bildungen/Belege Basisrang 1 zu vergeben. d. Wortbildungsfunktion648 Funktionsklasse A. Abstrakta -ôt/-ât1 B. Agentiva -ôt/-ât2 C. Abstrakta -ôt/-ât3 D. Idiofunktionalia -ôt/-ât4 Gesamt
Paraphrase ›Tatsache, dass jmd. BV‹ ›etw., das BA ist‹ ›Tatsache, dass jmd. BA ist‹ ›BS‹
Basiswortart Verb
Beispiel
Adjektiv
bliuwât, rüegât kleinôt
Adjektiv Substantiv
Lexeme / Belege Anzahl Prozent 6/12 54,5/36,4 3/12
27,3/36,4
armuot
1/8
9,1/24,2
heimuote
1/1
9,1/3,0
11/33
Tabelle II.1.12.2. Funktionelle Verwendung der -ôt/-ât-Derivate
A. Abstrakta (BV-ôt/-ât1): ›Tatsache, dass jmd. BV‹
bliuwât (›unblutiger Schlag‹): ← bliuwen (›schlagen‹) (3) st.V. Von der fliezenden wunden gehornt fumf phunt / der sint zwai des rihters / und zwai des wunden · und ainz der schepfen / ob ez geschiht mit swert oder mit mezzir. Von der pliwat gehornt zwelf schillinge der churzen · der sint des clagers zehen · der schepfen ainr · des rihters ainr · und sehzic phenninge (Corp. 1914, 187.7).
gehelzot* (›Einverständnis, Zustimmung‹): ← gehellen (29) st.V. …daz wir mit gemein) willen v] volge / vnsirre kinde / v] anderre vnsir rehten Erben aller/ der wille v] der rath / v] gehelzot ze rehte herzN zesGchende waz haben gegeben zek?fende rehte / v] redelich v] ane alle geuerde / Johannese von Bondorf aht lehen… (Corp. 246, 247.17).
irrât (›Beeinträchtigung, Behinderung‹): ← irren (345) sw.V. ...der îerrode v] der stôs / der enswischan dem gozhuse von pfæværs aîn halp / v] dem hern Hainrich von wildenberc des vorgenanten gozhuses voggete ze Ragæz ander halp was… (Corp. 3493, 572.32).
_____________ 648 Auf die Darstellung der regionalen Verteilung der Derivate innerhalb der Funktionsklassen kann hier verzichtet werden, da sie der Darstellung zur Suffixmorphologie entspricht.
II.1. Derivationstypen
340
kriegôt* (›Rechtsstreit‹): ← kriegen (45) sw.V. v] der selbe · Reinher · sinen criech vmbe daz selbe gGt gein den selben herrun von · ZviwltNn · niht lazen wolte · v] ovch der selbe criget anderost von den selben herrun · v] dem selben · Reinher · fur vns gezogen wart! (Corp. 980, 317.33).
rüegât (›Anklage, gerichtl. Klage‹): ← rüegen (17) st.V. Jn den Selben taidingen - so svln di Schergin rMgen bi dem aide swaz an des voites reht geh=rt - nah der rMgat sol der Rihter gegin den hovsgenozzen dâ - fur baz niht ze sprechen haben - vm di gervgten sache (Corp. 1100A, 393.5).
wundât (›Verwundung‹): ← wunden (107) sw.V. V] swel b~ger den Anderen verwndet mit gewefenter hant / der git · III · pfunt · v] ist · V · wchen von der stat · v] nemmen daz gewefente hant / swaz er jn die hant nimmet / da mitte er den anderen verwndet · V] wndet ein vzman einen b~ger / mit gewefenter hant / der git · V · pfunt /… V] Pmbe den heimsNch den ein b~ger demme anderen tGt / git er also vil / also Pmbe die wndatten V] och ein vzman gegen demme anderen / also vil Pmbe den heimsNch / also Pmbe die wndatten (Corp. 2318, 435.32f.).
B. Agentiva (BA-ôt/-ât2): ›etw., das BA ist‹
brûnât (›feiner, dunkler Kleiderstoff‹): ← brûn (2) Adj. …vmbe ainen brunates mantel… (Corp. 709, 111.19).
ebenôt(e)* (›Ebene‹): ← eben (3) Adj. kleinôt (›kleiner, wertvoller Gegenstand‹): ← kleine (116) Adj. …dar vm wil ich in geben ze lezze drev chlainot / zwai tassel / v] ein hæftel… (Corp. 898, 258.21).
C. Abstrakta (BA-ôt/-ât3): ›Tatsache, dass jmd. BA ist‹
armuot (›Armut‹): ← arm (169) Adj. …ob ein man oder ein wip / di an dem witibtGm · oder an dem chæuschen leben wellent beleiben / ze s=lher armvt gedeihen / daz si durch notdurft ir erbe mNzzen verchauffen vnd hin geben… (Corp. 2345, 456.35).
D. Idiofunktionalia (BS-ôt/-ât4): ›BS‹
heimuote (›Wohnsitz, Wohnhaus‹): ← heim st.N. (›Haus, Heimat‹) (Lexer I: 1216)
II.1.13. -sal
341
…daz wir an gehebt heten / ze bowen ain Haim=de ze =tmarshusen vf dem Lechvelde / vf vnserem gute (Corp. 668, 83.12).
e. Diachroner Vergleich Da Bildungen mit -ôt/-ât(a) bzw. -et, -ete in den zum Vergleich herangezogenen Korpora nicht vorkommen649, erübrigt sich ein diachroner Vergleich.
II.1.13. -sal a. Lexembestand (10) betrüebesal betwancsal (2) getwancsal hindersal (4) irresal (46)
müejesal (2) phrancsal sûmesal/-seli (6) twancsal (19) vluhtsal
b. Morphologie 1. Suffixetymologie Bezüglich der Herkunft des Suffixes möchte ich mich hier auf die Darstellung besonders relevanter Aspekte beschränken.650 Das germanische Suffix -sla/-slō (< idg. *-slo-/slā-) konnte im Deutschen als volltoniges -sal nur mittels einer Form mit Bindevokal überdauern, ahd. -i-sal, mhd. -e-sal. Ohne den Bindevokal wird -sal im Mhd. »in den Wörtern, die es unmittelbar an die Wurzelsilbe fügen, regelmässig zu -sel geschwächt [...]« (Wilmanns 1899: 272). Der abgeschwächte Bindevokal der mhd. -e-salBildungen schwindet zum Nhd. ganz (Trübsal, Irrsal, Mühsal). Die Substantive auf -sel bildeten konkrete Lexeme und sind im Mhd. stark lexikalisiert und nicht mehr durchsichtig, z. B. amsel, dëhsel, dîhsel, wëhsel. Das nhd. Suffix -sel ist »historisch z.T. aus -sal entwickelt, z.T. möglicherweise aus dem Niederdeutschen in die nhd. Literatursprache eingedrungen [...]« (Flei_____________ 649 Eine Ausnahme stellt hierbei die Arbeit von Gersbach/Graf (1984/85: §304f.) dar. 650 Ausführlich behandeln die Suffixetymologie z.B. Wilmanns (1899: 271-274), Henzen (1965: 182f.), Paul (1920b: 73), Brendel et al. (1997: 400ff.).
II.1. Derivationstypen
342
scher/Barz 1995: 170, auch zur Funktion von -sel)651. Von einer direkten Weiterführung des abgeschwächten mhd. -sel in Bildungen wie Häcksel oder Überbleibsel kann aber wohl nicht gesprochen werden, da dieser Bildungstyp wohl erst zum Neuhochdeutschen hin wirkliche Produktivität erlangte.652 Wie im Korpus der Würzburger Arbeitsgruppe finden sich auch in unserem keine Belege für Derivate auf -sel.653 Zwei Belege in unserem Korpus sind, obwohl das Suffix zu -sel abgeschwächt ist, semantisch eindeutig als -sal-Bildungen einzuordnen. Einige Belege weisen mit -i rechtserweiterte Formen des Suffixes auf, die auf ahd. Feminina auf -selî zurückgehen. Im Ahd. wurden auch Feminina der -ō-Deklination zu -sal gebildet (ahd. -sala).654 2. Korpusbefund Während in der nhd. Wortbildung -sal kaum noch als produktives Suffix angesehen wird655 bzw. in vielen modernen Darstellungen zur Wortbildung gar keine Erwähnung mehr findet656, kann für unseren Zeitraum durchaus von einem zumindest schwach produktiven Suffix ausgegangen werden. Mit zehn belegten Bildungen liegt -sal natürlich weit hinter den hochproduktiven Suffixen wie -heit oder -unge. Doch sind alle Bildungen durch Basen im Korpus motiviert, und viele treten als konkurrierende Bildungen zu anderen Suffixen auf, was ihnen, wie Brendel et al. (1997: 401) es für das Frnhd. ausdrücken, »einen eindeutig bestimmbaren Platz im System der [...] Wortbildung« einräumt. Auch wenn Brendel et al. davon ausgehen, dass der Ableitungstyp -sal im Frnhd. musterbildend wirke und dies mit drei spätmittelhochdeutschen und einer erst für das Frnhd. belegten Bildung zu untermauern versuchen (ebda.), lässt sich feststellen, dass in allen korpusbezogenen Untersuchungen zur frnhd. Wortbildung die Anzahl der Bildungen stets viel geringer ist als in unserem Korpus.657 Wenn daher auch vereinzelte Bildungen erst für das Frnhd. gebucht sind, so kann dennoch festgehalten werden, dass das Suffix auch in der nachmhd. Zeit seine Produktivität nicht wesentlich steigert, sondern im _____________ 651 652 653 654 655 656 657
Vgl. auch Wilmanns (1899: 273f.). Vgl. Wilmanns (1899: 273). Brendel et al. (1997: 401). Vgl. Wilmanns (1899: 272). Fleischer/Barz (1995: 168). Kein Eintrag findet sich in DW (1975), Gersbach/Graf (1984/85), Erben (2006). So findet sich bei Müller (1993a: 380f.) nur eine Bildung (jrrsal), Döring/Eichler (1996: 247f.) weisen zwei Bildungen (labsal und truebsal), Brendel et al. (1997: 400f) insgesamt vier Bildungen (irrsal1, irrsal2, truebsal und betruebsal) nach (ohne Berücksichtigung der als ›semantisch vage‹ klassifizierten Bildung).
II.1.13. -sal
343
Gegenteil dessen Status als Wortbildungsmorphem zum Nhd. hin stetig abnimmt und schließlich für die Gegenwartssprache gar in Frage steht. Wie erwähnt, treten die meisten -sal-Bildungen in Konkurrenz zu Wortbildungen mit anderen Wortbildungsmitteln. Der korpusinterne Vergleich (implizite Ableitungen werden hierbei nicht berücksichtigt) hat ergeben, dass es interessanterweise vor allem Bildungen auf -nisse sind, die alternativ Verwendung finden. Aufgrund der geringen Belegzahlen sowohl der -sal- als auch der -nisse-Bildungen lässt sich jedoch keine Aussage über eine eventuelle Bevorzugung der einen oder andern Suffixbildung in bestimmten Sprachlandschaften machen. Fünf der insgesamt zehn Bildungen auf -sal stehen ausschließlich -nisse-Bildungen gegenüber. Neben sûmesal/-seli tritt außer einer -nisse- auch eine -unge-Bildung. irresal ist Bestandteil eines großen Wortbildungsnestes um die Wurzel irr- mit sieben weiteren konkurrierenden Bildungen, darunter aber keine auf -nisse. müejesal steht eine -e-Ableitung gegenüber. Für phrancsal gibt es keine korpusinterne Konkurrenzbildung. betrüebesal (1) betwancsal (2) getwancsal (1) hindersal (4)
betrüebenisse (1) betwancnisse (1) getwancnisse/getwencnisse (1) hindernisse (8) irretuom (1), irresame (6), irresalung (4), irregunge (1), irresal (46) irrecheit (1), irrunge (19), irrât (7), irretac (2) müejesal (2) müeje (5) phrancsal (1) — sûmesal/-seli (6) sûmunge (11), sûmnisse (1) twancsal (20) twincnisse/-nust (2) vluhtsal (1) — Tabelle II.1.13.1. Konkurrenzbildungen zu -sal-Derivaten
Bis auf sûmesal/-seli und vluhtsal tragen alle Bildungen, egal zu welcher Basis gebildet, im Wesentlichen eine vergleichbare Lexembedeutung. Ihnen ist der Ausdruck des ›Hinderns, Behinderns, Beirrens, Beeinträchtigens, Zwingens‹ gemein, und vielfach werden sie in formelhaften Wendungen wie âne betrüebesal, getwancsal, hindersal, irresal etc. oder als funktionsverbgefügeähnliche Konstruktionen mit tuon gebraucht. Bis auf vluhtsal sind alle Bildungen zu Basisverben gebildet.
II.1. Derivationstypen
344
3. Suffixmorphologie Die Mehrzahl der im Korpus belegten Bildungen weist -sal als dominierende Erscheinungsform des Suffixes auf. 71 der insgesamt 85 Bildungen sind in dieser Form belegt. Als weitere Varianten erscheinen noch -sali mit sieben (sechsmal alem., einmal bair.), -seli mit vier (dreimal alem., einmal schwäb. [sæli]) Belegen und -sel mit zwei alem. Belegen. Jeweils einmal kommen eine mit Guttural erweiterte Form -selig (in einer Nürnberger Königsurkunde) vor, und in einem wmd. Beleg ist das Suffix graphisch als realisiert. -e als Bindevokal lässt sich im Korpus nur bei irresal (41/46) und bei beiden Belegen von müejesal nachweisen. 4. Basisalternanz und Genus der Bildungen Vier Lexeme weisen Ablaut der starken Basisverben auf. Drei dieser Lexeme (betwancsal, getwancsal und twancsal) sind von starken Verben der dritten Ablautreihe gebildet. Eine Bildung (phrancsal) weist den rückumgelauteten Vokal des schwachen Verbs phrengen auf. Der aufgenommene Beleg des Lexems vluhtsal ist durch Ausfall des -t- gekennzeichnet, das Suffix ist ferner zu -sel abgeschwächt (). Das Genus der Bildungen kann Neutrum (betrüebesal, getwancsal) oder Femininum (betwancsal, phrancsal, sûmesal/-seli, vluhtsal) sein bzw. zwischen beiden schwanken (hindersal, müejesal, twancsal). Für irresal lässt sich maskulines und feminines Genus nachweisen, wobei Ersteres jedoch überwiegt, da nur drei Belege sicher feminin sind (vgl. WMU II: 949), aber über 25 sicher maskulines Geschlecht aufweisen. Laut Wilmanns (1899: 273) ist das Geschlecht der -sal-Bildungen fast immer neutral, auch wenn bei einigen – teils auch ausschließlich – das Femininum belegt ist, was Wilmanns jedoch dem Zufall zuschreibt (er nennt: fluhtsal F. M., râchsal F., riuwesal F.). An gleicher Stelle schreibt er: »Feminina auf -seli, sele begegnen nur noch selten: irreseli, sûmeseli, trüebeseli. Auffallend ist, daß die Wörter hin und her wieder zum Maskulinum schwanken, so vluhtsal, gruozsal, irresal, sûmesal, trüebesal; da sie die Form von Compositis mit sal Saal haben, mag dieses Substantivum die Irrung veranlaßt haben.« 658
_____________ 658 Zum Genus vgl. auch Paul (1920b: 73).
II.1.13. -sal
345
c. Motivationsdichte Die meisten Bildungen bzw. Belege sind korpusintern mit Basisrang 1 sehr gut durch ihre Basen motiviert. Für einige konnte das Basisverb sogar innerhalb derselben Urkunde nachgewiesen werden. Einzig für betwancsal ist Basisrang 2 zu vergeben. d. Wortbildungsfunktion Funktionsklasse
Paraphrase
A. Abstrakta -sal1 B. Instrumentativa -sal2 C. Agentiva -sal3 D. Idiofunktionalia -sal4 Gesamt
›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹ ›das, womit jmd. BV‹ ›jmd./etw., der/das BV‹ ›BS‹
Basiswortart Verb Verb Verb Substantiv
Beispiel irresal, twancsal1 müejesal, twancsal2 sûmesal/-seli vluhtsal
Lexeme/ Belege Anzahl Prozent 9/74 69,2/89,1 2/6
15,4/7,2
1/2
7,7/2,4
1/1
7,7/1,2
13/83
Tabelle II.1.13.2. Funktionelle Verwendung der -sal-Derivate
Rund 87% der Belege aller mit -sal gebildeten Lexeme sind als deverbale Abstrakta klassifizierbar und stellen somit den Spitzenreiter in dieser Gruppe dar. In keinem Fall legt die Beleglage im Korpus deadjektivische oder desubstantivische Motivation nahe. Sowohl für irresal mit 354 Verbbelegen zu einem Adjektivbeleg als auch für twancsal mit 184 Verbbelegen und keinem nachweisbaren Beleg für das Substantiv twanc ist die Belegsituation im Korpus eindeutig.659 An zweiter Stelle stehen die Instrumentativa, die mit sieben Belegen und zwei Lexemen vertreten sind. An dritter Stelle stehen die gering vertretenen Agentiva. vluhtsal erweist sich als idiofunktionale Bildung. In Einzelfällen ist eine Zuweisung zu einer Funktionsklasse nicht immer ganz eindeutig. Bei den Lexemen auf -sal betrifft dies v.a. die Einordnung als abstrakt oder instrumentativ sowie als instrumentativ oder agentiv. _____________ 659 In der Literatur wird irresal häufig als deverbale Bildung angesehen (z.B. Krahe/Meid (1969: 89), implizit auch bei Wilmanns (1899: 273) und Henzen (1965: 182)). Korpusgestützt erweist sich das Lexem auch bei Müller (1993a: 380f.) als deverbal. Brendel et al. (1997: 401f.) weisen auf den möglichen Motivationsbezug durch das Adj. irre hin, können jedoch auch für ihr Korpus die vorwiegend deverbale Motivation begründen. Das DWB (10: 2173) nimmt für Irrsal an, dass es sich um eine »frequentativbildung zum adj. irre von dem sinne des häufigen irrens ausgehend« handelt. Wilmanns (ebda.) versteht twancsal wohl als nominale Ableitung zu twanc.
II.1. Derivationstypen
346
A. Abstrakta (BV-sal1): ›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹ Lexem betrüebesal betwancsal getwancsal hindersal irresal müejesal1 phrancsal sûmesal/-seli1 twancsal1 Gesamt
Belege
alem
bair
1 2 1 4 46 1 1 4 14 74
3 1 3 1 8
1 1 36 1 12 51
alemschw 1 1
wmd
IR1
Kg
ofrk
IR3
Rest
3 1 4
2 2
1 1
1 1 1 3
1 2 3
1 1
betrüebesal (›Beeinträchtigung, Schädigung‹): ← betrüeben (7) sw.V. ...daz di vor genanten swester daz selbe vreiláchen vnd ledichleich an alle an sprach vnd an allez betrFbsal von vns vnd von vnsern erben haben vnd besitzen suln ewichleichen (Corp. 1636a = N 550, 401.1).
betwancsal (›Bedrängnis, Drangsal, Not‹): ← betwingen (58) st.V. ...von dem selben GNte daz vor benant ist von Jar ze Jar ze gelten / allen den die er bescheidemt hat / mit Ravbe / vnd mit prânte / vnd mit anderr betwancsal / die ez bewisen mvgen / mit gewizzen / oder mit rehte (Corp. 3528, 594.33).
Dieser Beleg lässt m.E. auch eine instrumentative Lesart zu, je nachdem, ob man roup und brant hier als Handlungsbezeichnungen oder als Mittel ansieht, mit denen man jemanden bedrängt. getwancsal (›Zwang‹): ← getwingen (4), twingen (184) st.V. Swer liute in der stat hat der sal si biten v] niezen an andern diensten an allerslahte getwancsal (Corp. 29, 56.3).
hindersal (›Behinderung‹): ← hindern (42) sw.V. ...v] vns nieman dar an sol irren noch gewalt tFn · swer aber daz teite gein dem · v] gein allen den · die vns kein hindersal tFn mit worten oder mit werken · suln sie vns v] vnsern rihteren beholfen sin mit gFten truwen ane geveirde (Corp. 2550, 573.11).
irresal (›Misshelligkeit, Behinderung, Beeinträchtigung‹): ← irren (345) sw.V.
V] dar vmbe daz dechain ársæli/ alder krîech dar vmbe werdi / so han ich der vor genent Berchtolt / der vor genenton Æptissinon / v] irm Coven / disen brîef gegeben gevestent / v] gezcâichent / mit minez herren insigel (Corp. 1738, 57.19).
müejesal1 (›Behinderung, Beeinträchtigung‹): ← müejen (11) sw.V. ...das dîe selben heirren das vorgenante gGt ze eimGtingen sPnt frilich besezzen / buwen / v] niescen als es in fMget / âne alle irrunge / v] mMgesal des vorgenanten Bertoldes / v] siner elicher wirtin / v] aller siner eirben (Corp. 2920, 216.24).
II.1.13. -sal
347
phrancsal (›Zwang, Einschränkung, Auflage‹): ← phrengen (1) sw.V. ...noch sNln in dehein pfrancksal daran tvn / an daz · daz man die hvbe ze niderm pærwing bowen sol swenne daz ist daz si sie selbe niht bowen wellent (Corp. 2372, 473.24).
sûmesal/-seli1 (›Saumseligkeit, Versäumnis, Nachlässigkeit‹): ← sûmen (46) sw.V.
Vnd swie wir diz zil versvment · daz wir diz nvsse nãt gebint...so sien wir schuldic vnd gebunden mit gel bde an dis) brieve · daz wir ze ainer bNsse vmbe vnser ber ain wohchun s lint gen (Corp. 2178, svmsali zwiront als vil · dar nach 348.7).
Das WMU (II: 1692f) verzeichnet sûmesal und sûmeseli jeweils als ein Lemma. Ich fasse die verschiedenen Formen als allomorphische Varianten des gleichen Suffixes auf und behandle beide Lemmata als ein Lexem. twancsal1 (›Zwang, Gewalt‹): ← twingen (184) st.V. daz selbe gNt vnde die gvlte / mit allem dem nvtze der da von get ... hat Herman... jm vnde sinen Erben / vnde allen sinen nackvmmen...zv vns beiden gekaufet immerewiclichen vnde eigenlichen zv besitzene / an alle twancsal vnser vrîvnde (Corp. 1764, 71.34).
Ein Beleg von twancsal entzieht sich aufgrund seiner Unklarheit der Analyse. B. Instrumentativa (BV-sal2): ›das, womit jmd. BV‹ Lexem müejesal2 twancsal2 Gesamt
Belege 1 5 6
alem 1 1
bair 5 5
müejesal2 (›Mühe‹): ← müejen (11) sw.V. ...v] setzent deme sengere v] sinen nachkvmmen allez das gGt ...zG pfande vir den selben schaden v] vir alle die mMgesal, gelimpfliche abezutGnne, dîe er oder sin nachkvmmen sin gewinnent (Corp. 0144a = N 100, 71.15).
twancsal2 (›vorgeschriebene Leistung, Verpflichtung‹): ← twingen (184) st.V.
...daz si des Goteshavses lævten von Ratenhaslach / niht getvrren noch svln beswæren / noch laidigen / mit herbergen / noch mit fMteren / vnd mit deheiner twanchsal (Corp. 2087, 299.2).
II.1. Derivationstypen
348
C. Agentiva (BV-sal3): ›etw., das BV‹ Lexem sûmesal/-seli2
alem 2
sûmesal/-seli2: ← sûmen (46) sw.V. Were ?ch daz der vierv]zweinziger deheiner also alt wûrde / oder werenden siehtagen / oder offenliche v] kvntliche svmeseli / oder bresten hette / so daz er vnnPzze darzN weri... (Corp. 1797A, 106.19).
Die zwei agentiven Belege des Lexems sind beide in Corp. 1797A belegt. Ich habe hier aufgrund des Kontextes entgegen der Bedeutungsangabe des WMU (II: 1692 ›Saumseligkeit, Versäumnis, Nachlässigkeit‹) entschieden, als Lexembedeutung ›körperliches Hindernis, Gebrechen‹ anzusetzen. Das DWB (14: 1918) kennt eine solche Bedeutung für säumnis: »seltener etwas, das säumt (in transitivem sinne), hindernis [...] so in der verbindung irrung und sûmnust [...]«. Diese Deutung ist durch die Valenz und Bedeutung des Verbs abgesichert.660 D. Idiofunktionalia (BS-sal4): ›BS‹ Lexem vluhtsal
alem 1
vluhtsal (›Flucht, Bergung‹): ← vluht (1) st.F. ...swc Strasburgere oder ir helfere ir getregedes uf irme eigene oder uf irme gNte findent in den fride, dc si da mite schaffen sulnt vnde mvgent swc si wellent ane widerrede; oder swc in ir frunt gehalten hant, es si durh fluhsel oder swie es si, dc si ouch da mite sulnt schaffen swc si wellent (Corp. 0059b = N 10B, 10.45).
Die Motivation des Lexems über das starke Verb vliehen ist aus morphologischen Gründen ausgeschlossen. Die anzunehmende Basis, das Substantiv vluht, ist einmal im alem. Sprachraum belegt. Unsicher bleibt die Annahme des schwachen Verbs vlühten als mögliche Basis. Wilmanns (1899: 273) glaubt das Verb erst für das Nhd. belegt, aber in den Nachträgen des Mittelhochdeutschen Taschenwörterbuchs von Lexer ist es verzeichnet _____________ 660 Vgl. WMU (II: 1690f.). Dort finden sich unter der Bedeutung B2.2 ›warten lassen, aufhalten, hindern‹ und unter B3 ›warten lassen, abhalten, hindern‹ Verwendungen mit Akk.d.Pers. Auch wird sûmen in Verbindung mit irren gebraucht, was unsere Deutung stützt. Jemand kann also jemanden sûmen im Sinne von ›(be)hindern, beirren‹. Was die obigen Belege anbelangt, paraphrasiere ich sûmesal/-seli also als ›etw., das jmdn. hindert‹ im Sinne eines körperlichen Gebrechens. Eine Interpretation als Abstraktum halte ich in diesem Fall für eher unwahrscheinlich.
II.1.14. -sami
349
(1983: 483), und auch das DWB (3: 1833) gibt Belege fürs Ahd., Mhd. und Nhd. an. Ich habe mich dennoch aufgrund des gesicherten Vorkommens des Substantivs vluht im Korpus und seines usuellen Status im mhd. Lexikon661 gegen vlühten als Motivationsbasis entschieden, da genauere Aussagen über dessen Verbreitung in mhd. Zeit nicht möglich sind. e. Diachroner Vergleich Wie oben erwähnt, ist die Anzahl der -sal-Bildungen in den Vergleichskorpora geringer als im Urkundenkorpus. Die Arbeiten zum Frnhd. belegen lediglich die Lexeme irrsal, truebsal und labsal.662 In den Korpora der Gegenwartssprache ist das Suffix nicht geführt.663
II.1.14. -sami a. Lexembestand (8) gebûrsame (10) gewaltsame (8) gewarsame (61) geziucsame (7) irresame* (2) kuntsame (10) ungenôzsame (3) ziugsame (2)
Als idiomatisiert müssen drei Belege des Lexems kuntsame i.S.v. ›Gremium eidl. verpflichteter Zeugen‹ gelten. Sie sind in dieser Arbeit nicht berücksichtigt.
_____________ 661 Vgl. Lexer (III: 418f.). 662 Vgl. Müller (1993a: 380f.), Döring/Eichler (1996: 247f.), Brendel et al. (1997: 404ff.). 663 Gleichwohl gehören wenige Lexeme auf -sal zum gegenwartssprachlichen Wortschatz. Fleischer/Barz (1995: 168) führen als Bildung zu stets simplizischen Basen Lab-, Rinn-, Schick- und Wirrsal auf Verben, Drangsal und Mühsal auf Substantive und Trübsal auf ein Adjektiv zurück und bezeichnen diese Modelle als »kaum noch produktiv«.
350
II.1. Derivationstypen
b. Morphologie 1. Herkunft des Suffixes Das Suffix -sami hat sich aus echten -î-Ableitungen zu Adjektiven auf -sam durch falsche Abtrennung bzw. doppelte Bezugsmöglichkeit auf ein nicht abgeleitetes (Basis)Substantiv entwickeln können.664 Der Gebrauch dieses Suffixes ist im Wesentlichen auf das Alem. bzw. Schweizerdeutsche beschränkt. Schon Weinhold (1863: 257) weist in seiner Alemannischen Grammatik auf »Feminina mit -samî, sam« hin, die er aber mit der Begründung, sie seien »häufige Bildungen aus den betreffenden Adjektiven«, übergeht. Er nennt jedoch bûrsame, baursame als eindeutige Bildung. Ausführlicher geht Szadrowsky auf die -sami-Bildungen ein. Er stellt fest: »Nicht immer steht ein Adj. auf -sam neben A. [Abstrakta, UR] auf -sami« (1933: 6), und weist für das Alem. sowohl abstrakte -sami-Bildungen (Lägsami ›Lage‹, Nächsami ›Nähe, Nachbarschaft‹) als auch desubstantivische Kollektivbildungen mit selbständigem Suffix (Būr(en)sami, Dorfsami) nach. Diesen Befund bestätigt Wellmann (1969: 170f.) in seiner Dissertation und beobachtet hinsichtlich des Suffixes, dass das »Mhd. […] neben einer größeren Zahl von ›Abstrakten‹ […] eine kleinere Anzahl von Kollektiven für Personengruppen« enthält (a.a.O.: 170). Die Ableitung von Abstrakta hält Wellmann für die primäre Funktion von -sami. Die Kollektiva seien nicht primär gebildet, sondern »durch Funktionsverschiebung aus Substantiven für Prädikatsinhalte« entstanden (a.a.O.: 171). 2. Korpusbefund Als korpusinterne Leitform des fast ausschließlich im Alem. belegten Suffixes665 kann -sami angesetzt werden. Auslautendes -i (auch: -î (1), -j (16)) liegt in 101 von 103 gewerteten Belegen vor. Nur ein Beleg zeigt als Endungsvokal -e ( D.Sg.), einmal liegt innerhalb der Belege von gewarsame eine feminine Form ohne Endungsvokal vor ( D.Sg.).666 In insgesamt fünf Fällen (4,9%) weist das Suffix nicht den _____________ 664 Szadrowsky (1933: 40) sieht vor allem das im Korpus nur in mit un- präfigierter Form belegte Lexem Genōßsami »mit seiner doppelten Beziehung auf ein Adjektiv und ein Substantiv« als »Brücke zu ähnlichen Ableitungen unmittelbar von Hauptwörtern« an. 665 Zwei Belege sind nicht eindeutig im Alem. belegt, vieles spricht aber für alem. Einfluss. So liegt einer in einer Königsurkunde mit beteiligter alem. Partei vor, ein anderer in einer Urkunde des alem.-rhfrk. Grenzgebietes (IR2). 666 Vgl. DWB (6: 4876): »das ableitungssuffix, das in den älteren formen gewarsami, gewarsame zu tagetritt, ist an der heutigen form unterdrückt.«
II.1.14. -sami
351
Stammvokal -a- auf. Die abweichenden Formen (-semi (4), -sæmi) zeigen durch das -i oder -î der Folgesilbe umgelauteten Vokal. Zwei Belege des Lexems gebûrsame scheinen Umlaut der Basis gebûr aufzuweisen (Vokalgraphien: ). Alle anderen Bildungen bzw. Belege weisen keine Veränderung der Basis auf. 3. Basisaffinität Hinsichtliche der Basisaffinität ergibt sich für -sami folgendes Ergebnis: Vier Bildungen (50%) sind zu einem Basisverb gebildet, drei Derivate (gebûrsame, ungenôzsame, gewaltsame, 37,5%) weisen ein Basissubstantiv als Basis auf. Eine Bildung (gewarsame, 12,5%) beziehe ich auf ein Basisadjektiv. c. Motivationsdichte Für alle Belege der -sami-Bildungen ist die Basis in derselben Sprachregion nachweisbar (Basisrang 1). d. Wortbildungsfunktion Funktionsklasse A. Abstrakta -sami1 B. Kollektiva -sami2 C. Abstrakta -sami3 D. Abstrakta -sami4 E. Idiofunktional -sami5 F. Patientiva -sami6 Gesamt
Paraphrase
Basiswortart
Beispiel
›Tatsache, dass jmd. BV‹ ›alle BS‹
Verb Substantiv
geziucsame, irresame* gebûrsame1
›Tatsache, dass jmd. BS ist‹ ›Tatsache, dass etw. BA ist‹ ›BS‹
Substantiv
›das, was jmd. BV/BV wird‹
Lexeme / Belege Anzahl Prozent 4/17 36,4/16,5 2/11
18,2/10,7
gebûrsame2
2/2
18,2/1,9
Adjektiv
gewarsame
1/61
9,1/59,2
Substantiv
gewaltsame
1/8
9,1/7,8
Verb
kuntsame2
1/4
9,1/3,9
11/103
Tabelle II.1.14.1. Funktionelle Verwendung der -sami-Derivate
Im Urkundenkorpus überwiegen mit einem Anteil von 36,4% die deverbalen Abstrakta. An zweiter Stelle stehen die Kollektivbildungen, die im Korpus mit zwei Lexemen repräsentiert sind und prozentual hinsichtlich
II.1. Derivationstypen
352
der Lexem- und Belegzahl deutlich als eigenständige Gruppe hervortreten. Dieselben Lexeme konstituieren in deutlich geringerer Belegzahl auch die Funktionsklasse der desubstantivischen Abstrakta. Nur jeweils eine Bildung findet sich zu den folgenden drei Funktionsklassen, wobei das deadjektivische Abstraktum gewarsame nur synchron als -sami-Bildung zu werten ist (s.d.). Die Klasse der Patientiva ist mit einem Lexem, das primär als Verbalabstraktum vorliegt, nur marginal vertreten. Hinsichtlich der funktionellen Verteilung des Suffixes bzw. der -samiBildungen besteht ein eindeutiger Schwerpunkt bei den Abstrakta (insgesamt 63,7%), gefolgt von den Kollektiva (18,2%). A. Abstrakta (BV-sami1): ›Tatsache, dass jmd. BV‹ Lexem geziucsame irresame* kuntsame1 ziugsame Gesamt
alem 7 2 6 2 17
geziucsame, ziugsame (›Zeugnis, Beglaubigung‹): ← geziugen (17), ziugen (8) sw.V.
Wir der Cardian vnd die brGdera von Solotern / der schultheze der râr [sic!] vnd die burger v@ Solotern / hein nser ingesigele / ze einer guzûgsamj / dur der vorgenāden vrowen bette der Richi / gehenket an disen brief / (Corp. 2300, 424.6). …durc daz ir nachmalez nit vergessen werde so sol man si bestêten / mit schrifft / vnd mit zùgsami (Corp. 327, 313.35).
Die Kontexte, in denen gezuicsame und ziugsame auftreten (z.B. Präpositionalphrase mit ze), lassen mitunter eine instrumentative Interpretation der Einzelbelege zu. Eine abstrakte Verwendung kann jedoch in keinem Fall ausgeschlossen werden, so dass alle Belege vorbehaltlich als Abstrakta gewertet werden. irresame* (›Misshelligkeit, Behinderung, Beeinträchtigung‹): ← irren (345) sw.V. swas stoses / chrieges oder iersami an disem ch?f beschæhe / das hain wir an hern Eber· gesetzet von St?fenegge Pnsern chorherren/ an hern volkmar von Chemenatun / vn an hern RNdolf von Sulzberch ritter / das si daz beschaiden / v] verrihten son bi ir aide / ane alle gevârde (Corp. 530A, 465.12).
Obgleich das -sam-Adjektiv irresam ›irrend, verwirrend, zur Verirrung leitend; verwirrt, uneinig‹ bei Lexer (I: 1453) nachweisbar ist, ist es nicht als Motivationsbasis des vorliegenden Lexems heranzuziehen. Das Lexem
II.1.14. -sami
353
erweist sich anhand der Kontexte mit eindeutig aktionalem Bedeutungsgehalt als -same-Bildung zum Verb irren667, das hochfrequent im Korpus belegt ist.668 kuntsame1 (›Bekanntgabe, Bezeugung, Beglaubigung‹): ← künden (›verkünden, erklären‹) (885) sw.V. Allen den die disen brief sehint oder h=rent lesin den kPndich herre Nlrich der edile Von Clingen · minen grFz mit kvntsami dirre gegenwertigen schrifte (Corp. 185, 203.9).
Obgleich ein Motivationsbezug zum Adjektiv kunt (3000) vor allem in der Konstruktion kunt tuon nicht auszuschließen ist, präferiere ich dennoch die verbale Motivation von kuntsame. In allen Kontexten, in denen das Lexem in abstrakter Verwendung vorliegt, ist der aktionale Aspekt ›Bekanntgabe, Verkündigung‹ erkennbar, der Bezug zum Verb liegt näher. Auch tritt das Verb künden häufig in unmittelbarer Nähe zur -same-Bildung auf. Vier Belege des Lexems erweisen sich als Patientivbildungen (vgl. kuntsame2). Drei weitere sind in der Bedeutung ›Gremium eidl. verpflichteter Zeugen‹ idiomatisiert. B. Kollektiva (BS-sami2): ›alle BS‹ Lexem gebûrsame1 ungenôzsame1 Gesamt
alem 9 2 11
gebûrsame1 (›Bauernschaft‹): ← gebûr (61) st.sw.M. Jch herre Otte von St?phen tGn kunt / allen / den die disen brief sehent alde h=rent lesen / daz ich minem heren dem Apt von sante Blasin / vnde der gebúrsami gemeinlich von wiler / han gegeben ze k?fenne alles daz reht daz ich hatte vf ir mattan ze ezzenne (Corp. 1801, 124.25).
ungenôzsame1 (›Gesamtheit der ungenôzen‹): ← ungenôz (›jmd. von ungleichem, geringeren Stand; Höriger eines anderen Herren‹) (14) st.sw.M.
Vnde ob die livte die ich der vorgenant CNnrat von Marcktorf han usgenommen bernossen haint gewibot alde gemannot mit ir vngenoszami / alde ob siv [ständisch Höherstehende, UR] sint / da von sol ich enkain kvmber alde nôt hanvon den vorgenanten k?fern / noch von ir erbon… (Corp. 1978, 235.10).
_____________ 667 Auf das Verb verweist auch der Eintrag im DRW (VI: 325ff., s.v. Irrsal III.ff.). 668 Als Indizienbeweis für die deverbale Bildungsweise kann die Zusammenstellung aller korpusintern konkurrierenden Bildungen zum Stamm irr- dienen. Bildungen mit adjektivischem Bezug liegen m.E. nicht vor: irrât (7), irregunge* (20), irrunge (20), irrecheit (1), irresal (52). irresalunge (4) ist als idiofunktionale Bildung gewertet.
II.1. Derivationstypen
354
C. Abstrakta (BS-sami3): ›Tatsache, dass jmd. BS ist‹ Lexem gebûrsame2 ungenôzsame1 Gesamt
alem 1 1 2
gebûrsame2 (›Nachbarschaft‹): ← gebûr (61) st.sw.M. …da von wart der konmendPr/ v] sin BrGdere ze Râte / dûr sunderliche liebj die si ze mir hatton / v] der dur kîuftigen fride / v] gGte gebursami in / v] Jr lPten / dc si mir / v] minen Êrbun / vor allermenlichen der vogteige gonden v] ?ch vG getun (Corp. 1204, 474.23).
ungenôzsame2: ← ungenôz (14) st.sw.M. Och hain wir inen gesezzet v] ze reht gegeben das alle die in dem vorgenanden fridcraisse sehshaft sint man v] wip súne v] tohteran ze der ê komen mugen mit allen lúten an die sú gevallent in ander stete v] von anderen steten sweler kúnne sú sint v] sol inen dú vngenossami der herschefte enkain schade sin (Corp. 2596, 20.44).
D. Abstrakta (BA-sami4): ›Tatsache, dass etw. BA ist‹ Lexem gewarsame
Belege 61
alem 60
Kg (alem?) 1
gewarsame (›Sicherheit, Garantie‹): ← gewære (›wahr, sicher; wahrhaftig, zuverlässig‹) (77) Adj. Synchron lässt sich das Lexem gewarsame i.S.v. ›Sicherheit, Garantie‹ kaum über seine etymologische Basis, das Adjektiv gewarsam (›sorgsam, vorsichtig‹, vgl. Lexer I: 978) motivieren.669 Ich beziehe das Lexem daher synchron aus semantischen Gründen und aufgrund der korpusinternen Beleglage auf das semantisch kompatible Adjektiv gewære, auch wenn dadurch von morphologischer Teilmotiviertheit ausgegangen werden muss. An dieser Stelle sei auf die Bemerkungen bei den -heit-Bildungen gewarheit und gewarsamecheit verwiesen.
_____________ 669 DWB (6: 4875 s.v. gewahrsam Adj.): »die objective fassung [i.d.Bedeutung ›sicher‹, UR] ist am adjectiv wenig belegt, sie bildet aber die hauptgrundlage für unsere substantivbildung gewahrsam.« Das Substantiv »spaltet sich wie das adjectiv in eine subjective fassung des begriffes (vorsicht, aufmerksamkeit) und eine objective (sicherheit)« (a.a.O.: 4876, s.v Gewahrsam f.).
II.1.14. -sami
355
E. Idiofunktionalia (BS-sami5): ›BS‹ Lexem gewaltsame
Belege 8
alem 6
alem-schw 1
IR2 1
gewaltsame (›Gerechtsame, Herrschaftsrecht‹): ← gewalt (920) st.F. …daz wir enhain gewaltsami habent vber daz vorgenande gGt vnd die lúte die an daz vorgenande kloster h=rent vnd sú niht rihten sont noch an vnser gerihte twingen son (Corp. 3426, 523.25).
Das Adjektiv gewaltsam ist weder im Korpus noch bei Lexer nachweisbar, und auch das DRW (VI: 713ff., s.v. Gewaltsam, Gewaltsame) bucht dafür keinen oberdeutschen Beleg vor 1500.670 Dieser Umstand und die Tatsache, dass gewaltsame gegenüber gewalt keine durch einen Wortbildungsvorgang beschreibbare Bedeutungsmodifikation erfährt671, gibt die Veranlassung dazu, das Lexem als idiofunktionale -same-Bildung zu gewalt zu analysieren. F. Patientiva (BV-sami6): ›das, was jmd. BV/BV wird‹ Lexem kuntsame2
alem 4
kuntsame2 (›Ausspruch‹): ← künden (›verkünden, erklären‹) (885) sw.V. daz Pnz des · · abtez · vnt des Conuentez / von CrPzelingen gezPge / v] ir kvntsami / alse gGt / alz reht / v] alz ereb(re dvnkent (Corp. 2285, 415.4).
e. Diachroner Vergleich Da in den Vergleichskorpora keine -sami-Wortbildungen vorliegen, muss hier der diachrone Vergleich entfallen.
_____________ 670 Dennoch weist das DWB (6: 5212ff.) gewaltsame als Bildung zum Adjektiv gewaltsam aus, was für spätere Sprachstufen synchron zutreffen mag. 671 Eher scheint die -same-Bildung auf lexikalischer Ebene nicht den vollen Bedeutungsumfang von gewalt zu haben und daher eher einen Bedeutungsausschnitt von gewalt darzustellen. Das DWB (6: 5212) schreibt hierzu: »das substantiv gehört von seinem ersten auftreten ab (1214) durchaus der rechts- und geschäftssprache an, in der es die bedeutung von potestas mit den verschiedenen an gewalt […] belegten privatrechtlichen verzweigungen des begriffes zur geltung bringt.«
II.1. Derivationstypen
356
II.1.15. -schaft a. Lexembestand (47) bereitschaft (13) bot(e)schaft2 (2) bürgelschaft (10) eigenschaft° (19/408) gemeinschaft (15) geselleschaft (15) geziugschaft (2) heidenschaft hûsgenôzschaft lêhenschaft1 (63) manschaft (9) metschaft* ritterschaft (2) swesterschaft vluorschaft werschaft (41)
betwungenschaft bruoderschaft (31) bürgeschaft (79) erbeschaft (24) genôzschaft (8) gewerschaft1 (33) gîselschaft° (64/208) hêrschaft° (66/260) koufmanschaft (2) lêhenschaft2 (20) meierschaft muntborschaft selleschaft tôtvîentschaft (10) vormuntschaft wizzenschaft (3)
bot(e)schaft1 (11) burcgrâveschaft (2) bûrschaft (2) gebûrschaft (18) gereitschaft gewerschaft2 grâveschaft (42) hirtschaft (3) lantgrâveschaft mâcschaft meisterschaft (14) phantschaft (6) sippeschaft (3) vîentschaft (21) vriuntschaft (65)
Insgesamt drei Lexeme treten als desubstantivische oder deverbale Bildungen im Korpus auf und sind jeweils verschiedenen Basiswortarten zuzuordnen. Dieses Phänomen lässt sich nicht mehr adäquat als Polysemie beschreiben, es ist von homonymen Bildungen (gekennzeichnet durch hochgestellte Ziffern) auszugehen. Die drei betroffenen Lexeme werden deshalb zweimal gezählt, wodurch sich eine Gesamtlexemzahl von 47 statt 44 Lexemen ergibt. Folgende Bildungen werden als idiomatisiert gewertet und sind in der Darstellung nicht behandelt: manschaft kann in der Bedeutung ›lehnsmäßiges Verfügungs- und Besitzrecht‹ (22 Belege) (WMU II: 1186f., s.v. B2) nicht über man, auch nicht in dessen Bedeutung ›Lehnsmann‹, motiviert werden. Semantisch naheliegender scheint hingegen der Bezug zum Kompositum manlêhen ›gegen Mannschaftsleistung verliehenes Lehen‹. Es drängt sich eine Interpretation als Klammerform auf.672 Ein Beleg des Lexems werschaft bedeutet im Kontext vermutlich ›Währung, Münzwert‹. In dieser Bedeutung betrachte ich das Lexem als idiomatisiert. _____________ 672 Belege für Mannlehnschaft i.S.v. ›Lehnsbesitz‹ finden sich ab dem 14.Jh. sehr vereinzelt (zwei in DRW IX: 145, s.v. Mannlehnschaft I.). In der Bedeutung ›Rechtsstatus e. Mannlehens‹, die wohl bei den 22 hier relevanten manschaft-Belegen anzusetzen wäre, verzeichnet das DRW (IX: 145, s.v. Mannlehnschaft II.) nur einen Beleg aus dem 16. Jh.
II.1.15. -schaft
357
Problematisch ist die Beurteilung des Lexems kuntschaft in seiner rechtssprachlichen Bedeutung ›Untersuchung, Beweiserhebung; Beweis(mittel); Gremium eidl. verpflichteter Zeugen; kundige Leute; Kenntnis(nahme)‹ (vgl. WMU II: 1060).673 Eine synchrone Motivation des Derivats über das Adj. kunt (3000) ›kundig, zu wissen, bekannt‹, kunde st.F. (Lexer I: 1771) oder das schwache Verb kunden (vgl. Wilmanns 1899: 392) scheint nicht oder nur sehr angestrengt möglich. Des Weiteren wird das einmal belegte Lexem wirtschaft aufgrund unsicherer lexikalischer Bedeutung ausgeschlossen. Es ist nur einmal in der Personenbezeichnung BrGder · C · wirtschaft (Corp. 438, 387.16) belegt. Ob es sich eventuell um eine idiofunktionale Bildung zu wirt handelt, die genannte Person also wirt ist, kann nicht eruiert werden. b. Morphologie 1. Suffixetymologie Der Suffixstatus des ursprünglich eigenständigen Kompositionsgliedes ahd. -scaf(t) ist für den Untersuchungszeitraum unbestritten.674 Schon für das Ahd. bemerkt B. Meineke (1991: 35) hinsichtlich Bildungen mit -scaf(t) an zweiter Stelle eines Wortes, dass »für alle Bildungen schon in ältester Zeit kein einheitlicher inhaltlicher Zug mehr erkennbar zu sein scheint, wie es etwa bei dem Grundwort in der Komposition erwartet werden könnte. Dieser Befund könnte den Schluß nahelegen, daß das Element schon in althochdeutscher Zeit inhaltlich verblaßt sei, und somit alle althochdeutschen Bildungen schon als Ableitungen mit einem Halbsuffix aufzufassen wären.«
Im mhd. Suffix -schaft, das nur Feminina bildet, vereinen sich zwei im frühen Ahd. (achtes und neuntes Jahrhundert) noch morphologisch und semantisch getrennte675 zum Verb schaffen gebildete Morpheme scaf ›Plan, Ordnung, Beschaffenheit; Rang‹ und -scaft, etymologisch ein -tiAbstraktum.676 Die -t-lose Form wird ab dem zehnten Jahrhundert jedoch _____________ 673 Zu den genauen Bedeutungsverhältnissen vgl. DWB (11: 2641, v.a. II, 4, a) und b)). 674 Vgl. Piltz (1951: 27): »Seit Beginn der Überlieferung werden die scaf(t)-Bildungen als Ableitungen gefühlt […], und alle späteren schaft-Wörter werden analogisch nach der allgemeinen Bedeutung des Kompositionsgliedes gebildet.« Ferner vgl. Wellmann (1969b: 164): »Eine Überprüfung der mhd. Bildungen ergibt, daß -schaft schon im Mhd. als Suffix fungiert hat, obgleich daneben vereinzelt auch noch das selbständige Wort schaft als Bezeichnung einer Beschaffenheit, Eigenschaft oder auch Gestalt vorkommt. Für den Suffixcharakter spricht auch, daß es schon im Mhd. zahlreiche Weiterbildungen gegeben hat.« 675 Vgl. Meineke (a.a.O.: 117ff.). 676 Vgl. Meineke (a.a.O.: 111), ferner Wilmanns (1899: 389).
358
II.1. Derivationstypen
analogisch mit -t erweitert und an -scaft angeglichen.677 Die Aussage bei Wilmanns (1899: 390), dass sich -schaf besonders im Md. halte, kann für das hier untersuchte Material bestätigt werden (s.u.). 2. Suffixvarianten Die Leitform des Suffixes im Urkundenkorpus ist -schaft (98,0%). Es überwiegt die Graphie mit sch-, seltener findet sich sh- (3,8%). Nur insgesamt 2,0% der Suffixbelege sind anders realisiert, hierbei tritt häufiger vor allem im Nd. und Wmd. die nicht lautverschobene Form sc- auf. Den Auslaut auf -t zeigen 93,0% aller Belege. 7,0% weisen Suffixformen ohne auslautenden Dental auf. Diese konzentrieren sich vor allem auf das Wmd. (90,6%) und das Nd. (drei von insgesamt vier nd. Belegen).678 Zwei sporadische alem. Belege auf -schaf stehen jeweils in derselben Urkunde neben den zu erwartenden -schaft-Formen desselben Lexems. 3. Basismorphologie Die Basen der -schaft-Bildungen weisen keine gravierenden morphologischen Veränderungen auf. In der Regel tritt -schaft direkt an den Stamm der Basis. Häufig kann Apokope bei auf -e auslautenden Basen beobachtet werden679, diese ist jedoch bei den Bildungen unterschiedlich ausgeprägt: bereitschaft (13/13), bot(e)schaft (12/13), burcgrâveschaft (2/2), bürgeschaft (57/79), erbeschaft (6/24), gemeinschaft (14/15), gereitschaft (1/1), geselleschaft (1/15), grâveschaft (27/42), hirtschaft (3/3), metschaft* (1/1), selleschaft (0/1), sippeschaft (3/3). Die Belege zu (lant)grâveschaft weisen dreimal Formen mit defektivem Basisauslaut auf (). Die Bildung betwungenschaft liegt in der Form des Partizips Präteritum des starken Verbs betwingen (Ablautreihe III) vor. bot(e)schaft weist bei verbalem Bezug (s.u.) einen Ablautvokal aus dem Präteritum (Sg. oder Part.) auf.
_____________ 677 Vgl. Meineke (a.a.O.: 108ff.). 678 Eine genauere Betrachtung des Wmd. zeigt, dass das Ripuarische (50,7% aller wmd. Belege) ausschließlich dentallose Suffixformen aufweist. Die Formen mit -t treten v.a. in rhfrk.pfälz. und gelegentlich in rhfrk.-hess. und moselfränkischen Urkunden auf. Dieser Befund deckt sich für das Ripuarische der mhd. Zeit mit den Ergebnissen der diachronisch angelegten Untersuchung von Sieburg (2002: 213-216). 679 Inwiefern die Basen schon apokopiert vorliegen, kann hier nicht berücksichtigt werden. Ich verweise hierzu auf die morphologischen Teile der entsprechenden WMU-Artikel.
II.1.15. -schaft
359
4. Basisaffinität Hinsichtlich der Basisaffinität ergibt sich für das Suffix -schaft folgender Befund: 34 (72,3%) Bildungen können eindeutig auf ein Basissubstantiv bezogen werden. Der Bezug auf ein Verb ist für fünf Bildungen (10,6%) gegeben680, vier Bildungen (8,5%) sind über ein Basisadjektiv motiviert. Als durch ein Basissubstantiv oder Basisadjektiv doppelmotivierte Bildung werte ich das Lexem eigenschaft. Abhängig von ihrer Verwendung und Bedeutung sind erbeschaft, gewerschaft1 und werschaft als durch ein Basissubstantiv und Basisverb doppelmotivierte Bildungen oder semantisch nur durch ein Verb motiviert zu klassifizieren. Drei Bildungen sind aufgrund ihres mehrdeutigen Basisbezugs als homonyme Bildungen zu behandeln. Bei gewerschaft1 ist der Bezug auf das st.M. gewer (mit Verb doppelmotiviert) zu trennen von der idiofunktionalen Verwendung von gewerschaft2, mit Bezug auf das st.F. gewer. Ebenfalls als Homonyme behandle ich bot(e)schaft1, bot(e)schaft2 und lêhenschaft1, lêhenschaft2. Zwei Bezeichnungsfunktionen der Lexeme sind desubstantivischen Funktionsklassen zuzuordnen, eine weitere Wortbildungsbedeutung lässt sich besser über ein Basisverb motivieren. Doppelmotivation ist nicht anzunehmen. Die als Homonyme gewerteten Bildungen werden doppelt gezählt und sind hier jeweils als eigene Lexeme unter der jeweiligen Basiswortart aufgenommen. c. Motivationsdichte Die -schaft-Bildungen des Urkundenkorpus sind in der Regel sehr gut durch ihre synchronen Basen motiviert. Daher kann auch für 99,6% der Belege Basisrang 1 vergeben werden. Für das einmal belegte Lexem heidenschaft ist aufgrund seiner unsicheren sprachlandschaftlichen Zuordnung kein Basisrang ermittelbar. Die Basen von muntborschaft (wmd.) und selleschaft (nd.) sind zwar synchron in der jeweiligen eng-syntopischen Sprachregion nachweisbar, jedoch muss der Nachweis über andere Wörterbücher (Lexer, Schiller-Lübben) erfolgen, die Basen sind korpusintern nicht belegt (Basisrang 4). selleschaft kann jedoch semantisch durch das korpusintern (auch wmd.) belegte geselle gestützt gelten.
_____________ 680 Das Lexem betwungenschaft weist dabei die Form des Partizips Präteritum auf (s.o.).
II.1. Derivationstypen
360
d. Wortbildungsfunktion Wie die folgende Übersicht zeigt, weist das Suffix -schaft trotz der relativ geringen Lexemzahl eine Beteiligung an vielen verschiedenen Funktionsbereichen auf. Am häufigsten wird -schaft zur Bildung desubstantivischer Abstrakta (37,5%) verwendet, wobei jedoch die Bezeichnungsrelationen der Einzellexeme sehr unterschiedlich sein können (vgl. -schaft1). An zweiter Stelle steht mit 20,3% die als etabliert zu bezeichnende Funktionsklasse der Kollektivbildungen. Sechs abstrakte Bildungen (9,4%) sind zu einem Basisverb oder verbalen Partizip gebildet. Funktionsklasse A. Abstrakta -schaft1 B. Kollektiva -schaft2 C. Abstrakta -schaft3 D. Lokativa -schaft4 E. Abstrakta [DM] -schaft5 F. Idiofunktional -schaft6 G. Agentiva -schaft7 H. Patientiva -schaft8 I. Abstrakta -schaft9 J. Patientiva -schaft10 K. Abstrakta [DM] -schaft11 Gesamt
Paraphrase
Basiswortart Substantiv
›Tatsache, dass jmd. (jmds.) BS ist‹ ›alle, mehrere BS‹ ›Tatsache, dass jmd. BV‹ ›Gebiet von BS; Verwaltungsbereich von BS‹ ›Tatsache, dass jmd. BS ist/BV‹
Substantiv/ Verb
›BS‹ ›jmd./etw., der/das BA ist‹ ›das, was jmd. BV‹ ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹ ›das, was BS bringt, verkauft‹ ›Tatsache, dass etw. BA/BS ist (Recht auf BS)‹
Substantiv
Beispiel gîselschaft, vriuntschaft
13/249°
20,3/17,1
6/32
9,4/2,2
4/111°
6,3/7,6
gewerschaft11
3/86
4,7/5,9
Substantiv
lêhenschaft12, phantschaft
3/25
4,7/1,7
Adjektiv
gemeinschaft
3/23
4,7/1,6
Verb
erbeschaft2
3/8
4,7/0,6
Adjektiv
sippeschaft
2/9
3,1/0,6
bot(e)schaft, koufmanschaft eigenschaft
2/3
3,1/0,2
1/408°
1,6/28,0
Verb/ Verb[part] Substantiv
Substantiv Adjektiv/ Substantiv
bruoderschaft, hêrschaft betwungenschaft, lêhenschaft2 grâveschaft
Lexeme / Belege Anzahl Prozent 24/505° 37,5/34,6
64/1459°
Tabelle II.1.15.1. Funktionelle Verwendung der -schaft-Derivate
Vier Bildungen (6,3%) dienen im Korpus der Bezeichnung eines einer Autoritätsperson unterstellten Gebiets oder Bereichs. Sie werden als Lokativbildungen behandelt.
II.1.15. -schaft
361
Den verbleibenden sieben Funktionsklassen konnten maximal drei Derivate zugewiesen werden. Einige Funktionsklassen, wie die mit angenommener Doppelmotivation oder die desubstantivischen Patientiva, erklären sich vor allem aus dem Bemühen, die korpusinternen Bezugsmöglichkeiten und Verwendungen der -schaft-Bildungen möglichst genau zu beschreiben. Dabei kann sich gelegentlich der Befund der Etymologie von den Ergebnissen der Korpusauswertung unterscheiden. Die folgende Übersicht zeigt die funktionelle Verteilung der -schaftBildungen ohne Anschauung der Basiswortart: Funktionsklasse abstrakt kollektiv patientiv lokativ idiofunktional agentiv
Lexeme/Prozent 36/56,3 13/20,3 5/7,8 4/6,3 3/4,7 3/4,7
Tabelle II.1.15.2. Funktionelle Verteilung der -schaft-Bildungen (basiswortunabhängig)
Im Folgenden werden die an der Wortbildung beteiligten Wortarten dargestellt (ohne Doppelmotivation): Basiswortart Substantiv Verb Adjektiv
Lexeme/Prozent 46/71,8 9/14,1 5/7,8
Tabelle II.1.15.3. Prozentuale Verteilung der Basiswortarten bei der Wortbildung mit -schaft
Es zeigt sich ein deutliches Überwiegen der substantivischen Basen, was auch für -schaft zu erwarten war. Überraschend ist vielleicht die recht hohe prozentuelle Anzahl verbaler Basen, denn zur »Ableitung aus Verben diente -schaft ursprünglich nicht« (Paul 1920b: 84). A. Abstrakta (BS-schaft1): ›Tatsache, dass jmd. (jmds.) BS ist‹ Lexem bot(e)schaft11 bruoderschaft2 burcgrâveschaft bürgelschaft bürgeschaft
Belege 9 12 2 10 79
alem bair 7 15
1 6 2 10 32
a-s 5
wmd IR1 Kg ofrk IR3 IR4 IR6 omd nd ? 5 7
1 11
2
4
1
1
1
-
-
1 -
II.1. Derivationstypen
362 Lexem
Belege
bûrschaft1 genôzschaft2 geselleschaft2
1 1 4 64 (208°) 4 (16°) 3 1 45 1 8 4 1 1 1 10 21 1 1 65 349 (505°)
gîselschaft° hêrschaft3° hirtschaft koufmanschaft1 lêhenschaft11 mâcschaft manschaft1 meisterschaft2 metschaft muntborschaft ritterschaft1 tôtvîentschaft vîentschaft vluorschaft vormuntschaft vriuntschaft Gesamt
alem bair
a-s
wmd IR1 Kg ofrk IR3 IR4 IR6 omd nd ?
1
1
1 -
1
-
1
-
-
-
-
-
1 -
-
53
2
6
-
3
-
-
-
-
-
-
-
-
15 2 2 1 1 4 12
3 1 22 2 1 9 11 32
6 -
1 3 1 1 15
1 1 1 1 3
1 1
2 1 1
1 1 -
1 2 1 -
-
1 1
-
1 -
113
135
18
34
22
5
8
3
5
1
2
1
2
Bei den hier verzeichneten Bildungen lassen sich trotz des gemeinsamen Merkmals ›abstrakt‹ verschiedene Bezeichnungsrelationen erfassen. Zum einen fällt der hohe Anteil an Lexemen auf, die neben reinen Zustandsbezeichnungen (z.B. gîselschaft, hêrschaft) besonders als Bezeichnungen für zwischenmenschliche Verhältnisse fungieren (z.B. bruoderschaft, mâcschaft, vîentschaft, vriuntschaft). Bei diesen wird durch das Basissubstantiv eine Valenzstelle eröffnet681, die etwa im Falle von vîentschaft zur Paraphrase ›Tatsache, dass jmd. jmds. vîent ist‹ führt. Im Fall von ritterschaft etwa zeigt die Bildung eine über das reine ›BS-Sein‹ hinausgehende Eigenschaft des Ritters, die ritterliche Gesinnung. Dies ist jedoch typischerweise eine Domäne der -heit-Bildungen und bei -schaft eher vereinzelt anzutreffen.682 Ferner gibt es Bildungen, die sich als Tätigkeits- und Handlungsbezeichnungen auffassen lassen, also besonders das ›Agieren als BS‹ betonen (bot(e)schaft, koufmanschaft). Interessant sind des Weiteren die wenigen Bildungen zu unpersönlichen Basissubstantiven (metschaft, lêhenschaft, vluorschaft). Mit ih-
_____________ 681 Vgl. Brendel et al. (1997: 412). 682 Vgl. Piltz (1951: 31): »Als Bezeichnungen für den reinen und allgemeinen Zustand setzen sich die schaft-Ableitungen von den Wesen- und Eigenschaftsbezeichnungen auf -heit und -lichkeit ab […].«
II.1.15. -schaft
363
nen ist immer ein Recht bzw. ein rechtliches Verhältnis bezeichnet, bei dem das Basissubstantiv eine Rolle spielt.683
bot(e)schaft11 (›Botentätigkeit, -dienst, Auftrag‹): ← bote (291) sw.M. wir bitten ?ch Pch als wir ?ch han gebettin / die erbern vnde bescheidenen lúte Pwer burger vnde bottin die ir zG vns santont / die ir botschaft als ernstlich vnde bescheidenlich vol Srit hant / als si billeclich soltin (Corp. 156, 188.8).
bruoderschaft2 (›Brüderschaft, Status als bruoder‹): ← bruoder (5350) st.M. Auch hab wir in baiden durch ir trewe vnd durch ir baider andacht vnsers ordens baide an gebet vnd an allen gGten dingen rechte brGdershaft geben, die der orden mit gGter gebonhait vnd mit recht her bracht hat (Corp. 2315a = N 748, 539.5).
burcgrâveschaft (›Burggrafenamt‹): ← burcgrâve (215) sw.M. vnd hat mich von sinen genaden dar ouf gesetzet / ze behalten / vnd ze widerantwrden / nach Salzburgær reht / als er andern sinen purgrauen tGt / ouf andern des Gotshouses BFrgen / so offen ich daz / daz ich dehaines rehtes von lehen oder von Aygen / an Burgrafschaft / oder an dehain andern dingen / gih / an der selben Burge Mittersel (Corp. 1533, 696.14).
Ein weiterer Beleg des Lexems burcgrâveschaft, der laut dem WMU (I: 315) ›Burggrafenamt‹ bedeutet, könnte u.U. auch als Lokativum interpretiert werden. bürgelschaft (›Bürgschaft‹): ← bürgel (65) st.M. so suln die vorgnanten pFrgel die ich gesatzt han ledich vnd frei sein der purgelschaft vmb die vorgnanten pfenning (Corp. 2977, 250.46).
bürgeschaft (›Bürgschaft‹): ← bürge (1260) sw.M Tæt ich des niht · So sol er der bFrgen einen manen swelhen er wil / V] sol im der laisten in dem selben rehte vntz im ein ander bFrge gesetzzet werde den ** genemen mack · Jst ovch daz mine bFrgen dirre bFrgeschafft chainen schaden nement · den sol ich v] mine erben in v] iren erben ab legen (Corp. 1385, 600.36).
bûrschaft1 (›Bürgerrecht, Gemeindezugehörigkeit‹): ← bûr (›Einwohner einer Stadt‹)
Swelich knape dhenit to druderstat ane lon · tein iar · dhe ne darf durch recht nene burscap winnen (Corp. 392, 364.3).
Obgleich die nd. Urkunde, in der sich der Beleg von bûrschaft findet, als Bezeichnung für die Stadtbevölkerung verwendet, kann für den Überlieferungszeitraum noch von einer durchsichtigen Bildung ausgegangen werden. bûr muss noch i.S.v. ›Einwohner, Bürger‹ verständlich gewesen sein und musste (noch) nicht ausschließlich ›Bauer‹ (vs. Städ_____________ 683 Man vergleiche hierzu auch die im Rahmen anderer Klassen behandelten Bildungen erbeschaft und phantschaft.
364
II.1. Derivationstypen
ter) bedeuten. Zu diesem Schluss geben die nd. Belege im DRW (I: 1258f., s.v. 1Bauer I.) Anlass, wo die Formel borger und bur i.S.v. ›Einwohner einer Stadt‹ bis ins 16. Jh. nachgewiesen wird. Auch der Artikel zu bûr bei Schiller-Lübben (I: 453) unterstützt diese Ansicht. genôzschaft2: ← genôz (›Standesgenosse, Ebenbürtiger‹) (79) st.sw.M. …v] geben den vor genantden gezvgen vnser genozschaft zN einer gezugnFst in dir sach / v] zemerre festenunge so geben wier disen brief mit vnserm insigel (Corp. 2991, 257.17).
Dieser einzige deutlich abstrakt verwendete Beleg des Lexems genôzschaft wird im WMU (I: 650) mit ›Beistand, Unterstützung‹ umschrieben. Mit der Stelle soll vermutlich ausgedrückt werden, dass sich die hier äußernde Urkundenpartei zu einem genôz der Zeugen macht, sich mit ihnen auf eine freundschaftliche Ebene stellt. geselleschaft2 (›Gesellschaft‹): ← geselle (›Geselle, Gefährte, Gesellschafter‹) (59) st.M. obe deheinP vnder Pns, die iezo bi Pns sint alde har nah zG Pns koment, iemer vreuellich vngehorsan wirt…, daz dP swester sol han verlorn Pnser geselleschaft vnde Pnser gemeinsami… (Corp. 1031a = N 373A, 280.13).
Entgegen der Deutung des WMU (I: 672) nehme ich für vier Belege von geselleschaft abstrakte Bedeutung an. Sie bezeichnen nicht eine Personengruppe, sondern ein Verbundensein aufgrund der ›Tatsache, dass jmd. jmds. Gefährte ist‹, wie in der zitierten Textstelle ersichtlich wird. Die verbleibenden elf Belege treten im Korpus in kollektiver Verwendung auf (vgl. geselleschaft1). gîselschaft° (›Geiselschaft, Bürgschaft‹): ← gîsel (›Geisel, Bürgschaftsgefangener‹) (111) st.(sw.)M. Vnd swenne wir dez von ir · alde von ir vogite · swer ez danne si · gemant werdin · so svlun wirs schaffin dc ez besche inwendig eins manodis. Swie ez danne nicht beschehin ist · so svlun wir swene · vnd her RNdolf · von wediswile · her Johannis von B?nstetin…nach dien vier wohin sich zurich gisel legin in rechte giselschaft (Corp. 127A, 66.31).
hêrschaft3° (›Herrschaft, Herr-Sein‹): ← hêrre (ca. 17700) sw.(st.)M. Wir haben auch stæt · vnd tvn chunt · vnd bestætigen ewichlich dise genade von vnserre FGrstlichen herschefte · vnsern liben / vnd getriwen purgern ze Wienne… (Corp. 2345, 456.5).
Vier von 66 analysierten Belegen des Lexems hêrschaft zeigen abstrakte Verwendung (›Tatsache, dass jmd. Herr ist‹). Aus etymologischer Sicht liegt mit hêrschaft eine Bildung zum Adjektiv hêr ›hoch, vornehm, erhaben‹ (Lexer I: 1251) vor, doch ist in allen Belegen der semantische Bezug zum Basissubstantiv hêrre – etymologisch der Komparativ des genannten Adjektivs – zu bevorzugen, denn tatsächlich steht die Bildung »von vorne-
II.1.15. -schaft
365
herein unter dem Einfluß von Herr« (Kluge 1999: 371).684 Der Bezug auf das Adjektiv scheint nur bei abstrakter Bedeutung noch spürbar (vgl. den zitierten Beleg). Die Hauptmenge der analysierten Belege trägt jedoch kollektive (vgl. hêrschaft1) und lokative Bedeutung (vgl. hêrschaft2). hirtschaft (›Recht der Hirtenbestellung o. Hirtenamt‹): ← hirte (12) st.sw.M. Vnde darzu gabe wir in vnser gut ze Jkelnheim / vnde die wingarten die wir da heten · Vnd daz gerihte vnde daz Vorstampt Vnde die flurschaft · Vnd die hirtschaft Vnde ækker bi Lenkgersheim (Corp. 1972A, 225.27f.).
koufmanschaft1 (›Handel, Tätigkeit als Kaufmann‹): ← koufman (53) st.M. Swer auch mit vnsern vorgenanten Burgærn / in der vorgesprochen Stat chaufmanschaft / treibet / oder mit in chauft / oder verchaufet / der sol mit in dánen (Corp. 2383, 478.5).
lêhenschaft11 (›Recht auf ein Lehen, Lehensverhältnis‹): ← lêhen (1900) st.N.
…das die vorgenanten heinrich vnd RNdolf die gebrNder von Rotahvsen vnd ir gemaindere vnd ir erben gewalt han vnd haben son die lehenschaft die sie an den vorgesprochenn zwain mvlinan hent zevirkovfinne swem sie went in dem selbvn rehte als sie sie von vns besitzen vnd besessen hent… (Corp. 2432, 504.28).
Die Aussage von Wilmanns (1899: 391), dass die Bedeutung der Bildung »mhd. lêhenschaft Lehenschaft, Belehnung« die Beziehung auf ein (schwaches) Verbum näherlege, ist im Korpus nur eingeschränkt gültig. Sie kann nicht auf alle Verwendungsaspekte des Lexems angewandt werden, obwohl sich die Bildung in einigen Kontexten besser oder ausschließlich deverbal motivieren lässt. Problematisch ist korpusintern der Bezug auf das schwache Verb lêhenen, denn dieses ist im Korpus nur neunmal belegt.685 Als semantische Basis ist aber auch belêhenen (11) zu berücksichtigen, das mit lêhenen teilweise bedeutungsgleich ist, wenn hinsichtlich der Morphologie auch eingeschränkte Motiviertheit besteht. Brendel et al. (1997: 422) analysieren den einzigen Beleg des Derivates in ihrem Korpus als deverbales Abstraktum (zu belehnen), räumen aber Doppelmotivation durch das Substantiv lehen ein (wie auch Wilmanns: ebda.). Im Urkundenkorpus macht die rechtssprachliche Gebundenheit von lêhenschaft die Ermittlung der aktuellen Lexembedeutung im Kontext oft sehr schwierig. In _____________ 684 Vgl. Piltz (1951: 80): »Seit dem Spätmhd. stellt sich hêrschaft in seiner Bedeutung ganz […] zu diesem substantivischen Grundwort [gemeint ist ahd. hêrro, hêro = dominus, UR]; das zeigt sich seit dem 16. Jh. auch in der Lautgestalt Herrschaft […].« Vgl. auch Wilmanns (1899: 391f.), der aber nur von einer späteren Anlehnung an Herr spricht. 685 Von den neun Belegen liegen zudem nur vier in der Motivationsbedeutung ›zur Leihe geben o. nehmen‹ (WMU II: 1111) vor und dies in vier Urkunden, die jeweils Abschriften des Braunschweiger Stadtrechts sind.
II.1. Derivationstypen
366
vielen Fällen kann ähnlich wie bei phantschaft und phant nicht entschieden werden, ob die Rechte des Lehnsherren/Lehnsmannes an einem Lehen gemeint sind oder das Lehen selbst (vgl. DRW VIII: 981ff., s.v. Lehnschaft I., II.). Andere Kontexte wiederum scheinen sogar auf eine kollektive Verwendung des Lexems (›alle (genannten) Lehen‹) hinzuweisen, die jedoch in den Wörterbüchern nicht bezeugt ist, und die aufgrund der schwierigen Beurteilung nicht innerhalb der Kollektiva verzeichnet wird. mâcschaft (›(Bluts-)Verwandtschaft‹): ← mâc (›(Bluts-)Verwandter‹) (146) st.(sw.)M. Daz vnser keiner von deime Rathe der nv ist · oder hernach wirt / sich dar von ziehen / oder verren wolthe · durch fruntscaft / oder durch macschaft / oder durch beider hande sache (Corp. 903, 263.27).
manschaft1 (›lehnsrechtliche Verpflichtung und Stellung des Lehnsmannes‹): ← man (›(Lehns)mann‹) (2050) st.M.
vnde geloben ouch an diseme briue / daz wir dise vorgenanten vnser manne der Manschaft ledig sagen sollen (Corp. 1919A, 191.22).
In der angegebenen Bedeutung liegen acht Belege des Lexems manschaft im Untersuchungsmaterial vor. Sie können mittels der Paraphrase (›Tatsache, dass jmd. Lehnsmann ist‹) als Abstraktbildungen identifiziert werden. Ein Beleg686 bezeichnet den ›Rechtsakt, durch den ein Lehns- oder Abhängigkeitsverhältnis begründet wird‹ (DRW IX: 154ff., s.v. Mannschaft I., 1) und trägt aus dieser Sicht i.S.v. ›Lehnsmannwerdung‹ Züge einer Vorgangsbezeichnung. Ein Beleg ist als Kollektivum zu interpretieren (vgl. manschaft2). Die verbleibenden 22 Belege bedeuten ›lehnsmäßiges Verfügungs- oder Besitzrecht‹ und können nicht über die Basis man motiviert werden, sie sind synchron als idiomatisiert zu betrachten (s.o.). meisterschaft2 (›Meisteramt, Meisterrecht‹): ← meister (1010) st.M. a) Wir bischof Walter zi Strazburc von gots gnaden tNn kvnt vch vnseren burgeren von Strazburc gemeinliche richen v] armen vnser ansprache, die wir hant gegen den, die sich meisterschefte v] des rátes zi Strazburc an nemment [»die sich [die Ämter] des [Bürger-]Meisters und des Rates anmaßen«, Regesten S. 1], v] iren gestándenen (Corp. 0054b = N 2A, 1.23). b) Chumt eines ledrer sun · zv rehter maisterschafft · des werches · er sol sein besunder ouz seines vatter gewærschafft niht wurken · er hab / daz vrloub / ê / von andern Maisteren · gewunnen (Corp. 3068, 313.44).
Vier Belege des Lexems meisterschaft erweisen sich als Abstraktbildungen. Drei Belege bezeichnen das Meisteramt (vgl. Beispiel a), ein Beleg das ›handwerkl. Meisterrecht‹ (Beispiel b). Zehn Belegen des Lexems kommt kollektive Bezeichnungsfunktion zu (vgl. meisterschaft1). metschaft* (›Recht, Met zu sieden und zu verkaufen‹): ← mete (7) st.M. _____________ 686 »…swenne die Manschaft bischihet…« (Corp. 2352, 461.38).
II.1.15. -schaft
367
Daz Dietle / vnd Johans / hern Dietln seligen sPne · vnd wîzli / wîzen seligen svn · einen krieg / vnd eine missehelli hattin / mit / Pnsern Bvrgerren · vmbe / iro / Metschaft · die kamen fPr vns · vnd bewârten da mit êreberen lPten · die dar vmbe vor Pns ze dien heiligen swGren · Swer zPrich dekeinen métte sPdet · den er verk?ft / sament / ald in schenket · ze deme zapfen · ald in von der stat / sendet alder fMrent · in dien meinon · daz man in verk?ffe · Dc der ist / dien vorgnanden · Dietelon · zwei pfvnden schuldig · vnd wizeline eines pfundes zPricher mPntze (Corp. 2149, 332.8).
Diese aufschlussreiche Textstelle zeigt die synchrone Motiviertheit von metschaft durch das Basissubstantiv. muntborschaft (›Vormundschaft‹): ← muntbor (›Vormund‹) sw.M. (Lexer I: 2234) Daz ich myt Rethe byn des NberkGmen / alse sGlche munparscaf alse ich hatte van pylippemans wegen myns styfsGnis (Corp. 3567, 612.24).
ritterschaft1 (›ritterl. Gesinnung‹): ← rîtære/ritter (1450) st.M. die herren / die grauen die vrien vnde die dienestman · von tivtscheme lande / an die got me éren mit romeschereme riche dc ob allen irdeschen kvnecrichen ist het geleit v] mere manheit/ V] vrumiger ritterschaft / v] kvnheit v] richeit libes vn mNtes / v] miltekeit des gNtes (Corp. 93, 138.12).
tôtvîentschaft (›Todfeindschaft, Totschlagfehde, Blutrache‹): ← tôtvîent (1) st.M.
Man sol vmb dehein totveintschaft weder rauben noch prennen / Swer daz tæt der sol den schaden gelten - als vor vmb Andern schaden geschriben ist (Corp. 1274A, 517.13).
Das Lexem tôtvîentschaft ist korpusintern über das Basislexem tôtvîent motivierbar. Die Bildung bezeichnet das Verhältnis zwischen bzw. das Verhalten von Todfeinden, das sich mittels der standardisierten Paraphrase ›Tatsache, dass jmd. jmds. tôtvient ist‹ auf Wortbildungsebene beschreiben lässt. Nicht völlig auszuschließen ist die Möglichkeit, dass es sich um ein Determinativkompositum mit tôt st.M. als Erstglied handelt. Die Bedeutung wäre dann ›Feindschaft, die auf den Tod zielt‹. Eine rein taxierende Bedeutung von tôt i.S.v. ›sehr große Feindschaft‹ halte ich aufgrund der vorliegenden rechtssprachlichen Terminologie für nicht gegeben. vîentschaft (›Feindschaft‹): ← vîent (vîant, vînt) (96) st.M. Wolte ?ch dehein burger des andern burgers vient sin von dis gerihtes schulden / den sun alle die burger schirmen vor des vientschaft (Corp. 26A, 50.29).
vluorschaft (›Gerichtsbarkeit über die zu e. Flur gehörigen Grundstücke‹): ← vluor (5) st.M. Vgl. den Beleg bei hirtschaft. vormuntschaft: ← vormunt (5) sw.M.
