Der hybride Raum: Chinesisch-deutsche Zusammenarbeit in der VR China [1. Aufl.] 9783839405819

Individuelle Schicksale, subjektive Wahrnehmungen und Interaktionen aus dem bikulturell geprägten Berufsalltag befragter

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German Pages 344 Year 2015

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Inhalt
Einleitung
Teil I: Methodologische Ansätze
1. Einleitende Bestimmung des Kulturbegriffs
2. Theoretische Zugänge
2.1 Habitus und Diskurstheorie
2.2 Kommunikationswissenschaft
2.3 Xenologie
2.4 Kulturstandards: Kognitive Anthropologie
2.5 Interpretative Anthropologie
2.6 Erforschung von Arbeit
2.7 Wissen, Sinn und Identität
2.8 Neue Phänomenologie
2.9 Stereotype, Vorurteile und Images
3. Exkurs: Zwischen Wissenschaft und Knigge
Teil II: Methodisches Vorgehen
1. Orte der Erhebung
1.1 Attraktivität als Wirtschaftsstandort
1.2 Attraktivität für Arbeitssuchende im Vergleich
2. Forschungssituation
3. Annäherung ans Feld
3.1 Fremder unter Fremden: Deutsche
3.2 Fremder unter Fremden: Chinesen
4. Die Interviewten
4.1 Deutsche Interviewpartner
4.2 Chinesische Interviewpartner
5. Die Interviewsituation
5.1 Gespräche mit Deutschen
5.2 Gespräche mit Chinesen
6. Sprachlicher Zugang
7. Einfluss von Räumen und Orten auf die Interviewsituation
8. Die Begriffe Kultur und Interkulturelle Kommunikation: Verständnis der Befragten
Teil III: Darstellung und Auswertung der Interviews
1. Voraussetzungen für einen Chinaeinsatz
1.1 Gründe für den Chinaeinsatz – zwischen Abenteuerlust und Zwang
1.2 Vorbereitung auf den Chinaeinsatz
1.3 Die Auswahl des Entsandten
1.3.1 Kriterien deutscher Befragter
1.3.2 Kriterien chinesischer Befragter
1.4 Ankunft der Entsandten – erste Schritte
1.5 Zusammenfassung
2. Gestaltung des Privaten
2.1 Die Wohnsituation der Entsandten
2.2 Freizeit
2.3 Ausländergemeinschaft
2.4 Orte der Begegnung
2.5 Freundschaften
2.6 Zusammenfassung
3. Zusammenarbeit
3.1 Qualifikation
3.2 Notwendigkeit von Expatriates
3.3 Führen
3.4 Arbeitsstile
3.5 Unternehmenskultur und Arbeitsatmosphäre
3.6 Materielle Anreize oder Selbstverwirklichung: Motive chinesischer Mitarbeiter in einer deutschen Firma zu arbeiten
3.7 Fluktuation
3.8 Verhandlungen und Verträge
3.9 Organisationsstruktur
3.10 Zusammenfassung
4. Kommunikation
4.1 Informationsaustausch
4.2 Sprache
4.3 Zusammenfassung
Teil IV: Der hybride Raum als Chance
Anhang
Literaturverzeichnis
Statistische Jahrbücher
Internetquellen
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Der hybride Raum: Chinesisch-deutsche Zusammenarbeit in der VR China [1. Aufl.]
 9783839405819

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Der hybride Raum

Florian Feuser (Dr. phil., M.A.) forscht und lehrt am Seminar für Sinologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Forschungsschwerpunkte sind anthropologische Fragestellungen zu China im Kontext von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Der Autor ist außerdem als selbständiger Unternehmensberater tätig (www.feuserconsulting.de).

Florian Feuser

Der hybride Raum Chinesisch-deutsche Zusammenarbeit in der VR China

Diese Forschungsarbeit wurde mit der großzügigen Unterstützung der FriedrichNaumann-Stiftung durchgeführt.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2006 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung und Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat und Satz: Florian Feuser Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-581-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einleitung

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Teil I: Methodologische Ansätze 1. Einleitende Bestimmung des Kulturbegriffs 2. Theoretische Zugänge 2.1 Habitus und Diskurstheorie 2.2 Kommunikationswissenschaft 2.3 Xenologie 2.4 Kulturstandards: Kognitive Anthropologie 2.5 Interpretative Anthropologie 2.6 Erforschung von Arbeit 2.7 Wissen, Sinn und Identität 2.8 Neue Phänomenologie 2.9 Stereotype, Vorurteile und Images 3. Exkurs: Zwischen Wissenschaft und Knigge

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Teil II: Methodisches Vorgehen 1. Orte der Erhebung 1.1 Attraktivität als Wirtschaftsstandort 1.2 Attraktivität für Arbeitssuchende im Vergleich 2. Forschungssituation 3. Annäherung ans Feld 3.1 Fremder unter Fremden: Deutsche 3.2 Fremder unter Fremden: Chinesen 4. Die Interviewten 4.1 Deutsche Interviewpartner 4.2 Chinesische Interviewpartner

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5. Die Interviewsituation 5.1 Gespräche mit Deutschen 5.2 Gespräche mit Chinesen 6. Sprachlicher Zugang 7. Einfluss von Räumen und Orten auf die Interviewsituation 8. Die Begriffe Kultur und Interkulturelle Kommunikation: Verständnis der Befragten Teil III: Darstellung und Auswertung der Interviews 1. Voraussetzungen für einen Chinaeinsatz 1.1 Gründe für den Chinaeinsatz – zwischen Abenteuerlust und Zwang 1.2 Vorbereitung auf den Chinaeinsatz 1.3 Die Auswahl des Entsandten 1.3.1 Kriterien deutscher Befragter 1.3.2 Kriterien chinesischer Befragter 1.4 Ankunft der Entsandten – erste Schritte 1.5 Zusammenfassung 2. Gestaltung des Privaten 2.1 Die Wohnsituation der Entsandten 2.2 Freizeit 2.3 Ausländergemeinschaft 2.4 Orte der Begegnung 2.5 Freundschaften 2.6 Zusammenfassung 3. Zusammenarbeit 3.1 Qualifikation 3.2 Notwendigkeit von Expatriates 3.3 Führen 3.4 Arbeitsstile 3.5 Unternehmenskultur und Arbeitsatmosphäre 3.6 Materielle Anreize oder Selbstverwirklichung: Motive chinesischer Mitarbeiter in einer deutschen Firma zu arbeiten 3.7 Fluktuation 3.8 Verhandlungen und Verträge 3.9 Organisationsstruktur 3.10 Zusammenfassung

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4. Kommunikation 4.1 Informationsaustausch 4.2 Sprache 4.3 Zusammenfassung

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Teil IV: Der hybride Raum als Chance

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Anhang Literaturverzeichnis Statistische Jahrbücher Internetquellen

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Einleitung

Verkaufszahlen von Buchtiteln wie beispielsweise „China-Knigge für Manager“1 und „China für Anfänger“ verweisen auf einen unmittelbar bestehenden Informationsbedarf derjenigen, die beruflich mit diesem Land in Verbindung stehen. Subtil wird mit dem Beleg gedroht, dass 70% aller gescheiterten Geschäftsbeziehungen auf interkulturelle Differenzen zurückzuführen seien. Angehende Expatriates lassen sich in der Kunst des Krieges schulen, im Vertrauen darauf, dass „der Chinese an sich“ den Kriegsstrategieklassiker Sunzis2 vollkommen inkorporiert hat oder sie erlernen mühevoll „chinesische Standards“, um „Fettnäpfchen“ zu vermeiden. Fast erscheint es unmöglich, sich in China zu bewegen, ohne „sein Gesicht zu verlieren“ oder seinen Gegenüber zu schockieren. Was dies sicherlich zeigt, ist, dass eine gewisse Hilf- und Ratlosigkeit herrscht, die von manch einem eventuell gerne geschürt wird, um sich zu bereichern. Doch sollte die Problematik auch nicht verharmlost werden. Aus eigener Erfahrung aus Arbeitssituationen weiß ich um Situationen, die im Nachhinein zwar amüsant zu erzählen sind, dies aber nur, da es schließlich gelang, das jeweilige Missverständnis zu klären. Die auf quantitativen Untersuchungen beruhenden Ergebnisse gängiger Erklärungen und Handlungsanweisungen aus Wissenschaft und populärwissenschaftlichen Publikationen, für sich allein betrachtet, müssen Unbehagen hervorrufen, da sie den Anschein erwecken, menschliches Denken und Handeln lasse sich allein in Tabellen und Zahlen ausdrücken. Mit dieser Untersuchung, deren Ergebnisse auf Basis einer rund anderthalbjährigen Feldforschung im Yangzi-Delta gewonnen wurden, soll zu der Omnipräsenz des Numerischen ein mikroperspektivischer Beitrag beigesteuert werden. Ziel ist, Beteiligte in einer „Polyphonie der Stimmen“ zu Wort kommen zu lassen und auf dieser Grundlage Ergeb1 2

Vgl. Chin-Ning Chu (1996): Chinaknigge für Manager, Frankfurt/M. Ca. 534 v.u.Z. bis ca. 453 v.u.Z.

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nisse zu erlangen. Um die Dichte der in den Interviews vermittelten Informationen zu erhalten, wird dem deskriptiven Teil dieser Arbeit ein entsprechender Raum zugeteilt. Thema der Arbeit sind transkulturelle Interaktionsprozesse in der Zusammenarbeit von Deutschen und Chinesen in der Volksrepublik China. Aufgabe ist es, die gemeinsame Arbeitswelt als sozialen und kulturellen Raum zu beschreiben. Interaktions-, Verhaltens- und Deutungsmuster und daraus resultierende Konflikte sollen dargestellt und analysiert werden. In Bezugnahme auf Identität, Lebensstil und Arbeit des Einzelnen werden Formen von Kommunikation erfragt, die kulturell begründete Barrieren überwinden helfen. Als ein wesentliches Kriterium gilt Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse, weshalb methodologische Überlegungen an den Anfang gestellt und anschließend das methodische Vorgehen dargelegt werden. Folgend werden zu verschiedenen Schwerpunkten wesentliche Auszüge aus den mit den chinesischen und deutschen Beteiligten geführten Interviews nebeneinander abgebildet und erläutert. Dem Leser soll so ein möglichst hohes Maß an kritischer Überprüfung und damit auch alternativer Interpretationen und Deutungen ermöglicht werden. Der deskriptive Abschnitt unterteilt sich in vier voneinander abgegrenzte Themenbereiche, von denen sich die ersten beiden auf Entscheidung, Auswahl und erste Eindrücke sowie die Gestaltung des privaten Rahmens der deutschen Entsandten konzentriert bzw. die Beurteilung von deren Situation durch die chinesischen Befragten. Der darauf folgende dritte Abschnitt beschäftigt sich mit verschiedenen Facetten der Zusammenarbeit und leitet über in den vierten und letzten, der gesondert dem Thema Kommunikation gewidmet ist. Alle vier Abschnitte schließen mit Zusammenfassungen, in denen wesentlich erscheinende Eckpunkte aufgegriffen werden. Im Schlussteil dieser Arbeit werden Grundprobleme deutsch-chinesischer Zusammenarbeit skizziert und in den Kontext der methodologischen Vorüberlegungen gestellt, um so Anknüpfungspunkte für weitere theoretische Überlegungen als auch praktische Maßnahmen zu bieten. Diese Arbeit kann keineswegs Repräsentativität für alle in China arbeitenden Deutschen und noch weniger für die mit Deutschen zusammenarbeitenden Chinesen beanspruchen. Es handelt sich um Schlaglichter aus dem Alltag der Befragten und spiegelt die Situation, den Erkenntnis- und Erfahrungsstand der Beteiligten zum Zeitpunkt dieser Untersuchung wider.

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Teil I: Methodologische Ansätz e

1. Einleitende Bestimmung des Kulturbegriffs Inzwischen steht eine kaum mehr überschaubare Vielzahl von Beiträgen bereit, die sich ausschließlich dem Kulturbegriff widmen. Dieser sehr produktive Output an wissenschaftlichen Publikationen verschiedenster Disziplinen hat neben der zunehmenden Unüberschaubarkeit einen weiteren Nachteil: Die einzelnen Definitionen differieren teilweise beträchtlich und nehmen dem Begriff „Kultur“, soll er als wissenschaftliche Analyseeinheit gebraucht werden, jegliche Schärfe. Diese Unschärfe wird durch die Tendenz, grundsätzlich alle Erscheinungen einer Gesellschaft als Kultur aufzufassen, noch verstärkt.1 Es scheint, als würde dieser Begriff in der wissenschaftlichen Diskussion und dem Bemühen, eine möglichst realitätsnahe und allgemeingültige Definition zu liefern, zunehmend an Aussagekraft verlieren. Dass um den Kulturbegriff ein Streit entbrannt ist, bei dem dessen Verwendbarkeit in Frage gestellt wird, erscheint von daher verständlich. Diese Debatte verweist aber auch auf den hohen Reflexionsgrad und den kritischen Umgang mit wissenschaftlichen Paradigmen. Hier zeigt sich ebenso, wie die Vielzahl der Kulturbegriffe und Kulturtheorien von Disziplinen, Forschungsinteressen und Intentionen sowie von dem jeweiligen Beobachter abhängig sind. Der Kulturbegriff muss also als „diskursives Konstrukt“2 bezeichnet werden, das sich in der jeweiligen Forschungssituation zu bewähren hat. Innerhalb der anthropologischen Debatte eruiert Martin Fuchs3 drei 1

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Laut Slembeck gibt es inzwischen über 300 unterschiedliche Definitionen des Kulturbegriffes. E. Slembeck, (1998): „Grundfragen der interkulturellen Kommunikation“. In: I. Jonach (Hg.): Interkulturelle Kommunikation. München, S. 27-37. N. Pethes und J. Ruchatz (2001): Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon, Reinbek bei Hamburg. M. Fuchs (2001): „Der Verlust der Totalität. Die Anthropologie der Kultur“. In H.Appelsmeyer/E.Billmann-Mahecha (Hg.): Kulturwissenschaft. Felder einer prozeßorientierten wissenschaftlichen Praxis, Weilerswist.

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DEUTSCH-CHINESISCHE ZUSAMMENARBEIT IN DER VR CHINA

Standpunkte aus, von denen der erste den Begriff „Kultur“ als trennend, distanzierend und hierarchisierend ablehnt. 4 Andere beschränken sich auf das Adjektiv „kulturell“, um die kontextuelle Abhängigkeit des Kulturellen zu unterstreichen5, während sich eine dritte Position um die Reformierung des älteren Kulturkonzepts bemüht. Insgesamt, so Fuchs, treten im Ringen um eine Definition von Kultur zwei „Frontstellungen“ zutage: einerseits eine reflexive Anthropologie, „die Kultur als interpretative Leistung der Akteure begreift und wissenschaftliche Interpretationen in einer interaktiven Beziehung verankert“, und andererseits eine „im klassischen Sinne realistische, klassifikatorisch ausgerichtete Ethnologie, welche Kultur als strukturierenden Metaterm begreift – die Welt als Mosaik von Kulturen –, welche die Interpretationsebene (Textebene) vom Handlungszusammenhang ablöst und überdies von der Möglichkeit der (räumlichen) Trennung von Kulturen ausgeht“6.

Wenn hier von „transkultureller Kommunikation“ statt von „interkultureller Kommunikation“ die Rede ist, so aus dem Bestreben, auf einen offenen Kulturbegriff zu verweisen7, dem sich vor allem zahlreiche Ethnologen verpflichtet fühlen:8 Kultur wird also nicht wie bei Herder als auf jeden Fall vorzufindende Einheit von Kultur und einem festen Territorium9, auch nicht als Einheit von Sprache und Kultur, sondern als his-

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Vor allem L. Abu-Lughod (1991) „Writing Against Culture“, In: R. Fox (Hg.), Recapturing Anthropology: Working in the Present, Santa Fe, S. 137-162. Beispielsweise R. Borofsky (1994):Assessing Cultural Anthropology, New York: Mc Graw Hill und A. Appadurai (1996): Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization. Minneapolis, London. Fuchs (2001), S. 19. Mit einem offenen Kulturbegriff ist gemeint, dass Kultur nicht als Etitätverstanden wird, sondern vielmehr einen prozessualen Charakter aufweist. Vgl. G. Linck, G. (2003a): „Auf Katzenpfoten gehen und das qi miteinander tauschen“. Überlegungen einer China-Wissenschaftlerin zur transkulturellen Kommunikation und Kompetenz. In: Erwägen, Wissen, Ethik, Jg. 14/2003 Heft 1, S. 189-192 und G. Linck (2003b): „Atmosphäre und Resonanz: Wahrnehmung als Kommunikation. Anregungen aus China zur transkulturellen Kompetenz“. In: S. Conermann/J. Kusber (Hg.): Studia Eurasiatica. Beiträge für Asiatische und Afrikanische Studien (ZAAS) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Bd. 10., S. 12. Vgl. W. Schiffauer (1997): Fremde in der Stadt, Frankfurt/M., S. 20. Bhaba weist darauf hin, dass Territorium etymologisch auf das lateinische Wort terrere (Angst einjagen) zurückzuführen ist und also eigentlich „a place from which people are frightened off“ bedeutet. H.K. Bhaba, H.K. (1994): The Location of Culture. London.

METHODOLOGISCHE ANSÄTZE

torisches Produkt und als persönliches System – als „subjektive Kultur“ verstanden.10 Begegnung findet nach dieser Annahme nicht zwischen („inter-“) Kulturen statt, sondern in räumlichen Gebilden mit fließenden, nicht näher zu bestimmenden, da kontinuierlich in Veränderung begriffenen, permeablen Grenzen. Diese verschiedenen räumlichen Gebilde überlappen sich zum Teil gegenseitig und sind durch Netzwerke miteinander locker – auch über große Distanzen hinweg – verbunden. Nach einer „Reinkultur“11 wird man vergeblich suchen, da gegenseitige Beeinflussungen niemals auszuschließen sind. Menschen als Interpreten und Schaffende – kurz: als Träger von Kultur bewegen sich nicht erst neuerdings durch („trans-“) verschiedene kulturelle „Räume“ und sorgen so für einen regen Austausch.12 Kulturen haben einen absorbierenden Charakter: Sie beeinflussen und werden beeinflusst, sie nehmen auf und geben ab. Trotzdem bildet sich hierdurch nicht eine einheitliche Weltkultur. Kultur und ihre Einflüsse 10 Nicht aber als ausschließliche Konstruktionen, wie bei R.J. Foster (1991): Making National Cultures in the Global Ecumene. Annual Review of Anthropology 20, S. 235-60; V. Stolcke, V (1995): Talking Culture. New BoundarieS. New Rethorics of Exclusion in Europe. Current Anthropology 36 (1), S. 1-24; oder G. Welz (1994): „Die soziale Organisation kultureller Differenz: zur Kritik des Ethnobegriffs in der anglo-amerikanischen Kulturanthropologie“. In: H. Berding (Hg.): Nationales Bewußtsein und kollektive Identität, Frankfurt/M., S. 66-81. Stagl formuliert dies so: „Jede Kultur wurzelt letztlich in der individuellen Weltoffenheit ihrer ‚Träger‘. Die Muster der Tradition sind diesen nicht einfach vorgegeben, sie müssen sie sich persönlich aneignen und mit ihrem jeweiligen Erfahrungsschatz zu kohärenten Weltbildern verschmelzen, die dann ihr individuelles Handeln anleiten; diese Verschmelzungsgebilde bezeichne ich als persönliche Kultur.“ J. Stagl (1992): „Eine Widerlegung des kulturellen Relativismus“. In: J. Matthes (Hg.): Zwischen den Kulturen? Die Sozialwissenschaften vor dem Problem des Kulturvergleichs, Göttingen, S. 155. 11 Wenn überhaupt von „Reinkultur“ gesprochen werden könnte, dann nur als instrumentalisierbares Konstrukt, als künstlich geschaffenes Hilfsmittel. Die Suche nach bzw. das häufigere Postulat von einer „Reinkultur“ muss nicht zuletzt daran scheitern, dass mit diesem Begriff ein holistischer Grundgedanke mitschwingt sowie Entitäten vorausgesetzt werden, die nicht weiter bewiesen und untersucht werden. 12 In der Geschichte finden sich beispielsweise zahlreiche Migrationsbewegungen, die im Verlauf der Zeit zu Vermischungen von verschiedenen Bräuchen führten. Weltweiter Handel und auch Kriege beeinflussten Ankömmlinge und Bewohner, Eroberer und Unterworfene und zogen schon immer eine nachhaltige Veränderung bestehender Normen, Ansichten, Bräuche, Kulte usw. nach sich.

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DEUTSCH-CHINESISCHE ZUSAMMENARBEIT IN DER VR CHINA

sind niemals statisch, sondern verändern sich kontinuierlich zeitlich wie auch räumlich in die verschiedensten Richtungen, was für Mikro- genauso wie für Makrobereiche gilt. Einflüsse werden unterschiedlich interpretiert und äußern sich entsprechend different. Elmar Holenstein fasst zusammen: „Ökonomische, politische, ethnische, sprachliche, religiöse, kurz: Kulturbereichsgrenzen welcher Art auch immer decken sich in der Regel weder dauerhaft noch auf der ganzen Linie. Populationen (Ethnien, alias „Rassen“), Staaten, Wirtschaftszonen, Sprachfamilien, Religionsgemeinschaften, Wertegemeinschaften usf. sind weder koexistent noch kovariabel. Sie haben weder den gleichen Umfang, noch wandeln sie sich gleichmäßig. Sie wirken zwar aufeinander ein und färben aufeinander ab, jedoch selten unisono und im selben Takt.“13

Dass Transkulturalität kein auf die „Postmoderne“ beschränktes Phänomen ist, auch wenn hier erst die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema stattfindet und entsprechende Termini geschaffen wurden14, kann eines der zahlreichen Beispiele aus der Geschichte verdeutlichen. Herausgegriffen sei die indische Gandhara-Kunst15, in deren Zeit die bildliche Darstellung des Buddhas fällt, die noch in der frühbuddhistischen Kunst fehlte. An der Darstellung des Gandhara-Buddhas sind die idealisierte Jugendlichkeit, der Faltenwurf der Kleidung und die Haartracht griechisch. Einem Kenner griechischer Kunst werden diese Merkmale noch bei den frühen Darstellungen des Buddhas im chinesischen Raum auffallen. Spätere chinesische Statuen zeigen dann vielfach einen kleinen, lachenden und dickbäuchigen Buddha, Abbild des Buddha Maitreya, der an äußeren Merkmalen nur noch wenig mit dem archaischen und strengen Äußeren des indischen Vorbildes gemein hat: Er wurde „sinisiert“. Kulturelle Einflüsse, in diesem Fall Teile des griechischen Apollonkultes, wurden also aufgegriffen, umgedeutet und in die bestehenden kulturellen Muster integriert. So entstehen neue kulturelle Formen, die nur noch wenig mit ihrem Ursprung gemein haben können, wie dies, sichtbar an der äußeren Form, der Fall ist, vergleicht man eine buddhistische Statue aus China mit der Darstellung des hellenistischen 13 E. Holenstein (1997): „Wo verlaufen Europas Grenzen? Europäische Identität und Universalität auf dem Prüfstand“. In: M. Brockner und H. Nau (Hg.): Ethnozentrismus. Möglichkeiten und Grenzen des interkulturellen Dialogs, Darmstadt, S. 47. 14 Vgl. W. Welsch (1997): „Transkulturalität. Zur veränderten Verfassung heutiger Kulturen“. In: Schneider, I. (Hg.): Hybridkultur: Theorien, Netze, Künste, Köln. 15 In den ersten Jahrhunderten n. u. Z. im indischen Nordwesten.

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METHODOLOGISCHE ANSÄTZE

Apollon. Diese Prozesse des Austausches, der gegenseitigen Beeinflussung und der damit verbundenen gesellschaftlichen Transformationen haben zweifelsohne zugenommen – nicht zuletzt aufgrund von neuen technischen Formen des Informationsaustausches und der Möglichkeit, in nur wenigen Stunden enorme Wegstrecken zurückzulegen. In einem allgemeinen Sinn umfasst Kultur zwar letztendlich alles, was zur menschlichen Existenz dieser Welt gehört, doch können spezifische Kulturmuster verschiedener Gruppen unterschieden werden. Hier muss allerdings beachtet werden, dass ein Angehöriger einer bestimmten Gruppe gleichzeitig immer auch Mitglied anderer Gruppen ist. Würde man beispielsweise von den Menschen sprechen, die dem buddhistischen Glauben angehören, so schlösse dies Angehörige unterschiedlichster Sprachgruppen, Nationalitäten, Altersgruppen, Gesellschaften usw. ein. Verbunden sind sie alle durch eine bestimmte Glaubenspraxis, die aber, und dies ist wichtig festzustellen, wiederum innerhalb des Bezugssystems buddhistischen Glaubens differiert. Ein buddhistischer Mönch aus Delhi interpretiert und lebt seinen Glauben unter Umständen anders als beispielsweise eine in Paris lebende Anlageberaterin. Trotzdem ist es denkbar, dass sie, aufgrund des gemeinsamen kulturellen Bezugssystems Buddhismus, hervorragend miteinander auskommen würden. Oder anders: Zwei in Husum lebende Menschen sind miteinander darüber verbunden, dass sie eben Husumer sind. Nun wäre es aber vorstellbar, dass der eine dieser beiden 62 Jahre alt, Fischer, strenger Protestant, Vater von sieben Kindern und zudem arbeitslos ist. Die andere der beiden Personen könnte weiblich, 19 Jahre alt, homosexuell und Mitglied einer milliardenschweren Familie sein und Byzantinismus studieren. In einer Initiative für Stadtverschönerung könnten beide zusammentreffen, wobei sich herausstellt, dass sie nicht in der Lage sind, sich einander verständlich zu machen. Diese konstruierten Beispiele sollen Folgendes verdeutlichen: Nämlich die grundsätzliche – heuristische – Möglichkeit, dass ein Deutscher und ein Chinese16 keine kulturell begründeten Schwierigkeiten miteinander haben können. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob beide über eine besondere Kompetenz verfügen oder aber ähnlich sozialisiert wur16 Schon die Bezeichnungen „Deutscher“, „Chinese“ usw. sind problematisch, da sie doch eigentlich nur Rückschlüsse auf die Zugehörigkeit zu einer Nation, auf eine Staatsangehörigkeit schließen lassen, die nichts über die kulturelle Zugehörigkeit des Individuums aussagt. Ethnisch oder national determinierte Kulturen sind, so herrscht nicht nur in der Ethnologie wohl weitgehend Einstimmigkeit vor, historische Produkte, deren Wirkung sich nach wie vor unübersehbar in Benennungen wie diesen niederschlägt und die kaum vermeidbar scheinen.

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DEUTSCH-CHINESISCHE ZUSAMMENARBEIT IN DER VR CHINA

den – bzw. ob zwei Deutsche auf interkulturelle Kommunikationsprobleme stoßen. Holenstein spricht von transkulturellen „Faktoren“, welche „die Variationen in Sprachen und Kulturen bestimmen“ und „typologisch ähnliche Kulturerscheinungen“ erkennen lassen. Diese sind Lebensalter, Geschlecht, Nähe-Ferne-Gegensatz (Nachbarschaft vs. Fremde). Für komplexe Gesellschaften nennt Holenstein u.a. den Stadt-Land-Gegensatz, die Aufspaltung in Wirtschaftssektoren, Berufsgruppen und, „nur teilweise parallel verlaufend“, gebildete und ungebildete Schichten. Hieraus folgert er: „Die partikulären gesellschaftlichen Gruppierungen, die sich daraus ergeben, haben oft über die Grenzen ihrer Kulturen Welt- und Wertvorstellungen gemeinsam, mit denen sie sich von den übrigen Segmenten des Kulturgebiets, dem sie sich doch immer zugehörig fühlen, abheben. ‚Leute vom Land‘ in Ostasien und in Westeuropa dürften Wertvorstellungen haben, die sie miteinander teilen, nicht aber mit den Großstadtbewohnern in ihrer jeweiligen Kultur.“17

Hier ist also nicht nur von Gemeinsamkeiten die Rede, sondern auch von (intra-)kultureller Differenz. Homi Bhaba setzt an diesem Punkt mit seinem Konzept der kulturellen Differenz an, mit der er das traditionelle Kulturverständnis aufbricht und vom „dritten Raum“ spricht, in dem Vermischungen, Brüche, Grenzzonen zutage treten und als „hybrid“18 bezeichnet werden. Hier liegen die Kontaktflächen von Kulturen, die nicht per se existent sind, sondern, so Bhaba, erst aus dem Kontakt heraus Form annehmen.19 Auch Clifford Geertz verabschiedet sich von einem einseitig holistischen Kulturverständnis wenn er schreibt, dass die Ethnologie „Abweichung, Vielfalt und Nichtübereinstimmung“ mit einzubeziehen habe.20 17 Holenstein (1997), S. 51. 18 Zu den Begriffen „Kulturtransfer“, „Métissage“, „Synkretismus“ und „Kreolisierung“ merkt Lüsebrink an, dass diese zwar Vermischungen beschreiben, jedoch von kulturellen Entitäten ausgehen. „Hybridisierung“ rückt dagegen – statt kultureller Grenzüberschreitung und Grenzüberwindung – „multiple kulturelle Identitäten von Individuen und Gruppen sowie multikulturelle Räume in den Blick, die sich durch eine grundlegende Porosität kultureller und sprachlicher Grenzen auszeichnen.“ H.J. Lüsebrink (2003): „Kulturraumstudien und Interkulturelle Kommunikation“. In: A. Nünning/V. Nünning (Hg.) : Konzepte der Kulturwissenschaften, Stuttgart, S. 324. Vgl. auch Welsch (1997). 19 Vgl. Bhaba (1994). 20 C. Geertz (1996): Welt in Stücken. Kultur und Politik am Ende des 20. Jahrhunderts, Wien, S. 65.

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METHODOLOGISCHE ANSÄTZE

Mit der Vorsilbe „trans-“ wird also auf die Möglichkeit ähnlicher Entwicklungen, die gegenseitige Beeinflussung und die Situations- und Kontextgebundenheit von Kultur bzw. dem, was als solche verstanden wird, verwiesen, zum anderen wird so ein kulturübergreifender Ansatz, der sich aus der Einsicht ergibt, dass wir in einer Welt leben, in der verschiedene kulturelle (Deutungs-)Muster existent sind, sich Menschen also in Kulturmustern zurechtfinden müssen, die sich stetig verändern und „hybride“ Identitäten geradezu einfordern.21 Eine Kultur bestimmt sich über die Zusammensetzung ihrer Bestandteile, die sie mit anderen Kulturen gemeinsam haben kann, die aber auch nur in ihren jeweils definiten Formen vorhanden sein können. Eine Kultur verfügt über Variablen, die vor allem durch ihre jeweils einzigartige und als Ganzes nicht zu erfassende Kombination Besonderheit schaffen. Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig sinnvoll, Fragen nach dem Wesen der chinesischen, deutschen oder anderen Kultur zu stellen. Viel versprechender erscheint die Frage nach der Perspektive des jeweiligen Subjekts zu sein. Wenn von anderen Kulturen gesprochen wird, äußert sich hier eine Wahrnehmung von etwas, das anders, fremd, unbekannt und eventuell sogar bedrohlich oder aber anziehend erscheint. Wird ganz allgemein von der chinesischen Kultur gesprochen, so denken viele in Deutschland lebende Menschen vermutlich zunächst an Essen mit Stäbchen, Konfuzius, Mao Zedong, die Große Mauer, Menschenmassen, Schriftzeichen usf.: also an das, was in Bezug zum Eigenen anders erscheint. Mit dem Mitdenken des Unterschiedlichen, des aus eigener Perspektive Besonderen, wird etwas markiert, um überhaupt Aussagen treffen zu können, stillschweigend davon ausgehend, dass ein Gegenüber ebensolche Markierungen vornimmt. Genauso stillschweigend wird nicht selten vorausgesetzt, dass Übereinstimmung darin vorherrscht, was als Eigenes und Bekanntes angenommen wird. Dies scheint sich allerdings mit der weiter oben schon angesprochenen Zunahme und Verdichtung weltweiter Kontakte zu ändern: Mit ihr ist auch ein neues Bewusstsein für eigene Besonderheiten verbunden, und damit einher geht die Thematisierung des Eigenen wie des Anderen. Der Diskurs um Fremdheit hat an Relevanz gewonnen. Er ist wichtig für die Bestimmung von Identität und das Ordnen und Verstehen von globalen Zusammenhängen, die zusehends komplexer und unübersichtlicher erscheinen. Hierbei ist weniger die Frage nach der Unterschiedlichkeit und der Gegenüberstellung von Kulturen relevant, sondern

21 Vgl. Welsch (1997).

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DEUTSCH-CHINESISCHE ZUSAMMENARBEIT IN DER VR CHINA

vielmehr die Frage nach der Verortung und Definition von Eigenem und Fremdem.22 Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang die nach wie vor bestehende örtliche Gebundenheit von Menschen und ihrem Alltag23 und die topographischen Zuordnungen von Kulturen, ob diese nun stimmen oder nicht, die teilweise vollzogen werden. Ein deutscher Tourist, von einem Freund befragt, wohin die nächste Urlaubsreise gehen soll, könnte antworten, dass er die chinesische Kultur kennen lernen wolle. So vage dieses „chinesisch“ auch ist, wird der Gesprächspartner mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht davon ausgehen, dass eine Exkursion in ein chinesisches Restaurant oder in einen vorrangig von Chinesen bewohnten Teil einer Stadt eingeplant ist. Mehr noch: Mit einiger Sicherheit werden Stereotype wachgerufen, die mit China konnotiert sind. Es ist auch nicht zu bestreiten, dass ein längerer Aufenthalt in China höchstwahrscheinlich mit dem Gebrauch von Stäbchen einhergeht, da dort das Essen mit Stäbchen gegenwärtig die Regel ist und damit als ein kulturelles Merkmal unter vielen gedeutet wird. Die „imaginierte“24 Spezifik, die mit einem Ort25 verbunden wird, das Umfeld, in dem sich das Leben des Einzelnen vollzieht, muss mit berücksichtigt werden. Wenn unsere beiden Husumer in München möglicherweise als „Fischköpfe“ bezeichnet werden, weist dies auf eine Charakterisierung hin, die an einen Ort bzw. einen Raum geknüpft ist, die zum einen eine wirklichkeitsstiftende Wirkung haben kann (Husumer seien besonders wetterfest, also geht man bei Wind und Wetter spazieren), zum anderen aber auch eine reale Grundlage hat (die unmittelbare Nähe zum Meer, rauhes Klima usw.). Aus diesen Gründen werden bestimmten Kulturen bestimmte Orte zugeordnet, was sich z.B. in „mul-

22 Siehe hierzu auch die phänomenologische Betrachtung des Begriffes „Grenze“ bei B. Waldenfels (1998): Der Stachel des Fremden, Frankfurt/M., S. 28-40. 23 Kaschuba fasst Alltag zusammen „als ein Wirkungsfeld gesamtgesellschaftlicher Wandlungsprozesse, die in ihn münden, durch ihn übersetzt, verarbeitet und somit lebbar gemacht werden. Er vermag also Auskunft darüber zu geben, wie sich der historische Wandel in den Poren der Gesellschaft vollzieht, nicht als Haupt- und Staatsaktion, sondern als sozialer Lernprozess ‚vor Ort‘.“ W. Kaschuba, W. (1999): Einführung in die Europäische Ethnologie, München, S. 127. 24 Siehe Appadurai (1996), S. 54. 25 Ort als eine feste Stelle, als Lokalität verstanden.

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METHODOLOGISCHE ANSÄTZE

tikulturell“26 strukturierten Stadtlandschaften kundtut; so ist von „Chinatown“, „Klein-Istanbul“ u.a. die Rede.27 Es gibt immer einen Ort, an dem sich Kultur zeigt, obgleich nicht davon ausgegangen werden kann, dass eine bestimmte Kultur an einen bestimmten Ort zwingend gebunden ist. Auch Orte und die mit ihnen verbundene Bedeutung unterliegen dem Wandel. Doch bleibt Kultur auf Orte angewiesen, an denen sich Geschehen zuträgt, an denen Kultur ausgehandelt wird, an denen Symbole errichtet und gedeutet werden und an denen über ihren Sinn verhandelt werden kann.28 Ein Ort verfügt über eine besondere Geschichte, die im Laufe der Zeit immer wieder neu erfunden und interpretiert wird und besondere Merkmalsobjekte, wie Bauwerke, Infrastruktur, Lage, Einrichtung usw., die verändert und immer wieder neu interpretiert werden, die es ermöglichen, ihn als spezifisch auszuweisen. Auch eine Forschung ist immer von einer bestimmten Lokalität abhängig, an der beobachtet wird, Interviews geführt werden usw. Es kann jedoch keinesfalls Deckungsgleichheit von Kultur und Ort abgeleitet werden. Vielmehr ist die an den Moment gebundene Perspektive, die Bestimmung eigener Identität, aus der ein Individuum oder eine Gruppe einen Ort betrachtet, von wesentlicher Bedeutung. Selbst wenn lokale kulturelle Einheiten ein Konstrukt, geschaffen durch beispielsweise politische Interessen, wären, 29 kann doch davon ausgegangen werden, dass sie nicht spurlos an den Menschen vorübergehen. Geschlechterrollen können dies verdeutlichen: Auch sie sind weitgehend Konstrukt, doch sind sie in den Köpfen der Menschen präsent und werden so zu gelebter Wirklichkeit.30

26 Vgl. Welsch (1997). 27 Auch das Raumverhalten, die Inbesitznahme eines Ortes bei jugendlichen Subkulturen kann hier als Beispiel angeführt werden, wenn Bahnhöfen, Parks, Jugendtreffs, Parkplätzen usw. durch eine regelhafte und ritualisierte Präsenz eine besondere Prägung gegeben wird. 28 So muss Geertz den balinesischen Hahnenkampf auf Bali untersuchen, also einem spezifischen Ort, der sich durch eine bestimmte Kultur auszeichnet, die aber nicht in sich geschlossen ist. 29 Siehe hierzu Foster (1991), U. Hannerz (1989): „Culture Between Center and Periphery: Toward a Macroanthropology“ . Ethnos 54, 3-4, S. 200216.) sowie Stolcke (1995) und Welz (1994). 30 Die radikalste Position vertritt wohl J. Butler (1991): Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M. Für einen Überblick siehe S. Göttsch (1997): S. Göttsch (1997): „Geschlechterforschung und historische Volkskultur“. In: C. Köhle-Hezinger, M. Scharfe und R.W. Brednich (Hg.): Männlich. Weiblich. Zur Bedeutung der Kategorie Geschlechter in der Kultur, Münster. S. 1-18. Außerdem U. Pasero und C. Weinbach (Hg.) (2003): Frauen, Männer, Gender Trouble. Systemtheoretische Essays, Frankfurt/M.

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Aufgrund der gleichzeitigen Möglichkeit von Beeinflussung, die sich als Hybridisierung darstellen kann und der mehr oder minder eindeutigen Bestimmung von Unterschieden, die örtlich zwar nicht eindeutig determiniert, trotzdem aber zugeordnet werden, erscheint eine „Entwederoder-Entscheidung“ zwischen den von Fuchs bezeichneten „Frontstellungen“ kaum sinnvoll. Vielmehr ist eine Position „dazwischen“ anzustreben: Kultur als interpretative Leistung der Akteure, wobei sie sich räumlich und zeitlich voneinander abhebt, ohne dass eindeutige Grenzen auszumachen wären. Der Einzelne steht in einem reflexiven Verhältnis zu seiner Umwelt. Dies aber nicht gänzlich, sondern nur zum Teil. In einem grundsätzlich für alles offenen Diskurs wird Wandel ausgehandelt und bestimmt. Die stete und auf alles bezogene Reflexion würde schlichtweg zu Handlungsunfähigkeit31 führen. Die Akteure „repräsentieren“ nicht zwingend eine bestimmte Kultur, sondern sie setzen sich mit ausgewählten und ausgehandelten Bedeutungen und Symbolisierungen auseinander, wobei sie sich kritisch, distanzierend, affirmativ oder anders äußern und verhalten können32 und woraus neue kulturelle Formen entstehen. Wie schon angesprochen gibt es gruppenspezifische Zugehörigkeit, wobei das, was im Einzelfall als spezifisch angenommen wird, immer auch einem Wandel unterworfen bleibt. Dieser Wandel entsteht, wie Fuchs resümiert, „aus einem Mit-, Gegen- und Nebeneinander von verschiedenen Positionen und Stimmen“, was „die Kritik an homogenisierenden Ideologien“ ebenso wie „die umgekehrte Möglichkeit, Homogenisierung gezielt zu betreiben“ mit einschließt.33 Der Habitus-Begriff34 Bourdieus behält dabei meines Erachtens nach wie vor seine Gültigkeit, dies jedoch mit Einschränkungen: Man wird 31 Ein bildhaftes Beispiel liefert Kleist in „Über das Marionettentheater“, wenn er die besondere, aber unbewusste Fähigkeit eines jungen Mannes beschreibt, die dieser aber, in der pausenlos bewussten Selbstinszenierung immer wieder probierend, schließlich verliert. 32 Vgl. Fuchs (2001). 33 Fuchs (2001), S. 29 und S. 36. Ein Beispiel für die Funktion und Wirkung von gezielt betriebener Homogenisierung beschreibt Moosmüller mit dem Japanerdiskurs (Nihonjinron). Durch diesen wird die Einzigartigkeit der japanischen Kultur thematisiert und in einem teils pseudowissenschaftlichen Diskurs gefestigt, der quer durch die japanische Gesellschaft geführt wird. Siehe A. Moosmüller (1998): „Arbeitsroutinen und Globalisierung. Alltagskonflikte in ausländischen Unternehmen in Japan“. In: I. Götz./A. Wittel (Hg.): Arbeitskulturen im Umbruch. München, S. 93. 34 Habitus ist die „Hervorbringung klassifizierbarer Praxisformen und Werke zum einen“ sowie die „Unterscheidung und Bewertung der Formen und Produkte zum anderen.“ Bourdieu, P. (1982): Die feinen Unterschiede. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt/M, S. 277 f.

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zwar in ein „Handlungsschema“ hineingeboren, ist aber grundsätzlich in der Lage, sich die eigene Situation, das eigene Handlungsschema, den Habitus bewusst zu machen und auch bewusst zu verändern. Kultur bleibt zum guten Teil inkorporiert, jedoch ist es jederzeit möglich, sich einzelne Teile ins Bewusstsein zu rufen und zu verändern. Der Kulturbegriff, wie er hier verstanden wird, kann zusammenfassend wie folgt umrissen werden: Kultur x ist keine feste Einheit von Sprache, Territorium usw., sondern offen, wandelbar und hybrid x ist ein historisches Produkt x ist perspektivisch x entsteht aus der subjektiv-interpretativen Auseinandersetzung der Akteure mit ihrer Lebenswelt x ist inkorporiert, entzieht sich aber nicht dem Zugriff der Akteure x wird diskursiv ausgehandelt x ist wirklichkeits-, sinn-, bedeutungs- und identitätsstiftend x verbindet bzw. trennt Gruppen mit- bzw. voneinander

2. Theoretische Zugänge Arbeiten, die sich „interkulturellen“ respektive „transkulturellen“ Interaktionsprozessen widmen, setzen oftmals ein Problem zwischen Vertretern von Kulturen voraus, ohne weiter zu explizieren, weshalb diese Probleme überhaupt bestehen sollten. In dem Begriff „interkulturell“ steckt immer auch schon die Vorannahme eines (belastenden und problematischen) Unterschiedes, die Voraussetzung von „Grenzen zwischen Entitäten, die eigentlich erst zu eruieren wären und schreibt Akteure auf bestimmte Rollen – als Repräsentanten einer Kultur – fest, bevor die Art und Weise der jeweiligen Interaktion, des Austausches, des Gebens und Nehmens, des Teilhabens (im Sinne von sharing) oder aber der Abgrenzung überhaupt geklärt ist.“35

Die Untersuchung von Kommunikation zwischen Deutschen und Chinesen muss sich also mit der Frage auseinander setzen, ob bei den Beteiligten aufgrund tatsächlich kulturell begründeter Differenzen Probleme ausgemacht werden und inwieweit sich diese konstituieren. Ein Postulat des Unterschiedes zu bestätigen, respektive zu widerlegen, muss durch 35 Fuchs (2001), S. 22.

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die vorherige Klärung der Frage vermieden werden, wie sich Akteure selbst kulturell verorten und wie kulturelle Unterschiede beschrieben werden. Aber auch bei vorgefundener Differenz, darf diese nicht, so Bhaba, „vorschnell als Widerspiegelung vor-gegebener ethnischer oder kultureller Merkmale gelesen werden, die in der Tradition festgeschrieben sind.“36

2.1 Habitus und Diskurstheorie Bourdieu konzipiert Kultur als Praxis und führt zu deren Analyse und Funktionsweisen den Begriff des „Habitus“ ein, bei dessen Bestimmung die real existierenden und objektiv klassifizierbaren Praxisformen der Beteiligten im Mittelpunkt stehen, wozu Sprachgebrauch, Körperhaltung, Gestik, Manieren u.a. gehören. Auf Außenstehende wirkt der kollektive Charakter des Habitus, der sich somit in kulturellen Praktiken zeigt und manifestiert, als nahezu gleichläufig.37 Weiterhin erhält der Geschmack als distinktive Bewertung von Produkten und Formen wesentliche Bedeutung, wodurch sich der „Raum der Lebensstile“ bildet, der sich analog zum „sozialen Feld“ konstituiert und in dem sich die jeweilige Position einer Person durch ein Weniger oder Mehr an ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital bestimmt. Die in den 60er Jahren in Frankreich entstandene Arbeit Bourdieus zielt auf die Verdeutlichung von Klassenunterschieden ab, die in ihrer engen Bindung von Klasse und Sozialstruktur nicht einfach auf andere Gesellschaften übertragbar sind. 38 Trotzdem bleibt der Habitusbegriff zur Benennung von unbewussten gesellschaftlichen Vorgängen wie die Einschreibung bestimmter kultureller (sic!) Verhaltensweisen nützlich und kann zudem den Blick für intrakulturelle Unterschiede schärfen, was vor klischeehaften, 36 Bhaba (1994), S. 3. 37 Der Habitusbegriff ist aber nicht so deterministisch, wie er manchmal verstanden wird. Bei Bourdieu ist nicht das gesamte Verhalten durch den Habitus bestimmt. Vor allen Dingen in Krisensituationen kann die Anpassung des jeweiligen Habitus an ein soziales Feld in Frage gestellt und unterlaufen werden. Sozialer Wandel ist dann möglich, wenn der Habitus von Akteuren mit Strukturen konfrontiert wird, die vollkommen anders sind, als die, in denen der jeweilige Habitus entstanden ist. 38 Vgl. U. Heß-Meining (1999): „Der Habitusbegriff. Ein soziologischer Ansatz zur Erfassung kollektiver Charaktere, Identitäten, Mentalitäten“ . In: H. Hahn (Hg.): Kulturunterschiede. Interdisziplinäre Konzepte zu kollektiven Identitäten und Mentalitäten Bd.3, Frankfurt/M., S. 209 f. und H.-G. Vester (1999): „Mentalitätsforschung in Deutschland – ein mentales Problem. Kommentar, Kritik und Perspektiven zum Forschungsstand“ . In: H. Hahn (Hg.): Kulturunterschiede. Interdisziplinäre Konzepte zu kollektiven Identitäten und Mentalitäten, Frankfurt/M., S. 435-451.

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unscharfen und pauschalen Aussagen („die Chinesen sind ...“) schützt und vermeiden hilft, eine „Kluft zwischen ‚Kulturen‘ oder ‚Mentalitäten‘ zuzuschreiben, was in Wirklichkeit die Auswirkung der Kluft zwischen sozialen Lagen ist (und dem Ethnologen im eigenen Land in Form von Klassenunterschieden entgegentritt).“39

Kultur interpretiert Bourdieu als Machtressource, das Verfügungspotential über kulturelles Kapital als Distinktionsmittel. Habitus als gelebte Praxis von Kultur zu verstehen, ermöglicht damit die Berücksichtigung und Konzeption des Verhältnisses von Handeln und Struktur.40 Auch Foucault, einer der bekanntesten Vertreter der Diskurstheorie, legt das Augenmerk auf Mechanismen der Macht, wenn er sich damit auseinander setzt, wie Diskurse als „System, das das Erscheinen der Aussagen als einzelne Ereignisse beherrscht“, geordnet sind.41 Kaschuba charakterisiert den Diskursbegriff durch „vier Qualitäten“: Diskurse setzen sich durch feste Argumentations-, Regel-, Denk- und soziale Praxissysteme zusammen. Mit Argumenationssystemen ist gemeint, dass bestimmten Argumenten und Werten eine „Gültigkeit“ zugesprochen wird, die durch kulturelles Wissen bedingt ist. Regelsysteme legen den Rahmen fest, wie, wo und worüber Diskurse geführt werden, während in Denksystemen spezifische Vorstellungen als Konsens festgesetzt sind, so dass offene Fragen verhandelt werden können. Durch die Verquickung von Denk- und Handlungsweisen und der Übertragung von Werten in soziale und kulturelle Verhaltensmuster stellen Diskurse soziale Praxissysteme dar, die von den Subjekten „quasi automatisch befolgt werden“ und damit soziales Handeln und Wahrnehmen steuern,42 und so maßgeblich auf individuelles Handeln Einfluss nehmen. Der Diskursbegriff in diesem Sinne meint „die Formen und Regeln öffentlichen Denkens, Argumentierens und begründungsnotwendigen Handelns als Grundprinzipien von Gesellschaftlichkeit. Es geht um das Austauschen und Aushandeln im Rahmen von Wissensordnungen, die darüber entscheiden, was wichtig und unwichtig, oder richtig und falsch ist, von Werthorizonten, in denen sich gemeinsame oder unterschiedliche Ziele und Interessen herausbilden, von Argumentationsweisen, die ein Ziel oder den 39 P. Bourdieu (1993): Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt/M., S. 32 f. 40 Vgl. R. Winter, R. (2003): „Kultursoziologie“ . In: A. Nünning/V. Nünning (Hg.): Konzepte der Kulturwissenschaften, Stuttgart, S. 214. 41 Foucault, M. (1990): Archäologie des Wissens, Frankfurt/M., S. 187. 42 Kaschuba (1999), S. 236 f.

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Weg dahin dadurch begründen können, dass sie für alle scheinbar einleuchtend und plausibel sind, und schließlich von Kompetenzen, die darüber entscheiden, wer sich wie am Diskurs beteiligen darf.“43

2.2 Kommunikationswissenschaft Die Interaktions- und Kommunikationsdynamik transkultureller Situationen steht im Mittelpunkt eines Konzeptes, das in erster Linie in der Linguistik und Kommunikationswissenschaft beheimatet ist. Kommunikations- und Verhaltensregeln werden nach diesem Ansatz immer wieder neu ausgehandelt. Im Unterschied zur Kulturstandardtheorie wird die Situationalität und Interaktivität interkultureller Verläufe betont, womit den Beteiligten und deren Wirken ein weitaus höheres Maß an Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt wird. 44 Ein von Müller-Jaquier entwickeltes Raster zur Erfassung interkultureller Prozesse umfasst folgende zehn Punkte, die hier nach Lüsebrink in verkürzter Form wiedergegeben werden:45 x Soziales Lexikon (kulturspezifische Bedeutungen von Begriffen auf konnotativ-sozialer Ebene) x Sprachhandlungen und Sprechhandlungssequenzen (kulturspezifische Verwendung von Sprechakten) x Gesprächsorganisation (kulturspezifische Konventionen des Diskursablaufs) x Themen x Direktheit bzw. Indirektheit x Register (Situational abhängige Formulierungsalternativen) x Paraverbale Faktoren x Nonverbale Faktoren x Kulturspezifische Werte und Einstellungen (die Handlungen in interkulturellen Kommunikationssituation erklären) x Kulturspezifische Handlungen, die verbal und nonverbal begleitet sind „Critical Incidents“, Fehlinterpretationen und Missverständnisse, innerhalb von interkulturellen Kommunikationssituationen werden so erkennbar. Prozesse der Aneignung (z.B. Nachahmung), der gegenseitigen

43 Kaschuba (1999), S. 235 f. 44 Vor allen Dingen im Gegensatz zu Hoftstede, der unter Kulturstandards eine Art „mentaler Programmierung“ versteht. 45 Nach Lüsebrink (2003), S. 315. Vgl. B. Müller-Jacquier (1999): Interkulturelle Kommunikation und Fremdsprachendidaktik, Studienbrief Kulturwissenschaft, Koblenz, , S. 57-99.

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Annäherung (wie beispielsweise Kompromissbildung) oder Ablehnung lassen sich nachvollziehen und entsprechend einordnen. Hierbei sind vor allem die eigene kulturelle Verortung sowie stereotype Zuschreibungen von zentraler Bedeutung, da sie die Wahrnehmung der Akteure und damit Interaktionen zunächst maßgeblich bestimmen. Deren anzunehmende Wandlung in der Auseinandersetzung mit dem Anderen kann als Prozess kultureller Annäherung und kulturellen Verstehens nachvollzogen werden, ebenso, wie die Distanzierung von bestimmten Verhaltensweisen oder deren Nichtverstehen, dem Beharren auf eigenen Verhaltensmustern als den einzig richtigen, als kulturelle Ablehnung gedeutet werden können. Es bleibt zu bedenken, dass Stimmungen, Sympathien und Antipathien, Unverständnis für andere etc. nicht nur allein auf kulturelle Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten zurückzuführen sein können. Individuelle Lebensumstände wie Familienverhältnisse, Freundeskreis, Krankheit, Wohnung, Alltagsgestaltung usw., Erfahrungen und situativ bestimmte Befindlichkeit nehmen ebenso wesentlichen Einfluss und wirken sich bestimmend auf Wahrnehmung und Verhalten des Individuums aus. Nicht nur allein „interkulturelle Kompetenz“ als „strategische Handlungs- und Kommunikationskompetenz“, die „Fähigkeit zum Kulturvergleich“ und „Einschätzung der Wirkung kulturell bedingter Unterschiede (einschließlich der eigenen, für andere ‚abweichende‘ Manifestationen)“46 sind damit von Bedeutung, sondern auch die jeweiligen Rahmenbedingungen, in denen sich Akteure bewegen. Arbeitswege, die Zufriedenheit des Partners, der Rückhalt im Freundeskreis, körperliche Konstitution usf. nehmen bestimmend Einfluss auf das Wohlbefinden des Einzelnen.

2.3 Xenologie Einen weiteren Zugang zu transkulturellen Situationen bietet die „interdisziplinäre Fremdheitsforschung“ (Xenologie), die die Untersuchung des Umgangs mit kultureller Alterität und Fremdheit des Menschen zu ihrer Aufgabe macht. Zugrunde liegt der Xenologie ein Kulturbegriff, der zur kognitiven Anthropologie (siehe 2.3) ebenso auf Distanz geht wie zu dem Geertzschen Ansatz (siehe 2.4). Kultur begreift die Xenologie als ein „sich wandelndes, auf Austausch angelegtes, kohärentes, aber nicht widerspruchsfreies und insofern offenes Regel-, Hypothesen-, Bedeutungs46 Vgl. Müller-Jacquier (1999), S. 96.

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und Geltungssystem, das Gemeinschaft stiftet, sichtbare und unsichtbare Phänomene einschließt und zu dem man in einem spannungsreichen Zugehörigkeitsverhältnis stehen darf.“47 Sie konzentriert sich primär darauf, herauszufinden, wie Fremdheit u.a. in Kulturen und eingegrenzten Diskursen zu einem bestimmten Zeitpunkt definiert wird und inwieweit sich daraus Handlungen ableiten. Fremdheit wird hier als „relationale Größe“ verstanden, bei der die jeweilige Perspektive von entscheidender Bedeutung ist. So formulieren Wierlacher und Albrecht: „Das kulturell Eigene und das kulturell Fremde sind mithin keine Kontrastphänomene, wie oft behauptet wird, sondern wechselseitige Bezugsgrößen. Das Fremde ist somit auch keine objektive Eigenschaft des Bedrohlichen, Fernen, Ausländischen, Nichteigenen, Ungewohnten, Unbekannten, Unvertrauten oder Seltenen. Jemanden oder etwas als ‚fremd‘ zu bezeichnen heißt, ein Verhältnis zu kennzeichnen, in dem sich eine Person gegenüber einer anderen Person, einer Sache oder Situation sieht.“48

Die Xenologie macht es sich damit zur Aufgabe, die Perspektive bzw. den „Blickwinkel“49 zu untersuchen, aus denen heraus „Fremdheit“ konstituiert wird, was die Frage nach der Selbstdefinition, der Identität eines Individuums, einer Gruppe oder Kultur mit einschließt. In dem Moment, in dem etwas oder jemand als „fremd“ bezeichnet wird, werden kulturelle Alteritäten mit einem „Fremdheitsprofil“50 belegt, das aufgrund seines konstruierten Charakters in unmittelbarer Abhängigkeit zu der Beobachterperspektive steht und persönliche wie gruppenspezifische Identität festsetzt. Hier liegen oftmals Stereotypenund Vorurteilsbildung begründet, weshalb sich die Xenologie auf die Untersuchung von deren Funktions- und Wirkungsweisen konzentriert. Grundsätzlich strebt die Xenologie eine „Aufwertung kultureller Varianz“ an, womit gemeint ist, dass Unterschiede nicht als Hindernis angesehen werden. Das Erkennen von Gemeinsamem, so Wierlacher und 47 A. Wierlacher, A. und C. Albrecht (2003): „Kulturwissenschaftliche Xenologie“. In: A. Nünnung/V. Nünning (Hg.): Konzepte der Kulturwissenschaften. Stuttgart, S. 292. 48 Wierlacher/Albrecht (2003), S. 284. 49 Vgl. Wierlacher/Albrecht (2003), S. 294. Siehe auch A. Wierlacher und G. Stötzel (1996): Blickwinkel. Kulturelle Optik und interkulturelle Gegenstandskonstitution, München. 50 Das nach Dietrich Krusche nicht eine „reale“, sondern eine „virtuelle Struktur“ besitzt. D. Krusche (1993): „Die Kategorie der Fremde. Eine Problemskizze“. In: A. Wierlacher (Hg.): Fremdsprache Deutsch. Grundlagen und Verfahren der Germanistik als Fremdsprachenphilologie. Bd.1. München, S. 40-56.

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Albrecht, dürfe nicht dazu führen, dass kulturelle Differenz unbeachtet bleibt: „Es gibt [...] in der Xenologie [...] einen Grundkonsens über ‚die Anerkennung‘ kultureller Fremde, der darin besteht, kulturelle Andersheit nicht bloß als historischen Abstand, sondern als Alternative oder als Pluralität und Mehrwert der Möglichkeiten menschlichen Lebens zu begreifen und zu diesem Zweck aus der tyranny of distance eine ‚Produktivität der Entfernung‘ zu machen. [...] Diese Aufgabe setzt allerdings voraus, dass die Unterschiedlichkeit der regionalen Vorprägungen der Distanzbegriffe bekannt ist und Gemeinsames im Verschiedenen so erkannt wird, dass die Verschiedenheit nicht aufgehoben oder an den Rand gedrängt wird. Dazu wiederum gehört in der realen Kommunikation die Besinnung auf die kulturdifferenten Auffassungen und Bewertungen der Körperlichkeit menschlicher Existenz und die Bedeutung dieser Bewertung für die emotionale Intelligenz und Verhaltenskompetenz der Menschen.“51

Erst im Anschluss an eine Untersuchung der kulturellen Selbstverortung der Beteiligten stellt sich die Frage, wie mit eventuellen Differenzen umgegangen wird und ob diese auf bestimmte Regeln, so genannte „Standards“, zurückzuführen sind.

2.4 Kulturstandards: Kognitive Anthropologie Der Begriff des „Kulturstandards“ geht auf den Begründer der kognitiven Anthropologie, Goodenough, zurück. Das Motiv für diese Richtung innerhalb der Ethnologie war die Hoffnung, diese zu einer exakten, an den formalen Disziplinen orientierten Wissenschaft zu machen. Erste richtungsweisende Arbeiten entstanden in den 50er Jahren und sind in bestimmten theoretischen Grundlagen dem kulturellen Relativismus und dem Sprachrelativismus verpflichtet. Ihre Vertreter verstehen Kultur als das, was man wissen muss, um sich so verhalten zu können, dass die Mitglieder einer Gesellschaft dieses Verhalten als eines der ihren betrachten und sei in ihrer Struktur mit der Grammatik einer Sprache vergleichbar: „[...] a society’s culture consists of whatever it is one has to know or believe in order to operate in a manner acceptable to ist members, and do so in any role that they accept for any one of themselves. [...] a society’s language consists of whatever it is one has to know in order to communicate with its speakers as

51 Wierlacher/Albrecht (2003), S. 286.

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adequately as they do with each other and in a manner which they will accept as corresponding to their own “52

Kultur wird als ein System verstanden, das spezifischen „Regeln“ – einer der zentralen Begriffe zur Untersuchung von gesellschaftsabhängigem Wissen – unterworfen ist, und das allen Mitgliedern einer Gesellschaft gemeinsam ist. 53 Goodenough prägte den Begriff des „Kulturstandards“ wie folgt: „Culture [...] consists of standards for deciding what is, standards for deciding what can be, standards for deciding how one feels about, standards for deciding what to do about it, and standards for deciding how to go about doing it.“54

Die Konzeption des Kulturbegriffs ist analog zum strukturalen Sprachbegriff konstruiert, ebenso wie sich die analytischen Verfahren an der Linguistik orientieren. Kultur ist demnach nicht sichtbar, sondern spielt sich ausschließlich in den Köpfen von Personen als Denkkategorien ab. „Cognition“ ist mit Kultur gleichgesetzt und wird als der wesentliche Untersuchungsgegenstand betrachtet. Hiervon werden materielle Phänomene, die als beobachtbare Phänomene und Objekte existent sind, als nicht kulturelle Kategorien, die aber von kulturellen Kategorien abhängig sind, unterschieden. Eines der wesentlichen Probleme der Kognitiven Anthropologie ist, dass kulturelles Wissen weitaus vielfältiger und komplexer ist als das sprachliche Wissen. Aus diesem Grunde konnten Analogien zur Linguistik nur für bestimmte, relativ beschränkte Bereiche geschaffen werden.55

52 W.H. Goodenough (1957): „Cultural Anthropology and Linguistics“. In: P.L. Garvin (Hg.): Report of the Seventh Annual Round Table Meeting on Linguistics and Language Study. Georgetown University Monograph Series on Language and Linguistics 9, Washington, S. 167 f. 53 W.H. Goodenough (1957), S. 167 f. und J.P. Spradley (1972): Context and Meaning in Cultural Anthropology, San Francisco, S. 19 f. 54 W.H. Goodenough (1963): Cooperation in Change: An Anthropological Approach to Community Development, New York, S. 258 f. 55 Entsprechend lautete die frühe Kritik an der Kognitiven Anthropologie: Dass nämlich analog zu linguistischen Grundeinheiten entwickelte ethnologische Grundeinheiten zweifelhaft seien, könnten sie doch die Komplexität kultureller Phänomene nicht erfassen. Vgl. A.L. Kroeber und C. Kluckhohn (1952): „Culture: A Critical Review of Concepts and Definitions“. Papers of the Peabody Museum of American Archeology and Ethnology XLVII, 1, Cambridge.

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Der Vorteil, den die Kognitive Anthropologie aber ohne Zweifel bietet, ist die klare und übersichtliche Strukturierung des Forschungsablaufs in „emic units“ auf der Objektebene und „etic units“ auf der Metaebene. Obwohl die Kognitive Anthropologie innerhalb der Ethnologie eigentlich obsolet geworden ist und man sich im „offiziellen“ Wissenschaftsdiskurs für die interpretative Ethnologie entschieden hat, von deren Vertreter vor allem Geertz zu nennen wäre, erfreut sich das Konzept von „Regeln“ und „Kulturstandards“ vor allem im Bereich der „Interkulturellen Kommunikation“ nach wie vor besonderer Beliebtheit. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Der Gedanke, allgemeingültige „Standards“ einer Kultur herausfiltern zu können, macht es möglich, Handlungsweisen von Akteuren als von der jeweiligen Primärkultur gesteuert zu erklären und scheint wiederum Angehörigen anderer Kulturen den Zugang zu einer ihnen fremden Lebenswelt durch gezieltes Lernen zu bieten.56 Probleme, Missverständnisse usw., die nach diesem Konzept aufgrund von Kulturdistanz entstehen (müssen), erscheinen somit prognostizierbar.57

56 Herausragende Vertreter der Kulturstandardtheorie sind heute u.a. Alexander Thomas, Geert Hofstede und Fons Trompenaars. Thomas definiert Kulturstandards wie folgt: „Kulturstandards sind für Gruppen, Organisationen und Nationen typische Orientierungsmaßstäbe des Wahrnehmens, Denkens und Handelns. [...] ein Kulturstandard [legt] den Maßstab dafür fest, wie Mitglieder einer bestimmten Kultur sich zu verhalten haben, wie man Objekte, Personen und Ereignisabläufe zu sehen, zu bewerten und zu behandeln hat.“ A. Thomas (1991): Kulturstandards in der interkulturellen Begegnung, Saarbrücken, S. 5. Er betont weiterhin: „Kulturstandards sind [...] kein starrer, festgeschriebener Regelkanon. Es sind Selbstverständlichkeiten, Leitlinien gesellschaftlichen und sozialen Handelns, die im Laufe der Sozialisation des Individuums in die Gesellschaft hinein erlernt werden.“ A. Thomas E. Schenk (2001): Beruflich in China. Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte, Göttingen, S. 14. 57 Vgl. beispielsweise A. Thomas (1993): „Psychologie interkulturellen Lernens und Handelns“. In: A. Thomas (Hg.): Kulturvergleichende Psychologie, Göttingen, S. 377-424 sowie A. Thomas/E. Schenk (1996a): Interkulturelles Orientierungstraining für chinesische Fach- und Führungskräfte zum Umgang mit deutschen Partnern, Heidelberg. Außerdem A. Müller/A. Thomas (1991): Interkulturelles Orientierungstraining für die USA. SSIP Bulletin 62, Saarbrücken. Dazu auch T. Harnisch (1996): „Konstanz und Wandel von Wertvorstellungen in der Interaktion mit Ausländern am Beispiel Chinas“ . In: A. Thomas (Hg.): Psychologie interkulturellen Handelns, Göttingen. S-137-146. Zur Kritik an dieser Methode siehe L.H. Eckensberger (1996): „Auf der Suche nach den (verlorenen?) Universalien hinter den Kulturstandards“. In: A. Thomas (Hg.): Psychologie interkultu-

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Auf eines der Probleme der methodischen Anwendung der Kognitiven Anthropologie verweist Moosmüller: „Die Erschließung der allgemeingültigen Standards einer Gesellschaft ist problematisch, da sie sich zumindest mit vertretbarem Forschungsaufwand kaum als empirische Realität nachweisen lassen, und letztlich eben doch im Kopf des Ethnologen konstruiert werden.“58

Zudem führe die Annahme der gegenseitigen „Attribuierung“ eigener Kulturstandards auf das Gegenüber als Ursache für interkulturelle Missverständnisse dazu, dass in interkulturellen Kommunikationssituationen zwingend Missdeutungen und Probleme produziert werden müssten. Gegenseitiges Verstehen wird ausgeklammert und die Akteure sind demnach letztlich nicht in der Lage, über den eigenen kulturellen Schatten zu springen.59

rellen Handelns, Göttingen u.a. S. 165-197 und auch B. Krewer (1996): „Kulturstandards als Mittel der Selbst- und Fremdreflexion in interkulturellen Begegnungen“. In: A. Thomas (Hg.): Psychologie interkulturellen Handelns, Göttingen, S. 147-164. Zusammenfassend meint Kammhuber: „Kulturstandards sind nicht mehr und nicht weniger als konstruierte Etiketten für Phänomenbündel, die in interkulturellen Situationen auftreten und dienen als ‚Mittel der Selbst- und Fremdreflexion‘ in solchen Begegnungen. Sie sind also Werkzeuge, die eine Person als Orientierungshilfe an eine kulturelle Überschneidungssituation herantragen kann. Sie besitzen allerdings keine Starrheit, [...] sondern verändern sich mit ihrem Gebrauch in dem Maße, in dem sie mit Erfahrungen angereichert werden.“ S. Kammhuber (1998): „Kulturstandards in der interkulturellen Kommunikation: Grobe Klötze oder nützliche Denkgriffe?“ In: I. Jonach (Hg.): Interkulturelle Kommunikation. München, Basel, S. 50. Kulturstandards dienen vor allem der Hilfestellung in interkulturellen Begegnungen, die sie sicherlich leisten können. Allerdings erscheint es schwierig, zwischen Stereotyp und Kulturstandard unterscheiden zu können, da sie ähnliche Funktionen (Orientierungshilfe; Strukturierung komplexer Inhalte; identitätsstiftend) übernehmen. Das gern und viel zitierte Beispiel vom chinesischen Harmoniestreben oder „Gesicht wahren“ als besonders eingängige Beispiele für Kulturstandards erscheinen zweifelhaft, da sie erstens nicht für alle Generationen in gleichem Maße gelten, zweitens keineswegs grundsätzlich, sondern in hohem Maße kontextabhängig sind (und damit nicht mehr als „Standard“ bezeichnet werden können), drittens milieuabhängig sind und sich viertens nicht auf den chinesischen Kulturraum beschränken. In diesem Fall erscheint es mir deshalb sinnvoller, von Stereotypisierungen zu sprechen. 58 A. Moosmüller (1997): „Kulturen in Interaktion. Deutsche und US-amerikanische Firmenentsandte in Japan“. In: Münchner Beiträge zur Interkulturellen Kommunikation Bd. 4, Münster, S. 19 ff. 59 Vgl. die Ausführungen Moosmüllers (1997), S. 19-22.

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2.5 Interpretative Anthropologie In der Ethnologie hat sich, wie weiter oben erwähnt, ein Kulturbegriff durchgesetzt, auf den u.a. Clifford Geertz wesentlich eingewirkt hat. Er nennt Kultur ein „selbstgesponnenes Bedeutungsgewebe“, in das Menschen verstrickt sind. Die Aufgabe der Ethnologie sei aus diesem Grunde nicht die Suche nach Gesetzen, sondern vielmehr die interpretierende Suche nach Bedeutung.60 Die Herausarbeitung von Bedeutungsstrukturen durch „dichte Beschreibung“ meint bei Geertz die Erfassung einer „Vielfalt komplexer, oft übereinandergelagerter oder ineinander verwobener Vorstellungsstrukturen, die fremdartig und zugleich ungeordnet und verborgen sind“ und die im ersten Schritt irgendwie erfasst werden müssen.61 Da das Erheben und Strukturieren von „Daten“ aber unvermeidlicherweise nicht frei von Vorinformationen geschieht und damit schon im Voraus Aussagen gefällt würden, steht vor jeder Untersuchung die Interpretation. Aus diesem Grund sei die wesentliche Aufgabe einer ethnologischen Interpretation „der Versuch, den Bogen eines sozialen Diskurses nachzuzeichnen, ihn in einer nachvollziehbaren Form festzuhalten“62, wobei ein Absolutheitsanspruch, die (einzig) wahrhaftige Interpretation von Bedeutung und Wirklichkeit gefunden zu haben, unhaltbar ist. Kultur versteht Geertz als die in einen Kontext eingebetteten „Handlungen“ ihrer Beteiligten und müsse deshalb innerhalb des Kontextes beschrieben werden. Eine Heraustrennung ihrer Bestandteile und deren Analyse sei, so wie es Goodenough vorschlägt, unmöglich und wird als „kognitivistischer Irrtum“ bezeichnet. Geertz’ Schritt zu einer allgemeinen Hermeneutik, die den Menschen nicht mehr als ethnologisches „Menschenmaterial“ 63 ansieht, sondern die „Objekte“ der ethnologischen Forschung als Interpreten ernst nimmt, hat damit Sinngebung und Sinnauslegung des Forschers wie auch der Erforschten in den Fokus gerückt. Die Erforschten sollen so aus der Rolle des passiven Objektes herausgehoben und die Inszenierung und Konstruierung dessen, was als wissenschaftlich abgesicherte Wahrheit vermittelt wird, relativiert werden. Geertz sensibilisiert also für die Problematik der Repräsentation, allerdings führt die Reduzierung sozialer Phänomene auf Text, also der 60 C. Geertz (1987): Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur, Frankfurt/M., S. 9. 61 Geertz (1987), S. 15. 62 Geertz (1987), S. 28. 63 Von dem Firth 1936 spricht. Zit. nach Geertz (1990), S. 18.

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Idee, Handlung mit Text gleichzusetzen und dadurch eine Distanzierund Objektivierbarkeit zu erreichen, dazu, dass der Umgang mit gesellschaftlichen Diskursen und Repräsentationen vernachlässigt wird.64 Die Metapher „Kultur als Text“, so Böhme, Matussek und Müller, führe zum einen leicht zu methodologischen Aporien, zum anderen stellen sie fest, dass „wer Film, Tanz, Theater, Ritual, Performance, Musik, bildende Künste, mithin die Formen kultureller Praxis insgesamt dem Modell der Lektüre subsumiert, bezahlt dafür mit Differenzierungsverlusten: Die je spezifischen Bedeutungspotentiale der einzelnen Künste oder kulturellen Praktiken werden nicht mehr wahrgenommen.“65

Außerdem liegt diesem Kulturverständnis nicht nur ein semiotischer, sondern, wie der Kulturstandardtheorie auch, ein holistischer Grundgedanke von Kultur zugrunde. Nicht berücksichtigt werden „zentrale Momente des sozialen Handelns und der kulturellen Erfahrung: Situationsabhängigkeit, Intentionalität, Mündlichkeit, die Dynamik kultureller Handlungen und Konfliktverläufe, die Prozesshaftigkeit performativer Ereignisse, die geschlechtsspezifische Differenzierung von Kulturbedeutungen sowie die dialogische Hervorbringung von Kultur.“66

So erfüllt Geertz nicht den selbst erhobenen Anspruch, mit den anderen „in ein Gespräch“ einzutreten, sondern richtet sich ausschließlich an ein Publikum eigener Provinienz, womit er Ethnographie im Malinowski’schen Sinne letztlich fortführt.67 64 Vgl. die Kritik von Fuchs (2001), S. 24 f. Siehe auch J.P. Waghorne (1984): „From Geertz’s Ethnographie to an Ethnotheology? “ In: R.L. Moore u.a. (Hg.): Anthropology and the Study of Religion, Chicago, S. 31-55. 65 H. Böhme/P. Matussek/L. Müller (2000): Orientierung Kulturwissenschaft. Was sie kann, was sie will, Reinbek bei Hamburg, S. 136. 66 D. Bachmann-Medick (2003): „Kulturanthropologie“. In: A. Nünning/V. Nünning (Hg.): Konzepte der Kulturwissenschaften, Stuttgart, S. 90. 67 „Geertz verweigert – und das Paradigma der Texthermeneutik erlaubt dies – eine Objektivierung seiner eigenen Partizipation. Seine Theorie der Inter-pretation reproduziert die Struktur des Objektivismus, sein Verständnis der hermeneutischen Tätigkeit droht sich auf formale Methodologie zu reduzieren, die nicht in der realen Konfrontation zwischen Subjekt und Objekt verankert ist.“ Fuchs (1993), S. 61 f. So fehlt beispielsweise in der Beschreibung des balinesischen Hahnenkampfes fast jegliche Bezugnahme auf den Erzähler selbst, der – bis auf unwesentliche Einschübe, die daran erinnern, dass er „da war“ – scheinbar unsichtbar das Treiben kommentiert. Auf die Funktion solcher literarischer Kunstgriffe, die Autorität

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Das bedeutet jedoch nicht, dass das Geertz’sche Konzept obsolet wäre. Vielmehr ist es um den Foucault’schen Diskurs-Ansatz sowie um ein neues Verständnis von Dialogizität und Polyphonie erweitert worden.68 Statt einer idealisierten Austauschbeziehung und dem Anspruch, „für“ die anderen zu sprechen, wird angestrebt, den Umgang der Akteure mit gesellschaftlichen Diskursen und Repräsentationen in den Vordergrund zu rücken. Die Entwicklung der Interaktion zwischen Forscher und Beteiligten wird verfolgt und zu einem Teil des Forschungsprozesses gemacht, wobei durch stete Reflexion des Kommunikationsprozesses vor Ort wie auch der anschließenden auswertend-interpretierenden Arbeit die Sichtweise des Forschenden relativiert werden muss. So soll den verschiedenen „Stimmen“, aus denen sich die Repräsentation als Ergebnis einer Forschung zusammensetzt, mehr Gewicht eingeräumt werden, ohne dass der mit einiger Wahrscheinlichkeit ohnehin nicht einzuhaltende Anspruch nach „Gleichheit“ kritisch hinterfragt wird. Kultur wird damit als ein „Mit-, Neben- und Gegeneinander verschiedener Positionen und Stimmen“69 gesehen, was den Forschenden einerseits verstärkt in die Pflicht nimmt, Nachvollziehbarkeit und Reflexivität seines Arbeitens als Maxime an erste Stelle zu setzen, ihn aber auch davon entlastet, möglicherweise nicht funktionierende Interaktionen als gescheiterten Teil einer Forschung zu betrachten (und vielleicht zu verschweigen) und diesen statt dessen als wichtigen und erkenntnisreichen Teil mit einzubeziehen. Sinn und Sinngebung sind demnach in den Handlungen und Interaktionen zu suchen, ihre Interpretationen sind immer vor dem Hintergrund möglicher anderer Deutungsweisen zu verstehen. Kultur muss als etwas Undeterminiertes betrachtet werden, das sich erst in einer konkreten Situation erschließt und erst nachträglich und aus der Retrospektive der Beteiligten respektive des Forschers Struktur erhält. Hier kann letztlich auch die Ethnographie ihre Vorzüge und Stärken zur Geltung bringen: Prozesse, Machtstrukturen, Diskurse und Strategien können aus den konkreten Situationen heraus und in ihren jeweiligen Zusammenhängen betrachtet und beschrieben werden. Subjektivität wird hierbei immer eine wesentliche Rolle spielen. Das Streben nach Objektivierung, wie des Anthropologen zu begründen, hat Geertz selbst hingewiesen. Siehe auch Clifford, J. (1993 a): „Über ethnographische Autorität“. In: M. Fuchs/E. Berg (Hg.): Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation, Frankfurt/M. S. 109-157 sowie J Clifford (1993 b): „Über ethnographische Allegorie“. In: M. Fuchs/E. Berg (Hg.): Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation, Frankfurt/M. S. 200-239. 68 Siehe u.a. Clifford (1996). 69 Fuchs (2001), S. 29.

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sie noch Lowie, Linton, Radcliffe-Brown und andere durch eine Reduzierung oder sogar ein Heraushalten der Person des Forschers als Unsicherheitsfaktor anstrebten, erscheint zweifelhaft. Vielmehr wird die subjektive, perspektivische Sicht des Forschenden thematisiert und dadurch zu einer besonderen Stärke der „Daten“-Erhebung ausgebaut, denn, so meint Den Hollander: „‚Wissenschaftliche Tatsachen‘ an und für sich gibt es nicht. Keine ‚Tatsache‘ ist jemals ‚rein‘ und ‚objektiv‘. Tatsachen sind nicht einfach ‚gegeben‘, bringen niemals ihren Sinn und ihre Interpretation selbst mit. Man kann sie nicht ohne weiteres aufgreifen oder entdecken. Sie sind immer Konstruktionen, von unserem Geist isoliert, aus einer sehr komplexen und zunächst verworrenen Wirklichkeit durch die Anwendung von Definitionen und Klassifikationen, die wir selbst gemacht haben [...].“70

Zum Maßstab darf demnach nicht Objektivität, sondern muss vielmehr Nachvollziehbarkeit der Interpretation erhoben werden. Reflektiert der Beobachter nicht die ihm eigene Perspektive, werden Untersuchungsergebnisse als Tatsachen dargestellt, ohne das deutlich wird, inwieweit persönliche Sichtweise, Meinung und damit immer auch Wertung ihren Niederschlag finden.71 Eines der Probleme, das hiermit zusammenhängt und dem sich eine ethnographische Repräsentation zu stellen hat, ist die des „Othering“. Die „Anderen“ sind nicht einfach gegeben, sondern sie werden gemacht, indem wir uns selbst bestimmen. Neben den Leuten auf Truk, den Trobiandern, den Balinesen usw. steht das Ich des Forschers – genannt oder ungenannt – oftmals stillschweigend in Komplizenschaft zu den zukünftigen Lesern, um diesen den „fremden“ Lebenskontext nahe zu bringen und um den eigenen Horizont zu erweitern. Die dialogische Form, wie sie inzwischen in zahlreichen anthropologischen Arbeiten Eingang gefunden hat, als Auflösung dieser Problematik aufzufassen, erscheint jedoch ungenügend: Eine dialogische Darstellung wird nicht die grundsätzlichen Probleme der Repräsentation auflösen, da die Kontrollmacht, 70 A.N.J. Den Hollander (1965): Soziale Beschreibung als Problem. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 17, S. 223. 71 Wie unterschiedlich Beurteilungen (nicht nur in der Anthropologie) ausfallen können, zeigen beispielsweise die Darstellungen Benedicts, Thompsons und Josephs über die Pueblo-Gemeinschaft, die Bennett als „organische Theorie“ beschreibt und die Ausführungen zum gleichen Gegenstand von Eggan, Goldfrank, Titiev und Bunzel, deren differierenden Ansatz Bennett als „repressive Theorie“ benennt. Siehe J.W. Bennett (1946): The Interpretation of Pueblo Culture: A Question of ValueS. Southwestern Journal of .Anthropology 2, S. 361-374. Bennett führt die Unterschiede auf die verschiedenen Wertorientierungen der Autoren zurück.

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z.B. in Form der Gesprächsorganisation, nach wie vor bei dem Ethnographen verbleibt.72 Nicht zuletzt aus dieser Problematik des „Othering“ heraus, ist eine Verschiebung von der Metapher „Kultur als Text“ hin zu einem Verständnis von Kultur als „konfliktreicher Prozess des Aushandelns (von Differenzen, die damit nicht länger als Wesensunterschiede festgeschrieben werden)“ zu beobachten.73

2.6 Erforschung von Arbeit Wenn auch die Erforschung von Arbeitsfeldern immer schon ein Aufgabengebiet der Kulturwissenschaften war, so wenden sie sich doch insbesondere in den letzten Jahren verstärkt diesem Bereich zu.74 Dies wohl vor allem aufgrund von unmittelbar beobachtbaren Transformationsprozessen in der Arbeitswelt, zu der auch Entwicklungen wie Globalisierung und erhöhte Mobilität gehören. In Disziplinen wie Arbeitssoziologie, Industrie- und Betriebsoziologie widmet man sich zwar der Erforschung von Arbeit, doch fehlen hier ethnographische Ansätze, welche die Arbeitswelt als „Ganzheit“75 erfassen wollen.76 Seit den 1970er Jahren setzt man sich auch aus kulturwissenschaftlicher Perspektive verstärkt mit der Analyse größerer Betriebe und Organisationen auseinander, wobei Identität, Lebensstil und Arbeit miteinander in Bezug gesetzt werden. Waren es beispielsweise in der Volkskunde zunächst Arbeiterkulturen, denen das besondere Augenmerk galt, gesellte sich im Laufe der letzten zehn Jahre die Angestellten-Kulturforschung hinzu, die zunächst historisch ausgerichtet blieb, sich inzwischen aber auch dem Innenleben, also den Arbeitsprozessen selbst, zuwendet.77

72 Vgl. P. Rabinow (1999): „Repräsentationen sind soziale Tatsachen. Moderne und Postmoderne in der Anthropologie“. In: E. Berg/M. Fuchs: Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation, Frankfurt/M., S. 158-199. 73 Bachmann-Medick (2003), S. 96. 74 Einen Überblick bietet B. Lauterbach (1998): „Die Volkskunde und die Arbeit. Rückblick und Vorschau“. In: I. Götz/A. Wittel (Hg.): Arbeitskulturen im Umbruch, München, S. 19-34. 75 Wobei „Ganzheit“ nicht mit einem holistischen Ansatz verbunden sein muss, sondern das Ganze eines Unternehmens zur punktuellen Forschungssituation in Bezug gesetzt wird. 76 I. Götz I./A. Wittel (1998): Arbeitskulturen im Umbruch, München. 77 So wurde die ehemalige Sektion „Arbeiterkultur“ 1998 in die neue Sektion „Arbeitskulturen“ umbenannt.

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Hierbei kann auf Arbeiten aus dem anglikanischen Sprachraum zurückgegriffen werden, wo sich die Auseinandersetzung mit Organisationen schon seit den 1940er Jahren etabliert hat.78 Mit der Erweiterung des Themenfeldes Arbeit von „Arbeiterkultur“ hin zu „Arbeitskultur“ wodurch „Unternehmens-“ und auch „Belegschafts-“ oder „Angestelltenkultur“ in den Fokus rücken, sind neue Herausforderungen für die Forschenden verbunden: von einem „research down“, einer Situation, in welcher der Ethnograph einen „hohen“ Status innehatte und „nach unten“ blickte, zu einem „Research Up“79, in dem der Forscher sich in einem Kontext wiederfindet, in dem er „unten“ steht, in denen er Spezialisten gegenübersteht, die u.U. über ein höheres Maß an Bildung, sozialem Status, usw. verfügen. Im Bereich der Erforschung von Arbeit lässt sich an die Ergebnisse der Volkskunde anbinden, die sich im wesentlichen durch einen weiten Kulturbegriff, die Berücksichtigung historischer Tiefendimension, Einbettung von Organisationen in regionale und lebensweltliche Kontexte sowie Beachtung und Analyse der Wechselwirkungen von gesellschaftlichen und arbeitsweltlichen Formen charakterisiert und von anderen Forschungen unterscheidet. Transkulturelle Kommunikation setzt sich in erster Linie mit der Interaktion zwischen Personen auseinander, muss dabei aber immer auch das jeweilige Umfeld mit berücksichtigen. Die jeweiligen Akteure dürfen nicht isoliert gesehen werden oder nach einer nicht weiter untersuchten kulturellen Zugehörigkeit („der Chinese“, „der Deutsche“) beurteilt werden. Vielmehr ist es unerlässlich, das (gemeinsame) Umfeld der Akteure mit einzubeziehen, um so Argumentationen, Sichtweisen, Selbstund Fremdeinschätzungen, etc. in den jeweils vorhandenen Kontext einbinden zu können: Der Arbeitsplatz als Ort, an dem Menschen verschiedener Sprachen, ungleichen Alters, unterschiedlicher Prägung usw., zusammenkommen und gemeinsam gleiche oder zumindest ähnliche Ziele verfolgen, woraus sich eine eigene „Kultur“ bildet: eine Kultur der Arbeitswelt, eine „Unternehmenskultur“. Dem Begriff der „Unternehmenskultur“, in den 1990er Jahren ein beliebtes Schlagwort der Managementliteratur, der auch auf einen „cultural turn“ der Wirtschaftswissenschaften verweist, kommt in dieser Arbeit eine wesentliche Bedeutung zu. Im Unterschied zu den eher traditi78 Wie beispielsweise die Industrial Ethnology. 79 Zur Entstehung der Begrifflichkeiten siehe Bachmann (1998): „Der Belegschaftskultur-Ansatz und die Links-Volkskunde. Ein Blick zurück nach vorn“. In: I. Götz/A. Wittel (Hg.): Arbeitskulturen im Umbruch, München. S. 39ff.

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onellen Feldern z.B. der Kulturwissenschaften ist Unternehmenskultur dadurch geprägt, dass Akteure in der Regel nur für eine bestimmte, festgelegte Zeit an ihr teilhaben und Verbindlichkeit damit in geringerem Maße ausgeprägt ist.80 Machtverteilung und soziale Position sind relativ klar zugeordnet und entweder durch „oben“ und „unten“ wie Irene Götz feststellt oder, schwieriger, nach Schiffauer durch „innen“ und „außen“ beschreibbar. 81 Aus kulturwissenschaftlicher Sicht ist ein Unternehmen „ein mit Hilfe qualitativer Feldforschungsmethoden beschreibbares gesellschaftliches Subsystem, in dem Arbeitsnormen gesetzt, Berufsprofile vermittelt, Wertvorstellungen und habitualisierte Verhalten gepflegt sowie offizielle Sinnkonstrukte, z.B. das Corporate Image, zur symbolischen Überhöhung der betrieblichen Wirklichkeit mittels Arbeitsordnungen, Werbebroschüren, Hauszeitungen und anderem entwickelt werden. Dies alles geschieht in der stetigen Auseinandersetzung mit der außerbetrieblichen Welt, die in einer Wechselbeziehung mit der Betriebskultur steht.“82

So sind, wie Götz feststellt, Betriebe als „ein kulturelles System“ zu sehen, da „kulturelle Ausdrucksformen die alltägliche Arbeitswelt bestimmen“. 83 Ein Unternehmen als „kulturelles System“ zu benennen, gleicht aber mehr einer Arbeitshypothese – einer Hypothese, die in diesem Falle von der Perspektive des Forschenden bestimmt ist, jedoch weit davon entfernt ist, einen Absolutheitsanspruch erheben zu wollen, die sich aber beispielsweise durch das Selbstverständnis der Akteure als Mitglieder einer besonderen (angeblichen oder tatsächlichen) Unternehmenskultur bestätigt sehen kann. Für die Untersuchung transkultureller Situationen von Deutschen und Chinesen in Organisationen bedeutet dies, dass die Sicht des Einzelnen auf das kulturelle Bezugssystem Arbeitsplatz zu berücksichtigen ist. Hierzu gehören innerbetriebliche (innerhalb der Arbeitszeiten), außerbetriebliche (außerhalb der Arbeitszeiten aber in direktem Bezug zur Arbeit stehend: z.B. Betriebsessen, Betriebssport, Aktivitäten mit Kollegen, 80 Vgl. Götz/Wittel (1998), S. 69. 81 Götz verweist in diesem Zusammenhang auf die von Schiffauer konstatierte Schwierigkeit, Macht in der „späten postmodernen zwei-Drittel-Gesellschaft“ zuzuordnen, da sich diese eher über Teilhaberschaft bestimme. Götz (1998), S. 69 f. und W. Schiffauer (1996): „Die Angst vor der Differenz. Zu neuen Strömungen in der Kulturanthropologie“. In: Zeitschrift für Volkskunde 92, S. 20-31. 82 Götz (1998), S. 61. 83 Siehe Götz (1998), S. 61f.

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etc.) sowie private Beziehungen und Verhältnisse, die sich unmittelbar auf die Wahrnehmung des Arbeitsplatzes auswirken (wie Wohnort, Familienverhältnisse, Gesundheit usw.). Lauterbach teilt „Arbeitskultur“ in sechs Elemente auf, die hilfreich für die Strukturierung eines Forschungsprozesses sind: Arbeitswege84 , Orte 85 (Wohnort und Arbeitsort), Bauten 86 , Räume und Plätze 87 , Ordnungen 88 (wie Arbeitsorganisationen, technische Ausrüstung etc. aber auch Arbeitszeiten, Verdienst, Position usw.) sowie Taten (Arbeitsabläufe). Die Trennung dieser Bereiche dient, darauf weist Lauterbach ausdrücklich hin, analytischen Zwecken. Das Ziel einer Forschung aber, die sich mit Arbeitskultur auseinander setzt, müsse in der Darstellung der Zusammenhänge bestehen. Obwohl es in dieser Arbeit nicht um die Beschreibung eines einzelnen Betriebes, sondern vielmehr um die Auseinandersetzung mit der Interaktion zwischen seinen Mitarbeitern geht, können diese Konzepte hilfreich zur Systematisierung des Forschungsablaufes beitragen und helfen, die Lebenswelten, in denen sich die Akteure bewegen, zu erfassen. Zudem erscheint so die Erfüllung eines wesentlichen ethnologischen Anspruches möglich zu sein, nämlich mikroanalytische, anhand von konkreten Einzelbeispielen gewonnene ethnographische „Daten“ in Bezug zum makrogesellschaftlichen Kontext zu setzen. An dieser Stelle muss nochmals auf den Kulturbegriff bzw. den der Unternehmenskultur verwiesen werden. Mit der Erforschung der Unter84 Siehe u.a. G. Bayerl/T. Meyer/S. Tetzlaff (1995): „Arbeitswege – Facetten und Perspektiven eines vernachlässigten Themas“. In: A. Kuntz (Hg.): Lokale und biographische Erfahrungen. Studien zur Volkskunde, Münster, New York. S. 59-76. 85 Beispielsweise R.E. Mohrmann (1995): „Raumerfahrung und Raumaneignung in frühneuzeitlichen Städten aus ethnologischer Sicht“. In: Kunz (Hg.): Lokale und biographische Erfahrungen. Studien zur Volkskunde, Münster, S. 25-32. 86 Etwa H.G. Schmeling (1973): Wohnen und Arbeiten im ländlichen Wohnhaus des mittleren Rheinlandes, Bonn. Oder auch P. Assion und R.W. Brednich (1984): Bauernhäuser in Baden Württemberg. Bauen, Wohnen und Leben im Dorf, Stuttgart wie auch U. Drepper (1991): Das Werktor. Architektur der Grenze, München. 87 H.J. Fritz (1982): Menschen in Büroarbeitsräumen. Über langfristige Strukturwandlungen büroräumlicher Arbeitsbedingungen mit einem Vergleich von Klein- und Großraumbüros, München. 88 Siehe P. Fridenson (1995): „Herrschaft im Wirtschaftsunternehmen. Deutschland und Frankreich 1880-1914“. In: J. Kocka (Hg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. Eine Auswahl. Bd. 2: Wirtschaftsbürger und Bildungsbürger, Göttingen. S. 65-91.

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nehmenswelt, die, wie Irene Götz konstatiert, ein eigenes „kulturelles System“ darstellt, ist für den Forschenden ein Entfremdungseffekt verbunden: Die Welt des jeweiligen Betriebes ist ihm in der Regel weitgehend unbekannt, die Praktiken, Ordnungen, Symbole, usw. zunächst unverständlich. Der Forschungs- und Verstehensprozess selbst wird damit zu einem Teil „transkultureller“ Herausforderung, die sich ganz gewiss nicht auf die Interaktion mit chinesischen Akteuren beschränkt, sondern ebenso für die Situation von deutschem Mitarbeiter und deutschem Forschenden Gültigkeit besitzt. Trotzdem bleibt die prinzipielle Notwendigkeit bestehen, eventuelle Solidaritätsbekundungen aufgrund von Zugehörigkeit des Forschenden zu einer Gruppe – je nachdem, wie sich diese konstituiert – durch (Selbst-)Reflexion zu thematisieren. Das Problem des „othering“ kann sich in diesem Falle auch als Möglichkeit, ja als Chance erweisen, Zusammenhänge zu erkennen, die für diejenigen, die in ihrem Bedeutungsgewebe „verstrickt“ sind, nicht offenkundig sind.

2.7 Wissen, Sinn und Identität Erinnerung, so Halbwachs, wird durch den sozialen Rahmen, die Menschen, die eine Person umgeben, bestimmt. Dieser soziale Rahmen bildet die Voraussetzung für die Bildung kollektiver Phänomene, wie z.B. Sprache, aber auch zur Bildung des eigenen, individuellen Gedächtnisses. Erst durch das Miteinander von Menschen, aber auch durch den Zugriff auf Medien, werden Wissen, Vorstellungen und Erfahrungen vermittelt und geordnet. Nach Halbwachs bleibt dem schon immer von anderen Menschen isolierten Individuum, wie beispielsweise Caspar Hauser, der Zugriff nicht nur auf kollektives Wissen, sondern auch auf das eigene Gedächtnis verwehrt, da Erfahrung und die Entwicklung von Sinnwelten in der Regel nur in einer sozialen Gruppe entstehen können. Kollektive Gedächtnisse dienen nach Halbwachs in erster Linie der Identitätsbildung einer Gruppe, die über kollektive Erinnerung die Zugehörigkeit des Einzelnen bestätigt und das erinnert, was den Interessen der Gruppe und ihrem Selbstbild dient.89 Das kollektive Gedächtnis ist nicht einfach übertragbar, sondern ist an Gruppenzugehörigkeit, die es damit bezeugt, gebunden. „Identitätskonkret“ nennt dies Assmann, womit gemeint ist, dass eine Gruppe nicht nur die eigene Vergangenheit reproduziert, sondern dadurch, affektiv und wertebesetzt, die Gruppe selbst definiert. Außerdem ist es raum- und zeitkonkret, was jedoch 89 Vgl. A. Erll (2003): „Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen“ . In: A. Nünning/V. Nünning: Konzepte der Kulturwissenschaften, Stuttgart, Weimar. S. 158 ff.

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nicht bedeutet, es wäre geographisch oder historisch festgelegt, sondern vielmehr, dass zeitliche und räumliche Zuordnungen ebenso wie die Dingwelt sozial manifestiert werden. „Jede Gruppe, die sich als solche konsolidieren will, ist bestrebt, sich Orte zu schaffen und zu sichern, die nicht nur Schauplätze ihrer Interaktionsformen abgeben, sondern Symbole ihrer Identität und Anhaltspunkte ihrer Erinnerung.“90

Das Gedächtnis ist damit nicht allein auf Vergangenes gerichtet, sondern übernimmt ebenso die Organisation von Gegenwart und Zukunft. Im Anschluss an die Theorie Halbwachs’ eines „mémoire collective“, nach der jegliche persönliche Erinnerung ein kollektives Phänomen sei und seine Ausweitung dieser Theorie auf kulturelle Überlieferung und Traditionsbildung, haben Aleida und Jan Assmann den Begriff des „kulturellen Gedächtnisses“ geprägt. „Kollektives Gedächtnis“ als Oberbegriff wird in „kommunikatives“ und „kulturelles Gedächtnis“ unterteilt91: Das kommunikative Gedächtnis bezieht sich auf Erinnerungen, die der Mensch mit seinen Zeitgenossen gemeinsam hat und zeichnet sich u.a. durch Lebendigkeit und affektive Betroffenheit aus, die nicht der Erinnerung, sondern den Gruppenzielen im Bewusstsein eigener geschichtlicher Gemeinsamkeit respektive Besonderheit dient.92 Das kulturelle Gedächtnis wird verstanden als den in „[…] jeder Gesellschaft und jeder Epoche eigentümlichen Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und Riten, in deren ‚Pflege‘ sie ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt, ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewusstsein von Einheit und Eigenart stützt.“93

Es ist mit dieser „Pflege“ also auf Institutionalisierung und genaue Einweisung, eine kulturelle „Mnemotechnik“94 angewiesen, die „einerseits

90 J. Assmann (2000): Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München., S. 39. 91 J. Assmann (1988): „Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität“. In: J. Assmann und T. Hölscher (Hg.): Kultur und Gedächtnis, Frankfurt/M., S. 15. 92 Vgl. J. Assmann (2000), S. 64 ff. 93 J. Assmann (1988), S. 15. 94 J. Assmann (2000), S. 89.

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auf Pflicht zur Teilhabe dringt und andererseits das Recht auf Teilhabe vorenthält.“95 Identität ist damit an Gedächtnis und Erinnerung gebunden, wobei Assmann zwischen „kollektiver“, „personaler“ 96 und „individueller Identität“ differenziert. Kollektive und personale Identität haben gemeinsam, dass beide gesellschaftlich konstruiert sind und sich gegenseitig bedingen. Dieses scheinbare Paradox, dass sich Ich-Identität erst durch Teilhabe an einer Gruppe konstituiert, Wir-Identität aber nicht außerhalb von Individuen liegen kann, wird durch die Unterscheidung von personaler und individueller Identität aufgelöst: „Individuelle Identität ist das im Bewusstsein des Einzelnen aufgebaute und durchgehaltene Bild der ihn in allen („signifikanten“) anderen unterscheidenden Einzelzüge, das am Leitfaden des Leibes entwickelte Bewusstsein seines irreduziblen Eigenseins, seiner Unverwechselbarkeit und Unersetzbarkeit. Personale Identität ist demgegenüber der Inbegriff aller dem Einzelnen durch Eingliederung in spezifische Konstellationen des Sozialgefüges zukommende Rollen, Eigenschaften und Kompetenzen.“97

Identität ist abhängig von Kultur und Gesellschaft und wird durch diese überhaupt erst möglich. Sie ist immer personale, nicht aber zwingend kollektive Identität, was heißt, dass das Ich-Bewusstsein zwar durch Kultur und Gesellschaft geprägt wird, es aber nicht an ein Wir-Bewusstsein gebunden sein muss. Eine gemeinsame „symbolische Sinnwelt“ ist Voraussetzung für personale Identität. Um aber kollektive Identität entstehen zu lassen, bedarf es des Bewusstseins um diese Gemeinsamkeit. Erst durch die Begegnung mit Alteritäten als Bewusstwerdung oder durch z.B. Initiation als Bewusstmachung, können sich nach Assmann kulturelle und gesellschaftliche Zugehörigkeit in eine Wir-Identität steigern. Kollektive Identität wird damit als reflexiv gewordene gesellschaftliche Zugehörigkeit, kulturelle Identität als „reflexiv gewordene Teilhabe an bzw. das Bekenntnis zu einer Kultur“ gesehen. 98 Die bewusst gewordene bzw. gemachte Partizipierung an einem gemeinsamen Symbolsystem und an einem gemeinsamen Wissen stellt soziale Identität her. „Was einzelne Individuen zu einem [...] Wir zusammenbindet, ist die konnektive Struktur eines gemeinsamen Wissens und Selbstbilds, das sich zum einen

95 96 97 98

J. Assmann (2000), S. 55. Die Identität des Einzelnen als Gruppenidentität. J. Assmann (2000), S. 131 f. J. Assmann (2000), S. 134.

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auf die Bindung an gemeinsame Regeln und Werte, zum anderen auf die Erinnerung an eine gemeinsam bewohnte Vergangenheit stützt.“99

Assmann weist auch darauf hin, dass Kultur nicht nur integrierend und vereinheitlichend, sondern gleichzeitig trennend wirkt, da sie andere Identitäten braucht, um sich von diesen abzuheben. Halbwachs’ Gedanken, dass jede Persönlichkeit und jedes historische Faktum beim Eintritt in das soziale Gedächtnis einen Sinn erhält und damit zu einem Element des Ideensystems der Gesellschaft wird, überträgt Aleida Assmann auf das individuelle Gedächtnis. Eine Lebensgeschichte basiert demnach auf Erinnerungen, die interpretiert sind und zu einer Gestalt geformt werden, die erinnerbar und erzählbar ist. „Solche Gestaltgebung nennen wir Sinn; sie ist das Rückgrat gelebter Identität.“100 Den Begriff der „kulturellen Formation“ führt Jan Assmann als Medium dessen ein, was kollektive Identität aufbaut und aufrechterhält, womit all das gemeint ist, das zum gemeinsamen, identitätsstiftenden Symbol erhoben wird. Das Wissen von diesen Symbolen und ihrer Bedeutung bedarf der „Zirkulation“, die durch Interaktion kulturellen Sinns, das „Weltbild“ einer Gesellschaft als Vorrat gemeinsamer Werte, Erfahrungen, Erwartungen, Deutungen, in Umlauf bringt. Erst durch die Zirkulation und Inszenierung gemeinsamen Sinns kann „Gemeinsinn“ entstehen. Eine „sinnhafte Welt“, so Berger und Luckmann101, entsteht aus dem Bedürfnis des Menschen, Erklärungen für Probleme zu finden. Sinngebung wird allerdings durch die jeweilige Kultur determiniert: „Der gesellschaftliche Wissensvorrat ermöglicht [...] die ‚Ortsbestimmung‘ des Individuums in der Gesellschaft und seine entsprechende ‚Behandlung‘.“102 Wer nicht an diesem Wissensvorrat teilhat, bleibt von der jeweiligen „Alltagswelt“ ausgeschlossen. Das Verhalten in der Alltagswelt wird durch Alltagswissen – nicht hinterfragtes Wissen – reguliert. Sie stellt sich als oberste Wirklichkeit dar und wird als das Normale und Selbstverständliche angesehen. Durch ihren Routinecharakter entlastet die Alltagswelt den Einzelnen. Erst wenn diese Routine durchbrochen

99 J. Assman (2000), S. 16-17. 100 A. Assmann (1999): Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München, S. 255. 101 P.L. Berger/T. Luckmann (1995): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt/M. Siehe auch A. Schütz/T. Luckmann (1979): Strukturen der Lebenswelt, Frankfurt/M. 102 Berger/Luckmann (1995), S. 48.

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wird, erscheint Alltagswelt problematisch, da damit auch die Existenz, das routinierte Funktionieren des Alltags gefährdet wird.103 Zudem erscheint die Alltagswelt dem Menschen als intersubjektive Welt, die mit anderen geteilt wird, wobei sich der Einzelne durchaus darüber im Klaren sein kann, dass andere diese Welt zwar aus einer anderen Perspektive betrachten, sie aber dennoch mit ihm teilen. Durch diese Intersubjektivität hebt sie sich deutlich von anderen, dem Einzelnen bewussten Wirklichkeiten ab. Erklärungen und Lösungen für Routinebrüche werden aus dem Fundus des Alltagswissens heraus geschöpft, also entweder in den unproblematischen Teil der Alltagswelt herübergezogen oder aber „als Problem“ erkannt und entsprechend interpretiert. Stellt sich der Routinebruch jedoch als grundsätzlich dar, so ist der Einzelne mit einer Wirklichkeit, immer durch andere, konfrontiert, die sich deutlich von der eigenen Alltagswirklichkeit abhebt und sich mit ihr nicht erklären lässt. In solchen Situationen muss der Einzelne entweder eine radikale Umstellung auf eine andere Alltagswirklichkeit vollziehen, oder aber Personen finden, die seine Alltagswirklichkeit durch Gemeinsamkeit bestätigen. „Jede gesellschaftliche Wirklichkeit ist gefährdet und jede Gesellschaft eine Konstruktion am Rande des Chaos.“104 stellen Luckmann und Berger fest, weshalb Alltagswissen die Aufgabe hat, die Gemeinsamkeit der Alltagswelt aufrechtzuerhalten. Das Erfassen der Welt als sinnhafte und gesellschaftliche Wirklichkeit beginnt mit der „Übernahme“ einer Welt anderer (wobei die „übernommene Welt“ durchaus abgewandelt und sogar neu gestaltet werden kann). Dadurch, dass der Einzelne die Welt des Anderen „versteht“, eignet er sich diese zugleich an.105 Nicht nur die Bestimmung des Anderen von gemeinsamen Situationen wird nachvollzogen, sondern sie werden „wechselseitig füreinander“ bestimmt. „Ein Nexus der Motivationen ist zwischen uns entstanden, der bis in die Zukunft reicht. Das Wichtigste ist, dass nun eine ständige wechselseitige Identifikation zwischen uns vor sich geht. Wir leben nicht nur in derselben Welt, wir haben beide teil an unser beider Sein. Nur wer diesen Grad der Internalisierung erreicht hat, ist Mitglied der Gesellschaft.“106

103 Vgl. Berger/Luckmann (1995), S. 21-31. 104 Berger/Luckmann (1995), S. 111. 105 Wofür Voraussetzung ist, dass ein längerer Zeitraum zur Verfügung und eine „übergreifende, umfassende Perspektive“ besteht, mittels derer die Sequenz von Situationen intersubjektiv verbunden wird. 106 Diesen Vorgang der Einweisung einer bereits sozialisierten Person in neue Bereiche der objektiven Welt ihrer Gesellschaft bezeichnen Berger

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Der Andere fungiert damit als ein Garant subjektiver Wirklichkeit und übernimmt darüber hinaus die Absicherung eigener Identität. „Um gewiß zu bleiben, dass er tatsächlich ist, der er zu sein glaubt, braucht der Mensch nicht nur die indirekte Gewißheit seiner Identität, die ihm noch die zufälligsten Alltagskontakte geben, sondern die ausdrückliche und gefühlsgetragene Gewißheit, die ihm seine signifikanten Anderen entgegenbringen. [...] Die signifikanten Anderen sind im Leben des Einzelnen die Starbesetzung im Spiel um seine Identität. Sie sind so etwas wie die Versicherungsagenten seiner subjektiven Wirklichkeit.“107

Demnach erhält Identität ihre Legitimation, wenn sie im Kontext einer symbolischen Sinnwelt steht, die mit und durch andere bestätigt wird.

2.8 Neue Phänomenologie Bisher wurden Ansätze und Zugänge zur Untersuchung von Fremd- und Eigenwahrnehmung vorgestellt. Assmanns Unterscheidung von kollektiver, personaler und individueller Identität folgend, soll letztere an dieser Stelle nochmals angesprochen werden. Individuelle Identität, so wurde festgestellt, bezieht sich neben Grundbedürfnissen auf die „Leibhaftigkeit des Daseins“. Was aber ist genau damit gemeint? Assmann ist es wichtig, festzustellen, dass jede Form von Identität ein gesellschaftliches Konstrukt und damit immer kulturell gebunden ist. Der Unterschied liegt darin, dass sich kollektive Identität auf die imaginäre Größe eines „Gesellschaftskörpers“ bezieht, während individuelle Identität auf die „natürliche Evidenz eines leiblichen Substrats bezogen ist“, ohne dass letztere dadurch zu einer „naturwüchsigen“ Identität würde, die es schlichtweg nicht gibt.108 Linck weist auf „vergessene Aspekte aktueller Kommunikationsforschung“ hin. Neben Konzepten aus den Kommunikationswissenschaften, die sich mit nonverbaler Kommunikation auseinander setzen109, sind es vor allem „leibliche“ Aspekte, die in der Regel unberücksichtigt blei-

und Luckmann als „sekundäre Sozialisation“. Berger/Luckmann (1995), S. 140 f. 107 Berger/Luckmann (1995), S. 161. 108 Vgl. A. Assmann (2002): „Gedächtnis als Leitbegriff der Kulturwissen schaften“. In: L. Musner und G. Wunberg (Hg.): Kulturwissenschaften. Forschung – Praxis – Positionen, Leiden. 109 Einen Überblick liefert A. Hübler (2001): „Das Konzept ‚Körper‘ in den Sprach- und Kommunikationswissenschaften“, Tübingen.

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ben. 110 Der Phänomenologe Schmitz hat einen Ansatz entwickelt, der eine Sensibilisierung und Erfassung für Bereiche von Wahrnehmung und Kommunikation ermöglicht.111 Mit seiner „Neuen Phänomenologie“ als „Philosophie des Alltäglichen“ setzt Schmitz dort an, wo aufgrund der in der europäischen Denktradition herrschenden sensualistischen Reduktion menschliche Wahrnehmung auf die fünf Sinne reduziert wird. „Was Menschen gewöhnlich unbefangen wahrnehmen – besonders, wenn sie lebhaft, empfänglich und aufgeschlossen sind –, das sind in erster Linie Eindrücke in einem anderen Sinn als dem sensualistisch reduzierten [...]“112

Unmittelbare Betroffenheit und was den Einzelnen in seinem (Inter-) Agieren unmittelbar beeinflusst, wird aufgegriffen und benannt. Wo uns bisher im wahrsten Sinne die Worte fehlten, bietet die Neue Phänomenologie ein Instrumentarium, das Wahrnehmung nicht auf Objekte oder auf durch Schmecken, Riechen, Sehen, Fühlen und Hören gewonnenes Datenmaterial beschränkt.113 Der reduktionistische Ansatz unterschlägt das, was sprachlich in die „Seele“ verbannt ist oder was wir auch durch den so genannten „sechsten Sinn“ zu umschreiben suchen. Schmitz hingegen spricht von „Einleibung“ und meint damit „ein Sich-einspielen und Eingespieltsein auf einander umgreifende Kooperationen“.114 110 Siehe Linck (2003b). 111 Die Neue Phänomenologie wurde von Hermann Schmitz seit 1960 entwickelt. Sie führt auf neuer Ebene die ältere Phänomenologie um Husserl, Scheler, Heidegger, Sartre und Merleau-Ponty fort, bricht aber radikal mit der bis heute noch immer maßgebenden Tradition philosophischen Denkens in Europa. Sie will sich „die klaffende Spannung zwischen Begreifen und Betroffensein durch gedankliches Durchleuchten der unwillkürlichen Lebenserfahrung mit genauen und geschmeidigen Begriffen [...] füllen und dadurch das Betroffensein der Besinnung“ aneignen. Schmitz (1998): Der Leib, der Raum und die Gefühle, Stuttgart, S. 8. Zu ähnlichen Ansätzen vergleiche Bernhard Waldenfels oder Erwin Straus. Müller-Pelzer wendet die Neue Phänomenologie beispielsweise für die Untersuchung deutsch-französischer Arbeitssituationen an. Siehe W. Müller-Pelzer (1990): „Zur leiblichen Basis der interkulturellen Kommunikation“. Fachhochschule Dortmund; FB Wirtschaft, Aufsätze und Vorträge 10, Dortmund. 112 H. Schmitz (1990): Der unerschöpfliche Gegenstand. Grundzüge der Philosophie. Bonn, S. 19. 113 Die chinesische Sprache ist in diesem Fall reichhaltiger. Das chinesische Wort für „Situation“ ist beispielsweise qing, das auch mit „Gefühl“, „Emotion“ und „Umstände“ übersetzt werden kann. Zu chinesischen Sprachbildern vgl. G. Linck (2001): Leib und Körper. Zum Selbstverständnis im chinesischen Denken, Frankfurt/M., S. 110-111. 114 Schmitz (1990), S. 66.

