Der Rückstoß der Methode: Kierkegaard und die indirekte Mitteilung 9783110251647, 9783110251654

This study is the first comprehensive presentation of Kierkegaard’s method of an indirect communication from a philosoph

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German Pages 611 [612] Year 2012

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Table of contents :
Vorbemerkung
Teil I. Kierkegaards indirekte Methode
I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode
1. Das Problem einer direkten Bestimmung der Methode
2. Die aszendierende Bestimmung – Der Begriff ‚Indirekte Mitteilung‘
3. Die deszendierende Bestimmung – Der doppelte Rückstoß der Methode
4. Begriff und Durchführung der indirekten Methode
5. Die Vielgestaltigkeit der Methode
6. Die zwei Aspekte der indirekten Methode
a) Kommunikationsaspekt
b) Darstellungsaspekt
7. Experiment, Aporie, Wiederholung
8. Die vierfache Funktion der Pseudonymität
9. Das christliche Selbstverständnis und die Methode
I.2 Kierkegaards geschichtliche Stellung
1. Die Konstellation des Übergangs
2. Hegel
3. Schelling
4. Nietzsche
5. Derrida
I.3 Zum Stand der Forschung
1. Der Mitteilungsbegriff in der Frührezeption
2. Der sachbezogene Ansatz
3. Die ältere Forschung zur Mitteilungsfrage
4. Der dekonstruktive Ansatz
5. Ansätze der neueren Forschung zur Mitteilungsfrage
Teil II. Der Begriff der indirekten Mitteilung
Orientierende Vorbemerkung
II.1 Doppelreflexion der Mitteilung in Begriff und Durchführung – Die Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift
1. Die Doppelreflexion des subjektiven Denkers und die Dialektik der Mitteilung – Climacus’ erste Lessing-These
a) Lessing, Hegel und Sokrates – Der Auftakt zur Mitteilungsfrage
b) Das objektive Denken und der subjektive Denker
c) Die Doppelreflexion des subjektiven Denkers
d) Die Doppelreflexion der Mitteilung
e) Der Empfänger und das Gottesverhältnis
f) Hypothese und Aneignung
g) Form und Ausdruck
h) Sokrates und das Geheimnis
i) Der Begriff der Mitteilung in der ersten Lessing-These
2. Rückblick von Außen – Climacus über ,Ein gleichzeitiges Streben in der dänischen Literatur‘
a) Climacus’ Plan
b) Der ,Blick‘ zurück
c) ,Mitteilung über das Indirekte‘ und ,Fortnehmen‘
3. ,Möglichkeitsmitteilung‘ – Die Form des subjektiven existierenden Denkers
4. Der Abtritt des Pseudonyms – Climacus’ Widerruf der Nachschrift
5. Der Auftritt des Autors – Kierkegaards ,Erste und letzte Erklärung‘
II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung – Der Gesichtspunkt und Über meine Wirksamkeit als Schriftsteller
1. Der Grundgedanke des retrospektiven Selbstverständnisses
a) Wirksamkeit
b) Gesichtspunkt
2. Der Begriff der Mitteilung als bloße Taktik
a) Wirksamkeit
b) Gesichtspunkt
3. Das inhaltliche Problem
4. Das methodische Problem
5. Die Gegenbewegung in Gesichtspunkt und Wirksamkeit
a) ,Aufmerksam-Machen‘
b) Mitteilungstheoretische Abweichungen
II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt
1. Die Entdeckung der ,Maieutik‘ und der ,Reduplikation‘ – Die Journale und Entwürfe 1846/47
a) Maieutik
b) Reduplikation
2. Das Maieutische und das Ethische – Das Vorlesungsfragment zur ,Dialektik der Mitteilung‘ I
a) Der Plan zum Vorlesungsfragment und seine Niederlegung
b) Die Wissenschaft, die Kunst und das Ethische
c) Mitteiler, Empfänger, Gegenstand
d) Indirekte Mitteilung, Doppelreflexion, Maieutik
e) Das Ethisch-Religiöse, das Maieutische im Christentum und die Pseudonymität
f) ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ 1 – Die Taten der Liebe
3. Die direkte Mitteilung als persönliche Frage – Die Journale und Entwürfe 1847/48
a) ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ 2 – Die dritte Fassung des Buchs über Adler
b) Die ‚eigentümliche Dialektik der Mitteilung‘ – Das Journal NB3
c) Selbstreflexionen – Die Journale NB4 und NB5
4. Die Herausbildung des Gesichtspunkts – Das Journal NB6
a) Der Salon-Held, die Reduplikation und die ,pia fraus‘
b) ‚Jener kleine Artikel‘
c) ,Sein, was man sagt‘ – Reduplikation
d) ,Sagen, was man ist‘? – Der erste Plan zur direkten Mitteilung und seine Umkehrung
e) Die Symmetrie des Werks und die Übernahme der maieutischen Anlage
5. Reduplikation vs. Doppelreflexion – Die Einübung im Christentum
a) Der Gott-Mensch als ,Zeichen des Widerspruchs‘
b) Die zwei Formen der indirekten Mitteilung
6. Die Abfassung des Gesichtspunkts – Das Journal NB7
II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt
1. Die Frage nach der Herausgabe des Gesichtspunkts – Die Journale 1848/49
a) Die ,Situation‘ 1848/49 und der erste Plan zur pseudonymen Publikation – NB8 und NB9
b) Die Gegenbewegung zur direkten Mitteilung, Zeugnis und „Rechenschaft“ – NB10
c) Die ,Lösung‘ und der zweite Plan zur pseudonymen Publikation – NB11 – NB13
d) Der dritte Plan zur pseudonymen Publikation – NB14
2. Mitteilung ex cathedra? – Das Vorlesungsfragment zur ,Dialektik der Mitteilung‘ II
a) Zur Datierung des Vorlesungsfragments
b) Die erste Vorlesung – Direkte Mitteilung des Indirekten?
c) Das erste Distinktionsschema – Synchrone Systematik
d) Das zweite Distinktionsschema – Diachrone Systematik
e) Die zweite Vorlesung – Durchführung in Abbreviatur
3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘ – Die Journale und Entwürfe 1850-1852
a) ,Heterogenität‘ und letzte Abwägung zur Herausgabe des Gesichtspunkts – NB15 und NB16
b) Die Debatte um Martensens Dogmatik als ,Faktor‘ der Mitteilungsreflexion – NB17 – NB19
c) Nachschrift vs. „Rechenschaft“ und die indirekte Mitteilung als ,höhere‘ Form – NB20
d) Die Wirksamkeit als ,Reduplikation‘ und ,Handlung‘ – NB22 und NB24
e) L. J. M. Gude und die letzte Aufzeichnung zur Mitteilungsfrage in NB27
Teil III. Ironie und indirekte Mitteilung
Orientierende Vorbemerkung
III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – Über den Begriff der Ironie
1. Die heterogene Konzeption der Ironieschrift und die ,Ironiethese‘
2. Die Ironie als Standpunkt des Sokrates und die ,unendliche absolute Negativität‘
3. Die weltgeschichtliche Betrachtung der Ironie
4. Die ,existenzanalytische‘ Kritik der romantischen Ironie
5. Die ,Ironie als beherrschtes Moment‘
6. Die Darstellungsstruktur der Ironie
III.2 Innen und Außen – Parallele und Differenz von romantischer Ironie und indirekter Mitteilung
1. Die strukturelle Parallele – Darstellung des Undarstellbaren
a) Die fragmentarische Theorie der Ironie
b) Die ,Unverständlichkeit‘ der Ironie
2. Die wesentliche Differenz – Der Einzelne und das Absolute
III.3 Die inkommensurable Innerlichkeit – Zum Vorwort von Entweder/Oder
Teil IV. Die Durchführung der indirekten Mitteilung
Orientierende Vorbemerkung
IV.1 Experimentalpsychologie – Die Wiederholung
1. Mitteilungssituation und Experimentalstruktur
a) Titel und Auftakt
b) Darstellungs- und Kommunikationsaspekt
c) Die zwei Pseudonyme der Schrift
2. Constantins Experimente
3. Die Briefe des ,jungen Menschen‘
4. Reinterpretationen
IV.2 An der Grenze der Wissenschaft – Der Begriff Angst
1. ,Grundlegung‘ und ,Grenze‘ der Wissenschaft – Einleitung
a) Wissenschaft und Wirklichkeit
b) Der Nicht-Ort der Sünde und die Aneignung
c) Erste und zweite Philosophie
d) Psychologie
2. Der Einzelne und die Wissenschaft – Caput II
3. Das Schema – Caput IV
4. Das ,Zweitpseudonym‘ – Vorwort
5. Climacus über die Form der Angstschrift
IV.3 Anti-Climacus und die brüchige Leiter – Die Krankheit zum Tode
1. Kombinationsrechnung
a) Vom Begriff Angst zur Nachschrift
b) Hegel und der ,Sich vollbringende Skeptizismus‘
c) Climacus und Anti-Climacus
d) Die ,Buchstabenrechnung des Dialektischen‘
2. Die Krankheit zum Tode
a) Das Wissenschaftliche und das Erbauliche im Vorwort
b) Spuren des Indirekten in der Verzweiflungsanalyse
Literatur
1. Primärliteratur
2. Forschungsliteratur
Namensregister
Sachregister
Register der zitierten Nachlassstellen
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Der Rückstoß der Methode: Kierkegaard und die indirekte Mitteilung
 9783110251647, 9783110251654

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Kierkegaard Studies Monograph Series 25

Kierkegaard Studies Edited on behalf of the

Søren Kierkegaard Research Centre by Niels Jørgen Cappelørn and Hermann Deuser

Monograph Series 25 Edited by Hermann Deuser

De Gruyter

Philipp Schwab

Der Rückstoß der Methode Kierkegaard und die indirekte Mitteilung

De Gruyter

Kierkegaard Studies Edited on behalf of the Søren Kierkegaard Research Centre by Niels Jørgen Cappelørn and Hermann Deuser Monograph Series Volume 25 Edited by Hermann Deuser

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Freiburg im Breisgau

ISBN 978-3-11-025164-7 e-ISBN 978-3-11-025165-4 ISSN 1434-2952 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. 쑔 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH und Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Die vorliegende Untersuchung ist die für den Druck angepasste Fassung einer Dissertation, die 2009 von der Philosophischen Fakultät der Albert-LudwigsUniversität Freiburg angenommen worden ist. Neu eingearbeitet ist die 2011 in SKS 27 erschienene Edition des Fragments zur ,Dialektik der Mitteilung‘. Mein erster und herzlicher Dank gilt Frau Prof. Dr. Lore Hühn (Freiburg), die die Arbeit in allen ihren Entstehungsschritten betreut und begleitet hat. Zu danken habe ich auch dem Zweitgutachter Herrn Prof. Dr. Günter Figal (Freiburg); Herrn Prof. Dr. Joachim Grage (Freiburg) danke ich für seine spontane Bereitschaft zur Übernahme des Drittgutachtens. Danken möchte ich den Mitarbeitern des Søren Kierkegaard Research Centre in Kopenhagen für ihre freundliche Aufnahme während eines Forschungsaufenthaltes im Sommer / Herbst 2008; insbesondere danke ich Herrn Dir. Prof. Dr. h.c. Niels Jørgen Cappelørn (Kopenhagen). Ein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Deuser (Erfurt), nicht zuletzt für seine Hinweise zur Bearbeitung der Druckfassung. Den Freiburger Kollegen, die mich bei der Korrektur der Druckvorlage und der Erstellung der Register unterstützt haben, danke ich ganz herzlich: Alexander Bilda, M.A., Philipp Höfele, M.A., Christoph Rüßler und Sören Wulf, B.A. Den Freunden in Freiburg, Berlin und Heidelberg danke ich für das Gespräch. Freiburg, im Frühjahr 2012

Inhalt Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Teil I Kierkegaards indirekte Methode I.1

Die systematische Bestimmung der indirekten Methode . . . 1. Das Problem einer direkten Bestimmung der Methode . . 2. Die aszendierende Bestimmung – Der Begriff ,Indirekte Mitteilung‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die deszendierende Bestimmung – Der doppelte Rückstoß der Methode . . . . . . . . . . . . . . . 4. Begriff und Durchführung der indirekten Methode . . . . 5. Die Vielgestaltigkeit der Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die zwei Aspekte der indirekten Methode . . . . . . . . . . . a) Kommunikationsaspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Darstellungsaspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Experiment, Aporie, Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Die vierfache Funktion der Pseudonymität . . . . . . . . . . . 9. Das christliche Selbstverständnis und die Methode . . . . .

9 12

I.2

Kierkegaards geschichtliche Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Konstellation des Übergangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schelling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nietzsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Derrida . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38 38 40 43 46 49

I.3

Zum Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Mitteilungsbegriff in der Frührezeption . . . . . . . . . . 2. Der sachbezogene Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die ältere Forschung zur Mitteilungsfrage . . . . . . . . . . . . 4. Der dekonstruktive Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ansätze der neueren Forschung zur Mitteilungsfrage . . . .

52 53 54 57 60 63

14 16 17 19 20 21 27 30 32 34

VIII

Inhalt

Teil II Der Begriff der indirekten Mitteilung Orientierende Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 II.1 Doppelreflexion der Mitteilung in Begriff und Durchführung – Die Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift . . . . . . . . . . . . 1. Die Doppelreflexion des subjektiven Denkers und die Dialektik der Mitteilung – Climacus’ erste Lessing-These a) Lessing, Hegel und Sokrates – Der Auftakt zur Mitteilungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das objektive Denken und der subjektive Denker . . . c) Die Doppelreflexion des subjektiven Denkers . . . . . . d) Die Doppelreflexion der Mitteilung . . . . . . . . . . . . . . e) Der Empfänger und das Gottesverhältnis . . . . . . . . . . f) Hypothese und Aneignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Form und Ausdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Sokrates und das Geheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Der Begriff der Mitteilung in der ersten Lessing-These 2. Rückblick von Außen – Climacus über ,Ein gleichzeitiges Streben in der dänischen Literatur‘ . . . a) Climacus’ Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der ,Blick‘ zurück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) ,Mitteilung über das Indirekte‘ und ,Fortnehmen‘ . . . 3. ,Möglichkeitsmitteilung‘ – Die Form des subjektiven existierenden Denkers . . . . . . . 4. Der Abtritt des Pseudonyms – Climacus’ Widerruf der Nachschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Auftritt des Autors – Kierkegaards ,Erste und letzte Erklärung‘ . . . . . . . . . . . . . II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung – Der Gesichtspunkt und ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller 1. Der Grundgedanke des retrospektiven Selbstverständnisses a) Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesichtspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Begriff der Mitteilung als bloße Taktik . . . . . . . . . . . a) Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesichtspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das inhaltliche Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80 87 88 92 95 100 104 108 112 116 119 124 125 131 134 139 142 144

148 153 153 157 158 158 164 168

Inhalt

IX

4. Das methodische Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Gegenbewegung in Gesichtspunkt und Wirksamkeit . . a) ,Aufmerksam-Machen‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mitteilungstheoretische Abweichungen . . . . . . . . . . .

173 178 178 181

II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Entdeckung der ,Maieutik‘ und der ,Reduplikation‘ – Die Journale und Entwürfe 1846/47 . . . . . . . . . . . . . . . . a) Maieutik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reduplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Maieutische und das Ethische – Das Vorlesungsfragment zur ,Dialektik der Mitteilung‘ I a) Der Plan zum Vorlesungsfragment und seine Niederlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Wissenschaft, die Kunst und das Ethische . . . . . . c) Mitteiler, Empfänger, Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . d) Indirekte Mitteilung, Doppelreflexion, Maieutik . . . . e) Das Ethisch-Religiöse, das Maieutische im Christentum und die Pseudonymität . . . . . . . . . . . f) ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ 1 – Die Taten der Liebe 3. Die direkte Mitteilung als persönliche Frage – Die Journale und Entwürfe 1847/48 . . . . . . . . . . . . . . . . a) ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ 2 – Die dritte Fassung des Buchs ber Adler . . . . . . . . . . . . b) Die ,eigentümliche Dialektik der Mitteilung‘ – Das Journal NB3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Selbstreflexionen – Die Journale NB4 und NB5 . . . . 4. Die Herausbildung des Gesichtspunkts – Das Journal NB6 a) Der Salon-Held, die Reduplikation und die ,pia fraus‘ b) ,Jener kleine Artikel‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) ,Sein, was man sagt‘ – Reduplikation . . . . . . . . . . . . . d) ,Sagen, was man ist‘? – Der erste Plan zur direkten Mitteilung und seine Umkehrung . . . . . . e) Die Symmetrie des Werks und die Übernahme der maieutischen Anlage . . . . . . . 5. Reduplikation vs. Doppelreflexion – Die Einbung im Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Gott-Mensch als ,Zeichen des Widerspruchs‘ . . . b) Die zwei Formen der indirekten Mitteilung . . . . . . . . 6. Die Abfassung des Gesichtspunkts – Das Journal NB7 . . . .

185 191 195 204 208 213 215 219 225 231 236 238 239 242 244 248 251 255 258 260 268 276 279 284 292

X

Inhalt

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt . . . . . . . . . . . 1. Die Frage nach der Herausgabe des Gesichtspunkts – Die Journale 1848/49 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die ,Situation‘ 1848/49 und der erste Plan zur pseudonymen Publikation – NB8 und NB9 . . . . . b) Die Gegenbewegung zur direkten Mitteilung, Zeugnis und „Rechenschaft“ – NB10 . . . . . . . . . . . . c) Die ,Lösung‘ und der zweite Plan zur pseudonymen Publikation – NB11 – NB13 . . . . . d) Der dritte Plan zur pseudonymen Publikation – NB14 2. Mitteilung ex cathedra? – Das Vorlesungsfragment zur ,Dialektik der Mitteilung‘ II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Datierung des Vorlesungsfragments . . . . . . . . . . . b) Die erste Vorlesung – Direkte Mitteilung des Indirekten? . . . . . . . . . . . . . . . c) Das erste Distinktionsschema – Synchrone Systematik d) Das zweite Distinktionsschema – Diachrone Systematik e) Die zweite Vorlesung – Durchführung in Abbreviatur 3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘ – Die Journale und Entwürfe 1850 – 1852 . . . . . . . . . . . . . . a) ,Heterogenität‘ und letzte Abwägung zur Herausgabe des Gesichtspunkts – NB15 und NB16 . . . . . . . . . . . . b) Die Debatte um Martensens Dogmatik als ,Faktor‘ der Mitteilungsreflexion – NB17 – NB19 . . . . . . . . . . c) Nachschrift vs. „Rechenschaft“ und die indirekte Mitteilung als ,höhere‘ Form – NB20 . . d) Die Wirksamkeit als ,Reduplikation‘ und ,Handlung‘ – NB22 und NB24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) L. J. M. Gude und die letzte Aufzeichnung zur Mitteilungsfrage in NB27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

302 307 308 312 318 323 328 332 352 375 389 410 415 419 425 430 435 441

Inhalt

XI

Teil III Ironie und indirekte Mitteilung Orientierende Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die heterogene Konzeption der Ironieschrift und die ,Ironiethese‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ironie als Standpunkt des Sokrates und die ,unendliche absolute Negativität‘ . . . . . . . . . . . . 3. Die weltgeschichtliche Betrachtung der Ironie . . . . . . . . 4. Die ,existenzanalytische‘ Kritik der romantischen Ironie 5. Die ,Ironie als beherrschtes Moment‘ . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Darstellungsstruktur der Ironie . . . . . . . . . . . . . . . . .

466 471 475 476 480

III.2 Innen und Außen – Parallele und Differenz von romantischer Ironie und indirekter Mitteilung . . . . . . . . 1. Die strukturelle Parallele – Darstellung des Undarstellbaren a) Die fragmentarische Theorie der Ironie . . . . . . . . . . . b) Die ,Unverständlichkeit‘ der Ironie . . . . . . . . . . . . . . 2. Die wesentliche Differenz – Der Einzelne und das Absolute

484 489 489 494 496

455 459

III.3 Die inkommensurable Innerlichkeit – Zum Vorwort von Entweder/Oder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502

Teil IV Die Durchführung der indirekten Mitteilung Orientierende Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 IV.1 Experimentalpsychologie – Die Wiederholung . . . . . . . . . . . . 1. Mitteilungssituation und Experimentalstruktur . . . . . . . . a) Titel und Auftakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Darstellungs- und Kommunikationsaspekt . . . . . . . . . c) Die zwei Pseudonyme der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . 2. Constantins Experimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Briefe des ,jungen Menschen‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Reinterpretationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

512 513 513 515 516 519 523 525

XII

Inhalt

IV.2 An der Grenze der Wissenschaft – Der Begriff Angst . . . . . . . 1. ,Grundlegung‘ und ,Grenze‘ der Wissenschaft – Einleitung a) Wissenschaft und Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Nicht-Ort der Sünde und die Aneignung . . . . . . c) Erste und zweite Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Einzelne und die Wissenschaft – Caput II . . . . . . . . 3. Das Schema – Caput IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das ,Zweitpseudonym‘ – Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Climacus über die Form der Angstschrift . . . . . . . . . . . .

528 529 530 532 534 537 541 543 545 546

IV.3 Anti-Climacus und die brüchige Leiter – Die Krankheit zum Tode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kombinationsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vom Begriff Angst zur Nachschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Hegel und der ,Sich vollbringende Skeptizismus‘ . . . . c) Climacus und Anti-Climacus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die ,Buchstabenrechnung des Dialektischen‘ . . . . . . . 2. Die Krankheit zum Tode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Wissenschaftliche und das Erbauliche im Vorwort b) Spuren des Indirekten in der Verzweiflungsanalyse . .

549 551 552 555 557 562 563 563 565

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 1. Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 2. Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Register der zitierten Nachlassstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595

Vorbemerkung Die folgende Untersuchung zielt auf den Erweis und die Entfaltung einer einzigen These: Die indirekte Mitteilung ist die Methode der Existenzphilosophie Søren Kierkegaards. Diese These wird von der Darstellung in drei Hinsichten entwickelt: in systematischer, in geschichtlicher und in exegetisch-werkgeschichtlicher Perspektive. In der Hinsicht, die man klassischerweise eine ,systematische‘ nennen würde, gilt es, die indirekte Mitteilung in ihrer Struktur zu entfalten und ihre Bewegungsform nachzuzeichnen. Als indirekte Mitteilung ist sie freilich eine Methode eigener Art. Sie lässt sich nämlich nicht als geschlossener systematischer Entwurf im eigentlichen Sinne rekonstruieren, noch ist sie aus einer Definition abzuleiten oder aus einem ersten Grundsatz zu deduzieren. Vielmehr ist die indirekte Mitteilung eine Methode der Unabgeschlossenheit – und mithin der profilierte Gegenentwurf zu einem jeden sich in sich schließenden systematischen Denken. Gleichwohl lässt sich ihre Bewegungsform präzise beschreiben: Die indirekte Methode ist eine aporetische Denkform des Umwegs, oder sie ist ein Verfahren, das sich beständig entgegenarbeitet; derart konstituiert sie den Rckstoß der Methode. Als Denkgestalt des uneinholbar Vorläufigen ist sie Experimentalphilosophie, in ihrer Abstoßung von einer theoretischen Totalschau vollzieht sie sich als perspektivische Praxis und pseudonyme Polyphonie. Die ,systematische‘ Darstellung der indirekten Methode wird zwar im Blick auf Kierkegaards Werk vorzunehmen sein, sich aber dort, wo seine Formulierungen als nicht hinreichend oder problematisch erscheinen, von ihrem Wortlaut lösen müssen. Insbesondere ist zu zeigen, dass Kierkegaard sich mit der Bestimmung der Existenzmethode als Mitteilung eine tiefergehende Analyse des Indirekten verstellt. Gleichwohl wird sichtbar werden, dass die indirekte Methode Kierkegaards Existenzdenken als solches wesentlich strukturiert. Grundproblem und Ausgangspunkt der systematischen Entfaltung bezeichnet die Frage, wie ein indirektes Verfahren überhaupt zur Darstellung gebracht werden kann – ohne einerseits seine strukturelle Unabgeschlossenheit in eine direkte und ,resultative‘ Bestimmung zu überführen, oder aber andererseits das Indirekte einer bloßen Unbe-

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Vorbemerkung

stimmbarkeit anheimzugeben. Mithin ist zunächst die Möglichkeit einer direkten Darstellung des Indirekten zu diskutieren. So lassen sich anhand der indirekten Mitteilung Kierkegaards nicht nur die Struktur und Bewegung, sondern auch die methodische Eigentümlichkeit und innere Aporie einer unabgeschlossenen Denkform exemplarisch aufzeigen. Die Exemplarizitt von Kierkegaards Verfahren – welche freilich nicht als bloßes Beispiel eines Allgemeinen zu fassen ist – verweist auf den zweiten Aspekt der Untersuchung: In geschichtlicher Hinsicht gilt es zu zeigen, dass Kierkegaard gerade aufgrund seiner indirekten Methode eine Schlüssel- und Scharnierstellung in der Konstellation des bergangs zwischen Idealismus und Moderne zukommt. Trotz aller Verwandtschaften und Abhängigkeiten im Verhältnis zum Deutschen Idealismus stößt sich die Experimentalform Kierkegaards von dem Systemanspruch, der für die klassische deutsche Philosophie bis zuletzt verbindlich bleibt, ab und deutet voraus in die Moderne. Kierkegaards Zurückweisung der systematischen Form bedeutet dabei keineswegs, dass die Philosophie einfach verabschiedet und aufgehoben würde – in der indirekten Experimentalmethode entwirft Kierkegaard vielmehr eine neue Denkgestalt, die an der Grenze der Sprache und des Begriffs operiert. In dieser Hinsicht präfiguriert die indirekte Methode gebrochene Denkformen des späteren 19. und des 20. Jahrhunderts, namentlich das Verfahren Nietzsches und die so genannte ,Dekonstruktion‘ Derridas. Es ist aber sogleich zu bemerken, dass Kierkegaards Methode mit späteren Denkgestalten keineswegs identifiziert und noch weniger von diesen her gelesen werden soll. Kierkegaard ist zunächst allein aus sich selbst heraus darzustellen – hätte eine voreilige Aktualisierung doch notwendig zur Konsequenz, die Eigentümlichkeit seines Verfahrens zu verwischen. Mit dem Fokus auf Kierkegaards Denken selbst ist schließlich die exegetisch-werkgeschichtliche Hinsicht der Untersuchung angezeigt, die den größten Raum der Studie einnimmt. Dieser Aspekt wiederum untergliedert sich in den Begriff und die Durchfhrung der indirekten Mitteilung. Die reziproke Dialektik dieser beiden Bestimmungen ist noch im systematischen Teil zu diskutieren. Dabei gilt es zu zeigen, dass die Durchfhrung der Mitteilung keineswegs als bloße und schematische Anwendung theoretischer Operatoren zu verstehen ist – so wie umgekehrt der Begriff der indirekten Mitteilung sich nicht einfach jenseits ihres Vollzugs konstituiert. Die Exegese hat im Begriff der Mitteilung alle diejenigen Texte Kierkegaards in den Blick zu nehmen, in denen er selbst oder ein Pseudonym ausdrücklich und ,theoretisch‘ die Mitteilungsform zum Gegenstand macht und bestimmt. Angestrebt ist dabei ein Panorama der

Vorbemerkung

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verschiedenen Begriffe indirekter Mitteilung; diese gilt es an ihrer werkgeschichtlichen Position aufzusuchen und in ihrem je spezifischen Kontext zu situieren. Schon in dieser Hinsicht wird sich die wesentliche Vielgestaltigkeit der indirekten Mitteilung zeigen. Da die indirekte Methode aber ihre Bewegung nur im konkreten Vollzug entfaltet, hat die Untersuchung den Übergang zur Durchfhrung der Mitteilung zu machen. Hier gilt es, an einzelnen Texten Kierkegaards exemplarisch auszuweisen, wie sich die indirekte Methode in ihren konkreten Formen gestaltet. *** Die angezeigten Bestimmungen sind als bloß vor der Hand gegebene aufzufassen; was näher in ihnen liegt, muss sich aus der Untersuchung selbst ergeben. In die indirekte Methode lässt sich nämlich nicht einleiten, sie ist auch nicht auf ihre geschichtlichen Entstehungsbedingungen zurückzuführen und noch weniger aus einem einzelnen Text Kierkegaards unmittelbar herauszulesen. Schließlich ergibt sich ihre Bewegung auch nicht einfach aus dem, was der Titel ,indirekte Mitteilung‘ semantisch zu implizieren scheint. Jede allgemeine und äußerliche Bestimmung liefe Gefahr, die indirekte Methode auf die eine oder andere Weise zu fixieren oder sie im Vorhinein in Anspruch zu nehmen – und somit ihre Gestalt zu verzeichnen und ihre Bewegung zu verfehlen. Vielmehr ist die indirekte Methode zuerst in der ihr eigentümlichen, gegen sich selbst gekehrten Struktur zu entfalten. Mit dieser Entfaltung beginnt der erste Teil der Untersuchung; erst danach folgt, was der Leser gemeinhin von einer Einleitung erwarten würde: die geschichtliche Kontextualisierung der indirekten Methode und eine Diskussion des Forschungsstands. Der zweite Teil der Untersuchung beginnt die im engeren Sinne exegetische Auseinandersetzung mit Kierkegaards Werk und widmet sich zunächst dem Begriff der Mitteilung – gleichsam den ,theoretischen‘ Formulierungen des indirekten Verfahrens. Zunächst gilt es hier, die beiden systematisch profiliertesten und reifsten Begriffe der Mitteilung in Kierkegaards Œuvre einander gegenüberzustellen: die Mitteilungskonzeptionen der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift und des Gesichtspunkts fr meine Wirksamkeit als Schriftsteller. Der wesentliche Unterschied dieser beiden Begriffe ist aufzuzeigen; der von der Forschung oftmals unhinterfragt als Schlüssel zu Kierkegaards Werk und Mitteilungsform verstandene retrospektive Gesichtspunkt ist zu problematisieren. Die Differenz zwischen Nachschrift und Gesichtspunkt soll aber nicht

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bloß konstatiert, sondern auch erklrt werden. Dazu ist die Entwicklung des Mitteilungsbegriffs in Kierkegaards publiziertem und unpubliziertem Œuvre zwischen 1846 und 1848 werkgeschichtlich nachzuvollziehen – der ,Weg zum Gesichtspunkt‘. Zum Abschluss dieses Teils gilt es zu zeigen, dass Kierkegaards Mitteilungsreflexion 1848 keineswegs endet, sondern bis 1852 mit unverminderter Intensität fortgeführt wird – der ,Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt‘. Dass dieser zweite Teil bei weitem größeren Raum einnimmt als die übrigen Teile der Untersuchung, ist wesentlich durch seinen Gegenstand bedingt: Hier soll Kierkegaards weitgespannte und über Werk und Nachlass verstreute Reflexion zum Begriff der Mitteilung erstmals in genetischer und systematischer Perspektive zur Darstellung gebracht werden.1 Aus dem chronologischen Nachvollzug ergibt sich unter anderem ein neuer Datierungsvorschlag zu Kierkegaards Vorlesungsfragment über die ,Dialektik der Mitteilung‘. Der dritte Teil der Untersuchung nimmt das Verhältnis von Ironie und indirekter Mitteilung in den Blick. Diese Partie verbindet den systematischen, den geschichtlichen und den werkgeschichtlichen Aspekt der Auslegung: Geschichtlich ist die indirekte Methode in der Auseinandersetzung mit der romantischen Ironie zu diskutieren; in dieser Verhältnisbestimmung wird systematisch die Konstellation einer Darstellung des Undarstellbaren zu erörtern sein. Werkgeschichtlich schließlich bezeichnet der dritte Teil den Rückgang zu Kierkegaards frühen Schriften, namentlich der Magisterdissertation ber den Begriff der Ironie. Sofern die dort aufzuweisende Grundfigur der Ironie – als Inkommensurabilität von Innen und Außen – auch im Vorwort von Entweder/Oder eine prominente Stellung einnimmt, ist dieser Text noch innerhalb des dritten Teils in den Blick zu nehmen. Damit ist zugleich der Übergang zur Durchfhrung der Mitteilung im pseudonymen Werk gemacht, die Gegenstand des vierten und letzten Teils der Untersuchung ist. Hier gilt es, anhand dreier Schriften die konkreten und je spezifischen Vollzugsformen des indirekten Verfahrens exemplarisch zu skizzieren. Dabei ist einerseits das indirekte Verfahren dort einzuholen, wo es sich in seiner experimentellsten Gestalt zeigt, in der Schrift Die Wiederholung. Andererseits aber hat die mitteilungstheoretische Interpretation sich auch an denjenigen Werken zu erproben, in 1

Der an historischen und philologischen Details weniger interessierte Leser kann sich bei der Lektüre der beiden material- und umfangreichen Kapitel II.3. und II.4. ohne substanziellen Verlust auf die vorab gegebenen Zusammenfassungen beschränken.

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denen auf den ersten Blick keine Experimentalform vorliegt. Dies gilt bereits für den Begriff Angst und noch mehr für die spätere Krankheit zum Tode. In beiden Schriften ist aufzuzeigen, dass auch sie entgegen dem ersten Anschein vom Rückstoß der Methode affiziert sind. Jeder der drei exegetischen Teile beginnt mit einer ,Orientierenden Vorbemerkung‘, die über Gegenstand und Abfolge der sich anschließenden Darstellung informiert. Auch die hinführenden Partien der einzelnen Kapitel sind so gestaltet, dass sie die wesentlichen Thesen und Bewegungen des Folgenden in konzentrierter Gestalt vorab anzeigen. *** Im Ganzen lässt sich mithin der Weg der Untersuchung beschreiben als Gang vom Abstrakten zum Konkreten: Aus der ,systematischen‘ Darstellung wird sich die Notwendigkeit ergeben, zu einer Analyse der einzelnen Begriffe indirekter Mitteilung überzugehen; diese wiederum fordern den Übergang zu einer Interpretation der konkreten Durchfhrung der indirekten Methode. Der Zug zum Konkreten – zur ,Situation‘ – bezeichnet die regionale Struktur der indirekten Methode. Werkgeschichtlich durchläuft die Untersuchung eine zweifache Folge: In Teil II beginnt sie mit der Nachschrift und rekonstruiert Kierkegaards Mitteilungsreflexion bis in die späten Journale (1846 – 1852); mit Teil III setzt die Untersuchung vor den pseudonymen Schriften neu an (1841) und verfolgt in Teil IV die Gestaltung der indirekten Methode über die frühe Werkphase seit 1843 bis in das spätere pseudonyme Werk (1848). *** Im Blick auf die unmittelbar folgende systematische Bestimmung ist an das Wort Hegels zu erinnern, nach welchem die Philosophie dort, wo sie anfngt, noch nicht als ganze gegeben ist. Dies gilt vorzüglich auch von der indirekten Methode, deren Bewegung sich nicht in einem einfachen Satz einfangen lässt, sondern in ihrer eigentümlich gegen sich selbst gekehrten Form nachgezeichnet und beschrieben werden muss: Sie erscheint erst in der Sukzession und Entfaltung als das, was sie ist. Keineswegs aber impliziert der Verweis auf den Hegelschen Anfang die Reintegration Kierkegaards in ein System. Auch dort noch, wo die Untersuchung zu ihrem Ende kommen muss, wird Kierkegaards Methode nicht abgeschlossen oder vollendet sein. Als Denkform des Indirekten hat sie sich einer feststellenden Einschließung je schon entzogen.

Teil I Kierkegaards indirekte Methode

I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode These Die indirekte Mitteilung ist die Methode der Existenzphilosophie Søren Kierkegaards, sie ist das bestimmende Strukturprinzip, der wesentliche Vollzugsmodus und die notwendige Form seines Denkens. Bevor diese These in systematischer Hinsicht zu entfalten ist, bevor zu zeigen ist, was in ihr liegt, und auch, was nicht in ihr liegt; und bevor insbesondere zu fragen ist, in welchem Sinne ein indirektes Verfahren eine Methode genannt werden kann – soll der Autor, von dem die These ausgesagt wird, selbst zu Wort kommen. Kierkegaard hat seinerseits die indirekte Mitteilung eher selten ausdrcklich als Methode bezeichnet,1 er hat aber immer wieder und an einer Vielzahl von Stellen auf die entscheidende Bedeutung der ,indirekten Mitteilung‘, der ,Dialektik der Mitteilung‘ oder der ,doppeltreflektierten Mitteilung‘ aufmerksam gemacht. Ohne die These der Untersuchung im Vorhinein durch eine einzelne Aussage des Autors – gleichsam ,autoritativ‘ – beglaubigen zu wollen, und ohne zu behaupten, in ihr liege Kierkegaards wahrstes Wort über die indirekte Mitteilung, sei die sprechendste Formulierung in dieser Hinsicht vorab zitiert. Im Journal NB3 schreibt Kierkegaard gegen Ende des Jahres 1847: Wenn es im Verhältnis dazu, etwas mitzuteilen, so ohne weiteres gegeben ist, was mitzuteilen ist, wenn dies so ganz von selbst folgt, dass nicht ein einziger Augenblick damit verschwendet werden soll, darüber zu sprechen, ja dass es sich um die Art von Voraussetzungen handelt, die nicht einmal genannt zu werden brauchen: dann geht es leicht genug mit dem Mitteilen, wie geschmiert, falls man etwas mitzuteilen hat. Aber wenn ein Schriftsteller einen eigentümlichen Begriff davon hat, was Mitteilung ist, wenn vielleicht gerade seine ganze Eigentümlichkeit, die Realität seiner historischen Bedeutung hierin konzentriert ist: ja dann hat es gute Weile – oh, Schule der Geduld. 1

Gleichwohl findet sich die Bestimmung in den drei wichtigsten Texten zur Mitteilungsfrage, vgl. AUN1, 271 / SKS 7, 252; GWS, 47 / SV2 XIII, 576 und WS, 6 Anm. / SKS 13, 14 Anm.

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I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode

Ehe die Rede davon sein kann, etwas von dem zu verstehen, was er mitgeteilt hat, muss man ihn zuerst verstehen in der ihm eigentümlichen Dialektik der Mitteilung, und diese in allem, was man versteht, mitverstehen. Und diese seine eigent. Dialektik der Mitteilung kann er ja doch nicht in der traditionellen Dialektik der Mitteilung mitteilen. Das möchte die Zeit freilich von ihm fordern, wie natürlich, weil es Nonsens ist. Oh, gute Weile, verstanden zu werden, oh Schule der Geduld.2

In aller Vorläufigkeit lassen sich dieser Journalnotiz einige Hinweise darauf entnehmen, was wenigstens der Autor selbst seinem Verfahren zuschreibt. Ein Vierfaches ist vorab zu bemerken. Erstens ist festzuhalten, dass Kierkegaard die zentrale Bedeutung der ,Dialektik der Mitteilung‘ für sein Denken ausdrücklich hervorhebt – in ihr sei „seine ganze Eigentümlichkeit, die Realität seiner historischen Bedeutung“ konzentriert; und man müsse die Dialektik der Mitteilung in allem, was man verstehe, „mitverstehen“. Von hier aus liegt die These, die ,Dialektik der Mitteilung‘ sei die Methode Kierkegaards, wenigstens nicht fern. Obgleich die ,Dialektik der Mitteilung‘ in derart zentraler Bedeutung, ja als unumgehbarer Bezugspunkt eines jeden Verstehens eingeführt wird, sagt aber die Aufzeichnung zweitens nicht – und schon gar nicht direkt –, worin denn die Dialektik der Mitteilung besteht; sie sagt nicht, was die Dialektik der Mitteilung ist. Diese ,Auslassung‘ ist durchaus bemerkenswert – und verdankt sich offenbar nicht einem Zufall. Im Gegenteil schärft nämlich Kierkegaard ein, der Denker, welcher über einen ,eigentümlichen Begriff der Mitteilung‘ verfüge, könne diese eigentümliche Dialektik der Mitteilung ihrerseits eben nicht in der traditionellen Dialektik der Mitteilung ausdrücken. Was aber die traditionelle Dialektik der Mitteilung ist, folgt aus dem zu Beginn genannten Fall: Es ist die direkte Mitteilung – eine Mitteilung, die keinerlei Umstände zu machen hat in Bezug auf ihren Gegenstand und ihre Form. In dieser direkten Mitteilung kann die hier in Frage stehende Dialektik der Mitteilung nicht ausgedrückt werden. Dies ist entscheidend festzuhalten: In der Auf2

NB3:62 (T 2, 190 / SKS 20, 275). In diesem systematischen Teil der Untersuchung haben die Verweise auf Kierkegaards Texte eine andere Funktion als in den folgenden, exegetischen Partien. Es wird jeweils diejenige Passage Kierkegaards zitiert, die den gerade systematisch in Frage stehenden Aspekt der Methode am deutlichsten zu beleuchten vermag – ohne dass Ort und Kontext des jeweiligen Textstücks erörtert würden. Da aber Stellung und Zusammenhang einer Aussage über die Form der Mitteilung diese wesentlich bedingen, werden alle hier herangezogenen Textstücke in den exegetischen Partien der Untersuchung nochmals an ihrem spezifischen Ort begegnen.

I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode

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zeichnung wird nicht gesagt, es sei jenem Denker nicht zu raten, eine direkte Bestimmung vorzunehmen, oder eine solche sei nicht wnschenswert – Kierkegaard sagt vielmehr, eine direkte Darstellung der eigentümlichen Dialektik der Mitteilung selbst sei unmçglich. Wird nun gesetzt, dass die in der Eintragung geradezu beschworene ,Dialektik der Mitteilung‘ die indirekte ist – und dies entspricht zweifelsohne Kierkegaards Sprachgebrauch –, so zeigt sich, dass offensichtlich ein Problem in der direkten Bestimmung der indirekten Mitteilung besteht, ja dass die indirekte Mitteilung selbst und als solche sich einer direkten Mitteilung entzieht. Damit ist das grundlegende Problem der Untersuchung angezeigt, und es wird sich als äußerst widerständig erweisen. Zunächst ist aber noch kurz bei der zitierten Eintragung zu verweilen. Bei näherem Hinsehen zeigt sich nämlich drittens, dass Kierkegaard die Unmöglichkeit einer direkten Mitteilung der indirekten Mitteilung nicht nur behauptet, sondern auch gestaltet. Schon die irritierende Tatsache, dass die ,Dialektik der Mitteilung‘ zwar in entscheidender Bedeutung vorgeführt, nicht aber selbst bestimmt wird, ist der erste Ausdruck dieser Gestaltung. Man darf diese Bewegung womöglich derart beschreiben, dass Kierkegaard auf die Dialektik der Mitteilung aufmerksam macht – und es bei diesem Aufmerksam-Machen belsst. Die ,Verweigerung‘ einer direkten Mitteilung über die indirekte gestaltet sich sodann dadurch, dass die letztere über den Umweg ihres Gegenteils eingeführt wird, also ex negativo: Die indirekte Mitteilung ist nicht die direkte, und wird sich dieser auch nicht fügen – dies ist offensichtlich der erste Ansatzpunkt für ihre Bestimmung. Sodann ist auf die Sprecherperspektive hinzuweisen, die in den wiederholten Apostrophen zum Ausdruck kommt: Die Eintragung hat die Form der Anrede. Nun findet sich freilich die Aufzeichnung in einem Journal, das Kierkegaard doch wohl zunächst nur für sich selbst schreibt. Wen Kierkegaard hier anspricht, bleibt mithin fraglich. Insbesondere aber ist zu bemerken, dass der Autor dort, wo er doch bloß für sich selbst schreibt, gerade nicht als er selbst, sondern in dritter Person spricht: Kierkegaard schreibt – obschon er zweifelsohne sich selbst meint – ja nicht: ,ich‘ habe einen eigentümlichen Begriff der Mitteilung, sondern: ,ein Denker‘. Und überdies wird nicht einmal gesagt, dass ein solcher Denker tatsächlich existiere oder je existiert habe, es heißt bloß hypothetisch: ,wenn – dann‘. Bei näherem Hinsehen zeigt sich also, dass die Eintragung den Abstand, den sie zur direkten Mitteilung über die indirekte Mitteilung direkt formuliert, in mehrfacher Hinsicht auch durchfhrt – und so, wie man sich dies auszudrücken gewöhnt hat, ,performativ‘ vollzieht, was sie sagt.

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I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode

Aus der eingangs gegebenen Beschreibung der direkten Mitteilung ist schließlich viertens noch ein letzter Hinweis zu entnehmen. Bei dem Wort ,Mitteilung‘ denkt man wohl zunächst – und es wird sogleich darauf zurückzukommen sein – an das ,Wie‘ einer Aussage. ,Mitteilung‘ ist diejenige Form, in der jemand einem anderen etwas sagt. Die Aufzeichnung spricht anlässlich der direkten Mitteilung allerdings davon, dass das Mitteilen keine Umstände mache, sofern ,ohne weiteres gegeben ist, was mitzuteilen ist‘. Dies bedeutet offenbar umgekehrt, dass dieses ,Was‘ – der Gegenstand der Mitteilung – in der indirekten Form keineswegs ,ohne Weiteres‘ gegeben ist. Auch dies ist für das Folgende wesentlich nicht außer Acht zu lassen. So zeigt sich in der zitierten Aufzeichnung vorab ein Mehrfaches über die indirekte Mitteilung: Es scheint offenbar ein grundsätzliches Problem in der direkten Mitteilung ber das Indirekte zu bestehen, wird dieses Problem doch nicht nur benannt, sondern auch gestaltet. Nicht zuletzt scheint dieses Problem wesentlich auf die Bestimmung des ,Was‘ der Mitteilung, des Gegenstandes zu verweisen. Damit ist die zentrale methodologische Aporie der indirekten Mitteilung vorläufig angezeigt. Diese Aporie herzuleiten und zu entfalten ist der Ausgangspunkt der folgenden Darstellung.

1. Das Problem einer direkten Bestimmung der Methode Die indirekte Mitteilung ist die Methode der Existenzphilosophie Søren Kierkegaards, sie ist das bestimmende Strukturprinzip, der wesentliche Vollzugsmodus und die notwendige Form seines Denkens. In dieser These liegt zunächst, was die indirekte Mitteilung nicht ist – oder, um dies vorsichtiger zu formulieren, was sie nicht zuerst ist: Indirekte Mitteilung ist nicht zuerst eine verschwindende stilistische Eigentümlichkeit der Form, auch ist sie keine ,literarische Einkleidung‘ philosophischer Gedanken. Indirekte Mitteilung ist schließlich nicht zunchst – obschon sich bei Kierkegaard zweifelsohne Formulierungen finden, die genau dies suggerieren – eine maieutisch-pädagogische Taktik, die allein dem Zweck dient, bei dem Empfänger der Mitteilung ein bestimmtes ,Ergebnis‘ zu erzielen. Ist nämlich die indirekte Mitteilung die Methode Kierkegaards, dann geht sie tiefer als alle soeben genannten Bestimmungen, sie ist die notwendige Form seines Denkens – und nicht bloß eine äußerliche Verhüllung, in welcher Hinsicht und zu welchem Zweck auch immer.

1. Das Problem einer direkten Bestimmung der Methode

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Im Gegenzug erscheint es nun sogleich die Aufgabe der Untersuchung zu sein, eine positive Bestimmung dessen zu formulieren, was bei Kierkegaard unter ,indirekter Mitteilung‘ zu verstehen ist – mithin eine Definition indirekter Mitteilung zu geben oder, in der klassischen Form, die Frage: „Was ist indirekte Mitteilung?“ befriedigend und umfassend zu beantworten. In der eingangs zitierten Journalnotiz aber – um ein letztes Mal auf sie zurückzudeuten – hatte Kierkegaard für das Verständnis der indirekten Mitteilung eine ,Schule der Geduld‘ gefordert. In der Tat könnte einer Entfaltung der indirekten Mitteilung nichts weniger dienlich sein als eine überhastete und voreilige Definition. Gerade am Anfang der Bewegung besteht die größte Gefahr, auf einen Abweg zu geraten und die Struktur der indirekten Methode wesentlich zu verfehlen – und es leuchtet unmittelbar ein, dass ein Verfehlen an diesem Punkt später nicht mehr würde eingeholt werden können. Tatsächlich zeigt schon eine einfache Überlegung, dass die indirekte Mitteilung zu einer Definition in einem wenigstens spannungsreichen Verhältnis steht. Eine positive Bestimmung ist nämlich zugleich eine direkte Bestimmung. Wird nun aber die indirekte Mitteilung direkt bestimmt, so besteht offenbar ein Widerspruch – auf diesem Weg würde das Indirekte durch Rückführung auf das Direkte aufgehoben und gleichsam vernichtet. Soll aber die indirekte Mitteilung als Methode zu verstehen sein, so ist das Indirekte ihr wesentlich und muss festgehalten werden. Es fragt sich aber sogleich wiederum, ob das Indirekte sich überhaupt wird festhalten lassen, ohne eo ipso in das Direkte übersetzt zu werden. Das Indirekte scheint sich mithin, soll es als solches festgehalten werden, gerade dem Festhalten, dem begreifenden Feststellen zu entziehen. So ist das Bedürfnis nach einer Definition der indirekten Mitteilung in eine Aporie geraten, die sich einer einfachen Auflösung widersetzt. Offensichtlich kommt nun alles darauf an, in welcher Weise diese Aporie verstanden und entfaltet wird. Sie kann nämlich in ihrer Unlösbarkeit durchaus als unfruchtbar erscheinen; es mag sich der Eindruck aufdrängen, über das Indirekte lasse sich schlechterdings nichts sagen und es sei der schalen Indifferenz des Unbestimmbaren anheimzugeben. Dem ist nicht so, und der Nachweis, wie diese Aporie produktiv zu fassen ist, bezeichnet die Aufgabe des Folgenden: Es gilt, eine Form zu finden, in der das Indirekte zugleich beschrieben und offen gehalten werden kann. Über der Frage nach dem Indirekten ist zunächst aus dem Blick gekommen, dass der Titel, der hier vorab für die Methode Kierkegaards eingeführt worden ist, noch ein zweites Glied enthält – die Mitteilung. Auf der Suche nach der Form, in der das Indirekte zugleich beschrieben und

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I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode

offen gehalten werden kann, gilt es also, den Begriff in seiner Zusammenstellung mit dem Terminus ,Mitteilung‘ zu analysieren. Es ist aber vorab schon zu ersehen, dass diese Analyse das Problem nicht wesentlich zu lösen vermag, liegt dieses doch augenscheinlich im Indirekten als solchem. Gleichwohl wird die Aporie im Ausgang von der ,Mitteilung‘ noch an Klarheit gewinnen. Sofern diese Analyse zu dem ,Punkt‘ führen soll, an dem die ,Kriterien‘ für die gesuchte Form der indirekten Methode deutlich werden, heißt sie die aszendierende Bestimmung der Methode – der zweite Gang, der von der gesuchten Form ausgeht, heißt die deszendierende Bestimmung der Methode.

2. Die aszendierende Bestimmung – Der Begriff ,Indirekte Mitteilung‘ Unter ,indirekter Mitteilung‘ wird man wohl dem Wortsinne nach zunächst das Folgende verstehen:3 Einer, der Mitteilende (A), teilt einem zweiten, nämlich dem Empfnger der Mitteilung (B), etwas mit; dieses ,etwas‘ ist der Gegenstand der Mitteilung (C). Im Sonderfall einer indirekten Mitteilung erfolgt nun die Mitteilung des Gegenstandes durch den Mitteilenden an den Empfänger eben auf indirektem Wege (D), und das heißt offenbar: über einen Umweg. Die vier Glieder dieser Bewegung – der Mitteilende (A), der Empfänger (B), der Gegenstand (C) und das Indirekte der Mitteilung (D) – sind zweifelsohne je für sich hochinteressant und werden im Verlauf der Untersuchung auch immer wieder begegnen. Der methodisch entscheidende Zusammenhang eines indirekten Verfahrens liegt aber offenbar zwischen C und D, zwischen dem Gegenstand der Mitteilung und dem Indirekten. Entscheidend ist dieser Zusammenhang aus folgendem Grund: Lässt sich nämlich der Gegenstand der Mitteilung, gleichsam bevor er in die Mitteilungssituation eintritt, auch direkt bestimmen oder darstellen, so ist das indirekte Verfahren augenscheinlich ein bloß äußerliches, womöglich aus pädagogischen Erwägungen verwendetes Kommunikationsmittel. In 3

Die folgenden vier Bestimmungen gibt auch Kierkegaard selbst in seinem Vorlesungsfragment über die ,Dialektik der Mitteilung‘; dort beziehen sich diese aber allein auf die ,Mitteilung‘, die auch das vierte Glied ausmacht (also noch ohne die Spezifikation des Indirekten); vgl. Papir 367 (DM, 129 / SKS 27, 404) und hierzu unten, II.4.2.b). Der folgende Gedankengang allerdings entspricht durchaus nicht dem, den Kierkegaard aus der ,Analysis‘ ableitet.

2. Die aszendierende Bestimmung – Der Begriff ,Indirekte Mitteilung‘

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diesem Fall allerdings kann von einer Methode nicht gesprochen werden. Entzieht sich aber der Gegenstand einer jeden direkten Ansprache und Bestimmung, so ist das indirekte Verfahren nicht eine bloß äußerliche Einkleidung oder ein teleologischer, im Ziel verschwindender Umweg – sondern ein unendlicher, unabschließbarer Umweg. Das indirekte Verfahren ist dann der Umweg selbst, mithin das paradoxe Unterfangen, auf ,etwas‘ auszugreifen, das sich dem Zugriff und der Feststellung beständig entzieht. Unter der Hand hat sich somit aber die Form des Problems zugleich verwandelt: Entzieht sich nämlich der Gegenstand der Mitteilung einer unmittelbaren und direkten Bestimmung, so betrifft die indirekte Methode offensichtlich nicht bloß ein Problem der Mitteilung, sondern zugleich ein Problem der Darstellung; ja dieses Darstellungsproblem scheint sogar das grundsätzlichere zu sein, affiziert es doch den mitzuteilenden Gegenstand noch vor jeder Mitteilung. In der Analyse des Begriffs ,Indirekte Mitteilung‘ wird die oben angezeigte Aporie zugleich verschärft und nuancierter gefasst. Als vorläufiges Ergebnis ist festzuhalten: Wird nur und ausschließlich von der indirekten Mitteilung gesprochen, so ist das Indirekte tatsächlich nichts weiter als ein letztlich durchschaubarer und somit streng begrenzter Umweg. Soll aber das indirekte Verfahren von grundlegender Bedeutung sein, soll es mithin als Methode verstanden werden, so betrifft es zugleich die Darstellung des Gegenstandes, sein Begreifen. Wird dieses Darstellen aber wesentlich als indirekt verstanden, so bezeichnet die indirekte Methode den Ausgriff auf ein nicht Einholbares. Somit sind die Kriterien für die Bestimmungsform des indirekten Verfahrens präzisiert: Sie muss nämlich zugleich das Ausgreifen und das Verfehlen in sich aufnehmen und reflektieren; und sie muss dies derart, dass beide ,Momente‘ zugleich und irreduzibel in ihr enthalten sind. Die Bestimmung des indirekten Verfahrens muss also eine spannungsreiche Doppelbewegung in sich fassen – und diese Doppelbewegung ist der Rckstoß der Methode.

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I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode

3. Die deszendierende Bestimmung – Der doppelte Rückstoß der Methode Der Rückstoß der Methode beschreibt das indirekte Verfahren.4 Seine Bestimmung hat sich keineswegs aus der semantischen Analyse des Begriffs ,Indirekte Mitteilung‘ ergeben; er ist überhaupt nicht zu deduzieren, sondern vorauszusetzen. Dies hat den folgenden Grund: Der Rückstoß der Methode beschreibt die Grundbewegung einer jeden gegen sich selbst arbeitenden Methode; er setzt ins Wort, dass jeder Bewegung notwendig eine Gegenbewegung entspricht; oder er bezeichnet die Spannung eines Denkens, dem dasjenige ,etwas‘, auf das es ausgreift, beständig entgeht. Im Rückstoß der gegen sich selbst arbeitenden Methode ist die Irreduzibilität der Doppelbewegung gefasst; er markiert, dass keine einfache Bewegung hinreicht, und dass ein jedes Ausgreifen notwendig ein Zurücknehmen fordert. Die ,Voraussetzung‘, die in dem Rückstoß der Methode formuliert wird, ist mithin von eigener Art: Sie ist nämlich zugleich derart zu fassen, dass sie jede begrenzte Voraussetzung unmçglich macht; oder sie zeigt, dass es in der indirekten Denkform weder ein absolutes und unhintergehbares Erstes (im starken Sinne eines ,Prinzips‘) noch ein absolutes und definitives Letztes (im Sinne eines ,Resultats‘) geben kann. Diese eigentümliche ,Voraussetzung‘ kann auch so ausgedrückt werden, dass im Rückstoß der Methode die Offenheit des indirekten Denkens gesichert ist. Der Rückstoß ist noch nicht Kierkegaards indirekte Mitteilung; er stellt vielmehr die Form dar, unter der allein über ein unabgeschlossenes, experimentelles Denken gesprochen werden kann. Auf den Fall Kierkegaards und die ,indirekte Mitteilung’ zugespitzt: Wird der Rückstoß nicht vorausgesetzt, so läuft die indirekte Mitteilung stets Gefahr, in die direkte Form übertragen und auf diese reduziert zu werden. Der Rückstoß der Methode ist somit der ,systematisch‘ erste Begriff in der Bestimmung der indirekten Mitteilung. Er setzt die gesamte folgende Begriffsentwicklung gleichsam unter Spannung und affiziert jede konkretere Bestimmung; er zeigt auf und hält fest, dass kein Begriff hinreichend und keine Definition erschöpfend ist; oder er schreibt die uneinholbare Vorlufigkeit des Indirekten in seine konkrete Bestimmung ein. Unter der Maßgabe des Rückstoßes der Methode zeigt sich das indirekte 4

Bei dem Wort ,beschreiben‘ ist durchaus auch diejenige Bedeutung mitzuverstehen, die wir in der Formulierung verwenden, dass z. B. jemand mit der Hand ,eine Bewegung beschreibt‘.

4. Begriff und Durchführung der indirekten Methode

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Denken als eine Theorie über die Sprache, zugleich aber als Theorie über die Grenze der Sprache – und schließlich als Theorie über die Grenze der Theorie. Im Vorblick auf das spezifisch Kierkegaardsche Verfahren ist überdies der Rückstoß der Methode als ein doppelter auszuweisen: Der erste Rückstoß der Methode bezeichnet gewissermaßen die ,Praxis‘, die ,Operation‘ oder den ,Vollzug‘ des Indirekten. Er kann dadurch beschrieben werden, dass Kierkegaards Verfahren sich beständig entgegenarbeitet: 5 Jede Aussage und Bestimmung, die als definitive, ihren Gegenstand erfassende und vollständig begreifende erscheint, wird sogleich unterlaufen; jeder gesetzte Begriff wird konterkariert, verschoben und in die Schwebe gesetzt, jedes letzte Resultat widerrufen. Der doppelte Rückstoß der Methode aber zeigt sich dort, wo ihr Begriff selbst gegeben und ihr Prinzip konkret beschrieben werden soll. Die nähere Bestimmung der indirekten Mitteilung steigt aus der Bewegung des Rückstoßes nicht einfach aus; die ,Theorie‘ des Indirekten oder ihr Begriff ist selbst noch in die unabgeschlossene Bewegung des Indirekten hineingehalten. Die indirekte Methode erscheint unter der Maßgabe des doppelten Rückstoßes als dezentrale Mitte der Philosophie Kierkegaards. Sie ist ihre Mitte, weil sie ihren denkerischen Vollzug bestimmt – sie ist dezentral, sofern sich ihr Ort nie einfach und letztgültig wird bestimmen lassen. Oder die indirekte Methode ist die Mitte von Kierkegaards Denken, sofern ihrer Bewegung letztlich nichts entgeht – und sie ist dezentral, indem sie die Strukturen und den Vollzug des Denkens stets in die Offenheit und Beweglichkeit hineinhält.

4. Begriff und Durchführung der indirekten Methode Die dezentrierte Struktur von Kierkegaards Methode lässt sich nun in einem ersten Schritt näher bestimmen als die Dialektik von Begriff und Durchfhrung indirekter Mitteilung. Diese Struktur ergibt sich unmittelbar 5

Vgl. WS, 8 Anm. / SKS 13, 15 Anm. Kierkegaard bestimmt diese Bewegung („im Arbeiten sich selbst entgegenzuarbeiten“) als die „dialektische Bewegung“ – freilich an dieser Stelle und auch sonst zumeist in einem sehr spezifischen Sinn (vgl. unten, II.2.2.). Diese Grundbewegung betrifft aber nicht nur Kierkegaards späte Schriften und den hier so genannten maieutisch-teleologischen Mitteilungsbegriff, sondern alle Begriffe indirekter Mitteilung; vgl. etwa die Nachschrift (bes. AUN1, 65 / SKS 7, 73 f.) oder das Vorlesungsfragment (bes. Papir 365:14 (DM, 93 / SKS 27, 397)).

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I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode

aus dem doppelten Rückstoß, sie ist aber noch genauer zu fassen und im Vorblick auf die exegetische Auseinandersetzung mit Kierkegaard zu präzisieren: Der Begriff der Mitteilung umfasst exegetisch all jene Textpassagen, in denen ein Pseudonym oder Kierkegaard selbst eine begriffliche und ,theoretische‘ Bestimmung indirekter Mitteilung vornimmt. Die Durchfhrung indirekter Mitteilung hingegen bezeichnet die konkreten Formen und Vollzugsweisen der Mitteilung, die jeweiligen praktischen Modi und Strukturen, die sich aus einer konkreten Mitteilungssituation ergeben.6 Diese Unterscheidung ist aber sogleich in einer spezifischen dialektischen Reziprozität zu verstehen; und aus dieser erhellt exemplarisch, inwiefern der ,Rückstoß der Methode‘ für die konkrete exegetische Arbeit entscheidend ist. Auf der einen Seite konstituiert sich nämlich die begriffliche Bestimmung indirekter Mitteilung nicht einfach jenseits ihres Vollzuges. Der Begriff der Mitteilung ist nicht als ihre ,Theorie‘ der gegenkehrigen und unabgeschlossenen Bewegung des Indirekten enthoben. Dies lässt sich auch so ausdrücken, dass der Begriff der indirekten Mitteilung ihre Bewegung nicht einfach von außen beschreibt; oder dass der Begriff die Unabgeschlossenheit der indirekten Methode nicht einfach abschließt. So wie die Bewegung des Indirekten stets selbst vorläufig ist und nicht einfach zu einem ,Resultat‘ kommt, so ist auch ihr konkreter Begriff nicht definitive Bestimmung. Nur auf diesem Weg ist es auch zu erklären, dass sich im Werk Kierkegaards gänzlich unterschiedliche und sogar gegenstzliche Begriffe der indirekten Mitteilung aufweisen lassen: Wie die indirekte Mitteilung als solche, so hat auch ihr Begriff einen spezifisch regionalen Zug; oder er konstituiert sich allein in einer konkreten ,Situation‘. Diese Auffassung hat für die Exegese eine entscheidende Konsequenz: Sie muss dort, wo indirekte Mitteilung ausdrücklich zum Thema gemacht wird, nicht nur danach fragen, was jeweils über die indirekte Mitteilung gesagt wird – sondern zugleich danach, wie, mit welchen Mitteln, unter welcher Maßgabe und aus welcher Perspektive heraus diese Thematisierung erfolgt. Umgekehrt und auf der anderen Seite ist die Durchfhrung der Mitteilung in ihren konkreten Formen nicht vollständig von ihrem Begriff umfasst. Noch weniger ergibt sich die Praxis des Indirekten einfach aus seinem Begriff oder bringt terminologische Operatoren bloß schematisch zur Anwendung. Die Varianz der Form in Praxis und Vollzug der Mitteilung 6

Der Begriff der ,Situation‘ wird hier allein formal antizipiert. Vgl. zur konkreten Bestimmung unten, Abschnitt 8. zur Pseudonymität.

5. Die Vielgestaltigkeit der Methode

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entspringt der je spezifischen Situation und Fragestellung; sie ist prinzipiell unbegrenzbar. Überdies konstituiert sich in einigen Texten an den Rändern der Durchfhrung der Mitteilung eine nur der je spezifischen Gestalt zugehörige begriffliche Konzeption des Indirekten.7 Der Begriff der Mitteilung trennt sich also nicht von dem Vollzug des Indirekten – und umgekehrt beherrscht er auch keineswegs den Formenreichtum der Durchführung. Die regionale Verflechtung von Begriff und Durchführung ist im konkreten Fall von beiden Seiten her je spezifisch zu bestimmen. Mithin bezeichnet die Dialektik von Begriff und Durchführung der indirekten Mitteilung ihre wesentliche Verschrnkung.

5. Die Vielgestaltigkeit der Methode Schon aus dem doppelten Rückstoß erhellt, dass die indirekte Mitteilung nicht nur eine Methode des vielgestaltigen Ausdrucks, sondern zugleich in sich eine vielgestaltige Methode ist; und bereits aus der Dialektik von Begriff und Durchführung der Mitteilung folgt, dass es den einen, alles umspannenden Mitteilungsbegriff bei Kierkegaard nicht gibt und nicht geben kann. Den Erweis für diese These wird die Exegese in Teil II dieser Untersuchung zu erbringen haben. Schon vor der Hand kann sie allerdings durch die Vielzahl der Titel beglaubigt werden, die Kierkegaard seinem Verfahren gibt: Die indirekte Methode heißt „Dialektik der Mitteilung“,8 „Doppelreflexion der Mitteilung“9 und „doppeltreflektierte Mitteilung“,10 sie heißt „Existenzmitteilung“11 und „Existenzmitteilung […] in der Form der Möglichkeit“;12 „Dialektik der ethischen und der ethisch-religiösen Mitteilung“,13 „Könnensmitteilung“14 und „direkt-indirekte Mitteilung“;15 sie wird „Reduplikation“16 und „Redu-

7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

So im Begriff Angst, vgl. unten, IV.2. AUN1, 65 / SKS 7, 73. AUN1, 66 / SKS 7, 74. AUN2, 340 / SKS 7, 570. NB6:13 (SKS 21, 16). AUN2, 62 / SKS 7, 327. Papir 364 (DM, 84 / SKS 27, 389). Papir 367 (DM, 129 / SKS 27, 404). Papir 368:13 (DM, 137 / SKS 27, 414). NB6:57 (T 3, 50 / SKS 21, 42).

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I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode

plikation der Mitteilung“17 genannt; das „Maieutische“,18 „Mitteilung in Reflexion“19 – und schließlich „indirekte Mitteilung“.20 Die verschiedenen ,Namen‘ bezeichnen keineswegs ein und dieselbe Sache: Vielmehr wählt Kierkegaard jeweils diejenige Bezeichnung, die dem konkret in Frage stehenden Anliegen der Mitteilungsreflexion entspricht. Aus der gegebenen ,Liste‘ erhellt unmittelbar, warum der Begriff ,Indirekte Mitteilung‘ als Titel des indirekten Verfahrens bezeichnet worden ist – findet sich doch keine Bestimmung, die alle Aspekte von Kierkegaards Überlegungen zur Mitteilungsfrage zu umspannen vermöchte. Zugleich wird nochmals deutlich, dass eine rein systematische Erörterung der Vielgestaltigkeit des Kierkegaardschen Begriffs nicht genügen kann – sie hat notwendig zur konkreten Textinterpretation überzugehen, die genannten vielfältigen Titel in ihrem jeweiligen Kontext aufzusuchen und zu bestimmen. Auch dieses Verfahren der Auslegung wird aber keineswegs ein bündiges und distinktes System der Mitteilungstheorie ergeben. Freilich liegt es in der eigentümlichen Struktur des indirekten Verfahrens selbst, dass es viele Titel trägt – der Rückstoß der Methode fordert gleichsam dazu auf, den je sich entziehenden Begriff fortgesetzt und konkret zu bestimmen. Dabei wird aber der Raum dieser Bestimmung vom Rückstoß erst eröffnet; er hält das indirekte Denken beständig in Bewegung, macht aber zugleich die je spezifische Formulierung erst mçglich.

6. Die zwei Aspekte der indirekten Methode Im Rückstoß der Methode und der Dialektik von Begriff und Durchführung ist Kierkegaards Verfahren freilich keineswegs vollständig bestimmt; und auch die bloße Angabe der Titel hat noch keine nähere Aufklärung gegeben. In der Tat ist über Kierkegaards indirekte Mitteilung im engeren Sinne noch gar nichts gesagt worden. Der Rückstoß der Methode bildet jedoch die spannungsreiche Grundlage, auf der die nheren Bestimmungen der Methode zu entfalten sind – er bewahrt die Interpretation davor, überhastet zu einer direkten Definition zu schreiten. Die Struktur indirekter Mitteilung lässt sich nur umgrenzen in einer Serie 17 18 19 20

EC, 128 / SKS 12, 138. Vgl. z. B. NB6:68 (T 3, 53 / SKS 21, 50). WS, 6 / SKS 13, 13. Vgl. z. B. AUN1, 245 / SKS 7, 229.

6. Die zwei Aspekte der indirekten Methode

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beweglicher Begriffe, die beständig dem je interpretierten Text auszusetzen sind und sich an seiner spezifischen Verfasstheit zu bewähren haben. Dabei lassen sich die näheren Bestimmungen der Methode aus dem doppelten Rückstoß nicht als aus einem Grundsatz deduzieren. Sie treten vielmehr hinzu, indem sich die Interpretation dem ,sachlichen‘ Anliegen Kierkegaards nähert; und aus diesem Anliegen erst erhellt die Struktur von Kierkegaards ,indirekter Mitteilung‘. Dieses Anliegen war aber nicht im Vorhinein vorauszusetzen; es ist erst aufzunehmen, nachdem der Rückstoß den Bewegungsraum des Indirekten gesichert hat. Das wesentliche Anliegen von Kierkegaards Denken ist nun der konkret existierende Einzelne. Insofern ist die gesamte Philosophie Kierkegaards Existenzmitteilung. Hierin erst zeigt sich die spezifische Signatur des Kierkegaardschen Verfahrens: Der ,rein‘ gefasste Rückstoß der Methode beschreibt zunächst nur den strukturellen Rahmen der indirekten Methode; in ihrer konkreten Ausrichtung ist sie nun auf die Existenz gerichtete indirekte Methode. Als solche lässt sie sich ausfalten in einen Kommunikationsaspekt und einen Darstellungsaspekt. Hier kehren nun die beiden ,Möglichkeiten‘ zur Bestimmung des ,Gegenstands‘ wieder, die in der aszendierenden Bestimmung der Methode genannt worden waren, und es gilt zu sehen, wie sie sich vor dem Hintergrund des Rückstoßes der Methode zeigen. Zugleich gibt diese Unterscheidung die Gelegenheit, eine Eigentümlichkeit der eben genannten Titel der indirekten Methode näher zu beleuchten. Obschon nämlich Kierkegaard das indirekte Verfahren auf vielfache Weise benennt, haben doch die allermeisten dieser Namen eine Gemeinsamkeit: Sie enthalten den Aspekt der Mitteilung.

a) Kommunikationsaspekt Wird nun zunächst die indirekte Methode im engeren Sinne verstanden, so ist sie tatsächlich rein als Mitteilung oder als Kommunikation zu fassen. Die Untersuchung hat offenbar auf das oben genannte Modell zurückzukommen, das sich zwischen Mitteiler und Empfänger konstituiert. In der ,Mit-teilung‘ selbst liegt dem Wortstamm nach das ,Teilen‘, als ,teilen mit‘: Der Mitteiler teilt dem Empfänger etwas mit; oder der Mitteiler teilt etwas mit dem Empfänger; oder er lässt ihn an etwas Anteil haben. So scheint also die ,Mitteilung‘ zunächst wesentlich mit dem Gemeinsamen zu tun zu haben. Diese Implikation wird darin noch deutlicher, dass das Wort ,Mitteilung‘ auf communicatio, somit auf communio und schließlich auf

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I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode

joimym_a verweist. Mitteilung ist also zunächst Teilhabe oder TeilhabenLassen.21 Es ist nun vor diesem Hintergrund nicht als solches einzusehen, weshalb von einer indirekten Mitteilung gesprochen werden sollte; und zugleich ist nicht einsichtig, inwiefern das ,Teilhaben-Lassen‘ gerade auf den Existierenden in seiner Einzelheit (also Kierkegaards Anliegen) bezogen sein soll. Darin zeigt sich in der Tat konkreter, was zuvor schon angedeutet worden ist: dass nämlich die bestimmten Formen der indirekten Methode sich nicht aus dem Rückstoß der Methode selbst ableiten lassen: sie sind allerdings auch nicht aus dem bloßen Titel ,Indirekte Mitteilung‘ oder dem Mitteiler-Empfänger-Modell zu deduzieren. Damit die Notwendigkeit einer ,indirekten Mitteilung‘ ersichtlich wird, muss vielmehr eine konkrete Voraussetzung eingeführt oder auf eine konkrete Situation Bezug genommen werden. Um dies anhand des Kommunikationsmodells zu präzisieren: Soll die Mitteilung indirekt sein, so muss der Grund für dieses Indirekte in einem der drei übrigen Elemente liegen – etwa in einer ,Absicht‘ des Mitteilers, in einer bestimmten ,Eigenschaft‘ des Empfängers oder einer ,Beschaffenheit‘ des Gegenstandes. Die Untersuchung sieht sich also an diesem Punkt schon an die konkrete Exegese Kierkegaardscher Texte verwiesen. Um aber noch im Rahmen der ,systematischen‘ Untersuchung den Kommunikationsaspekt zu konturieren, wird diese notwendig auf die Exegesen vorausgreifen müssen. Nun besteht eines der ,Probleme‘ in Kierkegaards eigener Darstellung des indirekten Verfahrens allerdings darin, dass er die verschiedenen Formen oder Möglichkeiten der indirekten Mitteilung an keiner Stelle abstrakt und vollstndig bestimmt.22 Bei näherem Hinsehen zeigt sich auch, dass dieses ,Problem‘ durchaus der Regionalitt der Methode entspricht – nämlich der Unmöglichkeit einer Bestimmung des Indi21 Tatsächlich enthält aber das Wort ,Mitteilung‘ im Deutschen (wie auch das korrespondierende ,meddelelse‘ im Dänischen) eine ,Einseitigkeit‘: Hier ist einer der beiden Partizipierenden der Mitteiler, der andere der Empfänger. Diese Nuance ist für Kierkegaard durchaus wichtig und in dem Fremdwort ,Kommunikation‘ (das Kierkegaard auch im Dänischen nur sehr selten verwendet) nicht enthalten. Gleichwohl wird der Titel ,Indirekte Mitteilung‘ in dieser Untersuchung als allgemeine Bezeichnung für das indirekte Verfahren verwendet. Sobald spezifisch und allein die Mitteilung im engeren Sinne gemeint ist, wird der Ausdruck ,Kommunikation‘ gebraucht (vornehmlich zur Abgrenzung vom Darstellungsaspekt). 22 Dies gilt auch und gerade nicht von den zwei Fassungen des Vorlesungsfragments zur ,Dialektik der Mitteilung‘, die aber in der Tat (implizit) diesen Anspruch vertreten; vgl. unten, II.3.2. und II.4.2.

6. Die zwei Aspekte der indirekten Methode

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rekten jenseits der ,Situation‘. Mithin wird die systematische Untersuchung einzelne Aspekte aus Kierkegaards Mitteilungsreflexion aufnehmen müssen, ohne freilich behaupten zu dürfen, damit sei ihre Bestimmung vollständig gegeben. Da die folgenden Motive in der Exegese allesamt nochmals begegnen werden, wird hier auf eine genaue Zuordnung zu einzelnen Kontexten verzichtet. Die modellhafte Darstellung dient allein dazu, dem Aspekt des Indirekten als Kommunikation vorab eine gewisse Plastizität zu verleihen. Im Panorama von Kierkegaards Mitteilungsreflexion finden sich nun mehrere Möglichkeiten, das Indirekte der Mitteilung zu begründen. In einer ersten Möglichkeit ist die Mitteilung deshalb indirekt, weil sie wesentlich auf Aneignung zielt. In diesem Fall wäre der ,Gegenstand‘ der Mitteilung derart verfasst, dass er nicht einfach ,passiv‘ aufgenommen, sondern vom Empfänger in Selbstttigkeit, und das heißt vollziehend bernommen werden muss. Die indirekte Mitteilung hätte dann die Funktion, den Empfänger zu eben dieser Selbsttätigkeit ,anzureizen‘: Sie müsste ihm ein ,Resultat‘ gewissermaßen ,verweigern‘, um deutlich zu machen, dass der Gegenstand nicht ,neutral‘ oder passiv aufgenommen und wiedergegeben werden kann – also nicht nach der Art eines WissensGegenstandes, der als solcher vom Wissenden unabhängig ist.23 Eine zweite Form ergibt sich als eine Variante der ersten: Kierkegaard wird den Fall denken, dass es recht eigentlich gar keinen Gegenstand mitzuteilen gibt, weil dasjenige, worauf die Mitteilung abzielt, als solches bereits ,latent‘ oder ,potenziell‘ im Empfänger liegt. Das Indirekte der Mitteilung ist dann als ein ,Herausholen‘ bestimmt; der korrespondierende Begriff zur Aneignung im ersten Fall ist hier die Realisation. 24 Die Mitteilung zielt darauf ab, dass der Empfänger ein in ihm schon Liegendes realisiert, also vollzugshaft umsetzt. In diesen beiden ersten Fällen richtet sich also die Mitteilung auf eine ,Selbsttätigkeit‘ des Empfängers; sie ist deshalb indirekt, weil der Mitteiler dem Empfänger das Wesentliche nicht ,beibringen‘ kann. Beide Varianten lassen sich im Allgemeinen als 23 Es ist durchaus bemerkenswert, dass der zentrale Begriff der Aneignung – der in der Tat das Paradigma für die kommunikationstheoretische Variante der Mitteilung abgibt – von Kierkegaard an keiner Stelle ausfhrlich oder gar in begrifflicher Form erläutert wird. Die umfänglichste Darstellung findet sich noch in der ersten Lessing-These der Nachschrift, vgl. unten, II.1.1. 24 Dieses Modell ist insbesondere in der Fassung des Vorlesungsfragments zur ,Dialektik der Mitteilung‘ von 1847 formuliert, vgl. unten, II.3.2. In den konkreten Exegesen heißt diese Variante das ,ethisch-maieutische Modell‘.

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I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode

,ethische‘ oder ,existenzielle‘ Modelle bezeichnen, sofern unter Ethik und Existenz der Selbstvollzug des Empfängers verstanden wird.25 Nun dominiert aber in Kierkegaards Nachdenken über die Mitteilung spätestens ab 1848 noch ein weiteres, von den genannten Formen deutlich abweichendes Modell. An diesem Modell wird vollends sichtbar, dass die indirekte Mitteilung allein aus einer konkreten Situation heraus bestimmt werden kann: Kierkegaard geht nämlich von dem Fall aus, dass die Menschen (die Empfänger) sich in einer allgemeinen Tuschung befinden. Indirekte Mitteilung wird in dieser Perspektive allein deshalb nötig, weil die Menschen zunächst aus der Täuschung ,herausgeholt‘ oder in dieser Täuschung ,abgeholt‘ werden müssen. Dieses Modell ist insbesondere in der bekannten Formel vom ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ gefasst. Es ist aber sogleich ersichtlich, dass ein solcher Betrug ein doppelter ist: Er betrügt nämlich nicht allein in etwas (das Wahre) hinein, sondern er betrügt zugleich heraus – nämlich aus einer Täuschung. Auch in diesem Modell wird zwar in gewisser Weise die Selbsttätigkeit des Empfängers mitgedacht. Der Akzent liegt aber offenbar an anderer Stelle: nämlich auf der Tuschung und der Frage, wie dieser zu begegnen ist. In diesem Fall wird die indirekte Mitteilung zu einer spezifischen, durch den Ausgangshorizont bestimmten Taktik. 26 Systematisch ist nun das Folgende bemerkenswert: Alle drei genannten Möglichkeiten des indirekten Verfahrens vollziehen sich augenscheinlich unter der Voraussetzung eines vorgngig Bestimmten: Die Aneignung betrifft, so wie sie zunächst gefasst worden ist, die Aneignung von etwas Bestimmtem; die Realisation bezieht sich auf etwas, das im Vorhinein im Menschen als solchem liegt; und die Mitteilung als Taktik hat im Vorhinein über Täuschung und Wahrheit entschieden. So hat es zunächst den Anschein, als entsprächen diese drei Formen nicht dem Rückstoß der Methode – ist doch die spannungsreiche Gegenbewegung und Offenheit 25 Freilich bleibt hier weiterhin eine Vielzahl von Fragen offen: So fragt sich beispielsweise, inwiefern der Mitteiler zu einem solchen Verfahren berechtigt und inwiefern er dazu befähigt ist; und auch fragt sich, wie er sich selbst zu dem von ihm indirekt Mitgeteilten verhält. Diese Fragen lassen sich aber wiederum nicht ,abstrakt‘ beantworten – und es wird sich in den konkreten Exegesen zeigen, dass Kierkegaard selbst mehrfache und unterschiedliche Antworten erwägt. 26 Dies ist das Modell des Gesichtspunkts und der Wirksamkeit; vgl. unten, II.2. In den Exegesen wird dieses Modell als ,maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung‘ bzw. – in seinem konkreten Bezug auf den ,Sinnentrug‘ der ,Christenheit‘ – als ,christlich-maieutisches Modell‘ bezeichnet.

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der indirekten Form hier mehr oder minder eingeschrnkt. 27 In der Tat ist zu konstatieren, dass sich in Kierkegaards expliziten Erörterungen des indirekten Verfahrens auch Mitteilungsbegriffe finden, die keine unhintergehbare Notwendigkeit des Indirekten formulieren.28 Wäre etwa allein die dritte Form gegeben – die Mitteilung als bloße Taktik –, so könnte von einer indirekten Methode offenbar nicht gesprochen werden. Zu dieser Konstellation ist ein Zweifaches zu bemerken: Einerseits zeigt sich in den bis hierhin aufgerufenen Varianten der indirekten Mitteilung das Problem einer rein kommunikationstheoretischen Bestimmung. In dieser Weise gefasst, droht in der Tat beständig das Indirekte zu einer bloßen Verhüllung herabzusinken, der keine wesentliche Bedeutung zukommt. Kierkegaard selbst verstellt sich ein tieferes Verständnis seiner indirekten Methode, sofern er sie vornehmlich unter dem Aspekt der ,Mitteilung‘ im engeren Sinne diskutiert. Es wird allerdings sogleich deutlich werden, dass dies nicht die einzige Weise ist, in der das Indirekte in den Blick kommt. Andererseits aber zeigt sich auch in den drei bislang genannten Varianten tatsächlich schon der Rückstoß der Methode: nämlich darin, dass sie alle drei von Kierkegaard formuliert werden – aber miteinander unvereinbar sind. Eine bloße polemische Taktik angesichts einer Täuschung etwa ist nicht dasselbe wie ein auf Aneignung und existenzielle Verinnerlichung zielendes Verfahren. Schon auf der Ebene der engsten Begriffe des Indirekten also zeigt sich eine Vielgestaltigkeit der konkreten Bestimmung. Diese ,engen‘ Begriffe der indirekten Methode sind mithin als spezifische Konkretisierungen des Rückstoßes zu fassen – die freilich als enge Begriffe in der Tat seine Bewegung wesentlich beschränken. Nun lässt sich aber auch schon innerhalb des Kommunikationshorizontes der indirekten Methode der Fall denken, dass keine Vorgängigkeit besteht, und zwar dann, wenn der Aspekt der Aneignung radikalisiert wird. 27 Am deutlichsten im dritten Fall, in welchem das indirekte Verfahren allein aufgrund einer allgemeinen Täuschung notwendig wird. 28 Diese Frage wird in der englischsprachigen Forschung unter dem Titel der ,indispensability thesis‘ diskutiert. Tatsächlich ist die ,indirekte Methode‘ nur dann unumgehbar und notwendig, wenn sie nicht allein als ,Mitteilung‘ im engeren Sinne verstanden wird; und wie bemerkt finden sich bei Kierkegaard selbst auch Begriffe der Mitteilung, in denen das Indirekte nicht unhintergehbar ist. Vgl. für eine aktuelle Diskussion der Positionen sowie eine eigene, ,moderate‘ Stellungnahme Antony Aumann „Kierkegaard on Indirect Communication, the Crowd, and a Monstrous Illusion“ in The Point of View (International Kierkegaard Commentary, 22), hrsg. v. Robert L. Perkins, Macon 2010, S. 295 – 324.

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I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode

Ist nämlich das konkret-individuelle Existieren nicht bloß als Selbsttätigkeit, sondern als ein schlechthin singuläres Sich-zu-sich-Verhalten verstanden, das nicht nur nicht delegiert, sondern überhaupt nicht antizipiert und verallgemeinert werden kann – dann ist offensichtlich jede Vorgängigkeit aufgehoben. In diesem vierten Fall kann von einer entgrenzten Aneignung gesprochen werden: Die Mitteilung teilt überhaupt nicht ,etwas‘ mit und verbirgt auch kein geheimes Telos, sie ist allein Anstoß und Erçffnung von Möglichkeiten der Existenz – und der Modus der Aneignung ist radikal dem Empfänger überantwortet. Diesen Gedanken formuliert Kierkegaard in seinen expliziten Mitteilungsreflexionen allenfalls am Rande und keineswegs in der soeben gefassten Form29 – gleichwohl aber lassen sich seine Werke gerade in dieser Weise lesen. Noch eine letzte, fnfte Valenz des Kommunikationsaspekts gilt es an dieser Stelle anzuzeigen. Die bisherigen vier Möglichkeiten richten sich in unterschiedlicher Weise vornehmlich auf den Empfnger der Mitteilung. Nun wird aber das Wort ,mitteilen‘ noch in einem anderen Sinne gebraucht als in dem des genannten Kommunikationsmodells. Wir sprechen nämlich auch reflexiv vom Sich-Mitteilen. Hier ist zwar ebenfalls ein Empfänger mitgedacht: Wenn jemand sich mitteilt, so denken wir stets auch an jemanden, dem er sich mitteilt. Gleichwohl aber liegt der Akzent hier reflexiv auf dem Mitteiler – und auch diese Form findet sich in Kierkegaards Mitteilungsreflexion.30 Soll nun dieses Sich-Mitteilen in einem wesentlicheren Sinne als indirekt gedacht werden, so ist allein der Fall anzunehmen, dass der Mitteiler sich nicht mitteilen kann. 31 Abstrahiert man von äußeren Beschränkungen dieses Könnens, so bleibt allein das Folgende übrig: Es besteht eine wesentliche Inkommensurabilitt zwischen dem Innen der Existenz des Mitteilers und der Ver-ußerung oder Entußerung seiner Mitteilung.32 Wird dieser ,Fall‘ als möglich zugestanden, so zeigt sich, dass die Untersuchung den Boden des Kommunikationsaspektes verlassen hat. Ist nämlich die Innerlichkeit der Existenz des Mitteilers schlechthin nicht mitteilbar, dann beschrnkt sich diese Unmöglichkeit offenbar nicht allein auf die Mitteilung. Sie kann nämlich zugleich 29 Vgl. etwa den Begriff der ,Möglichkeitsmitteilung‘ in der Nachschrift, unten, II.1.3. 30 Nämlich in der Nachschrift, vgl. unten. II.1.1., bes. II.1.1.d). 31 Sofern er sich nämlich nicht mitteilen will, handelt es sich nicht zuerst um eine Frage der Mitteilung. 32 Eben auf diese Weise fasst es die in der vorvorherigen Anm. genannte Stelle der Nachschrift. Vgl. zur Innen/Außen-Figur auch die Interpretation des Vorworts von Entweder/Oder, unten, III.3.

6. Die zwei Aspekte der indirekten Methode

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so gefasst werden, dass die Innerlichkeit sich nicht sagen, sich nicht sprachlich ,zum Ausdruck bringen‘ lässt – und damit ist auf die tiefste Ebene der indirekten Methode verwiesen: auf ihren Darstellungsaspekt.

b) Darstellungsaspekt Im Darstellungsaspekt wird nun sichtbar, dass die indirekte Methode in ihrer tiefsten Bestimmung nicht allein die Frage der Mitteilung betrifft. Dieser Zusammenhang zeigt sich, wenn nochmals an Kierkegaards zentrales Anliegen erinnert wird: an den Einzelnen. Gerade die Singularitt ist der Ausgangspunkt des Darstellungsaspekts. Das Singuläre wird bei Kierkegaard so ,gedacht‘, dass eine jede Vermittlung mit dem Begriff und der Sphäre des Allgemeinen scheitert, und das heißt wesentlich: Der Einzelne ist dem Begriff inkommensurabel. Dieser zentrale Gedanke Kierkegaards wird an einer Fülle von Stellen formuliert. So heißt es in einem Journal von Anfang 1850: „Aber Existenz entspricht dem Einzelnen, der Einzelne liegt, was ja schon Aristoteles lehrt, außerhalb des Begriffs od. geht doch nicht in ihm auf“.33 Schon Vigilius Haufniensis merkt 1844 im Begriff Angst an, es verrate „im Verhältnis zu ExistenzBegriffen immer einen sicheren Takt, sich [der] Definitionen zu enthalten“;34 und Johannes Climacus widmet in der Nachschrift von 1846 ein ganzes Kapitel der Differenz von existenzieller Wirklichkeit und objektivem Denken.35 Am klarsten aber ist dieser Aspekt in einem einzigen Satz gefasst, den Kierkegaard bereits 1843 notiert: „Jedes individuelle Leben ist inkommensurabel für den Begriff.“36 Der Darstellungsaspekt von Kierkegaards indirektem Verfahren ist mithin ausgedrückt in der Formel individuum est ineffabile. 37 Auf die In33 NB14:150.a (T 4, 74 / SKS 22, 435); vgl. auch NB15:103 (T 4, 106 / SKS 23, 72), wo es unter dem Titel „,Wissenschaft‘. – Das Existenzielle“ heißt, die existenzielle „,Wirklichkeit‘ lässt sich nicht begreifen“. 34 BA, 152 / SKS 4, 447. 35 Vgl. AUN2, 19 – 47 / SKS 7, 290 – 314. 36 Papir 277:2 (T 1, 354 / SKS 27, 269). 37 Der Satz ist erstmals bei Goethe in dieser Form nachgewiesen, vgl. den Brief Goethes an Lavater etwa vom 20. September 1780 in Goethes Briefe. Hamburger Ausgabe in 4 Bnden, textkrit. durchges. u. mit Anm. vers. v. Karl Robert Mandelkow unter Mitarb. v. Bodo Morawe, Hamburg 1962 – 1967, Bd. 1, 1962, S. 323 – 325, hier S. 325; vgl. dazu Tilman Borsche „Individuum, Individualität“ in Historisches Wçrterbuch der Philosophie, hrsg. v. Joachim Ritter / Karlfried Gründer, 13 Bde., Darmstadt 1971 – 2007, Bd. 4, 1976, Sp. 300 – 323, hier

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I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode

kommensurabilität des Singulären für den Begriff richtet sich die indirekte Methode; sie vollzieht sich als das beständige, unterstrichene und affirmierte Verfehlen ihres Anliegens. Entgeht nämlich die Singularität wesentlich dem feststellenden Begreifen und der direkten Darstellung, so muss ein denkerisches Verfahren, das dem Einzelnen gewidmet ist, sich beständig zurücknehmen und durchkreuzen. Darin liegt der wesentliche Umweg und daraus erklärt sich die Unabgeschlossenheit der indirekten Form. Mithin ist die je singuläre Existenz des Einzelnen nicht der Grundbegriff, sondern der Grenzbegriff oder der atopische Begriff des Kierkegaardschen Denkens; der Einzelne erscheint der indirekten Methode nicht anders als im Modus seines Entzugs und seiner Ungreifbarkeit. In dieser Hinsicht ist die indirekte Methode Darstellung des Undarstellbaren – und nur so ist auch zu erklären, dass Kierkegaard trotz gänzlich verschiedenem Anliegen auf die Darstellungsformen romantischer Ironie zurückgreifen kann.38 So ist die indirekte Methode, die an den Grenzen der Sprache und des Sagbaren operiert, nicht nur Mitteilungstheorie. Entsprechend hat dies schon Karl Jaspers formuliert: Indirekte Mitteilung heißt nicht, daß etwas willentlich verschwiegen werde, daß der Mensch eine Maske vornehme und zunächst verschweige, was er schon weiß. Das wäre Betrug oder pädagogische Technik eines Überlegenen. Indirekte Mitteilung heißt, daß bei stärkstem Klarheitsdrange und allem Suchen nach Formen und Formeln kein Ausdruck zureichend ist und der Mensch sich dessen bewußt wird […].39

Diese Formulierung macht allerdings auf eine Eigentümlichkeit in Kierkegaards expliziter Erörterung des indirekten Verfahrens aufmerksam: Verhält es sich nämlich derart, wie Jaspers ausführt, so stellt sich die Frage, warum überhaupt von Mitteilung gesprochen wird. In der Tat ist auch in den zitierten Aussagen Kierkegaards zur Inkommensurabilität die ,indirekte Mitteilung‘ nicht genannt. Sobald Kierkegaard das Indirekte ausdrcklich zum Gegenstand macht, fokussiert er unmittelbar auf die Frage der Mitteilung – und dies hat zur Konsequenz, dass der Darstellungsaspekt des Indirekten in der ,Theorie‘ der indirekten Methode zumeist ungeSp. 310 – 313. – Der Sache nach geht der Satz aber bis wenigstens auf Aristoteles zurück, den Kierkegaard ja auch nennt, vgl. Aristoteles Metaphysik VII, 4; 1029b13 – 1030b13 sowie Aristoteles Metaphysik VII, 15; 1039b27 – 31. 38 Vgl. unten, III.2. 39 Karl Jaspers Psychologie der Weltanschauungen, basierend auf d. 6. Aufl. v. 1971, München 1985 [1919], S. 378.

6. Die zwei Aspekte der indirekten Methode

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nannt bleibt. Es wird allerdings zu zeigen sein, dass gerade dort, wo die indirekte Form erstmals diskutiert wird, nämlich in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift, der Darstellungsaspekt tatsächlich den Ausgangspunkt von Johannes Climacus’ Überlegungen bezeichnet – der aber sogleich von mitteilungstheoretischen Erwägungen im engeren Sinne verdeckt wird. Im Ganzen ist es allerdings für Kierkegaards Reflexion des Indirekten bezeichnend, dass die tiefste Bestimmungsebene des Indirekten kaum ausführlicher zur Entfaltung kommt. Gleichwohl sollte deutlich geworden sein, dass das Darstellungsproblem angesichts der inkommensurablen Singularität einen zentralen Punkt in Kierkegaards Philosophie betrifft; und zugleich liegt es auf der Hand, dass diese Darstellungsfigur notwendig ein indirektes Verfahren fordert. Sofern Kierkegaard selbst diesem Zusammenhang aber nicht durchgehend seine Aufmerksamkeit widmet, ist es die Aufgabe der Interpretation, ihn im Einzelnen zur Klarheit zu bringen. Der Darstellungsaspekt des Indirekten wird sich auch im Begriff der Mitteilung, insbesondere aber in der Durchfhrung der Mitteilung und in der Bestimmung ihres Verhältnisses zur Ironie aufweisen lassen.40 40 Zu der hier vorgenommenen Unterscheidung von Kommunikations- und Darstellungsaspekt ist eine Diskussion in der Forschung zu vergleichen, in der die mit Jaspers assoziierte so genannte ,Nichtmitteilbarkeitsthese‘ kritisiert wird, nach welcher es ,Dinge‘ gebe, die sich ,nicht mitteilen lassen‘ (vgl. Anton Hügli „Gibt es Dinge, die sich nicht mitteilen lassen?“ in Liber Academiae Kierkegaardiensis Annuarius II-IV, 1982, S. 70 – 84 sowie ders. „Indirekte Mitteilung: Karl Jaspers und die Kierkegaardsche Frage nach den Grenzen der Mitteilbarkeit“ in Einsamkeit – Kommunikation – ffentlichkeit, hrsg. v. Anton Hügli / Dominic Kaegi / Reiner Wiehl, Basel 2004, S. 153 – 168). Demgegenüber argumentiert Hügli, die indirekte Mitteilung ziele wesentlich auf die „Verwirklichung des Verstandenen in der persönlichen Existenz“ (Hügli „Gibt es Dinge, die sich nicht mitteilen lassen?“, S. 82). Zweifelsohne kann sich diese Interpretation auf eine Reihe von Passagen in Kierkegaards expliziten Erläuterungen zur Mitteilungsfrage und nicht zuletzt eben auf den von Kierkegaard verwendeten Terminus ,Mitteilung‘ stützen; in der Tat behandelt Kierkegaard, wenn er vom Indirekten spricht, vornehmlich den hier so genannten Kommunikationsaspekt. In dieser Untersuchung soll allerdings die These entfaltet werden, dass Kierkegaard sich selbst durch seine Fokussierung auf die Mitteilungsfrage ein tieferes Verständnis des indirekten Verfahrens verstellt – obschon eben diese verdeckte Ebene ein wesentliches movens seines Denkens und insbesondere des indirekten Verfahrens ist. – Vgl. auch die in eine ähnliche Richtung deutende und an Hügli anschließende These Lübckes, die indirekte Mitteilung betreffe bei Kierkegaard allein ein ,pragmatisches‘ und kein ,semantisches‘ (oder ,epistemologisches‘) Problem; vgl.

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I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode

Obgleich allein der Darstellungsaspekt eine grundlegende und unhintergehbare Notwendigkeit der indirekten Methode sichert, bedeutet dies keineswegs, dass er dem Kommunikationsaspekt entgegengestellt werden müsste. Beide Aspekte fügen sich vielmehr notwendig zusammen: Die indirekte Methode greift aus auf die undarstellbare Singularität – und überantwortet sich zugleich der undelegierbaren Aneignung im je individuellen Vollzug der Existenz.

7. Experiment, Aporie, Wiederholung Die bis zu diesem Punkt entfaltete Struktur der indirekten Methode lässt sich im Begriff der Experimentalphilosophie reformulieren. Die unabgeschlossene Denkform des Indirekten ist ein Denken auf den Versuch hin, das stets die eigene perspektivische Gebundenheit und Vorläufigkeit in seine Formen einschreibt. Keineswegs ist die Experimentalphilosophie Resignation des Denkens, sie ist vielmehr seine Affirmation als unabgeschlossenes. Im Ausgang vom Begriff der ,Experimentalphilosophie‘ lassen sich aber auch die praktischen Vollzugsformen des Indirekten noch etwas genauer beschreiben, als dies in der Untergliederung ihrer zwei Aspekte möglich gewesen ist. Sollte dort der ,Bereich‘ des Indirekten versuchsweise ausgemessen werden, so gilt es nun, einige ihrer Gestalten vorab anzuzeigen. In der Tat ist nun das Experiment eine von zwei konkreten Gestalten der indirekten Form: Das Experiment macht die Analyse des Existenziellen dort möglich, wo das Denken ständig mit seinem Verfehlen zu rechnen hat. Im Experiment lässt sich gerade deshalb von demjenigen sprechen, was sich der direkten Darstellung beständig entzieht, weil der ,Experimentalaufbau‘ den eigenen Zugriff mit dem Zeichen der Vorläufigkeit versieht und so die eigene perspektivische Bedingung stets mitreflektiert. Auch verbinden sich im Experiment der Kommunikations- und Darstellungsaspekt: Die hypothetische Vorläufigkeit des Experiments zeigt zum einen, dass es seinen ,Gegenstand‘ niemals abschließend zur Darstellung zu bringen beansprucht. Ein Experiment schreibt niemals einfach fest, wie der behandelte Gegenstand ist, sondern beleuchtet das Konsequenzverhältnis des ,wenn – dann‘. Zum anderen aber fordert das Experiment den Leser oder Empfänger auf, die beschriebene Bewegung Paul Lübcke „Kierkegaard and Indirect Communication“ in Journal of European Ideas 12, 1990, S. 31 – 40.

7. Experiment, Aporie, Wiederholung

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selbst zu prüfen: Indem das Experiment offen lässt, ob das hypothetisch Dargestellte sich tatsächlich so verhält wie vorgeführt, reizt es den Empfänger zur Aneignung an. Dieses Verfahren wird sich vornehmlich in der Schrift Die Wiederholung exemplarisch entfalten lassen. Keineswegs wird dort thetisch erläutert, was die titelgebende Wiederholung ist, – vielmehr ist die Schrift als ,Versuchsreihe‘ konzipiert, die zugleich auf das Phänomen ausgreift und den Zugriff offen hält. Ausdrücklich experimentell ist etwa auch das ,Denkprojekt‘ der Philosophischen Brocken; und Johannes Climacus verwendet in der Nachschrift das experimentell-hypothetische Spiel des ,wenn – dann‘ auch dort noch, wo er die indirekte Form selbst erläutert.41 Die zweite konkrete Gestalt des Indirekten ist die Aporie. Auch diese Gestalt verbindet beide Aspekte der indirekten Methode: Sie zeigt sich als aneignungslogische Form etwa dort, wo – wie in Entweder/Oder – zwei ,Lebensanschauungen‘ einander gegenüber stehen, ohne dass dem Leser ein einfaches Resultat mitgeteilt würde, welcher Form der Vorzug gebühre; er ist vielmehr selbst zur Entscheidung aufgefordert. Die Aporie kann aber auch eine darstellungstheoretische Struktur bezeichnen: so etwa im Begriff Angst, wo in der Form der wissenschaftlichen Abhandlung beständig auf etwas hingedeutet wird, das sich der Wissenschaft wesentlich entzieht – und mithin der ,Gegenstand‘ und die zu seiner Analyse verwendeten ,Mittel‘ in unauflöslichem Widerspruch stehen.42 Wiederum ist es Johannes Climacus, der diese Gestaltungsform auch dort noch verwendet, wo das indirekte Verfahren selbst bestimmt werden soll: Er hält sich beständig in der Zweideutigkeit, die Doppelreflexion zu beleuchten – und zugleich ihre direkte Bestimmung als unmöglich auszuweisen. Das Experiment und die Aporie ermöglichen es, dort zu sprechen, wo angesichts der Unabgeschlossenheit und der Singularität des Existierens ein ,letztes Resultat‘ oder eine direkte Bestimmung unmöglich ist; in ihnen prägt sich konkret das gegenkehrige Sich-im-Sprechen-Zurücknehmen aus, das für das indirekte Verfahren charakteristisch ist. Sind aber Experiment und Aporie die konkreten Gestalten des Indirekten, so ist sein Bewegungsprinzip die Wiederholung. Die gleichnamige Schrift ist nicht allein experimentell, sie hat ihr Experiment auch beständig zu wiederholen und zu variieren, ohne je einfach zum Ende zu kommen. Die Wiederholung ist die einzige Form, die einen Zusammenhang oder eine 41 Vgl. unten, II.1.1. 42 Vgl. unten, IV.2.

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I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode

Kohrenz dort ermöglicht, wo die Unabgeschlossenheit und das Werden der Existenz sich dem Resultat verweigern: Sie vollzieht sich ihrer inneren Struktur nach im Werden und als Bewegung; sie ist aber nicht die bloße Auflösung und Zerstreuung, sondern wahrt den Zusammenhang, indem sie stets das Gleiche sagt, aber in anderer Weise. Die Wiederholung ist gerade darin Bewegungsform des Indirekten, dass sie zyklisch das Ausgreifen und Zurücknehmen zugleich auseinander- und zusammenhält, durch das sich die indirekte Methode konstituiert. Abermals ist auch die Wiederholung nicht allein die Praxis des Indirekten, sondern affiziert auch ihre Theorie: Die indirekte Methode untersteht selbst dem Unabgeschlossenen; ihre Bestimmung wird nicht in einem Zug und ,ein für alle Mal‘ gegeben, sondern fordert die beständige und wiederholte Reformulierung.

8. Die vierfache Funktion der Pseudonymität Die sichtbarsten und konkretesten Repräsentanten der indirekten Mitteilung schließlich sind Kierkegaards Pseudonyme. Aus dem bisher Entwickelten sollte allerdings deutlich geworden sein, dass sich die indirekte Mitteilung in der Pseudonymität allein – wie bisweilen angenommen – keineswegs erschöpft.43 Gerade die konkrete Sprecherperspektive des Pseudonyms gibt vielmehr zu Missverständnissen Anlass – als sollte sie womöglich etwas Bestimmtes verbergen oder wäre bloßer Operator einer ihr übergeordneten und durch sie hindurch sich vollziehenden, planvollen Bewegung. Sofern die indirekte Mitteilung die dezentrierte Struktur des Kierkegaardschen Denkens im Ganzen ausmacht, lässt sie sich allerdings nicht auf die Pseudonymitätsfrage reduzieren; und so ist sie auch nicht durch den – im Übrigen stets aufschlussreichen – philologischen Nachweis einzuklammern, die Pseudonymsetzung einer Schrift sei erst kurz vor Drucklegung erfolgt und man habe es demnach mit der eigenen Ansicht Kierkegaards zu tun.44 Dennoch erfüllen die Pseudonyme eine wesentliche, vierfache Funktion innerhalb der Struktur indirekter Mitteilung: 43 Vgl. auch Roger Poole Kierkegaard. The Indirect Communication, Charlottesville 1993, S. 4. 44 Dies hat schon Schär gesehen. Vgl. Hans Rudolf Schär Christliche Sokratik. Kierkegaard ber den Gebrauch der Reflexion in der Christenheit, Bern u. a. 1977, S. 33 – 35.

8. Die vierfache Funktion der Pseudonymität

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Erstens markiert das Pseudonym eine wesentliche Distanz zum Autor. Die Pseudonyme Kierkegaards erfüllen nicht die sonst geläufige Funktion, den Verfasser zu verbergen, etwa um ihn vor der Zensur zu schützen. Sie zeigen vielmehr, dass nicht ungebrochen die Ansicht eines philosophischen Autors transportiert wird, welcher der Leser einfach zustimmen oder widersprechen könnte. Im Gegenteil macht die Pseudonymität deutlich, dass die Frage nach der Meinung des Verfassers eben die unwesentliche Frage ist – als diejenige Frage, die den an der eigenen Existenz interessierten Leser nichts angeht.45 Der pseudonym zuwege gebrachte Abstand zeigt, dass hier kein bloßes Resultat gegeben ist; das Pseudonym schaltet gleichsam eine Zwischeninstanz ein, die jede direkte Übernahme des Gesagten je schon mit einem Fragezeichen versehen hat. Zweitens dient die Pseudonymsetzung der Kennzeichnung der Mitteilungssituation als solcher. Diese Funktion ist nun von entscheidender Bedeutung: Durch die Mitteilungssituation wird der existenzielle Zug von Kierkegaards Denken unterstrichen. Obschon die Pseudonymität den Autor zurücktreten lässt, richtet sie doch umgekehrt die Aufmerksamkeit auf den Namen des (eben pseudonymen) ,Verfassers‘. Damit unterstreicht die Pseudonymität, dass jemand spricht, – und zugleich zeigt sie an, dass das verhandelte Problem stets zu beziehen ist auf jemanden, der sich zu ihm verhält. Kierkegaard selbst hat diesen Existenzbezug an einer Stelle des Vorlesungsfragments zur ,Dialektik der Mitteilung‘ ausdrücklich gemacht. Dort schreibt Kierkegaard, er „veranschlage es“ als sein „Verdienst“, dass er durch das „Anbringen gedichteter Persönlichkeiten, die: ich sagen, mitten in der Wirklichkeit des Lebens“ dazu „beigetragen habe, womöglich Zeitgenossen daran zu gewöhnen, wieder ein Ich, ein persönliches Ich […] reden zu hören.“46 Drittens markiert das Pseudonym die konkrete Mitteilungssituation, die der jeweiligen Schrift ihr eigentümliches Gepräge und die spezifische Form ihres Zugangs gibt; es markiert die bestimmte Perspektive, von der her gesprochen wird. In dieser Hinsicht sind die Vorworte und Einleitungspassagen von entscheidender Bedeutung: In ihnen wird die Position angezeigt, aus der heraus gesprochen wird. Mit dem Hinweis auf die perspektivische Gebundenheit der pseudonymen Verfasser ist allerdings keineswegs gesagt, ein jedes Pseudonym habe seinen klar begrenzten Ort innerhalb eines virtuellen ,Systems der Pseudonyme‘, auf welches sein 45 Vgl. zur Selbstzurücknahme des Verfassers auch Lore Hühn Kierkegaard und der Deutsche Idealismus. Konstellationen des bergangs, Tübingen 2009, S. 208 – 211. 46 Papir 371:1 (DM, 120 / SKS 27, 428).

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I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode

Sprechen allein zu beziehen sei. Auch die Pseudonyme selbst sind im Kierkegaardschen Sinne ,dialektisch‘, sie arbeiten sich selbst entgegen. Die eingangs angezeigte Mitteilungssituation bestimmt zwar zunchst den dominierenden Zug des jeweiligen Pseudonyms – die Pseudonyme sind aber allermeist durchaus beweglich und in sich zu vielschichtig, um auf eine einfache Bestimmung festgeschrieben zu werden Viertens schließlich ist festzuhalten, dass Pseudonymität bei Kierkegaard stets zugleich, wie er sich ausdrückt, „Polyonymität“47 ist; ein Pseudonym steht niemals allein. Schon Entweder/Oder beschränkt sich nicht auf die Gegenüberstellung des Ethikers und des Ästhetikers, bei näherem Hinblick zeigt sich der verschachtelte Aufbau als das Gespräch von wenigstens fünf Pseudonymen. Durch die Polyphonie der Pseudonyme, die in den folgenden Schriften immer wieder interpretierend, kommentierend und korrigierend aufeinander Bezug nehmen, zeigt sich die indirekte Mitteilung als unauflöslich perspektivische Praxis. Die Vielstimmigkeit der Pseudonyme verdeutlicht zum einen, dass das Verstehen nie abgeschlossen ist und stets der (sei es potenziellen) Reformulierung ausgesetzt ist – zum anderen verhindert sie die einfache und unwidersprochene ,Anhängerschaft‘ des Lesers an eine einzelne Position.

9. Das christliche Selbstverständnis und die Methode Die bis zu diesem Punkt entfaltete Mitteilungstheorie scheint allerdings einen wesentlichen Aspekt, ja das zentrale Anliegen Kierkegaards abzublenden. Schließlich hat Kierkegaard in der 1851 erschienenen Schrift ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller ganz unzweideutig vermerkt: „,Ohne Vollmacht‘ aufmerksam zu machen auf das Religiöse, das Christliche, das ist die Kategorie für meine gesamte Wirksamkeit als Schriftsteller, total betrachtet.“48 Und im selben Zusammenhang gibt Kierkegaard unter eigenem Namen die Erklärung, dass und wie sein Werk und seine Form der Mitteilung auf diese einzige Kategorie hingearbeitet habe. Indem nun die vorliegende Untersuchung die Struktur der indirekten Mitteilung zunächst ohne durchgehenden Bezug auf das Religiöse entfaltet, mag es den Anschein haben, als wollte sie Kierkegaards christliches Selbstverständnis gänzlich zurückstellen und das Mitteilungsproblem 47 AUN2, 339 / SKS 7, 569. 48 WS, 10 / SKS 13, 19.

9. Das christliche Selbstverständnis und die Methode

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etwa ,säkular‘ auffassen. In der Tat ist dies keineswegs der Fall. Eine Untersuchung mit derartigem Anliegen hätte anders vorzugehen; sie hätte etwa bei Kierkegaards Frage und Problem anzusetzen – um dann seine ,Lösungen‘ als unzureichend zurückzuweisen.49 Dass die systematische Darstellung der indirekten Methode Kierkegaards Retrospektive nicht sogleich in Anspruch genommen hat, verdankt sich allerdings Motiven gänzlich anderer Art. Ein Zweifaches ist hier zu bemerken: Erstens wird sich in der konkreten Analyse von Kierkegaards retrospektiven Schriften ergeben, dass sie der indirekten Methode einen äußerst begrenzten Wirkungsbereich einräumen. Tatsächlich ist der hier so genannte ,maieutisch-teleologische Begriff der Mitteilung‘ die ,engste‘ Konzeption der Mitteilung in Kierkegaards Gesamtwerk. Insbesondere fehlt in diesem Begriff ein wesentlicher Bezug der Mitteilungsform auf das Existenzielle. Dies zeigt sich auch und gerade im Blick auf das Religiöse: Die Mitteilungskonzeption von Gesichtspunkt und Wirksamkeit ist nämlich nicht an das Christlich-Religiöse als solches gebunden; sie ist allein eine kommunikative Taktik, die durch den ,Sinnentrug der Christenheit‘ bedingt ist. Wie in vielen anderen Hinsichten gibt auch hier der Mitteilungsbegriff der Nachschrift die tiefer gehende Formulierung: Dort ist gerade die religiöse Mitteilung wesentlich indirekt, weil das Religiöse auf die existenzielle Innerlichkeit verweist – diese aber entzieht sich, nach Climacus, jeder direkten Mitteilung und Darstellung. Der angezeigte Zusammenhang ist in den Exegesen im Detail zu diskutieren. Vor der Hand aber sollte deutlich geworden sein, dass der Mitteilungsbegriff der Retrospektiven keineswegs alle Aspekte von Kierkegaards Mitteilungsreflexion umfasst – im Gegenteil handelt es sich hierbei um einen bestimmten und zugleich eng beschrnkten Begriff der Mitteilung. Von diesem auszugehen hieße, den Bereich, den die indirekte Mitteilung im Ganzen durchläuft, je schon mit einem reduzierenden Vorzeichen zu versehen. Nun erscheint aber zweitens der Mitteilungsbegriff von Kierkegaards Rückblicken noch in anderer Hinsicht als problematisch: Die Retrospektive unterstellt die pseudonyme Schriftstellerei einem ihr immanenten Ziel, das früher oder später einmal an den Tag zu kommen habe. 49 Vgl. hierzu etwa Gerd-Günther Grau Die Selbstauflçsung des christlichen Glaubens. Eine religionsphilosophische Studie ber Kierkegaard, Frankfurt a.M. 1963. Früh ist eine ähnliche Interpretation schon von Strodtmann vertreten worden, vgl. Adolf Strodtmann Das geistige Leben in Dnemark. Streifzge auf den Gebieten der Kunst, Literatur, Politik und Journalistik des skandinavischen Nordens, Berlin 1873, S. 101 f.

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I.1 Die systematische Bestimmung der indirekten Methode

Dabei folgt der spezifische Mitteilungsbegriff der Spätschriften – in aller Vorläufigkeit angedeutet – der Maßgabe Kierkegaards, die Einheit seines Werks zur Darstellung zu bringen; und unter diesem ,Gesichtspunkt‘ werden die frühen pseudonymen Schriften in Anspruch genommen. Sind aber Kierkegaards Pseudonyme einmal aus den Händen des Autors entlassen mit dem Auftrag, ihren ,einzelnen Leser‘ zu suchen und diesem ,womöglich etwas von Nutzen zu sein‘, so widerstehen sie ihrer retrospektiven Wiederaneignung. Der in Kierkegaards Selbstdarstellungen formulierte Mitteilungsbegriff ist im Spannungsfeld indirekter Mitteilung aufzusuchen und präzise zu bestimmen – als beherrschende Perspektive droht er aber stets, dieses Spannungsfeld zu neutralisieren und die notwendige Vieldeutigkeit der Mitteilung in Eindeutigkeit zu übersetzen. Keineswegs aber hat die Darstellung von Kierkegaards indirekter Methode sein christliches Selbstverständnis einfach abzublenden – vielmehr wird gerade auf dem ,Weg zum Gesichtspunkt‘ nachzuvollziehen sein, wie die Mitteilungskonzeption sich mit Kierkegaards Reflexion seiner ,Aufgabe‘ innerhalb der ,Christenheit‘ wandelt. Die zeitweilige ,Suspension‘ der Retrospektiven Kierkegaards und ihrer Erklärung, das Werk sei ,religiös von Anfang bis Ende‘, verdankt sich in dieser Untersuchung also einer spezifisch methodischen Reflexion. Dass im Übrigen das erbauliche Werk hier nur am Rande herangezogen wird, hat zunächst systematische, sodann aber quantitative Gründe: An kaum einer Stelle verdichtet sich das Erbauliche terminologisch derart, dass von einem Begriff der indirekten Mitteilung gesprochen werden könnte. Nur in diesem Bereich aber kann die Untersuchung annähernde Vollständigkeit anstreben. Tatsächlich wird dabei die durchaus spannungsreiche Bezeichnung des erbaulichen Werks durch die Termini ,direkte und indirekte Mitteilung‘ zu diskutieren sein. In der Hauptsache wäre aber das erbauliche Werk in der Durchfhrung der Mitteilung zu behandeln – dort aber hat die Untersuchung sich auf einige exemplarische Analysen zu beschränken. Im Übrigen ist in der Forschung mehrfach und überzeugend gezeigt worden, dass auch das erbauliche Werk produktiv als indirekte Mitteilung gelesen werden kann.50 *** 50 Vgl. bes. Tim Hagemann Reden und Existieren. Kierkegaards antipersuasive Rhetorik, Berlin / Wien 2001; George Pattison Kierkegaard’s Upbuilding Discourses. Philosophy, Theology, Literature, London u. a. 2002. Dem erbaulichen Werk Kierkegaards gilt in den letzten Jahren ein verstärktes Interesse, vgl. bes. Michael O.

9. Das christliche Selbstverständnis und die Methode

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Noch auf einen möglichen Einwand von ganz anderer Seite ist abschließend kurz einzugehen. Indem nämlich die Untersuchung das indirekte Verfahren als Methode begreift, scheint sie sich schon im Vorhinein Kierkegaards Spott zugezogen zu haben – ist doch ,die Methode‘ neben ,dem System‘ die Bestimmung, an der sich Kierkegaards kritische Auseinandersetzung mit Hegel entzündet.51 Es sollte allerdings schon bis zu diesem Punkt deutlich geworden sein, dass die gegenkehrige und unabgeschlossene Experimentalmethode des Indirekten sich keineswegs mit der Methode des spekulativen Idealismus deckt. Dass Kierkegaards Abstand zur klassischen deutschen Philosophie gerade dann in aller Schärfe sichtbar wird, wenn sein Verfahren in der hier entfalteten Weise als Methode begriffen wird, gilt es im Folgenden zu erörtern.

Bjergsø Kierkegaards deiktische Theologie. Gottesverhltnis und Religiositt in den erbaulichen Reden, Berlin / New York 2009. 51 Vgl. z. B. AUN1, 102 f. Anm. / SKS 7, 106 Anm. Hier findet sich übrigens eine aufschlussreiche Formulierung zur Methode. Climacus schreibt: „Aber eine Methode hat die merkwürdige Eigenschaft, dass sie abstrakt gesehen gar nichts ist, sie ist gerade in der Durchführung, indem sie durchgeführt wird, ist sie Methode, und wo sie nicht durchgeführt wird, ist sie keine Methode, und wenn es keine andere Methode gibt, dann gibt es gar keine Methode“. Diese Bemerkung ist offenbar keineswegs kritisch gemeint; sie beschreibt schlicht, wie nach Climacus eine Methode verstanden werden muss. Und in der Tat entspricht diese Formulierung exakt dem, wie hier die indirekte Methode aufgefasst wird: Auch diese ist abstrakt ,nichts‘ – sondern allein in ihrem Vollzug.

I.2 Kierkegaards geschichtliche Stellung 1. Die Konstellation des Übergangs Indem die indirekte Methode und experimentalphilosophische Form Kierkegaards denkerischen Ansatz wesentlich bestimmt, kommt ihm – so die leitende These des folgenden Kapitels – in der Umbruchskonstellation des Nachidealismus und im Übergang in die Moderne eine entscheidende Stellung zu. In seinem Entwurf einer indirekten Methode stößt sich Kierkegaard von dem Systemdenken des deutschen Idealismus ab und präfiguriert gebrochene Denkformen des späten 19. und des 20. Jahrhunderts, insbesondere diejenigen Nietzsches und Derridas. Dabei ist freilich die Rede von einem einfachen, diskontinuierlichen Schnitt oder einem ,revolutionären Umbruch‘ in der Mitte des 19. Jahrhunderts offensichtlich „eine zu grobe Verkürzung“, um „die Phase des Idealismus und Nachidealismus angemessen in Beziehung zu setzen.“52 Die bezeichnete Umbruchskonstellation ist – um zur Verdeutlichung ein Begriffspaar Foucaults heranzuziehen – nicht im Sinne einer Archologie darzustellen, sondern im Sinne einer Genealogie. 53 Die Archologie setzt zwischen zwei geschichtliche Formationen des Wissens eine übergangslose Diskontinuität. Die hier zu verhandelnde Umbruchsgestalt hingegen ist zwar nicht als einfacher, bruchloser und kontinuierlicher Übergang darzustellen, wohl aber genealogisch als eine gleitende Konstellation des Übergehens, als vielgestaltige Bezogenheit gegenstrebender Kräfte, die, je nach eingenommener Interpretationsperspektive, verschiedene Deutungen zulässt und ihrer Struktur nach zugleich fordert. Der von Nietzsche sich herschreibende Begriff der Genealogie ist überdies erhellend, sofern er anzeigt, dass die Umbruchskonstellation zwischen Idealismus und Moderne nicht eine geschichtlich bloß vergangene ist; 52 Hühn Kierkegaard und der Deutsche Idealismus, S. 3. Zur Konstellation des Übergangs ist die gesamte Untersuchung zu vergleichen. 53 Zur Archäologie vgl. bes. Michel Foucault Die Ordnung der Dinge. Eine Archologie der Humanwissenschaften, Frankfurt a.M. 1974 [Paris 1967]; vgl. zur Genealogie bes. Foucaults Auseinandersetzung mit Nietzsche: ders. „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“ [1971] in ders. Schriften in vier Bnden, hrsg. v. Daniel Defert, Frankfurt a.M. 2001 – 2005, Bd. 2, 2002, S. 166 – 191.

1. Die Konstellation des Übergangs

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vielmehr ist die Art und Weise, in der sie verstanden und ausgelegt wird, für das philosophische Selbstverständnis bis in die Gegenwart prägend. So wären neben dem Zugang, der im Folgenden skizziert werden soll, noch wenigstens zwei weitere Darstellungsweisen denkbar:54 Einerseits lassen sich gerade im Blick auf Kierkegaard gewisse Kontinuittslinien zum deutschen Idealismus ausziehen. In der Tat ist Kierkegaards spannungsreiches Verhältnis zur klassischen deutschen Philosophie sehr viel komplexer, als dies die einseitige Fixierung auf die Auseinandersetzung mit Hegel in der älteren Forschung sichtbar macht; im Ganzen ist dieses Verhältnis in der Doppelgestalt von produktiver Aneignung und kritischer Abstandnahme zu kennzeichnen.55 Andererseits lässt sich die Brüchigkeit des Denkens der Moderne latent bereits im Idealismus selbst ausweisen. Eine solche Untersuchung hätte sich den begrifflichen Formationen von Negativität, Differenz und Indifferenz zu widmen, die sich in die Fundamente idealistischer Systemphilosophie einschreiben; sie hätte insbesondere die Hegelsche Verflssigung des Begriffs mit dem Schellingschen Motiv des Entzugs – vom „nie aufgehende[n] Rest“56 der Freiheitsschrift bis zur ,Unvordenklichkeit‘ der Spätphilosophie – neben- und gegeneinander zu stellen. In der vorliegenden Untersuchung allerdings gilt es, einen einzigen Zug in aller Einseitigkeit festzuhalten: die mit Kierkegaard beginnende Abstoßung experimentalphilosophischer, unabgeschlossener Denkformen von der Gestalt des Systems. Dieser Zug ist ,nach hinten‘ im Verhältnis zu Hegel und Schelling, ,nach vorne‘ mit Blick auf Nietzsche und Derrida anzuzeigen. Es versteht sich von selbst, dass in diesem Rahmen eine umfngliche Auseinandersetzung mit den genannten Denkern weder möglich noch auch notwendig ist. Ziel der Darstellung ist es allein, Kierkegaards geschichtliche Position anzuzeigen.

54 Zur Stellung Kierkegaards im unmittelbaren Nachidealismus und in Bezug auf Schopenhauer und Feuerbach vgl. Claus-Artur Scheier Kierkegaards Aergernis. Die Logik der Faktizitt in den „Philosophischen Bissen“, Freiburg / München 1983; vgl. zu Kierkegaard und Schopenhauer auch die Beiträge in Schopenhauer – Kierkegaard. Von der Metaphysik des Willens zur Philosophie der Existenz, hrsg. v. Niels Jørgen Cappelørn / Lore Hühn / Søren Fauth / Philipp Schwab, Berlin / New York 2011. 55 Vgl. für eine nähere Darstellung Lore Hühn / Philipp Schwab „Kierkegaard and German Idealism“ in The Oxford Handbook of Kierkegaard, hrsg. v. George Pattison / John Lippitt, Oxford 2013 (in print), hier bes. Abschn. I. 56 Schelling SW VII, S. 360.

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I.2 Kierkegaards geschichtliche Stellung

2. Hegel In der hier eingenommenen und durch die indirekte Methode vorgegebenen Perspektive zeigt sich zwischen Kierkegaard und Hegel die maximale Differenz.57 Der zugleich fortschreitende und in sich zurückgehende, vertikale und immanente Gang der Hegelschen Dialektik, in der die Notwendigkeit des Übergangs und Zusammenhangs durch die Bewegungsprinzipien der Negation und des Widerspruchs, der Vermittlung und der Aufhebung garantiert ist, schließt sich, seiner inneren Struktur nach, zu einem Ganzen. Dagegen steht bei Kierkegaard die horizontale Bewegung einer indirekten, umkreisenden Ansprache der atopischen Singularität, die nie eingeholt, sondern in ihrer Transzendenz und als beständig Ausstehende festgehalten wird. Freilich bleibt eine derart skizzenhafte Darstellung der Hegelschen Bewegung notwendig äußerlich – und in der Tat verweist die eben gegebene Anzeige auf Partien Hegels, die von ihm selbst als „vorläufig“,58 als bloß „historische[m]“ und „räsonnierende[m]“59 Formulierungen bestimmt werden. Dass aber im Blick auf Kierkegaard ein anzeigendes Verfahren gewählt wird, hat einen guten Grund: Die Kierkegaardsche Bewegung einer indirekten Mitteilung der Singularität ist nämlich für 57 Zum Verhältnis Kierkegaard – Hegel im Ganzen sind aus der jüngeren Forschung besonders die eben zitierte Studie von Hühn sowie die Arbeit Stewarts zu vergleichen ( Jon Stewart Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, Cambridge u. a. 2003). Während Hühn Kierkegaards Auseinandersetzung mit Hegel aus ihrem idealistischen Kontext heraus verständlich macht und insbesondere zur HegelKritik des späten Schelling ins Verhältnis setzt, rekonstruiert Stewart den spezifisch dänischen Hintergrund des zeitgenössischen Hegelianismus. In einer ganzen Reihe von Fällen kann Stewart überzeugend nachweisen, dass Kierkegaards berüchtigte Polemik sich nicht zunächst gegen Hegel selbst richtet, sondern auf präzise zu lokalisierende Äußerungen im dänischen Kontext zu beziehen ist. Bei aller Überzeugungskraft dieses Ansatzes bleibt freilich die grundlegende Frage nach Kierkegaards Stellung zur Hegelschen Philosophie bestehen – was Stewart auch ausdrücklich bemerkt (vgl. ebd., bes. S. 632 – 652). Vgl. zu Kierkegaards Hegelrezeption auch Heiko Schulz „Kierkegaard über Hegel. Umrisse einer kritisch-polemischen Aneignung“ in Kierkegaardiana 21, 2000, S. 152 – 178 und für einen genauen Überblick über die explizite Hegelrezeption sowie eine umfassende Bibliographie Jon Stewart „Hegel: Kierkegaard’s Reading and Use of Hegel’s Primary Texts“ in Kierkegaard and His German Contemporaries, Bd. 1: Philosophy (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, 6.1), hrsg. v. Jon Stewart. Aldershot u. a. 2007, S. 97 – 165. 58 Vgl. Hegel Phn., TWA 3, S. 75. 59 Hegel WdL I, TWA 5, S. 36.

2. Hegel

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Hegel gar nicht da – so wie umgekehrt der Hegelsche Gedanke bei Kierkegaard nicht erscheinen kann. Wird Kierkegaards Bewegung auf dem Boden Hegels verhandelt, ist sie eo ipso alteriert und außer ihrer Kraft gesetzt – so wie andererseits der Hegelsche Gedanke im Denkraum Kierkegaards nur in verzerrter Form, nämlich als Parodie und phantastisch-spekulative Existenzvergessenheit erscheint. Diese Exterioritt hat Kierkegaard selbst mehrfach zum Ausdruck gebracht: Der Einzelne, der allein in einem indirekten Verfahren anzusprechen ist, steht jenseits des Systems; insofern ist Kierkegaards Auseinandersetzung mit Hegel nicht ,immanente Kritik‘, sondern verweist je schon auf einen Bereich des Außerhalb. So heißt es etwa noch in der „Beilage“ zum Gesichtspunkt: Und jeder, der bloß etwas Dialektik hat, wird sehen, dass es unmöglich ist, ,das System‘ von einem Punkt innerhalb des Systems anzugreifen. Aber es gibt nur einen, allerdings keimhaften Punkt außerhalb: den Einzelnen, ethisch und religiös, existenziell akzentuiert.60

Dass die Kierkegaardsche Bewegung sich der Hegelschen je schon entzogen hat, lässt sich exemplarisch an dem Einstiegsgeschehen derjenigen Schrift Hegels zeigen, die dem Unterfangen Kierkegaards noch am Nächsten zu stehen scheint, der Phnomenologie des Geistes. Ein erster Unterschied liegt freilich schon darin, dass Hegel hier die Gestalten des Bewusstseins zum Thema hat, deren Bestimmung im Wissen liegt; wohingegen Kierkegaard auf Gestalten der Existenz zielt, deren Bestimmung eben im Selbstvollzug des Existierens liegt. So zeigt sich dann auch die für Kierkegaard entscheidende Kategorie der Singularitt für Hegel nur im Rahmen des bewusstseinstheoretischen Paradigmas, nämlich als sinnlich gewisses Einzelding. Die Hegelsche Dialektik der sinnlichen Gewissheit besteht nun – in gröbster Abbreviatur – in Folgendem: Das Bewusstsein vermeint in dem Diesen, dem unmittelbaren, sinnlichen, einzelnen Gegenstand seine Wahrheit zu haben; aber indem das Bewusstsein das Diese ausspricht oder auch nur auf es zeigt, so erweist es sich als ein Allgemeines – als allgemeines ,Jetzt‘ und ,Hier‘ und ,Dieses‘. Mithin zeigt sich die Unmçglichkeit, die gemeinte oder vielmehr bloß vermeinte Wahrheit festzuhalten: Wenn sie wirklich dieses Stück Papier, das sie meinen, sagen wollten, und sie wollten sagen, so ist dies unmöglich, weil das sinnliche Diese, das gemeint

60 GWS, 113 Anm. / SV2 XIII, 648 Anm. [Herv. v. Verf.].

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I.2 Kierkegaards geschichtliche Stellung

wird, der Sprache, die dem Bewußtsein, dem an sich Allgemeinen angehört, unerreichbar ist.61

Der Unsagbarkeit des Einzelnen würde nun Kierkegaard zweifelsohne zustimmen – daraus aber geradezu die umgekehrten Schlüsse ziehen. Während bei Hegel nämlich diejenige Form des Bewusstseins, welche im Einzelnen ihre Wahrheit zu haben vermeint, gleich zu Beginn der Bewegung aufgehoben und somit der Übergang zur nächsten Formation des Wissens gemacht ist, hält Kierkegaard die Inkommensurabilität des Singulären fest. Auf das direkt nicht einzuholende Einzelne trotz seiner Uneinholbarkeit hinzusprechen ist der Nerv der indirekten Mitteilung – und zugleich der unüberbrückbare Abstand Kierkegaards zu Hegel. Man wird allerdings gegen eine derart einfache Unterscheidung wiederum einwenden, der im vorhergehenden Kapitel profilierte Rückstoß der Methode sei in seinem Sich-entgegen-Arbeiten eine genuin Hegelsche Konzeption. In der Tat spricht Hegel schon in der Phnomenologie vom „Gegenstoß“62 und in der Logik gar vom „Gegenstoß der Methode“.63 Und tatsächlich tritt in dieser Hinsicht Kierkegaard ein Hegelsches Erbe an – verwandelt aber die dialektische Form grundlegend. Bei Hegel nämlich ist die Dialektik ein fortschreitendes Begreifen, eine sich entfaltende Bewegung, die schließlich in sich zurückgeht, sodass Hegel die Wissenschaft im Ganzen einen „Kreis von Kreisen“64 nennen kann. Kierkegaards Dialektik hingegen ist ein Denken der Aporie; das Gegensich-selbst-Arbeiten hält das Denken stets in der Spannung, es umläuft beständig den atopischen Ort der singulären Existenz – und ist mithin kein Kreis, der sich zu einem Ganzen schließt, sondern im verbalen Sinne ein Kreisen in der Unabgeschlossenheit der Doppelreflexion.

61 Hegel Phn., TWA 3, S. 91 f.; vgl. zum Ganzen Hegel Phn., TWA 3, S. 82 – 92, bes. S. 84 f. Freilich wird hier auch das einzelne ,Ich‘, als ,Dieser‘ behandelt – allerdings ist dieses ,Ich‘ nur als Bewusstsein von einem Gegenstand gefasst. Auch das ,Ich‘ ist der angezeigten Dialektik unterworfen: Es zeigt sich, dass das ,Ich‘ als Einzelner bloß vermeint ist – aber in der Tat als Allgemeines verstanden werden muss. 62 Vgl. Hegel Phn., TWA 3, S. 58 f. 63 Hegel WdL II, TWA 6, S. 101. 64 Hegel WdL II, TWA 6, S. 571.

3. Schelling

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3. Schelling Anders steht offensichtlich das Verhältnis Kierkegaards zu Schelling. Bekanntlich hat Kierkegaard Schellings Berliner Antrittsvorlesung 1841/42 in Berlin besucht und eine umfängliche Mitschrift angefertigt.65 Geradezu enthusiastisch äußert sich Kierkegaard dabei zu Schellings zweiter Vorlesungsstunde: Ich bin so froh, Schellings 2te Stunde gehört zu haben – unbeschreiblich. So habe ich denn lange genug geseufzt und haben die Gedanken in mir geseufzt; als er das Wort: „Wirklichkeit“ nannte, vom Verhältnis der Philosophie zur Wirklichkeit, da hüpfte die Frucht des Gedankens in mir vor Freude wie in Elisabeth [Luk. 1,41]. Ich erinnere mich an fast jedes Wort, das er von dem Augenblick an sagte. Hier kann vielleicht Klarheit kommen. […] Nun habe ich alle meine Hoffnung auf Schelling gesetzt.66

Die emphatische Ausrichtung auf die Wirklichkeit – darin liegt zweifelsohne der tiefste Punkt der Verwandtschaft Kierkegaards mit Schelling. Diese Gemeinsamkeit zeigt sich insbesondere im Blick auf die philosophischen ,Gegner‘, ist doch zweifelsohne Kierkegaards Kritik an Hegel wesentlich von seinem Besuch der Schelling-Vorlesung geprägt.67 Es ist 65 Vgl. die Neuübersetzung des Verf. von Not11 (DSKE 3, 331 – 405 / SKS 19, 305 – 367). 66 Not8:33 (DSKE 3, 252 / SKS 19, 235). 67 Vgl. die Bemerkung Hühns, nach der es „schon bisweilen schwer fällt zu sehen, worin der Däne in der eigenen Hegel-Kritik gegenüber der Schellings etwas substantiell Neues zu bieten hat“ (Hühn Kierkegaard und der Deutsche Idealismus, S. 148). Zum Verhältnis Kierkegaard – Schelling ist die Studie Hühns im Ganzen zu vergleichen. Vgl. weiterhin bes. den Band Kierkegaard und Schelling. Freiheit, Angst und Wirklichkeit, hrsg. v. Jochem Hennigfeld / Jon Stewart, Berlin / New York 2003 und darin insbesondere die Aufsätze von Lore Hühn „Sprung im Übergang. Kierkegaards Kritik an Hegel im Ausgang von der Spätphilosophie Schellings“ in ebd., S. 133 – 183 und Jochem Hennigfeld „Angst – Freiheit – System. Schellings Freiheitsschrift und Kierkegaards Der Begriff Angst“ in ebd., S. 103 – 115. Für einen historischen Überblick über das Verhältnis Schelling – Kierkegaard sowie die Forschungsliteratur bis 2003 vgl. Tonny Aagaard Olesen „Kierkegaards Schelling. Eine historische Einführung“ in ebd., S. 1 – 102. – Vgl. weiterhin Lore Hühn „Selbstentfremdung und Gefährdung menschlichen Selbstseins. Zu einer Schlüsselfigur bei Schelling und Kierkegaard“ in „Alle Persçnlichkeit ruht auf einem dunkeln Grunde“. Schellings Philosophie der Personalitt, hrsg. v. Thomas Buchheim / Friedrich Hermanni, Berlin 2004, S. 151 – 162 sowie Günter Figal „Schellings und Kierkegaards Freiheitsbegriff“ in Kierkegaard und die deutsche Philosophie seiner Zeit. Vortra¨ ge des Kolloquiums am 5. und 6. November 1979, hrsg. v. Heinrich Anz / Peter Kemp / Friedrich Schmo¨e, Kopenhagen / München 1980, S. 112 – 127. Vgl. neuerdings auch Jochem Hen-

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I.2 Kierkegaards geschichtliche Stellung

insbesondere die Schellingsche Fundamentaldifferenz zwischen Washeit und Dassheit (quid sit und quod sit) – zwischen einem im Logischen verbleibenden Möglichkeitsdiskurs und einer ausgezeichneten Sphäre der Erfahrungswirklichkeit –, die für Kierkegaards Hegelkritik entscheidend ist und auf die sich die eben zitierte Passage auch bezieht.68 Wird aber auf die indirekte Methode Kierkegaards reflektiert – und auf diese allein zielt ja hier die Positionsbestimmung – so zeigt sich wiederum eine wesentliche Differenz. Zunächst ist die ,Wirklichkeit‘ bei Kierkegaard in einem spezifischen und zugleich klar begrenzten Sinne verstanden: Sie ist die existenzielle Wirklichkeit der Singularitt. Darin erschöpft sich aber die Differenz keineswegs: In der Tat gibt es nämlich für Kierkegaard weder eine negative Philosophie (bei Schelling: ,reine Vernunftwissenschaft‘) noch eine positive Philosophie (bei Schelling: ,Philosophie der Offenbarung‘). Die indirekte Methode ist vielmehr das schwebende Zwischen, das im Modus der unterstrichenen Verfehlung auf die sich entziehende Wirklichkeit der Existenz ausgreift. Sofern dieser Zugriff experimentierend erfolgt und in keinem Resultat endigt, ist Kierkegaards indirekte Mitteilung Mçglichkeitsmitteilung des Wirklichen. An dieser Figur lässt sich die Verschiebung der Schellingschen Begrifflichkeit demonstrieren, die mit Kierkegaards Entwurf der indirekten Methode einhergeht: Gerade weil auf die Wirklichkeit als unverfügbare, dem Begriff beständig entgehende hingedacht werden soll, wäre es verfehlt, die Wirklichkeit als Wirklichkeit zu denken – denn das hieße wieder, sie als Möglichkeit zu bestimmen. Da also ein jedes Denken das Wirkliche notwendig verfehlt, muss dieses Verfehlen sich auch in der Denkform zeigen, und das heißt: Die Darstellung und Mitteilung hat selbst zu markieren, dass sie bloße Möglichkeit ist, gleichwohl aber auf Wirklichkeit hinweist. In einem Abschnitt der Nachschrift entwirft dem-

nigfeld „Freiheit – Unschuld – Angst – Zeitlichkeit. Kierkegaard als Erbe der Freiheitsphilosophie Schellings“ in Das Bçse und sein Grund. Zur Rezeptionsgeschichte von Schellings Freiheitsschrift 1809, hrsg. v. Gunther Wenz, München 2010, S. 91 – 98 sowie v. Verf.: Philipp Schwab „,Das Reich der Wirklichkeit ist nicht vollendet‘. Kierkegaard als Hörer Schellings und Kritiker Hegels“ in Kierkegaard im Kontext des deutschen Idealismus, hrsg. v. Axel Hutter / Anders Moe Rasmussen, Berlin / New York 2012 (in print). 68 Vgl. insbesondere Kierkegaards Mitschrieb der zweiten Vorlesung, die die genannte Fundamentaldifferenz entfaltet, sowie die Hegelkritik in den Vorlesungen 9 – 14; vgl. Not11:2 u. 9 – 14 (DSKE 3, 333 u. 341 – 352 / SKS 19, 305 u. 313 – 321).

3. Schelling

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entsprechend das Pseudonym Johannes Climacus die Methode der Möglichkeitsmitteilung: Aber Existenzwirklichkeit lässt sich nicht mitteilen; und der subjektive Denker hat in seiner eigenen ethischen Existenz seine eigene Wirklichkeit. Wenn Wirklichkeit von [einem] Dritten verstanden werden soll, muss sie als Möglichkeit verstanden werden, und ein Mitteilender, der sich dessen bewusst ist, wird deshalb darauf achten, dass seine Existenz-Mitteilung, gerade um in Richtung der Existenz zu liegen, in der Form der Möglichkeit sein muss.69

Trotz dieser mitteilungstheoretischen Verschiebung verdankt Kierkegaards Philosophie der Schellingschen Fundamentaldifferenz von Möglichkeit und Wirklichkeit einen wesentlichen Impuls.70 Dies zeigt sich unter anderem darin, dass Kierkegaard noch im letzten Abschnitt seiner kurz vor der Berlinreise verteidigten Dissertation ber den Begriff der Ironie von der beherrschten Ironie fordert, sie müsse, in hegelianischer Manier, eine Vermittlung von Möglichkeit und Wirklichkeit, von Innen und Außen zuwege bringen.71 Kierkegaards erstes nach der Berlinreise erschienenes Werk, Entweder/Oder, befestigt hingegen gleich auf der ersten Seite und sicherlich nicht ohne Einfluss Schellings diesen Unterschied als unaufhebbaren – und zwar darin, dass Victor Eremita seinem „liebe[n] Leser“ unterstellt, es sei ihm „doch gewiss einmal eingefallen, ein wenig an der Richtigkeit des bekannten philosophischen Satzes zu zweifeln, dass das Äußere das Innere ist, das Innere das Äußere.“72 In der Art und Weise aber, in der sich Kierkegaard diese Differenz anverwandelt und sie schließlich einer methodologischen Verschiebung unterzieht, zeigt sich zugleich der fundamentale Unterschied Kierkegaards zum Idealismus im Ganzen – und der Übergang, den Kierkegaard, von Schelling ausgehend, in die Moderne bezeichnet.

69 AUN2, 62 / SKS 7, 327, vgl. dazu ausführlicher unten, II.1.3. 70 Vgl. dazu besonders AUN2, 19 – 47 / SKS 7, 290 – 314, wo Climacus dieses Begriffspaar als ,Grundunterscheidung‘ des Existenzdenkens ausführlich entfaltet. 71 Vgl. ausführlicher unten, III.1.5. 72 EO1, 3 / SKS 2, 11, vgl. dazu unten, III.3.

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I.2 Kierkegaards geschichtliche Stellung

4. Nietzsche Indem Kierkegaard sich solcherart vom Idealismus abstößt, weist er zugleich voraus. In der Aufsprengung und Suspendierung des Systems und im Gegenentwurf einer experimentalphilosophischen Form zeigt sich die wesentliche Zusammengehörigkeit Kierkegaards mit Nietzsche. Beiden gemeinsam ist die Vervielfältigung der philosophischen Ausdrucksformen und das Denken in gebrochenen Perspektiven.73 Kierkegaards Polyphonie der Pseudonyme entspricht dabei Nietzsches aphoristische Technik, die es ermöglicht, durch Abbruch und Wiederaufnahme die je verhandelte Sache zu drehen, zu wenden und zu umkreisen, ohne dass die Bewegung je in einem totalen Gesichtspunkt ihr Zentrum findet. Diese Denkform heißt bei Nietzsche selbst ,Experimentalphilosophie‘, ,Perspektivismus‘ oder auch ,Schule des Verdachts‘.74 Die letzte Bezeichnung weist aber zugleich auf den Unterschied hin, der bei aller strukturellen Parallelität zwischen den Methoden Kierkegaards und Nietzsches besteht. Die Nietzschesche Experimentalphilosophie ist nämlich wesentlich und ausdrücklich kritische Revision tradierter Denkformen und Begriffe. Eine solche ist bei Kierkegaard allenfalls unterschwellig am Werk, bei Nietzsche ist sie Programm. So erhält man bei Kierkegaard auf die Frage, warum und wie genau denn das Singuläre als Inkommensurables im Allgemeinen niemals aufgehe, an keiner Stelle eine befriedigende Antwort. Nietzsche hingegen stellt diese Frage schon in Ueber Wahrheit und Lge im aussermoralischen Sinne (1873) ausdrücklich, und beantwortet sie, indem er den Begriff historisiert und aus der pro73 Mithin erscheint es einleuchtend, dass Figal gerade Kierkegaards Begriff der ,indirekten Mitteilung‘ heranzieht, um das Verfahren Nietzsches zu kennzeichnen; vgl. Günter Figal Nietzsche. Eine philosophische Einfhrung, Stuttgart 1999, S. 17. 74 Vgl. Nietzsche Menschliches, Allzumenschliches Vorr. 1, KSA 2, S. 13. Zur Experimentalphilosophie bei Nietzsche vgl. bes. Volker Gerhardt „,ExperimentalPhilosophie‘. Versuch einer Rekonstruktion“ in ders. Pathos und Distanz. Studien zur Philosophie Friedrich Nietzsches, Stuttgart 1988, S. 163 – 187; vgl. Friedrich Kaulbach Nietzsches Idee einer Experimentalphilosophie, Köln 1980. – In der folgenden Skizze liegt der Fokus auf der ,kritischen‘ Seite von Nietzsches Experimentalphilosophie; seine ,affirmative‘ Experimentalphilosophie ist wesentlich als ,tragische Überwindung des Nihilismus‘ aufzufassen. Vgl. dazu Philipp Schwab „Die tragische Überwindung des Nihilismus. Nietzsches ,Philosophie des Tragischen‘ von der Geburt der Tragçdie bis zum Spätwerk“ in Die Philosophie des Tragischen. Schopenhauer – Schelling – Nietzsche, hrsg. v. Lore Hühn / Philipp Schwab, Berlin / New York 2011, S. 575 – 621.

4. Nietzsche

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duktiven Reduktion der vielgestaltigen und unbeständigen Wirklichkeit hervorgehen lässt, welcher Umschaffungsakt allerdings hernach vergessen worden sei.75 Nietzsches experimentelles Verfahren besteht dann ab Menschliches, Allzumenschliches darin, vermeintlich qualitative Gegenüberstellungen und Hierarchisierungen versuchsweise umzukehren und die Spur aufzuzeigen, auf der das ,Hohe‘ aus dem ,Niedrigen‘ entsteht. Schon das Verfahren des ,mittleren‘ Nietzsche ist so Genealogie, Frage nach der Herkunft und Abkunft der Dinge. Die Praxis der versuchsweisen Umkehrung definiert zudem bei Nietzsche den Typus des ,freien Geistes‘: Dieser „dreht um, was er verhüllt, durch irgend eine Scham geschont findet: er versucht, wie diese Dinge aussehn, wenn man sie umkehrt“.76 Das Nietzschesche Verfahren ist dabei, wohlgemerkt, ein experimentierendes Verfahren, ein Denken auf den Versuch hin – Nietzsche spricht auch von den „gefährliche[n] Vielleichts“77 – und nicht bloß die Kritik eines falschen Scheins, durch den zu einer ,wahren‘ Grundlage hindurchgegangen würde, etwa dem unhintergehbaren Prinzip eines ,Willens zur Macht‘. Die hier skizzierte Auffassung einer Permanenz des Verdachts,78 die freilich schon in dem Wort ,Verdacht‘ selbst liegt, unterscheidet sich übrigens von der an Freud orientierten Ricœurschen Formulierung einer ,Hermeneutik des Verdachts‘, lässt dieser doch die ,drei Meister des Verdachts‘ – Marx, Nietzsche und Freud – schließlich ein „neues Reich der Wahrheit“79 entdecken. Der an Kierkegaards Rückstoß der Methode orientierte Blick erkennt hingegen die Pointe des Nietzscheschen Verfahrens darin, noch die eigenen Operatoren und kritischen Begriffe der Subversionsbewegung – gleichsam ,performativ‘ – selbst auszusetzen. Dies zeigt sich etwa in der dritten Abhandlung der Genealogie der Moral: Hier hebt Nietzsche zunächst auf eine Subversion des asketischen Ideals ab, um aber schließlich die Bewegung auf sich selbst zurückzubeugen und den eigenen Modus der Kritik als noch vom Kritisierten abhängig aus75 Vgl. Nietzsche Ueber Wahrheit und Lge im aussermoralischen Sinne, KSA 1, S. 873 – 890. 76 Nietzsche Menschliches, Allzumenschliches Vorr. 3, KSA 2, S. 17. 77 Nietzsche Jenseits von Gut und Bçse 2, KSA 5, S. 17. 78 Vgl. zu einer kritischen Diskussion dieser Permanenz Günter Figal „Verstehen; Verdacht; Kritik“ in ders. Verstehensfragen. Studien zur phnomenologisch-hermeneutischen Philosophie, Tübingen 2009, S. 211 – 222. 79 Paul Ricœur Die Interpretation. Ein Versuch ber Freud, übers. v. E. Moldenhauer, Frankfurt a.M. 1974 [Paris 1965], S. 47.

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I.2 Kierkegaards geschichtliche Stellung

zuweisen: Die Hinterfragung des asketischen Ideals verdankt sich noch diesem selbst; es ist der vom asketischen Ideal herkommende Imperativ der unbedingten Redlichkeit, aus dem seine eigene Kritik entspringt.80 Vor diesem Hintergrund zeigt sich nochmals die horizontal-zyklische Interpretationsbewegung der ,Schule des Verdachts‘. Sie vollzieht sich als Experiment, als Hypothese und als Perspektivierung; sie gibt Interpretationen – und hinterfragt zugleich den eigenen Modus der Interpretation. In dieser Bewegung ist Nietzsches Denken dem Kierkegaards wesentlich verwandt. Für beide ist dabei entscheidend, dass sie eine neue Form des Denkens entwerfen; ihre Kritik am ,System‘ ist nicht einfach die Resignation der Philosophie. In dieser Perspektive nimmt auch Deleuze die Zusammenstellung von Nietzsche und Kierkegaard vor: „Nietzsche und Kierkegaard gehören zu denjenigen, die die Philosophie um neue Ausdrucksmittel erweitern. Mit Blick auf sie spricht man gerne von einer Überschreitung der Philosophie.“81 In Bezug auf Kierkegaard und Nietzsche von einer solchen „Überschreitung der Philosophie“ zu sprechen macht es im Übrigen nicht notwendig, die „soundsovielte

80 Vgl. Nietzsche Genealogie der Moral 24 f., KSA 5, S. 398 – 405; bes. deutlich ist hierzu auch der Aphorismus „Inwiefern auch wir noch fromm sind“ in Nietzsche Die frçhliche Wissenschaft 344, KSA 3, 574 – 577. 81 Gilles Deleuze Differenz und Wiederholung, aus dem Franz. v. Joseph Vogel., 2., korr. Aufl., München 1997 [Paris 1967], S. 24. – Früh hat auf diesen Zusammenhang auch Jaspers aufmerksam gemacht, vgl. Karl Jaspers Vernunft und Existenz. Fnf Vorlesungen, München 1960 [1935], zur indirekten Mitteilung bes. ebd., S. 16. – Vgl. aus der neueren Forschung zum Verhältnis Kierkegaard – Nietzsche: James Kellenberger Kierkegaard and Nietzsche. Faith and Eternal Acceptance, Basingstoke / London 1997; John Lippitt „Nietzsche, Kierkegaard and the Narratives of Faith“ in Nietzsche and the Divine, hrsg. v. John Lippit / Jim Urpeth, Manchester 2000, S. 77 – 95; Alastair Hannay „Nietzsche / Kierkegaard: Prospects for Dialogue?“ in ders. Kierkegaard and Philosophy. Selected Essays, London / New York 2003, S. 207 – 217; Wenche Marit Quist „Nietzsche and Kierkegaard. Tracing Common Themes“ in Nietzsche-Studien 34, 2005, S. 474 – 485; Tom P. S. Angier Either Kierkegaard / Or Nietzsche. Moral Philosophy in a New Key, Aldershot / Burlington 2006; Giulia Longo Kierkegaard, Nietzsche: Eternit dell’istante, istantaneit dell’eterno, pres. di Eugenio Mazzarella, Milano 2007; Thomas P. Miles „Kierkegaard and Nietzsche Reconsidered“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2007, S. 441 – 469; John Keith Hyde Concepts of Power in Kierkegaard and Nietzsche, Farnham / Burlington 2010. – Vgl. auch Philipp Schwab „Ethik und Ethikkritik. Philosophie der Existenz bei Kierkegaard und Nietzsche“ in Existenzphilosophie und Ethik, hrsg. v. Hans Feger / Manuela Hackel, Berlin / New York 2012 (in print).

5. Derrida

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Erzählung vom Anfang und vom Ende der Metaphysik“82 zu geben. Es genügt, die Aufmerksamkeit auf die Darstellungsformen Nietzsches und Kierkegaards zu richten, um zu zeigen, dass sie Philosophie in einer Weise betreiben, die es zuvor nicht gegeben hat. Dies bedeutet keineswegs, dass sie der Philosophie einfach den Rücken kehren, was – nach Derrida – „meistens schlechte Philosophie zur Folge hat.“83

5. Derrida Als systematische Überkreuzung der Kierkegaardschen ,Darstellung des Undarstellbaren‘ und der Nietzscheschen Experimentalkritik metaphysischer Grundkategorien zeigt sich schließlich die Bewegung der sich entgegenarbeitenden Methode in Derridas so genannter ,Dekonstruktion‘.84 Die Verwandtschaft zu Kierkegaard85 besteht zunächst in der Zurücknahme der eigenen Zugriffsformen. So ist etwa die Grammatologie Derridas sozusagen ,eine gewisse unmögliche Möglichkeit‘, vom Logos her auf die ihm zugleich entgehende und unvordenklich vorausgehende Schrift (gramma) hinzusprechen: „Grammatologie, Denken, das noch eingemauert bliebe in der Präsenz.“86 Die Kierkegaardsche Kunst des SichEntgegenarbeitens ist bei Derrida beinahe bis zur Manier gesteigert, und vollzieht sich oft genug innerhalb eines einzigen Satzes. Ein Beispiel: 82 Michel Foucault „Der Ariadnefaden ist gerissen“ in ders. / Gilles Deleuze Der Faden ist gerissen, aus d. Französischen v. Walter Seitter / Ulrich Raulf, Berlin 1977, S. 7 – 12, hier S. 8. 83 Jacques Derrida „Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen“ in ders. Die Schrift und die Differenz, Frankfurt a.M. 1976 [Paris 1967], S. 422 – 442, hier S. 435. 84 Derrida selbst hat Kierkegaard und Nietzsche nur beiläufig zusammengestellt, und zwar mit Blick auf die Maske, den Eigennamen und die Unterschrift; vgl. Jacques Derrida „Guter Wille zur Macht (II)“ in Text und Interpretation. Deutschfranzçsische Debatte, hrsg. v. Philippe Forget, München 1984, S. 62 – 77, hier S. 72; ders. „Otobiographien. Die Lehre Nietzsches und die Politik des Eigennamens“ in ders. / Friedrich Kittler Nietzsche – Politik des Eigennamens. Wie man abschafft, wovon man spricht, Berlin 2000, S. 7 – 63, hier S. 24. 85 Das Verhältnis Kierkegaard – Derrida ist in mehreren Beiträgen jüngeren Datums behandelt worden; vgl. besonders: Tilman Beyrich Ist Glauben wiederholbar? Derrida liest Kierkegaard, Berlin / New York 2001; Jochen Schmidt Vielstimmige Rede vom Unsagbaren. Dekonstruktion, Glaube und Kierkegaards pseudonyme Literatur, Berlin / New York 2006; Marius Timmann Mjaaland Autopsia. Self, Death, and God after Kierkegaard and Derrida, Berlin / New York 2008. 86 Jacques Derrida Grammatologie, Frankfurt a.M. 1974 [Paris 1967], S. 170.

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I.2 Kierkegaards geschichtliche Stellung

„Die ,Rationalität‘ – aber vielleicht müßte auf dieses Wort aus dem Grunde, der am Ende dieses Satzes sichtbar wird, verzichtet werden –, die eine derart erweiterte und radikalisierte Schrift beherrscht, stammt nicht mehr aus einem Logos.“87 Die Pointe der so genannten ,Dekonstruktion‘ – die sich nun insbesondere von Kierkegaard her erschließt – zeigt sich aber dort, wo sie selbst, ihre Bewegung selbst beschrieben werden soll. Dies wird etwa in der Weise sichtbar, in der Derrida sein ,Prinzip‘ der diffrance umkreist. Von der diffrance, der irreduziblen und unvordenklichen Differenz also, heißt es zunächst, dass sie „ la lettre weder ein Wort noch ein Begriff ist“ und „nicht exponiert werden“ könne.88 Sie kann nur in der Form eines Bndels nachgezeichnet werden, in der Bewegung eines „Einflechtens, eines Webens, eines Überkreuzens […], welches die unterschiedlichen Linien des Sinns […] wieder auseinanderlaufen lässt, als sei sie bereit, andere hineinzuknüpfen.“89 Dieses Verfahren einer umwegigen Einschreibung der diffrance spitzt sich zu, wenn Derrida die diffrance als Namen anspricht: Die diffrance ist und ist zugleich nicht der Name der irreduziblen Differenz; diese Letztere hat keinen Namen in unserer Sprache. Aber wir ,wissen bereits‘, daß sie nicht nur vorläufig unnennbar ist […]. Denn es gibt keinen Namen dafür, selbst nicht den der diffrance, die kein Name, die keine reine nominale Einheit ist und sich unaufhörlich in eine Kette von differierenden Substitutionen auflöst.90

Noch den Zentralbegriff des eigenen Denkens als Bewegung der Differenz dieser auszusetzen und schließlich in einer Verkettung aufzulösen – darin ist die Form des Sich-selbst-Entgegendenkens auf die Spitze gestellt, die auf Kierkegaard und Nietzsche als ihre Ahnen verweist. *** Die gebrochenen Denkgestalten des 19. und 20. Jahrhunderts beleuchten sich gegenseitig.91 Damit eine solche Beleuchtung möglich wird, ist es 87 Ebd., S. 23. 88 Jacques Derrida „Die diffrance“ in ders. Randgnge der Philosophie, hrsg. v. Peter Engelmann, 2. überarb. Aufl., Wien 1999 [Paris 1972], S. 32, S. 34. 89 Ebd. 90 Ebd., S. 55. 91 Freilich wäre diese Konstellation in einer ausführlicheren Darstellung zu erweitern; allerdings ergibt sich die Hinzunahme weiterer denkerischer Positionen

5. Derrida

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geboten, ihre Bewegungen zunächst auseinanderzuhalten. Nichts wäre für eine Interpretation von Kierkegaards indirekter Mitteilung schädlicher als etwa eine unbedarfte Applikation ,dekonstruktiver Operatoren‘ auf den Kierkegaardschen Text – und dies nicht zuletzt deshalb, weil sich im Blick auf Kierkegaard und Nietzsche zeigt, dass ,die Dekonstruktion‘ gar nicht in der Weise eine Methode ist, dass sie ,Werkzeuge‘ für die Anwendung auf jeden beliebigen Gegenstand bereit hielte. Diese Frage wird, neben anderen, in der folgenden Diskussion des Forschungsstandes wiederkehren.

nicht unmittelbar. So wäre im Falle Heideggers zunächst seine implizite Auseinandersetzung mit Kierkegaard zu rekonstruieren, die sich bekanntlich in seinen expliziten Äußerungen nur ausschnitthaft zeigt (vgl. hierzu neuerdings bes. Vincent McCarthy „Martin Heidegger: Kierkegaard’s Influence Hidden and in Full View“ in Kierkegaard and Existentialism (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, 9), hrsg. v. Jon Stewart, Farnham / Burlington 2011, S. 95 – 125); auch wäre Heideggers Interpretation von Nietzsches Experimentaldenken hinzuzuziehen. – Im Falle Adornos hätte eine Darstellung zunächst auf Adornos eigenes, durchaus problematisches Verständnis von Kierkegaards ,indirekter Mitteilung‘ einzugehen, um sodann die Verwandtschaft zu Kierkegaard im ,Nichtidentischen‘ aufzuzeigen; dabei wäre auch die Frage nach dem Negativen in Adornos Dialektik und mithin dem Verhältnis zu Hegel zu stellen (vgl. dazu Lore Hühn / Philipp Schwab „Intermittenz und ästhetische Konstruktion: Kierkegaard“ in Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hrsg. v. Richard Klein / Johann Kreuzer / Stefan Müller-Doohm, Stuttgart 2011, S. 325 – 335).

I.3 Zum Stand der Forschung Dass die Kierkegaard-Forschung das Thema der indirekten Mitteilung bersehen habe, ist keineswegs zu behaupten – im Gegenteil dürfte sich kaum eine ausführlichere Darstellung Kierkegaards finden, die nicht auf das Mitteilungstheorem oder wenigstens die Pseudonymität Bezug nimmt. Gleichwohl sind Studien, die die Mitteilungsfrage explizit in den Mittelpunkt der Untersuchung stellen oder von ihr ausgehen, eher selten; eine umfassende Rekonstruktion der verschiedenen Begriffe des Indirekten in Kierkegaards Werk liegt bislang nicht vor. Oftmals wird die Mitteilungsdialektik einem Sachproblem untergeordnet; und sofern die Mitteilungsform ausführlicher erörtert wird, dominiert zumeist die Perspektive von Kierkegaards Gesichtspunkt, der in dieser Untersuchung mitteilungstheoretisch als problematisch erscheinen wird. Die folgende Darstellung begreift sich nicht als Literaturbericht im engeren Sinne und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; ihr Ziel besteht darin, Interpretationslinien der Forschung zum Mitteilungsproblem anhand systematisch signifikanter Positionen nachzuzeichnen und den Ansatz der eigenen Untersuchung zu diesen ins Verhältnis zu setzen. Die Skizze zum Stand der Forschung gliedert sich in fünf Schritte: Sie geht von der Frührezeption aus (1.) und diskutiert im Anschluss den hier so genannten ,sachbezogenen‘ Ansatz (2.); nach einem Blick auf die ,ältere‘ Forschung zum Mitteilungsbegriff bis 1980 (3.) wendet sie sich gesondert dem ,dekonstruktiven‘ Ansatz zu (4.) und verweist abschließend auf einige Positionen der neueren Forschung (5.). Die Darstellung beschränkt sich weitestgehend auf monographische Veröffentlichungen; herangezogen werden Beiträge der deutschen, englischsprachigen und skandinavischen Forschung.92 92 Die Frührezeption wird entsprechend der Studie von Malik – die hierzu im Ganzen zu vergleichen ist – bis 1918 angesetzt (Habib C. Malik Receiving Søren Kierkegaard: The Early Impact and Transmission of His Thought, Washington 1997). Die Unterscheidung in ,ältere‘ und ,neuere‘ Forschung ist nicht als strenge Distinktion zu verstehen; sie ist aus pragmatischen Gründen eingeführt, sofern sich ab etwa den 1980er Jahren ein verstärktes Interesse für Kierkegaards Darstellungsformen nachweisen lässt. – Eine Forschungsgeschichte speziell zur Mitteilungsthematik bei Kierkegaard liegt nach Wissen des Verf. nicht vor. Vgl.

1. Der Mitteilungsbegriff in der Frührezeption

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1. Der Mitteilungsbegriff in der Frührezeption Zunächst ist in aller Kürze auf die Frührezeption Kierkegaards einzugehen, sofern sich in ihr schon ein spezifischer Zug andeutet, der auch weite Teile der späteren Forschung bestimmen wird. Eine der frühesten Darstellungen Kierkegaards stammt aus dem Jahr 1864 und ist von dem norwegischen Theologen Heuch verfasst worden. Schon auf der ersten Seite wird deutlich, dass Heuchs Darstellung von Kierkegaards Gesichtspunkt ausgeht. In diesem Zusammenhang führt Heuch aus, Kierkegaard müsse schon bei der Veröffentlichung seines ersten Werks „den ganzen Plan seiner Schriftstellerwirksamkeit fertig“ gehabt haben; „allein daraus“ lasse sich die „ungeheure Schnelligkeit“ der Werkfolge erklären.93 Zwar widerspricht diese Auffassung dem Wortlaut des Gesichtspunkts, sie verdeutlicht aber die Tendenz der Frührezeption, Kierkegaard ,von hinten nach vorne‘ zu lesen und insbesondere an die retrospektive Selbstdarstellung anzuschließen. Dies gilt zugleich auch für den Begriff der Mitteilung. Heuch nennt selbst die „indirecte Mitteilung“94 und versteht diese im Sinne des Gesichtspunkts: als maieutische Taktik in der ,Situation‘ der ,Christenheit‘. In die gleiche Richtung weist der nächste Text, der in diesem Zusammenhang zu nennen ist: Im Jahr 1873 – also bevor auch nur ein einziges pseudonymes Werk ins Deutsche übersetzt worden ist – erscheint eine ,Kompilation‘ mit dem Titel Sçren Kierkegaard. Eine Verfasser-Existenz eigner Art, herausgegeben von Bärthold. Dabei handelt es sich in der Hauptsache um eine Teilübersetzung eben des Gesichtspunkts. Auch die meisten mitteilungstheoretisch relevanten Partien sind übertragen, so etwa die Formel vom ,Hineinbetrügen in das Wahre‘.95 Bereits in der Frührezeption dominiert also die retrospektive Konzeption der Mitteilung; damit wird die Mitteilungsfrage sogleich an Kierkegaards Selbstver-

aber zur deutschsprachigen Forschung im Ausgang von der Nachschrift: Heiko Schulz „Rezeptionsgeschichtliche Nachschrift oder die Nachschrift in der deutschen Rezeption. Eine forschungsgeschichtliche Skizze“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2005, S. 351 – 399, hier S. 388 – 396. 93 Johan Christian Heuch „Sören Aaby Kierkegaard“ in Zeitschrift fr die gesammte lutherische Theologie und Kirche 25, 1864, S. 295 – 309, hier S. 299. 94 Ebd., S., 298. 95 Vgl. Sçren Kierkegaard. Eine Verfasserexistenz eigner Art, aus seinen Mittheilungen zusammengestellt v. Albert Bärthold, Halberstadt 1873, S. 1 – 82, zur Mitteilung bes. S. 23 f.

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I.3 Zum Stand der Forschung

ständnis der Jahre 1848/49 angeschlossen und verbindet sich überdies mit der Frage nach dem ,Einheitssinn‘ des Gesamtwerks. Ebenfalls vom Gesichtspunkt geht die erste Studie aus, die eine ausfhrlichere Darstellung der Mitteilungsfrage enthält, die 1918 erschienene Dissertation des Schweden Bohlin. Diese Studie ist insbesondere deshalb erwähnenswert, weil sie ein Vorgehen wählt, das bis in die neueste Forschung eher selten ist: Bohlin zieht die verschiedenen Fassungen des Mitteilungsbegriffs heran und berücksichtigt dabei auch umfassend Kierkegaards Nachlass.96 Bohlin schreibt dann in der Tat, es fänden sich verschiedene Begriffe der indirekten Mitteilung in Kierkegaards Werk;97 er macht aber selbst keinen Vorschlag zur systematischen Ordnung und beschränkt sich zum größten Teil auf eine Paraphrase. Gleichwohl ist das Verfahren gerade zu diesem frühen Zeitpunkt der Kierkegaard-Rezeption bemerkenswert, ist es doch jenseits der skandinavischen Forschung kaum auch nur im Ansatz verfolgt worden.

2. Der sachbezogene Ansatz Nach dem kurzen Blick auf die Frührezeption gilt es nun, den dominierenden Typus der Kierkegaard-Interpretation im 20. Jahrhundert zu kennzeichnen, den sachbezogenen Interpretationstypus. Dazu bietet es sich an, mit Hirschs Kierkegaard-Studien zu beginnen, hat doch ihr Ansatz – bei allem und oftmals heftigem Widerspruch – die folgende Forschung wesentlich geprägt. Dies wird insbesondere deutlich im Rückblick durch vom Hofe: Hirschs ,Kierkegaard-Studien‘ sind von grundlegender Bedeutung für die spätere Kierkegaard-Forschung. Seine Versuche, die Intention der kierkegaardschen Philosophie in ihrer christlichen Appellstruktur zu erweisen und eine sachliche Einheit des Gesamtwerks in seiner Genese zu rekonstruieren, haben zu fruchtbaren Erkenntnissen der Kierkegaard-Interpretation geführt […].98

Für die Frage nach der Mitteilung ist hier dreierlei entscheidend: Erstens wird mit Hirschs Interpretation das Kierkegaardsche Werk als ein in sich 96 Torsten Bohlin Sçren Kierkegaards etiska sk dning med srskild hnsyn till begreppet „den enskilde“, Uppsala 1918, S. 72 – 91. 97 Ebd., S. 72. 98 Gerhard vom Hofe Die Romantikkritik Sçren Kierkegaards, Frankfurt a.M. 1972, S. 18.

2. Der sachbezogene Ansatz

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geschlossenes und sachlich konsistentes Ganzes aufgefasst, das sich im Nachvollzug von Kierkegaards Denkweg zur Darstellung bringen lasse.99 Dies gelingt dadurch, dass Hirsch zweitens von Kierkegaards spätem Selbstverständnis ausgeht, wie es sich im Gesichtspunkt und in den nach Hirsch nicht-pseudonymen Anti-Climacus-Schriften ausprägt.100 Drittens schließlich hat dieser Ansatz zur Konsequenz, dass Fragen der Mitteilung vom Verständnis des Werkes als eines ganzheitlichen und von Kierkegaards retrospektiver Selbstinterpretation her geklärt werden. Den jeweiligen Pseudonymen wird dabei ein bestimmter Ort innerhalb des Kierkegaardschen Denkweges zugewiesen.101 Hirsch unterscheidet zwei Phasen: In den Schriften bis zu den Stadien knüpft Hirsch die Pseudonyme an „bestimmte Möglichkeiten aus Kierkegaards geistig-persönlichem Lebenskampf“;102 mit den Stadien und der Nachschrift aber gewinne „die Pseudonymität jetzt einen reflektierten Charakter“.103 Hirsch bezieht die begriffliche Ansprache der Mitteilung in der Nachschrift auf den Versuch Kierkegaards, „einen Ganzheitssinn für sein schriftstellerisches Werk zu finden“104 – und greift somit schon auf die Bestimmungen des Gesichtspunkts vor. Mit dieser Interpretation des Kierkegaardschen Werkes begründet Hirsch einen Typus der Auslegung, der im Folgenden die sachbezogene Interpretation genannt und von der mitteilungsbezogenen Interpretation unterschieden wird.105 Für diesen Ansatz ist es charakteristisch, dass die Mitteilung nicht aus sich selbst heraus zum Thema gemacht wird; sie wird vielmehr im Blick auf eine sachliche Fragestellung verstanden – und im Falle Hirschs speziell: im Blick auf die sachliche Einheit des Werkes.106 Damit wird das Mitteilungsproblem einem sachlichen Anliegen untergeordnet. 99 Vgl. Emanuel Hirsch Kierkegaard Studien, neu hrsg. u. eingel. v. Hans Martin Müller, Waltrop 2006, Bd. 1 u. 2 (= Gesammelte Werke, Bd. 11 u. 12) [Gütersloh 1930 – 1933], hier Bd. 2, S. 14 [S. 28]. 100 Vgl. ebd. 101 Vgl. z. B. ebd., S. 144 [S. 730 f.]. 102 Ebd., S. 142 [S. 730]. 103 Ebd. 104 Ebd. 105 Diese Unterscheidung ist angelehnt an Theunissen. Vgl. Michael Theunissen Der Begriff Verzweiflung. Korrekturen an Kierkegaard, Frankfurt a.M. 1993, S. 8 f.; vgl. die folgende Diskussion. 106 Gleichwohl findet sich bei Hirsch selbst die nach wie vor ausführlichste Diskussion der Differenz der Mitteilungsbegriffe von Nachschrift und Gesichtspunkt. Vgl. dazu unten, II.2.3.

56

I.3 Zum Stand der Forschung

Es versteht sich, dass dieser sachbezogene Ansatz nicht als solcher zu kritisieren ist; es gilt hier allein anzuzeigen, dass Kierkegaards indirektes Verfahren zuallermeist von einer anderen Fragestellung her verstanden worden ist. Der sachbezogene Ansatz kann aber auch die Mitteilungsfrage gänzlich zurücktreten lassen. Dies ist knapp an zwei herausragenden Beispielen sachbezogener theologischer und philosophischer Kierkegaard-Interpretation zu zeigen, den Untersuchungen von Ringleben und Theunissen. Ringlebens Studie trägt den Titel Aneignung. Die spekulative Theologie Søren Kierkegaards; sie begreift allerdings die Aneignung nicht, wie man zunächst annehmen könnte, in Bezug auf die Mitteilungsstruktur von Kierkegaards Werk. Vielmehr soll – wie schon der Untertitel anzeigt – „eine durch alle Schriften weitverzweigte Schicht dialektischer Absolutheitsspekulation (eine ,Metaphysik‘)“107 aufgewiesen werden. Dabei wird das Mitteilungsproblem nur gestreift,108 und von der pseudonymen Veröffentlichung der Werke, die doch mit der Mitteilungsfrage untrennbar verbunden ist, sieht Ringleben gänzlich ab: Unter dem Aspekt des spekulativen Zugs der betrachteten Texte sehe ich mich auch von einer durchgängigen Einbeziehung der Pseudonymitätsproblematik entbunden […]. Überhaupt ist es auffällig, daß auch überzeugende Kierkegaardinterpretation weithin ohne die ständige Berücksichtigung der Pseudonyme auskommt, an der Kierkegaard selber so viel lag.109

So verdichtet sich bei Ringleben eine Tendenz, der die Forschung seit Hirsch in weiten Teilen gefolgt ist: Die Mitteilungsform tritt zu Gunsten der sachlichen Darstellung zurück. Eine explizite Diskussion von sach- und mitteilungsbezogener Interpretation nimmt nun Theunissen zu Beginn seiner Untersuchung Der Begriff Verzweiflung vor. Theunissen gesteht zwar zu, ein „Interesse für die Mitteilungsformen“ stelle dasjenige „in den Mittelpunkt, worum es dem Dänen selber wesentlich ging“.110 Zugleich wendet Theunissen aber gegen eine mitteilungstheoretische Lesart ein, sie drohe die „Formen von den Inhalten abzulösen“; die „daraus resultierende Unverbindlichkeit“ aber betrüge „Kierkegaard um sein Bestes, um seinen Ernst“.111 Theu107 Joachim Ringleben Aneignung. Die spekulative Theologie Søren Kierkegaards, Berlin / New York 1983, S. 4. 108 Allerdings konstatiert Ringleben, die indirekte Mitteilung sei ein „wichtiges Theorem“ (ebd., S. 399). Vgl. auch ebd., S. 290 u. S. 370. 109 Ebd., S. 4 f. 110 Theunissen Der Begriff Verzweiflung, S. 7. 111 Ebd., S. 8.

3. Die ältere Forschung zur Mitteilungsfrage

57

nissens Untersuchung selbst konzentriert sich demgemäß „in bewußter Einseitigkeit“ auf die „Inhalte“.112 Damit ist in der Tat eine Grenze der mitteilungstheoretischen Lesart bezeichnet; sie soll freilich die Sache Kierkegaards keineswegs verflüchtigen. Gleichwohl fragt sich, ob eine rein sachbezogene Lesart nicht die Mitteilungsform notwendig unterbestimmt lässt – nämlich als bloße ,literarische‘ Einkleidung, von der die Sache selbst sich als das ,Wesentliche‘ klar trennen ließe. Tatsächlich spricht auch Theunissen im Blick auf die Mitteilungsform von „rhetorische[n] Mitteln“.113 Überdies gilt es im Folgenden zu zeigen, dass eine systematisch und genetisch umfassende Erörterung der indirekten Mitteilung – auf die Theunissen zu verweisen scheint – in der Forschung noch gar nicht unternommen worden ist.

3. Die ältere Forschung zur Mitteilungsfrage Untersuchungen, die sich in der Hauptsache der Mitteilungsform zuwenden, lassen sich erst in den dreißiger Jahren nachweisen.114 Hier sind zunächst kurz zwei Dissertationen zu nennen, die aber bei weitem hinter dem umfassenden Anspruch Hirschs zurückstehen. Rest verfolgt in seiner Untersuchung eine „pdagogische Fragestellung“115 und ist bemüht, im Werk Kierkegaards eine „einheitliche erzieherische Haltung“116 aufzuweisen. Dabei geht Rest einmal mehr von Kierkegaards retrospektiver Betrachtung aus: [W]ir haben allen Grund, diese direkten Aussagen des Meisters zu verstehen, wie sie aufgeschrieben und uns überkommen sind, klingt in ihnen doch

112 Ebd. 113 Ebd., S. 7. In der Tat setzt sich allerdings Theunissen in seiner Dissertation mit der Mitteilungsfrage umfänglicher auseinander und versteht sie dort durchaus nicht als bloße Rhetorik, vgl. Michael Theunissen Der Begriff Ernst bei Søren Kierkegaard, 3., unveränd. Aufl., Freiburg / München 1982 [1958], bes. S. 66 – 83. 114 Aus den späten 1920er Jahren ist noch zu vergleichen: Walter Ruttenbeck Sçren Kierkegaard. Der christliche Denker und sein Werk, Berlin 1929, S. 102 – 131; Hermann Diem Philosophie und Christentum bei Sçren Kierkegaard, München 1929, 310 – 332. 115 Walter Rest Indirekte Mitteilung als bildendes Verfahren dargestellt am Leben und Werk Sçren Kierkegaard’s, Emsdetten i. Westf. 1937, S. VII. 116 Ebd., S. 34.

58

I.3 Zum Stand der Forschung

mancher Satz wie ein heiliges Bekenntnis, zu dem er auch in den letzten sieben Lebensjahren unentwegt gestanden hat.117

Im Folgenden beschränkt sich Rest auf die „Nachzeichnung“118 der Bestimmungen des Gesichtspunkts, der Einbung, der Brocken und des Vorlesungsfragments, ohne aber klar die verschiedenen Begriffe voneinander zu trennen; auf die entscheidenden Bestimmungen der Nachschrift wird kaum eingegangen. Das Problem einer direkten Ansprache des Indirekten wird nur gestreift und als methodisches gar nicht in den Blick genommen.119 Die genannten Fragen lässt auch Sieber in seiner knapp vierzigseitigen Dissertation unbedacht. Hier wird der Vorlesungsentwurf zum Ausgangspunkt genommen, von dem her Sieber das Verhältnis von Mitteilung und Zeitproblem in den Blick zu bringen versucht.120 Sieber begreift die Notwendigkeit indirekter Mitteilung heilsgeschichtlich;121 eine Rückbindung der Mitteilungsstruktur an Kierkegaards Werk wird nicht vorgenommen. Von diesen ersten Ansätzen zur Mitteilungsfrage sticht die nächste Studie, auf die an dieser Stelle einzugehen ist, klar ab: die schwedische Untersuchung von Bejerholm aus dem Jahr 1962. Bejerholm zieht, wie zuvor schon Bohlin, die Dokumente zum Mitteilungsbegriff nahezu vollständig heran; neben den publizierten Schriften werden auch wichtige Journalnotizen ausgewertet. An einer Vielzahl von Stellen kommt Bejerholm zu erhellenden Einsichten, die gerade in den ,philologischen‘ Partien dieser Untersuchung (Kap. II.3. und Kap. II.4.) aufzunehmen sind. Gleichwohl zeigt sich ein doppeltes Problem in Bejerholms Verfahren. Einerseits geht er von dem Fragment zur ,Dialektik der Mitteilung‘ aus und lässt sich dessen Systematik vorgeben.122 Damit ist aber einer der Begriffe indirekter Mitteilung in Kierkegaards Werk – und, wie in dieser Untersuchung gezeigt werden soll, durchaus nicht der überzeugendste – privilegiert. Andererseits versucht Bejerholm aufgrund dieses Ansatzes, die Mitteilungsdialektik ,systematisch‘ zu erschließen; er 117 118 119 120

Ebd., S. 54. Ebd., S. 143. Vgl. ebd., S. 134 – 136. Vgl. Fritz Sieber Der Begriff der Mitteilung bei Sçren Kierkegaard, Würzburg 1938, S. 1 f. 121 Vgl. ebd., S. 14 – 19. 122 Vgl. Lars Bejerholm „Meddelelsens Dialektik“. Studier i Søren Kierkegaards teorier om spr k, kommunikation och pseudonymitet, Kopenhagen 1962, S. 124 – 157. Vgl. aus diesem Zeitraum auch Guido Schüepp Das Paradox des Glaubens. Kierkegaards Anstçße fr die christliche Verkndigung, München 1964, S. 133 – 218.

3. Die ältere Forschung zur Mitteilungsfrage

59

lässt also die werkgeschichtliche oder genetische Komponente des Mitteilungsbegriffs weitestgehend außen vor.123 Dies hat allerdings zur Folge, dass sich die Studie eben jener Tendenz des Vorlesungsfragments annähert, die in der Interpretation als problematisch ausgewiesen werden soll: Die Darstellung gerät zu einer bloßen Auflistung verschiedener Aspekte. Dem entspricht dann auch das Ergebnis: Bejerholm kann die Vielstimmigkeit der Methode allein derart auffassen, dass ,die indirekte Mitteilung‘ ein bloßer „Ehrentitel“ (,honnçrsterm‘) ohne bestimmten Inhalt sei.124 Gleichwohl hat die Studie Bejerholms gerade durch die Berücksichtigung des Nachlasses einen Grad von Differenziertheit, der in der Forschung zum Mitteilungsproblem eher selten ist. So trägt die Studie von Waldenfels-Goes (1967) zwar die Direkte und indirekte Mitteilung bei Sçren Kierkegaard im Titel, enthält aber gleichwohl keine eingehende Strukturanalyse von Kierkegaards Mitteilungsform. Waldenfels-Goes ist es vor allem um eine Kritik an der „einseitigen Betonung“125 indirekter Mitteilung bei Kierkegaard zu tun; diese sei „produktiv nur der Form nach“, setze aber „keine neuen Inhalte.“126 So ist dann auch die explizite Auseinandersetzung mit der indirekten Mitteilung recht schmal.127 Hier stützt sich Waldenfels-Goes fast ausschließlich auf die Nachschrift und beschränkt sich weitestgehend auf Zitat und Paraphrase; das Problem der direkten Ansprache des Indirekten wird nur kurz gestreift.128 Erhellende Hinweise finden sich allerdings zur Inkommensurabilität der Existenzwirklichkeit für die direkte Mitteilung.129 Eine mitteilungstheoretisch aufschlussreiche Studie ist schließlich die Untersuchung von Schär, Christliche Sokratik. Kierkegaard ber den Gebrauch der Reflexion in der Christenheit. Schär geht explizit auf die Notwendigkeit pseudonymer und indirekter Mitteilung bei Kierkegaard ein130 und macht insbesondere zur Angstschrift hellsichtige Beobach123 Vgl. z. B. die Analyse der Reduplikation, ebd., S. 158 – 163. 124 Ebd., S. 209; wörtlich also ein ,Ehrenterm‘ oder ,Ehrenbegriff‘. 125 Christin Waldenfels-Goes Direkte und indirekte Mitteilung bei Sçren Kierkegaard, München, Diss. 1967, S. IV. 126 Ebd., S. 105. 127 Vgl. ebd., S. 48 – 54; nur kurz angedeutet ist auch der ,Übergang in die direkte Mitteilung‘ in Kierkegaards retrospektiven Schriften, vgl. ebd., S. 105. 128 Vgl. ebd., S. 53. 129 Vgl. ebd., S. 40 – 43. 130 Vgl. den Abschnitt „Pseudonymität als Notwendigkeit“ in Schär Christliche Sokratik, S. 33 – 38.

60

I.3 Zum Stand der Forschung

tungen. So betont er gegenüber Hirsch und Gerdes, dass man auch dort von einer gebrochenen Form bei Kierkegaard ausgehen müsse, wo die Pseudonymsetzung spät oder gar nicht erfolgt sei: Die ,echte‘ Pseudonymität, die andernorts bei ihm [Kierkegaard] anzutreffen ist, ist ja nicht ein willkürliches Versteckspiel, sondern darin echte Pseudonymität, dass sie Pseudonymität Kierkegaards ist und deshalb notwendige Pseudonymität. Sie ist in der Struktur seines Denkens begründet, und man wird […] auch dort mit ihr rechnen müssen, wo rein literarisch gesehen keine Pseudonymität vorzuliegen scheint.131

Weiter schreibt Schär: „Es wäre vielmehr erstaunlich, wenn sich ein Werk Kierkegaards fände, das nicht ,pseudonym‘ wäre.“132 Insofern kann der Ansatz Schärs ein mitteilungsbezogener genannt werden – obgleich er auf eine Analyse der begrifflichen Fassung der Mitteilung verzichtet.133

4. Der dekonstruktive Ansatz Entschieden mitteilungs- oder wenigstens formtheoretisch sind nun die englischsprachigen Beiträge seit dem Ende der achtziger Jahre, die unter dem Titel „Kierkegaard and Postmodernism“ zusammengefasst werden können. Zu nennen sind hier zunächst die in der gleichnamigen Reihe („Kierkegaard and Post-modernism“) erschienenen Untersuchungen von Bigelow, Mackey und Smith,134 die Beiträge von Roger Poole135 und 131 Ebd., S. 33. 132 Ebd., S. 35. 133 Hierzu finden sich hingegen eine Fülle wertvoller Hinweise in den Studien von Deuser, auch wenn die Mitteilungsfrage nicht das zentrale Thema der Darstellung ist. Diese Untersuchungen werden in den exegetischen Partien im Einzelnen herangezogen; vgl. vorab Hermann Deuser Sçren Kierkegaard. Die paradoxe Dialektik des politischen Christen. Voraussetzungen bei Hegel. Die Reden von 1847/48 im Verhltnis von Politik und sthetik, München / Mainz 1974, bes. S. 21 – 25; ders. Dialektische Theologie. Studien zu Adornos Metaphysik und zum Sptwerk Kierkegaards, München / Mainz 1980, bes. S. 33 – 37. 134 Pat Bigelow Kierkegaard and the Problem of Writing, Gainesville 1987; Louis Mackey Points of View. Readings of Kierkegaard, Tallahassee 1986; John Vignaux Smyth A Question of Eros. Irony in Sterne, Kierkegaard, and Barthes, Tallahassee 1986. 135 Roger Poole Kierkegaard. The Indirect Communication, Charlottesville 1993; ders. „,My Wish, My Prayer‘. Keeping the Pseudonyms Apart“ in Kierkegaard Revisited. Proceedings from the Conference „Kierkegaard and the Meaning of Meaning It“, Copenhagen, May 5.–9. 1996, hrsg. v. Niels Jørgen Cappelørn / Jon Stewart, Berlin / New York 1997, S. 156 – 176; ders. „The Unknown Kierkegaard. Twentieth-

4. Der dekonstruktive Ansatz

61

Christopher Norris,136 schließlich die von Matusˇtík / Westphal und Jegstrup herausgegebenen Sammelbände.137 Der Band von Jegstrup versammelt „a collection of essays on the thought of Søren Kierkegaard (1813 – 55) exclusively in the deconstructive mode“138 und gibt hierfür eine Begründung, die für die Gesamtheit der hier genannten Interpretationen gelten darf: „Why? Because Kierkegaard is himself, for all intents and purposes, a deconstructive philosopher.“139 Dass diese Zuschreibung problematischer Natur ist und mit einem fragwürdigen Modus der Interpretation einhergeht, soll im Folgenden an dem elaboriertesten Beitrag dieser Richtung gezeigt werden, der Studie The Indirect Communication (1993) von Roger Poole. Es mag zunächst den Anschein haben, dass die Arbeit Pooles einige Ansatzpunkte mit der vorliegenden Untersuchung teilt. Poole unterstreicht die Notwendigkeit, Kierkegaard von der indirekten Mitteilung her zu lesen und polemisiert dabei gegen eine Lesart, die auf einen eindeutig identifizierbaren und rekonstruierbaren Sinn der pseudonymen Werke zielt: The history of reading Kierkegaard is unfortunately an almost uninterrupted series of attempts to look into the mirrors of the aesthetic texts and to find there Kierkegaard’s view of X. The desire that Kierkegaard should (at the end

136 137 138 139

Century Receptions“ in The Cambridge Companion to Kierkegaard, hrsg. v. Alastair Hannay / Gordon D. Marino, Cambridge 1998, S. 48 – 75. Christopher Norris „Fictions of Authority. Narrative and Viewpoint in Kierkegaard’s Writing“ in ders. The Deconstructive Turn. Essays in the Rhetoric of Philosophy, London / New York 1983, S. 85 – 106. Kierkegaard in Post/Modernity, hrsg. v. Martin J. Matusˇtík / Merold Westphal, Bloomington / Indianapolis 1995; The New Kierkegaard, hrsg. v. Elsebet Jegstrup, Bloomington / Indianapolis 2004. Elsebet Jegstrup „Introduction“ in The New Kierkegaard, S. 1 – 13, hier S. 1. Ebd. Auch diejenigen Beiträge der neueren dnischen Forschung, die sich der Frage nach Kierkegaards Form widmen, gehören im weiteren Sinne der dekonstruktiven Lesart zu. Zweifelsohne sind die dänischen Auslegungen zumeist kenntnisreicher und textnäher als die genannten angloamerikanischen Interpretationen. Gleichwohl teilen sie mit diesen den Fokus auf Kierkegaards Sprachform als spezifisch literarische – als ,Rhetorik‘ oder ,Poetik‘ – und unterscheiden sich somit von dem hier verfolgten Ansatz, der Kierkegaards Verfahren als ,gegen sich selbst gekehrte Philosophie‘ begreift. Vgl. hierzu insbesondere Joakim Garff „Den Søvnløse.“ Kierkegaard læst æstetisk / biografisk, Kopenhagen 1995; Isak Winkel Holm Tanken i billedet. Søren Kierkegaards poetik, Kopenhagen 1998; Jacob Bøggild Ironiens tænker: tænkningens ironie. Kierkegaard læst retorisk, Kopenhagen 2002. Einen Querschnitt durch die aktuelle dänische Forschung im Ganzen gibt der Band Den udødelige. Kierkegaard læst værk for værk, hrsg. v. Tonny Aagaard Olesen / Pia Søltoft, Kopenhagen 2007.

62

I.3 Zum Stand der Forschung

of the day and shorn of all the trappings of indirection and Pseudonymity) say something that is both intelligible and relatively simple has led to the creation of a useless corpus of secondary comment.140

Poole wendet sich also gegen einen Interpretationstyp, der die Vieldeutigkeit indirekter Mitteilung in einen eindeutigen und klar fixierbaren Sinngehalt übersetzen möchte; abgrenzend besteht Poole darauf, die notwendige Vielstimmigkeit der pseudonymen Texte und das „Wie“ der Mitteilung zunächst einmal in den Blick treten zu lassen: „Readers have always been so anxious to describe what he [Kierkegaard] is saying that they have failed to take proper account of how he says it.“141 Auch kommt Poole zu der Feststellung, dass die indirekte Mitteilung sich nicht in der Pseudonymitätsproblematik erschöpft142 und zeigt zugleich, dass die pseudonymen Werke nicht einfach als stufenweise fortschreitender Entwicklungsgang aufgefasst werden dürfen.143 Höchst problematisch sind allerdings zunächst die methodischen Voraussetzungen, auf denen Poole seine Untersuchung gründet, möchte doch Poole Kierkegaard als Vorläufer Derridas begreifen. In der Tat lässt sich – wie oben skizziert – eine Verbindungslinie zwischen beiden Denkern aufzeigen. Allerdings wäre es für einen Vergleich geboten, zunchst Kierkegaards Konzeption der indirekten Mitteilung in ihrer Eigentümlichkeit in den Blick treten zu lassen, und sie dann zu dem Denken Derridas ins Verhältnis zu setzen. Dies wird aber dann unmöglich, wenn Poole ungebrochen Begriffe Derridas auf den Kierkegaardschen Text appliziert: „Kierkegaard, writing a century before Derrida, worked out for himself a rhetoric of trace, of diffrance, and of supplement […]. If Derrida gives us the theory of the supplement, then it is certainly Kierkegaard who invented its practice“.144 Dieses Verfahren verhindert, dass die Unterschiede zwischen Kierkegaard und Derrida in den Blick treten, und ist bereits in Bezug auf Derrida selbst höchst problematisch.145 Insbesondere ist aber das Ergebnis unbefriedigend: Poole 140 Poole Kierkegaard. The Indirect Communication, S. 7. Diesen Interpretationstyp nennt Poole „blunt reading“. 141 Ebd., S. 2. 142 „Pseudonymity is not in itself indirection. Pseudonymity is part of a larger aesthetic design“ (ebd., S. 4). 143 Vgl. Poole „The Unknown Kierkegaard“, S. 62 – 64. 144 Poole Kierkegaard. The Indirect Communication, S. 5 f. 145 So spricht Poole davon, dass Kierkegaard „all the major tools of deconstructive theory“ gebraucht habe (ebd., S. 7). Nun hat aber Derrida weder eine ,Theorie‘ der Dekonstruktion entworfen, noch stellt sein Denken operationale Begriffe

5. Ansätze der neueren Forschung zur Mitteilungsfrage

63

zeigt in einem Text nach dem nächsten, dass und wie sich dort ein ,Spiel der Differenzen‘ auspräge – verzichtet aber darauf, einzelne Mitteilungsbegriffe klar voneinander abzuheben146 und überhaupt eine präzise strukturelle Erläuterung des Indirekten zu geben. Darin zeigt sich nochmals die Notwendigkeit, Kierkegaard zunächst aus sich selbst heraus und in textnaher Lektüre in den Blick zu nehmen.

5. Ansätze der neueren Forschung zur Mitteilungsfrage Auch in der deutschsprachigen Forschung lässt sich etwa seit den 1980er Jahren die Tendenz ausmachen, dem Mitteilungsproblem eine größere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen – und dies ohne die Verkürzungen

und Werkzeuge bereit, die ohne weiteres ,anzuwenden‘ wären. Dies hat Derrida selbst in einem Vortrag von 1986 zum Ausdruck gebracht ( Jacques Derrida Einige Statements und Binsenweisheiten ber Neologismen, New-Ismen, Post-Ismen, Parasitismen und andere kleine Seismen, dt. v. Susanne Lüdemann, Berlin 1999). Dort unterscheidet Derrida die Dekonstruktion als destabilisierenden oder destatuierenden Entwurf von dem „Poststrukturalismus alias Dekonstruktivismus“ als stabilisierenden oder restatuierenden Entwurf (ebd., S. 51). Dieser stabilisierende Entwurf „konstruiert und befestigt Theorien, bietet Thematiken und Thesen, organisiert Methoden, Disziplinen und sogar Schulen“ (ebd.), die Dekonstruktion hingegen lasse sich gerade nicht als theoretisches Ensemble, als „organisiertes Netzwerk von Theoremen, Gesetzen, Regeln, Methoden“ fassen: „Der dekonstruktive Entwurf instituiert sich selbst weder als regionale Theorie (zum Beispiel der Literatur) noch als eine Theorie der Theorien. Er leistet diesen Theoretisierungen, den theoretisch-thetisch-thematischen Stasen, Stanzen und Stationen auf aktive und affirmative Weise Widerstand“ (ebd., S. 47 – 50). Insofern ist die Untersuchung Pooles eine dekonstruktivistische Lesart Kierkegaards, die mit der ,Dekonstruktion‘ wenig gemein hat. – Vgl. zur Kritik an Poole aus anderem Hintergrund C. Stephen Evans „Realism and Antirealism in Kierkegaard’s ,Concluding Unscientific Postscript‘“ in The Cambridge Companion to Kierkegaard, S. 154 – 176, bes. S. 154 f., S. 161; ders. „The Role of Irony in Kierkegaard’s Philosophical Fragments‘“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2004, S. 63 – 79, bes. S. 64 f. 146 Dem aufgeladenen ,theorie-affinen‘ Vokabular entspricht keineswegs ein methodisches Vorgehen. Dies zeigt sich gerade dort, wo Poole eine Distinktion zweier Mitteilungsbegriffe vornimmt, nämlich der Doppelreflexion und der Reduplikation (vgl. Poole Kierkegaard. The Indirect Communication, S. 13 f.). Diese Unterscheidung findet sich aber nur in einem einzigen Text und entspringt einer sehr spezifischen Konstellation (in der Einbung); sie ist keineswegs einfach auf die Struktur des Indirekten als solches übertragbar.

64

I.3 Zum Stand der Forschung

dekonstruktiver Vereinnahmung. Dies soll anhand der Untersuchungen von Greve, Hagemann und Wesche abschließend verdeutlicht werden.147 Greve beginnt seine Untersuchung zu Kierkegaards maieutischer Ethik (1990) mit einer intensiven Reflexion auf die Methode des eigenen Vorgehens148 und auf das Problem einer „gedanklich-theoretische[n]“, insbesondere „philosophisch orientierte[n] Annäherung“ an Kierkegaard. Dessen Anliegen sei „kein theoretisches, sondern ein existenzielles“, insofern sei einer „theoretischen Annäherung an das Kierkegaardsche bzw. pseudonyme Werk […] das Verbot ausgesprochen“.149 Greve löst dieses Problem nun dadurch, dass er „das pseudonyme Werk als Theorie auffasst, aber als Theorie besonderer Struktur: als aneignungsorientierte maieutische Theorie.“150 Auf diese Weise ist die indirekte Mitteilung als wesentliche Struktur von Kierkegaards Werk verstanden; mithin ist der Ansatz von Greve mitteilungsbezogen. Gleichwohl geht auch Greve ungebrochen von Kierkegaards Selbstverständnis im Gesichtspunkt aus und liest so die indirekte Mitteilung auf ihr Ziel hin.151 Dieser Zugang prägt sich zum einen darin aus, dass Greve die Mitteilung im Blick auf Kierkegaards Ethik und die „maieutische[n] Ziele“152 des Ethikers in Entweder/Oder liest; zum anderen darin, dass das Indirekte mit dem Maieutischen identifiziert153 und zugleich an der Stadienlehre orientiert wird, welche, so Greve, „eine gedanklich-argumentative Linie“ bildet, „die das Religiös-Christliche am Ende positiv aufscheinen lässt.“154 147 Einen mitteilungstheoretischen Schwerpunkt setzt auch die Studie Hühns, vgl. Hühn Kierkegaard und der deutsche Idealismus, bes. S. 204 – 211. Aus der neueren Forschung ist überdies noch zu vergleichen: Mariele Nientied Kierkegaard und Wittgenstein. „Hineintuschen in das Wahre“, Berlin / New York 2003, bes. S. 19 – 49 (bes. zur Nachschrift); die Studie wird an entsprechender Stelle herangezogen. 148 Vgl. Wilfried Greve Kierkegaards maieutische Ethik. Von „Entweder/Oder II“ zu den „Stadien“, Frankfurt a.M. 1990, S. 15 – 21. 149 Ebd., S. 15 – 17. 150 Ebd., S. 21. 151 „Sie [die Untersuchung] wird deshalb von dem Kierkegaardschen Gesichtspunkt ausgehen, das pseudonyme Werk solle existenziell auf das Religiöse hinarbeiten“ (ebd., S. 21, vgl. auch ebd., S 15 f.). Dies ist umso bemerkenswerter, als Greve auch Unterschiede zwischen den Mitteilungsbegriffen von Nachschrift und Gesichtspunkt diskutiert; vgl. dazu ausführlicher unten, II.2.3. 152 Vgl. ebd., S. 79 f. 153 Vgl. die Wendung „maieutisch-indirekt“ (ebd., S. 16). 154 Ebd., S. 23. Greve stützt sich dabei auf die Unterscheidung Malantschuks, der von einer „concrete line“ (Entweder/Oder, Die Wiederholung, Furcht und Zittern, Stadien) und einer „abstract line“ (Brocken, Begriff Angst) der pseudonymen Werke spricht und diese in der Nachschrift zusammenlaufen lässt (Gregor Malantschuk

5. Ansätze der neueren Forschung zur Mitteilungsfrage

65

Greves Untersuchung fragt so zwar auch nach dem ,Wie‘ der Mitteilung, bezieht dieses aber auf die Frage nach dem ,Wohin‘. Hagemann hat es in seiner Untersuchung zu Kierkegaards antipersuasiver Rhetorik (2001) vornehmlich mit dem erbaulichen Werk Kierkegaards zu tun. Gerade darin aber erweist sich der Ansatz Hagemanns als mitteilungsbezogen: Nach Hagemann stellt nämlich die ,antipersuasive Rhetorik‘ der Reden neben der indirekten Mitteilung eine „zweite Theorie“ dar, die deren Bestimmungen fortführt: „Die antipersuasive Rhetorik wiederholt daher das Werk der indirekten Mitteilung und setzt es fort.“155 So sieht Hagemann es als notwendig an, zunächst auf die indirekte Mitteilung selbst einzugehen.156 Die Untersuchung nähert sich dem Begriff der Mitteilung zunächst von verschiedenen Richtungen: biographisch, literarisch, historisch, philosophisch und theologisch. In der Zuspitzung auf „Methode“ und „Begriff“ der Mitteilung kommt Hagemann zu erhellenden Ergebnissen hinsichtlich der Selbstzurücknahme des Autors157 und zur „janusgesichtigen“ Textgestalt der pseudonymen Werke.158 Auch wirft Hagemann das Problem der differierenden Ansätze zum Mitteilungsproblem auf; seine ,Lösung‘ ist am entsprechenden Ort der Untersuchung zu diskutieren.159 Wesche behandelt in seiner Untersuchung von 2003 die indirekte Mitteilung im dritten Kapitel160 und unterstreicht zunächst die Bedeutung der indirekten Mitteilung; sie sei „der Einfallswinkel, unter dem sich Kierkegaards Schriften überhaupt erst erschließen“.161 Wesche unterscheidet, wie die vorliegende Untersuchung, zwischen Begriff (bei Wesche: „Programm“162) und „Durchführung“163 der indirekten Mitteilung. Insbesondere in der Analyse der indirekten Mitteilungsform von Entweder/Oder 164 und in der Verhältnisbestimmung der Mitteilung zur

155 156 157 158 159 160 161 162 163 164

Kierkegaard’s Thought, hrsg. u. übers. v. Howard V. Hong u. Edna H. Hong, Princeton 1971, S. 214 f.). Tim Hagemann Reden und Existieren. Kierkegaards antipersuasive Rhetorik, Berlin 2001, S. 12. Vgl. hierzu das erste Kapitel „Die indirekte Mitteilung“ (ebd., S. 15 – 54). Vgl. den Abschnitt „Der verschwundene Verfasser“ (ebd., S. 44 f.). Vgl. ebd., S. 45 – 48. Vgl. ebd., S. 51 – 53; vgl. dazu unten, II.2.3. Vgl. Tilo Wesche Kierkegaard. Eine philosophische Einfhrung, Stuttgart 2003, S. 165 – 212. Ebd., S. 165. Ebd., S. 166. Ebd., S. 180. Vgl. ebd., S. 180 – 212.

66

I.3 Zum Stand der Forschung

Sokratischen Maieutik165 kommt Wesche zu aufschlussreichen Ergebnissen, auf die an entsprechender Stelle zurückzugreifen ist. Bezüglich des Programms der Mitteilung ist allerdings anzumerken, dass Wesche den Unterschied zwischen den Konzeptionen der Nachschrift und des Gesichtspunkts nicht in dem Maße pointiert wie etwa Hagemann. Gerade weil Wesche den „Grundcharakter der pseudonymen Schriften“ darin erkennt, dass sie „dem Leser so wenig wie möglich an positiven Bestimmungen“166 vorgeben, erscheint aber der Gesichtspunkt als problematische Quelle des Mitteilungsbegriffs. *** In aller Kürze ist abschließend festzuhalten: Die vorliegende Untersuchung grenzt sich in ihrem methodischen Vorgehen sowohl von dem sachbezogenen Ansatz als auch den dekonstruktivistischen Lesarten ab. Sie kann aber an einzelne Beiträge der hier so genannten ,älteren‘ Forschung (bes. Bejerholm, Deuser) und Ansätze der zuletzt diskutierten neueren Forschung anknüpfen. Zugleich sollte deutlich sein, dass eine genaue Differenzierung der verschiedenen Mitteilungsgestalten in Kierkegaards Werk bislang kaum unternommen worden ist. Diesem Unterfangen widmet sich nun die folgende Arbeit am Text.

165 Vgl. ebd., S. 174 – 179. 166 Ebd., S. 172.

Teil II Der Begriff der indirekten Mitteilung

Orientierende Vorbemerkung Mit dem zweiten Teil beginnt die exegetische Arbeit der Untersuchung; ihr erster Gegenstand ist der Begriff der indirekten Mitteilung. Das Ziel des folgenden Teils besteht darin, alle von Kierkegaard selbst oder einem Pseudonym formulierten expliziten, mithin theoretischen Bestimmungen der indirekten Mitteilung zu erörtern. Dabei hat die Untersuchung die verschiedenen Konzeptionen der indirekten Mitteilung zunächst je für sich herauszuarbeiten, sodann gegeneinander zu stellen und wechselseitig zu diskutieren. Angestrebt ist mithin ein Panorama der Begriffe indirekter Mitteilung in Kierkegaards Werk und Nachlass. Dieses Panorama soll die eingangs formulierte These konkretisieren, nach der es den einen und einzigen Begriff der indirekten Mitteilung bei Kierkegaard nicht gibt und aus systematischen Gründen nicht geben kann. Zugleich gilt es zu zeigen, dass die leitende These von der Vielgestaltigkeit der indirekten Methode die Bestimmung ihres Begriffs keineswegs verhindert, sondern sie im Gegenteil beständig fordert – und so den Denkraum des Indirekten nicht verschließt, sondern gerade eröffnet. Der Rckstoß der Methode gibt die indirekte Mitteilung nicht einer Indifferenz der Unbestimmbarkeit anheim, er macht vielmehr die fortgesetzte, konkrete Darstellung ihres Begriffs erst möglich und zugleich notwendig. Dieses Vorhaben scheint zunächst keiner näheren Erläuterung bedürftig. Die Textgestalt allerdings, in der die Begriffe der indirekten Methode in Kierkegaards Werk und Nachlass vorliegen, konfrontiert die Untersuchung mit einigen methodischen Schwierigkeiten. Vorab gilt es, zwei zentrale Probleme zu diskutieren und den hier verfolgten ,Lösungsansatz‘ zu erläutern (1.); sodann ist der Gang der Untersuchung in seinen Leitlinien zu skizzieren (2.). 1. Das erste methodische Problem, vor das sich die Untersuchung gestellt sieht, liegt darin, dass Kierkegaards explizite Erörterung der indirekten Methode zu spt, gleichsam post festum kommt. Bereits die erste Schrift, die das indirekte Verfahren ausdrücklich zum Gegenstand macht – die 1846 unter dem Pseudonym Johannes Climacus publizierte Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken –, weist sich in ihrem Titel als ein Ende aus; in der Tat bringt sie nicht nur die Brocken,

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Teil II – Der Begriff der indirekten Mitteilung

sondern die gesamte ,erste Phase‘ der pseudonymen Schriftstellerei seit 1843 zum Abschluss. Im Gesichtspunkt fr meine Wirksamkeit als Schriftsteller – dessen Perspektive hier allerdings nicht vorausgesetzt, sondern nur zur Verdeutlichung herangezogen wird – hat aber Kierkegaard allein diese frhe Werkphase mit der indirekten Mitteilung identifiziert; schon die Nachschrift selbst wird als zweite Folge der Schriftstellerei bestimmt. Auch in mitteilungstheoretischer Perspektive wird sich zeigen, dass Climacus’ Nachschrift eine ,Zwischenstellung‘ einnimmt, sofern sie die indirekte Methode zwar noch auf der Höhe des frühen pseudonymen Werks ergreift, dieses aber zugleich resümierend umschließt. Die folgenden Bestimmungen der Mitteilung machen dann ausdrücklich einen retrospektiven Abstand vom Frühwerk geltend; sie bedenken die indirekte Methode vornehmlich als ein Vergangenes und stehen in engem Zusammenhang mit Kierkegaards intensiven Reflexionen über sein eigenes Verhältnis zum publizierten Werk. Darin zeigt sich, dass der größte Teil der Anläufe zum Begriff der Mitteilung das indirekte Verfahren aus der Distanz heraus bestimmt. Diese Abstandnahme birgt freilich die Gefahr in sich, dass die indirekte Methode nicht mehr um ihrer selbst willen behandelt, sondern auf andere Fragestellungen bezogen und diesen untergeordnet wird. Überdies droht ein ußerlicher Zugriff auf die indirekte Mitteilung, der das indirekte Verfahren nicht mehr für das eigene Vorgehen verbindlich macht, das Problem einer direkten Darstellung des Indirekten zu übergehen. Die Interpretation der Mitteilungsbegriffe insbesondere nach 1846 wird auf die Konsequenzen dieser ,unzeitgemäßen‘ Form der Bestimmung zu achten haben. Das zweite und grundlegende methodische Problem der Darstellung ergibt sich gleichfalls aus der Eigentümlichkeit der Werkgeschichte nach 1846. In der Tat hatte bekanntlich Kierkegaard mit der Nachschrift seine Schriftstellerei im Ganzen beschließen wollen. Die Zeit um 1846 ist geprägt von der Reflexion verschiedener Lebenspläne – so erwägt Kierkegaard etwa, den schon in der Entstehungszeit von Entweder/Oder gefassten Vorsatz nun zu verwirklichen und eine Anstellung als Landpfarrer zu suchen.1 Gleichzeitig aber macht er eine Reihe von Versuchen, die ,Wirksamkeit als Schriftsteller‘ doch fortzuführen. In dieser Zeit entsteht etwa die erste Fassung des später mehrmals umgearbeiteten Buchs ber Adler; und im Frühjahr 1847 kommt Kierkegaard die sogleich wieder verworfene Idee, einen öffentlichen Vorlesungszyklus über die ,Dialektik 1

Vgl. dazu ausführlicher unten, II.3.1.

Orientierende Vorbemerkung

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der Mitteilung‘ zu halten. Auch über die dabei notierte Vorlesungsskizze hinaus hat das 1845/46 ,entdeckte‘ Thema der indirekten Methode Kierkegaard immer wieder beschäftigt, und zwar vornehmlich in Bezug auf seine ,Stellung‘ in der ,Christenheit‘ und, damit eng verbunden, die Funktion und Bedeutung seines Werks. Es sind diese Fragen, die im Herbst 1848 zur Niederschrift des erst 1859 postum publizierten Gesichtspunkts führen. Noch weit über die Abfassung des Gesichtspunkts hinaus aber ist Kierkegaards Schaffen seit 1846 dadurch geprägt, dass er Schriften konzipiert, zum Teil mehrfach überarbeitet oder – obwohl für fertig befunden – zunächst zur Seite legt und für eine spätere Veröffentlichung bestimmt; und oft genug finden sich in eben diesen Schriften und Entwürfen Erörterungen der indirekten Methode. Zugleich nehmen in dieser Phase intensiver Selbstreflexion die Journale immer größeren Raum ein – und auch hier wird die Frage nach der Bedeutung und Berechtigung der indirekten Mitteilung beständig hin- und hergewendet. Gerade diejenige Phase von Kierkegaards Schaffen, in der sich die ausführlichste Erörterung der indirekten Methode findet, ist also hochgradig unübersichtlich. In den verschiedensten Textsorten finden sich in immer neuen Überarbeitungsstufen Reflexionen und Rekonzeptionalisierungen der indirekten Mitteilung. Diese Unübersichtlichkeit betrifft durchaus auch umfänglichere Texte zur Mitteilungsfrage, so insbesondere das schon genannte Vorlesungsfragment zur ,Dialektik der Mitteilung‘. Die entsprechenden Entwürfe lassen sich – so die Hypothese dieser Untersuchung – in zwei voneinander weitestgehend unabhängige und im Abstand von zwei Jahren entstandene Anläufe gliedern, deren Datierung sich allein aus der Chronologie von Kierkegaards Reflexion über das indirekte Verfahren ergibt. Es ist auf den ersten Blick ersichtlich, dass die skizzierte ,Situation‘ eine Bestimmung der Begriffe indirekter Mitteilung wesentlich erschwert. In der Terminologie der vorliegenden Untersuchung lässt sich dieses Problem dadurch ausdrücken, dass der systematische und der werkgeschichtlich-exegetische Anspruch der Interpretation kollidieren. Systematisch muss es nämlich das Ziel der Untersuchung sein, die einzelnen Mitteilungsbegriffe zu bestimmen, in möglichst geschlossener Form darzustellen und wechselseitig zu diskutieren. Ein solches Verfahren aber würde die verstreuten Entwürfe gewaltsam aus ihrem werkgeschichtlichen Zusammenhang herauslösen; es liefe offensichtlich Gefahr, die spezifische Fragestellung abzublenden, auf welche der jeweilige Begriff der Mitteilung antwortet und aus der heraus er allein angemessen zu verstehen ist. Überdies käme solcherart die Entwicklung, die der Begriff der

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Teil II – Der Begriff der indirekten Mitteilung

indirekten Mitteilung seit 1846 zweifelsohne durchläuft, allenfalls verzerrt zur Darstellung; und so würde eine Geschlossenheit des Mitteilungsbegriffs suggeriert, die der Werkgestalt nicht entspricht. Ein rein chronologischer und werkgeschichtlicher Nachvollzug hingegen liefe Gefahr, die Unübersichtlichkeit der hier in Frage stehenden Periode bloß zu reproduzieren. Die Darstellung würde sich im selbstreflexiven Fluxus des Kierkegaardschen Gedankens unweigerlich verlieren – und zudem die geschlossenen Entwürfe zur Mitteilung, die sich innerhalb dieses Geflechts tatsächlich aufweisen lassen, nicht klar genug herausarbeiten können. Dem skizzierten methodischen Problem begegnet die Untersuchung durch eine Kombination des systematischen und des werkgeschichtlichen Zugriffs: Die ersten beiden Kapitel widmen sich den zwei Schriften, in denen die systematisch profiliertesten und zugleich gegensätzlichsten Begriffe der Mitteilung in Kierkegaards Werk formuliert werden – der Nachschrift und dem Gesichtspunkt (Kap II.1. u. Kap. II.2.). Diese beiden Konzeptionen bezeichnen die äußersten Pole, zwischen denen sich das Panorama von Kierkegaards Mitteilungsreflexion aufspannt. Es gilt dabei, diese Begriffe der Mitteilung zunächst je für sich herauszuarbeiten und sodann ihre wesentliche Differenz zu diskutieren. Im Anschluss widmet sich das dritte Kapitel dem Verbindungsglied zwischen diesen beiden Begriffen; es rekonstruiert chronologisch den ,Weg zum Gesichtspunkt‘ von 1846 bis 1848 (Kap. II.3.). Dieses Kapitel hat insbesondere die Funktion, die Vernderung zu beleuchten, die die Mitteilungsfrage in diesem Zeitraum durchläuft und die den Begriff des Gesichtspunkts wesentlich bedingt. Die Aufmerksamkeit gilt dabei vornehmlich den Journalen, auch eine Reihe weiterer Texte sind aber in diesem Kapitel zu interpretieren: die erste Skizze des Vorlesungsfragments von 1847, die Einbung im Christentum, einzelne Partien des Buchs ber Adler und, am Rande, auch das erbauliche Werk von 1847/48. Das vierte und letzte Kapitel schließlich untersucht den ,Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt‘ (Kap. II.4.). In der Tat endet nämlich die Rekonzeptionalisierung der indirekten Methode nicht mit dieser ,Selbstdarstellung‘ Kierkegaards. Vielmehr lassen sich Reflexionen zum Mitteilungsbegriff bis 1852 nachweisen. In dieser Periode stehen wiederum die Journale im Mittelpunkt; ergänzend sind einige späte Entwürfe heranzuziehen. Nach dem hier unterbreiteten Datierungsvorschlag gehört in diesen Zeitraum aber auch der zweite (und bedeutend umfänglichere) Ansatz zur Vorlesung über die ,Dialektik der Mitteilung‘.

Orientierende Vorbemerkung

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Dieses kombinatorische Verfahren hat den Vorzug, dass es einerseits die systematische Gegenüberstellung der profiliertesten Mitteilungskonzeptionen ermöglicht, andererseits aber auch der werkgeschichtlichen Transformation der indirekten Methode Rechnung trägt. Nur auf diesem Weg kann auch die Differenz der Mitteilungsbegriffe von Nachschrift und Gesichtspunkt angemessen dargestellt und erläutert werden: Ein rein chronologisches Vorgehen müsste beständig auf die noch nicht entfaltete Konzeption des Gesichtspunkts vorausdeuten und könnte so Redundanzen kaum vermeiden. Auch lässt sich auf diesem Wege die Kontextualisierung des Gesichtspunkts, die ein besonderes Anliegen der Untersuchung ist, in klarer Form zur Darstellung bringen. Diese vollzieht sich auf drei Ebenen. Erstens wird der Mitteilungsbegriff des Gesichtspunkts systematisch mit dem der Nachschrift verglichen (Kap. II.2.); zweitens gilt es, den spezifischen Fragehorizont auszuweisen, in dem der Gesichtspunkt entsteht (Kap. II.3.); und schließlich kann drittens gezeigt werden, dass sich noch unmittelbar vor seiner Entstehung, aber auch nach seiner Niederschrift alternative und gegenläufige Mitteilungskonzeptionen ausprägen, die seine ,direkte Mitteilung‘ konterkarieren (Kap. II.3. u. Kap. II.4.). Mag die Zurückstellung der Mitteilungsreflexion in den Journalen und verstreuten Entwürfen unmittelbar einleuchten, so erscheint sie doch im Blick auf zwei Texte einer besonderen Rechtfertigung bedürftig: bezüglich des Vorlesungsfragments zur ,Dialektik der Mitteilung‘ und der Einbung im Christentum. 2 Das schon mehrfach genannte Vorlesungsfragment „Die Dialektik der ethischen und der ethisch-religiösen Mitteilung“ ist auf den ersten Blick die quantitativ umfänglichste Erörterung der indirekten Mitteilung in Kierkegaards Werk überhaupt; entsprechend ist es in der Forschung bisweilen zum Ausgangspunkt einer Darstellung der Mitteilungsfrage genommen worden. Mithin scheint zunächst eine Zurückstellung dieses Textes seiner Bedeutung nicht gerecht zu werden. Die vorliegende Untersuchung wird allerdings erstens einen Neuvorschlag zur Datierung dieses Konvoluts unterbreiten, aus dem hervorgeht, dass der Text mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zusammenhängend niedergeschrieben worden ist. Nach dieser Datierungshypothese gehört der bedeutend größere Teil des Konvoluts – zwei Distinktionenschemata 2

Diese beiden Texte werden in der Forschung oftmals neben Nachschrift und Gesichtspunkt als die wesentlichen Quellen für Kierkegaards Mitteilungsbegriff genannt; vgl. etwa Jamie Turnbull „Kierkegaard, Indirect Communication, and Ambiguity“ in The Heythrop Journal 50, 2009, S. 12 – 22, hier S. 12 f.