Avch schvlen dem selben Convente / vnde den vrowen / her Wicger vor der BNrc · her Anshalm der Melmeister · vnde CNnrat von Banze / daz vorgenante
II.1. Derivationstypen
368
GNt ze klãcawe tragende sin / vntz daz ez dem selben Convente / von dem Bischoffe zv Babenberch / rehte vnde gentzlichen wirt geeigent · swenne daz geschiht / so hat ir vormvntschaft ein ende (Corp. 2520, 556.33f.).
vriuntschaft (›Freundschaft, Freundschaftsbündnis/-vertrag, Verwandtschaft): ← vriunt (›Freund, Verwandter‹) (839) st.M.
…vnd habn des bedenthalben gesworen / daz div vrevntschaft / vnd div sNn / als oben geschriben ist / stæt / v] gantz beleib an allen vnderpvnt / an als vil / als wir bedenthalben mit worten gein ein ander avz genomen haben… (Corp. 2934, 225.4).
In allen Kontexten erweisen sich die Belege des Lexems vriuntschaft als Abstraktbildungen. Auch die gelegentlich belegte Bedeutung ›Freundschaftsvertrag‹ (vgl. Textbeispiel) kann – verstanden als Freundschaft auf politischer Ebene – als abstrakte Bezeichnungsfunktion aufgefasst werden. B. Kollektiva (BS-schaft2): ›alle BS‹ Lexem bruoderschaft1 bûrschaft2 gebûrschaft genôzschaft1 geselleschaft1 heidenschaft hêrschaft1° hûsgenôzschaft manschaft2 meisterschaft1 ritterschaft2 selleschaft swesterschaft Gesamt
Belege
alem
bair
wmd
IR1
Kg
nd
Rest
19 1 18 7 11 1 45 (177°) 1 1 10 1 1 1 117 (249°)
2 16 3 2 40 4 67
4 1 1 9 5 1 1 2 1 25
11 1 3 15
2 1 1 4
3 1 4
1 1
1 1
Während Piltz (1951: 33) erst für das Nhd. von einer selbständigen Funktion von -schaft als Kollektivsuffix687 ausgeht, kommt Wellmann (1969: 164f.) in seiner Dissertation zu dem Ergebnis, »daß -schaft schon im Spätmhd. und nicht erst im Nhd. in der Bildung von Kollektiven produktiv geworden ist.« Er erbringt dafür den Beweis durch eine Reihe ›primärer Kollektiva‹, also Bildungen für die keine abstrakte Funktion nachweisbar _____________ 687 Man erklärt sich die Entwicklung der kollektiven Bedeutung von -schaft-Bildungen aus der metonymischen Übertragung desubstantivischer Abstrakta. Vgl. dazu Piltz (1951: 34): »Der kollektive Gebrauch ergibt sich fast zwangsläufig in allen Abstrakten, die ein Verhältnis von mehreren Personen zueinander, ein Beisammensein irgendwelcher Art bezeichnen.«
II.1.15. -schaft
369
ist. Von den von Wellmann (a.a.O.: 165) genannten Bildungen ist jedoch keine in den Urkunden belegt. Im Korpus sind acht Bildungen (61,5%) mit entsprechenden Abstraktbildungen polysem, die Belegzahl ist jedoch nur im Fall von manschaft geringer als bei den Abstraktbildungen. Für die verbleibenden sechs Derivate (gebûrschaft, genôzschaft, heidenschaft, hûsgenôzschaft, selleschaft, swesterschaft) ist synchron die abstrakte Verwendungsweise zumindest nachweisbar688, wenn sie auch nicht immer die Hauptbedeutung der Lexeme darstellt. bruoderschaft1 (›(geistl. oder weltl.) Bruderschaft‹): ← bruoder (5350) st.M. Qvemit also dat einich man van Nnser brGderschaffe / iemanne sin gewant borgede / ove geborgt hette… (Corp. 53, 86.17).
Der angeführte Beleg steht stellvertretend für viele andere aus Urkunde 53, einem Statut der Kaufmannsgilde vnder den geddemen (bei der Marspforte am Heumarkt in Köln). In der Urkunde liegt bruoderschaft sowohl in abstrakter (fünf Belege) als auch in kollektiver Bezeichnungsfunktion (zehn Belege) vor und ist somit die Hauptquelle der Belege des Derivats (30,5% der Gesamtbelege). Im Urkundentext werden die Mitglieder der Gilde genannt, was die unmittelbare Motiviertheit der Bildung durch das Basissubstantiv beweist. bûrschaft (›Bauerschaft: Verband v. Angehörigen e. Dorfgemeinde‹‹): ← bûr(e) (3) sw.M. …ein chriech der was zwischem der pawerschaft der gemain von MMndreiching… (Corp. 2122, 317.19).
gebûrschaft (›Bauerschaft‹): ← gebûr (61) st.sw.M. …daz Wir und die geburscaft uon deime dorf zu herde uber ein komen sin / umbe die missehulle die uuir haten. Vmbe daz uisseWazer zu RemesWinkele… die hant uns also gesceiden daz daz nider teil des Wazzers hie Vorgenant ist remesWinkel des closters ist inmerme Ledeliche biz inden dribenden rin. Vnd daz ober teil des selben Wazzers des uorgenanten closters und der gebure eine gemene almende! (Corp. 439, 387.22).
Als Kollektivbildung zu gebûr konkurriert im Korpus die nur alem. belegte -same-Bildung gebûrsame (10). genôzschaft1 (›Gesamtheit der Standesgenossen‹): ← genôz (›Standesgenosse; Angehöriger‹) (79) sw.st.M. …doch daz er von werfe / daz er vnschuldig si/ daz der anevang sin niht inwere des slahinnis / dem selbin sol men sines gGttis niht nemin / vnde sol in gesúnt vnde ganz wider setzin alz e / indie reht v] indie gen?zschaft der andern burger (Corp. 1653, 779.18).
Bis auf einen abstrakten Beleg werte ich die sieben weiteren Belege des Lexems genôzschaft als Kollektivbildungen. Sie bezeichnen alle eine Ge_____________ 688 Dies zeigen die entsprechenden Einträge bei Lexer und im DRW.
II.1. Derivationstypen
370
meinschaft oder einen Stand gleichrangiger Personen689, seien es Bürger, Handwerker oder die Grundholden eines Grundherrn.690 Interessant ist die Verwendung der Bildung innerhalb von Heiratsbeschränkungen, die im Korpus hinsichtlich der letztgenannten Personengruppe bezeugt ist. Ein genôz darf nur innerhalb seiner genôzschaft heiraten. Heiratet er widerm rehten wissentlich eine ungenôzinne so hat er ûz der genosschaft gegriffen (vgl. Urkunde 2311). geselleschaft1 (›Vereinigung, Personengruppe, Gremium‹): ← geselle (›Geselle, Gefährte‹) (59) sw.M. wir gebieten auch vleizzichlich vnd vleizzichlicher · daz von der gemaine der stat zv dem rat werden erwelt zwainzik man · in der geselleschefte sei der Rihter von der stat (Corp. 2345, 454.45).
Die Bildung geselleschaft ist elfmal in kollektiver Bedeutung im Korpus belegt. Die Motivation über das Basissubstantiv ist durchwegs gegeben, da Mitglieder eines Gremiums in den Urkunden als gesellen bezeichnet werden können (vgl. WMU I: 671). heidenschaft (›Heiden, Ungläubige‹): ← heiden (10) st.M.691 vnde werez also daz er sines gutes nicht geniezen mochte von heidenschaft wegen · oder svs von vnrechter gewalt (Corp. 777, 150.16).
hêrschaft1° (›Herrschaft‹): ← hêrre (ca. 17700) sw.(st.)M. …dar vmg das alle Missehellunge vnderwegen blibe zwûschent der Herschaft/ allen Edeln Lûten / vnsern BFrgern von Baden / v] dem Closter / der ein teil vnder Pns ufgestanden ist… (Corp. 1047, 361.6). Wand di gemaine vnserre liben getriwen · reicher · vnd armer · der Purgær ze Wienne mit rehten triwen / vnd mit gantzær stætichait ir Herschaft FGrsten · Hertzogen · vnd ze voderist vnserm herren · vnd vnserm Vater ChGnich RGdolfen · dem R=mischen ChNnige · vnd auch vns vndertænich ist gewesen (Corp. 2345, 452.16).
Die Mehrzahl der Belege des Lexems hêrschaft692 bezeichnet im Korpus die Gesamtheit der Herrschenden. Im Einzelfall ist es jedoch schwierig, zu entscheiden, ob nur eine Person, dann mit idiofunktionaler Bedeutung des Suffixes -schaft, oder eine Personengruppe gemeint ist. In einigen Fällen gestaltet sich auch die Abgrenzung zur lokativen Bedeutung (vgl. hêrschaft2) problematisch. _____________ 689 Mein Vorgehen entspricht hier dem von Brendel et al., die bei Standesbezeichnungen zwischen der Bezeichnung eines Ranges (= abstrakt) und der Bezeichnung ›Stand der BS‹ (= kollektiv) unterscheiden. 690 In der zitierten Urkunde 1653 wird genôzschaft mehrere Male jedoch ohne erkennbaren Unterschied neben gemeinschaft gebraucht. 691 Zur Form der Basis vgl. PWG (1998: §187 Anm.3). 692 Zur Etymologie vgl. hêrschaft3 (-schaft1).
II.1.15. -schaft
371
hûsgenôzschaft (›Hausgenossenschaft‹): ← hûsgenôz (›Mitglied e. Hausgemeinschaft‹) (68) sw.st.M.
…daz wir mit vnser lieben brFder gvnst Lvdwigs vnd Stephans / den bescheiden Purgern den MMnzærn ze Regenspurch erchant haben v] erchennen / div reht an der Havsgnozschaft div si von vnsern vor vodern vntz her gehabt habent (Corp. 2237B, 380.29).
Im zitierten Beleg bezeichnet das Lexem hûsgenôzschaft den ›Verband der Angehörigen einer Münzerhausgenossenschaft‹ (WMU II: 907) in Regensburg. Die Basis hûsgenôz ist mehrmals in der Urkunde belegt. manschaft2 (›Hörige, Zinsleute‹):← man (›(Lehns)mann‹) (2050) st.M. wir tNn chvnt…allen LeNten / daz wir fridreichen von Stubenberch…gezaiget Haben avf vnser ManscHaft ovf Pei der MNre v] zetal / swo er die ervert / die svln im geHorsam sein / aNf die zeit / vntzen er sich gewert sogetanes GNtes als wir im schvldich sein… (Corp. 543, 479.20).
meisterschaft1: ← meister (1010) st.M. Vnd were daz der Conuente dere selben swesteron von Diessenhouen alder kain sin Maisterschaft dur kain nôt alder ordinunge diz selgeret verk?ffen woltint alder wadelon… (Corp. 2178, 348.14).
Die kollektive Bedeutung von meisterschaft ist nicht immer so deutlich erkennbar wie im obigen Textausschnitt. Aufgrund der Kontexte kann nicht immer zweifelsfrei entschieden werden, ob die -schaft-Bildung eine Personengruppe oder eventuell nur eine Einzelperson bezeichnet, dem Suffix käme dann keine Funktion zu. Die kollektive Lesart scheint mir in allen Fällen jedoch die wahrscheinlichere und wird für zehn Belege angenommen. ritterschaft2 (›Angehörige e. Ritterordens‹): ← rîtære/ritter (1450) st.M. …BrGder Frideriche Maister weilent des Ordens vnd der Ritterscheft von dem Tempel... (Corp. 2223, 373.12).
selleschaft (›Gesellschaft, Gefolgschaft‹): ← selle (1) sw.M. [geselle (59)] Dese bref wart gegeuen to elmenhorst vnder Rauensberge / na vnses heren godes bort / dusent iar / twe hundert iar vnde twe vnde negentich iar in deme Heiligen dage sunte mauricius vnde siner selleschaft (Corp. 1629, 761.42).
Der im Korpus nachweisbare Beleg des Basissubstantivs selle tritt nur in einem Personennamen in einer Brixener Urkunde auf. Das präfixlose Substantiv ist jedoch als Appellativum bei Lexer nachweisbar (II: 866). Für den Belegraum der Bildung selleschaft, dem Nd., sind bei Lexer jedoch keine Belegstellen verzeichnet, hingegen verzeichnet das Mittelniederdeutsche Wörterbuch von Schiller-Lübben (IV: 183) selle ›Geselle‹ mit einem Beleg aus dem Jahr 1381.693 _____________ 693 Laut den Angaben des DWB (16: 540) ist selle auch »in neuerer zeit nur für das nd. bezeugt.«
II.1. Derivationstypen
372
swesterschaft (›geistl. Schwesternschaft‹): ← swester (›(Ordens)schwester‹) (1030) st.sw.F.
Do swester agnes von Lutzingen æbtissin des Chlosters ze Obern sch=nenvelt in der Rischenav vnd der Convente der selben frowen Mberal sand Bernhartes ordens min Tohter agnesen durch got enphiengen in den selben orden vnd in ir swesterschafft… (Corp. 3543, 601.12).
C. Abstrakta (BV/BV[part]-schaft3): ›Tatsache, dass jmd. (jmdn.) BV‹ Lexem betwungenschaft gewerschaft12 geziugschaft lêhenschaft2 werschaft2 wizzenschaft Gesamt
Belege
alem
bair
alem-schw
IR1
IR4
ofrk
omd
nd
1 1 2 20 5 3 32
1 1 3 3 8
1 16 17
1 1
1 1
1 1
1 1
2 2
1 1
betwungenschaft (›Zwang‹): ← betwingen (58) st.V.[part] Uvjr Albreht von gottis gnaden dir Abbit von Owe · v] ich RGdolf dir Giel · Wæren taidinger / v] schaitlivte / von baiden tailen willecliche v] vriliche v] ane alle betwngenschaft vsirwelt (Corp. 333, 318.30).
Alle im Korpus zum Verb betwingen gebildeten Lexeme weisen eine Ablautstufe des starken Verbs der Ablautreihe III auf (vgl. betwancnisse, betwancsal, betwungnust).694 betwungenschaft ist die einzige Bildung, die die Form des Partizips Präteritum aufweist. Im Kontext erweist sich das Lexem als Verbalabstraktum, von einem Zustandsabstraktum i.S.v. ›GezwungenSein‹ ist hier wohl nicht auszugehen.695 gewerschaft12 (›Bezahlung‹): ← gewern (46) sw.V., wern2 (828) sw.V. …das si herre Chvnrat der vor genante lutpriester hette des sehste halben phvndes phenninge gar gewert, vnde virihahen, das die selben phenninge werent komen in iren nvz. Her ane bedv andeme kovfe vnde ander gewerschaft was herre Chvnrat… (Corp. 1198a = N 426, 316.43).
geziucschaft (›Bezeugung‹): ← geziugen (17), ziugen (8) sw.V. a) v] daz der selbe Graue Cħnrat den selben helme mit der ynfel wol vrilich gevFren mvge / als wir in vFren · v] gevFret haben / so haben wir im ze einer
_____________ 694 Interessant ist hierbei auch das korpusintern belegte Adverb betwungenlîche ›zwangsweise‹. 695 Das DRW (II: 315, s.v. Bezwungenschaft) führt nur den zitierten Beleg des Urkundenkorpus ohne eine weitere Bedeutungsangabe. Piltz (1951: 31f.) geht von einer zuständlichen Bedeutung ›Gezwungensein‹ aus, während Lexer (TWB: 19) betwungenschaft und betwungnust mit der Bedeutung ›Zwang‹, betwungenheit und betwungnisse (I: 246) mit der Bedeutung ›Bezwingung‹ führt.
II.1.15. -schaft
373
gezivkschaft gegeben disen brief/ gezeichent mit vnserm insigel… (Corp. 788, 157.16). b) Wir wellen avch daz disez geschefte also stete belibe vnd vnzerbrochen allewege / di wil wir niht mit andern briven / vnd mit gNter gezivgschaft div vorgenanten dink gewandelt haben / vnd der wandelvnge wellen wir alleweg gewalt haben (Corp. 3368, 489.20).
Die Bildung geziucschaft ist vermutlich als idiofunktionale Bildung zu geziuc (2100) u.a. ›Zeugnis, Zeugenbeweis‹ st.M. entstanden, da die Verben geziugen und ziugen im Gesamtmhd. vor 13. Jh. kaum belegt sind696 bzw. das Verb geziugen ausschließlich md. belegt ist.697 Dennoch ziehe ich aufgrund der bedeutungsgleichen Verwendung mit anderen eindeutig deverbal aufzufassenden Bildungen zur Wurzel -ziug- die synchrone Motivation über das Verb vor, zumal viele mit anderen Suffixen gebildete Lexeme sowohl die präfigierte als auch die unpräfigierte Form aufweisen, der Bezug auf ein unpräfigiertes Verb also in jedem Fall gegeben ist.698 Der zweite zitierte Beleg (b) ist schwierig zu interpretieren. Er kann bei verbalem Bezug sowohl als Nomen actionis aufgefasst werden als auch als persönliches Agentivum bzw. bei sächlichem Bezug auch als Instrumentativum. Im Falle von substantivischem Bezug ist auch kollektive Lesart möglich. lêhenschaft2 (›Belehnung‹): ← belêhenen (11), lêhenen (9) sw.V. Disiv sazzvnge / v] disiv lehenschaft beschach ze kostinze… (Corp. 528, 460,46).
20 Belege des Lexems lêhenschaft liegen in der Funktion eines Vorgangsabstraktums im Korpus vor. Semantisch kann die Motivation über die Verben belêhenen und lêhenen erfolgen, weshalb das Derivat als eigenständige Bildung behandelt wird (vgl. lêhenschaft11). Es bestehen jedoch Abgrenzungsschwierigkeiten zu lêhen (1900) st.N., das selbst schon i.S.v. ›Vergabe von Lehen‹ gebraucht werden kann (vgl. WMU II: 1109ff.). Daher ist in diesem Fall ein idiofunktionaler Gebrauch des Suffixes -schaft nicht völlig auszuschließen (vgl. lêhenschaft12 ›Lehen‹). werschaft2 (›Bezahlung‹): ← wern (828) sw.V. Jch sol sú och von sant Johannes tult dc nu kumet úber ain iar ?ch weren sibenzehen Marche v] dannan Pber ain iar sehzehen Marche v] die zwo nahngenten werschefte stant in dem selben gedinge v] mit dem selben gedinge als dú erste (Corp. 701. 107.9).
wizzenschaft (›Wissen‹): ← wizzen (762) an.V. _____________ 696 Vgl. Dittmer (1989: 57 bzgl. geziugnisse; S.58 bzgl. geziugunge). Im Korpus ist ferner geziucsame belegt, auf das das hier Angemerkte ebenfalls zutrifft. 697 Der Korpusbefund und die Angaben bei Lexer (I: 1005) decken sich hier. 698 Vgl. -nisse: beziugnüsse, geziugnisse, ziugnüsse; -unge: beziugunge, erziugunge, geziugunge, ziugunge; -same: geziucsame, ziugsame.
II.1. Derivationstypen
374
Das Lexem wizzenschaft wird im Korpus unterschiedslos neben der Konversion wizzen (62) st.N. und der oft belegten -ede-Bildung wizzende (142 Belege; s.d.) gebraucht. Die drei Belege des Lexems treten in der Präpositionalphrase mit (iemanes) wizzenschaft auf und bedeuten ›Wissen, Genehmigung‹. Zwei Belege zeigen die Form des Infinitivs699, ein nd. Beleg scheint sogar zum Verbstamm gebildet (verschrieben für nd. witscap?, vgl. DWB 30: 781). Aufgrund der Beleglage kann natürlich eine idiofunktionale Bildung zum substantivierten Infinitiv wizzen nicht vollkommen ausgeschlossen werden.700 Aufgrund der Motivierbarkeit über das Verb soll wizzenschaft wie wizzen und wizzende jedoch als Bildung mit semantischer Eigenprägung betrachtet werden. D. Lokativa (BS-schaft4): ›Gebiet von BS; Verwaltungsbereich von BS‹ Lexem grâveschaft hêrschaft2° lantgrâveschaft meierschaft Gesamt
Belege
alem
bair
42 17 (67°) 1 1 61 (111°)
14 6 1 21
15 4 19
alemwmd schw 2 9 1 2 10
IR1
Kg
ofrk
nd
1 1
2 2
5 5
1 1
Vier Lexeme sind im Korpus zur Bezeichnung einer räumlichen Einheit verwandt. Als Basen fungieren Substantive, die eine Amtsperson bezeichnen, also jemanden, dem von Berufswegen bestimmte Gebiete oder Güter zur Verwaltung unterstellt sind. Aus dieser Bezeichnung von Zugehörigem statt Zusammengehörigem701 konnte sich die Verwendung der -schaftBildungen als Raumbezeichnungen entwickeln. grâveschaft (›Grafschaft‹): ← grâve (2410) sw.M. a) Her vber het daz gotzhus V] min herre der abbet. Die Graueschaft zwischent Velleturlin · v] Swigenstein · ane die NNn hNben · die ze Olesbach ligent / Die Vmbe die selbe Graueschaft gewihselt wurdent · v] swer entzwischent dizen zwein ziln · Velliturlin v] Swiginstein blibet Jar v] dag ane nahvolgenden vogit · der sol alder rehte gehorsam sin · alse ein gotzhvsman ze rehte sin sol. Vert och ein vr=mede man Durch daz eigin zwitschent Velliturlin v] Swigenstein v] begrifet in der dot · da entzwitschent · so sol sich daz gotzhus v] min herre der abbet sines gNtes vnderwinden · v] sol daz behalten iar v] dag (Corp. 244B, 242.40).
_____________ 699 Vgl. Wilmanns (1899: 392) und ferner Kluge (1999: 895), wo Wissenschaft (14. Jh.!) als »Kollektivbildung zu dem Infinitiv mhd. wizzen« angesehen wird, die »zunächst nur als allgemeineres Wort für ›Wissen‹ gebraucht« wird. 700 Vgl. Paul (1920b: 84): »[…] wohl zunächst an den substantivierten Inf. angelehnt […].« 701 Vgl. Wellmann (1969b: 163f.).
II.1.15. -schaft
375
b) …daz dehain Avzman dehainen Bvrger vz der Stat vf dehain lantgeriht vmb dehainer hand sache geladen oder gedwingen mack / ez si dann vmb aigen oder vmb lehen / daz in der grafscheft vzzerthalb der Stat lit (Corp. 1975A, 230.33).
Die Belege des Lexems grâveschaft lassen in allen Kontexten vorwiegend lokative Bedeutung erkennen. Auch in Textstellen, für die das WMU (I: 758) die Bedeutung ›gräfl. Rechte‹ (Beispiel a) oder ›Gerichtshoheit, Gerichtsbezirk‹ (Beispiel b) ansetzt, kann grâveschaft als Lokativum interpretiert werden. Die klare Trennung einer lokativen von einer eventuell noch vorhandenen abstrakten Bedeutung des Lexems »amt und würde eines grafen, seine herrschafts- und gerichtsrechte über land und leute« (DWB 8: 1726) ist aufgrund unserer Kontexte nicht möglich. Ich werte deshalb alle Belege als Lokativbildungen. hêrschaft2° (›Herrschafts-, Macht-, Gerichtsbereich‹): ← hêrre (ca. 17700) sw.(st.)M. Ez sol auch der Hertzog / vns / vnser Capitel vnser stat vnser gedigen / vnd swaz zv in geh=rt / in sinen landen vnd siner herschafft / vf strazzen vnd vf wazzern schirmen vor gewalt vnd vor vnreht / als verre er mack ane geværde (Corp. 2703, 88.16).
lantgrâveschaft*: ← lantgrâve (154) sw.M. Die lantgraschaft zeElsaza · sit si des von erst mit willen vber ein kamen · daz die graue Albreht vnde graue RGdolf nit enteilten · so sun si die gemeine han · die wile si leben · si enkomen denne iht anders mit willen vber ein (Corp. 6, 21.28).
Im Wesentlichen trifft auch hier das unter grâveschaft Angemerkte zu. Eine sichere Trennung zwischen den Bedeutungen ›Amt‹ oder ›Herrschaftsgebiet‹ eines (Land)Grafen ist nicht ohne verbleibenden Zweifel möglich. Der Kontext spricht m.E. jedoch für die Klassifizierung als Lokativum. meierschaft (›Verwaltungsbereich e. Meiers, Meierhof‹): ← meier (›Gutsverwalter‹) (381) st.M. vmme tweinge / v] vmme werren / die lange twischen en hevet gewesen vmme gGt / v] gelt des gotdehuses dat dar hort an er meyerscap / tN westeregelen v] tN Edekersleue mit den vmmegelegene dorpen die dar in horet… (Corp. 1310B, 547.34).
E. Abstrakta [DM] (BS/BV-schaft5): ›Tatsache, dass jmd. BS ist/BV‹ Lexem erbeschaft1 gewerschaft11 werschaft1 Gesamt
Belege 20 32 34 86
alem
bair
12 26 38
6 23 29
alemwmd schw 1 3 2 1 2 5
IR1 6 6
ofrk 1 3 4
IR3
IR5
1 1
1 1
II.1. Derivationstypen
376
erbeschaft1 (›Erbberechtigung, Erbschaft‹) a) Vnd Otte ir sun der vorgenande / enzech sich der erbeschaft / des selben huses / wand es erbe was von dem vorgenanden Gotzhuse der Abtei (Corp. 2386, 479.45). b) …daz wir vns vmb di vor genanten tausent march verzeichen v] verzigen habn fGr vns vnd fNr vnser erben aller der erbscheft, di vnser hausvrTe di vorgnant v] ouch vnser erben solten oder mochten haben vf leut oder vf gGt oder vf vesten… (Corp. 1011a = N 367, 275.9). c) …v] gaben die vorgenanden / her RGdolf von Lvnkvft v] Heinrich sin svn den der selbe hof an horte von erbschefte sinr mGter / willeklich v] vmbetwungenlich / vf an Pnser hant / mit all) dem so dar zN geh=rt… (Corp. 3098, 327.23).
Die Einordnung des Lexems erbeschaft gestaltet sich sehr schwierig. Die Kontexte erlauben es, das ursprünglich zum Neutrum erbe gebildete702 und teilweise semantisch mit diesem identische Lexem in seiner Hauptbedeutung ›Erbberechtigung, Erbschaft‹703 sowohl auf das Neutrum erbe (779) (›Recht auf erbe‹), das Nomen agentis erbe (3750) (›Recht, erbe zu sein/Tatsache, dass man erbe ist‹)704 als auch auf das schwache Verb erben (216) (›Recht, zu erben‹) zu beziehen.705 Ich behandle das Lexem als durch Substantiv(e) und Verb doppelmotivierte Bildung, ohne die beiden motivierenden Basissubstantive zu unterscheiden. Lediglich zwei abstrakte Belege scheinen besser durch das Verb motivierbar, werden aber nicht gesondert behandelt (vgl. Beispiel c). Vier Belege sind als Patientivbildungen auf das Verb zu beziehen (vgl. erbeschaft2). gewerschaft11 (›Gewährschaftsleistung, Bürgschaft‹): ← gewer (309) sw.M., gewern2 (46) sw.V. Piltz (1951: 29) betrachtet das Lexem gewerschaft als deverbale Bildung, und auch laut Wilmanns (1899: 391) legt seine Bedeutung den Bezug auf ein Verb näher.706 Der Korpusbefund zeigt jedoch, dass als zusätzliche Motivationsbasis auch das sw.M. gewer ›Gewähre‹ berücksichtigt werden muss. In fast 73% der Belege ist gewer im unmittelbaren Kontext von gewerschaft nachweisbar, das Verb (ge)wern dagegen kaum (vgl. aber werschaft1). Die folgenden Kontexte veranschaulichen gut den zusätzlichen substantivi_____________ 702 Vgl. Wilmanns (1899: 391). 703 Vgl. Piltz (1951: 42): »Erbschaft ist im Mhd. und Nhd. bis ins 17./18. Jh. als »Erbrecht, Erblichkeit« ganz geläufig [...].« (Kursivdruck im Original unterstrichen) 704 Vgl. auch Döring/Eichler (1996: 209f.). 705 Brendel et al. (1997: 422) behandeln erbschaft als Verbalabstraktum, räumen jedoch Doppelmotivation durch das Basissubstantiv erbe (dem Bespielbeleg nach zu urteilen ist das Nomen agentis gemeint) ein. 706 Wilmanns (1899: 391) erwähnt neben der Beziehung auf das Verb gewërn jedoch auch das korpusintern nicht belegte gewëre st.F. als zweite mögliche Basis (gemeint ist vmtl. gewër ›Gewähr, Sicherstellung, Bürgschaft‹ st.F., vgl. Lexer I: 984).
II.1.15. -schaft
377
schen Bezug und die mögliche Interpretation von gewerschaft i.S.v. ›Gewähre-Sein‹: Vnd schMllen der selben gNt gewer sein als dez lantz reht ist / dez vorgnanten Gotzhovs ze Ranshoven fFr allev ansprache dez selben aigens / GestFnd aver wár in der gwerschaft ab / so solten wár in den schaden ab tNn den si do von enphiengen (Corp. 3422B, 521.2). …vnd lob avch / gwer / vnd schermer sein des selben aigens / des vor genantens chlosters iar vnd tag / nach lontz recht…ging in icht auch ab / an meiner gewerschaft / vnd an meinem scherm / des selben aigens / daz schvllen si avch haben / auf dem selben meinem hof datz aw (Corp. 3071, 315.23).
werschaft1 (›Gewährschaftsleistung, Bürgschaft‹): ← wern (828) sw.V., wer (413) sw.M.
a) v] sPln dez selben GMtes / Pnser herren / her Jacob v] her RNdolf gebrMder / von warta / frigen wern sin vor allem gerihte / geischlichem v] weltlichem /…wir enzihen Pns ?ch aller der ansprach allez dez vszihens / aller der gewonheit / v] alles dez rehtes / geschribens v] gewonliches / da mitte wir den vorgenanden k?f / v] werschaft widerzihen m=htin (Corp. 2105, 309.11). b) …gelobe wir in des gGtes ze werne…v] daz sie deste sicherre sin, dar vmbe so setze wir in ze burgen die erberen rittere hern Friderichen von Tanne v] hern Lúpolten von Seldeneke v] hern Heinrichen von Horenburc vnsern brGder. Dise dri vor genanten búrgen hant fúr vns gelobet vnverscheidenlichen v] wir mit in, obe wir die vor genanten werschaft niht volle brehten als wir gelobet han, daz… (Corp. 1495a = N 510, 366.5).
Zur Motivation über das Verb (ge)wern gilt das unter gewerschaft Gesagte. Das zu jeweils unpräfigierten wer und wern gebildete werschaft1 zeigt im Gegensatz zu gewerschaft neben dem substantivischen Bezug (Beispiel a) des Öfteren auch verbalen Bezug (Beispiel b). In der Bedeutung ›Bezahlung‹ werte ich werschaft als rein verbal motivierte Bildung. Die polyseme Bedeutung von wern ›zahlen, geben‹ ist von der Bedeutung ›gewährleisten, sichern‹ zu trennen. Hier kann auch keine Motivation über das Basissubstantiv erfolgen. Die so motivierten werschaft-Belege werden gesondert erfasst (vgl. werschaft2). F. Idiofunktionalia (BS-schaft6): ›BS‹ Lexem gewerschaft2 lêhenschaft12 phantschaft Gesamt
Belege 1 18 6 25
alem
bair
6 6
1 9 5 15
alemschw 1 1
IR1
ofrk
1 1
2 2
II.1. Derivationstypen
378
gewerschaft2 (›Besitz, Besitzrecht‹): ← gewer1 (390) st.(sw.)F.
In der angegebenen Bedeutung ist gewerschaft nur einmal belegt. Ich betrachte das Lexem hier als idiofunktionale Bildung zum st.F. gewer ›Besitz, Besitzrecht‹.707 Der Vergleich der folgenden Kontexte macht die Funktionslosigkeit von -schaft deutlich. Ein Motivationsbezug auf eine andere Basis ist nicht gegeben. …allez daz gFt daz siv / vnd daz closter ce cwetel in gewerschaft hat / an disem heutigen tage… (Corp. 3225, 400.37). …vmbe ain ligend' gNt · das sie vnfersproliche hant · ingewalt vnde ingewer… (Corp. 283, 285.24).
lêhenschaft12: ← lêhen (1900) st.N. …vm ettlich lehenschaft / der mein vordern / von dem vorgenantem gotshouse ze Chyemse iahen / vnd da ouch ich mir vnd meinen erben nah gesprochen vnd gechrieget han / also / daz man mir von dem selben gotshouse / immer am dritten iar / ein pfærit solt geben haben / zerlegt vnd gescheiden ist / mit s=lher bescheidenheit / daz ich gesten vnd gestanden bin / willichlichen vnd vnbetwungenlichen / an meiner stat / meiner erben / vnd meiner vrivnt / von allem dem reht / vnd ouzzen mich sein / daz wir an der vorgenanten lehenschaft vnd chrieg als vil gaistlich vnd werltlich reht vns gesagen mag / haben solten vnd m=hten (Corp. 3458, 544.37ff.).
In der zitierten Textstelle geht es um die turnusmäßige Vergabe eines Pferdes in jedem dritten Jahr innerhalb eines Lehensverhältnisses. Der Kontext legt es nahe, das eingeforderte Pferd als die lêhenschaft selbst anzusehen, an Stelle der -schaft-Bildung könnte auch das Simplex lêhen stehen. Das Suffix trägt in diesem Fall keine erkennbare Funktion. 17 weitere Belege habe ich gleichermaßen als idiofunktionale Bildungen analysiert. Die Abgrenzung vom abstrakten lêhenschaft11 (vgl. -schaft1) ist dabei nicht immer eindeutig zu vollziehen. phantschaft (›Pfandverhältnis?, Pfand‹): ← phant (209) st.N. Jch tvn iv chvnt an disem prive / daz ver ChMnegunt hern Hermannes Hausvrow von HÖlmsrÜvt / sich hat verzigen an dem Hove ze vlmsdorf eigenschefte vnd phantschefte / vnd swaz sie daran ræhtes hete (Corp. 300, 294.32). …vnd han im da fur geantwrt ein pfant in sin gwalt / da er daz gGt vffe sol haben · vnd benenne vf daz pfant / daz ist min tail des Purchstals ze Chalhaim / da der stainin Tvrn vffe lag / vnd dar zN akkher / holtz / vnd stain / versuht vnd vnversuht / vnd ander swaz der zN geh=rt. Jch benenne ouch zN der selben phantschaft / min gGt datz Atzenpuhel / v] wintzperch… (Corp. 1080, 380.41).
Aussagen über die Bildungssemantik des Lexems phantschaft sind anhand der Kontexte des Urkundenkorpus schwierig. Das DRW (X: 728ff., s.v. _____________ 707 Viele Wörterbücher (z.B. DWB, DRW, WMU) unterscheiden bei ihrem Lemmaansatz nicht zwischen den homonymen Bildungen gewërschaft ›Gewährleistung, Sicherstellung‹ und gewerschaft ›rechtskräftig gesicherter Besitz‹ (vgl. Wilmanns 1899: 391).
II.1.15. -schaft
379
Pfandschaft II) spricht der Bildung neben der Bedeutung ›Pfand‹ (vgl. WMU II: 1377f.) u.a. die ›Allgemeine Bezeichnung der verschiedenen Ausformungen eines Pfandverhältnisses‹ zu (mit Beleg aus Urkunde 300). Problematisch ist hierbei jedoch die Abgrenzung von der Nullableitung phant, die in vergleichbaren Kontexten auftritt, wie das folgende Beispiel zeigt: …vnt hat sich verzigen alles des Rehtes / vnt ansprache / di er / oder sin Erben / von pfant/ oder von Lehenschaft / oder von Hantvest/ Bischolf Eberhartes / oder Bischolf philippen/ oder dehaines Bischolfes / auf den zehenten/ vnd D=rfern / gehaben m=hte (Corp. 854A, 204.3).
Das Bestehen eines Pfandverhältnisses kann sowohl durch das einfache phant als auch durch phantschaft ausgedrückt werden. Dem Suffix -schaft kann dadurch keine Funktion zugesprochen werden. G. Agentiva (BA-schaft7): ›jmd./etw., der/das BA ist‹ Lexem bereitschaft gemeinschaft1 gereitschaft Gesamt
Belege 13 9 1 23
alem 2 4 6
bair 8 1 9
alem-schw 1 1
IR1 1 1 2
IR4 1 1
Kg 3 3
ofrk 1 1
Alle hier verzeichneten Bildungen können als kollektive Subjektbezeichnungen708 verstanden werden. Die Bildungen sind primär agentiv aufzufassen, auch wenn sie eine Personengruppe (gemeinschaft) oder eine Anzahl von Gegenständen (be-/gereitschaft) als Subjekt der Prädikation thematisieren.
bereitschaft (›Bargeld; Ausrüstungsgegenstand‹): ← bereite (77) Adj. a) Fvret aber ein man bereitschaft in sime gute der git niht da von man sagez dem zolner oder niht (Corp.548A, 484.14). b) v] sol man inden MMlinon / vinden alle bîeraîtschafth / ane bîvtel · v] ane sib (Corp. 1262, 504.19).
Das Lexem bereitschaft liegt 13-mal als Subjektbezeichnung im Korpus vor. Neunmal dient es semantisch verengt der Bezeichnung von Bargeld (Beispiel a).709 Diese Bedeutung ist über die Motivationsbedeutung ›verfügbar‹ und durch die auf Geld bezügliche Verwendung (vgl. WMU I: 192) des Basisadjektivs bereite abgedeckt. Viermal wird mit bereitschaft ein Ausrüstungsgegenstand oder diverses Gerät bezeichnet (Beispiel b). In der letzt_____________ 708 Vgl. Brendel et al. (1997: 491). 709 Man vergleiche hier das strukturell gleich gebildete nhd. Barschaft, das DW (1975: 90f.) als Bildung mit »anderer Struktur« einer Restklasse zuordnet.
II.1. Derivationstypen
380
genannten Bedeutung ist auch eine Motivation über das Verb bereiten denkbar.710 Die Bildung wäre dann als Patientivum (›etw., das bereitgestellt wird‹) zu analysieren. gemeinschaft1 (›(geistl.) Gemeinschaft‹): ← gemeine (675) Adj. Der an dirre getâht schuldig ist / der hat die hant verlôrn / vnde sol men in scheiden von der burger gemeinschaft vsser der stette vmbegrift (Corp. 1653, 779.21).
Neun Belege des Lexems gemeinschaft werden als Agentivbildungen gewertet (›etw., das gemeine ist‹).711 Sechs weitere Belege des Lexems liegen im Korpus in abstrakter Verwendung vor (vgl. gemeinschaft2). gereitschaft (›Ausrüstung‹): ← gereite (›bereitstehend, verfügbar‹) (18) Adj. …die tGsent die dar vber sint der sule wir in ouch weren an gewande oder an ander geraitschaft (Corp. 2435, 506.4).
Vgl. die Bemerkungen zu bereitschaft. Das Verb gereiten (Lexer I: 877) ist korpusintern nicht belegt. H. Patientiva (BV-schaft8): ›das, was jmd. BV/BV wird‹ Lexem bot(e)schaft2 erbeschaft2 werschaft3 Gesamt
Belege
alem
bair
IR4
Kg
2 4 2 8
2 2 1 5
1 1
1 1
1 1
bot(e)schaft2 (›außerordentlicher Gerichtstag‹) Der in diseme hove ze dinge nuth ist, der gith zvene schillinge phenninge; gith er die inder bothschetfte nuth, so gith er aber zvene schillinge; dis dFth er zv iegelicheme dinge v] ze iegelicher botschefte (Corp. 0807b = N 306, 234.27f.).
In Urkunde N 306 tritt bot(e)schaft zweimal zur Bezeichnung eines ›gebotenen Gerichtstages‹ auf. Diese Bedeutung ist trotz ihres lexikalisierten Charakters noch über das Basisverb bieten i.S.v. ›aufbieten, laden, (den Rat) versammeln‹ motiviert712, die sich im DRW (II: 329, s.v. bieten III.) nachweisen lässt. In der Motivationsbedeutung kommt korpusintern nur das präfigierte Verb gebieten ›gebieten, verfügen, befehlen, anordnen‹ vor. Das unpräfigierte bieten bedeutet schon im Mhd. vor allem ›anbieten etc.‹. erbeschaft2 (›Ererbtes‹): ← erben (216) sw.V. _____________ 710 Vgl. Wilmanns (1899: 392). 711 So verfahren auch Brendel et al. (1997: 421). 712 Vgl. ferner die attributive Konstruktion geboten hof ›einberufener Hoftag‹ (WMU I: 564, s.v. gebieten B11).
II.1.15. -schaft
381
…daz her Magens vnd sin BrGder her Berchtolt von Vtenheim / geteilt habent · svnderlich daz gNt vnd erbeschaft · daz si ane gevallen ist von ir MGter… (Corp. 2315, 432.29).
Vier Belege des Lexems erbeschaft werden als Patientivbildungen klassifiziert713 und auf das schwache Verb erben bezogen. Inhaltlich ist die -schaftBildung synonym mit dem Neutrum erbe und kann u.U. auch als idiofunktionale Bildung zu diesem angesehen werden. Aufgrund der Analysierbarkeit von erbeschaft als Transpositionsbildung mit eigener semantischen Prägung bevorzuge ich die zuerst genannte Lesart. werschaft3 (›Bezahlung‹): ← wern (828) sw.V. …v] swelhe werschaft siv mich dar vmbe haizzent ne^ · die sol ich ne^ (Corp. 1956, 216.28). …daz wir an den sehsthalp Tusent Vnd sehzech marchen silbers / der Wir Grauen Rudolf Von Mvntfort / schuldich warn/ Vmb daz Gut daz er vns gab / ze Ch?ffenne swaz er het vor bregentzar Cluse / den selben Grauen Rudolf / gewert habn · Vier Tusent march / vnd sibenhvndert · vnd sehs · march silbers · vnd suln im noch gelten an der selben werschefte Nivndehalp hvndert march vnd fier march silbers (Corp. 1367, 589.4).
Zwei Belege des Lexems werschaft sind anhand ihrer Kontexte als Patientivbildungen zu analysieren. Bei den angeführten Belegen liegt Motivation über das Basisverb wern in der Bedeutung ›bezahlen, geben‹ vor. I. Abstrakta (BA-schaft9): ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹ Lexem gemeinschaft2 sippeschaft Gesamt
Belege
alem
bair
wmd
6 3 9
3 3
1 1
5 5
gemeinschaft2 (›Besitzgemeinschaft‹): ← gemeine (675) Adj. …wir sprechint ?ch mit vrteile vmbe selse / das selse vallen sol in die gemeinschaft zu dem andern gGte…(Corp. 1524, 690.20).
sippeschaft (›Verwandtschaft, Blutsverwandtschaft‹): ← sippe (2) Adj. Die aber nit kinde lassent der GGt súln ir nechsten frúnde von sipschaft erben · nach der rechtung des dorfes (Corp. 0005C, 20.28).
Aufgrund der synchronen Motivierbarkeit des erst im Mhd. belegten Lexems sippeschaft714 durch das mhd. belegte Basisadjektiv sippe ›verwandt, blutsverwandt‹ (Lexer II: 938f.) werte ich die Bildung als deadjektivisches _____________ 713 Vgl. die Bedeutungen B3 und B4 im WMU (I: 494). 714 Vgl. DWB (16: 1288).
II.1. Derivationstypen
382
Abstraktum.715 Die Etymologie weist das Lexem hingegen als Ableitung zu sippe st.F. aus716, mit dem es im Korpus in vergleichbaren Kontexten konkurriert. Auch sippe erscheint korpusintern nur in abstrakter Verwendung.717 J. Patientiva (BS-schaft10): ›das, was BS bringt, verkauft‹ Lexem bot(e)schaft12 koufmanschaft2 Gesamt
Belege
alem
bair
Rest
2 1 3
1 1
1 1
1 1
Zwei Lexeme werte ich als desubstantivische Objektbezeichnungen. Wie Brendel et al. (1997: 423f.) bemerken, die in ihrem Korpus ebenfalls nur die auch im Urkundenkorpus belegten Lexeme (daneben jedoch auch sendbotschaft) diesem Bildungstyp zuordnen, erscheint die »semantische Relation von Basis und Ableitung […] außergewöhnlich komplex« (S. 423). bot(e)schaft12 (›Nachricht, Botschaft‹): ← bote (291) sw.M. vnd sNln di jungen Herzogen her Lvdwich vnd her Stephan zehant endelichen poten zv ir prvder dem Herzogen Otten / mit samt vnser potschaft senden… (Corp. 1549, 707.39).
In der genannten Bedeutung liegt das Lexem boteschaft718 nur einmal vor. Wie der Kontext zeigt, ist eine synchrone Motivation der Bildung durch das Substantiv bote möglich. Das Lexem kann somit als Objektbezeichnung mit substantivischer Basis interpretiert werden (›das, was der bote bringt‹).719 In den weiteren Bedeutungen ›Auftrag720; Entsendung e. Dele_____________ 715 So verfahren auch Döring/Eichler (1996: 210). 716 Vgl. Wilmanns (1899: 391), Duden Etym. (1963: 646, s.v. Sippe). 717 Daher könnte sippeschaft auch als idiofunktionale Bildung klassifiziert werden. Die synchrone Motivierbarkeit von sippeschaft spricht jedoch gegen die Interpretation als Erweiterung zu sippe. Aus diesem Grund wird auch keine Doppelmotivation, verstanden als gleichwertige Motivation, angenommen. 718 Etymologisch wird boteschaft als desubstantivische Bildung bewertet (vgl. Wilmanns 1899: 391). Fraglich ist jedoch, ob dies für alle vorliegenden Bedeutungen des Lexems zutrifft. 719 Vgl. Brendel et al. (1997: 423f.). Müller (1993a: 346) muss pottschaft im Dürer-Korpus als idiomatisiert behandeln, da der Belegkontext keine sichere Motivation über das Basissubstantiv zulässt. Döring/Eichler (1996: 209) sehen botschaft in der vorliegenden Bedeutung als idiomatisiert an, DW (1975: 90f.) behandelt das Lexem innerhalb einer Restgruppe als Bildung mit »anderer Struktur«. 720 In Urkunde 93 steht boteschaft an einer Stelle für den gesamten lat. Ausdruck in officio predicationis crucis, was mit ›in der Pflicht der Verkündigung des Kreuzes‹ übersetzt werden kann. boteschaft zeigt hier deutlich den Bedeutungsgehalt des ›Entbietens, Verkündigens‹, der auch
II.1.15. -schaft
383
gation‹ zeigt sich das Lexem als substantivische Tätigkeitsbezeichnung (vgl. -schaft1).721 koufmanschaft2 (›Handelsware‹): ← koufman (53) st.M. Kumet aber ein vsman in eine stat der vorgenanten / vnde wil da inne k?fen keinre leye k?fmanschaft / das sol men in niht lassen vsvFren / er en swer denne vf den heilgen / das es der stette viende niht ane hore / vnd ?ch es in niht gebe ane alle geuerde (Corp. 1788A, 89.24).
Die zweite Bildung des hier vorgestellten Bildungstyps ist koufmanschaft. Mittels der Paraphrase ›das, was ein koufman verkauft‹ erweist auch sie sich als Objekt einer substantivischen Prädikation.722 K. Abstrakta [DM] (BA/BS-schaft11): ›Tatsache, dass etw. BA/BS ist‹ Lexem eigenschaft°
Belege 19 (408°)
alem 11
bair 5
alem-schw 1
IR1 1
IR4 1
eigenschaft° (›Eigentums-/Verfügungsrecht‹) ← eigen (274) Adj., eigen (2700) st.N. In der vorliegenden Bedeutung kann das Lexem eigenschaft einerseits auf die etymologische Basis der Bildung, das Adjektiv eigen723, bezogen werden (›Tatsache, dass etw./jmd. eigen ist‹724), andererseits muss aus synchroner und korpusbezogener Sicht aufgrund der vorliegenden Bedeutung auch eine Motivation über das hochfrequent belegte Substantiv eigen st.N. angenommen werden (›Tatsache, dass etw. jmds. eigen ist‹).725 Dieser Bezug wird m.E. besonders im Vergleich mit lêhenschaft deutlich, das im Gegensatz zu eigenschaft Rechtsverhältnisse bezüglich Lehngut – im Gegensatz zu Eigengut – bezeichnet und als solches ebenfalls desubstantivisch aufzufassen ist. Ich behandle eigenschaft aus diesem Grund als doppelmotivierte Bildung.726 Oft ist jedoch wie bei lêhenschaft oder phantschaft kaum zu entscheiden, ob im Einzelfall eine idiofunktionale Bildung zu eigen vorliegt. _____________ 721 722 723 724 725 726
der im Mhd. als idiomatisiert zu behandelnden Bildung bote i.S.v. ›Verkündiger‹ zugrunde liegt. Zum verbalen Bezug des als Homonym zu wertenden boteschaft2 vgl. -schaft8. Vgl. Brendel et al. (1997: 423f.). Vgl. Paul (1920b: 84). Vgl. Brendel et al. (1997: 419). Brendel et al. (ebda.) geben als Bedeutung von aigenschaft u.a. auch ›Recht auf Eigentum‹ an, paraphrasieren jedoch stets mit der genannten adjektivischen Prädikation. Der desubstantivische Bezug wird korpusintern des Weiteren durch Bildungen nahegelegt, die ebenfalls auf ein unpersönliches Basissubstantiv zu beziehen sind und mit denen ein ›Recht auf BS/etw. mit BS zu tun‹ bezeichnet wird. Neben lêhenschaft und u.U. erbeschaft sind hier metschaft und vluorschaft zu nennen.
II.1. Derivationstypen
384
Aufgrund der Motivierbarkeit über das Adjektiv müssen jedoch keine Belege zwingend als idiofunktional betrachtet werden, wie dies bei phantschaft und auch bei Belegen von lêhenschaft der Fall ist. Die auf den ersten Blick heterogen erscheinende Zuweisung zu den Funktionsklassen ist also bedingt durch die jeweiligen Bezugsmöglichkeiten des Einzellexems. e. Diachroner Vergleich -schaft Funktionsklasse Abstrakta (BS) Kollektiva (BS) Abstrakta (BV) Lokativa (BS) Abstrakta (BS/BV [DM]) Idiofunktionalia (BS) Agentiva (BA) Patientiva (BV) Abstrakta (BA) Patientiva (BS) Abstrakta (BA/BS [DM])
Mhd. K-Urk 37,5% 20,3% 9,4% 6,3% 4,7% 4,7% 4,7% 4,7% 3,1% 3,1% 1,6%
K-Dü (33,3%) (16,7%) (33,3%) (16,7%) -
Frnhd. K-Wü 33,9% 13,6% 6,8% 8,5% 1,7% 10,2% 5,1% -
K-Erf 42,2% 8,9% 13,3% 6,7% 6,7% 4,4% 17,8% -
Nhd. K-Ggespr. K-Ggeschr. 26,1% 32,0% 39,1% 50,0% 13,0% 3,0% 2,4% 8,7% -
Tabelle II.1.15.4. Funktionelle Verteilung der -schaft-Derivate im diachronen Vergleich
Im Vergleich mit den korpusbasierten Untersuchungen zum Frnhd. und der Gegenwartssprache727 scheint das Suffix -schaft hinsichtlich seiner funktionalen Verteilung in der Urkundensprache am vielfältigsten ausgeprägt. Dieser Befund ist jedoch mit gewissen Einschränkungen verbunden. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass sich zwei Funktionsklassen aus doppelmotivierten Bildungen konstituieren, die in den Vergleichsdarstellungen zumeist nicht als eigene Kategorie gewertet werden. Des Weiteren sind die lokativen Bildungen, die gemäß der Übersicht nur in der Urkundensprache vorkommen, mit drei Bildungen im Korpus der geschriebenen Gegenwartssprache nachgewiesen, aber als unproduktiver Typ in einer Restgruppe verzeichnet.728 Hinsichtlich der Verteilung der desubstantivischen Abstrakta und der Kollektivbildungen in den Einzelkorpora zeigt sich ein Befund, der das _____________ 727 Die Angaben wurden den jeweiligen Arbeiten entnommen (Müller 1993a: 346f.; Brendel et al. 1997: 546f.; Döring/Eichler 1996: 214; DW 1975: 90f.; Gersbach/Graf 1984/85: 203). Die Zahlen für das Dürer-Korpus sind, wie Müller (ebda.) bemerkt, aufgrund der insgesamt nur sechs -schaft-Bildungen in den Texten Dürers kaum als Vergleichsgrundlage geeignet und werden deshalb der Vollständigkeit halber in Klammern angegeben. Die bei Brendel et al. als Sonderfall oder semantisch vage klassifizierten Bildungen werden wie die Restgruppen in DW und bei Gersbach/Graf nicht in der Übersicht berücksichtigt. 728 Vgl. DW (1975: 90f., 463f.).
II.1.16. -t
385
Mhd. zusammen mit dem Frnhd. als eine deutlich von der Gegenwartssprache abgegrenzte Gruppe erscheinen lässt. Die primäre Funktion des Suffixes -schaft, desubstantivische Abstrakta zu bilden, zeigt sich in den historischen Korpora durch die jeweils höchste Bildungsfrequenz noch deutlich ausgeprägt. Im Nhd. ist diese Funktion zwar immer noch eine Leistung des Suffixes, sie liegt aber gemessen an der Zahl der Bildungen klar hinter den Kollektiva. Im Würzburger Korpus und im Urkundenkorpus sind die Kollektiva der zweitwichtigste Bildungstyp, während er im Erfurter Korpus nur an vierter Stelle rangiert. Als Gemeinsamkeit der drei zuletzt genannten Korpora kann ebenfalls die relativ deutlich ausgeprägte Klasse der deverbalen Bildungen gelten, die im Urkundenkorpus und im Erfurter Korpus jeweils an dritter Stelle liegt. Die deadjektivischen Abstraktbildungen sind im Würzburger und Erfurter Korpus auffällig häufig belegt, auch das Korpus zur gesprochenen Gegenwartssprache weist diesen Bildungstyp auf, jedoch stellt er dort die Funktionsklasse mit der geringsten Bedeutung dar. Auch im Urkundenkorpus sind derartige Bildungen kaum von Gewicht. Durch alle Sprachstufen hindurch zeigen sich die deadjektivischen Agentiva und die Patientivbildungen als Funktionsbereiche von insgesamt eher marginaler Bedeutung. Auch der dem Urkundenkorpus und dem Korpus der Würzburger Arbeitsgruppe eigene Bildungstyp der desubstantivischen Patientiva relativiert sich in seiner Eigenständigkeit, da Müller und Döring/Eichler vergleichbare Bildungen als idiomatisiert bewerten und DW sie nur innerhalb einer Restgruppe führt.
II.1.16. -t a. Lexembestand (51) abeschrift (15) anstalt (2) brunst durchvart (3) gerucht (3) geschrift (17) getât° (54/210) gift (95) hinvart (2) last (2) nâchkunft (8) sât
andâht (13) begunst burt (94) durft (41) geschaft (3) gesiht(e) (5) gewerft (71) graft învart maht° (36/216) phliht(e) (2) schrift (107)
angesiht(e) (4) brant (63) dienest° (38/530) geburt° (106/3900) geschiht(e) (40) gestalt (4) gewiht(e) (8) gunst° (57/438) kunst mât ruocht (3) tât (32)
II.1. Derivationstypen
386 ûfvart (47) vergiht (11) vluht widerkunft (2) zuht (7)
ûzvart (3) verlust (18) vurt (7) widerschrift zuovart
vart (13) verziht (30) wahte (2) ziht zuoversiht (6)
Als idiomatisierte bzw. von der Basis isolierte Bildungen werden folgende Lexeme angesehen: durchslaht ›Vollständigkeit‹ ← durchslahen?, gewerft ← werfen ›Steuer, Abgabe‹, manslaht ›Totschlag, Mord‹, slahte ›Art, Sorte, -lei‹, stat st.M.N. ›Gestade, Ufer‹, stat st.F. ›Ort, Stelle, Stadt‹, state ›Gelegenheit, Möglichkeit, Zustimmung‹729 ← stân, zunft ›Zunft, Handwerkerverband‹ ← ziemen. Das auf der vorläufigen Lemmaliste der Berliner Arbeitsstelle des WMU als vürvart lemmatisierte Lexem wird nicht in die Untersuchung aufgenommen, da die lexikalische Bedeutung nicht zweifelsfrei festzustellen ist, ferner besteht m.E. die Möglichkeit, dass es sich eventuell um das Adverb vürwert, -wart ›räuml. u. zeitl. vorwärts, weiter, fortan‹ (Lexer III: 617f.) handelt. Die Analyse des Lexems wahte bereitet aufgrund der schwer ermittelbaren aktuellen lexikalischen Bedeutung der Einzelbelege Probleme. So kann in fünf Fällen nicht eindeutig entschieden werden, ob wahte noch das Wacheleisten selbst oder metonymisch verschoben eine Abgabe anstatt des Wachtdienstes bezeichnet.730 Ein weiterer Beleg könnte u.U. als Lokativum interpretiert werden. Aufgrund des jeweiligen Vorkommens mit stiure entscheide ich mich jedoch für die Lesart ›Abgabe‹ und schließe die insgesamt sechs fraglichen Belege aus der Untersuchung aus. Motivierte wahte-Bildungen (wahte1, wahte2) liegen als Lokativ- und Agentivbildungen im Korpus vor. Zur idiomatisierten Bedeutung von gewiht(e) (61 Belege) vgl. gewiht(e)2.
_____________ 729 Bei slahte (ahd. slahta) und state (ahd. stata) handelt es sich um Bildungen, die idg. Verbalabstrakta mit dem Suffix -tā- (germ. -þō-/-ðō-) entsprechen (vgl. Wilmanns 1899: 333, Henzen 1965: 121). 730 Vgl. DWB (27: 171): »unter wacht versteht man in der älteren sprache auch die abgabe, die an stelle des wachtdienstes getreten war, zu dem jeder bürger verpflichtet war. sehr üblich ist die verbindung steuer und wacht [...].«
II.1.16. -t
387
b. Morphologie 1. Suffixmorphologie Ohne umfassend auf die Entstehung des -t-Suffixes731 einzugehen, sollen einige kurze Bemerkungen zur Suffixgeschichte der am Mhd. orientierten morphologischen Beschreibung vorausgehen. Im mhd. Suffix -t fallen mehrere aus dem Indogermanischen ererbte Dentalsuffixe zusammen. Hier ist vor allem das Suffix -ti- zur Bildung femininer Nomina actionis aus starken Verben zu nennen. Dieses Suffix liegt z.B. in den Lexemen gift, sât, tât, vart vor, die im Mhd. dem Flexionsparadigma der -î-Stämme folgen. Ferner ist ein idg. Suffix -to- zu erwähnen, dem Bildungen verschiedener Genera (z.B. mât N., brant732 M.) angehören. Als letztes folgen feminine Substantive, die auf idg. mit Suffix -tā- gebildete Verbalabstrakta zurückgehen. Sie haben sich im Germ. der -ō-Deklination angeschlossen und den auslautenden Vokal in mhd. -e bewahrt, vgl. z.B. slahte, state und als motivierte Bildung wahte.733 Die Bildungen mit dem Suffix -t zeichnen sich durch eine große morphologische Vielfalt aus. Dafür sind einmal spezifische Lautveränderungen vor -t (Primärberührungseffekt)734 (z.B. andâht, schrift, phliht(e) und die mfrk. und westnd. konsonantische Alternanz /ft/ > /ht/ (gerucht, ruocht)735 verantwortlich.736 Ferner finden sich um -s-737 und -f- erweiterte Formen des Suffixes.738 Wenn die neueren Erkenntnisse (vgl. Anm. 9) auch die Geschichte von -st _____________ 731 Vgl. ausführlich Wilmanns (1899: 329ff.) und Henzen (1965: 183f., 121f.). 732 Vgl. Kluge (1999: 130). 733 wahte ist etymologisch eine Bildung mit einem erweiterten idg. -tu-Stamm zu -tu-ā-Stämmen (got. wahtwa), die im Ahd. jedoch mit den Bildungen auf -ta zusammengefallen sind und sich nicht mehr von Bildungen mit altem idg. -tâ-Suffix unterscheiden, die im Ahd. der -ôDeklination angehören, wie z.B. forahta, slahta, vgl. Wilmanns (1899: 232). 734 Vgl. PWG (1998: 124f.). 735 A.a.O.: 175. 736 Die Basis von verlust ist das starke Verb verliesen, das noch nicht nach den Formen des grammatischen Wechsels (Vernersches Gesetz) im Plural und Partizip Präteritum (verlurn, verlorn) analogisch ausgeglichen ist (vgl. nhd. verlieren). 737 Zur historischen Beurteilung von -st vgl. Krahe (1949: 225ff.) und Krahe/Meid (1969: 163ff.). Krahe spricht von einem idg. Zugehörigkeitssuffix, den »echten st-Typen« (1949: 239), wie z.B. in ahd. dionōst (mhd. dienest) und dazu gebildeten Analogieschöpfungen wie z.B. brunst, gunst, kunst (Jeitteles (1863: 39) spricht von unorganischem Einschub). Meid geht von »verstärkte[n] -t-Suffixe[n] aus, die er wiederum in echte -st-Bildungen (1969: 164f.), primäre Ableitungen mit Zwischenvokal (S. 168) und sekundäre Bildungen von »konsonantisch auslautender Wurzel« (S. 165f.) einteilt, wobei Letztere von den zuvorgenannten Bildungen oft nicht zu unterscheiden seien (S. 168). 738 Aus synchroner Perspektive wird in der Literatur sowohl eine Betrachtung von -s- und -fals Fugenelemente (vgl. Brendel et al. 1997: 430f.) oder als Suffixvarianten -st und -ft vorge-
II.1. Derivationstypen
388
als Suffix und Formvariante aufgehellt haben, so scheint eine mhd.synchrone Beurteilung als ›Gleitlaut‹739 bzw. Fugenelement m.E. besser geeignet, das Phänomen zu beschrieben. Eine unterschiedliche Behandlung von -s- und -f- ist nicht zu rechtfertigen. Während -f- regelmäßig nach Wurzeln auf -m vor -t erscheint740, kann -s- vor -t nach verschiedenen konsonantischen Auslauten als »fugenmarkierender Konsonant« (Krahe/Meid 1969: 165ff.) auftreten.741 Nicht auf -n- auslautende -stBildungen, die auf eine -s-lose Basis bezogen werden können, sind mhd. jedoch selten.742 Zu nennen sind hier v.a. last ← laden743 und korpusintern nicht belegtes geswulst ← swellen. dien(e)st (vgl. Anm. 9) ist synchron nicht gesondert zu behandeln, nicht zuletzt da die synkopierte Form dienst korpusintern schon die Leitform darstellt (WMU I: 374).744 Ferner soll hier auf ein Phänomen eingegangen werden, das Wilmanns (1899: 246f. Anm.) beschreibt. In Analogie zu der Vielzahl von neutralen -ja-Stämmen mit Präfix ge- vollziehen viele mit ge- gebildete Lexeme mit anderem Genus durch Annahme eines -e am Wortende (teilweise) den Übertritt ins Neutrum. Auch im Korpus finden sich Bildungen, die diesen Prozess vollzogen haben könnten ((an)gesiht(e), gewiht(e)), aber aufgrund der Kontexte ist oft das Genus der Belegformen nicht feststellbar und die Kasusformen uneindeutig. Bei den betroffenen Lexemen wählt das WMU daher einen offenen Lemmaansatz (eingeklammertes -e). Eine weitere Erscheinung, die an dieser Stelle besprochen werden soll, betrifft das Eindringen von -e (auch in Verbindung mit Umlaut) aus den obliquen Kasus oder dem Plural der -î-Stämme in den Nominativ. So erklärt sich z.B. nhd. Geschichte aus mhd. geschiht st.F. Erste Anzeichen _____________
739 740 741 742 743 744
schlagen (vgl. Müller 1993a: 330, wo aber, da keine synchron motivierte Bildung mit einer Erweiterung um -f- im Dürer-Korpus vorliegt, über -ft-Bildungen keine Aussagen gemacht werden). Döring/Eichler (1996: 194ff.) nehmen -st wohl als Formvariante von -t an, auf Bildungen mit der Erweiterung -ft in ihrem Korpus gehen sie aber nicht näher ein. Vgl. Henzen (1965: 184), der jedoch auf die Ergebnisse von Krahe verweist, und Weinhold (1883: 154), der das Phänomen als Epenthesis euphonischer Frikativa f, s wertet. Vgl. aber die Form hulft (Weinhold 1883: 154) als Nebenform von hulst ›Decke, Hülle‹‹ (Lexer I: 1382). Der Einschub von -s- ist dann aber synchron als fakultativ zu beurteilen, denn man vergleiche brant nur mit -t-Suffix. Vgl. die angeführten Bildungen in Krahe/Meid (1969: 165ff.). Vgl. ebda. (S. 166) und PWG (1998: 124). Wenn auch der Korpusbefund das ›traditionelle‹ Bild der Verteilung von -st und -ft wiedergibt, zeigen ferner bei Lexer gebuchte Formen, dass auf das gesamte Mhd. bezogen dieses Bild keineswegs so einheitlich ist. Die bei Lexer verzeichnete Formenvielfalt bei Bildungen wie vernunst, -nust, -nunft, -nuft (III: 190), md. kunst, kumst für kunft (I: 1773f.) (beide vgl. Krahe/Meid 1969: 154f.) und die partielle Bedeutungsgleichheit von brunft (I: 366), brunst (I: 368), die man trotz unterschiedlicher Basen (bremen, brinnen) wohl beide auf brinnen bezog (vgl. Kluge 1999: 139f.), lassen vermuten, dass -st und -ft in einigen Fällen als austauschbar empfunden wurden.
II.1.16. -t
389
dieses Prozesses zeigen sich wohl schon im Korpus, denn vier Urkunden zeigen für geschiht ein für -î-Stämme untypisches -e im Nom. oder Akk. Sg. Ein Nebeneinander mit -e-losen Formen lässt sich anhand höherer Belegzahlen in Urk. 2302 (ofrk.) beobachten. Alle angesprochenen Formen werden als -t-Bildungen analysiert.745 Ein morphologisches Problem stellen alte idg. -tâ-Bildungen aufgrund ihres -e-Auslauts dar. Die einzigen motivierten Bildungen dieser Form sind im Korpus wahte st.F. und phliht(e)746 st.F. Da sie sich vom durchwegs fehlenden Umlaut abgesehen ausdrucksseitig nicht von morphologisch reduzierten -ede-Bildungen auf -te (s.d.) unterscheiden lassen, könnte erwogen werden, sie synchron den -ede-Bildungen zuzuschlagen. Ich habe mich jedoch dem streng synchronen Ansatz widersprechend dazu entschieden, dem etymologischen Befund zu folgen und die Bildungen der Gruppe der synchron als -t-Bildungen klassifizierten Derivate zuzurechnen. Aufgrund des auslautenden -e möchte ich keinen eigenen Bildungstyp -te oder eine erweiterte Suffixform -t(e) ansetzen, obwohl Letzteres auch im Hinblick auf die erwähnten epithetischen -e-Formen vielleicht vertretbar wäre. 2. Basisaffinität Alle 51 Lexeme sind durch eine verbale Basis motiviert. 17 Bildungen (33,3%) weisen einen Verbzusatz auf: abe- (1), an- (3, davon einmal ange-), be- (1), ge- (5), ver- (3). Fünf weitere Bildungen mit dem Präfix ge- können in fünf Fällen (gerucht, geschrift, gestalt, gewerft, gewiht(e)) korpusintern nicht auf eine präfigierte verbale Basis bezogen werden.747 Gemäß den Ausführungen zu ge- (vgl. I.2.2.) werden dennoch auch diese Bildungen dem Suffix -t zugerechnet, ein eigener Bildungstyp ge-...-t wird nicht angenommen. geburt, gerucht, geschrift und getât erscheinen im Korpus unterschiedslos (teilweise in denselben Urkunden) neben den ge-losen Formen. (ge)burt ist nur _____________
745 Vgl. PWG (1998: 198). Korpusintern findet sich dreimal in zwei Ulmer Urkunden auch ein getæte (Nominativ apokopiert), das vermutlich dieser Erscheinung zuzurechnen ist. Der Umlaut (aus den obliquen Kasus oder dem Plural) führt hier m.E. jedoch zu einer stärkeren Separation von getât als etwa die -e-Formen von geschihte, die in ihrer Verwendung zudem von gewisser Unsicherheit zeugen. M.E. ist getæte nicht als Wortbildung zu behandeln, weshalb ich es aus der Untersuchung ausschließe. 746 Vgl. Paul (1920b: 77). Das WMU wählt den Lemmaansatz phliht, Lexer lemmatisiert phliht, phlihte. Die vier Belege des Lexems im Wilhelm-Corpus (zwei wurden aufgenommen) kommen nur im Akk. Sg vor und zeigen auslautendes -e, was eigentlich auf die Lexemform phlihte (Nom. Sg.) schließen lässt. Als Alternative wähle ich in der Darstellung die Form phliht(e). 747 Das Verb geschrîben ist bei Lexer (I: 905) gebucht, ebenso gestellen (I: 928). gewerben ist korpusintern nur dreimal belegt.
390
II.1. Derivationstypen
durch präfigiertes gebern motivierbar. Diese Bildungen zeigen, worauf auch Brendel et al. (1997: 431) hinweisen, »einmal mehr die pleonastische Funktion des Präfixes beim Verb und Substantiv.« Elf (21,6%) weitere Bildungen (andâht748, durchvart, hinvart, învart, nâchkunft, widerkunft, widerschrift, ûfvart, ûzvart, zuovart, zuoversiht749) sind korpusintern nicht oder nicht gut durch ein entsprechendes trennbares Verb gestützt. Sechs Bildungen allein sind zur Basis varn gebildet. Die Partikelverben sind häufig semantisch inkompatibel (vgl. die Besprechung der Einzellexeme), oft kann auch nicht entschieden werden, ob ein Lexem (widerkomen) vorliegt oder es sich (noch) um Kontaktstellung (wider komen) der Präposition bzw. des Adverbs innerhalb einer Verbalphrase handelt. Aufgrund dieses Befundes gehe ich bei diesen Lexemen von einer verbalen Wortgruppe als Basis aus (z.B. nach jmdm. kommen, zu etw. fahren etc.).750 64,7% der Lexeme sind zu einem starken Basisverb gebildet, 17,6% haben ein schwaches Verb als Basis. Drei Basisverben (beginnen, laden, schaffen) schwanken zwischen starker und schwacher Flexion. 11,8% der Bildungen sind zu anomalen Verben gebildet, d.h. zu Präteritopräsentien (z.B. durfen, gunnen, mugen) oder dem Wurzelverb tuon. Insgesamt 60,8% der Lexeme zeigen eine Veränderung des Basisvokals durch Ablaut, Rückumlaut oder einen Vokal aus dem Paradigma des Singular Präsens der starken Verben. Den Ablaut (Plural oder Partizip Präteritum) der Ablautreihe I zeigen (abe-/ge-/wider)schrift, (ver-)ziht, den Ablaut aus dem Plural Präteritum der Ablautreihe II verlust, vluht, zuht. Den Ablaut aus dem Präteritum Plural der Ablautreihe III weisen begunst und brunst auf. Den ungebrochenen Vokal aus dem Partizip Präteritum der Ablautreihe IV zeigen: (ge)burt und nâch-/ widerkunft.751 Bemerkenswerterweise zeigen Bildungen zu verbalen Basen der Ablautreihe V stets nur den Vokal aus dem Präsens Singular des Verbparadigmas: geschiht(e), (an)gesiht(e), gewiht(e), gift, phliht(e), vergiht, zuoversiht. Der Ablautreihe VI gehört die Basis der Bildung vurt752 an. Den sogenannten Rückumlaut753 zeigen andâht, anstalt, brant, gestalt. (ge)tât zeigt den Vokal des Präteritum Plural des Wurzelverbs (ge)tuon, maht den Vokal des Präsens Singular des präteritopräsentischen Verbs mugen (ich mac). _____________ 748 Vgl. Kluge (1999: 38): »[...] ti-Abstraktum zu denken, kombiniert mit an [...].« 749 A.a.O.: 917: »Abstraktum zu sich zu jemandem versehen ›auf jmd. vertrauen‹.« 750 Im Fall von widerschrift scheint jedoch ebenfalls eine Interpretation als Determinativkompositum aus wider (Adv.) + schrift sehr wahrscheinlich. 751 Bzgl. des Vokals in (ge)burt und nâch-/widerkunft vgl. PWG (1998: 54). 752 A.a.O.: 55: »In der Wortbildung kommen neben den Umlauten /e/ und /üe/ gelegentlich auch /u/ bzw. /ü/ vor.« 753 A.a.O.: 255ff.
II.1.16. -t
391
sât zum schwachen Verb sæjen und mât zum schwachen Verb mæjen sind nicht mit Ablaut754 oder Rückumlaut gebildet.755 3. Genus der Bildungen 38 Bildungen (74,5%) haben eindeutig feminines Genus. Bei gunst überwiegt auch in den 57 analysierten Belegen soweit feststellbar das Femininum (WMU I: 769), maskuline Belege bleiben vereinzelt. Eindeutig maskulin sind brant und gewerft. dien(e)st zeigt in den ausgewerteten Belegen nur maskuline oder unbestimmbare Formen, Formen im Neutrum können nicht nachgewiesen werden (vgl. WMU I: 374). vurt erscheint im maskulinen (5) und femininen (1) Genus, ein Beleg bleibt unbestimmbar. Das Genus (neutr. oder fem.) von (an)gesiht(e) und last (mask. oder neutr.) ist nicht feststellbar. Eindeutig neutrale Bildungen sind gerucht, ruocht, geschaft und mât. gewiht(e) schwankt in den Fällen mit feststellbarem Genus zwischen Neutrum und Femininum. c. Motivationsdichte Für die überwiegende Mehrzahl (98,6%) aller Belege (1070) ließ sich die Basis im gleichen Sprachraum nachweisen (Basisrang 1). Für elf der Belege (1,0%) war die Basis nur weit syntopisch im gleichen Sprachgroßraum nachzuweisen (Basisrang 2). Differierende sprachräumliche Prägung weisen die Basen für nur 0,2% der Belege auf (Basisrang 3). Für die zwei Belege (0,2%) des Lexems anstalt konnte die Basis nur über das DRW für einen späteren Zeitraum ermittelt werden.
_____________ 754 DW (1975: 40) definiert aus der Sicht des Nhd. als Ablaut »alle Stammalternationen [...], die nicht den Regeln des ›Umlauts‹ [...] folgen.« Seine Einreihung von »säen > Saat« bei »Bildungen zu stark flektierenden Verben« mit gleichzeitiger Umwandlung der Lautform (S. 236) ist wohl ein Versehen (denn vgl. an gleicher Stelle die Einordnung von Aussaat als Bildung mit schwach flektierendem Verbalkern). 755 sât und sæjen und mât und mæjen sind etymologisch von der gleichen Wurzel gebildete Formen (Kluge 1999: 532 Mahd; 698f. Saat). Synchron lassen sie sich in ein motiviertes Ableitungsverhältnis bringen. Der aus synchroner Sicht fehlende morphologische Bezug im Verbparadigma stellt dabei m.E. keine Minderung des Motiviertheitsgrades dar.
II.1. Derivationstypen
392
d. Wortbildungsfunktion Funktionsklasse A. Abstrakta -t1 B. Patientiva -t2 C. Agentiva -t3 D. Lokativa -t4 E. Instrumentativa -t5 Gesamt
Paraphrase ›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹ ›das, was jmd. BV/BV wird‹ ›jmd./etw., der/das BV‹ ›Ort, wo jmd. BV‹ ›das, womit man BV‹
Basiswortart Verb
(ge)burt, verziht
Verb
abeschrift, gift2
Verb
Beispiel
Lexeme / Belege Anzahl Prozent 41/5445° 64,1/89,5 17/586°
26,6/9,6
nâchkunft
3/45
4,7/0,7
Verb
vurt, wahte2
2/8
3,1/0,1
Verb
gewiht(e)2
1/3
1,6/0,0
64/6087°
Tabelle II.1.16.1. Funktionelle Verwendung der -t-Derivate
Die Darstellung zeigt, dass die grammatischen Abstrakta mit 64,1% fast zwei Drittel aller mit dem Suffix -t gebildeten Bildungen ausmachen. An zweiter Stelle rangieren mit 26,6% Bildungen in patientiver Verwendung. Für drei Lexeme (4,7%) ist agentive Bedeutung nachweisbar. Die insgesamt drei Derivate mit lokativer (3,1%) und instrumentativer (1,6%) Bedeutung bleiben zusammen unter einem Anteil von 5%. In vielen Fällen ist eine klare Trennung von abstrakter und konkreter (hier v.a. patientiver) kontextueller Lexembedeutung nicht immer möglich. Wie öfter festzustellen ist, bereitet nicht zuletzt aufgrund der standardisierten Kontexte die Einordnung von Lexemen aus dem Begriffsfeld ›Abmachung, Vertrag‹ Schwierigkeiten (z.B. gewerft, geschaft). Besonders problematisch gestaltet sich die semantische Bestimmung der Bildungen (ge)tât und geschiht(e), weshalb die bei der jeweiligen Funktionsklasse angegebenen Belegzahlen nur als ungefähre Werte aufzufassen sind. A. Abstrakta (BV-t1): ›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹ Lexem andâht angesiht(e) begunst brant1 brunst burt dien(e)st1° durchvart durft
Belege 13 4 1 62 1 94 30 (418°) 3 41
alem bair 4 2 18 1 3 13 13
7 1 37 1 15 3 23
alemwmd IR1 Kg ofrk IR2 IR3 nd IR4 omd Rest schw 1 - 1 1 1 5 1 - 1 82 1 1 - 6 1 1 4 1 -
II.1.16. -t Lexem
Belege
geburt° 106 (3900°) gerucht 3 geschaft1 2 geschiht(e)2 4 geschrift1 11 gesiht(e) 5 gestalt 4 getât2° 13 (51°) gewerft1 36 gewiht(e)1 5 gift1 80 gunst° 57 (438°) hinvart 2 kunst 1 maht2° 13 (78°) phliht(e) 2 ruocht 3 sât 1 schrift2 45 tât2 6 ûfvart 47 ûzvart 3 vart 13 vergiht2 2 verlust 18 verziht 30 vluht 1 widerkunft 2 ziht 1 zuht 7 zuovart 1 zuoversiht 6 Gesamt 779 (5445°)
alem bair 45 3 1 4 6 3 61 23 2 8 33 27 8 2 4 1 2 6 293
37 1 2 3 4 3 36 12 23 1 1 10 3 12 3 4 30 2 1 1 276
393
alemwmd IR1 Kg ofrk IR2 IR3 nd IR4 omd Rest schw 4 4 4 1 3 2 3 - 2 1 - 2 1 1 2 1 4 1 2 1 1 1 1 1 2 2 1 2 4 1 2 - 2 1 3 1 2 3 1 - 1 2 1 3 1 1 1 2 3 1 1 5 2 1 2 1 2 2 99 35 17 7 13 4 7 11 2 12 3
andâht (›Aufmerksamkeit, Fürsorge, Ergebenheit; Absicht; Andenken, Erinnerung; Gottesdienst‹): ← denken (7) st.V., ane Präp. Das Lexem andâht ist aus der Lexemgruppe denken an (Lexer I: 418) gebildet (Zusammenbildung).756 Pfeifer (2003: 39) führt die Bildung auf das Verb ahd. anathenkan ›an etw. denken‹ (9. Jh.) zurück, das aber über Lexer für das Mhd. nicht nachweisbar ist.757 Die semantische Einengung auf das ›Denken an Gott‹, die andâht laut Kluge (ebda.) seit dem 12. Jh. erfahren haben soll, bestätigt sich anhand der Korpus-Belege nicht. Die Belege zeigen eine Reihe verschiedener lexikalischer Bedeutungen des Lexems, die sich aber stets über die Paraphrase ›Tatsache, dass jmd. an etw./jmdn. _____________ 756 Vgl. Kluge (1999: 38). 757 Das Verb lässt sich zwar in der Konversionsbildung andenken st.N. (Lexer I: 55) nachweisen, kommt aber synchron nicht als Basis in Frage.