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Zugrunde liegt hier die Differenzierung der Begriffe „Körper“ und „Leib“. Der mit den Sinnen tast- und sichtbare Körper wird terminologisch getrennt vom Leib betrachtet. In der europäischen Denktradition werden durch „Physiologismus“ 115 grundlegende Aspekte der Wahrnehmung unterschlagen, was durch die Einführung des Begriffes „Leib“ überwunden werden kann, da so ein Bereich miteinbezogen und benannt wird, der bisher vernachlässigt wurde. Während der Körper eine feste Begrenzung hat und auch noch über den Tod hinaus existiert116, ist der Leib zwar wie der Körper räumlich, jedoch in anderer Weise: Der „gespürte Leib“ hebt sich einerseits von seiner Umgebung ab, ist aber andererseits schwerlich zu umgrenzen.117 Als Beispiele für das „Spüren ganzheitlicher leiblicher Regungen“ führt Schmitz Regungen wie Mattigkeit, Frische, Behagen, Angst, Schmerz, Kitzel, Hitze- und Kältewallen, Leere im Kopf, peinlicher und freudiger Schreck, Kraftanstrengung usw. an.118 Das, was gemeinhin vom Leib gespürt wird, nimmt der Mensch als „Leibesinseln“ wahr; als verschwommene, räumlich nicht fest umgrenzte Örtlichkeiten, die auch außerhalb des eigenen Körpers beispielsweise als Phantomglieder eines Amputierten spürbar sind. Die eigene Leiblichkeit beschreibt Schmitz als „universalen Resonanzboden, wo alles Betroffensein des Menschen seinen Sitz hat und in die Initiative eigenen Verhaltens umgeformt wird; nur im Verhältnis zu seiner Leiblichkeit bestimmt sich der Mensch als Person.“119 Als Kategorien der Leiblichkeit120 spielen bei Schmitz im „Alphabet der Leiblichkeit“ vor allem zwei antagonistische Tendenzen eine wesentli115 Mit Physiologismus meint Schmitz „sensualistische Reduktion“, die versucht, leibliche Wahrnehmung zu rationalisieren und „Introjektion“, die Vergegenständlichung zur Folge hat. Wahrnehmung erfolgt demnach über Organe (Sinnesorgane, die Informationen an das Zentralorgan Hirn weiterleiten). Wahrnehmungen, die hiermit nicht erfasst werden können, werden, einer Verbannung gleich, in die „Seele“ verfrachtet. Eine der vielen Nachteile dieser Auffassung ist, wie Schmitz zu Recht feststellt, die Verkümmerung des intuitiven Denkens. Vgl. Schmitz (1990), S. 1719. 116 Corpus als Leichnam. 117 Schmitz spricht in diesem Zusammenhang vom Spüren von „Leibesinseln“. Verdeutlichend können hier die Bilder von Maria Lassnig herangezogen werden (z.B. in der Hamburger Kunsthalle), die in ihren Bildern das darstellt, was sie von sich selbst spürt. 118 H. Schmitz (1966): Der Leib, Bonn, S. 19 und Schmitz (1990), S. 117118. 119 Schmitz (1990), S. 116. 120 Als Grundzüge der Leiblichkeit differenziert Schmitz Engung und Weitung, Spannung und Schwellung, Intensität und Rhythmus, privative

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che Rolle: „hemmende Engung“, die die Leibesinseln zusammenhält und „expandierende Weitung“. So wird beispielsweise Angst als Kategorie der Leiblichkeit Engung in der etymologischen Verbindung des Wortes Angst und eng deutlich.121 Leiblichsein bedeutet demnach, dass der Mensch, solange er sich seiner selbst und seiner Situation bewusst ist, zwischen Enge und Weite in der Mitte steht. „Die faktisch zu beobachtenden leiblichen Regungen schwanken in tausendfältigen Nuancen zwischen Engung und Weitung. Jede von diesen beiden Tendenzen ist auf zwei Arten gegeben: Engung als Spannung und privative Engung, Weitung als Schwellung und privative Weitung.“122

Privative Weitung ist beispielsweise im Moment der Erleichterung gegeben, wenn uns „ein Stein vom Herzen fällt“, privative Engung, wenn wir freudig oder ängstlich erschreckt sind, wenn uns „etwas die Kehle zuschnürt“.123 In leiblicher Weitung ist zugleich immer auch eine Richtungsdimension gegeben, wenn wir beispielsweise in Schreck- oder Angstmomenten spontan den Impuls nach Flucht verspüren, die aber der leiblichen Engung fehlt. 124 Als weitere Beispiele können das Ausatmen und der Blick angeführt werden, die im eigenleiblichen Spüren der Weitung immer in eine bestimmte Richtung zielen. Diese leiblichen Richtungen gehen aus der Enge des Leibes hervor und verlaufen in die Weite, ohne hierbei linear oder gerade sein zu müssen.125 An dieser Stelle kann auf Wahrnehmung und den damit schon weiter oben Begriff der Einleibung 126 zurückgekommen werden. 127 Schmitz führt hierzu aus:

121

122 123

124 125 126 127

Engung und privative Weitung, Richtung, protopatische und epikritische Tendenz. Schmitz (1966), S. 19-37. Angst leitet sich ab aus dem vorgermanischen Wort anƧhos-ti, gebildet aus dem Adjektiv an÷hu, das zu dem indogermanischen an÷h (eng) in Verbindung steht. Vgl. Kluge (1975), S. 22. Schmitz (1966), S. 24. „Symptome privativer Leibesweitung sind die Zustände der am eigenen Leib gespürten Levitation, ohne Rücksicht darauf, ob ihnen ein sinnlich wahrnehmbares oder physikalisch reales Ereignis entspricht [...]“ Schmitz (1966), S. 30. Siehe auch Schmitz (1990), S. 23. Vgl. Schmitz (1966), S. 33. Vgl. Schmitz (1966), S. 32. Einleibung auch „als Hineinversetzen des eigenen Leibes in den relativen Ort dessen, dem die Einfühlung gilt“. Siehe Schmitz (1966), S. 91. Schmitz (1990), S. 137; System II 1, S. 341-349: III 5, S. 95-97; V, S. 23-43; Phänomenologie der Leiblichkeit, in: Leiblichkeit. Petzold (Hg.), Paderborn 1985, S. 84-89.

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„Die normale Wahrnehmung ist in erster Linie Einleibung, keineswegs, wie die Physiologie und die an ihr sich orientierende Psychologie nahelegen, bloße Aufnahme und Verarbeitung von Signalen.“128

Als ein Beispiel führt Schmitz die Macht des Blickes oder der Stimme ein: ein durchdringender Blick berührt uns in unserer leiblichen Befindlichkeit:129 „Der Blick ist [...] eine heimsuchende Macht, die zwar nicht über Leben und Tod, aber über Selbständigkeit oder Knechtschaft und darüber hinaus über das, was der Erblickte [...] ist [...] entscheidet. Daher gehört zu den am Tiefsten eingreifenden Auseinandersetzungen unter Menschen und Tieren der Kampf der Blicke, wodurch sie einander widerstehen oder sich hingeben, indem Einer den anderen sich anzueignen sucht.“130

Einleibung ist demnach u.a. in einer gemeinsamen Situation und Atmosphäre zu finden, in der sich Interagierende konzentriert aufeinander einspielen bzw. aufeinander eingespielt sind wie es beim Paartanz, Mannschaftssport u.a. der Fall ist.131 Einleibung findet bei jedem Gespräch statt. Schmitz wählt hierfür den Begriff „wechselseitige Einleibung“. Von „einseitiger Einleibung“ wird gesprochen wenn Einleibung „[...] nicht mit gegenseitiger Zuwendung der beteiligten Partner oder einer sie umschließenden gemeinsamen Situation, auch nicht mit Einfühlung, Identifizierung oder Imitierverhalten verbunden [...]“ ist.132

Diesen beiden Formen von Einleibung steht „Ausleibung“ zur Seite, die dann eintritt, wenn sich vitaler Antrieb in privativer Weitung verliert. Der Verlust des vitalen Antriebs resultiert aus dem sich Lösen aus dem Wechselspiel von Engung und Weitung.

128 Schmitz (1990), S. 138. 129 Ohne dass hierbei auf Bedeutungen geschlossen werden könnte; mit welcher Bedeutung ein bestimmter Blick belegt wird, ist eine andere Sache. Hier geht es zunächst um die Feststellung der Bedeutung von der dialogischen Form der Leiblichkeit. 130 H. Schmitz (1969): Der Gefühlsraum, Bonn, S. 381. 131 Schmitz 1990, S. 130 ff. 132 Schmitz beschreibt zur Erläuterung die Situation eines auf der Straße spielenden Kindes, das, unmittelbar durch die Gefahr eines herannahenden Autos bedroht, hierbei von der Mutter aus einiger Entfernung beobachtet wird. Da diese aus Schreck nicht in der Lage ist, sich dem Kind bemerkbar zu machen, ist hier eine Situation der „einseitigen Einleibung“ gegeben. Weitere Beispiele siehe Schmitz (1990), S. 139.

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Gehört Einleibung zum Engepol leiblicher Ökonomie, zählt Ausleibung zum Weitepol. Die Momente Hier, Jetzt, Dasein, Sosein und Ich treten zurück, was beispielsweise der Fall ist, wenn man gebannt dem dargestellten Geschehen eines Buches oder Filmes folgt und dabei in der Handlung gänzlich aufgeht.133 Leibliche Kommunikation als Grundlage von Wahrnehmung tritt also vor allem als Ein- bzw. Ausleibung auf. Einleibung „liegt immer vor, wenn etwas in der Wahrnehmung bedrängend oder aggressiv oder auch beflügelnd (wie Tanz- oder Marschmusik) auf uns eindringt oder lockend und suggestiv uns an sich zieht.“134

Für ein besseres Verständnis soll an dieser Stelle Schmitz’ Situationsbegriff erläuternd eingeführt werden, der sich als ontologischer Grundbegriff aus den drei Komponenten „Ganzheit“, „chaotische Mannigfaltigkeit“ und „Sachverhalten“ zusammensetzt: „Eine Situation ist [...] eine absolut oder relativ chaotisch-mannigfaltige Ganzheit, zu der mindestens Sachverhalte gehören.“135 Eine absolut „chaotisch-mannigfaltige Ganzheit „ist gegeben, wenn Identität und Verschiedenheit innerhalb des Mannigfaltigen nicht unterschieden wird. Dies ist der Fall, wenn wir vor uns hindösen oder tagträumen oder uns in einem benommenen Zustand befinden.136

Von „relativ chaotischer Mannigfaltigkeit“ spricht Schmitz, wenn „Unentschiedenheit hinsichtlich Identität und Verschiedenheit“ besteht.137 Eindrücke versteht Schmitz demnach als Situationen, da in ihnen zwar Sachverhalte, Programme und Probleme gespürt, nicht aber alle und im Einzelnen expliziert werden; „man kann sie als diejenigen Situationen charakterisieren, die sich in einem Augenblick sinnfällig abzeichnen.“138 Als Situation im weiteren Sinne ist „primitive Gegenwart“ zu verstehen, in der, in chaotischer Mannigfaltigkeit, die Möglichkeit auf Explikation einzelner Sachverhalte verloren geht; „sich dem Betroffenen

133 134 135 136 137

Vgl. Schmitz (1980), S. 172. Schmitz (1980): Der Gefühlsraum, Bonn, S. 96. Schmitz (1990), S. 65. Im anglikanischen Sprachraum wird von „absence“ gesprochen. „In absolut chaotischem Mannigfaltigen ist nichts einzeln, während in bloß relativ chaotischem Mannigfaltigen sehr wohl schon etwas als Einzelnes, einer Kennzeichnung zugänglich, abgehoben sein kann, nur gleichsam nicht nach allen Seiten.“ Schmitz (1980), S. 1. 138 Schmitz (1990), S. 19-24 und S. 462.

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die Gegenwart noch gar nicht entfaltet hat.“139 In entfalteter Gegenwart respektive relativ chaotischer Mannigfaltigkeit werden Sachverhalte, Programme und Probleme hingegen expliziert, ohne sich hierbei gänzlich von primitiver Gegenwart zu lösen; die fünf Momente Hier, Jetzt, Dasein, Sosein, Ich treten zwar auseinander, lösen sich aber nicht vollkommen voneinander.140 Situationen gleichen dem Aufleuchten „eines komplexen Inhalts, der sich verbal nur durch mehrere Sätze ausdrücken lässt.“141 Wahrnehmung ist damit nicht auf das bloße Registrieren von Sinnesdaten und Objekten beschränkt, sondern umfasst Subjekt und Objekt gleichermaßen. Sachverhalte, Programme und Probleme bleiben im Hintergrund.142 Situationen zeichnen sich also dadurch aus, dass sie eine EindrucksGanzheit sind 143 , in der Sprache nicht nur eine mitteilende Funktion, sondern vor allen Dingen eine soziale Funktion hat.144 Die persönliche Situation eines Subjekts, die sich aus persönlichem Charakter und leiblicher Disposition bildet, ist in gemeinsame Situationen eingebettet in die sie hinein-, aus denen sie aber auch hervorwächst. In ihr wirken personale Regression, hervorgerufen durch Betroffenheit, und personale Emanzipation als objektivierende Abstandnahme des Subjekts. Beide, personale Regression und personale Emanzipation, sind miteinander verbunden und beeinflussen einander. Personale Regression ist das Befinden in einem Zustand, in dem die fünf Momente (Hier, Jetzt, Dasein, Dieses und Ich) nicht mehr geschieden sind, und ein Rückfall in primitive Gegenwart vorliegt. Dies ist vor allem in Momenten der unmittelbaren, affektiven Betroffenheit der Fall.145 Personale Emanzipation korrespondiert mit personaler Regression und meint den Rückzug des Menschen aus primitiver Gegenwart. Bewusstsein erhebt sich aus der Verschmelzung der vier Momente Hier, Dasein, Jetzt und Dieses der primitiven Gegenwart. Das Subjekt zieht sich von 139 „Einsinken der fünf Momente (Hier, Jetzt, Dasein, Dieses, Ich)“. Schmitz (1990), S. 69. 140 Schmitz (1980), S. 4. 141 Schmitz (1980), S. 4. 142 Schmitz (1990), S. 65 ff. 143 Wobei der Rede als Mittel zur Explikation von Sachverhalten, Programmen und Problemen eine besondere Bedeutung zukommt. Vgl. Schmitz (1990), S. 72. 144 Schmitz (1990), S. 74. Denken in Situationen gehört hierzu, wenn beispielsweise ein Redner intuitiv die Stimmung einer Menge erfasst und durch seine Worte eine verbindende Atmosphäre schafft. Siehe auch „intelligentes Wahrnehmen (voİȓȞ)“, S. 65-66. 145 Beispiele für Niveaus personaler Regression sind Albernheit, Rausch, besinnungsloser Zorn, tierische Wut, tiefe Scham, Ekstase usw.

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„gewissen Sachverhalten (speziell Tatsachen), Programmen und Problemen zurück auf einen Rest, der als für es subjektiv verbleibt und worin das eigene Sosein angesiedelt wird.“146

Die Begrifflichkeiten von personaler Emanzipation und personaler Regression bezeichnen also zwei Pole, deren einer für extreme Undifferenziertheit und deren anderer für berechnende Differenziertheit steht. Zwischen ihnen ist je nach Situation und Betroffenheit die Befindlichkeit des Subjektes, seine persönliche Situation auszumachen. Die personale Situation ist also die „Auseinandersetzung zwischen personaler Emanzipation und personaler Regression, personalem Subjekt und primitiver Gegenwart, andererseits das Pulsieren von Explikation aus einer Situation und Implikation, wobei zuvor explizite Sachverhalte, Programme, Probleme nebst Sachen niederer Stufe wieder in das chaotische Mannigfaltige einer Situation zurücksinken.“147

Die persönliche Situation setzt sich aus persönlicher Disposition und persönlichem Charakter zusammen. Von der leiblichen Disposition ist abhängig, inwieweit jemand in welchem Maße Betroffenheit verspürt und diese verarbeitet; sie ist bestimmend für das Temperament eines Menschen und damit wesentlich für sein Handeln.148 Die Neue Phänomenologie legt damit das Augenmerk auf die Situation, die Wahrnehmung selbst, nicht darauf, wie Daten aufgenommen und verarbeitet werden. Sehen wir uns einer neuen Situation gegenüber, so nehmen wir sie als Ganzes, als Ganzheit wahr, ohne einzelne Sachverhalte, Probleme und Programme zu explizieren. Den vor einer Gefahr im Straßenverkehr Ausweichenden würde es womöglich das Leben kosten, sollte er zunächst fein säuberlich die Gefahrensituation in ihre Einzelteile zerlegen, um adäquat reagieren zu können. Dies ist Wahrnehmung vom Typ der Einleibung. Der Ausweichende handelt motorisch sicher, um sich der Gefahr zu entziehen. 146 Schmitz (1990), S. 155. Beispiele für personale Emanzipation sind Ironie als Lebensform, ruhig überschauende Besonnenheit, stoische Unerschütterlichkeit, nüchterner Realismus usw. 147 Schmitz (1980), S. 287. Momente personaler Regression und personaler Emanzipation können manchmal in Talkshows beobachtet werden, in denen Fragen zum Tagesgeschehen, aber auch Fragen, die auf die persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse der Gäste abzielen, gestellt wer den. Hier lässt sich manchmal gut beobachten, wie die Befragten, gerade noch schwelgend in Erinnerungen, sich der momentanen Situation bewusst werden, also dem Umstand, dass sie vor laufender Kamera sitzen und natürlich bestrebt sind, ein möglichst gutes Bild abzugeben. 148 Vgl. Schmitz (1980), S. 296.

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Einleibung ist aber auch für die Sensibilität, „das Herausspüren von etwas aus einem vielsagenden Eindruck“149 von elementarer Bedeutung. So erschließen sich uns Stimmungen und Atmosphären von Gereiztheit, Freude, Verstimmung usw., ohne dass wir in der Lage wären, nachträglich im Einzelnen diese Stimmungen aufgrund der Beschaffenheit von Mimik, Gestik oder Äußerungen der Beteiligten erklären zu können. Dies ist eine wesentliche Form leiblicher Kommunikation, bei der sich über den eigenen Leib die Bedeutung eines vielsagenden Eindrucks erschließt. Mittels Wahrnehmung durch Einleibung werden wir in die Lage versetzt, noch vor jeder Deutung oder Einfühlung andere Menschen zu verstehen, da wir am eigenen Leibe „etwas spüren, was ihm nicht angehört“150. Dies spielt sich im leiblichen Raum ab, „[…] der ganz von Strukturen der leiblichen Dynamik und leiblichen Kommunikation bestimmt wird, der elementare, ursprüngliche Raum, ohne den es keinen Zugang zu erfahrbarer Räumlichkeit in irgendeinem Sinn gibt.“151

Die Erfahrung des leiblichen Raumes findet auch durch Gehörtes, Gerochenes, Getastetes und vor allem Gesehenes statt, nicht nur durch das Spüren am eigenen Leib, d.h. die Wahrnehmung über die Sinnesorgane ist nie nur rein physiologisch vermittelt, sondern zugleich immer auch ein leibliches Spüren. Auslöser leiblicher Kommunikation bezeichnet Schmitz als Bewegungssuggestionen, Gestaltverläufe und synästhetische Charaktere. Bewegungssuggestion meint beispielsweise den Rhythmus eines Gedichtes, der eine Bewegung durch ein bestimmtes Versmaß und tonale Eigenschaften leiblich erfahrbar macht oder auch Musik, die uns geradezu „in die Glieder fährt“. Als solidarische Einleibung ist sie in Massenveranstaltungen mit gemeinsamem Klatschen und Rufen zu finden, als antagonistische Einleibung bei dem genannten Ausweichen vor einer Gefahr. Bewegungssuggestionen werden auch als Gestaltverläufe wahrgenommen und übertragen sich spürbar als leibliche Erfahrung, wenn wir beispielsweise der Dynamik eines S-Schwunges in barocker Architektur gegenüberstehen oder einem Gemälde Kandinskys, in dem sich uns abstrakte Formen als Ausdrucksmittel von Empfindungen präsentieren. An Menschen nehmen wir sie als Haltung (gebückt, gestreckt, kauernd, in sich zusammengesunken, etc.), Mimik (gepresste Lippen, zusammenge149 Schmitz (1998), S. 89. 150 Schmitz (1998), S. 40. 151 Schmitz (1998), S. 51.

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kniffene Augen, breites Lächeln, schweifender Blick usw.) und Gebärden (gestreckter Finger, weit geöffnete Arme usw.) wahr, aber auch als feste Formen wie dem Schwung voller Lippen, einem eckigen Kinn usw. Synästhetische Charaktere finden wir in der Stimme, die wir als voll, gepresst, weich usw. beschreiben können oder auch der Bewegungsweise, die bei uns einen Eindruck von einer Person hinterlassen, den wir als schmeichelnd, einnehmend, schmierig oder anderem beschreiben. Aus derartigen Eindrücken „[…] besteht unser intuitives Verständnis für Menschen, ihre Werke und Verhältnisse.“152 Den Terminus Leib definiert Schmitz zunächst als etwas, dessen Örtlichkeit absolut ist, während die Örtlichkeit des Körperlichen als relativ bestimmt wird, womit schlichtweg gemeint ist, dass der Leib zwar räumlich ausgedehnt ist, sich aber nicht wie der Körper durch die Relation von Lage- und Abstandsverhältnissen bestimmen lässt.153 Es ist die Rede vom Gefühlsraum, indem Gefühle zwar ortlos, aber als Atmosphären durchaus räumlich sind, vergleichbar etwa mit der Räumlichkeit des Schalls.154 Gefühlsatmosphären können auf andere Menschen übergreifen, sie erfassen und sie die Stimmung eines anderen Menschen erspüren lassen. Zum sozialen Gefühlskontrast kommt es, wenn in der jeweiligen Situation und Umgebung zwei unterschiedliche Gestimmtheiten aufeinander treffen, beispielsweise Fröhlichkeit und Trauer, wobei sich in diesem Falle die Fröhlichkeit vor der gewichtigeren Trauer zurückdrängen lässt. Gefühle sind „räumlich ergossene Atmosphären“, während die Empfindung von Gefühlen leibliches Betroffensein ist. Aus Letzterem erklärt sich die Gebärdensicherheit des Ergriffenen, der, verstrickt in Betroffenheit, nicht darüber nachdenken muss, wie beispielsweise vor Freude gehüpft wird.155 Das jeweilige Gefühl ergreift leiblich und äußert sich in diesem Fall als leichtes, beschwingtes Empfinden. 152 H. Schmitz (1993): „Gefühle als Atmosphären und das affektive Betroffensein von ihnen“. In: H. Fink-Eitel und G. Lohmann (Hg.): Zur Philosophie der Gefühle, Frankfurt/M., S. 37. 153 Siehe Schmitz (1965). Der Leib im Spiegel der Kunst; Bonn, S. 6 und Schmitz (1990), S. 117-119. 154 „[…] feierliche oder eine zarte morgendliche Stille ist weit, eine drückende, lastende, bleierne Stille dagegen eng und protopathisch dumpf; beides sind leibverwandte synästhetische Charaktere. In solcher Weise – nicht als physikalisch interpretierbare Gebilde sind auch Gefühle räumlich.“ Schmitz (1998), S. 22. 155 Oder schlaffe und gebrochene Gebärdensprache bei Kummer und der gesenkte Blick bei Beschämung. Anders ist dies im Fall des Mitleids, da hier nur an fremdem Leid Anteil genommen wird, ohne selbst unmittelbar ergriffen zu sein.

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Das Bewusstsein um die Bedeutung guter Gesprächsatmosphären ist in China durchaus gelebte Praxis.156 Die auf bestimmte Situationen abgestimmten Gerichte157, die Sitzordnung, die oftmals genau beachtet wird, Besichtigungstouren und Veranstaltungen und natürlich der Umgang miteinander spielen eine gewichtige Rolle, wenn es darum geht, eine Atmosphäre zu schaffen, in der es sich gut miteinander auskommen lässt, aber auch um das Wesen einer Person bzw. ihre „Gestimmtheit“ zu erkennen und auch zu beeinflussen. 158 Auch ein Blick ins chinesische Wörterbuch ist dienlich, da man hier auf eine Begriffsvielfalt stößt, die leiblicher Erfahrung durchaus gerecht wird.159 Nicht zuletzt die chinesische Geomantie, kann als Beispiel für Bedeutung, die einer Raumatmosphäre, z.B. einer Landschaft, zugesprochen wird, herangezogen werden.160 Als anderes, eingängiges Beispiel, das hieran anschließt, ist das Wohnen anzuführen. Wohnen ist gelebter Ausdruck nicht nur eines Lebensstils161, sondern auch eines Lebensgefühls, das je nach Stimmung variiert werden kann.162 Der Ansatz der Neuen Phänomenologie ermöglicht insbesondere, die intuitive Wahrnehmung der Betroffenen zu berücksichtigen. Die Erfassung von mannigfaltigen Situationen lässt sich schwerlich in ihre Einzelteile zerlegen. Der „Eindruck“ aber, aus dem heraus nicht nur spontane Entscheidungen gefällt werden, verdient, ernst genommen zu werden. Weshalb Person X nun zu wissen meinte, wieso die Kollegen unzufrieden waren, kann der Betroffene in der Regel nicht weiter erklären. Es 156 Möglicherweise ein Grund dafür, dass Schmitz auch in China rezipiert wird. Teile seiner Arbeit liegen in chinesischer Sprache vor. 157 Die vor allem nach synästhetischen Charakteren unterschieden und aufeinander abgestimmt werden (Heißes braucht Kaltes, Scharfes braucht Mildes usw.). 158 Vgl. Linck (2001), S. 133-144. 159 Der Ursprung ist wohl im 5. bis 3. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung in der chinesischen Philosophie zu suchen, die sich mehr für den gespürten Leib als für den tast- und sichtbaren Körper interessierte. Um das Jahr Null kam es schließlich zu einer ersten Wende, die, ebenso wie in Europa, die Introjektion der Gefühle zur Folge hatte. Gehalten haben sich aber u.a. Vorstellungen vom einheitlichen qi und dem Atmosphärischen als dominanter Leitfigur. Vgl. Linck (2001). Siehe hierzu auch I. Yamaguchi, (1997): Ki als leibhaftige Vernunft. Beitrag zur interkulturellen Phänomenologie der Leiblichkeit, München. Yanaguchi untersucht u.a. die Bedeutung und Rolle des qi für die Kommunikation. 160 Dies vor allem in Hongkong und Taiwan. Aber auch auf dem Festland scheint fengshui, lange Zeit als reaktionär verpönt, wieder modern zu werden. 161 Vgl. z.B. Bourdieu (1983) und E. Katschnig-Fasch (1996): Möblierter Sinn - Städtische Wohn- und Lebensstile, Wien. 162 Vgl. Schmitz (1990), S. 318-321.

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wurde „gespürt“, die „Atmosphäre war anders“ u.a. Aussagen verweisen deutlich auf den Situationsbegriff von Schmitz.163 Ob sich eine ausgeprägte Fähigkeit, Atmosphären zu erspüren, als ein wesentlicher Schlüssel zu transkulturellen Kommunikationssituationen erweist, ist eine der Fragen, auf die im Rahmen dieser Arbeit eine Antwort gefunden werden soll.

2.9 Stereotype, Vorurteile und Images Es wurde bereits festgestellt, dass bei der Rede von „anderen Kulturen“ stereotype Zuschreibungen ins Spiel kommen, weshalb dem Begriff des Stereotyps eine Schlüsselfunktion in dieser Arbeit zukommt. Den Begriff „Stereotyp“ führte der amerikanische Publizist Walter Lippmann in seinem 1922 erschienenen Buch „Public Opinion“ ein. Menschen, so Lippmann, würden aufgrund einer zunehmend komplexeren Lebenswelt zu Vereinfachungen, zu Stereotypisierungen neigen, um sich besser orientieren zu können.164 „Stereotyp“, so Herrmann Bausinger, „ist der wissenschaftliche Begriff für eine unwissenschaftliche Einstellung.“165 Stereotypen sind vergleichsweise feste, überindividuell geltende Vorstellungen, die sich laut Klaus Roth auf alle Lebensbereiche erstrecken und Objektivationen „mentaler Strukturen“ sind, die im „kollektiven“ bzw. „kulturellen Gedächtnis“166 gespeichert werden und damit als unbewusste Typisierungen über Generationen hinweg fortleben können. Eine der sozialkulturellen Funktionen von Stereotypen ist die Vereinfachung komplexer Realität zu einer neuen, verständlichen Ordnung. Stereotypen fungieren damit zum einen als Identifi-kationsfläche für an Kommunikationsprozessen Beteiligte, zum anderen werden sie zu Konstruktionen von Realität, bei denen es müßig ist, die Frage danach zu stellen, ob etwas richtig oder unrichtig ist. 163 Einen Eindruck vermittelt ein Interview, das Uwe Böning in seinem Ratgeber wiedergibt. Die Befragte betont bei ihrer Tätigkeit in China eine „gewissen Antenne“ und ihren „Instinkt“. Hier wird Offenheit für die Menschen und intuitives Handeln als Schlüssel zu China in den Vordergrund gerückt. Angelesenes Vorwissen wird dagegen als hemmender Nachteil empfunden. U. Böning (2000): Interkulturelle Business-Kompetenz: geheime Regeln beachten – unsichtbare Barrieren überwinden, Frankfurt/M. 164 Vgl. W. Lippman (1965): Public Opinion, New York. 165 H. Bausinger, H. (1988a): „Name und Stereotyp“. In: Helge Gerndt (Hg.): Stereotypvorstellungen im Alltagsleben. Beiträge zum Themenkreis Fremdbilder – Selbstbilder – Identität. Festschrift für Georg R. Schroubek zum 65. Geburtstag, München. S. 13. 166 Zu „kollektivem Gedächtnis“ siehe J. Assmann 1988, S. 9-19.

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Ihre Existenz in den Vorstellungen von Menschen ist ein Teil gesellschaftlicher Wirklichkeit. Es geht also um Wahrnehmungen, die eine „wirklichkeitsstiftende Wirkung“ haben, der Klärung eigener Identität dienen und dadurch den Zusammenhalt von Gruppen fördern.167 Identität stellt sich damit als Konstrukt dar, das „wesentlich durch gruppenstiftende stereotype Merkmale definiert wird.“168 Es ist also anzunehmen, dass Affinitäten bzw. Abgrenzungen zu einer Gruppe wesentlich durch stereotype Wahrnehmungen bestimmt werden. Terminologisch ist weiterhin zwischen Autostereotypen, die das Eigene bezeichnen, und Heterostereotypen, die sich dem Anderen, dem Fremden zuwenden, zu differenzieren. Die unterschiedlichen Ansätze verschiedener Disziplinen, die sich mit Stereotypen bzw. Vorurteilen beschäftigen, stimmen weitgehend überein, wenn bei Stereotypen der kognitive, bei Vorurteilen der affektive Aspekt betont wird. Während Stereotypen negativ wie positiv konnotiert sein können, beschreibt Roth Vorurteile als „affektive, emotional geladene, meist schon früh erworbene bzw. unkritisch übernommene, verhaltensrelevante Einstellungen.“169 Im Gegensatz zu Stereotypen rekurrieren Vorurteile in der Regel auf subjektiv Erlebtes, das nicht die kollektive Zustimmung einer Gruppe erfahren muss.170 Bausinger meint: Der Begriff Vorurteil „stellt gewissermaßen eine Steigerung von Stereotyp dar. Während mit dem Begriff Stereotyp auch schrullige Harmlosigkeiten ins Auge gefaßt werden, sind Vorurteile oft Elemente von Feindbildern. [...] Typisierung ist ein wichtiges Instrument der Erkenntnis, der Orientierung – und sie ist so fest in der Sprache angelegt, dass sie schon deshalb nicht vermeidbar ist. Jeder Benennung liegt eine Typisierung zugrunde [...].“171

167 Vgl. H. Bausinger (1988a): Stereotyp und Wirklichkeit. In Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 14, S. 160. Zur Entstehung und Funktion von Stereotypen auch H. Tajfel, H. (1982): Gruppenkonflikt und Vorurteil. Entstehung und Funktion sozialer Stereotype, Bern, sowie Z. Kunda, P. Thagard (1996): „Forming Impressions from Stereotypes, Traits and Behaviors: A parallel-constraint-satisfaction theory“ . In: Psychological Review. 103/1996, S. 284-308. 168 K. Roth (1998): „‚Bilder in den Köpfen‘. Stereotypen, Mythen, Identitäten aus ethnologischer Sicht“. In: V. Heuberger u.a. (Hg.): Das Bild vom Anderen. Identitäten, Mentalitäten, Mythen und Stereotypen in multiethnischen Regionen, Frankfurt/M., S. 35.36. 169 Roth (1998), S. 23. 170 A. Karsten (1978): Vorurteil. Ergebnisse psychologischer und sozialpsychologischer Forschung, Darmstadt, S. 129. 171 H. Bausinger (2000): Typisch Deutsch. Wie deutsch sind die Deutschen? München, S. 17.

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Wie zu Stereotyp und Vorurteil finden sich ebenso unterschiedliche Ansätze zu der Begriffsklärung von Images. Kenneth Boulding prägte den Begriff als „total cognitiv, affective, and evaluative structure of the behaviour unit, or its internal view of itself and its universe“ 172 . Hans Kleinsteuber führt Images auf die Produktwerbung zurück: „Images knüpfen wie Stereotype an reale Situationen an, reichen aber bewusst weit darüber hinaus. Images sind Bilder, ursprünglich vor allem von Produkten, denen eine besondere Eigenschaft zugeordnet [...] wird.“173

Festzuhalten bleibt, dass Images als bewusst eingeführte Darstellungsinstrumentarien konstruiert werden und sich dabei gesellschaftlichem Wandel anpassen, um ein möglichst positives Bild von etwas oder jemandem zu entwerfen. Vor allen Dingen erlauben stereotype Aussagen Rückschlüsse auf die Bestimmung von eigenen Identitätszuschreibungen der Kommunikationsbeteiligten. Es ist hierbei unbedeutend, ob diese stereotypen Zuschreibungen der Wirklichkeit entsprechen oder nicht. Zudem wäre es in vielen Fällen kaum zu überprüfen, da Stereotype das diffus erscheinende, unüberschaubare Ganze nicht auf den Punkt, aber auf einen Punkt bringen, der wirklichkeitsstiftende Wirkung hat, grundsätzlich aber revidierbar bleibt. Interessant erscheint vielmehr, wie stereotype Sichtweisen entstehen und wie sie aus Sicht der Kommunikationsbeteiligten begründet werden. Wird beispielsweise aus chinesischer Sicht behauptet, Deutsche sähen „die Befolgung von Gesetzen als höchsten ethischen Grundsatz an“174, oder dass unverheiratete deutsche Frauen entweder kurzes oder schulterlanges Haar tragen würden175, ist zu erfragen, wie mit diesen Stereotypen umgegangen wird, ob sie durch eigene Erfahrungen begründet bzw. bestätigt werden oder aber ausschließlich durch Erzählungen, Texte oder durch andere Medien konstituiert wurden.176 Interessant erscheint auch, wie Beteiligte mit transkultureller Erfahrung auf Stereotype transkultu172 K.E. Boulding (1961): „National Images and International Systems.“. In: James N. Rosenau (Hg.): International Politics and Foreign Policy, New York, S. 129. 173 H.J. Kleinsteuber (1991): „Stereotype, Images und Vorurteile – Die Bilder in den Köpfen der Menschen“. In: Günter Trautmann (Hg.): Die häßlichen Deutschen? Die Deutschen aus der Sicht ihrer Nachbarn, Darmstadt, S. 64. 174 Zhang Xuan (1998): Deguo. (Deutschland), Beijing, S. 166. 175 Mo Jinlian/Li Guangmin (1999): „Xiandai deguo dazhong wenhua“ (Deutsche Massenkultur heute), Beijng, S. 185. 176 Wie beispielsweise durch die inzwischen in beiden Sprachen sehr umfangreiche „Knigge-Literatur“.

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rell unerfahrener Kollegen reagieren und diese einschätzen. Ebenso denkbar ist, dass Stereotypisierungen eine so mächtige Wirkung entfalten, dass der Einzelne, mit ihnen konfrontiert, ein Rollenverhalten übernimmt, um (tatsächlichen oder vermeintlichen) Erwartungshaltungen zu entsprechen („der höfliche Chinese“ betont vielleicht seine Höflichkeit, „der ordentliche Deutsche“ entwickelt eine penible Reinlichkeit usw.), um so eine bestimmte Gruppenzugehörigkeit zu demonstrieren oder auch zu inszenieren. Der Umkehrschluss liegt natürlich ebenso im Bereich des Möglichen: „der humorlose Deutsche“ bemüht sich um Witz, um einer Gruppe anzugehören oder sich dieser auch nur verständlich zu machen, während „der indirekte Chinese“ die Katze sofort sprichwörtlich aus dem Sack lässt und schließlich verwundert ist, wenn sich „der direkte Deutsche“ vor den Kopf gestoßen fühlt. Stereotypisierungen kommen also eine wesentliche Bedeutung zu, soll der transkulturelle Alltag und die damit verbundenen Herausforderungen erfasst werden. Sie können wichtige Hinweise auf die Verortung des Einzelnen im sozialen Umfeld liefern und hilfreich für das Erkennen von Interaktionsstrategien und Erklärungsmustern der Akteure sein.

3. Exkurs: Zwischen Wissenschaft und Knigge Geert Hofstede führte in IBM-Tochterunternehmen 50 verschiedener Länder und drei Länderregionen standardisierte Befragungen durch, um herauszufinden, ob IBM über eine internationale Unternehmenskultur verfüge. Wider Erwarten stellte sich heraus, dass die jeweiligen Firmen stärker von der lokalen Kultur geprägt werden als von einer IBMUnternehmenskultur. Hofstede entwickelte aus dem gewonnen Datenmaterial errechnete Wertorientierungen, die von der jeweiligen „Nationalkultur“ bestimmt werden. Des Öfteren wird in diesem Zusammenhang eine Metaphorik benutzt, die stark an die Sprache der Computerwelt erinnert: Der Mensch mutet als eine Art unbeschriebene Diskette an, die mit der Software „Nationalkultur“ überbeschrieben wird. Zu den untersuchten Ländern gehörten u.a. auch Deutschland, Hongkong und Taiwan. Der Einfluss Hofstedes auf die einschlägige Beratungsliteratur zu China ist immens und wird nicht zuletzt durch die ähnliche, oftmals gleiche Terminologie deutlich. „Nationalkulturen“ bzw. der „Nationalcharakter“ setzt sich bei Hoftstede aus vier „Kulturdimensionen“ zusammen. Antworten, die durch Fragebögen erhoben wurden, rechnete Hofstede in einen Wert um, der die Wertorientierung einer Gesellschaft widerspiegeln soll: Machtdistanz, Individualismus bzw. Kollektivismus, 58

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Maskulinität bzw. Feminität und Unsicherheitsvermeidung. Hofstede schränkt zwar die Allgemeingültigkeit der Ergebnisse insofern ein, da sie nur für die „Mittelschicht“ eines Landes Geltung hätten, doch bleibt es bei dieser etwas lapidar gehaltenen Formulierung. Was letztlich mit dieser Kategorie gemeint ist, wenn in einem Atemzuge von Ostafrika, Japan, arabischen Ländern, Schweiz usf. gesprochen wird, bleibt ungewiss. Doch soll es an dieser Stelle nicht um die Ansätze der Untersuchung Hofstedes gehen, sondern vielmehr um den Einfluss ihrer Ergebnisse. „Machtdistanz“ bewegt sich zwischen den beiden Extrempolen „konsultativer Stil der Entscheidungsfindung“ auf der einen Seite und „autokratischer“ bzw. „patriarchalischer Führungsstil“ auf der anderen. Zu dem „konsultativen Stil“ gehören weiterhin die begrenzte Abhängigkeit des Mitarbeiters von seinem Vorgesetzten, eine geringe „emotionale Distanz“ und die stetige Ansprechbarkeit des Vorgesetzten für seine Mitarbeiter. Demgegenüber steht die hohe Abhängigkeit des Mitarbeiters von seinem Vorgesetzten, eine hohe emotionale Distanz und die seltene Möglichkeit, den Vorgesetzten anzusprechen. Kurz: es geht also darum, welche Bedeutung institutionalisierte Machtfunktionen für das Verhältnis Vorgesetzter – Untergebener aus Sicht der Befragten haben. Deutschland belegt hier Platz 42/44 mit einem „Machtdistanzindexwert“ (MDI) von 35 Punkten und nimmt damit, setzt man es in Bezug zu Hongkong (Platz 17, 68 MDI) und Taiwan (Platz 29/30, 58 MDI), eine Position ein, die sich durch eine geringere Machtdistanz auszeichnet.177 Als „zweite globale Dimension nationaler Kulturen“ sind die beiden Extrempole „Individualismus – Kollektivismus“ zu nennen. Als individualistisch wird eine Gesellschaft dann verstanden, wenn ihre Mitglieder in einem lockeren Bindungsverhältnis zueinander stehen und sich in erster Linie auf sich selbst und die unmittelbare Familie konzentrieren. Kollektivismus meint demnach die Integration des Einzelnen in „starke, geschlossene Wir-Gruppen“, die einerseits lebenslangen Schutz gewähren, andererseits aber bedingungslose Loyalität einfordern. Hier nimmt der deutsche „Nationalcharakter“ mit einem „Individualismusindex-Wert“ (IDV) von 67 Punkten Platz 15 ein. Hongkong steht

177 Den geringsten MDI-Wert weist Österreich (Platz 53; 11 MDI-Punkte) auf, während Malaysia das Land mit der höchsten Machtdistanz ist (Platz 1; 104 MDI-Punkte).

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dagegen auf Rang 37 und Taiwan auf Platz 44.178 Hongkong und Taiwan wären demnach „kollektivistischer“ einzuschätzen als Deutschland. Als dritte Eigenschaft wird auf das Verhältnis von „Maskulinität – Feminität“ verwiesen. Als „maskulin“ werden Einstellungen wie die Orientierung auf Erfolg und Leistung benannt, die sich in materiellem Wohlstand niederschlagen und für entsprechend wichtig gehalten werden („eher ‚leben, um zu arbeiten‘“). Für unwichtig wird beispielsweise die Rücksichtnahme gegenüber Schwachen gehalten. „Feminine“ Kulturen bevorzugen hingegen Lebensqualität („eher ‚arbeiten, um zu leben‘“), die soziale Komponente wird besonders betont, weshalb Benachteiligten weitaus mehr Augenmerk geschenkt wird. Deutschland ist nach diesem Muster mit Platz 9/10 und einem Maskulinitätsindexwert (MAS) von 66 als „männlicher“ zu bezeichnen als Hongkong (Platz 18/19; 57 MAS-Punkte) und besonders Taiwan (Platz 32/33; 45 MAS), dessen Gesellschaft als besonders „feminin“ anzusehen wäre.179 Als letztes ist „Unsicherheitsvermeidung“ anzuführen, worunter Hofstede das je nachdem stark oder schwach ausgeprägte Gefühl einer Bedrohung durch ungewisse oder unbekannte Situationen versteht. In Gesellschaften mit geringer Unsicherheitsvermeidung wird also die Tatsache, dass das Leben gefährlich ist, eher hingenommen, als in Gesellschaften, mit hoher Unsicherheitsvermeidung, die sich beispielsweise durch einen hohen Stressfaktor, den Hang zur peniblen Organisation jeglicher Lebensbereiche, ein ausgeprägtes Regelsystem u.a. bestimmen. Deutschland steht laut diesem „Unsicherheitsvermeidungsindex“ (UVI) auf Platz 29 mit 65 UVI-Punkten. Kurz über Deutschland steht Taiwan innerhalb der Hofstede’schen Skala (Platz 26; 69 UVI), was also eine relativ hohe Unsicherheitsvermeidung in der taiwanischen Kultur bedeutet. In Hongkong (Platz 49/50; 29 UVI) spielt hingegen Unsicherheitsvermeidung eine geringe Rolle.180 Der Einfluss, den das Konzept Hofstedes auf die Management-Beratungsliteratur ausübt, ist nicht zu übersehen. Hier stellt sich die Frage, auf welchen Grundlagen die genannten Kategorien für gesamt China 178 Den höchsten IDV-Wert nehmen die USA ein (Platz 1; 91 IDV-Punkte), während die guatemalesische Gesellschaft (Platz 53; 6 IDV) sich durch einen besonders ausgeprägten Kollektivismus bestimmt. 179 Für Japan als „maskulinstes“ Land wurden 95 MAS-Punkte errechnet. Schweden hingegen steht als „weiblichstes“ Land mit 5 MAS-Punkten auf Platz 53. 180 Den höchsten UVI-Wert weist Griechenland auf (Platz 1; 112 UVI). Die geringste Unsicherheitsvermeidung ist dagegen in Singapur (Platz 53; 8 UVI) zu finden.

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ausgefüllt werden. Zur Anschauung ein Beispiel aus einem „Management-Handbuch“181: Tabelle 1: Machtdistanz am Beispiel chinesischen und westlichen Lernverhaltens Chinese Students Large Power Distance Instructor is seen as a ‚guru‘ who transfers personal wisdom to the trainees and deserves respect. The trainee expects that the instructor initiates the communication and guides the instruction (instructor centred). The trainee refrains from publicity criticising or contradicting the instructor. Older instructors are more respected than younger ones. The trainee prefers an instructor who lectures.

Western Students Small Power Distance Instructor is seen as facilitator of learning, and is respected if competent. The trainee expects to take initiative during and after instruction (trainee centred). The trainee is willing to level with the instructor. The trainee considers age less important than the teacher’s competence. The trainee prefers an instructor who provides a mix of experiental learning and lecture.

Tabelle 2: Unsicherheitsvermeidung am Beispiel chinesischen und westlichen Lernverhaltens Chinese Students Strong Uncertainty Avoidance The trainee prefers clearly structured learning situations, including precise objectives and detailed strict assignments. The trainee expects the instructor to have definitive answers to questions.

Western Students Weak Uncertainty Avoidance The trainee is comfortable in unstructured learning situations, including vague objectives, broad assignments and open timetables. The instructor may admit that he does not know something.

181 Siehe E. Boos, E./C. Sieren (2003): The China Management Handbook. A comprehensive question and answer guide to the world’s most important emerging market, New York., S. 191.

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Trainees and the instructor regard learning as a serious process.

Trainees and the instructor regard learning situations as a challenge which can be fun. the trainee is primarily interested The trainees is comfortable with in accurate problem-solving innovative approaches to problem-solving. The instructor and the trainees find The instructor and the trainee try the expression of strong emotions to keep own emotions in check. acceptable.

Die Ergebnisse Hofstedes verweisen deutlich auf einen Unterschied zwischen Taiwan und Hongkong, die aber, je nach Perspektive, Teil einer Nation sind und damit auch Unterschiede zwischen den chinesischen Provinzen Heilongjiang und Guangzhou oder auch Bayern und Schleswig-Holstein nahelegen. Schon hier wird der Begriff „Nationalkultur“ zum Stolperstein. Trotzdem bleiben die Ergebnisse Hofstedes wichtig und sinnvoll – solange bedacht wird, dass diese Untersuchung in IBM-Tochterfirmen durchgeführt wurde, also einen sehr hohen Aussagewert für IBM hat und der eine oder andere Terminus überdacht wird. Die Ergebnisse jedoch unbesehen auf eine „Nationalkultur“ als repräsentativ zu übertragen, erscheint nicht sinnvoll. Um Tendenzen und die Reichweite kulturellen Einflusses zu verdeutlichen, bleibt die Arbeit Hofstedes jedoch ohne Zweifel von großer Bedeutung. Zahlreiche Konzerne bieten Ihren Mitarbeitern inzwischen die Möglichkeit von Seminaren, in denen sie auf die speziellen Anforderungen eines Chinaeinsatzes vorbereitet werden. Insbesondere soll den zukünftigen Expatriates interkulturelle Kompetenz vermittelt werden, wobei die Seminarkonzeptionen in der Regel auf die unter I., 2.4 genannte Kulturstandardtheorie zurückgreifen. Alexander Thomas und Eberhard Schenk haben zu diesem Zweck ein spezielles Trainingsprogramm entwickelt, das es sich zur Aufgabe macht, auf der Basis von Kulturstandards, Handlungskompetenz im Ausland zu vermitteln. Die Seminarteilnehmer bzw. Leser des Buches werden in Situationen eingeführt, für die es vier verschiedene Erklärungen gibt. Auf einer Skala von „sehr zutreffend“ bis „nicht zutreffend“ haben die Teilnehmer die Möglichkeit, diese Erklärungen zu beurteilen. Anschließend werden die einzelnen Erklärungen erläutert und anhand der von Thomas und Schenk ausgearbeiteten Kulturstandards beurteilt. „Die Fähigkeit, Verhalten kulturangemessen zu deuten unter 62

METHODOLOGISCHE ANSÄTZE

Berücksichtigung von Beweggründen, Zielen, Sinn und formalen Verlaufsbedingungen“ wird als Ziel des Trainings veranschlagt. 182 Eben weil Thomas und Schenk betonen, dass „als Regeln oder starre Muster“ ausformulierte Kulturstandards bedeuten, dass man „ihrem wirklichen Status“ zuwiderhandle, so erstaunt die Sicherheit, mit der einzelne Problemsituationen als typisch konstruiert und im gleichen Atemzug wieder gelöst werden.183 Doch soll es hier nicht um die Frage gehen, inwieweit die vermittelten Kulturstandards zutreffend sind oder nicht. Vielmehr erscheint es wichtig zu berücksichtigen, wie Firmenentsandte auf ihren Chinaaufenthalt vorbereitet werden und welches Chinabild hierbei vermittelt wird. Auch wenn es der Arbeit Thomas und Schenks sicherlich nicht gerecht wird, soll trotzdem an dieser Stelle eine grobe Zusammenfassung der unterschiedlichen chinesischen und deutschen Handlungsstiltendenzen dargestellt werden, die sich aus dem Trainingsmaterial ergeben:184 Tabelle 3: Handlungsstiltendenzen China Informationsaustausch vorwiegend vertikal. Gruppenorientiertes Handeln; kollektivistisch. Geprägt durch Legalismus, Konfuzianismus und Sozialismus (Ethik gilt nur innerhalb einer Gruppe; Überordnung des kollektiven über das individuelle Wohl). Durchs Kollektiv geprägte Verantwortungsethik. In offiziellen Situationen: Formalia und Präsentation vor Inhalt. „Gesicht geben“. Harmonie (als Aufrechterhaltung der Ordnung) herstellen; Vermeidung von Peinlichkeiten im sozialen Umgang hat Priorität.

Deutschland Informationsaustausch vertikal und horizontal. Eigenverantwortliches Handeln; individualistisch. Geprägt durch christliche Verantwortungsethik (Ethik gilt für jeden).

Christlich geprägte Verantwortungsethik. Offenes, sachliches Abwägen quer durch alle Hierarchien; Inhalt vor Formellem und Präsentation. Selbstdarstellung und „Schlagabtausch“; Streitkultur.

182 Thomas/Schenk (2001), S. 18. 183 Die Frage drängt sich auf, ob der Begriff „Standard“ dann überhaupt noch zutreffend sein kann. 184 Thomas/Schenk (2001).

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Patriarchalischer Führungsstil chinesischer Unternehmen; einem Vorgesetzten wird nicht widersprochen. Loyalität zur Firma über familiäre, verwandtschaftliche, persönliche Beziehungen. Prägung durch sozialistische Marktwirtschaft: Handeln und Entscheiden nach dem geringsten Risiko. Lernen durch Wiederholen und Nachahmen. Indirekte Meinungsäußerung. „Guanxi“: Zweckorientierung bei Bekanntschaften und Freundschaften ist von großer Bedeutung. Wichtiges und Problematisches zum Schluss. Personenorientiert; Beziehung und Vertrauensverhältnis als Voraussetzung.

Offener Führungsstil; sachorientierte Kritik des Untergeben ist erwünscht. Loyalität zur Firma über „Corporate Identity“. markwirtschaftliche Prägung: Handeln und Entscheiden nach Leistung, Effizienz und ökonomisches Denken. Lernen durch Nachfragen. Direkte Meinungsäußerung. Bekanntschaften und Freundschaften sollen aus Interesse an der Person geschlossen werden. Wichtiges und Problematisches an erster Stelle. Sachorientiert; feste Regeln als Voraussetzung.

Ein weiteres Buch, das es sich zur Aufgabe macht, umfassend auf einen beruflichen Chinaaufenthalt vorzubereiten und u.a. auf „Mentalität und Moral: Eine Systematik der abendländisch-chinesischen Kulturunterschiede“ eingeht, fasst diese wie folgt zusammen:185 Tabelle 4: Abendländische und konfuzianische Moral Abendländische Gesetzesmoral Tendenz Sachfokus. Prinzipien und Sachzwänge entscheiden. Berechenbarkeit und Sicherheit durch Verträge und Gesetze.

Konfuzianische Gesetzesmoral Tendenz Personenfokus. Personen entscheiden. Berechenbarkeit und Sicherheit durch Beziehungen (Freundschaft).

185 U. Reisach/T. Tauber/Xueli Yuan (1997): China – Wirtschaftspartner zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Frankfurt/M., S. 297.

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Monochrones Zeitmanagement und Planen. Tendenz Individualismus. zielt auf die Würde und Integrität des einzelnen. kategorisch/immer gültige Vorschriften. Sanktion: Schuld, Gewissensbisse. Tendenz Gleichberechtigung. Hierarchie möglich, aber nicht erforderlich. Unabhängigkeit.

Polychrones Zeitmanagement und Planen. Tendenz Gruppenorientierung. Zielt auf Harmonie und Stabilität der Gruppe. Situativ/relativ gültige Vorschriften. Sanktion: Scham, Gesichtsverlust. Tendenz Hierarchie. Hierarchie unbedingt notwendig. Dankbare Abhängigkeit/Schutz von oben.

Es existiert eine Vielzahl weiterer Bücher, die auf China vorbereiten und sich qualitativ erheblich voneinander unterscheiden. Doch stimmen sie zumeist mit den hier angeführten Inhalten, die wie erwähnt stark an Hofstede angelehnt sind, überein. Auch wenn diese Charakterisierungen wie Stereotypisierungen anmuten, sollen sie, darauf wird in der Regel deutlich hingewiesen, als Annäherungswerte verstanden werden. Ein weiterer Ratgeber zum chinesischen Markt, der in deutscher Sprache erschienen ist, stammt von Zhang Xiang, dessen Buch eine Überarbeitung des drei Jahre zuvor erschienenen chinesischen Originals ist, das chinesischen Geschäftsleuten als Ratgeber im Umgang mit westlichen Verhandlungspartnern dienen soll.186 Im Unterschied zu der umfangreichen deutschen Literatur widmet Zhang interkultureller Problematik kein gesondertes Kapitel, doch klingen die Unterschiede immer wieder an. Vor allem konzentriert er sich auf die Darlegung dessen, wie in China verhandelt wird, ohne hierbei kulturell begründete Unterschiede zu reflektieren. So z.B. wenn er von übermäßiger Arroganz der westlichen Geschäftsleute spricht oder vor „Gesichtsverlust“ in China warnt. Eine andere Form chinesischer Literatur, die sich mit Deutschland aber auch zahlreichen, vor allem westlichen Ländern beschäftigt, wendet sich

186 Zhang Xiang (1997): Erfolgreich verhandeln in China: Risiken minimieren, Verträge optimieren, Wiesbaden.

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an ein allgemeineres Publikum.187 Als Ziel wird in der Regel die Parole „vom Westen lernen“ in den Vordergrund gestellt. Neben historischen Abrissen der deutschen Geschichte finden sich Erklärungen für deutsches Verhalten wie auch Hinweise zum interkulturellen Umgang, die stilistisch und thematisch an die deutschen Pendants erinnern, jedoch ohne die „Tipps“ in den Dienst des Erfolgs bei Verhandlung zu stellen Deutsche werden grob zusammengefasst als ordnungsliebend, gesetzestreu bis hin zu obrigkeitshörig, auch als revolutionär, auf jeden Fall aber als fleißig, arbeitsam und praktisch veranlagt beschrieben. Bescheidenheit, Sparsamkeit und eine besondere Diszipliniertheit wird Deutschen ebenso zugeschrieben wie eine zu stark ausgeprägte Ernsthaftigkeit und Humorlosigkeit. Die Liste könnte endlos fortgesetzt werden, würde aber in diesem Zusammenhang zu nichts führen. Wichtig ist vielmehr der Hinweis darauf, dass diese Art von Literatur existiert und grundsätzlich zur Verfügung steht. Es wird also zu berücksichtigen sein, ob, und wenn ja, inwieweit sich die Beteiligten auf die Zusammenarbeit mit ihren deutschen bzw. chinesischen Kollegen vorbereitet haben und auf welche Mittel hierbei vorwiegend zurückgegriffen wird. Darüber hinaus sind neuere wissenschaftliche Untersuchungen zu nennen, die den Wertewandel in China thematisieren und sich hierbei vor allem auf die jüngere Generation konzentrieren.188 Teilweise sind dabei Arbeiten zu finden, die bezeichnende Titel führen wie „Der Charakter der Chinesen“189 und Ähnliches.

187 Zu Deutschland siehe z.B. Zhang Xuan (1998), Zhang Wu Neng (2000), Xie You (2001), Wu Youfa (2000), Mo Jinlian/Li Guangmin (1999), Lu Shideng (2000), Li Lin/Qiao Yan (Hg.,1999). 188 Beispielsweise Li Minghua (1992), Chu /Ju (1993), Gransow/Li (1995), Shao (1996) 189 Beispielsweise Sha (1987), Yang (1988), Zeng/Li (2001)

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Teil II: Methodisches Vorgehen

Um auch dem Chinaunkundigen einen Eindruck von den Orten der Erhebung zu vermitteln, werden folgend einige Eckdaten skizziert, die dem Leser einen groben Überblick verschaffen sollen. Darüber hinaus werden die Methodik zur Datenerhebung wie auch die Forschungssituation und deren Verlauf beschrieben. Da eine Feldforschung wie die vorliegende Arbeit immer auch als subjektiver Prozess verstanden werden muss und in hohem Maße von der Person des Forschenden geprägt ist, soll so eine Einschätzung erleichtert werden. Individuelle Sichtweisen Beteiligter stehen im Mittelpunkt der Befragungen. Der Prozess der Annäherung an das Feld korreliert unmittelbar mit Vorgehen und Fragestellungen in den Interviews, was als ein erstes Ergebnis aus den eingangs unter I. formulierten theoretischen Überlegungen resultiert. Dies hat einerseits eine hohe Flexibilität und Offenheit gegenüber Situationen und Personen als Vorteil, andererseits bedeutet es aber auch stetige Überprüfung und Modifikation des Erhebungsverfahrens, die eine Vergleichbarkeit der Samples aufgrund unterschiedlicher Strukturen erschweren. Die Darstellung des Leitfadens, die Kontaktaufnahme zu Gesprächspartnern, deren Verhalten während der Interviews und die der Befragung von Personen in einer Fremdsprache zugrunde liegende Problematik werden skizziert, um Vorgehen und Besonderheit dieser Forschung vor Augen zu führen.

1. Orte der Erhebung Die Befragungen und Gespräche dieser Feldforschung wurden in den im Yangzi-Delta gelegenen Städten Shanghai, Hangzhou, Provinzhaupt-

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stadt von Zhejiang, der ebenfalls in Zhejiang gelegenen Hafenstadt Ningbo und Suzhou, Provinz Jiangsu, durchgeführt, wobei der Fokus aufgrund der dort hohen Zahl deutscher Entsandter auf Shanghai liegt. In der Metropole, die in den deutschen Medien durch Superlative und prestigeträchtige Projekte wie die Transrapidstrecke eine entsprechende Präsenz genießt, sind laut Auskunft des deutschem Generalkonsulats allein 328 deutsche Firmenrepräsentanzen und 302 Joint Venture (JV) bzw. Wholly Foreign Owned Unternehmen (WFOE) ansässig. Entsprechend hoch ist die Zahl der hier lebenden Entsandten, die bei Bedarf auf ein gewachsenes Netz der deutschen Gemeinschaft (siehe III, 2.) und zahlreiche für Ausländer vorgesehene Einrichtungen und Serviceleistungen zugreifen können. Die Stadt dehnt sich auf einer Fläche von 6340 km² aus und weist im Kern die höchste Einwohnerdichte Chinas auf.1 Obwohl Shanghai einen prozentualen Grünflächenanteil von ca. 12% anstrebt, dominiert der sehr urbane Eindruck der Stadt. Hochhäuser, die mit unterschiedlichen Stilund Leuchtelementen verziert sind, bestimmen auf den ersten Blick das Stadtbild. Zwischen den neueren Bauten finden sich nach wie vor zahlreiche, im Vergleich zu Deutschland meist sehr ärmlich anmutende Viertel, in denen die Menschen in äußerst unkomfortablen und heruntergekommenen Gebäuden leben. Einige meiner wesentlichen Eindrücke von dieser Stadt sind dementsprechend die unübersehbaren Gegensätze zwischen Armut und Reichtum, zwischen alt und neu, zwischen glänzend polierten Marmorfassaden und grauen, stinkenden, feuchten Gassen. Es ist durchaus möglich, in einem Café in einer der populären Gegenden Shanghais einen Kaffee zu bestellen, dessen Preis rund einem Viertel des Monatslohns eines nur zwei Straßen weiter entfernten Arbeiterhaushalts entspricht und dabei zwischen nach der neuesten Mode gekleideten Menschen zu sitzen, während gleichzeitig Kinder in abgerissener und schmutziger Kleidung um Essensreste und Geld betteln. Eine weitere Impression ist der enorme Lärmpegel, der sich vor allem durch den Straßenverkehr und die unzähligen Baustellen erklärt. Ungefähr 170 Kilometer, ca. zweieinhalb Autostunden entfernt im Südwesten Shanghais gelegen, befindet sich Hangzhou, Hauptstadt der Provinz Zhejiang. Mit einer Bevölkerung von mehr als 6,4 Millionen registrierten Personen und einer Fläche von 3068 km² erscheint es im Vergleich zu Shanghaier Dimensionen beinahe klein und überschaubar. Aufgrund der Lage zwischen Bergen, dem Westsee und den nahe lie1 Im zentralen Kern leben auf ca. 220 km² mehr als 7,5 Millionen Menschen.

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genden Teeplantagen haben die Bewohner der Stadt die Möglichkeit, in kurzer Zeit in ländlich geprägter Umgebung Ausflüge zu unternehmen. Das Gebiet unmittelbar um den Westsee ist ein Beispiel für die stadtplanerischen Bemühungen, noch weitere Teile Hangzhous für den Tourismus zu erschließen. Das Stadtzentrum, welches sich halbkreisförmig an den Westsee anschmiegt, besteht aus zahlreichen Geschäften und Kaufhäusern. Während sich Shanghai aus mehreren autarken Vierteln zusammensetzt und das eigentliche Zentrum in der Gegend des Bunds und der Nanjing Straße eher von Ausflüglern bzw. durch den Touristenverkehr dominiert wird, befinden sich in Hangzhous Zentrum zahlreiche Geschäfte, die auch von Einheimischen zum Einkauf besucht werden. Auch wenn die für Shanghai beschriebenen Gegensätze zwischen Armut und Reichtum, zwischen Luxus und tagtäglichem Überlebenskampf usw. nicht so offensichtlich ins Auge stechen, sind sie dennoch vorhanden. Dasselbe gilt für die etwa gleich großen Städte Suzhou und Ningbo. Mit einer Einwohnerzahl von rund 5,7 Millionen Einwohnern in Suzhou und 5,4 Millionen Einwohnern in Ningbo sind beide Städte beinahe so groß wie Hangzhou, erscheinen aber aufgrund der Infrastruktur und des vergleichsweise beschränkten Angebotes weitaus provinzieller. Suzhou, etwa 80 Kilometer bzw. eine Fahrtzeit von rund einer Stunde von Shanghai entfernt, erstreckt sich über eine Gesamtfläche von 1650 km². Das überschaubare Zentrum wird von Geschäften, Kaufhäusern und einem vor allem von Touristen besuchten Tempel bestimmt. Ähnlich wie für Hangzhou spielt der Fremdenverkehr eine wesentliche Rolle und entsprechend wird der Kern durch Sehenswürdigkeiten und die architektonische Betonung traditioneller Bauweisen geprägt. Kanäle, zahlreiche Parks und historische Bauten fallen immer wieder ins Auge. Wie Shanghai und Hangzhou verfügt Suzhou ebenso über, auf dem Reißbrett entstandene, Wohnparks, mit einem internationalen Warenangebot ausgestattete Supermärkte und bilinguale, internationale Schulen, durch die ausländische Investoren angezogen werden sollen. Ningbo liegt ca. vier Autostunden von Shanghai entfernt und dehnt sich auf einer Fläche von insgesamt 2560 km² aus. Es erscheint im Vergleich zu den drei beschriebenen Städten weniger attraktiv. Schon bei der Ankunft wird deutlich, dass sich Ningbo zwar ein neues Gesicht geben will, dieses aber noch lange nicht vor seiner Vollendung steht. Das nicht eindeutig bestimmbare Zentrum wirkt unstrukturiert und hat vergleichsweise wenig zu bieten. Doch auch hier schreiten die Veränderungen wie in den drei anderen Städten in einem erstaunlichen Tempo voran. Wo ges69

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tern noch in einer garagenähnlichen Unterkunft Obst angeboten wurde, steht wenige Tage später ein Abrissbagger und einige Monate darauf erhebt sich an gleicher Stelle ein spiegelverglaster Bürokomplex. Diese zum Greifen nahen und rasanten Veränderungen sind ein Hauptmerkmal dieser Städte. Sie alle verfügen über Angebote und Leistungen, die sich speziell nach den Bedürfnissen von Ausländern richten. Ein wesentlicher und für die vorliegende Untersuchung relevanter Unterschied zu Shanghai besteht darin, dass diese in Suzhou, Hangzhou und Ningbo in der Regel auf Initiativen Einzelner oder Gruppen zurückgehen und keine direkten oder indirekten kommerziellen Interessen verfolgen, sondern ausschließlich dem gegenseitigen Austausch und der Knüpfung von Bekanntschaften dienen.

1.1 Attraktivität als Wirtschaftsstandort Alle vier Orte verfügen über Zonen, die aufgrund von Sonderregelungen Anreize für Investoren bieten sollen. Sie werden in Wirtschafts- und Technologieentwicklungszonen, Hochtechnologiezonen, Zollverschlussgebiete und Export Processing Zones unterteilt. Wirtschafts- und Technologie-Entwicklungszonen sowie Hochtechnologiezonen zeichnen sich im landesweiten Vergleich durch eine Reihe staatlich festgelegter Sondervergünstigungen aus. Die Attraktivität der Standorte wird durch die Anpassung von Genehmigungsverfahren an internationale Standards und die Einrichtung von Servicezentren erhöht. Weiterhin stehen der massive Ausbau der Infrastruktur und die Versorgung mit Wasser, Strom und Gas im Vordergrund. In Hochtechnologiezonen sollen durch gezielte Vergünstigungen und Anreize ausländische Unternehmen zu Investitionen angeregt werden. In einigen Fällen werden Vernetzungen mit Forschungszentren und Universitäten angeboten. Zollverschlussgebiete sind weitgehend internationalen Bestimmungen angepasst und ähneln internationalen Freihandelszonen. Sie bieten ausländischen Investoren vor allem durch Steuerbegünstigungen Anreize und gelten als Gebiete mit dem höchsten Öffnungsgrad. Jedes Zollverschlussgebiet verfügt über eine eigene Niederlassung der Zollbehörde, die die Warenbestände der Unternehmen ständig kontrolliert. Nachteilig ist jedoch, dass z.B. Offshore-Geschäfte nicht möglich sind. Auch sind logistische Dienstleistungen wie beispielsweise Lagerung und Transport mit einigem bürokratischen Aufwand verbunden, was u.a. auf die Trennung der Zollverschlussgebiete von den Häfen zurückzuführen ist, die eine zusätzliche Kontrolle durch die Hafenzollbehörden zur Folge hat. Aus diesen Gründen sollen Zollverschlussgebiete in absehbarer Zeit in 70

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Freihandelszonen umgewandelt werden. Ein weiterer, wesentlicher Grund für diese Änderung ist der Beitritt Chinas in die Welthandelsorganisation (WTO), womit bislang gültige Zollrückvergütungsrichtlinien ihre Attraktivität verlieren. Export Processing Zones (EPZ) dienen so genannten EP-Unternehmen zur Weiterverarbeitung von Rohmaterialien oder können zur Lagerung von Waren innerhalb der jeweiligen Zone genutzt werden. Neben den EP- und Lagerhaltungsunternehmen sind Transportunternehmen ebenfalls zugelassen. Alle Geschäftstätigkeiten, die darüber hinausgehen, sind nicht erlaubt. Die in diesem Rahmen festgelegten Bestimmungen 2 regeln den Gütertransport der Unternehmen der EPZs sowie deren eventuelle Produktionsauslagerung. Shanghai, das mit 375 Milliarden RMB Yuan rund 5% von Chinas Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet, spielt eindeutig die dominante Rolle im Herzen des ostchinesischen Wirtschaftszentrums, von dessen ökonomischer Dynamik neben anderen auch Hangzhou, Suzhou und Ningbo profitieren. Diese wirtschaftlich eng vernetzten Städte gehören zu denjenigen Chinas, die einen wesentlichen Teil zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum beitragen, gleichzeitig aber untereinander um ausländische Investoren konkurrieren. So unterschätzte Shanghai die Anziehungskraft des lange Zeit als „Shanghais Hinterhof“ betitelten Suzhous, das 2001 das vertragliche Auslandsinvestment Shanghais übertraf. Mit seiner unangefochtenen Wirtschaftsposition in der Provinz Jiangsu zählt Suzhou zu den Städten, die chinaweit das stärkste Wachstum verzeichnen können. Wie dem Suzhou Statistical Yearbook zu entnehmen ist, stellen Unternehmen mit ausländischem Kapital (UmaK) hierbei die Hauptantriebskraft dar.3 Innerhalb des Zeitraums von 2002 bis 2003 stieg der prozentuale Anteil der UmaK von 33,2% auf 55,8% während der Anteil der staats- und kollektiveigenen Unternehmen von 59,5% auf 9,4% absank. Gleichzeitig nahm die Bedeutung des dienstleistenden Gewerbes zu, was ebenso für die Städte Hangzhou und Ningbo gilt. Mit einem BIP von 280 Milliarden RMB Yuan liegt Suzhou demnach weit vor Hangzhou, das, so das Statistikamt Hangzhou, mit 209 Milliarden RMB Yuan 1,48% des gesamtchinesischen BIPs erbringt. Auch Hangzhou setzt auf die Bindung ausländischer Investoren. 869 UmaK haben hier derzeit ihren Sitz in Hangzhou. Vor allem private Firmen machen sich sowohl hier als auch in Suzhou die günstigen Mie2 3

General Administration of Customs: 1.Mai 2000 Oversight of Export Processing Zones Tentative ProcedureS. Suzhou Statistical Yearbook 2001, 2002.

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ten, die gute Verkehrsanbindung und Infrastruktur und die nahe Lage zu Shanghai zunutze, womit u.a. der Anstieg des privaten Sektors auf rund 98% in Hangzhou erklärt werden kann.4 Suzhou und Hangzhou werden demgemäß zu den „Giganten“ im Yangzi-Delta gezählt, die mit den „kleinen Giganten“ und Shanghai, dem „Supergigant“ im Wettbewerb um Investoren stehen. Auch wenn Ningbo ebenfalls in hohem Maße vom dynamischen Zug des Yangzi-Deltas profitiert und ebenso zur Liga der „Small Giants“ gezählt wird, steht es dennoch nach wie vor weit hinter Städten, die näher an Shanghai gelegen sind. Um das erklärte Ziel, die „Giants“ einzuholen, erreichen zu können, soll eine direkte Brücke nach Shanghai gebaut werden, um die derzeit vier Stunden Fahrtzeit auf 1,5 Stunden zu reduzieren. Mit einem BIP von rund 177 Milliarden RMB Yuan und einem konstanten Wachstum um 10% in den vergangenen Jahren liegt es weit über dem Landesdurchschnitt. Auch hier leisten UmaK einen wesentlichen Beitrag: Von insgesamt 4586 Betrieben sind 742 Unternehmen mit ausländischem Kapital, was rund 16% entspricht. Ningbo vertraut vor allem darauf, als einer der führenden internationalen Tiefseehäfen Chinas weiterhin an Bedeutung zu gewinnen. Alle genannten Städte verfügen aufgrund der Möglichkeit, lokale Gesetze zu erlassen, über den nötigen legislativen Spielraum um flexibel auf die Marktentwicklung reagieren zu können. Sie werben verstärkt um ausländische Unternehmen, denen die Gewährleistung von europäischen, US-amerikanischen und japanischen Standards zugesichert wird. Dennoch sind Firmen vor Ort mit nicht immer unmittelbar lösbaren Problemen konfrontiert. Auch wenn beispielsweise die kontinuierliche Bereitstellung von Energie versprochen wird, kann es vor allem im Sommer zu unangekündigten Stromausfällen kommen, die, wenn keine eigenen Generatoren zu Verfügung stehen, die gesamte Produktion eines Betriebes lahm legen. So fehlten im Zuge von Engpässen bei der Stromversorgung im Sommer 2004 zeitweise bis zu 30 Gigawatt, das zweifache Defizit des vorherigen Jahres. Aufgrund des verstärkten Gebrauchs von Klimaanlagen bei hohen Außentemperaturen in den allgemein schlecht isolierten Gebäuden kam es im Sommer 2004 immer wieder zu Versorgungsengpässen. Ein weiterer Grund ist der stetig ansteigende industrielle Strombedarf, der u.a. auch mit der zunehmenden Zahl an Betrieben zusammenhängt.5 4 5

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Hangzhou Statistical Yearbook 2003. Laut Beijing Rundschau vom 12.10.2004 erreichte der Tagesstromverbrauch nach Statistiken des State Power Dispatching and Communica-

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Dennoch bieten diese Städte ausschlaggebende Vorzüge für die Ansiedlung neuer Unternehmen. Die vergleichsweise gut entwickelte Infrastruktur und Wirtschaft, die günstige Küstenlage, eine im Vergleich zu Restchina große Auswahl von Fachkräften und dass sich oftmals Zulieferer in der Nähe finden lassen, sind unmittelbare Anreize für Investoren, was sich in der verhältnismäßig hohen Dichte ausländischer Firmen niederschlägt. Damit zählen Shanghai, Hangzhou, Suzhou und Ningbo zu den 40 Städten Chinas, die die besten Rahmenbedingungen für Investitionen bieten.6

1.2 Attraktivität für Arbeitssuchende im Vergleich Den Orten der Untersuchung ist ebenfalls gemeinsam, dass sie Ziel zahlreicher innerchinesischer Migranten sind, so genannter Wanderarbeiter, die aus strukturschwachen Gebieten stammen und in den prosperierenden Städten des Landes ihr Glück suchen. Auf der Suche nach einem Arbeitsplatz schätzen sich nicht wenige glücklich, wenn sie eine im Verhältnis schlecht bezahlte Tätigkeit als Handlanger finden. Selbst die in Städten äußerst geringe Entlohnung erscheint relativ zum möglichen Einkommen des jeweiligen Heimatortes immer noch als attraktiv genug, um die mit einem Ortswechsel verbundenen Risiken auf sich zu nehmen.7 Somit üben sie nicht nur auf ausländische Investoren einen erhöhten Reiz aus, sondern ebenfalls auf die armen Bevölkerungsteile des Landes, die von höheren Gehältern und den besseren Lebens- und Ar-

6 7

tion Center am 29.06.2004 mit 627,4 Milliarden kWh einen neuen Landesrekord. Damit stieg der industrielle Stromverbrauch um mehr als 17%, während chinesische Ökonomen mit einer Steigerung von lediglich 5% rechneten. So der Shanghai Star vom 23.12.2004, der sich auf eine Untersuchung des Forbes-Instituts bezieht. Schätzungen gehen von Zahlen zwischen 140 und 200 Millionen Wanderarbeitern aus. Laut China Today werden 30% der Einkünfte von ländlichen Haushalten durch Wanderarbeiter erwirtschaftet. Da sie offiziell nicht als Stadtbewohner registriert sind, befinden sich Wanderarbeiter in einem semi-legalen Status. Sie haben kein Anrecht auf Sozialversicherung und gesetzlicher Schutz bleibt ihnen weitgehend versagt. Ebenso ist es ihnen verwehrt, unabhängige Interessenverbände zu gründen. Der staatlich kontrollierte Allchinesische Gewerkschaftsbund ist erst seit 2003 für sie zuständig. Aus diesem Grund sind sie Arbeitgebern, die sich weigern, Löhne auszuzahlen, weitgehend schutzlos ausgeliefert. Rund 360 Milliarden RMB Yuan schulden staatliche und private Firmen ihren Beschäftigten und speisen sie stattdessen mit geringen Unterhaltszahlungen ab. Eine Änderung der Bauverordnung kann in diesem Zusammenhang als erster Schritt zur Verbesserung der Situation der Wanderarbeiter interpretiert werden. (www.chinatoday.com.cn/chinaheute/2004n/4n2/2n1.htm).

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beitsbedingungen zu profitieren hoffen, welche statistisch weit über dem Landesdurchschnitt liegen. Tabelle 5: Einkommensschere Stadt-Land (2003)8 Chinas reichste städtische Gebiete befinden sich in:

Verfügbares Einkommen je Haushalt/Jahr (RMB)

Chinas ärmste ländliche Gebiete befinden sich in:

Verfügbares Einkommen je Haushalt/Jahr (RMB)

Shanghai Stadt

12.883,46

Autonome Region

1.973,37

Innere Mongolei Beijing Stadt

11.577,78

Chongqing Stadt

1.971,18

Zhejiang Provinz

10.464,67

Shanxi Provinz

1.956,05

Guangdong Pro-

10.415,19

Autonome Region

1.944,33

vinz

Guangxi Zhuang

Tianjin Stadt

8.958,70

Autonome Region

1.823,05

Ningxia Hui Fujian Provinz

8.313,08

Autonome Region

1.710,44

Xinjiang Uygur Autonome Region

7.869,16

Qinghai Provinz

1557,32

Jiangsu Provinz

7.375,10

Gansu Provinz

1.508,61

Shandong Provinz

7.101,08

Shaanxi Provinz

1.490,80

Yunnan Provinz

6.797,71

Guizhou Provinz

1.411,73

Tibet

Tabelle 6: Durchschnittliche Haushaltseinkommen und -ausgaben an den Erhebungsorten im Vergleich (2003)9 Verfügbares Einkommen Jahr/ Haushalt (RMB, registrierte Einwohner ohne Arbeitslose)

Unterhaltskosten Jahr/ Haushalt (RMB)

Zur Verfügung stehende Wohnfläche Jahr/ Haushalt (RMB)

Stadt

Land

Stadt

Land

Stadt

Land

Shanghai

14.867

6.650

11.040

n.a.

13,1 m²

n.a.

Hangzhou

12.898

5.740

9.950

4.578

17,2 m²

54,7 m²

Ningbo

14.277

5.764

10.463

n.a.

17,3 m²

46,9 m²

Suzhou

12.361

6.750

9.272

4.643

18,2 m²

n.a.

Landesweit

8.472

2.622

6.510

1.943

22,8 m²

27,2 m²

8 China Statistical Yearbook (2004). 9 Shanghai Statistical Yearbook (2004); Suzhou Statistical Yearbook (2004), Hangzhou Statistical Yearbook (2004); Ningbo Staistical Yearbook (2004).

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Da aber die Lebenshaltungskosten in den Städten kontinuierlich steigen und Personen mit unzureichender Ausbildung Schwierigkeiten haben, sich auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt durchzusetzen bzw. ihre Gehälter nicht den Teuerungen angepasst werden, kehren viele Arbeiter wieder in ihre Heimatorte zurück. Hiervon ist derzeit vor allem die Region des Perlflussdeltas 10 betroffen. Aus den Provinzen Zhejiang und Fujian wird gemeldet, dass Arbeiter nach dem Frühlingsfest11, das in der Regel daheim gefeiert wird, nicht an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt wären.12

2. Forschungssituation Die Erhebung von Daten durch Interviews, informelle Gespräche und Beobachtungen in China umfasste nach einer vorbereitenden Phase in Deutschland den Zeitraum Februar 2004 bis April 2005. Von insgesamt 99 Interviews wurden sieben mit deutschen Repatriates in Deutschland, 46 mit in China lebenden Deutschen und 46 mit in deutschen Firmen oder deutsch-chinesischen Kooperationen arbeitenden Chinesen geführt. 56 der Interviews wurden in Shanghai, 15 in Hangzhou, 12 in Suzhou und neun in Ningbo geführt. In drei Gesprächen saßen mir mehrere Personen gegenüber und bis auf drei Ausnahmen wurden die Gespräche in der Muttersprache des Interviewten geführt. Um einen möglichst umfassenden Eindruck von Zusammenarbeit und Situation vor Ort zu erhalten, wurde in vier verschiedenen Unternehmen über mehrere Tage hinweg eine Auswahl von Personen befragt. Wie sich die Kontaktaufnahme zu Deutschen und Chinesen unterschiedlich gestaltete, so unterschieden sich auch Themenzentrierung und Verlauf der Interviews. Je nach Situation, Bereitschaft des Gegenübers und der Problematik des Interviewten variierte die Gesprächsdauer zwischen einer und zwei Stunden. An acht Interviews schlossen sich direkt 10 Einer der aktivsten Wirtschaftsräume Chinas zu dem die beiden ersten Sonderwirtschaftszonen, Shenzhen und Zhuhai, sowie die Metropolen Guangdong, Foshan, Dongguan und die Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macao gehören. 11 Das chinesische Neujahrsfest richtet sich nach dem chinesischen Bauernkalender und findet am zweiten und manchmal dritten Neumond nach der Wintersonnenwende statt, was der Zeit zwischen dem 21. Januar und 19. Februar des gregorianischen Kalenders entspricht. Die Bedeutung des Frühlingsfestes lässt sich mit der des Weihnachtsfestes in Deutschland vergleichen. 12 Asian Labour News, 7.8.2004.

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informelle Gespräche an, die also nicht aufgezeichnet wurden und keinem Leitfaden folgten. Darüber hinaus wurden mit einer Auswahl von Interviewten Nachgespräche geführt, die ebenfalls nicht aufgezeichnet wurden und der Überprüfung einzelner Sachverhalte und der Nachfrage nach der Entwicklung problematischer Situationen dienten. Der Leitfaden setzte sich aus mehreren Themenschwerpunkten zusammen, die nicht chronologisch abgefragt wurden, sondern sich nach den Äußerungen und der Situation des Befragten richteten. Das Ziel, eine offene Gesprächssituation herzustellen, die es dem Forschenden ermöglicht, flexibel auf Gedankensprünge und Themenwechsel der Befragten zu reagieren, wurde wesentlich durch die Zuhilfenahme eines Mind Mappings erleichtert. Ohne den Überblick über zuvor festgelegte Schwerpunkte zu verlieren wird so der schnelle Themenwechsel erleichtert, wodurch die Interviews den Charakter einer Unterhaltung gewinnen. Einen weiteren, sehr praktischen Vorteil bietet ein Leitfaden in Form eines Mind Mappings mit der Möglichkeit, Informationen in komprimierter Form darzustellen, die in chronologischer Darstellung mehrere Seiten umfassen würde. Damit entfällt störendes Blättergeraschel, das den Gesprächsfluss während eines Interviews unnötig stört. Die Ergänzung durch Experteninterviews mit einer Psychotherapeutin und einem Trainer für Interkulturelle Kommunikation erwies sich als äußerst hilfreich für die Überarbeitung der Fragestellungen.

3 . An n ä h e r u n g a n s F e l d Die Annäherung an die zwei unterschiedlichen Gruppen, Deutsche in China und Chinesen, die mit Deutschen zusammenarbeiten, ist mit der Herausforderung verbunden, sich sowohl auf transkultureller als auch intrakultureller Ebene mit anderen Lebenswelten auseinander zu setzen. Der Prozess der Kontaktaufnahme und die Vermittlung weiterer Interviewpartner, die Teilnahme an Aktivitäten und der Zugang zu nichtöffentlichen Bereichen setzen die Unterstützung einzelner Personen voraus, deren guter Wille nicht zuletzt von der Fähigkeit des Forschenden abhängt, Interesse am Forschungsthema oder aber an seiner Person herzustellen.

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3.1 Fremder unter Fremden: Deutsche Während der Vorbereitungsphase dieser Studie erwies es sich als sinnvoll, zunächst Personen in Deutschland zu befragen, die schon einen Chinaeinsatz hinter sich hatten. Diese so genannten „Repatriates“ vermittelten einen ersten Einblick in die Situation in China und damit verbundene Probleme eines Entsandten. Die gewonnenen Daten stellten für eine erste Orientierung in China und eine vorläufige Themenfokussierung eine wesentliche Hilfe dar. Weiterhin boten sie Anhaltspunkte für Kontaktmöglichkeiten und Hinweise auf mögliche Ansprechpartner in China. Während ich in China auf eine außerordentlich hohe Bereitschaft gestoßen bin, diese Arbeit zu unterstützen, gilt dies nicht unumschränkt für Anfragen bei Unternehmen in Deutschland. In einigen Fällen landete das Anschreiben im Papierkorb, ohne jemals bei den Betroffenen angekommen zu sein, was anhand der hohen Anzahl entsprechender Bitten von Forschenden zu allen Themenbereichen nicht verwunderlich sein mag. Eine Begründung, die mit einer sehr kurzfristigen Absage verbunden war, erscheint mir erwähnenswert: Befürchtet wurde, dass interne Informationen über laufende Projekte weitergegeben werden könnten. Zudem sollten die Erfahrungen der Mitarbeiter ausschließlich dem Konzern zur Verfügung gestellt werden. In späteren, nicht über die Verwaltung des Betriebs vermittelten Gesprächen mit Mitarbeitern dieses Unternehmens stellte sich heraus, dass vergleichsweise viele der Entsandten frühzeitig ihren Chinaaufenthalt abgebrochen hatten, worüber verständlicherweise nicht gerne öffentlich gesprochen wird. Für eine erste Kontaktaufnahme hat sich die direkte Anfrage bei in Frage kommenden Gesprächspartnern via E-Mail oder Telefonat bewährt. Für die Annäherung an das Forschungsfeld in China boten sich vor allem typische Treffpunkte der deutschen Gemeinschaft an. Fast überall, wo mehrere Deutsche tätig sind, bilden sich z.B. „Deutsche Stammtische“, „Deutsche Ecken“, karitative Vereinigungen oder es gibt von einem Teil der Gemeinschaft bevorzugte Bars oder Restaurants, die sich als Orte der Begegnung anbieten (siehe III., 2.2 bis 2.4) Hier bot sich die Möglichkeit, unverbindliche Gespräche zu führen und einen ersten Eindruck von der Situation der Betroffenen zu erhalten. In Shanghai, der chinesischen Stadt mit den meisten deutschen Entsandten, gibt es beispielsweise u.a. einen „Deutschen Club“, der hauptsächlich von begleitenden Frauen besucht wird, das „German Center“13, 13 Das German Center bietet deutschen Unternehmen neben Mieträumen umfangreiche Dienstleistungen und hatte, inzwischen in den Zhangjiang

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wo während des Untersuchungszeitraumes jeden Freitagabend ein deutscher Film gespielt wurde, in dessen Anschluss sich einige der Gäste zum „gemeinsamen Bier“ zusammenfanden sowie die Außenhandelskammer, deren „Kammerabende“ und darüber hinaus gehende Veranstaltungen optimale Kontaktmöglichkeiten bieten. Zugang zu informellen, nur einem kleinen Kreis von Führungskräften vorbehaltenen und selbst organisierten Treffen ergaben sich im Laufe der Forschung. Da es einige von Deutschen bevorzugte „Compounds“ gibt (III., 2.1) und sich Ausländergemeinschaften in China im Allgemeinen durch ein hohes Maß an Offenheit gegenüber Neuankömmlingen auszeichnen, war es problemlos möglich, beim Besuch derartiger Wohnanlagen mit den Bewohnern ins Gespräch zu kommen. Auch entwickelten sich aus Alltagssituationen wie Fahrten mit der U-Bahn, beim Einkauf, auf der Straße, in Museen usw. immer wieder schnell Kontakte zu Ausländern. Hier spielte das Aussehen eine nicht unwesentliche Rolle. Erkannte man den Anderen als Ausländer, stellte sich schnell eine Art Komplizenschaft her. Ob an der Kasse im Supermarkt, im Fahrstuhl eines Hotels oder an der einsamen Theke einer Bar. Oftmals war es die gemeinsame Situation des Fremdseins, die den ersten und manchmal auch einzigen Gesprächsstoff darstellte. Zur gezielten Kontaktaufnahme und Ansprache durch Andere kam es vor allem in für die Beteiligten problematischen Situationen wie beispielsweise bei Verständigungsschwierigkeiten oder Ortsunkenntnis. Aus diesen „Einstiegssituationen“ ergaben sich in dem einen oder anderen Fall weitere Kontakte. Andere Personen konnten über Internetforen gewonnen werden, in denen sich Ausländer und auch wenige Chinesen über China austauschen.14 Die oben beschriebenen Orte wie beispielsweise Kammertreffen, bestimmte Bars oder aber Stammtische waren mir selbst zunächst fremd und einige dieser Orte hätte ich unter anderen Bedingungen womöglich nicht für mich selbst in Betracht gezogen. In der Gemeinschaft übliche Umgangsformen und Gesprächsthemen musste ich mir zunächst aneignen. Manche der Themen waren mir gänzlich neu oder aber meinem eigentlichen Lebenskontext fremd. Egal, ob es sich um die beispielsweise in den einzelnen Gruppen erstaunliche Kohärenz von Meinungen und Sichtweisen auf das Leben in China, „Männergespräche“ über sexuelle Erlebnisse mit Chinesinnen, Schwangerschaftsprobleme von Partnerinnen, Probleme technisch-fachspezifischer Art und vieles andere mehr Hi-Tech Park Pudong umgezogen, zum Zeitpunkt der Untersuchung auf dem Geländer der Tongji Universität seinen Sitz. 14 Beispielsweise www.schanghai.com oder www.expat.com

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METHODISCHES VORGEHEN

handelte – die Gesprächsgegenstände musste ich mir ebenso aneignen wie den manchmal sehr spezifischen Habitus einer Gruppe. Meine eigene Rolle als Sinologe und Kulturwissenschaftler, als Doktorand und Feldforschender und damit auch oftmals unter den Deutschen zunächst als Exot eingeschätzter Fremder, änderte sich mit der zunehmenden Dauer meiner Präsenz. Da ich mich aber selbst in einer vergleichbaren Situation befand, ich mich durchaus mit ähnlichen Problemen wie die betroffenen deutschen Entsandten konfrontiert sah und da der Forschungsfokus auf der Problematik der Beteiligten liegt, ergaben sich in der Regel rasch Anknüpfungspunkte und Interesse an meiner Person und meiner Tätigkeit. Nicht selten waren Diskussionen um Zwischenergebnisse dieser Forschung, die mit der jeweils eigenen Erfahrung der Betroffenen verglichen und zur Sprache gebracht wurden. Diese „informellen“ Gespräche, erwiesen sich damit für die Themenzentrierung und die stetige konzeptionelle Modifikation des methodischen Vorgehens als wesentlich. Während sich in Shanghai die Kontaktaufnahme durch die hohe Anzahl der Expatriates vor Ort und die im Laufe der Zeit entstandenen Netzwerke als vergleichsweise unproblematisch erwies, gestaltete sich der erste Zugang zur deutschen Gemeinschaft in anderen Städten wie z.B. Hangzhou oder Suzhou etwas schwieriger. Hier war ich in verstärktem Maße auf „Gatekeeper“ angewiesen, die den Zugang zu Netzwerken ermöglichten. Das Interesse bei vor Ort Tätigen an dieser Untersuchung erwies sich als überaus groß. Gründe dafür liegen u.a. in der mit der Fragestellung verbundenen unmittelbaren Betroffenheit. Aus Verunsicherung mancher rührt ein Bedürfnis nach Reflexion der eigenen Situation und der damit verbundenen Verortung. „Wie machen es denn die anderen?“ ist wohl eine der am häufigsten gestellten Rückfragen. Den Betroffenen fehlen in der Regel Informationen zu den Ansichten der chinesischen Seite. Durch die Ergebnisse dieser Arbeit erhoffen sie sich Einblicke, was auf eine der Grundproblematiken in der bikulturellen Zusammenarbeit verweist. Nur wenige der deutschen Befragten haben einen Zugang zur chinesischen Gesellschaft gefunden, der über geschäftliche Beziehungen hinausgeht. Auch in der deutschen Gemeinschaft sind wenige Freundschaften zu finden. Es handelt sich um Beziehungen, die als „Bekanntschaften“ bezeichnet werden (vgl. III., 2.). Damit fehlt vor allem denjenigen der Betroffenen, die ohne Familie oder Partner in China leben, die Möglichkeit, problematische Erfahrungen im privaten oder betrieblichen Bereich im persönlichen Rahmen darzulegen und zu verarbeiten. Dies 79

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mag die Ursache dafür sein, dass sich im Anschluss an Interviews beim gemeinsamen Bier monologisch geführte Gesprächsituationen ergaben, die beinahe Therapiecharakter hatten, was einer der Gründe für das geführte Expertengespräch mit einer deutschen, in China praktizierenden Psychotherapeutin war. Grundsätzlich spielte die Funktion der zugesicherten Anonymität und die Wahrnehmung meiner Person als neutrale und „ungefährliche“ Figur eine ausschlaggebende Rolle. In manchen Fällen wurden erst nach mehrfachen ausdrücklichen Rückversicherungen wie „Ich kann mich doch wirklich darauf verlassen, dass dies unter uns bleibt?“ über problematische Erlebnisse aus dem Alltag berichtet. Dem Zugang zur deutschen Gemeinschaft kam zugute, quasi als Gleichgesinnter eingestuft zu werden. Immer dann schien eine außerordentlich hohe Offenheit gegenüber der eigenen Sprachgruppe und dem eigenen Kulturkreis zu bestehen, wenn es sich um Personen handelte, die die eigene Situation als einsam empfanden und bzw. oder über unzureichende Fremdsprachenkenntnisse verfügten. Hierbei ist sicherlich auch das unterschwellig immer mitschwingende Bedürfnis von Bedeutung, die eigene Position und Situation in verständlicher Form – im ursprünglichen Sinne als sprachliches Verstehen und Verstehen kultureller Einstellungen gemeint – darzustellen.

3.2 Fremder unter Fremden: Chinesen Auf eine entsprechend unverbindliche Art und Weise Kontakt zu Chinesen aufzunehmen, erwies sich als weitaus schwieriger, da vergleichbare Treffpunkte wie sie unter II., 3.1 beschrieben wurden, nicht existieren. Zudem nutzen nur wenige Chinesen das Angebot deutscher Treffen. Entweder sind sie nicht gerne gesehen, da sich diese Veranstaltungen oftmals ausschließlich an Deutsche bzw. Personen richten, die Deutsch als Muttersprache sprechen, weil man „ganz gerne mal unter sich bleibt“, oder es erscheint aufgrund der sprachlichen Barriere nicht interessant (siehe auch III., 2.3). Aus diesem Grund wurden sie entweder, so wie viele Deutsche auch, direkt angeschrieben oder durch die Vermittlung deutscher Kontaktpersonen für ein Gespräch gewonnen. Dennoch ergaben sich auch auf den zahlreichen Fahrten zu verschiedenen Kontaktpersonen erstaunlich viele Gespräche mit chinesischen, in deutschen Unternehmen tätigen Geschäftsreisenden. Durch meine Lehrtätigkeit an der Zhejiang-Universität in Hangzhou konnten weitere Kontakte zu Chinesen geknüpft werden,

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die wiederum Verbindungen zu Freunden oder Bekannten herstellten, die für diese Forschung von Bedeutung waren. Die Möglichkeit, Themen in einer eher privaten Atmosphäre anzusprechen, war nicht in dem Maße gegeben, wie es bei der Gruppe der Deutschen der Fall war. Die Modifikation der methodischen Vorgehensweise wurde damit stärker an vorherige Gesprächsergebnisse gebunden. Eine weitere Möglichkeit boten Diskussionen mit Chinesen, die ich durch die Universität oder aber in anderen Situationen kennen lernte und die ich immer wieder über ihre Ansicht zu bestimmten Themenkomplexen befragen konnte. Insgesamt kann das Feld der chinesischen Mitarbeiter und Führungskräfte allein aufgrund ihrer größeren Anzahl nicht so leicht erfasst werden, wie es bei der überschaubaren und dadurch weitaus einfacher einzuordnenden Gruppe der Deutschen der Fall ist (vgl. II., 3.1 und 4.1), da keine entsprechenden, für andere offenen Treffpunkte existieren und sich die Gruppe der befragten Chinesen noch heterogener zusammensetzt als die ihrer deutschen Kollegen. Vor allem zu einfachen Arbeitern und Angestellten konnte der Kontakt nur über die Vermittlung deutscher Führungskräfte hergestellt werden. Um einer Verzerrung durch die Vorauswahl dieser Führungskräfte entgegenzuwirken, konnten in vier Unternehmen Angestellte beliebig querschnittsartig befragt werden. Meine Rolle war chinesischen Befragten nicht immer deutlich und konnte oftmals erst während der Gespräche selbst, manchmal möglicherweise auch gar nicht geklärt werden. Vor allem für einfache Arbeiter erwies es sich als schwierig, meine Position und meine Beziehung zu den deutschen Führungskräften einzuordnen, was zu erkennbaren Irritationen führte. Aus der Perspektive einiger der befragten Chinesen stellte es sich so dar, dass dort ein Deutscher, der gut mit der Führung befreundet zu sein schien, zu einem Gespräch in den Konferenzräumen des jeweiligen Hauses einlud, um über allgemeine Probleme der Arbeiterschaft zu sprechen. Entsprechend zurückhaltend und vorsichtig verhielten sich die Befragten bei kritischen Äußerungen. Die direkte Kontaktaufnahme zu chinesischen Führungskräften gestaltete sich wiederum vollkommen unterschiedlich. Während einige sehr an der Aufgabenstellung dieser Arbeit interessiert und sofort für ein Gespräch zu gewinnen waren, stieß ich manchmal auf offenes Misstrauen, was nicht immer leicht aus der Welt zu schaffen war. In einigen Fällen hielt man mich sogar für einen „raffinierten Journalisten“. Eine der häufigsten Bedingungen, die bei vorherigen Telefonaten oder direkt vor den Gesprächen gestellt wurde, war der absolute Verzicht auf jegliche politische Fragen. 81

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Chinesische Führungskräfte hingegen, die selbst einige Zeit im Ausland verbracht haben, zeigten sich gegenüber dem Thema ausgesprochen aufgeschlossen und erklärten sich in vielen Fällen auch sehr kurzfristig zu einem Interview bereit. Der bei vielen Deutschen aufgrund der gemeinsamen Herkunft mir gegenüber vorhandene Bonus, der auf die Annahme einer gemeinsamen Situation der Fremdheit zurückgeführt werden kann, bestand verständlicherweise nicht bei Chinesen. Dennoch verliefen die Gespräche mit denen, die einen Auslandsaufenthalt hinter sich hatten oder in regem Kontakt zu Ausländern stehen, anders, als dies bei Chinesen der Fall war, die nicht über derartige Erfahrungen verfügten. Dies schlug sich vor allem in der Schilderung von Fremdheitserlebnissen nieder, aber auch in der Möglichkeit, über ähnliche Erfahrungen eine gemeinsame Situation herzustellen. Weitere chinesische Gesprächspartner konnten schließlich, in einem weiter fortgeschrittenen Forschungsprozess, über schon geknüpfte Kontakte zu anderen chinesischen Befragten gewonnen werden. Die so geführten Interviews wurden zum Teil in einem persönlicheren Rahmen geführt wie beispielsweise in Cafés (siehe II., 3 und 7.). In zwei Fällen wurde ich nach den Gesprächen zu einem Abendessen im Kreis der Familie eingeladen, wobei sich eher wenige für die Fragestellung relevante Informationen ergaben und vielmehr allgemeine Dinge wie die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands und Chinas den Themenschwerpunkt bildeten. Mir schien, als würden berufsbezogene Details und Probleme nicht gern im familiären Rahmen besprochen. Grundsätzlich hatte ich den Eindruck, dass unangenehme Themen als Störungen der Atmosphäre empfunden wurden, und damit nicht der Erwartungshaltung eines entspannten gemeinsamen Abendessens entsprachen. Wie bei Deutschen stellte auch bei der Befragung von Chinesen das Internet einen wesentlichen Baustein zur Vorbereitung dar. Diskussionen, die in anonymen Internetforen geführt wurden, boten die Möglichkeit, aktuelle und offensichtlich häufiger auftauchende Problematiken aufzugreifen und später in den Interviews anzusprechen. Dies gilt allerdings vor allem für jüngere, besser ausgebildete Befragte, die das im Internet zu findende Angebot des kommunikativen Austausches gerne und regelmäßig nutzen.

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4. Die Interviewten Grundsätzlich wurde nach den Merkmalen Alter, Ausbildung, Geschlecht, Stadt-Land-Gegensatz, Berufsgruppen und Bildung differenziert. Bei der folgenden Beschreibung beider Interviewgruppen soll vor allem gezeigt werden, dass sich die Befragten einer Gruppe untereinander sehr stark unterscheiden können und damit eine simplifizierende Kategorisierung nach „Entsandten“ und „Chinesen“ zu nebelhaften Verwischungen führen muss, will man die Gesamtsituation der Betroffenen und die damit verbundenen Faktoren nachzeichnen. Wie angedeutet, handelt es sich bei der Auswahl chinesischer Befragter um einen weitaus geringeren prozentualen Anteil als es bei Deutschen der Fall ist. In einer mittelständischen Produktionsanlage ist oftmals nicht mehr als ein Deutscher, der meist das Management innehat, vertreten, der z.B. für 800 chinesische Mitarbeiter verantwortlich sein kann. Das Verhältnis der Anzahl chinesischer zu deutschen Befragten steht also nicht in Relation zum eigentlichen Verhältnis der Anzahl Deutscher zu Chinesen in einzelnen Betrieben. Auch ist zu erwähnen, dass es sich bei den befragten Deutschen zum Großteil um Personen handelt, die aufgrund besonderer Kenntnisse oder Fähigkeiten in einem bestimmten Arbeitsverhältnis stehen, was hingegen nur für einen Teil der chinesischen Befragten gilt. Weiterhin muss bedacht werden, dass der Arbeitsalltag in China für Chinesen ein höheres Maß an Normalität und Alltäglichkeit bedeutet als dies bei Deutschen der Fall ist. Die Besonderheit besteht für sie letztlich darin, in einer ausländischen Firma zu arbeiten und einen ausländischen Vorgesetzten oder Kollegen an ihrer Seite zu haben. Für Deutsche hingegen stellt nicht nur die Arbeits-, sondern auch die Privatsituation eine besondere Herausforderung dar, die es zu meistern gilt und sich auf Wohlbefinden, Einstellung, Entscheidungen, Leistungsvermögen und vieles andere mehr unmittelbar auswirkt. Die nachfolgend beschriebenen Gruppen und Motive sind nicht als repräsentativ für alle an einer deutsch-chinesischen Zusammenarbeit Beteiligten zu begreifen. Sie richten sich nach den in einem als formell gekennzeichneten Interview befragten Personen. Die beschriebenen Gruppen und deren Motive sind nicht eindeutig, sondern können sich je nach Einzelfall überschneiden. Sie dienen der Verdeutlichung von Grundtendenzen und sollen die Vielfältigkeit möglicher Konstellationen und Ausgangssituationen von Individuen in den Vordergrund rücken. Existenzsicherung spielt beispielsweise bei fast allen Personen eine Rolle – entscheidend ist aber, inwieweit die Befragten diesem Aspekt Bedeu83

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tung beimessen. Im Weiteren richtet sich das Interesse auf das Motiv, warum sie sich für einen Chinaeinsatz bzw. eine Arbeit in China entschieden haben, bei Chinesen darauf, weshalb sie in einem deutschen Unternehmen arbeiten.

4.1 Deutsche Interviewpartner Im Allgemeinen ist in einschlägiger Literatur zur Interkulturellen Kommunikation von „Entsandten“ oder „Expatriates“ die Rede. Hierdurch entsteht das Bild einer vermeintlich mehr oder weniger homogenen Gruppe, die oftmals „den Chinesen“ in bikulturellen Arbeitssituationen gegenübergestellt wird. Eine der ersten Fragen zu Beginn des Forschungsprozesses war, welche Personen eigentlich hinter diesem Terminus stehen, der ja impliziert, dass die Betroffenen aus ihrem Heimatland entsandt worden sind. Schnell wurde deutlich, dass der Begriff des Entsandten oder Expatriates, nicht immer zutreffend die Situation oder das Arbeitsverhältnis der Betroffenen widerspiegelt. Neben denjenigen, die tatsächlich ausschließlich für die Dauer einer Entsendung, die je nach Funktion und Position im Normalfall einen Zeitraum bis zu fünf, manchmal bis zu sechs Jahren umfasst, in China tätig sind, gibt es zahlreiche Deutsche, die zwar formal aufgrund ihres Arbeitsvertrages als Expatriates geführt werden, ihren Lebensmittelpunkt aber schon weitaus länger in China bzw. Asien haben. So gibt es eine Gruppe Deutscher verschiedener Berufs- und Altersgruppen, die sich von China aus für entsprechende Positionen bewerben, sobald der laufende Arbeitsvertrag seinem Ende zugeht. Es ist also nicht erstaunlich, dass einer der Befragten mehr als 12 Jahre lang nicht mehr in Deutschland war, dennoch aber mit einem auf zwei Jahre befristeten Arbeitsvertrag als Entsandter einer deutschen Firma geführt wird. In einer vergleichbaren Situation befinden sich diejenigen, die für eine deutsche Firma arbeiten, deren Lebensmittelpunkt aber schon seit längerer Zeit nicht mehr Deutschland ist und die seit mehreren Jahren für die gleiche Firma in verschiedenen Ländern Aufgaben übernommen haben. Eine andere Gruppe stellen diejenigen dar, die seit langem eine selbständige Tätigkeit in China ausüben, beispielsweise als Consultant oder Besitzer eines produzierenden Unternehmens. Sie alle haben ge-mein, dass sie zum Zeitpunkt der Interviews China als ihren Lebensmittelpunkt ansehen. Eine gemeinhin nicht beachtete Besonderheit stellen deutsche Arbeitslose in China dar, die zur Gruppe derer gezählt werden können, die sich durch immer neue Entsandtenverträge ihren Lebensunterhalt ver84

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dingen. Diesen Betroffenen ist es nicht gelungen, zur rechten Zeit in ein neues Arbeitsverhältnis überzutreten. Eine Sonderrolle nehmen ebenfalls diejenigen ein, die in regelmäßigen Abständen China für vergleichsweise kurze Zeit entweder als Entsandte des Stammhauses ein Tochterunternehmen besuchen oder aber Verhandlungen mit chinesischen Geschäftspartnern führen. Zu unterscheiden sind demnach: x Entsandte: Personen, deren Arbeit in China erst mit dem befristeten Arbeitsverhältnis beginnt, das auf absehbare Zeit befristet ist. x Arbeitsmigranten: Unabhängig wirtschaftende Personen, die selbständig nach einer Tätigkeit in China gesucht haben bzw. suchen. Zu ihnen gehören ebenfalls arbeitslose Personen, die vorübergehend oder seit längerer Zeit über kein geregeltes Einkommen verfügen. x Springer: Personen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, sich aber aus beruflichen Gründen regelmäßig und mehrmals im Jahr in China befinden. Eine weitere Gruppe stellen mitgereiste (Ehe-)Partner und Kinder dar. Außerdem müssen bei einzelnen Arbeit nehmenden Personen die jeweiligen Aufgabenbereiche und Positionen berücksichtigt werden. Ein Ingenieur, der für ein halbes Jahr eine Anlage in einem Stahlwerk installiert, verfügt über einen anderen Wirkungskreis, andere Erfahrungen, andere Zielsetzungen und andere Kontakte als beispielsweise ein Chief Executive Officer (CEO) eines multinationalen produzierenden Konzerns. Bei „Entsandten“ kann außerdem deutlich zwischen den Motiven für einen Arbeitseinsatz in China unterschieden werden. Neben denjenigen, die einen entsprechenden Aufenthalt wirklich gewollt und geplant haben, ist die Zahl derer, die aus beruflichen Zwängen heraus ein derartiges Arbeitsverhältnis eingehen, nicht zu unterschätzen. Hinzu kommen diejenigen, die sich für ein Leben in China aus Begeisterung oder aber aufgrund einer chinaspezifischen Ausbildung heraus entschieden haben. Einige andere wiederum führen als Motiv an, zumindest einmal im Ausland leben und arbeiten zu wollen. Die Entscheidung für China spielt dann eine zweitrangige Rolle. Die Unterscheidung in folgende Motivgruppen bietet sich an: x Motiv der beruflichen Karriere: Primär karriereorientierte Personen, bei denen ein Auslandsaufenthalt in erster Linie als wesentlicher Karrierebaustein angesehen wird.

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Motiv des höheren Gehalts: Primär geldorientierte Personen, die sich aufgrund von Zusatzleistungen und materiellen Entschädigungen für einen Auslandseinsatz entschieden haben. Motiv der Existenzsicherung: Personen, die durch die Situation im Stammhaus oder/und die Arbeitsmarktsituation im Heimatland gezwungen sind, gegen ihren Willen nach China zu gehen und damit einem eventuell drohenden Arbeitsplatzverlust begegnen. Motiv der Selbstverwirklichung: Diejenigen, die vor allem die persönlichen Erfahrungen, die ein Auslandseinsatz im Allgemeinen mit sich bringt, als Teil ihrer Selbstverwirklichung begreifen und auch bereit sind, hierfür materielle Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Motiv der Chinabegeisterung: Personen, die China aufgrund bestimmter Neigungen als Lebensmittelpunkt gewählt haben, wobei materielle Bedingungen ebenfalls als sekundär eingestuft werden. Motiv der Entwurzelung: Personen, die ihr neues Lebensumfeld für attraktiver halten und deshalb eine Rückkehr nach Deutschland ausschließen.

4.2 Chinesische Interviewpartner Wie bei Deutschen, so muss auch bei den chinesischen Befragten hinsichtlich ihrer Motive deutlich unterschieden werden. Die erheblichen strukturellen Unterschiede des Landes werden wohl kaum so deutlich wie in den großen Städten des Ostens, wo die Gegensätze im wahrsten Sinne des Wortes greifbar sind und aufeinander prallen. Diese Unterschiede spiegeln sich auch in der Belegschaft der Unternehmen wider. Um einen Eindruck von der oftmals nicht beachteten Verschiedenartigkeit chinesischer Kollegen bzw. Mitarbeiter zu vermitteln, werden folgende Gruppen unterschieden, wobei die regionale Herkunft der Beteiligten eine wesentliche Rolle spielt. Menschen der armen, ländlich geprägten Regionen, die oftmals nur über eine unzureichende Ausbildung und wenig Besitz verfügen, siedeln sich, wenn sie einen attraktiven, das heißt in diesem Fall einen beständigen und existenzsichernden Arbeitsplatz gefunden haben, in den prosperierenden Städten des Ostens an. An dem neu gewählten Wohnort können sie zunächst nicht auf ein soziales Netzwerk zugreifen. Sie finden vorwiegend in Produktsbetrieben eine Beschäftigung, die ohne Erfahrung und Ausbildung geleistet werden kann. Sie besetzen also Stellen als einfache, angelernte Arbeiter. Ihnen gegenüber stehen Alteingesessene, die über ein hohes Maß an sozialen Verbindungen und eine im Vergleich bessere Ausbildung ver86

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fügen. Je nach Ausbildungsstand sind sie in allen Hierarchieebenen vertreten. Aufgrund ihres Wettbewerbsvorteils besetzen sie eher Führungspositionen oder sind mit anspruchsvolleren Aufgaben, beispielsweise als Sachbearbeiter, betraut. Eine dritte Gruppe setzt sich aus denjenigen zusammen, die aus anderen Orten stammen, sich aber durch eine zusätzliche Ausbildung und besondere Fähigkeiten für bestimmte Positionen qualifiziert haben. Im Topmanagement sind dies nicht selten Abgänger chinesischer Eliteuniversitäten. Aber auch Personen mit einer besonderen technischen Schulung, die aufgrund eines attraktiven Arbeitsangebotes ihre Heimatstadt verlassen haben, gehören zu diesem Kreis. Eine weitere Gruppe stellen die von der Forschung bislang nicht beachteten „chinesischen Repatriates“ dar, die über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr in das deutsche Stammhaus entsandt wurden. Sie alle übernehmen in China Führungsaufgaben in verschiedenen Bereichen und besetzen Posten im mittleren und höheren Management. Zu dieser Gruppe gehören zum Teil auch so genannte „Auslandschinesen“. Unter ihnen sind Chinesen, die eine längere Zeit im Ausland gelebt haben oder dort aufgewachsen sind und Besonderheiten des Stammlandes abgelegt oder gar nicht erst angenommen haben, sich aber dennoch als Chinesen begreifen. Je nach Kompetenz und Ausbildung besetzen sie Stellen als einfache Angestellte bis hin zum führenden Management einer Firma. Ähnlich wie bei den Deutschen ist die Unterscheidung nach Motiven interessant, die im Fall der Chinesen Aufschluss darüber geben können, welche Art von Anreiz für die Entscheidung, in der jeweiligen Firma zu arbeiten, von Interesse ist (vgl. III., 3.5 bis 3.7). Zusammenfassend kann nach folgenden Motiven unterschieden werden: • Motiv der Existenzsicherung: Die große Masse der Beschäftigten in großen Produktionsbetrieben setzt sich aus Personen zusammen, die in erster Linie arbeiten, um die eigene Existenz abzusichern. Für sie bedeutet ein Arbeitsplatzverlust einen erheblichen Schaden, der sich unmittelbar auf Lebensweise, Familie, Wohnsituation usw. auswirkt. • Motiv der Anerkennung: Im Vergleich zur ersten Motivgruppe arbeitet eine sehr geringe Anzahl von Menschen ausschließlich zur sozialen Anerkennung und schöpft daraus ein entsprechendes Selbstbewusstsein. Für die Angehörigen dieser Gruppe besteht aufgrund eines Erbes oder aber eines hohen Einkommens des Partners keine existenzielle Notwendigkeit des Arbeitens. • Motiv der Normerfüllung: Wie bei der zweiten Motivgruppe besteht für die Angehörigen dieses Kreises ebenfalls keine zwingende Not87

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wendigkeit des Arbeitens. Da aber die Ausführung einer Arbeit als gesellschaftliche Norm empfunden wird, die es zu erfüllen gilt, wird ein Anstellungsverhältnis gesucht, selbst wenn dieses nicht für attraktiv gehalten wird. Motiv der beruflichen Karriere: Als karriereorientiert können diejenigen chinesischen Befragten eingestuft werden, die ein Unternehmen bzw. einen Arbeitsplatz in erster Linie aufgrund möglicher Aufstiegschancen wählen. Zu dieser Gruppe gehören die so genannten und sehr unbeliebten „Job-Hopper“ (siehe III., 3.7), die einen Betrieb unmittelbar dann wechseln, sobald sich ein in ihren Augen besseres Angebot mit noch besseren Aufstiegsmöglichkeiten bietet. Motiv der Selbstentfaltung: Hiermit sind Personen gemeint, die bei einem Arbeitsverhältnis primär auf die Möglichkeit der persönlichen Weiterentwicklung achten. Fortbildungen, weite Kompetenzbereiche und die Möglichkeit der Selbstverwirklichung im Rahmen des Arbeitsfeldes werden als wesentliche Kriterien betrachtet. Motiv Arbeit als Spaß: Eine nicht unerhebliche Zahl der vor allem auf Angestelltenbasis Arbeitender gab als Hauptgrund „Spaß“ an. Diese Gruppe bevorzugt Arbeitsplätze, die durch ein geregeltes Einkommen die eigene Existenz absichern, aber gleichzeitig den eigenen Interessen und Vorlieben entgegenkommen.