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Teil II – Der Begriff der indirekten Mitteilung

und zwei ausformulierte Vorlesungen – dem Frühjahr/Sommer 1849 zu und ist etwa zwei Jahre nach Kierkegaards erstem Plan zur ,Dialektik‘ entstanden. Sofern sich die Belege für diese Hypothese nur aus dem chronologischen Nachvollzug von Kierkegaards Journalreflexion ergeben, erscheint eine Zurückstellung schon aus diesem Grund gerechtfertigt. Sodann stehen aber die Anläufe zur ,Dialektik‘ auch systematisch hinter den Mitteilungsbegriffen der Nachschrift und des Gesichtspunkts klar zurück. Zwar werden in den Entwürfen beinahe alle mitteilungstheoretisch wichtigen Termini genannt, keineswegs aber in ihrer Funktion und ihrem Zusammenhang hinlänglich bestimmt. Vielmehr haben beide Anläufe zur ,Dialektik der Mitteilung‘ teilweise den Charakter einer bloßen Auflistung ohne innere Ordnung. Auch die jeweils leitende ,Schematisierungsform‘, in der die Mitteilungsdialektik zur Darstellung gebracht werden soll, ist hochgradig problematisch. Dass Kierkegaard selbst die ,Dialektik‘-Entwürfe nicht für durchweg gelungen gehalten hat, erhellt schon daraus, dass keiner der Anläufe gänzlich ausgearbeitet worden ist. Überdies findet sich in dem hier auf 1849 datierten Teil aber auch eine massive Selbstproblematisierung des geplanten ,Vortrags ex cathedra‘, die das ganze Vorhaben fragwürdig erscheinen lässt. Aus den genannten Gründen erscheint auch in systematischer Perspektive eine Zurückstellung vertretbar. Der erste Anlauf zur ,Dialektik‘ wird in Kap. II.3. an seinem chronologischen Ort behandelt; der zweite, umfänglichere Anlauf kommt mitsamt der Datierungshypothese in Kap. II.4. zur Darstellung. Ähnlich – wenn auch weniger komplex – steht der Fall der anderen prominenten Schrift, die hier nachgestellt wird, der Einbung im Christentum. Es wird sich zeigen, dass der dort leitende Begriff der Mitteilung – die Reduplikation – nur auf Basis von Kierkegaards Journalreflexion angemessen verstanden werden kann. Der Begriff ist in seiner klarsten Form im wichtigen Journal NB6 (Sommer 1848) entwickelt, aus dem die entsprechende Partie der Einbung unmittelbar hervorgeht. Sodann bleibt aber auch die in der Einbung vorgenommene Distinktion der indirekten Mitteilung in Doppelreflexion und Reduplikation letztlich undeutlich, und dies deshalb, weil sie nicht das zentrale Anliegen der Schrift ist. So gewinnt auch in der Einbung kein ,starker‘ Begriff der Mitteilung Gestalt, der mit den Konzeptionen in Nachschrift und Gesichtspunkt systematisch vergleichbar wäre. Einzelne mitteilungstheoretische Aspekte der Einbung deuten aber voraus auf Kierkegaards spteste Reflexionen zur

Orientierende Vorbemerkung

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Mitteilung; so insbesondere der Gedanke, Christus selbst sei als ,Zeichen des Widerspruchs‘ wesentlich und unhintergehbar indirekte Mitteilung. Eine detaillierte und den jeweiligen Kontext beachtende Rekonstruktion der einzelnen Mitteilungsbegriffe in Kierkegaards Werk hat die Forschung bislang noch nicht vorgenommen. Selbst Untersuchungen, die das indirekte Verfahren ausdrücklich zum Thema haben, stellen oftmals Konzeptionen verschiedener Phasen und Zusammenhänge differenzlos nebeneinander; auch ist der Wandel des Mitteilungsbegriffs zwischen Nachschrift und Gesichtspunkt nur vereinzelt diskutiert worden. Eine ,Ordnung‘ der verschiedenen Anläufe zum Mitteilungsbegriff bei Kierkegaard folgt – so kleinteilig sie auf den ersten Blick auch erscheinen mag – keineswegs allein philologischen Motiven. Sie ist vielmehr gerade in systematischer Hinsicht aufschlussreich, vermag sie doch den regionalen Zug der indirekten Methode zu beleuchten. Was ,indirekte Mitteilung‘ ist, fügt sich niemals einer letztgültigen, schematischen und kontextlosen Bestimmung: Ihr Begriff selbst ist in die Unabschließbarkeit der Methode hineingehalten, er ist seinerseits perspektivisch und kontextuell gebunden. So ist auch im Folgenden, gemäß der Dialektik von Begriff und Durchführung der indirekten Methode, nicht bloß darauf zu achten, was im jeweiligen Text über die indirekte Mitteilung gesagt wird, sondern auch wie diese Bestimmung vorgenommen wird. Es gilt präzise herauszuarbeiten, in welchen Formen sich die Bestimmung des Indirekten vollzieht, auf welche Fragen sie antwortet und von welchen Prämissen sie ausgeht. Nur auf diesem Weg kann es gelingen, die indirekte Mitteilung in ihrer unhintergehbaren Vielgestaltigkeit zu beleuchten. Es ist eingangs der gesamten Untersuchung schon darauf hingewiesen worden, dass dieser zweite Teil zum ,Begriff der Mitteilung‘ weitaus größeren Raum einnimmt als die übrigen Partien. Bei allem Anspruch auf möglichste Präzision der Darstellung muss die Interpretation die Umfänglichkeit und Umwegigkeit ihres ,Gegenstandes‘ tatsächlich in gewisser Weise ,wiederholen‘. Es sollte bis zu diesem Punkt deutlich geworden sein, aus welchen Gründen die Auslegung sich notwendig als textnahe und zugleich kontextbewusste Rekonstruktion zu vollziehen hat. Nachdem derart das methodische Vorgehen erläutert worden ist, gilt es vorab, den inhaltlichen Gang der Darstellung in seinen Hauptlinien anzuzeigen.

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Teil II – Der Begriff der indirekten Mitteilung

2. Die Aufgabe der ersten beiden Kapitel (Kap. II.1. u. Kap. II.2.) besteht darin, die zwei profiliertesten Begriffe der Mitteilung zu rekonstruieren und wechselseitig zu diskutieren. Im ersten Kapitel gilt es herauszuarbeiten, dass die Nachschrift die konsequenteste und tiefgehendste Bestimmung der indirekten Methode in Kierkegaards Gesamtwerk formuliert. Dabei ist zweierlei von zentraler Bedeutung: Erstens weist Johannes Climacus das indirekte Verfahren als unhintergehbare und notwendige Form eines jeden Denkens aus, das sich der konkreten Existenz widmet. Dem Resultat und der direkten Mitteilung des ,existenzvergessenen‘, objektiven Denkens stellt Climacus die Unabgeschlossenheit und Singularität der Existenz entgegen, die nur im Modus der Doppelreflexion angesprochen werden kann. Zweitens ist die Konzeption der Nachschrift wesentlich durch das Ineinandergreifen von Theorie und Praxis des Indirekten gekennzeichnet. Climacus gibt nicht nur eine theoretische Bestimmung der Doppelreflexion, er praktiziert sie zugleich in letzter Konsequenz. Dies zeigt sich schon innerhalb der expliziten Darstellung der ,Dialektik der Mitteilung‘: Climacus trägt die Struktur der indirekten Mitteilung nicht einfach thetisch vor, sondern spielt sie im hypothetischen Modus des ,als ob‘ durch. Mithin vollzieht sich die Bestimmung der indirekten Methode selbst in der indirekten Form. Überdies wird die indirekte Methode nicht einmal und abschließend erörtert, sondern in den verschiedensten Kontexten und Hinsichten immer wieder aufgegriffen und je neu bestimmt (etwa als ,Möglichkeitsmitteilung‘). Auch in der Gesamtkonzeption der Schrift prägt sich die charakteristische Spannung der Doppelreflexion aus. So wahrt Climacus in seinem Rückblick auf das frühe pseudonyme Werk gleichfalls den indirekten Zugriff: Er hebt beständig hervor, seine Auffassung der frühen Schriften erfolge aus dem Blickwinkel des Lesers – und unterstreicht derart die perspektivische Gebundenheit seiner Auslegung. Das eigentümliche Sich-entgegen-Arbeiten des Indirekten wird schließlich in der finalen Geste der Schrift auf die Spitze gestellt: Nach etlichen hundert Seiten widerruft Climacus das gesamte Werk, weist aber zugleich darauf hin, ein Buch zu schreiben und es dann zu widerrufen, sei nicht damit gleichzusetzen, es überhaupt nicht geschrieben zu haben. Diese sich zurücknehmende Geste des Pseudonyms wird in der ,Ersten und letzten Erklärung‘, die Kierkegaard unter eigenem Namen der Nachschrift anhängt, vom Verfasser selbst wiederholt und noch potenziert: Zwar tritt der Autor auf und übernimmt ,juristisch‘ die Verantwortung für die pseudonymen Werke, er wahrt aber noch in diesem ,Bekenntnis‘ den Abstand des In-

Orientierende Vorbemerkung

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direkten. Kierkegaard selbst sichert die Eigenständigkeit der Pseudonyme, indem er einschärft, er habe keine Meinung und kein Wissen über sein Gesamtwerk ,außer als Leser‘. Auf gänzlich andere und geradezu gegensätzliche Weise präsentiert sich die Mitteilungskonzeption im Gesichtspunkt und dem zugehörigen Text ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller (1851), die Gegenstand des zweiten Kapitels ist. Auch hier ist zweierlei entscheidend. Erstens wird der ,Mitteilung in Reflexion‘ eine deutlich beschränktere Funktion zugewiesen als in der Nachschrift. Sie erscheint nun nicht mehr als unhintergehbare Existenzmitteilung, sondern als spezifische und rein kommunikative Taktik. Die indirekte Mitteilung wird als eine maieutisch-teleologische Bewegung begriffen, die den Leser dort abholen soll, wo er zunächst steht, um ihn sodann in die Konfrontation mit dem Christlichen hineinzuführen. Diesen Zusammenhang bezeichnet die Formel vom ,Hineinbetrügen in das Wahre‘. Zudem hat die indirekte Methode ihre Berechtigung allein als polemischer Operator angesichts des ,Sinnentrugs‘ der ,bestehenden Christenheit‘. Gibt es keinen solchen ,Sinnentrug‘, der fortgenommen werden muss, so ist laut Gesichtspunkt die ,direkte Mitteilung des Wahren‘ geboten. Um das Ziel des ,Hineinbetrügens‘ offenbar zu machen, soll schließlich die indirekte Mitteilung nach getaner Arbeit sogar in die direkte Mitteilung bergehen. Sodann ist aber auch zweitens ein methodischer Unterschied gegenüber der Nachschrift festzustellen: Im Gesichtspunkt beansprucht Kierkegaard, in einer ,direkten Mitteilung‘ und einem ,Rapport an die Geschichte‘ die Struktur des vorhergegangenen Werks vollständig und aus der Innenansicht heraus erklären zu können – und damit auch den Begriff der Mitteilung umfassend, letztgültig und direkt zur Darstellung zu bringen. Dass diese Auffassung sich von Climacus’ existenziellem Begriff des Indirekten erheblich unterscheidet, liegt auf der Hand und ist im Einzelnen zu diskutieren. Der Mitteilungsbegriff des Gesichtspunkts, der im Ganzen eine Zurücknahme indirekter Mitteilung bedeutet, soll aber nicht nur problematisiert, sondern auch erklrt werden. Diese Erklärung leistet das dritte Kapitel, der ,Weg zum Gesichtspunkt‘ (Kap. II.3.). Aus den Entwürfen und Journalen der Jahre 1846 bis 1848 gilt es zu rekonstruieren, dass sich Kierkegaards Fragerichtung bezüglich der indirekten Methode wandelt. Fragt die Nachschrift danach, wie vom konkreten Existieren gesprochen werden kann, und entwirft als ,Lösung‘ die indirekte Methode, so fragt im Anschluss Kierkegaard nach der eigenen Stellung zu seinem Werk und nach seiner ,Aufgabe‘. Insbesondere wägt er dabei ab, inwiefern unter christlichen Vorzeichen die indirekte Mitteilung einem

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Teil II – Der Begriff der indirekten Mitteilung

Menschen erlaubt ist – oder ob und unter welchen Bedingungen sie umgekehrt geboten sein könnte. Der Wandel des Mitteilungsverständnisses ist aus diesem selbstreflexiven Prozess wesentlich zu erklären. Im Verlauf des ,Wegs‘ von 1846 bis 1848 gewinnen zwei Begriffe entscheidende Kontur, die die Konzeption des Gesichtspunkts unmittelbar bedingen: das Maieutische und die Reduplikation. Erst 1846 ,entdeckt‘ Kierkegaard den Begriff des Maieutischen und identifiziert ihn mit dem indirekten Verfahren des frühen Werks. Die Mitteilung wird somit zu einer reinen Kommunikationstheorie, die darauf abzielt, etwas aus dem Empfänger ,herauszuholen‘, das je schon vorliegt. Diese Tendenz schlägt sich insbesondere im ersten Anlauf zur ,Dialektik der Mitteilung‘ von 1847 nieder. Etwa zur gleichen Zeit kommt auch der zweite wesentliche Begriff auf, die Reduplikation. Dieser Begriff wird Sommer 1848 in seiner schärfsten Gestalt gefasst und ist dann in der Mitteilungskonzeption der Einbung zentral. Er bezeichnet die Forderung, für das Mitgeteilte einzustehen und es in der Handlung zu verwirklichen – der Lehrer muss seine Lehre existenziell reduplizieren. Bezieht nun Kierkegaard die Reduplikationsforderung auf den eigenen Fall, so bedeutet dies: Der Maieutiker Kierkegaard muss sich unter christlichen Vorzeichen zu dem bekennen, was Ziel seines maieutischen Schaffens gewesen ist; der Maieutiker muss zum Zeugen werden. Aus diesen Reflexionen entsteht sukzessive der Plan zu einer ,direkten Mitteilung über sich‘ und zugleich der Mitteilungsbegriff des Gesichtspunkts. Von zentraler Bedeutung ist dabei das Journal NB6 vom Sommer 1848. Hier ist zu verfolgen, wie sich Schritt für Schritt das Werkund Selbstverständnis herausschält, das Kierkegaard wenig später im Gesichtspunkt formuliert. Erst in NB6 wird der maieutisch-teleologische Mitteilungsbegriff endgültig festgeschrieben – und in diesem Journal notiert Kierkegaard auch den Entschluss, für das ,im ganzen Werk Gewollte‘ durch eine direkte Mitteilung einzustehen. Nur aus diesem Hintergrund und Problemhorizont wird der Wandel des Mitteilungsbegriffs zwischen Nachschrift und Gesichtspunkt verständlich. Das letzte Kapitel dieses Teils hat den ,Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt‘ zum Thema (Kap. II.4.). Hier gilt es insbesondere zu zeigen, dass die Reformulierung der indirekten Methode mit der Niederschrift des Gesichtspunkts im Herbst 1848 nicht einfach zu ihrem Ende kommt. Gerade in der Reflexion auf die mögliche Verçffentlichung dieses Werks bedenkt Kierkegaard wieder intensiv die Mitteilungsfrage. Dabei ist im Verlauf des Jahres 1849 die Tendenz nachzuweisen, der indirekten Mitteilung wieder eine höhere Wertschätzung zukommen zu lassen.

Orientierende Vorbemerkung

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Instruktiv sind in diesem Zusammenhang etwa Kierkegaards mehrfache Überlegungen, den Gesichtspunkt in pseudonymer Form zu publizieren – und damit seine ,direkte Mitteilung‘ wieder in einen indirekten Horizont einzufassen. Auch das im Sommer 1849 eingeführte ,neue Pseudonym‘ Anti-Climacus wird von Kierkegaard mancherorts als ,neue indirekte Mitteilung‘ verstanden und konstituiert so ein triadisches Modell: Die erste Stufe bildet die indirekte Mitteilung der ,niedrigen‘ (frühen) Pseudonymität; auf der zweiten Stufe steht Kierkegaard selbst als ,erbaulicher Schriftsteller‘ in direkter Mitteilung; die dritte Stufe ist die ,höhere‘ indirekte Mitteilung des Anti-Climacus. In diese Periode fällt auch – so die Hypothese der Untersuchung – der zweite (und wesentlich umfänglichere) Anlauf zur ,Dialektik der Mitteilung‘. Es gilt zunächst, die Datierungshypothese im Einzelnen zu begründen, sodann ist das Fragment inhaltlich zu interpretieren. Dabei soll zum einen gezeigt werden, dass die Schematisierungsform, die der Ansatz vorschlägt, einige gravierende Probleme mit sich bringt. Zum anderen ist Kierkegaards ausführliche Selbstproblematisierung des ,Vortrags ex cathedra‘ nachzuvollziehen – und gerade in diesem ,Zweifel‘ an einer direkten Mitteilung erweist sich der Text auch inhaltlich als dem Jahr 1849 zugehörig. In Kierkegaards sptesten Reflexionen zur Mitteilung ab 1850 prägt sich schließlich der hier so genannte ,letzte Begriff der Mitteilung‘ aus. Zum Teil provoziert durch aktuelle Debatten – insbesondere um Martensens Dogmatik – kommt Kierkegaard wieder zu der Formulierung, die indirekte Mitteilung sei die ,hçchste Form der Mitteilung‘. Dieser ,letzte‘ Begriff entsteht dann, wenn Kierkegaard vom eigenen Fall absieht und das von ihm Geleistete ,rein ideal‘ auffasst. Wieder entsteht dabei ein triadisches Modell der Mitteilung: Weil Kierkegaard selbst den Verlauf seines Werks nicht von Anfang an überblickt habe, stehe die eigene direkte Mitteilung höher als die frühe indirekte Form; sie stehe aber zugleich tiefer als die ,ideale‘ Mitteilung desjenigen, der die Aufgabe sogleich überschaut und dann von Anfang bis Ende indirekte Mitteilung verwendet hätte. Allerdings ist dieser ,letzte Begriff‘ nicht im starken Sinne das Finale von Kierkegaards Mitteilungsreflexion. Dies zeigt sich vornehmlich darin, dass die Journale beinahe bis zum Schluss auch gegenlufige Konzeptionen der Mitteilung notieren, in denen die Höherwertigkeit der direkten Mitteilung bekräftigt wird. So hat auch das Ende von Kierkegaards Nachdenken über die Mitteilung keineswegs die Form eines definitiven Resultats.

II.1 Doppelreflexion der Mitteilung in Begriff und Durchführung – Die Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift Die Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken mit dem Untertitel Mimisch-pathetisch-dialektische Sammelschrift. Existenzielle Einsprache von Johannes Climacus ist in mehrfacher Hinsicht ein ,zentrales‘ Werk in Kierkegaards Œuvre. Kierkegaard selbst hebt im Gesichtspunkt fr meine Wirksamkeit als Schriftsteller die Sonderstellung der Schrift dadurch hervor, dass er allein diese als „Wendepunkt“3 zwischen der ersten Phase der pseudonymen Werke und der dritten Phase der rein religiösen Schriftstellerei bezeichnet – und zudem nur dieser Schrift einen eigenen, wenn auch kurzen Abschnitt widmet.4 Selbst wenn man der Retrospektive Kierkegaards nicht ungebrochen folgen möchte, steht doch außer Zweifel, dass die Nachschrift das frühe pseudonyme Werk zugleich beschließt und resümiert: Nicht nur trägt das Buch den ,Abschluss‘ schon im Titel, es enthält auch einen ,Rückblick‘ des Pseudonyms Climacus auf die zuvor veröffentlichten Schriften und schließlich als ,Nachschrift der Nachschrift‘5 die von Kierkegaard unter eigenem Namen angehängte ,Erste und letzte Erklärung‘, in der er auf bemerkenswerte Weise die ,juristische‘ Verantwortung für die zuvor erschienenen Werke übernimmt. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung gilt freilich das Interesse der ,zentralen‘ Position der Schrift in mitteilungstheoretischer Hinsicht:6 Die Nachschrift macht als erstes Werk des Kierkegaardschen Korpus die indi3 4 5 6

GWS, 27 / SV2 XIII, 557. Vgl. GWS, 49 f. / SV2 XIII, 580. Diese Wendung gebraucht Kierkegaard selbst in einem Journal von 1849, um die ,Erste und letzte Erklärung‘ zu bezeichnen; vgl. NB10:83 (T 3, 196 / SKS 21, 299) und hierzu unten, II.4.1.b). Vgl. für einen Überblick über die deutschsprachige Forschung zum Mitteilungsbegriff der Nachschrift: Heiko Schulz „Rezeptionsgeschichtliche Nachschrift oder die Nachschrift in der deutschen Rezeption. Eine forschungsgeschichtliche Skizze“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2005, S. 351 – 399, bes. S. 388 – 396.

II.1 Doppelreflexion der Mitteilung in Begriff und Durchführung

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rekte Mitteilung ausdrücklich zum ,Gegenstand‘ der Untersuchung.7 Im Vorblick auf die folgende Interpretation ist allerdings sogleich zu bemerken, dass Climacus die indirekte Methode keineswegs in einer geschlossenen und systematischen Form zur Darstellung bringt, wie dies etwa Kierkegaard wenig später im Vorlesungsfragment zur ,Dialektik der Mitteilung‘ projektiert – und wieder verwirft. Im Gegenteil sind Climacus’ Ausführungen zur Mitteilungsform über seine ,mimisch-pathetisch-dialektische Sammelschrift‘ verstreut, immer wieder und oftmals wie beiläufig kommt das Thema zur Sprache; und auch innerhalb derjenigen Abschnitte, die die Mitteilungsfrage ausdrücklich und hauptsächlich behandeln, ist ihre Erörterung keineswegs gradlinig und abgeschlossen. Es wird zu zeigen sein, dass in dieser berechneten Nachlässigkeit nicht eine systematische Unzulänglichkeit, sondern eine entscheidende methodische Konsequenz liegt. Der Hinweis auf die Form von Climacus’ Darstellung des indirekten Verfahrens macht deutlich, dass die Sonderstellung der Nachschrift im Rahmen dieser mitteilungstheoretischen Untersuchung auf andere Weise bestimmt und begründet wird als in der Retrospektive von Kierkegaards Gesichtspunkt. Für Kierkegaard ist das Werk insofern der „Wendepunkt“ seiner Schriftstellerei, als Climacus in ihm „,das Problem‘“ schlechthin aufstellt, nämlich „das Problem des gesamten schriftstellerischen Werks: das Christwerden“.8 Diese ,Positionierung‘ der Nachschrift muss unter mitteilungstheoretischen Voraussetzungen weder einfach kritisiert noch gar zurückgewiesen werden. Die folgende Interpretation ergibt sich allein daraus, dass der Akzent in der Auslegung verschoben und auf die Frage nach der indirekten Methode selbst gelegt wird. In dieser Perspektive zeigt sich die Sonderstellung der Nachschrift in Folgendem: Climacus resmiert zwar in der Tat die vorhergehende Periode pseudonymer Schriftstellerei, er ergreift aber die indirekte Mitteilung noch auf ihrer Hçhe und macht sie zugleich für sein eigenes Vorgehen verbindlich. Die Eigentümlichkeit der Nachschrift ist mithin darin zu bestimmen, dass sie als einziges Werk in Kierkegaards Œuvre die indirekte Methode zugleich theoretisch bestimmt und praktisch vollzieht, ja noch in ihrer theoretischen Bestimmung die indirekte Methode in Bewegung hält. Wollte man Kierkegaards retro7

8

Vorgestalten der Mitteilungsreflexion finden sich freilich schon in früheren Schriften, so etwa in den Stadien (vgl. bes. SLW, 363 f. / SKS 6, 318 f.), aber auch schon im Begriff Angst (vgl. dazu ausführlicher unten, IV.2.). Von einem Begriff der Mitteilung kann aber an diesen Stellen noch nicht gesprochen werden. GWS, 27 / SV2 XIII, 557; ähnlich WS, 6 / SKS 13, 13 f.

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II.1 Doppelreflexion der Mitteilung in Begriff und Durchführung

spektive Schematisierung unter diesem Gesichtspunkt gleichfalls schematisch reproduzieren, so wäre zu sagen, dass das vorhergehende pseudonyme Werk die indirekte Methode gebraucht, ohne sie zu thematisieren – während das folgende Werk sie reflektiert, ohne sie zugleich für das eigene Verfahren in Anspruch zu nehmen.9 Der somit gegenüber Kierkegaards Retrospektive verschobene Akzent der Untersuchung betrifft im Besonderen auch den Verfasser Johannes Climacus, legt doch der Gesichtspunkt ein Verständnis des Pseudonyms nahe, das die indirekte Methode in der Nachschrift je schon mit einem bestimmten, einschränkenden Vorzeichen versieht. In der Retrospektive gilt Climacus als dasjenige Pseudonym, welches als erstes die Frage nach dem Christwerden stellt; und Kierkegaard betont ausdrücklich, dass Climacus diese Frage von außen aufwirft: nicht als derjenige, der aus der Perspektive des Christlichen spricht, sondern als einer, der nach dem Christlichen eben nur fragt. Auf diese ,Position‘ des Pseudonyms sind die Worte der Einleitung zu beziehen, in denen Climacus – wohlgemerkt um „experimentierend mich selbst“ zu gebrauchen – das ,Problem‘ aufstellt: „Ich, Johannes Climacus, hier in der Stadt geboren, nun dreißig Jahre alt, und recht und schlecht ein Mensch, so wie die meisten Leute, nehme an, dass mir sowohl wie einem Dienstmädchen und einem Professor ein höchstes Gut in Aussicht steht, das eine ewige Seligkeit genannt wird; ich habe gehört, dass einem das Christentum dieses Gut bedingt: nun frage ich, wie komme ich in [ein] Verhältnis zu dieser Lehre.“10

In dieser Perspektive ist weiterhin zu bemerken, dass Climacus sich ausdrücklich als Denker und Humoristen versteht, der zwar den Anspruch erhebt, das Christliche in aller Konsequenz nach seinen dialektischen Bestimmungen aufzufassen, gleichwohl aber selbst jenseits des Christlichen steht und dieses nicht zu ergreifen vermag.11 Insbesondere in der späteren Gegenüberstellung zu Anti-Climacus, der dezidiert vom christlichen Standpunkt aus spricht, wird Climacus’ Grenze im Verhältnis zum Christlichen sichtbar. 9 Damit ist freilich nicht gesagt, dass sich Aspekte des indirekten Verfahrens im späteren Werk schlechterdings nicht mehr nachweisen ließen. In keiner Schrift aber wird das indirekte Vorgehen so ausdrücklich für das eigene Verfahren in Anspruch genommen und so konsequent durchgeführt wie in der Nachschrift. 10 AUN1, 14 / SKS 7, 25 [Herv. v. Verf.]. 11 Vgl. hierzu bes. AUN2, 331 f. / SKS 7, 560. Vgl. dazu im Ganzen auch John Lippitt Humour and Irony in Kierkegaard’s Thought, Houndmills 2000.

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Die somit eingenommene Position des Pseudonyms legt nun nahe, dass allein in diesem Abstand des Climacus zum Christlichen die ,indirekte Mitteilung‘ der Nachschrift bestehe:12 Climacus würde dann das Christliche zwar durchdenken, seine existentielle Umsetzung und Ergreifung aber dem Leser zur Aneignung überantworten. Bezieht man dieses Verständnis auf Climacus’ ausdrückliche Wertschätzung der indirekten Methode, so zeigt sich der folgende Begründungszusammenhang: Climacus stellt zuerst die Frage nach dem Christlichen auf, erkennt sodann, dass diese Frage nur in Bezug auf die ,existierende Innerlichkeit‘ zu lösen ist, fragt von hier aus, wie sich der Einzelne ansprechen lasse, und entwirft schließlich als ,Lösung‘ die Dialektik und Doppelreflexion der Mitteilung.13 Diese Auffassung ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung, die zuerst auf die Mitteilungsfrage fokussiert, wiederum nicht einfach zu verwerfen. Die Interpretation wird aber den aufgezeigten Begründungszusammenhang gleichsam umkehren, indem sie das Interesse auf die Mitteilungskonzeption des Climacus als solche richtet. Diese Umkehrung bringt allerdings ein bemerkenswertes Ergebnis ans Licht: Climacus bezieht nämlich seine Entfaltung der indirekten Methode nicht allein auf das Christliche, sondern auf das Existieren als solches; er macht das indirekte Verfahren nicht ausschließlich für ein christliches Denken verbindlich, sondern für eine jede der Existenz geltende Philosophie. Dieser Hinweis dient wie bemerkt nicht dazu, Kierkegaards Retrospektive als unzutreffend auszuweisen – der soeben zitierte Passus lässt keinen Zweifel, welches ,Problem‘ die Nachschrift im Ganzen bedenkt. Vielmehr soll die Aufmerksamkeit auf eine mitteilungstheoretische Eigentümlichkeit gelenkt werden, die in Kierkegaards ,Totalperspektive‘ tatsächlich verdeckt zu werden droht: Climacus fasst nämlich die indirekte Methode zunächst nicht als eine bloß zeitweilig und unter bestimmten Bedingungen zu verwendende Taktik, die etwa dem Ziel diente, den Leser in das Christliche ,hineinzubetrügen‘, sondern in grundstzlicherer Weise als die einzig angemessene Form eines Denkens der Existenz. So erweist sich die Nachschrift als das mitteilungstheoretisch tiefgehendste und fruchtbarste Werk in Kierkegaards Œuvre – und zugleich ist der wesentliche Unterschied zum Mitteilungsbegriff des Gesichtspunkts benannt, den es im folgenden Kapitel zu diskutieren gilt. 12 Vgl. hierzu WS, 6 f. Anm. / SKS 13, 13 f. Anm. und unten, II.2.2. 13 Climacus’ eigene Bestimmung dieses Zusammenhangs ist durchaus mehrdeutig; vgl. unten, Abschnitt 2.a).

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Damit ist die Perspektive, in der die Nachschrift interpretiert werden soll, in ihren Grundzügen umrissen. Vorab gilt es, unter diesem Gesichtspunkt das Vorgehen und die Eigentümlichkeit des Untersuchungsgegenstands noch präziser zu bestimmen. Es ist im Folgenden die leitende These, dass die Konzeption der Nachschrift nur in ihrem Ineinandergreifen von Theorie und Praxis oder von Begriff und Durchfhrung der indirekten Mitteilung angemessen verstanden werden kann. Dieses Ineinandergreifen lässt sich dadurch bezeichnen, dass Climacus den Leser auf die Doppelreflexion der Mitteilung aufmerksam macht – und in diesem Aufmerksam-Machen zugleich selbst auf die Dialektik der Mitteilung aufmerksam bleibt. Der schon zu Beginn des Werks ergriffene Gedanke, dass das Existieren wesentlich nur in der Doppelreflexion des Indirekten angesprochen werden kann, wird von Climacus bis zum Ende in strenger Konsequenz durchgehalten. Nicht nur macht Climacus die Mitteilungsform ausdrücklich zum Thema seiner Schrift, vielmehr vollzieht sich das Werk im Ganzen als das für die indirekte Methode charakteristische Sich-entgegen-Arbeiten. Dies zeigt sich etwa in Form und Anlage des ,Rückblicks‘ auf das frühe Werk, der die Doppelreflexion als leitendes Verfahren der pseudonymen Schriften aufweist und zugleich selbst den doppeltreflektierten Abstand zu den früheren Pseudonymen wahrt, indem Climacus stets einschärft, er sei ,nur Leser‘ und betrachte das frühe Werk ,von außen‘. Auf ihre Spitze gestellt ist die sich zurücknehmende Doppelreflexion in der finalen Geste der Schrift, die sich nach etlichen hundert Seiten selbst widerruft. Außerordentlich bemerkenswert ist schließlich Kierkegaards in eigenem Namen angehängte ,Erste und letzte Erklärung‘: Hier tritt zwar der Autor auf und ,bekennt‘ sich zur Verfasserschaft der pseudonymen Werke – sein Auftritt ist aber zugleich seine Zurücknahme, in der jedes ,privat-persönliche‘ Verhältnis zwischen dem Verfasser und den Pseudonymen abgewiesen wird. Noch Kierkegaard selbst wiederholt also die gegenkreuzende Doppelreflexion, die ,sein‘ Pseudonym konsequent praktiziert. Das Ineinandergreifen von Theorie und Praxis zeigt sich aber selbst dort noch, wo Climacus die Doppelreflexion explizit und ,theoretisch‘ behandelt. In der Analyse der zentralen ersten These über Lessing, „Der subjektive existierende Denker ist aufmerksam auf die Dialektik der Mitteilung“, wird einerseits zu zeigen sein, dass und wie Climacus die indirekte Methode als grundlegende und unhintergehbare Form des Existenzdenkens bestimmt. Andererseits aber gilt es auszuweisen, wie Climacus noch in der theoretischen Bestimmung der indirekten Methode diese selbst praktiziert: Climacus hält sich beständig in der Schwebe, das indirekte Ver-

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fahren zu bestimmen und nicht zu bestimmen; die beschreibende Bewegung wiederholt die Eigentümlichkeit ihres ,Gegenstandes‘, indem sie abschweift, springt, ihre Richtung wechselt und zentrale Aspekte des Indirekten allein experimentierend und in hypothetischer Form ausleuchtet. Damit aber nicht genug: Diese Schwebe verdoppelt sich in zweiter Potenz, wenn Climacus selbst ausdrücklich sagt, die Doppelreflexion dürfe nicht direkt bestimmt werden – und wenig später erläutert, eine solche Bestimmung sei unter einer einzigen Bedingung doch gestattet: dass nämlich derjenige, der sie vornehme, zugleich die Doppelreflexion zu wahren vermöge. So zeigt sich in Climacus Verfahren der doppelte Rückstoß der Methode, der noch die theoretische Erläuterung des Indirekten in Bewegung hält. Die Nachschrift ist dasjenige Werk Kierkegaards, das dem Zentralproblem der indirekten Methode – nämlich der Frage nach einer direkten Bestimmung des Indirekten – die größte Aufmerksamkeit widmet; es wird daher im Folgenden präzise darauf zu achten sein, wie sich Climacus in dieser Frage positioniert. Diese Bewegung des Rückstoßes zeigt sich in der Nachschrift überdies darin, dass die indirekte Methode ,nicht in einem Zug‘ bestimmt wird: Immer wieder kommt Climacus auf die Mitteilungsdialektik zurück und gibt dabei neue Formulierungen der indirekten Methode, die von ihrer ersten Bestimmung in der Lessing-These nicht vollständig umfasst sind. Auch darin wird sichtbar, dass die theoretische Erörterung ihren ,Gegenstand‘ nochmals ,verdoppelt‘: Ist die indirekte Methode selbst unabgeschlossen, so kann auch ihr Begriff nur in unabgeschlossener Form und in der Wiederholung gegeben werden. In werkgeschichtlicher Perspektive ist allerdings zu bemerken, dass schon Climacus eine Weichenstellung vornimmt, die Kierkegaards spätere Verwandlung der indirekten Methode überhaupt erst ermöglicht: Climacus bestimmt das indirekte Verfahren eben als Mitteilung. Es wird zu zeigen sein, dass bereits Climacus in einigen Partien – insbesondere in der Unterscheidung von Ausdruck und Form der Mitteilung – nahe legt, die indirekte Methode sei ein ußerliches und gleichsam nachtrgliches Verfahren, das einen direkt zu fassenden ,Gegenstand‘ bloß verhüllt. Auch im Kontext des ,Blicks‘ auf die frühen Schriften finden sich Wendungen, die ein spezifisch maieutisches und mithin rein kommunikationstheoretisches Verständnis der Mitteilung implizieren. An dieser Stelle wird dann die Mitteilung auch erstmals als ein taktisches Verfahren skizziert, nämlich als ,Fortnehmen‘, das polemisch gegen ein vermeintliches Wissen vorgeht. So zeigt sich bereits in der Nachschrift das eingangs benannte Problem, dass Kierkegaard durch die Fokussierung auf die Mitteilungsfrage im engeren

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Sinne eine grundlegende Bestimmung der indirekten Methode verstellt. Nirgendwo sonst ist diese Tiefendimension allerdings greifbarer als in der Nachschrift. Dies wird insbesondere darin sichtbar, dass die Darstellung der Doppelreflexion nicht mit der Mitteilung beginnt: Climacus weist, bevor er ausdrücklich auf die Mitteilung zu sprechen kommt, die Doppelreflexion im subjektiven existierenden Denker selbst auf. Die ,Urszene‘ des Indirekten ist mithin nicht das Kommunikations-, sondern das Selbstverhältnis. In der unaufhebbaren Dialektik von Einzelnem und Allgemeinem reflektiert der subjektive Denker, der als denkend im Allgemeinen steht und diesem zugleich als singulär existierend inkommensurabel ist, das Darstellungsproblem der indirekten Methode – wenn dieses auch im Anschluss durch kommunikationstheoretische Überlegungen schon bei Climacus verdeckt zu werden droht. Diese eigentümliche Spannung in der Mitteilungskonzeption spiegelt sich schließlich darin, wie das ,Vorbild‘ der indirekten Mitteilung angesprochen wird: Sokrates ist nämlich hier noch nicht in letzter Konsequenz mit dem Maieutiker identifiziert, als welcher er in Kierkegaards Mitteilungsreflexionen ab 1846 durchgehend auftritt. Climacus’ Bezugnahme auf Sokrates entspricht der angezeigten Bewegung der Lessing-These: Sokrates tritt zuerst als diejenige Gestalt auf, die das ,unendliche Interesse‘ für die eigene Existenz bezeichnet – im Anschluss aber wird sogleich danach gefragt, wie die Mitteilung eines solchen Existierenden sich gestalten müsste. Im Ganzen fällt indes der ab 1846 dominierende Begriff der ,Maieutik‘ nur an zwei Stellen und ein einziges Mal bezüglich Sokrates. Auch darin zeigt sich, dass die Nachschrift bereits die Keime enthält, aus denen der spätere Mitteilungsbegriff erwachsen wird – selbst aber vom maieutischen Aspekt noch nicht ausgeht. Die folgende Interpretation orientiert sich an der Chronologie der Nachschrift und wird das Ineinandergreifen von Theorie und Praxis des Indirekten in fünf Schritten nachvollziehen: Zuerst gilt es, die zentrale erste These über Lessing in einer ausführlichen und textnahen Interpretation zu untersuchen (1.). Sodann ist Climacus’ Rückblick auf das vorhergehende pseudonyme Werk zu diskutieren, in dessen Umfeld sich auch einige ,nachgeschobene‘ theoretische Bestimmungen der Mitteilung finden (2.). Ein kurzer Neuansatz zur Mitteilungsdialektik, der hinsichtlich des Begriffs der ,Möglichkeitsmitteilung‘ zu befragen ist, wird in dem Abschnitt „Der subjektive Denker, seine Aufgabe d. h. sein Stil“ formuliert (3.). Sodann widmet sich die Untersuchung Climacus’ „Verständigung mit dem Leser“ und dem dort gegebenen Widerruf der Schrift (4.). Der letzte Abschnitt des Kapitels schließlich nimmt die von

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Kierkegaard selbst unterzeichnete „Erste und letzten Erklärung“ in den Blick (5.). Hier ist zu zeigen, dass Kierkegaard zwar als Autor auftritt – aber noch in diesem Auftreten seinen Abstand zu den pseudonymen Werken wahrt und als unüberschreitbaren befestigt. Es wird diese Grenze sein, die der spätere Gesichtspunkt einzieht.

1. Die Doppelreflexion des subjektiven Denkers und die Dialektik der Mitteilung – Climacus’ erste Lessing-These Dass der Gedanke der Doppelreflexion und der doppeltreflektierten Mitteilung in der Nachschrift von zentraler Bedeutung ist, ja das gesamte Werk untergründig strukturiert, ist bereits durch die Stellung angezeigt, die Climacus seiner Erörterung zuweist. Nachdem der erste, recht kurze Teil der Nachschrift das ,objektive Problem‘ des Christentums behandelt, beginnt der zweite Teil über das ,subjektive Problem‘ mit einer Diskussion Lessings – und gleich die erste Lessing-These ist der Doppelreflexion gewidmet: „Der subjektive existierende Denker ist aufmerksam auf die Dialektik der Mitteilung“. Noch bevor also das eigentliche ,Problem‘ entfaltet wird, macht Climacus die Doppelreflexion und die Dialektik der Mitteilung zum Thema. Die Mitteilungsdialektik bezeichnet gleichsam das ,Eingangstor‘, durch das ein Denken hindurchgehen muss, welches sich auf die konkret existierende Subjektivität richtet: Bevor gesagt werden kann, was diese ist, gilt es offenbar zunächst die Art und Weise zu klären, in der von ihr gesprochen werden kann. Auch im Blick auf Kierkegaards Gesamtwerk ist diese Passage von zentraler Bedeutung: Climacus’ erste These über Lessing ist die erste explizite Behandlung der Mitteilungsform überhaupt. Schon aus diesen Gründen erscheint es geboten, den Abschnitt in aller Ausführlichkeit zu interpretieren. Überdies fordert aber die Eigentümlichkeit des Passus selbst ein genaues und textnahes Vorgehen: Climacus gibt nämlich keineswegs einen systematischen Aufriss der Bestimmungen der Mitteilung – im Gegenteil sind seine Ausführungen äußerst sprunghaft und schwankend. Angesichts dieser Form käme es einer Verkürzung gleich, wollte man die doppeltreflektierte Bewegung von Climacus’ Darstellung des Indirekten in Gestalt eines geschlossenen Begriffsgerüsts oder eines systematischen Schemas präsentieren. Die Interpretation hat sich vielmehr auf das Spiel des Climacus zunächst einzulassen und seinen Erörterungen Schritt für Schritt zu folgen – und dies

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auch auf die Gefahr hin, sich in den immer neuen Aus- und Abschweifungen zunächst zu verlieren. Offenbar ist nämlich dieses ,SichVerlieren‘ des Lesers Teil des ,Programms‘, schärft doch Climacus beständig ein, in Fragen der Existenz sei nichts schädlicher und verkehrter als eine Lehre, die direkt und unmittelbar aufgenommen, nachgesprochen und ,abgeleiert‘14 werden könnte. Erst nachdem die Interpretation dem Verwirrspiel des Climacus gefolgt ist, lassen sich seine Ausführungen verdichtend zur Darstellung bringen – mit einer solchen Verdichtung gleich zu Beginn einzusetzen hieße hingegen, Climacus’ Verfahren zu verfehlen. Um der sprunghaften Darstellung die größtmögliche Transparenz zu verleihen, unterteilt die Interpretation den Text in seine kleinstmöglichen Einheiten: Die Untersuchung beginnt mit dem ,Vorspann‘ der LessingThesen (a) und geht dann die erste These selbst in sieben Schritten durch: Zunächst gilt es dabei, den Ausgangspunkt von Climacus’ Erörterung der Mitteilungsdialektik präzise in den Blick zu nehmen (b-c). Bevor nämlich überhaupt von der Mitteilung selbst die Rede ist, weist Climacus den leitenden Begriff der Doppelreflexion in der Gegenüberstellung von objektivem Denken und subjektivem existierendem Denker aus. Darin zeigt sich, dass der Gedanke des Indirekten nicht allein und nicht einmal zuerst kommunikationstheoretischen Überlegungen entspringt; auch deutet sich hier klarer als an irgendeiner anderen Stelle in Kierkegaards Werk der Darstellungsaspekt der indirekten Methode an. Sodann verfolgt die Interpretation Climacus’ von dieser ,Basis‘ ausgehende Erörterung der Mitteilungsdialektik im engeren Sinne (d-h). Der letzte Unterabschnitt gibt, soweit der Text dies zulässt, eine verdichtende Darstellung (i).

a) Lessing, Hegel und Sokrates – Der Auftakt zur Mitteilungsfrage Der Abschnitt „Der subjektive existierende Denker ist aufmerksam auf die Dialektik der Mitteilung“ steht im Rahmen der ,Möglichen und wirklichen Thesen von Lessing‘. Schon dies, dass nicht nur wirkliche, sondern auch mçgliche Thesen von Lessing behandelt werden, bezeichnet das ironischgegenstoßende Verfahren des Climacus. Was nämlich in den ersten beiden Thesen entwickelt wird, lässt sich nach Climacus bloß mçglicherweise auf Lessing zurückführen, ohne dass dieser sich an irgendeiner Stelle expressis verbis derart geäußert habe. Der Auftakt zu diesen ,Thesen‘ macht 14 Vgl. etwa AUN1, 65 / SKS 7, 73.

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deutlich, dass man eine bündige und gradlinige Entfaltung des Mitteilungsproblems von Climacus keineswegs wird erwarten können: Ohne denn mich auf Lessing berufen zu dürfen, ohne ihn mit Bestimmtheit als Gewährsmann angeben zu dürfen, ohne jemanden darauf zu verpflichten, aufgrund der Berühmtheit pflichtschuldigst oder versichernd verstanden haben zu wollen, was den Verstehenden in ein bedenkliches Verhältnis zu meiner Unberühmtheit bringt, die wohl etwas ebenso Abschreckendes hat wie Lessings Berühmtheit etwas Anziehendes: gedenke ich nun darzustellen, was ich – hol mich der Teufel – auf Lessing zurückführe, ohne sicher zu sein, dass er sich dazu bekennt; was ich in neckender Ausgelassenheit ihm beizulegen mich nahezu versucht fühlen könnte, dass er es gesagt habe, wenn auch nicht direkt; wofür ich auf eine andere Weise ihm schwärmerisch voller Bewunderung danken zu dürfen wünschen könnte; und was ich wiederum in stolzem Auf-das-Meine-Halten und Selbstgefühl nur aus Generosität auf ihn zurückführe; und womit ich wieder fürchte, ihn zu beleidigen oder zu beschweren, indem ich seinen Namen damit in Beziehung bringe.15

Schon im ,Vorspann‘ zur Untersuchung der Mitteilung zeigt sich das Indirekte, und Climacus macht bereits an dieser Stelle die Probe auf die doppeltreflektierte Form. Wer hier eigentlich sprechen wird, bleibt in der Schwebe – in jedem Fall aber ist Lessing nicht der Lehrer, dessen Autorität Climacus einfach folgen könnte. Darin liegt ein wichtiger Vorverweis: Auch Climacus wird nämlich nicht so sprechen, dass man ihm einfach folgen, ihn als den ,Lehrer der indirekten Mitteilung‘ zitieren und sich auf seine Autorität berufen könnte. Noch das Sprechen ber das Indirekte vollzieht sich als indirektes Sprechen; und schon bevor die eigentliche Untersuchung beginnt, zeigt Climacus an, dass er dem Leser bloße Thesen, die einfach aufzunehmen und ,auswendig‘ nachzusprechen wären, verweigern wird. Im Vorspann über Lessing wird allerdings auch das Mitteilungsproblem selbst schon kurz gestreift. Es ist bezeichnend, dass die erste Nennung der indirekten Mitteilung in Kierkegaards Gesamtwerk sich in einer Anmerkung findet, die gerade Hegel und Sokrates einander gegenüberstellt. Anlässlich des Gesprächs zwischen Lessing und Jacobi schreibt Climacus in Bezug auf einen bei Heine überlieferten Ausspruch:

15 AUN1, 64 / SKS 7, 72 f. Da der hier behandelte Passus zu den ,möglichen‘ Thesen von Lessing gehört, kann auf einen Rückgang zu Climacus’ ,Quellen‘ verzichtet werden. Vgl. hierzu Michelle Stott Behind the Mask. Kierkegaard’s Pseudonymic Treatment of Lessing in the Concluding Unscientific Postscript, Lewisburg 1993.

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So soll ja auch Hegel mit den Worten gestorben sein, dass keiner ihn verstanden habe außer einem, der ihn missverstanden habe […]. Hegels Aussage hat gleich den Mangel, dass sie eine direkte Aussage ist und somit gänzlich inadäquat für ein solches Missverständnis, und [sie] beweist hinlänglich, dass Hegel nicht künstlerisch im Trug der Doppel-Reflexion existiert hat. Sodann, dass Hegels Mitteilung in den gesammelten siebzehn Bänden eine direkte Mitteilung ist; hat er dann keinen gefunden, der ihn verstanden hat, desto schlimmer für Hegel. Eine andere Sache wäre es mit Sokrates z. B., der seine ganze Mitteilungs-Form kunstvoll darauf eingerichtet hatte, missverstanden zu werden. Als dramatische Replik Hegels im Augenblick des Todes ist jene Aussage Hegels am besten als ein Fieberwahn, eine Gedankenlosigkeit zu betrachten, die nun im Tode mit auf den Wegen dabei sein soll, auf denen er niemals im Leben mit dabei gewesen ist. Ist Hegel als Denker der einzige seiner Art, dann gibt es ja keinen, mit dem er verglichen werden kann; und sollte es doch einen geben, mit dem er verglichen werden könnte, dann ist jedenfalls ganz gewiss, dass er mit Sokrates ganz und gar nichts gemeinsam hat.16

Offensichtlich ist diese Anmerkung nachtrglich eingefügt worden, enthält sie doch bereits die Terminologie, die erst in der ersten Lessing-These entwickelt wird. Gleichwohl lassen sich der Passage vorab einige Motive entnehmen, die zur Orientierung für das Folgende dienen können. Das ,Problem‘ in dem Hegel zugeschriebenen Satz ist offenbar für Climacus ein zweifaches: Erstens nämlich habe der Satz die Form einer direkten Aussage. Nun ist dieser Satz seinem Gehalt nach keineswegs direkt, sondern paradox: Der einzige, der Hegel verstanden habe, sei gerade derjenige, der ihn missverstanden habe – und so wird in unaufhebbarerer Zweideutigkeit das Verstehen zum Missverstehen und umgekehrt. Offenbar aber genügt diese ,Doppelreflexion‘ des Gehalts Climacus nicht. Eine ,korrekte‘ Form wäre vielmehr diejenige, die diesen paradoxalen Gehalt nochmals verdoppelt – indem die Art und Weise, in welcher der Satz ausgesagt wird, das Spiel von Verstehen und Missverstehen wiederholt. Es wird sich zeigen, dass für Climacus die Hypothese und das Experiment geeignete Operatoren einer solchen ,Formverdopplung‘ sind. Beiherspielend ist aber noch eine weitere Eigenart von Climacus’ Auffassung der Doppelreflexion benannt: Die ,falsche‘ Form von Hegels Aussage beweise hinlänglich, dass dieser ,nicht künstlerisch im Trug der Doppel16 AUN1, 63 Anm. / SKS 7, 71 f. Anm. Vgl. Heinrich Heine „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ [1834] in ders. Smtliche Schriften, hrsg. v. Klaus Briegleb, Bd. 1 – 6, München 1968 – 1976, Bd. 3, 1971, S. 505 – 641, hier S. 608: „Als Hegel auf dem Todtbette lag, sagte er: ,nur Einer hat mich verstanden‘, aber gleich darauf fügte er verdrießlich hinzu: ,und der hat mich auch nicht verstanden‘.“

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reflexion existiert‘ habe. Demnach ist die Doppelreflexion nicht allein eine Bestimmung der Mitteilung, sondern auch, und offensichtlich gar zuerst, eine Bestimmung der Existenz. Dies gilt es im Folgenden wesentlich nicht außer Acht zu lassen. Der zweite Einwand richtet sich darauf, dass Hegel in seinem Werk die Form der direkten Mitteilung verwendet habe; diese aber fordere aus sich heraus ein ,direktes‘ Verstehen. Damit ist der Hegel zugeschriebene paradoxale Satz für Climacus ,widerlegt‘: Sollte es nämlich zutreffend sein, dass das Verstehen das Missverstehen ist und vice versa, dann müsste – so darf man aus Climacus’ Erläuterung schließen – die Form des Werks indirekt sein, kommt doch nur dem Indirekten eine spannungsreiche Doppelheit des Verstehens zu. Hier nun wird Hegel Sokrates gegenübergestellt, und offensichtlich meint Climacus, diesem könnte der paradoxale Satz sehr viel passender in den Mund gelegt werden – habe doch Sokrates ,seine ganze Mitteilungsform kunstvoll darauf eingerichtet, missverstanden zu werden‘. Wieder zeigt sich unter der Hand eine Eigentümlichkeit von Climacus’ Begriff des Indirekten: Es heißt nämlich nicht, Sokrates habe dieses Missverstehen an einem bestimmten Zweck ausgerichtet, oder um des Empfngers willen seine Mitteilung derart kunstvoll gestaltet. Die Mitteilung zielt vielmehr darauf, dass er, Sokrates, missverstanden würde, so wie der Hegel zugeschriebene Satz gleichfalls aussagt, er, Hegel, sei missverstanden bzw. missverstanden und erst dadurch verstanden worden. Mit anderen Worten: Sokrates ist in diesem Passus nicht der Maieutiker, der eine ,Technik‘ anwendet, um dem Anderen zum Verstehen zu verhelfen – eher ist er der Ironiker aus Kierkegaards Magisterdissertation, der proteushaft sein Äußeres verwandelt und sich selbst einem direkten Verstanden-Werden entzieht. In zweifacher Weise deutet also das Zitat an, dass die Mitteilung vom Mitteiler und dessen Existenz her gedacht wird und auf diesen als ihren ,Urheber‘ zurckweist. Diese Bewegung vom Existierenden hin zur Mitteilung wird dann auch die Struktur der ersten Lessing-These bestimmen. Im Ganzen macht der ,Auftakt‘ zur Mitteilungsdiskussion deutlich, dass die indirekte Sprechweise nach Climacus gerade darauf ausgelegt ist, nicht unmittelbar verstanden werden zu können – und dass dies ,in zweiter Potenz‘ auch für das Sprechen ber diese Sprechweise gilt, ist im Folgenden zu zeigen.

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II.1 Doppelreflexion der Mitteilung in Begriff und Durchführung

b) Das objektive Denken und der subjektive Denker Die erste Lessing-These, „Der subjektive existierende Denker ist aufmerksam auf die Dialektik der Mitteilung“,17 beginnt unvermittelt und apodiktisch mit einer Distinktion: „Während das objektive Denken gleichgültig gegenüber dem denkenden Subjekt und dessen Existenz ist, ist der subjektive Denker als existierender wesentlich an seinem eigenen Denken interessiert, und existiert in ihm.“18 Climacus hebt die Differenz beider ,Denkformen‘ schon dadurch hervor, dass er das Objektive als ,Denken‘ präsentiert, die Bestimmung des Subjektiven aber über den existierenden ,Denker‘ einführt. Dieser subjektive existierende Denker unterscheidet sich nun dadurch von dem objektiven Denken, dass sein Denken auf das eigene Existieren bezogen ist. Entscheidend ist hier der Begriff des Interesses: Das Denken des subjektiven Denkers ist nicht, wie das objektive Denken, ,interesselos‘; es bedeutet vielmehr gerade das Interesse der Existenz für sich selbst. Climacus notiert eine doppelte Bewegung: Der Existierende richtet sich auf sein Denken als auf sein Interesse – und umgekehrt existiert er in seinem Denken, das heißt: Er existiert in dem, was er versteht. Diese Bezogenheit kommt schließlich dadurch zum Ausdruck, dass Climacus von ,seinem Denken‘ spricht: Das Denken des Existierenden gehört ihm zu und ist nicht von der Existenz ,abzulösen‘. Im objektiven Denken hingegen liegt keine derartige Bezogenheit vor, sofern es nach Climacus das Subjekt als gleichgültig gänzlich auslässt. Beachtenswert ist dabei, dass Climacus 17 AUN1, 65 – 72 / SKS 7, 73 – 80. Vgl. hierzu in mitteilungstheoretischer Hinsicht bes.: Tilo Wesche Kierkegaard. Eine philosophische Einfhrung, Stuttgart 2003, S. 165 – 174; Mariele Nientied Kierkegaard und Wittgenstein. „Hineintuschen in das Wahre“, Berlin / New York 2003, S. 21 – 36 sowie Roger Poole Kierkegaard. The Indirect Communication, Charlottesville 1993, S. 156 – 160. Vgl. auch Niels Thulstrup Commentary on Kierkegaard’s Concluding Unscientific Postscript. With a New Introduction, Princeton 1984 [Kopenhagen 1962], S. 202 – 205; Mark C. Taylor Kierkegaard’s Pseudonymous Authorship. A Study of Time and the Self, Princeton 1975, S. 51 – 54; C. Stephen Evans Kierkegaard’s „Fragments“ and „Postscript“. The Religious Philosophy of Johannes Climacus, Atlantic Highlands 1983, S. 95 – 98, S. 102 – 111; Merold Westphal Becoming a Self. A Reading of Kierkegaard’s Concluding Unscientific Postscript, West Lafayette 1996, S. 59 – 65; vgl. zur Mitteilung in der Nachschrift im Ganzen auch Edward F. Mooney „Exemplars, Inwardness, and Belief: Kierkegaard on Indirect Communication“ in Concluding Unscientific Postscript to „Philosophical Fragments“ (International Kierkegaard Commentary, 12), hrsg. v. Robert L. Perkins, Macon 1997, S. 129 – 148. 18 AUN1, 65 / SKS 7, 73.

1. Die Doppelreflexion des subjektiven Denkers

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dieses ,ausgelassene‘ Subjekt abermals doppelt bestimmt: Dem objektiven Denken ist zunächst das denkende Subjekt gleichgültig, sodann aber auch dessen Existenz. Darin wird deutlich, dass Climacus nicht allein – in der Tradition idealistischer Debatten – das Denksubjekt als Träger der (logischen) Bewegung einklagt, sondern auf eine Sphäre hindeutet, die jenseits dessen liegt, was das Denken als solches darzustellen oder zu fassen vermag: auf das Existieren. Diese Differenz wird nun, mit Fokus auf den subjektiven Denker, in zweifacher Weise präzisiert: hinsichtlich der Art der Reflexion und der Stellung zum Resultat. Zur Reflexion des subjektiven Denkers heißt es: „Deshalb hat sein Denken eine andere Art von Reflexion, nämlich die der Innerlichkeit, des Besitzes, wodurch es dem Subjekt und keinem anderen gehört.“19 Damit ist die Bezogenheit des subjektiven Denkers auf sein Denken mit dem Akzent des Singulren versehen: Sein Denken gehört ihm und nur ihm gleichsam ,exklusiv‘ zu – die existierende Subjektivität ist hier offensichtlich als Einzelner verstanden. Das Wort ,Besitz‘ weist schon auf ein Motiv hin, das bezüglich der Mitteilung bedeutsam werden wird: auf die Aneignung (dän. ,tilegnelse‘), in der schon semantisch die ,Eigenheit‘ liegt. Was der subjektive Denker denkt, ist je sein Eigenes und mithin das Undelegierbare. Dass Climacus an dieser Stelle ausschließlich erläutert, worin die Reflexionsweise des Subjektiven liegt, nicht aber die Reflexion des objektiven Denkers charakterisiert, hat einen guten Grund: Die ,Reflexion‘, die hier gedacht ist, findet nämlich nur in dem statt, was das Objektive ausschließt: im Selbst. Die Re-flexion der Innerlichkeit ist die Form des Selbstverhältnisses, die Rckbeugung des Denkens auf das Selbst – und mithin allein in der Subjektivität gegeben. Die zweite Präzisierung, die das objektive Denken wieder als Kontrastbegriff einführt, betrifft nun die Stellung zum Resultat: Während das objektive Denken alles in [das] Resultat setzt, und der ganzen Menschheit zum Betrügen durch Abschreiben und Herleiern des Resultats und des Fazits verhilft, setzt das subjektive Denken alles in das Werden, und lässt das Resultat aus, teils weil dies eben ihm zugehört, weil er den Weg hat, teils weil er als existierender ständig im Werden ist […].20

Dem Resultat des objektiven Denkens steht also im subjektiven Denken das Werden entgegen – der Gegenbegriff zum Abgeschlossenen und Gewordenen, auch zum ,Fertig-Gewordenen‘, ist die Unabgeschlossenheit der Existenz. Der vierten Lessing-These ist zu entnehmen, dass 19 AUN1, 65 / SKS 7, 73. 20 AUN1, 65 / SKS 7, 73.

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II.1 Doppelreflexion der Mitteilung in Begriff und Durchführung

Climacus die Abgeschlossenheit mit dem System gleichsetzt; beides sei „so ungefähr Ein und Dasselbe“.21 Mithin wird deutlich, dass die Unabgeschlossenheit der Existenz eine andere, ihr korrespondierende und gleichfalls unabgeschlossene Denkform fordert – und diese wird sich als Gegenentwurf zur systematischen Form profilieren müssen. Was aber zunächst die Erläuterung des Resultats im objektiven und subjektiven Denken betrifft, so scheint diese widersprüchlich zu sein: Einerseits soll der subjektive Denker das Resultat auslassen, andererseits aber kommt ihm offenbar in gewisser Weise doch ein Resultat zu. Diese scheinbare Zweideutigkeit lässt sich wie folgt auflösen: Das Resultat, zu dem der subjektive Denker als Existierender gelangt, ist einerseits stets bezogen auf seinen eigenen Denk- und Lebensweg; es ist daher nicht ,allgemeingültig‘ und also kein vom Existierenden abzulösendes, sondern das vom ihm erworbene und allein ihm zugehörige, mithin singuläre Resultat. Andererseits aber ist dieses Resultat für den Einzelnen nicht von unumstößlicher Gültigkeit; es ist kein abschließend Erreichtes, weil er selbst, und mit ihm sein Resultat, beständig dem Werden unterworfen ist. Unter der Hand differenziert also Climacus zwischen zwei Formen des Resultats: Das Resultat des subjektiven Denkers ist im Unterschied zu dem des objektiven Denkens erstens stets auf den Einzelnen bezogen und zweitens als Resultat eines Existierenden immer in die Vorlufigkeit des Werdens hineingehalten. Innerhalb des Werdens der Existenz kann sich wohl so etwas wie ein ,Resultat‘ zeigen – niemals aber schließt dieses ,existenzielle Resultat‘ das Werden ab. In der polemischen Charakteristik des objektiven Denkens kommt erstmals, wenn auch nur andeutend, die Perspektive eines Empfngers in den Blick: Das Resultat ist Betrug oder – wie es in der zweiten LessingThese heißt – „Blendwerk“;22 es ,verführt‘ den Empfänger zu einem bloßen Abschreiben und Nachleiern. Fragt man danach, worum denn der Empfänger hier betrogen wird, so ist zu antworten: um seine eigene Existenz selbst, die qua Existenz im Werden steht und niemals zu einem ,letzten Ergebnis‘ gelangt. Dies macht das subjektive Denken ausdrücklich, während das objektive Denken mit der ,Beruhigung‘ durch das Resultat über die Unabgeschlossenheit des Existierens gleichsam hinwegtuscht. Mit dieser Gegenüberstellung beginnt also die Darstellung der im Titel genannten ,Dialektik der Mitteilung‘ – und bemerkenswerterweise ist der 21 AUN1, 100 / SKS 7, 104. 22 AUN1, 73 / SKS 7, 81.

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Ausdruck ,Mitteilung‘ noch nicht ein einziges Mal gefallen. Die Bestimmung der Mitteilung geht also von einem Denken aus, das der Existenz in ihrem Interesse, ihrer Einzelheit und ihrer Unabgeschlossenheit gewidmet ist – und sich zugleich von einem ,existenzvergessenen‘ objektiven Denken abgrenzt. Die einleitend notierten Begriffe werden sich sogleich in der Doppelreflexion des subjektiven Denkers wie auch in der Form der Mitteilung spiegeln: Die Trias ,Interesse – Singularitt – Unabgeschlossenheit‘ bildet das Grundmotiv der Dialektik der Mitteilung.

c) Die Doppelreflexion des subjektiven Denkers Im unmittelbar folgenden Absatz präzisiert nun Climacus die Reflexionsform des subjektiven existierenden Denkers, und hier fällt erstmals der zentrale Begriff der Doppelreflexion: Die Reflexion der Innerlichkeit ist die Doppel-Reflexion des subjektiven Denkers. Denkend denkt er das Allgemeine, aber als existierend in diesem Denken, als dieses in seiner Innerlichkeit erwerbend, wird er immer mehr subjektiv isoliert.23

Der leitende Begriff der Doppelreflexion wird also in seiner ersten Nennung nicht auf die Mitteilung, sondern auf den subjektiven existierenden Denker selbst bezogen; sie bezeichnet die spezifische Form seiner Reflexion und seines Sich-zu-sich-Verhaltens in Innerlichkeit. Climacus setzt hier einen Hiatus zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen: Sofern der Denker Denkender ist, ist er notwendig in der Sphäre des Allgemeinen, er bewegt sich im Medium des Begriffs. Sofern der Denker aber existiert, ist er als Existierender der Einzelne in seiner Innerlichkeit: Er ist mithin die Singularität, die begrifflich nicht mehr einholbar ist, oder sein Existieren ist dem Begriff inkommensurabel. Der existierende Denker hat somit ein doppeltes Gesicht und steht in einem Widerspruch: Die ,isolierte‘ Subjektivität ist durch eine unberwindbare Kluft von dem Denken als Sphäre des Allgemeinen getrennt – aber zugleich als denkende bestimmt. Auch sind die beiden übrigen Glieder der eben genannten Trias in die Doppelreflexion aufgenommen: Das ,Erwerben‘ des Denkens in Innerlichkeit zeigt das Interesse und die Aneignung der Subjektivität an; das ,Isoliert-Werden‘ der Subjektivität verweist auf die Unabgeschlossenheit eines Denkens, das dem Werdens-Charakter der Existenz 23 AUN1, 65 / SKS 7, 73 f.

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entspricht – und überdies die ,Vereinzelung‘ im Reflexionsprozess vertieft. Um aber die Eigentümlichkeit der Doppelreflexion in den Blick zu bringen, gilt es insbesondere, den Bruch zwischen den beiden genannten Ebenen hervorzuheben: Für Climacus gibt es keine Vermittlung zwischen der Sphäre der Allgemeinheit und des Begriffs auf der einen und des Einzelnen auf der anderen Seite. Lässt sich die Formulierung, der subjektive Denker existiere in seinem Denken, noch als ,Einheit von Denken und Existieren‘ lesen, so wird durch die Begriffe ,Innerlichkeit‘ und ,Isolation‘ deutlich, dass die Bezogenheit von Existenz und Denken als Abstand oder Unterschied verstanden werden muss. In der vierten LessingThese heißt es dazu, das „Dasein“ sei das „Spatiierende, das auseinander fällt“.24 Mithin würde Climacus dem gleich zu Beginn der Phnomenologie des Geistes formulierten Satz Hegels, nach der die Philosophie „wesentlich im Elemente der Allgemeinheit“ sei, „die das Besondere in sich schließt“, gewiss widersprechen.25 Vielmehr muss die Differenz zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen, zwischen Singularität und Begriff als unauflöslicher Widerspruch oder als Paradox gedacht werden. Diese in der Nachschrift nur knapp benannte Figur kann anhand zweier Bemerkungen aus dem früheren pseudonymen Werk verdeutlicht werden. In den Philosophischen Brocken streut Climacus eher beiläufig die folgende Aussage in den Gedankengang ein: Dies ist dann das höchste Paradox des Denkens, etwas entdecken zu wollen, was es selbst nicht denken kann. Diese Leidenschaft des Denkens ist im Grunde überall im Denken zur Stelle, auch in dem des Einzelnen, insofern er ja denkend nicht bloß er selbst ist.26

Hier ist die in der Nachschrift benannte Struktur in anderer Hinsicht gefasst: Der Einzelne ist, sofern er denkt, nicht bloß er selbst – nämlich nicht Einzelner, nicht Singularität. Er ist vielmehr als denkend wesentlich in der Sphäre des Allgemeinen. Dieses Paradox des Denkens ist im subjektiven Denker auf die Spitze gestellt, in dem das Allgemeine und der Einzelne unvermittelbar aufeinander stoßen; insofern ist der Bezug des subjektiven 24 AUN1, 111 / SKS 7, 114. 25 Hegel Phn., TWA 3, S. 11. Freilich bezeichnet das Hegelsche ,Besondere‘ ohnehin nicht die singuläre Existenz des Einzelnen; mithin lassen sich die Ansätze Kierkegaards und Hegels auch nicht unmittelbar miteinander konfrontieren. Ihre wesentliche Differenz liegt vielmehr darin, wie das Einzelne ,gedacht‘ (oder gerade nicht gedacht) wird. 26 PB, 35 / SKS 4, 243.

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Denkers auf sein Denken stets notwendig paradox. Entsprechend heißt es auch im Begriff Angst: „Aber ,Selbst‘ bedeutet eben den Widerspruch, dass das Allgemeine als das Einzelne gesetzt ist.“27 Im Blick auf die Nachschrift ist vor diesem Hintergrund festzuhalten: Die Doppelreflexion ist nicht die Bewegung eines bloßen ,Transfers‘ oder eines bruchlosen Herübersetzens von einer Sphäre in die andere. Vielmehr ist sie eine unabschließbare Doppelbewegung, die unaufhebbar zwischen dem Denken und dem Einzelnen, dem Einzelnen und seinem Denken schwebt. In systematischer Hinsicht lässt sich dieser Sachverhalt auch so ausdrücken, dass der Einzelne im Denken niemals aufgeht; oder dass die Singularität im Modus des Begriffs nicht reprsentiert, nicht dargestellt werden kann. Mithin benennt die Doppelreflexion nicht allein die Zwiegestalt des subjektiven Denkers, sondern verweist zugleich auf das grundsätzliche Problem einer Erfassung und Darstellung des Einzelnen im Denken (als dem Allgemeinen). Schon die Doppelreflexion als solche ist eine Bezeichnung des Indirekten, des uneinholbaren Umwegs, dem ein jedes Denken sich ausgesetzt sieht, das auf den Einzelnen ausgreift: Sie beschreibt den paradoxen Akt, ,etwas‘ begrifflich fassen zu wollen, das sich dem begreifenden Zugriff wesentlich entzieht. An dieser Stelle kommt die Nachschrift – und bezeichnenderweise bevor explizit von der Mitteilung die Rede ist – einer zentralen Frage der indirekten Methode näher als irgendein anderer Text Kierkegaards: dem Darstellungsproblem angesichts des inkommensurablen Singulären, das über eine bloße Kommunikationstheorie hinausweist. Es ist allerdings für Kierkegaards Erörterung der indirekten Methode im Ganzen charakteristisch, dass diese Darstellungsstruktur nicht ausdrücklich thematisiert wird. Climacus weist die Doppelreflexion im Verhältnis des subjektiven Denkers zu sich selbst auf – dem strukturellen Problem einer ,Darstellung des Undarstellbaren‘ hingegen gilt nicht das Interesse der Untersuchung. Überdies bleibt die Ausführung zur Doppelreflexion skizzenhaft: Zwar ist die Doppelheit des subjektiven existierenden Denkers – als Denker einerseits, als existierender Einzelner andererseits – in aller Klarheit bestimmt, und auch wird hinlänglich deutlich, dass die Doppelreflexion der Ausdruck für eben diese Kluft zwischen dem Unvereinbaren ist. Wie aber die Dopplung der Reflexion hier genau zu verstehen ist, wie also der existierende Denker seine Doppelgestalt reflektierend vollzieht, bleibt unausgeführt. 27 BA, 79 / SKS 4, 381. Vgl. ausführlich unten, IV.2.2.

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In diesem Zusammenhang ist abschließend auf eine Uneindeutigkeit in Climacus’ ,Grundlegung‘ der ersten Lessing-These hinzuweisen: Es ist nämlich unklar, wie Climacus das Element des Denkens im existierenden Denker auffasst. Genauer: Es stellt sich die Frage, ob dieses Denken, für sich genommen, dasselbe Denken ist wie das objektive Denken. In diesem Fall bestünde der Unterschied allein darin, dass das subjektive Denken die (als solche objektive) ,Denksphäre‘ auf die Existenz des Einzelnen bezieht: Die Singularität träte dann gleichsam ,additiv‘ zum Denken hinzu; die Aneignung wäre als ,Realisation‘ des bloß Gedachten in Existenz verstanden. In der Tat ist es nicht auszuschließen, dass Climacus platonisierend ein unbewegliches ,Reich der Begriffe‘ oder ,Kategorien‘ annimmt, das erst durch Bezugnahme des subjektiven Denkers in Bewegung gerät. Dann aber wäre einerseits dieses ,logische System‘ zunächst auszuweisen, sofern es die Basis der ,Realisation‘ bezeichnete. Andererseits wäre zu erläutern, wie eine solche ,Realisation‘ als Übersprung von einer Sphäre in die andere zu verstehen wäre – denn offenbar kann die Existenz nicht bruchlos in ihrem ,Reich‘ reproduzieren, was sich anderswo ,bloß‘ würde denken lassen.28 Soll aber die Doppelreflexion nicht allein als ,äußeres Hinzutreten‘ der Singularität verstanden werden, dann müsste Climacus den Unterschied ausdrücklich machen. Er müsste erläutern, dass im subjektiven Denker das Denken selbst seiner Struktur nach anders aufgefasst wird als im Objektiven: nämlich als ein grundstzlich und in sich unabgeschossenes und experimentelles Denken, als gegenkehriges Sich-Durchkreuzen, das angesichts der inkommensurablen Existenz jeden gesetzten Begriff als unzureichend zurücknähme. Die Bestimmung, nach welcher der subjektive Denker ,denkend das Allgemeine denkt‘, wäre dann wenigstens fragwürdig. Dass die Doppelreflexion eine unabgeschlossen-schwebende Doppelbewegung und mithin den uneinholbaren Umweg des Indirekten bezeichnet, steht außer Zweifel. Es bleibt allein die Frage offen, ob diese 28 Die ,Forderung‘ nach einer solchen Erläuterung bringt keineswegs einen äußerlichen Gesichtspunkt ins Spiel und verlangt auch nicht, das Existieren in der Sphäre des Denkens behandelt zu sehen. Eine solche ,Klärung‘ müsste vielmehr ein Anliegen des subjektiven existierenden Denkers selbst sein: Ist dieser nämlich an seinem Denken interessiert, so muss er doch notwendig zugleich daran interessiert sein, wofr er hier eigentlich interessiert ist. Vgl. hierzu allerdings eine Partie in der ,Dialektik der Mitteilung‘ 1847, in der Kierkegaard eine ähnliche Frage unter anderen Voraussetzungen abweist: Werde die Frage ,Was ist das Ethische?‘ gestellt, so frage man ,unethisch nach dem Ethischen‘ (vgl. Papir 365:7 (DM, 90 / SKS 27, 394)).

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Schwebe durch ein ,Hinzukommen‘ der Existenz zum Denken erwirkt ist – oder ob das Denken selbst verwandelt und in Bewegung gesetzt wird. Im Ganzen zeigt sich, dass der Eingang der ersten Lessing-These den Hiatus zwischen dem Allgemeinen und dem Einzelnen keineswegs in wünschenswerter Ausführlichkeit erläutert.29 Man wird diese ,Begründungslücke‘ nicht einfach dem ,experimentellen‘ Verfahren des Climacus zuschlagen dürfen, der offenbar nicht auf die systematische Deduktion eines philosophischen Gedankengefüges abzielt: Das strukturelle Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinem wird in Kierkegaards weit gespannter Reflexion des Indirekten an keiner Stelle umfänglich durchdacht; die Kluft zwischen beiden Sphären bleibt vorausgesetzt.30 Wenn auch die Doppelreflexion im Einzelnen nicht vollständig zur Klarheit kommt, so ist doch hinsichtlich des Begriffs der Mitteilung in der Lessing-These ein bemerkenswertes erstes Ergebnis festzuhalten: Die Erörterung der Mitteilung beginnt bei Climacus gerade nicht mit dieser selbst – die ,Basis‘ bildet der subjektive existierende Denker, und in diesem wird auch der Zentralbegriff der Doppelreflexion zuerst aufgewiesen. Trotz der Unschärfen im Detail besteht kein Zweifel, dass die Doppelreflexion die Inkommensurabilitt der Existenz für das Denken bezeichnet – und mithin die Aufmerksamkeit des subjektiven Denkers darauf, die singuläre Existenz nicht mit der Allgemeinheit des Denkens zu ,verwechseln‘. Dieser Gedanke bildet den Ausgangspunkt der ersten Lessing-These – und von diesem Gedanken her und mit beständigem Blick auf ihn zurck entwickelt Climacus die ,Dialektik der Mitteilung‘.

29 Eine nähere Erörterung dieser Frage müsste insbesondere auf die oben kurz zitierte vierte Lessing-These eingehen. Dort werden die beiden Sätze ,Ein logisches System kann es geben‘ und ,Ein System des Daseins kann es nicht geben‘ einander gegenübergestellt und anhand der Begriffe von ,Abgeschlossenheit ‘ und ,Unabgeschlossenheit‘ diskutiert. Eine einfache Antwort auf die Frage, welcher Art denn das ,unabgeschlossene‘ Denken im Subjektiven ist, gibt allerdings auch dieser Abschnitt nicht; vgl. AUN1, 111 – 117 / SKS 7, 105 – 120. 30 In dieser Hinsicht wäre es einmal mehr aufschlussreich, die indirekte Methode Kierkegaards mit dem kritischen Gedanken Nietzsches zu konfrontieren, der den Begriff und das Allgemeine aus einer produktiven Reduktion der vielgestaltigen und unbeständigen Wirklichkeit und einer ,Vergröberung‘ des Singulären hervorgehen lässt (vgl. z. B. Nietzsche Ueber Wahrheit und Lge im aussermoralischen Sinne, KSA 1, S. 873 – 890). Eine solche genealogische Perspektive ist freilich Kierkegaard, der darin den qualitativen Gegensatz aufgeweicht sähe, gänzlich fremd. Gerade deshalb aber könnte sie den bei ihm vorausgesetzten Hiatus zwischen Allgemeinem und Einzelnem beleuchten.

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d) Die Doppelreflexion der Mitteilung Dass die Bewegung der Lessing-These vom subjektiven Denker hin zur Mitteilung geht, zeigt sich bereits in der Art und Weise, in der nun die Mitteilung selbst eingeführt wird: Die Verschiedenheit zwischen dem subjektiven und dem objektiven Denken muss sich auch in der Form der Mitteilung äußern, das heißt, der subjektive Denker muss sofort darauf aufmerksam werden, dass die Form künstlerisch ebensoviel Reflexion haben muss wie er selbst existierend in seinem Denken hat. Künstlerisch, wohlgemerkt, denn das Geheimnis besteht nicht darin, dass er die Doppel-Reflexion direkt aussagt, da eine solche Aussage eben ein Widerspruch ist.31

Die Unterscheidung von objektivem und subjektivem Denken bildet also die Basis noch der Mitteilungsbestimmung. Climacus bertrgt die Doppelreflexion des subjektiven Denkers auf seine Mitteilung: So wie der subjektive Denker gleichsam ,für sich‘ weiß, dass sein je einzelnes Existieren nicht im Denken aufgeht, ebenso muss auch seine Mitteilung auf diese Differenz aufmerksam sein und sie zugleich gestaltend (,künstlerisch‘) in ihre Form umsetzen. Der Mitteilung kommt die gleiche Unabgeschlossenheit und Schwebe des Indirekten zu wie der ,existenziellen‘ Doppelreflexion; sie ist die Form des notwendigen und uneinholbaren Umwegs. Mithin ist die Mitteilung gerade deshalb, weil sie von der ,existenziellen‘ Doppelreflexion ausgeht und diese wiederholt, indirekte Mitteilung. Der erläuternde Zusatz macht diese Notwendigkeit der doppeltreflektierten Mitteilung deutlich: Die (,existenzielle‘) Doppelreflexion soll nicht direkt ausgesagt werden, stünde doch eine solche Aussage im Widerspruch zu dem, was sie aussagen soll. Diese Bemerkung bestätigt gleichsam im Umkehrschluss die oben erarbeitete These, die Doppelreflexion im subjektiven Denker sei selbst bereits eine Kennzeichnung des Indirekten: Ist nämlich eine direkte Aussage ein Widerspruch zu der in ihr ausgesagten ,existenziellen‘ Doppelreflexion, so ist eo ipso bereits diese indirekt. Dieses Indirekte – verstanden als Inkommensurabilität und Unabgeschlossenheit der Existenz – darf eben nicht auf einer zweiten Ebene direkt ausgesagt werden. Mit anderen Worten: Die direkte Mitteilung des Indirekten ist ein Widerspruch. Diese Formulierung macht allerdings auf eine doppelte Eigentümlichkeit der indirekten Form aufmerksam, die Climacus abermals nicht selbst diskutiert. Erstens fragt sich, wie genau dieser Widerspruch zu fassen 31 AUN1, 65 f. / SKS 7, 74.

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ist. Climacus legt nämlich wenigstens nahe, eine direkte Aussage oder Mitteilung der ,existenziellen‘ Doppelreflexion wäre zwar möglich, aber nicht angemessen. Die direkte Form der Aussage wäre in diesem Fall nur deshalb abzulehnen, weil sie ihrem Gegenstand nicht korrespondiert oder entspricht. Climacus sagt nicht – oder wenigstens nicht ausdrücklich –, eine direkte Mitteilung des Indirekten sei ein Widerspruch, weil sie unmöglich ist. In der Tat wäre der Gedanken aber so präziser gefasst: Entgeht nämlich die existierende Singularität in ihrer Unabgeschlossenheit und Singularität beständig einem ,abschließenden‘ Begreifen und kann sich nur in der gegenkehrigen Bewegung der Doppelreflexion vollziehen, dann lässt sich gerade diese Bewegung selbst nicht direkt fassen – und deshalb auch nicht direkt aussagen oder mitteilen. Das heißt: Das Indirekte entzieht sich seiner Struktur nach dem Direkten; keineswegs ist das Indirekte (die Doppelreflexion) ein ,Gedanke‘, der sich mehr oder minder konsequent direkt oder indirekt mitteilen lassen könnte – steht doch schon die ,existenzielle‘ Doppelreflexion selbst in spannungsreichem Verhältnis zum Denken und zum Denkmöglichen. Diese Struktur gilt es deshalb hervorzuheben, weil Kierkegaards Mitteilungsreflexion das Problem nirgends derart aufstellt: Sofern er auf die ,Mitteilung des Indirekten‘ überhaupt aufmerksam ist, heißt es stets bloß, eine direkte Mitteilung sei nicht die konsequente Verdopplung des ,Gehalts‘ in der ,Form‘. Dass es freilich mit diesem ,Gehalt‘ seine eigene Bewandtnis hat und mithin die Form-Inhalt-Differenz außerordentlich fragwürdig ist, wird von Kierkegaard nicht ausdrücklich bedacht. Diese Frage ist allerdings gerade für die Bestimmung der Mitteilungsform von wesentlicher Bedeutung; und dies zeigt sich zweitens, wenn man Climacus’ Bewegung einen Auszug mehr gibt: Ist es nämlich ein Widerspruch, die ,existenzielle‘ Doppelreflexion direkt mitzuteilen, dann ist es gleichfalls ein Widerspruch, die indirekte Mitteilung dieser Doppelreflexion ihrerseits direkt zur Darstellung zu bringen. Ohne dass Climacus dies ausdrücklich macht, berührt er das eingangs dieser Untersuchung entfaltete systematische Problem einer direkten Darstellung des indirekten Verfahrens. Da Climacus sein eigenes Vorhaben aber nicht thematisiert, bleibt der Status einer Darstellung der indirekten Mitteilung unklar. Tatsächlich muss die indirekte Mitteilung die Inkommensurabilität und Unabgeschlossenheit dessen, ,was‘ sie mitteilt oder wovon ihre Mitteilung ausgeht, wiederholen – und diese Bewegung muss sich dort nochmals wiederholen, wo die indirekte Mitteilung selbst erläutert

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wird.32 Es wird sich zeigen, dass Climacus’ Praxis der Darstellung dieser Forderung durchaus entspricht. Noch ungeklärt ist allerdings bis zu diesem Punkt, was Climacus genau unter Mitteilung versteht. Offensichtlich wird aber die Mitteilung auf den subjektiven Denker bezogen und geht in ihrer Bestimmung von diesem aus – ist doch ausdrücklich allein von ,seiner‘ Form der Mitteilung die Rede. In der Tat ist die Mitteilung nicht nur strukturell analog zur Doppelreflexion des subjektiven Denkers gefasst, sondern wird zunächst allein als sein ,Sich-Mitteilen‘ verstanden. Dies ist einer Anmerkung zu entnehmen, die Climacus hinzufügt: Die Doppel-Reflexion liegt schon in der Idee der Mitteilung selbst, dass die in der Innerlichkeit der Isolation existierende Subjektivität […] sich mitteilen will, also dass er zugleich sein Denken in der Innerlichkeit seiner subjektiven Existenz haben will und doch sich mitteilen will. Dieser Widerspruch kann unmöglich (außer für die Gedankenlosigkeit, und für die ist ja alles möglich) seinen Ausdruck in einer direkten Form finden.33

Hier ist nun dreierlei zu bemerken: Erstens zeigt sich, dass Climacus das Mitteilen eben als Sich-Mitteilen denkt – und nicht zuerst als Mitteilung von etwas an einen Anderen. Der ,Empfänger‘ und der ,Gegenstand‘ kommen dort, wo die Mitteilung erstmals präziser benannt wird, überhaupt nicht vor. Ist die ,Urszene‘ der Doppelreflexion die Innerlichkeit des subjektiven existierenden Denkers, so ist das Paradigma der Mitteilung offensichtlich sein Sich-Ausdrcken. Dieser reflexive Ansatz ist 32 Insofern sind hier drei Ebenen zu unterscheiden: Erstens das Indirekte der ,existenziellen‘ Doppelreflexion, zweitens das Indirekte in der Mitteilung dieser Doppelreflexion – und drittens schließlich das Indirekte in der Darstellung der indirekten Mitteilung. 33 AUN1, 65 Anm. / SKS 7, 74 Anm. In der ausgelassenen Passage macht Climacus in Parenthese eine etwas unklare Erläuterung zu der „in der Innerlichkeit der Isolation existierenden Subjektivität“. Diese wolle „durch die Innerlichkeit das Leben der Ewigkeit ausdrücken, wo alle Sozialität und alle Gemeinschaft sich nicht denken lässt, weil die Existenz-Kategorie: Bewegung sich hier nicht denken lässt, weshalb sich auch keine wesentliche Mitteilung denken lässt, weil von jedem angenommen werden muss, dass er wesentlich alles besitzt“. Die mehrdeutige Zuordnung ist wohl folgendermaßen zu verstehen: In der ,Ewigkeit‘, wo alles auf das persönliche Gottesverhältnis ankommt, ist keine Sozialität möglich, weil in dieser letzteren (der Sozialität) keine Bewegung gedacht werden kann; nämlich keine innerliche Bewegung, die nur in der Subjektivität selbst ihren Ort hat. Und weil hier alles auf die einzelne Subjektivität selbst ankommt, kann keine wesentliche Mitteilung gedacht werden, sofern das ,Leben der Ewigkeit‘ allein im einzelnen Subjekt selbst liegt.

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durchaus bemerkenswert, widerspricht er doch der gängigen Assoziation, die sich mit dem Terminus ,indirekte Mitteilung‘ verbindet: dass jemandem etwas mitgeteilt wird, aber dies indirekt. Einmal mehr zeigt sich, dass das Indirekte in der Nachschrift nicht einer kommunikationstheoretischen Überlegung im engeren Sinne entspringt – sondern von der Singularität des Existierenden ausgeht. In der Tat ist nämlich zweitens die Doppelreflexion weiterhin von der Inkommensurabilität des Einzelnen her verstanden – aber zugleich gegenüber ihrer ersten Formulierung verschoben. Hatte die Doppelreflexion zunächst ihren Ort im Verhältnis von Existieren und Denken, so bezeichnet sie nun ein zwar analoges, aber doch zu unterscheidendes Doppel: die Inkommensurabilität von Innen und Außen. 34 Die doppelte Reflexion, die nach Climacus in der ,Idee der Mitteilung selbst‘ liegt, besteht darin, dass der Existierende sich einerseits in der Innerlichkeit seiner Existenz und seines Denkens ,haben‘ will – andererseits aber durch die Mitteilung eine Bewegung nach außen beschreibt. Es ist beachtenswert, dass nun die beiden Terme, zwischen denen sich im Vorherigen die Doppelreflexion aufgespannt hatte – Denken und Existenz –, gemeinsam auf der Seite der Innerlichkeit stehen.35 Durch das Sich-Mitteilen ins Außen kommt offensichtlich eine neue doppelte Reflexion hinzu. Gleichwohl ist das Motiv dasselbe wie zuvor. Beide Formen verschränken sich ineinander und zugleich mit der Dialektik von Allgemeinem und Einzelnem: Die Singularität der existierenden Innerlichkeit fügt sich nicht der äußeren Repräsentation in der Allgemeinheit des objektiven Denkens – und eben darin liegt die Notwendigkeit des Indirekten.36 Drittens schließlich verweist der Passus nochmals auf den soeben diskutierten Widerspruch einer direkten Darstellung – und tatsächlich spricht nun Climacus von einer Unmçglichkeit der direkten Form: Das 34 Vgl. zu dieser Figur im Detail den III. Teil dieser Untersuchung zur Ironie, bes. unten, III.1.6. und III.3. 35 Darin deutet sich an, dass das ,Existenzdenken‘ auch als Denken von dem objektiven zu unterscheiden ist. Die Formulierung ließe sich allerdings auch so lesen, dass ,Denken‘ hier die Doppelreflexion im Ganzen (und nicht bloß eines ihrer Glieder) bezeichnet. Nach wie vor ist Climacus’ Darstellung also uneindeutig. 36 Vgl. zu dieser Verschränkung auch Philipp Schwab „Innen und Außen. Zu Kierkegaards Auseinandersetzung mit der romantischen Ironie vor dem Hintergrund der Mitteilungsform von Entweder/Oder“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2008, S. 38 – 52, hier S. 50 f.

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spannungsreiche Verhältnis von inkommensurabler Innerlichkeit und äußerem Ausdruck kann nur in der Form der Doppelreflexion gestaltet werden. Wenigstens in diesem Verständnis von Mitteilung – als Sich(Ent-)Äußern der Innerlichkeit des existierenden Denkers – formuliert Climacus selbst die ,starke‘ Fassung des Indirekten. Es wird dies allerdings nicht die einzige Gestalt der Mitteilung bleiben. Insbesondere angesichts der zuletzt zitierten ,Unmöglichkeit‘ der direkten Mitteilung drängt sich freilich dem Leser die Frage auf, ob Climacus sich nicht selbst in eben jenen Widerspruch verstrickt, sofern er die Doppelreflexion gerade direkt ausgesagt hat – denn ein ,Experiment‘ ist bislang noch nicht deutlich geworden. Wie Climacus diesen ,Widerspruch‘ löst, gilt es im folgenden Gedankengang zu zeigen. Haben nämlich die Erörterungen zur ,Grundlage‘ der Mitteilungsdialektik noch eine annähernd geschlossene Form, so verliert sich die nähere Bestimmung der Mitteilung in immer neuen Sprüngen und Abschweifungen. Dabei wird Climacus zentrale Begriffe der Mitteilungsform wie beiherspielend einwerfen, sie zurückstellen, später wieder aufgreifen und mit neuen Bedeutungsnuancen versehen.

e) Der Empfänger und das Gottesverhältnis Climacus geht nun in der näheren Erläuterung der Mitteilung so vor, dass er die spezifische Form der doppeltreflektierten Mitteilung via negationis beleuchtet und zunächst die ,normale‘ Form der Kommunikation in den Blick nimmt. Hier richtet sich die Aufmerksamkeit der Untersuchung erstmals auf das Verhältnis „zwischen Mensch und Mensch“. Die „gewöhnliche Kommunikation“ besteht nun in Folgendem: „Wenn der Eine etwas vorträgt, und der Andere sich wörtlich zu dem Gleichen bekennt, dann wird von ihnen angenommen, dass sie einig sind und einander verstanden haben.“37 Hier ist der Ort der Übereinstimmung der Gehalt einer Aussage, der von beiden geteilt und für gültig oder wahr befunden wird. Diese Art der Kommunikation beweist nun aber nach Climacus hinlänglich, dass der Vortragende nicht aufmerksam ist auf die „Doppelheit des Gedanken-Daseins“ und deshalb auch nicht auf die „Doppel-Reflexion der Mitteilung“.38 Der Vortragende hat also nicht 37 AUN1, 66 / SKS 7, 74. Climacus verwendet hier in der Tat den sonst bei Kierkegaard höchst seltenen Begriff der Kommunikation (dän. ,Communication‘). 38 AUN1, 66 / SKS 7, 74.

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den Widerspruch zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen im Blick, er macht seine Aussage als bloß allgemeine und somit allgemein verständliche: Er ,übergeht‘ die zweite Seite des ,Gedanken-Daseins‘, die Einzelheit der Innerlichkeit – und deshalb ist er nicht aufmerksam auf die Doppelreflexion der Mitteilung. Nochmals zeigt sich in der Struktur dieses Arguments, dass Climacus die Mitteilung von der Doppelreflexion des subjektiven Denkers her versteht. Zugleich ist aber eine terminologische Verschiebung festzuhalten: Der Ausdruck ,Doppelreflexion‘ wird nur noch für die Mitteilung verwendet; die ,erste‘ Gestalt der Doppelreflexion im existierenden Denker heißt nun ,Doppelheit‘. Noch in der Abstoßung von dieser ,existenzfernen‘ Art der Mitteilung kommt Climacus, wie im Vorbeigehen, erstmals in eigener Sache auf die Mitteilung an jemanden zu sprechen: [Der Vortragende] ahnt deshalb nicht, dass die Art von Einigkeit das höchste Missverständnis sein kann, und natürlich auch nicht, dass, ebenso wie der subjektiv existierende Denker sich durch die Doppelheit frei gemacht hat, das Geheimnis der Mitteilung eben darauf beruht, den Anderen freizumachen, und eben deshalb darf er sich nicht direkt mitteilen, ja es ist sogar frevelhaft, das zu tun.39

In diesem Satz macht nun Climacus den Übergang von seinem Ausgangspunkt im subjektiven existierenden Denker zu einer Mitteilungstheorie im engeren Sinn, die sich am Empfnger orientiert; und mit der Perspektive verschiebt sich auch die ,Begründungslogik‘ der Doppelreflexion. In dem Übergangssatz sind Elemente beider Perspektiven ineinander verwoben: Zwar spricht Climacus nach wie vor vom ,Sich-Mitteilen‘ des subjektiven Denkers, und auch die Argumentationsbewegung geht von diesem hin zur Mitteilung: So wie der subjektive Denker sich in der ,Doppelheit‘ selbst freimacht, ebenso liegt auch das ,Geheimnis‘ der Mitteilung darin, den anderen frei zu machen. Das Argument selbst ist aber nicht dem subjektiven Denker entnommen, sondern zielt auf den Empfänger: Das Frei-Machen ist schon der Sprachform nach auf jemanden bezogen, der freigemacht wird. 40 Die Pointe in der Doppelreflexion der Mitteilung besteht nun nicht mehr in dem Widerspruch zwischen dem subjektiven Denker in seiner Innerlichkeit und seiner Äußerung im Sich39 AUN1, 66 / SKS 7, 74 f. 40 Freilich lässt sich der Gedanke mit einiger Umständlichkeit rückübertragen: Man kann die ,Aufmerksamkeit‘ des subjektiven Denkers auf seine inkommensurable Singularität so verstehen, dass sie ihn von einer Selbstverwechslung mit dem objektiven Denken ,befreit‘.

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Mitteilen – sondern darin, dass jemandem ,etwas‘ mitgeteilt wird, wo nichts mitgeteilt werden darf. Das ,Geheimnis‘ liegt darin, dass der Empfänger selbst ein ,subjektiv existierender Einzelner‘ ist, dem deshalb nichts mitzuteilen ist, weil er aus und im Verhältnis zu sich selbst existieren ,soll‘: Die Doppelreflexion der Mitteilung entspringt, sofern sie auf den Empfänger bezogen wird, der Verschiedenheit und der ,Selbststndigkeit‘ des anderen Einzelnen. Nachdem die Doppelreflexion zuerst im Verhältnis von Denken und Existieren, und sodann als Widerspruch von Innen und Außen im Sich-Mitteilen bestimmt worden ist, nimmt sie nun als adressatenbezogene Doppelreflexion eine dritte Stellung ein. Allerdings wird auch diese Figur nicht weiter entwickelt. Dabei wäre sie insbesondere bezüglich des Mitteilers hochgradig erläuterungsbedürftig: Ein ,Frei-Machen‘ des Empfängers besteht offensichtlich darin, dass der Mitteiler zugleich mitteilt und nicht mitteilt. Wie dies allerdings genau zu verstehen wäre – etwa als eine gleichzeitige ,Selbstzurücknahme‘ des Mitteilers – wird nicht gesagt. Es ist vielmehr für Climacus’ Vorgehen bezeichnend, dass er nicht bei dem Empfänger verweilt, sondern die Perspektive wechselt und nun den Bereich der doppeltreflektierten Mitteilung charakterisiert. Schon am Ende des zuletzt zitierten Satzes hatte Climacus gesagt, die direkte Mitteilung sei ,frevelhaft‘, und hieran anknüpfend heißt es weiter: Dies Letzte gelte „um so mehr, je mehr das Subjektive das Wesentliche ist, und somit vor allem im Religiösen.“41 Obgleich dem Religiösen zweifelsohne – denkt man an das eingangs zitierte ,Problem‘ der Nachschrift – im Besonderen Climacus’ Aufmerksamkeit gilt, ist festzuhalten, dass die Doppelreflexion nicht auf den Bereich des Religiösen eingeschrnkt wird. Schon die Herleitung der Mitteilungsfrage aus dem subjektiven existierenden Denker macht deutlich, dass Climacus die Frage nach dem Religiösen nicht zum Ausgangspunkt der Bestimmung macht. Die zentrale und in der Lessing-These im Ganzen sich durchhaltende Gegenüberstellung ist die von objektivem und subjektivem Denken. So führt dann auch Climacus den „subjektive [n] religiçse[n] Denker“42 als zustzliche Bestimmung ein. Gerade hinsichtlich des Gottesverhältnisses allerdings erkennt der subjektive Denker den „Betrug“ der direkten Mitteilung, und dies in vierfacher Hinsicht: Sie betrügt erstens Gott, nämlich um die „Anbetung“ durch den „anderen Menschen“; zweitens betrügt der Mitteiler sich selbst, indem er vergisst, 41 AUN1, 66 / SKS 7, 75 [Herv. v. Verf.]. 42 AUN1, 67 / SKS 7, 75 [Herv. v. Verf.].

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dass er selbst ein Existierender ist;43 drittens betrügt er den „anderen Menschen“, da dieser „nun möglicherweise ein nur relatives Gottesverhältnis erreicht“; und viertens betrügt er abermals sich selbst, weil das direkte Mitteilen „ihn mit seinem ganzen Denken in Widerspruch bringt“.44 An den letzten Betrug anknüpfend schärft Climacus schließlich ein, diesen Zusammenhang selbst „wiederum direkt auszusagen, würde wieder ein Widerspruch sein, weil die Form die direkte wäre trotz aller Doppelreflexion der Aussage.“45 In diesem Absatz zeigt sich exemplarisch das Vorgehen des Climacus: Die Darstellung springt von einem Thema zum nächsten, verknüpft verschiedene Stränge miteinander und illustriert das Gesagte durch Beispiele, die aber nicht vollständig durchgeführt werden. Dabei beleuchtet Climacus seinen jeweiligen ,Gegenstand‘ durch Abgrenzung und verweist wiederholend auf zuvor Gesagtes zurück, nuanciert aber seine früheren Bestimmungen am gegenwärtigen ,Fall‘ neu – und überlässt so im Ganzen dem Leser die Schlüsse. Climacus wendet sich vom FreiMachen des Empfängers dem Gottesverhältnis zu, sagt aber gerade nicht, wie hier eine ,korrekte‘, doppeltreflektierte Mitteilung zu gestalten wäre, sondern führt aus, inwiefern ihr Gegenteil – nämlich die direkte Mitteilung – einen mehrfachen Betrug bedeutet. Sodann ist auch der Rückverweis auf den ,Widerspruch‘ der direkten Aussage nicht eine einfache Wiederholung des Vorigen: Der Gehalt, dessen direkte Aussage ein Widerspruch wäre, ist hier nicht mehr allein die Doppelreflexion des existierenden Denkers, sondern bezieht sich gleichermaßen auch auf das Gottesverhältnis des Empfngers. Dabei verwendet Climacus übrigens den Terminus ,Doppelreflexion der Aussage‘ in einem loseren Sinne: Der Satz, dass eine direkte Mitteilung bezüglich des Gottesverhältnisses ein Betrug wäre, ist nicht unmittelbar selbst eine doppeltreflektierte Aussage; vielmehr verweist er seinem Inhalt nach auf die Doppelreflexion. Sichtbar wird in jedem Fall, wie Climacus dem scheinbaren Widerspruch entgeht, dass er dies selbst ja soeben direkt ausgesagt hat: Zwar enthält seine Darstellung ein ,direktes‘ Element, nämlich den Aufweis, dass eine direkte Mitteilung Betrug ist – damit ist aber die in Frage ste43 Worin genau diese Verwechslung besteht, wird einmal mehr nicht ausgeführt. Sie besteht wohl darin, dass der Mitteiler sich mit einem Lehrer verwechselt, der über eine ,definitives‘ Resultat verfügt – während seine ,Aufgabe‘ aber darin besteht, sich in Innerlichkeit der eigenen Existenz zuzuwenden. 44 AUN1, 67 / SKS 7, 75. 45 AUN1, 67 / SKS 7, 75.

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hende Sache keineswegs umfassend erörtert. Dem Leser obliegt der Schluss, wie denn in der konkreten Frage des Gottesverhältnisses eine ,korrekte‘ Mitteilung zu gestalten wäre, die den Empfänger freimacht, den mehrfach dimensionierten Betrug vermeidet und überdies den Widerspruch umgeht, direkt zu sagen, was nicht direkt gesagt werden soll. Dabei präsentiert Climacus kein ,Rätsel‘ in dem schlichten Sinn, dass er etwas Bestimmtes meint, aber kunstvoll verhüllt – die Textbewegung zielt vielmehr, indem sie Lücken lässt, auf eine produktive Aneignung, in welcher der Leser oder Empfänger selbst tätig werden muss.

f) Hypothese und Aneignung Das soeben skizzierte ,experimentelle‘ Verfahren des Climacus konkretisiert sich nun in einem spezifischen Kunstgriff, den er im Anschluss an die Erläuterungen zum Gottesverhältnis erstmals und im Folgenden durchgehend verwendet. War schon das Religiöse in gewissem Sinne ein Beispiel für das Subjektive – wenn auch freilich ein Beispiel sensu eminentori –, so beleuchtet Climacus dieses abermals durch ein Beispiel: Gesetzt also, es wäre die Lebens-Anschauung eines religiös existierenden Subjekts, dass man keine Schüler haben dürfe, dass das Verrat sowohl gegen Gott als auch gegen Menschen ist, gesetzt, er wäre ein wenig dumm […] und sagte dies direkt mit Salbung und Pathos: was dann? Ja, dann würde er verstanden werden, und es würden sich bald zehn melden, die bloß dafür, einmal in der Woche umsonst barbiert zu werden, Engagement dafür suchten, diese Lehre zu verkünden, d. h. er hätte das besondere Glück gehabt, zur weiteren Bekräftigung der Wahrheit der Lehre Schüler zu bekommen, die diese Lehre, keine Schüler zu haben, annähmen und verbreiteten.46

Das Beispiel illustriert den Betrug der direkten Mitteilung: Die direkte Aussage hat unweigerlich zur Folge, das in ihr Ausgesagte zu verfälschen und ins Gegenteil zu verkehren. Entscheidend ist aber nun die Form dieses Beispiels. Die scherzende Drastik des Bildes verschleiert nämlich, dass dem Leser dasjenige, worum es ,eigentlich geht‘, gar nicht mitgeteilt wird: Wie eine Mitteilung sich in diesem ,Fall‘ widerspruchslos zu gestalten hätte, wird nicht gesagt. Auch ist die Eingangsformel „Gesetzt also“ zu beachten, die das Beispiel sogleich in eine Hypothese verwan-

46 AUN1, 67 / SKS 7, 75 f.

1. Die Doppelreflexion des subjektiven Denkers

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delt: Ob es sich in der Tat so verhält wie im Beispiel, bleibt offen – dem Leser wird bloß ein Konsequenzverhältnis vorgeführt. Mithin handelt es sich um ein hypothetisch eingeführtes Beispiel für das Scheitern der direkten Mitteilung – und Exempel dieser Art wird Climacus in der Folge immer wieder verwenden. Offensichtlich ist die Form dieser Beispiele in zweifacher Weise indirekt: erstens dadurch, dass Climacus die doppeltreflektierte Mitteilung ex negativo beleuchtet, indem er vom Scheitern ihres Gegenteils ausgeht; und zweitens dadurch, dass Climacus diese via negationis gegebene Beleuchtung experimentell durchführt. Climacus beginnt den ersten Satz eines jeden dieser Beispiele stets mit dem hypothetischen ,gesetzt‘, gefolgt von einer Verbform im Konjunktiv: „Gesetzt also, es wäre…“, „Gesetzt also, es wollte jemand…“47 oder auch mit der von Jean Paul erborgten Formel „posito, ich setze“.48 Wenig später hebt Climacus dieses Verfahren in einer Anmerkung eigens hervor: Ich sage bloß: gesetzt, und unter dieser Form habe ich ja [das] Recht, das Gewisseste und das Widersinnigste vorzubringen; denn selbst das Gewisseste wird ja nicht als das Gewisseste gesetzt, sondern als das Angenommene gesetzt, um das Verhältnis zu erklären; und selbst das Widersinnigste wird ja nicht wesentlich gesetzt, sondern angenommenerweise, um das Konsequenz-Verhältnis zu beleuchten.49

Diese Hypothesenform ist Climacus’ prominentester ,Operator‘ der Doppelreflexion in ihrer eigenen Bestimmung. Durch den Kunstgriff des Hypothetisch-Indirekten ,löst‘ Climacus das eben angezeigte Problem, sich in den Widerspruch einer direkten Aussage der Doppelreflexion zu verstricken. Nicht nur verlieren sich die Ausführungen in eine oftmals lose Anreihung von Beispielen, auch der Gehalt dieser Beispiele wird in die Schwebe gesetzt: Climacus sagt nicht, die Sache stehe so wie im Beispiel, vielmehr hält er durch das Spiel des ,gesetzt – dann‘ die Doppelreflexion der Mitteilung in Bewegung, während er sie gleichzeitig ex negativo beleuchtet. Man wird dabei auf den ,Vorspann‘ zu Lessing zurückverweisen dürfen: In der Form der Hypothese wiederholt Climacus die Hin- und Herwendung von Bezugnahme auf und Abgrenzung von

47 AUN1, 67 – 69 / SKS 7, 75 – 77. 48 AUN2, 95 Anm. / SKS 7, 355 Anm.; vgl. auch AUN1, 72 / SKS 7, 80. Kierkegaard verwendet die ironische Floskel häufig, vgl. bes. V, 209 f. / SKS 4, 500 sowie die Erläuterung SKS K7, 299 f. 49 AUN1, 69 Anm. / SKS 7, 77 Anm.

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Lessing, die in der Schwebe lässt, wer im Folgenden eigentlich sprechen wird und in welcher Weise das Gesagte aufzunehmen ist.50 Das zitierte erste Beispiel schließt die Diskussion von Empfänger und Gottesverhältnis zunächst ab; wieder wechselt Climacus die Richtung und kehrt nun nochmals zum Ausgangspunkt zurück, zum Unterschied von subjektivem und objektivem Denken: Das objektive Denken ist gänzlich gleichgültig gegen die Subjektivität und dadurch gegen die Innerlichkeit und die Aneignung; seine Mitteilung ist daher direkt. Es folgt aus sich selbst, dass es deshalb keineswegs leicht zu sein braucht, aber es ist direkt, es hat nicht den Trug und die Kunst der DoppelReflexion, es hat nicht die gottesfürchtige und humane Sorgfalt jenes subjektiven Denkens im Sich-Mitteilen, es lässt sich direkt verstehen, es lässt sich leiern. Das objektive Denken ist deshalb bloß aufmerksam auf sich selbst, und deshalb keine Mitteilung, wenigstens keine künstlerische Mitteilung, insofern doch immer gefordert würde, den Empfangenden zu denken und auf die Form der Mitteilung im Verhältnis zum Missverständnis des Empfängers zu achten.51

Hier zeigt sich exemplarisch, wie Climacus scheinbar bekannte Bestimmungen aufruft, um dann aber unter der Hand neue Begriffe in die Darstellung der Doppelreflexion einzuführen – und dies abermals nicht direkt, sondern als Erläuterung dessen, was das objektive Denken als direkte Mitteilung nicht ist. So wird hier beiherspielend ein zentraler Terminus der Mitteilungstheorie genannt, ohne mit einem einzigen Wort erläutert zu werden: der Begriff der Aneignung. Blickt man auf das Vorherige zurück, so lässt sich mit dem Begriff zweierlei verbinden: Erstens kann die Aneignung auf den subjektiven existierenden Denker bezogen werden, von dem es hieß, dass er sein Denken erwerbe. Mit ,Aneignung‘ wäre dann die unaufhebbare Doppelreflexion gemeint, in welcher der subjektive Denker sein Denken, vom Allgemeinen abstoßend, auf die Innerlichkeit seiner Existenz richtet; sie wäre die ,Realisation‘ des Gedachten – eine Bewegung, für die Kierkegaard später bisweilen den Begriff der Reduplikation verwendet.52 Zweitens, und korrespondierend, 50 Diesen Rückbezug stellt auch Nientied her, vgl. Nientied Kierkegaard und Wittgenstein, S. 36. 51 AUN1, 67 f. / SKS 7, 76. Man beachte die Doppelform ,gottesfürchtig und human‘. Sie zeigt nochmals, dass der Fokus auf dem Religiösen liegt – die Doppelreflexion aber dennoch auf das Existieren als solches verweist. 52 Nämlich als ,Verdopplung‘ des Gedachten oder Gelehrten in der Existenz. Der Begriff ist bei Kierkegaard außerordentlich schillernd. In der Nachschrift wird der Begriff im Ganzen noch recht selten und dann kaum in mitteilungstheoretisch signifikantem Sinne verwendet (mit Ausnahme der gleich auszulegenden ,Ersten

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kann die Aneignung auf das ,Frei-Machen‘ des Empfngers verweisen: Indem Letzterem keine direkte Mitteilung gemacht wird, die er, wie im Beispiel, einfach nachsprechen könnte, ist er zur Selbsttätigkeit und eben zur Aneignung des Mitgeteilten aufgefordert. Es ist allerdings bezeichnend für Climacus’ durchaus verwirrendes Verfahren, dass eine wesentliche Bestimmung der Mitteilungsdialektik bloß im Vorbeigehen eingestreut wird: Auch der Begriff der Aneignung selbst wird gleichsam dem Leser zur Aneignung überantwortet. Dass im zitierten Passus aber offensichtlich die zweite Lesart der Aneignung im Vordergrund steht, wird darin deutlich, dass Climacus in den letzten Sätzen vornehmlich auf den Empfänger abhebt. Was nämlich dem objektiven Denken fehlt, ist die ,Aufmerksamkeit‘ auf den Empfänger – eben darum ist es keine Mitteilung. 53 Auch die hier eingestreuten Erläuterungen sind aber keineswegs unzweideutig. Die Forderung, dass die Mitteilung auf das ,Missverstndnis des Empfängers‘ zu achten habe, kann wiederum doppelt gelesen werden: Einerseits könnte die Wendung so verstanden werden, dass die doppeltreflektiert-subjektive Mitteilung ein Missverstehen des Empfängers zu verhindern hätte – wie jenes der Schüler, die die Lehre nachsprechen, dass man keine Schüler haben dürfe. Dann wäre allerdings nicht einsichtig, warum Climacus so prononciert vom Missverständnis spricht – und nicht bloß vom ,richtigen Verständnis‘. Überdies ist das Missverstehen der Schüler im Beispiel ja gerade das direkte Verstehen. So könnte auch andererseits das Missverständnis auf die Bestimmung des ,Trugs‘ bezogen werden, der hier gleichfalls neu und unerläutert eingebracht wird – der aber offensichtlich die doppeltreflektierte Kunst bezeichnet und also nicht mit dem ,Betrug‘ der direkten Mitteilung identisch ist.54 Dann wären der Trug und das ,Missverständnis‘ des Empfängers ein notwendiges Element der indirekten Mitteilung; allein dies vermöchte gegen das ,falsche‘, nämlich direkte Verstehen zu sichern. In diesem Sinne heißt es dann auch in der zweiten Lessing-These, bezüglich Sokrates: „Es ist insofern gerade das Richtige, nicht verstanden zu werden, denn dadurch ist man ja gegen Missverständnis gesichert.“55 und letzten Erklärung‘). Vgl. hierzu und zum Begriff im Ganzen unten, II.3.1.b) sowie II.4.2.b) und II.4.3.d). 53 Dies insofern, als die Mitteilung in starker Bedeutung immer den Empfänger im Sinn hat. Vgl. dazu die Anmerkung, in der Climacus ausführt, verglichen mit der ,üblichen‘ Form der Mitteilung erscheine es hingegen so, als sei die indirekte Form keine Mitteilung – weil sie um des Empfängers willen eben nichts mitteilt. 54 Dän. hier ,Svig‘ statt ,Bedrag‘. 55 AUN1, 75 f. / SKS 7, 83; „Missverständnis“ im Dän. hier ohne Artikel.

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g) Form und Ausdruck Der folgende Absatz setzt nun abermals neu an und führt ein neues Begriffspaar ein: die Differenz von Form und Ausdruck der Mitteilung. Erstmals seit dem ,Auftakt‘ der These mit seiner Unterscheidung von subjektivem und objektivem Denken gibt Climacus so etwas wie eine ,systematische‘ Distinktion – und es entbehrt nicht der Ironie, dass gerade dieser Passus zu den problematischsten Partien des ganzen Textes gehört. Climacus führt aus: Die Form der Mitteilung ist etwas anderes als der Ausdruck der Mitteilung. Wenn der Gedanke seinen rechten Ausdruck im Wort erhalten hat, welches durch die erste Reflexion erreicht wird, dann kommt die zweite Reflexion, die das eigene Verhältnis der Mitteilung zum Mitteiler betrifft und das eigene Verhältnis des existierenden Mitteilers zur Idee wiedergibt.56

Der Ausdruck bezeichnet hier offenbar den Gehalt einer Mitteilung; es ist die Aufgabe der ersten Reflexion, den Gedanken angemessen ins Wort zu setzen. Damit ist aber der Mitteilung noch nicht ihre wesentliche Form gegeben. Diese wird erst in der zweiten Reflexion erreicht, die das Verhältnis des Mitteilers als Existierendem zur Mitteilung und zur ,Idee‘ ausdrückt. Das heißt wohl: Der Mitteiler bezieht das Gedachte auf die Existenz und verleiht dem Ausdruck somit die angemessene, nämlich ,existenzbezogene‘ Form. Die Unterscheidung von zwei Bewegungen der Reflexion scheint nun zunächst auf die Doppelreflexion zu verweisen, wenn auch der Begriff selbst nicht verwendet wird. Bei näherer Betrachtung aber zeigt sich, dass die von Climacus neu eingeführte Unterscheidung eine merkliche Umakzentuierung vornimmt. Bezeichnet nämlich die Doppelreflexion im subjektiven Denker einen Bruch zwischen dem Denken und dem Einzelnen, so scheint nun eine bersetzung möglich: Dem Ausdruck der Mitteilung wird hier zugetraut, einen Sachgehalt – und offenbar auch einen existenziellen Gehalt – angemessen und vollständig zu erfassen; erst eine zweite, nachtrgliche Reflexion verwandelt diese doch wohl direkte Erfassung in eine indirekte Form. So aber ist die entscheidende Pointe der Doppelreflexion zurückgenommen: Die indirekte Reflexion könnte auch umgekehrt gleichsam ,abgezogen‘ werden, sie gehörte einem durchaus auch direkt bestimmbaren ,Gegenstand‘ nur ußerlich zu. 56 AUN1, 68 f. / SKS 7, 77. Vgl. zu dieser Unterscheidung besonders Poul Lübcke „Kierkegaard and Indirect Communication“ in History of European Ideas 12, 1990, S. 31 – 40, hier S. 35 f.

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Diese ,Wendung‘ ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Auf der einen Seite sind Climacus’ einleitende Überlegungen wie verschwunden. In der Ausdruck-Form-Differenz wird nämlich erstens nicht bedacht, dass ja bereits im existierenden Denker vor einer jeden Mitteilung die Doppelreflexion ausgewiesen worden war. Insofern müsste Climacus nun eine dritte Reflexion ins Spiel bringen, die diese ,existenzielle Doppelreflexion‘ des subjektiven Denkers in die Mitteilung überführte. Zweitens rekurriert Climacus nun auch nicht auf die zuvor genannte Figur des SichMitteilens, in der gleichfalls eine Doppelreflexion gezeigt worden war, sofern das Innen der Existenz sich im Außen ausdrücken will. Explizit hatte Climacus dabei festgehalten, dieser Widerspruch könne unmöglich „seinen Ausdruck in einer direkten Form finden.“57 Hier stehen also Form und Ausdruck zusammen; beiden aber liegt der ,Widerspruch‘ (von Innen und Außen) als existenzielles Motiv voraus. Drittens schließlich hatte Climacus anlässlich des Betrugs der direkten Mitteilung von einer „Doppelreflexion der Aussage“ gesprochen und diese explizit von der Doppelreflexion der Form abgegrenzt.58 In der Ausdruck-Form-Differenz aber kommt eine solche Art der Aussage gar nicht in den Blick: Ausdruck und Aussage sind nur ,einfach‘ reflektiert, das ,Doppelmoment‘ entsteht erst durch die zweite Reflexion der Form. So zeigt sich zunächst, dass Climacus keine ,stabile‘ Distinktion einführt, die sich auf die Bewegung im Ganzen würde applizieren lassen. Die Unterscheidung dient vielmehr dazu, einen bestimmten Aspekt zu beleuchten. Das Interesse gilt an diesem Punkt allein der im engeren Sinne kommunikationstheoretischen Frage, wie ein existenzieller ,Gehalt‘ derart mitgeteilt werden kann, dass er die Aneignung des Empfängers inzitiert. Dieses ,Verschwinden‘ der früheren Erläuterungen zur Doppelreflexion ist aber auf der anderen Seite nur deshalb möglich, weil Climacus, wie oben diskutiert, schon in der ,Grundlage‘ seiner Entfaltung der Mitteilung nicht hinlänglich klar macht, worauf sich das ,Doppelte‘ der Reflexion bezieht. Hier jedenfalls hat es den Anschein, als könnte der Existenzvollzug in Stze gefasst werden, die sich als solche auch direkt mitteilen ließen – mit dem einzigen Problem, dass der Empfänger sie bei direkter Mitteilung missverstehend bloß nachsprechen und nicht existenziell sich aneignen würde. Damit wären allerdings die ,existenziellen 57 AUN1, 65 Anm. / SKS 7, 74 Anm. [Herv. v. Verf.]. 58 AUN1, 67 / SKS 7, 75 [Herv. v. Verf.]. Entsprechend bezeichnet ja auch das eingangs zitierte Beispiel des paradoxen Hegelschen Satzes einen doppeltreflektierten Inhalt.

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Wahrheiten‘ als solche objektiv, und das subjektive Element wäre allein die ,Realisation‘. Von einem Widerspruch oder gar einem Paradox, den Einzelnen denken zu wollen, könnte nicht die Rede sein. Es ist allerdings kaum anzunehmen, dass Climacus nun das Inkommensurable der Existenz explizit zurücknehmen will. Vielmehr verschiebt sich die Aufmerksamkeit der Untersuchung – und dort, wo allein danach gefragt wird, wie mitzuteilen ist, gerät die uneinholbare Singularität als solche aus dem Blick. Dieses ,Verschwinden‘ der inkommensurablen Singularität wird sich in Kierkegaards Mitteilungsreflexionen immer wieder nachweisen lassen. An dieser Stelle – in der Unterscheidung von Ausdruck und Form – liegt bereits die Keimzelle des späteren, rein maieutischen Mitteilungsbegriffs. Nachdem die Form-Ausdruck-Differenz in nur zwei Sätzen knapp angezeigt worden ist, beleuchtet Climacus diese in vier Beispielen. Abermals haben die Beispiele die bekannte hypothetische Form des ,wenn – dann‘, und abermals erläutern sie nicht, wie eine ,korrekte‘ Ausdruck-Form-Verdopplung durchzuführen wäre, sondern illustrieren das Scheitern der direkten Mitteilung. Insbesondere das erste Beispiel ist hier von Interesse, beleuchtet es doch das Problem der Ausdruck-FormDistinktion und gibt überdies eine bemerkenswerte zusätzliche Bestimmung des indirekten Verfahrens. Climacus setzt den Fall, dass ein Mitteilender die folgende Überzeugung mitteilen will: „Die Wahrheit ist die Innerlichkeit; es gibt objektiv keine Wahrheit; sondern die Aneignung ist die Wahrheit“.59 Hier wird also der Begriff der Aneignung wieder aufgenommen, aber nicht theoretisch bestimmt, sondern eben durch ein Beispiel beleuchtet. Erwartungsgemäß bestünde für Climacus ein Problem allein darin, wenn diese Sätze direkt und „mit Eifer und Begeisterung“ ausgesagt würden – der Mitteiler gewinnt Anhänger, die „diese Lehre für alle verkünden“, und hat sich selbst widersprochen:60 Auf diese Weise wird die Wahrheit gerade nicht die Innerlichkeit, sie wird auf Autorität hin geglaubt und nachgesprochen. Der Mitteilende ist ein Ausrufer geworden, „ein Ausrufer von Innerlichkeit“ aber „ist ein sehenswertes Tier.“61 Es fragt sich allerdings, ob das ,Problem‘ dieser Sätze tatsächlich allein darin liegt, dass sie direkt mitgeteilt werden. Offensichtlich sind nämlich diese Sätze anderer Art als objektive Sätze, etwa Aussagen über Sachver59 AUN1, 69 / SKS 7, 77. 60 AUN1, 69 / SKS 7, 77. 61 AUN1, 69 / SKS 7, 78.

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halte. Sie zeigen vielmehr auf ,etwas‘ hin, das im Satz gar nicht erfasst werden kann; sie beschreiben im ,abstrakten‘ Modus des Allgemeinen eine Bewegung, die aber nur konkret vom Einzelnen vollzogen werden kann – und sind somit hindeutenden und aufmerksam-machenden Charakters.62 Dies kann auch so ausgedrückt werden, dass diese Sätze bereits als Sätze einen Widerspruch in sich enthalten und daher in sich selbst doppeltreflektiert sind: Insbesondere der Satz, dass es ,objektiv keine Wahrheit‘ gibt, ist als Satz selbst objektiv – und arbeitet sich damit selbst entgegen. So zeigt sich die Ausdruck-Form-Differenz im konkreten Fall als problematisch: Das ,Existenzielle‘ lässt sich nicht direkt in Gestalt bloßer Aussagen fassen, die dann durch eine nachtrgliche Formreflexion in ,indirekte Mitteilung‘ verwandelt werden. Aussagen dieser Art ,enthalten‘ als Aussagen das nicht, was sie sagen sollen: nämlich die konkret existierende Singularität. Aufschlussreich für die gesamte Lessing-These ist nun eine Erläuterung, die Climacus an das Beispiel anfügt. Hier deutet sich erstmals eine ,positive‘ Beschreibung derjenigen Form an, in der existenzielle ,Gehalte‘ angemessen mitgeteilt werden könnten: Um „wirklich eine solche Überzeugung mitzuteilen“,63 bedürfe der Mitteilende der Selbstbeherrschung und der Kunst. Die Selbstbeherrschung bestehe in dem Festhalten der Einsicht, dass es insbesondere im Gottesverhältnis nur auf den Einzelnen und nicht auf die Einmischung und „Geschäftigkeit eines Dritten“64 ankomme. Bezüglich der Kunst heißt es, der Mitteilende benötige genug Kunst, um unerschöpflich, wie die Innerlichkeit es wäre, die doppeltreflektierte Form der Mitteilung zu variieren. Je mehr Kunst, desto mehr Innerlichkeit; ja, hätte er viel Kunst, könnte er sogar gerne sagen, dass er sie gebrauche, dessen sicher, im nächsten Augenblick die Innerlichkeit der Mitteilung sichern zu können, weil er unendlich darum bekümmert wäre, seine eigene Innerlichkeit zu bewahren, welche Bekümmerung den Bekümmerten von aller positiven Geschwätzigkeit befreit.65 62 In diese Richtung deutet auch Climacus’ folgende Bemerkung: „Die Hauptsache wäre ja gerade, verstanden zu werden, und die Innerlichkeit des Verstehens wäre ja gerade, dass der Einzelne es durch sich selbst verstünde“ (AUN1, 69 / SKS 7, 77 f.). Die Bestimmung des ,innerlichen‘ Verstehens zeigt gerade an, dass die Sätze auf andere Weise verstanden werden müssen als ,objektive‘ Sätze. Dasjenige, was diese Sätze ,bedeuten‘, bedeuten sie allein im Vollzug der Existenz und in der je individuellen Aneignung. 63 AUN1, 69 / SKS 7, 78. 64 AUN1, 69 / SKS 7, 78. 65 AUN1, 69 f. / SKS 7, 78. Vgl. hierzu Joakim Garff „Den Søvnløse.“ Kierkegaard læst æstetisk / biografisk, Kopenhagen 1995, S. 225 – 231.

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An dieser Stelle wird nun wieder – entgegen der Ausdruck-Form-Unterscheidung – die Mitteilung von der Doppelreflexion der Innerlichkeit her verstanden: So wie diese ,unausschöpflich‘ in sich selbst reflektiert ist, so muss auch die Mitteilung unendlich variiert werden. Aufschlussreich ist der Verweis auf das ,Bewahren‘ der eigenen Innerlichkeit: Die ,positive Geschwätzigkeit‘ wird nicht auf den Empfnger und dessen mögliches ,Missverstehen‘ bezogen, sondern auf den Mitteiler: Sofern dieser sich im Sprechen zugleich ,bekümmert‘ auf seine eigene Innerlichkeit zurückbeugt, ist er gegen jede Geschwätzigkeit gesichert; das Paradigma ist mithin wieder das reflexive Sich-Ausdrücken. Bemerkenswert ist aber insbesondere die bloß beiläufig gemachte Aussage, der Mitteiler dürfe, sofern er ,viel Kunst‘ besitze, direkt sagen, dass er diese Kunst gebrauche. Diese Bemerkung verweist auf Climacus’ zuvor erhobene Forderung, die Doppelreflexion nicht direkt auszusagen, und beleuchtet nochmals die Frage nach der Selbstwidersprüchlichkeit seines eigenen Verfahrens: Climacus gesteht dem Mitteilenden durchaus den Hinweis auf die von ihm verwandte Form zu, fordert aber zugleich, der Mitteilende müsse so viel Kunst der Mitteilung besitzen, dass er die indirekte Form sofort wieder zu ergreifen und in Bewegung zu halten vermöge. So erklärt sich der scheinbare Widerspruch, dass Climacus die indirekte Mitteilung direkt nennt und zugleich betont, diese dürfe nicht direkt ausgesagt werden. Die Eigentümlichkeit der Gedankenbewegung, die dem Leser beständig entscheidende Bestimmungen vorenthält, sie nachträglich einschiebt, hypothetisch oder nur annäherungsweise erläutert, macht sichtbar, dass auch die direkte Ansprache des Indirekten sich innerhalb und als Teil einer indirekten Mitteilung vollzieht. Gleichwohl bleibt auch an dieser Stelle das strukturell grundlegende Problem unbedacht: Climacus fragt nicht ausdrücklich danach, ob denn die indirekte Mitteilung als solche direkt mitgeteilt werden kann – die Frage ist allein, ob der Mitteiler seine Verwendung dieses Verfahrens mitteilen darf.

h) Sokrates und das Geheimnis Hatte Climacus in der Unterscheidung von Ausdruck und Form der Mitteilung wenigstens nahe gelegt, das Indirekte trete zu einem direkt bestimmten und erfassten Gehalt erst nachträglich hinzu, so kehrt er mit der letzten Bestimmung der These wieder zur Inkommensurabilität des Existierens zurück: dem Geheimnis. Das ,Geheimnis‘ erscheint bereits im vierten Beispiel als Bestimmung des Gottesverhältnisses; bevor Climacus

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den Begriff selbst thematisiert, fügt er noch einen zusammenfassenden Zwischensatz ein: Überall, wo das Subjektive von Wichtigkeit in der Erkenntnis ist, also die Aneignung die Hauptsache ist, dort ist die Mitteilung ein Kunstwerk, sie ist doppelt reflektiert, und ihre erste Form ist gerade das Listige, dass die Subjektivitäten gottesfürchtig auseinander gehalten werden müssen, und nicht gerinnend in Objektivität zusammenlaufen. Dies ist das Abschiedswort der Objektivität an die Subjektivität.66

Hier schon zeigt sich die Gegenbewegung zur Ausdruck-Form-Distinktion: Der Fokus liegt auf der Singularitt der jeweils Existierenden; die doppeltreflektierte Mitteilung hat ihre Pointe darin, die Einzelnen auseinander zu halten. Bemerkenswerterweise nennt Climacus diese Bewegung die erste Form der Mitteilung als Kunstwerk. Sie tritt also ,systematisch‘ an diejenige Stelle, die soeben noch der direkte Ausdruck eingenommen hatte, an welchen die Form erst als zweite Bewegung anschloss. Nun aber ist die ,Vereinzelung‘ der Existenzen die Abstoßung vom Objektiven. Abermals wird sichtbar, dass Climacus’ Begrifflichkeit und ihre Organisation außerordentlich beweglich ist: Je nach Kontext und entsprechend dem, was gerade ,gezeigt‘ werden soll, kann sich die Systematik innerhalb eines Absatzes umkehren. Der Passus über das Geheimnis hebt nun in nochmaliger Abgrenzung von der direkten Mitteilung die Unumgnglichkeit des Indirekten hervor: Die allgemeine Mitteilung, das objektive Denken hat keine Geheimnisse, erst das doppelt-reflektierte subjektive Denken hat Geheimnisse, d. h. all sein wesentlicher Inhalt ist wesentlich Geheimnis, weil es sich nicht direkt mitteilen lässt. Dies ist die Bedeutung des Geheimnisses. Dass die Erkenntnis nicht direkt auszusagen ist, weil das Wesentliche an der Erkenntnis eben die Aneignung ist, macht, dass sie ein Geheimnis für jeden bleibt der nicht auf dieselbe Weise durch sich selbst doppelt reflektiert ist; dass aber das die wesentliche Form der Wahrheit ist, macht, dass diese nicht auf irgendeine andere Weise gesagt werden kann.67

Climacus betont sowohl ,positiv‘, dass eine Mitteilung in Richtung von Existenz nur indirekt-doppeltreflektiert gegeben werden kann, als auch ,negativ‘, dass eine direkte Mitteilung des existenziellen ,Geheimnisses‘ unmçglich ist. Dabei bezeichnet Climacus ausdrücklich den Inhalt des doppeltreflektierten Denkens und das ,Wesentliche‘ der existenziellen 66 AUN1, 71 / SKS 7, 79. 67 AUN1, 71 / SKS 7, 79; vgl. hierzu auch Vanessa Rumble „To Be as No-One: Kierkegaard and Climacus on the Art of Indirect Communication“ in International Journal of Philosophical Studies 3, 1995, S. 307 – 321, hier S. 313 – 315.

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Erkenntnis als Geheimnis; die doppeltreflektierte Darstellung wird als wesentliche und einzige ,Form der Wahrheit‘ ausgewiesen. Überdies spricht Climacus hier nur zweimal vom Mitteilen, sodann aber auch vom Aussagen. Mithin verweist das ,Geheimnis‘ auf die unvermittelbare Inkommensurabilitt des Existierens für die objektive Darstellung und die direkte Mitteilung. Damit ist der größtmögliche Unterschied zur Ausdruck-Form-Figur gesetzt: Es gibt nun keinen direkt bestimmbaren ,Gehalt‘ mehr, der bloß nachträglich verhüllt würde, um ihn der Aneignung zu überantworten. Vielmehr ist das Wesentliche schon in der existenziellen Erkenntnis die Aneignung;68 das ,Geheimnis‘ des Existenziellen erschließt sich allein im je singulären Sich-zu-sich-Verhalten. Climacus kehrt hier zum Beginn der These zurück und weist die wesentliche Zusammengehörigkeit von Existenz, doppeltreflektiertem Denken und doppeltreflektierter Mitteilung aus. In keinem anderen Passus ist derart konzentriert die Bedeutung des Indirekten für ein existenzielles Denken zum Ausdruck gebracht. Gleichwohl lässt sich auch in diesem Textausschnitt das charakteristische Spiel mit der Perspektive nachweisen: Climacus bestimmt das Geheimnis zunächst ,absolut‘, nämlich als wesentliches Geheimnis, sodann aber auch ,von außen‘, sofern nämlich demjenigen, der nicht selbst doppeltreflektiert ist und denkt, die ,existenzielle Erkenntnis‘ verschlossen bleibt. Dass allerdings dieser zweite, ,relative‘ Begriff des Geheimnisses allein zur Illustration herangezogen wird, verdeutlicht der folgende Absatz, in dem nun explizit zwei Formen unterschieden werden, das wesentliche und das zufllige Geheimnis.69 Ein zufälliges oder unwesentliches Geheimnis ist etwa, „was in einem geheimen Staatsrat gesagt worden ist, solange es noch nicht bekannt ist“.70 Hier ist also die Form der Geheimhaltung nicht notwendig, der Gehalt ließe sich ebenso gut direkt aussagen. Zur Er-

68 Auf den ersten Blick ließe sich allerdings der Passus zu Aneignung und Erkenntnis, isoliert betrachtet, auch im Sinne der Ausdruck-Form-Differenz lesen: Das Wesentliche an (dän. ,ved‘) der Erkenntnis wäre zwar die Aneignung (und deshalb wäre sie nicht direkt mitzuteilen), die Erkenntnis selbst ließe sich aber wohl auch in der ,ersten Reflexion‘ (Ausdruck) direkt bestimmen und mitteilen. Die unmittelbar vorhergehende Gleichsetzung des nicht-mitteilbaren Inhalts mit dem Geheimnis aber zeigt, dass Climacus hier, selbst wenn er die Erkenntnis und die (von dieser ausgehende oder sie ,realisierende‘) Aneignung voneinander trennen möchte, eine andere Art der Erkenntnis meinen muss als die objektive. 69 Vgl. AUN1, 71 f. / SKS 7, 80. 70 AUN1, 71 f. / SKS 7, 80.

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läuterung des wesentlichen Geheimnisses hat nun in den letzten Sätzen der These Sokrates seinen Auftritt: Wenn Sokrates hingegen sich durch seinen Dämon von jedem Verhältnis isolierte und z. B. posito annahm, dass es derart jeder tun müsste, dann bliebe eine solche Anschauung des Lebens wesentlich ein Geheimnis oder ein wesentliches Geheimnis, denn sie ließe sich nicht direkt mitteilen, das Höchste, was er vermöchte, wäre künstlerisch maieutisch einem Anderen negativ zu dem Selben zu verhelfen. All das Subjektive, das sich durch seine dialektische Innerlichkeit der direkten Äußerungsform entzieht, ist ein wesentliches Geheimnis.71

Im Abschluss mit Sokrates wiederholt sich die Bewegung, die zu Beginn der These aufgezeigt worden ist: Sokrates kommt zunchst als derjenige in den Blick, der die ,Isolation‘, also das Interesse für die eigene Existenz in ihrer Singularität repräsentiert – und erst von hier aus und in Analogie zum Selbstverhältnis wird die Mitteilungsform thematisch. Sokrates ist hier noch nicht – wie dann durchgehend in Kierkegaards Mitteilungsreflexion ab 1846 – vornehmlich als der Maieutiker bestimmt, als der sich zurücknehmende Lehrer, der dem Anderen durch einen ,Betrug‘ zur Wahrheit verhilft. Er steht vielmehr zuerst für die Inkommensurabilität der Existenz als wesentliches Geheimnis ein. Nicht zufällig spricht auch Climacus zum Schluss von der ußerungsform – nicht der Mitteilungsform – und ausdrücklich vom Sich-Entziehen der Innerlichkeit im Verhältnis zum Direkten. Paradigma der Mitteilung ist hier einmal mehr das SichMitteilen als Sich-ußern im Widerspruch der Doppelreflexion. Und auch zum Abschluss der These verdoppelt Climacus ,performativ‘ das Ausgesagte, indem er seinen Kunstgriff anwendet: Das ,Geheimnis‘ des Sokrates ist durch die Experimental-Markierung des ,posito‘ in die Schwebe gesetzt.

i) Der Begriff der Mitteilung in der ersten Lessing-These Der Nachvollzug des ,Argumentationsgangs‘ in der ersten Lessing-These hatte sich zunächst auf Climacus’ sprunghafte Darstellungsform einzulassen; erst vor diesem Hintergrund ist die Bewegung des Gedankens verdichtend in den Blick zu bringen. Auch dabei kann die Interpretation allerdings nicht einfach ein Resultat und Fazit präsentieren: Nicht nur wäre dies nach Climacus ,gerade ein Widerspruch‘; eine solche Dar71 AUN1, 72 / SKS 7, 80.

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stellung ist auch durch die experimentelle Form erfolgreich ,verhindert‘. Dennoch lassen sich bestimmte Linien des Verfahrens durchaus benennen. Dabei ist auf ein Dreifaches hinzuweisen: Erstens ist es entscheidend festzuhalten, dass Climacus die Mitteilungsdialektik vom subjektiven existierenden Denker und seiner Doppelreflexion her und – wenigstens in weiten Teilen der These – im Blick zurück auf diese ,Grundlage‘ bestimmt. Mithin wird die Mitteilungsdialektik im Ausgang von der konkreten Existenz in ihrer Singularität, ihrer Unabgeschlossenheit und ihrem Interesse für den eigenen Existenzvollzug konzipiert. Insbesondere aber ist durch die Gegenüberstellung von subjektivem und objektivem Denken die Inkommensurabilitt der Existenz für das Allgemeine und den Begriff gesetzt; und dieser Inkommensurabilität des Einzelnen hat auch die Mitteilungsform zu entsprechen.72 Der bezeichnete Zusammenhang wird insbesondere in den ersten Partien der These sichtbar, ist aber auch in den letzten Abschnitten deutlich, in denen Climacus das je singuläre Existieren als wesentliches Geheimnis auffasst und ausdrücklich vom Entzug der Existenz gegenüber dem Objektiven spricht. Derart ist die indirekte Mitteilung im starken Sinne als Existenzmitteilung verstanden. Auf diese ,Herleitung‘ und ,Argumentationsstruktur‘ der Lessing-These ist deshalb im Besonderen hinzuweisen, weil Kierkegaard in keinem seiner folgenden Reflexionen zur Mitteilungsfrage in dieser Weise vorgehen wird. Zwar ist die Mitteilungsform auch weiterhin oftmals mit Blick auf den konkreten Existenzvollzug verstanden; nirgends aber bestimmt Kierkegaard vorab das Existieren in spezifischer Weise und entwickelt die Mitteilungsdialektik von dieser ,Basis‘ her. Wird nun die Dialektik der Mitteilung konsequent aus dem ,Grundgedanken‘ der These entwickelt, so nimmt der zentrale Begriff der Doppelreflexion – nach seiner ersten Bestimmung als Reflexionsform des subjektiven Denkers – zwei weitere Stellungen ein. Einerseits bezeichnet der Begriff in seiner reflexiven Gestalt den Widerspruch im Sich-Mitteilen des Existierenden. Gerade weil die Innerlichkeit der Existenz einer Repräsentation im Modus des Allgemeinen wesentlich inkommensurabel 72 Vgl. dazu auch den Beginn der zweiten These, die allerdings die Begründungslogik umkehrt. Hier heißt es zum subjektiven Denker: „Wie dann seine Mitteilung in der Form wesentlich mit seiner eigenen Existenz konform sein muss, so muss [auch] sein Denken der Form der Existenz entsprechen“ (AUN1, 72 / SKS 7, 80). Vgl. die Nennungen der Mitteilung in den folgenden LessingThesen: AUN1, 75 – 77, 93 / SKS 7, 81 f., 84, 98.

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ist, stellt das Sich-(Ent-)Äußern des Existierenden durch Mitteilung einen Widerspruch dar; und dieser hat sich nach Climacus in einer indirekten Form zu gestalten. Andererseits aber wird die Existenzmitteilung als Mitteilung an jemanden und mithin als adressatenbezogene Mitteilung verstanden. Abermals bildet hier die Inkommensurabilität der Existenz das Grundmotiv und movens des Indirekten: Gerade weil der ,Empfänger‘ selbst ein je singulärer Einzelner ist, der in die Unabgeschlossenheit und das undelegierbare Interesse für seine Existenz hineingehalten ist, hat der ,Mitteiler‘ ihm nichts wesentlich mitzuteilen. Er kann allein indirekt wirken, indem er den Empfänger in seiner ,Andersartigkeit‘ zur Selbstttigkeit anreizt. Damit hat Climacus wenigstens die ,Grundlage‘ einer streng existenzbezogenen Mitteilungsform entwickelt, die stets auf die Singularität des Mitteilers wie auch des Empfängers aufmerksam ist. Schließlich ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass die ,indirekte Mitteilung‘ nicht vom Gedanken des Religiçsen her entfaltet wird. Zwar gilt dem Religiösen Climacus’ besondere Aufmerksamkeit, in ihm liegt aber nicht die Motivation zur indirekten Form. Der Begründungszusammenhang zeigt sich vielmehr folgendermaßen: Weil das Religiöse wesentlich an das Existieren (die Subjektivität) gebunden ist, und weil dieses die indirekte Form fordert – deshalb muss auch die religiöse Mitteilung wesentlich indirekt sein. Zweitens ist es aber nun für die Lessing-These charakteristisch, dass sie ihren ,existenziellen‘ Grundgedanken nicht in aller Konsequenz verfolgt. Bezeichnenderweise wird dieser gerade dort aufgeweicht, wo Climacus die Frage bedenkt, wie eine bestimmte Lehre einem Empfänger mit ,größtmöglichem Erfolg‘ mitzuteilen ist. Am deutlichsten wird die Abweichung vom existenziellen Ansatzpunkt in der Unterscheidung von Ausdruck und Form der Mitteilung. Hier soll nun ein ,Gehalt‘ der Mitteilung in einer ersten Reflexion (dem ,Ausdruck‘) direkt fassbar sein; erst eine zweite Reflexion (die Form) verwandelt diesen Gehalt in das Indirekte. Damit ist aber das Verständnis der doppelten Reflexion modifiziert und die ,polemische‘ Pointe der These zurückgenommen: die Inkommensurabilität und Singularität der Existenz, die sich wesentlich dem objektiven Denken und der direkten Mitteilung entzieht. In der Analyse von Climacus’ konkreten Beispielen konnte gezeigt werden, inwiefern diese Verschiebung problematisch ist. Sätze wie ,Die Wahrheit ist die Aneignung‘ oder ,Objektiv gibt es keine Wahrheit‘ enthalten als Sätze in sich einen Widerspruch: Sie fassen ,etwas‘ im Modus des Allgemeinen und Objektiven, das sich dieser Sphäre wesentlich entzieht. Das Existieren ist, entgegen der Implikation des Ausdruck-Form-Paradigmas,

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II.1 Doppelreflexion der Mitteilung in Begriff und Durchführung

keine allgemeine Lehre, die sich direkt fassen ließe – und die dann bloß indirekt mitzuteilen wäre. Diesen Grundgedanken verliert Climacus aber in seiner Erörterung der Mitteilungsdialektik teilweise aus dem Blick und verwandelt so die letztere in eine reine Kommunikationstheorie. In diesem ,Verschwinden‘ der inkommensurablen Existenz liegt schon der Keim der späteren Mitteilungsreflexion, die im engeren Sinne als maieutisch zu verstehen ist. Kierkegaard wird sich nach der Nachschrift beinahe durchgehend auf die Frage konzentrieren, wie eine im Vorhinein bestimmte Lehre (z. B. ,das Ethische‘ oder ,das Christliche‘) auf besonders ,wirksame‘ Weise mitgeteilt werden kann – und nicht mehr durchweg darauf aufmerksam bleiben, dass in Fragen der Existenz von einer ,Lehre‘ oder einem ,Gegenstand‘ im strengen Sinne nicht gesprochen werden kann. Dass aber Climacus selbst auf diese Verschiebung innerhalb seiner These nicht aufmerksam ist, hat seinen Grund in einer Unschärfe, die sich bereits im Ausgangspunkt der These nachweisen lässt. Dort bezeichnet zwar die Doppelreflexion zweifelsohne die Inkommensurabilität und Unabgeschlossenheit der Existenz. Es bleibt aber unklar, wie genau das Element des Denkens im subjektiven Denker bestimmt wird. Climacus lässt wenigstens die Möglichkeit offen, dass auch das Denken des Existierenden als solches ,objektiv‘ ist und das ,subjektive‘ Element allein in einer ,Realisation‘ oder ,Übersetzung‘ in die Existenz bestünde. Allerdings erscheint eine solche ,bloße‘ Übersetzung des ,Objektiven‘ in die Singularität der Existenz systematisch als höchst zweifelhaft und wird auch von Climacus selbst nicht erörtert. Von dieser Unklarheit aber schreibt es sich her, dass Climacus später meinen kann, eine ,Existenzlehre‘ lasse sich als solche in einen direkten ,Ausdruck‘ fassen. Ein weiterer Grund für die genannte Unschärfe besteht darin, dass die Lessing-These vom Selbstvollzug des existierenden Denkers ausgeht. Indem Climacus sogleich eine ,interne‘ Perspektive einnimmt und den subjektiven Denker im Verhältnis zu seiner Existenz und seinem Denken charakterisiert, bleibt die grundlegende und strukturelle Frage unausdrücklich, ob sich überhaupt das Existieren ,auf den Begriff bringen‘ lasse. Inhaltlich ist somit für die These im Ganzen festzuhalten: Nirgends kommt Kierkegaard in seinen Mitteilungsreflexionen dem Darstellungsproblem der indirekten Methode – nämlich der Inkommensurabilität der Existenz für den Begriff und das Allgemeine – näher als eben hier. Zugleich ist aber das Problem selbst nicht in aller Schärfe aufgestellt und wird überdies durch kommunikationstheoretische Reflexionen im engeren Sinne überlagert.

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In methodischer Hinsicht zeigt sich schließlich drittens eine verwandte Ambivalenz. Auch bezüglich der Frage, ob sich die indirekte Methode ihrerseits direkt darstellen lasse, ist zunächst die Lessing-These konsequenter als jeder andere Text Kierkegaards zur Mitteilungsfrage. Climacus’ ,Verweigerung‘ einer direkten Bestimmung der doppeltreflektierten Mitteilung zeigt sich insbesondere darin, dass er das verhandelte Problem in immer neuen Schleifen umkreist, entscheidende Begriffe aufgreift, fallen lässt und an anderer Stelle wieder einführt. Dieses Verfahren hat sich etwa an der Bestimmung der ,Aneignung‘ zeigen lassen. Prominentestes Ausdrucksmittel der gegen sich selbst arbeitenden Bewegung ist die Form der Hypothese, die Climacus explizit hervorhebt: Durch das Spiel des „wenn – dann“ wird das Konsequenzverhältnis der direkten Mitteilung erörtert, ohne dass Climacus seinerseits eine direkte Aussage macht. Auf diesem Wege wird das indirekte Verfahren gleichsam doppelt indirekt beleuchtet: durch den Umweg über sein Gegenteil und durch dessen hypothetische Bestimmung. Der Widerspruch, in den Climacus sich zu verstricken scheint, sofern er direkt von dem Indirekten spricht, wird aber auch ausdrcklich thematisiert: Climacus fordert zunächst, man dürfe die Doppelreflexion nicht direkt aussagen – gesteht diese Aussage aber schließlich doch zu, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Mitteilende beständig und auch in der direkten Aussage das Spiel der Doppelreflexion in Bewegung zu halten vermöge. Es ist offensichtlich, dass Climacus die virtuose Beherrschung dieser ,Kunst‘ für sich selbst in Anspruch nimmt. Aus diesem Anspruch ist das Schwanken und Schweben, das Gegen-sich-selbst-Arbeiten des Gedankengangs allein zu verstehen. Gleichwohl ist auch das Problem einer ,direkten Mitteilung des Indirekten‘ bei Climacus nicht in letzter Konsequenz formuliert. Die Frage, ob die gegenkehrige und umwegige Bewegung der Doppelreflexion sich ihrerseits berhaupt in direkte Bestimmungen einfangen und darstellen lässt, wird nicht explizit formuliert. Trotz der Unschärfen im Einzelnen ist abschließend festzuhalten: Das Profil der ersten Erörterung der Mitteilungsfrage in Kierkegaards Werk zeigt sich auf der einen Seite darin, dass die indirekte Form in grundlegender Weise für eine Darstellung und Mitteilung des Existierens festgeschrieben wird. Auf der anderen Seite ist deutlich geworden, dass Climacus noch in der theoretischen Bestimmung des Indirekten die Doppelreflexion praktiziert und in Bewegung hält. Damit entwirft Climacus das antisystematische und experimentelle Programm eines indirekten Denkens der Existenz – und dies in direkter Abstoßung von der geschlossenen Form des Systems. In beiden genannten Hinsichten unterscheidet sich

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überdies die Nachschrift wesentlich von Kierkegaards späterem Gesichtspunkt. Bevor aber diese Differenz eingehend zu diskutieren ist, gilt es zunächst, das Ineinandergreifen von Theorie und Praxis des Indirekten in der weiteren Entwicklung der Nachschrift zu verfolgen.

2. Rückblick von Außen – Climacus über ,Ein gleichzeitiges Streben in der dänischen Literatur‘ Nach den Lessing-Thesen tritt die Mitteilungsthematik in der Nachschrift zunächst zurück. Der nächste Passus, der die Mitteilungsform ausführlich behandelt, trägt den Titel „Blick auf ein gleichzeitiges Streben in der dnischen Literatur“.73 Diese Textpassage ist schon für sich genommen beachtenswert, enthält sie doch die erste – aber keineswegs letzte – retrospektive Darstellung von Kierkegaards zuvor veröffentlichtem Werk. In mitteilungstheoretischer Hinsicht ist es nun entscheidend, welche Stellung Climacus in diesem (Rück-)Blick einnimmt: Er wahrt nämlich konsequent die Außenperspektive des Lesers – und mithin den Abstand der doppeltreflektierten Form. Damit ist die Praxis des Indirekten im Rückblick bezeichnet. Climacus beansprucht weder eine Totalperspektive noch ein ,internes‘ Verständnis des Entwicklungsgangs. Vielmehr markiert er präzise die Beschrnkung seines Blickwinkels – und gibt mithin eine nur mçgliche Erklärung der früheren Produktion, ohne eine definitive Interpretation festzuschreiben. Auch über diese ,Praxis‘ des Indirekten hinaus ist der Abschnitt mitteilungstheoretisch aufschlussreich. Climacus verwendet hier nämlich nicht nur die doppeltreflektierte Form, er weist sie auch als Darstellungsmodus der frühen pseudonymen Werke selbst aus. Schließlich finden sich im Umfeld dieses ,Blicks‘ auch einige neue theoretische Bemerkungen zur Mitteilungsdialektik, die von der ersten Lessing-These teilweise signifikant abweichen. So lässt sich hier eine weitere Eigentümlichkeit der Mitteilungsreflexion in der Nachschrift herausarbeiten: Climacus wendet die Bestimmungen der Lessing-These nicht einfach schematisch an, sondern unterwirft sie einer beständigen Reformulie73 Vgl. zum ,Blick‘ auch Wilfried Greve Kierkegaards maieutische Ethik. Von „Entweder/Oder II“ zu den „Stadien“, Frankfurt a.M. 1990, S. 16 f., S. 22 f., S. 274 f. sowie Paul Muench „Kierkegaard’s Socratic Pseudonym: A Profile of Johannes Climacus“ in Kierkegaard’s Concluding Unscientific Postscript. A Critical Guide, hrsg. v. Rick Anthony Furtak, Cambridge 2010, S. 25 – 44, hier S. 41 – 44.

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rung. Nicht nur wird die Doppelreflexion selbst als wesentlich unabgeschlossen bestimmt – auch ihre Darstellung vollzieht sich als unabgeschlossene Bewegung. Die folgende Interpretation gliedert sich in drei Schritte: Zunächst gilt das Interesse Climacus’ Plan, Schriftsteller zu werden (a). Hier ist insbesondere eine Ambivalenz in der ,Begründungslogik‘ des Indirekten auszuweisen: Einerseits folgt Climacus dem Ansatz der Lessing-These, nach dem die Existenzinnerlichkeit notwendig eine indirekte Form fordere; andererseits schreibt er aber auch das Ausdruck-Form-Paradigma fort und bewegt sich auf eine rein maieutische Kommunikationstheorie zu. In einem zweiten Schritt ist der ,Blick‘ auf das frühe Werk selbst nachzuvollziehen (b). Schließlich sind einige theoretische Formulierungen innerhalb des ,Blicks‘ zu diskutieren, in denen Climacus nochmals die Frage nach einer ,direkten Darstellung des Indirekten‘ bedenkt und zugleich einen neuen, spezifisch taktischen Begriff der Mitteilung als ,Fortnehmen‘ entwickelt (c).

a) Climacus’ Plan Schon im Vorgang zum ,Blick‘ auf das frühe Werk kommt die Mitteilungsthematik wieder auf, und zwar im Rahmen von Climacus’ Bericht über seinen Plan, Schriftsteller zu werden. Diesen Plan rekonstruiert Climacus rückblickend in zwei Anläufen: Zunächst reflektiert er die Tendenz des Zeitalters, „das Leben immer leichter zu machen“.74 Climacus gibt nun an, seine schriftstellerische Wirksamkeit habe sich als Gegenakzent zu diesen allgemeinen Bestrebungen der Aufgabe widmen wollen, „etwas schwerer zu machen“.75 Bereits hierin liegt eine Hindeutung auf die indirekte Form, die sich einem jeden direkten und ,bequemen‘ Verstehen ohne Selbsttätigkeit entzieht. Explizit mitteilungstheoretische Reflexionen finden sich aber erst in Climacus’ Konkretisierung seines Plans, die dem ,Blick‘ auf das frühe Werk unmittelbar vorausgeht. Hier ist nun genau darauf zu achten, wie die Notwendigkeit der indirekten Form begründet wird. Climacus referiert, er sei durch ein Gespräch zwischen einem alten Mann und seinem Enkel, dessen Zeuge er 74 AUN1, 177 / SKS 7, 171. 75 AUN1, 177 / SKS 7, 172; dieser Passus bildet den Abschluss von Kap. 1 des zweiten Teils, zweiter Abschnitt; entsprechend ist der zweite Passus zum Plan der Abschluss von Kap. 2.

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unfreiwillig geworden sei, auf das „missliche Verhältnis zwischen einer modernen christlichen Spekulation und dem Christentum“ aufmerksam gemacht worden.76 Zunächst scheint also das Christliche in Opposition zum Spekulativen und mithin an diejenige Stelle zu treten, die in der Lessing-These das ,subjektive Denken‘ eingenommen hatte. Sodann aber berichtet Climacus, er sei in seinen Reflexionen über den Grund dieses „Missverstehen[s] in letzter Instanz“ nach einigen „Fehlgriffen“ schließlich zu der Einsicht gelangt, dass die „Missweisung der Spekulation“ nicht in etwas Zufälligem liegen könne, sondern „tiefer in der Richtung des ganzen Zeitalters, und – wohl darin liegen [müsse], dass man überhaupt durch das viele Wissen vergessen hätte, was es heißt, zu existieren und was Innerlichkeit zu bedeuten hat.“77 Damit ist die Reflexion, obgleich sie von der Gegenüberstellung von Christentum und Spekulation ausgeht, wieder bei der Opposition der Lessing-These angelangt: der von ,subjektiver‘ Existenzinnerlichkeit und ,existenzvergessener‘ Objektivität, nun bestimmt als Wissen. Die Grundlage des Missverhältnisses von Christentum und Spekulation besteht also in dem Vergessen des Existenziellen; und man beachte, dass Climacus vom Existieren ,berhaupt‘ spricht. Nicht zufällig kommt nun auch die Dialektik der Mitteilung ins Spiel: „Als ich dies begriffen hatte, wurde es mir zugleich deutlich, dass es, falls ich etwas diesbezüglich mitteilen wollte, vornehmlich gelten müsste, dass meine Darstellung in der indirekten Form erfolge.“78 Abermals wird so die indirekte Form durch Existenzinnerlichkeit begründet – und entspringt nicht einer spezifisch christlichen Problemstellung. Dieser Zusammenhang zeigt sich auch dort, wo Climacus sein Vorhaben weiter konkretisiert: Darüber war ich denn ganz im Reinen mit mir selbst, dass jede direkte Mitteilung im Verhältnis zur Wahrheit als Innerlichkeit ein Missverständnis ist […]. Aber daraus, dass ich mir die Mitteilungs-Form deutlich gemacht hatte, folgte nicht, dass ich etwas mitzuteilen hatte, während es ja doch ganz in seiner Ordnung war, dass die Form mir zuerst deutlich wurde, denn die Form ist ja die Innerlichkeit. […] Ich beschloss nun, so weit wie möglich zurückzugehen, um nicht zu früh zu dem religiösen Existieren zu kommen, geschweige denn dem christlich religiösen Existieren, und derart Misslichkeiten hinter mir zu lassen. Hatte man vergessen, was es heißt, religiös zu existieren, hatte man wohl auch 76 AUN1, 233 / SKS 7, 219. 77 AUN1, 234 / SKS 7, 220. 78 AUN1, 234 / SKS 7, 220. Hier verwendet im Übrigen Climacus erstmals das Wort ,indirekt‘, das sich in der Lessing-These noch nicht findet.

2. Rückblick von Außen

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vergessen, was es heißt, menschlich zu existieren, dies musste also aufgedeckt werden. Aber vor allem durfte das nicht dozierend geschehen […].79

Hier ist die indirekte Form wesentliche und erste Bestimmung des Existierens in Innerlichkeit – und zwar nicht allein des christlichen Existierens, sondern des Existierens überhaupt. Auch verdankt sich der ,Rückgang‘ auf das rein menschliche Existieren keiner ,strategischen‘ Reflexion. Es gilt vielmehr, das Existieren als solches in den Blick zu bringen, um keine ,Misslichkeiten‘ zu übersehen – und erst von dort aus kann die (spezifischere) Frage nach dem religiösen und christlich-religiösen Existieren gestellt werden. Bis hierin stimmen die Erörterungen noch im Wesentlichen mit dem ,existenziellen‘ Ansatzpunkt der Lessing-These überein. Schon der zitierte Passus macht allerdings unter der Hand eine Verschiebung sichtbar, und zwar in Richtung der – oben als problematisch ausgewiesenen – Ausdruck-Form-Differenz: Climacus sagt nämlich, ihm sei zwar die Form der Mitteilung klar gewesen, daraus folge aber nicht, dass er etwas mitzuteilen habe. Darin ist impliziert, es gebe so etwas wie einen ,Lehrgegenstand‘, der nicht im je singulären Existieren selbst bestehe. Dieser sich andeutenden Frage nach der Mitteilung von ,etwas‘ korrespondiert es auch, dass Climacus in der näheren Erläuterung das Verhältnis von Lehrer und Lernendem zum Ausgangspunkt nimmt – und nicht mehr den ,subjektiven Denker‘ aus der Lessing-These. Somit wird das Indirekte unmittelbar auf eine kommunikative Situation bezogen. Die entsprechenden Formulierungen weisen nun eine Ambivalenz auf: Teils verweisen sie auf den ,existenziellen‘ Ausgangspunkt der Mitteilungsbestimmung, teils weichen sie aber auch in Richtung der Ausdruck-Form-Differenz ab. Zunächst heißt es, bezüglich der Innerlichkeit sei die Mitteilung von Resultaten „Plunder“, da alles auf die „Selbsttätigkeit der Aneignung“ ankomme.80 Von hier aus bestimmt Climacus sodann das Verhältnis von Lehrer und Lernendem in mehrfacher Überkreuzung: Der Lehrer dürfe nicht direkt mitteilen, vielmehr bestehe die „Ehrerbietung gegenüber dem Lernenden“ darin, dass dieser „eben in sich selbst die Innerlichkeit ist“.81 Umgekehrt dürfe der Lernende dem Lehrer nicht unmittelbar nachfolgen, vielmehr sei die Innerlichkeit „die gottesfürchtige schweigende Übereinkunft, infolge welcher sich der Lehrende durch sich selbst das Gelehrte aneignet, sich 79 AUN1, 241 f. / SKS 7, 226. 80 AUN1, 234 / SKS 7, 220. 81 AUN1, 234 / SKS 7, 220.

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vom Lehrer entfernend, weil er sich in sich selbst wendet“.82 Der Mitteilende müsse darauf achten, dass seine Innerlichkeit „bei dem Mitteiler bleibt, obgleich sie ausgegeben wird“ – und diese Innerlichkeit wiederum könne „nicht direkt angeeignet werden ohne durch die Selbstwirksamkeit des Anderen“.83 Nicht zufällig kommt hier auch Sokrates wieder in den Blick, und zwar – im Unterschied zur Lessing-These – nicht zunchst als Beispiel der existenziellen Innerlichkeit, sondern sogleich als „ein Lehrer des Ethischen“.84 Mit diesem verbindet Climacus nochmals die zitierte doppelte Bewegung von Lehrer und Schüler: Es dürfe kein „direktes Verhältnis zwischen dem Lehrer und dem Lernenden“ geben, weil „die Innerlichkeit in den zwei eben der Weg voneinander fort“ sei; gerade Sokrates’ abstoßendes Äußeres helfe dazu, „den Lernenden zu entfernen, sodass dieser nicht in einem direkten Verhältnis zum Lehrer hängen“ bleibe; schließlich habe der „Lernende wesentlich mit sich selbst zu tun“ und die wahre Innerlichkeit sei keine „kameradschaftliche Innerlichkeit“, sondern die „Scheidung, in der jeder für sich selbst existierend im Wahren ist“.85 Die Abweisung des Resultats und der direkten Mitteilung einerseits sowie die Wertschätzung von Aneignung und Selbsttätigkeit andererseits werden hier zwar im Kontext des Lehrer-Schüler-Modells formuliert, stimmen aber durchaus noch mit dem ,existenziellen‘ Ansatz der LessingThese überein. Dies gilt gleichfalls für den Gedanken, Lehrer und Schüler müssten sich ,trennen‘, sofern die ,Wahrheit‘ allein in der singulären Innerlichkeit der Existenz liege. Schließlich zeigt sich in der Wendung, die Innerlichkeit müsse beim Mitteiler ,bleiben‘, während er sie aus82 AUN1, 235 / SKS 7, 220. 83 AUN1, 235 / SKS 7, 220. In diesem Kontext fällt auch zweimal der später zentrale Begriff der ,Reduplikation‘ – ohne allerdings schon terminologisch fixiert zu werden. Zunächst schreibt Climacus, es falle einem „begeisterte[n] Genie“ schwer, gegenzuhalten und „das NB. der Reduplikation zu fassen“ (AUN1, 235 / SKS 7, 221). Hier kann der Begriff entweder die ,Verdopplung‘ der (Gegensatz-)Form bezeichnen – oder aber die Aneignung des Empfängers, der das Gelehrte in Handlung zu ,verdoppeln‘ (also umzusetzen) hat. Diese zweite Bedeutung – als Verdopplung der Lehre in der Existenz, besonders der des Lehrers – ist dann ab 1846 bestimmend und wird schon von Climacus wenig später verwendet: Man kümmere sich nicht um die „reduplizierende[n] Wiederholung“ der „Lehre“ in der „Vorstellung davon, wie der Lehrer sein soll“ (AUN1, 240 / SKS 7, 225). Vgl. zum Gebrauch der Reduplikation in der Nachschrift im Ganzen unten, II.3.1.b). 84 AUN1, 240 / SKS 7, 225. 85 AUN1, 240 f. / SKS 7, 225 f.

2. Rückblick von Außen

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spreche, auch der reflexive Widerspruch des Sich-Mitteilens. In einzelnen Formulierungen scheint aber doch die Auffassung durch, dasjenige, was angeeignet werde, lasse sich als solches direkt bestimmen – nämlich als ,Inhalt‘ einer Lehre. Dann bestünde das Singulär-Existenzielle allerdings bloß in der ,individuellen‘ Aneignung und ,Realisation‘ eines für sich betrachtet Objektiven. In der Tat leitet das Lehrer-Schüler-Paradigma, verbunden mit der Ausdruck-Form-Differenz, Climacus zu einer solchen Auffassung hin. Dies verdeutlicht ein eher beiläufiger Passus, der klarer als irgendeine Formulierung der Lessing-These auf Kierkegaards spätere Mitteilungsreflexion vorausdeutet: Sobald die Wahrheit, die wesentliche Wahrheit, als jedermann bekannt angenommen werden kann, dann sind Aneignung und Innerlichkeit dasjenige, für welches gearbeitet werden muss, und hier kann nur in indirekter Form gearbeitet werden. Die Stellung eines Apostels ist eine andere, denn er hat die Wahrheit zu verkünden, die unbekannt ist, und deshalb kann die direkte Mitteilung immer zeitweilig ihre Gültigkeit haben.86

Gerade angesichts der Lessing-These darf diese Pointe durchaus als verblüffend bezeichnet werden: Mit einem Mal ist die Wahrheit nicht die Innerlichkeit selbst, sondern geht dieser voraus. Eine auf Aneignung und Verinnerlichung abzielende (indirekte) Mitteilung wird hier nicht durch das Existieren als solches begründet; sie basiert vielmehr auf einer vor86 AUN1, 235 / SKS 7, 221. Vgl. hierzu auch Emanuel Hirsch Kierkegaard Studien, neu hrsg. u. eingel. v. Hans Martin Müller, Waltrop 2006, Bd. 1 u. 2 (= Gesammelte Werke, Bd. 11 u. 12) [Gütersloh 1930 – 1933], hier Bd. 2, S. 290 f. [S. 737 f.]. Die Interpretation Hirschs im Ganzen und die daran anschließende Diskussion (bes. Lindström, Bejerholm, Hagemann) wird im folgenden Kapitel diskutiert, sofern Hirsch den Mitteilungsbegriff der Nachschrift sogleich auf den Gesichtspunkt bezieht. Vgl. auch Hermann Diem Die Existenzdialektik von Sçren Kierkegaard, Zollikon-Zürich 1950, S. 138. – Dieser Passus enthält zwei Gedanken, die Kierkegaard später aufgreifen und vertiefen wird: erstens die maieutische Konstellation, nach der die indirekte Mitteilung allein darin besteht, auf etwas aufmerksam zu machen, was bereits (im Menschen) vorliegt. Dieses ,Vorliegende‘ kann später je nach Kontext das Ethische (so in der ,Dialektik der Mitteilung‘ von 1847) oder aber das Christliche sein (so erstmals im Journal NB). Vgl. zum Letzteren in der Nachschrift selbst auch AUN2, 328 / SKS 7, 557, wo es schon heißt, in einem „christlichen Land“ mangele es nicht an „Kenntnis“, sondern an etwas „anderem“, das aber „der eine Mensch dem anderen nicht direkt mitteilen kann“. – Zweitens wird der hier notierte (durchaus irritierende) Gedanke, ein Mitteiler des Christlichen aus Offenbarung dürfe, ja msse direkt mitteilen, in beiden Fassungen der ,Dialektik der Mitteilung‘ bedeutsam werden. Dort heißt es dann, das Christliche beginne grundsätzlich mit der Mitteilung eines Wissensmoments. Vgl. unten, II.3.2.e) und II.4.2.c)-d).

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gngigen Wahrheit. Nur sofern diese ,allgemein bekannt‘ ist, wird eine indirekte Mitteilungsform notwendig – und man darf ,bekannt‘ hier durchaus mit ,gewusst‘ übersetzen. Besonders deutlich wird die Konsequenz dieser Auffassung am Beispiel des Apostels: Dieser muss eine unbekannte Wahrheit verkünden – und darf deshalb direkte Mitteilung verwenden. ,Zeitweilig‘, also vorläufig, ist diese direkte Mitteilung offenbar insofern, als sie eine anschließende Überführung in Existenz fordert. Damit ist aber die grundlegende Gegenüberstellung von Existenz und Objektivität sowie von indirekter und direkter Mitteilung aufgeweicht: Das Indirekte schließt an eine gewusste oder direkt mitgeteilte Wahrheit an – es erscheint nun explizit als nachgeordnete Übersetzung eines Allgemeinen in Innerlichkeit. Damit ist die Pointe der maieutischen Mitteilungskonzeption, die Kierkegaard ab 1846 ausschärfen wird, vorweggenommen, auch wenn der Begriff selbst hier nicht fällt.87 Im Ganzen zeigt sich in den Reflexionen zur Mitteilung, die Climacus anlässlich seines ,Plans‘ notiert, klarer noch als zuvor eine Ambivalenz: Einerseits möchte Climacus das Existieren mit Nachdruck vom Spekulativen und dem Wissen abgrenzen. Andererseits aber wird diese grundlegende Opposition verwischt, und dies offenbar deshalb, weil er immer deutlicher auf die Frage abzielt, wie eine bestimmte Lehre als existenzielle mitgeteilt werden kann. Einmal mehr thematisiert Climacus den ,Status‘ dieser Lehre nicht; es ist allerdings mehr als deutlich, dass er an eine Mitteilung gerade des Christlichen denkt. Sofern aber das Christliche durch die ganze Nachschrift hindurch als ein dem Denken unzugängliches Paradox bestimmt wird, kann Climacus nicht meinen, es handele sich dabei um eine zunächst objektiv zu wissende und direkt zu fassende Lehre – die dann bloß nachträglich in die Existenz zu überführen wäre. Vielmehr verweist diese Spannung auf eine unausgetragene Zweideutigkeit von Climacus’ Mitteilungskonzeption, die dadurch begründet ist, dass er an keiner Stelle ausdrücklich die Frage erörtert, inwiefern denn von ei87 Tatsächlich findet sich in diesem Umfeld aber die zweite (und letzte) Verwendung des Begriffs der Maieutik in der Nachschrift. Climacus vergleicht bemerkenswerterweise Gott mit einem Maieutiker: „[K]ein anonymer Verfasser“ könne „sich listiger verbergen, und kein Maieutiker sorgfältiger dem direkten Verhältnis entziehen als Gott“ (AUN1, 236 / SKS 7, 221). Dass Climacus aber den ,Maieutiker‘ nur anbei und vergleichend nennt, zeigt gerade, dass der Begriff der Maieutik in der Nachschrift noch nicht terminologisch fixiert ist. Die am Empfänger orientierte Bewegung, die Climacus in den zitierten Passagen mit Sokrates als ,Lehrer des Ethischen‘ verbindet, wird von Kierkegaard erst kurze Zeit später direkt mit der ,Maieutik‘ assoziiert; vgl. unten, II.3.1.a).

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nem existenziellen Gehalt überhaupt gesprochen werden kann. Dass nämlich Climacus eine Engführung von Existenz und ,objektivem‘ Lehrgehalt nicht im Sinn hat, wird aus der letzten Reflexionsschlaufe vor dem ,Blick‘ auf das pseudonyme Werk deutlich: Hier heißt es wieder ausdrücklich, eine Mitteilung des Existenziellen nach Art eines Wissens führe unweigerlich zu gravierenden Missverständnissen – insbesondere zu dem, „das Existieren“ bestünde darin, „an einem einzelnen Punkt vielleicht etwas zu wissen zu bekommen“.88 Eine solche „direkte Mitteilung über das Existieren und die Innerlichkeit“ spiele allein dem Spekulanten in die Hände, welcher den derart Mitteilenden gerne in das ,gastfreie System‘ aufnehme.89 b) Der ,Blick‘ zurück Den konkreten Fortgang seines Plans stellt nun Climacus in einem gesonderten Abschnitt dar, der überschrieben ist: „Blick auf ein gleichzeitiges Streben in der dnischen Literatur“. Schon der Titel verweist auf den eigentümlichen Zug von Climacus’ Retrospektive – bezieht er sich doch auf ein gleichzeitiges Streben. In der Tat ist bereits die ,Situation‘, aus der heraus Climacus auf die pseudonymen Schriften zu sprechen kommt, hochgradig ironisch und folgt dem Gesetz der doppelten Reflexion. Climacus gibt nämlich an, zur Ausführung seines Plans den Entschluss gefasst zu haben, die existierende Innerlichkeit zu durchdenken; jedes Mal aber, wenn er mit der schriftlichen Umsetzung dieses Gedankens habe beginnen wollen, sei ein pseudonymes Werk erschienen, das ihm die Ausführung gleichsam vorweggenommen habe. Bereits Climacus erster Vorsatz, „das Existenzverhltnis zwischen dem sthetischen und dem Ethischen in existierender Individualitt entstehen zu lassen“,90 wird durch das Erscheinen von Entweder/Oder überflüssig gemacht. Damit nicht genug: „Aber es wurde verrückter für mich; denn Schritt für Schritt erschien, eben wenn ich damit beginnen wollte, meinen Beschluss durch [die] Tat zu realisieren, eine pseudonyme Schrift, die das ausführte, was ich wollte“.91 So sieht sich Climacus der Verwirklichung seiner Idee „auf eine ironische Weise enthoben“92 und wird „tragikomisch interessierter 88 89 90 91 92

AUN1, 242 / SKS 7, 227. AUN1, 242 / SKS 7, 227. AUN1, 243 / SKS 7, 228. AUN1, 245 / SKS 7, 228. AUN1, 264 / SKS 7, 244.

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Zeuge“93 der Werkentwicklung. Dabei steht Climacus zu den früheren Schriften durchaus im Verhältnis des Lernenden: „Und dass die Sache Fortschritte machte, davon überzeugte ich mich dadurch, dass mir jedes Mal, wenn ich eine solche pseudonyme Schrift gelesen hatte, deutlicher wurde, was ich gewollt hatte.“94 Die ,Mitteilungssituation‘, von der her Climacus auf das zuvor veröffentlichte Werk blickt, bringt es also mit sich, dass die Retrospektive nicht als solche erscheint – sondern ironisch als Vorwegnahme von Climacus’ Plan, der stets einen Schritt „zu spät“ kommt.95 Entscheidend ist nun in mitteilungstheoretischer Hinsicht, welche Perspektive sich dadurch auf das pseudonyme Werk ergibt und in welcher Instanz Climacus spricht – oder vielmehr: nicht spricht. Climacus beansprucht nämlich gerade nicht, über einen intimen Blick in das Entwicklungsgesetz der pseudonymen Schriften zu verfügen, er ergreift vielmehr dezidiert die Außenperspektive. So präsentiert sich der ,Blick zurück‘ nicht als souveräne, autoritative Überschau, sondern als Interpretation eines Dritten. Diese Perspektive wird von Climacus gleich zu Beginn ausdrücklich hervorgehoben und in der Folge mehrfach bekräftigt: „Ob meine Auffassung die der Verfasser ist, kann ich natürlich nicht mit Bestimmtheit wissen, da ich nur Leser bin.“96 Climacus ist also gemäß dem Gesetz der doppelten Reflexion darauf aufmerksam, dem Empfänger seiner Mitteilung eine definitive Bestimmung des pseudonymen Korpus in Form eines Resultats zu verweigern. Die pseudonyme Außenperspektive verdeutlicht vielmehr, dass im ,Blick‘ keine einfache Anleitung zu suchen ist, wie die Schriften zu lesen seien. Dieses Verfahren beleuchtet die eingangs formulierte These, dass Climacus die doppeltreflektierte Mitteilung in der Nachschrift nicht nur thematisiert, sondern auch praktiziert: Im ,Blick‘ auf das frühe Werk hält Climacus das Verstehen des Lesers offen – ohne deshalb selbst auf eine Deutung zu verzichten. 93 AUN1, 245 / SKS 7, 228. 94 AUN1, 245 / SKS 7, 228. 95 AUN1, 251 / SKS 7, 233. Vgl. Kierkegaards ersten Plan zu einem ,Überblick‘ über das pseudonyme Werk vom April/Mai 1845, in dem die ,Konstruktion‘ der Nachschrift aber allenfalls angedeutet ist: „Jetzt ist der Augenblick da, jetzt muss geschrieben werden: eine dialektische Anleitung zu den pseudonymen Büchern sämtlicher pseudonymer Verfasser“ ( JJ:325 (DSKE 3, 251 / SKS 18, 243)). 96 AUN1, 245 / SKS 7, 228 f.; vgl. auch die beinahe gleichlautende Aussage AUN1, 275 / SKS 7, 255: „Ob meine Auffassung der pseudonymen Verfasser mit dem übereinstimmt, was sie selbst gewollt haben, kann ich nicht entscheiden, da ich nur Leser bin“; vgl. im Einzelnen AUN1, 252, 257 / SKS 7, 234, 238.

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Damit ist aber die Bedeutung der doppeltreflektierten Mitteilung für den ,Blick‘ noch nicht erschöpft. Climacus führt nämlich in direktem Anschluss an die soeben zitierte Passage aus: [H]ingegen freut es mich, dass die Pseudonyme, vermutlich weil sie aufmerksam sind auf das Verhältnis der indirekten Mitteilung zur Wahrheit als Innerlichkeit, selbst nichts gesagt haben, oder ein Vorwort dazu missbraucht haben, eine offizielle Stellung zum Werk einzunehmen, als wäre ein Verfasser in rein juristischem Sinne der beste Dolmetscher seiner eigenen Worte, als könnte es einem Leser helfen, dass ein Verfasser „das und das gewollt habe“, wenn es nicht realisiert wurde […].97

Die von Climacus in dem ihm eigentümlichen Modus des Hypothetischen eingestreute Mutmaßung ist in der Tat eine leitende These seines Rückblicks: dass nämlich schon die zuvor veröffentlichten Werke auf die von Climacus ,entdeckte‘ und erstmals thematisierte Form der indirekten Mitteilung aufmerksam sind. Bei jeder der von ihm besprochenen Schriften hebt Climacus hervor, dass sie sich in der doppeltreflektierten, indirekten Form vollziehe; bei jeder versucht er aufzuzeigen, dass sie sich dem Dozieren und dem direkten Ausdruck entziehe.98 Besonders deutlich heißt es etwa zur Wiederholung: Die Schrift „Die Wiederholung“ wurde auf dem Titelblatt „psychologisches Experiment“ genannt. Dass dies eine doppelt reflektierte Mitteilungs-Form war, wurde mir bald klar. Denn dadurch, dass die Mitteilung in der Form des Experiments geschieht, bildet sie sich selbst einen Widerstand, und das Experiment befestigt eine bodenlose Tiefe zwischen Leser und Verfasser und setzt die Geschiedenheit der Innerlichkeit zwischen sie, sodass das direkte Verständnis unmöglich gemacht ist. Das Experiment ist die bewusste, neckende Zurücknahme der Mitteilung, was für einen Existierenden, der für Existierende schreibt, immer von Wichtigkeit ist, damit das Verhältnis nicht in das eines Schwätzers verwandelt wird, der für Schwätzer schreibt.99

97 AUN1, 245 f. / SKS 7, 229. Vgl. hierzu, auch im Vergleich mit der Einleitung zu Hegels Phnomenologie des Geistes: Mark C. Taylor Journeys to Selfhood. Hegel & Kierkegaard, Berkeley u. a. 1980, S. 2 – 4. 98 Vgl. AUN1, 246, 248 f. / SKS 7, 229, 231 (zu Entweder/Oder); AUN1, 256 f. / SKS 7, 238 (zu Furcht und Zittern); AUN1, 257 – 259 / SKS 7, 238 – 240 (zur Wiederholung); AUN1, 284 f. / SKS 7, 263 f. (andeutend zu den Stadien). Die Stelle zu den Brocken wird sogleich detaillierter besprochen. – Eine Ausnahme bildet Der Begriff Angst, von dem es heißt, seine Form sei „direkt und sogar ein wenig dozierend“ (AUN1, 264 / SKS 7, 245). Dieses Urteil wird in der Interpretation der Angstschrift zu diskutieren sein; vgl. unten, IV.2.5. 99 AUN1, 258 / SKS 7, 239.

134

II.1 Doppelreflexion der Mitteilung in Begriff und Durchführung

Der Abstand zwischen Mitteiler und Empfänger, die Geschiedenheit der Innerlichkeit und das zurücknehmende Sich-entgegen-Arbeiten der Mitteilung – all dies sind Bestimmungen, die Climacus selbst zuvor entwickelt hatte und die er nun in seiner Lektüre der pseudonymen Werke konkretisiert und als deren Verfahren aufweist. Somit ist Climacus’ Blick auf das frühere pseudonyme Werk in zweifacher Weise charakterisiert: Einerseits wahrt sein Durchgang durch die Schriften die Doppelreflexion und den Abstand zu den anderen Pseudonymen, indem er aus der Perspektive des Lesers und Dritten gegeben wird, der zudem ausdrücklich darauf hinweist, keinen Einblick in die Absichten der jeweiligen Verfasser zu haben. Andererseits zeigt sich in der Perspektive des Climacus die erst von ihm explizit erörterte doppeltreflektierte Form als die Methode schon des frühen pseudonymen Werks. Dass Climacus gerade in der Retrospektive am Verfahren der Doppelreflexion festhält, ist insbesondere im Vorblick auf den Gesichtspunkt festzuhalten.

c) ,Mitteilung über das Indirekte‘ und ,Fortnehmen‘ Auch in seine Darstellung des früheren Werks lässt Climacus beiläufig wieder theoretische Bemerkungen zur Mitteilungsform einfließen. So heißt es etwa im Kontext von Furcht und Zittern: „Innerlichkeit kann nicht direkt mitgeteilt werden, denn dass sie direkt gesagt wird, ist eben die Äußerlichkeit (dass ihre Bewegung nach außen ist, nicht nach innen), […] und die Entgegennahme der Innerlichkeit ist nicht die direkte Wiedergabe des Mitgeteilten“.100 Damit ist nochmals auf den Widerspruch zwischen Innen und Außen hingedeutet – und zugleich auf die Selbsttätigkeit der Aneignung, in der das Mitgeteilte nicht bloß passiv aufgenommen wird. Die theoretischen Bestimmungen verdichten sich nun im Kontext von Climacus’ kurzer Skizze zu seinen Philosophischen Brocken, und hier werden nochmals Aspekte der Mitteilungsdialektik formuliert, die sich mit dem Vorherigen nicht unmittelbar decken. Climacus zeigt zunächst die indirekte Form der Brocken kurz an, verzichtet dann aber auf eine nähere Besprechung. In der Begründung dieses Verzichts findet sich eine aufschlussreiche Bemerkung zur Darstellung des Indirekten als solchem: 100 AUN1, 254 / SKS 7, 236; vgl. auch die Ausführungen in AUN1, 258 f. / SKS 7, 239 f.

2. Rückblick von Außen

135

Eine Besprechung der Brocken und ihres indirekten Verfahrens müsste, so notiert Climacus, „dann konsequent wieder in der indirekten Form der Doppel-Reflexion gemacht werden“.101 Hier ist also tatsächlich die Notwendigkeit einer Verdopplung des Indirekten formuliert: Die Darstellung des Indirekten muss konsequent selbst indirekt sein. Wie schon in der Lessing-These bleibt allerdings unklar, was genau mit dieser ,Konsequenz‘ gemeint ist – wieder einmal sagt Climacus nämlich nicht explizit, eine direkte Darstellung des Indirekten sei unmçglich. Auch die folgenden Reflexionen widmen sich weiterhin diesem Problem. Climacus richtet den Blick aufs Ganze der pseudonymen Schriften und stellt sich selbst die Frage, ob er sich „nicht in einem Missverständnis“ befinde, indem er „etwas bei Lesern voraussetze“.102 Diese womöglich erläuterungsbedürftige ,Voraussetzung‘ betrifft nun eben diejenige Form der Mitteilung, die zuvor als Verfahren der pseudonymen Schriften ausgewiesen worden war. Climacus erläutert, sein „Begriff der Mitteilung durch Bücher“ sei „höchst verschieden“ von dem, was er „sonst diesbezüglich vorgetragen“ sehe. „Die indirekte Mitteilung“ mache „das Mitteilen in einem anderen Sinne zur Kunst“ als die Mitteilung eines Wissens – und dasjenige, was „eben die Mitteilung so dialektisch schwierig macht“, bestehe darin, „dass der Empfänger ein Existierender ist, und dies ist das Wesentliche.“103 Zur Erläuterung dieser Ausrichtung auf den Empfänger als Existierenden heißt es weiter: Einen Mann auf der Straße anzuhalten und stillzustehen, um mit ihm zu sprechen, ist nicht so schwierig, wie im Vorbeigehen einem Vorbeigehendem etwas sagen zu sollen, ohne selbst stillzustehen oder den Anderen aufzuhalten, ohne ihn dazu bewegen zu wollen, denselben Weg zu gehen, sondern ihn eben anzuregen, seinen eigenen Weg zu gehen: und derart ist das Verhältnis zwischen einem Existierendem und einem Existierendem, wenn die Mitteilung die Wahrheit betrifft, als Existenz-Innerlichkeit.104

Bildhaft illustriert das ,Im-Vorbeigehen-Mitteilen‘ die Trennung der Existierenden voneinander – und die indirekte Form ist hier durch die Singularitt der Existenz begründet. Entscheidend ist aber nun für den gesamten Passus, dass Climacus das indirekte Verfahren ausdrücklich als eine Voraussetzung bezeichnet, die 101 AUN1, 269 / SKS 7, 249; vgl. hierzu Lars Bejerholm „Meddelelsens Dialektik“. Studier i Søren Kierkegaards teorier om spr k, kommunikation och pseudonymitet, Kopenhagen 1962, S. 159 sowie Greve Kierkegaards maieutische Ethik, S. 16 f. 102 AUN1, 270 / SKS 7, 250. 103 AUN1, 270 f. / SKS 7, 250 f. 104 AUN1, 271 / SKS 7, 251.

136

II.1 Doppelreflexion der Mitteilung in Begriff und Durchführung

zum Verständnis des pseudonymen Werks wesentlich sei. Darin ist impliziert, diese ,Voraussetzung‘ selbst lasse sich gleichsam ,vorab‘ oder ,propädeutisch‘ mitteilen – und zwar offenbar direkt mitteilen. In diesem Sinne wird dann die Frage auch formuliert: „Bezüglich dieser meiner dissentierenden Auffassung des Mitteilens ist es mir bisweilen eingefallen, ob sich nicht doch dies, betreffs der indirekten Mitteilung, direkt mitteilen lasse.“105 Hieß es eben noch, die Doppelreflexion müsse ihrerseits konsequent indirekt dargestellt werden, erscheint nun eine direkte Mitteilung des Indirekten gleichsam in ,zweiter Potenz‘ wenigstens bedenkenswert. Dabei ist aber einmal mehr unklar, was Climacus genau im Blick hat: ob er nämlich bloß an eine direkte Mitteilung der Notwendigkeit und ,Motivation‘ des Indirekten denkt – oder ob er tatsächlich meint, das Indirekte lasse sich in seiner Struktur direkt zur Darstellung bringen. Überdies stellt sich die Frage, ob Climacus nicht soeben – und noch mehr in der Lessing-These – selbst schon eine direkte Mitteilung des Indirekten gegeben hat. Offenbar ist er nicht dieser Ansicht, ohne dies aber zu erläutern. Die Antwort, die Climacus sich nun selbst gibt, ist für Kierkegaards gesamte Reflexion über eine ,Darstellung des Indirekten‘ bezeichnend. Climacus verweist einmal mehr auf Sokrates: Dieser habe zwar mit dem Dialog ein indirektes Verfahren verwendet, aber doch bisweilen „selbst länger geredet“, weil er meinte, dem Gesprächspartner zunächst eine „Aufklärung“ geben zu müssen, bevor das Gespräch beginnen könne.106 Mit Blick auf den eigenen Fall bemerkt nun Climacus, dies erscheine ihm als „Inkonsequenz“ und „Ungeduld“, die bloß fürchte, „dass es zu lange dauern würde, bis man dazu kommen könne, einander zu verstehen“; er selbst meine aber, „mit der indirekten Methode“ müsse „doch ganz dasselbe erreicht werden können, nur langsamer“.107 Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass dieses Argument gar nicht auf die Frage antwortet, die gestellt worden ist. Das Sokrates-Beispiel und Climacus’ Antwort verweisen nämlich auf ein direktes Sprechen in erster Potenz, 105 AUN1, 271 / SKS 7, 251 f. Diese Überlegung ist wohl der Keim zu Kierkegaards 1847 erwogenem Plan, die Mitteilungsdialektik in Form von Vorlesungen ,direkt‘ zur Darstellung zu bringen. Offensichtlich soll nämlich dieses Vorhaben unter anderem dazu dienen, dem Publikum die Verfahrensweise der pseudonymen Werke verständlicher zu machen. Vgl. dazu unten, II.3.2.a) und sowie II.4.2.a). 106 AUN1, 271 / SKS 7, 252. 107 AUN1, 271 f. / SKS 7, 252. Dies ist übrigens eine der wenigen Stellen in Kierkegaards Werk, an denen der Ausdruck ,indirekte Methode‘ verwendet wird.

2. Rückblick von Außen

137

unterschieden von einem indirekten Sprechen gleichfalls in erster Potenz. Die Frage der ,Darstellung des Indirekten‘ in zweiter Potenz ist überhaupt nicht berührt – sie scheint nur kurz auf, um sogleich wieder zu verschwinden. Diese eigentümliche Vermischung der Ebenen findet sich beinahe überall dort, wo Kierkegaard auf das Zentralproblem der indirekten Methode aufmerksam ist: Stets wird die Möglichkeit einer ,Mitteilung ber die Mitteilungsform‘ mit Argumenten aus der Praxis der Mitteilung (in erster Potenz) diskutiert – und bleibt deshalb im Einzelnen unklar. Neben dieser unausgeführten ,metatheoretischen‘ Reflexion notiert Climacus im Umfeld der Brocken aber auch wieder eine nähere Bestimmung des indirekten Verfahrens. Eine lange Anmerkung widmet sich nun doch der ,Form‘ der Brocken, und zwar im Ausgang von einer anonym erschienenen Rezension der Schrift.108 Zu dieser vermerkt Climacus kritisch: Das Referat ist dozierend, rein dozierend; der Leser wird also den Eindruck bekommen, dass die Pièce auch dozierend ist. Dies ist nun in meinen Augen der verkehrteste Eindruck, den man von ihr bekommen kann. Von dem Gegensatz der Form, von dem neckenden Widerstand des Experiments gegen den Inhalt, von der dichterischen Frechheit (die sogar das Christentum dichtet), von dem einzigen Versuch, der unternommen wird, weiterzugehen, weiter nämlich als das so genannte spekulierende Konstruieren, von der unermüdlichen Tätigkeit der Ironie, von dem ganzen Parodieren der Spekulation in der Anlage, von dem Satirischen, dass Anstrengungen gemacht werden, als sollte was ganz Außerordentliches und zwar Neues kommen, während beständig die alte Orthodoxie in gehöriger Strenge kommt: von all diesem bekommt der Leser des Referats gar keine Ahnung.109

Hier ist am Exempel eine ganze Reihe sehr konkreter Mitteilungsbestimmungen aufgerufen, die sich aus Climacus’ expliziter Mitteilungsreflexion nicht unmittelbar ergeben: Von einem ,Parodieren der Spekulation‘ etwa war zuvor nicht gesprochen worden; und auch die ,Gegensatzform‘ wird nun plastischer als in ihrem ,allgemeinen‘ Aufweis. In systematischer Hinsicht zeigt diese Konstellation, dass die bestimmten Formen der Mitteilung und die Durchfhrung der Mitteilung nicht einfach

108 Die Rezension stammt von dem dänischen Theologen A. F. Beck, der auch schon die Ironieschrift rezensiert hatte (vgl. dazu unten, III.1.1.); vgl. [A. F. Beck] „Philosophische Brocken oder ein Bißchen Philosophie“ in Neues Repertorium fr die theologische Literatur und kirchliche Statistik, 2, 1845, H. 1, S. 44 – 48. 109 AUN1, 270 Anm. / SKS 7, 250 Anm.; das Hervorgehobene deutsch im Original.

138

II.1 Doppelreflexion der Mitteilung in Begriff und Durchführung

aus ihrem Begriff folgen: Sie entwickeln sich allein in Bezug auf eine konkrete Fragestellung oder einen konkreten ,Experimentalaufbau‘. Entscheidend ist nun, dass Climacus im Anschluss an seine Kritik der Rezension auch eine allgemeinere, und zwar neue Bestimmung des indirekten Verfahrens notiert. Ausgangspunkt ist die – erst kurz zuvor eingebrachte – Gegenüberstellung von Existenz und Wissen. Die Brocken seien, so führt Climacus aus, nicht für den „Nicht-Wissenden“ geschrieben, der etwas zu wissen bekommen solle, sondern „für Wissende, deren Unglück es ist, dass sie zu viel wissen“.110 Diesen Gedanken reformuliert Climacus sodann in der Terminologie der Mitteilung, und diese wird nun explizit auf das Christliche bezogen – und zwar nicht auf das Christliche als solches, sondern auf die ,gegenwärtige Situation‘ der Christenheit: Die christliche Wahrheit ist dadurch, dass alle sie wissen, allmählich zu einer solchen Trivialität geworden, dass es schwer fällt, einen primitiven Eindruck von ihr zu bekommen. Wenn dies sich derart verhält, wird das MitteilenKönnen schließlich zu der Kunst, fortnehmen oder fortnarren zu können.111

Obgleich die Mitteilung nach wie vor auf den existenziellen Vollzug (im Unterschied zum bloßen Wissen) zielt, prägt sich doch ein sehr spezifisches Verständnis aus, das etwa in der Lessing-These noch nicht formuliert ist: Die Mitteilung ist nun als polemisches und ,negatives‘ Verfahren bestimmt, das gegen ein vermeintliches Wissen vorgeht und dieses ,fortnehmen‘ muss. Damit weicht aber Climacus von seinem ,Plan‘ ab: Dort hatte er das ,Missverständnis‘ zwischen Christentum und Spekulation dadurch beleuchten wollen, dass er das Existieren als solches freilegte – und in diesem Zusammenhang hatte die indirekte Form als grundstzliche Form des Existenziellen ihren Ort. Nun aber wird ein taktischer Begriff der Mitteilung formuliert, der gegen eine Zeit vorgeht, die „systematisch ableiernd mit dem Verständnis des Christentums und mit dem Verständnis aller Schwierigkeiten fertig geworden ist“.112 Darin zeigt sich eine mçgliche Konsequenz aus Climacus’ Frage nach dem ,Missverhältnis‘ von Chris110 AUN1, 270 f. Anm. / SKS 7, 250 Anm. 111 AUN1, 271 Anm. / SKS 7, 250 f. Anm. Auch einige Formulierungen zu den Brocken im Haupttext deuten in diese Richtung, vgl. AUN1, 269 / SKS 7, 249. Vgl. zu dieser Konzeption sowie zu Climacus’ Kritik an der Rezension Becks: Paul Muench „The Socratic Method of Kierkegaard’s Pseudonym Johannes Climacus: Indirect Communication and the Art of ,Taking Away‘“ in Kierkegaard and the Word(s). Essays on Hermeneutics and Communication, hrsg. v. Poul Houe / Gordon D. Marino, Kopenhagen 2003, S. 139 – 150. 112 AUN1, 272 Anm. / SKS 7, 251 Anm.

3. ,Möglichkeitsmitteilung‘

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tentum und Spekulation, die den Begriff der Mitteilung wesentlich verschiebt: Wird nämlich allein auf dieses Missverhältnis fokussiert, so verliert die indirekte Methode ihre konstitutive Bedeutung für ein Denken der Existenz; sie wird zu einer reinen Taktik, die allein aufgrund einer spezifischen geschichtlichen ,Situation‘ notwendig ist. Zwar spricht Climacus noch nicht vom ,Sinnentrug‘ der Christenheit oder dem ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ – zweifelsohne ist es aber diese Stelle der Nachschrift, die dem maieutisch-teleologischen Mitteilungsbegriff des späteren Gesichtspunkts am Nächsten kommt.

3. ,Möglichkeitsmitteilung‘ – Die Form des subjektiven existierenden Denkers Die Bestimmungen der Mitteilung im Umfeld des ,Blicks‘ weisen im Ganzen die Tendenz auf, sich einem rein kommunikativen und maieutischen Verfahren anzunähern. Dass aber der Gedankengang der Nachschrift nicht in einsinniger Teleologie auf ein solches Verständnis zuläuft, macht der letzte Abschnitt deutlich, der sich der Mitteilung ausführlicher widmet: „Der subjektive Denker, seine Aufgabe d. h. sein Stil“. Schon der Titel zeigt, dass Climacus nun zum ,subjektiven Denker‘ der LessingThese zurückkehrt. Allerdings wiederholt der Abschnitt nicht einfach das Frühere, sondern gibt eine wichtige Reformulierung der Mitteilungsdialektik. Dabei greift Climacus ein Begriffspaar auf, das das Kapitel 3 im Ganzen leitet: die modalkategoriale Opposition von Wirklichkeit und Mçglichkeit. Dieses Begriffspaar wird von Kierkegaard insbesondere seit dem Besuch der Schelling-Vorlesung 1841/42 verwendet und zumeist polemisch gegen eine spekulative Philosophie Hegelscher Couleur ausgespielt: Die ,distrahierte‘ Spekulation halte sich nicht nur im reinen Möglichkeitsmodus des Denkbaren und lasse die Existenzwirklichkeit aus; sie okkupiere gar die Wirklichkeit und stelle sie in der ,falschen‘ Sphäre dar.113

113 Vgl. dazu besonders AUN2, 19 – 47 / SKS 7, 290 – 314; in mitteilungstheoretischer Hinsicht auch AUN2, 27 f. / SKS 7, 297 und zum Ganzen Lore Hühn Kierkegaard und der Deutsche Idealismus. Konstellationen des bergangs, Tübingen 2009, bes. S. 98 – 168; vgl. auch Lore Hühn / Philipp Schwab „Kierkegaard and German Idealism“ in The Oxford Handbook of Kierkegaard, hrsg. v. George Pattison / John Lippitt, Oxford 2013 (in print), hier bes. Abschnitt II.1 – 4.

140

II.1 Doppelreflexion der Mitteilung in Begriff und Durchführung

Dieses Begriffspaar lässt sich zunächst recht problemlos auf die Distinktion der Lessing-These übertragen: Dem objektiven, ,existenzvergessenen‘ Denken entspricht die Mçglichkeit; dem subjektiven Existenzdenken die Wirklichkeit. Wird aber nun diese Begrifflichkeit selbst mitteilungstheoretisch verwendet, so zeigt sich eine eigentümliche Verschiebung: Aber Existenzwirklichkeit lässt sich nicht mitteilen; und der subjektive Denker hat in seiner eigenen ethischen Existenz seine eigene Wirklichkeit. Wenn Wirklichkeit von [einem] Dritten verstanden werden soll, muss sie als Möglichkeit verstanden werden, und ein Mitteilender, der sich dessen bewusst ist, wird deshalb darauf achten, dass seine Existenz-Mitteilung, gerade um in Richtung der Existenz zu liegen, in der Form der Möglichkeit sein muss. Eine Darstellung in der Form der Möglichkeit legt es dem Empfänger so nahe, wie dies zwischen Mensch und Mensch möglich ist, darin zu existieren.114

Der Passus knüpft zunächst an mehrere Motive der Lessing-These an, etwa an die Auffassung, die Innerlichkeit – hier: Existenzwirklichkeit – des subjektiven Denkers gehöre ihm als Einzelnem und nur ihm zu, oder auch an die Aufmerksamkeit auf die ,Verschiedenheit‘ des Empfängers. Die modalkategorische Formulierung hat allerdings eine doppelte Pointe, die in der Akzentuierung von der Lessing-These abweicht: Erstens wird hier nämlich gesagt, Existenzwirklichkeit lasse sich berhaupt nicht mitteilen. Durch die ,Sphärentrennung‘ zwischen Wirklichkeit und (Denk-) Möglichkeit ist die Inkommensurabilitt der Existenz für das Denken klarer bezeichnet als in der Unterscheidung von subjektivem und objektivem Denken. In dieser Perspektive ist die Auffassung einer bloß nachtrglichen indirekten (doppelten) Reflexion, wie sie etwa im Ausdruck-Form-Paradigma formuliert ist, von vornherein ausgeschlossen. Die Existenzwirklichkeit als solche entgeht der Mitteilung, sie ist ein beständig Ausstehendes, dem Begriff Entgehendes und verweist so auf die Grenze des Sagbaren. Derart ist auch in der Mitteilung der Hiatus festgehalten, der in der Lessing-These explizit nur in der Doppelgestalt des subjektiven Denkers benannt worden war. Zweitens ist es nun aufschlussreich, wie Climacus unter modalkategorialen Vorzeichen die Form der Mitteilung bestimmt: Sie ist Mçglich114 AUN2, 62 f. / SKS 7, 327. Vgl. hierzu Hermann Deuser Sçren Kierkegaard. Die paradoxe Dialektik des politischen Christen. Voraussetzungen bei Hegel. Die Reden von 1847/48 im Verhltnis von Politik und sthetik, München / Mainz 1974, S. 21 f. sowie Mark C. Taylor „Language, Truth, and Indirect Communication“ in Tijdschrift voor Filosofie 37, 1975, S. 74 – 88, hier S. 86 f.

3. ,Möglichkeitsmitteilung‘

141

keitsmitteilung. Dieser Begriff muss nun zunächst irritieren; er scheint die Existenzwirklichkeit in der ,falschen‘ Sphäre behandeln zu wollen, nämlich der bloßer (Denk- oder Phantasie-)Möglichkeit. In der Tat ist dieser Gedanke allerdings doppelbödig und durchaus raffiniert: Ist nämlich die Existenzwirklichkeit nur im Einzelnen gegeben und entzieht sich daher einer jeden direkten Darstellung und Mitteilung, so wird sie eben in jeder Mitteilung und Darstellung verfehlt – aber notwendig verfehlt. Die Mitteilung muss also dieses Verfehlen selbst zum Ausdruck bringen und sich dadurch zurcknehmen. Dies erreicht sie dadurch, dass sie das Existieren als bloß mçgliches vorführt und keineswegs den Anspruch erhebt, eine ,angemessene‘ Darstellung der Existenzwirklichkeit zu geben. Damit weist sie auf etwas hin, das ihrer Sphäre beständig entgeht und notwendig entgehen muss – sie spricht also auf ein Ausstehendes hin, das in ihr selbst nicht gegeben ist. Zugleich hat der Begriff der Möglichkeitsmitteilung eine adressatenbezogene Pointe: Dem Empfänger wird durch den Möglichkeitsmodus der Mitteilung kenntlich gemacht, dass die Existenzwirklichkeit in der Mitteilung noch nicht gegeben ist; die Mitteilung ,legt ihm nahe‘, das als Mögliches Mitgeteilte in Wirklichkeit zu überführen – und dies gelingt allein dadurch, dass er es in seine eigene Existenzwirklichkeit verwandelt und sich aneignet.115 Damit ist ein doppelter Aspekt der indirekten Mitteilung formuliert, der sich insbesondere in der Analyse der Durchführung der Mitteilung (Teil IV) wird nachweisen lassen: Weil die Wirklichkeit der Existenz sich erstens der Darstellung entzieht (Darstellungsaspekt der Mitteilung) und zweitens als undelegierbar dem Existenzvollzug des Empfängers zur Aneignung überantwortet werden muss (Kommunikationsaspekt der Mitteilung), markiert die indirekte Form ihr beständiges Verfehlen; sie präsentiert sich als bloß mögliche, nicht wirkliche Darstellung und Mitteilung von Existenz. Aus dieser Struktur sind die Formen des Hypothetischen und Experimentellen zu erklären, die sich nicht nur in Climacus’ Erörterung der indirekten Methode selbst, sondern etwa auch 115 Terminologisch ist noch darauf hinzuweisen, dass Climacus in diesem Abschnitt erstmals den Ausdruck „Existenz-Mitteilung“ verwendet – und zwar, wie zitiert, für die Mitteilung des subjektiven Denkers. Diese Wortverbindung wird durchweg an den folgenden Stellen gebraucht, die in der Folge noch den Mitteilungsbegriff nennen. Dabei bezeichnet Climacus zumeist das Christentum selbst als ,Existenz-Mitteilung‘, ohne dass dies aber mitteilungstheoretisch ausführlich diskutiert würde. Vgl. AUN2, 76 Anm., 84, 87, 270 f., 274, 276, 282 – 284, 292, 320, 322 / SKS 7, 326 Anm., 345 f., 348, 508 f., 511 – 513, 518 – 520, 526 f., 550, 552.

142

II.1 Doppelreflexion der Mitteilung in Begriff und Durchführung

in der Experimentalform der Wiederholung oder der Leseransprache von Entweder/Oder werden aufzeigen lassen.

4. Der Abtritt des Pseudonyms – Climacus’ Widerruf der Nachschrift Bis zu diesem Punkt ist gezeigt worden, dass Climacus das Sich-entgegenArbeiten der Doppelreflexion nicht nur in verschiedentlicher Hinsicht bestimmt, sondern stets zugleich praktiziert. Dieses Sich-entgegen-Arbeiten hält Climacus bis zu seinem Abtritt aufrecht, in dem er nun nach etlichen hundert Seiten seine gesamte Schrift widerruft. Climacus teilt in seiner abschließenden „Verstndigung mit dem Leser“ mit, „dass alles so verstanden werden soll, dass es widerrufen ist; dass das Buch nicht nur einen Schluss hat, sondern obendrein einen Widerruf.“116 Das Buch vertrete keine Meinung, ergreife keine Partei, gedenke schon gar keine Sensation zu machen und sei mithin als ganz und gar „überflüssig“ anzusehen.117 Schon in dieser ersten Äußerung zeigt sich ironisch umspielt ein Aspekt der indirekten Form: In der Tat hat nämlich das Buch nicht einen ,Schluss‘ (gemeint ist Kap. 5) und ,obendrein einen Widerruf‘ – vielmehr hat es gerade darin, dass es widerrufen wird, recht eigentlich keinen Schluss, nämlich kein Resultat. Eine nähere Erläuterung dieses Widerrufs gibt Climacus nun allein im Vorbeigehen. Zunächst führt er, da das Buch keinen ,wirklichen Leser‘ für sich in Anspruch nehmen dürfe, die Gestalt eines imaginären Lesers ein: „Für einen Schriftsteller ist nun ein eingebildeter Leser als stille Fiktion und ganz privates Vergnügen etwas, das keinen Dritten etwas angeht“; ein solcher Leser aber sei „absolut der angenehmste von allen Lesern“, verstehe doch dieser „mit einem Male und Stück für Stück“.118 Anlässlich dieses Verstehens greift nun Climacus nochmals seinen Widerruf auf: Der imaginäre – ,ideale‘ – Leser kann verstehen, dass das Verständnis der Widerruf ist, die Verständigung mit ihm als einem einzigen Leser ist ja gerade der Widerruf des Buches, er kann verstehen, dass ein Buch zu schreiben und es zu widerrufen etwas anderes ist, als es zu unterlassen, es zu schreiben, dass ein Buch zu schreiben, das keine 116 AUN2, 333 / SKS 7, 562. 117 AUN2, 332 / SKS 7, 561. 118 AUN2, 335 / SKS 7, 563.

4. Der Abtritt des Pseudonyms – Climacus’ Widerruf der Nachschrift

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Bedeutung für jemanden fordert, doch etwas anderes ist, als es ungeschrieben sein zu lassen […].119

Dieser Widerruf ist in der anglo-amerikanischen Forschung intensiv diskutiert worden; die Debatte lotet im Wesentlichen die Frage aus, ob der Widerruf des Climacus als seine ,persönliche‘ Stellungnahme und ,Positionierung‘ zum Werk als Humorist verstanden werden müsse120 oder ob der Widerruf in der Tat die ganze Schrift in Zweifel ziehe und verwerfe.121 In mitteilungstheoretischer Perspektive aber zeigt sich, dass Climacus’ Widerruf die von ihm praktizierte und theoretisch bestimmte Doppelreflexion in ihre letzte Konsequenz treibt: Climacus muss sein Werk widerrufen, um in seinem Abtritt deutlich zu machen, dass die gesamte Schrift nicht als direkte und resultative Mitteilung verstanden werden darf, die dem Leser einfach etwas zu sagen hätte. ,Performativ‘ setzt Climacus so das Sich-entgegen-Arbeiten der Doppelreflexion ins Werk, die dem Leser ein bloßes Nachsprechen, ein ,objektives‘ Aufnehmen unmöglich macht. Der Widerruf ist mithin zu lesen als die pointierte Selbstzurcknahme des Pseudonyms – und mithin als finale Wiederholung jener Bewegung, die Climacus im gesamten Verlauf der Schrift konsequent praktiziert und festgehalten hatte. Für diese mitteilungstheoretische Interpretation im Sinne des Sichentgegen-Arbeitens spricht insbesondere Climacus’ Hinweis, der ,ideale‘ Leser verstehe, „dass ein Buch zu schreiben und es zu widerrufen etwas anderes ist, als es zu unterlassen, es zu schreiben“, und „dass ein Buch zu schreiben, das keine Bedeutung für jemanden fordert, doch etwas anderes ist, als es ungeschrieben sein zu lassen“.122 In dieser Formulierung zeigt 119 AUN2, 335 / SKS 7, 563. 120 Vgl. hierzu etwa Evans Kierkegaard’s „Fragments“ and „Postscript“, S. 201 – 204; Lippitt Humour and Irony in Kierkegaard’s Thought, S. 47 – 71. 121 Vgl. insbesondere die Beiträge von Conant: James Conant „Must We Show What We Cannot Say?“ in The Senses of Stanley Cavell, hrsg. v. Richard Fleming / Michael Payne, Lewisburg 1983, S. 242 – 283; ders. „Kierkegaard, Wittgenstein, and Nonsense“ in Pursuits and Reason, hrsg. v. Ted Cohen / Paul Guyer / Hilary Putnam, Lubbock 1993, S. 195 – 224; ders. „Putting Two and Two Together: Kierkegaard, Wittgenstein, and the Point of View for Their Work as Authors“ in Philosophy and the Grammar of Religious Belief, hrsg. v. Timothy Tessin / Mario von der Ruhr, London 1995, S. 248 – 331. Für die wohl erste Interpretation in dieser Richtung vgl. Henry E. Allison „Christianity and Nonsense“ in Review of Metaphysics 20, 1967, S. 432 – 460. Vgl. zur Diskussion auch Alastair Hannay „Johannes Climacus’ Revocation“ in Kierkegaard’s Concluding Unscientific Postscript, S. 45 – 61. 122 AUN2, 335 / SKS 7, 563.

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II.1 Doppelreflexion der Mitteilung in Begriff und Durchführung

sich die eigentümliche Doppelbewegung des Indirekten: Climacus sagt ja nicht nichts, sondern spricht und widerruft – und darin spiegelt sich die Eigenart der indirekte Methode, beständig auf ,etwas‘ hinzuarbeiten, das sich entzieht, zugleich aber diesen Entzug selbst hervorzuheben und zu affirmieren. Das Buch ,fordert‘ zudem keineswegs, dem Leser aus Autorität etwas verkünden zu können. Diese scheinbare ,Abwendung‘ vom Leser ist aber in der Tat eine Hinwendung und Zueignung: Das Werk unterstreicht noch in seinem Abschluss, dass es keine Bedeutung hat ohne den Leser – keinen Sinn, der ohne dessen tätige Aneignung einfach zu haben wäre.

5. Der Auftritt des Autors – Kierkegaards ,Erste und letzte Erklärung‘ Mit Climacus’ Widerruf endet aber die Nachschrift keineswegs, es folgt der letzte Akt: der Auftritt des Autors, „Eine Erste und letzte Erklärung“, unterzeichnet von Søren Kierkegaard. Sollte allerdings der Leser der Meinung sein, das permanente Sich-entgegen-Arbeiten der Doppelreflexion sei ein – womöglich amüsantes – Verwirrspiel des Humoristen Johannes Climacus, das nun durch eine direkte Mitteilung des Autors aufgeklärt würde, so sieht er sich schon durch den ersten Satz der ,Ersten und letzten Erklärung‘ eines Besseren belehrt: Noch bevor nämlich Kierkegaard die Reihe der Schriften aufführt, deren Verfasserschaft er ,anerkennt‘, führt er aus, dies geschehe nur der „Form und der Ordnung“ halber und könne „realiter kaum für jemanden ein Interesse haben […] zu wissen“.123 Schon der Beginn der ,Erklärung‘ markiert also, dass das Bekenntnis des Autors zu seinen Schriften, wenigstens ihm selbst, als ein verschwindender und äußerlicher Akt erscheint. Im Ganzen ist Kierkegaards ,Erste und letzte Erklärung‘ das gerade Gegenteil eines alles erklärenden Auftritts, in dem der Verfasser dem Leser und der Mitwelt endlich eröffnet, wie denn das pseudonyme Werk zu lesen und welche Absicht in ihm verfolgt worden sei. Vielmehr tritt hier, auf der Höhe und im geplanten Abschluss des pseudonymen Werks, der Autor auf – um zu verschwinden, ja sein Auftritt ist sein Verschwinden: [M]ein Verhältnis ist noch äußerlicher als das eines Dichters, der Personen dichtet und selbst doch im Vorwort der Verfasser ist. Ich bin nämlich unpersönlich oder persönlich in dritter Person, ein Souffleur, der dichterisch Verfasser hervorgebracht hat, deren Vorworte wiederum ihr Erzeugnis sind, ja 123 AUN2, 339 / SKS 7, 569.

5. Der Auftritt des Autors – Kierkegaards ,Erste und letzte Erklärung‘

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deren Namen es sind. Es ist derart in den pseudonymen Büchern nicht ein einziges Wort von mir selbst; ich habe keine Meinung über sie außer als Dritter, kein Wissen um ihre Bedeutung außer als Leser, nicht das entfernteste private Verhältnis zu ihnen, wie dies zu haben denn auch unmöglich ist zu einer doppelt-reflektierten Mitteilung. Ein einziges Wort von mir persönlich in meinem eigenen Namen würde die anmaßende Selbstvergessenheit sein, die mit diesem einen Wort, dialektisch gesehen, es verschuldete, im Wesentlichen die Pseudonyme vernichtet zu haben. […] Ich bin somit das Gleichgültige, d. h. es ist gleichgültig, was und wie ich bin, gerade weil wiederum die Frage, ob es nun auch in meinem Innersten derart mir selbst gleichgültig ist, was und wie ich bin, etwas diese Hervorbringung absolut nichts Angehendes ist.124

Kierkegaard gibt also keineswegs einen Einblick in den inneren Gang der pseudonymen Schriften, er gibt keine Leseanweisung, steht in keinem ,privaten Verhältnis‘ zum Werk und hat über dieses nur eine Meinung von außen, als „dritte Person“ und „Leser“, ja als der „Gleichgültige“ gegenüber seinen ,eigenen‘ Schriften. Den entscheidenden Hinweis gibt Kierkegaard selbst und ausdrücklich: Ein privates Verhältnis ist unmçglich gerade in Bezug auf eine ,doppeltreflektierte Mitteilung‘. Wie Climacus ist Kierkegaard darauf aufmerksam, den Abstand der Doppelreflexion zu wahren; wie ,sein‘ Pseudonym achtet der Autor darauf, ein unmittelbares Verstehen zu verhindern, indem er eine Versicherung unterlässt, der Verfasser habe ,dieses oder jenes‘ gewollt. Auch Kierkegaard selbst macht die Probe aufs Exempel der indirekten Methode und praktiziert ihr ImSprechen-sich-Zurücknehmen, wenn er als Verfasser auftritt, um auf die Autorität dieser Instanz sogleich wieder zu verzichten.125 Die Parallele zu Climacus’ ,Blick auf ein gleichzeitiges Streben‘ ist augenscheinlich. Ebenso wenig wie das Pseudonym erhebt Kierkegaard Anspruch auf eine Introspektion und letztgültige Aufschlüsselung der Werkfolge. Beide Texte erweisen sich als komplementär: Konnte ein unbedarfter Leser in Climacus’ Retrospektive noch den Eindruck gewinnen, hier schiebe der Autor – wie ironisch gebrochen auch immer – sein eigenes Verständnis des Werks unter, so wird nun klar, dass der Verfasser auf eine Meinung als Verfasser verzichtet. Umgekehrt aber muss der kommentierende Werkdurchgang dem Indirekten in zweiter (pseudonymer) Potenz überlassen werden, würde eine Retrospektive des 124 AUN2, 339 f. / SKS 7, 569 f. 125 Vgl. zum Zusammenhang der ,Ersten und letzten Erklärung‘ mit Climacus’ Widerruf auch Nientied Kierkegaard und Wittgenstein, S. 38 – 49 sowie Poole Kierkegaard. The Indirect Communication, S. 160 – 164.

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II.1 Doppelreflexion der Mitteilung in Begriff und Durchführung

Verfassers bei aller Brechung doch nahe legen, hier werde autoritativ der Sinn der Schriften erläutert. Noch in anderer Hinsicht ist Kierkegaards ,Erste und letzte Erklärung‘ äußerst aufschlussreich: Kierkegaard hebt nämlich mit Nachdruck die Eigenstndigkeit der Pseudonyme hervor. Diese sind nicht bloß ,Sprachrohr‘ des Autors oder von ihm gedichtete Personen, sie sind selbst Verfasser und somit Urheber ihrer Werke, nicht bloß deren Protagonisten; ihre Vorworte, ja noch ihre Namen sind ihnen selbst zuzuschreiben. Im Blick auf die indirekte Methode bedeutet dies, dass die Pseudonyme selbst für die Doppelreflexion verantwortlich zeichnen: Die Pseudonyme sind nicht das verschwindende Werkzeug einer geheimen Mitteilung des Verfassers – sie sind vielmehr selbst die Instanzen der doppeltreflektierten Form in der jeweiligen Schrift. So schärft Kierkegaard etwa wenig später ein, er selbst sei nicht etwa mit dem Herausgeber von Entweder/Oder, Victor Eremita, identisch – dieser sei vielmehr ein „dichterisch-wirklicher subjektiver Denker“126 und als solcher in seiner Eigenständigkeit wahrzunehmen. Die nachdrückliche Forderung, die Pseudonyme je für sich als ,Individualitäten‘ wahrzunehmen und ihre Erzeugnisse nicht einfach dem ,juristischen‘ Verfasser zuzuschlagen, gipfelt schließlich in einer Bitte Kierkegaards: Mein Wunsch, meine Bitte ist es daher, dass man, wenn es jemandem einfallen sollte, eine einzelne Äußerung der Bücher zitieren zu wollen, mir den Dienst erweisen wolle, den Namen des respektiven pseudonymen Verfassers zu zitieren, und nicht meinen […].127

*** Noch bis in ihre letzten Zeilen, noch bis in den zweideutigen ,Auftritt des Autors‘ hinein hält also die Nachschrift die doppeltreflektierte Form fest; jedes unmittelbare Verstehen wird unmöglich gemacht, jeder neugierige Blick hinter die ,Kulisse‘ der indirekten Methode – die eben alles andere als bloße Kulisse ist – wird zurückgewiesen. In ihrer Durchfhrung darf die Nachschrift als konsequentes Exempel indirekter Mitteilung gelten: Noch 126 AUN2, 340 / SKS 7, 570. 127 AUN2, 341 / SKS 7, 571. Diese Passage macht Poole zum Titel und Ausgangspunkt seiner Untersuchung, vgl. Roger Poole „,My Wish, My Prayer‘. Keeping the Pseudonyms Apart“ in Kierkegaard Revisited. Proceedings from the Conference „Kierkegaard and the Meaning of Meaning It“, Copenhagen, May 5.–9. 1996, hrsg. v. Niels Jørgen Cappelørn / Jon Stewart, Berlin / New York 1997, S. 156 – 176.

5. Der Auftritt des Autors – Kierkegaards ,Erste und letzte Erklärung‘

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die Bestimmung der Methode wird ihrerseits in indirekter Form gegeben; noch die Rückblicke auf das frühere Werk vollziehen sich in der dialektischen Mitteilung – und selbst noch die ultimative ,Erste und letzte Erklärung‘ des Verfassers ist dessen doppeltreflektierte Selbstzurücknahme. In theoretischer Hinsicht hat sich allerdings eine Ambivalenz ausweisen lassen, die der doppeltreflektierten Darstellung der Methode nicht einfach zuzuschlagen ist: Einerseits möchte Climacus die indirekte Mitteilung als grundlegende und unhintergehbare Form der Existenzmitteilung und -darstellung profilieren, die sich vom ,existenzvergessenen‘ objektiven Denken abstößt. Andererseits aber lässt sich schon in der Nachschrift die Tendenz nachweisen, die indirekte Reflexion als äußerlichen und nachträglichen Zusatz aufzufassen. Besonders in der Ausdruck-FormDifferenz der Lessing-These und in einigen Bestimmungen in Climacus’ ,Plan‘ zeigt sich bereits ein spezifisch maieutischer Zugriff auf die Mitteilungsbewegung, die diese in rein kommunikationstheoretische Begriffe fasst. Auch das taktische Konzept einer Mitteilung, die als ,Fortnehmen‘ polemisch gegen ein vermeintliches Wissen operiert, findet sich bereits bei Climacus. Diese zweite Hinsicht wird sich in den folgenden Entwürfen immer deutlicher ausprägen. Dass aber Kierkegaard selbst abschließend eine jede Engführung von Werk und Person, jede Frage nach seinem Verhältnis zu den Pseudonymen zurückweist, ist bemerkenswert – und für das nächste zu interpretierende Werk festzuhalten: den Gesichtspunkt fr meine Wirksamkeit als Schriftsteller.