II.1. Derivationstypen
394
denkt‹ oder das Partizip Präsens erfassen lassen. In seinen Bezugsmöglichkeiten erscheint das Lexem sehr frei. ...dvrih di liebe / v] andaht di ihc ze vnser vrovn hovs han mit dem selben almosen getan / so hat der Ortolf des selben hovses spitaler v] verweser / mir verlihen di selben Swæig ze einem lehen v] leibgedinge ... (Corp. 959, 305.3). swenn wir veruaren/ so sol man vns ... zv dem Closter fvren / vnd da bestatten mit allen den eren vnd mit alle der Andaht als si ir ander brMder tvent · vnd sullen vnser gedenchen immermer / mit messe / mit vigili / mit almvsen... (Corp. 513, 452.15).
In der lexikalischen Bedeutung ›Absicht‹ lässt sich das Lexem kontextuell am besten mit dem Partizip Präsens umschreiben: ...dis gNt k?fte wir in der meinunge unde in der andath, swenne wir beidú nPt en sint, das denne der anderhalb acker...sol valle dem vor genant) conuenten, das men ámer me unser beider iargezit mitte so began, alse unser iargezit denne gevallent (Corp. 1077b = N 385, 288.3).
angesiht(e): ← anesehen (940) st.V. [Lexer (I: 59) anegesehen] Diz selbe gGt, daz hie vorgenant ist, daz hat der vorgenante herre disen vorgenanten brudern ze anegesithe siner wrde [sic; = vriunde?] v] ze gehorde andern biderber lGite...geben mit alleme rethe (Corp. 0341a = N 152, 111.4).
Das Lexem angesihte kommt korpusintern nur in der Präpositionalphrase ze angesihte vor und lässt sich mit ›in Gegenwart von‹ umschreiben.758 Die zitierte Textstelle zeigt aber v.a. durch die Verbindung mit ze gehœrde, dass dem Lexem hier noch die Bedeutung ›Anschauen‹ zukommt und es als vollmotivierte Bildung aufzufassen ist. begunst (›Beginn‹): ← beginnen (10) an.V. Kamphes mach ouch ein man sich weren ob man in des grGzet nach mittem tage · is ne were ir [eher, vorher, UR] begvnst (Corp. 51, 83.30).
brant1 (›Brand (meist durch Brandstiftung), Feuersbrunst‹): ← brennen (67) sw.V.
Ez sol auch nieman den andern rauben noch prennen / vmb dehainen totslach. Geschæhe aber daz / daz sol man ablegen vnd bezzern / als andern raup / vnd brant (Corp. 935, 289.47).
brant ist mhd.-synchron semantisch und morphologisch durch das transitive schwache Kausativum brennen759 motiviert, wie das obige Textbeispiel demonstriert. Im Gegensatz zu brunst, das zum starken Verb brinnen gebildet ist und das den reinen Vorgang des Brennens bezeichnet, ist mit brant v.a. ein ›Anbrennen, Verbrennen‹ gemeint. Auf das Münzwesen bezieht sich der folgende Beleg, wo mit brant die Feuerprobe bezeichnet wird, mit der Münzen auf ihre Qualität getestet werden. _____________ 758 Vgl. DWB (1: 350). 759 Vgl. Kluge (1999: 134).
II.1.16. -t
395
V] sol der Vogt selbe mit der hant in die pfenninge grîfen v] nemen · V] sol die hant von ime han mit den pfenningen / v] sol er v] der Rât / die denne bi ime sint / die selben phenninge zem brande tragen... (Corp. 1325A, 565.10).
Man vergleiche dazu folgende Textstelle aus derselben Urkunde: Swenne aber das geschicht / das man die selben pfenninge versNchit in dem fúre / so sol dP March mit sechzen pfenningen bestan · Wêre aber / das in dem fPre / mit dem brennenne Pber die sechzen pfenninge · zweier pfenninge me abgienge / dar vmbe verlierent die Múnzer ir ere nicht · V] sol das selbe silber das man da versNchet gemeine silber sin / ane geuerde... (Corp 1325A, 564.33ff.).
brunst (›Feuersbrunst, Brand‹): ← brinnen (35) st.V. ...daz wir durch die bette v] die liebi aller der stat zi sante Gallin mit dem willin vnsirs Capitils v] mit dem rate der tivrston vnsirs gotshusis dienstmanne / daz alte reht der selbin stat widir gimachit hein· v] ir dise hantvesti dar vbir gigebin han widir den hantvestinon die ir zi einer allichir brunst virbrunnin warin... (Corp. 173, 196.2).
Vgl. die Bemerkungen bei brant. burt: ← gebern (57) st.V.; vgl. geburt dien(e)st1°: ← dienen (444) sw.V. ...v] swer bvrgermeister ist / dem ist der rât / v] die bvrger gebvnden ze gebende fPnfzehen march silbers vmbe sinen dienst / v] vmbe sin erbeit iergelich... (Corp. 1797A, 107.29).
Das mhd. transitive Verb dienen ermöglicht neben der Bildung reiner Vorgangsabstrakta wie im obigen Kontext auch die Thematisierung des Objekts einer Prädikation (vgl. dien(e)st2). Diese patientiven Belege bezeichnen ›das, was jmdm. dient‹, in der Regel sächliche oder monetäre Abgaben. In circa 17% der analysierten Belege ist eine genaue Trennung der beiden Lesarten nicht möglich. Im folgenden Beleg kann z.B. trotz der Pluralform nicht eindeutig entschieden werden, ob ein Dienen i.S.v. ›Dienstleistungen‹ oder schon konkrete Abgaben gemeint sind: Die selben hindurseszen sûllent ?ch in dekeine wis verbunden sin der hersch*ft denne mit willen v] verhencknûsse des Closters / vsgenommen der dienste / die der herschaft von iren Lûten billich werden s=llent... (Corp. 1047, 361.22).
durchvart: ← varn (778) st.V., durch Präp. Jst daz ein man reiset ovz dem lande / vnd daz er an der durich vart / ieman schaden tNt... (Corp. 475A, 414.45f.).
durft760 (›Bedürftigkeit, Not; Bedürfnis, Notwendigkeit‹): ← durfen (50) an.V.
_____________ 760 Innerhalb der Belege, die das WMU (I: 410) dem Lexem durft zuordnet, befinden sich acht bair. Belege, deren Graphien auf Umlaut von /u/ hindeuten. Es ist einmal möglich, dass es sich um das schon einleitend (vgl. geschiht(e)) angesprochene Phänomen handelt, bei dem das -e und der Umlaut aus den obliquen Kasus oder dem Plural
II.1. Derivationstypen
396
...v] pin ich vorge] fridreich von Rodinchen v] mein erben meins vettern...steter vertreter v] versprecher ze tage v] ze taidinge auf gaistleichem v] aGf weltleichem recht wa in dez not vnd durft geschicht nach Landes recht... (Corp. 1294, 535.23).
geburt: ← gebern (57) st.V. Disev Sven Jst gemachet / vnd diser Brief ist geschriben - vnd gegeben· ze wienen · An dem Mytichen · nah dem· pærhtag · Da van Gotes Gebverd waren Tovsent / zwai Hvndert / vnd Nevntzig Jar (Corp. 1197B, 469.60).
geburt wird in den analysierten 106 von insgesamt 3900 Belegen nur in Bezug auf die Geburt von Jesus Christus in Datumsangaben verwendet.761 Das Jahr und der Tag der Urkundenausstellung werden in Bezug zur Geburt Jesu als Beginn der Zeitrechnung gesetzt. Die präfixlose Form burt (112) wird ausschließlich so verwendet. gerucht (›Gerüfte: Hilferuf, Klageschrei zur Festnahme des Missetäters‹): ← ruofen (2) st.V. Swelich dief begrepen wert dages oder nachtes · dat sal man don mit gerochte · v] sal ine vore bringen mit gerochte · v] mit dere seluen haue vorebringen de he sich vnderwunden heuet · de sal man ime oppe den rucgke binden · v] dar mide over winnen mit sines enes hant (Corp. 2, 3.12f.).
gerucht ist wie das ohne ge- gebildete ruocht (3) eine mnd. Bildung zum Verb ruofen und bezeichnet im »nd. rechtsleben [...] das not-, hülfs- oder zetergeschrei, unter welchem der auf der that ertappte verbrecher verfolgt und vor gericht geschleppt wurde [...]« (DWB 5: 3753). Die Bildung ist im Korpus auch im Md. (Omd.) belegt, in das die Bildung aus dem Nd. eingedrungen ist (a.a.O.: 3571). gerucht ist trotz seiner rechtssprachlichen Gebundenheit als »das (rechtlich relevante) Geschrei« (Kluge 1999: 317) und seiner idiosynkratischen Merkmale noch über das Basisverb (teil)motiviert.762 geschaft1 (›Geschäft, Abmachung; Auflage, Bedingung‹): ← geschaffen (13) st.V., schaffen (650) st.sw.V. ...vnd haben daz vorgenant guet auf gegeben / dem erberen prelat abt chunrad vnd seinem conuent daz liligenueld / mit all) gschaft / also beschaidenleich /
_____________ der fem. -î-Stämme in den Nominativ dringt. Es ist aber mindestens genauso wahrscheinlich, dass diese Belege apokopierte Formen des Lexems dürfte760 (ahd. durftī) darstellen. Trotz der Apokope behandle ich diese Formen deshalb unter den -e-Bildungen als Bildung zum Adjektiv durft. 761 Das WMU (I: 573f.) verzeichnet neben dem Bezug auf die Geburt Mariae auch die selten gebuchten Bedeutungen ›Nachkommenschaft‹ und ›Abstammung, Herkunft‹, die jedoch nicht in den analysierten Kontexten auftreten. Die kollektive Bedeutung ›Nachkommenschaft‹, die im Falle von gebern einem Patientivum zukommt, lässt sich auch bei der Agentivbildung nâchkunft beobachten. 762 Vgl. dazu inhaltlich folgenden Kontext aus Urkunde 645: »hilfet ?ch ieman ieme sin gGt enweg vMren / wirt er begriffen oder beschruwen (beschrîen ›das Gerüfte erheben‹, vgl. WMU I: 208) der wirt die bescervnge schuldig«.
II.1.16. -t
397
daz wernhart vnd sein erben / alleu jar dienen ein halbez phunt wachses / auf sand Jacobes alter / zv rechtem purchrecht an sand Mycheles tag...(Corp. 864, 209.19).
Drei Belegen von geschaft stehen im Korpus 145 Belege (62 analysierte Belege) der -ede-Bildung gescheffede gegenüber, welche von der -t-Bildung in vielen Fällen jedoch kaum abgrenzbar ist (s.d.). Trotz der geringen Belegzahl von geschaft ist neben zwei abstrakten Belegen auch eine Objektbezeichnung (vgl. geschaft2) nachweisbar. geschiht(e)2: ← geschehen (3600) st.(sw.)V., schehen (4) st.V. ob der vorgenanten levte vihe avf daz ander tail der wise, daz vnser oder vnser levte ist, oder vnser od** **ser levte vihe von geschiht ge, so sol man iz paidenthalben frivntlichen abe triben vnd niht phenden... (Corp. 2188a = N 718, 518.18).
Vier Belege von geschiht(e) werden abstrakt verwendet. Neben zwei Belegen, die in funktionsverbgefügeähnlichen Konstruktionen belegt sind (vgl. geschiht(e)1), kann das Lexem in der Präpositionalphrase von geschiht mit ›Zufall‹763 umschrieben werden, die ganze Wendung trägt adverbiellen Charakter. Das WMU (I: 669) umschreibt diese und zwei weitere Belege mit ›wie auch immer, etwa, irgendwie‹, doch zwei der vier angeführten Belege sind m.E. wie die restlichen Belege des Lexems agentiv verwendet (vgl. geschiht(e)1). geschrift1: ← schrîben (4500) st.V. Wan alles des daz geschiht / lihte vergezzen wirt / ez werde danne der gehNge enpholhen / mit der geschrift / vnd mit gezivge... (Corp. 1901, 179.3).
In elf Belegen bedeutet das Lexem geschrift ›Schreiben, schriftl. Festhalten‹ und erweist sich somit als Abstraktum. In sechs weiteren Belegen ist hingegen ein konkretes Schriftstück bezeichnet (vgl. geschrift2). gesiht(e): ← gesehen (425) st.V., sehen (2200) st.V. Viermal tritt gesiht(e) wie auch angesiht(e) (s.o.) in Kontexten auf, in denen sich seine Bedeutung mit ›in Gegenwart von‹ wiedergeben lässt, ohne jedoch den Bezug auf das Verb (ge)sehen einzubüßen. Der folgende fünfte Beleg macht den verbalen Bezug durch eine funktionsverbgefügeähnliche Struktur noch deutlicher. Die entsprechende Stelle könnte auch verbal mit die in sehen wiedergegeben werden: Da uon tGn ich hartman ain ritter uon brahsperc kunt mit disem offenne brieue allen den ze der gesiht er kHt alde ien h=rent lesen / das ich... (Corp. 1870, 166.15).
gestalt (›Beschaffenheit, Gegebenheit; Rechtsstellung‹): ← stellen (16) sw.V.
_____________ 763 Vgl. Brendel et al. (1997: 439).
II.1. Derivationstypen
398
Die vier Belege des Lexems gestalt764 bezeichnen trotz ihrer unterschiedlichen Verwendung immer eine Art ›Gestellt-Sein‹ i.S.v. ›Beschaffenheit‹, teils mit modaler Überfärbung. Damit kann eine Rechtsstellung (a), der (rechtliche) Zustand eines Gegenstandes (b) oder äußere Umstände (c) gemeint sein. a) Wir verleihen auch den vorgenanten purgern von besunderlichen genaden · daz si sich vræNn Sentmæzziges rehtes · vnd Sentmæzziger gestalt ze bringen bezeugenGsse · chlage ze tvn · lehen ze nemen · vnd ze haben · vnd lehen ze læihen... (Corp. 2345, 454.41). b) daz er vns den selben tvren an dem selben tag schol wider antworten in aller der gestalt vnd er wos dv imme der pischolf Fridrich antwort... (Corp. 1523c = N 516, 370.5). c) ...daz dem chauffær · vnd dem verchauffer nach der gestalt der zeit vnd auch der dGrftichait werde behalten... (Corp. 2345, 455.6).
Der Bezug zum Verb ist korpusintern nur über das Part. Prät. in Verbindung mit der Kopula gestalt sîn ›beschaffen sein, von einer bestimmten Art, in einem bestimmten Zustand sein‹ gegeben. Das Partizip steht nicht korpusintern, aber über die bei Lexer (II: 1171f.) angegebenen Bedeutungen des Verbs, wie ›gestalten, anstellen, machen, tun‹ oder ›in eine Richtung bringen, richten, einrichten‹, zu diesem noch in engem semantischen Bezug und kann somit m.E. als Repräsentant des Verbs in der Wortbildung gestalt gesehen werden. getât2°: ← getuon (215) an.V., tuon (4200) an.V. swer auch furbaz ain Rovber oder ain schedlichen man behaltet oder bi im hat / der sol den lazzen varen / fFr daz er schedlicher getat / vnd Rovbes an im inne wirt / oder er sol fFr in gelten (Corp. 2703, 88.18).
gewerft1 (›Abmachung, (Tausch)Vertrag‹): ← gewerben st.V. (3), werben (161) st.V.
Dv der Chvnrat von Hâge daz ê genant dorf vnd gNt von Nevhaken wider vns warf vmbe sin gNt, als er des selben gewerftes gNt brîefe v] hantfeste von vns hat... (Corp. 0719a = N 277, 218.13f.).
gewiht(e)1: ← wegen (28) st.V. v] hat Pns darumbe / vnd vmb Pnsern dienst der vorgenande Pnsern herre kúnig albreht gegeben vierhundert march gGtes silbers v] Rehter gewiht der wir veriehin an disem briefe daz wir iro gewert sin... (Corp. 3517, 589.30).
Neben der abstrakten Bedeutung des Lexems gewiht(e), mit der die generelle Eigenschaft des ›Gewichthabens‹ eines Körpers bezeichnet wird, finden _____________ 764 Aus etymologischer Sicht kann es sich bei gestalt um das Part. Prät. des ›rückumlautenden‹ Verbs stellen (Kluge 1999: 320) oder nach Henzen (1965: 184) auch um eine -ti-Bildung zu stellen handeln. Wie Brendel et al. (1997: 434) entscheide ich mich für die letztgenannte Deutung.
II.1.16. -t
399
sich auch Belege mit der konkreten Bedeutung ›Gewichtsstück, Wiegemaß‹, die ich als Instrumentativa behandle (vgl. gewiht(e)2). gift1 (›Gabe, Übertragung, Schenkung‹): ← geben (13000) st.V. ...daz ich mit gesammenter hant v] mit willen v] mit gehelle miner kinde Ottvn vnd Elsun v] Sophien gibe v] han gegeben lúterliche durch got deme commenture v] den brGdern des spittals sante Iohannis des huses ze Toroluesheim alles das eigin v] das erbe, das ich hette in den banne ze Geizpoltsheim.... v] sulnt schaffen, swenne min andern kint, ..., zGziren tagen kumment, das die selben kint dise gift stete habent v] dis gGt vf gebent v] swas sie rehtes drane hant den vorgenanten brGdern (Corp. 0877a = N 325, 247.17).
In den Urkunden erweist sich gift noch als morphosemantisch vollmotivierte Bildung zu geben. Neben Vorgängen des Gebens bezeichnet das Lexem auch Objekte einer Prädikation (vgl. gift2). In den Arbeiten zur frnhd. Wortbildung wird gift, das in den ausgewählten Korpora jeweils nur in der Bedeutung ›Gift, venenum‹ belegt ist, als idiomatisierte Bildung behandelt.765 gunst° (›Gunst, Wohlwollen; Zustimmung‹): ← gunnen (77) an.V. Das Lexem gunst erscheint in den Urkundentexten häufig in formelhaften Wendungen wie mit gunst und willen, mit rat und gunst etc.766 Es kann aber wie im folgenden Beispiel auch alleine auftreten. gunst dient stets dem Ausdruck, dass eine rechtliche Handlung mit jemandes Zustimmung und Wohlwollen erfolgt. Wir Joħ der prior des selben chlosters von sande Pauls vnd elleu dev samnunge sein bei der rede gewesen vnd haben vnsern gunst der zuo geben (Corp. 2315a = N 748, 540.1).
Eine textinterne Motivierung der usuellen Bildung durch das Basisverb konnte für keinen der analysierten Kontexte nachgewiesen werden. hinvart: ← varn (778) st.V., hin Adv., hinnen Adv.; [hinvarn st.V.] diz geschach ande samestage nah vnserre vrown hineverte · an deme iar nach vnsers herren geburte dem dusensteim zueinhunderten subenzegen an dem driet) jar (Corp. 205, 213.21).
Die zwei Belege des Lexems hinvart dienen in den Kontexten nur zur Bezeichnung des kirchlichen Festtages Mariae Himmelfahrt767 (15. August). Ob dem Lexem eine Wortgruppe mit dem Adverb hin ›hin‹ oder hinnen ›weg, fort‹ und varn zugrunde liegt, kann nicht zweifelsfrei entschieden werden, beides ist semantisch plausibel.768 Die Annahme einer Lexem_____________ 765 Vgl. Müller (1993a: 331), Döring/Eichler (1996: 194ff.) und Brendel et al. (1997: 433, bes. Anm. 181). 766 Vgl. WMU (I: 769). 767 hinvart wird mhd. allgemein als euphemistische Bezeichnung für ›Tod‹ verwendet (Lexer I: 1301). 768 Ebda.
II.1. Derivationstypen
400
gruppe als Basis (Zusammenbildung) ziehe ich einer Motivation über das korpusintern nur einmal i.S.v. ›hin- und herfahren‹ (WMU II: 867), bei Lexer nicht belegte Verb hinvarn vor. învart: ← învarn (149) st.V.; varn (778) st.V., în Adv. An ainen grozen stadel! der da Leit ouf der vor genanten hofstat! der! der swester ist! vnd sein schol! genzleich! vnd gerleich mit dem ertreich do er ovfe stat! vnd mit dem ertreich! daz zwischem dem stadel leit vnd der straze gegen dem purgtor! als brait der stadel ist! daz sie haben schMln zv dem stadel! durch ouzvart vnd invart (Corp. 1736, 56.23).
Die Beleghäufigkeit des Verbs învarn ist vor allem durch dessen Bedeutung ›sich ins Einlager begeben; sich ins Kloster begeben‹ zu erklären. Auch die Bedeutung ›einfahren, sich hineinbegeben‹ des Verbs bezieht sich laut WMU (II: 942f.) auf das ›Begeben in den Herrschaftsbereich einer Stadt‹ (WMU II: 943) und weniger auf ein bloßes ›in etwas hineinfahren‹. Dadurch ist bei der Bildung învart m.E. nicht weniger von einer Zusammenbildung auszugehen als bei vergleichbaren Bildungen ohne korpusinternen Verbbeleg (s.o.), z.B. ûfvart. Ein Beleg konnte aus Verständnisgründen nicht analysiert werden. kunst (›Kenntnis, Fähigkeit‹): ← kunnen (100) an.V. So sGln si auch iren chinden einen Schulmaister schaffen des si nvtz vnd ere haben an chGnst vnd an eren so si in aller besten immer vinden · vnd haben mNgen (Corp. 2345, 453.19).
Ich bevorzuge für diesen einzigen Belege von kunst die abstrakte Lesart ›Tatsache, dass jmd. etw. kann‹, hier mit kausalem Nebensinn, obgleich eventuell auch der Inhalt des Könnens gemeint sein kann. Die Paraphrase lautete dann, ›das, was jmd. kann‹, der Beleg wäre dann den Patientiva zuzuordnen. maht2° : ← mugen (3700) an.V. Were aber das der meister v] der rat der gemeinde nutz schaffen wolte mit der stette almenden, des sulnt sie wol maht han (Corp. 0610a = N 238A, 187.9).
Das Lexem maht ist im Mhd. noch über die Bedeutung ›können, vermögen‹ des Basisverbs mugen motiviert. Der Vergleich mit dem nhd. Vermögen ← vermögen in Wörtern wie Erkenntnis-, Urteilsvermögen kann dem Sprecher des Nhd. eventuell die alten Motivationsbeziehungen zwischen maht, im Frnhd. ein Simplex769, und mugen semantisch verdeutlichen. Fast zwei Drittel der analysierten 36 Belege erscheinen in den Kontexten als Patientiva (vgl. maht1). phliht(e) (›Pflege, Aufsicht, Obhut‹): ← phlegen (96) st.V. So tNt Man kunt an disem brieue allen den die in lesent alder horent lesen! daz die erberen herren von Gotes genadun· Abbet · Eberhart · v] div Samenunge · des
_____________ 769 Vgl. Brendel et al. (1997: 433), Döring/Eichler (1996: 194ff.).
II.1.16. -t
401
Closters · Zviwltun · durch die bete · Bissofes· 781.41 RGdolfes · von · Costenze · v] ovch durh ganze liebi inphangen hant aigenlich Mit all) rehte in ir phelihte · v] Shirn daz frowin closter ze d) · Berge · v] Sine Samenunge... (Corp. 1656A, 781.43).
Das Lexem phliht(e) ist nur in Urkunde 1656AB (alem.-schwäb.) belegt. Im Gegensatz zum Nhd. ist der semantische Zusammenhang zwischen phliht und phlegen noch gegeben770, die -t-Bildung ist als durchsichtig zu bewerten. ruocht (›Gerüfte: Hilferuf, Klageschrei zur Festnahme des Missetäters‹): ← ruofen (2) st.V. Jst iz also daz ein man gewûnt wirdit geschriet her daz ruocht · v] begrifet her den man· v] bringet her in vorgerichte · v] hauet her des sine schreiman · selbe siebede her ist naher in zG vorziugende danne her ime vntgan mGge (Corp. 51, 79.14).
Das präfixlose ruocht ist nur in Urkunde 51 (omd.) belegt. In derselben Urkunde findet sich auch die ohne Unterschied verwendete Form gerucht (s.d., auch für generelle Anmerkungen). sât (›Aussaat, das Aussähen‹): ← sæjen (6) sw.V. die von wulfleinsdorf schFllen geben / von dem grozzen viech zwen pfenning ie von dem haupt/ vnd von dem chlainen viech von iegleihem ainen · vnd schullen...zwe der sat helfen ie der man mit seinem gantzem oder halben phflueg auf sein chost vntz hintz mittem tag vnd nicht lenger er well dann gern (Corp 67, 103.45).
schrift2: ← schrîben (4500) st.V. ...dc von vnseren wegen dekein kriege her nahc vf stande, dar vmbe kPnden wir mit scrift an dieser hantfesti alle die imer disen brief gisehent alde h=rent, dc vns her Bertolt... (Corp. 1454a = N 503, 361.35).
Die abstrakten Belege des Lexems schrift treten häufig in der Präpositionalphrase mit schrift auf, die in vielen Fällen nichts anderes als ›schriftlich‹ bedeutet. In einigen Belegen ist die Abgrenzung zur konkreten Bedeutung ›Schriftstück‹ (vgl. schrift1) nicht ganz eindeutig. Insgesamt überwiegen aber bei den 108 ausgewerteten Belegen klar die Patientivbildungen. tât2: ← getuon (215) an.V., tuon (4200) an.V. ...daz her Mertein nu phleger, der vor genant ist, vnd alle sein nach chomen, der vorgenanten chirchen phleger, her Wlfinges iar tach sunderlich vnd vron Dimuten iar zeit auch sunderlich niht an einem tag begen gotlich mit der vor genanten andaht, an dem tag, als vnser itweders iar tach geuellet; vnd swann daz von dem vor genanten hern Mertein od von deheinem seiner nachchomn an ehaft not verlazzen od gesaumt wirt, zehant mit der selben tat der selbe gelt gehœr vnd geualle mich vnd meins vor genanten wirts erben wider an mit allem reht, als wir iz e gehabt haben (0689a = N 265, 211.42).
_____________ 770 Vgl. Fleischer/Barz (1995: 198).
II.1. Derivationstypen
402
ûfvart: ← varn (778) st.V., ûf Adv. [ûfvarn Lexer II: 1706] Dirre brief wart gegeben in dem Jare do von gottes geburt waren Tuseng zweihPndert achzig v] siben iar ze Lucerne an dem Donrstag vor der ufvart vnsers herren... (Corp. 895, 256.9).
In allen Kontexten bezeichnet ûfvart den kirchlichen Festtag Christi Himmelfahrt. Diese Verwendung des Lexems vor allem bei der Datierung der Urkunden verursacht m.E. keine Einschränkung der Motiviertheit der Bildung. ûfvart bleibt auch innerhalb der Datumsbezeichnung noch eindeutig als Abstraktum analysierbar. ...v] dis geschach ze wintertvre vor des schvltheissen hvse an deme samestage vor der vfferte... (Corp. 172, 195.32).
Der zweite Beispielkontext zeigt stellvertretend, dass in vielen Belegen – vermutlich aus Gründen der Ausdruckskürze – der subjektive Genitiv weggelassen wird. Diese Belege weisen auf eine zunehmende Lexikalisierung hin, sind aber noch durchsichtig. ûzvart: ← ûzvarn (46) st.V.; varn (778) st.V., ûz Adv. Geit ein purger in dem Marcht · einem ouzzerem manne iht ze chouffen · lobt in / des ze weren / zN einem tage · laist er des niht · chumt / der chouffer hin in · der purger mach in · mit reht wol versprechen · vnd verbieten seine ouzvart vnz er von im / gar v] gænzleich gewert werde / seiner gFlte (Corp. 3068, 313.41).
vart: ← varn (778) st.V. ...das wir das horten vnde da bi waren do bruder Rupreht von Steckilnbercg an sineme totbette lac · das vnser Cummindure bruder Deymar in fregete uffe sine gehorsam vnde uffe sinen orden vnde uffe sine vart di er zu stunt varen solde das er ime vnde uns allen sagete wannin Steckilnbercg di burch rurete · do begreif er alse er gefreget was so er sich aller rethis virsunne so rurte is von dem Ryche (Corp. 239, 238.16).
Dreimal tritt vart in dem Phraseologismus ze verte bringen auf, was sich wohl mit ›zuwege bringen, anstoßen‹ umschreiben lässt.771 Die entsprechenden Belege haben sich m.E. mit der genannten Wendung verselbständigt und sind nicht mehr auf vart zu beziehen. Sie werden im Folgenden bei der Analyse nicht berücksichtigt. Neben zwei unauffälligen Abstraktbelegen erscheint vart siebenmal in der Bedeutung ›Kreuzzug‹. Der zitierte Kontext zeigt eine interessante Textstelle, in der die Befragung eines Sterbenden am Totenbett über die Herkunft einer Burg geschildert wird. Die vart, von der im Text die Rede ist, ist ein Euphemismus für ›Sterben‹. vergiht2 (›Ausspruch, Aussage, Bekenntnis‹): ← verjehen (2371) st.V.
_____________ 771 Vgl. Lexer (III: 25).
II.1.16. -t
403
ze einem ewigen vrkPnde vnde ze einer Vergiht aller der dinge so da vor geschriben ist / vnde ze einem bande / mit minem Bruodere weren ze sinne so henke ich min Jngesigel an disen brief... (Corp. 1055, 366.13).
verlust: ← verliesen (267) st.V. ...vnd daz mine swager danne den bruderen steten den kouf mit aller der stetegunge der die brudere dar zN bedurfen · vnd in tragen also lange / daz sie schaden vnd verluste dar an sicher werden daz siez mit rehter rede iht verliesen · des hant sie sich gebunden mit disem brieve (Corp 123, 165.3).
Bei 14 der 21 Belege ist das Lexem verlust in rechtssprachliche Wendungen wie zG gewinne oder zG verluste oder vf kost, schaden vnde verlust etc. eingebunden. Diese formelhaften Ausdrücke bezeichnen in Rechtsgeschäften das »Risiko von Gewinn und Verlust von Besitztümern« (DRW IV: 772). verziht: ← verzîhen (933) st.V. ...vnd sin ovch der selben sehs hundert phunt gewert / vnd haben imz / vnd sinem goteshovs in sin hant vf geben / vnd haben vns des selben gutes verzigen / vnd vurziht enphangen/ als Purchreht vnd Landesreht ist (Corp. 1838, 144.18).
vluht: ← vliehen (10) st.V. Swer §zsewendig dirre stat het missetan v] von der vorhte siner schulde fluht hat herin zN dirre stat, der sol sicher hîe inne bliben vnd ensol in nieman freueliche anegrifen; doch sol er rehtes gehôrsam sin (Corp. 0610a = N 238A, 179.25).
widerkunft: ← widerkomen (9) st.V.; komen (3170) st.V., wider Adv. ...v] ob der fvmfen cheiner von der stat fMre der sol den sluzzel der genantem einem lazzen / mit des Rihters wizzen / vnz an sin widerchunft (Corp 888, 251.17).
Obwohl das Verb widerkomen korpusintern belegt ist, kommt es nur bedingt als Wortbildungsbasis für widerkunft in Frage, da es in fast allen Fällen ›wiedererlangen‹ bedeutet. Als primäre Basis der Bildung sehe ich daher auch hier eine verbale Lexemgruppe an (Zusammenbildung). ziht (›Beschuldigung, Anklage‹772): ← zîhen (37) st.V. Vnde swas men mit kuntscheften vindet / das *********** hat genomen / das sol er ime widergeben / aber vmbe den schaden / den der greue giht / das er habe genomen da von / das der von Banacker ime gelobete wider zegebenne / die selben heller / vf eine ziht (Corp. 1524, 690.38).
Laut Paul (1920b: 76) handelt es sich bei mhd. ziht um eine der wenigen Neubildungen mit dem alten -ti-Suffix, die in »jüngerer Zeit« gemacht wurden. zuht: ← ziehen (335) st.V. Jstiz aber ein phert · daz ein man anspricht · daz ime abe gestolen · oder geroubet ist · da sal he sich mit rechte alsus zN zen / he sal mit sime recht) vore / deme pherde treten · vffe den Linken voz vorne · vnde sal mit siner linken hant /
_____________ 772 Vgl. DWB (31: 878).
II.1. Derivationstypen
404
dem pherde grifen an sin rechte ore · v] sal gern der heiligen v] des steueres · v] sal vffe den heiligen dem pherde vber deme houbete · sweren daz daz phert do sin were · v] noch sin si · do iz im abe gestolen oder abe geroubet wart · So zucht sich iener an sin) geweren v] mGz sweren vffe den heiligen / daz he · daz phert ze zN rehter zucht (Corp. 2265, 400.31).
Der obige kultur- und rechtsgeschichtlich sicherlich interessante Beleg des Lexems zuht ist einer von zwei omd. Belegen, die in der Bedeutung ›Anspruch, Berufung‹ im Korpus vorliegen. Diese Bedeutung ist über das Basisverb in der Konstruktion sich ziehen ze ›vor Gericht als sein Eigen nachweisen, Anspruch machen auf, in Besitz nehmen‹773 abgedeckt. Den weiteren (obd.) Belegen liegt hingegen eher die Bedeutung eines Zustandsabstraktums zuht i.S.v. ›Wohlerzogenheit, Liebenswürdigkeit, Gebildetheit; Ordnung‹774 zugrunde. Die einzelnen Belege lassen sich zwar über die Bedeutung ›erziehen, bilden‹ des Verbs erfassen, es ist jedoch deutlich eine Lexikalisierung der Bildung in dieser Bedeutung spürbar. Dass zuht auch in mhd. Zeit über den »inbegriff des durch die höfische erziehung gebotenen verhaltens« (DWB 32: 263) hinaus auch schon ›Anstand‹, ›gutes Benehmen‹ (ebda.) bezeichnet, zeigt der folgende Beleg: Die purgær hant auch den pecken daz ze liebe getan durh zvht vnder den tischen · daz die peckenknehte suln stan innerthalp der prottische / oder prichet daz cheiner / daz er vor den tischen stat vnd vnzuht begat mit worten oder mit werchen / dem sol der purchgraue die stat einen Manot uerbieten (Corp 580, 11.29).
Ein Beleg von zuht in Urkunde 2345 (Wiener Stadtrecht 1296) erwies sich als nicht analysierbar. zuovart: ← varn (778) st.V., zuo Präp. [zuovarn (Lexer III: 1188)] Wand got von himel · vnd di hiligen aller maist werdent gescholten an den Plætzen · da di toplær vnd di vræihait zvvart habent · di wilent in daz gerihte dienten · di wir durch vnser sele hail · vnd durch der Purger bete vGder taten · di verbieten wir vestichlich vnd ewichlich an allen steten in der stat (Corp. 2345, 454.5).
Der einzige weitere Beleg von zuovart erweist sich aufgrund seiner unsicheren lexikalischen Bedeutung als nicht analysierbar:775 ...v] verzihe Mich aller der anespracha die ich wider Min) herren v] das gotshus von Basile heitte v] sunderliche Ande zGverte von frikowe (Corp. 313, 303.17).
zuoversicht (›Hoffnung, Erwartung; Fürsorge‹): ← (sich) versehen (14) st.V., zuo Präp.
...so heizen wir vffen die zNvirsiht die wir zi vnsirme herren han der gewalt het vzir steinen lvte zi machenne (Corp. 93, 138.30).
_____________ 773 Vgl. Lexer (III: 1104). 774 A.a.O.: 1170f. 775 Auch die Regesten (S. 42) zu dieser Urkunde übernehmen die Stelle im Kursivdruck.
II.1.16. -t
405
B. Patientiva (BV-t2): ›das, was jmd. BV/BV wird‹ Lexem abeschrift anstalt brant2 dien(e)st2° geschaft2 geschrift2 getât1° gewerft2 gift2 graft last maht1° mât schrift1 tât1 vergiht1 widerschrift Gesamt
Belege 15 2 1 8 (112°) 1 6 41 (159°) 35 15 1 2 23 (138°) 1 62 26 9 1 249 (586°)
alem bair 13 2 3 2 18 7 1 5 1 30 1 9 92
1 3 1 15 35 5 5 21 6 92
alemschw 2 1 1 2 6
wmd 2 1 12 1 10 1 27
IR1 Kg 2 2 3 7
ofrk IR2 IR3 nd
1 4 5
1 1 1 3 6
1 1
1 1 2
1 2 3
omd 1 7 8
abeschrift: ← abeschrîben (5) st.V., schrîben (4500) st.V. Wir · · der Official von dem kôre ze kostinze vergehen an disem brieve / daz wir dise abeschrift / alse hie obenan geschriben stat / sahen ganze v] vnvorwerzalot von worte ze worte als si ?ch hie ist geschriben (Corp. 559, 500.32).
anstalt (›Ansuchen‹): ← anstellen sw.V. (DRW I: 740) Die bette vnd anstalt erhorten wir vnd lúwen den vorgenanden Garten / dien vorgeschribenen geswestern... (Corp. 2393, 483.15).
Die bei Lexer (I: 63) für anstellen gegebenen Interpretamente ›einstellen, aufschieben‹, können das Lexem anstalt in den Kontexten des Korpus semantisch nicht motivieren. Das DRW (ebda.) hingegen bietet für das Verb die Bedeutungsangaben »im Gericht 1) fragen, beantragen[...] 2) (Klage, Forderung, Urteil) erheben, aussprechen«776, die für anstalt in der vorliegenden Bedeutung die Annahme einer synchronen morphosemantischen Motiviertheit zulassen. In den zwei vorliegenden Belegen thematisiert das Lexem das Objekt der Prädikation ›das, was jmd. anstellt (fordert etc.)‹ und ist als Patientivum zu klassifizieren. brant2: ← brennen (67) sw.V. ...so sol in mán husfrowawe oder swer sin denne rehter erb ist an ir stat / dM selben gMt ze losen geben Mmb shezzich phunt haller oder vmb zwienzich mark
_____________ 776 Für die Bedeutung ›fragen, beantragen‹ bietet das DRW Belege erst ab dem frühen 16. Jh., für ›(Klage, Forderung, Urteil) erheben, aussprechen‹ werden schon Belege aus dem 14. Jh. genannt.
II.1. Derivationstypen
406
sielbers Nevrenberger brandes ob di haller denne verslagen sint... (Corp. 3394, 501.16).
Mit einem Beleg von brant, das sonst nur in abstrakter Verwendung belegt ist, wird eine Silberwährung (WMU I: 283) mit Angabe des Herkunftsortes bezeichnet.777 Obgleich bei dieser lexikalischen Bedeutung aufgrund idiosynkratischer Merkmale der Bildung mit einem Demotivierungsprozess gerechnet werden muss, ist eine synchrone (Teil)Motiviertheit der Bildung gegeben. Diese zeigt z.B. die folgende Konstruktion mit attributivem Part. Prät. viercig marc gebrantes silbers ce gewerfe (Corp. 236) und ferner auch die unter brant1 beschriebene fachsprachliche Verwendung des Substantivs. dien(e)st2°: ← dienen (444) sw.V. daz man sol hern Philippise von Racenhusen geben ein v] zwencig pfenninge von îegelicher hGben, die in den hof zG Vegersheim h=ret, vnd anders keinen dienst (0178a = N 109A, 80.35).
Auf die Schwierigkeit, abstrakte dien(e)st-Belege von patientiven zu trennen, wurde schon bei der Besprechung von dien(e)st1 eingegangen. Dennoch lässt sich für neun der 39 analysierten Belege mit großer Sicherheit eine patientive Verwendung von dien(e)st nachweisen. geschaft2: ← geschaffen (13) st.V., schaffen (650) st.sw.V. Diser ordinunge · vnde gischaftis - sint gizFge · vnd burgen /· her · Friderich· der schenke · uon Limpurch · her · chunr vnd... (Corp. 1235, 489.34).
Wenn auch im oben zitierten Beleg eine abstrakte Lesart für geschaft denkbar ist, so ist doch durch die Nennung von Zeugen aller Wahrscheinlichkeit nach eine Bezeugung des Inhalts des geschafts i.S.v. ›das, was jmd. abgemacht, zustande gebracht hat‹ gemeint. Die Analyse vieler Belege als Patientiva beruht auf diesen eher äußerlichen Kriterien, die aufgrund der häufig gleichen Kontexte als Kriterium herangezogen werden müssen. geschrift2 (›Schriftstück‹): ← schrîben (4500) st.V. Jch div Eptissen vnde elliv div Samenvnge von Kirchhein tNn kvnt allen den die sehent vnde horent dise gegen wertige geschrift daz vns vro Sophie von Mortenetsch hat gegeben so getan aigen alse siv ze Vzzelingen hete... (Corp. 405, 368.44).
getât1: ← getuon (215) an.V., tuon (4200) an.V. ...ob ein schuler / der vnder dem pesem ist · sinen vreunden bi den er ist / haimlich iht enphGret sines gutes / oder ain schuler dem andern · daz sol der Maister rihten mit starchen pesem slegen · Wær aber div gætat so groz · daz sich der Maister des schulers auzzent · so man in denne begriffe / daz solt man gein im rihten als denne reht ist (Corp. 2345, 453.35).
gewerft2 (›Abmachung, Vertrag‹): ← gewerben (3) st.V., werben (161) st.V. _____________ 777 Vgl. DWB (2: 296).
II.1.16. -t
407
Disen gewerft, als er in geworven hat im, also hat er in vch geworven siner havsfr?wen vnd sinen chinden... (Corp. 0182b = N 111, 84.54).
gift2 (›Gabe‹): ← geben (13000) st.V. die selbe gifft / hat mein vraw / dew vor genantew / mit meim gGtten wil - gegeben / der samnunge ze Goss... (Corp. 2547, 571.40).
graft (›Graben‹): ← graben (8) st.V. last: ← laden (10) st.V. Ein lastwagen mit ruhen hMten der treit zwainzik vnd driv hvndert hvte oder mer/ der git ze zolle sæhzehen phenninge. Jst aber minnr druffe danne ein Last / so git man ie von dem hvnderte funf phenninge (Corp. 548A, 483.29).
Der Korpusbeleg zeigt, dass zwischen last ›Ladung‹ und laden st.V. ein semantischer Bezug gegeben ist. Dadurch ist die Bildung trotz der konsonantischen Alternation778 und des daraus resultierenden reduzierten morphologischen Motivationsbezugs zur etymologischen Basis korpusintern als motivierte Bildung zu betrachten.779 maht1°: ← mugen (3700) an.V. ...der sol dem andern beholfen sin mit aller der maht di er gelaisten makch ...(Corp. 1274A, 516.45).
In patientiver Bedeutung bezeichnet das Lexem maht ›das, was jmd. (zu tun) vermag‹.780 mât (›Wiese‹) ← mæjen (6) sw.V. Jhc vorgenemeter vogt vergih ohc da bi daz ihc dem selben · closter han gegeben sehzehen Twinger geltez alliu iar von ain) made indem oborn bGra inmer mer ewecliche (Corp. 2220, 370.35).
Der mhd.-synchrone Motivationsbezug zwischen mât st.N. als Patientivum781 (›etw., das gemäht wird‹) und dem Verb mæjen ist aus heutiger Sicht schwer zu beurteilen. Die Belege, die das DWB (12: 1449) bietet, deuten jedoch auf eine in den Mundarten bis in die heutige Zeit motivierte Bildung hin. schrift1: ← schrîben (4500) st.V. ...als wir vFrgien · an dirre schrift/· dar an wir vnser ingesigel henken (Corp. 1698, 30.34).
Das patientiv verwendete Lexem schrift kann wie im obigen Beispiel ›Schriftstück‹ bedeuten, aber auch ›das Geschriebene‹, wie im folgenden Kontext: _____________ 778 Zum lautlichen Phänomen vgl. PWG (1998: 124, §94). 779 Vgl. Müller (1993a: 331), der last aufgrund der bei Dürer belegten Lexembedeutung ›Gewicht, schweres Bauteil‹ als Simplex behandeln muss. 780 Vgl. DWB (12: 1398), wo Wendungen wie mit aller maht durch »mit aufbietung seiner kraft, so viel man vermag« umschrieben werden. 781 Lexer (I: 2060) belegt daneben auch die Verwendung als Abstraktum.
II.1. Derivationstypen
408
Wande aber nv der briefe eilt/ dP schrift dP dar stat verb=st / da von sint disiv selben reht an disen nPwen brief geschriben / mit willen / wissende / v] rât/ Graven Egens / der herre ist der selben stat ze friburg... (Corp 1797A, 95.3).
tât1: ← getuon (215) an.V., tuon (4200) an.V. swaz der Scholteze dete in der wer des Bischouis gGtis / unde siner lute datin · daz si dar umbe nemanne egeiner beszerunge schuldich sint (Corp. 235B, 235.43).
vergiht1 (›Ausspruch, Aussage, Bekenntnis‹): ← verjehen (2371) st.V. ...das alber von Legerren...verk?fet hat vron hilteburge...vmbe zehendehalbe March silbers der er nach siner offenen vergihte volleklich gewert ist / sin sweighus ze Boppensol... (Corp. 927, 280.28).
Neun der 13 Belege von vergiht werden patientiv in den Urkundentexten verwendet. In fast allen konkreten Belegen dient die Präposition nâch i.S.v. ›gemäß, entsprechend‹ als Indikator für die Betonung des Aussageinhalts, des Ausgesagten. nâch ist hier nicht mit dem homonymen Adverb mit temporaler Bedeutung zu verwechseln. widerschrift (›Abschrift, Vidimierung‹): ← schrîben (4500) st.V., wider Adv. Jn vrkunde diser dinge so hain wir vorgenGmde brGder heynrich / inde brGder Berenger an dise wiederschrift vnse Jngesigele gehangen (Corp 623, 53.8).
Das Lexem widerschrift kann durch die verbale Wortgruppe wider schrîben motiviert sein, die sich korpusintern nachweisen lässt.782 Eine Interpretation als Determinativkompositum aus dem Adverb wider und dem Substantiv schrift ist jedoch ebenfalls plausibel. C. Agentiva (BV-t3): ›jmd./etw., der/das BV‹ Lexem geschiht(e)1 nâchkunft wahte1 Gesamt
Belege
alem
bair
36 8 1 45
8 1 9
6 8 14
alemschw 4 4
IR1
ofrk
2 2
16 16
geschiht(e)1 (›Geschehnis, Angelegenheit, Vorfall; Tat, Vergehen‹): ← geschehen (3600) st.(sw.)V., schehen (4) st.V. Mit 36 von 40 Belegen ist die überwiegende Mehrzahl der Belege von geschiht(e) in agentiver Funktion im Korpus nachweisbar, auch wenn die Trennung von den Abstrakta nicht in allen Fällen eindeutig ist. Die Belege _____________
782 Vgl. z.B. Urkunde 2369, 472.30ff.: »...nach der vrteil dú von Cume har wider gescriben ist / dem der da gewunnen hat ze friburg rihten sol vnd sol ime der gezog niht schaden / der von dem gerihte ze Cume / geschehen ist / als och an den brieven stat / die von Cume her wider gescriben sint.«
II.1.16. -t
409
des Lexems beziehen sich in der Regel auf geschehene Vertragsabschlüsse oder Verbrechen und Ordnungswidrigkeiten, die geschehen sind oder noch geschehen können (Stadtrechte). In der letztgenannten Bedeutung ›Vergehen‹, die von geschiht(e) alleine getragen wird, ist die Bildung negativ konnotiert. Swo aber ein geschichte geschehe bi tage oder bi nachte da sal nieman zN lovfen Nffe sinen eit denne dNrch bescheidenheit die selben geschichte ze scheidene ze bezzerne vnde nicht ze ergerne · Swer hie wider tete vnde des Nber redet wGrde als da vor gesprochen ist der sal die selben bezzervnge tNn als einer der die geschicht getan hat...(Corp. 2303, 426.11ff.).
Die zitierte Textstelle zeigt sehr gut die seltene abstrakte und die agentive Verwendung des Lexems. Während der erste Beleg von geschiht(e) im Rahmen einer funktionsverbgefügeähnlichen Struktur noch allgemein für die ›Tatsache (Möglichkeit), dass etw. (Schlechtes) geschieht‹ steht, beziehen sich die folgenden Belege schon auf ›das, was geschieht/geschehen ist‹. nâchkunft (›Nachkommenschaft‹): ← komen (3170) st.V., nâch Präp./Adv. Daz aber div gab · vnd div frivng · pi vns · vnd pi vnser nahchumft · st(t · vnd vnzebrochen beleib der sammung ze Ranshouen· dar Mber geben wir in den brief · mit vnsern insigeln bewart · ze einem vrchFnd · vnd ze einer gewarheit (Corp. 1465, 655.32)
Das Lexem nâchkunft ist eine Agentivbildung, die als Subjekt der Prädikation eine aus mehreren Personen bestehende Gruppe, die Nachkommenschaft, bezeichnet. Trotz der zusätzlichen kollektiven Bedeutung des Lexems ist nur ein deverbaler Motivationsbezug möglich. Einen eigenen semantischen Typ nehme ich für diese ›kollektiven Agentiva‹ nicht an. Dies kann damit begründet werden, dass die Bildung wortbildungssemantisch mittels einer Agentivparaphrase mit unbestimmtem Subjekt wie ›das, was (alles) nachkommt‹ erfasst werden kann.783 wahte1: ← wachen (6) sw.V. Daz wir Otte der Schultheize / v] der gesworn Rât von vilingen / mit gemeinem Râte / dur nuz v] dur h?te vnser Steitte / ein Ergeir Hiezen Machen / vnde sezzen uf der steitte mure inwendig der fr?wen houestat die man nemet von des vetters Samenunge / v] vergien/ daz wir enhein weg zG d) Ergeir uber der frowen houestat wan mit irem willen / Suln han / es were danne / das man den selben Ergeir dur der Stette not / v] hGte alse die andern Ergere mit wahte besezzen Solte v] mFste... (Corp. 911, 269.289).
Dieser Beleg von wahte ist als Agentivum zu bewerten. Inwiefern der Bildung hier kollektive Bedeutung innewohnt, kann aus dem Kontext heraus nicht ermittelt werden. Im Untersuchungszeitraum sind sowohl die kollek_____________ 783 Brendel et al. (1997: 491, bzgl. sammlung) beschreiben dieses Phänomen als »kollektive Subjektbezeichnung für Personengruppen«.
II.1. Derivationstypen
410
tive als auch die ›persönliche‹ Lesart möglich.784 Auch bei kollektivierendem Nebensinn ist die Bildung als Agentivum zu behandeln, da die Paraphrase ›jmd., der wacht‹ m.E. prinzipiell auch mehrere Personen umfassen kann. D. Lokativa (BV-t4): ›Ort, wo jmd. BV‹ Lexem vurt wahte2 Gesamt
alem 7 1 8
vurt: ← varn (778) st.V. ...zi dem selben vurthe sol nit vbergân wand ein steg der sol nit breiter sin den ein Holz vor dem andern / Dar vber sin wir mit dem Gotshus von wett[in]g[en] vber ein chomen vb si ein Wis wen machon / dc jnen dc nieman wÜrren sol dur den weg zigrabenne also dc vnser vurth nit tiefer Werde (Corp 771, 146.39ff.).785
Wenn vurt und varn aus etymologischer Sicht »in wirklichkeit [...] blosz verwandt [sind] und zwar in so fern, als beide auf ein verlornes gemeinsames, unter diesem letzten worte aufgestelltes älteres wurzelverbum zurückgehn« (DWB 4: 897),
so ist doch aus dem Blickwinkel einer synchronen Wortbildungsanalyse ein semantischer und eingeschränkt morphologischer Bezug zu varn naheliegend.786 Das Lexem befindet sich jedoch sicherlich auf dem Weg der Lexikalisierung. wahte2: ← wachen (6) sw.V. _____________ 784 Vgl. DWB (27: 168, s.v. 8): »wacht kann ferner die mannschaft bezeichnen, die die wache verrichtet. die auffassung ist entweder eine ausgesprochen collective oder es bleibt unbestimmt, ob die wache aus einer oder mehreren personen besteht. diese persönliche bedeutung von wacht ist wol schon für die mhd. zeit anzunehmen [...] im 15. und 16. jahrh. ist sie häufig. die wörterbücher erweisen sie aus dieser zeit nicht, da erklärungen wie ›custodia, excubiae‹ mehrdeutig sind.« 785 Vgl. die Regesten (S. 142) zu dieser (Schweizer) Urkunde, wo genaue Angaben zur Lage und Beschaffenheit der in der Textstelle genannten Furt gemacht werden: »Das ZU. bemerkt Anm. 4 hiezu: ›Da in der Gegend des Straßbergs kein Bach ist, scheint es sich um eine Furt über die Glatt zu handeln, welche man bei Hochfelden überschreiten mußte, um von Bülach nach dem Straßberg zu kommen. Indessen, da nachher von Anlegung einer Wiese die Rede ist, bezieht sich der Steg, welcher zur Furt führt und aus voreinander gelegten Hölzern bestehen soll, wohl auf einen Knüppeldamm über ein Riet, das bei der 1275 dem Kloster Wettingen zugesprochenen Chusrüti bei Hochfelden lag und wohl mit der jetzigen Furtwiese identisch ist.‹« 786 Vgl. DWB (ebda.): »der gedanke, dasz furt gleich fahrt von dem wurzelverbum fahren abgeleitet sei, liegt zwar nahe, und STIELER, STEINBACH, FRISCH, ADELUNG, selbst noch HEYSE lassen das wort von diesem verbum stammen;«
II.1.16. -t
411
Der folgende Beleg von wahte kann m.E. am einleuchtendsten als Lokativum ›Ort, wo gewacht wird‹787 interpretiert werden. ...vmbe den ban indem Mvnster · vmbe die Gloggen · v] vmbe die wachte vf dem wendelsteine [Wendeltreppe, UR] svln die Bvrger han enkeinin gewalt· wan nach diz Bishofes willen · v] des Capitils (Corp. 33A, 63.38f.).
E. Instrumentativa (BV-t5): ›das, womit man BV‹ Lexem gewiht(e)2
Belege 3
alem 1
omd 2
gewiht(e)2 (›Wiegemaß‹): ← wegen (28) st.V.
Das Lexem gewiht(e) weist eine Reihe von Belegen auf, die konkrete Verwendung zeigen. In der Bedeutung ›Gewichtsstück, Wiegemaß‹ ordne ich die Belege den Instrumentativa zu, denn sie bezeichnen den Gegenstand, der zusammen mit einer Waage als Instrument zur Ermittlung des Gewichts oder der Masse eines Gegenstandes dient.788 Darauf weist etwa auch das folgende Belegbeispiel hin: Dit silber / sul wie leiste zv Merseburch / gewegen mit vnses herren des Bischoues gewichte daz von Aldere in siner kameren gewesen is (Corp. 1616B, 751.57).
61 Belege repräsentieren in attributiven Konstruktionen, wie zvrich(er), kostenzer, Erfurter gewiht oder beigefügten Substantiven wie ein v] Drizig mark l=tiges silbers der gewiht von Basil, die Lexembedeutung ›Münzgewicht einer Stadt (zur Angabe des Wertes)‹ (vgl. DRW IV: 763f., s.v. Gewicht V., 2.). Die verwendete Maßeinheit wird wie bei gelœte ›Feingehalt einer Münze‹, gewæge oder marke, marc zu einem Begriff für die geltende Währung und konkurriert hier etwa mit dem ebenfalls schon gebräuchlichen münze (ebenfalls mit Angabe des Münzortes), z.B. fûnf schillinge Strazburger mûnze. Wenn auch der inhaltliche Bezug auf das konkrete Wägemaß, das Gewichtsstück789, im Einzelfall (vgl. Beispiel unten) noch hergestellt werden kann, ist die Lexikalisierung des Lexems in seiner Verwendung im Zah_____________ 787 Diese mögliche Bedeutung von wahte, waht verzeichnet auch Lexer (III: 644f.). 788 Eine andere Möglichkeit bestünde darin, die Belege in der genannten Bedeutung den Agentiva i.S.v. ›etw., das (ein best.) Gewicht hat‹/ etw., das wiegt‹ zuzurechnen. In der Festlegung auf die instrumentative Klasse hat mich nicht zuletzt auch der Eintrag im DWB (6: 5724) bestärkt: »ε)) das wägemasz: gewichte oder lot oder untz. voc. theut. (Nürnberg 1482) m 6a; gewichte dreierhundert pfunt swer. ebenda; gewicht, damit man wägt, pondus, libramentum MAALER 179a; gewicht, wornach man was wäget [...].« 789 Zur Bedeutungsentwicklung von Gewicht und den semantischen Divergenzen und Konvergenzen mit anderen aus der selben Wurzel gebildeten Lexemen (v.a. gewæge, wage) vgl. DWB (6: 5712ff.). Besonders zur vorliegenden Verwendungsweise vgl. aber besonders 6: 5744.
II.1. Derivationstypen
412
lungsverkehr schon zu weit fortgeschritten, um die Wortbildungsbedeutung noch mit einer standardisierten Paraphrase erfassen zu können. Ich betrachte daher die Bildung in dieser Bedeutung als idiomatisiert. ...dc selbe silber han ich dar vmbe enphangen v] wart mir dc giwegen bi der gewiht dc da heiset zvrich gel?te... (Corp. 229, 232.19).
e. Diachroner Vergleich -t
Mhd.
Funktionsklasse Abstrakta Patientiva Agentiva Lokativa Instrumentativa
K-Urk 64,1% 26,6% 4,7% 3,1% 1,6%
Frnhd. K-Dü 50% (50%) 11,1% (13,6%) 11,1% (9,1%) 27,8% (22,7%) -
K-Wü 59,2% 26,3% 10,5% 1,3% 2,6%
Nhd. K-Erf 64,1% 23% 9,8% 6,6% 6,6%
K-Ggespr. 92,1% 2,6% 5,3% -
K-Ggeschr. 88,9% 11,1% -
Tabelle II.1.16.2. Funktionelle Verteilung der -t-Derivate im diachronen Vergleich
Die Übersicht zeigt, dass die funktionelle Verteilung von -t im Urkundenkorpus im Wesentlichen mit den aus den Korpora der Würzburger und Erfurter Arbeitsgruppen gewonnenen Ergebnissen übereinstimmt.790 Die prozentuale Staffelung ist bis auf die in den Vergleichskorpora etwas deutlicher ausgeprägten Instrumentativa identisch. Instrumentativbildungen mit -t sind im Dürer-Korpus791 und den Korpora zum Nhd. nicht bezeugt. Die Agentivbildungen sind wie in den genannten Korpora auch im DürerKorpus stärker vertreten als in den Urkundentexten. Die einmalig hohen Prozentzahlen bei den Lokativa im Dürer-Korpus gehen auf fünf lokativ verwendete Bildungen zum Basisverb fahren und Erweiterungsbildungen davon zurück (Müller 1993a: 334). Vergleichbare Bildungen im Urkundenkorpus sind alle abstrakt aufzufassen. Alle historischen Korpora zeigen im Vergleich zum Nhd.792 eine ausgeprägtere Polysemie des Suffixes. Auf_____________ 790 Die bei Brendel et al. (1997: 558f.) und Döring/Eichler (1996: 197 »Modale Ergänzung«) gesondert aufgeführten Abstrakta der Art und Weise wurden in der obigen Darstellung mit den anderen Abstraktbildungen verrechnet. Ebenso wurde mit den bei Döring/Eichler (ebda.) angeführten Temporalia verfahren. 791 Zum Vergleich wurden die bei Müller (1993a: 337) gesondert geführten, zu einer Lexemgruppe gebildeten Abstrakta zu den übrigen Abstraktbildungen gestellt. Die Zahlen in Klammern geben die Prozentverhältnisse unter Einbezug der von Müller dem Bildungstyp g(e)-t zugerechneten Bildungen wieder. Dabei wurden aber nur die Bildungen aufgenommen, die in dieser Arbeit nicht unter -ede besprochen werden (s.d.). 792 Bzgl. der Zahlen zur geschriebenen Gegenwartssprache vgl. Müller (1993a: 337 Anm. 228). Die Zahlen zur gesprochenen Gegenwartssprache wurden aufgrund des Suffixansatzes -(s)t/-d(e) (Gersbach/Graf 1984/85: 213ff.) an die dieser Arbeit zugrunde liegenden Kriterien angepasst, wodurch sie sich geringfügig von den Angaben bei Gersbach/Graf (a.a.O.:
II.1.17. -tuom
413
fälligerweise ist es gerade die im Urkundenkorpus, dem Würzburger und Erfurter Korpus zweithäufigste Funktionsklasse der Patientiva, die in den nhd. Korpora überhaupt nicht repräsentiert ist.
II.1.17. -tuom a. Lexembestand (13) banwarttuom eigentuom herzentuom/ irretuom meiertuom (5) siechtuom vürsttuom (6)
bürgetuom* (2) heiltuom herzogentuom (3) keisertuom schultheizentuom (3) vrîtuom (5) witewentuom
Als idiomatisiert betrachte ich die Bildung bischtuom793 ← bischof. Bei dem Lehnwort viztuom < lat. vicedominus794 handelt es sich nicht um eine -tuomBildung. b. Morphologie 1. Suffixstatus Das freie Lexem tuom, dessen Bedeutung mhd. etwa mit ›Macht, Herrschaft; Würde, Stand; Besitz, eigentümlicher Zustand etc.‹795 wiederzugeben ist, ist im Urkundenkorpus nicht belegt.796 Tschentscher, die den Suffixstatus von tuom selbst nach dessen Aussterben im 16. Jh. noch anzweifelt797, geht bei der Grammatikalisierung des freien lexikalischen
_____________
793 794 795 796 797
215), aber auch von den schon von Müller (1993a: 337) neu berechneten Prozentverhältnissen unterscheiden. Für die Neuberechnung wurde lediglich die -de-Bildung Freude ausgeschlossen. -d-Bildungen (denn vgl. mhd. brant, Gen. brandes und mât, Gen. mâdes) und -teBildungen (vgl. mhd. wahte) wurden mitgerechnet. Vgl. Tschentscher (1962: 44). Vgl. DWB (26: 387). Vgl. Lexer (II: 1574). Vgl. Meineke (1994: 503ff.). Ebda.
414
II.1. Derivationstypen
Morphems zum Suffix von einer längeren Zeitspanne, einer »Zwischenstufe in der Entwicklung«, aus.798 Dieser Zwischenstufe entspräche nach der heutigen sprachwissenschaftlichen Terminologie wohl der umstrittene Begriff des »Suffixoids«.799 Die Belege des Urkundenkorpus lassen es zu, -tuom als Suffix zu behandeln, zumal; wie erwähnt; das freie Lexem tuom nicht belegt ist und Bildungen auf -tuom häufig in Konkurrenz zu anderen Derivaten treten, vor allem solchen auf -heit oder -schaft. Dies könnte den Suffixcharakter für Sprecher des Mittelhochdeutschen betont haben. Auch das reihenhafte Vorkommen von -tuom-Bildungen für bestimmte Bedeutungsbereiche kann als weiteres Kriterium herangezogen werden. Einen nachweislichen Status als Suffix konnte tuom laut Tschentscher (1962: 68) erst um das Ende des 18. Jahrhunderts erhalten, als es nach seinem Verschwinden als selbständiges Wort im 16. Jh. als Ableitungsmittel nutzbar gemacht wurde. 2. Suffixvarianten Der einzige niederdt. Beleg für eigentuom zeigt die zu erwartende alte Lenis -doym. Ein alem. Beleg hat eine vermutlich lenisierte Form in herzogendNme. Die Leitform im Alemannischen ist -tGm/-tNm mit sieben Belegen. Zwei Belege haben die Graphie -tGn, einer davon liegt im Bereich zum Alem.Schwäb. Zwei Belege mit der Graphie -ton sind vermutlich monophthongiert. Im Bair. dominiert mit neun Belegen die Graphie -tvm/-tum ohne Bezeichnung des Diphthongs. Vier weitere bair. Belege sind als -tGm/-tNm realisiert. Vier omd. Belege weisen dreimal die Graphie -tGm einmal -tvm auf. Ein Beleg in einer Königsurkunde zeigt die Genitivform -tNmmis. 3. Basisalternanz und Genus Ein Fugenelement -(e)n- weisen folgende Bildungen auf: herzogentuom (alem.), zweimal in kontrahierter Form herzentuom (bair.), zweimal schultheizentuom (alem.), sechsmal vürsttuom (2 bair., 4 omd.), einmal witewentuom (bair.). Die Bildung heiltuom ›Reliquie‹ ist vermutlich aus heilictuom verkürzt.800 _____________ 798 Vgl. Tschentscher (1962: 68f.). 799 Eine kurze inhaltliche Darstellung der Diskussion und der Kritik an dem Begriff bietet Donalies (2002: 25f.). 800 Vgl. Piltz (1951: 51).
II.1.17. -tuom
415
Das Genus der Bildungen schwankt zwischen Maskulinum und Neutrum. Jeweils acht Belege konnten relativ sicher maskulinem (bürgetuom, eigentuom, vrîtuom) und neutralem (schultheizentuom, meiertuom) Genus zugeordnet werden. Für den Rest ist eine sichere Zuordnung nicht möglich.801 4. Basisaffinität Die Wortbildungsbasen sind zu 61,5% Substantive und zu 30,8% Adjektive. Einzig irretuom wird korpusintern als deverbale Bildung angesehen (7,7%).802 Auf diese Deutungsvariante hat schon Paul (1920b: 83) hingewiesen: »Wohl nicht aus einem Verb. abgeleitet, aber im Sprachgefühl an ein solches angelehnt sind Irrtum und Wachstum.« Beim Ansatz eines Basisverbs ist von einem Fugenelement auszugehen, in unserem Beleg -i-. c. Motivationsdichte Für alle Belege konnte die Basis synchron innerhalb desselben Sprachgebietes nachgewiesen werden (= Basisrang 1). d. Wortbildungsfunktion Funktionsklasse A. Abstrakta -tuom1
Paraphrase ›Tatsache, dass jmd. BS ist‹
B. Lokativa -tuom2
›Gebiet von BS; Verwaltungsbereich von BS‹ ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹ ›jmd./etw., der/das BA ist‹ ›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹
C. Abstrakta -tuom3 D. Agentiva -tuom4 E. Abstrakta -tuom5 Gesamt
Basiswortart Substantiv Substantiv
Beispiel schultheizentuom
Lexeme / Belege Anzahl Prozent 7/11 46,7/35,5
herzogentuom
3/11
20,0/35,5
Adjektiv
siechtuom
3/7
20,0/22,6
Adjektiv
heiltuom
1/1
6,7/3,2
Verb
irretuom
1/1
6,7/3,2
15/31
Tabelle II.1.17.1. Funktionelle Verwendung der -tuom-Derivate
_____________ 801 Die Genusangaben des WMU sind nicht immer am Einzelbeleg nachprüfbar. Solche Fälle werden als Bildungen mit unsicherem Genus angegeben. 802 Vgl. Brendel et al., die aufgrund ihres Kopus und der Paraphrasenbildung genauso verfahren (1997: 448).
II.1. Derivationstypen
416
Auch im Urkundenkorpus überrascht die funktionale Vielfalt der -tuomBildungen im Hinblick auf die geringen Lexemzahlen.803 Die überwiegende Funktion ist die Bildung von Abstrakta aus substantivischen Personenbezeichnungen. Die hier erfassten Bildungen bezeichnen allesamt einen Rechtszustand einer bestimmten Person oder Personengruppe, der durch die adelige Herrschaftsgewalt, das Innehaben eines Amtes oder einen bestimmten rechtlich relevanten Zustand (witewentuom, bürgetuom) zustande kommt. Die zweitwichtigste Gruppe der Lokativa ist sekundär aus metonymischer Übertragung der Abstrakta unter -tuom1 entstanden. Aus vürsttuom, der Herrschaft eines Fürsten (über ein Gebiet), konnte so letztlich die Benennung des unter dieser Herrschaft stehenden Gebiets selbst werden. An dritter Stelle stehen deadjektivische Abstrakta. Die folgenden beiden Funktionsklassen der deadjektivischen Agentiva und deverbalen Abstrakta sind mit jeweils nur einem Lexem und einem Beleg im Korpus vertreten. A. Abstrakta (BS-tuom1): ›Tatsache, dass jmd. BS ist‹ Lexem banwarttuom bürgetuom* keisertuom meiertuom1 schultheizentuom vürsttuom1 witewentuom Gesamt
Belege
alem
bair
Kg
1 2 1 1 3 2 1 11
1 1 3 5
2 2 1 5
1 1
banwarttuom: ← banwart (›Aufseher über einen Bann, eine Gemarkung‹)
(23) st.sw.M.
So s=lent die lvte in diseme dorf an dem palmetage drie banwarten setzen uber ir velt ze behMtende, der sol der vronehof einen gen, der gMt von Norggazzen einen, so lit hie ein gNt, deme giht man diu eigen, daz sol ovch einen geben. An deme selben tage so sol in der schultheize die banwartNm lihen, darvmbe git ime ielicher einen schillinc (Corp. 3598b = N 815, 582.35).
bürgetuom* (›Bürgschaft‹): ← bürge (1260) sw.M. ...vnd sint die auch vngetwngenlichen / vnd vnuersaidenlichen / PMrgen warden/ vnd habent des ir triwe geben / als si sweren sholden / in des selben wishofes hant / daz si disen pFrgetum stæt behalten / als an disem prif besheiden ist... (Corp. 690, 100.30).
_____________ 803 Vgl. auch Tschentscher (1958: 2f.), Henzen (1965: 191), Brendel et al. (1997: 449).
II.1.17. -tuom
417
Das mhd. nur im Korpus bezeugte bürgetuom ist zahlenmäßig kein Konkurrent zum 116-mal belegten bürgeschaft. keisertuom (›Kaisertum; Regierungszeit e. Kaisers‹): ← keiser (103) st.M. Dis geschach des Jares do von Cristes geburte warent ElifhPndert / Sehszig / vnde vier Jar / Jn dem zwelftin jare Romisches zinsis / Do der herre Keiser Friderich von Rome Richesiht in dem zwelftin jare sines Riches / vnde jndem Núnden jare sines keisers tNmmis (Corp. 1653, 780.35).
Der oben zitierte Beleg bereitet aufgrund des Genitivs von keiser Probleme. Wenig wahrscheinlich ist, dass der Schreiber wegen der Distanzstellung von tuom hier fälschlich zweimal den Genitiv setzte. Es könnte sich daher um ein Fugenelement handeln, zum anderen aber auch um ein echtes Genitivverhältnis innerhalb eines Determinativkompositums. In obiger Textstelle, in der Kaiser Friedrich Barbarossa gemeint ist, der 1152 zum König und 1155 zum Kaiser gekrönt wurde, ist die Gegenüberstellung von rîche, hier zu verstehen i.S.v. ›Herrschaft‹, und der -tuom-Bildung besonders beachtenswert. Einerseits wird hier diese abstrakte Bedeutungskomponente der -tuom-Bildung aktualisiert, andererseits muss aber gerade auch deshalb die Frage gestellt werden, ob diese Opposition nicht besonders die Interpretation von keisertuom als Kompositum nahelegt.804 Eine endgültige Klärung dieses Problems ist an dieser Stelle nicht möglich. meiertuom1 (›Meieramt‹): ← meier (›Gutsverwalter‹) (381) st.M. An der selben stat enzeh ?ch ich mich alles des rechtes · des ih von MeiertNme / alde von vogetêie hatte an dem Wingarten... (Corp. 92, 132.37).
schultheizentuom: ← schultheize (1150) sw.M. Vnd erkennen ime ze rechtigunge in Vnsir stat / Vierzic march ierlich / ze sant Martins mez / Vnd zWo march Von dien Hofstetten / Vnd dez schultheisctGm/ Vnd das girichte / Vnd den zol... (Corp. 169, 193.44).
vürsttuom1: ← vürste (286) sw.M. Dar zv daz wir ervollen dev tail christenliches FGrsten tvmes / getriwelich · so vertreiben wir di Juden von der pflegenNsse der Ampt ze Wienne / dar vmbe / daz si vnder den eren der herschefte · oder des offenne amptes di Christen niht beswæren · seit rehter gewalt von alten ziten ze rache der begangenne iNdischen sNnden den selben ivden ewigen dienst hat auf gesetzet (Corp. 2345, 453.1f.).
witewentuom: ← witewe (112) st.sw.F. ... ein man oder ein wip / di an dem witibtGm · oder an dem chæuschen leben wellent beleiben... (Corp. 2345, 456.35).
_____________ 804 Eine ähnliche Belegstelle behandeln Brendel et al. (1997: 450) bei kaisertum, jedoch ohne dabei die Möglichkeit einer Komposition in Betracht zu ziehen, wie auch der Suffixstatus von -tum nie angezweifelt wird.
II.1. Derivationstypen
418
B. Lokativa (BA-tuom2): ›Gebiet von BS; Verwaltungsgebiet von BS‹ Lexem herzogentuom meiertuom2 vürsttuom2 Gesamt
Belege
alem
bair
omd
3 4 4 11
1 4 5
2 2
4 4
herzentuom/herzogentuom: ← herzoge (1360) sw.(st.)M. ...das wir drie / bi dem eide / so wir ein andren gesworn han / div lehen / div inder iungen herschaft von kiburch sint / vnd von dem riche dar ruerent / older von dem HerzogendNme / von Swaben / als bruoder teilen mit ein andren suln (Corp. 151, 185.35).
meiertuom2 (›Verwaltungsgebiet eines Meiers‹): ← meier (381) st.M. Jch vergihe ?ch, daz ich...den hof ze Senneh) mit allem, so dar zN h=ret, ... v] die h=ue Dúrstorf,..., Altkilch mit sinen meiierampten...., dar zN dP d=rfer Tanne v] Domarkilch mit den lúten, vogteiien, meiiertGme, akern v] matten, holz v] velt, twing v] ban, mit allem gGte, mit allem rechte, so dar zN h=ret, von dem gottishus ze Basile ze lehen habe... (Corp. 0346a = N 154A, 113.6).
In vier Fällen von meiertuom sind die Belege als Lokativa zu interpretieren. Sie bezeichnen eher den Wirkungsbereich als das Amt des Meiers. Doch ist die Unterscheidung dieser beiden Bedeutungen nicht immer einfach, wie sich v.a. auch bei den -schaft-Bildungen zeigt. Für einen Beleg von meiertuom (vgl. -tuom1) wird abstrakte Bedeutung angenommen. vürsttuom2 (›Verwaltungsgebiet e. Fürsten‹): ← vürste (286) sw.M. ...daz wie hinnen vort nichein vnse hus/ noch vnser stete / noch vnse lant / noch vnse lute / noch vnse vurstentGm / vorkoife / vorsetze / vorlie / noch vorgebe sullen wider sinen willen... (Corp. 1286, 529.1).
C. Abstrakta (BS-tuom3): ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹ Lexem eigentuom siechtuom vrîtuom Gesamt
Belege
bair
nd
1 1 5 7
1 5 6
1 1
eigentuom (›Eigentums-/Verfügungsrecht‹): ← eigen (274) Adj. ...so gheue ich vmme godes willen der ebbedissen v] irme conuente den eghendoym des vorbenomden gudes eweliken v] vmmermer to behaldene... (Corp. 1913, 186.25).
II.1.17. -tuom
419
eigentuom ist im Zeitraum des Urkundenkorpus noch keine gemeinmhd. Bildung. »Vom Niederrhein verbreitet sich eigentuom über Norddeutschland vom 13. Jh. an, im Süden wird es wohl erst in neuhochdeutscher Zeit üblich [...]«.805 Der obige niederdeutsche Beleg fügt sich also in dieses Bild. Das gemeinhin deadjektivisch beschriebene Lexem benennt hier das ›Eigentumsrecht‹, was jedoch auch einen Bezug auf das Substantiv eigen plausibel erscheinen lässt. Dieser soll hier jedoch nicht als primär angenommen werden, da die Belege des WMU (I: 427) für eigen st.N. zeigen, dass dieses im Niederdeutschen selbst schon das ›Eigentumsrecht‹ bezeichnen kann. Ich verzichte daher in diesem Falle auf die Annahme von Doppelmotivation, da die Bildung als desubstantivisches Derivat u.U. als idiofunktionale Bildung einzuschätzen wäre.806 Unter diesem Gesichtspunkt bestätigt sich somit die Aussage Wilmanns', dass sich Bildungen auf -tuom »in Verbindung mit unpersönlichen Wörtern zuweilen nicht merklich vom Simplex« unterscheiden (1899: 392f.). Dem Lexem eigentuom steht im Korpus die usuelle -schaft-Bildung eigenschaft807 (408) gegenüber. siechtuom (›Krankheit‹): ← siech (112) Adj. V] wan ich dem abte v] der samnvnge zegezivge bin genant v] mich êhafte sichtNms not irret, daz ich selbe zedem tage nicht kommen mac, so gib ich doch disen brief mit minem jnsigel ze vrchvnde (Corp. 0113a = N 89, 61.8f.).
vrîtuom (›Privileg‹): ← vrî 808 Adj. Vber di sach alle verbáten wir allen den vorsprechen / vnd taidingæren / di in vnserem lande sint bi dem aide vnd fvmf pfvnden - daz si immer iht getaidingen / oder ertailn wider allen den vreitvm / vnd wider div reht div wir dem Gotshavs ze Ratenhaslach / enhant haben / vnd im gevestet haben mit vnseren bráven (Corp. 2087, 299.19).
vrîtuom ist stets in der Bedeutung ›Privileg‹ im Korpus verwendet und zeigt über eine »Tendenz zur Lexikalisierung«809 hinaus schon einen relativ hohen Lexikalisierungsgrad. Die Bildung ist mit gewissen Einschränkungen aber noch über die Paraphrase ›Tatsache, dass jmd/etw. BA ist‹ erfassbar und wird noch in der Analyse berücksichtigt.
_____________ 805 Tschentscher (1962: 6). 806 Idiofunktionale Bildungen ziehe ich nicht zur Konstitution von doppelmotivierten Klassen heran, da ich das Kriterium der gleichrangigen Motiviertheit hier nicht gegeben sehe. 807 Für diese nehme ich jedoch Doppelmotivation durch Basisadjektiv und Basissubstantiv an. 808 Zum Bearbeitungszeitpunkt liegt mir keine genaue Belegzahl für vrî vor. Das Adjektiv ist jedoch im Korpus sicherlich viele tausend Mal belegt. 809 Vgl. Brendel et al. (1997: 504) über freyung.
II.1. Derivationstypen
420
D. Agentiva (BA-tuom4): ›etw., das BA ist‹ Lexem heiltuom
alem 1
heiltuom (›heiliger Gegenstand, Reliquie‹) : ← heilic (581) Adj. Si hant ?ch gelobit daz si inen iren schaden sPln abetNn den si · v] ir gesinde namen von der selben getat / an wine / an korne/ an gewande / v] an andern dingen / ane heiltNn (Corp. 1651A, 774.32).
Das Lexem heiltuom bezeichnet im Urkundenkorpus einen heiligen Gegenstand. Als Basis ziehe ich das suffigierte Adjektiv heilic heran. Das zweimal belegte Adjektiv heil ›heil, verheilt‹ kommt nicht als semantische Motivationsbasis in Betracht. Mit Piltz (1951: 51) ist davon auszugehen, dass das »mhd. viel gebrauchte heiltuom […] wahrscheinlich aus heilictuom verkürzt [ist].«810 E. Abstrakta (BA-tuom5): ›Tatsache, dass jmd./etw. BV‹ Lexem
alem
irretuom
1
irretuom (›Behinderung, Anfechtung‹): ← irren (345) sw.V. ...habin luterlich durch got gegebin · an alle vorderunge vnd irritGn vnserre erbo / dem vorgenanten closter ze salmanswiler (Corp. 3529, 595.43).