5. Die Interviewsituation Ziel der Interviews ist, zu erfahren, wie und warum die Befragten zu ihrer Einstellung gegenüber bestimmten Sachverhalten gefunden haben. Verständigung über Meinungen und Handlungen steht also im Vordergrund. Unklare oder nicht verständliche Umstände wurden nach Möglichkeit so lange besprochen, bis Zusammenhänge nachvollziehbar und verständlich erschienen. Während aller Gespräche wechselte meine Position zwischen einer nachfragenden Beobachterrolle, der Rolle eines verständnisvoll zustimmenden Zuhörers, eines Außenstehenden, eines ebenfalls Betroffenen und eines nicht tolerierenden Verstehenden hin und her, was stark von Interviewverlauf und Temperament des Gegenübers abhängig war. Dabei spielten nonverbale und unbewusst ausgesandte Signale eine wesentliche Rolle. Nachdem beispielsweise ein Befragter darlegte, wie er mit „dummen Chinesen“ umgehe, erläuterte er eingehend sein Verhalten mit der anschließenden Erklärung, ich habe „so böse geguckt“. Intensive Sitzungen hatten manchmal eine Verstrickung in die Welt des Interviewten zur Folge. Beinahe unbewusst wurden Sichtweisen der 88

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Befragten erprobt, was sich in den einfachsten Alltagsdingen wie beispielsweise der Frage, weshalb an Bushaltestellen so gedrängelt wird, äußern konnte. Begründungen, Vorurteile, Stereotypisierungen, Werteund Erklärungsmuster wurden damit zunächst in die eigene Wahrnehmung integriert und automatisch eigenen Begründungen, Vorurteile, Stereotypisierungen, Werte- und Erklärungsmustern gegenübergestellt. Dies war vor allem dann der Fall, wenn ich in den Erfahrungen der Interviewten, unabhängig ob Deutsche oder Chinesen, Parallelen zu meinen eigenen Erlebnissen zu sehen meinte. Den unmittelbar anschließenden Gesprächsreflexionen kam damit eine wesentliche Bedeutung zu. Meine spontane Einschätzung eines Interviews als besonders ergiebig oder eher unfruchtbar stimmte nicht immer mit der bei der späteren, genaueren Gesprächsanalyse gewonnenen Einschätzung überein. Dies steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der persönlichen Tagesform und atmosphärischer Wahrnehmung. Als Extrembeispiel kann ein Gespräch dienen, dass ich nach 55 Minuten abbrach, da ich der Auffassung war, keine für diese Arbeit relevanten Informationen zu erhalten. Dieses Gespräch erwies sich jedoch in der anschließenden Auswertung als in jeder Hinsicht brauchbar. Ursächlich für die falsche Einschätzung der Gesprächssituation waren meine schlechte körperliche Verfassung an diesem Tag, eine sehr unangenehme und anhaltende Erkältung, wie auch die Gesamtsituation des Gesprächs. Mein Gegenüber, ein hagerer, in einem dreiteiligen Nadelstreifenanzug sehr förmlich wirkender Chief Executive Officer (CEO) für Asien machte auf mich durch seine zurückgelehnte Sitzhaltung in seiner sehr distanzierten, abwartenden Haltung einen zunächst unsympathischen Eindruck, was es mir erschwerte, einen persönlichen Zugang zum Interviewten zu finden. Als uninteressiert und abweisend empfand ich die Eigenart, mit seinem rechten, exakt manikürten Zeigefinger beständig auf den Tisch zu klopfen, sobald er zuhörte oder nachdachte. Sprach er, so verschränkte er seine Arme, was ich ebenfalls als Zeichen von Ablehnung deutete. Wie irreführend diese subjektiv bestimmte, für den Forschungsverlauf aber immer bedeutsame Wahrnehmung des Gegenübers sein kann, stellte sich bei der anschließenden Analyse des Gesprächs heraus. Aus diesem Grund vereinbarte ich ein Nachgespräch. Entgegen meiner Erwartung erklärte sich der Befragte sofort dazu bereit. In dem anschließenden Gespräch hatte ich die Möglichkeit, einzelne Sachverhalte zu klären wie auch meine Wahrnehmung zu überprüfen. In dem sehr offenen Gespräch bezeichnete der Befragte das mich so irritierende Klopfen als „Tick“, den er sich in China angewöhnt habe. Fehleinschätzungen des Gegenübers, die sich bei mangelnder Reflexion der Situation eher unbewusst einschleichen und die atmosphärische Wahrnehmung aber unmittelbar beeinflussen und 89

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sich auf den Prozess der Darstellung und Auswertung auswirken können, sind also niemals auszuschließen.

5.1 Gespräche mit Deutschen Wie schon unter II., 3. beschrieben, fiel der Zugang zu Deutschen verhältnismäßig leicht. Viele erklärten sich zu einem Interview bereit, da sie die Problematik „Interkulturelle Kommunikation“ entweder für besonders wichtig hielten oder aber aus dem einfachen Bestreben heraus, ihre Unterstützung anbieten zu können. Manchmal auch aus dem Wunsch, die eigenen, als problematisch empfundenen Erfahrungen zu verdeutlichen und weiterzugeben. In einigen Fällen wurde ich aus einer gewissen Neugier oder auch Diskussionsfreude heraus eingeladen. Ein Befragter, General Manager eines produzierenden Unternehmens, hatte einige Tage zuvor an einer Konferenz der Handelskammer zum Thema „Interkulturelles Management“ teilgenommen. Da er den präsentierten Inhalten dieser Veranstaltung nur in wenigen Teilen zustimmte und sich offenbar ein gehöriges Maß an Ablehnung gegenüber „den Kulturalisten“ angestaut hatte, er aber zu diesem Zeitpunkt keine Gelegenheit gefunden hatte, seine Sichtweise zu verdeutlichen, hatte er mich, zum Teil aus einem gewissen Sendungsbedürfnis, zum Teil aus der Überzeugung heraus, er könne etwas richtig stellen, zu einem Gespräch eingeladen. Entsprechend überrascht war ich über seine forsche und sehr bestimmte Art, in der er nach der Begrüßung und ohne dass ich das Ziel dieser Forschung überhaupt vorgestellt hatte, lospolterte, dieses „Gequatsche über die Kulturen“ sei doch „Blödsinn“. Dieser Einstieg erwies sich als optimal, da der Befragte seine spontan geäußerten Ansichten durch Beispiele aus der eigenen Erfahrung verdeutlichen musste und der Gesprächsverlauf dadurch sehr einfach gesteuert werden konnte. Bei Interviewten der höchsten Führungsebene stellte sich manchmal das Problem, dass Informationen über das Scheitern oder aber Schwierigkeiten in der interkulturellen Zusammenarbeit nicht preisgegeben wurden. Dies zeigte sich in Gesprächen mit in Zweigstellen beschäftigten deutschen und chinesischen Mitarbeitern des gleichen Unternehmens. In der Regel ist es schwer einzuschätzen, ob die Befragten diese Sachverhalte für unwichtig hielten, sie unbekannt waren oder aufgrund des Bedenkens, der Firma durch Preisgabe solcher Informationen möglicherweise schaden zu können, verschwiegen wurden. In einzelnen Fällen hatte ich den Eindruck, dass die Beteiligten einigen meiner Fragen, wie beispielsweise nach der Fluktuationsrate der Belegschaft u.a. regelrecht misstrauisch gegenüberstanden. Je nach Souveränität der Person 90

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wurde dann deutlich darauf verwiesen, es handle sich um Interna oder es wurden sehr allgemeine, ausweichende Antworten auf meine Frage gegeben. Gespräche mit Personen, die in der Führungshierarchie weiter unten stehen und tagtäglich mit chinesischen Mitarbeitern bzw. Vorgesetzten zu tun haben, unterschieden sich in der Themenzentrierung stark von den Gesprächen mit Personen der obersten Führungsebene. Auch waren sie eher bereit, problematische Erfahrungen, einerlei ob aus ihrem Privatoder Berufsleben, darzulegen. Die Gesprächsmoderation fiel meist weitaus leichter, als dies bei Mitgliedern der obersten Führungsebene der Fall war. Es ist schwierig zu sagen, welche Faktoren hierbei eine Rolle spielen. Nicht unwesentlich ist gewiss die Gewohnheit vieler Führungskräfte, Situationen dominieren zu wollen und der damit verbundene Anspruch, dass sich andere dem eigenen Willen anzupassen haben. Sicherlich spielt aber auch meine Wahrnehmung und Beeinflussung durch die manchmal sehr deutlich in den Vordergrund gerückten und betonten Macht- und Statussymbole wie die Einrichtung des Büros, Kleidung, Sprachstil, Körperhaltung, Umgang mit anwesenden Mitarbeitern, Verweis auf die Zugehörigkeit elitärer Vereinigungen, dem Hinweis darauf, welche Art von Automarke man fahre usw. eine Rolle und wäre damit im Rahmen des Research Up zu bewerten (siehe I., 2.6). Bei Personen, die aufgrund ihrer speziellen Fachkenntnisse nur für eine vergleichsweise kurze Zeitdauer in China verweilen und sich in ihrer Funktion nicht eindeutig dem Organigramm des jeweiligen Betriebes zuordnen lassen, standen Räumlichkeiten nicht ohne weiteres zur Verfügung. Häufig wurden die Gespräche dann außerhalb des Arbeitsortes geführt. Nicht selten standen die Befragten in einem anderen und eher distanzierten Verhältnis zu ihrer Umgebung und sahen sich selbst auch nicht unbedingt als unmittelbare Vertreter der jeweiligen Firma vor Ort. Dies war besonders dann der Fall, wenn es sich beispielsweise um einen Vertrag für die Installierung einer Maschine in einem chinesischen Unternehmen handelte, die Befragten ihre Aufgaben also als Externe ausübten. Entsprechend bezogen sie Fragen weitaus stärker auf sich selbst und den eigenen Aufgabenbereich. Aufgrund der speziellen und technisch ausgerichteten Betätigungsfelder dieser Befragten drohte sich das Gespräch hin und wieder in der Darstellung technischer und mir im Detail unverständlicher Arbeitsabläufe zu verlieren. Oftmals vermittelten mir diese Personen durch Alltagskleidung, dem eher umgangssprachlichen und vertraulichen Umgangston, der neutralen 91

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Umgebung und ihrer auf sich selbst bezogenen Sichtweise einen eher legeren Eindruck. Als eine besondere Herausforderung erwiesen sich Gespräche mit Befragten, die aus einer unmittelbar affektiven Betroffenheit heraus argumentierten und denen es sichtlich schwer fiel, bei einzelnen Themen, z.B. aufgrund enttäuschender Erlebnisse, auf einer sachlichen Ebene zu bleiben. Das emotionale Engagement, das manche bei der Schilderung von Erlebnissen zeigten, hatte in extremen Fällen zur Folge, dass ich vorübergehend die Kontrolle über den Gesprächsverlauf verlor, da ich nicht immer in der Lage war, auf die Heftigkeit der Emotionen adäquat zu reagieren. Derartige Gespräche schienen für die Betroffenen die seltene Gelegenheit zu sein, ihrem Unmut über die eigene Situation Luft zu machen. Bezeichnend ist die abschließende Rückmeldung der Interviewten, die bei dieser Art von Gesprächssituation in der Regel lautet, es wäre gut gewesen, sich wieder einmal so angenehm unterhalten zu haben. Viele der Interviewten nahmen damit das geführte Interview aus der Selbstwahrnehmung als dialogischen Austausch wahr, während das Verhältnis der Sprachanteile in Wirklichkeit bei etwa eins zu neun lag und ich selbst keine Informationen zu den besprochenen Themen hatte einfließen lassen. Die Aufzeichnung der Gespräche wurde in fast allen Fällen als selbstverständlich hingenommen. Manche der Befragten schienen allerdings vor allem zu Beginn des Gesprächs durch die Präsenz des Aufnahmegeräts verunsichert und zeigten sich beinahe erleichtert, wenn ich es, beispielsweise in Kaffeepausen, auf Wunsch der Befragten hin abschaltete. Meine eigene Rolle konnten deutsche Befragten in der Regel weitaus leichter einordnen, als dies bei Chinesen der Fall war (vgl. II., 5.2). In manchen Gesprächssituationen wurde ich jedoch zunächst von den Interviewten sehr genau zu meinen Erlebnissen im Umgang mit Chinesen befragt. Meistens schilderte ich dann meine eigenen Arbeitserfahrungen in China, was nicht selten den Zugang zum Gesprächspartner erleichterte. Dies hängt vermutlich mit der bei vielen Befragten vorhandenen Meinung zusammen, dass man bestimmte Dinge erst selbst erlebt haben müsse, um sie wirklich verstehen zu können.

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5.2 Gespräche mit Chinesen Auf die Frage, ob die Gespräche mitgeschnitten werden dürften, reagierten vor allem Chinesen aus dem mittleren Management irritiert. Einige erklärten sich erst nach der mehrmaligen Zusicherung von Anonymität dazu bereit, eine Aufnahme zu akzeptieren. Zwei der Interviewten lehnten sie auch dann noch ab, weshalb diese Gespräche durch Notizen festgehalten werden mussten. Für Arbeiter und einfache Angestellte spielte es hingegen kaum eine Rolle. Da sie mich wie schon unter II., 3. beschrieben eher auf der Seite des deutschen Managements einzuordnen schienen, akzeptierten sie diesen Wunsch ohne jeglichen Einwand oder Nachfragen. In einem Fall wurde mir diese mir manchmal zugeordnete Rolle durch die Gesamtsituation des Gespräches deutlich vor Augen geführt. Das Interview fand in einem der sehr gepflegten und noch sehr neuen Sitzungsräume des Unternehmens statt. Die Interviewte hatte diese Zimmer zuvor weder besucht noch gesehen. Diese Räumlichkeiten (II., 7.) erschienen aus ihrer Perspektive so etwas wie die heiligen Hallen der Macht des Unternehmens zu sein. Da ich scheinbar frei über diese Räume verfügen konnte, die Chefsekretärin mich außerdem sehr freundlich, zuvorkommend und ohne Nachfrage mit Getränken bediente, ohne hierbei die Interviewte zu berücksichtigen, war es zunächst schwer, eine offene, dem Forschungsthema gerecht werdende Gesprächssituation herzustellen. Dies schlug sich in ihrem Bestreben nieder, das Gesprächsthema immer wieder auf unmittelbare und sehr allgemeine Belange der Arbeiterschaft zu lenken, gleichzeitig aber meine Fragen nach der Zusammenarbeit mit Deutschen ausweichend und allgemein zu beantworten. Ihre gespannte Aufmerksamkeit machte auf mich den Eindruck, dass sie möglichst eine falsche oder ungünstige Antwort vermeiden wollte. Dies spiegelte sich ebenso in ihrem Auftreten wider: Die Arbeitskleidung, eine Uniform, bis ans Kinn zugeknöpft und offenbar gerade erst gekämmten und straff nach hinten zusammengebundenen Haaren und einer sehr steifen, angespannten Sitzhaltung, die mich an Fotografien von Schulkindern aus einer deutschen Dorfschule zur wilhelminischen Zeit erinnerte. Ihr sehr passives, auf meine Fragen wartendes Verhalten änderte sich, als ich über meine persönliche Lebenssituation in China sprach, womit deutlich wurde, dass ich in ihrem Unternehmen keine Funktion innehatte. Im Verlauf des Gesprächs stellte sich schließlich heraus, dass sie erst kurz vorher zu diesem „Termin“ ohne weitere Erläuterung beordert worden war, ohne den Zweck des Interviews, noch über meine Person von der Firma aufgeklärt worden zu sein. Genau dies aber erwies sich bei allen Gesprächen mit Arbeitern und Angestellten als 93

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außerordentlich wichtig und als Vorteil; nämlich das offizielle Vorstellen durch einen Vorgesetzten und die damit verbundene Kennzeichnung als Außenstehender. In einem Betrieb, in dem ich zwei Tage verbrachte, ergaben sich im Vergleich hierzu offene, lockere Gespräche. Ort des Interviews war eine mit einer Tischtennisplatte versehene Ecke in der weitläufigen Produktionshalle eines kleineren Produktionsbetriebes, die die Arbeiter in kurzen Pausen zum gemeinsamen Spiel aufsuchten. Es handelte sich also um einen von der Belegschaft „besetzten“ und damit vertrauten Raum (siehe II., 7.). Der Befragte, dem ich zuvor durch den deutschen Vorgesetzten vorgestellt wurde, erläuterte mir zunächst und äußerst detailliert die einzelnen Arbeitsabläufe und dann seinen eigenen Arbeitsplatz, so dass ich leicht bestimmte Themenbereiche ansprechen konnte, über die offen und bereitwillig Auskunft erteilt wurde. Die Interviews mit chinesischen Führungskräften des höheren Managements verliefen ebenfalls unterschiedlich. Erstaunlich war immer wieder die enorme Spontaneität, mit der Termine vereinbart wurden. Nicht selten wurde vorgeschlagen, sich sofort zu treffen, wobei „sofort“ in den großen Städten Chinas aufgrund der enormen Wegstrecken eine Zeittoleranz von bis zu zwei Stunden einschließt. In einigen Fällen schlugen die Befragten vor, in ein nahe liegendes Café oder Teehaus zu gehen. Viele Interviewte dieser Gruppe stellten zunächst eingehend Fragen zu meinem Lebensweg, meiner Familiensituation, meiner Ausbildung und meiner Chinaerfahrung, übernahmen also eine sehr aktive Rolle in der Gesprächsführung und verschafften sich so zunächst ein eingehendes Bild von meiner Person. Nach dieser manchmal bis zu 20 Minuten dauernden, einleitenden Phase begann das eigentliche Interview. Eine Aufzeichnung der Gespräche wurde ohne weiteres akzeptiert. Auslandschinesen, Repatriates, Springer und Personen mit Arbeits- oder Studienerfahrung im Ausland in höheren Führungspositionen waren im Allgemeinen sehr am Thema interessiert und verwiesen nicht selten auf einschlägige Managementliteratur. Je nach eigener Erfahrung wurden entsprechende Themenfelder besonders betont. Aufgrund ihrer Position und den damit verbundenen Aufgabenfeldern bezogen sie sich eher auf Prozesse, die die gesamte Struktur des Unternehmens und des jeweils bedienten Marktes mit einbezogen, wobei eine als „deutsch“ gekennzeichnete Unternehmensphilosophie oftmals deutlicher reflektiert wurde, als dies bei deutschen Führungskräften der Fall war. Problemfelder wurden zum großen Teil sehr offen angesprochen, wobei jedoch bei der Art 94

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von Kritikäußerung deutliche Unterschiede zwischen den Generationen gemacht werden müssen (vgl. III., 4.). Gespräche mit Angestellten und Personen der mittleren Führungsebene wurden mit drei Ausnahmen in den Büroräumen des jeweiligen Unternehmens geführt. Ähnlich wie bei den Befragten des höheren Managements versuchten sie sich durch Fragen ein Bild meiner Person zu machen. Dies allerdings nicht durch eine aktiv-fordernde Einleitung zu Beginn, sondern während des Gesprächsverlaufs selbst. Beispielsweise durch Gegenfragen nach meiner Meinung oder Erfahrung oder aber durch nicht im Gesamtkontext stehende Fragen nach meinem Lebensweg, meinen Familienverhältnissen oder Ähnlichem. Auch hier spielte die Wahrnehmung als „neutrale Figur“ eine wesentliche Rolle. Erst nach mehrmaliger Versicherung der Anonymität der Befragung und meiner Position als Außenstehender wurde manchmal sehr harsche Kritik an deutschem Führungsverhalten, Strategien des Stammhauses u.a. (vgl. III., 3.) geäußert. Schwierigkeiten bereitete mir zu Anfang die Einschätzung von Mimik und Gestik vieler Befragter. Oftmals hatte ich den Eindruck, nicht in den Gesichtern der Interviewten „lesen“ zu können, was ich auf die eher zurückhaltende Mimik und Gestik zurückführe. Mit fortschreitendem Forschungsverlauf und den zunehmenden Kontakten zu Chinesen außerhalb des Forschungsrahmens spielte dies aber eine immer unwesentlichere Rolle.

6. Sprachlicher Zugang Die Konfrontation mit unbekannten Begrifflichkeiten mag bei Interviews mit Chinesen zunächst selbstverständlich erscheinen, gilt aber auch für die Gespräche mit Deutschen, wenn beispielsweise fachliche Arbeitsvorgänge, technische Einzelheiten oder gruppenspezifische Termini genannt wurden. Bei gruppenspezifischen Wörtern aber auch Abkürzungen handelte es sich um in der deutschen Gemeinschaft etablierte und in dieser Gruppe allgemein bekannte Begrifflichkeiten, die mir zu Beginn der Erhebung in der Regel nicht geläufig waren (vgl. II., 6. und III., 2.3), was mich automatisch als Neuling und Unwissenden kennzeichnete. Allgemein kann zwischen fachbezogenem, milieubezogenem und bildungsabhängigem Wortschatz unterschieden werden. Bei allen Befragten, Chinesen und Deutschen, flossen fachbezogene Termini immer wieder in den Gesprächsverlauf ein. Die Befragung chinesischer Betei95

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ligter setzte damit eine besondere sprachliche Vorbereitung voraus – also die Einarbeitung in ein mir fremdes Vokabular in einer Fremdsprache, das je nach Aufgabenbereich und Ausbildung erheblich differierte, weshalb die erste Erhebungsphase, während der nur Interviews mit Deutschen geführt wurden, auch als gleichzeitige sprachliche Orientierungsund Einarbeitungsphase für die Gespräche mit Chinesen genutzt wurde. Chinesen, die einer oder mehrerer Fremdsprachen mächtig sind, flochten fach- und managementspezifische Begrifflichkeiten oftmals auf Englisch in die Rede ein. Dies gilt ebenfalls für Deutsche. Die Häufigkeit fremdsprachlicher Begriffe ist, neben dem persönlichen Lebensweg, in wesentlichen Teilen darauf zurückzuführen, dass in zahlreichen Unternehmen Englisch als Firmensprache festgelegt wurde und der offizielle Informationstransfer damit an die englische Sprache gebunden ist. Da nur die wenigsten der Deutschen und nur einige der befragten Chinesen in der Lage sind, arbeitstechnische und allgemeine Belange in der Sprache des jeweils anderen zu kommunizieren, kann eine deutliche und allgemeine Dominanz der englischen Sprache festgestellt werden, die bei den Interviews immer wieder durchschimmert. Ein Phänomen stellen dabei firmenspezifische Termini dar, die beispielsweise der Bezeichnung bestimmter Produktlinien dienen, die dem Englischen entlehnt und der deutschen Sprache angepasst wurden. Diese Begriffe wurden, mangels Entsprechung in der chinesischen Sprache, von chinesischen Befragten mit Englischkenntnissen ebenfalls benutzt und als selbstverständlich vorausgesetzt. Auf deren distinktive Funktion ist noch näher einzugehen. Drei der chinesischen Befragten bestanden darauf, das Interview nicht auf Chinesisch zu führen. Alle waren an den Umgang mit Ausländern gewöhnt und schienen es als Selbstverständlichkeit anzusehen, Englisch (in zwei Fällen) und Deutsch (in einem Fall) zu benutzen. Obwohl wir uns zu Beginn des Gesprächs darauf geeinigt hatten, dass sie die Fragen in ihrer Muttersprache beantworten, wechselten sie immer wieder übergangslos ins Englische bzw. Deutsche. Dies hatte den skurrilen Umstand zur Folge, dass ich die Fragen auf Chinesisch stellte, die Antworten aber in meiner Muttersprache oder aber Englisch erhielt. Wechselte ich dann ins Englische und stellte Fragen, die auf persönliche Lebensumstände abzielten, so griffen die Befragten bei der Schilderung einiger Sachverhalte wiederum auf die chinesische Sprache zurück. Insbesondere bei der Beschreibung bestimmter Situationen, bei der subjektive Eindrücke dargestellt oder aber chinesische Besonderheiten beschrieben wurden, zogen diese Befragten ihre Muttersprache vor. Anders verhält es sich mit chinesischen Befragten, die über keine 96

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oder nur unzureichende Fremdsprachenkenntnisse verfügen, was bei der Befragung vor allem von Arbeitern und einigen wenigen Angestellten zutrifft. Da ich selbst die chinesischen Standardsprache, Putonghua, spreche, das Hochchinesisch der Befragten aber in vielen Fällen stark durch den heimatlichen Dialekt eingefärbt ist, musste während des Gesprächs häufiger nachgefragt werden. Einerseits wurde dadurch zwar der Gesprächsfluss gestört, andererseits befand sich der Befragte damit aber automatisch in der Rolle des Erklärenden. Die Steifheit einiger Situationen wie unter (siehe II., 3.2) beschrieben, konnte damit aufgelöst werden. Für viele Arbeiter stellte das Interview das erste Mal dar, dass sie überhaupt die Möglichkeit hatten, mit einem Deutschen respektive Ausländer in ihrer Muttersprache zu kommunizieren. In lockeren Gesprächssituationen wurde dies als Möglichkeit genutzt, auch sehr spezifische Fragen zum Habitus und zu den Ansprüchen Deutscher zu stellen. Beispielsweise wurde die Reaktion des deutschen Vorgesetzten in einer bestimmten Situation beschrieben und eine Erklärung zu diesem Verhalten in der Erwartung vorgeschlagen, ich solle mich dazu äußern. Schwierigkeiten bereiteten immer wieder Umgangsformen, die mir nicht geläufig waren. Ältere oder vom Land stammende chinesische Interviewte neigten stark zum Gebrauch von Idiomen, während vor allem jüngere, in Städten aufgewachsene Chinesen gerne auf Wortkreationen zurückgriffen, die, wie sich in weiteren Interviews herausstellte, wiederum der älteren Generation nicht geläufig sind. Diese Art von Umgangssprache dient ohne Zweifel der Distinktion zur älteren Generation, wie auch die weiter oben beschriebene Einflechtung von englischen Vokabeln zum Teil die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bildungsgruppe und eine moderne Lebenseinstellung unterstreichen soll. Konnte ich selbst spezifische, als Slang einzustufende Begriffe verwenden, öffneten diese manchmal den Zugang zu freizügigeren Ansichten, da ich mich so als „Insider“ zu erkennen geben konnte und damit deutlich wurde, dass ich mit der Situation der chinesischen Mitarbeiter nicht unvertraut war. Die angestrebte Anpassung an den Wortschatz chinesischer Befragter konnte jedoch nicht in dem Maße geleistet werden, wie dies bei Gesprächen mit Deutschen der Fall war. Je nach Ausbildung und der damit in der Regel verbundenen Position in Unternehmen differierte bei diesen der Sprachschatz erheblich. Während vor allem deutsche Monteure eine eher handfestere Ausdrucks- und Umgangsweise gebrauchten, fiel bei einigen deutschen Managern die starke Mischung von abstrakten, nicht 97

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ohne Weiteres vorauszusetzenden Termini, bewusst eingesetzten heimischen Dialekten, saloppen, umgangssprachlichen Redewendungen und den schon weiter oben angesprochenen englischen Vokabeln auf. Die Wirkung, die bestimmte Redewendungen, Begriffe und Aussprachen haben, gingen nicht zuletzt bei der Übersetzung der chinesischen Interviews zu einem guten Teil verloren, woraus die womöglich manchmal eher gleichförmig wirkende Art chinesischer Zitate zu erklären ist.

7. Einfluss von Räumen und Orten auf die Interviewsituation Die Einrichtung von Büros vermittelte in der Regel wichtige Informationen über die Person des Befragten. In erster Linie wurde darauf geachtet, ob, und wenn ja, mit welcher Art von Gegenständen der eigene Arbeitsplatz dekoriert wurde, wie vorhandene Sitzgruppen aufgebaut und genutzt wurden, inwieweit sich das eigene Büro von anderen Räumen unterschied. Persönliche Einrichtungsgegenstände wie Familienbilder oder Ähnliches waren äußerst selten. Häufig standen Dekorationsmittel, wenn vorhanden, in einem unmittelbaren Bezug zum Unternehmen, wobei es sich nicht selten um Geschenke oder Auszeichnungen handelte, die der Beteiligte in seiner beruflichen Funktion erhalten hatte. Diese Gegenstände oder Fotografien, die den Befragten beispielsweise mit chinesischen Persönlichkeiten aus Wirtschaft oder Politik zeigte, konnten damit zum Anlass für weitere Fragen genommen werden. So boten manchmal Bücher bestimmter Titel oder Funktion einen ersten Anstoß zum Gespräch. Lag beispielsweise ein zerlesenes, chinesisch-deutsches Wörterbuch griffbereit zur Hand oder stand ein Buch zum Thema „Interkulturelles Management“ im Regal, konnte dies während des Gesprächs durch die Frage, ob es Sinn mache, Chinesisch bzw. Deutsch zu erlernen oder was man von dem Buch halte, aufgegriffen und diskutiert werden. Dies hatte den gewünschten Effekt zur Folge, dass die Befragten von persönlichen Erlebnissen berichteten. Die Einrichtung eines Büros und in welcher Weise ein Raum genutzt wird, ließ Rückschlüsse auf die Identifikation des Einzelnen mit der Firma, sein Führungsverhalten und seine selbst definierte Rolle zu. So erläuterte einer der deutschen Befragten, Besitzer eines Textilunternehmens, die penible Ordnung seines Büros. Alles sei „gerade“, „ordentlich“, „übersichtlich“ und „sauber“. Dies müsse, so der Interviewte, in China forciert werden, da „der Chinese im Allgemeinen“ hier wesentliche Defizite habe. Nur die besondere Betonung dieser als typisch ver98

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standenen deutschen Tugenden über einen langfristigen Zeitraum hinweg würde dazu führen, dass chinesische Arbeitskräfte diese Ordnung ebenfalls übernehmen würden. Eine chinesische Personalleiterin wiederum ließ ihre Bürotür auch während des Gesprächs offen stehen und grüßte immer wieder vorübergehende Mitarbeiter. Ein deutscher Vorgesetzter besaß hingegen gar kein eigenes Zimmer, sondern hatte seinen Schreibtisch in einem Großraumbüro, das er sich mit sechs chinesischen und einem italienischen Kollegen teilte, aufgestellt. Der Befragte zeigte sich über diese Situation, die aufgrund mangelnder Räume nicht anders lösbar schien, äußerst unzufrieden. Er begründete dies weniger mit der Möglichkeit, sich zurückziehen zu können, als vielmehr mit der damit fehlenden Repräsentationsmöglichkeit seines Status, was er als ausgenommen wichtig im Umgang mit chinesischen Angestellten betonte. Aufschlussreich war auch die Ausstattung und Nutzung der Kantinen. Einer der Befragten, ein Ingenieur, der für die Einrichtung einer Anlage in einer Stahlfabrik mit ausschließlich chinesischem Management zuständig war, führte mich zu meinem anfänglichen Erstaunen in zwei unterschiedliche Kantinenbereiche. Der eine, größere und mit einfachen, funktionalen Plastikmöbeln ausgestattete Bereich war für die chinesischen Arbeiter und Angestellten, der andere, kleinere und weitaus hochwertiger eingerichtete Essensbereich für die deutschen Techniker und das chinesische Management vorgesehen. Bezeichnenderweise wurde dieser mehr einem einfachen Restaurant ähnelnde Essensbereich als „Gästekantine“ bezeichnet. In einem anderen kleinen Produktionsbetrieb mit ca. 80 Mitarbeitern hatte es sich der deutsche Vorgesetzte zur Gewohnheit gemacht, das Mittagessen in dem improvisierten Speiseraum gemeinsam mit den chinesischen Arbeitern und Angestellten einzunehmen. An den Tischen war eine feste Sitzplatzverteilung zu beobachten. Der Vorgesetzte hatte seinen Platz am Kopfende des Tisches, an dem ferner die wenigen Angestellten des Betriebes saßen. Die Arbeiter nahmen ihre Plätze an den anderen Tischen ein. Beachtet wurde weiterhin die unterschiedliche Repräsentation des eigenen Arbeitsplatzes. Einige der Interviewten betonten hierbei das Produkt selbst, das manchmal eingehend beschrieben wurde, andere führten mich durch die Produktionsanlage und stellten mir die Arbeitsschritte en détail vor und wieder andere verloren sich in der Beschreibung von verwaltungstechnischen Aufgaben. Poster von Produkten, Plakate mit Sinnsprüchen, Fotos der Belegschaft, firmeneigene Wandzeitungen und Ähn99

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liches, die zum einen als Dekorationsmittel, zum anderen aber der Vermittlung des Images der Firma dienen, wurden unmittelbar in die Befragung mit einbezogen. Hier bot sich vor allem die Überprüfung der durch die Firmenleitung initiierte Selbstdarstellung, die in engem Zusammenhang mit gewünschter oder vorhandener Corporate Identity steht, und der Frage nach der Sicht der Befragten auf den Betrieb an. Dass Arbeiter und einfache Angestellte nur eingeschränkt über den vorhandenen Raum verfügen können, mag auf der Hand liegen. Jedoch waren eindeutig Unterschiede darin auszumachen, wie sie sich im Unternehmen bewegten. Eine wie unter II., 4. beschriebene Situation mit einer chinesischen Arbeiterin, die eindeutig das erste Mal einen Ort der Firma betrat, der ihr normalerweise verschlossen blieb, oder aus dem eher ungezwungenen, dem zweiten geschilderten Beispiel (siehe II., 4.2) entsprechenden Verhalten, ließen sich Rückschlüsse auf Tabus und Freiheiten ziehen. Bei nicht am Arbeitsplatz der Befragten geführten Gesprächen wurde die Auswahl des Ortes den Beteiligten überlassen. Dies ermöglichte einen Einblick in die Vorlieben wie auch einen Eindruck davon, wie sich die Beteiligten im öffentlichen Raum verhalten. Bis auf wenige Ausnahmen wurden ausschließlich Lokalitäten gewählt, die allgemein von Ausländern bevorzugt werden. Hier liegt die Spanne in einer Stadt wie Shanghai zwischen Orten wie z.B. am Xintiandi, einer von vielen Ausländern präferierten Gegend mit kostspieligen Restaurants und Bars, und anderen, weniger bekannten Orten, weiter, als dies bei kleineren Städten der Fall ist. Einige ältere deutsche Befragte schlugen für informelle Treffen Orte vor, die deutsche Küche und, offenbar wichtig, „gutes Weißbier“ anboten, was als etwas Besonderes herausgestellt wurde. Jüngere Deutsche bevorzugten in der Regel Lokale, die über eine internationale Küche verfügen und ein jüngeres, internationales Publikum anziehen. Chinesen hingegen schlugen, unabhängig vom Alter, eher Orte vor, die die Befragten als „modern“ und „westlich“ in einem weiteren Sinne einstuften. So wurden die meisten der Gespräche beispielsweise in einer amerikanischen Kaffeehauskette geführt. Bei allen hatte ich den Eindruck, dass sie bei der Auswahl der Orte immer das aus eigener Sicht Besondere wählten, was im einen Fall die Rostbratwürste, im anderen Fall das moderne Industriedesign und im nächsten der Milchkaffee aus der englisch bedruckten Tasse sein konnte. Diese Informationen und Eindrücke sollten allerdings nie isoliert betrachtet, sondern müssen in der Gesamtsituation des Befragten wie auch der Gesprächssituation gesehen werden. Ebenfalls sollten sie nicht zwingend als übliches Verhalten interpretiert, sondern als Teil möglicher 100

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Selbstinszenierung der Befragten begriffen werden. Zudem hatte ich bei chinesischen Befragten den Eindruck, dass sie bei der Auswahl des Interviewortes immer meine angenommene Vorliebe für ein „westliches“ Ambiente, für Kaffee usw. berücksichtigten. In einem Fall stellte sich beispielsweise heraus, dass der chinesische Interviewte sich den gewählten Ort von einem amerikanischen Bekannten hatte empfehlen lassen, vorher aber nie selbst dort gewesen war. Um den vermeintlichen Ansprüchen eines Ausländers gerecht zu werden und entgegenzukommen, hatte er besagtem Bekannten die Situation geschildert und um einen entsprechenden Tipp gebeten, da er selbst „nicht häufig ausgehen würde“. Einen besonderen Einblick in Lebensweise und Wohnsituation ermöglichten Einladungen in die Wohnungen der Beteiligten (vgl. III., 2.1), was bis auf zwei Ausnahmen bei chinesischen Befragten sonst ausschließlich bei Deutschen der Fall war. Auch hier bot es sich an, Fotografien, bestimmte Gegenstände, die Bekanntschaften zur Nachbarschaft usw. anzusprechen. Vor allem bestand so bei Deutschen die Möglichkeit, mitgereiste Partner mit in das Gespräch einzubeziehen oder bei bikulturellen Partnerschaften den Umgang miteinander, die Art der Verständigung und Form der Beziehung zu beobachten und in die Befragung zu integrieren.

8. Die Begriffe Kultur und Interkulturelle Kommunikation: Verständnis der Befragten Die Befragten verbanden sehr unterschiedliche Dinge mit den Begriffen Kultur bzw. „Wenhua“ und Interkulturelle Kommunikation bzw. „Kuawenhua Jiaoliu“. Bei chinesischen Arbeitern konnte zudem nicht immer eine Kenntnis des letztgenannten Terminus vorausgesetzt werden, was in den ersten Interviews manchmal zu Verunsicherungen der Befragten führte. In späteren Interviews verzichtete ich deshalb bei der Beschreibung von Hintergrund und Aufgabenstellung dieser Arbeit ganz auf diesen Terminus. Außerdem werden mit dem chinesischen Begriff für Kultur je nach Bildung und Herkunft der Befragten durchaus sehr unterschiedliche Dinge konnotiert. Das chinesische Wort für Kultur ist ein Kompositum aus zwei Bedeutungsträgern, dessen erster Teil neben weiteren Bedeutungen in erster Linie „Schrift“ und „Sprache“ bedeutet. Oftmals steht es im Zusammenhang mit der klassischen Literatursprache, deren Beherrschung im traditionellen China ein wesentliches Merkmal für Bildung 101

DEUTSCH-CHINESISCHE ZUSAMMENARBEIT IN DER VR CHINA

und damit den Zugang zu gesellschaftlicher Anerkennung darstellte. Der zweite Teil des chinesischen Wortes für Kultur, „Hua“ bedeutet u.a. „verändern“ und „erschaffen“. Der chinesische Kulturbegriff wurde oftmals von Befragten, die aus ländlichen Verhältnissen stammten und über keine weiterführende Ausbildung verfügten, zur Kennzeichnung des eigenen Bildungsstandes gebraucht. „Ich verfüge über keine besondere Kultur.“ bzw. „Ich verfüge über keine besondere Bildung.“ ist ein Satz, der häufiger von einfachen Arbeitern genannt wurde, womit sich Bedeutung und Verständnis von „Wenhua“ auf einen elitären Bildungskontext mit distinktiven Funktionen eingrenzt. Andere chinesische Befragte beschränkten „Wenhua“ auf Objektivationen aus den Bereichen Kunst, Sprache, Literatur und Speisen und zogen diese als sichtbare Unterscheidungsmittel zwischen Fremdem und Eigenem heran. Kommunikationsprozesse und unterschiedliche Verhaltensweisen wurden von den Befragten also zunächst nicht mit einbezogen. Die Fragestellungen bzw. die Vorstellung des Forschungsthemas mussten deshalb manchmal anders formuliert und mein Interesse an der alltäglichen Zusammenarbeit zusätzlich betont werden. Dies trifft auch auf den Großteil der Deutschen zu, die die Möglichkeit vorbereitender Seminare nicht genutzt hatten. Diese Befragten begrenzten Interkulturelle Kommunikation oftmals auf sprachliche Verständigungsschwierigkeiten und sichtbare Verhaltensunterschiede wie das chinesische Überreichen einer Visitenkarte mit beiden Händen oder einen deutschen Händedruck. So interpretierte kulturelle Besonderheiten wurden aus Sicht vieler Interviewter als marginale Störungen begriffen. Zur Beschreibung von als wesentlich verstandenen Problemen wurden hingegen andere Begrifflichkeiten und Erklärungsmuster wie beispielsweise „Nationalcharakter“ oder „Mentalität“ herangezogen, aber auch auf Verhaltensweisen, die manchmal explizit, oftmals implizit an die jeweilige ethnische Zugehörigkeit gebunden wurden, verwiesen. Ein kleiner Teil der chinesischen und deutschen Befragten dehnte den Kulturbegriff wie auch das Verständnis von „interkultureller Kommunikation“ auf sämtliche Verhaltensweisen aus. Dies war dann der Fall, wenn sich die Befragten eingehender mit dem Thema, z.B. in Form von entsprechenden Seminaren oder Literatur, auseinander gesetzt hatten. Die Definition der Begriffe Kultur und Interkulturelle Kommunikation beschränkte sich damit nicht auf theoretische Trockenübungen, sondern wurde zu einem Teil der Forschungsfrage selbst. Das, was die Befragten unter Kultur und Interkultureller Kommunikation verstanden, vermittelte einen Eindruck von ihrem themenspezifischen Vorwissen und den zu Eigen gemachten Erklärungsmustern.

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Teil III: Darstellung und Auswertung der Interviews

Eine Aufgabe dieser Untersuchung ist die Darstellung von Meinungen und Sichtweisen von Befragten. Teile der geführten Gespräche werden auf unterschiedliche Themenschwerpunkte verteilt dargestellt, wobei sich aufgrund der differierenden Gesprächsstrukturen, die sich durch Gedankensprünge und spontane Themenwechsel ergeben, Überschneidungen zu anderen Themenbereichen ergeben. Entsprechend sind in einzelnen Zitatauszügen weitaus mehr Informationen als nur zu einer Themenüberschrift zu finden. Ziel ist, die Positionen der Befragten gegenüber- und nebeneinander zu stellen, um so einen umfassenden Eindruck der geführten Interviews zu vermitteln wie auch Interpretationen und Schlussfolgerungen dem Kriterium der Nachvollziehbarkeit zu unterwerfen. Um ein flüssiges Lesen der Zitate zu ermöglichen, wurde auf einen Teil transkribierter Gesprächsteile wie z.B. „äh“, „hmh“ und Ähnliches verzichtet und durch einen Gedankenstrich ersetzt. Missverständliche Satzstrukturen, die nicht der üblichen Grammatik entsprechen, wurden angeglichen, solange dies nicht die eigentliche Aussage beeinträchtigt. Von der ursprünglichen Transkription wurden folgende Abkürzungen beibehalten: Nachgestellt: [E] = Englisch im Original [D] = Deutsch im Original [C] = Chinesisch im Original

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Vorangestellt: [I] = ironisch [P] = parodiert [L] = lacht [F] = flüstert X = Firmenname; Personenname F = Interviewer B = Befragte BLOCKSCHRIFT = laut; stark betont ~ = Laute wie „äh“, „hmh“, Räuspern usw. … = längere Pause

Folgt die Wiedergabe deutscher Zitate weitgehend der Formulierung der Befragten, geht der ursprüngliche Wortlaut von Äußerungen der chinesischen Beteiligten durch die notwendige Übersetzung verloren. Ein sprachlicher Vergleich der deutschen Übersetzung chinesischer Zitate mit den Aussagen Deutscher würde also zu einem missverständlichen Eindruck führen und sollte berücksichtigt werden. Der folgende darstellende Teil dieser Arbeit setzt sich aus vier Abschnitten zusammen, die sich in verschiedene Einzelthemen aufgliedern und die am Ende der jeweiligen Abschnitte in einem Überblick zusammengefasst werden.

1. Voraussetzungen für einen Chinaeinsatz 1.1 Gründe für den Chinaeinsatz – zwischen Abenteuerlust und Zwang Für viele deutsche Befragte stellt der Chinaeinsatz die Verwirklichung ihres Traumes dar, einmal im Ausland arbeiten zu können (vgl. II., 4.1). Auch wenn China nicht unbedingt zur ersten Wahl eines möglichen Entsendungsortes der Beteiligten zählt, so hat sich das Chinabild in den letzten Jahren grundlegend geändert. Erschien es früher im Vergleich zu anderen Arbeitsmöglichkeiten im Ausland eher unattraktiv, so hat sich dieses Negativbild, insbesondere hinsichtlich der prosperierenden Städte im Yangzi-Delta betrifft, geändert (II., 1.). Ein solcher Einsatz wird inzwischen als gewinnbringend für die eigene Karriere angesehen. Den104

DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

noch stellen manche der Befragten, die einige Jahre in China verbracht haben fest, dass ein Einsatz in der Volksrepublik erst mit der Entsendung in das eigene Blickfeld gerückt sei. „Ich habe immer gesagt, ich würde auch mal gerne ins Ausland gehen. Das war so das, was ich an meine Führungskräfte gegeben habe. Dann kam das Thema China. Man muss sagen, vor drei Jahren war das Thema China noch nicht so populär in Deutschland sage ich mal. Es war in einem steigenden Aufwind. Im Freundeskreis wurde das sehr komisch aufgefasst. ‚In China sind doch nur Menschen, die Reis pflücken.‘ Das war so der Tenor. Ich habe dann nicht weiter drüber nachgedacht.“

Eine Besonderheit stellen jene dar, die häufig als Expatriates geführt werden, jedoch schon viele Jahre in China leben. Die Gruppe derer, die sich selbst als China- respektive Asienbegeisterte bezeichnen, ist keineswegs klein und setzt sich in erster Linie aus älteren, hochqualifizierten Managern zusammen. Finanziell abgesichert und in der Lage, auf ein weites und gut entwickeltes, internationales Netzwerk zurückzugreifen, sehen sie die möglichen Risiken, die mit einem Leben im Ausland verbunden sind, eher gelassen. Im Vordergrund stehen nicht die persönliche Weiterentwicklung oder materielle Zwänge, sondern vielmehr ein besonderer Lebensstil, der sich in unterschiedlichen Dingen manifestiert und in dieser Form nur in Asien gepflegt werden kann. Vorwiegend jüngere Befragte erhoffen sich hierdurch eine Qualifikation für weitere Auslandseinsätze und die Möglichkeit, schneller in verantwortungsvollere Positionen aufsteigen zu können. Vor allem in kleineren Betrieben werden deutsche Entsandte früher mit Aufgaben betraut, die ein höheres Maß an Personalverantwortung mit sich bringen, als dies im deutschen Stammhaus der Fall wäre. „Ich bin aus einer normalen Angestelltenaufgabe herausgekommen und habe dann hier die Führungsposition übernommen. Das ist schon heftig, wenn man dann plötzlich sechshundert Leute unter sich hat und sich in der ersten Zeit nur darum kümmert, die Rationalisierung zu machen. Und den Umzug zu machen.“

Diese in der Regel jüngeren Expatriates stehen damit vor neuen Aufgaben, die einerseits als Herausforderung, andererseits aber auch als zusätzliche Belastung erfahren werden. Grundsätzlich aber werden die Möglichkeiten, sich schon in verhältnismäßig jungen Jahren profilieren zu können, positiv bewertet.

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Neben diesen jüngeren Personen, die also zuvor nicht in einer vergleichbaren Position tätig waren, stehen ältere Entsandte ab etwa 50 Jahren. Als Motiv für einen Auslandseinsatz werden unterschiedlichste Gründe angegeben. Während mancher nun, da die eigenen Kinder nicht mehr unterstützt werden müssen, den Traum des Auslandsaufenthaltes endlich verwirklichen kann, wollen andere sich selbst „ein letztes Mal“ unter Beweis stellen. Wieder andere ergriffen diese Gelegenheit aufgrund mangelnder beruflicher Perspektiven oder eines drohenden Arbeitsplatzverlustes in Deutschland. Unabhängig vom Alter sieht ein Teil der deutschen Entsandten den Chinaeinsatz als logischen Schritt in der Karriereplanung oder als Teil ihrer Selbstverwirklichung an. Diese intrinsische Motivation unterscheidet sich von Motiven der Befragten, für die ein Auslandsaufenthalt eigentlich wenig attraktiv erscheint, die sich aber aufgrund äußerer, manchmal implizit-manipulativ ausgeübter Zwänge trotzdem für einen Einsatz in China entscheiden mussten. Eine Befragte berichtet von ihren Erfahrungen: „Man muss eine faire Entscheidung treffen können und so viele Informationen wie möglich erhalten. Wenn man dann zögert oder nein sagt, dann darf man nicht dazu [zu einem Auslandsaufenthalt] gezwungen werden. Wir [ihr Mann und sie] waren fünf Jahre in Brasilien und dann fünf Jahre in Indonesien. War ’ne tolle Zeit. Klar. Aber dann waren wir wieder in Deutschland. Haben ein Haus gebaut. Und unser Sohn war dann vier Jahre alt. Und eigentlich war ja klar, dass wir in Deutschland bleiben wollten. Allein schon wegen dem Kind. Aber dann haben sie mir gesagt, ich müsste nach China. ‚Sonst haben wir nichts für Sie.‘ So war das.“

Es ist schwer zu beurteilen, ob es sich bei dieser recht deutlichen Drohung seitens des Arbeitgebers um eine extreme Ausnahme handelt. Doch die Angst vor unliebsamen Folgen durch eine Absage ist keineswegs ein Einzelfall. Denn auch wenn potentiellen Entsendungskandidaten nicht explizit eine Kündigung angedroht wird, so befürchten dennoch einige Arbeitnehmer, dass ihnen durch eine abschlägige Entscheidung Nachteile entstehen könnten. „Es waren nicht viele Leute zur Auswahl. Es sollte einer mit technischem Hintergrund sein. Ich wurde gefragt – klar hätte ich nein sagen können. Aber wie dann die Zukunft in unserem Unternehmen ausgesehen hätte: ‚Den können wir nicht wieder fragen. DER zieht nicht mit.‘ Und so was. Da ist ja auch keine weitere Stufe mehr drüber. Also eine Entwicklung meiner Person wäre da eh nicht drin gewesen. Danach gab es noch den Betriebsleiter und dann kam der Eigner. Aber ... Es war schon Druck dahinter. Ganz klar. Aber ich wollte auch.

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DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

Wär’ das nicht gekommen, hätte ich mich sowieso verändern müssen. Die Position hatte ich seit vier, fünf Jahren inne und wie das bei allen Positionen ist: Am Anfang ist es toll und aufregend. Aber dann nach zwei, drei Jahren kommt so eine Phase, dass das ein Selbstgänger wird, wenn man es gut organisiert hat. Es kam genau zur rechten Zeit.“

Andere Personen unterschiedlichen Alters haben Deutschland entweder aus einer materiellen Mangelsituation heraus verlassen oder sind nach einem Auslandseinsatz mangels beruflicher Perspektiven in China geblieben und können damit als Arbeitsemigranten bezeichnet werden. Je nach Qualifikation und Bedarf arbeiten sie entweder im Rahmen finanziell äußerst attraktiver Entsendungsverträge oder aber auf Basis von weitaus geringer dotierten Lokalverträgen. Wieder andere entschließen sich dazu, aufgrund einer bikulturellen Ehe bzw. Partnerschaft, die nicht selten während eines zeitlich begrenzten Auslandseinsatzes geschlossen wurde, in China zu bleiben und verdienen ihren Lebensunterhalt im Idealfall durch immer wieder wechselnde Entsendungsverträge und Anstellungsverhältnisse, oftmals aber durch Arbeitsverträge nach lokalen Konditionen.

1.2 Vorbereitung auf den Chinaeinsatz „An erster Stelle sollte die Auseinandersetzung mit der chinesischen Realität stehen. Man sollte sich damit vertraut machen. Als ich beispielsweise in Europa und den USA war, habe ich häufig Menschen getroffen, die mit China nicht sehr vertraut waren. Sie meinten, China wäre noch immer so wie zu Zeiten der Qing-Dynastie. Jedoch sind chinesische Städte wie Shanghai inzwischen besser als der Großteil europäischer und amerikanischer Städte. Aber sie meinen, in China gäbe es noch immer sehr viele Gegenden, die rückständig wären. Sie meinen sogar, dass man sich in China noch die Haare zu einem Zopf flicht. Sie sollten sich mit Büchern, Sendungen und besonders mit dem Internet auseinander setzen. Das Internet ist jetzt ziemlich entwickelt und das Niveau der Informationen ist relativ hoch. Vom Netz aus kann man sich mit der Situation in China vertraut machen. Wenn hier jemand arbeiten möchte, dann ist das auf jeden Fall unentbehrlich. Was das Managementwissen angeht, so sollte man es auf jeden Fall trainieren, denn so können noch weitere Kompetenzen gewonnen werden und Arbeiten besser erledigt werden. Es gibt in manchen Bereichen einfach große Unterschiede zwischen Deutschland und China.“

Diese Äußerung eines chinesischen Sachbearbeiters einer deutschchinesischen Kooperation teilen viele chinesische Befragte, wenn es um die Frage geht, ob und inwieweit deutsche Entsandte auf einen Chinaeinsatz vorzubereiten seien.

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Dass ein Einsatz in Ländern wie beispielsweise China, Japan, Brasilien oder auch Frankreich besondere Anforderungen an die Entsandten stellt, ist unbestritten. Zahlreiche Unternehmen bieten deshalb ihren zukünftigen Expatriates die Möglichkeit, sich in Kursen und Seminaren auf einen Auslandseinsatz vorzubereiten. Entsprechende Kurse, wie sie von Einrichtungen wie dem Bochumer Sinicum oder auch Unternehmensberatungen angeboten werden, gehören nicht selten zur vorbereitenden Phase eines zukünftig in China Arbeitenden. Vor allem größere Konzerne greifen des Öfteren auf einen weiten Kreis von mehr oder weniger erfahrenen und qualifizierten Beratern zurück, deren Angebote neben Sprachkursen, der Vermittlung von landeskundlichen Informationen auch interkulturelle Kommunikationstrainings umfassen, die sich in einigen Fällen an Arbeitnehmer aber auch an deren Ehepartner wenden. Doch nach wie vor gilt für viele Betriebe, was dieser Sales Manager für sein Unternehmen, einen mittelständischen Produktionsbetrieb, der Maschinen nach China verkauft, feststellt: „Sich vorzubereiten ist eigentlich jedem selbst überlassen. Wenn er dahin fliegt, wenn er versetzt wird, wird eigentlich erwartet, dass er sich entsprechend informiert. Aber Kurse gibt es nicht und werden auch nicht bezahlt.“

Aufgrund der hohen Mitarbeiterzahl können in großen Konzernen spezifische Weiterbildungsmaßnahmen in einem weiten Spektrum angeboten und vermittelt werden. In der Regel verfügen deren Angestellte über die Möglichkeit, mittels eines firmeninternen Netzwerks auf entsprechende Angebote zuzugreifen, in denen sie sich für fortbildende Veranstaltungen anmelden können. 1 Ob die Kurse zustande kommen oder nicht, hängt normalerweise davon ab, ob eine festgelegte Mindestteilnehmerzahl erreicht wird. Die Kosten für eine derartige Vorbereitung werden im Regelfall nach Absprache mit dem Vorgesetzten oder der Kostenstelle vom Arbeitgeber übernommen. Kleinere und mittelgroße Betriebe sind aufgrund der geringen Mitarbeiterzahl und der damit niedrigeren Nachfrage darauf angewiesen, ihre Mitarbeiter außerhalb des eigenen Hauses weiterzubilden. Normalerweise obliegt es dem Interessierten, sich über Angebote zu informieren. Eine allgemein verbindliche Aufforderung, die eine entsprechende Vorbereitung vor einem Auslandseinsatz nahe legt, gibt es nicht. Ebenso ist die Kostenübernahme durch den Arbeitgeber nicht selbstverständlich. So herrscht in einigen Betrieben die Auffassung vor, dass Mitarbeiter für die eigene Weiterbildung verantwortlich sind, was so-

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Wie beispielsweise der e-campus der Firma Siemens.

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DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

wohl für deren Organisation als auch deren Kosten gilt. Doch selbst unter Optimalbedingungen, wie sie manch großer Konzern zu bieten hat, sind Mitarbeiter nicht immer in der Lage, diese auch zu nutzen. Nicht selten stehen zwischen der Entscheidung für einen Auslandseinsatz in China und dem Zeitpunkt der Abreise nur wenige Tage. Ein deutscher Monteur antwortete auf meine Frage, ob er sich auf seinen Chinaeinsatz vorbereitet habe: „Nein. Als ich das erste Mal hierher kam, hab ich am Mittwoch einen Arbeitsvertrag unterschrieben, hab am Freitag in der Firma einen Ordner in die Hand gekriegt mit den technischen Unterlagen, bin am Sonntag Nacht nach Bonn gefahren, um am Montag das Visum zu holen, und bin am Mittwoch im Flieger gesessen. Da war überhaupt gar keine Zeit. Ich wusste nicht mal, wo ich konkret hin muss. Ich wusste, das war irgendwo bei Wuhan – weiß der Teufel, wo Wuhan ist – keine Idee.“

Dieses Beispiel mag extrem erscheinen, stellt jedoch insbesondere bei kleineren Unternehmen eher die Regel als die Ausnahme dar. Ist die Entscheidung für einen Chinaeinsatz erst einmal gefallen, müssen die Betroffenen manchmal nicht nur einen Nachfolger einarbeiten und sich fachlich auf die neue Aufgabe vorbereiten, sondern auch ihre privaten Angelegenheiten regeln. So soll die bestehende Wohnung aufgelöst und eine neue Wohnung im Gastland gesucht werden, der Partner muss gegebenenfalls ein bestehendes Arbeitsverhältnis kündigen, für Kinder muss eine adäquate Schule gefunden werden und vieles andere mehr. Die erfolgreiche Bewältigung eines arbeits- und zeitintensiven Sprachkurses, der zumindest sprachliche Grundlagen vermittelt und den Ausbau der Sprache im Gastland vereinfachen soll, bewerten viele Befragte unter diesen Bedingungen als utopisch. Zudem erscheint die Notwendigkeit einer guten sprachlichen Vorbereitung unter den beschriebenen Umständen als zweitrangig. So müssen sich einige der Entsandten im Nachhinein eingestehen, die Bedeutung einer Vorbereitung zunächst gering eingeschätzt zu haben bzw. zugunsten anderer, in der Situation des nahenden Aufbruchs dringlicher erscheinenden Angelegenheiten vernachlässigt zu haben. Erst einmal in China angekommen, fehlt vielen Entsandten aufgrund der hohen Arbeitsbelastung die Zeit, um sich die Landessprache anzueignen. „Aber das waren nur die Grundlagen. Und zudem kam gerade der Nachwuchs und wir mussten uns erst mal um völlig andere Dinge kümmern. Und haben uns wenig auf den Kurs konzentriert. Das ist der größte Fehler, sage ich heute: wenn man den Sprachkurs macht und gleichzeitig seine Lebensverhältnisse in

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Ordnung bringen muss, wie Wohnung aufgeben und so weiter. Und dann macht es keinen Sinn. Und hier haben wir einfach nicht die Zeit.“

Ein anderer oft von den Befragten angesprochener Punkt ist die Qualität der jeweiligen landeskundlichen Inhalte wie auch der interkulturellen Trainingsseminare, die offenbar erheblich differieren. Ein wesentlicher und häufig genannter Kritikpunkt ist, dass Inhalte veraltet sind. Von einigen Befragten wird außerdem deren Anwendbarkeit bemängelt. „Es gab von der Firma noch ein interkulturelles Training. Das war für drei Tage. Rückblickend muss man sagen, dass es schon ein bisschen veraltet war. Die Struktur war hier schon ein bisschen anders als das, was da in dem Training genannt worden ist. Auch die Bücher, die ich gelesen habe. Es wurden Rollenspiele durchgeführt, die eigentlich nichts mit der Realität zu tun haben. Hier muss man sich wirklich auf die verschiedenen Charaktere einstellen. […] Dieses interkulturelle Training ist auf jeden Fall verbesserungswürdig. Man muss es immer wieder updaten und nicht sagen, es war vor fünf, sechs Jahren vielleicht mal so. Die Uhr dreht sich einfach schneller hier. Einmal im Jahr sollte man schon ein Update machen. So ein Training ist dann schon ratsam. Ich habe auch einen Chinesischkurs gemacht. In Bochum. Drei Wochen. Das war sehr, sehr gut. Sehr anstrengend aber sehr, sehr gut. Zu meinem Nachteil: Ich hatte ein Zeitproblem. Das heißt, ich habe das Mai, April gemacht und bin Ende August hierher gekommen, wo dann natürlich schon alle Vokabeln wieder weg waren.“

Grundsätzlich werden diese vorbereitenden Möglichkeiten jedoch als sinnvoll erfahren. Einige der Befragten sehen sie nicht nur als Gelegenheit, sich nützliches Wissen anzueignen, sondern auch als Chance, schon im Stammland Kontakte zu Personen aufzubauen, die ebenfalls nach China entsendet werden. „Da waren fünf Referenten. Das ging über eine ganze Woche – das waren gemischte Referenten. Die kamen aus völlig unterschiedlichen Bereichen. Einer kam aus dem Banking, einer war Professor an der Uni – also ’ne wilde Mischung. Und wir haben also so über Rollenspiele: wie verhält man sich in einem chinesischen Verkaufsgespräch – wo sich auch ein Chinese, der zwar in Deutschland lebt – so hinsetzte und dann so richtig – sich dann aber so richtig doof chinesisch gab. Also so richtig schwierig. Köstlich. Wir haben uns totgelacht. Der war einfach super, der Mann. Aber der auch gut vermitteln konnte, was einem im schlimmsten Fall passieren kann bei solchen Gesprächen. War sehr gut. Würde ich auch jedem empfehlen. Der Kurs selber – wir waren nachher ein bisschen enttäuscht – bis auf uns war er voll mit Leuten, die viel mit China zu haben, die aber nicht ausgereist sind. Und damals in Singapur vor etwa acht, neun Jahren – dreiundneunzig war das – ja genau vor zehn Jah-

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DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

ren war das – haben wir den gleichen Kurs für Singapur mitgemacht und waren dort im Publikum – der Kurs war Hongkong, Singapur, Taiwan – wo die Leute, die für Singapur da waren, alle geschlossen im nächsten halben Jahr ausreisten. Und wir hatten uns dann dort wieder getroffen. Und das war nett. Weil man auch dort seine Leute sofort wieder hatte – irgendwie Erfahrungen austauschen konnte – war ’ne super Sache.“

Doch wie schon angesprochen stellen derartige Kurse keine Selbstverständlichkeit dar. Auch wenn die meisten Firmen bei Wohnungssuche, Visumsbeschaffung, dem Transport von Mobiliar und anderem in der Regel Hilfestellung bieten, so kann eine vorbereitende Einstimmung, die dem zukünftigen Entsandten den beruflichen und privaten Einstieg im Gastland ermöglichen soll, nicht vorausgesetzt werden. Einige der Entsandten greifen mangels Angebot oder Zeit auf Literatur zurück, die es sich zur Aufgabe macht, Arbeitskräfte auf China vorzubereiten. Doch was für Seminare gilt, hat ebenso bei der Beratungsliteratur Gültigkeit. Kritisiert werden mangelnde Aktualität oder schlichtweg unzutreffende Angaben: „Ich habe mir mehrere Bücher durchgelesen. China für Manager und Kulturschock und so was. Aber die sind ja nach einem Jahr veraltet. Ich habe erst gedacht, dass man in China nicht überleben kann. Dann war ich aber positiv überrascht. Da stand zum Beispiel drin: ‚Berühre keine Leute.‘ ‚Klopf keinem auf die Schulter‘ und all dieser Scheißkram. Und ich komm hier an und der erste Chinese klopft mir auf die Schulter: ‚Na?! Wie war dein Flug?‘ Da hab ich gedacht: ‚Informier dich nicht zu viel. Spring einfach rein!‘ Ich bin ja nicht bei so einem großen Unternehmen mit Kennenlernwoche für die Familie. Bei uns muss man die Entscheidung in Deutschland treffen, die Koffer packen und losfahren.“

Die überwiegend positiven Einschätzungen der Bedeutung von vorbereitenden Seminaren beziehen sich nicht auf die unmittelbare Bewältigung von problematischen Situationen. Sie wird von den Befragten vielmehr als hilfreiches Instrument für eine anschließende Analyse angesehen. Zum nachträglichen Verständnis von Situationen, die sich den Personen aufgrund situativer Verstrickung und damit verbundener affektiver Betroffenheit und unerwarteten Reaktionen des chinesischen Gegenübers nicht erschließen, werden diese in Seminaren vermittelten stereotypen Verhaltensmuster des Anderen herangezogen. Die stereotypen Zuschreibungen erfahren also besonders in der Anfangszeit einer Entsendung eine kontinuierliche Überprüfung, die entweder zu einer Verfestigung oder aber zu einer Auflösung der so erlernten Wahrnehmung führt.

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„[Ich] habe dann mal ein Seminar über interkulturelles Management gemacht. Das war eine ganz hervorragende Sache. Da wurden keine Handbücher verteilt. Da wurden die Kulturdimensionen, in denen sich Menschen unterscheiden können – Umgang mit Zeit, sequenzielles Arbeiten, partielles Arbeiten – das wurde erst mal thematisiert, dass man sich im Klaren ist, wie sich Menschen unterscheiden können. Und das hat dann geholfen. Ich habe so ein Seminar auch noch gemacht, bevor wir hierher gekommen sind, und das hat auch geholfen! Auf jeden Fall! Wenn man davon überhaupt keine Ahnung hat, dann wird es noch mal schwerer. Es hilft allerdings wenig in der konkreten Situation, wenn Sie hier was auf die Reihe bekommen wollen. Es hilft eher im Nachhinein zu verstehen, warum die Mitarbeiter oder die Kollegen so oder so reagieren. Ist UNBEDINGT zu empfehlen. Aber es ist kein Allheilmittel. Das heißt nicht, dass man hier ankommt und das dann alles sofort auf die Reihe bekommt. Es hilft dann nur, in Stresssituationen ein bisschen ruhiger zu bleiben.“

Dass die Beurteilung der Qualität einer Vorbereitung und des jeweils vermittelten Chinabildes primär von den anschließenden, individuellen Erfahrungen des Einzelnen abhängig sind, versteht sich von selbst. So findet ein Entsandter in einer kleinen Produktionsanlage selbstverständlich eine andere Situation vor und sieht sich mit anderen Problemen konfrontiert als der Leiter eines Representative Office im Herzen Pudongs. Wird in einem vorbereitenden Seminar beispielsweise das Bild der chinesischen Gesellschaft als durchweg konfuzianisch geprägt dargestellt und nimmt man einmal an, dabei würde kindliche Pietät als wesentliches Merkmal vermittelt und erlebt ein Entsandter nun in seinem Betrieb die aufopferungsbereite, bis zur Selbstverleugnung reichende Haltung eines Sohnes gegenüber seiner bettlägerigen Mutter, so wird der Entsandte dieses Verhalten als eine Bestätigung für konfuzianische Prägung deuten. Ob dieses Verhalten aber der allgemeinen gesellschaftlich gelebten Wirklichkeit entspricht und ob es sich tatsächlich durch konfuzianisches Gedankengut erklären lässt, spielt bis zu dem Zeitpunkt keine Rolle, an dem der Entsandte ein Verhalten erlebt oder beobachtet, das diesem Stereotyp widerspricht. Ein Ingenieur, der in Deutschland durch ein dreitägiges interkulturelles Kommunikationsseminar auf China vorbereitet wurde, antwortet auf meine Frage, ob er diese Vorbereitung als hilfreich empfindet: „Hilft! Hilft bestimmt. Am meisten am Anfang. Dass man Visitenkarten mit zwei Händen überreicht und solche Sachen. Das ist schon wichtig. Naja. Auch nicht immer. Hier in Shanghai ist es fast egal. Die sind inzwischen so international. Also später stellt man dann fest, dass viele Sachen anders sind. Aber

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am Anfang gibt es ein bisschen Sicherheit. Und man nimmt vielleicht nicht sofort jedes Fettnäpfchen mit.“

Deutsche Entsandte empfinden diese Art von Vorbereitung dann als besonders nützlich, wenn sie ihnen in der anfänglichen Phase der Verhaltensunsicherheit eine erste Orientierung bietet. Neben der theoretischen Vorbereitung im Heimatland werden vor allem Reisen in das zukünftige Gastland als hilfreich empfunden. Doch auch hier gilt, dass sich nicht jede Firma eine solche manchmal als „Schnupperwoche“ bezeichnete erste Annäherung der Mitarbeiter an ihren zukünftigen Arbeitsplatz leisten kann oder will. Entsandte bewerten diese Gelegenheit dann als besonders nutzbringend, wenn sie erste Kontakte zu künftigen Kollegen knüpfen und einen Eindruck von den Lebensverhältnissen gewinnen können. „Ich denke, am meisten Sinn macht es, wenn man umzieht nach China, dass man sich das Land anguckt vorher. Zumindest die Arbeitsstätte anguckt und mit den zukünftigen Arbeitskollegen unterhält. Ich kenn auch einige Fälle, wo Leute nach China gegangen sind und denen gefiel es überhaupt nicht und die sind nach zwei Monaten wieder nach Deutschland umgezogen. Völlig frustriert und ohne Job. Gibt’s auch.“

Erhält außerdem der Lebenspartner die Möglichkeit, an dieser Reise teilzunehmen, und stellt schließlich der gewonnene Eindruck die Basis für eine gemeinschaftliche Entscheidung für den längeren Aufenthalt in China dar, so fällt es den Betroffenen später leichter, kritische Situationen zu bewältigen. Was erwarten aber Chinesen von ihren deutschen Kollegen bzw. wie sollten ihrer Meinung nach Deutsche auf einen Chinaeinsatz vorbereitet werden? Der Großteil der chinesischen Befragten hält einen vorbereitenden Sprachkurs für wichtig. „Ausländer sollten auf jeden Fall ein wenig Chinesisch lernen. So wie wir jetzt Chinesisch benutzen, um zu kommunizieren. Andernfalls müssen wir uns einer dritten Sprache bedienen. Das kommt dann zu den kulturellen Unterschieden und Problemen noch hinzu. Das macht es schwer und dadurch kann eine Distanz bei der Arbeit entstehen, wenn man auch nicht in der Lage ist, sich sprachlich auszudrücken. Das macht die Zusammenarbeit sehr, sehr schwierig.“

Auch die Vorbereitung auf die kulturellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wird für sinnvoll erachtet. Die meisten der chinesischen Befragten versprechen sich davon eine bessere Zusammenarbeit 113

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und mehr Verständnis ihrer Deutschen Kollegen und Vorgesetzten, sowohl für ihre eigene Person wie auch für die oftmals von Deutschen bemängelten Rahmenbedingungen in China. Eine chinesische General Managerin, die mehrmals im Jahr das deutsche Stammhaus besucht, äußert sich: „Sie sollten sich mit der chinesischen Geschichte und Kultur auseinander setzen. Derzeit wird in deutschen Medien oftmals über die negativen Seiten Chinas berichtet. Aber über die Entwicklung innerhalb der letzten zwanzig Jahre wird selten etwas gebracht. In Filmen wird über Sachen gesprochen, die fünfzig Jahre zurückliegen. Also bringen sehr viele Leute diese Art von Bild mit. Über das gegenwärtige China wird sehr wenig berichtet. Wir haben hier zwei deutsche Kollegen. Die können mit ihnen reden. Sie können ihnen noch besser sagen, dass sie, als sie nach China kamen, mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten.“

Ähnlich formuliert es eine junge Sekretärin, die in einem deutschen Betrieb u.a. auch für die Betreuung deutscher Entsandter zuständig ist. „Ausländer sollten sich mit der kulturellen Bedeutung einiger wesentlicher Punkte der chinesischen Gesellschaft auseinander setzen. Beispielsweise fragen Ausländer oft, warum Chinesen auf Märkten immer so laut wären. Sie fragen manchmal, weshalb sie so schreien würden. Ausländer sollten lernen, so etwas zu ertragen. So, dass sie entspannt bleiben und nicht dadurch angestrengt werden. Sie sollten sich mit einigen kulturellen Besonderheiten im Allgemeinen, aber auch mit regionalen Besonderheiten auseinander setzen. Wenn sie nach Shanghai kommen, dann sollten sie außerdem ein wenig ShanghaiSprache erlernen. Es ist doch so, dass man, je mehr man versteht und je tiefer man in bestimmte Dinge eindringt, desto besser mit den Leuten und den Bedingungen zurechtkommt. Sich mit Dingen auseinander setzen. Dinge erlernen – das ist doch Kommunikation. So erhält man ein Gefühl für Sinn.“

Dass deutsche Kräfte neben der chinesischen Standardsprache, Putonghua, auch den jeweils üblichen lokalen Dialekt erlernen sollten, erscheint kaum realistisch, wirft aber ein Licht auf die hohen Erwartungen, die allgemein an die deutschen Kollegen bzw. Vorgesetzten gestellt werden, die normalerweise entweder als Experten oder bzw. und als Führungskräfte eingesetzt werden.2 2

Putonghua wird seit 1956 an sämtlichen chinesischen Schulen gelehrt. Die verschiedenen chinesischen Sprachen, oft als Dialekte bezeichnet, können in sechs verschiedene Gruppen unterteilt werden, die sich in weitere Untergruppen aufteilen. Neben Beifanghua (ca. 850 Mio.) sind Gan (20 Mio.), Hakka (30 Mio.), Jin (45 Mio.), Min Bei (10 Mio.), Min Nan (40 Mio.),

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DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

Andere chinesische Befragte betonen allgemeines Wissen über China, das den Deutschen Zusammenhänge und Verhaltensweisen verdeutlichen soll. „Sie sollten sich mit verschiedenen Aspekten auseinander setzen. Beispielsweise dass chinesische Kinder und deutsche Kinder vollkommen unterschiedlich erzogen werden. Deutsche Kinder werden sehr früh zu Unabhängigkeit erzogen. Chinesische Kinder nicht. Bei Deutschen sagt man vielleicht: ‚Wenn du etwas machst, dann musst du die Verantwortung dafür übernehmen.‘ In China: ‚Wenn du etwas machst, dann musst du dich gegenüber jemand anderem verantworten.‘ Chinesischen Kindern wird gesagt, sie sollen ihren Kopf nicht zu weit herausstrecken. Deutschen Kindern wird beigebracht, aufzufallen.“

Sowohl bei Deutschen als auch bei Chinesen gibt es eine Gruppe, die eine Vorbereitung für unnötig hält. Interessant sind in diesem Fall die Begründungen, die sich erheblich unterscheiden. So meinen einige Deutsche, die kulturellen Unterschiede seien so marginal, dass eine entsprechende Vorbereitung nur Zeit- und Geldverschwendung sei. Letztlich käme es auf eine allgemeine Menschenkenntnis und die Fähigkeit an, die Rahmenbedingungen, die aufgrund der rückständigen technischen und wirtschaftlichen Entwicklung ungenügend seien, zu akzeptieren. Eine andere Gruppe von Deutschen verbindet mit einer Vorbereitung einen idealisierten Zugang, der einen erfolgreichen Einsatz in China eher behindere. Mit einer Vorbereitung werden Zugänge zu China verbunden, die das „Verstehen“ der chinesischen Kultur in den Vordergrund rücken. Dies sei keineswegs erstrebenswert, sondern im Gegenteil eher hinderlich (vgl. III., 3.2 ff.). In diesem Punkt widersprechen die meisten Chinesen. Eine seit fünf Jahren in einer deutschen Firma tätige Angestellte äußert sich: „Er [der Entsandte] muss eigentlich nichts Besonderes lernen. Aber er braucht eine gute Einstellung. Es ist schon gut, wenn er sich vorbereitet und versucht, alle Dinge zu verstehen. Wenn er immer meint, alles müsse so wie in Deutschland gemacht werden; er immer sagt: ‚So machen wir es aber in Deutschland.‘ und er verlangt, dass wir [Chinesen] es auch so machen, dann wird es nicht funktionieren. Wenn dem nicht so ist, dann wird er sich leicht an die Bedingungen anpassen können. Er sollte bereit sein, andere verstehen zu wollen. Das ist das Wichtigste.“

Wu (u.a. in Shanghai, 77 Mio. Sprecher), Xiang (36 Mio.) und Yue (Kantonesisch, mehr als 80 Mio. Sprecher) zu nennen.

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Auf meine Frage, ob es möglich sei, durch eine Vorbereitung Zugänge zum chinesischen Verhalten und Denken zu erlangen, antwortet eine chinesische Angestellte: „Das [chinesische Verhalten und die chinesische Denkweise] können sie [die Deutschen] nicht verstehen. Wenn sie einige Zeit hier verbracht haben, dann verstehen sie vielleicht ein wenig. Aber nicht sehr viel und nicht sehr tief gehend. Chinesen machen Dinge einfach komplizierter.“

Eine neuere Entwicklung ist, dass chinesische Angestellte in den Betrieben vor Ort in Seminaren zum Thema Interkulturelle Kommunikation weitergebildet werden. „Wir machen jetzt ein Training für die chinesischen Mitarbeiter. Wir deutschen Expats werden ja immer trainiert. Jetzt aber die Chinesen, damit die wissen, wie ihre Vorgesetzten zum Teil gepolt sind und warum die so sind. Bei uns wird auch im Wesentlichen trainiert, dass die Mitarbeiter verstehen, was wir eigentlich wollen. Zum Beispiel Verantwortung übernehmen. Dass die kapieren, worum es uns geht. Und was wir damit meinen. Dass die kapieren, wenn ich sage: ‚Das ist dein Job.‘“

Dies wird von den chinesischen Angestellten sehr unterschiedlich beurteilt. Auch wenn Weiterbildungsangebote gerne angenommen und genutzt werden, äußerten einige Vorarbeiter in einem deutschen Betrieb mit über 1500 Angestellten und einem deutschen Management ihren Unmut darüber, dass gleichzeitig nicht auch als wichtiger eingeschätzte Sprach- und EDV-Kurse angeboten würden (vgl. II., 4.2 und III., 3.6, 3.7). Zudem deuten sie diese Kurse als Bestreben der Firmenleitung, die Identität der chinesischen Belegschaft unterminieren zu wollen. Die gut gemeinte Absicht, ein Verständnis für das Verhalten des deutschen Managements zu vermitteln, bewirkt hier die gegenteilige Wirkung. Vor allem Angestellte empfanden dieses Angebot als indirekte Kritik an den eigenen Fähigkeiten und dem „chinesischen Arbeitsstil“. Dies ist darauf zurückzuführen, dass den Befragten das Ziel dieser Maßnahmen nicht vermittelt wurde und ihnen außerdem nicht deutlich ist, dass in dem betreffenden Betrieb grundsätzlich alle deutschen Arbeitskräfte an einem vorbereitenden Chinaseminar über mehrere Tage in Deutschland teilnehmen. Hierzu die Aussage einer Angestellten: „Wir haben gerade auf dem letzten Training gesagt, dass Deutsche auch solche Trainings machen sollten. SIE sollten sich auch mit der hiesigen Kultur auseinander setzen und nicht nur WIR mit ihrer. Mit der Arbeit hier und dem Leben. In einer deutschen Firma werden unsere chinesischen Angestellten mit

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der europäischen Kultur in einem Training vertraut gemacht. Ich finde, Deutsche sollten auch so ein Training machen. Dann kann man erst wirklich gut mit den chinesischen Kollegen zusammenkommen. Auf dem Training gab es sehr viele Beispiele. Wenn Deutsche auch so etwas machen, dann verstehen sie auch die andere Perspektive.“

Eine funktionierende transkulturelle Kommunikation scheitert in diesem Fall nicht am Willen der Beteiligten, sondern schlichtweg daran, dass angenommen wird, mit der Einrichtung eines Seminars seien die Voraussetzungen für eine bessere Zusammenarbeit gewährleistet. Hier scheitert das Bestreben, Verständnis in einem transkulturellen Kontext herzustellen, an der Tatsache, dass der Praxistransfer nicht gemeinsam geleistet wird. Stattdessen stellt es sich der chinesischen Gruppe innerhalb des Betriebes so dar, als wären sie die einzigen, die für die Überwindung kulturell begründeter Differenzen verantwortlich wären. Schnell ist aus chinesischer Perspektive der Vorwurf des Kulturchauvinismus eines arroganten ausländischen Managements zur Hand. Da eine Verständigung über eine gemeinsame Zieldefinition im Vorfeld nicht stattfindet und der Verstehensprozess durch die Institutionalisierung in einem Seminar festgeschrieben und auf die chinesische Gruppe begrenzt wird, entstehen Missverständnisse, die durch dieses Seminar eigentlich beseitigt werden sollten. Dennoch bleibt festzuhalten, dass einige deutsche Unternehmen durchaus daran interessiert sind, deutschen Arbeitsstil und deutsche Arbeitsmentalität, was immer das auch im Einzelfall bedeutet, in ihren Betrieben in China zu etablieren (vgl. III., 3.2 bis 3.5).

1.3 Die Auswahl des Entsandten 1.3.1 Kriterien deutscher Befragter Erstaunlich selten haben Expatriates in Führungspositionen die Möglichkeit, auf Personalentscheidungen des Stammhauses für weitere Entsandte direkt Einfluss zu nehmen. Oftmals können sie nur, wenn überhaupt, informelle Empfehlungen aussprechen.3 Werden deutsche Führungskräfte in China danach befragt, welche Personen sich für einen Chinaeinsatz besonders eignen, werden neben Fachkompetenzen auch Schlüsselqualifikationen und persönliche Merk3

Einen Beitrag zur Vermittelbarkeit interkultureller Kompetenzen durch Repatriates bietet C. Martin (2001): Interkulturelle Kompetenzen und deren Vermittelbarkeit durch Repatriates, München.

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male genannt. Zudem verweisen sie auf die jeweils spezifischen Probleme der Befragten wie auch auf selbst bezogene Identitätszuschreibungen. Ein seit rund fünf Jahren in einem Joint Venture in Shanghai tätiger deutscher General Manager äußert sich: „Dann schau ich vor allen Dingen darauf, dass das irgendwo ein fertiger Mensch ist. Jemand, der irgendwo schon in sich Ruhe gefunden hat. Nicht notwendigerweise so ein bequemer Mensch, sondern so einer, der ein bisschen ... weiß, was er wert ist. Was er beizutragen hat. Ich gucke sehr danach, ob die Leute schon mal im Ausland gearbeitet haben. Irgendwo schon mal Situationen erlebt haben, die nicht normal waren. Wenn es ein Amerikaner ist oder ein Deutscher: außerhalb seines normalen Denkens. Das ist so das ... eine. Dann wäre – also – versuche ich herauszufinden, wie belastbar die Person ist. Im Sinne von – auch von Alleinsein. Im Sinne von Alleinsein bei Entscheidungen.“

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Anforderungen für deutsche Kräfte, vor allem Führungskräfte, in Joint Ventures als belastender und anspruchsvoller beschrieben werden als in einem vollständig in Auslandsbesitz befindlichen Unternehmen (WFOE) (siehe III., 3.9). Ein anderer Befragter, ebenfalls General Manager, betont soziale Kompetenzen als wesentliche Voraussetzung für einen erfolgreichen Einsatz in einem Joint Venture: „Erwiesene Teamfähigkeit. Kommunikationsfähigkeit. Offenheit gegenüber anderen Kulturen. Positive Grundhaltung und pro-aktives Auftreten. Das finde ich am wichtigsten. Das müssten sechzig Prozent sein und fachlich vierzig Prozent. Ich habe jetzt die Erfahrung gemacht, dass ohne diese soft skills die hard skills praktisch nichts bringen. Da kann man jemanden haben, der noch so gut ist – wenn der nicht in der Lage ist zu kommunizieren, dann wird das nichts. Natürlich sollte die Person ein sehr guter Fachmann sein. Aber in der täglichen Arbeit ist es schwer. Bei der Frage, wie weit das eingebracht wird.“

Eine ähnliche Position wie die unter III., 1.4 angedeutete Kritik von Chinesen an Deutschen vertritt ein mehr als 15 Jahre in China tätiger General Manager. Dieser hält eine grundsätzlich interessierte Haltung an China für hilfreich und deutet die oft auch von Chinesen angesprochene und als unangenehm empfundene Haltung mancher deutscher Entsandter an, die nicht selten als Überheblichkeit interpretiert wird (vgl. III., 3.1 bis 3.5). „Ich würde darauf Wert legen, dass jemand glaubwürdig den Eindruck macht,

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dass er nicht herkommt, China retten zu wollen. Missionare brauchen wir eigentlich nicht. Aber wir brauchen auch nicht unbedingt blinde Bewunderer. Das ist auch unsinnig. […] Man muss neugierig sein. Man muss sich beschäftigen, mit Geschichte zum Beispiel. Und wenn ich mir das so im Nachhinein anschaue: da gab es Kollegen, die auch diese negative Haltung, die ich vorhin mal angedeutet habe, – das geht nicht gut. Wenn jemand seine Tage damit verbringt, seine Nase zu rümpfen oder alles schlecht zu finden – das ist keine Basis für einen erfolgreichen Einsatz. Solche Leute wären besser nicht gekommen. Und die tun sicherlich nicht schlecht daran, ein anderes Angebot anzunehmen und weiterzugehen.“

Gleichzeitig wird eine von manchen Deutschen abschätzig bewertete Chinaeuphorie als hinderlich sowohl für den Arbeitseinsatz wie auch für die Bewältigung des privaten Lebens eingeschätzt. Personen, die mit einem durchweg positiven Chinabild einen Einsatz anträten, wären schließlich, werden sie mit der Wirklichkeit konfrontiert, weitaus stärker von einem Kulturschock betroffen. Personen, die sich dem Land ohne die Vorstellung von einem idealisierten China annähern, wären hingegen leichter integrierbar und stabiler. Ein Befragter, ebenfalls General Manager in einem Dienstleistungsunternehmen in Shanghai und zuvor mehrere Jahre als Sales Manager tätig, schildert seine Erfahrung: „Wer gleich als Realist hierher kommt, der hat keine Probleme. Aber wenn man das als persönliche Enttäuschung erfährt, dann wird man eher hart. Sonst: ‚na ja, so sind sie halt.‘ Aber wenn man hierher kommt mit offenen Armen und man kriegt einen aufs Maul. Dann wird man ein bisschen bös‘. Ich komm vom humanistischen Standpunkt her: Verstehen. Dass man sich begreift. Dieser Weltentwurf, den man mit siebzehn, achtzehn hat. Na ja. Und irgendwann merkt man, der Anteil der Minderbegabten ist hier deutlich höher als bei uns. Hier schlappen Leute durch die Gegend, die würden bei uns als debil gelten. Oder zumindest als sehr beschränkt.“

An diesem Beispiel wird deutlich, wie sehr eigene Erfahrungen auf die formulierten Auswahlkriterien für eine Einstellung einwirken können. „Verstehen“ als Voraussetzung zu einer besseren und effizienteren Kooperation wird aus dem eigenen, negativ erlebten Erfahrungskontext heraus als hinderlich angesehen. „Härte“, „Durchsetzungsfähigkeit“, „Ehrgeiz“ und auch „deutsche Tugenden“ werden u. a. von einigen deutschen Entsandten als wichtige Merkmale einer Führungskraft, die in China eingesetzt werden soll, bezeichnet. Auch sei es bedeutend, so ein Besitzer eines produzierenden Unternehmens, dass sich Deutsche durch die Berufung auf bestimmte Grundwerte der deutschen Kultur positiv von Chinesen abheben würden. 119

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„Was man hier wirklich mitbringen muss, das sind preußische Tugenden. Das heißt, hier ist ein Typus gefragt, der nicht nur neugierig ist, sondern der muss auch anders sein als die Chinesen sind. Wir müssen uns von denen irgendwo abheben. Die sollen ja merken, dass Ordnung gut ist. Dass Sauberkeit gut ist. Dass Gründlichkeit gut ist. Hier muss man auch ein hohes Maß an Bescheidenheit haben, weil ich mir ansonsten immer nur Dinge wünsche, die ich gerade mal nicht kriegen kann. Auch ein hohes Maß an persönlicher Bescheidenheit muss da sein. Also hier ist ein Protzen, so wie das die neureichen Chinesen inzwischen tun – man ist sicher gut beraten, ein bisschen bescheiden aufzutreten. Ganz wichtig ist Ordnungssinn. Wenn Sie hier mein Büro sehen und das mit einem chinesischen Büro vergleichen, dann sehen Sie den Unterschied. Hier ist Sauberkeit da. Hier ist Ordnungssinn da. Selbst wenn Dinge nicht korrekt sind, dann stehen sie gerade. Also man muss ein hohes Maß an Tugenden mitbringen, denn das ist etwas, was die nicht mitbringen. Und was ganz besonders für Shanghai gilt ist, dass man sich treu bleiben muss. Treue zeigen zu sich selbst, seinen Freunden und seinem Umfeld. Was GANZ WICHTIG ist: man muss bei der ganzen Geschichte – das gelingt mir auch nicht immer – man sollte immer versuchen, ein hohes Maß an freundlichem Gleichmaß zu behalten.“

In der Betonung der implizit als typisch preußisch bzw. deutsch verstandenen Tugenden liegt die gleichzeitige Feststellung, Chinesen würden über diese Tugenden nicht verfügen. Die hier deutlich formulierte, distinktive Hervorhebung deutscher Tugenden vor chinesischem Alltag wird bewusst mit einer zielgesetzten Instrumentalisierung verquickt. Die Besinnung auf „preußische Tugenden“ wird zu einem diffusen Synonym für richtiges Handeln und Verhalten, das gleichzeitig eine Existenz chinesischer Entsprechungen verneint. Grob lassen sich die Aussagen deutscher Befragter unterteilen. Während ein Teil das Bestreben, chinesische Verhaltensweisen zu „verstehen“, für hinderlich und geradezu gefährlich hält, stellt der andere Teil Offenheit gegenüber den als fremd erlebten Verhaltensweisen und Denkmustern in den Mittelpunkt. (III., 3.) Führungskräfte kleinerer Betriebe legen verständlicherweise mehr Wert auf ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz. Als Manager in einem kleinen produzierenden Betrieb sei es von äußerster Wichtigkeit, den oftmals nicht ausreichend qualifizierten Mitarbeitern Arbeitsschritte zeigen zu können. Zudem spiele die eigene fachliche Qualifikation eine wesentliche Rolle, um die Anerkennung der chinesischen Belegschaft zu gewinnen. „Auf jeden Fall muss er [die Führungskraft] Ahnung von der Wurzel haben. Er

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muss sich nicht von ganz unten nach oben hochgearbeitet haben. Aber auf alle Fälle wäre es schon gut, wenn er mal dran gerochen hätte. Weil die Probleme, die man hier bespricht, die gehen so weit runter. Wir sind nicht so groß, dass wir damit nicht zu kämpfen hätten. Wenn wir über ein Unternehmen mit beispielsweise 1500 Leuten reden. Da reden wir über eine andere Basis. Da hat man dann wiederum seine Leute dafür. Aber in dieser Größenordnung müssen da schon die Wurzeln, die Kenntnisse von der Basis, da sein. Auf alle Fälle auch einen gesunden Menschenverstand, was die Geschäftsbeziehungen anbelangt. Und vielleicht auch, nicht verbissen zu sein, was bedeutet, kooperativ orientiert zu sein. Denn ich glaube, man kann hier in China nicht seinen Weg so wie in Deutschland gehen. Man muss die Besonderheiten vor Ort sehen und sich darauf einstellen.“

Neben fachlichen und sozialen Kompetenzen als zu berücksichtigenden Kriterien für die Einstellung von Entsandten benennen Befragte weiterhin die familiäre Situation als wichtig. Aufgrund der hohen Trennungsrate und auftretender Beziehungsprobleme während eines Auslandseinsatzes (siehe auch III., 2.) stellen einige Befragte die partnerschaftliche Situation als Faktor in den Vordergrund, der sowohl stabilisierende Wirkung haben, jedoch auch den Grund für eine vorzeitige Rückkehr ins Heimatland darstellen kann. „Diese Entscheidung wird ja eigentlich in Deutschland gefällt. Irgendein Bereich entscheidet sich: Wir möchten das und das aufbauen. Die brauchen zum Beispiel einen Spezialisten für Luftfiltration und Turbinentechnik. Da kann ich den Leuten in Deutschland eigentlich nur sagen: ‚Hört mal zu. Wir sollten auch Folgendes abchecken: Ganz wichtig ist Familie. Frau. Waren die schon mal im Ausland? War die Frau schon mal im Ausland? Wie sieht das mit den Kindern aus? Deren Schulausbildung? Wie ist die Situation hier? Lasst die Leute erst mal kommen. Die sollen sich das angucken. Wie sind die Sprachkenntnisse?‘ Alles Sachen, die ja nicht mit der fachlichen Qualifikation zusammenhängen. Man muss irgendwie versuchen rauszukriegen, ob die Leute wirklich Willens und in der Lage sind, eine wirklich nicht einfache Situation zu meistern. Die Erfahrung zeigt, dass Männer durch das Eingespanntsein in den Beruf und das Umfeld, das sie ja auch gleich haben, einfach weniger Probleme haben als Frauen, die sich in einem ganz neuen Alltag einrichten müssen und viel allein sind. Keine Freundinnen und Bekannte. Da muss man sehr drauf achten. Das ist ein wichtiger Punkt. Also der familiäre Hintergrund. Man kann ja nie wissen, wie es tatsächlich aussieht. Man muss dann auch schon im Gespräch das Gefühl haben, die Leute wollen auch. Dass die das hier packen könnten. Und vielleicht haben sie es auch schon mal woanders im Ausland gepackt. Das wäre ein Zeichen, dass es gut funktionieren könnte.“

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Die familiäre Situation, aber auch andere erfolgreiche Auslandsaufenthalte werden hier als gute Voraussetzungen für einen Chinaeinsatz angesehen. Die Aussage des Befragten verweist zudem auf ein eher traditionelles Rollenverständnis in Partnerschaften. Ein anderer Befragter hält einen vorherigen Auslandseinsatz als zusätzliche Qualifikation für weniger wichtig. „Die Auslandserfahrung ist eigentlich weniger wichtig. Wichtiger ist interkulturelle Kompetenz, Berufserfahrung und auch, das Unternehmen zu kennen – das ist wichtiger. Ob man im Ausland war, ist eigentlich nicht so wichtig, denn da sind die Chinesen sehr liberal und sehr – eigentlich sehr helfend, wenn man neu ist.“

Ein Entsandter mit langjähriger Erfahrung in Wuxi und nun in Shanghai tätig beschreibt den Fall einer Neubesetzung. „Da war es in erster Linie die fachliche Spezifikation. Er war aber auch auslandserfahren. Wir haben ihn aus Brasilien geholt und er hat dort eine ähnliche Fabrik geleitet wie hier. Und da war es besonders wichtig, dass er sich mit der Fabrikationsweise auskennt. Er ist aber auch – obwohl auslandserfahren – hat er hier ganz andere Hürden zu nehmen und durchaus Schwierigkeiten. Aus meiner Erfahrung heraus sind solche Sachen wie interkulturelles Training vorneweg wichtig. Und ansonsten kann man das erst im Tagesgeschäft lernen. Das ist dann hart. Sprachtraining ist sehr, sehr hilfreich. Eher fürs private als für das Geschäftliche, sagen wir mal. Privat muss man nun mal auch klarkommen. Und entscheidend für China ist, dass ich, wenn ich eine Führungsperson einsetze, dass diese Führungsperson auch führen kann. Führungsfehler werden ganz, ganz wenig verziehen.“

Dass sich die Beteiligten in China in der Regel einer erhöhten Arbeitsbelastung, die sich wiederum als Belastung auf eine Beziehung auswirken kann, gegenübersehen, wird als selbstverständlich angenommen. Vor allem Führungskräfte, die sich schon seit längerer Zeit in China respektive Asien befinden, erwarten von potentiellen Entsandten eine Prioritätensetzung, die eindeutig erkennen lässt, dass der private Lebensbereich dem beruflichen Engagement hinten angestellt wird. „Es müssen natürlich Leute sein, die sich relativ gerne aus der bäuerlichähnlichen oder familienähnlichen Umklammerung, die in Deutschland herrscht, lösen. Es gibt eben die Typen in Deutschland, die wollen einfach am Freitag, Samstag, Sonntag mit ihrer Familie zusammen sein. Das ist deren Leben und deren Entscheidung. Die sind hier nicht richtig aufgehoben. Hier muss der Mensch hin, der ein hohes Maß an Neugierde besitzt. Der irgendwo eine

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gewisse Begierlichkeit hat. Der weiter will. Der Ehrgeiz hat. Dem das auch Spaß macht, an dem Platz der Welt zu sein, wo zurzeit am meisten Bewegung ist.“

Familien- und Freizeitleben werden hier als hinderlich angesehen und dienen gleichzeitig als distinktives Mittel, sich von dem, was als gegenwärtige deutsche Realität angesehen wird, zu distanzieren. Oftmals herrscht unter der Gruppe der Entsandten das mehr oder weniger bewusste und nach außen und innen hin gepflegte elitäre Selbstverständnis, sich aufgrund der außergewöhnlichen Situation von denen, die „zuhause geblieben sind“, in besonderem Maße abzuheben. Dies schlägt sich in den Erwartungen gegenüber und der Beurteilung von Neuankömmlingen, aber auch der gegenseitigen Beurteilung nieder (siehe auch III., 2.3). Sieben der deutschen Befragten halten es für sinnvoll, ausschließlich Männer als Entsandte für China einzusetzen, was mit der patriarchalisch geprägten Gesellschaft Chinas begründet wird. Männer wären grundsätzlich „aggressiver“. Die dem männlichen Geschlecht zugeschriebene „Aggressivität“ und „Durchsetzungsfähigkeit“, die einige Befragte als wichtige Voraussetzung für den Umgang mit chinesischen Geschäftspartnern bezeichnen, wird Frauen mehr oder weniger abgesprochen. Es handelt sich hierbei um Personen, die vorwiegend im Ein- und Verkauf tätig sind oder aber die Führungsposition in einem Joint Venture besetzen, bei dem die deutsche Seite weniger als 50 Prozent hält. (vgl. III., 3.9)

1.3.2 Kriterien chinesischer Befragter Angesichts der Tatsache, dass selbst die deutschen Führungskräfte in China nur wenig Einfluss auf die Auswahl von Entsandten nehmen können, erscheint es kaum erstaunlich, dass chinesischen Kooperationspartnern noch weniger Mitsprachemöglichkeiten eingeräumt wird. Im Rahmen dieser Untersuchung bezog nur eine mittelständische Firma, die in einem chinesisch-norwegisch-deutschen Joint Venture in China engagiert ist, den chinesischen Partner in die Personalauswahl mit ein. Nachdem der deutsche Partner für die Entsendung eines technischen Experten, dessen Aufgabe die Optimierung von Produktionsabläufen ist, eine engere Auswahl getroffen hatte, wurden die potentiellen Kandidaten während einer Delegationsreise der chinesischen Seite mit ihren chinesischen Vorgesetzten bekannt gemacht. Hierbei spielte weniger die fachliche Qualifikation eine Rolle, die vorausgesetzt wurde, sondern vielmehr die Persönlichkeit und das Auftreten der zwei Kandidaten. Die-

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se wurden während des Aufenthaltes der Chinesen in Deutschland beobachtet und ohne ihr Wissen getestet. Als ausschlaggebend erwies sich schließlich auf einer feierlichen Abendveranstaltung der hohe Alkoholkonsum des einen Mitbewerbers, der durch seine forsch wirkende Art einen negativen Eindruck bei den chinesischen Partnern hinterließ. Ausgewählt wurde also der Kollege, der von sich selbst behauptet, ein „eher ruhiger Mensch zu sein“. Diese Abstimmung mit dem chinesischen Partner stellt eindeutig eine Ausnahme dar. Tatsächlich wird die Entscheidung über eine Entsendung in der Regel im Stammhaus gefällt, wobei eventuelle Wunschkriterien der chinesischen Seite weder berücksichtigt noch bekannt sind. Danach befragt, welche Kriterien eine deutsche Führungskraft, die nach China entsendet wird, erfüllen sollte, antwortete ein chinesischer Angestellter wie folgt: „Sie sollten auf jeden Fall die Sprache beherrschen und sich mit China vorher auseinander gesetzt haben. Es sollten freundliche Leute sein, die Menschen mögen. Die mit Menschen umgehen können und die nicht gleich aus der Haut fahren, wenn etwas nicht sofort funktioniert. Manche Deutsche kommen her und meinen, alles müsse wie in Deutschland sein. Sie wollen einfach nicht begreifen, dass hier vieles nicht so läuft, wie bei ihnen zuhause.“

In den jeweiligen Stellungnahmen äußern sich neben Wunschbildern auch die jeweiligen Probleme, die Chinesen mit ihren deutschen Kollegen oder Vorgesetzten haben. Nicht zuletzt die im Interview oftmals indirekt auf die eigene Situation verweisenden Beispiele geben Aufschluss über die Sichtweisen der Befragten (II., 6. und III., 4.). So berichtet ein noch junger Arbeiter, der mit der Zusammensetzung von verschiedenen Teilen an einer Produktionslinie beschäftigt ist, von der Erfahrung eines Bekannten mit einer deutschen Führungskraft. Dieser führe eine ähnliche Tätigkeit wie er selbst aus und habe in dem besagten Beispiel die Anweisungen seines deutschen Vorgesetzten nicht verstehen können. „Er kam dann später wieder und hat ihn angeschrieen. Richtig laut angeschrieen. Dabei konnte der ja nichts dafür, denn er hatte einfach nicht verstanden, was der Deutsche von ihm wollte. So ein Verhalten ist nicht gut. Man darf die Leute doch nicht anschreien, wenn sie etwas nicht verstehen.“

Derartige Situationen scheinen nicht selten zu sein. Einige Chinesen berichteten von deutschen Kollegen oder Vorgesetzten, die sie „angeschrieen“ hätten, was äußerst negativ bewertet wird. Entsprechend fallen die Wünsche aus. Vor allem Führungskräfte müssten in der Lage sein, die Probleme ihrer Mitarbeiter zu verstehen und sollten darum bemüht sein, sich in die Perspektive der jeweiligen Person zu versetzen. 124

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Es ist sinnvoll, die immer wieder betonte fachliche Kompetenz als wesentliche Voraussetzung neben anderem vor diesem Hintergrund zu sehen. Aufgrund der mangelnden Ausbildung erwarten die Mitarbeiter einen Vorgesetzten, der in der Lage ist, die wesentlichen Arbeitsschritte anzuleiten. Dieses scheitert, setzt man die fachliche Kompetenz der Deutschen voraus, tatsächlich an sprachlichen und kommunikativen Schwierigkeiten. (vgl. III., 4.) Sprachliche Barrieren bemängeln vor allem Arbeiter, die täglich mit deutschen Fachkräften zu tun haben. Ein Vorarbeiter, der für den Abschnitt einer Produktionslinie verantwortlich ist, äußert sich: „Es ist doch so: Wenn deutsche Techniker hierher kommen, dann sollen sie uns doch zeigen, wie wir etwas zu machen haben. Aber wir können kein Englisch und die Deutschen können kein Chinesisch. Normalerweise ist ein Dolmetscher dabei, aber manchmal auch nicht. Wir hatten schon öfter mal ein Problem am Abend und der Dolmetscher war nicht mehr da. In solchen Fällen wäre es schon gut, wenn wir direkt miteinander kommunizieren könnten.“

Ein chinesischer Manager, der fließend Englisch und ein wenig Deutsch spricht, weist auf die besonderen Führungskompetenzen hin, die ein deutscher Manager im Umgang mit chinesischen Mitarbeitern zur Anwendung bringen müsse. Aufgrund unterschiedlicher gesellschaftlicher und kultureller Entwicklung wie auch eines ungleichen technischen Entwicklungsstandes des chinesischen und des deutschen Raumes müssten in China andere Führungsmittel zum Einsatz kommen (siehe III., 3.3). „Viele [Menschen] setzen sich im Ausland mit fortschrittlichen Methoden auseinander. Das gilt natürlich auch für das Management. Wenn deutsche Manager nach China kommen, dann wollen sie diese Methoden auf chinesische Betriebe anwenden. Diese Dinge sind eigentlich sehr gut, aber die Frage ist: Sind diese Dinge auch [in China] sinnvoll? Kann man sie in China anwenden? Ich denke, es ist oft nicht so. Man kann nicht einfach voraussetzen, dass diese fortschrittlichen Methoden in China verstanden werden. Das ist ein kulturelles Problem in China. Deutsche Manager müssen also erkennen, wie ein chinesischer Betrieb funktioniert.“

Der Befragte bemängelt im Weiteren allerdings weniger die Führungsmethoden, sondern vielmehr die mangelnde Bereitschaft oder auch Fähigkeit Deutscher, sich auf die besondere Situation vor Ort einzustellen. Grundsätzlich begeistert von deutscher „Arbeitsmentalität“, die er während eines einjährigen Aufenthaltes im deutschen Stammhaus kennen gelernt hat und während unseres Gesprächs immer wieder in idealisierter 125

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Form zur Sprache bringt (III., 3.4), plädiert er zwar für deren Einführung in chinesischen Betrieben, setzt hierfür aber ein besonderes Gespür und genaue Kenntnis chinesischer Gegebenheiten voraus. Bei Entsandten sollten seiner Meinung nach Einblicke in chinesische Rahmenbedingungen vorhanden sein, die es ihnen ermöglichen, eine chinesische Belegschaft für erklärte Ziele einzunehmen. Zudem sollten sie sich mit chinesischen Führungsmethoden auseinander setzen, was nicht bedeute, diese gänzlich zu übernehmen. Vielmehr müssten sich gerade Deutsche damit auseinander setzen, wie sich Erwartungshaltungen der chinesischen Belegschaft an einen Vorgesetzten konstituieren und worin ihre Ängste und Wünsche begründet liegen. Um zu erkennen, wo chinesische Mitarbeiter einen Nutzen für sich selbst sehen und motiviert werden könnten, gelte es, Personen einzusetzen, die in der Lage sind, sich die Vorstellungswelt der chinesischen Belegschaft zu erschließen. (siehe auch III., 3.) Ein von diesem wie auch zahlreichen anderen chinesischen Befragten angesprochenes Thema ist das der Arroganz. Deutsche wirkten in ihrem Auftreten und ihrer Einstellung überheblich. Teilweise sind chinesische Befragte davon überzeugt, dass ihre deutschen Kollegen respektive Vorgesetzten China grundsätzlich ablehnen. Impliziert wurde hierbei auch die Ablehnung „des chinesischen Volkes“ wie auch „der chinesischen Kultur“, was die jeweilige Person in einigen Fällen direkt auf sich selbst bezog. Entsprechend wünschten Befragte, dass sich Entsandte durch Offenheit und Unvoreingenommenheit gegenüber der chinesischen Alltagswirklichkeit auszeichnen und Bereitschaft zeigen, sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren. „Es ist beispielsweise ein Fehler zu behaupten, Chinesen seien schmutzig. Ein deutscher Kollege beschwerte sich mal bei mir darüber, dass Chinesen so laut ihre Suppe schlürfen würden. Vor allem in der Betriebskantine. Jeder Mensch mag eine passende Umgebung. Aber die Umgebung ist [hier] nun mal so. Es kann sein, dass man es nicht versteht, aber man muss es akzeptieren. Man kann nicht sagen, man wäre auf einem höheren Niveau. Für Deutsche ist das Schlürfen der Suppe sehr unhöflich. Ich habe ihnen gesagt, dass das laute Schlürfen der Suppe in China ihren Geschmack bezeugt. In Deutschland hat man sich daran gewöhnt, mit viel Getöse die Nase zu schnauben. Wenn man das beim Essen macht, dann empfinden es Chinesen wiederum als sehr unhöflich. Niemand kann aber sagen, das wäre falsch. Viele Ausländer, die nach China kommen, wollen hier etwas verändern. Das ist ein Fehler. Wenn jemand die Umstände verändern will, dann muss er erst zu den Gründen dieser Umstände vorstoßen. Denn erst dann kann er sie verändern. Wenn jemand so etwas als erstes denkt, wenn er herkommt, dann ist er hier falsch. Natürlich sind Veränderungen unser vorrangiges Ziel. Aber vorher muss erst mal die Ausei-

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nandersetzung mit der Firma und ihren Menschen kommen. Die muss er kennen. Und dann kann er vielleicht das Wertvolle und Wichtige vom Wertlosen und Unwichtigen unterscheiden. Aber erst dann.“

Gefordert werden also Persönlichkeiten, die dazu bereit sind, sich mit den vorhandenen Rahmenbedingungen auseinander zu setzen. Auch wenn die chinesischen Kollegen grundsätzlich das Expertenwissen und die besondere Qualifikation der Entsandten anerkennen, stoßen sich viele an der Art und Weise, wie selbstüberzeugt manch Deutscher gleichzeitig seine Ansicht vermittelt, dass nur „der deutsche Weg“ der einzig richtige sei. Ob es sich in den jeweiligen Fällen tatsächlich immer um einen „deutschen Weg“ handelt oder aber um individuelle Entscheidungen, die auf Präferenzen der jeweiligen Person zurückzuführen sind, bedenken die wenigsten chinesischen Befragten. Aus ihrer Sicht handeln Deutsche deutsch, wobei individuelle Unterschiede keine Rolle spielen. Ähnlich verhält es sich mit Deutschen, wenn sie das Verhalten ihrer chinesischen Mitarbeiter beschreiben. Schnell werden Verhaltensweisen als kulturelle Muster eingeordnet, wobei immer die Gefahr besteht, Besonderheiten, die individueller oder gruppenbezogener Natur sind oder die durch äußere Zwänge hervorgerufen werden, als kulturspezifisches, kollektives Verhalten einzuordnen. Ein anderer, oft im Zusammenhang mit Arroganz genannter Vorwurf bezieht sich auf eine rassistische Haltung deutscher Entsandter, die sowohl bei Arbeitern als auch bei Führungskräften zu finden sei. Als Beispiel der Kommentar eines Arbeiters: „Es scheint, als würden Deutsche, also Germanen, besonderen Wert auf Blutsverwandtschaften und Abstammung legen. Sie sind sehr stolz auf die eigene Herkunft und drängen andere Völker an die Seite. Wenn ein Deutscher mit solchen Gedanken nach China kommt, dann ist das nicht gut.“

Auf meine Nachfrage, wie sich diese rassistische Haltung Deutscher äußere, verweist der Befragte auf seine Schulausbildung und auf chinesische Zeitungsartikel, in denen über Übergriffe auf Ausländer in Deutschland berichtet wurde. „Das habe ich in der Schule gelernt. Über die deutsche Geschichte. Dieser Eindruck kommt sicherlich aus dem Lehrbuch. Da stand, dass Deutschland im zweiten Weltkrieg die anderen Völker unterjocht hat. Außerdem habe ich gelesen, dass es in Deutschland heute noch Ausländerfeindlichkeit gibt. Natürlich kann so etwas in jedem Land passieren. Aber von Deutschland hört man

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davon doch vergleichsweise viel. Und manchmal finde ich auch, dass manche Deutsche immer noch so sind.“

Es ist nicht immer eindeutig zu klären, inwieweit angelerntes, stereotypes Wissen die Wahrnehmung hierbei beeinflusst oder ob es tatsächlich unmittelbare Erfahrungen der Beteiligten sind, die dieses Negativbild entstehen lassen. Zu meinem Erstaunen wurde das Thema Rassismus jedoch recht häufig von chinesischen Befragten angesprochen. Die Frage nach dem Alter von Deutschen hielten viele der chinesischen Befragten für irrelevant. Es käme auf Qualifikation und Kompetenz an, so der Tenor. Danach befragt, ob ein weiblicher oder ein männlicher Vorgesetzter bevorzugt würde, fielen die Antworten der Chinesen hingegen sehr unterschiedlich aus. Während der Großteil behauptete, das Geschlecht sei unwichtig, wünschten sich drei Chinesinnen im Alter zwischen 24 und 32 Jahren ausdrücklich einen männlichen Chef. Eine dieser Beteiligten arbeitete selbst unter einer deutschen Vorgesetzten und betonte gleichzeitig, dass diese ausgezeichnete Arbeit leiste.