II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung Der Gesichtspunkt und ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller Im 1848 verfassten, aber erst 1859 postum veröffentlichten Gesichtspunkt fr meine Wirksamkeit als Schriftsteller spricht nun Kierkegaard in eigenem Namen und ohne pseudonyme Brechung über sich selbst und sein Werk. Unmittelbar legt es sich nahe, hier sei Kierkegaards wahrstes Wort über seine gesamte ,Produktivität‘ formuliert. In der Tat ist es eben dieser Anspruch, den der Verfasser mit der Schrift verbindet: Sie soll nicht einen, sondern den Gesichtspunkt für die gesamte schriftstellerische Wirksamkeit angeben – in Kierkegaardscher Wendung gleichsam die „Seemarke“, nach der das ganze Werk steuert.128 Der Gesichtspunkt macht nicht nur den ,Einen und Einzigen Gedanken‘ ausdrücklich, der das Gesamtwerk leite und auf den allein es zu beziehen sei, er erläutert auch den inneren Zusammenhang und die ,geheime Maschinerie‘129 des Werks selbst. Dieser doppelte Anspruch ist im Blick auf Kierkegaards gesamtes Schaffen freilich geradezu prekär: Nicht bloß sollen in der Perspektive des Gesichtspunkts das verschachtelte Spiel der Pseudonyme, ihre wechselseitige Bezugnahme ebenso wie die begleitenden Erbaulichen Reden auf einen zentralen Ziel- und Fluchtpunkt hinführen. Auch die innere Struktur und Bewegungsform des Werks lässt sich, kennt man nur sein geheimes Gesetz, direkt bestimmen und durchleuchten. Recht verstanden gibt der Gesichtspunkt dem Leser den Dekodierungsschlüssel in die Hand, der das Werk im Ganzen aufschließt und einem unmittelbaren Verstehen zugänglich macht; er eröffnet den Blick tief hinter die Kulisse von Kierkegaards gesamter ,Schriftstellerei‘.130 128 Vgl. WS, 4 Anm. / SKS 13, 12 Anm. 129 In NB3:22 spricht Kierkegaard selbst von der „intrigante[n] Heimlichkeit der ganzen Maschinerie“ seines Werks (T 2, 184 / SKS 20, 256). 130 Vgl. hierzu und zum Folgenden Philipp Schwab „Direkte Mitteilung des Indirekten? Zum Begriff der Mitteilung in Kierkegaards Gesichtspunkt und ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2010, S. 427 – 456, bes. S. 427 – 441.

II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

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Prekär ist diese „direkte Mitteilung“ in Form eines „Rapport[s] an die Geschichte“131 nun insbesondere in mitteilungstheoretischer Hinsicht. Hat man nämlich noch Kierkegaards oben zitierte ,Erste und letzte Erklärung‘ im Ohr, so muss die im Gesichtspunkt sich ankündigende direkte Mitteilung unter eigenem Namen zunächst irritieren. Schließlich hatte Kierkegaard auf der Höhe der Nachschrift eine direkte Mitteilung über die indirekte gleichsam ,verweigert‘ und zugleich eine jede Engführung von Werk und Autor mit einem ,letzten Wort‘ entschieden zurückgewiesen. Nimmt man nun die Mitteilungskonzeption selbst in den Blick, die Kierkegaard in seinem neuerlichen ,letzten Wort‘ formuliert, wird die Irritation noch potenziert. Die ,Mitteilung in Reflexion‘, die der Gesichtspunkt vorführt, erscheint als eine rein kommunikative Taktik, die einem bestimmten und sehr spezifischen Zweck dient: Sie hat allein die Funktion, den Einzelnen dort abzuholen, wo er steht, und ihn sodann hinzufhren zu dem Punkt, wo er einer Konfrontation mit dem Christlichen nicht mehr ausweichen kann. Überdies kommt der reflektiertindirekten Mitteilung ausschließlich Bedeutung im Horizont eines allgemeinen ,Sinnentrugs‘ zu, nämlich in der ,Situation‘ der Christenheit. Nur angesichts dieser Voraussetzung erscheint ein indirektes Verfahren notwendig; besteht keine ,Einbildung‘, gegen die erst einmal polemisch vorgegangen werden muss, so ist nach dem Gesichtspunkt eine direkte Mitteilung geboten. Diese Konstellation bezeichnet die zentrale Formel vom ,Hineinbetrügen in das Wahre‘. Insofern Ausgangs- und Zielpunkt der Bewegung im Vorhinein feststehen, ist die Konzeption des Gesichtspunkts als maieutisch-teleologischer Mitteilungsbegriff zu bestimmen. Offenbar bedeutet diese vorab skizzierte Bewegung eine wesentliche Verkürzung gegenüber der Mitteilungskonzeption des Climacus. Die existenzielle Notwendigkeit einer indirekten, auf Aneignung zielenden Form, die in der Nachschrift durchweg – und auch in den maieutischen Varianten des Mitteilungsbegriffs – formuliert worden war, ist im Gesichtspunkt nicht mehr nachzuweisen. Die tiefste Schicht in Climacus’ Reflexion des indirekten Verfahrens, nämlich die Inkommensurabilitt der singulären Existenz für den Begriff und die direkte Darstellung, ist wie 131 So die Untertitel der Schrift, vgl. GWS, 19 / SV2 XIII, 547. – Das von Kierkegaard im Gegensatz zum Indirekten zumeist verwendete dänische Wort „ligefrem“ (wörtlich etwa „geradezu“, „geradeheraus“, auch „schlicht“ oder „ohne Umschweife“) wird in dieser Untersuchung, sofern es in Verbindung mit „Mitteilung“ gebraucht wird, stets mit „direkt“ wiedergegeben. Hirsch übersetzt „ligefrem“ zumeist mit „unmittelbar“ und „indirect“ mit „mittelbar“ – wodurch allerdings die direkte Mitteilung zum Negationsbegriff der indirekten wird.

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II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

verschwunden; und auch die polemische Abgrenzung der indirekten Form von der ,existenzvergessenen‘ Spekulation fehlt beinahe gänzlich. Vollends verlassen wird der Horizont der Nachschrift, wenn Kierkegaard fordert, die indirekte Mitteilung habe schließlich zur direkten Mitteilung berzugehen. So erscheint die mit dem Gesichtspunkt gegebene direkte Mitteilung über die indirekte Methode nachgerade als deren Zurcknahme. Im Kontext der vorliegenden Untersuchung stellt freilich diese Mitteilungskonzeption eine besondere Herausforderung dar. Der Anspruch des Gesichtspunkts, eine direkte Mitteilung über das Indirekte geben zu können, steht in deutlichem Kontrast zu der hier leitenden These, die indirekte Mitteilung sei nicht allein als Methode vielgestaltigen Ausdrucks, sondern auch als in sich vielgestaltige Methode zu verstehen, die einer einfachen und direkten Darstellung wesentlich entzogen ist. Insbesondere aber die Bestimmung des indirekten Verfahrens als bloße und überdies durchschaubare Taktik, die zuletzt in die direkte Form berzugehen habe, läuft dem Verständnis der indirekten Mitteilung als Methode Kierkegaards zuwider. Es hat also den Anschein, dass die Untersuchung dem Gesichtspunkt auf die eine oder andere Art wird widersprechen müssen – sei es, dass sie sein Verständnis der Mitteilung zurückweist, sei es, dass sie zeigt, der Gesichtspunkt könne seinen Anspruch auf umfassende und direkte Darstellung des Indirekten nicht aufrecht erhalten. So finden sich in der Tat auch kritische Stimmen in der Forschung, die dem vollmundigen Anspruch der Schrift misstrauen. Nach Sløk etwa muss man angesichts des ,Rapports an die Geschichte‘ durch Kierkegaard sogar „fast mit Sicherheit davon ausgehen, daß er gerade dabei ist, eine Geschichtsfälschung zu betreiben.“132 Es ist allerdings ein Vorzug des systematisch entfalteten 132 Johannes Sløk Christentum mit Leidenschaft. Ein Weg-Weiser zur Gedankenwelt Søren Kierkegaards, München 1990 [Viby 1983], S. 11. Vgl. für kritische Lektüren auch Henning Fenger Kierkegaard, the Myths and Their Origins. Studies in the Kierkegaardian Papers and Letters, New Haven u. a. 1980 [Odense 1976], bes. S. 26 – 31; Bertel Pedersen „Fictionality and Authority: A Point of View for Kierkegaard’s Work as an Author“ in Søren Kierkegaard, hrsg. v. Harold Bloom, New York u. a. 1989, S. 99 – 115. Vgl. zur dekonstruktiven Lesart, die sich im Ergebnis mit diesen Ansätzen oftmals deckt, v. a. Christopher Norris „Fictions of Authority: Narrative and Viewpoint in Kierkegaard’s Writing“ in ders. The Deconstructive Turn: Essays in the Rhetoric of Philosophy, London / New York 1983, S. 85 – 106; Louis Mackey „Points of View for His Work as an Author. A Report from History“ in ders. Points of View. Readings of Kierkegaard, Tallahassee 1986, S. 160 – 192; Joakim Garff „The Eyes of Argus: The Point of View and Points of View on

II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

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Rckstoßes der Methode, dass er den Raum für verschiedene Formulierungen des Indirekten erçffnet und nicht im Vorhinein festschreibt, was allein unter indirekter Mitteilung verstanden werden darf. Statt also die Konzeption des Gesichtspunkts schon aufgrund seines Anspruchs zu bezweifeln und zurückzuweisen, hat die Interpretation sich zunächst auf die Schrift einzulassen und ihren Mitteilungsbegriff zu rekonstruieren. Gemäß dem Anliegen, die verschiedenen Begriffe der Mitteilung in Kierkegaards Werk in ein Verhältnis zueinander zu setzen, ist die Konzeption des Gesichtspunkts sodann mit dem Begriff der Nachschrift zu vergleichen. Dabei wird sich in der Tat zeigen, dass der Begriff des Gesichtspunkts erhebliche Schwierigkeiten inhaltlicher wie auch methodischer Art in sich birgt; insofern ist er zu problematisieren. Die Untersuchung darf bei dieser Problematisierung allerdings nicht stehen bleiben; sie hat die Wandlung des Mitteilungsbegriffs gegenüber der Nachschrift in einem weiteren Schritt auch zu erklren. Diese Erklärung wird insbesondere im folgenden Kapitel gegeben, das die Entwicklung von Kierkegaards Mitteilungsreflexion zwischen 1846 und 1848 rekonstruiert. Im Verlauf dieses ,Wegs zum Gesichtspunkt‘ lässt sich die Frage herausarbeiten, auf welche die retrospektive Mitteilungskonzeption antwortet. Es ist dabei die These der Interpretation, dass der eigentümliche Mitteilungsbegriff des Gesichtspunkts allein aus dem Horizont, in dem er formuliert wird, angemessen zu verstehen und zu beurteilen ist. Ein erster Anhaltspunkt für diese These wird sich allerdings schon aus der Schrift selbst ergeben. Es ist nämlich zu beachten, dass die Erörterung der Mitteilungsform – so prominent sie im Gesichtspunkt auch sein mag – nicht dessen zentrales Thema ist. Das leitende Anliegen Kierkegaards besteht vielmehr in dem Nachweis, dass sein gesamtes Werk nicht etwa als Kierkegaard’s Work as an Author“ [1991] in Søren Kierkegaard. Critical Assessments of Leading Philosophers, hrsg. v. Daniel W. Conway, Bd. 1 – 4, London 2002, Bd. 1, S. 71 – 96. – Die Kritik am Gesichtspunkt konzentriert sich oftmals auf die Frage, ob es sich bei der Retrospektive um eine historisch genaue Darstellung von Kierkegaards Denk- und Lebensweg handele. Diese Problematik steht in der folgenden, mitteilungstheoretischen Lektüre nicht im Vordergrund; übrigens finden sich aber in der Schrift selbst Partien, in denen Kierkegaard deutlich macht, sein Werk verdanke sich nicht einem vorgängigen Plan; vgl. bes. GWS, 72 f. / SV2 XIII, 601 f. und dazu Greve Kierkegaards maieutische Ethik, S. 269 f. Eine aufschlussreiche Diskussion gibt auch David R. Law „A Cacophony of Voices: The Multiple Authors and Readers of Kierkegaard’s The Point of View for My Work as an Author“ in The Point of View (International Kierkegaard Commentary, 22), hrsg. v. Robert L. Perkins, Macon 2010, S. 12 – 47, zur Mitteilung bes. S. 19 – 23.

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II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

Vernderung von einer zunchst ästhetischen zu einer spteren religiösen Schriftstellerei verstanden werden dürfe; im Gegenteil sei die Bewegung des Werks „in einem Atemzug“ gemacht worden und mithin das Religiöse „von Anfang an zur Stelle“ gewesen.133 Hieraus wird zum einen ersichtlich, dass der Gesichtspunkt keineswegs ein Traktat über die Mitteilung ist; vielmehr wird die Mitteilungsform von diesem Grundgedanken aus und auf ihn hin bestimmt. Zum anderen aber zeichnet sich schon in diesem Anliegen der Horizont ab, in dem Kierkegaards seit 1846 verwandeltes Fragen nach der Mitteilungsform steht: Er fragt nämlich insbesondere nach seiner eigenen ,Position‘ zum Werk und meint, für das von ihm Gewollte durch eine direkte Mitteilung einstehen zu müssen. So deutet sich bereits im Werk selbst die Mitteilungssituation an, aus der heraus der Gesichtspunkt spricht – und mithin die bestimmte und zugleich beschrnkte Perspektive seines Zugriffs auf die indirekte Methode. Damit ist die Interpretation in ihren wesentlichen Hinsichten umrissen. Zur Textbasis ist vorab noch das Folgende zu bemerken: Weit weniger bekannt als der im Herbst 1848 verfasste und postum publizierte Gesichtspunkt ist eine kleine, im Frühjahr 1849 entstandene Schrift verwandten Inhalts, die Kierkegaard 1851 selbst veröffentlicht hat – der Text ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller. 134 Diese Schrift ist allerdings in mehrfacher Hinsicht bedeutend. Zum einen ist sie eben noch zu Lebzeiten publiziert worden, und so hat Kierkegaard sich mit den zeitgenössischen Reaktionen auf die in ihr gegebene ,direkte Mitteilung‘ auseinandersetzen können. Es wird im Kap. II.4. der Untersuchung zu zeigen sein, dass gerade eine Rezension der Wirksamkeit Kierkegaard in späten Notizen wieder zu der Auffassung führt, die indirekte Mitteilung sei die ,höchste Form‘ der Mitteilung.135 Zum anderen hat Kierkegaard sich zur Publikation dieser Schrift insbesondere deshalb entschieden, weil sie – wie er 1850 im Journal notiert – „wesentlich nichts über mich“ enthält.136 In der Tat fasst die Wirksamkeit diejenigen Gedanken, die im Gesichtspunkt weitläufiger und ,persönlicher‘ entfaltet sind, in sachlich konzentrierter 133 WS, 4 – 6 / SKS 13, 12 – 14. 134 Vgl. zur Entstehungsgeschichte SKS K13, 38 – 57 sowie in deutscher Sprache die weniger genaue, in den Grunddaten aber verlässliche „Geschichtliche Einleitung“ Hirschs (SS, IX-XV). Vgl. zum Text selbst bes. Joachim Grage „SelbstLektüre als Selbst-Gestaltung. Strategien der Offenheit in ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2010, S. 289 – 303. 135 Vgl. unten, II.4.3., bes. II.4.3.e). 136 NB15:113 (SKS 23, 79); die Aufzeichnung ist längsseitig notiert. Vgl. unten, II.4.3.a).

1. Der Grundgedanke des retrospektiven Selbstverständnisses

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Gestalt. Dies bringt es mit sich, dass auch die Mitteilungskonzeption schärfer und begrifflich klarer formuliert ist – ohne aber von der des Gesichtspunkts wesentlich abzuweichen.137 So fehlt etwa im Gesichtspunkt der wichtige Begriff der Maieutik, der die in beiden Schriften entwickelte Bewegung am präzisesten beschreibt. Aus den genannten Gründen geht die Darstellung von der Wirksamkeit aus und zieht den Gesichtspunkt dort heran, wo er erhellende Formulierungen gibt. Die Interpretation gliedert sich in fünf Schritte: Sie rekonstruiert zunächst den Grundgedanken von Wirksamkeit und Gesichtspunkt (1.); sodann zeigt sie, wie aus diesem Grundgedanken der maieutisch-teleologische Begriff der Mitteilung hergeleitet wird (2.). Um nicht die Problematisierung mit der Darstellung zu vermischen, beschränken sich diese ersten beiden Abschnitte auf den interpretierenden Nachvollzug. Im Anschluss sind mit Blick auf die Nachschrift die inhaltlichen und methodischen Probleme zu diskutieren, die sich aus dem Mitteilungsbegriff des Gesichtspunkts ergeben (3. und 4.). Nachdem so der Kontrast zwischen Gesichtspunkt und Nachschrift gefasst ist, erörtert der letzte Schritt einige zur Hauptkonzeption des retrospektiven Mitteilungsbegriffs gegenlufige Aspekte; zum einen die Bestimmung des ,Aufmerksam-Machens‘, zum anderen ,Einsprengsel‘ aus anderen Horizonten von Kierkegaards Mitteilungsreflexion (5.).

1. Der Grundgedanke des retrospektiven Selbstverständnisses a) Wirksamkeit Die knappste und präziseste Formulierung von Kierkegaards retrospektivem Selbstverständnis 1848/49 gibt der erste Teil von ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller mit dem Titel „Die Rechenschaft“; hier findet sich auch die dichteste und begrifflich profilierteste Fassung der Mitteilungskonzeption. Der Text gliedert sich in einen Auftakt, drei kurze Abschnitte und einen Nachsatz. Nach einer kurzen Einleitung bestimmt 137 Dies ist übrigens angesichts des Reflexionsverlaufs der Journale zwischen der Abfassung beider Schriften durchaus bemerkenswert, vgl. im Detail unten, II.4.1.a)-b). Allem Anschein nach hat Kierkegaard bei der Niederschrift des zentralen Teils der Wirksamkeit den Gesichtspunkt unmittelbar vor Augen gehabt; Hirsch nennt dann auch den späteren Text „eine Art Auszug“ aus dem Gesichtspunkt (vgl. SS, XI).

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II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

Kierkegaard im ersten Abschnitt ansatzlos und in gedrängter Form die Grundbewegung seines Gesamtwerks: Die Bewegung, die die Schriftstellerei beschreibt, ist: vom „Dichter“, – vom Ästhetischen, vom „Philosophen“ – vom Spekulativen, zur Andeutung der innerlichsten Bestimmung im Christlichen: vom pseudonymen „Entweder – Oder“ durch „Abschließende Nachschrift“, mit meinem Namen als Herausgeber, zu „Reden beim Altargang am Freitag“ […].138

Diese erste Bestimmung deutet das Werk als eine dreigliedrige Sukzession. Die erste Phase wird durch das Ästhetische (den Dichter) und das Spekulative (den Philosophen) bezeichnet, als Titel steht mit Entweder/ Oder die erste Schrift der Werkfolge ein; die zweite Phase als ,Durchgangsstadium‘ bildet allein die Nachschrift, die im Gesichtspunkt auch als „Wendepunkt“139 des Gesamtwerks bezeichnet wird; die dritte Phase schließlich ist die Andeutung des Christlichen in den „Reden beim Altargang am Freitag“. Zu beachten sind hier die Hervorhebungen: Neben den Präpositionen ,von‘, ,durch‘ und ,zu‘, die die Sukzession charakterisieren, hebt Kierkegaard die Veröffentlichungsform hervor; die pseudonyme Phase wird als solche markiert, die Zwischenstellung der Nachschrift ist durch die ,Mischform‘ aus pseudonymem Verfasser und dem eigenen Namen als Herausgeber bezeichnet. Erscheint das Werk zunächst in der Sukzessionsform, so wird diese Perspektive im unmittelbaren Anschluss aber sogleich eingeschränkt: Diese Bewegung ist uno tenore, in einem Atemzug, wenn ich so sagen darf, zurückgelegt oder beschrieben, sodass die Schriftstellerei, total betrachtet, religiös ist von Anfang bis Ende, etwas, das jeder, der sehen kann, wenn er sehen will, auch sehen muss.140

Die Bewegung des Werks, die zunächst als Abfolge präsentiert wurde, zeigt sich nun als in einem Zug beschriebene, und zwar derart, dass das Ziel der Bewegung (nämlich das Religiöse) diese zugleich im Ganzen ausmacht. Dies bedeutet allerdings, dass den ersten beiden Werkphasen eine eigenständige Bedeutung abgesprochen wird; sie kommen allein in 138 WS, 4 / SKS 13, 12. Vgl. die Darstellung dieses Dreischritts im Gesichtspunkt (GWS, 25 Anm. / SV2 XIII, 555 Anm.); hier fasst Kierkegaard allerdings als die ,erste Folge‘ das gesamte frühe pseudonyme Werk (mitsamt aller begleitenden Erbaulichen Reden), und als ,dritte Folge‘ das gesamte christlich-erbauliche Werk von 1847/48. Die genannten ,Freitags-Reden‘ sind die vierte Abteilung der Christlichen Reden 1848. 139 GWS, 27 / SV2 XIII, 557. 140 WS, 4 f. / SKS 13, 12 f.

1. Der Grundgedanke des retrospektiven Selbstverständnisses

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dienender und hinführender Funktion in Betracht und sind je schon auf den Endpunkt der Bewegung ausgerichtet. Das pseudonyme Werk erscheint so als verschwindendes Vorspiel des Religiösen. Wichtig ist dabei, dass Kierkegaard schreibt, die ,Totalbestimmung‘ des Religiösen sei am Werk selbst ersichtlich. Wie und woran genau das Ziel der Bewegung erkennbar sein soll, wird freilich noch nicht erläutert. Es ist aber schon an diesem Punkt deutlich, dass Kierkegaard sein ,einziges‘ Anliegen nicht bloß ,versichern‘ oder ,bekennen‘, sondern aus der Struktur des Werks erweisen will. Von dieser Bewegung des Werks her wird nun sein „Urheber[s]“ bestimmt: Zu dem Werk gehöre „einer, der qua Verfasser ,nur Eines gewollt hat‘“, und der „Einsichtige“ werde „sogleich erkennen, dass dieses Eine das Religiöse ist“.141 Wie also das Ganze des Werks religiös ist, so ist es auch die Absicht des Verfassers gewesen; Werk und Verfasser stehen in Parallelität und Einklang. Auch ist wieder hervorzuheben, dass Kierkegaard notiert, das vom Autor Gewollte sei am Werk selbst erkennbar. Offensichtlich macht aber dieses „Eine“, das Religiöse, nicht den Beginn der Werkfolge aus, und so fügt Kierkegaard hinzu, das Religiöse sei das vom Verfasser Gewollte als ganz und gar in Reflexion hineingesetzt, jedoch derart, dass es ganz und gar aus Reflexion zurückgenommen wird in Einfalt, das heißt, er [der Einsichtige] wird sehen, dass der zurückgelegte Weg ist: zu gelangen, zu kommen zu Einfältigkeit.142

Diese Bestimmung präzisiert die Wegstruktur des Werks: Das Religiöse ist zwar das von Anfang an Bestimmende; es ist allerdings zunächst nicht unmittelbar als solches sichtbar, sondern gleichsam im Spiegel der Reflexion – dies aber so, dass das Religiöse zielgerichtet aus der Reflexion herausgenommen wird in die Einfalt. Die Bewegung des gesamten Werkes ist demnach das Herausreflektieren aus der Reflexion. Damit ist in gedrängter Form der Grundgedanke von Kierkegaards retrospektivem Selbstverständnis bezeichnet. Das zentrale Anliegen besteht offensichtlich darin, die Einheit des Gesamtwerks, seine in sich geschlossene Struktur auszuweisen, und zwar als im Ganzen religiöse Einheit. Auch das frühe Werk steht unter dieser Maßgabe, es bietet gleichsam die Verhüllung des Religiösen in Reflexion, die sukzessive 141 WS, 5 / SKS 13, 13. 142 WS, 5 / SKS 13, 13.

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II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

abgestreift wird. Das Werk beschreibt eine ,Heraus-Wicklung‘143 aus der Reflexion, die von einer Zielvorgabe geleitet ist, welche aber nicht außerhalb des Werks liegt, sondern ihm je schon innewohnt.144 Dabei lassen sich zwei Aspekte unterscheiden: Zum einen soll gezeigt werden, dass das im Werk Gewollte das Religiöse ist; zum anderen ist dies auch das vom Verfasser von Beginn an Gewollte. Bis zu diesem Punkt ist allerdings die Darstellung rein deskriptiv. Aus welchem Grund die Verhüllung in Reflexion den Beginn der Bewegung ausmacht, ist noch nicht erklärt worden. Hierzu findet sich noch am Ende des ersten Abschnitts der „Rechenschaft“ ein Hinweis, in dem zugleich der dritte wesentliche Aspekt des Selbstverständnisses angezeigt ist: Das ist, in [der] „Christenheit“, christlich die Reflexions-Bewegung; man reflektiert sich nicht in [das] Christentum hinein, sondern man reflektiert sich aus [dem] Anderen heraus und wird, einfältiger und einfältiger, Christ.145

Diese Bestimmung ist entscheidend für den im Folgenden entwickelten Mitteilungsbegriff: Die beschriebene Bewegung bezieht sich auf die 143 Vgl. dazu auch die auf das Werk bezogene Formulierung im Gesichtspunkt: „[D]er religiöse Schriftsteller hatte sich aus der Verkleidung des Ästhetischen herausgewickelt“ (GWS, 28 / SV2 XIII, 558). 144 In dieser Struktur kommt Kierkegaard einer Hegelschen Denkbewegung näher als ihm eigentlich recht sein kann. Dies lässt sich mit Blick auf die „Einleitung“ zur Phnomenologie des Geistes anzeigen. Dort konturiert Hegel vorab den Gang der Erfahrung des Bewusstseins und notiert u. a., die „Vollstndigkeit der Formen des nicht realen Bewusstseins“ werde „sich durch die Notwendigkeit des Fortgangs […] selbst ergeben“; auch sei das „Ziel […] dem Wissen ebenso notwendig als die Reihe des Fortganges gesteckt“ (Hegel Phn., TWA 3, S. 73 f.). Dieses Ziel liegt aber nicht außerhalb der bezeichneten Bewegung, sondern wohnt dem Bewusstsein wenigstens als Anspruch schon inne. Das natürliche Bewusstsein wird sich nämlich „erweisen, nur Begriff des Wissens oder nicht reales Wissen zu sein“ (Hegel Phn., TWA 3, S. 72). In dieser negativen Charakterisierung aber steckt zugleich eine positive Bestimmung: Das natürliche Bewusstsein hat bereits, wenn auch noch nicht realisiert, den Anspruch, wahres Wissen zu sein. Diese Figur ist freilich mit dem Gedanken Kierkegaards nicht identisch, die Verwandtschaft aber ist unübersehbar: In beiden Fällen wird eine Bewegung beschrieben, die als Entwicklung gedacht wird, und der die Notwendigkeit des Fortgangs wie auch ihr Ziel vorgängig eingeschrieben sind; in beiden Fällen handelt es sich überdies um eine Bewegung, die sich sukzessive des falschen Scheines entledigt. Schließlich besteht eine Parallele darin, dass Kierkegaard eine Perspektive einnimmt, die souverän die Bewegung überschaut – durchaus dem Hegelschen ,Standpunkt der Wissenschaft‘ ähnlich, der die Phnomenologie überblickt. Vgl. ausführlicher zu dieser Passage der Phnomenologie unten, IV.3.1.b). 145 WS, 5 / SKS 13, 13.

1. Der Grundgedanke des retrospektiven Selbstverständnisses

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,Situation‘ in der „Christenheit“; das Werk entspricht der Bewegung des ,Herausreflektierens‘ aus der Christenheit in das Christentum. Offenbar ist der Beginn des Werks als Verhüllung in Reflexion wesentlich durch diese ,Situation‘ bedingt – und es wird sich in der Tat zeigen, dass allein unter dieser ,Voraussetzung‘ die Bewegung des Herausreflektierens als notwendig und geboten erscheint.146

b) Gesichtspunkt Bevor nun vor diesem Hintergrund der Mitteilungsbegriff zu untersuchen ist, gilt es, einen kurzen Blick auf den Gesichtspunkt selbst zu werfen. Bemerkenswerterweise werden nämlich alle drei der soeben entwickelten Aspekte des Selbstverständnisses – das Religiöse als das erstens im Werk und zweitens von seinem Verfasser Gewollte sowie drittens die ,Situation‘ der Christenheit – dort gleich auf der ersten Seite benannt. Die „Einleitung“ des Gesichtspunkts beginnt mit den folgenden Worten: In meiner Wirksamkeit als Schriftsteller ist ein Punkt erreicht, wo es sich machen lässt, wo ich ein Bedürfnis danach empfinde, [und] was ich deshalb nun als meine Pflicht ansehe: ein für alle Mal so direkt und offen und bestimmt wie möglich zu erklären […], was ich als Schriftsteller von mir sage, das ich bin.147

In diesem Passus – der übrigens wörtlich Formulierungen aus dem Journal NB6 übernimmt148 – wird das Anliegen der Retrospektive deutlicher und 146 Vgl. zu diesem Zusammenhang auch George Pattison Kierkegaard: The Aesthetic and the Religious. From the Magic Theatre to the Crucifixion of the Image, London 1992, S. 70 – 72. 147 GWS, 21 / SV2 XIII, 551. 148 Im folgenden Kapitel II.3. soll insbesondere gezeigt werden, dass sich die Entwicklung von Kierkegaards spätem Selbstverständnis – und zugleich des maieutisch-teleologischen Werk- und Mitteilungsverständnisses – sukzessive aus dem Nachlass 1846 – 1848 rekonstruieren lässt. Das zentrale Dokument ist dabei das Journal NB6 vom Sommer 1848, in dem Kierkegaard innerhalb kürzester Zeit die Grundgedanken des Gesichtspunkts fixiert. Der oben zitierte Auftakt des Gesichtspunkts entspricht denjenigen Eintragungen, in denen Kierkegaard den Entschluss zu einer Darstellung ,über sich selbst‘ notiert. Die Formulierung zieht Wendungen aus mehreren Journalnotizen zusammen, vgl. NB6:61 (erster Plan zur direkten Darstellung) und NB6:70: „Das wird doch gewiss das Richtige [sein]: einmal der Mitwelt einen bestimmten und nicht-reduplizierten Eindruck davon zu geben, was ich von mir selbst sage, das ich bin, was ich will usw.“ (NB6:61 (T 3, Anm. 48, 322 / SKS 21, 44)). „Aber hingegen steht es doch fest,

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II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

,direkter‘ ausgesprochen als in der „Rechenschaft“: In erster Person kündigt Kierkegaard an, eine definitive Erklärung über sein Selbstverständnis als Schriftsteller geben zu wollen. Gleich der dritte Absatz formuliert dieses Selbstverständnis explizit: Der Inhalt dieser kleinen Schrift ist dann: was ich als Schriftsteller in Wahrheit bin, dass ich religiöser Schriftsteller bin und war, dass meine ganze Wirksamkeit als Schriftsteller sich zum Christentum verhält, zu dem Problem: Christ zu werden, mit direkter und indirekter polemischer Sicht auf den ungeheueren Sinnentrug: die Christenheit, oder dass in einem Land alle so und so Christen sind.149

Damit ist in aller Klarheit das dreifache Anliegen der retrospektiven ,Schriften über sich selbst‘ benannt: Es soll gezeigt werden, dass das Christliche erstens das vom Verfasser und zweitens das im Werk Gewollte ist – und dass dieses Gewollte drittens in polemischem Bezug auf den Sinnentrug der bestehenden ,Christenheit‘ umgesetzt worden ist. Von diesem Grundgedanken her und im beständigen Blick auf ihn zurück entwickelt nun Kierkegaard den maieutisch-teleologischen Begriff der Mitteilung.

2. Der Begriff der Mitteilung als bloße Taktik a) Wirksamkeit Dass der Begriff der Mitteilung in der „Rechenschaft“ unmittelbar aus dem skizzierten Hauptanliegen der Retrospektive abgeleitet ist, erhellt schon aus der Art und Weise, in der er formuliert wird: Die Frage nach der Mitteilung wird nämlich nicht gesondert und als solche aufgeworfen, sie dient vielmehr der Erläuterung und Vertiefung der zuvor entwickelten Werkstruktur. Kierkegaard notiert, an die Bestimmung des Herausreflektierens anknüpfend: dass einmal bestimmt und direkt eine Erklärung darüber mitgeteilt werden soll, wie ich mich in meiner Schriftstellerei verstehe“ (NB6:70 (SKS 21, 53)). Und in allgemeinerer Perspektive, zum Maieutiker: „Um dieses Maieutische zu verhindern, ist die direkte Mitteilung, ein Bezeugen ein für alle Mal das Entscheidende“ (NB6:81 (SKS 21, 62)). Vgl. schließlich den endgültigen Plan im folgenden Journal: „Jetzt sehe ich mich dazu im Stande, eine kurze und so ernst wie mögliche Darstellung meiner vorhergehenden Verfasserschaft zu schreiben“ (NB7:13 (T 3, 70 / SKS 21, 83)). Vgl. im Detail unten, II.3.4 und II.3.6. 149 GWS, 21 / SV2 XIII, 551 f.

2. Der Begriff der Mitteilung als bloße Taktik

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Aber wie das, was mitgeteilt worden ist (der Gedanke des Religiösen), ganz und gar in Reflexion hineingesetzt und wiederum aus Reflexion zurückgenommen worden ist: derart ist auch die Mitteilung entscheidend durch Reflexion gekennzeichnet gewesen, oder es ist diejenige Art der Mitteilung gebraucht worden, die die der Reflexion ist. „Direkte Mitteilung“ ist: direkt das Wahre mitteilen. „Mitteilung in Reflexion“ ist: Hineinbetrgen in das Wahre; aber weil die Bewegung Hinkommen zum Einfältigen ist, muss doch abermals die Mitteilung einmal, früher oder später, bei der direkten Mitteilung enden.150

In dieser verdichteten Passage ist im Grunde schon die gesamte Mitteilungskonzeption der Wirksamkeit und des Gesichtspunkts enthalten. Es ist zunächst offensichtlich, dass die Form der Mitteilung von der eingangs entwickelten Bewegung des Werkes her gedacht wird. Dies gilt in zweifacher Hinsicht: Erstens entspricht die Mitteilung derjenigen Gestalt, in der auch das Werk begonnen hatte: Sie gibt die Wahrheit nicht unmittelbar, sondern zunchst in Reflexion. Die ,Mitteilung in Reflexion‘ ist Kierkegaards Titel für den maieutisch-teleologischen Mitteilungsbegriff – und in der Tat wird diese Bezeichnung nur in Wirksamkeit und Gesichtspunkt verwendet. In der Erläuterung dieser Konzeption ist nun ein zentrales Charakteristikum des retrospektiven Mitteilungsbegriffs benannt: Sie wird nämlich abgrenzend durch die direkte Mitteilung beleuchtet – und dies ohne dass in irgendeiner Weise eine grundlegende Bedeutung des Indirekten geltend gemacht würde. Beide Formen stehen ohne wesentliche Unterscheidung oder Zuordnung zu bestimmten Sphären – etwa dem Existenziellen und dem Objektiven – nebeneinander. Die direkte ,Mitteilung des Wahren‘ erscheint prinzipiell als berechtigte Form und veritable Möglichkeit. Diese durchaus bemerkenswerte Auffassung ist an allen zentralen Argumentstellen des retrospektiven Mitteilungsbegriffs nachzuweisen. Nicht nur in ihrem Anfang aber entspricht die Mitteilung der Werkgestalt; sie korrespondiert auch zweitens der Bewegungsform des Werks, dem Herausreflektieren: So wie die Bewegung des Werkes ein Hinkommen zur Einfalt ist und das Religiöse aus der Reflexion wieder herausnimmt, ebenso ,wiederholt‘ sich diese Bewegung in der Form der Mitteilung: Sie muss „früher oder später“ zur direkten Mitteilung bergehen. Mit diesem bergang ist die charakteristische Stellung der direkten Mitteilung noch pointierter gefasst als zuvor: Ist nämlich die direkte Mitteilung das Ziel der Bewegung, so ist sie nicht nur eine prinzipiell 150 WS, 5 f. / SKS 13, 12.

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II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

mçgliche Form der ,Wahrheits-Mitteilung‘; vielmehr steht sie offenbar hçher als die ,Mitteilung in Reflexion‘. Das Indirekte ist mithin nur eine verschwindende Vorphase zur direkten Mitteilung der Wahrheit. Die Gründe, aus denen die Mitteilung nicht von Beginn an direkt gewesen ist, sind hier zwar noch nicht erläutert; es ist aber deutlich, dass sie nicht wesentlich im ,Gegenstand‘ der Mitteilung selbst liegen. Gegenüber der Formulierung der Werkbewegung neu ist allerdings die Bestimmung des Betrugs. Dass die Reflexion mit dem Betrug gleichzusetzen ist, war zuvor nicht gesagt worden, und es ist auch nicht unmittelbar einsichtig, woraus sich diese Bestimmung ergibt: Ein Wahres, das zuerst in Reflexion dargestellt und sodann aus dieser Reflexion wieder herausgenommen wird, impliziert nicht notwendig einen Betrug. Die zentrale Formel vom ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ wird in der Folge noch erläutert werden; an dieser Stelle ist zunächst zu konstatieren, dass Kierkegaard die ,Mitteilung in Reflexion‘ als zielgerichteten Betrug auffasst. Wie die gesamte Bewegung des Werkes begriffen wird als zielgerichtetes Hinkommen zur Einfalt, so erscheint auch der ,Trug‘ der Mitteilung als zielgerichtet auf den in Reflexion verhüllten ,Gegenstand‘, der im Übergang zur direkten Mitteilung schließlich offenbar wird. Während also die indirekte Mitteilung gleichsam nur ein Bild im Vexierspiegel bietet – eben die Re-flexion –, vermag die direkte Mitteilung am Ende des Werkes darzustellen, was immer schon das ,Was‘ der Mitteilung gewesen ist. Im direkten Anschluss gibt nun Kierkegaard eine Konkretisierung des zielgerichteten Betrugs, indem er die Mitteilung als maieutisch kennzeichnet: Es wurde begonnen, maieutisch, mit ästhetischer Produktivität, und die gesamte pseudonyme Produktivität ist ein solches Maieutisches. Deshalb war diese Produktivität ja auch pseudonym, wohingegen das direkte Religiöse – das von Anfang an zur Stelle war im Aufschimmern einer Andeutung – meinen Namen trug. Das direkte Religiöse war von Anfang an zur Stelle; denn [die] „zwei erbaulichen Reden 1843“ sind ja gleichzeitig mit „Entweder – Oder“. Und um diese Gleichzeitigkeit des direkten Religiösen zu sichern, deshalb folgte dann gleichzeitig mit jedem Pseudonym eine kleine Sammlung „erbaulicher Reden“ […].151

Damit ist ein zentraler Begriff der retrospektiven Konzeption eingeführt und hervorgehoben: Die ,Mitteilung in Reflexion‘ ist Maieutik. Kierkegaard identifiziert zunächst das Maieutische mit der Phase der Pseudo151 WS, 6 / SKS 13, 13 f.

2. Der Begriff der Mitteilung als bloße Taktik

161

nyme; und abermals werden die pseudonymen Schriften von der direkt religiösen Schriftstellerei unter eigenem Namen abgegrenzt. Sodann gibt aber Kierkegaard keine ausführliche Erläuterung des Maieutischen selbst, sondern präzisiert die Struktur des Werks. Für das gesamte retrospektive Selbstverständnis entscheidend ist dabei der Hinweis auf die Funktion der Erbaulichen Reden. Kierkegaard spricht zwar wie oben vom „Aufschimmern einer Andeutung“ des Religiösen, bestimmt aber zugleich die Erbaulichen Reden ohne Umschweife als das „direkte Religiöse“ – und eben dieses ist in Gestalt der Reden „von Anfang an zur Stelle“ gewesen. In einer Anmerkung heißt es dazu: Hierdurch wird zugleich der Sinnentrug verhindert: dass das Religiöse etwas ist, zu dem man Zuflucht nimmt, wenn man älter geworden ist; „man beginnt als ästhetischer Schriftsteller, und wenn man dann älter geworden ist, nicht mehr die Kräfte der Jugend hat, dann wird man religiöser Schriftsteller“. Aber wenn ein Schriftsteller gleichzeitig als ästhetischer und als religiöser Schriftsteller beginnt, dann kann man doch wohl nicht die religiöse Produktivität aus dem Zufälligen erklären, dass der Schriftsteller älter geworden ist; denn zur gleichen Zeit ist man doch wohl nicht älter als man selbst.152

Die Gleichzeitigkeit des Religiösen zu sichern und eine Vernderung innerhalb der Werkentwicklung abzuweisen, ist ein zentrales Anliegen der ,Schriften über sich selbst‘ und strukturiert ihre Anlage im Ganzen – im Gesichtspunkt ist dies ausführlicher und gleich zu Beginn entwickelt.153 Dass Kierkegaard diese Ausführungen noch in die Darstellung der Mitteilung einfließen lässt, zeigt nochmals, dass diese der leitenden Intention der retrospektiven Betrachtung untergeordnet bleibt. Für Kierkegaard selbst ist es entscheidend, dass er durch den Hinweis auf die frühen Erbaulichen Reden sein Verständnis des Werks einlösen, ja ,beweisen‘ kann: Dieses hat sich nämlich nicht als Bewegung vom Ästhetisch-Philosophischen der pseudonymen Schriften hin zum Religiösen vollzogen – sondern derart, dass das Anliegen des gesamten Werks schon von Beginn an ,zur Stelle‘ gewesen ist.154 152 WS, 6 Anm. / SKS 13, 14 Anm. 153 Vgl. bes. § 3 von Kap. I in GWS, 41 – 44 / SV2 XIII, 571 – 573, aber auch schon GWS, 25 – 33 / SV2 XIII, 555 – 563; vgl. die Zitate im folgenden Unterabschnitt. 154 Auch dieser Gedanke wird von Kierkegaard erst sehr spät im Journal NB6 (Sommer 1848) notiert, vgl. die Eintragung NB6:64: „Ja[,] so musste es sein. Ich bin nicht religiöser Schriftsteller geworden, ich war es: gleichzeitig mit Entweder – Oder folgten zwei erbauliche Reden“ (NB6:64 (SS, 158 / SKS 21, 47)); vgl.

162

II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

Noch nicht hinreichend bestimmt ist aber bislang der Zusammenhang des Maieutischen mit der reflektierten Mitteilung. Auch hierzu notiert Kierkegaard eine wichtige Anmerkung, in der der maieutischteleologische Zug der Mitteilungskonzeption zur Klarheit kommt: Dies Maieutische liegt in dem Verhältnis zwischen ästhetischer Produktivität als Anfang, und der religiösen als tekor. Es wurde begonnen mit dem Ästhetischen, worin womöglich die meisten ihr Leben haben, und nun wird das Religiöse so schnell angebracht, dass diejenigen, welche, vom Ästhetischen bewogen, sich entschließen, mitzugehen, plötzlich mitten in den entscheidenden Bestimmungen des Christlichen stehen, dazu veranlasst, zumindest aufmerksam zu werden.155

Ausdrücklich schreibt nun Kierkegaard sein Werk in die Bewegung von Anfang und Ziel ein. Die maieutische Bestimmung gibt dabei eine erhellende Erläuterung: Das Ästhetische – und zugleich das Medium der Reflexion – ist gewählt worden, um den Leser dort abzuholen, wo er zunchst steht. So wird das Motiv des Hineinbetrügens deutlicher: Täuschung oder Betrug ist die Mitteilung insofern, als sie dort beginnt, wo der Leser steht, und zugleich jenen bestimmten Ort zum Zielpunkt nimmt, zu dem hingelangt werden soll; der Leser wird betrogen, indem das Ziel der Bewegung ihm zu Beginn vorenthalten wird.156 Dass es sich aber bei der maieutischen Mitteilung nicht um einen einfachen Betrug handelt, wird aus einer weiteren Anmerkung ersichtlich, die nun ausführlicher die situative Konkretion erläutert, in der die maieutische Bewegung anzusetzen hatte. Diese Erläuterung ist nun mitteilungstheoretisch entscheidend – macht sie doch klar, dass die Situation ,in der Christenheit‘ und nur diese die Notwendigkeit der ,Mitteilung in Reflexion‘ bedingt: dazu unten, II.3.4.e). – An dieser Stelle ist noch auf das zweite wesentliche Element des Werkverständnisses von 1848/49 hinzuweisen: den Juli 1848 erschienenen ,ästhetischen‘ Artikel „Die Krise und eine Krise im Leben einer Schauspielerin“. Dieser konstituiert für Kierkegaard eine symmetrische Werkstruktur; er entspricht als ,Widerschein‘ des Ästhetischen am Ende den Reden am Anfang und macht so deutlich, dass keine Veränderung des Verfassers stattgefunden hat (vgl. WS, 7 / SKS 13, 14 f. u. GWS, 26 – 28 / SV2 XIII, 556 – 558). Es ist im Übrigen die Publikation dieses Artikels, die die Reflexion auf die Werkgestalt anstößt und mithin die Abfassung des Gesichtspunkts inzitiert; vgl. im Detail unten, II.3.4., bes. II.3.4.b). 155 WS, 6 Anm. / SKS 13, 13 f. Anm. 156 Die wichtige Bestimmung des ,Aufmerksam-Machens‘ wird gesondert unten in Abschnitt 5 diskutiert.

2. Der Begriff der Mitteilung als bloße Taktik

163

Die Situation (in [der] „Christenheit“, wo man also Christ ist – „Christ“ zu werden) die Situation, die, was jeder Dialektiker sieht, alles in Reflexion hineinsetzt, macht zugleich eine indirekte Methode nötig, weil die Aufgabe hier sein muss zu operieren in Richtung des Sinnentrugs: sich Christ zu nennen, vielleicht sich einzubilden es zu sein, ohne es zu sein […]. – Im Verhältnis zur reinen Empfänglichkeit, wie das leere Gefäß, das gefüllt werden soll, ist direkte Mitteilung an ihrem Platz; wo jedoch Sinnentrug dabei ist, also ein Etwas, das erst einmal fort muss, da ist direkte Mitteilung nicht an richtiger Stelle.157

Erst diese Erläuterung bringt die (beschränkte) Notwendigkeit der indirekten Mitteilung als Taktik zur letzten Klarheit. Nun lassen sich die Bewegungen der Maieutik, des Betrugs und des ,Abholens‘ in eins denken: Da die Christenheit sich in einem Sinnentrug darüber befindet, was Christentum ist, wird ein indirektes Vorgehen notwendig. Die Mitteilung kommt gewissermaßen dem bestehenden Sinnentrug entgegen, aber nur mit dem Ziel, ihn aufzuheben. Insofern ist das Hineinbetrügen nicht ein einfacher Betrug, sondern eine doppelte Bewegung, die unter Zuhilfenahme der List und der Täuschung aus einem Trug gewissermaßen ,herausbetrgt‘. Daraus wird nun klar, dass die maieutisch-taktische ,Mitteilung in Reflexion‘ eine doppelte Reflexion ist: Sie setzt an der Situation der Reflexion an (1. Reflexion) und reflektiert sich aus dieser heraus (2. Reflexion). Dass dies aber keineswegs der Doppelreflexion der Nachschrift entspricht, ist unmittelbar deutlich und wird im nächsten Schritt zu entfalten sein. Als ,Herausreflektieren‘ hat nämlich die indirekte Mitteilung allein die Funktion des Abtragens, sie geht polemisch vor gegen etwas, „das erst einmal fort muss“. So kommt der indirekten Mitteilung keine prinzipielle, sondern nur eine strategische Bedeutung im engeren Sinn zu. Das Indirekte ist keine unhintergehbare und notwendige Form der Mitteilung, und zwar weder in der Ansprache des Existenzvollzugs noch für das Christliche als solches. Nur bezüglich des bestehenden Sinnentrugs hat sie eine untergeordnete, ja verschwindende und zugleich ziel- und zweckgebundene Funktion. Dass die indirekte Mitteilung nicht als notwendige Form verstanden wird, zeigt sich abschließend nochmals darin, wie ihr Verhältnis zur direkten Mitteilung bestimmt wird. Klarer noch als zuvor erscheint nun die direkte Mitteilung, die den ,Umweg‘ über die Reflexion nicht nötig hat, 157 WS, 6 f. Anm. / SKS 13, 14 Anm. Dies ist übrigens eine der wenigen Stellen, an denen Kierkegaard den Ausdruck ,indirekte Methode‘ verwendet – offenkundig in einem sehr spezifischen Sinn.

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II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

als berechtige Form: Gegenüber einer reinen Empfänglichkeit ist direkte Mitteilung nicht nur mçglich, sie ist die allein angemessene Gestalt.158

b) Gesichtspunkt Blickt man von hier aus nun wieder auf den Gesichtspunkt selbst, so zeigt sich dort der gleiche Gedanke, allerdings in etwas anderer Abfolge und in loserer Form. Eine ganze Reihe von Wendungen der „Rechenschaft“ sind hier teilweise wörtlich vorweggenommen; sie haben allerdings nicht die begriffliche Schärfe des späteren Textes. Die Darstellung wird deshalb die entsprechenden Partien knapp referieren und nur dort intensiver auslegen, wo der Gesichtspunkt von der „Rechenschaft“ abweicht oder ausführlichere Formulierungen enthält. Zunächst ist ein Unterschied in der Chronologie zu konstatieren: Im Gesichtspunkt erläutert Kierkegaard im ersten Abschnitt die „Zweideutigkeit und Duplizität“159 des Werks – als Pseudonymität einerseits und religiöse Schriftstellerei andererseits – und führt sogleich den ,Beweis‘, diese Duplizität könne allein derart erklärt werden, dass der Verfasser im Ganzen religiöser Schriftsteller gewesen sei. Auch hier sind die frühen Erbaulichen Reden das zentrale Beweisstück; und auch hier betont Kierkegaard, das „Religiöse“ sei „von Beginn an […] zur Stelle“ gewesen.“160 So bleibt allein zu klären, „wie es einem religiösen Schriftsteller eingefallen ist, das Ästhetische derart zu verwenden“.161 Dieser Aufgabe widmet sich nun der zweite Abschnitt. Insbesondere dessen erstes Kapitel soll erläutern, „Weshalb mit ästhetischer Produktivität begonnen wurde“.162 Auch in diesem Kapitel folgt Kierkegaard einer anderen Ordnung als später in der „Rechenschaft“: Schon der erste der fünf Pa158 Der dritte Abschnitt der „Rechenschaft“ erläutert gleichfalls eine ,maieutisch‘ genannte Bewegung. Kierkegaard beschreibt hier das ,Abstoßen‘ des Publikums und der ,Menge‘, um den ,Einzelnen‘ zu fassen zu bekommen; zentrale Aspekte sind in diesem Zusammenhang wieder die Publikation der frühesten Erbaulichen Reden sowie der Beginn des Corsarenstreits 1846/47. In einer Anmerkung gibt Kierkegaard dazu eine mitteilungstheoretische Erläuterung: Die „dialektische Bewegung“ bestehe darin, „im Arbeiten sich selbst entgegenzuarbeiten“; dies sei „die Reduplikation und die Uneinsartigkeit alles wahren frommen Strebens mit dem weltlichen Streben“ (WS, 8 Anm. / SKS 13, 15 Anm.). 159 GWS, 25 / SV2 XIII, 555. 160 GWS, 26 / SV2 XIII, 556. 161 GWS, 30 / SV2 XIII, 560 f. 162 GWS, 34 / SV2 XIII, 564.

2. Der Begriff der Mitteilung als bloße Taktik

165

ragraphen trägt nämlich den Titel „Dass die ,Christenheit‘ ein ungeheurer Sinnentrug ist“.163 Damit ist gleich zu Beginn der Ausgangspunkt des Werks und auch der Mitteilungsbestimmung klar benannt. Erste mitteilungstheoretische Erläuterungen finden sich dann in § 2 mit dem Titel „Dass man, wenn es einem in Wahrheit gelingen soll, einen Menschen an einen bestimmten Ort zu führen, vor allem darauf achten muss, ihn dort zu finden, wo er ist, und dort beginnen muss“.164 Diese Einsicht nennt Kierkegaard gleich zu Beginn das „Geheimnis in aller Helfekunst“; und ausdrücklich bezieht er diese Bewegung auf die „Einbildung“ der „Christenheit“.165 Mithin ist die Bewegung des ,Abholens‘ beschrieben, die in der „Rechenschaft“ maieutisch heißt. Dieser Terminus selbst fällt im Gesichtspunkt allerdings nicht – und im Ganzen ist die Darstellung, wie bemerkt, begrifflich weniger pointiert; der Zusammenhang wird vielmehr durch eine Reihe von Beispielen erläutert. Explizit mitteilungstheoretische Bestimmungen finden sich erst am Ende von § 4.166 Hier behandelt Kierkegaard nun die Frage nach der gebotenen Mitteilungsform angesichts der Christenheit und führt aus, die „ganze Taktik“ müsse „umgekehrt werden“: Die Methode muss indirekt werden. Es gibt in der Mitteilung des Christentums, wenn die Situation: die Christenheit ist, kein direktes Verhältnis, es gilt zuerst, eine Einbildung zu heben. […] Die Taktik ist in jedem Augenblick und an jedem Punkt darauf einzurichten, dass man mit einer Einbildung, einem Sinnentrug zu kämpfen hat.167 GWS, 34 / SV2 XIII, 564. Vgl. GWS, 38 – 41 / SV2 XIII, 568 – 571. GWS, 38 f. / SV2 XIII, 568 f. Der Paragraph behandelt v. a. das ,Aufmerksam-Machen‘; vgl. dazu gesondert unten, Abschnitt 5. 167 GWS, 46 f. / SV2 XIII, 576. Bemerkenswert ist Kierkegaards Einführung zu dieser ersten mitteilungstheoretischen Partie: „Dies kann ich nun hier nicht weiter ausführen, wie das, was die Christenheit zuallererst nötig hat, eine ganz neue Waffenlehre ist, das heißt eine Waffenlehre, die total von Reflexion durchtränkt ist. Ich habe in verschiedenen Schriften die entscheidenden Momente in der Hinsicht geliefert“. Der oben zitierte Passus wird dann eingeleitet mit: „Das Ganze lässt sich mit einem einzigen Wort sagen“ (GWS, 46 f. / SV2 XIII, 576). Die Bemerkung zeigt einerseits, dass Kierkegaard im Gesichtspunkt keine ausführliche Darstellung der (als Taktik verstandenen) Mitteilung zu geben beabsichtigt; sie ist nur Nebenaspekt des zentralen Anliegens. Andererseits aber fragt sich, welche ,Schriften‘ hier gemeint sind. Kierkegaard kann wohl nur auf die Nachschrift und den (kurz zuvor entstandenen) zweiten Teil der Einbung hindeuten; die Mitteilungskonzeption beider Texte unterscheidet sich aber vom Begriff des Gesichtspunkts erheblich. – Vgl. zum ,Sinnentrug‘ auch Antony Au-

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II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

Damit ist von der Sache her nichts wesentlich Neues gegenüber der „Rechenschaft“ gesagt; es wird aber sehr deutlich, dass die Mitteilungsform allein als Taktik bestimmt und zudem ausschließlich auf den Sinnentrug der Christenheit bezogen wird. Etwas ausführlichere Erläuterungen finden sich aber im abschließenden § 5 mit dem Titel: „Dass die gesamte ästhetische Produktivität, in der Totalität der Produktivität betrachtet, ein Betrug ist, jedoch auf eine eigene Weise verstanden“.168 Dazu notiert Kierkegaard zunächst: Aber ein Betrug, das ist ja ein hässliches Etwas. Hierauf würde ich antworten: man lasse sich von dem Wort „Betrug“ nicht betrügen. Man kann einen Menschen um das Wahre betrügen, und man kann, um an [den] alten Sokrates zu erinnern, einen Menschen in das Wahre hineinbetrügen.169

Hier wird also die Bewegung des ,Hineinbetrügens‘ direkt mit Sokrates verbunden, der in der „Rechenschaft“ nicht genannt ist; auch an dieser Stelle verwendet aber wiederum der Gesichtspunkt nicht den Terminus ,maieutisch‘. Die aus der „Rechenschaft“ bekannte Figur wird nun spezifiziert, und zwar bezüglich des Empfngers der Mitteilung: Ist der Empfänger „unwissend“ und soll ihm „ein Wissen beigebracht werden“, sodass er „wie das leere Gefäß ist, das gefüllt werden soll“, dann ist die „direkte Mitteilung“ geboten; diese setzt allerdings voraus, dass „den Empfänger betreffend alles in Ordnung ist“.170 Befindet er sich hingegen in einer „Einbildung“, so muss „richtig verstanden das Erste der Mitteilung“ darin bestehen, die „Einbildung fortzunehmen“.171 Das ,Fortnehmen‘ vergleicht Kierkegaard auch mit einem „ätzende[n] Mittel“, durch das eine „Schrift“ sichtbar gemacht werde, „die sich unter einer anderen Schrift verbirgt“.172 Dieses ,Ätzende‘ wiederum ist zugleich das „Negative“ – aber „das Negative im Verhältnis zum Mitteilen ist ganz genau das Betrügen“.173 Zusammenfassend heißt es: „Was will dann das sagen, zu ,betrügen‘? Das will sagen, dass man nicht direkt mit dem beginnt, was man mitteilen will, sondern damit beginnt, die Einbildung des anderen für bare Münze zu nehmen.“174 Im Abschluss des Paragraphen

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mann „Kierkegaard on Indirect Communication, the Crowd, and a Monstrous Illusion“ in The Point of View, S. 295 – 324, bes. S. 311 – 322. GWS, 47 / SV2 XIII, 577. GWS, 48 / SV2 XIII, 577. GWS, 48 / SV2 XIII, 578. GWS, 48 / SV2 XIII, 578 GWS, 48 / SV2 XIII, 578. GWS, 48 / SV2 XIII, 578. GWS, 49 / SV2 XIII, 578.

2. Der Begriff der Mitteilung als bloße Taktik

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notiert Kierkegaard nochmals, er halte sich ganz „an Sokrates“ und könne diesen „formell meinen Lehrer nennen“; Sokrates sei zwar kein Christ gewesen, aber „Dialektiker“ – und „diese Frage hier ist eine rein dialektische, es ist die Frage nach dem Gebrauch der Reflexion in der Christenheit“.175 Im Ganzen ist die Bewegung aus der „Rechenschaft“ bekannt, wenn auch der durchgehende Bezug auf die ,Voraussetzung‘ der Christenheit im Gesichtspunkt deutlicher ausfällt. In zwei Hinsichten aber sind die Formulierungen ergänzend. Erstens ist hier der ,Fall‘ näher beschrieben, in dem die direkte Mitteilung geboten ist. Sie ist nämlich dort gefordert, wo mit dem Empfänger ,alles in Ordnung‘ ist und ihm ein Wissen mitgeteilt werden soll. Diese Wissens-Bestimmung der direkten Mitteilung wird in der „Rechenschaft“ explizit nicht genannt. Die Erläuterung macht nun allerdings klar, dass sich die Mitteilung im Ganzen nur auf zwei Optionen beschränkt: Entweder richtet sie sich gegen einen Sinnentrug (indirekte Form), oder sie ist Wissens-Mitteilung (direkte Form). Als durchaus bemerkenswertes Ergebnis ist mithin festzuhalten: Eine auf Existenz oder existenzielle Aneignung gerichtete Mitteilung kommt im ,Schema‘ des Gesichtspunkts nicht vor. Dies bestätigt sich zweitens in der Art und Weise, in der die indirekte Methode beschrieben wird. Deutlicher als in der „Rechenschaft“ ist hier formuliert, dass die indirekte Mitteilung als ,ätzendes Mittel‘ eine rein negative und polemische Bewegung ist; sie nimmt den Sinnentrug und die Einbildung fort. In ihrer Negativität ist zugleich die verschwindende Vorlufigkeit der indirekten Methode fixiert. Schon zum Ende von § 5 bringt Kierkegaard die ,Reflexion‘ ein; im „Schluss“ des ganzen Kapitels kommt er darauf zurück und formuliert nun den Begriff, mit dem die Darstellung der Mitteilung in der „Rechenschaft“ sogleich beginnt, die ,Mitteilung in Reflexion‘. Als Resümee des Kapitels notiert Kierkegaard, in der „Situation“ der Christenheit sei alles „in die Reflexion gesetzt. Die Mitteilung ist in Reflexion: deshalb indirekte Mitteilung.“176 *** Im Ganzen wird deutlich, dass Kierkegaard im Gesichtspunkt und der Wirksamkeit die indirekte Mitteilung – die ,Mitteilung in Reflexion‘ – nicht zunächst aus sich selbst entfaltet, sondern in zweifacher Weise 175 GWS, 49 / SV2 XIII, 578 f. 176 GWS, 51 / SV2 XIII, 581.

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II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

unterordnet: Einerseits ist die Absicht leitend, die Einheit des Werks als religiöse Einheit auszuweisen; dabei soll das Religiöse als das vom Verfasser einzig und von Beginn an Gewollte sichtbar werden. Die Mitteilungsform wird gänzlich mit der Werkbewegung als ,Herausreflektieren aus der Reflexion‘ identifiziert und kommt allein unter diesem ,Gesichtspunkt‘ in den Blick. Bemerkenswert ist dabei insbesondere der Gedanke, die indirekte Mitteilung habe eine rein vorläufige Funktion und müsse schließlich zur direkten Mitteilung übergehen. Andererseits aber ist diese Bewegung des ,Herausreflektierens‘ – und mit ihr die Mitteilung als ,Hineinbetrügen‘ – ausschließlich durch die Situation der Christenheit bedingt. Diese allein macht es notwendig, dass das ,Gewollte‘ zunächst in reflektiert-indirekter Form mitgeteilt werden musste; und die indirekte Methode erscheint vor diesem Hintergrund als ein rein negatives Verfahren, das polemisch gegen den Sinnentrug operiert und diesen ,fortnehmen‘ soll. In beiden Hinsichten aber denkt Kierkegaard die indirekte Methode als ein zeitlich und situativ beschränktes Werkzeug. Die indirekte Mitteilung wird so zum verschwindenden Moment einer übergeordneten Struktur – sie dient einer grundsätzlich auch direkt darstellbaren Mitteilungsabsicht.

3. Das inhaltliche Problem Der maieutisch-teleologische Begriff der Mitteilung ist zunächst in sich keineswegs problematisch; im Gegenteil ist er neben dem Begriff der Nachschrift die konsequenteste Fassung des indirekten Verfahrens in Kierkegaards Gesamtwerk. Schwierigkeiten stellen sich aber dann ein, wenn diese Mitteilungskonzeption mit dem Begriff eben der Nachschrift verglichen wird; und dies insbesondere deshalb, weil ja Kierkegaard in der Retrospektive den Anspruch erhebt, seine ,Schriftstellerei‘ im Ganzen zu umfassen. Zeigt sich aber nun, dass die retrospektive Formulierung der Mitteilung wesentliche Aspekte des früheren Werks übergeht, hinter seine Reflexion zurückfällt und ihm gar widerspricht, so wird wenigstens bezüglich der Mitteilungsfrage der Anspruch auf ein ,definitives‘ und ,letztes‘ Wort fragwürdig. In der Tat ist schon auf den ersten Blick zu sehen, dass Kierkegaard in der Retrospektive den Bereich und die Bedeutung der indirekten Form gegenüber Climacus’ Auffassung wesentlich einschränkt. In Gesichtspunkt und Wirksamkeit ist die indirekte Mitteilung ausschließlich als maieutische und polemische Taktik verstanden, die nur aufgrund der Situation der

3. Das inhaltliche Problem

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Christenheit erforderlich ist und überdies, entsprechend der Bewegung des ganzen Werks, schließlich zur direkten Mitteilung überzugehen habe. In dieser Konzeption hat nun der zentrale Gedanke der Nachschrift überhaupt keinen Ort: dass nämlich eine jede auf die konkrete Existenz sich richtende Mitteilung unhintergehbar und notwendig in der indirekten Form zu erfolgen habe. Diese Forderung betrifft das gesamte Panorama von Climacus’ facettenreichen Bestimmungen der Mitteilung: so etwa die Gegenüberstellung von subjektivem Denker und ,existenzvergessenem‘ objektivem Denken; so die Inkommensurabilität der singulären Existenz für den Begriff; so den Widerspruch zwischen Innen und Außen im Sich-Mitteilen des subjektiven Denkers; so insbesondere auch den Gedanken, die indirekte Mitteilung ziele auf Aneignung und Selbstttigkeit des Empfängers ab. Gleiches gilt für die Auffassung der Innerlichkeit des Einzelnen als ,wesentliches Geheimnis‘ und schließlich für das Konzept der ,Möglichkeits-Mitteilung‘, die davon ausgeht, dass sich ,ExistenzWirklichkeit‘ nicht ,direkt mitteilen‘ lasse. Diese gesamte Konstellation ist in Kierkegaards Retrospektive nicht nur abgeblendet; der spätere Mitteilungsbegriff scheint sie vielmehr auszuschließen und ihr gar zu widersprechen. Dies wird insbesondere im Ausgangspunkt der Nachschrift deutlich: Beginnend mit der LessingThese und durch das gesamte Werk hindurch hält Climacus an der grundsätzlichen Unterscheidung von direkter und indirekter Mitteilung fest; dabei erscheint die direkte Mitteilung als Form des schlechthin existenzvergessenen ,objektiven Denkens‘. Im maieutisch-teleologischen Begriff Kierkegaards ist diese ,Grenze‘ aber in mehrfacher Hinsicht verwischt, ja das Verhältnis geradezu umgekehrt: Nicht nur ist eine ,direkte Mitteilung‘ des Wahren grundsätzlich möglich, sie bildet sogar das Ziel der Werk- und Mitteilungsbewegung. Climacus hatte allerdings ausdrücklich die direkte Mitteilung gerade eines Resultats in Existenzfragen abgewiesen. In dieser Hinsicht zeigt sich tatsächlich ein unüberbrückbarer Unterschied beider Konzeptionen. Differenzierend ist allerdings sogleich zu bemerken, dass die von Kierkegaard geforderte ,direkte Mitteilung‘ mit derjenigen Gestalt, gegen die Climacus polemisiert, nicht einfach identisch ist.177 Das ,Ziel‘, zu dem die retrospektiv beschriebene Mitteilungsbewegung hinleiten soll, ist ja gerade die religiöse Einfalt – und nicht etwa die Spekulation. Gleichwohl ist in diesem Punkt gerade der Gesichtspunkt zweideutig: Die einzig mögliche Form, die der indirekt-polemischen Mitteilung gegenüber177 Vgl. dazu auch Westphal Becoming a Self, S. 60 f.

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II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

steht, ist die direkte Mitteilung an einen ,aufnahmebereiten‘ Empfänger, bei dem ,alles in Ordnung ist‘, – und in der Tat spricht Kierkegaard in diesem Zusammenhang von der direkten Mitteilung eines Wissens. 178 Auch im Ganzen bleibt der Kontrast bestehen: Ist ,indirekte Mitteilung‘ in der Nachschrift die Signatur eines Denkens, das geradezu emphatisch ein jedes Resultat widerruft und sich, der Unabgeschlossenheit der Existenz eingedenk, in der Schwebe der Doppelreflexion hält – so ist in Kierkegaards Retrospektiven das indirekte Verfahren herabgestimmt zum bloßen Mittel, um ein im Vorhinein feststehendes und auch direkt mitteilbares Ziel zu erreichen. Dieser Kontrast wird noch deutlicher dadurch, dass Climacus gerade im Religiçsen, wo ,alles Geheimnis ist‘, die indirekte Mitteilung gefordert hatte. Eben weil das Religiöse unhintergehbar an den Einzelnen geknüpft ist, bedient sich die Mitteilung nach Climacus der indirekten Form, in der „die Subjektivitäten gottesfürchtig auseinander gehalten werden […], und nicht gerinnend in Objektivität zusammenlaufen.“179 Im Blick auf einige ungenaue Assoziationen der Forschung ist dabei festzuhalten, dass Kierkegaard im Gesichtspunkt die indirekte Mitteilung nicht als wesentliche Form christlicher Mitteilung versteht: Sie dient allein der polemischen und zugleich spezifischen Operation, das ,Christentum in die Christenheit einzuführen‘.180 Es mag allerdings auf den ersten Blick so scheinen, als würde die spätere Mitteilungskonzeption an diejenigen Aspekte anknüpfen, die in der Interpretation der Nachschrift als ,maieutisch‘ bezeichnet worden sind. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber auch in dieser Hinsicht eine wesentliche Abweichung: Auch die maieutischen Varianten des Mitteilungsbegriffs in der Nachschrift stehen nämlich gänzlich und durchweg innerhalb des Existenz-Paradigmas. So legt etwa die Unterscheidung von 178 Dies spricht übrigens dafür, in den Retrospektiven zwei Ebenen der direkten Mitteilung zu unterscheiden: Die direkte Mitteilung an einen ,aufnahmefähigen‘ Empfänger entspricht offenbar nicht unmittelbar jenem Direkten als Einfalt, zu dem die Werkbewegung hinleitet. Diese Differenzierung nimmt Kierkegaard allerdings selbst nicht vor, und die entsprechenden Stellen lassen sich auch nicht stets zweifelsfrei zuordnen. 179 AUN1, 71 / SKS 7, 79. 180 Ohnehin ist es auffällig, dass Kierkegaard mehrfach dem Christlichen die direkte Mitteilung zuordnet; so an einer Stelle der Nachschrift (vgl. oben, II.1.2.a)), so auch im ,Dialektik‘-Fragment (vgl. bes. unten, II.4.2.b)). Diese Assoziation ist wohl dadurch bedingt, dass Kierkegaard das Christliche als ,Offenbarkeit‘ im Unterschied zur ,Verschlossenheit‘ auffasst; sie entspringt mithin nicht direkt mitteilungstheoretischen Erwägungen.

3. Das inhaltliche Problem

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Ausdruck und Form der Mitteilung zwar nahe, es gebe einen ,vorgängig‘ bestimmbaren Gegenstand der Mitteilung, der erst durch eine nachträgliche Reflexion in die indirekte Form verwandelt würde. Die Pointe auch dieser Konzeption des Indirekten ist aber die Verinnerlichung und Aneignung des Mitgeteilten, die allein durch die doppeltreflektierte Form garantiert wird; auch hier ist also das Indirekte notwendig, um die Mitteilung existenziell auszurichten. Gleiches gilt für die maieutischen Bestimmungen im Umfeld von Climacus’ ,Blick‘ auf die früheren Schriften. So hatte Climacus etwa formuliert, eine indirekte Mitteilung sei allein dann gefordert, wenn eine Wahrheit allgemein ,bekannt‘ sei; hier setze das Indirekte an und ziele auf eine Verinnerlichung und ,Übersetzung‘ des bekannten Wahren in Existenz. Dies ist allerdings das gerade Gegenteil der polemischen Fassung der indirekten Mitteilung in Wirksamkeit und Gesichtspunkt, die gegen den allgemeinen Sinnentrug vorgehen soll. Am nächsten kommt die Nachschrift der späteren Konzeption allerdings dort, wo Climacus (in der Anmerkung zur Rezension der Brocken) die indirekte Mitteilung als ein ,Fortnehmen‘ bestimmt. In der Tat geht diese Wendung in die spätere Konzeption ein – auch diese wird aber modifiziert: Das ,Fortnehmen‘ des Climacus bezieht sich nämlich auf ein eingebildetes Wissen und die Vermischung von Spekulation und Christenheit; es steht mithin abermals im Rahmen des Existenz-Paradigmas und soll existenzielle Aneignung inzitieren. In der retrospektiven Konzeption fällt allerdings die aneignungslogische Pointe gänzlich fort; die indirekte Methode ist ein rein negatives Verfahren und ,ätzendes Mittel‘ – und überdies durch einen ,Horizont‘ bedingt, der bei Climacus als solcher noch nicht sichtbar ist. Der deutlich engere Mitteilungsbegriff der Retrospektiven selbst ist also noch nicht in der Nachschrift enthalten; in der Tat ist aber die Richtung, in der die Verengung vorgenommen wird, schon in ihr angelegt: nämlich darin, dass sie das Indirekte als Theorie der Mitteilung bestimmt. Ist diese Identifikation einmal vorgenommen, so liegt es nahe, das Indirekte als rein ußerliches Mittel zu fassen, dem als solches keine unhintergehbare Notwendigkeit zukommt. Wird aber diese Konsequenz tatsächlich gezogen, so ist die indirekte Methode nicht mehr – wie durchweg in der Nachschrift – als Existenzmitteilung verstanden. Im Ganzen zeigt sich also zwischen den Mitteilungskonzeptionen von Nachschrift und Gesichtspunkt ein deutlicher Kontrast.181 Diese Dif181 Diese Differenz ist in der Forschung nur gelegentlich behandelt worden; die ausführlichste Diskussion findet sich nach wie vor bei Hirsch. Hirschs Darstellung

172

II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

ferenz lässt sich auch nicht bloß im Sinne eines neutralen Unterschieds bestimmen, fällt doch zweifelsohne die Konzeption in Gesichtspunkt und Wirksamkeit erheblich begrenzter aus als in der Nachschrift. Dass Kierkegaard in seiner alles erklären sollenden Retrospektive diejenige Sphäre, in welcher die Mitteilungsthematik bei ,seinem‘ Pseudonym erstmals aufgekommen war, gänzlich abblendet und so hinter die Bestimmung der Nachschrift zurückfällt, ist wenigstens bemerkenswert – und dies umso mehr, als Climacus die indirekte Existenzmitteilung ja nicht nur für das eigene Projekt in Anspruch genommen, sondern als Verfahren der frühen pseudonymen Werke im Ganzen ausgewiesen hatte. In dieser Hinsicht erscheint der Anspruch des Gesichtspunkts, eine umfassende Darstellung des Werks und seines Bewegungsgesetzes zu geben, in der Tat als zweifelhaft. Schließlich wirft die Tatsache, dass Kierkegaard gerade die aneignungslogische Pointe der indirekten Mitteilung auslässt, die Frage nach dem Status seiner eigenen ,direkten Mitteilung‘ auf, als welche ja der Gesichtspunkt im Ganzen übertitelt ist. Offenbar handelt es sich hier ist ambivalent: Einerseits spricht er bezüglich der indirekten Mitteilung von einer „Verwicklung“ und bemerkt, der Begriff der Mitteilung im Gesichtspunkt stehe mit dem der Nachschrift „schlankweg im Widerspruche“ (Hirsch KierkegaardStudien, Bd. 2, S. 289 [S. 735 f.]). Andererseits versucht Hirsch, den ,Widerspruch‘ mit einem integrativen Modell zu lösen: Der „engere[n] Begriff“ der Mitteilung im Gesichtspunkt lasse sich in den „weiteren und tieferen“ Begriff „einschließen“; er lege sich schon in der Nachschrift „als die angemessene konkrete Gestalt wesentlich indirekter Mitteilung“ in den weiteren Begriff „hinein“ (ebd., 290 f. [ebd., S. 737 f.]). Es ist allerdings soeben gezeigt worden, dass auch die ,maieutischen‘ Aspekte der Nachschrift sich mit der späteren Konzeption nicht unmittelbar decken. – Auch Hagemann wählt einen integrativen Ansatz: Die Mitteilung als bloße Taktik entspreche der Sokratischen Elenktik, dem destruktiven Durchfragen, wohingegen der „tiefere Begriff“ der „positive[n] Bewegung der Maieutik im engeren Sinn, der Anleitung zu Existenzinnerlichkeit“ entspreche: „Bei Kierkegaard finden sich, wie bei Sokrates, ein elenktischer und ein maieutischer Begriff indirekter Mitteilung, die sich nicht widersprechen, sondern einander ergänzen“ (Tim Hagemann Reden und Existieren. Kierkegaards antipersuasive Rhetorik, Berlin / Wien 2001, S. 52; vgl. im Ganzen ebd., S. 51 f., S. 59). Beim integrativen Ansatz bleibt freilich das Problem bestehen, dass dem Pseudonym der tiefere Begriff, Kierkegaard selbst aber nur die ,destruktive‘ Seite der indirekten Mitteilung zukäme. Auch korrespondiert Hagemanns Einteilung nicht gänzlich mit Kierkegaards Sprachgebrauch: Climacus spricht nur am Rande von ,Maieutik‘, während dieser Terminus im retrospektiven (nach Hagemann: elenktischen) Begriff zentral ist. – Vgl. zur Diskussion im Ausgang von Hirsch Valter Lindström Stadiernas teologi. En Kierkegaard-studie, Lund 1943, S. 179 f.; Bejerholm „Meddelelsens Dialektik“, S. 202 – 209 sowie Greve Kierkegaards maieutische Ethik, S. 16 f., S. 21 – 23, S. 269 f., S. 274 f.

4. Das methodische Problem

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durchaus um die direkte Mitteilung eines Wissensgegenstandes – nämlich des einen und einzigen Gedankens des Verfassers Søren Kierkegaard. Mit diesen Fragen ist bereits auf das methodische Problem des Gesichtspunkts verwiesen.

4. Das methodische Problem Das methodische Problem von Kierkegaards retrospektivem Begriff liegt nun in seiner Anspracheform der Mitteilung und kann ebenfalls im Vergleich mit der Nachschrift erläutert werden. Dort problematisiert Climacus die direkte Mitteilung ber die indirekte und gesteht diese nur für den Fall zu, dass der Mitteilende zugleich die Kunst der Doppelreflexion aufrecht zu erhalten vermöge. Mit anderen Worten: Climacus fordert, dass die Darstellung der indirekten Mitteilung selbst wieder in der indirekten Form erfolge. Der Kierkegaard des Gesichtspunkts setzt sich nun über diese Problematisierung wie selbstverständlich hinweg, indem er beansprucht, eine ,direkte Mitteilung‘ über das von ihm Gewollte, das ,Telos‘ des pseudonymen Werks und schließlich auch über Geltungsbereich und Bewegungsgesetz der indirekten Methode formulieren zu können. Dieser Anspruch stellt freilich nicht bloß eine ,formale‘ Verletzung der von Climacus aufgestellten Grenze dar. Kierkegaards direkte Mitteilung hat vielmehr für die gesamte Struktur der indirekten Methode und der Pseudonymität weit reichende Folgen. Auf der einen Seite wird durch das Verfahren des Gesichtspunkts die indirekte Form in ihrer Beweglichkeit und Offenheit wesentlich eingeschränkt. Darin potenziert sich das zuvor aufgewiesene ,inhaltliche‘ Problem des retrospektiven Mitteilungsbegriffs auf einer zweiten Ebene. Für Climacus korrespondiert die Doppelreflexion als Form des Unabgeschlossenen dem unhintergehbaren Werdenscharakter der Existenz; und vom Mitteiler fordert er, die Mitteilungsdialektik gemäß seiner reflektierten Innerlichkeit gleichermaßen unendlich zu variieren. Dies bedeutet aber eo ipso, dass auch die Bestimmung dieser Denkform selbst sich als wesentlich unabgeschlossene vollzieht. Sichtbarster Beleg für die Fruchtbarkeit dieses Verfahrens ist der Variantenreichtum, in dem Climacus seinen Begriff der Mitteilung an der jeweils konkret verhandelten Fragestellung nuanciert auszurichten und in je neuer begrifflicher Gestalt zu reformulieren vermag (so etwa als ,Möglichkeitsmitteilung‘). In Kierkegaards Retrospektiven hingegen ist die indirekte Form nicht nur auf die direkte Mitteilung als ihr Telos bezogen, sie kann auch selbst

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II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

problemlos im Modus des Direkten aufgefasst und dargestellt werden. Damit aber droht die indirekte Methode zu einer rein technischen Operationsfigur verkürzt zu werden. Ihre Bewegung wird fixiert – und sie gerät in die Nähe einer ,abstrakten‘ Denkform, gegen die Climacus gerade polemisiert. Auf der anderen Seite zeigt sich ein gravierendes Problem, wenn auf die Pseudonymitt des frühen Werks reflektiert wird. Die pseudonyme Veröffentlichung der frühen Schriften macht dem Leser kenntlich, dass hier nicht die Meinung oder Ansicht eines Autors vorgetragen wird, die einfach nachzusprechen oder abzulehnen wäre – und eben auf diesem Wege soll der Leser zur selbsttätigen Aneignung angereizt werden. Gerade der Abstand vom Verfasser, den die Pseudonymität garantiert, ist dabei von besonderer Bedeutung. Tritt aber nun Kierkegaard im Gesichtspunkt nachträglich auf und erklärt dem Leser und der Geschichte, auf welche Weise die indirekte Mitteilung und die pseudonyme Schriftstellerei zu verstehen gewesen sei, so sind die Pseudonyme zur bloßen ,Kulisse‘ herabgesetzt und ihrer Eigenständigkeit beraubt – und zugleich ist der Aneignungsraum des Einzelnen, den zu eröffnen gerade die Pointe indirekter Mitteilung gewesen ist, empfindlich beschnitten. Dieses methodische Problem der retrospektiven Mitteilungskonzeption kommt insbesondere dann zur Klarheit, wenn der Gesichtspunkt mit dem ,Anhang‘ zur Nachschrift, der ,Ersten und letzten Erklärung‘ kontrastiert wird.182 Dort hatte Kierkegaard unter eigenem Namen den Unterschied zwischen Werk und Autor als unübersteigbar befestigt und ausdrücklich darum gebeten, zwischen ihm und den Pseudonymen klar zu unterscheiden. In unmittelbarem Widerspruch steht das Verfahren des Gesichtspunkts zu einer Passage dieses Textes, an die hier nochmals erinnert werden soll: „Ein einziges Wort von mir persönlich in meinem eigenen Namen würde die anmaßende Selbstvergessenheit sein, die mit diesem einen Wort, dialektisch gesehen, es verschuldete, im Wesentlichen die Pseudonyme vernichtet zu haben.“183 Wollte man diese Aussage in aller Schärfe gegen den Kierkegaard von 1848 ausspielen, so wäre zu sagen, dass die direkte Darstellung der indirekten Mitteilung in Wirksamkeit und Gesichtspunkt eben jene ,anmaßende Selbstvergessenheit‘ ist, durch welche die Pseudonyme und mithin die doppeltreflektierte Struktur der Mitteilung ,vernichtet‘ wird. Es ist im Übrigen außeror182 Vgl. hierzu auch Garff „The Eyes of Argus“, S. 73 f. sowie Law „A Cacophony of Voices“, S. 23 – 28. 183 AUN2, 340 / SKS 7, 569 f.

4. Das methodische Problem

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dentlich bemerkenswert, dass Kierkegaard diesen Kontrast in einigen späteren Aufzeichnungen selbst gesehen und reflektiert hat.184 Kierkegaard hatte 1846 darauf verzichtet, seinerseits einen Rückblick auf das frühe Werk zu formulieren. Einen solchen gibt aber Climacus in seinem ,Blick‘ – und auch dieser Text beleuchtet im Vergleich das methodische Problem der späteren Retrospektive. Schon durch die Situation, aus der heraus Climacus auf die zuvor veröffentlichten Werke zu sprechen kommt, wird der Abstand zum pseudonymen Werk gesichert; und es war zu zeigen, dass dieser dem Leser immer wieder eingeschärft wird. Von diesem sorgsamen Verfahren stechen Kierkegaards Retrospektiven 1848/49 klar ab: Hier erklärt der Autor dem Leser in souveräner Überschau, was er im gesamten Werk ,gewollt‘ habe und wie dieses demgemäß einzig zu verstehen sei. Dies hat einerseits abermals zur Konsequenz, dass der Aneignungsraum des Lesers wesentlich eingeschränkt wird. Andererseits aber gehen mit Kierkegaards retrospektiver Festschreibung auch sachliche Verschiebungen und Verkürzungen einher. So weist ja bereits Climacus – wenngleich gebrochen durch die pseudonyme Konstruktion des ,Rückblicks von Außen‘ – einen ,roten Faden‘ des Frühwerks nach. Dieser unterscheidet sich allerdings signifikant von der maieutisch-teleologischen Bewegung in Gesichtspunkt und Wirksamkeit. Climacus bezieht das frühe Werk ebenfalls auf ein christliches Anliegen, setzt dabei aber einen existenziellen Schwerpunkt: Gemäß dem ,Plan‘, dessen sich Climacus durch das Erscheinen der pseudonymen Schriften enthoben sieht, sollte zuerst das von der Spekulation ,vergessene‘ Existieren wieder in den Blick gebracht werden, bevor die spezifischere Frage nach der christlichen Existenz gestellt werden konnte. Insofern kommt den frühen pseudonymen Schriften eine spezifisch existenzanalytische Bedeutung zu. In Kierkegaards späterer Konstruktion hingegen soll das Frühwerk als im Ganzen ästhetisches185 allein die 184 Kierkegaard bezieht sich dabei explizit auf den zitierten Passus, vgl. NB20:5 (T 4, 205 f. / SKS 23, 392 f.) und dazu unten, II.4.3.c). Wird hier ein ,Widerspruch‘ noch zurückgewiesen, so findet sich in einem Entwurf von 1851 die folgende Formulierung: „Dann kam mein kleines Buch, und ich gab direkte Mitteilung, das heißt, ich erschlaffte die Pseudonyme“ (Pap. X 6 B 151,8, p. 230); vgl. unten, II.4.3.e). 185 Übrigens ist diese Zuordnung, angesichts der unterschiedlichen Stellung der Pseudonyme zum Ästhetischen, wenigstens erläuterungsbedürftig (man denke nur an den Gerichtsrat aus Entweder/Oder). Vgl. dazu auch Adornos Erklärungsversuch dafür, dass Kierkegaard „sein gesamtes pseudonymes Werk […], auch manifest-theologische Schriften wie ,Furcht und Zittern‘ und den ,Begriff

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II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

Funktion des ,Abholens‘ und die negative Bedeutung des ,Fortnehmens‘ haben.186 Bemerkenswert ist nun, dass Climacus in diesem Kontext auch explizit die Mitteilungsfrage im Blick auf das frühe Werk erörtert: Er versucht nämlich auszuweisen, dass schon die pseudonymen Schriften ihrerseits das existenziell-indirekte Verfahren anwenden. Das heißt: Schon die frühen Werke selbst vollziehen sich in der indirekten Form. Eine solche Auffassung hat aber wiederum in Kierkegaards Retrospektive gar keinen Ort: Hier ist ,die pseudonyme Produktivität‘ als Ganze Element oder Operator einer übergeordneten maieutisch-teleologischen Bewegung; die spezifische Verfahrensweise der einzelnen Schriften kann auf diesem Weg gar nicht in den Blick kommen. Kierkegaard verweist im Gesichtspunkt auch selbst auf diesen Passus der Nachschrift, macht aber die Differenz nur partiell sichtbar: Climacus habe „die pseudonyme Produktivität samt den in diese verschlungenen 18 erbaulichen Reden in sein Bewusstsein aufgenommen“ und gezeigt, dass diese „der Beleuchtung des Problems [des Christ-Werdens]“ dienen, ohne aber zu sagen, dass dies „die Absicht der vorhergehenden Produktivität gewesen sei, welches sich nicht machen ließ, da es ein Pseudonym ist, das andere Pseudonyme auffasst, also ein Dritter, der nichts über die Absicht einer ihm fremden Produktivität wissen konnte.“187 Damit ist zwar der ,Abstand‘ des Pseudonyms markiert, aber weder die darin liegende aneignungslogische Pointe noch der Unterschied des inhaltlichen Zugriffs werden explizit. Noch auf eine letzte Differenz dieser beiden Texte sei abschließend hingewiesen, sofern sie einen zentralen Punkt der späteren Konstruktion betrifft. Der eben zitierte Passus des Gesichtspunkts legt durch den Hinweis auf die ,Verschlingung‘ von pseudonymem Werk und Erbaulichen Reden wenigstens nahe, schon Climacus erläutere die ,gleichzeitige‘ Funktion der Reden. In der Tat aber weicht seine Einschätzung hier vom Gesichtspunkt ab. Climacus ist vornehmlich um den Nachweis bemüht, dass der Angst‘ als ästhetisch deklarierte“ (Theodor W. Adorno Kierkegaard. Konstruktion des sthetischen [1933] in Gesammelte Schriften, hrsg. v. Rolf Tiedemann, Bd. 1 – 20, Frankfurt a.M. 1970 – 1986, hier Bd. 2, 1979, S. 22 f.). 186 Vgl. dazu Greve, der in diesem Zusammenhang u. a. bemerkt, „Kierkegaards formalistische Interpretation“ könne im Unterschied zu der des Climacus „nicht erklären, warum die Texte in ihrer besonderen Reihenfolge erschienen“ sind (Greve Kierkegaards maieutische Ethik, S. 274). 187 GWS, 27 f. / SV2 XIII, 557.

4. Das methodische Problem

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die Erbaulichen Reden nicht als Predigten missverstanden werden dürfen. Dazu heißt es unter anderem: Darauf folgten drei erbauliche Reden, und das Vorwort wiederholte, dass es keine Predigten seien, wogegen ich auch, falls kein anderer [es getan hätte], unbedingt protestiert haben würde, da sie nur ethische Immanenz-Kategorien gebrauchen, nicht die doppelt reflektierten religiösen Kategorien im Paradox.188

Von einer ,Gleichzeitigkeit des direkten Religiösen‘ spricht Climacus also keineswegs. Die Erbaulichen Reden sind gerade keine Predigten, und damit stehen sie tiefer als die doppeltreflektierte, indirekte Form – nur eine solche aber ist nach Climacus dem christlichen Paradox angemessen. Eine Diskussion dieses Unterschieds müsste intensiver auf das erbauliche Werk eingehen als hier möglich ist; an dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass die Werkstruktur und Begründungslogik, die in den Schriften von 1848/49 formuliert wird, in der Nachschrift wenigstens noch nicht vorgeprägt ist.189 Im Ganzen sollte deutlich geworden sein, dass die Mitteilungsbegriffe von Gesichtpunkt und Wirksamkeit einerseits und der Nachschrift andererseits sich erheblich unterscheiden – und gerade im Vergleich konnten einige inhaltliche wie auch methodische Probleme der späteren Konzeption herausgearbeitet werden. Es ist durchaus bemerkenswert, dass das Pseudonym Johannes Climacus in Fragen der Mitteilung konsequenter erscheint als ,sein‘ Verfasser wenige Jahre später. So zeigt sich, dass Kierkegaards retrospektive Erörterung der indirekten Methode nicht ungebrochen als allein- und letztgültiges Wort in Sachen Mitteilung gelesen werden kann. Vielmehr hat sich schon im Text selbst angedeutet, dass die retrospektive Darstellung an eine bestimmte und zugleich begrenzte Perspektive gebunden ist: Namentlich entspringt sie dem Interesse, die Einheit des Gesamtwerks auszuweisen und zugleich die polemische Position gegenüber der Christenheit darzulegen. An keiner Stelle erweckt allerdings die Retrospektive den Eindruck, als wollte Kierkegaard die in der Nachschrift entwickelte Mitteilungskonzeption ausdrcklich zurückweisen oder revidieren. Das folgende Kapitel wird vielmehr zeigen können, dass sich der Horizont, in dem Kierkegaard ab 1846 nach der Bedeutung der Mitteilung fragt, im Ganzen wandelt. So verdankt sich 188 AUN1, 250 / SKS 7, 233; an dieser Stelle nennt Climacus die Reden gar „philosophisch“. 189 In der Tat wird auch diese Auffassung, wie schon bemerkt, erst Sommer 1848 formuliert, vgl. unten, II.3.4.e).

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II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

auch die Differenz in der Mitteilungskonzeption von Nachschrift und Gesichtspunkt nicht einem bloßen Handstreich des Autors, der sich selbstvergessen über eine mit gutem Grund gezogene Grenze hinwegsetzt; sie entsteht vielmehr in einem langwierigen und intensiven Reflexionsprozess. Bevor dieser nachzuvollziehen ist, gilt es allerdings noch auf einige Partien der Schriften von 1848/49 hinzuweisen, die sich der zentralen Konzeption nicht ungebrochen fügen.

5. Die Gegenbewegung in Gesichtspunkt und Wirksamkeit Um den Vergleich mit der Nachschrift möglichst scharf zu fassen, ist bis zu diesem Punkt der maieutisch-teleologische Begriff der Mitteilung als in sich geschlossene Figur präsentiert worden. Tatsächlich finden sich aber auch in den Retrospektiven Gegenbewegungen zur dominierenden Konzeption. Abschließend gilt es erstens, die Bestimmung des ,Aufmerksam-Machens‘ zu diskutieren, in der Kierkegaard eine wenn auch nicht grundsätzliche, so doch partielle Einschränkung des maieutischteleologischen Begriffs formuliert. Zweitens ist zu zeigen, dass einzelne Passagen in Gesichtspunkt und Wirksamkeit mitteilungstheoretische Motive aufnehmen, die von Kierkegaard in anderen Kontexten entwickelt werden und die mithin zur Leitkonzeption quer stehen.

a) ,Aufmerksam-Machen‘ In der „Rechenschaft“ hatte Kierkegaard die Bewegung des Maieutischen so erläutert, dass diejenigen, die vom Ästhetischen ,abgeholt‘ würden, „plötzlich mitten in den entscheidenden Bestimmungen des Christlichen“ stünden, „dazu veranlasst, zumindest aufmerksam zu werden.“190 Das hier angezeigte Theorem des ,Aufmerksam-Machens‘ wird nun am Ende der „Rechenschaft“ nochmals aufgegriffen. Dort heißt es: „,Ohne Vollmacht‘ aufmerksam zu machen auf das Religiöse, das Christliche, das ist die Kategorie für meine gesamte Wirksamkeit als Schriftsteller, total betrachtet.“191 Und Kierkegaard fügt hinzu: „[I]ch betrachte mich selbst 190 WS, 6 Anm. / SKS 13, 13 f. Anm. 191 WS, 10 / SKS 13, 19.

5. Die Gegenbewegung in Gesichtspunkt und Wirksamkeit

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am liebsten als einen Leser der Bücher, nicht als Verfasser.“192 Diese Partie ist der Forschung bisweilen als ,Verzicht‘ auf eine autoritative Selbstdeutung und mithin als Selbstzurücknahme innerhalb der Retrospektive gelesen worden.193 Tatsächlich haben aber die Bestimmung des ,Lesers‘ und die Wendung ,Ohne Vollmacht‘ eine sehr spezifische Bedeutung: Sie verweisen darauf, dass Kierkegaard derjenige ist, der im Werkverlauf zugleich erzogen wurde.194 Kierkegaard räumt mehrfach ein, er habe die Bewegung des Werks nicht von Beginn an überblickt, sofern er zugleich persönlich ,entwickelt‘ worden sei. Die sprechendste Partie dazu findet sich im Gesichtspunkt. Dort schreibt Kierkegaard, seine „Erziehung“ sei „reflektiert im Prozess der Produktivität“, und insofern sei es „in einem Sinne nicht ganz wahr, was im Vorhergehenden entwickelt worden ist, dass die ganze ästhetische Produktivität ein Betrug ist“; dieser Ausdruck lege nämlich „ein wenig zu sehr“ den Akzent auf eine „Bewusstheit“.195 Damit ist in der Tat die Bewegung des ,Hineinbetrügens‘ in einer bestimmten Hinsicht eingeschränkt: Sie verdankt sich keinem vorgngigen Plan. Im Ganzen aber wird die ,Deutung‘ der Retrospektiven keineswegs relativiert: Dass der Verfasser während der Werkentwicklung ,erzogen‘ worden ist, bedeutet nicht, dass er nicht rckblickend über ein ,definitives‘ und ,autoritatives‘ Verständnis seines Werks verfügt. Insofern ist mit Kierkegaards Selbstbezeichnung als ,Leser‘ keine Außenperspektive eingenommen, die das retrospektive Verstehen als ein bloß mçgliches auswiese. Dies macht auch der Vergleich mit Climacus’ ,Blick‘ unmittelbar deutlich. Zum mitteilungstheoretisch relevanten Aspekt des ,AufmerksamMachens‘ findet sich nun im Gesichtspunkt ein gesonderter Paragraph mit dem Titel: „Dass man, selbst wenn ein Mensch nicht dorthin mitgehen will, wohin man ihn zu führen strebt, doch eines für ihn tun kann: ihn zwingen, aufmerksam zu werden.“196 Hier diskutiert Kierkegaard, inwiefern ein Mensch dem anderen dabei behilflich sein könne, Christ zu 192 WS, 10 / SKS 13, 19. 193 Vgl. z. B. Diem Die Existenzdialektik von Sçren Kierkegaard, S. 38 f.; Christin Waldenfels-Goes Direkte und indirekte Mitteilung bei Sçren Kierkegaard, München, Diss. 1967, S. 98 – 100; Uta Eichler „Kierkegaard und Wittgenstein: Über das Ethische“ in Wittgenstein Studies 2, 1997, 20-2-97.TXT [nur digital erschienen]. 194 Vgl. die gleich folgende Stelle in WS, 10 / SKS 13, 19 sowie die ausführlichere Erklärung im Gesichtspunkt, GWS, 73 f. / SV2 XIII, 602 f. 195 GWS, 73 / SV2 XIII, 603; diese Einschränkung wird aber sogleich relativiert. 196 GWS, 44 / SV2 XIII, 574.

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II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

werden. Ob dies gelinge, hänge allerdings „von sehr vielem ab, und vor allem davon, ob er selbst will.“197 Weiter heißt es: Einen Menschen zwingen zu einer Meinung, einer Überzeugung, einem Glauben, das kann ich in alle Ewigkeit nicht; aber […] ich kann ihn zwingen, aufmerksam zu werden. Dass dies eine Wohltat ist, darüber ist kein Zweifel; aber es darf auch nicht vergessen werden, dass es ein Wagestück ist. Indem ich ihn zwinge, aufmerksam zu werden, erreiche ich, ihn zum Urteilen zu zwingen. Nun urteilt er. Aber was er urteilt, steht nicht in meiner Macht. Vielleicht urteilt er gerade das Umgekehrte von dem, was ich wünsche.198

Hier zeigt sich nun, dass auch der maieutisch-teleologische Mitteilungsbegriff mit einer ,Selbsttätigkeit‘ des Empfängers wenigstens rechnet: Das ,Hineinbetrügen‘ ist nicht als ein Mechanismus zu verstehen, der sich hinter dem Rücken und ohne Zutun des Empfängers vollzieht. Gleichwohl ist aber diese ,Selbsttätigkeit‘ von Climacus’ Zentralmotiv der existenziellen Aneignung wesentlich zu unterscheiden. Kierkegaard spricht nicht von einer existenziellen ,Übernahme‘ oder ,Verinnerlichung‘, die durch die Mitteilung inzitiert würde, sondern vom ,Urteilen‘. Insbesondere aber ist die singulär-eigenständige und für den Mitteiler unvorhersehbare ,Aneignung‘ nicht das erklärte Ziel der Mitteilungsbewegung – eher bezeichnet es ihre Grenze. Wie nämlich der Mitteiler wnscht, dass ,geurteilt‘ werde, steht im Vorhinein fest. Und was hier mit ,Wagestück‘ gemeint ist, zeigt der folgende Passus: Der zur Aufmerksamkeit Gezwungene werde womöglich „erbittert, bis zur Raserei erbittert, auf die Sache, auf mich – und vielleicht werde ich das Opfer meines Wagestücks“.199 Im Ganzen sei die Bestimmung, die Menschen zur Aufmerksamkeit zu zwingen, „das Gesetz für das wahre Martyrium“.200 Auch hier denkt also Kierkegaard vornehmlich an seine Aufgabe in der ,Christenheit‘ und die möglichen Folgen seines Vorgehens. Mithin ist dasjenige, was bei Climacus wesentliches Anliegen der Existenzmitteilung ist, nämlich die undelegierbare Aneignung, allein die Grenze der maieutisch-teleologischen Mitteilungsbewegung – und sogar eine mögliche ,Gefahr‘ für den Mitteiler.

197 GWS, 44 / SV2 XIII, 574. 198 GWS, 44 / SV2 XIII, 574; vgl. hierzu Wesche Kierkegaard. Eine philosophische Einfhrung, S. 169 – 172. 199 GWS, 44 f. / SV2 XIII, 574. 200 GWS, 45 / SV2 XIII, 574.

5. Die Gegenbewegung in Gesichtspunkt und Wirksamkeit

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b) Mitteilungstheoretische Abweichungen Tatsächlich enthalten aber Gesichtspunkt und Wirksamkeit auch Partien, die die leitende Mitteilungskonzeption konterkarieren. Es handelt sich dabei gewissermaßen um ,Einsprengsel‘ aus anderen Mitteilungsbegriffen, die zum Teil vor, zum Teil aber auch nach dem Gesichtspunkt entwickelt und dann später in die Retrospektiven eingefügt werden. Ein erstes und recht offensichtliches Beispiel findet sich gleich zu Beginn der „Rechenschaft“. Hier trägt Kierkegaard in einer auf „Oktober 1849“ datierten Anmerkung die Schriften ein, die nach der Abfassung der „Rechenschaft“ im Frühjahr 1849 erschienen sind. Bemerkenswert ist dabei die Behandlung des ,neuen‘ Pseudonyms AntiClimacus, über dessen Einführung erst im Sommer 1849 entschieden wird.201 Kierkegaard formuliert hier sein ,klassisches‘ Verständnis dieses Pseudonyms: Es weise ein „Höheres“ auf, das er selbst nicht in eigenem Namen übernehmen könne, weil sein „Leben einer so hohen Forderung“ nicht entspreche.202 Nun stellt sich allerdings die Frage, welches Verhältnis diese neue Pseudonymität zur retrospektiv beschriebenen Bewegung des Werks und der Mitteilung als ,Herausreflektieren‘ hat. In der Anmerkung heißt es nämlich, die „gesamte frühe Pseudonymität“ stehe „tiefer als ,der erbauliche Schriftsteller‘“, das „neue Pseudonym“ sei „eine hçhere Pseudonymität“ – und bemerkenswerterweise fügt Kierkegaard hinzu, deshalb sei die „Mitteilung“ dieses Pseudonyms „dichterisch“.203 Mit dieser Konstellation ist aber der in der „Rechenschaft“ beschriebene einfache und zielgerichtete bergang in die direkte Mitteilung wenigstens konterkariert. In der Tat schiebt hier Kierkegaard ein späteres, nämlich triadisches Modell der Mitteilung ein, in dem er selbst als erbaulicher Schriftsteller von zwei Formen der indirekten Mitteilung gewissermaßen ,eingerahmt‘ ist. Das aber würde eine wenigstens partielle Revision der teleologischen Mitteilungskonzeption erfordern. Ein weiteres ,Einsprengsel‘ findet sich in dem auf „Nov. 1850“ datierten „Folgeblatt“204 der Wirksamkeit. Hier wird ein einziges Mal der Zentralbegriff der Nachschrift verwendet – die Doppelreflexion. Kierke201 Vgl. hierzu und zum Folgenden unten, II.4.1.c)-d) sowie II.4.2.a). 202 WS, 4 Anm. / SKS 13, 12 Anm. Vgl. zum Pseudonym ausführlicher unten, IV.3.1.c). 203 WS, 4 Anm. / SKS 13, 12 Anm. [Herv. v. Verf.]. Vgl. zur ,Prozessualität‘ von Kierkegaards Selbstverständnis angesichts dieser nachträglichen Modifikation Grage „Selbst-Lektüre als Selbst-Gestaltung“, S. 299 – 301. 204 WS, 11 / SKS 13, 23.

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II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

gaard schreibt: „[A]lle doppelt reflektierte Mitteilung macht entgegengesetzte Verständnisse gleich möglich“.205 Fr sich genommen verweist diese Bestimmung durchaus auf die ,Gegensatzform‘ der Nachschrift. Der Referenzpunkt ist allerdings nicht Climacus, sondern wieder Anti-Climacus. Kierkegaard überträgt hier einen Passus der Einbung, der den Begriff der Doppelreflexion in spezifischer Weise verwendet: Die Gegensatzform habe die Funktion, den Urteilenden „offenbar“ zu machen in dem, was er ist; dabei geht es konkret um die Frage, ob die Einbung selbst als ,Angriff‘ oder ,Verteidigung‘ des Christentums verstanden werde.206 Zwar besteht eine Nähe zum ,Aufmerksam-Machen‘ – die Pointe aber, dass die Doppelreflexion den Urteilenden ,offenbar mache‘, fehlt in der maieutisch-teleologischen Konzeption. Durch die ,Mitteilung in Reflexion‘ soll der Empfänger in eine Konfrontation ,hineinbetrogen‘ werden, und überdies wird das Ziel der ganzen Operation abschließend durch direkte Mitteilung beglaubigt. Die hier aufscheinende Konzeption der Einbung aber übergibt dem Empfänger eine schlechthin zweideutige Mitteilung, um eine Reaktion zu provozieren, in der er gleichsam sein ,wahres Gesicht‘ zeigt. Der ,Effekt‘ des indirekten Verfahrens ist jeweils ein anderer. Die genannten Partien sind allerdings klar als nachträgliche Zusätze markiert. Verwandte Einsprengsel finden sich aber auch im Haupttext des Gesichtspunkts. Dort wird recht ausführlich der Corsaren-Angriff besprochen; und bekanntlich versteht Kierkegaard diesen derart, dass er sich selbst absichtlich zum Gegenstand des Gespötts gemacht habe.207 Auf höchst eigentümliche Weise und eher beiläufig kommt dabei die Mitteilungsfrage ins Spiel: Kierkegaard schreibt, er habe sich dabei „ausgerechnet, dass dialektisch das Verhältnis richtig würde, um wieder indirekte Mitteilung zu erreichen.“208 Wohlgemerkt: Diese Ausführung bezieht sich auf die Periode nach der frühen Pseudonymität – und mithin auf jene Phase, die in den Retrospektiven stets der direkten Mitteilung zugeordnet wird.209 Zur Begründung erläutert Kierkegaard, er habe durch die An205 WS, 15 Anm. / SKS 13, 25 Anm. 206 WS, 15 Anm. / SKS 13, 25 Anm. Vgl. EC, 128 / SKS 12, 137 sowie ausführlicher unten, II.3.5.b). 207 Vgl. dazu ausführlicher unten, II.3.1. sowie die dort angegebene Literatur. 208 GWS, 62 / SV2 XIII, 592 [Herv. v. Verf.]. 209 Anzumerken ist allerdings, dass der bergang in die direkte Mitteilung im Gesichtspunkt selbst nicht begrifflich formuliert wird; diese Bewegung findet sich erst in der späteren „Rechenschaft“. Vgl. aber z. B. GWS, 28, 50 / SV2 XIII, 558, 580, wo dies schon deutlich vorgeprägt ist.

5. Die Gegenbewegung in Gesichtspunkt und Wirksamkeit

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griffe der „Pöbelhaftigkeit“ verhindert, dass „die religiöse Mitteilung allzu direkt“ würde und ihm gar „direkt Anhänger“ verschaffe.210 Diese Überlegung steht nun augenscheinlich im Widerspruch zur teleologischen Mitteilungskonzeption: Nach der frühen Pseudonymität soll eine neue indirekte Mitteilung entwickelt werden – und offenbar sind die Konsequenzen der direkten Mitteilung, die doch der Gesichtspunkt schon im Untertitel trägt, höchst fragwürdig. In der Tat lässt dieses ,Einsprengsel‘ plötzlich und unvermittelt eine Ebene der Mitteilungsreflexion durchscheinen, die im Gesichtspunkt sonst gänzlich verdeckt bleibt – die sich aber in den Journalen nach und sogar vor seiner Entstehung ausfaltet. Kierkegaard notiert dort erhebliche Zweifel an den ,Folgen‘ einer direkten Mitteilung über sich; und nicht zuletzt aus diesem Grund ist der Gesichtspunkt auch zu Lebzeiten niemals publiziert worden.211 Dass diese ,Gegenbewegung‘ sich aber noch im Text selbst niederschlägt, ist durchaus bemerkenswert. Aus einer Partie des Gesichtspunkts wird aber auch die ,Motivation‘ Kierkegaards zur ,direkten Mitteilung über sich‘ angedeutet, die sonst in den Retrospektiven nicht mitteilungstheoretisch formuliert ist. In einer Polemik gegen die Presse und ihre „abstrakte, unpersönliche“ Form der Mitteilung nennt Kierkegaard als „Geheimnis des Bösen“, dass man „nicht nach dem Mitteilenden“, sondern „allein nach der Mitteilung“ frage.212 Diese Stelle ist als solche eher unauffällig. In der Tat enthält sie aber das Motiv, das Kierkegaard zu einer ,Darstellung seiner selbst‘ hingeführt hat: die Forderung nämlich, dass der Mitteiler persçnlich für das von ihm Mitgeteilte einzustehen habe. Ein solches ,Einstehen‘ ist offenbar durch das frühe pseudonyme Werk und gerade die ,Erste und letzte Erklärung‘ nicht gegeben. Mitteilungstheoretisch wird dieses Motiv formuliert als die Forderung, das ,Gelehrte in der Existenz zu verdoppeln‘, – und dieses Motiv heißt in Kierkegaards Journalen Reduplikation. Schließlich ist auf einen Aspekt des Gesichtspunkts hinzuweisen, in dem Kierkegaard nun doch dem Gedanken nahe kommt, aus dem die 210 GWS, 62 / SV2 XIII, 592; vgl. hierzu auch Hirsch Kierkegaard-Studien, Bd. 2, S. 292 Anm. [S. 739 Anm.] sowie Law „A Cacophony of Voices“, S. 22 f. 211 Vgl. unten, II.3.4 und II.4.1. Die Journalstelle, die diesem Passus am nächsten kommt, ist allerdings erst auf Ende 1849 zu datieren. Dort schreibt Kierkegaard zum Corsaren-Streit: „Als ich es aufgab, ästhetischer Verf zu sein, und mir also dieses Unterstützende[,] im Verhältnis dazu, indirekte Mitteilung zu sichern[,] fehlte: dann wurde ich doch nun auf eine andere Weise gesichert“ (NB14:77 (T 4, 56 / SKS 22, 390 f.)). 212 GWS, 52 / SV2 XIII, 582.

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II.2 Maieutisch-teleologischer Begriff der Mitteilung

gesamte Mitteilungskonzeption der Nachschrift entspringt: Überall dort nämlich, wo Kierkegaard über sein persçnliches Existieren und die eigene Innerlichkeit spricht, markiert er eine klare Grenze des Sagbaren. So schreibt Kierkegaard gleich zu Beginn, in der „rein persönlichen Innerlichkeit“, in der er selbst seine Schriftstellerei verstehe, könne er sie „nicht darstellen“.213 In diesen und ähnlichen Äußerungen zeigt sich, dass auch der Gesichtspunkt jene Inkommensurabilitt der singulären Existenz wahrt, die im expliziten Mitteilungsbegriff der Retrospektiven fehlt. An einer einzigen Stelle wird dieses Motiv aber auch mitteilungstheoretisch formuliert: Zum Vorwort der ersten Erbaulichen Reden schreibt Kierkegaard, dieses habe „für mich eine ganz eigene Bedeutung der Innerlichkeit, die sich freilich nicht derart mitteilen lässt.“214 An mehreren Stellen der Retrospektiven also spielen Elemente hinein, die sich mit dem leitenden Mitteilungsbegriff nicht unmittelbar decken; diese stehen allerdings unvermittelt neben der zentralen Konzeption. Darin bereits deutet sich an, was die folgenden Rekonstruktionen vollends bestätigen werden: Der retrospektive Mitteilungsbegriff ist keineswegs die einzige Formulierung der indirekten Methode – und noch weniger umspannt er als ,Meta-Begriff‘ ihren Bewegungsraum im Ganzen.

213 GWS, 24 / SV2 XIII, 554; ähnlich z. B. auch GWS, 80 f. / SV2 XIII, 609 f. 214 GWS, 32 Anm. / SV2 XIII, 563 Anm. [Herv. v. Verf.].

II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt Das folgende Kapitel widmet sich dem ,Weg zum Gesichtspunkt‘ und hat vornehmlich die Funktion, die Genese der im Gesichtspunkt fr meine Wirksamkeit als Schriftsteller und in ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller formulierten Mitteilungskonzeption zu klären; zugleich soll dabei die ,Wandlung‘ in Kierkegaards Nachdenken über das Problem der Mitteilung seit der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift beleuchtet werden. Freilich kommt den auf diesem Weg zu behandelnden Journalnotizen und Entwürfen aus den Jahren 1846 bis 1848 durchaus ein Eigenwert zu, bildet sich doch erst im Blick auch auf diese Textformen das ,Panorama‘ von Kierkegaards Mitteilungsreflexion im Ganzen aus. Zudem lassen sich in diesem Zeitraum eigenständige Mitteilungskonzeptionen nachweisen, die weder mit dem Begriff der Nachschrift, noch auch mit dem späten Mitteilungsverständnis einfach identisch sind. Gleichwohl liegt im Folgenden ein besonderer Fokus auf den ,Faktoren‘, die den oben diskutierten maieutisch-teleologischen Mitteilungsbegriff in seinem Kontext und aus seinem Hintergrund heraus verständlich zu machen vermögen.215 Dabei ist zweierlei von zentraler Bedeutung. Erstens ,entdeckt‘ Kierkegaard die beiden für die Mitteilungskonzeption des Gesichtspunkts entscheidenden Begriffe schon 1846/47, kurz nach Abschluss der Nachschrift: die Maieutik und die Reduplikation. Die Maieutik bestimmt, wie gezeigt, in wesentlicher Hinsicht das retrospektive Mitteilungsverständnis; ab 1846 identifiziert Kierkegaard zunehmend das indirekte Verfahren mit dem Maieutischen. Es wird im Folgenden nachzuvollziehen sein, inwiefern diese ,Entdeckung‘ 1846 eine Verschiebung gegenüber dem in der Nachschrift dominierenden Konzept der Doppelreflexion und zugleich eine Verengung des Mitteilungsbegriffs bedeutet. Zwar sind ,maieutische Aspekte‘ der Mitteilung bereits in der Nachschrift 215 Vgl. für eine kurze Anzeige hierzu Schwab „Direkte Mitteilung des Indirekten?“, S. 446 – 451; vgl. zur Fragestellung im Ganzen Deuser Dialektische Theologie. Studien zu Adornos Metaphysik und zum Sptwerk Kierkegaards, München / Mainz 1980, S. 33 – 37, zum Wandel des Mitteilungsverständnisses bes. S. 36 f.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

präsent,216 erst ab 1846 jedoch kommt ihnen die bestimmende Bedeutung zu; insofern kann mit gutem Recht von einer ,maieutischen Wende‘ in Kierkegaards Mitteilungsreflexion gesprochen werden. Die Reduplikation hingegen ist als solche kein zentraler Begriff in der Konzeption des Gesichtspunkts, sie vermag aber die ,Motivation‘ Kierkegaards zu einer direkten Mitteilung über sich und sein Werk zu beleuchten. Mit dem Begriff ,Reduplikation‘ verbindet sich die Forderung, eine Lehre existenziell zu ,verdoppeln‘ oder zu ,übernehmen‘. Für Kierkegaard selbst bedeutet dies insbesondere, für das im Werk ,Gewollte‘ einzustehen – durch eine direkte Mitteilung. Im Anschluss an den Begriff der Reduplikation lässt sich auch der zweite entscheidende Faktor auf dem Weg zum Gesichtspunkt bestimmen: Die Frage der Mitteilung wandelt sich für Kierkegaard sukzessive zu einem primär ,persönlichen‘ Problem, sie verbindet sich untrennbar mit seinem Selbstverständnis. In immer neuen Reflexionen umkreisen die Journale bis 1848 – und weit darüber hinaus – die Frage, ob er selbst sich direkt mitteilen darf oder gar soll. Kierkegaard fragt nicht mehr zuerst danach, was indirekte oder was direkte Mitteilung ist, sondern ob und wie er selbst diese Formen der Mitteilung verwenden soll oder darf. Gegenüber diesen Reflexionen treten die strukturellen Aspekte der Mitteilungsfrage, denen in der Nachschrift vornehmlich die Aufmerksamkeit gilt, zusehends in den Hintergrund. Gerade diese ,persönliche‘ Reflexion aber bringt zugleich in den Blick, dass der ,Weg zum Gesichtspunkt‘ nicht in einsinniger Teleologie auf die späte Mitteilungskonzeption zuläuft. Insbesondere in der unmittelbaren Vorgeschichte des Gesichtspunkts kommen Kierkegaard erhebliche Zweifel an der Berechtigung und den Konsequenzen einer direkten Mitteilung über sich; und immer wieder erwägen einzelne Aufzeichnungen, ob nicht doch die indirekte Mitteilung die zu präferierende Form sei. Mithin zeigt sich hier schon die ,Reflexionsaporie‘, die Kierkegaards Nachdenken über die Mitteilung bis in die letzten Aufzeichnungen zu dieser Frage bestimmen wird. Entsprechend lassen sich in der Entwicklung von 1846 bis 1848 auch in systematischer Hinsicht Spannungen und Unschärfen nachweisen. So nimmt etwa der Begriff der Reduplikation in 216 Im Ganzen schließt die Mitteilungsreflexion nach der Nachschrift weniger an Climacus’ erste Lessing-These an, sondern an die Reflexionen, die im Umfeld seines Plans zur Schriftstellerei notiert werden. Hier sind eine Reihe der im Folgenden wichtigen Mitteilungsbestimmungen schon im Ansatz vorformuliert. Vgl. AUN1, 232 – 243 / SKS 7, 220 – 228 und hierzu oben II.1.2.a).

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unterschiedlichen Kontexten differierende und teilweise sogar gegensätzliche Positionen ein: Er kann je nach Perspektive entweder die ,existenzielle‘ Verdopplung in Handlung, oder aber die Verdopplung des Inhalts in der Form und mithin die indirekte Mitteilung bezeichnen. Auch der zweite Zentralbegriff, die Maieutik, konkretisiert sich in wenigstens zwei konkurrierenden Modellen: einerseits als ethisch-maieutisches Modell, das auf die selbsttätige ,Realisation‘ eines im Empfänger liegenden Wissens abzielt; andererseits als christlich-maieutisches Modell im Sinne eines spezifisch taktischen Verfahrens, das polemisch gegen den ,Sinnentrug‘ der Christenheit vorgeht. Diese nur vorläufig angezeigte Mehrdeutigkeit der zwei zentralen Termini macht exemplarisch die unhintergehbare Kontextualitt von Kierkegaards Mitteilungsreflexion sichtbar, die im systematischen Teil dieser Untersuchung als ,Rückstoß der Methode‘ beschrieben worden ist: Die Bestimmung der Methode selbst vollzieht sich niemals abstrakt, sondern streng regional, in Bezug auf eine perspektivische und je konkrete Fragestellung. Vor diesem Hintergrund ergibt sich im Folgenden eine doppelte Perspektivierung des Gesichtspunkts: Auf der einen Seite gilt es, den konkreten und bedingenden Fragehorizont sichtbar zu machen, in dem die Konzeption des Gesichtspunkts entwickelt wird. Auf der anderen Seite aber soll gezeigt werden, dass in seiner ,Vorgeschichte‘ und selbst noch whrend der Ausarbeitung seines Mitteilungsbegriffs alternative und gerade auch gegenlufige Konzeptionen formuliert werden. Allein in dieser Hinsicht kann auch die Darstellung des ,Wegs zum Gesichtspunkt‘ Anspruch auf (annähernde) Vollständigkeit erheben: im Blick auf ein Gefüge nämlich, das sich keiner Totalperspektive oder umfassenden Schematik beugt, sondern sich in eine uneinholbare und ,prinzipielle‘ Vielgestaltigkeit der Kontexte differenziert. Zu den einzelnen auf dem ,Weg zum Gesichtspunkt‘ zu beschreibenden ,Stationen‘ ist vorab das Folgende zu bemerken: Zu Beginn des ,Wegs‘ gilt es herauszuarbeiten, dass schon früh und auch über die Zentralbegriffe von Maieutik und Reduplikation hinaus wesentliche Elemente der Mitteilungskonzeption von Gesichtspunkt und Wirksamkeit Gestalt gewinnen, insbesondere 1846/47 im Journal NB und in den verschiedenen Fassungen des Buchs ber Adler. In vereinzelten Aufzeichnungen und eher beiläufigen Passagen notiert Kierkegaard bereits hier Wendungen, die den späten Mitteilungsbegriff bestimmen – ohne dass allerdings sogleich der gesamte Zusammenhang in sich geschlossen und in definitiver Form vorliegt. Gerade der ,Neuansatz‘ von Kierkegaards Selbstreflexion ab 1846 ist deshalb detailliert und in chronologi-

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

scher Abfolge nachzuvollziehen, wird doch hier gleichsam die ,Weichenstellung‘ für die spätere Mitteilungskonzeption vorgenommen. Kulminationspunkt der Gedankenentwicklung von 1846 bis 1848 aber ist zweifelsohne das Journal NB6, in dem sich innerhalb kürzester Zeit der maieutisch-teleologische Mitteilungsbegriff herausschält. Alle für Kierkegaard wesentlichen Fragen ziehen sich in diesem Journal vom Sommer 1848 zusammen, und die Reflexion gipfelt wenig später im Entschluss zur Abfassung des Gesichtspunkts. Das Journal NB6 ist insbesondere deshalb entscheidend, weil es die Motive von Maieutik und Reduplikation zusammenführt: Kierkegaard schreibt hier einerseits sein spätes Selbstverständnis fest, nach dem das frühe Werk als maieutische Taktik zu lesen sei, die innerhalb der Christenheit auf das Christentum aufmerksam mache; andererseits wird ihm erst in NB6 klar, dass der Maieutiker unter christlichen Bedingungen letztlich aus der Verborgenheit des Indirekten heraustreten und reduplizierend für das von ihm Gewollte einstehen müsse. Zudem werden zentrale Elemente der werktheoretischen Mitteilungskonzeption des Gesichtspunkts – etwa die Funktion der frühen Erbaulichen Reden als ,gleichzeitige Sicherung des Religiösen von Beginn an‘ – erst im Sommer 1848 entwickelt. Gerade im Journal NB6 lässt sich aber auch die eben angedeutete Ambivalenz in Kierkegaards Mitteilungsreflexion entfalten, die den weiteren Gang seiner Überlegungen durchgehend bestimmen wird: Schon die erste Eintragung, die einen konkreten Plan zur direkten Darstellung über sich und das Werk skizziert, die Notiz NB6:61, ruft eine ganze Serie von massiven Zweifeln hinsichtlich eines solchen Schrittes auf. Noch bevor Kierkegaard also den Gesichtspunkt abfasst, wird ihm eine direkte Darstellung seiner selbst fragwürdig; und im Zuge dieser Zweifel prägen sich immer wieder alternative Modelle aus, die eine direkte Mitteilung über sich selbst und das Werk konterkarieren. Durch diese Spannung ist es bedingt, dass der Gesichtspunkt zwar verfasst, aber selbst zu Lebzeiten nicht publiziert wird. Anlässlich des ersten Auftretens dieser Aporie in NB6 lassen sich schließlich auch die spezifischen Charakteristika der Journalform Kierkegaards mit ihren mitteilungstheoretischen Implikationen in den Blick bringen; diese werden daher nicht hier vorab, sondern anlässlich der Auslegung des Journals vom Sommer 1848 entwickelt. Als weniger zentral wird sich das Vorlesungsfragment über die ,Dialektik der Mitteilung‘ erweisen. Problematisch ist zunächst die Datierung dieses Textes. Es ist die in dieser Untersuchung vorgeschlagene Hypothese, dass nicht nur der so genannte ,zweite Entwurf‘, sondern auch die ausgearbeiteten zwei Vorlesungen mit hoher Wahrscheinlichkeit

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nicht dem Jahr 1847 zugehören, sondern 1849 entstanden sind; somit ist der Ansatz zur ,Dialektik‘ 1849 wesentlich umfänglicher (und auch systematisch gehaltvoller) als der 1847 entstandene Teil. Da die Belege für diesen Datierungsvorschlag sich erst aus der Entwicklung des Mitteilungsbegriffs bis 1849 ergeben, wird in diesem Kapitel nur die erste, eher kurze Skizze von 1847 an ihrem chronologische Ort behandelt.217 Von der problematischen Datierung abgesehen ist die ,Dialektik‘ 1847 aber auch inhaltlich als weniger bedeutend einzuschätzen. Erstens folgt der Entwurf einem Ansatz, der sich bereits im Journal NB nachweisen lässt: der Identifikation der indirekten Mitteilung mit der Sokratischen Maieutik. In der ,Dialektik‘ 1847 aber verbindet sich dieser Begriff zweitens mit einem Verständnis des Ethischen, das sichtbar der Platonischen Erinnerungslehre abgelesen ist: Der Entwurf geht von der Voraussetzung aus, dass jeder Mensch das Ethische schon von sich her wisse und dieses daher nicht mitgeteilt werden müsse. Somit aber wird das Ethische – und mit diesem die ethisch-maieutische Mitteilung – zu einem ,negativen Sonderfall‘ des Wissens von einem Gegenstand. Der Text verengt das Mitteilungsproblem auf eine einzige ethisch-maieutische Konstellation, die in den späteren Reflexionen nicht mehr derart zentral ist und die überdies sachlich problematisch erscheint. Drittens schließlich hat die ,Dialektik‘ 1847 teilweise den Charakter einer bloßen Materialsammlung ohne ersichtliche Systematik. Insbesondere der – als solcher hochinteressante – Versuch einer Unterscheidung der drei Begriffe ,indirekte Mitteilung‘, ,Doppelreflexion‘ und ,Maieutik‘ gerät zu einer undifferenzierten Auflistung. Im Ganzen prägt sich in der ,Dialektik‘ 1847 keine Konzeption aus, die in Geschlossenheit und Konsequenz an die Mitteilungsbegriffe von Nachschrift oder Gesichtspunkt heranreicht. Gleichwohl ist der Text ein aufschlussreiches Dokument auf dem ,Weg zum Gesichtspunkt‘: Er zeigt zum einen plastisch die Konsequenzen der ,maieutischen Wende‘ von 1846/47 auf; zum anderen aber enthält auch schon die ,Dialektik‘ 1847 in ihren letzten Partien Spannungen, die auf die spätere Reflexionsaporie vorausdeuten. Etwas anders ist der Fall der Einbung im Christentum zu bewerten, deren mitteilungstheoretisch relevanter Teil im Sommer 1848 parallel zu NB6 entsteht. Zwar enthält auch dieser Text eine im Ganzen undeutliche Bestimmung der Mitteilung, zugleich werden hier aber Ansätze for217 Der spätere, ,zweite Ansatz‘ ist, mitsamt dem Datierungsvorschlag, Gegenstand des folgenden Kapitels über den Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt. Vgl. unten, II.4.2.

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muliert, die für die Mitteilungsreflexion gerade nach 1848 von wesentlicher Bedeutung sind. Mithin wird die Konzeption der Einbung in doppelter Hinsicht zu bestimmen sein: Einerseits gilt es herauszuarbeiten, dass die Mitteilungsfrage nicht als solche Gegenstand der Untersuchung ist, sondern eher en passant in der Darstellung des Gott-Menschen als ,Zeichen des Widerspruchs‘ aufkommt. Der in der Einbung zentrale Konnex von Reduplikation und Existenzmitteilung ist dann auch in klarerer Form dem Journal NB6 zu entnehmen. Die ,beiläufige‘ Behandlung bedingt es überdies, dass das leitende Konzept der Reduplikation mit dem unversehens wieder aufgenommenen Begriff der Doppelreflexion gleichsam ,vermischt‘ wird. Strukturell vergleichbar dem Unterscheidungsversuch in der ,Dialektik‘ bleibt die – als solche wiederum hochinteressante – Differenzierung dieser beiden ,Formen der Mitteilung‘ letztlich unscharf, weil ihr nicht das zentrale Interesse der Untersuchung gilt. Andererseits aber behandelt die Einbung als einziger Text die Mitteilungsform des Gott-Menschen selbst und hält in diesem Zusammenhang gerade die indirekte Mitteilung als wesentliche Bestimmung fest – während Kierkegaard in den übrigen Texten dieser Zeit immer deutlicher auf eine Vorrangstellung der direkten Mitteilung abhebt. Diese Spannung ist für die letzten Reflexionen vor Abfassung des Gesichtspunkts ebenso relevant wie für die weitere Entwicklung nach 1848. Bereits aus der vorab gegebenen Skizze sollte deutlich geworden sein, dass der ,Weg zum Gesichtspunkt‘ mit gutem Recht ,labyrinthisch‘ genannt werden darf; es braucht kaum noch ausdrücklich gemacht zu werden, dass der Reflexionsgang zwischen 1846 und 1848 keineswegs gradlinig verläuft.218 Kierkegaard notiert in einer Fülle unterschiedlicher 218 Kierkegaards Nachlass im Ganzen und die hier behandelte Phase im Besonderen ist bislang kaum erschlossen. Vgl. hierzu bes. Deuser Sçren Kierkegaard. Die paradoxe Dialektik des politischen Christen, S. 79 – 83; ders. Dialektische Theologie, S. 33 – 98; ders. Kierkegaard. Die Philosophie des religiçsen Schriftstellers, Darmstadt 1985, S. 160 – 165; Niels Jørgen Cappelørn „The Retrospective Understanding of Kierkegaard’s Total Production“ [1982] in Søren Kierkegaard. Critical Assessments of Leading Philosophers, hrsg. v. Daniel W. Conway, Bd. 1 – 4, London 2002, Bd. 1, S. 19 – 36. – Zur Rezeption von Kierkegaards Nachlass vgl. Jon Stewart „The Reception of Kierkegaard’s Nachlaß in the English-Speaking World“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2003, S. 277 – 315 sowie Richard Purkarthofer „Zur deutschsprachigen Rezeptionsgeschichte von Kierkegaards Nachlass“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2003, S. 316 – 345. Sowohl Stewart als auch Purkarthofer monieren zu Recht, dass der Nachlass zumeist kursorisch in Form eines ,Ad hoc‘-Belegs für Interpretationen des publizierten Werks herangezogen wird, ohne den jeweiligen Kontext der Entwürfe und Aufzeichnungen zu be-

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Textsorten und Kontexte in immer neuen Anläufen differierende Varianten des Mitteilungsbegriffs. Oftmals wird etwa eine Bestimmung zuerst im Journal festgehalten, geht modifiziert in den Entwurf zu einem Werk ein, um später abermals transformiert wieder in den Journalen aufzutauchen oder aber ganz zu verschwinden. Auch werden die in diesem Zeitraum entstehenden Texte, besonders das Buch ber Adler, teilweise mehrfach überarbeitet. Im ,Textgeflecht‘ zwischen 1846 und 1848 ist zudem, wenn auch nur am Rande, auf das erbauliche Werk einzugehen – so findet sich etwa die im Gesichtspunkt prominente Formel vom ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ erstmals eher versteckt in den Taten der Liebe. Für die Untersuchung ergibt sich vor diesem Hintergrund die folgende chronologische Struktur: Zuerst ist auf die ,Entdeckung‘ der Begriffe ,Reduplikation‘ und ,Maieutik‘ 1846/47 mit Schwerpunkt auf dem Journal NB einzugehen; dabei ist zugleich Kierkegaards neue Ausgangssituation nach Abschluss der Nachschrift zu skizzieren (1.). Sodann gilt das Interesse der ersten Fassung des ,Dialektik‘-Fragments vom Frühjahr 1847 (2.). Die Selbstreflexionen in den Journalen und Entwürfen 1847/48 (3.) leiten unmittelbar über zur ,Herausbildung des Gesichtspunkts‘ in NB6 (4.). Daran anschließend ist die zeitgleich entstehende Mitteilungskonzeption der Einbung im Christentum zu untersuchen (5.). Im letzten Schritt gilt es, den Entschluss zur Abfassung des Gesichtspunkts in NB7 zu beleuchten (6.). Eine kurze systematische Synopsis führt die ,Ergebnisse‘ des Kapitels zusammen.

1. Die Entdeckung der ,Maieutik‘ und der ,Reduplikation‘ – Die Journale und Entwürfe 1846/47 Etwa nach Ablieferung der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift an die Druckerei Mitte Dezember 1845219 setzt bei Kierkegaard ein Prozess intensiver Selbstreflexion ein. Diese Reflexionen betreffen rücksichtigen (vgl. Stewart „The Reception of Kierkegaard’s Nachlaß in the English-Speaking World“, S. 277 f.; Purkarthofer „Zur deutschsprachigen Rezeptionsgeschichte von Kierkegaards Nachlass“, S. 337 f.). – Eine recht umfängliche (allerdings zumeist paraphrastische) Auswertung der mitteilungstheoretischen Partien von Kierkegaards Nachlass findet sich auch in zwei älteren schwedischen Studien, vgl. Bohlin Sçren Kierkegaards etiska sk dning med srskild hnsyn till begreppet „den enskilde“, Uppsala 1918, S. 72 – 91 und Bejerholm „Meddelelsens dialektik“, S. 119 – 209. 219 Vgl. JJ:414 (DSKE 2, 288 / SKS 18, 278).

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

durchaus auch praktische Fragen der „äuß[eren] Existenz“220 – so notiert Kierkegaard am 7. Februar 1846 den Vorsatz, sich „jetzt dazu auszubilden, Pfarrer zu werden“, und eine undatierte Aufzeichnung wenig später hält fest: „Meine Finanzen erlauben mir nicht mehr, Schriftsteller zu sein.“221 Zeitgleich beginnt aber auch eine umfängliche Reflexion auf sein schriftstellerisches Selbstverständnis, die sich insbesondere unter Einfluss des noch Ende 1845 begonnenen ,Corsarenstreits‘ vollzieht.222 Kierkegaard scheint das Journal NB – das erste in der Reihe der insgesamt 36 NB-Journale, die er durchgehend von 1846 bis 1854 führt – eigens zum Zweck dieser vertiefenden Selbstverständigung angelegt zu haben. In den zwei langen Aufzeichnungen NB:7 vom 9. März und NB:36 vom 7. September 1846 gibt sich Kierkegaard über seine Stellung im ,Corsarenstreit‘ ausführlich in Form eines „Rapports“ Rechenschaft.223 Dabei bedenkt Kierkegaard mit zunehmender Intensität auch die Frage nach seiner persönlichen Stellung im Verhältnis zum Werk, und zwar vornehmlich im retrospektiven Blick auf die pseudonyme Produktion. Die lange Aufzeichnung NB:34, wohl aus dem März/April 1846, trägt erstmals den Titel „Folgendermaßen habe ich mich in meiner ganzen

220 NB:2 (SKS 20, 10). Für den deutschsprachigen Leser ist zu beachten, dass eine Reihe von Aufzeichnungen aus dem Journal NB in GW in den Anhängen zu CS, LA, ERG und LT wiedergegeben werden (vgl. die Konkordanz in T 2, 295 – 297, wo allerdings die Aufzeichnungen, die in ERG und LT übersetzt sind, nicht angegeben werden). 221 JJ:415 (DSKE 2, 289 / SKS 18, 278), NB:2 (SKS 20, 10); vgl. zu diesen beiden Fragen auch NB:7 (CS, 209 / SKS 20, 20), NB:14 (T 2, 53 / SKS 20, 26), NB:35 (T 2, 63 f. / SKS 20, 38), NB:57 (T 2, 68 f. / SKS 20, 51 f.), NB:107 (T 2, 73 – 76 / SKS 20, 81 – 83) und NB:114 (CS, 213 / SKS 20, 85 f.). Kierkegaard betont allerdings in diesen Aufzeichnungen mehrfach, aus eigenem, ,innerem‘ Entschluss seine schriftstellerische Wirksamkeit beendet zu haben. Der Plan, eine Anstellung als Landpfarrer zu suchen, wird dann in der zuletzt genannten Aufzeichnung vom 24. 01. 1847 als „schwermütige Idee“ zurückgewiesen; dieses Vorhaben geht wohl auf die Zeit von Entweder/Oder zurück, vgl. hierzu JJ:339.e (DSKE 2, 258 / SKS 18, 250) sowie die späteren Rückblicke in NB3:20.d (SKS 20, 255) und NB6:62 (SS, 156 / SKS 21, 45 f.). 222 Die Erfahrungen im Streit mit der Zeitschrift Der Corsar sind für Kierkegaards Verständnis seiner selbst wie auch des Christentums als ,Nachfolge‘ ab 1846 von wesentlicher Bedeutung. Vgl. zu dieser und weiteren ,Determinanten‘ des Spätwerks Deuser Dialektische Theologie, S. 36 – 65. 223 Vgl. NB:7 (CS, 205 – 209 u. T 2, 49 – 51 / SKS 20, 16 – 21) und NB:36 (CS, 210 – 213 / SKS 20, 38 – 41).

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schriftstellerischen Ttigkeit verstanden“.224 Dass auch die Mitteilungsfrage in dieser Selbstreflexion von zentraler Bedeutung ist, wird aus der Marginalie zu dieser Aufzeichnung ersichtlich. Die Bemerkung erhellt zugleich, dass der innere Zusammenhang von Existenzdenken und doppeltreflektierter Mitteilungsform, den Climacus in der Nachschrift hergestellt hatte, zu diesem Zeitpunkt auch von Kierkegaard selbst noch affirmiert wird: Es bleibt stets mein Verdienst der Literatur, die entscheidenden Bestimmungen des ganzen existenziellen Umfangs derart dialektisch scharf und derart primitiv dargelegt zu haben, wie es zumindest meines Wissens in keiner Literatur geschehen ist, und ich habe auch keine Schriften gehabt, um mich mit ihnen zu beraten. Sodann meine Kunst-Mitteilung, ihre Form[,] ihre konsequente Durchführung; aber vorläufig gibt es keinen, der Zeit hat, ernsthaft zu lesen und zu studieren; insofern ist bis auf weiteres mein Schaffen verschwendet, wie wenn man Bauern feine Gerichte vorsetzt.225

Im Folgenden soll nun gezeigt werden, dass bereits zu Beginn dieses 1846 anhebenden Reflexionsprozesses zwei Begriffe für Kierkegaard bedeutsam werden, die später die Mitteilungskonzeption des Gesichtspunkts in methodischer wie struktureller Hinsicht wesentlich bedingen – das Maieutische und die Reduplikation. Beide Begriffe werden zwar hier nicht zum ersten Mal verwendet, erhalten aber erst 1846/47 ihre entscheidende mitteilungstheoretische Prägung. Der vorherige Sprachgebrauch in Kierkegaards Werk ist jeweils kurz anzuzeigen; zugleich gilt es, die beiden Begriffe systematisch zu konturieren und ihre mitteilungstheoretischen Implikationen auszuweisen – zeigt sich doch schon unmittelbar in der 224 NB:34 (T 2, 61 – 63 / SKS 20, 36 f.). Eine genaue Datierung der Aufzeichnung ist unsicher, weil sich zwischen März und September 1846 keine Datumsangaben in NB finden. Es hat aber den Anschein, dass die Aufzeichnungen NB:7 – NB:35 beginnend im März 1846 innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums zusammenhängend niedergeschrieben worden sind. Zwischen diesen und dem ,Neueinsatz‘ des Journals im September mit NB:36 liegt Kierkegaards letzte Berlinreise im Mai (vgl. die dort gemachten Notizen Papir 340:1 – 17 (SKS 27, 349 – 363; teilw. in T 2, 101 – 109) sowie die Arbeit am Buch ber Adler ab Juni 1846 (vgl. hierzu vorerst Gerdes’ „Geschichtliche Einleitung“ in BA, X sowie zukünftig SKS K15). 225 NB:34.a (T 2, 63 / SKS 20, 37). Auch im ersten Dokument des ,Corsarenstreits‘ von Kierkegaards Seite, dem Artikel gegen P. L. Møller, findet sich ein Hinweis auf den Zusammenhang von Doppelreflexion und Existenzdenken, der noch ganz mit der Konzeption der Nachschrift im Einklang steht: „Die existenzielle Dialektik, besonders in der Form der Doppelreflexion, lässt sich nicht direkt mitteilen“ (CS, 36 / SKS 14, 83).

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,Situation nach der Nachschrift‘ die spätere Mitteilungskonzeption im Keim. Den unmittelbaren Kontext, in dem diese beiden mitteilungstheoretischen Zentralbegriffe 1846/47 erstmals notiert werden, bildet ein Motiv, das Kierkegaard im Blick auf den ,Corsarenstreit‘ immer wieder bedenkt: sein „vieles Gehen auf der Straße“226 während der Phase der pseudonymen Produktion. Hierzu heißt es in NB:36 vom 7. September 1846: Es war ironisch richtig von mir, während ich die Pseudonyme schrieb, so viel auf Gassen und Straßen zu leben. Das Ironische lag ganz richtig darin, dass ich, der qua Verfasser einer ganz anderen Sphäre zugehörte, mich auf Gassen und Plätzen aufhielt. Das war die Ironie gegen die intellektuellen verschrobenen hegelianischen Mächte, die wir hierzulande haben, od. hatten.227

Und entsprechend schon in NB:15 aus dem Frühjahr 1846: Und doch befriedigte es meine Seele und meine ironische Beobachtung so außerordentlich, derart auf den Gassen herumzurennen und Nichts zu sein, während Gedanken und Ideen in mir arbeiteten; derart ein Müßiggänger zu sein, während ich unbedingt der Fleißigste von allen Jüngeren war; derart leichtsinnig und „ohne Ernst“ zu sein, während der Ernst der anderen doch leicht neben meiner innerlichen Bekümmerung ein Scherz werden könnte.228

Kierkegaard reflektiert 1846 aus dem Grund so intensiv auf sein ,Umhergehen‘, als ihm dieses durch den Angriff des Corsar unmöglich gemacht oder wenigstens „gestört“229 worden ist – offensichtlich konnte Kierkegaard nach der Veröffentlichung der Corsar-Karikaturen keinen Schritt auf die Straße tun, ohne von Spott und Schmähungen verfolgt zu werden. Vor diesem Hintergrund wird ihm der wesentliche Zusammenhang zwischen seinem ,öffentlichen Auftreten‘ und der pseudonymen Schriftstellerei nochmals bewusst – und gerade in diesem Zusammenhang kommen erstmals die Motive von Maieutik und Reduplikation auf.

226 227 228 229

NB:13 (T 2, 51 / SKS 20, 25). NB:36 (CS, 211 / SKS 20, 39). NB:15 (T 2, 54 / SKS 20, 27). NB:15 (T 2, 54 / SKS 20, 27).

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a) Maieutik Die erste Journalaufzeichnung, die den Begriff des Maieutischen nennt, NB:13, ist auf etwa Ende März 1846 zu datieren; sie behandelt in der Hauptsache eben das genannte Motiv des ,Umhergehens‘ auf der Straße. Zunächst notiert Kierkegaard, dieses ,Umhergehen‘ zu der Zeit der pseudonymen Produktion sei ihm wohl von den allermeisten „als Eitelkeit“ ausgelegt worden.230 Kierkegaard selbst aber fasst das beständige „Sich-Zeigen“ auf der Straße als „Dienst der Idee“, als „Kunst-Anstrengung“ und als „höchstes Interesse“, um seine „Produktivität zu unterstützen“ – nämlich dadurch, „gegen den Verstand“231 gehandelt zu haben, d. h. gegen die ,klügere‘ Entscheidung, sich im Verborgenen zu halten und sich dadurch interessant zu machen. Hätte er nämlich – so erläutert NB:17 diesen Gedanken – „mit so einer enormen Produktivität, zurückgezogen, verborgen gelebt“ und sich nur „selten“ und mit „tiefsinniger Fratze“, mit einem „Professoren-Gesicht“ gezeigt, dann hätte man ihn wohl für „tiefsinnig“ gehalten – so aber habe die „Idee“, die er „existierend ausdrückte“, die „pseudonyme Produktivität […] in äußerster Konsequenz“ unterstützt.232 Bemerkenswerterweise stellt nun Kierkegaard diesen Aspekt am Ende von NB:13 in einem kurzen Satz mit dem Maieutischen zusammen: „Meine Hervorbringung ist maieutisch gewesen, meine Existenz ist unterstützend gewesen“.233 Erstmals gebraucht Kierkegaard hier den Begriff des Maieutischen ausdrücklich in Bezug auf sein eigenes Werk – wenn er auch zunächst noch unausgeführt bleibt. Da Kierkegaards Mitteilungstheorie im Anschluss an die Konzeption des Gesichtspunkts oftmals allein mit dem Maieutischen identifiziert wird, ist hier darauf hinzuweisen, dass dieser Begriff vor 1846 kaum und dann nur beiläufig Verwendung findet. Dafür lassen sich freilich Gründe angeben. An zwei Stellen in Kierkegaards früherem Werk nämlich kommt das Maieutische gerade als Abgrenzungsbegriff in den Blick: in der Magister-Dissertation ber den Begriff der Ironie und in den Philosophischen Brocken. In der Ironieschrift geht es Kierkegaard wesentlich darum, gegenüber dem Sokratesverständnis Hegels eine eigene Auffassung zu profilieren. Während 230 NB:13 (T 2, 51 / SKS 20, 25). 231 NB:13 (T 2, 51 f. / SKS 20, 25). 232 NB:17 (T 2, 56 / SKS 20, 28 f.). Vgl. hierzu Deuser Sçren Kierkegaard. Die paradoxe Dialektik des politischen Christen, S. 56. 233 NB:13 (T 2, 52 / SKS 20, 25).

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dieser die Ironie gemeinsam mit der Maieutik als bloße „Manier der Konversation“234 begreift, möchte Kierkegaard die Ironie als den Standpunkt des Sokrates ausweisen, als die wesentliche Bestimmung von Sokrates’ Existenz – und muss deshalb geradezu zwangsläufig den ,kommunikationstheoretischen‘ Begriff der Maieutik beinahe durchgehend zurückstellen.235 Ganz anderer Art ist die Abgrenzung vom Maieutischen, die Kierkegaard Johannes Climacus in den Philosophischen Brocken vornehmen lässt: Experimentierend entwickelt Climacus das Bild eines Lehrers, der im Unterschied zum Sokratischen wesentlich ,gebärend‘ ist, und lässt so das nach Theaitetos, 149c und 150b zitierte „laie}eshai“ des Sokrates schon auf den ersten Seiten seines „Denkprojekts“ hinter sich.236 Diese doppelte Abgrenzung verhindert, dass der Begriff selbst in den Fokus von Kierkegaards Aufmerksamkeit tritt: In der Nachschrift findet er nur zweimal eher beiläufig Verwendung,237 und in Kierkegaards Entwürfen zu den pseudonymen Schriften fällt er ebenfalls nur zweimal am Rande.238 Erst 1846 wird das Maieutische in seiner zentralen Bedeutung entdeckt – und es ist kaum verwunderlich, dass Kierkegaard von der ersten, auf sein eigenes Werk bezogenen Verwendung des Begriffs zu derjenigen Gestalt zurückgeht, mit der er wesentlich verbunden ist: zu Sokrates. Die Aufzeichnung JJ:482 aus dem Sommer 1846 hält die entscheidende Funktion des Maieutischen bei Sokrates zum ersten Mal und als ,neue Einsicht‘ fest: Dass mehrere von Platos Dialogen ohne Resultat enden, hat einen weit tieferen Grund, als ich früher gedacht habe. Dies ist nämlich eine Widerspiegelung von Sokrates’ maieutischer Kunst, die den Leser od. den Zuhörer selbsttätig macht, und deshalb nicht im Resultat, sondern mit einem Stachel endet. Dies ist eine vortreffliche Parodie auf die moderne leiernde Methode, die alles je eher desto besser sagt und auf einmal, welches keine Selbsttätigkeit weckt, sondern den Leser nur zum Nachleiern veranlasst.239 234 Vgl. Hegel GeschPhil. I, TWA 18, S. 456 – 464, Zitat S. 461. 235 Vgl. im Detail unten, III.1. In der Ironieschrift wird der Begriff ,Maieutik‘ überhaupt nicht verwendet; nur an wenigen Stellen spricht Kierkegaard von Sokrates als ,Accoucheur‘ und von seiner ,Hebammenkunst‘. 236 Vgl. PB, 7 – 9 / SKS 4, 218 – 220. 237 Vgl. AUN1, 72, 236 / SKS 7, 80, 221 und dazu oben. II.1.1.h) und II.1.2.a). 238 Vgl. Pap. IV B 117, p. 283 (Entwurf einer Antwort auf Heibergs Besprechung der Wiederholung) und Pap. VI B 11, p. 87 (in einem Entwurf zu den Stadien). 239 JJ:482 (DSKE 2, 311 / SKS 18, 299 f.); Kierkegaard hatte das Fehlen des Resultats in einigen Dialogen Platons allerdings schon in der Ironieschrift hervorgehoben, vgl. bes. BI, 55 f. / SKS 1, 115. – Vgl. auch die kurz zuvor notierte Aufzeichnung JJ:477 (DSKE 2, 309 f. / SKS 18, 298) mit dem Titel „Warum

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Der Stachel der Anreizung an Stelle der Mitteilung eines Resultats – unter diesem Gesichtspunkt schließt Kierkegaard mitteilungstheoretisch an den Maieutiker Sokrates an. Das Auslassen des Resultats um der Aneignung und Selbsttätigkeit des Empfängers willen kannte freilich schon Johannes Climacus in der Nachschrift, und auch die Polemik gegen das nachsprechende ,Ableiern‘ findet sich bereits in der dortigen Mitteilungskonzeption – Climacus hatte sich aber nicht ausdrücklich als Maieutiker verstanden.240 In der Tat bedeutet die Fokussierung auf das Maieutische, die sich in den zitierten Eintragungen andeutet, eine wesentliche Verschiebung gegenüber der früheren Konzeption. Zunächst ist festzuhalten, dass die Mitteilungsform durch den Rekurs auf das Maieutische an die Platonische Erinnerungslehre, die !m\lmgsir, angeschlossen wird, die schon die Philosophischen Brocken mit Bezug auf den Menon, 80e-82a behandelt hatten.241 Dort freilich bestand die Pointe gerade darin, in Abstoßung von der Sokratisch-Platonischen Erinnerungslehre die Frage zu durchdenken, wie ein Verhältnis zur Ewigkeit möglich sei, bei der der geschichtliche Ausgangspunkt von entscheidender Bedeutung ist.242 Diese Frage wird in der ,Neuentdeckung‘ des Maieutischen in Sokrates zwar nicht wieder aufgenommen, gibt aber einen entscheidenden Hinweis. Der im Anschluss an die genannten Stellen im Menon und Theaitetos verstandene Maieutiker Sokrates nämlich zielt auf ein ,Wissen‘ ab, das je schon im Schüler liegt; allein dieses maieutisch ,herauszuholen‘, ist die Aufgabe des Lehrers. Indirekte Mitteilung wäre, als Maieutik verstanden, deswegen nötig, weil der Mitteiler nicht wesentlich einen Gegenstand mitteilt, sondern den Empfänger nur aufmerksam macht auf etwas, das er je schon und von sich selbst her weiß. Dieses Verständnis wird in der Tat im Folgenden von Kierkegaard aufgegriffen werden, insbesondere im Fragment zur ,Dialektik der Mitteilung‘. Die Verschiebung, die diese Orientierung am Maieutischen gegenüber der Konzeption des Climacus bedeutet, lässt sich in zweifacher Hinsicht konkretisieren: Erstens bezeichnet das Maieutische eine Ververglich sich Sokrates mit einer Bremse?“, die allerdings den Begriff des Maieutischen noch nicht verwendet. 240 Freilich lassen sich die ab 1846 bestimmenden maieutischen Aspekte im Ansatz schon bei Climacus nachweisen, und zwar vornehmlich in dem Passus zu seinem ,Plan‘, Schriftsteller zu werden (vgl. AUN1, 232 – 243 / SKS 7, 220 – 228; vgl. oben II.1.2.a)). Im Ganzen aber dominiert in der Nachschrift die Begründung der indirekten Form aus der dem Denken inkommensurablen Existenzinnerlichkeit. 241 Vgl. PB, 7 – 9 / SKS 4, 218 – 220. 242 Vgl. die Formulierung des ,Denkprojekts‘ in PB, 1 / SKS 4, 213.

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schiebung bezüglich des Empfngers der Mitteilung. Aus diesem soll durch die indirekte Mitteilung als Maieutik etwas Bestimmtes gewissermaßen ,herausgeholt‘ werden; er wird somit zum Schler. Daraus erhellt zugleich die zweite, korrespondierende Verschiebung: Der Mitteilende wird, als Maieutiker verstanden, zum Lehrer – freilich nach wie vor ein Lehrer ohne ,unbedingte Autorität‘. Diese Bestimmung findet sich zwar gleichfalls schon bei Climacus, wenigstens in der zentralen ersten LessingThese aber nur als Beispiel. Keineswegs wird der ,subjektive existierende Denker‘ als Mitteilender dort per se mit dem Lehrer identifiziert; diese Gleichsetzung leistet erst das Verständnis der indirekten Mitteilung als Maieutik.243 Aufs Ganze gesehen wird aber damit der Ausgangspunkt für die Erörterung der Mitteilungsfrage verschoben: Climacus hatte danach gefragt, welche Form ein Denken haben müsse, das sich im Unterschied zum ,objektiven‘ und ,spekulativen‘ Denken auf das konkrete Existieren richte – und erst von dort aus den Begriff der ,Mitteilung‘ ins Spiel gebracht. Dieser Ansatz tritt ab 1846 sukzessive aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit: Die maieutisch verstandene Mitteilung wird nun zur Kommunikationstheorie im engeren Sinne; sie fragt nach einem ,korrekten‘ Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler. Diese Neuausrichtung am maieutischen Modell bestimmt Kierkegaards Mitteilungsreflexionen ab 1846 in entscheidendem Maße; das indirekte Verfahren kommt überhaupt nur noch als maieutisches in den Blick. Im Vorgriff auf das Folgende ist aber innerhalb dieses maieutischen Modells nochmals zu differenzieren zwischen einer allgemeinen Struktur des Lehrer-Schüler-Verhältnisses und dem spezifischen, von Kierkegaard in Wirksamkeit und Gesichtspunkt beschriebenen Verfahren, in der Christenheit maieutisch auf das Christentum aufmerksam zu machen. Beide ,Varianten‘ – die im Übrigen wesentlich voneinander differieren – finden sich in den Entwürfen zur Mitteilungsfrage von 1846 bis 1848; im Folgenden wird die erste, allgemeinere Struktur als das ethisch-maieutische Modell, die zweite, spezifische Fassung als das christlich-maieutische Modell bezeichnet.244 243 Vgl. allerdings bereits die Formulierungen in AUN1, 235 / SKS 7, 221, die bereits in diese Richtung weisen. 244 Die Differenz beider Formen wird im Folgenden im Detail zu erarbeiten sein. Vorab kann angezeigt werden, dass das zweite, spezifisch christliche Modell von einer ,allgemeinen Täuschung‘ ausgeht (eben der Christenheit), gegen die zuerst einmal negativ operiert werden muss; das ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ bezeichnet ja gerade ein ,Herausbetrügen aus einem Betrug‘. Diese polemische Pointe fehlt weitestgehend im ethischen Modell. Umgekehrt tritt die Ausrich-

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Dass Kierkegaard 1846/47 dieser ,Neuentdeckung‘ des Maieutischen wesentliche Bedeutung beimisst, zeigt sich bereits darin, dass der Begriff an keiner anderen Stelle in Werk und Nachlass so oft verwendet wird wie in diesem Zeitraum – selbst nicht in NB6 oder in der Wirksamkeit. 245 Schon die auf NB:13 folgende Aufzeichnung greift das Wort wieder auf, wenn Kierkegaard dort seine „Idee“ als „richtend-maieutisch[e]“ bezeichnet, freilich richtend „nicht in direktem Sinn“, sondern „indirekt“ und dadurch als ,Epigramm über die Zeit‘.246 Unmittelbar nach seiner ersten Verwendung also bezieht Kierkegaard den Begriff auf sein Verhältnis zur Gegenwart – und deutet damit bereits 1846 an, dass er seine maieutische Mitteilung in zeitdiagnostischer und gegenwartskritischer Absicht versteht. Spuren hinterlässt die ,Entdeckung des Maieutischen‘ auch in der ersten Fassung des Buchs ber Adler, die zwischen Juni und September 1846 ausgearbeitet wird. Dort schärft Kierkegaard sein eigenes Verständnis von Mitteilung und Maieutik an einem Fall, der nicht der seine ist. Bekanntlich ziehen die Schriften Adolph Peter Adlers insbesondere deshalb Kierkegaards Aufmerksamkeit, aber auch seine Kritik auf sich,

tung auf Realisation und Selbstttigkeit des Empfngers, die im ethischen Modell dominiert, in der ,christlichen Taktik‘ zusehends zurück. Das christlich-maieutische Modell wird in seiner ,reifen‘ Fassung erst in NB6 entwickelt; auf dem Weg dorthin findet sich allerdings schon mehrfach der Versuch, die Maieutik in einem christlichen Sinne zu bestimmen. Eine erste, skizzenhafte Formulierung des christlich-maieutischen Modells, nämlich als polemisches ,Fortnehmen‘ eines vermeintlichen Wissens, findet sich bereits in der Nachschrift, vgl. AUN1, 271 Anm. / SKS 7, 250 f. und oben, II.1.2.c). 245 In den Journalen NB – NB36 (1846 – 1854) fällt der Begriff in insgesamt 30 Aufzeichnungen, davon am häufigsten (in sieben Aufzeichnungen) hier in NB; hinzu kommen 1846/47 noch eine Reihe von Stellen im Journal JJ, in den verschiedenen Fassungen des Buchs ber Adler und in dem ,Dialektik‘-Fragment von 1847. 246 NB:14 (T 2, 53 / SKS 20, 26). Diese Aufzeichnung notiert im Übrigen einen Gedanken, der auf dem Weg zum Gesichtspunkt zentral werden wird. Kierkegaard schreibt, er habe die „verschiedenen Stadien der Existenz“ möglichst in einem Zug darstellen wollen, insbesondere, damit es nicht so scheine, als fehle dem „Religiösen“ aus einem „zufälligen Grund“ das „Schäumen“ des Ästhetischen – „nämlich dem, dass der Verfasser nicht genügend Jugendlichkeit hat“ (NB:14 (T 2, 52 f. / SKS 20, 26)). Dieses ,Anliegen‘ wird für Kierkegaard nach den zwei Jahren der rein christlich-erbaulichen Verfasserschaft 1847/48 an Dringlichkeit gewinnen.

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weil dieser auf eine direkte Offenbarung Anspruch macht.247 Dabei wird die Art und Weise, in der Adler seine Werke angesichts seines Offenbarungsanspruchs präsentiert, für Kierkegaard zum Stein des Anstoßes, und im Durchdenken der Dialektik eines „wahren Extraordinairs“ oder ,Außerordentlichen‘248 gibt Kierkegaard – freilich unter anderen Voraussetzungen als den eigenen – eine nähere Bestimmung des Maieutischen: Der „wahre Extraordinair“ müsse die „Voraussetzungen seiner Zeit stets zu Diensten“ haben, und mithin im Besonderen über „Reflexion und Verständigkeit“ als deren wesentliche Charakteristika verfügen; er müsse dialektisch die Gefahren und Misslichkeiten kennen, von denen ein Auserwählter einer früheren Zeit keine Ahnung hatte. Ein Auserwählter im Zeitalter der Reflexion muss die Einheit davon sein, der durch eine Offenbarung Berufene […] und der größte Maieutiker des Zeitalters zu sein.249

Wiederum wird hier das Maieutische auf die ,Situation‘ des Zeitalters bezogen, und erstmals stellt Kierkegaard explizit einen Zusammenhang zwischen dem Christlichen und dem Maieutischen her. Nimmt man die ,Berufung durch Offenbarung‘ fort, so zeigt sich ansatzweise bereits das christlich-maieutische Modell, das Kierkegaard später in Gesichtspunkt und Wirksamkeit entfalten wird: Weil das gegenwärtige ,Zeitalter‘ im Unterschied zu ,früheren Zeiten‘ wesentlich durch die ,Reflexion‘ charakterisiert ist, muss auch der ,Lehrer‘ des Christentums über diese ,Voraussetzung‘ verfügen – und gerade das ,reflektierte‘ Vorgehen im Zeitalter der Reflexion bestimmt Kierkegaard als maieutisch. Noch bleibt die Konzeption skizzenhaft und unausgeführt, und auch die Formel vom ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ fällt hier nicht – bereits 1846 aber zeichnet sich im Anschluss an die Maieutik ein wesentliches Moment der späteren Mitteilungskonzeption ab. In der ersten Fassung des Buchs ber Adler wird aber auch die eben angezeigte Modifikation des Mitteilers, die der Begriff des Maieutischen mit sich bringt, in ihren Konsequenzen greifbar. Kierkegaard polemisiert 247 Vgl. zum Hintergrund und für weitere Literatur Carl Henrik Koch „Adolph Peter Adler: A Stumbling-Block and an Inspiration for Kierkegaard“ in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Bd. 2: Theology (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, 7.2), hrsg. v. Jon Stewart, Aldershot u. a. 2009, S. 1 – 22. 248 BA, 32 / Pap. VII 2 B 235, p. 55. 249 BA, 34 / Pap. VII 2 B 235, p. 55; vgl. auch die sehr parallel gehaltene Passage der letzten Umarbeitung des ersten Kapitels von Ende 1847 (BA, 200 f. / Pap. VIII 2 B 13, p. 64).

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im vierten Kapitel gegen Adlers unklare Darstellung und macht hier beiläufig die Bemerkung, ein „Schriftsteller“ solle „ja nicht […] den Leser dazu veranlassen, sich selbst zu helfen, er soll vielmehr, selbst wenn er maieutisch das Resultat verbirgt, der Lehrer sein, der Bescheid weiß.“250 Es handelt sich hierbei zwar um eine bloße Nebenbemerkung, die Verwendungsweise des Ausdrucks ,maieutisch‘ beleuchtet aber dennoch einen Aspekt der ,maieutischen Wende‘. Die hier geäußerte Auffassung des ,Lehrers‘ steht nämlich in direktem Widerspruch zu Climacus’ Auffassung des Resultats und macht zugleich den teleologischen Zug des maieutischen Mitteilungsbegriffs sichtbar: Bei Climacus hatte die ,Auslassung des Resultats‘ ihre Pointe darin, dass für den im Werden stehenden Existierenden schlechthin kein Resultat da ist, und die Mitteilung eines solchen den Existierenden gerade um das Existieren betrügen würde. In der zitierten Passage aber erscheint das Auslassen des Resultats als bloße Taktik eines Lehrers, der das Ziel verbirgt – aber selbst ,Bescheid weiß‘. In der Tat auch verwendet Kierkegaard im dritten Kapitel erstmals den Begriff einer „maieutische[n] Taktik“.251 Bemerkenswert ist hierbei insbesondere, dass die ,Selbsttätigkeit‘ des Empfängers – die für Climacus und noch für Kierkegaards eben zitierte Anschlussnahme an den Maieutiker Sokrates wesentlich ist – erheblich eingeschrnkt wird: In der maieutischen Bewegung vollzieht sich die ,Anreizung zur Selbsttätigkeit‘ des Empfängers wie auch dessen Aneignung unter Maßgabe eines vorgngigen Resultats. 252

250 BA, 127 / Pap. VII 2 B 235, p. 197. 251 Pap. VII 2 B 235, p. 168 (das später umgearbeitete dritte Kapitel der ersten Fassung ist in BA, wo die dritte Fassung zu Grunde gelegt wird, nicht vollständig übersetzt). 252 Eine vierte Stelle in der ersten Fassung des Buchs ber Adler, an der der Begriff des Maieutischen verwendet wird, steht allerdings in stärkerer Kontinuität zur Mitteilungskonzeption der Nachschrift. Hier spielt Kierkegaard hypothetisch den Fall durch, dass die vier Bücher Adlers „maieutisch von verschiedenen Seiten auf einmal ein gewisses Terrain bespannen“ (Pap. VII 2 B 235, p. 129; ebenfalls im nicht vollständig übersetzten Kap. 3). In einem Zusatz zu dieser Stelle in der zweiten Fassung von Anfang 1847 ist weiter davon die Rede, „die Selbsttätigkeit des Lesers zu inzitieren, indem die direkte Mitteilung durch das Kreuz der Verschiedenheit verhindert wäre, und jedes direkte Resultat unmöglich gemacht wäre, jede zudringliche Kommunikation mit der Meinung des Verfassers abgeschnitten – kurz[,] nur ein Maieutiker könnte darauf verfallen, so etwas zu tun, oder richtiger nur ein Maieutiker könnte dazu berechtigt sein, so etwas zu tun“ (Pap. VIII 2 B 7,18, p. 34).

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Auch nach Abschluss der ersten Fassung des Buchs ber Adler etwa September 1846 verwendet Kierkegaard im Journal NB mehrfach den Begriff des Maieutischen: So führt er in NB:42 – parallel zu der SokratesAufzeichnung aus JJ – als „schneidendsten Kontrast“ zur ,existenzvergessenen‘ Philosophie Hegels eben die Gestalt des Maieutikers an;253 in NB:118, NB:129 und NB:160 charakterisiert er sein eigenes Verfahren en passant als maieutisch.254 Aus diesen Notizen sticht in verblüffender Weise die Eintragung NB:154 vom Frühjahr 1847 hervor, die schlaglichtartig schon einen Grundgedanken des Gesichtspunkts formuliert: Man kann nun mit mir tun was man will, mich verhöhnen, mir missgönnen, es lassen mich zu lesen, mir den Hut einschlagen, mich totschlagen: das kann man in alle Ewigkeit nicht leugnen, was meine Idee und mein Leben war, dass das einer der originalsten Gedanken seit langer Zeit war, und der originalste Gedanke in der dänischen Sprache: dass das Christentum eines Maieutikers bedürfe und ich es verstand, das zu sein – während es niemand verstand, das zu würdigen. Die Kategorie, das Christentum zu verkünden, Christum zu bekennen, passt nicht in die Christenheit – hier passt eben das Maieutische, das davon ausgeht, dass die Mschen das Höchste haben, aber ihnen helfen will, darauf aufmerksam zu werden, was sie haben.255

Deutlicher noch als in den Passagen des Buchs ber Adler stellt Kierkegaard die Aufgabe des Maieutikers in der Christenheit dar, und schreibt sich zugleich zu, gerade dieser Aufgabe in seinem Werk entsprochen zu haben – die ,Ausgangslage‘ wie auch die ihr korrespondierende ,Methode‘, die Abgrenzung zur ,direkten Verkündigung‘ und die Bewegung des Aufmerksam-Machens sind hier schon in aller Deutlichkeit benannt. Es ist dies die erste umfänglichere Formulierung des christlich-maieutischen Modells, und tatsächlich die erste Journalnotiz überhaupt, die den Ausdruck ,Christenheit‘ in dem später geläufigen polemischen Sinn verwendet.256 Allerdings fehlt hier noch die später entscheidende Pointe, dass die ,Christenheit‘ ein Sinnentrug ist, gegen den zunächst einmal vorgegangen werden muss; und entsprechend fehlt auch noch die Formel vom ,Hineinbetrügen in das Wahre‘, die zugleich ein ,Herausbetrügen aus 253 NB:42 (SKS 20, 44). Diese Stelle ist aus der Bearbeitung des Buchs ber Adler in NB übertragen worden, vgl. Pap. VII 2 B 266,28. 254 Vgl. NB:118 (LT, 439 / SKS 20, 86), NB:129 (ERG, 360 / SKS 20, 90) und NB:160 (SKS 20, 104). 255 NB:154 (T 2, 89 / SKS 20, 102 f.); vgl. hierzu auch Bejerholm „Meddelelsens dialektik“, S. 185. – Ein erster Keim dieses Gedankens findet sich bereits in der Nachschrift. Vgl. AUN1, 235 / SKS 7, 221; vgl. auch AUN2, 328 / SKS 7, 557. 256 Schon die Nachschrift kennt allerdings diesen Gebrauch, vgl. bes. AUN1, 275 / SKS 7, 254 f.

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einem Betrug‘ bezeichnet. Vielmehr denkt Kierkegaard die ,christliche Maieutik‘ vornehmlich nach dem ethisch-maieutischen Modell: Die Menschen besitzen bereits ,das Höchste‘, müssen aber darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie es besitzen; der Maieutiker ,holt‘ aus den Schülern etwas ,heraus‘, das bereits in ihnen liegt. Verblüffend und schlaglichtartig darf diese Aufzeichnung insofern genannt werden, als die in ihr notierte Konzeption in den Journalen dieser Zeit keineswegs durchgehend und als Selbstverständnis Kierkegaards festgeschrieben ist. Noch in NB:34 etwa sieht er die Aufgabe seines Werks darin, in einer „demoralisierten Zeit das Allgemeine zu heben“257 – eine ethische Bestimmung, die offensichtlich noch nicht mit der Gegenüberstellung von Christentum und Christenheit operiert. Entsprechend heißt es auch in NB:45: „Die ganze pseudonyme Hervorbringung und meine Existenz im Verhältnis dazu waren in griechischer Tonart. / Nun muss ich die charakteristisch christliche Existenz-Form finden.“258 Die spezifisch christliche Verschärfung steht also noch bevor und wird vom bisherigen Werk nicht geleistet. Bei näherem Hinsehen zeigt sich auch, dass die Eintragung NB:154 nicht einer ausführlichen Reflexion auf das pseudonyme Werk entspringt, sondern ,Nebenprodukt‘ einer etwa zeitgleich entstehenden Schrift ist – nämlich der siebten Rede des „Evangeliums der Leiden“, der dritten Abteilung der Erbaulichen Reden in verschiedenem Geist. Dort führt Kierkegaard eben die hier genannte Konstellation von Christentum und Christenheit aus, überantwortet aber, entsprechend dem indirekten Modus der Erbaulichen und Christlichen Reden, die Entscheidung über diesen ,Fall‘ der „ernsthaften Selbstprüfung des Einzelnen“.259 257 NB:34 (T 2, 62 / SKS 20, 37). 258 NB:45 (T 2, 66 / SKS 20, 46). Die Aufzeichnung beginnt, analog zu NB:34, mit dem Satz: „Folgendermaßen habe ich mich selbst verstanden“. 259 ERG, 336 – 339 / SKS 8, 415 – 417; Zitat ERG, 339 / SKS 8, 417; vgl. den ersten Plan zu diesem Werk in NB:49 (T 2, 66 f. / SKS 20, 48). Der Begriff des Maieutischen wird im Werk selbst nicht verwendet. – Zweifelsohne wäre es außerordentlich aufschlussreich, Kierkegaards in den Journalen und Entwürfen notierte Reflexionen zum Mitteilungsbegriff 1846 bis 1848 mit dem erbaulichen und christlichen Werk dieser Zeit ins Verhältnis zu setzen. Besonders aus dem Motiv von Lilie und Vogel, das Kierkegaard in mehreren Reden behandelt, ließen sich Hinweise für sein Verständnis des Lehrers entnehmen (vgl. ERG, 169 – 190 / SKS 8, 259 – 280 und bes. CR, 6 – 10 / SKS 10, 21 – 24). An keiner Stelle allerdings – mit Ausnahme der gleich zu untersuchenden Passage über den Maieutiker aus den Taten der Liebe – verdichten sich die Reden derart, dass von einem Begriff der Mitteilung gesprochen werden könnte; sie wären vielmehr in

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Wenn auch die spätere Konzeption erst umrisshaft und vereinzelt in den Blick kommt, so sollte doch deutlich geworden sein, dass Kierkegaard kurz nach Abschluss der Nachschrift die indirekte Methode in ihrer maieutischen Bestimmung ergreift und damit eine wesentliche Umakzentuierung vornimmt. In den verschiedensten Kontexten nuanciert Kierkegaard bereits 1846/47 dieses neu gewonnene Verständnis und nimmt mehrfach eine Engführung seines eigenen Werks mit dem Maieutischen vor; auch die spezifische Bestimmung der ,christlichen Maieutik‘ wird hier bereits skizziert. Damit ist die erste entscheidende ,Weichenstellung‘ in Richtung der späteren Mitteilungskonzeption vorgenommen.

b) Reduplikation Der zweite zentrale Begriff in der Herausbildung der späten Mitteilungskonzeption, die Reduplikation, wird 1846/47 noch nicht derart ausführlich thematisiert; gleichwohl ist auch er hier in seiner entscheidenden Bedeutung erstmals festgehalten. Im Gegensatz zur Maieutik ist im Falle der Reduplikation allerdings nicht von einer ,Neuentdeckung‘, sondern von einer Umakzentuierung bzw. Eingrenzung eines Begriffs zu sprechen. Den Begriff der Reduplikation verwendet Kierkegaard seit den Stadien mehrfach und in einer schillernden Vieldeutigkeit. ,Reduplikation‘ heißt zunächst einfach ,Verdopplung‘ und kann so mehrere Bedeutungsnuancen in sich vereinen. In den Stadien bezeichnet der Begriff zumeist eine Verdopplung, die als solche in der Reflexion und dem Dialektischen liegt – also gewissermaßen die ,Brechung‘ der Unmittelbarkeit. So heißt es in der „Schrift an den Leser“ des Frater Taciturnus, alle „Eingeschlossenheit“ liege in einer „dialektischen Reduplikation, welche der Unmittelbarkeit schlechterdings unmöglich ist“.260 Darin klingt zugleich ein mitteilungstheoretisch relevantes Motiv an: die Inkommensurabilität des (existenziellen) Innen für das (darstellende bzw. darstellder Durchfhrung der Mitteilung zu behandeln, die sich in dieser Untersuchung exemplarisch auf einige pseudonyme Schriften beschränken muss. Vgl. zur indirekten Form der Reden Deuser Sçren Kierkegaard. Die paradoxe Dialektik des politischen Christen, S. 72 – 79; Tim Hagemann Reden und Existieren, S. 55 – 72; George Pattison Kierkegaard’s Upbuilding Discourses. Philosophy, Theology, Literature, London / New York 2002. 260 SLW, 455 / SKS 6, 395.

1. Die Entdeckung der ,Maieutik‘ und der ,Reduplikation‘

205

bare) Außen.261 Dieser Aspekt wird noch deutlicher an einer Stelle von Victor Eremitas Rede in „In vino veritas“, wo es heißt, der „Mann“ habe „seine wahre Idealität nur in einer Reduplikation“; jede „unmittelbare Existenz“ müsse „vernichtet werden, und die Vernichtung beständig gesichert sein durch einen falschen Ausdruck“.262 Unmittelbar wäre eine Existenz, die sich als ungebrochene Einheit von Innen und Außen bestimmte; die reduplikative Verdopplung kommt dort ins Spiel, wo der Existierende sich reflektierend seiner Inkommensurabilität gegenüber einer direkten Repräsentation im Außen bewusst wird. In der Nachschrift finden sich verschiedene Verwendungsweisen des Begriffs ,Reduplikation‘. Offensichtlich unter Einfluss des mitteilungstheoretischen Konzepts der ,Doppelreflexion‘ gebraucht Climacus den Begriff an mehreren Stellen, um eine ,korrekte‘ Verdopplung des Gehalts in der Form einer Aussage zu bezeichnen. So heißt es einmal, „der Inhalt der Aussage muss beständig in der Form redupliziert werden“;263 und kurz zuvor: „Die Reduplikation des Inhalts in der Form ist das Künstlerische“.264 In der ,Ersten und letzten Erklärung‘ schließlich unterscheidet Kierkegaard das eigene „dialektisch-reduplizierte“ Unternehmen der pseudonymen Schriften explizit mitteilungstheoretisch von einer direkten Darstellung.265 Die Nachschrift kennt aber noch einen anderen Sprachgebrauch, der auf die Eingrenzung des Begriffs ab 1847 vorausdeutet: die Verdopplung der Lehre im Lehrer. In diesem Sinne spricht Climacus von der „reduplizierenden Wiederholung“ der „Lehre“ in der „Vorstellung davon, wie der Lehrer sein soll“;266 und wenig später heißt es kritisch im Blick auf die ,Dozierenden‘, dass ihre „Aussage des Denkens“ sich „nicht in der Vorstellung des Denkers redupliziert“ und „die eigene Existenz des Denkers seinem Denken widerspricht“.267

Vgl. hierzu die Interpretation des „Vorworts“ von Entweder/Oder, unten, III.3. SLW, 67 f. / SKS 6, 65. AUN2, 328 Anm. / SKS 7, 557 Anm. AUN2, 36 / SKS 7, 304; hier bezieht sich Climacus polemisch auf Hegels Logik. Vgl. in diesem Sinne auch AUN1, 160 Anm. / SKS 7, 157 Anm. und AUN1, 235 / SKS 7, 221 (hier ist allerdings die Zuordnung nicht eindeutig). – Ein weiterer, hiervon abweichender Sprachgebrauch findet sich in AUN1, 182 / SKS 7, 176, wo Climacus im Blick auf das spekulative Denken von einer „abstrakten Reduplikation der Wahrheit“ spricht. 265 AUN2, 340 f. / SKS 7, 570 f. 266 AUN1, 240 / SKS 7, 225. 267 AUN2, 4 / SKS 7, 276. 261 262 263 264

206

II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Die Verdopplung des Gelehrten in der Existenz und durch Handlung – diese Akzentuierung der Reduplikation wird nun für Kierkegaard spätestens ab 1847 immer bedeutsamer und drängt die übrigen Verwendungsweisen in den Hintergrund. Kierkegaard gebraucht allerdings den Begriff verwirrenderweise an einzelnen Stellen weiterhin in seinen übrigen Bedeutungen und gerade auch als Synonym für die doppeltreflektierte Mitteilung.268 Deshalb soll um der klaren Zuordnung willen die Reduplikation des Gedankens und des Gelehrten in Existenz und durch Handlung im Folgenden – an einige spätere Journalnotizen Kierkegaards anschließend269 – als ,ethische‘ oder ,existenzielle‘ Reduplikation bezeichnet werden. Dieses ethische Verständnis der Reduplikation zeigt sich 1846/47 bereits in den oben angeführten wiederholten Hinweisen auf die ,existenzielle Unterstützung‘ der pseudonymen Produktion durch das ,Umhergehen‘ auf der Straße. Explizit aber wird der Begriff ,Reduplikation‘ erst in der Aufzeichnung NB:201 von April/Mai 1847 verwendet – bemerkenswerterweise in direktem Zusammenhang mit der Mitteilungsfrage. Dort heißt es: Es haben gewiss viele scharfsinnigere und genialere Schriftsteller als ich gelebt, aber ich möchte den sehen, der scharfsinniger als ich in der zweiten Potenz der Dialektik sein Denken selbst redupliziert hat. Es ist eines, in Büchern scharfsinnig zu sein, ein anderes ist es, das Gedachte in der Existenz dialektisch zu verdoppeln. Die erste Form des Dialektischen ist gleich den Spielen, die um Nichts, nur um des Spieles willen gespielt werden, die Reduplikation ist wie das Spiel, wo der Genuss des Spiels dadurch potenziert wird, dass um große Gegenstände gespielt wird. Die Dialektik in Büchern ist bloß die des Denkens, aber die Reduplikation dieses Denkens ist Handlung im Leben. Aber jeder Denker, der die Dialektik seines Denkens nicht redupliziert, er entwickelt in einem fort einen Sinnentrug. Sein Denken bekommt nie den entscheidenden Ausdruck des Handelns. In einer neuen Schrift sucht er Missverständnisse zu berichtigen usw., das hilft nicht, denn er bleibt im Sinnentrug der Mitteilung. Nur der ethische Denker kann sich dadurch, dass er handelt, gegen den Sinnentrug in der Mitteilung sichern.270 268 Dies ist selbst noch im Journal NB6 der Fall, wo die Reduplikation als Verdopplung der Lehre in der Existenz mit allem Nachdruck gefordert wird. Ein teilweise abweichender Gebrauch des Begriffs findet sich insbesondere auch in dem Ansatz zur ,Dialektik der Mitteilung‘ von 1849, vgl. hierzu unten, II.4.2.b) und II.4.2.d). Auf diese abweichende Verwendung wird jeweils am entsprechenden Ort hingewiesen. 269 Vgl. NB14:35 (SKS 22, 364) und NB23:171 (T 4, 302 / SKS 24, 288), wo der Ausdruck „ethische Reduplikation“ verwendet wird; in NB23:184 (SKS 24, 293 f.) spricht Kierkegaard von der „existenzielle[n] Reduplikation“. 270 NB:201 (T 2, 96 f. / SKS 20, 119).

1. Die Entdeckung der ,Maieutik‘ und der ,Reduplikation‘

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Die Reduplikation bezeichnet also die Verdopplung des Denkens in zweiter Potenz, und das heißt hier: in der Existenz, im Handeln – sie ist die wesentliche Kennzeichnung des ethischen, des existierenden Denkers. Damit ist die Forderung aufgestellt, dass ein jeder Denker oder Schriftsteller das von ihm Gedachte und Gelehrte auch existierend auszudrücken habe. Aufschlussreich ist in dieser Aufzeichnung insbesondere die Verhältnisbestimmung der existenziellen Reduplikation zur Mitteilung, genauer: zum „Sinnentrug der Mitteilung“. Eine solche Wortverbindung findet sich in der Tat bei Climacus an keiner Stelle. Der ,Sinnentrug‘ der Mitteilung besteht hier offensichtlich darin, dass der nur Denkende, nur im Modus der Schrift Mitteilende nicht in dem existiert, was er denkt. Damit verschärft Kierkegaard eine Tendenz, die in der Nachschrift schon angelegt war: Ganz in Climacus’ Sinne wird hier gegen die phantastische Distraktion eines existenzvergessenen Denkers polemisiert. Verglichen mit der Nachschrift entschieden neu ist es allerdings, dass diese Polemik sich auch gegen die Mitteilung wendet: Gerade das Mitteilen ohne ,existenziellen Einsatz‘ für das Mitgeteilte erscheint nun problematisch; eine bloß in schriftlicher Form mitgeteilte Lehre ist unethisch, sie ist gewissermaßen nicht ,beglaubigt‘ durch die Existenz des ,Lehrers‘. Eine solche Zuspitzung wäre im Kontext von Climacus’ Ausführungen zur sich zurücknehmenden ,List‘ der doppeltreflektierten Mitteilung in der Tat undenkbar. Bezieht man nun diese Forderung der Reduplikation auf die Stellung zurück, die Kierkegaard in der ,Ersten und letzten Erklärung‘ zu seinem Werk eingenommen hatte – nämlich in dem Bekenntnis seiner Verfasserschaft unmittelbar wieder zu verschwinden –, so wird das ,Problem‘ offenbar: Ein solches Verhältnis ist offensichtlich keine existenzielle Reduplikation in dem starken Sinne, dass der Lehrende einsteht für das, was er lehrt; ja der Verfasser hält sich mit dem, was er ,will‘, noch ganz im Verborgenen. 1847 allerdings wird dieses ,Problem‘ von Kierkegaard noch nicht gesehen; im Gegenteil meint er rückblickend, der Anschein des ,Unernstes‘ sei die ,korrekte‘ existenzielle Reduplikation des pseudonymen Werks. Schon wenig später aber wird sich im Journal NB6 die Forderung erheben, dass der – nun als Maieutiker verstandene – Mitteiler noch auf eine andere Art ,offenbar werden‘ muss. Mit diesen beiden Begriffen – der Maieutik und der Reduplikation – sind die Weichen für die folgende Entwicklung der Mitteilungskonzeption bis 1848 gestellt. Im Unterschied zur Maieutik aber ist der Begriff der Reduplikation 1846/47 noch nicht ,gesichert‘ und mitteilungstheoretisch festgeschrieben – was sich unter anderem darin zeigt, dass er

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

im ersten Entwurf zu der ,Dialektik der Mitteilung‘, der etwa zeitgleich mit der zuletzt zitierten Aufzeichnung entsteht, als solcher noch nicht verwendet wird.

2. Das Maieutische und das Ethische – Das Vorlesungsfragment zur ,Dialektik der Mitteilung‘ I Thema und Umfang des Manuskriptbündels, das Kierkegaard in einen zum Umschlag gefalteten Bogen aus Konzeptpapier eingeschlagen und mit dem Titel „Die Dialektik der ethischen und der ethisch-religiösen Mitteilung“ versehen hat,271 legen es nahe, dass es sich bei diesem Konvolut um ein zentrales, wenn nicht gar um das entscheidende Dokument zu seiner Methode der indirekten Mitteilung handelt.272 Da 271 Papir 364 (DM, 84 / SKS 27, 389), vgl. SKS K27, 795 und das Faksimile SKS 27, 391. 272 Der ,Dialektik der Mitteilung‘ sind bislang kaum gesonderte Studien gewidmet worden; keiner der vorliegenden Beiträge trennt klar zwischen den verschiedenen Teilen des Manuskripts, und fast durchgehend werden die Notizen der ,Dialektik‘ im Zusammenhang mit anderen Texten zur Mitteilungsfrage untersucht. Zumeist liegt auch der Fokus auf demjenigen Teil, der hier auf 1849 datiert werden soll; die Literatur wird daher vornehmlich unten, in II.4.2. herangezogen. Vgl. Bejerholm „Meddelelsens dialektik“, S. 119 – 180; Henri-Bernard Vergote „Dialectique de la Communication“ in Revue de Mtaphysique et de Morale 76, 1971, H. 1, S. 53 – 76, hier S. 53 – 60; Jacques Caron „Dialectique de la communication chez Kierkegaard“ in Philosophiques 3, 1976, S. 167 – 181; Robert M. Goldstein On Christian Rhetoric: The Significance of Søren Kierkegaard’s „Dialectic of Ethical and Ethical-Religious Communication“ for Philosophy and Theological Pedagogy, PhD, Princeton 1982, S. 62 – 175; Anton Hügli „Gibt es Dinge, die sich nicht mitteilen lassen? Kierkegaard und die Nicht-MitteilbarkeitsThese“ in Liber Academiae Kierkegaardiensis Annuarius II-IV, 1982, S. 70 – 84, bes. S. 79 – 83; Paul Müller Søren Kierkegaards kommunikationsteori. En studie. Med forelæsningsudkastene til „Den ethiske og den ethisk-religieuse Meddelelses Dialektik“ (1847) særskilt udgivet som dokumentation, Kopenhagen 1984, S. 11 – 86; Lübcke „Kierkegaard and Indirect Communication“, S. 31 – 40, bes. S. 34 f.; Pattison Kierkegaard: The Aesthetic and the Religious, S. 73 – 79; Nerina Jansen „Deception in Service of the Truth: Magister Kierkegaard and the Problem of Communication“ in Concluding Unscientific Postscript to „Philosophical Fragments“, S. 115 – 129; Ulrich Lincoln ußerung – Studien zum Handlungsbegriff in Søren Kierkegaards Die Taten der Liebe, Berlin / New York 2000, S. 48, S. 52, S. 67, S. 103; Hagemann Reden und Existieren, bes. S. 13 f., S. 35, S. 41, S. 52, S. 67; Pierre Bühler „Liebe und Dialektik der Mitteilung“ in Ethik der Liebe. Studien zu Kierkegaards „Taten der Liebe“, hrsg. v. Ingolf U. Dalferth, Tübingen 2002, S. 71 –

2. Das Maieutische und das Ethische

209

Kierkegaard die ,Dialektik der Mitteilung‘ selbst – wenn auch offensichtlich unsicher – auf den Zeitraum zwischen 1847 und spätestens Frühjahr 1848 datiert,273 scheint der Text zudem eine wesentliche Stufe auf dem ,Weg zum Gesichtspunkt‘ zu bezeichnen und den bei weitem umfänglichsten Entwurf zur Mitteilungsfrage zwischen 1846 und 1848 auszumachen. Bei näherem Hinsehen zeigen sich allerdings bezüglich der ,Dialektik der Mitteilung‘ einige Probleme. Das erste und grundlegendste Problem betrifft bereits die Datierung des Konvoluts. Aufnahme und Niederlegung eines Plans zu einer Vorlesungsreihe über die ,Dialektik der Mitteilung‘ lassen sich relativ genau bestimmen – Kierkegaard hat dieses Vorhaben zunächst von frühestens Ende April bis etwa Mitte/Ende Mai 1847 verfolgt. Demnach hätte die Niederschrift höchstens einen Monat in Anspruch genommen. Angesichts dieses Zeitraums erscheint das gesamte Konvolut als relativ umfangreich, und es legt sich die Vermutung nahe, dass Kierkegaard den Plan später nochmals aufgegriffen hat. Der Übersetzer des Textes ins Deutsche, Tim Hagemann, hat in der Tat überzeugend nachweisen können, dass der von ihm so genannte ,zweite Entwurf‘ – zwei verhältnismäßig systematische Distinktionsschemata – mit großer Wahrscheinlichkeit nicht 1847, sondern 1849 entstanden ist.274 Nach Hagemann gehören aber alle übrigen Partien des Konvoluts – eine erste Skizze, eine ausformulierte Einleitung sowie zwei gleichfalls ausgearbeitete Vorlesungen – dem April/Mai des Jahres 1847 zu. In dieser Untersuchung soll hingegen die Hypothese vorgeschlagen werden, dass auch die zwei ausgearbeiteten Vorlesungen nicht 1847, sondern ebenfalls 1849 und gemeinsam mit dem so genannten ,zweiten Entwurf‘ ent87; ders. „Kommunikationspragmatik als Zugang zur Hermeneutik der Religion – am Beispiel Kierkegaards“ in Hermeneutik der Religion, hrsg. v. Ingolf U. Dalferth, Tübingen 2007, S. 109 – 128, hier bes. S. 117 – 122; Smail Rapic Ethische Selbstverstndigung. Kierkegaards Auseinandersetzung mit der Ethik Kants und der Rechtsphilosophie Hegels, Berlin / New York 2007, S. 1 – 8; Christopher A. P. Nelson „Kierkegaard’s Undelivered Lectures and His Author-Activity Writings: ,The Dialectic of Ethical and Ethical-Religious Communication‘ Revisited“ in The Point of View, S. 391 – 410. Nelson gibt zwar einen Überblick über die Teile des Konvoluts (ebd., S. 397 – 403), vermischt diese aber in der Auslegung der ,Könnens-Mitteilung‘ (ebd., S. 403 – 409). 273 Vgl. Papir 364 (DM, 84 / SKS 27, 389). Die Frage der Datierung wird unten, II.4.2.a) ausführlicher diskutiert. 274 Vgl. Tim Hagemann „Zur Entstehungsgeschichte von Kierkegaards ,Dialektik‘“ in Søren Kierkegaard Schriftproben, hrsg. v. Tim Hagemann, Hamburg 2005, S. 77 – 81, hier S. 79 f. Vgl. im Detail unten, II.4.2.a).

210

II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

standen sind. Daraus folgt, dass der zweite Anlauf zur ,Dialektik‘ 1849 bedeutend umfänglicher ist als der erste von 1847; zugleich sind die inhaltlich signifikantesten Teile des Ganzen chronologisch nach der Niederschrift des Gesichtspunkts anzusetzen. Die Argumente für diese Hypothese ergeben sich erst aus der Entwicklung des Mitteilungsbegriffs bis 1849; der Datierungsvorschlag wird daher gemeinsam mit der Interpretation des zweiten Anlaufs zur ,Dialektik‘ in Abschnitt II.4.2. gegeben. An dieser Stelle ist mithin nur die recht kurze erste Skizze von 1847 in den Blick zu nehmen. Schon anhand dieses Teiles lässt sich allerdings ein zweites Problem verdeutlichen, das mutatis mutandis auch die Partien von 1849 betrifft: Kierkegaards fragmentarische Notizen zur ,Dialektik der Mitteilung‘ haben, trotz ihres offensichtlichen Anspruchs auf systematische Durchdringung des Mitteilungsproblems im Ganzen, nicht den Charakter einer in sich geschlossenen, umfassenden Darstellung – und auch nicht, möchte man an das Verfahren des Climacus denken, einer kunstvoll gestalteten und ,experimentellen‘ Doppelreflexion. Sie bleiben Versuche zum Mitteilungsbegriff, und dass Kierkegaard die ,Dialektik‘ selbst nicht durchgehend als gelungen betrachtet hat, zeigt sich schon darin, dass keiner der Anläufe vollständig durchgeführt worden ist. In Bezug auf die Skizze 1847 zeigt sich dieses Problem in concreto als ein doppeltes: Einerseits folgt die ,Dialektik‘ 1847 einem sehr spezifischen Ansatz; sie entfaltet die Mitteilungsfrage allein von dem ethisch-maieutischen Modell her, das sich in den Journalen und Entwürfen 1846/47 erstmals angedeutet hatte. Dieses Modell ist nicht nur in sachlicher Hinsicht problematisch, sofern es die ,ethische Mitteilung‘ als negativen ,Sonderfall‘ des Wissensparadigmas auffasst – nämlich als den Fall eines Wissens, welches in jedem Menschen je schon liege und deshalb nicht mitgeteilt werden müsse –, es umspannt auch nicht den Bereich der Mitteilungsreflexion Kierkegaards im Ganzen. Weder Climacus’ Begriff der ,existenzbezogenen‘ Doppelreflexion, noch auch das schon 1847 umrisshaft skizzierte christlich-maieutische Modell sind innerhalb dieses Ansatzes vollständig einzuholen. Andererseits aber zeigt sich ein Problem der Durchführung: An derjenigen Stelle des Entwurfs, an der Kierkegaard das ethisch-maieutische Modell auf die konkreten Mitteilungsbegriffe – etwa Doppelreflexion und Maieutik – applizieren möchte, geraten die einzelnen Unterscheidungen unklar und undifferenziert. Die an diesen Distinktionsversuch anschließenden letzten Partien der Skizze erscheinen als bloße Materialsammlung ohne erkennbare innere Ordnung, und erst hier kommen wesentliche Aspekte kursorisch ins Spiel, die eigentlich zu Beginn der Darstellung hätten

2. Das Maieutische und das Ethische

211

genannt werden müssen: etwa die Differenzierung zwischen dem Ethischen und dem Ethisch-Religiösen, das Verhältnis von Maieutik und Christentum oder die Pseudonymität. Sowohl der Ansatz als auch die konkrete Durchfhrung des Projekts erweisen sich also bei näherem Hinsehen als problematisch. Vor diesem Hintergrund zeigt sich unter der Hand noch eine dritte Problemebene: Es fragt sich, ob eine systematische Analysis der Mitteilung, welche die als Vorlesung konzipierte ,Dialektik‘ augenscheinlich beabsichtigt, die Bewegung der indirekten Methode überhaupt angemessen einzufangen vermag. In anderen Worten: Es stellt sich die Frage nach der Möglichkeit einer direkten Mitteilung des indirekten Verfahrens. Während Kierkegaard diese Frage in der ,Dialektik‘ 1849 anlässlich des eigenen Kathedervortrags ausführlich reflektiert und erhebliche Zweifel gegen das eigene Verfahren vorbringt,275 sind in der Skizze 1847 solche Bedenken nicht explizit nachzuweisen; allenfalls Kierkegaards Begründung zur Niederlegung des Plans im Journal NB2 deutet die genannte Schwierigkeit an. Dass aber schon die Skizze 1847 gerade dort in Probleme gerät, wo sie die verschiedenen konkreten Mitteilungstermini voneinander abheben möchte, lässt sich in dieser Hinsicht interpretieren: Die einzelnen Gestaltungsformen der Mitteilung können nicht in einem ,abstrakten‘ und ,schematischen‘ Aufriss präsentiert werden, sie entspringen der je konkreten Mitteilungssituation oder der spezifischen Fragestellung des jeweiligen Textes. Dieses ,Scheitern‘ einer umfassenden und direkten Bestimmung der indirekten Methode reflektiert sich überdies darin, dass schon der ,Dialektik‘-Ansatz von 1847 einzelne Passagen enthält, die sich dem dominierenden ethisch-maieutischen Modell nicht einpassen, so insbesondere zum ,religiösen‘ bzw. christlichen Aspekt der Mitteilung. Ob das Problem einer ,abstrakten‘ Darstellung der ,Dialektik der Mitteilung‘ schon 1847 von Kierkegaard gesehen worden ist und tatsächlich zur Niederlegung des Plans geführt hat, ist nicht mit Sicherheit auszumachen – eine überzeugende ,direkte‘ und systematische Entfaltung der Mitteilungsdialektik ist der Skizze von 1847 jedenfalls nicht zu entnehmen. Dies soll freilich keineswegs besagen, dass dem Text nicht im Einzelnen aufschlussreiche Einsichten zu entnehmen sind. Auch verweisen gerade die eben genannten ,Spannungen‘, die sich besonders in den letzten Partien des Fragments 1847 nachweisen lassen, voraus auf die dann in NB6 voll entfaltete Reflexionsaporie: Hier schon deutet sich der 275 Vgl. ausführlich unten, II.4.2.b).

212

II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

,Konflikt‘ an zwischen der maieutischen Darstellungsweise und Kierkegaards ,Bedürfnis‘, das von ihm ,Gewollte‘ in eigenem Namen und in direkter Mitteilung zum Ausdruck zu bringen – wenn auch nur knapp und noch ohne explizite Problematisierung. Im Ganzen aber macht der erste Ansatz der ,Dialektik‘ die ,maieutische Wende‘ des Jahres 1846/47 sehr viel klarer als die verstreuten Journalnotizen dieser Zeit – und beleuchtet in dieser Hinsicht tatsächlich eine wichtige ,Etappe‘ auf dem ,Weg zum Gesichtspunkt‘.276 Die hier zu interpretierende Skizze von 1847 lässt sich in zwei Abschnitte untergliedern:277 Der erste und längere Abschnitt278 beginnt mit einleitenden Bemerkungen und einigen eher kursorischen Ausführungen zur Mitteilungsfrage, sodann setzt Kierkegaard mit der Analysis des Mitteilungsbegriffs neu und systematisch an. Der Versuch einer Distinktion der einzelnen Mitteilungsaspekte geht allerdings wieder in kursorische Notizen über. Der zweite, recht kurze Abschnitt279 soll offensichtlich die Einleitung neu gliedern und enthält sodann weitere kursorische Notizen zur Mitteilungsfrage.280 Im Folgenden ist zunächst detaillierter auf den Plan zur Vorlesungsreihe und seine Niederlegung einzugehen (a). Die Interpretation des ersten Abschnitts beginnt mit der 276 Auch systematisch nimmt die ,Dialektik‘ von 1847 eine Zwischenstellung zwischen den Mitteilungsbegriffen von Nachschrift und Gesichtspunkt ein. Indem sie die indirekte Mitteilung durchweg am existenziellen ,Vollzug‘ bzw. der ,Realisation‘ orientiert, hält sie sich in dem Bereich der Nachschrift. Allerdings fehlt der dort zentrale Gedanke der Singularität der Existenz in Abgrenzung zum Wissen; das Zu-Realisierende ist hier ein ,Gegenstand‘, den ,jeder weiß‘. Dementsprechend fasst die ,Dialektik‘ 1847 das Indirekte als rein kommunikatives, eben maieutisches Verfahren, und arbeitet so dem Gesichtspunkt entgegen – ohne allerdings dessen Einengung des Mitteilungsbegriffs auf eine polemische Taktik schon unmittelbar vorwegzunehmen. 277 Die Textgestalt im Ganzen wird in Abschnitt II.4.2.a) behandelt; hier wird die erste Skizze nur insoweit charakterisiert als zu ihrem Verständnis nötig ist. 278 Papir 365:1 – 24 (DM, 85 – 96 / SKS 27, 390 – 399). Diese Partie ist mit „Einleitung“ überschrieben; die Überschrift bezieht sich aber wohl nur auf den Passus Papir 365:2 – 5 (DM, 85 – 88 / SKS 27, 390 – 393). 279 Papir 366:1 – 5 (DM, 97 – 102 / SKS 27, 399 – 403); Kierkegaard hat hier die Überschrift „Erste Vorlesung“ eingetragen, aber wieder gestrichen. 280 Die ausformulierte Einleitung gehört nach der hier verfolgten Datierungshypothese ebenfalls dem Jahr 1847 zu; sie basiert offensichtlich direkt auf bestimmten Partien der Skizze von 1847 (vgl. im Detail unten, II.4.2.a)). Da die Einleitung selbst allerdings vornehmlich die ,Unredlichkeit der modernen Zeit‘ behandelt und keine Ausführungen zur Mitteilungsfrage selbst enthält, kann auf eine Auslegung an dieser Stelle verzichtet werden.

2. Das Maieutische und das Ethische

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grundlegenden Unterscheidung von Mitteilung als Wissenschaft und Mitteilung des Ethischen als Kunst (b); im Anschluss sollen die Überlegungen zu Mitteiler, Empfänger und Gegenstand (c) und zur Trias ,Indirekte Mitteilung, Doppelreflexion, Maieutik‘ (d) in den Blick genommen werden. Sodann gilt das Interesse einigen kursorischen Notizen des zweiten Abschnitts (e); abschließend ist knapp auf eine Spur zu verweisen, die vom Vorlesungsfragment zu den Taten der Liebe führt (f).

a) Der Plan zum Vorlesungsfragment und seine Niederlegung Der erste Plan zur ,Dialektik der Mitteilung‘ ist auf Ende April 1847 zu datieren. In der Aufzeichnung NB:192 notiert Kierkegaard: „Ich könnte jetzt Lust haben, einen kleinen Kursus von 12 Vorlesungen zu halten: über die Dialektik der Mitteilung. Darauf zwölf Vorlesungen: über Minne, Freundschaft und Liebe.“281 Man wird diesen Plan durchaus auch auf die oben zitierten Reflexionen in praktischer Hinsicht beziehen dürfen; Kierkegaard war durch seinen Magistergrad dazu berechtigt, an der Philosophischen Fakultät der Universität Kopenhagen Vorlesungen zu halten.282 Zudem spielt auch das Anliegen, seinen „Ideen mehr Eingang“ zu verschaffen, offensichtlich mit in dieses Vorhaben hinein.283 Wann genau Kierkegaard den Plan aufgenommen hat, lässt sich nicht nachweisen. Aus der nächsten diesbezüglichen Aufzeichnung – wohl von Mitte/Ende Mai, allerspätestens Anfang Juni 1847284 – darf man aber schließen, dass er nicht unmittelbar mit der Ausführung begonnen hat. Die Notiz NB2:13 bedeutet allerdings zugleich die Niederlegung des Plans: In Übereinstimmung mit dem Journal NB, p. 251 hatte ich dieser Tage begonnen, einige Vorlesungen auszuarbeiten: über die Dialektik der ethischen und der ethisch-religiösen Mitteilung. Inzwischen habe ich mich 281 NB:192 (T 2, 95 / SKS 20, 115). 282 Vgl. SKS K20, 136. 283 NB2:13 (T 2, 133 f. / SKS 20, 143). In dieser Hinsicht ist auch ein erster Keim des Plans in der Nachschrift formuliert. Dort fragt sich Climacus, ob er nicht die indirekte Mitteilung ,direkt‘ mitteilen solle, um das Verständnis der pseudonymen Werke zu erleichtern. Vgl. AUN1, 271 / SKS 7, 251 f. und oben, II.1.2.c). 284 Die letzte Datumsangabe zuvor findet sich in NB2:1 (14. Mai); die nächste datierte Aufzeichnung ist NB2:69 (9. Juni). Ginge man von einer annähernd regelmäßigen Journalführung aus, müsste NB2:13 um den 20. Mai niedergeschrieben sein.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

vergewissert, dass ich nicht dazu tauge, Vorlesungen zu halten. Ich bin damit verwöhnt, im Einzelnen auszuarbeiten; die vegetative Üppigkeit meines Stils und meiner Darstellung, das Durchreflektierte in jeder einzelnen Zeile ist mir zu wesentlich. Sollte ich doch Vorlesungen halten, müsste ich zusehen, sie auszuarbeiten wie alles andere, und sie also vom Papier ablesen: dazu habe ich keine Lust. Auf andere Weise kann ich mich selbst nicht zufriedenstellen.285

Und die unmittelbar folgende Aufzeichnung lautet knapp: So habe ich denn die Vorlesungen wieder hingelegt, und meine abgebrochene Arbeit in Angriff genommen (mit deren erster Abteilung ich fertig geworden war): Die Taten der Liebe. Das über die Dialektik der Mitteilung muss ein Buch werden.286

Kierkegaards Begründung für die Niederlegung seines Plans ist ebenso aufschlussreich wie fragwürdig. Sie betrifft nämlich dem ersten Anschein nach allein die ußere Einsicht, dass er zum Halten von Vorlesungen nicht tauge. Über die direkte Darstellung des Indirekten, die offensichtlich ein Vortrag ex cathedra bedeutet hätte, scheint explizit nichts vermerkt zu sein. Kierkegaards Begründung lässt sich gleichwohl in dieser Hinsicht auslegen: Die „vegetative Üppigkeit“ von Stil und Darstellung ist nämlich angesichts der von Climacus und Kierkegaard geteilten Auffassung, die indirekte Mitteilung stelle eine Kunst dar, keine rein äußerliche Bestimmung. Climacus hatte eingeschärft, die Doppelreflexion selbst nicht direkt auszusagen, und dies nur zugestanden unter der Voraussetzung, der Mitteilende könne sie zugleich oder wenigstens im nächsten Augenblick aufrechterhalten. Offensichtlich ließ sich dies für den mündlichen Kathedervortrag, der freilich eine besonders direkte Form der Ansprache darstellt, nicht realisieren. Für diese Interpretation spricht insbesondere Kierkegaards Bemerkung bezüglich des „Durchreflektierte[n] in jeder einzelnen Zeile“, die doch deutlich auf die doppeltreflektierte Form verweist, welche sich in der gesamten Nachschrift hat aufzeigen lassen.287 Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht auch die Notiz Kierkegaards, er könne sich nicht anders als durch eine detaillierte und schriftliche Ausarbeitung ,zufriedenstellen‘: Die ,Dialektik der Mitteilung‘ ließ sich offenbar nicht in einer schematischen Herangehensweise zufriedenstellend 285 NB2:13 (T 2, 133 / SKS 20, 142 f.). 286 NB2:14 (T 2, 112 / SKS 20, 143). 287 Im Vorblick auf das Folgende ist dennoch festzuhalten, dass Kierkegaard hier (noch) nicht explizit eine direkte Darstellung der indirekten Methode als solche thematisiert.

2. Das Maieutische und das Ethische

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zur Darstellung bringen, etwa durch die stichworthafte Notiz allgemeiner und abstrakter Unterscheidungen für den mündlichen Vortrag. Nicht zufällig wird auch der Versuch von 1849 genau dort abbrechen, wo die ,Mitteilungsschematik‘ – die im zweiten Anlauf noch deutlich abstrakter ausfällt als 1847 – in die konkrete Durchführung der Vorlesungen übersetzt werden soll.288 Inwiefern bereits der Ansatz 1847 ,modellhaften‘ und ,schematischen‘ Charakters ist, gilt es im Folgenden herauszuarbeiten. b) Die Wissenschaft, die Kunst und das Ethische Der erste, mit „Einleitung“ überschriebene Abschnitt der Skizze 1847 notiert zunächst einige Bemerkungen, die zum Thema der Vorlesungen hinführen sollen. Kierkegaard plant hier offensichtlich, einleitend die ,Verwirrung der modernen Zeit‘ zu charakterisieren – und dieses Thema dominiert dann auch in der ausformulierten „Einleitung“. Die ,Verwirrung‘ weist nun Kierkegaard insbesondere in der „modernen Wissenschaft“ aus: Diese habe den „ehrlichen Weg Kants“ verlassen, die „bekannten 100 Rbt.“ hinzugegeben und sei „theozentrisch“, „phantastisch“ und zugleich „gelehrt“ geworden; damit aber habe man – wie Kierkegaard im Kontrast zu den „Griechen“ bemerkt – „vergessen, was es heißt, Msch. zu sein“.289 Im Anschluss an diese hinführenden Bemerkungen notiert nun Kierkegaard – durch einen doppelten Längsstrich im Manuskript abgesetzt – eine erste mitteilungstheoretische Unterscheidung, die die Grundstruktur der gesamten Skizze 1847 vorzeichnet: dass man vergessen hat die Distinktion zw. Kunst und Wissenschaft. Alles ist Wissenschaft geworden, und Kunst versteht man nur ästhetisch als schöne Kunst. Aber es gibt eine ganze Seite von dem, dessen sich die Wissenschaft bemächtigt hat od. sich bemächtigen will, die Kunst ist[,] das ist das Ethische. Das Ethische verhält sich gleichgültig zu Wissen, das heißt es nimmt an, dass jeder Msch. es weiß. Das Verwirrende, wenn etwas, das als Wissenschaft mitgeteilt werden soll, als Kunst mitgeteilt wird (Scholastik ist [ein] Beispiel)[,] aber auch wenn das, was als Kunst mitgeteilt werden soll, als Wissenschaft mitgeteilt wird, 288 Vgl. unten, II.4.2.e). 289 Papir 365:2 – 4 (DM, 85 / SKS 27, 390). „Rbt.“ ist die Abkürzung für ,Reichsbanktaler‘.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

und hier liegt die Verwirrung in der neueren Zeit, dass man das Ethische als Wissenschaft mitteilt.290

Die hier leitende Distinktion von Kunst und Wissenschaft kannte mutatis mutandis auch schon Climacus; sein Ausgangspunkt war allerdings die Gegenüberstellung von objektivem Denken und subjektivem Denker, wobei die Kunst der Mitteilung dem letzteren entsprach. In dieser Hinsicht bewegen sich Kierkegaards Polemiken gegen die Vermengung von Wissenschaft und Existenzfragen noch ganz in der Blickbahn der Nachschrift. Gegenüber dem Climacusschen Entwurf entschieden neu ist aber die nachdrückliche Fokussierung auf das Ethische. Dieser Begriff ist zwar für die Nachschrift im Ganzen zweifelsohne wichtig, fällt aber dort, wo die doppeltreflektierte Form ausdrücklich thematisiert wird, kaum. In der zentralen ersten Lessing-These etwa wird er überhaupt nicht gebraucht. Demgegenüber wird die gesamte ,Dialektik‘-Skizze 1847 den hier zum Eingang genannten Begriff des Ethischen in den Mittelpunkt stellen: Das Ethische ersetzt den Begriff des Existenziellen aus der Nachschrift – und es ist bezeichnend, dass der Ausdruck ,existenziell‘ in der gesamten ,Dialektik‘ überhaupt nur zweimal verwendet wird.291 Entscheidend ist nun für den Ansatz der ,Dialektik‘ von 1847, in welcher Weise Kierkegaard das Ethische im Verhältnis zu Wissen und Wissenschaft bestimmt. Dieses Verhältnis fällt nämlich ambivalent aus – und dies offensichtlich gegen Kierkegaards ausdrückliche Intention: Einerseits ist hinlänglich klar, dass das Ethische und die ihm zugeordnete Kunst die Gegenbegriffe zu Wissen und Wissenschaft darstellen sollen, und entsprechend heißt es auch, das Ethische verhalte sich ,gleichgültig‘ gegenüber dem Wissen. Andererseits aber notiert Kierkegaard im unmittelbaren Anschluss den Zentralsatz des ethisch-maieutischen Modells, der an der Platonischen Erinnerungslehre orientiert ist: Das Ethische verhalte sich gegenüber dem Wissen deshalb gleichgültig, weil „es annimmt, dass jeder Msch. es weiß“.292 Damit aber wird das Ethische, bei aller Bemühung um Abgrenzung, nicht zum Gegenbegriff des Wissens, sondern gerät unter der Hand zu einem Sonderfall desselben: eben zu einem Wissen, über das 290 Papir 365:5 (DM, 85 f. / SKS 27, 390 – 392). 291 Und dies nicht zufällig in Kombination mit dem Begriff des Ethischen, nämlich in der Wendung ,existierender Ethiker‘; vgl. Papir 365:5 (DM, 87 / SKS 27, 392 f.). 292 Papir 365:5 (DM, 86 / SKS 27, 392) [Herv. v. Verf.]. Vgl. zu dieser Grundfigur der ,Dialektik der Mitteilung‘ Hügli „Gibt es Dinge, die sich nicht mitteilen lassen?“, S. 79 f. und Lübcke „Kierkegaard and Indirect Communication“, S. 34 f.

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jeder Mensch (latent) verfügt, und das daher nicht als solches mitgeteilt werden muss. Auf diesen ,Gegenstand‘, und nur auf diesen, richtet sich die von Kierkegaard im Vorlesungsfragment 1847 projektierte Dialektik der Mitteilung. Damit aber ist die Gegenüberstellung von ,Existenziellem‘ und ,Objektivem‘, die Climacus mit Nachdruck vorgenommen hatte, aufgeweicht – und zugleich ist die Mitteilung auf ein bloßes ,Herausholen‘ dessen reduziert, was als Wissen ohnehin schon im Menschen liegt.293 Ohne dass der Begriff selbst an dieser Stelle schon verwendet würde, ist es mit Händen zu greifen, dass die Mitteilung des Ethischen nach maieutischem Muster gedacht wird. Diese zum Auftakt angezeigte Grundfigur beleuchtet Kierkegaard sodann durch ein Beispiel, das er in der ,Dialektik‘ immer wieder und in verschiedenen Varianten notiert, das Beispiel vom Korporal und dem Rekruten: Ebenso wie das „Militär“ annehme, dass der Rekrut über die „notwendigen Eigenschaften“ verfüge, um den „Kriegsdienst“ zu leisten, nehme eben das Ethische an, „dass jeder Msch. weiß, was das Ethische ist“.294 Hier bringt Kierkegaard erstmals in eigener Sache den Begriff der „Mitteilung“ ein: Diese bestehe im Beispiel nicht darin, dass der Korporal dem Rekruten erklre, „was Exerzieren usw. ist“, vielmehr teile er ihm dies „als Kunst“ mit, er hole die „potentielle Tüchtigkeit“ aus ihm heraus.295 Ebenso muss nun nach Kierkegaard „das Ethische mitgeteilt werden“: Die Verwirrung komme dadurch zustande, dass man das Ethische in Form eines „Kursus“ in das „Individuum hineinlegen“ wolle – im Gegenteil bedeute aber die Mitteilung im Ethischen, das „Ethische aus dem Individuum herauszulocken, weil es im Individuum ist“.296 Plastisch illustriert hier Kierkegaard das ethisch-maieutische Modell und die spezifische (eingeschränkte) Bedeutung, die der Mitteilung in ihm zukommt – sie ,holt‘ bloß aus dem Menschen heraus, was je schon in ihm liegt.In einer Randbemerkung variiert Kierkegaard dieses Beispiel zugleich bildhaft und drastisch: 293 Diese Tendenz ist freilich schon in der Nachschrift selbst aufzuweisen. Gerade die ,Dialektik‘ 1847 schließt an einige Gedanken an, die Climacus anlässlich seines Plans zur Schriftstellerei notiert, vgl. AUN1, 232 – 243 / SKS 7, 220 – 228; vgl. hierzu oben II.1.2.a). Hier wird u. a. auch das ,Wissen‘ der Existenz gegenübergestellt. Der ,Zentralsatz‘ des ethisch-maieutischen Modells wird allerdings in der Nachschrift noch nicht formuliert. 294 Papir 365:5 (DM, 86 / SKS 27, 392). 295 Papir 365:5 (DM, 86 f. / SKS 27, 392) [Herv. v. Verf.]. 296 Papir 365:5 (DM, 87 / SKS 27, 392) [Herv. v. Verf.].

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Wissenschaft kann man vielleicht in einen Mschen hineinprügeln, aber das Ethische muss man aus ihnen herausprügeln, wie ja auch der Korporal, eben weil er in dem Bauernknecht den Soldaten sähe, sagen müsste: ich werde noch den Soldaten aus ihm herausprügeln, wohingegen der Korporal vielleicht betreffs der Mitteilung des kleinen Buchs über den Felddienst (was eine Armee ist, was die Patrouille ist etc.) sagen würde: ja[,] das muss man in sie hineinprügeln.297

Kierkegaard gibt diesem Beispiel noch eine letzte Wendung, in der eine weitere Eigentümlichkeit der ,Dialektik‘ sichtbar wird. Dem Korporal, der im Rekruten „jata dumalim“ den Soldaten sehe, entspreche „ein existierender Ethiker, der sich [seiner] bewusst wird und in Reflexion in sich selbst zurückkehrt, [um] das zu sein, was er lehrt, und voraussetzt, dass jeder Msch. das jata dumalim ist.“298 Der existierende Ethiker oder der ethische Mitteiler soll also zugleich sein, was er lehrt. Damit ist auf den (neben der Maieutik) zweiten zentralen Begriff auf dem ,Weg zum Gesichtspunkt‘ angespielt, die Reduplikation. Allerdings bleibt der Begriff selbst in der ,Dialektik‘ 1847 ungenannt; und überdies erhält er im ethisch-maieutischen Modell einen etwas anderen Akzent als in der zuvor zitierten, etwa zeitgleichen Eintragung NB:201 und später in NB6: Dort nämlich soll der Mitteilende reduplikativ durch Handlung ,beglaubigend‘ für dasjenige einstehen, was er lehrt. Hier aber soll der ,existierende Ethiker‘ selbst das Ethische ben, weil es, wie in jedem Menschen, auch in ihm selbst liegt; der ethische ,Mitteiler‘ muss eben darauf achten, dass er nicht ,Lehrer‘ ist, sondern, wie der ,Empfänger‘, ein Individuum, das das Ethische selbst ausführen soll. Dieser spezifische ,reduplikative‘ Akzent des ethisch-maieutischen Modells entspricht eher Climacus’ Überlegungen – nach denen der Mitteiler sich allein seiner eigenen Existenz zuzuwenden habe und sich nicht als Lehrer missverstehen dürfe299 – als der besonders später in NB6 notierten Forderung, für das ,Gewollte‘ einzustehen. Gleichwohl weist gerade das Beispiel von Korporal und Rekrut nochmals auf eine Eigentümlichkeit in der Mitteilungstheorie der ,Dialektik‘ hin: Kierkegaard hat hier ein sehr konkretes Verhältnis der Mitteilung vor Augen, einen ,unmittelbaren‘ Umgang des ethischen Mitteilers mit dem Empfänger. Die Mitteilung wird später auch als ,Unterweisung‘ und ,Erziehung‘ bestimmt werden – und einmal mehr zeigt sich darin, dass Sokrates und das Sokratische Gespräch das direkte Vorbild abgeben. 297 Papir 365:5.b (DM, 87 f. / SKS 27, 392). 298 Papir 365:5 (DM, 87 / SKS 27, 392). 299 Vgl. nochmals die Formulierungen in AUN1, 234 f., 240 f. / SKS 7, 220, 225 f., wo die hier notierten Gedanken schon vorgeprägt sind. Vgl. dazu oben II.1.2.a).

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Kierkegaards eigene indirekte Mitteilung ,durch Bücher‘ lässt sich zu diesem Modell allenfalls sehr mittelbar ins Verhältnis setzen; eine Applikation des ethisch-maieutischen Mitteilungsmodells auf die pseudonymen Schriften, wie sie Climacus bezüglich der Doppelreflexion in der Nachschrift geben konnte, ist hier nur schwerlich denkbar. Kierkegaard thematisiert demnach nicht zunächst und in erster Linie den eigenen Mitteilungsbegriff, sondern entwickelt modellhaft die ,Dialektik der Mitteilung‘ im Ausgang von einem bestimmten, an Sokrates orientierten Verständnis des Ethischen. Im Ganzen aber liegt die fundamentale Differenz gegenüber der Nachschrift darin, dass der Brennpunkt der Mitteilungsfrage ein anderer ist: War für Climacus das indirekte Vorgehen deshalb notwendig, weil jeder Einzelne in und aus seiner Singularitt zu existieren hat, und galt die Aufmerksamkeit deshalb dem Unterschied der Einzelnen – so wird in der ,Dialektik‘ das Indirekte aus dem Grund notwendig, dass es ,nichts mitzuteilen gibt‘ und das Wissen des Ethischen in jedem Menschen gleichermaßen angelegt ist. Damit aber orientiert sich die ,Dialektik‘ am Paradigma des Allgemeinen – und lässt die Singularität der Existenz zurücktreten. Unter dieser einleitend angezeigten Bestimmung eines vorgngigen Wissens um das Ethische werden sich die folgenden Distinktionen der ,Dialektik der Mitteilung‘ entfalten.

c) Mitteiler, Empfänger, Gegenstand Nach den einleitenden Bemerkungen setzt Kierkegaard nochmals neu mit dem Begriff der Mitteilung selbst an; die soeben zitierten Ausführungen zu Kunst und Wissenschaft sollen offenbar in diesen Neuansatz integriert werden.300 Hier gibt nun Kierkegaard erstmals in seinen Reflexionen zur Mitteilungsfrage eine annähernd systematische Entfaltung dessen, was in dem Begriff ,Mitteilung‘ liegt. Abgesehen von dem zweiten Anlauf zur ,Dialektik‘ von 1849 wird Kierkegaard diese ,Analysis‘ an keiner anderen Stelle wieder aufgreifen. In der Skizze 1847 heißt es hierzu: Mitteiler – Empfnger Der Gegenstand. 300 Vgl. die Vor- und Rückverweise am Rand in Papir 365:5.a (DM, Anm. 8, 143 / SKS 27, 390) und Papir 365:9 (DM, Anm. 11, 144 / SKS 27, 395).