Die überwältigende Belegzahl des Basisverbs irren, das mit 345 Belegen nur einem Beleg des Adjektivs irre gegenübersteht, legt für irretuom deverbale Motivation nahe. Auch die kontextuelle Verwendung mit subjektivem Genitiv befürwortet die Annahme des Basisverbs. e. Diachroner Vergleich Die folgende Übersicht zeigt die funktionelle Streuung des Suffixes mhd. -tuom, nhd. -tum in den jeweiligen Einzelkorpora811. Das Dürer-Korpus _____________ 810 Vgl. auch Brendel et al. (1997: 447). Müller (1993a: 364) sieht die Bildung enger an das Substantiv Heil geknüpft und klassifiziert heiltum als idiomatisiert. 811 Vgl. Müller (1993a: 364), Brendel et al. (1997: 560f.), Döring/Eichler (1996: 235f.), Gersbach/Graf (1984/85: 203) und DW (1975: 92f.). Die bei Brendel et al. (ebda.) als semantisch vage klassifizierten Belege/Bildungen bleiben in der Darstellung unberücksichtigt, die Gesamtzahl bleibt daher unter 100%. Auch die Prozentwerte aus DW (ebda.) und Gers-
II.1.17. -tuom
421
und das Korpus zur gesprochenen Gegenwartssprache haben aufgrund ihrer geringen Lexemzahlen nur bedingt Vergleichswert und können hier weitgehend unberücksichtigt bleiben. -tuom Funktionsklasse Abstrakta (BS) Lokativa (BS) Abstrakta (BA) Agentiva (BA) Abstrakta (BV) ›BA-machen‹Paraphrase Idiofunktionalia (BS) Kollektiva (BS)
Mhd. K-Urk 46,7% 20,0% 20,0% 6,7% 6,7%
K-Dü [1] [2]
Frnhd. K-Wü 35,5% 35,5% 11,8% 5,9%
K-Erf 12,5% 31,3% 6,3% -
Nhd. K-Ggespr. K-Ggeschr. 74,2% 25,0% [1] 3,8% 25,0% [1] 2,3%
-
-
5,9%
6,3%
-
-
-
-
-
37,5% 6,3%
25,0% [1] -
13,6%
Tabelle II.1.17.2. Funktionelle Verteilung der -tuom-Derivate im diachronen Vergleich
Es zeigt sich, dass im mhd. Urkundenkorpus und im Korpus der geschriebenen Gegenwartssprache den desubstantivischen Abstrakta die größte Bedeutung zukommt. Das Würzburger Korpus schließt hier an, die deadjektivischen Abstrakta nehmen dabei jedoch den gleichen Prozentrang ein. Auch das Erfurter Korpus (31,3%) und das Urkundenkorpus (20,0%) belegen diese Funktionsklasse an gleichermaßen bedeutender Stelle, während sie in anderen Korpora nicht auftritt (Dürer: ein Beleg). Die Klasse der desubstantivischen Lokativbildungen ist in den mhd. Urkunden gut belegt (20,0%), im Frnhd. weist sie nur das Erfurter Korpus und im Nhd. im Wesentlichen nur das Korpus der geschriebenen Gegenwartssprache auf. Ihr prozentualer Anteil nimmt vom Mhd. bis zum Nhd. allerdings um 16,2% ab, wodurch ihnen in der Gegenwartssprache nur noch geringe Bedeutung zukommt. Die vorrangige Bezeichnung von Herrschaftsbereichen hat sich hierbei nicht geändert. Nicht mehr von Bedeutung scheinen im Nhd. die deadjektivischen -tum-Bildungen zu sein. Das Mhd. und Frnhd. zeigen die deadjektivischen Abstrakta noch als ausgeprägte Funktionsklasse. Im Würzburger Korpus macht sie sogar 35,5% des Gesamtanteils aus, die deadjektivischen Agentiva sind hier mit 11,8% ebenfalls am frequentesten. Die Arbeiten zum Nhd. verzeichnen derartige Bildungen nur in Restgruppen. Deverbale Abstraktbildungen weisen mit dem Urkundenkorpus nur noch das Korpus der Würzburger Arbeitsgruppe und das Korpus der geschriebenen _____________ bach/Graf (ebda.) bleiben insgesamt unter 100%, da die jeweils in einer Restgruppe erfassten Bildungen (DW: acht Lexeme, Gersbach/Graf: ein Lexem), darunter auch deadjektivische Agentiva (Eigentum) und deadjektivische Abstrakta (Reichtum), ebenfalls nicht in der obigen Übersicht berücksichtigt wurden.
II.1. Derivationstypen
422
Gegenwartssprache auf. Ihre Lexemzahl bleibt stets gering.812 Die im schriftlichen Gegenwartsdeutschen gebräuchlichen Kollektiva (13,6%) auf -tum begegnen erst im frnhd. Erfurter Korpus, allerdings mit einem noch deutlich geringerem Gesamtanteil (6,3%).
II.1.18. -unge (-igunge) a. Lexembestand (202) abelâzunge anderunge (7) atzunge (2) begrîfunge bekumberunge berehtung bescheidunge (5) besetzunge (5) bestætigunge (47) bestiftunge* betrahtunge (19) bevridunge bewîsunge (3) bivilinge* (2) einhellunge engunge erkennunge erniuwunge ervarunge (2) êwigunge* gesetzunge* gewinnunge (3) handelunge (4) hôhunge irresalung (4) krenkunge* lâchenunge* leidegunge (3) lernunge (3) lîhunge
abeslahunge anevehtunge barmunge (3) behebunge* benennunge bereitunge beschidunge* beslihtunge* bestætunge (27) besuochunge (2) bevelhunge (2) bewærunge (13) beziugunge (36) ebenhellunge einunge (35) entzîhunge* erkoberunge (2) erstatunge ervollunge gedenkunge (2) gevolgunge* (2) gewonunge* heimsuochunge (2) hûfunge (4) irrunge (19) kündunge (5) ladunge (4) leistunge (6) lîbunge lôsunge (19)
ahtunge (13) anvertunge* (2) begêunge* bekêrunge (5) beredunge (12) berihtunge (10) beschrôtunge* besnîdunge bestatunge beswærunge (3) bevestenunge (6) bewarunge bezzerunge° (88) ebenunge (30) endunge ergetzunge (16) erlabunge êrunge (6) erziugunge (2) gehellunge (16) gewartunge geziugunge (3) heizunge hûsunge (3) kêrunge labunge ledegunge (4) lengunge lîhterunge manunge (41)
_____________ 812 So findet sich im Urkundenkorpus und im Würzburger Korpus nur jeweils ein Lexem, das Korpus der geschriebenen Gegenwartssprache weist drei Lexeme auf.
II.1.18. -unge (-igunge)
meinunge (4) missehellunge (56) nihtunge* offenunge (20) phandunge (37) rehtvertigunge (2) rüegunge schalkunge schickunge senfterunge slîzunge* stætunge1 (13) stiftunge (7) teilunge1 (35) trahtunge (3) ûfsatzunge urscheidunge* verdamnunge vergezzunge (2) verjehunge (2) verkumberunge* versatzunge (3) versuochunge (2) verzîhunge (9) vestunge vorbetrahtunge (4) vristunge vüerunge vürgebunge warnunge (16) werunge (44) widerlegunge (16) widersprechunge wîsunge (21) wolgevallunge* ziugsalunge zornunge zwingunge
mêrunge (3) mitehellunge niuwerunge (3) ordenunge1 (57) rehtunge1 (19) reitunge (14) samenunge° (19) schatzunge (9) schidunge° (61) sicherunge (2) stætigunge1 (88) stætunge2 (2) stœrunge teilunge2 (8) trôstunge (10) underscheidunge (2) ûzrihtunge (5) verebenunge (2) verhengunge (4) verkêrunge verlîhunge verslihtunge vertigunge (32) vestenunge° (20) volgunge vorderunge° (48) vrîunge1 (21) vuorunge vürlegunge (7) wartunge wesunge widerruofunge* widertrahtunge* (2) wîterunge wonunge (2) ziugunge (2) zuogehœrunge
423 minnerunge (4) niderlegunge niuwunge ordenunge2 rehtunge2 (3) rihtunge (46) satzunge° (47) scheidunge (10) schirmunge slihtunge (4) stætigunge2 (3) sterkerunge sûmunge (11) tragunge ûfgebunge (7) underwîsunge (2) ûzsagunge* vergeltunge verhœrunge verkoufunge (2) verrihtunge (30) versûmunge (3) verziehunge* vestigunge (5) volvüerunge* (2) vorladunge vrîunge2 (6) vürderunge (36) wandelunge (38) werrunge (6) widemunge (2) widersachunge* widerunge wizzunge* zerunge (18) zôninge* zweiunge (35)
Insgesamt sechs Lexeme sind verschiedenen Basiswortarten zuzuordnen. Sie treten vorwiegend als deverbale Bildungen im Korpus auf, in bestimmten Kontexten lassen sich diese aber nur mit ›BS‹ (-unge4) (ordenunge, rehtunge, teilunge) oder in einer Paraphrase mit Basisadjektiv (-unge6) (stætunge,
II.1. Derivationstypen
424
stætigunge, vrîunge) adäquat beschreiben. Da von homonymen Bildungen auszugehen ist, werden sie zweimal gezählt, wodurch sich die Gesamtlexemzahl von 202 statt 196 Lexemen ergibt. Einige Bildungen werden aus der Untersuchung ausgeschlossen. Idiomatisiert sind innunge ›Innung, Zunft‹ ← innen u.a. ›sich anschließen‹813 und hantvestenunge, hantvestunge ›Schriftstück, Urkunde‹814. Aufgrund unsicherer lexikalischer Bedeutung und der mutmaßlichen Verwendung als Flurname wird ferner das Lexem steinung ›Steinbruch?, steiniges Gebiet?‹815 nicht berücksichtigt. Die maskuline Bildung samenunc816 (41) ›Versammlung, Konvent‹ wird ebenfalls nicht aufgenommen. Das einmal belegte beschatzunge ›Steuer, Abgabe‹ kann semantisch nicht über das Basisverb beschatzen ›besteuern, mit einer Geldabgabe belegen‹ motiviert werden. Nur zwei Belege des Lexems atzunge lassen sich über das Basisverb atzen/etzen motivieren. In den Bedeutungen ›Streitigkeit; Futtergeld (u. dessen Einforderung)‹ ist der semantische Bezug zum Basisverb verlorengegangen. Ferner kann das Lexem einunge in diversen Einzelbedeutungen wie ›Bruch e. Vereinbarung; Strafmaßnahme; Bann-, Rechtsbezirk‹ nicht mehr auf die Basis einen bezogen werden und ist in diesen Bedeutungen als idiomatisiert anzusehen. Ein Beleg des Lexems werunge bedeutet vermutlich ›Währung‹ und ist in dieser Bedeutung idiomatisiert. wîsunge2 liegt weit überwiegend in der metonymischen Bedeutung ›Visitationsgebühr‹ vor. Das Lexem erscheint in dieser Bedeutung als idiomatisiert, ein Bezug zum Verb wîsen ›besuchen‹ ist nicht mehr herstellbar. In einigen Fällen mag noch die abstrakte, aber auch dann schon starke Lexikalisierungstendenzen aufweisende Bedeutung ›jährl. Besuch des Grundherren‹ gemeint sein. Eine sichere Trennung von ›Visitationsgebühr‹ ist aber nicht möglich, so dass ich das gesamte Lexem als idiomatisiert betrachte und aus der Untersuchung ausschließe. Einen besonderen Fall stellt das Lexem ûzscheidunge (›(Rechts)Vorbehalt‹) dar: So geben wir och vf! v] enziehen Pns genzelich v] gar! allir der vzscheidvnge! v] der ansprache so widir disem kovfe îêmir m=hte beschehen (Corp. 0298B, 293.30).
Der Beleg von ûzscheidunge im Einredeverzicht gibt exceptio der lateinisch verfassten Parallelurkunde 298A in dessen juristischer Bedeutung ›Einre_____________ 813 Vgl. Lexer (I: 1440). 814 Ein Verb hantvesten(en) ist mhd. nicht nachweisbar. Eventuell handelt es sich bei der -ungeBildung um eine Zusammenbildung aus mit der hant vesten(en) oder um eine idiofunktionale Erweiterung zur deadjektivischen (Konversions?)Bildung hantveste (vgl. Kluge 1999: 353 ›mittelalterliche Vergleichungsurkunde‹). 815 Vgl. DWB (18: 2157). 816 Zur Entstehung des mask. Genus aus -unge vgl. z.B. Braune/Eggers (1987: §207 Anm. 2).
II.1.18. -unge (-igunge)
425
de, Protest‹ wieder.817 Das DRW (I: 1087) verbucht einzig den vorliegenden Beleg unter der Bedeutungsangabe ›Vorbehalt‹. Die indigene Motivierbarkeit der Bildung über das Verb ûzscheiden818 ist fraglich. Die Verbbelege im DRW (I: 1086f.) gehen einmal nicht vor das Jahr 1381 zurück, des Weiteren scheint eine Paraphrase mit den im DRW gebuchten Bedeutungen ›aussondern; zuteilen, vermachen; bestimmen; ausschließen; eine Ausnahme machen‹ etc. zu aufgezwungen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist deshalb bei ûzscheidunge in der vorliegenden Bedeutung von einer Lehnprägung819 gemäß dem lat. Vorbild auszugehen. Das Lexem wird aus der Untersuchung ausgeschlossen. Ein Beleg von zerunge liegt in der metonymisierten Bedeutung ›Kosten‹ vor (Corp. 1101, 396.8) und bleibt im Folgenden unberücksichtigt. Die Lexeme begnâdunge, besitzunge, erholunge und vervehtunge sind nur in einer gefälschten Plauener Urkunde (Corp. 222AB) aus dem 14. Jh. belegt, die wir aus der Materialgrundlage der Untersuchung ausgeschlossen haben. b. Morphologie 1. Suffixmorphologie Wie die folgende Übersicht zeigt, stellt -unge820 mit einem Anteil von 76,8% im Korpus eindeutig die Normalform des Suffixes dar. Apokopierte Formen finden sich gelegentlich im Alem. (5,4%), deutlich sind sie aber vor allem im bair. Sprachraum (41,0%) vertreten.821 Die Verteilung der Formen -inge, -enge und -onge entspricht dem in den gängigen Darstellungen entworfenen Bild.822 -inge tritt korpusintern wmd. ausschließlich in ripuar. (29,6% aller wmd. Belege) und in nd. Urkunden auf.823 Die verbleibenden _____________ 817 Lexer (II: 2045) führt als Interpretament lediglich ›excommunicatio‹ an. 818 Das Verb ist bei Lexer (II: 2029) belegt, jedoch ohne weitere Bedeutungsangabe. 819 Im Einzelnen ist im vorliegenden Fall schwierig zu unterscheiden, ob es sich um Lehnbedeutung (wie bei ûzscheidunge : excommunicatio) oder, wie m.E. wahrscheinlicher, um Lehnübertragung handelt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist bei dem hier vorliegenden ûzscheidunge von einer Neubildung des Schreibers/Übersetzers auszugehen. Über die Tatsache hinaus, dass beide Urkunden von verschiedenen Händen stammen (vgl. Regesten S. 40), sind keine weiteren Hintergründe über die Urkundenentstehung bekannt. 820 Zur Entstehung des Suffixes vgl. Wilmanns (1899: 369ff.) und Henzen (1965: 179f.). 821 Zur Apokope bei -unge vgl. Gr.Frnhd. I, 1 (§ 32, S. 247ff.). 822 Vgl. dazu Weinhold (1883: §277): »Md. Nebenform ist onge, ausserdem inge, das neben onge in den ripuar. Urkunden und Schriften des 13.-15. Jh. sehr häufig ist [...] aber auch sonst md. vorkommt [...].« Ferner vgl. Wilmanns (1899: 374) und Gr.Frnhd. I, 3 (1978: §19). 823 Sieben rip. Belege und ein nd. Beleg des Lexems zweiunge ziehen das -i- des Diphthongs mit dem Suffix in den Graphien zusammen. Sie sind zu der Suffixform
II.1. Derivationstypen
426
wmd. Urkunden zeigen in der Regel -unge, einmal erscheint jedoch rhfrk.lothr. die gesenkte ›md. Nebenform‹ -onge. Suffixtyp
Bel.
alem bair
-unge/-vnge -ung/-vng -Gnge/-Nnge -Gng/-Nng -enge -inge -i(n)g -onge -vge -un -unde
1333 311 22 3 12 48 2 1 1 2 1
665 39 3 10 1 2 -
375 263 10 3 2 -
Gesamt
1736
720
653
alemIR1 IR2 IR3 IR4 ofrk schw 49 24 10 9 10 50 1 2 2 1 2 50
26
14
9
10
51
wmd omd Kg nd Rest 86 5 2 40 1 1
4 -
41 3 2 -
1 8 -
9 -
135
4
46
9
9
Tabelle II.1.18.1. Morphologie des Suffixes -unge
Auch das Oberdeutsche hat geringen Anteil an diesen Formen, deren Herkunft in dieser Region jedoch bislang ungeklärt ist.824 Eventuell handelt es sich hierbei um sekundäre lautliche Entwicklungen. Sporadisch tritt alem. (im Gebiet der heutigen Schweiz) die Form -enge825 auf, das Bair. zeigt zweimal die Endung -i(n)g in dem Lexem bivilinge. Schwierig zu deuten sind die vereinzelten Suffixgraphien -Gng-/-Nng-, die vor allem im Bair. und Wmd. belegt sind. Sie könnten als den Umlaut markierende Graphien gedeutet werden, aber auch auf Senkung von /u/ > /o/ hindeuten. Nicht eigens in der obigen Übersicht angeführt sind die insgesamt seltenen Graphien , die vermutlich auf eine umgelautete Form des Suffixvokals hinweisen.826 Sie verteilen sich auf das Alem. mit sechs und auf das Alem.-Schwäb. und eine Königsurkunde mit jeweils einem Beleg. _____________ -inge gezählt. Nur zweimal zeigt das Rip. ebenfalls in zweiunge die Suffixvariante -enge . 824 Vgl. Henzen (1965: 180) über die Verbreitung von -ing in hd. Mda. (›badisches Frankenland‹): »Da eine genaue Übersicht über die Verbreitung von -ing noch aussteht, ist schwer auszumachen, inwieweit man darin die Ablautform oder Vokalreduktion unter dem Schwachton zu sehen hat.« 825 Laut Boesch (1946: 143) ist das -e- in -ung eine Folge von Tonschwächung. Dadurch bestünde kein etymologischer Zusammenhang zu den Formen im Md. Vgl. auch Gr.Frnhd. I, 3 (1978, §19 Anm. 2): »Weinhold 1863, §§ 264f. erwähnt fürs Alem. aus ›jüngeren Quellen‹ -inge, -enge und nasallose Formen -ig, -ege [...] – ›die aber aus -unge entstellt sein mögen.‹« 826 Vgl. Gr.Frnhd. I, 3 (1978: §18): »Der Typ -üng ist ebenfalls gelegentlich oberdeutsch und mitteldeutsch vom 14. bis zum 16. Jahrhundert anzutreffen.« .
II.1.18. -unge (-igunge)
427
Besondere Erscheinungsformen sind die bair. Labialisierung von -ung zu -umg in zwei Belegen,827 und die seltenen Graphien mit ausgefallenem Nasal. Ferner zeigen alem. Urkunden zweimal und eine wmd. (rhfrk.-hess.) Urkunde einmal . Einzig einunge zeigt neben der ausgeschlossen maskulinen Bildung samenunc noch eine Anzahl maskuliner neben überwiegend femininen Formen. Das WMU ordnet jedoch bei einunge die verschiedenen Genera nicht wie bei samenunc und samenunge einzelnen Lexemen zu. Vermutlich deshalb, da bei einunge die Morphologie sehr einheitlich ist, während sie sich hingegen bei samenunc und samenunge stark unterscheidet.828 Ausschließlich alem. sind alte Flexionsendungen auf -a, die zwölfmal bei -unge und zweimal bei -enge auftreten. Endungen auf -i als Zeichen unbetonter Nebensilbe finden sich im vor allem im wmd. (8)829, aber auch in einer Königsurkunde und dreimal in alem. Urkunden. Synkope Belege mit synkopiertem Vokal der Mittelsilbe bei Verbstamm auf -el, -en, -em, -er bleiben bei -unge-Bildungen vereinzelt. Das Phänomen tritt nur bei neun der 25 in Frage kommenden Lexeme mit einer Frequenz von 30 Belegen auf. Hinsichtlich der sprachlandschaftlichen Verteilung bestehen keine Auffälligkeiten: ebenunge (7 bair.), handelunge (1 bair.), minnerunge (2 alem., 1 Kg.), offenunge (1 alem.), samenunge° (6 bair., 1 IR4), vestenunge (3 bair.), vorderunge (2 alem., 2 bair.), vürderunge (3 bair.) und widemunge (1 bair.). Zweimal konnte Synkope bei Bildungen zu -igen-Verben vestigunge (1 alem.) stætigunge (1 alem.) festgestellt werden. Variation an der Bildungsfuge Bei einer Reihe von -unge-Bildungen kann ein zwischen Basis und Suffix getretenes -ig- synchron nicht durch ein entsprechendes -igen-Verb erklärt werden. Allen Bildungen stehen korpusintern einfache -unge-Ableitungen gegenüber, deren Belegzahlen in den meisten Fällen deutlich überwiegen. _____________ 827 Eventuell handelt es sich hier um ein Zwischenstufe des Übergangs von »-ung > -um(b)« im Bair. (vgl. Gr.Frnhd. I, 3 (1978: §18 Anm.1) und die dort angeführte Literatur). 828 Die Suffixformen des ausgeschlossenen samenunc zeigen eine Vielzahl verschiedener graphischer Realisierungen: , nasallose Formen , Formen mit Auslautverhärtung , Formen mit Affrikata , zehnmal im Dativ und zweimal im Genitiv . 829 Vgl. PWG (1998: §162, S. 173).
II.1. Derivationstypen
428
Die folgende Übersicht zeigt eine deutliche Häufung dieses Einschubs von -ig- im bair. Sprachraum830 bzw. im ans Bair. grenzenden Interferenzraum IR4 (ofrk./nordbair.).831 Belege berihtigunge berihtunge irregunge* irrunge rehtigunge rehtunge rihtigunge rihtunge ûzrihtigunge ûzrihtunge verrihtigunge verrihtunge vorbetrahtigunge vorbetrahtunge
3 7 1 20 1 21 6 40 2 3 14 16 1 3
alem
bair
8 1 21 1 30 1 2 7 2
3 1 1 5 5 5 1 11 8 1 -
alemschw 3 1 4 -
ofrk
IR1
IR2
IR3
IR4
wmd
Kg
2 -
1 -
2 -
1
1 1 1 1 -
1 1 -
1 1 -
Tabelle II.1.18.2. Variation an der Bildungsfuge bei verschiedenen -unge-Derivaten nach sprachlandschaftlicher Verteilung
Von einem kombinierten, durch Reanalyse832 oder Nachbildung von -igheit entstandenen Suffix -igunge geht Dittmer (1989: 62) in seiner Untersuchung der Verbalabstrakta auf -ede, -nisse und -unge im Wilhelm-Corpus aus.833 Es erscheint grundsätzlich problematisch, von einem eigenen Suffix bzw. Suffixallomorph (analog zu Erscheinungen bei -heit) auszugehen, nicht zuletzt aufgrund des insgesamt geringen Vorkommens (sieben Lexeme, 26 Belege) im Korpus und der auffälligen Häufung bei Lexemen zur Wurzel -riht-, -reht- (5 Lexeme).834 Aufgrund des von Dittmer ange_____________ 830 Vgl. dazu die Beobachtungen hinsichtlich der Basisaffinität (s.u.). 831 Unsicher bleibt hinsichtlich dieser Zuordnung das Lexem vestigunge (2 alem., 3 bair.), das zwar morphologisch über das im Korpus belegte -igen-Verb vestigen (4) motiviert werden kann, dessen morphosemantischer Bezug auf das ungleich häufiger belegte vesten (373) jedoch nicht auszuschließen ist. 832 Hier kann die Möglichkeit, einige Bildungen auf ein suffigiertes und unsuffigiertes Verb zu beziehen, wie z.B. stætigunge auf stætigen und stæten, zu der Annahme geführt haben, dass -igunge das ableitende Suffix sei. 833 Durch den Befund von Dittmer (ebda.: Anm. 56) wird bestätigt, dass die Basisverben der besprochenen Bildungen im Mittelhochdeutschen keine Varianten auf -igen neben sich haben. berihtigen weist Dittmer im DRW zwar früher als im DWB (I: 1523) angegeben nach, jedoch finden sich auch hier Belege erst vereinzelt für das 15. Jh. 834 Eine »Einwirkung von den Adjektiven rihtic, uz-, verrihtic« hält Dittmer (1989: 61) kaum für möglich, »da diese hauptsächlich erst nach 1300 belegt sind, auch berihtic ist später und au-
II.1.18. -unge (-igunge)
429
führten weiteren Materials835 kann jedoch aus synchroner Sicht vor allem im Hinblick auf die Behandlung von -heit, -keit und -igkeit als Suffixallomorphe eine andere Behandlung von -igunge nicht gut gerechtfertigt werden. Die Lexempaare stellen zueinander allomorphische Varianten dar und werden im Folgenden als ein Lexem gezählt. Für das Lexem anvertunge* hingegen ist Suffixtilgung anzunehmen. Das Derivat kann nur über das suffigierte Basisverb anvertigen motiviert werden. Ein Verb *anverten ist auch bei Lexer oder im DWB nicht belegt. Die zwei Belege des Lexems in einer Nürnberger Urkunde sind textintern durch das suffigierte Basisverb motiviert. Die vom WMU als eigene Bildungen ausgewiesenen bescheidenunge, bestætenunge, stætenunge und ferner ein Beleg von versûmunge (D. Pl) zeigen einen Einschub von -(e)n- zwischen dem Verbstamm und dem Suffix.836 Entgegen der Ansicht Dittmers gehe ich hier jedoch nicht von einem eigenen Suffix -enunge aus. Vielmehr zeigt sich hier m.E. die Form des Infinitivs oder des Partizips II (bescheiden). Auch Analogieerscheinungen zu Bildungen auf ahd. -inôn-/mhd. -enen-Verben (z.B. vestenen) sind als mögliche Erklärung in Betracht zu ziehen.837 Den Bildungen stehen stets höher belegte Formen ohne -en- gegenüber, mit denen sie als ein Lexem behandelt werden. Sprachlandschaftliche Besonderheiten zeigen sich bei der Verteilung nicht. Von diesen Bildungen sind jene zu trennen, deren Basisverben auf -enen enden wie z.B. bevestenunge, vestenunge ← (be)vestenen, lâchenunge* ← lâchenen. Ferner soll kurz auf die ebenfalls von Dittmer (ebda.: 61f.) angeführte Suffixhäufung -salunge eingegangen werden. Im Korpus werte ich die beiden Lexeme irresalunge und ziugsalunge als idiofunktionale Bildungen zu den Lexemen irresal und dem im DWB (31: 86) gebuchten Zeugsal. Für die von Dittmer (ebda.: 62) für das Gesamtmittelhochdeutsche angeführten Hapaxlegomena refsalunge, schrechsalung, schuntsalunge sind keine mit dem Suffix -sal gebildeten substantivischen Basen nachweisbar. _____________ ßerdem selten.« Das Gleiche trifft m.E. auch für irregunge* zu. Trotz des bei Lexer belegten Adjektivs irrec, ~ic ist korpusintern nur ein Bezug auf das Verb irren (345) plausibel. 835 Dittmer (ebda.: 62) führt insgesamt zehn weitere Lexeme (»alle neben Bildungen auf einfaches -unge«) an und verweist auf »viele Bildungen in der bairisch-österreichischen Übersetzung von Durandus' Rationale (Ende des 14. Jahrhunderts)«. Durch diesen Befund wird die Vermutung, dass das Bair. als Hauptverbreitungsregion dieses Phänomens anzusehen ist, bestärkt. 836 Das Auftreten des -en- gilt im Allgemeinen als »nicht befriedigend zu erklären« (vgl. Brendel et al. 1997: 461). Dittmer (ebda.: 62) geht von falscher Abtrennung des Infinitivsuffixes -en aus und verweist auf die Parallele des nordischen Suffixes -ning. 837 Vgl. Wilmanns (1899: 376f.): »Die Lebendigkeit der Ableitung zeigt sich darin, dass ihr nicht selten eine andere Ableitungssilbe vorangeht; [...] Einige dieser Suffixverbindungen finden wir sogar, ohne dass sie durch ein nachweisbares Grundwort gestützt werden; [...] nunga: wîzinunge [...] zu wîzôn (nicht zu wîzinôn strafen); mhd. hoffenunge zu hoffen [...].«
430
II.1. Derivationstypen
2. Vokalalternanzen der Basis Alternanzen des Basisvokals sind bei Bildungen mit dem Suffix -unge sehr selten zu beobachten und häufig durch schon schwankenden Vokal der Basis erklärbar (z.B. bei behebunge, vürderunge). In der Regel bleibt der Vokal der Basis unverändert in der Bildung erhalten. Das Lexem anderunge ist korpusintern durch das Verb endern838 (36) motiviert. Lexer (I: 56) verbucht ebenfalls ein nicht umgelautetes Verb andern, das vermutlich die eigentliche morphologische Basis von anderunge darstellt. Nicht umgelautete Formen bei endern sind mit zwei Belegen selten, anderunge zeigt in einem Beleg Umlaut . Den Rückumlaut zeigen hôhunge, trôstunge, verhœrunge in allen Belegen. Sowohl der Infinitivvokal als auch der Vokal des Rückumlauts schwacher Verben begegnet in den Lexemen lôsunge ( 9 bair., 3 wmd., 2 alem., 1 omd.; 2 bair., 1 IR1, 1 alem.), satzunge° ( 3 alem.), schatzunge ( 4 ofrk., 1 alem.; 3 alem., 1 wmd.), phandunge ( 17 alem., 4 bair., 1 alem.-schwäb., 1 wmd.; 12 alem., 1 bair., 1 wmd.) und versatzunge ( 2 alem.; 1 alem.).839 Da im Gegensatz zum heutigen Deutschen (vgl. Setzung vs. Satzung) in keinem der Fälle ein semantischer Unterschied mit dem Vokalwechsel einhergeht, werden alle Belege unter der jeweils häufiger belegten Variante verbucht. Wie im WMU werden auch in dieser Arbeit die von verschiedenen Ablautstufen der Verben bescheiden und scheiden gebildeten Substantive bescheid(en)unge ( 3 wmd., 1 omd.; 1 wmd. (Part. Prät.!) und beschidunge* ( 1 bair.) sowie schidunge° (61/205; 27: 16 alem., 11 bair.; 1 bair.; (33, nur bair.!) und scheidunge ( 5 alem., 1 bair., 2 wmd., 1 Kg.; 1 alem.-schw.) als eigene Lexeme behandelt.840 3. Basisaffinität 189 Lexeme (93,6%) sind durch ein Basisverb motiviert. Nur 20,6% (39 Lexeme) der deverbalen Bildung haben ein starkes Verb als Wortbil_____________ 838 Laut dem DWB (1: 311) ist das Verb ändern »ahd. und mhd. unvorhanden, nur mhd. verandern kommt vor.« 839 Das WMU führt satzunge und setzunge sowie versatzunge und versetzunge als eigene Lemmata, bei phandunge und schatzunge findet keine Trennung der Formen statt. 840 Einen morphologischen Bezug auf das korpusintern nicht belegte starke Verb schîden ›entscheiden, bestimmen etc.‹ (Lexer II: 722) nehme ich bei den Formen mit -Graphie nicht an. Sie stellen flexionsparadigmatische Varianten der Formen des Präteritum Sg. und Pl. der genannten Verben dar (vgl. WMU I: 200f., s.v. bescheiden; II: 1499ff., s.v. scheiden). Aus etymologischer Sicht mögen sich hier in der Wortbildung Formen aus schîden und scheiden vermischt haben (vgl. DWB 14: 2402ff.).
II.1.18. -unge (-igunge)
431
dungsbasis, der Anteil der schwachen Verben überwiegt also eindeutig.841 91 Lexeme (48,1%) sind zu einem Basisverb mit Verbzusatz (Präfix, Partikel, Adverb) oder Verbkompositum gebildet842: abe- (2), ane- (2), be- (32), ent- (1), er- (10 mit erscheiden), ge- (8, davon einmal zuoge-), heim- (1), mite- (1), misse- (1), nider- (1), ûf- (2), under- (2), ûz- (3), ver- (18), vol- (1), vor- (1)/ vür(2), wider- (3). Besonders häufig sind mit be- (35,2%) und ver- (19,8%) präfigierte Basisverben, es folgen Bildungen mit er- (11,0%) und ge- (8,8%). Alle anderen Präfixverben sind mit nur maximal drei -unge-Bildungen vertreten.843 Die vier Bildungen (2,0%) vorbetrahtunge, widersachunge, widertrahtunge, wolgevallunge sind – bei zugrunde gelegter verbaler Motivation – auf eine Lexemgruppe aus Adverb und Verb zu beziehen (Zusammenbildung). Es besteht aber die Möglichkeit, die drei zuerst genannten, dabei besonders die wider-Bildungen, als Determinativkomposita aufzufassen. Drei Lexeme (1,5%) (ebenhellunge, einhellunge, êwigunge) können sowohl durch ein Basisverb als auch durch ein Basisadjektiv motiviert sein. Sechs Bildungen (3,0%) erweisen sich als zu Basissubstantiven gebildet. Vier Bildungen (2,0%) sind auf ein Basisadjektiv zu beziehen, davon erweisen sich drei (stætigunge, stætunge, vrîunge) als Homonyme zu den entsprechenden verbalen Ableitungen. 27-mal sind zu einer verbalen Wurzel mehrere -unge-Bildungen belegt.844 Pro Grundmorphem kann die Anzahl an Bildungen bis zu fünf _____________ 841 Dieser Befund liegt ziemlich genau zwischen den Ergebnissen des Dürer-Korpus, wo der Anteil starker Verben mit 27,07% höher liegt (vgl. Müller 1993a: 153), und den Ergebnissen zur gesprochenen Gegenwartssprache, wo der Anteil starker Verben mit 13,72% deutlich geringer ist (errechnet nach den Angaben bei Gersbach/Graf 1984/85: 205). 842 Hier besteht ein maßgeblicher Unterschied zum Frnhd. und der Gegenwartssprache. Die Arbeiten zum Frnhd. ermitteln jeweils einen ungleich höheren Anteil an Basisverben mit Verbzusatz: Dürer-Korpus 69,09% (Müller 1993a: 135), Erfurter-Korpus 69,05% (Döring/Eichler 1996: 89), Würzburger-Korpus 61% (Brendel et al. 1997: 463). Auch in der gesprochenen Gegenwartssprache ist der Anteil präfigierter Basen mit 63,37% (Gersbach/Graf 1984/85: 205) wesentlich höher als im Urkundenkorpus. Auf dieses »Überwiegen von -ung-Wörtern aus einfachen Verben in der älteren Sprache« hat schon Kurth (1956: 316) hingewiesen. Anhand der Materialbasis, die der Untersuchung Dittmers für das Ahd. (1987a: 290ff.) zugrunde liegt, errechnet sich ein Anteil von -unga-Bildungen ohne Partikel/Präfix von 79,33%. Bildungen zu einfachen (ōn-)Verben stellen bei -unga im Ahd. also die Regel dar. Bezieht man nun die Zahlen des Urkundenkorpus mit ein, zeigt sich eine vom Ahd. bis ins Frnhd. andauernde kontinuierliche Zunahme von -unge-Bildungen zu verbalen Basen mit Verbzusatz: Ahd. 20,6%, Mhd. 48,4%, Frnhd. durchschnittlich 66,38%. 843 ver-, be- und er- nehmen auch in den Korpora zum Frnhd. jeweils die ersten drei Ränge ein (vgl. Müller 1993a: 154f., Döring/Eichler 1996: 88f., Brendel et al. 1997: 464). Im Korpus zur gesprochenen und geschriebenen Gegenwartssprache sind mit ver-, be- und er- präfigierte Verben ebenfalls besonders häufig (vgl. Gersbach/Graf 1984/85: 205; DW 1975: 212). 844 Berücksichtigt werden hier nur die in die Untersuchung aufgenommenen und motivierten Bildungen. Ausgeschlossene Lexeme wie hebunge oder winnunge sind nicht gewertet. Eben-
II.1. Derivationstypen
432
Derivate umfassen, so dass insgesamt fast 40% aller Lexeme innerhalb eines solchen Wortbildungsnestes belegt sind. Innerhalb der einzelnen Gruppen herrscht große Redundanz, denn vielfach ist die Bedeutung und Verwendung der Lexeme in den Urkunden identisch. So besteht z.B. kein ersichtlicher semantischer Unterschied zwischen ebenunge und verebenunge, bekumberunge und verkumberunge, erniuwunge und niuwunge, erlabunge und labunge, entzîhunge und verzîhunge usw. Interessante Ergebnisse hinsichtlich der Basisaffinität bringt die vergleichende Betrachtung der -unge-Bildungen, die zur Wurzel -stæt- gebildet sind. Dies sind korpusintern die einzigen Bildungen, für die eine gleich gute Motivierbarkeit der betreffenden Lexeme über suffigierte und unsuffigierte Verben, hier stæten (116) (→ stætunge), stætigen (86) (→ stætigunge), bestæten (147) (→ bestætunge) und bestætigen (225) (→bestætigunge), gegeben ist. Wie die folgende Tabelle zeigt, bevorzugt das Bair. deutlich die mit -iggebildeten Verben als Basen. 93,9% der bair. Belege sind zu dem entsprechenden -ig-Verb gebildet, nur insgesamt sechs Belege haben das unsuffigierte Verb als Basis. Lexem bestætigunge bestætunge stætigunge stætunge
alem 12 23 23 6
bair 33 59 6
ofrk 1 1
IR1 2 -
IR3 5 1
IR4 1 -
Kg 1 1 -
wmd 1 2 1
nd 1 -
Tabelle II.1.18.3. Sprachlandschaftlicher Vergleich der Basisaffinität hinsichtlich der Verben stæten, stætigen, bestæten und bestætigen
Das Alem. zeigt zwar bei den nicht präfigierten Bildungen ebenfalls eine deutliche Bevorzugung des -ig-Verbs, das gegenteilige Verhältnis bei den Bildungen zu präfigierten Verben gleicht das Gesamtverhältnis jedoch aus, so dass insgesamt rund 54,7% der alem. Belege ein -ig-Verb und 45,3% der Belege ein unsuffigiertes Verb als Basis aufweisen. Bemerkenswerterweise deckt sich dieser Befund in seiner Grundtendenz mit der im Bair. beobachtbaren Häufung von Suffixerweiterungen um -ig- (neben einfachen -unge-Bildungen) bei Bildungen, die nur auf eine unsuffigierte Basis bezogen werden können (s.o.).
_____________ falls unberücksichtigt bleiben hier die nur durch Ablaut unterschiedenen bescheid(en)unge : beschidunge und schidunge : scheidunge.
II.1.18. -unge (-igunge)
433
c. Motivationsdichte Die überwiegende Mehrzahl der Belege (96,3%) im Urkundenkorpus ist durch eng-syntopisch nachweisbare Basen motiviert. Für sie ist Basisrang 1 zu vergeben. Für 2,7% der Belege konnte die Basis nur im gleichen Sprachgroßraum nachgewiesen werden (Basisrang 2). Die Basen der jeweils einmal belegten Lexeme anevehtunge und zornunge sind nur in Sprachregionen mit anderer sprachgroßräumlicher Prägung nachweisbar (Basisrang 3). Die morphologische Basis ist für 7,5% der Lexeme nur bei Lexer nachweisbar (Basisrang 4), dies entspricht einer Belegmenge von rund 0,4%.845 Für das Lexem ziugsalunge ist die Basis ziugsal nur für spätere Zeitstufen nachweisbar (Basisrang 5). d. Wortbildungsfunktion Funktionsklasse A. Abstrakta -unge1 B. Patientiva -unge2 C. Instrumentativa -unge3 D. Idiofunktional -unge4 E. Agentiva -unge5 F. Abstrakta -unge6
Paraphrase ›Tatsache, dass jmd. (etw.) BV‹ ›das, was jmd. BV/BV wird‹ ›das, womit jmd. BV‹
G. Lokativa -unge7 H. Abstrakta [DM] -unge8 I. Agentiva -unge9 Gesamt
Basiswortart Verb
Beispiel
Verb
bestætunge, irrunge satzunge1°
Verb
êrunge
Lexeme / Belege Anzahl Prozent 174/1935° 75,3/52,8 27/390°
11,7/10,7
11/87°
4,8/2,4
6/34
2,6/0,9
ordenunge13, zuogehœrunge stætunge2, vrîunge1
3/1182°
1,3/32,3
3/26
1,3/0,7
3/4
1,3/0,1
Verb/ Adjektiv
atzunge, niderlegunge einhellunge, êwigunge
3/3
1,3/0,1
Adjektiv
gewonunge
1/1
0,4/0,0
›BS‹
Substantiv
›jmd./etw., der/das BV‹ ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹ ›Ort, wo jmd./etw. BV‹ ›Tatsache, dass jmd./etw. BV/BA ist‹ ›jmd./etw., der/das BA ist‹
Verb Adjektiv Verb
rehtunge1, teilunge2
231/3662°
Tabelle II.1.18.4. Funktionelle Verwendung der -unge-Derivate
_____________ 845 Dies sind folgende Lexeme: barmunge, beslihtunge*, besnîdunge, ebenhellunge, einhellunge, erlabunge, lâchenunge*, mitehellunge (evtl. aber Zusammenbildung!), schalkunge, senfterunge, slîzunge*, urscheidunge*, verdamnunge, vürgebunge, widersachunge*.
434
II.1. Derivationstypen
Die Hauptfunktion des Suffixes -unge besteht im Urkundenkorpus in der Bildung von Abstrakta (78,3%). Dabei überwiegen mit 75,3% eindeutig die Verbalabstrakta. Die doppelmotiviert und deadjektivisch gewerteten Abstraktbildungen sind nur von peripherer Bedeutung und überdies als eigene Klassen nicht unproblematisch, wie noch zu sehen sein wird. Abgesehen von den patientiv verwendeten -unge-Bildungen, die trotz ihrer relativ geringen Verwendungshäufigkeit (11,7%) an zweiter Stelle rangieren, heben sich noch die wiederum deutlich geringer belegten Instrumentativbildungen (4,8%) prozentual von den anderen Klassen ab. Die Funktionen -unge4 bis -unge9 mit insgesamt 8,2% spielen bei der Begriffsbildung nur eine marginale Rolle. Auffällig ist der insgesamt hohe Anteil nur einmal belegter -ungeLexeme, der sich im Lexembestand auf 43,6% beläuft. Der Anteil von Bildungen mit unter fünf Belegen beträgt sogar 68,8%. Diese Zahlen deuten auf eine außerordentlich hohe Produktivität des Suffixes -unge hin, das im Korpus zu den Suffixen mit den höchsten Lexemzahlen gehört. -unge ist das prototypische Suffix zur Bildung von Verbalabstrakta. Der Großteil der innerhalb der Patientiva und Instrumentativa verzeichneten Derivate ist im Korpus primär in abstrakter Funktion belegt. Die konkrete Verwendungsweise überwiegt vor allem bei sehr eingeführten Begriffen wie satzunge oder einunge. Der Anteil an Derivaten, die nur innerhalb der patientiven oder instrumentativen Funktionsklasse vertreten sind, liegt bei 25,9% für die Patientiva und 27,3% für die Instrumentativa. Jedoch kommen neun der insgesamt zehn Bildungen mit maximal zwei Belegen vor, und diese Lexeme könnten in anderen Kontexten durchaus abstrakt verwendet werden. Das Suffix -unge erfüllt also nicht die Funktion, Patientiva oder Instrumentativa zu bilden, sondern Verbalabstrakta können durch den Verwendungskontext sekundär als Konkreta aufgefasst und in der Folge als solche verwendet werden. Wie bei der Besprechung der einzelnen Funktionsklassen und Einzellexeme deutlich werden wird, bestehen auch bei -unge die bekannten Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen abstrakter und konkreter Lexemverwendung. Besonders die Unterscheidung zwischen abstrakter oder patientiver und abstrakter oder instrumentativer Bedeutung gestaltet sich anhand der vielen formelhaften und wenig explikativen Kontexte häufig außerordentlich schwierig. Da ich mich in der Regel jedoch immer um eine eindeutige Zuweisung der Belege zu einer Funktionsklasse bemüht habe, ließ sich ein mehr oder minder standardisiertes Vorgehen bei der Beleganalyse gerade in Bezug auf formelhaften Gebrauch nicht vermeiden. Dabei folgte ich der Maxime, dass ein Beleg, solange er noch abstrakt analysierbar ist, den Schritt zur Konkretisierung noch nicht in einem Maß vollzogen hat, das eine Interpretation als Patientivum oder Instrumentati-
II.1.18. -unge (-igunge)
435
vum rechtfertigte. Die gesonderte Darstellung semantisch vager Belege wie bei Brendel et al. (1997) wurde erwogen und getestet. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass dies das eigentliche Problem nur verschoben hätte. Neben die oft schwierige Bestimmung der Funktionsklasse wäre die nicht minder schwierige Entscheidung getreten, ab wann ein Lexem semantisch vage genug ist, um nicht mehr einer Funktionsklasse zugewiesen werden zu können. Dieses Problem ist gerade aufgrund der untersuchten Textsorte mit vielen ähnlichen, aber doch oft nicht gleichen Kontexten nicht zu unterschätzen. Die abstrakte Deutung wurde in solchen Zweifelsfällen daher bevorzugt. Bei den meisten betroffenen Lexemen wird bei ihrer Besprechung auf die Interpretationsschwierigkeiten hingewiesen. Die gebotenen Prozentzahlen sind also nicht als absolute Werte zu verstehen, sondern sie sind approximative Angaben, anhand derer Tendenzen der Wortbildung untersucht und verglichen werden können. Mehr können und wollen sie nicht leisten. A. Abstrakta (BV-unge1): ›Tatsache, dass jmd. (etw.) BV‹ Lexem abelâzunge abeslahunge ahtunge anderunge anevehtunge anvertunge* barmunge begêunge* behebunge* bekêrunge bekumberunge benennunge beredunge1 berehtung bereitunge berihtunge1 bescheidunge1 beschidunge* beschrôtunge* besetzunge2 beslihtunge* besnîdunge bestætigunge bestatunge bestætunge bestiftunge* besuochunge
Belege alem bair 1 1 13 7 1 2 3 1 1 5 1 1 10 1 1 8 4 1 1 2 1 1 47 1 27 1 2
1 1 6 1 1 1 4 1 1 1 1 12 23 -
1 5 3 1 4 1 5 1 2 1 1 33 1 -
alemwmd IR1 Kg ofrk IR2 IR3 IR4 omd nd schw 7 1 1 2 1 3 1 1 1 4 1 1 1 2 1 1 1 2 -
Rest -
II.1. Derivationstypen
436 Lexem
Belege alem bair
beswærunge betrahtunge bevelhunge bevestenunge bevridunge bewarunge bewærunge1 bewîsunge beziugunge
3 19 2 6 1 1 11 3 36 66 (196°) 2 30 8 1 1 1 15 1 1 1 1 2 16 2 1 2 3 2 2 1 1 4 3 19 1 1 4 1 1 4 4 3 6 1 3 1 1 1 15 41
bezzerunge1° bivilinge* ebenunge einunge2 endunge engunge entzîhunge* ergetzunge1 erlabunge erniuwunge ervarunge1 ervollunge gedenkunge gehellunge gevolgunge* gewartunge gewinnunge1 geziugunge handelunge1 heimsuochunge heizunge hôhunge hûfunge hûsunge irrunge kêrunge krenkunge* kündunge1 labunge lâchenunge* ladunge ledegunge leidegunge leistunge lengunge lernunge lîbunge lîhterunge lîhunge lôsunge1 manunge
alemwmd IR1 Kg ofrk IR2 IR3 IR4 omd nd schw 3 6 1 1 1 1 2 1 1 3 1 1 1 1
Rest
1 6 2 1 5 31
2 1 2 1 4 1
39
9
1
2
-
8
7
-
-
-
-
-
-
1 1 2 14 2 3 1 8 1 2 1 1 1 1 3 10
2 28 8 1 1 15 1 1 1 1 2 3 6 1 1 4 1 1 3 3 1 9 15
1 1 3
1 1 1 4 1 1 1 3 4
1 1 6
1 1 -
1 1 -
2 2
1 -
1 -
1 1
2 -
-
-
1 -
3 -
II.1.18. -unge (-igunge) Lexem
Belege alem bair
meinunge1 mêrunge minnerunge missehellunge mitehellunge niuwerunge niuwunge offenunge ordenunge12 phandunge rehtvertigunge reitunge rihtunge rüegunge satzunge°2 schalkunge schatzunge scheidunge schickunge
3 3 4 56 1 3 1 20 14 37 2 14 46 1 12 (44°) 1 9 10 1 43 (145°) 1 1 2 4 1 88 12 1 5 1 11 35 1 3 3 7 1 2 1 5 1 1 2 1 2 4 1 2 1 2
schidunge1° schirmunge senfterunge sicherunge slihtunge slîzunge* stætigunge11 stætunge11 sterkerunge stiftunge1 stœrunge sûmunge teilunge1 tragunge trahtunge trôstunge2 ûfgebunge underscheidunge1 underwîsunge urscheidunge* ûzrihtunge ûzsagunge* verdamnunge verebenunge vergeltunge vergezzunge verhengunge verhœrunge verjehunge verkêrunge verkoufunge
437
alemwmd IR1 Kg ofrk IR2 IR3 IR4 omd nd schw 1 1 1 5 7 3 2 1 1 1 1 1 2 2 4 1 1 2 1 4 1 2 1 -
Rest
2 2 25 3 13 10 29 31 6 1 4 5 -
2 1 13 1 7 1 5 2 12 10 1 3 1 1
1 -
15
28
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
1 1 4 23 6 1 1 21 1 3 7 1 2 1 1 1 1 2 1 1
2 56 4 5 1 10 4 1 1 2 2 1 1
1 1 1 -
1 7 1 1 -
2 -
1 -
2 1 -
1 1 -
5 1 -
1 1 -
-
3 -
-
II.1. Derivationstypen
438 Lexem
Belege alem bair
verkumberunge* verlîhunge verrihtunge versatzunge verslihtunge versûmunge versuochunge vertigunge verziehunge* verzîhunge
1 1 30 3 1 3 2 32 1 9 20 (236°) 5 1 1 2 4 33 (131°) 1 1 6 1 1 36 5 38 16 1 6 32 1 15 1 1 1 2 1 11 1 1 1 1 3 2 1 1 35 1 1357 (1935°)
vestenunge° vestigunge vestunge volgunge volvüerunge* vorbetrahtunge vorderunge1° vorladunge vristunge vrîunge2 vüerunge vuorunge vürderunge vürlegunge1 wandelunge warnunge wartunge werrunge werunge1 wesunge widerlegunge1 widerruofunge* widersachunge* widersprechunge widertrahtunge* widerunge wîsunge1 wîterunge wizzunge* wolgevallunge* wonunge1 zerunge2 ziugunge zôninge* zornunge zweiunge zwingunge Gesamt
alemwmd IR1 Kg ofrk IR2 IR3 IR4 omd nd schw 2 2 4 1 2 1 -
Rest
1 9 3 1 20 5
19 1 2 5 4
1 -
7
5
3
-
-
1
2
2
-
-
-
-
-
2 1 2 2
3 1
-
1 -
-
-
-
-
1
-
-
-
-
19
12
-
2
-
-
-
-
-
-
-
-
-
1 4 1 4 5 30 1 1 3 1 1 1 1 1 1 3 2 3 55 3
1 2 1 32 5 16 1 18 10 2 10 1 1
2 1 -
1 6 12 1 1 1 1 27 -
-
-
1 -
-
-
1 -
-
1 1 -
3 -
518
39
115
23
24
35
12
9
9
2
9
9
II.1.18. -unge (-igunge)
439
Wie in verschiedenen Darstellungen der Wortbildungsliteratur bemerkt wird, werden abstrakte -ung-Derivate vorwiegend zu transitiven Basisverben gebildet.846 Dieser Befund bestätigt sich auch für die hier verzeichneten 171 abstrakt verwendeten und eindeutig deverbalen -unge-Bildungen, von denen ca. 87% ein transitives Verb als Basis aufweisen. Die anderen Bildungen haben ein in der zugrunde liegenden Bedeutung einwertiges Verb (z.B. barmen, slîzen, wesen), ein Verb mit Genitiv- oder Dativobjekt (z.B. missehellen, ent-/verzîhen, (ge)volgen) oder ein reflexiv oder reziprok gebrauchtes Verb als Basis (z.B. endern, wandeln, verslihten). Vielfach können die Verben aber verschieden verwendet werden, so dass im Einzelfall nicht immer eindeutig bestimmt werden kann, ob das Verb mit der absoluten oder transitiven Verwendung in eine Bildung eingeht, wie z.B. im Fall von lernunge, sûmunge oder zornunge, oder mit transitiver oder reflexiver/reziproker Verwendung, wie etwa bei verslihtunge, versûmunge oder verziehunge. Wie Kurth (1956: 308) bemerkt, können aus transitiven Verben gebildete -ung-Derivate »größtenteils sowohl aktivisch wie passivisch gedeutet werden. Es kommt ganz darauf an, wie man sie auffassen will oder in welchen Zusammenhang sie gebraucht werden.« Eindeutig passivisch gebraucht ist im Korpus zum Beispiel das Lexem bekêrunge, wodurch die »Tatsache, dass jmd. bekehrt wird« ausgedrückt wird, wie Parallelkonstruktionen mit dem Verb verdeutlichen. Doppeldeutig bleiben vor allem die Bildungen des Wortfeldes ›Versöhnen, Schlichten‹, wo selten klar wird, ob die »Tatsache, dass jmd. versöhnt wurde« oder die »Tatsache, dass jmd. jmdn. versöhnt hat« gemeint ist. Aus der Sicht der Wortbildung ist dies jedoch von marginaler Bedeutung und wird bei der Darstellung nicht systematisch berücksichtigt. Bei einer Anzahl von Belegen zu Lexemen aus den Wortfeldern ›Schätzung, Begutachtung‹ (ahtunge, schatzunge) und ›Schlichten, Versöhnen‹ (berihtunge, beslihtunge, ebenunge, einunge, riht(ig)unge, schidunge°, slihtunge, ûzrihtunge, verriht(ig)unge, verslihtunge), aber auch zur Beschreibung des Lexems bestatunge ist in vielen Fällen eine Paraphrasierung mit ›Art und Weise, wie jmd. BV‹ zur adäquateren semantischen Beschreibung verwendet worden. Die Paraphrase ist häufig im Perfekt zu formulieren, da es sich um einen abgeschlossenen Vorgang handelt, auf den am Ende der Urkunden referiert wird. Problematisch gestaltet sich die Analyse immer dann, wenn das der Bildung zugrunde liegende Basisverb auch einen dass-Satz als Inhaltssatz bei sich haben kann, wie etwa bei ahten, schetzen, rihten und scheiden, und sich dadurch die Möglichkeit ergibt, eine Bildung als Objektbezeichnung _____________ 846 Vgl. etwa Paul (1920b: 74), Kurth (1956: 307ff.), Henzen (1965: 181), DW (1975: 211ff.) und Brendel et al. (1997: 475f.).
II.1. Derivationstypen
440
zu analysieren. Auf Besonderheiten der Analyse wird diesbezüglich bei jedem einzelnen Lexem eingegangen. Die modale Färbung der Belege lässt sich an vielen Stellen (vgl. z.B. die Verbbelege bei beslihtunge, verrihtunge und verslihtunge) über die Verwendung des Basisverbs in einer Konstruktion mit der adverbialen Bestimmung alsô und angeschlossenem dass-Satz erklären. Ein weiteres Problem der Analyse stellt auch bei den -unge-Bildungen die häufig in der Corroboratio vorkommende Präpositionalphrase mit ze, wie z.B. ze (einer, einem) beziugunge dar, in der sich viele Derivate semantisch nicht eindeutig beschreiben lassen. Oft bleibt unsicher, ob die nhd. Infinitivkonjunktion um – zu mit finaler Bedeutung eine adäquate Ersatzkonstruktion darstellt, oder ob ein prädikatives Verhältnis besteht, das mit der nhd. Satzteilkonjunktion als wiederzugeben ist. In der Regel oszilliert hier die Lexembedeutung zwischen abstrakt und instrumentativ. In den meisten Fällen wurde von mir eine abstrakte Deutung bevorzugt. An vielen Stellen weist ein attributiver Genitiv beim Derivat auf das Abstraktum hin. Sein Fehlen kann umgekehrt jedoch nicht als Indiz für Konkretisierung gewertet werden. Bisweilen finden sich in anderen Urkunden an vergleichbaren Stellen Ersatzkonstruktionen mit dem Gerundium847, wodurch deutlich wird, wie nahe -unge bedeutungsmäßig dem Infinitiv stehen kann848: Durch daz dis stete belibe v] craft habe so gibe ich ... zN vrkvnde v] zN bezPgvnge disen gegenwertigen brief besigelt mit dem Jngesigele der stete vnt des rates von Rufach (Corp. 563, 502.42). Diz ding zebezugene vnd zevrkunde / dur die bet her peters Von messon so gib ich disen brief mit minem Vnd mit des lantgrauen Von BGheche/ ingesigelen besigelt (Corp. 382, 354.35).
Dennoch muss eingeräumt werden, dass der Deutungsspielraum groß bleibt, und die semantische Zuordnung der Einzelbelege trotz aller Bemühungen um Klarifizierung und Systematisierung unter Vorbehalt zu sehen ist.
abelâzunge (›Erlass von Abgaben‹): ← abelâzen (80) st.V. dar vmb so vergich ich ...daz selb fGter [Futterlieferungen, UR] ab ze lân bi gGtten trúwen vnd sol och die selben reht náman von minen wegen...niemer me gefordren och bin ich in nit dester minder schuldig vsszerihtend zins oder zehenden vnd (ndrú reht so zM dem selben closter zGgeh=rend von ablasung wegen des vorgenanten fGtters (Corp. 454, 395.27ff.).
abeslahunge (›Abzug, Minderung‹): ← abeslahen (103) st.V. _____________ 847 Vgl. Stötzel (1966: 306). 848 Vgl. Kurth (1956: 307).
II.1.18. -unge (-igunge)
441
swenne ich / oder mein gerben / dem Chl=ster di selben phenningen / an sant Michels tag / an alliv abslahvng/ des nvtze / den iz di weil van dem hof hat / mit gantzer zal wider geit / so wárt der hof sazhant Ledich (Corp. 1193, 460.41).
ahtunge (›Urteil, Beurteilung, Einschätzung‹): ← ahten (42) sw.V. a) Wir han ovch daz gelobet...daz doch vnser brvder · vnd brvder albreht... an der ahtunge des kovfes vol varn svlen · vnd div zil · vnd die phenninge · vf zesetzen · als da vor gesprochen ist (Corp. 331, 316.34). b) ...v] wil ers k?fen, so sol ichs nieman wan ime geben nach biderber lúte achtunge, die das sulnt achton, wie daz ding an allen dingen har geuertigot ist (Corp. 0346a = N 154A, 116.13).
Ein Großteil der stets abstrakt zu wertenden Belege des Lexems ahtunge weist neben der Verwendung als Handlungsabstraktum (vgl. Beispiel a) auch eine modale Färbung auf (vgl. Beispiel b). Innerhalb der Kontexte sind die Abstrakta dann wie im Textbeispiel mit ›Art und Weise, wie jmd. etw. schätzt/beurteilt‹ zu paraphrasieren. In wenigen Fällen kann ahten einen dass-Satz als Inhaltssatz bei sich haben, die lexikalische Bedeutung des Verbs ist dann ›meinen, zu dem Schluss kommen‹ (vgl. WMU I: 42). Auf diese syntaktische Verwendung des Verbs bezogen, könnte ahtunge dann vor allem in Konstruktionen mit der Präposition nâch ›gemäß‹ als Objektbezeichnung aufgefasst werden (›das, was jmd. ahtet‹). Die meisten der Kontexte aktualisieren jedoch eindeutig die Bedeutung ›einschätzen, beurteilen‹ des Basisverbs. Das Beurteilte (z.B. ein Gut, Haus) ist somit das affizierte Objekt, die ahtunge die Art und Weise des Einschätzens. Von Objektbezeichnungen gehe ich daher nicht aus. anderunge (›Veränderung; Besitzwechsel‹): ← endern (36) sw.V. Swer es merken wil der sihit vil anderunge vf der erde / einer ist hPte hie / morn anderswa / einer stirbet / der ander wirt giborn / v] da von mugen die nahkomen nit wissen / waz ir vordern gitan haben / alde si werden der warheit irmanit mit schrift oder mit gizPgen (Corp. 2583, 10.38). In der Hauptzahl der Belege wird anderunge zur Bezeichnung eines Besitzerwechsels verwendet. Die meisten Bedeutungen des Lexems gehen auf einen reflexiven Gebrauch des Basisverbs zurück (vgl. WMU I: 458). anevehtunge (›Anfechtung, Rechtsanspruch‹): ← anevehten (5) st.V. Vnde daz daz vor genante kloster / vnde div samenvnge / vor vns / vnde vor allen vnsern erben / vnde vnsern nachkvmen / an allen kriec / vnde an alle anevehtvnge ewicliche belibe / des habe wir zv vestenvnge vnde zv stetekeit vnser insigel an disen brief gehangen (Corp. 2665, 65.19).
anvertunge* (›(rechtl.) Anfechtung‹): ← anvertigen (›anfechten, angreifen‹) (9) sw.V.
Daz ich vmme etlichiv gMt...die selben BrMder anuertiget vnd MMet / also / vil · biz daz mich / die brFder · beSiseten mit hantuesten vnd mit waren vrchMnden irs rehten also v=lliclich · daz ich in der vorgenanten gMte vergáhe· werlich
II.1. Derivationstypen
442
vFrnamens · ceeygen! Vnd daz in div ere anuertunge · hernach ceschaden noch cecriege · iht wahse von chainen minen nachchomen noch von mir / dar vmme so vercáhe ich mich... (Corp. 1148, 427.42ff., 428.5).
anvertunge* ist nur in der zitierten Urkunde belegt. Lexer (I: 84) und das DRW (I: 619) verzeichnen nur anvertigunge. Als textinterne Motivationsbasis fungiert das suffigierte Verb anvertigen. Ein Verb *anverten ist weder im Korpus noch bei Lexer belegt. barmunge (›Erbarmen‹): ← barmen sw.V. (Lexer I: 129) ...das ich durch erchantnuste meiner missetat, der ich nach gotes barmunge ger ab zechomen mit samt meiner housvrowen Gerdrouten... (Corp. 2315b = N 749B, 540.45).
Korpusintern liegt nur das präfigierte Verb erbarmen (3) vor, das als semantische Motivationsbasis zu berücksichtigen ist. begêunge* (›Begehung (e. Festes)‹): ← begân (279) an.V ...so shol dev begeunge des jartages baidev an messen vnd an gGter handelunge der samnunge vnd der tailunge der brot, der chæs, der pachen an vnser vnd an vnser nachchomen gewisten ligen, als wir got da von vnd fur si antwrten shullen an dem jungistem tage (Corp. 2315a = N 748, 539.29).
behebunge* (›Beweiserhebung‹): ← behaben (u.a. ›nachweisen, erhärten‹) (238) sw.st.V.
...wand ez dîe ebtischin von iren wege vnd irs clohsters wege vnde her Philips an vns hant verlân vnd >ch her Philips zugegenwerti was vnd alle dîe vorgeschriben bihebunge geschehen sint mit sime gehelle vnde mit sinen willen...(Corp. 0178a = N 109A, 83.24).
Die ausgeschlossene Parallelurkunde N 109B zeigt an der gleichen Stelle ein unpräfigiertes hebunge*, welches aber zum gleichen Basisverb gebildet sein muss. Diese Elision von be- ohne weiteren Bedeutungsunterschied ist des Öfteren zu beobachten. bekêrunge (›Bekehrung (St. Pauls, 25. Jan.)‹): ← bekêren (59) sw.V. Das Lexem bekêrunge wird ausschließlich zur Bezeichnung eines kirchlichen Festtages gebraucht und konkurriert in dieser Bedeutung mit der -ede-Bildung bekêrde (5), die ausschließlich in alem. Urkunden belegt ist. Von den fünf bekêrunge-Belegen ist nur einer alem., alle anderen sind bair. Wie der folgende Beleg zeigt, handelt es sich nicht um einen reflexiven Gebrauch des Verbs, der der Bildung zugrunde liegt: ...nah sant pavls tag / als er bechert ward... (Corp. 2652, 57.6). Im Korpus konkurriert in gleicher Bedeutung mit einem Beleg die präfixlose Bildung kêrunge (s.d.). bekumberunge (›Schädigung, Beschlagnahme‹): ← bekumbern (55) sw.V. ...daz hinnan vnze nv §zgander osterwochen ir burgere zN vns v] vnser burgere zN in varen svlnt v] man da zwischent dekeine pfendunge noch bekumberunge dewederthalb gegeneinander tNn sol (Corp. 0234a = N 126, 91.32).
Vgl. verkumberunge in weitgehend gleicher Bedeutung.
II.1.18. -unge (-igunge)
443
benennunge (›Benennung, namentliche Aufführung‹): ← benennen (291) sw.V.
...vnd div benennvnge ist geschehen da ze Pazzavwe... (Corp. 1241a = N 446, 328.30).
beredunge1 (›Beweisverfahren‹): ← bereden (›nachweisen, beweisen‹) (224)
sw.V.
Mag aber er des niht getGn oder wil er sin niht getNn! swaz dann der chlager bereden mag selbe dritte gelaubhaftiger leut daz sol er im wider geben an zwigulte · vnd sol daz nach der beredung geschehen in einem Man=d (Corp. 847, 198.5).
Zwei der zwölf Belege von beredunge werden instrumentativ (vgl. beredunge2) gebraucht. berehtung (›gerichtl. Verhandlung‹): ← berehten (›rechtl. regeln, ausgleichen‹ etc.) (19) sw.V. ...ob si dem Bischof in der Vrist iht tæten an reht / daz svlt bedenthalp / beredet / vnd berehtet werden / nah dem sattz als vor bescheiden ist inner viertzehen tagen.... Div beredung / vnd berehtung / sol vor dem Bischof von Pazzow geschehn... (Corp. 482, 424.12).
bereitunge: ← bereiten (›bereitstellen, bereithalten etc.‹) (30) sw.V. Vnde dar vmbe dc die cristenheit dem lande zehelfe ko komme vnde sich erbarme vbe die not v] den iamer der da ist mit willigeme [muote?, UR] v] mit snelliger beraittvndes in not tNt (Corp. 93, 138.30).
Entgegen der Bedeutungsangabe ›Vorbereitung, Bereitschaft‹ des WMU (I: 193) lässt sich m.E. die Bedeutung des Lexems bereitunge im obigen Kontext besser mit ›Bereitstellung‹ erfassen, die Bildung ist eindeutig deverbal.849 berihtunge1 (›rechtl. Regelung, Schlichtung‹): ← berihten (71) sw.V. ...v] daz di berichtigung di vnser frevnt zwischn vnser getan habent also stæt v] vnzerbrochen beleib gib ich den chamerbergern den brief vnder mein jnsigel versigelt... (Corp. 1632, 763.33).
berihtunge wird ausschließlich in der Corroboratio verwendet und bezeichnet einerseits die ›Tatsache, dass jmd. etw. geregelt/(sich) geschlichtet hat‹ bzw. die Art und Weise, wie dies geschehen ist, unter Betonung der Schlichtungsmodalität(en). Bei zwei anderen Belegen habe ich mich für eine Interpretation als Instrumentativa entschieden (vgl. berihtunge2). In der bair. Urkunde 345 tritt neben berihtunge die nur dort belegte -heit-Bildung berihtikeit ohne sichtlichen Bedeutungsunterschied auf. bescheidunge1 (›Entscheidung, Schlichtung‹): ← bescheiden (192) st.V. _____________ 849 Eine Motivation über das Adj. bereite (77) ›bereit, verfügbar etc.‹ schließe ich in diesem Fall aus.
II.1. Derivationstypen
444
...das wir allen den werren der zuissen vns ist · vnde vnserin luten · oder vnserin burcmannen oder her nah vf geloufen mac · das wir des zu besheidenunge genliche sin gegangen an hern Cunrade von dem buches (Corp. 369, 342.41).
Fünf von sechs bescheidunge-Belegen werte ich als Abstrakta. Die obige Textstelle zeigt anschaulich das schon an anderer Stelle erwähnte Auftreten von -unge-Bildungen statt einer Konstruktion mit dem flektierten Infinitiv (ze bescheidenne). beschrôtunge* (›Wegnahme‹): ← beschrôten (›wegnehmen‹) (1) st.V. Vnde vmbe den schaden v] die versmachte so mir wc von in geschen mit der beschrotunge (Corp. 2059, 283.5).
Das Lexem beschrotunge ist über das nur in der zitierten Urkunde belegte Verb beschrôten motiviert. besetzunge2 (›Inanspruchnahme‹): ← besetzen (151) sw.V. ...daz widersprach herre Marcquart von Schellinberch / v] ertailte daz vf sinen ait / sit der von Rinegge sich vermêsse er wolte si besezzin als im ertailt were mit ir mNtir magen / v] ir genozzen die besezzvnge solte man zN lazin (Corp. 546, 481.19).
beslihtunge* (›Schlichten‹): ← slihten (18) sw.V., verslihten (59) (beslihten vgl. Lexer I: 219)
Dise beslihtunge v] disen schait / suln behalten an allen dingen alse hie vor geschriben stat / bediv des probistes nahkomen / v] Eberhartes des vogetes Erben (Corp. 2720, 97.33). ...daz div missehellunge div was vme die dri man... alsus ist berihte v] verslihte / daz... (a.a.O., 97.25).
Das Lexem beslihtunge* ist korpusintern über geslihten (1), slihten (18) oder vor allem verslihten (50), welches in derselben Urkunde wie das Lexem auftritt, motiviert. Das be-Verb beslihten ist als morphologische Basis bei Lexer (I: 219) nachweisbar. Es ist gut ersichtlich, wie das Verb hier in einer Passivkonstruktion, mit der adverbialen Bestimmung alsô konstruiert, auf die im folgenden dass-Satz dargelegten Schlichtungsmodalitäten bzgl. der geschlichteten missehellunge (dem affizierten Objekt) verweist. Im Schlussteil der Urkunde ist daher mit beslihtunge wohl nicht nur auf den Vorgang des Schlichtens, sondern auch auf die Einzelheiten der Schlichtung (das Wie) Bezug genommen. Die Bildung zeigt hier also modale Überfärbung. besnîdunge (›Beschneidung‹): ← besnîden st.V. (Lexer I: 221) Das Lexem wird korpusintern nur im Rahmen einer Datumsbezeichnung für den 1. Januar, der Beschneidung Christi, gebraucht und ist wohl passivisch aufzufassen. bestætigunge (›Bestätigung, Beglaubigung‹): ← bestætigen (225) sw.V. Daz dise sache vnd ditze gelubde van már stet v] vnzebrochen behalten werd dar uber gib ich im disen brief ze Nrchunde bevestent v] bestetigt mit mán) anhan-
II.1.18. -unge (-igunge)
445
gendem insigel / v] durch bezzer bestetigung dárre sache han ich gebeten hern otten van hakenberch daz der sán Jnsigel dar an gehangen hat (Corp. 2227, 374.19).
35 der untersuchten 49 Belege des Lexems bestætigunge treten ausschließlich in der formelhaft benutzten Präpositionalphrase ze (umbe/durch) bestætigunge auf, die wie im obigen Kontext mit einem attributiven Genitiv stehen kann, häufig aber auch ohne diesen auftritt. bestatunge (›Bestattung‹): ← bestaten (45) sw.V. ...vnt shFllen den bestaten bei vns g=tlich vnd brGderlich nach vnsers ordens weisunge mit aller der bestatunge, als ez vnser ainem wider varen shol (Corp. 2315a = N 748, 539.16).
Dieser einzige Beleg von bestatunge lässt sich im obigen Kontext am besten mit ›Art und Weise, wie man jmdn. bestattet‹ paraphrasieren. bestætunge (›Bestätigung, Beglaubigung‹): ← bestæten (147) sw.V. ...wir der rat von landowe · durch die bette der vorgescriben ratlute · han gehenket vnserer stete insigel an disen brief ze bestetenunge der vorgescrhiben worte (Corp. 2746, 114.39).
Nur zwei der 27 abstrakten Belege von bestætunge treten nicht in der Präpositionalphrase ze bestætunge auf. bestiftunge* (›Dotierung, Ausstattung‹): ← bestiften (9) sw.V. Wir Hilte ein Ebttessin v] aller der Convente von dem oberen Schonvelt tuon kunt ...daz die zwen erber man CNnrad v] Otto von werde...vns hant gegeben zweinzech phunt Auspurger / zebestifftunge vnsers hoves zeyssenhoven mit so getame gedinge / daz wir v] alle vnser nachkomen wrbas immermere mit zwein phunden phenningen herrengulte / Heringe alle vasten haben sulen in vnserem reventer (Corp. 354, 331.29).
Das Verb bestiften liegt korpusintern nicht in der zur Motivation von bestiftunge nötigen Bedeutung ›einrichten, ausstatten‹ vor, diese kann jedoch bei Lexer (I: 228) nachgewiesen werden. besuochunge (›Untersuchung‹): ← besuochen (122) sw.V. Na der Warheit die wir funden han na rehter besvggingen sagen Wir vor reht · mit wiser Lude rade die wir bit vns namen over dad gezvch inde die besvgginge der Warheite · dad der greve van Seyne · behalden sal den Wildban also Verre also dad eigen inde die herschaf / van Vrovtspreht geit (Corp. 47, 75.36ff.).
Das Basisverb besuochen ist korpusintern nicht in der der Bildung besuochunge zugrunde liegenden Bedeutung ›untersuchen‹ belegt. Diese ist aber bei Lexer (I: 231f.) nachweisbar. beswærunge (›Schädigung, Beeinträchtigung; Buße‹): ← beswæren (160) sw.V. a) ...vnd haben wir / vnd vnser Goteshaus / vergeben Lauterlich allen den schaden / der vns / vnd vnserem Gotteshause / von im / vnd von den seinen / mit Raub / mit Brande / oder mit ander beswærunge / in der Stat ze petowe/ oder
II.1. Derivationstypen
446
in dem Lande / an Leuten / oder an GGte / vntz auf disen tach ist geschehen (Corp. 854A, 203.26). b) ...v] welent an vns selben den ban v] hoher biswerunge, daz vns da mitte dez houes rihter twingen sol ane alle manvnge, stete zuhabenne v] zeleistende gar, swas davor geschriben stat (Corp. 0144a = N 100, 71.39).
Alle drei Belege des Lexems beswærunge werden als Abstrakta gewertet. Während sich der nicht zitierte Beleg unauffällig verhält, lässt sich im Beispiel a) eine Tendenz zu einer instrumentativen Bezeichnungsfunktion von beswærunge feststellen (›etwas, womit man schädigt‹).850 Da das Lexem an dieser Stelle jedoch im Singular verwendet wird, kann wohl noch von einem Handlungsabstraktum ausgegangen werden, das ein unspezifisch gemeintes ›Schädigen‹ bezeichnet.851 Auch der zweite zitierte Beleg b) bleibt in seiner Zuordnung unsicher. Die Bedeutungsangabe des WMU (I: 226) ›(gerichtl. verhängte) Buße‹ bietet keine eindeutige Lösung. Die Urkundenpartei erlegt sich Bann und eine schwere Bestrafung (ein hohes Strafmaß) bei Nichteinhaltung des Vertrags auf. Die Strafe ist jedoch nicht konkret genannt. Eventuell handelt es sich also einfach um ein ›Bestrafen‹, wozu der Richter im Notfall ermächtigt wird. betrahtunge (‹Überlegung, (Vor)Bedacht‹): ← betrahten (15) sw.V. Kvniclicher hohte betrachtvnge v] fursihtikeit/ von der div reht fliezent v] mit der alliv reht gestan mNzent v] svlnt[.] div sol billiche betrahtent v] fursehen daz si des getruwen soliche reht mache v] gebe da von die gNten v] die vnschuldigen lvte infridelicheme gemache bliben v] vf die vbeln v] die schadeberc sint solhe rache v] gerihte valle alse ir missetat verschuldet (Corp. 372, 344.34).
18 der 20 aufgenommenen Belege des Lexems betrahtunge treten in der formelhaften Wendung mit (guoter/ganzer etc.) betrahtunge auf, die dazu dient, ein Rechtsgeschäft als wohlüberlegte Handlung auszuweisen (›Tatsache, dass man einen Sachverhalt genau betrachtet hat‹). Die Urkundensprache kennt eine Reihe verschiedener Formulierungen mit dieser Funktion (mit bedâhtem muote, mit guoter bedehtikeit etc.). Die zitierte Textstelle zeigt das Lexem in anderer Verwendung. In der Aufzählung mit hœhede ›Erhabenheit‹ und vürsihticheit wird in der sprachlich nicht ganz eindeutigen Passage mit betrahtunge wohl die königliche ›Fähigkeit, etwas [genau] zu betrachten‹ bezeichnet. Eventuell handelt es sich um allegorische Verwendung dieser drei genannten Eigenschaften. bevelhunge (›Befehl‹): ← bevelhen (55) st.V. ...daz ich von mines lieben herren bevelhvng / Bischof wichardes von Pazzowe / vnd ouch bevelhvng Graven albrehten / des landes pflegæres von Oesterich / mich an genomen han den schermen bediv wazzers v] landes v] der strazze niderhalb Pazzowe/ vntz hin ze Everding (Corp. 521, 456.40).
_____________ 850 Die Parallelurkunde 854B zeigt an der gleichen Stelle die -e-Bildung beswære. 851 Vgl. den Beleg des Basisverbs in derselben Urkunde unter vuorunge.
II.1.18. -unge (-igunge)
447
bevestenunge (›Bekräftigung‹): ← bevestenen (46) sw.V. Vnd zG ainer beuestenung vnd sicherhait aller dirre dinge, div hie vor gescriben stant, so gib ich CGnrat von Kúrenbach vorgenant dem closter ze Schuzsenriet disen brief... (0501c = N 208, 160.34).
bevridunge (›Schutz‹): ← bevriden (›Friede gewähren, schützen etc.‹) (27)
sw.V.
Dar zM hant wur och vf geseczet durh schirn vnd befridunge der selben welde [Wälder, UR], daz eîn schultheiz von Offenburg dekeîn reht haben sol in dîe selben welde ze howenne furbaz danne ander lFte... (Corp.1687a = N 568, 410.25).
bewarunge (›Sorgfalt, Achtsamkeit‹): ← bewarn (›bewahren; sichern, schützen‹) (54) sw.V.
Alle di Schule di in der stat sint / di sGln dem selben Maister vndertænich sein · mit zinse · vnd mit zvht chNnstlicher bewarunge (Corp. 2345, 453.27).
bewærunge1 (›Beweiserhebung, Bekräftigung‹): ← bewæren (142) sw.V. Mag der Raspe daz bewæren selbe drit vrGmerlevte / vnd iz sines vatter lehen si gewesen vnd sein / mon setz in wider an sin gewer / vnd gescheh div bewærung vor vns / ze dem Tage vnd stat · als hie niden benant wirt (Corp. 631, 60.41).
bewîsunge (›(Geld)Anweisung, Bezahlung; Beweis, Erweis‹): ← bewîsen (128) sw.(st.)V.