1.4 Ankunft der Entsandten – erste Schritte „Ich bin einfach offen für alles Neue und ich bin da auch mit überhaupt gar keiner Vorstellung hingegangen. Ich hab es einfach auf mich einstürzen lassen. Ich bin einfach am Flughafen angekommen; da hieß es ~ da kam einer auf mich zu, der konnte kein Englisch. Mit meinem Namensschild. Der hat sich meinen Koffer geschnappt. Ok. Folgste dem mal. Dann wusste ich nicht, wohin geht es jetzt genau. Wie lange fährt man jetzt da? Es waren zwei Stunden Fahrt. Ich hab mir dann die ganze Fahrt lang die Gegend angeguckt. Und ich war wirklich so überwältigt, was es da alles Neues gibt und so. Dann wurde ich halt in die Firma gebracht. Dann wurde ich da halt noch mal vorgestellt. Bei der Geschäftsführung. Die kannte ich ja nun aus Deutschland von dem einen Meeting. Dann bin ich in mein Appartement gebracht worden. Hab dann die Schlüssel bekommen und alles und konnte dann da einziehen. Und da war es noch so, dass ich Glück hatte, dass da ein Norweger war, der da noch in dem Appartement mitgewohnt hatte, der auch Deutsch konnte.“

Wie schon unter III., 1.2 dargestellt, sind einführende Reisen, auf denen Entsandte die Möglichkeit haben, sich mit ihrem zukünftigen Arbeitsplatz vertraut zu machen, keine Selbstverständlichkeit. Eine Ankunft, wie die hier beschriebene, stellt also keine Ausnahme dar. Je nach Temperament kann sie dem Einen der Beginn eines spannenden Abenteuers, dem Anderen ein von Verunsicherung geprägter Alptraum sein. Eine deutsche Entsandte beschreibt ihre ersten Tage in Shanghai: 128

DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

„Ja, das war gut! Ich bin hier angekommen – das war im Sommer – das war erst mal sehr, sehr heiß. Das war, wenn man nach draußen kam – aus dem airconditioned Raum ist es so, als wär man gegen eine Wand gelaufen. Das war unheimlich wuselig alles. Aufregend. Mir hat es von Anfang an alles sehr gut gefallen. Die ersten Wochen waren wir natürlich unterwegs. Wie ist die Infrastruktur? Wo muss ich hin, um das zu kaufen und das? Ich brauchte ein Lexikon. Ich brauchte Trinkwasser. Ich brauchte ... [L]. Das ist wirklich Überlebenstraining gewesen die ersten Wochen. Aber das hat Spaß gemacht. Und dann macht man natürlich Pläne. Also, was ist als Nächstes – also ich bin angekommen. Ich war erst mal in einem Service-Department für einen Monat, bevor ich mir meine Wohnung gesucht habe und alles. Also zuerst ging es darum, so Lebensmittel einzukaufen. Trinkwasser und so. Dann ging’s darum, eine Wohnung zu suchen. Dann ging’s darum, die ganzen Formalitäten in Gang zu setzen. Das Arbeitsvisum zu bekommen. Medizinische Gesundheitsprüfungen zu machen. Was man auch alles machen muss. Ich weiß nicht – das war ständige Planung. Als Nächstes werde ich das machen. Als Nächstes das – zwischenzeitlich habe ich natürlich auch schon vollzeitig gearbeitet. Ich war gut beschäftigt.“

Während einige der Entsandten diese Zeit der Neuorientierung als Herausforderung erleben und es genießen, sich auf das neue Leben und die neuen Rahmenbedingungen einzustellen, erfahren andere diese Phase als abschreckend und belastend. Neben sprachlichen Schwierigkeiten, die den Unkundigen auf das Niveau eines Analphabeten zurückwerfen, müssen sich die Expatriates mit der neuen Lebensumgebung vertraut machen. Oftmals ist es die Organisation der einfachen Dinge, die Schwierigkeiten bereitet, wobei allerdings immer beachtet werden muss, wo und wie die Betroffenen leben. Je nachdem, wo sich der Arbeitsplatz der Entsandten befindet und wie sie untergebracht sind, hat das großen Einfluss auf den ersten Eindruck vom Gastland. Denn wie schon an anderer Stelle erwähnt, sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Städten und selbst deren Stadtvierteln erheblich. „Da gab es wirklich nichts. Die Firma ist wirklich auf die grüne Wiese gestellt worden. Das war eine riesige Fabrik. Die ist auf die grüne Wiese gestellt worden. Da haben sie den Wald weggeschaufelt, um die Fabrik da hinzustellen. Da war der nächste Ort sieben Kilometer weit weg. Da war also – da haben sie gleich eine Kolonie dazugebaut, wo die Leute wohnen. Also es war absolut aus der Welt. Und da bin ich da auf den Markt gegangen. Ich wollte Zucker kaufen für den Kaffee. Ich habe Suppe angeboten gekriegt und Kühlung und weiß der Geier, was alles ~ nur keinen Zucker.“

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Stehen chinesische Kollegen oder Angestellte zur Verfügung, die durch Übersetzungen oder beispielsweise bei der Wohnungssuche oder Behördengängen Unterstützung leisten, kann diese anfängliche Phase der Hilflosigkeit minimiert werden. Doch steht selbstverständlich nicht jedem Deutschen eine entsprechende Kraft zur Seite, weshalb dieser Vorzug meist nur Personen des höheren Managements oder aber Arbeitskräften, die eine besondere Betreuung durch einen chinesischen Kooperationspartner erfahren, zugute kommt. Vor allem die ersten Eindrücke der Entsandten werden in den unmittelbaren Vergleich zu Deutschland bzw. dem vorherigen Gastland gestellt. Ein General Manager, der vor seinem Chinaeinsatz in Shanghai fünf Jahre in Tokio, zubrachte, schildert seine Eindrücke folgendermaßen: „Es war scheußliches, nasskaltes Wetter. Der Winter in Tokio ist sehr schön. Da scheint fast immer die Sonne. Der Himmel ist blau und die Luft ist trocken. Wunderbar. Allein das Klimatische. Shanghai ist einfach kein angenehmer Platz. Na ja und dann. Ich denke mal, was dann am Anfang schwierig war, das waren die kleinen Dinge, die man so im Alltag zu regeln hat. Das war einfach schwierig. Post oder was weiß ich. Oder wie bezahle ich meine Stromrechnung oder was liegt im Briefkasten? Man weiß nicht, was das soll. Oder die ganzen Anmeldungen und Registrierungen. Ich hab ja das Büro erst aufgemacht als ich kam. Es hat alles sehr viel Zeit und wirklich auch Nerven gekostet. Also viele Sachen laufen in Japan oder vielleicht auch bei uns in Deutschland runder und einfacher. Da kommen dann noch die Sprachprobleme hinzu. Dann auch für meine Frau: Wo kaufe ich was ein? Die ganze Situation ist einfach schwieriger als anderswo. Der Verkehr hat mich unheimlich viel Nerven gekostet. Tut er heute noch. Aber man hat sich inzwischen daran gewöhnt. Was auch ziemlich störend war: die Rücksichtslosigkeit der Chinesen. Wenn man aus Japan kommt, dann ist man daran gewöhnt, dass man zuvorkommend ist. Sich anstellt. Ich sag mal einfach: ORDENTLICH ist. Wenn man zum Beispiel am Flughafen beim Ticketkauf nicht kämpft, dann kommt man nie da vorne hin. Man findet das einfach unmöglich und unverschämt, was da läuft. Aber mit der Zeit lernt man auch, damit umzugehen. Akzeptieren kann ich es bis heute nicht, aber man lernt damit umzugehen. Man muss mehr kämpfen. Auch im Verkehr. Das ist doch Kampf! Kämpfen um jeden Zentimeter. Manchmal ist das eben nervenaufreibend.“

Mit dem, was hier als „schwierig“ bezeichnet wird, sind also Dinge oder Angelegenheiten gemeint, die im Vergleich zum vorherigen Lebensmittelpunkt mit einem zusätzlichen und unerwarteten Aufwand verbunden sind oder deren Sinn sich aufgrund Sprachunkenntnis oder Unbekanntheit nicht erschließen lässt. Die Entsandten befinden sich damit anfäng130

DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

lich in einer Situation, in der sie zunächst nicht unterscheiden können, was als wichtig oder unwichtig, dringend oder weniger dringend einzuschätzen ist. Ob es sich beispielsweise bei der eingehenden Post um eine Paketbenachrichtigung oder aber die mögliche Aufforderung handelt, sich umgehend bei der Ausländerbehörde zu melden, erschließt sich erst mit chinesischer Hilfe. Dies führt zu zusätzlichen Verunsicherungen und Stresserlebnissen mit Auswirkungen auf den privaten Bereich und das Arbeitsumfeld. Ein „neues Gesicht“ in einer Firma bedeutet gleichzeitig immer auch die mögliche Neuordnung, zumindest aber Infragestellung gewachsener Machtstrukturen. Der „Neue“ wird nicht selten als Bedrohung des status quo wahrgenommen. Ein chinesischer General Manager beschreibt diese Problematik: „Ich denke manchmal auch daran, jemanden neues einzustellen. Aber ich weiß noch nicht genau, wie. Erst wenn ich weiß, wie ich ihn am besten einführe, kann ich es machen. Es ist nämlich so, dass ein von außen Kommender mit Sicherheit Widerspruch durch die Angestellten des Betriebes erfahren wird. Die Angestellten haben nämlich Angst, dass ein neuer Chef die eigenen Vorteile einschränken wird und werden sich mit Sicherheit erst einmal gegen den Neuen wenden.“

Die neu eingesetzte Kraft steht unter Umständen Strukturen gegenüber, die sich aufgrund der Sprachbarriere, aber auch aufgrund der Tatsache, als Ausländer zunächst außerhalb der gewachsenen Gruppengefüge zu stehen, erst nach längerer Zeit und mittels chinesischer Kollegen erschließen. Eine weitere Rolle spielt das hierarchische Gefälle und das damit nicht selten verbundene Misstrauen gegenüber Führungskräften. (vgl. III., 3.) Die ersten Tage sind in der Regel ausschlaggebend für die weitere Zusammenarbeit mit chinesischen Kollegen und Angestellten. Oftmals werden die eben eingetroffenen Deutschen, die entweder den normalerweise angesehenen Status eines ausländischen Experten oder aber den einer Führungskraft innehaben, abwartend von chinesischen Mitarbeitern beobachtet. Diese Phase wirkt sich entscheidend auf den Zugang zur Belegschaft und damit auf die allgemeine Arbeitsatmosphäre aus. Dadurch finden sich die hoch bezahlten Ausländer oft in Testsituationen wieder, in denen sie ihre besonderen Qualifikationen und Kompetenzen unter Beweis stellen müssen. Gelingt dies den Beteiligten nicht, so ist es möglich, dass sie im weiteren Verlauf ihres Arbeitsverhältnisses immer wieder auf Widerstände stoßen oder sogar ignoriert werden.

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„Und da hab ich halt denen gesagt, was sie ändern müssen. Das haben die auch OHNE Murren gemacht – da war ich wirklich erstaunt. Das war so eins der ersten Dinge und das Beste war halt: Es hat wirklich so funktioniert, wie ich das vorhatte. Das ist auch ziemlich glücklich gelaufen. Das hätte auch ganz anders laufen können eigentlich. Dass es die richtige Richtung war, wusste ich. Nur dass es so erfolgreich war, hätte ich nicht gedacht. […] Das war meine erste Tat da eigentlich. Ich weiß nicht, ob es anders gelaufen wäre, wenn ich nicht so erfolgreich gewesen wäre – aber ich denke mal.“

Neben dieser Unterbeweisstellung der eigenen Fähigkeiten entscheiden Auftreten und das nach außen getragene Selbstverständnis der aus chinesischer Perspektive manchmal als arrogant bezeichneten Deutschen über den Zugang zu chinesischen Kollegen. Neuankömmlinge überschauen selten die manchmal recht verzwickt erscheinenden Machtstrukturen innerhalb der chinesischen Belegschaft. Nicht immer gelingt es den Entsandten, sich günstig zu positionieren, was als Voraussetzung für die häufig notwendigen Strukturveränderungen innerhalb der Betriebe angesehen wird. Eben angekommene Entsandte, die von einem Tag auf den anderen Veränderungen einleiten wollen, ohne sich zuvor eingehend mit der Situation vor Ort und den chinesischen Beteiligten auseinander zu setzen, werden von chinesischer Seite nicht selten als chauvinistisch und überheblich betrachtet. Damit verbauen sich die deutschen Beteiligten oftmals schon zu Beginn den Zugang zu einer vergleichsweise ungezwungenen Teilnahme an Gruppenprozessen und den damit verbundenen Informationsquellen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn deutsche Führungskräfte zu Beginn ihrer Tätigkeit zunächst mit Rationalisierungsmaßnahmen beauftragt sind, die jeden Einzelnen der chinesischen Belegschaft um seinen Arbeitsplatz fürchten lassen. „Deutsche Chefs können sehr hart sein und sie kümmern sich nicht immer darum, ob es für die chinesischen Mitarbeiter gut ist oder nicht. Sie verstehen die Chinesen nicht und oft sehen sie auch nicht, welcher Mitarbeiter gute Arbeit leistet und welcher nicht. Wenn sie längere Zeit in China arbeiten und wenn sie chinesische Freunde haben, dann ist es etwas anderes. Aber eigentlich sehen sie nur die Oberfläche, aber sie durchschauen nicht die Situation. Manche Chinesen nutzen das aus. Aber das ist schlecht. Wenn man jemanden entlassen muss, dann sollten diejenigen entlassen werden, die keine gute Arbeit leisten. Aber eigentlich ist es so, dass die bleiben, die wissen, wie man mit den Deutschen umgeht. Ich finde das nicht gerecht.“

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DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

1.5 Zusammenfassung Der Großteil der deutschen Entsandten behauptet von sich, nur unzureichend oder auch gar nicht auf den Chinaeinsatz vorbereitet worden zu sein. Ursächlich dafür sind in Einzelfällen entweder fehlende Angebote oder mangelnde Zeit. Auch wenn einige der Firmen ihren Mitarbeitern grundsätzlich die Möglichkeit eröffnen, an entsprechenden Seminaren teilzunehmen, scheitert die Umsetzung in vielen Fällen an der kurzen Frist, die den Betroffenen zwischen Entscheidung und Abreisetermin verbleibt. Einige der Beteiligten, die wiederum an vorbereitenden Seminaren teilgenommen haben, kritisieren sowohl Aktualität als auch die Praxisnähe vermittelter Inhalte, sind aber dennoch davon überzeugt, dass Vorbereitungen grundsätzlich hilfreich und sinnvoll seien, würde man sie regelmäßig der Entwicklung in China anpassen. Qualität und Schwerpunkte derartiger Vorbereitungen differieren offenbar erheblich. Beziehen sich einige der Befragten vor allem auf erlernte Verhaltensstandards oder auch „Fettnäpfchen“ wie beispielsweise das zu beachtende Überreichen von Visitenkarten mit beiden Händen oder das Schnäuzen in ein Taschentuch, berichten andere davon, für unterschiedliche Kulturdimensionen sensibilisiert worden zu sein, die eine nachträgliche Analyse von problematischen oder unverständlichen Situationen ermögliche. Beratende Begleitungen in China selbst sind selten und Angebote vor Ort werden von keinem der Befragten genutzt. Stattdessen versuchen einige Firmen transkulturelle Defizite durch Trainingsseminare für die chinesische Belegschaft zu beheben. Dies stößt bei einigen der chinesischen Teilnehmer auf Unverständnis und sogar Ablehnung, da viele darin implizit den Anspruch der deutschen Führung sehen, ihre chinesischen Mitarbeiter zu einer grundsätzlichen, als Teil der eigenen chinesischen Identität verstandenen, Verhaltensänderung zu bewegen. Hier wird nicht gemeinsam an einer Verbesserung einer Situation gearbeitet, die aus Sicht beider Gruppen problematisch erscheint. Der Vorwurf des Kulturchauvinismus und der Arroganz ist in diesem Zusammenhang nicht selten, fällt aber auch in anderer Beziehung. So wünschen sich chinesische Befragte von ihren zukünftigen deutschen Kollegen bzw. Vorgesetzten bessere Kenntnisse sowohl der chinesischen Geschichte und Kultur als auch der Sprache. Einige der chinesischen Befragten bemängeln indirekt die Führungskompetenz ihrer deutschen Vorgesetzten. Diese würden Führungsinstrumente einsetzen wollen, die sich zwar in Deutschland bewährt hätten, in China aber aufgrund unterschiedlicher Rahmenbedingungen nicht ohne weiteres einsetzbar wären. Deutsche müssten sich demnach mit den Gegebenheiten vor Ort auseinander set133

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zen und besser auf ihre Führungsaufgaben vorbereitet und dafür ausgebildet werden, um eine effektive Leistung erbringen zu können. Deutsche Befragte bestätigen diese Erfahrung, wenn sie darauf hinweisen, dass Führungsfehler „nicht vergeben“ würden. Geht es um Hintergrundkenntnisse, so stimmen insbesondere diejenigen der deutschen Befragten mit chinesischen Beteiligten überein, die schon seit längerer Zeit in China tätig sind. Derartige Erkenntnisse und Erfahrungen von Entsandten werden jedoch von Unternehmen nur unzureichend genutzt. Im Rahmen dieser Untersuchung greift keines der Stammhäuser bei Personalentscheidungen auf das Wissen seiner Entsandten oder Repatriates zurück. Entsandte, die sich in China mit erhöhten Anforderungen und längeren Arbeitszeiten konfrontiert sehen, werden eine qualitativ hochwertige Vorbereitungsphase in Deutschland aufgrund Zeitmangels und Erwartungsdrucks in China nicht nachholen können. Die Bedeutung einer adäquaten Vorbereitung wird demnach von einigen Betrieben unterschätzt. Dies trifft vor allem diejenigen der Expatriates, die in erster Linie aus einer extrinsischen Motivation heraus einen Chinaeinsatz antreten. Sind intrinsisch motivierte Entsandte aufgrund einer „positiven Grundhaltung“ weitaus eher dazu bereit, sich auf die fremden und manchmal schwierigen Rahmenbedingungen einzustellen und einzulassen, kann diese Bereitschaft bei extrinsisch motivierten Entsandten nicht vorausgesetzt werden. Grundsätzlich schütze eine realistische Einschätzung dessen, was die Beteiligten in China erwartet, vor Enttäuschungen, die in Einzelfällen durchaus zu Resignationen und Frustrationen führen können und die nur durch eine entsprechende Vorbereitung durch Seminare oder auch eine vorherige Besichtigung des zukünftigen Arbeitsplatzes vermieden werden könnten. Ohne die als wesentlich betrachteten Schlüsselkompetenzen wie „Teamfähigkeit“, „Kommunikationsfähigkeit“, „Offenheit“, „pro-aktives Auftreten“, „Freundlichkeit“ und andere wäre selbst eine ausgezeichnete und notwendige fachliche Qualifikation bedeutungslos und nicht vermittelbar. So halten einige der chinesischen Befragten eine Vorbereitung für weniger wichtig, betonen aber, dass Entsandte, was in der Regel als Synonym für Führungskräfte steht, sich durch „Menschenfreundlichkeit“ auszeichnen sollten. Derartige Äußerungen werfen ein Licht auf das, was die Befragten in ihrem Alltag als defizitär erfahren. Der „schreiende“, aus der Haut fahrende Deutsche scheint kein Einzelfall zu sein und auch Deutsche berichten davon, wie ihnen „der Kragen platzte“. Erfahrene Entsandte weisen weiterhin auf die Bedeutung vorheriger Auslandsaufenthalte wie auch die Familiensituation der zukünftigen Expatriates hin. Die Zufriedenheit des Partners, der sein soziales Umfeld und unter Umständen seinen Beruf aufgibt, spiele eine wichtige Rolle 134

DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

für Einsatzbereitschaft und Leistungsfähigkeit, was bei der Personalauswahl nach Möglichkeit berücksichtigt werden solle. Vorbereitungen und „Schnupperreisen“ können den Entsandten insbesondere in der wichtigen Anfangsphase einer Entsendung den Einstieg sowohl in die betrieblichen Strukturen wie auch die Orientierung und Gestaltung des privaten Umfeldes erleichtern. Unsicherheiten können so reduziert werden und den Betroffenen wesentlich bei einer erfolgreichen Meisterung eines Auslandseinsatzes helfen. Dieser Idealfall trifft jedoch nur auf wenige der Expatriates zu, von denen die meisten, vor mehr oder weniger vollendete Tatsachen gestellt, kaum die Möglichkeit haben, sich sowohl mental als auch praktisch auf ihre neue Aufgabe und den neuen Lebensmittelpunkt einzustellen. Durch die begrenzte Zeit eines Entsandtenvertrages stehen die Entsandten unter hohem Erwartungsdruck sowohl vom Stammhaus als auch von der chinesischen Belegschaft, der dazu führen kann, dass durch Unwissenheit oder bzw. und mangelndes Gespür für Sensibilitäten chinesischer Beteiligter Kapitalfehler begangen werden, die im Nachhinein nur schwer wieder ausgeglichen werden können. Hierbei unterschätzen die deutschen Beteiligten manchmal das an sie herangetragene Rollenverständnis eines hochbezahlten Experten und Spezialisten, der aus chinesischer Perspektive über außergewöhnliche Kompetenz und Qualifikation sowohl im fachlichen als auch zwischenmenschlichen Bereich verfügen muss. Insbesondere jüngere Entsandte übernehmen oftmals erst mit ihrem Chinaeinsatz Positionen, die mit einer hohen, den Beteiligten bis dahin nicht bekannten Verantwortung vor allem im Personalbereich verbunden sind. Diese Betroffenen müssen sich also nicht nur in den neuen Rahmenbedingungen zurechtfinden, sondern sich auch in einer betrieblichen Situation bewähren, die ihnen bis dahin unbekannt war.

2. Gestaltung des Privaten 2.1 Die Wohnsituation der Entsandten „Die deutschen Kollegen wohnen schon besser als wir. Ich bin mal von einem [deutschen] Freund zum Essen eingeladen worden. Er wohnt wie die meisten [Deutschen] hier in einer dieser teuren Wohnanlagen. Wirklich sehr teuer. Aber sehr schön. Es gibt dort sehr viele Grünanlagen und ein Schwimmbad habe ich auch gesehen. Wir können uns das nicht leisten. Aber dort wohnen ja auch fast nur Ausländer. Deutsche mögen es nun mal lieber, unter sich zu bleiben.“

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So beschreibt ein chinesischer Angestellter, der in einem großen deutschen Konzern arbeitet, seine Eindrücke von der Wohnsituation seiner deutschen Kollegen. Tatsächlich geben viele Deutsche einer der komfortablen Wohnanlagen, die von den ausländischen Bewohnern als „Compound“ bezeichnet werden, den Vorzug. Die Werbung für diese Anlagen richtet sich oftmals gezielt an ausländische, gut verdienende und vor allem „westliche“ Arbeitnehmer. Namen wie beispielsweise „Shanghai American Homes“, „Ridgewood Cottage Villa“, „Le Chateau“ u.a. verweisen auf eines der wesentlichen Merkmale, mit denen sie beworben werden: Westlicher Wohnstandard wird geboten, der zumeist mit einem umfangreichen Serviceangebot verbunden ist. Dieses reicht von Kinderbetreuung, Kindergärten und Grundschulen, verschiedenen Sportanlagen und Fitness- wie auch Wellnesskursen über Kalligraphie-, Chinesisch- und auch Kochkursen bis hin zum individuellen Service wie Haushaltshilfen oder einem westlichen Frühstücksangebot. Je nachdem, für welche Art von Compound man sich entscheidet, und ob man dort entweder eine der Villen, architektonisch oftmals vergleichbar mit deutschen und amerikanischen Einfamilienhäusern, oder eines der Serviceappartements bewohnt, werden im günstigen Fall Preise ab 1000 US-Dollar bis hin zu fünfstelligen Beträgen im Monat bezahlt. Als einen wesentlichen Vorzug begreifen manche der deutschen Befragten die Möglichkeit, in diesen Compounds vergleichsweise einfach Kontakte zu Personen knüpfen zu können, die einen ähnlichen Erfahrungshintergrund vorweisen. „Hier sind wahnsinnig viele Australier und Neuseeländer, Engländer, Franzosen. Wobei das natürlich, klar, von den Firmen abhängt. Es sind ziemlich viele Deutsche von Siemens, weil Siemens auch in Pudong mit einem Standort ist. Alcatel. Franzosen, ja. Belgier. Und es sind auch relativ viele Asiaten Richtung Japan und Hongkong-Chinesen. Also, es ist ’ne wilde Mischung und das macht es eigentlich auch sehr nett. Muss ich sagen. Fantastisch. Also ich muss sagen, wir würden hier IMMER wieder reingehen und zwar einfach aus dem Grund: Man hat einfach über dieses Compound – speziell über dieses – sofort Kontakte gehabt. Und der Compound war auch berühmt-berüchtigt, weil jeder sagte: ‚Da rein, das klappt. Das stimmt. Mit Kind oder Familie in jedem Fall.‘ […] Es gibt auch einen Kindergarten und eine Schule. An dem Kinderspielplatz treffen sich dann alle Mütter. Ist lustig. Und da kriegt man dann sehr schnell Kontakte“

Durch die besondere Situation als Ausländer und der Erfahrung, aufgrund des Aussehens zunächst einmal als fremd und andersartig eingeschätzt zu werden, wie auch den sprachlichen Schwierigkeiten, sehen 136

DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

viele die Möglichkeit, in einer derartigen Wohnsituation Kontakte zu knüpfen, als wesentlich an. Mittels des umfangreichen Angebotes bieten sich zahlreiche Gelegenheiten, andere Ausländer kennen zu lernen. Auf meine Frage, wodurch sich die hohen Mietkosten rechtfertigen lassen, antwortet die Ehefrau eines Entsandten: „Man kann in Shanghai auch für die Hälfte wohnen. Klar kannste. Bloß dann hast du das Problem der Isolation und dann bleibt immer die Frage: Wenn der Mann ins Büro trottet, ist das ein Problem. Oder wenn du da, was immer du da machst, – wenn die Frau dann da nicht zurückbleibt. Und dann muss man da entweder wahnsinnig aktiv sein ~ aber da muss man sich ganz extrem drum kümmern. Und hier in der Anlage, da ist es einfach so. Du bist zwei Schritte vor der Tür und da hat dich irgendeiner gegriffen und gesagt – von den Nachbarn – ‚Komm, ich helf’ dir!‘ Mir hat man auch geholfen. ‚Was brauchst du? Was kann ich für dich tun?‘ Das war unglaublich. Super. Das war extrem stark. Es ist eine teure Wohnanlage – muss man schon sagen. Ich würd’ aber sagen, es ist jeden Pfennig wert. Wo du jedem eine Frage stellen kannst, wenn du nicht weiter weißt. Du hast ein Problem? Ich frag mal schnell rum – haben wir gleich. Ich hab zu vielen Leuten gesagt: ‚Wenn du es nicht weißt – geh um drei Uhr zum Spielplatz. Die ganzen Mütter, die da hocken, die wissen das alles.‘ Klar. Man hockt zusammen am Sand, die Kinder spielen und man unterhält sich irgendwie. Da wird jedes Problem gelöst. Also – es ist echt ’ne schicke Sache. Würde ich jedem empfehlen. Du kannst sicher für die Hälfte wohnen aber wo dann eben genau diese Community fehlt. Und ich denke halt, in einem Umfeld wie Shanghai ist es wichtig.“

Besonders für mitgereiste Partner bieten diese Art von Wohnanlagen die Möglichkeit, ohne großen Aufwand mit anderen Personen in Kontakt zu kommen. Dass die gewünschte Kontaktgruppe bei dem Großteil der deutschen Befragten Ausländer sind, resultiert aus der empfundenen Isolation wie auch den Schwierigkeiten, mit Chinesen längere, freundschaftliche Beziehungen zu knüpfen (siehe III., 2.5). Vor allem Familien mit Kindern entscheiden sich für eines der großzügigen Wohnhäuser. Die durch einen Wachdienst abgeschirmten Anlagen sind nicht jedem zugänglich und bieten den Bewohnern und ihren Kindern damit ein Gefühl des Schutzes. Dass der Nachwuchs sich innerhalb dieser Grenzen frei bewegen kann und zudem die Möglichkeit besteht, gleichaltrige Spielkameraden zu finden, nannten manche als wesentlichen Vorteil. Neben dem Preis-Leistungsverhältnis achten Eltern in der Regel auf eine gute Anbindung an eine der internationalen Schulen und auch darauf, wie viele andere deutsche Familien mit Kindern im Kinder-

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garten- oder schulpflichtigen Alter in den zur Auswahl stehenden Compounds leben. „China ist eigentlich kein Land, das einfach ist für die Familie. Also für meine Tochter, die hier mit uns ist ~ die geht zur amerikanischen Schule – die ist vierzehn … das ist ganz schön. Eine schöne Schule. Aber auch da sieht man so die Limitierungen. Sie müssen also auch den Compound so aussuchen, dass da gleichaltrige Kinder da sind. Denn sonst ist es schon das Problem der Logistik in der Stadt. Also das ist nicht ganz einfach. Sie können ja nicht jeden Tag zwei Stunden durch die Stadt eiern, damit die Kinder zur Schule kommen.“

Als Indikator für die Beliebtheit der Wohnanlagen in Shanghai unter deutschen Familien können die von der Deutschen Schule Shanghai ermittelten Zahlen dienen.4 Auch wenn einige der Familien beispielsweise die amerikanische Schule vorziehen, entscheidet sich der Großteil der Deutschen für die Deutsche Schule. Ausschlaggebend dafür sind das Angebot des deutschen Lehrplans, der den Kindern einen reibungslosen schulischen Übergang ermöglichen soll, aber auch mangelnde Englischkenntnisse der Kinder. Diese Entscheidung bestimmt unmittelbar die Auswahl des Wohnortes, der aufgrund der teilweise enormen Fahrtzeiten in den chinesischen Städten idealerweise in direkter Nähe der Schule liegen sollte. Für Städte wie Suzhou, Hangzhou und vor allem Ningbo gilt, dass kein vergleichbares Angebot vorhanden ist. Eltern schicken ihre Kinder deshalb auf eine der internationalen Schulen, in denen die Unterrichtssprache Englisch ist. Doch auch hier sind die meisten Eltern darum bemüht, in möglichst unmittelbarer Nähe des Schulortes ihrer Kinder eine Wohnung bzw. ein Haus zu finden. Dass in einem Fall der Sohn trotz Wohnortes in Suzhou dennoch auf die Deutsche Schule in Shanghai geschickt wurde und er täglich hinund herpendelte, stellt einen Ausnahmefall dar. In den Städten Hangzhou und Ningbo waren bei den Treffpunkten der deutschen Gemeinschaft keine Entsandten zu finden, die Kinder haben. Dass Kinder oftmals der Grund dafür sind, dass der Partner für die Zeit der Entsendung in Deutschland bleibt, mag auf der Hand liegen. Insbesondere dann, wenn der Ort der Entsendung nicht über die nötigen Einrichtungen verfügt, die auch für den Rest der Familie möglichst wenige Unannehmlichkeiten erhoffen lassen. Die als Nachteile empfundenen Merkmale eines Auslandsaufenthaltes in China sollen weitestgehend 4

Siehe wwws. ds-shanghai.org.cn/Eltern/ElternCompound.html

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DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

durch die besondere Wohnsituation kompensiert werden. Die Mutter zweier Kinder antwortet auf die Frage, weshalb es so wichtig sei, in dem „richtigen“ Compound zu leben: „Du gibst ja deine sämtlichen Kontakte auf. Freunde – soziale Kontakte und so. Du gibst ja alles auf in Deutschland, wenn du gehst. Ist ja schön, wenn man sich mal e-mailt, aber es ist einfach nicht das Gleiche. Das ist ja auch klar. Du gibst alles auf. Du gibst auf, dass du montags zum Kinderturnen gehst und dienstags zur Musikgruppe und mittwochs dahin und donnerstags zum Schwimmkurs und so. Du hast ja irgendwo deinen festen Stundenplan. Was man so pro Woche herunterreist. Je nachdem – aber du gibst das ja alles auf. Und dafür musst du in meinen Augen so schnell wie möglich einen Ersatz finden. Und ich denke mir: Je schneller du dort diesen Ersatz findest, je schneller bist du dort zufrieden und fühlst dich wohl. Je länger du dort rumdümpelst und nicht recht weißt, was tun. Langweilig. Am besten bleibst du bis Mittag im Bett und so. SCHRECKLICH! Und desto schneller bist du total unglücklich. Und deswegen find ich halt – ist jetzt kein Witz – ich hatte nach fünf Tagen drei Babygruppen: montags, mittwochs, freitags und zwischendrin noch an den Pool. Wir hatten nach einer Woche unseren Stundenplan zusammen. Der änderte sich natürlich immer mal ein bisschen. Ist ja auch klar, weil man dann was Neues fand und ein bisschen was änderte und so. ~ Aber wir hatten nach fünf Tagen unseren Stundenplan zusammen und das hat dazu beigetragen; du weißt einfach: Heute ist in Haus sowieso um neun Uhr ein Treffen und dann stehst du auf. Dann machst du dein Kind fertig. Dann gehst du dahin. Und du weißt genau: Die Woche danach bist du dran. Dann stehen die bei dir vor der Tür. Das ist so ein kleines bisschen Druck. Natürlich ist es ein selbst auferlegter, aber es pusht dich. Dass du dich zusammenreißt, dich morgens fertig machst, dein Haus sauber machst und dann ist Babygruppe. Das hilft.“

Der Verlust des sozialen Netzes und eines routinierten, Sicherheit gebenden Alltagslebens soll also durch die Wahl des richtigen Wohnortes ersetzt werden. In der Fremde Halt durch ein funktionierendes Nachbarschaftsleben zu gewinnen und in der nicht nur in der Anfangszeit unübersichtlich erscheinenden neuen Umwelt Kontakte zu knüpfen ist für viele Entsandte, vor allem aber deren Partner und Kinder eine der wesentlichen privaten Herausforderungen. Auch wenn kinderlose Entsandte oder Paare weitaus flexibler sind, ziehen dennoch viele die Anbindungsmöglichkeiten an die ausländische Gemeinschaft, die ein internationaler Compound bietet, vor. Auch hier wird mit drohender Isolation vor allem des Partners argumentiert. Wie bei Familien mit Kindern wird die Möglichkeit, sich in Wohnanlagen mit hoher Ausländerdichte über Bekanntschaften durch infor-

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melle Informationen das neue Lebensumfeld zu erschließen, geschätzt. Aber auch die Annehmlichkeiten, die die einschlägigen Wohnanlagen zu bieten haben, werden als wesentliche Erleichterung empfunden. „Der erste Punkt war, dass wir sehr positiv überrascht waren, als wir hier ankamen. Wir hatten vorher eine Reise nach Nepal gemacht. Das war unsere vorherige Asienerfahrung und hatten uns auf vollkommen andere Wohnverhältnisse eingestellt und auch völlig andere Umgebungsverhältnisse. Wir leben in so einem klassischen Compound – zwar in einem Appartement – aber außerhalb der Stadt. Wir haben sogar ein kleines Gärtchen. Es gibt einen Swimming-Pool, Tennisplatz. All diese Späße. Und in einem sehr chinesischen Viertel – ein muslimisches Viertel. Aber der Compound selber ist ein klassischer Villencompound und wie gesagt, die ganze Struktur ist halt so, wo wir halt völlig dachten: ‚Ja! Himmel hilf!‘ Wir hatten gedacht, wir wohnen halt in einem Block, wie dahinten einer ist [deutet auf ein Gebäude im sozialistischen Plattenbaustil] – In so einem grauen Betonblock und haben da unser Wohnüngchen. Der Verkehr rauscht vorbei. Und das war so der erste Punkt, wo wir gesagt haben: ja. Das ist vielleicht einfacher, als wir gedacht haben. […] Ist ein ziemlich bekannter Compound innerhalb der deutschen Community, weil da über sechzig deutsche Familien wohnen. Ist aber ein chinesisch verwalteter Compound. Das ist ganz, ganz spannend, weil der sich auch ausdrücklich als chinesischer Compound definiert und die sagen, man hätte keine Ambitionen, viel Rücksicht auf die westlichen Bewohner zu nehmen. So nach dem Motto: Wenn ihr euch wohl fühlt, ist das fein. Der ist da hinter dem Hongqiao-Airport. Da sind die ganzen westlichen Vorstadtkolonien.“

Ob er sich vorstellen könne, in einem durchschnittlichen Shanghaier Wohngebäude zu leben, beantwortet ein selbständig Tätiger wie folgt: „Nee. [L] Mein Kollege wohnt in so ’nem Block. Also ich kenne es und weiß, wie es ist, dort zu leben, weil wir dort auch viel gearbeitet haben. Gerade in der Gründungsphase der Firma. Es ist ganz nett und schön, das zu kennen… Aber den Komfort einer gut ausgestatteten Wohnung zu haben... ~ Wir hatten das Glück, dass unsere Vermieter einen amerikanischen Schwiegersohn haben. Das heißt, die haben irgendeine Vorstellung davon, was für Westler wichtig ist. Das hat man schon enorm gemerkt. Wir hatten den ganzen Hassel und Bassel mit ob man das denn jetzt ändern könnte – das war alles nicht. Die meisten Sachen waren eh schon so, dass wir damit glücklich waren. Nee. Auch außerhalb der Stadt zu wohnen ist für mich jetzt in Ordnung. Ich fahre fast anderthalb Stunden hierhin.“

In vielen Fällen leben die Betroffenen in durchaus besseren Verhältnissen als in Deutschland. Viele Befragte sehen es als selbstverständlich an, 140

DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

dass ihr Arbeitgeber für die teilweise enormen Kosten aufkommt bzw. gehen davon aus, dass der Arbeitgeber ein unmittelbares Interesse daran hat, dass entsandte Mitarbeiter aufgrund der besonderen beruflichen wie auch privaten Anforderungen einen Ausgleich durch ein umfangreiches „Expat-Package“ bekommt. „Meine Firma zahlt mir halt die Wohnung. Als ich hierher gekommen bin, da hab’ ich mir Wohnungen angeguckt und hab’ mir dann eine Wohnung im Compound ausgesucht. Also das ist schon relativ luxuriöses Wohnen. Wohnen mit Swimmingpool und Sportzentrum und Karaoke und was weiß ich nicht alles. In Deutschland hatte ich ein Haus mit Garten und Garage. Das war auch sehr angenehm. Das hab ich hier natürlich nicht. Meine Firma ist der Meinung, sie muss mir meinen Lebensstandard ungefähr garantieren. Also der muss ungefähr gleich bleiben, und insofern denk ich mal – ja. Zahlen die halt auch mehr Miete für mich.“

Auf meine Frage, wie mein Gegenüber, Partner einer berufstätigen Frau, der sich in China im Laufe des Aufenthaltes selbständig machte, der baldigen Rückkehr und dem wahrscheinlich niedrigeren Lebensstandard in Deutschland gegenüberstünde, antwortet dieser: „Also, wir sind so: Wir haben ein Appartement von hundertsechzig Quadratmetern und drei Badezimmer und ein Bubblebad und so was. Aber das sehen wir eher humoristisch. Schön, gehabt zu haben. Es gibt viele Sachen, die in Deutschland einfacher sind. Die ganzen Installationssachen. Ständig hat man hier irgendwelche Reparaturen. Das ist etwas, was wir später dann wieder genießen werden. Dass das alles funktioniert. Also diese große Wohnung hat hier auch eine größere Bedeutung. In Deutschland, da brauche ich weniger Rückzugsraum und weniger guten Rückzugsraum, weil die Gesamtsituation einfacher zu handeln ist. Und so genießen wir es so, wie es hier ist. Und es ist so, dadurch, dass ich selbstständig bin und zurückgehe, ist mir auch bewusst, dass es auch erst mal wieder nach unten gehen wird. Wir haben da auch nicht so dieses… ~ .Wir wollen gut leben und sind auch finanziell sehr gut versorgt. Aber es muss nicht so das Gewaltige sein.“

Die Möglichkeit, sich vor der als manchmal ermüdenden und kräftezehrenden Umgebung zurückzuziehen, spielt eine wesentliche Rolle. Der enorme Lärmpegel in den mit Baustellen übersäten Städten, die vielen Menschen, eine immer wiederkehrende Orientierungslosigkeit, Verständigungsschwierigkeiten, die klimatischen Bedingungen, die in der Regel langen Arbeitszeiten, die auf die Entsandten einwirkende, geballte Urbanität und vieles andere mehr rücken die Bedeutung des privaten Raumes in den Vordergrund. Dieser stellt für viele Befragte oftmals den ein-

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DEUTSCH-CHINESISCHE ZUSAMMENARBEIT IN DER VR CHINA

zigen Ort dar, an dem sie sich erholen und regenerieren können, weshalb dem Wohnen von allen Befragten ein besonderer Stellenwert zugeordnet wird. Doch nicht alle Entsandten ziehen hierbei eine der, manchmal abschätzig als „Ausländerghetto in den Kartoffeln“ bezeichneten, Wohnanlagen vor. Stattdessen suchen manche gezielt Wohnungen in „chinesischen Vierteln“, womit in diesem Fall all die Stadtgebiete gemeint sind, die über keine für Ausländer eingerichteten Wohnanlagen verfügen bzw. deren Infrastruktur sich nicht an den Bedürfnissen von Ausländern orientiert. Diese Entsandten sind in der Regel kinderlos und erhoffen sich durch ein Leben „mittendrin“ einen unmittelbaren Zugang zur chinesischen Gesellschaft. Aus dem gleichen Grund, aus dem sich Befragte für eine dieser Wohnanlagen entscheiden, nämlich die Integration in bestehende Netzwerke, lehnen andere eine derartige Wohnform ab. Der entscheidende Unterschied liegt meist darin begründet, dass sich die Personen, die sich bewusst gegen ein Compoundleben entscheiden, einen direkteren Zugang zu ihrem chinesischen Lebensumfeld wünschen, während die andere Gruppe den leichteren Zugang zu Menschen sucht, die als Entsandte in einer ähnlichen Situation leben wie sie selbst. „Also, wir wollen in diese Compounds nicht, weil es eher so ghettohaft ist und dann liegen die auch meist weiter draußen und ... Wir haben auch mit Leuten gesprochen, die in solchen Siedlungen wohnen und gemerkt, wie selten die in der Stadt sind oder wie wenig die zum Teil über Shanghai wissen, oder sich in der Innenstadt auskennen. Ich denke, allein durch die Wohnsituation haben wir die Innenstadt hier – und die ist ja nun mal interessant – nach einem halben Jahr zum Teil besser gekannt als Leute, die weiter draußen in Hongqiao wohnen. Die natürlich auch wieder da wohnen müssen, wegen der Schulsituation. Das Problem haben wir nicht. Aber ... Also so ein Compound wäre für uns nie in Frage gekommen.“

Ein anderer, seit mehreren Jahren in China lebender Firmeninhaber distanziert sich über den Wohnort noch deutlicher von einer Gruppe der deutschen Entsandten: „Nee. Die [Deutschen] hocken da draußen in ihren Ghettos und kriegen nichts mit von China. Ist ja auch klar. Die sind zu bequem, sich um Dinge selbst zu kümmern und wollen wohnen wie in Deutschland. Die sind einfach zu verwöhnt. Dabei sind sie hier in China. Gut. Man kann nicht so leben wie die Chinesen. Das ist auch Quatsch. Können wir auch nicht. Aber in den Compounds hängt man so dicht aufeinander … Das ist wie in einem kleinen Dorf. Deswegen bin ich doch nicht nach China gekommen. Für mich wär’ das einfach nichts.“

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Derartige distinktive Äußerungen gegenüber „den anderen Deutschen“ oder auch den Landsleuten im Heimatland finden sich in der Selbstverortung zahlreicher Gesprächspartner. Manch einer versucht seine Fähigkeit, mit den besonderen Schwierigkeiten leichter umgehen zu können als andere Deutsche, durch distinktive Äußerungen zu unterstreichen. Dies mündet in manchmal zunächst paradox erscheinende Äußerungen: „Viele Deutsche hier kann man vergessen. Die kapieren nicht, dass man sich anzupassen hat. Man muss bescheiden sein, um hier überleben zu können. Und ist doch auch logisch, dass die Leute nichts mit Chinesen zu tun haben, wenn sie sich in ihren Compounds verkriechen. ~ Da muss man halt mittendrin sein. Irgendwo mit Chinesen zusammen leben.“

Der gleiche Befragte, der seit rund vier Jahren in China lebt, äußert später: „Mit Chinesen kommt man eigentlich nie so richtig zusammen. Mal essen gehen. Aber das ist ja auch meist irgendwie geschäftlich. Also einfach mal was zusammen machen, gibt es eigentlich nicht. Man kommt nicht an Chinesen ran. Keine Chance. Man ist immer irgendwie außen vor.“

Diese Erfahrung des Ausgeschlossenseins teilen die meisten der Deutschen. Nur wenige finden einen Zugang zur chinesischen Gesellschaft, was viele unter anderem auf sprachliche Barrieren, aber auch auf den unterschiedlichen Lebensstandard zurückführen, der sich in seiner deutlichsten Form durch die unterschiedliche Wohnsituation zeige. „Das normale Leben eines Ausländers hier hat mit dem Leben eines Chinesen überhaupt nichts zu tun. Das ist schon künstlich. Man ist nicht ein Satellit. Nee. Man ist schon mittendrin. Aber das Einkommen ist schon so viel höher als das eines Standardchinesen, dass man in einer anderen Sphäre unterwegs ist. Und das ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb man zu den Chinesen keinen Zugang findet. Für die ist es auch durchaus peinlich, wenn sie aus kleineren Verhältnissen kommen und den höheren Lebensstandard der Ausländer sehen und da nicht mithalten können. Status ist ja ein entscheidender Punkt in China.“

Doch auch zu wohlsituierten Chinesen, die über vergleichbare Einkommensverhältnisse verfügen, fällt den Entsandten der Zugang schwer. Dieses Grundproblem mangelnder Einbindung führen diejenigen, die von sich selbst behaupten, ein Interesse beispielsweise an chinesischen Freundschaften zu haben, auch darauf zurück, dass Chinesen normaler143

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weise kein Interesse daran haben, Ausländer in die eigenen Kreise zu integrieren. Doch auch Chinesen charakterisierten in Interviews Deutsche als Personen, die lieber unter Deutschen oder Ausländern verkehren würden. (siehe III., 2.2) Ein chinesischer Buchhalter in einem deutschen Unternehmen in Shanghai äußert seine Ansicht zu Deutschen: „Sie sollten nicht in diesen Wohnanlagen für Ausländer leben. So werden sie China nicht kennen lernen können. Es nicht verstehen können. Sie sollten auf chinesischen Märkten einkaufen und nicht in diesen ausländischen Kaufhäusern. Sie sollten mit dem Bus fahren und nicht immer mit dem Auto oder dem Taxi. Dann werden sie bessere Einblicke in die chinesische Gesellschaft erhalten und auch Chinesen besser verstehen. Und dann werden sie auch ihre chinesischen Kollegen besser verstehen. So aber leben sie wie in einer anderen Welt.“

2.2 Freizeit Deutsche Entsandte, nach Freundschaften zu Chinesen befragt, sprechen immer wieder von der gänzlich unterschiedlichen Art der Chinesen, ihre Freizeit zu gestalten. Dies mache es schwer, mit Chinesen Freundschaften zu pflegen oder Gesprächsthemen zu finden, die sich nicht auf die gemeinsame Arbeit bezögen. Tatsächlich konnten nur wenige der interviewten Chinesen etwas mit meiner Frage nach Hobbys oder Freizeitaktivitäten anfangen. Zunächst erschien eine Unterscheidung nach Verdienst nahe, doch ergab sich im Laufe der Untersuchung, dass diese Differenzierung unzureichend ist. Auch wenn diejenigen, die den Begriff eines selbstgestalteten Freizeitlebens einordnen konnten, zu den besser verdienenden Personen in den besuchten Firmen gehören, so kann dennoch nicht davon ausgegangen werden, dass diese damit quasi ein bestimmtes Freizeitverhalten entwickeln. Chinesen, die für einige Zeit in Deutschland waren, konnten den Begriff von einer arbeitsfreien Zeit, die mit Aktivitäten ausgefüllt wird und in erster Linie der Selbstverwirklichung dient, einordnen. Eine chinesische General Managerin, die in Deutschland studierte und anschließend drei Jahre Arbeitserfahrung im deutschen Stammhaus sammelte, beschreibt das Leben in ihrem ehemaligen Gastland: „Vergleicht man das Leben in Deutschland und in China, dann sind die Freiheiten in Deutschland größer. Es gibt mehr Möglichkeiten. Beispielsweise hat man ein Auto. Innerhalb der beruflichen Freizeit kann man die verschiedenen europäischen Orte besuchen. Man hat sehr viele Auswahlmöglichkeiten. Außerdem gibt es sehr viele Urlaubstage in Deutschland, was für jemanden, der

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in Deutschland arbeitet, sehr angenehm ist. Deutsche haben sehr viel Freizeit und machen sehr viele Sachen außerhalb ihres Berufes. Das ist ein großer Unterschied zu China. Hier haben die Menschen nicht so viel Freizeit.“

Eine andere chinesische Befragte, die als Sachbearbeiterin in einem Joint Venture arbeitet, beschreibt, wie sie sich durch ihr zweijähriges Studium in Deutschland an einen bestimmten Lebensstil gewöhnt hat: „Ich habe mich verändert. Aber in welchem Maße, ob viel oder wenig, das weiß ich nicht genau. Ich habe mich zum Beispiel an Ruhe gewöhnt. Ich lese zum Beispiel lieber alleine ein Buch, als mit anderen Leuten auszugehen. Das mag ich seitdem. Oder ich war in Deutschland sehr oft mit Freunden schwimmen. Also nicht, um uns sportlich zu betätigen, sondern einfach nur, um Spaß zu haben. Das ist hier eigentlich nicht üblich. Seitdem ich in Deutschland war, mag ich lieber ruhigere Sachen. Dinge, bei denen man nachdenken und entspannen kann.“

Entsprechend konnten chinesische Befragte, die in Deutschland mit deutschem Lebensstil in Kontakt gekommen sind, meine Frage einordnen. Dies ist auch eines der Beispiele dafür, inwieweit sich interkulturelle Kommunikation durch unterschiedliche, kulturell geprägte Begrifflichkeiten auch innerhalb der geführten Gespräche manifestieren kann. Andere chinesische Befragte verbinden beispielsweise mit dem Begriff der „Freizeit“ ausschließlich die Mußezeit, die ihnen zur Verfügung steht, um zu schlafen oder um gemeinsam mit ihrer Familie zu speisen. Selbst gemeinsame Essen mit Bekannten wollten einige, nachdem wir über die Definition von Freizeit diskutierten und ich versuchte, die Bedeutungsdimension, die der Begriff in Deutschland hat, zu verdeutlichen, nicht mehr als Freizeitaktivität gelten lassen. Tatsächlich fehlen vielen chinesischen Befragten entweder die Zeit oder aber die finanziellen Mittel, um an von manchen Deutschen präferierten Aktivitäten partizipieren zu können. Arbeiter und Angestellten fehlt zudem aufgrund der oftmals nach Auftragslage variierenden Arbeitszeiten die Möglichkeit, an regelmäßigen Veranstaltungen teilzunehmen. Ob es sich nun um den Sportkurs oder den Eintritt in ein Museum handelt – für die meisten chinesischen Arbeiter oder Angestellten gilt, dass die aufzubringenden und für diesen Personenkreis als hoch einzustufenden Beträge besser auf dem Sparbuch aufgehoben sind, um die Zukunft des Nachwuchses abzusichern. Doch wie schon angedeutet, äußern die meisten der chinesischen Befragten kein Bedürfnis nach derartigen Aktivitäten. Selbstverwirklichung als wesentlicher Bestandteil von Freizeit ist in China nach wie vor selten und ein Luxus, den sich nur wenige leisten wollen und können. 145

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Deutsche, nach ihren Freizeitaktivitäten befragt, äußern oftmals ihren Unmut über das mangelnde Angebot und manchmal sogar über die als langweilig empfundenen Chinesen. Selbst Shanghai, so mancher Befragte, hätte in der arbeitsfreien Zeit nur wenig zu bieten. „Ich muss sagen, dass Freizeit hier in Shanghai ein Problem ist. Weil – meiner Meinung kann man nicht viel machen. Es gibt zwar Meer, aber da ist nichts los. Gibt keine Berge. Sportliche Möglichkeiten sind sehr beschränkt. Kulturell ist es eher arm. Wenn man das mit anderen Metropolen in Asien vergleicht. Milde ausgedrückt: arm. Ich würde sagen, man kann nicht viel machen. Die Singles treiben sich vielleicht bis spät abends noch in den Bars herum. Aber ich würd’ mal sagen – krass ausgedrückt: Außer arbeiten und abends weggehen und in die Gym vielleicht noch – so viel kann man da nicht machen. Beijing ist dagegen ein Unterschied wie Tag und Nacht. Trotzdem wollte ich nicht in Beijing leben aus anderen Gründen. Aber das ist kulturell eine viel interessantere Stadt. Aber das glaubt einem keiner, wenn man in Deutschland erzählt, dass in Shanghai nicht viel los ist.“

Auch die in Suzhou oder Ningbo lebenden Entsandten formulieren ihren Unmut über mangelnde Gestaltungsoptionen. Ein immer wieder angesprochener Punkt sind fehlende Möglichkeiten, sich in der Natur zu erholen. In Hangzhou lebende Entsandte führen dagegen die in unmittelbarer Nähe gelegenen Teeberge und den Westsee als wesentlichen Vorteil zu Shanghai an. „Ich würde nicht gerne in Shanghai leben wollen. Klar. Dort gibt es mehr Möglichkeiten als hier. Aber man kann mal mit den Kindern an den See gehen. Die Luft ist auch besser als in Shanghai. Wenn ich allein wäre, dann wär’ es etwas anderes. Aber so ist es schon besser.“

Dies ersetze langfristig aber nicht die in Deutschland durch das Vorhandensein einer intakten Natur gegebene Lebensqualität. Aufgrund der dichten Besiedelung und des Umstands, dass so gut wie jeder Flecken Erde in der Umgebung kultiviert ist, würde sich das familiäre Freizeitleben mehr auf den privaten Raum konzentrieren (III., 2.1). „Freizeit heißt für mich momentan Familie. Mit drei Kindern haben sie genug zu tun. Meistens im Compound mit Freunden zusammen. Reisen, Urlaub, Zuhause sitzen und grillen. Wie in Deutschland auch. Theater oder Ähnliches können sie hier nicht machen. Dafür müssen sie dann nach Shanghai. Aber das hat auch nicht sooo viel zu bieten. Wir fühlen uns jedenfalls nicht schlecht hier. Was fehlt, das ist mal ein grüner Wald am Abend.“

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Dieser Mangel an „Natur“ wird von den meisten Befragten als einer der wesentlichen Nachteile eines Chinaaufenthaltes angesehen. Das Land wird in jeder Hinsicht als schmutzig beschrieben, womit nicht allein das Straßenbild gemeint ist, sondern auch schlechte Wasserqualität, hohe Luftverschmutzung und der Lärmpegel. Entsprechend begründet einer der Befragten seine Freude über die baldige Abreise: „Ich will hier weg, weil es alles so dreckig ist hier! Shanghai hat kein Grün. Ich bin das Grün und Berge gewohnt. Hast du ja gar nichts hier. Dreck und alles braun. ~ Langsam reicht es mir. Von Jahr zu Jahr nimmt der Verkehr zu. Immer mehr Autos und die Jungs fahren immer chaotischer. Das ist belastend, langsam. Vor drei, vier Jahren ging es ja noch. Und dann bauen sie überall. Nachts um drei wird gesprengt. Gleich nebenan. Sonntagnacht UM DREI sprengen die! Das ist doch das Schlimme! Du hast keine Ruhe! […] Ich brauche jetzt ein bisschen Ruhe. Irgendwas, wo die Luft besser ist. Wo weniger Autos sind. Und weniger Dreck.“

Einige der Entsandten, von den Befragten ausschließlich Männer gehobenen Alters, suchen diesen empfundenen Mangel mittels Golfspielen auszugleichen: „Wir versuchen also am Wochenende doch raus zu kommen, wenn es eben geht. Wenn das Wetter anfängt, schöner zu werden. Es war in Taipeh doch ein bisschen schöner, weil da doch mehr Grün zu erreichen ist als in Shanghai. Also versuchen, draußen zu sein. Ich selbst spiele Golf. Das hat auch damit zu tun, dass man beim Golf draußen ist, wo es schön ist und angenehm aussieht. Alles weit weg und man sieht die Stadt mal nicht und kann wirklich mal abschalten. Wo denn auch sonst?! Hier kann man ja nicht mal spazieren gehen. Hier kann man wirklich nur auf dem Golfplatz spazieren gehen. Wo denn sonst? Zwischen den Reisfeldern!? Geradeaus, rechter Winkel nach rechts, dann rechter Winkel nach links?“

Ein anderer Entsandter: „Der Stress fällt von mir beim Golf ab. Das ist dann nicht mehr China. Das ist ordentlich, gepflegt und sauber. Das hat so eine anglo-amerikanische Atmosphäre. Das ist WUNDERBAR! Auch wenn es hier ein Heidengeld kostet. Aber einmal im Monat ist es das wert.“

Golf dient den zitierten Personen also nicht allein als sportliches Vergnügen. Neben der Möglichkeit, sich von einem anstrengenden Arbeitsalltag zu erholen, wird die parkähnliche Einrichtung des Golfplatzes zum Fluchtort einer als an den Kräften zehrenden Umgebung. Er wird

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damit zu einem Symbol all dessen, was China aus der Perspektive der Befragten nicht ist: Eine geordnete, ruhige, überschaubare Fläche, die in ihrer vermeintlichen Natürlichkeit den Kontrast zu der Betonlandschaft der weitläufigen chinesischen Millionenstädte darstellt, auf der nur wenige, wohlhabende Menschen ihrem Vergnügen nachgehen. Auch wenn das Erleben von Natur im weitesten Sinn von den meisten Befragten vermisst wird, liegt dies allein aufgrund der hohen Kosten elitäre Vergnügen nicht im Sinne eines jeden Befragten, auch wenn es sich die meisten der deutschen Entsandten durchaus leisten könnten.5 Einige der Deutschen versuchen sich über ihre Freizeitaktivitäten einen Zugang zur chinesischen Gesellschaft zu erschließen und nutzen die vorhandenen, von Einheimischen ins Leben gerufenen Möglichkeiten (vgl. III., 2.1 und 2.3 bis 2.5). So nimmt eine befragte General Managerin einmal wöchentlich am Schattenboxen an der Promenade des Bunds in Shanghai teil, wo sich in den frühen Morgenstunden Menschen zum zwanglosen Frühsport zusammenfinden. Ein anderer, in Suzhou lebender General Manager berichtet, wie sehr er von einer Aufführung junger Kampfsportler für gongfu begeistert wurde und seitdem in einem Sportzentrum als einziger Ausländer unter Chinesen trainiert. „Am Anfang war es schon komisch. Man wurde halt von jedem angestarrt. Und ich habe ja auch kein Wort verstanden. Aber man hat mich sehr, sehr freundlich aufgenommen. Muss ich schon sagen. Der Witz ist: Wenn ich das damals nicht gemacht hätte, dann würde ich wahrscheinlich bis heute kein Chinesisch sprechen. Ich mein, so gut ist es zwar immer noch nicht. Aber ich kann mich verständlich machen. Und ansonsten halt mit Händen und Füßen.“

Andere Möglichkeiten bieten die mannigfaltigen Sport- und Freizeitangebote vor allem Shanghais, die sich über Stadtmagazine oder auch das Internet erschließen. Zahlreiche Angebote richten sich direkt an Ausländer und werden oftmals auch von Ausländern ins Leben gerufen. Doch auch chinaspezifische Freizeitangebote entdecken einige der Entsandten für sich als einen wertvollen Freizeitfaktor. „Ursprünglich mache ich so normale Sachen. Ich hab Fußball gespielt in der International Football Liga, wo man als Ausländer Fußball spielen kann. Drachenboot fahren. Es gibt ein internationales Drachenbootteam hier in Shanghai und das ist eine ganz tolle Sache. Ich komm aus dem Wassersport – um wei-

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Eine Mitgliedschaft in einem chinesischen Golfclub in den Orten der Untersuchung ist für einen Preis ab etwa 3000,- RMB zu erwerben. Die Kosten pro Spiel liegen je nach Golfplatz zwischen 300,- und 900,- RMB.

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terhin Wassersport betreiben zu können. Und das Netteste ist eigentlich, wenn man auch Rennen fährt. Chinesische Drachenbootrennen sind auch einfach Klasse. Sind da zigtausend Leute und je nachdem, was das für ein Rennen ist, ist es – Fernsehteams und Interviews und, und, und ... Mit den anderen Mannschaften und so weiter, wo wir immer ein bisschen der bunte Punkt sind. Wir können gut genug paddeln, dass sich der Veranstalter nicht schämen muss, uns eingeladen zu haben und gleichzeitig gefährden wir auch nicht den Sieg des lokalen Teams. Und damit sind wir da immer gern gesehen. Das ist total schön. Auch dann – man wird eingeladen. Den Flug muss man vielleicht noch selbst zahlen, aber vor Ort wird man untergebracht. Gut untergebracht. Bestes chinesisches Essen und diese Drachenbootessen sind geradezu legendär, weil da dann natürlich – das sind alles Chinesen. Man kriegt also vorzugsweise sehr, sehr vieles, sehr gutes chinesisches Essen. Und man kommt an verschiedene Orte und – ja. Einfach richtig schön. Und dann, was ich jetzt – es ist geradezu beschämend – erst jetzt als Teil eines neuen Lebensqualitätsfaktors entdeckt habe, sind chinesische Bäder. Badehäuser. Ein Punkt ist gerade als Westler: Man muss ertragen können, mit vielen nackten Chinesen in einem Raum zu sein. Wenn man das nicht ertragen kann, dann kann man es streichen. Wenn man das ertragen kann, dann ist es so, dass man – die Dinger haben vierundzwanzig Stunden am Tag geöffnet. Die großen. – Man kann völlig spontan entscheiden: Ich geh jetzt ins Bad. Und so ein großes Bad hat – Da gibt man vorne seine Schuhe ab. Kriegt seinen Spindschlüssel. Spaziert rein. Duscht man erst mal. Alles ist da. Das ist Entspannung pur. Kostet achtundvierzig Renminbi.6 Zeitlich unbegrenzt. Dann gibt es noch einen Schwimmbadbereich, der geschlechtlich nicht getrennt ist. Es ist nahe dran an unseren Thermen. Es gibt auch die kleinen Bäder hier. Aber da gehe ich nicht hin, denn da weiß ich nicht, wie das gesundheitlich ist. Wobei die vom Konzept her genauso sind. Kennen Sie den Film Xizao?7 Die Atmosphäre ist genauso. Sicher auch romantisierend. Aber die Grundstimmung ist wirklich so. Was da auch rauskommt: Die Chinesen haben ja in bestimmten Bereichen so Uneitelkeiten. Auch das kommt da raus.“

Ein Unterschied zwischen einzelnen Befragten liegt unter anderem darin, inwieweit vorhandene Angebote als attraktiv eingeschätzt werden. Das vorhandene, chinaspezifische Freizeitangebot auch als solches zu definieren, ist nicht jedermanns Sache. Nicht jeder ist bereit und in der Lage dazu, das in Deutschland gepflegte Segeln durch einen Taijiquan-Kurs zu ersetzen. Entscheidend ist, welche Funktionen Freizeit für die Befragten erfüllen muss. Während der Eine in erster Linie Entspannung von „dem Chinesischen“ braucht und sucht, versucht der Andere über Frei-

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Renminbi (RMB), Währung der Volksrepublik China. Ein RMB entspricht zur Zeit der Befragung rund 9,8 Eurocent. Xizao, „Badehaus“. Spielfilm von Yang Zhang, 1999.

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zeitaktivitäten Entspannung mittels „dem Chinesischen“ zu gewinnen. Gesellschaftliches Engagement, das, ähnlich wie bei den chinesischen Befragten, von vielen der Deutschen weniger als Freizeit, sondern vielmehr als wesentliche Voraussetzung für wichtige Kontaktpflege und einen informellen Informationssaustausch über berufsspezifische Aspekte genutzt wird, findet in der Regel im Rahmen von Clubs oder Vereinigungen statt, die nicht selten nur Ausländern vorbehalten sind. „Naja. Ich hab’ Familie. Ich habe einen kleinen Sohn. In meiner Freizeit bin ich in Australien. Wenn’s geht. Wir haben da ein Haus am Meer. Ich bin eigentlich Segler. Leider hier – leider nicht. Kann man vergessen hier. Ich bin ziemlich engagiert im Rotary, wo wir Herzoperationen für Kinder aus den umliegenden Provinzen finanzieren und Fundraising machen und so. Und klar. Das ist eine gute Sache, aber eigentlich geht es auch darum, Leute kennen zu lernen. Zu Hause müssen wir den Laden am Laufen halten: Also einkaufen. Die Run-arounds. Das ist halt hier so: Dass man halt viel mehr rumlaufen muss, um irgendetwas zu bekommen. Ich lese. Aber normalerweise, wenn ich zu Hause bin, dann hält mich der Kleine auf Trapp.“

Andere Initiativen, weniger elitär als die häufiger genannte Vereinigung der Rotarier, sind die häufig von mitgereisten Ehefrauen ins Leben gerufenen Hilfsaktionen, die grundsätzlich jedem offen stehen, normalerweise aber nur Ausländer als Mitglieder aufweisen. Derartige Gruppen organisieren Gelder oder Gebrauchsgüter oder bieten auch handwerkliche Hilfe an. Ein Befragter mit einer handwerklichen Ausbildung berichtet: „Ich bin hier an einem Projekt beteiligt. In einem privaten Kinderheim. Da gibt der Staat keine Hilfe für die Kinder. Vielleicht so fünfzig oder sechzig Renminbi pro Kind. Das ist doch kein Geld! Bei denen geht das Haus kaputt und alles. Wir machen jetzt die Bäder neu. Packen auch selbst mit an. Dafür nehm’ ich mir die Zeit. Wir machen auch Sammlungen und jetzt auch Bücher, deren Erlös für das Kinderheim gestiftet wird. Das zweite Kochbuch haben wir jetzt.“

In der Regel engagieren sich in derartigen Gruppen nur wenig Werktätige, sondern meistens mitgereiste Partner. Was dem Einen also Freizeit, ist dem Anderen Mittel, der Untätigkeit zu entkommen. Ein sehr großer Anteil der Befragten beschränkt sich darauf, die kurze arbeitsfreie Zeit zuhause zu verbringen. Dies sind vor allem Personen, deren Familien mit nach China gekommen sind. Doch aufgrund der langen Arbeitszeiten zieht auch manch Alleinstehender nach Büroschluss den direkten Weg nach Hause vor. Ein nach Suzhou Entsandter, 24 Jahre alt, berichtet: 150

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„Unsere Appartements, die wir von der Firma bekommen haben, waren auch ausgestattet mit einem großen Fernseher und einem DVD-Player. Und da in China ja alles DVD-technisch kopiert ist – wir waren Stammkunde in unserem DVD-Laden. – Und da haben wir die DVD für siebzig Cent gekriegt. Kauft man sich ohne Ende und das muss erst mal abgearbeitet werden. [L] Und ich bin nicht so sehr dieser reiselustige Typ. Gerade wenn ich allein bin auch. Die anderen hatten zwar ihre Sachen, – wir waren in einem Gebäudekomplex, aber die hatten halt familientechnische Sachen oder die anderen hatten eine Vorliebe dafür, in die Kneipe zu gehen, was auch nicht so mein Ding ist. Ich muss mir nicht jedes Wochenende die Rübe voll schütten. Hab ich halt zuhause gesessen oder von anderen die Play-Station geliehen und übers Wochenende gedaddelt oder halt … – Also ich hab nicht wirklich viel gemacht. Auch öfters mal in der Stadt geguckt. Ich hab auch viele Mitbringsel organisiert für Familie, Freunde, Bekanntschaft – das hab ich eigentlich so gemacht. Ich glaube, ich habe mittlerweile eine DVD-Sammlung von mehreren tausend DVD. CD genauso, weil, die haben genauso viel gekostet. Und die meisten gesehen auch dazu. So viel Zeit habe ich zuhause [in Deutschland] nicht. Zu Hause fällt immer was an. Irgendwas ist immer! […] Teilweise habe ich einen Film wirklich zehnmal angesehen wenn das halt geistig wirklich anspruchslose Nahrung war und ~ dann hab ich mir wirklich manchmal gewünscht, in Deutschland zu sein. Irgendetwas zu basteln… – Ewas für die Wohnung zu machen oder so. Weil in der Wohnung musste ich wirklich nichts machen. Wenn irgendwas war, hab’ ich in der Firma Bescheid gesagt, die haben dann dem Vermieter Bescheid gesagt. Ich hatte wirklich überhaupt ... ~ Ich hatte wirklich ein sorgenfreies Leben, aber dadurch, dass ich nicht wirklich in China gelebt habe, sondern wirklich nur mehr oder weniger zu Gast war und mich um nichts kümmern brauchte… – Auch ein bisschen… – Ich sag mal: freizeitarbeitslos. [L]“

Tatsächlich nennt ein Großteil der alleinlebenden Entsandten das Sehen von Filmen, Computerspiele und das Internet als Freizeitbeschäftigung. Weshalb nicht andere, aktivere Beschäftigungen gewählt würden, beantworten manche damit, dass ihnen entweder aufgrund der hohen Arbeitsbelastung die Energie fehle oder aber keine Möglichkeiten für eine aus Sicht der Befragten sinnvolle und adäquate Beschäftigung vorhanden seien. „Der Freizeitwert hier ist gegen Null. Man kann ~ saufen gehen. Man kann einkaufen gehen. Es gibt ein paar Dinge, die man sich vielleicht noch mal anschauen kann. Wenn man länger hier ist, dann kennt man die alle. Dann wird das auch langweilig. Und dann ist es schon Ende. Dann bleibt die Familie. PCSpiele, Internetsurfen und damit hat sich’s. […] Es ist schon ein bisschen problematisch. Ich würd’ ganz gerne mal wieder rausgehen. – Wieder mal richtig einen pressen oder so. Nur von hier aus ist es ein sehr, sehr weiter Weg.

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Wenn ich mich auf den Weg mache und ich ankomme, hab ich schon gar keine Lust mehr und will wieder umdrehen. Dann ist es auch hier so, dass man nicht findet, was man sucht. Die Situationen ändern sich sehr schnell. Man kennt vielleicht ein nettes gemütliches Lokal. Dann ist da jetzt plötzlich ’ne Baustelle oder ’ne Betriebsversammlung drin oder sonst irgendwas. Alles schon da gewesen. Also, man muss sich hier Alternativen aufbauen, auf die man sich verlassen kann, und das ist dann halt so mein Weg, dass ich abends dann zu meiner [chinesischen] Frau sag: „Two hours – out.“ [Ahmt pantomimisch das Verschließen einer Tür nach]. Und – sie hat’s inzwischen auch so akzeptiert, dass ich ab und zu auch mal so – meinen Rückzug brauch’. Man sendet mal wieder eine E-Mail an alte Bekannte oder die Schwester oder den Bruder. Ich hab meinen Bruder jetzt seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen.“

Es mag nicht verwunderlich sein, dass einige der Befragten von sich selber sagen, sie würden ihre Situation als einsam empfinden. Nur wenige pflegen freundschaftlichen Kontakt zu Chinesen und von diesen äußern einige, sie kämen mit der chinesischen Art der Freizeitgestaltung nicht zurecht. Ein General Manager mit langjähriger Chinaerfahrung und fließenden Chinesischkenntnissen, der mit einer chinesischen Frau verheiratet ist, stellt den gemeinsamen Urlaub auf der südchinesischen Urlaubsinsel mit einer befreundeten chinesischen Familie so dar: „Es fehlt mir auch ehrlich gesagt einfach das Interesse. Ich bin ja kaum mit Chinesen unterwegs, weil ich sie stinklangweilig find. Ich hab einmal fünf Tage mit Chinesen Urlaub auf Hainan gemacht. Das war scheißlangweilig. Nach drei Tagen hab ich gesagt: Macht, was ihr wollt. Ich geh an’n Strand! Die haben im Prinzip das gemacht, was man in Peking auch machen kann. Die sind im Restaurant gehockt, haben da gefressen und gesoffen und Karaoke gesungen. Ja, dafür brauche ich nicht nach Sanya zu fahren. Was soll das? Dann wurd’ mir gesagt: ‚Jetzt müssen wir da und dahin fahren. Das macht man so.‘ Gut. Man hat dann auch schon mal getaucht. Aber insgesamt so ein bisschen relaxt? Nicht! Es war immer so verkrampft. Und vor allen Dingen: Die müssen immer so zusammenhängen. Acht Leute immer zusammen. Aber die brauchen das. Die fühlen sich sonst alleine unwohl. Unsereiner braucht am Tag auch mal zwei Stund allein. Das verstehen und ertragen sie nicht.“

Hier kann von kulturspezifischen Erwartungshaltungen gesprochen werden. Art und Weise der Freizeitgestaltung wie auch die Intention, gemeinsam etwas zu unternehmen, können erheblich voneinander differieren. Ein anderer deutscher Befragter, technischer Ingenieur und zur Zeit der Befragung weniger als ein Jahr in China, berichtet von einem gemeinsamen Familienurlaub mit der Familie eines chinesischen Arbeitskollegen.

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„Wir waren auch zusammen im Urlaub gewesen mit den Familien. Eine Woche auf Hainan. Überraschenderweise waren auch seine Eltern dabei. Aber das ging … ~ das ging gut. Aber meine [deutsche] Frau und ich – wir haben uns schon ein bisschen angeguckt. ~ Was da jetzt wieder abgeht. [L] Diese permanente Ungeduld, die die Chinesen haben. Und ich halte mich jetzt nicht für besonders gelassen, aber von außen sieht es halt schon mal anders aus. Auch halt das Benehmen in der Öffentlichkeit. Das ist halt ein großer Unterschied zu Deutschland. Da wundert man sich halt manchmal schon. Ist auch interessant zu beobachten, wie das Verhältnis zwischen den Großeltern und den Kindern ist. Wir kommen hier alleine mit zwei Kindern zurecht – und da wird mit vier Erwachsenen um ein Kind herum gesprungen. [L] […] [Gemeinsame Aktivitäten] machen einem die Chinesen sympathischer. Wenn man ... ~ hier arbeitet und will was realisieren und es gibt Schwierigkeiten. Manchmal kann man dann doch etwas besser verstehen.“

Diese beiden Beispiele, die sich in der Beschreibung des Verhaltens der chinesischen Mitreisenden durchaus ähneln, unterscheiden sich unter anderem in einem wesentlichen Punkt. Während im einen Fall die konkreten Vorstellungen des Befragten von einem erfüllten Urlaub nicht mit denen seiner chinesischen Mitreisenden im Einklang stehen, wird im anderen Fall die Beobachtung der chinesischen Bekannten in den Vordergrund gerückt und in den Gesamtkontext der eigenen Chinaerfahrung mit dem Bestreben integriert, einen Zugang zu unverständlichen Verhaltensweisen zu erlangen.

2.3 Ausländergemeinschaft Einige der deutschen Entsandten suchen unter anderem bewusst aus den unter III., 2.1 und 2.2 genannten Gründen Orte auf, an denen sich vor allem Ausländer aufhalten. Da viele der Entsandten angeben, das in Deutschland zurückgelassene soziale Netz zu vermissen, versuchen sie auf diese Art, neue Freundschaften zu knüpfen. Einige wenige Expatriates gaben an, grundsätzlich kein Interesse an chinesischen Bekanntschaften zu haben. Da der Zeitraum der Entsendung überschaubar sei und es zudem Kraft koste, sich auf eine Freundschaft mit Chinesen einzulassen, würden Kontakte zu anderen Ausländern vorgezogen. Es ließen sich einfacher gemeinsame Gesprächsthemen finden und die Interessengebiete seien ähnlich. Zudem könne man davon ausgehen, dass unter den Ausländern, die sich in China aufhalten, eine hohe Dichte von „interessanten Menschen“ zu finden sei. Derjenige, der den Schritt nach China wage, falle durchaus aus dem Rahmen. Somit sei die Wahrscheinlichkeit, auf Menschen zu stoßen, die für gemeinsame Aktivitäten in Frage kämen, in der Ausländergemeinde äußerst hoch. 153

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Außerdem sei es aufgrund der gemeinsam erlebten Situation in der Fremde leichter, miteinander in Kontakt zu kommen. Das gemeinsame Erleben des Fremdseins mag der wesentliche Grund für die sehr große Bereitschaft sein, sich in schwierigen Situationen gegenseitig zu helfen und schneller aufeinander zuzugehen, als dies, so die Befragten, in Deutschland der Fall wäre. „Ich bin jemand, der gerne viele Kontakte hat und gerne immer einen Haufen Freunde und viel unternimmt und so. Für mich ist das Schlimmste, wenn man mich rausreißt aus meinem ganzen Kreis. Und wenn ich länger gebraucht hätte, meine Kontakte aufzubauen, das wär’ für mich schlimm gewesen. Ich hab’s extrem schnell geschafft. Und das hat mich unheimlich aufgefangen. Und ich hatte auch innerhalb von zwei, drei Tagen Leute, wo die gesagt haben: ‚Ruf mich an. Ich weiß, wie es dir geht.‘ Und das hab’ ich dann gemacht. Man sprach ’ne halbe Stunde und dann war’s wieder ok. Dann hatte man den Tag wieder im Griff und dann ging’s. Wenn man das nicht hat und da ist sicher noch mal viel Zufall dabei. – Oder auch viel, wie sehr du outgoing bist und wie du auf Leute zugehst und auch zugibst, dass du Hilfe brauchst. Wenn Leute halt auch auf dem hohen Ross sitzen und sagen: ‚Ich brauch’ keine Hilfe.‘ Dann wird die Sache sofort schwieriger. Was ich auch nett fand, war: Mich haben Leute auch wirklich… – Ich weiß nicht. Kennen Sie den Stoffmarkt? Dongjiadulu? [Ich verneine.] – Den kennen eigentlich nur Frauen, aber macht ja nichts. – Jedenfalls bin ich auf dem Stoffmarkt am helllichten Tag angesprochen worden von einer blonden Dame, die sagte: ‚Wohnst du nicht auch da und da?‘ Ich sagte: ‚Doch.‘ – ‚Ich hab dich neulich da in dem Restaurant gesehen und wollen wir nicht mal was zusammen machen?‘ Wo ich dann dachte: ‚Nett eigentlich!‘ Also ich fand es total super. Und ich dann gesagt hab: ‚Ich bin meist mit Kind unterwegs.‘ – Das wusste sie nicht. – Und ich dann sagte: ‚Du… ~ ist ein bisschen schwierig bei mir. Wir haben einfach einen unterschiedlichen Lebensstil.‘ Ich hab dann gesagt: ‚Weißt du was? Eine Freundin von mir, die kommt in einer Woche nach Shanghai. Die kennt nichts und niemanden. Wie wär’s mit ihr zusammen? Ihr seid ähnlich alt und ihr habt beide keine Kinder. Zieht doch durch die Stadt. Zieht doch um die Ecken.‘ Und dann hab ich gesagt: ‚Pass auf. – Gib mir deine Nummer.‘ Das sind heute die dicksten Freunde. Ja. Es ist wirklich witzig. Ich bin einfach so: Gib mir deine Nummer und ich mach dann den Kontakt, auch wenn ich nichts davon hab. Und das ist dann auch in Ordnung für mich. Nur ich meine, meine Nachbarin sagte: ‚Wir müssen mal abends ...‘ Und ich dann sagte: ‚Du, mein Mann da – schwierig. Und du bist auch alleine.‘ Und dann hab ich gesagt: ‚Mensch, geh mit den beiden los.‘ Und die macht das. Und das fand ich eine nette Situation. Man erkennt sich ja auf zehn Kilometer. Langnase. ‚AHA!‘ Und dass man sich wirklich anspricht. Ich hab mal vergessen, mein Handy aufzuladen und stand da und wollte unseren Fahrer anrufen – ging nix,

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ne. Und Stoffmarkt… – Da läuft immer so ein Laowai8 rum und das man sagt: ‚Darf ich mal kurz dein Telefon?‘ und so. Das finde ich schon super. Würde ich mich in Deutschland fast nicht trauen. Weil man einfach weiß, dass die Lebensumstände ein bisschen komplizierter sind in China.“

Tatsächlich gibt sich die deutsche Gemeinde sehr offen gegenüber Landsleuten. Die wesentliche Voraussetzung für die Aufnahme in Kreise wie einen deutschen Stammtisch oder auch regelmäßige Treffen anderer inoffizieller Art bestimmt sich primär über Sprachkenntnisse, da in der Regel Deutsch gesprochen wird. Gemeinsame Aktivitäten wie Bowling, Grillen, Ausflüge in die Umgebung u.a. werden beispielsweise in einem ungezwungenen Rahmen in Hangzhou veranstaltet. Über Ort und Art des meist alle zwei Wochen stattfindenden Treffens wird mittels E-Mail informiert, deren Gestaltung der Eigeninitiative und dem Engagement Interessierter obliegt. Zur Zeit der Untersuchung war es vor allem ein deutsches Ehepaar, das durch seinen Einsatz als wesentliche Antriebskraft dieser Zusammenkünfte wirkte. Unter dem etwas irreführenden Namen „Deutscher Stammtisch“ organisieren die Teilnehmenden jegliche Art von Wochenendaktivitäten, womit die Bandbreite der Unternehmungen weiter gesteckt ist, als dies der Name zunächst erwarten lässt. Da der Deutsche Stammtisch in Hangzhou über keinen institutionalisierten Rahmen verfügt und deshalb auch kein offizieller Ansprechpartner existiert, sind an Kontakten zu anderen Deutschen Interessierte auf Informationen Dritter angewiesen. So habe ich selbst auf Anfrage über ein Internetforum, das von einigen in China lebenden Deutschen regelmäßig besucht wird, von diesem Stammtisch erfahren. Darüber hinaus wurde ich von einem der Teilnehmenden in einem Café in Hangzhou angesprochen und, da aufgrund der besonderen Situation ersichtlich war, dass ich Deutscher bin, zu einem Treffen eingeladen. Andere Besucher gaben an, durch Freunde oder deutsche Arbeitskollegen über diese Institution informiert worden zu sein. Auch wenn sich die Teilnehmer nicht auf einen allgemeinverbindlichen Rahmen einigten, so schienen dennoch einige Punkte allgemein anerkannt und beachtet zu werden. So z.B., dass während der Treffen Deutsch gesprochen wird und ausschließlich Personen zu den Abenden mitgebracht bzw. eingeladen werden, die Deutsch als Muttersprache sprechen. Entsprechend setzt sich der Kreis aus Deutschen, Österreichern und Schweizern zusammen. Diese im Großen und Ganzen recht 8

Laowai; chin.; Ausländer. Neben der Bezeichnung Waiguoren, die wortwörtlich Ausländer bedeutet, sprechen viele Chinesen Ausländer mit Laowai an. Mögliche Übersetzungen reichen von einem positiv belegten „ehrenwerter Ausländer“ bis hin zum neutral besetzten „Ausländer“.

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homogene Gruppenzusammensetzung bewerten manche als Vorzug, andere hingegen als störend. „Aber dieser Deutsche Stammtisch ist eine gute Organisation. Aber es ist auch ein bisschen Vereinsmeierei. Vor ein paar Monaten hieß es noch: Wir sprechen nur Deutsch und kein Englisch. Das heißt, Leute, die eine chinesische Freundin oder Frau hatten, die hatten immer so ein bisschen Vorbehalte, zu diesem Stammtisch zu kommen. Dagegen hatte ich was und deswegen habe ich mich da nie so richtig integriert. Aber daraus sind ein paar Freundschaften entstanden. Der Kreis ist relativ groß. Aber ich habe auch Kontakte zu Leuten, die noch nie beim Stammtisch waren. Italiener, Amerikaner und so weiter.“

Diese Form der Ausgrenzung anderer Sprachgruppen innerhalb der deutschen Gemeinschaft spricht auch ein anderer Deutscher an, der mit einer Amerikanerin verheirateter ist und in Shanghai arbeitet und lebt: „Wir sind sehr stark ~ jetzt ich sag mal – im Australischen und Amerikanischen ausgerichtet. Sehr wenig im Deutschen. Ich meine, der deutsche Kreis ... ~ Mir sind im deutschen Kreis zu viele, die es nicht fertig bringen, sich mit uns an einen Tisch zu setzen, weil meine Frau Amerikanerin ist und kein Deutsch spricht. ~ Das passiert uns immer wieder bei offiziellen Empfängen, dass also – wenn die mitkriegen, dass meine Frau kein Deutsch spricht, dann ist die Diskussion an dem Tag für uns gelaufen.“

Ob es um Probleme mit Lieferanten, die Gehaltserhöhung der Mitarbeiter, das Verhalten des chinesischen Nachbarn oder auch darum geht, in welchem Geschäft es gutes Brot zu kaufen gibt. Gesprächsthema Nummer eins sind das Leben und Probleme, die als spezifisch deutsch, europäisch oder auch westlich eingestuft werden und zu denen Chinesen aufgrund eines anderen Erfahrungskontextes keinen Zugang finden. Neben der Möglichkeit, sich über private wie auch geschäftliche Dinge zu unterhalten wird unter Deutschen die Möglichkeit geschätzt, sich ohne die für sie in China alltagstypischen sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten (siehe III., 4.) auszutauschen. Doch ist dies nicht allein Grund dafür, dass einigen die deutsche Gemeinschaft besonders attraktiv erscheint. So wird oftmals implizit vorausgesetzt, dass aufgrund der gemeinsamen Herkunft Einigkeit über grundlegende Annahmen herrscht. Dass alle die fremde Umgebung so wahrnehmen und interpretieren, wie es aus der jeweils eigenen subjektiven Sicht wahrgenommen und interpretiert wird, steht oftmals als Postulat im Raum, kann aber im Laufe der gemeinsamen Auseinandersetzung behutsam revidiert oder gefestigt werden. Damit bieten Aktivitäten im deutschen Kreis den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich über ähnlich erlebte Problematiken 156

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und Schwierigkeiten zu verständigen und sich dem Umfeld im gemeinsamen Austausch anzunähern. Dies kann einen Kulturschock abmildern. Befragte, die in denselben Freizeitgruppen regelmäßig zusammentreffen, weisen in ihrer Einschätzung Chinas und dessen Charakterisierung in grundsätzlichen Dingen ähnliche Argumentationsstrukturen und Sichtweisen auf. Befragte aus der Hangzhouer Gruppe, die vergleichsweise überschaubar ist und sich durch einen Kern regelmäßig teilnehmender Personen kennzeichnet, verweisen häufiger auf die Arbeits- und Lebenssituation anderer Deutscher als dies in Shanghai der Fall ist. So nahm beispielsweise einer der Befragten, General Manager eines mittelständischen Produktionsbetriebes mit rund 80 Mitarbeitern, immer wieder Bezug auf die Situation eines großen deutschen Betriebes, der ebenfalls vor Ort ein Werk mit allerdings mehr als 2000 Mitarbeitern errichtet hatte. Die wechselseitige Kenntnis der Situation anderer ermöglicht den Beteiligten damit den Rückgriff auf deren Erfahrungen. Dieser direkte Austausch wird als besonders nutzbringend empfunden und bezieht sich ebenfalls auf die private Situation der Beteiligten. In der Regel waren die Befragten solch homogen zusammengesetzter Gruppen äußerst gut über die Situation ihrer – aus diesen Kreisen gewonnenen – Bekannten informiert, auch dann, wenn es sich um intime Hintergründe handelte. Beziehungsprobleme von Paaren werden beispielsweise durchaus anders bewertet und stärker in diesen semioffenen Kreis hineingetragen, als in Deutschland. Dies ist u.a. auf den allgemeinen Konsens unter den Beteiligten zurückzuführen, dass weniger das individuelle Verhalten, sondern vielmehr die schwierigen Rahmenbedingungen für Trennungen verantwortlich zu machen sind. Aus diesem Grund wie auch aufgrund mangelnder Alternativen besteht eine größere Bereitschaft, schwierige und auch sehr persönliche Thematiken gegenüber anderen Deutschen anzusprechen. „Wenn sie hier in einer Ausländerkommune leben – dadurch bedingt, dass sie hier eben Ausländer sind, ist eigentlich jeder, der mit ihnen in solch einer Stadt lebt, in der gleichen Situation. Das heißt die Türen sind alle ganz weit auf, um irgendwie Leute kennen zu lernen und Kontakte zu pflegen, weil das eben auch ein wenig dazu beiträgt, Isolation und Vereinsamung zu reduzieren. Das heißt, die Kontaktfreudigkeit und die Hilfsbereitschaft in einer Ausländergemeinschaft ist immens viel höher als in einem heimatlichen Umfeld. Wir haben die sozialen Kontakte, die wir hier gekriegt haben – ich würd’ sagen, da steht es eins zu zehn. Wo wir in Deutschland drei Jahre gebraucht haben, dafür braucht man hier höchstens drei Monate. Und es kommen ständig neue dazu. In Deutschland müssen sie sich ganz aktiv in irgendwelchen Feuerwehrvereinen … oder kegeln oder was.... Und in manchen Regionen klappt es nie, habe ich mir sagen lassen. Das ist eigentlich auch die deutsche Mentalität: Dieses

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Häusle baue und dann werden auch die Mauern hochgezogen. Findet man hier nicht. Hier kümmert sich keiner um sein Haus, weil er keines hat. Hier wird angemietet und man kümmert sich eher darum, dass man in der Freizeit was mit anderen macht.“

Doch auch wenn die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen von den meisten Beteiligten als äußerst hoch eingeschätzt wird, bleibt für viele trotzdem das Thema Einsamkeit relevant. Dieser scheinbare Widerspruch zwischen der hohen Bereitschaft zur zwanglosen Kontaktaufnahme innerhalb der eigenen Sprachgruppe und dem Gefühl der Isolation löst sich dann auf, wenn die Befragten die Art ihrer Bekanntschaften beschreiben: „Hier in China… ~ Ja gut. Ich geh nicht mit Chinesen aus. Das soziale … ~ Es ist sehr schwierig sozialen Kontakt zu Chinesen zu bekommen, wegen der Sprache halt. Aber so richtig beste Freunde findet man unter den anderen Ausländern auch nicht. Es ist extrem schwierig, weil die meisten Leute sind nur ein halbes Jahr hier oder für ein Jahr. Insofern hab ich hier keine besten Freunde. Es ist dadurch einfacher, Bekannte zu finden, weil, die kommen nach Shanghai und haben erst mal keine Freunde oder Bekannte. Wissen nicht, was hier abgeht oder wie sie sich zurecht finden sollen. Wenn sie dann jemanden haben, der schon drei Monate hier ist, dann ist das der König. Insofern ist es vielleicht einfacher, Bekanntschaften zu schließen, weil man weiß, es ist nur für kurze Zeit und anschließend ist man wieder in seinem gewohnten Umfeld. Natürlich ist es schwieriger für die Leute, die länger hier bleiben. Weil die wissen: ‚Hä, toll! Ich lern jetzt hier jemanden kennen, der ist vielleicht ganz nett, aber in sechs Monaten ist der wieder weg.‘“

Tatsächlich weisen viele der unter Deutschen geknüpften Kontakte den Charakter von Zugbekanntschaften auf. Mehr durch Zufall in einer gemeinsamen Situation, kommen Fremde miteinander ins Gespräch und tauschen sich über sehr persönliche Dinge und Erfahrungen in der Gewissheit aus, nach einer festgelegten Zeit auseinander zu gehen, ohne dass sich hieraus im Anschluss gegenseitige Verpflichtungen ergeben. Dem Gegenüber kann so gut wie alles anvertraut werden, da dieses keinen Einfluss auf den eigenen Lebenskontext nehmen kann noch will. Einige der Befragten, die nicht nur vorübergehend ihren Lebensmittelpunkt in China haben, lehnen diese Art von auf die Dauer des Einsatzes beschränkten Bekanntschaften ab. „Einen Bekanntenkreis in dem Sinne gibt es gar nicht. Überhaupt nicht. Hier in Shanghai ist es ein Rein und Raus. Hier gehen die Leute auch nach relativ kurzer Zeit wieder weg. Das ist natürlich eine Erfahrung, die meine Frau und

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ich hier gemacht haben und die es uns verleidet hat, auf Leute zuzugehen. Weil die Leute eben nie so lange dablieben wie wir. Man hatte sich gerade ein bisschen angefreundet, und da gingen die schon wieder weg. Die meisten, die herkommen, bleiben ja wirklich nur für ein oder zwei Jahre. Für eine Schnupperpartie, und dann gehen sie. Das tut viel zu weh, und dann lässt man es lieber und versucht, sich ein eigenes Umfeld aufzubauen.“

Als Konsequenz organisiert dieser Befragte regelmäßige Treffen von Deutschen in Shanghai, die schon seit längerer Zeit in China leben und die mit einiger Wahrscheinlichkeit weiterhin ihren Lebensmittelpunkt in China haben werden. Diese Treffen weisen insofern einen elitären Charakter auf, da sich der Veranstalter solche Personen als Teilnehmer wünscht, die eine besondere Tätigkeit, möglichst im wirtschaftlichen oder politischen Bereich, ausüben und die durch ihren Status, ihre Netzwerke und spezifischen Erfahrungen wiederum für die übrigen Teilnehmenden als nutzbringende Gesprächspartner eingeschätzt werden. Bei all diesen Treffen, unabhängig davon, ob sie öffentlich oder semiöffentlich oder an eine Einladung gebunden sind, fällt die heterogene Altersstruktur der Teilnehmenden auf. Generationsübergreifende Gesprächsrunden stellen eher die Regel als die Ausnahme dar. Dies kann auf die primär zweckgebundene Intention zurückgeführt werden, diese Treffen als wichtige und manchmal einzige Informationsplattform zu nutzen, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang zur Arbeit der Betroffenen steht. Für darüber hinausgehende Kontakte, die gemeinsame und interessengeleitete Aktivitäten in einem kleineren Kreis mit einschließen, werden hingegen in stärkerem Maße Alterskriterien beachtet. Andere, nicht nach außen gerichtete Distinktionen der Gruppe der Deutschen bzw. der deutschen Sprachgruppe beziehen sich auf die berufliche Tätigkeit sowie auf die Dauer des Aufenthaltes in China. So grenzen sich einige der Befragten in einem festen Anstellungsverhältnis deutlich von den zahlreichen Praktikanten ab. Eine andere, sehr viel häufiger auftretende und für das Thema dieser Arbeit wichtigere Abgrenzung gegenüber anderen Deutschen ist der an anderen beobachtete Grad der Akkulturation.9 Hier können die verschiedenen Positionen in zwei grobe Tendenzen unterschieden werden. Während eine Gruppe die Übernahme als typisch chinesisch verstandener Kultur für sinnvoll erachtet, lehnt ein anderer Teil selbst eine partielle 9

Akkulturation beschreibt den Vorgang von Meinungen und Handlungsweisen im Zuge des Kontaktes zweier Kulturen. Siehe z.B. Boas (1896), Simmel (1908), Schütz (1972), Hardin (1995).

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Aneignung grundsätzlich ab. Gemeinsam ist den Befragten beider Gruppen, egal ob sie das typisiert „Chinesische“ ablehnen oder nicht, dass andere Deutsche danach beurteilt werden, wie „gut“ sie in China zurecht kommen. Nur drei der deutschen Befragten erklärten, chinesische Handlungsweisen und Denkmuster grundsätzlich nicht zu verstehen und formulierten ihre Überraschung über manche Begebenheit in Frageform. Dies ist allerdings keineswegs ein Hinweis darauf, ob diese Personen besser oder schlechter mit ihren chinesischen Mitarbeitern auskommen. Das Phänomen, dass so gut wie alle Befragte manchmal ausschweifende Erklärungen für das als anders verstandene Chinesische parat haben, verweist einerseits auf das Bedürfnis, Erklärungen für etwas unverständlich Erscheinendes zu finden und andererseits auf einen unter Deutschen in China geführten informellen Diskurs über die „richtige“ Interpretation dessen, was „das Chinesische“ ausmacht. Können unliebsame Situationen oder Befindlichkeiten innerhalb des eigenen Erklärungsmusters durch Unzulänglichkeiten erklärt werden, die in einem allgemeinen Kontext auf den Anderen oder das Andere zurückgeführt werden, so erübrigen sich für den Betroffenen das Überdenken und eine Korrektur eigener Anschauungen und Verhaltensweisen. Treten aber differierende Sichtweisen Deutscher mit dem eigenen Weltbild in Konflikt, so werden hiermit gleichzeitig und grundsätzlich Umgangsweisen und Verhalten des Subjekts in Frage gestellt, die sich – zumindest vordergründig – aus dieser anderen Anschauung her ableiten. Die Verständigung über ein gemeinsames Chinabild geht deshalb oftmals einer nachfolgenden Verständigung über subjektive Probleme voraus. Dies stellt sicher, dass der jeweilige Gesprächspartner in einer wesentlichen Annahme übereinstimmt: Nämlich dass die Ursache der jeweiligen Probleme nicht bei der Person gegenüber, sondern in objektiven Gegebenheiten zu suchen ist, auf die die Beteiligten zwar einwirken können, für deren originären Zustand sie aber nicht verantwortlich sind. Chinas Kultur und Gesellschaft als eines der wesentlichen Gesprächsthemen unter Deutschen dient den Beteiligten damit auch als Mittel, um feststellen zu können, inwieweit die Beteiligten die Ursache eines Problems dem Subjekt, also sich selbst, oder den vorgefundenen Bedingungen, also der chinesischen Gesellschaft bzw. „den Chinesen“ zuschreiben werden. Die Verständigung über Probleme, deren Ursache auf die chinesischen Rahmenbedingungen zurückgeführt werden, erleben die Beteiligten als konstruktiv, während eine differenzierte Wahrnehmung chinesischer Wirklichkeit immer auch die Möglichkeit mit einschließt, dass der jeweils Betroffene selbst für das Problem verantwortlich ist. Normative Äußerungen gegenüber der Einstellung und dem Verhal160

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ten anderer in China lebender Deutscher sind damit im Rahmen distinktiver Prozesse zu sehen, die auf eigene Identitätszuschreibungen verweisen. Sie legen auch fest, welche Art von Verhalten als „richtig“ angesehen wird. Als „richtiges“ Verhalten wird in der Regel solches betrachtet, das vor allem im beruflichen Alltag zum Erfolg führt. Derjenige, der also chinesische Wirklichkeit „richtig“ interpretiert, scheint damit gleichzeitig im Besitz des Schlüssels zum Erfolg zu sein. Äußerungen über die „anderen Deutschen“ bestimmen auf diese Weise auch die eigene Position, wie mit Chinesen umzugehen und wie Arbeit und privates Leben in China zu bewältigen sei. So äußert sich ein 35jähriger Selbständiger, der seit über sieben Jahren in China lebt und über fließende Chinesischkenntnisse verfügt, zu seinen deutschen Landsleuten: „Für mich sind die meisten deutschen Chefs hier schlichtweg Pfeifen. Die durch nichts zu rechtfertigende Arroganz. Diese geforderte Loyalität von den Mitarbeitern. Nach außen hin: ‚Meine Manager und Mitarbeiter.‘ Nach innen: Ganz brutal. […] Ich nehme die ganze Expat-Gemeinde als sehr abgedreht, neurotisch, oberflächlich wahr. Aber ich versuch es nach dem Motto: Leben und leben lassen. Die haben vielleicht hier dann die Chance, wenn sie aus ihrem begrenzten Leben in Deutschland kommen, was zu machen. Der Kater kommt ja. Es hat eben auch Konsequenzen so zu leben. Und sei es wie bei einem Freund von mir, der sich da eine ganz böse Geschlechtskrankheit eingefangen hat. Von den sozialen Folgen mal ganz abgesehen. Das Leben der meisten Expats ist halt ziemlich losgelöst von der normalen Bevölkerung. Die Unterschiede in der gleichen Position in Deutschland sind enorm. Auch der Lebensstandard. Die kennen die Sprache nicht, verstehen die Kultur nicht und haben keine Geschichtskenntnisse. Die MÜSSEN sich natürlich auch einen Lebenssinn suchen. Und wenn der darin besteht shoppen zu gehen, sich ein neues Auto zu kaufen und die Puppen tanzen zu lassen – ok. Hier ist ja kein sozialer Druck da.“

Diese Binnendistinktion taucht in allen Gesprächen mit deutschen Befragten in verschiedenen Formen auf. Sie dient nicht nur der Konstruktion und Kenntlichmachung von individueller Identität, sondern soll auch die eigene und besondere Fähigkeit, sich in dem fremden Lebensumfeld besonders gut zurechtzufinden, verdeutlichen. So kommt es zu dem Paradox, dass einige der Befragten regelmäßig an Aktivitäten der deutschen Gemeinschaft teilnehmen und dabei die als deutsch definierte Gruppenidentität bejahen, andererseits aber gleichzeitig versuchen, sich nach innen durch binnendistinktive Äußerungen von dem, was als typisch deutsch angesehen wird, abzuheben. Ein weiterer Grund für diese Binnendistinktion ist sicherlich auch das Bestreben einiger Deutscher, sich nicht in den Sog dieses weiter oben beschriebenen Konsens der ne161

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gativen Darstellung chinesischer Rahmenbedingungen ziehen zu lassen. Eine befragte General Managerin, die ein äußerst gutes Chinesisch spricht und von sich selber behauptet, Chinabegeisterte zu sein, äußert sich: „Das Witzige ist, dass Grenzen auch gegenüber anderen Expats mehr und mehr gezogen werden. Also wirklich gegenüber Leuten, wo es heißt: ‚Das kriegen die Chinesen doch nie hin.‘ oder so. Das ist gerade in letzter Zeit, wo ich denke: ‚Warum eigentlich nicht? Woher nehmen wir eigentlich die Arroganz, zu denken, sie seien nicht lernfähig?‘ Es ist einfach lächerlich! Und auch armselig ein bisschen. Und ich mag es nicht. Es wird mir auch immer unangenehmer. Es kommen mehr und mehr Leute her und man muss wirklich gucken, mit wem man eigentlich zusammen sein möchte. Wen man eigentlich zu seinem Freundeskreis zählen will.“

Manch einer der Befragten betrachtet diese latente Ablehnung als ein wesentliches und bedauerliches Merkmal der deutschen Gemeinschaft. Nachdem ein Entsandter das Beziehungsmanagement der amerikanischen Gemeinschaft lobend erwähnt, kommt er auf die Defizite der deutschen Gruppe zu sprechen: „Das ist auch ein Phänomen: Die Abgrenzung gegen andere Ausländer beziehungsweise Deutsche. Das ist bei den Chinesen anders. Auf einer Messe standen wir da und da kam ein Chinese und sagt, er hätte eine Karte von einem Laowai bekommen und könnte damit nichts anfangen. Ob wir da nichts mit anfangen könnten. Das machen die alle! Dieses Networking. Die bekämpfen sich bis aufs Messer. Für die Leute aus Ningbo sind die Leute aus Anhui ‚Nadining‘.10 Verachten die auch und sagen, die Anhuier wären alles Betrüger. Die von außen kommen, sind für die Kriminalität verantwortlich und so weiter. ABER! ... Die Chinesen halten letztendlich zusammen. Und das machen die Ausländer nicht. Und das ist erbärmlich. – Ich habe eine Zeitlang die Expats auch total abgelehnt. Wollte ich nichts mit zu tun haben. Und jetzt gucke ich halt, was ich mit den anderen teilen kann. Das ist der Schlüssel: bei sich selber gucken, wo es fehlt. Was muss ich verändern? Und nicht immer: Die Anderen sind schuld. Die Chinesen können nichts und so weiter. Damit verbaut man sich eine Riesenchance.“

Eine andere, von einem Großteil der Befragten geäußerte Form der Distinktion richtet sich gegen die daheim gebliebenen Deutschen. Einige der Befragten grenzen ihre Einstellung und ihre Sichtweisen deutlich von dem, was als gesellschaftlicher Konsens in Deutschland wahrge10 Ein regionales, in diesem Kontext abschätziges Dialektwort zur Bezeichnung von Personen, die nicht dazugehören.

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nommen wird, ab. In den Gesprächen wurden hierbei auffällig häufig vor allem die wirtschaftliche Situation Deutschlands und die Anspruchshaltung der Deutschen im Allgemeinen thematisiert. Hier ist interessant, dass die Situation des Stammlandes nicht in Bezug zur eigenen Situation gesetzt wird, sondern vielmehr zu dem, was die Beteiligten als chinesische Wirklichkeit wahrnehmen. So beschreibt eine Ingenieurin ihr Verhältnis zu Freunden in Deutschland: „Wenn man sich nicht ständig sieht, dann hat man sich mehr zu erzählen, eigentlich. Und natürlich haben alle gefragt, wie es in China sei und so. ~ Ich hatte da eigentlich keine Probleme, irgendwelche Gesprächsthemen zu finden. Es ist vielleicht auch so, dass ganz andere Diskussionen entstehen: Lage in Deutschland mit den vielen Reformen. Fragt sich natürlich, sind die Leute... also aus meiner Sicht geht’s … – denen geht’s zu gut. Man sieht ja auch, wie die Leute in China leben. Was für Sozialversicherungssysteme die Leute in China haben und dass Deutschland dazu immer noch ein Schlaraffenland ist.“

Dass hier von „denen“ und nicht von „uns“ gesprochen wird, verweist deutlich auf den Abstand, den die Befragte zur deutschen, aber auch zur chinesischen Gesellschaft sieht. Sich selbst verortet die Befragte demnach dort, was Bhabha11 als den „Dritten Raum“ aufgreift. Das Geschehen in Deutschland wird von vielen Befragten in der Relation zu chinesischen Verhältnissen äußerst kritisch beurteilt. So wird beispielsweise nicht selten geäußert, dass „die Deutschen“ von „den Chinesen“ einiges lernen könnten. Seltener hingegen ist, dass die Beteiligten sich selbst in diese Kritik mit einbeziehen. Andere Befragte weisen eine hohe Identifikation mit dem Stammland auf, was in den Gesprächen deutlich wird, wenn „die Chinesen“ „uns Deutschen“ gegenübergestellt werden. „Die mit ihrer Lebenstüchtigkeit und Bescheidenheit. Die haben ein globales Netzwerk. Es treffen sich einmal im Jahr chinesische Unternehmen. WELTWEIT! Und dieser Patriotismus. Wenn wir nicht ganz fix sehen, dass wir in die Startblöcke kommen und unsere Wohlstandseinstellung über Bord werfen. Wir sind so überheblich hier. Wir waren technologisch auch überlegen. Wissenschaftlich. Kulturell. Und die holen sich das jetzt wieder. Und die werden auch die HYPERMACHT werden. In fünfzehn, zwanzig Jahren. Und da müssen wir gucken, dass wir was dagegenstellen können. Ist einfach so!“

Während also ein Teil der Befragten sich selbst weder in China noch in Deutschland verortet, betonen andere explizit die kulturelle und nationa11 Bhabha (1994).

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le Zugehörigkeit zum Stammland. In einigen Fällen konnte eine besondere Betonung dessen beobachtet werden, was im Einzelfall als spezifisch deutsch verstanden wird. So hoben drei der Befragten deutsche, in einem Fall auch als „preußisch“ bezeichnete Tugenden hervor, die als hervorragende deutsche Eigenschaften dargestellt wurden (siehe auch III., 1.3.1 und 3.2). Auf Nachfrage führten die Befragten die Aneignung dieser Tugenden auf den eigenen Enkulturationsprozess12 zurück. Durch die nachträgliche und durch den Chinaaufenthalt angestoßene Auseinandersetzung mit der eigenen Identität wären typisch deutsche oder „westliche“ Werte schließlich bewusst geworden und würden zum Teil positiv bewertet und betont. Einige der Befragten definieren sich dementsprechend erst aufgrund dieser Auseinandersetzung mit dem eigenen kulturellen Hintergrund bewusst als Deutsche und formulieren ein im Großen und Ganzen positives Deutschlandbild: „In Hinblick darauf, dass ich gerade im Ausland festgestellt habe, was unser Land in den Jahrhunderten geleistet hat, bin ich durchaus einer der Wenigen, der sich traut zu sagen, dass ich stolz bin auf die deutsche Staatsbürgerschaft ~ oder der deutschen Nation anzugehören. Und ich denke, wir haben allen Grund dazu, einen Stolz zu äußern. Ist nicht sehr beliebt in Deutschland. Der Nachkriegsgeneration auch durchaus aberzogen. Wenn sie dann Deutschland im Umfeld betrachten, haben sie ringsherum überall Nationalstaaten. Die verhalten sich durchaus anders. Auch aus, wie ich finde, verständlichen Gründen. Dann habe ich überhaupt kein Problem damit, zu sagen, ich bin Deutscher. Und wenn dann einer kommt und was rumzukritisieren hat – ich mein, jeder hat eine Leiche im Keller. Unsere ist ein bisschen größer geraten. [L]“

2.4 Orte der Begegnung Zahlreiche Entsandte klagen über das Problem, vom internen, informellen Informationsfluss ihres Unternehmens ausgeschlossen zu sein (siehe III., 4.1). Den entsandten Führungskräften erscheint es oft nicht möglich, die Belegschaft direkt zu befragen. Als Grund wird neben Sprachproblemen angegeben, dass die chinesische Belegschaft äußerst sensibel darauf reagiere, wenn die hierarchische Ordnung innerhalb eines Betriebes übergangen werde. Während diejenigen, die aufgrund ihrer Spezialkenntnisse ein bestimmtes Projekt für eine vergleichsweise kurze Zeitdauer betreuen, oftmals direkt an der Basis der Unternehmen arbeiten und so tagtäglich mit chinesischen Kollegen in Kontakt stehen, gilt dies nicht für Deut12 Enkulturation meint den frühkindlichen Ersterwerb kultureller Elemente durch Sozialisation.

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sche auf der höchsten Führungsebene. Sie sind häufig mehr oder weniger von einer direkten Kommunikation mit chinesischen Arbeitern und Angestellten abgeschnitten. Grundsätzlich sehen aber sowohl chinesische als auch deutsche Führungskräfte und Angestellte respektive Arbeiter die Möglichkeit des direkten Austausches als wichtig an. Die meisten deutschen Führungskräfte halten es für äußerst bedeutend, sich in einer bestimmten Form in die informellen oder semiformellen Bereiche des Betriebslebens zu integrieren, wozu Mittagspausen, Betriebssport und gemeinsame Ausflüge oder auch Feiern gehören. Vor allem eine ständige Präsenz beim Mittagessen in der gemeinsamen Kantine nannten einige der deutschen Befragten als wichtiges Mittel, der Belegschaft die Erreichbarkeit des Vorgesetzten zu signalisieren. In den Betrieben, in denen ich an diesen gemeinsamen Mittagessen teilnehmen konnte, fiel die zwar nicht offiziell festgelegte, aber dennoch hierarchisch angeordnete Struktur der Sitzordnung auf. Der deutsche Entsandte hatte nicht selten den Platz am Kopfende des jeweiligen Tisches inne, an dem seine unmittelbaren Mitarbeiter wie z.B. Sekretärin, Buchhalter und Andere ebenfalls Platz nahmen. Arbeiter saßen in keinem der beobachteten Fälle mit am Tisch des General Managers, was einerseits auf die Sprachbarriere, andererseits aber sicherlich auch auf das teilweise sehr ausgeprägte hierarchische Verständnis der Beteiligten zurückzuführen ist. „Ich finde es gut, dass unser Chef mit uns in der Kantine isst. Er ist wirklich ein guter Chef und kümmert sich um uns, wenn wir ein Problem haben. Ich finde es auch gut, dass er unser chinesisches Essen isst. Ich habe gehört, dass das deutsche Essen ganz anders als das chinesische Essen sei.“

Daraufhin befragt, ob sich dieser Arbeiter vorstellen könne, sich das nächste Mal mit an den Tisch seines Vorgesetzten zu setzen, antwortet er: „Ich kann kein Englisch und unser Chef kann auch kein Chinesisch. Wir könnten uns nicht unterhalten. – Ich sitze auch lieber mit meinen Kollegen zusammen. […] Wir sind einfache Arbeiter, die keine besondere Bildung haben. Wir haben nicht studiert oder eine besondere Ausbildung genossen. Der Unterschied ist doch sehr groß.“

Während des Essens ergaben sich zwanglose Gespräche über private Angelegenheiten der Beteiligten oder auch Unterschiede zwischen Deutschland und China, die in der Regel auf Englisch geführt wurden. Mir erschien es in den meisten Fällen so, dass der- oder diejenige am 165

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Tisch mit den besten Englisch- oder auch Deutschkenntnissen das Gespräch mit dem deutschen Entsandten bestritt, während sich die übrigen beteiligten Chinesen in ihrer Muttersprache unterhielten. Es machte auf mich den Eindruck, als fühlten sich die chinesischen Mitarbeiter dazu verpflichtet, den deutschen Vorgesetzten unterhalten zu müssen, damit er sich nicht langweilt oder ausgeschlossen fühlt. Ein deutscher General Manager begründet, weshalb er gemeinsam mit der Belegschaft zu Mittag isst: „Ich glaub’ schon, es ist wichtig. Die Chinesen sehen einfach, dass man da ist. Dass man sich auch nicht zu gut ist. Ich kann es eigentlich nicht so genau sagen. Es ist ein Gefühl. Wenn ich reinkomme, dann finde ich schon, dass die Leute es gut finden. ~ Dass ich da bin. Es ist schon so, dass man Präsenz zeigen muss. Man muss da sein. Für die Leute greifbar sein. Die haben am Anfang auch geguckt, ob ich mit Stäbchen essen kann. Da hat dann einer einen Löffel geholt. Ich hab’ dann aber weiter mit Stäbchen gegessen. Das fanden die gut. So kleine Dinge. Dass man mal zusammen lacht. Das ist einfach enorm wichtig hier.“

Zwei deutsche Befragte, einer Besitzer eines großen, mittelständischen Betriebes in Shanghai, und der General Manager eines kleineren Produktionsbetriebs mit 80 Mitarbeitern in Hangzhou berichten unabhängig voneinander davon, wie sie sich durch die Bereitstellung einer Tischtennisplatte direkten Zugang zur chinesischen Belegschaft geschaffen haben. Durch diesen „neutralen Ort“ innerhalb des Unternehmens besteht für die Vorgesetzten die Möglichkeit, in einen direkten, ungezwungenen Kontakt zu einzelnen Personen zu treten, ohne hierbei Rollenerwartungen von beispielsweise Vorarbeitern zu verletzen. Mittels dieser vergleichsweise neutralen Räume haben beide Seiten die Möglichkeit, sich auf einer nicht arbeitsspezifischen Ebene anzunähern. Allerdings liegt die Initiative hier in der Regel bei den Vorgesetzten. Die chinesische Belegschaft meint entweder nicht das Recht darauf zu haben, den deutschen Vorgesetzten beispielsweise zu einem Tischtennismatch aufzufordern, oder die Beteiligten sehen keinen Weg, ihren Wunsch nach einem neutralen „Treffen“ mit dem Chef direkt zu übermitteln. Andere deutsche Befragte laden einen Teil ihrer Arbeitskollegen regelmäßig zum Bowling oder zu einem Kneipenbesuch ein. Ein Projektleiter erzählt von seinen Erlebnissen mit der ihm zugeteilten Arbeitsgruppe: „Und wir haben dann öfters abends was zusammen gemacht. Ob wir halt in irgendwelche Bars am Abend gegangen sind und da ein, zwei Bierchen geschlabbert haben oder ob wir jetzt in eine Disco gegangen sind und ein biss-

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chen durchgefeiert haben ... Und ~ da hab ich wirklich auch privat gesehen, dass die Leute aufeinander eingegangen sind. Wir hatten da zum Beispiel einen, der zu uns in die Firma kam. Der war neu. Der hatte ein Potential an Wissen – das war unglaublich! Der hat wirklich, diese Erfahrung, die er gesammelt hat, so aufgesaugt und nur das Beste verwertet. Aber der hat sich nie getraut am Anfang. Das war wirklich katastrophal. Er hat gestottert. Wenn er nervös wurde, hat er gleich gestottert. Da hab ich auch gedacht: ‚Na, ob die Jungs ihn mal so richtig annehmen?‘ Aber die haben ihn unterstützt, wo sie nur konnten! Das hat ihn selbstsicher gemacht ohne Ende und der ist dann auch vor Führungspositionen getreten und hat gesagt: ‚Hier! So nicht mehr mit uns. Weil das und das und das muss geändert werden vorher!‘ Was aus dem Kerl geworden ist! Der war so unsicher! Ich weiß auch nicht, ob die in der Firma vorher immer gegen ihn gearbeitet haben oder ob es zu Deutsch gesagt immer einen auf den Sack gab oder so. Aber bei uns hat der wirklich so ein Selbstbewusstsein gekriegt. Das war phänomenal! Das war auch privat zu sehen. Wenn ihm da irgendwer was wollte, sag ich mal… ~ Wenn sich jemand über ihn lustig gemacht hat oder so, dann haben die wirklich für ihn eingestanden und gesagt: ‚Hier, mein Freundchen. Das ist einer von uns. Lass den mal in Ruhe!‘ Das war wirklich Klasse!“

Abgesehen vom beruflichen Alltag haben nur äußerst wenige deutsche Entsandte regelmäßigen Kontakt zu Chinesen. Viele befragte Deutsche lehnen es zudem ab, mit chinesischen Mitarbeitern Freundschaften aufzubauen, solange man zusammenarbeite. Jedoch ergeben sich für die meisten Deutschen wie auch Chinesen außerhalb des Betriebes nur wenige Kontakte zum jeweils Anderen. „Wir haben in unserem Wohnhaus zwar gute Kontakte zu Asiaten. Aber das sind Leute aus Singapur oder Hongkong. Da haben wir wirklich gute Kontakte. Aber Lokale. – Das ergibt sich einfach nicht so. Ich bin zum Beispiel Mitglied hier im Rotary. Da sind auch keine lokalen Chinesen zugelassen. Oder wir sind Mitglied im SEA – Shanghai Expatriate Association. Die ja auch viele soziale Events machen. Da dürfen auch keine lokalen Chinesen teilnehmen. Außerhalb der Arbeit – kaum Kontakte. Natürlich im Sportclub oder so. Beim Einkaufen. Aber dass wir jetzt sehr enge Freundschaften mit Chinesen hätten. Nein. Haben wir nicht.“

Dieser Mangel an freundschaftlichen und ungezwungenen Kontakten zu Chinesen wird von einigen der deutschen Befragten bedauert, was unter anderem auf das sehr unterschiedliche Freizeitverhalten Deutscher und Chinesen zurückzuführen ist. (vgl. III., 2.2; 2.5). Besucht manch allein stehender Deutsche am Wochenende gerne die verschiedenen Bars und Discotheken der Städte, schließen viele der befragten Chinesen diese

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Möglichkeit für sich aus. Den Besuch von Bars verbanden viele mit etwas Anrüchigem und Unmoralischem. „Ich weiß, dass Deutsche gerne in Kneipen gehen, um dort Alkohol zu trinken. Aber das ist nichts für mich. Ich bin eine junge Frau und in diesen Kneipen gibt es in China sehr viele Mädchen [gemeint sind Prostituierte]. Deutsche mögen das, aber ich finde das nicht gut. Man muss auch darauf achten, was andere von einem denken.“

Sprachbarrieren spielen sicherlich eine Rolle, können aber nicht als einziger Grund für die Schwierigkeiten der Deutschen herangezogen werden. Immerhin sprechen zahlreiche junge Chinesen in den großen Städten des Yangzi-Deltas ein ausgezeichnetes Englisch. Ein Entsandter, der selbst über gute Chinesischkenntnisse verfügt, berichtet, wie er Bekanntschaft mit Chinesen schließt. „Das ist zufällig. Das kann im Bus sein. Wenn jemand mitbekommt, dass ich Chinesisch spreche, und sich dann mit mir unterhält. Wenn es interessant genug ist, dann trifft man sich eben noch mal. Manchmal auch in Cafés. Ist ganz unterschiedlich. Die meisten aus meinem Freundeskreis hier sind Chinesen.“

Da der Entsandte regelmäßig die öffentlichen Verkehrsmittel nutzt und nicht, wie viele andere Deutsche, mit dem Taxi oder dem eigenen Wagen fährt, ergeben sich entsprechende Anknüpfungspunkte mit der Umwelt. Hinzu kommen Chinesischkenntnisse, die eine grundsätzliche Kommunikationsbereitschaft nach außen signalisieren. Wer sich die Mühe macht, die Landessprache zu erlernen, der hat auch ein Interesse daran, sich mit den Menschen des Landes auszutauschen, und sei es, um die erworbenen Kenntnisse anzuwenden und zu erweitern. Es wäre illusorisch davon auszugehen, dass jeder, der der Landessprache mächtig ist und sich ebenso durch den öffentlichen Raum bewegt, einen chinesischen Freundeskreis aufbaut. Andere Dinge spielen hierbei eine wesentliche Rolle. Dennoch wird derjenige, der sich wie der letztgenannte Entsandte durch sein Gastland bewegt, weitaus schneller in Kontakt mit für ihn interessanten Leuten kommen, als jemand, der die Wegstrecke zwischen Arbeitsplatz und einem Ausländercompound ausschließlich mit dem eigenen Wagen zurücklegt. Der Unterschied liegt letztlich in der Art und Weise, wie die Betroffenen sich ihr Lebensumfeld erschließen, und in welchem Maße sie fähig und bereit sind, zugunsten neuer Erfahrungen auf bequeme und erleichternde Privilegien zu verzichten, um sich so Begegnungsorte mit Einheimischen zu erschließen (III., 2.1 bis 2.3 und 2.5).