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Sobald ich Mitteilung denke, teilt sie sich sofort in diese 3 Bestimmungen. […] (wörtl. ist es dann ein Lehrmeister – Schüler – Lehr-Gegenstand.) dadurch, diese 3 Verhältnisse dialektisch umsetzen, werde ich zusehen, das Ethische zu finden.301

Zu dieser Passage ist zunächst dreierlei zu bemerken: Erstens ist es wenigstens auffällig, dass dasjenige, was eigentlich das Thema der Vorlesungen sein soll, in der Analysis gar nicht vorkommt, nämlich die Mitteilung selbst. Diese wird dann auch im Ansatz 1849 als viertes Glied eingeführt werden.302 Zweitens ist festzuhalten, dass die von Climacus bevorzugte ,neutrale‘ Unterscheidung von Mitteilendem und Empfänger unmittelbar in die Distinktion von Lehrer und Schüler übersetzt wird. Einmal mehr zeigt sich die Orientierung am Sokratischen; ein Mitteiler, der nicht zugleich Lehrer ist, kommt gar nicht in den Blick. Drittens schließlich zielt die gesamte Distinktion – wie auch die eingangs gegebene Unterscheidung von Wissenschaft und Kunst – allein und explizit auf das Ethische; die Analysis des Mitteilungsbegriffs und die Verhältnisbestimmung dient ausschließlich der Erläuterung – oder ,Auffindung‘ – des Ethischen. Das heißt: Die gesamte Dialektik der Mitteilung ist der Frage nach dem Ethischen je schon unterstellt. Es ist dann auch für die (negative) Orientierung am Wissens-Paradigma, die im ethisch-maieutischen Modell liegt, bezeichnend, dass Kierkegaards Untersuchung mit dem dritten Glied, dem „Gegenstand“303 beginnt – nur dieser Aspekt wird systematisch durchdacht, die projektierte Verhältnisbestimmung der drei Termini zueinander wird als solche nicht vorgenommen. Unmittelbar bezieht Kierkegaard den Gegenstand auf das Wissen: „Der Gegenstand muss ein Wissen sein“.304 Dieses Wissen wird sodann in einem ersten Anlauf differenziert; es muss „entweder Wissen von etwas […] oder Selbsterkenntnis“ sein.305 Dabei bezeichnet die erste Form offenbar das ,wissenschaftliche‘ Wissen; in der 301 Papir 365:6 (DM, 89 / SKS 27, 393). In dieser Passage notiert Kierkegaard auch: „Ein wenig allgem. Bemerkungen darüber (dass ,Empfänger‘ ein aktives Wort ist, dass wir kein passives Wort haben)“. Im Dänischen heißt Empfänger „Modtager“, wörtlich ,Entgegennehmer‘. 302 Vgl. unten, II.4.2.c); vgl. dort auch den Hinweis auf den von Kierkegaard exzerpierten Passus über Sextus Empiricus in Tennemanns Geschichte der Philosophie, an dem sich diese ,Analysis‘ offensichtlich orientiert. 303 Papir 365:7 (DM, 89 / SKS 27, 393). 304 Papir 365:7 (DM, 89 / SKS 27, 393). 305 Papir 365:7 (DM, 89 / SKS 27, 393 f.).

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Erläuterung der ,Selbsterkenntnis‘ aber greift Kierkegaard auf das leitende Motiv des Ethischen zurück: Ein Mensch komme auch in der höchsten Selbsterkenntnis zu nichts, was er nicht ohnehin schon sei – durch Selbsterkenntnis trete also nichts ,hinzu‘, und insofern liege in ihr zugleich das „Ironische“ und das „Ernsthafte“.306 Allerdings scheint Kierkegaard das ,Ethische‘ und die ,Selbsterkenntnis‘ nicht miteinander identifizieren zu wollen. Die Selbsterkenntnis soll vielmehr eine nicht näher bestimmte ,Zwischenstufe‘ bezeichnen, merkt doch Kierkegaard an: „Schon bei der Selbsterkenntnis zeigen sich Schwierigkeiten in Bez. auf die Dialektik der Mitteilung“307 – ohne allerdings diese Schwierigkeiten eigens auszuführen. Entsprechend setzt dann auch die Darstellung mit dem Ethischen nochmals neu an. Bereits in der Erläuterung der ,Selbsterkenntnis‘ hatte Kierkegaard mit der Formel ,Lass uns annehmen…‘ ein experimentelles Vorgehen skizziert, der Übergang zum Ethischen ist nun ausdrücklich als Experiment gekennzeichnet: Lass uns nun ein Experiment machen, und annehmen, dass es einen Gegenstand od. ein Wissen gebe, das die Eigenschaft hätte, dass alle es wüssten, was würde hieraus für das Dialektische in [der] Mitteilung folgen? Daraus würde folgen: 1) dass der Gegenstand ausscheiden würde, denn wenn es alle wissen, kann der eine Msch. es dem anderen nicht mitteilen; 2) und dass der Begriff Mitteiler ausscheiden würde und 3) [der] Empfänger. Der einzige Mitteiler, der übrig bliebe, würde der sein, der allen Mschen dieses Wissen gegeben hätte, und insofern jeder Empfänger ist, ist ja der Begriff Empfänger aufgehoben. Somit ist jetzt die Dialektik der Mitteilung wesentlich verndert. 308

Plastisch zeigt sich hier abermals die durchgehende Orientierung am ethisch-maieutischen Modell: Da jeder Mensch den Gegenstand weiß oder über das entsprechende Wissen verfügt, fällt der Gegenstand der Mitteilung aus – was freilich nicht bedeutet, dass es schlechthin keinen Gegenstand gibt. Das ,Ethische‘ ist nach wie vor vom Paradigma des Wissens her gedacht; es ist ein Wissen, welches aber eben nicht mitgeteilt werden muss. Das Experiment ordnet die gesamte Struktur der Mittei306 Papir 365:7 (DM, 89 / SKS 27, 394). 307 Papir 365:7 (DM, 89 / SKS 27, 394) [Herv. v. Verf.]. Vgl. die parallele, aber in ihren Intentionen gegenläufige Stelle 1849, wo das Ethische mit der Selbsterkenntnis enggeführt wird: Papir 368:13.b (DM, 138 / SKS 27, 414) und unten, II.4.2.d). 308 Papir 365:7 (DM, 89 f. / SKS 27, 394); vgl. Hügli „Gibt es Dinge, die sich nicht mitteilen lassen?“, S. 79 – 81.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

lungsdialektik von diesem Zentralgedanken her: Die Funktionen des Mitteilers und des Empfängers sind ganz von der Weise abhängig, wie der Gegenstand bestimmt wird. Ausgangspunkt ist weder Climacus’ ,subjektiver existierender Denker‘ in seiner Doppelreflexion, noch auch der ,Empfänger‘ und dessen Aneignung. Neu ist in dieser Passage allerdings der ,Mitteiler zweiter Ordnung‘ – jener Mitteiler, der ,allen Menschen das Wissen um das Ethische gegeben hat‘. Diese Figuration bleibt zwar zunächst unausgeführt; es ist aber hier schon festzuhalten, dass auch dieses Element am Begriff des Wissens orientiert ist. Hinsichtlich des methodischen Vorgehens ist zu bemerken, dass Kierkegaards Versuch der Experimentalausführung nur skizzenhaft bleibt: Der Inhalt des Experiments ist im Vorhinein bekannt, und das ,Rätsel‘ wird auch sogleich aufgelöst: „Aber dies, von dem wir hier sprechen, ist eben das Ethische“.309 Das Experiment ist bloß äußerliche und ,didaktische‘ Einkleidung eines Grundgedankens – und auch der zweite Anlauf zur ,Dialektik‘ 1849 wird zwar ausdrücklich einen ,Experimentalvortrag‘ projektieren, aber keine konkreten Gestaltungsformen ausarbeiten.310 In den unmittelbar folgenden Notizen zeigt sich der ,tastende‘ und fragmentarische Charakter von Kierkegaards ,Dialektik‘ 1847: Die Ausführung schließt nicht direkt an die ,veränderte‘ Dialektik der Mitteilung an, sondern nimmt zunächst das Ethische selbst in den Blick und grenzt es vom bloßen Wissen ab. Auf die Frage „Was ist nämlich das Ethische?“ antwortet Kierkegaard im Vorlesungsfragment: „Ja, wenn ich derart frage, dann frage ich un-ethisch nach dem Ethischen“.311 Und wieder folgt hierauf der Hauptsatz des ethisch-maieutischen Modells: „Das Ethische setzt voraus, dass jeder Msch. weiß, was das Ethische ist, und weshalb? Weil das Ethische ja fordert, dass jeder Msch. es in jedem Augenblick realisieren soll, aber dann muss er es ja wissen.“312 Der Un309 310 311 312

Papir 365:7 (DM, 90 / SKS 27, 394). Vgl. unten, II.4.2.c). Papir 365:7 (DM, 90 / SKS 27, 394). Gerade an dieser Stelle wäre die Frage nach dem – von der Forschung bislang noch nicht eingehend untersuchten – Verhältnis der ,Dialektik‘ zur so genannten ,zweiten Ethik‘ zu stellen. Im Begriff Angst wenigstens wird der Unterschied zwischen erster und zweiter Ethik anhand der Frage entwickelt, ob der Mensch im ,Besitz der Bedingung‘ sei, das ,Ideale‘ zu verwirklichen: Die erste Ethik komme in der Sünde an eine Grenze, weil sich in ihr eine Voraussetzung zeige, die jenseits des Individuums liege, und hier setze die zweite Ethik an, die auf die Dogmatik und die Erbsünde zurückdeute (vgl. BA, 13 – 17 / SKS 4, 323 – 326). In der ,Dialektik‘ hingegen scheint es stets so, als liege das ,Vermögen‘ zum Ethischen unmittelbar im Menschen. Es wäre zu untersuchen, ob die Anlehnung

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terschied zur Mitteilung von Wissen bestehe darin, dass das Ethische nicht mit „Unwissenheit“ beginne, die in „Wissen“ verwandelt werden solle; es gehe vielmehr vom Wissen aus und fordere „ein Realisieren“.313 Dieser neu eingeführte Begriff der ,Realisation‘ beleuchtet einmal mehr die Dominanz des Wissensparadigmas, auch und gerade im Ethischen: Das Ethische ist nicht etwas vom Wissen grundsätzlich Geschiedenes, es ist vielmehr ein bloßes ,Umsetzen‘ dessen, was je schon gewusst wird. Kierkegaards gesamte Erörterung richtet sich allein polemisch dagegen, das Ethische als Wissen mitzuteilen. Eine solche Unterweisung ist im Ethischen gerade überflüssig und sogar irreführend; die ,neue‘ Form der Mitteilung ist dessen eingedenk und zielt auf das Realisieren eines bereits Gewussten ab. Nach diesen Zwischenbemerkungen wiederholt Kierkegaard das ,Ausfallen‘ der drei Mitteilungsbestimmungen314 und macht dabei zum ,Mitteiler‘ eine erhellende zusätzliche Bemerkung. War bei seiner ersten Nennung derjenige Mitteiler, der ,allen Menschen dieses Wissen gegeben‘ habe, unbestimmt geblieben, so heißt es nun explizit: „Es bleibt nur ein Mitteiler: Gott.“315 Recht unvermittelt kommt hier eine religiçse Bestimmung ins Spiel, ohne dass aber Kierkegaard an dieser Stelle – wie der Titel des ganzen Unternehmens nahe legen würde – zwischen dem Ethischen und dem Ethisch-Religiösen differenziert. Zwar verwendet Kierkegaard hier nicht, wie etwa in den Philosophischen Brocken, die platonisierende Form ,der Gott‘, es fehlt allerdings eine jede spezifisch christliche Auszeichnung: Die ,Gleichzeitigkeit‘ oder die ,Wiedergeburt‘ werden nicht genannt, und auch die Bestimmung des Glaubens fällt nicht – im Gegenteil ist ,Gott‘ allein diejenige Instanz, die allen Menschen ein Wissen gegeben hat, eben das Wissen um das Ethische. Diese ,Neutralität‘ des Gottesbegriffs ist festzuhalten, wird doch Kierkegaard im Folgenden spezifisch christliche Aspekte in die ,Dialektik‘ einbringen und somit in ein spannungsreiches Verhältnis zum ,heidnischen‘ Modell des EthischMaieutischen geraten. Im Anschluss an diese erneute Darstellung des ,Ausfallens‘ der drei Termini Gegenstand, Mitteiler und Empfänger soll die Vorlesung zum an das Sokratische Modell (und mithin die Platonische Erinnerungslehre) nicht eine tendenzielle Wiederannäherung an die ,erste Ethik‘ mit sich bringt. Vgl. zur Sache Arne Grøn „Kierkegaards ,zweite‘ Ethik“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 1998, S. 358 – 368. 313 Papir 365:7 (DM, 90 / SKS 27, 394). 314 Vgl. Papir 365:8 (DM, 91 / SKS 27, 395). 315 Vgl. Papir 365:8 (DM, 91 / SKS 27, 395).

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Nächsten übergehen: „Nun haben wir die Dialektik der Mitteilung als Wissen durchdacht, und gesehen, dass sie abgeschafft ist. Nun folgt ein neuer Begriff von Mitteilung.“316 In seinen Notizen verweist Kierkegaard an dieser Stelle zurück auf die Distinktion von Mitteilung als Wissenschaft und Mitteilung als Kunst317 und plant offensichtlich, sie an dieser Stelle einzubringen; resümierend heißt es: „Das Ethische soll als Kunst mitgeteilt werden, eben weil es jeder weiß. […] / Der Gegenstand der Mitteilung ist also nicht ein Wissen, sondern eine Realisation.“318 Die folgenden Notizen zielen dann auch auf die Mitteilung als Kunst; und augenscheinlich soll dabei die spezifische Kunst in der Mitteilung des Ethischen von anderen Kunstformen abgegrenzt werden, ruft doch Kierkegaard zunächst zwei Bestimmungen der Mitteilung auf, die im Ethischen offensichtlich nicht gelten: In der Mitteilung einer Kunst habe der Lehrer entweder „Fertigkeit“ oder „Vollmacht“, d. i. hier im nichtchristlichen Sinne ,Autorität‘.319 Kierkegaard hat also nicht mehr den Gegenstand, sondern den Mitteiler im Blick, ohne diesen Perspektivenwechsel allerdings ausdrücklich zu machen. Weder Autorität noch Fertigkeit aber kommen im Ethischen in Betracht: Ethisch ist „Gott“ als derjenige, der jedem Menschen das Wissen um das Ethische gegeben hat, „der Lehrmeister“, und „jeder Msch.“ ist „ein Lehrling“, der nicht über ,Autorität‘ verfügt.320 Ebenso kann kein Mensch eine entscheidende Fertigkeit im Ethischen entwickeln, weil sich ethisch „jeder Msch.“ zu „Gott“ verhält, und so „immer [eine] Aufgabe für seine eigene Entwicklung hat.“321 In beiden Hinsichten kann mithin kein Mensch im eigentlichen Sinne Lehrmeister des anderen sein – und bezüglich beider Aspekte stützt sich die Argumentation auf den unversehens eingeführten Gottesbegriff.

Papir 365:9 (DM, 91 / SKS 27, 395). Vgl. Papir 365:9.a (DM, Anm. 11, 144 / SKS 27, 395). Papir 365:10 (DM, 91 / SKS 27, 395). Papir 365:11 (DM, 92 / SKS 27, 395). Diesem Bereich wird im ,Dialektik‘Anlauf von 1849 eine eigene Mitteilungsform zugeordnet werden, nämlich die ,Mitteilung ästhetischen Könnens‘; vgl. unten, II.4.2.c)-e). 320 Papir 365:12 (DM, 92 / SKS 27, 396). Hier kommt wieder das eben genannte ,reduplikative‘ Element ins Spiel: Fordert ein Mensch von den anderen, sie sollen das Ethische realisieren, „dann ist es, als hörte man im selben Augenblick Gott zu diesem wichtigen Mann sagen: Quatsch, mein Freund, Du bist es, der es tun soll“. 321 Papir 365:12 (DM, 92 / SKS 27, 396).

316 317 318 319

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An diese Abgrenzung vom Ästhetischen ,im engeren Sinne‘ schließt sich sodann der explizite Übergang zum eigentlichen Thema der Vorlesungen an: „Wenn nun dessen ungeachtet in Hinsicht auf das Ethische von einer Unterweisung in diesem die Rede sein soll[,] wie in einer Kunst, dann muss die Dialektik der Mitteilung einen Auszug mehr bekommen, und dann ist wieder alles in seiner Ordnung.“322 Dieser ,Auszug mehr‘ bezeichnet offensichtlich die indirekte Mitteilung – und deren Bestimmung widmet sich das Folgende.

d) Indirekte Mitteilung, Doppelreflexion, Maieutik In Form eines ,Zwischentitels‘ hebt Kierkegaard im Anschluss die Trias „Die indirekte Mitteilung / Die Doppel-Reflexion / Das Maieutische“ hervor.323 Zu diesen Begriffen findet sich eine aufschlussreiche Marginalie, die die These bestätigt, die ,Dialektik‘ stehe ganz im Zeichen der ,maieutischen Wende‘ von 1846/47. Dort heißt es in Bezug auf Theaitetos, 150c: Sokrates sagte, er könne nicht gebären, sondern bloß Hebamme sein. Das heißt, das Ethische hat jeder Msch., und denjenigen, der geboren ist, kann man nicht wiedergebären (hier liegt das Christliche: Die Wiedergeburt – die nicht das Verhältnis zw. Msch. und Msch. ist, sondern zw. Gott und Msch, neue Schöpfung).324

Hier ist nun die im Vorlesungsfragment leitende Idee des Ethischen in aller Klarheit Sokrates und der Maieutik zugeordnet. Kierkegaard kehrt im Vorlesungsfragment gleichsam das in den Brocken angewandte Verfahren um: Sollte dort in Abstoßung vom Sokratischen Modell in experimentierender Form die hier genannte „Wiedergeburt“ und „neue Schöpfung“ durchdacht werden, so richtet sich in der ,Dialektik‘ der Fokus auf das Verhältnis ,zwischen Mensch und Mensch‘. Zugleich wird aber damit das leitende ethisch-maieutische Modell vom Christlichen gerade abgegrenzt; es fragt sich, inwiefern die genannten spezifisch christlichen Elemente ungebrochen in das heidnische Modell eingefügt werden könnten, und die Verweise auf Gott als den ,einzigen Mitteiler des Ethischen‘ bleiben wenigstens uneindeutig. 322 Papir 365:12 (DM, 92 / SKS 27, 396). 323 Papir 365:12 (DM, 92 / SKS 27, 396). 324 Papir 365:12.b (DM, 93 / SKS 27, 396).

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

In der näheren Ausführung der drei leitenden Mitteilungsbegriffe ist zunächst auffällig, dass alle Termini auf einer Ebene verhandelt werden; weder macht Kierkegaard eine Hierarchisierung geltend, noch werden die Begriffe im Einzelnen klar voneinander abgegrenzt. Das ethischmaieutische Modell gibt offensichtlich keine Orientierung vor, durch die das Verhältnis der konkreten Mitteilungsbegriffe zueinander bestimmt werden könnte – vor der Hand ist etwa nicht ersichtlich, wie Doppelreflexion und Maieutik im Rahmen dieses Ansatzes differenziert werden sollten. So gerät dann auch die Charakterisierung der drei Begriffe zu einer bloßen Liste, und zunächst ist der ethisch-maieutische Grundgedanke derart dominierend, dass Kierkegaard die erste Bestimmung gar nicht aus sich selbst heraus entfaltet, sondern bloß in das leitende Modell einordnet. Die „indirekte Mitteilung“ ist allein als Erläuterung der ethisch gedachten Trias Mitteiler – Empfänger – Gegenstand ausgeführt: Der Mitteiler darf stets nur indirekt wirken 1) weil er ja ausdrücken soll, dass er selbst nicht ein Meister ist, sondern ein Lehrling, Gott hingegen sein und eines jeden Lehrmeister 2) weil er ausdrücken soll, dass der Empfänger es ja selbst weiß. 3) weil ethisch die Aufgabe gerade die ist, dass jeder Msch. dazu kommt, alleine zu stehen durch das Gottesverhältnis.325

Worin genau das Indirekte liegt und wie es durchgeführt werden soll, ist hier nicht gesagt – es wird allein als Titel des Gegenentwurfs zur Mitteilung von Wissen aufgerufen und gibt spiegelbildlich das ,Ausfallen‘ von Mitteiler und Empfänger wieder. Bemerkenswerterweise kommt allerdings in der dritten Bestimmung unvermittelt und ohne weitere Erläuterung ein Aspekt ins Spiel, den das ethisch-maieutische Modell im Grunde ausschließen muss: die Singularitt. Hier heißt es nun nicht mehr, jeder Mensch müsse das von Gott gegebene (allgemeine) Wissen um das Ethische realisieren – vielmehr solle ein jeder „alleine“ vor Gott stehen. Das persçnliche Gottesverhältnis kann aber offenbar nur schwerlich anhand des Wissensparadigmas erläutert werden. Sollte jedoch tatsächlich dieses ,Als-Einzelner-vor-Gott-Stehen‘ dasjenige ,Wissen‘ sein, um das es dem Ethischen zu tun ist, so müsste deutlich gemacht werden, dass das Ethische sich von der Mitteilung eines Wissens nicht nur dadurch unterscheidet, dass jeder Mensch den Gegenstand bereits weiß, sondern auch darin, dass dieser ,Gegenstand‘ ganz anderer Art ist als ein zu wissender – und im eigentlichen Sinne kein ,Gegenstand‘, sondern ein singulär-persönliches Sich-Verhalten. Überdies würde dann nicht klar, inwiefern eine ,rein‘ 325 Papir 365:13 (DM, 93 / SKS 27, 396).

2. Das Maieutische und das Ethische

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ethische Mitteilung von einer ethisch-religiösen zu unterscheiden wäre – und in der Tat nennt Kierkegaard diese Differenz erst an späterer Stelle. Etwas spezifischer als die indirekte Mitteilung wird der zweite Begriff gefasst, die „Doppel-Reflexion“. Hier gibt das Vorlesungsfragment eine erhellende Formulierung: Da es ethisch kein direktes Verhältnis gibt, so muss alle Mitteilung durch eine doppelte Reflexion hindurchgehen, die erste ist die, in welcher sie mitgeteilt wird, die zweite ist die, in welcher sie zurückgenommen wird.326

Hier ist offensichtlich gegenüber Climacus’ Formulierung in zweifacher Hinsicht eine Umorientierung vorgenommen worden. Einerseits geht die Bestimmung, wie auch das Vorlesungsfragment im Ganzen, nicht von der Gestalt des subjektiven existierenden Denkers aus, in welchem Climacus zuerst die doppelte Reflexion aufgewiesen hatte, sondern bezieht die Doppelreflexion unmittelbar auf die Mitteilung – und zwar naturgemäß auf die Mitteilung des Ethischen. Andererseits aber geben die Vorlesungsnotizen an dieser Stelle eine Formulierung, die das Verfahren der Nachschrift präziser charakterisiert als Climacus’ eigene Bestimmung der Doppelreflexion. Climacus hatte nämlich durch die Unterscheidung von Ausdruck und Form der Mitteilung die zweite Reflexion als nachtrgliche ,Verwandlung‘ eines durchaus direkt zu bestimmenden Gehalts gefasst. Hier aber beziehen sich beide Richtungen der doppelten Reflexion auf die Mitteilung, als ein Mitteilen und eine Zurcknahme dieser Mitteilung – das heißt: die Doppelreflexion ist ein ,Sich-entgegen-Arbeiten‘. In dieser Hinsicht ist zweifelsohne die Formulierung des ,Dialektik‘-Fragments schärfer und präziser als die des Pseudonyms. Im Vorblick auf die Einbung im Christentum ist zudem festzuhalten, dass die Doppelreflexion hier noch ungeschieden in den ,Kanon‘ der Zentralbegriffe der Mitteilung aufgenommen wird – wohingegen AntiClimacus die Mitteilung als Doppelreflexion von der Mitteilung als Reduplikation zu trennen versuchen wird.327 Bemerkenswerterweise kommt dieser spätere Gegenbegriff zur Doppelreflexion in der Fassung des ,Dialektik‘-Fragments von 1847 noch gar nicht vor. Dass Kierkegaard aber die mit der Reduplikation bezeichnete Bewegung bereits hier im Blick hat, zeigt die unmittelbar anschließende Bemerkung, die zugleich die Doppelreflexion in das dominierende ethisch-maieutische Modell einrückt: 326 Papir 365:14 (DM, 93 / SKS 27, 397). 327 Vgl. unten, II.3.5.b).

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Docendo discimus, ein Gymnastiklehrer übt sich selbst, indem er andere unterweist; aber das gilt nicht in diesem Sinne. Man kann nämlich nicht sagen, dass Gott der wahre Lehrer in Gymnastik ist, od in Latein und Griechisch. Aber im Ethischen ist Gott der einzige Lehrer, und deshalb soll der so genannte Lehrmeister selbst üben, was er lehrt.328

,Selbst üben, was man lehrt‘: Davon ist die im vorhergehenden Abschnitt zitierte Formel für die Reduplikation – ,existenziell verdoppeln, was man denkt‘ – nicht weit entfernt. Im Ansatz der ,Dialektik‘ von 1849 wird Kierkegaard dann auch das ,docendo discimus‘ unmittelbar auf den Begriff der Reduplikation beziehen.329 Unklar bleibt hingegen im Rahmen der Skizze 1847, warum genau dieser Aspekt unter dem Titel der ,Doppelreflexion‘ verhandelt wird. Offenbar assoziiert Kierkegaard mit der gegenkreuzenden Selbstzurücknahme der Mitteilung die Rückbeugung des Mitteilers auf seine eigene Existenz – damit aber sind zwei Aspekte ungeschieden zusammengestellt, die einer näheren Differenzierung bedürften. Eine Unklarheit zeigt sich auch in der Bestimmung des dritten Begriffs „Das Maieutische“. Unter diesem Titel nennt Kierkegaard den leitenden Begriff selbst nicht und kommt vielmehr auf den Betrug zu sprechen: „Alle indirekte Mitteilung ist darin verschieden von der direkten, dass die indirekte als ihr Erstes einen Betrug hat, eben weil dies, das Ethische direkt mitteilen zu wollen, ein Betrug wäre.“330 Hier ist auf die zweifache Valenz des Betrugs zu achten: Der Betrug, der in einer direkten Mitteilung des Ethischen besteht, wird gerade durch den Betrug der indirekten verhindert. Letzterer besteht, wie aus dem Folgenden und einer Randbemerkung hervorgeht, in der Verhinderung des ,Nachäffens‘: Der Mitteiler dürfe vor allem „nicht wie ein ernsthafter Mann“ aussehen; gerade der „Ernst“, dem Einzelnen „dazu zu verhelfen, sich als Einzelner zu Gott zu verhalten“, gebiete das Indirekte, „denn sonst bekommt mich der Geholfene als ein Hindernis.“331 Es sind dies Bestimmungen, die auch schon Climacus angeführt hatte: Ein direktes Mitteilen setzt den Empfänger in ein bloß mittelbares Gottesverhältnis und verstrickt sich so in Widersprüche. Wie schon anlässlich der indirekten Mitteilung kommt so ,assoziativ‘ und recht plötzlich die Singularität als Gottesver328 Papir 365:14 (DM, 93 / SKS 27, 397). Vgl. zu dieser Stelle auch Bejerholm „Meddelelsens dialektik“, S. 139. 329 Vgl. Papir 368:8.a (DM, 136 / SKS 27, 411). 330 Papir 365:15 (DM, 93 f. / SKS 27, 397). 331 Papir 365:15.a und Papir 365:16 (DM, 94 / SKS 27, 397).

2. Das Maieutische und das Ethische

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hältnis des Einzelnen ins Spiel, ohne aber näher erläutert zu werden. Im Vorblick auf das Spätere ist allerdings festzuhalten, dass die angezeigte doppelte Bestimmung des Betrugs noch nicht der im Gesichtspunkt verwandten Formel vom ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ entspricht: Die ,epochale‘ Bestimmung der Christenheit, die ein Hineinbetrügen in das Christentum notwendig macht, hat Kierkegaard hier offensichtlich nicht im Blick. Unklar bleibt freilich auch an dieser Stelle, aus welchem Grund die Bestimmung des Betrugs unter dem Titel des Maieutischen angeführt wird. Strukturell hätte sich diese Bewegung auch unter der Doppelreflexion oder noch eher unter der indirekten Mitteilung abhandeln lassen, die ja auch im ersten Satz des Zitats genannt wird. Umgekehrt hätte die unter der indirekten Mitteilung gegebene Bestimmung, in der ja auf den Lehrer reflektiert wird, womöglich besser zum Begriff des Maieutischen gepasst;332 und schließlich scheint, wie bemerkt, die zweite Ausführung zur Doppelreflexion kaum mit der Bewegung des ,Sich-entgegen-Arbeitens‘ zusammenzugehören und eher auf den ungenannten Begriff der Reduplikation zu verweisen. Die Zuordnung der einzelnen Bewegungen zu den drei leitenden Termini gerät undifferenziert, das Verhältnis der einzelnen Bestimmungen zueinander bleibt unklar. Auch wird bemerkenswerterweise die eigentliche Pointe des Maieutischen im dominierenden Grundgedanken – dass nämlich der Empfänger bloß auf etwas hingewiesen werden muss, was er aus sich heraus schon weiß – anlässlich des Begriffs selbst gar nicht mehr genannt. Tatsächlich zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass das ethisch-maieutische Modell sich in der konkreten Erläuterung der einzelnen Mitteilungsbegriffe verliert; die Ausführungen zu Doppelreflexion und Maieutik werden auf den Zentralgedanken nicht mehr unmittelbar und durchgehend bezogen. Gerade dort, wo die Untersuchung ,konkret‘ werden soll, tritt das leitende Modell zurück und die Darstellung wird kursorisch. Die hieran anschließenden letzten Notizen des ersten Abschnitts sind dann vollends fragmentarischen Charakters und halten einzelne Gedanken zum Mitteilungskomplex fest, ohne dass eine innere Ordnung erkennbar würde. Kierkegaard benennt zunächst knapp eine Unterscheidung, die 1849 wichtig werden wird, nämlich die von „Phantasie-

332 Diese Unklarheit wird auch von Bejerholm angemerkt, vgl. Bejerholm „Meddelelsens dialektik“, S. 174.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Medium“ und „Wirklichkeits-Medium“;333 sodann fragt er nach der Berechtigung zum ,Gewinnen von Menschen‘ und profiliert als Gegenbewegung das ,Abstoßen‘.334 Die folgenden Einträge notieren stichpunkthaft einzelne Bestimmungen zu Mitteiler und Empfänger: Der Empfnger müsse „zuerst gereinigt werden“, und demzufolge gebe es ein „Negative[s] im Maieutischen“, eine ,Reinigung‘ von ,falschen‘ Überzeugungen335 – der Mitteiler hingegen müsse „sich selbst entgegen arbeiten“ und in Bezug auf die „wirkliche Aneignung der Mitteilung […] Augen im Nacken“ haben.336 Zwar berühren diese Notizen zweifelsohne wichtige Aspekte der Mitteilungsthematik, diese werden aber weder ausgeführt noch in nachvollziehbarer Weise auf den leitenden Gedankengang bezogen; in ihrer Fragmentarität bleiben sie kryptisch und andeutend. Auch der kurze, zweite Abschnitt wird zur Mitteilungsfrage als 333 Papir 365:18 und Papir 365:19 (DM, 94 / SKS 27, 398); vgl. bereits AUN2, 27 f. / SKS 7, 297, wo Climacus das „reine Denken als Mitteilungs-Medium“ kritisiert. Zu dieser Unterscheidung findet sich in der Skizze 1847 eine aufschlussreiche Randbemerkung, die in ihrem Inhalt und dem verwendeten Vokabular zum restlichen Teil des Dokuments quer steht: „Alle Wissens-Mitteilung ist im Phantasie-Medium, Kunst-Mitteilung weniger, insofern das das Exekutive ist. Aber Mitteilung im Ethischen kann nur in der Wirklichkeit gegeben werden, derart dass der Mitteiler od. der Lehrer selbst darin existiert, und in der Situation der Wirklichkeit, selbst und in der Situation der Wirklichkeit ist, was er lehrt. Wenn einer in Ataraxie unterweist – von einem Katheder, dann ist das nicht ethisch wahr. Nein, die Situation muss derart sein, dass er zugleich selbst Ataraxie zeigt, wie z. B. wenn einer umgeben von einer Schar Mschen, die ihn insultieren, in Ataraxie unterweist. Die Situation der Wirklichkeit gehört eigtl. dazu“ (Papir 365:19.a (DM, 94 f. / SKS 27, 398)). Die Ausdrücke ,Situation‘ und ,Situation der Wirklichkeit‘, die dreifache Differenzierung von Wissens-Mitteilung, ästhetischer Kunst-Mitteilung und Mitteilung des Ethischen wie auch die kritische Volte gegen den Kathedervortrag haben in der Skizze 1847 sonst keine direkte Entsprechung, sind aber im Ansatz 1849 zentral; auch die Medien-Unterscheidung wird dort ausführlicher thematisiert. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass es sich hierbei um eine bei der Neubearbeitung 1849 nachtrglich eingefügte Randbemerkung handelt. 334 Papir 365:20 (DM, 95 / SKS 27, 398). 335 Papir 365:21 (DM, 95 / SKS 27, 398); von diesem Fragment ausgehend nimmt Hagemann eine Unterscheidung von ,elenktischem‘ und ,maieutischem‘ Mitteilungsbegriff vor; vgl. Hagemann Reden und Existieren, S. 52. – In der Tat deutet sich hier schon die Einengung der Mitteilung auf ein rein polemisches und negatives Verfahren an, die dann den Gesichtspunkt bestimmt. Vorgeprägt ist dieser Gedanke in einem Passus der Nachschrift zur Mitteilung als ,Fortnehmen‘, vgl. AUN1, 271 Anm. / SKS 7, 250 f. und oben, II.1.2.c). 336 Papir 365:22 und Papir 365:23 (DM, 95 / SKS 27, 398).

2. Das Maieutische und das Ethische

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solcher nur vereinzelte, aber gleichwohl aufschlussreiche Notizen enthalten.

e) Das Ethisch-Religiöse, das Maieutische im Christentum und die Pseudonymität Der zweite Abschnitt der ,Dialektik‘ von 1847 soll augenscheinlich das zuvor notierte Material nochmals ordnen, gelangt aber nur zu einer neuen Gliederung der einleitenden Partien und hält im Anschluss weitere ungeordnete Notizen fest. Die im Zuge dieser Neukonzeption entstehende, recht systematische einleitende Skizze Papir 366:1 ist offensichtlich die unmittelbare Vorlage für die ausformulierte „Einleitung“.337 Kierkegaard überträgt im Folgenden auch Partien aus dem ersten Abschnitt – etwa die Bemerkung, die moderne Wissenschaft sei ,phantastisch‘ und ,gelehrt‘ geworden und man habe vergessen, was es heiße, ein Mensch zu sein.338 Neben neuen einleitenden Notizen, etwa zum ,Objektiv-Werden‘ und zur ,abnormen‘ Entwicklung des modernen Menschen in physiologischer Hinsicht,339 finden sich im zweiten Abschnitt aber auch einige Bemerkungen zur Mitteilung selbst, die für das Ganze des ,Dialektik‘-Ansatzes von 1847 aufschlussreich sind.340 Zunächst präzisiert Kierkegaard nochmals die spezifische Mitteilungsform des Ethischen: Diese sei „Unterweisung“ und „Erziehung“.341 Hier hat Kierkegaard augenscheinlich wieder die ,konkrete‘ Lehrsituation des Sokratischen Gesprächs im Blick – und gerade der Begriff der ,Erziehung‘ bringt offensichtlich eine ,Überlegenheit‘ des Lehrers zum Ausdruck. Das „Gesetz“ für diese ,Erziehung‘ bestehe dann darin, „dass derjenige, der erzogen wird, es in jedem Augenblick so gut macht, wie er 337 Vgl. Papir 366:1 (DM, 97 / SKS 27, 399 f.); vgl. zu den Übereinstimmungen im Detail unten, II.4.2.a). Zu diesem Passus notiert Kierkegaard eine Fülle von Randnotizen, die allem Anschein nach (wenigstens teilweise) 1849 nachtrglich eingefügt worden sind; dies gilt im Besonderen für einige Partien, die sich fast wortgleich auch in den Journalen des Jahres 1849 finden. 338 Vgl. die Passagen in Papir 366:1 und Papir 366:2 (DM, 98 / SKS 27, 400), die auf Papir 365:3 und Papir 365:4 (DM, 85 f. / SKS 27, 390) beruhen; ebenfalls nimmt Kierkegaard die Bemerkung zu den Griechen aus Papir 365:4 (DM, 85 f. / SKS 27, 390) auf, vgl. Papir 366:2 (DM, 99 / SKS 27, 400). 339 Vgl. Papir 366:2 (DM, 99 f. / SKS 27, 400). 340 Die hier interpretierten Partien gehen dann insbesondere in den Ansatz von 1849 ein, vgl. unten, II.4.2. 341 Papir 366:3 (DM, 100 / SKS 27, 402).

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

kann“; der Einwand, man müsse das Ethische ja vor seiner Ausführung zunächst ,wissen‘, wird abgewiesen – ein solches Raisonnement komme niemals zur ,Realisation‘ des Ethischen.342 In diesem Passus verwendet nun Kierkegaard erstmals die Unterscheidung von ,Ethischem‘ und ,Ethisch-Religiösem‘,343 und es hat tatsächlich den Anschein, dass er auf diese Differenzierung erst im Laufe der Ausarbeitung aufmerksam wird: In der ersten Journalnotiz zum Plan einer Vorlesung hatte Kierkegaard allein von der „Dialektik der Mitteilung“ gesprochen; die Wendung „Dialektik der ethischen und der ethisch-religiösen Mitteilung“ wird erst anlässlich der Niederlegung des Plans notiert.344 Im folgenden Absatz der ,Dialektik‘ wird nun dieser Unterschied erläutert – allerdings nicht im Allgemeinen, sondern im konkreten Bezug auf den Begriff der Erziehung: Der Unterschied zw. Erziehung im Verhältnis zum Ethischen und zum Ethisch-Religiösen ist bloß der, dass das Ethische ohne weiteres das Allgemein-Mschliche ist, aber die religiöse (christliche) Erziehung muss zuerst ein Wissen mitteilen. Ethisch ist der Msch. als solcher wissend um das Ethische, aber christlich ist der Msch nicht als solcher wissend um das Religiöse, hier muss zuerst eine kleine Wissens-Mitteilung [gemacht werden] – aber dann tritt wieder das gleiche Verhältnis ein wie im Ethischen. Die Unterweisung, die Mitteilung darf nicht wie bei einem Wissen sein, sondern Erziehung, Einübung, Kunst-Unterweisung.345

Kierkegaard kommt es hier offenbar im Besonderen darauf an, die Gemeinsamkeit beider Gestalten hervorzuheben: Beide Formen, die ethische und die ethisch-religiöse Mitteilung, sind wesentlich Erziehung und müssen künstlerisch-maieutisch angelegt werden, weil sie nicht der bloßen ,Vermittlung‘ von Wissen, sondern der Realisation dienen. Gerade angesichts dieser Intention aber ist die Abgrenzung der beiden Formen voneinander bemerkenswert: Das Religiöse, verstanden als das Christliche, enthält einen Anteil an eben jener Mitteilungsweise, von der beide Gestalten im Ganzen unterschieden werden sollen, eben der Wissens-Mitteilung. Die Differenz des Ethisch-Religiösen gegenüber dem Ethischen wird hier nicht durch spezifisch christliche Termini wie 342 Papir 366:3 (DM, 100 / SKS 27, 402). 343 Vgl. Papir 366:3 (DM, 100 / SKS 27, 402). 344 Vgl. die eingangs zitierten Journalnotizen NB:192 (T 2, 95 / SKS 20, 115) und NB2:13 (T 2, 133 / SKS 20, 142 f.). Der Titel der Skizze 1847 hält allerdings die Differenzierung bereits fest; er kann aber gut auch nachträglich eingefügt worden sein (vgl. Papir 365:1 (DM, 85 / SKS 27, 390)). 345 Papir 366:3 (DM, 100 / SKS 27, 402); vgl. hierzu auch Diem Die Existenzdialektik von Sçren Kierkegaard, S. 78 f.

2. Das Maieutische und das Ethische

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etwa Wiedergeburt, Gleichzeitigkeit und Paradox erläutert, und auch die Bestimmungen des Glaubens oder des persönlichen Gottesverhältnisses fallen hier nicht – das Christliche ist vielmehr durch ein Element der Kenntnis definiert.346 Dies ist umso bemerkenswerter, als Kierkegaard einige der genannten Begriffe ja zuvor notiert hatte, teils als Abgrenzungsbegriffe zum Ethischen (Wiedergeburt, neue Schöpfung), teils als konstitutive Elemente desselben (persönliches Gottesverhältnis). Die Bestimmung des Religiösen geht aber auf diese Aspekte gar nicht ein, sie ergibt sich vielmehr als ,Effekt‘ aus dem leitenden ethisch-maieutischen Modell, das eben am Wissens-Paradigma orientiert ist – und so auch die ,Binnendifferenzierung‘ zwischen Ethischem und Religiösem an diesem Paradigma ausrichten muss. Durch die hier gegebene Erklärung steht allerdings das Christliche dem Wissenschaftlichen nher als das Ethische, und dass diese Parallelisierung mit der Wissens-Mitteilung vor dem Hintergrund von Kierkegaards sonst zum Ausdruck gebrachten Verständnis des Christentums problematisch ist, liegt auf der Hand. Blickt man von hier aus zurück auf die vorhergehenden Erläuterungen der ethischen Form, so ist überdies nicht unmittelbar klar, inwiefern diese im Ganzen noch aufrechterhalten werden können. Das persönliche und singuläre Gottesverhältnis, das unter der Hand als Bestimmung des Ethischen eingeführt worden war, gehört offensichtlich dem ethisch-religiösen Bereich zu. Und auch die Auffassung, Gott habe allen Menschen das Wissen um das Ethische gegeben und sei so der einzige ,Lehrmeister‘ im Ethischen, wird angesichts der hier notierten Unterscheidung, nach der das spezifisch Religiöse gleichsam ,von außen‘ mitgeteilt werden muss, problematisch. Eine Neustrukturierung des Materials der ,Dialektik‘ unter diesem Gesichtspunkt müsste wohl alle ,christlichen‘ Aspekte im ,rein‘ Ethischen streichen – allerdings gibt der am Leitfaden des Wissens-Paradigmas entwickelte Begriff des EthischReligiösen keinen Anhalt, wie diese Aspekte in der entsprechenden 346 Auch dieser Gedanke ist in einem einzigen Satz der Nachschrift vorgeprägt, vgl. AUN1, 235 / SKS 7, 221 und oben, II.1.2.a). Der Begriff des Gesichtspunkts übernimmt dieses Motiv genau zur Hälfte. Dort fehlt zwar der ,Realisations‘Aspekt, aber die ,Mitteilung eines Wissens‘ im Religiösen findet sich in anderer Valenz wieder: in der These nämlich, gegenüber einer ,reinen Empfänglichkeit‘ wäre ,direkte Mitteilung des Wahren‘ geboten. In formaler Perspektive argumentiert der Gesichtspunkt (und bes. die Wirksamkeit) genau umgekehrt: Dort ist das Indirekte (als negative Taktik) vorläufig und soll zum Direkten (als Einfalt) übergehen; hier ist das direkte Element (als Wissen) bloß inzitierend und fordert im Anschluss das Indirekte als ,Übersetzung‘ (in Existenz).

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Mitteilungsform aufzufangen wären. Kierkegaard scheint nämlich bei der ,Mitteilung des Wissens‘ im Religiösen nicht – und dies ist durchaus irritierend – an die ,neue Schöpfung‘ und die ,Wiedergeburt‘ zu denken, die dem Glaubenden im persönlichen Gottesverhältnis zuteil wird, sondern an einen menschlichen Mitteiler, der das Wissen um das Christliche mitteilt. Ein solcher Mitteiler aber müsste, etwa nach Kierkegaards Ausführungen im Gesichtspunkt, über religiöse ,Vollmacht‘ verfügen – und dass diese Konzeption der ,Dialektik‘ mit Kierkegaards Selbstverständnis nur schwerlich kommensurabel ist, wird insbesondere im Ansatz 1849 deutlich werden, der das Ethisch-Religiöse umfänglicher entfaltet.347 Schon innerhalb der Skizze 1847 ist es allerdings bemerkenswert, dass Kierkegaard in unmittelbarem Anschluss an diese Differenzierung den Blick auf das eigene Werk richtet. Die einzige ,selbstreferenzielle‘ Notiz in der ,Dialektik der Mitteilung‘ von 1847 lautet: Hier liegt mein Verdienst durch die Pseudonyme: innerhalb des Xstts das Maieutische entdeckt zu haben. […] Sowie Ichs mitten im Leben angebracht zu haben. Denn das fehlt unserer Zeit gänzlich, dass Einer: ich sagt. Diese Ichs sind nun zwar nur dichterische Ichs, aber das ist doch immerhin etwas.348

Kierkegaard bezieht sich zunächst wiederum auf die Gemeinsamkeit des Ethischen und des Ethisch-Religiösen: Sein ,Verdienst‘ liege darin, eine maieutische ,Erziehungsmethode‘ im Christlichen angewandt zu haben – im Unterschied zu einer Unterweisung nach Art der Wissens-Mitteilung. Offensichtlich hat Kierkegaard die oben zitierte Aufzeichnung NB:154 im Blick, allerdings fehlt in der ,Dialektik‘ die dort entscheidende Pointe: der Gegensatz zwischen Christentum und Christenheit. Dies zeigt sich bereits darin, dass Kierkegaard abkürzend „Xstt“349 für Christentum schreibt, wo es nach der dortigen Konzeption ,Christenheit‘ heißen müsste. Tatsächlich prallen hier das ethisch-maieutische und das christlich-maieutische Modell aufeinander, und Kierkegaards Notiz macht den Versuch, das letztere in das erstere einzufügen. Dadurch allerdings entsteht eine Spannung: Die Konzeption der ,Dialektik‘ unterluft die ,epochale‘ Unterscheidung, die schon in NB:154 angedeutet worden war und die dann die Konzeption des Gesichtspunkts wesentlich bestimmt. In 347 Vgl. unten, II.4.2.c). 348 Papir 366:3 (DM, 101 / SKS 27, 402). 349 Dän. „Xstd“ für ,Christendom‘, im Unterschied zu ,Christenhed‘ (dt. ,Christenheit‘).

2. Das Maieutische und das Ethische

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den einschlägigen Formulierungen heißt es dort stets, eine ,direkte Mitteilung‘ des Christlichen sei gegenüber einer ,reinen Empfänglichkeit‘ angemessen; allein unter den Bedingungen des ,Reflexionszeitalters‘ und im Sinnentrug der ,Christenheit‘ werde ein indirekt-maieutisches Verfahren notwendig. In der ,Dialektik‘ hingegen ist ohne epochale Unterscheidung stets beiderlei geboten: Eine ,propädeutische‘, direkte Mitteilung des Christlichen als Wissen und sodann eine maieutisch-indirekte ,Überführung‘ in den Vollzug der Existenz. Gleichfalls spannungsreich ist die zitierte kurze Notiz hinsichtlich der Pseudonyme. Hier ist zweierlei festzuhalten: Erstens dienen gerade die Pseudonyme dem ,maieutischen‘ Verfahren in Bezug auf das Christliche, und zwar – wie soeben gezeigt – im Horizont des ethisch-maieutischen Modells: Sie stehen dafür ein, dass das ,Mitgeteilte‘ nicht unpersönlich als zu Wissendes aufgefasst, sondern existierend und ,realisierend‘ angeeignet werden soll. Wie dies allerdings mit dem kurz zuvor notierten Element der ,Erziehung‘ und dem sehr konkreten Modell des Sokratischen Gesprächs im Einzelnen zusammen zu denken ist, bleibt offen. Der zweite Aspekt führt diesen Gedanken fort, setzt aber einen deutlich abweichenden Akzent: Die Pseudonyme leiten durch ihr ,Ich‘-Sagen, durch ihr Sprechen in erster Person auf das Persönliche hin; sie markieren gleichsam die ,Existenzbezogenheit‘ von Kierkegaards Denken. Im Anschluss an diese Bestimmung allerdings macht Kierkegaard eine Vorlufigkeit der Pseudonyme geltend: Dass sie bloß ,dichterische Ichs‘ sind, erscheint mit einem Mal nicht mehr als die korrekte Durchführung der maieutischen Methode, sondern als ein Mangel. Das eigentlich Wünschenswerte wäre ein Sprechen in erster Person, das sich nicht der dichterischen Brechung bediente. Darin liegt nun ein Element, das zur gesamten ,Dialektik der Mitteilung‘ 1847 quer steht: Kierkegaard hat offenbar ein Sprechen in eigenem Namen vor Augen; im Hintergrund steht mithin das Konzept der Reduplikation als ,Übernahme des Gewollten durch Handlung‘ – und zugleich der Gedanke an eine direkte Mitteilung. Diese kurze Notiz ist augenscheinlich schon von der Frage angeleitet, ob Kierkegaard selbst die ,Maske‘ der Pseudonymität ablegen kann, darf oder gar soll. Im Rahmen der ,Dialektik‘ von 1847 aber bedeutet dieses Element einen Gegenstoß: Es stellt das leitende Konzept des Maieutischen in Frage – und mithin die Berechtigung einer indirekten Mitteilung überhaupt. Hier schon stoßen das ,rein‘ maieutisch-indirekte Verfahren und die Reduplikation aufeinander – wenn auch diese Spannung noch nicht ausdrücklich thematisiert wird. Es ist dieses ,Problem‘, das im

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Verlauf der weiteren Reflexionen an Dringlichkeit gewinnen und letztlich zur Abfassung des Gesichtspunkts führen wird. Im Ganzen ist festzuhalten: Gerade die letzten Notizen der ,Dialektik der Mitteilung‘ von 1847 bestätigen die eingangs geäußerte These, nach der das Vorlesungsfragment trotz seines zunächst sehr systematischen Ansatzes keine strukturierte und bündige Konzeption der indirekten Mitteilung entwickelt, die etwa mit der von Nachschrift oder Gesichtspunkts vergleichbar wäre. Die ,Dialektik ‘ von 1847 ist im Ganzen als bergangsdokument zu lesen; als Stufe in der Umbestimmung des Mitteilungsbegriffs auf dem ,Weg zum Gesichtspunkt‘. Der Versuch umreißt exemplarisch das Spannungsfeld von Kierkegaards Mitteilungsreflexion und enthält teilweise sich widersprechende Elemente verschiedener Herangehensweisen an die Mitteilungsfrage: So vermischt sich im Unterscheidungsversuch der konkreten Mitteilungstermini das ethischmaieutische Wissens-Paradigma mit dem singulär-existenziellen Fokus von Climacus’ Doppelreflexion. In den letzten Aufzeichnungen hingegen zeigt sich eine Spannung zwischen der an Sokrates geschulten ethisch-maieutischen Auffassung und einem spezifisch christlich-maieutischen Konzept; und hier schon spielt der Gedanke hinein, ,reduplizierend‘ aus der indirekten Mitteilung herauszutreten. Hinsichtlich der zwischen Nachschrift und Gesichtspunkt entscheidenden Frage, inwiefern eine direkte Mitteilung des Indirekten erlaubt oder auch nur möglich ist, lässt sich dem geplanten Vortrag ex cathedra nichts entnehmen – im Unterschied zur Fassung 1849, die diese Frage ausführlicher behandeln wird. Gleichwohl verweist die schematische Auflistung der verschiedenen Mitteilungsaspekte wie auch die unausgetragene Spannung zwischen ethisch-maieutischem und christlichmaieutischem Modell auf ein ,Problem‘ der ,abstrakten‘ Darstellung der Mitteilungstheorie überhaupt: Ihr fehlt es wesentlich an Situation und Kontext, an der wechselseitigen Durchdringung von Mitteilungsperspektive und Mitteilungsbegriff, in der die Konzeptionen der Nachschrift und des Gesichtspunkts erst ihre Plastizität und ihr spezifisches Profil gewinnen.

f) ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ 1 – Die Taten der Liebe Als Appendix zur Interpretation des Vorlesungsfragments ist in aller Kürze auf eine Spur zu verweisen, die von der ,Dialektik der Mitteilung‘ 1847 zu den Taten der Liebe führt – zu jenem Werk also, dessen Bearbeitung

2. Das Maieutische und das Ethische

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Kierkegaard nach Niederlegung des Plans zur Vorlesungsreihe im Mai/ Juni 1847 wieder aufgenommen hat. In der allerletzten Aufzeichnung der ,Dialektik‘ 1847 notiert Kierkegaard ein ,Sprachspiel‘ mit einem Gedankenstrich: „Zu stehen – allein durch die Hilfe eines anderen / und Zu stehen allein – durch die Hilfe eines anderen“.350 Gemeint ist: Nur mit Hilfe eines anderen stehen zu können; oder fr sich zu stehen – aber mit Hilfe eines anderen. Die zweite Form sei nun, wie Kierkegaard ausführt, „das maieutische Verhältnis“ und enthalte zugleich „das Ironische in der Formel“, während im ersten Fall dem „direkte[n] Verhältnis“ auch eine „direkte Aussage“ entspreche.351 Maieutisch-ironisch ist die zweite Form insofern, als sie einen Widerspruch enthält: allein zu stehen – und doch nicht durch sich allein zu stehen. In diesem Widerspruch zeigt sich die ,verborgene‘ Hilfe des Maieutikers, der sich im ,Helfen‘ zurücknimmt. Eben dieses ,Sprachspiel‘ findet sich auch – unter ausdrücklicher Hervorhebung des „Gedankenstrich[s]“352 – in einer Passage aus den Taten der Liebe Nr. 4, die unter dem Zwischentitel steht: „Liebe sucht nicht ihr Eigenes; denn sie gibt am liebsten derart, dass die Gabe aussieht, als wre sie das Eigentum des Empfngers“.353 Schon der Titel stellt offensichtlich die Verbindung zum Maieutischen her. Der Text spielt dann auch auf eine „edle Weisheit“ und einen „edle[n] Einfältige[n] im Altertum“354 an, ohne den Begriff der Ironie oder den Namen des Sokrates explizit zu nennen – nur an dieser Stelle auch wird in Kierkegaards Werk das dänische Wort für „Geburtshelfer“ verwendet.355 Kierkegaard beschreibt hier abermals die aneignungslogische Struktur des Maieutischen: Sokrates habe verstanden, dass es nur dann gelinge, einem Menschen dazu zu verhelfen, „alleine zu stehen“ und ihn „frei“ zu machen, wenn der 350 Papir 366:5 (DM, 101 / SKS 27, 403). Um die Verschiebung des Gedankenstrichs beizubehalten ist hier parallel zur dänischen Satzkonstruktion übersetzt worden. Die Pointe der zweiten Wendung für sich genommen ließe sich besser folgendermaßen ausdrücken: „Allein zu stehen – durch die Hilfe eines anderen“. – Kierkegaard knüpft hier an einen Gedanken des Climacus an: Das ,Frei-Machen‘ des Empfängers durch die indirekte Mitteilung, vgl. AUN1, 66 / SKS 7, 74 f. und oben, II.1.1.e). 351 Papir 366:5 (DM, 101 / SKS 27, 403). 352 LT, 304 / SKS 9, 273 f. 353 LT, 302 – 308 / SKS 9, 272 – 277. Vgl. hierzu auch Mark L. McCreary „Deceptive Love. Kierkegaard on Mystification and Deceiving into the Truth“ in Journal of Religious Ethics 39, 2011, S. 25 – 47, bes. S. 32. 354 LT, 304 / SKS 9, 274. 355 LT, 305 / SKS 9, 274; dän. „Fødselshjælper“; sonst verwendet Kierkegaard auch im Dänischen das Fremdwort ,Maieutiker‘.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

„Helfer“ sich verberge.356 Diese Bewegung wird nun durch eine Formulierung verdeutlicht, die in der Mitteilungskonzeption des Gesichtspunkts beinahe wörtlich wiederkehrt: Sokrates sei sich bewusst, dass gerade diese Form des Helfens „die größte Wohltat“ für den Menschen sei; und er wende all seine „Kunst“ an, um – „den anderen in die Wahrheit hineinzubetrügen“.357 Hier fällt also erstmals358 und eher versteckt die charakteristische Formel der späten Mitteilungskonzeption, und es zeigt sich, dass sie unmittelbar dem maieutischen Modell abgelesen ist. Ähnlich wie in der ,Dialektik‘ selbst operiert Kierkegaard allerdings hier noch nicht mit der doppelten Pointe, dass ein solches ,Hineinbetrügen‘ gerade dort geboten ist, wo von einem allgemeinen Betrug ausgegangen werden muss. Die konkrete Einfassung in die ,Situation‘ der Christenheit steht noch aus, obgleich sie schon in NB:154 und den Erbaulichen Reden in verschiedenem Geist benannt worden war. Schritt für Schritt und noch ohne durchgehenden Zusammenhang werden in den unterschiedlichsten Kontexten Elemente formuliert, die sich dann 1848 zur Konzeption des Gesichtspunkts zusammenziehen.

3. Die direkte Mitteilung als persönliche Frage – Die Journale und Entwürfe 1847/48 Etwa nach Niederlegung des Plans zur eben interpretierten Vorlesung im Mai/Juni 1847 treten Kierkegaards Reflexionen zur Mitteilungsfrage bis Sommer 1848 merklich zurück. Die zentralen Begriffe von Maieutik und Reduplikation fallen in den Journalen dieses Zeitraums nur jeweils einmal,359 die Doppelreflexion wird in explizit mitteilungstheoretischer 356 LT, 305 / SKS 9, 274. 357 LT, 305 / SKS 9, 274. 358 Angedeutet ist diese Figur z. B. schon in JJ, ohne dass aber dort die ,formelhafte‘ Wendung bereits gebraucht würde; vgl. JJ:433 (DSKE 2, 295 / SKS 18, 284), wo Kierkegaard von dem Fall spricht, dass ein Pfarrer sich ,abstoßend‘ mache und dadurch der „Betrug“ seinem Zuhörer „zur Wahrheit“ verhelfe. 359 Von dem „Maieutische[n]“ spricht Kierkegaard knapp in NB3:50 (SKS 20, 270 f.), und zwar wie in NB rückblickend mit Bezug auf sein „vieles Gehen auf der Straße“. – Die Stelle zur Reduplikation in NB5:117 (T 3, 26 / SKS 20, 418) ist insofern aufschlussreich, als sie die im Journal NB angedeutete Eingrenzung des Begriffs bestätigt und ihn im Sinne einer Verdopplung des Gedachten durch Handlung verwendet: „Aber die Reduplikation sieht man beinahe niemals. Ich

3. Die direkte Mitteilung als persönliche Frage

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Hinsicht überhaupt nicht mehr genannt,360 und wenn Kierkegaard auf das Wortfeld ,Mitteilung‘ zurückgreift, so tut er dies zumeist im Rahmen einer Polemik gegen die Presse als „unproportioniertes MitteilungsMittel“.361 Der folgende Durchgang der Phase, die dem entscheidenden Journal NB6 unmittelbar voraufgeht, kann sich demnach auf eine knappe Anzeige beschränken. Gleichwohl sind die zu diesem Zeitraum gehörenden wenigen und verstreuten Aufzeichnungen zum Mitteilungsproblem höchst aufschlussreich. Erstens nämlich lässt sich an einigen Stellen ein Echo der Niederlegung des Vorlesungsplans vernehmen, das sich in einer Skepsis gegenüber einer direkten Darstellung des Indirekten äußert; zweitens aber werden dennoch weiterhin Formulierungen des Gesichtspunkts vorgeprägt; und drittens schließlich wird in den Journalen dieses Zeitraums ein bestimmter Zug in Kierkegaards Selbstreflexionen sichtbar, der für die ,Motivation‘ zur Abfassung des Gesichtspunkts wesentlich ist. Besonders im Umfeld des ,Oster-Erlebnisses‘ 1848 zeigt sich deutlicher noch als 1846/47, dass für Kierkegaard die Frage nach einer ,direkten Mitteilung‘ unmittelbar auf die nach seinem persçnlichen Stand und Selbstverständnis bezogen wird. Das ,direkte Sprechen‘ wird hier vom Werk und der Stellung des Autors zunächst gleichsam ,abgekoppelt‘, um sich mit diesen Fragen in NB6 wieder zu verbinden.

a) ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ 2 – Die dritte Fassung des Buchs ber Adler Etwa im November 1847 macht Kierkegaard einen letzten Versuch, das Buch ber Adler durch Neuordnung in eine publikationsfähige Form zu bringen, verwirft diesen Plan aber kurz darauf und trifft die endgültige Entscheidung, das Werk in kleinere Stücke zu zerschneiden.362 Im Zuge dieser letzten Umarbeitung werden insbesondere in der neuen ,Beilage I‘ einige wesentliche Passagen zur Mitteilungsfrage eingeflochten. Wie kenne eigtl. nicht einen einzigen religiösen Schriftsteller (es sei denn Augustinus), der eigtl. seinen Gedanken redupliziert.“ 360 Der Begriff fällt einmal in Bezug auf Mynster und die „Art und Weise, auf welche das Xstt. verkündet wird“ (NB5:77 (SKS 20, 404)). 361 NB4:58 (T 2, 207 / SKS 20, 314); vgl. bes. auch NB2:25 – NB2:29 (SKS 20, 150 – 152; teilw. in T 2, 137 f.). 362 Vgl. NB3:38, NB3:40, NB3:40.a (SKS 20, 264, 266; teilw. in BA, XIII); die relevanten Stellen stehen in Pap. vor dem Entwurf eines Vorworts, der auf „Novb. 47“ datiert ist (Pap. VIII 2 B 19, p. 72; vgl. BA, XII f.).

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

schon in der ersten Fassung kritisiert Kierkegaard Adlers Stellung angesichts der von ihm beanspruchten Offenbarung, und im Anschluss an die Skizze eines möglichen ,korrekten‘ Vorgehens heißt es: Aber so etwas lässt sich nicht in abstracto durchführen. Die Kunst „die Menschen in das Wahre hineinzubetrügen“ ist eine Genialität, die in dem, in welchem sie eminent ist (und hier ist ja alles poetice), schlechterdings unausschöpflich ist, und in jeder Sekunde in 1000 Möglichkeiten veränderbar. Derjenige, der nur eine oder zwei oder sechs Arten des Betrügens kennt, der ist kein Genie; in der eminenten Reflexion liegt in jedem Augenblick eine unendliche Möglichkeit. […] Das versteht sich, diese Methode ist langsam, sie ist nichts für geschwinde Köpfe. Hingegen ist es furchtbar, derart verschwiegen mit größter Kraft in einem gewissen Sinne – sich selbst entgegenzuarbeiten.363

Und in einer Anmerkung zum ,Sich-entgegen-Arbeiten‘ heißt es weiter: Das gilt gewiss nur in einem bestimmten Sinne. Die Methode ist weder mehr noch weniger als die konsequente Verdopplung der Wahrheit in sich selbst. Aber Mundus vult decipi. Insofern ist die Methode langsam, da sie gerade darauf berechnet ist, den Betrug zu verhindern; denn eben deshalb betrügt sie die Menschen in die Wahrheit hinein, anstelle des Gewöhnlicheren, durch Versicherungen über [die] Wahrheit den Menschen in den Betrug hineinzuverhelfen.364

Hier erläutert Kierkegaard die in den Taten der Liebe erstmals verwendete Formulierung vom ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ mitteilungstheoretisch detaillierter. Auffällig ist zunächst, dass Kierkegaard diese offenbar erst kurz zuvor entwickelte ,Formel‘ in Anführungszeichen setzt, als handele es sich bereits um eine ,stehende Wendung‘.365 Offensichtlich ist ihm die Formulierung, die hier gleich zweimal gebraucht wird, als besonders prägnant aufgefallen. In inhaltlicher Hinsicht ist hier erstens bemerkenswert, dass Kierkegaard eine direkte, abstrakte Bestimmung des indirekten Verfahrens zurückweist – ganz im Sinne des Climacusschen Einwandes gegen eine solche. Man wird diese Zurückweisung auch als Echo der Niederlegung des Plans zur ,Dialektik der Mitteilung‘ verstehen 363 BA, 189 f. / Pap. VIII 2 B 12, p. 59. 364 BA, 190 Anm. / Pap. VIII 2 B 12, p. 59. An den Abweichungen gegenüber der Parallelstelle aus der ersten Fassung lässt sich die Fokussierung auf die Mitteilungsfrage genau verfolgen, vgl. BA, 44 f. (mit Anm.) / Pap. VII 2 B 235, p. 71. 365 Ebenfalls findet sich die Formel, leicht modifiziert als „Hineinzubetrügen in die Wahrheit“, im Vorlesungsfragment von 1849 (Papir 368:10.a (DM, 137 / SKS 27, 411)) und steht dort gleichfalls in Anführungszeichen (vgl. unten, II.4.2.d)). Ob Kierkegaard diese Wendung womöglich aus der Literatur übernommen hat, ist nicht nachgewiesen.

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dürfen, und hier gerade zeigt sich, inwiefern ein solches Unterfangen als problematisch erscheint: Ihm mangelt es eben an der konkreten Situation, dem Augenblick, in welchem sich die Methode ,im eminenten Sinne‘ erst plastisch entfaltet. Selten kommt Kierkegaard auf diese Frage zu sprechen, wenn er die Mitteilung selbst und ausdrücklich thematisiert; in dieser eher beiläufigen Bemerkung aber wird das Problem einer Bestimmung der Mitteilung in abstracto in aller Deutlichkeit benannt. Vor dem Hintergrund dieser Einsicht denkt Kierkegaard in den zitierten Passagen offensichtlich zweitens an die unmittelbare Gesprchssituation oder ein ,existenzielles‘ Verhältnis – im Unterschied zu einer indirekten Mitteilung in schriftlicher Form. Es ist die ,praktische Operation‘ des Mitteilenden bzw. des Ironikers, die Kierkegaard vor Augen steht. In der Tat auch finden sich in dem hier behandelten Zeitraum Journalnotizen, die diese Situation ,von Angesicht zu Angesicht‘ behandeln. In NB2:17 vom Mai/Juni 1847 spricht Kierkegaard vom „wesentliche[n] Ironiker“ und sagt, ein solcher müsse gerade in der ,praktischen Situation‘ „immer unausschöpflich sein in der Veränderung des Betrugs“366 – die gleiche Formulierung, die auch im Buch ber Adler verwendet wird. Die Frage nach der ,Situation‘ des Mitteilenden, die sich durch den Vorlesungsplan implizit stellt, führt Kierkegaard offensichtlich von einer direkten Mitteilung des Indirekten fort und hin zum ,konkreten Vollzug‘ des nun als Ironiker verstandenen Mitteilers. 366 NB2:17 (SKS 20, 147). Kierkegaard bezieht sich hier auf von ihm selbst gemachte „Versuche“ und beschreibt insbesondere den Kontrast zwischen einer direkten Aussage des Betrugs und dessen praktischer Durchführung: „Ich kann einem Mschen etwas erklären, und darauf zu ihm sagen: pass nun auf, jetzt setze ich den Betrug zwischen Sie und mich. Und obgleich ich selbst ihm das vorausgesagt habe, kann ich ihn doch durch den Betrug verwirren. […] Sobald deshalb ein Msch. nicht unbedingt durch sich selbst etwas verstanden hat, so kann man es ihm durch den Betrug auch wieder wegnehmen. In den ersten paar Augenblicken sagt er: ah, das ist ein Betrug. Er rechnet dann auf die direkte Mitteilung. Aber jetzt ist der Betrug ja zwischen uns gesetzt, und die Kunst von meiner Seite, mich im Charakter zu halten. Sobald ich ihn konsequent halte, ist er wieder verwirrt.“ Vgl. auch die sehr parallel gehaltene Stelle NB5:147 (T 3, 30 f. / SKS 20, 427 f.); in der Randbemerkung NB5:147.a nennt Kierkegaard auch wieder den Unterschied zwischen dem ,Dozieren‘ und der ,existenziellen Kunst‘. – Die Wendung ,at holde sig i Charakteren‘ (,sich im Charakter halten‘), in NB5:147 auch ,at iføre sig en Charakteer‘ (wörtl. etwa: ,sich in einen Charakter einführen‘), verwendet Kierkegaard häufiger für die Kennzeichnung des Ironikers. Offensichtlich denkt er in diesem Fall auch an den Schauspieler; insofern könnte die Wendung freier mit ,sich in der Rolle halten‘ bzw. ,eine Rolle annehmen‘ übersetzt werden.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Aufschlussreich ist sodann drittens, wie Kierkegaard das Verhältnis von ,Betrug‘, ,Sich-entgegen-Arbeiten‘ und ,Verdopplung‘ bestimmt. Offensichtlich sieht er sich dazu genötigt, das ,Sich-entgegen-Arbeiten‘ in der Anmerkung einzuschränken und von einem bloßen ,Selbstwiderspruch‘ abzugrenzen. Das ,Sich-entgegen-Arbeiten‘ gilt hier demnach noch nicht, wie später in der Wirksamkeit, als in sich selbst konsequente Verdopplung der Methode. Es ist allein durch das mundus vult decipi bedingt, also durch die Notwendigkeit, die Welt zu betrügen – damit sie nicht betrogen wird.367 Darin deutet sich die gegenkehrige Wendung des ,Herausbetrügens aus einem Betrug‘ schon an, wenn auch noch nicht in der reflektierten Konsequenz der späteren Fassung. Entsprechend ist der Betrug hier noch nicht explizit auf die Konstellation von Christentum und Christenheit bezogen. Zwar zeichnet sich auch dieser Horizont in der Kritik an Adler bereits ab, der Betrug selbst ist aber im allgemeineren Sinne und nach dem ethisch-maieutischen Modell verstanden. Viertens schließlich zeigt sich schon in den zitierten Passagen, wenn auch noch versteckt, der persçnliche Zug in Kierkegaards Mitteilungsreflexion, der in den folgenden Journalen deutlich werden wird: Indem Kierkegaard auf das ,Furchtbare‘ in der ,Verschwiegenheit‘ des sichentgegen-arbeitenden Mitteilers verweist, wird die ,Anstrengung‘ und ,Isolation‘ sichtbar, der dieser ausgesetzt ist. Gerade diese Faktoren werden wenig später in der Frage wieder aufkommen, ob Kierkegaard selbst sich direkt mitteilen kann oder darf.

b) Die ,eigentümliche Dialektik der Mitteilung‘ – Das Journal NB3 Die erste in diesem Zeitraum mitteilungstheoretisch relevante Journalaufzeichnung NB3:62 gehört dem Dezember 1847 zu. Da diese Notiz im Eingang der gesamten Untersuchung ausführlich interpretiert worden ist,368 gilt es hier allein, sie in ihren zeitlichen Kontext einzuordnen. 367 Diese Wendung hatte Kierkegaard schon in NB als wesentliche Einsicht des ,Corsarenstreits‘ notiert, vgl. NB:36 (CS, 212 / SKS 20, 40) und NB:37 (SKS 20, 41). 368 Vgl. oben, I.1. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sei hier der zentrale Abschnitt nochmals wiedergegeben: „Wenn es im Verhältnis dazu, etwas mitzuteilen, so ohne weiteres gegeben ist, was mitzuteilen ist, wenn dies so ganz von selbst folgt, dass nicht ein einziger Augenblick damit verschwendet werden soll, darüber zu sprechen, ja dass es sich um die Art von Voraussetzungen handelt, die nicht einmal genannt zu werden brauchen: dann geht es leicht genug mit dem Mitteilen, wie

3. Die direkte Mitteilung als persönliche Frage

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Zunächst ist festzuhalten, dass diese Aufzeichnung, die so ausführlich und eingehend wie kaum eine andere das Problem der Mitteilung reflektiert, im Journal NB3 recht isoliert und für sich steht. Die Eintragung gehört demnach nicht einer Phase zu, in der Kierkegaard intensiv mit der Frage der Mitteilung ringt. Angesichts dessen ist durchaus bemerkenswert, dass Kierkegaard hier dennoch dem Mitteilungsbegriff als Voraussetzung zum Verständnis seines Werks die höchste Bedeutung zuspricht: In ihm liege „seine ganze Eigentümlichkeit“, und „die Realität seiner historischen Bedeutung“ sei „hierin konzentriert“.369 Offensichtlich bleibt die Mitteilungsfrage auch dort, wo sie nicht umfänglich bedacht wird, in ihrer zentralen Bestimmung gleichsam ,stillschweigend‘ festgehalten. Bezüglich des Kontextes seit April/Mai 1847 ist zu bemerken, dass Kierkegaard die ,Zergliederung‘ des Mitteilungsbegriffs aus dem Vorlesungsfragment nicht nochmals aufnimmt. Zudem fallen die dort zentralen Termini des Ethischen und insbesondere des Maieutischen hier nicht; ebenso wenig wird auf die ,Situation‘ in der Christenheit Bezug genommen. Die in NB3:62 skizzierte ,Dialektik der Mitteilung‘ folgt also explizit weder dem ethisch-maieutischen, noch dem christlich-maieutischen Modell. Wie schon in der Letztbearbeitung des Buchs ber Adler geht Kierkegaard vielmehr zurück zum alten Climacusschen Einwand gegen eine direkte Darstellung der indirekten Mitteilung. Diese Frage hatte das Vorlesungsfragment selbst ausgespart – man kann aber in NB3:62 deutlicher noch als im Buch ber Adler einen Nachklang der ,Untauglichkeit‘ einer direkten Mitteilung ex cathedra vernehmen, wenn es heißt: „Und diese seine eigent. Dialektik der Mitteilung kann er ja doch nicht in der traditionellen Dialektik der Mitteilung mitteilen. Das möchte die Zeit freilich von ihm verlangen, wie natürlich, weil es Nonsens ist.“370 Damit nimmt Kierkegaard eine Unterscheidung vor, die geschmiert, falls man etwas mitzuteilen hat. Aber wenn ein Schriftsteller einen eigentümlichen Begriff davon hat, was Mitteilung ist, wenn vielleicht gerade seine ganze Eigentümlichkeit, die Realität seiner historischen Bedeutung hierin konzentriert ist: ja dann hat es gute Weile – oh, Schule der Geduld. Ehe die Rede davon sein kann, etwas von dem zu verstehen, was er mitgeteilt hat, muss man ihn zuerst verstehen in der ihm eigentümlichen Dialektik der Mitteilung, und diese in allem, was man versteht, mitverstehen. Und diese seine eigent. Dialektik der Mitteilung kann er ja doch nicht in der traditionellen Dialektik der Mitteilung mitteilen. Das möchte die Zeit freilich von ihm fordern, wie natürlich, weil es Nonsens ist. Oh, gute Weile, verstanden zu werden, oh Schule der Geduld.“ (NB3:62 (T 2, 190 / SKS 20, 275)). 369 NB3:62 (T 2, 190 / SKS 20, 275). 370 NB3:62 (T 2, 190 / SKS 20, 275).

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

sich im Ganzen recht selten findet: die Unterscheidung zwischen einer Ebene der Mitteilung selbst und der Mitteilung ber diese Mitteilung, gleichsam ,in zweiter Potenz‘. Gerade die letztere aber erscheint hier als problematisch. Noch Ende 1847 also – dies ist für das Folgende festzuhalten – hat Kierkegaard eine direkte Mitteilung des Indirekten nicht im Sinn, sie wird vielmehr als unsinnige Forderung der Zeit abgewiesen.

c) Selbstreflexionen – Die Journale NB4 und NB5 Aufschlussreich für den hier thematischen ,Weg zum Gesichtspunkt‘ ist aus dem Journal NB4 zunächst die Aufzeichnung NB4:66 vom Februar/ März 1848, wenngleich der Begriff der Mitteilung selbst dort nicht verwendet wird. Kierkegaard notiert hier aber erstmals einen Gedanken, der für die im Gesichtspunkt gefasste Werkstruktur wesentlich ist – den Gedanken nämlich, dass die Aufgabe der ,Sensation‘ Entweder/Oder darin bestand, die Zeitgenossen ,mitzunehmen‘. Dabei greift Kierkegaard ein oben zitiertes Motiv aus der ersten Fassung des Buchs ber Adler auf: Der Mitteilende muss die ,Zeit kennen‘; die ,Überwindung‘ der Gegenwart muss gerade bei dieser selbst ansetzen: Soll man eine ganze Zeit heben, dann muss man sie wahrhaft kennen. Sieh[,] daher kommt es, dass diese Verkünder des Christentums, die geradewegs mit Orthodoxie beginnen, [dass] sie nicht viel wirken, und nur auf wenige. Denn die Christenheit ist sehr weit zurück. Man muss mit dem Heidentum beginnen. So beginne ich mit Entweder – Oder. Dadurch habe ich die Zeit mit mir bekommen; sie hat am allerwenigsten davon geträumt, wo sie hinsollte, od. wo wir jetzt sind. Aber aufmerksam auf die Probleme sind die Mschen geworden. Sie können meiner nicht quitt werden, eben weil sie bei Entweder – Oder so froh[,] so froh mitgingen. Sie könnten mich jetzt gerne fahren lassen, sie könnten mich totschlagen: das hilft ihnen nicht, sie haben mich auf den Hals bekommen. Beginnt man sofort mit dem Xstt, dann sagen sie: das ist nichts für uns – dann sind sie gleich auf ihrem Posten.371

Beispielhaft zeichnet sich hier schon eine zentrale Figur des Gesichtspunkts ab, das ,Aufmerksam-Machen‘ durch das pseudonyme Werk. Bereits hier wird die frühe Produktion mit einem indirekten Vorgehen und zugleich

371 NB4:66 (T 2, 208 f. / SKS 20, 318 f.). Die unmittelbar vorangehende Aufzeichnung notiert auch, die „Xstenheit“ bedürfe „wieder eines Sokrates“, eines „eminenten Dialektikers“, der zugleich der „Einfältige“ sei und die Christenheit zur Einfalt zurückbringe (NB4:65 (SKS 20, 318)).

3. Die direkte Mitteilung als persönliche Frage

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mit der ,Situation‘ in der Christenheit assoziiert – wenn auch noch nicht terminologisch an Mitteilung und Maieutik angeschlossen. Charakteristisch aber ist es für das Journal NB4, dass Kierkegaard dort erstmals explizit die Frage nach einem ,direkten Sprechen über sich‘ bedenkt. Dabei tritt das pseudonyme Werk weitestgehend in den Hintergrund; die Reflexion beugt sich zurück auf Kierkegaard selbst als Person. Ein Beispiel für die intensiven Selbstreflexionen dieser Zeit ist die lange Aufzeichnung NB4:72 aus dem März 1848. Kierkegaard beginnt die Notiz mit dem Hinweis, er könne sich „ziemlich leicht den einen oder anderen verschaffen“, der seine „Ideen dozierte“; dies wäre zwar „etwas Linderndes“ – aber: „Die Sache ist die, es soll nicht doziert werden“,372 denn im Dozieren liege der „Grund-Schaden der Zeit“.373 Einmal mehr weist hier Kierkegaard auf das Motiv der Reduplikation hin, ohne den Begriff explizit zu verwenden: „Was ich brauche, ist ein Msch, der nicht auf einer Kanzel mit den Armen gestikuliert und nicht mit dem Finger auf einem Katheder, sondern Einen, der mit einer ganzen persönlichen Existenz gestikuliert, mit der Bereitschaft dazu, auf das Genauste unter jeder Gefahr in [der] Tat ausdrücken zu wollen, was er lehrt.“374 Unter Verwendung des Ausdrucks „direkte Mitteilung“ macht nun Kierkegaard eine für das Folgende wichtige Ergänzung: Hinzu kommt noch ein Umstand, der mir alle direkte Mitteilung, od. das Sprechen über meine schriftstellerische Wirksamkeit unbehaglich macht. Wie viel mir vergönnt ist, fühle ich wohl selbst. Aber, damit ich darüber nicht stolz od. hochmütig werden soll, trage ich ein bekümmertes Bewusstsein[,] eine ungeheure Verantwortung, schwere, schwere Erinnerungen, viele[,] viele Anfechtungen. Über all dies kann ich nicht sprechen. […] [I]ch habe nicht [das] Recht dazu, jemanden in ein direktes, d. h. in ein falsches Verhältnis zu mir zu setzen, um mir meine Stellung leichter zu machen.375

Diese Reflexion ist durchaus bemerkenswert: Schon die erste Aufzeichnung, die eine ,direkte Mitteilung‘ erwägt, tut dies negativ: Gerade in Bezug auf sein Gottesverhältnis meint Kierkegaard hier, sich keinem Mitmenschen offenbaren zu können. Eben dieses Argument wird in NB6 und noch weit darüber hinaus gegen eine jede direkte Darstellung angeführt werden, es bezeichnet die Gegenbewegung zur direkten Mitteilung über sich, die bis in die späten Journale hinein nachzuweisen ist. Die 372 373 374 375

NB4:72 (T 2, 210 / SKS 20, 321). NB4:72 (T 2, 210 / SKS 20, 322). NB4:72 (T 2, 210 / SKS 20, 321). NB4:72 (T 2, 211 f. / SKS 20, 322 f.).

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

gesamte abwägende Reflexion der Jahre 1848 bis 1851 über die Herausgabe der ,Schriften über sich selbst‘ – und mithin über eine direkte Mitteilung – ist in NB4:66 und NB4:72 schon keimhaft angelegt. In der zitierten Notiz geht Kierkegaard zwar von der Frage nach einer direkten Aussage über sein Werk aus, im Verlauf der Eintragung aber wird dieses Problem ins Persönliche gewendet: Er selbst kann sich in kein direktes Verhältnis zu einem anderen Menschen setzen. Darin zeigt sich eine wesentliche Umorientierung in der Frage der Mitteilung, die im Folgenden noch deutlicher werden wird: Die Reflexion richtet sich nicht mehr darauf, was indirekte Mitteilung ist und wie von ihr konsequent gesprochen werden kann, sondern ob er selbst, Søren Kierkegaard, sich offenbaren, sich direkt mitteilen darf – oder ob er es gar soll. In diesem Kontext stehen auch die Osteraufzeichnungen des Jahres 1848. Am 19. April schreibt Kierkegaard in NB4:152: „Mein ganzes Wesen ist verändert. Meine Verborgenheit und Verschlossenheit ist zerbrochen – ich darf sprechen.“376 Gerade in Verbindung mit der zuvor zitierten Notiz wird deutlich, dass Kierkegaard damit ringt, seine Verschlossenheit zu lösen, persçnlich in eigener Sache zu sprechen – und Ostern 1848 erscheint dies plötzlich möglich. Es ist allerdings wiederum eine Antizipation der folgenden ausführlichen und gegenwendigen Reflexionen über die Berechtigung einer Publikation des Gesichtspunkts, dass Kierkegaard schon fünf Tage später die ,Lösung‘ der Verschlossenheit zurücknimmt. In NB4:155 heißt es hierzu: „Nein, nein, meine Verschlossenheit lässt sich doch nicht heben[,] zumindest nicht jetzt. Der Gedanke, sie heben zu wollen, beginnt mich so sehr und derart in jedem Augenblick zu beschäftigen, dass er sich bloß immer mehr festsetzt.“377 Dass dieser Gedanke Kierkegaard aber weiterhin beschäftigt, und dass sich insbesondere die Frage aufdrängt, ob er sich nicht einem Mitmenschen gegenüber öffnen soll, macht die Aufzeichnung NB5:19 vom Mai 1848 deutlich. Die Notiz mit dem Titel „Eine dialektisch-merkwürdige Kollision“ spielt den ,Fall‘ in der Perspektive der dritten Person durch: 376 NB4:152 (T 2, 224 / SKS 20, 357). Für eine inhaltliche Ausdeutung dieser so genannten ,Ostererfahrung‘ vgl. Hermann Deuser „Kierkegaards Spätwerk als dialektische Theologie“ [1979] in ders. „Was ist Wahrheit anderes als ein Leben fr eine Idee?“. Kierkegaards Existenzdenken und die Inspiration des Pragmatismus. Gesammelte Aufstze zur Theologie und Religionsphilosophie, hrsg. v. Niels Jørgen Cappelørn / Markus Kleinert, Berlin / New York 2011, S. 3 – 24, hier S. 7 – 13 sowie ders. Dialektische Theologie, S. 37 – 39; mit dieser und der gleich zitierten Aufzeichnung setzt Deuser den Beginn des Spätwerks an. 377 NB4:155 (T 2, 226 / SKS 20, 359).

3. Die direkte Mitteilung als persönliche Frage

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Eine Individualität, die in den äußersten Entscheidungen versucht wird, die im Ernst (d. h. mit der Bereitschaft, selbst danach zu handeln) sich mit dem Gedanken beschäftigt, das Leben zu opfern für eine Idee, od. dergleichen, wodurch in Wahrheit gewagt wird – er wird in der weit vorangeschrittenen Entwicklung unter anderem auch die Anfechtung erleben: habe ich mir nicht zuviel angemaßt, hätte ich nicht zu anderen Mschen darüber sprechen sollen. Sonderbar! Falls er zu anderen Mschen gesprochen hätte, falls er spricht, dann wird nie etwas daraus, im selben Augenblick erhält er Ablass vom Höchsten, entschlüpft unter billigeren Umständen – jede solche Art Mitteilung ist eo ipso eine Abschwächung. Und die Anfechtung wird gerade folgendermaßen lauten: habe ich [das] Recht dazu, müsste ich nicht sprechen. Diese Anfechtung ist bloß eine Demütigung, dass er nicht hochmütig wird. Gott kann ihn in jedem Augenblick, in dem er will, zurückweisen und sagen: weshalb hast Du nicht zu anderen Mschen gesprochen, ihre Vertraulichkeit gesucht – und doch[,] doch soll er vielleicht gerade der Anfechtung zum Trotz vorwärts.378

In dieser Aufzeichnung – die zu Beginn abermals auf die Reduplikation als ,handelnde Beglaubigung des Gewollten‘ anspielt – setzt sich die Tendenz aus dem vorherigen Journal NB4 fort, den Ausdruck „Mitteilung“ im Sinne einer persçnlichen Mitteilung zu verstehen. Zugleich zeigt sich, dass Kierkegaard auch hier die direkte Mitteilung zurückweist, und zwar als ,Anfechtung‘, die in sich eine ,Demütigung‘ enthält – gleichsam als die beständige Möglichkeit, vor Gott Unrecht zu haben. In NB5 geht die Tendenz dahin, sich in der ,Verborgenheit‘ zu halten und dort auszuhalten; die direkte Mitteilung erscheint als ,Herabspannung‘ der Aufgabe und unzulässiger Drang nach ,Milderung‘ der eigenen Umstände. Entsprechend notiert auch die vorletzte Aufzeichnung des Journals NB5 in Bezug auf die Konsequenzen einer direkten Mitteilung: „Ich bin als Schriftsteller ein Pönitierender; aber falls ich die Mschen das verstehen ließe, dann bliebe ich eo ipso kein Pönitierender, dann würden sie mich vielleicht sogar leiden mögen[,] d. h. ich würde sie direkt gewinnen[,] d. h. ich würde sie betrügen.“379 Hier ist von zwei Seiten her für Kierkegaard klar, dass eine direkte Mitteilung nicht gegeben werden kann. Die Frage ist aber keineswegs endgültig beantwortet – und sie führt, verbunden mit dem 1846/47 ,entdeckten‘ Begriffspaar von Reduplikation und Maieutik, in NB6 unmittelbar zur Abfassung des Gesichtspunkts.

378 NB5:19 (T 3, 6 / SKS 20, 378). 379 NB5:146 (SKS 20, 427).

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

4. Die Herausbildung des Gesichtspunkts – Das Journal NB6 Das Journal NB6 bezeichnet im Werk Kierkegaards den Punkt einer beispiellosen Verdichtung. In den knapp 100 Aufzeichnungen dieses Journals, die im Zeitraum von nur fünf Wochen im Sommer 1848 notiert sind,380 ziehen sich sämtliche Gedanken Kierkegaards zur Mitteilungsfrage seit 1846 zusammen, und sukzessive schält sich die Konzeption des Gesichtspunkts heraus. Überdies wird auch die Motivation zu dieser Schrift aus den Reflexionen von NB6 deutlich – und allein von dieser her kann das Werk angemessen verstanden und interpretiert werden. Dabei ist der Reflexionsverlauf des Journals – wie der gesamte ,Weg‘ seit 1846 – alles andere als gradlinig. Kierkegaard wendet den Gedanken immer wieder abwägend um, und NB6 endet keineswegs mit einem einfachen Ergebnis – was schon darin sichtbar wird, dass er sich zu einer Veröffentlichung des Gesichtspunkts zu Lebzeiten nicht hat entschließen können. So kann die Interpretation im Folgenden auch die Probe aufs Exempel der indirekten Methode in den Journalen machen.381 Sofern nämlich angenommen würde, Kierkegaards Denken sei bloß nach außen, bloß in der Mitteilung indirekt, wohingegen in den vermeintlich ,privaten‘ Aufzeichnungen der Journale Kierkegaard, ganz als er selbst, direkt spreche, und in diesen der Schlüssel zur Dechiffrierung des pseudonymen Werks zu suchen sei – so zeigt sich gerade in NB6, dass sein Denken wesentlich versuchenden und experimentierenden Charakters ist. Die für die pseudonymen Schriften bezeichnende Bewegung des Sich-entgegenArbeitens ist auch dort am Werk, wo Kierkegaard zunächst ,nur für sich selbst‘ denkt und schreibt. Es lassen sich – wie schon das Vorhergehende gezeigt hat – auch in den Journalen ,Denkexperimente‘ und eingeschobene Wechsel der Sprecherperspektive nachweisen, etwa dort, wo Kierkegaard über ein ihn unmittelbar angehendes Problem in der dritten 380 Kierkegaard beginnt das Journal am 16. Juli 1848; am 21. August wird bereits das folgende Journal NB7 in Gebrauch genommen. – Für einen Kommentar dieses Journals, der auch die mitteilungstheoretischen Aspekte berücksichtigt vgl. P. A. Heiberg Søren Kierkegaards religiøse udvikling. Psykologisk mikroskopi, Kopenhagen 1925, S. 166 – 189. 381 Hermann Deuser hat die Journale mit gutem Recht als ,dritte Mitteilungsform‘ Kierkegaards neben dem pseudonymen und erbaulichen Werk bezeichnet, vgl. hierzu Deuser Sçren Kierkegaard. Die paradoxe Dialektik des politischen Christen, S. 79 – 83; ders. Kierkegaard. Die Philosophie des religiçsen Schriftstellers, S. 160 – 165; vgl. zur Charakteristik insbesondere der späten Journale auch ders. Dialektische Theologie, S. 65 – 98.

4. Die Herausbildung des Gesichtspunkts – Das Journal NB6

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Person oder in der Parabel spricht.382 Die Experimentalmethode ist die einzig angemessene Form des Denkens angesichts der Unabgeschlossenheit der Existenz, und keineswegs bloß kunstvolle Verhüllung eines eigentlich auch direkt Sagbaren. Freilich unterscheidet sich der experimentelle Zug in Kierkegaards ,Selbstreflexionen‘ zugleich von den publizierten Werken. Bei aller Sprachkunst auch im Journal ist die Gedankenführung oftmals weitläufiger und loser, es fehlt die pointierte Zuspitzung der Widerspruchsform. Wie im Nachlass Nietzsches erhält der Leser in den Journalen Kierkegaards einen Einblick in das Laboratorium seines Denkens, kann ihm bei der versuchenden und tastenden Entwicklung seiner Gedanken gleichsam auf die Hand schauen – und wird so oft genug auch auf später verworfene Abwege und unausgetragene Aporien stoßen. Trotz des ,experimentellen‘ Charakters auch des Journals und trotz aller Aporetik der Reflexion bildet sich in NB6 zweifelsohne Kierkegaards retrospektives Verständnis seines Werks und zugleich der oben in Kap. II.2. behandelte maieutisch-teleologische Mitteilungsbegriff heraus. Dass etwa die ,Sicherung des gleichzeitigen Religiösen‘ die Funktion der Erbaulichen Reden gewesen und das Werk somit ,christlich‘ sei von Anfang bis Ende, ist nur einer der entscheidenden Gedanken, die erst in diesem Journal entwickelt werden. Nicht zufällig sind es die beiden 1846/ 47 erstmals hervortretenden Begriffe der Maieutik und der Reduplikation, die in NB6 wesentliche Bedeutung gewinnen. Dass die Werkstruktur als maieutisch zu begreifen sei, hatte Kierkegaard schon 1846 notiert, und auch die Gestalt eines ,Maieutikers in der Christenheit‘ hatte sich zwischen 1846 und 1848 bereits an einzelnen Stellen angedeutet – nun aber wird das hier so genannte ,christlich-maieutische Modell‘ im Detail entwickelt und als Kierkegaards Selbstverständnis festgeschrieben. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit insbesondere auf die Stellung des Maieutikers. Dessen ,verborgene‘ Existenz prallt mit der unter christlichen Vorzeichen verschärften Forderung der Reduplikation zusammen, das Gelehrte auch existenziell zu verdoppeln und ,auszudrücken‘. Kierkegaards Reflexion kommt in NB6:66 und NB6:81 zu dem folgenden 382 Kierkegaard selbst notiert hierzu in einem späten Rückblick vom 13. Oktober 1853: „In dem, was über mich selbst in den Journalen von 48 und 49 aufgezeichnet ist, ist gewiss oft noch etwas Produktives mit eingeflossen. Es ist nicht so leicht, wenn man in dem Grad dichterisch-produktiv ist wie ich, dann so etwas fortzuhalten. Das kommt sogleich hervor, wenn ich die Feder in die Hand bekomme“ (NB28:54 (SS, 170 / SKS 25, 257)).

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Ergebnis: Der Maieutiker muss, christlich verstanden, Zeuge werden, er muss bekennen.383 In Bezug auf die eigene Stellung zu seinem eigenen Werk kehrt sich dabei die Figur der Reduplikation für Kierkegaard selbst in eigentümlicher Weise um. Die ebenso knappe wie erschöpfende Definition des Begriffs in NB6:57 lautet: „Reduplizieren ist zu sein, was man sagt.“384 Für Kierkegaard aber verwandelt sich die Formel im Hinblick auf den Gesichtspunkt: ,Reduplizieren heißt sagen, was man ist, und was man gewollt hat‘ – einzustehen für den ,einen Gedanken‘ seines Werks, und dies durch eine direkte Mitteilung.385 Aus diesem Konnex ergibt sich unmittelbar die Motivation zur Abfassung des Gesichtspunkts, und in diesem Zusammenhang zeigt sich auch der ,persönliche‘ Zug von Kierkegaards Mitteilungsreflexion in der Entstehungsgeschichte dieser Schrift: Die Frage richtet sich zuerst darauf, ob er eine direkte Mitteilung über das von ihm Gewollte geben soll oder kann; erst im Anschluss hieran nimmt Kierkegaard auch eine direkte Mitteilung über die maieutische Anlage des Werks in den Blick. Die methodologische Frage hingegen, was indirekte Mitteilung ihrer Struktur nach ist, tritt in NB6 beinahe gänzlich zurück – Kierkegaard identifiziert sie mit einer maieutischen Taktik im Horizont der Christenheit und wägt dann ab, ob und bis zu welchem Grad ein solches Vorgehen zulssig sei. Die Konstellation, die sich schließlich in NB6:81 herausbildet, ist die folgende: Die maieutisch-indirekte Mitteilung ist angesichts der geschichtlichen Situation zeitweilig und als Mittel berechtigt – das Chris383 Vgl. NB6:68 (T 3, 53 / SKS 21, 50), NB6:81 (SKS 21, 62). Ab dem Journal NB6 hebt Kierkegaard einzelne Aufzeichnungen dadurch hervor, dass er sie in lateinischer Schrift notiert (später schreibt er Aufzeichnungen auch längsseitig ins Journal). Auf die sonst verwendete Wiedergabe lateinischer Lettern durch Kursive wird in diesen Fällen verzichtet. In NB6 betrifft dies die Aufzeichnungen 61, 64, 66, 68 – 71, 81, 87, 93. 384 NB6:57 (T 3, 51 / SKS 21, 41). Der Begriff der Reduplikation ist – für Kierkegaards Gebrauch zentraler Termini durchaus charakteristisch – trotz dieser schlagenden Definition noch in NB6 schillernd. Kierkegaard verwendet ihn nämlich auch als Bezeichnung für die Doppelreflexion der pseudonymen Schriften und mithin als Gegenbegriff zur direkten Mitteilung. Auf diese abweichende Verwendung wird jeweils hingewiesen. 385 Diese Interpretation wird insbesondere durch die Art und Weise gestützt, in der Kierkegaard dann die tatsächliche Publikation von ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller 1851 kommentiert: Dieses „kleine Buch“ sei „nicht irgendeine Schriftstellerei, eine neue Schriftstellerei, sondern eine Handlung“, eine „intensive Handlung“, eine „Wendung in Richtung von Xstt, und in Richtung von ,Persönlichkeit‘“ (NB24:131 (SKS 24, 406 f.) [Herv. v. Verf.]). Vgl. dazu ausführlich unten, II.4.3.d).

4. Die Herausbildung des Gesichtspunkts – Das Journal NB6

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tentum fordert aber als ,Abschluss‘ eben das Heraustreten des Maieutikers aus dem Indirekten durch direkte Mitteilung. Unmittelbar mit dem ersten Plan zu einer ,direkten Mitteilung über sich‘ in NB6:61 aber erheben sich schon die Bedenken gegen eine solche Darstellung des ,Gewollten‘ – und es ist diese Spannung, die das Journal NB6 kennzeichnet. Schon im Vorhergehenden hatten sich Zweifel gegen eine direkte Mitteilung angedeutet; indem nun NB6 eine solche ausdrücklich projektiert, verschärfen sich die Einwände, und Kierkegaard bewegt sich in die mitteilungstheoretische Reflexionsaporie hinein, die in den Journalen bis etwa 1852 in immer neuen Varianten bedacht und hin- und hergewendet wird. Noch auf eine letzte Eigentümlichkeit des Journals NB6 ist vorab hinzuweisen. Es ist für Kierkegaard durchaus bezeichnend, dass es eine ußere Begebenheit ist, die gleichsam als ,Katalysator‘ des Reflexionsprozesses wirkt. Den Anstoß zur werkgeschichtlichen Retrospektive gibt der Plan, den kleinen ästhetischen Artikel „Die Krise und eine Krise im Leben einer Schauspielerin“ zu publizieren. Dieses Vorhaben setzt bei Kierkegaard eine intensive Reflexion über die Werkstruktur in Bewegung, die insbesondere um die Frage kreist, ob ein ästhetischer Artikel nach ,zwei Jahren‘ rein erbaulicher bzw. christlicher Schriftstellerei386 zulässig ist. Aus diesen Reflexionen erwächst Kierkegaard die symmetrische Werkgestalt, die der Gesichtspunkt schließlich formuliert. Damit ist der Bereich von NB6 in seinen wesentlichen Hinsichten umrissen. Die folgende Interpretation wird das Journal chronologisch durchgehen und nur an wenigen Punkten Parallelstellen vorwegnehmen. Die ersten drei Schritte haben hinführenden Charakter (a – c); die eigentliche Verschärfung der Mitteilungsreflexion beginnt mit der Aufzeichnung NB6:61 und ist Gegenstand der letzten beiden Schritte (d – e).

a) Der Salon-Held, die Reduplikation und die ,pia fraus‘ Die erste Aufzeichnung zur Verfasserschaft in NB6 ist NB6:5. Kierkegaard greift hier in Variation die oben zitierte Eintragung NB4:66 auf;

386 Kierkegaard bezieht sich hier auf die drei 1847/48 erschienenen erbaulichen bzw. christlichen Schriften, die im Vorherigen am Rande behandelt worden sind: Erbauliche Reden in verschiedenem Geist (1847); Die Taten der Liebe. Etliche christliche Erwgungen in Form von Reden (1847); Christliche Reden (1848).

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Thema ist mithin das ,Aufmerksam-Machen‘ und ,Mitnehmen‘ der Zeitgenossen durch das pseudonyme Werk: Ich räume ein, ich begann meine schriftstellerische Wirksamkeit mit einem Vorteil; beinahe als ein Schurke angesehen zu werden, aber als ein ungeheuer brillanter Kopf[,] d. h. ein Salonheld, recht das Hätschelkind der Zeit. Das war eine kleine Unwahrheit – aber sonst hätte ich die Mschen nicht mit mir bekommen. Nach und nach, als die Mschen darauf aufmerksam wurden, dass es doch nicht ganz so war, fielen sie ab, und fallen ab. Ach, sollte es sich zeigen, dass ich in Furcht und Zittern um meiner Seligkeit willen arbeite: dann gute Nacht, dann ist es aus mit der Begünstigung der Welt. Aber hier steckte der Spion – und davor hat man sich nicht in Acht genommen. Dass Einer zuerst ein ausschweifender Wollüstling, eine SalonHeld ist und dann viele Jahre später, wie es heißt, ein Heiliger wird: das fängt die Menschen nicht. Aber dass ein Pönitierender, ein Bußprädikant in gewissem Sinne um einer Vorsicht willen im Kostüm eines Salonhelden beginnt: daran ist man nicht ganz gewöhnt.387

Kierkegaard spricht hier, obgleich der Ausgangspunkt der ,Beginn der schriftstellerischen Wirksamkeit‘ ist, allein von seiner persönlichen Existenz; gerade die Person hat als Büßender im Gewand des Salonhelden, als im Verborgenen operierender Spion die Menschen ,mitbekommen‘. Aus der Aufzeichnung wird mithin sichtbar, dass Kierkegaard auch in NB6 im Besonderen sein persönliches Schicksal im Blick hat. Obgleich sich spiegelbildlich schon die Struktur des Werks abzeichnet, ist diese Differenz zunächst festzuhalten: Kierkegaard sagt allein, er selbst sei schon zu Beginn der Verfasserschaft christlich gewesen – und noch nicht, sein Werk sei christlich von Anfang bis Ende. Dieser Gedanke wird sich erst im Laufe des folgenden Reflexionsprozesses ergeben. Gleichwohl ist die hier notierte Auffassung, nach der im Verlaufe der Werkentwicklung keine Veränderung stattgefunden habe, etwa vom Ästheten zum Religiösen, ein Kernmotiv des Gesichtspunkts. 388 Inwiefern dies auch der Struktur des Werks selbst abzulesen ist, wird Kierkegaard wenig später recht unvermittelt aufgehen. Die Frage nach dem persönlichen Schicksal und dessen ,öffentlicher‘ Wahrnehmung verbindet sich für Kierkegaard naturgemäß mit dem Motiv der Reduplikation, bezeichnet doch diese die ,einstehende‘ Ver387 NB6:5 (SKS 21, 13). 388 Eine erste Vorstufe hat dieser Gedanke in der oben, II.3.1.a) zitierten Eintragung NB:14 (T 2, 52 f. / SKS 20, 26); dort gibt Kierkegaard an, er habe im pseudonymen Werk die verschiedenen ,Stadien der Existenz‘ möglichst ,in einem Zug‘ darstellen wollen, damit man das Fehlen des ästhetischen ,Schäumens‘ im Religiösen nicht mit einem ,Mangel an Jugendlichkeit‘ des Verfassers erkläre.

4. Die Herausbildung des Gesichtspunkts – Das Journal NB6

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dopplung des Gedachten in der Existenz. Während die Kategorie der ,Reduplikation‘ zwischen NB und NB5 nur in wenigen Aufzeichnungen explizit genannt und zumeist auf Kierkegaards ,Umhergehen auf der Straße‘ als ,Unterstützung‘ des frühen pseudonymen Werks bezogen worden war, so wird erst in NB6 der Begriff selbst ausführlicher und wiederholt zum Gegenstand gemacht. Dabei erfährt die Kategorie eine spezifisch christliche Verschärfung und gewinnt zugleich den Charakter einer Forderung. In NB6:13 heißt es erstmals mit explizitem Bezug auf das Christliche: Die Reduplikation ist eigtl. das Christliche, es ist nicht bloß als Lehre verschieden von anderen Lehren, sondern wesentlich dadurch verschieden, dass es diejenige Lehre ist, die redupliziert, so [dass] der Lehrer von Wichtigkeit ist. Christlich wird beständig gefragt: nicht bloß dass es christlich wahr ist, was Einer sagt, sondern: wie ist er, der es sagt.389

Die existenzielle Reduplikation macht hier geradezu definitorisch die eigentümliche Struktur des Christlichen aus: Gerade christlich gilt es, für den Inhalt der ,Lehre‘ persönlich und existierend einzustehen. Zudem wird der Begriff deutlicher als zuvor auf die Gestalt eines Lehrers bezogen – insbesondere von dem, der etwas ,lehrt‘, wird die Verdopplung des Gelehrten in der Existenz gefordert. In dieser Bestimmung liegt allerdings eine an dieser Stelle nicht ausgetragene Doppeldeutigkeit. Christlich verstanden ist freilich der einzig wahre Lehrer Christus selbst, und dieser ist gleichsam das ,Urbild‘ der Reduplikation: Er ist, was er sagt; zugleich Lehrer und ,die Lehre‘. Daraus aber ergibt sich die Forderung im Christentum, dem Lehrer nachzufolgen – nämlich das Christliche nicht bloß darzustellen oder gar zu ,dozieren‘, sondern zu vollziehen. Dies gilt offensichtlich, ohne dass Kierkegaard hier ausdrücklich differenziert, insbesondere für den menschlichen Lehrer des Christentums. Zugleich macht die Notiz auch den polemischen Zug des Reduplikationsbegriffs deutlich: Die existenzielle Reduplikation der Lehre gleichsam ,vergessen‘ zu haben, ist eine der ,Verwirrungen‘, die Kierkegaard in der Christenheit kritisiert. Auf die Christenheit nimmt dann auch die Eintragung NB6:21 Bezug, die die Reflexion über die persönliche Position in NB6:5 nun auf das Werk richtet: … Derart habe ich in gewissem Sinne meine Verfasserwirksamkeit begonnen [mit einem falsum, od. mit einer pia fraus]. Die Sache ist [die], in der so 389 NB6:13 (SKS 21, 16). Vgl. hierzu Deuser Dialektische Theologie, S. 34 f.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

genannten bestehenden Xstenheit stehen die Mschen so fest in der Einbildung, dass sie Xsten sind, dass man, falls davon die Rede sein soll, dass sie aufmerksam werden, viele Künste gebrauchen muss. Beginnt Einer, der sonst nicht als Schriftsteller bekannt ist, sogleich als christlicher Schriftsteller: dann bekommt er die Zeit nicht mit sich. Man pariert sogleich, sagt „das ist nichts für uns“ usw. Ich begann als Ästhetiker – und gelangte dann mit einer doch gewiss ungesehenen Schnelligkeit zu dem Religiösen hin, so dass ich hier das Xstwerden usw. aufzeigte.390

Die Aufzeichnung wiederholt gewissermaßen die zuvor notierte Bewegung des ,Aufmerksam-Machens‘ und ,Mitnehmens‘, blendet aber nun um von der Person aufs Werk und bezieht die Struktur auf die ,Situation‘ in der Christenheit. Auch ist hier explizit die ,Einbildung‘ genannt, die in dieser Situation Bestand hat, und gegen welche ein ,kunstvolles‘ Verfahren notwendig wird. Deutlicher noch als in NB6:5 wird dabei die Differenzierung von Person und Werk: Kierkegaard notiert, er habe in schriftstellerischer Hinsicht „als Ästhetiker begonnen“ und sei dann sehr schnell zum Religiösen hingekommen – das Werk selbst stand also noch nicht von Beginn an im Religiösen. Dass hier Person und Werk unter diesem Gesichtspunkt bei aller Zusammengehörigkeit noch auseinander gehalten werden, macht auch eine Randbemerkung deutlich, die schon in NB6:5 Festgehaltenes variiert: „Sie [die Zeit] dachte wohl am wenigsten daran, dass der Verfasser von Entweder – Oder der Welt längst Lebewohl gesagt hatte, dass er in vielem Furcht und Zittern einen nicht geringen Teil des Tages damit zubrachte, erbauliche Schriften zu lesen“.391 Schon in der unmittelbar folgenden Aufzeichnung NB6:22 aber – und dies ist für den gesamten Gedankenverlauf des Journals höchst charakteristisch – setzt die Gegenbewegung zur bislang allenfalls skizzenhaften Reflexion über die Verfasserschaft ein. Wie schon in NB4:72 kommen Kierkegaard sogleich Zweifel an der Berechtigung solcher Überlegungen: Doch geschieht es in gewissem Sinne ungern und mit viel Widerstreben, dass ich derart den Zusammenhang meines ganzen Strebens darstelle. Vornehmlich aus einem Grund, weil es trotz all meiner, mschlich gesprochen, enormen Reflexion und Berechnung, doch beständig so ist, dass es eine dritte Macht gibt: die Lenkung, die eingreift, und mich, während ich mit 390 NB6:21 (T 3, 37 / SKS 21, 19 f.). Das Eingefügte ist die Marginalie NB6:21.a. 391 NB6:21.b (T 3, 38 / SKS 21, 20). Hier bezieht auch Kierkegaard die im Buch ber Adler und NB4:66 über den Maieutiker gemachte Aussage auf sich selbst: „Es war mir wichtig, die Zeit kennen zu lernen“.

4. Die Herausbildung des Gesichtspunkts – Das Journal NB6

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meiner Reflexion viele Verhältnisse überschaue, in ihrer Macht hat und mich derart führt, dass ich doch beständig am besten hinterher verstehe, wie gerade das der Sache dient.392

Gegenüber der Aufzeichnung NB4:72 verschiebt Kierkegaard hier den Akzent, und zwar gleichfalls vom Persönlichen hin zum Werk: Was ihm das Sprechen über die Schriftstellerei ,unbehaglich‘ macht, ist hier nicht seine persönliche, ,nicht-mitteilbare‘ Geschichte, sondern der ,Anteil der Lenkung‘ an seinem schriftstellerischen Werk, dem bekanntlich der Gesichtspunkt einen langen Abschnitt widmet.393 Das ,Widerstreben‘ hat seinen Grund darin, dass Kierkegaard eigentlich nicht sagen kann, er selbst sei für die Struktur des Werks verantwortlich und habe diese planvoll entworfen – vielmehr verstehe er selbst allein rckblickend den Fortgang der Sache. Dieses Argument wird später immer wieder gegen eine Publikation des Gesichtspunkts angeführt werden. Im Kontext von NB6 bemerkenswert ist die unmittelbare Zurücknahme sogar einer bloß im Journal notierten Totalperspektive auf das Werk. Kierkegaard wird zu einer solchen Perspektive immer weitere Anläufe machen – und zugleich vom Zweifel geplagt, ob er zu einer solchen Überschau überhaupt berechtigt ist. Damit ist die Blickbahn von NB6 bezeichnet: der Rückblick auf die persönliche Existenz zu Beginn der schriftstellerischen Wirksamkeit und die Werkentwicklung als Aufmerksam-Machen; der gleichzeitige Zweifel, ob eine solche Totalschau überhaupt zulässig ist; schließlich die polemische Bezugnahme auf den ,Sinnentrug‘ der ,Christenheit‘, der ein kunstvolles Vorgehen notwendig macht, und die nun explizit christlich verstandene Forderung der Reduplikation – dies sind die Aspekte, die den folgenden Reflexionsverlauf bestimmen.

b) ,Jener kleine Artikel‘ Als ,Katalysator‘ der Gedankenentwicklung in NB6 wirkt nun die Frage nach der Veröffentlichung des Artikels „Die Krise und eine Krise im Leben einer Schauspielerin“. Diese Frage hat Kierkegaard intensiv be392 NB6:22 (T 3, 38 / SKS 21, 20). 393 Vgl. GWS, 66 – 87 / SV2 XIII, 595 – 616. Vgl. hierzu auch NB6:34 (T 3, 45 / SKS 21, 30), wo es im gleichen Zusammenhang u. a. heißt: „[Ü]ber meine schriftstellerische Wirksamkeit darf ich eigtl. nicht sprechen, sie ist in einer Weise nicht meine eigene.“

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

schäftigt und eine Reflexion über die Struktur seines Werks angestoßen, die wesentliche und neue Perspektiven aufwirft; im ganzen Journal kommt Kierkegaard immer wieder auf den Artikel als Ausgangspunkt zurück.394 Die erste diesbezügliche Eintragung ist NB6:24, in der Kierkegaard die Gründe für und wider eine Veröffentlichung abwägt. Zunchst erkennt Kierkegaard in seiner ,rein religiösen Schriftstellerei‘ seit 1846 ein Argument fr die Herausgabe: Durch die ausschließliche Publikation erbaulicher bzw. christlicher Werke sei womöglich der Anschein entstanden, er habe sich „verändert“ und sei „ernsthaft“ geworden.395 Hier kommt nun Kierkegaard gleich auf den bekannten Gedanken zurück, er sei „wesentlich religiös“ gewesen, als er „Entweder – Oder schrieb“, dies sei „der Nerv in meiner ganzen schriftstellerischen Wirksamkeit“.396 Gegen die Annahme einer Veränderung könne also ein ,kleiner ästhetischer Artikel‘ wirken. Im direkten Anschluss aber wird das gleiche Argument umgewendet: Er sei „nun so entscheidend in das Christliche hineingegangen“, dass es für diejenigen, die sich daran ausrichteten, „fast zum Ärgernis“ werden könnte, „davon zu hören, dass ich in einem Feuilleton über eine Schauspielerin schriebe.“397 Die Kollision lässt sich im Vorgriff auf Wendungen des Gesichtspunkts folgendermaßen bestimmen: Wirkt der ästhetische Artikel gegen den ,Sinnentrug‘, der Verfasser habe sich verändert; oder stört er die Einsicht, dass die Bewegung des ganzen Werks das Hinkommen zum Christlichen bezeichnet? Die erste Abwägung dieser Frage bleibt unentschieden. Dass die Sache Kierkegaard aber sehr beschäftigt hat, zeigt sich darin, dass er – was äußerst ungewöhnlich ist – eine Seite seiner Reflexionen aus dem Journal herausgetrennt hat.398 Auf der folgenden Seite ist dann das Ende der entsprechenden Notiz unleserlich gemacht, in der es heißt, er habe den 394 Vgl. NB6:24 (T 3, 38 – 40 / SKS 21, 21 f.), NB6:27 (T 3, 41 f. / SKS 21, 23 – 26), NB6:29 (T 3, 42 f. / SKS 21, 27 f.), NB6:30 (SKS 21, 28), NB6:33 (T 3, 44 f. / SKS 21, 30), NB6:36 (SKS 21, 31), NB6:38 (T 3, 46 f. / SKS 21, 32 f.), NB6:54 (T 3, 49 f. / SKS 21, 38 f.), NB6:66 (SS, 160 / SKS 21, 49 f.), NB6:67 (T 3, 52 f. / SKS 21, 50), NB6:74 (T 3, 54 f. / SKS 21, 56 f.), NB6:75 (SKS 21, 57), NB6:76 (T 3, 56 – 58 / SKS 21, 58 f.), NB6:78 (T 3, 58 f. / SKS 21, 59 f.), NB6:81 (SKS 21, 61 f.) und NB6:87 (SKS 21, 65). – Vgl. zur Bedeutung dieses Artikels und Kierkegaards daran anschließende Reflexionen auch Bejerholm „Meddelelsens dialektik“, S. 268 – 270. 395 NB6:24 (T 3, 38 / SKS 21, 21). 396 NB6:24 (T 3, 39 / SKS 21, 21). 397 NB6:24 (T 3, 39 / SKS 21, 22). 398 Vgl. NB6:24 (T 3, 40 / SKS 21, 22, 24 f.) sowie SKS K21, 8.

4. Die Herausbildung des Gesichtspunkts – Das Journal NB6

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Artikel abgeschickt, und „heraus muss er nun“.399 Die nächste Aufzeichnung zu dieser Frage wenig später beginnt dann mit den Worten: „Nein, nein, der kleine Aufsatz soll heraus.“400 Noch die folgenden Eintragungen aber, die offensichtlich innerhalb kürzester Zeit notiert sind, reflektieren in immer neuen Variationen die Frage, ob die Veröffentlichung zulässig war; und immer wieder kommt Kierkegaard dabei auf seine ,Aufgabe‘ und seine ,Absicht‘ zu sprechen. So heißt es in NB6:28: „Es muss noch einmal aufrecht erhalten werden, dies, dass ich mich nicht derart mit den Jahren verändert habe, sondern dass es ursprünglich meine redliche Absicht war, dem Xstt. zu dienen.“401 Und in der nächsten Aufzeichnung heißt es: Es war doch ein Glück, dass ich damit Ernst machte […]. Ehe ich zum letzten Mal losrücke, war es so wichtig, und so wahr in meiner Individualität, noch einmal die Fahrt zu loggen, zu versuchen, und, soweit möglich gleichzeitig, einen präsentischen Eindruck von meiner Virtuosität in der Differenz zu geben.402

Kierkegaard denkt hier einmal an die fertig gestellten oder begonnenen Schriften, die später die Krankheit zum Tode und die Einbung ausmachen, zugleich aber auch an die Möglichkeit, in radikalerem Sinne zum ,Ärgernis‘ der Christenheit zu werden – durch ein ,Martyrium‘, das als Möglichkeit immer wieder in NB6 aufscheint. Im Ganzen setzt sich das zuerst aufgebrachte Argument für die Herausgabe durch: Gerade in Bezug auf Kierkegaards ,Aufgabe‘ dient der Artikel dazu, den ,Sinnentrug‘ einer Veränderung zu verhindern. Hierzu heißt es in NB6:30, wo sich die Reflexion unversehens mit dem Begriff der Mitteilung verbindet: Ja, das ist doch ganz sicher, es war wirklich nötig, dass es mich betreffend ein klein wenig verwirrt wurde. Dadurch, zwei Jahre lang ausschließlich erbaulicher Schriftsteller gewesen zu sein und dann produktiv, hat sich wohl bald ein Wahn entwickelt, dass ich nun ernsthaft geworden bin. Ich war wohl selbst nicht weit davon entfernt, mir darin zu behagen, dass man mich als den Ernsthaften ansehe. Das muss verhindert werden. Das ist wieder direkte Mitteilung, und das ist eben nicht Ernst.403

Diese Notiz zeigt, dass die Frage nach der Herausgabe des Artikels in der Tat das Verhältnis von direkter und indirekter Mitteilung unmittelbar 399 400 401 402 403

NB6:24 (T 3, 40 / SKS 21, 22). NB6:27 (T 3, 41 / SKS 21, 23). NB6:28 (T 3, 42 / SKS 21, 26 f.). NB6:29 (T 3, 43 / SKS 21, 27). NB6:30 (SKS 21, 28).

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

berührt: Ein ästhetischer Artikel verhindert zugleich den Eindruck einer einfachen direkten, d. h. hier unmittelbar christlichen Mitteilung, und eine solche ist – wenigstens in der zitierten Eintragung – eben kein Ernst. Diese Pointe ist durchaus bemerkenswert: Unmittelbar bevor Kierkegaard den Plan zu einer direkten Mitteilung über sich und sein Werk erstmals in Erwägung zieht, zeigt sich eine ,Rückkehr‘ zur indirekten Mitteilung, und zwar als Gegenbewegung zum ,direkten Ernst‘, mit dem das erbauliche und christliche Werk von 1847/48 identifiziert wird. Gerade dieses soll ja aber nach der Konzeption von Gesichtspunkt und Wirksamkeit das Ziel der Werkbewegung im Ganzen aufweisen. Schon vorab zeigt sich, dass die Werkstruktur der retrospektiven Schriften eine Interpretation ist, die auch von Kierkegaard selbst nicht durchgehend festgehalten und als allein gültige angesehen wird; und die Journale ab 1849 werden gerade in der Bewertung des ,direkt‘ christlichen Werks von 1847/48 erheblich vom Gesichtspunkt abweichen. In der Mitte des Journals NB6 aber gilt der ,kleine Artikel‘ als ,Sicherung‘ gegen den Sinnentrug eines ,direkten Ernstes‘. So notiert Kierkegaard in NB6:38, die Herausgabe „jenes kleinen Artikels“ sei als Glück anzusehen – und zwar deshalb, weil sie ihn vor der „meisterhafte[n] Kategorie: auch so ein Apostel“ bewahrt habe.404 Damit ist die Frage vorläufig, aber keineswegs endgültig zum Abschluss gebracht. Auffällig ist dabei, dass Kierkegaard sich von dem Blick auf die Struktur des gesamten Werks, den die ersten Aufzeichnungen des Journals notieren, zunächst wieder abwendet, und die Funktion des Artikels allein auf die letzten zwei Jahre der erbaulichen bzw. christlichen Schriftstellerei bezieht; Kierkegaard betrachtet den ästhetischen Artikel vornehmlich als ,Kontrapunkt‘ zu seiner letzten Werkphase. Die Frage nach der ,Totalperspektive‘ ist aber angestoßen und wird, den hier festgehaltenen Gedanken integrierend, bald wieder aufgegriffen werden.

c) ,Sein, was man sagt‘ – Reduplikation In den folgenden Eintragungen kommt nun Kierkegaard wieder auf den Begriff zurück, den er vor der Frage nach der Herausgabe des Artikels bedacht hatte, den Begriff der Reduplikation. Kierkegaard bewegt sich dabei in der von NB6:13 eröffneten Perspektive, die Reduplikation als 404 NB6:38 (T 3, 46 / SKS 21, 32). Vgl. auch die Variation dieser Einsicht in NB6:54 (T 3, 49 f. / SKS 21, 38 f.).

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Definiens des Christlichen zu bestimmen. Zugleich erhält dieser Gedanke aber einen Auszug mehr: Das Christentum ist Existenzmitteilung.405 In diesem Zusammenhang steht die Notiz NB6:56, die die beiden „entscheidenden Irreführungen“ im Christlichen beleuchtet. Hier ist vornehmlich die zweite ,Irreführung‘ von Interesse: 2. Es ist (da das Xstt keine Lehre ist) folglich im Verhältnis zu ihm nicht wie im Verhältnis zu einer Lehre gleichgültig, wer es vorträgt, wenn er bloß (objektiv) das Richtige sagt. Nein[,] Xstus hat nicht Dozenten eingesetzt – sondern Nachfolger. Wenn das Xstt. (eben weil es nicht eine Lehre ist) sich nicht im Darstellenden redupliziert, dann stellt er nicht das Xstt dar; denn das Xstt. ist eine Existenz-Mitteilung, und kann nur dargestellt werden – durch Existieren. Überhaupt ist ja das, darin zu existieren, es existierend auszudrücken etc. das Reduplizieren.406

Kierkegaard macht hier wiederum das ,existenzielle‘ Verständnis der Reduplikation zum entscheidenden Kriterium des Christlichen; das ,existierende Ausdrücken‘ des Christlichen im Lehrer ist unmittelbar durch das Christentum als Nachfolge gefordert. Neu ist in dieser Notiz allerdings, dass die Reduplikation nun explizit mit der Mitteilungsfrage verbunden, ja als einzig zulässige Form der Mitteilung des Christlichen fixiert wird. Dies ist als wesentlicher Unterschied gegenüber der ersten Bestimmung der Reduplikation in NB:201 von 1847 festzuhalten: Dort hieß es, durch Reduplikation sichere sich der ethische Denker gegen den Sinnentrug einer bloßen, nicht existenziell ,bewährten‘ Mitteilung – und mithin war das Verhältnis von Reduplikation und Mitteilung ein ausschließendes. Hier aber ist nun der Korrespondenzbegriff zur Reduplikation in der Existenzmitteilung gegeben: Die Mitteilung des Christlichen fordert die Reduplikation in der Existenz des Mitteilenden. Da Kierkegaard zuvor mehrfach eingeschärft hatte, das Christliche sei das von ihm von Beginn an Gewollte, ist es greifbar, dass diese Festschreibung nicht ohne Konsequenzen bleiben kann. Zugleich ist aber eine spezifische Eingrenzung des Konnexes von Existenz und Mitteilung zu konstatieren: Immer deutlicher rückt der Mitteiler in den Fokus. Zwar findet sich hier, wie etwa auch bei Climacus, die Opposition von Existenzmitteilung und ,objektiver‘ Lehre, hingegen wird von existenzieller Aneignung, Selbstttigkeit oder Realisation, kurz: 405 Diese Formulierung findet sich bereits auch in der Nachschrift, wird aber dort noch nicht auf die ,Reduplikation‘ bezogen. Vgl. die oben, in II.1.3. genannten Stellen. 406 NB6:56 (T 3, 50 / SKS 21, 41).

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vom Empfnger gar nicht mehr gesprochen. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass Kierkegaards Mitteilungsreflexion sich immer deutlicher auf seine eigene Aufgabe und ,Position‘ im Verhältnis zum Christlichen richtet. Dass in diesem Zusammenhang gerade die Reduplikation von zentraler Bedeutung ist, zeigt sich schon darin, dass auch die nächste Aufzeichnung noch diesem Begriff gewidmet ist, ja ihn erstmals und in schlagender Knappheit definiert: „Reduplizieren ist zu sein, was man sagt.“407 Die an diese Definition anschließenden Reflexionen eröffnen dann eine weitere Hinsicht, in welcher der Begriff bedeutsam wird: die Kritik an Staatschristentum und Pfarrerberuf. Gerade der Pfarrer als ,Staatsbeamter‘ wird zum Inbegriff des Nicht-Reduplizierens – und auch hier bringt Kierkegaard wieder den Terminus der „Mitteilung“ ein,408 der nun in den Fokus der folgenden Aufzeichnungen tritt.

d) ,Sagen, was man ist‘? – Der erste Plan zur direkten Mitteilung und seine Umkehrung Auf den ersten Blick unvermittelt, aber durch die vorherigen Reflexionen intensiv vorbereitet, bringt Kierkegaard nur vier Einträge später in NB6:61 erstmals explizit den Gedanken an eine direkte Mitteilung in eigener Sache auf – und mithin beginnt nun im engeren Sinne die ,Herausbildung des Gesichtspunkts‘. In Bezug auf diese und die nächstfolgende Eintragung NB6:62 gilt es vornehmlich zweierlei herauszuarbeiten. Erstens wird hier eine Verschiebung des Mitteilungsbegriffs manifest, die sich zuvor schon angebahnt hatte. Kierkegaard verwendet den Terminus ,Mitteilung‘ nun in einem doppelten Fokus, nämlich einerseits im Sinne eines persönlichen Sich-Mitteilens, andererseits im Blick auf ein ,taktisches‘ Vorgehen im Horizont der bestehenden Christenheit. Die grundlegende Frage nach der angemessenen Mitteilungsform des ,Existenziellen‘ bzw. ,Ethischen‘ als solchem, die in unterschiedlicher Weise die Nachschrift und die ,Dialektik‘ bestimmt hatte, tritt beinahe gänzlich zurück.409 Vor 407 NB6:57 (T 3, 51 / SKS 21, 41). 408 NB6:57 (T 3, 51 / SKS 21, 42): „Oh, dass es doch Wahrheit gäbe in der Mitteilung zw. Msch und Msch! Einer verteidigt das Xstt., ein anderer greift das Xstt. an, und wenn man zu guter Letzt ihre Existenzen revidieren würde, kümmerte weder der Eine n. der Andere sich groß um das Xstt; es ist vielleicht ihr Beruf.“ 409 Die soeben zitierte Definition der Reduplikation als ,Existenzmitteilung‘ widerspricht dem nur auf den ersten Blick: Auch hier richtet sich die Frage nämlich nicht darauf, wie vom Existieren als solchem gesprochen werden kann; die Re-

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diesem Hintergrund reflektiert Kierkegaard zweitens in kontroverser Weise, welche Form der Mitteilung nun angemessen oder ,erlaubt‘ sei. Dabei kommt zunächst nur am Rande die retrospektive Frage nach der Gestalt des eigenen Werks auf; diese Frage werden dann die darauf folgenden Eintragungen wieder eindringlich bedenken. Die Notiz NB6:61 beginnt ansatzlos mit den Worten: Das wird doch gewiss das Richtige [sein]: einmal der Mitwelt einen bestimmten und nicht-reduplizierten Eindruck davon zu geben, was ich von mir selbst sage, dass ich bin, was ich will usw. Das war es, was ich mir als Programm zu „die bewaffnete Neutralität“ gedacht hatte[,] eine Zeitschrift. Sie sollte gleichzeitig mit der 2. Auflage von Entweder – Oder herauskommen. Und in ihr wollte ich Stück für Stück das ganze Christentum revidieren und die Springfeder einsetzen.410

Hier ist zunächst zu bemerken, dass Kierkegaard den Begriff der Reduplikation gegenüber den vorherigen Eintragungen – angesichts deren Nachdrücklichkeit durchaus überraschend – in abweichender Bedeutung verwendet, nämlich im Sinne der Doppelreflexion, so dass man ohne weiteres übersetzen darf: ,einen nicht-doppeltreflektierten‘, einen ,direkten‘ Eindruck.411 Von der Sache her ist allerdings der Gedanke der Reduplikation im starken (,existenziellen‘) Sinne hier zweifelsohne leitend. Dabei lässt sich aber sein Anspruch für Kierkegaard selbst geradezu flexion geht vielmehr umgekehrt von der Frage aus, wie der Lehrer des Christlichen zu denken ist. 410 NB6:61 (T 3, Anm. 48, 322 / SKS 21, 44). Kierkegaard verweist hier in der Marginalnote zurück auf die eben ausgelegte Eintragung NB6:21; diese Eintragung ist also tatsächlich als ein erster ,Anlauf‘ zu einer ,Darstellung über sich selbst‘ zu lesen. Vgl. zu NB6:61 auch Bejerholm „Meddelelsens Dialektik“, S. 147 f. u. S. 204 f sowie Deuser Dialektische Theologie, S. 33 f. – In diesem Zusammenhang ist noch auf einen Entwurf hinzuweisen, in dem Kierkegaard die Ankündigung für „einen kleinen Kursus Vorlesungen über [die organisierende Tendenz in] meiner ganzen Wirksamkeit als Schriftsteller“ skizziert (Pap. VIII 2 B 186). Die Herausgeber von Pap. datieren den Entwurf ohne ausführliche Begründung auf 1847/48. Im Rahmen der hier vorgelegten Rekonstruktion erscheint es nicht plausibel, diesen Entwurf früher als Sommer 1848 (eben parallel zu NB6) anzusetzen; erst ab diesem Zeitpunkt verfügt Kierkegaard über ein detaillierteres Verständnis seiner ,Wirksamkeit als Schriftsteller‘. Auch eine Datierung auf 1849 (im Umfeld der zweiten Fassung der ,Dialektik der Mitteilung‘) wäre möglich. Vgl. zum Entwurf: Joakim Garff „Om min Forfatter-Virksomhed & Synspunktet for min Forfatter-Virksomhed“ in Den udødelige. Kierkegaard læst værk for værk, hrsg. v. Tonny Aagaard Olesen / Pia Søltoft, Kopenhagen 2005, S. 363 – 380. 411 Vgl. für diesen Gebrauch auch NB6:76 (T 3, 56 / SKS 21, 58).

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umgewendet formulieren: Nicht ,sein, was man sagt‘ – sondern sagen, was man ist, was man gewollt hat und will. Gerade durch direkte Mitteilung des von ihm Gewollten gedenkt Kierkegaard offensichtlich, der christlichen Reduplikationsforderung zu entsprechen – und schon angesichts der Nähe dieses Plans zu den eben zitierten ,Reduplikations‘-Aufzeichnungen kann kein Zweifel bestehen, dass es dieser Begriff ist, der die direkte Darstellung seiner selbst motiviert. Dies zeigt sich auch in der Hinsicht, in der Kierkegaard erstmals den Plan zu einer direkten Mitteilung ber sich ergreift: Von einer Darstellung des im Werk Geleisteten wird nämlich nicht gesprochen – der Angelpunkt der direkten Mitteilung ist das persçnlich Gewollte. Zweifelsohne ist beides für Kierkegaard miteinander verbunden; die Priorität des ,persönlichen‘ Elements ist aber dennoch festzuhalten, entspringt doch gerade aus diesem Motiv augenscheinlich der erste Plan zum ,direkten Wort‘. Weniger wichtig ist der Verweis auf die Bewaffnete Neutralitt, die wohl erst später niedergeschrieben worden ist und keine explizit mitteilungstheoretischen Überlegungen enthält.412 Gleichwohl zeigt sich in der entsprechenden Bemerkung, dass Kierkegaard das ,direkte Sprechen über sich‘ unmittelbar an die Mitwelt und an seine Stellung in der ,Christenheit‘ knüpft. Auf dieses Verhältnis bezieht sich auch der folgende Absatz der Eintragung: Der Sache des Christentums habe ich mich geweiht und zugehört von Anfang an. Und eine solche Gestalt wird für das Christentum stets wichtig sein, Einer, der die Fahrt loggt, um zu sehen, wo wir sind[,] ob sich nicht das Ganze im Sinnentrug festgelaufen hat […].413

Das Christentum als das von Beginn an Gewollte, und die Analyse der Gegenwart mitsamt ihres ,Sinnentrugs‘ im Verhältnis zum Christlichen – diese Konstellation verbindet sich hier mit dem Willen zur direkten 412 Vgl. hierzu die Erläuterung in GW, wo die Bewaffnete Neutralitt im Anhang der Einbung abgedruckt ist: EC, 284 – 299 / Pap. X 5 B 105 – 114, p. 287 – 308. Diese Fassung der Bewaffneten Neutralitt ist nach Kierkegaards eigener – allerdings im Detail bisweilen ungenauer und hier auch als unsicher gekennzeichneter – Erinnerung „Ende 48 und Anfang 49“ entstanden (Pap. X 5 B 105). Ist diese Datierung korrekt, so kann sich Kierkegaard auf diesen Text in NB6 noch nicht beziehen; es handelte sich dann um einen zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgeführten Plan. Der nächste Verweis auf die Schrift findet sich in NB8:15 (T 3, 105 / SKS 21, 152) von November/Dezember 1848; die erste inhaltliche Referenz, die auf ein fertiges Manuskript schließen lässt, steht in NB9:74 (SKS 21, 246) von Anfang Februar 1849; vgl. zu beiden Aufzeichnungen unten, II.4.1.a). 413 NB6:61 (SKS 21, 44).

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Mitteilung. Damit ist zugleich der doppelte Fokus der Mitteilungsreflexion in NB6 bezeichnet, der im Folgenden noch deutlicher werden wird: Kierkegaards Interesse gilt einerseits der Möglichkeit einer ,persönlichen Mitteilung über sich‘, andererseits aber seiner Stellung und Aufgabe in der ,Christenheit‘; und im ,Loggen der Fahrt‘ ist gleich zu Beginn auch auf das ,taktische‘ (und mithin: ,indirekte‘) Moment im Verhältnis zum Bestehenden hingedeutet. Es ist nun für Kierkegaards Reflexionen über die direkte Mitteilung in NB6 und noch weit darüber hinaus bezeichnend, dass diese schon im dritten Absatz des ersten Plans wieder als problematisch erscheint, und in der Folge türmen sich immer weitere Zweifel auf: Doch das Unglück ist, dass ich durch direkte Mitteilung die Menschen gewinne – und also die Wahrheit schwäche. Die Verwirrung in der Christenheit ist so groß (d. h. das Christentum ist abgeschafft), dass es nötig wäre, dass Einer offenkundig um der Sache willen totgeschlagen würde, damit das Volk die Augen aufbekäme. Aber sobald ich mich direkt mitteile, dann werden meine Umstände leichter […]. Im gleichen Augenblick wie ich direkt mitteile, verliert die Wahrheit an Intensität, ich entgehe zu einem Teil dem Martyrium: ist dies gestattet, ist das nicht Gott betrügen? Wenn ich verstehen kann, dass die indirekte Mitteilung nach meinem Tod die Wahrheit geben wird, [dass] ich die Ehre gehabt habe, einer ganz anderen Geschwindigkeit zu dienen, ist es dann nicht meine Pflicht auszuhalten? Auf der anderen Seite: kann es nicht Stolz und Hochmut sein, sich nicht direkt mitteilen zu wollen? Aber ist denn in dem, was ich geleistet habe, nicht genug, um jeden Ernsthaften, der verstehen will, verstehen zu lassen? Doch, das wage ich vor Gott zu behaupten.414

Hier verwendet nun Kierkegaard explizit den Ausdruck ,Mitteilung‘, und erstmals fällt in den NB-Journalen der Terminus ,indirekte Mitteilung‘. Gegenüber der Nachschrift und etwa auch dem Vorlesungsfragment ist offensichtlich eine Verschiebung des Wortfeldes zu konstatieren: ,Mitteilung‘ meint hier nicht mehr die korrekte ,Sprachform‘ in Bezug auf das Existenzielle resp. das Ethische, und ,indirekte Mitteilung‘ verweist nun nicht mehr auf eine gebrochene Darstellungsform im Blick auf den Vollzugscharakter von Existenz. Vielmehr tritt die ,Mitteilung‘ nun endgültig in einen neuen und doppelten Fokus: Einerseits ist es hinlänglich deutlich, dass Kierkegaard hier zuerst an eine direkte Mitteilung des von ihm Gewollten denkt; und mithin bezeichnet ,Mitteilung‘ nun reflexiv ein persçnliches Sich-Mitteilen. Andererseits aber hatte Kierkegaard die 414 NB6:61 (SKS 21, 44 f.).

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Frage nach der Möglichkeit dieser Mitteilung sogleich an seine ,Stellung‘ in der Christenheit und die ,Mitwelt‘ gekoppelt; und der erste Satz, der das Wort ,Mitteilung‘ verwendet, bezieht diese ausdrücklich auf ihre Konsequenzen. Damit aber ist zugleich die (direkte oder indirekte) Mitteilung als mögliche taktische Vorgehensweise im Horizont der Christenheit und gerade bezüglich ihrer Wirkung benannt. Mithin überlagern sich in Kierkegaards kontroverser Reflexion zwei Aspekte des Mitteilungsbegriffs, ohne dass sie jeweils ausdrücklich differenziert würden. Dieses komplexe Spannungsfeld lässt sich folgendermaßen umreißen: 1) Auf der ,persçnlichen‘ Ebene ist die direkte Mitteilung als Sich-Mitteilen zwar offensichtlich gewünscht, kann aber auch Ungeduld und Herabspannung der Intensität bedeuten. Entsprechend erscheint aus diesem Blickwinkel auch die indirekte Mitteilung als ein persçnliches Sich-Halten im Verborgenen, das womöglich als Stolz und Hochmut zu bestimmen ist. In dieser ersten Hinsicht bewegt sich also die Reflexion wie schon in NB5:19 in die Opposition hinein zwischen der Forderung, weiter ,auszuhalten‘ oder aber sich direkt zu äußern. 2) Auf der ,taktischen‘ Ebene aber erscheint die direkte Mitteilung angesichts der ,Situation‘ der Christenheit in ihren Konsequenzen als fragwürdiges Mittel, würde sie doch in einer ,verwirrten Zeit‘ nur weitere Verwirrung stiften. Umgekehrt ist die indirekte Mitteilung in taktischer Hinsicht offenbar das zweckmäßigere und wirkungsvollere Verfahren – ohne aber in dieser Aufzeichnung bereits näher konturiert zu werden. Im Übrigen identifiziert Kierkegaard hier schon unter der Hand das pseudonyme Werk mit der indirekten Mitteilung, und zwar eben als taktisches Verfahren im epochalen Horizont seiner Gegenwart.415 Bezüglich des Werks deutet auch Kierkegaard in den letzten Sätzen der zitierten Passage eine Auffassung an, die im Folgenden präzisiert werden wird: Schon aus dem Werk selbst sei das in ihm Gewollte ersichtlich. Wie aber dies im Einzelnen kenntlich ist, wird noch nicht ausgeführt; Kierkegaards Fokus 415 Bemerkenswerterweise meint Kierkegaard offensichtlich in dieser Notiz, sich bislang noch vollstndig in der indirekten Mitteilung ,gehalten‘ zu haben – obwohl er kurz zuvor das erbaulich-christliche Werk von 1847/48 mit der direkten Mitteilung assoziiert hatte. Darin zeigt sich erstens, dass Kierkegaard hier vornehmlich an eine direkte Mitteilung über sich und das von ihm Gewollte denkt, und dem entsprechen offensichtlich die Schriften von 1847/48 nicht. Zweitens aber wird einmal mehr im Detail sichtbar, dass Kierkegaard seine Mitteilungsterme durchaus flexibel gebraucht; und drittens schließlich ist zu bemerken, dass Kierkegaard sich hier noch im Reflexionsprozess befindet und die spätere Werkstruktur des Gesichtspunkts noch nicht vollends entwickelt ist.

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richtet sich vornehmlich auf die Frage, ob er selbst sich direkt mitteilen soll oder darf. Im Ganzen setzt sich in NB6:61 noch die Auffassung durch, es sei geboten, sich weiterhin in der Verborgenheit der ,indirekten Mitteilung‘ zu halten. Entsprechend schließt die erste Reflexionsschlaufe mit den Worten: „Derart steht die Sache, nachdem ich jetzt ein wenig an dem Gedanken gerüttelt habe, dass ich so schnell wie möglich sterben sollte, und die entscheidenden Schriften nach meinem Tod herausgegeben werden [sollten].“416 Der schwermütige Gedanke an den kurz bevorstehenden Tod wird von Kierkegaard in diesem Kontext häufiger notiert,417 und diesbezüglich sieht der Plan vor, die fertigen Schriften postum herausgeben zu lassen – gemeint sind dabei insbesondere die Krankheit zum Tode und die Texte, die später zur Einbung im Christentum Nr. I und Nr. II werden. Das erste Vorhaben einer direkten Mitteilung wird also unmittelbar wieder von Zweifeln zurückgedrängt – und die folgende Aufzeichnung NB6:62 verkehrt diesen Plan geradezu in sein Gegenteil. Kierkegaard blickt hier zunächst nicht voraus, sondern zurück auf den Beginn der Schriftstellerei: Er könne „nicht oft genug wiederholen“, dass er nur „ein Dichter“ sei, wenn auch „von einer ganz eigenen Art“.418 Dabei ruft Kierkegaard wieder den alten Plan in Erinnerung, schon nach Entweder/ Oder eine Anstellung als Landpfarrer zu suchen, aber: „Meine Produktivität konnte ich nicht zurückzwingen, ich folgte ihr – natürlich ging sie nun in das Religiöse hinein.“419 Das Werk wird hier mithin nach wie vor so aufgefasst, dass es nicht von Beginn an christlich gewesen ist, sondern sich erst dorthin bewegt hat. Von dieser Retrospektive ausgehend wendet sich sodann Kierkegaard wieder seiner ,Aufgabe‘ zu, und hier erscheint die indirekte Mitteilung als einzig mögliche Form des Vorgehens – und zwar eben in spezifischem Bezug auf die Situation in der Christenheit. Dieser Gedanke hatte sich angedeutet, erst an dieser Stelle aber wird er ausdrcklich festgehalten – und Kierkegaard notiert so eine Bestimmung, die die gesamte Konzeption der indirekten Methode im Gesichtspunkt leitet: „Es gilt, dass das Xstt. einmal wieder in seiner ganzen Rücksichtslosigkeit dargestellt wird; und da die

416 417 418 419

NB6:61 (SKS 21, 45). Vgl. bes. NB6:9 (T 3, 35 f. / SKS 21, 15) und NB6:64 (SKS 21, 47). NB6:62 (SS, 156 / SKS 21, 45). NB6:62 (SS, 156 / SKS 21, 46).

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Situation in der Xstenheit ist: indirekt.“420 Eine Randnotiz formuliert dies noch deutlicher: aber nicht derart wie Einer, der begeistert das Xstt. verkündet, sondern derart, wie ein Dialektiker es dadurch tun kann, sokratisch das Leben aus allen Sinnentrügen herauszuhungern, in denen die Xstenheit sich festgelaufen hat. Denn es ist nicht Christent., das nicht verkündet ist, sondern es ist die Xstenheit, die die Virtuosität selbst darin geworden ist, es in Sinnentrug umzuwandeln, und es derart zu umgehen.421

Diese Passage fasst erstmals in konturierter Gestalt die Mitteilungskonzeption des Gesichtspunkts, und die dort gemachte Differenz bezüglich der Berechtigung von direkter und indirekter Mitteilung ist hier prägnanter formuliert als noch in NB:154: Gegenüber einer ,reinen Empfänglichkeit‘ wäre direkte Mitteilung das angemessene Verfahren, da aber nun der epochale ,Sinnentrug‘ der Christenheit die Situation bestimmt, ist die indirekte, dialektische Methode die einzig mögliche Form. Mithin wird nun die indirekte Methode allein auf das spezifische Problem der Situation in der Christenheit bezogen – und so, je nach Interpretationsperspektive, zugespitzt oder eben verengt. Weder gilt hier die Aufmerksamkeit der Gegenüberstellung von objektiver, ,existenzvergessener‘ Spekulation und subjektivem existierenden Denker, noch auch ist die Mitteilung im existenziellen Sinn adressatenbezogen gedacht: Begriffe wie Aneignung, Selbsttätigkeit oder Realisation haben in diesem ,rein‘ taktischen Modell offenbar nicht unmittelbar einen Ort. Nicht zufällig erscheint an dieser Stelle zum ersten Mal in NB6, wenn auch noch beiläufig, der Name des Sokrates – ist doch die beschriebene Bewegung des indirekten Verfahrens diejenige, die in der Wirksamkeit ,maieutisch‘ genannt werden wird. Dabei entfernt sich aber Kierkegaard – und dies gilt für das gesamte Journal NB6 – von dem ethisch-maieutischen Modell: Die parallele Konstruktion zum Wissen um das Ethische, nach welcher das Christentum ja ,bekannt‘ sei und deshalb bloß maieutisch auf dieses aufmerksam gemacht werden müsse, tritt zurück. Das maieutische Verfahren richtet sich nun nicht mehr auf ein ,latent‘ im Einzelnen liegendes ,Wissen‘, das es ,herauszuholen‘ gilt – sondern polemisch gegen eine Täuschung, gegen einen ,Sinnentrug‘. Ausdrücklich wird in diesem Zusammenhang eine jede direkte Mitteilung, und insbesondere eine persönliche über sich selbst, scharf 420 NB6:62 (SS, 156 / SKS 21, 46). 421 NB6:62.a (SS, 157 / SKS 21, 46).

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zurückgewiesen – und dies in unmittelbarer Gegenbewegung zu dem zuvor notierten Plan: Ich muss außen vor gehalten werden: desto größer wird die Erweckung. Die direkte Mitteilung lieben die Mschen, weil sie die Sache bequem macht, und die Mitteiler, weil sie ihnen das Leben weniger anstrengend macht, indem sie doch immer einige bekommen, mit denen sie zusammenhalten, und aus der Anstrengung der Einsamkeit entschlüpfen.422

Die direkte Mitteilung ist also in ihren Voraussetzungen wie auch in ihren Konsequenzen fragwürdig: Sie entspringt allein dem menschlichen ,Drang nach Linderung‘ und gefährdet zugleich den ,Erfolg‘ der Operation – und ein Zusatz macht deutlich, dass Kierkegaard auch hier auf den „Nachdruck der Lenkung“ nach seinem Tode rechnet.423 Kierkegaards erster Plan zur direkten Mitteilung schlägt mithin in sein Gegenteil um – noch nach knapp zwei Dritteln des Journals steht fest, dass eine direkte Mitteilung unmöglich ist. Im Zuge dieser Reflexionen schält sich gleichsam die eine Seite des Gesichtspunkts heraus, nämlich dass und inwiefern in der Christenheit eine indirekte Mitteilung als taktisches Verfahren nötig ist: das christlich-maieutische Modell. Die andere Hälfte, die noch aussteht, ist die präzise Erläuterung, dass und wie Kierkegaards Werk dies bereits vollbracht hat. Und überdies ist noch nicht geklärt, inwiefern der hier schon angedachte, aber zunächst abgewiesene bergang in die direkte Mitteilung als Reduplikation geboten und gefordert ist.

422 NB6:62 (SS, 156 f. / SKS 21, 46). 423 NB6:62 (SS, 156 f. / SKS 21, 46). Die folgende Eintragung variiert denselben Gedanken: Gäbe sich jemand direkt dafür aus, „der Religiöse zu sein“, so habe die Welt „tausend Ausflüchte“ um sich gegen ihn zu sichern. Dabei führt Kierkegaard die schon im Buch ber Adler angestellte Reflexion zur ,Klugheit‘ fort und notiert einen zentralen Gedanken des Gesichtspunkts, das ,Hinkommen zur Einfalt‘ durch Reflexion: Der Streit gehe nicht mehr „wie in alten Zeiten“ gegen „wilde Leidenschaften, gegen welche das direkte Auftreten das Richtige ist. Nein, die Xstenheit hat sich in der Klugheit festgelaufen“, und es bedürfe daher einer anderen „Taktik“. Die Gestalt, die diese Taktik durchführe, müsse „im Besitz dessen“ sein, „worauf die Zeit stolz ist“, eben der Klugheit, aber „er darf seine Klugheit nicht dazu missbrauchen, in eine neue Klugheit hineinzuhelfen, er muss mit Hilfe der Klugheit zurückbringen zur Einfalt“ (NB6:63 (SS, 157 f. / SKS 21, 46 f.)).

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e) Die Symmetrie des Werks und die Übernahme der maieutischen Anlage Diese noch ausstehenden Hinsichten werden nun in den folgenden Aufzeichnungen entwickelt. Dabei führt Kierkegaard die beiden Perspektiven zusammen, die er zuvor als sich ausschließende Alternativen diskutiert hatte: einerseits die reduplikative direkte ,Mitteilung über sich‘ – anderseits die indirekte Methode als ,korrektes‘ Verfahren angesichts des ,Sinnentrugs‘ der Christenheit. Diese ,Synthese‘ entspringt einer nochmaligen Reflexion auf die Struktur des eigenen Werks. Die Aufzeichnung NB6:64 beginnt mit den Worten: Ja[,] so musste es sein. Ich bin nicht religiöser Schriftsteller geworden, ich war es: gleichzeitig mit Entweder – Oder folgten zwei erbauliche Reden – nun, nachdem ich zwei Jahre lang nur religiöse Schriften geschrieben habe, folgt eine kleine Abhandlung über eine Schauspielerin. Nun gibt es für einen Augenblick einen Ruhepunkt; ich habe mich durch diesen Schritt selbst verstanden und viel konkreter.424

In dieser Journalnotiz erfasst nun die Reflexion auf das eigene Werk, die von der Veröffentlichung des ,ästhetischen Artikels‘ angestoßen worden war, das späte Selbstverständnis: Die symmetrische Struktur seines Schaffens geht Kierkegaard mit einem Male auf. Hatte Kierkegaard zuvor noch notiert, er selbst habe zwar von Beginn dem Christlichen dienen wollen, das Werk aber habe erst vom Ästhetischen zum Religiösen hinkommen müssen – so steht nun das Werk selbst als von Beginn an religiöses vor Augen. Plötzlich und ohne sichtbare Vorbereitung ,versteht‘ hier Kierkegaard die Funktion der frühen Erbaulichen Reden als ,Sicherung der Gleichzeitigkeit des Religiösen‘ von Beginn an – und es braucht kaum ausdrücklich gesagt zu werden, dass dies wiederum ein für den Gesichtspunkt entscheidender Gedanke ist. Auch das dort entfaltete sym424 NB6:64 (SS, 158 / SKS 21, 47). In dieser Aufzeichnung erwähnt Kierkegaard auch den „Zyklus ethisch-religiöser Abhandlungen“, der aus dem Buch ber Adler hervorgegangen, aber niemals als solcher publiziert worden ist. In der Umarbeitung zu diesem Zyklus im Sommer 1848 macht Kierkegaard noch einen mitteilungstheoretisch aufschlussreichen Zusatz, in dem es u. a. heißt, alle „wahre Mitteilung der Wahrheit“ beginne mit „einer Unwahrheit“; auch Sokrates sei darauf aufmerksam gewesen, ob nicht die Empfänger der Mitteilung sich in „allerhand Unwahrheiten eines Sinnentrugs“ befänden; in diesem Fall „ginge es nicht an, ganz direkt […] die Wahrheit mitzuteilen“ (Pap. IX B 2,3 b). Diese Formulierungen kommen der Konzeption des Gesichtspunkts schon sehr nahe; es ist allerdings nicht auszumachen, ob sie vor dessen Abfassung notiert sind.

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metrische Werkverständnis im Ganzen wird hier erstmals in seiner Grundstruktur benannt: Dem Erbaulichen am Anfang des Werks als Gegenspiegelung der pseudonymen Schriften entspricht nun am Ende der ästhetische Artikel als Komplement zur erbaulich-christlichen Produktion von 1847/48. In dieser Notiz verbinden sich mithin zwei werkgeschichtliche Stränge der Journalreflexion: der Rückblick auf das frhe Werk in NB6:5 und NB6:21, in dem Kierkegaard stets betont hatte, er habe von Beginn an dem Religiösen dienen wollen – und die Überlegungen zum spten Werk ab NB6:24, die der ,kleine Artikel‘ angestoßen hatte. Die übernächste Aufzeichnung NB6:66425 geht abermals von dem ,ästhetischen Artikel‘ aus und führt das neu gewonnene Werkverständnis nun auch mit der Frage der Mitteilung zusammen, die kurz zuvor noch kontrovers erörtert worden war. Dabei gibt nun Kierkegaard eine bemerkenswerte Einschätzung der indirekten Mitteilung: Es war doch gut mit jenem kleinen Artikel, dass ich ihn herausgab und in die Spannung kam. Hätte ich ihn nicht herausgegeben, hätte ich doch in einiger Unklarheit betreffs des Gebrauchs der indirekten Mitteilung für die Zukunft dahingelebt. Das ist mir nun klar, dass es von nun an unverantwortlich wird, sie zu gebrauchen. Das Erweckende liegt darin, dass Gott mir Kraft gegeben hat, als ein Rätsel existieren zu können – aber dann auch nicht länger, dass das Erweckende nicht im Verwirrenden endet. Es wird nun doch gelten, direkt und mit voller Stimme die maieutische Anlage des Vorhergehenden zu übernehmen, um so bestimmt und direkt in den Charakter dessen zu treten, der der Sache des Christentums hat dienen wollen und dienen will. Hätte ich nun nicht jenen Artikel herausgegeben, hätte mir die indirekte Mitteilung doch als eine Möglichkeit vorgeschwebt, ich hätte nicht den Eindruck davon erhalten, dass ich sie nicht gebrauchen darf.426

War noch wenige Einträge zuvor eine jede direkte Mitteilung als ,verwirrend‘ abgelehnt und die indirekte als einzig angemessene Form der Mitteilung in der Christenheit benannt worden, so zeigt sich hier das 425 Die dazwischen liegende Notiz NB6:65 spricht gleichfalls von der indirekten Mitteilung, enthält aber einen offensichtlichen Hinweis auf die Einbung; sie wird daher im folgenden Abschnitt behandelt. 426 NB6:66 (SS, 160 / SKS 21, 49). Hier notiert Kierkegaard im Übrigen auch den Gedanken, er habe nicht „von Beginn an den Überblick über die Anlage der gesamten Hervorbringung gehabt“ und sei „unter der Arbeit erzogen und entwickelt“ worden. Vgl. zu dieser und der folgenden Aufzeichnung auch Nientied Kierkegaard und Wittgenstein, S. 381.

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umgekehrte Bild: Die indirekte Mitteilung wird in dieser Aufzeichnung verabschiedet. Es wird unverantwortlich, sie zu gebrauchen – das Rätsel muss gelöst, eine drohende ,Verwirrung‘ abgewendet werden. Zugleich aber ist doch auch der Zusammenhang mit den vorhergehenden Reflexionen gewahrt: Die indirekte Mitteilung ist zwar zuknftig nicht mehr zu gebrauchen, sie erhält aber als ,maieutische Anlage‘ des ,vorhergehenden‘ Werks eben jene dienende und hinführende, als solche aber berechtigte Funktion, die in der Interpretation von Wirksamkeit und Gesichtspunkt aufgezeigt worden ist. Der unvermittelt ergriffene Gedanke von der Symmetrie des Werks hat so Kierkegaards Stellung zur indirekten Methode innerhalb kürzester Zeit und weniger Aufzeichnungen vollständig verwandelt: Sie wird nun zu einem Vergangenen, und muss überdies in direkter Mitteilung dargestellt und ,übernommen‘ werden. In dieser Aufzeichnung verschränken sich die zuvor noch unverbunden notierten Aspekte: Die indirekt-maieutische Methode als ,berechtigtes Vorgehen‘ in der Christenheit schließt sich mit dem direkten Wort über sich selbst zusammen; und die direkte Mitteilung des persçnlich Gewollten wird mit einer direkten Mitteilung ber die indirekt-maieutische Anlage des Werks verbunden. Es ist soeben schon gezeigt worden, dass die Motivation zum ,Eintreten für das Gewollte‘ der erst in NB6 festgehaltenen ,christlichen‘ Forderung der Reduplikation entspringt; hier ist nun auch der zweite Zentralbegriff in der Herausbildung des Gesichtspunkts, das Maieutische, erstmals in NB6 genannt und in seiner Bestimmung als christlich-maieutisches Verfahren festgehalten. Der Zusammenhang von Maieutik und Reduplikation wird noch deutlicher in der übernächsten Eintragung NB6:68, und erst hier kommt auch die Notwendigkeit eines ,Übergangs‘ in die direkte Mitteilung zur Klarheit. Die Notiz behandelt das Konzept einer ,Maieutik im Christlichen‘ in allgemeiner Perspektive, also der sprachlichen Form nach in ,Absehung‘ vom eigenen Fall – auch diese Reflexion aber dient zweifelsohne der Klärung der eigenen Position. Dabei gilt das Interesse vornehmlich der Stellung des Maieutikers: Die Mitteilung des Christlichen muss doch zuletzt in einem „Bezeugen“ enden, das Maieutische kann nicht die letzte Form sein. Denn, christlich verstanden, liegt die Wahrheit doch nicht im Subjekt (wie Sokrates es verstand), sondern ist eine Offenbarung, die verkündet werden muss. In der Christenheit kann ganz richtig das Maieutische zu gebrauchen sein, eben weil die meisten eigtl. in der Einbildung leben, Christen zu sein. Aber da das Christentum doch Christentum ist, muss der Maieutiker der Zeuge werden.

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Zuletzt wird der Maieutiker auch die Verantwortung nicht aushalten können, denn das Maieutische ruht doch immer in menschlicher Klugheit, sei diese noch so sehr in Furcht und Zittern geheiligt und geweiht. Gott wird dem Maieutiker zu mächtig und dann ist der Maieutiker ein Zeuge, nur darin verschieden von dem unmittelbaren Zeugen, dass er es durchlaufen hat, es zu werden.427

Der Maieutiker muss unter christlichen Bedingungen schließlich zum Zeugen werden, er muss reduplizierend einstehen für das, was er will – damit ist der in Gesichtspunkt und Wirksamkeit formulierte bergang zur direkten Mitteilung begründet. Zugleich wird die maieutische Anlage des Werks in ihrer berechtigten, aber eben dienenden Funktion innerhalb der Christenheit nochmals bestätigt. Damit ist endgültig das ,christlichmaieutische Modell‘ festgeschrieben, das sich polemisch gegen eine ,Einbildung‘ richtet – und zwar bemerkenswerterweise gerade in partieller Abgrenzung von Sokrates. Im dritten Absatz bezieht Kierkegaard, obgleich er dem Anschein nach ,neutral‘ den Maieutiker analysiert, auch wieder die ,persönliche‘ Dimension der Mitteilungsfrage mit ein: Das Maieutische ist letztlich bloß menschliche Klugheit und steht als solche in der Gefahr, sich zu ,überheben‘. Das Heraustreten des Maieutikers aus der Verborgenheit hingegen bezeichnet sein Erzogenwerden – abermals ein zentraler Aspekt des Gesichtspunkts. Mit diesem Reflexionsschritt ist die im Gesichtspunkt gegebene Werkstruktur in ihren wesentlichen Aspekten herausgebildet, seine Auffassung der Mitteilung hergeleitet und der Entschluss zur direkten Mitteilung über das Indirekte gefasst. Freilich wird der Gedanke von Kierkegaard noch weiter hin- und hergewendet und in einigen Hinsichten nuanciert. Die Aufzeichnungen NB6:69 – 71 etwa erheben den Einwand, die Reflexion sei „doch wohl auch eine Gabe Gottes“.428 Kierkegaard beantwortet diese Frage, indem er die Berechtigung der Reflexion als Mittel aufzeigt – darin ist auch die Wendung ,Mitteilung in Reflexion‘, die besonders in der Wirksamkeit zentral ist, vorgeprägt. Im Verlauf dieser Aufzeichnungen fällt auch eine präzisierende Bemerkung zu den Erbaulichen Reden: „Und was nun mich angeht, da hat es doch nicht an Zeugenschaft gemangelt. Alle meine erbaulichen Reden sind ja in direkter Mitteilung.“429 Es zeigt sich, dass Kierkegaard immer deutli427 NB6:68 (T 3, 53 / SKS 21, 50). Vgl. hierzu Bohlin Sçren Kierkegaards etiska sk dning, S. 85 f. 428 NB6:69 (T 3, 53 / SKS 21, 50). 429 NB6:69 (T 3, 54 / SKS 21, 51).

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

cher einzelne Formulierungen des späteren Gesichtspunkts ausschärft: Dass auch die frühen Reden eine direkte Mitteilungsform darstellen, war zuvor derart explizit noch nicht festgehalten worden. Nach einer weiteren Durchprüfung der Berechtigung von Reflexion heißt es in NB6:70 nochmals: „Nein, dies ist in seiner Ordnung. Aber hingegen steht es doch fest, dass einmal bestimmt und direkt eine Erklärung darüber mitgeteilt werden soll, wie ich mich in meiner Schriftstellerei verstehe.“430 ,Mich und meine Verfasserschaft‘ – damit ist die Zusammengehörigkeit von persönlicher Mitteilung in eigener Sache und direkter Mitteilung über die Struktur des Werks festgehalten. Die Bedenken, die dieser Schritt zuletzt in NB6:62 hervorgerufen hatte, sind ganz zurückgetreten – sie kommen im weiteren Verlauf des Journals nur noch am Rande auf und ziehen den hier gefassten Entschluss nicht mehr in Zweifel.431

430 NB6:70 (SKS 21, 53). 431 Anlässlich dieser ,Bedenken‘ ist noch auf einen weiteren ,Faktor‘ der Reflexion in NB6 zu verweisen, der hier nur knapp angezeigt werden kann: das Verhältnis zu Rasmus Nielsen (vgl. hierzu im Ganzen Jon Stewart „Rasmus Nielsen: From the Object of ,Prodigious Concern‘ to a ,Windbag‘“ in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Bd. 1: Philosophy, Politics and Social Theory (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, 7.1), hrsg. v. Jon Stewart, Aldershot u. a. 2009, S. 179 – 213). Kierkegaard hat offensichtlich, wie in NB4 angedacht, versucht, Nielsen gegenüber eine ,direkte Mitteilung an einen anderen Menschen‘ zu geben. Entsprechend behandeln die Reflexionen über das Verhältnis zu Nielsen in NB6 vornehmlich den Unterschied zwischen einem Verstehen durch eine solche direkte Mitteilung und einem Verstehen ,aus eigener Kraft‘, das allein aus der indirekten Mitteilung gewonnen ist. Kierkegaard kommt zu dem Ergebnis, dass Nielsen ihn und sein Werk offensichtlich nur aufgrund der direkten Mitteilung verstehe und deshalb ,falsch‘ verstehe (vgl. NB6:76-NB6:78 (T 3, 56 – 59 / SKS 21, 58 – 60)). In diesem Zusammenhang verwendet auch Kierkegaard wieder den ,Reduplikations‘-Begriff im Sinne der indirekten Mitteilung: „Ja, gut, das heißt er verstand es nicht in der Reduplikation, er verstand es in direkter Mitteilung“ (NB6:76 (T 3, 56 / SKS 21, 58)). – Zu diesem Kontext gehört auch die Eintragung NB6:80 (SKS 21, 61), die den viel versprechenden Titel trägt: „Der Unterschied zw. der direkten und der indirekten Mitteilung“. Kierkegaard hält sich hier ganz in der Bahn von NB2:17 und NB5:147, wo er die Praxis und den Betrug des Ironikers behandelt hatte. Die Aufzeichnung verdeutlicht wiederum, dass eine direkte Mitteilung für ein wesentliches Verstehen nicht ausreicht; der ,Empfänger‘ versteht die Sache nicht, solange er sie nicht aus sich selbst versteht. Bemerkenswerterweise bezieht Kierkegaard diese durch das Verhältnis zu Nielsen aufgekommenen Bedenken gegen eine direkte Mitteilung nicht auf seinen eigenen Entschluss zu einer solchen – obgleich sie die zuvor geäußerten Zweifel eigentlich wieder aufbringen und verstärken müssten.

4. Die Herausbildung des Gesichtspunkts – Das Journal NB6

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In NB6:74 und NB6:87 wird die symmetrische Struktur des Werks nochmals präziser und nuancierter gefasst: Ja[,] so war das doch gut mit der Herausgabe jenes kleinen Artikels. Ich begann mit Entweder – Oder – und zwei erbaulichen Reden; nun endet es damit, nach der ganzen Entwicklung des Erbaulichen – dann ein kleiner ästhetischer Aufsatz. Das drückt aus: dass es das Erbauliche, das Religiöse war, das hervor sollte, und dass nun das Ästhetische zurückgelegt ist, das entspricht einander umgekehrt [oder das ist wie eine umgekehrte Konfrontation], um zu zeigen, dass es nicht ein ästhetischer Schriftsteller war, der im Verlauf der Jahre älter geworden wäre, und aus diesem Grund religiös geworden wäre.432

Hier ist die Zielstruktur des Werks erstmals festgehalten, der teleologische Zug des Mitteilungsbegriffs in Gesichtspunkt und Wirksamkeit. Dass das erbauliche und religiöse Werk von 1847/48 zielhaft zum Ausdruck bringt, was ,hervor sollte‘, war zuvor noch nicht explizit notiert worden. Und auch der Ausgangspunkt der ,Schriften über sich selbst‘ wird nun in Bezug auf den ,ästhetischen Artikel‘ ausdrücklich fixiert: Die Struktur des Werks ,beweist‘, dass der Verfasser sich nicht mit den Jahren verändert und sich etwa vom ästhetischen zum religiösen Schriftsteller gewandelt hat; diese ,Täuschung‘ verhindern die Erbaulichen Reden am Anfang und der ästhetische Artikel am Ende. In diesem Sinne heißt es auch in NB6:87, wo die ,Mittelstellung‘ der Nachschrift erstmals benannt ist: Und nun steht das Ganze dann dialektisch richtig: Entweder – Oder und zwei erbauliche Reden – abschließende Nachschrift – 2 Jahre hindurch nur erbauliche Reden und dann ein kleiner Artikel über eine Schauspielerin. Der Sinnentrug darüber, dass ich zufälligerweise älter geworden wäre und deshalb entscheidend religiöser Schriftsteller ist unmöglich gemacht. Wäre ich zuvor gestorben, so wäre die Wirksamkeit von zwei Jahren zweideutig geworden, und das Ganze schwankend. –433

Eine letzte Eintragung aus NB6 ist in diesem Zusammenhang ausführlicher zu zitieren, weil sie die Position des Maieutikers präzisiert und die ,Motivation‘ zur Abfassung des Gesichtspunkts nochmals beleuchtet. Die Notiz NB6:81 beginnt mit einer Bestätigung des Plans zur direkten Mitteilung: „Ja, folgendermaßen bleibt es: dann einmal eine direkte Erklärung meiner Schriftstellerei und was ich in toto will.“434 Und weiter heißt es: 432 NB6:74 (T 3, 54 / SKS 21, 56); die Einfügung ist die Marginalie NB6:74.a. 433 NB6:87 (SKS 21, 65). 434 NB6:81 (SKS 21, 61). Vgl. die Parallelstelle in NB6:76 (T 3, 57 / SKS 21, 59): „Und nun kommt die Reihe an eine direkte Mitteilung und Auffassung meiner

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Im Verhältnis zum entscheidend Christlichen kann man die Verantwortung nicht in der Zwischenbestimmung seiner menschlichen Reflexion tragen. Und wie das, wozu ich im Ganzen tendiert habe: die Restitution des Einfältigen ist, dann ist dies ein wesentlich Dazugehörendes, dass dann derjenige, der es dorthin bringt, nicht selbst wieder die Künste des Maieutischen benutzt; dies ist sogar in einem gewissen Sinne ein Widerspruch. Dies gilt von dem, was man in toto will, dass es direkt und deutlich dasteht; etwas anderes ist es, was für denjenigen, der nun einmal die Reflexions-Überlegenheit hat, nicht zu umgehen ist, dass man sie im Einzelnen gebrauchen kann, aber innerhalb der direkten Beglaubigung dessen, was man in toto will. Es ist auch im Verhältnis zum Christlichen gefährlich, es in suspenso zu halten, ob man sich denn nicht selbst entschieden an das Christliche gebunden fühlt: wie sehr man auch der Sache des Christentums diente, das ist eine unchristliche Art und Weise, es zu tun, wenn auch eine Zeit lang brauchbar und relativ berechtigt, eben weil die Christenheit Heidentum geworden ist. Es zweifelhaft zu halten, was man selbst in toto will, das ist das eigtl. Maieutische. Aber das ist auch das Dämonische, denn es heißt doch, einen Menschen zur Zwischenbestimmung zwischen Gott und anderen Menschen zu machen. Um dieses Maieutische zu verhindern, ist die direkte Mitteilung, ein Bezeugen ein für alle Mal das Entscheidende. Das Maieutische heißt nicht, in diesem oder jenem rätselhaft zu sein, sondern rätselhaft zu sein in Bezug auf das Totale. So rätselhaft zu sein in Bezug darauf, ob man nun selbst ein Christ ist oder nicht.435

Und Kierkegaard fügt in einer Randnotiz zum Maieutischen ein doppeltes Argument hinzu: Das Maieutische verbirgt eigtl., dass Gott derjenige ist, der das Ganze bewegt. Aber auf der anderen Seite, im Gegensatz dazu, dass es in der Christenheit mit diesem Wissen eine Trivialität geworden ist, wie alles andere es [auch] geworden ist, konnte das Maieutische seine Bedeutung haben.436

schriftstellerischen Wirksamkeit. Was ich dann zu sagen habe über das Ästhetische und mich als religiösen Schriftsteller, der es benutzt hat, wäre doch zu einem gewissen Grad eine Versicherung gewesen od. dazu geworden: jener kleine Artikel ist ein ganz anderes Argument zur Beglaubigung und Konfrontation“. – Beide Aufzeichnungen machen recht deutlich, dass Kierkegaard von einem zuknftig auszuführenden Plan spricht; ein Manuskript des Gesichtspunkts liegt zu diesem Zeitpunkt augenscheinlich noch nicht vor. Vgl. dazu auch die Interpretation von NB7:13 unten, II.3.6. 435 NB6:81 (SKS 21, 62). Vgl. zum ,Dämonischen‘ auch NB6:71 (SS, 160 f. / SKS 21, 53). 436 NB6:81.a (SKS 21, 62).

4. Die Herausbildung des Gesichtspunkts – Das Journal NB6

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In dieser Aufzeichnung, die in geklärter Stimmung den vorherigen Reflexionsverlauf überblickt, wird abschließend nochmals die Struktur deutlich, die sich in NB6 herausbildet: Das Maieutische kann einerseits nicht die letzte Form sein, verbirgt es doch ,unchristlich‘ das eigentlich Gewollte und Gott als die ,Lenkung‘ des Ganzen. Um dieser ,dämonischen‘ Verborgenheit durch ,Bezeugen‘ entgegenzutreten, ist der Übergang in die direkte Mitteilung des Gewollten nötig – und doch ist andererseits das Maieutische in der (heidnischen) Situation der Christenheit relativ berechtigt und zeitweilig als Mittel zu gebrauchen. Das frühe, pseudonyme Werk erhält gleichsam nur im Nachhinein seine Berechtigung – durch eine direkte Mitteilung des Gewollten, die es als Ganzes umschließt.437 Das Heraustreten aus dem Indirekten erscheint hier deshalb als notwendig, weil das Maieutische schlechthin im Zweifel lässt, wie der Mitteiler selbst zum Christentum steht – und zudem ,überhebt‘ sich der maieutisch Mitteilende, weil er sich, so ,gottesfürchtig‘ sein Verfahren auch sein mag, zur Zwischenbestimmung im Gottesverhältnis seiner ,Schüler‘ macht. Und noch eine letzte Bestimmung aus Gesichtspunkt und Wirksamkeit wird hier eingeführt: So wie das ganze Werk die ,Restitution der Einfalt‘ beabsichtigt, so muss auch korrespondierend die Mitteilung aus Reflexion und Maieutik hinausführen zur Einfalt – zu der direkten Mitteilung. Damit ist die Struktur des Gesichtspunkts ergriffen.438 Das Journal NB7 wird das hier entwickelte Modell nochmals bestätigen und den endgültigen Entschluss zur schriftlichen Ausarbeitung einer direkten Darstellung festhalten. In dieses Journal aber spielen Aspekte einer Schrift hinein, an 437 Allerdings ist hier eine Zweideutigkeit zu konstatieren: Kierkegaard notiert nämlich auch, derjenige, der die ,Reflexionsüberlegenheit‘ besitze, dürfe das Maieutische innerhalb einer direkten Beglaubigung durchaus ,im Einzelnen‘ verwenden. So erscheint auch noch eine zuknftige Verwendung der indirekten Form legitimiert. 438 Bemerkenswerterweise fällt eine zentrale Bestimmung aus Wirksamkeit und Gesichtspunkt hier und auch im folgenden Journal NB7 nicht: die Wendung ,Hineinbetrügen in das Wahre‘, die bereits in den Taten der Liebe und der letzten Fassung des Buchs ber Adler gebraucht worden war. Im Ganzen verwendet Kierkegaard den Ausdruck ,Betrug‘ in diesen beiden Journalen nicht in seiner ,positiven‘, maieutischen Bedeutung, sondern durchgehend als ,Sinnentrug‘ der Christenheit, vereinzelt auch als ,Betrug an Gott‘; die einzige Ausnahme ist die Notiz zur Praxis des Ironikers in NB6:80 (SKS 21, 61). Offensichtlich ist Kierkegaard tatsächlich erst bei der Abfassung des Gesichtspunkts auf diese Formel zurückgekommen.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

der Kierkegaard zeitgleich zu NB6 arbeitet, und die deshalb zuvor in den Blick zu nehmen ist: die Einbung im Christentum.

5. Reduplikation vs. Doppelreflexion – Die Einbung im Christentum Dass der Mitteilungsbegriff der Einbung im Christentum unmittelbar dem Horizont von NB6 entspringt, legt sich schon durch die Entstehungsgeschichte desjenigen Teils nahe, der die Frage der Mitteilung behandelt, die spätere Nr. II der Einbung mit dem Titel „Selig, der sich nicht an mir rgert“. Obgleich Kierkegaard die Einbung in ihren drei Teilen erst 1850 publiziert, entsteht der zweite Teil schon Sommer 1848 – und offensichtlich wird seine Niederschrift vom Journal NB6 vollständig umfasst: Den ersten Plan zum Werk notiert Kierkegaard in NB6:25, und schon in NB6:74 heißt es, der Text sei abgeschlossen.439 Auch findet sich in NB6 eine Passage, die gerade mitteilungstheoretisch auf diese im Entstehen befindliche Schrift zu beziehen ist. In der eben gegebenen Interpretation des Journals ist eine Notiz zurückgestellt worden, die in gewisser Weise zur dortigen Gedankenentwicklung quer steht, die Eintragung NB6:65. Dort heißt es: Ich habe nun sehr viel an Anfechtung erlitten betreffs des Gedankens, inwiefern man direkte Mitteilung verweigern darf, oh, von diesem Furcht und Zittern haben doch vielleicht nur wenige Mschen eine Vorstellung […]. Und sieh, dann ist das eben etwas, das ich gebrauchen soll, um das Ärgernis im Verhältnis zum Gott-Mschen darzustellen.440

Im unmittelbaren Kontext der Aufzeichnung ist weder vom Ärgernis, noch vom Gott-Menschen und auch nicht ausdrücklich vom ,Verweigern‘ der direkten Mitteilung die Rede441 – die Eintragung bezieht sich eben auf den entstehenden zweiten Teil der Einbung. Aufgrund dieser Verflechtung überrascht es denn auch nicht, dass die zentrale mitteilungstheoretische Bestimmung der Einbung direkt aus NB6 übernommen ist: der Begriff der Reduplikation. 439 Vgl. NB6:25 (T 3, 40 / SKS 21, 22 f.) u. NB6:74 (T 3, 55 / SKS 7, 56). 440 NB6:65 (T 3, 52 / SKS 21, 49). 441 Kierkegaard denkt hier wohl vornehmlich an die oben interpretierte Eintragung NB6:61, die zum Schluss auch auf die „Schrift über das Ärgernis, an der ich arbeite“, verweist (NB6:61 (SKS 21, 45)).

5. Reduplikation vs. Doppelreflexion – Die Einbung im Christentum

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Die Einbung beschränkt sich allerdings nicht auf eine bloße Wiederholung dessen, was in NB6 entfaltet wird – und gerade dort, wo sie von der im Journal notierten Struktur abweicht, zeigt sich das ,Problem‘ ihrer Mitteilungskonzeption. Das Pseudonym der Schrift, Anti-Climacus,442 stellt nämlich der Reduplikation einen zweiten Terminus aus dem ,Arsenal‘ von Kierkegaards Mitteilungsbegriffen an die Seite – und es handelt sich dabei nicht, wie NB6 nahe legen würde, um die Maieutik, sondern um einen Begriff, der seit der Nachschrift zusehends zurücktritt: die Doppelreflexion. 443 Dies ist nun insofern problematisch, als sich der Horizont, in dem Kierkegaards Mitteilungsreflexion 1848 steht, von dem des Climacus 1845 wesentlich unterscheidet: Wurde dort dem ,existenzvergessenen‘ objektiven Denken die indirekt-doppeltreflektierte Mitteilung als notwendige Form des für die eigene Existenz interessierten subjektiven Denkers entgegengestellt – so richtet sich Kierkegaards Aufmerksamkeit ab 1846 immer deutlicher auf den Konnex von reduplikativer Verdopplung der Lehre in Existenz und bedingt berechtigter, bloß taktisch in der Christenheit zu gebrauchender maieutisch-indirekter Mitteilung. In der Tat ist auch dieser Unterschied in der Einbung darin sichtbar, dass Anti-Climacus die Doppelreflexion und die Reduplikation als zwei unterschiedliche Formen der Mitteilung explizit voneinander abhebt. Es wird sich allerdings zeigen, dass diese Unterscheidung in wesentlichen Hinsichten unklar bleibt. Zudem hält Anti-Climacus die Differenz der beiden Mitteilungsformen nicht konsequent durch – vielmehr werden die Doppelreflexion und die Reduplikation miteinander vermischt. Diese Vermischung hat offensichtlich einen doppelten Grund: Sie ist einerseits dadurch bedingt, dass Kierkegaard im Ganzen die verschiedenen Positionen, die der Begriff der Reduplikation einnehmen kann, nicht klar voneinander unterscheidet: Die Differenz zwischen der Reduplikation als Verdopplung des Gelehrten in der Existenz und der reduplikativen 442 Kierkegaard hat sich zu der Pseudonymsetzung erst spät entschlossen (vgl. zu den ersten beiden Teilen der Einbung NB12:7 (SKS 22, 149)). Er schreibt aber rückblickend, die Schrift sei von vornherein „dichterisch“ angelegt gewesen (NB14:12 (SKS 22, 350 f.)) und gebraucht auch später selbst den Namen des Pseudonyms, wenn er von dem Werk spricht. Um der Einheitlichkeit willen wird im Folgenden ebenfalls der Name des Pseudonyms verwendet. Vgl. zum Pseudonym selbst die Interpretation der Krankheit zum Tode, unten, IV.3.1.c). 443 Der Begriff wird nochmals knapp im Vorlesungsfragment behandelt (vgl. oben, II.3.2.d)); darüber hinaus wird er an keiner Stelle seit 1846 in signifikant mitteilungstheoretischem Sinne verwendet.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Verdopplung des Inhalts in der Form (eben der Doppelreflexion) wird nicht durchgehend als solche festgehalten – und dies gilt bemerkenswerterweise gerade für die Einbung, die als einziges Werk den Unterschied zwischen Reduplikation und Doppelreflexion ausdrücklich thematisiert. Dass die Einbung die Nuancen des Mitteilungsbegriffs nicht konsequent unterscheidet, ist andererseits aber auch dadurch begründet, dass die Mitteilungsfrage hier nur beiherspielend in den Blick kommt. Der Fokus der Untersuchung liegt auf einer anderen, sachlichen Problematik, nämlich dem Gott-Menschen als ,Zeichen des Widerspruchs‘ und ,Möglichkeit des Ärgernisses‘.444 Der Begriff der Mitteilung wird – obgleich er in der entsprechenden Passage durchgehend Verwendung findet – im Grunde nur zur Beleuchtung dieses Zusammenhangs herangezogen und ist nicht als solcher Gegenstand der Darstellung.445 Aus den genannten Gründen prägt sich in der Einbung – ähnlich dem Vorlesungfragment – kein eigenständiger und klar konturierter Mitteilungsbegriff aus, wie dies etwa in der Nachschrift, dem Gesichtspunkt und, trotz aller Schwankungen und Sprünge, auch im Journal NB6 der Fall ist. Während dort jeweils ein konsistenter ,Fragehorizont‘ auszumachen ist, der einen bündigen und in sich strukturierten Mitteilungsbegriff entstehen lässt, sind die Reflexionen zur Mitteilung in der Einbung loser und kursorischer – ohne dabei an die berechnet-experimentierende Nachlässigkeit des Climacus heranzureichen. Dies bedeutet freilich keineswegs, dass sich der Mitteilungskonzeption der Einbung nicht im Einzelnen erhellende Hinweise entnehmen lassen. Insbesondere ist hervorzuheben, dass Anti-Climacus den Begriff der Reduplikation hier auf einen ,Gegenstand‘ bezieht, der sonst an keiner Stelle in Kierkegaards Werk explizit mitteilungstheoretisch untersucht wird: War in NB6:13 noch offen geblieben, ob die ,Reduplikation‘ auf den einzig wahren 444 Vgl. hierzu und zur Verbindung dieses Gedankens mit der Mitteilungstheorie Pattison Kierkegaard: The Aesthetic and the Religious, S. 87 – 93; Pierre Bühler „,Modsigelsens Tegn‘. Eine kleine christologische Semiotik“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2010, S. 117 – 128. 445 Im Bezug auf das Ärgernis findet sich übrigens bei Anti-Climacus das Bild des ,Rückstoßes‘ im Indirekten, das im Titel dieser Untersuchung verwendet worden ist: „Die Mitteilung beginnt also mit einem Rückstoß. Aber mit einem Rückstoß zu beginnen, heißt die direkte Mitteilung zu verweigern“ (EC, 134 / SKS 12, 143); vgl. Deuser Sçren Kierkegaard. Die paradoxe Dialektik des politischen Christen, S. 50. Anti-Climacus meint hier allerdings nicht die Gegenwendigkeit der unabgeschlossenen Methode, sondern die zurück- und abstoßende Wirkung, die ein nicht unmittelbar Zugängliches auf den Empfänger ausübt.

5. Reduplikation vs. Doppelreflexion – Die Einbung im Christentum

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Lehrer, d. i. auf Christus, oder auf einen menschlichen Lehrer des Christentums verweist, so stellt die Einbung ausdrücklich den Gott-Menschen ins Zentrum. Bemerkenswerterweise erhält dabei die konsequente indirekte Mitteilung wieder höchste Relevanz – während sie zeitgleich im Journal NB6 in einer ,relativ berechtigten‘ Maieutik aufgeht und der direkten Mitteilung untergeordnet wird. Diese eigentümliche Spannung macht nicht nur einmal mehr deutlich, wie flexibel und kontextbezogen Kierkegaards konkrete Bestimmung der Mitteilung ist, sie hat auch für die Mitteilungsreflexion nach dem Gesichtspunkt wesentliche Bedeutung: Die ,Höherbewertung‘ der indirekten Mitteilung in den späten Journalen und Entwürfen ab 1849 orientiert sich an dem Modell der ,absolut indirekten Mitteilung‘ des Gott-Menschen, und nicht zufällig verweisen diese Texte oftmals explizit auf die Einbung zurück. Vor diesem Hintergrund ist die Einbung in zwei Schritten auszulegen: Zunächst ist der Kontext, in dem Anti-Climacus seine Reflexionen zur Mitteilung entfaltet, anzuzeigen (a), sodann gilt es, die Distinktion der zwei Mitteilungsformen nachzuvollziehen (b).446

a) Der Gott-Mensch als ,Zeichen des Widerspruchs‘ Der Gedankengang des hier auszulegenden Abschnitts, „Gedankliche Bestimmung des rgernisses, das heißt des wesentlichen rgernisses“, lässt sich vorab in aller Kürze folgendermaßen anzeigen:447 Der Gott-Mensch ist ,Zeichen des Widerspruchs‘ (§ 1) und ,Inkognito‘ (§2). Insofern beide Bestimmungen dem Gott-Menschen wesentlich sind, ist in ihm keine direkte Mitteilung gegeben – denn eine solche würde gerade die Aufhebung des Widerspruchs bedeuten. Diese ,Unmöglichkeit der direkten Mitteilung‘ (§ 3) fasst Anti-Climacus als ,Geheimnis der Leiden in Christo‘ (§ 4), nämlich als die Leiden einer Innerlichkeit, die sich nicht direkt äußern kann und mithin ,verborgen‘ bleiben muss. Indem aber derart die 446 Der Mitteilungsbegriff der Einbung ist von der Forschung kaum gesondert untersucht worden; zumeist wird er im Zusammenhang mit anderen Schriften behandelt. Vgl. bes. Bejerholm „Meddelelsens dialektik“, S. 245 f.; Müller Søren Kierkegaards kommunikationsteori, S. 67 – 72; vgl. auch die unten, in b) genannte Literatur. 447 Vgl. EC, 117 – 140 / SKS 12, 128 – 147. Vgl. zum Begriff des Ärgernisses und seiner Stellung innerhalb der Einbung Hermann Deuser „Einbung im Christentum: Kritische Anmerkungen zu Kierkegaards Theologie“ [1988] in ders. „Was ist Wahrheit anderes als ein Leben fr eine Idee?“, S. 73 – 89, hier S. 78 – 82.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

direkte Mitteilung verweigert wird, zeigt sich die ,Möglichkeit des Ärgernisses‘ (§ 5). Sie besteht darin, dass ein direktes Verhältnis zum Mitteilenden unmöglich ist – und weil kein ,Wissen‘ von ihm erlangt werden kann, fordert der Gott-Mensch den ,Glauben‘ (§ 6). Schließlich ist der Gott-Mensch, gerade weil in ihm die Möglichkeit des Ärgernisses liegt, zugleich auch selbst der ,Gegenstand des Glaubens‘ (§ 7). Die ,Unmöglichkeit der direkten Mitteilung‘ in § 3 ist also eine Übergangsbestimmung innerhalb des Gedankengangs: Sie ergibt sich aus dem ,Zeichen des Widerspruchs‘ und dem ,Inkognito‘, und leitet ber zu den folgenden Begriffen ,Ärgernis‘ und ,Glauben‘. In der Tat zieht Anti-Climacus in allen Schritten immer wieder beiläufig den Mitteilungsbegriff zur Erluterung heran; so beginnt die Konklusion der beiden ersten Paragraphen mit dem Satz: „Man sieht leicht, dass die direkte Mitteilung eine Unmöglichkeit ist“.448 Die erste ausführliche Passage zum Mitteilungsbegriff findet sich im Vorgang der eigentlichen Untersuchung. Sie steht im Kontext einer Polemik gegen die ,Verwirrung der Moderne‘: Man bilde sich aufgrund der Vermengung von Christentum und Spekulation ein, das Christentum sei „lauter direkte Mitteilung, in seiner Einfalt noch direkter als die tiefsinnigen Dictata des Professors.“449 Es zeigt sich sogleich, dass AntiClimacus die Kritik seines pseudonymen Gegenpols Johannes Climacus am ,Dozieren‘ teilt. Diese polemische Behandlung der direkten Mitteilung ist gerade in Bezug auf NB6 bemerkenswert: Hatte sich dort das für den Gesichtspunkt wesentliche affirmative Verständnis einer direkten Mitteilung ausgeprägt, nämlich als bezeugendes Einstehen für das Gewollte, so wird hier zeitgleich in der Einbung die Kritik an der direkten Mitteilung als ,Dozieren‘ reaktiviert. Diese Engführung findet sich in NB6 an keiner Stelle – so wie umgekehrt in der Einbung nirgends eine ,positive‘ Auffassung der direkten Mitteilung nachzuweisen ist. Die an das Zitat anschließende Erläuterung macht hingegen die Verbindung zu NB6 sichtbar, fokussiert sie doch auf den dort erstmals in aller Schärfe gefassten Begriff der Reduplikation: Sinnlos ist es vergessen, dass der Lehrer hier [im Christentum] wichtiger ist als die Lehre. Überall, wo es der Fall ist, dass der Lehrer ein wesentlich Dazugehörendes ist, gibt es eine Reduplikation, die Reduplikation liegt eben darin, dass der Lehrer mit dabei ist; aber überall, wo es Reduplikation gibt, ist die Mitteilung auch nicht ganz direkt Paragraphen- oder Professoren-Mit448 EC, 127 / SKS 12, 136; vgl. die Variante in EC, 121 / SKS 12, 131. 449 EC, 117 / SKS 12, 128.

5. Reduplikation vs. Doppelreflexion – Die Einbung im Christentum

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teilung; dadurch in dem Lehrer redupliziert, dass er in dem existiert, was er lehrt, ist sie eine sich auf mannigfache Weise verschieden gestaltende Kunst. Und wenn nun der Lehrer, der untrennbar von der und wesentlicher als die Lehre ist, ein Paradox ist, dann ist alle direkte Mitteilung unmöglich.450

Aus diesem ,Auftakt‘ lassen sich bereits die Eigentümlichkeiten der Mitteilungskonzeption der Einbung entwickeln. Zunächst ist die Art und Weise, in der die Mitteilung ins Spiel kommt, für den gesamten Text charakteristisch: Anti-Climacus geht vom ,Lehrer‘ aus, gibt eine mitteilungstheoretische Digression und erlutert durch diese Abschweifung sein zentrales Thema, zu dem er am Ende der Partie zurückkehrt. Mithin wird sichtbar, dass die Mitteilung nicht als solche Gegenstand der Untersuchung ist, sondern dem leitenden Gedanken untergeordnet bleibt: Der Gott-Mensch ist das Paradox, und insofern ist eine direkte Mitteilung unmöglich. Sodann zeigt sich hier auch, welcher Begriff der Mitteilung in der Einbung zentral ist. Der Passus führt die aus NB6 bekannte Grundbedeutung der Reduplikation an: die existenzielle Verdopplung der Lehre im Lehrer. Sichtlich steht hier die in NB6:56 gegebene Bestimmung des Christentums als ,Existenzmitteilung‘ Pate, und derart verbindet sich die Climacussche Polemik gegen das Dozieren als direkte Mitteilung mit dem erst kurz zuvor in seiner starken Bedeutung festgehaltenen Begriff der Reduplikation. Das ,Problem‘ aber liegt in der mittleren Passage des Zitats: AntiClimacus bestimmt nämlich die Reduplikation als eine ,sich auf mannigfache Weise verschieden gestaltende Kunst‘ – und mithin genau so, wie Climacus die Doppelreflexion aufgefasst hatte. Dies aber bedeutet einen wesentlichen Unterschied gegenüber NB6 und der ,Herausbildung des Gesichtspunkts‘: Bezeichnete dort nämlich die (,existenzielle‘) Reduplikation die ,Motivation‘ zur direkten Mitteilung – so soll hier nun offensichtlich die Reduplikation selbst eine indirekte Mitteilungsform sein, und dies in einer Bestimmung, die sichtbar auf die Nachschrift zurückverweist. Es ist aber zunächst nicht einzusehen, mit welchem Recht die Reduplikation der Lehre im Lehrer eine künstlerische und überhaupt eine indirekte Mitteilung genannt werden kann: Eine ,Verdopplung‘ des Gelehrten in Existenz scheint eher das Gegenteil einer zweideutigen Mitteilungskunst zu sein. Hier schon wird sichtbar, dass Anti-Climacus zwei Aspekte des Mitteilungsbegriffs überblendet, ohne deren Verhältnis explizit zu klären. 450 EC, 117 / SKS 12, 128 f.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Die gleiche Unschärfe zeigt sich auch von einer anderen Seite: Es ist nicht hinlänglich deutlich, welche der gegebenen Bestimmungen sich allein auf den Gott-Menschen beziehen, und welche auch den menschlichen Mitteilenden betreffen. Anti-Climacus trennt nicht klar zwischen dem Fall Christi, der als Lehrer wesentlicher ist als die Lehre, und dem ,allgemeineren‘ Fall, „dass der Lehrer ein wesentlich Dazugehörendes ist“ und mithin gleichfalls eine Reduplikation gefordert ist. Es kann kaum gemeint sein, der Gott-Mensch selbst verwende eine ,mannigfach sich gestaltende Kunst‘ – diese Bemerkung ist offenkundig der Sphäre menschlicher Mitteilung entnommen. In der Tat ist auch die Begrndung für die Unmöglichkeit der direkten Mitteilung im Gott-Menschen weder aus der zweideutigen ,Kunst‘ der Mitteilung, noch auch unmittelbar aus der ,existenziellen‘ Reduplikation abgeleitet: Sie liegt vielmehr präzise darin, dass dieser Lehrer ein Paradox ist. So aber gewinnt weder der menschliche Mitteiler klar Kontur – der Maieutiker, den man im Kontext von NB6 erwarten müsste, wird hier nicht genannt – noch ist deutlich, worin genau die indirekte Mitteilung des Gott-Menschen im Unterschied zur menschlichen Mitteilung besteht. Diese doppelte Unklarheit prägt sich im Besonderen auch in § 1 aus, „Der Gott-Mensch ist ein Zeichen des Widerspruchs“. Hier verwendet Anti-Climacus unter der Hand Bestimmungen der Doppelreflexion, um den Gott-Menschen zu beschreiben – wohingegen das ,eigentlich‘ leitende Theorem der Reduplikation zunächst zurücktritt. Der Paragraph entwickelt die eben schon zitierte Formel näher: Bei einem ,Paradox‘ oder einem ,Zeichen des Widerspruchs‘ ist die direkte Mitteilung unmçglich – unmöglich deshalb, weil sie die Widersprüchlichkeit gerade ,aufheben‘ müsste. Diesbezüglich gibt Anti-Climacus eine Erläuterung, die sich als solche durchaus auch in Climacus’ Nachschrift finden könnte: Eine Mitteilung, die die Einheit von Scherz und Ernst ist, ist derart ein Zeichen des Widerspruchs. Sie ist keine direkte Mitteilung, es ist unmöglich für den Empfänger, direkt zu sagen, was hier was ist, eben weil der Mitteiler nicht direkt entweder Scherz oder Ernst mitteilt. Der Ernst liegt im Verhältnis zu dieser Mitteilung deshalb an einer anderen Stelle, oder an zweiter Stelle, liegt darin, den Empfänger selbsttätig zu machen – rein dialektisch verstanden der höchste Ernst im Verhältnis zur Mitteilung.451

Die Zweideutigkeit der Mitteilung um der Selbsttätigkeit des Empfängers willen: Diese Struktur ist zweifelsohne bereits durch den Begriff der Doppelreflexion abgedeckt. Es liegt nahe, die zitierte Passage im Sinne 451 EC, 119 / SKS 12, 130.

5. Reduplikation vs. Doppelreflexion – Die Einbung im Christentum

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eines häufig von Kierkegaard verwendeten Verfahrens zu lesen – nämlich als Analogie, die die göttliche Sphäre durch eine parallele Bewegung aus dem menschlichen Bereich beleuchten soll.452 Diese Analogiebildung kann aber allenfalls in sehr formaler Hinsicht die indirekte Mitteilung des Gott-Menschen erläutern; die Unmöglichkeit eines direkten Verstehens im Gott-Menschen muss sich von der genannten Scherz-Ernst-Dialektik qualitativ unterscheiden. Es heißt hier nämlich bloß, dass ,der Mitteiler nicht direkt entweder Scherz oder Ernst mitteilt‘; der Gott-Mensch aber ist selbst der Widerspruch und teilt diesen nicht bloß mit. Überdies fokussiert das Beispiel auf den Empfnger, und der leitende reduplikative Gedanke tritt zurück – dass nämlich der Lehrer wesentlicher ist als die Lehre. Es drängt sich der Eindruck auf, dass das spezifische Thema des Abschnitts eine doppelte Verknüpfung evoziert: Dass der Gott-Mensch als ,Zeichen des Widerspruchs‘ keine direkte Mitteilung ist, lässt die Polemik gegen das Dozieren wieder scharf hervortreten – und zugleich werden unter der Hand Bestimmungen aus der Nachschrift wiederbelebt, die seit 1846 kaum noch Spuren im Werk hinterlassen haben. Das Problem dieser Verquickung ist Anti-Climacus selbst offensichtlich nicht gänzlich entgangen – versucht er doch die zwei Formen der Mitteilung, die sich hier ineinander mischen, wieder zu trennen.

452 Dafür sprechen auch die zwei Partien der Einbung, in denen beiläufig nun doch der Maieutiker auftritt (vgl. EC, 124 – 126, 136 – 138 / SKS 12, 134 f., 144 – 146). Dieser wird allein als Beispiel für ein indirektes Verhältnis zwischen Mensch und Mensch angeführt – ohne dass die in NB6 virulente Frage nach der spezifischen Funktion des Maieutischen in der Christenheit diskutiert würde. Anti-Climacus variiert in diesen Passagen, was Kierkegaard zuvor in den Journalen über die ,Praxis‘ des Ironikers notiert hatte (vgl. NB2:17 (SKS 20, 147), NB5:147 (T 3, 30 / SKS 20, 428), NB6:80 (SKS 21, 61)). Am Beispiel von Sympathie (in Bezug auf das ,Inkognito‘) und Liebe (in Bezug auf den ,Glauben‘) zeigt er den Unterschied zwischen einer direkten Mitteilung, die unmittelbar sagt, was sie ist, und der indirekten Mitteilung, die dies verbirgt. Dabei spielt Anti-Climacus wieder die Konstellation durch, dass dem Empfänger die indirekte Mitteilung direkt erklärt wird, der Mitteilende sich danach aber wieder ins Inkognito versetzt – und erst hier zeige sich, ob der Empfänger wirklich verstanden hat. In beiden Partien übrigens betont Anti-Climacus – wie auch gleich in der Erläuterung der Doppelreflexion –, er lasse offen, ob ein Mensch zu einem solchen Verhalten berechtigt sei.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

b) Die zwei Formen der indirekten Mitteilung Nachdem Anti-Climacus entwickelt hat, dass eine direkte Mitteilung dem Gott-Menschen unmöglich ist, wendet er sich in § 3 ihrem Gegenteil zu – der indirekten Mitteilung. Hier nun werden zwei Formen der Mitteilung unterschieden. Da Kierkegaards Mitteilungsreflexion äußerst selten derart ,griffige‘ Distinktionen an die Hand gibt, ist diese ,Zweiteilung‘ des Mitteilungsbegriffs von der Forschung wiederholt aufgenommen worden, bisweilen in der Annahme, sie stelle eine Grundunterscheidung dar, die sich auch auf andere Texte Kierkegaards bruchlos übertragen lasse.453 Demgegenüber soll im Folgenden gezeigt werden, dass auch diese Differenzierung einer bestimmten Perspektive und einer konkreten Situation entspringt, und mithin als eine regionale und kontextuelle Distinktion zu lesen ist. Anti-Climacus orientiert die Unterscheidung von Doppelreflexion und Reduplikation an dem leitenden Gedanken der Schrift, eben dem Gott-Menschen als Zeichen des Widerspruchs. Dabei wird die Doppelreflexion vornehmlich als Abgrenzungsbegriff eingeführt und mithin nicht aus sich selbst heraus und in ihrer Stärke entfaltet; auch spielen in ihre Erläuterung Aspekte hinein, die auf den Horizont von Kierkegaards Selbstreflexion in NB6 verweisen. Zudem wird die Reduplikation allein in Bezug auf den Gott-Menschen präzise bestimmt; wie eine menschliche Form reduplikativer Mitteilung im Detail zu fassen wäre, bleibt undeutlich. Um diese ,Kontextualität‘ der Unterscheidung aufzuzeigen, ist genau darauf zu achten, wie die Abgrenzung der beiden Formen voneinander jeweils vorgenommen und begründet wird. 1. Die erste Form der Mitteilung bestimmt Anti-Climacus folgendermaßen: Die indirekte Mitteilung kann eine Kunst der Mitteilung sein, indem sie die Mitteilung verdoppelt. Die Kunst besteht dann eben darin, sich selbst, den Mitteiler, zu Niemand zu machen, rein objektiv, und dann ohne Unterbrechung qualitative Gegensätze in Einheit zu setzen. Dies ist was einige pseudonyme Verfasser die Doppel-Reflexion der Mitteilung zu nennen pflegen.454 453 Vgl. bes. Poole Kierkegaard. The Indirect Communication, S.13 f., der diese Distinktion zu einem der Ausgangspunkte seiner Untersuchung macht. Instruktiv zu dieser Distinktion sind Lübcke „Kierkegaard and Indirect Communication“, S. 33 – 37 und Hagemann Reden und Existieren, S. 44 – 50; vgl. auch Taylor „Language, Truth, and Indirect Communication“, S. 84 f. 454 EC, 127 f. / SKS 12, 137.

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Anti-Climacus benennt hier erstmals die Doppelreflexion als solche und bezieht sie auf das frühe Werk; mit ,den Pseudonymen‘ kann im Grunde nur eines gemeint sein: Johannes Climacus. Bemerkenswert ist aber nun, wie diese Form eingeführt wird, nämlich in zweifacher Hinsicht: Einerseits wird die Doppelreflexion als Kunst und Zweideutigkeit bestimmt, als ,Verdopplung der Mitteilung‘. Andererseits aber liegt der Ausgangspunkt der Bestimmung offenbar im Mitteiler, und zwar in dessen Verschwinden. Das Modell der doppeltreflektierten Mitteilung ist also nicht, wie in der Nachschrift, der subjektive, für seine eigene Existenz interessierte Denker – die Doppelreflexion wird vielmehr als Umkehrung der Reduplikation gedacht: Sie ist gerade das nicht, was für die Reduplikation wesentlich ist, nämlich Verdopplung in der und durch die Existenz des Mitteilenden. Hier wird nun im Detail sichtbar, dass Anti-Climacus die Doppelreflexion nicht um ihrer selbst willen thematisiert. Sie ist zwar in ihrer eigenen Bestimmung noch angedeutet, die Kontrastierung der beiden Mitteilungsbegriffe aber ist je schon auf den zweiten Begriff ausgerichtet: die Reduplikation. Zur Erläuterung der Doppelreflexion führt nun Anti-Climacus zwei Beispiele an. Das erste ist in § 1 schon vorweggenommen worden – die Dialektik von Scherz und Ernst: Es ist z. B. indirekte Mitteilung: Scherz und Ernst derart zusammenzusetzen, dass die Zusammensetzung ein dialektischer Knoten ist – und dann selbst Niemand zu sein. Will jemand mit dieser Art Mitteilung zu tun haben, so muss er selbst aus sich selbst den Knoten lösen.455

Die Ineinssetzung der qualitativen Gegensätze meint demnach die Zweideutigkeit der indirekten Mitteilung, und zwar – wie schon in § 1 – als aneignungslogische Struktur, die auf die Selbsttätigkeit des Empfngers abzielt. Diese ,Empfänger‘-Fokussierung ist gerade im Vorblick auf den folgenden Begriff der Reduplikation festzuhalten, der sich allein auf den Mitteiler richtet. Zugleich gibt Anti-Climacus in der Bestimmung der Zweideutigkeit eine zwar knappe, aber doch erhellende Erläuterung der Doppelreflexion: Sie besteht nicht darin, einen auch direkt darstellbaren Gedanken verhüllt mitzuteilen, wie Climacus dies seinerseits in der Unterscheidung von Ausdruck und Form der Mitteilung angedeutet hatte. Vielmehr übergibt der Mitteilende dem Empfänger eine schlechthin zweideutige Mitteilung. Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass auch diese Bestimmung auf den Leitgedanken der Einbung gemünzt ist: 455 EC, 128 / SKS 12, 137.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Anti-Climacus hat den ,Widerspruch‘ des Gott-Menschen im Sinn und fasst so die Doppelreflexion als Ausdruck eben dieser Widerspruchsform. Wie schon im ,Dialektik‘-Fragment macht das Beispiel der Doppelreflexion deutlich, dass Kierkegaards Mitteilungsbegriffe keineswegs ,stabil‘ sind – sie passen sich je nach Kontext in die verhandelte Struktur ein. Die Orientierung am Leitgedanken der Einbung zeigt sich zudem auch darin, dass die Doppelreflexion weiterhin als Gegenbild an die Reduplikation geknüpft ist: Der sich zurücknehmende Mitteiler ist ein Niemand. Höchst aufschlussreich ist nun das längere zweite Beispiel, das AntiClimacus anführt: Oder, Verteidigung und Angriff derart in Einheit zu bringen, dass niemand direkt sagen kann, ob man angreift oder verteidigt, so dass beide, der eifrigste Anhänger der Sache und ihr ärgster Feind meinen können, einen Alliierten in Einem zu erkennen – und dann selbst Niemand zu sein, ein Abwesender, ein objektives Etwas, kein persönlicher Mensch. Wenn derart zu einer gegebenen Zeit der Glaube wie von der Welt verschwunden ist, etwas, wonach man unter abhanden gekommenen Sachen suchen müsste, dann kann es vielleicht, um den Glauben dialektisch zu locken, nützlich sein – doch dies entscheide ich nicht, ob es nützlich sein kann; aber hier ist ein Beispiel für indirekte Mitteilung, oder Mitteilung in der Doppel-Reflexion: man stellt den Glauben in eminentem Sinne dar, man macht die Darstellung derart, dass der Orthodoxeste eine Verteidigung des Glaubens sieht, und der Freidenker einen Angriff, während der Mitteilende [eine] Null ist, kein Mensch, ein objektives Etwas – aber vielleicht ein geschickter Spion, der mit Hilfe der Mitteilung zu wissen bekommt, wer denn wer ist, wer der Gläubige ist, wer der Freidenker; denn dies wird offenbar, indem sie die Hervorbringung beurteilen, die weder der Angriff noch die Verteidigung ist.456

Auf der Seite des ,Mitteilers‘ wiederholt das Beispiel das Vorhergehende: Er nimmt sich zurück, wird ein Niemand und ein ,objektives Etwas‘. Auf der ,Empfänger‘-Seite ist allerdings eine Modifikation festzustellen: Es geht im Beispiel nicht mehr darum, den Empfänger zur aneignenden Selbstttigkeit anzureizen, er soll vielmehr ,offenbar werden‘ in dem, was er ist. Das gesamte Szenario führt offensichtlich vom leitenden Gedanken der Einbung fort, ohne aber deshalb schlechthin kontextlos zu sein. In der Tat nämlich speist das Beispiel in den Begriff der Doppelreflexion die Aufgabe ein, die Kierkegaard selbst zeitgleich im Journal NB6 als die seine erkennt: in einem indirekten Verfahren das Verhältnis der Christenheit zum Christentum zu prüfen. Es ist auf den ersten Blick erkennbar, dass hier – nur spärlich verhüllt durch den bekannten Kunstgriff der Hypothese – 456 EC, 128 / SKS 12, 137.

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Gedanken aus NB6 aufgegriffen werden, etwa der Spion aus NB6:5 oder das Loggen der Fahrt aus NB6:61. Auch spielt die Dialektik von ,Angriff und Verteidigung‘ auf den ersten Teil der Einbung an.457 Mithin wird die Doppelreflexion hier mit einer Fragestellung aufgeladen, die sich bei Climacus in dieser Weise noch nicht findet; das Beispiel ist also eine ,Aneignung‘ oder ,Aktualisierung‘ eines früheren Mitteilungsbegriffs. Dabei spiegeln sich in Anti-Climacus’ experimentierender Wendung, er lasse unentschieden, ob das genannte Verfahren ntzlich sei, in verfremdeter Form die in NB6 notierten Zweifel Kierkegaards, ob ein solches Vorgehen berechtigt sei. Diese Frage wird auch in der Einbung noch deutlicher, nämlich im § 6, wo nun bezeichnenderweise doch explizit das Maieutische ins Spiel kommt: Im Verhältnis zwischen Mensch und Mensch muss und soll der eine Mensch sich mit der Versicherung des anderen begnügen, dass er ihm glaubt; kein Mensch hat [das] Recht dazu, sich für den anderen Menschen zum Gegenstand des Glaubens zu machen. Soll der eine Mensch im Verhältnis zum anderen die dialektische Verdopplung gebrauchen, dann soll er sie ja genau umgekehrt maieutisch gebrauchen, eben um dem zu entgehen, einem anderen Menschen der Gegenstand des Glaubens oder eine Approximation dazu zu werden. Die dialektische Doppelheit ist das Vorläufige; die Unwahrheit kommt absolut mit dem Nächsten, wenn dann ein Mensch, anstatt die dialektische Doppelheit eben zum Parieren zu benutzen, das Vermessene zulässt, dass er einem anderen Menschen der Gegenstand des Glaubens wird. Aber selbst das Maieutische betreffend entscheide ich nicht, inwiefern es, christlich verstanden, zu billigen ist.458

Deutlicher noch als in NB6 wird hier die ,Gefahr‘ sichtbar, die im Maieutiker liegt, nämlich die, sich einem anderen Menschen zum Glaubensgegenstand zu machen. Der zitierte Passus geht allerdings von dem Verhältnis ,zwischen Mensch und Mensch‘ aus, und nur zum Schluss ist kurz auf die Frage nach der Berechtigung der Maieutik im Christlichen hingedeutet. Anti-Climacus lässt sie abermals unentschieden, weist aber in der Formulierung, die ,dialektische Doppelheit‘ sei ,das Vorläufige‘, schon auf die relative Berechtigung des Maieutischen hin – eines Maieutischen freilich, das im Sinne von NB6 ,nicht die letzte Form‘ sein kann. 457 Vgl. zu diesem Zusammenhang Diem Die Existenzdialektik von Sçren Kierkegaard, S. 98 – 105. 458 EC, 138 / SKS 12, 145 f. – Ohne Bezug auf das pseudonyme Werk oder das Maieutische verwendet Anti-Climacus in der Einbung Nr. III (die allerdings wohl 1848/49 nach dem Gesichtspunkt ausgearbeitet worden ist) auch beiläufig die Formel vom ,Hineinbetrügen in das Wahre‘, vgl. EC, 181 / SKS 12, 189.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Im Ganzen zeigt sich also in dreifacher Weise die kontextuelle Gebundenheit von Anti-Climacus’ Bestimmung der doppeltreflektierten Mitteilungsform: zunächst erstens in der durchgehenden Definition des Begriffs durch das ,Ausfallen‘ des Mitteilers, das sichtbar schon auf das ,Hinzugehören‘ des Mitteilers in der Reduplikation vorausdeutet, und zweitens in der Orientierung an der Widerspruchsform des Gott-Menschen. In diesen Hinsichten ist das Verständnis der Doppelreflexion offenkundig auf den Leitgedanken der Einbung bezogen. Drittens aber verweisen die Beispiele für die Doppelreflexion über den Horizont der Einbung hinaus und auf Kierkegaards Selbstreflexion in NB6: Sie transportieren in ihrer Ausrichtung am christlich-maieutischen Modell Kierkegaards dort entwickeltes Verständnis des Indirekten und zugleich seine Zweifel an der Berechtigung eines solchen Verfahrens. Zwar nennt Anti-Climacus auch einen zentralen Aspekt der Mitteilungskonzeption aus der Nachschrift, nämlich die aneignungslogische Pointe der zweideutigen Form, die dem Empfänger kein ,einfaches‘ Resultat hinterlässt. Climacus’ zentraler Gedanke aber, dass ein ,existenzielles‘ Denken sich in Abstoßung vom ,objektiven Denken‘ wesentlich in der doppeltreflektierten Form zu vollziehen habe, wird nicht in seiner Stärke entwickelt. Dies zeigt sich insbesondere in dem zuletzt zitierten Passus: Die ,dialektische Doppelheit‘ ist ein bloß ,Vorläufiges‘ und darf allein negativ, nämlich zum ,Parieren‘ eingesetzt werden. 2. Dass Anti-Climacus’ Distinktion der Mitteilungstypen zur Erläuterung seines zentralen ,Gegenstandes‘ dient, wird dann aus der zweiten Form der „indirekte[n] Mitteilung“ vollends klar. Diese tritt hervor „durch das Verhältnis zwischen der Mitteilung und dem Mitteiler“: Hier ist also der Mitteiler mit dabei, während er im ersten Fall ausgelassen war, aber wohlgemerkt durch eine negative Reflexion. Unsere Zeit jedoch kennt eigentlich keine andere Art der Mitteilung als jene mäßige: zu Dozieren. Man hat rein vergessen, was Existieren heißt. Alle das Existieren betreffende Mitteilung fordert einen Mitteiler; der Mitteiler ist nämlich die Reduplikation der Mitteilung, in dem, was man versteht, zu existieren, heißt zu reduplizieren.459

Damit ist freilich gegenüber der schon eingangs gegebenen Definition der Reduplikation nichts wesentlich Neues gesagt. Das Zitat macht aber endgültig klar, dass gerade die Stellung des Mitteilers zur Mitteilung den Unterschied beider Formen ausmacht: Die Differenz besteht darin, dass 459 EC, 128 / SKS 12, 137 f.

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dieser in der einen Form fehlt, in der anderen aber wesentlich ,mit dabei‘ ist. Dieser Fokus wird schon dadurch deutlich, dass der Empfnger in der reduplikativen Bestimmung gänzlich ausfällt. Unklar ist hingegen nach wie vor, inwiefern die Reduplikation überhaupt eine Form der Mitteilung genannt werden kann, und insbesondere eine indirekte Mitteilung. Dazu macht Anti-Climacus an dieser Stelle eine aufschlussreiche Anmerkung: Aber weil ein Mitteiler da ist, der selbst in dem existiert, was er mitteilt, deshalb kann man doch diese Mitteilung noch nicht indirekte Mitteilung nennen. Ist hingegen der Mitteiler selbst dialektisch bestimmt, sein eigenes Sein eine Reflexions-Bestimmung, dann ist alle direkte Mitteilung unmöglich. So mit dem Gott-Menschen. Er ist ein Zeichen, das Zeichen des Widerspruchs, er ist in Unkenntlichkeit, also ist alle direkte Mitteilung unmöglich.460

In dieser Passage und insbesondere in der conclusio „So mit dem GottMenschen“ zeigt sich nun das Ziel von Anti-Climacus’ Ausführungen: Die Mitteilungserläuterung ist im Ganzen auf den Gott-Menschen ausgerichtet, der beides zugleich ist: Einerseits ist er qua ,Lehrer‘ die reduplikative Verdopplung der Lehre – andererseits ist er qua ,Zeichen des Widerspruchs‘ die Unmöglichkeit der direkten Mitteilung und deshalb indirekte Mitteilung. Trotz des erläuternden Zusatzes von Anti-Climacus aber bleiben wesentliche Fragen offen. Unklar ist insbesondere, wie die beiden Formen der Mitteilung sich im Detail zueinander verhalten. Folgt man nämlich der Definition des reduplikativen Mitteilungsbegriffs, nach der eine jede existenzielle Mitteilung den Mitteiler fordere – so ist eben die Doppelreflexion offenkundig keine existenzielle Mitteilung. Dann allerdings wäre es unverständlich, inwiefern Anti-Climacus zuvor beständig auf die Doppelreflexion hat zurückgreifen können. Zwar zeigt die Erläuterung, der Mitteiler sei „durch eine negative Reflexion“ ausgeschlossen, dass die Doppelreflexion den Mitteiler nicht – wie etwa das ,Dozieren‘ – einfach ,vergisst‘, sondern ihn um der Aneignung willen gleichsam subtrahiert. Dies vermag aber die Reduplikationsforderung nicht zu entkräften: Ist das ,Dazugehören‘ des Mitteilers das definiens der existenziellen Mitteilung, so kann die Doppelreflexion nicht mehr als Paradigma der Existenzmitteilung gelten.461 Diese Unschärfe in der 460 EC, 128 f. / SKS 12, 138. 461 Allerdings lässt die Passage noch eine andere Interpretation zu: Es heißt hier, das Reduplizieren bedeute, in dem zu existieren, was man versteht – und es ist durchaus

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Mitteilungskonzeption der Einbung zeigt einmal mehr, dass die Distinktion der zwei Formen im Horizont des späteren Mitteilungsverständnisses formuliert ist und den Begriff der Nachschrift nicht in seiner Stärke wiedergibt. Auch spiegelt sich hier die Aporie aus Kierkegaards Reflexion in NB6, die einerseits das Maieutisch-Indirekte als berechtigte Form ausweisen will, andererseits aber das ,Bezeugen‘ des Mitteilers als notwendig betrachtet. Die abschließende Pointe von NB6 fehlt hier allerdings noch: Das bezeugende Heraustreten aus dem Indirekten wird vom doppeltreflektierten Mitteiler in der Einbung nicht gefordert. Obgleich der Fokus zweifelsohne auf der reduplikativen Gestalt liegt, stehen sich beide Formen ,axial‘ als verschiedene Möglichkeiten des Indirekten gegenüber, ohne dass Anti-Climacus ausdrücklich eine ,Zuständigkeitsbestimmung‘ oder eine ,Wertung‘ vornehmen würde. Noch auf ein weitere Unschärfe ist an dieser Stelle hinzuweisen: Offenbar erscheint es nämlich nicht sinnvoll, die beiden Formen der Mitteilung trennscharf zwischen dem menschlichen Mitteiler und dem Gott-Menschen derart aufzuteilen, dass ersterem die Doppelreflexion, letzterem die reduplikative Form zukäme. Die Reduplikation wird zwar auf den Gott-Menschen als einzig wesentlichen ,Lehrer‘ bezogen, bleibt aber doch nicht auf ihn beschränkt – eine durch ,Dazugehören‘ des Mitteilers definierte existenzielle Mitteilung kann auch die Mitteilung zwischen Mensch und Mensch sein. Dann aber fragt sich, ob und inwiefern auch die menschlich-reduplikative Mitteilung wesentlich indirekt ist. Es kann kaum gemeint sein, dass der Mensch in der Weise vom GottMenschen zu unterscheiden ist, dass er undialektisch bestimmt wäre und seine Mitteilung daher direkt sein müsste. Die einzige andere mögliche Konsequenz wäre dann aber, dass auch das menschliche Subjekt als in sich reflektiertes wesentlich nur indirekte Mitteilung gebrauchen könnte – dies aber hatte Kierkegaard in NB6 als ,Selbstüberhebung‘ abgewiesen. Dass die in der Einbung gegebene Distinktion der beiden ,Möglichkeiten‘ des Indirekten zu Konsequenzen führt, die Anti-Climacus nicht selbst ausdrücklich macht und die er auch nicht im Sinn haben kann, macht nochmals deutlich, dass eine in sich reflektierte Analysis verdenkbar, dass auch der sich zurücknehmende doppeltreflektierte Mitteiler in dem existiert, was er versteht. Die ,Reduplikation‘ wäre in diesem Fall das SichZurückbeugen des Mitteilers auf die eigene Existenz, wie sie etwa das ,Dialektik‘Fragment gedacht hatte, und nicht die Reduplikation im prononcierten Sinne des ,Einstehens für die Lehre‘. Dann aber wäre der wesentliche Unterschied beider Formen zurückgenommen.