Oder er sal mich bewisin Nf sim retelichim eigen vor die vonfhondirpont vonfzich pont geldes ze mechin penningen / die er / vnde sin herben graiue von Veldenzen haltin sulent ze lehne von mir v] von minen herben v] sal er die bewisonge tGnt da es mir gelegen si geuelliche (Corp. 1577, 723.32).
bewîsunge wird im Korpus nur in abstrakter Funktion verwendet. In einer Gegenausstellung zur zitierten Urkunde wird derselbe Sachverhalt – oben in ein Funktionsverbgefüge mit tuon eingebettet – aus der Sicht desjenigen, der die Bezahlung zu besorgen hat, verbal umschrieben: Oder ich sal hien bewisen Nf minme regtelichem eigen vor die vonfhondirpont vonfzich pont geldes ze Mechin penningen,..., v] sal ich die bewisen da es dem herzoigen gelegen si (1577a = N 536, 381.37).
beziugunge (›Zeugenaussage; Bezeugung, (urkundl.) Bestätigung‹): ← beziugen (224) sw.V.
Dc ding dc geschechen ist mag mêr gesterchet werden / Minre angesprochen / vnsanfter zirst=ret dc mit dem vrchvnde v] der bezPgvge der schrift bestetet wirt (Corp. 2314, 431.42).
Alle 36 analysierten Belege von beziugunge erweisen sich im Kontext als Abstraktbildungen. Auch dieses Lexem tritt vor allem (31 Belege) in der Präpositionalphrase ze beziugunge in der Corroboratio auf, dabei häufig in Verbindung mit urkunde.
II.1. Derivationstypen
448
bezzerunge1° (›Wiedergutmachung, Bußleistung; Aus-, Verbesserung; Mehrertrag; Tadel‹): ← bezzern (493) sw.V.
...v] het ?ch der vorgenante herre graue Egen von friburg / dur got / v] ?ch dem orden ze lobe v] ze eren / v] ze besserunge / gegeben so vil dar zN von sinem selbes gNte / daz der phrNnden zwo werdent / zwein priestern ze zwein Altern // die gotte ze lobe dienen ewecliche in dem vorgenantem h§se (Corp. 1651A, 775.9).
Das Lexem bezzerunge bereitet bei der Analyse gravierende Probleme. In vielen Fällen ist eine strikte Scheidung abstrakter (selten ›Art und Weise‹) und instrumentativer Belege nicht möglich, obwohl sich für beide Wortbildungsbedeutungen auch eindeutige Repräsentanten nachweisen lassen. Die Belegangaben bei beiden Funktionen können daher nur Näherungswerte sein (vgl. bezzerunge2). bivilinge* (›Begräbnis, Beerdigung‹): ← bevelhen (55) st.V. vnd hat dem ersamen probst · vnd dem conuent geschaft / vur di chost di man mit vns / vnd mit vnserm vrivnten · hat gehabt / ze siner bivilige · siben pfunt Regensburger... (Corp. 2899, 204.10).
Auf die Problematik bei der Behandlung von bivilinge wurde schon unter bivelde (vgl. -(e)de) eingegangen. Deshalb soll hier nur noch kurz erwähnt werden, dass ich die Bildung korpusintern zwar auf bevelhen beziehe, anhand der Belege bei Schmeller852 aber eventuell von einer Bildung zu eigenständigen bair. Basisverben auszugehen ist. ebenunge (›Schlichtung, Vergleich‹): ← ebenen (15) sw.V. Daz disiv ebenunge ymmer mêre von ietwederm teile Stête vnde vnverbrochen Ewichliche belibe des habe wir zN eînem ewigem vrchvnde... (Corp. 597, 21.29).
Viele Belege von ebenunge lassen sich als Abstrakta der Art und Weise interpretieren, da in Kontexten wie dem obigen vermutlich zusammenfassend auf Modalitäten der ebenunge verwiesen wird. Von der Perspektive des jeweiligen Betrachters ist abhängig, ob man in einem Beleg passive (›Tatsache, dass jmd. geschlichtet wurde‹) oder aktive (›Tatsache, dass jmd. jmdn. geschlichtet hat‹) Bedeutung erkennen will. Unsicher bleibt daher auch im Einzelfall die Entscheidung, ob es sich beim jeweiligen Beleg um ein Zustandsabstraktum handelt. einunge2 (›Bündnis, Verschwörung‹): ← einen (›sich einigen, aussöhnen; vereinen‹) (6) sw.V. swer der ist / der sich in ein ainvnge zG dem andern gesatzt hat mit eiden oder mit gelubden / oder mit brieuen / oder mit widerwette / oder swie die bant heizzen / die von ieman auf ein einunge ergangen sein! daz diu selben gelubde vnd dev selben bant gar ledich sein / vnd ouch gar auferhaben / so / daz nieman mer deheiner einunge zN dem andern gebunden sei / want alle! die in dem Lande sint
_____________ 852 Schmeller (I: 840) verzeichnet neben dem Substantiv Bivilg – unserem *bivilinge? – die Verben bevilgen und bevillen.
II.1.18. -unge (-igunge)
449
/ die sol zN einander binden diser Lantfride / so / daz sein einen iglichen man genGgen sol! Dar zG hat iz ouch der R=misch ChGnich Rudolf mit vrag vnd mit vrteil erlanget / vnd ervolget! daz alle ainung / vnd alle diu bant diu dehein ainung gemachen mohten fvder soln sein vnder herren / vnd vnder armen in den Steten vnd in allem dem Lande (Corp. 467, 405.15ff.).
Das Lexem einunge bereitet in mehrerlei Hinsicht Schwierigkeiten bei der Analyse. Das Verb einen853, die morphosemantische Basis von einunge, ist im Korpus nur sechsmal belegt und deckt zudem nicht alle Bedeutungen des polysemen einunge ab. Vor allem die überwiegend vorkommenden Objektbezeichnungen (vgl. einunge1) können korpusintern nicht über einen motiviert werden, das nur affizierte Objekte bei sich hat. Die wenigen Belege der Bedeutung ›übereinkommen, beschließen‹, die bei Lexer (I: 523) zu einen gebucht sind, sind bei der Beurteilung von einen als semantische Basis zwar zu berücksichtigen, die fehlenden Textbeispiele geben jedoch keinen Aufschluss über die genaue Verwendung des Verbs in dieser Bedeutung. In einigen Urkunden steht jedoch das Adverb enein(e) (17) in der Wendung ›(einer Sache) enein werden‹ (vgl. WMU I: 459), das häufig vorkommende trennbare Verb übereinkomen (370) und bisweilen auch vereinen854 (44) zu einunge in semantischem Bezug. Interessanterweise ist im Korpus und bei Lexer kein *übereinkunft gebucht, und nur bei Lexer (III: 104) ist vereinunge belegt. Das usuelle Lexem einunge ist also semantisch und morphologisch im Wortschatz gestützt, der Beitrag der morphologischen Basis einen zur semantischen Durchsichtigkeit der Bildung ist jedoch anhand des Korpusbefundes als gering einzuschätzen. Alle Belege des Lexems im obigen Textbeispiel werden als Abstrakta gewertet. Ebenso die letzten beiden Belege, die aber (vor allem der erste) unter gewissen Umständen auch als Subjektbezeichnungen angesehen werden könnten. Insgesamt erweisen sich nur acht der analysierten Belege als abstrakt. 42,6% der analysierten Belege von einunge sind synchron durch metonymische Verschiebung oder Idiomatisierungsprozesse nicht mehr motiviert. endunge (›Abschluss, Beendigung‹): ← enden (89) sw.V. ...di Ratgeben · von den alles dingens vnd aller vrtail wirde / vnd stætev beschaidenhait / vnd endvnge sol bech=men (Corp. 2345, 456.11).
engunge (›Einschränkung, Beeinträchtigung‹): ← engen (15) sw.V. _____________ 853 Vgl. dazu Dittmer (1987a: 301), der ahd. einunga auf gieinôn zurückführt: »Die Regel, daß unga Verben ohne Partikel/Präfix bevorzugt, kann dazu führen, daß unga das Präfix präfigierter Verben fallen läßt oder eine seltenere präfixlose Verbvariante als Basis wählt [...].« geeinen ist bei Lexer (I: 777) gebucht, scheint jedoch mhd. eher selten zu sein. 854 Vgl. Stötzel (1966: 291), der ebenfalls einen einunge-Beleg bei Meister Eckhart als ›kontextuellen Rückverweis‹ auf das kontextnahe Verb vereinen bezieht.
II.1. Derivationstypen
450
vmb di engung di man tGt / den fFrærn / die saltz in Bairen fFrent / vnd her widerouf / choren (Corp. 695, 103.36).
entzîhunge* (›Verzicht‹): ← entzîhen (162) st.V. V] dar Vmbe so habent sich die vorgenanden LPte aller der ansprache die sP hatton Vmbe den vorgenanden schaden gegen den Vorgenanden dem rate V] den bvrgern von ZPrich enzigen / an dez erberen mannes hant hern egebrehtes gevetterlins Bvrgers von Wntert~ / den die Vorgenanden / der rât v] die Bvrger von zPrich die enzihvnge hiesen enphahen Von den vorgenanden lPten (Corp. 1835, 142.40).
ergetzunge1 (›Entschädigung, Schadensersatz, Ersatz‹): ← ergetzen (19)
sw.V.
...daz mir mein Herre von Gvrk Pischolff Hertneit · Ein gNt in der jnren Læzentz gelegen · daz Her Nycla von Lengenbvrch inne het · ver Lihen hat · ze ergetzvnge meines schaden · den ich nam des tages · dN die von Chastel · aNf des Gotshavses schaden gevangen wurden · vnd ich pflegær was ze strazbvrch (Corp. 2963, 241.35).
Auch bei ergetzunge ist in vielen Fällen in Verbindungen mit der Präposition ze nicht zweifelsfrei ermittelbar, ob das, was ze ergetzunge getan, gegeben etc. wird, als Prädikativum aufzufassen ist (als Ergötzung) oder ob eine Angabe des Zwecks damit verbunden ist (zur Ergötzung), da diese Präpositionalphrase im Mhd. uneindeutig ist. erlabunge (›Erfrischung‹): ← erlaben sw.V. (Lexer I: 646) Mit deme einen deile sal man an vnser vrowen dage der ersten alse sie zehimele Tr / den selben vrouwen zu erlabunge vnde zu bezerunge irer pfrFnde kh=ufen waz in aller liebest ist / vnde sal in daz geben an deme dage (Corp. 319, 306.11).
Neben erlabunge tritt in einem vergleichbaren Kontext im Korpus auch das zu dem unpräfigierten Verb laben (1) gebildete -unge-Derivat labunge (1) auf. erniuwunge (›Erneuerung‹): ← erniuwen (30) sw.V. Vnde alle die ding die an der selbin hantvestin stant die bestete wir in Vnde befestint si in mit voller Craft vnserre gnaden an diseme geginwertigen briefe vnde zN eime rehtin vrkunde / vnde zN Ewiger stetickeiht dirre abesrift vnd dirre vrnúwnge vnd dirre befestenúnge han wir geheissen vnser Jngesigel henkin an disen brief (Corp. 1653, 780.43).
ervarunge1 (›Ermittlung‹): ← ervarn (227) st.V. ...vnde die ervarunge des schaden / sol sten / an / dem alten von Rehperg / Swiker von Gundolfingen / vnd an Bertholden von Mulhusen (Corp. 931, 283.31).
Ein weiterer Beleg des Lexems ervarunge kann kontextuell als Objektbezeichnung aufgefasst werden (vgl. ervarunge2). ervollunge (›Vervollständigung, vollständiger Ausgleich‹): ← ervollen (30) sw.V.
II.1.18. -unge (-igunge)
451
...v] haben das gGt von in enpfangen · v] haben in ze irvollvnge geben sehs viertail Costenzer messe kernen der in gebrast an zewainzich stucken von CNnrates Bertoldes wirtinnun erblehen (Corp. 104, 151.37).
gedenkunge (›Erinnerung, Gedenken‹): ← gedenken (82) an.V. ...das disiv gedinge v] dierre wehsel, ..., iemer me ganz v] stæte belibe v] si, dar vmbe hiessen wir zwene brîeue geliche schriben..., vns v] vnserm gotteshuse ainen brief v] im v] sinen erbon den andern brief ze ainer gedenkvnge îemerme zegehaltenne (Corp. 1024a = N 371, 278.20).
An diesem Beleg zeigt sich einmal mehr die Schwierigkeit bei der Entscheidung, ob es sich um einen abstrakten oder schon konkretinstrumentativen Beleg handelt. gehellunge (›Zustimmung, Einverständnis‹): ← gehellen (29) st.V. Das Lexem gehellunge erscheint nur im Rahmen der Präpositionalphrase mit gehellunge. gevolgunge* (›Zustimmung, Einverständnis‹): ← gevolgen (5) sw.V. Das Lexem gevolgunge erscheint nur im Rahmen der Präpositionalphrase mit gevolgunge. gewartunge (›Anspruch‹): ← gewarten (›erwarten, hoffen, Anspruch haben‹) (8) sw.V. ...vnd vmb alleiz ier recht vnd vmb alle div gewartunge, div siv auf dem selben gFt hieten nach der schiedunge mines herren hern Leutoldes von ChNnringen zwishen mir vnd ien... (Corp. 1917a = N 622, 448.39).
gewinnunge1: ← gewinnen (850) st.V. Vnd sulln auch mein vnd meins vorgenanten wirtes nochsten erben an allen nutz, an alle gewinnvng, des vorgenanten gutes reht vogt vnd schermer ebichlich sein (Corp. 0689a = N 265, 212.3).
Mit gewinnunge konkurriert korpusintern die Nullableitung gewin (18) st.M. Das Urkundenpaar 1161AB zeigt in der ausgeschlossenen A-Ausfertigung die präfixlose Form winnunge. geziugunge (›Bezeugung, Beglaubigung; Zeugnisleistung‹): ← geziugen (17) sw.V. (ziugen (8) swv.) Mit zwein gezPgen zem minsten sol alle gezPgvnge beschehen / die sPln das ding sagen als ez ist ergangen... (Corp. 1797A, 101.15f.).
Die Bildung geziugunge ist als ursprünglich idiofunktionale Bildung zu geziuc (2100) ›Zeuge; Zeugnis, Zeugenbeweis‹ st.M. aufzufassen, da die Verben geziugen und ziugen im Gesamtmhd. vor dem 13. Jh. kaum belegt sind855 bzw. das Verb geziugen ausschließlich md. belegt ist.856 Dennoch ziehe ich aufgrund der bedeutungsgleichen Verwendung mit anderen eindeutig _____________ 855 Vgl. Dittmer (1989: 57 bzgl. geziugnisse; S. 58 bzgl. geziugunge). Im Korpus ist ferner geziucsame belegt, auf das das hier Angemerkte ebenfalls zutrifft. 856 Der Korpusbefund und die Angaben bei Lexer (I: 1005) decken sich hier.
II.1. Derivationstypen
452
deverbal aufzufassenden Bildungen zur Wurzel -ziug- die synchrone Motivation über das Verb vor, zumal viele mit anderen Suffixen gebildete Lexeme sowohl die präfigierte als auch die unpräfigierte Form aufweisen. Der Bezug auf ein unpräfigiertes Verb ist also in jedem Fall gegeben.857 geziugunge wird in zwei weiteren Belegen in der Corroboratio im Rahmen der Präpositionalphrase ze einer geziugunge verwendet. handelunge1: ← handeln (26) sw.V. Zwei Belege von handelunge liegen in abstrakter Verwendung vor. Das transitive Verb handeln ermöglicht es, zwei weitere Belege als Objektbezeichnungen zu interpretieren (›etwas, das gehandelt wird‹, vgl. handelunge2). heimsuochunge (›Hausfriedensbruch‹): ← heimsuochen (14) sw.V. Korpusintern konkurriert mit dem Lexem heimsuochunge das häufiger belegte -e-Derivat heimsuoche. heizunge (›Anordnung, Zustimmung‹): ← heizen (1175) st.V. ...daz disu vorgenande panndunge beschach mit minem willen vnd heissunge... (Corp. 1620, 755.26).
hôhunge (›Erhöhung, Steigerung‹): ← hœhen (14) sw.V. v] daz alle die zolle die mit vnrehte gehohit sint anders denne si von alter her gesetzet sint daz die hohunge abe si v] der zol beliben alser zu rehte sol (Corp. 879W, 221.13).
hûfunge (›Versammlung, Auflauf‹): ← hûfen (1) sw.V. Swer dar uber kein haufunge machet in sime hus / oder in eins anderen hus bit dage oder bi nath / ez en si / danne daz er bit dage siner frunde sesse / oder echthe zvhauf bithe / iren rath zvhabene / wi er sine clage vollenvGre / der vnde geinre · jn des hus die haufunge geschit / der sal itweder di stat / v] den burgfriden rumen en Jar / vnde seis pGnt wormesser der stat geiben (Corp. 903, 262.22ff.).
Alle vier Belege des Lexems hûfunge finden sich in einer wmd. Urkunde (Corp. 903). Die abstrakten Belege sind zum einmal belegten Basisverb hûfen gebildet, für das Lexer (I: 1377f.) die Verwendung lûde houfen ›Leute versammeln‹ verzeichnet. hûsunge: ← hûsen (27) sw.V. vnd sol ovch Ræimbreht in den vier gemerchen di zwischen in sint verschriben / an frideriches hantfest / di fvnf iar ninder sin mit hovsvnge wan ze sandmichelsp~ch /· nach den fvnf iarn sol er mit hovsvnge in den vier gemerchen niht fvrbaz / weder ze sandmichelspvrch noch anderswa / er / noch sin erben ane friderichs willen vnd siner erben (Corp. 894, 254.42ff.).
Das Lexem kann über die Bedeutung ›behausen, Schutz gewähren‹ des Basisverbs motiviert werden, hûsen kann aber auch ›wohnen, einem eine _____________ 857 Vgl. -nisse: beziugnüsse, geziugnisse, ziugnüsse; -unge: beziugunge, erziugunge, ziugunge; -same: geziucsame, ziugsame; -schaft: geziugschaft.
II.1.18. -unge (-igunge)
453
Wohnung bereiten‹ (vgl. Lexer I: 1401f.) bedeuten, was in diesem Fall wohl eher als Basisbedeutung anzusetzen ist. Die Bildung ist im Korpus nur dreimal in der zitierten Urkunde in der Wendung mit hûsunge sîn/belîben belegt und ist m.E. als Abstraktum zu interpretieren. Die Belege der konsultierten Wörterbücher scheinen dieser Deutung jedoch eher zu widersprechen.858 irrunge (›Beeinträchtigung‹): ← irren (345) sw.V. Daz diseu rede vnde ditze gelube stet beleibe an chriech vnde an irregunge vnde furbaz iht vercheret werde, so geb wir disen brief mit vnseres herren jnsigel... (Corp.1401a = N 487, 352.35). Jst aber das wir / diekain irrunge tuen den kinden · oder der vr?wen oder ir wirte · so sol der hof · vrîlich · ledeclich · v] ane alle widersprâche · vallen an îr êrben (Corp. 1227, 486.4).
kêrunge (›Bekehrung St. Pauls‹): ← kêren (108) sw.V.
Die einmal belegte Bildung kêrunge unterscheidet sich semantisch und hinsichtlich ihrer Verwendung nicht von bekêrunge (s.d.). Aufgrund der Semantik des Basisverbs kêren (vgl. WMU II: 108), das zwar die -ungeBildung über seine Bedeutung ›sich zu-/hinwenden‹ motivieren kann, das aber nie direkt ›bekehren‹ bedeutet, kann u.U. auch von Elision von beausgegangen werden. krenkunge* (›Schädigung, Beeinträchtigung‹): ← krenken (›schädigen, beeinträchtigen‹) (26) sw.V. ...ane Chrenunge des rechtes daz min herre der graue von hirzberg dar an hat... (Corp. 1594, 716.19).
kündunge1 (›Verkündigung‹): ← künden (885) sw.V. Vier Belege von kündunge bezeichnen den kirchlichen Festtag der Verkündigung Mariä am 25. März. Ein Beleg des Lexems wird patientiv gebraucht (vgl. kündunge2). labunge: ← laben (1) sw.V.; vgl. erlabunge Vnde schol des selben tages den vrowen gemeineclichen indem conuent zv recreatione vnde zv labvnge ein phvnt haller geben / swar vmme si wellent (Corp. 1773, 77.6).
lâchenunge* (›Markierung e. Grenze‹): ← lâchenen sw.V. (Lexer I: 1809 »mit lâchen, gränzzeichen versehen«)
ladunge (›Vorladung, Aufforderung‹): ← laden (51) sw.(st.)V. ob ich wider minen herren - oder wider daz lant / icht entt - da ich mein trewe mit breche / vnd nach mines herren ladvngê in einem Manen · zebezerungê /
_____________ 858 Vgl. DWB (10: 694), Lexer (I: 1406f.; aber nur Verweise auf Belegstellen). Aber vgl. WMU (II: 908), wo zwar ›Behausung, Wohnsitz‹ als Interpretamente angegeben werden, die erwähnte Präpositionalphrase aber mit ›ansässig sein, wohnen‹ umschrieben wird.
II.1. Derivationstypen
454
oder zeberedunge nicht enchemê · so sulen meînev Lehen · vnd meinev aigen...meinem herren ledich sin... (Corp. 2125, 318.29).
ledegunge (›Befreiung v. Verpflichtungen, Auslösung‹): ← ledegen (65) sw.V.
Dar zv hat auch der selb abbt von mir gelediget ein leibgeding daz ich het an dem zehent · daze Shorndorf · vnd hat mir vmb di ledigung gegeben ander halb hvndert pfvnt pfenning (Corp. 2617, 38.1).
leidegunge (›Beeinträchtigung, Schädigung‹): ← leidegen (19) sw.V. Wer aber das ieman / keine dirre drier stette / anegriffe / mit zuckende / mit R?bende / oder mit ander leidigunge... (Corp. 1788A, 88.35).
Vgl. die Bemerkungen zu Textbeispiel a) bei beswærunge. leistunge (›Bürgschaftsleistung; Einlager‹): ← leisten (820) sw.V. ...wær aber / daz der BMrgen ainer in der frist ab gienge / so sMl wir im / oder sinen erben einen andern als guten an geværde an des selben stat setzen/ in einem manod - tu wir des niht so sMlen im zwen / der vorgenanten bMrgen / die er/ oder sin erben dar vmb haizzent manen laisten ze NMrmberch / biz im ein anderre gesetzet wirt / der selben laistunge... (Corp. 1699, 31.38).
Fünf Belege von leistunge können vorbehaltlos als Abstraktbelege gewertet werden. Zwei Belege jedoch lassen eventuell auch eine patientive Lesart zu. Der Beleg in der obigen Textstelle kann demnach mit ›das, was geleistet wird/werden muss‹ paraphrasiert oder als inhaltliches Äquivalent zu Konstruktionen wie das selbe ze leistenne oder der das selbe leistet angesehen werden. Ich tendiere zur letztgenannten Ansicht und zähle die zwei ambigen Belege zu den Abstrakta. lengunge (›Verzögerung, Verschleppung‹): ← lengen (15) sw.V. lernunge (›Lernen, Unterricht‹): ← lernen (2) sw.V. Swelich schuler spilt in der Tabern · der sol niht mere mNgen verlisen · denne er beraiter pfenninge bi im habe · Sein gewant · seinev buch · oder ander seinev pfant sol im nieman nemen · swi vil er verlivset · da mit wellen wir erweren daz nieman mit in spil · vnd ire lernunge dester vleizziger werden (Corp. 2345, 453.45).
lîbunge (›Schonung‹): ← lîben1 st.V. (Lexer I: 1895) ...vnde schol man auch div gFt vf den der schade geschihet besetzen · vnde libunge tFn nach des Burcgraven rate / vnde mit sinre gewizzen (Corp. 2664, 64.2).
lîhterunge (›Erleichterung, Minderung‹): ← lîhtern (2) sw.V. Daz wir dur vnser nôt / v] lihterunge vnsers geltis [Geldschuld, UR] / den hof ze · Gelterchingen...geben haben / v] verk?ffet... (Corp. 977, 315.35).
lîhunge (›Verleihung, Verlehnung‹): ← lîhen (685) st.V. ...daz sie Johannesen swaben / vnde fr? Annen siner elichen wirtin / vnde iren erben / die vorgenante lihvnge stête haben sulent inmerme (Corp. 2501, 546.5f.).
II.1.18. -unge (-igunge)
455
lôsunge1 (›Auslösung, Freikauf‹): ← lœsen (321) sw.V. Daz sol ich l=sen / von nv Liehtmesse div schirst chvmt / vber driv jar / vnd in den drin jarn swann ich wil / zwischen Perhtnahten vnd Liehtmesse / vnd l=s ich in den Drin jarn niht / swanne danne di driv jar ?z chomment / so hat sich div L=svng vervallen (Corp. 1505, 679.25).
Die Mehrzahl der Belege von lôsunge zeigt in den Kontexten abstrakte Verwendung. Im obigen Beispiel trägt der Beleg zusätzlich die modale Nebenbedeutung ›Möglichkeit‹ bzw. ›Recht‹. Vier Belege bezeichnen metonymisch verschoben die Lösungssumme oder eine Abgabe. Es besteht jedoch noch ein erkennbarer semantischer Zusammenhang zwischen dem Verb und lôsunge in dieser Bedeutung, die am ehesten mit einer instrumentativen Paraphrase (›das (Geldsumme), womit man etw. (aus)löst‹) beschrieben werden kann (vgl. lôsunge2). manunge (›Mahnung, Aufforderung‹): ← manen (562) sw.V. ...swanne der probst von Lippoldesberge lezt manen vmme sin korngelt, swer iz nicht en leist nach der manunge bin virzennachten, der sal geben dar uf sulch v] semlich nach des landes rechte (Corp. 1995a = N 651, 470.35f.).
meinunge1: ← meinen (8) sw.V. U] dis gNt k?fte wir in der meinunge unde in der andath, swenne wir beidú nPt en sint, das denne der anderhalb acker, der zN den BGsch lit, das halbteil lidecliche u] ane alle ansprache unser erben sol valle dem vor genant) conuenten... (Corp. 1077b = N 385, 288.3).
Dreimal tritt meinunge in der Wendung in der meinunge auf, in der es sich sich aufgrund der Ersetzbarkeit durch das Partizip Präsens als Abstraktum identifizieren lässt. Ein weiterer Beleg wird als Objektbezeichnung (= das Gemeinte) verwendet (vgl. meinunge2). mêrunge (›Vermehrung, Vergrößerung‹): ← mêren (19) sw.V. Auch sol dev wandelunge · di minnerunge · vnd di merunge des rates geschehen mit vnsern wizzen · rate · vnd willen (Corp. 2345, 455.19).
minnerunge (›Verminderung, Minderung‹): ← minnern (15) sw.V. Vgl. den Beleg bei mêrunge.
missehellunge (›Zwietracht, (Rechts-)Streit‹): ← missehellen (29) st.V. [missehel(le) (8) Adj.]
Alle Chrieg / alle taidinch / alle mizzehellunge/ di ê zwischen vns beiden gewesen sint / svlen vrevntleich vnd loutterleich / vurder sein! (Corp. 1197B, 465.16)
Semantisch kann missehellunge durch das Basisverb missehellen und das Basisadjektiv missehel(le) (8) motiviert werden (vgl. missehellede). Die Belegzahl des nur alem. belegten Basisadjektivs steht jedoch in einem sehr ungünstigen Verhältnis zum 69-mal belegten Substantiv. Das Verb missehellen zeigt hingegen eine breite landschaftliche Streuung und ist wie das Substantiv in Urkunde 1276ABC belegt. Korpusintern bevorzuge ich aus diesen Grün-
II.1. Derivationstypen
456
den eine ausschließlich deverbale Motivation der Bildung, auch wenn sie dadurch in der Darstellung von anderen als doppelmotiviert zu analysierenden -hellunge-Bildungen getrennt wird. missehellunge liegt in der Beleghäufigkeit hinter missehel(le) (112). Die -ede-Bildung missehellede spielt mit nur einem (alem.) Beleg im Korpus keine wichtige Rolle. mitehellunge (›Zustimmung‹): ← mitehellen (Lexer I: 2179); (ge)hellen (36) st.V., mite Adv./Präp. Das nur einmal belegte Lexem mitehellunge kann über das bei Lexer belegte Verb mitehellen motiviert werden. Gleichzeitig ist jedoch auch eine Wortbildung aus einer Lexemgruppe mit/mite einem hellen denkbar (Zusammenbildung). niuwerunge (›Erneuerung‹): ← niuwern (7) sw.V. Dc wir zen andren sássen / · vnd betrachtetn/ vnd zerát wurden wie wir die alten gewonheit / die wir von alter han gehebt an dien Mélinon die ze zouingen h=rent néwerotin / vnd ze liechte brêchtin / dur dc / dc beidé der stat · den phistern · den Mélnêren von zouingen · vnd dem Lande rêcht beschehé · Vnd sasten die selben núwerunge / vnd §ssagénge der vorgeschriben gewonheit an érber léte / die wir wanden / dc si sich aller best dar §f férstMndin (Corp. 3474, 559.18).
niuwunge (›Erneuerung‹): ← niuwen (7) sw.V. ...vnd nach seiner pet hab wir im vnd seinen erben genewet vnd bestætiget alles, daz weilen herzog Nlreiches von Chærenden hantvest sagt vm leut vnd vm gGt... Vnd daz von vns vnd von vnseren erben, di wir dar in binden, grauen Vłr. vnd seinen erben disev nevunge vnd disev lehenschaft vm leut vnd vm gGt stæte behalten werde, darvber geb wir im disen bráf mit vnserem hangendem insigel gevestent (1039a = N 376, 282.41).
offenunge (›Veröffentlichung, Erklärung, Bekanntmachung‹): ← offenen
(96) sw.V.
...zeiner bestetunge Vnd zeiner offenunge der uorgeschriben dinge so henken wir únser Jngesigel an disen brief (Corp. 1767, 74.2).
ordenunge12 (›Ordnung, rechtl. Regelung; Vereinbarung, Anordnung‹): ← ordenen (42) sw.V.
V] dc disú ordenunge dirre dinge als hie vor gescriben stât / vêste v] stête belibe / so habe ich...erworben disen brief bisigelte / mit dem ingesigel des Conuentes der minren brueder von Costenze... (Corp. 874, 215.12).
Die Mehrzahl der Belege von ordenunge liegt in den Texten in patientiver Verwendung vor (vgl. ordenunge11). Nur 14 der 58 analysierten Belege weisen abstrakte Bedeutung auf und sind wie der obige Beleg z.T. als Zustandsabstrakta und/oder Abstrakta der Art und Weise zu deuten. Eine Trennung der abstrakten und konkreten Bedeutung ist in vielen Fällen schwierig.
II.1.18. -unge (-igunge)
457
phandunge (›Pfändung, Pfandnahme; Verpfändung‹): ← phenden (151) sw.V.
Swer den herzogen gepfent hat · daz sol er wider tNn · v] swas in der pfandunge verlorn w(re / das sol der pfender gelten (Corp. 1728, 48.28).
rehtvertigunge (›rechtsgültige Ausfertigung‹): ← rehtvertigen (›rechtswirksam machen‹) (10) sw.V. ...vnd daz wir im/ oder sinen erben / die selben rehtvertigunge / vnd die stætigunge baidiv vmb die alten gab - vnd vmb die Niwen gab - vnd vmb daz gemæchte volfMren / daz haben wir im vergSisset... (Corp. 1699, 31.20).
reitunge (›Rechnung, Be-/Abrechnung‹): ← reiten (›abrechnen; (be)rechnen etc.‹) (42) sw.V.
...vnd wær daz an den zwelf phvnden haller geltes iht gebræst nah rehter raitvnge daz sol man an den Hallern ab slahen... (Corp. 2946, 232.35).
rihtunge: ← rihten (715) sw.V. a) Do richten wir die st=sse mit biderber lúten rate, die bi Pns waren, v] mit beider teilen willen v] wissend, das die vorder richtung v] alle st=sse, die si vormals vntz dar hatton, hin sullent sin, was der beschehen wer vntz dar (Corp. 0629a = N 243, 197.16). b) ...an den selbin schitlvten v] an dem selbin gemeinim man sol ?ch stan wc div vor genande vro maħt v] ir brNdir · C · v] · her · tNn son ze rithtunge dem spital vmbe alliv div ding div er mit inen geschaffot het (Corp. 629, 57.30).
Das Lexem rihtunge wird überwiegend gebraucht, um eine richterliche Entscheidung (a) oder seltener eine Versöhnung oder einen Ausgleich (b) zu bezeichnen.859 Das erste Textbeispiel zeigt eine typische Verwendung des Substantivs, die jedoch bei der Analyse Schwierigkeiten hinsichtlich der Entscheidung bereitet, ob es sich um ein Abstraktum oder eine Objektbezeichnung handelt. Auch in diesem Fall habe ich mich für die abstrakte Lesart entschieden. Das Basisverb rihten bezieht sich primär, wie ebenfalls im Text ersichtlich, auf ein affiziertes Objekt (›Streit, streitende Personen; Person, Gegenstand‹, vgl. WMU II: 1438 ff.). Das Substantiv rihtunge greift daher bei der Nominalisierung primär entweder das ›Gerichtet-Sein‹ oder die ›Art und Weise, wie jmd. gerichtet hat/ jmd. gerichtet ist‹ auf. Die Verbindung des Verbs rihten mit einem Inhaltssatz (rihten, daz...) scheint eher selten zu sein. Aus dieser Verwendung erwächst jedoch natürlich die Möglichkeit, rihtunge auch als Objektbezeichnung (›das, was _____________ 859 Es ist nicht ganz klar, wie die vom WMU angenommene Bedeutung ›Einrichtung, Ausstattung‹ für zwei Belege in Urkunde 2504A zu deuten ist. Eine instrumentative Bedeutung scheint aufgrund des Urkundeninhalts wenig wahrscheinlich. Auch die Regesten zu dieser Urkunde (S. 525) deuten durch Kursivdruck des Lexems auf dessen unsichere lexikalische Bedeutung hin, die hier zur Klärung der Wortbildungsbedeutung jedoch unerlässlich ist. Ich habe die beiden Belege deshalb ausgeschlossen.
II.1. Derivationstypen
458
jmd. rihtet‹) aufzufassen. Dass diese Verwendung dem einen oder anderen Beleg zugrunde liegt, kann nicht ausgeschlossen werden. In diesem Fall wären die Belege anders zuzuordnen. rüegunge: ← rüegen (17) sw.V. ...daz wir in / vnd dem gotshavs / ewichlichen / ab haben genomen / in den zwain gerihten / ze Jserhoven / vnd ze vihtach / die RMgvng / di si von vnserr Rihter gewonhait / her habent gehabt / vnd haben auch in di genaden getan · daz di Rihter drev ehaftigev / taidinch / svllen haben / in dem jar / an den steten / da si dev ze reht sMln haben · der einez sei bei dem gras / vnd zwei bei dem Hævwe · vnd sol man da niht RMgen / danne drev dinch / dev an den tode gêênt / Notnvnft · Totslach / vnd Devfe (Corp. 3305, 454.1).
Das WMU (II: 1462f.) beschreibt rüegunge mit der Bedeutungsangabe ›Rügegericht: durch Rüge (von Amts wegen) eingeleitetes Gerichtsverfahren‹. Wie der obige Textausschnitt mit Basisverb rüegen zeigt, kann das Lexem rüegunge trotz der rechtssprachlich gebundenen Verwendung als motivierte Bildung betrachtet werden.860 Der Kontext legt nahe, das Lexem als Abstraktum bzw. als Abstraktum des Rechts (der Pflicht?) zu interpretieren, wenn das Lexem auch sicherlich eine Tendenz zur Lexikalisierung zeigt. satzunge°2: ← setzen (2000) sw.V. a) Das in v] allen iren nahkomen Vnde gegen sweme sú hie mit Pt tætin / mit gemæchede / mit sazzunge oder mit k?fe / disú vor genanten ding ganz V] stæte bliben... (Corp. 637, 65.39). b) Da nahc kvnden wir vhc, swie arm vnd riche gesworn haben deheine sezzvnge zi sezzenne áne vnsers v] des capitels vrlop als ir wol wizsent, so hant si doch áne vnsir v] des capitels vrlop vffen maln vngelt gesezzet...(Corp. 0054b = N 2A, 2.2).
Nur bei wenigen Belegen von satzunge lässt sich so sicher wie im Beispiel a) von einer abstrakten Verwendung der Bildung ausgehen. Neun weitere Belege wurden vorwiegend aufgrund ihres Vorkommens in funktionsverbgefügeähnlichen Konstruktionen mit machen, tun und be-/geschehen, setzen etc. (vgl. Beispiel b) zu den Abstrakta gezählt. Besonders die Konstruktion mit machen und setzen bereitet hier jedoch wie auch bei anderen Lexemen Abgrenzungsprobleme zwischen Funktionsverbgefüge oder Prädikat mit Objektergänzung, d.h. es bleibt unklar, ob die gesamte Konstruktion als Repräsentant der Verbalhandlung des ›Festsetzens‹ anzusehen ist oder ob satzunge als lexikalisch eigenständige Objektbezeichnung _____________ 860 Im vorliegenden Kontext unterscheidet sich die Lexembedeutung dadurch von anderen eindeutig idiomatisierten rechtssprachlichen Bedeutungen des Lexems. Vgl. z.B. DWB (14: 1417): »4) selten hat rüegunge die bedeutung ›bezirk eines rügegerichts‹, wofür sonst rüegât [...]. ferner: inbegriff der in den gerichtsversammlungen festgestellten rechte und gewohnheiten.«
II.1.18. -unge (-igunge)
459
(›das, was festgesetzt ist‹) empfunden wird.861 Trotz einer gewissen Unsicherheit bei der semantischen Zuordnung der Belege gehe ich in den meisten Fällen von einer Verwendung von satzunge als Objektbezeichnung aus (vgl. satzunge1). schalkunge (›Verhöhnung, Beschimpfung‹): ← schalken (Lexer II: 643), schelken (a.a.O.: 691) sw.V. Were ?ch daz der vierv]zweinziger deheiner...sin bvrgreht vf gebe / vf schalkvnge des herren / der stette / oder deheins bvrgers / oder sin bvrgreht verlvre / von vsteidingvnde / vmbe gPlte/ oder swarvmbe ez were... (Corp 1797A, 106.25).
Im Gegensatz zur denominalen -heit-Bildung schalcheit (3) ›Bosheit, Schlechtigkeit‹ ist das Lexem schalkunge eindeutig von einem transitiven Verb schalken oder wohl v.a schelken ›beschimpfen, schmähen‹ abgeleitet, wie am Genitivus objectivus schalkunge des herren ersichtlich ist. schatzunge (›Schätzung, Taxierung; Erhebung von Geld‹): ← schetzen (14) sw.V. ...so solten die uorgenanden brGder der kilchen den uorgenanden Wingarten widerlegen [ersetzen, UR] · mit anderm ligendem gGte das in der selben parrochie were nach der lúte schezunge die mit beider teile Willen wurden erkorn / der selben lúten namen die Von dien teilen erwelt wurden / vnd die das gGt das man der kilchen solte widerlegen schezzen sun / die sint hie nach geschriben... (Corp. 1767, 73.12).
Alle Belege der Bedeutung ›Schätzung‹ sind als Abstrakta der Art und Weise (›Art und Weise, wie jmd. etw. schätzt‹) zu klassifizieren. Das Substantiv und das Verb sind korpusintern stets fachsprachlich gebraucht mit Bezug auf die Taxierung des Wertes einer Sache. Der Gebrauch des Verbs i.S.v. ›meinen, glauben, halten für‹ ist zwar mhd. belegt (vgl. Lexer II: 673), liegt aber m.E. nicht der vorliegenden Bedeutung von schatzunge zugrunde. Deswegen werden Belege wie der obige nicht als Patientiva (›das, was jmd. schätzt‹) angesehen. Zwei Belege greifen die Bedeutung ›von jmdm. Geld/Steuer erheben‹ des polysemen Basisverbs auf. schickunge (›Anordnung, Verfügung‹): ← schicken (39) sw.V. vnd shol den selben mit worten noch mit werchen noch mit shichvnge haimleihen noch offenleihen nicht pesweren...(Corp. 2535a = N 774, 560.3).
schidunge1° (›Entscheidung, Schlichtung; Trennung‹): ← scheiden (380) st.V.
...der obeman hat ?ch gewalt obe in Ehafte not irret disen Missehel zescheidenne nach winahten vf ein gelinphfit zil / dise schidunge stete zehabende / hant der Abbet v] die Samenunge von Gengenbach mit irn truwen / v] die vor genanten herren von St?fenberg mit irme eide gelobet... (Corp. 206, 213.43).
_____________ 861 Vgl. Döring/Eichler (1996: 93), die ein ähnliches Problem im Zusammenhang mit der Konstruktion wonung machen besprechen.
II.1. Derivationstypen
460
...daz Wir...uber ein komen sin / umbe die missehulle die uuir haten. Vmbe daz uisseWazer zu RemesWinkele · nach ersamer LFte sceidunge... · die hant uns also gesceiden daz daz nider teil des Wazzers hie Vorgenant ist remesWinkel des closters ist inmerme Ledeliche biz inden dribenden rin (Corp. 439, 387.24).
Eine genaue Aussage über die zahlenmäßige Verteilung der abstrakten und patientiven Verwendungsweise von schidunge ist nicht möglich. Die unter den jeweiligen Wortbildungsbedeutungen erfassten Belegzahlen können nur approximative Angaben sein. Die Valenz und syntaktische Verwendung des Basisverbs scheiden lässt es zu, scheidunge als Handlungsabstraktum, Zustandsabstraktum und/oder als Abstraktum der Art und Weise zu interpretieren. Da das transitive Verb auch als Verbum dicendi verwendet wird, das Geschiedene also nicht immer ein affiziertes Objekt (z.B. ein Streit oder streitende Parteien) ist, sondern auch der Inhalt eines folgenden dass-Satzes sein kann, kann scheidunge auch als Objektbezeichnung verwendet werden (vgl. scheidunge2). In den Urkunden ist diese Bedeutung jedoch kaum von den Abstrakta der Art und Weise unterscheidbar. Wenn z.B. am Ende einer Urkunde in der Corroboratio geschworen wird, eine scheidunge stete ze hande, handelt es sich dann um die ›Art und Weise, wie man geschieden hat/wurde/ist‹ oder um ›das, was jmd. geschieden hat‹?862 Bei der kompletten Durchsicht der ausgewählten Urkunden lassen sich in vielen Fällen die Basisverben finden, und ihre jeweilige Verwendung wurde der Analyse zugrunde gelegt. Der Anteil der Zweifelsfälle, die nicht auf diese Weise und auch nicht durch andere Analysemethoden disambiguiert werden konnte, beläuft sich auf ca. 10% der Belege. schirmunge (›Schutz, Verteidigung‹): ← schirmen (273) sw.V. Wir vercihen vns aller der schirmvnge die wir mohten han an weltlichen oder angeislichem girihte... (Corp. 180, 201.7).
senfterunge (›Milderung, Mäßigung‹): ← senftern sw.V. (Lexer II: 882f.) ...daz in der sache...dvr gantzes vrides gMti vnd dvr strenges gerihtes zimelich senftervnge Die vorgenanten teile beidiv Div vorgenante vr?we von Rathusen... v] der vorgenande Tegan...die nahgeschriben / zwene Man...ze richtern Jn Jr sache...erkvrn eimMtechlich... (Corp. 364, 338.45).
Anstatt senfterunge auf den Komparativ des Adjektivs senfte (1) (in einer Paraphrase mit machen) zu beziehen, gebe ich hier der komplexen Basis, dem abgeleiteten Verb senftern, den Vorzug. sicherunge (›Sicherheit, Absicherung‹): ← sichern (43) sw.V. [sicher Adj. (86)] Daz ich minen hof datz perigoren zechauffen han gegeben / den fraTen hintz alten hohnaT...v] han den vorgenanten fraTen gegeben / zeæîner sicherung / v]
_____________ 862 Anders liegt der Fall natürlich, wenn eine Bildung nicht konkret werden kann (vgl. z.B. ver/ebenunge).
II.1.18. -unge (-igunge)
461
zeæîner stætigung / vm den vor geschriben hof / Gebhartn von aufhausen zeaîn) salmann (Corp. 2040, 271.19). ...so habe wir im disen brief gegeben / versigelten / mit / der sischervng vnsers Jnsigels (Corp. 3186, 377.27).
Dass das Lexem sicherunge nur zweimal belegt ist, ist für die Urkundensprache ein sehr überraschender Befund. An seiner statt tritt im Korpus die -heit-Bildung sicherheit (195)863 hochfrequent auf. Ein semantischer Unterschied zwischen der -unge- und der -heit-Bildung ist anhand der wenigen standardisierten Kontexte nicht feststellbar, weshalb sicherunge nur unter Vorbehalt als deverbale Bildung gewertet wird. slihtunge (›Schlichtung‹): ← slihten (18) sw.V. v] dc disiv sazzvnge v] sclihtvnge als an disem brieve ist giscriben ane kranc iemer stete belibe dar vmbe so henken wir · Albreht der abbet von der richvn ?we vnser Jnsigel ze ainem steten vrkvnde an disen gegenwrtigen brief (Corp. 1293, 534.44).
Auch bei slihtunge ist eine modale Färbung des abstrakten Lexems zu beobachten, die in drei von vier Belegen zugleich als Zustandsabstraktum mit der Nebenbedeutung der Art und Weise paraphrasierbar ist (›Art und Weise, wie man geschlichtet worden ist‹). slîzunge* (›Verschleiß, Verrinnen‹): ← slîzen (›zu Ende gehen etc.‹) st.V. (Lexer II: 984f.) Durch die kranchin gîehMgide der Lîvte / v] durch die slissunge der cit / Vnđ darumbe / swaz man gîesetze / v] gîetedige / daz daz stete · v] vnzerbrochen bîlibe · do sint wîtzige lîvte gîewon / daz sîe daz mit brîefen / v] mit gîeziMgen gerne bestetint (Corp. 1262, 503.17).
stætunge11 (›Bestätigung‹): ← stæten (116) sw.V. Vnde ze einer zvgnisse v] stetunge diz allez daz hie vor geschriben ist / so han ich vorgenanter walther von liela / min ingesigel an disen brief gehenket (Corp. 2841, 174.25).
Vgl. vor allem die Bemerkungen zu stætigunge11. Ein Beleg wird instrumentativ verwendet (vgl. stætunge12). Zwei Belege sind auf ein Basisadjektiv zu beziehen (vgl. stætunge2). stætigunge11: ← stætigen (86) sw.V. [stæten (116) sw.V.] ...ze einer ganzun stetegun dirre vorgeschribenen dinge · so han ich dem vorgenant) gozhus · v] RNdolf Buglin · disen Brief gen besigelt mit min) eigen Jngesigele (Corp 2891, 200.11).
_____________ 863 Vgl. z.B.: »diz beschach alles samt mit mines herren hant Grafe Gotfrides von Tuwingen · zainer sicherhait · vnd zainer vestenunge · daz daz vorgenante closter ze Marthel · von mir · alde von minen erbun / hinnan fvr kaine arbait an gange · alde kain kumber · vmbe diz vorgenante wise« (Corp. 2326, 440.39).
II.1. Derivationstypen
462
Rund 30% der Belege können eindeutig als deverbale Bildungen analysiert werden. Drei Belege können allerdings innerhalb ihrer Kontexte nur mit ›Beständigkeit‹ umschrieben werden und sind daher als deadjektivische Bildungen zu analysieren (vgl. stætigunge2). Große Schwierigkeiten bereitet die Verwendung des Lexems vorwiegend innerhalb der Corroboratio in der Präpositionalphrase ze (einer) stætigunge. Hier ist kaum ein Unterschied in der Verwendung im Vergleich zu den deverbalen bestætigunge, bestætung oder auch der -heit-Bildung bestætecheit feststellbar. Genauso wenig kann hier aber zwischen der Verwendung von stætecheit oder stæte unterschieden werden. Auch die letztgenannten Bildungen können trotz häufig eindeutig deadjektivischer Motivation in einigen Fällen ausschließlich deverbal interpretiert werden864, so dass auch bei diesen die Lexembedeutung in der Präpositionalphrase unsicher bleibt. In der Analyse werden nur die eindeutig deadjektivisch motivierten stætigunge-Belege gesondert behandelt, alle anderen werden dem deverbalen Bildungstyp zugerechnet. Die Belegzahl für die homonyme Bildung stætigunge2 i.S.v. ›Beständigkeit‹ fällt daher sehr gering aus, es ist aber wohl mit höheren Belegzahlen zu rechnen. sterkerunge (›Bekräftigung, Beglaubigung‹): ← sterkern sw.V. (Lexer TWB Nachtr.: 448) Wir die LantlPte von §ren...henken Pnser Jngesigel an disen brief / zeim vrkPnde v] zeiner sterkervnge alles des so hie vor geschriben ist (Corp. 634, 64.5).
stiftunge1 (›Belehnung, Stiftung‹): ← stiften (63) sw.V. Mit der stiphtGnge des hofes / schol niemen niht ze schaphen haben / denne daz vor gescriben haus / sand Giligen (Corp. 1172, 451.34).
Dreimal ist das Lexem stiftunge in patientiver Verwendung belegt (vgl. stiftunge2). stœrunge (›Störung, Schädigung‹): ← stœren (10) sw.V. Vnt daz daz also stæt / vnt vest beleib / an all ansprah / vnt st=rung / han ich dem Gotzhaus ze Raitenhaslach / vnt der Samnung da selben gegeben disen brief versigelten... (Corp. 1948, 208.9).
sûmunge (›Säumnis, Versäumnis, Verzögerung‹): ← sûmen (46) sw.V. ...daz von ir savmvnge / div reht / vnd div vreivnge der stat niht werden zebrochen (Corp. 2345, 455.29).
teilunge1: ← teilen (360) sw.V. ...so shol dev begeunge des jartages baidev an messen vnd an gGter handelunge der samnunge vnd der tailunge der brot, der chæs, der pachen an vnser vnd an vnser nachchomen gewisten ligen... (Corp. 2315a = N 748, 30).
_____________ 864 Vgl. Dittmer (1989: 63): »Bei der Bildung von stætigunge kann das ältere Adjektivabstraktum stæticheit [FN 73: Graf VI 647; Lexer stæticheit. Die Bedeutung ›Gültigkeit, Bekräftigung‹ ist vor den Urkunden jedoch ganz vereinzelt] das Vorbild gewesen sein, denn stæticheit läßt sich (wie oft die Adjektivabstrakta) semantisch als Verbalabstraktum auffassen.«
II.1.18. -unge (-igunge)
463
tragunge (›Trägerschaft‹): ← tragen (220) st.V. v] wan dez selben gNtis / der vor geschriben SchNler Nicolaus der Sateler nit genôz waz / noh er ez in siner hant nit mohte han / do trNg ez im Hainrich von Rordorf vnser / knecht v] vnser dienstman der dez gNtis genôz waz/ mit dem recht v] mit der tragunge dP da haizet der Sal [treuhändisch verwaltetes Gut, UR] (Corp. 522, 457.27).
trahtunge (›das Trachten, Absicht, Überlegung‹): ← trahten (7) sw.V. ...daz Ott der priwær von Zirtenarn vnd siniv chint...sich mit iren triwen verzigen aller der ansprach mit trahtung vnd mit verdahtem mvt... (Corp. 1210a = N 434, 321.17).
trôstunge2 (›Zusicherung, Versprechen‹): ← trœsten (19) sw.V. Jch Anshelm von Rapoltstein v] ich CNne von Berckeim der alte tGnt kunt allen den, die disen brief sehent oder gehorent lesen, daz wir gent ein fride v] eine trostunge dem meistere, deme rate v] der gemeinde von Strazburg... (0968a = N 356, 268.36).
ûfgebunge (›Aufgabe‹): ← ûfgeben (20) st.V. ...das Heinrich l=schebrant...daz hvs daz da lit ze basil an der frienstraze...vns vf gab lidekliche / v] wir ez dvrh sinre / v] der vorgenanten sinre wirtin / sinre kinden v] sins tochtermans vfgebvnge v] bette willen/ Heinriche von stetten ...ze erbe luhen v] lihen mit disem brieve... (Corp. 2845, 177.26).
ûfgebunge ist mit sieben Belegen häufiger belegt als das vergleichbare ûfgâbe (4). Im Nhd. ist Aufgabe neben der Konversion Aufgeben hingegen das standardisierte Abstraktum zu aufgeben. Aufgebung wäre als Bildung untypisch. underscheidunge1 (›Bestimmung, Erklärung, Bedingung‹): ← underscheiden (›unterscheiden; bestimmen, festlegen‹) (21) st.V. ...daz ich...den selben swestran...dran gap ainlúf marke silbers / mit disem gedinge v] mit diser vnderschaidunge / daz ich vnde Jvdente / mit wirtenne dez selben gNtes nuz halben ierlich nemen sont... (Corp. 2226, 373.37).
underwîsunge (›Unterweisung, Belehrung, Eingebung‹): ← underwîsen (37) sw.V.
Daz ich...han gegebin von der vndirwisunge des hailigen gaistis wr mich / v] mine erbin allesamint mit gNtime willen Ebirharten din Merboten von Lanchwattvn der min waz/ mit allime rehte vnde alse ich in han braht vnz an disen hivtigen tach (Corp. 276, 282.3).
urscheidunge* (›Bestimmung, Bedingung‹): ← erscheiden865 st.V. ...dc ich ain phvnt gPlte iargelichz han ergeben Miner vrown sancte Marivn v] alle gottez haligvn v] den herron von Marchtel die dinent sint zeder cappellen ze Riv-
_____________ 865 Für das Verb erscheiden (Lexer I: 666) ist nur die Bedeutung ›unterscheiden‹ belegt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit darf jedoch auch hier von einer ähnlichen Polysemie des Verbs wie etwa bei underscheiden (s.d.) ausgegangen werden, auch wenn sich anhand der benutzten Wörterbücher dafür keine Belege erbringen lassen.
II.1. Derivationstypen
464
telingen · mit vrschadunge v] gedinge dc die selben herren Mitt) dem phvnde kophent ôle an ain lieht iargelichez... (Corp. 3164, 363.15).
Das Lexem urscheidunge* ist bei Lexer nicht belegt, und auch das DWB (24: 2527) verweist nur auf das Schwäbische Wörterbuch von Fischer (6: 303), wo wiederum der hier angeführte Beleg zitiert ist. Synchron kann die Bildung semantisch auf das Verb ûzerscheiden866 bezogen werden, das bei Lexer (II: 2021) in einem Kontext mit der Bedeutung ›entscheiden, ausbedingen‹ belegt ist. ûzrihtunge (›Ausgleichung; Bezahlung‹): ← ûzrihten (61) sw.V. ...wir wellen auch / daz diser brief vnd disiu rede / vmbe diu auzrihtigunge der vorgenanten zehentausent March / den briefen die datz vlmen wurden geschriben vnd gegeben / zwischen vns...dehain schade sFl oder muge gesein... (2754, 118.29).
Der obige Beleg des Lexems ûzrihtunge ist das einzige Beispiel, wo die Bedeutung ›bezahlen, vergüten‹ des polysemen Verbs ûzrihten aktualisiert wird. Es wird auf die in der Urkunde besprochenen Zahlungsmodalitäten bezüglich der Mitgift eines Vaters an seine Tochter Bezug genommen. In allen anderen Belegen bedeutet das Lexem ›Ausgleichung, Schlichtung‹. Das Lexem zeigt dann zumeist wie in der obigen Textstelle modale Färbung der abstrakten Belege. ûzsagunge* (›Aufsagen, Rezitation?‹): ← ûzsagen (5) sw.V. Dc wir zen andren sássen / · vnd betrachtetn / vnd zerát wurden wie wir die alten gewonheit / die wir von alter han gehebt an dien Mélinon die ze zouingen h=rent néwerotin / vnd ze liechte brêchtin... · Vnd sasten die selben núwerunge / vnd §ssagénge der vorgeschriben gewonheit an érber léte / die wir wanden / dc si sich aller best dar §f férstMndin (Corp. 3474, 559.19).
verdamnunge: ← verdamnen sw.V. (Lexer III: 90f.) ...wande siv englobent nvt dc got sie / v] dc er diz virhenget vffen ir grozere virdampnvnge / v] der cristen merre selden die sich da hin erbieten wellent vmbe ir missetat zi vertilgenne (Corp. 93, 137.17).
Dieser einzige Beleg des Lexems verdamnunge ist im obigen Textausschnitt vermutlich als Zustandsabstraktum (›Verdammtsein‹) zu interpretieren. verebenunge (›Schlichtung‹): ← verebenen (20) sw.V. vnd' dar Nmme daz dirre satz vnd' disiv verebenunge zwishen min) herren dem Bishof vnd' mir dester grzer stete hab · han ich disen brief gegeben · mit minem hangenden jnsigel. Disiv verebenunge ist geshehen · des iares do Cristes gebNrte was · Tausent zweihundert vier vnd' sibencek iar an dem dricehendem tag Eingendes Hornunges (Corp. 216, 220.9ff.).
vergeltunge (›Ausgleichung‹): ← vergelten (225) st.V. vergezzunge: ← vergezzen (133) st.V. _____________ 866 Zur Verteilung von ur- und ir-/er- vgl. z.B. Wilmanns (1899: 566).
II.1.18. -unge (-igunge)
465
V] daz dise sache v] der chovf v] daz stæt gelvbde des sermes v] des gMtes von vns oder von iemen vnser gerben oder affterchvmpht iht werde her nach zebrochen mit dhainer widertrahtvnge oder vergezzvnge, des geb wár disen gegenwortigen brief... (Corp. 1420a = N 493, 355.38).
verhengunge (›Zulassung, Erlaubnis‹): ← verhengen (›gestatten etc.‹) (23) sw.V.
verhœrunge (›Anhörung‹): ← verhœren (6) sw.V. ...so vrteile wir ?ch / das ir keinre sol vrzal haben / ebe sich die verhorunge der kuntschefte ziehende wirt / nach den dag / vor dem wir vrteil sprechen soltent... (Corp. 1524, 691.32).
verjehunge (›Aussage‹): ← verjehen (2371) st.V. ...dirre brief wart ?ch dec selben tages gegeben do er die vergehunge tet (Corp. 2434, 505.32).
verkêrunge (hier: ›Besitzerwechsel‹): ← verkêren (73) sw.V. Nv ist daz also geschehen / daz er her Marichart / mir albern hat gegeben daz selb aigen...zewiderwechsil / daz ich ez haben schol... vnd dar vmb daz dev verchervng div an dem selben aigen ist geschehen von hern Maricharten hintz mir / dem Probst vnd der samnvng dehainen schaden pring...setz ich in zephant mein aigen ein lehn daz ich han zwaltprehtstorf mit allem dem daz dar zM geh=rt · dar zM gelob ich das selb gMt zwaltprehtstorf mit niht zverchern... (Corp. 2905, 208.6).
verkoufunge: ← verkoufen (1332) sw.V. Wir haben auch gesetzet / ob ein man oder ein wip...ze s=lher armvt gedeihen / daz si durch notdurft ir erbe mNzzen verchauffen vnd hin geben...·So sGln di Ratgeben Nber div sache sitzen vnd vlizzichlich ahten · daz der man oder daz wip ditzes gutes niht vnpillicher verzerær oder vertvær · sein · vnd ob si ir armvt an des selben gutes verchauffen / niht Nberch=men mNgen · noch verzihen · ist daz also · so sGln di ratgeben vnder der erben · oder vnder der vrevnde danch / dise verchauffunge / dev so geschiht mit der stat brieve vnd Jnsigel gæntzlich bevesten · vnd bestætigen (Corp. 2345, 456.41).
Diese interessante Textstelle zeigt neben der insgesamt zweimal belegten -unge-Bildung verkoufunge mit der Konversion verkoufen eine andere Nominalisierung des Basisverbs in unmittelbarer Kontextnähe. Das st.N. verkoufen ist mit 20 Belegen die am häufigsten im Urkundenkorpus belegte Nominalform zum Basisverb. Das Substantiv verkouf* st.M. (4) ist bei Lexer nicht gebucht, d.h. die Belege im Urkundenkorpus sind die ersten Nachweise für das mhd. Vorkommen des Substantivs.867 Eine Bildung *Verkaufung ist im Gegenwartsdeutschen hingegen kaum mehr denkbar.868 verkumberunge* (›Beschlagnahme, Verpfändung (e. Gutes)‹): ← verkumbern (42) sw.V. _____________ 867 Vgl. DWB (25: 618): »die handlung des verkaufens. mhd. nicht nachgewiesen [...]«. 868 Vgl. aber DWB (25: 624) mit Belegen bis ins 18. Jh.
466
II.1. Derivationstypen
Wære ?ch daz der vorgenanden gGt dehaines bekivmbert wære, div da vorgeschriben sint, daz sol ich oder mine erben ime entrihen v] ledich machon von swem es bekivmbert ist, es sie mit ansprache oder dehainer slahte verkivmberunge âne allen sinen schaden (Corp. 2343a = N 754, 548.8).
Der Beleg von verkumberunge wird im obigen Kontext semantisch durch das zum Basisverb verkumbern weitgehend bedeutungsgleiche bekumbern (55) gestützt. Mit verkumberunge konkurriert im Korpus das ebenfalls einmal belegte bekumberunge. verlîhunge (›Verleihung‹): ← verlîhen (382) st.V. verrihtunge (›Ausgleichung, Versöhnung; Bezahlung‹): ← verrihten (453) sw.V. ...daz der chriekch der zwischen den brNdern Friderich vnde Ræimbreht von Sch=nnekke was / vmb æin verrihtvnge div zwischen in vor was geschehen... nah rate vnd nah schidvnge also wart verrihtet vnd verebent / zwischen in vnd ir erben stæte ze haben! (Corp. 894, 254.36).
Auch bei verrihtunge zeigen einige Belege modale Färbung, indem sie die ›Art und Weise, wie jmd. verrihtet hat/ist‹ bezeichnen können. Der Anteil nicht modal überfärbter Abstrakta ist aber ungleich höher. versatzunge (›Versetzung, Verpfändung‹): ← versetzen (268) sw.V. V] swie wir grauen Thiebalden an dem verk?fe oder an der versazzungen oder dekeinen dingen, die da vor geschriben sint, jrreten oder nicht stete habten mit gGten truwen als das davor geschriben stat... (Corp. 0346a = N 154A, 120.7).
verslihtunge (›Schlichtung‹): ← verslihten (50) sw.V. ...vnd daz dise verslichtunge / vnd ditz ding immer mer stete sei / dar vmb gebe wir der vorgenanten samnunge / vnd dem closter ze cwetel / disen brief... (Corp. 3225, 401.9).
In der zitierten Urkunde geht dem Lexem verslihtunge das Basisverb voraus. Auch der eine Beleg von verslihtung kann aufgrund der Konstruktion, in die das Verb eingebettet ist, als Modalnominalisierung aufgefasst werden. Vgl. hierzu den Verbbeleg: daz wir vns aller der fremde oder vmminne / div zwisshen vns vnd dem apte von zwetel vnd siner samnunge was / ... / mit æinander nach rate verslichtet habn · also / daz wir des ersten gegen æinander lauterlichen allen vmmFt lazen / vnd fFrbaz immer mer gFtlichen vnd freuntlichen mit æin ander leben wüllen vnd shuln (a.a.O., 400.34).
versûmunge (vgl. sûmunge): ← versûmen (49) sw.V. versuochunge (›Prüfung‹): ← versuochen (158) sw.V. von versGchunge der phenninge. der VicetGm · oder der Muntzemeister des Ertzebischoues mvgen / sweliche zit si wollen / versNchen der Husgenozzin phenninge· ob si gerecht sin / grifende in ir Budele (Corp 1161B, 441.74).
vertigunge (›Zufertigung, Übergabe‹): ← vertigen (230) sw.V.
II.1.18. -unge (-igunge)
467
DisP vorgenande gNter han ich...dien vorgenander vrowen gevertegot mit mines Herren hant von Ochsenstein /... / der ime bevoln hat land v] lPte / zi besezzenne v] zi tNne allez daz er tete vb er zi lande were / von der vertigunge volchomilich geschriben stat an der hantvesti div dar vber gegeben ist (Corp. 2789, 141.3).
verziehunge* (›Verzögerung‹): ← verziehen (29) st.V. Wer aber das der vorgenant her CGnR spreche mit geverden / oder durch aine verziehunge · das der uorgenant hof nit were geverthiget / als ime gelobet wart (Corp. 2282A, 161.26).
verzîhunge (›Verzicht‹): ← verzîhen (933) st.V. daz Ott der priwær von Zirtenarn vnd siniv chint...sich mit iren triwen verzigen aller der ansprach mit trahtung vnd mit verdahtem mvt, di si heten oder alsidauht di si haben solten wider den ersamen manne wider den apt von Alderspach...; vnd nach der verzigung swuren einen eit, daz si di triwe mit der si sich verzigen heten der ansprach angeværd immer wolten stæt haben... (Corp. 1210a = N 434, 321.20).
vestenunge°, vestunge (›Festsetzung, Bestätigung, Bekräftigung‹): ← vest(en)en (373) sw.V.
...des han wir bischof Manegolt vnser Jnsigel zu einr vestenunge vber die selben dinc vnde wort an dise hantuesten heizen geleit (Corp. 1126A, 415.23).
vestigunge (vgl. vestenunge, vestunge): ← vestigen (4) sw.V. vest(en)en (373) sw.V.
volgunge (›Zustimmung‹): ← volgen (›beipflichten, bei-, zustimmen‹) (119) sw.V.
volvüerunge* (›Ausführung, rechtl. Durchführung‹): ← volvüeren (192) sw.V.
Jch fro Heiliwig mMter der vorginanden miner sPne / vergihe dc dirre k?f geschehin ist / mit ganzem minem willen mit vollefMrvnge alse vor geschriben ist (Corp. 2677, 73.42).
vorbetrahtunge (›Vorüberlegung‹): ← betrahten (15) sw.V., vor Adv.; vorbetrahten sw.V.
...daz wir mit gunst vnde mit gantzer gehellunge / vnde mit gFter vorbetrahtunge vnsers Capitels / vnde vnserre dienstlFte / vnde vnserre gFten friunde / haben kauft / vmme den edeln herren Graven Cunraten den Burcgraven von NMremberg / spalth den Market / vnde sandescrone · vnde allez · daz da zv geh=rt (Corp. 2664, 63.32).
Das Verb vorbetrahten ist einmal im Korpus als Konversion belegt. Es kann jedoch auch von einem zugrunde liegenden Syntagma aus dem Adverb vor und betrahten als Wortbildungsbasis ausgegangen werden (Zusammenbildung). Unter den Belegen (vgl. WMU I: 229) des Verbs betrahten finden sich Belege in partizipialer Verwendung mit dem Adverb mit vor betrahtetem râte, die auf eine entsprechende verbale Verwendung schließen lassen.
II.1. Derivationstypen
468
Auch eine Komposition aus vor und betrahtunge kann jedoch nicht ausgeschlossen werden.869 vorderunge°1 (›Verlangen, (rechtl.) Forderung, Klage‹): ← vordern (293) sw.V. a) Wir verzihent >ch vns bede alles rehtes geistliches vnde weltliches, geschribens vnd vngeschribens, gewonheite, ... der vorderunge vnd alles dez schirmes, damitte dirre c>f entrant m=hte werden, ieze oder hernach... (Corp. 0144a = N 100, 71.24). b) ...daz sie niemer clage · Vorderunge · noch ansprache · an gæislichem alde weltlichem gerihte · an diheime tæile swie er ginemit si · von in sælbin · botin · alde vordirerin svn gewinnen · noch inhæin ir vorderunge vurbaz inpfr=miden lihen oder verk?fen. Da wider hat dir bischof Ebirhart · dem von luphen v] sinen kinden allen · zi bezzerunge nah liebi · vnde zvrsatze ir vorderunge...inen verlihen zi rehtim Lehin die Bvrch ze StMlingen (Corp. 17, 26.14ff.).
In vielen Kontexten kommt der Bildung vorderunge die zusätzliche (modale) Bedeutung eines Rechtes oder die Bezeichnung der Möglichkeit, etwas vor Gericht zu fordern, zu (Beispiel a). Nicht in allen Fällen ist eine klare Trennung von abstrakter und patientiver Verwendung des Lexems vorderunge möglich (vgl. vorderunge2). Das zweite Textbeispiel b) zeigt sehr gut die Schwierigkeiten, die bei der Analyse entstehen können. Alle Belege tragen die Bedeutung ›Forderungsrecht‹ und sind somit als Abstrakta zu werten (s.o. klage, vorderunge, ansprâche gewinnen), wenn auch die Prädikate lîhen und verkoufen oder die Präpositionalphrase (zvrsatze ›zum Ersatz‹) mit attributivem Genitiv auf den ersten Blick auf eine Konkretisierung hindeuten. vorladunge: ← vürladen (1) sw.V. dc vnser herre...an allen furzoch, an alle furladunge zebanne sol tGn, swenne es ...an dem, dc da vor gescriben ist, an ainem taile alde gar zerbrochen wirt (Corp. 0242a = N 132, 94.43).
vristunge (›Erhaltung, Bewahrung‹): ← vristen (5) sw.V. daz ich von meinem vngelFkke· durch meines leibes not · v] durch meines lebens fristunge · mues verchaufen meines wonzehenden · ovz dem hove ze chumbenz (Corp. 1301,541.28).
vrîunge2 (›Freimachen, Freikauf‹): ← vrîen (64) sw.V. ...daz sich Diemut / Mæhthild v] Jeute sin swester...frêiten v] l=sten an daz capitel ze Salzb~ch vmb ein March pfenning / v] diu selben frêivng v] l=svng / offent wernhart von Staig des Tanners chneht...allen den dá da bei warn... (Corp. 3060A, 306.28).
Das Lexem vrîunge ist in sechs Fällen eindeutig durch das Verb vriên motiviert (vgl. vriunge1). Beim Großteil der verbleibenden Belege gestaltete es sich jedoch schwierig, die Basiswortart zu eruieren. Eine objektive Tren_____________ 869 Vgl. Fleischer/Barz (1995: 119).
II.1.18. -unge (-igunge)
469
nung zwischen vrîunge und vrîheit ist aufgrund der Kontexte häufig nicht möglich (vgl. vrîunge1). vüerunge (›Transport‹): ← vüeren (239) sw.V. vnd swa ime diu [vîer stúcke holczez] gehowen oder gek?fet vnd gez=get werdent, dîe sol er mit siner koste dannen fFren also, daz diu stat der fFrunge dekeînen schaden haben sol (Corp. 1687a = N 568, 410.30).
vuorunge: ← vuoren (›unterhalten, nähren, speisen etc.‹) (1) sw.V. Er sol auch die zehentnær vnd di holden / die auf den zehenthofen / vnd in den D=rfern sitzent / di er hat Ledich Lazzen / weder mit stewer / noch mit Nahtsedel · noch mit fGrunge / oder mit ander iht beschæden / vnd auch beswaren (Corp. 854A, 204.42).
Die Regesten (S. 165) zu Urkunde 854AB übersetzen das Lexem vuorunge mit ›Verpflegungspflicht‹.870 Wie bei den Abstrakta des Rechts eine modale Erweiterung um ein ›Können, Dürfen‹ feststellbar ist, so zeigt vuorunge hier die modale Färbung ›müssen‹. vürderunge (›Förderung, Unterstützung, Beihilfe‹): ← vürdern, vurdern (42) sw.V. ...daz ich durich genad / fuderunge / vnd gehaim [Vertrauen, UR]· die mein wirt / v] ich lange / von dem Tvmbrobst...enphangen haben daz Haus auf TNlantz hofstat / in der Rinchmower ze Lintz...gib zerechtem Selgræt... (Corp. 1436, 638.8).
Alle 36 Belege des Lexems vürderunge liegen in abstrakter Verwendung vor. In einigen Fällen ließe sich jedoch argumentieren, eine instrumentative Verwendungsweise der Belege anzunehmen. vürlegunge1 (›mdl. oder schriftl. Darlegung e. Sache‹): ← vürlegen (2?) sw.V. So han wir vor genanten schidelPte nach baider tail fPrleggvnge v] antWrte / âne vrtail geschâiden v] geschlihtet / dc der vorgenant vogget ze Lasên in des vorgenanten gozhvses alpe / von des houes rehten ze saluaninnes fi§nfzig melkîv rinder triben sol âne allen vâr (Corp. 3493, 573.19).
Die sieben Belege des Lexems vürlegunge verteilen sich auf zwei Urkunden. Die fünf abstrakten Belege des Lexems sind wiederum auf die Urkunde 3493 beschränkt und treten nur in der Wendung nach (baider tail) fPrleggvnge vn(-) antWrte auf. nâch ist hierbei als Zeitadverb ›nachdem‹ zu interpretieren. Zwei Belege in Urkunde 1989 werden als Objektbezeichnungen verwendet (vgl. vürlegunge2). wandelunge (›Wandel, Veränderung; Besitzerwechsel‹): ← wandeln (74) sw.V. _____________ 870 Ob es sich eventuell um eine umlautlose Form von vüerunge handelt, kann anhand des Kontextes nicht festgestellt werden. Ich richte mich daher nach den Angaben in den Regesten.
II.1. Derivationstypen
470
Wir wellen avch daz disez geschefte also stete belibe vnd vnzerbrochen allewege / di wil wir niht mit andern briven / vnd mit gNter gezivgschaft div vorgenanten dink gewandelt haben / vnd der wandelvnge wellen wir alleweg gewalt haben... (Corp. 3368, 489.20).
Das Lexem wandelunge ist 20-mal gebraucht, um den Besitzerwechsel bei einem Gut zu bezeichnen (der houeherren wandelunge). Im obigen Beleg behalten sich die Aussteller die Möglichkeit bzw. das Recht des Wandels vor. warnunge: ← warnen (7) sw.V. Jz chvmpt von der hingender zit, daz maneger sachafter dinge, die die livte mit ein ander zetvn habent, vil ofte gar vergezzen wirt, sie enwerden danne wol bestætet mit gvter warnvnge der schrift vnt ?ch der livte (Corp. 0527b = N 215, 165.1).
wartunge (›Erwartung; Anwartschaft‹): ← warten (›ausschauen nach, warten auf‹) (71) sw.V.
Vnd swer vf daz ampt ovch warttet / brichet der die sNn / als ez geschriben ist/ der sol in die selben bNzze gevallen - Jst daz ieman in die bNzze gevellet · des ampt oder des warttvnge / sol der Meister in des ampt ez ist / vnd sin ivnger / in einem manod hin leihen (Corp. 349, 329.29).
werrunge (›Verwirrung, Verwicklung, Streitigkeit etc.‹): ← werren (14) sw.V.
Jnde die weringe die up Geloiffin is sent dir sunin die uur toneburch Gemachit was · die os gelazin an den herzogin wan lomburcg inde an de greuin uan den berge (Corp. 21A, 34.3).
werunge1 (›Bezahlung‹): ← wern2 (›zahlen; gewährleisten etc.‹) (828?) sw.V. von der werunge des Silbers vnd phenningen. ein iechlich Husgenozze / der da wechselt an dem bank silber · der sal da selbens wern mit nuwen phenningen vnde niergen anders noch nieman anders sal ovch weren mit alden phenningen vur en · TGt ers dar vbir/ So ist er bGzhaft deme Ertzebischoue · oder sime Muntzmeister / drier phunde... (1161B, 442.11).
In abstrakter Verwendung bedeutet das Lexem werunge in den Urkunden fast ausschließlich ›Bezahlung‹, nur einmal bedeutet es ›Haftung, Gewährleistung‹.871 In patientiver Funktion bezeichnet die Wortbildung die gezahlte Geldsumme (vgl. werunge2). In der idiomatisierten Bedeutung ›Währung‹ ist das Lexem soweit ersichtlich korpusintern nur einmal bezeugt. wesunge (›Zustand‹): ← wesen (›sein etc.‹) (7531) st.V. Wir binden Pns ?ch an disen brief da wir den vorgenanten · Adelhaide · ir kinden v] ir liperbon iemer me die selbun wasserlaiti rihten son / von allen den Pber der
_____________ 871 Dem entspricht die folgende Anmerkung im DWB (27: 1010): »als ›leistung, erfüllung‹ kommt währung fast nur in der älteren rechts- und urkundensprache vor in der an währen III, 2, a sich anschlieszenden bedeutung von ›bezahlung, ablieferung‹. die allgemeine bedeutung ›gewährung‹ ist im mhd. selten und tritt in der neueren sprache gar nicht auf.«
II.1.18. -unge (-igunge)
471
gGt alde an der gGt ez hin rinnet in der wesunge als es iezont flúzet (Corp. 2440, 509.8).
wesunge kann im obigen Kontext als Zustandsabstraktum mit der zusätzlichen Bedeutungskomponente ›Art und Weise‹ interpretiert werden (›Art und Weise, wie etw. ist‹). widerlegunge1 (›Erstattung, Ersatz‹): ← widerlegen (84) sw.V. Jch vergich auch daz ich an der vorgenanten widerlegung Siben pfunt regenspurger phennig enphangen han / von meinem herren von Salzburch (Corp. 3074, 316.38).
Auch die Analyse der Belege von widerlegunge bereitet oft Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von instrumentativer und abstrakter Bedeutung. Die meisten Belege innerhalb der Präpositionalphrase ze/zuo (einer) wiederlegunge lassen sich als prädikative Objektbezeichnungen auffassen, aber auch mittels der nhd. Infinitivkonjunktion um – zu als Ersatzkonstruktion beschreiben. Bis auf einen Fall behandle ich die ambigen Fälle als Abstrakta (vgl. widerlegunge2). widerruofunge*: ← widerruofen (5) st.sw.V. Vnd welher in deme rate nit volget vnd widerrGfet, waz also gehandelt vnd vberkomen ist von den andern, deme merreteil, in deme rate, alse da vor geschriben ist, der sol mit deme worte der widerrGfvnge sin offenlich menedig vnd sin rat ewiclichen verlorn han vnd sol dar nach niemer zG deme rate gen alse ein ratman (Corp. 0090a = N 77, 55.38).
widersachunge*: ...dis vorgeschribene gNt sol vallen dem vorgenant) Johannese oder sinen erben lidig v] lere ane alle widersachvnge geistliches oder weltliches gerihttes, das vns gefromen m=htte oder dem vorgenant) Johannese geschaden m=htte (Corp. 2376a = N 762, 551.37).
Hinsichtlich der Bildungsweise des Lexems widersachunge bestehen gewisse Unklarheiten. Das Verb widersachen ›widerstreben‹ (vgl. Lexer III: 850) bzw. ›widerstehen‹ (DWB 29: 1161) scheint nicht geeignet, die Wortbildung im obigen Kontext zu motivieren. Eine Zusammenbildung aus wider und dem Verb sachen ›streiten, prozessieren‹ (Lexer II: 565) bzw. eine Komposition mit wider und sachunge ›gerichtl. Klage, Prozeß‹ (a.a.O.: 566) scheint hingegen um einiges wahrscheinlicher. Obwohl die genaue lexikalische Bedeutung des Lexems nicht bis ins letzte klar ist, kann es wohl mit ›Gegenklage, Gegenargument‹ angemessen umschrieben werden, einer Bedeutung, die das DWB (ebda.) für widersache st.F. belegt, allerdings mit Zeugnissen erst aus dem 15. Jh. Das Lexem widersache ist korpusintern einmal, in einem vergleichbaren Kontext belegt. Hinsichtlich der Motivation der Wortbildung komme ich dort zum gleichen Ergebnis: V] dc dis alles stete blibe an allerslahte widersache, so verzihen wir vns gegen disen dingen v] dis) brieve aller helfe geistliches v] weltliches gerihtes, es si stette
472
II.1. Derivationstypen
oder lant reht, gewonlich oder gesezede, aller geverde v] arcliste v] aller der sachen, da mit wir vns gegen disen dingen behelfen mohten v] dem vor genant) kloster geschaden (Corp. 0477a = N 197, 153.41).
widersprechunge: ← widersprechen (14) st.V. ...aber nah ir tode so sol ez ledekliche an daz closter vallen · an aller lvte widersprechvnge (Corp. 141, 175.30).
widertrahtunge*: ← trahten (7) sw.V., wider Adv. V] daz dise sache v] der chovf v] daz stæt gelvbde des sermes v] des gMtes von vns oder von iemen vnser gerben oder affterchvmpht iht werde her nach zebrochen mit dhainer widertrahtvnge oder vergezzvnge, des geb wár disen gegenwortigen brief... (1420a = N 493, 355.38).