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Andere deutsche Befragte versuchen durch die Teilnahme an sportlichen Vereinigungen Kontakte zu anderen Ausländern wie auch Einheimischen zu knüpfen. Während Shanghai hier über zahlreiche Möglichkeiten verfügt, die sich beispielsweise über englische Stadtmagazine auch demjenigen erschließen, der nicht des Chinesischen mächtig ist, sind diese Optionen in anderen Städten begrenzt. So existieren in Shanghai eine Vielzahl von Vereinen und Gruppen, deren Inserate in dem einschlägig bekannten, monatlich auf Englisch erscheinenden Magazin That’s Shanghai rund drei Seiten einnehmen. Einige Chinesen, die Kontakt zu Deutschen wünschen, suchen gezielt bestimmte Treffpunkte der deutschen Gemeinschaft wie z.B. das zum Zeitpunkt der Untersuchung noch auf dem Campus der Tongji-Universität befindliche German Center auf, das in regelmäßigen Abständen deutschsprachige Filme zeigte und zu einem anschließenden gemeinsamen Bier einlud. Doch obwohl derartige Veranstaltungen grundsätzlich jedem offen stehen, war der Anteil interessierter Chinesen äußerst gering. Dennoch ergeben sich hier bikulturelle Freundschaften, die beide Seiten für gewinnbringend halten. Ein deutscher Entsandter berichtet: „Wir haben uns im German Center kennen gelernt. Ich hatte mir von Anfang an gesagt, dass ich da regelmäßig hingehe, um Kontakte zu kriegen. Naja. Und da habe ich dann Wei kennen gelernt. Da sind ja eigentlich mehr Deutsche. War also Zufall. Sie hat mir viel von Shanghai gezeigt. Also Sachen, die ich so nie gesehen hätte. Und dann bekommt man auch ’ne Ahnung davon, wie es hier hinter den Kulissen ausschaut. Da bin ich wirklich froh drüber.“

Ein 24jähriger chinesischer Teilnehmer, der nicht in einem deutschen Unternehmen arbeitet, antwortet auf meine Frage, warum er das German Center besuche: „Ich habe in der Schule Deutsch gelernt und jetzt versuche ich, meine Deutschkenntnisse zu verbessern. Ich mag Deutschland und die Deutschen. Deutsche sind sehr fleißig und gewissenhaft. Ich sehe mir oft die Filme hier an. Ich habe auch schon sehr viele freundliche Deutsche kennen gelernt.“

Doch nicht alle Treffpunkte Deutscher stehen Chinesen offen. Beispielsweise werden Chinesen bei von Deutschen veranstalteten, regelmäßigen Stammtischen nicht gerne gesehen. Dies hängt u.a. mit dem Bestreben zusammen, sich ausschließlich auf Deutsch zu unterhalten, aber auch mit einem gewissen Misstrauen gegenüber chinesischen Kontaktsuchenden (vgl. III., 2.3, 2.5).

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Andere Orte der Begegnung, die sich vor allem den sprachlichen Austausch zum Ziel nehmen, sind so genannte, den „English Corners“ nachempfundene „Deutschen Ecken“, die es sowohl in Shanghai als auch in Hangzhou gibt. Oftmals von chinesischen Deutschstudenten ins Leben gerufen, soll den chinesischen Besuchern die Möglichkeit gegeben werden, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Deutschen wiederum soll so die Gelegenheit geboten werden, sich mit Einheimischen über China im Allgemeinen auszutauschen und freundschaftliche Kontakte aufzubauen. Das Interesse an diesen „Deutschen Ecken“ erwies sich jedoch zum Zeitpunkt der Untersuchung als äußerst gering. Ein chinesischer Student, der versuchte, eine „Deutsche Ecke“ in Hangzhou aufzubauen, berichtet, es sei äußerst schwer, Deutsche für diese Idee zu begeistern. Zudem sei der Altersunterschied immens und Deutsche hätten selten Zeit. Ein deutscher Praktikant, der mir bei dieser Gelegenheit begegnete, bewertete diese Einrichtung zwar als grundsätzlich positiv, meinte aber, dass die teilnehmenden Chinesen selten von Interesse für ihn wären. Sie seien zu jung und er habe oftmals den Eindruck, dass ihre Intention entweder nicht über ein sprachliches Training hinausgehe oder er das Gefühl habe, dass die Beteiligten Chinesen an eine Bekanntschaft Erwartungen knüpften, die er nicht erfüllen könne oder wolle (vgl. III., 2.5).

2.5 Freundschaften Nach Freundschaften mit Deutschen befragt, gaben weitaus mehr Chinesen an, deutsche Freunde zu haben, als Deutsche dies von Chinesen behaupten. Dies hängt unter anderem mit einem unterschiedlichen Verständnis dessen zusammen, was als Freundschaft bzw. wer als Freund bezeichnet werden kann. So bezeichnen alle befragten Chinesen ihre Arbeitskollegen auch als Pengyou, der gängigen Übersetzung des deutschen Wortes für Freund bzw. Freundin.13 Ähnlich wie im Deutschen kann durch Adjektive oder Superlative der jeweilige Freundschaftsgrad wie bester oder guter Freund verdeutlicht werden. Während Deutsche häufig klar zwischen Kollegen und Freunden bzw. Bekannten trennen, differenzieren chinesische Befragte in diesem Punkt nicht. Bekannte oder Kollegen, für die im Chinesischen wie im Deutschen eigene Begriffe existieren, werden in Bezug auf (deutsche) Arbeitskollegen nur dann angewendet, wenn der Befragte diesen Personen distanziert oder feindselig gegenübersteht oder wenn die jeweilige Person zwar bekannt ist, jedoch nicht im unmittelbaren Umfeld des Befragten arbeitet. Personen, 13 Durch das Hinzufügen einer weiteren Silbe wird angezeigt, ob es sich um eine partnerschaftliche Freundschaft handelt.

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mit denen verhältnismäßig regelmäßig zusammengearbeitet wird und sich keine Unstimmigkeiten ergeben hatten, bezeichnen chinesische Befragte ebenfalls als Freunde. Oftmals wird ein deutscher Kollege oder Vorgesetzter schon dann als Freund bezeichnet, wenn sich im Laufe der Zusammenarbeit Gespräche persönlicher Art häufen, keine Unstimmigkeiten auftreten und der regelmäßige Kontakt zwischen beiden Seiten auf einer informellen Gesprächsebene gepflegt wird, was vor allem in Betrieben mit geringer Beschäftigtenzahl oder bei Angestellten im unmittelbaren Umfeld der deutschen Arbeitskraft der Fall ist. Dass Chinesen jedoch ihre deutschen Arbeitskollegen als Freund bezeichnen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der jeweilige Freundschaftsgrad äußerst fein unterschieden wird. Wie bei Deutschen sind hierbei Interessenlage, Alter, Milieuzugehörigeit und Lebensstil, Dauer der Bekanntschaft bzw. Freundschaft, Ort und Zeitpunkt des Kennenlernens usw. bedeutsam. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass Chinesen erstens Freundschaften weitaus selbstverständlicher auf den Kollegenkreis übertragen und zweitens die Bezeichnung Freund bzw. Pengyou auch für Bekanntschaften, die aus deutscher Sicht nicht als Freundschaften bewertet werden, herangezogen wird. Eine chinesische Personalmanagerin, 33 Jahre alt, äußert sich: „Es kommt darauf an, wie man ‚Freund‘ definiert. Sehr enge [deutsche] Freunde – habe ich nicht. Aber [deutsche] Freunde – ja, habe ich. Ich meine, Freunde sind Menschen, mit denen man in Kontakt bleibt. So, wie mit meinem ehemaligen Chef aus Japan. Seitdem er China verließ, hat er mir über all die Jahre zu jedem Weihnachten und zu jedem Geburtstag eine Karte geschickt. Mit einem netten Brief auf Chinesisch und einem Foto von sich und seiner Frau. Das ist so eine Art Langzeitfreundschaft.“

Eine chinesische Angestellte antwortet auf die Frage, ob sie deutsche Freunde habe: „Ja. Natürlich. Sehr viele. Viele Praktikanten, die hier mal gearbeitet haben. Und meine deutschen Kollegen. Mein Chef ist auch mein Freund.“

Ihr deutscher Vorgesetzter verneinte allerdings später die Frage, ob er chinesische Freunde habe. Als ich ihn fragte, ob er sich vorstellen könne, freundschaftliche Kontakte mit seinen chinesischen Mitarbeitern zu pflegen, antwortet er: „Im Grunde nicht. Ich habe nur wenige chinesische Freunde. Wenn chinesische, dann schon Überseechinesen. Mehr Überseechinesen als Lokale. Aber das stimmt auch nicht mehr so genau. Zum Beispiel hat sich eine ehemalige

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Mitarbeiterin jetzt gemeldet. So jemand, wo keine Arbeitsbeziehung mehr da ist, würde ich dann als Freund bezeichnen. Aber sonst – schwierig. Im Laufe der Jahre lernt man schon mehr Leute kennen. Aber Leute, mit denen man in der Firma einen guten persönlichen Draht hat, würde ich da nicht mit einbeziehen. Selbst wenn man privat auch außerhalb der Arbeitszeit gelegentlich Kontakt hat.“

Auf meine Frage, weshalb Personen aus der eigenen Firma nicht in den Freundeskreis mit einbezogen würden, antwortet der Befragte: „Schwierig. Sie laufen immer Gefahr, dass sich die beiden Bereiche vermischen. Also Freundschaft und Arbeit. Das geht natürlich nicht und ich glaube, das wissen die Chinesen auch zu schätzen.“

Ob dem tatsächlich so ist, hängt bei den chinesischen Befragten offenbar davon ab, inwieweit sie mit deutschen Gepflogenheiten und deutschem Arbeitsstil vertraut sind. Während manch einer nur Unverständnis für die als abweisend interpretierte Haltung des Vorgesetzten aufbringt, loben andere den „neutralen“ Führungsstil des deutschen Managements, der nicht so sehr persönliche Sympathien, sondern vielmehr die Leistung des Einzelnen berücksichtige. Einige Entsandte bedauern es, nur wenige oder auch gar keine chinesischen Freunde zu haben. Danach befragt, wodurch sich eine Freundschaft bestimme, beschränken die meisten Deutschen derartige Beziehungen auf den privaten Lebensbereich. Ähnliche Interessenschwerpunkte und eine gemeinsame Freizeitgestaltung seien Dinge, durch die sich eine Freundschaft bestimme. Wie schon angesprochen wünschen sich viele Deutsche eine deutliche Trennung zwischen Personen aus dem eigenen, unmittelbaren Arbeitsbereich und Bekanntschaften, die außerhalb des Arbeitslebens geknüpft werden. Befragte, die potentielle Freundschaften auf den Privatbereich beschränken wollen, sind bezeichnenderweise vor allem Führungskräfte und Angestellte. Entsandte, die eher praktische Aufgaben wie beispielsweise das so genannte „fire-fighting“ übernehmen, haben weniger Berührungsängste. Doch auch hier werden gemeinsame Aktivitäten, die in der arbeitsfreien Zeit stattfinden, mehr als Teil des Teambuildings verstanden, denn als freundschaftliche Unternehmungen. „Klar. Man ist sich in der Firma näher gekommen und dann ~ hat sich halt schon rauskristallisiert: Mit wem kann man besser und mit wem nicht. Das war für mich auch wichtig für diese Teambildung; weil wir hatten dann auch mal gesagt – es gab eine riesige Bowlingbahn bei uns in der Stadt – hab ich gesagt: komm. Ich geb’ einen aus. Wir gehen bowlen. Ich bezahle das Ganze und – klar. Im ersten Moment sagen sie: ‚Nee, das wollen wir nicht.‘ Ich sag:

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‚Ihr seid mein Team. Ihr habt viel geleistet. Ich will, dass wir jetzt mal sozusagen einen drauf machen, und wir gehen zusammen bowlen!‘ Und ~ dadurch hab ich auch deren… ~ Neue Freundschaften haben sich dadurch gebildet oder deren Freundschaften untereinander gefestigt, denke ich mal. So hatte es jedenfalls für mich den Anschein gehabt. Und dass wir halt auch was privat unternehmen können.“

Zwar werden gemeinsame Aktivitäten außerhalb der Arbeitszeit von beiden Seiten aus verschiedenen Gründen begrüßt, doch nur selten geht es darüber hinaus. Für beide stellt es einen wesentlichen Teil des Kennenlernprozesses dar, der im Idealfall eine stabilisierende Wirkung auf das Arbeitsverhältnis ausübt. Manche der befragten Chinesen sehen diese Aktivitäten grundsätzlich als ein selbstverständliches und gruppenstabilisierendes Führungsmittel einer guten Führungskraft an. Die so hergestellten Beziehungen werden durchaus als freundschaftlich bezeichnet, doch beschränken sie sich in Bezug auf die Führungskraft auf den inoffiziellen Moment des ungezwungenen Beisammenseins. Darüber hinaus gehende Kontakte schließen die meisten der befragten Chinesen aus. Allerdings müssen hier deutliche Unterschiede zwischen sehr gut ausgebildeten Stadtbewohnern in Angestelltenpositionen und Arbeitern gemacht werden. Zum einen spielen statusbedingte Gründe eine Rolle. Aus der Perspektive eines einfachen Arbeiters erscheinen private, freundschaftliche Kontakte zu Vorgesetzten beinahe unmöglich und auch deutsche Führungskräfte haben in der Regel kein Interesse an derartigen Kontakten. Stehen die betreffenden Personen auf gleichem Niveau, so halten die befragten Chinesen eine Freundschaft zum deutschen Kollegen zwar für grundsätzlich möglich, jedoch nicht unbedingt für erstrebenswert. „Wir [Chinesen] arbeiten hier mit den Ausländern schon eine lange Zeit zusammen. Wir sind also sehr erfahren im Umgang mit Ausländern. Aber im privaten Leben sind wir ziemlich isoliert – oder Expatriates sind nach wie vor recht isoliert von den lokalen Arbeitskräften. Wir können nicht in das Territorium des Anderen vordringen. Es gibt eine Menge Vorbehalte. Ich habe eigentlich noch nie darüber nachgedacht. Wir hatten nie die Motivation oder das Bedürfnis, mit Ausländern über die Arbeit hinaus in Kontakt zu treten. Warum sollten wir das tun?! Das geht nur, wenn man die Motivation und das Bedürfnis hat, in das Leben der anderen Seite einzutreten. Ansonsten … Ich habe kein Bedürfnis danach.“

Aus Sicht dieses Befragten, Angestellter in einem deutsch-chinesischen Joint Venture in Shanghai, fehlt schlichtweg ein Grund, mit Ausländern einen engeren Kontakt zu pflegen. Chinesen, die aus Sicht deutscher Be173

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fragter für eine freundschaftliche Beziehung in Frage kämen, haben laut Aussage dieser selten ein über arbeitstechnische Belange hinausgehendes Interesse an den ausländischen Gastarbeitern. Auch fehlen den Befragten, wenn sie ein Interesse an chinesischen Freundschaften haben, die Orte der Begegnung. Verbunden mit der Voraussetzung, möglichst Kontakte zu Menschen zu pflegen, die nicht in den eigenen Arbeitsbereich eingebunden sind, wird es für die Beteiligten schwierig, entsprechende Beziehungen herzustellen. „In unserem Compound sind einige Chinesen, die tendenziell mit Siemensianern verheiratet sind. Da sind sehr nette Ehefrauen dabei. Die eine ist beispielsweise aus Peking – ganz, ganz sympathische Frau. Die spricht auch fließend Deutsch. Weil die auch in Deutschland gelebt hat und so… – Eine fantastische Frau. Ich würd’ jetzt einfach mal sagen, auch zwei, drei andere ganz nette Leute, wo ich einfach sagen würde, die sind uns, die wir da in diesem Compound hocken, von der Ausbildung, vom Hintergrund her relativ ähnlich. Die sind ein bisschen rumgekommen. Die sprechen verschiedene Sprachen. Die haben eine gewisse Ausbildung. Die haben ein gewisses Niveau, sag ich einfach mal. Und damit passt es gut, sich untereinander auszutauschen. Auch wenn man aus einer völlig anderen Kultur kommt. Die sind neugierig auf unsere, ich auf deren – das ist super! Ist ’ne prima Sache. Schwierig wird es einfach – und ich meine in Deutschland wär’ das genauso – wenn du in Shanghai durch die Gegend rennst. Die Leute, die ’ne vernünftige Ausbildung haben, die – sagen wir mal – ein vergleichbares Niveau hätten, die laufen nicht durch die Stadt am hellichten Tag. Sondern die arbeiten tendenziell in der Industrie. Und da bleibt einfach die Frage: Wie kommst du an diese Leute ran? Wo findest du die? Denn ich meine, wer am hellichten Tag durch die Stadt spaziert, ist normalerweise nicht derjenige, der vielleicht sogar Englisch spricht und vielleicht – weiß ich nicht ~ eine entsprechende Ausbildung hat, sondern das sind andere Leute. Und damit kommst du an die nicht ran.“

Einerseits fehlen aus Sicht manches Befragten also Orte der Begegnung (siehe III., 2.4), andererseits wünscht sich manch deutscher Entsandte Chinesen, die in der Lage sind, den eigenen Erfahrungskontext nachvollziehen zu können. Derartige Personen meint mancher unter denjenigen Chinesen zu finden, die über ein ähnliches Einkommen verfügen, möglichst Auslandserfahrungen gemacht haben und nicht zuletzt über ausreichende Englischkenntnisse verfügen. Diese manchmal sehr konkreten Vorstellungen sind selten bei Chinesen anzutreffen. Wie schon angedeutet handelt es sich für die ausländischen Entsandten um eine besondere Situation, in der zum einen das neue Lebensumfeld erschlossen, sprachliche Barrieren überwunden und der jeweilige Lebensstil den Rahmenbedingungen angepasst werden müssen. Für Chinesen hingegen

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handelt es sich um Normalität, die den Eintritt eines Ausländers weder vorsieht, geschweige denn für notwendig hält. Zahlreiche befragte Deutsche unterstellen Chinesen häufig ausschließlich aus zweckdienlichen Gründen Bekanntschaften mit Ausländern eingehen zu wollen. „Aber ich hab die Erfahrungen mit anderen Chinesen gemacht, dass ich wirklich ein ungutes Gefühl gehabt hab. Warum sucht der meine Nähe? Oder meine Bekanntschaft? Dass ich auch erst hier auf die Idee gekommen bin, dass jemand aus einem bestimmten Grund befreundet sein möchte. Auf die Idee wär’ ich in Deutschland nie gekommen. NEIN! Naja. Und das fand ich sehr ernüchternd. Von daher bin ich mit chinesischen Bekanntschaften eher zurückhaltend. Ich möchte das nicht ausschließen… ~ Weiß nicht, ob das, wenn wir Chinesisch miteinander sprechen könnten, viel ändern würde. Das ist eine Mentalitätsfrage. Bei mir und bei denen auch. Wie auch immer. Ich finde, ich bin da vorsichtiger geworden. Was ganz oft passiert, dass jemand sein Englisch verbessern möchte. Das ist so die Standardsituation. ~ Und vieles ist ganz klar darauf angelegt. Und das war ein paar Mal. Dann hat man irgendwann keine Lust mehr. – Es ist wirklich schon die Einstellung: Was bringt mir die Bekanntschaft mit der anderen Person? Und das schreckt mich ab.“

Eine andere Entsandte erzählt von Ihrer Freundschaft zu einem Chinesen, den sie zu Anfang ihres Chinaeinsatzes über andere Deutsche kennen lernte. Beide treffen sich einmal in der Woche und sie bezeichnet ihn als „engen Freund“. „Und der spricht sogar Deutsch. Und war eben auch schon mal in Deutschland. Ist natürlich auch ... Da bin ich verwöhnt. Aber er gibt mir einen tollen Einblick in die chinesische Familie. Und ich werde häufig eingeladen. Ist überhaupt nicht kontaktscheu und überhaupt nicht so dieses steife … – Und ich bin bis zum Bersten vollgefüllt und muss dann da steif sitzen und die gucken die Laowais an. – Also, so ist es da gar nicht. Wirklich ganz normal. Also, für mich so… – Als ob ich zu Eltern in Deutschland gehen würde. Ganz herzlich. Jetzt hab ich mit denen Majiang14 gespielt und ich kann überhaupt nicht Majiang spielen. Aber sie [die Mutter] hat mir das dann gezeigt und so. Ist also alles ganz normal. […] Zum Beispiel gehen wir auf die Fuzhou Lu. Und da bummeln wir so ein bisschen rum. Oder wir machen einen Ausflug zusammen. Wir gehen Badminton spielen oder liegen auf dem Sofa und gucken irgendeine DVD – also ganz normale Sachen. Also überhaupt nicht irgendwie so ... Also nicht so, wie es manchmal sein kann. Wenn man dann nicht weiß, ob es schick ist, einen Laowai zu kennen. Das gibt es nicht bei ihm.“

14 Majiang ist die inzwischen gebräuchliche Umschrift (Pinyin) für die in Deutschland noch anzutreffende Version Mah-jongg.

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Jedoch darf nicht übersehen werden, dass auch die ausländischen Entsandten mit einer, wenn auch nicht immer explizit formulierten, aber dennoch zielgerichteten Intention Bekanntschaften zu Chinesen suchen. Das Stichwort in diesem Zusammenhang lautet Integration. Doch stellen einige der Entsandten fest, dass schon schnell nach Antritt der neuen Aufgabe in China deutlich würde, dass die Aufnahme in einen chinesischen Freundeskreis so gut wie unmöglich sei. Neben der Sprachbarriere (siehe III., 4.2) sei es schwierig, sich auf die unterschiedlichen Vorstellungen von dem, was eine Freundschaft ausmache und wie diese gestaltet werden solle, einzustellen. Außerdem pflegen einige der Entsandten tatsächlich einen durchaus kostenintensiven Lebensstil, der für manche Chinesen auf Dauer nicht zu verwirklichen ist (vgl. III., 2.2). Es mag deshalb nicht erstaunen, dass die meisten der befragten Entsandten ihren Freundeskreis lieber in der Ausländergemeinde ihrer jeweiligen Stadt suchen (siehe III., 2.2 und 2.3). Kontakte zu anderen Ausländern werden als weitaus zwangloser und angenehmer beschrieben als die zu Chinesen. Dies mag ein Grund dafür sein, dass viele den privaten Kontakt zu anderen Deutschen bzw. Ausländern vorziehen.

2.6 Zusammenfassung Zusammenfassend fällt die augenscheinliche Isolation vieler deutscher Entsandter von ihrer chinesischen Umgebung auf. In manchen Fällen ist diese Situation durch die abgeschirmte Wohnsituation in Compounds mehr oder weniger vorprogrammiert und wird von einigen der deutschen Befragten aus diesem Grund abgelehnt. Bewohner zählen zu den wesentlichen Vorzügen dieser komfortablen, aber auch kostspieligen Wohnanlagen die Möglichkeit, schnell mit anderen Ausländern Kontakte knüpfen zu können. Eine ebenfalls wichtige Rolle spielt bei der Auswahl eines Compounds die Familiensituation der Betroffenen. Familien mit Kindern berücksichtigen bei der Auswahl die Länge des Schulwegs, im Compound vorhandene Einrichtungen wie Kindergarten, Spielplatz, Grünflächen und auch, ob und wenn ja, wie viele Kinder im Alter des Nachwuchses in der jeweiligen Anlage leben. Begleitende Partner empfinden es zudem als wesentliche Erleichterung, nach Aufgabe ihres sozialen Netzwerkes und der vertrauten Umgebung in Deutschland in China schnell und unkompliziert von der Compoundgemeinschaft aufgenommen zu werden. Deutsche beschreiben den Zugang vor allem zur Nachbarschaft als äußerst herzlich und aufnahmebereit, was auf die als allgemein problematisch empfundene Situation, in China zu leben, zurückgeführt wird. Befragte Partner berichten von Motivationsschwierigkeiten 176

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speziell in der Anfangsphase ihres Aufenthaltes, die durch die Integration in die bestehende Compoundgemeinschaft kompensiert werden könnten. In einer Situation der Unsicherheit und Neuorientierung versuchen also einige der Beteiligten, diese als Beschränkung wahrgenommenen Umstände durch eine der heimatlichen Wohnsituation ähnliche Umgebung auszugleichen. Diesen Befürwortern steht eine Gruppe von Entsandten gegenüber, die derartige Wohnanlagen, die oftmals an der Peripherie der Städte gelegen sind, grundsätzlich ablehnen. Zwar käme man schnell in Kontakt mit anderen Ausländern, doch fehle jegliche Anbindung an die chinesische Umgebung. Die manchmal als „ghettohaft“ bezeichnete Wohnsituation führe dazu, dass deren Bewohnern der Zugang zur chinesischen Lebenswelt noch schwerer falle, als es ohnehin schon der Fall sei. Deutschen, die nicht in der Lage seien, sich den chinesischen Lebensverhältnissen anzupassen, wird die eigene Lebensweise als positives Beispiel, wie man sich in China zu verhalten habe, gegenübergestellt. Letztlich sollen derartige, binnendistinktive Äußerungen als Beleg des eigenen, der fremden Umwelt besser angepassten Habitus dienen und die transkulturelle Kompetenz der Beteiligten unterstreichen. Dennoch bleibt zu konstatieren, dass der Großteil dieser Gruppe kaum integrativen Zugang zur chinesischen Gesellschaft findet. Beinahe einmütig behaupten Befragte, dass es äußerst schwierig sei, private und freundschaftliche Kontakte zu Chinesen aufzubauen. Während einige aus spezifischen Erfahrungen heraus Kontakten zu Chinesen aufgrund deren „egoistischen“ und „berechnenden“ Verhaltens grundsätzlich misstrauisch gegenüberstehen oder diese sogar ablehnen, diesen Umstand aber gleichzeitig durchaus bedauern, machen andere unterschiedliche Interessenlagen und Lebensstile dafür verantwortlich. Nur wenige der Befragten können von sich selbst behaupten, einen tieferen Einblick in den sie umgebenden chinesischen Lebensalltag zu erhalten. Diese Beteiligten fallen durch die aktive Gestaltung ihrer Freizeit auf, die sich an den von der chinesischen Bevölkerung ebenfalls genutzten Angeboten orientiert. Ein auffälliger Unterschied wird augenscheinlich, betrachtet man die favorisierten Freizeitbeschäftigungen der Befragten miteinander. Bevorzugt der eine Golf, um sich vom als stressreich und anstrengend empfundenen Alltag und von der chinesischen Wirklichkeit zu erholen, so zieht der andere den Besuch eines chinesischen Badehauses als Ort vor, der sowohl Entspannung als auch Einblicke in chinesische Lebensweisen ermögliche. Zwar handelt es sich in beiden Fällen um einen Rückzug vom Alltagsgeschehen, doch versucht sich der Golfspieler so weit als irgend möglich dem zu entziehen, was er als chinesische Wirklichkeit erlebt. Der Golfplatz wird damit zum positiven und 177

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angenehmen Gegenpol all dessen stilisiert, was als chinesisch wahrgenommen wird, während sich einige Befragte als durchaus in der Lage zeigen, das chinesische Umfeld auch als Ort der Erholung zu erschließen. Alle Befragten sprechen von einer im Vergleich zu Deutschland höheren Belastung durch längere Arbeitszeiten und durch ein als anstrengend empfundenes Umfeld. Lärm und Verschmutzung, unzulängliche Verständigungsmöglichkeiten wie auch die alltägliche Erfahrung, als offensichtlich Fremder ausgeschlossen zu bleiben, werden am häufigsten genannt. Veranstaltungen und der Besuch von Institutionen, die der sozialen Netzwerkbildung und sowohl beruflichem als auch privatem Zweck dienen, sind oftmals Deutschen vorbehalten bzw. werden fast ausschließlich von Deutschen besucht und sind somit nur schlecht für die Kontaktaufnahme und Kontaktpflege zu Chinesen geeignet. Fühlen sich einige der deutschen Teilnehmer durch die Möglichkeit, sich auf Deutsch auszutauschen, angezogen, lehnen andere derartige Treffen ab. Insbesondere Beteiligte in bikulturellen Partnerschaften berichten von der Ausgrenzung von Personen, die nicht des Deutschen mächtig sind. Deutsche Befragte, die regelmäßig an von Deutschen für Deutsche organisierten Treffen teilnehmen, betonen als Vorzug die Möglichkeit, sich über private als auch berufliche Probleme in einem Kreis Gleichgesinnter austauschen zu können. Einige der befragten Chinesen äußern ihren entsprechenden Eindruck, dass Deutsche kein wesentliches Interesse an Kontakten zu Einheimischen hätten. Stattdessen beschränkten sie sich auf die überschaubare und relativ abgeschlossene deutsche Gemeinde. Allerdings formulieren auch nur wenige der befragten Chinesen ein Interesse an ihren deutschen Arbeitskollegen, das über berufliche Belange hinausgehe. Die Partizipation am Privatleben der deutschen Beteiligten wird von einigen chinesischen Befragten erstaunt zurückgewiesen. „Freundschaften“ beschränken sich aus der Perspektive chinesischer Befragter oftmals auf einen aus deutscher Sicht eher sporadischen Austausch von Gefälligkeiten und Freundlichkeiten. Zu darüber hinausgehenden, freundschaftlichen Bindungen sehen die meisten chinesischen Befragten keinen Anlass. Speziell Deutsche in Führungspositionen ziehen wiederum eine deutliche Grenze zwischen Privat- und Berufsleben und vermeiden häufig freundschaftliche Kontakte zur chinesischen Belegschaft. Innerbetrieblich legen chinesische Befragte jedoch großen Wert auf „Freundschaften“ und haben oft Schwierigkeiten, die deutliche Sachorientierung ihrer deutschen Kollegen und Vorgesetzten einzuordnen. Einige Deutsche reagieren auf die als spezifisch chinesisch eingestufte Wertschät178

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zung eines persönlicheren Auftretens innerhalb des Betriebes mit der Teilnahme am gemeinsamen Kantinenessen oder Ähnlichem und erhoffen sich dadurch auch, am informellen Informationsfluss innerhalb ihres Betriebes partizipieren zu können. Nur in seltenen Fällen ergeben sich also aus der Arbeitssituation Kontakte, die den Entsandten Zugang zu einer chinesischen Lebenswelt eröffnen und nur mit Hilfe Einheimischer ermöglicht werden können. Aufgrund des sozialen Vakuums, das manche Entsandte bei ihrer Ankunft in China erleben und das sie durch einen entsprechenden Wohnort und ein Engagement in der deutschen oder auch ausländischen Gemeinde zu kompensieren suchen, sprechen viele der Befragten von ihrer insgesamt einsamen Situation. Dies ist im Wesentlichen auf den Umstand zurückzuführen, dass die meisten der deutschen Expatriates für den verhältnismäßig kurzen Zeitraum von maximal fünf Jahren ins Gastland entsandt werden. Hieraus erklärt sich auch die enorme Offenheit, mit der auf Neuankömmlinge zugegangen wird, andererseits aber auch der Rückzug einiger Beteiligter von der durchschnittlichen Ausländergemeinde. Diese haben seit weitaus längerer Zeit ihren Lebensmittelpunkt in China und streben danach, an Kreisen, die nicht der üblicherweise hohen Fluktuation unter den Expatriates unterliegen, zu partizipieren. Neben der weiter oben angesprochenen Binnendistinktion gegenüber anderen Entsandten grenzen sich einige der Befragten von den Zuständen in Deutschland ab. Vor dem Hintergrund eines oftmals hohen Gehalts und eines komfortablen, teilweise gerade im Vergleich zur chinesischen Alltagswelt luxuriös erscheinenden Wohn- und Lebensstiles wirken Äußerungen, die den hohen Lebensstandard und die „verwöhnte“ Bevölkerung in Deutschland kritisieren, paradox. Dies steht in Verbindung mit einer neuen Verortung der Beteiligten, die sich zwar oftmals immer noch als kulturell in Europa verwurzelt ansehen, jedoch derartige Beurteilungen aufgrund ihres neuen Lebensumfeldes und der damit verbundenen, als besonders verstandenen Erfahrungen nicht mehr unmittelbar auf sich selbst beziehen. „Die Deutschen hier“ wird damit zur Bezeichnung einer anderen Gruppe, die sich aufgrund eines besonderen Habitus, der sich vom Stammland als auch vom Gastland unterscheidet, in einem „Dritten Raum“ verortet.

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3. Zusammenarbeit 3.1 Qualifikation Eines der am häufigsten von deutschen wie auch chinesischen Führungskräften angeführten Probleme ist das der mangelnden Qualifikation chinesischer Mitarbeiter. Es sei äußerst schwierig, so der Konsens, gut ausgebildete Kräfte für eine Firma anzuwerben. Insbesondere deutsche Entsandte, die durch ihre Tätigkeit in unmittelbarem Kontakt zu chinesischen Mitarbeitern stehen, wie Monteure oder Ingenieure, klagen über die schlechten Ausbildungsstandards. „Es ist hier sehr viel schlechter als in Deutschland. In Deutschland gehe ich davon aus, dass der Arbeiter seinen Job gelernt hat. Dass der Arbeiter weiß, was er tut. Hier: Meiyou.15 Uns war allen klar, dass die Arbeiter, die wir dort hatten, dass die gerade am Morgen vom Reisfeld weggefangen wurden und ~ dass die Leute rekrutiert haben und in der Reihe aufgestellt haben und gesagt haben: ‚Du bist Elektriker, du bist Mechaniker, du bist Kranfahrer, du bist Gabelstaplerfahrer.‘ Das war allen klar.“

Häufig führen Deutsche fehlendes Qualitätsbewusstsein nicht nur auf die mangelhafte Ausbildung der chinesischen Kollegen, sondern auch auf deren grundsätzliche Einstellung zurück. Die Arbeitseinstellung sei schlecht und entsprechend seien Qualitätsanforderungen nur schwer umzusetzen. Ein deutscher Monteur, während des Gesprächs bei diesem Thema deutlich in Rage, schildert seine Sicht: „Das größte Problem sind die Qualitätsansprüche. Das können die nicht. Qualität. Gehen sie mal in eine chinesische Wohnung. Bei einer Freundin wurde neues Parkett verlegt. Da waren noch die Schlitze drin. Da haben die gesagt: ‚Das geht später schon von selber zu.‘ Da sind die zufrieden mit. Die Arbeiter kosten ja auch nichts. Machen zwar Scheiße. Aber sind halt billig. Das muss man dann in Kauf nehmen. Dann muss man ein bisschen verbessern. Ein Chinese denkt einfach anders als ein Deutscher. Dem fehlt das logische Denken und das wirkt sich auf den gesamten Arbeitsverlauf aus.“

Diese Einschätzung wird von einigen chinesischen Führungskräften in deutschen Unternehmen geteilt. Chinesische Manager, die einer „deutschen Arbeitsmentalität“ und einer „deutschen Denkweise“ in der Regel positiv gegenüberstehen (vgl. III., 1.3.1, 3.2 bis 3.4), führen dieses Problem manchmal auf die chinesische Tradition, manchmal auf die Zeit des 15 Meiyou; chin., wörtl.: „nicht haben“.

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Sozialismus und immer wieder auf die mangelhafte Ausbildungssituation in China zurück. „Markwirtschaftliches Denken“, so wie es in Deutschland ganz normal sei und sich auch bei deutschen Mitarbeitern in Deutschland in deren Arbeitsweise zeige, sei in China nicht verbreitet. So sei vielen chinesischen Mitarbeitern oftmals nicht der Zusammenhang zwischen der Herstellung eines guten Produkts und der damit verbundenen Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes deutlich. Eine gute Qualifikation aus chinesischer Perspektive bedeute eher, sich Wissen anzueignen und bestimmten Rollenerwartungen zu entsprechen und weniger, vorhandenes Wissen und Fähigkeiten selbstinitiativ in den allgemeinen Arbeitsablauf einzubringen. Eine chinesische Managerin mit langjähriger Studien- und Arbeitserfahrung in Deutschland verweist auf die Unterschiede: „China ist einfach noch nicht so weit. Wir haben das Problem, dass die chinesische Bevölkerung noch nicht so weit entwickelt ist, wie dies beispielsweise in Deutschland der Fall ist. Qualifikation hat auch mit Qualität zu tun. Jemand, der ein gutes Produkt herstellen soll, der muss erst einmal lernen, wie man so etwas macht. Und das braucht Zeit. Außerdem haben wir in China das Problem, dass viele noch so denken, wie es in den Staatsbetrieben üblich war. Die persönliche Leistung ist da nicht so wichtig. Deutsche denken da anders. Die meinen, man könne ein deutsches Niveau auf China übertragen. Das geht aber nicht. Man muss bei den Menschen anfangen und das begreifen viele Deutsche, die herkommen, einfach nicht. Sie meinen, man könne von einem ungelernten chinesischen Arbeiter ein Produkt wie in Deutschland erwarten. Das ist einfach nicht realisierbar.“

Ein weiteres angesprochenes Problem liegt laut einiger Befragter in der Ungewissheit, ob die bei einer Bewerbung angegebenen Qualifikationen tatsächlich erbracht wurden. Außerdem könne man sich nicht darauf verlassen, dass selbst Bewerber mit einem ausgezeichneten Ausbildungsprofil den praktischen Anforderungen des Arbeitsalltags entsprechen. „Chinesen können unheimlich easy auswendig lernen. Bei viertausend Schriftzeichen im Schädel – da ist kein Platz mehr für andere Sachen. [L] Die tun sich mit dem Auswendiglernen leichter. Und die MBAs16 sind auch viele fake. Die gekauft sind und alles. Ganz China ist ein Blendwerk. Hier nennt sich jeder Manager. Das Problem ist, dass sie halt nicht wissen, was sie tun. Das ist das größte Problem. Du zeigst einem Chinesen, was er zu tun hat – aber er weiß eigentlich nicht, warum er das macht. Der macht den Arbeitsablauf, aber er versteht nicht, warum. Die Entwicklung geht hier weiter. Auf jeden Fall bis zur Expo und nach der Expo auch noch ein paar Jährchen und dann wird es 16 MBA steht als Abkürzung für Master of Business Administration.

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wahrscheinlich stagnieren. Chinesen sind auf die Ausländer angewiesen. Ohne Ausländer kommen sie nicht zurecht. Sie können keine Qualität machen. Das kriegen sie nicht zusammen. Die Generation, die jetzt arbeitet und die Generation, die jetzt noch kommt, denen fehlt einfach das Grundwissen. Die studieren zwar MBA und alles Mögliche. Aber damit umzugehen wissen sie nicht.“

Zwar verfügen qualifizierte Chinesen, so die deutschen Befragten, oftmals über ein enormes theoretisches Wissen, doch scheitere es meistens am Praxistransfer. Chinesische Mitarbeiter wären häufig nicht in der Lage, notwendige Arbeitsschritte zu erkennen, die über deutlich formulierte Aufgabenbereiche hinausgehen bzw. die von bekannten und bewährten Arbeitsschritten abweichen (vgl. IIII., 3.4). Ein Optimierer schildert seine Erfahrungen: „Vieles ist [in Deutschland] nicht großartig anders als hier. Was die wissen, das wissen die aus Büchern und was sie sich selbst beibringen. Bei den Chinesen … ~ Wenn man denen … ~ Ja. Die lernen halt vieles auswendig. Das hab’ ich auch festgestellt. In der Schule fängt es bei denen schon an. Alles, was die wissen, haben die mal auswendig gelernt. Da ist ein fünfzigjähriger Chinese. Wenn man den fragt: ‚Ich will die und die Formel haben.‘ Da klatscht der das sofort an die Wand. Das würd’ mir so aus dem Stehgreif nicht einfallen. So ist das genauso mit den Abläufen. Das müssen die natürlich in die Köpfe bekommen. Dieses SELBER Nachdenken. Und SELBER analysieren. Und nicht so das Schema abgehen. Und – das hat auch … – zuletzt hat das sehr gut geklappt. Aber am Anfang war das halt nicht. Die haben halt zwei, drei Sachen ausprobiert – wie es halt in den Büchern steht – und dann: ‚Es geht nicht‘ hieß es dann. Und dann musste ich denen halt immer wieder zeigen: Ok. Wir haben dieses Problem, diese Möglichkeiten haben wir – und wenn das nicht hilft, dann müssen wir ein bisschen ausschweifender werden. Das hat zu guter Letzt ausgezeichnet funktioniert, muss ich sagen. Die haben wirklich alles abgeklappert. Alle Möglichkeiten. Und die haben da richtig was hingekriegt. Das war gut.“

Die Erfahrung, dass selbst durch einen Hochschulabschluss qualifizierte chinesische Bewerber nicht immer den Erwartungen entsprechen, erwähnen einige deutsche Interviewte. Sowohl chinesische als auch deutsche Befragte führen dies auf das wenig praxisorientierte Ausbildungswesen zurück, das den Beteiligten zwar ein umfangreiches theoretisches Wissen vermittle, sie jedoch nicht dahingehend schule, dieses Wissen auch anzuwenden. Zudem stimmten, so einige der Deutschen, Anspruchshaltung und Leistungsniveau bei chinesischen Bewerbern oftmals nicht überein. Ein deutscher General Manager in Hangzhou schildert seine Sicht: 182

DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

„Wir haben mehrere Master, die vor den Anforderungen stehen und nichts bringen. Die Masterabgänger sind hier – was ich bisher gesehen habe – schlicht und ergreifend schlecht. Beim BA wissen die Leute noch einigermaßen, wovon sie reden.17 Die Master kommen rein, wollen Projektleiter machen und können kein Englisch reden. Schlechte Erfahrung. Hohe Ansprüche. Kein Basiswissen. Die wollen einfach anders eingestellt werden und akzeptieren es nicht, unter einem Diplomingenieur zu arbeiten, der sieben oder acht Jahre Erfahrung bei General Motors, Schneider oder wo auch immer hat. Englisch spricht. Da spielen sie dann Primadonna.“

Die einzige Möglichkeit sei, da sind sich viele der deutschen Entsandten einig, liege darin, das Gros der Arbeitskräfte im eigenen Betrieb ausund weiterzubilden. Erst dann seien sie in der Lage, den gestellten Anforderungen zu entsprechen, wofür allerdings in vielen Unternehmen die Kapazitäten fehlen. Doch nicht alle deutschen Befragten teilen dieses vorherrschend schlechte Bild vom Ausbildungsniveau chinesischer Mitarbeiter. Ein deutscher Entsandter, zur Zeit der Befragung mehr als vier Jahre verantwortlich für den kaufmännischen Bereich eines Produktionsbetriebes in Suzhou, schildert den Wandel: „Die Chinesen sind, was die Motivation und die Leistung betrifft, mindestens gleichwertig. Teilweise sind sie sogar besser ausgebildet und auch die Motivation ist zum Teil viel, viel besser als in Deutschland. Wenn sie von den Universitäten runterkommen, sind sie tatsächlich besser ausgebildet – also was die Grundstrukturen angeht. Ich meine, vor drei Jahren konnten sie es vergessen. Aber jetzt sind die Ausbildungsstandards ganz anders. […] wenn ich mir meine Buchhalterin hier angucke, dann muss ich manchmal den Hut ziehen und zugeben: Das Mädel weiß manchmal besser Bescheid als manch anderer. In Deutschland verlieren wir mehr und mehr die Position. Die war jetzt gerade in Deutschland und hat den Kollegen da teilweise noch gesagt, wie sie HP2 buchen müssen. Wo die dann da auf dem Stuhl zusammengebrochen sind: ‚Woher weißt du das?‘ Klar. Die bilden sich irrsinnig weiter. Seitdem ich hier bin, macht sie einen MBA abends. Macht Deutschland, die Firma hier... Dieses Wollen, Wissen zu bekommen! Die saugen regelrecht. Von unseren Abteilungsleitern machen alle MBA zurzeit. Ob das nun der Sinn der Sache ist, weiß ich nicht. Die sagen auch ganz klar: Einen MBA kann man kaufen oder man macht ihn richtig. Natürlich ist der Ausbildungsstand auf der zweiten Schicht extrem schlecht. Und auch auf der normalen Arbeiterschicht wird es sehr schwierig. Da ist dann das Niveau doch anders.“

Während Deutsche, werden sie zum Thema Qualifikation befragt, häufig direkt die mangelnde Eigeninitiative ihrer chinesischen Mitarbeiter zur 17 BA steht für Bachelor of Arts.

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Sprache bringen, kommen nur wenige chinesische Führungskräfte auf diesen Aspekt zu sprechen. Zwar wird fehlende Selbstverantwortung auch von chinesischen Vorgesetzten, die in Deutschland gearbeitet haben, angesprochen, doch wird sie nicht in den Kontext einer zu erbringenden Qualifikation gesetzt. Stattdessen führen sie vorhandene Defizite eigenverantwortlichen Handelns im Betrieb auf andere Gründe, wie beispielsweise die schon angesprochene geschichtliche und gesellschaftliche Entwicklung Chinas, zurück. Während Deutsche in der Regel davon ausgehen, dass ein Mitarbeiter nicht nur Fachkompetenzen, sondern auch darüber hinausgehende Fähigkeiten mit in den Betrieb einbringt, so sind die Erwartungen aus Perspektive chinesischer Befragter gegenüber Führungskräften sehr hoch angesiedelt. Vor allem ausländische „Experten“, so die gängige Meinung unter den chinesischen Befragten, müssten vorhandene Defizite ihrer Mitarbeiter ausgleichen und beheben. Um dies leisten zu können, wird erwartet, dass sich die Entsandten zunächst mit den Gepflogenheiten innerhalb eines Betriebes wie auch chinaspezifischen Besonderheiten auseinander setzen. Ein chinesischer Manager, der selbst ein zweijähriges Training im deutschen Stammhaus absolviert hat, nimmt folgendermaßen Stellung: „Wenn ein deutscher Manager in der Lage ist, die Gemeinsamkeiten zwischen einem chinesischen und einem deutschen Unternehmen zu erkennen, dann kann er sich Gedanken darüber machen, wie er die sich unterscheidenden Dinge in den gemeinsamen Teil integriert. Auf diese Art kann man viele Dinge realisieren. Die meisten deutschen Manager, die hierher kommen, sind aber der Auffassung, dass China ein Entwicklungsland und Deutschland schon enorm entwickelt wäre. Und das geben sie auch als erstes kund. ‚Wir zeigen denen jetzt mal, wie es richtig geht.‘ Diese Auffassung ist ein absoluter Fehler. Im Grunde haben sie Recht, aber wenn sie die Gründe dafür wissen wollen, dann müssen sie sich mit den einzelnen Gruppen auseinander setzen und analysieren. Wenn ihre Arbeiter nicht die Gelegenheit erhalten, etwas zu erlernen, dann können sie auch nur wenig machen. Wenn ein Chef in einer deutschen Firma sagt: ‚Wir wollen jetzt eine neue Politik und neue Grundsätze einführen.‘ Dann werden das alle [deutschen] Angestellten ausführen. Es kann sein, dass sie ein wenig Widerstand leisten, aber sie werden trotzdem den neuen Anweisungen folgen. Chinesen sind nicht so. Wenn sie es nicht begreifen, dann werden sie es auch nicht machen. Es kann sein, dass sie vorgeben, etwas zu ändern, aber sie werden es nicht tun. Sie werden es nicht wirklich tun. Es kann zum Beispiel sein, dass ich einige Zahlen und Statistiken brauche und meine Angestellten damit beauftrage. Sie sagen, sie würden es auch machen. Aber eigentlich machen sie es nicht, weil sie meinen, es wäre nicht so wichtig oder diese Dinge würden nicht gebraucht. Der Manager hat auch nicht klar gesagt, wozu er diese Dinge braucht. Für Deutsche gilt aber, dass sie das auf

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jeden Fall machen würden. Egal, ob sie den Grund wissen oder verstehen. ‚Das ist meine Arbeit. Wenn mein Chef das gesagt hat, dann müssen wir das so machen.‘ Chinesen sind nicht so. Wenn sie etwas nicht verstehen, dann machen sie es entweder gar nicht oder nur schlecht. Das ist ein Grund dafür, warum es so viele Probleme gibt. Die chinesischen Angestellten glauben nicht an so ein System. Für sie ist es nur ein Blatt Papier. Das ist etwas, was aus der Sicht einer deutschen Firma geändert werden muss. Chinesen sind nicht daran gewöhnt, etwas nur zu machen, weil man es ihnen sagt. Das wird dann zum Problem, wenn mein Unternehmen mehrere Bereiche hat und mein General Manager einfach nicht mit jedem Mitarbeiter sprechen kann. Wenn du aber einen Bereichsleiter hast, der meine Ansichten versteht und nachvollziehen kann und seine Mitarbeiter ihm vertrauen, dann muss ich nicht selbst mit jedem Mitarbeiter sprechen. Das setzt aber erst einmal ein funktionierendes System voraus. Wenn das nicht besteht, dann werden alle deine Aktivitäten keine Wirkung haben. Deutsche, die herkommen, müssen sich also mit dem Betrieb und den Mitarbeitern auseinander setzen. Erst dann können sie etwas ändern.“

Ein chinesischer Arbeiter in einem deutschen WFOE formuliert seine Erwartungen an einen Vorgesetzten folgendermaßen: „Ein Chef sollte, wenn er Angelegenheiten regelt, klare Leitprinzipien haben. Er darf sich nicht unsicher sein. Er sollte seine Untergebenen kennen und sie entsprechend ihren Fähigkeiten einsetzen können. Wenn er weiß, dass jemand besondere Fähigkeiten hat, dann sollte er ihn dazu veranlassen, diese einzubringen. Derjenige, der erfolgreich ist, sollte auch von ihm belohnt werden. Das ist für mich das Wichtigste.“

Die Betonung des persönlichen Kennens und des Wissens um die Fähigkeiten jedes einzelnen Mitarbeiters wird von allen chinesischen Arbeitern und Angestellten angeführt. Ebenfalls häufig ist die Erwartung, dass ein Vorgesetzter um so gut wie alle Belange innerhalb eines Betriebes wissen müsse und in der Lage sei solle, Mitarbeiter entsprechend anzuleiten. „Er muss gewissenhafte Arbeit leisten und fleißig sein. Wenn Angestellte etwas nicht wissen, dann muss er es ihnen so erklären, dass sie es auch verstehen. Ihnen beibringen, wie man es macht. Und er sollte auch außerhalb der Arbeitszeit an Aktivitäten teilnehmen, damit man mit ihm auch so zusammenkommen kann. Damit man weiß, was für ein Mensch er ist. Zum Beispiel eine Feier veranstalten. Das ist auch eine Möglichkeit zusammenzukommen. Wenn beide Seiten in zwei unterschiedlichen Welten leben, dann wird es schwer. Beide Seiten sollten zusammenfinden. Wenn das nicht passiert, dann ist es schwierig.“

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Ein Unterschied ergibt sich bei chinesischen Befragten in der Gewichtung von so genannten Hard Skills zu Soft Skills. Alle chinesischen Beteiligten wurden während des Interviews vor die spielerische Wahl zwischen einem fachlich versierten, sozial aber äußerst schwierigen deutschen Vorgesetzten oder einer deutschen Führungskraft mit ausgeprägten sozialen, aber geringeren Fachkompetenzen gestellt. Hier entschieden sich jüngere Befragte mit wenig Berufserfahrung zum größten Teil für die Person mit höherer Fachkompetenz. Als Begründung wurde dabei von vielen angeführt, so die Möglichkeit zu gewinnen, neue Dinge zu erlernen und eigene Sachkompetenzen entwickeln zu können. Später, so der Gedanke, könne man mit den errungenen Fähigkeiten immer noch eine bessere Anstellung finden. „Wenn man, so wie ich, gerade erst sein Studium abgeschlossen hat, dann hat man keine Arbeitserfahrung. Ich würde deshalb den anderen [mit der höheren Fachkompetenz] wählen. Es kann sein, dass es sehr stressig ist und der Druck sehr hoch, aber ich finde, es wäre ein besserer Einstieg. Und eine bessere Möglichkeit, anschließend etwas anderes zu finden. Wenn ich ihn zufrieden stelle, dann kann es vielleicht sein, dass er langsam China gut finden und China akzeptieren kann. Es wäre also auch eine gute Gelegenheit für mich, auf ihn einzuwirken und ihn zu ändern. Auch wenn bei dem anderen der Druck nicht so hoch wäre und Kommunikation, Sprachprobleme, offene Arbeitsatmosphäre alles keine Themen wären. Ich finde einfach am schlimmsten, wenn danach keine Aufstiegsmöglichkeiten da sind. Ein Chef, mit dem man zu leicht auskommt, kann einem diese Aufstiegsmöglichkeiten wohl nicht bieten. Ich möchte weiterkommen. Wenn seine Kompetenz sehr groß ist, dann habe ich einfach mehr Möglichkeiten, bei ihm etwas zu lernen.“

Ältere Befragte mit langjähriger Erfahrung in deutschen respektive deutsch-chinesischen Kooperationen entschieden sich hingegen für die Person mit höherer Sozialkompetenz. „Wenn ich das aus meiner eigenen Arbeitserfahrung heraus betrachte, dann kann ich ihnen sagen, dass die Kompetenzen nicht so ausgeprägt sein müssen. Wenn er mit den Leuten klarkommt, dann wird er dadurch schnell wissen, wie die einzelnen Bereiche funktionieren. Außerdem werden ihm die Untergebenen eher Dinge abnehmen, die er selbst nicht leisten kann. Der Erfolg einer Firma hängt einfach nicht nur von einem Einzelnen, sondern von allen ab. Die Gruppe ist wichtig. Jemand, der den Erfolg nur für sich alleine sucht und immer nur in seinem Büro rumhängt, der wird ein Unternehmen nicht zu Ergebnissen führen. So etwas habe ich schon erlebt.“

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Derselbe Befragte bemängelt im weiteren Verlauf des Gesprächs die Fähigkeit mancher deutscher Führungskräfte, Arbeitsanweisungen verständlich zu vermitteln. Dieser Punkt wird auch von anderen chinesischen Befragten häufig angesprochen. Da der Deutsche nicht in der Lage sei, sein Anliegen auf Chinesisch vorzutragen, müsse dieser sich dem Sprachniveau seines chinesischen Gegenübers anpassen und könne nicht erwarten, dass alles auf Anhieb verstanden werde (siehe III., 4.). Zudem müssten Vorgesetzte in der Lage sein, Defizite von Mitarbeitern zu erkennen und darauf zu reagieren. Von einer Führungskraft wird erwartet, dass sie in der Lage ist, nicht vorhandene oder unzulängliche Qualifikationen ihrer Mitarbeiter zu erkennen und diesen bei der Bewältigung ihrer Aufgaben unterstützend zur Seite zu stehen (III., 1.3.2, 3.3 und 3.6). Führungsaufgaben werden von Deutschen unterschiedlich definiert. Diejenigen, die auf eine längere Zeit in China zurückblicken, haben sich manchmal auf die Rollenerwartungen ihrer chinesischen Belegschaft eingestellt und versuchen, diesen durch eine „persönlichere“ und unmittelbarere Art des Führungsstils zu entsprechen (vgl. III., 3.3). Die normalerweise nie explizit formulierte Erwartung chinesischer Angestellter, dass die Initiative ausschließlich auf Seiten des Vorgesetzten bzw. Experten liegt, ist manchen deutschen Befragten also nicht bewusst oder aber sie lehnen es ab, sich diesem Rollenverständnis zu beugen. Einige hingegen stellen fest, dass es durchaus zur Eignung eines Entsandten gehöre, sich nicht nur äußerst sensibel auf Rollenerwartungen und Gruppenprozese einzustellen, sondern auch in der Lage zu sein, Defizite ihrer chinesischen Mitarbeiter zu erkennen und durch geschickte Verittlung zu beheben (siehe III., 4.). Ein deutscher Ingenieur berichtet: „Ganz wenige [der Chinesen] sind SEHR kompetent. Der Rest sind eben Mitläufer, die irgendwie das Geld für die Familie zusammenbringen müssen. Kein Interesse an der Sache und wenig Verständnis. Und selbst wenn sie es gut meinen, machen sie alles falsch. Das ist nicht böse gemeint, aber es reicht einfach nicht vom Verständnis her. Grund ist Mangel an Ausbildung und sicherlich auch mangelndes Interesse. Was hat ein einfacher Arbeiter ein Interesse daran, dass ein Projekt gut läuft?! Bei den Deutschen fängt es damit an, dass die gar nicht mitkriegen, wie viel der Gesprächspartner versteht oder wie wenig. Spätestens in dem Moment, wo ich Wissen weitergebe, muss ich mich durch Kontrollfragen vergewissern, ob es richtig angekommen ist! Und das wird nicht beherrscht. Eine mangelnde pädagogische Ausbildung. Wenn ich als Lehrer, als Besserwissender komme, brauche ich eine pädagogische Ausbildung. Oder zumindest Fähigkeiten. Sonst brauche ich nicht anzutreten. … Und dann sind Chinesen, glaube ich, auch sehr empfindlich. Das Wort Fehler darf man, glaube ich, nicht in den Mund nehmen. Es gibt keine

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Fehler. Das habe ich sofort gemerkt. Habe gesagt, das wäre mein Fehler. Da springt der Chinese auf: ‚Kein Fehler! Es gibt keinen Fehler!‘ Seitdem weiß ich es. Also findet man geschicktere Formulierungen: ‚Missverständnisse‘, ‚Können wir das nicht ein bisschen geschickter lösen?‘. Da gibt es so viele schönere Formulierungen. Und die verstehen dann auch, dass sie etwas falsch gemacht haben und geben sich alle erdenkliche Mühe, das in Ordnung zu bringen. Man darf eben nicht groß sagen: ‚Das ist ein Fehler.‘“

Derselbe Ingenieur beschreibt im weiteren Verlauf des Interviews die Probleme seiner deutschen Kollegen mit der chinesischen Belegschaft und verweist ein weiteres Mal auf die mangelnde Fähigkeit der Deutschen, Arbeitsschritte verständlich zu vermitteln. Er fährt fort: „Vielleicht ist deren Ausbildung auch nicht so universell, dass sie [die Deutschen] sich so helfen können. Ich mache seit siebzehn Jahren Anlagenbau. Das ist erst mein zweites Stahlwerk. Aber im Anlagenbau... Wenn ich einmal eine technische Anlage verstanden habe, dann habe ich sofort die Nase vorn. Egal, ob ich mit Technologen oder anderen Ingenieuren oder wem auch immer spreche. Da verstehe ich, worum es geht. Da kann ich das Programm mitgestalten. Die Maschine entsprechend gestalten. Es funktioniert hinterher. Meine Ausbildung ist so, dass ich vom Messgerät über Kabel und Klemmen und sonst was bis hin zu der Bedienoberfläche auf dem Rechner ALLES kann. Das kann praktisch keiner der Kollegen. Und die sind dann natürlich auch sehr viel schneller bei chinesischen Fragen in die Enge getrieben und versuchen dann, ihre Unfähigkeit ein bisschen zu vertuschen.“

3.2 Notwendigkeit von Expatriates Über die Frage, ob die Geschäftsleitung eines Betriebes in China mit einer deutschen Führungskraft besetzt werden sollte, so wie es manch chinesischer Befragter für sinnvoll hält, herrscht keineswegs Einigkeit unter den Befragten. Während viele der chinesischen Befragten aus der Arbeiter- und Angestelltenschicht dafür plädieren, wichtige Schnittstellenfunktionen mit deutschen Fachkräften zu besetzen und dies mit der besseren Ausbildung und dem dadurch höheren Nutzen für sich selbst begründen, meinen andere, deutsche Führungskräfte seien den besonderen Anforderungen, die es in China zu meistern gelte, nicht gewachsen. Deutsche, daraufhin befragt, ob es sinnvoll sei, die weitaus teureren Landsleute bei gleicher Qualifikation einzustellen, sind ebenfalls unterschiedlicher Meinung. Ein Befragter äußert sich folgendermaßen: „Wenn sie die Deutschen aus dieser Firma abziehen, dann wird es sehr schnell eine chinesische Firma. Damit wird es chaotisch. Sie brauchen immer noch

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irgendeinen, der die Rahmenbedingungen immer wieder festzurrt. Der die Richtungen vorgibt. Die jungen [chinesischen] Leute hier übernehmen Verantwortung. Die stehen auch gerade dafür. Aber man muss ihnen auch erlauben, Fehler zu machen und sie auch wieder einfangen. Man kann sie laufen lassen, aber dann muss man die Leine auch mal wieder einholen. Ist ein bisschen Gefühlssache. Am schlimmsten sind die Auslandschinesen, die meinen, hier die Könige zu sein und sich auch so aufführen und damit eine gesamte Firma zerstören. Die Gehaltsanforderungen sind deutlich zu hoch. Sind arrogant, weil sie meinen, die Chinesen hier hätten alle keine Ahnung. Und haben kein Wissen. Die machen ihnen das Leben zur Hölle. Das Auftreten gegenüber anderen Chinesen! Vielleicht in der Fertigung im Werk. Da können sie das vielleicht brauchen. Aber in Abteilungen, wo ich auf Zusammenarbeit setzen muss – funktioniert es nicht. Und die sägen natürlich auch sofort am eigenen Stuhl. Die sind ja nicht zufrieden. Die wollen ja IHREN Job haben. Europäer brauchen sie also schon noch für die Rahmenbedingungen. Sie können das Werk mit einem Deutschen hier führen. Wahrscheinlich dann der Kaufmann, denn irgendjemand muss ja die kaufmännischen Zahlen weitergeben. Und nach unseren Richtlinien arbeiten. Einer MUSS aus Deutschland kommen! Wir haben es gemerkt, wenn keiner von uns da war – dann hat es sich sofort verselbständigt und lief in eine andere Richtung.“

Anders sieht es der geschäftsführende deutsche Leiter einer in Shanghai ansässigen Stelle, der seit einem Jahr neben anderem für die Administration der in China ansässigen Joint Ventures zuständig ist. Seiner Meinung nach müssten Führungspositionen mit chinesischen Kräften besetzt werden, wofür er folgende Argumente ins Feld führt: B: „Ich sehe ein Problem darin, wie wir heute so ein Geschäft in solchen Ländern machen. Dass wir nach wie vor zu viele Deutsche gerade in den Toppositionen haben und dass wir es nicht schaffen, das an geeignete lokale Leute zu übergeben. Ich bin der Meinung, um hier wirklich erfolgreich sein zu können, muss man SEHR lange da sein. Dass man idealerweise ein Lokaler ist und aufgrund der kulturellen Gegebenheiten über ein Beziehungsnetzwerk verfügt, das ein Deutscher oder Amerikaner nie haben kann. Wenn da welche in die gleiche Schule gegangen sind oder im gleichen Sportverein sind. Oder haben die gleiche Uni besucht. Diese informellen Verknüpfungen, die ein Deutscher überhaupt nicht haben kann.“ F: „Warum nicht?“ B: „Weil der dafür sehr lange benötigt und weil er doch noch ein Ausländer ist. Der kann zehn oder zwanzig Jahre hier sein. Das ist immer noch ein Ausländer. Und weil er nachher in der Situation ist, in der alles geschäftlich veranlasst ist. Wenn du mal einen tollen Freund im Sportverein oder sonst wo hattest, dann triffst du den nach fünfzehn Jahren wieder und der ist im Vorstand von BMW oder so. Wenn das ein anständiger Kerl ist, dann kennt er dich trotzdem noch.

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Und kann dir unter Umständen auch Türen öffnen oder behilflich sein, nur aufgrund der Tatsache, dass ihr mal die allerbesten Freunde wart. Bei uns ist es dann eher so, dass, wenn die Leute herkommen: Klar. Der muss dann Mitglied im Golfclub sein. Der muss ein Ehrenamt übernehmen. Aber das ist alles gesteuert, um zumindest ein Mindestmaß an Beziehungsmanagement zu kriegen. Aber da werden wir nie so weit kommen, wie es Leute sind, die zu dieser Kultur gehören. Aber diese Schnittstellenfunktion. Man muss das Headquarter kennen. Man muss wissen, was dort für Leute sind. Man muss dieses Beziehungsgeflecht auch kennen. Das müsste also ein GM sein, der Chinese ist und hier ansässig ist – der müsste sich das aneignen. Ohne das geht es nicht. Der muss seinen Markt gut kennen. Der muss Beziehungen haben. Dem keine Tür verschlossen bleibt. Wenn der wiederum den Weg zum Headquarter nicht findet, dann ist er ein armer Tropf. Aber die Frage ist eben: Was ist das kleinere Übel? Nämlich einen geeigneten Mann hier zu finden und den dann mal zwei, drei Jahre durch das Headquarter zu schleusen, um ihn dann hierher zu bringen und ihn dann auch hier zu haben. Oder aber den Deutschen zeitlich befristet hierher zu bringen. Um dann alle paar Jahre wieder diesen Wechsel zu haben.“

Ein weiterer deutscher Befragter ist anderer Meinung. Dass ein deutsches Management und deutsche Unternehmenskultur nur durch deutsche Entsandte etabliert werden können, ist eines der häufiger angeführten Argumente. Ein weiterer Punkt ist der des mangelnden Vertrauens gegenüber chinesischen Arbeitskräften. Da Chinesen, so einige der deutschen Befragten, ohne weiteres den eigenen Interessen auch auf Kosten ihres Unternehmens den Vorrang einräumen würden, müssten insbesondere Posten wie die kaufmännische Leitung in deutschen Händen bleiben. Zudem bliebe die Kontrolle über einen Betrieb nur so lange gewährleistet, wie sie von Deutschen ausgeübt werde. Optimal, so der folgende Befragte, sei eine Mischung aus chinesischen und deutschen Kräften. Sich daraus ergebene Synergieeffekte würden sich positiv auf die Unternehmenskultur auswirken (siehe III., 3.4 und 3.5). Außerdem sei durch Deutsche, die über ein gewisses Maß an chinesischen Sprachkenntnissen verfügen, ein hohes Maß an Kontrolle gewährleistet (siehe III., 4.2). „Hier in Shanghai bin ich in diesem Büro in der Lage, mir ein, zwei teurere Leute leisten zu können. Schlüsselkräfte mit Europäern zu besetzen. Ich bin nach wie vor ein absoluter Gegner dieser Aussage: ‚Wir brauchen keine Expats mehr.‘ Wer so etwas sagt, hat einfach keine Ahnung! Sie brauchen so eine Mischung. Die Buchhaltung kann von einem Lokalen gemacht werden. Doch der, der die Finanzen kontrolliert, das sollte schon ein Expat sein. Da würde ich keinen Lokalen dranlassen. Wenn ich hier Osten und Westen verbinden will, ist eine gesunde Durchsetzung eines größeren Ablaufs durch westliche

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Mitarbeiter einfach das Sinnvollste. Und wenn die Firmen das vernünftig steuern würden, indem sie vernünftige Wohnungen anmieten würden und gute Mitarbeiter, die zum Beispiel ihre Prüfung gerade gut gemacht haben und dafür dann für ein Jahr nach Shanghai dürfen – dass man gewisse Positionen mit Durchläufern besetzen kann. Man dadurch auch den internationalen Standard im Büro selber ein bisschen heben kann. Man muss was mit der Firmenkultur tun und das schafft man nur mit Deutschen. Gute Erfahrungen habe ich mit Leuten mit Chinaerfahrung gemacht. Wenn die zum Beispiel Chinesisch können. Sinologen zum Beispiel. Wenn man die gezielt aufbaut, sind das sehr gute Leute. Es sind ja nicht mehr die Spinner, die Sinologie studieren. Die Naturfaser tragen. Die Grünteetrinker. ~ Bei Verhandlungen bekommen die dann schon mit, ob was nicht in Ordnung ist. Oder können mal nebenbei mit der Belegschaft quatschen. Das zahlt sich aus. Wenn man die Sprache kann, dann hat man ganz andere Kontrollmöglichkeiten.“

Eine chinesische Angestellte aus dem Betrieb dieses Befragten äußert sich wie folgt zu der Personalstrategie ihres deutschen Vorgesetzten: B: „Es kann sein, dass er Chinesen nicht sehr vertraut. Zum Beispiel würde er den Posten des General Managers nicht an einen Chinesen vergeben. Er würde nicht zehntausend Yuan für einen Chinesen auf solch einem Posten ausgeben. Stattdessen gibt er dreißigtausend Yuan für einen Deutschen auf diesem Posten aus. Er vertraut den eigenen Landsleuten mehr.“ F: „Und wie finden Sie das?“ B: „Er muss irgendwann einmal sehr viele schlechte Dinge erfahren haben. Er wurde zum Beispiel mal von einem Chinesen ausgenutzt. Sonst könnte es nicht so sein. Früher sind hier sehr viele Dinge passiert. Ein chinesischer Manager hat hier mal in der Geschäftsstelle gearbeitet. Schließlich ist er gegangen und hat alle Kunden und alle Angestellten mit sich genommen. Der Chef musste wieder bei Null anfangen. Seitdem hat er gegenüber Chinesen diese Einstellung. Auch wenn er sich dir gegenüber noch so gut verhält – kann er dir doch nicht hundertprozentig vertrauen. Vielleicht nur zu fünfzig oder sechzig Prozent.“

Ein chinesischer Befragter, Angestellter in einem anderen Unternehmen, äußert seinen Unmut über die als ungerecht empfundene Bevorzugung deutscher Arbeitskräfte. Obwohl diese nur eine gleiche oder sogar geringerwertige Qualifikation vorweisen könnten, würden sie besser entlohnt als ihre chinesischen Kollegen, was im weiteren Verlauf des Gesprächs auch als einer der Gründe für die hohe Mitarbeiterfluktuation genannt wird (siehe III., 3.6 und 3.7). „Ich finde es ungerecht, dass das Gehalt von Chinesen nicht so hoch ist. Man findet es eigentlich ungerecht. Warum!? Nur wenn man sein Aussehen ändert,

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wenn man eine hohe Nase hat und blondes Haar hat… – aber das kann man nicht ändern. Man sollte eigentlich nur auf die Denkweise eines Menschen achten und darauf, ob man sie akzeptieren kann. Wenn nicht, dann kann man die Firma wechseln. Beispielsweise könntest du eigentlich den Platz eines Ausländers besetzen, aber es ist schwierig, dorthin zu gelangen. Beispielsweise die [deutschen] Studenten, die hier ein Praktikum machen, wissen von den meisten Dingen oftmals überhaupt nichts, aber sie erhalten ein höheres Gehalt als wir. Nur weil das Aussehen anders ist. Im Inneren ist aber kein großer Unterschied. Aber wir haben keine Möglichkeit zu sagen, es wäre ungerecht. Das ist überall auf der Welt gleich.“

Ein weiterer chinesischer Befragter äußert seinen Unmut über deutsche Entsandte und deren aus seiner Sicht unverständliche Bevorzugung noch deutlicher: „Ich kann das nicht verstehen. Deutsche werden zum Beispiel besser bezahlt, obwohl sie nicht unbedingt besser arbeiten. Das ist doch ungerecht, nicht wahr?! Unsere Führung ist komplett deutsch. Es scheint, als meinen die Deutschen, Chinesen wären nur Arbeiter zweiter Klasse. Ich habe schon oft bemerkt, dass Deutsche der Auffassung sind, dass die germanische Rasse die beste wäre. Ich bin zwar Deutschen begegnet, die sehr deutlich sagten, dass sie das nicht meinen würden. Aber tief in ihrem Unterbewusstsein waren sie doch davon überzeugt. Wenn man längere Zeit mit ihnen zusammen ist, dann merkt man es, obwohl sie es niemals äußern würden. Das ist sicherlich ein Grund, weshalb sie lieber einen deutschen Chef einsetzen. Eigentlich ist es sehr schwer, einen [deutschen oder europäischen] Manager für China auszuwählen. Meiner Ansicht nach wäre es gut, wenn man einen normalen deutschen Angestellten mit Kompetenz nach China schickt und hier dann als Abteilungsleiter einsetzt. Das Problem ist aber, dass Deutsche Chinesen nicht verstehen. Ein Chinese wäre eigentlich das Beste. Aber die Deutschen meinen, Chinesen wären nicht in der Lage, einen Betrieb auf die richtige Art und Weise zu führen. Sie sind der Überzeugung, der deutsche Stil sei das einzig Richtige. Wenn Europäer aber Chinesen nicht wirklich verstehen, dann wird der Grad des Vertrauens auch nicht besonders hoch sein. Im Verstehen anderer sind Chinesen besser. Wenn man sich nicht gegenseitig vertraut, dann wird dies auf jeden Fall auch zu Problemen führen. Für die meisten [Deutschen oder Europäer] gilt wohl, dass sie China nicht verstehen und deshalb das Gefühl haben, besser zu sein.“

Nach Ansicht eines deutschen Entsandten sei es vor allem sinnvoll, Schnittstellen zwischen deutschem Stammhaus und chinesischem Betrieb mit Deutschen zu besetzen. Ein Stammhaus, so die Meinung, dürfe nicht nur nicht die Kontrolle über die chinesische Zweigstelle verlieren, sondern müsse auch die interkulturelle Problematik bedenken. Nur ein 192

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Deutscher könne letztendlich den reibungslosen Informationsaustausch wie auch die Umsetzung von Vorgaben des Stammhauses gewährleisten. B: „Das man hier nicht nach China kommen kann und [P] ‚SO!‘ [schlägt bekräftigend mit der flachen Hand auf den Tisch]. Das ist dann diese Arroganz, wo die Chinesen sagen, dass Deutsche oder Ausländer arrogant sind und hier sagen: ‚Ich will das so haben, und so wird das gemacht!‘ Manchmal geht es auch nicht anders, weil sonst die Zahnräder nicht greifen. Es muss auf beiden Seiten eine Anpassung da sein. Doch jedes Unternehmen, das hierher kommt, ist natürlich sehr, sehr stark mit dem Mutterhaus verbunden. Und der GM… – der Trend geht ja ganz klar dahin, dass immer weniger Expats hier sind, die das Mutterhaus richtig kennen. Vordergründig ist es für das Unternehmen aus Kostengründen positiv, aber die ganzen interkulturellen Probleme, die dann entstehen, wenn ein Chinese – kann ja sein, dass er zwei, drei Jahre dort gewesen ist, aber das wird er dann doch nicht so gut kennen. Der kann in Deutschland fast wie ein Deutscher gelebt haben. Aber wenn der wieder hier zurückkommt, dann ist der wieder ganz schnell in seinen alten Denkmustern drin. Dann klappt das auch nicht mehr. Die Ineffizienz, die dadurch entsteht, lässt den ersten Kostenvorteil in Rauch aufgehen.“ F: „Meinen Sie, dass weiterhin Expats nach China geschickt werden sollten?“ B: „Ja. Als Schaltstelle. Man muss nicht immer jemanden haben, der hier vor Ort ist. Es muss dann eventuell jemand sein, der alle drei Wochen hierher fliegt und eine entsprechende Kontrolle gewährleistet. Man wird aber nicht auf sie verzichten können. Sonst passiert hier alles Mögliche, nur nicht das, was passieren sollte. Ich merke es, sobald ich mal eine Woche unterwegs war. Ist sofort ein anderer Stil hier und man muss eine Menge nacharbeiten.“

Auf ein anderes Problem kommt folgender Entsandter eines Stammhauses zu sprechen. Aufgrund der normalerweise üblichen Begrenzung von Entsandtenverträgen auf maximal sechs Jahre werde die Arbeitseffizienz der Expatriates unnötig eingeschränkt. Außerdem werde der von vielen Befragten für wesentlich gehaltene Aufbau eines Beziehungsnetzwerkes erschwert. „Bei uns kommt noch dazu, dass GMs immer nur auf eine bestimmte Zeit herkommen. Normalerweise mindestens drei, maximal fünf Jahre. Ich sage mal, nach fünf Jahren spätestens fängt der Neue wieder bei Null an. Das ist das größte Problem, das ich für unser Unternehmen sehe und wo wir auch etwas dran ändern wollen. Aber heute ist es noch so, dass die Leute für einen begrenzten Zeitraum herkommen. Wenn man es mal ganz schlimm sagen will: Ein halbes oder ein Jahr, bis er hier mal reingeschnuppert hat und einigermaßen firm ist. Bis er seinen internen Laden soweit kennt. Dann ist er ein Jahr lang produktiv und dann bereitet er sich ein Jahr lang schon wieder auf seinen Abschied vor. Insbesondere die Beziehungen zu Parteiorganen, Organisatio-

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nen, Regierung – das ist hier nach wie vor sehr, sehr wichtig. Obwohl viele Betriebe so auftreten, als wären sie ein eigenständiges Unternehmen, sind es doch insbesondere die Großen, die nach wie vor staatlich sind und entsprechend kontrolliert werden. Da muss man dann den Draht zu den Leuten finden.“

3.3 Führen Einig sind sich sowohl chinesische als auch deutsche Führungskräfte, dass in China andere Führungsmethoden zur Anwendung kommen müssten als in Deutschland. Mit „Zuckerbrot und Peitsche“ müsse man in China arbeiten, so ein deutscher General Manager. Ein anderer deutscher Befragter formuliert diesen bei der Mehrzahl der Befragten bestehenden Konsens derart: „Und dann kommt ein spannender Punkt, wo wir Westler ganz, ganz große Probleme haben: Der Chinese ist viel offener für das Konzept der Strafen. Also – wo ich dann auch sagen kann: ‚Wenn das nicht fertig ist, dann wohnst du halt nicht mehr in den Containern.‘ Oder: ‚Ich kann nur so lange das Essen finanzieren.‘ Und solche Späße. ~ Also Dinge wegzunehmen und zu sagen ~ solange es realistisch ist, solange das Ziel irgendwo erreichbar ist, zu sagen – ‚DAS ist die Grenze und wenn du darüber hinausgehst, dann verlier ich was – also muss ich dafür sorgen, dass du auch was verlierst.‘ Wird akzeptiert!“

Diese „Offenheit“ gegenüber Strafen setzen manche deutsche Befragte mit einer Erwartungshaltung der chinesischen Belegschaft gleich. Wer nicht „hart“ führen könne, dem würde die Anerkennung von Chinesen versagt bleiben. Wer auf die Initiative seiner chinesischen Mitarbeiter vertraue, werde in China letztlich scheitern. Ein deutscher Manager mit einer juristischen Ausbildung, der vor seinem Chinaeinsatz mehrere Jahre in Japan tätig war, schildert in diesem Zusammenhang ein Beispiel aus dem Betriebsalltag: „Wenn eine Regel da ist und eine Regel gebrochen wird, dann gibt es immer auch eine Strafe. Und diese Strafe wird immer gnadenlos implementiert. Gnadenlos. Für mich ist das Allerschlimmste, eine Regel zu haben, die strafbewährt ist und dann die Strafe, wenn die Regel gebrochen wird, nicht – aus FEIGHEIT nicht umzusetzen. Also – und das hab ich von Anfang an – ganz zu Anfang vor allen Dingen, habe ich das massiv richtig deutlich und öffentlich – sozusagen wie öffentliche Exekutionen durchgezogen. Weil das hier nicht der Fall war. Mein Vorgänger war ein absolutes Weichei. Vor jeder Entscheidung, die irgendwo kontrovers war, ist der zurückgescheut, wie der Teufel vorm Weihwasser. Ich habe hier einen Fall gehabt – ich mach das beispielsweise oft so, wenn ich Wochenendarbeit anordne. Dann komm ich rund um die Uhr.

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Abends – wenn wir in der Stadt sind – dann fahr ich auf dem Weg nach Hause noch mal in die Firma. Und lauf einfach mal durch. In Japan sagt man dazu: ‚kaomisu‘. Das Gesicht zeigen. Einfach zu zeigen: ‚Ey, ich bin auch da.‘ Heute, zum Beispiel, geh ich garantiert runter. Und dann lauf ich unangekündigt durch. Die nennen mich hier auch ‚die Katze‘. Ja. Und – da bin ich zum Beispiel neulich mal – vor zwei Jahren ... drei Jahren – reingekommen am Wochenende. Wir hatten Schichtbetrieb. Sieben Tage – Sonntagabend um neun oder so. Ich lauf noch mal rein. Bin reingelaufen. Wir haben da unten so Riesentruhenräume – und die sind zweistöckig. Bin rein – Treppe hoch. Da liegt da ein Typ auf der Kühltruhe und pennt. Ja. DEN hab ich nicht aufgeweckt! Hab’ mir seinen Vorarbeiter gegriffen. Und der natürlich – hat nur die Hälfte verstanden, was ich ihm auf Chinesisch gesagt hab, aber er wusste, ich hab’ ein Problem. Und dann ist der da hingelaufen und in der Zeit ist der Typ aufgewacht. Hat mich wohl gehört, als ich die Stahltreppe runter bin und ist abgezischt. Und das Ganze – am Montag eskalierte das Ganze dann. Der sagte – der Vorarbeiter hatte dem Abteilungsleiter Bescheid gesagt: ‚Oh, was ist da gelaufen.‘ Aber da war keiner. Woraufhin der Abteilungsleiter zu mir kam: ‚Wir können den nicht identifizieren.‘ Hab ich gesagt: ‚Jetzt gehste zurück. Holst dir die Mannschaft zusammen. Und sagst denen, dass der Geschäftsführer einen von euch erwischt hat, wie er auf der Truhe schläft und dass er eine Chance hat: Jetzt nach vorne zu kommen und sich zu entschuldigen.‘ Dann würde ich von einer massiven Strafe absehen. Dann würde ich eine Abmahnung machen. Natürlich: ist nicht. Kommt zurück: ‚Nein. Das war keiner von denen.‘ – Zu gut Deutsch: ‚Jetzt sind wir in einer Situation, wo ihr sagt, dass ich keine Ahnung hab’ und dass ich lüge. Denn so muss ich das ja verstehen. Und ihr zwingt mich den- oder diejenige zu identifizieren. Jetzt ist alles zu spät.‘ – Geh’ runter. Und sach’: ich käme in einer Viertelstunde und würde denjenigen aus der Truppe greifen und eigenhändig aus der Firma werfen.‘ Fünf Minuten später stand der hier oben wie ein begossener Pudel und hat sich entschuldigt. Hab ich gesagt [F]: ‚Zu spät. Zu spät. Ich hab dir die Chance gegeben. Zu spät. Ist nicht mehr.‘ Den hab’ ich rausgeschmissen. Da muss man ja hier – wir haben ja eine Betriebsgewerkschaft – mit der Betriebsgewerkschaft sprechen. Da ging das los. Ich hab gesagt: ‚Der fliegt raus. Hundertprozentig. Und zwar fliegt der raus, weil er auf der Truhe geschlafen hat. Aber er fliegt VOR ALLEN DINGEN raus, weil er die Chance verpasst hat, die ich ihm gegeben hab. Und dass er da gekommen ist – fünf Minuten später. O.k. – Angst essen Seele auf. Aber wir müssen den jetzt rausschmeißen, weil sonst brauchen wir die Regel nicht mehr.‘ [P] ‚Jaaa! Sooo.‘ – ‚Ich muss nächste Woche weg. In der Zeit werdet ihr euch hier zusammensetzen hier im Betriebsrat. Macht ’ne Entscheidung.‘ Haben sie dann nicht. Wollten alle möglichen ... Naja. Hab ich sie zusammengerufen. Hab’ gesprochen mit dem Betriebsrat: ‚Passt auf. Das ist die Regel. Eure eigene Regel. Kollektivvertrag!‘ – ‚Ja. Aber für den Einzelnen ist das doch jetzt echt hart und so weiter. Der hat Familie ...‘ – Ich sag: ‚Leute, wem seid ihr hier verpflichtet? Denen, die da am Band gestanden haben und gearbeitet haben oder demjenigen, der da

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gepennt hat? Überlegt euch das mal! Der ist auf Kosten seiner Kollegen... Überlegt euch das in der Konsequenz.‘ Ja. Weg war er. … So haben wir das mit einigen ganz exemplarisch gemacht. Und das funktioniert. Das setzt Zeichen. Das ist halt, wie ich mit den Mitarbeitern halt kommuniziere. Die wissen das dann. Ich bin aber auch fair. Ich sag mal ~ ich stell mich hin. Wir machen dann Mitarbeiterversammlung: ~ ‚Ihr fragt euch jetzt wahrscheinlich, warum der rausgeflogen ist. Und ihr sagt, das ist ja unheimlich hart. Aber nun fragt euch mal selber: Wie fühlt ihr euch eigentlich? Wem fühlt ihr euch eigentlich verpflichtet? Dem Unternehmen und euch selbst? Oder dieser Person? Ist das wirklich euer Freund und ich euer Feind, indem ich diese Entscheidung treffe? Ist das so? Ist derjenige [euer Feind], der auf eure Kosten letztendlich sein Geld verdient – denn ihr produziert etwas, was wir verkaufen! Damit machen wir unser Geld – damit bezahlen wir euer Gehalt. Ist derjenige, der versucht, dieses Geld zusammenzuhalten, damit ihr partizipieren könnt – oder ist derjenige euer Feind, der wie ein Parasit als Trittbrettfahrer mitfährt?‘ So denken ja Mitarbeiter normalerweise nicht. Die sehen nur das Einzelschicksal: [P] ‚Um Gottes willen. Wenn MIR das passiert!‘ Wenn sie das so drehen und das tatsächlich so kommunizieren – sich dahinstellen und das auch glaubhaft vertreten; das ist, wie ich dann mit den Mitarbeitern kommunizieren kann.“

Dieser Entsandte stellt einmal aufgestellte Prinzipien an erste Stelle und bezieht das Fehlverhalten des Arbeiters wie auch die nachfolgende Reaktion der Belegschaft auf sich selbst, womit die Situation in einen symbolischen Kontext gesetzt wird. Es geht nicht mehr allein um das Fehlverhalten eines Mitarbeiters und dessen mangelnde Bereitschaft, sein Vergehen einzugestehen, sondern um die Anerkennung der Führungsposition durch die Belegschaft. Mittels exemplarischer „Exekutionen“ soll das durch den Entsandten eingesetzte Regel- und Machtsystem wie auch die eigene Position als Führungskraft gestärkt und gefestigt werden. Der Entsandte hält es für wichtig, seine Entscheidung gegenüber seinen Mitarbeitern argumentativ zu belegen, doch findet diese Auseinandersetzung erst im Nachhinein und nicht im Dialog statt. Der Belegschaft die eigene Perspektive zu verdeutlichen, die letztendlich, so der Gedanke, auch deren Nutzen mit einbezieht, wird als Kommunikation mit den Mitarbeitern beschrieben. Dass hier im Vorfeld eindeutige Signale gesetzt werden, die den Mitarbeitern unmissverständlich vermitteln sollen, wo ihre Grenzen in dem neu gesteckten Regelsystem liegen, wird durchaus als Teil dieser Kommunikation begriffen. In erster Linie geht es also darum, den Mitarbeitern erstens zu verdeutlichen, dass sie einer Person gegenüberstehen, die einmal aufgestellte Grenzen und Regeln ernst nimmt und auch bereit und in der Lage ist, diese durchzusetzen, und zweitens, dass ein Regelverstoß grundsätzlich geahndet wird.

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Dieses Beispiel wurde mehreren chinesischen und deutschen Befragten vorgelegt, wobei der letzte Teil, in dem die Auseinandersetzung mit dem Betriebsrat und die Darstellung auf der Mitarbeiterversammlung beschrieben werden, ausgespart wurde. Die Reaktion eines chinesischen Befragten ist aufschlussreich: „Richtig! Chinesen sind immer so! Die nehmen es nicht ernst. Hat der Deutsche richtig gemacht. Finde ich Klasse. Und der hat auch keine zweite Chance verdient. Wenn er einmal lügt, dann kann er auch zweimal lügen. Ein Kind hat vielleicht eine zweite Chance – aber nicht ein Erwachsener. Hat der Mann gut gemacht. Er hat ihn nicht rausgeschmissen, weil er geschlafen hat, sondern weil er nicht den Mut gehabt hat, sich zu entschuldigen. Das ist eine alte Weisheit in China. Finde ich superklasse. Die Chinesen haben große Angst davor, das eigene Gesicht zu verlieren. Das ist das große Problem in China. Das herrscht im ganzen Land. Wenn du einmal jemanden beleidigt hast, dann versuchen die nicht, sich zu verbessern, sondern sie versuchen, dich kaputtzumachen. Ich hätte genau dasselbe gemacht. Nicht, weil er geschlafen hat, sondern weil er seinen Fehler nicht eingestanden hat. Man muss wissen, warum man etwas macht. Und man muss es immer klar machen. Vielleicht auch nicht so direkt und nicht so hart. Er [der Arbeiter] ist dankbar, dass er die Arbeit bekommen hat. Weil der Chef viel Auswahl hat. Ich habe das Recht zu entscheiden, wem ich mein Geld geben soll. Fehler macht jeder. Aber ob du zu deinen eigenen Fehlern stehen kannst – das ist die Frage. Das ist der Punkt. In China heißt Normalität Guanxi.18 Man schiebt sich gegenseitig Sachen zu. Das ist das, was in China läuft. Die Regierung – nicht Hu Jintao und Wen Jiabao – aber die da unten ~ die Arschlöcher. Die machen das. Das Land ist einfach zu groß. Wenn du ein Arschloch hast, das führt, dann hast du Pech. Menschen sind unschuldig. Menschen auf der Welt sind rein. Wie ein weißes Papier. Sieh in die Bücher von vor tausend Jahren. Alles schon vorgeschrieben. Alle Vorschriften sind schon in diesem Buch. Man muss einfach klar wissen, was man will. Und man muss es deutlich machen!“

Der zitierte chinesische Befragte hält dieses Vorgehen für richtig. Das aus seiner Sicht in China vorherrschende Guanxi-Prinzip, nach dem Beziehungsnetzen vor persönlichem Verhalten und Leistung ein höherer Stellenwert eingeräumt werden, wird abgelehnt. Aus seiner Sicht stoßen hier also zwei unterschiedliche kulturelle Muster aufeinander: Auf der einen Seite das auf Personen fixierte und in diesem Falle das Toleranzgruppen bildende Verhalten des Vorarbeiters bzw. der Belegschaft und auf der anderen Seite das regelorientierte Verhalten der deut-

18 Guanxi; chin.: Beziehung, Beziehungen; Beziehungsnetzwerk.

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schen Führungskraft.19 Dem negativ und als typisch chinesisch gedeuteten Verhalten müsse direkt entgegengesteuert werden. Ein deutscher Befragter, selbständig in Ningbo, nimmt zu diesem Beispiel Stellung: „Das ist Sunzi. Das ist in Ordnung, wenn die Leute wissen, dass da eine Grenze ist, und dann passiert das und das. Dann ist es ja transparentes Verhalten und das ist ja gut. Aber dieses ‚zu spät‘ Das versteht kein Chinese. Keiner! Das ist Kulturrevolution. Dieses Öffentliche. Das weckt ganz üble Erinnerungen. Dieses Bild wird da wieder bemüht. Und dann noch vom ‚ausländischen Herren‘. Wenn der so clever gewesen wäre und hätte es den Vorarbeiter machen lassen. Ich halte das für sehr bedenklich. Andererseits kann ich den Unternehmer auch verstehen. Der hat Höllendruck und Verantwortung. Das ist auch nur ein Mensch. In dem Moment kann er eben nur Mensch sein, indem er nicht Mensch ist und da knallhart die Unternehmensinteressen vertritt. Ob das nicht auch langfristig auch die Interessen der Belegschaft sind, will ich gar nicht mal in Abrede stellen. Das Erklären ist natürlich wichtig. Liegt natürlich nahe, jetzt den Gutmenschen rauszuholen. [L] Jede Theorie misst sich ja am praktischen Erfolg. Was bringt es, wenn man hier den Gutmenschen mimt und die Firma geht Pleite. Achthundert Leute raus, wo auch noch mal Familienmitglieder dran hängen. Dann lieber auch einen Schaden an sich selber in Kauf nehmen, wenn es für die Firma gut ist. Ist natürlich so, dass es ein schlechtes Beispiel ist – ein schlafender Mitarbeiter. Ich hätte versucht, es so darzustellen: Es ist auch gefährlich für IHN. ‚Das ist gefährlich für DICH!‘ Erst mal überlegen: Wie funktionieren die Chinesen? Nicht, wie kann ich die manipulieren – wirklich aufgrund sachlicher Gegebenheiten argumentieren. An den Eigennutz appellieren. Warum soll ich ihm meine Sicht aufoktroyieren, wenn ich es ihm auch als Vorteil deutlich machen kann!? Darauf gucken, worauf die Leute hier achten: Gesundheit, Familie. Die Chinesen und die Unternehmer hier – das muss man auch mal sehen – haben eine größere soziale Verantwortung als bei uns. Bei uns wird das brutal abgebaut. Soziales Unternehmertum in Deutschland – alles ausgelagert. Denen als Mensch entgegentreten. Nicht als Abstraktum.“

Der befragte Deutsche bezieht das Beispiel auf den in Managementkreisen oftmals bemühten chinesischen Klassiker, „Die Kunst des Krieges“ von Sunzi.20 Da sich das Verhalten des deutschen Managers aus 19 W. Deppert (2001): „Individualistische Wirtschaftsethik“. In: W. Deppert/ D. Mielke/W. Theobald (Hg.): Mensch und Wirtschaft. Interdisziplinäre Beiträge zur Wirtschafts- und Unternehmensethik, Leipzig. S. 161 ff. 20 Sunzi (ca. 534 bis 453 v.u.Z.). Mit Sunzi wird folgende Geschichte verbunden, die einen Eindruck von seiner Lehre vermittelt: Vom Kaiser auf die Probe gestellt, sollte er die Hofdamen zu Soldaten ausbilden. Als diese schließlich exerzieren sollten und deshalb in Lachen ausbrachen, ließ Sunzi zwei der Lieblingskonkubinen des Kaisers enthaupten. Anschließend

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diesem rund 2500 Jahre alten Strategiehandbuch ableiten ließe, bewege es sich aus Sicht des Befragten innerhalb des chinesischen kulturellen Kontexts und sei damit akzeptabel. Seine Kritik wendet sich gegen den Aspekt der öffentlichen Abstrafung. Aufgrund der kollektiven Erfahrungen in den Zeiten der Kulturrevolution müsse dieser Aspekt auf Unverständnis und Widerwillen stoßen. Das Wissen um historische und gesellschaftliche Hintergründe wird hier also für wichtig erachtet. Es sei sinnvoll, den Führungsstil an die besonderen Bedingungen vor Ort anzupassen, worin sich der elementare Unterschied zur Position aus dem einführenden Beispiel manifestiert: Hier sollen Regeln unabhängig von kulturellen Unterschieden implementiert werden, während dieser Befragte eine Anpassung des Führungsverhaltens an den chinesischen Rahmen für wichtig erachtet. Hierzu gehört seiner Meinung nach auch, im Interesse der Mitarbeiter argumentieren zu können. Ein chinesischer General Manager, mit diesem Beispiel konfrontiert, argumentiert in einigen Teilen ähnlich wie die hier zuvor angeführten Befragten, gibt aber zu bedenken, dass man eine deutsche Erwartungshaltung nicht einfach auf China übertragen könne: „Ich hätte es nicht so gemacht. Deutsche Arbeiter wissen, dass man so etwas nicht macht. Sie wissen, dass private Dinge bei der Arbeit nichts zu suchen haben. Egal, ob es schlafen ist oder ob man sich romantische Geschichtchen durchliest – das alles hat bei der Arbeit nichts zu suchen. In China haben sich aber viele daran gewöhnt. Solche Gewohnheiten kann man nicht in ein, zwei Tagen ändern. Für Deutsche gilt: An erster Stelle steht die Disziplin. Es kann sein, dass ein Deutscher denkt, dass, wenn alle schlafen würden, seine Firma am Ende wäre. Ist aber meine Firma am Ende, dann bin auch ich am Ende. Dann bin ich arbeitslos. In den meisten chinesischen Betrieben gibt es diesen Gedanken nicht. Ein Manager muss erkennen, wie die Situation in China früher war. Für meine Eltern galt noch, dass sie nach dem Studium von der Regierung Arbeit bekommen haben. Bis zu ihrem Tod. Sie mussten sich nicht davor fürchten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Egal, ob sie schliefen oder faul waren. An diese Situation haben sie sich gewöhnt. Nehmen wir Ihr Beispiel. Da schläft jemand und das könnte Schule machen. Ich weiß ganz genau, wo der Nachteil in dem Handeln des Managers liegt. In China gibt es einen Satz: ‚Das Huhn töten und dem Affen zeigen.‘ Das ist es. Du zeigst dem Affen das tote Huhn und der wird sich fürchten aber er wird seine Gewohnheiten nicht unbedingt ändern, sondern vielmehr noch intelligentere Wege entwickeln. Außerdem werden sie nicht wirklich begreifen, worum es eigentlich geht. Dass nämlich, wenn alle schlafen, der Betrieb nicht mehr funktioniert und Anschließend gehorchten die Konkubinen seinen Befehlen und Sunzi wurde vom Kaiser mit dem Generalsrang belohnt.