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schiedener Mitteilungsbegriffe nicht sein zentrales Anliegen ist. Die Erläuterung der Mitteilung soll vornehmlich dazu dienen, den Gedanken des ,Gott-Menschen‘ zu beleuchten und ist diesem untergeordnet. Abschließend ist festzuhalten: Die Unschärfen im Mitteilungsbegriff der Einbung sind wesentlich dadurch bedingt, dass Anti-Climacus mit der Mitteilungsform des Gott-Menschen eine Struktur behandelt, die weder der Nachschrift, noch NB6 und dem Gesichtspunkt entspricht – aber dennoch deren Mitteilungsbegriffe in diese Fragestellung überträgt und dabei überblendet. Die Reflexion fügt so drei letztlich inkommensurable Konzeptionen ineinander: 1) Die Nachschrift fragt vom Menschen her nach der korrekten Methode einer Existenzansprache; 2) in NB6 stehen sich zwei Pole entgegen: die indirekte Mitteilung des Maieutikers in der Christenheit und die Reduplikation als Forderung, die an ihn ergeht; 3) im Gott-Menschen aber fallen schlechthin indirekte Mitteilung und Reduplikation zusammen. Die Analogie zwischen Menschlichem und Göttlichem, die Kierkegaard sonst zur bildhaften Erläuterung dient, trägt hier eher zur Unklarheit bei: Die schlechthin indirekte Mitteilung des Gott-Menschen müsste von der kunstvoll-doppeltreflektierten wie auch von der christlich-maieutischen menschlichen Mitteilung qualitativ unterschieden werden. Im Ganzen ist die Mitteilungskonzeption der Einbung in zwei Hinsichten zu bestimmen: Einerseits enthält sie ein methodisch unklares Konglomerat mehrerer, miteinander inkommensurabler Mitteilungsbegriffe. Andererseits ist sie zwar eine ,Abzweigung‘ aus NB6, sofern sie vom Begriff der Reduplikation ausgeht; sie bezeichnet aber zugleich einen ,Sonderweg‘, indem sie die Mitteilungsform des Gott-Menschen selbst ins Zentrum stellt. Bemerkenswert ist dabei, dass im Unterschied zu NB6 die schlechthin indirekte Mitteilung – oder, wie es sogleich in NB7 heißen wird: die absolut indirekte Mitteilung – als eine berechtigte Form erscheint. Dieses Motiv wird in den Reflexionen nach dem Gesichtspunkt wiederkehren – und dessen ,kanonische‘ Interpretation der Mitteilung verschieben.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

6. Die Abfassung des Gesichtspunkts – Das Journal NB7 Das Journal NB7, das Kierkegaard zwischen dem 21. August und dem 26. November 1848 führt,462 schließt nahtlos an die Reflexionen von NB6 an: Mehrfach kommt Kierkegaard auf den ,kleinen Artikel‘ zu sprechen und hebt dessen Bedeutung für das neu gewonnene Verständnis der Werkstruktur hervor.463 Schon in NB7:13 fällt dann der endgültige Entschluss zur Abfassung des Gesichtspunkts. Nach diesem Entschluss tritt die Mitteilungsfrage in NB7 beinahe gänzlich zurück; im Folgenden gilt also das Interesse den ersten Aufzeichnungen des Journals. Wesentliche Elemente werden der in NB6 entwickelten Mitteilungsstruktur nicht mehr hinzugefügt. Kierkegaard macht aber einige aufschlussreiche Notizen, die auf die Einbung verweisen; zudem zeigt sich in NB7, und mithin nur kurz vor der Abfassung des Gesichtspunkts, eine unterschwellige ,Gegenbewegung‘ zu dem dort formulierten Übergang in die direkte Mitteilung. Darin wird deutlich, dass die Frage für Kierkegaard noch keineswegs endgültig geklärt ist. Diese beiden Aspekte gilt es kurz anzuzeigen. Schon die erste mitteilungstheoretische Aufzeichnung enthält die genannte ,Gegenbewegung‘ zur direkten Mitteilung und verweist zugleich zurück auf die Einbung. Dort hatte Anti-Climacus von einem ,Ernst an zweiter Stelle‘ gesprochen – einem Ernst, der sich nicht unmittelbar ausdrückt, sondern gleichsam ,hinter‘ der doppeltreflektierten Spannung von Ernst und Scherz liegt. In eben diesem Sinne notiert Kierkegaard in NB7:5: Der indirekte Ernst ist in einem Sinne (dialektisch) weit ernsthafter […]. Wenn es denn zuerst einmal gegeben ist, dass dieser oder jener Mann Ernst oder Ernsthaftigkeit ist, dann wird ein Sinnentrug das Unterstützende. Eben deswegen gehört dann Mut und Selbstverleugnung dazu, auf diese Art [von] Assistenz und Bequemlichkeit Verzicht zu leisten.464

462 Das Journal umspannt also bei etwa gleichem Umfang knapp den dreifachen Zeitraum von NB6. Offenbar hat Kierkegaard in diesem Zeitraum vornehmlich an anderem gearbeitet – insbesondere eben an dem Gesichtspunkt. 463 Vgl. NB7:6 (SKS 21, 78), NB7:9 (SKS 21, 80), NB7:11 (T 3, 69 f. / SKS 21, 81 f.). Auch der zweite ,externe Faktor‘ aus NB6, das Verhältnis zu Rasmus Nielsen, wird wieder ausführlich bedacht, vgl. NB7:6 (SKS 21, 78 f.), NB7:7 (SKS 21, 79), NB7:9 (SKS 21, 80), NB7:10 (T 3, 68 / SKS 21, 81), NB7:114 (T 3, 97 / SKS 21, 139). 464 NB7:5 (SKS 21, 78).

6. Die Abfassung des Gesichtspunkts – Das Journal NB7

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Schon in NB6:24 und NB6:30 hatte Kierkegaard die Sorge geäußert, er erscheine aufgrund der rein erbaulichen bzw. christlichen Schriftstellerei der letzten zwei Jahre als ,der Ernste‘ – hier kommen diese Bedenken wieder auf, ohne dass sie allerdings explizit auf die Frage einer direkten Mitteilung über sich bezogen würden. Dennoch zeigt diese Notiz, dass die Vorbehalte gegen eine unmittelbare Darstellung keineswegs vollständig entkräftet sind.465 Die nächste mitteilungstheoretische Notiz NB7:8 widmet sich gleichfalls der indirekten Form; sie schließt sowohl an die Einbung als auch an das zum Ende von NB6 entwickelte Modell an. Kierkegaard greift hier den Gedanken einer ,absolut indirekten Mitteilung‘ des Gott-Menschen auf und notiert zunchst, die Verwendung einer solchen Form durch einen menschlichen Mitteiler sei unzulässig und ,dämonisch‘. Diese Bestimmung findet sich auch schon in NB6 – die folgenden Reflexionen kommen allerdings zu bemerkenswerten ,Ergebnissen‘, die von dem dort entwickelten Modell erheblich abweichen: Absolut indirekte Mitteilung verhält sich doch dazu, mehr als [ein] Mensch zu sein, und deswegen hat kein Msch [das] Recht dazu, sie zu gebrauchen. Der Gott-Msch kann nicht anders, weil er [um] eine Qualität vom Menschsein verschieden ist. Im Heidentum gibt es das Dämonische, [es] kann aber in der Christenheit keinen Platz finden. Sobald ein Msch. entscheidend im Charakter eines Christen ist, darf er das Dialektische nicht so hoch spannen, dass er die Möglichkeit des Ärgernisses setzt. Der Gott-Mensch kann es nicht anders, eben weil er der Gegenstand des Glaubens ist. Im Heidentum konnte deshalb die abstrakte indirekte Mitteilung wohl gebraucht werden, weil die Möglichkeit des Ärgernisses nicht da war. Und so auch im Verhältnis zur Christenheit (die so weit davon entfernt ist, lauter Christen zu sein, sondern eher Heidentum) von dem, der nicht absolut in den Charakter getreten ist, Christ in entscheidendem Sinne zu sein. Denn wenn die Proportionen diese sind, kann das Ärgernis nicht mehr werden als eine Art Erweckung.466

465 Diese ,Gegenbewegung‘ zeigt sich etwa auch noch in NB7:28 (SS, 161 f. / SKS 21, 90 f.), wo Kierkegaard nochmals Einwände gegen eine ,Öffnung gegenüber anderen‘ bedenkt: Das Leben werde ihm zwar weniger ,anstrengend‘; ein solcher Schritt könnte aber zugleich auch ,herabziehend‘ wirken. 466 NB7:8 (T 3, 68 / SKS 21, 79). Die Aufzeichnung ist in lateinischer Schrift notiert. – Hier fällt wieder die Wendung ,at være i Characteer‘ (wörtl. ,im Charakter sein‘) und ,at træde i Characteren‘ (wörtl. ,in den Charakter treten‘), offensichtlich ohne die Konnotation des Schauspielers aus NB2:17 und NB5:147.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Diese rätselhafte Eintragung gliedert sich in drei Schritte: Im ersten Schritt wird die absolut indirekte Mitteilung – eine Wendung, die hier erstmals fällt – bezüglich des menschlichen Mitteilers abgewiesen; sie kommt allein dem Gott-Menschen zu. Kierkegaard führt also den Leitgedanken der Einbung mit einer Bestimmung aus NB6 zusammen und macht damit eine Differenzierung geltend, die sich in dieser Deutlichkeit bei AntiClimacus nicht findet: eine ,Verteilung‘ verschiedener Mitteilungsformen auf die göttliche und menschliche Sphäre. Die im zweiten Absatz wiederholte Formulierung, der Gott-Mensch ,könne nicht anders‘, fasst die indirekte Mitteilung geradezu als ,Nötigung‘; hier denkt Kierkegaard offensichtlich an § 4 der Einbung über die ,Leiden in Christo‘. Bemerkenswerterweise heißt es aber am Ende des ersten Abschnitts, das Dmonische sei zwar im Heidentum gegeben, es könne aber in der Christenheit nicht vorkommen. Zunächst ist unklar, was mit dieser Bestimmung gemeint ist; sie wird erst im dritten Absatz ausgeführt. Offensichtlich ist der Satz folgendermaßen zu interpretieren: Die Christenheit ist selbst Sinnentrug und in sich reflektiert, d. h. zweideutig – das Christentum ist ,offiziell‘ da und doch nicht da. Angesichts dieser Doppeldeutigkeit der ,Situation‘ ist das Dämonische als verborgene Innerlichkeit nicht möglich; es wäre allein möglich als berechtigtes im Heidentum, und als unberechtigtes angesichts eines ,offenbaren‘ Christentums. Ist diese Auslegung zutreffend, so ist allerdings die zuerst gegebene Zurückweisung der ,absolut indirekten Mitteilung‘ durch einen menschlichen Mitteiler eingeschränkt; sie wäre gerade in Kierkegaards ,Fall‘ nicht mehr gültig. Vor diesem Hintergrund macht der zweite Absatz eine bemerkenswerte Einschränkung geltend. Formal wiederholt Kierkegaard die Bewegung des ersten Schritts: Die ,absolut‘ indirekte Mitteilung wird für den Menschen abgewiesen, sie kommt nur dem Gott-Menschen zu. Allerdings wird für das ,Verbot‘ der indirekten Mitteilung eine Bedingung eingeführt: Sie darf von demjenigen nicht mehr gebraucht werden, der sich zum Christentum bekannt hat. Damit ist aber ein zentrales Argument aus NB6 geradewegs umgekehrt: Dort hieß es etwa in NB6:68, das Maieutische in der Christenheit sei zwar zeitweilig berechtigt, der Maieutiker müsse aber unter christlichen Vorzeichen letztlich zum Zeugen werden; und Kierkegaard hatte in NB6:66 festgehalten, er selbst dürfe die indirekte Mitteilung zuknftig nicht mehr gebrauchen. Die Bewegung geht also in NB6 vom Maieutischen zur Zeugenschaft. Hier aber wird von dem Eintreten für das Christliche auf das Maieutische geblickt, und das Maieutische erscheint unter diesen Umständen – und nur unter diesen – als

6. Die Abfassung des Gesichtspunkts – Das Journal NB7

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unberechtigt: nämlich als Setzen des Ärgernisses, als anmaßliche Verwechslung mit dem Gott-Menschen. In dieser Betrachtungsrichtung fehlt dann aber die Notwendigkeit zum Übergang in die direkte Mitteilung: Ein Mitteiler in der Christenheit kçnnte auch im Indirekten verbleiben; die Forderung der ,Zeugenschaft‘ in NB6 ist in dieser Perspektive nicht zu begründen.467 Der dritte Schritt bestätigt diese Interpretation. Hier heißt es zunächst, die ,abstrakte‘ indirekte Mitteilung468 konnte im Heidentum verwendet werden, weil dort die Möglichkeit des Ärgernisses nicht gegeben war. Entscheidend ist allerdings, dass Kierkegaard die indirekte Mitteilung nun auch in der Christenheit als berechtigt ausweist: Ist der Mitteiler noch nicht entscheidend für das Christliche eingetreten, ,darf‘ er offensichtlich sogar das rgernis setzen, führt doch dieses in der ,heidnischen‘ Christenheit allenfalls zu einer ,Erweckung‘. Diese Pointe ist angesichts des Vorherigen wenigstens irritierend. Augenscheinlich denkt Kierkegaard allein an die Wirkung einer rein indirekten Mitteilung im Horizont der Christenheit – dass aber die Setzung des Ärgernisses eine Anmaßung des Mitteilers gegenüber Gott darstellt, wird hier nicht mehr gesehen. Gerade im Vergleich mit NB6:81, wo Kierkegaard notiert hatte, der Maieutiker könne die ,Verantwortung‘ für sein Tun gegenber Gott nicht tragen, erscheint diese Auslassung verwunderlich. Man wird die zitierte Eintragung wohl als doppeltes ,Denkexperiment‘ interpretieren dürfen: Einerseits lotet Kierkegaard aus, welche Form der Mitteilung er berechtigtermaßen verwenden dürfte, sofern er ,entscheidend‘ für das Christliche eingetreten wäre – und hier scheidet offensichtlich die indirekte Mitteilung aus. Andererseits aber scheint Kierkegaard weiterhin zu erwägen, sich im Indirekten zu halten und keine direkte Mitteilung über sich zu geben – und in der Perspektive der Notiz NB7:8 erweist sich auch diese Möglichkeit als berechtigt. Dieses rätselhafte Experiment steht allerdings in NB7 isoliert und als abgebrochener 467 Auch widerspricht dies der Notiz NB6:81. Dort war gesagt worden, innerhalb der ,direkten Beglaubigung‘ dürfe derjenige, der über die ,Reflexionsüberlegenheit‘ verfüge, im Einzelnen das Maieutische verwenden. 468 In welchem Sinne Kierkegaard hier die indirekte Mitteilung als ,abstrakt‘ bezeichnet, ist nicht eindeutig auszumachen. Womöglich denkt er an die Distinktion der Einbung und die dort gegebene Erläuterung der Doppelreflexion als ,Verschwinden‘ des Empfängers. ,Abstrakt‘ hieße dann diejenige Form der indirekten Mitteilung, in welcher der Mitteiler nicht reduplizierend-bezeugend für das ,Gewollte‘ einsteht.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Versuch da; in der folgenden Entwicklung wendet Kierkegaard sich nun wieder der direkten Mitteilung zu und schließt unmittelbar an NB6 an. Die folgende Notiz NB7:9 blickt nochmals zurück auf das in NB6 gewonnene neue Selbstverständnis. Die Eintragung verbindet den schon im vorherigen Journal präsenten Gedanken an den eigenen Tod mit der Frage nach der Publikation der bereitliegenden Schriften – gemeint sind offenbar insbesondere die ersten beiden Teile der Einbung und die Krankheit zum Tode. Kierkegaard schreibt, er habe „doch allzu schwermütig und wehmütig Trost im Gedanken an den Tod gesucht“ und im Grunde gehofft, der Tod werde „meine neuen Bücher nachgelassene Schriften werden lassen“. Und hieran anschließend heißt es, in Bezug auf die Mitteilungsfrage: „Wäre ich vorher gestorben, wäre ich doch eigtl. in einer Unklarheit gestorben, weil ich mich nicht bestimmt darin selbst verstanden hätte, wie ich es tun wollte, ob überhaupt direkte Mitteilung richtig wäre, ob es eine Schwäche od. eine Stärke von mir wäre. […] Nun habe ich zu wissen bekommen, was ich soll und was ich will.“469 Die in NB6 notierten Überlegungen haben also für Kierkegaard offensichtlich geklärt, dass eine direkte Mitteilung geboten ist; sie erscheint hier als eine ,Stärke‘ und als notwendiger Schritt. Da aber von der direkten Mitteilung im Allgemeinen die Rede ist, bleibt unklar, was konkret mit diesem ,Schritt‘ gemeint ist: Einerseits ist es möglich, dass Kierkegaard die direkte Mitteilung über sich und sein Werk mit den bereit liegenden Schriften verbindet, und meint, eine Erklärung über das von ihm ,Gewollte‘ sei die Bedingung für die Publikation der ,christlichen‘ Werke. Dieser Gedanke wird sogleich explizit notiert werden und passt auch zu den vorherigen Reflexionen; insofern ist diese Auslegung wohl sachgemäß. Es ist aber andererseits auch möglich, dass Kierkegaard hier die ,christlichen‘ Werke selbst als direkte Mitteilung betrachtet. Dies legt sich insbesondere deshalb nahe, weil Kierkegaard allein von den ,neuen Büchern‘ und ,Manuskripten‘ spricht – und weder ist der Titel des Gesichtspunkts bislang genannt, noch ist gar ein solches Manuskript erwähnt worden. Dann würde Kierkegaard den Begriff ,direkte Mitteilung‘ hier umbestimmen: Statt einer Mitteilung ber sich und sein Werk würde der Terminus nun die direkte Mitteilung des Christlichen selbst bezeichnen. In jedem Fall aber verbindet sich hier die direkte Mitteilung mit den Plänen zur zukünftigen Publikation, und insbesondere den späteren AntiClimacus-Schriften. 469 NB7:9 (SKS 21, 80).

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Schon zum Ende von NB7:9 hebt Kierkegaard hervor, der ,kleine Artikel‘ sei bei der Klärung seiner ,Position‘ von größter Bedeutung gewesen; und die übernächste Aufzeichnung NB7:11 geht ebenfalls von dem Artikel aus. Die Herausgabe sei „ganz richtig“ gewesen: „Es war die Frage nach der direkten Mitteilung, die ich doch im Ernst entschieden haben musste, und dazu musste ich in die Spannung. Nun steht die ganze vorhergehende Verfasserschaft abgeschlossen in der normal-dialektischen Struktur“.470 Die ,normal-dialektische‘ Struktur des Werks und die Entscheidung zur direkten Mitteilung – damit sind die wesentlichen Ergebnisse aus NB6 nochmals bekräftigt. Bemerkenswert ist dabei, dass Kierkegaard in den zuletzt zitierten Notizen die Klärung der ,Position‘ auf die direkte Mitteilung bezieht, sie also ,affirmativ‘ fasst – während in NB6 die Reflexion sich zumeist negativ auf die indirekte Mitteilung gerichtet hatte, als auf eine Form, die künftig nicht mehr zu verwenden sei. Wiederum zwei Aufzeichnungen später, und offenbar durch die vorherigen Reflexionen nochmals bestärkt, notiert Kierkegaard in NB7:13 nun die Entscheidung, eine direkte Mitteilung tatsächlich abzufassen. Hier wird die Niederschrift des Gesichtspunkts endgültig beschlossen und wiederum zur Publikation der ,christlichen‘ Werke ins Verhältnis gesetzt: Jetzt sehe ich mich dazu im Stande, eine kurze und so ernst wie mögliche Darstellung meiner vorhergehenden Verfasserschaft zu schreiben, welches notwendig ist für den Übergang zum Nächsten. Und warum sehe ich mich jetzt dazu im Stande? Eben weil ich mir nun klar bin über: die direkte Mitteilung im Verhältnis zum entscheidend Xstlichen. Eben deshalb kann ich nun die indirekte Mitteilung beleuchten und auffassen. Früher wäre ich in einem fort in einer Unklarheit gewesen. Denn man muss immer über das hinaus sein, was man auffassen will. Früher wäre eine Unsicherheit in dem Ganzen geblieben, weil ich mir nicht selbst darüber klar gewesen wäre, und im Grunde die Verbindung mit der indirekten Mitteilung aufrechterhalten hätte. Dieses Verhältnis hätte unbedingt die ganze Darstellung verdorben.471 470 NB7:11 (T 3, 69 f. / SKS 21, 82). 471 NB7:13 (T 3, 70 / SKS 21, 83). Gerade der erste Satz macht es sehr wahrscheinlich, dass Kierkegaard erst hier mit der Ausarbeitung des Gesichtspunkts beginnt. Dafür spricht auch, dass zuvor eine ,direkte Darstellung‘ nur prospektiv diskutiert worden ist, so insbesondere in den oben zitierten Eintragungen NB6:76 und NB6:81. Zudem umspannt die entsprechende Periode des Journals NB7 einen sehr langen Zeitraum: Noch NB7:16 ist auf den 1. September, NB7:46 bereits auf Ende Oktober zu datieren (vgl. SKS K 21, 64). Vieles spricht also dafür, dass Kierkegaard den Gesichtspunkt in der Tat zwischen NB7:13 und der unten zitieren Notiz NB7:36, mithin von Anfang September bis Mitte/Ende Oktober niedergeschrieben hat.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Kierkegaard verwendet hier den Ausdruck ,direkte Mitteilung‘ in zweifacher Valenz: Einerseits spricht er von einer direkten Darstellung des frühen Werks – und den letzten Anstoß hierzu gibt der Plan zur Veröffentlichung der bereitliegenden Schriften, für welche die Darstellung des Vorhergehenden Bedingung ist. Kierkegaard sieht sich aber andererseits zu einer solchen Darstellung allein deshalb in der Lage, weil das Verhältnis von direkter Mitteilung und ,entscheidend Christlichem‘ sich für ihn geklärt hat: Die direkte Mitteilung ist offensichtlich die angemessene und gar gebotene Form in Bezug auf das Christliche.472 Höchst aufschlussreich ist die Erläuterung der indirekten Mitteilung, die in diesem Kontext gegeben wird. In dieser wird abschließend nochmals deutlich, dass der Gesichtspunkt das indirekte Verfahren aus einem Abstand heraus thematisiert. Die Schriftstellerei tritt nun – entsprechend der Notiz in NB6:66, die indirekte Mitteilung sei ,zukünftig‘ nicht mehr zu verwenden – in eine ,neue Phase‘ ein, und allein aus diesem Grund kann das Vorangegangene zum Gegenstand einer direkten Darstellung gemacht werden. Das retrospektive Verstehen setzt voraus, dass das Zurückliegende abgeschlossen und ,überwunden‘ ist; nur so ist offenbar eine souveräne Überschau möglich. Das heißt: Die indirekte Mitteilung wird im Gesichtspunkt von außen aufgefasst, nicht mehr aus ihrer inneren Struktur heraus und in ihrer Stärke. Eines aber macht Kierkegaard hier nicht hinlänglich deutlich: Auch dieser vermeintlich souveräne ,Blick zurück‘ selbst verdankt sich einer Perspektive, die kontextuell bedingt und mithin ihrerseits perspektivierbar ist. Die ,Motivation‘ zur Abfassung des Gesichtspunkts lässt sich aus dem Weg seit 1846 als ein bestimmtes, wenn auch in sich mannigfach differenziertes Interesse ausweisen. Zudem bedenkt Kierkegaard hier nicht, dass sein Plan derjenigen Darstellung der indirekten Mitteilung, die Climacus in der Nachschrift und er selbst in der ,Ersten und letzten Erklärung‘ gegeben hatten, direkt widerspricht – und diese zudem als unberechtigt erscheinen lässt. In der Tat aber wird auch dieser Zusammenhang in der Mitteilungsreflexion nach dem Gesichtspunkt thematisiert werden. 472 Diese Auffassung steht offensichtlich in direktem Gegensatz zur Einbung. Dabei ist aber erstens zu beachten, dass die entscheidenden Reflexionsschritte in NB6 offensichtlich erst nach der Fertigstellung dieser Schrift notiert sind. Zweitens zeigt sich hier einmal mehr, dass der Terminus ,direkte Mitteilung‘ je nach Kontext differierende Positionen einnimmt: Auch an dieser Stelle ist ja kein direktes ,Dozieren‘ des Christentums gemeint, sondern eine direkte Mitteilung im Sinne des ,Bezeugens‘.

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Bereits in NB7:36 notiert Kierkegaard: „Die Schrift ,Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schrftst.‘ ist jetzt so gut wie fertig“.473 Weitere Modifikationen der Mitteilungsstruktur sind in NB7 nicht nachzuweisen. Damit ist der ,Weg zum Gesichtspunkt‘ im Herbst 1848 abgeschlossen – nicht aber Kierkegaards Reflexionen über die Mitteilungsform, die gerade in der Frage nach der Herausgabe der Schrift mit unverminderter Intensität fortgesetzt werden. So entschieden auch die Notizen in NB7 die direkte Mitteilung als zukünftig allein zu gebrauchende und einzig berechtigte Form ausweisen: Kierkegaards Reflexionen nach dem Gesichtspunkt werden zeigen, dass er bis zum gänzlichen Zurücktreten der Mitteilungsfrage ,die Verbindung mit der indirekten Mitteilung aufrecht erhält‘. *** Die Rekonstruktion des ,Wegs zum Gesichtspunkt‘ sollte bei aller Vielschichtigkeit der hier zugrunde gelegten Textbasis ein Vierfaches deutlich gemacht haben: Erstens hat der Begriff der Mitteilung seit der Nachschrift eine wesentliche Umakzentuierung erfahren, die sich sukzessive nachvollziehen lässt; der Kulminationspunkt dieser ,Umbewertung‘ liegt dabei offensichtlich in dem Journal NB6 vom Sommer 1848. Zweitens ist gezeigt worden, dass den Begriffen des Maieutischen und der Reduplikation in diesem Prozess eine entscheidende Bedeutung zukommt. Schon 1846 bestimmt Kierkegaard die Funktion des Werks als ,maieutisch‘ und bezeichnet mit diesem Begriff im Folgenden zunehmend das korrekte taktische Verfahren in der ,Situation‘ der Christenheit. Auf dem Weg zum Gesichtspunkt wird die indirekte Mitteilung sukzessive gnzlich mit dem so verstandenen Begriff des Maieutischen identifiziert. Die Reduplikation hingegen fungiert gleichsam als Schrittmacher von Kierkegaards immer stärker werdendem Bedürfnis, direkt in eigener Sache zu sprechen. Gerade in dem christlich verschärften Begriff der Reduplikation, der in NB6 notiert wird, liegt unausdrücklich diejenige Forderung, auf welche Kierkegaard wenig später mit dem ,Bezeugen‘ des Maieutikers und der ,direkten Mitteilung‘ antwortet. 473 NB7:36 (SS, 162 / SKS 21, 94); weitere Verweise auf die Schrift finden sich in NB7:41 (SS, 163 f. / SKS 21, 96 f.), wo eine nicht verwendete Beilage ins Journal übertragen wird, und in NB7:45 (T 3, 76 / SKS 21, 98), wo Kierkegaard auf die im Gesichtspunkt gegebene Beschreibung des ,Erzogenwerdens‘ verweist.

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II.3 Der Weg zum Gesichtspunkt

Drittens sollte gerade aus den zitierten Journalstellen deutlich geworden sein, dass die Mitteilungsfrage gegenüber der Nachschrift für Kierkegaard vornehmlich zu einem ,persönlichen‘ Problem des eigenen Selbstverständnisses wird: Im Zentrum steht die Frage, ob er selbst sich im Inkognito der indirekten Mitteilung halten darf oder gar soll, oder ob er umgekehrt ,bezeugend‘ einstehen muss für das, was er ,von Beginn an gewollt hat‘. Zugleich bezieht Kierkegaard diese Reflexionen auf seine ,Aufgabe‘ innerhalb der Christenheit – und schließt wiederum diese in NB7 mit der Frage nach einer Herausgabe der ,christlichen Werke‘ zusammen. Diese Orientierung an der persönlichen Dimension der Mitteilungsfrage lässt die strukturelle Analyse des Mitteilungsbegriffs zurücktreten: Der für Climacus grundlegende Gedanke, dass vom Existieren als solchem konsequent nur in der indirekt-doppeltreflektierten Form gesprochen werden kann, ist nach 1846 kaum mehr nachzuweisen. Eine strukturelle Bearbeitung der indirekten Methode wird nur noch auf weniger überzeugende Weise in der ,Dialektik‘ und in der Einbung versucht; für die Herausbildung des Gesichtspunkts kommt derartigen Überlegungen keine wesentliche Bedeutung zu. Zweifellos prägt sich Sommer 1848 und besonders im Journal NB6 der maieutisch-teleologische Mitteilungsbegriff klar aus; dennoch zeigt sich im Blick auf die vielschichtige Reflexion seit 1846 viertens, dass die einzelnen mitteilungstheoretischen Termini in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Positionen einnehmen und auch differierend bewertet werden können. Schillernd ist insbesondere der Begriff der Reduplikation, der je nach Zusammenhang die indirekte Verdopplung der Form oder aber ein ethisch-existenzielles Reduplizieren der Lehre in der Handlung bezeichnen kann – und mithin ein tendenziell direktes Einstehen für das ,Gewollte‘. Auch der zweite zentrale Terminus, die Maieutik, wird von Kierkegaard in wenigstens zwei Hinsichten verwendet: Zum einen im Sinne des ethisch-maieutischen Modells, nämlich als ,indirektes Herauslocken‘ eines im Empfänger je schon liegenden Wissens, zum anderen als spezifisch taktisches christlich-maieutisches Verfahren, das polemisch gegen den Sinnentrug der Christenheit vorgeht. Schließlich ist auch die Bewertung der beiden Grundaspekte ,direkte und indirekte Mitteilung‘ äußerst beweglich und kontextabhängig: So kann Kierkegaard in NB6 die indirekte Mitteilung zu Gunsten der direkten verabschieden und sie beinahe zeitgleich in der Einbung als einzig zulässige Form des Christlichen ausweisen. Zwar lässt sich die jeweilige Position des Mitteilungsbegriffs in den meisten Fällen durch seinen spezifischen Kontext präzise bestimmen, und auch können durch Hinsichtsunter-

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scheidungen verschiedene Verwendungsweisen eines und desselben Begriffs differenzierend voneinander abgehoben werden. Dennoch ergibt sich im Blick auf das Ganze kein definitives und fixierbares Schema, nach welchem die Vielgestaltigkeit des indirekten Verfahrens sich letztgültig ordnen ließe. Es entspricht vielmehr dem grundlegend regionalen Zug der indirekten Methode, dass sie erst im jeweiligen Kontext ihre konkreten Formen ausprägt und sich nicht ,abstrakt‘ und schematisch im Vorhinein bestimmen lässt. Blickt man von hier aus nochmals auf das zentrale Anliegen dieses Kapitels – nämlich Genese und Hintergrund des späten, maieutisch-teleologischen Mitteilungsbegriffs zu beleuchten –, so sollte im Ganzen zur Deutlichkeit gekommen sein, dass der Gesichtspunkt fr meine Wirksamkeit als Schriftsteller einer aus den Texten im Detail nachvollziehbaren Transformation von Kierkegaards Verständnis des Mitteilungsbegriffs entspringt, und zudem auf eine präzise einzugrenzende Fragestellung antwortet. Darin wird aber zugleich sichtbar, dass der Gesichtspunkt sich nicht einer kontextlosen, souveränen Überschau und noch weniger einem vorgängigen Plan verdankt. Der maieutisch-teleologische Mitteilungsbegriff des Gesichtspunkts ist, ebenso wie jede andere Konzeption in Kierkegaards Werk auch, eine ,perspektivisch gebundene‘ Erörterung der Mitteilungsfrage; und überdies prägen sich selbst noch im unmittelbaren Kontext seiner Niederschrift alternative Konzeptionen der Mitteilung aus. Dass schließlich der Gesichtspunkts nicht einmal das ,letzte Wort‘ in der Frage der Mitteilung enthält, sondern im Weiteren selbst Gegenstand einer fortwährenden Rekontextualisierung wird – dies gilt es im folgenden Kapitel zu zeigen.

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt Das Interesse des folgenden Kapitels gilt dem Mitteilungsbegriff nach der Niederschrift des Gesichtspunkts ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller. Die Prominenz des Gesichtspunkts und gerade des in ihm formulierten Mitteilungsbegriffs mag zum Teil auch dadurch bedingt sein, dass er aufgrund seiner postumen Publikation 1859 oftmals als Kierkegaards ,Vermächtnis‘ oder wenigstens als sein ,letztes und wahrstes Wort‘ in eigener Sache angesehen worden ist. Man tut allerdings bei der Bewertung des Werks gut daran, im Blick zu behalten, dass seine Abfassung im Herbst 1848 der Publikation von Entweder/Oder 1843 zeitlich näher steht als Kierkegaards letzten Veröffentlichungen im Augenblick-Streit 1855. In der Tat hat der Gesichtspunkt nicht nur – wie im vorhergehenden Kapitel gezeigt – eine klar rekonstruierbare Vorgeschichte, sondern auch eine durchaus bemerkenswerte Nachgeschichte, die es vorab in ihren Grundzügen zu skizzieren gilt.474 Auch nach Herbst 1848 und insbesondere bis 1851 lassen sich in Kierkegaards Nachlass475 Reflexionen zur Mitteilungsfrage nachweisen, die von der im Gesichtspunkt formulierten Fassung zum Teil erheblich abweichen. Insofern soll die folgende Rekonstruktion dazu beitragen, den Mitteilungsbegriff des Gesichtspunkts weiter zu kontextualisieren. So wird der dort erhobene Anspruch auf eine vollständige Darstellung des indirekten Verfahrens in direkter Mitteilung durch mehrere in den Journalen 1849 notierte Pläne perspektiviert, die Schrift pseudonym zu veröffentlichen – was freilich bedeuten würde, ihre direkte Mitteilung wieder in den Horizont einer indirekten Form einzufassen. Bemerkenswert ist überdies eine mehrfach notierte Modifikation der Werkstruktur gegenüber derjenigen Gestalt, die in den ,Schriften über die Schriftstellerei‘ formuliert wird: Kierkegaard versteht nun die ,direkte religiöse Mitteilung‘ des erbaulich-christlichen Werks von 1847/48 nicht mehr als Ziel der Werkentwicklung, sondern im Gegenteil als eine Konzession, eine 474 Vgl. für eine Anzeige einiger der hier verhandelten Aspekte auch Schwab „Direkte Mitteilung des Indirekten?“, S. 451 – 455. 475 Vgl. für eine Zusammenstellung der Forschungsliteratur zum Nachlass den Beginn des vorherigen Kapitels.

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

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Akkomodation und ein ,Abschlagen‘; offensichtlich meint Kierkegaard hier, es wäre ,konsequenter‘ gewesen, sich durchgehend in der ,Verborgenheit‘ der indirekten Mitteilung zu halten. Die genannten zwei Hinsichten entsprechen einer im Nachlass 1849 durchweg präsenten Gegentendenz zur direkten Mitteilung, die im Besonderen auch in der zweiten Fassung des Vorlesungsfragments über die ,Dialektik der Mitteilung‘ sichtbar wird. Zwar weist dieser Text – von dem gezeigt werden soll, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit der ersten Jahreshälfte 1849 zuzuordnen ist – im Ganzen mutatis mutandis die gleichen strukturellen und systematischen Probleme auf wie die erste ,Dialektik‘-Skizze von 1847. Gerade Kierkegaards Zweifel aber, ob sich der Kathedervortrag der behandelten Dialektik der Mitteilung anpassen lasse, sind für die Frage einer direkten Mitteilung des Indirekten instruktiv. Dieser zweite Anlauf zur ,Dialektik‘ ist der längste zusammenhängende – wenn auch nicht der wichtigste – Text zur Mitteilungsfrage in Kierkegaards Werk überhaupt und schlägt zudem eine ,Schematisierungsform‘ der Mitteilung vor, die sich sonst an keiner Stelle findet; insofern nimmt seine Interpretation im Folgenden breiten Raum ein. Sodann ist es bislang kaum zur Kenntnis genommen worden, dass Kierkegaard im späten Nachlass der Jahre 1850 bis 1852 sein Verständnis der Mitteilung nochmals in entscheidender Hinsicht modifiziert: Im Vorund Umfeld der Publikation von ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller 1851 – und teilweise in polemischer Reaktion auf zeitgenössische Debatten – formuliert Kierkegaard in Entwürfen und Journaleinträgen wieder die Auffassung, die indirekte Mitteilung sei die hçchste Form der Mitteilung. Freilich geht Kierkegaard hier nicht zurück zum Standpunkt der Nachschrift. Auch diese späten Reflexionen halten sich in der seit 1848 dominierenden Blickbahn, die sich auf Kierkegaards persönliche Stellung und sein Verhältnis zu Christentum und Christenheit richtet; überdies vermischen sie sich mit Notizen, die die Konzeption von Wirksamkeit und Gesichtspunkt bestätigen. Gleichwohl ist dieser hier so genannte ,letzte Begriff der Mitteilung‘ in seiner Gegenbewegung zum Gesichtspunkt durchaus bemerkenswert. Schließlich finden sich in den Journalen ab 1849 auch einige rückblickende Vergleiche der in Gesichtspunkt und Wirksamkeit formulierten Konzeption mit dem Mitteilungsbegriff der Nachschrift. Offenkundig ist diese Perspektive im Kontext der vorliegenden Untersuchung von besonderem Interesse, ist doch hier zu studieren, wie Kierkegaard den oben in Kap. II.2. entwickelten ,Widerspruch‘ zwischen der Doppelreflexion der Nachschrift – samt ihrem eigentümlichen, sich selbst zurücknehmenden ,Auftritt‘ des Verfassers in

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

der ,Ersten und letzten Erklärung‘ – und der autoritativen ,Wiederaneignung‘ des Werks im Gesichtspunkt selbst kommentiert. Den hier in ihren Hauptgesichtspunkten skizzierten Mitteilungsreflexionen der späten Journale und Entwürfe kommt wiederum auch ein Eigenwert zu, erschöpfen sie sich doch keineswegs in retrospektiven Bezugnahmen auf den Gesichtspunkt. Aufs Ganze gesehen wird im späten Nachlass deutlich, dass Kierkegaard das Verhältnis von indirekter und direkter Mitteilung immer wieder reformuliert und differenziert; dabei ist auffällig, dass die einfache, polare Gegenüberstellung von indirekter und direkter Mitteilung oftmals und in den unterschiedlichsten Zusammenhängen durch triadische Strukturen abgelöst wird: so in der Neukonzeptionierung des ,Zeugnisses‘, das nun eine ,Mittelstufe‘ zwischen direkter und indirekter Mitteilung darstellen soll (NB10); so in Gestalt des Pseudonyms Anti-Climacus, in welchem Kierkegaard eine ,neue‘ indirekte Mitteilung erkennt, die über der früheren indirekten Mitteilung, aber auch über ihm selbst als erbaulichem (d. i. direkt religiösem) Schriftsteller stehe (NB11 – NB14); so auch in den spätesten Aufzeichnungen, in denen Kierkegaard festhält, zwar stehe seine direkte Mitteilung höher als die frühe indirekte, da er im Verlauf des Werks ,erzogen‘ worden sei, aber zugleich tiefer als das ,eigentlich‘ Christliche, das bis zuletzt indirekte Mitteilung bleibe (NB20, NB22, NB27). All diesen Formulierungen ist – in der direkten Konfrontation mit Gesichtspunkt und Wirksamkeit – eine (wenigstens partielle) Rehabilitierung des indirekten Verfahrens zu entnehmen. Bezüglich der Auswahl der interpretierten Journaleintragungen ist noch das Folgende zu bemerken: Zur ,Nachgeschichte des Gesichtspunkts‘ gehört im Grunde der gesamte abwägende Prozess über die Frage einer möglichen Publikation dieser Schrift und der Texte aus ihrem Umfeld wenigstens bis zu dem Sommer 1851 definitiv festgehaltenen Beschluss, die Wirksamkeit tatsächlich zu veröffentlichen.476 Dieser gewundene Reflexionsgang verbindet sich mit Kierkegaards Überlegungen zu den weiteren, 1848 fertig gestellten Werken, besonders der Krankheit zum Tode und der Einbung, und mithin auch der Bedeutung und Berechtigung des ,neuen Pseudonyms‘ Anti-Climacus. Dieser vielschichtige, die Argumente in immer neuen Nuancen hin- und herwendende Reflexionsgang ist zweifelsohne für Kierkegaards spätes Selbstverständnis und die Überlieferungsgeschichte seines Werks ab 1848 im Ganzen höchst auf476 Dieser Beschluss wird erstmals definitiv festgehalten in NB24:102 (SKS 24, 383), etwa Juli 1851.

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schlussreich; in mitteilungstheoretischer Hinsicht ist er allerdings nicht durchgehend gleichermaßen signifikant. Verglichen mit NB6 und NB7 nämlich ist in den späteren Journalen der Zusammenhang zwischen der Frage nach einem ,persönlichen Wort über sich selbst‘ und der begrifflichen Formulierung von direkter und indirekter Mitteilung oftmals loser. Während sich 1848 die Reflexionen über die eigene ,Stellung‘ zum Werk und zur Gegenwart unmittelbar in fruchtbaren Neukonzeptionierungen des Mitteilungsbegriffs niederschlagen, lösen sich Kierkegaards Abwägungen zur Herausgabe der bereitliegenden Schriften nach Abfassung des Gesichtspunkts von diesem terminologischen Kontext teilweise ab. Im Ganzen steht auch quantitativ gesehen der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt nicht mehr derart im Zentrum von Kierkegaards Interesse wie zwischen 1846 und 1848: Für die Journale dieser Zeit ist es charakteristisch, dass sie ,Bündelungspunkte‘ der Reflexion auf die Mitteilungsform aufweisen – also Phasen, in denen Kierkegaard in mehreren, innerhalb eines recht kurzen Zeitraums notierten Aufzeichnungen das Mitteilungsproblem bedenkt, um es dann für längere Zeit wieder zurückzustellen. Überdies ist zwar die Textgrundlage des anvisierten Zeitraums einerseits übersichtlicher als auf dem ,Weg zum Gesichtspunkt‘, sofern der Nachvollzug sich (vom Vorlesungsfragment abgesehen) weitestgehend an den commentarius perpetuus der Journale halten kann. Andererseits aber nötigen die Journale ab 1848 schon durch ihren bloßen Umfang zur Begrenzung: Während Kierkegaard in den knapp drei Jahren zwischen Anfang 1846 und Ende 1848 seine Reflexionen in acht Journalen notiert (NB – NB8), so führt er allein in den beiden folgenden Jahren 1849 und 1850 14 Journale (NB9 – NB22). Die Interpretation wird sich demnach auf diejenigen Partien des späten Nachlasses beschränken müssen, die unmittelbar für die Frage nach dem Begriff der Mitteilung fruchtbar gemacht werden können.477 Der Kontext von Kierkegaards Reflexionen 477 So wird etwa der Begriff der Reduplikation auch in den Journalen ab 1848 weiterhin und in vielstimmiger Weise verwendet; anders als in der ,Dialektik der Mitteilung‘ von 1849 aber steht er hier zumeist nicht in direktem Verhältnis zur Mitteilungsfrage (eine Ausnahme ist NB10:44, vgl. unten, II.4.1.b)). Der Begriff kann in dieser Phase je nach Kontext mannigfach nuanciert erstens eine ,existenzielle‘ Verdopplung des Gelehrten oder auch zweitens eine Verdopplung der Reflexion bzw. von Inhalt und Form bezeichnen. Vgl. zur ersten Form NB8:40 (SKS 21, 164), NB8:99 (T 3, 121 / SKS 21, 185), NB11:96 (T 3, 234 / SKS 22, 54 f.), NB14:35 (SKS 22, 364), NB21:12 (SKS 24, 15), NB23:171 (T 4, 301 f. / SKS 24, 288), NB23:184 (SKS 24, 293 f.), NB24:97 (T 5, 30 / SKS 24, 380),

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

über die Herausgabe seiner späten Werke wird zumeist nur in groben Zügen angezeigt und allein dort, wo er zum Verständnis der ausführlicher interpretierten Stellen wesentlich ist, detaillierter nachvollzogen. Gleichwohl erscheint es geboten, auch den folgenden Zeitraum in einem chronologischen Durchgang in den Blick zu nehmen, ergibt sich doch die jeweilige ,Position‘ der einzelnen Texte nur durch ihre Abfolge. Ein solches Vorgehen hat freilich zur Konsequenz, dass thematisch zusammengehörige Aufzeichnungen – etwa die drei Skizzen zur pseudonymen Publikation des Gesichtspunkts in NB9, NB11 und NB14 oder auch die Einträge zur ,letzten‘ Mitteilungskonzeption in NB20, NB22 und NB27 – in verschiedenen Abschnitten bzw. Unterabschnitten behandelt werden. Gerade die Zurückstellung und Wiederaufnahme dieser Kontexte aber trägt wesentlich zu ihrem jeweiligen Verständnis bei. Ähnlich dem ,Weg zum Gesichtspunkt‘ ist die Gedankenentwicklung im Nachlass ab 1848 keineswegs gradlinig, vielmehr äußerst sprunghaft und aporetisch – und im Unterschied zum ,Weg‘ 1846 – 1848 lässt sich nicht einmal ein ,Fluchtpunkt‘ angeben, auf den Kierkegaards Reflexionsbewegung zuliefe. Eine im starken Sinne ,abschließende‘ Konzeption, wie dies der Gesichtspunkt für den ,Denkweg‘ seit 1846 bei aller Einschränkung bedeutete, ist im Nachlass ab 1848 nicht aufzuweisen. Auch der hier so genannte ,letzte Begriff der Mitteilung‘ ist nicht eine definitive Konzeption, finden sich doch in seinem direkten Umfeld auch konterkarierende Gegentendenzen.478 In systematischer Hinsicht vermag die späte NB24:161 (SKS 24, 426), NB24:154 (T 5, 43 / SKS 24, 42). Vgl. zur zweiten Form NB8:111 (SKS 21, 192), NB9:13 (SKS 21, 206), NB12:105 (SKS 22, 201), NB12:126 (SKS 22, 218), NB12:142 (SKS 22, 232), NB12:147 (T 3, 291 / SKS 22, 235), NB12:150 (SKS 22, 236 f.), NB15:82 (SKS 23, 58), NB16:60 (SKS 23, 136 – 138), NB16:74 (T 4, 131 / SKS 23, 145), NB16:88 (SKS 23, 153 f.), NB18:53 (SKS 23, 287), NB18:74 (SKS 23, 303), NB20:24 (SKS 23, 405 f.), NB20:116 (SKS 23, 454), NB20:169 (T 4, 225 / SKS 23, 483), NB21:102 (T 4, 241 / SKS 24, 64), NB22:80 (SKS 24, 144 f.), NB23:73 (SKS 24, 244), NB23:207 (T 4, 306 – 309 / SKS 24, 304 – 307), NB24:11 (SKS 24, 325 f.), NB31:103 (SKS 26, 78 f.), NB32:102 (T 5, 287 / SKS 26, 188). Vgl. hierzu auch Deuser Dialektische Theologie, S. 184. 478 Differenzierend ist zu vermerken, dass freilich auch die Mitteilungskonzeption des Gesichtspunkts nicht ungebrochen als Telos der Entwicklung bis 1848 bezeichnet werden kann. So ließ sich besonders in NB6 zeigen, dass diese Konzeption in einem Spannungsfeld entsteht, zu dem auch Argumente gegen die direkte Mitteilung gehören (vgl. oben, II.3.4.). Gleichwohl bringt die Reflexion 1846 – 48 hier einen prägnanten und konsequenten Begriff der Mitteilung hervor – was im Nachlass ab 1848 nur noch deutlich eingeschränkter zutrifft.

1. Die Frage nach der Herausgabe des Gesichtspunkts

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Mitteilungsreflexion – bei aller Umwegigkeit, die ihr Nachvollzug im Detail zweifelsohne mit sich bringt – die These zu beleuchten, dass ein letztes Wort in Sachen Mitteilung von Kierkegaard nicht vorliegt und auch nicht vorliegen kann. Der regionale Zug der indirekten Methode zeitigt stets neue, in je anderen und konkreten Kontexten gegebene Reformulierungen ihrer selbst. Die Darstellung dieses komplexen Geflechts orientiert sich an der Chronologie der Journale, unterbrochen von der Auslegung des ,Dialektik‘-Fragments: Zunächst ist auf die Journale NB8 – NB14 von 1848/49 einzugehen (1.), sodann gilt das Interesse der ,Dialektik der Mitteilung‘ von 1849 (2.); abschließend sind die Journale NB15 – NB27 und die Entwürfe aus den Jahren 1850 – 1852 in den Blick zu nehmen (3.). Diejenigen Journale, die eine größere Anzahl mitteilungstheoretischer Notizen enthalten – etwa NB10 und NB20 –, werden für sich in den Blick genommen; die übrigen Journale werden zu größeren Gruppen zusammengefasst.

1. Die Frage nach der Herausgabe des Gesichtspunkts – Die Journale 1848/49 Nach Abschluss des Gesichtspunkts im Herbst 1848 treten die Überlegungen zum Mitteilungsbegriff in den Journalen zunächst merklich zurück. Wieder angestoßen wird die Reflexion durch die Frage nach der Herausgabe der bereitliegenden Werke – und zwar nicht zuerst bezüglich des Gesichtspunkts, sondern im Blick auf die Krankheit zum Tode und die drei Teile der Einbung. Erst von hier aus erwägt sodann Kierkegaard den ,Sonderfall‘ des Gesichtspunkts, und schon in der ersten Reflexion auf dessen Veröffentlichung in NB9 findet sich ein sogleich wieder verworfener Plan zu einer pseudonymen Publikation. Die folgenden Journale, insbesondere NB10 und NB11, wenden die Frage der Veröffentlichung der Werke von 1848 immer wieder hin und her; hier kulminiert der so genannte ,Reflexionskampf‘ der Jahre 1848/49. In NB11 zeichnet sich dann aber auch schon Kierkegaards ,Lösung‘ ab: Die Krankheit zum Tode und die Einbung sollen pseudonym erscheinen, der Gesichtspunkt nicht herausgegeben werden. Die Journale NB12 – NB14 werden diesen Plan weiter klären und verfestigen. In diesem Kontext finden sich in den Journalen des Jahres 1849 – besonders in NB10 – auch wieder explizite Erörterungen der Mitteilungsthematik, zumeist im Ausgang von rück-

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

blickenden Neuevaluationen des im Sommer 1848 Festgehaltenen. In NB10 ist auch der erste retrospektive Vergleich zwischen Gesichtspunkt und Nachschrift notiert; in NB11 und NB14 greift Kierkegaard die Frage nach einer pseudonymen Publikation des Gesichtspunkts nochmals auf und macht hierzu detailliertere Entwürfe und Skizzen. Im Folgenden ist zunächst kurz auf die ,Situation‘ nach Abfassung des Gesichtspunkts und den ersten Plan zu seiner pseudonymen Veröffentlichung in NB8 und NB9 einzugehen (a), sodann ist das mitteilungstheoretisch ertragreichste Journal NB10 in den Blick zu nehmen (b). Die Journale NB11 – NB13 lassen sich recht kurz abhandeln (c); zum Abschluss gilt die Aufmerksamkeit dem Journal NB14 (d).

a) Die ,Situation‘ 1848/49 und der erste Plan zur pseudonymen Publikation – NB8 und NB9 Die für Kierkegaard im Sommer 1848 so dringliche Frage nach einem direkten Wort über sich selbst scheint sich mit der Abfassung des Gesichtspunkts zunächst erledigt zu haben. Dies zeigt sich darin, dass die Schrift in dem ersten konkreten Plan zur Herausgabe der nun bereitliegenden Werke überhaupt nicht genannt wird. In NB8:15 vom November/Dezember 1848 notiert Kierkegaard, es wäre „vielleicht das richtigste, alle die letzten 4 Bücher […] in einem Band unter dem Titel: / Sämtliche Werke / der Vollendung“479 – oder wie eine Randnotiz ergänzt: „Eher vielleicht: / Sämtliche Werke / der Vollbringung“480 – herauszugeben. Mit den ,vier Büchern‘ meint Kierkegaard die Krankheit zum Tode, die späteren ersten zwei Teile der Einbung und schließlich die Bewaffnete Neutralitt. 481 Die Aufzeichnung endet mit dem Satz: „Und dann sollte abgeschlossen werden“482 – der Plan sieht also vor, die 479 NB8:15 (T 3, 105 / SKS 21, 152). 480 NB8:15.a (T 3, 105 / SKS 21, 152). 481 Im weiteren Verlauf der Aufzeichnung erwägt auch Kierkegaard, den späteren dritten Teil der Einbung mit aufzunehmen und diese drei unter einem gesonderten Titelblatt einzufügen; vgl. NB8:15 und NB8:15.a (T 3, 105 / SKS 21, 152 f.). Dies ist der erste Plan zur Vereinigung der späteren drei Teile der Einbung. 482 NB8:15 (SKS 21, 152 f.; der letzte Satz der Aufzeichnung fehlt in T 3). – Der Plan zu den ,Werken der Vollendung‘ wird noch kurz erwähnt in NB8:39 (T 3, 111 / SKS 21, 164) und in NB8:106 (SKS 21, 188 f.), wo Kierkegaard mögliche Reaktionen auf die Herausgabe dieses Abschlusswerks bedenkt. NB9:45

1. Die Frage nach der Herausgabe des Gesichtspunkts

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Schriftstellerei mit diesem Werk zu beenden. Dass Kierkegaard hier den Gesichtspunkt nicht erwähnt, ist durchaus bemerkenswert – und dies nicht allein deshalb, weil das Werk offensichtlich einem zentralen Anliegen der Reflexionen des Sommers 1848 entspricht, sondern besonders aus dem Grund, dass Kierkegaard in NB7:13 notiert hatte, er könne nur dann die letzten ,christlichen‘ Werke herausgeben, wenn er zuerst selbst mit einer direkten Mitteilung über sich ,Position‘ bezogen habe; dies sei, so hieß es dort, „notwendig für den Übergang zum Nächsten.“483 Auch in der folgenden Abwägung darüber, „wann […] all die letzten Arbeiten herausgegeben“484 werden sollen, die sich in NB9:56 von Januar 1849 findet, ist der Gesichtspunkt nicht genannt; erst Anfang Februar 1849 kommt das Werk am Ende des Journals NB9 wieder in den Blick. Die lange, „berlegung“ betitelte Aufzeichnung NB9:74 macht deutlich, dass Kierkegaard sich in gewisser Weise – wenngleich unter anderen Vorzeichen – in der gleichen ,Situation‘ befindet wie zu Beginn des Jahres 1846: Wieder betreffen die Reflexionen zum weiteren Vorgehen auch seine Vermögensverhältnisse und die Frage, ob er eine Anstellung suchen muss und kann.485 Kierkegaard wägt zudem ab, unter welchen Bedingungen eine zweite Auflage seines Erstlings Entweder/Oder zu verantworten sei;486 er meint, das Werk nicht nochmals herausgeben zu können, ohne auf die spätere Entwicklung seiner Schriftstellerei in Richtung des Religiösen hinzudeuten.487 Diesbezüglich würde freilich eine gleichzeitige Herausgabe der ,eminent‘ christlichen Schriften und noch mehr eine Darstellung des im ganzen Werk ,Gewollten‘ durch den Gesichtspunkt das ,Seezeichen‘ angeben, auf welches schon die frühe Schrift zusteuert.488 Hinsichtlich des Gesichtspunkts, dessen Publikation Kierkegaard hier erstmals und gesondert bedenkt, stellt sich aber ein spezifisches Problem: Die Frage, die schon Sommer 1848 vor seiner Niederschrift

483 484 485 486 487 488

(SKS 21, 228 f.) entwirft ein Vorwort, das den Plan bekräftigt, mit dieser Schrift ,abzutreten‘ und ,die Feder niederzulegen‘. NB7:13 (T 3, 70 / SKS 21, 83); vgl. oben, II.3.6. NB9:56 (T 3, 171 f. / SKS 21, 233 f.); die Aufzeichnung ist in lateinischer Schrift notiert. Vgl. NB9:74 (SKS 21, 245 – 247). Vgl. zur ,Situation‘ 1846 oben, II.3.1. Diese Frage kommt in den Journalen erstmals 1847 in NB:194 auf; hier heißt es, die erste Auflage sei schon seit zwei Jahren ausverkauft (NB:194 (SKS 20, 116); vgl. auch SKS K2 – 3, 60 f.). Vgl. NB9:74 (SKS 21, 246). NB9:74 (SKS 21, 247). Kierkegaard markiert diese zweite Auflage hier als ,äußerst entscheidende‘ Frage.

310

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

aufgekommen war, lautet, ob er mit diesem Werk nicht „zu viel von sich selbst“ sage, und ob „Gott“ nicht „wollen würde“, dass er „etwas verschweigt“.489 Die genannten Faktoren werden auch weiterhin den Reflexionsprozess 1849 bestimmen und immer wieder neu abgewogen werden; insbesondere ist es für Kierkegaard entscheidend, keinesfalls zu dem „Missverständnis“ Anlass zu geben, ein „Apostel“ oder „etwas Außerordentl[iches]“ zu sein.490 Zwischen NB9:74 und NB9:78 zeigt sich dann erstmals eine typische Konstellation, die sich in den folgenden beiden Journalen mehrfach wiederholen wird: Kierkegaard listet in NB9:74 Argumente gegen eine Publikation auf, versucht sie zu widerlegen und weist seine Bedenken als ,schwermütige Klugheit‘ zurück; dabei zeichnet sich die Tendenz ab, die Schrift doch herauszugeben. Schon wenig später aber beginnt die Notiz NB9:78 mit einem nachdrücklichen Widerruf dieses Plans: „,Der Gesichtspunkt für meine W. als Schrftst.‘ soll nicht herausgegeben werden, nein, nein!“491 Kierkegaard führt gegen eine Herausgabe als ,wichtigstes‘ Argument an, er könne sich „nicht ganz wahr darstellen“, besonders lasse sich von seiner „Sünde und Schuld“ in einer Publikation nicht angemessen sprechen. Zusammenfassend heißt es: „Dies, dass ich mich selbst derart nicht ganz darstellen kann, bedeutet, dass ich doch wesentlich Dichter bin – und hier soll ich bleiben.“492 Ausdrücklich wird dabei die ,dichterische Position‘ mit „meinem Inkognito“ assoziiert.493 489 NB9:74 (SKS 21, 245). 490 NB9:74 (SKS 21, 245 f.); ähnlich notiert schon NB9:56 in Bezug auf die Einbung: „Das ist die Klippe, die ich stets vor Augen gehabt habe, die Verwechslung mit einem Apostel“ (NB9:56 (T 3, 172 / SKS 21, 233)). 491 NB9:78 (T 3, 176 / SKS 21, 249; teilw. auch übers. in SS, 166); die Aufzeichnung ist in lateinischer Schrift notiert. Bemerkenswerterweise schreibt Kierkegaard hier, er habe das „ganz ursprüngliche[n] Manuskript“ geschrieben, „ganz ohne an Druck zu denken“. Die Motivation zur Abfassung der Schrift entspringt aber in den Journalen NB6 und NB7 offensichtlich dem Entschluss, ein direktes Wort über sich auch mitzuteilen. Während der Abfassung selbst findet sich allerdings in der Tat kein expliziter Hinweis mehr auf eine Publikation. Es ist durchaus denkbar, dass Kierkegaard den Gesichtspunkt zunächst nur zur eigenen Verständigung geschrieben hat; dies würde auch erklären, warum er im ersten Plan zu den ,Werken der Vollendung‘ nicht genannt ist. 492 NB9:78 und NB9:78.a (T 3, 176 – 178 / SKS 21, 249). Hier findet sich auch ein aufschlussreicher Rückblick auf die Entstehungszeit des Gesichtspunkts. Vgl. zur Notiz auch Nientied Kierkegaard und Wittgenstein, S. 381. 493 NB9:78 (T 3, 177 / SKS 21, 249). Die folgende Notiz bekräftigt den Entschluss, die Schrift nicht herauszugeben. Hier führt Kierkegaard ein Argument an, das die frühere Auffassung, er müsse zuerst durch direkte Mitteilung Position beziehen,

1. Die Frage nach der Herausgabe des Gesichtspunkts

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In NB9:78 kommt nun auch der erste Plan zur pseudonymen Publikation des Gesichtspunkts auf, wenn auch eingerahmt von seiner doppelten Zurückweisung. Kierkegaard erwägt die Herausgabe der brigen Schriften und notiert, diese könnten nur unter einem „Pseudonym“ veröffentlicht werden, z. B. „von / dem Dichter: Johannes de silentio / herausgegeben / von / S. Kierkegaard.“494 Abgrenzend heißt es zum ,Fall‘ des Gesichtspunkts: Aber eben dies beweist am allerbesten, dass der Gesichtspunkt für m. W. als S. nicht herausgegeben werden kann, dann muss er auch dazu gemacht werden, von einem Dritten zu sein, zu: mögliche Erklärung von Mag. Kierkegaards Wirksamkeit als Schriftst.[,] d. h. dann ist es gar nicht mehr das Buch. Denn die Pointe in ihm war eben mein Persönliches.495

Die Zurückweisung des Plans scheint eindeutig zu sein – zwischen zwei Negationen aber scheint schon sehr konkret eine hochinteressante Konstellation auf: nämlich den Gesichtspunkt als nur mçgliche Erklärung der schriftstellerischen Wirksamkeit einem Dritten in den Mund zu legen. Dies würde freilich bedeuten, seine direkte Mitteilung in den Rahmen einer indirekten Mitteilung einzufassen. Die Motive zu einem solchen Vorgehen sind weder rein äußerlicher noch bloß biographischer Natur. Der wiederholte Hinweis, gerade das ,Persönliche‘ könne nicht ,ganz wahr‘ dargestellt werden, macht deutlich, dass eine direkte Mitteilung in Bezug auf das je singuläre Existieren ein Problem darstellt. Climacus hatte die Existenz des Einzelnen als ein wesentliches Geheimnis bezeichnet, und ein solches von dem zufälligen Geheimnis abgegrenzt, das bloß aus äußeren Gründen nicht bekannt ist, sich aber gleichwohl direkt sagen ließe. Kierkegaard formuliert zwar Anfang 1849 diese Frage nicht ausdrücklich, sie stellt sich aber gleichwohl unter der Hand ein, ja sie bildet gleichsam die Tiefenstruktur seiner die Sache hin- und herwendenden Abwägungen über eine mögliche Publikation der Schrift: die Frage nämlich, ob eine direkte und schriftliche ,Reduplikation‘ der eigenen Existenz nicht bedeuten würde, sie in einer Sphäre zu behandeln, in der sie eo ipso verfälscht werden müsste. Dass der Plan zur pseudonymen Herausgabe im Übrigen bevor er die übrigen Schriften herausgeben könne, geradezu umkehrt: Der Gesichtspunkt sei „historisch nach einer ganzen dazwischenliegenden Produktivität geschrieben, welche doch zuerst herausgegeben werden müsste, falls überhaupt die Rede davon sein sollte, ihn [den Gesichtspunkt] zu Lebzeiten herauszugeben“ (NB9:79 (SKS 21, 251)). 494 NB9:78 (T 3, 178 / SKS 21, 250). 495 NB9:78 (T 3, 178 f. / SKS 21, 250); vgl. hierzu Joakim Garff „The Eyes of Argus“, S. 93.

312

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

nicht so eindeutig verworfen wird, wie es hier den Anschein hat, zeigt sich darin, dass die genannte Konstellation später noch zweimal – in NB11:6 und NB14:8 – detaillierter aufgegriffen wird.

b) Die Gegenbewegung zur direkten Mitteilung, Zeugnis und „Rechenschaft“ – NB10 Das Journal NB10 schließt nahtlos an die Reflexionen von NB9 an; die Aufzeichnung NB10:4 führt unmittelbar einen Satz fort, der in NB9:79 abbricht.496 Auch inhaltlich ist zunächst Kontinuität gewahrt: In NB10 erörtern eine ganze Reihe von Aufzeichnungen die Publikation der fertig gestellten Schriften und insbesondere des Gesichtspunkts – und wieder zeigt sich die eben beschriebene Bewegung, eine solche Herausgabe zunächst als richtig festzuhalten, sie aber kurz darauf entschieden zu widerrufen. So notiert Kierkegaard etwa in NB10:6, zwar nicht der Gesichtspunkt selbst, aber die „,Beilagen‘“ zu dieser Schrift könnten wohl publiziert werden;497 in NB10:169 heißt es aber dann wieder: „Auch die ,drei Noten‘ sollen nicht herausgegeben werden.“498

496 Vgl. NB9:79 (SKS 21, 251) und NB10:4 (SKS 21, 261). 497 Vgl. NB10:6 (SKS 21, 261). Mit den ,Beilagen‘ sind die zwei Noten der endgültigen Beilage sowie das Vorwort zu den Zwei Reden zum Altargang am Freitag (ursprünglich die dritte ,Note‘) und womöglich auch die Bewaffnete Neutralitt gemeint. – Vgl. hierzu auch NB10:38 (SKS 21, 275 – 277), wo Kierkegaard diesen Plan ebenfalls durchdenkt. Hier wirft er überdies die Frage auf, wie sein Werk im Ganzen verstanden würde, wenn nichts „direkt (das wäre durch eine Herausgabe von ,Der Gesichtspunkt für meine Wals Schriftst.‘) od. doch indirekt telegraphierend (durch eine Herausgabe von ein Zyklus usw.)“ dafür getan würde, „die Total-Auffassung meiner ganzen Wirksamkeit als Schriftst. zu sichern“ (NB10:38 (SKS 21, 276); die Aufzeichnung ist in lateinischer Schrift notiert). Vgl. auch NB10:39 (SKS 21, 277 f.; teilw. in SS, 166 f.), wo Kierkegaard auf die Entstehungszeit des Gesichtspunkts eingeht. In beiden Aufzeichnungen sollen die „3 Noten“ den Gegenpol zur zweiten Auflage von Entweder/ Oder bilden. – Vgl. auch NB10:40 (SKS 21, 278), wo Kierkegaard – ähnlich wie in der wenig später geschriebenen „Rechenschaft“ – festhält, die ästhetische und die religiöse Produktivität stünden im Gleichgewicht, auch betreffs ihres Umfangs; die Nachschrift bilde den Mittelpunkt. Den „3 Noten“ komme dann die Aufgabe zu, das Ganze „bloß in das Religiöse hinein[zuschwingen]“. – In NB10:60 (SKS 21, 289 f.) sieht ein Plan vor, die drei Noten und den Zyklus herauszugeben. 498 NB10:169 (SKS 21, 341); die Aufzeichnung ist längsseitig notiert.

1. Die Frage nach der Herausgabe des Gesichtspunkts

313

Auf das ganze Journal gesehen zeichnet sich deutlich die Tendenz ab, den Gesichtspunkt nicht zu publizieren. Im Unterschied zu den beiden vorherigen Journalen aber führt die Frage nach der Veröffentlichung der Schrift in NB10 auch zu explizit mitteilungstheoretischen Überlegungen. Dabei ist im Anschluss an diese Zurückweisung der Publikation nachgerade eine Gegenbewegung zur direkten Mitteilung festzustellen; in unterschiedlichen Kontexten kommt nun wieder eine Wertschätzung des indirekten Verfahrens zum Ausdruck. Die erste diesbezüglich wichtige Eintragung ist NB10:44 von Ende Februar/Anfang März 1849. Vorbereitet wird die dort notierte Erörterung der Mitteilung durch eine Notiz in NB10:38. Hier spricht Kierkegaard von dem „Fangenden“ in der „Totalität“ seiner Schriftstellerei, dass sie nämlich „ästhetisch ist – und dann religiös“.499 Zum ,Fangenden‘ macht Kierkegaard einen das Maieutische akzentuierenden Zusatz: „Und im Übrigen, wenn etwas fangend wirken soll, dann ist es ja doch unrichtig, zu erklären, worin es [das Fangende] steckt. Ein Fischer würde ja auch nicht zu den Fischen über den Köder sagen: dies ist [der] Köder.“500 Hinsichtlich der Wirkung also ist das Maieutische und mithin die Verbergung des Gewollten vorzuziehen – allerdings hatte Kierkegaard Sommer 1848 insbesondere die Frage nach der Berechtigung zu einem solchen Vorgehen im Horizont des Christlichen gestellt und diese negativ beantwortet. Auf diese Reflexion weist nun NB10:44 zurück: Was ich in einem früheren Journal (vom Sommer 48) öfters entwickelt habe[,] dass die Reduplikation und absolut indirekte Mitteilung doch im Verhältnis zw. Msch und Msch. etwas Dämonisches ist, ist in einem Sinne wahr. Die Frage ist, hat ein Msch. [das] Recht dazu, in dem Grad mit Gott Partei gegen den Mschen zu ergreifen, ist das nicht eine Verräterei gegen den Mschen und eine Zudringlichkeit gegen Gott. Hierüber kann Xsti Leben nichts aufklären, denn Er war selbst Gott. Soll aber ein Msch. bei den Mschen bleiben, dann kommen wir nicht weiter als bis zur Religiosität des mschlichen Mitleidens. Hier wie überall sehe ich nur einen Ausweg: soll Einer derart mit Gott zusammenhalten, darf es nicht in einem direkten Superlativ des Mschseins sein, sondern umgekehrt durch das Elend unter das Allgemein-Mschliche herabgedrückt, außerhalb dessen gesetzt, und so, leidend, dazu genötigt, sich als seine einzige Möglichkeit absolut zu Gott zu verhalten.501

499 NB10:38 (SKS 21, 276); die Aufzeichnung ist in lateinischer Schrift notiert. 500 NB10:38 (SKS 21, 276). 501 NB10:44 (SKS 21, 279 f.).

314

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Zunächst ist festzuhalten, dass der Begriff der Reduplikation – der auch in den späten Journalen wieder vielfältig verwendet wird – hier im Sinne der Verdopplung des Indirekten und nicht in seiner ,existenziellen‘ Dimension (als ,Einstehen für das Gelehrte‘) gemeint ist. Kierkegaard zieht in dieser Eintragung offensichtlich rückblickend Gedanken zusammen, die in zwei Aufzeichnungen aus zwei verschiedenen Journalen notiert sind: Die Zurückweisung einer ,Zudringlichkeit‘ gegenüber Gott und einer ,Zwischenbestimmung‘ in Bezug auf den Menschen findet sich in NB6:81; die Wendung ,absolut indirekte Mitteilung‘ und der – auf die Einbung hindeutende – Vergleich mit Christus, der ,nicht anders könne‘, als eben diese absolut indirekte Mitteilung zu sein, steht in NB7:8.502 Inhaltlich bemerkenswert ist nun, wie Kierkegaard das Argument umwendet. Der ,Vorwurf‘ an den indirekt Mitteilenden aus dem Sommer 1848 wird geradezu gemildert: Die direkte Mitteilung halte sich allein in der zwischenmenschlichen Sphäre, führe also nicht zum ,Erfolg‘ – eine indirekte Mitteilung aber sei nur demjenigen erlaubt, der, wie Kierkegaard selbst, ein ,Büßender‘ sei; kein ,Superlativ‘ des Menschlichen, sondern im Elend unter das Allgemeine gedrückt. Hier zeigt sich, dass Kierkegaards Evaluation der direkten und indirekten Mitteilung auch nach 1848 ganz auf seine ,Aufgabe‘ und ,Stellung‘ bezogen ist – und zudem je nach Kontext und Perspektive geradezu gegensätzlich ausfallen kann. In NB10:44 erscheint unter bestimmten Voraussetzungen – nämlich dann, wenn der Mitteiler sich zugleich absolut zu Gott verhält – die ,absolut indirekte Mitteilung‘ als berechtigte Form. Zweifelsohne soll diese Überlegung dazu beitragen, das ,Zurückhalten‘ des Gesichtspunkts zu legitimieren; und die eigentümliche ,Doppelheit‘ eines Mitteilers, der sich einerseits zur Mitwelt, andererseits aber zu Gott, und zu diesen beiden ,Instanzen‘ unterschiedlich stellt, wird sogleich intensiver erörtert werden. Zu der in NB10:44 aufgezeigten ,Gegentendenz‘ passt es auch, dass Kierkegaard in NB10:48 festhält, um der „Mitlebenden willen“ brauche er eigentlich nichts über sich selbst „in direkter Mitteilung zu erklären“;503 und in NB10:60 werden Argumente dafür notiert, weiterhin Schriftsteller bleiben zu können – und zwar „dichterisch und ohne Voll-

502 Vgl. NB6:81 (SKS 21, 62) und NB7:8 (T 3, 68 / SKS 21, 79); das ,Dämonische‘ fällt auch in NB6:71 (SS, 160 f. / SKS 21, 54). Vgl. oben, II.3.4.e) und II.3.6. 503 NB10:48 (SKS 21, 282); die Aufzeichnung ist in lateinischer Schrift notiert.

1. Die Frage nach der Herausgabe des Gesichtspunkts

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macht“.504 Eine ganze Reihe von Eintragungen in diesem Umfeld reflektieren die Frage kontrovers; so kommt Kierkegaard in NB10:68 nochmals auf den 1846 – 1848 zentralen Zusammenhang von Maieutik und Reduplikation zu sprechen und hält fest, man könne die „maieutische Absicht“ seines Werks nur dann verstehen, wenn man die ,Unterstützung‘ durch seine eigene Existenz berücksichtige,505 und in NB10:69 wird wieder die Frage der zweiten Auflage von Entweder/Oder erwogen, zu der eigentlich der Gesichtspunkt das gleichzeitig erscheinende ,religiöse‘ Gegengewicht hatte darstellen sollen.506 In diesen Reflexionsprozess gehört auch die werkgeschichtliche Retrospektive in NB10:83 – die erste von mehreren Notizen ab 1849, in denen Kierkegaard einen Vergleich zwischen der Nachschrift und der hier verhandelten ,direkten Mitteilung über sich‘ anstellt. Dieser Zusammenhang ist im Horizont der vorliegenden Untersuchung zentral, vertritt sie doch die These, dass die direkte Mitteilung in Kierkegaards eigenem Namen eine Grenze überschreitet, die die Nachschrift mit gutem Grund und eingedenk der Doppelreflexion des Indirekten gezogen hatte. In NB10:83 bestätigt Kierkegaard – freilich nicht in der genannten Akzentuierung – diesen Befund, heißt es doch hier: Ein direktes Wort über mich selbst habe ich doch bisher nicht gesagt: Die Nachschrift zu „Abschließende Nachschrift“ enthält nichts Derartiges, ich übernahm bloß die Verantwortlichkeit für die Pseudonyme, und sprach hypotetice („nach dem, was ich verstanden hätte“) über ihren Gedanken. Die Erklärung der Struktur der Pseudonyme, die sich in Abschl. Nach. findet, ist von einem Dritten.507

Die Aufzeichnung zielt genau auf denjenigen Komplex ab, der in Kap. II.1. dieser Untersuchung hervorgehoben worden ist, nämlich den Zusammenhang von Climacus’ Retrospektive auf das pseudonyme Werk mit der ,Ersten und letzten Erklärung‘ des Autors selbst – und Kierkegaard zieht diese beiden Texte hier derart eng zusammen, dass er dem einen zuschreibt, was dem anderen zugehört: Der hypothetische Zugriff auf die pseudonymen Werke, der stets betont, er wisse nicht, ob deren Verfasser das Gleiche im Sinn hätten, findet sich nicht in Kierkegaards ,Nachschrift 504 Vgl. NB10:60 (SKS 21, 289 f.); die Aufzeichnung ist in lateinischer Schrift notiert. Vgl. auch NB10:67 (SKS 21, 292 f.), wo Kierkegaard nochmals auf den Plan zurückblickt, die Schriftstellerei aufzugeben und eine Anstellung zu suchen. 505 NB10:68 (T 3, 193 / SKS 21, 293). 506 Vgl. NB10:69 (SKS 21, 293 f.). 507 NB10:83 (T 3, 196 / SKS 21, 299).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

zur Nachschrift‘, sondern in Climacus’ ,Blick‘.508 In NB10:83 geht es Kierkegaard zwar bei diesem Rückblick auf die Nachschrift allein um eine Selbstvergewisserung, im bisherigen Werk noch kein Wort über sich selbst gesagt zu haben – gleichwohl wird der Kontrast zur direkten Mitteilung des Gesichtspunkts hinlänglich deutlich. In späteren Journalen wird Kierkegaard ausführlicher auf diesen Vergleich eingehen. Die intensiven, offenbar innerhalb kürzester Zeit notierten Reflexionen zur Herausgabe der fertig gestellten Schriften und der Mitteilungsfrage brechen nach der Eintragung NB10:83 zunächst unvermittelt ab, ohne ausdrücklich ein auch nur vorläufiges Ergebnis festzuhalten. Offensichtlich hat Kierkegaard seine Überlegungen aber in anderer Form weitergeführt; etwa in diesem Zeitraum nämlich – im März/April 1849 – entsteht ein zentraler Text zur Mitteilungsfrage, der erste Teil von ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller mit dem Titel „Die Rechenschaft“.509 Eine erste Spur hinterlässt diese Abfassung in NB10:154, etwa von Anfang April 1849. Die Aufzeichnung lautet: „Das Zeugnis“ ist doch diejenige Form der Mitteilung, die am wahrsten die Mitte zwischen direkter und indirekter Mitteilung trifft. Das Zeugnis ist direkte Mitteilung, macht aber doch nicht die Mitlebenden zur Instanz. Indem nämlich die „Mitteilung“ des Zeugen sich an die Mitlebenden wendet, wendet sich „der Zeuge“ Gott zu und macht ihn zur Instanz.510

Schon die Vielzahl und Differenziertheit der Hervorhebungen – die in den Journalen zumeist recht sparsam verwendet werden – macht deutlich, dass es sich hierbei um eine wohlüberlegte Aufzeichnung handelt. In der Tat ist sie für das Verhältnis von direkter und indirekter Mitteilung instruktiv. Zunächst knüpft Kierkegaard an die Überlegung aus NB6 an, der Maieutiker müsse unter christlichen Vorzeichen zum Zeugen werden. Bezeichnete aber dort das Zeugnis die direkte Mitteilung, so nimmt es hier eine Zwischenstellung ein. Die Notiz beschreibt eine Doppelbewegung, deren Angelpunkt offensichtlich die Frage der Instanz ist: Eine geradezu direkte Mitteilung wäre ein solche, die einfach nach außen zur Mitwelt spräche und diese gleichsam zum Richter einsetzte; eine ,ab508 Vgl. AUN1, 245, 275 / SKS 7, 228 f., 255; in „Eine erste und letzte Erklärung“ findet sich nur in einem konkreteren Zusammenhang die Wendung: „Was ich so von den Pseudonymen weiß, berechtigt mich natürlich nicht zu irgendeiner Aussage“ (AUN2, 343 / SKS 7, 572). 509 Vgl. zur Auslegung dieses Textes oben, II.2. 510 NB10:154 (SKS 21, 335); vgl. hierzu auch Bejerholm „Meddelelsens dialektik“, S. 148.

1. Die Frage nach der Herausgabe des Gesichtspunkts

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solut‘ indirekte Mitteilung hingegen diejenige Bewegung, die sich schlechthin in der ,verborgenen Innerlichkeit‘ des Gottesverhältnisses hielte. Das Zeugnis aber ,bekennt‘ einerseits nach außen und lässt sich mithin nicht ,unbezeugt‘, beugt sich aber andererseits gleichsam im Gegenstoß auf den Einzelnen und seine Existenzialität, das heißt hier: sein Gottesverhältnis zurück. Auffällig ist die Hervorhebung im letzten Satz: Kierkegaard unterscheidet das Zeugnis als Mitteilung von dem Zeugen als dem Existierenden. Die nach außen gesendete Mitteilung löst sich qua ,Botschaft‘ an die Mitwelt vom Mitteilenden ab, der sich in sich selbst zurückwendet. Dürfte man Kierkegaards ,direkte‘ Mitteilungen allein von dieser Struktur her lesen – was sich freilich angesichts des widerspruchsreichen Netzes der Journalreflexion verbietet – dann wären sie eben nicht ,einfach direkte‘, sondern gleichsam direkt-indirekte oder indirekt-direkte Mitteilungen: Die Inkommensurabilität des Einzelnen bliebe in ihnen gewahrt, indem das, was nach außen und direkt gesagt wird, den Rückstoß auf die Innerlichkeit mitbegründete. Die Notiz ist auch insofern bemerkenswert, als sie der indirekten Mitteilung nicht die dienende Funktion einer bloß zweckgebundenen ,Taktik‘ zuschreibt; das Indirekte bezeichnet vielmehr den ,Rest‘ der Singularität, der im Sprechen nach außen nicht aufgeht. Offensichtlich hat Kierkegaard diesen ,zweideutigen‘ Gedanken aber nicht weiter verfolgt; er stellt gleichsam ein ,Denkexperiment‘ innerhalb des in NB10 nachweisbaren Widerstandes gegen die direkte Mitteilung dar. Die folgenden Aufzeichnungen gehen dann wieder zu der Position zurück, eine Herausgabe der ,Schriften über sich‘ für unmöglich zu halten: So notiert NB10:169 eine Fülle von Argumenten gegen eine jede direkte Äußerung über sich selbst;511 und ausdrücklich hält die Aufzeichnung NB10:192 fest: „Nein, ganz richtig, es soll nicht ein Wort über mich selbst gesagt werden“.512 Hier auch prägt sich das vorläufige Ergebnis von NB10 aus: Kierkegaard sei wesentlich „Dichter“, die „Produktivität“ seine „Entwicklung“, und deshalb könne er die gesamte Schriftstellerei nicht als seine „Absicht“ übernehmen.513

511 NB10:169 (SKS 21, 341). 512 NB10:192 (SKS 21, 360); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert. 513 NB10:192 (SKS 21, 360); vgl. hierzu auch die in ähnliche Richtung zielenden Eintragungen NB10:199 (T 3, 213 – 217 / SKS 21, 364 – 367), NB10:200 (T 3, 217 – 219 / SKS 21, 368 f.) und NB10:202 (SKS 21, 369).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Zwischen diesen Aufzeichnungen steht die lange, quer und in lateinischer Schrift notierte Notiz NB10:185, in der Kierkegaard den Abschluss der „Rechenschaft“ festhält: Er habe „[n]och einen letzten Versuch“ gemacht, „doch ein Wort über mich selbst und die ganze Schriftstellerei zu sagen“; die kleine Schrift sei „ein Meisterstück“, aber „das ist das Gleichgültige[,] das lässt sich nicht machen.“514 Hier ruft Kierkegaard nochmals sein zentrales Argument gegen eine Publikation auf: „Denn ich bin derart Genie, dass ich nicht ganz direkt persçnlich das Ganze bernehmen kann, ohne der Lenkung zu nahe zu treten.“515 Und die Reflexion beendet Kierkegaard mit den Worten: „Die übrige Produktivität kann gut herausgegeben werden. Nur nicht ein Wort über mich selbst.“516

c) Die ,Lösung‘ und der zweite Plan zur pseudonymen Publikation – NB11 – NB13 Im Journal NB11 von Mai bis Juli 1849 gewinnt die Reflexion über die Herausgabe des Gesichtspunkts noch an Intensität. Kierkegaard schreibt eine Fülle von Aufzeichnungen in lateinischer Schrift und/oder längsseitig und notiert sich erstmals die wichtigsten Stellen in einem ,Inhaltsverzeichnis‘.517 NB11 markiert den Kulminationspunkt des so genannten ,Reflexionskampfes‘ um die Herausgabe der Schriften von 1848; in keinem anderen Journal finden sich derart extreme Gegenpositionen auf engstem Raum, und die Ausrufungszeichen und Hervorhebungen vervielfachen sich. In einigen Notizen weist Kierkegaard die Reflexionen aus NB10 scharf zurück; so heißt es in NB11:8, „noch ein ,Dichter‘“ sei „wahrlich nicht, was die Zeit braucht“,518 und die Aufzeichnung 514 NB10:185 (SS, 167 / SKS 21, 352); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert. Hier ist übrigens die „Rechenschaft“ noch als „Folgeblatt“ zu den „Drei frommen Reden“ von 1849 geplant. Vgl. auch NB10:191 (SKS 21, 357 – 360), wo ein später nicht benutztes „Folgeblatt“ zur „Rechenschaft“ notiert wird. 515 NB10:185 (SS, 167 / SKS 21, 352). 516 NB10:185 (SS, 168 / SKS 21, 355). 517 Vgl. NB11:2 (T 3, 223 / SKS 22, 8). 518 NB11:8 (SKS 22, 12); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert. Vgl. auch NB11:14 (T 3, 223 f. / SKS 22, 15). – Vgl. in diesem Zusammenhang auch NB11:35 (SKS 22, 28), wo Kierkegaard zunächst eine dichterisch verhüllte Selbstdarstellung in einer kleinen Abhandlung plant, dann aber einwendet, dergleichen lasse sich „nicht dichterisch machen“; der „Ernst“ fordere, dass eine Darstellung über sich selbst, wenn sie denn überhaupt gemacht

1. Die Frage nach der Herausgabe des Gesichtspunkts

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NB11:192, die mit den Worten „Pfui, pfui!“ beginnt, brandmarkt die eigene Berechnung, welche die fertigen Schriften gar nicht oder nur pseudonym herausgeben wolle, gar als Betrug an Gott.519 Stets aber setzt sogleich die Gegenbewegung ein, und hier kommt gerade dem Gesichtspunkt eine wesentliche Bedeutung zu: In NB11:122 notiert Kierkegaard, das „im Journal NB10“ über sich selbst Gesagte sei „ganz wahr“;520 in NB11:195 heißt es: „Also in Gottes Namen! Was mich am meisten ängstigt ist ,Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller‘“;521 und NB11:202 beginnt mit den Worten: „Nein, das lässt sich nicht machen! / Ich kann es nicht, das ist mir zu hoch! ,Der Gesichtspunkt‘ kann doch nicht herausgegeben werden“.522 In NB11 findet Kierkegaard aber bereits auch die ,Lösung‘ des ,Problems: In NB11:123 notiert Kierkegaard, die Krankheit zum Tode und die Einbung sollten pseudonym erscheinen, an eine Herausgabe der ,Schriften über sich selbst‘ sei hingegen nicht zu denken.523 In NB11:203 heißt es, die Krankheit zum Tode sei an die Druckerei abgeliefert worden;524 und in NB11:204 wird der Entschluss definitiv festgehalten, dieses Werk pseudonym zu publizieren und sodann mit der Schriftstellerei abzubrechen; dabei lasse „[a]ll das über meine Person als Schriftsteller […] sich nun überhaupt nicht brauchen“.525

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werden könne, „direkt und in meinem eigenen Namen“ gegeben würde – so wie er es sich auch „in all den direkten Mitteilungen meine Wirksamkeit als Schriftst. betreffend“ gedacht habe. NB11:192 (SKS 22, 115 f.); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert. Vgl. hierzu auch NB11:194 (SKS 22, 119 f.). NB11:122 (SKS 22, 68); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert. Auf diese Aufzeichnung und auf die eben zitierte Eintragung NB11:8 verweist Kierkegaard in einer Einbandnotiz des Journals NB10; vgl. NB10:2 (SKS 21, 258). NB11:195 (SKS 22, 121). NB11:202 (T 3, 254 / SKS 22, 125); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert. NB11:123 (SKS 22, 70); die Aufzeichnung ist längsseitig notiert. NB11:203 (SKS 22, 126). Kierkegaard beschäftigt sich in diesem Umfeld intensiv mit der Bedeutung des Pseudonyms Anti-Climacus, vgl. NB11:204 (T 3, 256 / SKS 22, 127 f.), NB11:209 (T 3, 257 / SKS 22, 130), NB11:222 (T 3, 259 f. / SKS 22, 135 f.), NB11:228 (SKS 22, 138 f.). NB11:204 (T 3, 255 / SKS 22, 127); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert. Das Argument lautet hier, dass die Schriften über seine eigene Person ihn bloß ,interessant‘ machen würden: „Aber nichts von dem über meine Person als Schriftsteller, das ist die Unwahrheit, zu Lebzeiten antizipieren zu wollen, was bloß heißt, sich in das Interessante hinein zu konver-

320

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Kierkegaard ringt hier um die Entscheidung zur Herausgabe der fertig gestellten Schriften – und angesichts der Intensität der Reflexion ist es nicht überraschend, dass sich im Unterschied zu NB10 kaum mitteilungstheoretische Notizen im engeren Sinn finden. Eine Ausnahme526 ist die hochinteressante Eintragung NB11:6 zu Beginn des Journals, von Anfang Mai 1849. Hier vertieft Kierkegaard den zuerst in NB9:78 aufgekommenen und sogleich verworfenen Plan einer pseudonymen Veröffentlichung des Gesichtspunkts, und fasst ihn nun als ernsthafte Möglichkeit ins Auge: Sollte etwas über die Wirksamkeit als Schriftsteller gesagt werden, könnte es auch derart gemacht werden, dass eine dritte Person gebildet würde, der Verfasser, der die Einheit meiner selbst und des Pseudonyms wäre, und er spräche direkt darüber. Es würde dann bloß eine Introduktion benötigt, in der dieser Verf. eingeführt würde und dann könnte er alles in erster Person sagen. In der Introduktion wäre zu zeigen, dass die ganze Schriftstellerei eine Einheit wäre, aber ich wäre nicht das Pseudonym und das Pseudonym nicht ich; deshalb wäre dieser, „Der Verfasser“, die Einheit des Pseudonyms und meiner.527

Die hier notierte Konstruktion ist aufgrund ihres skizzenhaften Charakters nur in Ansätzen verständlich. Offensichtlich sieht der Plan vor, das Werk unter einem Pseudonym zu publizieren, das als solches allein in der Einleitung auftritt und den ,Verfasser‘ einführt, der seinerseits in erster Person über das Werk spricht. Dieser Verfasser aber soll die Einheit des Pseudonyms und Kierkegaards selbst sein. Das würde freilich bedeuten, dass die ,Sprecherrolle‘ den Herausgeber (das Pseudonym) umgreift – eine Konstruktion, die sich im pseudonymen Werk sonst an keiner Stelle tieren“ (NB11:204 (T 3, 256 / SKS 22, 128)). – Vgl. auch NB11:211 (T 3, 258 / SKS 22, 131), wo Kierkegaard den Plan, alle Schriften von 1848 mitsamt dem Gesichtspunkt gemeinsam als ,Werke der Vollendung‘ herauszugeben, als eine „verzweifelte Idee“ und „etwas Dämonisches“ bezeichnet. In NB8:15 war allerdings der Gesichtspunkt nicht als Teil der ,Werke der Vollendung‘ genannt worden; Kierkegaard verweist hier auf einen späteren Plan, vgl. Pap. X 5 B 143. 526 Mitteilungstheoretisch aufschlussreich ist auch die Eintragung NB11:118 (T 3, 236 – 238 / SKS 22, 66 f.), wo Kierkegaard in einer Diskussion des Pfingstwunders eher nebenbei zu der Feststellung kommt: „Das will sagen: Geist lässt sich nur indirekt mitteilen“. 527 NB11:6 (SKS 22, 10); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert. Vgl. zu diesem Plan Richard Kearney „Kierkegaard’s Concept of the God-Man“ in Kierkegaardiana 13, 1984, S. 105 – 122, hier S. 114 sowie ders. Poetics of Modernity. Toward a Hermeneutic Imagination, Atlantic Highlands 1995, S. 13.

1. Die Frage nach der Herausgabe des Gesichtspunkts

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findet. Mit der Einführung dieser drei Instanzen beabsichtigt Kierkegaard wohl einerseits, dem Problem einer rein äußerlichen, einfach pseudonymen Darstellung zu begegnen, indem er selbst als ,Untereinheit‘ der sprechenden Person mit angebracht ist; andererseits aber wird durch den Dritten die Vielstimmigkeit der Darstellung noch potenziert. Deutlich ist in jedem Fall, dass Kierkegaard hier eine ,gebrochene‘ Darstellung der direkten Mitteilung des Gesichtspunkts ernsthaft ins Auge fasst, und dies offensichtlich im Kontext seines neu gewonnenen Selbstverständnisses, ,nur Dichter‘ zu sein und daher auch von sich selbst nur eine ,dichterische‘ Mitteilung geben zu können. Der Plan wird – obgleich der skizzierte Journalverlauf ihn unwahrscheinlich werden lässt – nicht explizit zurückgewiesen; Kierkegaard wird die Konstruktion in NB14:8 nochmals modifiziert und in ihrer detailliertesten Formulierung aufgreifen. Schließlich ist in NB11 noch auf eine Eigentümlichkeit der werkgeschichtlichen Reflexion aufmerksam zu machen, die hier erstmals explizit wird. In NB11:33 notiert Kierkegaard vor dem Hintergrund der Zwei ethisch-religiçsen Kleinabhandlungen von H. H. eine polemische Bemerkung über eine direkte Darstellung des Christentums und macht dazu eine aufschlussreiche Marginaleintragung: „Selbst habe ich in meiner ganzen Wirksamkeit als Schriftst. ein wenig nachgegeben, indem ich seit der Abschl. Nachschrift allein direkte religiöse Mitteilung gesetzt habe“.528 Diese Einschätzung bedeutet freilich eine wesentliche Verschiebung gegenüber der in Gesichtspunkt und Wirksamkeit formulierten Auffassung des erbaulichen Werks von 1847/48: Es gilt hier nicht mehr als ,Ziel‘ des Ganzen, sondern gleichsam als ,Konzession‘. Damit aber ist die in den ,Schriften über die Schriftstellerei‘ entwickelte Logik entscheidend modifiziert. Auch diese Bemerkung entspricht der ,Gegenbewegung‘ zur direkten Mitteilung, die sich in den Journalen 1849 ausprägt: Die indirekte Mitteilung gilt bereits hier – ohne dass dies explizit formuliert würde – als ,höhere‘ Form, die eigentlich im Ganzen hätte durchgehalten werden müssen. Die Auffassung, nach der die ,Periode‘ der ,direkten‘ religiösen Mitteilung eine ,Konzession‘ gewesen sei, wird Kierkegaard im ,Dialektik‘-Fragment und in späteren Journalen mehrfach wieder aufgreifen; es handelt sich also nicht bloß um einen momenthaften ,Ein-

528 NB11:33.c (SKS 22, 27; die Aufz. selbst, nicht aber die hier zitierte Marginalnote ist übers. in T 3, 228 – 230).

322

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

fall‘529 – allerdings wird auch die in den ,Schriften über sich selbst‘ formuliert Struktur später noch genannt. Die beiden zuletzt zitierten Aufzeichnungen sind allerdings die einzigen im engeren Sinn mitteilungstheoretisch relevanten Eintragungen in NB11. Auch in den nächsten beiden Journalen finden sich zu diesem Thema kaum ausdrückliche Notizen; die Frage nach der Herausgabe der bereitliegenden Schriften ist für Kierkegaard zunächst geklärt, und die in NB11 gewonnene ,Lösung‘ wird in NB12 und NB13 – zumeist in Form von Rückblicken – mehrmals durchgesprochen, ohne dass sich wesentliche Änderungen ergeben. In NB12 ( Juli bis September 1849) wird wiederholt die Entscheidung bekräftigt, den Gesichtspunkt nicht zu publizieren; die Einbung soll „das Letzte“ sein, was herausgegeben wird.530 Nur in NB12:57 wird diese Entscheidung mitteilungstheoretisch begründet: Im Horizont der „bestehenden Christenheit“ bedürfe es der „Maieutik“; und weiter heißt es: Es war doch Ungeduld, dass ich plötzlich aus der indirekten Mitteilung herausdrängen wollte und das Ganze persönlich in Eigenschaft eines Außerordentlichen übernehmen wollte. Die Verwirrung wäre nicht ausgeblieben, trotz all meiner Restriktionen und Klauseln hinsichtlich dieses Schritts.531

Kierkegaard scheint geradezu die Begriffe von indirekter Mitteilung und Maieutik zu reaktivieren – allerdings nun in neuer, durch das Pseudonym Anti-Climacus gewonnener Perspektive. So notiert NB12:52 eine dreigliedrige Struktur des Werks: Kierkegaard selbst und in eigenem Namen komme das Erbauliche zu; „dahinter und voraus“ aber liege die „niedrigere und die höhere Pseudonymität“, nämlich einerseits die ,ästhetische‘ der Schriften bis 1846 und andererseits nun die neue, christliche des Anti529 Vorbereitet ist diese Auffassung schon durch bestimmte Passagen in NB6; vgl. bes. die oben, II.3.4. zitierte Notiz NB6:30 (SKS 21, 29), wo es u. a. heißt: „Dadurch, zwei Jahre lang ausschließlich erbaulicher Schriftsteller zu sein und dann produktiv, hat sich wohl bald ein Wahn entwickelt, dass ich nun ernsthaft geworden bin. Ich war wohl selbst nicht weit davon entfernt, mir darin zu behagen, dass man mich als den Ernsthaften ansehe. Das muss verhindert werden. Das ist wieder direkte Mitteilung, und das ist eben nicht Ernst.“ 530 NB12:72 (SKS 22, 183); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert. Vgl. zum Entschluss, den Gesichtspunkt nicht herauszugeben, auch NB12:7 (SKS 22, 149), NB12:19 (SKS 22, 155) und NB12:27 (T 3, 268 / SKS 22, 159); in NB12:133 (SKS 22, 223) wird die Schrift dem Jahr 1848 zugeordnet. 531 NB12:57 (SKS 22, 174); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert.

1. Die Frage nach der Herausgabe des Gesichtspunkts

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Climacus.532 Damit ist das Geflecht von direkter und indirekter Mitteilung deutlich komplexer bestimmt als der im Gesichtspunkt notierte einfache Übergang vom Indirekten zum Direkten. Offenkundig verliert auch hier die ,direkte Mitteilung über sich‘ und damit der Gesichtspunkt die zentrale Bedeutung der ,Zeugenschaft‘, die ihm vor seiner Abfassung 1848 zugesprochen worden war. Während in NB12 die Reflexion des ,neuen‘ Pseudonyms AntiClimacus im Mittelpunkt steht, nimmt sich Kierkegaard in NB13 (September bis November 1849) wieder mehrfach die Herausgabe der Texte über seine Wirksamkeit als Schriftsteller vor. Obgleich dieser Frage eigens lange Eintragungen gewidmet sind und sie intensiv bedacht wird, kommen keine grundsätzlich neuen Argumente für oder gegen eine Publikation auf.533 Kierkegaard klärt zumeist rückblickend den Prozess, der zur Abfassung des Gesichtspunkts und zu dem Plan, ihn auch zu publizieren, geführt habe; in diesem Vorsatz aber habe er sich für „einen Augenblick […] missverstanden“; eine Herausgabe hätte eine „große Verwirrung“ angerichtet und wäre gar einer „verwirrende[n] DichterVerwechslung“ gleichgekommen.534

d) Der dritte Plan zur pseudonymen Publikation – NB14 In NB14 finden sich nur noch vereinzelt Reflexionen auf die Herausgabe des Gesichtspunkts; dies zeigt sich schon im ,Inhaltsverzeichnis‘ des Journals, in dem nun Aufzeichnungen zu anderen Fragen dominieren.535 Die wenigen Bezugnahmen auf Verfasserschaft und Mitteilungsfrage sind allerdings höchst aufschlussreich. So notiert Kierkegaard in NB14:8 aus dem November 1849 den detailliertesten Plan zur pseudonymen Publikation des Gesichtspunkts. Hierzu heißt es: „Sollten die Schriften über meine Wirksamkeit als Schriftsteller von einem Pseudonym herausgegeben werden, könnte das folgendermaßen gemacht werden: / Mag. K.s Wirksamkeit als Schrift-

532 NB12:52 (SKS 22, 169). Vgl. hierzu bes. auch NB12:17 (SKS 22, 154). 533 Vgl. hierzu NB13:21 (SKS 22, 285), NB13:27 (SKS 22, 289), NB13:35 (SKS 22, 296), NB13:37 (T 4, 13 – 15 / SKS 22, 298 f.), NB13:78 (SKS 22, 321). 534 NB13:37 (T 4, 14 f. / SKS 22, 298); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert. 535 Vgl. NB14:2 (T 4, 33 / SKS 22, 342).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

steller, aufgefasst vom Verfasser / Dichterischer Versuch von A – O.“536 Das hierzu skizzierte „Vorwort“ formuliert diesen ,Dichterischen Versuch‘ als eine mathematische „Gleichung“, in der „eines angegeben und ein anderes gesucht wird“: Gegeben sei hier „1. sämtliche Schriften der Wirksamkeit als Schriftsteller“ und „2. Mag. Ks persönliches Existieren“; gesucht sei „eine Schriftsteller-Persönlichkeit“, die der „angegebenen Wirksamkeit als Schriftsteller“ entspreche.537 Hierzu gibt nun das Pseudonym eine bemerkenswerte Erläuterung: Dass eine solche Wirksamkeit als Schriftsteller wie die angegebene, die im Ganzen zu[r] Persönlichkeit tendiert, zur definitiven Vollendung fordert, dass der Verfasser zum Schluss selbst angebracht wird, verstehe ich. Jedoch kommt es mir so vor, dass es, dialektisch, eigentlich unmöglich für Mag. K. ist, das selbst zu tun, da er, indem er es selbst tut, dialektisch die dialektische Struktur der ganzen Wirksamkeit als Schriftsteller sprengt. Ich habe nun diesen dichterischen Versuch gewagt. Der Verfasser spricht selbst in erster Person; aber man behalte wohl in Erinnerung, dass dieser Verf. nicht Mag. K. ist, sondern meine Dichtung.538

Und nachdem das Pseudonym dem „Hr[n]. Mag.“ eine formelle „Entschuldigung“ dafür abgestattet hat, dass dieser solcherart gedichtet werde, heißt es abschließend: Mehr auch nicht, als ihm diese Entschuldigung zu geben. Denn im Übrigen habe ich mich dichterisch ganz von ihm emanzipiert. Ja selbst wenn es so wäre, dass er erklären würde, dass meine Auffassung faktisch an irgendeinem einzelnen Punkt unwahr wäre: daraus folgt ja nicht, dass sie dichterisch unwahr ist. Der Schluss könnte ja auch umgekehrt werden: ergo hat Mag. K. nicht dem entsprochen oder das realisiert, was dichterisch das Richtige wäre. A – O.539

Dieser detaillierte Entwurf ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Zunächst ist im Rückblick auf den früheren Plan in NB11:6 festzuhalten, dass Kierkegaard die dort notierte unklare Konstruktion modifiziert: Der ,Verfasser‘ ist nicht mehr die Einheit des Pseudonyms und Kierkegaards selbst, sondern konsequent als Dichtung des Pseudonyms aufgefasst. Der Kunstgriff, die Darstellung in Form einer Gleichung zu präsentieren, 536 NB14:8 (SKS 22, 347); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert. Vgl. hierzu und zum Kontext Deuser Dialektische Theologie, S. 60 f.; vgl. auch Garff „The Eyes of Argus“, S. 93 f.; David R. Law „A Cacophony of Voices“, S. 32. 537 NB14:8 (SKS 22, 347). 538 NB14:8 (SKS 22, 347). 539 NB14:8 (SKS 22, 347).

1. Die Frage nach der Herausgabe des Gesichtspunkts

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beantwortet zugleich den im ersten Plan NB9:78 vorgebrachten Einwand, es bleibe in einer pseudonymen Publikation bei einer ,bloß mçglichen‘ Erklärung der Wirksamkeit als Schriftsteller. A – O ist weitaus radikaler: Er erklärt nicht von außen und als Dritter, wie die Wirksamkeit als Schriftsteller hypotetice womöglich zu verstehen sei, während er aber diese Erklärung bloß als Leser gebe; er möchte vielmehr zeigen, wie der Verfasser dieses Werks konsequenterweise htte sein mssen – und nimmt sich damit zugleich heraus, über den ,wirklichen‘ Mag. Kierkegaard das Urteil zu sprechen, sofern dieser der ,mathematisch konsequenten‘ Gleichung nicht genügt. Bemerkenswert ist aber nun insbesondere, wie A – O die für Kierkegaard zentrale Frage der Reduplikation, nämlich der persönlichen Stellung des Autors zum Werk beantwortet. Das Pseudonym macht als von außen Sprechender eine Perspektive geltend, die Kierkegaard in seinen Journalreflexionen weitestgehend unterschlägt: Es denkt die Problematik des Autors vom Werk her – und nicht allein umgekehrt, wie Kierkegaard selbst, auf das Persçnliche hin. Kierkegaards vordringliche Frage, ob er sich selbst persönlich ganz wahr darstellen dürfe oder auch nur könne, hat in dieser Konstruktion gar keinen Ort. A – O sagt vielmehr, ein ,Auftritt des Verfassers‘ durch ihn selbst müsste die ,dialektische Struktur‘ der Schriftstellerei sprengen. Deutlich ist das Echo aus der ,Ersten und letzten Erklärung‘ von 1846 zu vernehmen, in der es hieß: „Ein einziges Wort von mir persönlich in meinem eigenen Namen würde die anmaßende Selbstvergessenheit sein, die mit diesem einen Wort, dialektisch gesehen, es verschuldete, im Wesentlichen die Pseudonyme vernichtet zu haben.“540 Eine direkte Erklärung über das, was der Verfasser ist und was er gewollt hat, würde eben das Indirekte als Grundstruktur des Werks ,vernichten‘ und in Eindeutigkeit übersetzen. Momenthaft kommt gerade dort, wo Kierkegaard die Perspektive verschiebt und einen Dritten über die direkte Mitteilung sprechen lässt, eine werktheoretische und strukturelle Dimension in den Blick, die sonst von den persönlichen Reflexionen verdeckt wird. Bemerkenswerterweise ist dann auch im Entwurf vom Christlichen, einer maieutischen Taktik und Kierkegaards ,Aufgabe‘ gar nicht die Rede. Der in NB6 notierte Gedanke, der Maieutiker müsse unter christlichen Bedingungen zum Zeugen werden, fehlt hier gänzlich; und selbst noch A – Os Bemerkung, der Verfasser müsse in der Tat selbst mit angebracht werden, ist spezifisch existenziell gefärbt und durch den Begriff der ,Persönlichkeit‘ begründet. 540 AUN2, 340 / SKS 7, 570.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Die Argumente, die Kierkegaard im weiteren Verlauf der Eintragung für eine solche Konstruktion notiert, sind allerdings die bekannten: Er selbst sei Dichter und überdies ein Büßender, das Werk sei seine eigene Erziehung.541 Hinzu kommt aber hier noch die Wendung durch das neue Pseudonym Anti-Climacus, die offenbar wesentlichen Anteil daran hat, dass Kierkegaard den Plan zu einer pseudonymen Publikation auch des Gesichtspunkts detaillierter ausführt: Mit diesem zeige sich nämlich zugleich seine ,Grenze‘ – und eine direkte Mitteilung über sich selbst käme offensichtlich einer ,Überschreitung‘ dieser Grenze gleich. Dementsprechend heißt es, die im ,Vorwort‘ skizzierte „Verwandlung oder poetische Mitteilung“ sei „kategorisch ganz richtig“; er sei „kein Apostel od. dergleichen“; und gäbe er nun „hier die direkte Mitteilung“, dann nützten auch „alle[n] Restriktionen usw.“ nichts.542 Schon in NB14:27 wird allerdings auch dieser Plan verworfen – mit der Begründung, eine pseudonyme Publikation sei „nicht nötig“ und auch „nicht richtig“; die Kategorie des ,Erzogen-Werdens‘ sei „entscheidend genug“.543 Noch dieser Widerruf aber ist in seiner Argumentation erhellend. Kierkegaard verweist nochmals auf die durch das Pseudonym Anti-Climacus markierte ,Grenze‘. Die „Mitteilung über die Wirksamkeit als Schriftsteller“ aber liege „innerhalb“ dieser Grenze; das direkte Wort über sich steht also tiefer als die Anti-Climacus-Schriften.544 Zwar gibt Kierkegaard nun den Plan einer ,radikalen‘ Einschränkung der Perspektive des Gesichtspunkts durch Pseudonymität endgültig auf; noch die Begründung aber zeigt, dass der Gesichtspunkt nicht einfach außerhalb der Entwicklung des Werks steht, sondern ihr zugehçrt – und in NB14:27 ist er nicht einmal der höchste point de vue. Kurz darauf, in NB14:30 (ebenfalls noch vom November 1849), kommt Kierkegaard eher beiläufig, aber dann doch ausführlich auf die Mitteilungsfrage zu sprechen. Die Notiz vergleicht zunächst den christlich Leidenden, der einer Idee dient und dazu von Gott die Erlaubnis erhält, mit dem Apostel, der von Gott „gezwungen“ wird.545 Offensichtlich behandelt Kierkegaard hier den eigenen ,Fall‘, und die Abgrenzung vom Apostel führt zu einer mitteilungstheoretischen Re541 Vgl. NB14:8 (SKS 22, 347 f.). 542 NB14:8 (SKS 22, 347 f.). 543 NB14:27 (SKS 22, 359); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert. Vgl. die Übertragung dieser und der zuvor zitierten Aufzeichnung in den Entwurf Pap. X 5 B 147. 544 NB14:27 (SKS 22, 358). 545 NB14:30 (T 4, 39 / SKS 22, 361).

1. Die Frage nach der Herausgabe des Gesichtspunkts

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flexion: Kierkegaard schreibt, er „verstehe hier wieder, weshalb es so wichtig ist, dass ich mich zurückhalte, und mit aller Macht eine Verwechslung mit so etwas  la ein Apostel verhindere“.546 Entsprechend der seit NB10 aufgezeigten ,neuen Wertschätzung‘ der indirekten Mitteilung notiert hier Kierkegaard: „Etwas Sokratisches habe ich, das kann man sagen. / Indirekte Mitteilung war meine Naturbestimmung.“547 Dabei gibt er einen aufschlussreichen Rückblick auf die mitteilungstheoretischen Reflexionen von 1848 und rückt diese in die durch Anti-Climacus neu gewonnene Perspektive ein: Er habe damals die „direkte Mitteilung“ durchdacht und sei dadurch einerseits in den Schriften über die eigene Wirksamkeit selbst zu einer solchen direkten Mitteilung gekommen; dabei habe er aber andererseits „zugleich ein tieferes Verständnis der indirekten Mitteilung gewonnen, die neue Pseudonymität.“548 Das entspricht freilich keineswegs der Chronologie der Journale – vielmehr hieß es im Sommer 1848 ausdrücklich und wiederholt, die indirekte Mitteilung dürfe zukünftig nicht mehr verwendet werden. Gerade diese retrospektive Unschärfe aber zeigt, dass Kierkegaard 1849 wenigstens vorerst eine ihn zufriedenstellende dreigliedrige Struktur des Mitteilungsbegriffs gefunden hat: die ,ästhetisch‘-indirekte Form als niedrigste Stufe, er selbst in der mittleren Position dessen, der zugleich erzogen wird – und AntiClimacus als neue und ,höhere‘ indirekte Mitteilung, die zugleich Kierkegaards Grenze aufzeigt. Immer wieder also kommt in den Journalen von 1849, zumeist beiläufig und in den unterschiedlichsten Kontexten, das Theorem der indirekten Mitteilung auf. Im Folgenden soll allerdings die Hypothese unterbreitet werden, dass Kierkegaard in eben diesem Zeitraum – ge546 NB14:30 (T 4, 39 / SKS 22, 361). – Auch in NB14 bedenkt Kierkegaard wieder die Funktion des ,neuen Pseudonyms‘: In NB14:12 (SKS 22, 350 f.) findet sich ein aufschlussreicher Rückblick auf die Pseudonymsetzung in der Krankheit zum Tode; in NB14:19 (SKS 22, 354 f.) unterstreicht Kierkegaard nochmals, dass Anti-Climacus die „Dichter-Mitteilung“ sichere. Auf die Herausgabe der Werke reflektiert auch NB14:28 (SKS 22, 360), wo Kierkegaard abermals den Plan zurückweist, alle Werke von 1848 in einem Band herauszugeben. NB14:10 (SKS 22, 349) und NB14:31 (SKS 22, 362) halten nochmals das ,Aufmerksam-Machen auf das Christliche‘ als entscheidende Kategorie der Schriftstellerei fest. En passant spricht Kierkegaard auch von der indirekten Mitteilung, wenn es in NB14:77 (T 4, 56 / SKS 22, 389 f.) heißt, er sei zwar nach Abschluss der Nachschrift aus der indirekten Mitteilung herausgetreten, diese sei aber durch den „Widerstand“ im ,Corsarenstreit‘ „auf eine andere Weise nun wieder gesichert“ worden. 547 NB14:30 (T 4, 39 / SKS 22, 361). 548 NB14:30 (T 4, 39 / SKS 22, 361 f.) [Herv. v. Verf.].

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

nauer: im Frühjahr/Sommer 1849 – auch einen Text verfasst, der exklusiv und ausführlich die Frage der Mitteilung zum Thema hat. Als erster Beleg für diese Hypothese ist auf NB14:19 zu verweisen, wo Kierkegaard eine Formulierung verwendet, die sich in den Journalen an beinahe keiner anderen Stelle findet: die Formel „ethisch-religiöse Mitteilung“.549

2. Mitteilung ex cathedra? – Das Vorlesungsfragment zur ,Dialektik der Mitteilung‘ II Es ist die Hypothese der folgenden erneuten Auseinandersetzung mit dem Vorlesungsfragment zur ,Dialektik der ethischen und der ethisch-religiösen Mitteilung‘, dass große Teile dieses Textes – zwei systematische Schemata sowie zwei ausformulierte Vorlesungen – mit hoher Wahrscheinlichkeit im Jahr 1849 parallel zu den soeben interpretierten Journalen niedergeschrieben worden sind.550 Ist diese Hypothese zutreffend, so ist der entsprechende Teil der ,Dialektik‘ nicht nur Kierkegaards ausführlichste Behandlung der Mitteilungsfrage nach Abfassung des Gesichtspunkts im Herbst 1848, sondern auch der quantitativ umfänglichste zusammenhängende Text zum Mitteilungsbegriff im Gesamtwerk überhaupt. Allerdings ist sogleich das Attribut des ,Zusammenhängenden‘ zu relativieren und im Gegenteil der ,Versuchscharakter‘ des Konvoluts hervorzuheben: Die hier dem Jahr 1849 zugeschriebene Partie der ,Dialektik‘ enthält im Ganzen drei Anläufe, ein und dasselbe Material zu gliedern und zur Darstellung zu bringen. Keiner dieser Versuche aber gelangt zu einer umfänglichen Ausarbeitung oder einer überzeugenden Durchführung. Die Schemata bleiben fragmentarisch und tastend, und die Vorlesungen kommen nicht weiter als zur Exposition des Ansatzes: Die zweite Vorlesung bricht dort unvermittelt ab, wo die Mitteilungsdialektik selbst dargestellt werden soll. Mithin enthält die ,Dialektik‘ auch in ihrem Ansatz 1849 keinen klar konturierten und konsequent durchgeführten Mitteilungsbegriff, der mit der Konzeption der Nachschrift oder des Gesichtspunkts vergleichbar wäre. 549 NB14:19 (SKS 22, 354). Diese Wendung findet sich sonst nur in NB2:13 (T 2, 133 / SKS 20, 143), mit ausdrücklichem Bezug auf das Vorlesungsfragment (vgl. oben, II.3.2.a)). 550 Vgl. zum Folgenden die Auslegung des ,Dialektik‘-Fragments von 1847, oben, II.3.2.

2. Mitteilung ex cathedra?

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Insbesondere aber – und dies gilt es zu betonen – kann der ,schematische‘ Zugang der ,Dialektik‘ 1849 nicht als umfassende Erörterung der Mitteilungsthematik gelesen werden, die alle übrigen Reflexionen Kierkegaards zu diesem Thema umgreifen, die einzelnen in Werk und Nachlass verwendeten Mitteilungstermini systematisch ordnen und zueinander ins Verhältnis setzen würde. Zwar wird dieser Anspruch dem Ansatz nach offensichtlich erhoben. Gerade dort aber, wo er im Detail eingelöst werden soll, sind die Notizen äußerst skizzen- und lückenhaft; zugleich ist die Darstellung auch in sachlicher Hinsicht problematisch, unklar und unvollständig.551 So fällt etwa – um nur eine Pointe der Auslegung vorwegzunehmen – Kierkegaards eigene Mitteilungskonzeption des Gesichtspunkts, nämlich das maieutisch-teleologische ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ ohne Vollmacht, aus der leitenden Systematik heraus.552 Kierkegaard selbst hat die ,Dialektik der Mitteilung‘ offensichtlich als problematisch bewertet; dies belegt nicht nur der Abbruch der Ausarbeitung, auch im Text selbst findet sich eine ausführliche Problematisierung des eigenen Vorgehens. So gibt der 1849er Ansatz zur ,Dialektik‘ der Mitteilung nicht den einen, alle übrigen Bestimmungen in sich beschließenden ,metatheoretischen‘ Begriff der Mitteilung, sondern ist als eigenstndige Konzeption der Mitteilung neben anderen zu lesen, die zudem im Ganzen fragmentarisch und im Einzelnen problematisch bleibt. Dessen ungeachtet sind dem Text aufschlussreiche Einsichten zu ent551 Insofern ist es zwar zutreffend, wenn Bejerholm schreibt, die ,Dialektik‘ enthalte „most of the concepts belonging to Kierkegaard’s theories of communication“ (Bejerholm „Meddelelsens dialektik“, S. 310; vgl. die ausführliche Erläuterung ebd., S. 125 f.). Das Problem besteht aber darin, dass diese Begriffe hier nicht konkret bestimmt werden; überdies decken sie sich nicht durchgehend mit den sonstigen Verwendungsweisen. 552 Im Ganzen ist eine Positionsbestimmung der ,Dialektik‘ 1849 im Verhältnis zu den Mitteilungsbegriffen von Nachschrift und Gesichtspunkt schwieriger vorzunehmen als bei dem Ansatz 1847. Dies liegt zum einen daran, dass die Konzeption eigenständiger ist als die von 1847: Das Schema der Mitteilungsdialektik wie auch der leitende Begriff der ,Könnens-Mitteilung‘ haben weder in der Nachschrift noch im Gesichtspunkt eine direkte Entsprechung. Zum anderen ,mischt‘ die ,Dialektik‘ 1849 in ihren konkreten Partien eine Fülle von Mitteilungsaspekten ineinander, die z. T. in Nachschrift und Gesichtspunkt nicht zentral sind (so etwa die Reduplikation). In ihrer Orientierung an ,Wirklichkeit‘ bzw. ,Können‘ und in der Problematisierung des Direkten steht die ,Dialektik‘ 1849 jedenfalls der Nachschrift näher als dem Gesichtspunkt, ohne aber den bei Climacus leitenden Gedanken einer Singularitt der Existenz aufzunehmen. – Auf besonders signifikante Parallelen und Differenzen zu früheren Mitteilungsbegriffen wird im Folgenden jeweils hingewiesen.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

nehmen, die eine seinem Umfang angemessene Interpretation fordern. Die zentralen Charakteristika der ,Dialektik‘ von 1849 lassen sich gemeinsam mit den ,Problemen‘ des Textes vorab in zweifacher Weise anzeigen: Erstens enthält das Konvolut eine ausführliche und eindringliche Problematisierung der direkten Mitteilung des Indirekten. Die gesamte erste Vorlesung ist eine einzige weit gespannte Reflexion Kierkegaards über seine Bedenken gegen das eigene Unternehmen – eben eine öffentliche und direkte Mitteilung ber die Dialektik der Mitteilung ex cathedra. Eine solche erscheint Kierkegaard nachgerade als Widerspruch zu dem, was sie behandelt. Diese ,Selbstproblematisierung‘ bedeutet einen signifikanten Unterschied der ,Dialektik‘ 1849 gegenüber Gesichtspunkt und Wirksamkeit: Diesen Schriften selbst ist kein grundsätzlicher Zweifel an dem eigenen ,direkten‘ Verfahren zu entnehmen; dass Kierkegaard diesbezüglich nach, während und bereits vor der Niederschrift erhebliche Bedenken gekommen sind, ist allein den Journalreflexionen aus dem zeitlichen Umfeld ihrer Entstehung abzulesen. Trotz dieses wesentlichen Unterschieds aber steht die ,Dialektik‘ 1849 auf derselben ,Ebene‘ wie die ,Schriften über die Schriftstellerei‘. Wie in diesen wird die Darstellung der indirekten Methode mit einer Mitteilung ber sich, über Kierkegaards eigenes Leben und Werk verbunden: Werden die Bedenken gegen den Kathedervortrag in der Exposition der ersten Vorlesung noch durch mitteilungstheoretische Termini erläutert – insbesondere ,Reduplikation‘, ,Situation‘ und das ,Fehlen‘ des Gegenstands in der indirekten Mitteilung –, so gleitet die Darstellung schon auf den ersten Seiten über in eine Reflexion auf die ,Berechtigung‘ zu einer direkten Mitteilung über sich, gerade in Bezug auf das Gottesverhältnis. Es ist durchaus bemerkenswert, dass sich diese ,privat-persönlichen‘ Bedenken auch in einem Text finden, der für einen Vortrag coram publico bestimmt ist – und gerade hierin erweist sich die ,Dialektik‘ sachlich als der Journalreflexion 1849 zugehörig. Das zweite Charakteristikum des ,Dialektik‘-Ansatzes von 1849 besteht in der Art und Weise, in der die Mitteilungsdialektik hier aufgeschlüsselt werden soll. Kierkegaard erwägt eine ,Schematisierungsform‘ der Mitteilung, die sich an keiner anderen Stelle seines Werks findet. Ihre ,Grundlinie‘ macht die Gegenüberstellung von ,Wissens-Mitteilung‘ und ,Könnens-Mitteilung‘ sowie die dreifache Differenzierung der ,Könnens-Mitteilung‘ in ästhetische, ethische und (ethisch-)religiöse Mitteilung aus. In diesem Schema zeigt sich die Eigenständigkeit der ,Dialektik‘ 1849 – und zugleich ein doppeltes ,Problem‘ ihres Ansatzes: Einerseits

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nämlich gibt das leitende Schema ein strenges und unbewegliches ,Raster‘ vor, mit dem der Bereich der Mitteilung ausgemessen werden soll; und es wird zu zeigen sein, dass bestimmte Aspekte von Kierkegaards sonstiger Mitteilungsreflexion aus dieser Systematik schlicht herausfallen. Andererseits aber ist dieser ,abstrakten‘ Systematik keine Ordnung zu entnehmen, anhand derer die konkreten Mitteilungstermini – etwa Doppelreflexion, Maieutik und Reduplikation – im Detail und in ihrem Verhältnis zueinander bestimmt werden könnten. Wo Kierkegaard dennoch versucht, diese Begriffe in das leitende Schema einzutragen, gerät die Darstellung beinahe zwangsläufig zu einer bloßen Auflistung, die in ihrer Reihenfolge unklar und in ihren Binnenunterscheidungen undifferenziert ist. Hier lässt sich das systematische ,Problem‘ einer umfassenden Darstellung des Mitteilungsbegriffs im Detail diskutieren: Eine ,abstrakte‘ Darstellung engt die Beweglichkeit und Nuancierung, die Kontext- und ,Situations‘-Bezogenheit ein, die wesentliches Merkmal der indirekten Methode ist. Ob Kierkegaard auch auf dieses ,Problem‘ in der ,Dialektik‘ 1849 aufmerksam gewesen ist, lässt sich nicht zweifelsfrei ausmachen. Dafür spricht allerdings, dass der Versuch, die in den Schemata notierte Systematik dem ausgearbeiteten Vortrag anzupassen, recht unambitioniert ausfällt und nach einer bloßen Skizze der Distinktionen abbricht. Diese beiden Charakteristika lassen sich den verschiedenen Textteilen der ,Dialektik‘ 1849 wie folgt zuordnen: Das erste Schema ist knapp und außerordentlich systematisch; es soll in drei Distinktionen den gesamten Bereich der Mitteilung ausmessen. Kierkegaard notiert hier die Unterscheidungen in einer zweispaltigen Form und macht sie ,auf einen Blick‘ sichtbar; insofern wird dieses Schema als synchrones oder synoptisches Schema bezeichnet. Eine Marginalie macht allerdings auf eine systematische Schwierigkeit aufmerksam und schlägt eine Neuordnung vor. Diesem Vorschlag folgt das zweite Schema, das ausführlicher gerät und auch den (problematischen) Versuch enthält, die seit 1845 verwendeten Mitteilungstermini in die leitende Systematik einzutragen. Hier werden die Distinktionen nacheinander entwickelt, so dass von einem diachronen oder sukzessiven Schema gesprochen werden kann. In diesem zweiten Schema kommen recht plötzlich Kierkegaards Bedenken gegen das eigene Vorhaben einer direkten Mitteilung ex cathedra auf. Diese Bedenken werden in der ersten Vorlesung umfänglich erläutert und zu einem eigenständigen Gedankengang fortentwickelt; auch verbindet Kierkegaard hier die Darstellung der Mitteilung mit einer ,Präsentation‘ seiner selbst und seines Werks. Die zweite Vorlesung soll daran anschließend offensichtlich die Mitteilungsdialektik gemäß den Schemata entwickeln; sie

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

gelangt aber nur zu einer Anzeige der basalen Unterscheidungen und rekurriert dabei auf Material beider Schemata. Eine letzte Eigentümlichkeit des Ansatzes von 1849 sei in aller Kürze vorab angezeigt: Kierkegaard bertrgt hier mehrfach Partien aus dem 1847 entstandenen Teil der ,Dialektik‘. Diese Übertragung ist insofern problematisch, als sich die Herangehensweise 1849 von dem zwei Jahre zuvor entstandenen Teil grundsätzlich unterscheidet. Insbesondere tritt 1849 das ethisch-maieutische Modell zurück, das 1847 dominiert. Es ist in der Interpretation aufzuzeigen, wie genau die Modifikation des Ansatzes sich gestaltet und inwiefern durch die ,Umtragung‘ älteren Materials in die ,neue‘ Systematik Spannungen entstehen. Im Folgenden ist zunächst die Datierungshypothese zu erläutern, nach der die beiden Schemata sowie die zwei Vorlesungen mit hoher Wahrscheinlichkeit 1849 entstanden und wohl auf Frühjahr/Frühsommer dieses Jahres zu datieren sind (a). Die inhaltliche Auslegung beginnt mit der ersten Vorlesung (b). Obgleich auch diese Material aus den Schemata übernimmt, liegt sie doch im Ganzen systematisch vor dem Bereich, den diese behandeln. Die folgenden Partien widmen sich dem ersten, synchronen Schema (c) sowie dem zweiten, diachronen Schema (d); abschließend gilt es, die abbreviatorische Durchführung in der zweiten Vorlesung nachzuvollziehen (e).553

a) Zur Datierung des Vorlesungsfragments Zunächst ist die Hypothese zur Datierung im Einzelnen zu erläutern. Kierkegaard selbst hat die Manuskripte zur ,Dialektik der Mitteilung‘ im Ganzen, offensichtlich deutlich nach ihrer Entstehung, mit der folgenden, recht vagen Datierung versehen: „Soweit ich erinnere ist dies von 1847, in jedem Fall ist es nicht nach der Herausgabe von ,christliche Reden‘, die im Frühjahr 48 war.“554 Diese als unsicher gekennzeichnete Datierung umspannt einen Zeitraum von etwa eineinviertel Jahren; sie legt allerdings nahe, das Manuskript sei ,in einem Anlauf‘ entstanden. Offensichtlich hat Kierkegaard bei der Notiz dieser Datierung nicht in den 553 Für eine Zusammenstellung der Forschung zur ,Dialektik‘ vgl. oben, II.3.2. Die Beiträge, die sich vornehmlich auf den hier thematischen Teil von 1849 stützen, werden an entsprechender Stelle herangezogen. 554 Papir 364 (DM, 84 / SKS 27, 389); nach „in jedem Fall ist es nicht nach“ hat Kierkegaard zunächst „März“ geschrieben und dann gestrichen.

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Journalen NB und NB2 nachgeschlagen – hätte sich doch dort der Zeitraum, in dem er erstmals an dem Text gearbeitet hat, relativ genau auf Ende April bis Mitte/Ende Mai 1847 eingrenzen lassen.555 Ginge man davon aus, dass die Manuskripte zur ,Dialektik‘ tatsächlich im April/Mai 1847 zusammenhängend und ,an einem Stück‘ entstanden wären, fiele ihre Abfassung zwar in den von Kierkegaards Datierung genannten Zeitraum; die als Orientierungspunkt angegebene Publikation der Christlichen Reden 1848 (am 25. April) läge aber ein knappes Jahr nach der tatsächlichen Niederschrift. Mithin wäre seine Datierung relativ ungenau. Aus diesem Grund wie auch aufgrund der von Kierkegaard selbst notierten Unsicherheit ist diese Datierung als wenig zuverlässig anzusehen;556 überdies sind Rückverweise Kierkegaards auch in den Journalen nicht stets präzise.557 Der Herausgeber der ersten vollständigen Übertragung des Konvoluts zur ,Dialektik der Mitteilung‘ ins Deutsche, Tim Hagemann, hat dann auch erstmals überzeugend und im Detail nachweisen können, dass Kierkegaard wenigstens zweimal und im Abstand von etwa zwei Jahren an dem Fragment gearbeitet hat: Nach Hagemann ist der von ihm so genannte ,zweite Entwurf‘ – d. i. das in seiner Übertragung zuletzt stehende, recht systematische Distinktionenschema (Papir 367 – 368:14 / Pap. 83 – 85,32) 558 – dem Jahr 1849 zuzuordnen.559 ,Beweisgrundlage‘ dieser Datierung ist ein in dieser Partie notierter Rückverweis auf Journaleinträge des ,letztjährigen Sommers‘ über das ,Dämonische‘ der 555 Vgl. die oben, II.3.2.a) zitierten Journalnotizen NB:192 (T 2, 95 / SKS 20, 115), NB2:13 (T 2, 133 f. / SKS 20, 142 f.) und NB2:14 (T 2, 112 / SKS 20, 143). 556 Vgl. zur Unsicherheit von Kierkegaards eigener Datierung auch SKS K27, 800. 557 Vgl. z. B. NB24:54 vom Mai 1851, wo Kierkegaard zum wiederholten Male die Entstehungsgeschichte des Pseudonyms Anti-Climacus rekapituliert und gleich zu Beginn notiert: „Das findet sich gewiss in den Journalen seinerzeit aufgezeichnet, aber ich lese so etwas niemals nach, und führe immer eine HauptÜbersicht im Kopf“ (NB24:54 (T 5, 13 / SKS 24, 351)). 558 Papir 367 – 368:14 (DM, 129 – 139 / SKS 27, 404 – 414). Aus Gründen der Nachvollziehbarkeit für den deutschsprachigen Leser wird im Folgenden überall dort, wo die Einteilung des Manuskripts behandelt wird, neben der Zählung von SKS als zweite Ziffer auch die Signaturnummer der älteren Ausgabe Pap. mitgeteilt, die in Hagemanns Übersetzung zum Schluss jeder Eintragung angegeben ist (diese Angaben sind abgekürzt, zu ergänzen ist „Pap. VIII 2 B“). – Bei der hier genannten Passage handelt es sich genau genommen um zwei Schemata; vgl. die folgende Gliederung des Konvoluts und unten, c) und d). 559 Vgl. Hagemann „Zur Entstehungsgeschichte von Kierkegaards ,Dialektik‘“, S. 79 f.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

indirekten Mitteilung, die in der Tat dem Jahr 1848 zugehören.560 Nach Hagemanns Datierung entstammen aber alle übrigen Partien des Konvoluts – eine erste Skizze, eine ausgearbeitete Einleitung sowie zwei gleichfalls ausformulierte Vorlesungen – dem April/Mai des Jahres 1847.561 Im Folgenden soll der Vorschlag unterbreitet werden, auch die zwei Vorlesungen – und damit die ausgearbeitetsten Partien zur Mitteilungsfrage innerhalb des Konvoluts – spter, nämlich ebenfalls auf 1849 zu datieren, während die Einleitung (die die Mitteilungsfrage nicht als solche behandelt) wohl dem ersten Ansatz zugehört und 1847 entstanden ist. Es soll dabei gezeigt werden, dass Kierkegaard sich mit hoher Wahrscheinlichkeit im Frühjahr/Sommer 1849 seine Notizen von 1847 nochmals vorgenommen und sodann einen ,zweiten Ansatz‘ einschließlich der zwei Vorlesungen niedergeschrieben hat. Einiges spricht überdies dafür, den Entstehungszeitraum parallel zum Journal NB11 anzusetzen und mithin auf Mai/Juni 1849 einzugrenzen. Für diese Hypothese lässt sich kein ,harter‘ philologischer ,Beweis‘ etwa in Form einer expliziten Datierung führen; eine Reihe von Indizien und Hinweisen vermögen sie aber plausibel zu machen. Belege für die Hypothese lassen sich aus der Struktur der ,Dialektik‘ selbst (1.), aus impliziten Datierungshinweisen im Text (2.) und aus Parallelstellen der Journale NB10 – NB14 von 1849, besonders NB11 und NB12, entwickeln (3.). Auch können zwei ußere Parameter im Jahr 1849 angegeben werden, die eine Eingrenzung der Datierung nahe legen (4.): einerseits Kierkegaards Bemühung um eine Anstellung am Königlichen Pastoralseminar im Frühjahr/Sommer 1849; andererseits der Ende Juni 1849 gefasste Entschluss, auf eine öffentliche Anstellung (wenigstens vorerst) zu verzichten und die Krankheit zum Tode pseudonym zu publizieren. 1. Zur Struktur der ,Dialektik‘ im Ganzen. Der hier unterbreitete Datierungsvorschlag impliziert, dass die ausgearbeitete ,Einleitung‘ und die zwei ebenfalls ausformulierten Vorlesungen (bei Kierkegaard: ,1. Vorlesung‘ und ,2. Vorlesung‘) unabhngig voneinander entstanden sind und 560 Vgl. Papir 368:12 (DM, 137 / SKS 27, 411). Vor Hagemann haben schon die Herausgeber von Pap. sowie Gerdes in T 2 bemerkt, dass die entsprechende Passage kaum 1847 geschrieben worden sein kann; ebenso nun auch die Neuedition in SKS. Der Rückverweis Kierkegaards wird sogleich noch ausführlicher behandelt. 561 Vgl. Hagemann „Zur Entstehungsgeschichte von Kierkegaards ,Dialektik‘“, S. 80.

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nicht unmittelbar aufeinander aufbauen. Um diese Hypothese plausibel zu machen, ist zunächst die Textbasis des gesamten Konvoluts in den Blick zu nehmen und auf die strukturelle Zusammengehörigkeit einzelner Teile hinzuweisen. Das Konvolut lässt sich grob und äußerlich in vier Teile gliedern, die teilweise Abschnitte enthalten:562 1. Teil: Erste Skizze (Papir 365:1 – 366:5 / Pap. 80 – 82,15), bestehend aus zwei Abschnitten: 1.1 Mit „Einleitung“ überschrieben (Papir 365:2 – 24 / Pap. 81,1 – 34); enthält zunächst Notizen zu einer allgemeinen Einleitung, die sukzessive in kursorischer Form zur Mitteilungsfrage übergehen (Papir 365:2 – 5 / Pap. 81,1 – 6); sodann ab der ,Zwischenüberschrift‘ „Mitteiler – Empfnger / Der Gegenstand“ eine inhaltliche Entfaltung der Mitteilungsfrage (Papir 365:6 – 24 / Pap. 81,7 – 34). 1.2 Mit „Erste Vorlesung“ überschrieben, diese Überschrift ist unleserlich gemacht (Papir 366:1 – 5 / Pap. 82,1 – 15); enthält komprimiert einleitende Notizen mit einer Fülle von Marginalien, die wiederum in kursorische Ausführungen zur Mitteilungsfrage übergehen. 2. Teil: Ausformulierte „Einleitung“ (Papir 369 / Pap. 86) und unmittelbar zugehöriger, fortsetzender Abschnitt „Das Primitive – das Traditionelle“ (Papir 370 / Pap. 87). 3. Teil: Zwei aufeinander aufbauende, ausformulierte Vorlesungen: „1. Vorlesung“ (Papir 371:1 / Pap. 88) und „2. Vorlesung / WissensMitteilung / und / Könnens-Mitteilung“ (Papir 371:2 / Pap. 89); die zweite Vorlesung bricht offenbar mitten in der Ausführung ab. 4. Teil: Zweite Skizze (Papir 367 – 368:1 – 14 / Pap. 83 – 85,32), bestehend aus zwei Abschnitten: 4.1 Schema aus Vorbemerkung, drei Distinktionen und einer Randbemerkung (Papir 367 / Pap. 83 – 84); im Folgenden: ,erstes Schema‘. 562 Die Gliederung orientiert sich aus Gründen der Nachvollziehbarkeit an der Ordnung Hagemanns. Zu beachten ist, dass Hagemann gegenüber der Abfolge, in der sich die Manuskripte fanden, umgestellt hat: In dieser von Pap. (und jetzt auch SKS) wiedergegebenen Ordnung steht – wie auch aus der Zählung hervorgeht – der von Hagemann so genannte ,zweite Entwurf‘ vor den ausgearbeiteten Textteilen. – Die hier gegebene Aufteilung kongruiert im Übrigen (abgesehen von der Chronologie) mit dem Manuskriptbestand; vgl. SKS K27, 795 – 798.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

4.2 Neu ansetzendes, ausführlicheres Schema, das sich in drei ,Teile‘ (korrigiert aus ,Abschnitte‘) und einen ,Anhang‘ gliedert; der ,2. Teil‘ hat wiederum drei ,Kapitel‘, von denen das zweite in § 1.–§ 8. unterteilt ist (Papir 368:1 – 14 / Pap. 85,1 – 32); im Folgenden: ,zweites Schema‘. Nimmt man nun diese vier Teile des Konvoluts bezüglich ihrer strukturellen und inhaltlichen bereinstimmungen in den Blick, so zeigt sich zunächst, dass der 1. Teil (1. Skizze) und der 2. Teil (Einleitung) in hohem Maße miteinander konvergieren: Die Einleitung mitsamt dem Nachfolgestück führt in ausgearbeiteter Form durch, was in einigen Partien des 1. Teils (1. Skizze) stichworthaft notiert ist. Am Text lässt sich verfolgen, dass die ,Einleitung‘ zunächst mit Kants Beispiel der 100 Reichstaler beginnt – auch notiert in 1. Teil, 1. Abschnitt563 – und dann recht genau dem Beginn von 1. Teil, 2. Abschnitt folgt: Die ,Einleitung‘ behandelt erstens die ,Unredlichkeit der modernen Zeit‘; zweitens den ,Mangel an Naivität‘ und drittens den ,Mangel an Primitivität‘.564 Das Nachfolgestück „Das Primitive – das Traditionelle“ führt den letzten Punkt aus und spezifiziert ihn a) als ,literarisches‘ Phänomen im Ausgang von der Zeit, in der es nur ,eine gelehrte Sprache‘ gab und b) als ,soziales‘ Phänomen.565 Exakt in dieser Reihenfolge sind die genannten Aspekte in der 1. Skizze, 2. Abschnitt notiert.566 563 Vgl. Papir 365:2 (DM, 85 / SKS 27, 390), wo als Stichworte auch die beiden folgenden Schritte („Unredlichkeit – Mangel an Naivität“) notiert, aber nicht ausgeführt sind. – Ein Passus zu Kant und den 100 Talern ist auch in 1. Teil, 2. Abschnitt als Marginalie notiert, vgl. Papir 366.f (DM, 98 / SKS 27, 399). 564 Vgl. diese Abfolge in Papir 369: DM, 103 / SKS 27, 415 (Reichsbanktaler); DM, 103 f. / SKS 27, 415 f. (Unredlichkeit); DM, 104 – 106 / SKS 27, 416 f. (Naivität); DM, 106 f. / SKS 27, 417 f. (Primitivität). 565 Papir 370: DM, 107 – 110 / SKS 27, 419 – 421 (literarisch); DM, 110 f. / SKS 27, 421 f. (sozial). 566 Vgl. Papir 366:1 (DM, 97 / SKS 27, 399). – Ob die Einleitung auf den Notizen des ersten Teils basiert oder ob umgekehrt die Einleitung zuerst verfasst ist und die Notizen als Exzerpte aus ihr entnommen worden sind, lässt sich nicht letztgültig entscheiden. Für die zweite Auffassung spricht zunächst, dass in der Einleitung Bemerkungen am Rand (also offensichtlich nachträglich) angefügt worden sind, die in den Notizen sogleich an der ,korrekten‘ Stelle stehen. Vgl. z. B. die Bemerkung zum Naiven in Papir 369.b (DM, 105 / SKS 27, 416) und ihre Stellung in Papir 366:1 (DM, 97 / SKS 27, 399). Möglich ist aber auch, dass Kierkegaard zuerst die Notizen angefertigt, dann die Einleitung ausformuliert und abschließend nochmals seine Notizen konsultiert hat, um die in der Ausarbeitung nicht berücksichtigten Punkte am Rand einzufügen.

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Sodann zeigt sich auch ein hohes Maß an inhaltlicher Konvergenz zwischen dem 3. Teil (ausgearbeitete Vorlesungen) und dem 4. Teil (2. Skizze): So findet sich in beiden Teilen die viergliedrige Analyse der Mitteilung (Gegenstand, Mitteiler, Empfänger, Mitteilung),567 die Unterscheidung zwischen Wissens- und Könnensmitteilung sowie eine dreifache Differenzierung der Könnensmitteilung: erstens ,Mitteilung ästhetischen Könnens‘, zweitens ,Mitteilung ethischen Könnens‘ und drittens ,Mitteilung des religiösen‘ bzw. ,ethisch-religiösen Könnens‘.568 Schließlich findet sich in beiden Teilen eine teilweise wörtlich übereinstimmende Reflexion über das Problem einer ,dozierenden Mitteilung ex cathedra‘ (also des eigenen Kathedervortrags) im Zusammenhang mit dem Begriff der Reduplikation.569 Alle diese Bestimmungen fallen in den anderen beiden Teilen nicht. 570 Die Gliederung des zweiten Schemas in Teile, Kapitel und Paragraphen muss im Übrigen nicht notwendig für den Entwurf eines Buchs sprechen,571 sondern kann auch die Struktur der Vorlesungen vorzeich567 Papir 367 (DM, 129 / SKS 27, 404), Papir 371:2 (DM, 126 / SKS 27, 433); das Schema der ersten Skizze ist dreigliedrig, es fehlt die Bestimmung der Mitteilung (vgl. Papir 365:6 (DM, 89 / SKS 27, 393)). 568 Papir 367 (DM, 129 – 131 / SKS 27, 404 – 406), Papir 368:1 – 13 (DM, 132 – 138 / SKS 27, 408 – 414), Papir 371:2 (DM, 127 f. / SKS 27, 433 f.). Sowohl in der ausgearbeiteten Vorlesung als auch in der Skizze wird die Wissensmitteilung der direkten, die Könnensmitteilung der indirekten Form zugeordnet. 569 Papir 368:10.a (DM, 137 / SKS 27, 411), Papir 371:1 (DM, 115 / SKS 27, 424). An beiden Stellen verwendet Kierkegaard das bei ihm sonst seltene Fremdwort ,exsequieren‘ (im Sinne von ,ausführen‘, ,vollziehen‘) als Synonym für die ,Reduplikation‘. 570 Wiederum lässt sich nicht mit Sicherheit ausmachen, ob die Ausarbeitung der Vorlesungen auf den Notizen basiert oder ob diese umgekehrt nach den Vorlesungen niedergeschrieben worden sind; zumal die beiden Vorlesungen zu einem großen Teil aus einführenden und allgemeineren Reflexionen bestehen und die zweite Vorlesung nur die basalsten Unterscheidungen der Schemata aufnimmt (vgl. Papir 371:2 (DM, 126 – 128 / SKS 27, 433 f.)). Für eine frühere Entstehung der Vorlesungen spricht zunächst, dass an der genannten Stelle Marginalbemerkungen eingefügt sind, die Material der Schemata enthalten. Der Textbefund macht aber die umgekehrte Entstehung wahrscheinlicher: Die Vorlesungen folgen einer Reihe von Modifikationen, die sich erst in der Ausarbeitung der Schemata ergeben und verwenden überdies Begriffe von Beginn an, die in den Schemata erst sukzessive aufkommen (bes. die ,Reduplikation‘). Vgl. hierzu die inhaltliche Auslegung im Folgenden. 571 Die Vermutung, dass diese Partie das Konzept zu einem Buch darstellt, wird von Gerdes und Hagemann geäußert (vgl. T 2, Anm. 260, 267; Hagemann „Zur Entstehungsgeschichte von Kierkegaards ,Dialektik‘“, S. 79 – 81). Sie basiert auf

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nen. Die Konzeption eines Buches wird dadurch unwahrscheinlich, dass Kierkegaard auch im Schema von „Vorlesungen“ spricht und eine Anrede an die Zuhörer notiert.572 Für ein Vorlesungskonzept spricht auch die Notiz, es könnten an einer Stelle „dann vielleicht ein paar Dialoge Platons durchgegangen werden“.573 Die Vielzahl von Übereinstimmungen zwischen dem 1. und 2. Teil einerseits und dem 3. und 4. Teil andererseits legt nahe, dass das Konvolut in zwei Anläufen entstanden ist. Das bedeutet freilich, dass die ausformulierte ,Einleitung‘ nicht im engeren Sinne als Einleitung zu den beiden Vorlesungen konzipiert ist. Ein näherer Blick auf die zwei Vorlesungen bestätigt diese Hypothese: Die erste Vorlesung hat nämlich selbst einleitenden Charakter. Es findet sich dort keinerlei Rückverweis auf eine vorangegangene Einleitung, während die zweite Vorlesung explizit auf die erste Bezug nimmt.574 Auch ist in der ersten Vorlesung selbst von den „ersten Worte[n]“ in diesem „Vortrag der Einleitung“575 und dem „ersten Tag“576 die Rede; die Stunde soll „zu einigen einzelnen Bemerkungen“ benutzt werden, die „das ganze Vorhaben und mich [Kierkegaard] im Allgem.“ betreffen.577 Diese Formulierungen machen es unwahrscheinlich, dass die erste Vorlesung an eine vorausgehende und kurz zuvor notierte Einleitung anschließt. So zerfällt der Entwurf strukturell im Ganzen in zwei Hälften: 1. Erste Skizze und ausformulierte Einleitung (1. u. 2. Teil); 2. Zweite Skizze und ausformulierte Vorlesungen (3. u. 4. Teil).

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NB2:14, wo Kierkegaard 1847 den Plan zur Vorlesung niederlegt und notiert, das „über die Dialektik der Mitteilung“ müsse „ein Buch“ werden (NB2:14 (T 2, 112 / SKS 20, 143)). Vgl. Papir 368:10.a (DM, 137 / SKS 27, 411). Papir 368:5.a (DM, 134 / SKS 27, 409). Vgl. Papir 371:2 (DM, 123 / SKS 27, 431). Papir 371:1.a (DM, 112 / SKS 27, 423) [Herv. v. Verf.]. Die grammatikalische Konstruktion im Dänischen lässt sich nicht unmittelbar ins Deutsche übertragen; Kierkegaard schreibt im Genitiv „de første Ord i dette første, Inlednings Foredrag“, wörtlich also etwa: ,die ersten Worte in diesem ersten, der Einleitung Vortrag‘. Papir 371:1.c (DM, 113 / SKS 27, 423). Papir 371:1 (DM, 114 / SKS 27, 423). Vgl. hierzu auch die Weise, in der die zweite Vorlesung die Formel „Unredlichkeit der modernen Zeit“ einführt (Papir 371:2 (DM, 125 f. / SKS 27, 432)); eine solche Einführung wäre im Anschluss an die Einleitung, die diesen Topos ausführlich behandelt, nicht notwendig.

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2. Implizite Datierungsangaben. Für die aus dem Textbefund sich ergebende Hypothese, die beiden Vorlesungen seien gemeinsam mit der zweiten Skizze und später als die erste Skizze sowie die Einleitung entstanden, lassen sich auch implizite Datierungshinweise anführen; diese machen eine Niederschrift des zweiten Anlaufs im Jahr 1849 sehr wahrscheinlich. Bezüglich der 2. Skizze (4. Teil) ist zunächst der auch von Hagemann genannte Beleg zu nennen. Hier heißt es im zweiten Abschnitt unter Kapitel II, § 8.: Über indirekte Mitteilung, inwieweit ein Msch [das] Recht dazu hat, sie zu gebrauchen, ob darin nicht etwas Dämonisches ist. Hierüber findet sich eine Menge in den Journalen von letztjährigem Sommer.578

Dieser Passus kann kaum 1847 entstanden sein; in den Journalen des Sommers 1846 finden sich derlei Bedenken an keiner Stelle. Offensichtlich sind hier die zentralen Journale NB6 und NB7 des Sommers 1848 gemeint, insbesondere die Notizen NB6:81 und NB7:8, in denen die genannten Überlegungen notiert sind.579 Der recht präzise Rückverweis auf den ,letztjährigen‘ Sommer ist ein deutlicher Beleg für eine Abfassung der Distinktionsschemata im Jahr 1849. 578 Papir 368:12 (DM, 137 / SKS 27, 411). 579 Vgl. NB6:81 (SKS 21, 61 f.) und NB7:8 (T 3, 68 / SKS 21, 79); das ,Dämonische‘ fällt auch in NB6:71 (SS, 160 f. / SKS 21, 54). Vgl. oben, II.3.4.e) und II.3.6. – Die Herausgeber von Pap. geben zu dieser Stelle einen unspezifischen Verweis auf „die Journale des Jahres 1849 [sic]“ (Pap. VIII 2 B 85,26 Anm.). Schon Gerdes hingegen schlägt in der Teilübersetzung der ,Dialektik der Mitteilung‘ in T 2 vor, Kierkegaards Rückverweis – zu Recht, aber sehr weit gefasst – auf NB6:66, NB6:68 – 71, NB6:78 – 81 und NB7:8 (also Sommer 1848) zu beziehen; der Verweis von Pap. auf 1849 sei vermutlich auf ein „Missverständnis“ von NB10:44 zurückzuführen (vgl. T 2, Anm. 260, 267). Gerdes macht aber selbst keinen spezifischen Datierungsvorschlag, er vermerkt nur hypothetisch: „Danach hätte Kierkegaard Ende 1848 oder Anfang 1849 den Plan zu einem Buch über die Dialektik der Mitteilung […] noch einmal aufgegriffen, und ein Teil der hier abgedruckten Entwürfe gehörte in diese spätere Zeit“ (T 2, Anm. 260, 267). – Hagemann verweist hier ebenfalls auf „Pap. IX A 218 ff., 260“ (also NB6:66 ff. sowie NB7:8); er zitiert NB6:68 und NB6:81 (vgl. DM, Anm. 57, 149). – Die Neuedition in SKS verweist präzise auf NB7:8 und bezeichnet den Hinweis von Pap. ebenfalls als unwahrscheinlich, lässt aber offen, welche Teile des Manuskripts späteren Datums sind; Kierkegaard habe nach 1847 noch für „mindestens zwei Jahre“ Ergänzungen zu seinem Manuskript vorgenommen (SKS K27, 799 f.).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Ein entsprechender, wenngleich versteckterer Datierungsverweis findet sich auch in der ersten Vorlesung (3. Teil). Dort notiert Kierkegaard einen inhaltlich hochinteressanten Passus, der hier zunächst nur bezüglich seiner Datierungsfunktion ausgelegt werden soll: Doch kann eine direktere Mitteilung, die nebenher geht, auch notwendig sein, um zu unterstützen, wovon sie selbst in einem anderen Sinne unterstützt wird. Dies habe ich gleich von Beginn meiner schriftstellerischen Wirksamkeit an verstanden. Mit den Pseudonymen folgte deshalb ständig direkte Mitteilung in Gestalt von erbaulichen Reden, und in den letzten paar Jahren habe ich nahezu ausschließlich direkte Mitteilung gebraucht.580

Auch in dieser Partie sind offenbar Gedanken wiedergegeben, die erstmals Sommer 1848 von Kierkegaard notiert worden sind – insbesondere der Hinweis auf die Funktion der parallel zum pseudonymen Werk erscheinenden Erbaulichen Reden, der zum ersten Mal in der Aufzeichnung NB6:64 festgehalten ist.581 Datierungsspezifisch am konkretesten aber ist Kierkegaards Angabe, er habe „in den letzten paar Jahren […] nahezu ausschließlich direkte Mitteilung gebraucht.“582 Eine solche 580 Papir 371:2 (DM, 121 / SKS 27, 429). 581 In der Auslegung von NB6 ist gezeigt worden, dass die Funktion der Erbaulichen Reden Kierkegaard erst im Sommer 1848 verständlich wird. Zuvor hatte Kierkegaard stets nur auf Entweder/Oder als Beginn seines Werkes verwiesen und ausdrücklich vermerkt, er habe zwar persçnlich von Beginn an im Religiösen gestanden, das Werk aber habe mit dem Ästhetischen begonnen und sei zum Religiösen erst hingekommen. Die zentrale Passage der Notiz lautet: „Ja, so musste es sein. Ich bin nicht religiöser Schriftsteller geworden, ich war es: gleichzeitig mit Entweder – Oder folgten zwei erbauliche Reden“ (NB6:64 (SKS 21, 48)). Vgl. ausführlich oben, II.3.4.e). 582 Papir 371:2 (DM, 121 / SKS 27, 429) [Herv. v. Verf.]. Während Gerdes hier ebenfalls „in den letzten paar Jahren“ übersetzt (T 2, 122), überträgt Hagemann „in den letzten beiden Jahren“ (DM, 121) – offensichtlich davon angeleitet, dass Kierkegaard im Dänischen groß „de sidste Par Aar“ schreibt. Das dän. Wort ,par‘ (heute üblicherweise immer klein, im älteren Dänisch auch „Par“) kann wie im Deutschen adjektivisch ,paar‘ im Sinne von ,einige‘ und substantivisch ,Paar‘ im Sinne eines zusammengehörigen ,Doppels‘ bezeichnen (z. B. dän. ,et par sko‘ – dt. ,ein Paar Schuhe‘). Im Ordbog over det danske Sprog ist allerdings keine Verwendung von ,et Par Aar‘ im substantivischen Sinne von ,zwei Jahre‘ nachgewiesen; auch Kierkegaard verwendet an keiner Stelle die Wendung in diesem Sinne. Vielmehr schreibt er durchgehend „Par“ in Verbindung mit „Aar“ groß, wenn adjektivisch ,ein paar Jahre‘ gemeint sind; vgl. z. B. V, 197 / SKS 4, 487; SLW, 109, 132 / SKS 6, 100, 120; EC, 42 / SKS 12, 56 und zeitlich am nächsten zum Vorlesungsfragment NB9:39 (T 3, 159 / SKS 21, 219). – Bezüglich der Datierung macht die Übersetzung nur eine Nuance aus – in jedem Fall spricht ja Kierkegaard von mehreren Jahren (,mindestens‘ zwei).

2. Mitteilung ex cathedra?

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Angabe von mehreren Jahren hätte im Frühjahr 1847 keinerlei Anhalt – fielen doch in die zwei vorhergehenden Jahre noch die Publikation der Stadien und der Nachschrift, des ,indirekten Werks‘ par excellence. Kierkegaard muss hier auf die drei erbaulichen bzw. christlichen Werke anspielen, die 1847/48 erschienen sind.583 Die Einschränkung ,nahezu ausschließlich‘ bezieht sich offenbar auf den ,kleinen ästhetischen Artikel‘ „Die Krise und eine Krise im Leben einer Schauspielerin“, der im Sommer 1848 die Reflexion über die Schriftstellerei im Ganzen anstößt.584 Eine entsprechende Formulierung findet sich in den Journalen erstmals eben im Sommer 1848, wo Kierkegaard in NB6:30 notiert, er sei „zwei Jahre lang ausschließlich erbaulicher Schriftsteller“ gewesen.585 Zu beachten ist allerdings, dass Kierkegaard in NB6 an den Entstehungszeitraum des Werks von 1847/48 denkt – und die Arbeiten an den Erbaulichen Reden in verschiedenem Geist haben im Frühjahr 1846 begonnen.586 In der ,Dialektik‘ aber notiert er die Aussage ,für die Öffentlichkeit‘ und muss sich mithin, wenigstens grob, auf Publikationsdaten beziehen. Ist Kierkegaards Plural ,ein paar Jahre‘ zum Zeitpunkt der Niederschrift annähernd korrekt, kann der Passus nicht deutlich vor März

583 Erbauliche Reden in verschiedenem Geist (1847); Die Taten der Liebe (1847); Christliche Reden (1848). Hagemann verweist hierzu auf die Erbaulichen Reden in verschiedenem Geist und die Taten der Liebe (vgl. DM, Anm. 38, 147). Im Frühjahr 1847, auf welches Hagemann die Vorlesungen datiert, ist allerdings das erste Werk gerade erst erschienen, das zweite noch nicht fertig gestellt. Vgl. auch SKS K27, 821. 584 Die erste Reflexion hierzu ist in NB6:24 (T 3, 38 – 40 / SKS 21, 22 f.) notiert; vgl. ausführlich oben, II.3.4.b). 585 NB6:30 (SKS 21, 29). Vgl. auch die zitierte Notiz NB6:64, in der Kierkegaard notiert, er habe „zwei Jahre lang nur religiöse Schriften geschrieben“ (NB6:64 (SKS 21, 48)); vgl. auch die hierauf basierenden Partien des Gesichtspunkts, wo es heißt: „Dann gingen die zwei Jahre hin, in welchen nur religiöse Schriften mit meinem Namen herauskamen“ (GWS, 28 / SV2 XIII, 558; vgl. auch die Angabe des gleichen Zeitraums in GWS, 26 / SV2 XIII, 556). – Dass Kierkegaard im Sommer/Herbst 1848 von ,zwei‘ Jahren, in der ,Dialektik‘ hingegen von ,ein paar‘ Jahren spricht, macht es im Übrigen wahrscheinlich, dass diese Partie des Vorlesungsfragments nicht 1848, sondern im folgenden Jahr entstanden ist. Auch fehlt in NB6 noch die Einschränkung ,nahezu ausschließlich‘, die sich auf den ästhetischen Artikel beziehen muss. 586 Das Vorwort zur ersten Abteilung ist ursprünglich auf den 5. Mai 1846 datiert. Vgl. hierzu und zu Belegstellen aus den Journalen JJ und NB SKS K8, 77 – 83.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

1849 notiert worden sein – die Erbaulichen Reden in verschiedenem Geist sind am 13. März 1847 erschienen.587 Es spricht nichts dafür, dass die zitierten Partien in ein schon bestehendes Manuskript nachträglich eingefügt worden sind: Beide Passagen sind keine Marginalien, sondern im fließenden Text bzw. innerhalb des laufenden Schemas notiert. Als erstes Ergebnis ist festzuhalten, dass auch die zwei Vorlesungen nicht auf Frühjahr 1847 datiert werden können und später als Sommer 1848 entstanden sein müssen; die impliziten Datierungshinweise legen eine Abfassung der zweiten Skizze und auch der beiden Vorlesungen im Jahr 1849 nahe. 3. Parallelstellen in den Journalen des Jahres 1849. Eine Entstehung der zweiten Skizze mitsamt der zwei Vorlesungen im Verlauf des Jahres 1849 wird sodann durch eine Reihe von Parallelstellen aus den Journalen in diesem Zeitraum wahrscheinlich; auf dieser Basis legt sich auch eine konkretere Eingrenzung auf Frühjahr/Sommer 1849 nahe. Zu nennen ist zunächst die oben zitierte Aufzeichnung NB10:44 von etwa Ende Februar/Anfang März 1849. Hier verweist Kierkegaard auf „Sommer 48“ zurück und greift die dort gestellte Frage nach der Berechtigung einer ,absolut indirekten Mitteilung‘ und ihrem ,dämonischen‘ Charakter auf.588 Eben diese Frage notiert auch – wie zitiert – die ,Dialektik‘, allerdings nur skizzenhaft und ohne signifikante wörtliche Übereinstimmung mit NB10:44. Die thematische Nähe und der parallele Rückverweis legen nahe, dass Kierkegaard im weiteren zeitlichen Kontext dieser Eintragung an der ,Dialektik‘ gearbeitet hat; es ist allerdings nicht zu entscheiden, welche der beiden Stellen früher notiert ist. Die meisten unmittelbaren Bezüge zur ,Dialektik‘ enthalten die beiden folgenden Journale NB11 und NB12. In NB11 (2. Mai bis 19. Juli 1849) reflektieren zwei Notizen – NB11:36 und NB11:45 – das Ver587 In der neueren Forschung ist die Frage nach der Datierung der ,Dialektik‘ von Nelson gestellt worden, der sich allerdings auf Hagemanns Arbeit nicht bezieht (vgl. Nelson „Kierkegaard’s Undelivered Lectures and His Author-Activity Writings“, S. 393 – 397). Nelson nennt die eigene Datierung Kierkegaards sowie die beiden hier genannten Rückverweise ebenfalls als Indizien dafür, dass Teile des Konvoluts nicht 1847 entstanden sein können; er entwickelt allerdings keine spezifische Datierungshypothese und trennt auch nicht verschiedene Teile des Konvoluts voneinander, sondern beschränkt sich auf den allgemeinen Hinweis, Kierkegaard habe mindestens bis 1849, „quite possibly“ aber bis 1850 oder sogar 1851 an dem Manuskript gearbeitet (ebd., S. 396). 588 NB10:44 (SKS 21, 279 f.); vgl. oben, II.4.1.b).

2. Mitteilung ex cathedra?

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hältnis von Stolz und Gottesfurcht; in NB11:45 heißt es hierzu, die Menschen hielten „Wahrheit und Gottesfrucht“ für „Stolz und Eitelkeit“.589 Diesen Gedanken exponiert Kierkegaard an zentraler Stelle – nämlich bevor er den Gegenstand des Vortrags selbst näher bestimmt – auch in der ersten Vorlesung der ,Dialektik‘, wo es u. a. heißt: „Was im Leben fr Stolz gehalten wird, kann auch Gottesfurcht sein“.590 In NB11:223 – also kurz vor Ende des Journals – hebt Kierkegaard unter dem Titel „Die Bedeutung der Pseudonyme“ hervor, dass die Pseudonyme in erster Person sprächen und „,ich‘“ sagten; dies stehe im Gegensatz zu der Tendenz, die „Mitteilung der Wahrheit“ abstrakt aufzufassen und das „Publikum“ zu „der Instanz“ zu machen.591 Eben diese beiden Bestimmungen – die selten nachzuweisende Wendung ,zur Instanz machen‘ in Bezug auf die „Wahrheits-Mitteilung“ und das ,Ich‘-Sagen der Pseudonyme als deren wesentliches Verdienst – finden sich auch kurz hintereinander in der ersten Vorlesung des ,Dialektik‘-Fragments.592 Schon hier liegt nahe, dass die Parallele in Formulierung und Inhalt sich nicht einem Zufall verdankt. Noch engere Bezüge lassen sich zwischen der ,Dialektik‘ und dem Journal NB12 (19. Juli bis 28. September 1849) nachweisen. Insbesondere die Aufzeichnung NB12:121 von etwa Anfang September 1849 macht es außerordentlich wahrscheinlich, dass Kierkegaard zeitgleich zum Journal NB12 die Dokumente zur ,Dialektik der Mitteilung‘ vor Augen gehabt hat. Unter dem Titel „Aphorismen“ notiert Kierkegaard drei Gedanken: 1. Man werde heute Schriftsteller nicht durch „Primitivität“, sondern allein durch das Lesen; 2. Es werde nur noch für die „Menge“ geschrieben, die nichts verstehe, und dies von denjenigen, die für die Menge zu schreiben verstünden; 3. Die Philo589 NB11:45 (SKS 22, 32); vgl. auch NB11:36 (T 3, 230 / SKS 22, 29). Erstmals notiert wird dieser Zusammenhang in den Aufzeichnungen NB6:44 (SKS 21, 36 f.) und NB7:3 (SKS 21, 76). 590 Papir 371:1 (DM, 114 / SKS 27, 423). 591 NB11:223 (T 3, 260 / SKS 22, 136); die Aufzeichnung ist in lateinischer Schrift notiert. 592 Papir 371:1 (DM, 115, 119 f. / SKS 27, 424, 428). Insbesondere die Partie zum ,Ich‘-Sagen ist bis in Details parallel zu NB11:223: In beiden Textstellen heißt es, das ,dichterische‘ Sprechen der Pseudonyme in erster Person sei nur eine ,Zwischenstufe‘ auf dem Weg zu einer Gestalt, die im strengsten Sinne ,Ich‘ sage; auch fällt an beiden Stellen der sonst sehr seltene Ausdruck ,Bauchrednerei‘. – Eine erste kurze Notiz dieses Gedankens findet sich auch in der Skizze von 1847 (vgl. Papir 366:3 (DM, 101 / SKS 27, 402)); offenbar hat Kierkegaard diese Bemerkung in der zweiten Bearbeitung aufgenommen und in eine zentralere Position gerückt.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

sophie sei „phantastisch“ geworden, seit man den „ehrlichen“ Weg Kants verlassen, die ,100 Reichstaler‘ hinzugegeben habe und „theozentrisch“ geworden sei.593 In der gleichen Reihenfolge und zu großen Teilen wörtlich übereinstimmend finden sich diese drei Bemerkungen auch in der ,Dialektik‘,594 und zwar als durchgestrichene Randnotizen zu der ersten Skizze von 1847.595 Es ist erstens möglich, dass Kierkegaard 1849 die 1. Skizze nochmals zur Hand genommen und diese drei Passagen, nun als ,Aphorismen‘, ins Journal NB12 übertragen hat. Zweitens ist denkbar, dass diese Gedanken erst bei nochmaliger Durchsicht der 1. Skizze im Jahr 1849 dort nachtrglich am Rand eingetragen worden sind, hat doch die Randspalte in Kierkegaards Journalen und Entwürfen offensichtlich den Zweck, auch nachträgliche Einfügungen und Bemerkungen möglich zu machen. Die dritte – und aufgrund der konsequenten Streichung der Bemerkungen plausibelste – Möglichkeit besteht in einer Kombination der beiden ersten: Kierkegaard hat sich 1849 die 1. Skizze vorgenommen, dort Randbemerkungen eingefügt, diese Partien nach Niederlegung des Plans zu den Vorlesungen ins Journal NB12 übertragen und dabei im Vorlesungsmanuskript gestrichen. Dafür spricht, dass Kierkegaard im Journal am Rand von NB12:121 auf die Aufzeichnung NB12:139 als weiteren ,Aphorismus‘ verweist. Das dort notierte Wortspiel mit ,Profit von etwas haben‘ im Gegensatz zu ,profitieren‘ im Sinne von lat. profiteri (,öffentlich bekennen‘ bzw. ,öffentlich Lehrer von etwas sein‘) findet sich ebenfalls im ,Dialektik‘593 NB12:121 (T 3, 283 f. / SKS 22, 215). 594 Vgl. Papir 366:1.b, Papir 366:1.d, Papir 366:1.f (DM, 98 / SKS 27, 399 f.) sowie das aufschlussreiche Faksimile der Manuskriptseite in SKS 27, 401. Besonders deutlich ist die Übereinstimmung zwischen Journal und Vorlesungsfragment im zweiten Aphorismus. In der ,Dialektik‘ lautet die Bemerkung: „Die Tyrannei der Tages-Presse, der Journale[,] der Broschüren; es wird geschrieben für die ,Menge‘, die Nichts versteht, und von denen, die zu schreiben verstehen – für die Menge“ (Papir 366:1.d (DM, 98 / SKS 27, 399)). Als Aphorismus im Journal lautet der Passus folgendermaßen: „Es wird geschrieben für die ,Menge‘, die Nichts versteht, und von Denen, die – verstehen, für die ,Menge‘ zu schreiben“ (NB12:121 (T 3, 284 / SKS 22, 215)). Im Journal lässt Kierkegaard den Auftakt fort, davon abgesehen stimmen beide Stellen wörtlich exakt überein; Änderungen betreffen nur Groß- und Kleinschreibung, Anführungszeichen und die Stellung des Gedankenstrichs. 595 Kierkegaard überträgt hier auch innerhalb der Skizze von 1847 Passagen aus den ersten Notizen (Teil 1.1) in seine Neukonzeption der Einleitung (Teil 1.2); vgl. den in Teil 1.1 notierten Passus zu Kant (Papir 365:2 (DM, 85 / SKS 27, 390)) sowie die Notiz zum Verfasser-Werden (Papir 365:4.a (DM, 86 / SKS 27, 390)).

2. Mitteilung ex cathedra?

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Fragment, und sonst an keiner Stelle von Kierkegaards Werk – bemerkenswerterweise nun in der zweiten Skizze.596 In jedem Fall haben alle vier im Journal notierten Aphorismen unmittelbare und bis ins Detail übereinstimmende Entsprechungen im ,Dialektik‘-Fragment. Es ist außerordentlich wahrscheinlich, dass diese Notizen unmittelbar aus dem Manuskript zur ,Dialektik‘ übertragen worden sind; zu ähnlich sind die Formulierungen, und zu unscharf ist oftmals Kierkegaards Erinnerung von Details in den Journalen, als dass die Übereinstimmung zufällig sein könnte. Ein weiterer Hinweis für die Einfügung der Randbemerkungen 1849 und ihre spätere Übertragung ins Journal lässt sich der Journalnotiz NB12:39 von etwa Ende Juli/Anfang August 1849 entnehmen. Dort bezieht sich Kierkegaard auf einen Gedanken, den er „anderswo in einem Journal“ notiert habe: Jedes „Genie“ bedeute eine „Revision einer od. mehrerer prinzipieller Fragen im Dasein“.597 Eine solche Bemerkung findet sich abermals an keiner Stelle des Nachlasses als in dem ,Dialektik‘Fragment. Kierkegaard notiert zuerst wiederum als Randbemerkung zur ersten Skizze 1847 den Satz, ein „echtes primitives Genie“ sei „der wahre General-Revisor“ und enthalte „eine Revision des Allgemein-Mschlichen“598 – er bernimmt diese Bemerkung sodann in die zweite Vorlesung, wo es u. a. heißt: „Aber die primitive Existenz enthält immer eine Revision des Fundamentellen“; ein „primitives Genie“ revidiere „das Allgemein-Mschliche“.599 Der ungenaue Verweis Kierkegaards, diese Bemerkung finde sich ,anderswo‘ in einem Journal, lässt keinen anderen Schluss zu, als dass die entsprechende Bearbeitung der ,Dialektik‘ frher als NB12:39 vorgenommen worden ist. Demzufolge müssen auch die Partien, die als ,Aphorismen‘ in NB12 notiert sind, früher als August 1849 entstanden und nachträglich in das Journal übertragen worden sein. Die folgenden Journale NB13 und NB14 widerlegen diese Hypothese zum Mindesten nicht, finden sich doch dort keine unmittelbaren inhaltlichen Parallelstellen zum Vorlesungsentwurf. Allerdings gebraucht 596 Vgl. Papir 368:7.a (DM, 135 / SKS 27, 410) und die Journalstelle NB12:139 (T 3, Anm. 373, 341 / SKS 22, 229). Die Passage ist im Unterschied zu den soeben genannten in der ,Dialektik‘ keine eigenständige Randbemerkung, sondern in Parenthese eingefügt; sie ist nicht nachträglich gestrichen. 597 NB12:39 (T 3, 270 / SKS 22, 164). 598 Papir 366:1.c (DM, 97 / SKS 27, 399); die Manuskriptbeschreibung von SKS vermutet hier ebenfalls eine nachträgliche Einfügung, vgl. SKS K27, 796 sowie nochmals das Faksimile SKS 27, 401. 599 Papir 371:2 (DM, 126 / SKS 27, 432 f.).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Kierkegaard die Formulierung, mit der er in der 2. Skizze auf die Entstehungszeit des Gesichtspunkts im Sommer 1848 verweist – „ifior Sommer“ (dt. ,im letztjährigen Sommer‘ oder ,Sommer vorigen Jahres‘) – in NB13:37600 und in NB14:30 in direktem Zusammenhang mit der Mitteilungsfrage.601 Mithin bestätigt sich, dass diese Formulierung von Kierkegaard 1849 für einen Rückverweis auf Sommer 1848 verwendet wird; eine unmittelbare Nähe der ,Dialektik‘ zu den Journalen NB13 und NB14 ist damit aber nicht belegt. In NB14:19 notiert Kierkegaard die Wendung „ethisch-religiöse[n] Mitteilung“,602 die sonst nur in der ,Dialektik‘ selbst oder im unmittelbaren Bezug auf diesen Text verwendet wird. Dies spricht zwar gleichfalls für eine Nähe zur ,Dialektik‘, aber nicht zwingend für eine unmittelbar zeitgleiche Beschäftigung. Zusammenfassend ist festzuhalten: Die erste Notiz in den Journalen 1849, die sich zur ,Dialektik‘ in Beziehung setzen lässt, findet sich Februar/März 1849 (NB10:44). Insbesondere die ,Aphorismen‘ in NB12 erwecken den Eindruck, als habe Kierkegaard nach Niederlegung seiner zweiten Bearbeitung der ,Dialektik‘ etwa Ende Juli/Anfang August Material exzerpiert und ins Journal übertragen. Demzufolge wäre die zweite Bearbeitung des Vorlesungsentwurfs in den Zeitraum zwischen Februar/März und Juli 1849 zu datieren603 4. ußere Parameter fr eine Datierung der ,Dialektik‘. Schließlich lassen sich auch zwei ußere Parameter angeben, die möglicherweise zur Wiederaufnahme des Plans zu einer Vorlesung über die Dialektik der Mitteilung 600 NB13:37 (T 4, 13 / SKS 22, 298); hier nennt Kierkegaard rückblickend den Sommer 1848 die „intensiv-reichste Zeit“ seines Lebens (die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert). 601 NB14:30 (T 4, 39 / SKS 22, 361). 602 NB14:19 (SKS 22, 354). 603 Im Detail lassen sich noch weitere Übereinstimmungen zwischen der ,Dialektik‘ und den Journalen 1849 nachweisen, die aber nicht die Signifikanz der genannten Stellen haben. Hinzuweisen ist aber noch auf eine mitteilungsterminologische Eigentümlichkeit: An mehreren Stellen der ,Dialektik‘ schreibt Kierkegaard – was er sonst beinahe niemals tut – im Dänischen „directe Meddelelse“ als Gegenbegriff zur ,indirekten Mitteilung‘ (vgl. Papir 365:15 (DM, 93 / SKS 27, 397), Papir 367 (DM, 130 / SKS 27, 405), Papir 368:1 (DM, 132 / SKS 27, 408), Papir 371:2 (DM, 128 / SKS 27, 434)). In Bezug auf die Mitteilung verwendet Kierkegaard statt ,direct‘ sonst fast durchgehend dän. ,ligefrem‘, wörtlich etwa ,geradeheraus‘ oder ,ohne Umschweife‘. Die einzige Notiz in Kierkegaards gesamten Journalen, die die Variante der ,Dialektik‘ enthält, ist NB11:118 (T 3, 237 / SKS 22, 66).

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im Verhältnis stehen und die den Zeitraum der Niederschrift noch präziser würden eingrenzen lassen: einerseits Kierkegaards intensive Bemühung um eine Anstellung am Königlichen Pastoralseminar im Frühjahr/ Sommer 1849; andererseits sein Entschluss Ende Juni/Anfang Juli 1849, (wenigstens vorerst) kein öffentliches Amt anzunehmen und die Krankheit zum Tode pseudonym zu publizieren. Im Frühjahr/Sommer 1849 bemüht sich Kierkegaard verstärkt und erstmals konkret um eine öffentliche Anstellung – ein Gedanke, den er wohl schon vor der Entstehung von Entweder/Oder erwogen,604 intensiver aber erst 1846 nach Abschluss der Nachschrift bedacht hatte.605 Während Kierkegaard aber 1846 vornehmlich eine Anstellung als Landpfarrer im Blick hat, so scheint er sich 1849 in erster Linie mit einer Tätigkeit am Königlichen Pastoralseminar in Kopenhagen auseinanderzusetzen, das er 1840/41 selbst besucht hatte. Eine solche Anstellung hätte die Unterweisung von Pfarramtskandidaten und mithin eine çffentliche Lehrttigkeit bedeutet.606 In NB10:89 von etwa Mitte März 1849 thematisiert Kierkegaard dieses Vorhaben erstmals konkret: Er habe „vor einigen Tagen“607 gegenüber J. P. Mynster – seit 1834 Bischof von Seeland, Oberhaupt der dänischen Kirche und mithin für die Vergabe von geistlichen Ämtern zuständig608 – ein „Wort“ bezüglich einer „Anstellung“ am „[Pastoral-] Seminar fallen lassen“.609 Von einer Anstellung als Pfarrer ist nicht die Rede. Im folgenden Journal NB11 (Mai bis Juli 1849) reflektiert eine ganze Reihe von Notizen die Frage einer amtlichen Anstellung intensiv und kontrovers.610 Insbesondere in der Mitte des Journals, um NB11:123, 604 Vgl. hierzu JJ:339.e (DSKE 2, 258 / SKS 18, 250) sowie die deutlich späteren Rückblicke in NB3:20.d (SKS 20, 255) und NB6:62 (SS, 156 / SKS 21, 47). 605 Vgl. hierzu bes. JJ:415 (DSKE 2, 289 / SKS 18, 278) und NB:57 (T 2, 69 / SKS 20, 51 f.) sowie für weitere Stellen und zur ,Situation‘ 1846 oben, II.3.1. 606 Vgl. hierzu SKS K21, 287. Vgl. zum Kontext im Ganzen Deuser Dialektische Theologie, S. 49 – 53. 607 NB10:89 (SKS 21, 302); die Eintragung ist in lateinischer Schrift notiert. 608 Vgl. zum damaligen Verfahren der Besetzung geistlicher Ämter SKS K22, 88. 609 NB10:89 (SKS 21, 302); Kierkegaard schreibt zunächst nur „Seminar“ und fügt am Rand „Pastoral“ ein (NB10:89.a (SKS 21, 302)). 610 Vgl. NB11:21 (SKS 22, 19), wo allerdings wohl auf eine Landpfarrei angespielt ist, NB11:101 (T 3, 235 / SKS 22, 57), NB11:105 (SKS 22, 59), NB11:122 (SKS 22, 68), NB11:123 (SKS 22, 70), NB11:125 (T 3, 238 / SKS 22, 75), NB11:132 (SKS 22, 79), NB11:192 – 194 (SKS 22, 115 – 120), NB11:204 (T 3, 254 – 256 / SKS 22, 127 f.).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

scheint Kierkegaard die „Amtsuche“ fest ins Auge zu fassen.611 Offenbar hat Kierkegaard auch im Äußeren konkrete Schritte in dieser Richtung unternommen: Aus der Aufzeichnung NB11:193 (vom 25. Juni 1849) geht hervor, dass er am 23. Juni 1849 J. N. Madvig – Rektor der Universität Kopenhagen und als Kultusminister von staatlicher Seite zuständig für die Besetzung geistlicher Ämter612 – und drei Wochen zuvor sowie am 22. und 25. Juni 1849 nochmals Mynster aufgesucht hat. Seinem Bericht zufolge hat Kierkegaard Madvig nicht angetroffen; Mynster habe er einmal ebenfalls verfehlt und sei zweimal in aller Freundlichkeit abgewiesen worden.613 Kierkegaard nennt das Anliegen seiner Besuche hier nicht konkret und spricht nur allgemein von „diesem Schritt“ und einer „Beamtenstellung“614 als solcher. Da er aber bezüglich des früheren Besuchs bei Mynster allein das Pastoralseminar erwähnt hatte, ist es unwahrscheinlich, dass Kierkegaard sich wenig später um eine Anstellung als Pfarrer bemüht haben sollte. Diese Vermutung betätigt auch – freilich mit größerem Abstand und retrospektiv – die Aufzeichnung NB24:54 vom Mai 1851.615 Dort notiert Kierkegaard ausdrücklich, er habe Sommer 1849 bei seinen (vergeblichen) Versuchen, Mynster und Madvig zu treffen, an „eine Anstellung am Pastoral-Seminar“ gedacht.616 Aufschlussreich für die ,Dialektik‘ ist dabei die Absicht, die Kierkegaard rückblickend mit der Anstellung am Seminar verbindet: Er habe durch eine öffentliche Lehrtätigkeit „in Richtung auf das Extensive“ wirken wollen, nachdem seine frühe Schriftstellerei in 611 612 613 614 615

NB11:123 (SKS 22, 70); die Aufzeichnung ist in lateinischer Schrift notiert. Vgl. nochmals SKS K22, 88. Vgl. NB11:193 (SKS 22, 116 f.); vgl. hierzu Deuser Dialektische Theologie, S. 51 f. NB11:193 (SKS 22, 116 f.), NB11:193.b (SKS 22, 117). NB24:54 (T 5, 13 – 21/ SKS 24, 351 – 357). Diese Eintragung ist der aufschlussreichste unter den vielen Rückblicken auf die Entstehung des Pseudonyms Anti-Climacus. Wichtig und zeitlich näher stehend ist auch der Rückblick NB14:12 (SKS 22, 350 f.). Hier nennt Kierkegaard ebenfalls seinen vergeblichen Versuch, Mynster und Madvig zu treffen, spricht aber nur unbestimmt von einem „Amt“. 616 NB24:54.a (T 5, 19 / SKS 24, 352); vgl. auch NB24:54 (T 5, 14 f. / SKS 24, 352 f.). Kierkegaard kommt auf sein damaliges Vorhaben, eine Anstellung am Pastoral-Seminar anzunehmen und auf die Gespräche mit Mynster auch später immer wieder zurück, vgl. z. B. NB20:12 (SKS 23, 396 f.), NB23:209 (SKS 24, 307 f.), NB26:14.b (T 5, 84 / SKS 25, 24), NB27:16 (SKS 25, 132) sowie den Entwurf „Eine Äußerung von Bischof Mynster“, Pap. X 6 B 173, p. 274. Eine Anstellung am Pastoral-Seminar ist selbst noch Anfang August 1851 Gegenstand eines erneuten Gesprächs zwischen Kierkegaard und Mynster, vgl. NB24:121 (T 5, 36 / SKS 24, 398).

2. Mitteilung ex cathedra?

349

intensiver Richtung gewirkt habe.617 Schon 1847 hatte Kierkegaard anlässlich des ersten Plans zur ,Dialektik‘ ähnliches formuliert: Der Vorlesungszyklus könnte womöglich seinen „Ideen mehr Eingang“ verschaffen.618 In der Tat hat auch die erste ausformulierte Vorlesung deutlich den Charakter eines ,ersten öffentlichen Auftritts‘; sie ist ebenso sehr eine ,Präsentation‘ und Erläuterung von Kierkegaards Anliegen und Werk wie eine Einleitung in die Mitteilungsfrage. Zu dem Wunsch nach ,extensiver‘ Wirkung gehört aber stets auch die Gegenbewegung: Durch öffentliche, direkte Mitteilung werde, so notiert Kierkegaard es häufig, sein Leben leichter, die Intensität seiner Aufgabe herabgespannt.619 Entsprechend fasst auch die Aufzeichnung NB24:54 eine mögliche Anstellung am Pastoralseminar als ein ,Abschlagen‘ auf, als Verminderung der „Anstrengung meines Lebens“.620 Ein ähnlicher Passus findet sich auch in der ersten Vorlesung der ,Dialektik‘, wo Kierkegaard den Hörern mitteilt, er fasse diese „Vorlesungen“ in Bezug auf sein „ganze[s] Streben qua Schriftst.“ als ein „Nachgeben“ auf, als einen Versuch, das „Wahre“ um einer größeren „Wirkung“ willen in einer weniger strengen Form mitzuteilen.621 Vor diesem Hintergrund ist es durchaus wahrscheinlich – wenn auch philologisch nicht eindeutig zu belegen –, dass Kierkegaard im Umfeld seines Plans vom Frühjahr/Frühsommer 1849, sich um eine Anstellung am Pastoralseminar zu bemühen und öffentlich zu wirken, das Konvolut zur ,Dialektik der Mitteilung‘ von 1847 nochmals vorgenommen und den zweiten Ansatz notiert hat. Ist diese Hypothese zutreffend, lässt sich die Entstehung der Partien von 1849 konkreter eingrenzen. Der Ende Juni in NB11:193 notierte Versuch, Madvig und Mynster zu treffen, bezeichnet nämlich zugleich die Niederlegung dieses Plans: Der Gedanke an eine amtliche Anstellung scheint nur noch einmal in NB11:204 auf, um dann vorerst aus den Journalen zu verschwinden.622 Mithin hätte Kierkegaard den zweiten Anlauf zur Vorlesung über die ,Dialektik der NB24:54.a (T 5, 19 / SKS 24, 352). NB2:13 (T 2, 133 / SKS 20, 143). Vgl. z. B. NB6:61 (SKS 21, 46) und hierzu oben, II.3.4.d). NB24:54.a (T 5, 19 / SKS 24, 352). Papir 371:1 (DM, 119 f. / SKS 27, 428); „qua“ bei Kierkegaard in lateinischer Schrift. 622 Vgl. NB11:204 (T 3, 255 / SKS 22, 127). Erst in NB12:191 (etwa Ende September 1849) wird die Frage wieder bedacht – allerdings erläutert hier Kierkegaard negativ, warum er zu einem Amt nicht tauge. Vgl. NB12:191 (T 3, 296 / SKS 22, 262).

617 618 619 620 621

350

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Mitteilung‘ frühestens etwa im März 1849 (parallel zu NB10) aufgenommen und spätestens Ende Juni/Anfang Juli 1849 (zum Ende von NB11) abgebrochen. Am wahrscheinlichsten wäre eine Abfassung parallel zu NB11, da sich dort der Plan zur Anstellung am Pastoralseminar konkretisiert: Der zweite Anlauf zur ,Dialektik der Mitteilung‘ wäre dann auf Mai/Juni 1849 zu datieren. Die Parallelstellen aus den Journalen widersprechen dem zum Mindesten nicht: Die Bezüge zur ,Dialektik‘ in NB12 sind entweder rückblickend oder haben den Charakter von Exzerpten. Auch die einzige relevante Eintragung aus NB11, die nach Niederlegung des Plans zur Anstellung notiert ist – NB11:223 über die Bedeutung der Pseudonyme –, kann problemlos als Exzerpt gelesen werden.623 Selbst wenn die erneute Auseinandersetzung mit der ,Dialektik der Mitteilung‘ sich nicht unmittelbar der Bemühung um eine Anstellung am Pastoralseminar verdankt, erscheint der genannte Zeitraum als plausibel: Unmittelbar mit der Niederlegung dieses Plans fasst nämlich Kierkegaard den Entschluss, die Krankheit zum Tode pseudonym zu publizieren.624 Die Einführung des neuen Pseudonyms Anti-Climacus bedeutet zugleich, dass Kierkegaard (wenigstens fürs Erste) nun kein direktes und öffentliches Wort über sich selbst zu sagen beabsichtigt. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Kierkegaard nach diesem Entschluss die ,Dialektik‘ 1849 niedergeschrieben hat, zumal die erste Vorlesung als ,öffentliche Präsentation‘ seiner selbst und seines Anliegens konzipiert ist. Wichtiger noch: Die oben zitierte Äußerung über die ,direkte Mitteilung‘ in den ,letzten paar Jahren‘ kann nicht nach der Einsetzung des Pseudonyms Anti-Climacus niedergeschrieben worden sein, hat doch Kierkegaard diese Pseudonymität als ,neue‘ und ,höhere‘ indirekte Mitteilung verstanden. Und auch der Beginn einer Abfassung frühestens im März (parallel zu NB10) erscheint selbst ohne Bezug auf die Frage einer öf623 Dass diese Journalnotiz nach der Beschäftigung mit der ,Dialektik der Mitteilung‘ notiert und nicht vom Journal in das Vorlesungsfragment übertragen worden ist, wird dadurch wahrscheinlich, dass sich die entsprechende Bewertung der Pseudonyme keimhaft schon in der ersten Skizze von 1847 findet und 1849 ausführlicher entfaltet wird (vgl. Papir 366:3 (DM, 101 / SKS 27, 402), Papir 371:1 (DM, 119 f. / SKS 27, 428)). 624 Die Abgabe an den Drucker ist notiert in NB11:203 (SKS 22, 126); eine Pseudonymsetzung hatte Kierkegaard bereits in NB11:123 (SKS 22, 70) erwogen, endgültig beschlossen wird diese in NB11:204 (T 3, 256 / SKS 22, 127 f.), nach einigen Modifikationen (u. a. Streichung des Nachworts) bekräftigt in NB12:7 (SKS 22, 149).

2. Mitteilung ex cathedra?

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fentlichen Anstellung als wahrscheinlich: Erst hier notieren die Journale nach einer längeren Pause wieder Reflexionen zur Mitteilung.625 Eine Abfassung des zweiten Anlaufs im Mai/Juni 1849 böte schließlich eine plausible Erklärung dafür, dass Kierkegaard sich an eine Neubearbeitung später nicht mehr erinnert. Kierkegaard hat diese Zeit rückblickend als äußerst intensiv beschrieben: Zu der Einführung des ,neuen Pseudonyms‘ und dem auch aufgrund seiner finanziellen Lage problematischen Verhältnis zu Mynster kommt noch der zeitgleiche Tod des Etatsrats Olsen, der für Kierkegaard in Bezug auf Regine bedeutsam gewesen ist. Angesichts dieser ,Ereignisse‘, die Kierkegaard später immer wieder reflektiert,626 wäre es erklärlich, dass er eine weitere Bearbeitung der ,Dialektik der Mitteilung‘ in diesem Zeitraum schlicht vergessen hat. Zusammenfassend ist festzuhalten: Eine gemeinsame Niederschrift der 2. Skizze und der zwei Vorlesungen des ,Dialektik‘-Fragments im Frühjahr/ Sommer 1849 ist aufgrund der Textstruktur und insbesondere aufgrund der impliziten Datierungshinweise sowie der teilweise wörtlichen Parallelstellen in den Journalen NB11 und NB12 sehr wahrscheinlich. Einige Indizien sprechen überdies dafür, den Entstehungszeitraum auf Mai/Juni 1849 einzugrenzen. Im Blick auf die Partien, die Kierkegaard aus der ,Dialektik‘ in seine Journale überträgt, erscheint Folgendes plausibel: Kierkegaard hat sich im Frühjahr/Sommer 1849 sein altes Manuskript von 1847 nochmals vorgenommen, dieses zunchst mit Randbemerkungen versehen, und sodann nochmals neu mit der 2. Skizze und den beiden Vorlesungen angesetzt; nach Niederlegung des Plans hat er das ihm wichtige Material im Journal gesichert. Diese Datierungshypothese wird in der folgenden Interpretation vorausgesetzt und nicht weiter erörtert. Gerade vor dem Hintergrund der 625 Vgl. dazu oben, II.4.1.a)-b). Ein weiterer Faktor lässt im Übrigen eine Abfassung erst nach NB10 nahe liegend erscheinen: die Niederschrift der „Rechenschaft“ (späterer erster Teil der Wirksamkeit) Mitte April 1849, festgehalten in NB10:185 (SS, 167 / SKS 21, 352). Da die 1849er-Partien der ,Dialektik‘ von den ,Schriften über sich selbst‘ 1848/49 (Gesichtspunkt und Wirksamkeit) deutlich abweichen, ist es wenig wahrscheinlich, dass sie in deren unmittelbarem Kontext niedergeschrieben worden sind. Nahe liegender ist es, dass Kierkegaard nach der „Rechenschaft“ mit den Vorlesungen parallel zu NB11 nochmals neu ansetzt. 626 Vgl. nochmals NB24:54 (T 5, 13 – 21 / SKS 24, 351 – 357) und die Notizen zum Tod des Etatsrats Olsen in NB12:28 (SKS 22, 160) und NB12:28.a (T 3, 268 / SKS 22, 160). Kierkegaards spätere Rekonstruktionen der Chronologie der Ereignisse von Sommer 1849 sind im Übrigen teilweise uneinheitlich.

352

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Mitteilungsreflexion der Journale von 1849 aber wird sich zeigen, dass die Ausführungen zur Mitteilung in der 2. Skizze und den Vorlesungen auch aus inhaltlichen Gründen nicht 1847 entstanden sein können – und sich bei aller Eigenständigkeit genau in den hier abgesteckten zeitlichen Rahmen einfügen.

b) Die erste Vorlesung – Direkte Mitteilung des Indirekten? Anhand der ersten, einleitenden Vorlesung kann die erste zentrale Eigentümlichkeit von Kierkegaards Ansatz in der ,Dialektik‘ 1849 herausgearbeitet werden: die Problematisierung des eigenen Vorhabens, nämlich einer Darstellung der Mitteilungsdialektik ex cathedra und mithin einer direkten Mitteilung ber die indirekte Mitteilung. Im Folgenden gilt es, Kierkegaards Reflexion dieses Problems in einer textnahen Interpretation zu entfalten. Dabei ist zunächst auf die Exposition der Bedenken gegen den Kathedervortrag einzugehen (1.), sodann sind Kierkegaards Anläufe zu einer ,Lösung‘ zu diskutieren, die im Plan eines ,Experimentalvortrags‘ ihr Zentrum haben (2.). Abschließend ist zu zeigen, wie Kierkegaard seinen ,Versuch‘ werkgeschichtlich situiert und zur Pseudonymität ins Verhältnis setzt (3.). 1. Das Problem des Kathedervortrags. Schon gleich zu Beginn des ersten Vortrags und noch bevor das Thema der Vorlesungen selbst umrissen ist, exponiert Kierkegaard seine Bedenken angesichts einer direkten Darstellung der indirekten Mitteilung, die die Behandlung dieses Themas ex cathedra offensichtlich bedeutet. In der Tat ist die erste Vorlesung die umfangreichste Erörterung dieses zentralen methodologischen Problems in Kierkegaards Gesamtwerk;627 mithin sind die entsprechenden Passagen im Kontext der vorliegenden Untersuchung von besonderem Interesse. Es sei allerdings vorab angemerkt, dass Kierkegaard auch hier keine im Ganzen schlüssige Darstellung der methodologischen Kernfrage des indirekten Verfahrens gibt, und dies aus wenigstens zwei Gründen: Einerseits rezentriert sich die grundlegende Frage nach einer direkten Mitteilung des Indirekten in der konkreten Ausgangslage der Unternehmung – eben dem Vortrag ex cathedra. Mithin lautet die Frage nicht, ob eine 627 Vgl. allerdings die verstreuten, aber gleichwohl aufschlussreichen Stellen hierzu in der Nachschrift oben, II.1.1. und II.1.2.c). Dort zeigt sich im Übrigen eine verwandte Unschärfe in der Darstellung des Problems.

2. Mitteilung ex cathedra?

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direkte Mitteilung des Indirekten berhaupt gegeben werden könne, sondern vielmehr, ob der Kathedervortrag die angemessene Darstellungsform der Mitteilungsdialektik sei. Andererseits hat die methodologische Reflexion der ersten Vorlesung ebenso wie das gesamte Konvolut zur ,Dialektik‘ den Charakter des Vorläufigen und Unausgereiften. Wie die Entwicklung der Distinktionen in den Schemata ist auch die präliminarische Reflexion über den Vortrag selbst tastend und ,experimentierend‘, ohne aber eine Form zu finden, in der das Experiment schlüssig präsentiert werden könnte. Gleichwohl ist die Argumentation, in der Kierkegaard Einwände gegen eine direkte Mitteilung des Indirekten formuliert, höchst aufschlussreich, insbesondere im Kontext der Mitteilungsreflexion von 1848/49. Kierkegaard hebt in der ersten Vorlesung damit an, den ,unglücklichen primitiveren Denker‘ zu charakterisieren; dieser sei dadurch gekennzeichnet, dass er sich nicht „ohne weiteres“ zur „Wissenschaftlichkeit“ seiner Zeit verhalte. Sofern ein solcher Denker nicht unmittelbar an den geläufigen „Gedankengang“ und die übliche „Bezeichnungsweise“ anschließe, sei er einer ,Isolation‘ ausgesetzt, die Kierkegaard die „Qualen der Verzögerung“ nennt – diejenige Verzögerung nämlich, nicht unmittelbar von der Mitwelt verstanden zu werden.628 Die Vorlesung führt damit einen Gedanken aus NB3:62 von Ende 1847 fort, wo von der „Schule der Geduld“ die Rede war, welche notwendig werde, sofern ein Denker einen „eigentümlichen Begriff davon hat, was Mitteilung ist“.629 In der Eingangspassage wird aber auch ein Zug sichtbar, der die folgende Darstellung der Mitteilungsdialektik durchgehend belasten wird: Kierkegaard rechnet sich selbst zu diesen ,unglücklichen primitiveren Denkern‘ und beschreibt eindringlich die „Qualen“, die darin lägen, dass ein solcher Denker von der Mitwelt mit dem „langweiligen Merkmal des Abstechenden, des Sonderbaren“ versehen würde.630 Diese Ausführungen machen sogleich deutlich, dass die Vorlesungen über die ,Dialektik der Mitteilung‘ keineswegs allein dem Zweck dienen, ihr titelgebendes Thema zu entfalten – sie sollen vielmehr zugleich Kierkegaards eigenes Leben und Denken einer hartnäckig missverstehenden Öffentlichkeit näher bringen. Wie schon in den 628 Papir 371:1.a (DM, 112 / SKS 27, 422); es handelt sich dabei um eine spätere Einfügung am Rand. – Vgl. hierzu und zum Folgenden den kurzen Kommentar in Goldstein On Christian Rhetoric, S. 161 – 166. 629 NB3:62 (T 2, 190 / SKS 20, 275). 630 Papir 371:1.a (DM, 112 / SKS 27, 422).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Journalreflexionen seit Sommer 1848 im Ganzen vermengt sich also die Frage nach der Mitteilungsform als solcher mit der nach einer persçnlichen Mitteilung – und bemerkenswerterweise ist das ,persönliche‘ Element im Vortrag coram publico ebenso bestimmend wie im Journal. Entsprechend notiert auch Kierkegaard kurz darauf, er wolle die erste Stunde für „einzelne Bemerkungen“ verwenden, die nicht nur „das ganze Unternehmen“ der ,Dialektik‘, sondern auch „mich im Allgem[einen]“ betreffen.631 Ausführungen dieser Art werden immer wieder die Darlegung der Mitteilungsthematik unterbrechen und überlagern. Unmittelbar nach diesem kurzen Einstieg aber entfaltet Kierkegaard sogleich das methodologische Kernproblem der Unternehmung. Diese ausführliche, in ihren rhetorischen Schlaufen offensichtlich unmittelbar für den Vortrag bestimmte Reflexion liest sich wie folgt: Nicht ohne viele Bedenklichkeiten und viel Bedenklichkeit beginne ich dieses Unternehmen. Ich denke hierbei nicht bloß daran, woran wohl jeder Dozent denken wird, ob es ihm nun gelingen wird, die Zuhörer, sich selbst und den Gegenstand ganz im Allgemeinen genommen zufrieden zu stellen. Nein, eben weil ich mich wesentlich damit beschäftigen werde, diejenige Art von Mitteilung darzustellen, von der es entweder unbedingt od. doch bedingungsweise gilt, dass es keinen Gegenstand gibt – dass dies dialektisch so ist, und was darin dialektisch liegt, was daraus dialektisch folgt, ist eben der Totalgedanke in diesen Vorlesungen – komme ich sofort dazu, daran zu denken, ob das, dass ich jetzt von einem Katheder beginnen werde, das vorzutragen, was ich vorzutragen beabsichtige, ob dies nicht im Widerspruch mit dem ist, was ich vortragen werde. Das heißt, ich habe es gegenwärtig, bin dadurch aufmerksam darauf, was ich vorzutragen beabsichtige: dass zum Erkennen insbesondere ethischer und ethisch-religiöser Wahrheit eine Situation gehört, und so auch dazu, ethische und ethisch-religiöse Wahrheit mitzuteilen – und nun ist die Bedenklichkeit die: ist das Katheder die adäquate Situation. Ich habe es gegenwärtig und bin dadurch aufmerksam darauf, was ich vorzutragen beabsichtige: dass ethische und ethisch-religiöse Wahrheit [in Wahrheit] zu erkennen bedeutet, das Erkannte existenziell zu reduplizieren – nun ist die Bedenklichkeit die: enthält denn ein Vortrag ex cathedra eine Reduplikation, kann er eine solche Reduplikation enthalten. Die Bedenklichkeit ist die, ob nun das ganze Unternehmen selbst alles existenziell redupliziert, was ich zu sagen habe, so dass ich nicht in einer einzelnen Vorlesung dazu komme zu behandeln, was Reduplikation und ihr Zugehören zu ethischer und ethisch-religiöser Wahrheits-Erkenntnis und Wahrheits-Mitteilung ist; sondern dass das ganze Unternehmen redupliziert, was vorgetragen werden wird.632 631 Papir 371:1 (DM, 114 / SKS 27, 423). 632 Papir 371:1 (DM, 112 f. / SKS 27, 422 f.). Die Einfügung in Klammern ist die Marginalie Papir 371:1.b.

2. Mitteilung ex cathedra?

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An kaum einer anderen Stelle seiner weit gespannten Mitteilungsreflexionen wirft Kierkegaard derart eindringlich die Frage auf, ob die direkte Mitteilung der indirekten Form nicht einen Widerspruch darstelle. Der Passage ist zunächst zu entnehmen, dass Kierkegaard aufgrund des spezifischen Themas der Vorlesungen ein Problem in der direkten Mitteilung ex cathedra sieht. Insbesondere im Kontext der Mitteilungsreflexion seit 1848 ist präzise darauf zu achten, wie diese Bedenken begründet werden. Kierkegaard nennt drei Argumente: Erstens bestehe, so Kierkegaard, ein Problem der direkten Mitteilung ex cathedra darin, dass er über diejenige Form der Mitteilung vorzutragen beabsichtige, bei der es keinen Gegenstand gebe. Diese Eigentümlichkeit wird als ,Totalgedanke‘ der Vorlesungen bezeichnet, gleichwohl bleibt das Argument unausgeführt – und es ist für die gesamte ,Dialektik‘ 1849 charakteristisch, dass sie diesen zentralen Punkt stets nur benennt und nicht im Einzelnen entfaltet. Die ,Dialektik‘-Skizze von 1847 hatte an entsprechender Stelle das ethisch-maieutische Modell eingeführt: Kein Mensch könne den anderen das Ethische lehren, weil jeder Mensch es je schon von sich her wisse und Gott der einzige ,Lehrmeister‘ im Ethischen sei. Es gebe daher im Ethischen keinen Gegenstand mitzuteilen 633 – was allerdings nicht notwendig impliziert, dass es schlechthin keinen Gegenstand gibt. Offensichtlich deckt sich aber der Ansatz 1849 damit nicht vollständig, differenziert doch Kierkegaard zwischen dem ,unbedingten‘ und dem ,bedingten‘ Fehlen des Gegenstandes. Dieser Abschattung entspricht, wie das Folgende zeigt, die Unterscheidung von ,ethischer‘ und ,ethisch-religiöser Mitteilung‘.634 Hier aber wird diese Differenz noch nicht entwickelt, und so bestimmt Kierkegaard das Problem des ,fehlenden‘ Gegenstandes zugleich ,allgemeiner‘ und grundsätzlicher als 1847: Soll über eine Mitteilungsform vorgetragen werden, bei der es keinen Gegenstand gibt, so ist offenbar fraglich, inwiefern der Vortrag seinerseits überhaupt einen Gegenstand hat. Eine solche ,performative‘ Problematisierung des eigenen Vorgehens angesichts des ,fehlenden Gegenstands‘ findet sich in der ,Dialektik‘ 1847 an keiner Stelle. Auch schließen sich sogleich zwei weitere Bedenken an, die eng miteinander verbunden sind. Der zweite Zweifel an der Angemessenheit 633 Vgl. Papir 365:6 – 9 (DM, 89 – 91 / SKS 27, 393 – 395). Vgl. hierzu und zu den folgenden Rückverweisen auf die erste Skizze im Ganzen oben, II.3.2. 634 Diese Unterscheidung wird in der 1. Skizze 1847 erst zum Schluss und sehr knapp eingeführt (vgl. Papir 366:3 (DM, 100 / SKS 27, 402)); das Modell für das Ganze bildet dort die ,ethische Mitteilung‘.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

des Kathedervortrags bezieht sich auf die Situation – also den ,Vollzugsort‘ und die ,Anspracheform‘ der Mitteilung. Gegenüber der für existenzielle Mitteilung wesentlichen konkreten Situation erscheint der Vortrag ex cathedra als abstrakte Darstellung in einer dem Inhalt widersprechenden Sphäre; das Katheder ist offenbar die ,inadäquate‘ Situation für das, was von ihm herab gelehrt werden soll. Das dritte, daran anschließende Argument ist am ausführlichsten entfaltet; es zieht sich durch das gesamte Manuskript der ,Dialektik‘ 1849 hindurch und hat wohl wesentlich zur Niederlegung des Plans beigetragen: Kierkegaard stellt die Frage, ob der Kathedervortrag eine existenzielle Reduplikation des Gelehrten enthalte und enthalten könne.635 Mithin wird gleich zu Beginn ein Begriff eingeführt, dem schon in NB6 und der Einbung im Christentum eine zentrale Stellung zukam.636 Hierin liegt zunächst eine weitere – und grundsätzliche – Differenz der Ansätze von 1847 und 1849: Die Reduplikation wird in der 1. Skizze nur angedeutet, nicht terminologisch benannt und auch nicht auf das eigene Vorhaben bezogen;637 erst ab Sommer 1848 ist der Begriff in seiner ,starken‘ Bedeutung festgehalten. In der ,Dialektik‘ 1849 lautet das Argument nun folgendermaßen: Die ,Reduplikation‘ 635 Diese eigentümliche Selbstproblematisierung ist von der Forschung bislang nicht ausreichend gewürdigt worden. Vgl. hierzu und zur ,Reduplikation‘ in der ,Dialektik‘ Bejerholm „Meddelelsens dialektik“, S. 158; Müller Søren Kierkegaards kommunikationsteori, S. 44 f.; Bühler „Liebe und Dialektik der Mitteilung“, S. 85 f. 636 Vgl. oben, II.3.4. und II.3.5. 637 Das Motiv der ,Reduplikation‘ ergibt sich in der Skizze 1847 – ohne dass der Begriff selbst dort fiele – aus dem ethisch-maieutischen Modell: Da das Ethische nicht gelehrt werden kann und es im Ethischen nur ,Lehrlinge‘ gibt, muss der Lehrer selbst üben, was er lehrt (vgl. bes. Papir 365:12 – 14 (DM, 92 f. / SKS 27, 396 f.)). Die einzige Stelle, die auf die Reduplikation im 1849 zentralen Sinne und auf die Frage des Kathedervortrags anspielt, ist eine Randbemerkung. Dort heißt es: „Aber Mitteilung im Ethischen kann nur in der Wirklichkeit gegeben werden, derart dass der Mitteiler od. der Lehrer selbst darin existiert, und in der Situation der Wirklichkeit, selbst und in der Situation der Wirklichkeit ist, was er lehrt. Wenn einer in Ataraxie unterweist – von einem Katheder, dann ist das nicht ethisch wahr. Nein, die Situation muss derart sein, dass er zugleich Ataraxie zeigt, wie z. B. wenn einer umgeben von einer Schar Mschen, die ihn insultieren, in Ataraxie unterweist. Die Situation der Wirklichkeit gehört eigtl. dazu“ (Papir 365:19.a (DM, 95 / SKS 27, 398)). Das verwendete Vokabular legt es nahe, dass es sich hierbei um eine nachträglich 1849 eingefügte Marginalie handelt; so werden nur hier in der Skizze 1847 die dann 1849 prominenten Ausdrücke ,Situation‘ und ,Situation der Wirklichkeit‘ verwendet. Vgl. dazu im Folgenden die Auslegung des zweiten Schemas, wo diese Begriffe eingeführt werden.

2. Mitteilung ex cathedra?

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dürfe nicht als einzelner Aspekt der Mitteilung aus ,neutraler‘ Perspektive dargestellt werden; ihre Forderung nach existenzieller ,Verdopplung‘ des Gelehrten müsse vielmehr den Vortrag im Ganzen bestimmen. Um aber in den Blick zu bringen, wie dieser Begriff in der ,Dialektik‘ 1849 genau verwendet wird, ist danach zu fragen, was und wie hier eigentlich redupliziert werden sollte. Bei näherem Hinsehen zeigt sich nämlich in diesem Argument – und auch bereits im Begriff der Situation – eine Unschärfe der Ebenen: Kierkegaard schreibt, Situation und existenzielle Reduplikation seien wesentlich für das Erkennen und die Mitteilung ethischer und ethisch-religiöser Wahrheit. Das heißt: Derjenige, der ethische und ethisch-religiöse Wahrheit erkennt und mitteilt, darf diese Wahrheit nicht bloß erkennen und ,abstrakt‘ lehren, sondern muss sie zugleich existenziell-reduplizierend vollziehen oder ausdrcken. Tatsächlich aber ist der Gegenstand der Vorlesungen nicht ,das Ethische‘ und ,das Ethisch-Religiöse‘ selbst bzw. ethische und ethisch-religiöse Wahrheit, sondern die ethische und ethisch-religiöse Mitteilung. Mithin ist in Kierkegaards Problematisierung die Ebene seiner eigenen Darstellung explizit gar nicht angesprochen: Der Text unterscheidet nicht klar zwischen der ethischen und ethisch-religiösen Mitteilung selbst und der Mitteilung ber diese Mitteilung, gleichsam der Mitteilung in zweiter Potenz; der zweite und dritte Einwand sind unmittelbar der Forderung der konkreten Mitteilung in erster Potenz entnommen.638 Somit ist aber das methodologische Zentralproblem der indirekten Mitteilung schon gleich zu Beginn unscharf aufgestellt: Worin die Reduplikation einer Darstellung bestehen müsste, die ber diejenige Mitteilungsform handelt, zu der eine (existenzielle) Reduplikation wesentlich gehört, wird nicht erläutert. Es bleibt offen, ob diese die gleiche Reduplikation zu enthalten hätte wie die Mitteilung des Ethischen und Ethisch-Religiösen – also ein existenzielles Ausdrücken ethischer und ethisch-religiöser Wahrheit –, oder ob die ,doppelte Verdopplung‘ anders aufzufassen wäre. Wendet man das Argument so, dass dem jeweils Mitgeteilten eine Reduplikation zu entsprechen hätte, dann müsste Kierkegaard als ,Lehrer‘ der ,Dialektik der Mitteilung‘ diese selbst ausdrücken – 638 Es sind also drei Ebenen zu unterscheiden: 1. Die Erkenntnis; 2. Die Mitteilung; 3. Die Mitteilung ber die Mitteilung. Bemerkenswert ist dabei, dass Kierkegaard die Erkenntnis zum Ausgangspunkt seiner Definition macht – und damit nahe legt, die ethische und ethisch-religiöse Wahrheit lasse sich ,vorab‘ einfach erkennen und die existenzielle Reduplikation sei ein zwar wesentlich, aber nachtrglich Hinzukommendes.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

er müsste sie also wohl zugleich lehren und praktizieren. Dabei ist aber fraglich, ob eine Mitteilungsform in dem hier prononcierten Sinne ebenso existenziell ausgedrückt werden kann wie etwa eine ethische Wahrheit. 639 Tatsächlich vermischen sich hier – ähnlich wie schon in der Einbung – zwei Aspekte des Reduplikationsbegriffs: Ausdrücklich fordert Kierkegaard allein die existenzielle Reduplikation des Gelehrten; unausdrücklich aber spielt zugleich die Frage einer korrekten Reduplikation des Inhalts in der Form der Darstellung mit hinein. Im Grunde liegt erst auf der zweiten, von Kierkegaard nicht explizit thematisierten Ebene das strukturelle Problem des Unternehmens. Diese Unschärfe wird sich auch im Folgenden zeigen und noch deutlicher hervortreten; eine konzentrierte Diskussion der Vielstimmigkeit des Reduplikationsbegriffs kann erst zum Abschluss des zweiten Schemas gegeben werden. Trotz dieser Unklarheit aber ist im Ganzen sichtbar, dass die Reduplikation als Argument gegen eine direkte Mitteilung dient – und dies ist vor dem Hintergrund der Mitteilungsreflexion seit Sommer 1848 wenigstens bemerkenswert. Offensichtlich evoziert die Frage des Kathedervortrags Gedanken, die Kierkegaard in NB6 und der Einbung formuliert hatte: Dort war die Reduplikation der „Paragraphen- oder Professoren-Mitteilung“,640 dem Dozieren vom Katheder und dem Predigen von der Kanzel641 entgegengestellt worden. Der spezifische Akzent, den Kierkegaard in NB6 in eigener Sache mit dem Begriff verknüpft, fehlt in der ,Dialektik‘ allerdings: Dort bezeichnet die Reduplikation die Forderung an den Maieutiker, aus seiner ,Verborgenheit‘ herauszutreten und für das von ihm eigentlich Gewollte (nämlich das Christliche) ,bezeugend‘ einzustehen;642 und Kierkegaard meint zugleich, dieser Forderung selbst nur mit einer direkten Mitteilung über sich und sein Werk entsprechen zu können. Vor diesem Hintergrund behandeln dann auch die Journale 1849 die Frage nach einer direkten Mitteilung und weisen sie mit einem anderen Argument als dem hier gegebenen zurück: Ein ,Eintreten‘ für das im Werk Gewollte mache die

639 Auffällig ist dabei, dass Kierkegaard zunächst auch von der existenziellen Reduplikation des ,Unternehmens‘ spricht; im letzten Satz des Zitats heißt es dann aber nur noch ,Reduplikation‘ (ohne den Zusatz ,existenziell‘). 640 EC, 117 / SKS 12, 128. 641 Vgl. NB6:13 (SKS 21, 17), NB6:56 (T 3, 50 / SKS 21, 42) und NB6:57 (T 3, 51 / SKS 21, 42). 642 Vgl. bes. NB6:68 (T 3, 53 / SKS 21, 51) und ausführlich oben, II.3.4.e).

2. Mitteilung ex cathedra?

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Verwechslung mit einem ,Apostel‘ möglich.643 Dieser Horizont ist aber in der Exposition der ,Dialektik‘ offenkundig nicht präsent. Wie des Öfteren ,reaktiviert‘ Kierkegaard also in einem neuen Kontext – hier: der Frage des Kathedervortrags – einen ,älteren‘ Mitteilungsbegriff und versieht ihn mit einer abweichenden Akzentuierung: Formal stimmt zwar die 1849 gegebene Bestimmung der Reduplikation mit der früheren überein: zu ,sein, was man sagt‘. In seiner konkreten Ausrichtung hingegen erhält der Begriff nachgerade die entgegengesetzte Bedeutung: Ist er in NB6 Argument fr die direkte Mitteilung als ,Einstehen für das Gewollte‘, so akzentuiert er in der ,Dialektik‘ zunächst das Existenzielle und richtet sich sodann gegen das Direkte. Auch jenseits des Reduplikationsbegriffs bedeuten die hier exponierten Zweifel am eigenen Vorgehen eine wesentliche Differenz zu den ,direkten Mitteilungen‘ von Gesichtspunkt und Wirksamkeit: Im Unterschied zu diesen Schriften ist Kierkegaard augenscheinlich nicht mehr der Ansicht, die indirekte Mitteilung lasse sich ,problemlos‘ direkt darstellen – wenigstens nicht ex cathedra. 644 In jedem Fall sind diese Bedenken für Kierkegaard offenbar grundsätzlicher Art, heißt es doch, sie führten „in einem gewissen Sinne […] in medias res“ und stünden im Verhältnis zum „Total-Gedanken des ganzen Unternehmens“. Es werde – wie Kierkegaard den imaginären Zuhörern mitteilt – „auch später mehr als einmal der Punkt kommen, wo Sie selbst auf die Misslichkeit aufmerksam werden, die meine Bedenklichkeiten veranlasst hat; dann mögen Sie erinnern, dass ich selbst gleich am ersten Tag darauf aufmerksam gemachte habe.“645 An diese ,Bedenklichkeiten‘ schließt nun Kierkegaard, durchaus unvermittelt, eine Mitteilung ,in eigener Sache‘ an, die ihm gerade in seiner Eigenschaft als „Schriftst. […] seit Längerem ein Bedürfnis“ gewesen sei: „Was im Leben fr Stolz gehalten wird, kann auch Gottesfurcht sein“.646 Noch bevor also das Thema der ,Dialektik‘ näher bestimmt ist, 643 Vgl. z. B. NB9:74 (SKS 21, 246 f.), NB12:57 (SKS 22, 174), NB14:8 (SKS 22, 347 f.) und hierzu oben, II.4.1. 644 Auch in den ,Schriften über die Schriftstellerei‘ von 1848/49 werden die Ebenen der Mitteilung selbst und der Mitteilung ber diese nicht klar und explizit unterschieden. Erst später wird diese Differenz ausdrücklich gemacht, vgl. NB15:46 (T 4, 87 / SKS 23, 33) und NB22:17 (SKS 24, 114); hierzu unten, II.4.3.a) u. d). 645 Papir 371:1.c (DM, 113 f. / SKS 27, 423). Offensichtlich hat Kierkegaard im Verlauf der Ausarbeitung diese Bedenken noch deutlicher hervorheben wollen. Wo die zitierte Bemerkung eingefügt ist, stand zuvor: „Doch genug hiervon“ (Papir 371:1 (DM, Anm. 30, 146 / SKS 27, 423)). 646 Papir 371:1 (DM, 114 / SKS 27, 423).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

macht Kierkegaard eine persönliche ,Bemerkung‘ – und bestätigt somit, dass die Vorlesungen zugleich eine Darstellung seiner eigenen Person geben sollen. Kierkegaard notiert zunächst, jeder Mensch sei „Gott gegenüber verpflichtet“, die „Wahrheit in der wahrsten Form“ darzustellen; je wahrer aber die Form, desto weniger Menschen werde er damit gewinnen.647 Weiter heißt es, dass derjenige, der kein „wesentliches Gottes-Verhältnis“ habe, um des Erfolgs willen ,abschlage‘, die Wahrheit ,kompromissweise‘ in weniger wahrer Form darstelle und so Menschen gewinne – während derjenige, der ein wesentliches Gottesverhältnis habe, ganz an der wahren Form festhalte, sich damit aber den Vorwurf des Stolzes zuziehe und eben keine Menschen gewinne.648 Kierkegaard macht es zwar nicht explizit, aber offenbar ist gemeint, die ,wahrste‘ Form sei die indirekte Form. Mithin stellt sich die Frage, ob nicht schon Kierkegaards eigener, ,direkter‘ Vortrag dieser Bedenken ein ,Verfälschen‘ der ,wahren Form‘ sei. In der Tat macht sich Kierkegaard diesen Einwand auf mehreren Ebenen selbst. Ein erster Einwand nimmt wieder den Begriff der Reduplikation auf: Sie werden hier sogleich ein Beispiel von Reduplikation bekommen können. Wenn ich sage, was ich hier gesagt habe, in dieser Weise, zu einer Versammlung und in dieser Weise: dann rührt es vielleicht sogar den einen und anderen, und warum? Weil dies direkte Mitteilung ist, ich redupliziere nicht, ich exsequiere nicht, was ich vortrage, ich bin nicht was ich sage, ich gebe nicht dem hier dargestellten Wahren die wahrste Form, so dass ich existenziell das Gesagte bin; ich spreche darber. Sobald ich es exsequiere, 647 Papir 371:1 (DM, 114 / SKS 27, 423). Die Vorlesung ruft im ,Gewinnen von Menschen‘ einen wichtigen Topos der Mitteilungsreflexion seit Sommer 1848 auf, der erstmals in NB6:61 (SKS 21, 45) reflektiert wird; vgl. hierzu oben, II.3.4.d). Auch die ,Dialektik‘ 1847 notiert diese Frage schon in aller Kürze; vgl. Papir 365:20 (DM, 95 / SKS 27, 398). – Die erste Vorlesung antizipiert an dieser Stelle eine Unterscheidung, die später entwickelt werden soll; in Parenthese heißt es: „Dies wird dadurch erläutert, den Unterschied zu zeigen zw. der Mitteilung ethisch-religiöser Wahrheit in der Form der Möglichkeit und in der Form der Wirklichkeit od. sie zur Wirklichkeit zu machen – aber ganz kurz; denn das will ja an seinem Ort ausführlicher entwickelt werden“ (Papir 371:1 (DM, 114 / SKS 27, 423)). Gemeint ist die Unterscheidung von ,Wissens-Mitteilung‘ und ,Könnens-Mitteilung‘, die der zweiten Vorlesung den Titel gibt. Inwiefern genau diese Distinktion den genannten Sachverhalt erläutern soll, ist nicht klar. Gemeint ist aber wohl, dass die ,Könnens-Mitteilung‘ als indirekte Mitteilung nicht unmittelbar verstanden wird und deshalb die Menschen nicht ,gewinnen‘ kann. 648 Papir 371:1 (DM, 114 f. / SKS 27, 423 f.).