Das Lexem widertrahtunge lässt sich nur als aus einer Lexemgruppe gebildet (Zusammenbildung) oder als Kompositum aus wider und korpusintern belegtem trahtunge (s.o.) ansehen. Ein Verb *widertrahten ist auch im DWB nicht bezeugt. widerunge (›Widerstreben, Sträuben, Weigerung‹): ← wideren (16) sw.V. wîsunge1 (›(An)Weisung; Einweisung auf e. Gut/Lehen; Beweisführung‹): ← wîsen (92) sw.V. ...so haben wir daz mit vnsern trevn gelobt / daz wir den oder die selben mit dehainer furderung noch mit dehainer weisung noch mit dehaim rAt dA zG hai^ noch furdern noch steurn sFln (Corp. 1920, 192.45).
wîterunge (›Erweiterung‹): ← wîtern (4) sw.V. ...wand vns die erberen herren...hant erloubet...vnser houestat ze witerende vber die alte rincmuren vnd vber den graben..., das wir sollen an dirre witerunge vnser muren v] vnsern begrif sezzen v] rihten von hern Walters gesesse...vber den bach ziehende,..., vnz an Walters gesesse des zimber mannes (Corp. 2178a = N 714, 515.24).
wizzunge* (›Wissen‹): ← wizzen (7629) an.V. ...dc ellP disP ordinvnga v] sezvnga mit vnser wissvnga / v] willen ist beschehen v] geschriben / v] binden Pns v] vnser nachomen zv bvhaltenne (Corp. 890, 253.16).
Das nur einmal belegte Lexem wizzunge* ist wohl als Spontanbildung zum Basisverb wizzen zu betrachten. Im obigen Textbeispiel könnte seine Bildung durch die zwei vorausgehenden Lexeme auf -unge angeregt worden sein. Dies kann als ein weiteres Indiz für die hohe Produktivität des Suffixes gewertet werden, denn dem Sprecher/Schreiber hätten neben dem ebenfalls wenig belegten wizzenschaft (3) die oft belegten Bildungen wizzende (142) und wizzen (62) zur Verfügung gestanden. wolgevallunge*: ← gevallen (277) st.V., wol Adv. Die Bildung wolgevallunge ist korpusintern als derivierte Lexemgruppe aus dem Adverb wol und dem Verb gevallen zu analysieren (Zusammenbildung), die sich in den Urkunden des Öfteren nachweisen lässt.
II.1.18. -unge (-igunge)
473
wonunge1 (›Wohnen‹): ← wonen (43) sw.V.
Den folgenden Beleg von wonunge interpretiere ich als Abstraktum, obwohl hier eine konkrete Verwendung nicht mit letzter Gewissheit auszuschließen ist. ...daz wir gebietin Pnseren erben swenne v] swie dike dú kilch zewintert~ ledig werde das sú si niemanne lihen wan ain) priester der mit gesworn) aide sich binde daz er uffe der kilchun inne zewintert~ sizze mit rehter wonunge (Corp. 2596, 21.38).
zerunge2 (›Verköstigung‹): ← zern (6) sw.V. ...daz der vorginante oswalt v] sine erben mir v] min) nachko^e den schaphener des vorginanten gotzhvs von mvntiob sollent geben ... ein mal ze gelinphiger zerunge v] den pherden h?we v] fGter (Corp. 1050, 363.16).
Die Belege des Lexems zerunge liegen in den Urkunden vorwiegend in konkreter Verwendung vor (vgl. zerunge1). Nur drei Belege erweisen sich als abstrakt, wobei ein Beleg aus Urkunde 1046 in den Regesten (S. 222) mit ›Bewirtung (des Stiftes)‹872 wiedergegeben wird. ziugunge (›Bezeugung, Zeugnis‹): ← ziugen (8) sw.V. ...daz sv dur min beste disen brief besigelt hant wr mich ze einer zugenge dirre dinge (Corp. 1535, 697.35).
zôninge* (›Offenbarung‹): ← zounen, zônen (4) sw.V. Qvemit also dat einich man van Nnser brGderschaffe / iemanne sin gewant borgede / ove geborgt hette / inde he dar Nmbe zoinninge dede Nnser meisterschaffe die wir na zide haven / inde vor in zG brehte / sGelge scholt mit brieven / ove mit leuendichme NrkGnde zweier ove driere gGder manne / so nieman Nnder Nns de in Nnse brGderschaf gehoirt / na der zijt dat it ieme verbodin wirt van Nnser meisterscheffe / ieme einich gewant borgin sal / bis he ieme siner schGelde genGg gedeit (Corp. 53, 86.18).
zornunge (›Streit‹) ← zürnen (7) sw.V. ...daz kriege vnd zvrnvnge ane mvrmern werdent hin geleit (Corp. 0090a = N 77, 55.35).
zweiunge (›Entzweiung, Streit, Zwiespalt‹): ← zweien (33) sw.V. zwingunge: ← twingen (184) st.V. ...v] den hof han ih in geben mit all) dem rehte v] ih in gehabt han vnz her / gesvcht v] vngesvcht / v] daz niemen dehein reht deheiner vogetai dar vf haben schol / noh dehein ander widerwærtige twingvnge noch gewalt (Corp. 2090, 300.30).
Im obigen Kontext ist der einzige Beleg von zwingunge m.E. am besten als Abstraktum des Rechts zu paraphrasieren.873 _____________ 872 Eventuell ist auch die wirtschaftliche Leitung des Stiftes gemeint. 873 Vgl. dazu das bei Brendel et al. (1997: 120) angeführte gerichtzwang.
II.1. Derivationstypen
474
B. Patientiva (BV-unge2): ›das, was jmd. BV/BV wird‹ Lexem begrîfunge bescheidunge2 besetzunge1 einunge1 erkennunge erkoberunge ervarunge2 erziugunge gesetzunge* gewinnunge2 handelunge2 kündunge2 meinunge2 ordenunge11 rehtunge2 satzunge1° schidunge2° stiftunge2 trôstunge1 ûfsatzunge underscheidunge2 vorderunge2° vürgebunge vürlegunge2 werunge2 wîsunge2 zerunge1 Gesamt
Belege
alem
bair
1 1 3 27 1 2 1 2 1 1 2 1 1 42 3 35 (130°) 18 (60°) 2 7 1 1 15 (59°) 1 2 12 10 15 208 (390°)
1 1 24 1 1 2 1 1 25 3 13 1 7 1 1 5 2 2 14 106
1 2 1 3 8 17 2 10 1 10 10 1 66
alemwmd schw 2 11 2 11
Kg
ofrk
IR2
omd
3 2 11 1 17
2 2 4
1 1
1 1
begrîfunge (›Zubehör‹): ← begrîfen (›umfassen, eingrenzen, einschließen etc.‹) (162) sw.V.
Der hof / mit aller begrîfunge so dar zG h=ret... (Corp. 1980, 237.24).
Die mit begrîfunge konkurrierende Nullableitung begrif (6) st.M. ist ebenfalls in der Bedeutung ›Zubehör‹ im Korpus belegt. bescheidunge2 (›Entscheidung, Urteil‹): ← bescheiden (192) st.V. ...daz wie gelobit v] gewillekurt habin einen tac zu haltene zu MarctNuenburg... / dannen nicht zu kumene wy ensi berichtet mit ein ander nach der sechser v] des vbermannes besceidinunge v] nach den briuen di da selbis gegebin wurdin an dem dynstage vor Palmen / in allederwis also si vns soldin besceidin habin zu Pygov (Corp. 1727, 47.22).
Die Verbindung mit den genannten Urkunden (briuen) lässt im obigen Textausschnitt eine konkrete Bedeutung von bescheidenunge naheliegend erscheinen. Gemeint ist wohl ›das, was jemand entscheidet‹. Das Verb bescheiden wird in derselben Urkunde auch mit effiziertem Akkusativobjekt
II.1.18. -unge (-igunge)
475
gebraucht.874 nâch ist hier nicht als Temporaladverb zu interpretieren, sondern als Präposition in der Bedeutung ›gemäß‹. besetzunge1 (›Festsetzung, Bestimmung‹): ← besetzen (151) sw.V. V] swas von deme brMiele vber dise bisetzvnge gevbirt, das svlnt die frowen von sant Elsabethe in selben han (Corp. 0151b = N 103, 75.27).875
Drei von insgesamt fünf Belegen des Lexems besetzunge können auf den Inhalt bestimmter urkundlich festgehaltener Regelungen bezogen werden. In diesen Fällen habe ich mich für die Interpretation als Patientivum entschieden. einunge1 (›Vereinbarung, Satzung, Ordnung etc.‹): ← einen (6) sw.V. Die vier v] zwenzig die mûn machon reht v] einunga / v] ?ch wandilon/ also sû dunket / das es der stat wol kome· ane des herrin reht / der mun sû nût verwandilon ane sinen willen / v] swas sû gemeinlich gesezzint / vnde Pbir ein komint/ daz sol man fûr ein reht haltin / v] swer des nût entNt / der brichet der stat ir reht (Corp. 248A, 255.32).
Zu Schwierigkeiten und Besonderheiten der Analyse vgl. einunge2. In der obigen Textstelle wird einunge als Objektbezeichnung behandelt. Die Verbindung mit machen werte ich hier und in anderen Fällen nicht als Funktionsverbgefüge. erkennunge (›Erkenntnis, Feststellung, Festsetzung‹): ← erkennen (135) sw.V. vnd swes si [die Ratliute, UR] sich erkennent / des sullent die Burge schuldig sin ce leystenne inrehalb vierzehen nehten swenne si gemant werdent von deme dem man des silbers schuldig wirt nach ir erkennunge (Corp. 466, 403.44).
erkoberunge: ← erkobern (›(durch Urteil) gewinnen, erlangen‹) (14) sw.V. Do gienk her Johannes von L?begassun vur gerihte vnde gap min) herren dem Bishof H · von Basel sine clage [Klagerecht, UR] wider vnde alle die erkoverunge wider die er vf den hof erkouert hete vnde swas dar zG h=ret (Corp. 785, 154.34 ).
Trotz der Bedeutungsangabe ›(auf dem Rechtsweg erworbener) Anspruch, Rechtsanspruch‹ des WMU tendiere ich dazu, das Lexem erkoberunge in den zwei vorliegenden Kontexten als Patientivbildung zu interpretieren. Durch die Bedeutung des Basisverbs und dem vorliegenden Relativsatz scheint eine Deutung als ›Anspruchsrecht‹ (vgl. z.B. vorderunge) hier wenig wahrscheinlich. ervarunge2: ← ervarn (227) st.V. _____________ 874 »...svaz di vor genanten sechse v] der vberman / zwyschin vnsen bruder v] ime besceidin daz suln si beide stete haltin« (Corp. 1727, 47.32). 875 Im WMU (I: 211) wird diese Textstelle mit »was über diese Bestimmung(en) hinausgeht« umschrieben.
II.1. Derivationstypen
476
Si hant ?ch gelobit daz si inen iren schaden sPln abetNn den si · v] ir gesinde namen von der selben getat /... V] sPln den abetNn alse der lantkomendúr brNder Egelwart / v] zwene des hvses brNder die den burgern vnarwenig sint sprechent vf iren orden / v] ir gehorsamj / nach der ervarunge / alse si ervarnt vmbe die brNder / v] des hvses gesinde... (Corp.1651A, 774.36).
erziugunge (›Aussage, Beweis‹): ← erziugen (›bezeugen, beweisen etc.‹) (74) sw.V.
...dis erzGgte der vorgenante heinrich vor offenme gerihte...v] vmb das die vorgeschribene z erzPgNnge iemer kPntlich si / wan der lúte gehúgede zerganglich ist / v] kein zwiuel me dar an werde / dar vmb ist ime dirre brief mit ChNnrat b=llers ingesigele besigelt (Corp. 1957, 217.8).
gesetzunge* (›Festsetzung, Verfügung‹): ← gesetzen (33), setzen (2000) sw.V.
Vnt binden vns v] vnser nachomen v] vnser lPte... stete zvhebenne dP gvdinge / v] dá gesezvnga / dá há vor geschriben sint (Corp. 890, 253.8).
gewinnunge2 (›Gewinn, Ertrag‹): ← gewinnen (850) st.V. Daz wier heten genomen etleichev iar / vnrechten zol / vnt Movt / vnt vnrecht gewinnunge / von getraid / vnt von anderen dingen / die man auf den marcht / datze haimvelde vail fMrt (Corp. 3412, 512.31).
handelunge2: ← handeln (26) sw.V. Daz ditz geschefde vnd dise handlvnge mir · vnd in · stæte vnd vnzerprochen beleibe dar vber so gib ich in disenk prief ze ainem sichtigen vrchvnde... (Corp. 3282, 437.27).
Da das Verb handeln mhd. effizierte Objekte als Akkusativobjekte regieren kann (vgl. WMU I: 794f.), ist es möglich, handelunge in zwei Kontexten als Objektbezeichnung zu analysieren. kündunge2 (›Aussage, Mitteilung‹): ← künden (885) sw.V. wir div gemaynede der burger von · Neordelingen/ han gesehen / vnd gelesen / vnd von worte zeworte vlizzeclich beschawet ettelich brive/ der werden herren · Frideriches vnd auch Frideriches der graven von TrNhendingen / gesvnte vnd›gantz Niht verselbet niht geschabet. Noch an chaynem ir taile noch an vadem noch an ynsigelen zerbrochen / der sin [Bedeutung, UR] vnd chvndevnge was also (Corp. 391, 360.9).
Nur ein Beleg des Lexems kündunge erweist sich im Kontext als Patientivum. meinunge2 (›Absicht, Wille‹): ← meinen (8) sw.V. Vnd were daz der Conuente dere selben swesteron von Diessenhouen alder kain sin Maisterschaft dur kain nôt alder ordinunge diz selgeret verk?ffen woltint alder wadelon · alder wehselon · wider dez mainvnge der ez gesezet hat ze ain) ewig) dienst vnser vrowen (Corp. 2178, 348.15).
ordenunge11 (›Vereinbarung, Anordnung‹): ← ordenen (›(an)ordnen, bestimmen‹) (42) sw.V.
II.1.18. -unge (-igunge)
477
Wir brNder jordan der abbet von LPzelahe Wellen v] gebieten...dc alle die ordenunge die die Erbere vrowe vro Gisele von Ensisheim dem Convent von Paris geordent het ewecliche stete si... (Corp. 1741, 58.43).
42 von 58 analysierten Belegen des Lexems ordenunge werden als Objektbezeichnungen klassifiziert. In einigen Urkunden wird ordenunge mit der Bedeutung ›testamentarische Verfügung‹ (vgl. WMU II: 1359) gebraucht. Die Trennung von abstrakten und patientiven Belegen ist jedoch in einigen Fällen nicht immer ganz eindeutig. rehtunge2 (›rechtl. Regelung‹): ← rechten (15) sw.V. v] verzihen wir vns alles des rehtes so wir older vnser erben an das gGt hatton / vnd aller der rehtvnge / der Keiser older der Bebeste · dv geschriben sint older noch geschriben werdent da mit wir disv gMter mohten wider gevordern d older disen k?f endekeinen weg geirren (Corp. 2126, 319.38).
Nur in drei Fällen erweist sich rehtunge als deverbal motivierte Bildung. Die anderen Belege des Lexems sind aus Sicht der Wortbildung idiofunktional zu reht und aufgrund verschiedener Basiswortarten als homonym zu rehtunge2 zu behandeln (vgl. rehtunge1). satzunge1° (›Satzung, Verfügung; verpfändetes Gut‹): ← setzen (2000) sw.V. a) Aller dirre vorgenanthen satzvngen / sollen wir der Bischof ane den Rath. Oder wir der Rath · ane vnseren herren den Bischof niemer voranderen (Corp. 903, 263.31). b) ...so schol der eltist vnd der nest allez daz er hat...in nutz vnd in gwer in sein gwalt nem, ez sei an lechn oder an aigen oder an satzung oder an farendem guet... (Corp. 1523a = N 514, 368.23).
Die obigen Textbeispiele zeigen zwei konkrete Verwendungsweisen von satzunge einmal in der Bedeutung ›Satzung, Verfügung‹ (a) und zum anderen zur Bezeichnung eines versetzten Gutes (b). 34 von 44 Belegen erweisen sich als patientiv verwendet. schidunge2°: ← scheiden (380) st.V. ...swaz die dar vmb schaident / daz sMlen wir bede stæt haben - also daz si im in der selben schiedung sin er [Ehre, UR] bewaren (Corp. 1699, 32.5).
Zu Schwierigkeit und Besonderheiten der Analyse vgl. schidunge1.
stiftunge2: ← stiften (63) sw.V.
....gib ich di vor genanten fumfthalben schillinch geltes vnde di ansprach als ich si han / gechouffet wider den oft gananten hern Ditrich / zu miner stiftunge hintze tyrnstain der aptossinne vnde irer samenunge durch miner vnde aller miner voderen sele (Corp. 2691, 80.30).
trôstunge1 (›Zusicherung, Versprechen‹): ← trœsten (›zusagen, zusichern‹) (19) sw.V.
v] swas brieve wir beide von ein an*** haben enphangen ber dirre trostunge stetegunge die slen wir wider geben swenne wir die trostunge widerbieten alse
478
II.1. Derivationstypen
da vor geschriben stat · v] Werin die brieve verlorn so slen wir mit dem munde widersagen v] das ich dise trostunge v] swas hie geschriben stat leiste v] stete habe ane alle geverde so habe ich disen offenen brief gesigelt mit minem Jngesigele (Corp. 217, 220.33ff.).
Die Valenzbeziehungen des Basisverbs trœsten (vgl. WMU Lief. 19: 1775) ermöglichen es, das Substantiv trôstunge in sieben Fällen als Objektbezeichnung zu interpretieren. ûfsatzunge (›Auflage‹): ← ûfsetzen (93) sw.V. Sû sûllent ?ch nût geben / v] sagen lidig v] losch in aller vnserre gebiete vûr §ns
v] alle vnsere nachkommen / aller z=lle / v] vngeltes / v] aller altere / v] nûwer vngew=nlicher vfsatzunge ane alle geuerde (Corp. 1047, 361.20).
underscheidunge2 (›Bestimmung, Erklärung‹): ← underscheiden (›bestimmen, darlegen, festlegen‹) (21) st.V.
Ovch han wir von Pns v] an dez gottes hvse stat den vorgenanten lPten diz selbe gNt ze rehtem erbe verlihen v] lihen nach der vnderscheidvnge, als da vor geschriben stat (Corp. 0350a = N 157, 124.32).
vorderunge2°: ← vordern (293) sw.V. Wir scheiden auch vmb di vordervnge / di der hertzog het gen dem Ertzbischolf vmb di Chost di er getan hat in des Gotshauses dánst (Corp. 1475, 661.37).
Wie schon unter vorderunge1 angesprochen, ist die Unterscheidung abstrakter und patientiver Belege nicht immer völlig eindeutig, die patientiven Belege treten zahlenmäßig jedoch deutlich hinter die abstrakt verwendeten zurück. vorderunge tritt häufig in Relativsatzkonstruktionen mit haben auf, die als Patientivbelege gewertet werden. Der abstrakte Charakter eines Funktionsverbgefüges, wie eine Forderung haben = etw. fordern, ist durch den konkretisierenden bestimmten Artikel und v.a. durch den konkretisierenden Relativsatz nicht mehr gegeben. haben hat hier nur die Funktion, eine Konstruktion mit Relativsatz zu ermöglichen. Anstelle des Relativsatzes könnte im obigen Beispiel genauso eine Genitivkonstruktion (di vordervnge des hertzogs = ›das, was der Herzog fordert‹) stehen, wobei dann die semantischen Verhältnisse deutlicher wären. vürgebunge (›Vorschlag, Vorgabe‹): ← vürgeben st.V. (Lexer III: 585) ...ze sprechen / v] ze vrtailn v] ze beschaiden nah dem reht / v] nah der furgebvng der vorgenanten herren / v] der ziug... (Corp. 3060A, 306.22).
vürlegunge2 (›Aussage, Darlegung‹): ← vürlegen (2?) sw.V. vnd do der vorgenande von wartte / her · jacob dc alles fur gelaîte als hie vorgesriben stat / Do hies fragen vnser herre der bischof den vorgenanden · Lutdolden von der Nuwenregensperch / der ze gegenstNnt · ob er die fûrlegvnge stæte woltte han · vnd ob er et anders / furlegen woltte / Do antwrtte er / er woltte si stæte han / vnd wisseoch nvth anders dc er furlegen woltte (Corp. 1989, 243.8).
werunge2 (›zu Zahlendes, Gezahltes‹): ← wern2 (828?) sw.V.
II.1.18. -unge (-igunge)
479
daz mich her Chunrat von Chuchel vitztum ze Salzburch hat gewert vierzig pfunt Regenspurger / da er v] her ChGn von Teysing mir vmb heten gelobt an der wervng / dá mir min herre von Salzburch solt gelten (Corp. 2360, 466.43).
wîsunge2 (›Anweisung‹): ← wîsen (92) sw.V. ...vnd haben im nach der vargenanten herren rat, weisvng vnd sage wider legt vnd gegeben an dem gericht ze Jbanswald...dre vnd fvmfzich march phenninch geltes (Corp. 2123a = N 687, 497.46).
Die zehn patientiv verwendeten Belege des Lexems wîsunge treten ausschließlich in Präpositionalphrasen mit nâch ›gemäß‹ auf. zerunge1 (›Nahrung, Kostgeld?‹): ← zern (6) sw.V. a) Ez svlen ovch di gevangen / beidenthalben ledig sin · di van dises vrlevges wegen gevangen sint / vnd ir Bvrgen mit in / swa daz gvt nicht gewert ist · an redlich zervngê / di si beî iren wirden verzert habent / di svlen si billeich gelten... (Corp. 1613, 747.17). b) Vnde swaz schaden die burger von zPrich / oder die burger von Lvcerren / vnd ir beider hêlfer in diser sache hant von phandvnge / oder von versvmvnge an ir gNte / oder von der gevangenen zervnge / oder von giselschefte (Corp. 2485, 537.8).
Bis auf einen Beleg beziehen sich alle dieser Wortbildungsfunktion zugeordneten Belege auf die Verpflegung von Gefangenen oder Bürgen im ›Einlager‹ (einer Art Arrest) und die dadurch entstehenden Kosten, für die die Partei des Gefangenen aufkommen muss. Bei der Analyse dieser konkreten Belege des Lexems zerunge bereitet vor allem die Abgrenzung der patientiven Bedeutung ›Nahrung, Verzehrtes‹ von einer metonymisch verschobenen Bedeutung ›Zehrgeld, Kostgeld‹ (vgl. Lexer III: 1091) Schwierigkeiten, die häufig von den Regesten bei der Umschreibung der Urkundeninhalte benutzt wird. Der metonymische Gebrauch tritt hier m.E. jedoch nicht so deutlich hervor wie in anderen Fällen. Prinzipiell ist es auch an den Stellen, wo die Regesten das Lexem mit ›Kostgeld, u.ä.‹ umschreiben (vgl. Beispiel b), möglich, die Wortbildung als Patientivbildung zu interpretieren (›das, was verzehrt wurde‹). Die Einzelbelege sprechen mal mehr, mal weniger für die eine oder andere Deutung. Da jedoch in keinem Fall zwingend die metonymische Bedeutungsverschiebung anzunehmen ist, werte ich trotz dieses Unsicherheitsfaktors alle konkreten Belege als Patientivbildungen. Nur ein Beleg (Urkunde 1101) bedeutet in anderem Zusammenhang eindeutig ›Kosten‹ und wird aus der Untersuchung ausgeschlossen.
II.1. Derivationstypen
480
C. Instrumentativa (BV-unge3): ›das, womit jmd. BV‹ Lexem beredunge2 berihtigunge2 bewærunge2 bezzerunge2° ergetzunge2 erstatunge êrunge lôsunge2 stætunge12 widemunge widerlegunge2 Gesamt
Belege 2 2 2 22 (65°) 1 1 6 4 1 2 1 44 (87°)
alem 1 5 6
bair 2 1 8 1 6 2 1 2 23
wmd 1 1 1 3
IR1
Kg
ofrk
omd
1 1 2
1 1
8 8
1 1
beredunge2 (›Beweis, Beweismittel‹): ← bereden (›nach-/er-/beweisen etc.‹) (224) sw.V.
Vnd an deme zistage da nach / ze den einsideln / alle sollent sin / ze ervarnde die kuntschaft / Vnd vns die selbe ze entwurtenne / an den selben tagen / vnd an den selben stetten / sol ir jegelicher / haben sine gezFge / sine beredunge / sine bewerunge/ vnde sine brieue / swer die hat (Corp. 1524, 691.28).
berihtunge2 (›Ausstattung‹): ← berihten (›ausstatten, versehen (mit) etc.‹) (71) sw.V.
...vnd sMlln di selben swaige zehant pei ir lebmtigen leib / vns / vnd vnserm Gotshaus ledig sein / vnd wider an gevalln / mit aller berichtigvng / vnd swaz man dann dar auf vindt (Corp 2723, 99.17).
In instrumentativer Funktion liegt nur die um -ig-erweiterte Form berihtigunge vor (vgl. Suffixmorphologie). Im Korpus konkurriert in gleicher Semantik mit einem Beleg die Nullableitung beriht st.M. ›Ausstattung, Inventar‹. bewærunge2 (›Beweis, Beweismittel‹): ← bewæren (142) sw.V. Vgl. den Beleg bei beredunge2. bezzerunge2° (›Wiedergutmachung, Bußleistung; Aus-/Verbesserung; Mehrertrag; Tadel‹): ← bezzern (493) sw.V.; vgl. bezzerunge1 wirt aber sin amptman vber wært · mit den hGzgenozzen · daz er pezzerung nimet vmbe tivfe · div vber ain halpt pfunt ist · so sol er vns geben fFmfe pfunt · ze pezzerung · vnd dem Gotzhuse reht als vil · Geschiht aber ain totslak · Nf dem vor genantem aigen · von dem Gotzhuse manne · so sol man im zN sperren in dem hGse swaz er hat · wil aber er sich l=sen · so sol er sich l=sen mit dem selben gMt · vnd mit swiv er gehaben mahc · vnd sol div pezzerung halbiS Mnser sin · vnd halbiS dez Gotzhuse · ze Tegernse (Corp. 3167A, 366.30ff.).
Anhand der obigen Textstelle soll nochmals auf die Problematik der Behandlung von bezzerunge eingegangen werden. Der erste und der dritte
II.1.18. -unge (-igunge)
481
Beleg im Textausschnitt zeigen eindeutig instrumentativen Charakter876, bezeichnet wird ›das (Geldsumme), womit jmd. etw. bezzert‹. Der zweite Beleg hingegen zeigt, obwohl er hier aus kontextuellen Gründen wohl eher als Instrumentativum anzusehen ist, m.E. noch immer die Möglichkeit einer abstrakten Deutung. ergetzunge2 (›Entschädigung, Schadensersatz‹): ← ergetzen (›entschädigen etc.‹) (19) sw.V. den viern · sulen · abelegen die Chorherren · an geværde / so si schierste mMgen · ob si nemmen wellent / beschaiden ergetzvnge / wellent auer si dez nicht / swenne man danne v=dert die slehen · ir ænen / oder si beed / die sulen chomen / vnd svlen vor den Chorherren / de schaden bereden / den si den vieren · habent getan / vnd svlen dar nach die Chorherren / den selben schaden abe tMn (3224A, 399.40).
Der zitierte Beleg von ergetzunge ist der einzige von 16 Belegen, der relativ eindeutig für eine instrumentative Interpretation (›etwas, womit man entschädigt‹) spricht. Aufgrund des Attributs bescheiden ›angemessen‹ lässt sich das ›Nehmen‹ der ergetzunge hier wohl wirklich als haptischer Vorgang, d.h. als angenommene, konkrete Schadensersatzleistung interpretieren. erstatunge (›Ersatz‹): ← erstaten (33) sw.V. ...v] daz ich in nach des landes reht ze ainer erstatvnge gesezzet han ein hMbe dazze tvlingen die der rMzze da pvet / v] daz daz also stæt v] vnzerbrochen belibe / so han ich in disen prieve ze ein) vrkvnde geantTrtet vervestend mit vnserem ynsigel (Corp. 3073, 316.7).
êrunge (›Vergünstigung, Geschenk; Abgabe‹): ← êren (›(in Form e. Abgabe) Ehre erweisen‹) (21) sw.V.
...daz ich mich aussen [enthalten, UR] mit gFtlichem willen vnd mit gunst meiner erben vnd meiner prFder Hainreichz vnd Marchartz vnd mit rat aller meiner vreunt der erung, di ich vnd auch mein voderen han enphangen vnd genomen von genaden vnd nicht von recht von dem chlauster ze Jerus alle jar an vier gefiltzten schuehen... (Corp. 0828a = N 313, 238.34).
lôsunge2 (›Lösegeld, Lösesumme‹): ← lœsen (321) sw.V. V] swenne man dc ander gNt vmbe vns losen wil / so schvlen wir div selben drizech pfvnt pfenningen an der l=svnge ab slahen (Corp. 363, 338.35).
stætunge12 (›Bestätigung‹): ← stæten (116) sw.V
_____________ 876 Das Verb kann auch die gezahlte Summe als Akkusativobjekt bei sich haben. Es wäre also u.U. auch möglich, bezzerunge in manchen Fällen als Patientivbildung zu analysieren (›das, was jmd. bezzert‹). Eine Paraphrase, die das Mittel des Besserns bezeichnet, erscheint mir jedoch aufgrund des allgemeineren Charakters besser geeignet, die Wortbildung zu beschreiben, da somit auch Kontexte wie ›mit der Hand bezzern‹ (Abschlagen der Hand) erfasst werden können (vgl. die Hand bezzern?).
II.1. Derivationstypen
482
Diser brief, disiu vestenunge vnde disiu stetenunge sint geuestent mit vnserm jnsig**e, mit grauen Friderichs jnsigel von Ortenburch v] mit sin selbez jnsigel (Corp. 0922a = N 804, 576.19f.).
widemunge (›Ausstattung, Dotierung‹): ← widemen (40) sw.V. Die zwo vleishpenche di ich also geshaffet han / zewidemvnge / ze selger(t / zN dem liecht / als vor geschrieben ist ligent bi ein ander · vnd stent auch zeglichem zins... (Corp. 653, 75.47).
Wie das DWB (29: 1433) feststellt, kann das »verbalabstraktum zu widmen [...]; in allen verwendungen [...], abhängig von der situation, den handlungsakt oder aber sein ergebnis bezeichnen.« Die zwei Korpusbelege in Urkunde 653 zeigen zusätzlich die Möglichkeit, das Lexem als Instrumentativum (das, womit man etw. ausstattet‹) zu interpretieren. Aufgrund der Kontexte ist eine zweifelsfreie Festlegung auf Abstrakt- oder Instrumentativbildung kaum möglich. Das gemeinsame Vorkommen mit dem wohl als Konkretum aufzufassenden sêlgeræte hat mich jedoch dazu veranlasst, die zwei Belege in der zitierten Urkunde als Instrumentativbildungen zu behandeln. widerlegunge2 (›Ersatzleistung, Vergütung‹): ← widerlegen (›erstatten, ersetzen etc.‹) (84) sw.V. ...daz ich han verzigen vnd verzihe auf allez daz reht, daz ich het an dem zehnden, an dem hofe vnd an den zinsen zu Perghaim vnd an allem dem, daz dar zu gih=ret, gisGht vnd vngisGht, svaz ich dar an rehtes het von morgengabe oder von widem oder von widerlegunge oder von deheinem gimæchde, daz mir min wirt sælige oder min sun daran gimachet heten,... (1428a = N 497, 357.39).
In der obigen Textstelle liegt das Lexem widerlegunge in der Bedeutung »gegengabe zur sicherung des von der frau in die ehe eingebrachten heiratsgutes« (DWB 29: 1108ff.) vor und erweist sich eindeutig als Konkretum. Für rund die Hälfte der Belege von widerlegunge könnte gegebenenfalls gleichermaßen eine instrumentative Verwendung angenommen werden, jedoch ergeben sich hier aufgrund der semantisch ambigen Konstruktion mit ze (einer) auch Ansatzpunkte für die Interpretation als Abstrakta, die ich aufgrund einer möglichst einheitlichen Behandlung von Substantiven innerhalb dieser Präpositionalphrase bevorzuge. D. Idiofunktionalia (BS-unge4): ›BS‹ Lexem irresalung nihtunge* ordenunge2 rehtunge1 teilunge2
Belege
alem
bair
wmd
IR1
4 1 1 19 8
1 19 4
3 1 -
4
1 -
II.1.18. -unge (-igunge) Lexem ziugsalunge Gesamt
483
Belege
alem
bair
wmd
IR1
1 34
24
1 5
1
4
irresalung (›Misshelligkeit, Behinderung, Beeinträchtigung‹): ← irresal (52)
st.sw.M.F.
...daz auch daz selb kl=ster / daz vorgenant gGt hab an irresalunge...v] an ansprach... (Corp. 2784, 133.41).
irresalung ist als idiofunktionale Bildung zu der -sal-Ableitung irresal zu klassifizieren.877 Beide Bildungen unterscheiden sich nicht hinsichtlich ihrer Bedeutung und Verwendung. nihtunge*: ← niht Pron. subst./Adv. Swel werendu getat von kriege zu Nichtunge wirt Braht die sol man mit schrift Besteten das man wider inkrieg niht valle (Corp. 393, 364.18).
Das nur im Korpus nachweisbare nihtunge* motiviere ich nicht über das nur korpusextern belegte Verb nihten ›zunichtemachen, vernichten‹878. Stattdessen ziehe ich es vor, das Lexem als idiofunktionale Bildung zu dem substantivierten Pronomen niht besonders in der laut dem WMU achtmal belegten Wendung ze nihte sîn/gân ›zunichte, ungültig sein/werden‹ zu interpretieren. M.E. geht es in der schwer verständlichen Arenga um die Bestätigung der Beilegung (zu Nihtunge bringen) einer durch einen Streit (kriec) hervorgebrachten Tat, mit dem Zweck, zukünftige Streitigkeiten zu vermeiden (das man wider inkrieg niht valle).879 ordenunge2: ← orden (672) st.M. Und da von wand wier gern geistlichen Ordenvngen fvrderlich sein / so hab wir des vorgenanten apt Ebers von zwetel bet erh=rt / Vnd haben im vnd seiner samnvnge vnd seinem Chloster bestetigt di vorgeschriben hantfeste / vnd allez daz dar inne stet (Corp. 1403, 616.14).
Im obigen Kontext lässt sich dieser Beleg von ordenunge, nicht zuletzt aufgrund seiner Verwendung im Plural, m.E. nur als idiofunktionale Bildung zum Substantiv orden ›geistlicher Orden etc.‹ beschreiben.880 rehtunge1: ← reht (7000) st.N. Die aber nit kinde lassent der GGt súln ir nechsten frúnde von sipschaft erben · nach der rechtung des dorfes · hant sú aber nit s=licher frúnde · sosol es Pnser
_____________ 877 Vgl. aber Dittmer (1989: 61), der von einer »Suffixhäufung -salunge« ausgeht. 878 Vgl. Lexer (II: 85). Das Verb ist wiederum aus dem substantivierten Pronomen abgeleitet (vgl. DWB 13: 713). 879 Im vorliegenden Kontext kann nihtunge m.E. nicht wie im WMU (I: 1315) angegeben ›Vernichtung‹ bedeuten. 880 Vgl. aber die Bedeutungsangabe ›geistl. Einrichtung, Ordnung‹ des WMU (II: 1359) für diesen Beleg, die eventuell auf einen semantischen Unterschied zu orden hindeutet.
II.1. Derivationstypen
484
Gotzhus erben · also · das mans dem rechten erben vergeben ane êrschatz lihen sol (Corp 5C, 20.28).
Die Mehrzahl der Belege von rehtunge muss als idiofunktionale Bildungen zu reht angesehen werden. Das nur 21-mal belegte rehtunge weist erstaunlicherweise eine gleichermaßen ausgeprägte Polysemie auf wie die 7000-mal belegte idiomatisierte Bildung reht881. Eine genaue Eruierung der lexikalischen Bedeutung des Lexems gestaltet sich in Einzelfällen jedoch außerordentlich schwierig. Eine Motivation über das schwache Verb rehten ›Recht sprechen, richten; rechten, streiten, prozessieren; durch Schlichtung erreichen‹ ist nur in drei Fällen plausibel (vgl. rehtunge2).882 teilunge2: ← teil (1360) st.M.N. a) Das vnsirim brGder...ze rehter tailungi worden ist Eberstain du Burg / Wisscenstain die Burg vnd Baden die stât... (Corp. 1061, 369.38). b) Her nach ist Eiswilre alsus gedeilit · da Merkele sizcet v] wendelmGt · daz ist das niderste deil von Eiswilre v] gehorit in daz nider deil von birmesessen / Jn die deilGnge horit Einothe daz dorf · Scorpach… (Corp. 2173, 344.19).
Neben der Verwendung als Handlungsabstraktum liegt das Lexem teilunge m.E. auch in der Bedeutung ›(An-, Erb-)Teil‹ in den Urkunden vor. In dieser Bedeutung unterscheidet es sich nicht erkennbar von dem Simplex teil.883 teilunge erscheint allein viermal in der phraseologischen Wendung ze teilunge werden/vallen, in der häufig auch teil nachweisbar ist (vgl. WMU III, Lief.19: 1744f.). Problematisch ist die Einschätzung dreier teilunge-Belege in Urkunde 2173. Einer der Belege erweist sich sicher als Abstraktum, die anderen können in der Verwendung oft nicht sicher von dem häufig in dieser Urkunde vorkommenden teil unterschieden werden (vgl. Kontext b). Dies ist nicht zuletzt durch den schlechten Erhaltungszustand der Urkunde bedingt. Ein Beleg wird von Regesten zu dieser Urkunde (S. 454) mit ›Teilungsgebiet‹ wiedergegeben. Diesen behandle ich als idiofunktional zu teil. Die anderen beiden Belege schließe ich aufgrund unsicherer lexikalischer Bedeutung aus. ziugsalunge: ← ziugsal ›Zeugnis‹ st.F. (DWB 31: 866 Zeugsal)
_____________ 881 ›Gerechtsame, Besitz-/Nutzungsrecht; Gerichtsbarkeit; Privileg; Rechtsbehelf; Rechtsordnung, Rechtstradition; rechtliche Regelung‹ (WMU II: 1428). 882 Vgl. DWB (14: 442): »RECHTUNG, f. gerechtsame, mhd. rehtunge […] sonst schlichtung eines rechtsstreites, wofür in der späteren rechtssprache rachtung aufkam […].« 883 Weder teil noch teilunge können mit der Patientivparaphrase ›das, was geteilt wurde‹ erfasst werden, denn das Geteilte ist das affizierte nicht das effizierte Objekt des Verbs teilen und somit identisch mit dem ehemaligen Ganzen. Im Satz Astrid teilt den Kuchen in sechs Teile ist ›das, was geteilt wird/wurde‹ immer der Kuchen, nicht das Stück oder der Teil vom Kuchen.
II.1.18. -unge (-igunge)
485
Da von zeinerzivchsalung dirre rede vnd dirr schrif han dem abt disen brif ich gegeben mit minem ynsigel versigelt vnd bezeichet... (Corp. 1210a = N 434, 321.29).
Mangels eines Interpretamentes ist die genaue Bedeutung des bei Lexer (III: 1143) angeführten Lexems ziugsalunge nicht genau feststellbar. Dass es sich um ein mit dem hier vorliegenden ziugsalunge identisches Lexem handelt, muss aufgrund des bei Lexer gebotenen Belegs884 und des Verweises auf salunge885 eher angezweifelt werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist das bei Lexer geführte Lexem eher als Determinativkompositum aus ziuc und salunge zu interpretieren (›(Grundstücks)Übergabe unter Zeugen‹), wenn auch das DWB unter Zeugsal ebenfalls auf die bei Lexer geführte Belegstelle des ›Deutschenspiegels‹ verweist. Die Bedeutung des vorliegenden Belegs lässt sich aufgrund des Vorkommens in der Corroboratio doch eindeutig als ›Zeugnis, Bezeugung‹ erfassen. Als Basis setze ich daher ein Lexem ziugsal mit dieser Bedeutung an886, für das aber auch das DWB (ebda.) nur einen ›älteren Beleg‹ aus dem Schwäbischen Wörterbuch von Fischer bietet. E. Agentiva (BV-unge5): ›jmd./etw., der/das BV‹ Lexem ordenunge13 samenunge° zuogehœrunge Gesamt
Belege
alem
bair
1 19 (1180°) 1 21 (1182°)
1 1
9 1 10
alemschw 7 7
IR2
IR4
Kg
1 1
1 1
1 1
ordenunge13: ← ordenen (›anordnen, bestimmen, regeln‹) (42) sw.V. Die knincliche / ordenunge / von der drecht vliezsent / vnd die gewonheit bestêtit / sol geneiget sin / ze gebene die recht / vnd ze bestêtene die gewonheit / mit den ir léte / fridesâm leben / haben mgent / vnd in/ nutze sint (Corp. 1671, 8.4).
_____________ 884 Lexer (II: 1143): »sprechent zwêne man wider streit ein guot an mit geleicher ansprâche und daz mit geleichem gezeuge behaltent si ez paide, man sol ez geleich under si tailen. dise zeugsalunge sullen die rechten umbesætzen beschaiden, die in dem dorfe gesezzen sint DSP. 1,232.« 885 Unter salung (Lexer II: 587) wird wiederum auf sal st.F. (II: 576) verwiesen, als dessen Bedeutung »rechtl. übergabe eine gutes« angegeben wird. Mhd. sal entspricht ahd. sala F., welches »(im mittelalterlichen deutschen Recht) Übertragung einer Sache insbesondere eines Grundstücks« bedeutet und zu »germ. saljan V., ›übergeben, nehmen machen, opfern‹ gebildet ist (http://www.koeblergerhard.de/der/DERS.pdf am 30.01.2006). Vgl. auch DWB (14: 1678 s.v. Sal). 886 Vgl. aber Dittmer (1989: 61), der wie bei irresalunge auch bei ziugsalunge von Suffixhäufung -salunge ausgeht.
II.1. Derivationstypen
486
Das WMU (II: 1359) umschreibt künecliche ordenunge in der obigen Textstelle mit ›Königsmacht, Königtum‹. Aus Sicht der Wortbildung lässt sich die Bildung hier als Agentivum beschreiben (›etw./jmd., das/der ordnet‹). samenunge° (›Konvent, Gesamtheit der Klosterangehörigen, Kloster‹): ← samenen (25) sw.V. samenunge ist eine Agentivbildung zum Basisverb samenen. Das Subjekt der Wortbildungsparaphrase bezeichnet jedoch hier eine Vielheit von Personen, wodurch der Bildung neben der Bezeichnung eines Agens auch eine kollektive Bezeichnungsfunktion innewohnt. Brendel et al. (1997: 491) beschreiben dieses Phänomen treffend als »kollektive Subjektbezeichnung für Personengruppen« und paraphrasieren das vergleichbare Lexem sammlung in ihrem Korpus mit ›die Personen, die sich sammeln‹. zuogehœrunge (›Zubehör‹): ← gehœren (1206) sw.V., zuo Präp. ...mit allen gerichten im marcht vnd auzzerhalb des marchts vnd auch auf dem Chárchperch mit allen marcht rechten, mit mavt, mit zol vnd mit aller zMg=h=rung... (Corp. 0967a = N 355B, 267.20).
Mit zuogehœrunge konkurrieren korpusintern zuogehœrde (2) und zuogehœre. Das Lexem ist korpusintern die einzige deverbale Subjektbezeichnung, die einen sächlichen Gegenstand bezeichnet. F. Abstrakta (BA-unge6): ›Tatsache, dass jmd./etw. BA ist‹ Lexem stætigunge2 stætunge2 vrîunge1 Gesamt
Belege
alem
bair
3 2 21 26
1 1
3 1 21 25
Den hier verzeichneten deadjektivischen Bildungen ist gemeinsam, dass sie im Korpus homonymen deverbalen Bildungen gegenüberstehen. Sie müssen aus diesem Grund als eigene Lexeme behandelt werden.
stætunge2 (›Beständigkeit‹): ← stæte (4000) Adj./Adv.; vgl. stætunge1 ...v] daz daz stætvnge vnd chraft habe dar vmbe gebe wîr disen brief von wernhartes pete mit vnser states insigil vesiglt (Corp. 1427, 630.41).
stætigunge2 (›Beständigkeit‹): ← stæte (4000) Adj./Adv. [stætic (6)] Wand mænnschleich gesleht zergænchleich ist vnd dehayn stetigung in diser werlt nicht hat, so ist des durft, daz di leut ier geschæft bestetigen mit prieven... (Corp. 0947a = N 347, 262.2).
Im Gegensatz zu den ungleich höheren Belegzahlen der deverbalen stætunge1 und stætigunge1 finden sich nur wenige Belege, die sich eindeutig als
II.1.18. -unge (-igunge)
487
deadjektivisch herausstellen. Für viele ist keine eindeutige Entscheidung möglich, aufgrund des weit überwiegend Verben ableitenden Musters -unge werden jedoch auch die unsicheren Belege auf das Basisverb bezogen (vgl. stætigunge11). Die doch teils sehr undifferenziert anmutende Verwendung von -unge- oder -heit-Bildungen in vergleichbaren, zumeist formelhaften Wendungen steht zudem im Verdacht, eher den Gesetzen der Variatio als denen der Wortbildung oder Lexik zu folgen. vrîunge1 (›Freiheit; Privileg‹): ← vrî887 Adj. ...ez sNln avch alle strazze vnd weg / itwederthalben / di emaln an chriech gewesen sint offen sin in aller der freivng als si ennher gewesen sint / vnd sol man freilich varn dvrch div lant vnd sicherlich (Corp. 1549, 708.13).
Bei der Mehrzahl der Belege des Lexems vrîunge bestehen Abgrenzungsprobleme zwischen deverbaler (vgl. vriunge2) und deadjektivischer Motivation. Aufgrund teils vergleichbarer Kontexte bei dem Lexem vrîheit und der hohen Belegzahl des Basisadjektivs ist eine deadjektivische Motivation zu bevorzugen. Die verbleibenden Belege werden in der Bedeutung ›Freiheit‹ oder ›Privileg‹888 (oft in der Wendung reht unde vrîung) verwandt, womit eine Lexikalisierung des Lexems einhergeht.889 Eine scharfe Bedeutungstrennung ist jedoch nicht immer möglich. Besonders bei der Verwendung in Zusammenhang mit Maut und Steuern ist nicht eindeutig feststellbar, ob es sich um ›Maut-, Steuerfreiheit‹ oder um ›Maut-, Steuerbefreiung‹ handelt.890 Im Korpus konkurriert vrîunge mit der usuellen -heitBildung vrîheit (176) und der -tuom-Ableitung vrîtuom (5). G. Lokativa (BV-unge7): ›Ort, wo jmd./etw. BV‹ Lexem atzunge niderlegunge wonunge2 Gesamt
Belege 2 1 1 4
bair 2 2
wmd 1 1
Kg 1 1
atzunge (›Weide(-recht?)‹): ← atzen/etzen (4) sw.V. a) daz wir vnserm getriwen Chunraden von Egelinge / vnd sinen erben / indem wolfsperge bei dem Burchstalle / allez daz recht haben gegeben vnd verlihen / an atzunge / an waide / vnd an ander gemain / daz andriv gGt habent / div vmbe Asschultinge / vnd vmbe Hadmaringe gelegen sint (Corp. 2554, 577.1).
_____________ 887 Zum Bearbeitungszeitpunkt liegt mir keine genaue Belegzahl für vrî vor. Das Adjektiv ist jedoch im Korpus sicherlich viele tausend Mal belegt. 888 Vgl. DRW (III: 835f.). 889 Vgl. dazu Brendel et al. (1997: 504). 890 DRW (III: 836).
II.1. Derivationstypen
488
b) daz wir vnsern Bvrgærn ze ChitzpMhel dar vmbe daz si vns deste gMtlicher dienen / vnd auch vr=licher bawen / vnd den Marchte ze ChitzpMhel deste baz vesten vnseriv zwai gvt ze schatperch gegeben haben / vnd auch geben / ze einer atzvnge / vnd ze einer waide als div ************** ze ChitzpMhel / also daz si / vnd auch anders nieman div selben waide fvrbaz immer mere haben / vnd auch nMtzen · als si wænen daz ez in gvt sei (Corp. 2660, 61.12).
Die zwei angeführten Belege des sonst idiomatisierten Lexems atzunge sind aufgrund der Verwendungskontexte als Lokativbezeichnung klassifiziert. Eine abstrakte Deutung als ›Weiderecht‹ kann nicht völlig ausgeschlossen werden, scheint aber eher unwahrscheinlich. niderlegunge (›Warenniederlage, Stapelplatz‹): ← niderlegen (35) sw.V. Vmb Niderlegunge / an saltz / vnd an andern dingen / vnd umb Strazze vnd vmb wêg / auf Lande vnd auf wazzer / vnd vmb Prukk / vnd vmb stêg / vnd vmbe Chuppelwaide / vnd holtz / haben wir dise chuntschaft gegeben! (Corp. 787, 155.31).
Im Korpus konkurriert niderlegunge mit der siebenmal in Urkunde 477 belegten -e-Bildung niderlege. wonunge2 (›Wohnung‹): ← wonen (43) sw.V. Aue willet min her Gerlach eine Waninge macchen zu hoingen jmme dorp! da mide inhaint si nit verbrochen (Corp. 44, 73.42).
Im obigen Textbeispiel ist vermutlich von der Errichtung eines Wohnhauses die Rede, die jemandem im Gegensatz zur Errichtung von Befestigungsanlagen erlaubt ist. H. Abstrakta [DM] (BV/BA-unge8): ›Tatsache, dass jmd./etw. BV/BA ist‹ Lexem ebenhellunge einhellunge êwigunge* Gesamt
Belege 1 1 1 3
alem 1 1
bair 1 1 2
Die hier aufgeführten Bildungen können formal-morphosemantisch auf ein Verb und ein Adjektiv bezogen werden. Die Beleglage der Basen und das nur ein- bis zweimalige Vorkommen der Lexeme im Korpus ermöglicht keine auf formalen Kriterien basierende Entscheidung hinsichtlich der Basiswortart. Dennoch bleibt zu bemerken, dass die Bildungen dem mhd. (wie dem nhd.) Sprachteilnehmer aufgrund des vorwiegend an Basisverben tretenden -unge vermutlich eher deverbal erscheinen mussten. Um hier jedoch einem Zirkelschluss zu entgehen, halte ich an der geson-
II.1.18. -unge (-igunge)
489
derten Aufführung der Lexeme als morphosemantisch ambige Bildungen fest. ebenhellunge (›Einhelligkeit, Übereinstimmung‹): ← ebenhel Adj. (Lexer I: 501), ebenhellen st.V. (ebda.) ...daz wir mit gemainem rat vnd mit rehter ewenhellvnge hawen verlihen albrehte dem vischære...vnsern wingarten ze reifental... (Corp 3192, 380.31).
einhellunge (›Einhelligkeit, Übereinstimmung‹): ← einhel Adj. (Lexer I: 525), einhellen st.V. (a.a.O.: 524) ...vnd haben wir disú nachgeschribenn stuk gesetzet ze behaltenn Pns · vnd den vorgeschribenn lúten ze merem fride vnd einhellung (Corp. 5C, 20.9).
Korpusintern konkurriert das Lexem einhellunge mit der -e-Bildung einhelle (2), die ebenfalls auf eine verbale und eine adjektivische Basis bezogen werden kann. êwigunge* (›dauerhafte Bestätigung‹): ← êwic (425) Adj., ewigen (7) sw.V. Vnt ist der prief gegeben ze Wienen datz dem dæutzschenhouse zN einer ewigvng vnt zN einer stætichait dN van Christes gebNrt waren tovsent zway hundert vnt einz nevnzich iar an dem hÜligem abent ze pfingsten (Corp. 1429a = N 498, 359.12).
Die bei Lexer nicht gebuchte Bildung êwigunge konkurriert im Korpus mit der fünfmal belegten -heit-Bildung êwicheit, die neben der Bedeutung ›Ewigkeit‹ (nur nd.) wie êwigunge im obigen Beispiel dreimal verwendet wird, um die dauernde Gültigkeit einer urkundlichen Abmachung zu bezeichnen (vgl. WMU I: 541). Semantisch können sowohl die -unge- als auch die -heitBildung als Verbal- oder Adjektivabstrakta aufgefasst werden. Die Präpositionalphrase ze/zuo einer êwigunge/êwicheit ist ihrer Funktion nach mit einem finalen Konjunktionalsatz daz diz êwic (unde stæte) sî/belîbe (vgl. WMU I: 541), der sich oft in der Corroboratio findet, vergleichbar. Aber auch das Verb ewîgen lässt sich in der Bestätigungsformel nachweisen891 (WMU I: 542), so dass trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit des Adjektivs êwic zumindest von Doppelmotivation auszugehen ist. I. Agentiva (BA-unge9): ›jmd./etw., der/das BA ist‹
gewonunge* (›Gewohnheit, Gewohnheitsrecht‹): ← gewon (7) Adj. Jch RGdolf der vorgenante Han dem vorgenanten walther vn siner vGrtin der vorgenanten / die vorgenanten reben verluhen ze eme rehten erbe v] nach des Landes giwanvnge... (Corp. 2115, 314.15).
_____________ 891 Das Verb ist wie der Beleg von êwigunge in dieser Verwendung in Wien (Urk. 477) nachgewiesen.
II.1. Derivationstypen
490
Dem nur einmal im Alem. belegten Derivat gewonunge stehen korpusintern die -ede-Bildung gewonde (28) und die usuelle -heit-Bildung gewonheit (370) in gleicher Bedeutung gegenüber. e. Diachroner Vergleich -unge
Mhd.
Funktionsklasse
K-Urk
K-Dü
Frnhd. K-Wü
K-Erf
K-Ggespr.
Nhd. K-Ggeschr.
Abstrakta (BV)
75,3%
60,8%
82,2%
63,1%
60,0%
88,0%
Patientiva Instrumentativa (BV) Idiofunktionalia (BS) Abstrakta (DM; BV/BA) Agentiva (BV)
11,7%
20,6%
5,2%
14,5%
14,9%
4,1%
4,8%
8,3%
2,0%
5,0%
11,5%
3,6%
2,6%
2,0%
1,3%
-
1,7%
0,4%
1,3%
-
-
-
-
-
1,3%
3,9%
4,6%
14,3%
6,8%
2,3%
Lokativa (BV)
1,3%
2,5%
1,1%
0,7%
3,0%
0,4%
Abstrakta (BA)
1,3%
1,0%
2,0%
0,2%
-
-
Agentiva (BA)
0,4%
0,5%
-
2,2%
0,4%
-
Kollektiva (BS)
-
0,5%
-
-
1,7%
1,2%
Tabelle II.1.18.5. Funktionelle Verteilung der -unge-Derivate im diachronen Vergleich
Die obige Übersicht zeigt die prozentuale Verteilung der funktionellen Nutzung der -unge-Bildungen des Urkundenkorpus im Vergleich mit anderen korpusbasierten Untersuchungen zum Frnhd. und der Gegenwartssprache.892 In allen Korpora nehmen die deverbalen Abstrakta mit deutlichem Abstand zu anderen Funktionsklassen den ersten Rang ein. Dennoch zeigen sich im Vergleich teils große Unterschiede im prozentualen Anteil. Das Korpus der geschriebenen Gegenwartssprache, das Würz_____________ 892 Die Angaben wurden den jeweiligen Arbeiten entnommen (Müller 1993a: 158ff.; Brendel et al. 1997: 562f.; Döring/Eichler 1996: 103; Gersbach/Graf 1984/85: 204; DW 1975: 94f.). Für den Vergleich wurden die Prozentangaben der doppelmotivierten, zu einer Lexemgruppe gebildeten Abstrakta des Dürer-Korpus (1,96%) zu den deverbalen Abstrakta addiert. Die bei Brendel et al., Gersbach/Graf und in DW gesondert behandelten Zustandsabstrakta mit Basisverb in der (semantischen) Funktion des Partizips II werden mit Müller als »morphologisch unbegründete Differenzierung« (Müller 1993a: 203 Anm. 102) betrachtet und zu den deverbalen Abstrakta addiert. Die bei Döring/Eichler (ebda.) getrennt aufgeführten -ung-Bildungen in Funktion einer »Modalergänzung« sind bei den deverbalen Abstrakta verrechnet. Die Klasse -ung7/-ung8 »Temporalia/Lokativa« wurde aufgelöst. Die Lokativbildungen sind an entsprechender Stelle in der Übersicht aufgeführt. Die sog. Temporalia (2,14%) werden gemäß meinem Vorgehen als deverbale Abstrakta gewertet.
II.1.18. -unge (-igunge)
491
burger Korpus und das Urkundenkorpus zeigen (in dieser Reihenfolge) die höchsten Ausprägungen dieser Funktionsklasse.893 Die Wertung von -ung als ausgeprägt monofunktionales Suffix, wie in der geschriebenen Gegenwartssprache und dem Würzburger Korpus zum Frnhd.894, erfährt mit dem höheren Anteil patientiver Bildungen in den Urkunden jedoch eine relative Einschränkung. Die verbleibenden Funktionsklassen sind jedoch wie in den beiden anderen Korpora mit jeweils unter 5% vertreten und stellen – eventuell von den Instrumentativbildungen895 abgesehen – schon deutlich den Randbereich der Bezeichnungsfunktion des Suffixes dar. Die instrumentative Bezeichnungsfunktion von -ung ist besonders bei Dürer und in der gesprochenen Gegenwartssprache ausgeprägt. Auffällig gering ist der Anteil deverbaler Agentiva im Urkundenkorpus. Kollektivbildungen, die auch in den Korpora, die sie belegen, eine periphere Leistung des Suffixes darstellen, sind im Urkundenkorpus nicht nachweisbar, auch im Würzburger und Erfurter Korpus fehlen sie völlig. Anhand der vorliegenden Zahlen erweist sich das Suffix -ung in seiner funktionalen Verteilung im diachronen Vergleich als sehr stabil. Unterschiede in der prozentualen Gewichtung sind wohl im Wesentlichen durch die den Einzelkorpora zugrunde liegenden Texte zu erklären. Nur die Randbereiche der Benennungsfunktion von -ung sind im zeitlichen Verlauf einer Entwicklung ausgesetzt. Dies betrifft einmal die schon im Mhd. und Frnhd. seltenen deadjektivischen Abstrakta896 und Agentiva, die zum Nhd. hin weitgehend aufgegeben werden897, und die vermutlich den Fachsprachen entstammenden nhd. -ung-Bildungen mit kollektiver Bedeutung898, für die es im Dürer-Korpus erste Ansätze gibt. _____________ 893 Für einige Abstraktbildungen des Urkundenkorpus wurde aus formalmorphosemantischen Gründen Doppelmotivation (BV/BA) angenommen. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass auch diese Bildungen, dem enormen ›Sog‹ des vorwiegend Verben ableitenden Suffixes ausgesetzt, von den mhd. Sprechern eher deverbal aufgefasst wurden. 894 Vgl. Brendel et al. (1997: 459). 895 Auf die Schwierigkeit, bei vielen Bildungen zwischen abstrakter und instrumentativer Bedeutung zu unterscheiden, wurde schon bei der Darstellung der Einzellexeme eingegangen. Der Anteil der Instrumentativa könnte bei anderer interpretatorischer Herangehensweise auch höher ausfallen als hier dargestellt. 896 Die Gruppe der Adjektivabstrakta ist im Urkundenkorpus höchst problembehaftet (s.d.), da nur in wenigen Fällen ein eindeutiger semantischer Bezug auf das Adjektiv festgestellt werden kann. Alle Bildungen sind auch und meist vorwiegend als deverbale Bildungen belegt. Aufgrund dieser Unwägbarkeiten mussten auch viele Belege als nicht analysierbar ausgeschlossen werden. 897 Vgl. Kurth (1956: 310f.), der für das Nhd. zumindest eine »kleine Anzahl von Wörtern auf -ung, die nur von Haupt- oder Eigenschaftswörtern abgeleitet sein können« anführt. 898 Vgl. DW (1975: 181f.).
II.1. Derivationstypen
492
II.1.19. Zusammenfassung zum semasiologischen Teil Rang Suffix 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
-er(e) -e -unge -in(ne) -heit -(e)de -nisse -t -lîn -schaft -el -tuom -ôt/-ât -sal -linc -sami -ach -(er)îe/-eie Gesamt
Lexeme Anzahl Prozent 364 28,64 219 17,23 202 15,89 71 5,59 70 5,51 63 4,96 58 4,56 51 4,01 48 3,78 47 3,7 14 1,1 13 1,02 11 0,87 10 0,79 9 0,71 8 0,63 7 0,55 6 0,47 1271
Belege Anzahl Prozent 5907° 12,62 20977° 44,80 3662° 7,82 2480° 5,30 1761° 3,76 2586° 5,52 344 0,73 6087° 13,00 165 0,35 1459° 3,12 162 0,35 31 0,07 33 0,07 83 0,18 359° 0,77 103 0,22 20 0,04 604° 1,29 46823°
Tabelle II.1.19.1. Übersicht über die absoluten und prozentualen Anteile der Einzelsuffixe im Korpus
Wie die Übersicht zeigt, ist -er(e) das am häufigsten belegte Wortbildungssuffix im Urkundenkorpus. Sicherlich ist hierfür der Grund im Ausgangsmaterial der Urkunden zu suchen. Die häufige Nennung von Personen, die anhand ihres Berufes o.ä. charakterisiert sind, trägt im Wesentlichen zu diesem Befund bei. Es sei an dieser Stelle noch einmal betont, dass die Anzahl der mit -er(e) gebildeten Lexeme noch ungleich höher wäre, wenn mir der Zugang zu Herkunftsbezeichnungen (Typ: der Freiburger, der Münchner) möglich gewesen wäre. Da das WMU jedoch Lexeme dieses Typs nicht katalogisiert, konnten sie nicht berücksichtigt werden. An zweiter Stelle rangieren im Korpus Bildungen mit dem Suffix -e. Hierunter finden sich aufgrund der sprachgeschichtlichen Entwicklung des im Mhd. relativ einheitlich auftretenden Suffixes viele verschiedene Funktionstypen und Bildungen von hohem Alter, die, wie anhand der Belegzahlen ersichtlich ist, als in hohem Maße usualisiert gelten können.
II.1.19. Zusammenfassung zum semasiologischen Teil
493
Als stark produktives Abstraktsuffix folgt, fast gleichauf mit -e, das Suffix -unge. Die drei genannten Suffixe bilden im Vergleich zu den folgenden Rängen ein prozentual abgegrenztes Dreigespann, stellen sie doch zusammen rund 61,8% der mit Suffix gebildeten Gesamtlexeme im Korpus. Als geschlossene Gruppe können ferner die folgenden Ränge 4–10 betrachtet werden, die im Bereich zwischen rund 5,6% (-in(ne)) und 3,7% (-schaft) liegen. Die übrigen Suffixe (Rang 11–18) machen insgesamt nur einen Gesamtanteil von 6,14% aus. Suffix
Mhd.
Frnhd.
K-Urk
K-Dü
Nhd. K-Ggespr.
K-Ggeschr.
Anzahl
Prozent
Anzahl
Prozent
Anzahl
Prozent
Anzahl
Prozent
-er(e)
364
28,64
93
14,71
219
18,1
1270
14,92
-e
219
17,23
81
12,82
133
10,99
394
4,19
-unge
202
15,89
193
30,54
235
19,42
2515
26,76
-in(ne)
71
5,59
8
1,26
44
3,64
466
4,96
-heit
70
5,51
76
12,03
55
4,55
1549
16,48
-(e)de
63
4,96
5
0,79
1
0,08
3
0,03
-nisse
58
4,56
21
3,32
13
1,07
72
0,77 0,22
-t
51
4,01
17
2,69
38
3,14
21
-lîn
48
3,78
104
16,46
261
21,57
85
0,9
-schaft
47
3,7
8
1,26
23
1,9
166
1,77
-el
14
1,1
5
0,79
8
0,66
17
0,18
-tuom
13
1,02
3
0,47
4
0,33
132
1,40
-ôt/-ât
11
0,87
-
-
-
-
-
-
-sal
10
0,79
1
0,16
-
-
-
-
-linc
9
0,71
2
0,32
9
0,74
109
1,13
-sami
8
0,63
-
-
-
-
-
-
-ach
7
0,55
-
-
-
-
-
0,6
-(er)îe/-eie
6
0,47
4
0,63
31
2,56
498
5,3
Tabelle II.1.19.2. Diachroner Vergleich der Einzelsuffixe
Im Vergleich899 mit dem Dürer-Korpus und der gesprochenen und geschriebenen Gegenwartssprache zeigt sich deutlich, dass die Häufigkeit _____________ 899 Die Daten für die vergleichende Darstellung sind den jeweiligen Arbeiten entnommen: Müller (1993a: 381ff.), Gersbach/Graf (1984/85: 219). Die Zahlen für DW (1975) sind mangels einer zusammenfassenden Übersicht über die prozentualen Anteile der Suffixe nicht mit absoluter Sicherheit ermittelbar, obwohl versucht wurde, die in DW behandelten Suffixe möglichst vollständig zu erfassen. Die in der Übersicht angeführten Prozentzahlen stellen für alle Vergleichskorpora absolute Werte dar, d.h. sie geben genau die Anteile im jeweils untersuchten Suffixsystem wieder. In Einzelfällen wurden geringfügige Modifikati-
II.1. Derivationstypen
494
der -er(e)-Bildungen im Urkundenkorpus einen textsortenbedingten Sonderfall darstellt, etwa vergleichbar mit dem ersten Rang des Diminutivsuffixes -lein im Korpus der geschriebenen Gegenwartssprache. Relative Konsistenz beweist das Suffix -e, das, abgesehen von der geschriebenen Gegenwartssprache, in den drei anderen Korpora gut vertreten ist. Das in allen Korpora unter den ersten drei Rängen angesiedelte Suffix -unge/-ung belegt nur im Urkundenkorpus und in der gesprochenen Gegenwartssprache nicht Rang 1. Dies lässt sich auch für das Suffix -heit und seine allomorphischen Varianten beobachten. Denn obwohl das Suffix wie in den genannten Korpora (Urkundenkorpus 5,51%, gesprochene Gegenwartssprache 4,55%) auch im Dürer-Korpus den fünften Rang einnimmt, ist es in Letzterem jedoch mit einem ungleich höheren Prozentanteil (11,59%) belegt. Deutlich zeigt sich des Weiteren, dass -nisse/-nis-Bildungen vom Mhd. bis zum Nhd. an Einfluss verlieren. Ihr Anteil am suffigierten Wortschatz sinkt von noch 4,56% in der Urkundensprache auf 1,07% (gesprochen) bzw. 0,77% (geschrieben) in der Gegenwartssprache. Das Suffix -t/-(s)t verliert vor allem im geschriebenen Gegenwartsdeutschen prozentual an Bedeutung. Auf die zugrunde liegende Textsorte und ihre Spezifika geht sicherlich die in der Dürer-Sprache und der gesprochenen Gegenwartssprache gleichermaßen hohe Beleghäufigkeit des Diminutivsuffixes -lein zurück. Das Urkundenkorpus und die geschriebene Gegenwartssprache gebrauchen derartige Bildungen weitaus seltener. -schaft schließlich ist anteilig in der Urkundensprache am häufigsten belegt. Die verbleibenden Suffixe sind im Urkundenkorpus und in den Vergleichskorpora gleichermaßen selten belegt. Die einzige Ausnahme bildet das Suffix nhd. -(er)ei, das im Urkundenkorpus und bei Dürer nur marginal belegt ist, aber im Nhd., besonders in der geschriebenen Gegenwartssprache, einen beachtlichen Zuwachs erfährt. Erstellt man nun eine Suffix-›Top Ten‹ der jeweiligen Vergleichskorpora, zeigt sich ein Befund, wie in der folgenden Übersicht dargestellt. Rang 1
K-Urk -er(e)
Dürer -ung
GG -lein
Brendel -ung
Dö/Ei -ung
-0/-e
-0/-e
-er
DW -ung -heit (-keit, -igkeit) -er
2
-e
-lein
-ung
3
-unge
-er
-er
-e
-(er)ei
-heit
-lin -heit, -(ig)keit
4
-in(ne)
-(e)
_____________ onen vorgenommen, wie z.B. die Trennung der in Gersbach/Graf und DW zusammenbehandelten -(s)t und -d(e)-Bildungen, die Berücksichtung lokativer -nis-Bildungen in DW oder die Subsumierung der Suffixe -ler und -ner unter -er für die Gegenwartssprache.
II.1.19. Zusammenfassung zum semasiologischen Teil
Rang
K-Urk
Dürer -heit (-keit, -i(g)keit)
5
-heit
6
-(e)de
-nus
7 8 9 10
-nisse -t -lîn -schaft
-(s)t -in -schaft -d(e)
495
GG
DW
Brendel
Dö/Ei
-(er)ei
-in
-el
-(l)er
-e
-lein
-(s)t
-chen -(at)ion -ismus -ität
-in -nis -t -schaft
-nis -schaft -(er)ei -el
-heit (-keit, -igkeit) -in -(s)t -schaft -nis
Tabelle II.1.19.3. Diachroner Vergleich der zehn jeweils meistbelegten Suffixe
Anhand der vergleichenden Übersicht, in die hier trotz der abweichenden Behandlung von -0/-e-Bildungen die Ergebnisse des Würzburger und Erfurter Korpus miteinbezogen sind, wird deutlich, dass sich trotz der unterschiedlichen Rangverteilungen im Großen und Ganzen die gleichen Suffixe unter den ersten zehn Rängen befinden. Wie schon erwähnt, ist das Suffix -(er)ei nur im Gegenwartsdeutschen und, wie sich jetzt zeigt, auch im Erfurter Korpus von größerer Bedeutung. Das Suffix -el kommt nur im Würzburger und Erfurter Korpus unter die ersten zehn.900 Besondere Beachtung verdient das Ergebnis für die geschriebene Gegenwartssprache, die eine sich deutlich von den anderen Korpora unterscheidende Suffixhierarchie aufweist. Neben dem Diminutivsuffix -chen, das in seiner Häufigkeit mit -lîn im Urkundenkorpus vergleichbar ist, nehmen drei Lehnsuffixe die Ränge 8–10 ein. In den anderen Korpora, die eine vergleichbare Anzahl von Lehnsuffixen aufweisen (DürerKorpus, gesprochene Gegenwartssprache) ist ihr prozentualer Anteil weitaus geringer. II.1. Derivationstypen
_____________ 900 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bei Brendel et al. (1997: 227ff., 538f.) über 83% der Signifikanten als Diminutivbildungen (-el ist hier eine regionale (bairische), verkürzte Variante von -lein) auftreten.
II.2. Onomasiologische Darstellung II.2.1. Modifikation Modifikation erweitert die Basisbedeutung um ein semantisches Merkmal, ohne die Begriffsklasse des Wortbildungsprodukts zu verändern. Auch die Wortart der modifizierten Basis bleibt unverändert.1 Die in dieser Arbeit untersuchten Suffixe weisen nur die modifizierenden Merkmale ›weiblich‹, ›männlich‹, ›klein‹ und ›alle/viele‹ auf. Modifikation Diminutiva 32,9%
Motionsbildungen 50,0%
Kollektiva 17,1%
Abbildung II.2.1.1. Prozentverhältnisse der behandelten Modifikationsbildungen
II.2.1.1. Diminutivbildungen Diminutivbildungen drücken die absolute oder häufiger relative Kleinheit des durch das Basissubstantiv Bezeichneten aus. Bisweilen kommt den Diminutivbildungen auch eine hypokoristische Bezeichnungsfunktion zu, _____________ 1
Vgl. Fleischer/Barz (1995: 8).
II.2.1. Modifikation
497
mit der die Vertrautheit zu einer Person ausgedrückt wird. Die Urkundenkontexte ermöglichen hier jedoch meistens keine eindeutige Interpretation. Korpusintern kommt lediglich dem Suffix -lîn die Funktion zu, aus Basissubstantiven Diminutiva abzuleiten. Dieser Bildungstyp ist mit insgesamt 48 Lexemen und 165 Belegen im Korpus repräsentiert. 36-mal bezeichnen die Diminutivbildungen einen Ort (z.B. dörflîn) oder eine andere Immobilie (boumelîn), mit sechs Lexemen werden Personen bezeichnet (z.B. kindelîn), drei Lexeme bezeichnen Mobilia (z.B. goltsteinlîn) und ein Lexem kann als Sachbezeichnung und/oder als Hohlmaß verstanden werden (köpfelîn). Auch Dürer2 verwendet ausschließlich -lein als Diminutivsuffix, während in der gesprochenen Gegenwartssprache die Suffixe -chen (3,6%) und -el (1,8%) neben das primäre -lein (94,6%) treten.3 Das Korpus der geschriebenen Gegenwartssprache zeigt neben -lein (18,1%), -chen (74,8%) und -el (2,8%) ferner -ling (2,6%) und das Fremdsuffix -ette (1,7%).4 II.2.1.2. Kollektivbildungen Kollektivbildungen sind durch die Bezeichnung einer Vielheit charakterisiert. Die Paraphrase lautet dementsprechend ›viele/alle BS‹. Lexeme Anzahl 13 7 2 2 1 25
-schaft2 -ach -heit7 -sami2 -(e)de9 Gesamt
Belege Prozent 52,0 28,0 8,0 8,0 4,0
Anzahl 249° 20 40 11 95 415
Prozent 60,0 4,8 9,6 2,7 22,9
Tabelle II.2.1.2.1. Übersicht über die Derivationstypen der Kollektiva
Der Typ der Kollektivbildungen ist im Urkundenkorpus mit nur 25 Bildungen repräsentiert. Mehr als die Hälfte (52%) stellen -schaft2-Derivate dar, 28% fallen den -ach-Bildungen zu, für die ferner eine stark lokale Bedeutungskomponente charakteristisch ist. Für -heit7 und -(e)de9 kann wohl aufgrund der geringen Zahlen nicht von einem Bildungstyp gesprochen werden. Für das mit zwei Bildungen vertretene alem. Suffix -sami2 (8%) _____________ 2 3 4
Vgl. Müller (1993a: 401). Vgl. Gersbach/Graf (1984/85: 234). Vgl. DW (1975: 135). Komposita mit Mini- bleiben in der Darstellung unberücksichtigt.
II.2. Onomasiologische Darstellung
498
beträgt die kollektive Bezeichnungsfunktion innerhalb des Bildungstyps immerhin 18,2%. -schaft -ach -heit -sami -(e)de/-d(e) Gesamt
K-Urk (Suffixe: 5) 52,0 28,0 8,0 8,0 4,0 100,0
K-Dü (4) 16,7 16,7
K-Ggespr. (4) 52,9 5,9 58,8
K-Ggeschr. (12) 35,2 2,5 35,0
Tabelle II.2.1.2.2. Übersicht über kollektive Derivationstypen im diachronen Vergleich
Aus der vergleichenden Übersicht5 geht hervor, dass von den in der Urkundensprache an diesem Funktionstyp beteiligten Suffixen in der Gegenwartssprache nur noch -schaft und -heit auftreten. Während der Anteil der -schaft-Bildungen in der gesprochenen Gegenwartssprache den für die Urkundensprache ermittelten Wert nur um 0,9% übersteigt, ist ihr Anteil in der geschriebenen Gegenwartssprache und bei Dürer deutlich geringer. Niedriger als in der Urkundensprache ist ebenfalls der Anteil der an diesem Typ beteiligten -heit-Bildungen in der Gegenwartssprache. Auffällig ist die deutliche Zunahme der in der geschriebenen Sprache für Kollektiva dokumentierten Derivationstypen. Als Konkurrenzbildungen sind im Korpus nur gebûrsame1 und gebûrschaft nachweisbar. II.2.1.3. Motionsbildungen Lexeme -in(ne)1a -in(ne)1b -in(ne)1c -er(e)7 Gesamt
Anzahl 38 33 1 1 73
Belege Prozent 52,1 45,2 1,4 1,4
Anzahl 267° 1412° 1 1 1681°
Prozent 15,9 84,0 0,1 0,1
Tabelle II.2.1.3.1. Übersicht über die Derivationstypen der Motion im Urkundenkorpus
_____________ 5
Vgl. Müller (1993a: 405), Gersbach/Graf (1984/85: 237f.), DW (1975: 185). Da Zirkumfixbildungen mit ge- zu Basissubstantiven in dieser Arbeit unberücksichtigt bleiben, müssen die Prozentwerte für alle Arbeiten neu berechnet werden. Die in DW in die Übersicht aufgenommenen Kompositionsbildungen bleiben hier unberücksichtigt.
II.2.2. Transposition
499
Die beiden im Korpus belegten Motionssuffixe dienen zur Sexusmodifikation entweder maskuliner (-in(ne)1) oder femininer (-er(e)7) Basissubstantive. Im Korpus wird die Motion maskuliner Lexeme ausschließlich von -in(ne)1 übernommen. Hinsichtlich der Benennungsrelationen des Suffixes kann zwischen funktioneller Motion (-in(ne)1a) und matrimonieller Motion (-in(ne)1b) unterschieden werden. In einem Fall (-in(ne)1c) dient die Motion lediglich dazu, die syntaktisch-grammatische Zusammengehörigkeit zweier Substantive zu bezeichnen. Im Korpus findet sich nur ein Beleg für den Fall der Motion eines femininen Basissubstantivs durch das Suffix -er(e)7 (witewer). -in(ne)/-in -er(e)/-er Gesamt
K-Urk (Suffixe: 2) 98,6 1,4 100,0
K-Dü (1) (4) -
K-Ggespr. (4) 93,6 2,1 95,7
K-Ggeschr. (8) 92,6 0,6 93,2
Tabelle II.2.1.3.2. Übersicht über die Derivationstypen der Motion im diachronen Vergleich
Im Vergleich6 zeigt sich, dass die Anzahl der an diesem Bildungstyp beteiligten Derivationsmorpheme zwar besonders in der geschriebenen Gegenwartssprache zugenommen hat, dass aber -in(ne)/-in auch im Neuhochdeutschen das primäre Movierungssuffix bleibt. Die Zahl der mit -er(e)/-er movierten Feminina erhöht sich kaum. Auch das Korpus der gesprochenen Gegenwartssprache verzeichnet nur die Bildung Witwer, in dem von Wellmann untersuchten Material finden sich darüber hinaus nur zwei weitere Bildungen.
II.2.2. Transposition Transposition überführt eine Wortbildungsbasis in eine neue Begriffsklasse. Hierbei kann es je nach Basis zu einem kategorialen Wortartwechsel kommen oder nicht.7 Der Wortklassenwechsel unterbleibt, wenn die Basis ein Substantiv ist, das durch Transposition nur eine Veränderung seiner Bezeichnungsklasse erfährt (apotêke → apotêker). Mit Transpositionsbildungen werden Prädikate oder Satzinhalte thematisiert, die sich im Korpus hinsichtlich ihrer Funktionsbereiche als ›Abstrakta‹, ›Patientiva‹, ›Agentiva‹, ›Instrumentativa‹ und ›Lokativa‹ klassifizieren lassen. _____________ 6 7
Vgl. Müller (1993a: 410), Gersbach/Graf (1984/85: 230) und DW (1975: 116, 118, 120). Vgl. Fleischer/Barz (1995: 8).