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dann alle ihre Arbeit verlieren. Sie setzen sich damit nicht auseinander. Ich denke, das gesamte innere System dieser Firma hat ein Problem. Jeder Arbeiter sieht zu, dass er möglichst viel für sich selbst herauszieht. Am besten ist es, wenn eine große Anzahl von Arbeitern gemeinsam mit dem Manager an einem Strang zieht und gemeinsam festgelegt wird, was Vorteile und was Nachteile bringt. Wenn ein Arbeiter schläft und alle anderen nicht, der aber den gleichen Lohn erhält, dann ist das für die anderen nicht gerecht. Wenn diejenigen, die nicht schlafen, das kapieren, dann werden sie sich dem Schlafenden entgegenstellen. Sie werden meinen, dass es nicht gerecht sei, wenn er schläft. ‚Wenn du schläfst – was machen wir dann? Du machst wenig und nimmst viel.‘ Wenn die Masse der Arbeiter gemeinsam mit dem Manager gegen so jemanden einsteht, dann wird es solche Dinge wie Schlafen nicht mehr geben. Wenn man es den Leuten aber nicht erklärt und jemanden einfach feuert, dann gleicht das einer Exekution, die bewirken soll, dass keiner mehr schläft. Aber alle werden denken: Der hat geschlafen und ich schlafe auch. Heute hat es ihn erwischt und morgen werde ich dran sein können. Wenn wir zulassen, dass du ihm heute kündigst, dann kann es sein, dass morgen mir gekündigt wird. Die Leute werden also darum bemüht sein, Probleme zu vertuschen und nicht an Veränderungen arbeiten, da sie der Auffassung sind, der Manager hält sie für den gleichen Dreck wie den anderen. Die Leute werden also alle zusammenhalten, da ihr Nutzen der gleiche ist.“

Der chinesische Geschäftsführer, der hier Position bezieht, stellt die langfristige Wirkung des Vorgehens aus ähnlichen Gründen in Frage. Da sich solche Gewohnheiten, die in China mehr oder weniger normal seien, nicht innerhalb kurzer Zeit ändern ließen, müsse ein anderer Weg gefunden werden. Er stimmt darin überein, dass die Belegschaft kaum die Zusammenhänge zwischen allgemeinem und eigenem Nutzen erkenne. Aufgabe sei es, gemeinsame Ziele zu formulieren und diese mit der Belegschaft durchzusetzen. Erkennen diese in der Verfolgung solcher Ziele einen Vorteil für sich, so könne kontraproduktives Handeln wie das des Schlafens während der Arbeitszeit verhindert werden. Hier wird ein gänzlich anderes Vorgehen favorisiert, das an der Einstellung und den Sichtweisen des Einzelnen ansetzt und derartige Abstrafungen bzw. Exempel für wirkungslos hält. Während sich in dem Fallbeispiel die Sichtweise des Befragten so darlegt, dass sich Belegschaft und Führung in einer Art Kampf gegenüberstehen, in dem es darum geht, festzulegen, wer der Stärkere ist, wird hier ein dialogischer Austausch zwischen beiden Parteien für sinnvoller erachtet. Ein deutscher Befragter, Gründer eines kleinen Exportunternehmens, hält es für wichtig, sich zunächst mit weiteren Informationen zu versorgen und macht darauf aufmerksam, dass dieses Verhalten in China nicht 200

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ungewöhnlich sei. Von Strafmaßnahmen würde er zunächst absehen. Seiner Meinung nach müssten kulturelle Eigenheiten berücksichtigt werden und Schritte innerhalb dieses Rahmens sorgfältig abgewägt werden. Die Situation selbst wird weitaus gelassener betrachtet. Die Erfahrung, dass es normal sei, dass in chinesischen Betrieben geschlafen würde, spielt hierbei eine wesentliche Rolle. Zudem wäre es wichtig, so der Befragte, weitere Informationen einzuholen, um feststellen zu können, inwieweit der Arbeitsablauf optimiert werden könne. Hier werden also weitere Gründe für das Schlafen des Mitarbeiters mit einbezogen, wie einen möglichen Leerlauf in der Produktion, den es zu entdecken gelte. „Ich würde mich zunächst mal erkundigen, welchen Job der Mann hat. Und dann würde ich mich auf meine langjährige Erfahrung verlassen und sagen: ‚Die Chinesen schlafen nun mal, wenn sie nichts zu tun haben.‘ Ich bin gestern an einem Restaurant vorbeigefahren. Da war Mittagspause. Da schliefen die alle. Wenn man so etwas erlebt hat, dann weiß man, wie man damit umzugehen hat. Ich würde mich dann erkundigen, warum derjenige so viel Zeit hat, dass er einschlafen kann, und was er für einen Job hat. Und ich würde dann auch sagen: ‚Das geht nicht!‘ Wenn die Leute so viel Leerlauf haben, dass sie eine halbe Stunde schlafen können, dann sollen sie es gefälligst da machen, wo es keiner sieht. Das ist sehr ungeschickt. Und es gibt ein schlechtes Beispiel für die anderen. Ich habe davon gehört, dass in manchen Betrieben mit den Leuten recht hart umgegangen wird. Ich bin da nicht immer der Meinung gewesen, dass das richtig ist. Sie sind es zwar gewohnt. Aber das heißt ja nicht, dass man das fortführen muss. Ich habe mir angewöhnt, nicht danach zu gehen, wie lange jemand arbeitet und am Schreibtisch sitzt, sondern es kommt darauf an, was dabei herauskommt, wenn er tatsächlich da ist. Und das halte ich eigentlich für eine gute Idee. Aber wie gesagt: Ich brauche mir keine Gedanken darum zu machen, wie das auf andere wirkt, wenn ich selbst so unter der losen Hand führe.“

Mehr Informationen hält ebenfalls eine chinesische Befragte, Geschäftsführerin in einer deutschen Zweigstellte, für wichtig. Wie im vorherigen Beispiel ginge es darum, mögliche Leerläufe zu entdecken, gleichzeitig aber auch die persönliche Situation des Schlafenden im Blick zu berücksichtigen. „Wenn ich dieser Manager gewesen wäre, dann hätte ich den, der da geschlafen hat, danach befragt, warum er geschlafen hat. Vielleicht gab es hierfür Gründe, die für eine Beurteilung seines Handelns wichtig gewesen wären. Vielleicht war er nicht gesund oder aber, er hatte seine Arbeit schon erledigt. Erst wenn ich mir Klarheit über die Situation verschafft hätte, hätte ich mich für Maßnahmen entschieden. Ich hätte mich erkundigt und erst dann gehandelt.“

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Kulturelle Unterschiede müssten laut eines deutschen geschäftsführenden Direktors eines kleineren Produktionsbetriebes berücksichtigt werden. Er vermeide grundsätzlich die offene Konfrontation und begründet dies ähnlich wie in der Stellungnahme eines Deutschen weiter oben. Es gelte zu akzeptieren, dass „Gesichtsverlust“ eine erhebliche Rolle spiele und die Menschen in China „verletzlicher“ wären. Die öffentliche Abstrafung eines Einzelnen käme deshalb grundsätzlich nicht in Frage. Stattdessen, so der Befragte, müssten beide Seiten die Ansprüche und Erwartungen der anderen Seite erkennen und, in einem bestimmten Rahmen, akzeptieren. Eine dialogische Form der Auseinandersetzung wird favorisiert, die auf gegenseitige Annäherung setzt. B: „Ich hätte das dem Vorarbeiter gesagt und hätte das auf alle Fälle für einmalige Verstöße angesprochen. Dass ich das nicht wieder sehen will und der Produktionsmanager in der großen Runde vertellen soll. Und bei mehrmaliger Sache hätte ich noch mal selbst in einem Gespräch in einem härteren Ton, aber allgemein, zu allen gesprochen. Aber ich hätte keinen direkt angesprochen.“ F: „Hätten Sie das aus einem bestimmten Grund nicht angesprochen?“ B: „Es gibt ja immer noch diese Regel, – ich kriege das mehr bei Männern als bei Frauen mit… dass die doch sehr verletzlich sind. Was den Gesichtsverlust angeht. Und das muss ich respektieren. Das ist Kultur. Und dafür müssen sie ab und zu meinen harten Weg respektieren, wenn es um die Sauberkeit geht. Das spreche ich auch offen an. ‚Für mich gibt es keinen Gesichtsverlust.‘ Das habe ich denen gesagt. Ich bin Deutscher und diese Art des Gesichtsverlustes kenne ich nicht. Aber wenn sie ihn kennen, dann muss ich das natürlich trotzdem akzeptieren. Also diesen Krieg – dafür ist meine Arbeitszeit zu schade. Wenn der in der Pause für fünf Minuten auf dem Tisch schläft oder auf dem Stuhl sitzt und seinen Kopf auf den Tisch legt …dann ist das für mich nicht der Grund.“

Ein anderer deutscher Manager verweist auf die Situation der Arbeiter und hält ein behutsames Vorgehen für sinnvoll, bei dem die beteiligten Chinesen mit einbezogen werden. Indem chinesische Verantwortliche durch den Appell an ihre Kompetenz direkt mit in den Problemlösungsprozess miteinbezogen würden, könne auch eines der Hauptprobleme vieler Unternehmen, eine hohe Fluktuation, behoben werden (siehe III., 3.7). „Ich würde erst einmal nicht den Vorarbeiter rannehmen, sondern die ganze Leiter runtergehen und würde auf solche Art … je nachdem auf welchem Level. Wenn die Katze jetzt nur einer aus einer anderen Abteilung oder einem anderen Management ist, dann ... Aber wenn es der Chef selber ist, dann würde ich die ganze Reihe runter gehen. Wenn ich jetzt der Produktionsleiter bin

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und der Chef spricht mit einem meiner Vorarbeiter – dann wird der sehr ungehalten sein und das muss man auch akzeptieren. Das ist auch unabhängig von China oder Deutschland. Wenn ich jemanden schlafen sehe, dann tippe ich dem auf die Schulter. Gucke den an ... DER STEHT! Dann ist die Sache gegessen. Wenn der das zweite Mal schläft, dann gehe ich zum Produktionsleiter oder Vorarbeiter und sage: ‚Guck dir den mal ein bisschen genauer an.‘ Denn wenn einer schläft [L] ... wir sind hier in China. Wir leben hier unter klimatischen Bedingungen, die nicht ganz einfach sind. Die Fabrik ist nicht klimatisiert. Und in der Fertigung ist es warm. Wir stellen Ventilatoren auf. Das ist aber trotzdem noch warm und wir erwarten trotzdem noch, dass die Sicherheitskleidung getragen wird. Also Schutzkappen aufsetzen. Und das ist bei vierzig Grad im Schatten nicht unbedingt angenehm. Sicherheit… ~ da gibt es absolut keine Diskussion. Wenn da einer ist, der nur ein Unterhemd anhat – gut. Der muss ja nicht schön sein. Der muss ja nur gut arbeiten. Irgendwo muss man das auch IRGENDWIE tolerieren. Ich kann jetzt nicht als ‚Oberst‘ hier durch die Reihen marschieren und jemanden zusammenscheißen, weil er sich die Schuhe nicht geputzt hat. Der sagt sich: ‚Wieso?! Soll ich hier arbeiten oder ein Dressman sein?‘ Und wenn ich als Arbeiter warte, wenn die Maschine hinten anläuft und ich nicke ein bisschen ein... Klar! Ich habe die Arbeitszeit und dabei habe ich zu arbeiten, aber wenn in dem Moment nichts zu arbeiten ist – dann kann ich entweder eine ABM suchen – das kennen die Chinesen ja auch, oder ich kann ein bisschen schlafen und anschließend besser arbeiten. Was sage ich da als Chef? ‚Nimm das nächste Mal die Mittagspause und lass dich nicht noch mal erwischen.‘ Wir haben auch schon einen Schichtführer degradiert, weil er sich nicht Teamgemäß verhalten hat. Er hat seine Leute arbeiten lassen und sich selbst zurückgenommen. Während der Nachtschicht. Das kriegt man nicht sofort mit. Das geht dann hintenrum. Einmal ist es passiert, da habe ICH eine Information eher gehabt als mein chinesischer Produktionsmanager. Bin ich zu ihm hingegangen und hab ihn gefragt, was wir mit dem und dem machen. – ‚Wieso?‘ – ‚Du musst mal mehr mit deinen Jungs reden. Dich mehr um die kümmern.‘ Das hat der sich zu Herzen genommen und da war dann Ruhe eingekehrt. Ich mache dann so eine Andeutung und dann ziehe ich mich zurück. Ich gehe da nicht eine Woche später hin und sage: ‚Was hast du gemacht? Was ist das Ergebnis? Ich will einen dreiseitigen Bericht haben‘, sondern: ‚Du weißt um das Problem. Kümmer‘ dich drum. Ich bin der Ausländer und du der Chinese. Du musst das wissen, wie du mit deinen Mitarbeitern umgehst.‘ ... In der Produktion haben wir eine Fluktuation, die gegen Null geht.“

Der Besitzer eines großen mittelständischen Produktionsbetriebs, der nach wie vor Aufgaben der Geschäftsführung übernimmt, macht seine Reaktion von der Gesamtleistung des betroffenen Arbeiters abhängig und nennt ein Beispiel:

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„Ich finde, das ist eine überhärtete Reaktion. Ich könnte mir aber vorstellen, dass da noch andere Dinge aufgelaufen sind. Mir wäre wichtig gewesen, ob das einer ist, den ich loswerden will oder den ich nicht loshaben will. DA bin ich schon mal ein bisschen schlauer. Ich übersehe dann schon mal Dinge, die ich nicht sehen will. Wenn ich dagegen jemanden sehe, den ich schon gerne loswerden will, dann gucke ich da schon hin. Ich glaube, dass die harte Entscheidung von den anderen Leuten verstanden wird. Das heißt, dass er damit keine Probleme hat. Wenn er denen klar macht, dass er die ganze Abteilung in Gefahr gebracht hat, weil er da gepoft hat, dann sollte er damit kein Problem haben. Die Mannschaft versteht so was. Die Sache ist dann oft die: Ist der Grund ausreichend? Ich habe mal das gleiche gemacht, aber da war der Grund sehr viel schwerwiegender. Das heißt, mein Chefmechaniker hatte auf der Tagesliste drauf, dass er jeden Tag den Generator anzuwerfen hat wegen Stromausfall. Aber wir hatten dann mal eine Phase, wo es mit der Stromversorgung besser lief und der hat es nicht gemacht. Ich war froh darüber, weil ich den sowieso loswerden wollte. Da hat er mal vier Stunden gebraucht, bis er das Ding wieder an hatte. Und ich konnte ihm anhand seiner Daten nachweisen, dass er sieben oder acht Tage den Generator nicht mehr überprüft hatte. Da habe ich ihm gesagt: ‚Du kannst dir jetzt überlegen, was du willst. Ob du viertausend Mark Lohnausfall für die Mitarbeiter bezahlst. Für die vier Stunden. Oder du gehst ohne Abfindung hier raus.‘ Da hat er gesagt, dass er mit der halben Abfindung gehen würde. Die hat er dann bekommen und war eine Stunde später weg. Das ist mit Beifall aufgenommen worden. Aber das ist ein schwerwiegender Fall. Denn der hindert vier Stunden tausend Leute daran, zu arbeiten. Ich glaube nicht, dass solche knallharten Entscheidungen den Chinesen etwas ausmachen. Was aber auf jeden Fall falsch ist, Leute in Gegenwart Dritter zu beschimpfen. Das ist total verkehrt.“

Den chinesischen Angestellten ist diese Einstellung ihres deutschen Vorgesetzten durchaus bewusst. Ein Arbeiter erzählt: „Er [der Chef] ist sehr parteiisch. Wenn er dich mag, dann wird er dich auf beiden Händen tragen. Wenn er dich nicht mag, dann wird er dich nicht einmal ansehen. Dann hält er dich für wertlos. Diesen Fehler hat er. Wie soll ich es ausdrücken? Zu den Arbeitern ist er zwar gut, aber nur, solange sie ihre Arbeit auch gut machen. Wenn wir nach einem Tag, an dem wir viele Überstunden geleistet haben, ausruhen möchten, dann lässt er das nicht zu. Dann können wir nichts machen. Mehr als fragen können wir ja nicht. Am besten ist es, wenn man ein gutes Verhältnis zum Chef hat. Ansonsten kann es manchmal schwierig sein.“

Auch wenn sich die meisten Befragten darin einig sind, dass „hartes“ Führen und entsprechende Entscheidungen in China durchaus akzeptiert würden und auch notwendig seien, so zeigen die hier dargestell204

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ten Positionen deutlich, dass erstens das, was als „hart“ empfunden wird, unterschiedlich ausgelegt wird und zweitens, wie sehr der jeweilige Führungsstil von persönlichen Erfahrungen, Einstellungen, Sichtweisen wie auch der spezifischen Situation, in denen sich die Befragten befinden, abhängig ist. Einer der befragten deutschen Manager verweist auf die heterogene Zusammensetzung der Belegschaft, die unterschiedliche Herangehensweisen nötig mache. „Ich bin der größte Kindergärtner der Welt. [L] Wenn unsere Chinesen Probleme haben – in manchen Dingen muss man ihnen wirklich alles erklären. Das sind meist Arbeiterklassen und einfache Angestellte. Auf der anderen Seite haben wir hier hoch ausgebildete Abteilungsleiter, die selbständig verantwortlich sind. Und dann haben wir halt Leute, die schon ewig hier sind. Drei Schichten. Die sitzen in der Firma. Sind lethargisch und sagen: ‚Wir waren doch mal in einer state owned company. Und da war dieser Druck nicht.‘ Sie haben alles. Es macht Spaß, mit den Mitarbeitern zusammenzuarbeiten. Die sind hoch motiviert. Aber sie müssen hinter allem hinterher sein. Nicht wie in Deutschland, wo sie sagen: ‚Das machst du jetzt. Und in zwei Tagen möchte ich eine Antwort haben.‘ Das bringt hier nichts. Da kriege ich hier keine Antwort, wenn die nicht davon überzeugt sind. Ich muss die erst mal davon überzeugen, für die Aufgabe. Dann machen sie es. Oder es hat sich bei manchen so eingespielt, dass sie verstehen, wenn ich sage, in zwei Tagen will ich das und das. Hier muss man etwas härter führen. Weniger auf der menschlichen Ebene, sondern auf der sachlichen. Und sich hier mehr auf der menschlichen Ebene einsetzen. Aber das ist halt unterschiedlich. Es passt halt zu meinem [deutschen] Partner, der etwas härter ist. Der sagt: ‚Das ist die Vorgabe und da gehen wir jetzt lang.‘ Und ich bin der Weiche, der es versucht, ein bisschen in die Richtung zu bringen. Dieses Mittelding. Einer macht den Bösen – man muss versuchen, sehr fair zu bleiben, aber das ist nicht einfach. Man ist halt auf die Leute angewiesen.“

Dass zunächst Überzeugungsarbeit geleistet werden müsse, um eine chinesische Belegschaft für eine Aufgabe zu gewinnen, bestätigen mehrere chinesische General Manager. Ihrer Meinung nach ist dies einer der wesentlichen Unterschiede zur Einstellung deutscher Mitarbeiter, die, auch wenn sie den Sinn einer Aufgabe nicht erkennen würden, diese doch ausführen würden. Chinesen hingegen würden nur dann aktiv, wenn sie selbst eine ihnen gestellte Aufgabe auch verstehen würden. Selbst wenn versichert würde, dass eine Aufgabe übernommen wird, könne man sich nie sicher sein, dass diese auch tatsächlich ausgeführt werde. Denn Chinesen, so die einhellige Meinung, würden nur äußerst ungern gegen ihren eigenen Willen handeln und nur dann etwas unternehmen, wenn sie

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vom Sinn einer Aufgabe überzeugt wären, während Deutsche das übergeordnete Wohl der Firma eher an erste Stelle stellten und diesem ihre eigene Meinung unterordnen. Deutsche Entsandte bestätigen diese Ansicht, interpretieren sie allerdings unterschiedlich. Thematisieren alle chinesischen Führungskräfte, die über Deutschlanderfahrung verfügen, dies als chinesische Eigenart, der man durch einen entsprechenden Führungsstil begegnen müsse, so deuten einige Deutsche dieses Verhalten als äußerst negativ. Man könne sich grundsätzlich nicht darauf verlassen, dass selbst wichtige Aufgaben ausgeführt würden. Da ständig nachgefragt werden müsse, ob Mitarbeiter eine übernommene Arbeit auch tatsächlich ausführen und Aufgaben bis ins kleinste Detail beschrieben werden müssten, steige die Arbeitsbelastung. „Es ist ja so: Es sind chinesische Mitarbeiter. Und chinesische Mitarbeiter stellen sich natürlich einen chinesischen Chef vor: ‚Wieso handelt der nicht wie ein chinesischer Chef?‘ Nach dem Motto: Ich bekomme einen Auftrag und mir wird genau gesagt, was ich machen muss. Dann arbeite ich das ab. Ich habe chinesische Mitarbeiter, denen ich große Freiräume lasse, die dann auch in der Lage sein sollten, diese Freiräume auszufüllen. Die machen das gut, aus meiner Sicht, weil sie im Ausland studiert haben und mit dieser Freiheit umgehen können. Und dann auch von sich aus. Ich möchte ja auch Leute haben – das ist ja auch ein Rückdelegieren von Verantwortung, wenn der Chef immer wieder sagen muss: ‚Mach das, das und mach das.‘ Dann betreibt der Chef die ganze Zeit Mikromanagement. Ich möchte aber Personen haben, die von sich aus erkennen, was zu machen ist und das auch umsetzen. Ein grober Rahmen wird gesteckt und die müssen dann innerhalb dieses groben Rahmens selbst arbeiten. Damit haben chinesische Mitarbeiter schon ein Problem. Ich habe von einem Kollegen gehört, dass meine Mitarbeiter sagen, dass ich doch stärker kritisieren sollte. Ich persönlich gehe davon aus, dass es wichtig ist, dass man Menschen ermutigt. Ich versuche mich also eher auf positive Aspekte zu konzentrieren. Dass das Lob überwiegt. Aber ich glaube, die chinesischen Mitarbeiter hätten es lieber, wenn ich öfter sagen würde: ‚Das ist falsch. Das ist ein Fehler.‘ So wie der große Vater, der auf die Finger klopft. Ich glaube schon, dass sie mit der Rolle unter einem deutschen Chef auch ihre Probleme haben. Es ist aber schwierig und unklar, was sie tatsächlich wollen, weil sie das nicht direkt sagen. Es gibt kein Feedback. Sie würden nicht von sich aus kommen und sagen: ‚Ich habe ein Problem.‘ Die Erwartung ist immer da: Der Chef erkennt die Probleme. Man muss die Lage der Menschen sehen und von sich aus aktiv werden. Das kostet dann natürlich enorm viel Zeit. Eben im Einzelgespräch dann. Prozentualer Anteil für die Mitarbeiterbetreuung würde ich vielleicht so bei dreißig bis vierzig Prozent ansetzen. Das schwankt natürlich. Das

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gilt jetzt aber nicht für einen normalen acht-Stunden-Tag. Die eigentliche Arbeit kann ich oft nur am Wochenende und an den Abenden machen.“

Die hier angesprochenen „flachen Hierarchien“ halten viele deutsche Führungskräfte in China nur für schwer umsetzbar. Chinesische Mitarbeiter würden deutlich voneinander abgesetzte Hierarchiestufen geradezu einfordern. Tatsächlich bestätigt ein Teil der chinesischen Angestellten und Arbeiter diese Auffassung: „Ein hierarchisches System ist SEHR wichtig. In einer Firma sollte jeder wissen, wo sein Platz ist. Die Verantwortung ist unterschiedlich und deswegen muss es auch unterschiedliche hierarchische Stufen geben. Die chinesische Gesellschaft ist sehr patriarchalisch. Das, was der Kopf eines Haushaltes sagt, das zählt. Aber nach der Arbeit sollte diese Rangfolge keine Rolle mehr spielen.“

Das Verständnis von hierarchischem Führen unterscheidet sich erheblich. Denn obwohl sich beide Seiten darüber einig sind, dass in chinesischen Firmen eine ausgeprägte Pyramidenstruktur zu finden sei, erleben einige chinesische Befragte deutsche Organisationsstrukturen (vgl. III., 3.5 und 3.9) als äußerst „streng“, selbst wenn diese von deutschen Befragten als „flach“ bezeichnet werden. „Streng“ ist in diesem Fall aber weniger negativ belegt, sondern meint stattdessen, dass mögliche Willkür durch Vorgesetzte eingeschränkt werden kann, und wird somit als ein Vorzug deutscher Unternehmen beschrieben. „Der Unterschied [des chinesischen und deutschen Managementstils] ist extrem groß. In den inneren Abteilungen deutscher Unternehmen sind das System und das Management sehr klar und sehr streng. Von der äußeren Form her sind chinesische Firmen gleich, aber in der Praxis sieht es anders aus. In chinesischen Betrieben sind Beziehungen viel wichtiger. Die privaten Beziehungen spielen bei der Arbeit eine unmittelbare Rolle. Wenn zum Beispiel die Beziehung zwischen dem General Manager und einem Abteilungsleiter gut ist, dann kann es sein, dass diese Abteilung bei Belobigungen besonders berücksichtigt wird. Allgemein kann man sagen, dass ein chinesisches Management nicht sehr transparent ist. Die Willkür und Beliebigkeit ist sehr ausgeprägt. Die Macht der Vorgesetzten ist sehr groß und es gibt für sie kaum Einschränkungen. Deutsche Firmen sind dagegen viel besser. Sehr viel Selbstkontrolle.“

Ein Deutscher, der die kaufmännische Leitung eines Produktionsbetriebes in Suzhou führt, schildert seine Erfahrungen:

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„Man muss aufbauen. Man muss ganz klar hierarchisch führen hier. Das heißt, sie dürfen den Abteilungsleiter nicht übergehen. Ich bin am Anfang auf Mitarbeiter zugegangen – das war ein Riesenchaos. Heute ist es kein Problem. Heute wissen die Abteilungsleiter, dass ich das mache und nicht immer ÜBER den Abteilungsleiter gehe. Aber es hat zweieinhalb Jahre gedauert, bis das Verständnis da war. Die werden aber immer noch, meistens, informiert. Teamarbeit funktioniert dann, wenn das Team vernünftig aufgestellt ist. Wenn sie da einen Starken reinsetzen, dann führt der das Team ganz schnell. Wenn sie jüngere Leute auf der gleichen Ebene reinsetzen, dann funktioniert das hervorragend. Oder wenn wir ein Team mit den Abteilungsleitern machen, dann funktioniert das auch. Wenn ich da reingehe und sage: ‚Leute. Ich bin hier Teammitglied. Ich habe da keine Meinung zu. Was meint ihr denn?‘ Das dauert unheimlich lange. Da auch Verständnis zu haben und sich raus zu nehmen. Man ist ja Führungskraft und übernimmt es ja gerne. Das Sprachenthema – für die Chinesen ist es auch schwierig, das alles auf Englisch zu machen. Wir hatten letztes Jahr ein hervorragendes Team. Wir haben keinen Abteilungsleiter eingesetzt, sondern die Jungs ganz unten entscheiden lassen. Die Leute haben wir ausgebildet. Die sprechen jetzt alle fließend Englisch, sind gute Freunde und haben das Ziel weit überholt. Und arbeiten heute weiter daran. Und die Abteilungsleiter haben das auch irgendwann akzeptiert.“

Einige der deutschen Befragten berichten, dass in Deutschland übliche Führungsinstrumente in China häufig scheitern und deshalb nicht geeignet seien. Auf chinesischer Seite sei oftmals kein Verständnis für westliche Managementmethoden vorhanden und selbst chinesische Führungskräfte mit einer entsprechenden Qualifikation wie einem MBA täten sich hiermit schwer. Als wichtigen Schlüssel betrachtet ein befragter deutscher Ingenieur sprachliche Fähigkeiten (siehe III., 4.2). „Sprache als Allererstes. Mit der Kenntnis der Sprache kommt auch das Verständnis für westliche Managementmethoden. Und auch die Bedürfnisse des westlichen Managements. Ich muss meinen Mitarbeitern ja auch erklären, was MEIN deutscher Chef haben will. Und dessen Denke erklären. Wenn man eine Präsentation macht. Man kann nicht immer: ‚Ist bald fertig‘ oder ‚ist demnächst fertig‘ – diese ganzen unscharfen Sachen. Als unser Management hier war, da habe ich drei Stunden vorher all die weichen Begriffe rausgenommen. Und habe es durch Zahlen ersetzt. Man kann es in der westlichen Denke schon so formulieren – auch wenn man es nicht genau formulieren kann – dass es seriös rüberkommt. Wenn ich bei Präsentationen zum Beispiel zuhöre, dann bin ich immer kurz vorm Platzen. Oder die Bearbeitung von Reklamationen. Das macht auch in Deutschland niemand gerne. Hier geht es aber um die Reklamationen bei unseren Lieferanten. Also um unser Geld. Und diese ganze Prozedur will ich jetzt mal systematisieren. Die Verfahrensweisen aus dem Managementhandbuch unserer Firma… Kann man hier vergessen! Das ist hier

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nicht hilfreich. Das ist SO abstrakt! Das deckt zwar alle Eventualitäten ab, die Verfahrensanweisung hat dann aber siebzehn Seiten – DAS geht hier nicht. Ich muss den Kern nehmen – also: ‚Kümmer’ dich drum‘ und muss das auf einfache Art und Weise hier erklären und den Leuten deutlich machen, dass sie was davon haben. Wenn ich denen das erkläre, dann fangen hier die Diskussionen an. Zehn Minuten, halbe Stunde. Alle reden durcheinander. Wenn ich frage, was gerade diskutiert wird, dann wird nicht über die Sache diskutiert. Das geht Querbeet. Das ist oft Schall und Rauch. Da sagt jeder, was ihm grad in den Kopf kommt. Das kostet Zeit. Da vergeht ein halber Tag nur mit Palaver.“

Eines der wesentlichen Probleme, so deutsche Entsandte, wäre das Problem, dass chinesische Mitarbeiter nur ungern Verantwortung übernähmen. Ein zu diesem Thema befragter chinesischer Geschäftsführer mit Deutschlanderfahrung schildert seine Sichtweise: „Meine deutschen Freunde haben gesagt, dass Manager in China besonders viele Entscheidungen treffen müssen. Ich meine, in deutschen Unternehmen kann es sein, dass ein Angestellter oder ein normaler Arbeiter denkt, dass es seine Verantwortung sei, eine eigene Methoden zu entwickeln, um seine Arbeit gut zu machen. Außerdem ist es so, dass er sich mit dem Produkt selbst auseinander setzt: ‚Wenn mein Produkt auf dem Markt einen Vorteil hat, dann lässt es sich besser verkaufen.‘ Also hat er im Blick, dass er etwas Gutes produzieren will. Ist es aber so, dass man jemanden auf einem Posten hat, der keine Veränderungen einleitet und immer nur ausführt und dann ein Problem auftritt, dann wird derjenige keine Verantwortung übernehmen. Weil er es nicht war, der entschieden hat und sein Chef derjenige ist, der vor ihm steht. Wenn er jetzt aber etwas verändern will und er einen Fehler macht, dann ist ER der Verantwortliche. In chinesischen Betrieben ist diese Form von Ermunterung zur Veränderung keine allgemeine Praxis, weshalb die meisten Menschen Verantwortung ablehnen. Für viele deutsche Unternehmen gilt hingegen, dass Arbeitsanweisungen nicht sehr deutlich sind. ‚Das bist du, das bin ich.‘ Wenn man in chinesischen Betrieben nicht alles deutlich erklärt, dann ist es so, als wäre gar nichts passiert. Zudem mögen Deutsche es nicht besonders, alle Dinge sehr deutlich zu sagen. Wenn du zum Beispiel an einer Maschine arbeitest, dann liegt es in deiner Verantwortung, dass die Anlage funktioniert und gut in Schuss bleibt. Doch gilt für chinesische Unternehmen, dass, wenn nicht klar genug vermittelt wurde, dass es zu den Aufgaben gehört, sich nichts tun wird.“

Deutsche Entsandte versuchen zu Beginn ihrer Tätigkeit in China oft, den aus Deutschland gewohnten Umgang mit Mitarbeitern beizubehalten. Während viele Entsandte davon sprechen, dass chinesische Mitarbeiter nicht in der Lage oder aber nicht bereit wären, selbstverantwortlich zu handeln, kritisieren chinesische Arbeiter und Angestellte dage209

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gen, dass ihre deutschen Vorgesetzten nicht willens seien, Arbeitsanweisungen verständlich zu erklären. Zudem würden Deutsche allzu leicht aus der Haut fahren und könnten sich nicht beherrschen (siehe auch III., 4.). Dies träfe vor allem auf jüngere Deutsche zu, so einige der chinesischen Befragten. Hier der Auszug aus einem Gespräch mit zwei chinesischen Kollegen. Der eine ist männlich, vierundfünfzig Jahre alt und als Assistent des Geschäftsführers angestellt und als B1 gekennzeichnet. B2 steht für eine dreiundzwanzigjährige Chinesin, die im selben Betrieb als Sekretärin tätig ist. Der Buchstabe F markiert den Fragenden. B1: „Entscheidend ist wohl die Perspektive, aus der [die Deutschen] Chinesen wahrnehmen. Ich arbeite mehr als zehn Jahre in einem deutschen Unternehmen, und in dieser Zeit gab es fünf verschiedene General Manager. Der erste dieser Manager war sehr locker. Wir hatten einen sehr offenen Umgang miteinander. Natürlich außerhalb der Arbeitszeit. Während der Arbeitszeit haben wir mal einen Witz gemacht, aber es war eine sehr ernsthafte Arbeitsatmosphäre. Der zweite Manager war ebenfalls sehr zwanglos. Mit dem dritten war aber sehr schwer auszukommen. Auch das muss eben beachtet werden: Aus welcher Perspektive agiert ein deutscher Manager? Aus welcher Perspektive beurteilt er China und Chinesen? Im Grunde genommen ist aber jeder Bereich, jeder Ort ohne großen Unterschied. Wenn ich in Deutschland wäre, dann kann es sein, dass Deutsche auch sagen: ‚Ein Ausländer.‘ Man kann sich noch so sehr bemühen – das Problem ist, dass er keinen Zugang zur deutschen Kultur, zum Leben, zum Lebensstil und so weiter hat. […] In deutschen Unternehmen ist es so, dass die über Fünfzigjährigen warmherziger sind und man schnell Kontakt zu ihnen erhält. Alle sind sich da einig. Junge Deutsche sind hingegen etwas rüpelhaft. Es ist schwerer, mit ihnen auszukommen. Wenn ein deutscher Manager so ist, dann hat er es sehr schwer, mit seinen chinesischen Angestellten zusammenzukommen.“ F: „Mir haben einige Chinesen gesagt, Deutsche wären sehr arrogant.“ B1: „Ja. Das stimmt. Ich weiß, Sie haben schon verstanden, was ich gerade meinte. Es ist einfach so, dass die chinesische Ausdrucksweise indirekter ist.“ F: [Zu B2] „Finden Sie auch, dass Deutsche arrogant sind?“ B2: „Um freiheraus zu sprechen: ja. Sie schauen einen so von oben herab an.“ B1: „Ich finde, es sind meistens nur relativ junge Leute. Da sind Leute, die sagen: ‚Ich habe es dir jetzt schon einen halben Tag lang erklärt, und du verstehst es immer noch nicht! Wie dumm bist du eigentlich?!‘ Das kommt manchmal vor, dass da jemand sagt: ‚So ein blöder Kerl!‘ Ich finde aber, dass er der Dumme ist. Nicht ich. Er erklärt es mir auf Englisch. Weshalb kann er es mir nicht auf Chinesisch erklären?! Wenn man an einen neuen Ort kommt, dann sollte man erst versuchen, die Situation zu verstehen und daraus eine Methode entwickeln. Erst dann kann man gut zusammenarbeiten. Wie in einer Familie. In einer Gruppe. Wenn man aber einen Angestellten blöd heißt, dann wollen sie doch das Ehrgefühl verletzen! Wie soll man da noch zusammenfin-

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den?! Dann wird man sich dem doch widersetzen! Oder wenn einem in einer Kneipe gesagt wird, man wolle einen nicht sehen. Dann ist das doch extrem verletzend! Und es vergrößert doch nur die Distanz untereinander!“

Einige der chinesischen Befragten berichten von verletzenden Reaktionen Deutscher. Häufig geht es um Situationen, in denen die chinesischen Beteiligten Anweisungen nicht verstanden hatten bzw. sie nicht sicher waren, ob ihre Ausführung den Erwartungen des deutschen Vorgesetzten genügt. Eine sechsundzwanzigjährige Sekretärin berichtet von ihrer Verunsicherung. „Als ich gerade neu in der Firma war, bat mich der Chef, für ihn etwas auszudrucken. Ich hatte aber wirklich Angst, weil mir nicht klar war, ob er von mir wollte, dass ich ein oder zwei Blätter ausdrucke. Aber später, als ich schon einige Zeit hier war und mit dem Chef schon länger zusammengearbeitet hatte und auch noch einige Dinge passiert waren, habe ich mich langsam an den Chef gewöhnt. Ich habe festgestellt, dass er nicht übel ist und man nicht solche Angst zu haben braucht. Schließlich ist er auch der Direktor und nicht irgendein Abteilungsleiter. Seine Position ist eine andere. Eigentlich braucht man sich nicht so vor ihm zu fürchten. Manchmal finde ich, dass er einem wilden Alten ähnelt und nicht einem Chef. Manchmal ähnelt er auch einem Vater. Vielleicht, weil er im Alter meines Vaters ist. Außenstehende haben eventuell den Eindruck, er sei sehr streng und hart. Wenn er mit einem spricht, dann kann es sein, dass er nicht besonders höflich und zuvorkommend erscheint. Er wirkt auch so ernsthaft. Ich glaube, so ist es, denn ich erlebe das selbst immer wieder so. Hat er Ihnen nicht auch diesen Eindruck vermittelt?“

Diese Unsicherheit, ob eigene Leistungen den Ansprüchen des deutschen Chefs genügen, ist oftmals auf unterschiedliche Kommunikationsstile zurückzuführen (vgl. III., 4.). Ein weiterer Grund ist, so mancher deutsche Befragte, die mangelnde Qualifikation der Arbeitskräfte (vgl. III., 3.1). Doch auch die unterschiedlichen Erwartungshaltungen und Rollenverständnisse davon, wie sich ein Vorgesetzter gegenüber seinen Mitarbeitern zu verhalten habe, kann zu Irritationen führen. Um diesen Problemen zu begegnen, betonen chinesische wie auch erfahrene deutsche Führungskräfte die Notwendigkeit klarer Arbeitsanweisungen, die in regelmäßigen Abständen wiederholt werden müssten. Der deutsche Besitzer eines Produktionsbetriebes mit über 30 Jahren Chinaerfahrung stellt seine Sichtweise dar: „Sicherlich unterscheiden wir uns darin, dass wir [Deutschen] mehr agieren als reagieren. Das heißt, der Chinese ist in der situativen Entscheidung unheimlich stark. Da entwickelt er Fantasie. Das mag er. Er mag Theater. Er mag Schau-

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spiel. Da muss immer was sichtbar sein. Dagegen ist bei uns ja auch aus Qualitätsgründen aber auch aus Harmonisierungsgründen mehr das Agieren gefragt. Das heißt, hier ist ein permanenter Prozess. Selbst hier in meinem Büro – mit den paar Leuten ein permanenter Prozess da, dass ich gegen das Reagieren gegensteuern muss. Und zwar mit einer – wie sagt Kant: ‚Mit einer ernsthaften Beharrlichkeit.‘21 Das ist schon mal die erste preußische Tugend. Zu wissen, was ist machbar. Und das muss einem selbstverständlich werden. Das ist der Hauptgrund für Neurosen oder was auch immer, weil die Beharrlichkeit nicht vorhanden ist oder die nicht selbstverständlich ist. Man muss Dinge hier immer wieder tun. Wie eine Gebetsmühle. Wie eine Leier. Und das geht einem natürlich irgendwann auf den Geist, wenn man nicht darüber lächeln kann. Ich lächle dann darüber. Ein bisschen zynisch – ‚Ich weiß ja, dass du doof bist.‘ Man muss Frust auch schon mal rausschreien und dann auch mal ‚Die Affen!‘ sagen. Das ist ja gar nicht böse gemeint. Auch nicht diskriminierend. Ich respektiere den Chinesen als Menschen und als Einzelnen und ganz besonders auch als Volk. Lieben nicht unbedingt, aber ich respektiere. Wenn dann schon mal so ein Frustausdruck kommt, dann ist das eine Sache des Überlebens. Irgendwo muss man, anstatt seine Psychosen zu kriegen, einfach sagen: ‚Ich weiß ja, dass du doof bist!‘ Sie haben nämlich gerade so bös’ geguckt… Man braucht ein Ventil. Sie müssen sich Ventile schaffen und die ‚ernste Beharrlichkeit‘ nicht aufgeben. Das ist ein Teil ihrer Aufgabe. Deswegen sind sie hier. Ein Teil ihrer Aufgabe ist, den Chinesen hier bei der Art zu denken, von der reinen Reaktion zum Agieren zu bringen. Der soll ja nicht die Stärke der situativen Entscheidung verlieren, nur lässt sich nun mal nicht alles situativ entscheiden. Insbesondere wenn es um Qualität geht und auch nicht, wenn es um die Koordination mit sieben oder acht verschiedenen Stellen geht. Das muss organisiert und geplant werden. ‚Zweifelnde Gründlichkeit‘ muss direkt dahinterher kommen. Ich muss in meiner Arbeit gründlich sein, denn der Chinese ist auch nicht gründlich. Und ich muss auch zweifeln, denn ich muss meinen Augen mehr trauen als dem, was ich von den Chinesen höre. Man braucht ein sehr hohes Maß an immensem Fleiß. Das bleibt einem hier nicht erspart, denn man kann nicht alles delegieren. Und die wollen ein gewisses hierarchisches Verhalten. Daran führt kein Weg vorbei. Und die wollen auch direkter geführt werden. Man muss ein ‚freundliches Gleichmaß‘ bewahren. Ich kann nicht unhöflich gegen die sein, aber die sind ein hartes Wort gewöhnt und sind auch selber sehr hart. Ich hatte mal vor drei Jahren eine Affekthandlung von einem meiner Bügler. Der hatte auf einen anderen eingestochen und ist dann auch zu zwei Jahren Knast verurteilt worden. Ich hätte ihn aber vorm Knast retten können, wenn ich die Verantwortung für den Mann hätte übernehmen können. Und ich hätte das sehr gerne getan, denn der ist tatsächlich von den anderen gemobbt worden. Ich finde, wenn man in China mal im Knast war, dann ist man eigentlich weg vom Fenster. Dann ist man nur noch sozialer 21 Der Befragte bezieht sich hierbei auf einen Artikel zu Immanuel Kant von Mathias Schreiber aus dem Spiegel (2004).

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Dreck. Ich wollte dem eigentlich eine Chance geben und habe dann die anderen Bügler gefragt: ‚Seid ihr bereit, die Verantwortung mitzutragen?‘ – [P] ‚DER GEHT IN DEN KNAST!‘ Also klare Entscheidung und klare Wege. Wer dagegen verstößt, hat keine Chance. Von Güte, von Verzeihen, von Gnade... Keine Rede! Ganz klarer ICH-Mensch. Kein WIR-Mensch. Keine christlichen Werte und Gedankengut. Wer innerhalb der sozialen Norm ausschert, der ist außen vor. Der hat keine Chance.“

Einige der deutschen Befragten sind der Auffassung, dass diese mangelnde Bereitschaft zu selbstverantwortlichem Handeln in Betrieben kulturelle Ursprünge habe, und auch chinesische Befragte teilen diese Meinung. Die hierarchische Prägung der Gesellschaft, aber auch Strukturen der sozialistischen Planwirtschaft werden hier angeführt: B: „In diesen Tagen haben wir uns nach einem Personalleiter umgesehen und haben dabei festgestellt, wie viele Leute als Personalleiter tätig waren, aber wie wenig Entscheidungskompetenz sie dabei hatten. Wenn man sie gefragt hat, was sie in einer bestimmten problematischen Situation anfangen würden, dann meinten sie, sie würden den Chef fragen. Eben weil sie die Verantwortung nicht übernehmen wollten. Sie sind der Meinung, dass der Chef für die Lösung ihres Problems zuständig ist. Eigentlich herrscht in allen Unternehmen diese Atmosphäre. Wenn man etwas gar nicht erst macht, dann kann man auch nicht für eventuelle Fehler zur Verantwortung gezogen werden. Je mehr man macht, desto größer ist die Gefahr, etwas falsch zu machen. Und darum machen sehr viele Leute einfach gar nichts. Wenn der Chef mich dazu veranlasst, etwas zu machen, dann mache ich es. Wenn er mich nicht dazu veranlasst, dann mache ich es halt nicht. Wenn ich aber etwas initiativ mache, dann übernehme ich auch die Verantwortung. Diese Art von Initiative gibt es in chinesischen Unternehmen derzeit noch nicht.“ F: „Warum gibt es sie nicht?“ B: „Ich glaube, es ist ein kulturelles Problem. Die chinesische Kultur ermuntert die Menschen nicht dazu, etwas Neues zu erschaffen. Es gibt ein chinesisches Wort ‚he‘, was soviel wie ‚Stille‘, ‚Ruhe‘, ‚keine Katastrophe‘ bedeutet. Jeder mag diese Atmosphäre der Ruhe und Stille. Von der Tradition her gesprochen haben die meisten Menschen also kein großes Interesse daran, Dinge in Eigenverantwortung zu übernehmen. Sie haben sich an diese ruhige Form des Lebens gewöhnt.“

Ein leitender chinesischer Angestellter, den ich danach frage, ob er die Auffassung teilt, Chinesen würden ungern Verantwortung übernehmen, antwortet: B: „Das gibt es natürlich. Mein Eindruck ist, dass Deutsche sehr verantwortungsbewusst sind. Wenn jemand eine Aufgabe hat, dann führt er sie auch zum

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Ende. Egal, ob er sich damit mehr Arbeit aufhalst. Deshalb können sie auch selbst ihre Arbeitszeiten bestimmen. Chinesen sind bei solchen Angelegenheiten nicht so gut. Vor allem die unteren Ebenen wie einfache Angestellte oder Arbeiter.“ F: „Warum ist das so? Hat das seinen Ursprung in der chinesischen Kultur oder gibt es dafür andere Gründe?“ B: „Nein. Ich denke, dass es mit der wirtschaftlichen Entwicklung zusammenhängt. Es hat mit dem Respekt vor der eigenen Arbeit zu tun. Früher war es so, dass es in China weitaus einfacher war, Arbeit zu finden, als in Deutschland. In Deutschland wertschätzen die Menschen ihre Arbeit, während das in China schlechter aussieht. Wenn es Chinesen an einem Ort nicht mehr gefällt, dann werden sie wahrscheinlich den Ort wechseln. Das hat mit der Entwicklung der Industrie zu tun. Vor fünfzig Jahren war China noch ein Agrarland. Dann gab es die Staatsbetriebe. Ob die Angestellten da etwas gut oder schlecht machten, war vollkommen egal. Sie bekamen trotzdem ihr Geld. Diese Einstellung ist jetzt noch immer vorhanden. Es gibt noch immer vierzig Prozent staatseigene Betriebe. Die Angestellten dort brauchen keine Verantwortung zu übernehmen. Die Firma hat nicht viel mit ihnen selbst zu tun. […] Ich finde, das Wichtigste ist, dass man die eigene Arbeit gut macht. Die Beziehung zwischen Chef und dir sollte dabei keine große Rolle spielen. Einen strengen Chef zu haben, kann von Vorteil sein, denn wenn du deine Arbeit gut machst, dann wird er auch zufrieden sein. Wenn du aber etwas falsch machst, dann wird er es dir auch sofort sagen.“

Das Vorgehen der Führungskräfte unterscheidet sich teilweise. Viele, sowohl chinesische als auch deutsche Geschäftsführer, führen eindeutige Regel- und Verhaltenskataloge ein. Ein deutscher Manager eines Unternehmens, das seine Produkte auch nach Europa exportiert, erklärt: B: „Wir machen Stellenbeschreibungen. Wir machen Arbeitsplatzbeschreibungen und die versehen wir mit self-control-Listen. Und die gehen hin, je nach Ausbildungsstandard – bis auf Tageskontrolllisten. Da ist dann keine Verantwortung mehr zu übernehmen, sondern nur noch jeder Punkt abzuhaken. Dann wird das auch nicht mehr als Verantwortung empfunden, sondern dann ist das eine detaillierte Aufgabenstellung, und damit kommen die zurecht. Das ist ein sehr hoher Arbeitsaufwand zu Anfang, aber wenn man das konsequent durchhält, dann klappt das. Wir haben ISO eingeführt, und damit geht das ja auch zusammen, was es dann einfacher macht. Obwohl es vollkommen irrsinnig ist, wenn man glaubt, dass man, wenn man das System etabliert hat, dass es dann auch in Funktion bleibt. Ob es funktionstüchtig bleibt. Das ist ein permanenter Prozess, den sie immer wieder erneut pushen müssen. Jeder Neuling, der reinkommt, versucht, das zu unterlaufen, und auch die Alten versuchen, es zu unterlaufen, wenn es mal keinen Spaß mehr macht. Es funktioniert eigentlich nur bei denen, die irgendwann mal begriffen haben, dass ein höhe-

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res Maß an Planung nötig ist und ihnen das Leben auch einfacher macht. Planen tut der Chinese ja aus vielen Gründen nicht. Aber einer ist sicherlich auch der, dass dann alles viel transparenter wird. Und Transparenz will er doch gar nicht!“ F: „Warum nicht?“ B: „Weil er damit ja Verantwortung übernehmen müsste und auch greifbar sein müsste, und das will er ja nicht. Er hat es ja gelernt, sich zu verstecken. Zu GLOTZEN [beugt sich nach vorn und reißt die Augen auf]. Aber eben nicht, nach vorne zu gehen und demjenigen, der da schwer verletzt auf der Straße liegt, zu helfen. Im Gegenteil. Er behindert noch, indem er da glotzt und den, der helfen will, nicht durchlässt.“

Die hier angesprochenen Unterschiede im Arbeitsstil sollen an anderer Stelle eingehender diskutiert werden (vgl. III., 3.4). Ein Arbeiter aus dem gleichen Betrieb nimmt zu seinem Arbeitsalltag und den eingeführten Kontrolllisten Stellung: „Die Ansprüche hier sind vergleichsweise hoch. Die Qualität ist besser. Wir haben eine europäische Liste und die Anforderungen europäischer Listen sind ziemlich hoch. Die müssen wir abarbeiten. Sehr streng. Aber wir achten nur sehr wenig auf diese Liste. Sie ist einfach viel zu kompliziert. Der Chef meckert dann hier herum und meckert dann da herum. ~ Die Liste ist einfach viel komplizierter als bei anderen Firmen. Unser Vorarbeiter sagt auch, es wäre nicht ideal. Vor allem in diesem Jahr. In diesem Jahr haben wir damit begonnen. Wir machen es jetzt genauso wie in Frankreich. Unsere Kunden sind ja auch nicht leicht zufrieden zu stellen. Unsere Qualitätsvorgaben hier sind also sehr streng. Wenn wir keine Qualität leisten, dann hebt der Chef auch nicht die Gehälter an. Wir haben uns schon oft darüber beschwert. Aber wir können nichts machen, und der Vorarbeiter ist auch machtlos.“

Ein deutscher Befragter, der als Geschäftsführer einen Betrieb innerhalb von vier Jahren in China aufbaute und auf internationalen Standard brachte, schildert seine Vorgehensweise, um die weiter oben angesprochene Rückdelegierung von Verantwortung zu vermeiden, aber auch fehlende Kenntnisse von Führungsinstrumenten zu etablieren. „Als ich hier herkam, war das streng hierarchisch strukturiert. Die stellvertretende Geschäftsführerin hier war ganz klar die Power im Haus. Ganz tolle Frau. Ganz tolle Frau. Ich bewunder’ die heute noch. Die hatte den Laden inklusive deutschem Geschäftsführer voll im Griff. Und – die hat das alles über ihre Spezis gemacht. Ich sag’ mal ganz klar: Die stellvertretende Geschäftsführerin hat über die Korngröße des Toilettenpapiers entschieden. Ich hab das massiv abgeschafft. Ich hab’ über mein Büro ein Schild gehängt: ‚Durch diese Tür geht man nur, wenn’s wichtig und dringend ist. Wenn’s nicht wichtig ist,

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will ich dich überhaupt nicht sehen. Wenn’s nicht dringend ist, lass dir einen Termin geben.‘ So. Und dann hab ich angefangen und hab’ – in dem ersten Jahr vor allen Dingen ~ viel mit den Abteilungsleitern und mit den Managern gesprochen. Hab’ gesagt: ‚Leute. Überlegt doch mal. Wenn jede Entscheidung durch den Geschäftsführer abgesegnet werden muss… Wozu brauchen wir euch eigentlich? Dann können wir doch auch sagen, wir schmeißen euch alle raus, stecken uns das Gehalt auch noch in die Tasche und machen sowieso alles selber. Kann’s nicht sein. Kann’s nicht sein.‘ – [P] ‚Ja, aber…‘. Dann haben wir an Modellen gearbeitet. Die hatten ja überhaupt keine Werkzeuge. Haben wir eine Firma eingestellt, die dann Managementtraining gemacht hat: Goalsetting. Target Achievement Control. Personal Time Management und so weiter. Erst mal, um die Tools zu installieren. Dann haben wir angefangen und gesagt: ‚Jetzt müssen wir ein Reward System machen, wo also auch in dem Gehaltanreiz bestimmte Zusammenarbeiten gefördert werden.‘ Wir haben das ganze Gehaltssystem geändert von – als ich herkam, war es so, dass am Ende des Quartals – am Ende des Jahres saß die stellvertretende Geschäftsführerin hier und hat ’ne Liste gehabt. ’Ne Namensliste. Und hat Nummern dahinter geschrieben. Und der deutsche Geschäftsführer hat’s abgesegnet und sie hat die Leute dann verarztet. Das war absolut UNNACHVOLLZIEHBAR und nach persönlichem Gusto. Da war keinerlei quantitativ messbare Entscheidungsfindung da. Wir haben das geändert. Wir haben gesagt: siebzig Prozent des Gehalts sind fix, dreißig Prozent variabel. In den dreißig Prozent sind zwanzig Prozent an bestimmte Firmenleistungen gebunden: Cross Profit zum Beispiel. Account Receivables Situations. Und zwar für alle. Weil alle damit arbeiten. Und dadurch zwingen wir sie schon zur Zusammenarbeit. Das heißt, ein Einkaufsleiter kann nicht mehr sagen: ‚Das interessiert mich nicht, zu welchem Preis ich das einkaufe.‘ Sondern das hat Einfluss auf den Cross Profit, weil’s auf den Cost of Sales geht. Und über diese Methoden setzen sie Anreizsysteme in Gang. Dann gibt es – mein alter Chef, mein erster Chef hat immer gesagt, dass Kompetenz und Verantwortung sich decken müssen. Das heißt, wenn sie den Mitarbeitern wirklich Entscheidungsmöglichkeiten geben auf ihrer Ebene … wenn sie zum Beispiel ein angstfreies – eine angstfreie Umgebung schaffen – einem Chinesen zum Beispiel zu sagen: ‚Ich weiß. Normalerweise tickst du: Wenn ich einen Fehler mache, dann reißt mir mein Vorgesetzter den Kopf ab, und ich habe keine Zukunft. Weißt du, dadurch, dass du die Entscheidung hoch delegierst zu mir – also vom Abteilungsleiter zum Geschäftsführer – wird die Entscheidungsfindung nicht besser. Ganz im Gegenteil. So, wie ich das sehe, wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit schlechter, weil ich viel weiter weg bin von dem Problem. Ich womöglich gar nicht die Zeit habe, mich da einzuarbeiten. Das heißt, ich kann nur entscheiden auf so einer binären ja-nein logisch-unlogisch-Entscheidung, basierend auf den Informationen, die ich von dir zu dem Zeitpunkt erhalte. Meine Chance, eine richtige Entscheidung zu treffen, ist relativ geringer, als deine. Warum soll ICH also diese Entscheidung treffen? Das macht’s nicht besser! Also triff DU doch die Entscheidung! Die Chance, dass kein Fehler gemacht wird, ist viel

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größer. Aus meiner Sicht. Auf der anderen Seite ist es so: Dadurch, dass ich die Entscheidung treffe, weiß ich ja auch: wird sie nicht notwendigerweise richtiger und fehlerfrei. Wenn du dann einen Fehler machst: auch kein Problem. Reiß ich dir nicht den Kopf ab. Mach nur denselben Fehler nicht zweimal. Und wenn du einen Fehler machst – lass es mich wissen. Damit wir darüber reden können. Brauchst nicht ...‘ ~ Diese Diskussion haben wir bis zum Erbrechen geführt. Und diesen relativ angstfreien Raum geschaffen. Dann haben wir angefangen, Entscheidungen zu treffen – und plötzlich werden ja dann die Resultate dieser Entscheidungen – im guten Fall ihrer Erfolge – und das ist ein viel besseres Reward System als alles andere. Und das können die Chinesen durchaus lernen. Dann dafür Lob zu bekommen. Satisfaction. Plötzlich dreht sich das alles. So, jetzt ist es so, dass die in ihrer Abteilung an ihren Machtbereich denken und glauben, sie müssten ihren Machtbereich irgendwo arrondieren, um eine Entscheidung durchsetzen zu können. Der nächste Schritt ist, wenn sie tatsächlich Entscheidungen treffen wollen, ihnen beizubringen: ‚Du musst nicht notwendigerweise jede Entscheidung, die du treffen willst, auch selber treffen können, sondern es ist auch durchaus möglich, das mit anderen zusammen zu machen – egal auf welcher Hierarchiestufe.‘ Das müssen sie vorleben, wenn sie zum Beispiel als Geschäftsführer irgendwo in einem Team arbeiten, das einem Produktmanager untersteht – und sie diesem Produktmanager zuarbeiten. Das war das Allerschwierigste in China. Und das ist etwas, woran man permanent dran arbeitet. Das ist das Aller-, Allerschwierigste im Corporate Change, im Cultural Change, den man im Unternehmen erreichen muss. Man muss auch da Beispiele zeigen.“

Das Problem, dass die gängigen Managementinstrumente in China nicht bekannt sind, spricht auch ein chinesischer Befragter an und beschreibt, weshalb seiner Meinung nach manche ausländische Führungskräfte in China scheitern: „[China] ähnelt nicht Europa, wo Maschinen, Management und so weiter aus der Wissenschaft heraus entwickelt wurden. Selbstverständlich gab es den MBA früher nicht in China. Es gibt jetzt zahlreiche Spezialisten, die aus Übersee zurückkommen. Ein Beispiel: Wenn du in Deutschland krank bist und du zum Arzt gehst, dann wird er dir Medizin geben und du bist anschließend gesund. Wenn du aber in China zum Arzt gehst, dann wird er dich lange ansehen und dich zunächst veranlassen, eine Medizin einzunehmen, die dein gesamtes Körpersystem verbessert. Auch das ist eine Heilmethode, die deine Krankheit heilt. Auf den MBA bezogen: Der ist für internationale Firmen und das gesamte System ebenso gut wie Aspirin. Insbesondere für ausländische Unternehmen. Wenn wir aber über chinesische Unternehmen sprechen, insbesondere, wenn wir von chinesischen Unternehmen reden, die von ausländischen Firmen gekauft werden, um eine Kooperation ins Leben zu rufen, dann kann man einen Betrieb mit einem Menschen vergleichen. Sein gesamtes System ist prob-

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lematisch. Sein gesamter Blutkreislauf ist nicht in Ordnung. Wenn du ihm da Aspirin gibst, dann wird er es später wieder ausscheiden und es hat kaum Wirkung. Zunächst muss also ein System aufgebaut werden. Dann kann man später noch andere Methoden zum Einsatz bringen. […] Das ist ein Problem, das zahlreiche ausländische Firmen in China haben: Eigentlich ist ihr Ansatz gut. Aber das System lässt es entweder nicht zu oder aber die Menschen haben nicht genug Kenntnisse, um damit umzugehen. Wenn das System nicht funktioniert, dann können diese Ansätze nicht angewandt werden. Obwohl diese Medizin sehr gut ist, ist aber schon die ganze Leber tot. Hier muss also geheilt werden. Ich meine, es ist am einfachsten, einen Betrieb von Null aufzubauen. Wenn ein Betrieb schon sehr lange existiert und ein Manager, der aus Deutschland kommt, diesen Betrieb verändern will, dessen gesamtes System aber problematisch ist, dann funktioniert das nur, wenn sämtliche Angestellten der Auffassung sind, sie seien Teil des Ganzen. Auch werden sie jeglichen Reformen oder denjenigen, die von außen in den Betrieb hinzukommen, entgegenwirken. Und das führt natürlich zu Widersprüchen. Wenn es diesem Menschen gelingt, sich an die Spitze zu setzen und das System zu ändern, dann ähnelt er einem Zuckerkorn. Wenn ich ein Zuckerkorn hierhin tue, dann wird es trotzdem bitter bleiben. Wenn ich es aber hierhin tue, dann wird es alles versüßen. Ich denke, wenn man einen Betrieb verändern will, dann muss man zuerst bei den Menschen anfangen und dann das System verändern. Das System zu verändern ist meistens sehr einfach, aber die Vorstellungen der Menschen zu ändern ist schwer. Es darf den Nutzen der Leute nicht allzu einschränken. Wenn man aber das System ändert, dann kann es sein, dass das für manche unvorteilhaft ist. Wenn man also damit beginnt, dann wird das System dir mit aller Macht entgegenarbeiten. Mit je mehr Kraft du es versuchst, mit je mehr Kraft wird es sich dir widersetzen. Ich weiß von einigen Firmen, deren Belegschaft ihren Manager vertrieben hat. Sie wussten, dass er ihre Vorteile beeinträchtigen will. Das ist vor allem so, wenn man ein chinesisches Unternehmen kauft. Eigentlich ist das Duldsame der Chinesen am stärksten ausgeprägt. Während des Krieges mit Japan wurden die Chinesen sehr gequält, aber sie haben es die ganze Zeit erduldet. Vergleicht man die Rahmenbedingungen in einem chinesischen und in einem deutschen Unternehmen, egal, ob man nur die Rahmenbedingungen oder die Unternehmenskultur betrachtet, dann sind beide sehr unterschiedlich. Das schließt auch die Lebensqualität der Chinesen ein. In China gibt es zahlreiche Menschen, die im Monat nicht mehr als fünfhundert Renminbi verdienen, was normalerweise ertragen wird. Die Autos, die sie im Fernsehen sehen, können sie sich nicht kaufen. Sie müssen es ertragen. Die Duldsamkeit chinesischer Angestellter ist also sehr stark. Wenn ein Manager oder sein Vertreter noch nicht eingesetzt ist, wissen die Arbeiter, dass sie auf jeden Fall einen Chef haben werden. Wenn ein deutscher Betrieb einen deutschen Manager einsetzt, dann ist es möglich, dass er vertrieben wird. Natürlich kommt ein zweiter, und auch der wird vertrieben. Dann kommt der dritte. Man kann den Posten unbesetzt lassen, aber dann werden die Gewohnheiten in der Firma nicht geändert. Am besten ist es, wenn der neue Manager

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vor allen Dingen der wichtigsten Gruppe einen Vorteil verschafft und keinen Nachteil. Sein Ziel muss es sein, die wichtigste Gruppe innerhalb der Firma auszumachen und mit ihr gemeinsam die Firma zu verändern, denn diese Leute können einem Manager in sehr vielen Dingen helfen. Dabei ist es eigentlich vollkommen egal, ob der Vorgesetzte ein Deutscher oder ein Chinese ist. Das kümmert sie nicht. Wichtig ist, dass er die Qualifikation und den Status hat. Und sie müssen der Überzeugung sein, dass man zum Nutzen des eigenen Platzes in der Firma beiträgt. Es kann sein, dass man einige aussortieren muss. Aber wenn eine Gruppe hundert Leute umfasst und davon zehn gekündigt wird und die anderen neunzig meinen, dass die Kündigung dieser zehn zum Vorteil der anderen neunzig geschieht, dann ist es kein Problem. Diese neunzig werden dir helfen, diese zehn zu vertreiben. Voraussetzung ist, dass sie begreifen, dass es für sie von Nutzen ist. Wenn es Profit bringt, den Manager zu unterstützen … Wie könnten sie dann dagegenwirken?! Sie wissen auch, dass sie, wenn sie dich vertreiben, der Nachfolger vielleicht nicht mehr so gut ist. Es könnte sein, dass er noch viel mehr verlangt. Das ist also das Wichtigste: Innerhalb des Betriebes eine Gruppe aufbauen, die einen unterstützt. So sind viele andere Dinge vergleichsweise einfach. Aber natürlich existieren trotzdem noch andere Probleme.“

Ein befragter Chinese äußert sich zur Frage nach Verantwortung und betont, dass ein sehr „direkter Weg“ zu Widerständen führe (siehe auch III., 4.1). Man müsse chinesische Besonderheiten kennen und auf Empfindlichkeiten eingehen sowie ein, wie auch im vorletzten Zitat angesprochen, angstfreies Klima schaffen: „Es ist tatsächlich so. Verantwortung übernehmen viele [Chinesen] nur ungern. Wobei ich sagen kann, dass ich selbst nicht so bin. Chinesen werden alle von Deutschen geleitet. Und Chinesen achten sehr stark auf ihr Gesicht. Wenn beispielsweise ein Chinese ein Problem entdeckt, dann versucht er, es für sich allein zu lösen und zu vermeiden, dass andere das mitbekommen. Sie wollen bei dem Manager keinen schlechten Eindruck hinterlassen. Aus der Perspektive von uns, der chinesischen Managementebene her gesehen, sind wir die Chief Inspectors und unter uns sind die Assistenten. Wenn wir zu viel Druck auf sie ausüben – zum Beispiel, wenn wir eine direkte, deutsche Art und Weise anwenden würden oder die Methode von Hongkongern oder Macaoern, die auch sehr direkt ist ~ dann kann es sein, dass die untere Ebene vielleicht nur eine Woche lang daran arbeitet. Wir wollen also die unteren Ebenen entwickeln und wollen dafür eine Methode anwenden, die für Chinesen besonders akzeptabel ist. So wie bei kleinen Kindern. Sie entwickeln. Sie ermuntern. Dass sie keine Angst zu haben brauchen, wenn sie etwas falsch machen. Ich sage: ‚Nicht schlecht. Du hast schon einige Fortschritte gemacht. Wenn du dich noch ein wenig mehr anstrengst, dann wirst du noch mehr erreichen.‘ Er wird sich sehr freuen und sich noch mehr bemühen. Es ist so, dass es inzwi-

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schen sehr viele unabhängig lebende junge Männer und Frauen gibt. Sie vertragen Kritik nur sehr schlecht. Vor allem, wenn sie öffentlich getadelt werden. Es ist manchmal so, dass wir vom mittleren Management nach oben gucken und uns fragen, weshalb die nicht in der Lage sind, die unteren Ebenen zu führen. Warum haben sie nicht dieses Gefühl für das Führen? Sie wissen manchmal tatsächlich nicht, dass, wenn man Kraft am falschen Platz einsetzt, der Widerstand sehr stark sein kann und es nur noch mehr Ärger gibt. Wenn die unten verstehen, wie deine Methode ist, dann werden sie für dich von morgens bis abends arbeiten und sehr viele Dinge erledigen. Du bist auf die vier, fünf Leute unten, die sehr viele Dinge für dich erledigen, einfach angewiesen.“

Befragte chinesische Führungskräfte sprechen häufig von möglichen „Widerständen“ in der chinesischen Belegschaft, die es zu bedenken gebe. Würde man, so wie viele deutsche Führungskräfte, einen „direkten“ Konfrontationskurs einschlagen, so sei die langfristige Unterstützung der Mitarbeiter nicht mehr gewährleistet. Ein deutscher General Manager, verantwortlich für einen Betrieb mit 85 Mitarbeitern, geht auf die besondere Situation ein, in China als Ausländer einen Führungsposten inne zu haben. „Ich sage mal, wenn ich mich selber aufrege, dann mache ich mich selber fertig. Warum?! Ich bin ja nicht hier, um innerhalb von zwei Jahren alt, grau und gebrechlich zu werden. Sondern ich muss ja hier leben und arbeiten und das tue ich nicht in der Form, als dass ich als Deutscher herkomme und sage: ‚So wird das nun aber gemacht! Und nun machst du das SO! Und wenn du das nicht machst, dann bist du entweder blöde. Oder unfähig. Oder bist ein Saboteur.‘ Sondern: ‚Ich zeige dir das jetzt. Dann machen wir das zusammen noch mal.‘ Und ich überlege mir vorher, nicht erst wenn der Krug gebrochen ist, – vielleicht mache ich ja auch was falsch. Wenn ich herkomme und meine, sagen zu können, wo es langgeht, nur weil ich die Langnase bin – das läuft nicht. Der Chef gibt sicherlich die Vorgaben. Aber als Ausländer habe ich immer noch eine ein bisschen andere Position. Da ist das Glasdach dazwischen. Ich bin nicht der chinesische, sondern der deutsche Chef. Am Anfang ist man der Ausländer und da wird geguckt. Man wird beobachtet: ‚Was ist das für einer?‘ Am besten kommt man voran, wenn man zeigt und auch bestätigt bekommt, dass man auch nur ein Mensch ist. Dass wir hier zusammenarbeiten und alle in einem Boot sitzen. Jeder kann irgendwas – und das, was er kann, das sollte er auch tun. Und die Anforderungen sind die, dass ich nichts von irgendjemandem verlange, was er vielleicht gar nicht kann, sondern dass ich nur das erwarte, was derjenige von sich selbst als das bestätigt, was er tun kann. Und wenn er das falsch macht, dann sage ich: ‚Ok. Da haben wir uns wohl missverstanden. Ich meinte das so und so.‘ – ‚Oh. Sorry.‘ Dann geht das auch. Und man nebenbei einfließen lässt, dass wir alle nur Menschen sind und alle mal Fehler machen. Man sollte die Fehler halt nicht wiederholen. Nicht

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mit dem Finger darauf zeigen, sondern sagen: ‚Jung. Jetzt reiß dich mal zusammen. Wir kriegen das schon gebacken, aber du musst auch mitmachen. Ich kann da nicht alle fünf Minuten kommen – du musst das schon selber hinkriegen.‘ NICHT auf direkte Konfrontation! DANN ist nämlich die Klappe zu. Dann wundert es mich nicht, wenn ich dem das immer wieder aufs Neue zeigen muss. Interkulturell muss man mehr reinlegen als nur Befehl und Gehorsam. ‚Du bist nur von Haus aus blöd und ich weiß alles.‘ […] Besser sanft unter Druck setzen. Einfach ihnen zeigen: ‚Guck mal. Ich stehe diese Woche schon das dritte Mal in deiner Tür.‘ Ohne dass ich das sage. Ich habe dann eine Frage. Oder: ‚Kannst du mir mal helfen?‘ Oder: ‚Was hältst du davon?‘ Dann merken die: ‚Der ist mir ein bisschen dicht auf der Pelle. Und dann kommen die von sich aus. Und wenn es gar nicht geht, da haben wir auch schon Leute entlassen müssen.‘ … Chinesisches Sprichwort: ‚Sha ji gei hou kan.‘ – ‚Töte den Hahn und zeig ihn dem Affen.‘ Muss man auf der Palette haben, ist aber, glaube ich, nicht das beste Alltagsmittel. Das Team muss verstehen: Es ist der Chef, der entscheidet. Aber wenn er jeden kleinsten Punkt entscheiden will, dann sagen die Mitarbeiter auch: ‚Ich kann ja sowieso nichts entscheiden.‘ Man muss bis ins mittlere Management hinein Verantwortung übertragen. Und aber auch dann fordern: ‚Was hast du damit gemacht? Ist das gut gelaufen? Wo gibt es Probleme?‘ – Ich gebe immer den Spruch aus: ‚Probleme sind dazu da, gelöst zu werden und nicht dazu, vertagt zu werden. Wenn du irgendwo was siehst und du sagst nichts – gibt es Ärger. Vertuschen bringt nichts. Offenlegung bringt Lösung.‘ Das hat eine Weile gedauert, setzt sich aber durch. Wir haben so viel zu tun. Das kann nicht einer allein entscheiden. Hier, bei einer kleinen Firma, ist alles noch überschaubar. Ich könnte mir vorstellen, dass man in den großen Läden viel härter durchgreifen muss, weil man ganz einfach den Kontakt verliert zur Masse. Aber in einer kleinen Firma ist die persönliche Beziehung immer allemal besser. Druck ist ab und an nötig – aber nicht ständig. Das halten die Chinesen auch nicht ständig aus. Wir sind nicht im Krieg hier, sondern wir wollen zusammenarbeiten.“

3.4 Arbeitsstile Im Verlauf der Gespräche mit chinesischen Beteiligten fällt die meist zu Anfang des Gesprächs geäußerte positive Beurteilung Deutscher auf. Stereotype Aussagen, wie sie in zahlreichen chinesischen Büchern über Deutschland zu lesen sind, finden sich hier in den Beurteilungen der chinesischen Befragten wieder, was in einigen Fällen sicherlich auf das Bedürfnis zurückzuführen ist, dem deutschen Interviewer etwas Positives zu sagen, um so einen einträchtigen Gesprächsbeginn zu gewährleisten. 22 Sie beziehen sich zum großen Teil auf die Arbeitseinstellungen 22 Vgl. z.B. Xie You (2001): Weiyan Deguo (Einige Worte zu Deutschland.), Haikou. Zhang Wu Neng (2000): „Ganshou Deyizhi“ (Deutschland wie ich es erlebe.), Chengdu. Zhang Xuan (1998), Zhao Xinshan (1999a):

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der Deutschen, die beispielsweise „sehr genau“, „fleißig“, „gewissenhaft“ usw. wären. Erst im weiteren Verlauf der Gespräche entpuppen sich diese beinahe formelhaft wiederholten Urteile schließlich als Aussagen, die durchaus auch in die umgekehrte Richtung interpretiert werden können. Aus dem „sehr genauen“ wird dann manchmal ein „pedantischer“, aus dem „fleißigen“ ein „arbeitstoller“ und dem „gewissenhaften“ ein „regelblinder“ Deutscher. Wie schon angesprochen beziehen sich diese Wertungen in erster Linie auf den Arbeitsstil Deutscher, der zwar Anerkennung findet, jedoch in Bezug zur jeweiligen Situation oftmals nicht für adäquat gehalten wird. Wie bei etlichen anderen Themen auch fordern viele chinesische Befragte die Anpassung der deutschen Seite an die chinesische Situation. Ein immer wieder angesprochenes Thema, sowohl von chinesischen Führungskräften als auch Angestellten und Arbeitern, ist das Thema Planen. Deutsche bräuchten für Arbeitsabläufe, die Chinesen vergleichsweise schnell erledigen würden, zu viel Zeit. Ein chinesischer General Manager, der ebenfalls dieser Meinung ist, beantwortet meine Frage, weshalb dies so sei: „Chinesen verstehen die Arbeitsweise Deutscher oft nicht. Außerdem haben wir unterschiedliche Denkweisen. Deutsche entscheiden sehr langsam. Es kann sein, dass sie sehr lange nachdenken. Aber wenn sie erst einmal entschieden haben, dann arbeiten sie extrem schnell. Chinesen sind genau das Gegenteil. Sie entscheiden sehr schnell, aber die Umsetzung dauert extrem lange. In der Entscheidungsfindung wägen sie nicht sehr genau ab und bei der Umsetzung stoßen sie dann auf Probleme. Wenn Deutsche sich entscheiden, überlegen sie äußerst genau, was für mögliche Probleme auftauchen könnten. Deshalb sind sie anschließend so schnell. Wenn man zum Beispiel eine Firma aufbauen will, dann fangen Chinesen sofort damit an. Deutsche werden aber vorher jeden Aspekt vorbereiten: Arbeiter, Kapitalquellen und so weiter und erst dann beginnen. Wenn Deutsche etwas beginnen, dann tritt kein Problem auf. Wenn Chinesen eine Firma aufbauen, dann brauchen sie einen Monat für die Vorbereitungen und zwei Jahre für die Umsetzung. Deutsche brauchen ein Jahr für die Vorbereitung und ein Jahr für die Umsetzung. Es kommt also das Gleiche dabei heraus. Allerdings tauchen bei den Chinesen immer wieder Probleme im Anschluss auf. Zum Beispiel funktionieren Maschinen nicht oder sind nicht da. Bei Deutschen passiert so etwas nicht. Der langfristige Nutzen ist bei den Deutschen also höher. Obwohl aber dieser Unterschied besteht,

„Ouzhou jiaotang he Zhongguo simiao zhongsheng“. (Europas Kirchen und Chinas Tempelgeläut.) In: Li Lin/Qiao Yan (Hg.): Dongfangren yu Xifangren. (Menschen des Ostens und Westens.), Beijing, S. 419-428. Zhou Zuoren (1999): „Zhongguo.de Guomin sixiang“ . (Das Denken des chinesischen VolkeS.) In: Li Lin/Qiao Yan (Hg.): Dongfangren yu Xifangren. (Menschen des Ostens und Westens.), Beijing, S. 43-56.

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müssen alle kapieren, dass es egal ist, ob Chinesen etwas schnell machen oder Deutsche etwas langsam. Unser gemeinsames Ziel ist es, die Firma weiterzubringen. Kurz: Es bedarf des Austausches und der Kommunikation mit der Gegenseite. Deutsche müssen der chinesischen Seite vermitteln, weshalb etwas auf eine bestimmte Art und Weise getan werden muss: ‚Was ist der Grund dafür, dass wir Schritt für Schritt vorgehen? Wenn man es nicht so macht… Was für Nachteile bringt das mit sich?‘ Chinesen sollten Deutschen vermitteln, weshalb sie zu der und der Entscheidung gekommen sind. ‚Wenn wir nicht schnell entscheiden, dann verpassen wir die Gelegenheit.‘ Das Ideal wäre eine Kompromisslösung. Chinesen brauchen einen Monat. Deutsche brauchen ein Jahr. Also macht man es in einem halben Jahr. Innerhalb dieses halben Jahres könnten Deutsche die chinesische Grundplanung verbessern. Beispielsweise sind nicht genug technische Arbeiter vorhanden. Innerhalb dieses halben Jahres kann entschieden werden, und die Deutschen können den Chinesen ihre Entscheidung mitteilen.“

Was hier beschrieben wird, verweist auf ein Grundproblem der Zusammenarbeit. Aus Sicht dieses Befragten sind es weniger Zielsetzungen oder grundsätzlich unterschiedliche Arbeitsweisen, die eine Kooperation problematisch machen, sondern vielmehr die mangelnde Kommunikationsbereitschaft beider Seiten. Sie scheinen nicht in der Lage oder willens zu sein, die Vorteile ihrer Vorgehensweise erklärend darzulegen, um hieraus gemeinschaftlich ein konstruktives Verfahren zu entwickeln (vgl. III., 4.). Mit zwei chinesischen Angestellten, die in einem deutschchinesischen Joint Venture seit drei Jahren respektive einem Jahr beschäftigt sind, entwickelt sich folgendes Gespräch: B1: „Ich habe früher in Singapur gearbeitet. Ich habe mich, als ich wieder nach China kam, bewusst für ein ausländisches Unternehmen entschieden. Es passt einfach besser zu mir. Der Unterschied, wie Chinesen und Ausländer Dinge erledigen, ist doch noch sehr groß.“ F: „Was ist denn der größte Unterschied?“ B1: „Der größte Unterschied ist die Arbeitseffizienz. Bei Ausländern beziehungsweise Deutschen ist sie im Vergleich sehr hoch. Sie planen und folgen diesem Plan.“ F: „Und welche Methode finden Sie besser?“ B1: „Ich finde es nach wie vor am besten, Schritt für Schritt vorzugehen. Den Regeln folgend. Wenn es eindeutige Regeln gibt und man sich nach ihnen richtet, dann ist das meiner Meinung nach effizienter. Wenn es diese Regeln nämlich gibt, muss man sich nicht erst Gedanken darüber machen, wie man etwas am besten umsetzt.“ B2: „Ich denke, das größte Problem ist nach wie vor die Arbeitsweise. Es kann sein, dass das Ziel beider Seiten gleich ist. Aber wie man es erreicht, da herrscht nicht immer Übereinstimmung. A und B können unterschiedlicher

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Meinung sein, was richtig ist, und da ist es schwierig, wie man sie unter einen Hut bekommt.“ B1: „Genau. Deshalb ist es wichtig, sich regelmäßig auszutauschen. Man muss sich besser miteinander verständigen. Das ist aber aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Einstellung nicht einfach.“

Die Meinung, dass die Gesamteffizienz durch eine Mischung deutschen und chinesischen Vorgehens verbessert werden könne, vertritt auch nachfolgender chinesischer Befragte, der sowohl in chinesischen und amerikanischen als auch in deutschen Betrieben Arbeitserfahrung gesammelt hat. Dass chinesische Flexibilität und Schnelligkeit elementare Wettbewerbsvorteile seien, beweise nicht zuletzt das chinesische Wirtschaftswunder. B: „Ich habe den Eindruck, dass in deutschen Unternehmen die Arbeit Schritt für Schritt erledigt wird. In vielen chinesischen Unternehmen ist die Effizienz nicht sehr hoch. Vor allem wenn man die kleineren Firmen vergleicht, dann ist die Effizienz bei den chinesischen Betrieben nicht hoch. Es wird beispielsweise nicht darauf geachtet, wie noch besser, noch schneller und noch billiger produziert und wie ein Ziel noch direkter erreicht werden kann. In Bezug auf derartige Dinge sind chinesische Betriebe im Vergleich wenig effizient. Aber europäische und amerikanische Firmen bedenken sehr viele Aspekte. Beispielsweise wie viele Einflüsse Wirkung nehmen könnten und wie diese Einflüsse aussehen könnten. Erst dann wird die letztendliche Entscheidung gefällt. Vergleicht man hier, dann finde ich, dass chinesische Firmen eindeutig effizienter sind. Besonders im Vergleich zu europäischen Unternehmen.“ F: „Und wie sieht es mit der Arbeitsweise aus?“ B: „Da ist es ähnlich. Bei einer europäischen Firma werden sehr viele Dinge mitbedacht. Dann wird verglichen und am Ende wird entschieden. Die Arbeitsweise in chinesischen Firmen ist sehr direkt. Wenn jemand meint, es sei effektiv, dann wird er es sofort machen. Er wird nicht lange darüber nachdenken. Jede Angelegenheit hat auch eine negative Seite. Wenn du zu lange darüber nachdenkst, dann wirst du nicht mehr eindeutig entscheiden können, sondern von all diesen Möglichkeiten blockiert sein. Ich finde, chinesische Firmen machen es in diesem Bereich genau richtig. Wenn ein Nutzen gesehen wird, dann wird es sofort gemacht. Warum hat sich China so schnell entwickelt?! Ich denke, das spielt hierbei eine wesentliche Rolle.“ F: „Welche Art von Arbeitsstil ziehen Sie vor?“ B: „Ich tendiere zum chinesischen Stil. Der beste Grund dafür ist wohl die Entwicklung Chinas. Erst wenn sich ein Land oder ein Unternehmen entwickelt hat, kann man von einem Marktführer als Ergebnis sprechen. Es ist ja nicht so, dass man, wenn man mehr Dinge als andere bedenkt, weniger Fehler machen würde und zu besseren Ergebnissen käme.“ F: „Treten aus Ihrer Sicht Probleme bei der Zusammenarbeit auf?“

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B: „Ich finde, grundsätzliche Probleme gibt es eigentlich nicht. Die Zusammenarbeit ist relativ gut. Es gibt einige kleinere Probleme. Vielleicht aufgrund der unterschiedlichen Handhabung der Routine. Was die Denkweise anbelangt, gibt es Probleme. Es ähnelt dem, was ich eben schon erwähnte. Wenn Denkweise und Arbeitsweise nicht gleich sind, dann können die Probleme umfassend sein. Chinesen sind im Vergleich ein bisschen direkter und effektiver. In diesem Bereich gibt es also kleinere Probleme, was auch wiederum kulturell bedingtes Misstrauen mit einschließt.“

Ein anderer chinesischer Befragter, ebenfalls Angestellter, ist der Auffassung, dass die Ansprüche deutscher Kollegen äußerst hoch seien und gibt die rückständige Entwicklung Chinas zu bedenken. Bestehende Probleme seien zwar auch auf kulturelle Differenzen zurückzuführen, doch sei die unterschiedliche technisch-wirtschaftliche Entwicklungsstufe beider Länder weitaus bedeutsamer. „Im Allgemeinen sind ihre [die Deutschen] Ansprüche sehr hoch. Sie bringen bestimmte Gewohnheiten aus Deutschland mit. China ist immer noch ein Entwicklungsland und in vielen Bereichen reicht es nicht an Deutschland heran. Das Kulturelle spielt hierbei eine große Rolle. Aber auch die unterschiedliche Entwicklung muss man beachten. Es kann sein, dass viele Dinge für sie normal sind. Für uns sind das dann aber durchaus hohe Ansprüche. Das ist der Unterschied des Entwicklungsgrades zweier Länder. Aber warten wir die Entwicklung ab. Dann werden China und Deutschland ohne großen Unterschied sein.“

Eine befragte chinesische Angestellte, die in Deutschland studierte und dort für zwei Jahre arbeitete, findet die aus ihrer Sicht Deutschen eigene Perfektion für chinesische Verhältnisse unangemessen. F: „Wie finden Sie denn die Zusammenarbeit?“ B: „Das hängt natürlich zum Teil von unserer Firma ab. Unser Chef muss sich fünfzig Prozent seiner Zeit immer und immer wieder mit Akten im Büro auseinander setzen. Es gibt keine andere Möglichkeit. Dieses Unternehmen ist nun mal so. Ein weiterer Aspekt ist, dass jeder Deutsche auch nicht gleich ist. Wie jemand die gemeinsame Arbeit organisiert, ist eben auch in hohem Maß vom Charakter des Einzelnen abhängig. Aber auch vom Charakter der Angestellten.“ F: „Hat dieser Aspekt des Charakters auch mit dem kulturellen Hintergrund zu tun?“ B: „Wie Sie wissen, entscheiden Chinesen eher spontan. Wenn zum Beispiel nächste Woche eine Party veranstaltet werden soll, dann fangen Deutsche zwei Wochen vorher an zu planen. Chinesen sagen aber: ‚So viel Zeit noch!‘ Und es kann sein, dass sie meinen, dass es auch noch zwei Tage vorher ausreicht.

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Das ist ein kultureller Unterschied. Es ist aber nicht allein ein kultureller, sondern auch ein gesellschaftlicher Unterschied.“ F: „Und wenn wir über den Arbeitsstil von Deutschen und Chinesen sprechen?“ B: „Ich finde, Deutsche, die in China sind sollten sich auch ein bisschen mehr Gedanken machen. Allerdings gibt es davon nicht sehr viele. Deutsche gehen davon aus, dass alles bis in die Perfektion hinein geplant werden muss. Aber so stellen sie erst später Probleme fest. Chinesen sind nicht so. Es muss nicht alles perfekt gemacht werden. Wenn es mehr oder weniger gut ist, dann geht es auch. Wenn Deutsche eine Weiterbildung machen, dann dürfen nicht mehr als zwanzig Teilnehmer dabei sein, sonst meinen sie, es würde sich nicht lohnen. Wenn Chinesen eine Weiterbildung machen, dann sind es hundert Teilnehmer. Da sagen Deutsche dann. ‚Eure Qualität taugt nichts. Ihr wollt nur Geschwindigkeit und nicht Qualität.‘ Ich meine aber, dass das ein Prozess ist. Wenn ich zum Beispiel etwas herstelle, dann brauche ich vielleicht zwei Stunden um siebzig Prozent fertig zu stellen. Weitere vier Stunden benötige ich, um die restlichen dreißig Prozent fertig zu stellen. Es werden also insgesamt sechs Stunden benötigt, obwohl nur zwei Stunden aufgebracht werden müssen, um siebzig Prozent zu vollenden. In China existiert dieses Problem. In Deutschland braucht man die zwei Stunden für siebzig Prozent, aber nur eine für die fehlenden dreißig. Also nur drei Stunden, um hundert Prozent fertig zu stellen. Eine Stunde, um es perfekt zu machen. In China sind es aber sechs Stunden. Diese Dinge sollten die meisten Deutschen bedenken. Ich habe auch diese Macke, weil ich in Deutschland studiert und in einer großen Firma ein Praktikum gemacht habe. Alles muss perfekt sein. In China frage ich mich inzwischen aber immer wieder, ob es diese vier Stunden wert sind, dreißig oder zwanzig oder auch nur zehn Prozent zur Perfektionierung zu investieren. Man muss die Situation berücksichtigen.“ F: „Manche Deutsche behaupten, die Qualität in China wäre unzureichend, und bemängeln den Arbeitsstil mancher Chinesen. Wenn Sie Manager von VW wären, wie würden Sie dieses Problem lösen? Schließlich sind die Qualitätsansprüche ja doch nachzuvollziehen.“ B: „Ich finde es ebenfalls nachvollziehbar. An erster Stelle müsste ich erkennen, dass ich vierzig Prozent meiner Zeit in meine Mitarbeiter investieren müsste. Wenn ich erreichen will, dass die Angestellten hundert Prozent erreichen, dann brauchen sie wahrscheinlich eine Weiterbildung. Ich müsste die Situation verstehen. Weiter unten sind nun mal die Angestellten und nicht ich. Ich habe also keine Möglichkeit, es zu wissen, und müsste also bei jeder einzelnen Angelegenheit Zeit investieren. Ich sollte meinen Lösungsansatz und den Grund dafür meinen Angestellten mitteilen und sie selbst entscheiden lassen. Das heißt also, dass diese Angelegenheit sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, um sie zu perfektionieren. Natürlich stünde ich auch in der Pflicht, die Anforderungen der deutschen Firma zu erfüllen: Das wäre mein deutscher Markenname. Qualität an erster Stelle. Aber das muss auch der chinesische Angestellte begreifen. China hat aber chinesische Bedingungen, also würde

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ich hoffen, dass meine Angestellten ebenfalls darauf hinarbeiten, dass Qualität an erster Stelle stünde. Allerdings darf man das Zeitproblem nicht aus den Augen verlieren. Es kann sein, dass diese Sache den Namen der Firma beeinflusst. Wenn jemand vier Stunden braucht, um die dreißig Prozent fertig zu stellen, dann muss er es so machen. Aber manchmal ist diese Perfektion nicht wirklich wichtig. Dann kann man entscheiden, ob Zeit oder Qualität von größerer Bedeutung sind. Deutsche in China meinen oft, dass sie immer richtig liegen würden. Sie denken: ‚Weshalb ist unsere Qualität so gut?! Das hat doch einen Grund!‘ Ich meine aber, dass es nicht ein kulturelles, sondern vielmehr ein sehr großes gesellschaftliches Problem ist. Man kann einfach nicht die Ansprüche aus einer fortgeschrittenen gesellschaftlichen Phase in eine gesellschaftliche Anfangsphase übertragen. Die Menschen, die in der Anfangsphase stehen, müssen sich erst einmal anpassen.“

Neben den unterschiedlichen Voraussetzungen beider Länder, die hier betont werden, kritisiert mancher chinesische Befragte die Unfähigkeit Deutscher, von einem einmal eingeschlagenen Weg abzuweichen. Eine den Deutschen zugeschriebene Regelhörigkeit verhindere damit einerseits die flexible Reaktion auf neue Situationen, ermögliche aber andererseits eine Beurteilung von Sachverhalten oder Personen fern persönlicher und damit unter Umständen ungerechter und unangebrachter Vorlieben. „Was das Unternehmensmanagement angeht, ein kleines Beispiel: Will man ein Ziel erreichen, dann kommen Deutsche manchmal nicht vorwärts. Wenn auf dem eingeschlagenen Weg beispielsweise ein unvorhergesehenes Hindernis auftritt, dann weiß ich erst in diesem Moment, ob ich es überwinden kann oder nicht. Später weiß ich dann auch, ob ich diesen Weg nochmals einschlage oder nicht. Deutsche hängen aber oftmals zu starr am Althergebrachten. Also vergleichsweise stur. Wenn einmal eine Regel aufgestellt ist, dann weichen sie nicht mehr davon ab. Deutsche beachten auch sehr triviale Dinge. Zum Beispiel, ob der Wasserhahn in der Toilette kaputt ist. Es kann gut sein, dass der Chef dann nachfragt. Ein chinesischer Chef würde sich darum nicht kümmern. Beide Arten haben ihre Vorteile. Bei Chinesen spielen vielleicht zu viele andere Dinge eine Rolle. Wenn beispielsweise jemand mit mir verwandt ist oder eine Beziehung zwischen uns besteht und er etwas falsch macht, dann kann es sein, dass ich ihm aus diesem Grund vergebe oder jemand bitte, ihm zu helfen. Ausländer sind anders. Ein Fehler ist ein Fehler. Da sind sie sehr fair. In diesem Fall finde ich die westliche Art besser. Das Prinzip der Fairness spielt eine große Rolle, und das kann jeder nachvollziehen.“

Tatsächlich bestätigen einige Deutsche, dass chinesische Geschäftspartner weitaus schneller agieren, als sie es aus Deutschland gewohnt sind. Wird diese Einschätzung positiv beurteilt, so lange es sich um betriebs227

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fremde Personen oder Institutionen handelt, kritisieren einige Befragte entsprechendes Handeln betriebsintern unter Umständen als unüberlegt und vorschnell. Bewegt sich eigenständiges Handeln der Beteiligten im Verantwortungsbereich deutscher Befragter, so werden solche Arbeitsschritte eingefordert, die der jeweilige Befragte aus eigener Erfahrung für richtig hält. Hierunter fällt auch das Thema Planen, das, so der Großteil der Entsandten, Chinesen oftmals gänzlich fremd sei und erst mühsam angelernt werden müsse. „Planung ist ein Problem für Chinesen. Also langfristiges Planen ist etwas, was man auf Stadtregierungen und generell in Regierungsämtern ganz gut inzwischen kann hier. Aber selbst der Umgang mit täglichen Planungen ist nicht geübt. Und entspricht auch nicht dem Lernbild und den Lernzielen hier. Wenn ich also von jemandem erwarte, dass der ein Projekt über zwei, drei Jahre planen soll, wird man in der Regel enttäuscht. Es gibt dann auch noch dieses so genannte encourage-planning. Da fallen dann die Westler immer reihenweise in die tiefen Gruben und vertun sich da mächtig. Also, ich gehe hin und will hier eine Firma aufbauen und innerhalb von zwei Jahren reinste Wunder bewirken. Dann habe ich auf der gegenüberliegenden Seite die chinesischen Partner und dann sagt man, ich will hier innerhalb von einem Jahr das Riesengebäude gebaut haben. ‚Ich weiß, es wird schwierig, aber wenn ihr euch alle anstrengt, dann wird es klappen!‘ Und die Chinesen sagen immer [P] ‚JA!‘. Und die fangen dann an und sagen: [P] ‚Ja wunderbar. Ist das Klasse!‘ Und die machen auch eine Planung für ein Jahr und in einem Jahr steht die Bude auf dem Papier. In Wahrheit steht sie erst in anderthalb Jahren. Die westlichen Leute haben sich dann an das Ein-Jahr-Ding heranbewegt und für die platzt die ganze Planung. Die Chinesen haben das als Ziel aufgefasst: ‚Wir werden uns anstrengen. Wir geben alles, dass wir es schaffen.‘ Aber ob sie es schaffen, war für die von Anfang an nicht klar. Das ist der Unterschied. Planung hat noch nichts mit realistischen Vorgehensweisen zu tun. Und wir sehen zu, dass wir eine Planung so auf die Beine stellen, dass die umsetzbar ist. Die Chinesen nicht. Fünf-Jahresplanung hier hat Zielorientierung. Heißt aber noch lange nicht, dass sie das schaffen. Das ist der Unterschied. Fallen hier viele mit auf die Nase. In den seltensten Fällen schaffen sie es. Diese Planung dient dazu, die eigenen Leute zu motivieren. Sie dient noch nicht dazu, dass man sie auch wirklich hinkriegt. Es werden hier unglaubliche Dinge gemacht! Viel schneller als in Deutschland. Trotzdem geht die Planung oftmals daneben. Aus diesen Gründen. Wir haben hier eine Riesenfabrik für fünfzig Millionen in anderthalb Jahren auf die Beine gestellt. Ist enorm!“

Auf meine Frage, wie Planungen gehandhabt werden, antwortet ein deutscher Geschäftsführer:

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„Die planen überhaupt nicht. Und lehnen auch die Planung ab, denn dann müsste man sich auch festlegen. Verantwortung müsste übertragen werden. Es funktioniert auch nicht, weil die anderen auch nicht planen, denn planen setzt ja verschiedene andere Planungen voraus. [I] Und es würde WAHNSINNIG viel entgehen, denn das ganze Theater, das der Chinese ja so liebt, würde ja wegfallen. Es wär’ doch zu schade wenn alles glatt laufen würde, denn dann würde doch alles, was das Leben noch reizvoll macht, könnte ja nicht ausgelebt werden. [I] DAS wäre ja nichts mehr. [L]. Man muss also den Leuten zeigen, wie es geht, sonst klappt gar nichts.“

Diese Antwort, so harsch sie klingt, spiegelt durchaus einen verbreiteten Konsens unter Entsandten wider und findet in ihrer Form den Ton, der gerne bei Stammtischtreffen oder Ähnlichem angeschlagen wird. Mit der Unfähigkeit zu planen bringen Deutsche zudem den mangelnden Willen ihrer chinesischen Mitarbeiter, Verantwortung zu übernehmen, wie auch mangelndes Qualitätsbewusstsein mit ins Spiel (III., 3.1; 3.4). Ein deutscher Anlagenbauer, seit mehr als zehn Jahren in China, beschreibt die Eindrücke von einem deutsch-chinesischen Bauprojekt: „In Deutschland übernimmt man Verantwortung. Wenn ich einen Fehler gemacht habe, dann sag ich das. Das macht ein Chinese nie. Der macht keinen Fehler. Der übernimmt keine Verantwortung. In dem ganzen Projekt hier, da ist keiner, der Verantwortung hat. Außer der Boss selber. Wir dürfen nicht viel sagen oder viel Druck geben, sonst geht das alles gleich nach oben. Das ist eigentlich nicht zu vergleichen. Normal, wenn ich in China bin, habe ich meine Baustelle und mein Projekt und meine Arbeiter, die da sind, und da sage ich, was abgeht. Und wenn sie Mist machen, dann machen sie es neu oder verbessern es oder sonst was. Und da geht es teilweise auch mal lauter zu, aber – im Großen und Ganzen ist das Verhältnis ganz gut. Sie versuchen aber immer einen zu linken. Das ist normal. Da sagen sie, sie haben es gemacht, aber es ist fake. Wir finden es immer heraus. Die Genauigkeit, die in Deutschland herrscht, die gibt es hier nicht. Ob es schief oder gerade ist, interessiert doch nicht. Das Dach hält doch. Nach dem Motto. ‚Es geht doch! Warum muss das jetzt sauber lackiert sein? Hauptsache, da ist ein bisschen Farbe drüber.‘ Müssen sich nur hier umschauen [deutet auf eine Häuserreihe mit unregelmäßig verfugten Wänden]. Manchmal könnte ich sie erschlagen. Und ich mach schon Abstriche. Ich bin schon lange genug hier und seh’ das alles nicht mehr so eng – aber trotzdem! Gewisse Sachen. Da... Da platzt einem schon mal der Kragen.“

Ein anderer deutscher Befragter, seit kurzer Zeit ebenfalls täglich auf einer Baustelle tätig, schildert seinen Eindruck:

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„Was mir auch sehr auffällt und auch ärgert, ist, dass sehr schnell anonymisiert wird. Der ‚Verantwortliche‘ wird kommen. Der ‚Zuständige‘. Es heißt nie: ‚Herr Sowieso wird kommen und es lösen.‘ Wenn ich dann frage: ‚Wer ist das?‘, kriege ich keine Antwort. Eine persönliche Verantwortung für das Ganze gibt es nicht. Es ist eine dienstliche Verantwortung. Es ist eine Institution, die die Verantwortung hat, und zufällig ist es mal der Herr X. Aber persönliche Verantwortung übernimmt der deshalb noch lange nicht. Da weichen sie alle ganz schnell aus, wenn man versucht, sie festzunageln. ‚Das Licht ist kaputt.‘, ‚Ja. Die Zuständigen werden das prüfen.‘ [L] Auf Dauer, wenn man etwas braucht, dann wird es schwer. Aber manchmal, gestern Abend zum Beispiel, da habe ich eine sehr positive Ausnahme erlebt. Da waren schon alle weg – nur noch ein paar da, die es aber nicht konnten, und ich wollte es ganz gerne zu Ende bringen. Da hat er sich ans Telefon geklemmt, hat zehn Minuten telefoniert. Ich hab dann irgendwann aufgegeben und gesagt, dass wir Schluss machen. Da haben sie mir gesagt: ‚Nee. Der Mann sitzt doch schon im Taxi.‘ Und da haben wir das noch zu Ende gebracht. Das haben sie wahrscheinlich auch nur gemacht, weil sie mitbekommen haben, dass ich mich selbst auch enorm einsetze. Habe ich mich riesig gefreut!“

Der Geschäftsführer eines chinesisch-deutschen Joint Ventures spricht ebenfalls von einem mangelnden Verantwortungsbewusstsein seiner chinesischen Mitarbeiter, steht diesem Problem aber nach eigener Aussage mehr oder weniger hilflos gegenüber: „Ich habe immer das Problem, dass Personen die Verantwortung nicht wahrnehmen wollen. Oder nicht erkennen, wenn Verantwortungen zu übernehmen sind. Oder bestimmte Aufgaben nicht erfüllen. Nicht so, wie man sich das vorstellt. Ich versuche es zu beheben, indem ich es wieder delegiere. Oder sage: ‚Das ist DEIN Job. Bitte mach das.‘ Das klappt aber auch nicht immer. Ich bin mir da sehr unsicher, wieso das so ist.“

Die meisten der deutschen Befragten sind sich darin einig, dass eindeutige Arbeitsanweisungen und ein direkter Führungsstil von chinesischen Mitarbeitern verlangt würden. Da diese nicht bereit oder in der Lage wären, Verantwortung zu übernehmen, müsse der Vorgesetzte ihnen diese zunächst durch eindeutige Anordnung abnehmen (siehe III., 3.3). B: „In Deutschland haben sie mit einem ganz anderen Schlag Menschen zu tun. Wenn ich jetzt als Leader nach Deutschland zurückkomme… Da muss ich mit den Leuten ganz anders reden. Hier sagen sie einem Ingenieur: ‚Du machst das. Du machst das.‘ Man setzt ganz andere Ziele. Der Befehlston ist anders. Es ist mehr ein Befehl. In Deutschland ist es mehr ein Gespräch. Man kommt aus dem Gespräch heraus. Man weiß zwar, wo man hin will. Man sitzt in der Gruppe zusammen und diskutiert, wie man am besten zu einem Ziel kommt.

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In Deutschland haben sie auch einen höheren Wissensstand und eine höhere Eigenverantwortung. Hier eben nicht. Es kommt hier keiner und macht eigene Vorschläge. Die sitzen da: ‚Was soll ich jetzt tun?‘ Am besten noch die ExcelTabelle stricken und dann brauchen sie die Zahlen nur noch selber einfügen. Das ist schon schwierig, weil jeder dann ein anderes Format haben will, und gelegentlich sind die Formeln dann auch wieder verkehrt. Ich kann ihnen ein Beispiel nennen: Ordnung und Sauberkeit. Ich bin ein Ordnungsmensch – nicht unbedingt zuhause – aber hier gehört Ordnung und Sauberkeit einfach dazu. Maschinenreinigung. Nichts schief oder krumm stellen. Sie werden ja in China keinen Lichtschalter an der Wand finden, der gerade gebaut ist. Das muss HIER gelebt werden und das klappt nur, wenn sie täglich in die Fertigung gehen und täglich den Verantwortlichen mit dem Kopf drauf stoßen: ‚Hier! Hier! Hier!‘ Verantwortung übergeben, wenn es dann irgendwann nicht mehr hilft, irgendwie versuchen, es mit anderen Dingen reinzubringen: Punishment – GELD. Sind eigentlich Druckmittel, die ich nicht anwenden möchte. Ist eigentlich immer schlecht. Nur muss es vielleicht manchmal so sein. […] Zur Anfangszeit war mein Büro wie eine Arztpraxis. Oder wie beim Arbeitsamt. Einer nach dem anderen mit Problemen, wo sie normalerweise sagen würden, das müsste der Mitarbeiter selber lösen. Grundsätzlich muss man sagen, dass es schwierig ist. Ich will es nicht pauschalisieren. Nur Verantwortung übernehmen... Ich kann ihnen von heute schon wieder ein Beispiel nennen: Ich habe meiner Assistentin gesagt, ich möchte nach Nanjing fahren. Über die Feiertage. Und sie sollte für mich einen Zug buchen. Sie kommt mit vier Vorschlägen und fragt mich, welchen ich nehmen will. Ich meinte dann, sie solle einen auswählen, da ich ja keine Ahnung habe. ‚So, dass es passt.‘ – ‚Ja, aber wenn es dann nachher verkehrt ist, dann bin ich ja schuld.‘ Das hat sie gesagt! Originalton. Ich meine, die müssen da nun mal die Verantwortung übernehmen. ‚Ihr könnt euch da doch nicht immer rausnehmen!‘“ F: „Was meinen Sie, woran das liegt?“ B: „Erziehung? Regierung? Na ja. Die Regierung sollte man hier nicht immer ins Spiel bringen. Erziehung. Dass Entscheidungen immer von anderen abgenommen werden. Sie sehen ja, dass die Familienzusammenhänge hier anders sind als bei uns. Wenn wir als Jugendliche früh raus wollen, Entscheidungen alleine treffen und so weiter. Hier sieht man doch noch sehr viele Chinesen, die noch sehr lange bei den Eltern wohnen. Bis dreißig, fünfunddreißig. Vielleicht ist das ein Grund.“

In einem Gespräch mit einer chinesischen Personalleiterin, 35 Jahre alt, die vor ihrer Anstellung in einem deutsch-chinesischen Joint Venture in einer japanischen Firma tätig war, spreche ich die Wahrnehmung Deutscher an, woraufhin sie folgende Gedanken äußert: B: „Ich denke, es hat mit der Kultur hier [in dieser Firma] zu tun. Sie machen nicht… Wie soll ich es sagen? Bevor sie eine Entscheidung fällen, werden sie

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herumfragen: ‚Was meinst du?‘ Die Entscheidung wird dann auf der Basis eines Konsenses gefällt. Es ist keine eine-Person-Entscheidung. Man erwartet nicht, dass der Chef einem die Entscheidung abnimmt. Man macht seinem Chef eine Reihe von Vorschlägen, aus denen er auswählen kann. Ich weiß nicht… Ist das deutsche Kultur? Ich finde das eigentlich sehr japanisch. Entscheidungen auf der Basis eines Konsenses zu fällen. Aber das sind meine Erfahrungen. Ich habe schon eine Menge Stereotypen über die unterschiedlichen Kulturen gehört. Beispielsweise die Franzosen. Sie wären gut bei der Unternehmensplanung, aber wenn es dann an die Umsetzung geht, setzen sie davon nichts um. Das ist der Stereotyp über die Franzosen. Deutsche… Sie sind sehr technisch. Sie reden die ganze Zeit nur über Prozesse. So etwas. Japaner [L] … Japaner arbeiten immer in Gruppen. Und Chinesen – sehr hierarchisch. [L] So. Solche Stereotypen. Was ich aber meine ist, dass es hier internationaler ist. Wenn sie MICH fragen, dann bin ich eine Mischung. Nicht typisch chinesisch oder westlich. Meine Erfahrung mag etwas mit meinem kulturellen Hintergrund zu tun haben, aber ich weiß es nicht so genau. Ich kann nicht sagen, ob mein Verhalten typisch chinesisch oder deutsch wäre. Eine Mischung. Es ist einfacher, Menschen nach diesen Stereotypen zu charakterisieren, aber in der Realität sind Menschen sehr unterschiedlich.“ F: „Es gibt Deutsche, die behaupten, dass einige Chinesen ungern Verantwortung übernähmen.“ B: „Ich verstehe, was diese Deutschen meinen. Das liegt vielleicht an der chinesischen Kultur. Am Erziehungssystem in der Vergangenheit und an Konfuzius. Wie soll ich es ausdrücken? Die Ideologie? Oder wie kann man das nennen? Wir [Chinesen] werden dazu erzogen, zu gehorchen. Im Allgemeinen gesprochen. Wir sind klein. Wir müssen uns unseren Eltern beugen. Unseren Lehrern. Wenn wir in einer Firma arbeiten, dann sollen wir unseren Vorgesetzten gehorchen. Die Menschen sind daran gewöhnt. Wenn man ihnen ein Ziel gibt, dann warten sie auf detailliertere Instruktionen. Wenn man ihnen diese nicht gibt, dann kann es sehr gut sein, dass sie ihre Aufgabe nicht in der dafür vorgesehenen Zeit erledigen werden. Das ist wohl der Grund, weshalb einige ausländische Manager frustriert sind. [L]“ F: „Sie haben sich selbst gerade als ‚Mischung‘ beschrieben. Woher stammt Ihrer Meinung nach der nicht-chinesische Anteil?“ B: „Ich würde von mir nicht behaupten, ich wäre eine Chinesin mit traditioneller Einstellung. Ich meine … Seitdem ich meine erste Arbeitsstelle hatte, mache ich es so, wie ich es mache. Pro-active. [E] Ich weiß auch nicht, wieso. Es ist wie ein natürlicher Teil meiner selbst. Ich weiß es wirklich nicht! [L] Vielleicht hängt es mit meiner Schulerfahrung zusammen. Mit zwölf bin ich auf ein Internat gekommen, was mich sehr unabhängig gemacht hat. I am a person who wants myself in the outstanding. [E] Wenn man das will, dann muss man pro-active [E] sein.“ F: „Ich könnte mir vorstellen, dass einige Chinesen das durchaus als eine sehr westliche Einstellung beschreiben würden.“

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B: „Vielleicht. [L] Ich würde dem zustimmen, da diese Schule eine ausländische Schule in Shanghai war. Wir hatten Lehrer aus Neuseeland, USA … Ich hatte also schon in sehr jungen Jahren Kontakt zur westlichen Kultur. Die Art und Weise chinesischer Lehrer, ihre Schüler mit aller Art von Wissen zu konfrontieren, wobei Fragen nicht erlaubt sind, während die Schüler versuchen, alles richtig zu machen… Falsche Antworten sind nicht erlaubt. Als ich jung war, hatten wir auch diese Probleme, doch wurden wir von unseren ausländischen Lehrern ermuntert, uns zu äußern. Sie teilten uns zum Beispiel in zwei Gruppen auf, gaben uns ein Thema und forderten uns auf, darüber zu diskutieren. Das war sehr neu und unterschied sich sehr von dem, was ich bislang kannte. Zu Anfang waren wir alle sehr aufgeregt und auch ängstlich, uns frei auszudrücken. Vielleicht würden die Klassenkameraden uns auslachen oder der Lehrer wäre verärgert.“

Wie diese chinesische Befragte führen auch Deutsche fehlendes Verantwortungsbewusstsein auf den in China vorherrschenden Erziehungsstil zurück. Aus diesem lasse sich ebenfalls der Unwille bzw. die Unfähigkeit zur Teamarbeit ableiten. Ein deutscher Ingenieur, seit anderthalb Jahren in einem Joint Venture in Suzhou tätig, kommt, als ich ihn auf die Probleme der Zusammenarbeit anspreche, wie einer der deutschen Befragten weiter oben, auf das Thema Teamarbeit zu sprechen. „Ein Bild für die Götter: Der Kunde hat einen Brief geschrieben. Und da kommt dann der Kollege schon so in Fluchthaltung, legt mir das hin – und geht. Wie im Kino. Der wollte damit gar nichts zu tun haben. Sage ich: ‚Na komm, Kamerad. Bleib mal hier stehen. Das ist DEIN Kunde und DEIN Bonus. Und ich helfe dir, dein Problem zu lösen.‘ Man kann es aber nicht verallgemeinern. Es ist auch so, dass manche schon sagen: ‚Ich mache das jetzt, und das ist jetzt mein Ding.‘ Aber es gibt auch ganz ausgeprägte Fälle, wo das nicht der Fall ist. Aber sie müssen da Sachen erklären – das ist Kindergarten! Da muss man Leuten zeigen, dass man mit einem Spachtel vom Körper weg arbeitet. Das haben die am Anfang nicht verstanden. Solche Sachen, die bei uns ganz klar sind. Die Leute sind unwissend – nicht dumm. Unwissenheit um die Gefahr. Wenn man die Gefahr aber deutlich macht, dann kapieren die das auch. Auch das Kümmern um Sicherheit wird, glaube ich, so verstanden, dass man sich um sie kümmert. Teilweise kommt halt auch persönliche Überforderung dazu. Also nehme ich komplexe Planungsaufgaben weg und überlasse denen einfache, ausführende Sachen. Ein anderes Problem ist, wenn die Leute persönlich nicht miteinander können. Und da ist mir nicht klar, worum es geht. Es geht um keine Frau oder so was – man mag sich einfach nicht. Die Chinesen sind meiner Meinung nach sehr, sehr egozentrisch. Wie sie Auto fahren: Tunnelblick. Nur mein Feld, und alles andere interessiert sie nicht. Ich glaube, das hängt mit der Erziehung zusammen. Selber denken oder mal etwas kritisch

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hinterfragen wird einfach nicht gelernt. Teamarbeit können sie deshalb hier auch vergessen. Da kommen die einfach nicht mit klar.“

Befragt, wie sich Teamarbeit in an seinem Arbeitsplatz gestalte, antwortet ein deutscher Ingenieur: „Schlecht. Ganz schlecht. Die Chinesen sind ja zum Beispiel von der Hierarchie sehr eingeschränkt. Da gibt es ja sehr strikte und sehr, sehr weite Hierarchien. So dass .... die flachen Hierarchieformen, wie sie in europäischen Firmen üblich sind, funktionieren hier überhaupt nicht. Teamwork in China? Kein Weg. Kommt vielleicht so allmählich. Was ich so mitgekriegt hab: Chinesen sind absolut nicht teamfähig. Wobei der Chinese… Ein normaler chinesischer Arbeiter hat null Eigeninitiative. Null. Absolut null. Der tut genau, was man ihm sagt, und geht davon keinen Zentimeter von ab. Wenn Probleme auftauchen, wird schon im sehr, sehr großen Rahmen das Problem diskutiert. Was ich bisher immer so mitgekriegt habe: Lösungen gibt’s deshalb aber noch lange nicht. Die Lösung muss dann immer noch von oben kommen. Das ist dann auch ein Problem, dass viele – ja, wir schweifen jetzt ein bisschen ab. Ich schweife jetzt ein bisschen ab [L]. Das Team, das hier versucht Entscheidungen zu finden, findet keine. Muss dann also wieder von oben dirigiert werden, und das ist ein Ding, das uns [Deutsche] manchmal zur Verzweiflung treiben kann. Wo ich also manchmal schon zum Wahnsinn getrieben wurde. Man erklärt, wie ein gewisses Teil aufzubauen ist. Das kommt jetzt hierher. [Zeigt auf eine imaginäre Reihe von Tischen.] Der Abstand hier – der Abstand hier. Weitergehend zum Nächsten. Jetzt ist aus irgendeinem dummen Zufall der nächste Tisch, der da drankommen soll – der hat einen Fehler. Das Bein ist einen Zentimeter zu lang. Jetzt ist der nächste Tisch höher als der nächste. So. Was tun wir jetzt?! Jetzt wird zwei Stunden, drei Stunden, vier Stunden: ‚Bababababababa.‘ [P] Wenn man dann Pech hat, hat man dann einen Dolmetscher, der nicht aus der Gegend ist. Der versteht kein Wort – den lokalen Dialekt nicht. Und da steht man dann da und wartet. Und dann – so: ‚Leute, was machen wir jetzt?‘ ‚Bababababababa!‘ [Ahmt mit einer Hand einen auf- und zuschnappenden Schnabel nach.] Eine weitere Stunde später: ‚So Leute, was machen wir jetzt?‘ – ‚Babababababababa!‘ [Die gleiche Handbewegung wie oben.] [P, L]. Ja und irgendwann platzt einem der Kragen und sagt: ‚Freunde! Jetzt ist Schluss! Jetzt wird hier ein Zentimeter Blech untergelegt.‘ – ‚Wir halten das für wesentlich besser, wenn wir den Fußboden rausreißen und hier eine schiefe Ebene bilden.‘ [P] – ‚Nein. Das ist zu kompliziert und zu umfangreich.‘ … ‚Man könnte auch hier den Tisch einen Zentimeter abschneiden.‘ [P] – ‚Zentimeter Blech unterlegen ist einfacher, schneller und unkomplizierter.‘ [L]“

Der deutsche Geschäftsführer eines deutschen WFOEs führt fehlende Teamfähigkeit direkt auf mangelndes Qualitäts- und Verantwortungsbewusstsein zurück. 234

DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

„Das ist das perfektionierte Spielchen hier. In China versteht man es, das bis zur Perfektion zu optimieren. ‚Lieber Chef. Hier ist ein Koffer, und dann mach’s mal gut damit.‘ Dieses Rückdelegieren wird sehr gerne gemacht und das hat sehr viel mit Übernahme von Verantwortung zu tun. Ein entscheidender Grund ist, dass man denen dann beibringt, dass sie Verantwortung zu übernehmen haben. Da geht es jetzt los. Verantwortung im chinesischen Verständnis ist: bis zu seiner Abteilungsgrenze, seiner Gruppengrenze, bis zur Schreibtischgrenze. Darüber hinaus wird dann in der Regel Verantwortung abgelehnt. Also nicht einmal einmischen. Wenn da jemand was Gutes weiß, wird er es nicht unbedingt seinem Nebenmann sagen. Bei uns würde das mangelnder Teamgeist heißen. Schwer zu trainieren. Dauert. Dauert einfach lange. Bei den meisten Firmen sicherlich gewünscht und bei einigen sicherlich auch praktiziert, dass man dann diese Dinge abteilungsübergreifend lebt. In China ist das noch nicht. Abteilung kommt von ab-teilen. Und das ist das absolut Normale. Den Teamgeist kann man aber trainieren. Ich habe es schon mitgekriegt in meiner ersten Funktion. Nach zwei, drei Jahren war es dann soweit. Da hat es dann geklappt und wir hatten einen rapiden Leistungsanstieg. Auch, was die Qualität betrifft. Da haben sich dann Leute auch abteilungsübergreifend geäußert: ‚Wenn ihr alle mitmacht, dann können wir das natürlich alle besser machen.‘ Und diese Dinge sind erst mal nicht da. Das dauert noch ein paar Jahre. Der Punkt der Verantwortung. Grundsätzlich werden die Menschen hier nicht dazu erzogen, Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht später im MBA-Kurs. Aber davor haben sie erstmal zwanzig, dreißig Jahre etwas anderes gehört. Eine allgemeine Verantwortung. Dann bin ich sofort bei einem General Manager. Der sich dann für alles interessieren und alles können muss. Ist sehr, sehr schwer zu finden. In der Regel wird nur ein Bereich verfolgt, und da macht man sich stark. Aber sehr egoistisch und auf sich selbst bezogen. Das Team haben die Leute dabei nicht im Auge. Wenn ich zu jemandem sag: ‚Pass auf. Du bist jetzt mal mein Projektleiter und du bist jetzt dafür verantwortlich.‘ Dann hat der schon ein Riesenproblem damit. Weil das außerhalb seines normalen Bereiches ist. Also Projektstrukturen, was ja absolut modern und aufgrund von headcount contraction Tagesgeschäft ist in westlichen Unternehmen, das ist absolut schwer verdaulich hier. Wenn man es denn macht, dann muss es klar und präzise definiert sein und dann hat man eine gewisse Chance. Getrieben wird es dann aber von den Westlern. Ansonsten geht es im chinesischen Praxisgeschäft unter. Projektstrukturen gespickt mit einer gewissen Projektverantwortung einfach nur laufen lassen, wird nicht gehen. Da muss der Drive eines geübten westlichen Managers kommen.“

Ein deutscher Entsandter, seit rund zehn Jahren in China und davon vier als Geschäftsführer eines deutsch-chinesischen Joint Ventures tätig, das für den chinesischen Binnenmarkt produziert, fragt, welche Dinge andere deutsche Befragte für problematisch halten:

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F: „Häufig wird die Qualität bemängelt. Teamgeist sind Schwachpunkte und dass Chinesen ungern planen, höre ich immer wieder. Was meinen Sie?“ B: „Kann ich so unterschreiben. Ich vergleiche es gerne mit der Architektur hier. Was Sie hier sehen, ist zum größten Teil vergoldete Scheiße. Das sieht gut aus, aber im Detail fehlt es. Diese siebzehn Millionen hier in Shanghai sind ja nicht von einem Tag auf den anderen auf ein Level hoch zu pushen. Viele kennen das ja auch nicht anders. Bei vielen Sachen wird in die Schublade gegriffen. Da kommt nichts Neues. Und die Arbeit selbst … das sind Tagelöhner! Niemals aus Shanghai. Dem ist das doch egal. Den schert das nicht, wenn der Sand für den Beton nicht ausreicht, dann nimmt er halt den Dreck.“ F: „Wie lösen Sie denn dieses Problem mit unausgebildeten Kräften, wenn Sie gleichzeitig Qualitätsstandards zu erfüllen haben?“ B: „Selber machen. Selber ausbilden. Sich die Leute angucken. Was für eine Vorbildung die haben. Nichts erwarten und dann durch die Schulung schicken. Wo notwendig oder angebracht, auch durchaus durch die Kammer oder die Hans-Seidel-Stiftung. Gezielt in irgendwelche Kurse schicken. Ansonsten sich die Experten vom Mutterhaus reinholen. Die Chinesen können was lernen und die deutschen Ingenieure lernen, dass vieles, was High-Tech und Top Quality ist, gar nicht notwendig ist, weil man es auch einfach machen kann. Das Ganze pragmatisch zu sehen. Dann ist es mal nicht gemäß ISO-Norm – aber braucht es ja auch nicht. Es gibt auf dem chinesischen Baumarkt zwar Anforderungen, aber bei extrem hohen Standards sind wir noch nicht. Warum soll ich hier in diesem Markt päpstlicher sein als der Papst? Wenn es nicht notwendig ist, kann ich es auch einfacher machen und habe das gleiche Ergebnis. Spare mir selber Umstände und Kosten. Und es geht auch. Natürlich muss man darauf achten, dass Sicherheitsstandards und so weiter erfüllt werden. Das ist ganz klar. Aber man muss nicht das in Deutschland übliche Overengineering betreiben.“

3.5 Unternehmenskultur und Arbeitsatmosphäre Eine funktionierende Unternehmenskultur wird von allen Befragten nicht zuletzt als Mittel gegen die starke Fluktuation insbesondere von qualifizierten Mitarbeitern angesehen und als wichtig empfunden (siehe III., 3.6 und 3.7). Unterschiede ergeben sich in den Auffassungen davon, wodurch sich eine Unternehmenskultur bestimmt. Die Mehrzahl der deutschen Führungskräfte ist der Meinung, dass eine deutlich dargestellte und vertikal nach unten vermittelte Unternehmensidentität wesentliche Voraussetzungen für das schaffe, was als Unternehmenskultur angesehen wird. Einer der Befragten, Geschäftsführer eines Unternehmens mit rund 1500 Mitarbeitern, beschreibt, auf welche Art und Weise unter den Mitarbeitern eine positive Identifikation mit ihrem Betrieb hergestellt werden soll. Auf meine Frage, ob es diese Form der Identifikation gäbe, antwortet der Befragte: 236

DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

„Mittlerweile schon. Sicherlich nicht auf dem Niveau wie wir es gerne hätten – aber ich glaube schon. Ich glaube, dass die – mittlerweile schon ... Also, die identifizieren sich mittlerweile sehr, sehr stark mit der Firma. Frage ist, ob das die Corporate Identity ist, die unsere Firma hat. Wir haben einen Aktionsplan, um auch wirklich dieses Unternehmen zu einem X-Unternehmen zu gestalten. Ist eine große Diskussion gewesen vor zweieinhalb Jahren, die wir ~ ja – auf der Holding-Ebene geführt haben, als es noch mal darum ging, nun auch diese Leitsätze dieses Unternehmens international zu verbreiten: Muss man eigentlich Leitsätze eines Unternehmens an lokale Gegebenheiten anpassen? Muss es also eine Corporate Identity für Japan geben? Eine für China? Eine für Amerika? Eine für Deutschland? Und – ich weiß nicht, was da die richtige Antwort ist. Aber wir haben uns dafür entschieden, dass es nicht so sein soll, sondern dass es eine X-Identity geben muss. Weil – wenn sie Diversifizierung zuließen, dann würde das bedeuten – stellen Sie sich mal vor… – ein nordamerikanischer Mitarbeiter redet dann mit einem chinesischen Mitarbeiter…Beide glauben, sie haben die X-Core-Values verstanden. Aber sie haben eigentlich ganz andere Core-Values. Eigentlich sind sie nämlich doch nicht von der gleichen Firma. Das heißt, die Core-Values, die müssen auch so abstrahierbar sein, dass sie auch universell – in der menschlichen Gesellschaft akzeptabel sind. Und ich glaube eigentlich, dass sie das sind – die wir haben. Ich sag mal zum Beispiel ein Core-Value: ‚Wir achten und schätzen einander.‘ Ich glaube, das ist das, was man generell in jeder Society haben sollte und hat. Dass man pfleglich mit den Ressourcen umgeht. Ist etwas – das ist in jeder Gesellschaft akzeptabel. Oder nicht akzeptabel. Aber ich meine, es ist jedenfalls das … mit dem man sich identifizieren kann oder nicht identifizieren kann. Es ist nicht so, dass es grundsätzlich gegen irgendwelche Grundsätze geht. […] Ich glaube, dass wir da auf einem sehr, sehr guten Weg sind. Das geht zum Beispiel auch über Maßnahmen. Die fangen so seit einem Jahr an. Wir haben hier so eine Wandzeitung, die wir hier jeden Monat rausbringen. ~ Und wir haben jetzt vor allen Dingen junge Mitarbeiter gebeten, sich diese fünf Core-Values mal anzusehen ... – und sie mögen doch mal aus ihrem täglichen Leben Beispiele geben, wo diese Leitsätze gelebt werden und nicht gelebt werden. Beides. Also – das funktioniert ganz gut. Und an diesen Beispielen wird das Ganze transparenter. Wird auch die Universalität des Ganzen deutlicher. Sie können das auf einen ganz einfachen Nenner bringen: Also, wenn sie sich zurücklehnen und aus einer Position heraus, in der sie nicht unmittelbar betroffen sind oder wo es nicht mehr um ihre eigene Haut geht – wie bei einem alten Menschen. Sie schauen sich das an und fragen sich: ‚Macht das Sinn oder macht es keinen Sinn?‘ Unter einem wie auch immer universalen Weltbild. Und wenn es Sinn macht – dann macht es Sinn, egal wo es eigentlich ist.“

Mehrere der deutschen Befragten stellen sehr konkrete Punkte in den Vordergrund. So wird „Sicherheit“ häufig als wichtiges Kriterium ange-

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sprochen, das den chinesischen Mitarbeitern einerseits zunächst erst einmal vermittelt werden, andererseits aber grundsätzlich auf ein äußerst positives Echo stoßen müsse. „Genauso, wenn irgendwo auf der Welt, wenn im Unternehmen etwas passiert. Das weiß ich innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Zum Beispiel Verletzungen. Und meine Mitarbeiter, sobald ich sie sehe. Sobald ich das höre, es war wieder ein Unfall mit Todesfolge – da haben wir dann unsere X-Flagge auf Halbmast. Da weiß jeder hier im Hause, irgendwo ist einer von uns umgekommen. Genauso kriege ich das Feedback, wenn hier irgendwo was passiert ist. Wenn der Production Manager bei mir anruft und sagt: ‚Sorry. Da hat sich jemand in den Finger geschnitten.‘ Das ist so ein bisschen group policy: safety first. Schlimm genug, dass es Todesfälle gibt, aber selbst der Schnitt in den Finger wird bei uns ernst genommen. Und das melden die Mitarbeiter dann auch. Deswegen wird hier keiner umgebracht. Denn das Bewusstsein muss da sein, dass es nicht nur Sicherheit für den Einzelnen ist, sondern für ALLE Mitarbeiter, Besucher, Gäste und so weiter. Wir verschaffen allen Mitarbeitern eine vierundzwanzig-Stunden-Unfallversicherung. Das heißt, dass die auch zuhause greift. Wir überprüfen die Fahrzeuge unserer Mitarbeiter, ob die sicher sind für den Verkehr, nachdem wir alle Räder hier mit einem elektrischen Rücklicht ausgestattet haben. Wenn einer mit seinem Motorrad hier ankommt und die Bremse quietscht, die Lampe runterhängt und so weiter. – ‚Das wird repariert!‘ Der hat zwei Tage, das zu fixen. Dann muss er es wieder vorführen. Wir haben jetzt hundertfünfzig Tage unfallfreies Arbeiten gehabt. Da hat jeder eine Kinokarte bekommen. – ‚Noch mal hundert Tage, und du hast auch noch eine Karte für deine Frau.‘ Egal, in welchem Kino.“

Tatsächlich schätzen einige der chinesischen Befragten diesen Aspekt der Sicherheit am Arbeitsplatz hoch ein. Ein chinesischer Arbeiter, seit fünf Jahren in einem namhaften deutschen Konzern tätig, kommt hierauf zu sprechen, als ich ihn nach Unterschieden zwischen chinesischen und deutschen Unternehmen frage: „Es gibt einen großen Unterschied zwischen chinesischen und deutschen Unternehmen. In chinesischen Unternehmen ist es oft vollkommen egal, ob ein Arbeiter bei seiner Arbeit verunglücken oder sogar sterben könnte. Der einzelne Mensch zählt dort oft nicht viel und man riskiert bei der Arbeit sein Leben. Das ist ein Problem in China. Es gibt einfach zu viele Menschen. Hier ist es nicht so. Wir sind der Unternehmensleitung nicht egal.“

Ein anderer deutscher Befragter berichtet, bei seiner Ankunft am neuen Arbeitsplatz in China auf ein äußerst schlechtes Betriebsklima gestoßen zu sein:

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„Als ich hier angekommen bin, haben sich der Kaufmann und der Techniker gestritten. Alles Deutsche. Und das ist durch die Firma wie ein Graben gegangen. Das musste man erst mal umkrempeln: Teambuilding war das Erste. Dann haben wir eine Mitarbeiterbefragung gemacht. Da kamen drei wesentliche Antworten heraus. Erstens: ‚Wir haben keine Zukunft.‘ Zweitens: ‚Die Essenszeiten sind zu lang.‘ Drittens: ‚Die Toiletten sind dreckig, das Essen ist schlecht und die Gehälter zu niedrig.‘ Die Toiletten haben wir bereinigt, das Essen haben wir versucht zu verbessern und die Gehälter ... na gut [L]. Und wir haben Visionen festgelegt. Die haben wir angepackt und uns überlegt: ‚Gut. Das ist unsere Firma.‘ Unser Logo ist jetzt: ‚We can do that together!‘ Und das läuft jetzt auch. Und dafür haben wir ein rotes Banner gemacht. Typisch chinesisch. Das brauchen die. Als wir SAP eingeführt haben, gab es ein rotes Banner. Für ein Seminar gibt es immer ein Seminarbanner. Das gehört einfach dazu. Auch dieses WIR machen das zusammen. Wir machen auch einen Familientag. Da kommen sie immer wieder an und fragen, wann wir wieder einen machen. Wir haben auch mal ein Foto von allen gemacht, das wir dann verteilt haben: ‚Oh! Wir haben ein Familienfoto!‘ Das steht jetzt bei vielen zuhause. ‚Das ist meine Firma!‘ Das ist hier viel stärker als in Deutschland.“

Diesen positiven Erfahrungen stehen die Äußerungen einiger deutscher Befragter gegenüber. Manch einer äußerte seinen Unwillen über chinesische Mitarbeiter, die sich der Schaffung einer Gemeinschaft am Arbeitsplatz geradezu versperren würden. Stattdessen würden Chinesen dazu neigen, ihren eigenen Vorteil in so gut wie jeder Situation ausschöpfen zu wollen, was sich letztlich kontraproduktiv auf jeden noch so ambitionierten Versuch, Gemeinsamkeiten herzustellen, auswirkt. „Das klappt hier oft nicht. So etwas wie gemeinsame Ziele herstellen. Da fehlt denen oft einfach die Einsicht. ‚Nach mir die Sintflut!‘ So denken hier doch die meisten Chinesen. Das heißt ein Mindestmaß an Selbstverantwortlichkeit, die Einsicht, dass Gemeinwohl oder Gemeinnutz vor Selbstnutz geht, weil Selbstnutz aus Gemeinnutz resultiert. Solche Ansichten fehlen einfach noch. Denn ein Chinese tritt gewissermaßen – es gibt schon die Neigung… – ich hab’s schon erlebt – dass sie der eigenen Firma ans Schienbein treten, einfach um sich vor der Arbeit oder der Verantwortlichkeit zu drücken oder was in einem Firmenverbund auch möglich ist: Den Profit der eigenen Abteilung ins Idiotische zu steigern auf Kosten der restlichen Abteilungen, wobei sie ja auch ein Teil des Ganzen sind. Das heißt, es kommt irgendwann zurück. Aber das wird nicht gesehen. Der strukturelle Gesamtüberblick, der… – dazu fehlt manchmal die Fähigkeit, denk ich. Ein strukturelles Denken fehlt! Es gibt hier eher Impulsentscheidungen. Also – es gibt – das ist vielleicht auch ein bisschen was Asiatisches zum einen. Aus dem Impuls! Also nicht aus dem Struk-

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turellen, sondern aus dem IMPULS. DAS macht man jetzt. So zu handeln. Weiter wird nicht gedacht.“

Ein anderer deutscher General Manager, der einen Betrieb mit rund 80 Mitarbeitern führt, wovon ca. zehn Personen Angestelltentätigkeiten übernehmen, hält es für sinnvoll, deutsche Vorstellungen nicht gänzlich auf China zu übertragen. Stattdessen sieht er die Entwicklung einer Unternehmenskultur als Prozess, in den Vorstellungen sowohl der chinesischen wie auch der deutschen Seite einfließen sollten. Befragt, wie er die Unternehmenskultur in seinem Unternehmen beschreiben würde, antwortet er: B: „Ich gehe hier keinen deutschen Weg und keinen chinesischen Weg. Wir müssen bei einigen Sachen, was die Qualität der Produkte anbelangt, den deutschen Weg gehen. Aber bei einigen Sachen wie Essen oder Ordnung und Sauberkeit müssen wir so ein bisschen uns anpassen. Man kann hier nicht eine reindeutsche Firma aufbauen. Da würden sich die Mitarbeiter auch nicht wohlfühlen. Eine Verzahnung der Sachen. Das erzähle ich ihnen auch, dass wir das versuchen wollen. Ob das nun wirklich gut klappt, das wird sich zeigen. Aber einiges kann man nicht akzeptieren als deutsche Firma. Und mit einigem kann man leben. Das ist wahrscheinlich auch vom GM abhängig. [L] Da müssen wir gucken, wie es läuft. Das sind natürlich auch immer wieder Diskussionspunkte.“ F: „Sie sprechen immer von ‚WIR‘?“ B: „Weil WIR hier ein großes Team sind. In der Führungsposition stehe ich zwar alleine da, aber die einzelnen Themen sind für alle offen und wir sprechen darüber .So versucht man eine Gemeinschaft zu werden. Eine große Familie. Das ist so der Schritt, den ich versuche. Ich will jetzt nicht sagen, die Mitarbeiter zu motivieren. Die lassen sich auch durch den Erfolg der Arbeit motivieren. Aber in dem Sinne, dass man so einen Touch reinkriegt, dass wir ein Team sind. Flache Strukturen. Was hier natürlich auch Schwierigkeiten mit sich bringt. Speziell bei den Männern. Die wollen doch immer noch mehr Status haben. Deswegen haben wir hier auch mehr Frauen als Männer, da die doch mehr aufgabenbezogen sind und leistungsorientiert.“

Dieser Befragte sieht Unternehmenskultur also weniger als etwas durch das Stammhaus Vorgegebenes, das in eine bestimmte Richtung entwickelt werden müsste, sondern baut auf die gemeinsame Entwicklung mit der chinesischen Belegschaft, was aufgrund der überschaubaren Größe des Betriebes leichter möglich erscheint als in einem weitaus größeren Betrieb. Die hier angesprochene Präferenz, lieber weibliche als männliche chinesische Arbeiter und Angestellte einzustellen, teilen einige der der deutschen Befragten.