2. Mitteilung ex cathedra?

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existenziell redupliziere, dann stoße ich ab, und der eine und andere sagt: das ist Stolz.649

Hier ist also die Reduplikation am Beispiel illustriert, und pointiert lautet das Bedenken: Die direkte Mitteilung stellt das Wahre in der unwahren Form dar, sie ,gewinnt Menschen‘; die ,wahrste‘ Form wäre – daran lässt nun die Abgrenzung zur ,direkten Mitteilung‘ keinen Zweifel mehr – eben die konsequent durchgeführte indirekte Darstellung. ber die indirekte Mitteilung aber in direkter Mitteilung zu sagen, dass sie die ,wahrste Form‘ sei, bedeutet eben, diese Form zu verlassen, sie nicht zu ,reduplizieren‘ und sich somit in einen Widerspruch zu verstricken. Bemerkenswert ist dabei, dass die indirekte Form nun ausdrücklich mit dem Gottesverhältnis verknüpft wird: Der in NB6 formulierte und den Gesichtspunkt leitende Gedanke, der Maieutiker müsse unter christlichen Voraussetzungen letztlich zum Zeugen werden, ist gänzlich verschwunden. Vergleicht man diese Passage mit der Exposition, so zeigt sich die oben zum Begriff der Reduplikation angemerkte Unschärfe noch deutlicher: Einerseits spricht Kierkegaard wieder von der existenziellen Reduplikation, in der der Mitteilende das ist, was er sagt. Andererseits aber ist nun explizit von der Form die Rede, und mithin bezeichnet die Reduplikation auch die korrekte Verdopplung des Gehalts in der Form. In Kierkegaards sehr spezifischem Beispiel fällt in der Tat beides zusammen: Die Einsicht, dass ein ,Wahres‘ nur in der indirekten Form dargestellt werden kann, müsste sich konsequent darin ausdrücken, dass der Mitteilende diese Einsicht existenziell vollzieht, also ist, was er sagt bzw. erkannt hat – und eben deshalb auch den Inhalt seiner Einsicht in der entsprechenden indirekten Form redupliziert. Diese Koinzidenz ergibt sich aber nur daraus, dass im Beispiel das Indirekte schon in der zu reduplizierenden ,Lehre‘ bzw. ,Einsicht‘ selbst liegt. Dass ein Mitteiler existenziell ausdrückt, was er sagt, impliziert nicht notwendig auch die Reduplikation seiner Einsicht in einer indirekten Form650 – und tatsächlich 649 Papir 371:1 (DM, 115 / SKS 27, 424). Vgl. hierzu die verwandte Formulierung im zweiten Schema, die unten, II.4.2.d) ausführlich interpretiert wird, Papir 368:10 (DM, 137 / SKS 27, 411). 650 Diese Frage diskutiert auch Anti-Climacus, vgl. EC, 128 f. / SKS 12, 138. Im Ganzen orientiert sich Kierkegaard hier offenbar an der Engführung von Reduplikation und indirekter Form, die auch die Einbung vornimmt. Dort aber ist diese Zusammenstellung dadurch begründet, dass der ,Gott-Mensch‘ ein ,Zeichen des Widerspruchs‘ und deshalb indirekte Mitteilung ist. Eine genaue Er-

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

wird diese Spannung im zweiten Schema sichtbar werden. Angedeutet ist eine Differenzierung von zwei Ebenen hingegen im ,Sprechen darber‘. Auch hier aber kommt Kierkegaard zu keiner Lösung des Problems: Das ,Sprechen darüber‘ erscheint allein als direktes und insofern ,falsches‘ Verfahren. Auf den eigentlichen Gegenstand der Vorlesungen bezogen – eben die Dialektik der Mitteilung – müsste nun konsequenterweise gefordert werden, dass ber die indirekte Mitteilung auch in indirekter Form gesprochen würde. Einmal mehr aber zieht Kierkegaard diesen Schluss nicht explizit und blickt vornehmlich auf den ,Vollzug‘ der konkreten Mitteilung in erster Potenz. Der an das Beispiel anschließende Passus formuliert nun ausdrücklich Kierkegaards ,Unentschlossenheit‘, die über dem ganzen ,Dialektik‘Ansatz 1849 liegt: In „dem einen Fall“ vertraue er anderen an, „dass ich ratlos bin, verzagt zw. zweien, ob ich mich absolut, unbedingt an Gott halten soll, od. ob ich mich nach Ihnen richten soll“, und bereits dies sei „die Einräumung“, die zeige, dass er sich „nicht unbedingt an Gott“ halte; im anderen Falle mache er „Ernst damit“, sich „unbedingt an Gott zu halten“, und ziehe sich den Vorwurf des Stolzes zu.651 Wie schwer aber der Einwand wiegt, den Kierkegaard sich selbst macht, wird darin deutlich, dass er als „Grund-Verwirrung des modernen Lebens“ die Tendenz notiert, in der „Wahrheits-Mitteilung“ nicht Gott, sondern die Menschen „zur Instanz“ zu machen und mithin der „ganzen ethischreligiösen Mitteilung eine verkehrte Form“ zu geben.652 Zugespitzt formuliert: Kierkegaards direkte Mitteilung ex cathedra würde gerade an dieser ,Grundverwirrung‘ mitschuldig. Und der abschließende Passus macht nochmals sichtbar, dass Kierkegaards ,Bedenken‘ sich nicht allein mitteilungstheoretischen Erwägungen verdanken: Aber ich habe einen anderen Zweifel; ich habe gezweifelt, ob ich sogar nur [das] Recht dazu habe, dies zu sagen, was ich hier sage, ob ich [das] Recht habe zu sagen, dass es aus Furcht vor Gott, ist, [dass] ich tue was ich tue. Denn schon dies ist doch ein Versuch, die Mschen zur Instanz zu machen, sie zu mildern, so dass sie mich behutsamer behandeln.653

Hier zeigt sich nun in aller Deutlichkeit die ,Tiefendimension‘ von Kierkegaards abwägender Reflexion: Es ist die persçnliche Frage nach der läuterung, inwiefern die Reduplikation (,zu sein, was man sagt‘) bei einem menschlichen Mitteiler indirekt sein soll, fehlt in der ,Dialektik‘ 1849 durchweg. 651 Papir 371:1 (DM, 115 / SKS 27, 424). 652 Papir 371:1 (DM, 115 / SKS 27, 424). 653 Papir 371:1 (DM, 116 / SKS 27, 425).

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,Berechtigung‘ zu einer direkten Mitteilung über sich in Bezug auf das Gottesverhältnis, die auch den Vorlesungsentwurf dominiert – und gerade darin zeigt sich seine Kontinuität mit den Mitteilungsreflexionen der Journale. Die einleitenden Partien sollten sichtbar gemacht haben, dass die ,Dialektik‘ 1849 keinen konsequent durchgeführten Ansatz zur Mitteilungsthematik und noch weniger eine ,Lösung‘ der in den Journalen 1848/49 hin- und hergewendeten Frage nach der ,Berechtigung‘ zu einer direkten Mitteilung bietet. Vielmehr macht Kierkegaard immer wieder selbst Einwände gegen das ,direkte‘ Vorgehen, und unversehens gleitet die Darstellung schon auf den ersten Seiten in eine aporetische Selbstverständigung hinüber, die sich von der Journalform nicht grundlegend unterscheidet. Inhaltlich allerdings ist eine wenigstens partielle Differenz zu den Journalen 1849 festzuhalten: Kierkegaard mobilisiert in der ,Dialektik‘ wieder den Begriff der Reduplikation, und zwar nun als Argument gegen die direkte Mitteilung. Zugleich unterscheidet sich die ,Dialektik‘ auch von Gesichtspunkt und Wirksamkeit: Die Mitteilungsdialektik ist wieder als ein Verfahren akzentuiert, das auf existenziellen Vollzug abzielt – und nicht mehr als bloße maieutische Taktik verstanden. 2. Der Plan zum Experimentalvortrag. Im Anschluss an die Reflexion zu Gottesfurcht und Stolz wendet sich Kierkegaard wieder seinem eigentlichen ,Gegenstand‘ zu, der Dialektik der Mitteilung – mit der Absicht, den Zuhörern „ganz kurz eine Vorstellung davon zu geben, was Sie von diesen Vorlesungen erwarten können“.654 Auch in der Folge arbeitet sich Kierkegaard an der ,Zweideutigkeit‘ ab, die in dem Vorhaben liegt: dass in direkter Form mitgeteilt wird, was eigentlich nicht in direkter Form mitgeteilt werden dürfte. Die erste Charakterisierung des Vortragsstils bezeichnet offenbar den Versuch, diesem Problem dadurch zu begegnen, dass Elemente der indirekten Darstellungsform in den direkten Vortrag hineingeholt werden: Ein Kathedervortrag im strengsten Sinne wird es nicht werden, sollte es in dieser Hinsicht etwas gleichen, wird es zuweilen einem physikalischen Vortrag am 654 Papir 371:1 (DM, 116 / SKS 27, 425). Diese ,Vorstellung‘ gliedert die verbleibenden Seiten der ersten Vorlesung in fünf Aspekte, die jeweils durch hervorgehobenen Absatzbeginn markiert sind: 1. Kathedervortrag; 2. Direktere Mitteilung; 3. Ernst; 4. Entschuldigung für die Verwendung des ,Ich‘; 5. Verhältnis zum eigenen Werk. Der Vortrag endet mit einer Ansprache an die Zuhörer (Papir 371:1 (DM, 116 – 122 / SKS 27, 425 – 430)).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

meisten gleichen, wo zugleich Experimente gezeigt werden. Ich werde mich bemühen, ab und zu das Dargestellte vor Ihnen geschehen zu lassen, ein einzelnes Mal werde ich mir vielleicht erlauben, Sie ganz vorsichtig dazu zu gebrauchen, mehr szenisch auf eine Weise in der Entwicklung [eine] Rolle zu übernehmen; wofür ich im Voraus Ihre Zustimmung erbitte. –655

Durch die Einführung von (Gedanken-)Experimenten, die mehr zeigenden als dozierenden Charakters sind, und durch die Verwandlung des Auditoriums in dialogische und szenische Partner beabsichtigt also Kierkegaard, den direkten Vortrag mit indirekten Elementen zu durchsetzen – ohne dass allerdings konkret sichtbar würde, wie dies durchgeführt werden soll. Die zweite Vorlesung lässt davon ebenso wenig etwas erkennen wie die Notizen zum Gang des Ganzen. Noch in der ersten Vorlesung notiert dann auch Kierkegaard im Widerspruch zu diesem Plan, der Vortrag selbst würde „[d]irektere Mitteilung“, während sein „Gegenstand“ aber „zu einem großen Teil ist: über die indirekte Mitteilung“.656 In diesem Passus – der erstmals das Begriffspaar von direkter und indirekter Mitteilung einführt – scheint es Kierkegaard nun doch möglich, in der zweiten Potenz der direkten Mitteilung die indirekte Mitteilung zu durchleuchten, wenn auch durch den bekannten Vorbehalt eingeleitet: Was in der strengsten Form nur in der Situation der Wirklichkeit und im Charakter mitgeteilt werden kann (indirekte Mitteilung), dies betreffend werde ich Ihnen hier in einer direkteren Form zeigen, wie das zugeht, Sie in direkter Mitteilung auf die indirekte Mitteilung aufmerksam machen.657

Hier deutet Kierkegaard den Unterschied der Ebenen an, den er sonst zumeist unausdrücklich lässt: die Differenz zwischen der indirekten Mitteilung in ihrem ,Vollzug‘ und einem ,theoretischen‘, direkten 655 Papir 371:1 (DM, 116 f. / SKS 27, 425). 656 Papir 371:1 (DM, 118 / SKS 27, 426). Es ist bezeichnend für Kierkegaards Schwanken zwischen den zwei Ebenen der Mitteilung selbst und der Mitteilung ber die Mitteilung, dass er nach „über die indirekte Mitteilung“ fortfährt: „od. ber das, dass wesentlich nur in indirekter Mitteilung mitgeteilt werden kann“ [Herv. v. Verf.]. Hier ist das Thema der Vorlesungen doppeldeutig angegeben: einerseits die indirekte Mitteilung selbst; andererseits dasjenige, was in der indirekten Mitteilung mitgeteilt wird. 657 Papir 371:1 (DM, 118 / SKS 27, 426 f.). Man beachte das Schwanken zwischen ,direkterer‘ und ,direkter‘ Mitteilung. Der Komparativ wird fast nur in der ,Dialektik‘ 1849 gebraucht und soll wohl einen ,Kompromiss‘ formulieren; gleichwohl ist hier vom „Gegensatz“ zwischen „direkterer“ und „indirekter Mitteilung“ die Rede.

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Sprechen ber das indirekte Verfahren. Bemerkenswerterweise bezeichnet Kierkegaard dabei seine direkte Mitteilung als ein ,AufmerksamMachen‘ – eine Wendung, die er sonst für das indirekte Verfahren gebraucht. Schon in dem unmittelbar folgenden Passus über den ,Ernst‘ wird aber auch diese Bestimmung wieder schwankend. Es werde dem Vortrag nicht an „Ernst“ mangeln, allerdings handele es sich um einen anderen Ernst als den des „strengeren Kathedervortrag[s]“ – und Kierkegaard „räum[t] ja gerne ein“, es sei „außer der Ordnung“, dass er das, was er vortrage, „ex cathedra“ vortrage.658 Die Unsicherheit des Zugriffs zeigt sich insbesondere in der ambivalent-tastenden Formulierung, der „Ernst im Verhältnis zu ethischer und ethisch-religiöser Mitteilung“ lasse sich „in einem gewissen Sinne eigtl. nicht ex cathedra“ vortragen.659 Nochmals skizziert hier Kierkegaard einen ,Mittelweg‘, ohne diesen aber zu konkretisieren: Der Vortrag solle „ungefähr einen Mittelton zw. dem strengen Kathedervortrag und dem Ernst im strengsten Sinne im Verhältnis zu ethischer Mitteilung einnehmen, welches nicht anders sein kann, sobald ich ex cathedra vortragen soll.“660 Innerhalb weniger Absätze also schwankt die Bestimmung des Vorgehens zwischen einer direkten Mitteilung, die auf die indirekte aufmerksam mache, und einer halb direkten/halb indirekten Darstellung. In immer neuen Varianten formuliert Kierkegaard dabei Einwände gegen das eigene Vorgehen. So heißt es zum Ethischen in einer Marginalie: Vom Ethischen gilt es nämlich unbedingt, dass es nicht doziert werden kann. Der dozierende Vortrag handelt von einem Gegenstand – und ethisch gilt es gerade, dass es keinen Gegenstand gibt (hierüber im Vortrag selbst). ber diesen Gegenstand wird gesprochen. Aber der Vortrag selbst ist nicht der existenzielle Ausdruck dafür, dass der Lehrer darin existiert, auch veranlasst der Vortrag nicht die Zuhörer dazu, darin zu existieren. Doch über all dies in den Vorlesungen selbst.661

Kierkegaard wiederholt zwei in der Exposition genannte Argumente: das Fehlen des Gegenstandes und die Reduplikation – ohne dass allerdings der letztere Begriff selbst genannt würde. Bemerkenswert ist dabei, dass Kierkegaard das reduplikative Argument an dieser Stelle in doppelter 658 659 660 661

Papir 371:1 (DM, 118 / SKS 27, 427). Papir 371:1 (DM, 118 / SKS 27, 427). Papir 371:1 (DM, 119 / SKS 27, 427). Papir 371:1.h (DM, 119 / SKS 27, 427). Wieder scheint es so, als sei das Ethische Gegenstand des Vortrags.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Hinsicht aufruft: Einerseits klingt die ,klassische‘ Definition der Reduplikation an, nach der ein Lehrer existenziell auszudrücken habe, was er lehre; andererseits aber bezieht sich die ,Reduplikation‘ nun auch auf den Empfnger. Damit greift allerdings die Formel, ,zu sein, was man sagt‘ oder ,lehrt‘, nicht mehr – denn der Empfänger sagt oder lehrt selbst ja nichts. Offenbar wird das Reduplikationsmotiv hier in einem weiteren Sinne verstanden, nämlich als Verwirklichung des Gelehrten in Existenz berhaupt, das heißt: als Aneignung, die naturgemäß auch den Empfänger mit einbezieht. Diese Konnotation wird sich im zweiten Schema ausdrücklich mit dem Begriff der ,Reduplikation‘ verbinden. Aus dem Passus über den Ernst wird auch nochmals deutlich, worin ein zentrales, wenn nicht gar das leitende Anliegen der ,Dialektik‘ besteht. Kierkegaard notiert, in den Vorlesungen sei der Ernst weniger streng als in den von ihm „herausgegebenen pseudonymen Büchern“. Deren Ernst aber zeige sich gerade dort, wo in ihnen das Element des „Ironischen“ dominiere und die Darstellung den meisten „ganz wie Spaß vorkommen“ werde662 – gemeint ist also der dialektische oder indirekte Ernst. Dieser Ernst in den pseudonymen Werken sei aber, „soweit mir bekannt ist, bislang überhaupt nicht verstanden worden“, und „die Art von Vortrag, die ich hier zu verwenden beabsichtige“, könne vielleicht „dazu beitragen, dass jenes besser verstanden werden kann.“663 Hier zeigt sich der ,extensive‘, auf Wirkung bedachte Zug der Unternehmung: Der Vortrag dient dem Zweck, das Verfahren der pseudonymen Werke zu beleuchten – und damit zu ihrem Verständnis und wohl auch ihrer ,Verbreitung‘ beizutragen.664 Obschon Kierkegaard in seinen Ausführungen über den Stil der Vorlesungen vornehmlich das Problem hin- und herwendet, inwiefern der Kathedervortrag doch seinem ,Gegenstand‘ angepasst werden könne, findet sich in diesem Zusammenhang auch eine Erläuterung der Darstellung indirekter Mitteilung, die über den konkreten ,Anlass‘ hinausdeutet. Ausgangspunkt ist die Abgrenzung zum ,gewöhnlichen‘ Kathe662 Papir 371:1 (DM, 118 f. / SKS 27, 427). 663 Papir 371:1 (DM, 119 / SKS 27, 427). Hier ruft Kierkegaard auch den Topos des ,Abschlagens‘ auf: Eine solche ,Erläuterung‘ des pseudonymen Werks gelinge nicht dadurch, dass „dieser Vortrag ernster“ sei, sondern „eben dadurch, dass er weniger von dem strengen Ernst hat“. 664 Vgl. hierzu den wohl ersten Keim zum Projekt der ,Dialektik der Mitteilung‘ in der Nachschrift (AUN1, 271 / SKS 7, 251 f. und hierzu oben, II.1.2.c)). Dort stellt sich Climacus die Frage, ob er nicht die indirekte Mitteilung ,direkt‘ mitteilen solle, um das Verständnis der pseudonymen Werke zu erleichtern.

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dervortrag: Der Vortrag über die ,Dialektik der Mitteilung‘ werde sich bemühen, „so weit wie möglich alles gegenwrtig zu machen“ und den Zuhörern „wenn möglich den Eindruck zu verschaffen, […] die entgegengesetztesten Gedanken auf einmal zu haben“; ihm komme deshalb nicht die „Gleichmäßigkeit des strengeren Kathedervortrags“ zu, der „eine bestimmte Stelle findet, an dem jedes Einzelne abgehandelt wird, von welchem dann weder vorher noch später gesprochen wird.“665 Mit ,gegenwärtig‘ meint also Kierkegaard zunächst nur, dass der Zusammenhang des Ganzen stets vor Augen geführt werden soll – ein Zusammenhang aber, der offensichtlich ,dialektisch‘ ist und in dem die einzelnen Bestimmungen ihre Bedeutung nur im spannungsreichen Verhältnis zu ihrem Gegensatz erhalten. Weiter heißt es hierzu: Nein[,] der Vortrag wird beständig, wenn ich so sagen darf, von einer Erinnerung an das geplagt werden, was an anderen Punkten gesagt worden ist, Reflexionen werden ihn beständig durchkreuzen[,] darauf berechnet, an das Zurückgelegte und das Bevorstehende zu erinnern, um wenn möglich den Eindruck aufrechtzuerhalten, dass alles gegenwärtig ist […]. Die Absicht ist natürlich nicht, dass ich in einem fort dabeibleiben werde, alle die einzelnen Gedankenbestimmungen tumultuarisch od. kaleidoskopisch miteinander zu mischen, so dass nicht sukzessive die Stelle kommt, an dem jede einzelne Gedanken-Bestimmung ihre genauere und ausführliche Entwicklung fände; die Absicht ist bloß, dass jeder Punkt wenn möglich das Zeichen davon tragen wird, was an den anderen Punkten gesagt ist, alles um wenn möglich unablässig die Gleichzeitigkeit des Gegenwärtigen zustande zu bringen. Nichts wird [selbst nachdem es seine ausführlichere Darstellung gefunden hat] als derart vollkommen fertig zu betrachten sein, dass nicht mehr davon die Rede sein od. daran erinnert werden sollte, vielmehr werden Hinweise darauf direkt od. durch Gegensatz sich darum bemühen, es in Erinnerung zu rufen, und in jedem Fall wird, wenn möglich, die Art und Weise, in welcher von dem Nächsten gesprochen wird, indirekt ein Sprechen über das sein, was fertig ist. Dass ich mir dies zur Aufgabe gesetzt habe, [das] werden Sie wohl auch selbst einsehen, ist nicht sonderbar. Denn das Ganze, was ich vorzutragen beabsichtige, ist ein Gedanke, und ich werde nicht den allermindesten gelehrten Apparat anbringen.666

665 Papir 371:1 (DM, 117 / SKS 27, 425 f.). 666 Papir 371:1 (DM, 117 f. / SKS 27, 426); die eingefügte Partie ist die Marginalie Papir 371:1.e. – Was Kierkegaard hier konkret im Blick hat, wird sich im zweiten Schema zeigen: Dort ruft er die einzelnen Bestimmungen nacheinander auf und muss so, um sie jeweils zu konturieren, auf Früheres zurückverweisen.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Die letzte Wendung, in der Kierkegaard – mit einer an Schopenhauer erinnernden Formulierung667 – den Gegenstand der Vorlesung als ,einen Gedanken‘ präsentiert, evoziert die Vorstellung eines ,organischen Systems‘, in dem die einzelnen Teile ihren Sinn nur durch den Zusammenhang und ihr wechselseitiges Auf-einander-Verweisen erlangen. Tatsächlich aber liegt mehr in Kierkegaards Ausführungen als der Anspruch auf ein nur in seiner Totalität verständliches Ganzes: In die Erläuterungen spielt die Regionalitt und Kontextualitt, die Beweglichkeit und Prozessualitt der indirekten Methode hinein. Kierkegaard möchte ja seine Vorlesungen von dem ,strengen‘ Kathedervortrag abgrenzen – und meint damit offensichtlich nicht nur den fachwissenschaftlichen Vortrag, sondern auch die systematische, z. B. dogmatische oder philosophische Vorlesung.668 Von einer solchen unterscheidet sich die Darstellung der indirekten Methode – entgegen Kierkegaards restabilisierend-konventioneller letzter Wendung – gerade darin, dass eine abgeschlossene Gesamtschau unmçglich ist. Das indirekte Verfahren kann nicht ,in einem Zug‘ als Struktur stabiler, aufeinander bezogener Distinktionen entfaltet werden. Was unter indirekter Mitteilung verstanden wird und wie ihre Begriffe im Einzelnen bestimmt werden, hängt wesentlich von der jeweiligen Zugriffsform und Perspektive ab – und dies impliziert, dass sich die dezentrierte Struktur an den verschiedenen Orten ihrer Entfaltung jeweils neu und anders konkretisieren kann. Gerade in dieser Hinsicht kann die an einer Stelle gegebene Ausführung „indirekt“ auf andere Bestimmungen rückwirken, auch diese Bewegung gehört zur Unhintergehbarkeit der ,Situation‘ der Mitteilung – sie bezeichnet gleichsam die ,Situation in zweiter Potenz‘, die Situation in der ,Mitteilung der Mitteilung‘. Der sichtbarste ,Beweis‘ für diese Auffassung wird sich aus dem konkreten Teil der ,Dialektik‘ 1849 selbst ergeben: Hier ,experimentiert‘ Kierkegaard mit mehreren Zugangsweisen, die im Einzelnen zu unterschiedlichen Distinktionen führen; und zudem wird sich dort die Schwierigkeit zeigen, die konkreten Mitteilungstermini überhaupt aus einem ,abstrakten‘ Schema abzuleiten. Vor diesem Hintergrund machen Kierkegaards Ausführungen über die Besonderheit seines Kathedervortrags – ohne dass er selbst darauf 667 Vgl. Arthur Schopenhauers Rede von dem „ein[en] einzige[n] Gedanke[n]“ seines Hauptwerks in der „Vorrede zur ersten Auflage“ von Die Welt als Wille und Vorstellung (ders. Werke. Zrcher Ausgabe, hrsg. v. Angelika Hübscher, 10 Bde., Zürich 1977, hier Bd. 1, S. 7). 668 Vgl. Papir 371:1 (DM, 118 / SKS 27, 427).

2. Mitteilung ex cathedra?

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aufmerksam wäre – eine eigentümliche Ambivalenz des indirekten Verfahrens deutlich: Die indirekte Methode ,erlaubt‘ einerseits zweifelsohne eine begriffliche Bestimmung, Präzisierung und Strukturierung, ja sie fordert stets zu einer solchen auf – andererseits aber gerinnt sie niemals zu einer definitiven und systemisch umschließbaren Gestalt. Beide ,Momente‘ sind irreduzibel: Weder ist die indirekte Methode ein bloß ,tumultuarisches‘ Durcheinander von Begriffsbestimmungen, noch beugt sie sich je restlos einer schematisierenden Festschreibung. Die Prozessualität und die hier ausdrücklich notierte ,Unfertigkeit‘ der indirekten Methode widersetzen sich dem Gedanken eines ,Ganzen‘, der wohl der konkreten Mitteilungssituation des Kathedervortrags und der ,Erwartungshaltung‘ seiner imaginären Zuhörer geschuldet ist. Die von Kierkegaard genannte ,Durchkreuzung‘ des jeweils Verhandelten durch das Aus- und Zurückstehende kommt nicht einfach zu ihrem Ende; die dialektische ,Entgegensetzung‘ hebt sich nicht im Totalen auf; und die ,plagende Erinnerung‘ an das Abwesende erlischt niemals in der vollendeten Einstimmigkeit des Gegenwärtigen. So notiert ja auch Kierkegaard wohlgemerkt nicht, das ,Ganze‘ der Mitteilung werde erst verständlich, wenn alles fertig sei – gilt doch schon Johannes Climacus’ Spott jener versprechend-vertröstenden Ankündigung der ,spekulativen‘ Systematiker und Dozenten: „Erst am Schluss des Ganzen wird alles klar.“669 3. Pseudonymitt und werkgeschichtliche Reflexion. Schon anlässlich des ,Ernstes‘ hatte Kierkegaard auf das pseudonyme Werk zurückverwiesen; am Ende der Vorlesung kommt er nochmals ausführlich auf die Pseudonymität zu sprechen und situiert die ,Dialektik der Mitteilung‘ im Kontext seines Gesamtwerks. Ausgangspunkt ist zunächst eine ,Entschuldigung‘ für die Weise, in der Kierkegaard in den Vorlesungen das ,Ich‘ gebrauche und von sich selbst spreche. Diese Entschuldigung aber wird sogleich zurückgenommen: Sie sei eine „Akkomodation“ und beuge sich dem „Gewicht des Herkömmlichen“ – denn gerade das ,Vergessen‘ der Persönlichkeit und des ,Ich‘ sei eines der „Unglücke der Moderne“, und eben deshalb sei auch die „eigtl. ethisch-religiöse Mitteilung wie aus der Welt verschwunden“.670 Einmal mehr macht hier Kierkegaard eine Bemerkung, die sich im Grunde gegen das eigene Vorhaben richtet: „Denn die ethisch-religiöse Wahrheit verhält sich 669 AUN1, 11 / SKS 7, 22. 670 Papir 371:1 (DM, 119 f. / SKS 27, 428). Im Original dänisch-deutsch „Herkomliche“ für „Herkömmliche“.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

wesentlich zu Persönlichkeit, kann nur von einem Ich einem Ich mitgeteilt werden. Sobald die Mitteilung hier objektiv wird, ist die Wahrheit Unwahrheit geworden.“671 In diesem Kontext gibt nun Kierkegaard eine aufschlussreiche Einschätzung seiner Pseudonyme: Und ich veranschlage es deshalb als mein Verdienst, dass ich durch Anbringen gedichteter Persönlichkeiten, die: ich sagen, mitten in der Wirklichkeit des Lebens (meine Pseudonyme), dazu beigetragen habe, womöglich Zeitgenossen daran zu gewöhnen, wieder ein Ich, ein persönliches Ich (nicht jenes phantastische reine Ich und dessen Bauchrednerei) reden zu hören. Aber eben weil die ganze Entwicklung der Welt so weit wie möglich von dieser Anerkennung der Persönlichkeit entfernt gewesen ist, musste es dichterisch getan werden. Die dichterische Persönlichkeit hat stets ein Etwas, das sie erträglicher macht für eine Welt, die es sich ganz abgewöhnt hat, ein Ich zu hören. Und weiter gelange ich wohl niemals. Ich erkühne mich wohl niemals, ganz direkt mein eigenes Ich zu gebrauchen. Aber davon bin ich überzeugt, dass die Zeit kommen wird, da ein Ich in der Welt aufsteht, das ohne weiteres ich sagt, und in erster Person spricht. Erst er wird auch recht im strengsten Sinne ethische und ethischreligiöse Wahrheit mitteilen.672

Diese Passage ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Beispielhaft verdeutlicht sie eine Eigentümlichkeit der ,Dialektik‘ 1849 wie auch ihre Zugehörigkeit zu Kierkegaards Selbstreflexion der Jahre 1848/49 und schließlich das dieser Reflexion eignende Schwanken. Zuerst ist festzuhalten, dass Kierkegaard hier – im Unterschied zu Gesichtspunkt und Wirksamkeit – die Pseudonymität nicht in ihrer christlich-maieutischen Funktion aufruft. Dienen die Pseudonyme in den ,Schriften über die Schriftstellerei‘ allein dem ,Hineinbetrügen in das Wahre‘, d. h. dem Hinführen auf das Christliche als dem ästhetischen Werk innewohnendes Telos, so sind sie nun Repräsentanten der ,Existenzbezogenheit‘ von Kierkegaards Werk: Sie schaffen, indem sie ,ich‘ sagen, die Mitteilungssituation – dass jemand spricht, und zu jemandem spricht. Innerhalb dieses Ansatzes allerdings erhalten die Pseudonyme doch eine (im weiteren Sinne) ,maieutische‘ Funktion: Sie sollen eine mit dem ,Ich‘-Sagen nicht mehr vertraute Zeit ,vorsichtig‘ wieder in Richtung der Persönlichkeit leiten. Auch diese Maieutik aber ist ,existenzbezogen‘; und so

671 Papir 371:1 (DM, 120 / SKS 27, 428). 672 Papir 371:1 (DM, 120 / SKS 27, 428); vgl. den ,Keim‘ dieser Passage in der ,Dialektik‘ 1847, Papir 366:3 (DM, 101 / SKS 27, 402).

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zeigt sich einmal mehr, dass das Modell der ,Schriften über sich selbst‘ in der ,Dialektik‘ beinahe gänzlich zurücktritt. Die folgende Erläuterung dieser ,maieutischen‘ Bewegung der Pseudonyme allerdings ist abermals durch eine ,persçnliche‘ Reflexion fundiert: Kierkegaard legt die ,Unwirklichkeit‘, die den Pseudonymen als dichterischen Gestalten eignet, nicht als konsequente Durchführung der indirekten Methode aus, sondern bezieht sie auf seine eigene ,Position‘ im Verhältnis zum Werk. In Frage steht einmal mehr und wie in der Journalreflexion seit 1848, ob er selbst es ,wagen‘ darf, persönlich und in eigener Sache zu sprechen, und dies hieße offensichtlich: in direkter Mitteilung. Die Pseudonyme erscheinen in dieser Perspektive gleichsam als Surrogate und Supplemente eines ,eigentlich‘ persönlich-existenziellen Sprechens – das als solches wünschenswert wäre, von Kierkegaard selbst aber nicht geleistet oder verantwortet werden kann. So sehr wird hier das ,Sprechen in eigener Sache‘ zum eigentlich Gebotenen, dass Kierkegaard sich geradezu in einen Widerspruch mit dem Vorherigen und dem zentralen Thema der ersten Vorlesung verstrickt: Hatte er nämlich kurz zuvor mit Verweis auf das pseudonyme Werk noch eingeschärft, der ,strengste Ernst‘ in ethischer und ethisch-religiöser Mitteilung sei wesentlich indirekt, so erscheint nun das direkte Sprechen in erster Person als ,strengste‘ Form der Mitteilung ethischer und ethisch-religiöser Wahrheit. Diese Erörterung der Pseudonymität führt Kierkegaard abschließend zur Stellung der Vorlesungen im Zusammenhang seines Werks. Der Beginn dieses Abschnitts lautet: „Wrde jemand mich fragen, wie ich diese Vorlesungen im Verhltnis zu meinem ganzen Streben qua Schriftst. betrachte, dann wrde ich antworten: ich betrachte sie als ein erforderliches Nachgeben, fr welches ich eine Verantwortung zu tragen meine.“673 Kierkegaards Antwort auf die selbst aufgeworfene Frage ist eine doppelte: Die direkte Mitteilung des Kathedervortrags sei einerseits ein Nachgeben, für das er die ,Verantwortung‘ zu tragen habe – anderseits aber eben doch ein erforderliches Nachgeben. Die folgende Erläuterung spiegelt das ,Dilemma‘ der Mitteilungsfrage ab, dem Kierkegaard sich seit Sommer 1848 ausgesetzt sieht. Zunächst verweist der Vortrag zurück auf die eingangs gegebene Bestimmung, jeder Mensch sei „Gott“ gegenüber „verpflichtet“, die Wahrheit in ihrer „wahrsten Form“ mitzuteilen.674 Hierzu notiert 673 Papir 371:1 (DM, 120 / SKS 27, 428); „qua“ bei Kierkegaard in lateinischer Schrift. 674 Papir 371:1 (DM, 120 / SKS 27, 428).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Kierkegaard sodann die Gegenbewegung des ,Nachgebens‘, deren Berechtigung aber sogleich zweifelhaft wird: Scheint es ihm dann, dass er dadurch keine Wirkung hervorbringt, dann kann es vielleicht seine Pflicht sein, wenigstens versuchsweise eine andere Form zu wählen, aber vielleicht ist das auch nur eine Ungeduldigkeit von ihm, dass er zu schnell Wirkung zu sehen verlangt, anstelle zu glauben. Eine Verantwortung nimmt er daher auf sich; und es würde in jedem Fall seine Pflicht, falls er nun durch die andere Form, die er gewählt hätte, schnell eine große Wirkung hervorbrachte, dann darauf zu achten[,] sich zu erinnern, dass hier ein NB dabei ist, da das ja [so] wäre, weil er die weniger strenge Form gebraucht hätte.675

Es ist bemerkenswert, dass das ,erforderliche Nachgeben‘ unmittelbar in ein bloß mçglicherweise erforderliches und hypothetisches Nachgeben verwandelt wird. Dreifach zieht Kierkegaard diesen Schritt in Frage: durch die Einfügung des ,vielleicht‘ und des ,wenigstens versuchsweise‘; durch die unmittelbar angehängte Problematisierung, dieser Schritt sei vielleicht bloß Ungeduld und sogar Mangel an Glauben; und schließlich dadurch, dass er den Fall eines solchen ,Formwechsels‘ hypothetisch und in dritter Person durchspielt, obgleich er gerade hier doch offensichtlich sich selbst und die eigene Vorlesung meint. Augenscheinlich ist dies nicht eigentlich Mitteilung an die Zuhörer, sondern hypothetische Antizipation des Falles, dass Kierkegaard die Vorlesungen tatsächlich hielte und damit ,Wirkung‘ erzielte. Nochmals zeigt sich, dass Kierkegaard wie in den Journalen seit 1848 die Mçglichkeit einer direkten Mitteilung auslotet – und im Text der Vorlesung selbst wird deutlich, dass in dieser zentralen Frage noch keine letzte Entscheidung gefunden und getroffen worden ist. Offenkundig ist Kierkegaard in diesem (Selbst-)Experiment bemüht, die Argumente fr ein solches Unternehmen so stark wie möglich zu machen. In diesem Sinne ist der folgende Passus zu lesen, der nicht nur den konkretesten Anhalt für die Datierung der Vorlesungen gibt, sondern auch zu den inhaltlich interessantesten Teilen des ganzen Konvoluts gehört: Im Verhältnis besonders zu ethischer[,] teilweise auch im Verhältnis zu ethisch-religiöser Wahrheits-Mitteilung ist die indirekte Mitteilung die strengste Form. Doch kann eine direktere Mitteilung, die nebenher geht, auch notwendig sein, um zu unterstützen, wovon sie selbst in einem anderen Sinne unterstützt wird. Dies habe ich gleich von Beginn meiner schriftstellerischen Wirksamkeit an verstanden. Mit den Pseudonymen folgte deshalb ständig direkte Mitteilung in Gestalt von erbaulichen Reden, und in 675 Papir 371:1 (DM, 120 f. / SKS 27, 428 f.) [Herv. v. Verf.].

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den letzten paar Jahren habe ich nahezu ausschließlich direkte Mitteilung gebraucht. Und diese Vorträge sind wieder in der direkten Mitteilung.676

Die Strategie der Rechtfertigung wechselt offenkundig das Register: Das hier gegebene Argument pro direkte Mitteilung stellt die Frage zurück, ob eine solche Darstellung bezüglich des Gottesverhltnisses des Mitteilers verantwortet werden könnte, und versucht die Berechtigung des direkten Verfahrens strukturell und ,rein‘ mitteilungstheoretisch zu erweisen. Dabei wird aus dem ,erforderlichen‘ (dän. ,fornøden‘) Nachgeben geradezu ein ,notwendiges‘ (dän. ,nødvendig‘) Unterstützen der indirekten Mitteilung durch die direkte – wenn auch weiterhin eingeschränkt durch das hypothetische ,kann‘. Bemerkenswert ist dieser Passus insbesondere im Vergleich mit Gesichtspunkt und Wirksamkeit. Wie dort wird die indirekte Mitteilung des pseudonymen Werks zur direkten Mitteilung ins Verhältnis gesetzt, und wie dort bezieht sich die ,Dialektik‘ vornehmlich auf die ,Parallelentwicklung‘ der frühen Erbaulichen Reden sowie das erbaulich-christliche Werk von 1847/48.677 Unklar bleibt hingegen, in welchem Sinne Kierkegaard hier die direkte Mitteilung des Erbaulichen aufruft. In der Wirksamkeit wird die Funktion der parallelen Erbaulichen Reden darin angegeben, die „Gleichzeitigkeit des direkten Religiösen“ schon von Beginn des Werks an zu sichern, während das direkt-religiöse Werk von 1847/48 das Christliche als ,Ziel‘ der Bewegung ausweist.678 Diese Begründung wird in der ,Dialektik‘ aber nicht genannt, und Kierkegaard kann daran auch sachlich nicht unmittelbar anschließen: Als ,notwendig‘ und ,unterstützend‘ soll ja offensichtlich per analogiam die direkte Mitteilung der Vorlesungen ber die indirekte Mitteilung ausgewiesen werden – dafür lassen sich aber aus der ,nebenhergehenden‘ und ,zielhaften‘ direkten Mitteilung des erbaulich-christlichen Werks nicht unmittelbar Argumente ableiten. Einmal mehr erweist es sich als ungünstig, dass Kierkegaard nicht klar zwischen der ,einfachen‘ direkten Mitteilung und der direkten Mitteilung ber die indirekte Mitteilung unterscheidet. Im Einzelnen bleibt deshalb der (Teil-)Rekurs auf den maieutisch-teleologischen Begriff der Mitteilung unklar. Werkgeschichtlich hochinteressant ist Kierkegaards hier vorgebrachte Behauptung, er habe die Notwendigkeit einer Unterstützung der indirekten Mitteilung durch direkte Mitteilung von Beginn seiner schriftstelle676 Papir 371:1 (DM, 121 / SKS 27, 429). 677 Vgl. bes. WS, 5 – 7 / SKS 13, 13 – 15 und ausführlich oben, II.2. 678 WS, 6 / SKS 13, 14 f.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

rischen Wirksamkeit an verstanden. Diese Aussage steht in direktem Widerspruch zu den ,Schriften über die Schriftstellerei‘, betont Kierkegaard doch dort mehrfach und nachdrücklich, er verstehe den Zusammenhang des ganzen Werks erst rückblickend, erst „jetzt“: Von „Anfang an“ habe er „nicht derart überschauen können“, was ja zugleich seine „Entwicklung“ gewesen sei.679 Diese Auffassung lässt sich auch aus der Chronologie der Journale belegen, kommt doch Kierkegaard die Einsicht in die ,Funktion‘ der frühen Erbaulichen Reden erst Sommer 1848 in NB6.680 Vom Duktus des öffentlichen Kathedervortrag lässt Kierkegaard sich offenbar dazu verleiten, die Gesamtheit des Werks für planvoller auszugeben, als sie gewesen ist – und dies offenbar nur kurz nach der Entstehung der „Rechenschaft“, also des ersten Teils von ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller. 681 Im Kontext der ,Dialektik‘ ist festzuhalten, dass die eingeschobene werkgeschichtliche Reflexion weder zur konkreten Legitimierung einer direkten Mitteilung ber die indirekte beiträgt, noch auch die Zweifel an der ,Berechtigung‘ eines solchen Schrittes zu entkräften vermag. Höchst aufschlussreich und für die schwankende Argumentation an dieser Stelle bezeichnend ist eine Bemerkung, die Kierkegaard zunächst als Marginalie eingefügt, dann aber wieder gestrichen hat: Nach dem Satz „Und diese Vorträge sind wieder in der direkten Mitteilung“ notiert Kierkegaard am Rand in Parenthese: „und sind in einem [gewissen] Sinne als ein noch größeres Nachgeben zu betrachten“.682 Offensichtlich ist Kierkegaard sogleich aufgefallen, dass dieser Zusatz der Argumentation pro direkte Mitteilung geradewegs widerspricht; sie wiederholt im Gegenteil die Figur des ,Nachgebens‘. An dieser unversehens in die Feder geflossenen Wendung wird die gesamte Ambivalenz der Reflexion über die Berechtigung der direkten Mitteilung sichtbar: Einerseits soll sie gerade notwendig sein, um die indirekte Mitteilung zu unterstützen, andererseits aber ist sie ein Nachgeben, eine ,Herabspannung‘ der eigentlich gebotenen (,wahrsten‘) Mitteilungsform. Die Marginalie eröffnet dabei eine interessante Perspektive auf den zuvor assoziierten Mitteilungsbegriff von Wirksamkeit und Gesichtspunkt: Ist nämlich der direkte Vortrag ber die indirekte Mitteilung im Komparativ ein ,noch grçßeres Nachgeben‘ als die 679 WS, 10 / SKS 13, 18. 680 Vgl. NB6:64 (SKS 21, 48) und ausführlich oben, II.3.4.e). 681 Vgl. NB10:185 (SS, 167 / SKS 21, 352), wo die Fertigstellung dieser Schrift notiert ist; vgl. oben, II.4.1.b). 682 Papir 371:1.i (DM, 121 / SKS 27, 429); vgl. DM, Anm. 39, 147.

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direkte Mitteilung der erbaulichen Schriften, so ist eo ipso schon das Werk von 1847/48, womöglich gar das erbauliche Werk im Ganzen ein ,Nachgeben‘. Nicht zuletzt strahlt diese Einschätzung auf Gesichtspunkt und Wirksamkeit zurück, die als ,Mitteilung über das Werk im Ganzen‘ etwa mit den Vorlesungen vergleichbar sein müssten. Die ,Dialektik‘ enthält mithin einen Gegenstoß zu der zielgerichteten Werkkonzeption, die die ,Schriften über die Schriftstellerei‘ vorführen.683 Aus der ersten Vorlesung sollte deutlich geworden sein, dass Kierkegaards Versuch, die direkte Mitteilung über die indirekte in der ,Dialektik der Mitteilung‘ zu rechtfertigen, außerordentlich schwankend und unentschieden ausfällt. Auch wenn er im Einzelnen zweifelsohne eigenständige Perspektiven aufweist, gehört der Text damit im Ganzen dem Reflexionsprozess zu, der die Journale von Sommer 1848 bis wenigstens Sommer 1849 beherrscht. Die Ambivalenz der ,Dialektik‘ zeigt sich nochmals in Kierkegaards letztem Anlauf, die folgenden Vorlesungen vom gewöhnlichen Kathedervortrag abzugrenzen: Aber im strengeren Sinne ein Dozent bin ich nicht; das wäre auch allzu satirisch: ein Dozent – für ethisch-religiöse Mitteilung, d. h. für das, was weder doziert werden kann noch soll, weil es nicht Wissenschaft werden darf, sondern sich zu Existenz verhalten soll. Sollte ich mich selbst etwas nennen, würde ich am ehesten sagen, dass ich eine Art Lehrer im antiken Stil bin; und falls ein Auditorium dazu geneigt wäre, hätte ich nichts dagegen, den Vortrag bisweilen in ein Gespräch zu verwandeln.684

c) Das erste Distinktionsschema – Synchrone Systematik Während die erste Vorlesung einleitenden Charakters ist, plant Kierkegaard offensichtlich, mit der zweiten Vorlesung die Entfaltung der Mitteilungsdialektik im Detail zu beginnen. Diese Vorlesung selbst macht aber wiederum eine Reihe allgemeinerer Bemerkungen und bricht dort, wo sie sich dem Mitteilungsbegriff selbst zuwendet, recht schnell ab. Ausführlicher sind die beiden skizzenhaften Schemata. Sie umfassen den Bereich, den die zweite Vorlesung bearbeiten soll, vollständig; überdies 683 Gerade darin fügt sich die ,Dialektik‘ in die Journalreflexionen 1849 ein. Erstmals heißt es explizit in NB11:33.c (SKS 22, 27): „Selbst habe ich in meiner ganzen Wirksamkeit als Schriftst. ein wenig nachgegeben, indem ich seit der Abschl. Nachschrift allein direkte religiöse Mitteilung gesetzt habe“. Vgl. oben, II.4.1.c). 684 Papir 371:1 (DM, 121 / SKS 27, 429).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

finden sich Elemente beider Schemata im Text der Vorlesung.685 Aus diesem Grund sollen die Schemata zuerst untersucht werden; anschließend ist die abbreviatorische Durchführung der zweiten Vorlesung anzuzeigen. Erst den Schemata ist der eigentümliche Zugriff auf das Mitteilungsproblem in der ,Dialektik‘ 1849 in struktureller Hinsicht zu entnehmen. Das erste Schema ist der bündigste und systematischste, zugleich aber auch ,abstrakteste‘ Ansatz zur Mitteilungsfrage in Kierkegaards Gesamtwerk. Es besteht im Kern aus drei aufeinander bezogenen Distinktionen und soll so offensichtlicht den Bereich der Mitteilungsfrage im Ganzen ausmessen. Sofern diese Distinktionen die Mitteilungsdialektik in direkter Gegenüberstellung strukturieren, kann von einem synoptischen oder synchronen Modell gesprochen werden. Bei der Interpretation des ersten Schemas gilt es insbesondere, die Differenzen zur ,Dialektik‘ 1847 herauszuarbeiten, lässt sich doch hier der wesentliche Unterschied der beiden Anläufe ausweisen: Kierkegaard hat offensichtlich die Skizze von 1847 vor Augen, setzt aber 1849 in abweichender, ,grundsätzlicher‘ Weise an und stellt das ethisch-maieutische Modell von 1847 zurück.686 Im Folgenden wird zunächst der kurze ,Vorsatz‘ und die erste Distinktion dargestellt (1.), sodann gilt das Interesse der zweiten Distinktion (2.) und der dritten Distinktion (3.). Abschließend ist die Charakteristik des ersten Schemas zusammenfassend anzuzeigen; der kurze ,Nachsatz‘ bildet den Übergang zum zweiten Schema (4.). 1. Vorsatz und erste Distinktion. Der ,Vorsatz‘, mit dem das erste Schema beginnt, lautet: Sobald ich das Mitteilen denke, denke ich ein Vierfaches: 1) der Gegenstand 2) der Mitteiler 3) der Empfänger 4) die Mitteilung.687

685 Diese ,Kombination‘ legt es außerordentlich nahe, dass die zweite Vorlesung nach den Schemata entstanden ist – zumal sie Modifikationen folgt, die sich erst im Übergang vom ersten zum zweiten Schema ergeben. Andernfalls müsste Kierkegaard aus der Vorlesung in zwei Anläufen unterschiedliche Aspekte für die Schemata exzerpiert haben, was vom Textbefund her wenig plausibel erscheint. 686 Vgl. dazu im Ganzen oben, II.3.2. Diese Auslegung der Skizze von 1847 wird hier vorausgesetzt, Nachweise werden nur dort gegeben, wo eine Abgrenzung im Detail deutlich gemacht werden soll. 687 Papir 367 (DM, 129 / SKS 27, 404). Vgl. hierzu Lübcke „Kierkegaard and Indirect Communication“, S. 34.

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Gerade im Ansatz des ersten Schemas gilt es, die Differenzen gegenüber dem zwei Jahre zuvor entwickelten Modell im Detail herauszuarbeiten. Kierkegaard beginnt die Darstellung – anders als 1847 – mit einer viergliedrigen Analysis des Mitteilungsbegriffs;688 zu den ersten drei Gliedern ist die ,Mitteilung‘ als solche hinzugekommen, und sie wird in der weiteren Ausarbeitung immer deutlicher ins Zentrum treten. Schon der zitierte ,Einstieg‘ legt überdies nahe, dass Kierkegaard 1849 ,grundsätzlicher‘ vorgeht als in der Skizze 1847; dort bildete das ethisch-maieutische Modell den Ausgangspunkt und war noch vor der Analysis des Mitteilungsbegriffs eingeführt worden.689 Dieser Eindruck bestätigt sich dadurch, dass Kierkegaard 1849 an die viergliedrige Analysis nahtlos und ohne ,Vorgabe‘ die erste Distinktion anfügt – während die Bestimmung der Mitteilungsmomente in der Skizze 1847 ausdrücklich (und ausschließlich) dem Ziel unterstellt wird, „das Ethische zu finden“.690 Kierkegaard nennt in der vierfachen Analysis den Gegenstand als erstes Moment, und dieser bezeichnet auch die erste Distinktion. In der Gliederung dieser ersten Distinktion zeigt sich nun ein weiterer und wesentlicher Unterschied zum Ansatz 1847: Dort hatte Kierkegaard hinsichtlich des Gegenstands notiert, dieser müsse „ein Wissen“ sein; sodann hatte er das Wissen in ,Wissen von etwas‘ und ,Selbsterkenntnis‘ aufgegliedert, und dann neu mit der ,experimentellen‘ Annahme begonnen, es gebe einen Gegenstand, den jeder wisse.691 Im ersten Schema 1849 ist die

688 Bejerholm gibt den bemerkenswerten Hinweis, dass sich Kierkegaard hier an einem Passus von Sextus Empiricus orientiert, den er 1842/43 aus Tennemanns Geschichte der Philosophie (und wohl aus Sextus selbst) exzerpiert: „Das Lehren und Lernen einer Wissenschaft setzt vier Bedingungen voraus; es muss ein Object des wissenschaftlichen Vortrages, einen Lehrer und Lernenden, und eine Methode des Lernens geben“ (Wilhelm Gottlieb Tennemann Geschichte der Philosophie, Bd. 1 – 11, Leipzig 1798 – 1819, Ktl. 815 – 826, hier Bd. 5, Ktl. 819, S. 293); vgl. das Exzerpt Not13:28 (DSKE 3, 435 / SKS 19, 397) und Bejerholm „Meddelelsens dialektik“, S. 126 f. u. S. 310; vgl. auch SKS K27, 811. – Vgl. Bejerholms auf dieser Analysis basierende Interpretation: Bejerholm „Meddelelsens dialektik“, S. 129 – 157; vgl. auch Caron „Dialectique de la communication chez Kierkegaard“, S. 174 – 181. 689 Vgl. Papir 365:5 (DM, 86 – 88 / SKS 27, 390 – 393), wo sogleich der Kernsatz des ethisch-maieutischen Modells genannt ist: „Das Ethische verhält sich gleichgültig zu Wissen, das heißt es nimmt an, dass jeder Msch. es weiß“. 690 Papir 365:6 (DM, 89 / SKS 27, 393) [Herv. v. Verf.]. 691 Papir 365:6 – 8 (DM, 89 f. / SKS 27, 393 – 395). 1847 ist der Gegenstand zunchst das dritte Element der Mitteilungsanalysis, sodann aber dennoch Ausgangspunkt der Untersuchung. Dort aber folgt der Interpretation des Gegenstandes keine entsprechende Untersuchung der beiden anderen Elemente (Mitteiler und

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Unterscheidung zugleich neutraler und basaler: Kierkegaard versieht die Distinktion mit dem Titel „Wenn auf den ,Gegenstand‘ reflektiert wird“ und notiert sodann zwei Spalten. In der linken Spalte ist nur die Bestimmung „,Gegenstand‘ / Wissens-Mitteilung“ eingetragen; dem korrespondiert in der rechten Spalte die Bestimmung „kein ,Gegenstand‘ / Kçnnens-Mitteilung“, die weiter differenziert wird.692 Diese Gliederung in zwei Spalten ist das zentrale Charakteristikum des synoptischen Modells. Mit den zentralen Begriffen der Gegenüberstellung ist aber auch eine Differenzierung geltend gemacht, die den gesamten Ansatz der ,Dialektik‘ 1849 leitet: Die ,Wissens-Mitteilung‘ erhält in dem neu eingeführten Terminus der ,Könnens-Mitteilung‘ einen ,positiven‘ Gegenbegriff. Die Distinktion soll wohl Folgendes anzeigen: Das Wissen stellt ein ,neutrales‘ Element dar, das vom Wissenden letztlich unabhängig ist. Das Kçnnen hingegen bezeichnet eine Potenzialität, die wesentlich durch den Vollzug bestimmt ist; es meint mithin ein Vermçgen, das nur darin Wirklichkeit gewinnt, dass es vollziehend ,umgesetzt‘ wird.693 Die Skizze 1847 hatte zwar das Ethische gleichfalls vom ,üblichen‘ Wissen abgesetzt, aber dennoch am Wissens-Paradigma ausgerichtet, nämlich als eingrenzenden Fall desselben: eben durch die Annahme eines Gegenstandes, den ,jeder wisse‘. Erst später war als Gegenbegriff zum Wissen die ,Realisation‘ eingeführt und nur schwach konturiert worden.694 In der ,Dialektik‘ 1849 aber zeigt sich die Tendenz, die ,rechte Spalte‘ nicht allein von der Wissens-Mitteilung und ihrem ,Gegenstands‘Paradigma her zu bestimmen, sondern fr sich zu konturieren. Hierzu heißt es in der ersten, skizzenhaften Erläuterung der rechten Spalte: Empfänger). 1849 hingegen versucht Kierkegaard, alle vier Elemente der Mitteilung systematisch zu durchdenken. 692 Papir 367 (DM, 129 / SKS 27, 404). 693 Die ,Könnens-Mitteilung‘ ist eine Eigentümlichkeit des 1849er Anlaufs zur ,Dialektik‘, der Begriff wird von Kierkegaard an keiner anderen Stelle verwendet. Vgl. hierzu Goldstein On Christian Rhetoric, S. 85 – 108 sowie Nelson „Kierkegaards Undelivered Lectures“, S. 403 – 409, die allerdings beide in der Erläuterung auch auf die Skizze von 1847 zurückgreifen. – Laut Bejerholm könnte F. C. Sibbern der ,Stichwortgeber‘ für diesen Begriff sein, vgl. Bejerholm „Meddelelsens dialektik“, S. 129. 694 Vgl. die knappe Anzeige in Papir 365:10 (DM, 91 / SKS 27, 395): „Der Gegenstand der Mitteilung ist also nicht ein Wissen, sondern eine Realisation.“ Der eigentliche Gegenbegriff zum ,Wissen‘ ist 1847 die ,Kunst‘, und zwar die Kunst, die ,das Ethische ist‘. Vgl. den Abschnitt über „die Distinktion zw. Kunst und Wissenschaft“ (Papir 365:5 (DM, 86 / SKS 27, 390)) sowie die Parallelstelle Papir 365:9 (DM, 91 / SKS 27, 395).

2. Mitteilung ex cathedra?

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Im Verhältnis zu K.-Mitteilung gilt es, dass es keinen Gegenstand gibt. Was das heißt. Aber das, dass es keinen Gegenstand gibt, zeigt, dass die Reflexion und also auch die Distinktion in Richtung auf „Gegenstand“ ist, nämlich negativ in Richtung auf „Gegenstand“ oder vom „Gegenstand“ [weg].695

Die erste Distinktion geht demnach zwar vom ,Gegenstand‘ aus, enthält aber in einem ihrer Glieder eine Mitteilungsform, in der es keinen Gegenstand gibt. Insofern ist sie nur der ,Ausgangspunkt‘, von dem die Reflexion sich abstößt, weil sich etwas zeigt, das in ihr nur negativ bestimmt werden kann. Bedauerlicherweise vermerkt Kierkegaard – wie in der gesamten ,Dialektik‘ 1849 – zu dem entscheidenden Punkt, dem ,Fehlen‘ des Gegenstands in der ,Könnens-Mitteilung‘, nur lakonisch: „Was das heißt“. Er notiert also bloß, dass dies auszuführen wäre, entfaltet aber diesen Aspekt an keiner Stelle. Es bleibt mithin stets möglich, dass Kierkegaard meint, die Argumentation des Entwurfs von 1847 – nach der jeder Mensch den Gegenstand des Ethischen wisse und daher keine Mitteilung desselben nötig oder sinnvoll sei – einfach wiederholen und einfügen zu können. Allerdings wäre ein solcher Rekurs insofern problematisch, als das Ethische – wie sich gleich zeigen wird – nur ein Unteraspekt der ,Könnens-Mitteilung‘ neben anderen ist. So könnte die ,Könnens-Mitteilung‘ auch im Sinne einer ,Potenzialität‘ des Existierens gedacht sein, die nicht auf ein Wissen und seine Realisation zielt, sondern ohne Gegenstandsreferenz den konkreten Vollzug bezeichnet. Diese Frage ist im Folgenden im Blick zu behalten. Eine spezifische systematische Pointe der ,Dialektik‘ 1849 zeigt sich sodann in der Differenzierung der rechten Spalte, der ,Könnens-Mitteilung‘. Dort notiert Kierkegaard: Einteilung des Kçnnens Ästhetisches Können Ethisches Können oder Sollen-Können (wo es unbedingt keinen Gegenstand gibt ) Religiöses Können oder Sollen-Können (wo es insofern einen Gegenstand gibt, als es in einem Ersten eine Wissens-Mitteilung gibt).696

695 Papir 367 (DM, 129 / SKS 27, 404). 696 Papir 367 (DM, 129 f. / SKS 27, 404); die Lücke vor der schließenden Klammer auch im Original.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Diese Trias im Unterschied zur Wissens-Mitteilung gibt die Struktur vor, in der sich der gesamte Ansatz der ,Dialektik‘ 1849 bewegt.697 Bemerkenswert ist zunächst, dass das ,ästhetische Können‘ als eigene Kategorie eingeführt wird, während die Kunst 1847 bloß abgrenzend genannt worden war.698 An dieser Stelle allerdings bleibt der Begriff noch gänzlich unausgeführt. Für den zweiten Entwurf höchst charakteristisch ist sodann die Unterscheidung der zweiten und der dritten Form: des ethischen Könnens, wo es ,unbedingt‘ keinen Gegenstand gibt, und des religiösen Könnens, wo es ,bedingtermaßen‘ einen Gegenstand gibt. Diese Differenz bestimmt den Ansatz 1849 im Ganzen. Immer wieder – auch schon in der ersten Vorlesung699 – bringt Kierkegaard diese Abgrenzung geradezu formelhaft vor. Ihr liegt die folgende Überlegung zu Grunde: Im Unterschied zum Ethischen sei beim Religiösen (und selbstredend ist das Christliche gemeint) eine Mitteilung des ,Glaubensgegenstandes‘ notwendig, die dem ,Vollzug‘ der religiösen Existenz vorausgehen müsse. Hier ist also zuerst ,etwas‘ mitzuteilen, das nicht im Existieren als solchem liegt.700 Allerdings enthält diese Bestimmung ein gravierendes systematisches Problem, auf das Kierkegaard selbst nicht aufmerksam zu sein scheint: Das Religiöse wird so auf eigentümliche Weise gerade der ,Wissens-Mitteilung‘ angenähert. Es scheint so, als sei die Mitteilung des ,Glaubensgegenstandes‘ analog zur Mitteilung eines jeden beliebigen Wissens-Gegenstands zu denken – mit dem einzigen Unterschied, dass dieser Gegenstand bloß ,Inzitament‘ wäre und eine Bewegung in Gang setzte, die sich im Wissen nicht erschöpft. Kierkegaard macht hier keine spe697 Vgl. zu dieser Grundstruktur Müller Søren Kierkegaards kommunikationsteori, S. 48 – 56; Bühler „Liebe und Dialektik der Mitteilung“, S. 77 – 79. 698 Vgl. die Abgrenzung der Kunst des Ethischen von der bloß ästhetischen ,schönen‘ Kunst in Papir 365:5 (DM, 86 / SKS 27, 390) sowie von einer ,menschlichen‘ Kunst in Papir 365:11 – 12 (DM, 92 / SKS 27, 395 f.). 699 Vgl. z. B. Papir 371:1 (DM, 113 / SKS 27, 422), vgl. auch Papir. 371:1.f (DM, 119 / SKS 27, 426), wo Kierkegaard diese Unterscheidung noch nachträglich präzisierend einfügt. 700 Dieser Gedanke kommt in der ,Dialektik‘ 1847 als recht später Zusatz auf; vgl. Papir 366:3 (DM, 100 / SKS 27, 402). Im Keim ist er bereits in einem einzigen Satz der Nachschrift formuliert, vgl. AUN1, 235 / SKS 7, 221 und oben, II.1.2.a). – Der Gesichtspunkt und besonders die Wirksamkeit argumentieren übrigens in formaler Perspektive genau umgekehrt: Dort ist das Indirekte (als negative Taktik) vorläufig und soll zum Direkten (als Einfalt) übergehen; hier ist das direkte Element (als Wissen) bloß inzitierend und fordert im Anschluss das Indirekte als ,Übersetzung‘ (in Existenz).

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zifische Differenz gegenüber der ,bloßen‘ Mitteilung von Wissen geltend, und auch die Bestimmung des ,Glaubens‘ fällt ausdrücklich an keiner der entsprechenden Stellen. Nach Kierkegaards sonstiger Auszeichnung der christlichen Existenz gegenüber der rein ,humanen‘ müsste aber das Religiöse noch deutlicher vom ,Wissenschaftlichen‘ getrennt werden als das Ethische. Auch dieses ,Problem‘ gilt es zu verfolgen; es wird sich in den folgenden Distinktionen noch deutlicher zeigen. Auffällig ist die Verbindung des ,Sollens‘ mit dem ,Können‘ in den letzten beiden Gliedern. Kierkegaard stellt also das Ethische und das Religiöse unter einen normativen Maßstab – ohne dass dieser aber auch nur im Ansatz erläutert würde. Die Fragen, die sich unmittelbar aufdrängen – etwa wie dieses Sollen sich legitimiert, ob der Mensch von sich her die ,Voraussetzung‘ mit sich bringt, dem Sollen zu entsprechen,701 und nicht zuletzt, inwiefern es sich im Ethischen und Religiösen jeweils unterscheidet –, werden schlicht offen gelassen. Die zuletzt genannte Frage macht aber auf eine Eigentümlichkeit der ersten Distinktion und des ersten Schemas überhaupt aufmerksam: Kierkegaard unterscheidet zwischen dem Ethischen und dem Religiçsen – die für die ,Dialektik‘ titelgebende Doppelform des Ethisch-Religiçsen fällt im gesamten ersten Schema nicht. 702 2. Zweite Distinktion. Die zweite Distinktion hat den Titel „Wenn auf die ,Mitteilung‘ reflektiert wird“703 – Kierkegaard folgt also der eingangs gegebenen Analysis des Mitteilungsbegriffs. Allerdings war dort die ,Mitteilung‘ als vierter Aspekt genannt worden; offensichtlich werden ,Mitteiler‘ und ,Empfänger‘ zurückgestellt. Im Unterschied zur ersten Distinktion gliedert sich die zweite Distinktion in zwei Hinsichten, deren Verhältnis zueinander allerdings nicht erläutert wird: „A / Die ,Mitteilung‘ in Bedeutung von dem ,Medium‘“ und „B / wird auf die ,Mitteilung‘ reflektiert“ – die zweite Hinsicht wiederholt also den Titel der gesamten Distinktion. Wie in der ersten Distinktion trennt Kierkegaard in zwei Spalten auf: In der ersten Hinsicht A (,Medium‘) steht in der linken Spalte „Das Phantasie-Medium / Alle Wissens-Mitt. ist im Phantasie-Medium. (Möglichkeit)“. Dem entspricht in der rechten Spalte 701 Vgl. hierzu auch die oben, II.3.2.c) formulierte Bemerkung zur Spannung gegenüber der ,zweiten Ethik‘. 702 Dies belegt auch die These, das erste Schema sei vor dem zweiten Schema und den Vorlesungen entstanden. 703 Papir 367 (DM, 130 / SKS 27, 405).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

„Das Medium der Wirklichkeit. / Könnens-Mitteilung ist im Medium der Wirklichkeit“, in der bekannten Aufteilung: „ästhetisches Können“ mit dem Zusatz „nicht unbedingt“; „ethisches Können“ mit dem Zusatz „unbedingt“; und „religiöses Können“ mit dem Zusatz „nicht unbedingt, insofern es hier eine Wissens-Mitteilung gibt.“704 Die Differenz von ,Phantasie-Medium‘ und ,Wirklichkeits-Medium‘ hatte schon die Skizze von 1847 als späten Zusatz notiert;705 sie wird hier in modifizierter Form auf die Struktur des Ansatzes von 1849 übertragen. Alle Bestimmungen bleiben allerdings skizzenhaft; es ist nur aus dem Kontext zu erschließen, wie sie im Einzelnen zu verstehen sind. Bemerkenswert ist zunächst die Bestimmung der ,Möglichkeit‘ in der linken Spalte (Phantasie-Medium). Kierkegaard setzt hier den seit seinem Besuch der Schelling-Vorlesung 1841/42 geläufigen Gegenbegriff zur ,Wirklichkeit‘ ein, d. i. die ,Möglichkeit‘ im Sinne des spekulativen und existenzfernen ,bloßen‘ Wissens.706 Im vorliegenden Kontext allerdings bringt dieser Begriff eine Spannung mit sich: Auch die Könnens-Mitteilung bezeichnet ja eine ,Potenzialität‘. Eine Verhältnisbestimmung beider Formen der ,Möglichkeit‘ bleibt Kierkegaard an dieser Stelle schuldig, gemeint ist aber wohl: die bloße Denkmöglichkeit vs. die Existenzmöglichkeit des Könnens, die als solche der Wirklichkeit zugehört.707 704 Papir 367 (DM, 130 / SKS 27, 405). 705 Vgl. Papir 365:18 – 19 (DM, 94 f. / SKS 27, 398). 706 Vgl. etwa Not11:2 (DSKE 3, 333 / SKS 19, 305) sowie beispielhaft die Verwendung der beiden Begriff in der Nachschrift, bes. AUN2, 1 – 47 / SKS 7, 274 – 314; vgl. zum Ganzen Philipp Schwab „,Das Reich der Wirklichkeit ist nicht vollendet‘. Kierkegaard als Hörer Schellings und Kritiker Hegels“ in Kierkegaard im Kontext des deutschen Idealismus, hrsg. v. Axel Hutter / Anders Moe Rasmussen, Berlin / New York 2012 (in print). 707 An dieser Stelle lässt sich die eigentümliche Flüssigkeit von Kierkegaards Mitteilungstermini anhand eines Exempels beleuchten. In der ersten Vorlesung gibt Kierkegaard die hier zum ,Medium‘ notierte Unterscheidung dadurch wieder, dass er die Mitteilung „in der Form der Möglichkeit“ von derjenigen in der „Form der Wirklichkeit“ abgrenzt (Papir 371:1 (DM, 114 / SKS 27, 423)). Gerade die Formulierung ,Mitteilung in der Form der Möglichkeit‘ verwendet aber Climacus in der Nachschrift für die Existenzmitteilung, also die indirekte Mitteilung: Da „Existenz-Wirklichkeit“ sich „nicht mitteilen lasse“, müsse der Mitteiler, gerade um „in Richtung auf Existenz“ mitzuteilen, darauf achten, dass seine Mitteilung „in der Form der Mçglichkeit“ stehe (AUN2, 62 / SKS 7, 327 [Herv. v. Verf.]; vgl. oben, II.1.3.). Einmal mehr zeigt sich, dass Mitteilungsbegriffe je nach Kontext und Perspektive unterschiedliche, ja gegensätzliche Positionen einnehmen können.

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Die Einteilung der rechten Spalte (Wirklichkeits-Medium) wiederholt die Bestimmungen der ersten Distinktion und richtet sie knapp am Begriff des Mediums aus: Alle drei Formen basieren nicht auf bloßem, ,phantastischem‘ Wissen, sie sind dem (Existenz-)Vollzug im Medium der Wirklichkeit zuzuordnen. Während dies für die Ethik ,unbedingt‘ gilt, bringt Kierkegaard bei dem Ästhetischen und dem Religiösen eine ,Bedingung‘ ein. Worin allerdings die ,Bedingtheit‘ des sthetischen liegt, wird zunächst nicht erläutert; erst die zweite Hinsicht (B) wird dies näher ausführen. Die ,Bedingtheit‘ des Religiçsen hingegen ist offensichtlich aus der ersten Distinktion übertragen: Das religiöse Können soll deshalb nicht ,unbedingt‘ der Wirklichkeit zugeordnet werden, weil ihm – so heißt es nun ausdrücklich – eine „Wissens-Mitteilung“708 zugrunde liegt. Gemeint ist eben die Mitteilung eines ,Glaubensgegenstandes‘, die dem ,Vollzug‘ religiöser Existenz vorausgehen muss. Gerade in der Gegenüberstellung zum ,Phantasie-Medium‘ der rechten Spalte und durch den wörtlichen Hinweis auf eine ,Wissens-Mitteilung‘ erscheint allerdings diese Zuordnung noch problematischer als in der ersten Distinktion: Dem Religiösen käme nämlich – so folgt es logisch aus dem Schema – ein Anteil gerade am ,Phantastischen‘ und der ,Mçglichkeit‘ zu, was Kierkegaard selbstverständlich nicht im Sinn haben kann. Auch hier wird aber die Vermittlung des religiösen ,Gegenstands‘ in keiner Weise spezifiziert, etwa als Glauben oder Offenbarung. Deutlicher noch als in der erste Distinktion zeigt sich, dass die systematische Zuordnung der Kategorien zwar sehr übersichtlich ist – zugleich aber in ihrer Schematik zu Ergebnissen führt, die die einzelnen Elemente nicht differenziert genug in den Blick bringen. Am gleichen Schema orientiert ist auch die Hinsicht B, die Mitteilung selbst. Kierkegaard überträgt die Termini „Direkte Mitteilung“ und „Indirekte Mitteilung“ auf die durchgehende Systematik: „Alle WissensMitteilung ist direkte Mitteilung“; „Alle Könnens-Mitteilung ist indirekte Mitteilung“.709 Wieder wird die rechte Spalte differenziert, wieder in der bekannten Trias. Zur „Ästhetische[n] Könnens-Mitt.“ findet sich hier eine nicht gänzlich klare Notiz: Sie sei „direkte Mitt, aber direkte Könnens-Mitt, also indirekte Mitt.“710 Versuchsweise wäre wohl zu übersetzen: Zwar ist die ästhetische Könnens-Mitteilung direkt, sofern der Lehrer den Schüler unmittelbar unterweist und ihm etwas ,beibringt‘ – 708 Papir 367 (DM, 130 / SKS 270, 405) [Herv. v. Verf.]. 709 Papir 367 (DM, 130 / SKS 270, 405). 710 Papir 367 (DM, 130 / SKS 270, 405).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

sie ist aber insofern indirekt, als der Schüler das Gelehrte dennoch aus sich selbst heraus umsetzen und ausben muss; dies stünde etwa im Gegensatz zur bloß ,angelernten‘ Wiedergabe eines Wissens.711 Die Unterscheidung zwischen ethischer und religiöser Könnens-Mitteilung hingegen reproduziert wieder die bekannte formelhafte Wendung: Die „Ethische Könnens-Mitt.“ ist „unbedingt indirekte Mitt.“; die „religiöse KönnensMitt.“ hingegen ist „insofern direkte Mitt., als es in einem Ersten eine Wissens-Mitt gibt, aber wesentlich indirekte Mitt.“712 Wieder stellt sich die Frage, ob das direkte Moment der Wissens-Mitteilung dem in der linken Spalte notierten einfach entspricht. Allerdings macht Kierkegaard nun erstmals deutlich, dass das direkte Element im Religiösen dem indirekten untergeordnet ist; und dies offenbar deshalb, weil auch das Religiöse wesentlich Vollzug im Medium der Wirklichkeit ist, das bloß durch die ,Zugabe‘ eines ,Wissens-Moments‘ inzitiert wird. Für das Ganze ist festzuhalten: Beide Hinsichten der zweiten Distinktion korrespondieren vollständig mit der ersten Distinktion; sie nehmen die ,Grundunterscheidung‘ von Wissens- und Könnensmitteilung auf und spezifizieren sie hinsichtlich Medium und Mitteilungsform. 3. Dritte Distinktion. Die Struktur der dritten Distinktion weicht von den beiden vorherigen ab. Sie betrifft nicht das Schema im Ganzen, vielmehr fällt die linke Spalte aus. Hierzu notiert Kierkegaard, womöglich nachträglich: „Wenn (in der Reflexion auf die Mitteilung, innerhalb der Bestimmung Könnens-Mitteilung) reflektiert wird auf: Mitteiler [–] Empfnger“.713 Die dritte Distinktion ist also eine Binnendifferenzierung allein der Könnens-Mitteilung und wird zudem nur der Bestimmung Mitteilung zugeordnet, also der Hinsicht B der zweiten Distinktion. Allein bezüglich der indirekten Mitteilung erscheint Kierkegaard offenbar die Unterscheidung von Mitteiler und Empfänger sinnvoll.714 Mithin behandelt die dritte Distinktion nicht ein Element der Mitteilungsanalysis 711 Ob diese Unterscheidung überzeugend ist, oder ob nicht auch für ein ,Wissen‘ im starken Sinne eine ,Selbsttätigkeit‘ Voraussetzung ist, kann in diesem Kontext nicht erörtert werden. 712 Papir 367 (DM, 131 / SKS 270, 405). 713 Papir 367 (DM, 131 / SKS 270, 406). 714 Es hat den Anschein, dass Kierkegaard hier zunächst die beiden hervorgehobenen Begriffe ,Mitteiler‘ und ,Empfänger‘ als Titel für zwei Spalten notiert, diese Aufteilung aber sodann verworfen hat und den einschränkenden Satz, nach der dies nur die ,Könnens-Mitteilung‘ betreffe, eingefügt hat. Die folgenden Bestimmungen sind quer über beide ,Spalten‘ hinweg notiert.

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gesondert, sondern beide noch ausstehenden Elemente zugleich. Kierkegaard geht wieder in einer dreifachen Unterteilung vor. Die Reflexion richtet sich zunächst auf beide Aspekte – Mitteiler und Empfänger – gleichermaßen, sodann gilt sie jeweils „überwiegend“ einem der beiden Elemente: Der erste Fall A (Reflexion auf Mitteiler und Empfänger gleichermaßen) ist die „ästhetische Könnens-Mitteilung“; der zweite Fall B (überwiegende Reflexion auf den Empfänger) ist die „ethische Könnens-Mitteilung“; schließlich ist der dritte Fall C (überwiegende Reflexion auf den Mitteiler) – bemerkenswerterweise – die „religiöse Könnens-Mitteilung“.715 Der erste Fall des ästhetischen Könnens wird von Kierkegaard nicht näher erläutert; er ist wohl so zu verstehen, dass Mitteiler und Empfänger gleichermaßen ,aktiv‘ sind: Die ,Zutat‘ des Lehrers, seine Unterweisung, ist ebenso notwendig wie die ,Aufnahme‘ und ,Verwirklichung‘ des Schülers. Im zweiten Fall des ethischen Könnens soll sich nun die Reflexion ,vornehmlich‘ auf den Empfnger richten. Die Erläuterung aber betrifft gerade nicht den Empfänger, sondern reflektiert allein, und zwar negativ, auf den Mitteiler: „Maieutik. Der Mitteiler scheidet auf eine Weise aus, schafft sich zur Seite“.716 In der ,ethischen Könnens-Mitteilung‘ ist also die ,klassische‘ Gestalt der indirekten Mitteilung reformuliert, in welcher der Mitteiler sich zurücknimmt und dem Empfänger das Mitgeteilte zur selbsttätigen Aneignung überantwortet. Wie fast durchgehend seit 1846 assoziiert Kierkegaard diese Form direkt mit dem Sokratischen und bestimmt sie mithin als Maieutik. Dass aber der Mitteiler nun allein negativ gefasst wird, ist strukturell auffällig, scheidet doch so im Ethischen das Motiv der existenziellen Reduplikation gänzlich aus. Die erste Vorlesung der ,Dialektik‘ 1849 fordert hingegen das reduplikative Vollziehen auch und gerade im Ethischen vom Mitteiler;717 und unter anderen Voraussetzungen hatte das ethisch-maieutische Modell der ,Dialektik‘ 1847 die Reduplikation im Ethischen ebenfalls geltend gemacht: Da der Mitteiler nicht ,Lehrmeister‘, sondern selbst ,Lehrling‘ ist, muss er seinerseits ,ausüben, was er lehrt‘.718 Schließlich fehlt hier auch die Pointe der Journalreflexion von 1848, die ja gerade vom Maieutiker die ,Reduplikation‘ als ,Zeugnis‘ 715 716 717 718

Papir 367 (DM, 131 / SKS 27, 406). Papir 367 (DM, 131 / SKS 27, 406). Vgl. bes. Papir 371:1 (DM, 113 / SKS 27, 423). Vgl. bes. Papir 365:12 – 14 (DM, 92 f. / SKS 27, 396 f.).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

gefordert hatte.719 Das Modell, an dem sich diese Distinktion zunächst orientiert, ist offenbar die Einbung im Christentum: Dort hatte AntiClimacus, um die Mitteilungsform des ,Gott-Menschen‘ als existenzielle Reduplikation zu beleuchten, abgrenzend den Begriff der Doppelreflexion eingeführt und diese gleichfalls durch eine ,negative‘ Reflexion auf den Mitteiler bestimmt.720 Im Unterschied zur Einbung aber folgt die Bestimmung in der dritten Distinktion der ,Dialektik‘ 1849 keinem sichtbaren Beweisziel. Es scheint vielmehr so, dass sie sich als ,Effekt‘ aus dem Schematisierungsversuch ergibt, der im Ethischen ,vornehmlich‘ auf den Empfänger reflektiert und daher keinen Raum für den ,Vollzug‘ des Mitteilers lässt. Vor diesem Hintergrund außerordentlich bemerkenswert ist nun die dritte Bestimmung: die Mitteilung religiösen Könnens, die das Schema dann produziert, wenn ,überwiegend‘ auf den Mitteiler reflektiert wird. Verfährt Kierkegaard weiterhin synchron zur Konzeption der Einbung, so muss an dieser Stelle der Begriff der Reduplikation eingeführt werden: Im Religiösen müsste der Lehrer selbst ,sein, was er lehrt‘. Das dominierende Schema erzeugt allerdings einen anderen Effekt. Kierkegaard fokussiert auf das Moment der Wissens-Mitteilung, das ja das Religiöse wesentlich vom Ethischen unterscheiden soll: „Der Mitteiler hat Vollmacht i. Bez. a. die Wissens-Mitteilung, die hier ein Erstes ist.“721 Kierkegaards schematisch durchgeführte und beinahe stereotyp wiederholte Formel, nach welcher der Unterschied zwischen dem Ethischen und dem Religiösen darin liege, dass das Letztere mit einem Wissensmoment beginne, zeitigt hier ein bemerkenswertes doppeltes Ergebnis: Einerseits fällt der Empfänger der Mitteilung aus – es wird nicht ,überwiegend‘, sondern ausschließlich auf den Mitteiler reflektiert. Im Religiösen kann kein Aneignungsmoment des Empfängers, kein Element tätigen Vollzugs ausdrücklich gemacht werden. Darin aber liegt ein Widerspruch zur zweiten Distinktion, Hinsicht B: Dort hieß es, die religiöse Mitteilung sei zwar zunchst direkte Mitteilung, weil sie ein Wissens-Moment voraussetze, wesentlich aber indirekte Mitteilung. Der Sache nach müssten also zwei Formen des ,Empfängers‘ differenziert werden, nämlich die ethische und die spezifisch religiçse Aneignung. Die Selbsttätigkeit des Empfängers müsste zwar unterschiedlich akzentuiert, aber in beiden Fällen gleichermaßen betont werden. Das Schema aber 719 Vgl. bes. NB6:68 (T 3, 53 / SKS 21, 51) und ausführlich oben, II.3.4.e). 720 Vgl. EC, 119, 127 f. / SKS 12, 130, 137 und ausführlich oben, II.3.5. 721 Papir 367 (DM, 131 / SKS 27, 406) [Herv. v. Verf.].

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lässt einseitig den Fokus allein auf den Mitteiler fallen; und auch eine ,negative Reflexion‘, wie sie im Ethischen dem Mitteiler gilt, könnte in paralleler Anwendung auf den Empfänger das Ungleichgewicht nicht beheben. Andererseits – und gravierender noch – ist es hier notwendige Bedingung des religiösen Mitteilers, dass er über Vollmacht verfügt, und zwar hinsichtlich des ,Glaubensgegenstandes‘, der das ,inzitierende‘ Wissensmoment ausmacht. Darin liegt allerdings eine Pointe, die Kierkegaard offenbar nicht im Blick hat: Seine eigene Mitteilung, die sich laut Wirksamkeit und Gesichtspunkt als maieutisch-teleologisches AufmerksamMachen auf das Christliche ohne Vollmacht versteht,722 kommt im Schema gar nicht vor. Sie ist ausgeschlossen, weil im Religiösen allein auf die Vermittlung des inzitierenden Wissensmoments reflektiert wird. Offensichtlich meint Kierkegaard auch nicht – wie in der Einbung – Christus selbst: Dieser spricht nicht ,aus Vollmacht‘, sondern ist der Gegenstand des Glaubens. Mithin kann Kierkegaard nur einen menschlichen Mitteiler meinen, der Kraft einer Offenbarung über Vollmacht verfügt – das heißt: einen Apostel, 723 als den er sich selbst gerade nicht versteht. 4. Zusammenfassung und ,Nachsatz‘. Schon in dem ersten, kurzen Schema zeigen sich die Eigentümlichkeiten der Analyse des Mitteilungsbegriffs in der ,Dialektik‘ 1849: Einerseits ist die Methode der Entfaltung – insbesondere im Vergleich mit dem sprunghaften Vorgehen der Nachschrift – außerordentlich systematisch und mithin auch nachvollziehbar: Jede Mitteilungsbestimmung hat ihren klar definierten und von anderen Formen abgegrenzten Ort. Andererseits aber geht so gerade die Beweglichkeit der indirekten Methode verloren, ihre Fähigkeit zur Differenzierung und Nuancierung verschiedener Modi der konkreten Mitteilungsform und Mitteilungssituation. Indem die Analyse der Mitteilung nicht ,praktiziert, was sie lehrt‘, bleibt sie eigentümlich starr und abstrakt. Dass Kierkegaards eigene Mitteilungskonzeption von Wirksamkeit und Gesichtspunkt aus der schematischen Darstellung herausfällt, ist nur die 722 Vgl. z. B. WS, 10 / SKS 13, 19. Übrigens fällt nicht nur der Aspekt des ,Aufmerksam-Machens‘ ohne ,Vollmacht‘ aus dem Schema heraus: Auch das polemisch-taktische Verständnis der ,Mitteilung in Reflexion‘ hat hier keinen Ort. 723 So liest auch Bejerholm die Stelle, ohne aber die Spannung zu Kierkegaards eigener Mitteilungskonzeption und seinem Selbstverständnis zu markieren; vgl. Bejerholm „Meddelelsens dialektik“, S. 146 f.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

sichtbarste Pointe dieser Systematisierung. Auch andere, zentrale Begriffe wie etwa Reduplikation und Doppelreflexion haben hier keinen Ort. Überdies zeigen sich im Einzelnen sachliche Probleme, etwa wenn die religiöse Könnens-Mitteilung in zweifelhafte Nähe zur Mitteilung von bloßem Wissen gerät. Das modellhafte, unbewegliche Vorgehen lässt eine konkrete Differenzierung der Mitteilungsaspekte gar nicht mehr zu, sie reproduziert allein das vorausgesetzte Schema. Man sieht sich geradezu an die selbstironische Bemerkung von Vigilius Haufniensis erinnert, der schreibt: „Die Hauptsache für mich ist hier bloß, mein Schema in Ordnung zu haben“724 – mit dem Unterschied freilich, dass eine solche Gegenzeichnung, die das Verfahren als ,Experiment‘ sichtbar machen würde, in der ,Dialektik‘ fehlt. So zeigen sich in der direkten, systematischen Analyse der Mitteilung methodologische Probleme, die über den Kathedervortrag als solchen hinausweisen. Dass dies nicht allein für das erste Schema, sondern, trotz einiger Modifikationen, auch für das ausführlichere zweite Schema und die zweite Vorlesung zutrifft, gilt es im Folgenden zu zeigen. Eine quer geschriebene Notiz zum ersten Schema stellt dabei offensichtlich die Weichen für die weitere Bearbeitung. Mit dem Merkzeichen „NB“ versehen heißt es: Diese zweite und dritte Distinktion gibt es eigtl. nicht im Verhältnis zu Wissens-Mitteilung, die, als objektiv, einzig auf den „Gegenstand“ reflektiert, deshalb auch zum Unpersönlichen tendiert. Überall, wo auf die Mitteilung, den Mitteiler, den Empfänger reflektiert wird, dort gibt es auch auf die eine oder andere Weise eine Könnens-Mitteilung, und hier wird zu Persönlichkeit tendiert.725

Es ist zunächst nicht unmittelbar verständlich, worauf Kierkegaard im Detail abzielt, sofern er eine Kritik am ersten Schema formulieren möchte: In der zweiten Distinktion (Phantasie- vs. Wirklichkeitsmedium; direkte vs. indirekte Mitteilung) ist die Wissens-Mitteilung bereits klar als Gegenbegriff zur Könnens-Mitteilung positioniert, und die dritte Distinktion bezieht sich ja ausdrücklich allein auf die Könnens-Mitteilung. Die nähere Ausführung aber macht verständlich, was Kierkegaard im Blick hat: Sinnvollerweise kann nicht jedes der vier Glieder der Mitteilungsanalysis gleichmßig auf Wissens- und Könnens-Mitteilung bezogen werden – wie dies ja auch schon die dritte Distinktion zum Ausdruck bringt. Vielmehr ist die grundlegende Unterscheidung in an724 BA, 143 / SKS 4, 438. 725 Papir 367 (DM, 131 f. / SKS 27, 404).

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derer Weise anzusetzen: auf der einen Seite Wissens-Mitteilung und ,Gegenstand‘; auf der anderen Seite Könnens-Mitteilung und die Trias ,Mitteilung – Mitteiler – Empfänger‘. Damit grenzt Kierkegaard die ,unpersönliche‘ und am Gegenstand orientierte Wissens-Mitteilung noch deutlicher von der ,existenziellen‘ Könnens-Mitteilung ab – und diesem modifizierten Ansatz folgt das zweite Schema.

d) Das zweite Distinktionsschema – Diachrone Systematik Das zweite Schema der ,Dialektik‘ 1849 stellt im Ganzen ein neues Arrangement des ersten Schemas dar, angeleitet von der zuletzt zitierten kritischen Randbemerkung. Allerdings ist das zweite Schema insofern eine ,Erweiterung‘ des ersten, als Kierkegaard einzelne Aspekte der Mitteilungsdialektik konkreter ausführt.726 Eben diese Durchführung macht das Problem im Detail sichtbar, das sich schon im ersten Schema angedeutet hatte: Die nähere Differenzierung der Mitteilungsformen wie auch die Vielstimmigkeit der seit 1846 verwendeten mitteilungstheoretischen Termini ergibt sich nicht aus dem ,abstrakten‘ Schema, sondern muss in dieses eingefgt werden. Die dabei entstehenden Unklarheiten sind nur zum Teil durch die skizzenhafte Darstellungsform bedingt; es zeigen sich auch sachliche Inkonsistenzen, sofern einzelne Begriffe – besonders die ,Reduplikation‘ – der dominierenden Systematik zuwiderlaufen. In seinen konkretesten Partien ähnelt das zweite Schema den letzten Passagen der ,Dialektik‘ 1847: Die Auflistung der einzelnen Mitteilungstermini gerät zu einer bloßen Materialsammlung, die keiner sichtbaren inneren Struktur und Ordnung folgt. Zudem fügt Kierkegaard hier, im Unterschied zur rein ,formalen‘ Struktur des ersten Schemas, auch Material eben aus der Skizze von 1847 ein, obschon sich deren Ansatz mit der 1849 leitenden Systematik keineswegs deckt; und dieser ,Rückgriff‘ bringt weitere Unklarheiten mit sich. Gleichwohl sind einige der konkreten Wendungen des zweiten Schemas für das Ganze der ,Dialektik der Mitteilung‘ äußerst aufschlussreich. Insbesondere lässt sich präzise eingrenzen, an welcher Stelle Kierkegaards Bedenken gegen die Form des Kathedervortrags aufkommen, die die erste Vorlesung dominieren. Im Folgenden sollen zunächst die Modifikationen der Struktur 726 Kierkegaard notiert hier in einer schmalen inneren Spalte das leitende Schema und fügt in der äußeren Spalte und auch auf dem gegenüberliegenden Blatt materialreiche Zusätze an; vgl. die Faksimiles SKS 27, 412 f.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

des zweiten Schemas im Ganzen angezeigt werden (1.), sodann gilt es, die detaillierteren Partien in der Durchführung der ,ethischen Mitteilung‘ zu diskutieren (2.); schließlich ist kurz auf die ,ethisch-religiöse‘ Mitteilung einzugehen (3.). 1. Die Modifikation des Schemas. Das zweite Schema folgt der kritischen Randbemerkung zum ersten Schema und skizziert eine neue Gliederung. Diese zieht die erste Distinktion und die Hinsicht B der zweiten Distinktion zusammen und macht sie zum Ausgangspunkt: Wissens-Mitteilung als direkte Mitteilung vs. Könnens-Mitteilung als indirekte Mitteilung bilden die Grundopposition des zweiten Schemas. Kierkegaard notiert zum (sehr kurzen) „1. Teil“ die Bestimmungen „Direkte Mitteilung“, „Wissens-Mitteilung“ sowie den Leitsatz: „dass auf den ,Gegenstand‘ reflektiert wird“. Zum „2. Teil“ ist entsprechend notiert: „Könnens-Mitteilung“, „Indirekte Mitteilung“ und – wieder in nur anzeigender Form – der Leitsatz: „Was es heißt, dass es keinen ,Gegenstand‘ gibt.“727 Die viergliedrige Analysis der Mitteilung wird nicht explizit genannt. Auch diesbezüglich aber folgt Kierkegaard, wie aus der Erläuterung zum 1. Teil (Wissens-Mitteilung) deutlich wird, der Randnotiz des ersten Schemas: Es sei in der Wissens-Mitteilung „von dem niedrigsten empirischen Wissen bis zu dem höchsten“ immer „der ,Gegenstand‘, auf den reflektiert werde. ,Mitteiler‘[,] ,Empfänger‘[,] die ,Mitteilung‘ treten ganz zurück. (Das Objektive).“728 Die Tendenz des ersten Schemas, die Könnens-Mitteilung von dem ,Gegenstands-Paradigma‘ des Wissens wegzuführen, wird also in der Anlage der zweiten Schemas noch verstärkt. Auffällig ist dabei, dass ,Mitteiler‘ und ,Empfänger‘ auch im Folgenden nicht in ihrem Verhältnis zueinander und zu den einzelnen Aspekten der Könnens-Mitteilung detailliert bestimmt werden: Der 727 Papir 368:1 – 2 (DM, 132 / SKS 27, 408). Beim 1. Teil steht ,Direkte Mitteilung‘ über ,Wissens-Mitteilung‘, beim 2. Teil umgekehrt ,Könnens-Mitteilung‘ über ,Indirekte Mitteilung‘; es ist also nicht gänzlich klar, welche der beiden Bestimmungen titelgebend ist. 728 Papir 368:1 (DM, 132 / SKS 27, 408). Die Darstellung der Wissens-Mitteilung erschöpft sich in den zitierten knappen Kennzeichnungen. Am Rand ist allerdings noch eine erhellende Bemerkung angefügt: Auch die Wissens-Mitteilung komme nicht ganz ohne den „Empfänger“ aus; sie setze bei ihm „einen Sinn“ für das Mitgeteilte, d. h. eine „Empfänglichkeit“ voraus – wenn auch „der Akzent“ nicht „hauptsächlich“ auf das falle, was „er hat“, sondern auf das, was „er empfängt: den Gegenstand“ (Papir 368:1.a (DM, 132 / SKS 27, 408)).

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,Mitteiler‘ kommt explizit nur in einer einzigen Marginalie vor,729 der Empfänger wird als solcher gar nicht genannt. Entsprechend ist die – hochgradig problematische – Differenzierung der dritten Distinktion, die dem Ethischen vornehmlich den Empfänger, dem Religiösen vornehmlich den Mitteiler zuordnet, im zweiten Schema nicht als solche nachzuweisen ist. Ebenso wenig ist die Medien-Unterscheidung (Hinsicht A der zweiten Distinktion) für das zweite Schema leitend; sie wird in durchaus problematischer Weise als Unteraspekt des Ethischen wiederkehren. Im Ganzen erscheint also die strenge Systematik des ersten Schemas in deutlich aufgelockerter und loserer Form: Die Wissens-Mitteilung und die Könnens-Mitteilung werden hier nicht ineinander verschränkt und unmittelbar voneinander abgegrenzt – sie bilden zwei aufeinander folgende Teile. Im Unterschied zur ,synoptischen‘ oder ,synchronen‘ Struktur des ersten Schemas kann mithin das zweite Schema als diachrone oder sukzessive Darstellung bezeichnet werden, die die einzelnen Formen der Mitteilung nacheinander entwickelt. Der deutlich umfänglichere ,2. Teil‘ über die ,Könnens-Mitteilung‘ untergliedert sich seinerseits nochmals in drei ,Kapitel‘, die – wenigstens grob – den drei Aspekten in der rechten Spalte des ersten Schemas entsprechen: I. „Könnens-Mitteilung im allgemeineren Sinn. ästhetisches Können. / Indirekte Mitteilung als ein Konfinium zu direkter Mitteilung“; II. „Ethische Mitteilung. (im strengsten Sinn indirekte Mitteilung). / ethisches Können od. Sollen-Können“; III. „ethisch-religiçse Mitteilung. / (Direkt-indirekte Mitteilung) / religiöses Können od. religiöses Sollen-Können“.730 Schon auf den ersten Blick zeigt sich, dass diese drei Aspekte gegenüber dem ersten Schema im Detail abweichend bestimmt werden: Der Nachsatz zur jeweiligen Überschrift enthält eine Spezifizierung, welche Form von indirekter Mitteilung hier verhandelt wird – und auch darin wird sichtbar, dass die Distinktion ,direkte und indirekte Mitteilung‘ die von ,Wissens- und Könnens-Mitteilung‘ zusehends überlagert. Diese Neugliederung wirkt sich insbesondere auf den ersten Aspekt aus: Das ästhetische Können wird als ,Konfinium zu direkter Mitteilung‘ bezeichnet, mithin deutlicher als zuvor von den beiden folgenden Formen abgesetzt. Zwar war die ästhetische Form bereits im ersten Schema zweideutig bestimmt worden – sie sei „direkte Mitt, aber 729 Vgl. Papir 368:9.a (DM, 136 f. / SKS 27, 411). 730 Papir 368:3 – 4 (DM, 133 / SKS 27, 408 f.), Papir 368:13 (DM, 137 f. / SKS 27, 414).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

direkte Könnens-Mitt, also indirekte Mitt.“.731 Dass sie nun aber den Grenzbegriff zur direkten Mitteilung ausmacht, ist ein Effekt der Sukzessivität des zweiten Schemas, in dem sie nach der Wissens-Mitteilung und somit als ,Übergangsgestalt‘ positioniert wird. Demgegenüber nähert Kierkegaard die beiden brigen Mitteilungsmodi einander schon dadurch an, dass er die letzte Form nun erstmals als ethisch-religiöse Mitteilung bezeichnet.732 Auch modifiziert Kierkegaard die Terminologie des ersten Schemas, indem er die ethisch-religiöse Mitteilung als ,direkt-indirekte Mitteilung‘ bestimmt – ein Begriff, der sich in Kierkegaards Werk nur an dieser Stelle (und in der entsprechenden Passage der zweiten Vorlesung) findet. Das ,direkte‘ Element soll offensichtlich den Anteil der ,WissensMitteilung‘ im Religiösen bezeichnen. Ein näherer Blick auf den ,2. Teil‘ zeigt eine weitere Eigenart des zweiten Schemas: Kierkegaard überträgt hier Material aus der Skizze von 1847. Zum Titel der ,Könnens-Mitteilung‘ – also noch bevor diese zergliedert wird – ist die folgende Bemerkung notiert: Das Gesetz für Könnens-Mitteilung ist: sofort damit zu beginnen, es zu tun. Sagt der Lernende: ich kann nicht, dann antwortet der Lehrer: Schnickschnack, Du tust es so gut Du kannst. Damit beginnt die Unterweisung. Ihr Ende ist: zu können. Aber es wird nicht Wissen mitgeteilt.733

Der Passus übernimmt, in Teilen wörtlich, eine längere Notiz der Skizze von 1847.734 Durch die Einfügung von Elementen, die der Fokussierung auf das Ethische von 1847 entstammen, erhält die Darstellung einen deutlich anderen Charakter als das erste Schema: Kierkegaard setzt das Lehrer-Schüler-Verhältnis ein, bestimmt demzufolge die Mitteilung als ,Unterweisung‘ und versieht sie so mit einem Akzent in Richtung des Handelns oder ,Vollziehens‘. Dieser Akzent, der im ersten Schema gänzlich fehlt, wird sich im Detail immer wieder nachweisen lassen. Allerdings verwandelt Kierkegaard unter diesem Gesichtspunkt nicht das Schema im Ganzen, sondern fügt bloß entsprechende Zusätze ein – und eben diese ,Überblendung‘ des ersten Schemas mit Material des ethisch-maieuti731 Papir 367 (DM, 130 / SKS 270, 405). 732 Auffällig ist auch, dass bei der zweiten und dritten Form die Bestimmung des ,Könnens‘ als ,Sollen-Können‘ nachgestellt erscheint, aber nicht selbst die Überschrift der entsprechenden Kapitel ist – sie heißen zunächst ,ethische‘ bzw. ,ethisch-religiöse Mitteilung‘. 733 Papir 368:2.c (DM, 132 / SKS 270, 408). 734 Vgl. Papir 366:3 (DM, 100 / SKS 27, 402); Anklänge finden sich auch bereits in Papir 365:7 (DM, 90 / SKS 27, 394) und Papir 365:12 (DM, 92 / SKS 270, 396).

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schen Modells von 1847 führt zu sachlichen Spannungen. Vorab zeigt sich überdies, dass die Anlehnung an die Skizze 1847 auch die zentrale Frage nach dem ,Gegenstand‘ betrifft: Hieß es im ersten Schema stets bloß, es gebe keinen Gegenstand, so bringt das Lehrer-Schüler-Modell hier wieder die Formulierung hervor, es werde kein Wissen bzw. kein Gegenstand mitgeteilt. Der Anschluss an das ethisch-maieutische Modell der Skizze von 1847 zeigt sich insbesondere darin, wie Kierkegaard im ,2. Teil‘ (,Könnens-Mitteilung‘) den ,Mitteiler‘ behandelt: Der Begriff erfährt eine Umbestimmung und wird nun zum strukturierenden Element. Fällt im ersten Schema nur beim Religiçsen der Akzent ,vornehmlich‘ auf den Mitteiler, so trägt Kierkegaard nun zu allen drei Formen des ,Könnens‘ eine Bestimmung des Mitteilers ein, und zwar als nähere Charakterisierung des Lehrers. Zum ästhetischen Können heißt es: „Hier hat der ,Lehrer‘ Fertigkeit, Virtuosität“735 – auch dies ist wieder eine Übernahme aus der Skizze 1847.736 Zur ethisch-religiösen Mitteilung fügt Kierkegaard in Übereinstimmung mit dem ersten Schema ein: „Hier hat der ,Lehrer‘ Vollmacht / i. Bez. a. das Moment von Wissen, das mitgeteilt wird.“737 Aufschlussreich ist die entsprechende Bestimmung zur ethischen Mitteilung: „Hier hat der ,Lehrer‘ Ernst.“738 Das erste Schema hatte in der ethischen Mitteilung allein negativ auf den Lehrer reflektiert, und diesen unter dem Stichwort ,Maieutik‘ als ein ,Sich-Fortschaffen‘ bestimmt. Nun aber erhält der ethische Lehrer im ,Ernst‘ eine positive Charakterisierung. Unklar bleibt allerdings, wie genau dieser ,Ernst‘ zu verstehen ist: Einerseits kann Kierkegaard weiterhin den Maieutiker als Lehrer des Ethischen meinen, und mithin wäre der Ernst der ,dialektische‘ oder ,indirekte‘ Ernst desjenigen, der sich um des Empfängers willen zurücknimmt. Andererseits kann aber auf die Reduplikation angespielt sein, in welcher der Lehrer ,selbst sein soll, was er lehrt‘. Wie schon in der Skizze 1847 werden sich im Folgenden beide Bestimmungen nachweisen lassen. Im Ganzen ist festzuhalten: Das zweite Schema modifiziert die Struktur des ersten und verwandelt sie in eine sukzessive Darstellungs735 Papir 368:3.a (DM, 133 / SKS 27, 408). Die Darstellung des ,ästhetischen Könnens‘ beschränkt sich neben der Überschrift und dieser Anmerkung auf eine Unterteilung der ,Fertigkeit‘ in ,körperliche‘ und ,körperlich-seelische‘; vgl. Papir 368:3.b (DM, 133 / SKS 27, 408). 736 Vgl. Papir 365:11 (DM, 92 / SKS 27, 395), wo es u. a. heißt: „Hinsichtlich der Mitteilung einer Kunst ist es […] Fertigkeit, die den Lehrer ausmacht“. 737 Papir 368:13.a (DM, 138 / SKS 27, 414). 738 Papir 368:4.a (DM, 133 / SKS 27, 409).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

form; dabei nimmt der Begriff ,Mitteilung‘ selbst eine zentralere Position ein. Zudem überträgt Kierkegaard Material aus der ,Dialektik‘ 1847 und akzentuiert so das ,Vollzugs‘-Moment stärker als im ersten Schema. 2. Die Durchfhrung der ,ethischen Mitteilung‘. Die umfänglichste, materialreichste und zugleich problematischste Partie des zweiten Schemas ist nun die nähere Durchführung der ethischen Mitteilung, die sich in eine kurze Einleitung und acht Paragraphen gliedert. Einleitend notiert Kierkegaard die bekannte abbreviatorische Bestimmung, dass es in der ethischen Mitteilung „noch strenger keinen ,Gegenstand‘ gibt“,739 und macht hierzu drei Einfügungen am Rand, die alle offenkundig auf der Skizze von 1847 beruhen: Erstens notiert Kierkegaard, im Ethischen könne es, da hier „der Akzent absolut auf das ,Du sollst‘ fallen soll“, „überhaupt keine Wissens-Mitteilung geben“ – müsse man nämlich zuerst etwas „zu wissen haben“, so wäre „dieses ,soll‘ nicht das erste, nicht absolut“.740 Zweitens wird das Beispiel des Korporals und des Rekruten aus der Skizze 1847 in leichter Modifikation eingetragen: „Wissenschaft“ könne man „vielleicht in einen Mschen hineinprügeln“, aber bereits bezüglich des Ästhetischen „(eben weil es hier keinen Gegenstand gibt)“ und noch mehr bezüglich des Ethischen „(eben weil es hier im strengsten Sinne keinen Gegenstand gibt)“ müsse man „es aus ihm herausprügeln“.741 Drittens präzisiert Kierkegaard abgrenzend, beim Ästhetischen handele es sich wesentlich um „Unterweisung“ als „Mitteilung von Fertigkeit“, während im Ethischen von „Erziehung“ gesprochen werden müsse; dazu verweist er auf das „alte Griechische“, inwiefern „Tugend gelehrt werden kann“, und notiert, an dieser Stelle „könnten dann vielleicht ein paar Dialoge Platons durchgegangen werden“.742 739 Papir 368:4 (DM, 133 / SKS 27, 409). 740 Papir 368:4.b (DM, 133 / SKS 27, 409). Kierkegaard gibt in verkürzter und umgearbeiteter Form Material aus Papir 365:7 (DM, 90 f. / SKS 27, 394) wieder; die Akzentuierung des ,Sollens‘ fällt 1849 deutlicher aus als 1847. 741 Papir 368:4.c (DM, 134 / SKS 27, 409). Kierkegaard folgt hier fast wörtlich Papir 365:5.b (DM, 87 f. / SKS 27, 392); nur die für die Schemata 1849 charakteristische Unterscheidung des Ästhetischen und des Ethischen bezüglich des Gegenstands ist neu. Auch die folgenden Sätze zum Korporal und dem Bauernknecht sowie dem ,kleinen Buch zum Felddienst‘ stehen fast wörtlich in Papir 365:5.b und Papir 365:5 (DM, 87 f. / SKS 27, 392). 742 Papir 368:5.a (DM, 134 / SKS 27, 409). Diese Randbemerkung wird von SKS bereits auf § 1 bezogen, neben dem sie auch notiert ist. Das Faksimile zeigt, dass Kierkegaard für eine weitere Marginalie neben dem Titel schlicht der Platz gefehlt hat (vgl. SKS 27, 412); sachlich gehört die Notiz zweifelsohne zum

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Alle drei Erläuterungen beziehen sich auf das ethisch-maieutische Modell von 1847, und es liegt zunächst nahe, dass Kierkegaard meint, dieses ungebrochen in die erneute Darstellung der ,ethischen Mitteilung‘ einfügen zu können. Insbesondere das ,Herausprügeln‘ des Ethischen im Gegensatz zum ,Hineinprügeln‘ eines Wissens lässt an ein je schon im Menschen liegendes ,Vermögen‘ denken, das bloß ,herausgelockt‘ und nicht als solches mitgeteilt werden müsse. So deutlich auch zweifelsohne die Anklänge an das ethisch-maieutische Modell sind, ist doch festzuhalten, dass dessen zentrale Bestimmung nach wie vor ungenannt bleibt: An keiner Stelle der gesamten ,Dialektik‘ 1849 heißt es nämlich, das Ethische sei ein Gegenstand, der von jedem Menschen immer schon gewusst würde. Offenbar ist Kierkegaard in seiner deutlichen Abgrenzung der ,Könnens-Mitteilung‘ von der ,Wissens-Mitteilung‘ 1849 darauf bedacht, diese Akzentuierung zu vermeiden. Die zitierten Passagen zeigen aber auch eine methodische Eigentümlichkeit des zweiten Schemas. In der ersten Vorlesung hatte Kierkegaard angekündigt, er werde einzelne Begriffe auch dann wieder aufgreifen und durch Rückverweis beleuchten, wenn sie schon ihren ,eigentlichen‘ Ort in der Darstellung erhalten hätten.743 Im zweiten Schema wird nun konkret sichtbar, wie dies zu verstehen ist: Da die Unterscheidungen nicht mehr synoptisch einander gegenüberstellt, sondern sukzessive entwickelt werden, sind die Differenzen nicht mehr ,auf einen Blick‘ erfassbar; sie müssen durch Rückverweise konturiert werden. Kierkegaard nimmt in der Darstellung der ,ethischen Mitteilung‘ – als leitendes Paradigma der ,Könnens-Mitteilung‘ – immer wieder präzisierende Abgrenzungen gegenüber der Wissens-Mitteilung und sodann Binnendifferenzierungen gegenüber dem Ästhetischen vor. Dieses Verfahren wendet Kierkegaard auch zu Beginn der näheren Durchführung der ethischen Mitteilung in acht Paragraphen an: Er ist zunächst bemüht, das leitende Schema immer wieder ins Gedächtnis zu rufen und am Einzelfall auszuschärfen. Die Rückverweise brechen aber präzise an eben derjenigen Stelle ab, wo die Darstellung in Probleme gerät – nämlich dort, wo der Begriff der ,Reduplikation‘ recht plötzlich ins Spiel kommt und die leitende Systematik sich verliert (§§ 3 und 4). Auch zeigt die nähere Erläuterung der ,ethischen Mitteilung‘ im Detail, dass die ,Auftakt‘ des Kapitels. Vgl. hierzu aus der Skizze 1847 bes. Papir 365:12 (DM, 92 / SKS 27, 396) und Papir 366:3 (DM, 100 / SKS 27, 402); der Hinweis auf ein ,Durchgehen‘ Platonischer Dialoge kommt so in der Skizze 1847 nicht vor. 743 Vgl. Papir 371:1 (DM, 116 – 118 / SKS 27, 425 f.).

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Grundunterscheidungen des zweiten Schemas keine ,Ordnung‘ für die konkrete Entfaltung der verschiedenen Mitteilungsbegriffe vorgeben, die in Werk und Nachlass seit 1846 verwendet worden waren. Kierkegaard führt diese in Form einer bloßen ,Liste‘ auf, ohne dass ihre Abfolge zwingend und der Zusammenhang schlüssig wäre. Schließlich lässt sich hier nachweisen, wie sukzessive eben jene Bedenken gegen eine ,allgemeine‘ und ,abstrakte‘, womöglich gar ,dozierende‘ Darstellung der Dialektik der Mitteilung aufkommen, die dann die erste Vorlesung dominieren. Diese drei ineinander verschränkten ,Problemebenen‘ gilt es im Durchgang der acht Paragraphen aufzuweisen: erstens das Zurücktreten der leitenden Systematik, zweitens die fehlende Ordnung der konkreten Mitteilungstermini und drittens die ,Selbstproblematisierung‘ der eigenen Form. Die Paragraphen 1 – 4 bilden auf den ersten Blick ein sachliche Einheit: § 1 behandelt die ,Situation‘; § 2 bringt den noch ausstehenden Begriff des ,Mediums‘ als Unterscheidung von ,Phantasie-Medium‘ und ,Medium der Wirklichkeit‘ auf; § 3 trägt den Titel „Über die Situation der ,Wirklichkeit‘“;744 § 4 führt neu den Begriff der Reduplikation ein. Offensichtlich sollen diese vier Paragraphen entwickeln, inwiefern die ethische Mitteilung der ,Wirklichkeit‘ zugehört und im Unterschied zur Wissens-Mitteilung auf existenziellen ,Vollzug‘ zielt. Im Detail aber zeigen sich bereits hier alle drei der eben genannten ,Problemebenen‘. Zunächst bringt der leitende Begriff in § 1, die Situation, eine sehr ,konkrete‘ Bestimmung in die Darstellung ein, die sich in der ,abstrakten‘ Präsentation des ersten Schemas nicht findet. Kierkegaard notiert knapp, der Paragraph solle das „wesentliche Mitdazugehören einer Situation zu ethischer Mitteilung“ behandeln.745 Die Marginalie lautet abgrenzend: „Schon im Verhältnis zu ästhetischer Könnens-Mitteilung bilden ja der Lehrer und der Lernende eine Situation. Im Verhältnis zu WissensMitteilung, wo alles objektiv ist, gibt es keine Situation.“746 Die ,Situation‘ bezeichnet also offenbar ein konkretes Verhältnis des Lehrers und des Schülers, die ,Ansprache‘ eines Einzelnen durch einen Einzelnen. Ohne dass deutlich würde, welcher Systematik Kierkegaard folgt, widmet sich der nächste Paragraph dem Medium, führt also die Hinsicht A der zweiten Distinktion des ersten Schemas ein. Mithin ist eine Unterscheidung aufgerufen, die sich nicht spezifisch auf die ethische Mitteilung 744 Papir 368:7 (DM, 135 / SKS 27, 410). 745 Papir 368:5 (DM, 134 / SKS 27, 409). 746 Papir 368:5.b (DM, 134 / SKS 27, 409).

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bezieht, sondern auf die Grundopposition des Ganzen: „das PhantasieMedium – Medium der Wirklichkeit. / Alle Wissens-Mitteilung ist im Phantasie-Medium. Könnens[-Mitteilung] in dem der Wirklichkeit, doch ästhetisches Können nicht im strengsten Sinn, aber ethisches Können im strengsten Sinn.“747 Eine Randbemerkung präzisiert nochmals die Binnendifferenzierung des Könnens: „ästhetisches Können“ sei insofern nicht „im strengsten Sinne im Medium der Wirklichkeit“, als „dieses Können nicht im Existenziellen des Täglichen selbst realisiert werden soll.“748 Gerade dieser Paragraph wirft die Frage auf, ob Kierkegaards Modifikation des Ansatzes sachlich hilfreich ist. Eine solche ,Grundunterscheidung‘ hätte sinnvollerweise in der Gegenüberstellung von Wissens- und Könnens-Mitteilung berhaupt ihren Ort gehabt. Ungünstig erscheint zudem, dass der Begriff des Mediums – wie auch bereits die ,Situation‘ – anlässlich des sthetischen Könnens gar nicht genannt worden ist. So nimmt Kierkegaard hier nicht rückdeutende Przisierungen vor, sondern führt neue Bestimmungen ein, die aber die Struktur des Ganzen betreffen. Aufschlussreich ist eine Fortführung der Randbemerkung: „Die Verwirrung, die dadurch entsteht, das Ethische im Phantasie-Medium mitzuteilen.“749 Hier schon deutet sich die Frage nach dem Verfahren – oder: dem ,Medium‘ – von Kierkegaards eigenen Schemata an. Die ,Wendung‘ des zweiten Schemas aber hat in den folgenden Paragraphen 3 und 4 ihren Ort. Hier ist zunächst wiederum eine Unklarheit in der Abfolge zu beobachten: § 3 trägt den Titel „Über die Situation der ,Wirklichkeit‘“;750 er wiederholt also den Begriff von § 1 und soll diesen offensichtlich vor dem Hintergrund der Medien-Unterscheidung von § 2 präzisieren. Tatsächlich wäre aber eine solche Präzisierung gar nicht notwendig, hätte Kierkegaard die Medien-Unterscheidung vor der ,Situation‘ behandelt – wird doch aus der Differenzierung des Mediums hinlänglich deutlich, dass eine ,Situation‘ überhaupt nur im ,Medium der Wirklichkeit‘ gegeben ist. So notiert auch Kierkegaard im Haupttext keine neue Bestimmung, sondern grenzt nur noch deutlicher das Ethische von der Wissensmitteilung ab: „Über die Situation der ,Wirklichkeit‘ als 747 Papir 368:6 (DM, 134 / SKS 27, 410). 748 Papir 368:6.a (DM, 135 / SKS 27, 410). 749 Papir 368:6.a (DM, 135 / SKS 27, 410). Diese ,Verwirrung‘ thematisiert Kierkegaard auch schon 1847, bezüglich der dort leitenden Termini ,Wissenschaft‘ und ,Kunst‘, vgl. Papir 365:5 (DM, 86 / SKS 27, 392). 750 Papir 368:7 (DM, 135 / SKS 27, 410).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

wesentlich[,] als eigtl. conditio sine qua non für ethische Mitteilung. / Dass das Ethische nicht doziert werden kann, denn es dozieren bedeutet, es unethisch mitzuteilen.“751 Inwiefern nun das Ethische nicht ,doziert‘ werden kann, erläutert eine wichtige Randbemerkung, die erstmals752 in der ,Dialektik‘ 1849 den Begriff der Reduplikation einführt und diesen sogleich als definiens von ,Wirklichkeit‘ ausweist: „Wirklichkeit“ ist die existenzielle Reduplikation des Gesagten. In Wirklichkeit zu lehren, dass die Wahrheit ausgelacht wird usw.[,] heißt, das selbst ausgelacht und verspottet vorzutragen. In Wirklichkeit Armut zu lehren heißt, das selbst arm zu lehren […]. Insofern endet jede Unterweisung in einer Art Schweigen; denn wenn ich es existenziell ausdrücke, dann braucht mein Reden nicht hörbar [zu sein]. Aber hier sieht man das Verhältnis der Wahrheit zur Wirklichkeit. Lass Einen dozierend 1000 Anhänger haben, wenn er dasselbe zu Wirklichkeit machen will, bekommt er vielleicht nicht einen; sie halten es für eine „Übertreibung.“ Im Verhältnis zu „Wirklichkeit“ haben beinahe alle Mschen eine Art Wasserscheu. Sie wollen, dass der Lehrer sich zu ihnen verhalten soll wie ein Schwimmlehrer, der in einer sorglosen und „stillen Stunde“ in einem Zimmer die Schwimmbewegungen für sie entwickelt; aber wenn er sagt: lass uns dann hinausspringen, dann sagen sie Danke.753

Die Reduplikation erscheint hier in ihrer ,klassischen‘, seit NB6 geläufigen Definition: existenziell zu sein und auszudrücken, was man sagt 751 Papir 368:7 (DM, 135 / SKS 27, 410). 752 Zu beachten ist allerdings, dass es sich eben um eine Marginalie handelt. Kierkegaard hat allem Anschein nach zuerst die Paragraphenfolge notiert und diese dann mit erläuternden Randbemerkungen versehen. Demnach wäre der folgende § 4 die ,erste‘ Nennung der Reduplikation. Dafür spricht auch, dass dieser offensichtlich nach Niederschrift der zitierten Randbemerkung modifiziert worden ist; vgl. dazu das gleich Folgende. 753 Papir 368:7.a (DM, 135 / SKS 27, 410). Dieser Passus hat einen Vorläufer in der Randbemerkung Papir 365:19.a (DM, 94 f. / SKS 27, 398) aus der Skizze 1847, wo dasselbe Motiv am Beispiel der Ataraxie illustriert wird. Kierkegaard verwendet hier nicht den Begriff der Reduplikation, grenzt aber das ,Ausdrücken‘ in der ,Situation der Wirklichkeit‘ explizit davon ab, die Ataraxie „von einem Katheder“ vorzutragen, was „ethisch nicht wahr“ sei. Das Vokabular und die explizite Problematisierung des Kathedervortrags, die sonst in der Skizze 1847 keine Entsprechung hat, legt es nahe, dass es sich hierbei um eine nachtrglich 1849 eingefügte Marginalie handelt; so werden in der Skizze 1847 nur hier die 1849 prominenten Ausdrücke ,Situation‘ und ,Situation der Wirklichkeit‘ verwendet. – Die im Zitat ausgelassene Passage von Papir 368:7.a notiert in Parenthese das Wortspiel mit ,profiteri‘, das in Journal NB12:139 (T 3, Anm. 373, 341 / SKS 22, 229) übernommen wird.

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bzw. lehrt.754 Mithin rückt nun der ethische ,Mitteiler‘ bzw. ,Lehrer‘ in den Fokus. Dabei zeigt sich, dass die eingangs notierte Bestimmung, in der ethischen Mitteilung habe der Lehrer ,Ernst‘, zunächst im reduplikativen (und nicht im maieutischen) Sinne zu verstehen ist: Dieser hat existenziell auszudrücken, was er lehrt. Die folgenden Absätze der Marginalie aber geben Erläuterungen, die in dieser Definition der Reduplikation nicht aufgehen. Hier wird nämlich der dozierende Vortrag bezüglich seiner Konsequenzen in den Blick genommen: Er gewinnt ,Anhänger‘, ruft aber eben dadurch nicht die Verwirklichung des Gelehrten hervor. Die Randnotiz beginnt also mit dem Lehrer, widmet sich sodann aber dem Empfnger. Mithin erscheint der dozierende Vortrag in zweierlei Hinsicht als problematisch: Einerseits fehlt in ihm die Reduplikation des Lehrers, andererseits macht er aus dem Empfnger einen bloß nachsprechenden ,Anhänger‘. Obgleich die Beispiele das ,Scheitern‘ des dozierenden Vortrags im Allgemeinen behandeln, ist es mit Händen zu greifen, dass der unvermittelt aufgekommene Begriff der Reduplikation auch auf Kierkegaards eigenes Unterfangen zurückwirkt: In der Charakterisierung des ,Schwimmlehrers‘, der bloß in einem ,Zimmer‘ die Bewegungen entwickle,755 spiegelt sich Kierkegaards Vorhaben ab, die ,Dialektik der Mitteilung‘ ex cathedra vortragen zu wollen. Auch dem eigenen Kathedervortrag fehlt es offenkundig an ,existenzieller Reduplikation‘. Hier also kommen erstmals und recht unvermittelt die ,Bedenken‘ auf, die dann die erste Vorlesung schon zu Beginn exponiert. Zugleich beleuchten aber die Beispiele auch die Unschrfe im Begriff der Reduplikation, die in der ersten Vorlesung herausgearbeitet worden ist. Die Erläuterungen in der Randnotiz betreffen die Mitteilung in erster Potenz: Die Lehre, die vom Lehrer redupliziert werden soll (etwa die Armut), ist ein ethischer Gehalt. Diese Reduplikationsforderung kann aber Kierkegaard auf seinen eigenen Vortrag als Mitteilung ber die Dialektik der Mitteilung nicht unmittelbar übertragen: Da sein Gegenstand kein ethischer Gehalt (oder: ,das Ethische‘) ist, bleibt es unklar, inwiefern er selbst als ,Lehrer‘ das Gelehrte im starken Sinne ,existenziell ausdrcken‘ sollte. Da aber Kierkegaard die eigene Form noch nicht explizit problematisiert, bleibt die 754 Vgl. NB6:13 (SKS 21, 17), NB6:56 (T 3, 50 / SKS 21, 42), NB6:57 (T 3, 51 / SKS 21, 42) und ausführlich oben II.3.4.a) und c). 755 Bei den von Kierkegaard in Anführungszeichen gesetzten Ausdrücken ,Übertreibung‘ und ,stille Stunde‘ handelt es sich um polemische Bezugnahmen auf Mynster, vgl. SKS K27, 813 und DM, Anm. 51, 148.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

zentrale methodologische Frage einmal mehr offen: Es ist undeutlich, inwiefern auch die Mitteilung ber die Mitteilung eine ,Reduplikation‘ in der Wirklichkeit enthalten müsste und in welcher Weise diese ,doppelte Verdopplung‘ durchzuführen wäre. Dass die ,Reduplikation‘ in der Tat eine grundsätzliche Problematisierung des dozierenden Vortrags bedeutet, bestätigt sodann der folgende § 4, der nun ausdrücklich dem Begriff gewidmet ist: „Über die ,Reduplikation‘“.756 Höchst aufschlussreich ist die Streichung, die Kierkegaard unter diesem Titel vornimmt: Zuerst ist hier notiert: „das zu sein, was man lehrt. / Das Existenzielle“,757 also die existenzielle ,Verdopplung‘ des Gelehrten im Lehrer. Diese Erläuterung aber streicht Kierkegaard und fügt stattdessen ein: „Hat man [das] Recht dazu, Mschen zu ,gewinnen‘.“758 Unmittelbar ist zunächst nicht verständlich, inwiefern diese neue Erläuterung den Begriff der Reduplikation beleuchten soll. Offensichtlich bertrgt aber Kierkegaard hier den Gedanken aus der soeben zitierten Randnotiz: Ein Vortrag, der nicht ,redupliziert‘, was er lehrt, sondern ,doziert‘, gewinnt Menschen. Kierkegaards Korrektur erklärt also nicht, was Reduplikation ist, sondern stellt die Frage nach der Konsequenz einer fehlenden Reduplikation: Die erste Definition der Reduplikation, die diese allein auf den Mitteiler bezieht, wird ersetzt durch eine Problematisierung des dozierenden Vortrags bezüglich seiner Wirkung auf den Empfnger. Diese Korrektur bedeutet freilich eine signifikante Modifikation des Begriffs: Da Kierkegaard die Reduplikation in dem ihr gewidmeten Paragraphen nun ausschließlich759 durch die Frage nach dem ,Gewinnen von Menschen‘ erläutert, deutet sich an, dass der Begriff selbst in noch nicht näher bestimmter Weise auch auf den Empfänger bezogen werden soll. Dann aber greift die bekannte Definition nicht mehr: ,zu sein, was man sagt‘ bzw. ,existenziell auszudrücken, was man lehrt‘ – denn der Empfänger ,sagt‘ oder ,lehrt‘ ja nichts. 756 Papir 368:8 (DM, 136 / SKS 27, 411). 757 Papir 368:8 (DM, Anm. 54, 149 / SKS 27, 411). 758 Papir 368:8 (DM, 136 / SKS 27, 411); vgl. zur Streichung das Faksimile SKS 27, 412. 759 In einer Randbemerkung gibt allerdings Kierkegaard auch eine Erläuterung des ,geläufigen‘ Reduplikationsverständnisses: „Unter der Reduplikation wird etwas verstanden[, das] viel mehr [ist] als was ja in Bezug auf alle Unterweisung gilt: docendo discimus“ (Papir 368:8.a (DM, 136 / SKS 27, 411)). ,Mehr‘ als das docendo discimus ist die Reduplikation hier insofern, als der Lehrer das Gelehrte ausdrckt und nicht bloß ,übt‘. Vgl. die Verschiebung gegenüber der Parallelstelle der Skizze 1847, Papir 365:14 (DM, 93 / SKS 27, 397).

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Instruktiv ist in diesem Zusammenhang eine Parallelstelle aus der ,Dialektik‘ 1847. Dort bedenkt Kierkegaard gleichfalls das ,Gewinnen von Menschen‘ und verbindet diesen Topos mit einer Gegenbewegung: „Inwieweit ist es erlaubt, Mschen zu gewinnen. (anstatt sie von sich zu stoßen um sie für die Wahrheit zu gewinnen[)]“.760 Der Gegenbegriff zum ,Gewinnen von Menschen‘ ist hier offensichtlich nicht die Reduplikation, sondern die indirekte Mitteilung, und zwar in Gestalt der sich verbergenden und abstoßenden, auf Selbsttätigkeit des Empfängers zielenden Maieutik. In den folgenden Paragraphen des zweiten Schemas 1849 wird sich nun der Begriff der Reduplikation in der Tat mit einer Wertschätzung der indirekten Mitteilung verknüpfen, und zwar gerade in ihrer maieutischen Form. Diese Verbindung versteht sich allerdings keineswegs von selbst, sie macht vielmehr auf eine Unklarheit in der Durchführung der ethischen Mitteilung aufmerksam: Unklar ist wenigstens bis zu diesem Punkt, inwiefern überhaupt die ,Reduplikation‘ eine indirekte Mitteilung genannt werden kann; und allein das Indirekte ,im strengsten Sinne‘ soll ja der ethischen Mitteilung entsprechen. Dass ein Lehrer selbst ausdrückt, was er lehrt, ist keineswegs aus sich heraus indirekt. Diese Frage hatte schon die Einbung im Christentum gestellt und sie in ihrem Zusammenhang mit dem Hinweis beantwortet, der Mitteiler selbst – nämlich der ,Gott-Mensch‘ – sei ein ,Zeichen des Widerspruchs‘; und insofern sei seine Mitteilung wesentlich indirekt.761 Auf den ,menschlichen‘ Mitteiler bezogen erscheint die Reduplikation allerdings eher als sehr direkte Form des Mitteilens – wie etwa das Beispiel der Armut verdeutlicht. Die Frage, wie Kierkegaard diese Spannung austrägt, ist im Folgenden im Blick zu behalten. Aus den abschließenden Paragraphen 5 – 8 wird zunächst deutlich, dass sich die dominierende Systematik in der konkreten Erläuterung der ethischen Mitteilung verloren hat. Die letzte Bezugnahme auf Wissens760 Papir 365:20 (DM, 95 / SKS 27, 398). In der ersten Vorlesung 1849 entfaltet Kierkegaard, wie oben ausführlich zitiert, den Gedanken, dass das ,Gewinnen von Menschen‘ nur durch ein ,Abschlagen‘ von der wahren und konsequenten, eben der indirekten Form möglich sei – halte sich der Mitteiler hingegen in der wahren Form, so werde dies als Stolz verstanden (vgl. Papir 371:1 (DM, 114 – 116 / SKS 27, 423 – 425)). Dort aber lässt Kierkegaard ebenfalls den Begriff der Reduplikation einfließen, und zwar im Sinne einer Randnotiz zu § 6 des zweiten Schemas, die sogleich auszulegen ist. 761 Vgl. EC, 128 f. / SKS 12, 138. und oben, II.3.5.b). – Diese Frage ist auch schon in der Auslegung der ersten Vorlesung der ,Dialektik‘ 1849 diskutiert worden, vgl. oben II.4.2.b).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

und Könnensmitteilung sowie auf das ,ästhetische Können‘ findet sich in § 2; der ,Medien‘-Begriff der Wirklichkeit fällt letztmals in § 3. Die Notizen, die Kierkegaard zu den abschließenden Paragraphen anfügt, sind nun ganz von den Bedenken gegen das eigene Vorhaben getragen, die der Begriff der Reduplikation aufkommen lässt; offenbar drängen diese Zweifel das dominierende Schema vollständig zurück. Überdies ist hier endgültig keine klare Struktur mehr erkennbar, die Paragraphenfolge kommt einer bloßen Auflistung gleich: § 5 behandelt die Doppelreflexion, die nicht eigens kommentiert wird; § 6 widmet sich dem ,Betrug‘; § 7 hält das gleichfalls unkommentierte Stichwort ,Maieutik‘ fest; § 8 schließlich thematisiert nochmals den leitenden Begriff des ganzen Kapitels, die ,indirekte Mitteilung‘, und stellt im Rückverweis auf die Journale des ,letztjährigen Sommers‘ die Frage nach ihrem ,dämonischen‘ Charakter.762 Kierkegaard überträgt hier offensichtlich die Titel ,Doppelreflexion‘, ,Maieutik‘ und ,indirekte Mitteilung‘ aus der Skizze von 1847, wo sie gleichfalls ohne ersichtliche Systematik aufgereiht sind,763 und widmet dem Betrug, der dort unter dem Titel ,Maieutik‘ mitverhandelt wird,764 einen eigenen Abschnitt. Gerade im Blick auf die Reduplikation, die 1847 noch nicht explizit benannt ist, erscheint die hier gegebene Reihenfolge aber als wenig sachangemessen. Andere Dokumente zur Mitteilungsfrage – etwa die Einbung oder die Journale von Sommer 1848 – würden es vielmehr nahe legen, zuerst die doppeltreflektierte und maieutische Form mitsamt dem Betrug abzuhandeln, und sodann das spezifisch reduplikative Element von ihnen abzuheben (nämlich als ,Dazugehören des Mitteilers‘). Auch stellt sich angesichts der Reihenfolge ,Doppelreflexion‘ – ,Betrug‘ – ,Maieutik‘ die Frage, welchen Aspekt der Mitteilung denn der letzte Begriff den beiden vorherigen noch hinzufügen sollte. Deutlich zeigt sich hier, dass Kierkegaards ,abstraktes‘ Schema keinerlei Anhalt gibt, die verschiedenen Mitteilungstermini in ein nachvollziehbares Verhältnis zueinander zu setzen. Wenigstens an dieser Stelle macht die Darstellung doch – entgegen Kierkegaards Ankündigung in der ersten Vorlesung – einen ,tumultuarischen‘765 Eindruck. Äußerst aufschlussreich sind allerdings die inhaltlichen Notizen, die Kierkegaard in Form von zwei Marginalien zu den letzten vier Para762 763 764 765

Vgl. Papir 368:12 (DM, 137 / SKS 27, 411). Vgl. Papir 365:12 – 15 (DM, 92 – 94 / SKS 27, 396 f.). Vgl. Papir 365:15 und Papir 365:15.a (DM, 93 f. / SKS 27, 397). Vgl. Papir 371:1 (DM, 117 / SKS 27, 426).

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graphen anfügt. Die erste Bemerkung ist nicht klar einem der Paragraphen zugeordnet; sie ist parallel zu ,Doppelreflexion‘ und ,Betrug‘ notiert, würde aber ebenso gut zur ,Maieutik‘ passen. Sachlich denkt sie die Frage nach dem ,Gewinnen von Menschen‘ weiter: Der ,ernsthafte‘ Mitteiler darf eben nicht ernsthaft aussehen. Ernsthaft auszusehen ist direkter Ernst, aber das ist nicht Ernst im tiefsten Sinne. Das Ernsthafte ist, dass der Mitteiler ernsthaft ist – und der Andere ernsthaft wird (und hierauf liegt der Nachdruck)[,] aber wohlgemerkt nicht durch den unmitt. Eindruck und durch Nachäffen, sondern durch sich selbst – und darin liegt gerade, dass der Mitteiler nicht ernsthaft aussehen darf.766

Hier zeigt sich nun eine Wertschätzung des maieutischen Aspekts der indirekten Mitteilung, die offenbar durch den Begriff der Reduplikation und die Kritik am ,dozierenden‘ Vortrag inspiriert ist: Die direkte Form erscheint als gänzlich untauglich, den Empfänger in Selbsttätigkeit zu versetzen. Kierkegaard greift ein Motiv auf, das im ersten Schema dem Lehrer des Ethischen zugeordnet worden war: Dieser nimmt sich maieutisch um des Empfängers willen zurück. Das ,unernste‘ Äußere des Lehrers entspricht spiegelverkehrt seiner ,ernsthaften‘ Aufmerksamkeit darauf, jede ,Nachahmung‘ des Schülers unmöglich zu machen, damit dieser gleichfalls, und zwar durch sich selbst, ernsthaft wird.767 Diese Partie wirft nun allerdings die Frage auf, wie dieser Aspekt mit dem spezifisch reduplikativen Ernst zusammenzudenken ist: Einem Lehrer, der seine Lehre der Armut selbst in Armut redupliziert, kommt offensichtlich nicht der hier beschriebene dialektisch-unernste Ernst zu. Vor diesem Hintergrund wie auch für die ,Dialektik‘ 1849 im Ganzen höchst aufschlussreich ist nun die letzte Notiz, die Kierkegaard „ad § 6. ,Über den Betrug‘“ einfügt: Zu „betrügen“ gehört wesentlich mit zu der wesentlichen ethisch-religiösen Mitteilung. „Hineinzubetrügen in die Wahrheit“. Dass es ein Betrug ist, ist auch der Ausdruck für die Reduplikation, in welcher der Lehrer und der Lehrende sich voneinander trennen, um darin zu existieren. Die ethische Mitteilung im Charakter beginnt immer damit, einen „Betrug“ dazwischen zu setzen, und die Kunst besteht dann darin, treu im Charakter des Betrugs, 766 Papir 368:9.a (DM, 136 f. / SKS 27, 411). 767 Die Formulierung lehnt sich wieder an die Skizze 1847 an, die in einer Randbemerkung zur ,Maieutik‘ gleichfalls die Frage des Ernstes mit dem ,Nachäffen‘ verbindet; vgl. Papir 365:15.a (DM, 94 / SKS 27, 397), wo die Bemerkung zum Teil wörtlich vorgeprägt ist. Vgl. zum Ernst ausführlicher die unmittelbar folgende Passage Papir 365:16 (DM, 94 / SKS 27, 397). Die Wendung ,direkter Ernst‘ fällt allerdings erst 1849.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

und dem Ethischen treu, alles auszuhalten. Aber hier werden Sie wieder die Reduplikation sehen. Denn hier in diesen Vorlesungen exsequiere ich das eigtl. nicht; ich zeige Ihnen in direkter Form, wie man es anstellt, aber ich bin nicht im Charakter; denn dann müsste ich es mir gestatten, mich maieutisch zu Ihnen zu verhalten, [lauter indirekte Formen zu gebrauchen,] und das tue ich nicht, ich doziere gewissermaßen.768

Diese Marginalie ist in vielfacher Hinsicht bemerkenswert, verbindet sie doch mehrere und differierende Mitteilungsbegriffe. Zunächst notiert Kierkegaard – offenbar im Anschluss an den ,dialektischen Ernst‘ – die wesentliche Bedeutung des Betrugs und ruft die Formel vom ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ auf. Im Unterschied zu Gesichtspunkt und Wirksamkeit ist die Formel aber an dieser Stelle nicht im Sinne des christlichmaieutischen Modells zu lesen: Das spezifische ,Herausbetrügen‘ aus dem Sinnentrug der Christenheit als gleichzeitiges ,Hineinbetrügen‘ in das Wahre als Christentum ist hier offenbar nicht gemeint. Kierkegaard akzentuiert das ,Hineinbetrügen‘ vielmehr in einem ethischen Sinn, nämlich als einen Betrug, der den Empfänger ,hinter seinem Rücken‘ in das tätige Selbstverhältnis überführt.769 Bemerkenswert ist aber nun insbesondere, wie Kierkegaard hier die ,Reduplikation‘ einbringt, nämlich in mehrfacher Weise: Zuerst heißt es, der Betrug sei „der Ausdruck für die Reduplikation, in welcher der Lehrer und der Lehrende sich voneinander trennen, um darin zu existieren“.770 Offensichtlich weicht diese Bestimmung von der üblichen Definition ab: ,zu sein, was man sagt‘. Sie betrifft – wie sich schon in § 3 angedeutet hatte – nicht allein den Lehrer. Vielmehr gebraucht Kierkegaard den Begriff augenscheinlich in einem weiteren Sinne für das ,Existenzielle‘ berhaupt: Er soll anzeigen, dass eine jede ,ethische‘ Lehre eben nicht eigentlich Lehre ist, sondern auf selbsttätigen Vollzug des Einzelnen 768 Papir 368:10.a (DM, 137 / SKS 27, 411). Die hier eingefügte Wendung „lauter indirekte Formen zu gebrauchen“ ist von Kierkegaard nachträglich unter der Marginalie eingetragen, Papir 368:10.a.a. 769 In der Erläuterung dieses Betrugs rekurriert Kierkegaard auf einige Journalstellen, in denen er die ,Praxis‘ des Ironikers beschrieben hatte: Der Lehrer müsse sich selbst streng im ,Charakter‘ des Betrugs halten und so dem Empfänger ein ,direktes‘ Verhältnis unmöglich machen. Vgl. bes. NB2:17 (SKS 20, 147), NB5:147 und NB5:147.a (T 3, 30 / SKS 20, 428) sowie NB6:80 (SKS 21, 61); vgl. hierzu oben, II.3.3.a) und II.3.4.e). 770 Papir 368:10.a (DM, 137 / SKS 27, 411). Diese Doppelbewegung ist in einigen Formulierungen der Nachschrift vorgeprägt, vgl. AUN1, 234 f., 240 f. / SKS 7, 220, 225 f. und hierzu oben, II.1.2.a). Dort wird die Bewegung allerdings noch nicht terminologisch als ,Reduplikation‘ bestimmt.

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abzielt, welcher aber gerade nicht ,gelehrt‘ werden kann. Mit anderen Worten: Kierkegaard verwendet die ,Reduplikation‘ im Sinne von Aneignung – und diese betrifft sowohl den Lehrer als auch den Schüler. Durch diese Erweiterung oder Verschiebung kann Kierkegaard hier zwei Aspekte zusammendenken, die er etwa in der Einbung, noch deutlicher aber im Journal NB6 klar geschieden hatte: die Reduplikation und das Maieutische.771 In der neuen, aneignungslogischen Perspektive vermag gerade der maieutische Betrug Ausdruck fr die Reduplikation zu sein: Indem der Lehrer sich maieutisch im Betrug verbirgt, reizt er den Schüler dazu an, das Gelehrte ,reduplizierend‘ in Existenz zu übernehmen – und das heißt hier: sich anzueignen. Umgekehrt streicht sich der Lehrer als Lehrer durch, entgeht der Versuchung, Anhänger ,zu gewinnen‘, und beugt sich selbst auf die eigene Existenz ,reduplizierend‘ zurück.772 Allerdings ist diese Verwendung von ,Reduplikation‘ mit den oben gegebenen Beispielen – etwa einem Lehrer, der selbst arm die Armut lehrt – unvereinbar, fehlt doch in diesen augenscheinlich die ,betrügende‘ Selbstzurücknahme. Innerhalb weniger Paragraphen modifiziert also Kierkegaard den Gehalt des Begriffs. Damit aber nicht genug: In den letzten Sätzen der Partie wird der Begriff in einer nochmals abweichenden, dritten Bedeutung verwendet. Kierkegaard notiert, der ,Betrügende‘, der sich ,treu im Charakter‘ halte, sei ein Beispiel für Reduplikation – im Gegensatz zu seiner eigenen Darstellung desselben. Diese letztere ,exsequiere‘ nicht, sondern zeige die Bewegung bloß in ,direkter Form‘; sie spreche ber das indirekte Verfahren und sei insofern ,gewissermaßen‘ ein Dozieren. Unversehens geht Kierkegaard in den Duktus der Ansprache an die Zuhörer über, und die Selbstbezeichnung des Vortrags als ,dozierend‘ übertrifft an Schärfe noch die parallele Passage der ersten Vorlesung.773 Offenbar steht hier die ,Reduplikation‘ wieder auf der Seite des Lehrers und meint eine ,Verdopplung‘ des Gelehrten – aber in diesem Zusammenhang weder das existierend-reduplizierende ,Ausdrücken‘ des ethischen Gehalts in der 771 In der Einbung wird freilich die Reduplikation von der Doppelreflexion unterschieden. Die Doppelreflexion entspricht dort aber im Wesentlichen dem Maieutischen, wird sie doch als ,Zurücknahme des Lehrers‘ um der ,Selbsttätigkeit des Empfängers‘ willen beschrieben. Vgl. EC, 127 – 129 / SKS 12, 137 f. und oben, II.3.5.b). 772 Diese Doppelbewegung ist einmal mehr der Skizze von 1847 nachgebildet, heißt es doch dort des Öfteren, der ,Lehrer‘ mache durch das indirekte Verfahren deutlich, dass er selbst im Ethischen ,Lehrling‘ sei. 773 Papir 371:1 (DM, 115 / SKS 27, 424).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Wirklichkeit, noch das aneignend-reduplizierende Sich-voneinanderTrennen des Lehrers und des Schülers. ,Reduplikation‘ bedeutet hier vielmehr das konsequente Sich-Halten im maieutischen Betrug, mithin die konsequente Durchfhrung des Maieutisch-Indirekten. 774 Dafür spricht Kierkegaards Nachsatz, er selbst müsste sich, sofern er nicht dozieren wolle, eben maieutisch zu den Zuhörern verhalten. Demnach bezeichnet der Begriff nicht den existenziellen Vollzug des Gelehrten, sondern die konsequente Durchführung der Form des Indirekten. Alle drei Aspekte der Reduplikation aber stehen, wenn auch auf verschiedenen Ebenen, offensichtlich dem ,Dozieren‘ entgegen, als welches Kierkegaard hier ausdrücklich die eigene Vorlesung bezeichnet. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass gerade der Begriff der Reduplikation die ,Selbstproblematisierung‘ des eigenen Kathedervortrags anstößt – und nicht zufällig findet sich dieser Begriff dann gleich zu Beginn der ersten Vorlesung. Es ist allerdings festzuhalten, dass Kierkegaard auch an dieser Stelle nicht explizit sagt, die Darstellung der indirekten Mitteilung müsse ihrerseits den ,Gegenstand‘ der Vorlesung ,reduplizieren‘. Er unterscheidet allein zwischen dem konsequenten Vollzug des Indirekten in erster Potenz – hier: dem Sich-Halten im maieutischen Betrug – und einem problematischen direkten Sprechen ber das Indirekte in zweiter Potenz. So nahe wie sonst selten kommt Kierkegaard hier dem methodologischen Kernproblem der indirekten Methode – dialektisch durchdacht ist es aber auch an dieser Stelle nicht. Die Frage, ob und inwiefern es denn mçglich wäre, das indirekte Verfahren ,in zweiter Potenz‘ berhaupt umfassend darzustellen, wird nicht formuliert. Die zunehmend vieldeutige und ausfasernde Durchführung macht allerdings das Problem, das in einem solchen Vorhaben liegt, hinlänglich sichtbar. Auf wenigstens zwei Ebenen wird also das Unterfangen einer Vorlesung über die ,Dialektik der Mitteilung‘ im zweiten Schema problematisch: Einerseits sieht sich Kierkegaard unversehens durch den Begriff der Reduplikation mit der Forderung konfrontiert, in seinem eigenen Vortrag dasjenige, wovon dieser handelt, zu ,verdoppeln‘. Auch wenn Kierkegaard selbst nicht klar differenziert, worauf genau sich diese Verdopplung zu beziehen hätte – ob nämlich ein ,ethischer‘ Gehalt oder aber das Indirekte des Betrugs redupliziert werden sollte –, ist es mehr als deutlich, dass die Reduplikationsforderung das ganze Unterfangen einer 774 Vgl. für eine hiervon abweichende Gliederung des Reduplikationsbegriffs im Ausgang von der ,Dialektik‘ Bejerholm „Meddelelsens dialektik“, S. 158 – 163.

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Mitteilung ex cathedra fragwürdig werden lässt. Mit dem plötzlich aufkommenden Begriff der Reduplikation wird eine Ebene thematisch, die grundsätzlich weder von den Distinktionen des ersten Schemas noch auch von den leitenden Unterscheidungen des zweiten Schemas eingefangen werden kann: die Frage nach der ,performativen‘ Selbstbezüglichkeit der eigenen Darstellung. Zugespitzt formuliert: Die Reduplikation ,sprengt‘ die leitende Systematik der ,Dialektik der Mitteilung‘ von 1849, weil sie die Forderung aufstellt, dass die Darstellung ihren ,Inhalt‘ selbst ,verdoppeln‘ muss – und dies leistet offensichtlich die Schematisierung der Mitteilungsdialektik nicht. Andererseits aber zeigt die konkrete Durchführung der ,ethischen Mitteilung‘ ein Problem der schematischen Vorgehensweise, das Kierkegaard selbst nicht thematisiert. Während die erste Skizze in ihrer starren Axiologie kaum Platz für inhaltliche Entfaltung lässt, gerät die zweite Skizze in ihrer Durchführung zu einer kursorischen Ansammlung verschiedener mitteilungstheoretischer Termini und aus der ,Dialektik‘ 1847 übertragener Bemerkungen, ohne dass ein planvolles Vorgehen erkennbar wäre. Für die Differenzierung der konkreten Mitteilungsbegriffe geben die leitenden Unterscheidungen etwa von ,Wissens-‘ und ,Könnens-Mitteilung‘ keinen Anhalt, und so gerät die Darstellung unscharf und undifferenziert. Dies zeigt sich wiederum insbesondere am Begriff der Reduplikation, ruft Kierkegaard doch diesen in wenigstens drei verschiedenen Hinsichten auf. Weder werden diese Ebenen in der Paragraphengliederung klar differenziert, noch gelingt eine deutliche Abgrenzung zu anderen Begriffen, etwa der Maieutik und der Doppelreflexion. Schließlich ist im Rückblick auf die Mitteilungsreflexion seit 1846 zu bemerken, dass diese drei Aspekte nicht einmal den Begriff der Reduplikation im Ganzen ausschöpfen: Die für Kierkegaard 1848 so wichtige Forderung, der Maieutiker müsse unter christlichen Vorzeichen aus der Verborgenheit des Indirekten heraustreten und ,Zeugnis‘ geben,775 wird im Schema an keiner Stelle mit der Reduplikation verbunden. Sie scheint nur im letzten Paragraphen in der Frage nach dem ,Dämonischen‘ auf, ohne erläutert zu werden. Dass dieser Verweis auf das ,Dämonische‘ der indirekten Mitteilung jene Formen des ,unernsten Ernsts‘ und des ,Betrugs‘ problematisieren müsste, die zuvor rein affirmativ dargestellt worden sind, verdeutlicht nochmals exemplarisch die unklare Konzeption in der Durchführung der ethischen Mitteilung. 775 Vgl. bes. NB6:68 (T 3, 53 / SKS 21, 51) und ausführlich oben, II.3.4.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

3. Die ethisch-religiçse Mitteilung. Zum Abschluss des zweiten Schemas ist in aller Kürze auf eine Eigentümlichkeit des knappen dritten ,Kapitels‘ zur ,ethisch-religiösen Mitteilung‘ hinzuweisen. Diese Form wird als ,direktindirekte Mitteilung‘ bezeichnet und dem ,religiösen Können‘ zugeordnet; sie enthält – entsprechend der Aufteilung im ersten Schema – ein ,Element des Wissens‘. Zu diesem Kapitel notiert nun zunächst Kierkegaard seine ausführlichste Erläuterung des ,Wissens-‘ und ,GegenstandsAnteils‘ im Religiösen: Hier gibt es ein Moment von Wissen und insofern einen Gegenstand. Aber das ist bloß ein Erstes. Die Mitteilung ist aber nicht wesentlich Wissens-[,] sondern Könnens-Mitteilung. Dass es ein Wissens-Moment gibt, gilt namentlich im Verhältnis zum Christlichen, dort muss ja vorläufig ein Wissen vom Christentum mitgeteilt werden. Aber das ist bloß ein Vorläufiges.776

Kierkegaard macht hinlänglich die ,Vorläufigkeit‘ des Wissens-Anteils in der ethisch-religiösen Mitteilung deutlich, und klar wird auch, dass diese Form der Mitteilung mithin wesentlich Könnens-Mitteilung ist. Kierkegaards Sprachgebrauch legt allerdings weiterhin nahe, die inzitierende Wissensmitteilung im Religiösen korrespondiere vollständig mit der Wissens-Mitteilung eines jeden beliebigen Gegenstandes – von ,Glaube‘ oder ,Offenbarung‘ wird abermals nicht gesprochen. Unklar bleibt auch, wie genau die an die Wissens-Vermittlung anschließende KönnensMitteilung sich gestaltet und inwiefern sie sich von der ,rein‘ ethischen Form unterscheidet. Darin zeigt sich nochmals eine methodische Schwierigkeit des schematischen, sukzessiven Vorgehens: Es stellt sich die Frage, ob nicht das dritte Kapitel große Partien des zweiten wiederholen müsste.777 Umgekehrt drängt sich die Vermutung auf, dass ein Teil des Materials, das in Kap. II über die ,ethische Mitteilung‘ behandelt wird, eigentlich erst hier in Kap. III seinen Ort gehabt hätte – insbesondere § 8 über das ,Dämonische‘ der indirekten Mitteilung, von dem doch wohl nur in Bezug auf das Religiöse gesprochen werden kann. Folgt man der Logik von NB6 und den ,Schriften über die Schriftstellerei‘, so müsste im Religiösen der Übergang in die direkte Mitteilung erläutert werden: das ,Zeugnis-Geben‘ des Maieutikers für das von ihm eigentlich Gewollte – und mithin die ,Reduplikation‘ in dem spezifischen Sinne, der sich in der gesamten ,Dialektik‘ nicht findet. Und wie schon im ersten Schema steht 776 Papir 368:13 (DM, 138 / SKS 27, 414). 777 Diese Unklarheit zeigt sich auch darin, dass die letzte Randnotiz zur ethischen Mitteilung von der ,ethisch-religiçsen Mitteilung‘ gesprochen hatte – ohne aber sachlich dem dritten Kapitel zugeordnet werden zu müssen.

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die Bestimmung, der Lehrer habe hier „Vollmacht / i. Bez. a. das Moment von Wissen, das mitgeteilt wird“,778 einer Identifikation dieser Form mit Kierkegaards eigenem Verständnis entgegen: Abermals fällt so die Mitteilungskonzeption von Wirksamkeit und Gesichtspunkt aus dem Schema heraus. Gerade weil aber Kierkegaard in der ,direkt-indirekten Mitteilung‘ eine Analogie zur Wissens-Mitteilung herstellt, macht er eine höchst aufschlussreiche Randbemerkung, die die ethisch-religiöse von der ,rein‘ ethischen Mitteilung abgrenzt: „Insofern man von dem Ethischen sagen können sollte, dass es ein Wissen in sich habe, ist das ,Selbsterkenntnis‘, aber das ist in uneigentlichem Sinn ein Wissen.“779 In dieser späten Notiz des zweiten Schemas wird eine Tendenz ausdrücklich, die sich in dem gesamten Anlauf zur ,Dialektik‘ von 1849 angedeutet hatte: Die 1847 leitende Orientierung der ethischen Mitteilung am Wissens-Bezug, die das Ethische als negativen Sonderfall des Gegenstandsparadigmas ausgewiesen hatte – nämlich als den Fall, dass es keinen Gegenstand mitzuteilen gebe, weil alle Menschen ihn bereits von sich her wüssten –, wird hier zurückgenommen. Obgleich Kierkegaard in der Durchführung der ethischen Mitteilung umfängliches Material aus der Skizze 1847 überträgt, ist diese grundlegende Differenz durchgehend festgehalten und nun ausdrücklich gemacht: Ein ,Gegenstand‘ des Ethischen ist in dem zitierten Passus gar nicht genannt, und auch von einem ,Wissen‘ als ,Selbsterkenntnis‘ könne beim Ethischen nur in einem ,uneigentlichen Sinne‘ gesprochen werden.780 In dieser Hinsicht ist die ,Dialektik‘ 1849 zweifelsohne klarer und überzeugender als die Skizze 1847: Indem sie eine ,Sphärentrennung‘ von (objektiver) Wissens-Mitteilung und (existenzieller) Könnens-Mitteilung vornimmt, steht sie in der Nachfolge der Nachschrift und deren Distinktion zwischen ,objektivem Denken‘ und ,subjektivem existierendem Denker‘.781 778 Papir 368:13.a (DM, 138 / SKS 27, 414). 779 Papir 368:13.b (DM, 138 / SKS 27, 414). 780 Vgl. die Abweichung gegenüber der Parallelstelle 1847 (Papir 365:7 (DM, 89 / SKS 27, 393 f.)). Dort wird die ,Selbsterkenntnis‘ als Unterform des ,Wissens‘ genannt, bevor das Experiment des Ethischen (ein Gegenstand, den jeder weiß) formuliert ist. Mithin gehört die ,Selbsterkenntnis‘ dort noch nicht zum Ethischen. 781 Worin genau die Funktion des kurzen ,Anhangs‘ besteht, ist unklar. Er benennt die ,Verwirrung‘ der Moderne, die die ,Könnens-Mitteilung‘ nicht nur vergessen, sondern diese in ,Wissens-Mitteilung‘ verwandelt und somit das ,Existenzielle‘ zum Verschwinden gebracht habe (Papir 368:14 (DM, 138 / SKS 27, 414)). Die Randbemerkung überträgt einen Dialog zwischen einem Unterof-

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

e) Die zweite Vorlesung – Durchführung in Abbreviatur Blickt man von den Schemata nochmals in aller Kürze auf die erste Vorlesung, so zeigt sich, dass zwar nicht deren Gedankenentwicklung, wohl aber eine Fülle des in ihr verwendeten Materials in den Schemata notiert ist. So spielt Kierkegaard in der ersten Vorlesung mehrfach auf die in den Schemata leitenden Unterscheidungen von Wissens- und Könnensmitteilung, von direkter und indirekter Mitteilung sowie von ethischer und ethisch-religiöser Mitteilung an. Insbesondere aber enthält die erste Vorlesung all jene Bedenken, die im zweiten Schema sukzessive aufkommen und verschärft sie zum Teil noch: In der Exposition wird im Unterschied zu den Schemata auch der ,fehlende Gegenstand‘ des Ethischen zum Argument gegen den eigenen Vortrag. In den beiden folgenden Bedenken zu ,Situation‘ und ,Reduplikation‘ ruft Kierkegaard hingegen die Einwände in der gleichen Reihenfolge auf, wie sie im zweiten Schema in den Paragraphen 1, 3 und 4 notiert sind.782 Überdies stimmen der ,dialektische Ernst‘ und der Einwand gegen ein ,Dozieren des Ethischen‘ mit dem zweiten Schema überein; und die Vielstimmigkeit des Begriffs der Reduplikation, die im zweiten Schema nachzuweisen war, spiegelt sich gleichfalls in der ersten Vorlesung ab: Auch hier benennt Kierkegaard erstens die Reduplikation als Verdopplung der Lehre im Lehrer,783 zweitens die Doppelbewegung der reduplizierenden Aneignung in Lehrer und Schüler784 sowie drittens das konsequente SichHalten im Indirekten als Reduplikation.785 Auch das in der ersten Vorlesung ausführlich entfaltete Problem des ,Gewinnens von Menschen‘ durch den nicht-reduplizierenden Vortrag findet sich bereits im zweiten Schema.786 Neu hinzu kommt in der ersten Vorlesung aber die ,persönliche‘ Ebene des Mitteilungsproblems mitsamt den Hinweisen auf das Gottesverhältnis; und auch die Ausführung zur Pseudonymität und die

782 783 784 785 786

fizier und einem Rekruten aus der Skizze von 1847 (Papir 368:14.a (DM, 138 f. / SKS 27, 414); vgl. Papir 365:10.a (DM, 91 f. / SKS 27, 395)). Sofern nur hier in der 1847er Skizze dem Wissen das ,Können‘ entgegensetzt wird, kann vermutet werden, dass auch diese Marginalie eine 1849 eingetragene Bemerkung ist. Vgl. die Reihenfolge in Papir 371:1 (DM, 112 f. / SKS 27, 422 f.). Vgl. Papir 371:1 (DM, 113 / SKS 27, 423). Vgl. Papir 371:1.h (DM, 119 / SKS 27, 427); hier wird allerdings der Begriff selbst nicht explizit genannt. Vgl. Papir 371:1 (DM, 115 / SKS 27, 424). Vgl. Papir 371:1 (DM, 114 – 116 / SKS 27, 423 – 425).

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werkgeschichtliche Reflexion haben in den Schemata keine Entsprechung. Während Kierkegaard also die Selbstproblematisierung des zweiten Schemas vollständig in die erste Vorlesung aufnimmt, zu einem eigenständigen Gedankengang fortentwickelt und dabei zur Exposition des Ganzen macht, ist die strukturelle Grundanlage der Schemata dort allenfalls angedeutet. Diese zu entwickeln ist offensichtlich die Aufgabe der zweiten Vorlesung, die den Titel trägt „Wissens-Mitteilung / und / KönnensMitteilung“.787 Allerdings beginnt Kierkegaard hier nicht sogleich mit dem Material der Schemata, sondern macht wieder eine Reihe allgemeinerer Bemerkungen – und dort, wo Unterscheidungen der Mitteilungsdialektik selbst aufgerufen werden, bricht die Vorlesung unvermittelt ab. Die folgende Darstellung kann sich also recht kurz halten. Ihre Aufmerksamkeit gilt der Frage, welches Material aus den Schemata übernommen wird, und auf welche Weise. Insbesondere soll dabei gezeigt werden, dass Kierkegaard den Ansatz beider Schemata ineinander schiebt. Aus den allgemeineren Bemerkungen ist hier nur auf eine Unterscheidung hinzuweisen, die Kierkegaard gleich zu Beginn aufruft. Mit der Frage nach der Mitteilung fühle er sich „verlassen“; er sehe überall nur „Wissenschaften“, und man beschäftige sich daher allein mit dem „Was, das mitgeteilt werden soll“ – nirgends werde hingegen danach gefragt, „was es heißt, mitzuteilen“.788 Dabei ordnet Kierkegaard dem ,Was‘ das ,Objektive‘ zu und verbindet dies mit dem ,Grund-Schaden‘ der Moderne, die Persönlichkeit abgeschafft zu haben; sobald aber „alles persönlich“ werde, falle „sofort der Akzent darauf: was es heißt, mitzuteilen“.789 Diejenige Passage der Schemata, die diesem Vokabular am nächsten kommt, ist bezeichnenderweise die Nahtstelle zwischen beiden Ansätzen: die kritische Bemerkung zum ersten Schema, die die Weichenstellung für die Umarbeitung des zweiten vornimmt. Zwar fehlt hier noch die prononcierte Hervorhebung des ,Was‘, aber die Stichworte ,objektiv‘ sowie ,Unpersönliches‘ einerseits und ,Persönlichkeit‘ andererseits werden genannt und der Wissens- bzw. Könnens-Mitteilung zugeordnet.790 Schon hier deutet sich an, dass die Vorlesung Material aus beiden Schemata verwenden wird. Wie schon in der ersten Vorlesung 787 788 789 790

Papir 371:2 (DM, 123 / SKS 27, 430). Papir 371:2 (DM, 123 / SKS 27, 430). Papir 371:2 (DM, 123 f. / SKS 27, 430 f.). Vgl. Papir 367 (DM, 131 f. / SKS 27, 404).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

kommt Kierkegaard sodann auf den ,unglücklichen primitiveren Denker‘ zu sprechen; dabei fällt auch die Formel von der ,Unredlichkeit der modernen Zeit‘.791 Als eine solche ,Unredlichkeit‘ sieht es auch Kierkegaard an, dass die Frage vergessen worden sei, „was es heißt, mitzuteilen“792 – und hier beginnt nun die eigentliche Erörterung der Mitteilungsfrage. Die Untersuchung hat darin ihren Anfang, dass Kierkegaard wçrtlich die vierfache Analysis der Mitteilung aus dem ersten Schema notiert: „Sobald ich das Mitteilen denke, denke ich ein Vierfaches: 1) der Gegenstand 2) der Mitteiler 3) der Empfnger 4) die Mitteilung.“793 „Mit Hilfe“ dieser Unterscheidung, so kündigt Kierkegaard den Zuhörern an, werde er die „ganze Struktur in den Vorträgen“ zeigen. Eine Marginalie ergänzt: „[D]enn das Unterschiedemachen tritt im Verhältnis dazu ein, wie [die] Reflexion unterschiedlich auf einen dieser 4 Punkte fällt.“794 Es hat also zunächst den Anschein, als folge Kierkegaard der Einteilung des ersten Schemas und beabsichtige, in einer Reflexion auf alle vier Glieder des Mitteilungsbegriffs die Grundstruktur der Vorlesungen zu entwickeln. Allerdings hatte ja Kierkegaard selbst zum ersten Schema kritisch angemerkt, von Empfänger und Mitteiler, sogar von der ,Mitteilung‘ könne eigentlich bei der Wissens-Mitteilung nicht gesprochen werden, da diese allein auf den ,Gegenstand‘ reflektiere. In der Tat ruft er nun nicht die erste Distinktion des ersten Schemas, sondern die Grundunterscheidung des zweiten Schemas auf: Hauptsächlich teile ich folgendermaßen ein[:] entweder wird auf den Gegenstand oder auf Mitteilung reflektiert. Diese Unterscheidung ist für mein ganzes Unternehmen entscheidend […]. Wird auf den Gegenstand reflektiert, dann haben wir Wissens-Mitteilung. Gibt es hingegen keinen „Gegenstand“ (wie dies zu verstehen ist bleibt zu entwickeln)[,] so dass also nicht auf den Gegenstand reflektiert werden kann, sondern auf die Mitteilung reflektiert wird[,] dann haben wir im Gegensatz zu Wissens-Mitteilung: Kçnnens-Mitteilung.795

Im ersten Schema waren Wissens- und Könnensmitteilung sowohl auf den Gegenstand, als auch auf die Mitteilung bezogen worden; hier nun entspricht die Wissens-Mitteilung dem ,Gegenstand‘ und die Könnens791 Vgl. Papir 371:2 (DM, 124 – 126 / SKS 27, 431 – 433). 792 Vgl. Papir 371:2 (DM, 126 / SKS 27, 433). 793 Vgl. Papir 371:2 (DM, 126 / SKS 27, 433). Der einzige Unterschied besteht in der Hervorhebung der vier Terme, vgl. Papir 367 (DM, 129 / SKS 27, 404). 794 Papir 371:2 und Papir 371:2.e (DM, 126 / SKS 27, 433). 795 Papir 371:2 (DM, 126 f. / SKS 27, 433).

2. Mitteilung ex cathedra?

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Mitteilung der ,Mitteilung‘ – in ähnlicher Weise war auch das zweite Schema strukturiert worden. Kierkegaard geht nun so vor, dass er die Könnens-Mitteilung näher differenziert; und eigentlich drehe sich um diese der „ganze Vortrag“, als „Komplement zu dem Modernen, das dies ganz vergessen hat“.796 In der folgenden Differenzierung – die unter dem Zwischentitel ,Könnens-Mitteilung‘ steht – verwendet nun Kierkegaard aber nicht die Unterscheidungen des zweiten Schemas, sondern greift wieder auf das erste zurück; und zwar auf die oben als hochgradig problematisch ausgewiesene dritte Distinktion. Mithin behandelt Kierkegaard nun die beiden noch ausstehenden Aspekte der Mitteilungs-Analysis: den Mitteiler und den Empfänger – ohne aber sein Verfahren eigens methodisch zu erläutern und etwa ausdrücklich zu machen, dass zwei Elemente des viergliedrigen Mitteilungsbegriff nur in Bezug auf die Könnens-Mitteilung Bedeutung hätten. In der Durchführung verwendet Kierkegaard teilweise wörtlich die Formulierungen der dritten Distinktion, erläutert aber die einzelnen Punkte ausführlicher und flicht auch Wendungen aus dem zweiten Schema ein. Wesentlich neue Bestimmungen werden nicht gegeben; auf einige Formulierungen und bemerkenswerte Abweichungen im Detail ist aber aufmerksam zu machen. Auffällig ist zunächst, dass Kierkegaard die Dreiteilung von ,ästhetischem‘, ,ethischem‘ und ,religiösem‘ (also nicht: ,ethisch-religiösem‘) Können aus dem ersten Schema am Rand notiert.797 Der Haupttext nennt die ,sthetische‘ Bestimmung nicht als solche; Kierkegaard spricht bloß von „Könnens-Mitteilung im allg. Sinn, Unterweisung in Kunst, und alles was dazu gehört“.798 Auch verwendet der Haupttext in der Tat die Doppelform ,ethisch-religiös‘ – einmal mehr gebraucht also Kierkegaard die Terminologie beider Schemata nebeneinander. Sodann ist in der ethischen Mitteilung bemerkenswert, dass Kierkegaard hier nicht mehr einschränkt, die Reflexion falle vornehmlich auf den Empfänger; es heißt bloß noch, im Ethischen werde „auf den Empfänger reflektiert“.799 Wie in der dritten Distinktion nennt Kierkegaard diese Form „Maieutik“, und wie dort wird allein negativ auf den Mitteiler reflektiert: „Der Mitteiler verschwindet gleichsam“.800 Neu ist aber, dass hier auch der ,Zweck‘ dieses Verschwindens benannt wird: Der 796 797 798 799 800

Papir 371:2 (DM, 127 / SKS 27, 433 f.). Vgl. Papir 371:2.g – i (DM, 127 f. / SKS 27, 434). Papir 371:2 (DM, 127 / SKS 27, 434). Papir 371:2 (DM, 127 / SKS 27, 434). Papir 371:2 (DM, 127 / SKS 27, 434).

414

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Mitteiler mache sich „bloß dienend, um dem anderen zum Werden zu verhelfen“.801 Diese Modifikation ist zwar aufschlussreich, sofern sie den Empfänger hinzunimmt; sie macht aber doch bloß ausdrücklich, was schon implizit in der dritten Distinktion gelegen hatte. Anders steht es allerdings mit der Erläuterung des Ethisch-Religiösen; hier weicht die Formulierung gegenüber den Schemata ab: Wenn die ethische Mitteilung zugleich ein Wissens-Moment als ihr Erstes in sich hat, haben wir ethisch-religiöse, in specie christliche Mitteilung. Durch dieses Wissens-Moment unterscheidet sie sich von ethischer Mitteilung im strengeren Sinne, aber hauptsächlich sortiert sie [sich] doch nicht unter Wissens-Mitt.[,] sondern unter Könnens-Mitt. […], das Wissen, das mitgeteilt wird, ist in dieser Mitteilung ein Vorläufiges.802

Auffällig ist zunächst, dass die ethisch-religiöse Mitteilung aus der ethischen Form entwickelt wird. Eine solche Bewegung hatte keines der Schemata notiert, und hier deutet sich bereits an, dass Kierkegaard der vorgegebenen Struktur nicht mehr folgt. In der Tat fehlt an dieser Stelle auch die sonst zentrale Kategorie des Ethisch-Religiösen: der Mitteiler. Dies bedeutet einerseits, dass Kierkegaard hier das leitende Schema verlässt: Nur die ästhetische und die ethische Form werden durch Reflexion auf Mitteiler und Empfänger bestimmt; für die ethisch-religiöse Mitteilung wird eine andere Begründungsstrategie gewählt, sodass eine starke Bestimmung des Mitteilers ausbleibt. Andererseits aber entfällt so die problematische Zuordnung, das Ethisch-Religiöse sei durch einen ,Lehrer‘ definiert, der das Wissens-Element aus Vollmacht mitteile. Ob Kierkegaard diese Bestimmung absichtsvoll auslässt, weil sie im Gegensatz zu seinem eigenen ,Programm‘ steht, ohne Vollmacht auf das Christliche aufmerksam zu machen, ist nicht nachzuweisen. Allzu weit reichende Schlüsse wird man aus dieser Modifikation nicht ziehen dürfen; eher machen die letzten Partien der zweiten Vorlesung den Eindruck, als seien sie recht flüchtig notiert worden, und Kierkegaard habe ,sein Schema nicht in Ordnung‘, weil er bereits an den Abbruch des Vorhabens denkt. Diesen Eindruck bestätigt auch der sehr kurze letzte Abschnitt. Kierkegaard führt hier entsprechend dem zweiten Schema aus, der „Haupt-Einteilung“ von Wissens- und Könnens-Mitteilung entspreche „wieder die Haupteinteilung“ von direkter und indirekter Mitteilung: alle Wissens-Mitteilung sei „direkte Mitt.“, alle Könnens-Mitteilung sei 801 Papir 371:2 (DM, 127 / SKS 27, 434). 802 Papir 371:2 (DM, 128 / SKS 27, 434).

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

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„mehr od. weniger indirekte Mitteilung“.803 Wie diese beiden Haupteinteilungen sich zueinander verhalten, wird nicht ausgeführt, und auch die dreifache Differenzierung des Könnens ist äußerst knapp skizziert: Die „eigtl. Kunst-Mitteilung“ sei „indirekt, oder doch wesentlich indirekt“; die ethische Mitteilung sei „unbedingt indirekt“; die ethisch-religiöse Mitteilung schließlich sei, „namentlich christlich“, „direkt-indirekt“804 – Kierkegaard rekurriert also in der letzten Bestimmung wieder auf eine Formulierung, die sich nur im zweiten Schema findet. Mit diesen stichworthaften Notizen bricht die zweite Vorlesung unvermittelt ab. Warum Kierkegaard gerade hier das Unterfangen beendet, lässt sich freilich nicht definitiv angeben; es ist nicht auszuschließen, dass der Abbruch durch äußere Gründe bedingt ist. Allerdings machen gerade die letzten Notizen einen recht unambitionierten Eindruck – von dem eingangs angekündigten Plan, den Kathedervortrag in eine Experimentalvorlesung zu verwandeln, ist der trockenen und schematischen Auflistung der Mitteilungsaspekte nichts zu entnehmen. Es ist durchaus möglich, dass Kierkegaard in der konkreten Durchführung neben der fehlenden existenziellen Reduplikation der Mitteilung ex cathedra ein weiteres Problem seines Ansatzes aufgegangen ist: Die starre Schematisierung der Mitteilungsdialektik hat als solche ein ,dozierendes‘ Element, das die Beweglichkeit und Vielgestaltigkeit des indirekten Verfahrens, ihre Offenheit für Nuancierung und Konkretisierung nicht angemessen ,redupliziert‘. Dies bedeutet freilich keineswegs, dass sich der ,Dialektik‘ 1849 nicht im Einzelnen erhellende Bestimmungen entnehmen ließen – als definitive und umfassende Darstellung der Mitteilungsdialektik, die sie dem Plan nach darstellen soll, kann der Text hingegen schon aufgrund seiner unvollendeten Form nicht gelesen werden.

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘ – Die Journale und Entwürfe 1850 – 1852 Nachdem sich die Untersuchung in der ,Dialektik der Mitteilung‘ 1849 einem letzten zusammenhngenden Text zur Mitteilung gewidmet hat, nimmt sie nun wieder den eher lose verknüpften Reflexionsgang der Journale auf. In den spätesten Notizen zur Frage der Mitteilung 1850 – 1852 prägt sich der hier so genannte ,letzte Begriff der Mitteilung‘ aus. 803 Papir 371:2 (DM, 128 / SKS 27, 434). 804 Papir 371:2 (DM, 128 / SKS 27, 434).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Das Ziel des Folgenden besteht darin, diesen Begriff in seiner Struktur und seinem Kontext zu entfalten und die ,Faktoren‘ nachzuvollziehen, die zu seiner Formulierung führen. Vier ,Faktoren‘ gilt es vorab anzuzeigen: erstens die ,Reetablierung‘ der indirekten Mitteilung in den Journalen 1849; zweitens einen verstärkten Rückgriff auf die 1850 publizierte Einbung im Christentum; drittens den Einfluss zeitgenössischer Debatten um Martensens Dogmatik; viertens die Publikation von ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller im Jahr 1851. Als erster Faktor ist die in den Journalen von 1849 nachzuweisende ,neue Wertschätzung‘ der indirekten Mitteilung zu nennen – insofern ist der ,letzte Begriff der Mitteilung‘ keine radikal neue Konzeption, sondern steht in gewisser Kontinuität mit dem zuvor Untersuchten. Während aber die Reflexionen zur Mitteilung in den Journalen von 1849 zumeist unmittelbar der Frage nach der Herausgabe der bereitliegenden Werke entspringen und sich kaum zu einer eigenständigen Struktur verdichten, kommt 1850 – 1852 sukzessive eine mitteilungstheoretisch prägnant formulierte Konstellation in den Blick, die sich von der 1849 dominierenden Anti-Climacus-Frage ablöst. Das triadische Modell, das Kierkegaard in NB14 festgehalten hatte, war allein auf seine eigene Stellung zum Werk bezogen: Die unterste und erste Stufe bildet die frühe indirekte Mitteilung; die zweite Stufe ist Kierkegaard selbst als direkt-erbaulicher Schriftsteller (und hier steht auch die direkte Mitteilung der ,Schriften zur Schriftstellerei‘, über deren Publikation aber 1849 noch nicht entschieden ist). Die dritte Stufe schließlich ist die indirekte Mitteilung des neuen Pseudonyms, welches zugleich Kierkegaards ,Grenze‘ aufzeigt und daher eine Forderung anbringen kann, die ihm selbst ,zu hoch‘ ist. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘ entsteht nun dadurch, dass Kierkegaard den Blick auch über den eigenen ,Fall‘ hinauslenkt und die Frage stellt, wie seine ,Aufgabe‘ idealerweise hätte durchgeführt werden müssen. In diesem Horizont zeichnet sich ab 1850 eine Gestalt ab, die von Beginn an ihre Aufgabe überblickt hätte – was für Kierkegaard eben nicht zutrifft – und dann von Anfang bis Ende indirekte Mitteilung verwendet hätte. Hier fällt dann mehrfach die Bestimmung, die indirekte Mitteilung sei die hçchste Form der Mitteilung. Blickt nun Kierkegaard aber wieder auf sich selbst zurück, so ergibt sich abermals ein triadisches Modell: Auf der ersten Stufe steht weiterhin die indirekte Mitteilung des frühen pseudonymen Werks; die zweite Stufe ist nun die direkte Mitteilung über die Schriftstellerei – nämlich als Konzession, als ein ,Abschlagen‘, das deutlich machen soll, dass er der Erzogene und keineswegs der Lehrer ist (und unter diese Kategorie wird weiterhin auch die erbaulich-direkte Mitteilung des

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

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Werks von 1847/48 gefasst). Die dritte Stufe ist eben jene indirekte Mitteilung als ,höchste Form‘, die aber in Kierkegaards ,Fall‘ nicht möglich gewesen ist. So kann dann Kierkegaard in Bezug auf das eigene Werk sagen, seine direkte Mitteilung stehe höher als seine indirekte, aber ,tiefer‘ als die ,ideale‘ indirekte Mitteilung von Anfang bis Ende.805 Offensichtlich ist diese ,letzte Konzeption‘ an der Einbung und dem ,Vorbild‘ des Gott-Menschen als ,absolut indirekter Mitteilung‘ orientiert. Die letztere soll aber ab 1850 auch für einen Menschen möglich sein – dieser wäre allerdings ein ,Apostel ganz neuen Stils‘ oder der eigentliche ,Spion Gottes‘. Insofern ist als zweiter Faktor in der Herausbildung der ,letzten‘ Konzeption der Mitteilung ein verstärkter, aber modifizierender Rückgriff auf die indirekte Mitteilung Christi in der Einbung festzuhalten. Damit eng verbunden ist ein dritter Faktor. Kierkegaards Entscheidung, die Einbung 1850 schließlich zu publizieren, gehört in den Umkreis einer zeitgenössischen Debatte, die auf die Formulierung der spätesten Konzeption eine ,verschärfende‘ Wirkung ausübt. In der Diskussion um H. L. Martensens Dogmatik 1849/50 werden auch Kierkegaards pseudonyme Schriften und ihre indirekte Mitteilung zum Gegenstand der Auseinandersetzung und erfahren eine kritischen Bewertung. Dies führt unter anderem dazu, dass Kierkegaard einige hochinteressante Vergleiche zwischen dem pseudonymen Werk und den bereitliegenden ,direkten Mitteilungen über sich‘ anstellt; hier findet sich auch eine direkte Konfrontation der ,Ersten und letzten Erklärung‘ zur Nachschrift und der „Rechenschaft“, die im Kontext dieser Untersuchung von besonderem Interesse ist (NB20, NB22). 1851 wird dann der ,Vorwurf‘, das Indirekte sei eine im Christentum unzulässige Mitteilungsform, von Martensens Schüler L. J. M. Gude ausdrücklich gegen Kierkegaard erhoben.806 Im Umfeld dieser so genannten Debatte um Tro 805 Bei diesem letzten triadischen Modell stellt sich freilich die Frage, wo hier die ,höhere Pseudonymität‘ des Anti-Climacus zu situieren ist. Darauf ist vorab schlicht zu antworten, dass Kierkegaard dieses Problem selbst nicht ausführlich behandelt. In den Reflexionen über den ,letzten Mitteilungsbegriff‘ kommt Anti-Climacus kaum und dann nur noch rückblickend vor. Eine Ausnahme ist die unten in II.4.3.d) behandelte Aufzeichnung NB22:13, in der Kierkegaard – allerdings mit problematischen Argumenten – festhält, die Einbung sei keine indirekte Mitteilung, weil er selbst als Herausgeber in dem Vorwort zu dem Werk ins Verhältnis trete. 806 Eine Anzeige des Kontextes und Hinweise auf die Literatur werden an entsprechender Stelle gegeben.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

og Viden [Glauben und Wissen] präzisiert und radikalisiert Kierkegaard das ,letzte‘ Verständnis in mehreren Entwürfen und Journalnotizen. Die reifste Fassung des ,letzten Begriffs‘ gibt die letzte große Aufzeichnung zum Mitteilungsproblem in NB27. Dass dieser ,letzte Begriff‘ aber nicht einfach das ,Finale‘ in Kierkegaards Reflexion über die Mitteilung darstellt, macht der vierte Faktor deutlich, der eine Gegenbewegung anzeigt: In eben diesem Zeitraum beschließt nämlich Kierkegaard 1851 auch, das lange erwogene ,direkte Wort über sich selbst‘ in dem Text ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller tatsächlich und endlich zu publizieren. Im Kontext dieses Entschlusses findet sich eine Reihe von Eintragungen, die den in dieser Schrift formulierten ,Übergang in die direkte Mitteilung‘ bekräftigen und die Auffassung der indirekten Mitteilung als ,höchster Form‘ konterkarieren. Auch die spätesten Notizen zur Mitteilungsfrage sind also durchaus spannungsreich. Die zuletzt genannten drei Faktoren machen deutlich, dass auch die Journalreflexionen ab 1850 – bei aller Eigenständigkeit der sich dort entwickelnden Konzeption – noch intensiv die Frage nach der Herausgabe der bereitliegenden Schriften bedenken: Eine Veröffentlichung des Gesichtspunkts wird letztmals in NB16 erwogen, die Entscheidung zur Publikation der Einbung fällt in NB20, die Herausgabe der Wirksamkeit wird in NB24 beschlossen. Die mitteilungstheoretischen Reflexionen stehen also bis beinahe zuletzt im Kontext von Publikationsfragen. Dem entspricht es auch, dass Kierkegaards späte Überlegungen nach wie vor insbesondere der Frage gelten, ob und unter welchen Umständen eine indirekte oder direkte Mitteilung geboten und wer zu welcher Form der Mitteilung berechtigt sei – strukturelle Erörterungen über die Mitteilung selbst, wie sie 1849 noch vom ,Dialektik‘-Fragment angestrengt worden waren, lassen sich nur noch vereinzelt nachweisen. Dieser vorab grob umrissene Bereich ist in fünf Schritten einzuholen: Zunächst soll gezeigt werden, dass sich der ,letzte Mitteilungsbegriff‘ bereits in den Journalen NB15 und NB16 andeutet; hier wird auch letztmals eine Publikation des Gesichtspunkts erwogen (a). In den Journalen NB17 – NB19 gilt es, den Einfluss der Debatte um Martensens Dogmatik auszuweisen (b). In dem Journal NB20 findet sich erstmals explizit die Auffassung der indirekten Mitteilung als ,höherer‘ Form; auch ist dort der detaillierteste Vergleich von Nachschrift und Wirksamkeit notiert (c). In NB22 und NB24 sind die mitteilungstheoretischen Überlegungen nachzuzeichnen, die im Kontext der Publikation der Wirksamkeit 1851 stehen (d); in den Entwürfen zur Antwort auf Gudes Kritik dieser

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

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Schrift sowie im Journal NB27 wird dann der ,letzte Begriff der Mitteilung‘ in seiner klarsten Gestalt formuliert (e).

a) ,Heterogenität‘ und letzte Abwägung zur Herausgabe des Gesichtspunkts – NB15 und NB16 In NB15 (von Januar/Februar 1850) wird erstmals diejenige Konzeption sichtbar, die hier als ,letzter Begriff der Mitteilung‘ bezeichnet wird; sie hat allerdings in NB15 noch nicht die Deutlichkeit späterer Formulierungen. Dies hat vor allem darin seinen Grund, dass der ,letzte‘ Mitteilungsbegriff nur am Rande und im Zuge der Reflexionen über die Herausgabe der bereitliegenden Werke aufscheint – besonders der Einbung und der ,Schriften über die Schriftstellerei‘. In diesen publikatorischen Überlegungen kommt dann die „Rechenschaft“ immer klarer als derjenige Text über die Schriftstellerei in den Blick, der sich am ehesten zur Veröffentlichung eignet; die 1851 tatsächlich publizierte Schrift ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller – deren ersten Teil die „Rechenschaft“ bildet – gewinnt sukzessive Gestalt. Gerade in NB15 lässt sich erarbeiten, dass der ,letzte‘ Mitteilungsbegriffs wesentlich durch eine erneute Beschäftigung mit der Konzeption der Einbung inspiriert ist, gibt diese doch in der ,absolut indirekten Mitteilung‘ Christi gleichsam den ,Maßstab‘ für eine Höherbewertung des Indirekten ab. Die Journalnotizen zu diesem Thema von 1848/49 hatten aber klar geschieden zwischen dem Gott-Menschen selbst, der wesentlich und notwendig indirekte Mitteilung sein müsse, und der Position des menschlichen Mitteilers, der sich, sofern er gleichfalls absolut indirekte Mitteilung verwende, einer ,Anmaßung‘ und ,Zudringlichkeit‘ gegen Gott schuldig mache. Diese Einteilung wird nun sukzessive verschoben. In NB15:38 referiert Kierkegaard zunächst nur den Ansatz der Einbung: „Christus blieb doch indirekte Mitteilung bis zum Letzten; denn das, was er war, incognito, in Gestalt des Knechts, das macht, […] dass all seine direkte Mitteilung doch indirekte ist.“807 Diese Notiz bildet offenbar die Basis für die wichtige, zugleich aber widersprüchliche und tastende Eintragung NB15:46 mit dem Titel „ber meine ,Heterogeni-

807 NB15:38 (SKS 23, 28 f.).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

tt‘“.808 Kierkegaard zielt hier – ohne dass dies zu Beginn der Notiz bereits klar würde – auf die Publikation der Einbung ab und variiert den aus NB11 und NB14 bekannten Gedanken, das Pseudonym Anti-Climacus zeige seine eigene Grenze und ein ,Höheres‘ auf.809 Bemerkenswert ist an der Eintragung aber zweierlei: Erstens skizziert Kierkegaard nun erstmals ein ,höheres‘ Gegenbild zu seiner eigenen Mitteilung, und zwar durch eine Differenzierung des Begriffs der Heterogenität. Er selbst sei nur ,relativ‘ heterogen in Bezug auf das ,Allgemeine‘, stehe also zu diesem in einem wesentlichen, wenn auch gebrochenen Verhältnis. Deshalb komme ihm die dichterische Mitteilung und das ,Aufmerksam-Machen‘ zu, bleibe doch darin die Kontinuität mit dem Allgemeinen gewahrt.810 Das Gegenbild zu dieser ,relativen Heterogenität‘ wäre aber die „absolute Heterogenität“: Diese verbleibe „bis zum Letzten in indirekter Mitteilung“, und zwar weil sie leugne, in jeglicher Kontinuität mit dem Allgemeinen zu stehen.811 Offenkundig ist diese ,absolute Heterogenität‘ nach dem ,Vorbild‘ Christi und seiner absolut indirekten Mitteilung gebildet; dafür spricht auch die folgende Erläuterung, eine solche Form sei „übermenschlich, dämonisch oder göttlich.“812 Neu ist allerdings, dass Kierkegaard diese Form der Mitteilung nicht allein auf den Gott-Menschen beschränkt. Die ,absolute Heterogenität‘ bleibt zwar schemenhaft, weil Kierkegaard vornehmlich abgrenzend den eigenen ,Fall‘ konturiert. Deutlich wird aber, dass diese Gestalt von vornherein ihrer Aufgabe voll bewusst sein müsste, unterscheidet sich doch Kierkegaards ,Fall‘ von der absoluten Heterogenität dadurch, dass er ,erzogen‘ worden ist: „Die absolute Heterogenität müsste ungefähr dort beginnen, wo ich jetzt ende, das heißt, mit dem entwickelten Bewusstsein, das ich durch das Zurückgelegte erlangt habe.“813 Skizzenhaft zeichnet sich hier die Mög808 NB15:46 (T 4, 86 – 88 / SKS 23, 32 f.); die Aufzeichnung ist in lateinischer Schrift notiert. Vgl. zu dieser Aufzeichnung Deuser Dialektische Theologie, S. 62 f. 809 Vgl. NB15:46 (T 4, 86 f. / SKS 23, 32). 810 Vgl. NB15:46 (T 4, 86 f. / SKS 23, 32). 811 NB15:46 (T 4, 86 / SKS 23, 32) [Herv. v. Verf.]. 812 NB15:46 (T 4, 86 / SKS 23, 32). 813 NB15:46 (T 4, 87 / SKS 23, 32). Überlegungen zu einer ,kommenden‘ Gestalt hatte Kierkegaard schon früher notiert, so in NB9:39 (T 3, 159 f. / SKS 21, 218) – allerdings ohne Bezug zur Mitteilung. Mitteilungstheoretisch vorgeprägt ist die Reflexion in NB15:46 aber in einer Stelle der ,Dialektik‘, wo Kierkegaard die Pseudonymität als ,Surrogat‘ eines eigentlich wünschenswerten Sprechens in erster Person auffasst; vgl. Papir 371:1 (DM, 120 / SKS 27, 428), auch schon Papir 366:3 (DM, 101 / SKS 27, 402) und hierzu oben, II.4.2.b) und II.3.2.e).

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

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lichkeit einer anderen Form der Mitteilung ab, die von Anfang bis Ende indirekte Mitteilung wäre. Entscheidend ist nun zweitens, dass Kierkegaard den Unterschied des ,Heterogenitätsgrads‘ auch auf die Möglichkeit einer eigenen direkten Mitteilung bezieht – eben in Abgrenzung zur schlechthin indirekten Mitteilung der absoluten Heterogenität. Dabei ist es aufschlussreich, wie Kierkegaard diese direkte Mitteilung bestimmt: Als Konsequenz seiner nur relativen Heterogenität notiert er nämlich ohne weitere Erläuterung, „dass ich in direkter Mitteilung [den] Mitlebenden die indirekte Mitteilung zeigen kann, die verwendet worden ist.“814 Kierkegaard spricht also nicht – wie fast durchweg in den früheren Journalen – von einer direkten Mitteilung ber sich, sondern von einer direkten Mitteilung ber die indirekte Mitteilung. Das Argument für die Berechtigung zu einer solchen Mitteilung bleibt allerdings einigermaßen unklar. Es liegt nahe, das ,Können‘ als ein ,Dürfen‘ zu lesen und auf Kierkegaards Aufgabe zu beziehen: Weil er nicht die absolute Heterogenität ist, die sich bis zuletzt in der Verborgenheit des Indirekten halten muss, ,darf‘ er die indirekte ,Maschinerie‘ durchleuchten und das Inkognito lüften, ohne seine ,Aufgabe‘ zu gefährden. Unklar bliebe aber dann weiterhin, warum Kierkegaard so prononciert von einer direkten Mitteilung ber das Indirekte spricht und nicht auch die direkte Mitteilung ,ber sich‘ nennt; denn zu einer solchen wäre er nach der eben gegebenen Erklärung gleichermaßen ,berechtigt‘. Es handelt sich bei dieser impliziten Unterscheidung offensichtlich nicht um einen ,logischen‘ Schluss aus dem Begriff der Heterogenität; vielmehr kommt Kierkegaard eher unvermittelt eine Möglichkeit in den Sinn, die er dann mit der Publikation der Wirksamkeit tatsächlich realisieren wird: sich selbst und das ,Persönliche‘ (weitestgehend) außen vor zu halten, und dennoch das Christliche ,öffentlich‘ als das leitende Anliegen seines Werks auszuweisen.815 In jedem Fall zeichnet sich in NB15:46 erstmals, wenn auch nur skizzenhaft, das triadische Modell des letzten Mitteilungsbegriffs ab. Kierkegaard nimmt zwar noch nicht explizit eine Abstufung vor, un814 NB15:46 (T 4, 86 / SKS 23, 32). 815 Es ist im Übrigen nahe liegend, dass auch dieser Gedanke durch die erneute Bearbeitung der ,Dialektik‘ inspiriert ist. Dort hatte Kierkegaard mehrfach die Formel verwendet, ,in der direkten Mitteilung auf die indirekte Form‘ aufmerksam machen zu wollen (vgl. bes. Papir 371:1 (DM, 118 / SKS 27, 426 f.)). Was in der ,Dialektik‘ in struktureller Hinsicht als problematisch erscheint – weil die direkte ,Darstellung‘ der indirekten Mitteilung nicht ihrem ,Gegenstand‘ entspricht –, zeigt sich nun als mögliches Vorgehen in Bezug auf das Werk.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

terscheidet aber bereits zwischen der indirekten Mitteilung der absoluten Heterogenität, seiner eigenen indirekten Mitteilung der frühen Phase und schließlich einer direkten Mitteilung, die diese zweitere beleuchtet. Bemerkenswerterweise findet sich diese erste ,Modellierung‘ des letzten Mitteilungsbegriffs in einer Notiz, die auch Anti-Climacus als neue ,indirekte Mitteilung‘ bezeichnet, welche ,höher‘ stehe als Kierkegaard selbst – und nicht zufällig wird die Bestimmung der absoluten Heterogenität gerade im Blick auf die Einbung schwankend.816 Hier überlagern sich zwei inkongruente Modelle; und Kierkegaard wird sich im Folgenden immer klarer auf die Konzeption der ,höchsten indirekten Mitteilung‘ ausrichten. Die Notiz NB15:46 ist die Keimzelle des ,letzten Mitteilungsbegriffs‘; in ihr liegen alle seine Momente bereit, ohne sich aber schon in einer klaren Struktur auszufächern. Im Anschluss an diese Notiz scheint Kierkegaard wieder die Manuskripte über die Schriftstellerei in die Hand genommen zu haben; und die soeben zitierte Reflexion bestärkt ihn offenbar – wie undeutlich ihre Argumentation auch sein mag – zunächst in der Entscheidung zu einer Veröffentlichung. In NB15:47 diskutiert Kierkegaard einen später nicht verwendeten ,Vorgang‘ zur „Rechenschaft“, und macht erstmals sehr konkrete, technische Angaben zu einer Publikation: Diese Partie solle „auf halben Pagina“ und „mit anderer Schrift“ gedruckt werden817 – eine Veröffentlichung scheint sich unmittelbar anzubahnen. In NB15:49 notiert dann Kierkegaard ausdrücklich, er habe sich „die Sache“ nochmals vorgenommen und benennt den aktuellen Plan zur Publikation: Sie soll die „Rechenschaft“, die „drei Noten“ und den „erste[n] Abschnitt des 816 Dieses Schwanken zeigt sich darin, wie Kierkegaard die ,absolute Heterogenität‘ von der eigenen ,dichterischen Mitteilung‘ der Einbung abgrenzt: „Die absolute Heterogenität wäre, es ganz zu direkter Mitteilung zu machen, aber dann selbst in den Charakter davon zu treten. Denn geschähe dies, dann ist ein Bestehendes absolut durch diesen ungleichartigen Einzelnen gesprengt“ (NB15:46 (T 4, 87 / SKS 23, 33)). Dies widerspricht allerdings der zuvor gegebenen Bestimmung, die ,absolute Heterogenität‘ bleibe bis zum Schluss indirekte Mitteilung. Das Motiv, das hier hineinspielt, ist einmal mehr die existenzielle Reduplikation, das Einstehen für das Gelehrte – angezeigt durch die typische Wendung ,in den Charakter treten‘. Wie des Öfteren überblenden sich hier die beiden einander tendenziell widersprechenden Gestalten des ,absoluten Inkognito‘ und der ,bezeugenden Reduplikation‘, ohne dass Kierkegaard ihre Spannung austrägt. Dasselbe Schwanken zeigt sich auch in der entsprechenden Stelle der ,Dialektik‘, vgl. nochmals Papir 371:1 (DM, 120 / SKS 27, 428). 817 NB15:47 (SKS 23, 34); die Aufzeichnung ist in lateinischer Schrift notiert.

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

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Gesichtspunkts“ umfassen.818 Bei der nochmaligen Einsicht der Manuskripte seien aber „alle meine alten Zweifel“ wieder hochgekommen, und Kierkegaard nennt das Vorhaben, sich „selbst“ zu Lebzeiten „mit anzubringen“, abermals „inkonsequent“ und „ungeduldig“.819 Es ist auffällig, dass Kierkegaard nun wieder von einer Mitteilung über sich selbst spricht und nicht von der eben erwogenen und für möglich befundenen Mitteilung über die indirekte Mitteilung; offenkundig lässt die erneute Beschäftigung mit den Texten die persönliche Frage wieder in den Vordergrund treten. Beide Ebenen werden auch im Folgenden nebeneinander diskutiert und gegeneinander abgewogen. Die genannten ,alten Zweifel‘ gegen eine direkte Mitteilung lassen sich in der Tat kurz darauf nachweisen. In NB15:52 beklagt Kierkegaard, wie so oft in den späten Journalen, das Missverstehen seiner Zeitgenossen; man begreife seinen „Gedanken“ nicht, und noch weniger die Konesequenz, mit der er diesen festhalte.820 Das angefügte Beispiel ist nun eben jener ,alte Zweifel‘ an einer direkten Mitteilung: „Dass ein Msch. darauf verfallen kann, daran zu zweifeln, ob er [das] Recht dazu hat, sich direkt mitzuteilen, ob Gott nicht etwas dagegen hat, weil er ein strengeres Aushalten von ihm fordert, dass er durchdringen muss: ja wer denkt an so etwas.“821 Gegen Ende des Journals, in NB15:113, erwägt Kierkegaard eine ,Lösung‘, die dem schließlichen Vorgehen 1851 schon recht nahe kommt. Die Notiz trägt den Titel „Betreffs der Herausgabe der ,Rechenschaft‘ und der ,drei Noten‘ jetzt“. Kierkegaard erscheint eine solche Publikation gerade deshalb als möglich, weil die „Rechenschaft“ in „ihrer gegenwärtigen Redaktion wesentlich nichts über mich“ enthält.822 Kierkegaard greift mithin auf den Gedanken zurück, den er in NB15:46 mitteilungstheoretisch formuliert hatte: Es lasse sich wohl ,die indirekte Mitteilung in direkter Mitteilung erklären‘ – darin wäre nämlich nicht das ,persönliche Wort‘ über sich enthalten, aber doch die ,Funktion‘ der frühen, pseudonymen Schriften und das im ganzen Werk ,Gewollte‘ offen gelegt. Die 818 NB15:49 (SKS 23, 35); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert. 819 NB15:49 (SKS 23, 35). 820 Vgl. NB15:52 (SKS 23, 37). 821 NB15:52 (SKS 23, 37). 822 NB15:113 (SKS 23, 79); die Aufzeichnung ist längsseitig notiert. Der Grundgedanke ist hier, dass sich Kierkegaards ,Elend‘ nicht darstellen lasse; sei dies aber unmöglich, so dürfe auch seine ,Außerordentlichkeit‘ nicht dargestellt werden, da beides zusammengehöre – und so soll auf das Persönliche ganz verzichtet werden.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

gleiche Tendenz, die direkte Mitteilung zu ,entpersönlichen‘, spricht sich auch in der Behandlung der „Drei Noten“ aus: Diese könnten bar jeden persönlichen Gehalts in Form von „Theses“ publiziert werden.823 Im Ganzen ist festzuhalten: Der Plan zu einer direkten Mitteilung erfährt in NB15 eine Modifikation, ohne dass diese im Detail argumentativ begründet würde. Erstmals liegt der Fokus darauf, eine direkte Mitteilung zu geben, die allein die indirekte Struktur des Werks beleuchtet – und das ,Persönliche‘ auslässt. Im Journal NB16 (Februar/März 1850), in dem sich nur wenige Notizen zur Frage der Herausgabe finden, kehrt Kierkegaard diesen Gedanken allerdings abermals um. Die wichtigste Notiz NB16:42 mit dem Titel „Über Herausgabe der Schriften über mich selbst“ beginnt, wie vorher schon so oft, mit einem gegenwendigen ,Nein‘: „Auch ,Die Rechenschaft‘ kann jetzt nicht herausgegeben werden.“824 Wieder ist der Angelpunkt der Zusatz des Persönlichen; im Unterschied zum vorhergehenden Journal aber stellt Kierkegaard nun ein „Entweder – Oder“ auf: entweder die Darstellung des Persönlichen nach einem „entscheidenden Maßstab“, oder gar keine Darstellung über sich selbst.825 Weiter heißt es hierzu: „,Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller‘, wie er ursprünglich geschrieben liegt, ist die wahrste Auffassung.“826 Dies ist die letzte explizite Erwägung einer Herausgabe des Gesichtspunkts in den Journalen. Da sich aber wieder die bekannten Zweifel auftun, tendiert Kierkegaard offensichtlich dazu, von jeglicher Herausgabe abzusehen. Entsprechend notiert die andere große Aufzeichnung zu dieser Frage, NB16:46 mit dem Titel „Schriften über mich selbst betreffend“, wieder den ursprünglichen Gedanken, die Schriften würden erst nach seinem Tod ihre rechte Wirkung entfalten.827 Allerdings handelt es sich 823 NB15:113 (SKS 23, 79). Vgl. zur Frage der Publikation der bereitliegenden Schriften auch NB15:63 (T 4, 91 f. / SKS 23, 43), wo Kierkegaard einen möglichen Einwand gegen die pseudonyme Publikation der Einbung Nr. III bespricht. Vgl. auch NB15:92 (SKS 23, 64) und NB15:130 (SS, 155 / SKS 23, 94), wo er die Möglichkeit einer Widmung an Regine erwägt (vgl. hierzu auch SS, 154 / Pap. X 5 B 263). 824 NB16:42 (SS, 169 / SKS 23, 123); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert (die Übersetzung in SS ist unvollständig, enthält aber alle hier wiedergegebenen Stellen). 825 NB16:42 (SS, 169 / SKS 23, 123). 826 NB16:42 (SS, 169 / SKS 23, 123). Kierkegaard verbindet diese Notiz mit ausgreifenden Reflexionen über seine Schriftstellerei im Ganzen und bringt u. a. auch wieder die Frage der „Finanzen“ auf. 827 Vgl. NB16:46 (SS, 169 f. / SKS 23, 126 – 128).

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

425

auch dabei nicht um ein definitives Ergebnis – die Sache bleibt vorerst unentschieden, und die Notiz NB16:61 gruppiert sich um ein hervorgehobenes „vielleicht“: Kierkegaard greift den Gedanken aus NB15:113 auf, die ,Drei Noten‘ könnten „vielleicht ganz einfach in Theses verwandelt werden, so dass kein Wort über mich selbst“ gesagt würde.828

b) Die Debatte um Martensens Dogmatik als ,Faktor‘ der Mitteilungsreflexion – NB17 – NB19 In NB17, NB18 und NB19 – d. i. von Anfang März bis Anfang Juni 1850 – finden sich keine expliziten Reflexionen auf die Herausgabe der ,Schriften über sich selbst‘. Nur in NB19:20 und NB19:31 verweist Kierkegaard im Allgemeinen auf die ,fertig liegende Produktivität‘ (auch die Einbung ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht erschienen), beschränkt sich aber auf Rückblicke und formuliert keinen neuen Plan zur Veröffentlichung.829 Auch umfänglichere Überlegungen zur Mitteilung bleiben in diesem Zeitraum aus. Allerdings lässt sich anhand eher beiläufiger Verwendungen des Mitteilungsbegriffs ein weiterer ,Faktor‘ aufzeigen, der für den in NB15:46 angedeuteten und dann ab NB20 explizit werdenden ,letzten Begriff‘ der Mitteilung bedeutsam ist: die Debatte im Umfeld von Hans Lassen Martensens Dogmatik. Martensen war neben J. L. Heiberg der prominenteste Vertreter des dänischen Hegelianismus in den 1830er und 1840er Jahren und schon im frühen pseudonymen Werk das – allerdings nicht namentlich genannte – Ziel von Kierkegaards Polemik gegen ,System‘ und ,Spekulation‘;830 1854 sollte er dann zum ,Angriffspunkt‘ des Augenblick-Streits werden. Im Vorwort zu seinem 1849 erschienenen Werk Den christelige Dogmatik [Die christliche Dogmatik] finden sich einige kritische Zeilen, die offenbar, wenn auch gleichfalls ohne Namensnennung, auf Kierkegaard gemünzt sind. Dort grenzt sich Martensen von jenen ab, „die keinen Trieb zu zusammenhängendem Denken empfinden, sondern sich selbst damit zufrieden stellen können, verstreute Gedanken und Aphorismen, Einfälle 828 NB16:61 (SKS 23, 138). Vgl. hierzu auch NB16:8 (SKS 23, 101) mit dem Titel „Ohne Vollmacht“. 829 Vgl. NB19:20 und NB19:20.a (SKS 23, 341 – 343) sowie bes. NB19:31 (T 4, 195 f. / SKS 23, 353). 830 Vgl. hierzu Jon Stewart Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, Cambridge 2003, bes. S. 448 – 523.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

und Eingebungen zu denken“; die Abweisung des Spekulativen in Glaubensfragen sei aber auch dort, wo sie mit der „Paradoxie des Geistreichen“ vorgetragen werde, „ein großes Missverständnis“.831 Kierkegaard macht schon ab NB12 kritische Notizen zur Dogmatik – und zwar nicht zuerst zu dem gegen ihn formulierten Passus, sondern zum Werk im Ganzen.832 Diese ,Auseinandersetzung‘ erhält nun dadurch eine Verschärfung, dass Rasmus Nielsen und Peter M. Stilling 1849/50 Polemiken gegen Martensens Dogmatik publizieren, die erheblich von Kierkegaards Schriften beeinflusst sind und sich gerade auf die zitierte Passage des Vorworts beziehen.833 In der 2. Auflage der Dogmatik, die am 22. Mai 1850 erscheint, kündigt Martensen eine Antwort auf diese Kritik an – er hoffe diese, „wenn Zeit und Gelegenheit vergönnt sind, noch im Laufe dieses Sommers [1850] herausgeben zu können“.834

831 Hans L. Martensen Den christelige Dogmatik, Kopenhagen 1849, Ktl. 653, S. III. Vgl. die (unautorisierte) Übersetzung Hans L. Martensen Die christliche Dogmatik, aus d. Dän., Kiel 1850, S. 8 f. In der autorisierten Übersetzung ist das auf die dänische ,Situation‘ zielende Vorwort ersetzt worden, vgl. Hans L. Martensen Die christliche Dogmatik, vom Verf. selbst veranst. dt. Ausg., Berlin 1856, S. III-VIII. 832 Vgl. die ersten Notizen hierzu, NB12:14 (T 3, 267 / SKS 22, 153) und NB12:16 (T 3, 267 f. / SKS 22, 154). Auf Martensens Kritik geht Kierkegaard explizit erst in NB13:49 (SKS 22, 304 f.) ein. 833 Vgl. Rasmus Nielsens Mag. S. Kierkegaards „Johannes Climacus“ og Dr. H. Martensens „Christelige Dogmatik“. En undersøgende Anmeldelse [Mag. S. Kierkegaards „Johannes Climacus“ und Dr. H. Martensens „Christliche Dogmatik“. Eine untersuchende Anzeige], Kopenhagen 1849, Ktl. 701; Peter M. Stilling Om den indbildte Forsoning af Tro og – Viden, med særligt Hensyn til Prof. Martensens „christelige Dogmatik“. Kritisk-polemisk Afhandling [Über die eingebildete Versöhnung von Glauben und – Wissen, mit besonderer Rücksicht auf Prof. Martensens „christliche Dogmatik“. Kritisch-polemische Abhandlung], Kopenhagen 1850, Ktl. 802. – Vgl. zu dieser Debatte Curtis L. Thompson „Hans Lassen Martensen: A Speculative Theologian Determining the Agenda of the Day“ in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Bd. 2, S. 229 – 266; Stewart „Rasmus Nielsen: From the Object of ,Prodigious Concern‘ to a ,Windbag‘“, S. 179 – 213; Carl Henrik Koch „Peter Michael Stilling: As Successor? ,Undeniably a Possibility‘“ in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Bd. 1, S. 289 – 302. Vgl. zur Bedeutung Magnús Eírikssons in diesem Zusammenhang Gerhard Schreiber „Magnús Eíriksson: An Opponent of Martensen and an Unwelcome Ally of Kierkegaard“ in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Bd. 2, S. 49 – 94. 834 Hans L. Martensen „Forord til andet Oplag“ [Vorwort zur zweiten Auflage] in ders. Den christelige Dogmatik [Die christliche Dogmatik], 2. Aufl., Kopenhagen 1850 [1849], S. VI. Vgl. hierzu SKS K23, 363 – 366.

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

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Kierkegaard hat zwar Nielsens und Stillings ,Angriff‘ offensichtlich ebenso wenig gebilligt wie deren Anleihen bei seinen Schriften.835 Er hat sich aber auf eine womöglich notwendige Reaktion auf Martensens ,Gegenkritik‘ vorbereitet – und dies gerade unter Verwendung mitteilungstheoretischen Vokabulars. Nachdem Kierkegaard in NB18:30 kurz auf das Vorwort zur 2. Auflage eingeht und die eben zitierte Ankündigung der „Scheinheiligkeit“ zeiht,836 findet sich in NB18:58 von Ende Mai 1850 eine scharfe Replik, „die ich versucht sein könnte zu machen“. Dort heißt es, bezüglich des Vorworts zur 1. Auflage: Da „das Bestehende“ so stark ist, dass Prof. Martensen meint, mit zwei Zeilen in einem Vorwort meine ganze Wirksamkeit als Schriftsteller abfertigen zu können, so wird es wohl meine Pflicht, den Dämpfer des Spaßes und den Ableiter des Indirekten, welchen ich bis jetzt, mich selbst und andere schonend, im Verhältnis zu meiner Mitteilung angebracht habe, fortzunehmen und direkt vorzugehen […]. Also direkt: die ganze Verkündigung des Xstentums, wie sie jetzt zu hören ist, lässt eigtl. das Wesentliche im Xstt. aus. Und um es ganz direkt zu machen: Prof. Martensens Wirksamkeit bedeutet eigtl., in aller Torheit das Xstt. zu verraten und abzuschaffen.837

Das hier angedachte Heraustreten aus der indirekten Mitteilung hat den Charakter des direkten, polemischen Angriffs auf das Bestehende – die indirekte Mitteilung selbst hingegen erscheint als ableitende, dämpfende und schonende Verhüllung. Bemerkenswerterweise macht nun Martensen in seiner Reaktion auf die Polemiken Nielsens und Stillings in den Dogmatiske Oplysninger [Dogmatische Erläuterungen], die kurz darauf Anfang Juni erscheinen, selbst die Mitteilungsfrage zum Thema. Martensen behandelt hier mit einiger Vorsicht838 Kierkegaards Schriften – aus denen besonders Nielsen 835 Vgl. NB19:37 (SKS 23, 357), zu Nielsen bereits NB17:7 (SKS 23, 169 f.) und NB17:71 (SKS 23, 215 – 218). 836 NB18:30 (SKS 23, 270); vgl. auch NB18:26 (SKS 23, 266), wo Kierkegaard en passant auf das „stutzerhafte Vorwort“ zur 1. Auflage Bezug nimmt. 837 NB18:58 (SKS 23, 289). Vgl. auch Kierkegaards Entwürfe zu Stellungnahmen in dieser Streitsache in Pap. X 6 B 103 – 134; davon beziehen sich Pap. X 6 B 133 f. direkt auf das Vorwort der 2. Auflage. 838 Martensen schreibt am 1. April 1850 in einem Brief an seinen Schüler Gude (auf den später noch einzugehen ist), er wolle das „Verhältnis zu K. so neutral wie möglich“ halten und diesen keinesfalls direkt angreifen (Biskop H. Martensens Breve. Breve til L. Gude [Bischof H. Martensens Briefe. Briefe an L. Gude], Bd. 1 – 3, hrsg. v. Bjørn Kornerup, Kopenhagen 1955 – 1957, hier Bd. 1, 1955, S. 8 f., übers. nach SKS K23, 363 f.).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

die ,Munition‘ für seinen Angriff genommen hatte – und bemerkt, er habe eine nur geringe und „fragmentarische“ Bekanntschaft mit diesem Werk, was auch darin begründet liege, dass ich […] weniger empfänglich für eine experimentierende Darstellung der höchsten Wahrheiten bin, und meine Belehrung betreffs dieser Wahrheiten vornehmlich bei solchen Verfassern suche, die die direkte Mitteilung anwenden. Zum Glück hat sich ja auch das Christentum nicht der experimentierenden, sondern der direkten Mitteilung bedient, mit welcher es seit alter Zeit dem Bedürfnis der Menschen entgegengekommen ist.839

Eben diese Passage dient nun als Katalysator für die Formulierung des ,letzten Begriffs‘ der Mitteilung, konfrontiert sie doch Kierkegaard mit einer Doppeldeutigkeit des Ausdrucks ,direkte Mitteilung‘. Besonders Nielsen hatte sich in seiner Polemik gegen Martensen vornehmlich auf die Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift bezogen, und Martensens Antwort hält sich gleichfalls in diesem Horizont. Damit kommt aber eine Bedeutungsnuance auf, die in Kierkegaards Journalreflexion der letzten Jahre kaum mehr gegenwärtig gewesen ist: Der Terminus ,direkte Mitteilung‘ war in der Nachschrift 1845/46 als Synonym für das ,existenzvergessene‘ spekulative Denken und gerade auch in polemischer Absicht gegen Martensens Hegelianismus verwendet worden.840 Damit erhält das ,Problem‘ einer ,direkten Mitteilung über sich‘ für Kierkegaard einen Auszug mehr: Eine solche liefe nämlich Gefahr, mit der direkten Mitteilung im Sinne Martensens verwechselt zu werden. Dieser ,Anstoß‘ trifft Kierkegaard allerdings nicht unvorbereitet: Gegen Martensens hier geäußerte Auffassung, das Christentum sei ,direkte Mitteilung‘, steht ja schon die gesamte Gedankenentwicklung der – wohlgemerkt immer noch nicht publizierten – Einbung Nr. II, auf die Kierkegaard noch kurz zuvor in NB15:38 verwiesen hatte. Auch in NB17 findet sich Ende März/Anfang April 1850 noch zweimal der Satz, das Christentum sei keine „Lehre, sondern eine Existenz-Mitteilung“.841 In NB19:7 nennt Kierkegaard erstmals explizit die Oplysninger, 842 und in NB19:22.a weist er mit offensichtlichem Bezug auf diese Schrift die Rede 839 Hans L. Martensen Dogmatiske Oplysninger. Et Leilighedsskrift [Dogmatische Erläuterungen. Eine Gelegenheitsschrift], Kopenhagen 1850, Ktl. 654, S. 13. Vgl. hierzu auch SKS K23, 462 f. und Bejerholm, „Meddelelsens dialektik“, S. 208. 840 Vgl. nochmals Stewart Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 448 – 523. 841 Vgl. NB17:30 (SKS 23, 184) und NB17:33 (SKS 23, 186). 842 Vgl. NB19:7 (SKS 23, 333 f.). Bemerkenswerterweise geht Kierkegaard abermals nicht direkt auf Martensens Äußerungen zu den pseudonymen Schriften ein, sondern reflektiert zunächst dessen Behandlung Stillings.

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

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von dem Christentum als „direkte Mitteilung“ mit drastischen Worten ab.843 Auch mag die öffentliche Auseinandersetzung mit dazu beigetragen haben, dass Kierkegaard im August 1850 endlich beschließt, die Einbung herauszugeben.844 In einer wohl kurz vor dem Druck notierten, aber dann nicht aufgenommenen Anmerkung zu dieser Schrift heißt es mit explizitem Verweis auf die Oplysninger: Falls die Szene in der Ewigkeit wäre, nicht in der Konfusion der bestehenden Christenheit, dann würde Prof. Martensen unbedingt seinen Abschied einzig und allein für die kleine Äußerung (in seinen dogmatischen Erläuterungen) bekommen, die er mit einer beinahe unglaublichen Sicherheit hinwirft: glücklicherweise ist das Christt. direkte Mitteilung. Unglücklicherweise beweist nämlich diese Äußerung absolut, dass Prof. M. die Pointe im Chrsttum absolut verfehlt hat.845

Von hier aus wird Kierkegaard den Begriff der Mitteilung nochmals überdenken – und zwar auf der Linie, die sich in der ,absoluten Heterogenität‘ von NB15:46 angedeutet hatte: Kierkegaard sieht sich genötigt, die Unterordnung der indirekten Mitteilung, die in den ,direkten Mitteilungen‘ über die Schriftstellerei zum Ausdruck kommt, zu modifizieren.

843 Vgl. NB19:22.a (T 4, 187 / SKS 23, 344). – Auf diese hochinteressante Konstellation kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Bemerkenswert ist in jedem Fall, dass Martensen in den Oplysninger durchweg zwischen Kierkegaard (bzw. den Pseudonymen) und seinen ,Nachfolgern‘ unterscheidet. Dabei hat es den Anschein, dass Martensen Kierkegaard selbst – und sei es nur aus ,strategischen‘ Gründen – eine (eingeschränkte) Berechtigung in Bezug auf das persönliche Glaubensverhältnis einräumen möchte (vgl. bes. Martensen Dogmatiske Oplysninger, S. 12). Kierkegaard notiert dies seinerseits auch in NB19:65 (SKS 23, 372), meint aber, Martensen habe diesen Gedanken nicht konsequent festgehalten; er wirft ihm überdies vor, nicht die Gelegenheit genutzt zu haben, die „Misslichkeit“ in der Verwendung der Pseudonyme durch Nielsen und Stilling zu benennen (NB19:37 (SKS 23, 357)). In der Tat aber lassen sich die Oplysninger genau so lesen, schreibt doch Martensen, er habe „angenommen, dass diese Schriften [die Pseudonyme] sich in eine ganz andere Richtung bewegten als die von Pr. Nielsen eingeschlagene“ (Martensen Dogmatiske Oplysninger, S. 12). Vgl. Kierkegaards Entwürfe zu einer polemischen Replik auf die Oplysninger in Pap. X 6 B 135 – 143. 844 Vgl. NB20:120 (T 4, 219 f. / SKS 23, 457), wo es heißt, das Manuskript sei an die Druckerei versandt worden. 845 Pap. X 5 B 54. Diese Bemerkung ist wohl mit größerer Wahrscheinlichkeit parallel zum Journal NB20 zu datieren; aus inhaltlichen Gründen wird sie an dieser Stelle angeführt.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

c) Nachschrift vs. „Rechenschaft“ und die indirekte Mitteilung als ,höhere‘ Form – NB20 In NB20 finden sich wieder eine Reihe mitteilungstheoretischer Reflexionen – zumeist bezüglich der Schrift ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller, deren Titel hier erstmals notiert wird, aber unter sichtbarem Einfluss der Debatte um Martensens Dogmatik. Eine erste Spur hinterlässt diese Debatte in der wichtigen Notiz NB20:5 aus dem Juli 1850. Die Tatsache, dass insbesondere Rasmus Nielsen in seiner Polemik gegen Martensen die Nachschrift ins Zentrum stellt und mithin die indirekte Mitteilung öffentlich vor allem bezüglich dieses Werks diskutiert wird, hat Kierkegaard offenbar dazu veranlasst, seine eigenen, bereitliegenden direkten Mitteilungen – und insbesondere die „Rechenschaft“ – mit der früheren Konzeption zu vergleichen. In NB20:5 gibt nun Kierkegaard die ausführlichste Gegenüberstellung der beiden Mitteilungskonzeptionen, deren Differenz im Zentrum dieser Untersuchung zum „Begriff der Mitteilung“ steht. Dass der Vergleich allerdings von den spteren Schriften her formuliert wird, zeigt sich schon in Kierkegaards Ansatzpunkt: Er nimmt nämlich nicht den Begriff der Mitteilung selbst in den Blick, sondern die Stellung des Verfassers zum Werk – offensichtlich nach wie vor die entscheidende Frage. Kierkegaard zitiert hier zunächst die Bemerkung aus der ,Ersten und letzten Erklärung‘ über die Unmöglichkeit eines ,privaten Verhältnisses zu einer doppeltreflektierten Mitteilung‘.846 Dieser Passus stehe, so notiert Kierkegaard, offensichtlich im Widerspruch etwa zur „Rechenschaft“, in der ja „direkt über die Pseudonyme gesprochen“ und „der durch das Ganze leitende Gedanke nachgewiesen“ werde.847 Damit ist in der Tat eine zentrale Differenz der Mitteilungsbegriffe von 1845/46 und 1848/49 benannt. Kierkegaards Zurückweisung dieses Einwandes lautet nun folgendermaßen: Einerseits sei es möglich, dass beide Auffassungen wahr seien, „weil ich nämlich damals nicht weiter in [der] Entwicklung war, mich noch nicht in dem definitiven Gedanken der ganzen Produktivität verstanden hatte“.848 Kierkegaard argumentiert also nicht von der Struktur der indirekten Mitteilung, sondern allein von seiner eigenen Entwicklung her. Andererseits aber wendet Kierkegaard ein, „dass ich ja auch in den Schriften über meine Wirksamkeit als Schriftsteller nicht direkt über die 846 Vgl. AUN2, 340 / SKS 7, 570 und oben, II.1.5. 847 NB20:5 (T 4, 205 / SKS 23, 392). 848 NB20:5 (T 4, 205 f. / SKS 23, 392).