II.2. Onomasiologische Darstellung
500
Transposition Instrumentativa 3,4%
Lokativa 2,9%
Patientiva 9,4%
Abstrakta 46,2%
Agentiva 38,2%
Abbildung II.2.2.1. Prozentverhältnisse der behandelten Transpositionsbildungen
II.2.2.1. Grammatische Abstrakta Die Bildung von Abstrakta ist die primäre Funktion der im Korpus belegten Wortbildungssuffixe. Bei Abstraktbildungen mit einem Basisverb wird ein Vorgang oder eine Handlung (›Tatsache, dass jmd./etw. BV), bei Bildungen mit Basisadjektiv oder Basissubstantiv eine Eigenschaft oder ein Zustand thematisiert (›Tatsache, dass jmd./etw. BA/BS ist‹). Bisweilen kann bei den Abstraktbildungen eine modale Nebenbedeutung (›Art und Weise‹) festgestellt werden, ebenso findet sich oft der Ausdruck einer Fähigkeit, Möglichkeit oder eines Rechts mit ihnen verbunden. Die Abstrakta bezeichnen stets nichtgegenständliche Begriffe und stehen somit der großen, nach verschiedenen Funktionen zu unterscheidenden Gruppe der Konkreta gegenüber. Viele konkret verwendete Lexeme im Korpus sind durch metonymische Übertragung aus Abstrakta entstanden. In vielen Fällen erschwert dies die kontextbezogene semantische Analyse der Bildungen, der Übergangsbereich ist entsprechend groß.
II.2.2. Transposition
Motivationsbasen der gramm. Abstrakta Verb Adjektiv Substantiv Doppelmotivation Gesamt
501
Lexeme Anzahl 432 88 41 15 576
Belege Prozent 75,0 15,3 7,1 2,6
Anzahl 17938° 1530° 859° 586° 20913°
Prozent 85,8 7,3 4,1 2,8
Tabelle II.2.2.1.1. Übersicht über die Derivationstypen der grammatischen Abstrakta im Urkundenkorpus
Wie die Übersicht zeigt, überwiegen im Korpus mit drei Vierteln der Lexeme und 85,8% der Belege eindeutig die deverbalen Abstrakta. Nur 15,3% der Lexeme sind zu einem Basisadjektiv gebildet, Bildungen zu Basissubstantiven haben einen Anteil von 7,1%. Fälle von Doppelmotivation bleiben hinsichtlich der Lexemzahlen vergleichsweise selten. II.2.2.1.1. Deverbale Abstrakta Suffix -unge1 -e1 -nisse1 -t1 -(e)de1 -heit3 -sal1 -schaft3 -ôt/-ât1 -sami1 -(er)îe/-eie3 -tuom5 Gesamt
Lexeme Anzahl 174 93 52 41 36 9 9 6 6 4 1 1 432
Belege Prozent 40,3 21,5 12,0 9,5 8,3 2,1 2,1 1,4 1,4 0,9 0,2 0,2
Anzahl 1935° 8231° 326 5448° 1610° 249° 74 32 12 17 3 1 17938°
Prozent 10,8 45,9 1,8 30.4 9,0 1,4 0,4 0,2 0,1 0,1 0,0 0,0
Tabelle II.2.2.1.1.1. Die Derivationstypen der deverbalen Abstrakta im Urkundenkorpus
Die Tabelle zeigt die absolute und prozentuale Verteilung der an der Bildung deverbaler Abstrakta beteiligten Suffixe. Überdeutlich erweist sich das Suffix -unge1 mit einer im Vergleich zum zweithäufigst gebrauchten Suffix -e1 fast doppelt so hohen Bildungszahl als das primäre Mittel zur Ableitung von Verbalabstrakta. Ein ähnlich großer Abstand besteht zwischen -e1 und -nisse1, die die zweite und dritte Position einnehmen. Von
II.2. Onomasiologische Darstellung
502
Bedeutung sind ferner die Suffixe -t1 und -(e)de1. Die folgenden sieben Suffixe sind mit einem jeweiligen Anteil von maximal 2,1% für diesen Bildungstyp von minderer Relevanz. Auffällig ist die große Diskrepanz zwischen Lexem- und Belegzahlen. Während -unge1 mit 174 Bildungen nur 1935° Belege aufweist (Verhältnis 1:11), weisen die ungleich geringer belegten Suffixe -e1 (Verhältnis 1:89), -t1 (Verhältnis 1:133) und -(e)de1 (Verhältnis 1:45) um ein Vielfaches höhere Belegzahlen auf. Dies ist einmal ein Indiz dafür, dass die drei zuletzt genannten Suffixe in vielen usuellen Bildungen verwendet sind, zum anderen auch dafür, dass -unge1 in diesem Funktionsbereich als das produktivste Suffix gelten kann.
-unge/-ung -e -nisse/-nis -t -(e)de/-d(e) -heit -sal -schaft -ôt/-ât -sami -(er)îe/-eie/(er)ei -tuom/-tum Gesamt
K-Urk (Suffixe: 12) 40,3 21,5 12,0 9,5 8,3 2,1 2,1 1,4 1,4 0,9
K-Dü (9)
K-Ggespr. (12)
K-Ggeschr. (13)
70,2 12,3 7,0 5,3 1,8 1,2 0,6 -
50,5 10,0 1,8
65,5 4,5 1,3
11,8
0,6
-
5,1 -
-
-
-
0,2
0,6
12,9
7,5
0,2 99,9
99,0
0,4 87,4
0,1 84,6
Tabelle II.2.2.1.1.2. Die Derivationstypen der deverbalen Abstrakta im diachronen Vergleich
Der Vergleich mit den anderen Korpora8 zeigt, dass -unge/-ung in allen untersuchten Sprachstufen das primäre Wortbildungssuffix zur Bildung deverbaler Abstrakta ist. Trotz der großen Produktivität des Suffixes ist jedoch in den Urkunden das Verhältnis von -unge/-ung zu den anderen _____________ 8
Vgl. Müller (1993a: 417f.), Gersbach/Graf (1984/85: 249, 254) und DW (1975: 245, 256, 262). Die Prozentzahlen mussten für die jeweiligen Arbeiten neu berechnet werden. In allen Arbeiten bleiben Nullableitungen unberücksichtigt, ferner wurden die von Müller getrennt behandelten Bildungen mit einer Lexemgruppe als Basis (S. 429) und die in DW angeführten Komposita und Konversionen aus dem Vergleich ausgeschlossen. Zirkumfixbildungen mit ge- wurden dem jeweiligen Suffix zugeschlagen, ge-e/ø-Bildungen wurden nicht weiter getrennt und sind den -e-Bildungen subsumiert. Bei Gersbach/Graf und in DW als »Abstrakta mit einem Basis-Verb in der Funktion bzw. in der Form eines Partizip II« gesondert behandelte Bildungen sind in die vergleichende Darstellung miteinbezogen worden.
II.2.2. Transposition
503
Suffixen etwas ausgeglichener. So sind auch -e, -nisse/-nis, -t und -(e)de/-d(e) jeweils mit einem nennenswerten, wenn auch wesentlich geringeren Anteil an diesem Bildungstyp vertreten. Die prozentualen Abweichungen im Verhältnis zu den Vergleichsuntersuchungen reichen bei -unge/-ung von gut 10% in der gesprochenen Gegenwartssprache bis zu knapp 30% im Dürer-Korpus. Von den sieben nur marginal an diesem Bildungstyp beteiligten Suffixen (-heit bis -tuom/-tum) sind -schaft, -ôt/-ât und das alem. -sami in keinem der hier zum Vergleich herangezogenen Korpora an der Ausbildung deverbaler Abstrakta beteiligt. -unge : -e (12) -e : -(e)de (9) -unge : -nisse (8) -nisse : -sal (4) -unge : -heit (3) -unge : -(e)de (3) -(e)de : -schaft (2) -(e)de : -nisse (2) -e : -sal (1) -unge : -schaft (1)
-e : -(e)de : -nisse (3) -unge : -nisse : -schaft : -sami (1) -unge : -e : -(e)de (1) -unge : -e : -(e)de : -ôt/-ât (1) -unge : -e : -heit (1) -unge : -heit : -sal : -sami : -tuom : -ôt/-ât (1) -unge : -nisse : -sal (1) -unge : -nisse : -heit (1) -unge : -(e)de : -nisse (1) -unge : -nisse : -t (1) -unge : -(e)de : -schaft (1) -unge : -nisse : -sami (1) -nisse : -sal : -schaft (1) -e : -nisse : -t (1)
Tabelle II.2.2.1.1.3. Deverbale Abstrakta: Übersicht über die an Konkurrenzbildungen beteiligten Derivationstypen
In 63 Fällen können Konkurrenzbildungen zwischen verschiedenen Suffixen nachgewiesen werden. Bei Konkurrenzen zwischen zwei Suffixen (47) liegt die Paarung -unge : -e mit zwölf Bildungen an der Spitze. Ebenfalls sehr häufig treten Konkurrenzen zwischen -e : -(e)de (9) und -unge : -nisse (8) auf. Insgesamt 13-mal konkurrieren drei verschiedene Suffixe miteinander. Die Gruppen bleiben jedoch bis auf -e : -(e)de : -nisse (3) Einzelkombinationen. Zweimal kommt es zu Konkurrenzbildungen zwischen vier, einmal sogar zwischen sechs Suffixen. Basisverb begraben behaben bekêren
-e begrebe* -
-(e)de begrebede bekêrde
bescheiden
bescheide1
-
bestæten bestætigen beswæren betrahten betrüeben betwingen
beswære -
beswærde -
Derivate -unge behebunge bekêrunge bescheidunge1, beschidunge bestætnüsse bestætunge bestætigunge beswærunge betrahtnüsse betrahtunge betrüebenisse betwancnisse, -nisse begrebnisse behabnust -
-heit -
Rest -
bescheidenheit21°
-
bestætecheit -
betrüebesal betwancsal,
II.2. Onomasiologische Darstellung
504 Basisverb bewæren beziugen bevelhen erbarmen ernen
-e
-(e)de
-nisse betwungnust
erbärme erne
bewærde bivelde1 erbermede ernde
beziugnüsse gedenknüsse/ gedæhtnisse gehugnisse1 gelobnisse2
gedenken
-
gedingen gehellen gehügen geloben
gedinge1° gehülle* gehüge gelübe2
(ge)machen
-
(ge)schaffen (ge)twingen (ge)vâren (ge)wern
gevære -
(ge)ziugen heimsuochen heizen hindern hügen irren klagen krenken lemen missehellen müejen phlegen rihten rüegen scheiden stæt(ig)en sûmen twingen ûfgeben erteilen ûzrihten verdamnen vergezzen verhengen verrihten verzîhen vlêhen volgen
-
gedingede1 gehellede gehügede1 gelübede2° gemechede2, gemechenisse1 (gemechesede) gescheffede2° getwancnisse geværde gewerde1 -
Derivate -unge bewærunge1 beziugunge bivilinge -
-heit
Rest betwungenschaft
-
-
gedenkunge
-
-
gehellunge -
-
gehelzot -
-
-
-
-
-
geschaft1 getwancsal gewerschaft12 geziugschaft, geziucsame hindersal irresame, irrât, irresal, irretuom -
-
-
geziugnisse
geziugunge
-
heimsuoche heiz[e] -
hügede
hindernisse hugnisse
heimsuochunge heizunge -
-
-
-
-
irrunge
irrecheit
klage1° lem[/e] missehelle, missehulle* müej(e) phlege1 rihte22 schide* ûfgabe urteile ûzriht(e) -
klegede lemede
krenkenus -
krenkunge -
-
-
-
missehellunge
-
-
urteilde1 verhengede -
rihtunge rüegunge schidunge1° stætigunge11 sûmunge ûfgebunge ûzrihtunge verdamnunge vergezzunge verhengunge verrihtunge
stætecheit2 vergezzicheit verrihticheit
müejesal1 phliht(e) rüegât sûmesal twancsal1 -
-
-
verzîhunge
-
verziht
vlige* volge
vlêhede -
phlegenisse sûmnisse twincnisse verdamnisse vergezzenüsse verhencnisse verzigenisse, verzîhenisse -
volgunge
-
-
II.2.2. Transposition Basisverb
-e vrœnen vrône vüeren vuor(e) vürdern warten warte werren werre wern widersprechen widersprâche wizzen wunden wunde2 ziugen -
-(e)de vrœnde wizzende -
-nisse vürdernisse ziugnüsse1
505
Derivate -unge vüerunge vürderunge wartunge werrunge werunge1 widersprechunge wizzunge ziugunge
-heit -
Rest werschaft2 wizzenschaft wundât ziugsame
Tabelle II.2.2.1.1.4. Deverbale Abstrakta: Übersicht über konkurrierende Lexeme
II.2.2.1.2. Deadjektivische Abstrakta Lexeme -heit1 -e4 -unge6 -(e)de6 -tuom3 -schaft9 -nisse3 -sami4 -ôt/-ât3 Gesamt
Anzahl 43 30 3 3 3 2 2 1 1 88
Belege Prozent 48,9 34,1 3,4 3,4 3,4 2,3 2,3 1,1 1,1
Anzahl 847° 550° 26 18 7 9 4 61 8 1530°
Prozent 55,4 35,9 1,7 1,2 0,5 0,6 0,3 4,0 0,5
Tabelle II.2.2.1.2.1. Die Derivationstypen der deadjektivischen Abstrakta im Urkundenkorpus
Die obige Übersicht zeigt das Verhältnis der an der Bildung deadjektivischer Abstrakta beteiligten Suffixe im Urkundenkorpus. Dabei tritt deutlich -heit1 mit 48,9% als primär verwendetes Wortbildungsmorphem hervor. An zweiter Stelle finden sich mit 34,1% Abstrakta auf -e4 (ausschließlich feminine Lexeme). Die sieben anderen beteiligten Suffixe sind mit jeweils weniger als 3,5% an diesem Bildungstyp beteiligt. Die so gebildeten Lexeme stellen auch innerhalb der suffixeigenen Funktionsklassenverteilung, abgesehen von den Suffixen -tuom3 (20,0%) und -sami4 (9,1%), im Wesentlichen Randbereiche dar. Wie die folgende vergleichende Übersicht zeigt, spiegelt sich das Ergebnis der vorliegenden Untersuchung hinsichtlich -heit und -e im Dürer-
II.2. Onomasiologische Darstellung
506
Korpus und in der gesprochenen Gegenwartssprache wider.9 Doch tritt in diesen Untersuchungen -heit noch deutlicher als Leitsuffix dieses Bildungstyps in den Vordergrund, während für -e eine leicht geringere Beteiligung zu verzeichnen ist. Während in der geschriebenen Gegenwartssprache10 heit 66,6% aller Adjektivabstrakta bildet und hiermit an erster Stelle im Vergleich liegt, ist das Suffix -e mit nur 3,1% auffällig gering repräsentiert und liegt nur an sechster Stelle bei elf beteiligten Suffixen. K-Urk (Suffixe: 9) 48,9 34,1 3,4 3,4 3,4 2,3 2,3 1,1 1,1 100,0
-heit -e -unge/-ung -(e)de/-d(e) -tuom/-tum -schaft -nisse/-nis -sami -ôt/-ât Gesamt
K-Dü (7) 60,9 31,5 2,2 1,1 1,1 2,2 99,0
K-Ggespr. (6) 52,6 31,6 3,5 1,8 89,5
K-Ggeschr. (11) 66,6 3,1 0,3 0,5 70,5
Tabelle II.2.2.1.2.2. Die Derivationstypen der deadjektivischen Abstrakta im diachronen Vergleich
Im Vergleich zum Urkundenkorpus treten die Suffixe -(e)de und -ôt/-ât in den anderen Korpora nicht mehr in Erscheinung. Das alem. -sami bleibt ebenfalls auf das Urkundenkorpus beschränkt. In acht Fällen können bei den deadjektivischen Abstrakta korpusintern Konkurrenzbildungen nachgewiesen werden. Auffälligerweise ist ihr Vorkommen nur in drei Fällen zwischen Substantiven auf -heit1 und -e4 zu beobachten. Einmal konkurriert -heit1 mit -sami4, einmal -heit1 mit -unge6, zweimal -e4 mit -(e)de6, und in einem Fall kommt es sogar zu einer Konkurrenz der drei Suffixe -heit1, -unge6 und -tuom3. Basisadjektiv gegenwertic
-heit1 gegenwertecheit
gewære hôch
gewarheit -
-e4 gegenwertige*/ gegenwürtige* hœhe 1
Derivate -unge6
-(e)de6
-tuom3
-sami4
-
-
-
-
-
hœhte 2
-
gewarsame -
_____________ 9 10
Vgl. Müller (1993a: 425), Gersbach/Graf (1984/85: 253). Vgl. DW (1975: 294). Da Kompositionsbildungen und Konversionen inklusive der Nullableitungen im Vergleich unberücksichtigt bleiben, unterscheiden sich die hier angegebenen Prozentwerte von den Angaben Wellmanns.
II.2.2. Transposition
kranc stæte, stætic ungehôrsam ûrvech vrî
krancheit1
krenke
stætecheit11°
-
ungehôrsamecheit vrîheit°
ungehôrsame urvêhe -
stætigunge2, stætunge2 vrîunge1
507 -
-
-
-
-
-
urvêhede -
vrîtuom
-
Tabelle II.2.2.1.2.3. Deadjektivische Abstrakta: Übersicht über konkurrierende Lexeme
II.2.2.1.3. Desubstantivische Abstrakta Lexeme -schaft1 -tuom1 -heit4 -sami3 -(er)îe/-eie2 -e12 -linc4 Gesamt
Anzahl 24 7 5 2 1 1 1 41
Belege Prozent 58,5 17,1 12,2 4,9 2,4 2,4 2,4
Anzahl 505° 11 12 2 303° 22 4 859°
Prozent 58,8 1,3 1,4 0,2 35,3 2,6 0,5
Tabelle II.2.2.1.3.1. Die Derivationstypen der desubstantivischen Abstrakta im Urkundenkorpus
Die Übersicht zeigt deutlich, dass -schaft1 im Korpus mit großem Abstand das primäre Suffix zur Bildung desubstantivischer Abstrakta darstellt. An zweiter Stelle folgt mit 17,1% das Suffix -tuom1 und an dritter Position findet sich -heit4 (12,2%). Zwei desubstantivische Bildungen lassen sich für das alem. Suffix -sami3 nachweisen. Die verbleibenden drei Suffixe sind mit nur jeweils einem Lexem an diesem Bildungstyp beteiligt. Im Vergleich mit den anderen Korpora11 zeigt sich ein uneinheitliches Bild. Während -schaft auch in der gesprochenen Gegenwartssprache, zusammen mit -(er)îe/-eie/-(er)ei, die Spitzenposition einnimmt, ist der Anteil der -schaft-Bildungen in der geschriebenen Gegenwartssprache beträchtlich geringer. Beiden Untersuchungen ist jedoch die vergleichsweise hohe Anzahl von Substantivabstrakta mit -(er)îe/-eie/-(er)ei gemeinsam. Einheitlichkeit besteht wiederum zwischen der Urkundensprache und dem geschriebenen Nhd. hinsichtlich des Suffixes -tuom/-tum, das in beiden Kor_____________ 11
Vgl. Müller (1993a: 428), Gersbach/Graf (1984/85: 256) und DW (1975: 312). Die Prozentzahlen zur geschriebenen Gegenwartssprache weichen von den Angaben Wellmanns ab, da die Komposita auf -sein unberücksichtigt bleiben. Da im Dürer-Korpus nur insgesamt fünf Lexeme nachweisbar sind, wurde auf die prozentuale Darstellung verzichtet. Die Zahlen in Klammern sind die absoluten Lexemzahlen.
II.2. Onomasiologische Darstellung
508
pora ähnlich ausgeprägt repräsentiert ist. Für drei der insgesamt sieben Suffixe (-sami, -e, -linc/-ling), die das mhd. Urkundenkorpus aufweist, sind in den anderen Untersuchungen keine Abstraktbildungen nachgewiesen. -schaft -tuom/-tum -heit -sami -(er)îe/-eie/-(er)ei -e -linc/-ling Gesamt
K-Urk (Suffixe: 7) K-Dü (3) 58,5 (2) 17,1 12,2 (2) 4,9 2,4 (1) 2,4 2,4 99,9 -
K-Ggespr. (5) K-Ggeschr. (7) 31,6 11,9 22,0 5,3 1,3 31,6 20,9 68,5 56,1
Tabelle II.2.2.1.3.2. Die Derivationstypen der desubstantivischen Abstrakta im diachronen Vergleich
Die Anzahl der Konkurrenzbildungen bleibt bei den Substantivabstrakta mit zwei Paaren gering. Als konkurrierende Suffixe treten lediglich -tuom1 : -schaft1 (bürgetuom : bürgeschaft) und -heit4 : -schaft1 (manheit : manschaft)12 auf. II.2.2.1.4. Doppelmotivierte Abstrakta 1. Abstrakta mit Basisverb und Basisadjektiv Lexeme -(e)de7 -heit6 -unge8 -e9 Gesamt
Anzahl 3 3 3 2 11
Belege Prozent 27,3 27,3 27,3 18,2
Anzahl 7 5 3 77 92
Prozent 7,6 5,4 3,3 83,7
Tabelle II.2.2.1.4.1. Die Derivationstypen doppelmotivierter Abstrakta im Urkundenkorpus (Basisverb und Basisadjektiv)
Insgesamt elf Lexeme zu vier Suffixen können im Urkundenkorpus als durch ein Basisverb oder Basisadjektiv motiviert interpretiert werden.13 _____________ 12 13
Die Lexeme manheit und manschaft konkurrieren nur hinsichtlich der Wortbildungsbedeutung. Lexikalisch besteht keine Konkurrenz. Müller (1993a: 431) verzeichnet als ebenfalls durch ein Basisadjektiv und Basisverb motivierte Bildung nur das Lexem frewd. Die Arbeiten von Gersbach/Graf (1984/85: 257) und
II.2.2. Transposition
509
2. Abstrakta mit Basisverb und Basissubstantiv Drei mit -schaft5 gebildete Lexeme (erbeschaft1, gewerschaft11, werschaft1) können gleichzeitig auf ein Basissubstantiv und ein Basisverb bezogen werden. 3. Abstrakta mit Basissubstantiv und Basisadjektiv Nur das Abstraktum eigenschaft (-schaft11) kann durch ein Basisadjektiv und -substantiv motiviert werden. II.2.2.2. Agentivbildungen Agentivbildungen bezeichnen das Subjekt einer verbalen, adjektivischen oder substantivischen Prädikation. Bei fünf Lexemen ist die Basis ein Zahlwort. Diese Gruppe könnte auch innerhalb der Adjektive behandelt werden.14 Das Agens der Bildungen kann eine Person oder Personengruppe (z.B. nâchkomelinc), eine Sache (z.B. gieze ›Fluss-/Bachlauf‹) oder auch eine Handlung (bôsheit) oder Situation (heimelîcheit ›freundschaftliche Übereinkunft, Bündnis‹) sein. Motivationsbasen der Agentivbildungen Substantiv Verb Doppelmotivation Adjektiv Zahlwort Gesamt
Lexeme Anzahl Prozent 191 40,1 190 39,9 47 9,9 43 9,0 5 1,1 476
Anzahl 1695° 11840° 889° 1183° 14 15621°
Belege Prozent 10,9 75,8 5,7 7,6 0,1
Tabelle II.2.2.2.1. Übersicht über die Wortbildungsbasen der Agentivbildungen
Wie die Gesamtdarstellung zu den Agentivbildungen zeigt, überwiegen im Korpus Bildungen mit desubstantivischer Basis. Da zu Ortsnamen gebildete appellative Personenbezeichnungen nicht aufgenommen werden konnten – sie sind nicht im Lexembestand des WMU erfasst – ist von _____________ 14
DW (1975: 306f.) berücksichtigen als doppelmotivierte Abstrakta nur Bildungen mit Fremdsuffix (vgl. Müller ebda. und Anm. 21). Vgl. Brendel et al. (1997: 364f.).
II.2. Onomasiologische Darstellung
510
einer noch weitaus größeren Menge desubstantivisch gebildeter Lexeme auszugehen. Der erfasste Bildungsbestand macht 40,1% aus und liegt somit immer noch knapp vor den Deverbalia (39,9%), deren Belegmenge jedoch die der Desubstantiva um mehr als 10000 übertrifft. Erstaunlich groß ist die Zahl doppelmotivierter Bildungen. Dies liegt daran, dass ich bei der Ermittlung der Motivationsbasen grundsätzlich immer dann von Doppelmotivation ausgehe, wenn diese semantisch und aufgrund der Motivationsdichte plausibel scheint. Hinter den doppelmotivierten Bildungen liegen die deadjektivischen Agentiva (9,0%). Die Bildungen mit Basiszahlwort (1,1%) stellen eine seltene Ausnahme dar. II.2.2.2.1. Desubstantivische Agentiva Bei desubstantivischen Agentiva muss die Paraphrase neben dem Basissubstantiv ein geeignetes Paraphraseverb aufweisen. Die Substantivbildungen lassen sich in bestimmte Gruppen zusammenfassen, die mittels einer begrenzten Anzahl Verben paraphrasiert werden können. Ich unterscheide im Folgenden -er(e)1a ›jmd., der BS besitzt/etw. mit BS tut/ in, an BS tätig ist‹ (z.B. apotêker), -er(e)1b ›jmd., der BS herstellt/macht‹ (z.B. wagener), -er(e)1c ›jmd., der zu BS gehört/in BS wohnt‹ (z.B. spitâlære) und -er(e)1d ›jmd., der im Zustand von BS ist‹ (æhter). Bei den nur zwei eindeutig desubstantivischen Agentiva (hirte, lamparte) unter -e10 (›jmd., der etw. mit BS tut/aus BS stammt‹) wurde nicht weiter unterschieden. Lexeme -er(e)1a -er(e)1b -er(e)1c -er(e)1d -e10 Gesamt
Anzahl 93 90 4 2 2 191
Belege Prozent 48,7 47,1 2,1 1,0 1,0
Anzahl 1152° 464 51 17 11 1695°
Prozent 68,0 27,4 3,0 1,0 0,6
Tabelle II.2.2.2.1.1. Die Derivationstypen der desubstantivischen Agentiva im Urkundenkorpus
Die Bildung desubstantivischer Subjektbezeichnungen stellt ganz klar die Domäne des Suffixes -er(e)1 dar. Mit nur zwei Bildungen (hirte, lamparte) bleibt -e innerhalb dieses Bildungstyps in seiner Bedeutung marginal. Dies bestätigt sich auch in den drei Vergleichskorpora15, in denen -e überhaupt nicht vertreten ist, -er(e)/-er aber jeweils, wenn auch nicht glei_____________ 15
Vgl. Müller (1993a: 442), Gersbach/Graf (1984/85: 268, 278f.), DW (1975: 413f.). Die in Gersbach/Graf gesondert behandelten Soziativa und Lokativa sind in der vergleichenden
II.2.2. Transposition
511
chermaßen absolut wie in der Urkundensprache, die Spitzenposition einnimmt (s. unten). Auch wenn die in den Arbeiten zum Nhd. als eigene Suffixe behandelten Bildungen auf -ler und -ner mit -er(e)/-er zusammengefasst werden (Werte in Klammern), bleibt der Gesamtanteil deutlich unter dem Niveau der Dürer- bzw. Urkundensprache. Im Vergleich zeigt sich als ein für die Gegenwartssprache kennzeichnendes Merkmal, dass die Anzahl der an diesem Bildungstyp beteiligten Suffixe jeweils erheblich höher ist als bei Dürer oder in den Urkunden. K-Urk (Suffixe: 2) 99,0 1,0
-er(e)/-er -e
K-Dü (2) 96,3 -
K-Ggespr. (7) 63,2 (82,3) -
K-Ggeschr. (13) 37,4 (62,4) -
Tabelle II.2.2.2.1.2. Die Derivationstypen der desubstantivischen Agentiva im diachronen Vergleich
II.2.2.2.2. Deverbale Agentiva Lexeme -er(e)2 -e3 -el1 -(e)de5 -unge5 -t3 -linc3 -sal3 Gesamt
Anzahl 135 36 7 4 3 3 1 1 190
Belege Prozent 71,1 18,9 3,7 2,1 1,6 1,6 0,5 0,5
Anzahl 3344° 7049° 67 6 1182° 45 145° 2 11840°
Prozent 28,2 59,5 0,6 0,1 10,0 0,4 1,2 0,0
Tabelle II.2.2.2.2.1. Die Derivationstypen der deverbalen Agentiva im Urkundenkorpus
Die vergleichende Darstellung zeigt die Verteilung der Derivationstypen bei Agentiva mit Basisverb. Deutlich hebt sich das Suffix -er(e)2 als dominierendes Wortbildungsmittel hervor. Mit einem Anteil von 71,1% übertrifft es das zweithäufigste Suffix -e3 (18,9%) um über 52%. Das Suffix -el1 bildet ausschließlich Personenbezeichnungen, die zwar insgesamt 50% der -el-Bildungen stellen, auf den gesamten Bildungstyp gesehen jedoch nur 3,7% ausmachen. Die deverbalen Agentiva auf -er(e)2 sind bis auf zwei _____________ Darstellung mit den Subjektbezeichnungen verrechnet. Die in DW in Tun-, HabenPrädikation, Raum- und Gruppenzugehörigkeit eingeordneten Bildungen werden ebenfalls für den Vergleich zusammengefasst, Komposita werden aus der Gesamtdarstellung ausgeschlossen.
II.2. Onomasiologische Darstellung
512
Fälle (anwender und liuhtære) ausnahmslos Personenbezeichnungen. 22,2% (acht Lexeme) der -e3-Derivate stellen Sachbezeichnungen dar. Marginal sind an diesem Derivationstyp auch die Suffixe -(e)de5, -unge5, -t3, -linc3 und -sal3 beteiligt, deren Anteil zusammen nur 6,3% beträgt. Innerhalb der Bildungen auf -(e)de5, -unge5 und -t3 sind jeweils Sach- und Personenbezeichnungen belegt. Die einzige -linc-Bildung (nâchkomelinc) ist eine Personenbezeichnung, das sekundäre Agentivum sûmesal/-seli2 hat ein sächliches Denotat. Suffix -er(e)/-er -e -el -(e)de/-d(e) -unge/-ung -t -linc/-ling -sal Gesamt
K-Urk (Suffixe: 8) 71,1 18,9 3,7 2,1 1,6 1,6 0,5 0,5 100,0
K-Dü (7) 55,8 14,0 2,3 18,6 4,7 95,4
K-Ggespr. (8) 70,3 7,3 11,6 89,2
K-Ggeschr. (13) 75,6 2,9 5,0 2,4 85,9
Tabelle II.2.2.2.2.2. Die Derivationstypen der deverbalen Agentiva im diachronen Vergleich
Der Vergleich mit dem Dürer-Korpus und den Korpusuntersuchungen zur Gegenwartssprache16 zeigt, dass -er(e)/-er auch in den Vergleichskorpora das primäre Mittel zur Ableitung deverbaler Agentiva darstellt. Die Bedeutung des Suffixes -e innerhalb dieses Derivationstyps zeigt im diachronen Verlauf im Dürer-Korpus einen Einbruch um fast 5%, in der gesprochenen und der geschriebenen Gegenwartssprache ist -e nur noch jeweils mit einem Anteil von 7,3% und 2,9% repräsentiert. Das Suffix -el, das im Urkundenkorpus weit hinter -er(e) und -e den dritten Platz belegt, ist in den anderen Korpora nicht mehr in agentiver Funktion nachgewiesen. Andererseits kann für das Suffix -unge/-ung im Dürer-Korpus und in der gesprochenen Gegenwartssprache ein deutlicher Zuwachs verzeichnet _____________ 16
Vgl. Müller (1993a: 434), Gersbach/Graf (1984/85: 260, 263) und DW (1975: 372). Für den Vergleich mussten die in den jeweiligen Arbeiten angegebenen Prozentwerte neu berechnet werden. Nullableitungen wurden nicht berücksichtigt, ebenso sind die in DW verzeichneten Konversions-, Kompositionsund Suffixoidbildungen nicht mitaufgenommen worden. Die von Gersbach/Graf getrennt behandelten primären und sekundären Agentiva sind unter den genannten Kriterien zusammengefasst worden. Zwischen femininen, maskulinen und neutralen -e-Bildungen wird ferner nicht unterschieden, Zirkumfixbildungen mit Ge-...-0/-e sind ohne weitere Unterscheidung dem Suffix -e subsumiert.
II.2.2. Transposition
513
werden. In der Urkundensprache und auch in der geschriebenen Gegenwartssprache sind Agentiva auf -unge/-ung hingegen kaum von Bedeutung. Während im Dürer-Korpus insgesamt nur sieben Suffixe an der Bildung deverbaler Agentiva beteiligt sind – das Urkundenkorpus und die gesprochene Gegenwartssprache weisen acht Suffixe auf – lässt sich zur Gegenwartssprache hin eine Neuverteilung und für die geschriebene Gegenwartssprache insbesondere eine Diversifizierung der Bildungsmittel beobachten. Während bei Dürer drei der mhd. Suffixe nicht nachgewiesen sind, kommen zwei weitere (-ist, -nus) zur Verwendung. In der gesprochenen und geschriebenen Gegenwartssprache sind jeweils fünf und vier der in der Urkundensprache nachgewiesenen Suffixe nicht an diesem Typ beteiligt. In der geschriebenen Gegenwartssprache erweitert sich die Anzahl auf 13 Morpheme. Basisverb
Derivat -(e)de geteilide2 -
-unge samenunge° -
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
vleischeckel
-
-
-
-
zuogehœre
-
-
-
-er(e) anwender briuwer ledergerwer rihtære° samenære smelzer snitære stocwarter -
-e anwande briuwe bürge° geteile ledergerwe nâchkome° rihte21 smelze* snite* swertvürbe
tor warten
-
torwart[e]
verwesen
ver-/vor*/vürweser
verwese
vleischhacker -
anwanden briuwen borgen (ge)teilen leder gerwen nach komen rihten samenen17 smelzen snîden stoc warten swert vürben
vleisch hacken zuogehœren
-el bürgel stocwertel swertvürbel* torwartel, -wertel
zuogehœrde zuogehœrunge
-t -linc nâchkunft nâchkomelinc° -
Tabelle II.2.2.2.2.3. Deverbale Agentiva: konkurrierende Lexeme
In insgesamt 16 Fällen lassen sich Konkurrenzbildungen nachweisen. Siebenmal konkurrieren die frequentesten Suffixe -er(e)2 und -e3, dreimal -e3 und -el1 und zweimal -er(e)2 und -el1. Die anderen Paarungen und Gruppen weisen jeweils nur eine Kombination auf. Dazu folgende Übersicht: _____________ 17
Die Lexeme samenære und samenunge sind nur hinsichtlich ihrer Wortbildungsfunktion identisch. Lexikalisch besteht keine Konkurrenz.
II.2. Onomasiologische Darstellung
514
-er(e) : -e (7) -e : -el (3) -er(e) : -el (2) -er(e) : -unge (1) -e : -(e)de (1)
-e : -t : -linc (1) -e : -(e)de : -unge (1)
Tabelle II.2.2.2.2.4. Deverbale Agentiva: Übersicht über die an Konkurrenzbildungen beteiligten Derivationstypen
II.2.2.2.3. Deadjektivische Agentiva Lexeme -heit2 -e7 -(e)de3 -linc1a -ling1b -schaft7 -ôt/-ât2 -tuom4 -unge9 Gesamt
Anzahl 16 10 5 3 1 3 3 1 1 43
Belege Prozent 37,2 23,3 11,6 7,0 2,3 7,0 7,0 2,3 2,3
Anzahl 559° 118 280° 197° 1 23 12 1 1 1192°
Prozent 46,9 9,9 23,5 16,5 0,1 1,9 1,0 0,1 0,1
Tabelle II.2.2.2.3.1. Die Derivationstypen der deadjektivischen Agentiva im Urkundenkorpus
Die Zahl deadjektivischer Agentiva bleibt mit insgesamt 43 Bildungen verhältnismäßig klein. Wie zu erwarten, stellt das Suffix -heit2 mengenmäßig zu diesem Bildungstyp die meisten Derivate, aber auch die Suffixe -e7 und -(e)de3 sind mit 23,3% und 11,6% gut repräsentiert. Mit nur vier Bildungen kann auch -linc1 noch 9,3% und -schaft7 und -ôt/-ât2 können mit je drei Lexemen einen Bildungsanteil von jeweils 7,0% erreichen. -tuom4 und -unge9 sind nur mit jeweils einer Bildung vertreten. Im Vergleich mit der Dürer-Sprache und dem Gegenwartsdeutschen18 (vgl. folgende Übersicht) wird deutlich, dass -heit, das Primärsuffix zur Bildung deadjektivischer Abstrakta, außer im Dürer-Korpus stets die meisten zu Adjektiven gebildeten Agentiva stellt. Aufgrund der fachsprachlichen Ausrichtung der Dürer-Texte, in denen zahlreiche Qualitäts- und _____________ 18
Vgl. Müller (1993a: 439), Gersbach/Graf (1984/85: 261, 265f.) und DW (1975: 337). Die von Gersbach/Graf getrennt behandelten primären und sekundären deadjektivischen Subjektbezeichnungen sind für den Vergleich zusammengelegt worden. Die von DW in die Übersicht aufgenommenen Komposita auf -zeug bleiben in der obigen Übersicht unberücksichtigt.
II.2.2. Transposition
515
Quantitätsangaben auf -e verwendet werden, rückt -heit hier an die zweite Position. Im Urkundenkorpus und im Korpus der gesprochenen Gegenwartssprache nimmt das Suffix -e den zweiten Rang ein. In der geschriebenen Gegenwartssprache wird dieser von -iker belegt, während -e nach -linc/-ling an die vierte Position rückt. -(e)de/-d(e) und -schaft sind als deadjektivische Agentiva ausschließlich im Urkundenkorpus nachgewiesen. Die Vergleichskorpora buchen sie nicht. -tuom/-tum und -unge/-ung kommen in dieser Funktion daneben nur noch bei Dürer vor, -tuom/-tum sogar mit einem mehr als doppelt so hohen Prozentanteil wie im Urkundenkorpus. Die Anzahl der an diesem Bildungstyp beteiligten Wortbildungsmorpheme ist im Großen und Ganzen relativ konstant. Auch hier zeigt jedoch die geschriebene Gegenwartssprache mit neun Suffixen das am meisten diversifizierte System. Suffix -heit -e -(e)de/-d(e) -linc/-ling -schaft -ôt/-ât -tuom/-tum -unge/-ung Gesamt
K-Urk (Suffixe: 8) 37,2 23,3 11,6 9,3 7,0 7,0 2,3 2,3 100,0
K-Dü (5) 30,8 59,0 2,6 -
K-Ggespr. (6) 44,4 33,3 11,1 -
K-Ggeschr. (9) 44,4 8,7 10,4 -
5,1 2,6 100,1
88,8
63,5
Tabelle II.2.2.2.3.2. Die Derivationstypen der deadjektivischen Agentiva im diachronen Vergleich
Wie die folgende Übersicht zeigt, bleibt bei insgesamt nur 43 Lexemen die Anzahl der Konkurrenzbildungen erwartungsgemäß relativ gering. Es kommt jeweils einmal zu konkurrierenden Bezeichnungen zwischen -e7 und -ôt/-ât3, -heit2 und -linc1, -e7, -(e)de3 und -schaft7, -heit2, -(e)de3 und -unge9 und schließlich -e7 und -(e)de3. Basisadjektiv eben edel gemeine gewon hôch
-heit2 edelkeit gewonheit -
-e7 eben/e gemeinsam(e)1 hœhe2
Derivate -(e)de3 -linc1 edelinc gemeinde° gewonde hœhte1 -
-schaft7 gemeinschaft -
-unge9 gewonunge -
-ôt/-ât3 ebenôte -
Tabelle II.2.2.2.3.3. Deadjektivische Agentiva: Übersicht über konkurrierende Lexeme
516
II.2. Onomasiologische Darstellung
II.2.2.2.4. Agentiva mit Basiszahlwort Insgesamt fünf Lexeme sind zu einem Basiszahlwort gebildet. Die Bildungen sind allesamt als Agentiva zu bewerten, die Wortbildungsparaphrasen sind jedoch nicht identisch. Sie reichen von ›BZ-ter Teil von etw.‹ (-linc2) über ›etw., das den Wert BZ hat‹ (-er(e)8) bis ›einer von BZ‹ (-er(e)9). Lexeme -linc2 -er(e)8 -er(e)9 Gesamt
Anzahl 3 1 1 5
Belege Prozent 60,0 20,0 20,0
Anzahl 12 1 1 14
Prozent 85,7 7,1 7,1
Tabelle II.2.2.2.4.1. Die Derivationstypen der Agentiva mit Basiszahlwort im Urkundenkorpus
Auch in den Vergleichskorpora sind Agentivbildungen mit einem Basiszahlwort nachweisbar. Müller (1993a: 444) verzeichnet eine -lingBildung (zwiling), im Korpus der gesprochenen Gegenwartssprache weisen Gersbach/Graf (1984/85: 271) eine Bildung mit dem Suffix -er nach. Im DW-Korpus (1975: 395) finden sich 18 Sachbezeichnungen auf -er und innerhalb einer Restgruppe Personenbezeichnungen auf -ling (a.a.O.: 86f.). II.2.2.2.5. Doppelmotivierte Agentiva 1. Agentiva mit Basisverb und Basissubstantiv Lexeme -er(e)3 -e8 -el3 Gesamt
Anzahl 36 5 2 43
Belege Prozent 83,7 11,6 4,7
Anzahl 853° 21 2 876°
Prozent 97,4 2,4 0,2
Tabelle II.2.2.2.5.1. Die Derivationstypen doppelmotivierter Agentiva im Urkundenkorpus (Basisverb und Basissubstantiv)
Eine Reihe von Lexemen betrachte ich formal als durch ein Basisverb und ein Basissubstantiv doppelmotiviert. Aufgrund des hohen Anteils desubstantivischer Bildungen bei -er(e)3 ist es nicht verwunderlich, dass das Suffix auch hier die meisten Lexeme stellt. Bemerkenswert sind jedoch die
II.2.2. Transposition
517
Bildungen auf -e8 und -el3, da -e bei den Agentiva nur zwei Bildungen mit Basissubstantiv aufweist und -el mit Basissubstantiv nur hier auftritt. In der Arbeit von Gersbach/Graf (1984/85: 269f.) werden vergleichbare Bildungen ebenfalls als doppelmotiviert behandelt. Auch in der gesprochenen Gegenwartssprache ist -er das Suffix mit den meisten doppelmotivierten Bildungen (87,5%), während zwei weiteren Suffixen (-ent (-ant) und -eur) insgesamt 12,5% zukommen. Die Verteilungsverhältnisse in der Urkundensprache sind also durchaus mit den Ergebnissen von Gersbach/Graf vergleichbar. Müller (1993a: 445) verzeichnet fünf durch Basisverb und Basissubstantiv doppelmotivierte Bildungen. In drei Fällen können Konkurrenzbildungen beobachtet werden. Interessanterweise sind beide -el3-Bildungen daran beteiligt. BV/BS gelten, gelt klagen, klage koufen, kouf
-er(e)3 geltære klager° -
-e8 gelte koufe
-el3 klegel köufel
Tabelle II.2.2.2.5.2. Doppelmotivierte Agentiva (Basisverb und Basissubstantiv): Übersicht über konkurrierende Lexeme
2. Agentiva mit Basisverb und Basisadjektiv -e13 -heit9 -(e)de13 Gesamt
Lexeme 1 1 1 3
Belege 9 2 1 12
Tabelle II.2.2.2.5.3. Doppelmotivierte Agentiva (Basisverb und Basisadjektiv): Übersicht über konkurrierende Lexeme
Drei Lexeme können durch ein Basisverb und ein Basissubstantiv motiviert werden. Darunter die Konkurrenzbildungen smâcheit und smæhede. 3. Agentiva mit Basisadjektiv und Basissubstantiv Einzig das Lexem heimelîchære (-er(e)6, ein Beleg) kann durch ein Adjektiv und ein Substantiv motiviert werden.
II.2. Onomasiologische Darstellung
518
II.2.2.3. Patientivbildungen Patientivbildungen bezeichnen in der Regel das Objekt einer verbalen Prädikation. Drei Bildungen im Korpus können jedoch als Patientivbildungen mit substantivischer Basis klassifiziert werden. Patientiva bezeichnen ›das, was jmd. tut/was getan wird‹. Motivationsbasen der Patientivbildungen Verb Substantiv Gesamt
Lexeme Anzahl Prozent 114 97,4 3 2,6 117
Belege Anzahl 5319° 5 5324°
Prozent 99,9 0,1
Tabelle II.2.2.3.1. Übersicht über die Wortbildungsbasen der Patientivbildungen
II.2.2.3.1. Patientiva mit Basisverb
-e2 -unge2 -t2 -(e)de2 -nisse2 -schaft8 -heit8 -er(e)5 -sami6 Gesamt
Lexeme Anzahl Prozent 41 36,0 27 23,7 17 14,9 13 11,4 10 8,8 3 2,6 1 0,9 1 0,9 1 0,9 114
Belege Anzahl 3743° 390° 584° 517° 13 8 41° 19 4 5319°
Prozent 70,4 7,3 11,0 9,7 0,2 0,2 0,8 0,4 0,1
Tabelle II.2.2.3.1.1. Die Derivationstypen der Patientiva im Urkundenkorpus
Die deverbalen Patientiva sind im Urkundenkorpus durch neun Derivationstypen repräsentiert. Interessanterweise stellt diese Funktion bei den fünf am häufigsten verwendeten Derivationstypen neben der abstrakten die zweithäufigste Verwendung dar. Die meisten Patientivbildungen sind im Korpus durch -e2 repräsentiert und nehmen auch hinsichtlich der Belegzahlen eindeutig die Spitze ein. Mit einigem Abstand findet sich an zweiter Stelle -unge2, gefolgt vom Mittelfeld mit -t2, -(e)de2 und -nisse2. Während mit -unge2 und -nisse2 ausschließlich intellektuelle Inhalte benannt werden, dienen die -e2-Bildungen in immerhin rund 41,5% aller Fälle dazu, konkrete Gegenstände zu bezeichnen. Am höchsten ist der Anteil konkre-
II.2.2. Transposition
519
ter Inhalte bei -t2 (58,8%), bei -(e)de2 beträgt er 23,1%. Die verbleibenden Derivationstypen von -schaft8 bis -sami6 sind für diesen Funktionstyp nur von geringer Relevanz. Wie die jeweiligen Indizes andeuten, kommt dieser Funktion auch innerhalb der Suffixpolysemie nur eine Randbedeutung zu. In der Gegenüberstellung mit den Vergleichskorpora19 zeigt sich, dass auch in diesen -e und -unge/-ung die ranghöchsten Positionen einnehmen. Wie in der Urkundensprache liegt auch in der gesprochenen Gegenwartssprache -e vor -ung, während -ung in der geschriebenen Gegenwartssprache mit 12,6% und aufgrund fachsprachlicher Prägungen bei Dürer besonders deutlich mit 28,7% vor den -e-Bildungen liegt. Abnehmende Tendenz zeigt die Verwendungshäufigkeit mit Dentalsuffix gebildeter Patientiva, die in den Dürer-Texten zusammen nur noch 8,2% des Gesamtanteils ausmachen und in den Korpora des Neuhochdeutschen gar nicht mehr auftreten. Im unteren mittleren Bereich ist jeweils der Derivationstyp -nisse/-nis anzusiedeln, im Urkundenkorpus erfährt er jedoch seine deutlichste Ausprägung. -schaft ist in dieser Bezeichnungsfunktion sowohl in den Urkunden als auch im Korpus der geschriebenen Gegenwartssprache nachgewiesen. Ein deutlicher Zuwachs ist zur Gegenwartssprache hin bei patientiven -er(e)/-er-Bildungen zu verzeichnen. Dieser Typ ist in den Urkunden nur mit einer Bildung (marterære) belegt. -e -unge/-ung -t -(e)de/-d(e) -nisse/-nis -schaft -heit -er(e)/-er -sami Gesamt
K-Urk (Suffixe: 9) 36,0 23,7 14,9 11,4 8,8 2,6 0,9 0,9 0,9 100,1
K-Dü (8) 28,8 57,5 8,2 2,7 97,2
K-Ggespr. (9) 42,4 38,0 5,4 4,3 78,1
K-Ggeschr. (12) 23,3 35,9 3,9 1,4 6,0 70,5
Tabelle II.2.2.3.1.2. Die Derivationstypen der Patientiva im diachronen Vergleich
_____________ 19
Vgl. Müller (1993a: 449), Gersbach/Graf (1984/85: 280, 283) und DW (1975: 434). Aufgrund des unterschiedlichen methodischen Herangehens der Einzelarbeiten mussten die Prozentwerte für den Vergleich neu berechnet werden, sie unterscheiden sich daher von den Angaben in den jeweiligen Arbeiten. So bleiben Nullableitungen unberücksichtigt, ferner sind Zirkumfixbildungen mit ge- in der vergleichenden Darstellung innerhalb der jeweiligen Suffixe verrechnet. Bei Ge-...-0/-e-Bildungen wurde nicht weiter differenziert. Sie sind dem Suffix -e subsumiert. Die in DW aufgeführten Suffixoidbildungen bleiben ebenfalls unberücksichtigt.
II.2. Onomasiologische Darstellung
520
Die folgende Übersicht zeigt zur gleichen Basis gebildete Konkurrenzbildungen mit patientiver Bedeutung. Basisverb
Derivate -(e)de
-e
-unge
-t
bescheiden
bescheide2
bescheidunge2
-
-
bescheitnisse
-
besetzen erben erkennen gedingen geloben (ge)mache n (ge)schaffe n (ge)setzen (ge)werben
erbe2° gedinge2° gelübe1
besetzunge1 erkennunge -
-
-
-
erkantnisse2 gemechenisse2
erbeschaft2 -
-
besetzede* gedingede2 gelübede°1 gemechede1, gemechenze
-heit /-sami bescheidenheit22° -
-
-
-
-
geschaft
gescheffede°1
-
-
-
gesetze gewerb[e]1 grabe°, gruobe lade meine rihte1 satze*/ setze -
gesetzunge* -
gewerft
gesetzede1 -
-
-
-
-
graft
-
-
-
-
kündunge2 meinunge2 rehtunge2
last -
-
-
-
kuntsame2 -
satzunge1°
-
setzede
-
-
-
werunge2
-
-
-
werschaft3
-
graben künden laden meinen rehten setzen wêren
-nisse
-schaft
Tabelle II.2.2.3.1.3. Patientiva: Übersicht über konkurrierende Lexeme
Für die 17 Fälle von Konkurrenzbildungen ergibt sich folgender Befund: -e : -t (3) -e : -unge (2) -e : -schaft -e : -(e)de
-schaft : -(e)de -(e)de : -nisse
-unge : -sami -unge : -schaft -unge : -nisse -unge : -(e)de
-e : -unge : -(e)de (2) -e : -unge : -nisse : -heit
Tabelle II.2.2.3.1.4. Patientiva: Übersicht über die an Konkurrenzbildungen beteiligten Derivationstypen
II.2.2.3.2. Patientiva mit Basissubstantiv Lexeme -schaft10 -e15 Gesamt
Anzahl 2 1 3
Belege 3 2 5
Tabelle II.2.2.3.2. Die Derivationstypen der desubstantivischen Patientiva im Urkundenkorpus
II.2.2. Transposition
521
Neben dem Urkundenkorpus verzeichnen nur Brendel et al. (1997: 585) in ihrem Korpus diesen seltenen Bildungstyp, an dem in den Urkunden -schaft10 und -e15 mit insgesamt drei Bildungen beteiligt sind. Die Bildungen bot(e)schaft12 ›Nachricht, Botschaft‹, koufmanschaft2 ›Handelsware‹ und diube ›Diebesgut‹ können allerdings nicht mit einer einheitlichen Paraphrase erfasst werden. So ist die Wortbildungsbedeutung von koufmanschaft mit ›das, was der koufman verkauft‹, von bot(e)schaft mit ›das, was der bote bringt‹ und von diube2 mit ›das, was der diep in seinen Besitz gebracht hat‹ zu beschreiben. II.2.2.4. Instrumentativbildungen Lexeme -e5 -unge3 -el2 -sal2 -er(e)4 -(e)de11 -t5 Gesamt
Anzahl 21 11 4 2 2 1 1 42
Belege Prozent 50,0 26,2 9,5 4,8 4,8 2,4 2,4
Anzahl 776° 87° 12 6 3 4 3 891°
Prozent 87,1 9,8 1,3 0,7 0,3 0,4 0,3
Tabelle II.2.2.4.1. Die Derivationstypen der Instrumentativbildungen im Urkundenkorpus
Instrumentativa sind Bildungen zu Basisverben, die mittels der Paraphrase ›das, womit jmd./etw. tut‹ erfassbar sind. Sie bezeichnen das ›Instrument‹ einer Tätigkeit oder Handlung. Die instrumentative Bezeichnungsfunktion kann sowohl von konkreten Gegenständen (z.B. bliuwe, sege) als auch von Leistungen und Handlungen (z.B. bezzerunge, twancsal) getragen werden. Die Abgrenzung einer instrumentativen von einer abstrakten Verwendung eines Lexems gestaltet sich vor allem bei metonymischer Übertragung einer abstrakten Bedeutung in den Kontexten nicht immer einfach und bleibt bisweilen uneindeutig. Die Hälfte aller Instrumentativbildungen im Urkundenkorpus machen -e5-Derivate aus, etwas mehr als ein Viertel (26,2%) wird durch -unge3Bildungen gestellt. Mit 9,5% liegen -el2-Derivate an dritter Stelle, die verbleibenden vier Suffixe bleiben jeweils mit maximal zwei Bildungen unter 5%.
II.2. Onomasiologische Darstellung
522
-e -unge/-ung -el -sal -er(e)/-er -(e)de/-d(e) -t Gesamt
K-Urk (Suffixe: 7) 50,0 26,2 9,5 4,8 4,8 2,4 2,4 100,1
K-Dü (7) 24,4 41,5 19,5 2,4 87,8
K-Ggespr. (6) 32,3 27,3 3,0 34,3 96,9
K-Ggeschr. (6) 23,5 27,6 1,2 39,9 92,2
Tabelle II.2.2.4.2. Die Derivationstypen der Instrumentativbildungen im diachronen Vergleich
Im Vergleich mit dem Frnhd. bei Dürer und der Gegenwartssprache20 zeigt sich, dass es bei diesem Bildungstyp hinsichtlich der prozentualen Verteilung der Suffixe teilweise zu Veränderungen kommt. Allen Korpora ist gemeinsam, dass -e und -unge/-ung innerhalb der ersten drei Ränge vertreten sind. Anders als in der Urkundensprache und der gesprochenen Gegenwartssprache liegt -unge/-ung im Dürer-Korpus und in der geschriebenen Gegenwartssprache prozentual teils sehr deutlich vor -e. Schon im Dürer-Korpus deutet sich das Vordringen von -er(e)/-er (19,5%) in instrumentaler Verwendung an, das in beiden Korpora zum Gegenwartsdeutschen das am meisten verwendete Instrumentativsuffix darstellt und in der geschriebenen Gegenwartssprache mit 39,9% am deutlichsten an erster Stelle liegt. Für den instrumentativen Bildungstyp ist im Urkundenkorpus nur eine Konkurrenzpaarung (bliuwe : bliuwel) nachweisbar. II.2.2.5. Lokativbildungen Die als Lokativa klassifizierten Bildungen werden gebraucht, um den Ort einer Tätigkeit oder Handlung zu bezeichnen, oder sie werden als Benennungsgrößen für den Einfluss- und Wirkungsbereich einer Person verwendet. Die Paraphrasen lauten demzufolge ›Ort, wo jmd./etw. BV‹ oder ›Gebiet/Verwaltungsbereich von BS‹. _____________ 20
Vgl. Müller (1993a: 455), Gersbach/Graf (1984/85: 286f.), DW (1975: 450). Die Prozentwerte der jeweiligen Arbeiten wurden für den Vergleich neu berechnet. So wurden alle Nullableitungen ausgeschlossen und alle Zirkumfixbildungen den jeweiligen Suffixen zugeordnet, wobei zwischen ge-0/e-Bildungen nicht weiter unterschieden wurde und sie dem Suffix -e subsumiert sind. Die von Gersbach/Graf getrennt aufgeführten primären und sekundären Instrumentativa sind in der obigen Übersicht zusammengefasst worden. Die von Wellmann in seine Darstellung aufgenommenen Suffixoidbildungen und Komposita bleiben hier unberücksichtigt.
II.2.2. Transposition
Motivationsbasen der Lokativbildungen Verb Substantiv Doppelmotiviert Gesamt
523
Lexeme Anzahl 20 15 1 36
Belege Prozent 55,6 41,7 2,8
Anzahl 485° 427° 19 931°
Prozent 52,1 45,9 2,0
Tabelle II.2.2.5.1. Übersicht über die Wortbildungsbasen der Lokativbildungen
Die Mehrzahl der im Korpus belegten Lokativbildungen (55,6%) sind durch ein Basisverb motiviert. An zweiter Stelle stehen mit 41,7% desubstantivische Lexeme. Doppelmotivierte Bildungen scheinen für Lokativa untypisch zu sein. II.2.2.5.1. Deverbale Lokativa Lexeme -e6 -(e)de8 -unge7 -t4 Gesamt
Anzahl 12 3 3 2 20
Belege Prozent 60,0 15,0 15,0 10,0
Anzahl 459° 14 4 8 485°
Prozent 94,6 2,9 0,8 1,6
Tabelle II.2.2.5.1.1. Die Derivationstypen der deverbalen Lokativa im Urkundenkorpus
Der Bildungstyp der deverbalen Lokativa ist im Korpus am häufigsten durch das Suffix -e6 repräsentiert (60%). Das im Korpus mit etwa gleich vielen Lexemen wie -(e)de8 belegte Suffix -unge7 nimmt mit diesem zusammen zwar den zweiten Platz ein, beide liegen aber prozentual deutlich hinter -e6. Das Suffix -t4 ist lediglich mit zwei Lexemen (10%) an diesem Typ beteiligt. -e -unge/-ung -(e)de/-d(e) -t Gesamt
K-Urk (Suffixe: 4) 60,0 15,0 15,0 10,0 100,0
K-Dü (4) 14,3 35,7 35,7 85,7
K-Ggespr. (6) 45,5 31,8 9,1 86,4
K-Ggeschr. (6) 34,5 12,6 2,3 49,4
Tabelle II.2.2.5.1.2. Die Derivationstypen der deverbalen Lokativa im diachronen Vergleich
II.2. Onomasiologische Darstellung
524
Im Vergleich21 zeigt neben dem Urkundenkorpus einzig die gesprochene Gegenwartssprache ebenfalls -e-Bildungen am häufigsten in der Verwendung als deverbale Lokativa. Den geringsten Anteil diesbezüglich zeigt das Dürer-Korpus. In der geschriebenen Gegenwartssprache nehmen -eDerivate (nach -(er)ei) den zweiten Rang ein. Während in der geschriebenen Gegenwartssprache -t-Bildungen nur mit 2,3% an diesem Bildungstyp teilnehmen, kommt diesem Suffix in den anderen Korpora ein höherer Anteil zu, wenn auch die Anzahl der Bildungen im Urkundenkorpus mit zwei Derivaten gleich hoch ist wie im Korpus der geschriebenen Gegenwartssprache. -(e)de/-d(e)-Bildungen kommen nur im Urkundenkorpus in dieser Funktion vor. Nur in zwei Fällen werden in den Urkunden deverbale Lokativa als Konkurrenzbildungen benutzt. Beide Male konkurrieren -emit -unge-Bildungen (æze*/etze: atzunge, niderlege : niderlegunge). II.2.2.5.2. Desubstantivische Lokativa Die Anzahl desubstantivischer Lokativa ist im Urkundenkorpus mit nur 15 Bildungen gering, die Distribution dieser Funktion auf fünf Suffixe daher umso erstaunlicher. Lexeme -(er)îe/-eie1 -schaft4 -tuom2 -e11 -(e)de12 Gesamt
Anzahl 5 4 3 2 1 15
Belege Prozent 33,3 26,7 20,0 13,3 6,7
Anzahl 298° 111° 11 5 2 427°
Prozent 69,8 26,0 2,6 1,2 0,5
Tabelle II.2.2.5.2.1. Die Derivationstypen der desubstantivischen Lokativa im Urkundenkorpus
An erster Stelle steht mit einem Anteil von einem Drittel das Suffix -(er)îe/-eie1, gefolgt von -schaft4 mit 26,7%, -tuom2 (20%), -e11 (13,3%) und -(e)de12 (6,7%). Mit -(er)îe/-eie1, -schaft4 und -tuom2 werden stets Wirkungsbe_____________ 21
Vgl. Müller (1993a: 460), Gersbach/Graf (1984/85: 290f., 302, 304) und DW (1975: 452ff., 468). Die in den jeweiligen Arbeiten angegebenen Prozentwerte mussten, da Nullableitungen hier unberücksichtigt bleiben, neu berechnet werden. Die von Gersbach/Graf getrennt behandelten primären und sekundären deverbalen Lokative wurden für den Vergleich zusammengelegt, ferner wurden die nur in Restgruppen verzeichneten lokalen -(s)t und -nisBildungen in die vergleichende Darstellung aufgenommen. Die in DW als Nullableitungen klassifizierten Bildungen Ausfahrt und Einfahrt (S. 456) sind in der obigen Tabelle als -(s)tDerivate verbucht.
II.2.2. Transposition
525
reiche von Adeligen (z.B. herzogentuom), Geistlichen (nur -(er)îe/-eie, z.B. abbeteie) oder weltlichen Verwaltungspersonen (z.B. meierschaft) bezeichnet. -(er)îe/-eie/-(er)ei -schaft -tuom/-tum -e -(e)de-/-d(e) Gesamt
K-Urk (Suffixe: 5) 33,3 26,7 20,0 13,3 6,7 100,0
K-Dü -
K-Ggespr. (3) 90,9 4,5 95,4
K-Ggeschr. (4) 68,6 7,8 9,8 86,2
Tabelle II.2.2.5.2.2. Die Derivationstypen der desubstantivischen Lokativa im diachronen Vergleich
Im Vergleich wird ersichtlich, dass das Suffix mhd. -(er)îe/-eie, nhd. -(er)ei im Gegenwartsdeutschen22 in dieser Funktion stark an Bedeutung gewinnt, während -schaft und -tuom/-tum nur noch mit deutlich geringeren Prozentanteilen auftreten, -schaft in dieser Verwendung sogar nur noch im Korpus der geschriebenen Gegenwartssprache (als Restgruppe) belegt ist. Wie sich zeigt, verringert sich in den Korpora der Gegenwartssprache im Vergleich zum Urkundenkorpus geringfügig die Zahl der beteiligten Derivationstypen. Während die mhd. noch peripher verwendeten Suffixe -e und -(e)de im Nhd. nicht mehr auftreten, kommt als neues Bildungsmorphem lediglich -(i)at hinzu. Als konkurrierende Lexeme kommen im Korpus nur meierschaft und meiertuom vor. II.2.2.5.3. Doppelmotivierte Lokativa Nur die Bildung vischenze1 (19 Belege), die ich innerhalb der -(e)deBildungen (-(e)de10) behandle, erweist sich als durch ein Basisverb und -substantiv doppelmotiviert. In der gesprochenen deutschen Gegenwartssprache23 finden sich ausschließlich durch Verb und Substantiv doppelmotivierte -(er)ei-Bildungen.
_____________ 22
23
Vgl. Gersbach/Graf (1984/85: 294) und DW (1975: 468). Die bei Gersbach/Graf und in DW gesondert behandelten Indizes -(er)ei4 (›Ort, wo BS arbeitet, wohnt, lebt‹) und -(er)ei8 (›Ort, wo BS hergestellt wird‹) werden für den Vergleich zusammengefasst. Die in DW in der Übersicht behandelten Komposita auf -werk bleiben unberücksichtigt. Vgl. Gersbach/Graf (1984/85: 191, 295f.).
II.2. Onomasiologische Darstellung
526
II.2.3. Idiofunktionale Bildungen Die hier behandelten Bildungen sind alle zu einem Basissubstantiv gebildet. Aus Sicht der Wortbildung stellen sie einen Sonderfall dar. Im Gegensatz zu idiomatisierten Bildungen, die synchron-semantisch nicht mehr durch ihre Wortbildungsbasen motiviert sind, sind Idiofunktionalia voll durchsichtige und semantisch motivierte Bildungen. Anders als Modifikations- und Transpositionsbildungen sind sie aber nicht funktional klassifizierbar, sondern stellen reine Varianten der Basis dar. Lexeme -unge4 -(e)de4 -schaft6 -heit5 -in(ne)2 -el4 -sami5 -e14 -nisse4 -sal4 -ôt/-ât4 Gesamt
Anzahl 6 4 3 3 1 1 1 1 1 1 1 23
Belege Prozent 26,1 17,4 13,0 13,0 4,3 4,3 4,3 4,3 4,3 4,3 4,3
Anzahl 34 13 25 6 800° 81 8 3 1 1 1 973°
Prozent 3,5 1,3 2,6 0,6 82,2 8,3 0,8 0,3 0,1 0,1 0,1
Tabelle II.2.3.1 Die Derivationstypen idiofunktionaler Bildungen im Urkundenkorpus
Mit nur 23 Bildungen ist die Zahl der Idiofunktionalia klein. Mit 26,1% kommt dieser Bildungstyp am häufigsten bei den -unge4-Derivaten vor. An zweiter Stelle stehen mit 17,4% -(e)de4-Bildungen, -schaft6 und -heit5 belegen zusammen Rang drei (je 13,0%). Die restlichen Derivationstypen sind nur jeweils mit einem Lexem (je 4,3%) an den Idiofunktionalia beteiligt. Die in idiofunktionaler Funktion verwendeten Suffixe können sowohl an Abstrakta (z.B. irresalunge, bruchnisse) als auch an Konkreta (z.B. lêhenschaft, geteilide) treten. Bis auf -el und -in(ne) treten alle Derivationstypen primär als Abstraktsuffixe auf. -el ist primär ein Agentivsuffix, -in(ne) ein Motionssuffix. DW (1975: 206ff.) und Gersbach/Graf (1984/85: 241ff.) behandeln Bildungen dieses Typs als Anhang zu den Modifikationsbildungen, da sie mit ihnen das Merkmal ›Weglassbarkeit des Affixes‹ gemeinsam haben. Hinsichtlich der Suffixbildungen zeigt auch das Korpus der gesprochenen Gegenwartssprache die meisten Lexeme bei -ung (4), gefolgt von -schaft mit
II.2.4. Zusammenfassung zu Transposition und Modifikation
527
drei Lexemen. Weitere Gemeinsamkeiten bestehen mit dem Urkundenkorpus nicht. Da DW keine Frequenzangaben bietet und nur die häufigsten Bildungen aufnimmt, kann lediglich ein qualitativer Vergleich erfolgen, der zeigt, dass wie in den Urkunden auch in der geschriebenen Gegenwartssprache u.a. -schaft, -ung und -nis an diesem Bildungstyp beteiligt sind. Für die Dürer-Sprache weist Müller (1993a: 468) insgesamt sechs Derivationstypen nach, die wir für den Vergleich berücksichtigen können. Darunter findet sich -ung mit vier Lexemen gleichhäufig belegt wie -in. Des Weiteren sind wie im Urkundenkorpus -(e)l (3), -nus (2) und -schaft (2) nachweisbar. Das von Müller als g(e)-t/d(e)-Bildung klassifizierte geuerd wäre nach meinen Kriterien als -(e)de-Bildung zu behandeln. Beim Vergleich des Urkundenkorpus mit Gersbach/Graf und Müller zeigt sich die Gemeinsamkeit, dass in allen Materialbasen die Anzahl der idiofunktionalen Bildungen gering bleibt. Während das Korpus der gesprochenen Gegenwartssprache 14 Bildungen aufführt, steht das Dürer-Korpus mit 24 Bildungen an der Spitze.
II.2.4. Zusammenfassung zu Transposition und Modifikation Funktionsklasse nverteilung (Gesamt) Lokativa 2,6% Instrumentativa 3,0% Patientiva 8,4%
Agentiva 34,2%
Diminutiva 3,4%
Kollektiva 1,8% Motionsbildungen 5,2%
Abstrakta 41,3%
Abbildung II.2.4.1. Zusammenfassende Darstellung der Modifikations- und Transpositionsbildungen im Urkundenkorpus
528
II.2. Onomasiologische Darstellung
Die Übersicht zeigt die Verteilung aller Funktionsklassen hinsichtlich der Suffixwortbildung im Urkundenkorpus. Deutlich zeigt sich das Übergewicht der Transpositionsbildungen (89,5%) vor den Modifikationsbildungen. Abstrakta und Agentiva machen zusammen mehr als drei Viertel (75,5%) am Gesamtanteil aus, die restlichen drei zu den Transpositionsbildungen gehörenden Funktionsklassen erreichen zusammen nur 14,0%. Die Motionsbildungen liegen mit 5,2%, die Diminutiva mit 3,4% vor den Instrumentativbildungen und den Lokativa. Die Kollektiva liegen mit 1,8% an letzter Stelle.
II.3. Resümee Im Folgenden möchte ich die wesentlichen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit kurz zusammenfassen. Ich beginne mit der Beschreibung der für das Urkundenkorpus gewonnenen Daten hinsichtlich der Anzahl der Subtypen der Suffixderivation und gebe einen tabellarischen Überblick über die Distribution der Funktionsklassen für die Funktionstypen ›Transposition‹ und ›Modifikation‹. Im Anschluss daran werden ausgewählte Ergebnisse der semasiologischen und onomasiologischen Analyse mit den Daten anderer korpusbezogener Arbeiten zum Frnhd. und Nhd. verglichen. Am Schluss soll eine kurze abschließende Stellungnahme zum Urkundenkorpus respektive Wilhelm-Corpus als Ausgangsbasis sprachwissenschaftlicher, insbesondere natürlich wortbildungsbezogener Untersuchungen stehen. 1. Die Untersuchung des Urkundenkorpus ergab eine Anzahl von 18 Derivationstypen im Bereich der Suffixableitungen. Präfix- und Zirkumfixableitungen sind nicht Bestandteil der vorliegenden Arbeit. Rang 1 2 3 4 5 6 7 8
Funktionsklasse Abstrakta Agentiva Patientiva Motionsbildungen Diminutiva Instrumentativa Lokativa Kollektiva
Prozent 41,3% 34,2% 8,4% 5,2% 3,4% 3,0% 2,6% 1,8%
Tabelle II.3.1. Distribution der Funktionsklassen
Das System der Suffixableitungen besteht aus einem Kernbereich von drei Suffixen -er(e) (28,64%), -e (17,23%) und -unge (15,89%). Das große Mittelfeld formiert sich aus den sieben Derivationstypen -in(ne) (5,59%), -heit (5,51%), -(e)de (4,96%), -nisse (4,56%), -t (4,01%), -lîn (3,78%) und -schaft (3,7%). Die Peripherie des Suffixsystems besteht aus acht weiteren Suffixen, von denen die zwei meistbelegten nur einen Anteil von knapp über einem Prozent haben, die verbleibenden aber teils deutlich unter einem Prozent liegen.
530
II.3. Resümee
Für die funktionelle Verwendung der Suffixbildungen lässt sich feststellen, dass Bildungen des Funktionstyps ›Transposition‹ mit fast neun Zehntel Gesamtanteil deutlich gegenüber den Modifikationsbildungen dominieren. Unter den Transpositionsbildungen nehmen die grammatischen Abstrakta mit 46,2%, unter den Modifikationsbildungen die Motionsbildungen mit 50,0% jeweils den ersten Rang ein. Hinsichtlich der Distribution aller Funktionsklassen im Urkundenkorpus zeigt sich zwar auf den ersten drei Rängen ein deutliches Überwiegen des Funktionstyps der Transposition, Rang vier und fünf nehmen jedoch die modifizierenden Funktionsklassen der Motion und Diminution ein. Die ebenfalls zur Modifikation gehörenden Kollektiva belegen hingegen nach den Instrumentativa und Lokativa den letzten Platz. 2. Im diachronen Vergleich mit der Dürer-Sprache und der gesprochenen und geschriebenen Gegenwartssprache zeigt sich, dass der Suffixbestand vor allem an den Randbereichen Veränderungen erfährt. Die im Urkundenkorpus belegten Derivationstypen erreichen im Dürer-Korpus 98,25%, in der gesprochenen Gegenwartssprache 88,75% und in der geschriebenen Gegenwartssprache 79,61%. Die relativ große Divergenz des Urkundenkorpus mit dem Korpus der geschriebenen Gegenwartssprache erklärt sich durch den Umstand, dass die Urkundensprache fast ausschließlich indigene Wortbildungsmittel verwendet, während das geschriebene Neuhochdeutsche eine Vielzahl von Lehnsuffixen aufweist. Eine offensichtliche Abweichung zu den Vergleichskorpora stellen sicherlich jene Suffixe dar, die ausschließlich im Urkundenkorpus nachweisbar sind, wie z.B. das alem. -sami, -ach (vgl. aber nhd. -icht, DW 1975: 104, 174f.) und die schon im Frnhd. nicht mehr als Suffixe gewerteten -ôt/-ât. Ferner lassen sich für einige Suffixe (v.a. -(e)de, -nisse) deutliche Einbrüche in der Gebrauchshäufigkeit registrieren, die mit großer Wahrscheinlichkeit diachron motiviert sind. Berücksichtigt man nun nur die ersten zehn Ränge der Suffixe in den jeweiligen Vergleichskorpora, so zeigt sich, dass hinsichtlich des primären Bestandes auffällige Homogenität besteht. So besteht etwa zum DürerKorpus eine 100%-ige Übereinstimmung, zum Korpus der gesprochenen Gegenwartssprache und dem Würzburger Korpus beträgt sie 90%, zum Korpus der Erfurter Arbeitsgruppe 80% und lediglich zur geschriebenen Gegenwartssprache, die hier insgesamt eine deutlich eigenständige Suffixhierarchie aufweist, nur 50%. Der Vergleich der Suffixdistributionen gestaffelt nach Rängen zeigt neben Gemeinsamkeiten aber auch maßgebliche Unterschiede. Während in den Vergleichskorpora – mit Ausnahme der gesprochenen Gegenwartssprache – stets das Suffix -ung die ranghöchste Position einnimmt, zeigt die Urkundensprache an dieser Stelle das Suffix -er(e). -unge nimmt im
II.3. Resümee
531
Urkundenkorpus den dritten Rang ein, den in den meisten anderen Korpora -er belegt. -er(e) und -unge haben also im Urkundenkorpus die für andere Korpora typische Position ›getauscht‹. Dieses Ergebnis darf jedoch unter keinen Umständen als diachrone Entwicklungstendenz gedeutet werden. Die Dominanz des fast ausschließlich als Agentivsuffix fungierenden -er(e) ist ausschließlich auf textsortenimmanente Faktoren – die Vielzahl von Personennennungen in den Urkunden – zurückzuführen. Anders liegt der Fall bei den -e-Derivaten, die im Urkundenkorpus noch vor den -unge-Bildungen rangieren. Die Gebrauchshäufigkeit von -e nimmt im diachronen Vergleich deutlich ab, wenn es auch nach wie vor ein Bestandteil des Kernbereichs des Suffixsystems bleibt. Im DürerKorpus und in der gesprochenen Gegenwartssprache belegt -e Rang vier, in der geschriebenen Gegenwartssprache nur noch Rang sechs. Bei der Betrachtung der Ränge fünf bis zehn überwiegen – abgesehen von einzelnen Ausreißern – zwischen dem Urkundenkorpus, dem DürerKorpus und dem Korpus der gesprochenen Gegenwartssprache die Gemeinsamkeiten vor den Unterschieden. Alle drei genannten Korpora weisen hier die Suffixe -heit (Ränge: 5, 5, 6), -nisse/-nus/-nis (Ränge: 7, 6, 10), -t/-(s)t (Ränge: 8, 7, 8) und -schaft (Ränge: 10, 9, 9) auf. -(e)de/-d(e) führen hier nur das Urkunden- (Rang 6) und Dürer-Korpus (Rang 10), wobei sich hier schon eine diachrone Entwicklungstendenz, die Aufgabe der -(e)deBildungen andeutet, zumal sie auch in den anderen Korpora zum Frnhd. nicht unter den ersten zehn belegt sind. Als korpusspezifisch begründet sich hingegen die häufige Verwendung des Diminutivsuffixes -lein bei Dürer (Rang 2) und in der gesprochenen Gegenwartssprache (Rang 1), im Urkundenkorpus belegt es nur Rang 9. Wiederum als diachrones Merkmal kann die deutliche Zunahme der -(er)ei-Bildungen in den gegenwartssprachlichen Korpora gedeutet werden. In beiden liegt das Suffix innerhalb der ersten fünf Ränge. Im Urkundenkorpus zeigt sich dieses Suffix morphologisch noch in der Entstehung, Dürer verwendet es kaum (vier Lexeme). Im Folgenden möchte ich vergleichend auf einige Besonderheiten bei der Distribution der Suffixe nach Funktionsklassen eingehen. Im Bereich der Modifikation zeigt sich z.B., dass bei den Kollektivbildungen besonders die geschriebene Gegenwartssprache ein großes Inventar von Suffixen mit kollektiver Funktion aufweist, während bei Dürer und in der gesprochenen Gegenwartssprache nur vier, in der Urkundensprache nur fünf Suffixe in dieser Funktion nachweisbar sind. Außer -schaft und -heit (Dürer nur -schaft) decken sich die anderen in den Urkunden Kollektiva bildenden Suffixe (-ach, -sami, -(e)de) nicht mit denen der Vergleichskorpora.
II.3. Resümee
532
Hinsichtlich des Funktionstyps der Transposition zeigt sich für die deverbalen Abstrakta, dass die Dominanz des Suffixes -unge/-ung ungebrochen in allen Korpora nachweisbar ist. In der Urkundensprache zeigt sich jedoch ein insgesamt ausgeglicheneres Verhältnis der Abstraktsuffixe. Während -unge in keinem der Vergleichskorpora unter 50%, bei Dürer sogar einen Anteil von 70,2%, aufweist, liegt es im Urkundenkorpus mit 40,8% deutlich am Ende der Skala. Der Abstand zu anderen Abstraktsuffixen, darunter vor allem -e, das mit 21,8% im Korpusvergleich hier die höchste Gebrauchsfrequenz aufweist, -nisse (12,2%), -t (9,6%) und -(e)de (8,5%) ist somit in der Urkundensprache ausgeglichener als in den Vergleichskorpora. Seine höchste Deckung im Suffixinventar hat das Urkundenkorpus für diese Funktionsklasse mit der Dürer-Sprache. Im Bereich der deadjektivischen Abstrakta besteht hinsichtlich der prozentualen Verteilung der -heit- und -e-Derivate große Übereinstimmung zwischen dem Urkundenkorpus, dem Dürer-Korpus und der gesprochenen Gegenwartssprache. Beide Suffixe stellen unangefochten die primären Suffixe zu Ableitung deadjektivischer Abstrakta dar. Doch tritt in den zuletzt genannten Untersuchungen -heit noch deutlicher als Leitsuffix dieses Bildungstyps in den Vordergrund, während für -e eine leicht geringere Beteiligung zu verzeichnen ist. Während in der geschriebenen Gegenwartssprache1 -heit 66,6% aller Adjektivabstrakta bildet und hiermit an erster Stelle im Vergleich liegt, ist das Suffix -e mit nur 3,1% auffällig gering repräsentiert und liegt nur an sechster Stelle bei elf beteiligten Suffixen. Die Anzahl der an diesem Bildungstyp beteiligten Suffixe ist in der geschriebenen Gegenwartssprache am höchsten. Die anderen Korpora weisen sechs (gesprochene Gegenwartssprache), sieben (Dürer) oder neun (Urkundensprache) Suffixe auf, die sich im Kernbereich decken. Kennzeichnend für die diachrone Entwicklung desubstantivisch gebildeter Agentiva ist eine Diversifizierung und Neuverteilung im Suffixinventar die, wie die vorliegenden Ergebnisse vermuten lassen, vor allem nach dem Frnhd. einsetzt. Zeigen die Urkundensprache (-er(e), -e) und die Schriften Dürers (-er, -rich) nur zwei beteiligte Suffixe, steigt ihre Zahl in der gesprochenen Gegenwartssprache auf sieben, in der geschriebenen gar auf elf Suffixe an. Auch die Würzburger und Erfurter Arbeiten zum Frnhd. zeigen nie mehr als vier verschiedene Suffixe.2 _____________ 1 2
Vgl. DW (1975: 294). Da Kompositionsbildungen und Konversionen inklusive der Nullableitungen im Vergleich unberücksichtigt bleiben, unterscheiden sich die hier angegebenen Prozentwerte von den Angaben Wellmanns. Die funktionelle Auslastung (Indexierung) der Suffixe ist hier nicht berücksichtigt. Die in den genannten Arbeiten getrennt behandelten Suffixe -ler und -ner sind für den Vergleich als Varianten von -er gewertet.