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In anderen, größeren Betrieben und Konzernen setzt man, ähnlich wie in dem ersten Zitat dieses Kapitels beschrieben, auf eine international festgelegte Firmenidentität, die von den Befragten oftmals mit dem Begriff Unternehmenskultur gleichgesetzt wird. Der Geschäftsführer einer Konzernstelle mit mehr als 2500 Mitarbeitern antwortet auf meine Frage nach einer Unternehmenskultur: „Nicht für China. Wir haben eine einheitliche Corporate Identity weltweit. Klare Leitlinien – klare Leitsätze wie ‚Ich motiviere den Mitarbeiter.‘, ‚Wir sind in den und den Segmenten führend.‘, ‚Das und das macht uns aus.‘ und so weiter. Ist niedergeschrieben und da ist schon drin, wie ich Leute führe. Natürlich nicht, wie ich Leute in jedem Land führe. Aber grundsätzlich. Da steht auch drin, dass man mit den Leuten fair umgehen sollte. Und es gibt klare Regeln, wie man sich während der Arbeitszeit zu verhalten hat und, und, und. Wer dagegen verstößt, der wird abgemahnt oder fliegt halt raus. Eigentlich muss man für China sagen: Am besten wie für Kinder. Erschreckend. Klare Regeln. Und die kann man auch durchziehen. Daraus ergibt sich dann das, was wir uns als Unternehmenskultur vorstellen.“

Eine chinesische Arbeiterin, befragt, was ihrer Meinung nach die Voraussetzungen für eine „gute Unternehmenskultur“ seien, antwortet: „Die Leitung sollte für gute Arbeitsbedingungen sorgen und einen guten Arbeitslohn bezahlen. Die Betriebsverwaltung sollte menschlicher sein. Auch außerhalb der Arbeitszeiten sollte der Chef mit uns wie in einer Familie zusammenfinden. Wenn die Arbeitsatmosphäre gut ist, dann macht harte Arbeit nichts aus. Man sollte auch eigene Ideen und Vorschläge nach Oben weitergeben dürfen, so dass man Gelegenheit erhält, sich innerhalb des Betriebes weiterzuentwickeln.“

Ein Arbeiter aus einem anderen Betrieb beschreibt in diesem Zusammenhang die Differenzen zwischen einem chinesischen und einem deutschen Unternehmen: „Der Unterschied ist, dass es in chinesischen Betrieben viel schwieriger ist. Man muss wissen, wem man vertrauen kann und wem nicht. Man muss immer aufpassen, was man macht. In deutschen Betrieben ist das viel klarer und das finde ich gut. Hier wird eher auf die Leistung geachtet. In chinesischen Betrieben ist es aber so, dass man, wenn man den Chef gut kennt, Vorteile hat. Und das ist eigentlich nicht fair. Deshalb finde ich deutsche Betriebe besser.“

Eine andere chinesische Befragte in einem Angestelltenverhältnis empfindet das Klima in deutschen Betrieben hingegen als eher unangenehm.

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„Manchmal habe ich den Eindruck, dass Deutsche sehr gefühllos sind. So kalt. Man spricht nur über die Arbeit und kaum über andere Dinge. Deutsche sind immer so sachlich. Ein ehemaliger Chef hat uns mal getadelt, weil wir während der Arbeitszeit über unser Privatleben gesprochen haben. Es war sehr schwierig mit ihm und ich glaube, er hat nicht verstanden, warum wir das so machen. Für Chinesen ist das sehr wichtig. Man muss sich kennen lernen und gut miteinander auskommen. Sonst macht die Arbeit auch keinen Spaß. Aber Deutsche wirken immer so verbissen. Dafür machen sie aber alles sehr genau. Aber ich glaube, die Arbeit macht ihnen nur wenig Spaß.“

Eine chinesische Personalmanagerin, die nach eigenem Bekunden eine ausländische immer einer chinesischen Firma vorziehen würde, spricht im Zusammenhang mit Unternehmenskultur von einer guten Arbeitsatmosphäre: „Ich denke, unsere Firma ist eine gute Firma. Ich mag es hier. Hier wird mir eine Menge Raum geboten, um mich weiterzuentwickeln. Das mag ich sehr. Außerdem besteht hier untereinander eine wirklich gute Atmosphäre. Also im Management. Ich denke, eigentlich hat jede Firma eine spezielle Unternehmenskultur. Es beruht darauf, wie und was man fühlt. Wie man es empfindet. Und hier habe ich ein wirklich gutes Gefühl.“

Ein chinesischer Angestellter mit leitenden Funktionen äußert sich folgendermaßen: „Das Stammhaus in Deutschland hat da irgendwelche Broschüren mit CoreValues. Aber sie haben nicht besonders klar festgeschrieben, was ein CoreValue bedeutet. Es gibt aber Beschreibungen dessen, was wirklich wichtig ist. Was unsere Tradition ist. Das verstehe ich als Wert. Ich glaube, wir haben auch Core-Values für China. Sie können sich vorstellen, dass wir das natürlich an alle unsere Zweigstellen in China weitergeben und fördern. Aber in der Realität ist das etwas, was wirklich sehr weit hier oben ist. [Deutet mit einer Handbewegung das abstrakte Niveau dieser Werte an.] In realen Situationen unterscheidet sich das von Region zu Region. Weil China einfach ein großes Land ist. Wir haben vierzehn oder fünfzehn Joint Ventures. Da sind mit Sicherheit Subkulturen zu finden. Aber lassen sie es mich so sagen: Unsere Firma ist schon eine deutsche Firma. Sie bietet Freiräume, aber man muss in der Lage sein, mit diesen Freiräumen umgehen zu können. Das kann hier [in China] nicht jeder. So etwas muss man lernen und für viele Chinesen ist es ungewohnt. In unserer Firma sind eine Menge Leute, die nicht an diese Art von Kultur gewöhnt sind.“

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DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

Ein deutscher Befragter, General Manager, beschreibt die Situation in einem großen Familienbetrieb, der mehrere Joint Venture in China betreibt. B: „Wir haben auch eine andere Arbeitsweise und Atmosphäre im Unternehmen als Börsennotierte Großunternehmen. Da geht es anders zu. Wir versuchen sehr viel zu machen mit Werten, die wir leben wollen in unserer Arbeit. Typische X-Werte. Das kommt an sich auch gut an. Ich glaub, wir haben eine gewisse Attraktivität, weil wir so eine alte Familiengesellschaft sind. Die wenigsten kennen uns am Anfang, aber wenn wir dann so Rekrutierung starten, jedes Jahr zum Beispiel in Beijing – stoßen wir auf sehr viel Interesse. Und ich glaube, die Leute kommen gern zu uns. Aber trotzdem…Personal ist ein schwieriges Feld.“ F: „Wie kommunizieren Sie diese X-Werte?“ B: „Zum Beispiel: Führen durch persönliches Vorbild. Das ist bei uns eine wichtige Sache. Auch, das wir sagen, dass der Kunde das Wichtigste für uns ist. Das sagt natürlich jedes Unternehmen. Aber dieses Führen durch persönliches solid leadership – mit diesem Solid meinen wir ein Führen durch Vormachen und dadurch überzeugen. Das ist für uns wichtig und das müssen Führungskräfte bei uns auch mitbringen und leben. Nur ein Beispiel, sage ich mal. Das kommt gut an.“ F: „Haben Sie diese Werte an China angepasst?“ B: „Nein. Wir haben diese guiding principles. Das ist sozusagen unsere Verfassung. Die haben wir vor ein paar Jahren gemacht – zehn Jahren, und in diesem Team waren Leute, die aus unterschiedlichen Erdteilen kamen; Europa, USA, auch aus Asien, Japan, Hongkong, Taiwan. Ziemlich großes Team. Wir haben auch ziemlich lange gebraucht. [L] Es gibt eine Verfassung für alle Unternehmen. Dann haben wir das in viele Sprachen übersetzt und dann durch verschiedene Maßnahmen auch versucht, das umzusetzen. Ich denke, diese guiding principles hat heute jeder bei uns kapiert.“ F: „Also gibt es bei Ihnen so etwas wie eine Corporate Identity?“ B: „Sehr stark.“ F: „Die auch global in allen Zweigstellen gültig ist?“ B: „Ja.“ F: „Bedeutet das, dass es zwischen X China und X Deutschland keinen großen Unterschied gibt?“ B: „Natürlich sind die Unterschiede da. Aber diese Verfassung gilt wie gesagt auch hier. Es ist natürlich ein Unterschied. Ein anderer Grundsatz ist, dass wir immer ein lokales Management haben wollen. Das gilt nicht nur für China, sondern auch für Frankreich oder für Brasilien. Das heißt, die Top-Positionen sind besetzt durch Locals. Und unsere GMs an den Produktionsstandorten sind alles lokale Kräfte. Ich meine, natürlich führen die auch anders. Und natürlich führen die anders, als unsere Amerikaner ihren Laden führen. Da gibt es sicherlich Unterschiede. Aber die grundsätzlichen Werte, wie man miteinander

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umzugehen hat – oder was es bedeutet, ein X-ler zu sein. Das ist überall gleich.“ F: „Wo bekommen Ihre General Manager denn ihre Werte her?“ B: „Da muss man nicht unbedingt in Deutschland dafür sein. Es ist nicht so, dass es initiiert wird oder ... ~ Es gibt auch – … Wie kriegen die das mit? Nun ja. Die General Manager sind eigentlich ~… Das sind Leute, die sind in dem Unternehmen auch groß geworden. Das heißt, die waren schon ganz am Anfang mit dabei hier und haben X in China von Anfang an her begleitet und sind in eine immer größere und wichtigere Rolle reingewachsen und die haben das im Verlauf der Jahre auch mitbekommen. Dass die natürlich auch in Deutschland waren, ist klar und dass die natürlich auch jedes Jahr in Deutschland sind, ist klar.“

3.6 Materielle Anreize oder Selbstverwirklichung: Motive chinesischer Mitarbeiter, in einer deutschen Firma zu arbeiten Auch bei Chinesen finden sich die unterschiedlichsten Motive, in einer deutschen Firma bzw. deutsch-chinesischen Kooperation zu arbeiten, wobei anzumerken ist, dass unter diesem Abschnitt nur diejenigen der befragten Chinesen berücksichtigt werden, denen bewusst ist, dass sie in einer deutschen Firma arbeiten. Dies kann nämlich nicht immer vorausgesetzt werden. Je nachdem, wie groß ein Unternehmen ist, wie oft Arbeiter ihre deutschen Vorgesetzten zu Gesicht bekommen, wie bekannt der deutsche Firmenname ist und inwieweit die vorhandene Unternehmenskultur als deutsch wahrgenommen wird, setzt sich auch das Bewusstsein bei der Belegschaft durch, nicht in einer chinesischen Firma tätig zu sein (vgl. III., 3.5). Ähnlich wie bei Deutschen kann nach zwei Gesichtspunkten unterschieden werden. Vor allem Arbeiter, die aufgrund der hohen Zahl der Arbeitsfähigen und dem dazu in Relation gesetzten sehr geringen Anteil an Arbeitsplätzen in der Regel darauf angewiesen sind, die erstbeste Gelegenheit beim Schopfe zu ergreifen, orientieren sich nach sehr grundlegenden, materiellen Bedürfnissen. Entscheidend bei den gering oder auch gar nicht qualifizierten Kräften ist zunächst die Höhe des Gehaltes, mit dem entweder eine Familie gegründet oder ernährt werden soll. Da zahlreiche deutsche WFOE inzwischen nicht, wie noch vor wenigen Jahren allgemein üblich, deutlich höhere Gehälter als chinesische Firmen zahlen, entfällt damit oftmals ein wesentlicher Attraktivitätsfaktor für chinesische Arbeitssuchende. Dies hängt zum einen mit den steigenden Lohnkosten in China zusammen, aber auch damit, dass inzwischen zahlreiche, sehr erfolgreiche chinesische Privatunternehmen mit den 244

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ausländischen Investoren um Arbeitskräfte konkurrieren. Diese stellen ihrer Belegschaft manchmal Rahmenbedingungen zur Verfügung, deren Vorzüge für Deutsche nicht immer ersichtlich sind. Neben dem materiellen Anreiz erwarten sich manche von einem bekannten ausländischen Unternehmen eine höhere Sicherheit des Arbeitsplatzes. Ein Unternehmen, das seit längerer Zeit durch ein gutes Produkt und eine erfolgreiche Marktstrategie auch internationale Erfolge vorweist, erscheint vertrauenswürdig. Weiterhin wird an deutschen, aber auch anderen ausländischen Unternehmen geschätzt, dass die Gehälter auch ausgezahlt werden. Vor allem Arbeiter haben, wenn sie zuvor in chinesischen Staats- und Privatunternehmen tätig waren, teilweise schlechte Erfahrungen gemacht. Der Willkür, mit der manche chinesische Firmenleitung in schwierigen Zeiten der Belegschaft die Auszahlung des Lohnes verweigert, stehen chinesische Arbeiter hilflos gegenüber. Ein Arbeiter, der in dem besuchten deutschen Unternehmen erst seit kurzer Zeit arbeitet und zuvor bei einem chinesischen Unternehmen in staatlichem Besitz tätig war, berichtet. „Vorher war ich bei einem chinesischen Unternehmen. Kein privates. Da ist es manchmal besser [als bei einem staatlichen Unternehmen]. Hier habe ich jetzt aber gehört, dass das [deutsche] Unternehmen immer regelmäßig den Arbeitslohn auszahlt. In meiner ehemaligen Firma hat der Chef immer den Arbeitslohn nicht bezahlt, wenn er [bzw. das Unternehmen] finanzielle Probleme hatte. Wir waren damit natürlich unzufrieden, aber wir haben immer geschwiegen. Wir konnten da einfach nichts machen.“

Darüber hinaus spielt der Heimatort der Betroffenen eine wesentliche Rolle. Insbesondere jüngere Befragte, die nicht aus der Region stammen, gaben an, in einigen Jahren wieder in ihren Heimatort zurückkehren zu wollen, um eine eigene Familie zu gründen oder aber auch, um mit Ersparnissen ein eigenes Geschäft zu eröffnen (siehe III., 3.7). Diese sehr konkreten Vorstellungen von Arbeitern orientieren sich in erster Linie an der eigenen, wirtschaftlich als unsicher erlebten Situation. Auch wenn damit materielle Faktoren wie die Entlohnung einen hohen Stellenwert erhalten, spielen auch andere Faktoren eine wichtige Rolle. Eine chinesische Arbeiterin in einem deutsch-chinesischen Joint Venture, dessen Majorität die deutsche Seite hält, verweist auf das bessere Management deutscher Unternehmen: „Das Management ausländischer Firmen ist besser als das von chinesischen. In chinesischen Firmen sind Sicherheit, Hygiene, Gesundheit für die Arbeiter nicht so gut. In staatlichen Betrieben kümmert sich die Führung nicht so sehr

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um solche Dinge. Aber die Arbeiter auch nicht. Es ist halt staatliches Geld und die Firma kümmert es nicht, wenn die Mitarbeiter schlechter arbeiten.“

Hochqualifizierte Angestellte, die bewusst eine Stelle in einer ausländischen bzw. deutschen Firma suchten, formulieren zum Teil gänzlich andere Motive. Insbesondere wenn materielle Bedürfnisse beispielsweise durch ein Erbe oder durch das hohe Einkommen des Ehepartners auch ohne eine berufliche Tätigkeit befriedigt werden können, benennen Befragte „Anerkennung“ als wesentlich. „Ich brauche eigentlich nicht zu arbeiten, um zu leben. Wenn es ums Überleben ginge, bräuchte ich nicht zu arbeiten. Meine Familie besitzt genug, um allen ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Warum ich trotzdem so hart arbeite?! Ich möchte, dass Menschen meinen Wert erkennen. Es ist ein gutes Gefühl, von Menschen anerkannt zu werden. Und Geld ist hierbei als Mittel, diese Anerkennung und den eigenen Wert zu zeigen, wichtig.“

Diese Gruppe von Befragten unterscheidet sich also nicht allein aufgrund einer besseren Ausbildung von Arbeitern, sondern auch dadurch, dass eine finanzielle Entlohnung eher einen symbolischen Charakter trägt und weniger der eigenen Existenzsicherung dient. Hiermit hängt eine gänzlich andere und weitaus komplexere Anspruchshaltung an einen Arbeitsplatz zusammen. Neben der gesellschaftlichen und statusgebundenen Anerkennung wird im gleichen Atemzug die Option genannt, sich „selbst verwirklichen“ zu können. Diese Möglichkeit suchen einige der Befragten bewusst in ausländischen Unternehmen bzw. vor allem „westlichen“ Unternehmen, womit in der Regel europäische, nordamerikanische und manchmal auch japanische Firmen gemeint sind. Ihrer Meinung nach könne man sich in den komplizierten Beziehungsstrukturen eines chinesischen Unternehmens nicht so gut entfalten. Insbesondere staatliche Unternehmen werden aus diesem Grunde abgelehnt, während westliche Unternehmen dem leistungsstarken Individuum mehr Freiheit einräumen. Eine chinesische für das Personal verantwortliche Managerin äußert sich: „Ich denke, dieses Unternehmen bietet seinen Mitarbeitern Raum, zu wachsen. Man kann sich entfalten. Entscheidend ist, ob man seine Arbeit gut macht, und nicht so sehr, ob der Chef einen mag. Das finde ich gut. Man kann sich mehr einbringen und man kann mehr gestalten. In chinesischen Staatsbetrieben geht so etwas nicht.“

In Einzelfällen wurden von Befragten die besondere Arbeitsweise und die Unternehmenskultur deutscher Betriebe als äußerst positiv eingeschätzt. Dies, so die Befragten, würde sie in besonderem Maße anspre246

DARSTELLUNG UND AUSWERTUNG DER INTERVIEWS

chen und wäre für sie Grund, bei einer etwaigen beruflichen Neuorientierung wieder einem deutschen Unternehmen den Vorzug zu geben (vgl. III., 3.4; 3.6; 3.7).

3.7 Fluktuation „Das Prinzip ist so: Als wir angefangen haben, da haben wir Leute vom Kunden gehabt. Die Leute haben wir geschult. Denen haben wir alles gezeigt. Dann habe ich meinen Kollegen gesagt: ‚Passt mal auf. Ein Jahr, da ist keiner mehr von denen in Arbeit. Da kommen irgendwelche von draußen vom Feld. Die wissen, wie eine Schraube ausschaut oder ein Kabel ausschaut. Das eine ist dann der Schlosser, der andere der Elektriker und die bauen dann am Fahrzeug und die anderen sitzen dumm herum.‘ Und so ist es jetzt. Sobald einer ein bisschen fähiger ist. Was versteht und so. Dann geht der nach oben oder wenn die Firma schlecht zahlt, dann geht er zur anderen Firma, wo er mehr kriegt. Es ist schwierig, fähige Leute zu kriegen. Du musst gut zahlen.“

Eines der Probleme, mit denen Betriebe in China zu kämpfen haben, ist die teilweise sehr hohe Fluktuationsrate vor allem bei gut bis sehr gut qualifizierten Mitarbeitern. Das, was der hier zitierte Monteur aus eigener Erfahrung berichtet, erleben zahlreiche Befragte. In einigen Fällen berichten deutsche Entsandte, wie chinesische Kooperationspartner die Möglichkeit nutzen, ihr Personal durch die deutschen Experten in gemeinsamen Projekten schulen zu lassen, um diese schließlich in andere Bereiche abzuziehen (siehe auch III., 3.8). Ein anderer deutscher Befragter, tätig in einem Dienstleistungsunternehmen, macht auf die Gefahr aufmerksam, dass Mitarbeiter, sobald sie genug Wissen erlangt hätten, die Firma verlassen, um sich mit den gewonnenen Kenntnisse selbständig zu machen. Aus diesem Grund reagieren einige Stammhäuser mit Direktiven an die deutsche Belegschaft, möglichst wenige Informationen an chinesische Mitarbeiter weiterzugeben. (siehe III., 3.9 und 4.1). „Also, es ist so, dass bei uns die hochqualifizierten Chinesen, mit denen wir zusammenarbeiten, extern sind. Das ist der Kernpunkt. Dass wir immer wahren müssen, dass die zum einen natürlich entsprechend bezahlt werden, zum anderen nicht so viel von unserem Wissen bekommen, dass sie damit wiederum allein auf Tour gehen können. Und in dem Rahmen ist es eine gute und unproblematische Zusammenarbeit. ~ Gegenüber den Mitarbeitern im Haus ist es aktuell zumindest noch so, dass der Kompetenzvorsprung noch so groß ist, dass es für die keinen Sinn macht, gegen uns zu arbeiten. Im Moment ist … Thema Pragmatismus – können sie von uns wesentlich mehr profitieren, wenn sie bei uns arbeiten.“

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An dieser Stelle soll es zunächst um das von den Beteiligten als „Job Hopping“ bezeichnete Phänomen gehen. Bei „Job Hoppern“ handelt es sich meist um junge Kandidaten mit Hochschulabschluss, die grundsätzlich nicht an einer längeren Arbeitszeit in ein und demselben Betrieb interessiert sind. Stattdessen, so befragte Führungskräfte, hätten es diese primär karriereorientierten Personen darauf abgesehen, in möglichst zahlreichen namhaften internationalen Betrieben Arbeitserfahrungen zu sammeln, um so den eigenen Lebenslauf aufzuwerten. Für die Betriebe verursacht der frühe und oftmals, so Befragte, unbegründete Ausstieg nach kurzer Zeit aus einer Firma enorme Kosten. Entsprechend reagieren deutsche wie auch chinesische Beteiligte auf dieses Problem und versuchen, schon bei der Einstellung herauszufinden, ob es sich bei einem Kandidaten um einen „Hopper“ handelt: „Leute, die mit einem Lebenslauf ankommen, und wo der jedes Mal nach einem Jahr schon Hopping macht… den stelle ich nicht ein. In manchen Lebensläufen finden sie so gut wie jede große Firma: General Motors, Volkswagen, Bayer und was weiß ich nicht alles. Immer ein schlechtes Zeichen. Vor allem, wenn die Leute nicht länger irgendwo geblieben sind. Solche Leute haben auch verquere Gehaltsvorstellungen. Die meinen, sie könnten dann gleich ein Managergehalt verlangen und bekämen einen Zwölfzylinder vor die Tür gestellt. Hier nicht. Denn das Geld, was die fordern, erwirtschaften die ja erstmal nicht. Manch einer meint, nur weil er einen Qinghua-Abschluss23 hätte, müsse man ihn nun auf Händen tragen. Vollkommen unrealistisch. Solche Leute machen einen Betrieb aber schnell kaputt. Und das kann ich mir hier nicht leisten. Wir sind jetzt dazu übergegangen, die Leute im Betrieb schon langsam aufzubauen. Wir entwickeln die Leute jetzt schon. Und dabei habe ich ein ganz gutes Gefühl.“

Viele Unternehmen suchen verständlicherweise nach Personen, die sich mit ihrer zukünftigen Arbeit identifizieren können, um so eine möglichst hohe Bindung zum Unternehmen herzustellen. Allerdings, so die Meinung manches deutschen Befragten, sei dies oftmals illusorisch, da viele Chinesen in erster Linie am Geld orientiert seien und weniger an ideellen Werten: „Ein weiteres Kriterium ist, wie stellt er sich zum Geld. Ist Geld etwas, was absolute Top-Priorität hat? Ein Gehalt muss natürlich gezahlt werden. Keiner arbeitet für umsonst. Aber ist es wirklich so, dass der messbare Betrag in Geld das ist, was die Entscheidung ja oder nein macht. – Oder ist es von Anfang an klar, dass man ein faires Gehalt bekommt und es nicht das Top-Gehalt ist. 23 Die Qinghua Universität in Beijing gilt als renommierteste Eliteuniversität der Volksrepublik China.

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Also – wenn ich mit jemandem rede, und der redet – ich hab das gerade mal wieder gehabt hier: Also, ein Chinese, der aus Deutschland zurückkam. Und der hat mich überhaupt nicht gefragt, eigentlich, was er hier machen soll. Wo so seine Entwicklung hingeht. Der wollte zehntausend Renminbi im Monat. Und wenn er diese zehntausend Renminbi nicht kriegt, dann war das Gespräch hier zu Ende. Das war’s dann auch. Ne?! Da guck ich drauf. Wenn sie bei uns für Geld arbeiten, dann arbeiten sie für das falsche Unternehmen. Ich zahl kein Top-Gehalt. Müssen sie zu Coca-Cola gehen. Ich mein, das bringt auch nichts. Wenn ich jemanden einstelle fürs Geld und morgen kommt einer, der mehr bietet – dann ist der weg. Wenn ich versuche, jemandem meine Denke beizubringen und die Denke des Unternehmens – dann dauert das. Das ist ein Prozess. Das machste nicht in vier Wochen. Wenn du die Zeit investierst – das kostet viel mehr als das Gehalt. Dann machste das nicht, damit der Typ nach ’nem halben Jahr weggeht für 50 Renminbi mehr. Waste of time. Natürlich muss man faire Gehälter zahlen. Ist klar. Aber… – Geld ist es nicht. Für Geld arbeitet man bei uns nicht. Aber es ist auch nicht so einfach hier in China, solche Leute zu finden. Da sind viele dabei, die gucken auf die Zahl auf’m Gehaltsscheck, und der Rest ist denen nicht so wichtig.“

Ein deutscher Geschäftsführer eines kleineren deutsch-chinesischen Joint Ventures, das vor allem Beratungsdienste übernimmt und dessen Angestellte über eine ausgezeichnete Ausbildung verfügen, stellt zum Phänomen des „Hoppings“ folgende Überlegungen an: „Ich denke, die machen das, weil sie nicht gut behandelt werden. Weil man sich nicht um sie bemüht hat. Aus meiner Sicht ist mehr erforderlich, als nur den Vertrag zu unterzeichnen und sich einmal im Jahr zu einem Gespräch zusammenzusetzen. Das ist nicht genug. Ich gucke ständig auf die Gesichter. Wenn ich sehe, da ist jemand nicht gut drauf, dann ist der sofort bei mir hier und dann führe ich Gespräche. Solange, bis ich weiß, worum es geht und dann leite ich bewusst Gegenmaßnahmen ein. Jetzt ist es zum Beispiel so, dass eine Kollegin hochkommt. Die hat neun Jahre in Singapur gearbeitet, Universitätsabschluss aus Australien und die hat hier relativ – die hat dann zu relativ geringen Bedingungen – also dreitausendneunhundert Renminbi angefangen und da muss ich mich engagieren. Jetzt hat sie mir gesagt, dass sie mit der einen Mitarbeiterin nicht glücklich ist. Da müssen wir sofort einen Ersatz suchen. Ich mache das immer so, dass ich noch einen Schritt weiter gehe. Also zum Beispiel bei Gehaltsverhandlungen: Wir sind bei fünftausendfünfhundert gelandet. Und dann mache ich einen Vertrag und da steht dann fünftausendsiebenhundert drin. Solche Strategien. [L] Da freut sich jemand und sagt: ‚Das ist doch toll!‘ Ich habe aber auch schon Leute erlebt, wo die Zusammenarbeit und die Kommunikation überhaupt nicht geklappt hat und sie hat dann von sich aus gesagt hat, sie wird gehen. Aber während der Probezeit. Das Problem war,

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dass sie überqualifiziert war und sie mich gefragt hat, welche Entwicklungsmöglichkeiten ich bieten könne. Und das konnte ich nicht.“

In einem Gespräch mit zwei chinesischen Befragten, beide als Sachbearbeiter in der gleichen Firma angestellt wie der zuvor zitierte deutsche Geschäftsführer, sprechen wir über „Job Hopping“. B1: „Dafür gibt es wahrscheinlich Millionen von Gründen. Subjektive Gründe, aber auch Ursachen, die mit der Firma zu tun haben. Was die Gründe des Einzelnen angeht, so will man sich sicherlich verbessern. Die eigene Position verbessern. Nach einer gewissen Zeit in einem Unternehmen wird man sich fragen, was man eigentlich bekommt. Wenn man das, was man bekommen sollte, nicht bekommt und eine andere Firma bietet es, dann wird das zu einem Hopping führen. Oder aber die Arbeit, die man macht, füllt einen nicht mehr aus und es gibt keine Weiterentwicklungsmöglichkeiten mehr. Oder aber es gibt eine bessere Möglichkeit woanders.“ B2: „Es gibt nur in China dieses ‚Deckenphänomen‘. Hat man in einem ausländischen Unternehmen Arbeit, dann gibt es dort eine Decke. Wenn du da angekommen bist, dann kommst du an diesem Punkt nicht weiter. Man lässt dich nicht weiter nach oben. Die Gründe liegen oftmals bei den Firmen. Meine Schwester ist auch gesprungen. Sie hatte das Gefühl, dass sich die Firma nicht um sie kümmert. Dass sie nicht ernst genommen wird und deshalb ist sie dann zu einer anderen ausländischen Firma gegangen. Das ist der Firmenaspekt. Außerdem ist aber auch die Entwicklung des Einzelnen von Bedeutung. Ich habe schon sehr viele Artikel zum Thema Decke gesehen. Viele Leute, die bei einer ausländischen Firma arbeiten, haben den Eindruck, dass alles schon festgelegt und festgesetzt ist und es auch kaum Chancen auf Entwicklung gibt. Das ganze System scheint fest zu sein. Momentan benötigt China dringend Manager – wenn man erst einmal an diesem Punkt angelangt ist, dann ist es sehr einfach. Aber vorher erscheint es fast unmöglich.“ B1: „Es gibt derzeit sehr viele sehr kompetente Leute. Das Wichtigste ist wohl die Zukunft der eigenen Karriere, der eigenen Entwicklung – ob Raum dafür da ist.“ B2: „Ich muss plötzlich an eine Theorie von Maslow denken. Wenn jemand auf einer Stufe alles befriedigt hat, dann strebt er mit Sicherheit nach Höherem. Das Höchste ist wohl der eigene Selbstwert… – er wird darüber nachdenken, wie er den eigenen Selbstwert erhöhen kann. Wenn jemand den Eindruck erhält, dass er an seinem Platz nicht mehr weiterkommt, dann wird er sicherlich nach anderen Möglichkeiten Ausschau halten.“

Das hier angesprochene „Deckenphänomen“ bezeichnet ein deutscher Befragter als „goldenen Deckel“, der aufstrebenden chinesischen Mitarbeitern den Zugang zu leitenden Funktionen verwehre. Als besonders

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wichtig für Chinesen bezeichnet er außerdem das Engagement des Vorgesetzten, das sich auch auf den privaten Bereich ausdehnen müsse. „Das ist hier in China besonders wichtig, dass man auch weiß über die Problematik [der Mitarbeiter] zu Hause. Aber da bin ich nicht gut. Da gibt es noch Verbesserungspotential. Dass man den privaten Bereich beobachten muss, um dort Wünsche zu erkennen und abzudecken, um so die Leute bei der Firma zu halten. Also – das sind so die starken Mechanismen: Wie erfülle ich die Ansprüche der Mitarbeiter?! Erstaunlicherweise ist das Geld gar nicht mal der wichtigste Motivator in China. Hätte ich geschworen! Geld ist Nummer eins, zwei, drei und vier und dann kommt vielleicht mal irgendwas anderes. Ist es nicht. Es gibt ganz andere Werte, die Mitarbeiter zwingen zu gehen oder davon überzeugen, dazubleiben. Und dazu gehört auch der private Bereich. Das man sich auch um den privaten Bereich kümmert. Hilfestellungen leistet.“ F: „Was sind das noch für Motivationsfaktoren?“ B: „Motivationsfaktor Nummer eins ist Weiterentwicklung. Das habe ich auch in meinen Auswahlgesprächen immer wieder gehört: ‚Warum willst du wechseln?‘ – ‚Ich habe einen Europäer über mir. Das ist ein goldener Deckel und da komme ich nicht weiter.‘ Das habe ich immer wieder gehört. Nummer zwei ist Training. Hat alles indirekt was mit Geld zu tun, ist aber nicht die Nummer eins. Ich habe Mitarbeiter, die haben für weniger hier angefangen. Kann ich nicht gutheißen. Ich muss meinem HR-Manager24 sagen: ‚Mein lieber Freund! Du bist nicht dafür da, hier Geld zu sparen. Du bist dazu da, Potentiale hier einzustellen, so dass sie zufrieden sind!‘ Mit einem hat er ausgemacht, dass er zweitausend weniger kriegt. Vierundzwanzigtausend im Jahr! Was soll das?! ‚Guck dir die Organisation an, was die gekostet hat! Wenn der jetzt unglücklich ist – was machen wir denn dann?‘ An dritter Stelle kommt dann das Geld. Ich habe viele Leute, die wechseln, weil sie bei X mehr Chancen sehen, als bei ihren vorherigen Firmen. Und dieser private Bereich – das wird ihnen natürlich keiner sagen: ‚Ich möchte, dass sich mein Chef um meinen privaten Bereich kümmert.‘“

Tatsächlich geben sämtliche chinesischen Befragten als wesentlichen Wunsch bzw. Ziel ihre persönliche Weiterentwicklung an. Hierunter versteht ein Großteil der Befragten die Möglichkeit weiterbildender Maßnahmen. Neben dem so genannten „Job Hopping“ bleibt die allgemein hohe Mitarbeiterfluktuation in China allgegenwärtig. Die Frage, was chinesische Bewerber an deutschen Unternehmen anzieht bzw. was der Grund für sie ist, ein Unternehmen zu verlassen, wurde ebenfalls erhoben. In die-

24 HR-Manager: Human Resource Manager.

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sen Kontext werden die Bemühungen deutscher Firmen gestellt, ihre Mitarbeiter zu halten. „Insgesamt ist die Zusammenarbeit glaube ich sehr gut. Ich mein, ein Haken ist, wir geben uns sehr viel Mühe, gute Leute zu rekrutieren. Und das ist nicht so einfach. Dann versuchen wir natürlich auch, diese Leute zu halten. ~ Fluktuation der chinesischen MA in ausländischen Unternehmen ist groß. Bei uns ist sie relativ gering. Aber da muss man auch eine Menge für machen. Die ganze Personalsituation ist viel schwieriger, als in anderen Ländern. Wir wachsen schnell. Wir brauchen auch immer wieder Leute. Das sind zum Teil sehr junge Leute. Zum Teil sehr unerfahren. Da muss man vielleicht mehr aufpassen, als man eigentlich sollte. Wir haben bisher Leute verloren aber nicht an andere Unternehmen, sondern an MBA-Programme. Die Leute sind einfach gut. Die werden von Universitäten rekrutiert. Dann haben sie Deutschlanderfahrung. Dann haben sie hier noch ein paar Jahre Arbeitserfahrung. Wir haben jetzt einen verloren, der hat ein Stipendium gekriegt von Harvard. Da sagt der natürlich auch – bei aller Liebe zu X… Das kann man nicht ablehnen. Das verstehen wir auch. Ist an sich schade. Gut. Vielleicht kreuzen sich die Wege auch irgendwann wieder. Dann arbeitet er vielleicht für einen Kunden oder Lieferanten. Hoffentlich nicht für einen Konkurrenten. [L] Dann haben wir noch zwei andere an ein MBA-Programm verloren. Auch in den USA. Die USA sind halt auch nach wie vor so ein Traumziel. Da kann man nichts machen. Aber dadurch, dass wir die Leute in Deutschland auch ausbilden, versuchen wir diese Loyalität hinzukriegen und auch diese Verbundenheit zum Unternehmen – dadurch, dass wir ein Familienunternehmen sind.“

Ein chinesischer Angestellter, der für ein Jahr im Stammhaus in Deutschland ausgebildet wurde, bestätigt die Sichtweise seines deutschen Vorgesetzten. Ihm würde vor allem der Familiencharakter des Unternehmens zusagen, in dem es möglich sei, auf einer sachlichen, aber dennoch verbindlichen Basis zusammenzuarbeiten (vgl. III., 3.5). Dass hohe Fluktuationsraten nicht nur für die besser ausgebildeten Kräfte gelten, zeigt folgendes Zitat eines deutschen Geschäftführers, der für ein Werk in Hangzhou verantwortlich ist: B: „Aber wir müssen teure Leute einkaufen und vor allem können wir nicht aus der Region Hangzhou einkaufen. Ein Freund hier mit seinem stabilen Werk hat seine Leute aus Hangzhou, während ich quasi aus Wuxi, Shanghai, Ningbo und so weiter Leute einkaufe. Das führt natürlich zu einer Instabilität, weil die Leute wieder in ihre Region zurückwollen. Langfristig. Das wird in zwei, drei Jahren hier ein Thema sein.“ F: „Was kann man dagegen machen?“ B: „Wenn die von einer internationalen Firma kommen, werden die gut bezahlt, wenn sie woanders hinkommen. Man muss zwischendurch also die Ge-

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hälter aufstocken und inzwischen sind die Gehälter ziemlich happig. Wir liegen bei einem Durchschnitt von siebentausendfünfhundert Dollar im Jahr. Die Manager liegen dann ungefähr bei fünftausend Renminbi im Monat. Netto. Mal vierzehn müssen wir es nehmen. Dann sind wir bei fünfzehntausend Dollar im Jahr. Und dann muss man bei DER Leistung schon mal überlegen, ob das richtig ist. Während die Managementgehälter massiv steigen, steigen die Gehälter im Operatorbereich fast nicht. Die Schere ist massiv. Da verdient ein Manager fünfmal so viel wie ein Operator. Das kann doch nicht sein! Also kein Wunder, dass die Leute irgendwann ihre Sachen packen.“

Ein aus Anhui stammender chinesischer Arbeiter, der in einem Werk in Ningbo arbeitet und sich eigentlich nach einer neuen Arbeitsstelle umsehen wollte, erzählt, weshalb er dennoch in Ningbo geblieben ist: B: „Ich hatte eigentlich geplant, nur fünf Jahre hier zu bleiben. Aber es hat mir gefallen. Also mache ich es unbefristet. Die Rahmenbedingungen hier sind besser. Die Bezahlung ist nicht besonders gut, aber auch nicht besonders schlecht. Ungefähr in der Mitte. Wenn hier Überstunden gemacht werden, dann werden die Arbeiter auch mit in den Entscheidungsprozeß integriert. Man arbeitet maximal bis einundzwanzig Uhr. Und wenn es länger gehen sollte, dann wird man informiert. Woanders verlangt man, dass du arbeitest, bis alles beendet ist. In der hiesigen Industriezone zählt diese Firma zu den besseren. Man kann weder behaupten es wäre schlecht, noch ist es besonders gut. Es ist alles ganz in Ordnung so.“ F: „Und wie sind die Sonderleistungen?“ B: „Es geht so. Die Altersabsicherung kann davon nicht bestritten werden. Andere Fabriken machen es normalerweise auch selten. Bei anderen Firmen werden nicht mehr als dreihundertfünfzig Yuan gezahlt. Das ist in der chinesischen Wirtschaft einfach noch ein weißer Fleck. Wenn am Abend Überstunden gemacht werden, dann erhält man ein Überstundengeld von zwei Yuan. Wenn es nach zweiundzwanzig Uhr sein sollte, dann sind es drei Yuan fünfzig. Das ist so etwas wie ein Nachtimbiss. Im Vergleich sind durchschnittliche Betriebe alle ohne großen Unterschied, was Sonderleistungen, die Rahmenbedingungen und die Führung angeht. Es gibt aber auch welche, die besser sein können. Hier ist der Verdienst ein bisschen schlechter.“ F: „War der vor einigen Jahren nicht noch ein wenig besser?!“ B: „Das stimmt, aber in den letzten Jahren wurde das Management geändert. Vor allem in Macao. Als er [der Manager] ging, wurde ein Festlandchinese auf den Führungsposten gesetzt. Der Managementstil hat sich damit verändert und es werden auch nicht mehr so gute Gehälter wie früher gezahlt.“ F: „Aus welchem Grund?“ B: „Inzwischen sind weite Teile Ningbos entwickelt. Es gibt einige gute Flächen. Einige der Mitarbeiter sind gegangen. Es gibt nur noch wenige Mitarbeiter, die schon längere Zeit dabei sind. Inzwischen gibt es immer mehr Fabri-

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ken in Ningbo und viele der Arbeiter, die hier schon längere Zeit gearbeitet hatten, sind zu einer andern Firma gewechselt oder sind in ihre Heimat zurückgekehrt. Eigentlich hatte ich ebenfalls daran gedacht, dieses Jahr zu gehen. Später habe ich den Gedanken dann fallen gelassen. Unser [deutscher] Direktor kam zu mir und sagte, ich solle nicht gehen. Ich solle es mir noch einmal überlegen. Er meinte, ich wäre hier ja schon zehn Jahre lang. Andere Aufgabenbereiche würde ich nicht so gut kennen. Ich meinte, das würde mich nicht kümmern. Ich wäre seit zehn Jahren hier und seitdem hätte sich das Einkommen nicht verändert. Es gab nie eine Lohnerhöhung. Das würde mich nicht weiterbringen. Da meinte er, wenn ich zu einem anderen gehen würde, ob das da nicht auch Arbeit wäre. Der Unterschied sei ja nicht so groß. Er hat sich lange mit mir unterhalten und mich überredet, zu bleiben.“

Der persönliche Einsatz von Führungskräften, um Mitarbeiter zu halten, wird von den Befragten allgemein als besonders wichtig beschrieben. Der besagte Direktor, Besitzer des Unternehmens, von dem der befragte Arbeiter spricht, nimmt folgendermaßen Stellung: „Der Chinese will in gewissem Sinne immer noch seinen Laoban25 haben. Ich kann Probleme natürlich viel einfacher lösen. Das ist auch ein Grund, warum meine Präsenz immer noch sinnvoll ist. Weil ich eben nicht nur der Chef, sondern auch der Besitzer der Firma bin. Und dadurch eine ganz andere natürlich Autorität besitze. Und auch den meisten Leuten sehr persönlich verbunden bin. Emotional verbunden, weil ich ja jeden, der bei mir länger als fünf Jahre arbeitet, auch persönlich kenne. Auch persönlich bemerke. Und zwar nicht unbedingt mit der Sprache, sondern eben emotional bemerke. Er will schon eine hierarchisch-pyramidische Unterordnung sehen. Die braucht er schon, weil das eine Klarheit im Konzept ist. Diese Klarheit wünscht er schon. ‚An wen kann ich mich wenden, wenn ich etwas habe?‘ Insbesondere, wenn sie eine Mischung von Angestellten und Arbeitern haben. Genau wie bei uns in den fünfziger Jahren. Der Angestellte sitzt rechts in der Kirche und die Arbeiter sitzen links in der Kirche. Die Arbeiter tragen heute noch Schlips und Kragen, die Angestellten schon lange nicht mehr. Genauso ist es hier auch. Der Arbeiter macht sich am Wochenende schick. Der Angestellte läuft bereits mit der Jeans herum. Wir tun uns wahnsinnig gut mit den Leuten, die wir aus der Arbeiterschaft hoch in die Angestelltenebene reinholen. Hier stabilisieren wir sehr stark die Fluktuation, indem wir guten Leuten aus der Arbeiterschicht eine Chance geben, in die Jeans-Kategorie reinzukommen. Und die honorieren das auch. Das sind langjährige Mitarbeiter. Die sind die Stütze des Unternehmens. Die sind da auch gut. Und deshalb kümmere ich mich persönlich darum, wenn ich höre, da will einer gehen. […] Wir haben mit zweihundertfünfzig Arbeitern vor zehn Jahren angefangen. Von denen sind noch siebenundachtzig

25 Laoban, chin.: Chef; Vorgesetzter.

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da. Unwahrscheinlich hoch. Denn hier sind heute nur fünfunddreißig Prozent Lokale. Der Rest ist aus anderen Provinzen, die sowieso nicht länger als fünf oder sechs Jahre bleiben.“

Tatsächlich scheint sich die Vorgehensweise dieses Befragten zu bewähren. Eine chinesische Verwaltungsangestellte aus demselben Betrieb antwortet auf meine Frage, ob sie sich an ihrem Arbeitsplatz wohl fühle: B: „Es hängt viel mit unserem Chef zusammen. Ich denke, der optimale Chef ist gar nicht so weit von ihm entfernt. Auch wenn er manchmal etwas ruppig wirkt, ist er eigentlich nicht übel und er hat mir sehr viele Chancen eröffnet. Normalerweise ist es so, dass ein Chef dir EINE Chance gibt, aber nie eine zweite. Er hat mir aber sehr viele Chancen gegeben. Ich habe früher diese drei Aufgabenbereiche nicht gelernt. Unser Chef wollte aber, dass ich das mache. Er meinte, es würde gehen. Ich empfinde ihm gegenüber tiefen Dank. Ich glaube, wenn ich diese Firma verlassen und eine andere Arbeitsstelle suchen würde, dann würde ich nicht so einen Chef finden. Ich schätze unseren Chef doch sehr.“ F: „Was ist für Sie denn das Wichtigste bei einer Arbeit?“ B: „Dass man Spaß hat, ist am allerwichtigsten. Das Geld ist nicht so wichtig. Egal, in welcher Firma man arbeitet – Hauptsache, man fühlt sich wohl und das ist auch für die Gesundheit gut. Wenn man immer unter bedrückenden Bedingungen arbeiten muss, dann wird man sich auch mit noch so viel Geld nicht wohl fühlen. Das finde ich nicht gut. Wenn ich genug zum Leben habe, dann reicht es mir aus. Das Wichtigste ist der Spaß. Wenn das Gehalt für den Monat ausreicht, dann ist es in Ordnung. Man kann vielleicht gar nicht sagen, wie viel Geld genug ist und einen befriedigen kann. Die Welt ist so groß und es gibt so viele Dinge, die man machen könnte. All das kann man gar nicht befriedigen. Ich denke, wenn man froh ist, dann ist das die größte Befriedigung. Es gibt natürlich Dinge, die nicht so einfach sind. Wenn zum Beispiel jemand in der Familie erkrankt ist und eine größere Operation durchgeführt werden muss, für die mehrere hunderttausend Yuan gebraucht werden. Dann ist Geld natürlich sehr wichtig. Wenn aber alle in deiner Familie gesund sind und alle elementaren Dinge vorhanden sind, dann wirst du sicherlich nicht denken, Geld wäre das Wichtigste. Dann wird Spaß wichtiger sein als materielle Dinge.“

Die Erfahrung, dass nicht immer die Höhe der Bezahlung an erster Stelle steht, sondern durchaus andere Dinge, hat auch ein anderer deutscher Befragter, kaufmännischer Leiter eines namhaften deutschen Konzerns, gemacht. Obwohl nach eigener Aussage keine besonders hohen Gehälter gezahlt würden, sei es dennoch kein besonders großes Problem, Arbeitskräfte für den wachsenden Betrieb anzuwerben.

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„Die Sache, wo wir sehr überrascht waren, war, wenn wir Leute auf dem Markt suchen – da hilft unser Name sehr stark. Wir kriegen sehr gute Leute, die auch bereit sind, hier für weniger Gehalt zu arbeiten. Und dadurch, dass wir ein irrsinniges Backgroundwissen haben. Und wir haben eine relativ geringe Fluktuationsrate. Die Leute sind seit fünf, sechs Jahren mindestens hier.“

Eine Arbeiterin benennt ihre Gründe, sich für ein deutsches Unternehmen entschieden zu haben: „Ich finde, es ist hier sehr menschlich. Gegenüber chinesischen Unternehmen ist die soziale Fürsorge für Arbeiter weitaus besser. Das ist für uns sehr wichtig. Außerdem sind die Arbeitsbedingungen und die Effektivität ausgereifter. Allerdings sind die Regeln und Vorschriften ein bisschen streng. Da kann man sich aber allmählich dran gewöhnen. Ohne Regeln keine Ordnung. Das hier ist ein sehr bekanntes internationales Unternehmen. Das ist für mich eine gute Chance. Außerdem ist der Arbeitsplatz hier sicherer als in einem unbekannten Unternehmen. Das ist auch wichtig.“

Einige der deutschen Befragten halten den persönlichen Kontakt für ein wesentliches Mittel, chinesische Mitarbeiter an einen Betrieb zu binden. Auch wenn ein Teil der deutschen Entsandten versucht, dieses als chinesisch aufgefasste Rollenverständnis eines Vorgesetzten zu durchbrechen, stellen sich andere konsequent darauf ein und investieren entsprechend Zeit und Energie. Für ein Gelingen sei hierfür ein gut funktionierender Informationsaustausch zwischen Belegschaft und Firmenführung wesentlich. Ein deutscher Geschäftsführer, seit neun Jahren in Shanghai, beschreibt den Umgang mit seinen Mitarbeitern: „Durch unsere regelmäßigen Zusammenkünfte, die Meetings, ist da schon ein ständiger Austausch, so dass ich sagen kann, ich weiß zu achtzig Prozent, was läuft, ohne dass ich spezielle Papiere kriegen würde oder Männchen machen müsste. Meine Tür ist auf. Jeder, der etwas hat, kann bei mir hereinspazieren. Hält mich zwar von der Arbeit ab, das ist aber mein Problem. Von daher ist das eine sehr offene Kommunikation hier. Auf beiden Seiten. Dadurch war ich auch schon in der Lage, vier Mitarbeiter, die schon gekündigt hatten, zurückzuhalten. Da gab es verschiedenste persönliche Probleme aber auch im Mitarbeiterumfeld. Der Chinese sagt ja irgendwann: ‚Ich komme nicht weiter. Ich kann nur noch gehen.‘ Damit ist das Problem für ihn erledigt. Er muss zwar irgendwo anders eine Arbeit finden, aber das Problem ist aus der Welt. Das ist halt auch Gesicht wahren: Bevor jemand angeschwärzt wird und jemand anderes in ein Problem hineingebracht wird, da geben die lieber Gesicht und reichen ihren Abschied ein. Und ich versuche halt, solche Sachen vorher abzubiegen. DAS ist schwierig! Denn so was als Ausländer mitzukriegen, wenn es unterschwellig brodelt. Da ist ein Problem! Oder der eine kommt mit den an-

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deren nicht klar, oder der eine hat zuhause seine Bude am brennen und ist nur noch halb bei der Arbeit.... DA muss man dann als Vater der Kompanie, als fürsorglicher Firmenchef sagen: ‚Hoppla. Was ist denn jetzt das Problem? Komm doch mal vorbei, wir reden mal drüber.‘ Da sagt keiner was! Da hat man gleich die Kündigung auf dem Tisch. Jedes Mal, wenn ich so einen Schrieb kriege, sage ich mir: ‚Habe ich wohl nicht aufgepasst!‘“

Eine chinesische Personalleiterin, rund sechs Jahre in einem deutschchinesischen Joint Venture tätig, erklärt, was sie an ihrer Firma so schätzt. „Manche Leute fragen mich: ‚Warum bist du schon so lange bei dieser Firma?‘ Ich antworte ihnen, dass es hier mehr Freiheiten gibt, um etwas zu kreieren. Es gibt hier keinen festgesteckten Rahmen. Oder besser: Der Rahmen ist sehr weit gesteckt. Man hat hier eine Menge Raum, um etwas zu erschaffen und eigene Ideen zu verwirklichen, solange man es schafft, andere Leute davon zu überzeugen. Es gibt eine Menge Raum, um Ideen in die Realität umzusetzen. Und man kann Erfolge verzeichnen, wenn man jemand ist, der zielstrebig ein Ziel verfolgt. Einige Leute können mit so einem System nicht umgehen. Sie sind es gewohnt, dass sie für alles genauestens instruiert werden. Sie wollen sehr detaillierte Anweisungen und möglichst wenig Herausforderungen.“

3.8 Verhandlungen und Verträge Verhandlungen und daraus resultierende Vertragsabschlüsse, so einige der deutschen Befragten, seien in China anders zu bewerten als in Deutschland. Schwierigkeiten bereite neben mangelnder Rechtssicherheit, dass chinesische Geschäftspartner sich oftmals nicht an einen Vertragslaut gebunden fühlten. Doch auch das Aushandeln von Verträgen sei im Vergleich zu Deutschland oder anderen Ländern weitaus schwieriger. „Knüppelhart“ sei der chinesische Geschäftsalltag, meint ein deutscher Anlagenbauer und fährt fort: „Meistens hapert es mit der Unterschrift. Ist schwierig. Muss man verhandeln und dann stehen lassen. Wenn sie es nicht unterschreiben, dann nicht lang diskutieren. Dann bau’ ich die Anlage aus. Aber meistens kommt dann von der Geschäftsführung Druck – Neuauftrag. Das ist halt immer so eine Sache. Muss man immer abwägen, was man macht. Zuletzt ist es immer die Arbeit vom Vertreter. Mehr oder weniger. Wenn sie es nicht unterschreiben wollen, dass er es unterschreibt und man Ersatzteile oder einen Service nachlegt oder sonstwas. Dann geht das schon. … Die meisten Leute wissen zum großen Teil gar nicht, was auf sie zukommt, wenn sie mit Chinesen verhandeln. Die kennen die Mentalität gar nicht. Vor allem wird hier abends beim Essen schon

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unterschrieben und dann geht es zusammen ins KTV 26 . Oder am Samstag, Sonntag. Gibt ja kein Wochenende hier. Und dann geht es mit dem Saufen los. Da versuchen sie dich unter den Tisch zu saufen. Aber das schaffen sie normalerweise nicht. Im Moment könnte es möglich sein, weil ich nicht so viel trinke im Moment. Aber man muss aufpassen. Die sind raffiniert. Da steht dann jeder einzeln auf und trinkt mit dir und du musst jedes Mal exen und haben dann das Glas noch halbvoll oder so. Du musst sie gleich am Anfang einzeln packen. Drei, vier Mal. … Dann werden sie erst mal ruhig. Und dann siehst du schon, wer eine rote Birne hat. Den kannst du dir dann rauspicken. Machst du so nach und nach fertig. Wenn es mehrere Deutsche sind, dann wird es schon interessanter. Dann macht es mehr Spaß. Das ist dann so richtig competition. Wer macht wen zuerst fertig. Wenn dann der chinesische Schnaps kommt, dann wird es schon kritisch. Aber sonst... Gehört hier halt dazu.“

Für viele Deutsche Neuankömmlinge ist irritierend, dass sich der Ablauf eines Geschäftsabschlusses auf Aktivitäten und einen Habitus ausdehnt, die zunächst nicht bekannt sind oder aber auch abgelehnt werden. Entsprechend müssen die Beteiligten weitaus mehr Zeit für einen erfolgreichen Vertragsabschluss einplanen und geraten manchmal in das Dilemma, sich zwischen für richtig befundenen Werte- und Normenvorstellungen und dem Erwartungsdruck chinesischer Geschäftspartner entscheiden zu müssen: B: „Das ist schon heftig manchmal. Man macht die schönsten Präsentationen, redet sich um Kopf und Kragen und man hat das Gefühl, das wird nie etwas mit denen. Und dann geht man abends in die Karaoke, trinkt bis zum Umkippen – [P] ‚Ganbei!‘, ‚Ganbei‘, in jedem Arm ein Mädel und das Ding ist über die Bühne.“ F: „Ist das als verheirateter Mann manchmal nicht ein bisschen schwierig?“ B: „Manchmal hat man gar keine Wahl. Da darf man gar nicht so weit denken. Was wollen Sie denn machen?! Hier geht es darum, gemeinsam eine Leiche zu begraben. Ansonsten können sie das ein oder andere Geschäft einfach von vornherein vergessen. ~ DAS ist eben auch China. Obwohl. Das stimmt inzwischen auch nicht mehr. In der Provinz ist es noch so, aber in Shanghai kommt es darauf an, mit wem Sie verhandeln. Da läuft es dann manchmal anders. Professioneller inzwischen.“

Wichtig sei der stetige und persönliche Kontakt zu Geschäftspartnern, so chinesische wie auch deutsche Befragte. Einige Entsandte stellen fest, dass der allein auf das Geschäft bezogene Austausch manchmal nicht ausreichend sei, um chinesische Partner an sich zu binden oder einen Vertrag zum Abschluss zu bringen. Oftmals würden, so deutsche Be26 KTV: Abkürzung für Karaoke Television.

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fragte, chinesische Kunden, Lieferanten, Joint Venture-Partner, Verwaltungsbeamte u. a. erwarten, dass eine persönliche Beziehung aufgebaut und gepflegt würde. Eine entsandte Ingenieurin beschreibt den Ablauf mit chinesischen Kunden: „Wir machen es so, dass wir erzählen, was unsere Firma macht und so. Wir fangen schon mit ein bisschen Geplänkel an und gegenseitiger Vorstellung und so. Ich meine, die müssen auch wissen, mit wem sie es zu tun haben. Erst mal, wer sind wir. Was machen wir. Allgemeine Einführung. Warum sind wir hier. Dann stellen sich unsere Kunden meistens vor. Wir versuchen erst mal bestimmte wirtschaftliche Informationen abzurufen. Wie viel produzieren sie pro Jahr zum Beispiel. Wohin sie exportieren. Was für verschiedene Produkttypen sie herstellen. Wie stark sie ausgelastet sind. Wie sie ihre wirtschaftliche Entwicklung sehen. Das sind alles sehr, sehr wichtige Daten. Und dann die Geschäftsessen. Wichtig. Sehr wichtig. Wichtiger als in Europa. Meistens sind unsere Kunden ja irgendwo in der Provinz. Wir treffen die um zehn oder elf morgens. Dann kommen die Präsentationen und dann gehen wir mit denen Mittagessen. Meistens laden unsere Kunden uns ein, denn wir kommen die ja besuchen. Schon etwas peinlich, aber gut. Nachmittags setzen wir uns dann meistens nochmals zusammen und haben dann die technischen Präsentationen – es ist relativ wichtig. Beim Essen bekommt man häufig wichtige Informationen. Dann erzählen sie: ‚Wir haben da noch ein weiteres Grundstück gekauft.‘ ‚Wir wollen da ein neues Werk hochziehen. Zweitausendfünf wollen wir damit anfangen. Da brauchen wir auch noch ein bisschen Unterstützung.‘ … oder was auch immer. Also, man kriegt sehr viel bei diesen Essen raus. Wir hatten es jetzt auch häufig gehabt, dass wir Kunden besucht haben und nur essen mit denen waren. Also – wir haben uns nur abends hingesetzt und dann wurde erzählt: ‚Ich habe letztes Jahr geheiratet.‘ – und zeigt dann ein Foto. Und dann sagt man: ‚Oh! Das ist ja sehr hübsch!‘ Und so gibt eins das andere. Ich versuche das voll mitzunehmen. Das ist eine gute Gelegenheit ein bisschen – ja auch von dem Gegenüber und von der Kultur zu lernen. Das Essen ist halt sehr gut. [L] Und man kann so sehr gut Kontakte knüpfen. Wir haben einen Agenten, mit dem bin ich super gut ausgekommen. Der hat dann gemerkt, dass mir das Essen sehr gut schmeckt. Die essen sehr scharf dort. Er hat sich tierisch gefreut und hat immer mehr bestellt, und ich hab immer mehr gegessen. [L] Und dadurch kriegt man guten Kontakt halt zu den Leuten. Es macht Spaß. Es ist etwas, das sagen unsere Kunden, das machen wir zuwenig. Weil – das Problem ist, wir haben relativ viele Kunden in China und wir sind ein relativ kleines Team. Und es gibt häufig Konkurrenten vor Ort. Die haben sich spezialisiert auf eine Provinz nur oder eine Stadt nur. Und die können natürlich sehr viel mehr in Karaokebars gehen oder sehr viel mehr die Verkäufer zum Essen ausführen. Das ist etwas, da müssen wir aufholen. Im Grunde könnte man nur jemanden fürs Essengehen einstellen.“

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Aufgrund der besonderen Anforderungen, aber auch der schwierigen Verhandlungen gehen einige deutsche Firmen dazu über, ausschließlich chinesische Mitarbeiter im Vertrieb einzusetzen. Deutsche, so die Meinung mancher Firmenleitungen, wären den teilweise nervenaufreibenden Verhandlungen nicht gewachsen (siehe III., 1.3; 3.1 und 3.2). „Die Konkurrenz ist extrem hart. Harte Bandagen …– Gewisse Dinge, die man bei uns einfach nicht tut, das gilt nicht für China. So was macht in China keinen Sinn. Das ist schon wieder der unterschiedliche Ethikansatz. Dass man sich da sehr wohl gegenseitig das Geschäft abjagt auf recht straffe Art und Weise und dass das als ganz normal angesehen wird. Meine salespeople sind Chinesen. Für die ist das ein normales Leben. Die kommen nicht und beschweren sich darüber. Ich denke, wenn man einen Geschäftsvertreter deutscher Couleur hierhin bringen würde, der würde hier eine harte Welt erleben. Ich habe in meinem Compound einen X-Mitarbeiter. Der ist wirklich im Geschäftskontakt mit Kunden. Das werden ja sicherlich in erster Linie chinesische Kunden sein und der stöhnt sehr wohl darüber, wie straff da vorgegangen wird. Und da wird natürlich gnadenlos bis auf den letzten Pfennig runterverhandelt. Das ist gängige Praxis. Und, leben und leben und lassen, wenn man die sehr, sehr gut kennt und auf freundschaftlicher Ebene unterwegs ist, wird es, denke ich, irgendwann soweit kommen. Aber bei normalen, anfänglichen Geschäftsbeziehungen: Erst mal tough! Und da ist immer noch Raum, um nochmal nachzuverhandeln und noch mehr nachzudrücken. Das ist sicherlich ein Problem. Preise stabil zu halten ist hier kein einfaches Geschäft.“

Einige der deutschen Befragten sprechen von einem gänzlich unterschiedlichen Vertragsverständnis beider Seiten. Häufig fällt die Aussage, dass ein Vertrag in China zwar symbolischen Wert habe, der deutschen Seite in Konfliktsituationen aber kaum hilfreich sei. „Es gibt ja den Witz: ‚Sobald der Vertrag unterschrieben ist, geht in China die Verhandlung los.‘ Das ist eben so. Wenn die Verträge so gestaltet sind, dass sie wirklich die Interessen beider Seiten abdecken, und wenn die Entwicklung günstig ist, dann ist ein Vertrag was Schönes. ~ In Deutschland neigt man dazu, zu sagen: ‚Verträge werden dann wichtig, wenn es schief geht.‘ Weil dann muss man sich darauf verlassen. Und das passt nicht so in die chinesische Auffassung: ‚Wenn es schief geht, dann muss man die Verträge ändern.‘ Die Situation hatten wir mehrmals.“ F: „Wie kommen Sie mit diesem anderen Konzept zurecht?“ B: „Ist schwierig. [L] Ich würde sagen: das Beste ist, dass man Glück hat. Man muss wirklich versuchen, Dinge im Vorfeld soweit abzuklären, dass man nicht in Konfliktsituationen hineingerät, die dann dazu führen, dass der Vertrag dann nur noch auf dem Papier steht. Wir hatten hier einen Fall, wo wir mit unserem Joint Venture-Partner in Pudong ... Weil der Partner in Umstrukturie-

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rungen auf der chinesischen Seite hineingeriet, hat der Partner dann einfach einen Teil des Vertragswerkes gekündigt. Wir haben dann gesagt: ‚Das geht eigentlich gar nicht. Du kannst das nicht kündigen. Das kann man nur einvernehmlich aufheben.‘ Wir haben uns dann am Schluss auf einen Kompromiss geeinigt. Aber es war nicht sehr angenehm. Aber als wir den Kompromiss dann unter Dach und Fach hatten, ging es dann wieder gut. Da waren wir dann wieder gute Freunde. Ich meine, es ist schon gut, wenn man so wenig wie möglich darauf angewiesen ist.“

Aufgrund der Unsicherheit, ob die vertraglich festgelegten Leistungen tatsächlich auch erbracht werden, hält es der Großteil der deutschen Befragten für weitaus sinnvoller, unspezifischere Vereinbarungen festzulegen. Somit bliebe auch der deutschen Seite, die sich in der Regel den gemeinsamen Übereinkünften verpflichtet fühle, genügend Raum, um ebenfalls nachträglich Forderungen stellen zu können. Außerdem könne so die häufige Situation vermieden werden, dass sich die chinesische Seite auf einen Teil der vertraglichen Vereinbarungen berufe, den der deutsche Partner nicht mehr erbringen kann oder will. In einem weiter gesteckten Rahmen sei es möglich, so einige der deutschen und chinesischen Befragten, flexibel auf neue Anforderungen und Entwicklungen zu reagieren, die bei einem umfassenden und detailreichen Vertragswerk erst durch eine zeit- und kostenintensive Vertragsänderung ermöglicht werden. Diese Form der flexibler auslegbaren Zielvereinbarungen mache allerdings den persönlichen Austausch und die stetige Beziehungspflege, chinesisch „Guanxi“, vonnöten. Dies bewähre sich vor allem, so einige der deutschen Befragten, bei Geschäftsbeziehungen mit Zulieferern von Produktbestandteilen. „Wir sind als kleine Firma ja mit unserer geringen Stückzahl eigentlich uninteressant. Wir laufen also, wenn es mal eng wird, unter ferner liefen. Ich muss schon einen Lieferanten finden, für den wir auch eine Rolle spielen. Und das kann ich ja nur, wenn ich gleichgroße Betriebe finde oder kleinere, die auch auf mich angewiesen sind, damit ich da eine gute Beziehung aufbauen kann. Und das spielt sich auch mit den kleinen Banken so ab und zieht sich so fort. Bei den Lieferanten ist meistens immer dasselbe Problem: Qualität und Geld. Qualität können sie oft nicht einhalten, wollen aber mehr Geld. Als Beispiel: Wir hatten mit einem Schwierigkeiten, weil er ein Gewichtsteil nicht richtig herstellte. Und der meinte, er käme nicht auf Profit. Und was man da tun könne. Auf der Zeichnung stand: dreihundertundzwanzig Gramm plus zwanzig Gramm Material. Das war ein Schiebegewicht für eine unserer Waagen. Sagt er: ‚Er bekäme ja nur die zwanzig Gramm bezahlt, weil die Toleranz ja plus zwanzig ist. Können wir nicht dreihundertundvierzig Gramm minus Toleranz vierzig draufschreiben?‘ Sage ich: ‚Ok. Das machen wir.‘ Aber seine Teile

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landen immer in der Inspektion und werden immer hundertprozentig kontrolliert und er solle sich das noch mal überlegen. ‚Kein Problem.‘ Hat er natürlich nicht bestanden. Er hat fünfundneunzig Prozent der Teile zurückbekommen. Da war er natürlich gleich am nächsten Tag auf der Matte. Und dann hat er sich darum gekümmert, dass alles gut geht. Ich bin ihm ja einen Schritt entgegengekommen, er kriegt mehr Geld und danach: problemlos. Vorher gab es immer Probleme mit dem Material und Geld und seitdem ... Wenn man einen Schritt entgegenkommt, kommt der andere auch. Wir haben Verträge, aber ich sehe auch, dass die Verträge eigentlich auch ... Wir haben sehr aufwändige Verträge für das Headquarter, aber ich bin eigentlich davon ab, diese aufwändigen Verträge zu machen. Die scheren sich einen Dreck darum. Und wenn es hart auf hart kommt? Was habe ich von einem Vertrag, wenn ich nicht produzieren kann?! Und nach zwanzig Jahren vor irgendeinem Gericht Recht bekomme, aber der Laden schon längst pleite ist. Das bringt mich keinen Schritt weiter. Also mache ich eher die kurze Schriftform: ‚Das stelle ich dir in Aussicht und das und das musst du erfüllen.‘ Ich bin also darauf aus, Lieferanten zu finden, für die wir eine Rolle spielen. Und da bauen wir gerade welche auf hier. Sie haben vielleicht unten die Arbeitshilfsmittel gesehen. Zum Beispiel eine Arbeitsplatte. Die waren am Anfang nicht entgratet und nicht verzinkt. Da habe ich ihm gezeigt: ‚Guck mal. Die Ränder. Da kann man sich dran schneiden.‘ Da hat er sie entgratet. Und dann: ‚Jetzt rostet alles.‘ Da hat er sie verzinkt. Man muss immer Schritt für Schritt vorgehen und die nicht immer überladen. Wenn man da gleich mit hundertzwanzig Seiten ankommt, dann sind sie abgeschreckt. Kann man ja in kleinen Schritten machen. Ich kann ja auch schlechte Teile akzeptieren. Nicht wirklich SCHLECHTE, aber ich kann ja noch ein bisschen Nacharbeit reinstecken. Und macht dann beim nächsten Mal einen Hinweis mit rein. So baut man das langsam auf. Ich glaube, diese ganz harten Schritte, das ist – das kann einem nur selbst schaden. Wir haben auch schon die Lieferanten gewechselt, weil die zum Beispiel die Lieferzeiten nicht einhalten oder man immer anrufen muss. Dann fährt man hin und spricht mit denen. Da merkt man ganz eindeutig, der will raus. Weil wir einfach zu klein sind. Da rechnet es sich nicht. Aber meistens waren sie dann so kooperativ, dass sie einen Übergang mitgemacht hatten, so dass wir keine Probleme hatten, einen Neuen zu finden. Meistens hat es sich auch bezahlt gemacht, weil wir lokal etwas gefunden haben. Am Anfang haben wir in Shanghai und Umgebung noch gesucht. Da ist aber auch die Preislage etwas höher. Und dann hatten wir damals noch keine Gesellschaft hier. Die sagen sich: ‚Oh. Ausländer aus Deutschland!‘ Da wird dann auch noch mal ein bisschen draufgeschlagen. Inzwischen wissen die, dass wir einen chinesischen Background haben und chinesische Angestellte. Wir haben eine Adresse hier. ‚Und so blöd kann der ja gar nicht sein, wenn der hier produziert, also muss ich aufpassen, was für einen Preis ich mache.‘ So kommt man allmählich in den Markt rein. Aber das war aber auch so geplant. Das wir stufenweise wechseln.“

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Ein anderer deutscher Befragter betont, wie wichtig der Rückhalt des Stammhauses sei, um in China erfolgreich agieren zu können. Um das wechselseitige Vertrauen, das als Ersatz dezidierter Vertragswerke dient, aufbauen zu können, müsse das Stammhaus den Verantwortlichen in China genügend Spielraum einräumen. „Es wird immer wieder nachverhandelt. Ja. Aber es geht hier nicht anders. Sie brauchen Flexibilität. Die muss auf beiden Seiten da sein. Je nachdem, wie weit sie in einen Markt einsteigen wollen, müssen sie diese Flexibilität mitbringen. Wenn die Verträge unterschrieben sind, dann kommt es auf das Vertrauen an. Egal, welche Verträge es sind: Die Chinesen werden nur mit ihnen Geschäfte machen, wenn sie glauben … – wenn sie sie überzeugt haben, dass sie auch liefern können. Dass sie zuverlässig sind. Und dann gehen viele Sachen. Zwischendurch wird immer wieder mal getestet: Wie weit kann ich gehen? Da ist dann die Frage, ob das Mutterhaus oder die übergeordnete Stelle da mitspielt. Da habe ich mit Hongkong-Chinesen zu tun und das ist auch wieder eine ganz andere Welt. Inwieweit spielen die da mit? Das ist manchmal schwierig, da die Balance zu finden. Wenn die Chinesen merken, dass der Rückhalt aus dem Mutterhaus da ist, dann lassen sich ganz andere Sachen durchsetzen. Einige Sachen lassen sich wahrscheinlich auch gar nicht richtig abstimmen, sondern da muss man dann eine Entscheidung treffen. Sie brauchen also die Spielräume und das Vertrauen des Mutterhauses, um erfolgreich tätig zu sein. Das kann überlebenswichtig sein.“

Auch wenn sich die meisten der deutschen Entsandten darin einig sind, dass es auch bei Verhandlungen wichtig sei, über Chinesischkenntnisse zu verfügen, so raten sie doch davon ab, diese als Verhandlungssprache einzusetzen (siehe III., 4.2). Da kaum ein Entsandter dazu in der Lage sei, Chinesisch auf Muttersprachniveau zu sprechen, bestehe die Gefahr, dass chinesische Geschäftspartner dies zu ihren Gunsten ausnutzen könnten. Um aber eine gute Beziehung aufbauen zu können, seien gute Sprachkenntnisse ein elementarer Wettbewerbsvorteil. Diese würden der chinesischen Seite signalisieren, dass man an einer langfristigen Beziehung interessiert sei und auch die Interessen des Gegenübers berücksichtigen wolle. Manch einer der deutschen Befragten erhofft sich aufgrund von Chinesischkenntnissen einen Prestigegewinn, der durchaus ausschlaggebend für das Zugeständnis beispielsweise zu einem besseren Angebot sein könne. Außerdem seien gute Sprachkenntnisse ein wirksames Kontrollmittel während der Verhandlungen, die oftmals mit einem Dolmetscher geführt würden. B: „Man sollte schon Chinesisch können. Halte ich wirklich für sehr wichtig. Wenn man zu viel über den Übersetzer machen muss – da geht sehr viel verlo-

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ren. Und einige Übersetzer sprechen ja nun auch sehr schlecht die Sprache, die sie angeblich gelernt haben.“ F: „Bringt es denn so viel, Chinesisch zu können?“ B: „Ich denke mal, man kann den Verhandlungen besser folgen und dass man was versteht oder dass man mitbekommt, wenn der Übersetzer irgendetwas auslässt, was einem eigentlich wichtig erscheint. So viel sollte man können. Ganz ohne ist es hier sehr, sehr schwer in irgendeiner Hinsicht Guanxi aufzubauen. Auch wenn man noch so nett ist und noch so viel saufen kann… Es hilft alles nichts, wenn man nicht selber mit den Leuten ein paar Worte wechselt.“

Ähnlich wie dieser deutsche Befragte, der nicht in der Lage ist, fließend auf Chinesisch zu kommunizieren, äußert sich ein für den Verkauf von Maschinen zuständiger Manager, der aufgrund seines Sinologiestudiums und seiner chinesischen Ehefrau über ausgezeichnete Chinesischkenntnisse verfügt: „Also ich selber – also wenn ich selber die Verhandlungen führe, dann mache ich das auf Englisch. Nicht auf Chinesisch. Aus dem einfachen Grunde: Meist haben sie ja fünf oder sechs Leute gegenübersitzen und sie sind meistens mit einem Partner alleine da und sie brauchen die Zeit zum Nachdenken, denn da kommen von einem mal sechs Leute, die sechsmal so schnell denken wie sie. Und insofern kann man die Zeit des Übersetzens zum Nachdenken nutzen, weil ich versteh ja schon, was die auf Chinesisch sagen und kann dann schon meine Antwort überlegen und hab dann noch die Zeit der Übersetzung von dem Dolmetscher oder dem Partner da, die er braucht, wenn er übersetzt. Die hab ich auch noch da als Zeit dazu. Ich habe einen Kollegen, der auch gut Chinesisch spricht. Der hat das nicht gemacht. Der hat dann alles auf Chinesisch gemacht und ok. Wenn er damit leben kann, ist es ok. Aber ich mach das nicht. Nur in Extremfällen, wenn ich also keinen dabei habe, der Chinesisch spricht oder wenn bei den anderen keiner dabei ist, der Englisch spricht, dann bleibt mir gar nichts anderes übrig, als Chinesisch zu sprechen.“

Beziehungspflege, oder Guanxi, halten beinahe alle der Befragten für wesentlich. Doch gibt es auch Stimmen, die diesen „chinesischen Weg“ grundsätzlich ablehnen. Dies sind vor allem Befragte, die im Vertrieb ihres Unternehmens tätig sind oder aber vor allem Ein- oder Verkaufstätigkeiten übernehmen. Als Beispiel ein Zitat aus einem Gespräch mit einem deutschen Befragten mit beinahe zehnjähriger Chinaerfahrung: B: „Gib ihnen den kleinen Finger und sie nehmen den ganzen Arm weg! Dieses Geben und Nehmen … NEE! ALLES oder NICHTS! ‚Ok. Nix!‘ [P] Ich diskutier’ auch nicht weiter. Wenn jemand nicht begreift, dass man nicht alles bekommen kann, dann begreift er das in dem Gespräch auch nicht. Mein Pos-

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ten ist ja vor allem Verkauf. Und wenn ich sehe, dass jemand – mit Chinesen verkaufen ist ganz schwierig. Ich hab das… Es kommt drauf an, wen sie vor sich haben. Wenn ich so einen richtigen – durch und durch Chinesen vor mir hab – der nicht studiert hat und mit dem Westen nichts zu tun hat. Dann ist es immer sehr schwierig. Weil sie immer denken, sie sind cleverer als du und irgendwie … – die reden dann viel. Aber in der zweiten Ebene, denken die nur: ‚Wie ziehe ich den über den Tisch?‘ Und das ist mir zu blöd. Und wenn ich das merk … das merkt man sehr schnell, was das für ein Typus ist ~ dann lasse ich das Gespräch auslaufen, weil ich weiß, es kommt nichts bei raus. Und wenn der mir erzählt, der gibt dir nicht den Auftrag, dann zahlt er nicht. Oder er handelt nach. Das lass ich dann. So oder nicht. Weil ich weiß: Wenn ich einen Schritt nachgebe, dann will der noch einen Schritt. Und wenn ich sag: ‚Ich gebe dir das Produkt umsonst‘, dann sagt er: ‚Nee. Ich will das Produkt und einhundert Renminbi.‘ Der hört nie auf! Und wenn ich merk, dass der von diesem Schlag ist, dann lasse ich’s. Weil’s nichts bringt. Das ist dieses untereinander Bescheißen, was die auch untereinander machen. Und dann muss man dann halt abschätzen, was für ein Typus das ist. Und dann bringt die Diskussion nichts. Ich merk das inzwischen: Bei den größeren Firmen hat sich ein Wandel eingestellt. Da sind dann wirklich auch Experten. Auch die Chinesen haben dann auch einen höheren Bildungsgrad und benehmen sich dann sehr westlich. Das geht sehr klar. Sehr geradlinig. Das ist dann relativ einfach. Das läuft dann nach unseren Bahnen. Ich hab inzwischen ernsthaft den Eindruck: Sich da immer aufs Chinesische einzulassen bringt gar nichts. Denn dieses typisch Chinesische führt nämlich nicht zum Ziel.“ F: „Wie steht’s mit Vertragssicherheit?“ B: „Die gleiche Dimension, wie ich gerade gesagt habe. Wenn das eine große Firma ist, die ein bisschen professionell arbeitet, mit über tausend Mitarbeitern und nicht wie so eine kleine Klitsche. Da sind es dann die normalen Bedingungen, wo man sagt: ‚Ja. Fünfzig Prozent bei Auftragserteilung. Fünfzig Prozent bei Ausführung.‘ Das geht dann normalerweise. Ich hab das erlebt in meiner vorherigen Firma. Da meinte jemand, sie könnten ein Produkt hinterher nicht weiterverkaufen und fragt: ‚Können wir den Preis nicht halbieren?‘ Was soll ich mit so jemandem?! Das muss man riechen, wen man da vor sich hat. Und wenn das so ein typischer self made Mann ist mit einer zwanzigMann-Klitsche … Dann ist man da vorsichtig. Mit dem macht man eigentlich keine Geschäfte. Da muss man halt ein bisschen einen Instinkt entwickeln: Was ist das für ein Typ? Und da sind halt viele Bescheißer dabei. Die machen ihre Geschäfte so eher in der Karaokebar. Das ist nicht professionell. Das ist nicht Kapitalismus. Man versucht sich doch nicht gegenseitig über den Tisch zu ziehen. Das resultiert aus Erfahrung. Dass man ein paar Mal an die Wand geknallt ist mit so Leuten. Und irgendwann muss man halt unterscheiden. So bestimmte Charaktertypen. Wie der in der Firma ist. Wie tritt der auf? Wie groß ist es? Ist das ganze professionell aufgebaut? Das merkt man dann im Gespräch. Und dann… Ich hatte heute ein Gespräch, witzigerweise mit einem Firmenkunden. Dem hab ich gesagt: ‚Das sind meine Vorgaben.‘ Das ist so

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Geben und Nehmen. Ich sag dann zum Beispiel: ‚Das ist ein rock bottom offer. Drunter kann ich nicht gehen.‘ Punkt. Der hat nie so eine richtige Antwort gegeben. Ich hab dem den ganz klaren Weg gesagt: ‚Du rufst jetzt die Headquarter an und fragst. Meine Bedingungen so und so. Könnt ihr das akzeptieren, dann mach ich euch so das Angebot. Auf den und den Grundlagen.‘ Und der hat immer ausgewichen. Und irgendwann gibt er dann auf. Ja oder Nein. Dieses ewige Ausweichen und vielleicht noch des ... läuft eigentlich nur darauf hinaus, dass der Betreffende sich immer noch einen anderen Weg freihält. ‚Um Gottes Willen nicht festlegen!‘ Dann wird aber nie was draus! Entweder er legt sich fest oder er lässt es. Also ich geh diesen chinesischen Weg nicht, weil der nirgendwo hinführt.“ F: „Haben Sie den chinesischen Weg mal ausprobiert?“ B: „Dieses Hin und Her? … Ich hab es bei anderen gesehen und was da rauskommt. In meiner vorherigen Firma: Reinfälle. Dass die Hälfte bei uns im Lager blieb. Nee. Das mach ich nicht.“

Ein anderer deutscher Entsandter, zur Zeit der Befragung seit einem halben Jahr in China, beschreibt, wie schwierig es sei, chinesische Geschäftspartner richtig einschätzen zu können. Ähnlich wie im vorherigen Zitat bereite die chinesische „Indirektheit“ wie auch das personenorientierte Verhalten von Chinesen Schwierigkeiten (vgl. III., 4.). „Am leichtesten sind mir die Verhandlungen im nord- und westeuropäischen Kulturkreis gefallen, wo man offen ist. Wo man direkt ist. Wo die Sache im Vordergrund steht. Was ich dann in Osteuropa erlebt habe, ist, dass der Geschäftspartner als Person eine höhere Bedeutung als die Sache – wenn man das mit Nordwesteuropa vergleicht. Hier in China ist es noch extremer. Ich war neulich bei einem deutsch-chinesischen Geschäftsessen dabei. Der Deutsche ist hier rübergeschickt worden. Ich hatte mit dem Geschäft nichts weiter zu tun. Bin da mit reingeraten und saß da mit am Tisch. Das war schon lustig. Das ist schon anders als bei uns. Wir gehen da ja als chinesische Firma hin und ich bin der Exot mit der langen Nase. Aber das geht dann schon sehr chinesisch zu: Mit Zigaretten und Baijiu.27 Mit Schlange und Schlangenblut und so weiter. Da war das natürlich nicht so. Aber ich habe auf der deutschen Seite die Unsicherheit gesehen: Wie gehe ich mit der Situation um? Was den Verhandlungsstil betrifft: Erst mal ein langes Palaver um das Thema herum. Wo man alles abklopft. Die Leute erst mal kennen lernt. […] Ein Beispiel noch: Ich mache auch Vertriebsunterstützung für größere Projekte. Da haben wir in Hangzhou so Spezialkunden, die mich auch schon an den Rand des Nervenzusammenbruchs getrieben haben. Da wird ein Angebot gemacht. Die Kollegen dort, große Firma, haben eine E-Mail nach Deutschland geschickt, dass sie einen Filter brauchen. Wir sind dann zwei Tage später hingefahren und haben prä27 Baijiu; chin.: Hochprozentiger chinesischer Schnaps, der aus Reis gewonnen wird.

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sentiert. Lief alles wunderbar. [...] Vierzehn Tage waren abgemacht. Dann hier [in Suzhou] nach zwei Tagen: ‚Wo bleibt denn das Angebot?‘ … ‚Ja. Müssen wir ausarbeiten.‘ Telefonterror, nur um sicher zu gehen, dass wir daran arbeiten. Wir fahren wieder nach Hangzhou am Montagnachmittag und irgendwie waren die nicht so richtig interessiert. Das merkt man ja. Ich hatte das deutschchinesische Wörterbuch dabei, falls es einen Begriff gibt, den ich auch auf Englisch nicht kenne. Die haben mich eine halbe Stunde rumkaspern lassen und dann ging ein Riesenpalaver auf Chinesisch los. Ich habe nur ‚Japan‘ verstanden. Und dann: ‚Der Entscheidungsträger wäre in Japan und gar nicht da.‘ Wir dann eine Nacht dageblieben. Aber die haben uns nicht zum Abendessen eingeladen, was in Deutschland ein Akt der Höflichkeit gewesen wäre, wenn ich den Partner nötige, unvorbereitet zu übernachten. Sind dann wieder am nächsten Morgen wieder hin und haben drei Stunden präsentiert. Haben alle Fragen beantwortet. Ist wunderbar gelaufen. Zum Schluss: ‚Das wollten wir aber nicht so haben.‘ … ‚Ist doch genauso wie in Südafrika!‘. ‚Ja. Aber unser Kunde will das anders haben.‘ … In diesem Stil ging das dann noch drei weitere Besuche. Und dann wurde ausprobiert, ob man das Angebot noch weiter auseinander nehmen kann. Sich nur Teile rauspicken kann. Wie ich es auch in Büchern gelesen habe. In einer Art und Weise, wie es in Deutschland undenkbar wäre und stellenweise auch die Grenzen der Unverschämtheit überschritten hätte. Emotionsfrei von der chinesischen Seite aus betrachtet, haben die versucht, sich stellenweise das Beste herauszupicken. Was aber technisch teilweise keinen Sinn gemacht hat, was aber dann das technische Unverständnis war. Die haben uns dann einen Vorschlag gemacht, dass wir den Auftrag kriegen, aber dann eine Garantie übernehmen. Der Vorschlag war jenseits von Gut und Böse. Ich habe dann mein Buch zugemacht und gesagt: ‚Ihr findet auf der Welt keine Firma, die seriös ist und diese Garantie übernimmt.‘ … ‚Ja, wir haben aber einen Lokalen, der das macht.‘ ‚Dann macht das.‘ Dann wurde ich rauskomplimentiert. Ich sollte fünf Minuten warten. Und da hatte ich kein gutes Gefühl. In Deutschland hätte ich gesagt, dass es nichts geworden ist. Wurde wieder reingebeten und da hatten sie sich überlegt, dass sie den Kernpart an uns vergeben. Dafür haben wir einen Monat lang gekämpft. Verhandlungsführung: Es wird nicht offen gesagt, was man will. Da kommen die mal von der Seite und mal von der Seite. Ein schönes Geschäft. Aber ein Affentanz.“

Die polarisierende Darstellung, wie sie manche deutsche Entsandte vollziehen, hinterfragt ein anderer deutscher Befragter. Zwar würde man in China mit Verträgen und Verhandlungen anders umgehen, als dies in Deutschland der Fall sei, doch seien die Unterschiede nicht so groß, wie es viele Deutsche gerne darstellten. B: „Ich sag mal, in Deutschland will ich auch nicht den ganzen Preis hinlegen oder will den Anderen nicht so kaputtmachen, dass er nicht mehr atmen kann.

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Das ist eigentlich nichts Besonderes. Ich arbeite mit den Chinesen lieber zusammen als mit den Amerikanern. Weil da ist es eine reine Lügerei. Da sagt ja keiner die Wahrheit. Von vorne lächeln sie und von hinten treten sie. Die Chinesen nicht, mit denen ich zu tun habe. Ich versuche immer dreißig Prozent meines Tagesgeschäftes draußen bei den Lieferanten zu sein. Weil das sind die, mit denen wir eigentlich das Geschäft machen. Und ich habe mit denen eigentlich recht gute Beziehungen und versuche vieles auf der persönlichen Ebene zu regeln. Natürlich muss man die Lieferanten knebeln. Aber wie in Deutschland auch sind die Lieferanten hier … Die wollen in die Prozesse integriert werden. Dann sind die auch viel freiherziger und zeigen ihnen auch, was für Ergebnisse sie haben. Dann sagt man manchmal auch mal freundlich: ‚Es ist eigentlich nicht so gut, wenn du mir das zeigst.‘ Dann akzeptieren sie das auch und sagen: ‚Guter Tipp!‘ und machen das dann auch. Es ist ein Geben und Nehmen.“ F: „Wie sieht es mit Vertragssicherheit aus?“ B: „Ich sage, es ist gut, einen Vertrag zu machen und ihn in den Schrank zu stellen und ihn dann zu vergessen. Das ist mein liebster Vertrag. Wenn ich ihn rausholen muss … In China Vertragssicherheit?! Im Lieferanten- oder Baustellengeschäft ist alles verhandelbar. Man fängt an zu diskutieren und man sagt: ‚Hier! Du hast unterschrieben!‘ Geben und Nehmen. Ich bin kein Mensch, der auf einen Vertrag pocht. Ich gewinne nicht damit. Wir haben mal einen Gerichtsprozess gemacht, wo wir einen Vergleich gezogen haben. Wo wir gesagt haben: ‚Der große X hat keine Chance.‘ Da haben wir einen Vergleich angesetzt. Ist denn in Deutschland ein Vertrag sicher?! Ich frage es als Rückfrage. In Deutschland ist es ja nicht anders. Da haben sie auch die Rückverhandlungen. Ein ganz normales Beispiel: Wir haben mit einer Firma auch einen Vertrag unterzeichnet und trotzdem ist jede dritte Rechnung falsch. Also: Verträge sind Verträge. Nur Verträge leben von Menschen. Achtzig Prozent der Verträge verstauben in irgendwelchen Ordnern. Kein Mensch kennt sie. Ich selber kenne vielleicht von unseren Verträgen sechzig oder siebzig Prozent. So. Das ist ein typisches Vertragsproblem. Wenn ich in Deutschland ein Vertragsgeschäft gemacht habe, dann war es das Gleiche. Wir haben Verträge auch ausgelegt. Nämlich da im Vertrag, wo es der Vertrag nicht mehr deckt. Dann fangen sie an: Ist das sittenwidrig oder nicht? Klar! In Deutschland hat man eine bessere Rechtsprechung. Aber in der Realität sieht es einfach anders aus. Stellen sie sich mal vor, VW verklagt den besten Lieferanten, weil er nicht bezahlt hat. Sie haben eine Chance, ihr Geld zu kriegen. Sie kriegen ihr Geld, aber danach haben sie keine Aufträge mehr. Das ist in China genau das gleiche. Verträge: Das geschriebene Wort zählt bei den Chinesen nicht so viel wie das gesprochene Wort. Das Wesentliche ist Vertrauen. Und gute Beziehungen. In einer guten Beziehung können sie vieles klären. Ich bin oft draußen. Wenn die Leute mal ein Problem haben, dann wird geholfen. Ich habe das mal gehabt, dass ein Lieferant ein Problem mit einer Maschine hatte. Und wir haben ihm dann mit Maschinen hier ausgeholfen. Oder wir haben bei uns ein Verbesserungsvorschlagswesen für Lieferanten. Lieferanten können Ideen

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aufbringen. Dass die Bindung an die Firma immer enger wird. Und wir sind fair. Das heißt, wir geben Lieferanten immer den last call, bevor wir ihn rausschmeißen. Und so klappt es. Ein anderes Thema ist, sich regelmäßig treffen. Mal essen gehen. Das sind die wesentlichen Dinge. Freundlich miteinander umgehen. Positiv sein. Auch mal zum Geburtstag gratulieren. Kleinigkeiten, die die Freundschaft erhalten. Wie in Deutschland auch. Ich sag mal, ich weiß genau, wenn der Lieferant mich nicht mehr zum Essen einlädt, dann bin ich zu weit gegangen.“

Einem stabilen und anhaltenden Geschäftsaustausch in China wird durch den Großteil deutscher Befragter also eine höhere Priorität eingeräumt als einem starren Vertragswerk. Auch chinesische Befragte, die in deutschen Unternehmen tätig sind, teilen diese Einschätzung, äußern sich teilweise aber auch über die Vorzüge des deutschen Vertragsverständnisses. Ein chinesischer Geschäftsführer äußert sich folgendermaßen: „Eigentlich ist ein Vertrag eine gute Sache. Aber in China funktioniert es nicht so gut. Als ich in Deutschland war, war ich zunächst erstaunt, wie genau Deutsche alles [in Verträgen] festlegen. Und normalerweise halten sie sich auch daran. Das liegt einfach daran, dass in Deutschland Verträge ernst genommen werden. Es gibt eine andere Vertragskultur als in China. Das hat Vorteile, denn man kann sich oftmals auf seinen Geschäftspartner verlassen. In China klappt das oft noch nicht. Hier hat man eine andere Auffassung von Verträgen.“

Dass durch die unterschiedliche Geschäftskultur in China Verträge nicht so hoch bewertet werden wie persönliches Vertrauen, beschreibt auch folgender chinesischer Befragter, der sich täglich als Ein- und Verkäufer mit chinesischen Kunden und Lieferanten auseinander setzt. „Es bestehen erhebliche Unterschiede zwischen Deutschen und Chinesen. Beispielsweise Verträge. Mit Chinesen ein Geschäft abzuschließen dauert oftmals länger als mit Deutschen. Deutsche nehmen sich einfach keine Zeit. Sie kommen herein, stellen ihr Produkt vor und dann wollen sie eine deutliche Aussage. Chinesen sind da anders. Und ich finde, dass die deutsche Herangehensweise nicht unbedingt besser ist. Wenn ich mit einem Deutschen einen Vertrag abschließe, es im Nachhinein aber ein Problem gibt, dann stellen sich Deutsche oftmals sehr unflexibel an. Sie beharren auf jeder Kleinigkeit und gefährden damit den gemeinsamen Erfolg. Wenn ich mit Chinesen ein Geschäft mache, dann achte ich darauf, dass sie vertrauenswürdig sind. Ich erkundige mich genau über die Firma, über die Personen und deren Auftragslage. Dann erst kommt man zusammen und lernt sich kennen. Natürlich kann das manchmal länger dauern, als Deutsche es gewohnt sind, aber wenn ich jemanden persönlich kenne und wir uns gegenseitig vertrauen, dann kann ich mir sicher sein, dass er mir helfen wird, wenn es ein Problem gibt. Und so ist es

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auch umgekehrt. Besteht zwischen mir und einem Geschäftspartner eine Freundschaft, dann können sich beide Seiten darauf verlassen, dass man sich gegenseitig unterstützt. Deutsche bestehen oftmals auf sehr genauen Verträgen. Aber in China nützt ein noch so guter Vertrag einfach nichts, wenn man dem anderen nicht vertrauen kann.“

Ein anderer chinesischer Befragter, früher lange Zeit bei einer chinesischen Zulieferfirma tätig, die auch deutsche Kunden belieferte, spricht ein aus seiner Sicht häufiges Problem mit Deutschen an: „Verhandelt man mit Deutschen, so ist es häufig so, dass derjenige, mit dem man verhandelt, nur beschränkte Entscheidungsbefugnisse hat. Oftmals sind sich Deutsche dann unsicher, ob sie einen Rabatt geben oder ein Zusatzgeschäft abschließen dürfen. Aus chinesischer Perspektive macht das keinen guten Eindruck. Deutsche haben feste Richtlinien, an die sie sich halten müssen. Wenn man von diesen Richtlinien abweicht, dann werden manche unsicher. Natürlich ist die deutsche Art, ein Geschäft abzuschließen, schneller. Man konzentriert sich auf die Sache und nicht auf die Person. Aber wenn es ein Problem gibt, dann sind Deutsche viel langsamer als Chinesen. Chinesen finden dann viel schneller eine Lösung, während Deutsche sich erst lange Zeit beraten müssen. Sie sind so auf ihre festgelegten Regeln konzentriert, dass sie den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen.“

Der Aufbau einer langfristigen Beziehung ist laut chinesischen Befragten die wesentliche Voraussetzung für eine gute Geschäftsbeziehung. Erst dann könne man sich auf seinen Geschäftspartner verlassen und wäre nicht mehr auf Verträge angewiesen. „Es hängt vom Vertrauen und von der Beziehung ab. Für Verträge gibt es in China noch kein standardisiertes System. In Deutschland gibt es das. Also gibt es sehr viele Firmen, die Verträge nicht beachten. In solch einer Situation hängt es vom Manager einer Firma ab, was er für Gewohnheiten hat. Es kann sein, dass er Verträge abschließt oder aber er nur Verträge abschließt, wenn er jemandem persönlich vertraut. Wenn WIR die Situation einer Firma nicht kennen, dann werden wir sie erst von mehreren Seiten her untersuchen. Was für Mitarbeiter sind in dem Betrieb? Wie ist die Firmengeschichte? Wenn es eine vertrauenswürdige Firma ist, dann ist es egal, ob man einen Vertrag schließt oder nicht. Auch ohne schriftlichen Vertrag wird er die Vertragssache beachten. Wenn es aber ein nicht vertrauenswürdiges Unternehmen ist, dann wird jede Angelegenheit gegenüber dieser Firma genauestens dargelegt. Wenn man gegenüber dieser Firma kein Vertrauen hegt, dann sollte man nicht zu lange mit ihr Geschäfte machen. Sonst werden Probleme auftauchen. Das Wichtigste ist, eine Vertrauensbasis zu einer Firma aufzubauen. Für viele Dinge in China ist nach wie vor die private Ebene von großer Bedeutung. Das ist

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einer der Gründe, warum hier viele Angelegenheiten wie in einer privaten Freundschaft gehandhabt werden.“

Ein anderer chinesischer Befragter, der selbst drei Jahre lang das deutsche Stammhaus kennen lernte, äußert sich kritisch über das in China vorherrschende Vertragsverständnis und das Verhalten seiner Landsleute, womit er dem Großteil der übrigen chinesischen Befragten widerspricht. „Ich finde das deutsche System besser. Chinesen entscheiden immer nur sehr kurzfristig. Sie haben immer nur den persönlichen Gewinn vor Augen und kümmern sich nicht um den langfristigen Erfolg. Wenn beispielsweise ein Auftrag vergeben werden soll, dann kann es sein, dass sich eine Firma für jemanden entscheidet, den man gut kennt, obwohl derjenige gar nicht in der Lage ist, das notwendige Produkt herzustellen. Es geht zu sehr nach persönlichen Vorlieben und nicht nach dem, was für das Unternehmen sinnvoll ist. Deutsche richten sich dagegen eher nach den Notwendigkeiten und denken weiter voraus. Sie sehen eher die Zukunft des Unternehmens und nicht so sehr den persönlichen Vorteil. Natürlich ist das auch nicht immer so. Aber in vielen Fällen kann man schon davon sprechen, dass dies ein wesentlicher Unterschied zwischen Deutschen und Chinesen ist.“

3.9 Organisationsstruktur Entsandte, die die Aufgabe übernehmen, eine ausländische Investition in China zu konsolidieren, berichten oft von erheblichen Schwierigkeiten, denen sie sich in der Gründungsphase einer Kooperation gegenüberstehen. Nicht selten können Zeitpläne nicht eingehalten werden, was auf die erheblichen bürokratischen Hürden in China zurückgeführt wird. „Ich war in New York, wo wir eine Firma gekauft hatten, die erst in den Konzern geschippert werden musste. Und zu dem Zeitpunkt hatten wir hier in China ein Riesenprojekt laufen: Nämlich diese beiden Firmen in Peking und Shanghai zusammenzuführen zu einer. Und da war ein Projektmanager dran, der sich aber entschlossen hatte, das Projekt nach Hause zu bringen, dann aber nicht zu übernehmen. Und das war in einer kritischen Phase und wir brauchten dringend einen erfahrenen Geschäftsführer ... und es kam der September neunundneunzig. Ich kriegte einen Anruf: ‚Setz dich mal ins Flugzeug. Sieh dir das mal an.‘ ~ Und ich war also gar nicht darauf vorbereitet. Hätten Sie mich im August neunzehnhundertneunundneunzig gefragt: ‚Willst du nach China gehen?‘ Ich hätte gesagt: ‚Du spinnst!‘ War also überhaupt nicht auf dem Schirm. Ich war in New York zuständig für die Integration als Präsident für sämtliche Aktivitäten außerhalb Kontinental-USA. Das heißt, wir hatten da Exporte in alle Welt, wir hatten da Beteiligungen und – in Deutschland… Die hab ich also insgesamt betreut. War viel unterwegs. Das hat mir sehr viel Spaß ge-

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macht. Aber dann kam ich hierher. Und das war schon eine tolle Sache. Eine tolle Herausforderung. Weil ich damals annahm, dass ich, bevor ich komme – am ersten Januar ~ dieser Merger abgeschlossen ist. Ich kriegte dann auch am dreiundzwanzigsten Dezember das grüne Licht: Verträge sind unterschrieben. Das war dann so die Triggerklausel, dass ich dann am ersten Januar kam. Familie kam dann später nach. Ja. Und – kam ich hier an. Verträge wurden eingereicht bei der Foreign Investment Commission und … erfolgreich als nicht durchführbar zurückgewiesen. Und dann gab es alle möglichen Probleme mit der Namensgebung des Unternehmens und, und, und ... Es war so, dass Ende zweitausend unbedingt diese Firma in dieser Form zusammengeführt werden musste, damit wir sie besiegeln können mit Jahresabschluss – zu einer Gruppe. Und wir haben im Prinzip alle Verträge neu verhandeln müssen. Das zog sich dann hin bis zum ersten Oktober. Da hatte ich dann die Papiere für die neue Firma in der Hand und habe dann ein Rumpfgeschäftsjahr gemacht für das letzte Quartal. Und das praktisch am einunddreißigsten zwölften. Das war enorm stressfull, weil… – die Situation die war, dass ich eigentlich entsandt wurde als Geschäftsführer dieser neuen Firma, die es aber gar nicht gab. Das hatte natürlich alle möglichen Visaprobleme – Statusprobleme ... Ich bin dann hier also als Mergerspezialist eingeführt worden und war im Prinzip König ohne Land. Was enorm schwierig war. Denn die Chinesen sind ja teilweise sehr formalistisch und wenn sie eben nicht Geschäftsführer sind, wird es eben schwierig mit Unterschriften und so weiter. Das war sehr unangenehm. […] Bis Mitte des Jahres hatte ich noch den Geschäftsführer der alten Shanghaier Firma hier. Der intern nicht mehr Geschäftsführer war, aber extern immer noch als Geschäftsführer fungierte. Was auch nicht ganz einfach ist. Also, da gab es ganz andere Probleme als die interkulturellen. Ganz [L] – interpersonelle Probleme. In Peking war es so, dass ich zwar Geschäftsführer war, aber nicht eingetragen war. Da die Firma bereits in Auflösung war. Die konnten mich nicht eintragen. Es war ... juristisch eine sehr interessante Zeit. Da musste man etwas flexibel sein, in der Auslegung dessen, was man rechtlich machen kann. […] Ich war stinksauer. Im Prinzip… – dieser Merger war gemacht worden, um einen frischen Start zu machen und man hat dann, wenn man rausgeht, bestimmte Milestones gesetzt. Die man erreichen will in einem Jahr. Und ich hab im Prinzip, wenn man so will, ein Jahr verloren. Weil ich eben mit diesem blöden Merger zu tun hatte – und solange dieser Merger nicht eingeführt war, solange konnten bestimmte Dinge nicht gemacht werden.“

Deutsche Befragte, die in deutsch-chinesischen Gemeinschaftsunternehmen tätig sind oder diese aufbauen, bezeichnen die bislang gängigste Kooperationsform des Joint Ventures als problematisch. Neben den sehr aufwändigen bürokratischen Prozessen, die nötig sind, um die Zulassung zu einer ausländischen Investition zu erhalten, spielen hierbei vor allem Machtstrukturen und unterschiedliche Interessenlagen der Geschäftspartner innerhalb der Kooperation eine wesentliche Rolle. Insbesondere 272

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die Gemeinschaftsprojekte, bei denen die deutsche Seite nur einen minderteiligen oder einen gleichwertigen Anteil hält, gelten unter den deutschen Befragten vor allem dann als schwierig, wenn der Kooperationspartner, wie es häufig der Fall ist, ein staatliches Unternehmen ist. „Ich mach überhaupt ungern Joint Ventures. Ich mach lieber Wholly Foreign Owned Companys [WFOE]. Einfach weil die Konflikte in der Grundkonstellation angelegt sind. Wir haben ein Joint Venture mit einem privaten Investor, wo das einzige Interesse ist, eben anständigen Gewinn zu machen. Da haben wir wenig Probleme mit. Wir haben insgesamt siebzig Joint Ventures. Wir haben andere Firmen, wo der Joint Venture-Partner dann auch Kunde ist. Dann ist der Konflikt ja schon vorprogrammiert. Wenn die Firma guten Profit macht, dann fühlen die sich als Kunde betrogen. Wenn die Firma keinen Gewinn macht, sind sie als Partner unzufrieden. Ist nicht gut. Wir haben auch zwei Minderheiten. Das würde ich aber nicht mehr machen. In dem einen Fall war es so, dass die uns richtig ausgegrenzt haben. Da haben wir dann auch die Konsequenz gezogen und gesagt, dass wir wieder aussteigen möchten, woraufhin dann die übergeordnete Behörde des Partners einen Entsetzensanfall kriegte und einen Lösungsvorschlag machte, der gut war. Wir haben ein neues Joint Venture gegründet, wo wir eine Mehrheit haben und haben gesagt, sobald das neue läuft, wird das alte zugemacht. Gut. Funktioniert. Ich denk mal, die chinesische Wirtschaft wird auch immer internationaler. Wird immer stärker den internationalen Gepflogenheiten ausgesetzt. Also die alten Zustände, wie Mitte der neunziger Jahre, werden nach und nach abgeschliffen. Die Sitten aus der Staatswirtschaft verschwinden nach und nach. In dreißig Jahren ist das weg.“

Keiner der im Rahmen dieser Untersuchung befragten Deutschen, die in einem Joint Venture mit einer gleichwertigen oder geringeren Beteiligung als der chinesische Teilhaber arbeiten, befanden die Beziehung zu ihrem chinesischen Kooperationspartner als zufrieden stellend. Konflikte zwischen beiden Seiten seien bei einer Minderheitenbeteiligung der deutschen Seite vorprogrammiert. Außerdem drohe bei mehreren chinesischen Beteiligungen die Gefahr, dass die deutsche Seite in Machtkämpfe zwischen den chinesischen Partnern gerate. B: „Wir hatten zum Beispiel hier zu der Zeit in Shanghai immer noch eine fünfzig-fünfzig-Situation mit einem Vertrag, der zum Beispiel auf jedem Scheck von über zwanzigtausend Renminbi zwei Unterschriften brauchte und wo es sich über die Jahre eingespielt hatte, dass sich der chinesische Partner… – im Prinzip diese Unterschriftsvollmacht benutzte, um den Geschäftsführer zu erpressen. Also nach dem Motto: [P] ‚Was?! Du willst nach Deutschland fliegen? Das Ticket kostet zweiundzwanzigtausend Renminbi?! Den Scheck unterschreib ich nicht! Ich kann dir zwar nicht verbieten, dass du nach

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Deutschland fliegst. Aber den Scheck unterschreib ich dir nicht, dass du das Ticket bezahlen kannst, wenn du mir nicht die Gehaltserhöhung für A oder B oder C gibst.‘ Also, solche Spielchen gab’s da.“ F: „Gibt es solche Spielchen immer noch?“ B: „Nein.“ F: „Jetzt ist es ein WFOE?“ B: „Nee. Wir sind jetzt immer noch…, das ist eben das Interessante, wir sind immer noch ein Joint Venture – und zwar ein Equity Joint Venture. In dem wir zweiundfünfzig Komma zwei Prozent haben. Der Shanghai-Partner hat sechsunddreißig Komma vier Prozent und die restlichen ... elf Prozent sind es, glaube ich, hat der ehemalige Peking-Partner. Das ist eine interessante Konstellation. Das ist nämlich – also diese Dreiecksbeziehung ist richtig gut. Das ist so wie zwischen München und Hamburg. […] Erst mal ist es so, dass Pekinesen und Shanghainesen einander nicht gewogen sind. Die hassen sich eigentlich wie die Pest. Und im Prinzip versuchen sie ständig, den Deutschen auf ihre Seite zu bekommen, um gegen den einen oder anderen auszuholen. Bis zu einem gewissen Grad muss man da mitspielen, um eben da drin zu überleben. Umgekehrt läuft’s natürlich genauso. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Wenn es gemeinsame Interessen gibt, dann wird auch mal angezogen. Insgesamt ist es aber eigentlich so, ~ ich sag mal – für alle wesentlichen Businessentscheidungen wesentlich einfacher, mit den Shanghainesen umzugehen, als mit den Pekinesen. Peking ist im Prinzip eine rein politische Institution. Da laufen also politische Motive, die also jenseits von Gut und Böse sind. Es ist schwer nachzuvollziehen. Hier ist es also so, dass es auch ein staatseigenes Unternehmen ist, auf der shanghainesischen Seite. Das aber weitgehend privatisiert worden ist. Und die Jungs sind unheimlich fit. Die sind wirklich gut, und mit denen kann man ganz anders reden. Die haben auch in den letzten Jahren sehr viel mitgetragen, was ich hier initiiert habe, als der Pekinese. Der Pekinese ist immer noch so, dass er denkt, dass ich irgendwelche sinistren Absichten hege und da hat er immer noch ideologische Probleme, während ich dem Shanghai-Partner sage: ‚Leute. WTO ist wirklich wichtig für uns. Dramatische Veränderung! Das können wir nicht einfach ignorieren. Wir müssen uns fragen, was ist eigentlich unsere destiny?‘ Dann sind die ziemlich fit dabei. Aber die Spannungen zwischen den beiden sind wirklich enorm. Man muss unheimlich aufpassen. Wie ein Minenfeld. Aber na gut. Ich mein, man kann auch da wieder im Prinzip auf vielerlei Parallelen aufbauen. […] Also – diese lokalen Differenzen und Einstellungsfragen sind doch in vielen Nationen der Fall. Man muss sie nur einfach akzeptieren. Man muss sagen, sie existieren! Und ich muss lernen, damit irgendwie umzugehen.“

Als wesentliches Problem auf der chinesischen Teilhaberseite wird in zwei Fällen das Bestreben des deutschen Partners gesehen, die Kooperation gänzlich nach deutschen Vorstellungen gestalten zu wollen. Der deutsche Investor, der in diesen Fällen als Neuling sowohl innerhalb des

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Unternehmens als auch auf dem chinesischen Markt betrachtet wird, müsse sich, so die Befragten, den chinesischen Gepflogenheiten anpassen. Kritisiert wird oft der schlechte Informationsaustausch auf der horizontalen Ebene wie auch der Führungsstil (vgl. III., 3.3 und 4.), Organisationsaufbau und auch das als selbstherrlich verstandene Auftreten des deutschen Managements. Dennoch haben chinesische Befragte von deutschen Unternehmen in den meisten Bereichen einen positiven Gesamteindruck. Leistungen werden grundsätzlich anerkannt und als eine Art Fernziel begriffen. Unterschiede werden allerdings deutlich, betrachtet man die langfristigen Ziele beider Partner. Während die deutsche Seite bestrebt ist, mittels der Vertriebsnetze des chinesischen Kooperationspartners die eigene Marktposition auszubauen und kurzfristig zumindest eine Akkumulation der investierten Werte zu erreichen, wünscht sich der chinesische Partner eine Beschränkung der deutschen Seite auf die Rolle eines KnowHow- und Kapitalgebers, um schließlich ohne fremde Hilfe wirtschaften zu können. Beide Seiten streben im Prinzip also die maximal erreichbare Unabhängigkeit vom jeweils Anderen an. Es mag deshalb nicht erstaunen, dass Konflikte in Joint Ventures vorprogrammiert sind und der Trend deutscher Investitionen eindeutig in Richtung WFOE deutet. Ein chinesischer Befragter, der als Assistent der chinesischen Geschäftsleitung in einem in Shanghai angesiedelten Joint Venture mit gleich großen Anteilen der Kooperationspartner arbeitet, spricht von einer äußerst schlechten Zusammenarbeit. B: „Die Deutsche Seite hört eigentlich überhaupt nicht auf die chinesische Seite. Das ist ein Problem, das es häufig in Joint Ventures gibt. Die Deutschen sind der festen Überzeugung, dass es so, wie sie es machen, richtig sein muss, da es ja auch in Deutschland oder anderen Ländern funktioniert. Beispielsweise unsere Produkte. Wir drängen schon seit Jahren auf ein chinesisches Auto, das den Ansprüchen des chinesischen Marktes gerecht wird, doch die Deutschen sind der Überzeugung, dass ihr Produkt ausreichend sei. Natürlich ist das Produkt gut. Es ist qualitativ hochwertig und hat derzeit einen guten Ruf. Doch wird es den Ansprüchen des chinesischen Marktes nicht gerecht. Noch lässt es sich verkaufen, doch die Konkurrenz wird immer härter. Aber die Deutschen reagieren nicht. Immer, wenn wir sie darauf aufmerksam machen, dass wir etwas Neues entwickeln müssen, reagieren sie nicht. Wir brauchen etwas, das die speziellen Ansprüche chinesischer Kunden erfüllt. Ihr Deutsche haltet Qualität für das Wichtigste, doch in China würde sich ein qualitativ minderwertiges Produkt mit gutem Design ausgezeichnet verkaufen.“ F: „Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass die deutsche Seite nicht auf die Vorschläge der chinesischen Seite eingeht?“

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B: „Das ist ganz klar. Natürlich wollen die Deutschen nicht, dass wir zu viele Informationen bekommen. Sie haben Angst, dass sie sich entbehrlich machen, sobald sie wichtiges Know-How an uns weitergeben. Denn das ist es ja, was sie so wichtig macht. Deshalb sind sie sehr misstrauisch und wollen alles kontrollieren.“

Einem anderen chinesischen Befragten, der als Geschäftsführer die deutsche Seite eines chinesisch-deutsch-japanischen Joint Ventures vertritt, geht die Kontrolle des deutschen Stammhauses nicht weit genug. „Ich habe sehr viele koreanische und japanische Kunden. Im Wettbewerb bleiben deutsche Firmen oft zurück, während japanische Firmen meistens die Nase vorn haben. Zum Beispiel errichten Deutsche oftmals eine Vertretung. Für deutsche Unternehmen ist es so, dass sie meinen, die Vertretung sei Vertretung. ‚Du bist du und ich bin ich.‘ Die Vertretung wird als unabhängige Firma angesehen. ‚Ich mische mich nicht in deine Belange ein.‘ Auch wenn sie der Auffassung sind, dass einige Sachen nicht in Ordnung wären, meinen sei: ‚Ok. Das ist eure Firma. Also eure Sache.‘ Allerdings sind Chinesen nicht so. Japanische Firmen wissen das und wissen, wie sie Chinesen zu managen haben. Gegenüber dem Management der Vertretung sind sie hartnäckig. Wenn ich an unsere Kooperation denke, dann haben sie enorm viele Regeln eingeführt, von denen erwartet wird, dass sie aufs Genaueste eingehalten werden und dass die Art und Weise, wie etwas geschehen soll, nach ihren Richtlinien umgesetzt wird. Und es ist tatsächlich so, dass wir uns im Osten daran gewöhnt haben. Deutsche meinen hingegen, dass es ihre Vertretung sei und es nicht gut wäre, wenn es zu stark [von Deutschland aus] geführt wird. Das Unternehmen kann gar nicht davon ausgehen, dass diese Grenzlinie existiert, wenn viel geleitet wird, sondern wird meinen, dass es ganz normal sei. Das ist auch der Grund, weshalb im Wettbewerb japanische Firmen mit ihren Vorstellungen und Methoden etwas sehr schnell umsetzen können. Aus diesem Grunde sehen sich deutsche Unternehmen mit zahlreichen Problemen konfrontiert. Wenn es ein Problem gibt, sind sie nicht willens, zu entscheiden. Denn, will man das Problem aus der Welt schaffen, dann muss die deutsche Seite mit dem chinesischen Vertreter sprechen. Man muss aber selbst entscheiden. Man muss das ändern. Aber deutsche Unternehmen denken in der Regel nicht so. Stattdessen geben sie grobe Zielvorgaben, die meistens wenig praktisch sind.“

Ein Entsandter des Stammhauses eines deutschen Konzerns, der sich mehrmals im Jahr für einige Tage in China aufhält, führt Unflexibilität und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit auf die strukturelle Organisation des Unternehmens zurück: „Dass man erst mal irgendwo investieren muss, um dann langfristig erfolgreich zu sein – das gibt es bei uns schon lange nicht mehr. Bei uns wird wirk-

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lich von Jahr zu Jahr gedacht. Und was nicht profitabel ist, wird saniert und muss profitabel gemacht werden. Das geht schon so weit, dass es bis in die Quartale heruntergeht. Und dass wir auch lieber sagen, wir verzichten auf das Geschäft, weil wir das langfristige Ziel nicht vor Augen haben. Ich weiß, dass unsere Wettbewerber das nicht so machen. Unser chinesischer Konkurrent sagt: ‚Nimm das Ganze mal kostenlos. Teste es mal. Und wenn du es getestet hast, dann nimm es in kommerziellen Betrieb. Wir schenken dir das mal.‘ Also langfristig in Märkte investieren, um Positionen zu besetzen, um aus der installierten Basis heraus das Produkt zu entwickeln mit dem Kunden gemeinsam. Bei uns ist es so stark diversifiziert, dass jedes einzelne Land einen positiven Beitrag erwirtschaften muss. Und wenn sie das nicht erwirtschaften, dann müssen sie dementsprechend die Kosten und Strukturen anpassen, bis dahin, dass das Geschäft so klein ist, dass man auch ganz darauf verzichten kann. Aber das ist wiederum etwas, was von oben vorgegeben wurde. Jeder Bereich muss eine Marge erzielen. Die ist acht bis elf Prozent in einem bestimmten Zeitrahmen. Das muss nicht in jedem einzelnen Land erwirtschaftet werden, aber von einem Bereich will man das Ergebnis haben. Und der Bereichsleiter sagt dann, dass er sich das Abenteuer China leistet, und buttert da richtig rein, weil er genügend andere Bereiche hat, womit er das kompensieren kann. Meine Meinung ist: Wir versuchen immer Weltmarktprodukte herzustellen. Ich glaube, das ist langfristig falsch. Wir müssen für die bedeutendsten Einzelmärkte entsprechende Länderprodukte machen. Ich kann bei einem Binnenmarkt von eins Komma zwei Milliarden Chinesen nicht nach den USA sehen und dann versuchen, das Produkt irgendwie zurechtzubiegen. Selbst die USA ist nur ein Sechstel des Marktes. Sie ist vom Volumen her der größte Markt. Aber China in der Zwischenzeit die Nummer drei und ich kann solche Länder wie Vietnam oder Thailand vernachlässigen – aber gerade auch mit der chinesischen Einstellung, immer ein bisschen anders als alle anderen sein zu wollen. […] Die versuchen immer ihre eigene regionale Bedeutung, die ihnen sehr wohl bewusst ist, dahingehend einfließen zu lassen. Da wollen sie etwas Besonderes, um da die eigene Industrie zu stärken oder zumindest die Bereitschaft der globalen Anbieter in Kooperation herbeizuführen. Dass wir das nicht begreifen! Das ist auch wieder so ein Thema – schnell reagieren auf den Markt. In Asien gehen zum Beispiel eigentlich nur diese Clam-Shell-Telefone. Seit zwei Jahren bekannt. Das ist vielleicht die eigene Überschätzung und nicht das schnelle Reagieren auf Marktanforderungen. Fertigungstechnisch müssen wir das genauso hinkriegen. Aber ich glaube, da haben wir bei uns so Sturköpfe, die nicht erkennen, dass es unter Umständen bedeutet, dass ich den Marktanteil, den ich gestern noch hatte, morgen nicht mehr habe. Ich glaube, dass ist ein gewisses Maß an Überheblichkeit. So aus der Einschätzung heraus: Das war in der Vergangenheit so. Da haben wir denen gesagt, was richtig ist. Und das ist heute auch noch so. Dieses fehlende Bewusstsein dafür, dass sich die Kräfteverhältnisse verändert haben. Dass nicht mehr ich derjenige bin, der dem anderen sagt, was er zu nehmen hat, sondern dass der plötzlich selber eine Meinung hat, die ich berücksichtigen muss. […] Ein weiterer dramatischer

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Nachteil, den wir vor kurzem hatten und jetzt noch in abgeschwächter Form haben, ist die Vielzahl der Joint Ventures. Die sind jeweils nur für einen Teilbereich zuständig, während unsere Konkurrenz in einer Organisation die komplette Breite abdecken. Was wir hier immer noch brauchen, ist eine Einheit, die alle Joint Ventures koordiniert. Und das ist etwas, was schwierig ist und auch bei dem Kunden den Eindruck der fehlenden Abstimmung und fehlenden Kompetenz erweckt. Da gibt es aus dem einen Joint Venture einen, der das Thema Transport beherrscht. Da gibt es einen anderen, der das und das Thema beherrscht. Aus dem Dritten beherrscht einer ein anderes Thema. Aber unsere Kunden wollen eine End-to-End-Lösung. Und da kommen von uns drei Mann zum Kunden, wo jeder seine Ministory erzählt, während vom Konkurrenten einer kommt, der die End-to-End-Geschichte präsentiert. Das wäre so, als würde man zu VW gehen, um ein Auto zu kaufen, und dann kommt einer und erzählt was über die Reifen. Und der nächste über die Karosserie. Und man will doch ein Auto kaufen.“

Auch deutsche Befragte zeigen sich mit der jeweiligen Strategie ihrer Stammhäuser nicht immer zufrieden. Viele führen dies auf das in Deutschland vorherrschende und verzerrte Chinabild zurück, das nur wenig mit der Wirklichkeit gemein habe. Nicht immer könnten Entscheidungsträger aus dem Stammland, die, wenn überhaupt, nur für wenige Tage im Jahr eine Visite in China einplanen, die Situation vor Ort beurteilen. „Wenn ich erst mal mein Kummerkästchen aufmache, wenn das Stammhaus kommt ... Ich versuche die groben Randbedingungen deutlich zu machen. Man muss schon klar sagen: ‚Das geht so nicht.‘ Bei gewissen Sachen. Und: ‚Ich brauche das und das, damit das geht.‘ Ich muss immer ein bisschen bohren. Wenn das Stammhaus kommt – sicherlich. Was wird vorgeführt? Eine Reihe von fünfhundert Chinesen, die arbeiten, arbeiten, arbeiten. Das sehen die dann auch bei den Zulieferern so. Man sieht zwar keinen Materialfluss. Aber der Laden ist schön aufgeräumt. Jeder macht was. Fleißige Chinesen – der Eindruck in Deutschland. Wobei im Operatorbereich zum Beispiel habe ich noch nie erlebt, dass die Leute so schnell auf Standbybetrieb gehen. [P] ‚Nichts mehr da?!‘ Wird die Maschine sofort abgeschaltet. Sofort auf niedrigste Energiestufe. DAS sieht keiner. Während in Deutschland die Leute noch suchen. Vielleicht sich sonst noch ein bisschen gegen Arbeit mehr wehren. Aber wenn die hier eine Woche an ihrem Platz nichts zu tun haben, dann stehen die eine Woche rum. Immer dieses: ‚Der fleißige Chinese.‘ Und ich habe noch nie eine so faule Gesellschaft gesehen, die so gut durchkommt.“

Ein deutscher Ingenieur, der seit über 15 Jahren in China lebt und bei einer Reihe von deutschen WFOEs und deutsch-chinesischen Joint Ventures tätig war, schildert seine Erfahrungen.