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

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Pseudonyme spreche oder mich mit den Pseudonymen identifiziere, sondern bloß deren Bedeutung als Maieutik aufweise“. Und schließlich notiert Kierkegaard, er hebe hervor, dass er erst „jetzt“ in dieser Weise verstehe; keineswegs habe er „das Ganze von Anfang an überschaut“, ebenso wenig wie er „sagen darf, dass ich gleich verstanden habe, dass das tekor des Pseudonymen Maieutik war“.849 Diese Zurückweisung des ,Widerspruchs‘ ist ebenso aufschlussreich wie unbefriedigend. Auf der einen Seite vermag sie nämlich den Einwand, der in dem Vergleich liegt, nicht letztlich zu entkräften, ja sie scheint auf die spezifische Problemstellung der ,Ersten und letzten Erklärung‘ gar nicht einzugehen. Für den Kierkegaard von 1850 bestünde ein ,Problem‘ offenbar erstens in der Behauptung, die Struktur des Ganzen von Vornherein überblickt zu haben; und zweitens in einer direkten Identifikation seiner selbst mit den Pseudonymen. Dies entspricht aber nicht vollständig der Perspektive der ,Ersten und letzen Erklärung‘. Ihr geht es vielmehr darum, dass die Pseudonyme für sich stehen und ihre Bedeutung in sich selbst bzw. in der jeweiligen Aneignung des Lesers haben sollen – und gerade nicht in der Auffassung des Autors. Ob also die ,Meinung‘ des Verfassers von vornherein als Plan angelegt ist oder sich erst nachträglich einstellt, ist in ihrem Horizont nicht relevant. Gravierender noch: Kierkegaard weist in der ,Ersten und letzten Erklärung‘ nicht nur ein privates Verhältnis des Verfassers zum Werk zurück, er schreibt auch ausdrücklich, er selbst habe „keine Meinung“ über die Pseudonyme „außer als Dritter“ und „kein Wissen um ihre Bedeutung außer als Leser“.850 Der Nachweis, dass die ,Bedeutung‘ und das ,tekor‘ der Pseudonyme in der Maieutik liege, wird aber in der „Rechenschaft“ nicht aus der Perspektive eines Dritten oder eines Lesers geführt, sondern aus der des Autors; sie ist gerade nicht als mçgliche Erklärung des Werks ,von außen‘ formuliert, sondern als definitive Bestimmung, wie dieses zu lesen sei.851 In der Tat kann also Kierkegaard den Eindruck nicht widerlegen, die „Rechenschaft“ sei jenes Wort „in meinem eigenen Namen“, das er in 849 NB20:5 (T 4, 206 / SKS 23, 393). Die unmittelbar folgende Eintragung NB20:6 (SKS 23, 393) notiert übrigens das spätere Motto der Wirksamkeit von Gerhard Tersteegen. 850 AUN2, 340 / SKS 7, 570 [Herv. v. Verf.]; auch diese Wendungen werden vollständig in NB20:5 zitiert. 851 Dass die Maieutik das Ziel der Pseudonymität sei, stimmt übrigens mit der Wirksamkeit nicht überein und ist auch sachlich nicht plausibel. Es müsste vielmehr heißen, die Pseudonymität sei als solche Maieutik, das Ziel hingegen das Christliche bzw. das ,Hinkommen zur Einfalt‘.

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

der ,Ersten und letzten Erklärung‘ „die anmaßende Selbstvergessenheit“ nennt, die, „dialektisch gesehen, es verschuldete, im Wesentlichen die Pseudonyme vernichtet zu haben.“852 Auf der anderen Seite aber macht gerade das letzte Argument Kierkegaards, er verstehe das Ganze erst jetzt, die retrospektive Aneignung des Werks deutlich, die in den ,Schriften über die Schriftstellerei‘ liegt. Kierkegaard meint zwar, rückblickend besser und die Struktur des Werks überhaupt erst in wesentlichem Sinne zu verstehen; der Verweis auf die eigene ,Entwicklung‘ deutet aber unter der Hand die perspektivische Gebundenheit auch dieses Verstehens an. So erscheint die hier notierte Identifikation von ,Pseudonymität‘ und ,Maieutik‘ in einer aufschlussreichen Perspektive: Offenbar ist diese nicht unmittelbar und aus sich heraus gegeben, sondern hängt wesentlich von der ,Entwicklung‘ und der ,Position‘ des Autors ab. Auf diesen Gedanken wird Kierkegaard in NB22:17 zurückkommen. Mag Kierkegaards Widerlegung des ,Widerspruchs‘ auch nicht durchweg überzeugend sein – dass er das werkimmanente Problem einer retrospektiv-direkten Mitteilung über das Indirekte selbst gesehen und reflektiert hat, ist in jedem Fall bemerkenswert. Mehrere Notizen in NB20 bedenken in der Folge wieder die Möglichkeit einer Publikation der bereitliegenden Werke: In NB20:12 wird einmal mehr die Entstehungsgeschichte des Pseudonyms AntiClimacus reflektiert;853 und in NB20:34 wägt Kierkegaard nochmals die Frage ab, ob er die Werke nicht doch erst nach seinem Tod herausgeben lassen solle. Dabei bezieht sich Kierkegaard offenbar insbesondere auf die ,Schriften über sich selbst‘, notiert er doch, es würde „meinen Genius betrüben, dass ich selbst direkt darüber sprechen soll, welch Außerordentliches mir vergönnt gewesen ist.“854 Hier zeichnet sich aber auch die Gegenbewegung zum ,Todesgedanken‘ ab: Stirbt er nämlich nicht, so heißt es weiter, dann müsse er mit der Herausgabe beginnen. Mit diesem Argument vermerkt dann Kierkegaard auch etwa Mitte August 1850 in NB20:120, die Einbung sei an die Druckerei geschickt worden: „Soll ich hingegen leben, dann ist kein Augenblick zu versäumen“.855 852 AUN2, 340 / SKS 7, 570; auch diese Passage in NB20:5. 853 Vgl. NB20:12 (SKS 23, 396 f.). 854 NB20:34 (SKS 23, 411); in NB20:70 (SKS 23, 432 f.) kommt Kierkegaard nochmals auf den Gedanken der Einbung zurück, die Verweigerung der direkten Mitteilung fordere den Glauben. 855 NB20:120 (T 4, 219 / SKS 23, 457); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert.

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

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Damit ist nur noch die Frage nach einem ,Wort über sich selbst‘ offen. In NB20:160 von Ende August/Anfang September 1850 notiert Kierkegaard diesbezüglich, er habe sich „in diesen Tagen“ mit der „Herausgabe von ,Über meine Wirksamkeit als Schriftsteller‘“ beschäftigt – erstmals wird hier der Titel dieser gut zwölf Monate später erscheinenden Schrift genannt.856 Die folgende Notiz hält aber fest, das Werk müsse „noch zurückgehalten werden“, es komme sonst der Einbung zu nahe.857 Grundstzliche Einwände gegen eine Publikation werden nicht mehr notiert. Wie so oft in den Journalen wird die Entscheidung zur Herausgabe eines Werks recht unvermittelt und per decretum getroffen, ohne dass die lange Zeit bedachten Zweifel ausdrücklich widerlegt worden wären. Offensichtlich hat aber Kierkegaard in der ,Beschäftigung‘ mit der Wirksamkeit den dort formulierten Übergang in die direkte Mitteilung vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Debatte nochmals durchdacht: In der kurz zuvor notierten Eintragung NB20:152 mit dem Titel „Die indirekte Mitteilung“ benennt nun Kierkegaard erstmals explizit den Ansatz des ,letzten Mitteilungsbegriffs‘. Dieser Ansatz wird aber noch nicht konsequent durchgeführt, vielmehr notiert Kierkegaard in der Folge eher kursorische Reflexionen zur Mitteilung ohne klare Struktur und Intention. Die Notiz beginnt mit den Worten: „Es ist nicht so, dass die direkte Mitteilung höher ist als die indirekte. Nein, oh nein.“ Es verhalte sich vielmehr so, dass kein Mensch „auch bloß einigermaßen, geschweige denn sein ganzes Leben lang die indirekte Mitteilung verwenden“ könne.858 Zunächst hat es also den Anschein, dass Kierkegaard eine ,absolut indirekte Mitteilung‘ für wünschenswert, aber angesichts der Begrenzung des Menschlichen für unmöglich hält. Sodann kontrastiert Kierkegaard diese ,Begrenzung‘ aber wieder mit dem Gott-Menschen: Allein dieser sei „lauter indirekte Mitteilung vom Ersten bis zum Letzten“; gebrauche hingegen ein Mensch die indirekte Mitteilung, so sei dies stets „auf die eine od. andere Art etwas Dämonisches, ohne dass dies im schlechten Sinne genommen werden müsste, sondern derart wie z. B. Sokrates.“859

856 NB20:160 (T 4, 223 / SKS 23, 478). 857 NB20:161 (T 4, 223 / SKS 23, 478); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert. 858 NB20:152 (SKS 23, 471). 859 NB20:152 (SKS 23, 472).

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II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Ob allerdings diese ,dämonische‘ Form (gerade im Christlichen) in irgendeiner Weise berechtigt sein könnte, wird nicht ausdrücklich diskutiert. Vielmehr gleitet die Notiz in eine eher lose Reflexion auf sein eigenes Verhältnis zu direkter und indirekter Mitteilung über: Die direkte Mitteilung mache „das Leben auf ganz andere Art leicht“; davon zu unterscheiden sei aber der Fall, in dem jemand „vielleicht selbstisch (also im schlechten Sinne dämonisch) die indirekte Mitteilung gebraucht hätte“ und nun dadurch gedemütigt würde, die „direkte Mitteilung“ verwenden zu müssen.860 Er selbst habe oftmals das Bedürfnis nach direkter Mitteilung empfunden, aber diese sei ihm als ,Schonung‘ erschienen; er habe befürchtet, die direkte Mitteilung „zu frh“ zu gebrauchen, und geglaubt, durch das Sich-Halten im Indirekten womöglich „mehr ausrichten zu können“; und schließlich fällt wieder das Argument, die indirekte Mitteilung sei bei ihm „instinkthaft“ gewesen, weil er im Werkverlauf ,erzogen‘ worden sei, sodass er den „Plan“ nicht von Beginn an direkt hätte angeben können.861 Der Notiz ist abzulesen, wie Kierkegaard die Möglichkeiten und Hindernisse einer Publikation der Wirksamkeit retrospektiv durchdenkt und mithin seinen Ausgangspunkt aus dem Blick verliert. Die Bestimmung allerdings, nach der die indirekte Mitteilung die ,höhere Form‘ darstellt, ist hier erstmals explizit festgehalten und wird im Folgenden weiter entfaltet werden. Bemerkenswert ist im Übrigen eine Parenthese, die Kierkegaard zu seiner eigenen ,Verwendung‘ der direkten Mitteilung notiert: Diese sei „selbst in der Zeit, in der ich sie verwendet“ habe, doch „weit davon entfernt, vollständig durchgeführt zu sein“, und sie sei „auch nur für eine kurze Zeit“ gebraucht worden.862 Es ist nicht gänzlich klar, auf welche ,Zeit‘ Kierkegaard sich hier bezieht: Den Gesichtspunkt und die Wirksamkeit kann er nicht meinen, da er insbesondere die erstere Schrift für eine ,wahre Darstellung‘ seiner selbst hält; zudem spricht Kierkegaard vom ,Gebrauchen‘ im Präteritum und kann damit wohl kaum auf unpublizierte Werke verweisen. Frühere und spätere Äußerungen863 legen nahe, dass Kierkegaard auf die ,direkte Mitteilung‘ der

860 861 862 863

NB20:152 (SKS 23, 472). NB20:152 (SKS 23, 472 f.). NB20:152 (SKS 23, 472). Vgl. die oben in II.4.1.c) zitierte Stelle: „Selbst habe ich in meiner ganzen Wirksamkeit als Schriftst. ein wenig nachgegeben, indem ich seit der Abschl. Nachschrift allein direkte religiöse Mitteilung gesetzt habe“ (NB11:33.c (SKS 22, 27)); vgl. auch die entsprechende Stelle der ,Dialektik‘ (Papir 371:1 (DM,

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

435

drei religiösen Werke von 1847/48 als ,Zwischenphase‘ zwischen der frühen Pseudonymität und den Anti-Climacus-Schriften hindeutet; tatsächlich umfasst deren Erscheinungszeitraum nur ein gutes Jahr. So wird einmal mehr deutlich, wie flexibel die Zuordnungen von direkter und indirekter Mitteilung sind: Obgleich die „Rechenschaft“ Kierkegaard unmittelbar vor Augen steht, wird das dort formulierte Verständnis hier nicht vertreten: dass nämlich die direkte Mitteilung der Erbaulichen Reden parallel zum pseudonymen Werk das Religiöse ,von Beginn an‘ gesichert habe, während das Werk von 1847/48 das ,Ziel‘ der Entwicklung aufweise.

d) Die Wirksamkeit als ,Reduplikation‘ und ,Handlung‘ – NB22 und NB24 Der in NB20 gefasste Plan, die Wirksamkeit zu einem späteren Zeitpunkt zu veröffentlichen, lässt die Mitteilungsreflexion zunächst zurücktreten. Erst zu Beginn von NB22 (etwa Mitte November 1850) nehmen drei kurz nacheinander notierte Aufzeichnungen die Frage in den Blick; dabei wendet sich Kierkegaard wieder der direkten Mitteilung zu. Im Hintergrund steht wohl der Gedanke, die Wirksamkeit nun zu publizieren. Kierkegaard führt eine Reihe von Argumenten pro direkte Mitteilung an – ohne allerdings der in NB20 notierten Auffassung, die indirekte Mitteilung sei die ,höhere‘ Form, unmittelbar zu widersprechen. NB22:13 bedenkt den ,Sonderfall‘ Anti-Climacus. Zwar hatte Kierkegaard anlässlich der Pseudonymsetzung festgehalten, durch diese werde die Darstellung ,dichterisch‘ – an keiner Stelle aber war die Frage nach direkter oder indirekter Mitteilung in Bezug auf die Anti-ClimacusSchriften als solche explizit erörtert worden. Beachtenswert ist nun, unter welchem Gesichtspunkt Kierkegaard diese Frage aufgreift: Anti-Climacus sei „nicht indirekte Mitteilung“, weil nämlich „ein Vorwort von mir“ dabei sei; das Indirekte bestehe hingegen darin, „dialektische Gegensätze zusammenzusetzen – und dann nicht ein Wort über das persönliche Verständnis.“864 Kierkegaard bezieht sich hier offenkundig allein auf die

121 / SKS 27, 429)) sowie die unten II.4.3.e) genannten Stellen aus der Polemik gegen Gude und NB27:59. 864 NB22:13 (SKS 24, 113). Hier fügt Kierkegaard wieder hinzu, das „Mildere in der direkteren Mitteilung“ liege darin, dass der „Mitteiler“ ein „Bedürfnis“ emp-

436

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Einbung und nicht auf die Krankheit zum Tode. Auch das über die indirekte Mitteilung Gesagte entspricht ganz dem, was Anti-Climacus in der Einbung unter der Doppelreflexion versteht: einerseits das ,Unsichtbar-Werden‘ des Verfassers, andererseits die Spannung durch qualitative Gegensätze, die den Empfänger in dem offenbar macht, was er ist.865 Dass diese Auffassung die Leitperspektive abgibt, unterstreicht die angefügte Marginalie: Auch wenn es sich bei der Einbung „solcherart nicht [um] indirekte Mitteilung“ handele, so könne sie doch ein „Fragezeichen für ein Bestehendes“ abgeben, sodass dieses durch seine Antwort ,offenbar‘ werden müsse.866 Hier zeigt sich einmal mehr, dass Kierkegaards späte Reflexionen die Mitteilung vornehmlich unter der Perspektive der Reduplikation betrachten – nämlich in Bezug auf die Frage, ob und wie der Mitteiler ,mit dabei‘ ist. Bemerkenswert ist weiterhin, dass Kierkegaard sich von einem der ,triadischen‘ Modelle der Mitteilung nun offenbar endgültig verabschiedet: Ist nämlich Anti-Climacus nicht indirekte Mitteilung, dann kann Kierkegaards eigene direkte Mitteilung nicht mehr zwischen ,niedrigerer‘ und ,höherer‘ indirekter Mitteilung resp. Pseudonymität stehen. Anti-Climacus wäre dann ein ,Sonderfall‘ der direkten Mitteilung – weil das Vorwort auf Kierkegaards eigene Stellung hindeutet. Diese Bewegung in Richtung der direkten Mitteilung zeigt sich auch in der Aufzeichnung NB22:16 mit dem Titel „Indirekte Mitteilung und mich betreffend“.867 Hier zeigt sich, wie Kierkegaard das Modell des ,letzten Mitteilungsbegriffs‘ – dass nämlich die indirekte Mitteilung grundsätzlich höher stehe – in Bezug auf den eigenen Fall auch derart modifizieren kann, dass es seine direkte Mitteilung rechtfertigt. Kierkegaard hält zunächst nochmals fest, er sei kein „Lehrer“, der die ganze Entwicklung „ursprünglich“ von Beginn an überschaut und dann „bewusst an jedem Punkt die indirekte Mitteilung verwendet“; vielmehr sei er selbst „unter der Produktivität entwickelt“ worden.868 Dieses Argument hatte Kierkegaard in den früheren Journalen zumeist gegen eine direkte Mitteilung vorgebracht: Aus den genannten Gründen könne er, so hieß es zumeist, das Werk nicht im Ganzen als seine ,Absicht‘ übernehmen.869 Hier aber

865 866 867 868 869

finde, „persönlich verstanden zu werden“; das „Indirekte“ hingegen sei „lauter Spannung“. Vgl. EC, 127 f. / SKS 12, 137 und oben, II.3.5.b). NB22:13.b (SKS 24, 113). NB22:16 (SKS 24, 114). NB22:16 (SKS 24, 114). Vgl. z. B. NB10:192 (SKS 21, 360).

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

437

setzt Kierkegaard einen anderen Akzent, nämlich in der Bewertung seiner direkten Mitteilung: „Daher kommt es, dass meine indirekte Mitteilung niedriger ist als die direkte“.870 Offenbar steht hier der Gedanke im Hintergrund, die indirekte Mitteilung sei ,eigentlich‘ die höchste Form – sonst wäre nicht verständlich, weshalb Kierkegaard seinen eigenen Gebrauch des Direkten meint rechtfertigen zu müssen. Kierkegaard nimmt gleichsam die beiden ,niedrigeren‘ Hierarchiestufen innerhalb der Triade des letzten Mitteilungsbegriffs in den Blick: seine indirekte Mitteilung und seine direkte Mitteilung. Dabei steht die direkte Form insofern höher, als Kierkegaard – im Unterschied zu der nicht genannten ,absoluten Heterogenität‘ – die Aufgabe nicht von vornherein überblickt hat; die direkte Mitteilung gibt hier gleichsam eine ,Klärung‘, die im Fall einer planvoll durchgeführten indirekten Mitteilung nicht notwendig wäre. Auch in dieser Auffassung zeigt sich die Verabschiedung des ,triadischen‘ Anti-Climacus-Modells: Von einer ,höheren‘, ,dichterischen‘ indirekten Mitteilung durch das neue Pseudonym ist nicht mehr die Rede. Die Beweglichkeit in der Verwendung der Termini ,direkte‘ und ,indirekte‘ Mitteilung zeigt sich ebenfalls – wenn auch auf andere Weise – in der folgenden Notiz NB22:17; hier spricht Kierkegaard wieder von „meine[r] direkte[n] Mitteilung“.871 Kierkegaard klärt nochmals die Konzeption der „Rechenschaft“ und verwendet beide Begriffe offenbar in doppelter Valenz: Die dort verwendete direkte Mitteilung sei keine „direkte Mitteilung simplement“ – denn als solche wäre sie nicht die erste, sofern „das ganze Erbauliche direkte Mitteilung gewesen ist“.872 Diese ist vielmehr – und darin tatsächlich die erste – „direkte Mitteilung ber die Schriftstellerei, über die ganze Schriftstellerei, eine Schriftstellerei, die aus indirekter Mitteilung mit Hilfe der Pseudonyme, und dann aus direkter Mitteilung im Erbaulichen bestanden hat“.873 Damit ist die direkte Mitteilung zweifach bestimmt: als ,direkte Mitteilung‘ des Erbaulichen, und als ,direkte Mitteilung in zweiter Potenz‘ über das Ganze des Werks. Hier wird also erstmals die spezifische Eigenart einer ,direkten Mitteilung in zweiter Potenz‘ gegenüber einer bloßen direkten Mitteilung deutlich.874 870 871 872 873 874

NB22:16 (SKS 24, 114). NB22:17 (SKS 24, 114). NB22:17 (SKS 24, 114). NB22:17 (SKS 24, 114). Diese Binnendifferenzierung der direkten Mitteilung wird auch in der ,Dialektik der Mitteilung‘ nicht vorgenommen; dort wird allein unterschieden zwischen der indirekten Mitteilung und einer direkten Mitteilung ber diese; vgl. Papir 371:1 (DM, 118, / SKS 27, 426 f.). Ebenso in der ,Heterogenität‘ (vgl. NB15:46 (T 4,

438

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Offensichtlich ist aber die bloße direkte Mitteilung allein nicht hinreichend, und zwar aufgrund der Duplizität des Werks: Indem sie gemeinsam mit den pseudonymen Schriften auftritt, ergibt sich – nach der ,ersten Potenz‘ des Indirekten in diesen – eine ,zweite Potenz‘ des Indirekten, die in der ,Unentschiedenheit‘ der beiden Werkteile liegt. Kierkegaard sagt selbst, „das Direkte“ des Erbaulichen bleibe „indirekt“, solange er sich „nicht direkt über das Ganze erklärt“ habe; denn so bestehe ja doch die Möglichkeit, dass er selbst sich an die Pseudonyme halte – und zwar „nicht als ein Maieutisches“.875 Mit anderen Worten: Erst das reduplizierende Einstehen für das ,Gewollte‘ macht einerseits die direkte Mitteilung des Erbaulichen als solche kenntlich; und zugleich wird andererseits nur auf diesem Weg die maieutische Funktion der pseudonymen, indirekten Mitteilung sichtbar. Ohne dass dies offenbar Folgen für die wenig später veröffentlichte „Rechenschaft“ hätte, weicht diese Formulierung aber von der dort gegebenen deutlich ab: Die zentrale, in NB6 festgehaltene Bedeutung der Erbaulichen Reden, nämlich die ,Gleichzeitigkeit des Religiösen‘ zu sichern,876 ist hier abgeschwcht. Diese allein reichen offenbar nicht hin, um den ,Schwerpunkt‘ des Werks sichtbar zu machen, es bedarf der beglaubigenden Reduplikation des Verfassers.877 Unter der Hand stellt sich aber noch eine andere Konsequenz ein, die Kierkegaard selbst wohl kaum im Blick hat: Sichert nämlich erst die direkte Erklärung des Verfassers die spezifisch maieutische Funktion der Pseudonyme, so heißt dies umgekehrt, dass diese sich aus ihnen selbst keineswegs mit Notwendigkeit ergibt. Man könnte sogar versucht sein, in Anspielung an die ,Erste und letzte Erklärung‘ zu sagen, dass die Pseudonyme den späteren Auftritt des Verfassers, der ihre Bedeutung definitiv festschreibt, ,je eher desto lieber wegwünschen‘878 müssten – um dann selbst als indirekte Mitteilung stehen zu bleiben, die immer mehrere und entgegengesetzte Verständnisse ermöglicht.

875 876 877 878

86 / SKS 23, 32)). Die Stelle der ,Dialektik‘, an der die direkte Mitteilung ber die indirekte mit dem erbaulichen Werk enggeführt wird, macht gleichfalls keine Differenz explizit (vgl. Papir 371:1 (DM, 121 / SKS 27, 429)). NB22:17 (SKS 24, 114) [Herv. v. Verf.]. Vgl. NB6:64 (SKS 21, 48) und ausführlich oben, II.3.4.e); vgl. WS, 6 / SKS 13, 14 f. In NB23 wird der Begriff der Reduplikation auch mehrfach wieder in eben diesem Sinne verwendet – als existenzielles Einstehen für das Gelehrte. Vgl. bes. NB23:171 (SKS 24, 288) und NB23:184 (SKS 24, 293 f.). Diese Formulierung wird in „Eine erste und letzte Erklärung“ verwendet, vgl. AUN2, 341 / SKS 7, 571.

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

439

Im Kontext der späten Mitteilungsreflexion ist an dieser Notiz dreierlei bemerkenswert: Erstens macht Kierkegaard eine Unterscheidung im Begriff der direkten Mitteilung explizit, die sich zuvor angedeutet hatte, aber nicht ausgeführt worden war; diese Unterscheidung macht im Übrigen auch die „Rechenschaft“ selbst nicht. Zweitens ist auffällig, dass wiederum die Bestimmung der ,höheren Pseudonymität‘ Anti-Climacus fehlt. Diese fügt sich allerdings kaum in irgendeine der gegebenen Kategorien: Sie ist weder die Zweideutigkeit der frühen Pseudonymität, gehört auch nicht einfach dem Erbaulichen zu und ist schließlich keineswegs ,direkte Mitteilung über das Ganze‘. Kierkegaard ist es hier um die Notwendigkeit der direkten Mitteilung durch die Publikation der Wirksamkeit zu tun – und für diese hat offensichtlich die Anti-Climacus-Frage geringere Bedeutung. Drittens schließlich ist – wie auch in den vorherigen Notizen – der Begriff der ,höchsten indirekten Mitteilung‘ abgeblendet, wenn auch nicht notwendigerweise vergessen. Es scheint vielmehr so, als würde Kierkegaard diesen Begriff im Hintergrund festhalten, sich aber weiterhin ganz auf die beiden ,niedrigeren‘ und seinen eigenen Fall betreffenden Hierarchien richten: Die Klärung gilt der Höherwertigkeit seiner direkten Mitteilung (in zweiter Potenz) gegenüber seiner indirekten. Nach dieser Klärung wird die Mitteilungsfrage zurückgestellt und erst im übernächsten Journal wieder aufgegriffen. NB24 ist in mitteilungstheoretischer Hinsicht ganz von der Herausgabe von ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller dominiert, die Kierkegaard – ohne dass dies sich zuvor angekündigt hätte – etwa Ende Juni 1851 in NB24:102 knapp anzeigt: „Nun wird gedruckt.“879 Kierkegaard notiert in der Folge die Reaktion Mynsters auf das Werk und einige Anzeigen derselben.880 In der nachträglichen und klärenden Reflexion auf die „Bedeutung dieser kleinen Schrift“881 in NB24:131 vom August 1851 lässt sich nun der deutlichste Beleg für die im ,Weg zum Gesichtspunkt‘ vertretene These finden,882 dass in Kierkegaards Begriff der Reduplikation die eigentliche Motivation zur Abfassung und Herausgabe der ,Schriften über die Schriftstellerei‘ liege. Kierkegaard notiert nun selbst: „Das kleine Buch ist 879 NB24:102 (SKS 24, 383). 880 Vgl. NB24:121 (T 5, 35 f. / SKS 24, 397) sowie NB24:128 (SKS 24, 403 f.) und NB24:155 (T 5, 43 / SKS 24, 422). – In NB24 findet sich auch der letzte ausführliche Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des Pseudonyms AntiClimacus, vgl. NB24:54 (T 5, 13 – 21 / SKS 24, 351 – 357). 881 NB24:131 (SKS 24, 406 f.). 882 Vgl. oben, II.3., bes. II.3.4.d).

440

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

[…] nicht irgendeine Schriftstellerei, eine neue Schriftstellerei, sondern eine Handlung“, eine „intensive Handlung“, eine „Wendung in Richtung von Xstt, und in Richtung von ,Persönlichkeit‘“; und ohne diesen ,Einsatz‘ wäre doch die „ganze Schriftstellerei“ in eine „neue Doktrin“ verwandelt worden.883 Drei Jahre nach seiner ersten starken Formulierung kommt hier wieder das Motiv zum Tragen, das Kierkegaard zur ,Darstellung seiner selbst‘ geführt hat – und zugleich wird deutlich, dass das reduplizierende Einstehen für das Gewollte in Kierkegaards ,Fall‘ bedeutet, es direkt mitzuteilen. Zweifelsohne ist dieser Schritt für Kierkegaard von entscheidender Bedeutung – und in seiner Folge tritt nun tatsächlich der Gedanke einer ,höchsten indirekten Mitteilung‘ zurück. Dies zeigt sich besonders in der Notiz NB24:142 von Ende August/Anfang September 1851, die eine indirekte Mitteilung nicht nur für den eigenen Fall, sondern im Ganzen zurückweist. Kierkegaard bekräftigt in mehreren Durchgängen das ,direkte Einstehen für das Gewollte‘, gerade im Horizont des Christlichen. Zunächst heißt es, die „Misslichkeit“ der indirekten Mitteilung liege darin, dass sie „ja auch [so] verstanden werden könnte, als hielte ich mich wirklich persönlich außen vor“.884 Ließe sich dieses Argument noch allein auf Kierkegaards ,eigenen Fall‘ beziehen, so macht das Folgende deutlich, dass er Grundsätzlicheres im Blick hat: Die „indirekte Methode“ sei „im Verhältnis zum Xstt. nur ein Transitorisches“, denn dieses verkünde ja die „Gnade“ und tendiere dazu, „offenbar zu machen“.885 Gleichwohl ist auch hier das Christentum selbst nicht als ,direkte Mitteilung‘ verstanden. In aller Deutlichkeit trennt Kierkegaard allerdings wieder zwischen dem „Inkognito“ des Gott-Menschen und dem menschlichen Mitteiler: Erstens sei Christus als ,Doppelbestimmung‘ des Göttlich-Menschlichen eben notwendig indirekte Mitteilung, und dieser selbst sage „doch“ auch „direkt, dass er Gott ist“.886 Zweitens aber solle der Christ ihm ja dies nicht „nachmachen“, er solle nicht „der Gott-Msch. sein, sondern den GottMschen verkünden“.887 Drittens schließlich liege die „Misslichkeit“ der „indirekten Methode“ darin, dass sie stets auch der Versuch sein könnte, 883 884 885 886

NB24:131 (SKS 24, 406 f.) [Herv. v. Verf.]. NB24:142 (SKS 24, 414). NB24:142 (SKS 24, 414). NB24:142 (SKS 24, 414). Dies widerspricht allerdings direkt der Einbung, hieß es doch dort, das Inkognito mache alle direkte Mitteilung Christi eo ipso zu indirekter Mitteilung. Vgl. EC, 128 f. / SKS 12, 137 f. und deutlicher noch NB15:38 (SKS 23, 28 f.). 887 NB24:142 (SKS 24, 414).

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

441

„sich dem Leiden für die Lehre zu entziehen“.888 Im Horizont der soeben publizierten Wirksamkeit bleibt nicht nur der Gedanke einer ,höchsten‘ indirekten Mitteilung außen vor; es wird vielmehr eine jede indirekte Mitteilung in Bezug auf das Christliche vehement zurückgewiesen. Und in Übereinstimmung mit der Wirksamkeit heißt es resümierend: „Die indirekte Methode in der Verkündigung des Xstt ist ein Maieutisches.“889 Kierkegaard kehrt hier zu der erstmals in NB6 notierten Auffassung zurück, das Indirekte sei unter christlichen Vorzeichen nur als ,maieutisches Mittel‘ zu gebrauchen – sie fordere aber vom Maieutiker zuletzt das Direkte und das ,Zeugnis‘ als Einstehen für das ,Gewollte‘.890 Es wäre gut denkbar, dass diese Reetablierung des Direkten, der Zeugenschaft und der Reduplikation Kierkegaards ,letztes Wort‘ in Sachen Mitteilung bliebe – hatte sich doch die Frage nach direkter oder indirekter Mitteilung während der letzten drei Jahre vornehmlich an der Publikation der Schriften von 1848 entzündet, die mit Herausgabe der Wirksamkeit nun abgeschlossen ist. Die Konzeption einer ,höchsten indirekten Mitteilung‘ wäre dann eine auf dem Denkweg erwogene, aber nicht weiter verfolgte mögliche Abzweigung. Dass dieser Begriff doch noch einmal ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt und den Schlusspunkt der Mitteilungsreflexion bezeichnet, verdankt sich wohl wesentlich einem ,Anstoß von Außen‘.

e) L. J. M. Gude und die letzte Aufzeichnung zur Mitteilungsfrage in NB27 Mitte Oktober 1851 erscheint anonym eine kleine, etwas mehr als 40 Seiten umfassende Schrift unter dem Titel Om Magister S. Kierkegaards Forfattervirksomhed. Iagttagelser af en Landsbypræst [Über Magister S. Kierkegaards Schriftstellerwirksamkeit. Beobachtungen eines Landpfarrers] – die bis dahin wohl umfangreichste Auseinandersetzung mit Kierkegaards Werk überhaupt.891 Die kleine Schrift, die vornehmlich auf

888 889 890 891

NB24:142 (SKS 24, 415). NB24:142 (SKS 24, 415). Vgl. bes. NB6:68 (T 3, 53 / SKS 21, 51) und ausführlich oben, II.3.4.e). [Ludvig J. M. Gude] Om Magister S. Kierkegaards Forfattervirksomhed. Iagttagelser af en Landsbypræst, Kopenhagen 1851; vgl. SKS K25, 178. Eine eingehende Auseinandersetzung mit diesem Text hat sich in der Forschung nicht nachweisen lassen; vgl. aber Bejerholm „Meddelelsens dialektik“, S. 208 sowie Joakim Garff

442

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller Bezug nimmt, stammt aus der Feder des Martensen-Schülers Ludvig J. M. Gude, und so nimmt es nicht wunder, dass sie die Frage der indirekten Mitteilung ins Zentrum stellt. Insbesondere gegen die in der Wirksamkeit formulierten Bestimmungen des ,Maieutischen‘ und des ,Hineinbetrügens in das Wahre‘ macht Gude geltend, ihr Gebrauch verbiete sich bei einer Mitteilung im Horizont des Christlichen, und lobt demgegenüber die Vorzüge einer direkten Mitteilung.892 Diese ,Auseinandersetzung‘ konfrontiert Kierkegaard mit einer Zweideutigkeit, die sich schon in der Debatte um Martensens Dogmatik 1849/50 abgezeichnet hatte, anlässlich der Publikation der Wirksamkeit aber nicht ausdrücklich reflektiert worden war: Indem diese Schrift die direkte Mitteilung als Ziel der indirekt-maieutischen Bewegung des Werks ausweist, leistet sie der Auffassung Vorschub, die direkte Mitteilung sei letztlich gerade in Bezug auf das Christentum die höhere Form; und so hatte es Kierkegaard ja selbst kurz zuvor in NB24:142 notiert. Nichts deutet zwar darauf hin, dass Kierkegaard gewusst hat, aus wessen Feder die Schrift stammt893 – es wird ihm aber mehr als deutlich gewesen sein, dass die Zurückweisung des Indirekten und das Lob des Direkten dem Umfeld Martensens zugehört. Damit rückt Kierkegaards direkte Mitteilung in einen Zusammenhang, von dem er sich offensichtlich abgrenzen muss. Kierkegaard hat offenbar direkt nach Erscheinen von Gudes Schrift Entwürfe zu einer Polemik notiert,894 und auch hier steht die Frage der Mitteilung im Zentrum.895 Für das Verhältnis von direkter und indirekter Mitteilung sind diese Skizzen höchst aufschlussreich: Hatte Kierkegaard nämlich vor und nach der Publikation der Wirksamkeit die Berechtigung der in ihr gegebenen reduplikativ-direkten Mitteilung hervorgehoben, so findet sich hier wieder der ,letzte Begriff der Mitteilung‘. Im Entwurf ist

892 893 894 895

Sçren Kierkegaard. Biographie, aus d. Dän. v. Herbert Zeichner / Hermann Schmid, München 2004, S. 775 f. Vgl. [Gude] Om Magister S. Kierkegaards Forfattervirksomhed, bes. S. 8, S. 15 f., S. 24 – 31. Vgl. zur Abgrenzung den Entwurf einer Antwort auf Eíriksson (T 5, 384 f. / Pap. X 6 B 82), in der Kierkegaard deutliche Hinweise darauf gibt, dass ihm der ,bürgerliche Name‘ von Theophilus Nicolaus bekannt ist. Vgl. Pap. X 6 B 144 – 161. Erst eine der letzten Notizen nennt eine Anzeige von Gudes Buch, die am 28. 10. 1851 erscheint (vgl. Pap. X 6 B 160); der größere Teil des Entwurfs stammt also noch aus diesem Monat Vgl. im ersten Entwurf Pap. X 6 B 145, p. 203 – 206 sowie den späteren Zusatz Pap. X 6 B 151,8, p. 228 – 231.

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

443

knapp und prägnant dessen ,Hauptsatz‘ notiert: „Indirekte Mitteilung ist die höchste Mitteilung.“896 Insbesondere kritisiert Kierkegaard ein ,Missverständnis‘ Gudes bezüglich der direkten Mitteilung: Er unterscheide nicht zwischen „dem Direkten, das von jedem verwendet wird, [von] Peer und Poul, gewiss auch von mehreren Landpfarrern“, und dem „Direkten, zu dem man hinkommt.“897 Deshalb schließe Gude, das Direkte sei per se höher als das Indirekte – und verfehle damit die Pointe von Kierkegaards Schriftstellerei. Kierkegaard greift auf das bekannte Argument zurück: Das Direkte sei Ausdruck seines ,Erzogen-Werdens‘ und zeige an, dass er „kein Lehrer“ sei – derjenige aber, der „erzogen wird, muss mit dem Direkten enden.“898 Als Gegenbild hält der Entwurf fest: „Aber der Lehrer, im eminenten Sinne ,der Lehrer‘, er ist indirekte Mitteilung im Charakter, und bis zum Letzten.“899 Kierkegaard nennt zwar wieder Christus, will die bis zuletzt durchgehaltene indirekte Mitteilung aber keineswegs auf diesen beschränkt wissen. So verweist er auch auf Sokrates und fügt im Allgemeinen hinzu, die direkte Mitteilung hänge an dem Bedürfnis der Menschen nach einander; aber: „Heroen bedürfen anderer nicht – und bleiben in indirekter Mitteilung, was das Höhere ist.“900 Wieder zeigt sich die Konstellation, dass Kierkegaard zwar seine direkte Mitteilung höher stellt als seine indirekte, aber niedriger als die ,ideale‘ indirekte Mitteilung. Auch findet sich in diesen Entwürfen eine werkgeschichtliche Betrachtung, die von der Wirksamkeit bedeutend abweicht: Kierkegaard geht von dem Gedanken aus, die konsequent indirekte Mitteilung sei „das Über-Menschliche“ – mithin etwas, das über ihn selbst hinausweise. Deshalb sei die Darstellung der Idealität wie auch der indirekten Mitteilung den Pseudonymen in den Mund gelegt worden, zuletzt AntiClimacus in der Einbung. Bemerkenswert ist nun, wie die Wirksamkeit in diesem Zusammenhang eingeordnet wird: Dann kam mein kleines Buch, und ich gab direkte Mitteilung, das heißt, ich erschlaffte die Pseudonyme […].

896 897 898 899 900

Pap. X 6 B 151,8, p. 229. Pap. X 6 B 145, p. 204. Pap. X 6 B 145, p. 204. Pap. X 6 B 145, p. 205. Pap. X 6 B 145, p. 205.

444

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Dann schlug ich ab – die direkte Mitteilung ist ein Niedrigeres. Ich schlug schon nach der Abschl. Nachschrift ab, ich verwendete direkte Mitteilung, und ohne nebenher Pseudonyme zu verwenden.901

Die direkte Mitteilung nicht nur der Wirksamkeit, sondern auch des erbaulichen Werks von 1847/48 soll also gegenüber der pseudonymen Schriftstellerei ein Zurckgehen, ein Nachgeben sein. Das Verhältnis von erbaulichem und pseudonymem Werk wird hier geradezu umgekehrt: Hieß es in Gesichtspunkt und Wirksamkeit stets, die nebenher gehenden Erbaulichen Reden ,sicherten‘ die ,Gleichzeitigkeit des Religiösen‘, so ist hier das direkte Erbauliche ohne pseudonyme ,Begleitung‘ als niedrigere Form der Mitteilung bestimmt. An keiner Stelle des späten Nachlasses notiert auch Kierkegaard so klar wie in dieser Passage die ,Konsequenz‘ der direkten Mitteilung über das Gesamtwerk für die Pseudonyme: Ihnen wird durch den ,Auftritt des Verfassers‘ gleichsam die Spannung genommen.902

901 Pap. X 6 B 151,8, p. 230; vgl. auch die kurze Andeutung in Pap. X 6 B 145, p. 205. Dieser Gedanke ist erstmals explizit notiert in NB11:33.c (SKS 22, 27); vgl. auch die entsprechende Stelle der ,Dialektik‘ (Papir 371:1 (DM, 121 / SKS 27, 429)), wo sich u. a. schon die Formulierung findet, das erbauliche Werk sei ,direkte Mitteilung‘ ohne ,nebenhergehende‘ Pseudonymität. 902 In den weiteren Kontext der Auseinandersetzung mit Gudes Schrift gehören auch die beiden Notizen NB26:7 und NB26:12 vom Juni 1852. In NB26:7 (SKS 24, 14 f.) durchdenkt Kierkegaard die Berechtigung eines Vorgehens, in dem der Mitteiler „maieutisch von sich selbst“ sagt, „kein Christ zu sein“; dabei stellt sich die Frage, ob diese „Taktik bis zum Letzten“ festgehalten werden soll. In mehreren, steigernden Reflexionsschlaufen kommt Kierkegaard immer wieder zu dem Ergebnis, das Christentum fordere schließlich doch ein ,Bekennen‘. Nur im letzten Absatz scheint eine andere Möglichkeit auf: Ein Festhalten am Maieutischen käme nur einem „,Apostel‘“ zu, „aber in ganz neuem Stil“. Ob aber dies „jemals geschehen wird“, lässt Kierkegaard offen. – Die Notiz NB26:12 schließt unmittelbarer an die Schrift Gudes an. Gude hatte auf einen Passus der Literarischen Anzeige hingewiesen, in der Kierkegaard von den ,neuen Führern‘ die Unkenntlichkeit, das Inkognito fordert (vgl. [Gude] Om Magister S. Kierkegaards Forfattervirksomhed, S. 31; vgl. Kierkegaards Replik in Pap. X 6 B 145, p. 206; die gemeinte Stelle ist LA, 114 f. / SKS 8, 101 f.). In NB26:12 (T 5, 81 f. / SKS 25, 20 f.) stellt nun Kierkegaard selbst die Frage, ob die Wirksamkeit nicht zu dieser Forderung im Widerspruch stehe, weist den Einwand aber ab: Da die Christenheit „etwas sehr Wesentliches“ im Christentum auslasse, müsse „in Richtung von Kenntlichkeit markiert werden“; darauf sei er früher noch nicht hinreichend aufmerksam gewesen. Beide Notizen machen also gewissermaßen die ,Gegenbewegung‘ zur Auseinandersetzung mit Gude; der reduplikative Schritt wird wieder in seiner Berechtigung ausgewiesen. – Vgl. in diesem Umfeld auch den

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

445

Dass sich diese Auffassung nicht bloß dem polemischen Angriff verdankt, zeigt die letzte große Journaleintragung zur Mitteilungsfrage, NB27:59.903 Mehr als zwölf Monate später notiert Kierkegaard als letzte Aufzeichnung des Jahres 1852 seine abschließende Reflexion zur Mitteilungsfrage unter dem Titel „ber mich selbst – ber indirekte und direkte Mitteilung“. Zwar gibt die Eintragung keine begrifflich durchgeführte Analyse, sondern eher eine retrospektive Reflexion auf Kierkegaards Verhältnis zur Mitteilungsfrage – dass sie aber auch in größerem Abstand zu der Gude-Polemik die dort notierten Bestimmungen im Wesentlichen festhält, ist in jedem Fall bemerkenswert. Kierkegaard bezieht sich zu Beginn der Aufzeichnung unbestimmt – aber wohl Gude und Martensen meinend – auf „dieses Reden darüber, dass indirekte M. Egoismus oder Mangel an Ernst“ sei, die „direkte Mitteilung“ hingegen „das Wahre“.904 Dem stellt Kierkegaard zunächst die bekannten Argumente entgegen: Die direkte Mitteilung gewinne Menschen und mache so das Leben leichter, die indirekte hingegen sei „anstrengend“, zeitige aber nach dem Tod des Mitteilenden die größere Wirkung, insbesondere in der ,Situation‘ der „Christenheit“.905 Andeutend kommt Kierkegaard hier auf den Gedanken der ,Instanz‘ zurück:906 Die indirekte Mitteilung zeige zudem, dass der Mitteilende nicht – wie eine direkte, nach außen gerichtete Mitteilung – die Mitmenschen zum „Souverain“ mache, sondern sich Gott zuwende.907 Im Gegensatz zu den Aufzeichnungen aus NB24 erscheint die indirekte Mitteilung nun wieder als die einzig angemessene Form in der Mitteilung des Christentums, und dies nicht allein ,situativ‘ oder bezogen auf Kierkegaards Fall, sondern in einer grundlegenden, das Gottesverhältnis des Einzelnen betreffenden Dimension. Von hier aus nimmt Kierkegaard seine eigene Schriftstellerei in den Blick und macht sich selbst den Einwand, er habe ja doch seinerseits „ein wenig direkte Mitteilung“ gegeben.908 Im Rückverweis auf die Journale

903 904 905 906 907 908

langen Rückblick auf die Entwicklung seit 1848 in NB26:14 (T 5, 83 – 86 / SKS 25, 22 – 26). Vgl. zu dieser Aufzeichnung Deuser Dialektische Theologie, S. 36 f. NB27:59 (SKS 25, 172). NB27:59 (SKS 25, 172 f.). Vgl. hierzu die oben, II.4.1.b) zitierte Aufzeichnung NB10:154 (SKS 21, 335). NB27:59 (SKS 25, 173 f.). NB27:59 (SKS 25, 174).

446

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

und die Entwürfe zu Gude909 führt Kierkegaard wiederum die bekannten Argumente an: Einerseits habe er nicht als „Lehrer im Xstt“ begonnen, andererseits habe er „wirklich auch nicht selbst direkt“ sagen können, ob er „Xst war oder nicht“, während er aber beständig als Aufgabe seines Lebens festgehalten habe, „Xst zu werden“.910 Vor diesem Hintergrund gibt Kierkegaard eine doppelte Bestimmung seiner eigenen ,direkten Mitteilung‘: „Derart verstanden ist die direkte Mitteilung, die ich gegeben habe, ein Fortschritt. / In einem anderen Sinne ist sie es nicht, und ich betrachte sie ja auch als ein Abschlagen, eine Akkomodation.“911 Die direkte Mitteilung als Akkomodation – damit ist die einschränkende Bewertung des direkten ,Wortes über sich‘ durch Gesichtspunkt und Wirksamkeit noch klarer, wenn auch knapper bezeichnet als in den Entwürfen gegen Gude. Schließlich skizziert Kierkegaard in dieser letzten Aufzeichnung zur Mitteilungsfrage etwas detaillierter als zuvor das Bild jenes menschlichen Mitteilers, der sich im Ganzen in der indirekten Mitteilung hielte: „Rein ideal“ hätte das, was er selbst „realisiert habe“, so durchgeführt werden müssen, dass jemand von Beginn an das Ganze überblickte und nun mit indirekter Mitteilung begönne. Er würde dann auch die indirekte Mitteilung bis zum Letzten festhalten. Er wäre recht eigtl. der Spion Gottes, während ich zugleich derjenige bin, der erzogen wird. Es ist auch gut möglich, dass eine solche Gestalt kommen wird.912

Damit beschließt Kierkegaard seine Reflexion über das Problem der Mitteilung, und in diesem finalen Kommentar zeigt sich – wenn er auch keine begriffliche Analyse im engeren Sinne enthält – doch wieder die indirekte Mitteilung als die höhere Form, gerade bezüglich des Christlichen. Nur eine einzige knappe Bemerkung zur Mitteilung findet sich noch in den folgenden Journalen. Anfang Mai 1854 notiert Kierkegaard in NB29:7 polemisch, ,seine Sache‘ dürfe keinesfalls Gegenstand einer wissenschaftlichen Debatte werden, und schließt mit einer Bemerkung, die schon auf den Augenblick-Streit vorausweist: „Nein, entweder indi-

909 Kierkegaard verweist hier auch auf die Entwürfe zu „Mynster und Goldschmidt“ (NB27:59 (SKS 25, 174)); in diesen Texten findet sich allerdings keine umfängliche Diskussion der Mitteilung; vgl. Pap. X 6 B 171 – 236. 910 NB27:59 (SKS 25, 174). 911 NB27:59 (SKS 25, 174). 912 NB27:59 (SKS 25, 174).

3. Der ,letzte Begriff der Mitteilung‘

447

rekte Mitteilung – oder im Ernst, wenn es denn wäre, bis auf Leben und Tod. Aber um Alles nicht: wissenschaftliche Diskussion.“913 *** Mehr noch als im ,Weg zum Gesichtspunkt‘ verbietet sich an dieser Stelle ein abschließendes Resümee. Kierkegaards Mitteilungsreflexion kommt zwar in dem hier so genannten ,letzten Begriff der Mitteilung‘ zu ihrem Ende – die zuvor aus NB24 zitierten gegenläufigen Stellen aber machen deutlich, dass es sich dabei nicht um ein ,Finale‘ oder einen ,Abschluss‘ im starken Sinne handelt. Festzuhalten ist in jedem Fall, dass die Neubestimmungen der Mitteilung keineswegs einfach abbrechen, nachdem Kierkegaard 1848/49 den Gesichtspunkt und die Wirksamkeit niederschreibt. Vielmehr zeigt sich, dass das Verfahren der indirekten Mitteilung einer beständigen Reformulierung und Reinterpretation ausgesetzt ist – und diese zugleich ermöglicht. Dass die retrospektive Mitteilungskonzeption der beiden genannten Werke weder Kierkegaards allein gültiges, noch auch sein letztes Wort zur Mitteilungsfrage darstellt, sollte zur Deutlichkeit gekommen sein. Im Horizont von Kierkegaards retrospektiver Selbstverständigung über sich und sein Werk drängt es sich auf, seine Formel ,Rückwärts verstehen – Vorwärts leben‘914 zu der Reflexion auf die Mitteilung ins Verhältnis zu setzen. Bereits 1843 hatte Kierkegaard notiert: Es ist ganz richtig, was die Philosophie sagt, dass das Leben rückwärts verstanden werden muss. Aber darüber vergisst man den anderen Satz, dass es vorwrts gelebt werden muss. Welcher Satz, je mehr man ihn durchdenkt, eben damit endet, dass das Leben in der Zeitlichkeit nie recht verständlich wird, eben weil ich keinen Augenblick vollkommene Ruhe finden kann, um die Stellung: rückwärts einzunehmen.915

Es ist derselbe Existierende, der zugleich vorwärts lebt und rückwärts versteht – und da derart der Prozess des Verstehens nach hinten sich nur im Schritt nach vorne vollzieht, bleibt er für ein Neu- und Andersverstehen stets offen.916 913 NB29:7 (SKS 25, 301). 914 Vgl. hierzu und zum Zusammenhang mit Kierkegaards Retrospektiven: Cappelørn „The Retrospective Understanding of Kierkegaard’s Total Production“, S. 19 – 36. 915 JJ:167 (DSKE 2, 200 / SKS 18, 194). 916 In der fortgesetzten retrospektiven Werk- und Selbstreflexion Kierkegaards liegt einer der zahlreichen fruchtbaren Anknüpfungspunkte für einen Vergleich mit

448

II.4 Der Mitteilungsbegriff nach dem Gesichtspunkt

Nietzsche. Dessen rückblickende Selbst- und Werkbeschreibung wird bekanntlich im Ecce Homo, aber auch in den nachträglichen Vorreden zu seinen frühen Werken formuliert. In der Vorrede zu Menschliches, Allzumenschliches findet sich eine Passage, die das stets interpretierende Verfahren der Retrospektive durch eine Hervorhebung und einen vielsagenden Gedankenstrich beiläufig sichtbar macht: „Es wird keinem Psychologen und Zeichendeuter einen Augenblick verborgen bleiben, an welche Stelle der eben geschilderten Entwicklung das vorliegende Buch gehört (oder gestellt ist –)“ (Nietzsche Menschliches, Allzumenschliches Vorr. 8, KSA 2, S. 22).

Teil III Ironie und indirekte Mitteilung

Orientierende Vorbemerkung In der Untersuchung zum ,Begriff der Mitteilung‘ ist ein bei Kierkegaard prominenter Terminus allenfalls am Rande in den Blick gekommen, der gleichwohl zum indirekten Verfahren in Beziehung steht: der Begriff der Ironie. Tatsächlich hat die Ironie in Kierkegaards expliziter Diskussion der indirekten Methode keine Schlüsselstellung inne. Dies ist vor allem dadurch bedingt, dass die Ironie von einer anderen Konzeption gleichsam ,verdrängt‘ wird, nämlich der Maieutik. Beide Begriffe assoziiert Kierkegaard mit Sokrates; und es ist im Vorhergehenden gezeigt worden, dass die Maieutik erst ab 1846 in zentraler Bedeutung verwendet wird.1 Offenkundig hat dieser neu ,entdeckte‘ Begriff eine stärkere kommunikationstheoretische Valenz als die Ironie, bezeichnet doch die Maieutik unmittelbar das Verhältnis eines Mitteilers zu einem Empfänger bzw. eines Lehrers zu einem Schüler. Da Kierkegaard das indirekte Verfahren eben als Mitteilung bestimmt, nimmt es nicht wunder, dass seine ausdrckliche Diskussion des Indirekten dem maieutischen Aspekt des Sokratischen die größere Aufmerksamkeit widmet. Gleichwohl soll im Folgenden gezeigt werden, dass der Begriff der Ironie das indirekte Verfahren in wesentlichen Hinsichten zu beleuchten vermag. Diese Verhältnisbestimmung vollzieht sich auf allen drei strukturierenden Ebenen der Untersuchung: der systematischen, der geschichtlichen und der exegetisch-werkgeschichtlichen Dimension. In systematischer Hinsicht hat die Diskussion mit der Ironie vornehmlich zum Ziel, den Darstellungsaspekt des Indirekten zu konturieren, der im ,Begriff der Mitteilung‘ noch nicht zur vollen Klarheit gekommen ist: Gerade anhand des Ironiebegriffs lässt sich herausarbeiten, dass die indirekte Form wesentlich Darstellung des Undarstellbaren ist. Mit dieser Bestimmung sieht sich die Untersuchung zugleich in geschichtlicher Perspektive auf eine bestimmte historische Formation verwiesen, die den Begriff der Ironie ausdrücklich in Anspruch genommen hat – nämlich die romantische Ironie. Es ist dabei die leitende These, dass die Methode der indirekten Mitteilung, trotz Kierkegaards nachdrücklicher Kritik am romantisch-ästhetischen Existenztypus, eine wesentliche strukturelle Par1

Vgl. oben, II.3.1.a).

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Teil III – Ironie und indirekte Mitteilung

allele zur romantischen Ironie aufweist. Die Parallele und Verwandtschaft von indirekter Mitteilung und romantischer Ironie besteht in der Ambivalenz einer unabgeschlossenen, gegen sich selbst gekehrten Darstellungsform – und eben darin sind beide wesentlich Darstellung des Undarstellbaren. Die Bewegung beider Denkformen greift auf einen Bereich aus, der jeder letztgültig feststellenden und begreifenden Bestimmung, jeder systematischen Einfassung beständig entzogen bleibt. Romantische Ironie wie auch indirekte Mitteilung vollziehen sich in der gebrochenen Form der Schwebe, 2 als sich selbst zurücknehmende Ansprache einer nur in ihrem und durch ihren Entzug präsenten Sphäre. Allein diese Parallele vermag auch die von der Forschung oftmals konstatierte, aber bislang nicht hinlänglich beleuchtete Tatsache zu erklären, dass Kierkegaard trotz seiner Kritik am romantisch-ästhetischen Existenztypus in den Darstellungsformen der indirekten Methode von den Mitteln romantischer Ironie Gebrauch macht. Mit der Parallelität in der Grundfigur einer Darstellung des Undarstellbaren geht überdies einher, dass beide Methoden als gebrochene Denkformen nicht ihrerseits ungebrochen und in direkter Ansprache darzustellen sind: Indirekte Mitteilung widersetzt sich ihrer Struktur nach einem direkten, systematisierenden Zugriff, ebenso wie romantische Ironie jedem Versuch einer umfassenden, direkten und ,unironischen‘ Bestimmung stets ironisch entgeht. So zeigt sich, dass der für Kierkegaards indirektes Verfahren grundlegende doppelte Rckstoß der Methode in der romantischen Ironie schon vorgebildet ist. Bei der ,Übersetzung‘ von romantischer Ironie in indirekte Existenzmitteilung kommt es allerdings zu einer folgenschweren und weit reichenden Verschiebung. Während nämlich die romantische Ironie gleichsam ,nach oben‘ auf eine übergreifende, aber nur im Modus ihres Entzugs präsente Universalitt hindeutet, zielt das Denken Kierkegaards gleichsam ,nach unten‘ auf die in keiner Darstellung einzuholende Singularitt der Existenz. Ist also für die Romantik das Absolute der Darstellung inkommensurabel, so wird in der Perspektive der indirekten Mitteilung das Einzelne als Inkommensurables avisiert. Mit dieser Transformation gehen weitere, grundlegende Differenzen von indirekter Mitteilung und romantischer Ironie einher; sie betreffen insbesondere die 2

Zu dieser Grundfigur frühromantischen Denkens vgl. Lore Hühn „Das Schweben der Einbildungskraft. Zur frühromantischen Überbietung Fichtes“ in Deutsche Vierteljahrsschrift fr Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 70, 1996, S. 569 – 599.

Orientierende Vorbemerkung

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Reflexionsform der romantischen Ironie als ,unendliche Annäherung‘ an das Universelle, aber auch schon den Ausgangspunkt der romantischen Bewegung in der Einbildungskraft Fichtescher Transzendentalphilosophie, und schließlich ihren Zielpunkt, eine Theorie der Poesie und des Romans. Das Verhältnis von romantischer Ironie und indirekter Mitteilung ist mithin als wesentlich ambivalent auszuweisen. Geschichtlich zeigt sich dabei, dass die romantische Konzeption der Ironie, des Fragments und der schwebend-gebrochenen Form zwar in die Moderne vorausdeutet – als Theorie des (wenn auch entzogenen) Absoluten aber das Anliegen der gleichzeitig anhebenden idealistischen Systemphilosophie bei aller Differenz teilt. Der geschichtliche Abstand Kierkegaards zur idealistischromantischen Epoche im Ganzen wird darin sichtbar, dass die gebrochene Form indirekter Mitteilung auf das Singuläre als Endliches ausgreift, ohne diesen Ausgriff je schon durch eine vorgängige Theorie des Absoluten gesichert zu wissen, sei diese spekulativer oder ironisch-fragmentarischer Art. Um diesen Zusammenhang nun exegetisch fundiert zu erarbeiten, ist in werkgeschichtlicher Perspektive auf diejenige Schrift Kierkegaards zurückzugehen, die sich am ausführlichsten mit der Tradition der Ironie auseinandersetzt: die 1841 eingereichte, verteidigte und publizierte Magisterdissertation ber den Begriff der Ironie mit stndiger Rcksicht auf Sokrates. In der Tat lässt sich hier die zentrale Figur einer Darstellung des Undarstellbaren herausarbeiten, nämlich in der für die Ironie charakteristischen Inkommensurabilität von Innen und Außen. Zugleich aber stellt dieses frühe Werk die mitteilungstheoretische Untersuchung noch vor eine weitere Frage, nämlich die nach der Form der Ironieschrift – in anderen Worten: nach einer möglichen Durchfhrung des Indirekten bereits in der Magisterdissertation. In der Forschung wird unter dem Titel der ,Ironiethese‘ die Auffassung diskutiert, die Ironieschrift selbst sei ironisch angelegt und arbeite untergründig ihrem wissenschaftlich-akademischen Gestus entgegen. Mithin wäre schon die Ironieschrift eine reife Gestalt der indirekten Methode. Die vorliegende Untersuchung verfolgt demgegenüber die These, dass eine konsequent durchgeführte indirekte Form in der Ironieschrift noch nicht vorliegt. Die Schrift enthält zwar ambivalente Zugriffsweisen auf die Ironie, sie spitzt aber ihre immanenten Widersprüche nicht konsequent zu. Vielmehr vermischen sich hier auf unklare Weise Aspekte der späteren indirekten Methode mit eben demjenigen Denken, von welchem sich das indirekte Verfahren entschieden abgrenzen wird,

454

Teil III – Ironie und indirekte Mitteilung

nämlich dem Denken Hegels. Die grundlegende Heterogenität des Werks liegt in der unausgetragenen Spannung zwischen einer ,existenzanalytischen‘ Perspektive, in der die Ironie als Standpunkt bestimmt wird, und einer hegelianisierenden weltgeschichtlichen Optik, in der die historischen Erscheinungsformen der Ironie bewertet werden. Angesichts der späteren Invektiven Kierkegaards und seiner Pseudonyme gegen die ,weltgeschichtliche Distraktion‘ erscheint diese zweite Perspektive der Magisterdissertation zumindest bemerkenswert und ist zu problematisieren.3 In der Ironieschrift selbst droht beständig der existenzanalytische Zugriff von den hegelianisierenden Elementen überlagert und verwischt zu werden. Dabei erscheint gerade auch die am Ende des Werks skizzierte Form einer ,Ironie als beherrschtes Moment‘ als problematisch, sofern sie wesentlich als Vermittlung von Wesen und Erscheinung, von Möglichkeit und Wirklichkeit gedacht wird – und so die Inkommensurabilität von Innen und Außen zurücknimmt. Dass aber diese Inkommensurabilitätsfigur für das indirekte Verfahren des pseudonymen Werks in der Tat zentral ist, soll zum Abschluss dieses Teils an Kierkegaards nächstfolgender und zugleich erster pseudonymer Schrift Entweder/Oder gezeigt werden. Während nämlich die Inkommensurabilität von Innen und Außen in der Ironieschrift allein als Spezifikum ironischer Existenz verstanden wird und zudem von den hegelianisierenden Vermittlungselementen verdeckt wird, so bezeichnet sie im Vorwort von Entweder/Oder den Ansatz- und Ausgangspunkt des pseudonymen Werks im Ganzen. Mit der Skizze zum Vorwort von Entweder/Oder ist zugleich der Übergang zur Durchfhrung der indirekten Mitteilung im folgenden Teil IV gemacht. Das Vorgehen gliedert sich in drei Kapitel: Das erste Kapitel widmet sich der Ironieschrift (Kap. III.1.); auf diese Interpretation aufbauend wird sodann die Parallele und Differenz zwischen romantischer Ironie und indirekter Mitteilung diskutiert (Kap. III.2.). Die Skizze zum Vorwort von Entweder/Oder (Kap. III.3.) bildet, wie angezeigt, den Abschluss und Übergang zum nächsten Teil der Untersuchung.

3

Hierzu ist aus der aktuellen Forschung insbesondere zu vergleichen: Lore Hühn „Ironie und Dialektik. Zur Kritik der Romantik bei Kierkegaard und Hegel“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2009, S. 17 – 40.

III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie Die Magisterdissertation ber den Begriff der Ironie mit stndiger Rcksicht auf Sokrates darf als eine der schwierigsten Schriften Kierkegaards gelten. Allerdings stellt diese Schrift die Interpretation vor ganz andere Probleme als etwa die pseudonymen Werke. Liegt dort die Schwierigkeit vornehmlich darin, sich im Spannungsfeld der Kierkegaardschen Pseudonyme zu orientieren, die einzelnen Sprecherperspektiven und -stimmen zu sondern und voneinander abzuheben, so beginnt hier das Problem – wie dies Kütemeyer, einer der Übersetzer des Werks, ausdrückt – schon damit, dass die Schrift „von Kierkegaard selbst ist“.4 Nimmt man nun zunächst an, in der Ironieschrift spreche demnach Kierkegaard ganz als er selbst und ohne reflexive Brechung, so steht dem zweierlei entgegen: Erstens nämlich ist das Werk eben eine akademische Qualifikationsschrift und schon als solche keine privat-persönliche direkte Mitteilung. Zweitens wird der Status der Magisterabhandlung dadurch prekär, dass Kierkegaard sie in keiner seiner Retrospektiven – sei sie in eigenem Namen gegeben, sei sie dem Pseudonym Johannes Climacus in die Feder gelegt5 – auch nur erwähnt, geschweige denn zu seinem Gesamtwerk rechnet. Im Gegenteil sind Kierkegaards spätere Äußerungen über seine Magisterdissertation durchweg kritischer Natur. Die Forschung zur Ironieschrift hat sich dann auch stets mit der Frage befasst, ob und inwiefern die Schrift auf das spätere Werk vorausdeute oder ob sie als Jugendschrift und akademische Abschlussarbeit noch ganz der ,vita ante acta‘ zugehöre.6 Dabei ist oftmals der ,Hegelianismus‘ der 4

5 6

Hierin liegt nach Kütemeyer die „einzigartige Stellung“ und das „Sonderbare“ des Werks (vgl. Wilhelm Kütemeyer „Nachwort“ in S. A. Kierkegaard Der Begriff der Ironie mit stndiger Rcksicht auf Sokrates, übers. v. W. Kütemeyer, München 1929, S. 341 – 367, hier S. 341 – 343). Vgl. die Retrospektiven in WS, 4 / SKS 13, 12 f.; GWS, 25 Anm. / SV2 XIII, 55 Anm. u. AUN1, 245 – 296 / SKS 7, 228 – 273, die allesamt die Werkfolge 1843 mit Entweder/Oder beginnen lassen. Vgl. zur Rezeption der Schrift in der deutschsprachigen Forschung: Philipp Schwab „Der ,ganze Kierkegaard im Keim‘ und die Tradition der Ironie.

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III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie

Magisterdissertation ein zentraler Punkt der Diskussion. In der folgenden Interpretation soll die Frage nach dem Status der Ironieschrift unter mitteilungstheoretischen Vorzeichen erörtert werden. Das Ziel der Ausführungen besteht einerseits darin, Spuren und Vorzeichen der später von Kierkegaard praktizierten und reflektierten indirekten Mitteilung in der Magisterdissertation aufzuweisen und zu diskutieren. Andererseits soll im Zuge dieser Untersuchung die Struktur der Ironieschrift analysiert und in ihrer wesentlichen Heterogenität zur Darstellung gebracht werden. Der Fluchtpunkt der Untersuchung ist die vergleichende Erörterung von romantischer Ironie und indirekter Mitteilung im folgenden Kapitel. Die Ironieschrift selbst ist allerdings – wie schon aus dem Untertitel hervorgeht – nicht allein eine Auseinandersetzung mit der romantischen Ironie, sondern zuerst und zum größten Teil der Figur des Sokrates gewidmet. Diesbezüglich lässt sich zunächst eine terminologische Eigentümlichkeit beleuchten, die im ,Begriff der Mitteilung‘ schon genannt worden ist:7 Der für Kierkegaards Mitteilungsreflexion ab 1846 zentrale Begriff des Maieutischen fällt nämlich in der Ironieschrift nicht ein einziges Mal; nur an wenigen Stellen und beiläufig ist von Sokrates als „Hebamme“ und „Accoucheur“ und von seiner „Hebammenkunst“ die Rede.8 Diese weitestgehende ,Auslassung‘ hat ihren Grund in einem zentralen Anliegen der Schrift: Kierkegaard möchte gegen Hegels Sokratesinterpretation zeigen, dass die Ironie bei Sokrates nicht gemeinsam mit dem Maieutischen als „Manier der Konversation“ aufgefasst werden dürfe, sondern seinen Standpunkt und mithin die wesentliche Bestimmung seiner Existenz bezeichne.9 Es versteht sich von selbst, dass dieses

7 8

9

Grundlinien der deutschsprachigen Rezeptionsgeschichte von Kierkegaards ber den Begriff der Ironie“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2009, S. 373 – 492. Vgl. oben, II.3.1.a). Der Begriff ,Hebamme‘ wird in Bezug auf Sokrates’ Mutter Phainarete (vgl. Theaitetos 149a) verwendet (BI, 29 / SKS 1, 91); das Wort ,Hebammenkunst‘ fällt nochmals in BI, 197 / SKS 1, 238; vgl. auch die in der folgenden Anm. genannten Stellen. – Das französische Wort ,Accoucheur‘ gebraucht Kierkegaard in BI, 197 / SKS 1, 238 im unmittelbaren Anschluss an ,Hebammenkunst‘. Aufschlussreich ist hingegen die zweite Stelle, an der das Wort verwendet wird: „Das neue Prinzip muss streiten, die Weltgeschichte benötigt einen Accoucheur. Diesen Platz füllt nun Sokrates aus“ (BI, 217 / SKS 1, 256). Dass Sokrates als ,Accoucheur der Weltgeschichte‘ wenig mit Kierkegaards späterer Konzeption der Maieutik als Existenzmitteilung zu tun hat, liegt auf der Hand. Vgl. hierzu die kritische Diskussion der Hegelschen Zusammenstellung von Ironie und Hebammenkunst in BI, 242, 271 – 273 / SKS 1, 278, 303 – 305. Vgl. die entsprechende Stelle bei Hegel GeschPhil. I, TWA 18, S. 456 – 464; das von

III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie

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Anliegen mitteilungstheoretische Überlegungen im engeren Sinne nicht bloß in den Hintergrund treten lässt, sondern nachgerade systematisch ausschließt. Im vorhergehenden Teil der Untersuchung ist gezeigt worden, dass die ,Entdeckung‘ der Maieutik10 1846 für die Geschichte des Mitteilungsbegriffs nach der Nachschrift und seine Einengung auf ein rein kommunikatives Verfahren von zentraler Bedeutung ist. Während also die Maieutik auf den Kommunikationsaspekt indirekter Mitteilung verweist, so lässt sich hingegen die Ironie zum Darstellungsaspekt indirekter Mitteilung in Beziehung setzen, sofern sie strukturell als eine Darstellung des Undarstellbaren begriffen wird. Diese Figur wird zwar in der Ironieschrift anhand der Undarstellbarkeit des Sokrates vorgeführt, verweist aber ihrer Struktur nach auf die romantische Ironie11 – und von eben dieser Figur her ist im folgenden Kapitel das Verhältnis von romantischer Ironie und indirekter Mitteilung zu erörtern. Allerdings lässt sich die Figur der Darstellung des Undarstellbaren nicht einfach aus der Ironieschrift ,auflesen‘; sie ist keineswegs der bestimmende Begriff der gesamten Magisterdissertation. Um die Frage nach Kierkegaard umschreibend wiedergegebene Zitat steht GeschPhil. I, TWA 18, S. 461). Das Wort ,Hebammenkunst‘ (dän. „Gjordemoderkunst“) korrespondiert bezeichnenderweise mit dem Sprachgebrauch Hegels, der ebenfalls nicht den Begriff ,Maieutik‘ benutzt. – Kierkegaard verwendet das Wort ,Hebamme‘ in Bezug auf Sokrates auch in DD:18.a vom 30. 10. 1837 (vgl. DSKE 1, 188 / SKS 17, 225). 10 Hierin liegt neben anderem auch ein Hinweis auf eine wenigstens partielle Wandlung in Kierkegaards Sokratesverständnis. Diese Frage ist insbesondere in der älteren Forschung kontrovers diskutiert worden, vgl. hierzu Jens Himmelstrup Sçren Kierkegaards Sokratesauffassung, mit einem Vorwort v. Minister Gerhard von Mutius, Neumünster 1927 [Kopenhagen 1924], S. 62 – 84; Emanuel Hirsch Kierkegaard Studien, neu hrsg. u. eingel. v. Hans Martin Müller, Waltrop 2006, Bd. 1 u. 2 (= Gesammelte Werke, Bd. 11 u. 12) [Gütersloh 1930 – 1933], hier Bd. 2, S. 296 – 299 [S. 747 – 743]; Edo Pivcˇevic´ Ironie als Daseinsform bei Sçren Kierkegaard, Gütersloh 1960, S. 45 – 53. 11 Ohnehin ist es bemerkenswert, dass die zentralen, im Blick auf Sokrates diskutierten Begriffe der Schrift – die Subjektivität und die Negativität – der neuzeitlichen Philosophie zugehören; mithin wird in Sokrates ein spezifisch modernes Problem behandelt. Zu Recht bemerkt deshalb Bubner, dass Kierkegaard „die unendliche Negativität des Subjekts in Sokrates wieder erkennen wollte und ihn so eindeutig zum Prototyp des modernen Romantikers stempelte“ (Rüdiger Bubner „Zur dialektischen Bedeutung der romantischen Ironie“ in Die Aktualitt der Frhromantik, hrsg. v. Ernst Behler / Jochen Hörisch, Paderborn u. a. 1987, S. 85 – 95, hier S. 95).

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III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie

Vorformen indirekter Mitteilung in der Ironieschrift zu beantworten, ist die Schrift daher zunächst in ihrer heterogenen Anlage zu entfalten. Kulminationspunkt dieser Heterogenität ist Kierkegaards ambivalente Bezugnahme auf Hegel. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Ironieschrift zum einen schon den zentralen Einwand des pseudonymen Werks gegen Hegel präfiguriert, von dem auch die indirekte Mitteilung ausgeht: dass nämlich ein ,systematisches‘ und ,spekulatives‘ Denken notwendig an der konkreten Existenz vorbeigehe. In diesem ,existenzanalytischen‘ Sinn ist es zu lesen, dass Kierkegaard gegen Hegel darauf besteht, die Ironie des Sokrates sei als dessen Standpunkt zu verstehen (also die Bestimmung seiner Existenz). Zum anderen aber macht die Ironieschrift noch in hohem Maße Anleihen bei Hegelscher, oder richtiger hegelianischer Terminologie: so insbesondere in der weltgeschichtlichen Betrachtung der Ironie, aber auch im Schlussabschnitt über die beherrschte Ironie, sofern diese als ,Vermittlung‘ gedacht wird. In diesem Zusammenhang soll erarbeitet werden, dass die Ironieschrift zwar eine Grundkonzeption indirekter Mitteilung in der angezeigten Hinsicht prfiguriert, aber in ihrer Durchfhrung – entgegen der so genannten ,Ironiethese‘ der Forschung – noch nicht selbst als eine Form indirekter Mitteilung gelten kann.12 Die Untersuchung geht dabei in sechs Schritten vor: Sie erläutert zunächst die heterogene Konzeption der Ironieschrift mit einem Seitenblick auf die so genannte ,Ironiethese‘ (1.); sodann entfaltet sie die einzelnen Elemente dieser Heterogenität: die Ironie des Sokrates als Standpunkt und ,unendliche absolute Negativität‘ (2.), die weltgeschichtliche Betrachtung der Ironie (3.), die ,existenzanalytische‘ Kritik der romantischen Ironie (4.) und die ,Ironie als beherrschtes Moment‘ (5.). Der letzte Abschnitt führt die Fäden der Untersuchung zusammen, indem er die Darstellungsstruktur der Ironie anhand der „Einleitung“ erörtert und die Präfiguration indirekter Mitteilung in der Ironieschrift diskutiert (6.).

12 Vgl. zum hier verfolgten Ansatz auch: Philipp Schwab „Zwischen Sokrates und Hegel. Der Einzelne, die Weltgeschichte und die Form der Mitteilung in Kierkegaards ber den Begriff der Ironie“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2009, S. 127 – 152, bes. S. 133 – 151.

1. Die heterogene Konzeption der Ironieschrift und die ,Ironiethese‘

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1. Die heterogene Konzeption der Ironieschrift und die ,Ironiethese‘ Bevor die Interpretation sich exegetisch der Ironieschrift im Einzelnen widmet, gilt es, ihre ambivalente Struktur vorab zu bezeichnen. In Kierkegaards Magisterdissertation zeigen sich verschiedene, teilweise widersprechende Perspektiven auf die Ironie, ohne dass sich diese bruchlos in ein übergeordnetes Ganzes integrieren ließen oder aber von der Abhandlung selbst in ihrer Widersprüchlichkeit zugespitzt würden. Der Kulminationspunkt dieser Heterogenität ist wie bemerkt die ambivalente Bezugnahme Kierkegaards auf Hegel: Einerseits grenzt Kierkegaard sein Verständnis der Sokratischen Ironie deutlich von dem Hegels ab, indem er die Ironie als Standpunkt, das heißt als Existenzbestimmung, und nicht als Prinzip oder Konversationsform begreift.13 Auf diese Weise wird schon beim jungen Kierkegaard der Grundzug der Kritik an Hegel deutlich, der für das gesamte pseudonyme Werk bestimmend bleibt: Gegen das System und die Abstraktion der logischen Bewegung klagt er die Konkretion des Existenzvollzugs ein. Diese hier so genannte ,existenzanalytische Linie‘ der Ironieschrift findet in der Kritik der romantischen Ironie ihre Fortführung. Der romantische Ironiker erscheint als eine Form scheiternder Existenz – und darin nimmt die Ironieschrift die spätere, in den pseudonymen Werken ausgeführte Kritik am ästhetischen Typus vorweg.14 In der Ironieschrift ist dies aber nicht die dominierende Perspektive der Kritik an der romantischen Ironie. Andererseits lautet nämlich der zentrale Vorwurf, der in der Ironieschrift gegen die Romantik erhoben wird, dass sie weltgeschichtlich nicht berechtigt gewesen sei. Während sich in der Sokratischen Ironie das Prinzip der Subjektivität erstmals geltend gemacht habe, sei die romantische Ironie als eine potenzierte, sich selbst genießende Subjektivität zu kennzeichnen, die nicht mehr „im Dienste des Weltgeistes“ stehe.15 Dieser Modus der Kritik markiert in seiner engen Anlehnung an Hegel16 einen augenscheinlichen und nicht zu überbrü13 Vgl. dazu auch Hans Feger Poetische Vernunft. Moral und sthetik im Deutschen Idealismus, Stuttgart / Weimar 2007, S. 524. 14 Zu Kierkegaards zunehmender Engführung der Begriffe ,romantisch‘ und ,ästhetisch‘ vgl. Gerhard vom Hofe Die Romantikkritik Sçren Kierkegaards, Frankfurt a.M. 1972, S. 98 – 109, bes. S. 107. 15 BI, 280 / SKS 1, 311. 16 Es ist allerdings zu Recht bemerkt worden, dass die Anlehnung an Hegel nicht ohne systematische Verkürzungen auskommt. So konstatiert etwa Kleinert,

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III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie

ckenden Widerspruch zu den späteren Invektiven der Pseudonyme gegen jede hegelianisierende „weltgeschichtliche Distraktion“17 und ihrem Spott über die „komische Distraktion des weltgeschichtlichen Denkers“, der über der spekulativen Betrachtung der Weltgeschichte das eigene Existieren vergesse.18 Die skizzierte Spannung zwischen der hegelkritischen ,existenzanalytischen‘ Perspektive und der Hegel affirmativ aufnehmenden ,weltgeschichtlichen‘ Blickbahn ist das greifbarste Beispiel einer Ambivalenz,19 von der die gesamte Ironieschrift durchzogen ist:20 Einerseits ist die Magisterdissertation durch eine deutliche Abstandnahme von Hegel gekennzeichnet21 – so spottet etwa Kierkegaard über Hegel als „kommandierende[n] General in der Weltgeschichte“, der die „Erscheinungen zur Parade“ antreten lasse und „zu sehr die Bedeutung seiner Stellung [fühlt], um zu mehr Zeit zu bekommen als zu dem königlichen Blick, den

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Kierkegaard verwende in der Rechtfertigung des Sokrates „zustimmend die auf einen Schematismus reduzierte Geschichtsphilosophie Hegels“ (Markus Kleinert Sich verzehrender Skeptizismus. Luterungen bei Hegel und Kierkegaard, Berlin / New York 2005, S. 113). AUN1, 113 / SKS 7, 116. AUN2, 21 / SKS 7, 291, vgl. z. B. auch AUN1, 122 – 152 / SKS 7, 125 – 151; KT, 4 / SKS 11, 117. Auf eine Ambivalenz macht auch Tjønneland aufmerksam (vgl. Eivind Tjønneland Ironie als Symptom. Eine kritische Auseinandersetzung mit Søren Kierkegaards „ber den Begriff der Ironie“, Frankfurt a.M. u. a. 2004, S. 18 – 22). Der Ansatz Tjønnelands unterscheidet sich allerdings von dem hier durchgeführten darin, dass er die „Selbstwidersprüche Kierkegaards in BI in den Griff zu bekommen“ versucht (ebd., S. 19), indem er die „romantische Ironie in einem Begriff der dialektischen Ironie“ aufheben möchte (ebd., S. 20) und dabei die „Auseinandersetzung mit Kierkegaard […] soweit wie möglich mit hegelschen Mitteln“ führt (ebd., S. 22). – Dem hier verfolgten Ansatz näher steht die Studie Kleinerts (vgl. Kleinert Sich verzehrender Skeptizismus, S. 102 – 152). Obgleich Kleinert die Ambivalenz der Abhandlung nicht in der Gegenüberstellung von ,existenzanalytischer‘ Blickbahn und weltgeschichtlicher Perspektive, sondern in der widersprüchlichen Interpretation von Sokrates und Christus kulminieren lässt (vgl. ebd., S. 112 f., S. 123 f.), kommt er im Einzelnen zu verwandten Ergebnissen. Vgl. bes. die Ausführungen zur doppelten Perspektive in der Kritik romantischer Ironie (ebd., S. 128 f.) und zur Widersprüchlichkeit der beherrschten Ironie (ebd., S. 130 f.). Vgl. hierzu insbesondere Hühn „Ironie und Dialektik“, bes. S. 19 – 22, S. 29 – 31. Diese explizite Kritik Hegels wird von Stewart gegen die Ironiethese angeführt; vgl. Jon Stewart Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, Cambridge u. a. 2003, S. 152 – 157.

1. Die heterogene Konzeption der Ironieschrift und die ,Ironiethese‘

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er über sie hingleiten lässt“.22 Andererseits aber bestimmen von Hegel hergenommene Begriffe wesentliche Thesen und Interpretationsperspektiven der Schrift.23 Diese Ambivalenz haben Interpreten dekonstruktivistischer Prägung nun dadurch zu erläutern versucht, dass sie das „layout“ der Ironieschrift im Ganzen als ironisch auslegen.24 In dieser Perspektive wäre die Ironieschrift eine unmittelbare Vorform, wenn nicht gar schon eine reife Form indirekter Mitteilung – schon die Magisterdissertation vollzöge sich als ,Doppelreflexion‘ und ,Parodieren der Spekulation‘.25 So heißt es etwa bei Mackey: „The Concept of Irony, written in Hegelianese, is anti-Hegelian. But it is impossible to write Hegel’s language without writing Hegel’s philosophy. In order to attack Hegel, therefore, Kierkegaard’s essay on irony has to undercut itself. Ironically.“26 Obgleich insbesondere Poole meint, die bisherige Forschung aufgrund dieser Interpretation verwerfen zu dürfen, kann die so genannte ,Ironiethese‘ auf eine lange Forschungstradition zurückblicken. Die wohl erste, zumeist übersehene Formulierung findet sich bei dem Übersetzer der Schrift, Wilhelm Kütemeyer. Laut Kütemeyer spreche Kierkegaard in der Ironieschrift „als Lernender, vor Philosophieprofessoren gleichsam, in schuldiger – ja schuldiger! – Ehrerbietung vor ihrer Wissenschaft, der Philosophie seiner Zeit“.27 Daher schlägt Kütemeyer vor, die Schrift als 22 BI, 229 / SKS 1, 266. Vgl. hierzu auch Claus-Artur Scheier „Klassische und existentielle Ironie: Platon und Kierkegaard“ in Philosophisches Jahrbuch der GçrresGesellschaft 97, 1990, S. 238 – 250, hier S. 247. 23 Vgl. beispielhaft schon die vierte These der Magisterdissertation: „Die von Plato gebrauchte Frageform entspricht dem Negativen bei Hegel“ (BI, 3 / SKS 1, 65). 24 Vgl. Roger Poole Kierkegaard. The Indirect Communication, Charlottesville 1993, S. 28 – 61, hier S. 44 sowie Louis Mackey „Starting from Scratch. Kierkegaard Unfair to Hegel“ in ders. Points of View. Readings of Kierkegaard, Tallahassee 1986, S. 1 – 22. 25 Die „Doppelreflexion“ ist in der Nachschrift der Kernbegriff der indirekten Mitteilung (vgl. oben, II.1.). Als „Parodieren der Spekulation“ charakterisiert Climacus dort rückblickend die Vorgehensweise der Philosophischen Brocken, vgl. AUN1, 270 Anm. / SKS 7, 249 Anm. 26 Mackey „Starting from Scratch“, S. 1. Vgl. Poole, der das Werk ansieht als „not at all unsuccessful attempt to subvert Hegel’s position by using Hegel’s own terminology […]. The Hegelian machinery was used, yet the Hegelian terminology was emptied of all substance“ (Poole Kierkegaard. The Indirect Communication, S. 3). 27 Kütemeyer „Nachwort“, S. 342. Vgl. hierzu und zu den im Folgenden aufgerufenen Positionen ausführlicher Schwab „Der ,ganze Kierkegaard im Keim‘ und die Tradition der Ironie“, bes. S. 405 – 414.

462

III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie

pseudonym zu markieren, indem man dem Verfassernamen „Kierkegaard“ anhänge: „,herausgegeben von der philosophischen Fakultät der Universität Kopenhagen‘ oder ,herausgegeben von Philosophieprofessoren‘.“28 Indem man so etwas hinzufüge, „was schon dasteht (in der amtlichen Notiz der Fakultät nämlich)“, werde deutlich, dass die Schrift, der „gewöhnlichen Ernsthaftigkeit in philosophischen Abhandlungen ganz zuwider“, einen „humoristischen Einschlag“ aufweise und Kierkegaard das Wesentliche, „in spaßhafter Angst vor den Herausgebern, als Nota bene in Anmerkungen und Nebensätzen versteckt.“29 Auch nach Kütemeyer ist die Ironiethese wiederholt vorgetragen worden;30 die wohl wirkmächtigste Formulierung stammt von Thulstrup, der ebenfalls dazu rät, den Eigennamen des Autors als „Pseudonym“31 zu lesen, da Kierkegaard in der Ironieschrift als „Wolf im Schafspelz“ auftrete und die „Rolle eines hegelianisierenden Philosophiehistorikers“ spiele.32 Diese variantenreich ausbuchstabierte Interpretationsrichtung hat es zunächst für sich, die heterogene Anlage der Magisterdissertation überhaupt in den Blick zu nehmen und eine Erklärung zu versuchen. Dennoch lassen sich gegen die Ironiethese wesentliche Einwände formulieren.33 So bemerkt etwa Johannes Climacus rückblickend in einer vor dem 28 Kütemeyer „Nachwort“, S. 345. 29 Ebd. 30 Vgl. Hermann Diems Rezension in Deutsche Literaturzeitung 50, 1929, N. F. 6, H. 49, Sp. 2335 – 2338, hier Sp. 2336, wo es u. a. heißt, der „Meister“ (Hegel) liefere „wohl die Begriffe und Methoden, mit denen der Schüler weltgeschichtlich deutet und subsumiert – daher konnte der Eindruck vom Hegelianismus in K.s Dissertation entstehen – aber der Gegenstand hebt das Schema der Methode auf.“ Vgl. im Anschluss an Kütemeyers Nachwort auch Pierre Mesnard Le vrai visage de Kierkegaard, Paris 1948, S. 178 f. und hierzu Jon Stewart Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 135 f. 31 Niels Thulstrup Kierkegaards Verhltnis zu Hegel und zum spekulativen Idealismus 1835 – 1846. Historisch-analytische Untersuchung, Stuttgart 1972, S. 178. 32 Ebd., S. 216; vgl. hierzu kritisch Stewart Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 135 f. Weitere Vertreter der ,Ironiethese‘ sind etwa Agacinski und, daran anschließend, Behler; vgl. Sylviane Agacinski Apart. Conceptions et morts de Søren Kierkegaard, Paris 1977, S. 35 – 38 und Ernst Behler Ironie und literarische Moderne, Paderborn u. a. 1997, S. 168 – 170; vgl. zu dieser Interpretation auch den folgenden Abschnitt. 33 Vgl. hierzu Stewarts Kritik an der ,Ironiethese‘: Stewart Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 132 – 181, bes. S. 135 – 144 und S. 180 f. Vgl. zur Kritik der ,Ironiethese‘ auch Kleinert, der allerdings die „spezifizierte Ironiethese“ Behlers zunächst ausnimmt; auch diese Interpretation ignoriere „jedoch Kierkegaards zeitweilige Aufnahme der Hegelschen Definition“ der ,absoluten unendlichen

1. Die heterogene Konzeption der Ironieschrift und die ,Ironiethese‘

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Druck gestrichenen Passage der Nachschrift, anlässlich des Strebens im existierenden Denker: Dies war es, was Sokrates im Symposion entwickelt. Mag. Kierkegaard ist in seiner Dissertation wohl aufmerksam darauf gewesen, das Sokratische herauszufinden, aber er hat es, so weit zu urteilen ist, nicht verstanden, vermutl. weil er mit Hilfe der hegelschen Philosophie superklug und objektiv und positiv geworden war […].34

Von der ironischen Pointe abgesehen, dass das Pseudonym ,seinen‘ Verfasser kritisiert, kennzeichnet diese Invektive exemplarisch den Abstand, den Kierkegaard und die Pseudonyme später von dem hegelianischen Einschlag der Ironieschrift nehmen – so betitelt sich Kierkegaard selbst in einem Journal von 1850 rückblickend als „hegelianischer Tor“.35 Hinsichtlich des ,Hegelianismus‘ der Schrift und Kierkegaards späterer Bewertung derselben tut man gut daran, ein entscheidendes ,Ereignis‘ nicht aus dem Blick zu verlieren, das zeitlich zwischen der Magisterdissertation 1841 und dem Auftakt des pseudonymen Werks 1843 liegt: Kierkegaards Besuch von Schellings Antrittsvorlesung zur „Philosophie der Offenbarung“ 1841/42 in Berlin. Zwar hat Kierkegaard nach anfänglicher Begeisterung den Besuch der Vorlesungen vorzeitig Negativität‘ und löse so „die Widersprüchlichkeit der Ironie-Schrift auf“ (Kleinert Sich verzehrender Skeptizismus, S. 119 Anm.). 34 Pap. VI B 35,24 (auch in SKS K7, 152). Noch in der Druckfassung spottet Climacus über „Mag. Kierkegaard“ als „positiven theologischen Kandidaten“ (AUN1, 83 Anm. / SKS 7, 89 Anm., vgl. auch AUN2, 212 / SKS 7, 456). – Zur Einschätzung dieser Bemerkungen vgl. allerdings Michael Theunissen Der Begriff Ernst bei Søren Kierkegaard, 3., unveränd. Aufl., Freiburg / München 1982 [1958], S. 14 f., nach dem diese retrospektive Kritik „über das Ziel hinaus“ schießt; schon in der Magisterdissertation übersteige Kierkegaards Akzentuierung des Negativen „bei weitem das Maß dessen, was sozusagen im Gefüge des Hegelschen Systems zulässig ist“. 35 NB21:35 (T 4, 233 / SKS 24, 32). Der Eintrag hat den Titel: „Eine Stelle in meiner Dissertation“ und lautet im Zusammenhang: „Beeinflusst, wie ich es war, von Hegel und all dem Modernen, ohne genügend Reife, um das Große richtig zu begreifen, habe ich es irgendwo in meiner Dissertation nicht lassen können, es als eine Unvollkommenheit bei Sokrates zu bezeichnen, dass er kein Auge habe für die Ganzheit, sondern nur numerisch auf die Einzelnen sehe. Oh, ich hegelianischer Tor, eben dies ist der große Beweis dafür, welch ein großer Ethiker Sokrates war“. Vgl. zu dieser und ähnlichen Journalnotizen Stewart Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 141 – 144. Man wird zwar Kierkegaards und Climacus’ retrospektive Kritik nicht einfach als letztes und allein gültiges Wort über die Frühschrift nehmen dürfen, ein Hinweis auf deren problematischen Status ist aber durch die spätere Einschätzung zweifellos gegeben.

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III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie

abgebrochen und ist Schellings Ansatz einer ,positiven Philosophie‘ durchaus nicht gefolgt – gerade die in Berlin vorgetragene Kritik Hegels hat aber in seinem Werk deutliche Spuren hinterlassen.36 Angesichts der Mitschriebe Kierkegaards37 und des Widerspruchs zwischen dem (partiellen) Hegelianismus der Ironieschrift und dem späteren pseudonymen Werk ist es wenigstens nahe liegend, hier einen Zusammenhang anzunehmen: Insbesondere Schellings grundlegende, kritisch gegen Hegel gerichtete Scheidung von quid und quod – das heißt von (Denk-)Möglichkeit und (Existenz-)Wirklichkeit38 – könnte Kierkegaard deutlich gemacht haben, dass die in der Ironieschrift versuchte Verschmelzung von spekulativer Geschichtsbetrachtung und existenzanalytischer Perspektive ein unzulässiges Amalgam ist.39 Auch in dieser Hinsicht erscheint die Ironiethese als problematisch, impliziert sie doch ein kontinuierliches Verhältnis zu Hegel seit 1841. Es ist überdies zwar nicht zu leugnen, dass die Magisterdissertation von ironischen Abschweifungen und Brüchen durchzogen ist; verglichen mit dem pseudonymen Werk aber – etwa der Doppelreflexion in den Philosophischen Brocken 40 – fehlt die pointierte Zuspitzung der Widerspruchsform: Kierkegaard trägt die Kritik der Romantik in welthistorischer Perspektive vor, ohne diese Blickbahn in irgendeiner Weise als „Denkprojekt“, „Hypothese“41 oder „Experiment“42 kenntlich zu machen und so zu durchkreuzen. Auch ist die wissenschaftliche Abschlussarbeit Kierkegaards – obgleich ihre Form die Prüfungskommission 36 Vgl. oben, I.2.3. und dazu: Philipp Schwab „,Das Reich der Wirklichkeit ist nicht vollendet‘. Kierkegaard als Hörer Schellings und Kritiker Hegels“ in Kierkegaard im Kontext des deutschen Idealismus, hrsg. v. Axel Hutter / Anders Moe Rasmussen, Berlin / New York 2012 (in print). 37 Die Kritik Schellings an Hegel umfasst in der Mitschrift Kierkegaards die Vorlesungen 9 – 14, vgl. Not11:9 – 14 (DSKE 3, 341 – 352 / SKS 19, 312 – 321). 38 Vgl. Lore Hühn Kierkegaard und der Deutsche Idealismus. Konstellationen des bergangs, Tübingen 2009, bes. S. 89 – 159. 39 Vgl. zu diesem Zusammenhang auch Peter Fenves „The Irony of Revelation: The Young Kierkegaard Listens to the Old Schelling“ in The Concept of Irony (International Kierkegaard Commentary, 2), hrsg. v. Robert L. Perkins, Macon 2001, S. 391 – 416. 40 Vgl. Climacus’ rückblickende Darstellung in AUN1, 270 Anm. / SKS 7, 249 Anm. und dazu oben, II.1.2.c). 41 So charakterisiert Climacus in den Brocken sein eigenes Verfahren, vgl. PB, 7, 20 / SKS 4, 218, 230. 42 Die Experimentalpsychologie ist die Methode der Wiederholung. Vgl. dazu unten, IV.1.

1. Die heterogene Konzeption der Ironieschrift und die ,Ironiethese‘

465

unangenehm berührt hat43 – nicht im Ganzen eine Reflexion auf die Grenze der wissenschaftlichen Abhandlung, wie dies vom Begriff Angst zu zeigen sein wird.44 Angesichts der Debatte darüber, inwieweit die Magisterdissertation unter dem Einfluss Hegels steht, muss man sich wohl mit der Feststellung begnügen, dass in der Ironieschrift eine Betrachtungsweise, die Kierkegaards Kerneinwand gegen Hegel wenigstens schon präfiguriert, unmittelbar neben einer Hegel verpflichteten Perspektive steht, ohne dass die Spannung in der Schrift konsequent ausgetragen wäre. Mehr noch: Die Anlehnung an eine hegelianische Perspektive droht beständig den ,existenzanalytischen‘ Ansatzpunkt Kierkegaards zu verwischen und zu überlagern. Schließlich ist mit Blick auf die Struktur einer ,Darstellung des Undarstellbaren‘, der im Folgenden das besondere Interesse gilt, vorab noch zweierlei zu bemerken: Erstens denkt Kierkegaard die Ironie in der Magisterdissertation nicht strukturell, sondern als Existenzbestimmung. Was Ironie ist, wird wesentlich nur in Bezug auf die These verhandelt, dass das gesamte Dasein des Sokrates als Ironie zu verstehen sei. Darin ist zwar der existenzanalytische Ausgangspunkt der indirekten Form präfiguriert, diese selbst ist aber nicht als solche thematisch. Zweitens möchte Kierkegaard derart entschieden die Ironie als Standpunkt des Sokrates ausweisen, dass er bisweilen alle Bedenken gegen eine direkte Bestimmung dieses Standpunktes suspendiert. Insofern bezeichnet die Darstellungsstruktur der Ironie nicht nur einen Gegensatz zur weltgeschichtlichen Perspektive; sie fällt auch mit der ,existenzanalytischen‘ Perspektive nicht bruchlos zusammen. 43 Vgl. hierzu SKS K1, 129 – 145; vgl. auch die Bemerkung, die der erste Rezensent der Schrift, A. F. Beck, zum Abschluss seiner Besprechung über Stil und Sprache der Schrift macht; die Sprache sei „fließend, leicht, nur von einem gewissen Sichgehenlassen und von Incorrectheit nicht ganz frei“ (Dr. Friedrich Beck [= Andreas Frederik Beck] „Om Begrebet Ironi med stadigt Hensyn til Socrates. Af S. A. Kierkegaard. (Ueber den Begriff der Ironie mit steter Rücksicht auf Sokrates ec.) Kjøbenhavn 1941. Philipsen“ in Deutsche Jahrbcher fr Wissenschaft und Kunst, Nr. 222, 17. 9. 1842, S. 885 – 888; Nr. 223, 19. 9. 1842, S. 889 – 891, hier S. 891). Vgl. dazu nochmals Schwab „Der ,ganze Kierkegaard im Keim‘ und die Tradition der Ironie“, S. 380 – 384 sowie Kleinert Sich verzehrender Skeptizismus, S. 119 f., S. 128 u. S. 134. Hochinteressant ist Kierkegaards Replik auf diese Rezension in der Nachschrift zur „Öffentlichen Beichte“, vgl. CS, 10 – 13 / SKS 14, 45 f. 44 Vgl. unten, IV.2.

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III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie

So zeigt sich im Ganzen, dass eine pauschalisierende Identifikation der Ironieschrift mit dem indirekten Verfahren der späteren Schriften zu kurz greift. Vielmehr ist eine textnahe Auseinandersetzung geboten, in der die verschiedenartigen Perspektiven der Ironieschrift so präzise wie möglich benannt und voneinander abgehoben werden müssen.

2. Die Ironie als Standpunkt des Sokrates und die ,unendliche absolute Negativität‘ Die Pointe der in der Dissertationsschrift vorgelegten Sokratesinterpretation Kierkegaards liegt darin, in Abgrenzung von Hegels Auslegung die Ironie nicht als Prinzip oder Verfahren, sondern als den Standpunkt des Sokrates aufzufassen.45 Ironie ist nicht eine bloß rhetorisch eingesetzte Figur, sie ist auch nicht Gesprächshaltung oder Methode des Sokrates – Sokrates ist Ironiker, oder Sokrates ist wesentlich Ironie. Bei dieser Zentralthese Kierkegaards ist allerdings auf die Fragerichtung der Untersuchung zu achten. Die Frage richtet sich zunchst – das heißt im umfänglichen ersten Teil mit dem Titel „Sokrates’ Standpunkt. Verstanden als Ironie“ – nicht darauf, was die Ironie, sondern was oder wer Sokrates ist. Kierkegaard geht von dem Problem aus, eine Wesensbestimmung des Sokrates zu geben, und ,löst‘ dieses Problem mit der These: Der Standpunkt des Sokrates ist Ironie.46 So erklärt Kierkegaard auch die Divergenz in den Sokratesdarstellungen Xenophons, Platons und Aristophanes’ – und möchte zugleich deren jeweilige ,Einseitigkeit‘ korrigieren.47 Nicht zufällig in der Diskussion mit Hegel macht Kierkegaard aber dann die Eigentümlichkeit seiner Auffassung geltend, die nicht nur den Standpunkt des Sokrates als Ironie, sondern umgekehrt auch die Ironie wesentlich als Standpunkt bestimmt: Man ist im Allgemeinen daran gewöhnt, die Ironie ideal aufgefasst zu sehen, ihr als verschwindendes Moment im System einen Platz angewiesen und sie deshalb nur sehr kurz beschrieben zu sehen; man kann aus dem Grunde nicht so leicht begreifen, wie ein ganzes Leben hier hineingehen könne, da ja der Inhalt dieses Lebens für ein Nichts angesehen werden muss. Aber man er45 Vgl. zu dieser Abgrenzung bes. BI, 220 – 225, 242 / SKS 1, 258 – 262, 278. 46 Vgl. hierzu die Einleitung des zweiten Teils, BI, 245 / SKS 1, 286. 47 Für einen Durchgang durch den ersten Teil vgl. Kleinert Sich verzehrender Skeptizismus, S. 104 – 116. Vgl. zu den Hauptgesichtspunkten des Werks auch Wolfdietrich von Kloeden „Sokrates“ in Kierkegaard’s Classical Inspiration. Bibliotheca Kierkegaardiana 14, 1985, S. 104 – 181, zur Ironieschrift S. 117 – 131.

2. Die Ironie als Standpunkt des Sokrates

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innert nicht, dass ein Standpunkt im Leben sich niemals so ideal findet, wie er im System ist […].48

Die Ironie ist nach Kierkegaard nicht als das verschwindende Moment einer systematischen Bewegung aufzufassen, sondern als Bestimmung eines Existenzverhltnisses. Kierkegaard zielt mit der Sokratischen Ironie, verstanden als Standpunkt, auf eine Existenzbestimmung, die als solche jenseits einer systematisch-spekulativen Betrachtung liegt und von dieser nicht erfasst werden kann. Schon die Ironieschrift öffnet die spätere Distinktion zwischen einem ,existenzvergessenen‘ objektiven Wissen und einem auf die Existenz gerichteten Denken: Dies ist das rein persönliche Leben, mit dem die Wissenschaft wohl nichts zu tun hat, wenn auch etwas genauere Bekanntschaft mit ihm sie von dem tautologischen idem per idem befreien würde, an dem solche Auffassungen häufig leiden. Doch dies sei nun wie es wolle, lass die Wissenschaft mit Recht solcherlei ignorieren, derjenige, der das individuelle Leben verstehen will, kann das nicht tun.49

Aus diesen Bemerkungen wird deutlich, dass die Figur des Sokrates einen doppelten Aspekt hat: Erstens steht Sokrates für einen Typus, dessen Existenz wesentlich durch die Ironie bestimmt ist. Zweitens aber gewinnt Kierkegaard in Sokrates einen grundsätzlichen Ausgangspunkt für seine Kritik an einer jeden systematischen Philosophie, die am konkreten Existenzvollzug notwendig vorbeigehen muss, – eine Kritik, die insbesondere Johannes Climacus mit dem Namen Hegels und der Hegelschen Philosophie verbinden wird.50 Angesichts dieser späteren Abgrenzung ist es durchaus erstaunlich, dass Kierkegaard zur näheren Kennzeichnung des Standpunktes der 48 BI, 171 / SKS 1, 214. Vgl. auch die Bemerkung, die Kierkegaard zu Beginn der Beilage über Hegels Sokratesverständnis rückblickend notiert: „Dass nun die Ironie eine Bestimmung der Persçnlichkeit ist, daran habe ich im Vorhergehenden des Öfteren erinnert“ (BI, 227 Anm. / SKS 1, 263 Anm.). 49 BI, 171 f. / SKS 1, 215; vgl. zur Interpretation dieser Stelle auch Hirsch Kierkegaard-Studien, Bd. 2, S. 136 [S. 58]. – Kierkegaard verweist allerdings mehrfach auf eine Bemerkung Hegels, nach der es bei Sokrates nicht so sehr um die Spekulation als vielmehr um das individuelle Leben gehe, und fügt hinzu, es sei „sonderbar genug“, dass diese ausgerechnet von Hegel stamme (BI, 226 Anm. / SKS 1, 263 Anm., vgl. auch BI, 172, 228, 233 / SKS 1, 215, 265, 270). Die Stelle lautet: „Seine Philosophie, als die [sic] das Wesen in das Bewußtsein als ein Allgemeines setzte, ist als seinem individuellen Leben angehörig anzusehen; sie ist nicht eigentliche spekulative Philosophie, sondern ein individuelles Tun geblieben“ (Hegel GeschPhil. I, TWA 18, S. 451). 50 Vgl. z. B. AUN1, 111 – 117 / SKS 7, 114 – 120 und AUN2, 29 f. / SKS 7, 298 f.

468

III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie

Ironie nun ausgerechnet einen Begriff Hegels heranzieht: Die Ironie wird bestimmt als „die unendliche absolute Negativitt“.51 Diese Bewegung ist für die heterogene Konzeption der Ironieschrift und das ambivalente Verhältnis zu Hegel bezeichnend: Gerade dort, wo die Ironieschrift den größten Abstand zu Hegel erreicht – nämlich in der vom System abgekehrten Existenzbestimmung der Ironie –, nimmt sie diese Abstandnahme zurck und ,übersetzt‘ sie gleichsam in Hegelsche Terminologie. Im Blick auf die – aber schon bei Hegel gegebene – Auszeichnung der Negativität als einer unendlichen und absoluten ist in der Forschung die These geäußert worden, Kierkegaard subvertiere mit eben diesem Begriff die Hegelsche Dialektik, indem er den Sokratischen Standpunkt als eine nichtdialektisierbare Negativität bezeichne.52 Diese These erscheint allerdings bei näherer Betrachtung als problematisch: Dass nämlich die unendliche absolute Negativität eine Form bezeichnet, die in Sokrates ganz ohne Positivität ist, bedeutet nicht, dass der strukturelle dialektische Bezug der Negativität zur Positivität suspendiert wäre. Vielmehr zeigt gerade die folgende dialektisch-weltgeschichtliche Betrachtung, dass die Negativität des Sokrates in der Tat auf eine Positivität verweist – die allerdings fr und in Sokrates noch nicht da ist und erst der geschichtlichen Entwicklung angehört.53 Überdies ist zu beachten, dass Kierkegaard einen von Hegel für Solger verwendeten Begriff aufnimmt – und im zweiten Teil der Schrift Solger selbst behandelt. Gerade hier zeigt sich der (latente) Bezug der unendlichen Negativität zum Positiven. Kierkegaard führt zunächst das Zitat Hegels an, nach dem die Ironie bei Solger nicht bloß (wie bei Schlegel) als 51 BI, 259 / SKS 1, 292. Die Bestimmung fällt auch BI, 25, 214 f. Anm., 263, 266, 276, 278, 318, 328 / SKS 1, 87, 253 Anm., 297, 299, 307, 309, 343, 352. Diese Wendung findet sich bei Hegel in der Einleitung der sthetik, wenn auch nur ein einziges Mal im Bezug auf Solger, vgl. sth. I, TWA 13, S. 98; vgl. auch sth. I, TWA 13, S. 211, wo Hegel die romantische Ironie im Ganzen als „absolute Negativität“ bezeichnet. 52 Diese These wird vertreten von Agacinski und im Anschluss von Behler; vgl. Agacinski Apart, S. 35 – 38 und Behler Ironie und literarische Moderne, S. 168 – 170. Vgl. hierzu auch Kleinert, der in Bezug auf Kierkegaards Abgrenzung des ironischen Nichts vom spekulativen und mystischen Nichts (vgl. BI, 263 / SKS 1, 296) die These vertritt, Kierkegaard werfe „Hegel vor, die unendliche absolute Negativität nur als das negativ-vernünftige Moment des Wahren zu begreifen“ (Kleinert Sich verzehrender Skeptizismus, S. 123). 53 Vgl. Theunissen Der Begriff Ernst, S. 18: „[S]eine Negativität trägt gleichsam die Positivität seiner geschichtlichen Folgen virtuell in sich.“

2. Die Ironie als Standpunkt des Sokrates

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„vornehm sein sollender Spuk“, sondern als „Prinzip“ zu verstehen sei.54 Weiter heißt es in auffälliger Parallelität zur sechsten These der Magisterdissertation, Solger habe sich „vollkommen im Negativen verlaufen“.55 Und Kierkegaard fügt hinzu, „das Negative“ werde aber „stets nur am Positiven sichtbar“; Solger sei als „Opfer“ zu verstehen, das „Hegels System forderte“.56 Daraus erkläre sich Hegels „Vorliebe“ für Solger, dieser sei „der metaphysische Ritter des Negativen“; seine Bestrebungen hielten sich „ganz innerhalb des Gebietes der Wissenschaft.“57 Kierkegaard schließt seine Ausführungen wie folgt: Fassen wir nun zusammen, was hier betreffs Solgers entwickelt worden ist, so wird es sich zeigen, dass sein Standpunkt, wie er ihn selber bezeichnet hat, Ironie war, nur dass seine Ironie spekulativer Natur war. Bei ihm ist die unendliche absolute Negativität ein spekulatives Moment, er hat die Negation der Negation, gleichwohl aber hängt ein Schleier vor seinen Augen, so dass er die Affirmation nicht sieht.58

Daraus folgt freilich keineswegs, dass Kierkegaard auch die Ironie des Sokrates solcherart als ,spekulatives Moment‘ verstehe – es sollte aber deutlich geworden sein, dass die Struktur unendlicher absoluter Negativität als solche sich dem Bezug zur Positivität nicht widersetzt. Die im gleichen Augenblick durch ihr Begreifen im Hegelschen Terminus zurückgenommene Reserve gegen das Hegelsche System liegt hingegen darin, dass die Ironie des Sokrates als persönlicher, als existenzieller Standpunkt aufgefasst wird. Diese Ambivalenz schreibt sich auch in der näheren Bestimmung der Ironie als Standpunkt fort. Hier denkt Kierkegaard gleichsam mit einem Hegelschen Begriff gegen eine Hegelsche These. Der zentrale Einwand Kierkegaards richtet sich gegen Hegels Auffassung, Sokrates sei schon im positiven Besitz der Idee des Guten gewesen.59 Wird hingegen Sokrates 54 Vgl. Hegel Solgers nachgelassene Schriften und Briefwechsel [1828], TWA 11, S. 205 – 274, hier S. 254 und BI, 314 / SKS 1, 340. 55 BI, 315 / SKS 1, 341; vgl. die sechste These: „Sokrates hat sich der Ironie nicht bloß bedient, er ist vielmehr der Ironie dermaßen hingegeben gewesen, dass er selbst ihr Opfer wurde“ (BI, 3 / SKS 1, 65). 56 BI, 315 / SKS 1, 341. 57 BI, 315 / SKS 1, 341. 58 BI, 328 / SKS 1, 352; auch dies verweist auf Hegel, vgl. Solgers nachgelassene Schriften, TWA 11, S. 237 f., wo von der „Negation der Negation als wahrhafte[r] Affirmation“ gesprochen wird. 59 Vgl. Hegel GeschPhil. I, TWA 18, S. 476 – 478 und Kierkegaards Kommentar BI, 237 – 240 / SKS 1, 273 – 276.

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III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie

wesentlich als Ironie begriffen, so zeigt sich, dass Sokrates zwar auf das Positive hindeutet, selbst aber eben die unendliche absolute Negativität ist. Dazu heißt es, die Ironie „ist Negativitt, denn sie verneint bloß; sie ist unendlich, denn sie verneint nicht diese oder jene Erscheinung; sie ist absolut, denn dasjenige, kraft dessen sie verneint, ist ein Höheres, das doch nicht ist.“60 Die ersten beiden Glieder dieser Wendung machen deutlich, dass die Ironie sich verneinend auf die Gesamtheit der ,Erscheinung‘ bezieht; der Ironiker ist überhaupt und schlechthin negativ. Im dritten Glied erst tritt die Frage nach der Positivität der Ironie in den Blick. Die Ironie vernichtet nicht das Endliche durch das Endliche, sondern durch die Idealitt – die aber nicht positiv gegeben ist. Nach einer Bestimmung im ersten Kapitel der Schrift hebt die Ironie als Negativität „das Individuum aus der unmittelbaren Existenz“61 heraus; solcherart hat zwar Sokrates „die Idealitt gewonnen“,62 aber diese Idealität ist nicht positiv erreicht, sie bleibt abstrakt: „Sein [Sokrates’] Abstraktes ist durchweg ein inhaltsleeres Bezeichnen. Er geht von dem Konkreten aus und kommt zum Abstraktesten, und dort, wo die Untersuchung nun beginnen sollte, dort hört er auf“.63 Pointiert fasst Kierkegaard zusammen: „Die Wirklichkeit wurde durch das Absolute zum Nichts, aber das Absolute war wieder ein Nichts.“64 Damit ist zugleich die Kritik angedeutet, welcher der Sokratische Standpunkt implizit unterworfen ist. Obgleich nämlich Kierkegaard in seiner Bestimmung der Ironie als Standpunkt den Ansatz für seine im pseudonymen Werk entfaltete Frage nach dem konkreten Existieren gewinnt, wird Sokrates nicht als Beispiel eines gelingenden Existenzvollzugs vorgeführt: Die Ironie ist zwar „eine Bestimmung der Subjektivitt“,65 aber in ihr ist das Subjekt nur „negativ frei“.66 Im zweiten Teil der Schrift erläutert Kierkegaard diese ,Unvollkommenheit‘ des Sokrates – nun ganz in Übereinstimmung mit Hegel – dadurch, dass sie bloß „die erste und BI, 266 / SKS 1, 299. Vgl. hierzu Hühn „Ironie und Dialektik“, bes. S. 33 f. BI, 49 Anm. / SKS 1, 109 Anm. BI, 130 / SKS 1, 178. BI, 46 / SKS 1, 107. Auch dies ist wieder eine kritische Auseinandersetzung mit Hegel; nach diesem besteht nämlich die Tätigkeit des Sokrates darin, die abstrakten Begriffe konkret zu machen. Vgl. Hegel GeschPhil. I, TWA 18, S. 459 und Kierkegaards kritische Diskussion dieser Passage BI, 272 / SKS 1, 304. 64 BI, 242 / SKS 1, 277. Diese Passage steht kurz vor Ende der „Beilage. Hegels Sokratesverständnis“. 65 BI, 266 / SKS 1, 299. 66 BI, 267 / SKS 1, 299, vgl. auch BI, 251 / SKS 1, 286.

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3. Die weltgeschichtliche Betrachtung der Ironie

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abstrakteste Bestimmung der Subjektivitt“67 gewesen sei. Hiermit ist die Untersuchung, in den Worten Kierkegaards, „weltgeschichtlich orientiert“.68

3. Die weltgeschichtliche Betrachtung der Ironie Schon das dritte Kapitel des ersten Teils, die „Notwendigmachung des Verständnisses“, führt die weltgeschichtliche Perspektive69 der Untersuchung ein: Sokrates stelle sich dem Beobachter als „großartige Pause im Gange der Geschichte“ und „Gedankenstrich in der Weltgeschichte“ dar,70 als in sich verschlossene und dem unmittelbaren Zugriff entzogene Gestalt, mit der gleichwohl die folgende Entwicklung beginne. In Anspielung auf Hegels Anfang der Wissenschaft heißt es, Sokrates sei als „Moment in der Entwicklung des Weltgeistes“ das „Nichts, mit dem dennoch begonnen werden muss“; er bezeichne zwar das „Hervortreten der Idee, jedoch wohlgemerkt in ihrer abstrakten Gestalt, in ihrer unendlichen Negativität“.71 Sokrates habe die griechische Substantialität vernichtet, allerdings derart, dass die Heraufkunft des neuen Prinzips – die Subjektivität – noch gleichsam hinter seinem Rücken liege. So sei die Ironie „in Sokrates eine in Wahrheit weltgeschichtliche Leidenschaft“, Sokrates der „Accoucheur“ der Weltgeschichte und die Ironie weltgeschichtliches „Inzitament der Subjektivitt“.72 Bereits diese Bemerkungen stehen offensichtlich zu den oben zitierten ,existenzanalytischen‘ Passagen in einem spannungsreichen Verhältnis. Die Pointe der weltgeschichtlichen Betrachtung zeigt sich aber erst im zweiten Teil der Ironieschrift,73 die die „Entwicklung des Begriffs“74 der Ironie zum Thema hat. Hier soll gefragt werden, inwiefern es 67 BI, 269 / SKS 1, 302; vgl. Hegel GeschPhil. I, TWA 18, S. 441 – 444, S. 514 f. 68 BI, 246 / SKS 1, 282. 69 Vgl. zur weltgeschichtlichen Perspektive in der Ironieschrift K. Brian Söderquist The Isolated Self. Irony as Truth and Untruth in Søren Kierkegaard’s On the Concept of Irony, Kopenhagen 2007, S. 22 – 52. 70 BI, 204 / SKS 1, 244; vgl. hierzu Hühn „Ironie und Dialektik“, S. 34, die diese ,Pause‘ als ein „Innehalten“ interpretiert, das sich der selbstläuferischen Dynamik weltgeschichtlicher Entwicklung entzieht. 71 BI, 204 / SKS 1, 244. 72 BI, 217 / SKS 1, 256. 73 Vgl. für einen kommentierenden Durchgang nochmals Kleinert Sich verzehrender Skeptizismus, S. 121 – 135. 74 BI, 245 / SKS 1, 281.

472

III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie

neben Sokrates „nicht andere Erscheinungsformen“ des Begriffs gebe.75 Dabei unterscheidet Kierkegaard zwei Formen der Ironie als Bestimmungen der Subjektivität: diejenige, „in welcher die Subjektivitt zum ersten Mal in der Weltgeschichte ihr Recht geltend macht“,76 und eine „zweite Potenz der Subjektivitt“, die nun als reflektierte Subjektivität „sich der Ironie deutlich und bestimmt bewusst wird“ und „die Ironie als [ihren] Standpunkt ausspricht.“77 Die erste Erscheinungsform ist durch Sokrates bezeichnet, die zweite durch die Romantik – und Kierkegaard lässt die Entwicklung in Hegel enden: Endlich fand auch die Ironie hier ihren Meister in Hegel. Während die erste Form der Ironie nicht bekämpft wurde, sondern dadurch beruhigt, dass der Subjektivität ihr Recht widerfuhr, wurde die zweite Form der Ironie bekämpft und vernichtet; denn da sie unberechtigt war, konnte ihr allein dadurch ihr Recht widerfahren, dass sie aufgehoben wurde.78

Damit ist die Blickbahn des zweiten Teils der Schrift angezeigt: Der Begriff der Ironie wird bezüglich seiner zwei welthistorischen Erscheinungsformen diskutiert, von denen die erste, die Sokratische, berechtigt, die zweite, die romantische, hingegen unberechtigt gewesen und daher zu Recht von Hegel vernichtet worden sei. Die welthistorische Gltigkeit der Ironie des Sokrates fasst Kierkegaard folgendermaßen: Indes war es nicht die Wirklichkeit überhaupt, die er [Sokrates] negierte, sondern es war die zu einer gewissen Zeit gegebene Wirklichkeit, die der Substantialität, so wie diese in Griechenland war, und das, was seine Ironie forderte, war die [Wirklichkeit] der Subjektivität, der Idealität.79

Hier lässt sich plastisch die Verschiebung aufzeigen, die die ,weltgeschichtliche Blickbahn‘ gegenüber der ,existenzanalytischen‘ bedeutet – ergibt sich doch die zitierte Interpretation keineswegs aus der Bestimmung der Ironie als Standpunkt. Sie widerspricht vielmehr der früheren Auffassung in zweifacher Weise: Dass erstens die Ironie als ,unendliche absolute Negativität‘ bloß die ,zu einer gewissen Zeit gegebene Wirklichkeit‘ verneine, folgt nicht aus ihrem Begriff. Als absolute Negativität war es zuvor ausdrücklich ihre Bestimmung, eine jede Wirklichkeit zu 75 76 77 78 79

BI, 245 / SKS 1, 281. BI, 246 / SKS 1, 282. BI, 246 / SKS 1, 282. BI, 247 / SKS 1, 282. BI, 276 / SKS 1, 307 f. Auch dies ist in enger Anlehnung an Hegel entwickelt, vgl. Hegel GeschPhil. I, TWA 18, S. 514 – 516.

3. Die weltgeschichtliche Betrachtung der Ironie

473

verneinen, schlechthin verneinend zu sein. Zweitens aber – und gravierender noch – sollte zuvor die Ironie des Sokrates als Standpunkt und mithin als Bestimmung eines Existenzverhältnisses aufgefasst werden. Nun aber wird das ironische Individuum in eine übergreifende Bewegung hineingezogen, in der es selbst nur noch als weltgeschichtlicher „Wendepunkt“ und „Durchgangsmoment“80 Bedeutung hat. Die Ironie ist nicht mehr wesentlich Existenzbegriff, sie ist nun – wie Kierkegaard im Anschluss an Hegel schreibt – „Weltironie“.81 Zwar bleibt die Ironie Bestimmung der Subjektivitt, der Begriff der Subjektivität aber hat sich gewandelt: Bezeichnete er zunächst den existierenden Ironiker Sokrates, so wird er nun im Sinne einer übergreifenden, weltgeschichtlich sich entwickelnden Subjektivität verstanden, in deren Heraufkunft die Ironie nur die erste Stufe bezeichnet. Zugespitzt formuliert: Die Ironie wird Moment einer Entwicklung – was sie nach ihrer Bestimmung als existenzieller Standpunkt gerade nicht hatte sein sollen. Als Moment stehe die Ironie des Sokrates im „Dienst der Weltironie“82 – nicht aber die romantische Ironie, die Kierkegaard im Folgenden einer weltgeschichtlichen Kritik unterzieht. Diese weltgeschichtliche Kritik ist einmal mehr direkt der Hegelschen Vorlage abgelesen. Am deutlichsten wird dies dort, wo Kierkegaard die Romantik aus einer ,Verkehrung‘ der Fichteschen Lehre vom Ich hervorgehen lässt.83 Durch Fichtes Gleichsetzung des „hervorbringende[n] Ich“ mit dem „hervorgebrachten[n] Ich“ habe er das Denken „unendlich frei“ gemacht; diese Unendlichkeit sei aber eine „negative Unendlichkeit“, das heißt „eine Unendlichkeit, in der keine Endlichkeit ist, eine Unendlichkeit ohne allen Inhalt“.84 Hier sieht nun Kierkegaard den Anknüpfungspunkt der 80 BI, 266 f. / SKS 1, 299 f. Auch dies ist wieder fast wörtlich aus Hegel übernommen, der Sokrates als „welthistorische Person“ und „Hauptwendepunkt des Geistes“ charakterisiert (Hegel GeschPhil. I, TWA 18, S. 441, vgl. auch GeschPhil. I, TWA 18, S. 514 f.). 81 BI, 267 / SKS 1, 300, vgl. Hegel GeschPhil. I, TWA 18, S. 460. 82 BI, 267 / SKS 1, 300. 83 Diese Ableitung findet sich bei Hegel durchgehend, wenn er von der Ironie spricht, vgl. Hegel Rph., TWA 7, S. 280 f., S. 285 f.; sth. I, TWA 13, S. 93; GeschPhil. I, TWA 18, S. 460; GeschPhil. III, TWA 20, S. 415 f. sowie die im Folgenden zitierte Passage aus der Solger-Rezension. 84 BI, 278 / SKS 1, 309. Vgl. hierzu auch Jørgen Huggler „Der Anfang und das Sollen. Über Kierkegaards Fichte-Deutung in ber den Begriff der Ironie“ in Kierkegaard und Fichte. Praktische und religiçse Subjektivitt, hrsg. v. Jürgen Stolzenberg / Smail Rapic, Berlin / New York 2010, S. 23 – 46.

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III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie

Romantiker.85 Schlegel und Tieck hätten Fichtes Gedanken des „Ich“, das „konstitutive Gltigkeit hat“,86 aufgegriffen und sich anverwandelt – dabei sei aber eine ,Verwechslung‘ unterlaufen: Zum ersten verwechselte man das empirische und endliche Ich mit dem ewigen Ich; zum zweiten verwechselte man die metaphysische Wirklichkeit mit der historischen Wirklichkeit. Man wandte derart einen unausgereiften metaphysischen Standpunkt ohne weiteres auf die Wirklichkeit an. Fichte wollte die Welt konstruieren; aber das, was er meinte, war ein systematisches Konstruieren. Schlegel und Tieck wollten eine Welt erschaffen.87

Der ,Fehler‘ der Romantiker bestehe darin, dass sie den Versuch Fichtes, im Ich den ersten Erkenntnisgrund für die Wissenschaft zu setzen, unmittelbar auf die historisch konkrete Wirklichkeit angewandt hätten. Daraus folgt nun für Kierkegaard, dass diese Ironie „nicht im Dienst des Welt-Geistes“ stehe;88 und der zentrale Vorwurf aus weltgeschichtlicher Perspektive lautet, die Romantiker hätten nicht „ein Moment der gegebenen Wirklichkeit“ durch „ein neues Moment“ verneinen und ersetzen wollen – sie hätten vielmehr „die gesamte historische Wirklichkeit“ verneint, um „Platz zu schaffen für eine selbstgeschaffene Wirklichkeit.“89 Hier wird die Abgrenzung zur ,berechtigten‘ Sokratischen Ironie greifbar: Die Suspendierung der Wirklichkeit dient im Falle des Sokrates dazu, die Subjektivität in die Welt kommen zu lassen, sie bringt also in der Entwicklung des Weltgeistes ein wesentliches Moment zur Erscheinung. Dies trifft aber auf die romantischen Ironiker offenbar keineswegs zu: Ihre Verneinung der Wirklichkeit hat einzig den Zweck, der eigenen Phantasie und Schaffenskraft einen unendlichen Spielraum zu eröffnen. 85 Vgl. hierzu Hühn „Das Schweben der Einbildungskraft“, bes. S. 569 u. S. 587 – 596. 86 BI, 280 / SKS 1, 311. 87 BI, 280 / SKS 1, 311. Vgl. bes. Hegels Solger-Rezension, in der dies zum Teil wörtlich vorgeprägt ist. Dort beschreibt Hegel Schlegels „Verkehrung“ des Fichteschen Standpunkts: „In der angeführten Form ist jene Negativität nur in der einseitigen, endlichen Affirmation geblieben, welche sie als Ich hat. In dieser nur subjektiven Affirmation ist sie aus der Fichteschen Philosophie mit Unverständnis des Spekulativen und Beiseitesetzung desselben von Friedrich von Schlegel aufgenommen und aus dem Gebiete des Denkens so herausgerissen worden, daß sie, direkt auf die Wirklichkeit gewendet, zur Ironie gediehen ist“ (Hegel Solgers nachgelassene Schriften, TWA 11, S. 255, vgl. auch ebd., S. 232 f.). Auf die SolgerRezension verweist Kierkegaard ausdrücklich; dort fänden sich „vortreffliche Bemerkungen“ über die Ironie (BI, 248 / SKS 1, 284). 88 BI, 280 / SKS 1, 311. 89 BI, 280 / SKS 1, 311.

4. Die ,existenzanalytische‘ Kritik der romantischen Ironie

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Nochmals zeigt sich in dieser Kritik das Schwanken von Kierkegaards Auffassung der Ironie: Wurde zunächst Hegels Sokratesinterpretation kritisiert, sofern sie die Ironie nur als Moment auffasse, wohingegen Kierkegaard den Standpunkt der Ironie als Totalittsbestimmung des Sokrates festhalten wollte, – so wird nun in weltgeschichtlicher Perspektive der Romantik vorgeworfen, die Ironie totalisiert und nicht als Moment in eine übergreifende Entwicklung eingebracht zu haben.

4. Die ,existenzanalytische‘ Kritik der romantischen Ironie Die Auslegung der Ironie des Sokrates vollzieht offensichtlich einen Perspektivenwechsel von der ,Standpunkt‘-Blickbahn zur weltgeschichtlichen Optik. In der Kritik der romantischen Ironie lässt sich nun der umgekehrte Wechsel der Perspektive aufzeigen, ohne dass dies von Kierkegaard ausdrücklich hervorgehoben würde.90 Die zweite Hinsicht der Kritik setzt am Gedanken der poetisch selbstgeschaffenen Wirklichkeit an und führt nun den romantischen Ironiker als Typus scheiternder Existenz vor. Zunächst erläutert Kierkegaard, die romantische Ironie habe die Wirklichkeit in die Schwebe gesetzt – und im Gegenzug gerate der Ironiker nun selbst ins Schweben.91 Daran anschließend formuliert Kierkegaard die entscheidende Existenzbestimmung der romantischen Ironie: „Ihre Wirklichkeit ist bloß Mçglichkeit.“92 Die romantische Ironie erlangt in ihrer Suspendierung der Wirklichkeit einen bloßen Mçglichkeitsspielraum, der es dem Ironiker zugleich unmçglich macht, eine konkrete Wirklichkeit zu ergreifen: Der Ironiker lebt „ganz und gar hypothetisch und konjunktivisch“, und „so verliert sein Leben alle Kontinuitt.“93 In einer Geste, die die Pseudonyme als ,psychologische‘ kennzeichnen würden, spürt nun Kierkegaard hinter der Zersplitterung und Instabilität des romantischen Ich dennoch ein verbindendes Moment auf: die Langeweile. „Langeweile ist die einzige Kontinuitt, die der Ironiker hat. Langeweile, diese inhaltslose Ewigkeit, diese genusslose Seeligkeit, diese

90 Vgl. zu den verschiedenen Nuancen der Romantikkritik auch Söderquist The Isolated Self, S. 139 – 176. 91 Vgl. BI, 285 / SKS 1, 315. 92 BI, 285 / SKS 1, 315. 93 BI, 290 / SKS 1, 319.

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III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie

oberflächliche Tiefe, diese hungrige Übersättigung.“94 Die romantische Existenz besteht nur in dem Kontrast der Stimmungen, im Wechsel der selbst erdichteten Wirklichkeiten – und so versinken ihre differenten poetischen Entwürfe, da sie sich ohne Bezugspunkt willkürlich aneinanderreihen, in der Indifferenz der Langeweile. Es ist offensichtlich, dass Kierkegaard in diesen Passagen die Kritik des ästhetischen Typus vorbereitet, die insbesondere in Entweder/Oder formuliert wird und an der skizzierten Analyse der Langeweile unmittelbar ansetzt. In der Magisterdissertation selbst bleibt die ,existenzanalytische‘ Kritik aber zweifelsohne der dominierenden welthistorischen Blickbahn untergeordnet. Vergleicht man rückblickend nochmals diese beiden Modi der Kritik, so zeigt sich gerade in Bezug auf Sokrates eine Ambivalenz: Nur die welthistorische Blickbahn vermag nämlich eine klare Unterteilung vorzunehmen: Die Sokratische Ironie erscheint als berechtigt, die romantische als unberechtigt. Auf der zweiten, existenzanalytischen Linie ergibt sich keine derart einfache Trennung; offenbar müssen wesentliche Aspekte der Kritik an der romantischen Ironie auch auf die Sokratische übertragen werden. Zwar erscheint Sokrates nicht als poetisierende und in die eigene Poetisierung verstrickte Gestalt; der zentrale Vorwurf gegen die Romantik, sie verbleibe in einer abstrakten Subjektivität und gelange niemals zur Wirklichkeit, lässt sich aber gegen den von Kierkegaard als Existenztypus interpretierten Sokrates ebenfalls formulieren. Es ist festzuhalten, dass in der Ironieschrift der wesentliche Unterschied zwischen Sokrates und dem romantischen Ironiker nur in der weltgeschichtlichen Blickbahn nachzuweisen ist – also dort, wo die Ironie nicht als sie selbst, sondern in Bezug auf die übergreifende geschichtliche Entwicklung aufgefasst wird.

5. Die ,Ironie als beherrschtes Moment‘ Im letzten, kurzen Abschnitt der Schrift schließlich skizziert Kierkegaard unter dem Titel „Ironie als beherrschtes Moment. Die Wahrheit der Ironie“ eine eigene Konzeption der Ironie – und hier spitzt sich die Ambivalenz der Untersuchung nochmals zu.95 Dies lässt sich schon am 94 BI, 291 / SKS 1, 320. Vgl. zur Langeweile nochmals Hühn „Das Schweben der Einbildungskraft“, S. 597 – 599. 95 Vgl. zur Widersprüchlichkeit dieser Konzeption auch Kleinert Sich verzehrender Skeptizismus, S. 130 – 134. Schon Hirsch meint, dass „diese alles lösende Formel

5. Die ,Ironie als beherrschtes Moment‘

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Titel des Abschnitts demonstrieren. Einerseits nämlich muss es angesichts der Kritik an Hegels Sokrates-Auffassung irritieren, dass die Ironie gerade als ,beherrschtes Moment‘ zu ihrer Wahrheit kommen soll. Tatsächlich fällt diese Formulierung bereits in der Auseinandersetzung mit Hegel. In kritischer Absicht heißt es nämlich am Ende des ersten Teils, dass „Hegel die Ironie bei Sokrates eher versteht als ein beherrschtes Moment.“96 Zugespitzt formuliert: Im Schlussabschnitt begeht Kierkegaard gerade denjenigen ,Fehler‘, den er an Hegels Sokratesinterpretation moniert hatte. Andererseits zeigt aber der Zusatz „Die Wahrheit der Ironie“, dass Kierkegaard sich auch im Schlussabschnitt um eine Abgrenzung von Hegel bemüht. Zwar stimmt nämlich Kierkegaard Hegels Kritik der romantischen Ironie zu; er meint aber zugleich, Hegel habe der Ironie im Ganzen Unrecht getan, indem er sie allein mit ihrer romantischen Form identifiziere. So heißt es im zweiten Teil: Hiermit soll nun keineswegs gesagt werden, dass Hegel nicht gegen die Brüder Schlegel recht hätte, und dass die Schlegel-Schlegelsche Ironie nicht ein sehr bedenklicher Abweg wäre; auch soll hiermit nicht etwas anderes gesagt werden, als dass Hegel sicherlich großen Nutzen gestiftet hat durch den Ernst, mit dem er gegen jede Isoliertheit auftritt, einem Ernst, der macht, dass man manche Darlegung mit viel Erbauung und Stärkung lesen kann; wohl aber soll damit gesagt sein, dass Hegel, indem er sich einseitig gegen die nachfichtesche Ironie wandte, die Wahrheit der Ironie bersehen hat, und [dass er,] indem er alle Ironie mit dieser identifizierte, der Ironie Unrecht getan hat.97

Gegen Hegels ,Missverständnis‘ der Ironie soll also nun im Schlussabschnitt deren Wahrheit ,gerettet‘ werden – zugleich aber will Kierkegaard offenbar Hegels Kritik der Romantik mit aufnehmen. So soll die be,Ironie als beherrschtes Moment‘ keine Lösung, sondern ein Knoten von Widersprüchen ist“; als „ständiges sich der Ironie Erinnern und sie wieder Vergessen“ drohe die beherrschte Ironie auf ein „spielendes Abwechseln zwischen romantischen und hegelischen Launen“ hinauszulaufen – was nach Hirsch „nichts als eine besonders verwickelte oder aber schäbige Abart der Ironie“ wäre (Hirsch Kierkegaard-Studien, Bd. 2, S. 155 [S. 600 f.]). 96 BI, 242 / SKS 1, 278. 97 BI, 270 f. / SKS 1, 303. Vgl. hierzu Hühn „Ironie und Dialektik“, S. 32. – Der Passus zeigt nochmals, dass die Position der Ironieschrift noch nicht die des pseudonymen Werks und insbesondere nicht die der Nachschrift ist. Dort klagt nämlich Climacus gegen Hegel die Einzelheit der Existenz ein und bezeichnet diese ausdrücklich als ,Isolation‘ (vgl. AUN1, 65 / SKS 7, 73). Vgl. dazu auch die oben, Abschnitt 1 zitierten retrospektiven Bemerkungen Kierkegaards, in denen das Thema ebenfalls benannt ist.

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III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie

herrschte Ironie im Ganzen eine Konzeption bezeichnen, die einerseits die verabsolutierte, losgelöste Ironie des in sich zerrissenen romantischen Subjekts zu bändigen vermag, andererseits aber die Ironie als wesentliche Bestimmung festhält. Dass aber Kierkegaard in der Ironieschrift noch keine klare Position gegenüber Hegel entwickelt hat, zeigt sich darin, dass er in der konkreten Entwicklung der beherrschten Ironie abermals auf einen hegelianischen Term zurückgreifen muss: Die beherrschte Ironie wird durchweg als Vermittlung aufgerufen.98 So soll sie etwa dafür eintreten, dass der Mensch „selbst in der Zeit, in der er lebt, orientiert und also in sie eingeordnet ist, positiv frei ist in der Wirklichkeit, der er angehört.“99 Sodann soll sie gegenüber dem grenzenlosen ,Subjektivismus‘ der romantischen (aber typologisch auch der Sokratischen) Ironie „dem Objektiven Raum […] geben.“100 Weiterhin ist im Horizont der beherrschten Ironie die „Möglichkeit nicht so spröde, dass sie sich nicht in eine Wirklichkeit einfügen wollte, sondern die Wirklichkeit ist die Möglichkeit“;101 die beherrschte Ironie „limitiert, verendlicht, begrenzt, und gewährt damit Wahrheit, Wirklichkeit, Inhalt; sie zchtigt und straft und gibt damit Haltung und Konsistenz.“102 Die vornehmliche Funktion der beherrschten Ironie besteht demnach darin, eine jede entgrenzte Ironie zu zügeln, sie „zum Halten“ zu bringen „in der unwegsamen Unendlichkeit, in der sie verzehrend voranstürmt“.103 In all diesen Bestimmungen wird deutlich, dass der beherrschten Ironie eine ausgleichende und eben vermittelnde Funktion zugesprochen wird, – dies gelingt aber nur dadurch, dass sie zu einem bloßen Moment herabgespannt wird. Zugleich aber will Kierkegaard – und hier besteht der Widerspruch – die Ironie doch in einer wesentlichen Bedeutung festhalten. Bemerkenswerterweise setzt Kierkegaard nun genau dort wieder an, wo er die Ironie als Standpunkt ausgewiesen hatte, nämlich in der Kritik am wissenschaftlichen System. Kierkegaard empfiehlt die beherrschte Ironie als „Wegleiterin“;104 und gerade „in unserer Zeit“ müsse man die Ironie anempfehlen, da die Wissenschaft „in den Besitz eines so 98 Vgl. zur beherrschten Ironie als „Vermittlungsbegriff“ auch Tjønneland Ironie als Symptom, S. 261 – 288. 99 BI, 330 f. / SKS 1, 354. 100 BI, 328 / SKS 1, 353. 101 BI, 330 / SKS 1, 354. 102 BI, 331 / SKS 1, 355. 103 BI, 331 / SKS 1, 354. 104 BI, 332 / SKS 1, 355.

5. Die ,Ironie als beherrschtes Moment‘

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ungeheuren Resultates gelangt [ist], dass es dabei kaum mit rechten Dingen zugehen kann“.105 Hier gibt die Ironie den Weg vor: „Die Ironie ist als das Negative der Weg; nicht die Wahrheit, sondern der Weg“.106 Und weiter heißt es: „Man hat in unserer Zeit vor Freude am Resultat vergessen, dass ein Resultat doch keinen Wert hat, wenn es nicht erworben ist. […] Jeder, der ein Resultat als solches hat, besitzt es nicht; denn er hat den Weg nicht.“107 In dieser näheren Bestimmung der Ironie prägen sich zwei gegenläufige Konzeptionen aus: Einerseits gibt die Ironie als Wegleiterin „nicht jenen Weg, auf dem derjenige, der sich einbildet, das Resultat zu haben, dahin kommt, es zu besitzen; sondern jenen andern Weg, auf welchem das Ergebnis ihn verlässt.“108 Andererseits aber greift Kierkegaard im unmittelbaren Anschluss den Gedanken des ,erworbenen Resultats‘ wieder auf: „Dazu kommt, dass es wohl zunächst als die Aufgabe unserer Zeit angesehen werden muss, die Resultate der Wissenschaft in das persönliche Leben zu übersetzen, sich diese persçnlich anzueignen.“109 Mag auch zwischen diesen beiden Bestimmungen eine Spannung bestehen, so wird doch deutlich, dass Kierkegaard wieder zu dem Gedanken zurückkehrt, die ,persönliche Existenz‘ sei mit dem wissenschaftlichen System nicht einfach kommensurabel. Als bruchlose Vermittlung erscheint die beherrschte Ironie jedenfalls an dieser Stelle nicht mehr – sie führt den Einzelnen entweder vom wissenschaftlichen Ergebnis fort, oder sie bersetzt die Resultate der Wissenschaft in eine andere Sphäre, die des ,persönlichen Lebens‘. Dass hier wieder die ,existenzanalytische‘ Blickbahn aufgenommen wird, zeigt sich auch im Vorblick auf das pseudonyme Werk. Tatsächlich sind nämlich die beiden hier skizzierten ,Wege‘ – das Fortführen vom Resultat und die Aneignung – zwei für die spätere Bestimmung indirekter Mitteilung zentrale Konzeptionen: Die ,Abschaffung‘ des Resultats entspricht der Konzeption der Nachschrift, die übersetzende Aneignung der wissenschaftlichen Resultate dem Begriff Angst. In der Angstschrift ist die Form der indirekten Mitteilung dadurch gekennzeichnet, dass Vigilius Haufniensis eine wissenschaftliche Untersuchung des Angstphänomens vornimmt, aber zugleich darauf besteht, dass dies ein nur 105 106 107 108 109

BI, 332 / SKS 1, 356. BI, 332 / SKS 1, 356; Kierkegaard spielt hier an auf Joh 14, 6. BI, 332 / SKS 1, 356. BI, 333 / SKS 1, 356. BI, 333 / SKS 1, 356.

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III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie

hindeutendes Verfahren ist, das wesentlich der Aneignung bedarf 110 – und auf diesem Weg eine Wissenschaft betreibt, die sich selbst entgegenarbeitet. Johannes Climacus bezieht in seiner unwissenschaftlichen Untersuchung gleichsam die komplementäre Position und gewinnt gerade in der Abstoßung vom objektiven, auf das Resultat fixierten Denken seinen Ausgangspunkt für die unabgeschlossene Doppelreflexion indirekter Mitteilung.111 Von diesen beiden Bestimmungen ist allerdings die Ironieschrift noch weit entfernt, die Ausführungen bleiben skizzenhaft. Wie genau die beherrschte Ironie dem bloßen Ergebnis entgegenstehen oder die Aneignung der wissenschaftlichen Resultate garantieren soll, wird nicht ausgeführt. Zudem stehen die ,existenziellen‘ Bestimmungen der beherrschten Ironie ungeschieden neben ihren Vermittlungsaspekten. Im Anschluss an diese „praktische Hinsicht“ wendet sich Kierkegaard der ,Theorie‘ zu – und wieder ist hier die beherrschte Ironie als Vermittlung gedacht: „In theoretischer Hinsicht muss das Wesen sich zeigen als die Erscheinung.“112 Diese Bestimmung schließt unmittelbar an die Vermittlung von Objektivem und Subjektivem, von Möglichkeit und Wirklichkeit an. Zugleich aber verweist sie zurück auf die Einleitung der Ironieschrift, die es abschließend in den Blick zu nehmen gilt.

6. Die Darstellungsstruktur der Ironie Bevor allerdings die Einleitung zum Gegenstand der Untersuchung gemacht wird, ist die bis zu diesem Punkt entfaltete Konzeption der Ironieschrift nochmals zusammenfassend anzuzeigen. Die gleiche strukturelle Heterogenität der Abhandlung zeigt sich in wenigstens drei Hinsichten: 1) Die Sokratische Ironie soll einerseits als Standpunkt gegenüber der systematischen Betrachtung festgehalten werden, andererseits aber wird sie als Moment einer systematisch-weltgeschichtlichen Entwicklung in Anspruch genommen. 2) Die romantische Ironie wird einerseits als scheiternde Existenzform kritisiert, andererseits als welthistorisch unberechtigte Entwicklung einer übergreifenden Subjektivität vorgeführt. 3) Die beherrschte Ironie schließlich setzt einerseits beim problematischen Verhältnis von existierendem Einzelnen und wissen110 Vgl. BA, 13 / SKS 4, 323. 111 Vgl. AUN1, 65 / SKS 7, 73. 112 BI, 334 / SKS 1, 357.

6. Die Darstellungsstruktur der Ironie

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schaftlichem Resultat an, soll aber andererseits gerade die Vermittlung von Subjektivem und Objektivem, von Möglichkeit und Wirklichkeit, von Wesen und Erscheinung gewährleisten. In allen drei Hinsichten kollidiert eine auf die Existenz sich richtende Perspektive mit einer an Hegel angelehnten Verfahrensweise. Dabei nimmt stets die erste Hinsicht eine im späteren Werk explizit gegen Hegel (und den Hegelianismus) gerichtete Kritik vorweg – während die zweite Hinsicht das später Kritisierte noch affirmativ festhält. Als komplex zeigt sich die Anlage der Ironieschrift zudem darin, dass Kierkegaard sich trotz enger Anlehnung an Hegelsche Perspektiven und Begriffe inhaltlich in beinahe allen wesentlichen Thesen von Hegel abgrenzt – ohne allerdings soweit zu gehen, dass er mit dem Hegelschen Ansatz im Ganzen bricht.113 Wird nun die eingangs gestellte Frage nach Vorformen indirekter Mitteilung in der Ironieschrift wieder aufgenommen, so ist sie gemäß der Ambivalenz der Abhandlung doppelt zu beantworten: Einerseits verweist die existenzanalytische Blickbahn in ihrer Abgrenzung von einer systematischen Inkorporation der Ironie genau auf jenen Ort, auf den auch indirekte Mitteilung abzielen wird, nämlich die Bestimmung der einzelnen Existenz. Andererseits wird die existierende ironische Individualität durch die folgende weltgeschichtliche Entwicklung in einen Prozess hineingenommen, innerhalb dessen sie zum bloßen Moment einer übergeordneten Bewegung herabsinkt – und dabei nimmt die Ironieschrift eine Verfahrensweise in Anspruch, von der sich die indirekte Mitteilung entschieden abgrenzen wird. In der beherrschten Ironie ließen sich zwar im Einzelnen Vorformen der indirekten Mitteilung aufweisen, diese werden aber durch die Vermittlungsstruktur der dort gegebenen Ironiekonzeption sogleich zurückgenommen und verdeckt. Zudem lässt sich eine Vorform der Durchfhrung indirekter Mitteilung in der Ironieschrift nicht aufweisen, und dies deshalb nicht, weil die Ironieschrift ihre heterogenen Perspektiven nicht zuspitzt. Mithin kann sie nicht als konsequente Form des ,Sich-entgegen-Arbeitens‘ gelesen werden. Überdies wird selbst dort, wo die Ironieschrift das Anliegen der indirekten Mitteilung vorwegnimmt, die Ironie als Bestimmung der Subjektivität aufgefasst, als ihr Standpunkt – und nicht strukturell als die Art und Weise, in der von Existenz gesprochen werden könnte, das heißt als Mitteilung oder Methode. Vielmehr scheint die Untersuchung der Ironie in der ,unendlichen absoluten Negativität‘ eine direkte begriffliche Be113 Vgl. zu diesem Punkt auch Theunissen Der Begriff Ernst, S. 14.

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III.1 Der Einzelne und die Weltgeschichte – ber den Begriff der Ironie

stimmung ihres Gegenstandes geben zu können, wenn freilich auch eine negativ-direkte. Dass aber trotz all dessen eine wesentliche strukturelle Parallele zwischen Ironie und indirekter Mitteilung besteht, zeigt sich, wenn auf die allererste und noch vorläufige Auffassung des Sokrates zurückgegangen wird, die Kierkegaard am Ende der Einleitung formuliert. Hier wird nun sichtbar, dass es mit der Bestimmung des Sokratischen Standpunktes eine eigentümliche Bewandtnis hat: Er [Sokrates] gehörte nämlich zu derjenigen Art von Menschen, wo man nicht bei dem Äußeren als solchem stehen bleiben kann. Das Äußere deutete ständig auf ein Anderes und Entgegengesetztes hin. Mit ihm war es nicht so wie mit einem Philosophen, der seine Anschauungen vorträgt, wo eben dieser sein Vortrag die Gegenwart der Idee selbst ist, sondern das, was Sok. sagte, bedeutete etwas anderes. Das Äußere war überhaupt nicht in harmonischer Einheit mit dem Inneren, sondern eher sein Gegensatz, und allein unter diesem Brechungswinkel ist er aufzufassen.114

In der gleichsam vorweggeschickten Hindeutung, dass der Gegenstand der Untersuchung sich der Darstellung beständig entziehen, in seiner Eigentümlichkeit stets unfasslich bleiben wird, liegt der sichtbarste Vorschein dessen, was Kierkegaards Methode indirekter Mitteilung in Bewegung halten wird. Das Innere des Sokrates entzieht sich einem unmittelbaren Zugriff – nur unter dem ,Brechungswinkel‘ einer dem Äußeren entgegenstehenden Innerlichkeit ist er aufzufassen. Es wäre offensichtlich verkürzend, wollte man den hier aufgeworfenen Gegensatz von Innen und Außen so verstehen, als wäre das Innen das einfache, per Umkehrung zu erschließende Gegenteil des Außen. Vielmehr hält die Inkommensurabilität von Außen und Innen, deren Verhältnis fragwürdig ist und bleibt, das Vorhaben der gesamten Untersuchung in eine unaufhebbare Zweideutigkeit hinein – nämlich auf einen Gegenstand hinzusprechen, der wesentlich unzugänglich ist. Damit ist nun in der Tat ein zentrales Motiv indirekter Mitteilung vorweggenommen: Der Darstellungsaspekt der indirekten Methode bezeichnet das affirmativ gewendete Paradox, auf eine Sphäre hinzudenken, die per definitionem dem denkerischen und begrifflichen Zugriff beständig entgleitet. Zugleich ist damit gefordert, diese Paradoxalität durch die gegenstoßende Selbstzurücknahme der eigenen Denkformen zu unterstreichen.115 114 BI, 10 / SKS 1, 74. 115 Vgl. hierzu Elisabeth Gräb-Schmidt „Ironie als Existenzbestimmung der Unendlichkeit. Zur Differenz des Ironiebegriffs bei Sokrates und Kierkegaard“ in

6. Die Darstellungsstruktur der Ironie

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Betrachtet man allerdings den zuvor erörterten Fortgang der Ironieschrift, so wird man sie kaum als konsequente Durchführung dieses Programms bezeichnen können. Zwar kommt Kierkegaard an einigen Stellen auf das in der Einleitung angezeigte Darstellungsproblem zurück,116 im Ganzen aber wird diese Struktur von anderen Perspektiven der Untersuchung überlagert. Dies gilt schon für die negativ-direkte Bestimmung des Sokratischen Standpunkts und noch mehr für seine weltgeschichtliche Inanspruchnahme. Vollends aufgelöst ist die Inkommensurabilität von Innen und Außen schließlich im letzten Abschnitt über die beherrschte Ironie, die ausdrücklich eine Einheit von Wesen und Erscheinung garantieren soll. Die Figur der inkommensurablen Innerlichkeit wird in der Ironieschrift zudem noch als Spezifikum des ironischen Subjekts verstanden und ist auf das Anliegen bezogen, die Negativitt als wesentliche Bestimmung der Ironie auszuweisen. Es wird dem Auftakt des ersten pseudonymen Werks Entweder/Oder vorbehalten bleiben, diese Figur strukturell auf die Ansprache von Existenz überhaupt auszuweiten. Dass aber die zentrale Figur einer ,Darstellung des Undarstellbaren‘ in der Einleitung der Ironieschrift bereits scharf gefasst ist, wird aus ihren letzten Zeilen nochmals deutlich: Sagen wir nun, dass das, was das Substantielle in seiner [Sokrates’] Existenz ausmachte, Ironie war (dies ist wohl ein Widerspruch, soll es aber auch sein), postulieren wir weiterhin, dass Ironie ein negativer Begriff ist, so sieht man leicht, wie schwierig es wird, das Bild von ihm festzuhalten, ja dass es unmöglich scheint oder zumindest ebenso beschwerlich, wie einen Kobold abzubilden mit der Kappe, die ihn unsichtbar macht.117

Kierkegaard Studies. Yearbook 2009, S. 41 – 69, bes. S. 47, wo „Existenzbezug“ einerseits und „Darstellungsproblematik“ andererseits als die entscheidenden Verbindungslinien zwischen Kierkegaards und Sokrates’ Ironiekonzeptionen benannt werden. 116 Vgl. etwa die Bemerkungen zur Physiognomie des Sokrates (BI, 218 Anm. / SKS 1, 256 f. Anm.) und hierzu Kleinert Sich verzehrender Skeptizismus, S. 104. 117 BI, 10 / SKS 1, 74.

III.2 Innen und Außen – Parallele und Differenz von romantischer Ironie und indirekter Mitteilung Die in der Einleitung der Ironieschrift angezeigte Figur der Inkommensurabilität von Innen und Außen bildet den Horizont der folgenden Verhältnisbestimmung von romantischer Ironie und indirekter Mitteilung. Sofern diese Inkommensurabilität im Sinne eines Darstellungsproblems, nämlich als Darstellung des Undarstellbaren aufgefasst wird, verweist sie auf die strukturelle Parallelität beider Konzeptionen wie auch auf ihre Differenz. Fragt man allerdings nach dem Verhältnis Kierkegaards zur Romantik im Ganzen, so tritt zunächst nicht dieses strukturelle Motiv, sondern Kierkegaards ausdrückliche Kritik der Romantik in den Blick.118 Schon in der Ironieschrift hatte Kierkegaard, wie oben gezeigt, in zweifacher Hinsicht eine Kritik der romantischen Ironie formuliert. Einerseits sucht der junge Kierkegaard in enger Anlehnung an Hegel den Nachweis zu führen, die romantische Ironie sei ,welthistorisch unberechtigt‘; andererseits lässt sich in der Ironieschrift eine Perspektive aufweisen, die den romantischen Ironiker als scheiternde Existenzform kritisiert, der es an Wirklichkeitsvollzug fehle: Die „Wirklichkeit“ der Ironie sei „bloße Mçglichkeit.“119 Dieser zweite Aspekt zieht sich als Kritik des ästhetischen 118 Dies ist auch die dominierende Perspektive insbesondere der älteren Forschung. Vgl. etwa Anna Paulsen „Kierkegaard in seinem Verhältnis zur deutschen Romantik. Einfluss und Überwindung“ in Kierkegaardiana 3, 1959, S. 38 – 47; ausführlich hierzu vom Hofe Die Romantikkritik Sçren Kierkegaards. In der Romantikforschung ist Kierkegaards Kritik (insbesondere in der Ironieschrift) ein fester Topos neben der Hegels und wird zumeist im Verbund mit dieser zurückgewiesen. Vgl. zu den entsprechenden Positionen Schwab „Der ,ganze Kierkegaard im Keim‘ und die Tradition der Ironie“, S. 460 – 477. – Ein differenzierteres Bild von Kierkegaards Verhältnis zur Romantik zeichnen etwa Hagemann und Feger, vgl. Tim Hagemann Reden und Existieren. Kierkegaards antipersuasive Rhetorik, Berlin / Wien 2001, S. 26; Feger Poetische Vernunft, bes. S. 489 – 538. Feger hält fest: „Bei aller Kritik bleibt Kierkegaard der Tradition romantischer Ironie verbunden. Seine Ironiekritik ist hier selbst noch Bestandteil der Entwicklung, zu der sie sich kritisch verhält.“ (ebd., S. 549). 119 BI, 285 / SKS 1, 315.

III.2 Innen und Außen

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Existenztypus von Entweder/Oder an durch das gesamte pseudonyme Werk hindurch und findet schließlich seine schärfste und begrifflich dichteste Formulierung in der Krankheit zum Tode. Was Anti-Climacus in den Abschnitten über die Verzweiflung der Unendlichkeit und die Verzweiflung der Möglichkeit als Modus scheiternder Existenz vorführt, ist der Entwurf eines der Wirklichkeit entfremdeten Phantasten, der sich im unendlichen Möglichkeitsspielraum immer neuer poetischer Konstruktionen ergeht und so einen gelingenden, konkreten Selbstvollzug beständig verfehlt.120 Bezüglich dieser Kritik ist in der älteren Forschung, insbesondere von Rehm und Pivcˇevic´, die These vertreten worden, Kierkegaards gesamtes Schaffen sei als ein lebenslanger ,Kampf‘ mit der romantischen Existenz zu verstehen – und gerade auch mit der eigenen. Nach Pivcˇevic´ entstammt Kierkegaards „Fragestellung […] dem romantischen Problembereich, und in diesem Bereich bleibt sie auch.“121 Entgegen der These, Kierkegaard habe zu einem bestimmten Zeitpunkt die Romantik überwunden, kommt es Pivcˇevic´ auf den zwischen ihm [Kierkegaard] und der Romantik bestehenden, innigen dauernden Zusammenhang an, der sich nicht durch eine Klimax aufgelöst, sondern in eine bestimmte Richtung entwickelt hat – wodurch letztlich eine der romantischen Mçglichkeiten zuwege gebracht wurde.122

Die Pointe von Pivcˇevic´s Interpretation besteht dann darin, auch Kierkegaards „letzte[n] Fragen der höheren Existenzebene“123 auf die Romantik zu beziehen. Ähnlich argumentiert Rehm: In der Ironieschrift beginne „der junge Sören Kierkegaard in Fortführung Hegels […] den lebenslang währenden, quälerisch gegen sich selbst gerichteten und im Grunde aussichtslosen Kampf mit dem ästhetisch-romantischen Typus“;124 noch der von Kierkegaard projektierte ,Sprung in den Glauben‘ sei letztlich ein romantisches Abenteuer.125 Dieses Interpretationsschema vertraut freilich allzu sehr auf psychologische Einsicht in ein vermeintliches, privat-persönliches ,Problem‘ Vgl. KT, 26 – 29, 32 – 34 / SKS 11, 146 – 148, 151 – 153. Pivcˇevic´ Ironie als Daseinsform bei Sçren Kierkegaard, S. 13. Ebd., S. 19. Ebd. Walther Rehm Kierkegaard und der Verfhrer, München 1949 [Nachdruck: Hildesheim 2003], S. 35. 125 Vgl. ebd., S. 28, wo es zum Christlichen heißt, dieses sei „nichts anderes als ein ins Religiöse übertragenes, gleichsam absolut gesetztes, kühnes Wagnis und ein sehr vergeistigtes, sehr sublimes romantisches Abenteuer“. 120 121 122 123 124

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III.2 Innen und Außen

Kierkegaards, um sachlich überzeugen zu können.126 Beachtenswert ist hingegen die differenziertere These, das ästhetische ,Stadium‘ formuliere das sachliche Problem, für welches das gesamte Werk Kierkegaards eine Lösung zu geben versuche: In der momentanistischen und haltlosen ästhetisch-romantischen Existenz analysiere Kierkegaard die Grundbefindlichkeit des in sich zerrissenen modernen Subjektes und mithin den modernen Nihilismus. Bis in die späte Schaffensphase hinein bestehe die Aufgabe des Werkes darin, die Kluft dieser von Langeweile, Schwermut und Verzweiflung gezeichneten Existenz zu schließen.127 Diese zweifelsohne aufschlussreiche Diskussion von Kierkegaards sachlicher Auseinandersetzung mit der romantisch-ästhetischen Existenzform droht allerdings einen entscheidenden Aspekt zu verdecken, der im Folgenden im Mittelpunkt stehen soll. Angesichts Kierkegaards 126 So geht Rehm von der einleitend geäußerten „Überzeugung“ aus, „daß Kierkegaard ein dämonischer Mensch war“ (ebd., S. 8). Zur Kritik dieser Ansätze vgl. Fahrenbach, nach dem Pivcˇevic´ mit der Romantik „eine Problemsituation als die vermeintlich zugrunde liegende“ konstruiere, „die prinzipiell nicht Kierkegaards eigene ist, auch nicht als unbefragt implizierte“; auf dieser Basis sei „die Grundfrage nach Kierkegaards Verhältnis zur Romantik […] gar nicht mehr zu erörtern, sondern schon vorentschieden“ (Helmut Fahrenbach „Die gegenwärtige Kierkegaard-Auslegung in der deutschsprachigen Literatur von 1948 bis 1962“ in Philosophische Rundschau, Beiheft 3, 1962 [Sonderheft KierkegaardLiteratur], S. 1 – 82, hier S. 71, vgl. auch die Kritik an Rehm ebd., S. 68 f.). Vgl. zu Pivcˇevic´ auch Klaus-Michael Kodalle Die Eroberung des Nutzlosen. Kritik des Wunschdenkens und der Zweckrationalitt im Anschluß an Kierkegaard, Paderborn u. a. 1988, S. 237 – 241. 127 Vgl. etwa Wilfried Greve „Künstler versus Bürger. Kierkegaards Schrift ,Entweder/Oder‘“ in „Entweder – oder“. Herausgefordert durch Kierkegaard, hrsg. v. Jörg Splett / Herbert Frohnhofen, Frankfurt a.M. 1988, S. 38 – 62, hier S. 61, wo es in Bezug auf Entweder/Oder heißt, das „Grundanliegen Kierkegaards“ bestehe darin, auf die „Heillosigkeit der Existenz, wie sie A prägt und das Ästhetische insgesamt, eine möglichst überzeugende Antwort zu finden.“ Vgl. auch ders. Kierkegaards maieutische Ethik. Von „Entweder/Oder II“ zu den „Stadien“, Frankfurt a.M. 1990, S. 73 f. sowie Johannes Sløk Shakespeare og Kierkegaard, Kopenhagen 1972, S. 172; Tjønneland Ironie als Symptom, S. 8; vgl. auch Hinrich Fink-Eitel „Kierkegaard und Foucault. Frag-würdige Gemeinsamkeiten zweier ungleicher Denker“ in Kierkegaardiana 16, 1993, S. 7 – 27; Hartmut Rosenau „Wie kommt ein Ästhet zur Verzweiflung? Die Bedeutung der Kunst bei Kierkegaard und Schelling“ in Kierkegaardiana 16, 1993, S. 94 – 106. – Diese Interpretationsrichtung wird u. a. auch durch eine späte Journalnotiz Kierkegaards gestützt; 1852 heißt es im Rückblick auf Entweder/Oder: „Welche Reihe von Bestimmungen betreffs dessen, was unter meinem ,Oder‘ verstanden werden soll, habe ich nicht schon durchlaufen!“ (NB26:110 (T 5, 115 / SKS 25, 104)).

III.2 Innen und Außen

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nachdrücklicher Kritik an der romantisch-ästhetischen Existenz muss es nämlich zunächst verwundern, dass die pseudonymen Werke in augenscheinlicher Weise von den Darstellungsformen romantischer Ironie geprägt sind. Die virtuose Verschachtelung pseudonymer Autoren, das multiplizierte Spiel der Brechungen, die Heterogenität der Darstellungsform und nicht zuletzt der bis in die feinsten Nuancen reflektierte Stil Kierkegaards, all dies sind zweifellos Charakteristika romantischer Ironie.128 Es ist die im Folgenden leitende These, dass sich Kierkegaards greifbare Anverwandlung der künstlerischen Gestaltungsmittel romantischer Ironie nicht einem äußeren Umstand verdankt und auch nicht als stilistische Eigenart oder verschwindende dichterische Einkleidung marginalisiert werden kann. Vielmehr soll gezeigt werden, dass Kierkegaard bei aller Kritik am romantisch-ästhetischen Existenztypus die Struktur romantischer Ironie produktiv in seine eigene Methode einer indirekten Mitteilung ,übersetzt‘. Allein der Aufweis dieser Übersetzungsleistung vermag die in der Forschung bislang nicht hinlänglich erläuterte Zweideutigkeit in Kierkegaards Verhältnis zur Romantik zu erklären, die sich zwischen der Kritik des romantischen Typus und der gleichzeitigen produktiven Aneignung romantischer Darstellungsformen aufspannt. Diese Aneignung ist deshalb möglich, weil Kierkegaards denkerisches Verfahren strukturell von einer Ambivalenz der Darstellungsform geprägt ist, die auch die romantische Ironie konstituiert, der Darstellung des Undarstellbaren. So gibt die Verhältnisbestimmung von romantischer Ironie und indirekter Mitteilung auch nochmals Gelegenheit, den Darstellungsaspekt der indirekten Methode zu vertiefen.129 Überdies liegt eine Parallele von romantischer Ironie und indirekter Existenzmitteilung darin, dass beide Methoden sich ihrerseits nicht unmittelbar, d. h. unironisch bzw. direkt darstellen lassen: Der doppelte Rückstoß der Methode ist für beide Verfahren charakteristisch. In der Übersetzung von romantischer Ironie in indirekte Existenzmethode kommt es allerdings zu einer folgenschweren Verschiebung:130 Das der Darstellung je Entzogene, auf welches diese dennoch abzielt und im Modus seines Entzugs hindeutet, ist in der romantischen Auffassung 128 Exemplarisch hat Hagemann diese Aufnahme romantischer Motive in einem Vergleich der Elixiere des Teufels von E. T. A. Hoffmann und der Stadien nachgewiesen (vgl. Hagemann Reden und Existieren, S. 28). 129 Vgl. oben I.1.6.b). 130 Vgl. zu dieser Figur auch Philipp Schwab „Innen und Außen“, S. 38 – 52.

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III.2 Innen und Außen

das Absolute und bergreifende, das Universelle – in der indirekten Methode hingegen das Singulre, der als existierend anvisierte Einzelne. Im Anschluss an die Diskussion der strukturellen Parallele beider Methoden (1.) wird diese wesentliche Differenz zu entfalten sein (2.), betrifft sie doch nicht nur den Gegenstandsbereich der Darstellung des Undarstellbaren, sondern auch ihre Reflexionsform sowie ihren Ausgangs- und Zielhorizont. Gerade in geschichtlicher Hinsicht ist diese Differenz hervorzuheben: Eingangs der Untersuchung ist in Kap. I.2. zu ,Kierkegaards geschichtlicher Stellung‘ die indirekte Methode in Abstoßung von der idealistischen Systemphilosophie und in Vorgängerschaft zu gebrochenen Denkformen des späteren 19. und des 20. Jahrhunderts positioniert worden. Dem Verhältnis von indirekter Methode und romantischer Ironie kommt in dieser ,Topographie geschichtlicher Orte‘131 offensichtlich eine Sonderbedeutung zu. In der Tat bezeichnet nämlich die romantische Ironie eine gebrochene Darstellungsform, die geschichtlich vor dem Einsatz Kierkegaards liegt und mit den frühidealistischen Entwürfen Fichtes und Schellings gleichzeitig ist. Soll nun in der Darstellungsform eine strukturelle Parallele zwischen romantischer Ironie und indirekter Mitteilung aufgezeigt werden, so scheint dies die These von der Schlüsselfunktion Kierkegaards im Übergang in die Moderne in Zweifel zu ziehen – und nicht zufällig ist der Beginn der Moderne oftmals mit der Frühromantik identifiziert worden.132 Im Ganzen aber nimmt die frühromantische Theorie eine wenigstens zweideutige Position ein: Zwar verweist ihre fragmentarische Denkform in die Moderne voraus; ihr Anliegen aber, den Ausgriff auf das Ganze und Absolute, teilt sie mit den gleichzeitigen und den folgenden idealistischen Entwürfen, namentlich dem Hegels – und trennt sie von der geschichtlich späteren Formation der indirekten Methode Kierkegaards.133 131 Diesen Ausdruck übernimmt die Untersuchung von Claus-Artur Scheier, vgl. ders. „Das verlorene Paradies: Schopenhauer, Kierkegaard und die religiöse Wurzel der industriellen Moderne“ in Schopenhauer – Kierkegaard. Von der Metaphysik des Willens zur Philosophie der Existenz, hrsg. v. Niels Jørgen Cappelørn / Søren Fauth / Lore Hühn / Philipp Schwab, Berlin / New York 2011, S. 67 – 79. 132 Vgl. Manfred Frank ,Unendliche Annherung‘. Die Anfnge der philosophischen Frhromantik, Frankfurt a.M. 1997, wo es heißt, der Romantik werde „zum ersten Mal in der Geschichte der Neuzeit die metaphysische Überzeugung fragwürdig, wonach unser bewußtes Leben in einem absoluten Gewißheitsgrund sein ,gesichertes Asyl‘ habe. Ironie und Skepsis sind die Einstellungen einer ernüchterten Existenz“ (ebd., S. 18). 133 Dieses Anliegen scheint doch gegen den Versuch zu sprechen, die romantische Ironie auf das Differenzdenken des 20. Jahrhunderts vorauszulesen (vgl. bes.

1. Die strukturelle Parallele – Darstellung des Undarstellbaren

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Es versteht sich, dass eine umfassende Verhältnisbestimmung Kierkegaards zur Romantik im Folgenden nicht angestrebt sein kann, müsste eine solche doch sehr viel weiter in die frühromantische Theorie wie auch in die Praxis romantischer Textgestaltung ausgreifen, als hier sinnvoll und nötig erscheint. Ziel ist an dieser Stelle allein eine gleichsam ,axiale‘ Bestimmung der Parallele und Differenz in methodischer Hinsicht. Auch auf die vielgestaltigen, fragmentarischen Anläufe Schlegels zur romantischen Ironie ist nur soweit einzugehen, als dies die Fragestellung erfordert.

1. Die strukturelle Parallele – Darstellung des Undarstellbaren a) Die fragmentarische Theorie der Ironie Die Grundfigur romantischer Ironie ist die Darstellung des Undarstellbaren, 134 die insbesondere in den Fragmenten Friedrich Schlegels zur Entfaltung kommt. In der Magisterdissertation führt Kierkegaard als Theoretiker der Ironie ausschließlich Solger an und kommt auf Schlegel bezüglich der Lucinde und in einigen allgemeinen Charakterisierungen der Ironie zu sprechen. Nicht mit einem Wort erwähnt werden Schlegels theoretische Erörterungen der Ironie,135 die ein Hauptthema seiner Fragmente und insbesondere der Lyceumsfragmente bilden. Hier hätte allerdings Kierkegaard eine Reflexion auf die Ironie finden können, die sowohl mit der an Sokrates gewonnenen Grundfigur einer InkomWinfried Menninghaus Unendliche Verdopplung. Die frhromantische Grundlegung der Kunsttheorie im Begriff absoluter Selbstreflexion, Frankfurt a.M. 1987). Vgl. hierzu die Diskussion in: Die Aktualitt der Frhromantik, hrsg. v. Ernst Behler / Jochen Hörisch, Paderborn u. a. 1987; vgl. auch Manfred Frank Einfhrung in die frhromantische sthetik. Vorlesungen, Frankfurt a.M. 1989, S. 224 – 226. 134 Dass die romantische Ironie wesentlich Darstellung des positiv nicht darstellbaren Absoluten ist, hat nach Wissen des Verf. zuerst Frank herausgearbeitet; vgl. Frank Einfhrung in die frhromantische sthetik, S. 222 – 247, S. 287 – 316, zur Ironie bes. S. 247, S. 289, S. 301 – 305; vgl. auch Hühn „Das Schweben der Einbildungskraft“, S. 570 – 578; Andreas Barth Inverse Verkehrung der Reflexion. Ironische Textverfahren bei Friedrich Schlegel und Novalis, Heidelberg 2001, S. 95, S. 138; Martin Götze Ironie und absolute Darstellung. Philosophie und Poetik in der Frhromantik, Paderborn u. a. 2001, S. 189 – 194, S. 381. Vgl. zum weiteren Horizont der Thematik: Petra Bahr Darstellung des Undarstellbaren. Religionstheoretische Studien zum Darstellungsbegriff bei A. G. Baumgarten und I. Kant, Tübingen 2004. 135 Vgl. hierzu Scheier „Klassische und existentielle Ironie“, S. 248.

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III.2 Innen und Außen

mensurabilität von Innen und Außen wie auch mit den späteren Konzeptionen indirekter Mitteilung in einem engen Verhältnis steht. Die notwendig fragmentarische Form Schlegels verhindert einen bloßen Aufriss der Bestimmungen der Ironie – ein Umstand, angesichts dessen Bubner die häufig zitierte Bemerkung macht, der theoretische Nachvollzug der Ironie wirke „leicht dümmer als der Gegenstand“.136 Schlegels Theorie der Ironie ist daher aus einzelnen Fragmenten exemplarisch ,herauszupräparieren‘ und von verschiedenen Seiten zu beleuchten, ohne die Brechung der fragmentarischen Form aufzuheben und die Ironie etwa in ein System zu überführen. Einen günstigen Zugang zur Schlegelschen ,Theorie‘ der Ironie bietet das anerkanntermaßen zentrale Fragment frühromantischen Denkens. Im 116. Athenäumsfragment fällt der Begriff der Ironie zwar nicht, das Programm der romantischen Ironie kann gleichwohl aus ihm erschlossen werden. Das Fragment beginnt bekanntlich mit der Bestimmung der romantischen Poesie als „progressive Universalpoesie“.137 Diese wird gedacht als unabschließbarer Progress in Richtung auf ein Universelles, in welchem sie nicht nur die „getrennte[n] Gattungen der Poesie“ vereinigen und mit der Philosophie zusammenführen, sondern das Poetische erweitern soll auf „das Leben und die Gesellschaft […] bis zu dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosen Gesang“.138 Was die romantische Poesie anstrebt, ist eine alle Lebens- und Kunstbereiche umspannende Universalität, ein Über- und Umgreifendes. Die Pointe des Fragments aber zeigt sich erst dort, wo die Darstellung dieser Einheit zur Sprache kommt. Die romantische Poesie findet nämlich in dem anzustrebenden telos der höheren Einheit nicht einfach ihren Ruhepunkt, sie ist vielmehr „noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann. Sie kann durch keine Theorie erschöpft werden“.139 Die höhere Einheit ist

136 Bubner „Zur dialektischen Bedeutung der romantischen Ironie“, S. 85; vgl. hierzu etwa Barth Inverse Verkehrung der Reflexion, S. 11, der mit diesem Zitat seine Untersuchung einleitet. 137 Schlegel KFSA II, S. 182; vgl. zur Interpretation des 116. Athenäumsfragments Michael Elsässer Friedrich Schlegels Kritik am Ding, mit einem Geleitwort hrsg. v. Werner Beierwaltes, Hamburg 1994, S. 27 f., S. 35; vgl. auch Hühn „Das Schweben der Einbildungskraft“, S. 571 f.; Barth Inverse Verkehrung der Reflexion, S. 147 – 149. 138 Schlegel KFSA II, S. 182. 139 Schlegel KFSA II, S. 183.

1. Die strukturelle Parallele – Darstellung des Undarstellbaren

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nicht nur noch nicht greifbar, sie ist vielmehr je entzogen und setzt so die romantische Poesie in die Schwebe: Sie [die romantische Poesie] kann sich so in das Dargestellte verlieren, daß man glauben möchte, poetische Individuen jeder Art zu charakterisieren, sei ihr Eins und Alles; und doch gibt es noch keine Form, die so dazu gemacht wäre, den Geist des Autors vollständig auszudrücken […]. Nur sie kann gleich dem Epos ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt, ein Bild des Zeitalters werden. Und doch kann auch sie am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frei von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben, diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen.140

Diese Schwebe zwischen dem Darstellenden und dem Dargestellten, das in seiner Darstellung nie restlos aufgeht, die endlos potenzierte Spiegelung der Reflexion entspringt aus dem Entzug der übergreifenden Einheit – nur in der Schwebe, der Brechung und dem Fragment kann das Umund Übergreifende im Modus seines Entzugs 141 vorweggenommen werden. Wenn es ,noch keine Form‘ gibt, die den ,Geist des Autors vollständig auszudrücken‘ vermöchte, dann bedeutet dies, dass die Form sich beständig zu brechen und zu spiegeln hat, um das Unzureichende und Bedingte der eigenen Darstellung zu markieren. Dies wird deutlich im 72. Athenäumsfragment. Dort heißt es polemisch: „Übersichten des Ganzen, wie sie jetzt in Mode sind, entstehen, wenn einer alles einzelne übersieht, und dann summiert.“142 Dass die romantische Poesie, die nie „fertig“ ist und deswegen nicht „vollständig zergliedert werden“143 kann, mit einer solchen Summe nicht verwechselt werden darf, lässt sich schon dem 47. Lyceumsfragment entnehmen: „Wer etwas Unendliches will, der weiß nicht was er will.“144 Noch deutlicher hat Schlegel die Nichtdarstellbarkeit des Absoluten in den Philosophischen Lehrjahren zum Ausdruck gebracht: „Erkennen bezeichnet schon ein bedingtes Wissen. Die Nichterkennbarkeit des Absoluten ist also eine identische Trivialität.“145 In dieser Spannung und Schwebe, die das Übergreifende, das Unendliche sagen will und nicht kann, sagen muss 140 141 142 143 144 145

Schlegel KFSA II, S. 182 f. Vgl. Hühn „Das Schweben der Einbildungskraft“, S. 571 u. bes. S. 578. Schlegel KFSA II, S. 175. Schlegel KFSA II, S. 183. Schlegel KFSA II, S. 153. Schlegel KFSA XVIII, S. 511; dort heißt es auch, das Absolute sei „indemonstrabel“ (KFSA XVIII, S. 512).

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III.2 Innen und Außen

und sich ständig mit seinem Entzug konfrontiert sieht, hat nun die romantische Ironie als „Form des Paradoxen“146 ihren Ort. Diese gerade die Ironie charakterisierende Spannung wird im 108. Fragment des Lyceum greifbar, in dem – man möchte sagen: ausgerechnet – auch die für Kierkegaard entscheidende Frage der Mitteilung zur Sprache kommt. Dort heißt es bezüglich der Sokratischen Ironie: Sie enthält und erregt ein Gefühl von dem unauflöslichen Widerstreit des Unbedingten und des Bedingten, der Unmöglichkeit und Notwendigkeit einer vollständigen Mitteilung. Sie ist die freieste aller Lizenzen, denn durch sie setzt man sich über sich selbst weg; und doch auch die gesetzlichste, denn sie ist unbedingt notwendig.147

Hier steht die Ironie als Darstellungsform der Zweideutigkeit in der Schwebe zwischen dem Bedingten und dem Unbedingten,148 und wiederum wird diese Schwebe als notwendige Form der Darstellung ausgewiesen: Das Unbedingte soll gefasst werden, entzieht sich aber zugleich einer jeden Fixierung. Gerade die Ironie, die in dem, was sie sagt, zugleich auf ein anderes hindeutet, das in ihr selbst nicht zum Ausdruck kommt, ist angesichts der Affirmation einer positiven Undarstellbarkeit des Absoluten notwendige Form. Löst man aber nun versuchsweise die Bestimmungen der Ironie von der Universalität des Übergreifenden ab, auf welches der unendliche Progress romantischer Reflexion abzielt, dann erhält man Formulierungen, die beinahe wörtlich auf Kierkegaards indirekte Mitteilung passen: Auch Kierkegaard geht es um ein zugleich notwendiges und unmögliches Anliegen der Darstellung und Mitteilung, auch Kierkegaards doppeltreflektierte Form entspringt aus der Spannung, darstellen zu müssen und zugleich nicht darstellen zu können.

146 Schlegel KFSA II, S. 153. 147 Schlegel KFSA II, S. 160. Die romantische Ironie auch von den Lyceumsfragmenten her zu formulieren, mag als nicht unproblematisch erscheinen. So weist Barth nach, dass die Ironiekonzeption des Lyceum der späteren Konzeption im Athenum noch nicht vollständig entspricht, sofern Schlegel hier noch von Sokrates ausgehe und die Ironie innerhalb der dissimulatio-Tradition behandle. Allerdings gesteht Barth zu, die „Festsetzung der Ironie im Sinne eines spezifisch ästhetischen Darstellungsverfahrens, das noch das Undarstellbare in den Blick bringt“, sei schon im Lyceum „untergründig virulent“ (Barth Inverse Verkehrung der Reflexion, S. 138). 148 Vgl. hierzu Hühn „Das Schweben der Einbildungskraft“, S. 577 f.

1. Die strukturelle Parallele – Darstellung des Undarstellbaren

493

In dem soeben zitierten Fragment finden sich noch weitere Wendungen, die bis in die Formulierung hinein die indirekte Mitteilung vorwegzunehmen scheinen: In ihr [der Ironie] soll alles Scherz und alles Ernst sein, alles treuherzig offen, und alles tief verstellt. […] Es ist ein sehr gutes Zeichen, wenn die harmonisch Platten gar nicht wissen, wie sie diese stete Selbstparodie zu nehmen haben, immer wieder von neuem glauben und mißglauben, bis sie schwindlicht werden, den Scherz grade für Ernst, und den Ernst für Scherz halten.149

Hier ist zunächst die irreduzible Spannung von Scherz und Ernst festzuhalten, der Climacus in der Nachschrift einen eigenen Abschnitt widmet,150 und die auch bei Schlegel nicht als bloße „Täuschung“151 zu verstehen ist. Die Schwebe ist vielmehr notwendige Darstellungsform, die den Leser daran hindern soll, das Gesagte einfach zu „glauben“ oder zu „mißglauben“, also einfach die Ansicht des Sprechenden als gültige oder verfehlte anzunehmen. Gerade in der Unabgeschlossenheit, dem notwendigen Verzicht auf ein Ergebnis und eine finale systematische Schließung152 offenbart die indirekte Mitteilung ihre tiefe Verwandtschaft mit der romantischen Ironie. Schließlich ist die Ironie – und gleiches gilt für die indirekte Mitteilung –„Selbstparodie“; sie zielt nicht auf ein satirisches Bloßstellen, sondern nimmt sich selbst in das Spiel von Scherz und Ernst hinein – und so als Instanz der Darstellung zurück. Sodann lässt sich im 42. Fragment des Lyceum, das die Philosophie als die „eigentliche Heimat der Ironie“ bestimmt, schon die in der Einleitung der Ironieschrift herausgearbeitete Grundfigur des Unterschiedes von Innen und Außen aufweisen: Es gibt alte und moderne Gedichte, die durchgängig im Ganzen und überall den göttlichen Hauch der Ironie atmen. Es lebt in ihnen eine wirklich transzendentale Buffonerie. Im Innern, die Stimmung, welche alles übersieht, und sich über alles Bedingte unendlich erhebt, auch über eigne Kunst, 149 Schlegel KFSA II, S. 160. 150 Vgl. die zweite These über Lessing, AUN1, 72 – 85 / SKS 7, 80 – 92; vgl. auch EC, 128 / SKS 12, 137, wo es heißt, es sei „mittelbare Mitteilung, Scherz und Ernst so zusammenzusetzen, dass die Zusammensetzung ein dialektischer Knoten ist“. 151 Schlegel KFSA II, S. 160. 152 Vgl. hierzu Schlegels Bemerkung, die „systematische Form“ sei „ohnehin schlechthin verwerflich“ (Schlegel KFSA XIX, S. 76); vgl. hierzu Hühn „Das Schweben der Einbildungskraft“, S. 576 f. Vgl. aber zur ambivalenten Stellung der Frühromantiker zum Systemanspruch den folgenden Abschnitt.

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III.2 Innen und Außen

Tugend, oder Genialität: im Äußern, in der Ausführung die mimische Manier eines gewöhnlichen guten italiänischen Buffo.153

Bemerkenswerterweise nimmt dieses Fragment eine Bestimmung vorweg, die Kierkegaard in der ,beherrschten Ironie‘ gerade gegen die Romantiker wenden wollte und an Shakespeare vorgeführt hatte, nämlich das ironische Schweben des Dichters ber seinem Kunstwerk.154 Löst man wiederum die Figur der „transzendentalen Buffonerie“ aus ihrem poetologischen Kontext, so zeigt sich die Diskrepanz zwischen dem äußerlich Darstellbaren und Fasslichen und der Unverfügbarkeit der Innerlichkeit gerade darin, dass das Äußere auf eine adäquate Darstellung nicht nur verzichtet, sondern deren Unmöglichkeit buffonisch markiert. Schon anhand weniger Fragmente Schlegels kann so aufgezeigt werden, dass die romantische Ironie sich in einer Darstellungsstruktur konstituiert, die Kierkegaards Ansatz der indirekten Mitteilung strukturell entspricht. Die Darstellung des Undarstellbaren vollzieht sich bei Kierkegaard wie bei Schlegel in einer gebrochenen und selbstparodischen Form, die das eigene Scheitern der Darstellung beständig mitreflektiert, ja affirmiert und unterstreicht.

b) Die ,Unverständlichkeit‘ der Ironie Aus der Darstellung des Undarstellbaren folgt unmittelbar eine zweite Parallele: Ist nämlich die romantische Ironie notwendig eine Form der Schwebe, die Spannung von ,Unmöglichkeit und Notwendigkeit vollständiger Mitteilung‘, so kann ihre theoretische Bestimmung diese Spannung und Schwebe nicht einfach aufheben, sondern vollzieht sich selbst schwebend und gebrochen, und das bedeutet hier: in der Form des Fragments. Es hieße geradezu, das Niveau der romantischen Reflexion zu unterbieten, wollte man die Darstellung des Undarstellbaren ihrerseits ,harmonisch platt‘ (s. o.) auffassen und in einem geschlossenen Zugriff zur Darstellung bringen. So ist auch der für Kierkegaards Denken charakteristische doppelte Rückstoß der Methode schon in der romantischen Ironie vorgeprägt. Dies zeigt sich gerade dort, wo Schlegel die fragmentarische und ironische, die „unverständliche“ Form des Athenum zu klären vorgibt, 153 Schlegel KFSA II, S. 152. 154 Vgl. BI, 328 – 330 / SKS 1, 352 – 354 und hierzu Barth Inverse Verkehrung der Reflexion, S. 133 f.

1. Die strukturelle Parallele – Darstellung des Undarstellbaren

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erhält doch der Leser nur einen Auszug ironischen Sprechens mehr. In dem Prosa-Stück ber die Unverstndlichkeit behauptet Schlegel zwar zunächst, eine „Übersicht vom ganzen System der Ironie“ geben zu wollen,155 bricht diese aber in immer weiteren Abschweifungen, die das eigene Vorgehen ironisch konterkarieren. Schlegel zählt zunächst eine Reihe von Ironieformen auf, deren bloße Benennung schon ironische Winke gibt: Die „erste und vornehmste von allen“ sei „die grobe Ironie“, sodann „die feine oder die delikate Ironie; dann die extrafeine“, ferner „die dramatische Ironie“, „die doppelte Ironie“ und schließlich die „Ironie der Ironie“156. Letztere entstehe „auf mehr als einem Wege“: Wenn man ohne Ironie von der Ironie redet, wie es soeben der Fall war; wenn man mit Ironie von einer Ironie redet, ohne zu merken, daß man sich zu eben der Zeit in einer andren viel auffallenderen Ironie befindet; wenn man nicht wieder aus der Ironie herauskommen kann, wie es in diesem Versuch über die Unverständlichkeit zu sein scheint; wenn die Ironie Manier wird, und so den Dichter gleichsam wieder ironiert; wenn man Ironie zu einem überflüssigen Taschenbuche versprochen hat, ohne seinen Vorrat vorher zu überschlagen und nun wider Willen Ironie machen muß, wie ein Schauspielkünstler der Leibschmerzen hat; wenn die Ironie wild wird, und sich gar nicht mehr regieren läßt.157

Zuletzt entwirft Schlegel schließlich die einzige Rettung „von allen diesen Ironien“: [D]as einzige wäre, wenn sich eine Ironie fände, welche die Eigenschaft hätte, alle jene großen und kleinen Ironien zu verschlucken und zu verschlingen, daß nichts mehr davon zu sehen wäre, und ich muß gestehen, daß ich eben dazu in der meinigen eine merkliche Disposition fühle. Aber auch das würde nur auf kurze Zeit helfen können. Ich fürchte, wenn ich anders, was das Schicksal in Winken zu sagen scheint, richtig verstehe, es würde bald eine neue Generation von kleinen Ironien entstehn: denn wahrlich die Gestirne deuten auf fantastisch.158

Das ,System der Ironie‘ ist also weit davon entfernt, einen bündigen Aufriss der Bestimmungen des Ironischen zu geben; es konterkariert vielmehr in seiner Durchführung eben dieses Ansinnen, indem es die Figurationen der Ironie beständig erweitert, in den wiederum vielfachen ,Ironien der Ironie‘ potenziert, selbstreflexiv den eigenen vermeintlich unironischen Sprechakt unterläuft und schließlich eine umfassende Iro155 156 157 158

Schlegel KFSA II, S. 363 – 372, Zitat S. 369. Schlegel KFSA II, S. 369. Schlegel KFSA II, S. 369. Schlegel KFSA II, S. 369 f.

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III.2 Innen und Außen

nie, die alle Gestalten in sich vereint, zunächst ironisch projektiert und dann ironisch widerruft.159 Nicht bloß im Widerruf der eigenen Erörterung der Ironie zeigt sich die Parallele zum Verfahren insbesondere von Climacus, das im vorhergehenden Teil der Untersuchung rekonstruiert worden ist.160 Das Spiel mit der Bedingtheit der eigenen Darstellung reflektiert überdies einen grundlegenden Zug romantischer Ironie wie auch indirekter Mitteilung: Als Methoden der Unabgeschlossenheit widersetzen sie sich ihrer Struktur nach jedem Versuch einer letztgültigen Festschreibung. In der reflektierten Unabgeschlossenheit, die noch den Versuch einer systematischen Bestimmung aus sich heraus unterläuft, liegt die methodisch tiefste Parallele von romantischer Ironie und indirekter Mitteilung.

2. Die wesentliche Differenz – Der Einzelne und das Absolute Schon die strukturelle Parallele von romantischer Ironie und indirekter Mitteilung ließ sich nur aufweisen in der Abstraktion von Rahmen und Ziel des frühromantischen Entwurfs. So zeigt sich, dass die Differenz beider Konzeptionen nicht nachträglich eingetragen oder äußerlich hinzugefügt werden muss, sondern in ihrem schwebenden Zentrum selbst liegt. Im Verhältnis zur romantischen Ironie operiert Kierkegaards Methode gleichsam unter umgekehrten Vorzeichen. Der entscheidende und weit reichende Unterscheid des romantischen Entwurfs gegenüber der ,Existenzmitteilung‘ besteht darin, dass der je der Darstellung entzogene und so notwendig nur in gebrochener Form anzusprechende ,Gegenstand‘ der romantischen Ironie das Absolute und bergreifende ist. Bei Kierkegaard hingegen ist die gebrochene und doppeltreflektierte Form indirekter Mitteilung zwar ebenfalls notwendige Darstellungsform, aber notwendig im Bezug auf die Unabgeschlossenheit und uneinholbare Innerlichkeit des konkreten Existenzvollzugs des Einzelnen. Während also die romantische Ironie gleichsam ,nach oben‘ auf eine übergreifende, aber 159 Vgl. allerdings Strohschneider-Kohrs, die trotz der Brechung und Vielgestaltigkeit der Schlegelschen Rede der Ansicht ist, in ber die Unverstndlichkeit werde keine Ironie künstlerisch gestaltet (Ingrid Strohschneider-Kohrs Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, 2., durchges. und erw. Auflage, Tübingen 1977 [1960], S. 273 – 282, bes. S. 280 – 282). 160 Vgl. oben, II.1.4.

2. Die wesentliche Differenz – Der Einzelne und das Absolute

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nur im Modus ihres Entzugs präsente Universalitt abzielt, geht das Denken Kierkegaards gleichsam ,nach unten‘ auf die in keiner Darstellung einholbare Singularitt der Existenz, auf die jeder Fassbarkeit und begrifflichen Fixierbarkeit sich entziehende Innerlichkeit des Einzelnen. Die romantische Ironie verbleibt, indem sie die ironische Reflexionsform am Ganzen orientiert und ausrichtet, noch im Horizont des idealistischromantischen Entwurfs einer Philosophie des Absoluten,161 die für Kierkegaards in die Moderne weisende indirekte Existenzmethode nicht mehr den unhinterfragten Bezugsrahmen, sondern den Ausgangs- und Abstoßungspunkt bildet. Die bezeichnete Verschiebung lässt sich in weiteren Hinsichten präzisieren, insbesondere in Form, Ausgangspunkt und Ziel der jeweiligen Bewegung. Ein wesentlicher Unterschied betrifft zunächst die Reflexionsform der romantischen Ironie. Das von der Ironie avisierte entzogene Universelle ist nämlich kein ,Überseiendes‘, kein schlechthin entzogenes Ab-solutes und Losgelöstes im Sinne negativer Theologie, sondern ein um- und einbegreifendes Universelles. Solcherart gehört die Reflexion romantischer Ironie dem Universellen als einem ständig im Kommen Befindlichen je schon zu. Zwar vermag die Reflexion das Ganze nie als Ganzes zu erfassen und muss so ihre Bedingtheit im Angesicht des Unbedingten markieren; sie ist aber zu ihm bestndig unterwegs und partizipiert an ihm im Sinne der Teilhabe. Die entscheidende Operation romantischer Reflexion ist so die Potenzierung; die bedingte Reflexion wird beständig potenziert, über sich hinausgetrieben und so universalisiert. Greifbar wird diese Bewegung schon im oben zitierten 116. Athenäumsfragment, wenn es heißt, die romantische Poesie könne „diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen“;162 sie liegt überdies schon im Begriff der ,progressiven Universalpoesie‘ selbst. Insbesondere die von den Frühromantikern bevorzugte Form des Fragments bezeichnet das Bruchstück eines Ganzen, 163 das zwar stets entzogen, stets aber doch angestrebt bleibt. Die Reflexion der romantischen Ironie ist so nicht leere, sondern erfllte

161 Der Unterschied etwa zum Hegelschen Entwurf liegt freilich darin, dass das Ganze sich dem Begriff beständig entzieht. Vgl. hierzu die im Folgenden ausgeführte ambivalente Stellung der Frühromantik zum Systemanspruch. 162 Schlegel KFSA II, S. 182 f. 163 Vgl. Frank Einfhrung in die frhromantische sthetik, S. 224.

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III.2 Innen und Außen

Reflexion,164 die auf das Universelle in ,unendlicher Annäherung‘165 zustrebt und von seiner entzogenen Präsenz gleichsam ,lebt‘. Diese Reflexionsform markiert offensichtlich einen wesentlichen Unterschied zur Kierkegaardschen Doppelreflexion indirekter Mitteilung, der sich aus der benannten grundsätzlichen Differenz ergibt: Das Universelle der Romantik entgeht der Reflexion beständig nach oben, und so kann sie diesem als Ziel gleichsam ,asymptotisch‘ zustreben. Das mit Kierkegaard angezielte Singuläre hingegen, der existierende Einzelne, entgeht stets der Reflexion nach unten, ist aus der über es hinweggehenden Reflexion gleichsam je schon ,herausgefallen‘. Der Einzelne als Einzelner wird nicht vom stets ,bedingten‘ Begriff unterboten, sondern vom je schon im Modus des Allgemeinen operierenden Begriff gleichsam berboten. Wohl kann im Horizont romantischer Ironie das Bedingte am Unbedingten im Modus der Teilhabe partizipieren und auf es hinstreben – nicht aber im Rahmen einer Existenzmitteilung das Allgemeine am und zum Einzelnen. Sollte die Reflexion der indirekten Darstellung des Singulären auf dieses zustreben, so wäre ihre Bewegung die Depotenzierung. Dieser Begriff aber gehört gleichfalls der romantischen Ironie zu, die Schlegel auch oftmals als Wechsel von „Selbstschöpfung und Selbstvernichtung“ bestimmt.166 Dabei bezeichnet ,Selbstvernichtung‘ die Depotenzierung im Angesicht des Absoluten, wie dies in anderer Hinsicht etwa auch von der Spätphilosophie Fichtes gilt.167 Es leuchtet aber ein, dass im Blick auf die indirekte Mitteilung von einer Depotenzierung des Allgemeinen angesichts des Singulären in diesem Sinne nicht die Rede sein kann. Vielmehr setzt Kierkegaard gegen das beständige und unendliche Hinstreben zum Absoluten, das der romantischen Reflexion eignet, einen Hiatus, eine Sphärentrennung zwischen dem Existieren und der Refle164 Vgl. hierzu insbesondere Walter Benjamin Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik [1920] in Werke und Nachlaß. Kritische Gesamtausgabe, hrsg. v. Christoph Gödde / Henri Lonitz, Frankfurt a.M. 2008 ff., hier Bd. 3, 2008, S. 33. 165 So der Titel der schon genannten Untersuchung Franks. 166 Vgl. z. B. Schlegel KFSA II, S. 149, S. 151; der dritte, aus den beiden genannten resultierende Begriff Schlegels ist die „Selbstbeschränkung“. Vgl. hierzu Behler Ironie und literarische Moderne, S. 94 – 98; vgl. auch Götze Ironie und absolute Darstellung, S. 209 Anm., der u. a. die Forschung über das Verhältnis dieser Prinzipien zu den ersten beiden Grundsätzen Fichtes diskutiert. 167 Vgl. hierzu Lore Hühn Fichte und Schelling. Oder: ber die Grenze menschlichen Wissens, Stuttgart / Weimar 1994, S. 107 – 141.

2. Die wesentliche Differenz – Der Einzelne und das Absolute

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xion, zwischen dem Innen der singulären Existenz und dem Außen des allgemeinen Begriffs – eine durch keine begriffliche Vermittlung oder poetische Reflexion zu schließende Kluft, sei diese Schließung auch als beständig ausstehende gedacht. So erscheint die Doppelreflexion indirekter Mitteilung gegenüber der ,erfllten‘ Reflexion der Romantik als ,entleerte‘ Reflexionsform, deren Verfehlung ihres ,Gegenstandes‘ tiefer geht als die unendliche asymptotische Annäherung romantischer Ironie. Mit dieser Differenz verbindet sich auch ein Unterschied in der Stellung zum System. Zwar gilt auch für die romantische Ironie, dass sie sich vom Gedanken eines erstarrten Systems im Sinne der oben zitierten ,Summe‘ abgrenzt. Die Stellung der Romantiker zum System ist aber im Ganzen ambivalent. Dies wird wiederum schon im 116. Athenäumsfragment sichtbar, wo es heißt, die romantische Poesie enthalte „alles, was nur poetisch ist, vom größten wieder mehre Systeme in sich enthaltende System der Kunst.“168 Hier deutet sich schon an, dass die romantische Reflexion den Gedanken eines Systems zulässt und dieses in ihre unendliche Progression hineinnimmt. Klarer noch ist die ambivalente Stellung zum Systemgedanken im 53. Athenäumsfragment formuliert, wo es heißt: „Es ist gleich tödlich für den Geist, ein System zu haben, und keins zu haben. Er wird sich also wohl entschließen müssen, beides zu verbinden.“169 Diese paradoxale Ambivalenz lässt sich von der eben charakterisierten Reflexionsform der Frühromantik her deuten: Zwar kann sie nie vollständig ,zergliedert‘ und in ein abgeschlossenes System gefasst werden, wohl kann sie aber im Zuge ihrer grenzenlos sich potenzierenden Reflexion Systeme einfassen und in sich aufnehmen.170 Dass 168 Schlegel KFSA II, S. 182. 169 Schlegel KFSA II, S. 173. 170 Vgl. zu diesem Zusammenhang Frank Einfhrung in die frhromantische sthetik, S. 224, wo zunächst die Argumente diskutiert werden, „mit denen die Frühromantiker den klassisch-expositorischen Stil der metaphysischen Prosa angefochten haben“. Sodann führt Frank aus, die frühromantische Spekulation habe zwar „nie“ die Form des „in sich gerundeten Systems – wie bei Fichte, Schelling und Hegel“; dies bedeute aber keineswegs „den Verzicht auf den Anspruch systematischer Kohärenz der Gedanken“. Die Fragmente seien „keine Aphorismen, die für sich stehen und für sich gelesen und bedacht werden wollen. Sie sind ,Bruchstücke‘ und verweisen mithin auf ein Ganzes – aber auf ein Ganzes solcherart, daß es von der reflektierenden Spekulation nicht mehr in einem zusammenhängenden Vortrag Stück für Stück ausgemessen und sprachlich dargestellt werden könnte. Die Unmöglichkeit des systematischen Vortrags der Philosophie wird selbst systematisch gerechtfertigt.“ Vgl. auch die folgende Diskussion zu Hegels Gedanken des ,Ganzen‘ ebd., S. 224 – 230; vgl. auch Barth

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III.2 Innen und Außen

dies wiederum einen Unterschied zu Kierkegaards Verfahren darstellt, ist augenscheinlich. Auch hier hält Kierkegaard den Hiatus zwischen einer systematischen, auf Ganzheit abzielenden Darstellung und der dieser entgehenden Singularität des Existierens fest. Abschließend sind noch zwei weitere Differenzen zu nennen, die Kierkegaards Entwurf von dem frühromantischen trennen. Ihren Fluchtpunkt hat nämlich die romantische Ironie in einer Theorie der Kunst. Das Medium, dem die Frühromantik zutraut, die unendliche Annäherung an das Absolute zuwege zu bringen, ist die Poesie. Gerade der romantische Roman – etwa Schlegels Lucinde oder Novalis’ Heinrich von Ofterdingen – scheint geeignet, die wechselseitige Durchdringung der verschiedenen Gattungen, die sich potenzierende poetische Reflexion und den Ausgriff auf das Universelle ins Werk zu setzen.171 Ihren Ausgangspunkt schließlich hat die romantische Ironie in der Fichteschen Transzendentalphilosophie. Dies ist freilich den Fichtestudien des Novalis deutlicher anzusehen als den ungebunden sich entfaltenden Fragmenten Schlegels. Insbesondere aber der Zugriff, den Walter Benjamin in seiner Untersuchung Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik gewählt hat, kann – so philologisch gewagt er auch erscheinen mag172 – verdeutlichen, dass die Theorie Schlegels und insbesondere sein Reflexionsbegriff sich ebenfalls vor einem Fichteschen Hintergrund entfalten.173 In beiden Hinsichten ist Kierkegaards Entwurf vom frühromantischen klar zu trennen. Für Kierkegaard ist die Subjektivität je schon als existierende in den Blick genommen, deren Ansprache nicht von einem transzendentalphilosophischen Rahmen ausgeht – sei dieser auch, wie in Inverse Verkehrung der Reflexion, S. 168, der festhält, dass Schlegel „der unsystematischen Form […] nicht per se das Wort redet.“ 171 Vgl. hierzu Götze Ironie und absolute Darstellung, S. 13 f., S. 217 – 231, S. 337 – 376. 172 Benjamin rekonstruiert Schlegels Theorie zur Zeit des Athenum ausgehend von den Vorlesungen von 1804 – 1806, vgl. Benjamin Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik, S. 17 u. S. 29 – 43. 173 Vgl. bes. ebd., S. 19: „Das im Selbstbewußtsein über sich selbst reflektierende Denken ist die Grundtatsache, von der Friedrich Schlegels und größtenteils auch Novalis’ erkenntnistheoretische Ueberlegungen ausgehen.“ Vgl. auch Götze Ironie und absolute Darstellung, bes. S. 209 Anm. – Zur Herleitung des epistemologischen Problems, auf das die romantische Ironie antwortet, vgl. Frank Einfhrung in die frhromantische sthetik, bes. S. 248 – 262; Hühn „Das Schweben der Einbildungskraft“, S. 578 – 580, S. 587 – 596; Barth Inverse Verkehrung der Reflexion, S. 70 – 101, S. 229 – 278 sowie ausführlich Götze Ironie und absolute Darstellung, bes. S. 73 – 157.

2. Die wesentliche Differenz – Der Einzelne und das Absolute

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der Frühromantik, wesentlich transformiert. Noch weniger zielt Kierkegaards indirekte Mitteilung auf eine Theorie der Kunst und die Aufhebung der Philosophie in Poesie. Kierkegaards experimentelle Mitteilungsform arbeitet zwar ebenfalls beständig auf einen Bereich hin, der von der Philosophie nicht mehr zu erreichen ist – im scharfen Kontrast zu den ästhetischen Entwürfen der Frühromantik ist dieser Bereich aber die ethische Wirklichkeit, d. h. für Kierkegaard der konkrete Existenzvollzug. Trotz aller wesentlichen Differenzen bleibt freilich die strukturelle Parallelität von romantischer Ironie und indirekter Mitteilung bestehen. Diese ist nicht nur weiter reichend, als Kierkegaards prominente Kritik des Romantischen vermuten lassen würde, – sie vermag auch die Struktur indirekter Mitteilung zu erhellen. Kierkegaard teilt nämlich das grundsätzliche Darstellungsproblem des romantischen Entwurfs, auf etwas hinzusprechen, das sich dem direkten, umstandslosen Begreifen entzieht – wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen und in einem verwandelten, existenzphilosophischen Horizont. Gleichwohl vermag diese Parallele zu verdeutlichen, dass die indirekte Methode Kierkegaards – allen gegenläufigen Formulierungen ihres Urhebers zum Trotz – sich nicht in einer bloßen Mitteilungs- und Kommunikationstheorie erschöpft, sondern in dem Problem einer indirekten sprachlichen Darstellung des sprachlich nicht Darstellbaren ihr verborgenes Zentrum hat.

III.3 Die inkommensurable Innerlichkeit – Zum Vorwort von Entweder/Oder Zum Abschluss des Ironie-Komplexes soll anhand des Vorworts von Entweder/Oder angezeigt werden, dass Kierkegaards Verfahren in der genannten Hinsicht auf die Struktur romantischer Ironie rekurriert; dabei gilt es sichtbar zu machen, dass die in der Ironieschrift herausgearbeitete Inkommensurabilität von Innen und Außen sich dem Auftakt des pseudonymen Werks einschreibt.174 Diese Skizze bezeichnet zugleich der Fortgang der Untersuchung zum pseudonymen Werk und mithin zur Durchfhrung der indirekten Methode. Schon die verschachtelte Herausgeberfiktion von Entweder/Oder, die wesentlich die Mitteilungssituation des Werks ausmacht, ist eine Anleihe bei den Gestaltungsformen romantischer Ironie. Potenziert wird die Brechung in der Herausgeberschaft, indem Victor Eremita ausdrücklich auf sie reflektiert. Er selbst als Herausgeber steht nämlich vor dem Problem, dass der Ästhetiker A nicht seinerseits Verfasser des „Tagebuchs des Verführers“ sein will, – ein Umstand, den Eremita wie folgt kommentiert:

174 Vgl. zur Interpretation des Vorworts besonders: Karin Pulmer Die dementierte Alternative. Gesellschaft und Geschichte in der sthetischen Konstruktion von Kierkegaards „Entweder-Oder“, Frankfurt a.M. / Bern 1982, S. 45 – 50 u. S. 146 – 153; Walter Baumgartner „Natürlich, ein altes Manuskript… Die Herausgeberfiktion in Almquists Amorina und in Kierkegaards Entweder-Oder. Zum fiktionalen Kommunikationsangebot zweier romantischer Romane“ in Festschrift fr Oskar Bandle. Zum 60. Geburtstag am 11. Januar 1986, hrsg. v. Hans-Peter Naumann u. a., Frankfurt a.M. u. a. 1986, S. 265 – 283, bes. S. 272 – 274; Achim Kinter Rezeption und Existenz. Untersuchungen zu Sçren Kierkegaards „Entweder-Oder“, Frankfurt a.M. u. a. 1991, S. 15 – 22 u. S. 29 – 31; Kleinert Sich verzehrender Skeptizismus, S. 180 – 183; Smail Rapic Ethische Selbstverstndigung. Kierkegaards Auseinandersetzung mit der Ethik Kants und der Rechtsphilosophie Hegels, Berlin / New York 2007, S. 9 – 18. – Vgl. zur deutschsprachigen Forschung zu Entweder/ Oder: Philipp Schwab „,Ein altes, seltsames Buch kommt uns aus dem Dänischen zu…‘ – Grundlinien der deutschsprachigen Rezeptionsgeschichte von Entweder/ Oder“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2008, S. 365 – 427.

III.3 Die inkommensurable Innerlichkeit

503

Dies ist ein alter Novellisten-Kniff, gegen den ich weiter nichts einzuwenden haben sollte, wenn er nur nicht dazu beitrüge, meine Stellung derart verwickelt zu machen, indem der eine Verfasser dazu kommt, in dem andern zu stecken wie Schachteln in einem chinesischen Schachtelspiel.175

Der erste Satz der Schrift, der im Folgenden eingehender analysiert werden soll, ist nun gar nicht dazu angetan, dieses Schachtel- und Verwirrspiel zu lösen: „Es ist Dir vielleicht doch bisweilen eingefallen, lieber Leser, ein wenig an der Richtigkeit des bekannten philosophischen Satzes zu zweifeln, dass das Äußere das Innere ist, das Innere das Äußere.“176 Zunächst verweist der Satz selbst offenbar auf Hegel und steht bei diesem innerhalb des systematischen Zusammenhangs der Logik des Wesens; ,bekannt‘ ist die Figur wohl vornehmlich durch ihre Popularisierung seitens J. L. Heibergs gewesen.177 Auffällig ist sodann erstens die Ansprache des Lesers. Schon im ersten Satz wird dem „lieben Leser“ deutlich gemacht, dass er als Adressat es ist, an den das Buch sich ausdrücklich wendet. Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn zu dem ersten Satz der Schrift der letzte hinzugenommen wird, der lautet: „[D]enn allein die Wahrheit, die erbaut, ist Wahrheit für Dich.“178 Das Buch Entweder/Oder gibt – so lässt sich schon aus den beiden zitierten Sätzen schließen – dem Leser nicht einen neutral aufzufassenden Gehalt, es nimmt ihn vielmehr von der ersten Zeile an mit in seinen Gang hinein. Dass die Leseransprache im Falle von Entweder/Oder nicht einfach dazu dient, den Rezipienten in ein ,Erzählgeschehen‘ einzubinden, wird deutlich, wenn zweitens auf den Modus der Leseransprache reflektiert wird. Dem Leser wird keine Mitteilung gemacht, die er einfach aufzunehmen hätte, ihm wird auch keine Leseanweisung gegeben und an den Leser wird auch nicht in irgendeiner Weise appelliert. Es ist vielmehr der hypothetische Modus der Unterstellung, in dem Eremita den Leser zweideutig anspricht: Es sei ihm „vielleicht“ „doch“ „bisweilen“ eingefallen, an jenem Satz „ein wenig“ zu zweifeln. Worauf der Herausgeber offensichtlich zielt, ist die eigene Erfahrung des Lesers. Dies lässt sich drittens stützen durch Reflexion auf den Gehalt jenes Satzes, der dem Leser 175 EO1, 9 / SKS 2, 16. 176 EO1, 3 / SKS 2, 11. 177 Vgl. Hegel WdL II, TWA 6, S. 179 f. Vgl. zu Heiberg Stewart Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 323 – 329. – Die ,Innen/Außen‘-Figur kehrt im pseudonymen Werk an einer Vielzahl von Stellen wieder; vgl. exemplarisch die Partien der Nachschrift, in denen sie ausdrücklich gegen Hegel ausgespielt wird, AUN1, 50, 127, 130 / SKS 7, 58, 129, 131. 178 EO2, 377 / SKS 3, 332.

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III.3 Die inkommensurable Innerlichkeit

womöglich zweifelhaft geworden sei. Eremita unterstellt nämlich, dass es sich gerade umgekehrt verhalte, dass also das Innere nicht das Äußere sei, und bringt dies dem Leser – immer noch im Modus des hypothetischen „vielleicht“ – folgendermaßen nahe: Du hast vielleicht selbst ein Geheimnis verborgen, von dem Du fühltest, dass es, in seiner Freude oder seinem Schmerz, Dir zu lieb war, als dass Du andere darin einweihen könntest. Dein Leben hat Dich vielleicht in Berührung mit Menschen gebracht, von welchen Du ahntest, etwas der Art sei der Fall, ohne dass doch Deine Gewalt oder Deine Bestrickung dazu imstande gewesen wäre, das Verborgene zur Offenbarung zu bringen. Vielleicht passt keiner der Fälle auf Dich und Dein Leben, und doch bist Du nicht unbekannt mit jenem Zweifel; er ist ab und an als eine flüchtige Gestalt an Deinem Gedanken vorübergeschwebt. Ein solcher Zweifel kommt und geht, und niemand weiß, woher er kommt oder wohin er fährt. Ich für meinen Teil bin an diesem Punkt der Philosophie stets etwas ketzerisch gesinnt gewesen […].179

Die Unterscheidung von Innen und Außen bezieht sich also nicht auf einen beliebigen Gegenstand, sondern auf die menschliche Existenz. Hier ist es, so legt Victor Eremita wenigstens nahe, unmöglich, vom Äußeren auf das Innere zu schließen. Dass der „Widerspruch“ von Innen und Außen durch einen bruchlosen Übergang nicht einzuholen ist, ja womöglich gar nicht überbrückt werden kann, verdeutlicht die Bemerkung, das Innere sei dem Äußeren schlechterdings „inkommensurabel“.180 Dieser Hinweis ist deswegen entscheidend, weil er die zweideutige Position unterstreicht, die der Herausgeber im Verhältnis zu den von ihm aufgefundenen Papieren einnimmt. Victor Eremita erhebt keineswegs den Anspruch, das geheimnisvolle Innere der Schrift durchleuchten und dem Leser aufschließen zu können, – vielmehr ist er in jeder Hinsicht darum bemüht, seine ußerliche Stellung zu den von ihm publizierten Manuskripten hervorzuheben. Dies zeigt sich darin, dass er alle seine Eingriffe in die Papiere minutiös verzeichnet und jede Interpretation von seiner Seite zurücknimmt. So heißt es anlässlich seiner Kommentierung des „Tagebuchs des Verführers“: „Jedoch, ich habe meine Stellung als Herausgeber vielleicht bereits missbraucht, um den Lesern mit meinen Betrachtungen beschwerlich zu fallen.“181 Auch bezüglich der von ihm vorgenommenen Titelgebung hebt er den damit gegebenen „Betrug“182 179 180 181 182

EO1, 3 / SKS 2, 11. EO1, 3 / SKS 2, 11 (Hirsch übersetzt hier „unangemessen“). EO1, 11 / SKS 2, 17. EO1, 14 / SKS 2, 20.

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hervor und kommentiert diesen wie folgt: „Was der Leser mit diesem Titel verlieren kann, kann nichts Großes sein; denn er kann ja bei der Lektüre den Titel sehr gut vergessen. Wenn er dann das Buch gelesen hat, kann er vielleicht an den Titel denken.“183 Die beständige Selbstzurücknahme des Herausgebers, der stets darauf bedacht ist, die angebotene Interpretation als Interpretation kenntlich zu machen, gipfelt schließlich in der Hervorhebung des fehlenden Resultats von Entweder/Oder: In dieser Hinsicht haben diese Papiere nämlich kein Ende. Findet man, dass dies nicht in der Ordnung ist, so ist man doch nicht berechtigt zu sagen, dass es ein Fehler ist, denn man müsste es ein Unglück nennen. Ich für meinen Teil sehe es als ein Glück an. Man trifft bisweilen auf Novellen, in denen von bestimmten Personen entgegengesetzte Lebens-Anschauungen vorgetragen werden. Das endet dann gerne damit, dass der eine den andern überzeugt. Anstatt dass die Anschauung für sich sprechen muss, wird der Leser mit dem historischen Resultat bereichert, dass der andere überzeugt wurde. Ich sehe es als ein Glück an, dass diese Papiere in dieser Hinsicht nichts aufklären. […] Wenn das Buch gelesen ist, dann sind A und B vergessen, nur die Anschauungen stehen einander gegenüber und erwarten keine endliche Entscheidung in bestimmten Persönlichkeiten.184

Was Victor Eremita als „Glück“ ansieht, ist die Tatsache, dass die Papiere dem Leser kein Resultat, genauer: kein „historisches Resultat“ geben. So wird verhindert, dass der Leser in die passive Haltung ästhetisch-distanzierter Betrachtung verfällt und sich bloß den Fortgang eines Erzählgeschehens – und nicht zufällig macht der Herausgeber den Vergleich zur Novelle – vor Augen führen lässt. Das hervorgehobene Fehlen eines Resultats, die ständige Selbstzurücknahme des Herausgebers und nicht zuletzt das vollständige Ausbleiben einer verbindlichen Autorinstanz – all dies zielt wesentlich auf die produktive Aneignung durch den Leser. Ohne definitive Anleitung, wie der Inhalt der Papiere aufzufassen sei, sieht er sich mit den einander gegenüberstehenden Existenzentwürfen konfrontiert und wird so zum tätigen Sich-Verhalten angereizt. Die gesamte Struktur des Werkes zielt darauf ab, den Leser in das titelgebende „Entweder – Oder“ hineinzustellen und ihm die Entscheidung zu überantworten – sei es, dass er der einen oder anderen Lebensanschauung seine Zustimmung gibt, sei es, dass er beide verwirft.185

183 EO1, 15 / SKS 2, 21. 184 EO1, 15 f. / SKS 2, 21. 185 Vgl. zur Durchführung der Mitteilung von Entweder/Oder im Ganzen Tilo Wesche Kierkegaard. Eine philosophische Einfhrung, Stuttgart 2003, S. 180 – 212.

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III.3 Die inkommensurable Innerlichkeit

Richtet man von hier aus den Blick zurück auf die oben anhand der Ironieschrift herausgearbeitete Figur der Inkommensurabilität von Innen und Außen in Sokrates, so ist zunächst eine Ausweitung der Struktur zu konstatieren. Galt sie dort nur für den ,Sonderfall‘ des Ironikers, dessen geheimes Wesen letztlich in der ,unendlichen absoluten Negativität‘ gehoben werden konnte, so legt Victor Eremita in der ihm eigenen Form der Unterstellung nahe, diese Inkommensurabilität gelte für das Existieren als Einzelner berhaupt und sei von einem jeden Denken und Darstellen, das sich auf die Existenz richte, wesentlich zu reflektieren. Zudem zeigt sich die Durchfhrung dieser Struktur in Entweder/Oder, wie sie hier anhand des Vorworts skizziert worden ist, als wesentlich konsequenter: Durch die Einführung des Pseudonyms wird die Sprecherperspektive unterstrichen und herausgehoben – aber zugleich unterlaufen, indem Eremita seine Herausgeberfunktion keineswegs dazu gebraucht, dem Leser eine einfache Anweisung an die Hand zu geben, wie das Werk aufzunehmen sei, und so dem Leser den Rezeptionsraum öffnet. In dieser Leseransprache zeigt sich überdies ein weiterer Unterschied von indirekter Mitteilung und romantischer Ironie: Indem nämlich die Darstellung des Undarstellbaren bei Kierkegaard ausschließlich in Bezug auf das Existieren ins Spiel kommt, so ist dieser Darstellungsaspekt je schon an eine Ansprache gekoppelt, die auf existenzielle Aneignung abzielt. Zwar ist der Darstellungsaspekt der indirekten Methode gegen eine rein kommunikationstheoretische Verkürzung wesentlich festzuhalten; er fordert aber in der spezifisch Kierkegaardschen Ausrichtung auf das Existieren stets den Aneignungsaspekt als notwendigen Widerpart. Die markierte Bedingtheit eigenen Sprechens verweist nicht bloß strukturell auf ein nicht Sagbares, sondern reflektiert zugleich, dass das Existieren dem je Einzelnen als undelegierbares zu überantworten ist. In dieser Verschrnkung von Aneignungs- und Darstellungsaspekt der indirekten Methode liegt die Eigentümlichkeit von Kierkegaards Verfahren – und sie ist konzentriert in einer pseudonymen Sprecherinstanz, die zugleich ihre eigene perspektivische Bedingtheit reflektiert. Dass sich die Durchführung der indirekten Methode in diesem Kunstgriff allerdings nicht erschçpft, gilt es im folgenden Teil der Untersuchung exemplarisch auszuweisen.