II.3. Resümee
533
Anders stellt sich die Situation bei den deverbalen Agentiva dar. Während -er(e)/-er in allen Korpora Spitzenreiter bleibt – abgesehen vom Dürer-Korpus (55,8%) zeigen alle anderen Korpora über 70% – , nimmt hier der Anteil von -e vom Urkundenkorpus (18,9%) über Dürer (14,0%), die gesprochene (7,3%) und schließlich die geschriebene Gegenwartssprache (2,9%) kontinuierlich ab. Das Suffix -el, das zwar mit nur 3,7% weit hinter -er(e) und -e liegt, aber immerhin noch den dritten Platz einnimmt, liegt in agentiver Bezeichnungsfunktion nur im Urkundenkorpus vor. Bemerkenswert ist an dieser Stelle noch, dass das Suffix -unge/-ung besonders im Dürer-Korpus (18,6%) und in der gesprochenen Gegenwartssprache (11,6%) in agentiver Funktion vorliegt. In der Urkundensprache (1,6%) sind Agentiva auf -unge/-ung kaum von Bedeutung, in der geschriebenen Gegenwartssprache haben sie auch nur einen Anteil von 5,0%. Auch bei den deadjektivischen Agentivbildungen erweist sich die dominante Position des Suffixes -heit im diachronen Vergleich als relativ konstant. Nur im Dürer-Korpus zeigt sich hier eine deutliche Prävalenz von -e, das in den anderen Korpora ebenfalls gut repräsentiert ist und im Urkundenkorpus und in der gesprochenen Gegenwartssprache mit deutlichem Abstand zu den restlichen Suffixen den zweiten Rang einnimmt. Eine Gemeinsamkeit von Urkundensprache, gesprochener und geschriebener Gegenwartssprache ist der in etwa gleich hohe Anteil der -linc/-lingBildungen (9,3% – 11,1%), die im Dürer-Korpus mit 2,6% deutlich geringer ausgeprägt sind. Das im Urkundenkorpus an dritter Stelle liegende Suffixe -(e)de (12,5%) ist in den hier zum Vergleich herangezogenen Korpora nicht als Suffix zur Bildung deadjektivischer Agentiva belegt. Allen Korpora ist die Spitzenposition von -unge/-ung und -e bei patientiv verwendeten Lexemen gemein. Im Urkundenkorpus ist wie in der gesprochenen Gegenwartssprache -e frequenter als -unge/-ung. Der frequentielle Abstand zwischen beiden Suffixen ist in der Urkundensprache jedoch weit deutlicher ausgeprägt. Die für fachsprachliche Terminologie instrumentalisierten -ung-Bildungen Dürers nehmen wie in der geschriebenen Gegenwartssprache die erste Position vor -e ein, wenn auch mit deutlich größerem Abstand. Die Anzahl patientiv gebrauchter Suffixe bleibt im Vergleich der vier Korpora zahlenmäßig relativ konstant (acht bis zwölf). Ausgehend von unserem Korpus verändert sich jedoch der Suffixbestand vor allem im Bereich der Dentalsuffixe, die daneben nur die DürerSprache zeigt. Sind patientive -nisse-Bildungen in allen Korpora belegt, zeigt neben den Urkunden einzig die geschriebene Gegenwartssprache patientive Verwendung von -schaft-Bildungen. Ein interessanter Befund bezüglich der Instrumentativa ist der noch sehr geringe Anteil instrumentativ verwendeter -er(e)/-er-Ableitungen im Urkundenkorpus (4,8%). Mit dem Dürer-Korpus (19,5%) erfahren sie
534
II.3. Resümee
schon einen deutlichen Zuwachs. Ihr Anteil in der gesprochenen (34,3%) und geschriebenen (39,9%) Gegenwartssprache ist noch einmal beträchtlich erhöht. Der wesentliche Teil der instrumentativen Benennungsfunktion wird im Urkundenkorpus durch -e-Bildungen (50,0%) und in geringerem Maß (26,2%) durch -unge-Bildungen getragen, die auch in den Vergleichskorpora noch zweite und dritte Positionen einnehmen. Im Spitzenbereich der deverbalen Lokativbildungen bestehen die größten Übereinstimmungen zwischen der Urkundensprache und der gesprochenen Gegenwartssprache. Das Suffix -e ist in beiden Korpora deutlicher Spitzenreiter, gefolgt von -unge/-ung, das sich bei Dürer mit -t den ersten Rang teilt. Die geschriebene Gegenwartssprache zeigt als frequentestes Suffix -(er)ei (44,8%), -e liegt hier mit 34,5% auf Platz zwei. Bei den desubstantivischen Lokativa zeigt der Vergleich, dass das Suffix mhd. -(er)îe/eie, nhd. -(er)ei im Gegenwartsdeutschen stark an Bedeutung gewinnt, während -schaft und -tuom/-tum nur noch mit deutlich geringeren Prozentanteilen auftreten, -schaft in dieser Verwendung sogar nur noch im Korpus der geschriebenen Gegenwartssprache (als Restgruppe) belegt ist. In den Korpora der Gegenwartssprache verringert sich im Vergleich zum Urkundenkorpus die Zahl der Derivationstypen. Während die mhd. noch peripher verwendeten Suffixe -e und -(e)de im Nhd. nicht mehr auftreten, kommt als neues Bildungsmorphem lediglich -(i)at hinzu. Als Fazit kann festgehalten werden: Die Kernbereiche des Suffixinventars, der funktionellen Distribution der Suffixe und auch die Distribution der Suffixe nach Funktionsklassen unterscheiden sich ausgehend von den vorliegenden Ergebnissen auch im Mhd. nicht grundlegend von späteren Sprachstufen. Es zeigen sich Verhältnisse, die im Wesentlichen mit späteren Sprachsystemen konform sind. Die wenigsten bestehenden Abweichungen sind Folge eines diachronen Entwicklungsprozesses. Faktoren wie Textsorte und lexikologische Aspekte spielen bei der Bewertung der vorliegenden Ergebnisse eine wichtige Rolle. 3. Am Schluss dieses Resümees soll eine kurze kritische Auseinandersetzung mit dem Wilhelm-Corpus als Ausgangsbasis für sprachwissenschaftliche Untersuchungen stehen. Bei der Arbeit mit der von Friedrich Wilhelm initiierten Urkundensammlung, dem ›Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300‹, muss für moderne sprachwissenschaftliche Arbeiten das Motto gelten »Corpus ist nicht gleich Korpus«. Der nicht zu überschätzende Wert, den die von Wilhelm gesammelten und diplomatisch editierten Urkunden für die Erforschung des Mittelhochdeutschen haben, kann für systematische Auswertungen nur dann voll erschlossen werden, wenn berücksichtigt wird, dass es sich bei den vorliegenden Bänden nicht um ein Korpus im Sinne systematisch, nach
II.3. Resümee
535
ausgesuchten Untersuchungskriterien zusammengestellter Texte handelt.3 Vielmehr liegt uns hier ein Sammelsurium – im besten Sinne – authentischer mittelhochdeutscher Texte vor, das neben vielen positiven Aspekten, wie textlicher, inhaltlicher und sprachregionaler Vielfalt, auch Faktoren aufweist, mit denen kritisch umgegangen werden muss. Hier sind etwa die große Anzahl formaler und inhaltlicher Dublettenurkunden zu nennen, ferner die Schwierigkeiten bei der Datierung und sprachräumlichen Zuordnung vieler Urkunden und der nicht geringe Anteil formelhafter Textteile. Viele Forscher haben immer wieder auf den sprachwissenschaftlichen Nutzen und das Erkenntnispotential des Wilhelm-Corpus hingewiesen. Nach der intensiven Arbeit mit dem Urkundenmaterial können diese Aussagen auch von meiner Seite bestätigt werden. Trotz aller Probleme und Besonderheiten, die die Arbeit mit dem Korpus und der Textsorte ›Urkunde‹ mit sich bringt, glaube ich, dass z.B. im Bereich der Kompositaforschung und in Bereichen wie der Morphologie, der Dialektologie, der Lexikologie und Syntax noch viele interessante Ergebnisse zu erwarten sind. Mit dem Abschluss des WMU wird der Wortschatz des Corpus endlich vollständig zugänglich sein, wodurch die Ermittlung von Lexemen und Belegen wesentlich erleichtert wird. Aber auch die Digitalisierung des Corpus und seine Bereitstellung im Internet wird hoffentlich zu einer intensiveren Nutzung dieses einmaligen authentischen Sprachmaterials beitragen.
_____________ 3
Vgl. Scherer (2006).
Verzeichnis der Abkürzungen und Symbole ahd. alem. alem.-schw. (a.-s.) bair. BS BV BA BN DM frnhd. IR IR1 IR2 IR3 IR4 IR5 IR6 K-Dü K-Erf K-Ggeschr K-Ggespr K-Wü Kg. lat. nd. md. mhd. mlat. mndd. nhd. obd. ofrk. omd. pfälz.
althochdeutsch alemannisch alemannisch-schwäbisch bairisch Basissubstantiv Basisverb Basisadjektiv Beiname Doppelmotivation frühneuhochdeutsch Interferenzraum alemannisch-schwäbisch/bairisch rheinfränkisch/alemannisch alemannisch/bairisch/ostfränkisch ostfränkisch/nordbairisch ostfränkisch/alemannisch-schwäbisch ostfränkisch/rheinfränkisch Korpus der Dürersprache Erfurter Korpus Korpus der geschriebenen Gegenwartssprache Korpus der gesprochenen Gegenwartssprache Würzburger Korpus Königsurkunde lateinisch niederdeutsch mitteldeutsch mittelhochdeutsch mittellateinisch mittelniederdeutsch neuhochdeutsch oberdeutsch ostfränkisch ostmitteldeutsch pfälzisch
538
Verzeichnis der Abkürzungen und Symbole
rhfrk. wmd. *, z.B. begrebe* °, z.B. bete° 1, zB. wunde1
rheinfränkisch westmitteldeutsch Neubeleg im WMU Belegzahlen (prozentual) hochgerechnet hochgestellter Index zur Homonymendifferenzierung
2,
tiefgestellter Index zur Differenzierung der Wortbildungsbedeutungen
z.B. bestætigunge2
Darstellung der Apokope bei -e (vgl. II.1.2.b.2): -e, z.B. klage°
-(e), z.B. müej(e)
-[e], z.B. gebiet[e]
-/e , z.B.eben/e
Normalform. Nicht apokopierende Sprachlandschaften zeigen typischerweise Formen auf -e, im Bair. und im IR1 sind die Formen üblicherweise apokopiert, es sind jedoch auch Formen mit -e belegt. Das Lexem tritt ist in verschiedenen Sprachregionen auf, die Belege einer typischerweise apokopierenden Sprachregion sind aber alle ohne vokalischen Auslaut belegt. Formen ohne auslautenden Vokal treten auch in für Apokope untypischen Regionen auf und Lexer verzeichnet neben der -e-Form auch eine Variante ohne -e-Suffix. Für ein Lexem sind vermutlich nur apokopierte Formen belegt.
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Sach- und Terminologieregister Das Register verzeichnet neben allgemeinen sprachwissenschaftlichen Termini vor allem wichtige Termini der Wortbildung und Wortbildungsanalyse. Ferner sind einige urkundenspezifische Termini aufgenommen worden. Ablaut 48, 67, 90, 102, 119, 158, 177, 208, 318, 344, 358, 372, 390f., 430 Abstrakta (allg.) 23–25, 27, 33, 500–509 Abstrakta (Art und Weise) 23f., 68f., 71, 133f., 147, 232, 244, 265, 274, 439, 441, 443, 445, 448, 456f., 459–461, 466, 471, 500 Abstrakta (der Fähigkeit/Möglichkeit) 23, 133, 325, 328, 351, 400, 409, 446, 455, 468, 470, 500 Abstrakta (des Rechts/der Pflicht) 23, 26f., 56f., 61f., 64f., 75f., 78, 97, 133f., 150, 228, 252, 330, 360, 365f., 376, 378, 383, 418f., 455, 458, 468–470, 473, 475, 487f., 500 Affixlose Derivation (vgl. Nullableitung) 19, 33, 139, 143 Agentiva (allg.) 22f., 25–27, 509–517 Apokope 44–46, 94, 110, 122f., 278f., 358, 378, 425 Arenga 16, 248, 251f., 255, 257, 325, 328, 333, 483 Basisrang (allg.) 21, 28–30 Corroboratio 17, 131, 250, 253f., 270, 440, 443, 447, 452, 460, 462, 485, 489 dass-Satz 24f., 66, 263, 439–441, 444, 460 Diminutiva (allg.) 23, 27, 496f. Doppelmotivation 20, 31f., 34, 48, 50, 53f., 88f., 111–112, 126, 142, 149, 151, 158, 163, 175, 181, 186, 218, 221, 223, 239f., 243–246, 248, 272, 276, 308, 359, 365, 376, 383f., 419, 434, 456, 489, 501, 508– 510, 516f., 523, 525 Entlehnung s. Lehnwort Fremdsuffix 293, 497, 515 Fugenelement 319, 388, 414f., 417 Funktionsklasse (allg.) 19, 21–28
Funktionsverbgefüge 24, 63, 135, 138, 251, 343, 397, 409, 447, 458, 475, 478 Homonymie 34, 42, 51, 122, 136, 231, 242f., 259, 356, 359, 408, 424, 431, 462, 477, 486 Idiofunktionalia (allg.) 20, 26, 526f. Idiomatisierung 30f., 42, 57, 61, 70, 102, 110, 115, 118f., 135, 142, 151, 155, 169, 184, 253, 295, 309, 334, 336f., 349, 353, 356f., 366, 385f., 399, 412f., 424, 449, 470, 484, 488, 526 Instrumentativa (allg.) 23, 25f., 521f. Kernkorpus (allg.) 13–16 Kollektiva (allg.) 20, 23, 27, 497f. Konkurrenzbildung 60, 66, 68, 76, 87–89, 92, 97f., 114, 125, 132, 137–139, 143, 146f., 155f., 159–161, 193, 201, 248f., 251, 270, 272, 312, 342f., 353, 369, 382, 411, 414, 417, 442, 451f., 466, 474, 480, 486–489, 498, 503–508, 513–515, 517, 520, 522, 524f. Konversion 33, 72, 136, 139f., 215, 270, 277, 374, 463, 465, 467 Lehnprägung 425 Lehnwort (Entlehnung) 47, 68, 83, 85, 102, 104f., 112, 170, 173, 186, 188, 191f., 196f., 215, 219, 225, 293, 413 Lehnsuffix 225, 337, 495, 530 Lehnübersetzung 209 Lehnübertragung 248 Lexikalisierung 30f., 58, 79, 83, 86f., 95, 101, 132, 142, 147, 148, 152, 186, 198, 256, 264, 293, 304f., 326, 341, 380, 402, 410, 411, 419, 424, 458, 487 Lokativa (allg.) 23, 25f., 28, 522–525 Metonymie 21f., 25, 42, 57, 65, 83, 103, 115, 191, 231, 386, 416, 424f., 449, 455, 479, 500, 521
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Sach- und Terminologieregister
Modifikation (allg.) 23, 27, 496–499 Motionsbildungen (allg.) 23, 27, 498f. Motivationsdichte (allg.) 28–30 Nullableitung 33, 44f., 67, 88, 90, 110, 156, 249, 379, 451, 474, 480, 502 Objekt (affiziertes) 180, 441, 444, 449, 457, 460 Objekt (effiziertes) 25, 180, 474, 476 Patientiva (allg.) 23, 25, 28, 518–521 Präpositionalphrase 61, 67, 73, 75f., 101, 136, 138f., 146, 253–255, 264f., 273, 328, 352, 374, 394, 397, 401, 440, 445, 447, 450–452, 462, 468, 471, 479, 482, 498 Produktivität/produktiv 22, 38, 43, 148, 154, 165, 225, 232, 262, 267, 294, 337, 342, 368, 384, 434, 472, 493, 502 rechtssprachliche Wendung/Bedeutung 72, 113, 144, 155, 162, 252f., 257, 260, 357, 365, 367, 396, 403, 458 Reversibilität 33, 43, 66, 68, 70–74, 85, 88, 101, 105, 108, 110
Rückumlaut 49, 119, 270, 318, 344, 390f., 430 Senkung 49, 226, 426 Synkope 122f., 174, 177, 297, 388, 427 Transposition (allg.) 23, 26–28, 499f. Umlaut 38, 48f., 74, 90, 94, 119, 123–126, 145, 158, 175–177, 241, 250, 270, 280f., 297–299, 302, 310, 316–318, 338, 351, 388f., 426, 430 Usualisierung/usuelles Lexem 76, 83, 87f., 108, 113, 135, 143, 159, 201, 260, 262, 349, 399, 419, 449, 487, 490, 492, 502 Wortbildungsbasis (allg.) 22f., 26f., 28–30 Wortbildungsfunktion (allg.) 21–28 Wortbildungsparaphrase (allg.) 21–28 Wortbildungsprodukt (allg.) 23, 25, 28, 30–32 Zusammenbildung 32, 43, 65, 75, 90–93, 106, 108, 160f., 178, 196, 198, 204–206, 209f., 212–214, 223, 242, 256, 313, 320, 393, 400, 403, 431, 456, 467, 471f.
Wortregister Register lateinischer und mittellateinischer Wörter Das Register verzeichnet alle im Text angeführten lateinischen und mittellateinischen Wörter, die Basen für deutsche Lehnwörter waren bzw. als Vorbilder für Lehnübersetzungen dienten. Auch Verben, die in der Entlehnungsgeschichte von Bedeutung waren, sind aufgenommen. abbātissa 293 cancellarius 186 cappelarius 298 caupo 112 cellenarius 169 immunitas 337 lectio 187 lectionarius 173, 187 lociservator 208 locumtenens 208 macellārius 188 *maceum 188 mansionarius 170 mattiārius 188 mercellarius 173f. minare 83
molīna 102 molinarius 173, 188 monetarius 196 pēna, poena 68 plāga 104 pondarium 219 portenarius 189 prîorissa 293 sagmarius 191 spenda, spenta 85 spendere 85 spesa 105 sūtor 197 tolonarius 174, 194 torculum 192 vicedominus 413
Wortregister
566
Register mittelhochdeutscher Wörter In diesem Register sind alle behandelten Wortbildungen und idiomatisierten Bildungen aufgeführt. Die Leitform der Lexeme entspricht in der Regel der des WMU. Wortregister abbeteie 224, 225, 226, 227, 525 abegenge 40, 50, 54, 56 abelâzunge 24, 422, 435, 440 abeleite 42, 57 abeschrift 385, 392, 405 abeslahunge 422, 435, 440 æhter 166, 175, 176, 179, 183, 184, 191, 199, 510 æze 40, 51, 106, 524 âgezzel/e 40, 51, 93, 94 ahtunge 422, 435, 439, 441 almuosenære 166, 183 ammanin 277, 283, 284, 285 amsel 341 an(ge-)wette 43 andâht 385, 387, 390, 392, 393 anderunge 422, 430, 435, 441 anegeng/e 40, 50, 52, 54, 56 anevehtunge 422, 433, 435, 441 anewenderlîn 295, 300, 301, 302 angerlîn 295, 298, 301, 302 angesiht(e) 385, 392, 394, 397 angrîfer 166, 200, 201 anklage 40, 54, 56 anleite 40, 42, 54, 57, 214 anleiter 166, 178, 214 ansprâch[e] 40, 46, 54, 57, 77, 78 anstalt 385, 390, 391, 405 anstœzer 166, 200, 201 antwürte 40, 54, 57, 58, 77, 79, 201 antwürter 166, 200, 201 anvertunge 422, 429, 435, 441, 442 anwande 30, 40, 51, 52, 86, 87, 201, 513 anwender 87, 166, 175, 199, 201, 302, 512, 513 apotêker 166, 174, 179, 180, 181, 182, 196, 499, 510 argweniger 169 armbruster 166, 180, 195 armuot 336, 338, 339, 340 atzunge 422, 424, 433, 487, 488, 524 auspurger 170 badære 166, 214, 285 badærinne 277, 283, 284, 285 badestuber 166, 175, 181, 183
banwarttuom 413, 416 barmherzekeit 230, 239, 242, 245, 246, 247 barmunge 422, 433, 435, 442 bechelîn 295, 300, 301, 302 becherer 166, 195 becke1 40, 50, 86, 87 becke2 40, 50, 99, 100 beckelinc 309, 310, 313, 315 bedæhtikeit 230, 241, 242, 246, 247 bedrencnisse 315, 321, 323 begêunge 422, 435, 442 begirde 118, 127, 129 begnâdunge 425 begrebe 40, 51, 54, 58, 503 begrebede 118, 120, 127, 129, 130, 149, 503 begrebnisse 315, 317, 321, 323, 503 begrîfunge 422, 474 begunst 385, 390, 392, 394 behabnust 315, 319, 321, 323, 503 behaltære 166, 199, 202, 292 behalterinne 277, 282, 292 behaltnisse 315, 317, 318, 321, 323 behebunge 422, 430, 435, 442, 503 behügede 118, 129, 130 beierinne 277, 288, 289 bekentnisse 315, 317, 319, 321, 323 bekêrde 118, 129, 130, 442, 503 bekêrunge 422, 435, 439, 442, 453, 503 bekumberunge 422, 432, 435, 442, 466 benennunge 422, 435, 443 bengel 154 beredunge 422, 435, 443, 480 berehtung 422, 435, 443 bereitschaft 356, 358, 379, 380 bereitunge 422, 435, 443 berihtigunge 428, 480 berihtikeit 230, 262, 263, 443 berihtunge 422, 428, 435, 439, 443 beschatzunge 424 bescheide 40, 54, 58, 77, 79, 264, 503, 520 bescheidenheit 230, 237, 239, 242, 243, 247, 258, 263, 264, 274 bescheidenheit1 230, 246, 247, 257, 258 bescheidenheit2 230, 245, 262, 263, 274, 503, 520
Wortregister bescheidunge 264, 422, 429, 430, 435, 443, 444, 474, 503, 520 bescheitnisse 264, 315, 332, 520 beschidunge 422, 430, 432, 435, 503 beschirmære 166, 200, 202 beschrôtunge 422, 435, 444 besetzede 118, 140, 520 besetzunge 422, 435, 444, 474, 475, 520 besitzunge 425 beslihtunge 422, 433, 435, 439, 444 besnîdunge 422, 433, 435, 444 bestætecheit 230, 239, 242, 245, 262, 264, 265, 462, 503 bestætigunge 265, 422, 432, 435, 444, 445, 462, 503 bestætnüsse 315, 319, 321, 323, 503 bestætunge 265, 422, 429, 432, 433, 435, 445, 503 bestatunge 422, 435, 439, 445 bestiftunge 422, 435, 445 besuochunge 422, 435, 445 beswærde 118, 129, 130, 503 beswære 40, 54, 58, 503 beswærunge 422, 436, 445, 446, 454, 503 bete 30, 40, 49, 54, 58, 77, 79 betelære 166, 200, 202 betrahtnüsse 315, 321, 323, 503 betrahtunge 422, 436, 446, 468, 503 betrüebære 166, 200, 202, 213 betrüebenisse 315, 319, 321, 324, 343, 503 betrüebesal 341, 343, 344, 346, 503 betwancnisse 315, 318, 319, 321, 324, 343, 372, 503 betwancsal 341, 343, 344, 345, 346, 372, 503 betwungenschaft 356, 358, 359, 360, 372, 503 betwungnust 315, 321, 324, 372, 503 bevelhunge 422, 436, 446 bevestenunge 422, 429, 436, 447 bevridunge 422, 436, 447 bewærde 118, 129, 131, 504 bewærunge 131, 422, 436, 447, 480, 504 bewarunge 422, 436, 447 bewîsunge 422, 436, 447 beziugnüsse 315, 318, 319, 321, 324, 332, 504 beziugunge 422, 436, 440, 447, 452, 504 bezzerunge 101, 422, 436, 448, 480, 481, 521 bierbriuwe 40, 86, 87 bîhtære 166, 182, 183 bîhtegære 166, 182, 183 binder 166, 200
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birge 43 birgelîn 295, 298, 301, 302 birkach 37, 38, 39 bischtuom 413 biutelære 166, 170, 195 bivelde 32, 118, 127, 129, 130, 131, 149, 150, 448, 504 bivilinge 422, 426, 436, 448, 504 blâsære 166, 200 blatener 166, 195 bleicher 166, 200 bletzelîn 295, 301, 303 blîdreyer 166, 170, 200 bliuwât 336, 338, 339 bliuwe 40, 52, 99, 100, 101, 103, 106, 155, 521, 522 bliuwel 154, 155, 156, 159, 161, 522 bliuweler 166, 170, 183 bogen 47 bogenære 166, 170, 195 borgære 166, 200, 202 bortner 166, 170, 195 bôsheit 23, 230, 236, 241, 257, 258, 509 bot(e)schaft 116, 356, 358, 360, 361, 362, 380, 521 bot(e)schaft1 359, 363, 382 bot(e)schaft2 359, 380 bote 31, 42, 155, 363, 382, 521 botwarer 166, 214, 215 boumelîn 295, 301, 303, 497 boumgartenære 166, 172, 173, 174, 182 boumgarter 166, 173, 174, 182 boumgertel 295, 297, 300, 301, 303, 308 brâche 40, 77, 79 brâchôt 336 brant 346, 385, 387, 388, 390, 391, 392, 394, 395, 405, 406, 413 brâtære 166, 200 breche 40, 54, 58 bredigære 166, 199, 202, 289 bredigærinne 277, 281, 288, 289 breit(e) 40, 52, 93, 94 brennære 166, 199, 202 breste 40, 47, 54, 59, 60, 86, 87 bretsleifer 166, 170, 200 brievære 166, 183, 184 briumeisterin 277, 283, 284, 285 briuwe 40, 86, 87, 184, 513 briuwer 166, 184, 200, 513 brobestîe 224, 226, 227 brobestinne 277, 280, 288, 289 brôtbecker 166, 200 brüchelîn 298
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Wortregister
bruchnisse 315, 318, 321, 335, 526 brückelîn 295, 300, 301, 303 brucker 166, 183 brûnât 336, 338, 340 brünnelîn 295, 301, 303 brunner 166, 194 brunst 385, 387, 388, 390, 392, 394, 395 bruoderschaft 23, 356, 360, 361, 362, 363, 368, 369 büntnisse 315, 317, 318, 321, 324 buoze 40, 49, 54, 59, 99, 101 burcgrævîn 23, 277, 284, 285 burcgrâveschaft 356, 358, 361, 363 bürde 118, 119 bûre 166, 200, 202 burgære 166, 169, 183, 184, 289 burgærinne 277, 288, 289 bürge 23, 40, 48, 49, 86, 88, 156, 159, 160, 356, 363, 416, 513 bürgel 88, 154, 156, 158, 159, 363, 513 bürgelîn 295 bürgelschaft 356, 361, 363 bürger 31 bürgeschaft 23, 356, 358, 361, 363, 417, 508 bürgetuom 413, 415, 416, 417, 508 bursære 166, 183 bûrschaft 356, 362, 363, 368, 369 bursenære 166, 195 bürste 40, 51, 99, 101 bürster 166, 170, 195 burt 385, 389, 390, 392, 395, 396 bütel 155 bütenære 166, 194 butericher 166, 170, 195 chuchler 166, 170, 182 dechelîn 295, 300, 301, 303 dëhsel 341 dien(e)st 392, 395, 405, 406 dienære 166, 200, 202, 289 dienærinne 277, 281, 288, 289 dienest 385, 387 dîhsel 341 dinclœse 43 dingede 118, 129, 131, 132 diube 40, 42, 50, 52, 115, 116, 521 dorfhüeter 166, 200 dörflîn 295, 298, 300, 301, 303, 497 dornach 37, 38, 39 dræhseler 166, 200 drescher 166, 200 drîvaltecheit 230, 239, 242, 246, 248, 257, 258 durchslaht 386
durchvart 385, 390, 392, 395 durft 94, 385, 392, 395 dürfte 40, 48, 93, 94 dürfticheit 230, 246, 248 eben/e 25, 40, 46, 52, 109, 515 ebenære 166, 200, 203 ebenhellunge 422, 431, 433, 488, 489 ebenôt(e) 336, 338, 340 ebenôte 338, 515 ebenunge 422, 427, 432, 436, 439, 448, 460 eckelîn 295, 297, 301, 303 eckerlîn 295, 300, 301, 303 edelinc 309, 310, 311, 515 edelkeit 230, 237, 257, 258, 515 êhaft(ig)e 42 êhalte 42 eichel 155 eigenlîn 295, 297, 300, 301, 303 eigenschaft 356, 359, 360, 383, 419, 509 eigentuom 413, 414, 415, 418, 419 einhelle 40, 50, 51, 52, 113, 248, 489 einhellecheit/-hellekeit 230, 240, 242, 244, 246, 248 einhellunge 248, 422, 431, 433, 488, 489 einmüetecheit 230, 246, 248 einunge 422, 424, 427, 434, 436, 439, 448, 449, 474, 475 einvalt[/e] 40, 51, 93, 94 elte 40, 93, 94 endunge 422, 436, 449 engegenwurticheit 230, 246, 248 engunge 422, 436, 449 eninklîn 295, 297, 301, 304 enphâher 166, 200, 203 enthaltnisse 315, 322, 324 entvalnisse 315, 318, 322, 325 entzîhunge 422, 432, 436, 450 eptissin 277, 280, 282, 293 êrbærkeit 230, 237, 246, 249 erbärme 23, 40, 54, 59, 504 erbe 25, 44, 77, 88, 376, 381 erbe1 40, 86, 88 erbe2 40, 77, 80, 520 erbermede 118, 129, 132, 504 erbeschaft 356, 358, 359, 360, 363, 375, 376, 380, 381, 383, 509, 520 ergetzunge 26, 422, 436, 450, 480, 481 erholunge 425 erkantnisse 315, 318, 319, 321, 322, 325, 332, 333, 520 erkennunge 422, 474, 475, 520 erkoberunge 422, 474, 475 erlabunge 422, 432, 433, 436, 450, 453
Wortregister erlach 37, 38, 39 ermel 155, 163, 164 ernde 118, 120, 121, 129, 132, 504 erne 40, 51, 54, 59, 132, 504 erniuwunge 422, 432, 436, 450 erstatunge 422, 480, 481 êrunge 422, 433, 480, 481 ervarer 166, 200, 203 ervarunge 422, 436, 450, 474, 475 ervollunge 422, 436, 450 erziugunge 422, 452, 474, 476 eselære 166, 183 êwangêljer 166, 171, 183, 184 êwicheit 230, 246, 249, 489 êwigunge 249, 422, 431, 433, 488, 489 êwirdicheit 231 êwirtinne 278 forstære 166, 179, 182, 184 forstelîn 295, 298, 300, 301, 304 forstnære 166, 174, 179, 182, 184 gâbe 40, 54, 59, 60, 77, 80 galtnüsse 315, 318, 326, 332 ganzheit 230, 246, 249 gartenære 166, 182, 184 gartenstückelîn 295, 308 gearnede 118, 121, 126, 140 gebærde 118, 126, 129, 132 gebe 40, 52, 77, 80, 90, 91 gebererinne 278 gebet(e) 40, 46, 54, 60, 77, 80 gebiet[e] 26, 40, 46, 51, 52, 106, 107 gebirge 43 gebrechlicheit 231 gebreite 40, 52, 109 gebreste 40, 47, 54, 60, 86, 88 gebûr 152, 166, 172, 200, 202, 203, 285, 351, 353, 354, 369 gebûrde 118, 126, 128, 152 gebûrinne 277, 280, 283, 284, 285 gebûrsame 349, 351, 353, 354, 369, 498 gebûrschaft 356, 368, 369, 498 geburt 385, 389, 393, 395, 396 gebûwede 125 gebûweze 125 gedæhtnisse 315, 317, 319, 322, 325, 504 gedenknüsse 315, 322, 325, 504 gedenkunge 422, 436, 451, 504 gedinge 40, 51, 55, 60, 77, 80, 504, 520 gedingede 118, 121, 125, 129, 133, 140, 141, 504, 520 gedingeze 125 gedœze 42 gegene 42
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gegenôte 337 gegenwertecheit 230, 246, 249, 506 gegenwertige 40, 93, 95, 249, 506 gegenwürtige 93, 95, 506 gehaltære 166, 200, 203 gehancnisse 315, 318, 322, 325, 328 gehancnüsse 315, 319, 321, 322, 325, 328 geheim[/e] 40, 51, 93, 95 geheiz[e] 40, 51, 55, 60, 61, 77, 81 gehellede 118, 129, 133, 504 gehellunge 23, 422, 436, 451, 504 gehelzot 336, 338, 339, 504 gehœrde 118, 129, 133, 145, 146 gehôrsam[(e)] 40, 46, 93, 95 gehüge 40, 51, 55, 61, 504 gehügede 118, 127, 129, 133, 151, 152, 504 gehugnisse 315, 318, 319, 320, 321, 322, 325, 329, 332, 504 gehülle 40, 48, 51, 55, 61, 504 gejagaze 125 gejageze 118, 121, 124, 129, 133, 134, 150 gejegede 118, 121, 134, 149, 150 geleb/e 40, 55, 61 gelegenheit 230, 242, 243, 257, 259, 262, 265 geleit[e] 40, 55, 61, 86, 88, 106, 107 geleite 42 gelîchnisse 315, 318, 321, 334 geliute 40, 55, 61 gelobnisse 25, 315, 321, 322, 326, 332, 333, 504 geloube 40, 43, 55, 61 geloubsame 40, 93, 95 geltære 89, 111, 166, 214, 215, 517 gelte 40, 50, 52, 89, 111, 517 geltnüsse 315, 319, 322, 326 gelübe 40, 48, 49, 51, 55, 62, 77, 81, 504, 520 gelübede 118, 121, 127, 129, 134, 140, 141, 504, 520 gemælde 118, 121, 129, 134 gemechede 118, 123, 126, 129, 134, 135, 140, 141, 504, 520 gemechenisse 315, 317, 319, 322, 326, 327, 332, 333, 504, 520 gemechenze 118, 121, 124, 125, 140, 141, 520 gemechesede 118, 121, 129, 135, 504 gemeinde 118, 127, 142, 143, 184, 185, 292, 515 gemeinder 166, 182, 184, 185 gemeiner 166, 183, 185 gemeinsam(e) 40, 51, 93, 95, 109, 515
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Wortregister
gemeinschaft 356, 358, 360, 370, 379, 380, 381, 515 gemerkede 20, 118, 121, 145, 150 genennel 155 genôzschaft 356, 362, 364, 368, 369, 370 gephlegenisse 315, 319, 322, 327 gerehtecheit 230, 246, 249, 257, 259 gereitschaft 356, 358, 379, 380 geriht[e] 40, 49, 55, 62, 69, 86, 89, 106, 107 geriute 21, 40, 50, 77, 81 gertelîn 295, 301, 304 gerucht 385, 387, 389, 391, 393, 396, 401 gerwer 90, 166, 171, 200, 204 gesagede 118, 140, 141 geschaft 190, 385, 391, 392, 393, 396, 397, 405, 406, 504, 520 gescheffede 118, 123, 124, 126, 129, 135, 140, 141, 397, 504, 520 gescheide 40, 86, 89 geschelle 40, 51, 55, 62 geschiht(e) 385, 390, 392, 393, 395, 397, 408, 409 geschrift 385, 389, 393, 397, 405, 406 geselleschaft 64, 356, 358, 362, 364, 368, 370 gesellinne 277, 288, 289 gesetze 40, 77, 81, 520 gesetzede 85, 100, 118, 121, 123, 129, 135, 140, 141, 520 gesetzunge 422, 474, 476, 520 gesez(ze) 40, 50, 106, 107 gesiht(e) 385, 388, 390, 391, 393, 397 gespræche 40, 55, 63 gestalt 385, 389, 390, 393, 397, 398 gestifte 20, 41, 52, 77, 81 geswend/e 41, 51, 77, 81 geswisterde 118, 120, 121, 123, 124, 127, 128, 145, 146, 150 getât 385, 389, 393, 398, 405 geteile 41, 86, 89, 146, 513 geteilide 89, 118, 122, 146, 150, 526 geteilide1 20, 118, 122, 145 geteilide2 118, 122, 145, 146, 513 getregede 118, 140, 141 getwancisse 315 getwancnisse 317, 318, 322, 327, 343, 504 getwancsal 341, 343, 344, 346, 504 geværde 63, 118, 121, 126, 129, 135, 504 gevære 41, 51, 55, 63, 73, 136, 504 gevancnisse 315, 317, 319, 322, 327, 330 gevehte 41, 55, 63 gevelle 41, 77, 81 geveterde 120, 146 geveterlîn 295
gevolgunge 422, 436, 451 gevrœnde 118, 129, 136, 139 gewæge 41, 42, 99, 101, 102, 411 gewaltesære 166, 177, 183, 185 gewaltsame 349, 351, 355 gewande 41, 106, 108 gewarheit 230, 236, 246, 249, 250, 270, 354, 506 gewarsame 238, 269, 349, 350, 351, 352, 354, 506 gewarsamecheit 230, 238, 242, 269, 354 gewartunge 422, 436, 451 gewehsede 118, 145, 146 gewerb[e] 41, 55, 63, 77, 81, 520 gewerde 118, 122, 136 gewerde1 118, 122, 129, 136, 504 gewerde2 118, 122, 136, 145 gewerer 166, 178, 212, 214, 215 gewerft 385, 386, 389, 391, 392, 393, 398, 405, 406, 520 gewerschaft 376, 377, 378 gewerschaft1 356, 359, 360, 372, 375, 376, 504, 509 gewerschaft2 356, 359, 377, 378 gewige 42 gewiht(e) 385, 386, 388, 389, 390, 391, 392, 393, 398, 411 gewinnunge 422, 436, 451, 474, 476 gewisheit 230, 246, 251, 257, 259 gewiste 118 gewizzede 119 gewizzende 118, 121, 142, 143 gewonde 118, 142, 143, 144, 490, 515 gewonheit 230, 236, 244, 246, 251, 256, 257, 259, 490, 515 gewonunge 422, 433, 489, 490, 515 geziucsame 349, 351, 352, 504 geziugnisse 315, 318, 319, 322, 328, 331, 504 geziugschaft 356, 372, 504 geziugunge 422, 436, 451, 504 gezzelîn 295, 300, 301, 304 gieze 41, 54, 86, 89, 509 gift 60, 385, 387, 390, 392, 393, 399, 405, 407 gîgære 166, 214 gipsære 166, 214, 215 gîselschaft 356, 360, 362, 364 gîtecheit 230, 246, 251 glasære 166, 195 glockenære 166, 183 glocker 166, 170, 183
Wortregister goltsteinlîn 295, 297, 299, 300, 301, 304, 308, 497 goltweber 166, 200 grabære 166, 170, 200 grabe 25, 41, 77, 82, 304, 520 grabelîn 295, 301, 304 grævinne 277, 280, 282, 284, 285 graft 385, 405, 407, 520 grâtuocher 166, 170, 178, 195 grâveschaft 26, 356, 358, 360, 374, 375 grebnus 315, 319, 322, 328 grœze 41, 48, 93, 96 gruobe 41, 77, 82, 520 güete 41, 47, 48, 52, 93, 96 güetelîn 23, 295, 298, 299, 300, 301, 304 gugelære 166, 170, 195 gült[e]1 77, 82 gülte 89, 111 gülte1 41, 48, 55, 63 gülte2 41, 48, 86, 89 gunst 385, 387, 391, 393, 399 gürtel 154, 155, 156, 158, 161, 162 gürtelære 166, 195 güsse 41, 48, 55 habe 41, 55, 64, 77, 82 hækel 295, 297, 299, 300, 301, 304 halbe 41, 42, 109, 185 halber 166, 183, 185 hancnisse 315, 318, 322, 328 handelunge 422, 427, 436, 452, 474, 476 hantvestenunge 424 hantvestunge 424 hantwerker 166, 183, 185 harmarkter 166, 198 harpfære 166, 176, 214 haselach 37 havenære 166, 194, 285 havenærinne 277, 284, 285 hebe/heve 42 heckel 155, 161 heftel 295, 299, 300, 302, 304 hege 42, 305 hegelîn 295, 302, 305 heidenschaft 356, 359, 368, 369, 370 heilecheit 230, 246, 251 heiltuom 413, 414, 415, 420 heimelîchære 166, 178, 179, 220, 221, 517 heimelîche 41, 93, 96, 220, 221 heimelîcheit 230, 236, 257, 260, 509 heimsuoche 41, 55, 64, 452, 504 heimsuochunge 23, 422, 436, 452, 504 heimuote 336, 338, 339, 340 heiz[e] 41, 51, 55, 64, 77, 82, 504
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heizunge 422, 436, 452, 504 helbelinc 285, 309, 310, 311, 312 helbelingin 277, 284, 285 helfære 166, 214, 215, 216 helfe 41, 48, 49, 55, 64, 215 helmer 166, 170, 195 hemerlîn 295 hentschuoher 166, 194 herberge 41, 49, 55, 64, 106, 108 hêrrelîn 295 hêrschaft 356, 360, 362, 364, 365, 368, 370, 374, 375 hertære 114, 166, 180, 182, 185 herzentuom 413, 414, 418 herzogentuom 413, 414, 415, 418, 525 herzoginne 277, 280, 284, 285 hindernisse 315, 322, 328, 336, 343, 504 hindersal 341, 343, 344, 346, 504 hindersezze 43 hingeber 166, 200, 203 hinvart 385, 390, 393, 399 hirt[e] 41, 44, 49, 50, 52, 113 hirte 185, 365, 510 hirtschaft 356, 358, 362, 365, 367 hiurlinc 309, 310, 311, 312 hiuseler 166, 172, 174, 176, 182 hiuselin 298 hiuselîn 295, 302, 305 hœhe 25, 41, 43, 47, 48, 93, 96, 109, 110, 506, 515 hœhede 118, 126, 144, 147, 446 hœhte 118, 123, 126, 142, 144, 147, 506, 515 hœrære 166, 200, 204 hôhunge 422, 430, 436, 452 holzlœse 43 holzwart[e] 41, 86, 90 hoppeler 169 hoser 166, 170, 195 houbetlachener 166, 170, 195 höuwe 42, 186 houwer 166, 200 höuwer 166, 183, 186, 285 höuwerinne 277, 284, 285, 286 höuwet 336 hoveherrinne 277, 284 hovelîn 295, 298, 302, 305 hover 166, 183 hoverin 277, 283, 284, 286 hovestetelîn 295, 298, 302, 305, 308 hübesche 41, 93, 96 hüetære 166, 200, 204, 210, 286 hüetærin 277, 283, 284, 286
572 hûfe 33, 43 hûfunge 422, 436, 452 hügede 118, 126, 129, 136, 504 hugnisse 315, 318, 320, 322, 329, 504 hulde 41, 49, 93, 97 huller 166, 170, 195 hulzel 295, 299, 302, 305 huober 166, 182, 186 huobner 166, 182, 186 huote 41, 49, 55, 65, 204 hûsære 166, 182 hûsener 166, 174, 182 hûserer 170 hûsgenôzschaft 356, 368, 369, 371 hûsunge 422, 436, 452, 453 hûswirtinne 277, 288, 289 ingesigelde 118, 127, 145 înnemære 166, 200, 204 innunge 424 învart 385, 390, 400 irher 166, 195 irrât 336, 338, 339, 343, 504 irrecheit 230, 239, 262, 265, 343, 504 irregunge 428 irresal 341, 343, 344, 345, 346, 429, 483, 504 irresalung 343, 422, 482, 483 irresalunge 429, 526 irresame 343, 349, 351, 352, 504 irretac 343 irretuom 343, 413, 415, 420, 504 irrunge 343, 422, 428, 433, 436, 453, 504 îsenbleger 166, 170, 200 îsener 166, 170, 183 jegere 166, 175, 200 jüdinne 277, 280, 288, 289 jungelinc 309, 310, 311 kacheler 166, 195 kæser 166, 195 kamerære 166, 178, 182, 186, 286 kamerærinne 277, 284, 286 kantnusse 315, 319, 322, 329, 332, 333 kanzelære 166, 176, 182, 186 kappellære 167, 198 karrer 167, 183 kastenære 167, 182, 187 keisertuom 413, 416, 417 kellære 169, 289 kellærinne 277, 281, 288, 289 kelnære 169, 289 kelnærinne 277, 281, 288, 289 kemmer 32, 167, 214 kempfe 41, 48, 50, 111
Wortregister ken(ne)ler 167, 170, 195 kerbe 42 kêrunge 422, 436, 442, 453 kerzære 167, 183, 187 kerze(n)wîhe 41, 55, 65 kezzelære 167, 194 kieser 167, 200, 204 kindelîn 295, 299, 301, 302, 305, 497 kintheit 230, 232, 245, 267 kirchelîn 295, 302, 305 kirchenære 167, 174, 183, 187 kirchenphleger 167, 200 kirchlœse 43 klage 41, 43, 46, 55, 65, 136, 162, 504, 517, 538 klage2 77, 82 klager 156, 162, 167, 176, 179, 214, 517 klegede 118, 129, 136, 504 klegel 154, 156, 158, 159, 162, 517 kleinôt 336, 338, 339, 340 klingeler 167, 200 klôsenære 167, 181, 198, 290 klôsenærinne 277, 282, 288, 290 knebelîn 295, 298, 302, 305, 306 kœrner 167, 170, 183 koler 167, 194 kolner 167, 194 kolzer 167, 170, 195 köpfelîn 295, 302, 305, 497 köphelîn 298 kornmeisterinne. 278 kost[e] 41, 78, 82, 83, 100, 102 koufe 41, 111, 112, 156, 204, 517 köufel 154, 156, 158, 159, 162, 163, 204, 517 koufer 156, 167, 200, 204 koufmann 156 koufmanschaft 116, 356, 360, 362, 365, 382, 383, 521 krâmære 167, 175, 182, 187 krâme 41, 50, 51, 52, 115, 187, 277, 280, 283, 284, 286 krâmerinne 277, 280, 283, 284, 286 krancheit 97, 236, 251, 270 krancheit1 230, 246, 251, 507 krancheit2 230, 252, 269 krebezer 167, 170, 214 krenke 41, 93, 97, 251, 507 krenkenus 270, 315, 319, 322, 329, 504 krenkunge 270, 422, 436, 453, 504 krieche 42 kriegôt 336, 338, 340 krinne 42
Wortregister kristenheit 230, 245, 273 kriuzære 167, 183 krûter 167, 195 kübelære 167, 195 kuchenmeisterîn 277, 284, 286 küefer 167, 195 kumbernisse 315, 317, 322, 329 kündunge 422, 436, 453, 474, 476, 520 küniginne 277, 284, 286, 288, 290 kunst 385, 387, 388, 393, 400 kuntsame 349, 351, 352, 353, 355 kuntschaft 357 kuonheit 230, 241, 246, 252, 268 kurbeler 167, 170, 195 kurdewæner 167, 176, 195 kürsenære 167, 173, 194, 195 kürze 41, 43, 93, 97 kuster 170, 227, 290 kusterîe 224, 226, 227 kusterinne 277, 279, 288, 290 labunge 422, 432, 436, 450, 453 lâchenunge 422, 429, 433, 436, 453 lade 41, 78, 83, 520 ladunge 422, 436, 453 lægeler 167, 170, 195 lâge 32, 41, 51, 55, 65, 66 lamparte 41, 50, 51, 113, 114, 510 lantgrævinne 277, 284, 286 lantgrâveschaft 356, 374, 375 lantvrider 167, 195, 196 lapper 167, 170, 183 last 385, 388, 391, 405, 407, 520 latenîe 224 lâze 41, 48, 55, 66 lazheit 230, 246, 252 lebzelter 167, 195 lechelære 169, 287 lechelerin 284 lecherlerin 277 leczener 167, 173, 183, 187 leczier 167, 171, 183, 187 ledecheit 230, 246, 252 ledegunge 422, 436, 454 lederære 167, 214, 216 ledergerwe 41, 52, 86, 90, 513 ledergerwer 167, 200, 204, 513 lederhoser 167, 195 leffeler 167, 195 lêhenphlegære 167, 200, 204, 205, 207 lêhenschaft 356, 362, 365, 373, 378, 383, 526 lêhenschaft1 356, 359, 360, 362, 365, 373, 377, 378
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lêhenschaft2 356, 359, 360, 372, 373 lêhentrager 167, 200, 205 leide 41, 93, 97, 109, 110 leidegunge 422, 436, 454 leider 167, 200, 205 leister 167, 200 leistunge 422, 436, 454 lem[/e] 41, 46, 55, 66, 504 lembelîn 295 lemede 66, 118, 126, 129, 136, 137, 504 leng(e) 41, 93, 97 lenge 47 lengunge 422, 436, 454 lêrære 167, 200, 205 lêre 41, 78, 83, 205 lernære 167, 200 lernunge 422, 436, 439, 454 lesære 167, 200, 205 lîbunge 422, 436, 454 liebe 41, 93, 97 lîhterunge 422, 436, 454 lîhunge 422, 436, 454 lînwâter 167, 195 lînweber 167, 200 lîrer 167, 214 liuhtære 167, 200, 205, 512 lodwürkære 167, 200, 206 lôsunge 422, 430, 436, 455, 480, 481 loubelîn 295, 302, 305 lôwer 167, 183 lübede 118, 126, 129, 137 luogære 167, 200, 206 mâcschaft 356, 362, 366 mâdære 167, 182, 188, 193, 197 mære 41, 51, 78, 83 magetlîn 295, 299, 302, 306 maht 256, 385, 390, 393, 400, 405, 407 male 41, 100, 102 maler 167, 200, 287 malerinne 277, 284, 287 manære 167, 200, 206 manheit 230, 232, 267, 268, 508 manôt 337 manschaft 356, 362, 366, 368, 369, 371, 508 manslaht 386 manslege 42 manunge 422, 436, 455 marcgrâvinne 277, 284, 287 marschalkîn 277, 280, 284, 287 marterære 167, 178, 179, 219, 290, 519 marterærinne 277, 288, 290 mât 188, 197, 385, 387, 391, 405, 407, 413 mâze 41, 42, 100, 102
574 meierinne 277, 283, 284, 287, 288, 290 meierschaft 356, 374, 375, 525 meiertuom 413, 415, 416, 417, 418, 525 meine 41, 55, 66, 78, 520 meinunge 25, 423, 437, 455, 474, 476, 520 meisterinne 277, 278, 288, 290 meisterschaft 356, 362, 366, 368, 371 melzeler 167, 170, 172, 195 melzer 167, 170, 195 menine 47 menschheit 230, 236, 267, 268 mêre 41, 109, 110 mêrer 167, 200, 206 merkære 167, 200, 206 mêrunge 423, 437, 455 merzeler 167, 173, 174, 214 merzer 167, 183 mes(s)enære 170 messenærinne 277, 283, 284, 287 metgeb/e 41, 86, 90 metschaft 356, 358, 362, 366, 367, 383 mettelîn 295, 302, 306 metzeler 167, 200 metzener 167, 183 metzjære 167, 182, 188 mezzerære 167, 195 milde 33, 44 miltecheit 230, 233, 239, 246, 252 minne 33, 43 minnerunge 423, 427, 437, 455 missehelle 41, 50, 55, 67, 504 missehellede 118, 121, 148, 149, 455 missehellunge 149, 423, 437, 444, 455, 504 missehulle 41, 48, 50, 55, 67, 504 miste 41, 50, 52, 114 mitehellunge 423, 433, 437, 456 müej(e) 41, 46, 55, 67, 343, 504 müejesal 26, 341, 343, 344, 345, 346, 347, 504 mügelîche 41, 93, 98 müle 41, 48, 49, 100, 101, 102, 103, 104, 106, 188 mülin 47, 102, 188 mülnære 167, 183, 188, 290 mülnærinne 277, 288, 290 mülner 173, 188 mundâte 337 municheie 225 muntborschaft 356, 359, 362, 367 münzære 167, 179, 194, 196 münzerin 277, 284, 287 mûrære 31, 90, 167, 214, 216 mûre 31, 41, 86, 90, 216
Wortregister mûtære 167, 182 nâchkome 41, 50, 86, 90, 513 nâchkomelinc 309, 310, 313, 315, 509, 512, 513 nâchkunft 385, 390, 392, 396, 408, 409, 513 nâdelære 167, 170, 195 næhe 41, 94, 98 nageler 167, 195 nâme 41, 48, 55, 67, 68 nâtære 167, 194, 197, 208 niderlege 41, 106, 108, 488, 524 niderlegunge 423, 433, 487, 488, 524 nihtunge 423, 482, 483 niuwerunge 423, 437, 456 niuwunge 423, 432, 437, 456 nôtecheit 230, 246, 252 nôtzoge 41, 55, 68 obezære 167, 183, 189 obleier 167, 183, 189 offenunge 423, 427, 437, 456 ohsenære 167, 183, 189 öler 167, 195 ordenunge 423, 437, 456, 477, 483 ordenunge1 423, 433, 437, 456, 474, 476, 485 ordenunge2 423, 482, 483 ougustîner 167, 183, 189 passouwer 170 paternosterer 167, 195 pên[e] 41, 49, 55, 68, 100, 103 pergamenter 167, 170, 195 pfistreia 225 phafheit 230, 232, 236, 267, 268, 269, 273, 274 phalenzgrævinne 277, 280, 285, 287 phandunge 423, 430, 437, 457 phannære 167, 183 phantschaft 356, 360, 363, 366, 377, 378, 379, 383 pharrære 167, 182, 189 pheffelîn 295, 301, 302, 306 phender 167, 175, 214, 216 phîfer 167, 214 phisterîe 224, 226, 227 phisterinne 277, 283, 285, 287 phlanzære 167, 214 phlegære 167, 200, 204, 205, 206, 290 phlegærinne 277, 288, 290 phlege 41, 55, 68, 69, 78, 83, 84, 206, 329, 504 phlegenisse 315, 319, 322, 329, 504 phliht(e) 385, 387, 389, 390, 393, 400, 401, 504
Wortregister phluoger 167, 183 phrancsal 341, 343, 344, 346, 347 phrüendære 167, 172, 182, 189 phrüendenære 167, 172, 182, 189 phundære 167, 179, 218, 219 Pilichdorferinn 278 plâge 41, 51, 100, 103, 104 portenære 167, 183, 189 porter 167, 183, 189 porzenære 167, 182, 190 presse 26, 41, 52, 100, 103, 104 prîorinne 277, 280, 282, 283, 288, 290, 291 probstei 225 procurâtrin 277, 280, 282, 289, 291 râche 41, 55, 69 râtgebe 41, 86, 91 rebemannin 277, 283, 285, 287 rebere 167, 170, 183 redære 167, 173, 214, 216 redære, redenære 173, 216 rede 32, 41, 55, 69, 78, 84, 216 redelîcheit 230, 246, 252 redenære 167, 173, 174, 214, 216 regensburger 170 rehtecheit 230, 236, 239, 246, 252, 257, 260 rehtigunge 428 rehtunge 423, 428, 477, 484 rehtunge1 423, 433, 477, 482, 483 rehtunge2 423, 474, 477, 484, 520 rehtvertigunge 423, 437, 457 reise 41, 54, 55, 69, 87, 91 reite 41, 54, 87, 91 reitunge 423, 437, 457 rîchheit 230, 246, 252 riemer 167, 195 rihtære 167, 179, 200, 207, 513 rihte1 41, 42, 78, 84, 520 rihte2 55, 69, 70, 87, 91, 504, 513 rihtigunge 428 rihtunge 423, 428, 437, 439, 457, 504 rinne 41, 106, 108 rîsenære 167, 174, 195 ritter 31, 367, 371 rittere 169 ritterschaft 356, 362, 367, 368, 371 riutære 167, 214 riute 41, 51, 78, 84, 295, 302 riutelîn 295, 302, 306 riutine 47 riuwærinne 277, 282, 289, 291 riuwe 33, 41, 55, 70 rode 42 roder 167, 182
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rœster 167, 170, 214 rottære 167, 183, 190 roubære 167, 214, 217 rüegât 336, 338, 339, 340, 504 rüegunge 423, 437, 458, 504 ruocht 385, 387, 391, 393, 396, 401 ruowe 33, 43 sache 42, 167, 183 sachener 167, 183 sæjære 167, 200 sælicheit 230, 237, 239, 246, 253 sage 41, 55, 70, 78, 84, 207 sager 167, 176, 200, 207 samenære 167, 200, 207, 513 samenunc 424, 427 samenunge 423, 427, 485, 486, 513 sât 385, 387, 391, 393, 401 sateler 167, 194 satze 41, 49, 78, 84, 85, 520 satzunge 85, 423, 430, 433, 434, 437, 458, 474, 477, 520 schachner 167, 183 schade 33, 43 schæfære 167, 183 schære 41, 51, 100, 104 schaffære 167, 173, 200, 291 schaffærinne 277, 289, 291 schaffenære 167, 173, 174, 200, 291 schaffenære, schaffære 173, 207 schaffenærinne 277, 289, 291 schafter 167, 183, 190 schalcheit 230, 236, 267, 269, 459 schalkunge 269, 423, 433, 437, 459 schapëlære 167, 170, 175, 195 schatzunge 423, 430, 437, 439, 459 schedeler 167, 195 scheff(en)e 42 scheffe 155, 156 scheffel 155, 156, 157, 158, 163, 296 scheffel1 155 scheffel2 154, 159, 163 scheffene 155, 156 scheider 167, 200, 207 scheidunge 423, 430, 432, 437, 460 schenke 42, 287 schenkinne 277, 285, 287 schepfære 167, 200, 207 scherære 167, 178, 200, 207, 287 scherærinne 277, 283, 285, 287 scherme 41, 49, 50, 111, 112 scherpfer 167, 170, 200 schickung 423 schickunge 423, 437, 459
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Wortregister
schide 41, 55, 70, 504 schidunge 423, 430, 432, 437, 439, 459, 460, 474, 477, 504 schifmennin 277, 280, 283, 285, 287 schiltær 167, 195 schindeler 167, 170, 195 schinder 167, 200 schirer 167, 170, 200 schirmære 167, 214, 217, 291 schirmærinne 277, 289, 291 schirmunge 423, 437, 460 schorre 41, 51, 87, 91 schotte 42 schouwære 167, 200 schreiât 337 schrîbære 168, 179, 200, 207 schrîer 168, 200 schrift 385, 387, 390, 393, 401, 405, 407, 408 schrôtære 168, 175, 200, 207, 208, 213 schuldære 168, 182, 190 schuldenære 168, 174, 179, 182, 190, 199, 215 schultheize 42, 417 schultheizentuom 413, 414, 415, 416, 417 schuolære 168, 176, 182, 190 schupfe 42 schütze 91, 112 schütze1 41, 48, 50, 51, 87, 91 schütze2 41, 48, 50, 51, 111, 112 schüzzelere 168, 170, 195 sege 26, 41, 51, 100, 103, 104, 521 segenser 168, 170, 195 seger 168, 183 seigære 168, 179, 218, 219 seige 41, 51, 55, 70 seiler 168, 195 seitkoufer 168, 200 selde 118, 191 seldener 168, 182 selder 168, 182 selle 42, 371 selleschaft 356, 358, 359, 368, 369, 371 semeler 168, 195 senfterunge 423, 433, 437, 460 senger 168, 175, 176, 177, 200, 208, 291 sengerinne 277, 289, 291 setze 41, 49, 78, 84, 520 setzede 118, 121, 140, 142, 520 setzer 168, 200 sicherheit 230, 239, 253, 254, 260, 461 sicherheit1 230, 242, 246, 253, 257, 260 sicherheit2 230, 242, 262, 266
sicherunge 423, 437, 460, 461 sidele 42 sideler 168, 195 siechmeisterinne 277, 289, 291 siechtuom 413, 415, 418, 419 sige 32, 41, 51, 55, 70, 71 sihticheit 230, 246, 254 singære 168, 200 sinner 168, 200 sippeschaft 356, 358, 360, 381, 382 siuchede 118, 127, 147 slaher 168, 200, 208 slahtære 168, 200 slahte 386, 387 slegel 154, 155, 156, 158, 161, 162 sleife 41, 106, 108 slîfe 41, 51, 100, 104 slihtunge 423, 437, 439, 461 slîzunge 423, 433, 437, 461 slozzer 168, 170, 195 slüzzel 26, 154, 155, 156, 158, 159, 161, 162 slüzzelære 168, 195 smâcheit 230, 244, 245, 271, 274, 517 smæhede 118, 122, 123, 126, 128, 129, 137, 152, 153, 272, 517 smelze 41, 51, 87, 92, 513 smelzer 168, 200, 513 smerze 33, 43 smîde 41, 49, 51, 78, 85 smidinne 277, 285, 287 smitlîn 295 smitte 41, 50, 114 snîdære 168, 200, 208 snitære 168, 177, 200, 208, 513 snite 41, 87, 92, 513 snitzære 168, 200 sôder 168, 183 soler 168, 170, 195 solsnîder 168 sorge 41, 51, 55, 71 soumære 168, 183, 191 spænelîn 295 spalter 168, 200 speichel 154 spende 33, 41, 51, 78, 85 spengel 295 spengeler 168, 195 sperre 41, 100, 104, 105 spîchwart 156 spîchwertel 154, 156, 159, 160, 161 spiegelære 168, 195 spilære 168, 214, 217
Wortregister spiller 168, 195 spinner 168, 200 spîsære 168, 182 spîse 41, 100, 105 spitâlære 168, 172, 179, 191, 198, 510 spitzer 168, 200 spœrlîn 295 sporære 168, 194 sporlîn 295 sprâch(e) 41, 43, 55, 71, 78, 85 stadel 154, 192 stadelære 168, 175, 183, 192 stæte 33, 44, 462 stætecheit 230, 236, 239, 245, 254, 255, 266, 462 stætecheit1 230, 242, 245, 246, 254, 257, 261, 266, 507 stætecheit2 230, 242, 262, 266, 504 stætigunge 254, 424, 427, 431, 432, 462 stætigunge1 423, 437, 461, 486, 504 stætigunge2 423, 462, 486, 507 stætunge 254, 423, 429, 431, 432 stætunge1 423, 437, 461, 480, 481, 486 stætunge2 423, 433, 461, 486, 507 stagel 154 staheler 168, 195, 196 stat 209, 306, 346, 386 state 386, 387 stathalter 168, 200, 208 stege 41, 49, 106, 108, 306 stegelîn 295, 302, 306 steig(e) 41, 87, 92 steinmeizel 154, 156, 158, 159, 160 steinmetze 42 steinung 424 stempfer 168, 175, 200 sterkerunge 423, 437, 462 stetelîn 295, 298, 302, 305, 306 stifter 168, 200, 209 stiftunge 423, 437, 462, 474, 477 stiur[e] 41, 43, 100, 105 stiure 386 stochwarter 156 stöckach 37, 38, 39 stocker 168, 183 stocwarter 160, 168, 200, 209, 513 stocwertel 154, 156, 159, 160, 513 stœrære 168, 200, 209 stœrunge 423, 437, 462 strælære 168, 194 striuzach 37, 38, 39 striuzich 37 strobel 155
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stubbeweschere 168, 200, 209 stübelîn 295, 302, 307 stückelîn 295, 302, 307 stûdach 37, 38, 39 stülze 42 stumpfelîn 295 stuolsezze 43 subpriorinne 277, 289, 291 süener 168, 195, 196, 197, 288 süenerinne 277, 283, 285, 288 sûmesal 341, 343, 344, 345, 346, 347, 348, 504, 512 sûmnisse 315, 322, 329, 343, 504 sûmunge 343, 423, 437, 439, 462, 466, 504 sündære 168, 195, 197 sünelîn 295 suone 41, 49, 55, 71, 196 sûter 168, 171, 175, 194, 197, 208, 288 sûterin 277, 285, 288 sweiger 168, 183, 192 swende 42 swenzelîn 295 swertelîn 295 swerter 168, 170, 195 swertvürbe 41, 87, 92, 156, 161, 513 swertvürbel 92, 154, 156, 159, 160, 161, 513 swerzer 168, 200, 209 swesterschaft 356, 368, 369, 372 tagedinger 168, 178, 210, 214, 217 tât 385, 387, 390, 392, 393, 401, 405, 408 tavernære 168, 183 techantinne 277, 280, 289, 291 teiler 168, 200, 210 teilunge 423, 484 teilunge1 423, 437, 462 teilunge2 423, 433, 482, 484 tescheler 168, 172, 174, 175, 194 tescher 168, 194 tiefe 41, 94, 98 tockeler 168, 170, 172, 174, 195 tohterlîn 295, 298, 302, 307 tolker 168, 183, 192 topelære 168, 214, 217 torwart(e) 156 torwart[e] 41, 87, 92, 513 torwartel 154, 156, 158, 159, 161, 513 torwertel 154, 158, 161 tôtvîentschaft 356, 362, 367 toufære 168, 176, 200, 210 trager 168, 200, 205, 210 tragunge 423, 437, 463 trahtunge 423, 437, 463, 472 tregede 118
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Wortregister
treibe 41, 78, 85 trœstere 168, 214, 217 trôstunge 423, 430, 437, 463, 474, 477, 478 truhtsæzinne 277, 285, 288 trunkenheit 23, 230, 242, 246, 255 tugende/tugent 118 tumpheit 230, 247, 255 tuochscherer 168, 200 türlin 299 türlîn 295, 298, 302, 307 turner 168, 180, 182, 192, 288 turnerinne 277, 285, 288 turnhüeter 32, 168, 200, 210 türwarter 168, 200 twâle 41, 51, 55, 71 twancsal 341, 343, 344, 345, 346, 347, 504, 521 twincnisse 315, 322, 330, 343, 504 twingære 169 übelære/übeler 169 übeltætekeit 230, 242, 245, 269, 271 übeltæter 168, 169, 195, 197 überhœrer 168, 200 ûfgabe 504 ûfgâbe 41, 45, 55, 71, 463 ûfgebunge 423, 437, 463, 504 ûfrihte 42 ûfsatzunge 423, 474, 478 ûfvart 386, 390, 393, 400, 402 umbesezze 43 unbilde 118, 142, 144 underprîorinne 277, 280, 289, 291 underrede 41, 55, 71 underscheidunge 423, 437, 463, 474, 478 underteidinger 168, 200, 210 underwîsunge 423, 437, 463 ungehôrsame 41, 94, 98, 507 ungehôrsamecheit 98, 230, 239, 247, 255, 507 ungenôzsame 349, 353, 354 unstætecheit 230, 239, 247, 255 uogitteie 225 urkünde 118, 119 urliuge 41, 56, 72 urscheidunge 423, 433, 437, 463, 464 ursuoche 41, 56, 72 urteilde 72, 118, 120, 121, 129, 137, 138, 140, 142, 144, 504 urteile 41, 51, 56, 72, 504 urvêhe 41, 51, 94, 98, 507 urvêhede 98, 118, 121, 123, 147, 148, 507 ûzriht(e) 41, 56, 72, 504 ûzrihter 168, 200, 210 ûzrihtigunge 428
ûzrihtunge 423, 428, 437, 439, 464, 504 ûzsagunge 423, 437, 464 ûzscheidunge 424 ûzvart 386, 390, 393, 402 ûzzoge 41, 56, 72, 73 valschære 168, 176, 183, 192 valschheit 230, 258, 261 vancnisse 315, 319, 322, 327, 328, 330 vancnüssede 118 vâr[e] 41, 56, 73 vart 386, 387, 393, 402 vaste 41, 56, 73 vaterlîn 295, 302, 307 vazzer 168, 194 ver/vere/verje 42 verbuntnisse 315, 317, 318, 322, 324, 330 verdæhtnisse 315, 317, 318, 334 verdamnisse 315, 320, 321, 322, 330, 504 verdamnunge 423, 433, 437, 464, 504 verdenknisse 315, 322, 330 verderpnisse 316, 322, 330 verdrozzenheit 230, 237, 242, 255 verebenunge 423, 432, 437, 464 vergeltunge 423, 437, 464 vergezzenheit 230, 242, 243, 245, 271, 272 vergezzenüsse 316, 319, 322, 330, 331, 504 vergezzicheit 230, 262, 266, 504 vergezzunge 423, 437, 464, 504 vergiht 386, 390, 393, 402, 405, 408 verhencnisse 316, 318, 319, 322, 331, 504 verhengede 118, 129, 138, 504 verhengunge 423, 437, 465, 504 verhœrunge 423, 430, 437, 465 verjehunge 423, 437, 465 verkêrunge 423, 437, 465 verkoufære 32, 168, 200, 204, 210 verkoufunge 423, 437, 465 verkumberunge 423, 432, 438, 442, 465, 466 verlîhunge 423, 438, 466 verlust 386, 387, 390, 393, 403 vernünsticheit 230, 247, 255 verrâtnisse 316, 322, 331 verrednisse 316, 332, 333 verrihter 168, 200, 211 verrihticheit 230, 262, 266, 267, 504 verrihtigunge 428 verrihtunge 423, 428, 438, 440, 466, 504 versatzunge 423, 430, 438, 466 verslihtunge 423, 438, 439, 466 versmæhede 118, 123, 126, 129, 137, 138 versprecher 168, 201, 211 verstantnisse 316, 317, 319, 322, 331 versûmecheit 230, 240, 244, 271, 273
Wortregister versûmunge 423, 429, 438, 439, 466 versuochunge 423, 438, 466 vertigunge 423, 438, 466 vertreter 168, 201, 211 vertuære 168, 201, 211 vervehtunge 425 verwærinne 277, 283, 285, 288 verwarlose 41, 56, 73 verwer 168, 201 verwese 41, 87, 92, 513 verzerer 168, 201, 211 verziehunge 423, 438, 439, 467 verzigenisse 316, 318, 319, 322, 331, 504 verzîhenisse 316, 319, 322, 331, 504 verziht 386, 392, 393, 403, 504 verzîhunge 423, 432, 438, 467, 504 veste 33, 44 vestecheit 230, 239, 247, 255 vestenunge 423, 427, 429, 438, 461, 467 vestigunge 423, 427, 428, 438, 467 vestunge 423, 438, 467 vetere 42 vezzeler 168, 172, 194 vezzelsnîdære 168, 201 vîentschaft 356, 362, 367 vierdelinc 309, 312 vierlinc 309, 310, 312 vingerlîn 164, 295, 309 vischenze 118, 122, 124, 125, 127, 140, 142, 151, 229, 525 vischer 168, 179, 214, 217 vischerîe 224, 225, 226, 227, 228 vischi 42 viztuom 413 vlader 168, 195 vlêhede 118, 129, 138, 504 vleischeckel 513 vleischer 161, 168, 183, 193 vleischhacker 156, 161, 168, 193, 201, 513 vleischheckel 154, 156, 158, 159, 161 vleischhouwer 168, 201 vlieze 41, 87, 92 vlige 41, 49, 56, 73, 504 vlœzer 168, 175, 183 vloitære 168, 183, 193 vluht 348, 386, 390, 393, 403 vluhtsal 341, 343, 344, 345, 348 vluorschaft 356, 362, 367, 383 vogelære 173 vogeler 168, 183 vogetîe 26, 224, 226, 227, 228 vogetinne 277, 285, 288 volge 41, 56, 73, 504
579
volger 168, 201, 211 volgunge 423, 438, 467, 504 volleister 168, 214, 218 volvüerer 168, 201, 211 volvüerunge 423, 438, 467 vorbedæhticheit 230, 241, 242, 247, 256 vorbetrahtigunge 428 vorbetrahtunge 423, 428, 431, 438, 467 vorderer 168, 201, 211 vorderunge 423, 427, 438, 468, 474, 475, 478 vorhte 41, 49, 56, 74 vorladunge 423, 438, 468 vormuntschaft 356, 362, 367 vrâgære 168, 214, 218 vrâge 41, 56, 74, 78, 86, 218 vrevel[e] 42, 109, 110 vreveler 168, 214, 218 vridebrecher 168, 201, 211, 212 vridesame 42, 94, 98 vrîheit 230, 231, 247, 256, 469, 487, 507 vrîhels(e) 42, 51, 94, 99 vristunge 423, 438, 468 vrîtuom 413, 415, 418, 419, 487, 507 vriundinne 277, 289, 291 vrîunge 424, 431, 468, 487 vrîunge1 423, 433, 469, 486, 487, 507 vrîunge2 423, 438, 468 vriuntschaft 356, 360, 362, 368 vrœnde 118, 129, 138, 139, 505 vrône 42, 49, 56, 74, 505 vröude 118, 121, 126, 127, 149 vrouwelîn 295, 298, 302, 307, 308 vrum(e) 42, 48, 50, 52, 113, 115 vrümede 118, 121, 126, 149 vüerer 168, 201, 212 vüerunge 423, 438, 469, 505 vülle 42 vuog(e) 42, 49, 56, 74, 75 vuor(e) 42, 49, 56, 75, 505 vuorunge 423, 438, 446, 469 vürdernisse 316, 317, 322, 331, 505 vürderunge 423, 427, 430, 438, 469, 505 vürgebunge 423, 433, 474, 478 vürlegunge 423, 438, 469, 474, 478 vürsihticheit 230, 247, 256, 446 vürspreche 42, 43, 87, 92 vürstinne 277, 289, 290, 291, 292 vürsttuom 413, 414, 416, 417, 418 vurt 386, 390, 391, 392, 410 vürvart 386 vürweser 168, 200, 211, 513 wâge 42, 100, 105
580
Wortregister
wagener 168, 172, 179, 195, 197, 510 wahtære 168, 175, 176, 182, 193 wahte 193, 386, 387, 389, 392, 408, 409, 410, 411, 413 waldenære 168, 174, 182 walke 42, 100, 103, 105 walker 168, 200 wallerinn 278 wambeiser 168, 170, 195 wandelunge 423, 438, 469, 470 wanner 168, 195 wârheit 230, 247, 249, 254, 256, 257, 258, 261 warnunge 423, 438, 470 warte 42, 56, 75, 90, 505 wartunge 423, 438, 470, 505 wasteler 168, 170, 195 wâtsacer 168, 170, 195 wazzerleite 32, 42, 100, 106 webære 168, 200, 212 wegenler 168, 170, 172, 195 weggeler 168, 172, 195 wëhsel 341 wehselære 168, 214, 218 weide 26, 42, 106, 107, 108 weitære 168, 201, 212 werbe 42 werer 168, 201, 212, 215 werre 42, 51, 56, 75, 505 werrunge 423, 438, 470, 505 werschaft 356, 359, 372, 373, 375, 376, 377, 380, 381, 505, 509, 520 werunge 423, 424, 438, 470, 474, 478, 505, 520 wescherinne 277, 282, 289, 292 weselîn 295, 302, 308 wesunge 423, 438, 470, 471 wette 33, 43 wezzerer 168, 214 wîdach 37 wideme 33, 43 widemer 168, 182 widemunge 423, 427, 480, 482 widerkunft 386, 390, 393, 403 widerlegunge 423, 438, 471, 480, 482 widerrechener 168, 201, 212 widerrede 42, 56, 75, 76 widerruofunge 423, 438, 471 widersache 42, 43, 87, 93, 471 widersachunge 423, 431, 433, 438, 471 widersag(e) 42, 56, 75 widerschrift 386, 390, 405, 408 widersprâche 42, 45, 48, 52, 56, 76, 505
widersprechunge 76, 423, 438, 472, 505 widertrahtunge 423, 431, 438, 472 widerunge 423, 438, 472 widerweher 169, 201, 212, 213 wildenære 169, 174, 183 wille 42, 56, 76, 78, 86 wille1 56 wiltwerker 169, 170, 183 winde 42 wînmezzer 169, 201, 213 wînschrôter 169, 201, 213 wirde 42 wirdecheit 230, 231, 241, 247, 257 wirtinne 277, 278, 289, 292 wirtschaft 357 wîsære 169, 201, 213 wiselîn 295, 302, 308 wîsheit 230, 247, 257, 258, 261 wîsôt 337 wisse 42, 56, 76 wîsunge 423, 438, 472, 474, 479 wîsunge2 424 wîte 42, 43, 94, 99, 109, 111 wîterunge 423, 438, 472 witewentuom 413, 414, 416, 417 witewer 169, 179, 221, 499 witze 42 wîze 42, 94, 99 wîzlederer 169, 178, 195, 197, 198 wizzende 118, 121, 129, 139, 140, 143, 374, 472, 505 wizzenschaft 140, 356, 372, 373, 374, 472, 505 wizzunge 423, 438, 472, 505 wolbehagnisse 316, 320, 322, 331 wolgevallunge 423, 431, 438, 472 wollære 169, 182, 193 wollener 169, 183 wollenslaher 169, 201 wonheit 230, 258, 261, 262 wonunge 423, 438, 473, 487, 488 wundât 76, 336, 337, 338, 340, 505 wunde 42, 51, 76 wunde1 42, 51, 109, 111 wunde2 42, 51, 56, 76, 111, 505 würzære 169, 183 zapfenære 169, 183 zeche 42 zehendære 169, 173, 183 zehendærinne 278 zehendelîn 295, 302, 308 zehendenære 169, 173, 183, 193 zehenlinc 309, 310, 312
Wortregister zeinler 169, 172, 174, 214 zelterer 170 zenger 169, 170, 175, 195 zerbrecher 169, 201, 213 zerunge 423, 425, 438, 473, 474, 479 zerworfnüsse 316, 318, 322, 331 zerwurfnüsse 316, 318, 322, 331 ziecher 169, 195 ziegeler 169, 195 zigerer 169, 195 ziht 386, 390, 393, 403 zîlach 37, 38, 39 zimberer 169, 214 zinsære 169, 183, 194 ziuge 42, 87, 93 ziugnüsse 316, 318, 319, 322, 331, 332, 333, 505 ziugsalunge 423, 429, 433, 483, 484, 485 ziugsame 349, 352, 505 ziugunge 423, 438, 452, 473, 505 zoller 169, 172, 183
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zolnære 169, 174, 183, 194 zôninge 423, 438, 473 zornunge 423, 433, 438, 439, 473 zower 169, 170, 183 zuht 68, 386, 390, 393, 403, 404 zunft 386 zuogehœrde 93, 118, 127, 145, 146, 147, 486, 513 zuogehœre 42, 87, 93, 147, 486, 513 zuogehœrunge 147, 423, 433, 485, 486, 513 zuohelle 42, 51, 56, 77 zuoloufer 169, 201, 213, 214 zuovart 386, 390, 393, 404 zuoversiht 386, 390, 393 zweinziger 169, 178, 179, 221 zweiunge 423, 425, 438, 473 zwelver 169, 178, 179, 222 zwickel 155 zwillinc 312 zwingunge 423, 438, 473