Teil IV Die Durchführung der indirekten Mitteilung

Orientierende Vorbemerkung Während die vorhergehenden beiden Teile der Untersuchung in gewisser Weise einem thematischen ,Ganzen‘ gewidmet gewesen sind, so haben die nun folgenden Ausführungen entschieden exemplarischen Charakter – und es entspricht ganz dem regionalen Zug der indirekten Methode, dass die Interpretation schließlich zur konkreten Analyse übergeht, ohne mehr von einem Bezugsrahmen umschlossen zu sein. Ziel der Untersuchung zur Durchführung der Mitteilung ist es, die konkreten Gestaltungsformen des Indirekten beispielhaft in den Blick zu bringen. Diese ergeben sich keineswegs aus dem Begriff des Indirekten, so wie bereits dieser sich nicht einfach aus der systematischen Struktur des Rückstoßes der Methode hat ableiten lassen. Gerade die Praxis des Indirekten entspringt der je spezifischen Situation und Fragestellung der jeweiligen Schrift; die Varianz der Form lässt sich nicht im Vorhinein unter Regeln fassen oder auf ein abstraktes Schema reduzieren. Die Untersuchung wird mithin weder die verschiedenen Elemente aus der ,systematischen‘ Erörterung (Teil I), noch auch die einzelnen konkreten Begriffe indirekter Mitteilung Kierkegaards (Teil II) einfach applizieren können. Gleichwohl werden bekannte Motive wiederkehren – mit der Offenheit der Form ist keineswegs ihre gänzliche Diskontinuität gegeben. Die Untersuchung wird allerdings dort, wo sie zuvor entwickelte Begrifflichkeit heranzieht, präzise darauf zu achten haben, sie dem verhandelten Text je neu auszusetzen und zu sehen, ob und wie sie sich dem konkreten Kontext einfügt. In der Tat gibt aber die systematische Erörterung im weiteren Sinne vor, was im Folgenden unter der Durchführung des Indirekten verstanden wird: Das Interesse gilt nicht Kierkegaards – zweifelsohne hochinteressanten – ,literarischen‘ Gestaltungsmitteln, etwa rhetorischen Figuren oder sprachlichen Formen. Das ,Indirekte‘ wird stets in Form des Rückstoßes der Methode aufgewiesen – ohne dass freilich in diesem bereits die konkrete Bewegung im Einzelnen vorgeprägt wäre. Aufgrund der Exemplarizität der folgenden Untersuchungen kann auf eine umfängliche Hinführung und Erläuterung des Zusammenhangs verzichtet werden. Die Auswahl der Schriften ist allerdings kurz zu begründen. Einerseits soll im folgenden Teil das indirekte Verfahren in seiner

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Teil IV – Die Durchführung der indirekten Mitteilung

Stärke und in aller Deutlichkeit in den Blick kommen. Hierzu bietet sich das Werk Die Wiederholung an, weist es sich doch schon im Untertitel selbst als Experimentalschrift aus (Kap. IV.1.). Es gilt zu zeigen, dass die Schrift sich nicht bloß wesentlich als Experiment vollzieht – wie dies etwa auch für das ,Denkprojekt‘ der Philosophischen Brocken zu zeigen wäre –, sondern geradezu als Experimentalreihe: Die Schrift Die Wiederholung hat selbst die Struktur der Wiederholung; was der titelgebende Begriff zu bedeuten hat und wie er zu verstehen ist, wird in mehrfachen Durchläufen experimentell ausgelotet, ohne dass die Schrift zu einem einfachen Ergebnis käme. Andererseits aber hat sich die mitteilungstheoretische Interpretation auch dort zu erproben, wo auf den ersten Blick keine indirekte Darstellungsform vorliegt. In dieser Hinsicht ist zunächst auf den Begriff Angst einzugehen (Kap. IV.2.). Dieser Schrift kommt zweifelsohne im frühen pseudonymen Werk eine Sonderstellung zu, hat sie doch zunächst ganz das Gepräge einer wissenschaftlichen Abhandlung. Gleichwohl lässt sich auch und gerade hier eine spezifische Form des indirekten Rückstoßes nachweisen. Das dortige Pseudonym Vigilius Haufniensis tritt zwar zunächst als Wissenschaftler auf, arbeitet aber zugleich der wissenschaftlichen Form entgegen, und dies ebenso explizit wie auch implizit. Dieses eigentümliche Verfahren ist als Operation ,an der Grenze der Wissenschaft‘ auszuweisen. Anders steht es im Falle der Krankheit zum Tode, der sich das letzte Kapitel widmet (Kap. IV.3.). In der Tat lässt sich in dieser Schrift selbst allenfalls andeutungsweise die charakteristische Gegenbewegung des Indirekten ausweisen. Aspekte des Indirekten zeigen sich aber vermittels einer ,Kombinationsrechnung‘, die den Text mit anderen Schriften ins Verhältnis setzt und Dokumente seiner Entstehungsgeschichte berücksichtigt. Das Interesse der Auslegung kann bei dieser Schrift allein darin bestehen, Spuren des Indirekten auch dort noch nachzuweisen, wo seine Bewegung weitestgehend zurückgedrängt und nur noch unterschwellig am Werk ist. *** Die folgenden Interpretationen verstehen sich als mitteilungstheoretische Skizzen und reflektieren darin ihre Begrenzung. Eine ausfhrliche mitteilungstheoretische Interpretation hätte nämlich – nach dem Leitzitat der gesamten Untersuchung – nicht nur die Mitteilungsform selbst zu ver-

Orientierende Vorbemerkung

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stehen, sondern sie in allem, was sie versteht, mitzuverstehen.1 Mit anderen Worten: Sie hätte zu zeigen, dass und wie eine Analyse der Form der einzelnen Schriften auch für ein Verständnis ihrer Gehalte fruchtbar zu machen ist. Eine solche Auslegung müsste aber den Einzeluntersuchungen sehr viel größeren Raum geben als an dieser Stelle möglich ist. Die folgenden Skizzen haben mithin nur die Funktion, einzelne Mitteilungsgestalten anzuzeigen – und beschränken sich deshalb ganz auf die indirekte Form der verhandelten Werke.

1

NB3:62 (T 2, 190 / SKS 20, 275); vgl. oben, I.1.

IV.1 Experimentalpsychologie – Die Wiederholung Die Schrift Die Wiederholung ist zweifelsohne die experimentellste Schrift Kierkegaards.2 Im Folgenden soll ihr Experimentalverfahren in seinen verschiedenen Facetten eingeholt und nachgezeichnet werden. Wie eingangs bemerkt ist eine vollstndige Interpretation des Werks und insbesondere seines sachlichen Gehalts an dieser Stelle nicht angestrebt; es gilt allein, den spezifischen Charakter des Indirekten in der Wiederholung exemplarisch anzuzeigen. Dazu geht die Skizze in vier Schritten vor: Der erste und ausführlichste Schritt umreißt den Bereich und das Vorgehen der Wiederholung im Ganzen; die Darstellung geht dabei von der Mitteilungssituation der Schrift aus und nimmt insbesondere ihren Titel und Auftakt in den Blick (1.). Von hier aus gilt es, die zwei ,Serien‘ kurz anzuzeigen, die der Begriff der Wiederholung in der Schrift durchläuft: einerseits die Experimente des Pseudonyms Constantin Constantius (2.); andererseits die Briefe des ,jungen Menschen‘ (3.). Abschließend gilt das Interesse den mehrfachen Reinterpretationen der Wiederholung, die sich in Constantins Zuschrift an den Leser, in Vigilius Haufniensis’ Begriff Angst und in Climacus’ Nachschrift finden (4.). Diese ,Rückgriffe‘ machen deutlich, dass die ,offene‘ Gestalt der Wiederholungsschrift noch über den Rahmen des Werks selbst hinausweist.3

2

3

Vgl. hierzu das Urteil Liessmanns, es handele sich um die „literarisch raffinierteste[n], philosophisch dunkelste[n] Schrift von Kierkegaard“ (Konrad Paul Liessmann Sçren Kierkegaard zur Einfhrung, Hamburg 32002 [1993], S. 69; vgl. zur Interpretation ebd., S. 69 – 81). Vgl. aus der Forschung bes. Dorothea Glöckner Kierkegaards Begriff der Wiederholung. Eine Studie zu seinem Freiheitsverstndnis, Berlin / New York 1998. Glöckner orientiert zwar ihre Interpretation an einem sachlichen Gesichtspunkt (eben der Freiheit), geht dabei aber intensiv auch auf die Darstellungsstruktur der Schrift ein. Vgl. zum Folgenden bes. ebd., S. 20 – 38. Vgl. zur Darstellungsform auch Elisabeth Strowick Passagen der Wiederholung. Kierkegaard – Lacan – Freud, Stuttgart / Weimar 1999, S. 10 – 78; zur Interpretation der Schrift bes. auch Joakim Garff „Den Søvnløse.“ Kierkegaard læst æstetisk / biografisk, Kopenhagen 1995, S. 115 – 154.

1. Mitteilungssituation und Experimentalstruktur

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1. Mitteilungssituation und Experimentalstruktur a) Titel und Auftakt An eine Schrift – zumal eine philosophische –, die den offensichtlich programmatischen Titel Die Wiederholung trägt, darf man für gewöhnlich die Erwartung richten, dass sie eine begriffliche Bestimmung ihres Gegenstandes – eben der Wiederholung – gibt; dass sie den Begriff der Wiederholung in seinen verschiedenen Hinsichten und Facetten durchleuchtet und ihn gegebenenfalls von verwandten oder nahe stehenden Begriffen – etwa dem der Erinnerung – präzise abhebt. Kurzum: Man wird von einer Schrift, die den Titel trägt Die Wiederholung, eine direkte und dem Anspruch nach umfassende Antwort auf die Frage „Was ist die Wiederholung?“ erwarten dürfen. Schon der vollstndige Titel des Werks macht allerdings deutlich, dass diese Erwartungshaltung enttäuscht, oder genauer: methodisch unterlaufen wird. Auf der Titelseite steht zu lesen: „Die Wiederholung. Ein Versuch in der experimentierenden Psychologie von Constantin Constantius“. Hier schon findet sich eine zweifache Wiederholung – einerseits die Doppelung Experiment/Versuch; andererseits die Doppelung im Namen des Verfassers. Darüber hinaus macht der vollständige Titel der Schrift auf zweierlei aufmerksam: Einerseits hat der Leser es offensichtlich mit dem Text eines Pseudonyms zu tun. Damit ist die Mitteilungssituation des Textes angezeigt.4 Diese lässt sich wiederum in zwei Hinsichten entfalten. Erstens ist entscheidend, dass hier jemand spricht, oder dass von einer Perspektive her gesprochen wird. Im Unterschied zu einer um Neutralität und Objektivität bemühten Abhandlung wird die Frage nach der Wiederholung an jemanden zurückgebunden, der in seinem Namen und in eigenem Interesse von der Wiederholung spricht; mithin entfaltet die Untersuchung der Wiederholung nur ihren spezifischen Sinn, wenn sie auf denjenigen zurückbezogen wird, der spricht (die Mitteilungssituation als solche). Zweitens ist mit dem Namen des Pseudonyms die bestimmte Mitteilungssituation angezeigt, also die eingegrenzte und im Folgenden näher zu erläuternde Perspektive des experimentierenden Psychologen Constantin Constantius. Die Frage „Was ist die Wiederholung?“ wird so verschoben: Man hat stets zugleich zu fragen: „Wer sagt was und in welcher Hinsicht über die Wiederholung?“ 4

Vgl. hierzu die allgemeine Charakterisierung von Kierkegaards Pseudonymität oben, I.1.8.

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IV.1 Experimentalpsychologie – Die Wiederholung

Mit der eben vorläufig vorgenommenen Bezeichnung des Constantin Constantius als Experimentator oder experimentierender Psychologe ist andererseits die zweite Hindeutung angesprochen, die der vollständige Titel der Schrift enthält. Die Schrift vollzieht sich nämlich als Experiment – und das heißt: sie gibt nicht eine einfache und letztgültige Antwort auf die Frage „Was ist die Wiederholung?“, sie wirft diese Frage zunächst einmal als Frage auf und erprobt im experimentellen Durchlauf mçgliche Antworten. Dass hierin der eigentümliche Charakter der Schrift liegt, wird aus dem zweiten Satz ersichtlich, den Constantin mit berechneter Nachlässigkeit formuliert: Als ich mich längere Zeit, gelegentlich zumindest, mit dem Problem beschäftigt hatte, ob eine Wiederholung möglich ist und welche Bedeutung sie besitzt, ob ein Ding dadurch gewinnt oder verliert, dass es wiederholt wird, fiel es mir plötzlich ein: Du kannst ja nach Berlin fahren, da bist Du zuvor schon einmal gewesen, und kannst Dich nun vergewissern, ob eine Wiederholung möglich ist und was sie zu bedeuten hat.5

Nicht bloß die Bedeutung der Wiederholung ist also in der Ausgangssituation der Experimentalreihe unentschieden, es wird gar die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass das Experiment im Ganzen scheitert und eine Wiederholung überhaupt unmçglich ist. Dabei endet die Experimentalreihe – um auf den Haupttext bereits vorzugreifen – keineswegs mit einem eindeutigen Ergebnis. Zwar sind in der Schrift ,scheiternde‘ und ,gelingende‘ Formen der Wiederholung einander gegenübergestellt, diese ,Ergebnisse‘ widersetzen sich aber in ihrer Vielstimmigkeit und Widersprüchlichkeit einer jeden einfachen Konklusion. Dass der experimentierende Vollzug der Schrift an eine Sprecherperspektive zurückgebunden bleibt, ist, um eine Wendung aus der Krankheit zum Tode aufzunehmen, ,zumindest wohlüberlegt, und doch auch psychologisch richtig‘.6 Schon aus der zitierten Passage wird nämlich deutlich, dass die Frage nach der Wiederholung nicht als reines Denkexperiment behandelt werden wird: Constantin sagt nicht, er wolle denkerisch erproben, was die Wiederholung bedeute, sondern er setzt sich, um die Frage zu beantworten, selbst in Bewegung. Im nächstfolgenden Satz heißt es auch entsprechend: „Zu Hause wäre ich über diesem Problem beinahe stecken geblieben.“7 Ein versteckter Hinweis findet sich, in die Form einer Anekdote eingekleidet, bereits im ersten Satz der Schrift: 5 6 7

W, 3 / SKS 4, 9. Vgl. KT, 4 / SKS 11, 117. W, 3 / SKS 4, 9. Dän: „gaaet istaae“, worin „stå“, also stehen enthalten ist.

1. Mitteilungssituation und Experimentalstruktur

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Als die Eleaten die Bewegung leugneten, trat, wie jedermann weiß, Diogenes als Opponent auf; er trat wirklich auf; denn er sagte nicht ein Wort; sondern ging lediglich einige Male auf und ab, wodurch er meinte, jene hinreichend widerlegt zu haben.8

Ob Constantin tatsächlich der Ansicht des Diogenes ist, bleibt offen. Worauf die Anekdote – die im Übrigen recht genau Hegels Geschichte der Philosophie folgt9 – aber hinweist, ist das zentrale Anliegen der Schrift. Constantin Constantius ,interessiert‘ sich nämlich für die Bewegung; genauer: für die vollzogene Bewegung. Die Schrift Die Wiederholung fragt mithin nicht nach dem Begriff der Wiederholung, sondern danach, ob und wie die Wiederholung vollzogen wird oder werden kann. Gerade dieser Vollzug aber lässt sich nicht abgelöst vom Vollziehenden beschreiben und darstellen. Genauer: Die Wiederholung lässt sich überhaupt nicht als solche darstellen, sie muss übernommen und vollzogen werden.

b) Darstellungs- und Kommunikationsaspekt Aus dem Vollzugscharakter der Wiederholung erhellt die Notwendigkeit der Experimentalanlage der Schrift, und dies in doppelter Hinsicht: Sie verschränkt den Darstellungs- und den Kommunikationsaspekt der indirekten Methode ineinander. Ist nämlich einerseits die Wiederholung eine Bewegung, die vollzogen werden muss, und die nur in ihrem Vollzug das ist, was sie ist, so lässt sie sich wesentlich nicht darstellen – denn eine bloße Darstellung hieße, ihren Vollzugscharakter gerade abzublenden. Eben dieser Vollzugscharakter aber zeigt andererseits, dass es sich hier nicht allein um ein gleichsam ,epistemologisches‘ Problem der begrifflichen Erfassung handelt. Ist nämlich die Wiederholung nur in ihrem Vollzug, so muss sie der Leser, um sie zu verstehen, selbst vollziehen. Da aber die Frage nach der Wiederholung nur als Experiment gestellt und ,beantwortet‘ wird, erhält der Leser offenbar keine einfache ,Anleitung‘, was und wie er denn zu vollziehen habe. Mithin ist die Wiederholungsanalyse offenbar auf Aneignung ausgerichtet, auf das Tätigwerden des Lesers. Eben deshalb verzichtet sie auf ein einfaches Ergebnis; der Einzelne soll augenscheinlich bloß den Stachel der Anreizung erhalten. Die Schrift die Wiederholung ist so wesentlich Mçglichkeitsmitteilung, d. h. sie teilt nicht einen vollständigen Begriff der Wiederholung mit, 8 9

W, 3 / SKS 4, 9. Vgl. Hegel GeschPhil. I, TWA 18, S. 306.

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IV.1 Experimentalpsychologie – Die Wiederholung

sondern allein eine Serie von Möglichkeiten des Sich-Verhaltens. Die Pointe der Wiederholung liegt nicht darin, dass sie einen ,eigentlichen‘ Wiederholungsbegriff in sich trägt, der aus den scheiternden Versuchen der Protagonisten, die Wiederholung zu vollziehen, einfach zu rekonstruieren wäre. In diesem Fall wäre die eigenartige Form der Schrift bloße Einkleidung, um den Leser via negationis zu einem im Vorhinein feststehenden Ziel zu führen. Die Pointe der Schrift besteht vielmehr darin, dass sie sich dem Problem stellt, etwas ansprechen zu wollen, das sich direkt gar nicht zur Darstellung bringen lässt – eben weil es nur im Vollzug ist. Diese Doppelbewegung von Sagen-Wollen und doch nicht SagenKönnen, von Sprechen und beständigem Durchkreuzen des eigenen Sprechens soll paradoxerweise gerade die Wirklichkeit des Existenzvollzugs garantieren, der aus dem Spiel der Möglichkeiten heraustritt – sie kann dies aber nur, indem sie den Wirklichkeitsvollzug im Modus der Möglichkeit präsentiert, ihn somit offen hält und grundsätzlich der Aneignung übereignet.

c) Die zwei Pseudonyme der Schrift Die skizzierte Konstellation wird noch deutlicher, wenn die konkrete Mitteilungssituation der Schrift etwas präziser bestimmt wird. In der Wiederholung stehen sich, wie schon in Entweder/Oder, zwei Pseudonyme gegenüber. Der ,Wortführer‘ ist dabei der experimentierende Psychologe Constantin Constantius. Sein Widerpart, der nur ,der junge Mensch‘ genannt wird, ist zunächst Constantins ,Versuchsobjekt‘, er meldet sich aber im zweiten Teil mit einer Reihe von Briefen selbst zu Wort. Die Verschränkung der zwei Pseudonyme und damit ihr wechselweises Sichin-Zweifel-Ziehen ist in der Wiederholung intensiver durchgeführt als in Entweder/Oder: Während dort die beiden Anschauungen in monolithischen Blöcken einander gegenüberstehen und nur durch eine einseitige Bezugnahme (nämlich des Ethikers auf den Ästhetiker) und das Vorwort verknüpft sind, wechseln in der Wiederholung beständig die Perspektiven: Erst bekommt der Leser den jungen Menschen nur aus Constantins Blickwinkel zu sehen, dann meldet der erstere sich selbst zu Wort und charakterisiert Constantin, der wiederum die Briefe kommentiert etc. Gerade die Wiederholung zeigt, dass Kierkegaards Pseudonyme nicht einfache und einseitige Abstraktionen sind, deren ,Position‘ sich letztgültig festsetzen ließe. Bei beiden Pseudonymen der Schrift finden sich mehrere Auffassungen der Wiederholung, oder richtiger: mehrere Ver-

1. Mitteilungssituation und Experimentalstruktur

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suche, die Wiederholung zu vollziehen – und schon durch den zitierten Auftakt wird deutlich, dass die Pseudonyme selbst ,in Bewegung stehen‘. Gleichwohl lassen sie sich typologisch vorab bestimmen, ohne dass sich aber die Textbewegung einfach auf diese Bestimmung reduzieren ließe. Constantin Constantius ist als experimentierender Psychologe gewissermaßen die personifizierte actio in distans. Als Beobachter hält er stets einen Abstand zu dem Beobachteten; sein Gegenstand konstituiert sich allererst in der Betrachtung aus der Distanz. Dabei ist Constantin durchaus nicht ,interesselos‘, er ist vielmehr mit einem Interesse eigener Art auf die Wirklichkeit gerichtet. Dies kann durch einen kurzen Vorgriff auf die Angstschrift erläutert werden, deren Pseudonym, Vigilius Haufniensis, ebenfalls als Psychologe auftritt und die Bewegung der Psychologie präzise beschreibt. Zwar ist Vigilius gleichsam der wissenschaftliche Psychologe im Unterschied zum ironisch-sthetischen Psychologen Constantin; die Grundbewegung aber ist verwandt. In der Einleitung des Begriffs Angst gibt Vigilius die Stimmung der Psychologie an als „beobachtende Beharrlichkeit“, als „spionierende Unerschrockenheit“, schließlich als „antipathetische Neugier“.10 Die Psychologie ist also in der Tat Interesse für die Wirklichkeit der Existenz, aber nicht leidenschaftliches Interesse, sondern beobachtendes, distanziertes und deswegen antipathetisches Interesse. So aber bekommt es die Psychologie stets nur mit der Mçglichkeit zu tun – insofern sie beobachtende Distanz zum Vollzug der Wirklichkeit hält, ist diese für sie zugleich da und nicht da. Dies ist in der Wiederholung eigentümlicherweise auch dort der Fall, wo Constantin ein Selbstexperiment vornimmt. Hier tritt Constantin im Modus der Selbstbeobachtung auf; er ist zugleich Experimentator und Gegenstand des Experiments. Insofern die Wiederholung aber vollzogen und nicht beschrieben werden soll, ist Constantin eine fragwürdige Autorität und wird an der Wiederholung dann auch durchweg scheitern. Der junge Mensch, gewissermaßen das ,Zweitpseudonym‘ der Schrift, ist ebenfalls durch eine Distanz zur Wirklichkeit geprägt; diese ist allerdings anderer Art. Während Constantin die psychologische Abständigkeit markiert, steht der junge Mensch im poetischen Modus der Distanz. Insofern gehört er zu den romantisch-ästhetischen Pseudonymen in Kierkegaards Werk, deren Grundverfassung in Entweder/Oder am bestimmtesten angegeben ist, und zwar im Eingang des „Tagebuch des Verführers“. Dort charakterisiert der Ästhetiker A den von ihm vorgeblich unterschiedenen Verführer Johannes als „dichterische Natur“, 10 Vgl. BA, 12 / SKS 4, 322 f.; vgl. ausführlicher unten, IV.2.1.d).

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IV.1 Experimentalpsychologie – Die Wiederholung

die, wenn man so will, nicht reich genug oder, wenn man so will, nicht arm genug ist, um Poesie und Wirklichkeit voneinander zu scheiden. […] Hinter der Welt, in welcher wir leben, fern im Hintergrund liegt eine andere Welt, die zu jener ersten ungefähr in dem Verhältnis steht, wie die Szene, die man bisweilen im Theater hinter der wirklichen Szene sieht, zu dieser steht. Man sieht durch einen dünnen Flor gleichsam eine Welt von Flor, leichter, ätherischer, von einer anderen Bonität als die Wirkliche. Viele Menschen, die sich leiblich in der wirklichen Welt zeigen, gehören dieser nicht an, sondern jener anderen.11

Während also Constantin die Distanz durch Beobachtung erwirkt, besteht der Abstand des jungen Menschen darin, dass er poetisch abstrahiert. Das Wirkliche ist für ihn bloß Inzitament, bloß Hinreizung und Hindeutung auf jene „ätherische Welt“, von der A spricht. Dabei ist im Perspektivenspiel der Kierkegaardschen Pseudonyme festzuhalten, dass der Verführer Johannes sich in die beiden Pseudonyme der Wiederholungsschrift gleichsam ,aufspaltet‘: Seine dichterische Natur geht ganz in den jungen Menschen ein, dieser ist allerdings keineswegs raffinierter Verführer und planvoller Ränkeschmied – das ist vielmehr in der Wiederholung die Rolle Constantins. Allerdings ist noch ein weiterer gravierender Unterschied zwischen den beiden Pseudonymen festzuhalten: Der junge Mensch hat wesentlich, trotz seiner poetischen Distraktion, was Constantin nicht hat und nicht haben kann: Leidenschaft der Existenz oder, anders gesagt: Situation. Während Constantins Interesse an der Wiederholung ein bloß psychologisches ist, sieht sich der junge Mensch durch seine Verlobungsgeschichte in eine Situation gestellt, in der eine Wiederholung ihm ebenso existenziell notwendig wie unmöglich erscheint. Dabei ist aber zu beachten, dass die ,innerliche‘ Auseinandersetzung mit der Wiederholung an einer Dichterexistenz aufgezeigt wird – auch der ,junge Mensch‘ also ist, aufgrund seiner poetischen Distanz zum Wirklichen, nicht einfach das ,existenzielle‘ Gegenbild zu Constantin. Auch ihm wird der Leser nicht einfach nachfolgen und von ihm einen ,wahren‘ Begriff der Wiederholung übernehmen können. *** Bis zu diesem Punkt sollte deutlich geworden, dass die Darstellungsweise der Schrift Die Wiederholung ebenso komplex und vielschichtig wie auch 11 EO1, 327 f. / SKS 2, 295 f.

2. Constantins Experimente

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methodisch reflektiert ist. Ein solcher Darstellungsmodus erfordert ein spezifisches methodisches Vorgehen der Interpretation; die Zweideutigkeit der Darstellungsform muss als notwendige begriffen, sie darf von der Interpretation nicht einfach in Eindeutigkeit übersetzt werden. Die Struktur der Schrift kann nur in einem gleichfalls gedoppelten Verfahren interpretiert werden, das als axial-regionales Verfahren anzusprechen ist. Dabei entwirft das axiale Moment der Interpretation gleichsam ein ,Schema‘ der verschiedenen Ansprachemodi und Formen der Wiederholung; es trennt und strukturiert die verschiedenen Ebenen der Schrift. Dem arbeitet das regionale Verfahren entgegen, das die einzelnen Partien der Schrift jeweils für sich gelten lässt und aufzeigt, dass die Mikrostruktur des Textes sich einer jeden Totalperspektive widersetzt, indem scheinbar feste Zuordnungen sich verschieben und die wechselseitigen Verweisungen des Textes sich bei näherem Hinsehen nicht auflösen, sondern multiplizieren. Ein solches doppeltes Verfahren könnte einerseits die größtmögliche begriffliche Präzision der Interpretation gewährleisten; andererseits wäre die Interpretation stets gesichert gegen vorschnelle Vereindeutigungen. Eine solche durchgefhrte Interpretation wäre freilich stets von der Frage nach der Sache geleitet – eben der Wiederholung. In der vorliegenden Skizze aber kann das Interesse nur der Form des Werks gelten; die folgende Abbreviatur soll die experimentelle Durchführung des Werks in concreto nur anzeigen.

2. Constantins Experimente Aus dem Auftakt der Wiederholung wird deutlich, dass sich Constantin Constantius um der Frage der Wiederholung willen selbst in Bewegung setzt. Gleichwohl ist die Berlinreise nicht das einzige Experiment, das Constantin vornimmt. Im Ganzen sind drei Konstellationen anzuzeigen: Erstens finden sich in der Schrift tatsächlich auch begrifflich dichte Passagen, in denen Constantin um eine Klärung der Wiederholung bemüht ist; zweitens macht Constantin ein ,Fremdexperiment‘ mit dem jungen Menschen; das dritte Experiment schließlich ist das ,Selbstexperiment‘ der genannten Berlinreise. Was nun zunächst die begriffliche Analyse der Wiederholung betrifft, so ist es an dieser Stelle zu zeigen, dass diese selbst experimentell angelegt ist. Keineswegs verhalten sich die begrifflichen Passagen zum Rest der Schrift einfach wie eine Hypothese zu ihrer experimentellen Überprüfung. Dies wird deutlich an einer der zentralen Partien der Schrift. Hier diskutiert

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IV.1 Experimentalpsychologie – Die Wiederholung

Constantin die Kategorie der Wiederholung im Spannungsfeld von ,griechischem‘ und ,modernem‘ Verständnis des Übergangs und führt aus: Wenn man nicht die Kategorie der Erinnerung oder der Wiederholung hat, dann löst sich das ganze Leben in ein leeres und inhaltsloses Lärmen auf. Die Erinnerung ist die ethnische Lebensbetrachtung, die Wiederholung die moderne; die Wiederholung ist das Interesse der Metaphysik; und zugleich das Interesse, an welchem die Metaphysik strandet, die Wiederholung ist die Losung in jeder ethischen Anschauung, die Wiederholung ist conditio sine qua non für jedes dogmatische Problem.12

Offenkundig wird hier der ,Wiederholung‘ eine mehrfache und weit reichende Bedeutung zugesprochen; und insbesondere im Schlussteil des Satzes ist sie verschiedenen Sphären und wissenschaftlichen Disziplinen zugeordnet: Während sie zur Metaphysik ein offenbar spannungsreiches Verhältnis einnimmt, erscheint sie im Ethischen und im Dogmatischen als konstitutiv. Zweifelsohne lassen sich die hier aufgerufenen Aspekte sachlich auslegen. Gleichwohl ist zunächst eine zweifache Irritation zu konstatieren: Zum einen wird nämlich die Bestimmung der Wiederholung als solche durch ihre mannigfache Zuordnung eher verschleiert als erklärt. Dem Leser wird allein mitgeteilt, dass die Wiederholung eine vielfache Bedeutung hat – ohne dass das Verbindende im Mannigfaltigen klar benannt würde. Zum anderen aber werden auch die einzelnen Hinsichten nur benannt, nicht aber im Einzelnen entfaltet. Constantin erläutert keineswegs das doppelte Verhältnis zur Metaphysik, und auch die konstitutive Bedeutung der Wiederholung für Ethik und Dogmatik wird bloß angegeben. Dass diese irritierenden ,Auslassungen‘ sich nicht einem Mangel an systematischer Reflexion verdanken, sondern auf ein methodisches Vorgehen verweisen, wird aus dem unmittelbar folgenden Absatz klar. Dort schreibt Constantin: Jeder urteile wie er will über das hier betreffs der Wiederholung Gesagte, er urteile auch wie er will darüber, dass ich es hier sage und auf diese Weise, indem ich nach Hamanns Exempel mit mancherlei Zungen mich ausdrücke, und die Sprache der Sophisten, der Wortspiele, der Creter und Araber, Weißen und Mohren und Creolen rede, Critik, Mythologie, rebus und Grundsätze durch einander schwatze, und bald jat’ amhqypom bald jat’ enowgm argumentire. Vorausgesetzt, dass es nicht bare Lüge ist, was ich sage, täte ich vielleicht am besten, meinen Gedankensplitter einem systematischen Gutachter einzusenden, vielleicht könnte dann etwas aus ihm werden, eine 12 W, 22 / SKS 4, 25 f.

2. Constantins Experimente

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Anmerkung im System – großer Gedanke! dann hätte ich nicht umsonst gelebt!13

Constantin macht den Leser selbst auf die ,Vielzüngigkeit‘ der eigenen Rede über die Wiederholung aufmerksam. Dieser Verweis hat offenbar eine zweifache Funktion: Zum einen zeigt die abschließende ironische Bemerkung zum Systematischen, dass der ,Gedankensplitter‘ gerade nicht in systematischer Form gefasst und ,aufgearbeitet‘ werden soll. Damit ist gesagt, dass nicht einfach ein systematischer Gedanke der Wiederholung im Hintergrund steht, der bloß durch das ,Durcheinanderschwatzen‘ verhüllt wird. Vielmehr deutet die mannigfache und zunächst verwirrende Rede auf eine Sphäre hin, die – ohne dass sie selbst direkt bestimmt würde – jenseits systematischer Einfassung liegt. Zum anderen ist aber auch der ironisch-gleichgültige Hinweis, es dürfe ,jeder wie er will‘ über das Gesagte urteilen, nicht allein Ausdruck von Constantins uninteressierter Nonchalance. Er macht dem Leser zugleich sichtbar, dass in der Tat er es ist, der sich zum ,Gesagten‘ verhalten muss – und ohne dessen Zutun und Selbsttätigkeit in der Frage der Wiederholung nichts geleistet ist. Ein Resultat oder eine definitive Bestimmung wird dem Leser jedenfalls vorenthalten, und gerade darin ist er zur Aneignung aufgefordert. Diese Selbstzurücknahme des Gesagten gibt Gelegenheit, kurz auf eine Eigentümlichkeit des indirekten Verfahrens hinzuweisen: Obgleich nämlich die Wiederholung selbst keine direkte Bestimmung ihres leitenden Begriffs gibt, wird dieser doch nicht einfach der Indifferenz des Unbestimmbaren anheim gegeben. Vielmehr ist das Indirekte gerade derart, dass es zur Bestimmung auffordert. Die Wiederholung als solche ist nicht inhaltsleer; zugleich ist sie aber auch nicht ein rein sachlicher Gehalt, der sich ,abstrakt‘ darstellen ließe. Die Aneignung des Lesers besteht gerade darin, die Bestimmungsanstçße, die Constantin gibt, durchzuführen – und schon darin ist er selbst ,tätig‘ und nicht bloß passiv aufnehmend. Neben der begrifflichen Bestimmung ist es aber für die Wiederholung charakteristisch, dass die Pseudonyme selbst als Akteure agieren und ,in Bewegung kommen‘ – darin unterscheidet sich übrigens die Schrift von Entweder/Oder und den meisten anderen pseudonymen Werken.14 Als zweite Form des Experiments ist mithin auf Constantins ,Fremdexperi13 W, 22 f. / SKS 4, 26. Der auf Hamann verweisende (aber im Einzelnen nicht nachgewiesene) Satz ab „mit mancherlei Zungen“ bis „argumentire“ i. O. deutsch. 14 Eine Ausnahme sind die Stadien, besonders In vino veritas; bedingt ließe sich dies auch von Climacus’ ,Plan‘ zur Schriftstellerei in der Nachschrift sagen.

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IV.1 Experimentalpsychologie – Die Wiederholung

ment‘ mit dem jungen Menschen hinzuweisen. Die Konstellation ist – in grober Abbreviatur – die folgende: Der ,junge Mensch‘ verliebt sich, aufgrund seiner poetisch-melancholischen Natur aber ,überspringt‘ er sogleich das Liebesverhältnis; das Mädchen ist nicht eigentlich die „Geliebte“, sondern bloß „der Anlass, der das Poetische in ihm weckte und ihn zum Dichter machte“.15 Darin wird der junge Mensch auf unschuldige Weise an der Geliebten schuldig. Constantin entwirft nun einen Plan, um dieses „Missverständnis“ in ein „wirkliches Verhältnis“ umzubilden,16 und will dabei zugleich seine Frage nach der Wiederholung beleuchten: Der junge Mensch solle sich gegenüber der Geliebten abstoßend machen, zum Schein ein anderes Verhältnis eingehen – und sodann „daran arbeiten, seine Dichterexistenz womöglich zu durchbrechen“, während zugleich die Geliebte Gelegenheit erhalte, sich selbst „aus dem Verhältnis herauszuarbeiten“.17 Gelingt dies, so ist eine „redintegratio in statum pristinum“ möglich – und damit eben die Wiederholung.18 Dieses Fremdexperiment scheitert, allerdings auf eigentümliche Weise – es kommt nämlich überhaupt nicht zur Durchführung. Der junge Mensch stimmt zwar zu, entzieht sich aber dann dem Fortgang. Damit ist allerdings dem Leser ein Ergebnis vorenthalten; er kann die Möglichkeit einer auf diesem Wege herbeigeführten Wiederholung nicht ,historisch‘ durch den Ausgang überprüfen. Ob schon aufgrund der gewählten ,Herangehensweise‘ eine Wiederholung scheitern muss – etwa weil Constantin die Wiederholung einem anderen überträgt, oder weil er versucht, sie aktiv ,herbeizuführen‘ –, wird dem Leser nicht gezeigt. Etwas anders steht es mit dem dritten Experiment, dem ,Selbstexperiment‘ in Constantins Berlinreise. Hier wird nun dem Leser in der Tat das Scheitern vor Augen geführt. Constantin schreibt: „Das einzige, was sich wiederholte, war die Unmöglichkeit einer Wiederholung“.19 Der Leser erhält also ein ,historisches Ergebnis‘; gleichwohl ist auch dies kein Resultat im starken Sinne. Einerseits erfährt der Leser so nur, wie eine Wiederholung nicht möglich ist, – andererseits wird aber für dieses Scheitern keine direkte Erklärung gegeben. Selbst wenn Constantin einige Hinweise formuliert – so in der wichtigen Bestimmung, die Wieder15 16 17 18 19

W, 10 / SKS 4, 15. W, 14 / SKS 4, 18. W, 17 / SKS 4, 21. W, 17 / SKS 4, 21. W, 44 / SKS 4, 44.

3. Die Briefe des ,jungen Menschen‘

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holung sei ihm „zu transzendent“20 –, wird doch nicht klar und definitiv erläutert, aus welchem Grund in seinem Experiment die Wiederholung ausbleibt; etwa weil er die Wiederholung allein im Äußeren sucht oder weil er sie abermals planvoll ,hervorzuzwingen‘ unternimmt. Alle drei Experimente Constantins also beleuchten in unterschiedlicher Weise die Wiederholung – alle drei aber halten zugleich die Frage offen und übergeben sie dem Leser.

3. Die Briefe des ,jungen Menschen‘ Die Briefe, die der junge Mensch Constantin nach seinem ,Verschwinden‘ zukommen lässt, sind nun keineswegs experimentellen Charakters. Gleichwohl ist auch hier der Begriff der Wiederholung vielschichtig. Ausgangspunkt ist die angezeigte Situation, in der der junge Mensch unschuldig schuldig geworden ist. In dieser ,Lage‘ wendet er sich nun an den alttestamentarischen Hiob, der zunächst als der ,mit Gott Hadernde‘ aufgerufen wird.21 Erst im fünften Brief bewegt sich der junge Mensch auf ein ,affirmatives‘ Verständnis zu und fasst Hiobs Leiden unter den Begriff der „Prfung“22 – der folgende Brief entnimmt dann Hiob explizit ein Verständnis der Wiederholung. An dieser Stelle kommt erstmals eine gelingende Wiederholung in den Blick, und zwar als religiçse Wiederholung: Hiob hat nach Durchlaufen der Prüfung „alles doppelt bekommen. – Das nennt man eine Wiederholung“.23 Schon im unmittelbar folgenden Brief aber bertrgt der junge Mensch das Beispiel Hiobs auf seinen Fall, und damit verschiebt sich zugleich die Wiederholung. Der junge Mensch erwartet eine ethische Wiederholung, die ihn mit dem Allgemeinen versöhnt: „Ich warte auf ein Gewitter – und auf die Wiederholung. […] Was soll dieses Gewitter bewirken? Es soll mich dazu tauglich machen, ein Ehemann zu sein.“24 Diese Wiederho20 W, 59 / SKS 4, 57. 21 Vgl. W, 69 / SKS 4, 66 f. – Gerade an der Figur Hiobs zeigt sich der ,existenzielle‘ Zug der Wiederholung. Constantin wie auch der junge Mensch grenzen Hiob von einem ,dozierenden‘ Philosophen ab: Die Wiederholung kann nicht ,neutral‘ erklrt, sie muss vollzogen werden (vgl. W, 59, 68 / SKS 56 f., 66). – Vgl. hierzu bes. Walter Dietz Søren Kierkegaard. Existenz und Freiheit, Frankfurt a.M. 1993, S. 243 – 252. 22 W, 79 / SKS 4, 76 f. 23 W, 81 / SKS 4, 79. 24 W, 83 / SKS 4, 81.

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IV.1 Experimentalpsychologie – Die Wiederholung

lung aber bleibt aus – und die dritte Wiederholung, die ihm tatsächlich zuteil wird, hat schließlich im sthetischen ihren Ort: Durch die Neuverlobung seiner Geliebten sieht er sich von aller Schuld gereinigt, erhält sein ,Selbst‘ zurück – und wird zum Dichter. Ein einfaches Resultat oder eine umfassende Erläuterung der Wiederholung ist auch hier nicht gegeben. Die drei Formen der Wiederholung – von denen zwei ,gelingen‘, eine aber scheitert – gehören verschiedenen Sphären zu und beziehen sich auf gänzlich unterschiedene Voraussetzungen. Gerade die ,finale‘ Wiederholung ist sehr spezifisch an den ,Fall‘ des jungen Mannes gebunden – und vollzieht sich überdies ohne sein Zutun.25 Damit ist allerdings eine Struktur angesprochen, die sich in allen drei Formen der Wiederholung des jungen Menschen zeigt und die bei Constantin jedenfalls nicht im Vordergrund steht. Die Wiederholung ist stets auf die eine oder andere Weise ein Widerfahrnis, ein kontingentes Einbrechen des Außen. In seiner Auslegung des Hiob schreibt der junge Mensch: Wer hätte nun diesen Schluss denken können? Und doch ist kein anderer Schluss denkbar, während dieser es auch nicht ist. Wenn alles ins Stocken geraten ist, wenn der Gedanke stillsteht, wenn die Sprache verstummt, wenn die Erklärung verzweifelt umkehrt – dann muss ein Gewitter her. Wer kann dies verstehen? Und doch, wer kann etwas anderes erdenken. […] So gibt es denn eine Wiederholung. Wann tritt sie ein? Ja, das lässt sich in irgendeiner menschlichen Sprache nicht gut sagen. Wann trat sie ein für Hiob? Als alle denkbare menschliche Gewissheit und Wahrscheinlichkeit für die Unmöglichkeit sprach.26

Der Gedanke eines kontingenten Einbruchs von außen mag Constantin Constantius fremd sein – in wenigstens einem Punkt treffen sich seine vielzüngigen Beschwörungen mit der Auffassung des jungen Menschen: darin, dass die Wiederholung an der Grenze der Sprache und des Denkbaren liegt.

25 Diese letzte ,Wiederholung‘ verdankt sich allerdings auch einer späten Umarbeitung; in der ersten Fassung begeht der junge Mensch Selbstmord. Vgl. dazu SKS K4, 12 – 28 sowie Hirschs Erläuterung in W, VII-X. 26 W, 82 / SKS 4, 79.

4. Reinterpretationen

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4. Reinterpretationen Aus dem bislang Entwickelten sollte deutlich geworden sein, dass der Experimentalaufbau der Wiederholung im Ganzen einen spannungsreichen Raum konstituiert, in dem sich verschiedene Begriffe der Wiederholung wechselseitig beleuchten. Dieser Raum eröffnet zugleich die Möglichkeit mehrfacher Auslegungsweisen – und in der Tat finden sich schon in Kierkegaards Werk selbst vielfache und unterschiedlich akzentuierte Reinterpretationen. Diese retrospektiven Auslegungen geben zugleich die Gelegenheit, eine Eigentümlichkeit von Kierkegaards Pseudonymen exemplarisch zu beleuchten, nämlich ihre wechselseitigen Bezug- und Stellungnahmen. Eine erste Reinterpretation findet sich schon im Buch selbst, nämlich in Constantins Schlusszuschrift an den Leser. Bemerkenswerterweise steht hier allerdings die Kategorie der Wiederholung nicht mehr explizit im Zentrum; sie wird durch den Begriff der Ausnahme gleichsam verdrängt: Der Fortgang der Schrift habe die Entstehung einer dichterischen Ausnahme beleuchten sollen, welche zugleich einen „religiösen Anklang“ gewinne, ohne dass dieses Element aber zum „Durchbruch“ komme.27 Dabei deutet Constantin an, der junge Mensch habe eine Wiederholung nicht eigentlich erfahren – eine solche bleibe allein der religiösen Existenz vorbehalten.28 In diesem Fall wäre die einzige ,echte‘ Form der Wiederholung in der gleichnamigen Schrift die Hiobs. Nun wird dies aber zum einen von Constantin keineswegs explizit gesagt oder gar entfaltet – der Begriff der Wiederholung fällt an der entsprechenden Stelle nicht –, und zum anderen steht diese Auffassung im Gegensatz zum letzten Brief des jungen Menschen. Auch hier also liegt kein eindeutiges Ergebnis vor; die Schlusszuschrift durchläuft nicht nochmals das weitläufige Feld der Untersuchung im Ganzen, sondern gibt ihrem Spannungsfeld noch einen Auszug mehr. Eine aufschlussreiche Reinterpretation gibt sodann Vigilius Haufniensis in der Einleitung zum Begriff Angst, die im folgenden Kapitel ausführlicher zu interpretieren ist. Vigilius zitiert zunächst die oben angeführte Stelle über das Verhältnis der Wiederholung zu Metaphysik, Ethik und Dogmatik. Den Konnex von Interesse und Metaphysik versteht dabei Vigilius derart, dass Constantin habe sagen wollen, die Me27 W, 95 / SKS 4, 94. 28 Vgl. den Passus W, 96 / SKS 4, 95 f. und dazu Glöckner Kierkegaards Begriff der Wiederholung, S. 36 – 38.

526

IV.1 Experimentalpsychologie – Die Wiederholung

taphysik sei „interesselos“ und müsse deshalb an der Wirklichkeit scheitern, – und folgt darin offenbar dem eigenen Anliegen seiner Einleitung.29 Bemerkenswert ist insbesondere die Auslegung der Ethik: Constantin hatte gesagt, die Wiederholung sei die Losung der Ethik, und mithin offenbar impliziert, die Wiederholung sei für die Ethik konstitutiv. Aus dieser ,Losung‘ wird aber bei Vigilius eine ,Lçsung‘: „Sofern die Wiederholung nicht gesetzt ist, bleibt die Ethik eine bindende Macht, deshalb sagt er [Constantin] vermutlich, dass sie die Lösung in der ethischen Anschauung ist“.30 Vigilius macht durch das „vermutlich“ seine Interpretation als solche sichtbar – verschiebt aber zugleich eine Bedeutungsnuance. Offenbar soll damit die Wiederholung exklusiv dem religiösen Bereich zugeordnet werden; und in dieser Hinsicht finden sich noch weitere Umakzentuierungen. So notiert Vigilius, Constantin sage „mehrere Male, dass die Wiederholung eine religiöse Kategorie“ sei, und an einer Stelle der Schrift heiße es, „dass die Ewigkeit die wahre Wiederholung ist“.31 In der Tat wird aber in der Wiederholung an keiner Stelle ausdrcklich gesagt, die Wiederholung sei eine religiöse Kategorie – diese Auffassung ist allenfalls aus Constantins einleitenden Bemerkungen zu den Briefen des jungen Menschen zu erschließen. 32 Auch der Passus zu Ewigkeit und Wiederholung wird von Vigilius nicht auf seinen Kontext bezogen: Er steht in der sthetischen Wiederholung des letzten Briefes33 – und dort, wo die Wiederholung religiös gefasst wird, ist der Zusammenhang gerade umgekehrt formuliert. Der junge Mensch schreibt anlässlich der Prüfung Hiobs, er sehe sehr wohl, dass „diese Kategorie“ dazu tendieren könne, „die ganze Wirklichkeit auszustreichen und zu suspendieren, indem sie diese als Prüfung im Verhältnis zur Ewigkeit“ bestimme; gleichwohl sei aber die Prüfung eine „zeitweilige Kategorie“ und müsse daher „in der Zeit aufgehoben werden“.34 Die Wiederholung soll also gerade nicht ein Überstieg in die Ewigkeit sein – sie wird vielmehr als eine zeitliche Struktur verstanden. Diese ,Verschiebungen‘ sind freilich keineswegs so zu verstehen, als habe Vigilius die Wiederholung ,missver29 BA, 15 Anm. / SKS 4, 326 Anm. 30 BA, 16 Anm. / SKS 4, 326 Anm. Das dänische Wort ,løsnet‘ kann in beiderlei Bedeutung gebraucht werden. Vgl. dazu SKS K4, 373 sowie Hirschs Anmerkung in W, Anm. 29, 152 f. 31 BA, 16 Anm. / SKS 4, 327 Anm. 32 Vgl. W, 55 – 59 / SKS 4, 54 – 57. 33 Vgl. W, 89 f. / SKS 4, 88. 34 W, 81 / SKS 4, 78.

4. Reinterpretationen

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standen‘, – sie illustrieren aber, dass die Reinterpretationen durchaus eigenständiger Art sind und nicht retrospektiv den ,einzigen‘ Sinn des Textes ans Licht bringen, der in diesem bloß verhüllt mitgeteilt worden wäre. Eine weitere Reinterpretation findet sich im Rahmen von Climacus’ ,Blick‘ auf das frühe Werk in der Nachschrift. Climacus pointiert den Gedanken der Prüfung im Blick auf das Verhältnis von Ethischem und Religiösem; er führt damit Vigilius’ Auffassung fort, die Wiederholung sei gegen das Ethische zu stellen. Während aber Vigilius dazu tendiert, das ,Rätsel‘ der Schrift zu lösen, betont Climacus gerade den Charakter des Indirekten. Da seine entsprechende Bemerkung die Form der Schrift nochmals klar pointiert, soll sie die Auslegung der Wiederholung beschließen: Die Schrift „Die Wiederholung“ wurde auf dem Titelblatt „psychologisches Experiment“ genannt. Dass dies eine doppelt reflektierte Mitteilungs-Form war, wurde mir bald klar. Denn dadurch, dass die Mitteilung in der Form des Experiments geschieht, bildet sie sich selbst einen Widerstand, und das Experiment befestigt eine bodenlose Tiefe zwischen Leser und Verfasser und setzt die Geschiedenheit der Innerlichkeit zwischen sie, sodass das direkte Verständnis unmöglich gemacht ist. Das Experiment ist die bewusste, neckende Zurücknahme der Mitteilung, was für einen Existierenden, der für Existierende schreibt, immer von Wichtigkeit ist, damit das Verhältnis nicht in das eines Schwätzers verwandelt wird, der für Schwätzer schreibt.35

35 AUN1, 258 / SKS 7, 239.

IV.2 An der Grenze der Wissenschaft – Der Begriff Angst Der Begriff Angst hebt sich von den übrigen pseudonymen Schriften der frühen Phase zwischen 1843 und 1846 klar ab – als einziges Werk dieser Periode hat er das Gepräge einer wissenschaftlichen Abhandlung. Mithin scheint es sich bei dieser Schrift zunächst nicht um eine Gestalt indirekter Mitteilung zu handeln. Die folgende Skizze soll allerdings die These entfalten, dass das gerade Gegenteil der Fall ist: Eben darin, dass die Schrift ,wissenschaftlich‘ vorgeht, liegt ihr indirektes Moment – die Angstabhandlung operiert beständig ,an der Grenze der Wissenschaft‘. Diese Konstellation lässt sich vorab folgendermaßen anzeigen: Das Pseudonym Vigilius Haufniensis verfolgt einen spezifisch wissenschaftlichen Ansatz, zeichnet aber zugleich eine unübersteigbare Grenze dieses Vorgehens ein – und unterluft angesichts dieser Grenze sein eigenes Verfahren, indem er sich selbst entgegenarbeitet. Damit ist die Aufgabe des Folgenden bezeichnet: Die Untersuchung hat erstens das wissenschaftliche Vorgehen von Vigilius nachzuvollziehen. Zweitens hat sie die Grenze präzise zu benennen, die Vigilius selbst zieht; dabei wird sich zeigen, dass diese Grenze auf verschiedene Weisen und mit unterschiedlicher Stärke akzentuiert wird. So ist schon die Psychologie als die von Vigilius selbst betriebene Wissenschaft durch einen Abstand charakterisiert: Sie kann die Wirklichkeit nur beschreiben, nicht aber ergreifen; sie behandelt die Wirklichkeit im Modus der Mçglichkeit. Diese Grenzziehung verschärft sich etwa dort, wo Vigilius ausführt, die Sünde habe berhaupt keinen Ort in irgendeiner Wissenschaft. Da Vigilius selbst beständig auf die Grenze(n) seines und des wissenschaftlichen Vorgehens überhaupt aufmerksam macht, ist das Verfahren des Begriffs Angst als Modus der eingestandenen Abstndigkeit zu charakterisieren. Schließlich hat die Untersuchung drittens das Sich-entgegen-Arbeiten des wissenschaftlichen Verfahrens angesichts dieser Grenze nachzuvollziehen; sie hat mit anderen Worten zu zeigen, wie Vigilius sein eigenes Vorgehen unterluft und so selbst zurcknimmt. Diese Konstellation wird in vier Schritten eingeholt: In dem ersten und ausführlichsten Abschnitt gilt das Interesse der Einleitung (1.). Hier

1. ,Grundlegung‘ und ,Grenze‘ der Wissenschaft – Einleitung

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lässt sich Vigilius’ wissenschaftliches und zugleich ,wissenschaftstheoretisches‘ Vorgehen nachvollziehen; dabei zeigt sich die Grenze dieses Verfahrens auf unterschiedlichen Ebenen. Der zweite Schritt widmet sich einer Partie von Caput II, in der Vigilius das Verhältnis von Wissenschaft und Einzelnem bestimmt und die Grenze der Einleitung vertieft (2.). Ein dritter Schritt illustriert exemplarisch in Caput IV das Sich-entgegenArbeiten der Wissenschaft (3.); der vierte Schritt geht sodann zum Vorwort zurück, in dem Vigilius’ zweideutiges Verhältnis zur Wissenschaft vorab schon angezeigt ist (4.). Abschließend gilt es, in aller Kürze Climacus’ in der Nachschrift formulierte Stellungnahme zur Form der Angstschrift zu diskutieren (5.). Systematisch kann dabei die Reziprozität von Begriff und Durchführung der indirekten Methode von der Seite der Durchfhrung her beleuchtet werden: Obgleich der Begriff Angst nicht ausdrcklich von indirekter Mitteilung spricht, bildet er doch an seinen Rändern eine Begriffsstruktur des Indirekten aus. Diese Konzeption ist sodann werkgeschichtlich erhellend: Im Begriff Angst (1844) ist nämlich eben diejenige Konstellation präfiguriert, von der die erste explizite Erörterung des Indirekten in der Nachschrift (1846) ausgehen wird.36

1. ,Grundlegung‘ und ,Grenze‘ der Wissenschaft – Einleitung Die dichte und begrifflich komprimierte Einleitung zum Begriff Angst enthält den ausführlichsten Kommentar zu zeitgenössischen wissenschaftlichen Debatten in Kierkegaards Gesamtwerk; damit ist der Text zugleich eine umfängliche Auseinandersetzung mit Hegel, dem Hegelianismus und mit Schelling. Schließlich entwickelt die Einleitung eine Neuordnung der gesamten Wissenschaft, die Kierkegaard an keiner anderen Stelle explizit erörtert hat. Der folgende Durchgang wird die Einleitung nicht erschöpfend behandeln können; es gilt allein, ihre Grundbewegung nachzuzeichnen, die sich zwischen Neuordnung und Grenzziehung der Wissenschaft aufspannt. Um diese Konstellation in 36 Die Forschung hat nur sehr vereinzelt die Frage nach der Mitteilungsform der Angstschrift gestellt. Als Ausnahme sei auf die Studie von Deuser verwiesen, in der es heißt, das „Dozieren“ des Vigilius Haufniensis sei „selbst Ausdruck der pseudonymen Konstruktion“ (Hermann Deuser Kierkegaard. Die Philosophie des religiçsen Schriftstellers, Darmstadt 1985, S. 150 f.); ähnlich bereits Klaus Schäfer Hermeneutische Ontologie in den Climacus-Schriften Sçren Kierkegaards, München 1968, S. 64 – 68.

530

IV.2 An der Grenze der Wissenschaft – Der Begriff Angst

aller Klarheit herauszuarbeiten, wird die – hochinteressante und bislang nicht erschöpfend erörterte – Diskussion mit Schelling, Hegel und dem Hegelianismus weitestgehend zurückgestellt.37

a) Wissenschaft und Wirklichkeit Die Einleitung zum Begriff Angst beginnt mit einer allgemeinen Erörterung über das Verhältnis von Wissenschaft und wissenschaftlichem Einzelproblem. Vigilius führt aus, jeder wissenschaftlichen Untersuchung eines bestimmten Problems sei „innerhalb des großen Gebiets der Wissenschaft“ ein „bestimmte[r] Ort“ zugewiesen.38 Dieser Hinweis auf den ,bestimmten Ort‘ der Einzeluntersuchung hat eine doppelte Funktion: Zum einen fügt sich die einzelne Untersuchung nur dann, wenn sie ihrer Grenze eingedenk ist, ,harmonisch‘ in das „Ganze“, die „Totalität“ ein; zum anderen aber dient diese Bestimmung der Einzeluntersuchung selbst, wird doch derart verhindert, dass sie sich mit Verfahrensweisen anderer Wissenschaften vermischt.39 Vigilius ist es also um die Trennung der einzelnen wissenschaftlichen Probleme und Disziplinen zu tun – zugleich aber um den Bezug der Einzeluntersuchung auf ein Ganzes. Dieser ,wissenschaftstheoretische‘ Auftakt muss den Leser Kierkegaards zunächst irritieren, wird doch sonst stets das ,Existenzielle‘ gegen die ,wissenschaftliche Totalität‘ eingeklagt und von dieser entschieden abgegrenzt. Hier aber nimmt Vigilius zunächst affirmativ einen Begriff wissenschaftlicher Ganzheit in Anspruch; und offenbar verwendet er den Terminus ,Wissenschaft‘ im Sinne des deutschen Idealismus – nämlich in der Einzahl, im singulare tantum. Dennoch bleibt der Abstand besonders zum Hegelschen Entwurf gewahrt: Vigilius denkt nämlich in der Tat eine Systematik der Wissenschaft; er denkt sie aber von der Unterscheidung her, die nach dem Motto der Schrift durch „das System“ – und gemeint ist natürlich das Hegelsche – „überwunden“40 worden sei. Mithin zeigt sich 37 Vgl. dazu Philipp Schwab „,Das Reich der Wirklichkeit ist nicht vollendet‘. Kierkegaard als Hörer Schellings und Kritiker Hegels“ in Kierkegaard im Kontext des deutschen Idealismus, hrsg. v. Axel Hutter / Anders Moe Rasmussen, Berlin / New York 2012 (in print) sowie Lore Hühn / Philipp Schwab „Kierkegaard and German Idealism“ in The Oxford Handbook of Kierkegaard, hrsg. v. George Pattison / John Lippitt, Oxford 2013 (in print), Abschn. II.4. 38 BA, 6 / SKS 4, 317. 39 BA, 6 / SKS 4, 317. 40 BA, 2 / SKS 4, 310.

1. ,Grundlegung‘ und ,Grenze‘ der Wissenschaft – Einleitung

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schon im Auftakt der Einleitung eine erste Formation der Grenze; sie heißt hier ,immanente Grenze‘, sofern sie die Trennung der einzelnen Wissenschaften innerhalb eines Ganzen bezeichnet. Im Folgenden beleuchtet Vigilius an vier Beispielen die ,Verwirrung‘, die dann entsteht, wenn die Grenzen der einzelnen Wissenschaften nicht eingehalten werden. Alle vier Beispiele sind für Kierkegaards Verhältnis zum Idealismus in hohem Maße aufschlussreich; an dieser Stelle soll nur das erste und grundlegendste Beispiel zur Sprache kommen: Vigilius kritisiert, dass man den „letzten Abschnitt der Logik“ mit „die Wirklichkeit“ überschreibe.41 Damit aber sei weder der Wirklichkeit gedient, sofern das ihr wesentliche Element des Zufälligen verloren gehe; noch sei damit der Logik gedient, die etwas in sich aufnehme, das in ihr wesentlich keinen Ort habe. Der Vorwurf ist offenbar im Ganzen auf Hegel gemünzt und bezieht sich im Konkreten auf A. P. Adler; die Kritik ist augenscheinlich von Schellings Berliner Vorlesung inspiriert.42 Im gegenwärtigen Kontext aber ist das Folgende entscheidend: In den drei übrigen Beispielen kritisiert Vigilius stets die ,Vermischung‘ von zwei Wissenschaften – etwa der Dogmatik und der Logik, sofern der Glaube als das Unmittelbare bestimmt, oder der Ethik und der Logik, sofern das Böse als das Negative gefasst werde.43 Im ersten Beispiel aber fehlt auf einer der beiden Seiten die Wissenschaft, nämlich auf der Seite der Wirklichkeit. Dieser wird keine Wissenschaft zugeordnet – und so deutet sich eine weit tiefere Grenze an als in der ,immanenten‘ Form: Das Beispiel lässt wenigstens die Interpretation zu, dass die Wirklichkeit die Grenze von Wissenschaft berhaupt bezeichnet.

41 BA, 6 f. / SKS 4, 317. 42 Bei Hegel selbst ist die ,Wirklichkeit‘ nicht der letzte Abschnitt der Logik im Ganzen, sondern der Logik des Wesens. Der Hegelianer Adler – dessen späteren Anspruch auf ein ,Offenbarungserlebnis‘ Kierkegaard im Buch ber Adler kritisch diskutieren wird – behandelt in seinen Populaire Foredrag over Hegels objective Logik [Populäre Vorträge über Hegels objektive Logik] nur die ersten beiden Teile der Logik und endet tatsächlich mit der Wirklichkeit. Vgl. dazu SKS K4, 350 sowie Jon Stewart Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, Cambridge u. a. 2003, S. 378 – 385. – Der Schelling-Bezug liegt in dessen Fundamentaldifferenz zwischen Möglichem und Wirklichem, vgl. die oben, I.2.3. genannten Stellen und Forschungsbeiträge. 43 Vgl. BA, 7 – 11 / SKS 4, 318 – 321.

532

IV.2 An der Grenze der Wissenschaft – Der Begriff Angst

b) Der Nicht-Ort der Sünde und die Aneignung Von der Kritik einer ,Vermischung‘ verschiedener Sphären wendet sich sodann Vigilius dem eigentlichen Thema der Abhandlung zu, betont aber, das „Einzelne“ der Beispiele sei „mit Allusion an den Gegenstand der Schrift“ gewählt.44 In der Tat wird gerade das Motiv einer der Wissenschaft inkommensurablen Wirklichkeit wiederkehren. Die Untersuchung selbst soll nun – wie dies schon der Untertitel angibt – „den Begriff ,Angst‘ psychologisch derart ab[zu]handeln, dass sie das Dogma von der Erbsünde in mente und vor Augen hat.“45 In der folgenden Erläuterung widmet sich Vigilius nicht zunächst seinem eigenen Bereich – nämlich der Angst als Gegenstand der Psychologie –, sondern demjenigen, womit es die Untersuchung nur „schweigend“ zu tun habe: der Sünde. Diese aber könne gerade keine „Aufgabe für psychologisches Interesse“ sein.46 Nach dem ,wissenschaftstheoretischen Auftakt‘ wäre nun zu vermuten, dass Vigilius angibt, welche Wissenschaft denn für die Sünde ,zuständig‘ wäre. Bemerkenswerterweise tut aber Vigilius gerade das Gegenteil: „Die Sünde hat ihren bestimmten Platz, oder richtiger, sie hat überhaupt keinen, aber dies ist ihre Bestimmung.“47 Diese Formulierung ist in ihrer Paradoxalität festzuhalten. Die Bestimmung der Sünde ist gerade, nicht bestimmbar zu sein; der Ort der Sünde ist – vom Standpunkt der Wissenschaft aus – der Nicht-Ort. Damit ist eine grundsätzliche und unübersteigbare Grenze geltend gemacht; es ist ein ,Ort‘ angezeigt, welcher der Wissenschaft berhaupt entgeht. Diese Konstellation heißt die ,radikale Grenze‘. Nach einer Illustration der ,Verwirrung‘, die durch eine Behandlung der Sünde in der falschen Disziplin entstehe, vertieft Vigilius nochmals diese atopische Bestimmung: Eigentlich gehört die Sünde überhaupt nicht in irgendeine Wissenschaft. Sie ist Gegenstand der Predigt, wo der Einzelne als der Einzelne zum Einzelnen spricht. In unserer Zeit hat die wissenschaftliche Wichtigkeit die Pfarrer genarrt, eine Art Professoren-Küster zu sein, die auch der Wissenschaft dienen und es unter ihrer Würde finden zu predigen. Insofern ist es dann kein Wunder, dass Predigen für eine sehr dürftige Kunst gehalten worden ist. Predigen ist indes von allen Künsten die schwierigste, und ist eigentlich diejenige Kunst, die Sokrates preist: sich unterreden zu können. […] Das44 45 46 47

BA, 11 / SKS 4, 321. BA, 11 / SKS 4, 321. BA, 11 / SKS 4, 321 f. BA, 11 / SKS 4, 322.

1. ,Grundlegung‘ und ,Grenze‘ der Wissenschaft – Einleitung

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jenige, was Sokrates eigentlich an den Sophisten tadelte, mit der Distinktion: dass sie wohl reden könnten, aber nicht sich unterreden, war dies, dass sie über jedes Ding vieles sagen konnten, aber ihnen das Moment der Zueignung fehlte. Die Zueignung ist eben das Geheimnis der Unterredung.48

Zu dieser zentralen Passage der Einleitung ist ein Dreifaches zu bemerken. Erstens ist hier klar die Existenzkategorie des Einzelnen akzentuiert: Die Sünde hat allein dort ihren Ort, wo ,der Einzelne als Einzelner zum Einzelnen spricht‘. Damit ist der ,Bereich‘ näher bezeichnet, der jenseits der Wissenschaft liegt: das Existenzverhältnis des Einzelnen. Zweitens wird als ,Anspracheform‘ des Einzelnen im Blick auf die Sünde die Predigt aufgerufen. Mithin ist eine ,Diskursform‘ benannt, die gerade nicht eine wissenschaftliche ist und von dieser wesentlich getrennt werden muss. Vigilius kritisiert hier nicht mehr wie zuvor die Vermischung verschiedener Wissenschaften; er kritisiert die ,Einmischung‘ des Wissenschaftlichen berhaupt in eine außerwissenschaftliche Gesprächsform. Darin wird die Spannung deutlich, die in der Angstabhandlung und dem ,wissenschaftstheoretischen‘ Gestus der Einleitung liegt: Sie selbst begreift sich als wissenschaftliche Erörterung und weist in dieser Form nach, dass die Wissenschaft den Einzelnen nicht anzusprechen vermag. Es ist die Pointe der Einleitung zum Begriff Angst, dass sie bei allgemeinen und speziellen Überlegungen zur Wissenschaft ihren Ausgang nimmt, und von dort aus auf jenen Punkt zusteuert, der von der Wissenschaft gerade nicht erreicht werden kann. Drittens ist es aufschlussreich, inwiefern die Predigt als Ansprache des Einzelnen gefasst wird. Vigilius bestimmt sie als „Kunst“ und assoziiert sie mit dem Sokratischen.49 Das tertium comparationis zwischen Predigt und Sokratischem Gespräch ist nun die Zueignung. Vigilius verwendet dasjenige Wort, das sonst zumeist als ,Aneignung‘ übersetzt wird (dän. tilegnelse); hier aber erscheint die Bestimmung nicht als ,Aktivität‘ des Empfängers, sondern als ,Qualität‘ des Sprechenden bzw. der Gesprächsform. Gleichwohl ist beides miteinander verschränkt: Indem der Sprechende das Gesagte dem Empfänger zueignet und über-eignet, ist dieser zugleich zur Aneignung angereizt. Mit anderen Worten: Die Predigt wie auch das Sokratische Gespräch sind existenzbezogen – und es ist festzuhalten, dass sie gerade darin von Wissenschaft berhaupt abgegrenzt 48 BA, 13 / SKS 4, 323. 49 Diese doppelte Assoziation ist für sich genommen durchaus bemerkenswert: Die Predigt wird so mit einer sthetischen und einer heidnischen Bestimmung zusammengeschlossen.

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IV.2 An der Grenze der Wissenschaft – Der Begriff Angst

werden.50 Da aber Vigilius’ Untersuchung offenbar selbst eine wissenschaftliche Form hat und nicht als Predigt oder Gespräch angelegt ist, stellt sich die Frage, ob und wie sie denn ihrerseits die Aneignung zu sichern vermag. Diese Frage wird im Folgenden zur Klarheit kommen. Vorab ist festzuhalten: Die ,wissenschaftstheoretische‘ Einleitung markiert eine ,radikale‘ Grenze der Wissenschaft: Der existenzielle Konnex von Einzelnem und Aneignung liegt grundsätzlich jenseits ihre Bereichs.

c) Erste und zweite Philosophie Es ist für den Charakter der Angstabhandlung bezeichnend, dass Vigilius sich vom Einzelnen und der Aneignung ab- und wieder dem Verhältnis der Wissenschaften zuwendet. Dabei schlägt er eine grundsätzliche Neuordnung in erste und zweite Wissenschaft vor, die allerdings die eben formulierte ,Grenzziehung‘ reflektiert. Ausgangspunkt ist weiterhin die Frage nach dem Verhältnis der Wissenschaft zur Sünde. Dabei erscheint nun die Ethik als diejenige Wissenschaft, in der die Sünde und die ihr korrespondierende Stimmung des Ernstes „am ehesten“ ihren Platz haben könnten.51 Gleichwohl hält Vigilius an seiner Grenzziehung fest: Die Ethik ist „noch eine ideale Wissenschaft“, deren Bewegung darin besteht, „die Idealität in die Wirklichkeit hinein[zu]bringen, hingegen ist ihre Bewegung nicht, die Wirklichkeit zur Idealität emporzubringen“.52 Das heißt: Die Wirklichkeit steht der idealen Forderung der Ethik gegenber, ohne dass die Ethik selbst diesen Widerspruch zu lösen vermöchte. Dadurch aber bezeichnet die Wirklichkeit (der Sünde) denjenigen Punkt, an dem die ideale Ethik scheitert: Soll nämlich „die Ethik die Sünde aufnehmen, 50 Diesbezüglich ist allerdings eine Zweideutigkeit zu konstatieren. Schon kurz zuvor hatte Vigilius den Begriff der Aneignung/Zueignung in einer Anmerkung eingebracht. Dort hieß es, jede Wissenschaft setze „wie Poesie und Kunst“ eine „Stimmung“ beim „Produzierenden“ und beim „Rezipierenden“ voraus; dies habe man vergessen, seit man die „Innerlichkeit“ und die Bestimmung der „Aneignung/Zueignung“ vergessen habe (BA, 11 Anm. / SKS 4, 322 Anm.). Vigilius gibt aber etwa als Stimmung der Metaphysik die „dialektische Gleichmäßigkeit und Uninteressiertheit“ an (BA, 12 / SKS 322), und es ist nicht zu sehen, wie diese ,Stimmung‘ auf Aneignung abzielen sollte. Offenbar kann also der Hinweis nicht für jede Wissenschaft gleichermaßen gelten. 51 BA, 13 / SKS 4, 323. 52 BA, 13 / SKS 4, 323 f. [Herv. v. Verf.].

1. ,Grundlegung‘ und ,Grenze‘ der Wissenschaft – Einleitung

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dann ist es mit ihrer Idealität vorbei.“53 Dies gilt umso mehr, als die ideale Ethik davon ausgeht, das Individuum sei im „Besitz der Bedingungen“,54 um die ideale Aufgabe zu verwirklichen. In der Sünde aber zeigt sich eine Bestimmung, die über das Individuum hinausdeutet – nämlich als Erbsnde. Damit „ist eine Kategorie zum Vorschein gekommen, die gänzlich außerhalb“ des „Bereichs“ der Ethik liegt.55 Zugleich ist es aber die Bestimmung der Erbsünde, die das Problem einer Lösung zuführt – „jedoch nicht mit Hilfe der Ethik, sondern mit der der Dogmatik.“56 Die Dogmatik bezeichnet nun den Anfang der zweiten Wissenschaft: „Mit der Dogmatik beginnt diejenige Wissenschaft, die im Gegensatz zu jener stricte so genannten idealen Wissenschaft von der Wirklichkeit ausgeht“.57 Hier ist zunächst die Umkehrung der Bewegungsrichtung zu beachten. Im Gegensatz zur (idealen) Ethik bezeichnet die Dogmatik ein Ausgehen von der Wirklichkeit. Es stellt sich aber sogleich die Frage, ob denn die Dogmatik selbst die für die ,ideale‘ Wissenschaft inkommensurable Wirklichkeit zu fassen vermag – und diese Frage wird bemerkenswerterweise negativ beantwortet: Die Dogmatik erklrt nicht die Erbsünde und soll diese nicht erklären, sondern „sie erklärt sie, indem sie sie voraussetzt“ als „ein bewegendes Etwas, das keine Wissenschaft zu fassen bekommt.“58 Die Erbsünde ist demnach für keine Wissenschaft fassbar, und die Dogmatik setzt gerade die Grenze des für die Wissenschaft Fassbaren. Wiederum führt also Haufniensis in der Form der wissenschaftlichen Abhandlung die Wissenschaft an jenen Punkt, an dem sie nichts mehr vermag – und zwar nicht allein die ideale Wissenschaft der Ethik, sondern gerade auch die Dogmatik als Wissenschaft, die von der Wirklichkeit ausgeht. Von hier aus bestimmt Vigilius im Allgemeinen die Struktur der zwei Wissenschaften: Die „neue Wissenschaft“, die die Wirklichkeit in den Blick nimmt, hat ihren Beginn in der Dogmatik, so wie die „immanente Wissenschaft mit [der] Metaphysik beginnt.“59 In Anlehnung an den Aristotelischen Begriff der „pqotg ¦ikoso¦ia“, der ersten Philosophie, gibt Vigilius seiner neuen Wissenschaft den Namen der zweiten Philosophie, 53 54 55 56 57 58 59

BA, 14 f. / SKS 4, 324 f. BA, 13 / SKS 4, 324. BA, 16 f. / SKS 4, 326. BA, 17 / SKS 4, 326. BA, 17 / SKS 4, 326. BA, 17 / SKS 4, 327. BA, 17 f. / SKS 4, 328.

536

IV.2 An der Grenze der Wissenschaft – Der Begriff Angst

der „secunda philosophia“.60 Die erste Philosophie bezeichnet die „wissenschaftliche Totalität“, deren „Wesen die Immanenz ist“; das Wesen der zweiten Philosophie aber ist „die Transzendenz“.61 Die erste Philosophie der Immanenz als ,wissenschaftliche Totalität‘ verweist offenbar wieder auf eine Systemphilosophie Hegelscher Prägung. Nun hatte aber Vigilius selbst seine Erörterungen mit dem Begriff einer Wissenschaft als Totalitt begonnen. Sofern allerdings von einer ,Ganzheit‘ der zweiten Philosophie gesprochen werden kann, so ist dies eine durchaus eigentümliche Totalität: Sie ist nämlich eine Totalität angesichts eines ihr Transzendenten. Die neue Wissenschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich selbst stets an ihre Grenzen führt – namentlich an die Grenze der Sünde und der Erbsünde. Mithin heißt die mit der ,zweiten Wissenschaft‘ aufgerufene Grenzziehung die ,transzendente Grenze‘. Allerdings ist die zweite Wissenschaft mit der Dogmatik nicht erschöpft: Von der Dogmatik hebt nämlich eine neue, zweite Form der Ethik an, die gleichfalls die Wirklichkeit ,im Blick‘ hat: Sie hat „das Bewusstsein der Dogmatik für die Wirklichkeit als Aufgabe an die Wirklichkeit“.62 Die neue Ethik stellt also wie die erste, ideale eine Aufgabe; da sie aber von der Dogmatik ausgeht und diese in der Wirklichkeit ihren Beginn hat, stellt sie die Aufgabe nun an die Wirklichkeit. Im Unterschied zur ersten Ethik hat also die neue Ethik unweigerlich mit der Wirklichkeit der Sünde zu tun, und darin kehrt sie ihre Bewegung um: Sie vollzieht sich „von unten herauf.“63 Mithin ist von einem ,Abholen‘ der zweiten Ethik in der Wirklichkeit zu sprechen; sie erklrt die „Sünde des Einzelnen“, aber im Ausgang von der Erbsünde. Dass aber mit dieser ,Erklärung‘ wiederum nicht gemeint ist, die zweite Ethik vermöge in der Tat die Wirklichkeit der Sünde in den Begriff zu fassen, wird aus dem letzten Abschnitt zur Neuordnung der Wissenschaft deutlich:

60 BA, 18 f. / SKS 4, 328 f. Vgl. Aristoteles Metaphysik VI, 1; 1026a24; auch hier findet sich wieder eine bemerkenswerte Referenz auf Schelling. Vgl. nochmals Schwab „,Das Reich der Wirklichkeit ist nicht vollendet‘“, Abschn. III.1. 61 BA, 18 f. / SKS 4, 328 f. 62 BA, 18 / SKS 4, 328. 63 BA, 18 / SKS 4, 328. Vgl. zur ,zweiten Ethik‘ Pia Søltoft Svimmelhedens Etik. Om forholdet mellem den enkelte og den anden hos Buber, Levinas og især Kierkegaard, Kopenhagen 2000, S. 149 – 155 sowie (allerdings mit Schwerpunkt auf den Taten der Liebe) Arne Grøn „Kierkegaards ,zweite‘ Ethik“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 1998, S. 358 – 368.

1. ,Grundlegung‘ und ,Grenze‘ der Wissenschaft – Einleitung

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Der Begriff Sünde ist dann eigentlich keiner Wissenschaft zugehörig, nur die zweite Ethik kann ihre Offenbarung behandeln, nicht ihr Entstehen. Will irgendeine andere Wissenschaft sie abhandeln, dann wird der Begriff verwirrt. Derart, um unserem Vorhaben näher zu rücken, falls die Psychologie es tun würde.64

d) Psychologie Die Psychologie als die von Vigilius selbst praktizierte Wissenschaft wird mithin sogleich mit einem einschränkenden Vorzeichen eingeführt: Behandelt sie selbst die Sünde, so ist diese eo ipso verfälscht. Diese Verfälschung hatte Vigilius zuvor schon anlässlich der Stimmung beiläufig benannt und dabei eine erste Beschreibung der Psychologie gegeben: Werde die Sünde in der Psychologie behandelt, so entstehe als Stimmung die „beobachtende Beharrlichkeit“, die „spionierende Unerschrockenheit“ und die „antipathetische Neugier“; die Sünde selbst aber werde derart zu einem „Zustand“.65 Damit ist bereits die entscheidende Charakteristik der Psychologie genannt: Sie ist wesentlich Beobachtung. Als solche richtet sie sich zwar auf die Wirklichkeit, aber sie wahrt zugleich einen Abstand; sie ist zwar für die Wirklichkeit interessiert, aber ihr Interesse gilt nicht der Wirklichkeit als der Wirklichkeit, sondern als Gegenstand ihrer Beobachtung – oder ihr Interesse für die Wirklichkeit ist nicht das sympathetische, sondern das antipathetische Interesse.66 In anderen Worten: Die Psychologie ist die beständige actio in distans. Sie ergreift nicht das Wirkliche im Modus des Vollzugs, sondern hat das Wirkliche zugleich als ihren Gegenstand und ihre Grenze. Diese Bestimmung wird nun zum Ende der Einleitung präzisiert. Vigilius setzt am Begriff des ,Zustandes‘ an: Die Psychologie hat es als Beobachtung stets nur mit Zuständen zu tun, oder sie vermag überhaupt nur zu fassen, was sich als Zustand darbietet; ein Zustand aber ist „ein Ruhendes“, das „in bewegter Ruhe verbleibt.“67 Was die Psychologie hingegen nicht zu erfassen vermag, ist „ein Unruhiges, das sich entweder beständig selbst produziert oder reprimiert wird.“68 Nur in diesem 64 BA, 19 / SKS 4, 329. 65 BA, 12 / SKS 4, 322 f. 66 So spricht Vigilius auch beiläufig von der „psychologischen Konkupiszenz“ (BA, 18 / SKS 4, 328). 67 BA, 19 / SKS 4, 329. 68 BA, 19 / SKS 4, 329.

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IV.2 An der Grenze der Wissenschaft – Der Begriff Angst

Blickwinkel und unter dieser (einschränkenden) Voraussetzung kann in der Tat die Psychologie mit der Sünde zu tun haben: Aber das Bleibende, das, woraus die Sünde beständig wird, nicht mit Notwendigkeit; denn ein Werden mit Notwendigkeit ist ein Zustand, wie z. B. die ganze Geschichte der Pflanze ein Zustand ist, sondern mit Freiheit, dieses Bleibende, die disponierende Voraussetzung, die reale Mçglichkeit der Sünde, das ist ein Gegenstand für das Interesse der Psychologie. Dasjenige, welches die Psychologie beschäftigen kann und womit sie sich beschäftigen kann, ist, wie die Sünde entstehen kann, nicht dass sie entsteht.69

Damit ist der wesentliche Modus der Psychologie benannt: der Modus der Mçglichkeit. Die Wirklichkeit der Sünde selbst entsteht nicht mit Notwendigkeit, sondern in Freiheit – gerade diesen Wirklichkeitsakt vermag aber die Psychologie nicht zu fassen. Sie kann allein die Disposition zur Sünde aufzeigen, sie vermag den Zustand nachzuzeichnen, aus dem die Sünde hervorgeht; die Wirklichkeit der Sünde aber ist von ihrer bloßen Möglichkeit „qualitativ verschieden“.70 Weiter heißt es, der „gesamte Inhalt der Wirklichkeit“ sei der Psychologie versagt; sie „liebt“ die Möglichkeit, sie „sitzt da und zeichnet Konturen ab und berechnet die Winkel der Möglichkeit, und lässt sich ebenso wenig stören wie Archimedes.“71 In ihrem bloßen Möglichkeitsmodus zeigt sich die strukturelle Grenze der Psychologie: Sie lässt notwendig das Entscheidende aus, nämlich dass die Sünde da ist; oder sie verfehlt die Wirklichkeit, um die es wesentlich zu tun ist. Darin konzentriert sich nochmals die Bewegung der Einleitung: Vigilius entwirft eine Neuordnung der Wissenschaft, um diese stets auf ihre Grenze stoßen zu lassen; die Wissenschaft blickt hin auf die Wirklichkeit, die ihr aber stets wesentlich entgeht. Dieses ,Verfehlen‘ ist allerdings nicht ein bloßes Widerfahrnis; es wird vielmehr vom Wissenschaftler selbst eingeschärft und affirmiert. Der Begriff Angst schreibt sich so im Modus der eingestandenen Abstndigkeit. Schon in der Einleitung gibt Vigilius auch eine etwas genauere Beschreibung des psychologischen Verfahrens: Als Wissenschaft habe die Psychologie zwar „nicht mit dem Detail der empirischen Wirklichkeit zu tun“; gleichwohl aber könne das Detail „seine wissenschaftliche Repräsentation erhalten, je konkreter die Psychologie wird“ – denn diese 69 BA, 19 / SKS 4, 329 [Herv. v. Verf.]. Der Ausdruck ,reale Möglichkeit‘ bezeichnet hier die Möglichkeit der Sünde in der ,menschlichen Natur‘ – im Unterschied zur ,idealen Möglichkeit‘ der Sünde, der Erbsünde, mit der es die Dogmatik zu tun hat (vgl. BA, 21 / SKS 4, 330). 70 BA, 19 / SKS 4, 329. 71 BA, 20 / SKS 4, 330.

1. ,Grundlegung‘ und ,Grenze‘ der Wissenschaft – Einleitung

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Wissenschaft habe „vor allen anderen [das] Recht dazu“, sich „in der schäumenden Mannigfaltigkeit des Lebens nahezu zu berauschen.“72 Diese nur andeutende Partie lässt sich wohl folgendermaßen auslegen: Zwar hat sich die Psychologie auf die Mannigfaltigkeit der ,empirischen‘ Wirklichkeit einzulassen; gleichwohl ist ihre Beobachtung nicht die bloße, gleichsam ,naturwissenschaftlich‘ exakte Wiedergabe des Empirischen. Eine spätere Charakterisierung des psychologischen Beobachters zu Beginn von Caput II vermag diesen Aspekt aufzuhellen. Hier grenzt sich Vigilius von einer gelehrten Psychologie ab, die sich auf ein „isoliertes, notarialiter bewiesenes Faktum“ beschränke; derartigen Darstellungen aber fehle es „an der eigentlich psychologisch-poetischen Vollmacht“.73 Der Verweis auf das poetische Moment ist hier entscheidend. Der psychologische Beobachter müsse nämlich – so heißt es weiter – nicht nur „geschmeidiger“ sein „als ein Seiltänzer, um sich in die Menschen einschmiegen und ihre Stellungen nachahmen zu können“; er müsse auch über eine „dichterische Ursprünglichkeit“ verfügen, um sogleich „das Totale und Regelmäßige“ aus dem schaffen zu können, „was im Individuum stets nur teilweise und unregelmäßig vorhanden ist.“74 Von hier aus wird die Rede vom empirischen Detail klarer: Es ist die Aufgabe des Psychologen, aus den beobachteten Details poetisch ein Ganzes und zugleich ein Allgemeines zu schaffen. Die Psychologie ist also nicht nur beobachtend, sondern zugleich hervorbringend. Was sie aber hervorbringt, ist das Typische oder der Typus. Indem die Psychologie nicht bloß das Einzelne wiedergibt, sondern poetisierend zum Allgemeinen hinführt, ist sie stets Typologie – und auch darin zeigt sich ihr Abstand von der je konkreten Einzelheit des Wirklichen. Dieser ist mithin als doppelter zu bestimmten: Die Psychologie ist beobachtend-poetisierende Bezugnahme auf das ihr entgehende Wirkliche. Schließlich wird die Psychologie in der Einleitung auch in die ,Architektonik‘ der zweiten Wissenschaft eingeordnet: Indem die Psychologie sich in die Mçglichkeit der Sünde vertieft, steht sie, „ohne es zu wissen“, im Dienste der Dogmatik, welche „bloß darauf wartet, dass sie fertig werde, um selbst beginnen und der Psychologie zur Erklärung verhelfen zu können“ – eben durch die Erbsnde. 75 Zugleich übergibt die Psychologie die Sünde an die zweite Ethik: Ist nämlich der Bereich der 72 73 74 75

BA, 20 / SKS 4, 330. BA, 53 / SKS 4, 359 [Herv. v. Verf.]. BA, 54 / SKS 4, 359. BA, 20 / SKS 4, 330.

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IV.2 An der Grenze der Wissenschaft – Der Begriff Angst

Mçglichkeit verlassen und die Sünde als wirkliche gesetzt, so hat die Psychologie ausgedient – denn dann ist „die Ethik zur Stelle, und folgt nun jedem ihrer Schritte“, und die Ethik ist niemals „beobachtend, sondern anklagend, richtend, handelnd“.76 Mithin zeigt sich – neben der strukturellen Beschränkung der Psychologie auf die Möglichkeit – noch eine zweite, disziplinre Grenze von Vigilius’ Wissenschaft. Sie ist wesentlich vorlufig und lässt abermals das Entscheidende aus: ,Nach hinten‘ ist sie auf die Dogmatik bezogen, die allein die Entstehung der Sünde erklären kann; ,nach vorne‘ verweist sie auf die zweite Ethik, die die Wirklichkeit der Sünde ergreift und bewältigt. *** Vigilius Haufniensis’ ,Neuordnung‘ und ,Grundlegung‘ der Wissenschaft zeigt sich auf mehrfacher Ebene als die Begrenzung des Wissenschaftlichen: Sie benennt erstens eine ,immanente‘ Grenze zwischen den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen; sodann aber zweitens eine ,radikale‘ Grenze angesichts der Sünde, die, als dem Existenzvollzug des Einzelnen zugehörig, allein Gegenstand der Predigt oder des (Sokratischen) Gesprächs sein kann und der Wissenschaft als solcher grundsätzlich entzogen ist. Drittens konzipiert Vigilius eine ,transzendente‘ Grenze, indem er die Ordnung einer ,zweiten Wissenschaft‘ skizziert, die beständig ihres Verfehlens der Wirklichkeit eingedenk ist. Schließlich hat viertens die Psychologie selbst eine doppelte Grenze: Als poetisierende Beobachtung ist sie stets im Modus der Möglichkeit, die ,strukturell‘ vom Wirklichkeitsmodus getrennt ist; zugleich hat sie eine ,disziplinäre‘ Grenze, sofern ihre Behandlung der Wirklichkeit (der Sünde) stets vorläufig ist und auf die Dogmatik und die zweite Ethik verweist. Dass im Übrigen auch die ,zweite Wissenschaft‘ die Wirklichkeit nicht zu ergreifen vermag, und dass der Begriff ,Wirklichkeit‘ auf eben jene ,Sphäre‘ des singulären Existenzvollzugs verweist, den der Nicht-Ort der Sünde anzeigt, wird nochmals aus einer Bemerkung am Ende von Caput I deutlich. Dort äußert Vigilius den Wunsch, der Leser möge nicht danach fragen, was geschehen wäre, wenn Adam nicht gesündigt hätte. Dazu heißt es: Die Wissenschaft hingegen kann dergleichen nicht erklären. Jede Wissenschaft liegt entweder in einer logischen Immanenz, oder in der Immanenz einer Transzendenz, die sie nicht zu erklären vermag. Die Sünde ist nun eben 76 BA, 20 / SKS 4, 329 f.

2. Der Einzelne und die Wissenschaft – Caput II

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jene Transzendenz, jenes discrimen rerum, in welcher die Sünde in den Einzelnen als den Einzelnen eintritt.77

Auch die zweite Wissenschaft ist mithin nicht ,Wissenschaft des Einzelnen‘; auch sie ist eine Immanenz – allerdings eine Immanenz innerhalb einer Transzendenz, welche sie nicht zu erklären vermag. Qua Wissenschaft scheitert auch die zweite Ordnung an der Existenz; sie spricht den Einzelnen nur insofern an, als sie stets auf ihre eigene Grenze hindeutet und den Leser stets auf diese Grenze stößt. So wird der Leser dazu genötigt, einen Schritt ,weiter‘ zu gehen als die Wissenschaft; er wird auf den Ernst, in dem die Sünde nur vom Einzelnen zu ergreifen ist, hingewiesen, ohne dass dies aber jemals ausgewiesen werden könnte. Im Ganzen zeigt sich so die Bewegung der Einleitung als eine spannungsreiche Gegenbewegung: Ihr grundlegender und weit ausgreifender Anspruch, den Bereich der Wissenschaft neu zu vermessen, hat seine Pointe darin, sich selbst zurückzunehmen und auf eine Sphäre hinzudeuten, die der Wissenschaft je entzogen ist. Eben dies aber ist die Bewegung des Indirekten: auf etwas hinzusprechen, das sich der begrifflichen Fassung wesentlich entzieht – und in diesem Zuge das eigene Sprechen zurückzunehmen. Dies kann auch so ausgedrückt werden, dass der Begriff Angst sich zwar als wissenschaftliche Abhandlung präsentiert – sich als solche aber zugleich widerruft. Das indirekte Sich-entgegen-Arbeiten liegt in der Angstschrift gerade in ihrem wissenschaftlichen Ansatz. Es ist nun zu sehen, wie diese Bewegung sich im weiteren Verlauf der Schrift ausgestaltet.

2. Der Einzelne und die Wissenschaft – Caput II Schon in der Erläuterung der Psychologie und der ,Transzendenz‘ der zweiten Wissenschaft hat die Untersuchung auf Partien der Hauptabhandlung vorgegriffen. In der Tat ist es für den Begriff Angst charakteristisch, dass Vigilius es nicht bei einer ,propädeutischen‘ Klärung des wissenschaftstheoretischen Rahmens belässt, sondern im Verlauf der Abhandlung das problematische Verhältnis von Wissenschaft und Existenzvollzug immer wieder aufgreift. Eine in dieser Hinsicht zentrale Partie findet sich am Ende von Caput II. Bereits anlässlich der Bestimmung der Sünde hatte Vigilius darauf 77 BA, 48 f. / SKS 4, 355.

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IV.2 An der Grenze der Wissenschaft – Der Begriff Angst

hingedeutet, dass der Einzelne als Einzelner jenseits des wissenschaftlich Erfassbaren liegt. Dieser Gedanke wird nun verschärft. Ausgangspunkt ist die Definition, die Sünde bestehe im ,Selbstischen‘. Dem stimmt Vigilius durchaus zu, gibt der Bestimmung aber eine eigentümliche Wendung. Da die entsprechende Partie nicht allein für die Angstschrift, sondern für den Ansatzpunkt des Indirekten überhaupt wesentlich ist, sei sie hier ausführlich zitiert: Wenn man nun in der neueren Wissenschaft oft genug die Sünde als das Selbstische erklärt hat, so ist es unbegreiflich, dass man nicht eingesehen hat, dass eben hierin die Unmöglichkeit liegt, dass ihre Erklärung in irgendeiner Wissenschaft stattfinden kann; denn das Selbstische ist eben das Einzelne, und was dies bedeutet, kann nur der Einzelne als der Einzelne wissen, da es unter allgemeinen Kategorien betrachtet alles bedeuten kann, derart, dass dieses alles überhaupt nichts bedeutet. Die Bestimmung, dass die Sünde das Selbstische ist, kann deshalb sehr richtig sein, eben wenn man zugleich festhält, dass sie wissenschaftlich gesprochen so inhaltslos ist, dass sie überhaupt nichts bedeutet. […] Wenn man sich nicht zuerst deutlich macht, was Selbst bedeutet, dann nützt es nur wenig, von der Sünde auszusagen, dass sie das Selbstische ist. Aber „Selbst“ bedeutet eben den Widerspruch, dass das Allgemeine als das Einzelne gesetzt ist. Erst wenn der Begriff des Einzelnen gegeben ist, erst dann ist die Rede vom Selbstischen gegeben, aber unerachtet dessen, dass zahllose Millionen solcher Selbste gelebt haben, kann keine Wissenschaft sagen, was das ist, ohne es wieder ganz allgemein auszusagen.78

Hier ist die Konstellation gegenüber der Einleitung verschärft: Vigilius nimmt nicht mehr selbst einen Begriff von Wissenschaft in Anspruch – er setzt einen Hiatus zwischen den Einzelnen als Selbst und die Wissenschaft überhaupt. In dieser Passage erreicht die Wissenschaftskritik der wissenschaftlichen Angstabhandlung ihren Kulminationspunkt: Der Einzelne als Selbst kann berhaupt nicht von der Wissenschaft gefasst werden; wird er doch wissenschaftlich gedacht, so ist es eo ipso verfälscht. Das existenzielle Selbstverhältnis liegt grundstzlich jenseits des Wissenschaftlichen – was das Selbst und das Selbstische ist, weiß allein der Einzelne als der Einzelne. Angelpunkt dieser ,Sphärentrennung‘ ist offenbar das Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinem. „Selbst“, als Begriff, sagt gerade das nicht, was es sagen soll, – als Begriff nämlich ist „Selbst“ stets allgemein und mithin ,nichtssagend‘. Der Einzelne als der Einzelne aber – als Singularitt – entzieht sich dem Sagbaren. Diesem ,Widerspruch‘ widmet

78 BA, 78 f. / SKS 4, 380 f.

3. Das Schema – Caput IV

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Vigilius eine wichtige Fußnote, in der er sich zugleich von einer Denkform Hegelscher couleur abgrenzt: Dies ist wohl wert näher zu bedenken; denn eben an diesem Punkt muss es sich zeigen, wieweit das neuere Prinzip, dass Denken und Sein eins sind, sich erstreckt […]. Nur das Allgemeine ist dadurch, dass es gedacht wird und sich denken lässt (nicht bloß experimentierend; denn was kann man nicht alles denken) und ist [so], wie es sich denken lässt. Die Pointe im Einzelnen ist eben sein negatives Sich-Verhalten zum Allgemeinen, sein Abstoßen, aber sobald das weggedacht wird, ist es aufgehoben, und sobald es gedacht wird, ist es verwandelt, derart, dass man es entweder nicht denkt, sondern sich nur einbildet, oder es denkt, und sich bloß einbildet, dass es mit in das Denken [auf]genommen ist.79

Das Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinem ist hier in zweideutiger Dialektik gedacht – oder vielmehr: Seine Nichtdenkbarkeit ist in zweideutiger Dialektik umspielt. Nicht nur entgeht der Einzelne wesentlich der Sphäre des Allgemeinen als des Denkmöglichen – auch das Abstoßen des Einzelnen entzieht sich, sofern es auf den Einzelnen schon bezogen ist, als Zwischen einer Darstellung im Begriff. Damit benennt Vigilius als erstes Pseudonym den Ausgangspunkt der indirekten Methode in ihrer starken, existenziellen Fassung – und nicht zufällig ist es eben dieser Gedanke, von dem wenig später die erste explizite Erörterung des Indirekten in der Nachschrift ausgehen wird.80 Mithin prägt sich schon im Begriff Angst eine begriffliche Konstellation des Indirekten aus: In dem zitierten Passus ist das ,Problem‘ des Indirekten benannt – und Vigilius’ ,Lösung‘ besteht darin, eine gegen sich selbst arbeitende Wissenschaft zu konzipieren. Es wird Johannes Climacus vorbehalten bleiben, eine dieser Fragestellung entsprechende neue Methodik des Indirekten ausdrücklich zu diskutieren. Gleichwohl beginnt Climacus eben an jener zitierten zweideutigen Bewegung zwischen Einzelnem und Allgemeinem – indem er sie durch den Begriff der Doppelreflexion beschreibt.

3. Das Schema – Caput IV Mit den Bestimmungen aus Einleitung und Caput II ist die Grenze gezeigt worden, die Vigilius seinem eigenen wissenschaftlichen Vorgehen und der Wissenschaft überhaupt zieht. Schon darin liegt eine Selbstzurück79 BA, 79 Anm. / SKS 4, 381 Anm. 80 Vgl. oben, II.1., bes. II.1.1.b)-d).

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IV.2 An der Grenze der Wissenschaft – Der Begriff Angst

nahme der Angstschrift: Sie perspektiviert das eigene Verfahren und weist sich angesichts ihres Gegenstandes als unzulänglich aus; und so bleibt das ,Ergreifen‘ dessen, was in ihr zur Verhandlung kommt, stets dem Leser überantwortet. Anhand von Caput IV lässt sich exemplarisch anzeigen, wie diese Gegenbewegung sich in der Schrift auch gestaltet. Hier spricht Vigilius von der „Mannigfaltigkeit von unzähligen Nuancen“81 des Dämonischen. Diese Mannigfaltigkeit der Formen „macht es so schwierig, davon in abstracto zu sprechen, da das Sprechen gänzlich algebraisch wird“; und Vigilius fügt an: „Mehr kann ich indes hier nicht tun.“82 In der Folge gibt Vigilius in äußerster Verkürzung eine Beschreibung der Zustände des somatisch-psychischen Verlusts der Freiheit und schließt diese Abbreviatur mit den Worten: „Weiter wünsche ich dies nicht zu verfolgen. Die Hauptsache für mich ist hier allein, mein Schema in Ordnung zu haben.“83 In dieser nur knappen Bemerkung steckt allerdings eine sprechende Selbstcharakteristik des Pseudonyms und seines ,wissenschaftlichen‘ Gestus. Wie im Vorbeigehen deutet Vigilius auf sich selbst und die Implikationen seines Vorgehens zurück: Vigilius Haufniensis ist, wenn man so sagen darf, das ,unglücklich ins Schema verliebte‘ Pseudonym – und die Pointe seines Verfahrens besteht darin, auf die Unangemessenheit des eigenen Zugriffs hinzudeuten. Eine Untersuchung, die solcherart ,schematisch‘ und ,algebraisch‘ vorgeht, vermag freilich den Einzelnen als den Einzelnen niemals zu fassen zu bekommen. Vielmehr geht der Versuch, die beobachtete Wirklichkeit in der Form eines Schemas aufzufassen, zurück auf das ver-dichtende Element der Psychologie. Das Schema als notwendig verkürzendes und verallgemeinerndes Durchdenken der Angstproblematik kann niemals (wenigstens nicht direkt, wohl aber indirekt) im Dienste des Einzelnen und des Ernstes stehen, es ist vielmehr charakteristisch für das antipathetische Interesse der Psychologie. Die Aufgabe, die der Begriff Angst indirekt an den Leser stellt, liegt also nicht allein darin, die Darstellung der Angst dialektisch zu prüfen. Vielmehr stößt das Verfahren den Leser stets darauf, dass der begrifflichen Schematisierung von Vigilius’ Psychologie in Fragen der Existenz nicht einfach zu folgen ist. Mithin verhindert das Verfahren die Aufnahme in der Form eines einfachen Resultats. Darin verschränkt die Angstab81 BA, 142 / SKS 4, 437. 82 BA, 142 / SKS 4, 437. 83 BA, 143 / SKS 4, 438.

4. Das ,Zweitpseudonym‘ – Vorwort

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handlung den Darstellungsaspekt und den Kommunikationsaspekt des indirekten Verfahrens: Sie deutet hin auf einen Bereich, der als existenzieller dem eigenen Zugriff und den eigenen Darstellungsformen entzogen ist; und fordert damit zugleich auf, das hier im unzulänglichen Modus Vorgeführte in die eigene Existenz herüberzunehmen und mithin anzueignen. In seiner Selbstzurücknahme hat auch der Begriff Angst – obschon eine wissenschaftliche Abhandlung – die Zueignungs-Qualität des ,Gesprächs‘. Vor diesem Hintergrund dürfen auch die wissenschaftstheoretischen Ausführungen der Einleitung nicht als bloßer ,Vorlauf‘ begriffen werden; vielmehr sind auch diese auf die spezifische Mitteilungssituation zu beziehen. Das Pseudonym „Vigilius Haufniensis“ steht für eine im Ganzen wissenschaftliche Herangehensweise an die Angstproblematik, aber wohlgemerkt so, dass ständig auf das Unzureichende dieser Form hingewiesen wird. Keineswegs sind die wissenschaftsspezifischen Unterscheidungen der Einleitung als Versuch zu lesen, das Folgende auf ein gesichertes, ,objektives‘ Fundament zu stellen. Dies verdeutlicht die Konfrontation der wissenschaftlichen Untersuchung über den Begriff der Angst mit der unwissenschaftlichen Nachschrift. Der Unterschied beider Schriften ist nicht auf eine ,Wandlung‘ in Kierkegaards Denken zurückzuführen. Vielmehr stellen beide auf ihre Weise Versuche dar, indirekt die Frage nach dem Einzelnen anzustoßen.

4. Das ,Zweitpseudonym‘ – Vorwort Zum Abschluss der Interpretation der Angstabhandlung selbst gilt es zu zeigen, dass ihre eigentümliche Spannung zwischen wissenschaftlichem Vorgehen und existenziellem Anspruch auf verdeckte Weise bereits im Vorwort antizipiert ist. Dort kommt Vigilius in aller Kürze auf sich selbst zu sprechen: Was meine eigene geringe Person angeht, so gestehe ich in aller Aufrichtigkeit, dass ich als Schriftsteller ein König ohne Land bin, jedoch auch in Furcht und vielem Zittern ein Schriftsteller ohne alle Forderungen. Falls es einer edlen Missgunst, einer eifrigen Kritik zu viel erscheint, dass ich einen lateinischen Namen trage, so soll ich mit Freude den Namen: Christen Madsen annehmen, am liebsten wünschend, als ein Laie betrachtet zu

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IV.2 An der Grenze der Wissenschaft – Der Begriff Angst

werden, der wohl spekuliert, jedoch weit außerhalb der Spekulation steht […].84

Vor dem Hintergrund des bislang Erarbeiteten sollte deutlich sein, dass das Vorwort – wie die Vorworte der pseudonymen Schriften überhaupt – nicht als bloß amüsanter Auftakt zu lesen ist; vielmehr ist hier die Mitteilungssituation und zugleich die Sprecherperspektive des Pseudonyms angezeigt. Das Pseudonym hat als ,König ohne Land‘ nicht eine weltgeschichtlich bedeutsame Neuigkeit zu verkünden, die mit Akklamation begrüßt werden müsste, – und schon damit ist der groß angelegte Versuch einer ,Neubegründung der Wissenschaft‘ in der Einleitung ironisch gegengezeichnet. Insbesondere aber ist das zweideutige Verhältnis des Pseudonyms zur Wissenschaft hier präzise angegeben: Zwar geht Vigilius in der Tat spekulativ-wissenschaftlich vor – er steht aber als ,Laie‘ außerhalb der Spekulation. Damit ist das zentrale Motiv der Untersuchung vorweggenommen: Das wissenschaftliche Verfahren deutet ständig auf ,etwas‘ hin, das grundsätzlich jenseits von Spekulation und Wissenschaft liegt. Auch das Bekenntnis, ,mit Freuden den Namen Christen Madsen‘ annehmen zu wollen, verweist auf diese Konstellation: Gerade der lateinische Name „Vigilius Haufniensis“ zeigt den wissenschaftlich-spekulativen und zugleich psychologisch-beobachtenden Zugriff der Abhandlung an; der ,bürgerlich-dänische‘ Name des ,Zweitpseudonyms‘ Christen Madsen hingegen stößt den Leser schon im Vorwort auf die tiefere Dimension der Schrift, die jeden Einzelnen angeht und allein durch den Einzelnen in Aneignung zu übernehmen ist.85

5. Climacus über die Form der Angstschrift In Form eines Appendix soll noch kurz auf die Diskussion des Begriffs Angst verwiesen werden, die sich in Climacus’ Rückblick auf das frühe pseudonyme Werk in der Nachschrift findet; gerade hier ist nämlich die ,wissenschaftliche‘ Form der Angstschrift besprochen. Climacus’ Anlie84 BA, 5 / SKS 4, 313 f. 85 Der Name ,Christen Madsen‘ verweist zugleich auf eine historische Person, nämlich auf einen Laienprediger und Führer der fünischen Erweckungsbewegung (vgl. im Detail SKS K4, 348). Damit ist der zweite Auszug der Passage angesprochen, der sich auch in der Wendung ,Furcht und Zittern‘ zeigt: Vigilius macht keinen Anspruch auf weltliche und wissenschaftliche Bedeutung, sondern unterstellt sich einer höheren, christlichen Autorität.

5. Climacus über die Form der Angstschrift

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gen besteht neben anderem in dem Nachweis, dass sich auch das ihm vorhergehende pseudonyme Werk der indirekt-doppeltreflektierten Form bedient habe. In diesem Zusammenhang erscheint naturgemäß die Form des Begriffs Angst zunächst fragwürdig, und derart wird sie auch von Climacus gefasst: Übrigens ist „Der Begriff Angst“ darin wesentlich von den anderen pseudonymen Schriften verschieden, dass seine Form direkt und sogar ein wenig dozierend ist. Vielleicht hat der Verfasser gemeint, dass hier an diesem Punkt eine Mitteilung von Wissen nötig sein könnte, ehe man zur Verinnerlichung übergehen könnte […]. Die etwas dozierende Form der Schrift war unzweifelhaft schuld daran, dass sie mehr als die anderen pseudonymen ein bisschen Gnade vor den Augen der Dozenten fand.86

Diese ,Aufnahme‘ seitens der Dozenten ist nun nach Climacus freilich ein „Missverständnis“, und so hebt er den ,existenziellen‘ Zug der Schrift hervor: Ihr sei es wesentlich, dass die Sünde nicht in abstrakten Bestimmungen aufgefasst wurde, worin sie sich doch gar nicht, entscheidend nämlich, auffassen lässt, weil sie in einem wesentlichen Verhältnis zum Existieren steht. Insofern war es gut, dass die Schrift eine psychologische Untersuchung war, die selber erklärt, dass die Sünde im System keinen Platz finden kann, vermutlich ebenso wenig wie Unsterblichkeit, Glaube, das Paradox und anderes dergleichen, das sich wesentlich zum Existieren verhält, von dem eben das systematische Denken absieht. Bei „Angst“ kommt man auch nicht dazu, an Paragraphen-Wichtigkeit zu denken, sondern an Existenz-Innerlichkeit.87

Climacus’ Charakterisierung ist offenbar ambivalent: Auf der einen Seite bezieht Climacus die Schrift auf seine eigene Unterscheidung von Spekulation und Existenz. Dabei hebt er hervor, dass schon aus der Angstabhandlung selbst ihr existenzieller Zug zu ersehen sei; und nicht zufällig verweist Climacus auf die oben interpretierte Bestimmung der Sünde, die jenseits des Systems liegt. Auf der anderen Seite aber bestimmt Climacus gleichwohl die Schrift als ,direkt‘ und ,dozierend‘ – und das dozierende Element soll offenbar darin liegen, dass in der Schrift eine direkte Mitteilung von gelehrtem Wissen vorgenommen werde. Dieser Auffassung ist vor dem Hintergrund der hier skizzierten Interpretation nur bedingt zuzustimmen. In der Tat unterscheidet sich der Begriff Angst darin von anderen pseudonymen Schriften, dass er die Form der wissenschaftlichen Abhandlung wählt. Das ,Dozierende‘ der Schrift 86 AUN1, 264 f. / SKS 7, 245. 87 AUN1, 264 / SKS 7, 244.

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IV.2 An der Grenze der Wissenschaft – Der Begriff Angst

liegt aber nicht vornehmlich in der ,Mitteilung von Wissen‘, sondern in der Form der begrifflichen Durcharbeitung der Angstproblematik. Damit ist aber die Form der Angstschrift keineswegs direkt, und zwar sofern Vigilius den Leser beständig auf die Grenzen dieses Verfahrens stößt. Climacus kommt es offenbar mehr auf die Abwehr eines Missverständnisses an als auf den Hinweis, dass die Angstabhandlung einem solchen Missverständnis selbst schon vorgebeugt hat. Gerade in der Zurücknahme der eigenen wissenschaftlichen Form aber liegt die Durchführung der indirekten Mitteilung in der Angstschrift.

IV.3 Anti-Climacus und die brüchige Leiter – Die Krankheit zum Tode Die abschließende Skizze bezeichnet den Versuch, die Krankheit zum Tode unter mitteilungstheoretischen Vorzeichen in den Blick zu nehmen. Allerdings stellt diese Schrift die Lektüre vor eine beträchtliche Herausforderung: Sie enthält Kierkegaards begrifflich geschlossensten und philosophisch profiliertesten Entwurf; ihre stufenweise Analyse der Verzweiflungsformen ist zumeist in die Nähe von Hegels Phnomenologie des Geistes gerückt und als ,Phänomenologie des subjektiven Geistes‘ oder als ,Phänomenologie der Verzweiflung‘ gelesen worden.88 Von der Problematik indirekter Mitteilung scheint man – auch angesichts des Pseudonyms Anti-Climacus, das nach Kierkegaard eine andere Funktion erfüllt als die vorhergehenden89 – zunächst absehen zu können. In der Tat ist ein konsequent durchgeführtes Sich-entgegen-Arbeiten des Indirekten in der Krankheit zum Tode nicht nachzuweisen. Die Schrift selbst konstituiert sich nicht in einer wesentlichen Brechung ihrer eigenen Form: Das Pseudonym Anti-Climacus nimmt eine begriffliche Analyse der Verzweiflung vor, ohne diese explizit als ,Experiment‘, ,Hypothese‘ oder ,Denkprojekt‘ kenntlich zu machen – und auch eine Operation ,an der Grenze der Wissenschaft‘, wie sie der Begriff Angst vollzieht, ist nicht in letzter Konsequenz durchgeführt.

88 Vgl. bes. Wolfgang Janke „Verzweiflung. Kierkegaards Phänomenologie des subjektiven Geistes“ in Sein und Geschichtlichkeit. Karl-Heinz Volkmann-Schluck zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Ingeborg Schüßler / Wolfgang Janke, Frankfurt a.M. 1974, S. 103 – 113; Arne Grøn „Kierkegaards Phänomenologie?“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 1996, S. 91 – 116; Jon Stewart „Kierkegaard’s Phenomenology of Despair in ,The Sickness unto Death‘“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 1997, S. 117 – 143. Vgl. bes. auch Michael Theunissen Der Begriff Verzweiflung. Korrekturen an Kierkegaard, Frankfurt a.M. 1993 sowie zur Diskussion Günter Figal „Lebensverstricktheit und Abstandnahme. ,Verhalten zu sich‘ im Anschluß an Heidegger, Kierkegaard und Hegel“ [2001] in ders. Verstehensfragen. Studien zur phnomenologisch-hermeneutischen Philosophie, Tübingen 2009, S. 11 – 52, hier bes. S. 13 – 25. 89 Vgl. im Detail unten, Unterabschnitt 1.c).

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IV.3 Anti-Climacus und die brüchige Leiter – Die Krankheit zum Tode

Die Interpretation hat diese Eigentümlichkeit des Textes zu respektieren; sie darf das Werk nicht einem mitteilungstheoretischen Schematismus unterwerfen, der um jeden Preis einen Rückstoß des Indirekten einzeichnen soll. Gleichwohl gilt es im Folgenden zu zeigen, dass auch die Krankheit zum Tode sich zur indirekten Methode in ein dreifaches Verhältnis setzen lässt. Erstens soll sichtbar gemacht werden, dass die Zurückstellung der indirekten Bewegung gerade in einer Untersuchung, die die Begriffe des Selbst und der Snde ins Zentrum stellt, eine gewisse Spannung zur Konsequenz hat. Anti-Climacus ,übergeht‘ die Bedenken der früheren Pseudonyme gegen eine ,wissenschaftliche‘ Analyse des Existenziellen und insbesondere des Religiös-Existenziellen. Diese fehlende ,Aufmerksamkeit‘ auf das Indirekte lässt sich nicht einfach durch die Eigenart des späteren Pseudonyms erklären. Vielmehr soll zweitens gezeigt werden, dass Kierkegaards Interesse zur Zeit der Abfassung und besonders der Publikation der Schrift (1848/49) vornehmlich einem anderen Problem gilt – namentlich der Frage, ob und inwieweit er selbst die ,Forderung‘ des Christlichen übernehmen und anbringen kann.90 Dieses Interesse illustriert insbesondere die Reflexion des ,neuen‘ Pseudonyms Anti-Climacus: Kierkegaards Überlegungen gelten nicht vornehmlich dem spezifischen Sprechgestus des Pseudonyms – etwa als ,Wissenschaftler‘, als ,Experimentator‘ oder als ,Psychologe‘ – sondern allein der ,formalen‘ Stellung im Blick auf die Forderung des Christlichen. Vor diesem Hintergrund gilt es schließlich drittens zu zeigen, dass eine mitteilungstheoretisch geschärfte und den Kontext berücksichtigende Interpretation tatsächlich auch in der Krankheit zum Tode Bewegungen des Indirekten ausweisen kann – wenn auch nur an den Rändern der Schrift und in unterschwelligen Winken. Gerade der vermeintlich geschlossene Stufenbau der Verzweiflungsanalyse vollzieht sich – so die These – nicht gemäß der Methodik von Hegels Phnomenologie. Sie ist vielmehr als horizontale Typologie zu lesen, deren Brüchigkeit an einzelnen Stellen auch angedeutet ist. Die Interpretation zielt mithin im Ganzen auf den Nachweis, dass sich Spuren der indirekten Methode selbst dort noch nachweisen lassen, wo mit ihnen gar nicht mehr zu rechnen ist. Aus dem umrissenen Anliegen der Interpretation sollte deutlich geworden sein, dass sie ein anderes Vorgehen zu wählen hat als in den vorhergehenden beiden Skizzen. Ließ sich der Rückstoß der Methode in 90 Dieser Wandel des Interesses entspricht der Verschiebung der expliziten Mitteilungsreflexion seit 1846, die oben, in II.3. auf dem ,Weg zum Gesichtspunkt‘ nachvollzogen worden ist.

1. Kombinationsrechnung

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der Wiederholung und dem Begriff Angst aus den Texten selbst herausarbeiten, so ist dem beinahe verschwindenden Widerhall des Indirekten in der Krankheit zum Tode nur vermittels einer Kombinationsrechnung nachzuspüren, die das Werk kontextualisiert. Diese Kombinationsrechnung bezeichnet den ersten Abschnitt (1.); vor diesem Hintergrund wendet sich der zweite Abschnitt dem Text selbst zu (2.).

1. Kombinationsrechnung Die Kombinationsrechnung, in der die mitteilungstheoretische Interpretation der Krankheit zum Tode vorbereitet werden soll, vollzieht sich in vier Schritten. Zuerst ist das frühere pseudonyme Werk in den Blick zu nehmen, namentlich der Begriff Angst und die Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift (a). Dabei gilt es einerseits zu zeigen, dass eine Analyse von Selbst und Sünde, wie sie in der Krankheit zum Tode angestrebt ist, im Grunde ein indirektes Verfahren fordert: Eben diese beiden Begriffe exponiert der Begriff Angst als Grenzbestimmungen eines jeden ,wissenschaftlichen‘ Vorgehens; die Nachschrift entwickelt die indirekte Methode der Doppelreflexion im Kontrast zu einem objektiven und ,existenzvergessenen‘ Denken. Andererseits sollen einige der im Begriff Angst verwendeten ,Operatoren‘ des Indirekten in Erinnerung gerufen werden, die in der Krankheit zum Tode wiederkehren – wenn auch weniger deutlich akzentuiert. Der zweite Schritt vollzieht abbreviatorisch die methodische Bewegung von Hegels Phnomenologie des Geistes nach (b), werden sich doch gerade dort, wo die Krankheit zum Tode von dieser Methodik abweicht, Spuren des Indirekten nachweisen lassen. Der dritte Unterabschnitt nimmt das Pseudonym Anti-Climacus in den Blick (c). Dabei soll zum einen das spezifische Interesse beleuchtet werden, das in Kierkegaards Reflexion über die Publikationsform der Krankheit zum Tode im Vordergrund steht: die Position des Pseudonyms bezüglich der ,Forderung‘ des Christlichen. Dieses Interesse weist schließlich Anti-Climacus eine rein ,formale‘ Stellung zu, in der seine ,denkerische Physiognomie‘ unterbestimmt bleibt. Zum anderen aber zeigt ein näherer Blick auf die entsprechenden Dokumente, dass die ,Position‘ des Pseudonyms keineswegs so eindeutig ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Im vierten und letzten Schritt gilt das Interesse Kierkegaards nach Fertigstellung der Schrift notiertem ,Rapport‘ zur Krankheit zum Tode (d). Hier ist aufzuzeigen, dass Kierkegaard das ,Pro-

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IV.3 Anti-Climacus und die brüchige Leiter – Die Krankheit zum Tode

blem‘ des streng wissenschaftlich-dialektischen Vorgehens der Schrift nicht gänzlich entgangen ist. Die Kombinationsrechnung zielt darauf, den geschlossen erscheinenden Bau der Krankheit zum Tode zunächst von außen zu perspektivieren; sie entwickelt aber zugleich die Elemente, die dann in der Interpretation der Schrift selbst hervorzuheben sind.

a) Vom Begriff Angst zur Nachschrift Von allen pseudonymen Werken kommt dem dialektischen Vorgehen der Krankheit zum Tode noch der Begriff Angst am nächsten; insbesondere die Analysis der Gestalten des Freiheitsverlusts in Caput IV nimmt methodisch die Darstellung der Verzweiflungsformen vorweg. Im vorhergehenden Kapitel ist allerdings gezeigt worden, dass Vigilius Haufniensis das von ihm angewandte ,wissenschaftliche‘ Verfahren zugleich unterluft und zurcknimmt – und eben darin liegt der Rückstoß des Indirekten im Begriff Angst. 91 Im Vorblick auf die Krankheit zum Tode gilt es vornehmlich darauf aufmerksam zu machen, dass Vigilius die Grenze, die er dem wissenschaftlichen Vorgehen zieht, gerade an den beiden Begriffen exponiert, die in der Verzweiflungsschrift zentral sind, nämlich der Snde und dem Selbst. Schon Vigilius’ eigene wissenschaftliche Disziplin – die Psychologie – erweist sich als der Snde unangemessen. Wird die Sünde zum Gegenstand des psychologischen Interesses, so entsteht als Stimmung die „antipathetische Neugier“ und die „beobachtende Beharrlichkeit“92 – mithin eine abstndige Betrachtung, die die Sünde nicht als solche zu ergreifen vermag. Diese Grenzziehung wird dort noch radikalisiert, wo Vigilius ausführt, die Sünde habe „ihren bestimmten Platz, oder richtiger, sie hat überhaupt keinen, aber dies ist ihre Bestimmung“;93 und wenig später heißt es, die Sünde gehöre „überhaupt nicht in irgendeine Wissenschaft“, sie sei „Gegenstand der Predigt, wo der Einzelne als der Einzelne zum Einzelnen spricht“.94 Das heißt: Die Sünde gehört we91 Vgl. zum Folgenden im Detail oben, IV.2. Hier werden nur diejenigen Elemente des Indirekten im Begriff Angst nochmals aufgerufen, die im Blick auf die Krankheit zum Tode entscheidend sind. 92 BA, 12 / SKS 4, 322 f. 93 BA, 11 / SKS 4, 322. 94 BA, 13 / SKS 4, 323.

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sentlich der ,Sphäre‘ des Existenziellen zu und fordert eine dem gemäße Anspracheform; wird sie wissenschaftlich behandelt, so ist ihre Bestimmung geradezu verflscht. Parallel verläuft die Bewegung anlässlich jenes Begriffs, der in der Eingangspartie der Krankheit zum Tode zentral ist, dem Begriff des Selbst. In Caput II heißt es, „keine Wissenschaft“ könne sagen, was das „Selbst“ sei, „ohne es wieder ganz allgemein auszusagen“95 – und damit die Pointe des Selbst zu vernichten, das gerade den Einzelnen bezeichnet. In einer Anmerkung heißt es hierzu: Die Pointe im Einzelnen ist eben sein negatives Sich-Verhalten zum Allgemeinen, sein Abstoßen, aber sobald das weggedacht wird, ist es aufgehoben, und sobald es gedacht wird, ist es verwandelt, derart, dass man es entweder nicht denkt, sondern sich nur einbildet, oder es denkt, und sich bloß einbildet, dass es mit in das Denken [auf]genommen ist.96

Eine jede Darstellung des Selbst hat also sein Abstoßen vom Allgemeinen zu berücksichtigen – und gerade dieses Abstoßen lässt sich nicht wissenschaftlich fassen und ,ins Denken aufnehmen‘. Wie also die Sünde entzieht sich auch der Begriff des Selbst wesentlich einer wissenschaftlichen Darstellung im Modus des Allgemeinen. Von dieser Konstellation ausgehend entwickelt zwei Jahre später die Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift den Gedanken der indirekten Methode:97 Johannes Climacus beginnt mit einer scharfen Gegenüberstellung von objektivem und subjektivem Denken und führt als Denkform des zweiteren die Doppelreflexion ein. Diese reflektiert die Inkommensurabilitt der singulären Existenz für das Objektive. Daraus folgt für Climacus, dass sich auch die Mitteilung in doppeltreflektierter Form zu vollziehen habe – und dies bedeutet wesentlich: Sie hat sich stets zurückzunehmen, sie darf nie in einem letzten ,Resultat‘ gerinnen. Gerade darin stößt sie sich – in dem Sinne des Vigilius – vom Allgemeinen ab. Zwar sind die Begriffe ,Selbst‘ und ,Sünde‘ in den entsprechenden Partien der Nachschrift nicht zentral; gleichwohl ist es deutlich, dass die Doppelreflexion auf das ,Problem‘ der Darstellung des Existenziellen antwortet, die im Begriff Angst benannt worden ist. Schließlich gilt für Climacus die Notwendigkeit des Existenziell-Indirekten insbesondere im Religiçsen – wo nämlich alles Wesentliche im ,Geheimnis‘ des subjektiven Gottesverhältnisses liegt. 95 BA, 78 f. / SKS 4, 381. 96 BA, 79 Anm. / SKS 4, 381 Anm. 97 Vgl. ausführlicher oben, II.1., bes. II.1.1.

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IV.3 Anti-Climacus und die brüchige Leiter – Die Krankheit zum Tode

An diesem Punkt also treffen sich die ,wissenschaftliche‘ Analyse des Begriffs Angst und die unwissenschaftliche Nachschrift: Überall dort, wo vom (Religiös-)Existenziellen die Rede sein soll, wird ein indirektes Verfahren notwendig – und dies in ausdrücklicher Abgrenzung von einem wissenschaftlichen Vorgehen. Aufgrund dieser Abgrenzung kann die Emphase des Indirekten auch nicht dadurch erklärt werden, dass beide Pseudonyme das Christliche bloß ,von außen‘ bedenken: Eine streng christliche Rede würde wohl auf das ,experimentierende‘ Element Verzicht tun – gerade sie müsste sich aber noch deutlicher als die gegenkehrige Bewegung der früheren Pseudonyme vom Wissenschaftlichen unterscheiden. Sofern Vigilius und Climacus die Vermischung des Existenziell-Religiösen mit dem Wissenschaftlich-Spekulativen als ,Grundschaden‘ der Moderne begreifen, bedeutete eine begifflich-abstrakte Darstellung des Christlichen ohne den Gegenstoß des Indirekten nachgerade einen Rckfall hinter die Kritik der frühen Pseudonyme. Im Blick auf die Krankheit zum Tode ist besonders das Verfahren des Begriffs Angst hervorzuheben, innerhalb einer wissenschaftlichen Analyse gegen die selbst praktizierte Form vorzugehen. Dieser Gegenstoß zeigt sich gerade dort, wo die Untersuchung am ,wissenschaftlichsten‘ ist, nämlich in dem genannten Caput IV. Dort sagt Vigilius ausdrücklich, die „Mannigfaltigkeit“ der Formen des Dämonischen mache „es so schwierig, davon in abstracto zu sprechen, da das Sprechen gänzlich algebraisch wird“; und er fügt an: „Weiter wünsche ich dies nicht zu verfolgen. Die Hauptsache für mich ist hier allein, mein Schema in Ordnung zu haben“.98 Darin macht das Pseudonym selbst die Unangemessenheit des schematisch-algebraischen Vorgehens sichtbar – und versieht es mit einer konterkarierenden Gegenzeichnung. Neben diesem ,schematischen‘ und zugleich das Schema zurücknehmenden Zug in Vigilius’ Vorgehen ist noch auf ein weiteres Element seiner Psychologie hinzuweisen, nämlich auf ihren poetischen Aspekt: Vigilius spricht von der „eigentlich psychologisch-poetischen Vollmacht“ und der „dichterische[n] Ursprünglichkeit“, kraft derer der Psychologe „das Totale und Regelmäßige“ aus dem schaffe, „was im Individuum stets nur teilweise und unregelmäßig vorhanden ist.“99 Denkt man dieses poetische Element mit dem schematischen zusammen, so zeigt sich, dass Vigilius’ Vorgehen wesentlich Typologie ist. Die mannigfaltige ,Wirklichkeit‘ wird begrifflich und poetisch zum Allgemeinen hingeführt: Das 98 BA, 142 f. / SKS 4, 437 f. 99 BA, 53 f. / SKS 4, 359.

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schematische Element gliedert die ,Einzelerscheinungen‘ in distinkte Einheiten; das poetische Element lässt zugleich plastisch die dem Schema entsprechenden Typen entstehen. Dieses Verfahren wird sich auch in der Krankheit zum Tode nachweisen lassen – und es wird zu sehen sein, wie es sich von dem Vorgehen der Angstschrift unterscheidet.

b) Hegel und der ,Sich vollbringende Skeptizismus‘ Im zweiten und kontrastiven Element der Kombinationsrechnung sind abbreviatorisch die methodischen Bestimmungen desjenigen Werkes anzuzeigen, mit dem die Krankheit zum Tode oft genug verglichen worden ist – Hegels Phnomenologie des Geistes. Dazu bietet es sich an, von der Konzeption des ,Sich vollbringenden Skeptizismus‘ in der Einleitung auszugehen. Die Darstellung von Hegels Methode ist hier nicht ausführlich zu erörtern; auch die Frage, wie sich diese ,vorab‘ gegebene Bestimmung zum Haupttext verhält, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden.100 Es gilt allein, einige Momente der Konzeption hervorzuheben, die die Krankheit zum Tode zu beleuchten vermögen. Unter dem Titel eines ,Sich vollbringenden Skeptizismus‘ verhandelt Hegel die dialektische Bewegung, in der sich der Gang durch die Formen des Wissens vom natürlichen Bewusstsein hin zum Absoluten Wissen vollzieht. Das movens dieser Bewegung ist die Negativitt, genauer: die bestimmte Negation: Die Darstellung des erscheinenden Wissens hat nämlich für das natürliche Bewusstsein, das noch „nicht reales Wissen“ ist, „aber unmittelbar sich vielmehr für das reale Wissen hält“, zunächst „negative Bedeutung“; dieser Weg kann als „Weg des Zweifels angesehen werden oder eigentlicher als der Weg der Verzweiflung“, sofern das natürliche Wissen die „bewußte Einsicht“ in die eigene „Unwahrheit“ macht.101 ,Verzweiflung‘ meint hier also den vollstndigen Verlust der Wahrheit der jeweiligen Wissensform; der Begriff soll anzeigen, dass nicht bloß ,etwas‘ an oder in dieser Form des Wissens zweifelhaft wird – vielmehr verliert sie ihre Wahrheit im Ganzen. Mit diesem ,vernichtenden‘ Aspekt des ,Sich vollbringenden Skeptizismus‘ ist aber nur eine seiner beiden Seiten bezeichnet: Nur fr das 100 Vgl. hierzu Philipp Schwab „Wie kommt der Geist zur Erscheinung? Anmerkungen zur dialektischen Methode von Hegels Phnomenologie des Geistes“ in Geist? Hegel-Jahrbuch 2010, Bd. I, S. 116 – 122. 101 Hegel Phn., TWA 3, S. 72.

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erscheinende Wissen ist diese Bewegung „eine bloß negative“; dies aber ist eine „einseitige Ansicht“.102 Die Eigenart des ,Sich vollbringenden Skeptizismus‘ erläutert nun Hegel in Abgrenzung von dem bloßen Skeptizismus. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass er in dem Resultate nur immer das reine Nichts sieht, und davon abstrahiert, daß dies Nichts bestimmt das Nichts dessen ist, woraus es resultiert. Das Nichts ist aber nur, genommen als das Nichts dessen, woraus es herkommt, in der Tat das wahrhafte Resultat; es ist hiermit selbst ein bestimmtes und hat einen Inhalt. Der Skeptizismus, der mit der Abstraktion des Nichts oder der Leerheit endigt, kann von dieser nicht weiter fortgehen, sondern muß es erwarten, ob und was ihm etwa Neues sich darbietet, um es in denselben leeren Abgrund zu werfen. Indem dagegen das Resultat, wie es in Wahrheit ist, aufgefaßt wird, als bestimmte Negation, so ist damit unmittelbar eine neue Form entsprungen und in der Negation der Übergang gemacht, wodurch sich der Fortgang durch die vollständige Reihe der Gestalten von selbst ergibt.103

Während der bloße Skeptizismus sich nur auf das bloße Nichts und die Auflösung des Wissens richtet, entsteht dem sich vollbringenden Skeptizismus aus und in der Negation ein neues Resultat, mithin eine neue Form des Bewusstseins. Die negative Bewegung des Verlusts des Wissens ist zugleich eine positive Bewegung, nämlich der Fort- und bergang zu einer neuen, und zwar bestimmten Form des Wissens. Die bestimmte Negation verbürgt demnach die „Notwendigkeit des Fortganges“104 durch die Formen des Bewusstseins – sie garantiert die Möglichkeit des Fortganges berhaupt, indem sie die Vernichtung der Wahrheit einer Form des Bewusstseins als ,Positives‘ festzuhalten vermag. Nicht nur der Fortgang, auch das „Ziel“ ist der Bewegung selbst eingeschrieben; es liegt dort, wo „der Begriff dem Gegenstande, der Gegenstand dem Begriffe entspricht.“105 Der Bewegung der Phnomenologie ist es mithin wesentlich, dass die einzelnen Formen des Bewusstseins auseinander entstehen oder hervorgehen. Darin zeigt sich ihr Weg als immanenter Gang, dessen movens in ihm selbst liegt; das Bewusstsein wird von seinem Anspruch, wahres Wissen zu sein, über sich selbst hinausgetrieben, ohne dass es einer Zutat von außen bedürfte. Bekanntlich wird diese ,Immanenz‘ von Hegel insbesondere in seiner berühmten Darstellung der Maßstabsfrage erläutert. Dass nämlich der 102 103 104 105

Hegel Phn., TWA 3, S. 73. Hegel Phn., TWA 3, S. 74. Hegel Phn., TWA 3, S. 73. Hegel Phn., TWA 3, S. 74.

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Fortgang ohne einen ußeren Maßstab auskommt, zeigt sich, wenn auf die Struktur das Bewusstsein selbst reflektiert wird. In diesem sind zwei Momente zu unterscheiden: Die Seite des Wissens oder des Fr-es, und die Seite der Wahrheit und des An-sich. Das Bewusstsein unterscheidet nämlich etwas von sich, worauf es sich zugleich bezieht; oder wie dies ausgedrückt wird, es ist etwas fr dasselbe; und die bestimmte Seite dieses Beziehens oder des Seins von etwas fr ein Bewußtsein ist das Wissen. Von diesem Sein für ein anderes unterscheiden wir aber das Ansichsein; das auf das Wissen Bezogene wird ebenso von ihm unterschieden und gesetzt als seiend auch außer dieser Beziehung; die Seite dieses Ansich heißt Wahrheit. 106

Das Bewusstsein bezieht sich auf einen Gegenstand, dieses ,Beziehen-auf‘ ist das Wissen von seinem Gegenstand. Es beansprucht aber zugleich, diesen Gegenstand so zu wissen, wie er auch unabhngig vom Bewusstsein, d. h. an sich selbst ist. Solcherart fällt der Maßstab in das Bewusstsein: Es hat bloß die beiden Seiten des Wissens und der Wahrheit zu vergleichen, um an den Tag zu bringen, ob es selbst wahres Wissen ist. Insofern ist nicht nur der Maßstab im Bewusstsein gegeben, auch die Prfung vollzieht sich als Vergleichung seiner mit sich selbst. Aus der Einleitung der Phnomenologie lässt sich mithin die Grundstruktur ihres Vorgehens abbreviatorisch anzeigen: Sie ist zunächst eine in sich geschlossene, arche-teleologische Bewegung, deren Prinzip und Ziel schon ihrem Anfang eingeschrieben sind; sie ist sodann streng immanente Kritik, sofern erstens kraft der bestimmten Negation die jeweils folgende Form des Wissens aus der vorherigen entsteht und zweitens Maßstab und Prüfung in das Bewusstsein selbst fallen. Es wird zu zeigen sein, dass das Verfahren der Krankheit zum Tode von diesem methodischen Konzept klar absticht. c) Climacus und Anti-Climacus Während die ersten beiden Elemente der Kombinationsrechnung Texte herangezogen haben, die nicht unmittelbar zur Krankheit zum Tode im Verhältnis stehen, so gilt es nun, Partien aus Kierkegaards Journalen und Entwürfen zu diskutieren, die sich direkt auf die Schrift beziehen. Zunächst ist dabei auf das Pseudonym des Werks einzugehen.107 Kierkegaard 106 Hegel Phn., TWA 3, S. 76. 107 Vgl. zu diesem Pseudonym bes. den erhellenden Aufsatz von Lübcke; Paul Lübcke „Wer ist Anti-Climacus?“ in Die Ausnahme denken. Festschrift zum

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IV.3 Anti-Climacus und die brüchige Leiter – Die Krankheit zum Tode

hat die im Frühjahr 1848 entstandene Krankheit zum Tode Ende Juni 1849 an die Druckerei abgeliefert und erst kurz vor dem Druck entschieden, sie unter dem Pseudonym ,Anti-Climacus‘ zu publizieren. Mehrfach erklärt Kierkegaard, das ,neue‘ Pseudonym habe eine andere Funktion als die früheren; so etwa in einer nachträglichen Anmerkung zu der im Frühjahr 1849 entstandenen „Rechenschaft“: Später ist doch ein neues Pseudonym herausgekommen: Anti-Climacus. Aber eben dass es ein Pseudonym ist, zeigt, was auch der Name (Anti-Cl.) andeutet, dass es umgekehrt Halt gebietend ist. Die gesamte frühere Pseudonymität ist niedriger als „der erbauliche Schriftsteller“ [d. i. Kierkegaard]; das neue Pseudonym ist eine höhere Pseudonymität. Aber auf diese Art wird ja „Halt geboten“: es wird ein Höheres aufgewiesen, welches mich gerade in meine Grenze zurückzwingt, über mich richtend, dass mein Leben einer so hohen Forderung nicht entspricht, und dass also die Mitteilung ein Dichterisches ist.108

Damit ist die ,klassische‘ Bestimmung des Pseudonyms formuliert: Es steht nicht nur höher als die frühe Pseudonymität, sondern auch höher als Kierkegaard selbst – Anti-Climacus zeigt Kierkegaards Grenze bezüglich der ,Forderung‘ des Christlichen auf.109 Ein Blick in die Journale und Entwürfe zeigt allerdings, dass diese ,Position‘ nicht durchweg eindeutig ist. Eine kurze Skizze soll die ,Vielgestaltigkeit‘ des Pseudonyms andeuten – ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Die erste Nennung des Namens ,Anti-Climacus‘ findet sich im Journal NB5 um Mitte/Ende Mai 1848, also nach der Abfassung der Krankheit zum Tode. Gleichwohl wird das Pseudonym hier noch nicht mit dieser Schrift in Verbindung gebracht; Kierkegaard notiert ohne weitere Erläuterung: „Sollte ich für die Zukunft ein neues Pseudonym benötigen, dann soll es heißen: Anticlimacus. Und er muss dann ironisch und humoristisch der reine Satanskerl sein.“110 Welche Sprechweise Kierkegaard hier genau im Blick hat, ist unklar; in den späteren Anti-Climacus-Schriften ist jedenfalls ein ,humoristisches‘ und 60. Geburtstag von Klaus-Michael Kodalle, Bd. 1 – 2, hrsg. v. Claus Dierksmeier, Würzburg 2003, hier Bd. 2, S. 33 – 40; vgl. auch Robert L. Perkins „Introduction“ in Practice in Christianity (International Kierkegaard Commentary, 20), hrsg. v. Robert L. Perkins, Macon 2004, S. 1 – 18, hier S. 1 – 9 sowie David D. Possen „The Works of Anti-Climacus“ in ebd., S. 187 – 209. 108 WS, 4 Anm. / SKS 13, 12 Anm. 109 In Teil II wird diese Konzeption auch als ein triadisches Modell der Mitteilung bezeichnet; vgl. im Detail bes. oben, II.4.1.c) – d) sowie II.4.2.a). 110 NB5:8 (T 3, 4 / SKS 20, 373).

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,ironisches‘ Gepräge unmittelbar nicht zu erkennen. Gleichwohl handelt es sich bei dieser Notiz nicht einfach um einen später verworfenen Plan; vielmehr kommt Kierkegaard auf das Motiv mehrmals zurück. Die nächste Eintragung zu ,Anti-Climacus‘ findet sich erst im Februar 1849 und enthält einen hochinteressanten Verweis: Kierkegaard bezieht sich auf eine „Nachschrift“ von „Anticlimachus“ und notiert, diese könne als Aufsatz „ein kleines Ganzes“ bilden und unter dem Titel „Climachus und Anticlimachus“ herausgegeben werden; denn „Climachus ist ja früher bekannt, und der Gedanke, der hierin enthalten ist (darin, diese zwei zusammenzusetzen) ist ein echtes Dialektisches“.111 Die Notiz verweist auf einen wohl kurz zuvor niedergeschriebenen Entwurf. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass auch dieser Entwurf noch nicht auf die Krankheit zum Tode bezogen ist. Der Text sollte ursprünglich als ,Anhang‘ zum „Zyklus ethisch-religiöser Kleinabhandlungen“ dienen – sofern dieser pseudonym publiziert würde.112 Aufschlussreich ist nun die Position, die Anti-Climacus in diesem Entwurf einnimmt: Dort heißt es, er habe mit Johannes Climacus „vieles, alles gemeinsam“, unterscheide sich von ihm aber doch „unendlich“; während dieser nämlich von sich selbst sage, kein Christ zu sein, behaupte Anti-Climacus von sich selbst, „ein derart außerordentlicher Christ zu sein, wie es niemals einen gegeben hat“.113 Zugleich bemerkt Anti-Climacus, in seiner ,Gegenstellung‘ zu Climacus liege durchaus eine „Boshaftigkeit“: „Denn das ist klar genug, es ist aus purer Chicane gegen Johannes, dass ich diese Stellung eingenommen habe“.114 Darin zeigt sich ein Motiv, dass wenigstens aus der Krankheit zum Tode nicht ersichtlich wird: Anti-Climacus berhebt sich; er nimmt nicht einfach die Position des ,christlich Fordernden‘ ein, die Kierkegaard selbst nicht verantworten kann, sondern er berspannt seine christliche Selbstpositionierung derart, dass sie wieder zweifelhaft wird. Tatsächlich hat Kierkegaard diesen Text nicht veröffentlicht; die in ihm formulierte Auffassung des Pseudonyms hinterlässt aber auch vor und auch nach der Krankheit zum Tode Spuren. Am 4. Juni 1849 notiert Kierkegaard zunächst den Entschluss, die Krankheit zum Tode und die drei Teile der Einbung pseudonym zu publizieren – ohne aber den Namen 111 NB10:43 (SKS 21, 279). 112 Dieser Zyklus ist aus dem Buch ber Adler hervorgegangen, aber als solcher nie publiziert worden. 113 Pap. X 6 B 48, p. 53 f. 114 Pap. X 6 B 48, p. 54.

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IV.3 Anti-Climacus und die brüchige Leiter – Die Krankheit zum Tode

eines Pseudonyms zu nennen.115 Ende Juni wird dieser Plan bekräftigt: In NB11:203 hält Kierkegaard fest, die Krankheit zum Tode sei an die Druckerei abgeliefert worden;116 in der folgenden Aufzeichnung wird erstmals der Name Anti-Climacus mit der Schrift verbunden. Das „Pseudonym“ heiße „Johannes Anticlimacus“; während Climacus von sich sage, kein Christ zu sein, sei „Anticlimacus das entgegengesetzte Extrem: Christ in außerordentlichem Maße zu sein – bloß ich selbst bewege es dahin, ganz einfältig ein Christ zu sein“.117 Darin ist zwar das ,klassische‘, triadische Verständnis des neuen Pseudonyms zum Ausdruck gebracht; gleichwohl erhält auch hier Anti-Climacus eine ,Stellung‘, die in die Richtung des eben zitierten Aufsatzes verweist. Dies wird noch deutlicher in der kurz darauf notierten Aufzeichnung NB11:209, in der Kierkegaard zu Anti-Climacus schreibt: „Dies bleibt seine persönliche Schuld, sich mit der Idealität zu verwechseln (dies ist das Dämonische in ihm)“.118 Dieser ,dämonische‘ Zug, der sich gerade im Gegenstoß zu Climacus ergibt, hätte Anti-Climacus zu einer konturierteren, aber auch zweideutigeren Position verholfen, als dies aus den in seinem Namen publizierten Werken hervorgeht – und zugleich eine gewisse ,Selbstzurücknahme‘ des pseudonymen Verfassers angedeutet. In NB12:53 notiert allerdings Kierkegaard: „Anti-Climacus soll als die höhere Pseudonymität stehen bleiben“, deshalb lasse sich der oben zitierte „Aufsatz: Climacus und Anti-Climacus“ nicht brauchen.119 Auch hier aber ist Kierkegaard nicht vollends entschieden: Beim Aufschlagen des Entwurfs habe er bemerkt, dass der Text selbst pseudonym angelegt gewesen sei; und er erwägt sodann, ihn in dieser Form doch zu publizieren – womöglich unter einem weiteren, dritten Pseudonym. Aus dem skizzenhaften Nachvollzug der ,Geschichte‘ des Anti-Climacus sollte zum einen deutlich geworden sein, dass Kierkegaard durchaus vielfältige Zuschreibungen und Positionierungen des Pseudonyms reflektiert. Zum anderen aber beziehen sich alle die zitierten Reflexionen auf 115 NB11:123 (SKS 22, 70; teilw. in BI, Anm. 253, 357); die Aufzeichnung ist längsseitig notiert. 116 NB11:203 (SKS 22, 126). 117 NB11:204 (T 3, 256 / SKS 22, 128); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert. Vgl. zur ,klassischen‘ Formulierung auch NB11:228 (SKS 22, 138 f.), NB12:17 (SKS 22, 154), NB12:52 (SKS 22, 169), NB12:196 (SKS 22, 265), NB14:30 (T 4, 39 / SKS 22, 362). 118 NB11:209 (T 3, 257 / SKS 22, 130). 119 NB12:53 (SKS 22, 169); die Aufzeichnung ist längsseitig und in lateinischer Schrift notiert.

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eine einzige Frage: nämlich die Stellung, die Anti-Climacus zu der von ihm angebrachten ,Forderung‘ des Christlichen einnehmen soll. Wonach Kierkegaard hingegen nicht fragt, ist die spezifische Sprechweise des Pseudonyms, seine ,denkerische Physiognomie‘ im Detail – und mithin seine Darstellungsform. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass AntiClimacus als Pseudonym mehrerer Werke erwogen wird. Nur aus diesem Fokus auf die abstrakte Stellung der ,Sprecherrolle‘ ist es auch zu erklären, dass Kierkegaard schließlich in der Tat ein und dasselbe Pseudonym für so unterschiedlich gestaltete Schriften wie die drei ( je für sich entstandenen) Teile der Einbung im Christentum und die Krankheit zum Tode hat verwenden können. Gerade die begrifflich-dialektische Durcharbeitung der Verzweiflungsanalyse hat in keinem der Teile der Einbung eine Entsprechung. Eine nähere Analyse der Darstellungsform dieser zwei (oder eigentlich: vier) Werke würde wohl zu dem Ergebnis kommen, dass sich ein konsistenter Sprechgestus – und sei er dialektisch verfasst – nicht nachweisen lässt. Die Anti-Climacus-Schriften werden im Ganzen abstrakt unter die Kategorie ,Sprechen aus der Perspektive des Christlichen‘ gefasst – darin aber unterscheiden sie sich wesentlich von der feinen Konturierung der früheren Pseudonyme. Dieser Befund lässt kaum einen anderen Schluss zu, als dass Kierkegaards Aufmerksamkeit sich verschoben hat: Er fragt nun vornehmlich nach seiner Stellung zum Werk – und sodann nach der jeweiligen Position, die die Pseudonyme zum Christlichen einnehmen sollen. Dabei tritt offenbar insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von (Religiös-) Existenziellem und wissenschaftlich-begrifflicher Darstellung zurück. So polemisiert ja auch, wie in der Untersuchung zum ,Begriff der Mitteilung‘ gezeigt, ,derselbe‘ Anti-Climacus in der Einbung Nr. II gegen die wissenschaftlich-direkte Darstellung des Christlichen – ohne dass dies in der Form der (kurz zuvor entstandenen) Krankheit zum Tode deutlich reflektiert wäre. Zum Abschluss ist noch auf einen Wink hinzuweisen, der – offenbar ohne Kierkegaards Absicht – in dem Namen Anti-Climacus und der Gegenüberstellung zu Climacus liegt. Kierkegaard selbst fasst deren Verhältnis nur ihrer Position nach: Während Climacus zwar die Frage nach dem Christentum aufwirft, sich selbst aber außerhalb des Christentums stellt, behauptet Anti-Climacus, ,in außerordentlichem Maße Christ zu sein‘. Der Name ,Climacus‘ enthält aber als sprechender eine Hindeutung auf einen Abt des Sinai-Klosters, der seinen Beinamen der von ihm verfassten Himmelsleiter (scala paradisi) verdankt, welche den Weg zur

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IV.3 Anti-Climacus und die brüchige Leiter – Die Krankheit zum Tode

ewigen Seeligkeit in 30 Stufen beschreibt.120 In dieser Hinsicht hatte Kierkegaard 1839 notiert: „Hegel ist ein Johannes Climacus, der nicht wie die Giganten die Himmel stürmt, indem er Berg auf Berg setzt – sondern er entert sie mit seinen Syllogismen.“121 So aber erscheint der Name des Pseudonyms ,Climacus‘ als ironische Kennzeichnung: Trotz aller begrifflichen Anstrengung verbleibt Climacus diesseits des Christentums, eben weil es sich begrifflich nicht einholen lässt. Climacus ist derjenige, der eine Himmelsleiter bauen möchte, aber gerade deshalb nicht vom Fleck kommt. Anti-Climacus hingegen wäre seinem Namen nach derjenige, ,Der keine Leiter baut‘ – eine Bestimmung, die den geschlossenen und aufsteigenden Bau der Krankheit zum Tode ohne erkennbare Absicht des Autors konterkariert.

d) Die ,Buchstabenrechnung des Dialektischen‘ Den Übergang zur Krankheit zum Tode soll nun eine Journaleintragung bilden, die sich ausdrücklich und unmittelbar auf das Werk selbst bezieht. Kurz nach der Fertigstellung Anfang Mai 1848 notiert Kierkegaard einen „Rapport betreffs der Krankheit zum Tode“ – und dieser stellt bemerkenswerterweise das ,Problem‘ der wissenschaftlichen Form ins Zentrum. Aufschlussreich ist dabei, wie Kierkegaard dieses Problem akzentuiert: Die „Schwierigkeit“ des Buchs liege darin, dass es „zu dialektisch und streng“ sei, „um recht das Rhetorische anwenden zu können, das Erweckende, das Ergreifende“.122 Hingegen sei der Titel selbst „lyrisch“ und scheine darauf hinzudeuten, „dass es Reden sein sollten“.123 Angesichts dieser Spannung bemerkt Kierkegaard: „Vielleicht wird es überhaupt nicht zu brauchen sein“; das Buch habe ihn aber „mit einem vorzüglichen Schema bereichert“, das er „mehr versteckt in Reden“ verwenden könne.124 Und im Anschluss an eine Skizze für die mögliche Durchführung in Reden heißt es: „Aber die Sache ist, für eine rhetorische Anlage ist die Aufgabe zu groß, sofern dann jede einzelne Gestalt zugleich

120 121 122 123 124

Vgl. dazu SKS K4, 197 sowie PB, Anm. 220, 190. DD:203 (DSKE 1, 248 / SKS 17, 277). NB4:160 (KT, 164 / SKS 20, 365). NB4:160 (KT, 164 / SKS 20, 365). NB4:160 (KT, 164 / SKS 20, 365).

2. Die Krankheit zum Tode

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dichterisch gezeichnet werden müsste. Die Buchstabenrechung des Dialektischen macht es besser ab.“125 Aus den Erläuterungen wird sichtbar, dass die Krankheit zum Tode nicht planvoll oder gezielt in ihrer dialektisch-strengen Form konzipiert worden ist – vielmehr hat Kierkegaard stets eine Redenform vor Augen, und das dialektische ,Schema‘ scheint einer erbaulichen Umsetzung eher im Wege zu stehen. Was aber Kierkegaard an dieser Stelle nicht explizit reflektiert, ist die Frage nach dem Verhältnis der begrifflichen Analyse zum Existenziellen – und damit eben jene Frage, die im frühen pseudonymen Werk zentral ist. Auch hier ist also eine Verschiebung der Aufmerksamkeit zu konstatieren. Dies ist auch durchaus nachvollziehbar, wenn daran erinnert wird, dass Kierkegaard in den letzten zwei Jahren – seit Abschluss der Nachschrift 1845/46 – allein erbauliche Schriften verfasst und publiziert hatte. Die begriffliche Form stellt sich also unter der Hand ein; sie wird zwar im ,Rapport‘ problematisiert, ohne aber im Horizont des früheren Werks umfänglich reflektiert zu werden. Zwei Wendungen allerdings lassen sich zu der Mitteilungsform der Angstschrift ins Verhältnis setzen: Die ,Buchstabenrechnung des Dialektischen‘ verweist auf das schematisch-algebraische Vorgehen; die ,dichterische Zeichnung‘ lässt die ,poetische Ursprünglichkeit‘ des Psychologen anklingen. Beide Bestimmungen werden – auch wenn Kierkegaard hier dem Dialektischen den Vorzug gibt – in der Krankheit zum Tode nachzuweisen sein. Es ist nun zu sehen, wie sich die Schrift selbst vor dem Horizont der ,Kombinationsrechnung‘ ausnimmt.

2. Die Krankheit zum Tode a) Das Wissenschaftliche und das Erbauliche im Vorwort Die Interpretation der Krankheit zum Tode kann nahtlos an die ,Kombinationsrechnung‘ anschließen, finden sich doch im Vorwort dieselben Motive wie im ,Rapport‘. In der Tat beginnt Anti-Climacus das Werk mit einer Diskussion seiner Form: „Vielen wird vielleicht die Form dieser ,Entwicklung‘ besonderlich vorkommen; sie wird ihnen zu streng scheinen, um erbaulich sein zu können, und zu erbaulich, um streng wissenschaftlich sein zu können.“126 Damit ist das ,Problem‘ noch schärfer 125 NB4:160.a (KT, 165 / SKS 20, 365). 126 KT, 3 / SKS 11, 117.

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IV.3 Anti-Climacus und die brüchige Leiter – Die Krankheit zum Tode

aufgestellt als im ,Rapport‘, war doch dort von ,Wissenschaft‘ nicht die Rede. Aufschlussreich ist nun, wie Anti-Climacus diese Spannung löst – oder vielmehr nicht löst. Wäre in der Tat die Schrift zu wissenschaftlich, um erbaulich zu sein, so wäre dies nach Anti-Climacus „ein Fehler“: Wenn sie vielleicht auch nicht „erbaulich für jeden“ sein könne, weil nicht jeder über „die Voraussetzungen“ verfüge, „um ihr zu folgen“, habe sie doch nichtsdestoweniger „den Charakter des Erbaulichen“.127 Christlich müsse „alles der Erbauung dienen“, und eine „Wissenschaftlichkeit“, die nicht „zuletzt erbaulich ist“, sei „unchristlich“; das „christliche Verhältnis zum Leben“ stehe im Gegensatz zur „wissenschaftlichen Ferne vom Leben“ – und so sei eine erbauliche Darstellung, „wie streng sie sonst sein mag“, von jener Art Wissenschaftlichkeit „qualitativ verschieden“, die sich mit dem „reinen Menschen“ narren lasse oder das „Verwunderungsspiel mit der Weltgeschichte“ spiele.128 Das Christliche bestehe eben darin, „ein einzelner Mensch“ zu sein, „allein vor Gott“, und verhalte sich mithin zur „Wirklichkeit der Persönlichkeit“ und zum „Ernst“.129 Diese Erläuterung ist nun gerade im Vergleich mit dem Begriff Angst und der Nachschrift bemerkenswert: Einerseits nämlich teilt Anti-Climacus bis in die Formulierungen hinein Vigilius’ und Climacus’ Polemik gegen eine ,existenzvergessene‘ Wissenschaft; und auch die Begriffe, die dem entgegengestellt werden – der Bezug zu Leben, Persönlichkeit und Wirklichkeit, der Einzelne und der Ernst – sind allesamt aus den früheren Schriften bekannt.130 Andererseits aber unterscheidet sich Anti-Climacus wesentlich von den früheren Pseudonymen: Über der Polemik gegen die ,Wissenschaft‘ gerät beinahe aus dem Blick, dass er in der Tat an der wissenschaftlichen Form festhlt. Die eigene Abhandlung ist nämlich wissenschaftlich – und gleichwohl erbaulich. Ein solches ,Amalgam‘ ist aber für die frühen Pseudonyme nicht denkbar; oder es kommt nur, wie im Begriff Angst, derart in den Blick, dass die wissenschaftliche Darstellung sich zugleich zurcknimmt und ihre Grenze wahrt. Während also für die frühen Pseudonyme das Verhältnis von ,Wissenschaft‘ und ,existenzieller Wirklichkeit‘ exklusiv ist, so hat Anti-Climacus offenbar eine inklusive Konzeption vor Augen – ohne aber ausführlich zu erläutern, wie denn das 127 128 129 130

KT, 3 / SKS 11, 117. KT, 3 f. / SKS 11, 117. KT, 3 f. / SKS 11, 117. In diesen fehlt allerdings weitestgehend der hier zentrale Begriff des ,Erbaulichen‘.

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Wissenschaftliche zugleich das Erbauliche sichern könne. Zugespitzt formuliert: Die Vereinbarkeit beider Sphären wird behauptet, nicht aber erklärt. Ähnlich liest sich auch die folgende Erläuterung: Dass die „Einkleidung der Abhandlung die ist, die sie ist“ sei „zumindest wohl bedacht, und doch auch gewiss psychologisch richtig“; es gebe nämlich einen „feierlicheren Stil, der so feierlich ist, dass er nicht sehr bezeichnend ist“ und der „leicht nichts sagend wird“.131 Wie Kierkegaard im ,Rapport‘ favorisiert also Anti-Climacus das ,Dialektische‘, gibt aber auch hier keine ausführliche Erklärung, wie denn genau die ,strenge‘ Form das Erbauliche zu garantieren vermöge. Im Ganzen ist festzuhalten: Zwar pointiert Anti-Climacus gleich zu Beginn das ,Problem‘ der wissenschaftlichen Form seiner Abhandlung; er trägt aber die Ambivalenz des Wissenschaftlich-Erbaulichen nicht aus, sondern weist allein eine ,gleichgültige‘ Wissenschaftlichkeit als unchristlich ab. Eine Begrenzung des Wissenschaftlichen oder gar eine sich zurücknehmende Gegenzeichnung ist nicht auszumachen. Obgleich also wesentliche Elemente des Anliegens formuliert sind, von dem auch die indirekte Methode ausgeht, liegt eine zugespitzte Widerspruchsform des Sich-entgegen-Arbeitens offenbar nicht vor.

b) Spuren des Indirekten in der Verzweiflungsanalyse Die Reflexionen zur Form der Abhandlung im ,Rapport‘ und in der Vorrede haben offenkundig den Charakter einer nachtrglichen Problematisierung – und so nimmt es nicht wunder, dass die Darstellungsform in der Untersuchung selbst kaum ausdrücklich thematisch ist. Gleichwohl lassen sich auch in der Verzweiflungsanalyse selbst Spuren des Indirekten 131 KT, 4 / SKS 11, 118. – Hier ist auf eine Stelle aus den Journalen zu verweisen, die oben zurückgestellt worden ist. Dort notiert Kierkegaard zu der eben zitierten Stelle unter anderem: „Dass er [Anti-Climacus] sagt: das ist psychologisch richtig, ist ein Doppelschlag, denn das ist auch psychologisch richtig im Verhältnis zu Anti-Climacus“. Im Gegensatz zu Climacus, der sein Buch humoristisch widerrufe, sei Anti-Climacus „thetisch“ (NB11:222 (T 3, 260 / SKS 22, 136)). Gegen Climacus’ Selbstzurücknahme soll also Anti-Climacus der thetische Denker sein – und an dieser Stelle scheint es so, als solle er deshalb direkt sprechen. Anti-Climacus’ Polemik zeigt aber deutlich, dass ein christlich-thetisches Sprechen sich von einem ,wissenschaftlichen‘ wesentlich unterscheiden müsste; dieser Unterschied aber kommt nicht zur Klarheit.

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IV.3 Anti-Climacus und die brüchige Leiter – Die Krankheit zum Tode

nachweisen. Um dies aufzuzeigen, bietet es sich an, zunächst den Gang der Darstellung mit den Bestimmungen der Phnomenologie des Geistes zu kontrastieren. Dabei ist auffällig, dass Anti-Climacus die Formen der Verzweiflung nicht durchweg auseinander hervorgehen lässt. Dies wird insbesondere im Abschnitt C. / A. sichtbar, in dem die Form der Verzweiflung „abstrakt“ ermittelt wird, ohne dass „darauf reflektiert wird, ob sie bewusst ist oder nicht.“132 Zwar sind die Verzweiflungsformen als ,entgegengesetzte‘ aufeinander bezogen; aber weder gehen die beiden Synthesispaare Unendlichkeit/Endlichkeit und Möglichkeit/Notwendigkeit auseinander hervor, noch findet sich innerhalb dieser Paare ein Übergang im strengen Sinne. Auch zeigt sich, dass die Formen der Verzweiflung anders als die Bewusstseinsformen der Phnomenologie sich nicht selbst prüfen. Der Fortgang ist nicht von einem immanenten Maßstab geleitet, anhand dessen die jeweilige Form sich mit sich selbst vergleicht; der Erweis, dass es sich um eine misslingende Form des Selbstvollzugs handelt, wird vielmehr durch die Kontrastierung mit dem Gegensatz, mithin in der Reflexion der Darstellung erbracht. Im Ganzen geht Anti-Climacus wie der Arzt vor, der „eine bestimmte und entwickelte Vorstellung davon hat, was es heißt, gesund zu sein, und nach diesem prüft er den Zustand eines Menschen“133 – der Maßstab liegt durchaus im Examinator. Damit aber fallen die beiden zentralen methodischen Bestimmungen des ,Sich vollbringendem Skeptizismus‘ fort. So ist auch die Verzweiflung hier nicht als Figur des bergangs gedacht,134 vielmehr bestimmt sie gleichsam ,statisch‘ oder ,kontinuierlich‘ die verschiedenen Formen des Selbstvollzugs – wenn auch freilich in je differierender Hinsicht. Im Ganzen fehlt in diesem Abschnitt die vertikale Bewegung der Phnomenologie: Die Verzweiflung der Endlichkeit etwa ist keineswegs eine ,höhere‘ oder ,komplexere‘ Form als die Verzweiflung der Unendlichkeit. Tatsächlich vollzieht sich die Verzweiflungsanalyse horizontal – und darin zeigt sich nun ein Aspekt des Indirekten. Anti-Climacus verwendet nämlich – um auf die Terminologie des ,Rapports‘ zurückzugreifen – das ,Schema‘ der Synthesen aus der Eingangspartie, um plastisch bestimmte Typen der Verzweiflung hervortreten zu lassen; seine Analyse ist mithin horizontale Typologie. Bemerkenswert ist dabei, dass den einzelnen Be132 KT, 25 / SKS 11, 146. 133 KT, 19 / SKS 11, 139. 134 Vgl. hierzu und zur Abgrenzung der (existenziellen) ,Verzweiflung‘ vom (denkerischen) ,Zweifel‘ Hühn Kierkegaard und der Deutsche Idealismus, S. 109 – 123.

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griffen mehrere Typen zugeordnet werden – so umfasst etwa die Verzweiflung der Notwendigkeit den Deterministen und den Spießbürger, ohne dass aber der Begriff ,Notwendigkeit‘ aus sich heraus eine Binnendifferenzierung enthielte. Besonders deutlich wird diese Konstellation in der Verzweiflung der Möglichkeit. Dort heißt es: „Doch in der Möglichkeit ist alles möglich. Man kann sich deshalb in der Möglichkeit auf alle möglichen Weisen verlaufen“.135 Diese konkreten Möglichkeiten ergeben sich aber nicht einfach aus dem Schema; sie können nur durch Hinzuziehung der beobachteten Wirklichkeit abbreviatorisch nachgezeichnet werden. Darin erweist sich die dialektische Analyse – wie im Begriff Angst – als algebraisch und kommt zugleich an ihre Grenze: Wie nämlich die mannigfachen Formen der Verzweiflung sich im Einzelnen gestalten, kann das Schema nicht abstrakt präfigurieren. Verglichen mit der durchgehenden Selbstproblematisierung der Psychologie im Begriff Angst ist diese ,Grenzziehung‘ freilich verschwindend; die Bewegung aber ist wenigstens verwandt: Hier wie dort wird ein Existenzphänomen schematisch eingefasst und ,poetisch‘ illustriert – gerade dieses Vorgehen vermag aber die vielgestaltig-konkrete Wirklichkeit nicht einzufangen. Dieser Aspekt des Indirekten zeigt sich noch etwas deutlicher in der geschlosseneren zweiten Folge der Verzweiflungsanalyse. Zunächst ist zu bemerken, dass die einzelnen Formen der Verzweiflung hier enger aufeinander bezogen sind; gleichwohl ist auch in diesem Passus ein Unterschied zum Gang der Phnomenologie festzuhalten. Im ,Sich vollbringenden Skeptizismus‘ ist es die ,bestimmte Negation‘, die den Fortgang leitet; sie setzt zugleich einen dialektisch scharfen Unterschied zwischen die einzelnen Gestalten des Bewusstseins, indem sie die eine Form geradezu aus der Umkehrung der anderen entstehen lässt. Die von AntiClimacus analysierten Verzweiflungsformen der Schwche und des Trotzes aber verhalten sich offenkundig nicht auf diese Weise zueinander: Wenn diese Form von Verzweiflung die der Schwäche genannt wird, dann ist darin bereits eine Reflexion enthalten auf die andere Form (b), verzweifelt man selbst sein wollen. Es sind somit nur relative Gegensätze. Ganz ohne Trotz ist keine Verzweiflung; es liegt ja auch Trotz im Ausdruck selbst: nicht sein zu wollen. Auf der andern Seite ist selbst der höchste Trotz der Verzweiflung doch niemals ohne etwas Schwachheit. Der Unterschied ist also nur relativ.136 135 KT, 34 / SKS 11, 153. Als ,Hauptformen‘ werden dann die „wünschende, hoffende“ und die „schwermütig-phantastische“ Form genannt. 136 KT, 47 / SKS 11, 164.

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IV.3 Anti-Climacus und die brüchige Leiter – Die Krankheit zum Tode

Mithin wird die distinkte Unterscheidung zunächst entgegengesetzter und begrifflich bestimmter Verzweiflungsformen aufgelockert und konterkariert. Auch an dieser Stelle erweisen sich die abstrakten Bestimmungen als zu unscharf, um die konkrete Vielgestaltigkeit der Verzweiflung einzufangen – was freilich keineswegs bedeutet, dass sie nicht erschließenden Charakters sind. Dass die zitierten Passagen in der Tat als – freilich nur verschwindende und beiläufige – Gegenzeichnungen des abstrakt-dialektischen Verfahrens gelesen werden können, zeigt schließlich eine Erläuterung, die der Unterscheidung von ,bewusster‘ und ,unbewusster‘ Verzweiflung angehängt ist. Dort schreibt Anti-Climacus: Das Leben der Wirklichkeit ist zu mannigfaltig, um bloß solche abstrakten Gegensätze zu zeigen, wie den zwischen einer Verzweiflung, die vollkommen unwissend darüber ist, es zu sein, und einer Verzweiflung, die sich dessen vollkommen bewusst ist, es zu sein. Am häufigsten ist gewiss der Zustand des Verzweifelten ein, jedoch wiederum mannigfaltig nuanciertes, Halb-Dunkel über seinen eigenen Zustand.137

Deutlicher als an irgendeiner anderen Stelle der Schrift reflektiert AntiClimacus hier die Grenze des eigenen Vorgehens. Nicht zufällig wird der zentrale Begriff der Wirklichkeit gerade dem Abstrakten gegenübergestellt. Die ,mannigfaltig nuancierte‘ und je konkrete Wirklichkeit entzieht sich einer Darstellung im bloßen Schema; das dialektisch-typologische Verfahren vermag die Wirklichkeit als Wirklichkeit nicht zu erfassen. Obgleich der Begriff des Einzelnen hier nicht fällt, klingt er doch mit: Es ist die Singularitt des einzelnen Existierenden, die zwischen den abstrakt gegenübergestellten Typen der Verzweiflung stets entschwindet. Eine deutlichere Gegenbewegung zur dominierenden wissenschaftlich-dialektischen Form ist in der Verzweiflungsanalyse nicht auszumachen. *** Im Ganzen hat die mitteilungstheoretische Analyse der Krankheit zum Tode ein durchaus zweideutiges Ergebnis festzuhalten. Auf der einen Seite ist ein konsequent durchgeführtes indirektes Verfahren im Sinne des Sichentgegen-Arbeitens nicht nachzuweisen. Offenkundig ist Kierkegaard – dafür sprechen die Dokumente der Entstehungs- und Publikationsgeschichte der Schrift – nicht durchweg auf die interne Spannung einer ,wissenschaftlichen Existenzanalyse‘ aufmerksam. Dies hat wohl vornehmlich darin seinen Grund, dass die Krankheit zum Tode im Horizont 137 KT, 46 / SKS 11, 163 [Herv. v. Verf.].

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des erbaulichen Werks entsteht;138 der Kontext der frühen pseudonymen Schriften scheint nicht mehr unmittelbar präsent zu sein. Zudem dominiert für Kierkegaard – wie besonders die Reflexion des ,neuen Pseudonyms‘ zeigt – die Frage nach der Sprecherposition im Verhältnis zur ,christlichen Forderung‘. Zum anderen aber ist Kierkegaard nach der Fertigstellung der Schrift ihr ,problematischer‘ Charakter durchaus aufgefallen; dies wird im ,Rapport‘ und auch im Vorwort deutlich, richten sich doch beide Texte in unterschiedlicher Weise gerade auf die Form der Abhandlung. So lassen sich hier zentrale Motive des Indirekten in der Abgrenzung von einer ,existenzvergessenen‘ Wissenschaftlichkeit durchaus nachweisen. Auch in der Schrift selbst sind diese Elemente im Einzelnen aufzuzeigen: So geschlossen ihr Bau auf den ersten Blick auch erscheint, wird er doch im Detail konterkariert: sei es dadurch, dass AntiClimacus das leitende Schema typologisch offen ausgestaltet, indem er einem Begriff mehrere Formen der Verzweiflung zuordnet; sei es durch direkte – wenn auch freilich im Ganzen marginale – Hinweise darauf, dass die mannigfaltige Wirklichkeit der abstrakten Begriffsopposition entgeht. Mithin zeigt sich selbst dort noch der Nachklang der indirekten Mitteilung, wo Kierkegaard seinen begrifflich geschlossensten Entwurf vorlegt. Der Rückstoß der Methode, der noch die eigenen Denkformen zur Disposition stellt, ist unterschwellig auch dort am Werk, wo er nicht mehr in zentraler Bedeutung reflektiert und praktiziert ist. Indem er selbst in Kierkegaards systematischster Schrift widerhallt, zeigt sich die geschichtliche Stellung seiner Philosophie in der Umbruchskonstellation von Idealismus und Moderne, – und mithin die Signatur eines Denkens, das einer jeden finalen Schließung im System widersteht und einer begrifflichen Fixierung der Wirklichkeit beständig entgegenarbeitet.

138 Eine an der Form der Reden geschulte Interpretation könnte wohl in der Krankheit zum Tode eine Vielzahl von Elementen des Erbaulich-Indirekten aufweisen. Gleichwohl bliebe hier die Frage zu beantworten, wie sich denn die begriffliche Struktur der Schrift dem erbaulichen Gestus einfügt.

Literatur 1. Primärliteratur a) Kierkegaard Für die Kierkegaard-Forschung grundlegend ist die neue Ausgabe Søren Kierkegaards Skrifter (= SKS), die hier an zweiter Stelle zitiert wird. Ist der entsprechende Text in SKS (noch) nicht erschienen, wird auf die zweite Auflage der Samlede Værker und der Papirer verwiesen. Die erste Angabe verweist nach der Konvention der Kierkegaard Studies auf die Ausgabe Hirschs; die Übersetzung ist v. Verf. durchgehend modifiziert worden. Sofern erschienen, wird für die Journale und Aufzeichnung die Neuübersetzung in DSKE herangezogen. Liegt keine Übertragung in einer deutschen Ausgabe vor, stammt die Übersetzung v. Verf. Folgende Siglen werden verwendet: Ktl.

Auktionsprotokol over Søren Kierkegaards bogsamling, hrsg. v. H. P. Rohde, Kopenhagen 1967. Pap. Søren Kierkegaards Papirer, Bd. I – XI,3, hrsg. v. P. A. Heiberg / V. Kuhr / E. Torsting, Kopenhagen 1909 – 1948; 2. Aufl., Bd. I – XIII, hrsg. v. N. Thulstrup, Kopenhagen 1968 – 1978. SV2 Samlede Værker, 2. Aufl., hrsg. v. A. B. Drachmann / J. L. Heiberg / H. O. Lange, Bd. I-XV, Kopenhagen 1920 – 1936. SKS Søren Kierkegaards Skrifter, hrsg. v. Niels Jørgen Cappelørn u. a., Bd. 1 – 55, Kopenhagen 1997 – . DSKE Deutsche Søren Kierkegaard Edition, hrsg. v. Niels Jørgen Cappelørn / Hermann Deuser / Joachim Grage / Heiko Schulz, Bd. 1 – 11, Berlin / New York, 2005 – . GW Gesammelte Werke und Tagebcher, übers. u. mit wissenschaftlichen Einführungen u. Anm. versehen v. Emanuel Hirsch / Hayo Gerdes / Hans Martin Junghans, 38 Abteilungen in 32 Einzelbänden, Simmerath 2003 f. [1950 – 1974]. T 1 – 5 Die Tagebcher, übers. u. hrsg. v. Hayo Gerdes, Bd. 1 – 5, Düsseldorf / Köln 1962 – 1974. AUN Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken, GW 10 – 11. BA Der Begriff Angst, GW 7. BI ber den Begriff der Ironie mit stndiger Rcksicht auf Sokrates, GW 21. BA Das Buch ber Adler, GW 26. CR Christliche Reden 1848, GW 15. CS Der Corsarenstreit, GW 22. EC Einbung im Christentum, GW 18.

1. Primärliteratur

EO1 EO2 ERG GWS KT LA LT PB SLW SS V W WS

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Entweder/Oder, 1. Teil, GW 1. Entweder/Oder, 2. Teil, GW 2. Erbauliche Reden in verschiedenem Geist 1847, GW 13. Der Gesichtspunkt fr meine Wirksamkeit als Schriftsteller, GW 23. Die Krankheit zum Tode, GW 17. Eine literarische Anzeige, GW 12. Die Taten der Liebe. Etliche christliche Erwgungen in Form von Reden, GW 14. Philosophische Brocken, GW 6. Stadien auf des Lebens Weg, GW 9. Die Schriften ber sich selbst, GW 23. Vorworte, GW 7. Die Wiederholung, GW 4. ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller, GW 23.

Zusätzliche Siglen: DM

Søren Kierkegaard „Die Dialektik der ethischen und der ethisch-religiösen Mitteilung“ in ders. Schriftproben, hrsg. v. Tim Hagemann, Hamburg 2005, S. 77 – 149.

b) Hegel Hegels Werke werden zitiert nach der Theorie-Werkausgabe. Dabei werden folgende Siglen verwendet: TWA

Georg Wilhelm Friedrich Hegel Werke in zwanzig Bnden. Auf der Grundlage der Werke von 1832 – 1845 neu edierte Ausgabe, Redaktion Eva Moldenhauer / Karl Markus Michel. Frankfurt a.M. 1969 – 1971 u. ö. (Theorie-Werkausgabe). sth. I/II/III Vorlesungen ber die sthetik, TWA 13 – 15. GeschPhil. I/II/III Vorlesungen ber die Geschichte der Philosophie, TWA 18 – 20. Phn. Die Phnomenologie des Geistes, TWA 3. Rph. Grundlinien der Philosophie des Rechts, TWA 7. WdL I/II Wissenschaft der Logik, TWA 5 – 6.

c) Weitere Werksiglen Nietzsche, KSA Schelling, SW Schlegel, KFSA

Friedrich Nietzsche Smtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Einzelbnden, hrsg. v. Giorgio Colli / Mazzino Montinari, München / Berlin / New York 1980, 21988, 31999. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling Smmtliche Werke, hrsg. v. Karl Friedrich August Schelling, Bd. 1 – 14, Stuttgart / Augsburg 1856 – 1861. Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hrsg. v. Ernst Behler u. a., Paderborn u. a. 1963 – .

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Literatur

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2. Forschungsliteratur

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Literatur

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584

Literatur

– „Hegel: Kierkegaard’s Reading and Use of Hegel’s Primary Texts“ in Kierkegaard and His German Contemporaries, Bd. 1: Philosophy (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, 6.1), hrsg. v. Jon Stewart. Aldershot u. a. 2007, S. 97 – 165. – „Rasmus Nielsen: From the Object of ,Prodigious Concern‘ to a ,Windbag‘“ in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Bd. 1: Philosophy, Politics and Social Theory (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, 7.1), hrsg. v. Jon Stewart, Aldershot u. a. 2009, S. 179 – 213. Stott, Michelle: Behind the Mask. Kierkegaard’s Pseudonymic Treatment of Lessing in the Concluding Unscientific Postscript, Lewisburg 1993. Strodtmann, Adolf: Das geistige Leben in Dnemark. Streifzge auf den Gebieten der Kunst, Literatur, Politik und Journalistik des skandinavischen Nordens (Bibliothek der deutschen Literatur), Berlin 1873. Strohschneider-Kohrs, Ingrid: Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung (Hermaea, N.F., 6), 2., durchges. und erw. Auflage, Tübingen 1977 [1960]. Strowick, Elisabeth: Passagen der Wiederholung. Kierkegaard – Lacan – Freud (M & P: Schriftenreihe fr Wissenschaft und Forschung), Stuttgart / Weimar 1999. Søltoft, Pia: Svimmelhedens Etik. Om forholdet mellem den enkelte og den anden hos Buber, Levinas og især Kierkegaard, Kopenhagen 2000. Taylor, Mark C.: Kierkegaard’s Pseudonymous Authorship. A Study of Time and the Self, Princeton 1975. – „Language, Truth, and Indirect Communication“ in Tijdschrift voor Filosofie 37, 1975, S. 74 – 88. – Journeys to Selfhood. Hegel & Kierkegaard, Berkeley u. a. 1980. Theunissen, Michael: Der Begriff Ernst bei Søren Kierkegaard (Symposion, 1), 3., unveränd. Aufl., Freiburg / München 1982 [1958]. – Der Begriff Verzweiflung. Korrekturen an Kierkegaard, Frankfurt a.M. 1993. Thompson, Curtis L.: „Hans Lassen Martensen: A Speculative Theologian Determining the Agenda of the Day“ in Kierkegaard and His Danish Conmtemporaries, Bd. 2: Theology (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, 7.2), hrsg. v. Jon Stewart, Aldershot u. a. 2009, S. 229 – 266. Thulstrup, Niels: Kierkegaards Verhltnis zu Hegel und zum spekulativen Idealismus 1835 – 1846. Historisch-analytische Untersuchung, Stuttgart 1972. – Commentary on Kierkegaard’s Concluding Unscientific Postscript. With a New Introduction, Princeton 1984 [Kopenhagen 1962]. Tjønneland, Eivind: Ironie als Symptom. Eine kritische Auseinandersetzung mit Søren Kierkegaards „ber den Begriff der Ironie“ (Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik, 54), Frankfurt a.M. u. a. 2004. Turnbull, Jamie: „Kierkegaard, Indirect Communication, and Ambiguity“ in The Heythrop Journal 50, 2009, S. 12 – 22. Vergote, Henri-Bernard: „Dialectique de la Communication“ in Revue de Mtaphysique et de Morale 76, 1971, H. 1, S. 53 – 76. Waldenfels-Goes, Christin: Direkte und indirekte Mitteilung bei Sçren Kierkegaard, München, Diss. 1967. Wesche, Tilo: Kierkegaard. Eine philosophische Einfhrung, Stuttgart 2003. Westphal, Merold: Becoming a Self. A Reading of Kierkegaard’s Concluding Unscientific Postscript (Purdue University Press Series in the History of Philosophy), West Lafayette 1996.

Namensregister A (sthetiker) 34, 486, 502, 505, 516–518 Adler, A. P. 199–201, 240, 242, 531 Adorno, T. W. 51, 175f. Agacinski, S. 462, 468 Allison, H. E. 143 Angier, T. P. S. 48 Anti-Climacus 55, 79, 82, 181f., 227, 277–292, 294, 296, 304, 319, 322f., 326f., 333, 348, 350, 361, 386, 416f., 420, 422, 432, 435–437, 439, 443, 485, 549–551, 557–569 A–O 324f. Archimedes 538 Aristophanes 466 Aristoteles 27f., 535f. Augustinus 239 Aumann, A. 25, 165f. B (Gerichtsrat Wilhelm) 34, 64, 175, 505, 516 Bahr, P. 489 Barth, A. 489f., 492, 494, 499f. Bärthold, A. 53 Baumgartner, W. 502 Beck, A. F. 137f., 465 Behler, E. 462, 468, 498 Bejerholm, L. 58f., 66, 129, 135, 172, 191, 202, 208, 228f., 256, 261, 279, 316, 329, 356, 377f., 387, 406, 428, 441 Benjamin, W. 498, 500 Beyrich, T. 49 Bigelow, P. 60 Bjergsø, M. O. 37 Bøggild, J. 61 Bohlin, T. 54, 58, 191, 271 Borsche, T. 27

Bubner, R. Bühler, P.

457, 490 208f., 278, 356, 380

Cappelørn, N. J. 39, 190, 447 Caron, J. 208, 377 Christen Madsen 545f. Christus 75, 202, 253, 279, 282, 294, 314, 387, 417, 419f., 440, 443, 460 Conant, J. 143 Constantin Constantius 512–527 Deleuze, G. 48f. Derrida, J. 2, 38f., 49–51, 62f. Deuser, H. 60, 66, 140, 185, 190, 192, 195, 204, 246, 248, 253, 261, 278f., 306, 324, 347f., 420, 445, 529 Diem, H. 57, 129, 179, 232, 287, 462 Dietz, W. 523 Eichler, U. 179 Eíriksson, M. (Theophilus Nicolaus) 426, 442 Elsässer, M. 490 Evans, C. S. 63, 92, 143 Fahrenbach, H. 486 Fauth, S. 39 Feger, H. 459, 484 Fenger, H. 150 Fenves, P. 464 Feuerbach, L. 39 Fichte, J. G. 453, 473f., 477, 488, 498–500 Figal, G. 43, 46f., 549 Fink-Eitel, H. 486 Foucault, M. 38, 49 Frank, M. 488f., 497–500

586 Frater Taciturnus

Namensregister

204

Garff, J. 61, 115, 150, 174, 261, 311, 324, 441, 512 Gerdes, H. 60, 193, 334, 337, 339f. Gerhardt, V. 46 Gerichtsrat Wilhelm siehe B Glöckner, D. 512, 525 Goethe, J. W. v. 27 Goldschmidt, M. A. 446 Goldstein, R. M. 208, 353, 378 Götze, M. 489, 498, 500 Gräb-Schmidt, E. 482 Grage, J. 152, 181 Grau, G.-G. 35 Greve, W. 64f., 124, 135, 151, 172, 176, 486 Grøn, A. 223, 526, 549 Gude, L. J. M. 417f., 427, 435, 441–446 H. H. 321 Hagemann, T. 36, 64–66, 129, 172, 204, 208f., 230, 284, 333–335, 337, 339–342, 484, 487 Hamann, J. G. 520f. Hegel, G. W. F. 5, 37, 39–45, 51, 88–91, 96, 113, 133, 139, 156, 194–196, 202, 205, 425, 428, 454–481, 484f., 488, 497, 499, 503, 515, 529–531, 536, 543, 549–551, 555–557, 562 Heiberg, J. L. 196, 425, 503 Heiberg, P. A. 248 Heidegger, M. 51 Heine, H. 89f. Hennigfeld, J. 43 Heuch, J. C. 53 Himmelstrup, J. 457 Hiob 523–526 Hirsch, E. 54–57, 60, 129, 149, 152f., 171f., 183, 457, 467, 476f., 504 Hofe, G. v. 54, 459, 484 Hoffmann, E. T. A. 487 Holm, I. W. 61 Hörisch, J. 489 Huggler, J. 473

Hügli, A. 29, 208, 216, 221 Hühn, L. 33, 38–40, 43, 51, 64, 139, 452, 454, 460, 464, 470f., 474, 476f., 489–493, 498, 500, 530, 566 Hyde, J. K. 48 Jacobi, F. H. 89 Janke, W. 549 Jansen, N. 208 Jaspers, K. 28f., 48 Jean Paul ( J. P. F. Richter) 109 Jegstrup, E. 61 Johannes Climacus 27, 29, 31, 35, 37, 45, 69f., 76f., 80–147, 149, 168–182, 186, 193, 196–198, 201, 205, 207, 210, 213f., 216–220, 222, 227f., 230, 236f., 240, 243, 259, 277f., 280–282, 285–288, 298, 300, 311, 315f., 329, 366, 369, 382, 455, 461–464, 467, 477, 480, 493, 496, 512, 521, 527, 529, 543, 546–548, 553f., 557–562, 564f. Johannes de silentio 311 Johannes der Verfhrer 502, 504, 517f. Der junge Mensch (Die Wiederholung) 512, 516–519, 522–526 Kant, I. 215, 336, 344 Kaulbach, F. 46 Kearney, R. 320 Kellenberger, J. 48 Kinter, A. 502 Kleinert, M. 459f., 462f., 465f., 468, 471, 476, 483, 502 Kloeden, W. v. 466 Koch, C. H. 200, 426 Kodalle, K.-M. 486 Kütemeyer, W. 455, 461f. Lavater, J. C. 27 Law, D. R. 161, 174, 183, 324 Lessing, G. E. 23, 84–94, 96, 98, 100, 106, 109–111, 115, 119–129, 135f., 138–140, 147, 169, 186, 198, 216, 493

587

Namensregister

Liessmann, K. P. 512 Lincoln, U. 208 Lindström, V. 129, 172 Lippitt, J. 48, 82, 143 Longo, G. 48 Lübcke, P. 30, 112, 208, 216, 284, 376, 557

Platon 98, 189, 196f., 216, 223, 338, 394f., 466 Poole, R. 32, 60–63, 92, 145f., 284, 461 Possen, D. D. 558 Pulmer, K. 502 Purkarthofer, R. 190f.

Mackey, L. 50, 150, 461 Madvig, J. N. 348f. Malantschuk, G. 64 Malik, H. C. 52 Martensen, H. L. 79, 416–418, 425–430, 442, 445 Matusˇtík, M. J. 61 McCarthy, V. 51 McCreary, M. L. 237 Menninghaus, W. 489 Mesnard, P. 462 Miles, T. P. 48 Mjaaland, M. T. 49 Møller, P. L. 193 Mooney E. F. 92 Muench, P. 124, 138 Müller, P. 208, 279, 356, 380 Mynster, J. P. 239, 347–349, 351, 399, 439, 446

Quist, W. M.

Nelson, C. A. P. 209, 342, 378 Nielsen, R. 272, 292, 426–430 Nientied, M. 64, 92, 110, 145, 269, 310 Nietzsche, F. 2, 38f., 46–51, 99, 249, 448 Norris, C. 61, 150 Novalis (F. v. Hardenberg) 500 Olesen, T. A. 43, 61 Olsen, R. 351, 424 Olsen, T. 351 Pattison, G. Paulsen, A. Pedersen, B. Perkins, R. L. Phainarete Pivcˇevic´, E.

36, 157, 204, 208, 278 484 150 558 456 457, 485f.

48

Rapic, S. 209, 502 Rehm, W. 485f. Rest, W. 57f. Ricœur, P. 47 Ringleben, J. 56 Rosenau, H. 486 Rumble, V. 117 Ruttenbeck, W. 57 Schäfer, K. 529 Schär, H. R. 32, 59f. Scheier, C.-A. 39, 461, 488f. Schelling, F. W. J. 39f., 43–46, 139, 382, 499, 529–531, 536 Schlegel, F. 468, 474, 477, 489–495, 497–500 Schmidt, J. 49 Schopenhauer, A. 39, 368 Schreiber, G. 426 Schüepp, G. 58 Schulz, H. 40, 53, 80 Schwab, P. 39, 44, 46, 48, 51, 103, 139, 148, 185, 302, 382, 458, 461, 464f., 484, 487, 502, 530, 536, 555 Sextus Empiricus 220, 377 Sibbern, F. C. 378 Sieber, F. 58 Sløk, J. 150, 486 Smyth, J. V. 60 Söderquist, K. B. 471, 475 Sokrates 86, 88–91, 111, 116, 119, 128, 130, 136, 166f., 172, 195–197, 201f., 218f., 225, 236–238, 244, 266, 268, 270f., 433, 443, 451, 453, 455–458, 460, 463, 465–477, 482f., 489, 492, 506, 532f.

588

Namensregister

Solger, K. W. F. 468f., 473f., 489 Søltoft, P. 61, 536 Stewart, J. 40, 43, 190f., 272, 425f., 428, 460, 462f., 503, 531, 549 Stilling, P. M. 426–429 Stott, M. 89 Strodtmann, A. 35 Strohschneider-Kohrs, I. 496 Strowick, E. 512 Taylor, M. C. 92, 133, 284 Tersteegen, G. 431 Tennemann, W. G. 220, 377 Theunissen, M. 55–57, 463, 468, 481, 549 Thompson, C. L. 436

Thulstrup, N. 92, 462 Tieck, L. 474 Tjønneland, E. 460, 478, 486 Turnbull, J. 73 Vergote, H.-B. 208 Victor Eremita 45, 146, 205, 502, 504–506 Vigilius Haufniensis 27, 388, 479, 510, 512, 517, 525–546, 548, 552–554, 564 Waldenfels-Goes, C. 59, 179 Wesche, T. 64–66, 92, 180, 505 Westphal, M. 61, 92, 169 Xenophon

466

Sachregister ,Abschlagen‘ siehe Akkomodation Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift 3, 5, 9, 17, 19f., 23, 26f., 29, 31, 34f., 37, 44f., 53, 55, 58f., 64, 66, 69–147, 149–154, 163, 165, 168–178, 181–186, 189, 191, 193f., 196–199, 201f., 204f., 207, 212–214, 216–219, 227, 230, 233, 236f., 259f., 263, 273, 277f., 281–283, 285, 288, 290f., 298–300, 303, 308, 312, 315f., 321, 325, 327–329, 341, 347, 352, 366, 369, 375, 380, 382, 387, 404, 409, 417f., 428, 430–432, 434, 438, 444, 455, 457, 460f., 463–465, 467, 477, 479f., 493, 503, 512, 521, 527, 529, 543, 545–548, 551–554, 559, 563f. Absolutes 452f., 470, 488f., 491f., 496–498, 500, 555 Akkomodation 303, 349, 360, 366, 369, 401, 416, 446 Aneignung, Zueignung 23–26, 30f., 39f., 56, 83, 93, 95, 98, 108–118, 121, 123, 127–129, 134, 141, 144, 149, 167, 169, 171, 174, 180, 197, 201, 222, 230, 259, 266, 286–289, 366, 385f., 405f., 410, 431f., 479f., 487, 505f., 515f., 521, 532–534, 545f. Aporie 1f., 12–15, 30–32, 42, 186, 188f., 211, 249, 251, 290, 306, 363 ästhetisch 131, 152, 154, 156, 160–166, 175f., 178f., 183, 199, 215, 224f., 230, 251–258, 268f., 273f., 312f., 322, 327, 330, 337, 340f., 370, 379f., 382f., 385, 391, 393–397, 402, 413f., 459, 485f., 492, 501, 505, 517, 524, 526, 533

– Ästhetiker 34, 254, 451f., 459, 476, 484–487, 502, 516f. ,Aufmerksam–Machen‘ 11, 84, 153, 162, 165, 178f., 182, 202, 244, 252–255, 327, 365, 387, 420 Augenblick–Streit 302, 425, 446 Der Begriff Angst 5, 19, 27, 31, 43, 59, 64, 81, 97, 133, 175f., 222, 388, 465, 479f., 510, 512, 517, 525f., 528–549, 551–555, 563f., 567 Betrug (siehe auch Wahrheit) 24, 28, 93f., 106–108, 111, 113, 119, 160, 162f., 166, 179, 213, 228f., 238, 240–242, 247, 263, 272, 275, 319, 402–407, 504 Bezeugen siehe Zeugnis Das Buch ber Adler 70, 72, 187, 191, 193, 199–202, 239–244, 254, 267f., 275, 531, 559 Christenheit 24, 35f., 53, 59, 71, 77, 138f., 149, 156–171, 177, 180, 187f., 198, 202f., 229, 234f., 238, 242–245, 249f., 253–255, 260, 262–271, 274f., 277, 283, 286, 291, 293–295, 299f., 303, 322, 404, 429, 444f. Christentum, christlich 34–36, 54, 64, 77f., 82f., 87, 122, 126f., 129, 137f., 141, 156–158, 162f., 165, 170, 175, 177f., 182, 188, 192, 198–203, 211, 223, 225, 227, 229, 231–235, 242, 244, 253, 256, 258f., 261–263, 266, 269f., 274f., 279–281, 286, 293–298, 300, 303, 313, 321, 358, 380, 404, 408, 428f., 440, 444f., 561f., 564

590

Sachregister

Christliche Reden 1848 154, 203, 251, 332f., 341 ,Corsarenstreit‘ 164, 192–194, 242, 327 Darstellungsaspekt (der Mitteilung) 21f., 27–30, 88, 141, 451, 457, 482, 487, 506, 515f., 545 Darstellung des Undarstellbaren 483f., 487–489, 492, 494, 506 Dialektik 2, 10, 17–20, 34, 40–42, 51, 56, 75, 82, 86, 103, 119, 132, 135, 145, 147, 163f., 167, 174, 182, 193, 200, 204, 206–238, 244, 246, 266, 283, 285–289, 292, 297, 324f., 328–415, 460, 468, 493, 543f., 552, 555, 559, 561–563, 567f. – D. der Mitteilung siehe Mitteilung „Die Dialektik der ethischen und der ethisch–religiösen Mitteilung“ 4, 14, 17, 19, 22f., 33, 58, 70–74, 78f., 81, 98, 129, 170, 180, 188–191, 197, 199, 206, 208–238, 240, 260f., 286, 290, 300, 303, 305, 307, 321, 328–415, 418, 420–422, 434, 437f., 444 Dichter (siehe auch Mitteilung) 137, 144, 146, 154, 165, 181, 234f., 249, 277, 310f., 314, 317f., 321, 323f., 326, 343, 370f., 435, 475f., 485, 487, 490f., 494f., 499f., 517f., 522, 524f., 539, 554f., 558, 563, 567 Doppelreflexion 9, 19, 31, 42, 63, 74, 76, 80–147, 163, 170f., 173f., 177, 181f., 185, 189f., 193, 205–207, 210, 213f., 216, 219, 222, 225–229, 236, 238, 250, 261, 276–278, 281–292, 295, 300, 303, 315, 331, 386, 388, 402f., 405, 407, 430, 436, 461, 464, 480, 492, 496–499, 543, 551, 553 Dozieren 133, 241, 245, 253, 259, 280f., 283, 288f., 298, 354, 358, 369, 375, 398, 404–406, 410, 529, 547

Einbung im Christentum 20, 58, 63, 72–75, 78, 165, 182, 189–191, 227, 257, 262, 265, 269, 276–296, 298, 300, 304, 307f., 310, 314, 319, 322, 340, 356, 358, 361, 386f., 401f., 405, 416–420, 422, 424f., 428f., 432f., 435f., 440, 443, 493, 559–561 Einzelner siehe Singularität Empfänger (der Mitteilung) 12, 14, 21–24, 26, 30f., 78, 94, 102, 104–106, 108, 110f., 113, 121, 130, 132, 134f., 140f., 166f., 170, 182, 187, 195, 213, 218–230, 268, 272, 278, 282f., 285f., 288, 300, 337, 366, 376, 378, 381, 384–391, 400, 403f., 412–414, 436, 451, 533 Entweder/Oder 4, 26, 31, 34, 45, 64f., 70, 131, 133, 142, 146, 154, 175, 192, 205, 244, 265, 302, 309, 312, 315, 340, 347, 454f., 476, 483, 485f., 502–506, 516–518, 521 erbaulich 36, 79, 181, 199, 251, 254, 257f., 269, 273, 293, 304, 322, 341, 373, 375, 416, 437–439, 444, 558, 563–565, 569 – Erbauliche Reden, erbauliches Werk 36, 65, 72, 148, 154, 160f., 164, 176f., 184, 188, 203, 248f., 256, 258, 268, 271, 273, 340f., 372–374, 435, 438, 444, 569 Erbauliche Reden in verschiedenem Geist 192, 202f., 238, 251, 341f. Erinnerung 245, 262, 359, 367, 369, 372, 477, 513, 520 Erziehung 179, 218, 231f., 234f., 326, 394 Ethik (siehe auch Maieutik) 24, 41, 45, 64, 98, 122, 128–131, 140, 177, 189, 203, 206–234, 236, 243, 259f., 263, 266, 300, 330, 337, 354–410, 413–415, 486, 501f., 520, 523, 525–527, 531, 534–540 – erste 222f., 536 – zweite 222f., 381, 536f., 539f. – Ethiker, ethische Existenz 34, 45, 64, 140, 216, 218, 463, 516

Sachregister

Existenzmitteilung siehe Mitteilung Experiment 30–32, 48, 90, 104, 133, 137, 221f., 295, 353, 364, 372, 388, 409, 464, 510, 512–515, 517, 519–523, 527, 549 Experimentalphilosophie 1, 30, 46 Fragment 453, 489–494, 497, 499f. Furcht und Zittern 64, 133f., 175 Ganzheit, Ganzes 40, 42, 55, 166, 313, 368, 459, 463, 488, 497, 499f., 530, 536, 559 Gegenstand (der Mitteilung) 10, 12, 14f., 17, 21–23, 30f., 41f., 85, 101f., 107, 112, 122, 160, 171, 189, 197, 212, 217, 219–226, 251, 278, 280, 287f., 293, 330, 335, 337, 354f., 364–366, 376–380, 383, 387–390, 393–395, 399, 406, 408f., 410, 412, 462, 482, 496, 499, 513, 517, 537, 540, 544, 552, 556f. Der Gesichtspunkt fr meine Wirksamkeit als Schriftsteller 3f., 9, 35f., 41, 52–55, 64, 66, 70–82, 87, 124, 129, 134, 147–191, 198–200, 209, 212, 218, 229f., 233f., 236, 244, 250f., 254f., 258, 265, 268, 270f., 273, 275, 278, 280, 287, 291f., 297–313, 315, 319–323, 326, 329f., 341, 351, 359, 361, 363, 370, 373–375, 380, 387, 404, 409, 424, 434, 439, 444, 446f., 455, 550 Gespräch, Sokratisches 218, 533 Gott 106, 108, 130, 223–226, 228, 233, 247, 263, 269, 271, 274f., 295, 310, 313f., 316, 319, 326, 355, 360, 362, 371, 386, 401, 417, 419, 423, 440, 445f., 523, 564 – Gottesverhältnis 102, 107f., 110, 115, 226, 228, 233f., 245, 275, 313, 330, 360f., 363, 410, 445 – Gott-Mensch 190, 276–294, 361, 417, 419f., 433, 440 Grenze 2, 17, 57, 82, 87, 140, 169, 173, 178, 180, 184, 222, 315, 326, 416, 420, 465, 498, 510, 524,

591 528–532, 534–538, 540f., 543, 548f., 552, 558, 564, 567f.

Heidentum 223, 225, 244, 274f., 293–295, 533 Herausgeber, Herausgabe 146, 154, 246, 256–258, 269, 273, 297, 299f., 305, 307–312, 316–320, 323, 332f., 416–419, 423–425, 432f., 439, 462, 502–505 Heterogenität 419–422, 429, 437, 454, 456, 458f., 480, 487 ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ siehe Wahrheit Hypothese 11, 30f., 48, 76, 85, 90, 108–111, 114, 116, 123, 133, 141, 286, 315, 372f., 464, 503f., 519, 549 Idealismus, deutscher 2, 33, 37–39, 45f., 530f., 569 Immanenz 35, 40f., 177, 453, 531, 535f., 538, 540f., 556f., 566 Innen/Außen 4, 26, 45, 103, 106, 113, 134, 169, 204f., 453f., 482–484, 490, 493, 499, 502–504, 506 Innerlichkeit 26f., 35, 83, 93, 95f., 102–105, 107, 110, 114–116, 119f., 126–131, 133–135, 140, 169, 173, 184, 279, 294, 317, 482f., 494, 496f., 502–506, 527, 534, 547 Interesse 33, 86, 92, 95, 98, 119–121, 131, 195, 277, 285, 491, 513, 515, 517f., 520, 525, 537f., 544, 552 Ironie 4, 29, 88, 91, 112, 131f., 137, 142, 194–196, 221, 237, 241, 272, 275, 283, 366, 404, 449–502 – ,I. als beherrschtes Moment‘ 45, 454, 458, 460, 476–481, 483, 494 – ,Ironiethese‘ 453, 458, 460–462, 464 – romantische 4, 28, 103, 452f., 456f., 459f., 468, 472, 475–477, 480, 484, 487–490, 492–494, 496–502, 506

592 – Sokratische 492

Sachregister

196, 458f., 465–480,

Kommunikationsaspekt (der Mitteilung) 21–27, 29f., 141, 457, 515f., 545 Kommunikationstheorie 23, 25, 78, 85f., 88, 97, 103, 113, 122, 125, 147, 196, 198, 451, 501, 506 Die Krankheit zum Tode 5, 257, 265, 277, 296, 304, 307f., 319, 327, 334, 347, 350, 436, 460, 485, 510, 514, 549–569 „Die Krise und eine Krise im Leben einer Schauspielerin“ 162, 251, 255–258, 268f., 273f., 292, 297, 341 Kunst 49, 90f., 100, 108–111, 115–117, 119, 123, 135, 138, 165, 173, 193, 195f., 205, 210, 213–220, 224f., 230, 232, 238, 240f., 254f., 274, 281f., 284–286, 291, 324, 378, 380, 393, 397, 403, 413, 415, 456f., 487, 490, 493f., 496, 499–501, 506, 532–534 Lenkung 254f., 267, 275, 318 Eine literarische Anzeige 192, 444 Maieutik (siehe auch Mitteilung) 12, 20, 53, 64, 66, 77f., 85f., 91, 114, 119, 122, 125, 129f., 139, 147, 149, 153, 158, 160–166, 168, 170–172, 178, 185–189, 191, 194–238, 243, 245, 247, 249–251, 254, 266, 269–275, 277, 279, 282f., 287, 291f., 294f., 299–301, 313, 315f., 322, 325, 331, 358, 361, 363, 370f., 385, 393, 399, 401–408, 413, 431f., 438, 441f., 444, 451, 456f. – christlich-maieutisches Modell 23f., 187, 198–200, 202, 210, 234, 243, 249, 267, 288 – ethisch-maieutisches Modell 23f., 187, 198, 203, 210–235, 242, 300, 332, 355f., 376f., 385, 393, 395

Metaphysik 49, 56, 469, 474, 488, 499, 520, 525, 534f. Methode – indirekte passim – Rückstoß der M. 5, 16–25, 42, 47, 85, 187, 278, 487, 494, 509f., 550, 552, 569 Mitteiler 14, 21–24, 26, 45, 91, 106f., 112, 114–116, 121, 123, 128f., 131, 134, 140, 173, 180, 183, 197f., 207, 213f., 216, 218–226, 228, 230, 234, 241, 244, 259, 267, 275, 280, 282–295, 314, 317, 335, 337, 356, 361f., 376, 381f., 384–391, 393, 399–401, 403, 412–414, 435f., 440, 444f. Mitteilung – Dialektik der M. 10f., 19, 83f., 87f., 92, 95, 99, 120, 126, 214, 220–222, 225, 243, 363 – dichterische (siehe auch Dichter) 321, 326f., 420, 422, 437 – direkte passim – direkt-indirekte 19, 317, 391f., 409 – Existenz19, 21, 45, 77, 120f., 140f., 147, 171f., 180, 190, 259f., 281, 289, 382, 428, 452, 456, 487, 496, 498 – indirekte passim – maieutisch-teleologischer Begriff der M. 17, 24, 35, 77f., 139, 148–185, 188, 249, 300f., 329, 373, 387 – M. in Reflexion 20, 77, 149, 159f., 162f., 167, 182, 271, 387 – Mitteilungssituation 14, 18, 33f., 132, 152, 211, 369f., 387, 502, 512f., 516, 545f. – Möglichkeits26, 45, 76, 86, 141, 173, 382 – Sich-Mitteilen 26, 102f., 105f., 110, 113, 119f., 129, 169, 260, 263f. – triadisches Modell der M. 79, 181, 304, 416f., 421, 436f., 558, 560

Sachregister

Möglichkeit 19, 44f., 140f., 240, 269, 313, 360, 381f., 454, 464, 478, 480f., 485, 516, 538, 540, 566f. Negativität 11, 39f., 44, 51, 104, 109, 117, 119, 138, 156, 166–168, 171, 176, 189, 198, 210, 220, 230, 233, 245, 288f., 197, 311, 313, 349, 379f., 385–387, 393, 409, 413, 457f., 461–463, 466–474, 479, 481–483, 497, 506, 516, 531, 535, 543, 553, 555–557, 567 Nihilismus 46, 486 Perspektive 18, 30, 33f., 36, 75f., 82, 106, 118, 122, 132, 134, 152, 156, 177, 187, 284, 298, 301, 314, 322, 325, 357, 368, 382, 431f., 465, 506, 513, 561 Philosophische Brocken 31, 58, 64, 69, 96, 133–135, 137f., 171, 195–197, 223, 225, 461, 464, 510, 562 Predigt 177, 358, 532–534, 540, 552 Pseudonyme, Pseudonymität 1f., 4f., 18, 32–36, 45f., 52, 55f., 59–66, 69f., 76f., 79–87, 96, 124, 131–136, 143–148, 154f., 160f., 164, 172–177, 181–183, 192, 194–196, 203–207, 211, 213, 219, 227, 231–236, 244f., 248, 250, 252f., 264, 269, 275, 277, 280, 284f., 287, 302, 304, 306–308, 311, 315f., 318–327, 333f., 340, 343, 347f., 350–352, 366, 369–373, 410, 416f., 420, 423–425, 428–432, 435–439, 443f., 454f., 458–464, 470, 475, 477, 479, 483, 485, 487, 502f., 506, 510, 512f., 516–518, 521, 525, 528f., 543–547, 549–552, 554, 557–564, 569 Psychologie 133, 448, 464, 475, 485, 512–554, 563, 565, 567

593

Realisation 98, 110, 114, 122, 129, 187, 199, 212, 222–224, 226, 232f., 259, 266, 378f. Reduplikation 19, 59, 63, 74, 78, 110, 128, 157, 164, 183, 185–188, 190f., 193f., 204–208, 218, 224, 227–229, 235f., 238f., 245, 247, 249–253, 255, 258–262, 267f., 270–272, 276–291, 295, 299f., 305, 311, 313–315, 325, 329–331, 337, 354, 356–363, 365f., 385f., 388f., 393, 395f., 398–408, 410, 415, 422, 435–442, 444 Religiosität 36, 41, 64, 108, 126, 154f., 256, 273, 313, 413, 526, 550, 554, 561 Romantik (siehe auch Ironie) 451–459, 472–478, 484–492, 494, 496–501, 517 Rückstoß (der Methode) siehe Methode Schwebe 84f., 99f., 123, 170, 452, 475, 491–494 Selbstzurücknahme 106, 147, 179, 405, 482, 505, 545, 565 – S. der Mitteilung 228, 521 – S. des Verfassers 33, 65, 560 ,Sich-entgegen-Arbeiten‘ 1, 17, 34, 42, 49f., 76, 84, 115, 134, 142–144, 164, 212, 227, 229f., 240, 242, 248, 453, 480f., 510, 519, 528f., 541, 549, 565, 568f. Singularität 21f., 27–29, 36, 40–42, 76, 83, 86, 93–103, 105f., 112, 114f., 117, 119–122, 140f., 149, 164, 169f., 174, 203, 212, 219, 226, 228f., 266, 311, 317, 396, 404, 422, 445, 452, 455, 463, 477, 479–481, 488, 496–501, 506, 515, 532–534, 536, 539–546, 552f., 564, 567f. Sinnentrug 24, 35, 77, 139, 149, 158, 161, 163, 165–168, 171, 187, 202, 206f., 235, 255–259, 262, 266, 268, 273, 275, 292, 294, 300, 404 Situation (siehe auch Mitteilung) 5, 18, 22–24, 53, 71, 131, 138f., 149,

594

Sachregister

157, 162f., 165, 167f., 200, 230, 236, 238, 241, 243, 245, 250, 254, 264–266, 275, 284, 294, 299, 308f., 330f., 347, 354, 356f., 364, 368, 396–398, 410, 426, 445, 518 Stadien auf des Lebens Weg 55, 64, 81, 133, 196, 204f., 340f., 487, 521 Sünde 222, 310, 528, 532–542, 547, 551–553 – Erbsünde 222, 532, 535f., 538 System 1f., 5, 20, 33, 37–39, 41, 46, 48, 94, 98f., 123, 131, 138, 368f., 452f., 458f., 463, 466–469, 474, 478–481, 490, 495–497, 499f., 520f., 530, 547, 569 – -philosophie 38f., 453, 488, 536 Taktik 12, 34f., 53, 77, 83, 139, 149f., 158, 163, 165f., 168, 172, 188, 199, 201, 212, 233, 250, 267, 317, 325, 363, 380, 444 Die Taten der Liebe 191f., 202f., 213f., 236–238, 240, 251, 275, 341, 536 Totalität siehe Ganzheit Transzendenz 40, 523, 536, 540f. triadisches Modell der Mitteilung siehe Mitteilung ber den Begriff der Ironie 4, 45, 137, 195f., 453–485, 493f., 502, 506, 560 ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller 9, 17, 20, 24, 34f., 77, 81, 83, 148–185, 187, 198–200, 233, 242, 250, 258, 266, 270f., 273, 275, 303f., 316, 321, 330, 351, 359, 363, 370, 373–375, 380, 387, 404, 409, 416, 418f., 421, 430f., 433–435, 438–444, 446f., 455, 558 Verdopplung 101, 110, 114, 128, 135, 183, 187, 204–207, 228, 238, 240, 242, 249, 253, 277f., 281,

285, 287, 289, 300, 305, 314, 357, 361, 400, 405–407, 410, 489, 580 Vorworte 109, 340 Wahrheit 24, 41f., 108, 114f., 117–119, 121, 126, 128–130, 133, 135, 158–160, 171, 205, 238, 240, 260, 263, 268, 270, 343, 354, 357f., 360, 369–371, 398, 401 – ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ 24, 53, 77, 139, 149, 160, 163, 166, 168, 180, 191, 198, 200, 202, 229, 238, 240, 275, 287, 329, 403f., 476–478, 555, 557 Weltgeschichte 454, 456, 458–460, 462, 465, 468, 471–476, 480f., 483, 546 Die Wiederholung 4, 31, 64, 133, 142, 196, 510, 512–527, 551 Wiederholung 31, 75, 85, 101, 107, 128, 133, 143, 205, 277, 510, 512–527 Wirklichkeit 27, 43–45, 47, 99, 139f., 169, 230, 329, 356, 364, 370, 382–384, 396–398, 400, 402, 406, 454, 470, 472, 474–476, 478, 480f., 484, 501, 516–518, 526, 528, 531f., 534–540, 544, 554, 564, 567–569 Wissenschaft 27, 31, 42, 156, 213, 215f., 218f., 231, 375, 377f., 394, 397, 453, 461, 469, 471, 474, 478–480, 510, 528–543, 546, 549, 552f., 561, 563f., 568 – wissenschaftstheoretisch 529f., 532–534, 541, 545 ,Zeichen des Widerspruchs‘ 75, 278f., 282–284, 289, 361 Zeugnis 304, 316f., 385, 407f., 441 – Bezeugen 158, 270, 274f., 280, 290, 295, 298–300, 358, 422 Zueignung siehe Aneignung

Register der zitierten Nachlassstellen Angeführt sind alle zitierten Stellen aus Kierkegaards Notizbüchern, Journalen und Aufzeichnungen, mit Ausnahme der größeren, zusammenhängenden Einheiten des Buchs ber Adler und der Vorlesung über die ,Dialektik der Mitteilung‘. Diese sind im Sachregister angeführt. Marginalnotizen werden unter der entsprechenden Hauptaufzeichnung mitgenannt. Journale AA–KK DD:18 DD:203

457 562

JJ:167 JJ:325 JJ:339 JJ:414 JJ:415 JJ:433 JJ:477 JJ:482

447 132 192, 347 191 192, 347 238 196 196

Notizbcher 1–15 Not8:33 Not11:2 Not11:9–14 Not13:28

43 44, 382 44, 464 377

Journale NB–NB36 NB:2 NB:7 NB:13 NB:14 NB:15 NB:17 NB:34 NB:35 NB:36 NB:37 NB:42 NB:45 NB:49

192 192f. 194f., 199 192, 199, 252 194 195 192f., 203 192f. 192–194, 242 242 202 203 203

NB:57 NB:107 NB:114 NB:118 NB:129 NB:154 NB:160 NB:192 NB:194 NB:201

192, 347 192 192 202 202 202f., 234, 238, 266 202 213, 232, 333 309 206, 218, 259

NB2:1 NB2:13 NB2:14 NB2:17 NB2:25 NB2:29 NB2:69

213 213f., 232, 328, 333, 349 214, 333, 338 241, 272, 283, 293, 404 239 239 213

NB3:20 NB3:22 NB3:38 NB3:40 NB3:50 NB3:62

192, 347 148 239 239 238 10, 242f., 353, 511

NB4:58 NB4:65 NB4:66 NB4:72 NB4:152 NB4:155 NB4:160

239 244 244, 246, 251, 254 245f., 254f. 246 246 562f.

NB5:8 NB5:19

558 246f., 264

596

Register der zitierten Nachlassstellen

NB5:77 NB5:117 NB5:146 NB5:147

239 238 247 241, 272, 283, 293, 404

NB6:5 NB6:9 NB6:13

251–254, 269, 287 265 19, 253, 258, 278, 358, 399 253f., 261, 269 254f. 256f., 269, 293, 341 276 256f. 257 256f. 256f., 293, 322, 341 256 255 256 256, 258 343 256, 258 259, 281, 358, 399 19, 250, 260, 358, 399 157, 188, 251, 260–263, 265, 276, 287, 349, 360 192, 260, 265–267, 272, 347 267 161, 265, 268, 340f., 374, 438 269, 276 249, 256, 269, 294, 298, 339 256 20, 250, 270f., 294, 339, 358, 386, 407, 441 271 157f., 272 274, 314, 339 256, 273, 276 256 256, 261, 272f., 297 256, 272, 339 272, 275, 283, 404 158, 249f., 256, 273f., 295, 297, 314, 339

NB6:21 NB6:22 NB6:24 NB6:25 NB6:27 NB6:28 NB6:29 NB6:30 NB6:33 NB6:34 NB6:36 NB6:38 NB6:44 NB6:54 NB6:56 NB6:57 NB6:61 NB6:62 NB6:63 NB6:64 NB6:65 NB6:66 NB6:67 NB6:68 NB6:69 NB6:70 NB6:71 NB6:74 NB6:75 NB6:76 NB6:78 NB6:80 NB6:81

NB6:87

256, 273

NB7:3 NB7:5 NB7:6 NB7:7 NB7:8 NB7:9 NB7:10 NB7:11 NB7:13 NB7:16 NB7:28 NB7:36 NB7:41 NB7:45 NB7:46 NB7:114

343 292 292 292 293, 295, 314, 339 292, 296f. 292 292, 297 158, 274, 292, 297, 309 297 293 297, 299 299 299 297 292

NB8:15 NB8:39 NB8:40 NB8:99 NB8:106 NB8:111

262, 308, 320 308 305 305 308 306

NB9:13 NB9:39 NB9:45 NB9:56 NB9:74 NB9:78 NB9:79

306 340, 420 308 309f. 262, 309f., 359 310f., 320, 325 311f.

NB10:2 NB10:4 NB10:6 NB10:38 NB10:39 NB10:40 NB10:43 NB10:44 NB10:48 NB10:60 NB10:67 NB10:68 NB10:69 NB10:83 NB10:89

319 312 312 312f. 312 312 559 305, 313f., 339, 342, 346 314 312, 314f. 315 315 315 80, 315f. 347

Register der zitierten Nachlassstellen

NB10:154 NB10:169 NB10:185 NB10:191 NB10:192 NB10:199 NB10:200 NB10:202

316, 445 312, 317 318, 351, 374 318 317, 436 317 317 317

NB11:2 NB11:6 NB11:8 NB11:14 NB11:21 NB11:33 NB11:35 NB11:36 NB11:45 NB11:96 NB11:101 NB11:105 NB11:118 NB11:122 NB11:123 NB11:125 NB11:132 NB11:192 NB11:193 NB11:194 NB11:195 NB11:202 NB11:203 NB11:204 NB11:209 NB11:211 NB11:222 NB11:223 NB11:228

318 312, 320, 324 318f. 318 347 321, 375, 434, 444 318 342f. 342f. 305 347 347 320, 346 319, 347 319, 347f., 350, 560 347 347 319, 347 348f. 319 319 319 319, 350, 560 319f., 347, 349f., 560 319, 560 320 319, 565 343, 350 319, 560

NB12:7 NB12:14 NB12:16 NB12:17 NB12:19 NB12:27 NB12:28 NB12:39 NB12:52

277, 322, 350 426 426 323, 560 322 322 351 345 322f., 560

597

NB12:53 NB12:57 NB12:72 NB12:105 NB12:121 NB12:126 NB12:133 NB12:139 NB12:142 NB12:147 NB12:150 NB12:191 NB12:196

560 322, 359 322 306 343f. 306 322 344f., 398 306 306 306 349 560

NB13:21 NB13:27 NB13:35 NB13:37 NB13:49 NB13:78

323 323 323 323, 346 426 323

NB14:2 NB14:8 NB14:10 NB14:12 NB14:19 NB14:27 NB14:28 NB14:30 NB14:31 NB14:35 NB14:77 NB14:150

323 312, 321, 323f., 326, 359 327 277, 327, 348 327f., 346 326 327 326f., 346, 560 327 206, 305 183, 327 27

NB15:38 NB15:46 NB15:47 NB15:49 NB15:52 NB15:63 NB15:82 NB15:92 NB15:103 NB15:113 NB15:130

419, 428, 440 359, 419–423, 425, 429, 437 422 422f. 423 424 306 424 27 152, 423–425 424

NB16:8 NB16:42

425 424

598

Register der zitierten Nachlassstellen

NB16:46 NB16:60 NB16:61 NB16:74 NB16:88

424 306 425 306 306

NB17:7 NB17:30 NB17:33 NB17:71

427 428 428 427

NB18:26 NB18:30 NB18:53 NB18:58 NB18:74

427 427 306 427 306

NB19:7 NB19:20 NB19:22 NB19:31 NB19:37 NB19:65

428 425 428f. 425 427, 429 429

NB20:5 NB20:6 NB20:12 NB20:24 NB20:34 NB20:70 NB20:116 NB20:120 NB20:152 NB20:160 NB20:161 NB20:169

175, 430–432 431 348, 432 306 432 432 306 429, 432 433f. 433 433 306

NB21:12 NB21:35 NB21:102

305 463 306

NB22:13 NB22:16 NB22:17 NB22:80

417, 435f. 436f. 359, 432, 437f. 306

NB23:73 NB23:171 NB23:184 NB23:207 NB23:209

306 206, 305, 438 206, 305, 438 306 348

NB24:11 NB24:54 NB24:97 NB24:102 NB24:121 NB24:128 NB24:131 NB24:142 NB24:154 NB24:155 NB24:161

306 333, 348f., 351, 439 305 304, 439 348, 439 439 250, 439f. 440–442 306 439 306

NB26:7 NB26:12 NB26:14 NB26:110

444 444 348, 445 486

NB27:16 NB27:59

348 435, 445f.

NB28:54 NB29:7

249 446f.

NB31:103

306

NB32:102

306

Lose Papiere Papir 277:2 27 Papir 340:1–17 193 Papirer Pap. IV B 117 Pap. VI B 11 Pap. VI B 35,24 Pap. VIII 2 B 186 Pap. IX B 2,3 b Pap. X 5 B 54 Pap. X 5 B 105 Pap. X 5 B 105–114 Pap. X 5 B 143 Pap. X 5 B 147 Pap. X 5 B 263 Pap. X 6 B 48 Pap. X 6 B 82 Pap. X 6 B 103–134 Pap. X 6 B 133 Pap. X 6 B 135–143 Pap. X 6 B 144–161

196 196 463 261 268 429 262 262 320 326 424 559 442 427 427 429 442

599

Register der zitierten Nachlassstellen

Pap. X 6 B 145 Pap. X 6 B 151,8

442–444 175, 442– 444

Pap. X 6 B 160 Pap. X 6 B 171–236 Pap. X 6 B 173

442 446 348