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„Bei den Stammhäusern gibt es mitunter sehr große Unterschiede. Bei einem war es so: Die wollten wöchentlich genaue Berichte. Fortschritt und und und … Die Firma, für die ich jetzt arbeiten werde, die hat gesagt: ‚Sie sind für das verantwortlich. Je weniger wir von ihnen hören, desto besser.‘ Und so in dieser Bandbreite spielt sich das ab. Ich hatte hier mitunter auch schon bei dem Anlagenbauer, für den ich gearbeitet habe und für den ich den Service hier aufbauen sollte – da war die große Problematik: Die haben sich eingebildet, sie könnten von Singapur die Aktivitäten für China steuern. DA hatten die einen jungen Diplomingenieur eingestellt. Der wurde dann von Deutschland nach Singapur geschickt. China haben sie ihm noch nicht zugetraut. Der war noch nie vorher in China, und dieser Mann sollte die Aktivitäten dann hier leiten. Und das war also dann der Punkt, wo ich gesagt hab: ‚Jetzt ist Ende! Jetzt mach ich nicht mehr mit.‘ Ich war in Shangang oben – das sind etwa vier Stunden Fahrt – und da rief er mich an und sagt: ‚Wie weit ist Shangang von Shanghai weg?‘ Sag ich: ‚Ja, so hundertdreißig Kilometer.‘ Sagt er: ‚Und Chinapac?‘ Das ist der große Chemiekonzern hier, der ist da an der Küste auf Pudong. ‚Wie weit ist der weg?‘ Sag ich: ‚Ja. So neunzig.‘ Sagt er: ‚Das ist ja eigentlich gar nicht weit. Da könnten sie ja noch schnell vorbeifahren.‘ Ich sag: ‚JAHA! JAHA!‘ … Null Ahnung! NULL Ahnung! Der war noch niemals hier und hat absolut keine Ahnung von der Situation und von irgendwelchen Voraussetzungen. Wir haben schon angesprochen die Arbeitsmoral und die Art und Weise der hier jetzt Arbeitenden und so weiter. Also null Ahnung. Das ist hoffnungslos. Es gibt in Deutschland sehr, sehr viele Firmen, die auf den chinesischen Markt ohne die geringste Ahnung gehen. Da gibt’s also blutige Nasen noch und noch. […] Es gibt manchmal Unternehmen oder Leute in den Unternehmen, die Erfahrung haben. Die vielleicht selber auch draußen waren. Die auch selbst in solchen Situationen waren. Da kann man dann schon Rückhalt bekommen. Es gibt aber… – das kommt gerade jetzt häufig vor, wenn die Unternehmen überstürzt in den chinesischen Markt drängen, wenn sie feststellen: ‚Hoppla. Wir haben schon wieder verschlafen. Wir sind schon wieder zu spät dran.‘ Die bilden sich ein: [P] ‚China, DER große Markt. Wir müssen jetzt unbedingt nach China gehen.‘ Die haben dann vielleicht bisher nur den europäischen Markt bearbeitet und haben keinerlei Erfahrungen außerhalb des chinesischen Marktes: Mit denen wird’s dann schwierig. Und da muss man dann schon mal ab und zu auf den Tisch hauen und sagen: ‚Freunde. Setzt euren Hintern in den Flieger. Kommt her und schaut euch das mal an. DANN können wir weiterreden!‘“

Neben der Unkenntnis, aber auch der manchmal als überheblich bezeichneten Haltung der deutschen Stammhäuser kritisieren chinesische Befragte die längeren Entscheidungsprozesse, woraus die mangelnde Fähigkeit resultiere, flexibel reagieren zu können (siehe auch III., 3.4). Ein chinesischer Manager eines deutsch-chinesischen Joint Ventures

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spricht ein weiteres, aus seiner Sicht weit verbreitetes Problem beider Seiten an: „Die deutsche Seite meint häufig, dass sich der chinesische Betrieb sehr schnell entwickelt. Vielleicht zehn bis dreißig Prozent jedes Jahr und sind sehr erfreut. Aber sie denken nicht daran, dass in diesem Markt auch fünfzig Prozent stecken. Das behindert die Entwicklung des Marktes. Beide Seiten haben kein großes Interesse daran, zusammenzufinden. Alle finden, so wie es ist, geht es doch. ‚Wir haben zwar Probleme, aber lasst uns diesen Zustand lieber aufrechterhalten!‘ [P] Sie verschließen ihre Augen! In den meisten Betrieben ist es so. Momentan ist es so, dass sich die chinesische Wirtschaft sehr schnell und die deutsche nur sehr langsam entwickelt. Ich bin mir sicher, dass sehr viele Probleme auf zahlreiche Firmen zukommen werden. Jetzt ist es so, dass jeder meint, es wären nicht so sehr viele Probleme aufgetaucht. Aber jedes Jahr wachsen sie kontinuierlich weiter und immer mehr Bereiche werden behindert. Aber keiner weist darauf hin. Einige meinen, dass das Unternehmen ein Problem hat. Sie wollen mit viel Fleiß und Ehrgeiz einige Sachen ändern, aber sehr viele Leute innerhalb des Systems nutzen ihre Kraft, um das zu verhindern. Es kann sein, dass das Hauptproblem weiter unten liegt. Es gibt keine Bereitschaft. Für die deutsche Führung gilt, dass sie sich klar machen sollte, was sie für eine Firma ist. Sie müssen die Menschen dazu bringen, dem Geschäftsführer zu vertrauen. Einer deutschen Führungskraft. Und das sollte auch eine deutsche Führung sein. In den meisten Unternehmen herrscht ein Vertrauensproblem. Viele meinen, dass ihre Firma nicht deutsch sei, weil sie in China ist. Sie meinen, es sei eine chinesische Firma.“

Die Ansicht dieses Befragten, dass es sinnvoll sei, Führungspositionen mit Deutschen zu besetzen, spiegelt keinen allgemeinen Konsens wider. Dieses Thema wird insbesondere in Entsandtenkreisen kontrovers diskutiert und auch die jeweiligen Stammhäuser, die für die Personalpolitik verantwortlich sind, schlagen hier unterschiedliche Kurse ein (vgl. III., 3.2).

3.10 Zusammenfassung Mangelhafte Qualifikation chinesischer Belegschaft, die auf schlechte Ausbildungsstandards in China zurückgeführt wird, wie auch eine unzulängliche Arbeitseinstellung sind Aspekte, die von vielen deutschen Befragten angesprochen werden. Chinesischen Arbeitern fehle die Einsicht in den Gesamtzusammenhang von Arbeitsabläufen und sie wären aus diesem Grunde auch nicht in der Lage, eigeninitiativ in einen Arbeitsprozess einzugreifen, wenn dies nicht vorher deutlich als Aufgabenbereich definiert wurde. Häufig pauschalisierend auf alle Chinesen ausge-

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dehnt, wird der Eindruck erweckt, produktives und effizientes Arbeiten sei ausschließlich durch die deutschen Entsandten gewährleistet. Differenziertere Stellungnahmen anderer deutscher und chinesischer Befragter können dieser Sichtweise gegenübergestellt werden. So berichten einige deutsche Befragte von ausgezeichnet ausgebildeten Angestellten, die ihren deutschen Kollegen teilweise überlegen wären und sich darüber hinaus in ihrer Freizeit hoch motiviert weiterbilden würden. Chinesische Befragte betonen zudem die besondere Fähigkeit ihrer Landsleute, vor allem zwischenmenschliche Belange besser handhaben zu können. So berichten Chinesen wie Deutsche von mangelnder Führungskompetenz deutscher Entsandter, die in dem Fall eines deutschen Befragten direkt mit fehlender Fachkompetenz in Verbindung gebracht wird. Grundsätzlich fällt der enorme Unterschied des Ausbildungsniveaus zwischen einfachen Arbeitern und Führungskräften in China ins Auge. Das Qualifikationsdefizit ungelernter Arbeiter, aber auch fehlende praxisorientierte Erfahrungen, können aus Sicht Befragter oft nur durch die Aus- und Weiterbildung innerhalb eines Betriebes ausgeglichen werden. Wesentlich davon abhängig, welche Personalstrategie die jeweilige Firma bevorzugt, werden Schnittstellenfunktionen entweder mit Chinesen oder Deutschen besetzt. Wird hier auf der einen Seite damit argumentiert, dass bei gleicher Qualifikation Chinesen besseren Zugang zu informellen Netzwerken hätten bzw. diese aufbauen könnten, was wiederum ihrem jeweiligen Geschäftsbereich zugute käme, behauptet die andere Seite, dass unter einer chinesischen Führung deutsche Firmenkultur und notwendige Kontrollmöglichkeiten nicht mehr gegeben wären. Der Verlust deutscher Unternehmenskultur und Unternehmensidentität wie auch Klarheit in der Definition von Strukturen, Zielen und deren Umsetzungen und damit Verlässlichkeit des jeweiligen Standortes innerhalb eines Firmenverbundes wären die Folge. So plädieren einige befragte Chinesen, sowohl Führungskräfte als auch Arbeiter, dafür, wichtige Positionen mit Deutschen zu besetzen. Begründungen zielen auf eine bessere Ausbildung und höhere Fachkompetenz der Deutschen als auch auf deren vorbildliche Arbeitsmentalität, die es in die Betriebe in China zu transferieren gelte. Manche Deutsche stimmen in diesen Punkten zu, formulieren aber teilweise auch ihr grundsätzliches Misstrauen gegenüber Chinesen, während einige chinesische Befragte ihr Unverständnis gegenüber der als ungerecht empfundenen Personalpolitik ausdrücken und dies in einzelnen Fällen auf eine grundsätzliche, rassisch begründete Arroganz Deutscher zurückführen. Die Erwartungshaltung chinesischer Belegschaften gegenüber den hochbezahlten und als Spezialisten bezeichneten deutschen Entsandten 281

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ist hoch und kombiniert sich mit dem Rollenverständnis einer Führungskraft, die den meisten befragten Deutschen neu oder nicht bekannt zu sein scheint. Entsprechend sind chinesische Arbeiter und Angestellte des Öfteren enttäuscht bzw. verunsichert, werden diese Erwartungen nicht erfüllt. Auch wenn sich die meisten der Befragten darin einig sind, dass in China andere Führungsmethoden als in Deutschland zum Einsatz kommen müssten, unterscheiden sich dennoch die verschiedenen Ansätze erheblich. Ein großer Teil der deutschen Befragten hält ein Vorgehen der „harten Hand“ für unerlässlich und begründet dies mehrfach damit, dass Chinesen allgemein an ein strenges Führen gewöhnt seien. Dieses Konzept der Konsequenzen müsse, so einige der Beteiligten, transparent und für die Betroffenen nachvollziehbar gestaltet werden. Von deutschen Befragten dargestellte Beispiele zeigen jedoch, dass diese Transparenz oftmals erst nach einem Verstoß gegen aus ihrer Sicht notwendige Regeln angestrebt wird. Auffällig ist in diesen Fällen, dass die im Nachhinein formulierten Erklärungen eigener Entscheidungen gegenüber der Belegschaft als „Kommunikation“ dargestellt werden. Konsequent „hartes“ Führen halten auch einige der befragten Chinesen für richtig, haben dabei aber oftmals ein Regelsystem im Sinn, das einem nicht leistungsorientierten und als typisch chinesisch dargestellten „Guanxi-Prinzip“ entgegengestellt werden müsse. Andere deutsche und chinesische Befragte betonen, wie wichtig der kontinuierliche dialogische Austausch zwischen Belegschaft und Führung sei. Genau hier, so meinen sowohl Deutsche als auch Chinesen, scheitere es nicht selten an der Führungs- und Vermittlungskompetenz deutscher Entsandter, die zudem nicht bereit oder in der Lage wären, sich auf den Kenntnisstand ihrer Belegschaft einzustellen. Einige deutsche Beteiligte differenzieren innerhalb ihrer chinesischen Belegschaft zwischen Arbeitern und einfachen Angestellten und ausgezeichnet qualifizierten Mitarbeitern, deren unterschiedliche Fähigkeiten berücksichtigt werden müssen. Als wesentlicher Unterschied zwischen einer deutschen und chinesischen Belegschaft wird sowohl von deutschen als auch chinesischen Befragten mit Deutschlanderfahrung die hohe Eigeninitiative herausgestellt, wobei Ursachen nicht selten im soziokulturellen Kontext verankert werden. Beispielsweise würde Chinesen eigenverantwortliches Handeln im Gegensatz zu Deutschen nicht anerzogen. Ein weiterer, häufig angegebener Grund seien die Auswirkungen des planwirtschaftlichen Systems Chinas, das selbstinitiatives Handeln nicht fördere. Ebenfalls soziokulturellen Ursprungs soll sein, dass deutsche Mitarbeiter auch dann Aufgaben übernehmen und ausführen würden, wenn sie 282

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eigentlich nicht von deren Sinn überzeugt wären. Chinesische Mitarbeiter würden in derartigen Fällen mit Ungehorsam und stiller Verweigerung reagieren. Einige deutsche Führungskräfte klagen deshalb über die hohe Arbeitsbelastung, die ihnen öfter keine Zeit mehr für ihre „eigentliche Arbeit“ lasse, während andere die Bedeutung der Mitarbeiterbetreuung in den Vordergrund stellen. Chinesische Arbeiter und Angestellte halten dagegen, dass ihre deutschen Vorgesetzten häufig nur ungenaue Arbeitsanweisungen gäben und nicht ausreichend über Hintergründe und Ziele informieren. Dass Deutsche in diesem Kontext häufig die Selbstkontrolle verlören, berichten mehrere chinesische Befragte aus unterschiedlichen Betrieben. So etwas dürfe aber, so einige der Befragten, keinesfalls passieren. Führen einige die Bedeutung des „Gesichtsverlusts“ in China an, so sprechen andere allgemeiner von der Wichtigkeit einer guten Arbeitsatmosphäre, die die hohe Mitarbeiterfluktuation reduzieren könne. Gehen einige deutsche Befragte davon aus, dass die Gehaltshöhe den Hauptanreiz für Chinesen darstelle, so ergibt sich besonders in Gesprächen mit chinesischen Befragten aus der Angestelltenund Führungsschicht ein anderes Bild. Spaß an der Arbeit, Selbstverwirklichung, die Möglichkeit weiterbildender Maßnahmen und Gestaltungsspielräume stehen hier an erster Stelle. Weiterhin genannt wird Sicherheit am Arbeitsplatz, die vor allem aus Arbeiterperspektive als Engagement der Firmenleitung um die Belegschaft gewertet wird. Die Erwartung, dass namhafte, internationale Unternehmen in der Lage sind, regelmäßig Löhne auszuzahlen und zudem Zukunftschancen bieten, sind weitere wichtige Aspekte. Einige der Betriebe setzen auf eine Unternehmenskultur, von befragten Führungskräften manchmal gleichgesetzt mit einer Corporate Identity, die durch die Implementierung „universell gültiger Werte“ nicht nur den Rahmen für eine entsprechend gestaltete Zusammenarbeit innerhalb eines Betriebes bildet, sondern auch den übergreifenden Austausch und die Kooperation unter unterschiedlichen Unternehmenszweigstellen erleichtert soll. Einige der Befragten versuchen, diese abstrakten Vorgaben durch die Einbeziehung der Mitarbeiter verständlicher und greifbarer für die gesamte Belegschaft zu gestalten. Kulturell bedingte Differenzen, so der Ansatz, könnten durch die Einigung und Besinnung auf elementare Werte, die allen gemeinsam seien, beigelegt werden. In der Praxis sind für die Beteiligten aber offenbar weniger so genannte Core Values von Bedeutung, die in ihrer abstrakten Form oftmals nur wenig mit dem Arbeitsalltag gemein haben, sondern vielmehr die praktizierte Art der Zusammenarbeit, der Kommunikation und der individuellen Weiterent-

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wicklungsmöglichkeiten, die im Wesentlichen an die Person des Geschäftsführers gebunden wird. Im Vergleich deutscher und chinesischer Unternehmen erwähnen chinesische Befragte lobend die Leistungsorientierung in deutschen Betrieben. Diese vermeide das in vielen Fällen kritisierte Beziehungsgeflecht in chinesischen Unternehmen, bei denen nicht persönliche Leistung, sondern Sympathien und Antipathien im Vordergrund stünden. Diese positive Beurteilung relativiert sich insgesamt jedoch aufgrund der als willkürlich und parteiisch wahrgenommenen deutschen Vorgesetzten. Aufgrund der üblicherweise kurzen Entsendungszeit von Expatriates und der damit hohen Fluktuationsrate deutscher Führungskräfte bleibt das Problem mangelnder Kontinuität, das zu Verunsicherungen bei der chinesischen Belegschaft führen kann. Obwohl sich fast alle Befragten darin einig sind, dass insbesondere der Aufbau eines Unternehmens und entsprechender Betriebsstrukturen in China wesentlich von den Faktoren Zeit, Vertrauen und persönlichem Engagement abhängig sind, wird dennoch oftmals an den kurzen Entsendungsverträgen festgehalten. Dies wirkt sich angesichts der unterschiedlichen und persönlichkeitsgebundenen Führungsstile ohne Zweifel kontraproduktiv auf ein nachhaltiges Management vor Ort aus. Zwar wird versucht, durch häufig für den westlichen Raum entwickelte Managementleitfäden ein Mindestmaß an Kontinuität zu gewährleisten, doch halten manche der deutschen Führungskräfte derartige Richtlinien zuweilen nicht für umsetzbar oder für richtig. Auch hier halten einige der Befragten, sowohl Deutsche als auch Chinesen, eine Unternehmenskultur als wechselseitig gestalteten Prozess für wichtig und setzen weniger auf eine vertikal und einseitig von oben nach unten vermittelte Unternehmensidentität. In diesem Kontext wird auch die adäquate Entwicklung situativ wirkungsvoller Führungsinstrumente angesiedelt. Teamwork beispielsweise, dessen Implementierung in China einige deutsche Entsandte schlichtweg für unmöglich halten, setzen andere in einer langfristigen Entwicklung durch die unmittelbare Einbindung der Mitarbeiter und durch gezielte Fortbildungsmaßnahmen um. Nachhaltige Vertrauensentwicklung ist ein Stichwort, das auch bei der Zusammenarbeit mit Geschäfts- oder Kooperationspartnern eine wichtige Rolle spielt. Benennt ein Großteil der deutschen Befragten Vertragsverhandlungen jeglicher Art als äußerst schwierig und verweist auf ein unterschiedliches Vertragsverständnis, verweisen einzelne Beteiligte auf die gängige Geschäftspraxis in Deutschland und relativieren das von einigen gezeichnete Positivbild Deutschlands. Entscheidend sei letztendlich, wie eine Geschäftsbeziehung aufgebaut und gepflegt werde, und weniger, wie umfangreich ein Vertrag gestaltet werde. Auch hier käme 284

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es auf die Kompetenz des Einzelnen an, sich in den gegebenen Strukturen zurecht zu finden und eine der Situation gerecht werdende Lösung für etwaige Probleme zu finden. Zuverlässigkeit, Flexibilität, Vertrauen, Kenntnis der Situation des Geschäftspartners und die Fähigkeit, sein Gegenüber einschätzen zu können, werden als Basis für einen erfolgreichen Umgang in China genannt. Gleiches gilt für den Umgang mit Kooperationspartnern in Joint Ventures. Hier üben Chinesen Kritik an der „Unflexibilität“, aber auch an der mangelnden Kooperationsbereitschaft ihrer deutschen Partner. Oftmals funktioniere der Informationsaustausch auf horizontaler Ebene nur unzulänglich, da die deutsche Seite beispielsweise um ihr technisches Know-How fürchte und diesen Wettbewerbsvorteil nur ungern mit chinesischen Partnern teile, aber auch der Überzeugung sei, die chinesische Seite könne nichts Wesentliches beitragen. Dies habe zur Folge, so einige chinesische Befragte, dass Vorschläge zur Produktverbesserungen oder Neuerungen nicht eingebracht werden könnten und damit wertvolle Marktanteile verloren gingen bzw. nicht ausgebaut würden. Einige Deutsche wiederum berichten von ihren Erfahrungen mit chinesischen Kooperationspartnern, aber auch Mitarbeitern, die wertvolles firmeneigenes Wissen zu ihrem Vorteil ausnutzten, wie auch von aufreibenden Machtkämpfen chinesischer Anteilhaber untereinander, was immer die Gefahr mit sich bringe, zwischen die Fronten zu geraten. Deutsche, die aus chinesischer Sicht oft nicht schnell genug reagieren, bemängeln wiederum, dass ihre chinesischen Partner häufig nicht in der Lage seien, Qualitätsstandards und zeitliche Vorgaben einzuhalten. Planung würden Chinesen generell nicht beherrschen, so einige der Befragten. An diesem Punkt bringen chinesische Befragte u.a. die Unflexibilität deutscher Entscheidungsträger ins Gespräch, die oftmals nicht in der Lage seien, Chancen zu erkennen und zudem Anforderungen erfüllt sehen wollen, die erstens nicht nötig seien und zweitens aufgrund fehlender Qualifikationen chinesischer Mitarbeiter nicht ohne einen erheblichen Zeit- und Kostenaufwand umsetzbar wären. Deutsche Befragte stimmen dieser Einschätzung zu, wenn sie in einem Unternehmen tätig sind, das für den chinesischen Binnenmarkt produziert. Andere Deutsche sprechen hierbei insbesondere die Problematik großer Konzerne an, die aufgrund ihrer Diversifizierung in mehrere Sparten und eines offenbar hohen innerbetrieblichen Verwaltungsaufwands Wettbewerbsnachteile hinnehmen müssen. Zudem wären Stammhäuser teilweise nur schlecht über die Situation in China informiert. Eine gefährliche Überschätzung der Attraktivität eigener Produkte und Fähigkeiten müsse in dem sich schnell wandelnden chinesischen Markt mittel- bis langfristig zum Verlust von Wettbewerbsfähigkeit führen. 285

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4. Kommunikation 4.1 Informationsaustausch Fast alle der Befragten sehen in einer funktionierenden Kommunikation den Schlüssel zu einer besseren Zusammenarbeit. Nach Aussage der Beteiligten stehen dem aber oftmals unterschiedliche Kommunikationsstile entgegen, die auf die jeweilige kulturelle Zugehörigkeit zurückgeführt werden. Direktheit und Indirektheit werden in diesem Zusammenhang immer wieder als wesentliche Unterschiede angesprochen, die zu Irritationen, aber auch zu Missverständnissen führen können. „Meine Firma hat mir einen Aufenthalt in Deutschland und einen Deutschkurs bezahlt. Wenn ich Deutsch sprechen kann, dann kann ich meine deutsche Firma, meine Kollegen, die ganze Kultur viel besser verstehen. Zumindest weiß ich jetzt, wieso Deutschland so viele Philosophen hat. Weil diese Sprache so logisch ist: DER, DIE, DAS. [D] So logisch. Hegel, Marx [D] und so weiter. Das ist wirklich ein guter Einfluss für uns. Als ich in München beim headquarter [E] war, habe ich dort die Leute kennen gelernt. Jetzt kann ich ganz einfach anrufen oder eine E-Mail schreiben. Also nicht nur: ‚Du bist mein Kollege.‘, sondern auch: ‚Du bist mein Freund.‘ Damit wird vieles einfacher. Besonders, wenn es einen Kulturkonflikt gibt. Wenn mein Kollege mich kennt: ‚James [E] kenne ich. Seine Idee ist richtig.‘ oder ‚Was ist der Hintergrund?‘ Die Kommunikation wird viel einfacher. Es wird viel weniger missverstanden. Es gab aber eine Sache in Deutschland, an die ich mich nicht gewöhnen konnte. Wenn ich einen Kollegen bat, ob er mir nicht einmal helfen könne, war es möglich, dass er sagte: ‚Tut mir leid. Ich bin sehr beschäftigt. Ich kann dir jetzt nicht helfen.‘ Ich hatte nichts falsch gemacht. Das ist eine kulturelle Gewohnheit der Deutschen: Dinge sehr klar und direkt gegenüber Menschen, aber auch Angelegenheiten zu sagen. Wenn wir beide miteinander streiten würden, dann würde ich sagen: ‚Entschuldige. Du hast keinen Fehler. Aber ich zeige dir den Fehler auf, den du in einer Angelegenheit gemacht hast. Mit dir als Person hat das aber nichts zu tun.‘ In China ist das vollkommen anders. In China beziehungsweise Asien wurden Sache und Person immer schon zusammen gesehen. Wenn ich dich jetzt beispielsweise auf einen Fehler aufmerksam mache und du wärst Chinese, dann wäre deine erste Reaktion, dass du wiederum nach meinen Schwächen suchst, und es ist sehr gut möglich, dass du mich nicht [mehr] magst. Das ist wohl der wesentlichste Unterschied zwischen deutscher und östlicher Kultur.“

Deutsche Beteiligte, die längere Zeit in China verbracht haben, betonen ebenfalls diesen Unterschied zwischen deutschem und chinesischem Kommunikationsstil. Indirekte Signale, so wie sie Chinesen aussenden würden, gelte es zu erkennen, da beispielsweise in Konfliktsituationen 286

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das Eingreifen des Vorgesetzten erwartet würde. Bliebe dieses aus, so zögen Chinesen entsprechende Konsequenzen. Sachargumente träten aufgrund der Personenorientierung eher in den Hintergrund, weshalb der persönliche Einsatz der Führungsfigur von elementarer Bedeutung sei (vgl. III., 3.3; 3.5; 3.6 und 3.7). „Eine Mitarbeiterin hatte nach einem Jahr gesagt, sie möchte gehen. Da habe ich mich stark eingesetzt. Versucht herauszukriegen, warum. Möglichkeiten zu offerieren. So ist sie jetzt geblieben. In Deutschland sagen die Leute: ‚Ich möchte über meine Arbeit sprechen.‘ Hier sagen sie: ‚Ich möchte gehen.‘ Und das ist ein Signal, dass ich schleunigst reagieren muss.“

Von allen chinesischen Befragten wird die direkte und als unchinesisch wahrgenommene Art Deutscher angesprochen, die allerdings unterschiedlich bewertet wird. Ein chinesischer Angestellter, 49 Jahre alt, äußert sich folgendermaßen: „Wenn Deutsche eben erst in China angekommen sind, dann verstehen sie nicht, wie Chinesen an Dinge herangehen. Die Arbeit ist dann erst mal schwierig. Chinesen verlangen zum Beispiel, dass sie beachtet werden und dass man sich jeden Tag mit ihnen austauscht. Deutsche sind aber wahrscheinlich der Auffassung, das wäre Zeitverschwendung. Ich habe vorhin schon gesagt, dass Deutsche uns als sehr ernsthaft erscheinen. Ich finde das eigentlich gut. Die Deutschen drücken ohne Umschweife aus, was sie denken. Das geht in China aber nicht. In China tauscht man sich sehr indirekt aus. Das heißt, ich gebe jemandem nur ein Zeichen und der muss erraten, worum es eigentlich geht. Ehrlich sind Deutsche immer. ‚Gefällt mir‘ oder ‚Mag ich nicht‘, sagen die sofort. Und das machen die Chinesen nicht. Die Chinesen sagen nicht ja und nicht nein. Die sagen ‚vielleicht‘. Das ist vielleicht für Europäer und andere gerade im Geschäft sehr schwer. Mit Chinesen wird zum Beispiel ein Vertrag unterzeichnet, aber der Chinese macht vielleicht doch nicht mit. Schlechte Erfahrungen in Joint Ventures kommen in China öfter vor.“

Ein chinesischer Mitarbeiter, 24 Jahre alt, beschreibt den Umgang mit seinem 42jährigen deutschen Vorgesetzten. Beide kennen sich längere Zeit und pflegen auch in ihrer Freizeit regelmäßigen Kontakt. „Im Allgemeinen ist er ein sehr guter Mensch. Aber manchmal regt er sich sehr schnell auf. Aber das legt sich auch schnell wieder. Er kann sehr jähzornig sein. Vor allem, wenn er schlecht gelaunt ist. Es kann sein, dass es an der Sprache liegt. Sein Englisch ist sehr schlecht. Er kann nur mit Deutschen kommunizieren und redet entsprechend selten mit anderen Menschen. Jeder braucht aber den Austausch und gegenseitiges Verstehen. Er kann Dinge nicht indirekt angehen. Man muss einfach begreifen, dass seine Ausdrucksweise

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nicht böse gemeint ist. Wenn es ein Problem gibt, macht man am besten einen Witz und geht darüber hinweg. Wir sind Freunde. Das sind alles kleine Probleme. Fünf Minuten später ist wieder alles beim Alten. Unter guten Freunden gibt es immer Probleme. Die Frage ist, wie man sie löst. Jeder hat Fehler. Der Andere darf nicht zu viele haben und man muss sich selbst ein bisschen ändern. Chinesen vermischen oft die Sache mit der eigenen Person. Wenn man also etwas kritisiert, dann muss man sauber trennen. Sonst denkt derjenige, man wolle ihn persönlich angreifen. Gegenüber Freunden wird aber viel verziehen. Einen Freund kann man nicht gut kritisieren.“

Obwohl einige der befragten Chinesen von sich selbst behaupten, die „direkte Art“ Deutscher gut zu kennen und auch damit umgehen zu können, äußern dennoch einige in diesem Zusammenhang ihren Unmut über die als unhöflich und auch manchmal als arrogant interpretierten Verhaltensweisen ihrer deutschen Kollegen oder Vorgesetzten. In diesem Zusammenhang kommen einige der Beteiligten, ohne dass es Teil der Befragung ist, auf das chinesische „Gesicht“ zu sprechen. Ein chinesischer Befragter, 42 Jahre alt und im Zeitraum der letzten sieben Jahre in zwei verschiedenen deutsch-chinesischen Joint Ventures tätig, beschreibt den Umgang mit Deutschen: B: „Jeder Mensch hat ein unterschiedliches Niveau des eigenen Gesichts. Es kann sein, dass es sich auf die unterschiedlichsten Weisen zeigt. Deutsche oder Ausländer drücken ihr Inneres vielleicht direkter aus. Chinesen aber sind da indirekter und behalten vieles für sich. Deutsche sagen häufig sehr direkt: ‚Das ist nicht gut, jenes ist nicht gut.‘ Chinesen machen das nicht so. Erst gucken sie, und dann suchen sie nach einem Weg, es dir zu sagen. Wenn du es dann nicht akzeptieren kannst, dass er dich wie einen Schüler behandelt, dann ist es dein gutes Recht, zu sagen: ‚Nein. So macht man das nicht.‘ Auch das hat mit dem Gesicht zu tun: Es verkörpert die eigenen Rechte. Aber man kann es nicht nach Belieben einfach so äußern. Wenn es zum Beispiel um ein Problem geht, dann umgeht man es. Ich finde, sehr viele Deutsche äußern sofort ihre Meinung zu allen möglichen Dingen. Dieser Unterschied ist also sehr groß. Ich kann so etwas aber sehr leicht hinnehmen. Auch weil ich schon sehr lange in einer deutschen Firma arbeite und ich Deutsche ein wenig verstehe. Außerdem haben sie sich sicherlich auch an meine Art und Weise gewöhnt und meine Gewohnheiten haben sich angepasst. ‚Ah! Das ist mein Problem. Da liege ich falsch.‘ Mich kann man durchaus direkt ansprechen und muss keinen Umweg dabei machen. Ich kann es vergleichsweise leicht akzeptieren.“ F: „Was machen Sie, wenn Ihre deutschen Kollegen Unrecht haben?“ B: „Um ehrlich zu sein, werde ich wahrscheinlich nicht direkt darauf zu sprechen kommen. Ich werde ihn irgendwie darauf aufmerksam machen, werde es aber nicht direkt aussprechen. Das ist die Sinnwelt der Chinesen.“

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F: „Ich finde das sehr kompliziert. Wenn ich beispielsweise einen Chinesen frage, wie er ein Haus findet, dann kann es sein, dass er antwortet, er fände es gut, obwohl das gar nicht stimmt.“ B: „Genau. Das ist ein sehr gutes Beispiel. Kurz gesagt: Wenn ein Chinese in den meisten Angelegenheiten seine eigene Sichtweise darlegen will, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Wenn er meint, der andere würde es nicht schlecht finden, dann sagt er auch ‚nicht schlecht‘. Wenn der andere aber etwas schlecht findet, dann wird er sich ebenfalls nach demjenigen richten und behaupten, er fände es schlecht. Es kommt aber natürlich auf die Situation an. Unter den Deutschen habe ich zwei verschiedene Typen kennen gelernt. Es gibt diejenigen, die sehr grob erscheinen. Das sind oftmals jüngere Personen. Und es gibt ältere Personen, die wissen, wie man mit Menschen umgeht. Wir hatten zum Beispiel mal einen relativ harten Verkaufsmanager. Im Ausland hatte er einen sehr guten Job geleistet, aber hier sanken seine Zahlen. Das lag einfach daran, dass er nur für sich allein gearbeitet hat und alle anderen nicht mit einbezogen hat. Er war nicht in der Lage, sich mit den anderen auseinander zu setzen, sondern hat Leute immer nur kritisiert. Mit ihm konnte keiner zusammenarbeiten.“

Einige der jüngeren chinesischen Befragten mir akademischer Ausbildung behaupten von sich selbst häufig, einen „westlichen“, sehr direkten Stil zu pflegen. Die Aussage der nachfolgenden Befragten, 26 Jahre alt, die seit einem Jahr in einem deutschen Unternehmen arbeitet und unmittelbar zuvor ihre akademische Ausbildung in Singapur abgeschlossen hatte, soll als Beispiel dienen. „Ich finde, ich bin sehr direkt. Vielleicht, weil ich lange im Ausland war. Mehr als drei Jahre. Ich kann den westlichen Stil vergleichsweise gut akzeptieren. Ich habe einige chinesische Kommilitonen in Singapur. Einmal wurde einer sehr hübschen Freundin von einem Singhalesen gesagt, sie sei sehr hübsch. Er hatte nicht erwartet, dass sie antwortet: ‚Nein. Ich bin nicht hübsch.‘ Wenn jemand so etwas zu mir sagen würde, würde ich auf jeden Fall antworten: ‚Danke.‘ Aber die meisten Festlandchinesen würden so antworten. Das ist ein sehr großer Unterschied zu Ausländern. Vielleicht wird es mit der Zeit besser, je größer der Einfluss aus dem Westen ist. Mit dem Einfluss des Westens wird sich auch die Einstellung der meisten Menschen ändern. Manchmal finde ich, dass mir die westliche Kultur sehr angenehm ist. Aber im Gegensatz dazu bereitet mir die chinesische Kultur Kopfschmerzen. Ich war sehr lange im Ausland und kann manchmal nicht mehr nachvollziehen, weshalb manche Dinge in China so gemacht werden, wie es der Fall ist. Das schließt auch die Arbeitsweise und die Lebensweise mit ein. Ich finde mich manchmal nicht darin wieder und finde es sehr ermüdend. Du fragst jemanden oder bittest um Hilfe und es kann sein, dass man mit ihm eine Unzahl von verschiedenen Methoden bespricht, dass dir schwindelig wird. Vielleicht sind Chinesen so. Es hat Vor-

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und Nachteile. Der Nachteil ist, dass es einen sehr ermüdet. Hier [im Unternehmen] ist es so, dass man immer nur eine Methode anwendet. Egal ob sie zum Erfolg führt oder nicht. Auf jeden Fall muss diese eine Methode durchgezogen werden. Auch wenn es erfolglos bleibt: Es wird nichts geändert. Wenn Chinesen aber etwas machen, dann halten sie sich immer zwei Optionen offen. Ist die eine ohne Erfolg, dann klappt es vielleicht mit der anderen. So ist es auch, wenn Chinesen miteinander sprechen. Man hält sich mehrere Möglichkeiten offen. Wie ich schon sagte: Das kann sehr anstrengend sein, hat aber auch seine Vorteile.“

Ein anderer chinesischer Befragter bezeichnet die indirekte Art von Chinesen, ebenso wie die eben zitierte Beteiligte, ebenfalls als „ermüdend“ und stellt, als wir uns über seinen deutschen Vorgesetzten unterhalten, fest: B: „Chinesen sind alle sehr indirekt und umgehen Dinge. Nicht wahr?! Er [der Vorgesetzte] ähnelt Chinesen schon sehr. Mit Deutschen hat er nicht mehr so viel gemeinsam, die doch sehr direkt sein können. Vor einigen Jahren war er noch anders, doch mit der Zeit hat er es sich angewöhnt, Dinge nicht mehr direkt anzugehen. Er ist schon wie ein Chinese. Sehr indirekt. Manchmal ist er sogar noch indirekter als Chinesen. Aber wir, die wir schon längere Zeit bei einem ausländischen Unternehmen gearbeitet haben, sind auch vergleichsweise direkt. Manchmal ist diese indirekte Art doch sehr anstrengend und ermüdend. Man vergeudet einfach Zeit.“ F: „Ist der Unterschied zwischen der direkten Ausdrucksweise von Ausländern und der indirekten Ausdrucksweise von Chinesen groß?“ B: „Ja. Das ist ein unterschiedlicher kultureller Hintergrund. Auch das Verständnis ist unterschiedlich. Wir, die wir schon lange in einem ausländischen Unternehmen arbeiten, haben uns mit der Zeit an diese direkte Art gewöhnt. Wenn ein Chef schon lange in China ist, dann wird er auch diese Indirektheit mehr beachten und Menschen nicht mehr verletzen. Mir hat mal ein deutscher Freund gesagt, wenn ich nicht mit meinem Chef übereinstimmen würde, dann müsse ich es ihm direkt sagen und es nicht für mich behalten. Aber Chinesen können so etwas nicht. Wenn der Chef kommt und fragt, dann sprechen sie ihn vielleicht darauf an. Aber wenn nicht, dann werden sie auch nichts sagen.“ F: „Und Sie?“ B: „In neunzig Prozent der Fälle werde ich meinen Mund halten und nur sehr selten darüber sprechen.“ F: „Warum?“ B: „Weil er sehr beschäftigt ist. Er hat sehr viele Dinge um die Ohren und keine Zeit. Es kann sein, dass ich die Sache auch nicht richtig überblicke, und deshalb will ich nicht noch zusätzliche Arbeit verursachen.“

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Ähnlich äußern sich zwei chinesische Angestellte, wobei wie bei anderen chinesischen Befragten auch die Bedeutung der jeweiligen Situation in den Vordergrund gerückt wird. B1: „Chinesen haben sich eine implizite Ausdrucksweise angewöhnt. Wenn du etwas sehr direkt ausdrückst, dann kann es sein, dass sie es nicht akzeptieren können und ein unangenehmes Gefühl entsteht. Wenn solche Missverständnisse auftreten, kann dies häufig Ursache für eine schlechte Zusammenarbeit sein. Aber man muss auch den Unterschied der Generationen berücksichtigen. Ältere Menschen sind nicht besonders offen. Für sie gelten zahlreiche Regeln. Wenn wir dann nicht beim Sprechen aufpassen, kann es sein, dass sie meinen, wir würden sie nicht respektieren.“ B2: „Besonders in China, wo Etikette sehr hoch bemessen wird. Beim Essen gibt es eine sehr umfangreiche Etikette. Wie meine Oma mir damals beigebracht hat, wie man zu essen hat: Eine Hand muss auf jeden Fall die Schüssel halten. Zudem gibt es in China die Tradition, dass man beim Essen nicht mit dem Bein wackeln darf. Viele Menschen wackeln aber mit ihren Beinen beim Essen heute. Nicht wahr?! Früher wurde man dafür geschlagen und heute ist es wieder anders.“ F: „Würden Sie von sich selbst sagen, dass Sie indirekt sind?“ B1: „Es kommt auf die Situation an. Es kommt auf die Beziehung zu dem anderen an. Wie sein Charakter ist und ob er diese direkte Art akzeptieren kann.“ F: „Wenn Sie ein Problem lösen wollen … jemand einen Fehler gemacht hat. Würden Sie denjenigen dann darauf hinweisen?“ B1: „In unserer Abteilung würden wir ihn darauf hinweisen. Aber meistens machen wir dann dabei einen Spaß. Wir wissen, dass er auch direkter ist und man ganz gut mit ihm umgehen kann. Es kommt einfach darauf an, wie der andere eingestellt ist. Wenn der andere eine etwas direktere Art pflegt, dann können wir ebenfalls direkt sein.“

Die Erwartung eines direkten bzw. indirekten Kommunikationsverhaltens wird laut einigen Befragten von der jeweils anderen Seite gerne zum eigenen Vorteil instrumentalisiert. Während einige Chinesen ihren deutschen Geschäftspartnern vorwerfen, auch nicht vor verletzenden Schritten zurückzuschrecken, um ein Ziel zu erreichen, beklagen Deutsche die Hinhaltetaktik der chinesischen Seite. Ein deutscher General Manager, der seit rund vier Jahren in China tätig ist, beschreibt einen Ausschnitt aus seinem Alltag: B: „Ich rede mit den Chinesen zum Beispiel im Augenblick darüber, deren Anteil zu kaufen. Und ... die haben das eigentlich angeboten und trotzdem bewegen sie sich nicht. Und es ist nicht der Preis. Und die ganze Zeit habe ich mich gefragt: Warum machen die das eigentlich? Warum jagen die mich hier die ganze Zeit um den Block? Bis ich mitgekriegt habe, irgendwo muss da

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noch was sein. Irgendwas ... ja ... man analysiert die Situation und man kommt nicht weiter und – warum haben die das gemacht? Und dann bin ich in einem Gespräch ganz direkt: ‚Hör mal. Was ist denn hier eigentlich los? Es gibt doch hier noch was anderes.‘ … ‚Ja. Hier ist noch so ein kleines Ding. Zweitausendacht ... das ganze Gelände hier an der Ringroad. Und ihr seid die einzige Parzelle, die uns nicht gehört. Und wir haben ein Angebot von einem Developer.‘ Tja – da war’s. Ein [P] ‚kleines Problem‘. Der ganze Grund, weshalb die nicht verkaufen, ist, weil sie die shares als quit pro quo haben wollen, damit wir ihnen das Land zurückgeben – damit die den großen Deal mit dem Developer machen können. Und sie wissen, sie kriegen mehr Geld, wenn sie die ganze Parzelle verkaufen können. So. Und es geht jetzt um solche Spielchen, wie – ich kriege als offizielle Antwort für den Verkauf: Es sei jetzt noch nicht die geeignete Zeit – und dann kommt ’ne Anfrage, ob wir nicht das Land zurückverkaufen wollen. Und dann sag ich meiner Sekretärin auch: ‚Jetzt benutz die gleichen Worte, die die im Chinesischen benutzt haben und sag’, es sei noch nicht die geeignete Zeit.‘ Das sendet denen das gleiche Signal zurück, dass ich mittlerweile weiß, worum es geht. Und dass an dem Tag, an dem die Klipp sagen können, ich Klapp sage. Aber es ist ganz wichtig, und wir machen es auch so – ich hab das mit all meinen Sekretärinnen gemacht – ich hab ja zwei sehr junge, die ich beide von der Uni eingestellt hab. In Peking und in Shanghai hier. Denen ich gesagt hab: ‚Es gibt Situationen, wo ihr natürlich übersetzen müsst, was sozial adäquat ist. Also wenn ich ‚Scheiße‘ sage, könnt ihr nicht ‚Scheiße‘ übersetzen. Dann gibt es aber Situationen, da werd' ich euch ein Signal geben. Da möchte ich, dass ihr jedes Wort wörtlich übersetzt. Und da könnt ihr dann sagen: ‚Ich übersetze jetzt das, was er sagt. Entschuldigt. Das sage nicht ICH. Das sagt ER. Aber macht klar an dem Punkt, dass ihr das so rüberbringt, wie ich das sage. Weil da will ich es so sagen.‘ Da will ich bewusst der westliche Ignorant sein, der verletzt. Ja. Der die chinesische Ehre verletzt. Wo ich ganz bewusst sage: ‚Jetzt gibt’s aufs Dach.‘ Das ist extrem schwierig gewesen am Anfang. Das kann man machen, wenn man mit jungen Leuten redet, weil – die wissen’s nicht besser. Die kann man noch formen. Und die haben dann ein unheimliches Aha-Erlebnis, wenn dann die Reaktion kommt. Denn es ist mitunter so – es ist fast so wie ein harter Keil auf einen harten Stein, dass ich bewusst manchmal ganz direkt, ganz massiv logisch westlich werde. Ohne Respekt vor der chinesischen Kultur ganz bewusst reingehe und draufhaue.“ F: „Wie sind die Reaktionen?“ B: „Die Reaktionen sind sehr oft so, dass die Chinesen mit so einer Sozio nicht umgehen können. Weil es ist so typisch unchinesisch. Vor allen Dingen, wenn das Leute sind, die mich kennen. Dann kriegen die dann ein Riesenproblem. Und man hat mir oft gesagt: [P] ‚Du kannst das doch nicht machen! Wie kannst du deine Emotionen – wie kannst du dein Gesicht so verlieren, dass du zeigst, dass du zum Beispiel böse bist? Dass du sauer bist? Oder sagst, dies und jenes sind die Konsequenzen. Wo du sagst: A plus B gleich C.‘ Ja?! ‚Das kannst du doch nicht machen. Das macht man in China nicht.‘ Und meine

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Antwort ist: [P] ‚Das, was ihr mit mir spielt, das macht man in Deutschland nicht. Und ich kümmer’ mich einen Dreck drum, im Augenblick, ihr sollt wissen, dass ich sauer bin. Figure out, wie ihr die Situation retten könnt. Der Ball geht jetzt in euern Court. Ich bin’s leid.‘ Und das ist ganz erstaunlich, dass die Leute, mit denen ich das ein paar Mal gemacht habe … für die ist das ein deutliches Signal: Jetzt ist Schluss mit lustig. Jetzt müssen wir uns mal bewegen. Und es funktioniert. Weil, wenn das passiert – also mein rationaler Hintergrund ist das: Ich eskaliere. Ich eskaliere zu einem Punkt, wo der Chinese ein Problem kriegt. Ein richtiges Problem. Die Reaktion des Chinesen in allen diesen Fällen ist: Er kommt mit irgendwas zurück. Und in dem Moment bin ich extrem großzügig. Und sage: ‚Siehste. Ich sehr sauer sein. Aber wenn wir uns bewegen, dann ... ich bin zu jedem Kompromiss bereit, aber hört auf, mich hier um den Block zu jagen.‘ Und das ist eigentlich eine Situation, die ich bewusst spiele. Ich reg mich hier bewusst manchmal auf. Spiel Theater. Ich mein .... Die Leute gehen hier raus – total wie begossene Pudel. Und ich dreh’ mich um da auf dem Stuhl und kann sagen: ‚Um Gottes willen, war das lustig!‘ Ich habe da keinen Kratsch. Und das ist eben die andere Sache. Ich nehme grundsätzlich keinen – also wenn ich das tatsächlich mit jemandem mache, dann ist das nicht so, dass ich mit ihm dann jetzt für ewig Krieg habe ... ja?!“ F: „Also spielen sie mit diesem Fremdbild des Europäer?“ B: „Ganz genau! Ich meine, was ich mache, ist halt: Ich instrumentalisiere die Unterschiede der Kulturen. Weil ich glaube ... Ich hab ja Anfangs gesagt - ich glaube, das bedeutet, aufeinander zuzugehen. Und zwar von beiden – von durchaus polaren Situationen. Und wenn ich merke, dass sich die andere Seite überhaupt nicht bewegt, sondern wartet, dass ich praktisch DA hinkomme, dann muss man irgendwann ein Signal setzen, das so deutlich ist, dass man – wie so ein Weckruf. ‚Komm! Das kannste doch nicht machen! Du willst doch mit dem Ausländer umgehen. Also wie kannst du erwarten, dass der Ausländer Chinese wird?‘ Das ist auch eine meiner Grundüberzeugungen: dass es ein Fehler wäre, Chinese sein zu wollen. Es ist richtig, die Chinesen zu verstehen. Aber es ist der größte Selbstbetrug zu glauben – egal wie lange man hier ist! – egal wie gut man Chinesisch spricht! – egal wie viele Bücher man über China gelesen hat – dass man Chinese sein könnte.“

Einige Deutsche beklagen, dass vor allem der innerbetriebliche Informationsaustausch mit Chinesen problematisch sei. Wichtige Mitteilungen würden öfter nicht weitergeleitet. Zudem würden sie keine Rückmeldungen zu Vorschlägen oder Entscheidungen von ihren Mitarbeitern erhalten. Da es aufgrund sprachlicher Verständigungsschwierigkeiten wie auch der Notwendigkeit, hierarchische Abstufungen in China peinlichst genau zu beachten nicht möglich sei, sich so wie in Deutschland direkt an Teile der Belegschaft zu wenden, verlassen sich einige Führungskräfte zwecks Informationsbeschaffung über innerbetriebliche Vorgänge auf

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bestimmte Mitarbeiter. Der Leiter der Produktion eines deutschen WFOE erzählt: „Die Informationen bleiben eigentlich immer stecken. Dienstlich gesehen zum Beispiel Outlook, was ich hasse, da es zu viele Informationen gelegentlich gibt und unnütze Infos, mit denen sie täglich zugeschüttet werden. – Hier in China: Selbst die Vorgesetzten geben die Infos gelegentlich nicht an ihre Mitarbeiter weiter. Sie können also nicht voraussetzen, dass ein Vorgesetzter, wenn sie ihm was schicken, das dann auch mit seinen Mitarbeitern durchspricht. Das sind dann vor allem die weniger gut ausgebildeten Mitarbeiter. Ich nutze meine Assistentin sehr viel als Sprachrohr. Das sage ich beim Einstellungsgespräch: ‚Ihr sollt horchen, was in der Firma los ist. Ihr sollt kein Spion sein, aber ich brauche Feedback‘. Das, was ich in Deutschland so erfahren würde, dafür brauche ich hier jemanden. Bei den ersten beiden [Assistenten] hat das auch geklappt.“

Ein anderer deutscher Befragter, Geschäftsführer desselben Betriebes, beschreibt die Situation folgendermaßen: B: „Information ist Macht. Das Problem haben wir bei diesen middle-aged. Die sagen: [P] ‚Ich sauge alles auf und gebe nichts weiter. Dann kann mir keiner mehr was.‘“ F: „Was machen Sie dagegen?“ B: „Gar nichts. Wir schreiben es zwar knallhart in die Zielvorgaben, aber selbst das funktioniert nicht richtig. Sie müssen dann halt gucken, dass sie einen zweiten Mann aufbauen. Wir haben hier aber Teamarbeit. Recht erfolgreich auch, weil die einfach gesehen haben, dass man hier recht erfolgreich damit ist: ‚Im Team bin ich stark. Alleine bin ich schwach.‘ Und damit haben wir eigentlich achtzig Prozent der Leute umgedreht. Und die anderen zwanzig Prozent sind halt wichtig, und die können wir nicht rausschmeißen. Problem ist natürlich der Informationsfluss von oben nach unten. Wir kriegen die Information rein. Kommt in Englisch oder Deutsch. Und die verteilen wir dann auf die Mitarbeiter in einem zugänglichen Pool, und da ist dann die Holschuld. Wer sie nicht holt, ist selbst schuld. Wir machen regelmäßig Mitarbeiterveranstaltungen. Wir machen Managementschulungen. Wir geben das also an die erste Ebene weiter und manche geben es dann runter an die Mitarbeiter und andere nicht. Ich mache es dann so, dass ich einmal im Jahr mit allen Essen gehe. Auf der kaufmännischen Seite mit hundertfünfzig Mitarbeitern geht das. Auf der technischen Seite ist es schwierig. Und da kommt dann nach dem fünften oder sechsten Glas auch was rüber. Wenn sie eine gute Sekretärin haben, die gut übersetzt, dann hören sie da so einiges. Essen ist das wichtigste hier und nach dem fünften Ganbei kriegen sie fast alle dahin, wohin sie wollen. Eine andere Sache ist, dass sie testen müssen, wem sie vertrauen können und wem nicht. Und das ist sehr schwierig. Man darf eigentlich hier niemandem

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vertrauen. Was ABSOLUT sinnlos ist, ist hier ein Führungsgespräch zu machen. Das habe ich einmal mit meinen Mitarbeitern gemacht. Das war dann schön und gut. Und dann habe ich gefragt, was es für Probleme gibt. … Gab es keine Probleme. Und wenn was kommt, selten, dann ist es nicht richtig verwendbar. Sehr gute Informationsquellen sind die [deutschen] Studenten hier, weil die doch sehr tief reinkommen und sehr gut aufgenommen werden, weil die halt abends mit in die Bar gehen.“

Seit einem Jahr in einem chinesisch-deutschen Joint Venture tätig, hält auch ein anderer Befragter den unzureichenden Informationsfluss für ein wesentliches Problem innerhalb seines Betriebes. Schwierigkeiten bereite seinen chinesischen Mitarbeitern vor allem, zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen zu unterscheiden. B: „Das ist schon manchmal sehr chinesisch hier.“ F: „Was macht diese Firma denn zur chinesischen Firma?“ B: „Dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass irgendetwas in diesem Ablauf automatisch passiert. Und nicht nur in der großen Linie, sondern auch in Details. Da kommen so Sachen … wir haben eine Lieferung bekommen von so hundertneunzig Stück: beschädigt. ‚Habt ihr das geprüft?‘ ~ ‚Ja. Sind wirklich kaputt.‘ Reklamiere ich hundertneunzig Stück in Deutschland. Natürlich große Diskussion in Deutschland, wer die Kosten übernimmt. Da kam dann die Frage, was denn nun genau kaputt sei. Ich mir das dann selber angesehen. Bin ins Lagerhaus gefahren. Und habe dann ein Riesenpalaver und Diskussion und es kam raus: Man hätte ja nur eine Stichprobenprüfung gemacht. Das heißt, wir wussten gar nicht, wie viele kaputt sind. Tausend solcher Sachen. Und das kostet halt Zeit. UND die Sprache. Wenn man Informationen rüberbringen will oder was möchte, dass etwas so passiert – in kleinen Informationshappen. Das muss übersetzt werden. Das ist mühsam und kostet Zeit. Aber auf Englisch [Firmensprache ist Englisch] kann ich mich nur mit dem Li und dem japanischen Kollegen unterhalten. Und dann haben wir noch einen von einer chinesischen Eliteuni [Qinghua-Universität], der auch fließend Deutsch spricht. Wenn ich mich mit dem unterhalte, merke ich, dass es nicht nur das Sprachproblem ist, sondern das ist dann wirklich das interkulturelle Problem. Wie er reagiert. Sonst weiß man halt nicht, ob es sprachlich oder inhaltlich oder technisch nicht verstanden wird, oder ist es irgend eine interkulturelle Sache, wo wieder irgend jemand in Gefahr ist, sein Gesicht zu verlieren.“ F: „Wie sehen diese interkulturellen Probleme denn aus?“ B: „Man merkt einfach, dass die Leute viel empfindlicher sind. Man muss sich immer genau überlegen, was man sagt und wie man es sagt. Manchmal wie Mimosen. Das kann sehr mühsam sein. Sie können nicht sagen: ‚So und so geht das nicht. Mach das mal anders.‘ Sie müssen immer daran denken: ‚Ok. Kann der jetzt damit leben, wenn ich ihm sage, dass er das anders machen soll?‘“

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F: „Und was sind die Hauptprobleme, mit denen Sie zu kämpfen haben?“ B: „Wenn was schief geht: Dass das nicht berichtet wird. Wie es berichtet wird und wie dann mit der Lösung umgegangen wird. Ich habe schon hundertmal gesagt: ‚Wenn was nicht klappt, dann sagt es mir! Es geht nicht darum, jemanden aufzuhängen.‘ Das kann man dann später immer noch machen, wenn es sein muss. Es geht erst mal darum, den Schaden zu minimieren und den Kunden zufrieden zu stellen und dann: ‚Warum ist das denn schief gelaufen?‘ Um dann Maßnahmen zu ergreifen, dass es das nächste Mal nicht passiert. Und DAS ist SEHR schwierig und stellenweise unmöglich. Man bekommt meiner Meinung nach nicht die Wahrheit gesagt. Ich denke, das ist etwas speziell Chinesisches. Wenn mir so was in Deutschland passiert, dann würde ich sagen, das ist ein Mangel an Selbstbewusstsein. Und Angst vor Bestrafungen. Wobei hier im Betrieb ja keine Kultur der Bestrafung ist. Das ist erstmal: ‚Das war jetzt nichts und das nächste Mal machen wir es halt besser.‘ Da wird ja keiner rausgeworfen, wenn er einen Fehler macht. [...] Es gibt Phasen, wo es nur ein Waldbrandaustreten ist. Immer dorthin springen, wo es am meisten brennt. Und dann gibt es eine Phase, da ist es ein bisschen ruhiger. Da kann man noch ein bisschen was Konzeptionelles machen. Das wechselt immer. Aber das ist für mich auch eine große Belastung, innerhalb von MINUTEN umdenken – da passiert da dann was und da dann was. Dann klingelt fünfundzwanzig Mal das Telefon. Dann werden WICHTIGE Sachen nicht berichtet und dann wieder jede noch so unwichtigste Kleinigkeit berichtet. Und dann erst mal herauszufinden, was wichtig ist und was nicht. Wo muss ich mich selbst drum kümmern und was kannste erst mal weiterlaufen lassen, bis es sich zum Problem verhärtet hat oder aufgelöst hat. Und am Anfang war es SEHR stressig hier, weil ich keinen Mitarbeiter hatte, mit dem ich mich richtig unterhalten konnte. Da hat mein Betriebsleiter übersetzt, aber der hat auch eine andere Arbeit. Und dessen Übersetzung ist dann auch von dessen Übersetzung geprägt.“

Eine chinesische Personalleiterin berichtet über die Reaktionen ihrer deutschen Kollegen über das Verhalten chinesischer Mitarbeiter und findet folgende Erklärung für das aus deutscher Sicht tatsächlich oftmals als Inkompetenz betrachtete Verhalten ihrer chinesischen Landsleute: B: „Ich bin schon einige Male Expatriates [E] begegnet, die sehr verwirrt ob eines bestimmten Verhaltens chinesischer Untergebener waren. Zum Beispiel: ‚Warum beantwortet ihr Chinesen Fragen nicht direkt? Ihr versucht andauernd, um den heißen Brei herumzureden!‘ Man will eine direkte Antwort, doch was man bekommt, ist dieses ‚Bababababa‘ [L]. Solche Dinge. Ich denke, das sind die Schwierigkeiten im Umgang mit chinesischem Verhalten.“ F: „Und wie sollte man damit umgehen?“ B: „Die Leute, über die wir reden, sind oft in ihren mittleren Jahren. Vierzig, manchmal auch fünfzig oder sogar sechzig Jahre alt. Sie haben nie wirklich

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Kontakt zur westlichen Welt gehabt und verstehen westliches Verhalten nicht … Was ich meine, ist, dass sie einfach nur ihren Gewohnheiten folgen. Sie sind einfach der Überzeugung, es sei höflich und angemessen, auf diese Art und Weise Fragen zu beantworten, aber manchmal … Wenn man sie wissen lässt: ‚Das will der Chef von dir wissen.‘ Dann ist das sicherlich hilfreich. Und die andere Seite sollte sich darüber im Klaren sein, dass dies einfach chinesischer Stil ist. Diese Person ist nicht einfach inkompetent. Diese Person versucht auch nicht, eine Frage zu vermeiden. Die Antwort ist einfach in all diesem ‚Bababababa‘ versteckt. Es ist einfach die Art, wie Chinesen Fragen beantworten. Aber er beantwortet die Frage WIRKLICH. Diese Art von Missverständnis… ~ dass eine Person nicht kompetent ist. Das stimmt einfach nicht. Die Person kann sehr kompetent sein. Das Problem ist, wie er sich ausdrückt. Vielleicht führt solch ein Verhalten zu Missverständnissen. […] Chinesen sind nicht daran gewöhnt, direkt herausgefordert zu werden. Der Großteil der chinesischen Belegschaft ist es nicht gewohnt, verschiedene Ansichten und Meinungen zu diskutieren. Also nicht in einem offenen Meeting [E]. Chinesen… wenn sie unterschiedlicher Meinung sind, dann sind sie nicht bereit, diese offen zu äußern. Sie würden es wirklich persönlich nehmen. Nach einem Meeting würden sie nicht mehr miteinander sprechen. Das ist der Unterschied zu einem Expat [E]. In Meetings [E] diskutieren sie offen über Projekte oder anderes. Aber chinesische Kollegen sagen dann: ‚Oh! Das ist jetzt wirklich ernst!‘ Aber nach dem Meeting sind sie normalerweise überrascht, dass alles seinen gewohnten Gang nimmt. Das ist der Unterschied, wie mit verschiedenen Meinungen umgegangen wird. Chinesen werden es meistens persönlich nehmen. Aber Westler denken wahrscheinlich: ‚Business is business. [E] Privat kommen wir immer noch gut miteinander aus. Aber Geschäft ist Geschäft.‘“

Während manche befragte Chinesen die „direkte Art“ Deutscher als „rüde“, „unhöflich“ und auch „verletzend“ empfinden, sind viele der deutschen Befragten der Überzeugung, dass nur sehr deutlich formulierte Arbeitsanweisungen zum Ziel führten, was durchaus als direkter Kommunikationsstil begriffen wird (vgl. III., 3.3). Hier sind innerhalb der Argumentationsmuster Deutscher häufig scheinbare Widersprüche auszumachen. Einerseits solle nicht das „Gesicht“ einzelner Personen verletzt werden, worunter vor allem Handlungen wie öffentliche Ermahnungen verstanden werden, andererseits müsse im Falle von Regelverstößen hart und auch für alle ersichtlich durchgegriffen werden. Auf dieses Paradox hingewiesen, antwortet ein deutscher Geschäftsführer: B: „Das ist schon richtig. Aber das macht wahrscheinlich hier die Kunst des Führens aus. Man bewegt sich auf einem Grad, der für uns [Deutsche] nicht so einfach ist. Wie ich schon meinte: Einerseits muss man manchmal recht hart zupacken und dann auch wieder aufpassen, dass man den richtigen Knopf

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drückt. Ist nicht einfach und kann auch nicht jeder, glaube ich. Die Frage ist ja immer: WIE teile ich etwas mit? WAS teile ich mit? Versteht der das überhaupt, und fasst der das genauso auf? Und von daher ist es schon wichtig, ein interkulturelles Training zu machen und interkulturelle Kommunikation zu trainieren. Kommunikation ist die Basis.“ F: „Inwieweit passen Sie sich da an Ihre chinesischen Mitarbeiter an?“ B: „Essen in der Kantine. Sachen klar machen. Englisch einfach, langsam, wiederholen. Sachen auch aufschreiben, weil die visuell einfach anders aufnehmen als bei Gesprochenem. Sachen nachfragen. In Deutschland gebe ich einem drei Mal eine Aufgabe. Das klappt, dann wird die Leine länger. Wenn nicht, dann muss ich die Leine kürzer machen. Normal. Nur hier ist die Quote der kurzen Leine wesentlich höher. Eindeutig. Anpassen in dem Sinne, dass man die Leute einfach anders aufbauen muss. Und ich gebe Leuten selten mehr als zwei oder drei Aufgaben: input overflowed. Dann schalten die sofort ab. Einige können damit umgehen. Viele nicht. Wir haben es einmal gehabt, dass ein Mitarbeiter gesagt hat, er hätte das Gesicht verloren. Das waren zwei Chinesen. Da gab es auch massiven Knatsch. Man muss vielleicht ein bisschen mehr darauf achten als in Deutschland. Grundsätzlich halte ich nichts davon, Leute vor anderen platt zu machen. Das muss nicht sein. Was man sehr viel klarer sagen muss, das ist, wenn man mit den Leuten nicht in einem Job zufrieden ist. Hernehmen und sagen: ‚Das finde ich nicht gut, wie du das machst. Ich will, dass du das anders machst.‘ Und damit können die anscheinend gut umgehen. Und das brauchen die anscheinend auch, um auf die Spur zu kommen. Man kann also nicht sagen: ‚Mach mal das und mach mal das.‘ Man muss ganz klar sagen, wenn etwas nicht ok. ist. Ziemlich hart eingreifen, sonst peilen die das gar nicht. Ansonsten sind die superflexibel. Schon stark.“

Einen chinesischen Interviewten, 32 Jahre alt und seit drei Jahren als Angestellter in einem deutsch-chinesischen Joint Venture tätig, befrage ich danach, ob er sich in Bezug auf sein Kommunikationsverhalten selbst als chinesisch bezeichnen würde: „Sehr chinesisch! [L] Ich meine… Ich drücke Dinge immer mehr aus und nicht so direkt. Man darf einer anderen Person nicht das Gesicht nehmen. Ich meine, Gesicht ist etwas sehr Wichtiges für jeden Menschen. Niemand möchte kritisiert werden. Ich habe mal mit einem deutschen Entsandten gesprochen und etwas zu ihm gesagt… ~ ich habe vergessen, was es war. Aber ich meinte es eigentlich nicht so, wie er es verstanden hatte. Jedenfalls dachte er, ich würde ihn kritisieren. Dieser Deutsche regte sich richtig darüber auf! Mit einem Chinesen, selbst wenn du im Privaten mit ihm sprichst, kann er immer noch sein Gesicht verlieren. Man muss sehr vorsichtig sein. Auch wenn mein Chef mit mir über eine ernste Angelegenheit unter vier Augen sprechen will und mir eine Menge schlechter Dinge sagt, dann verliere ich noch immer mein Gesicht. Wahrscheinlich wäre ich sogar ärgerlich. Wenn man es auf eine nette

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Art und Weise sagt, ist es besser. Wie man Feedback [E] gibt. Man sagt, effektives Feedback [E] ist, die Leute erst zu ermutigen. Erst etwas Nettes zu jemandem sagen und dann erst etwas Negatives. Zum Beispiel: ‚Da ist noch Raum für Verbesserung.‘ Das ist effektiver. Es wird besser akzeptiert. Natürlich haben wir viel von der westlichen Kultur übernommen, aber der Kern ist nach wie vor chinesisch. Das ist etwas, was man nicht in Worte fassen kann. Man muss es spüren. Ein Gefühl dafür haben. Das kann man gut an den klassischen Gedichten nachvollziehen. Sehr kurz. Aber wenn man sie erklären möchte, dann wird daraus ein mehrseitiger Text. Man muss es hinter den Zeichen erspüren und es ist nicht so explizit wie westliche Sprachen.“

Ein deutscher Geschäftsführer beschreibt, wie er versucht, eine „Kultur des gemeinsamen Austausches“ in seinem Betrieb zu etablieren: „Ich gehe mit gutem Vorbild voran. Wenn ich was Neues höre – sei es vom Corporate, sei es von der internationalen Presse, dann setze ich mich morgens her und klopfe das entweder ins E-Mail-System oder ich teile das bei einem Meeting mit. Und irgendwann kommt was zurück. Die kommen sich irgendwann komisch vor, wenn das nur in eine Richtung geht. Jeden Montagmorgen mache ich das auf dem Managementlevel: ‚Wie war das Wochenende?‘ und ‚Was gibt es Neues? Was habe ich verpasst? Lasst mal hören!‘ Und dann kommt der eine, sagt was. Und dann der andere. ‚Nichts Neues.‘ – ‚Wie ist denn die Wettervorhersage für heute?‘ So was ganz Profanes. Dann kommt schon was rüber.“

Einige der Befragten betonen unabhängig voneinander die Fähigkeit als wichtig, sich auf einer „emotionalen“ oder auch „intuitiven“ Ebene mit Chinesen auseinander zu setzen. Diese Fähigkeit wird als Mittel verstanden, vorhandene Sprachmängel durch einen anderen Zugang zu seinem Umfeld auszugleichen. Folgendes Zitat verdeutlicht, was einer der Beteiligten, der seit über zehn Jahren in China tätig ist, hierunter versteht: B: „Eine gewisse Vereinsamung ist da. Insbesondere, wenn man nicht in Shanghai lebt. Denn in den anderen Standorten sind sie auf chinesische Bekannte angewiesen. Ich habe zwar immer eine unwahrscheinlich starke emotionale Möglichkeit, mich mit Chinesen auseinander zu setzen. Aber meine Sprache ist nicht so gut, als dass ich wirklich hochgradige Gespräche führen könnte. Ich kann sagen, dass ich mit dem Taxi fahren möchte. Aber solch ein Gespräch könnte ich nicht auf Chinesisch führen. Insofern kann ich keine adäquaten Partner haben. In solch einer Situation wie ich es bin, muss man in der Lage sein, sich im emotionalen Bereich mit seinem Umfeld auseinander setzen zu können. Und das bin ich. Das mache ich durch Billiardspielen. Durch Tischtennis. Ich bin ein begeisterter und sehr guter Majiangspieler. Auch über

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Tage und Nächte. Ich kann zwanzig Stunden am Stück Majiang spielen, ohne dass mir dabei was wehtut. Jedenfalls nicht zu dem Zeitpunkt, wo ich spiele. [L]“ F: „Was genau meinen Sie mit emotionaler Möglichkeit“? B: „Das heißt, sie müssen über Gesten, über die Augen Kontakt zu den Leuten halten. Die Leute wollen ja sehen, dass sie bemerkt sind. Selbst wenn ich Chinesisch fließend reden könnte, kann ich nicht die tausend Dialekte, die die sprechen. Da ist ein Schulterklopfen angesagt. Oder die Bügler haben sich aus irgendeinem Grunde angewöhnt, sich fünf Minuten vor der vollen Stunde mit dem Oberkörper auf den Bügeltisch zu legen. Weiß der Teufel, warum. Da gehe ich dann einmal im Monat hin und hau’ da ganz laut auf den Tisch. Da schrecken die alle hoch und lachen sie alle. [L] Das ist es, was ich mit emotionaler Auseinandersetzung meine. Oder auch, wenn sie Überstunden machen lassen, dass ich dann in die Kantine gehe und einen Kasten Bier hole und wenn die dann gehen, jedem eine Flasche Bier in die Hand drücke. Persönlich. Selber. Das meine ich. Auch, dass ich mit einem Arbeiter Doppel spiele. Ist mit Sicherheit eine ganz revolutionäre Geschichte. Das überfordert die meisten in der Denke. ‚Wie kann der Alte mit einem Arbeiter Doppel spielen?!‘ Das ist schon schwierig für die zu verstehen. Ich spiele jetzt zwei Doppel. Ich spiele mit dem GM zusammen und mit dem Arbeiter. Und ich habe auch überall meine Antennen eingebaut. In allen meinen Betriebsteilen habe ich meine Antennen, von denen die meisten nicht wissen, wo die Antennen sitzen. Wer meine Antennen sind. Und das sind Dinge, die man nur emotional installieren kann, wenn man über sehr, sehr viele Jahre mit den Leuten zusammen ist.“

Von „Intuition“ spricht folgender Deutscher, der seit mehr als drei Jahren die Leitung eines Unternehmens in Suzhou innehat. B: „Intuition ist wichtig. Gefühl haben. Liegt vielleicht ein bisschen an meiner Persönlichkeit. Ich bin ein Mensch, der sehr viel mit seinem Bauch entscheidet. Sehr viel auf Gefühle, auf Augenkontakt, auf Gesichter guckt. Man muss lernen, wie die Chinesen mit ihrem Gesicht reagieren. Jetzt kann ich ganz gut erkennen, was los ist. Aber es ist sehr schwierig. Aber es gibt auch viele Situationen, wo ich Fehler mache.“ F: „Wieso?“ B: „Weil die Mimik anders ist. Und sie haben das Problem der unterschiedlichen Gesichter. Wenn sie einen Deutschen oder Amerikaner nebeneinander setzen, dann haben sie eine ganz andere Mimik. Und das ist das Gleiche hier. Wenn ich einen aus Südchina habe, dann reagiert der anders als einer von hier. Ein Pekinger noch anders. Ich kenne die Leute einfach jetzt. Nach drei Jahren weiß ich, wie sie sind. Ansonsten habe ich meine Chinesen, die mir da sehr helfen. Das Problem ist, dass sie die Sprache nicht verstehen. Nicht einmal den Ton in der Sprache. Dann gucken sie natürlich noch intensiver auf die Gesichter. Ich muss mir andere Anhaltspunkte suchen. Ich gucke den Mitarbeitern in

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die Augen und versuche herauszubekommen, was los ist und achte auf ihr Verhalten.“

Auch sprechen einige der Befragten die Besonderheit der chinesischen Sprache an, die im Vergleich zu Deutsch besonders „emotional“ und eher vage sei. Außerdem müsse der indirekte und persönlichkeitsorientierte Kommunikationsstil in China beachtet werden. Mit dem Geschäftsführer eines Joint Ventures ergibt sich folgendes Gespräch: F: „Sie haben gesagt, Chinesisch wäre eine emotionale Sprache?“ B: „Ja. Die geht über die Sinne. Geht schon mit den Tönen los. Oder auch der Ausdruck: Wenn ein Chinese eine Situation beschreibt, ist er absolut emotional und nicht sachlich. Wie er die Situation gerade sieht, wird er ihnen mitteilen und nicht, wie die Situation ist. Und da haben wir schon den ersten Knackpunkt. In der Beschreibung. In der Wahrnehmung. Natürlich ist es so, dass unterschiedliche Menschen auch unterschiedlich wahrnehmen. Auch in Deutschland. Klar. Aber das Präzise an der deutschen Sprache ist in der chinesischen nun mal überhaupt nicht da. Eklatant nicht da. Und daher ist ja auch der Unterschied in der Sprachmenge, der notwenig ist, um eine Situation zu beschreiben. Im Deutschen oder auch Englischen kommen sie mit ein oder zwei Sätzen aus. Während ein ganzer Redeschwall notwendig ist, um das zwischen zwei chinesischen Seelen auszutauschen. Aber ist halt notwendig und machen die dann auch. Und wenn dann zehn Minuten geredet worden ist, ist der Konsens oftmals für den Westler ausreichend: ‚Er hat JA gesagt.‘ Ist nicht selten so. Weil immer alles übergeben werden muss, wie der Einzelne sich gerade vorgekommen ist.“ F: „Wie stellen Sie sich darauf ein?“ B: „Oftmals ist es so, dass ein zusätzlicher Zeitaufwand mit einkalkuliert werden muss. Einmal, wenn denn Gespräche da sind mit nicht englischmächtigen Chinesen, Fachleuten oder Vertretern von irgendwelchen Institutionen, hier ist einfach der Zeitaufwand sofort gedoppelt. Und es kann durchaus noch mehr werden, aufgrund der unterschiedlichen Sprachebenen, die dann dort benutzt werden. Wer dann die Geduld nicht hat und auch nicht weiß, wie im Westen und Osten kommuniziert wird, der läuft dann schon wieder in die nächste Falle rein. Und das sich gegenseitige Über-den-Mund-fahren ist ja auch sehr bekannt und wenn man es weiß, dann kann man an sich halten und den anderen erst mal ausreden lassen. Nicht gerade eine Tugend in Deutschland.“ F: „Planen Sie das ein bei Konferenzen und Präsentationen?“ B: „Jaja! Das dicke Ende kommt wirklich immer und das, was zuletzt kommt, ist auch das Wichtigste. Was am Anfang gesagt wird, ist erst mal nur Palaver und dient dazu, dass man sich gegenseitig kennen lernt. Das spiel ich auch mit und mach das ganz bewusst. Und setze es selber auch ein. Es führt zu enormen Defekten in Deutschland, nebenbei bemerkt. Wenn man mit diesen Methodiken, die hier in China absolut normal sind, nach Deutschland geht, führt das

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zur absoluten Verwirrung bei den Gesprächspartnern. Insbesondere wenn die dann gleich reingepoltert kommen mit irgendwelchen Dingen. Und wenn man ihnen dann erst auf der sozialen Ebene entgegenkommt, führt das zu enormen Irritationen. Das ist genau der gleiche Effekt, wenn ein Westler hierhin kommt und sich frisch in eine Diskussion begibt. Der ist am Anfang nur irritiert. Es ist nicht immer überall nötig. Zum Beispiel hier in Shanghai ist man durchaus knapper. Gerade die government-buddies sind inzwischen so gut geworden. So gut trainiert. Die kommen auch relativ schnell auf den Punkt. Da bin ich manchmal chinesischer als die selber. Dann fang ich erst mal an, übers Wetter und so weiter zu erzählen und dann kommen die schon viel früher auf den Punkt, als ich es tun würde. Ich habe wiederum sehr viel mit Wuxi zu tun – da spielen diese Dinge eine noch viel größere Rolle als in Shanghai, wo man flott zum Thema kommt. Hier ist man schon sehr stark westlich orientiert.“

4.2 Sprache Auch wenn so gut wie jeder der deutschen Entsandten zumindest zu Beginn des Chinaeinsatzes darum bemüht ist, sich die chinesische Sprache anzueignen, verfügen dennoch nur wenige über ausgezeichnete Sprachkenntnisse. Fünf der im Rahmen dieser Untersuchung Befragten sind in der Lage, aufgrund eines chinaspezifischen Studiums auch arbeitsrelevante Dinge auf Chinesisch zu besprechen, während der andere Teil über keine oder nur geringe Sprachkompetenz verfügt. Befragt, ob das Erlernen des Chinesischen für sinnvoll gehalten wird, unterscheiden sich die Ansichten der Beteiligten. Einige der Befragten vertreten die Meinung, dass es in den Unternehmen, die als Firmensprache beinahe ohne Ausnahme Englisch angeben, kaum Vorteile mit sich bringe, Chinesisch zu beherrschen. Eine größere Anzahl von Entsandten teilt diese Meinung nicht, sondern ist im Gegenteil der Überzeugung, dass eine entsprechende Sprachfähigkeit sowohl Vorteile für die alltägliche Arbeit als auch einen positiven Effekt für einen Aufenthalt in China mit sich bringe. Trotzdem scheitern die meisten, so die Befragten, an der Schwierigkeit dieser Sprache, die nur unter zeitintensivem und tagtäglichem Einsatz zu erlernen sei. Ein Befragter, der seit zehn Jahren in China tätig ist, beschäftigt sich mit dem Chinesischen, wobei er nach eigener Aussage noch nicht in der Lage ist, ein flüssiges Gespräch zu führen. B: „Ich habe mich jetzt auch endlich durchgerungen, mich in die Wunderwelt der chinesischen Schriftzeichen hineinzubewegen. Das habe ich früher am Anfang nicht gemacht. Und hatte doch erheblich Schwierigkeiten mit der Sprache, weil ich nicht – ich kann schlecht nur über das Ohr lernen. Und seitdem ich mich mit der geschriebenen Sprache beschäftige, macht es mir einfach mehr Spaß.“

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F: „Wie ist denn ihr Chinesischniveau?“ B: „Ich kämpfe mich heran. Aber ich würde mich nicht im Arbeitsalltag auf die Sprache verlassen wollen. Ich betrachte sie, meine zunehmende Fähigkeit, sie zu entziffern und zu verstehen, als Hilfsmaßnahme. Nicht, worauf ich mich stützen möchte. Darüber können wir in ein paar Jahren noch mal reden.“ F: „Ist es sinnvoll, Chinesisch zu lernen?“ B: „Unbedingt! Unbedingt. Im Nachhinein würde ich sagen, dass es ein Fehler meiner Firma war, dass sie ... ich wurde damals sozusagen feuerwehrmäßig nach Taiwan geschickt und musste dann sofort den Job machen. Da war keine Zeit für einen Sprachkurs. Ich will es eigentlich gar nicht kritisieren. Ich war ja froh, dass ich den Job gekriegt habe. Aber falsch war es trotzdem. In der Praxis ist es wahrscheinlich gar nicht möglich immer so vorausschauend Personalpolitik zu betreiben, wie es optimal wäre für den kulturellen Einsatz.“ F: „Was für Vorteile versprechen Sie sich davon, wenn Sie chinesisch sprechen?“ B: “ … Es ist eigentlich so offensichtlich, dass es mir schwer fällt, es zu beantworten. Man bleibt einfach außerhalb der Umwelt, wenn man das nicht kann. Man ist völlig isoliert. Man ist praktisch wie ein Blinder. Man braucht seine Blindenhunde. Wenn man Glück hat, hat man gute.“ F: „Meinen Sie, dass sich das dann ändert?“ B: „Die Abhängigkeit wird geringer und die Fähigkeit, Dinge zu verstehen, wird besser. Ich glaube schon, dass man dann auch einen Zugang zu den Leuten bekommt. Einen besseren Zugang.“

Einen anderen Entsandten, wie der zuvor zitierte Befragte in geschäftsführender Position und nach einem fünfjährigen Einsatz in Japan nun seit etwas mehr als vier Jahren in Shanghai, befrage ich nach seinen Sprachkenntnissen: B: „Ich sprech’ Englisch, Japanisch – das ist nicht mehr so ganz fließend. Ein bisschen eingerostet. Ich sprech’ genug Holländisch für die Straße. Ein bisschen Italienisch. … Dann sprech’ ich Chinesisch. Ich hab angefangen als ich herkam, ein bisschen Chinesisch zu lernen. Mit dem Japanischen ist das ein bisschen … – ja nicht einfach. Aber immerhin. Für Survival. Gestern, als meine Hupe kaputt war vom Auto: Die krieg ich repariert. Dass die heute schon wieder nicht funktioniert, das ist eine andere Sache. Aber ich hab’, weil für mich China von Anfang an ein endliches Projekt war, gesagt: ‚Ich werd mich hier nicht voll einbringen.‘ Das bringt nichts. Ich hab auch gemerkt, es gibt einen Konflikt bei mir auf der Festplatte zwischen Chinesisch und Japanisch und wenn ich da zu viel mache, dann geht das Japanisch vor die .... dafür hab ich zu viel Zeit für Japanisch investiert.“ F: „Finden Sie Sprachkenntnisse wichtig, um hier zurechtzukommen?“ B: „Ja, gut. Also ich würde ja sagen, dass ich hier zurechtkomme. Dass ich auch von meinen Kollegen respektiert werde. Insofern kann ich natürlich ganz

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einfach nein sagen. Gute chinesische Sprachkenntnisse machen einem das Leben leichter. Machen es auf der anderen Seite natürlich auch wieder komplizierter. Weil sie müssen wirklich gut sein. Das ist wie im Japanischen auch. Wenn sie ... die gefährlichste Zeit kommt, wenn sie glauben, sie seien gut. Und dann tatsächlich doch nicht mitkommen. Ich seh’ das zum Beispiel bei mir. Mein Japanisch ist relativ gut. Ich würde niemals in Japan irgendwelche Geschäftsverhandlungen auf Japanisch machen. NIEMALS. Würde ich immer in Englisch machen. Und zwar einfach deshalb, wenn ich Japanisch oder hier Chinesisch könnte – wenn ich hier mit Chinesisch anfangen würde; bei irgendeinem Disput kommt garantiert: ‚Ja. Haben sie missverstanden.‘ Wenn schon, dann Ungleichbehandlung im Unrecht. Also, man muss wirklich in Chinesisch sehr, sehr gut sein, um so ... entweder – oder! Bloß nicht in der Mitte. Das – die Sprachkenntnisse, die die meisten Ausländer hier erreichen, die ich kenne, die machen es nicht auf der geschäftlichen Ebene. Also auf der unmittelbaren geschäftlichen Ebene. Sondern die machen es einfacher auf der sozialen Ebene. Auf der Interaktion nach Feierabend. Und das hilft natürlich. Das ist ein wesentlicher Baustein.“

Einige der Befragten haben es mehr oder weniger aufgegeben, sich mit der chinesischen Sprache auseinander zu setzen, was sie sowohl auf den Schwierigkeitsgrad, aber auch auf die fehlende Unterstützung durch ihr chinesisches Umfeld zurückführen. Entweder, so einige der Befragten, wären einige der chinesischen Mitarbeiter gar nicht in der Lage, Mandarin zu sprechen, oder aber sie würden sich mehr oder weniger weigern, sich auf Mandarin zu unterhalten, was vor allem für Shanghainesen gelte. Ein Befragter, der im weiteren Verlauf des Gesprächs jedoch einräumt, dass es durchaus wichtig sei, Expatriates mit Chinesischkenntnissen zu entsenden, erzählt: B: „Ich habe relativ wenige Probleme. … Während ich das Gefühl habe, dass einige Leute relativ viele Probleme haben. [L]“ F: „Wie gut sprechen Sie Chinesisch?“ B: „Neunzehnhundertvierundneunzig sind wir her und da war es schon ein ganzes Ende schlechter. Vor allen Dingen meine Frau hat … – meine Frau ist übrigens Chinesin, aber Auslandschinesin. Die ist in England aufgewachsen und sprach also auch kein Chinesisch, als wir ankamen. Aber die hat es mittlerweile recht gut gelernt, während ich am Sprechen kein großes Interesse hatte. Auch nicht habe und jetzt allmählich auch dabei bin, es ganz aufzugeben. Wir haben mal viel Unterricht gemacht. Immer hier mit derselben Lehrerin über viele Jahre. Ich habe mich immer mehr für das Lesen und das Schreiben interessiert. Ich habe immer gedacht: ‚Eines Tages möchte ich mal eine chinesische Zeitung in die Hand nehmen, genauso wie ich das mit einer deutschen mache.‘ Aber die Männekes zu malen macht mir nach wie vor Spaß. Und wenn ich all die Zeichen beherrschen würde, die ich mir schon mal versucht

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habe einzuprägen, dann wär’ ich mittlerweile bei eintausendzweihundert bis eintausendfünfhundert angekommen.“ F: „Aber Sie können sich orientieren?“ B: „Ja. Klar. Ich kann auch einem Taxifahrer sagen, wo ich hinfahren möchte.“ F: „Wieso haben Sie denn kein so großes Interesse an der Sprache?“ B: „Wenn die Shanghainesen schon Mandarin sprechen müssen … DAS kotzt die Shanghainesen schon an. Deswegen habe ich gesagt: ‚Ihr könnt mir alle mal den Buckel runterrutschen.‘ Wenn die einen Ausländer sehen und erwarten, dass der Chinesisch spricht, dann können sie bestenfalls Mandarin erwarten. Aber antworten die ihnen auf Mandarin?! Ganz selten mal! Ich war keineswegs mutlos oder zu faul, meine Kenntnisse an den Mann zu bringen – aber wenn die dann anfangen zu kichern. Da habe ich gesagt: ‚Schluss! Das brauche ich nicht!‘ Shanghaier sind da arrogant. Da bleib’ ich lieber beim Englischen.“

Viele der deutschen Entsandten sind damit, wollen sie sich mit Chinesen austauschen, die über keine Englischkenntnisse verfügen, auf die Dienste eines Dolmetschers bzw. die Übersetzung eines chinesischen Mitarbeiters angewiesen. „Also, die Probleme entstehen durch Kommunikation. Sprache. Das heißt, manche haben das Verständnis dafür, was man übersetzen möchte. Nur durch das Übersetzen von IHREM Deutsch in IHR Englisch – was ja auch kein hundertprozentig perfektes Englisch ist, weil wir ja auch nur einen begrenzten Wortschatz an Englisch haben. Dann muss es meine Assistentin, die auch als Übersetzerin fungiert, erst mal verstehen und dann weiter ins Chinesische übersetzen. Anhand dieser Kette sieht man schon, wie schwierig es ist. Wenn sie natürlich jemanden haben, der jung ist – der ein Englisch auf unserem Niveau spricht, ist es sehr, sehr viel einfacher umzusetzen. Wobei manche Grundvoraussetzungen einfach fehlen. Die Leute hier haben ja oftmals keine Ahnung von der Materie. Das kommt dann noch dazu.“

Ein anderer Entsandter, als Ingenieur seit einem halben Jahr auf einer Baustelle zwecks Aufbaus einer technischen Anlage tätig, ist, da fast keiner seiner chinesischen Mitarbeiter über Englischkenntnisse verfügen, gänzlich von einem Dolmetscher abhängig. B: „Manche sagen ja, Chinesen würden alles immer wieder verlernen. Das ist richtig. Aber dann habe ich es ihnen vielleicht nicht richtig gezeigt. Ich lerne auch nicht alles von einmal zeigen. Wenn mir jemand am Computerprogramm etwas vorklickt, da brauche ich auch manchmal fünfmal, bis ich die Masken alle kapiert habe. Muss man einfach akzeptieren, dass es mit einmal sagen nicht getan ist. Und wenn ich der Spezialist bin und da Leute sind, die in der

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Ausbildung ganz anders sind. Die anders denken und auch in der Sprache etwas haben, was in der Struktur völlig anders ist. Die in ganz anderen Familienund Sozialstrukturen groß geworden sind. Da kann man doch nicht erwarten, dass die mein Spezialwissen beim ersten Mal gleich aufnehmen können. Bei weitem zu viel verlangt. Und dann noch die Sprachschwierigkeiten. In welcher Sprache erkläre ich es ihnen eigentlich? Doch in meiner! Und nicht in deren. Und dann sollen die alles sofort verstehen?!“ F: „Wie machen sich diese unterschiedlichen Denkstrukturen denn bemerkbar?“ B: „Ich merke es, wenn ich mit ihnen über die chinesische Sprache diskutiere. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Bedeutungsfelder bei den Sprachen, die ich bisher kennen gelernt habe, oftmals ganz komisch übereinander gelagert sind. Und das erfrage ich. Und da bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die anderes denken müssen.“ F: „Wie steht es mit dem Informationsfluss?“ B: „Das größte Hindernis sind die Dolmetscher. Schlichtweg eine Katastrophe. Die keine Lust haben oder wenn sie etwas nicht richtig verstehen, dann machen sie eine persönliche Unterhaltung aus dem Gespräch. Ich sage was und die sagen etwas zum chinesischen Partner und kriegen eine Antwort und erzählen mir etwas vollkommen anderes. Und ich rede letztendlich völlig an dem Partner vorbei. War ’ne nette Unterhaltung dann. Man geht auseinander, aber informiert hat man nicht. Aber es nervt mich manchmal fürchterlich. Die werden dafür bezahlt, dass sie Qualität leisten und dass sie das rüberbringen, was man selbst möchte. Sie haben eine Schlüsselrolle, der sie hier nicht gerecht werden. Und wahrscheinlich auch nicht können. Das muss man dazu sagen. Es ist eben das, was meinen Einsatz hier am meisten kaputtmacht.“

Einige der Befragten verweisen auf die unterschiedlichen Sprachstrukturen, die als Grund bzw. als Beispiel für unterschiedliche Herangehensweisen und Fähigkeiten genannt werden. Von einem besseren Verständnis der Sprache erhoffen sich einige der deutschen Befragten nicht nur die Möglichkeit, sich ihr Umfeld erschließen und Kontakte zu Chinesen knüpfen zu können, sondern auch Einsicht in chinesische Denkweisen. Doch auch, wenn sich viele besonders zu Anfang ihres Aufenthaltes mit hohem Einsatz um die Erlangung von Chinesischkenntnissen bemühen, verfügen meistens nur diejenigen über ausreichende Sprachkenntnisse, die sich schon in Deutschland über einen längeren Zeitraum hinweg mit dem Chinesischen auseinander setzen. F: „Wie sieht es mit Ihren Sprachkenntnissen aus?“ B: „Survival Chinese, ganz rudimentär. Ich hatte einen Mandarin-Crash-Kurs gemacht. Bin in Wuxi damit aber gescheitert, aufgrund des Dialekts. Und hier ist der Dialekt eigentlich ähnlich, wobei hier wiederum viele Leute in der Lage sind, Mandarin zu sprechen. Es ginge. Aber ich bin hier beruflich sehr einge-

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spannt und dann bin ich abends überhaupt nicht mehr in der Lage dazu und habe auch keine Lust. Ist Faulheit. Klar. Wenn wir noch mal länger bleiben würden als ursprünglich geplant, dann könnte ich es mir vorstellen, die Sprache noch mal aufzunehmen. Meine Frau lernt das hier nebenbei. Ich bin auch nicht weit weg von der Sprache. Tonal ist das alles über die Jahre hinweg schon eingängig. Das Basisverständnis ist auch da. Es ist einfach nur der Fleiß, der fehlt. Inzwischen habe ich ein Ohr dafür entwickelt. Das ist schon mal ein Vorteil. Dauert ja normalerweise. Die Chinesen sind aufgrund ihrer Sprache für feine Strukturen sensibilisiert. Wegen der Schriftzeichen. Früher, unsere Qualitätsleute waren nicht zu schlagen im Finden von Fehlern auf fotografischen Materialien. Unglaublich! Oftmals schreiben die ja auch sehr klein. Enorm!“

Einer der Befragten, seit rund 14 Jahren in China für verschiedene Unternehmen tätig und mit einer chinesischen Frau verheiratet, beschreibt die eigenen sprachlichen Limitierungen als eines der wesentlichen Probleme nicht nur bei der Arbeit, sondern auch im privaten Leben. F: „Wenn Sie zurückdenken an Ihre Anfangssituation – Sie hatten es gerade schon angedeutet: ‚Gleichzeitig abgestoßen und angezogen‘ … Was gab es da zu Beginn für Schwierigkeiten?“ B: „Das größte Problem war eigentlich der Zugang zur Sprache. Der Zugang zum Verständnis. Ich hab damals einundneunzig verzweifelt gebüffelt. Ich hab gebüffelt wie ein Irrer und muss dazu sagen: Ich war in der tiefsten Provinz. Da gab es wirklich nichts. Die Firma ist damals wirklich auf die grüne Wiese gestellt worden. Das war eine riesige Kunstfaserfabrik. Die ist auf die grüne Wiese gestellt worden. Da haben sie den Wald weggeschaufelt, um die Fabrik da hinzustellen. Da war der nächste Ort sieben Kilometer weg. Da war also – da haben sie gleich eine Kolonie dazugebaut, wo die Leute wohnen. Also, es war absolut aus der Welt. Und da bin ich da auf den Markt gegangen. Ich wollte Zucker kaufen für den Kaffee. Ich habe Suppe angeboten gekriegt und Kühlung und weiß der Geier, was alles. Nur keinen Zucker. Und da war ich echt verzweifelt und die haben mir dann erklärt: Es kommt auf die Aussprache an und es ist also auch sehr wichtig und damit hab ich mich immer sehr schwer getan. Es hat sich bis heut’ noch nicht so richtig verändert. Ich nehm’ mir mindestens einmal im Monat vor, endlich mein Chinesisch auf Vordermann zu bringen und einen Kurs zu machen. Und dann hab ich keine Zeit oder dann fehlt das oder dann hab ich einfach keine Lust. ... Es schleppt sich und schleppt sich und schleppt sich und der Zugang bleibt mir weiterhin verwehrt. Wenn man dann mit Chinesen zusammenkommt, die Englisch sprechen – ich kenne welche, die Deutsch sprechen. Da ist dann immer noch dieses typisch chinesische Verhalten, dass man einfach nichts preisgibt. Dass man sich nicht öffnet. Dass man nicht kommuniziert. Es wird viel geredet, aber es wird nichts gesagt. Da hat man dann immer noch keinen Zugang. Sogar mit meiner Frau

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habe ich dieses Problem. Wenn ich sie dann mal wirklich in die Ecke treibe und mal wirklich festnagel’ und sage: jetzt will ich’s wissen. Dann bleibt der Mund zu und es ist Ende. Ich werd’ dann fürchterlich sauer deswegen und dann knallt ’ne Tür und dann ist der Käse schon wieder gegessen. Also, der Zugang zum Verständnis ist hier sehr, sehr schwierig.“ F: „Das sind also zwei Dinge: Einmal die Sprache an sich und dann das ...“ B: „Das Kommunikationsverhalten.“ F: „Wie kommunizieren Sie mit Ihrer Frau?“ B: „Englisch.“

Selbst wenn die Beteiligten in der Lage sind, sich adäquat auf Englisch, Deutsch oder auch Chinesisch zu verständigen, wird die Auseinandersetzung mit dem Gegenüber dennoch nicht als unproblematisch erfahren. Als Grund geben Befragte in der Regel kulturelle Unterschiede an (vgl. III., 4.1). Eine Interviewte , die ein ausgezeichnetes Chinesisch spricht und über einen umfangreichen Wortschatz verfügt sowie von sich selbst behauptet, Shanghai wäre ihr eigentliches Zuhause, erzählt: „Es gibt Leute, die auf die chinesische Gesellschaft schimpfen. Gelegentlich mal. Gelegentlich mal. Das ist, denke ich, auch normal. Es gibt Tage, da denke ich auch: ‚Den nächsten Chinesen, der um die Ecke kommt, den bring ich um. Egal ob der jetzt lächelt.‘ Das, was mich beruhigt, ist, dass chinesische Freunde in Deutschland sagen: ‚Das ist völlig normal.‘ [L] Die sich also wohl fühlen in Deutschland und sagen, das ist völlig normal. Die das auch sagen: ‚Der Nächste, der um die Ecke kommt, der wird erschlagen.‘ Wenn man einigermaßen im Reinen mit sich ist, dann sollte man erkennen, dass es einfach nur Frust ist. Und da muss man sich sagen: ‚Ok. Wir schließen uns ein dieses Wochenende und der Einzige, der vielleicht hochkommen darf, das ist der Pizzaservice.‘ Und das war’s dann auch. Wenn man nicht in der Lage ist, das zu reflektieren, dann ... Aus meiner eigenen Erfahrung würde ich sagen, dass man die Leute vorher durchchecken muss. Wenn die irgendwelche Probleme haben … das wird hier alles noch dreimal so schlimm. Irgendjemand, der depressiv oder suizidgefährdet ist, der wird hier noch viel depressiver und noch viel suizidgefährdeter. Oder auch sonst. Wenn jemand cholerisch ist: Der hat hier ja noch viel mehr Möglichkeiten, sich aufzuregen. Vor allem, wenn er auch nichts versteht. Ich denke, dass das auch ein RIESENNACHTEIL ist. ‚Dann haben die die ganze Zeit nur gelacht.‘ … Mich regt es auch auf, wenn die die ganze Zeit lachen in Situationen, die irgendwie peinlich sind, obwohl ich ganz genau weiß, der lacht nur, um der Situation die Spitze zu nehmen. Und ich denke nur: ‚HÖR AUF! Ich wische es dir aus dem Gesicht!‘ Aber in der Regel gelingt es mir trotzdem, das natürlich nicht laut zu sagen, aber es zu denken. Und bis an mein Lebensende wird es mich nicht beruhigen, wenn sie in den Situationen lachen, weil wir einfach anders konditioniert sind. Und dann stelle ich mir jemanden vor, der noch nicht einmal DAS weiß. Dass der

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nicht einmal versucht, die Situation zu entschärfen und versucht, dich zu beruhigen und sich das nicht mal rational sagen kann. Dann ist der völlig verloren. Auch wenn man es nicht versteht. Die Leute sagen dann: ‚Es war wieder Meiyou.‘ [P] und ‚Ging wieder alles nicht.‘ [P] Wo ich dann denk: ‚Ja. Wahrscheinlich hat er dir auch erklärt, dass halt irgendwie die Lieferung zu spät gekommen ist oder sonst was. Und du hast es nicht verstanden! Jetzt bist du sauer und der kann nichts dafür.‘ Ich denke, die Sprache können oder nicht können ist ein riesengroßer Schlüssel. Und dann persönlicher Charakter.“

Im weiteren Verlauf des Gesprächs kommt diese Befragte auf ihren deutschen Vorgesetzten zu sprechen. Aufgrund eines Standortwechsels sind die chinesischen Angestellten im Ungewissen, ob sie ihre Arbeitsplätze weiterhin behalten werden. Die Befragte fährt fort: „Ich hab den Eindruck, dieser Mensch [der Vorgesetzte] lebt in einer anderen Realität ~ in einer anderen Welt. Das ist so jemand, wo ich denke: ‚Ja. Mach mal!‘ Da kümmer’ ich mich jetzt darum, den Leuten so ein bisschen Sicherheit zu geben. Auch die Möglichkeit zu geben, zu fragen, was sie fragen wollen. Wir gehen nächste Woche essen. Da lade ich sie ein. Und dann treffen wir uns – gestern war das so, da sagte er: ‚Habt ihr noch Fragen?‘ und ich weiß, dass Einzelfragen natürlich nicht gestellt werden, entweder, weil es der große Chef ist oder weil man das erst einmal verdauen muss und erst anschließend kommt: ‚Ja, das hätte mich dann doch interessiert.‘ Und das diskutieren sie mit mir vielleicht eher mal. Dass da vielleicht eine Klärung der Situation kommt. Ich kann es dann auch so formulieren, auf Deutsch, viele meiner Mitarbeiter sprechen Deutsch – eventuell fragen sie… Vieles aus dem Chinesischen direkt übersetzt klingt oft, wenn du nicht im Hinterkopf hast, wie das chinesische Original ist, unverschämt. Und dann empfinde ich es nicht so, weil ich weiß, er meint DAS, er meint nicht DAS. Und der kann halt kein Chinesisch und da versuche ich halt so ein bisschen zu vermitteln.“

Nur wenige der deutschen Entsandten, ob sie nun Chinesisch können oder nicht, stufen Sprachkenntnisse als weniger wichtig ein. Neben einem grundlegenderen Verständnis für das Gegenüber, so wie es beispielsweise diese Befragte beschreibt, übe sich Sprachfähigkeit nicht nur positiv auf das Wohlbefinden des Entsandten aus, sondern habe damit auch hohen Einfluss auf die Arbeitseffizienz. Ein weiterer Befragter hält deshalb, wie viele andere auch, Chinesischkenntnisse für eine wichtige Voraussetzung einer Entsendung. B: „Ich habe Chinesisch gelernt und bin seit neunzehnhundertzweiundneunzig, praktisch nach meinem Studium, nachdem ich angefangen habe, ~ war immer für China zuständig und war andauernd hier drüben. Eine besondere Vorbereitung hatte ich nicht. Brauchte ich nicht, wobei ich allerdings, als ich hier an-

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fing zu leben, schon meine Probleme hatte. Das hat mich auch selber sehr, sehr überrascht. Das ist halt doch etwas anderes, hier zu sein über längere Zeit, als mal zwei, drei Wochen von Stadt zu Stadt zu touren und dann wieder zurück nach Deutschland zu gehen. Da hatte ich ein bisschen zu knabbern. Asien hat mich immer interessiert und ich wollte immer gerne im Ausland leben.“ F: „Wie schätzen Sie ihr Sprachniveau denn ein?“ B: „In meinem Berufszweig und dem, was ich hier für die Bank mache, bin ich verhandlungssicher. Wenn ich aber über Kongzi, Laozi28 oder halt einem Arzt erklären muss, wo es mir weh tut, da habe ich auch Schwierigkeiten. Ich kann mich aber ohne Probleme unterhalten. Wenn es keine zu tiefe Diskussion wäre. Aber dieses Interview könnte ich auch auf Chinesisch machen. Ich kann es aber nur sprechen. Lesen kann ich ein bisschen, aber schreiben kann ich nicht.“ F: „Und was ist Ihre Alltagssprache? Ist das dann Chinesisch?“ B: „Ja. Meistens schon. Das ist dann so ein Mix eigentlich.“ F: „Halten Sie Chinesischkenntnisse für wichtig?“ B: „Absolut. Ich würde darauf achten, dass die Leute Chinesisch können. Für den Beruf selber ist es vielleicht nicht unbedingt wichtig, aber es erleichtert vieles im Alltagsleben. Und jeder, der ins Ausland geschickt wird, steht ja unter Stress im Beruf wie auch im privaten Bereich. Dadurch, dass eben viele Sachen anders sind. Wenn das nicht abgebaut werden kann, ist einfach ein Overload da. Und das wirkt sich irgendwann auf den Beruf aus, in Ineffizienz. Das hat keinen Sinn, jemanden in einen dreimonatigen Sprachkurs für Chinesisch zu schicken. Dass er dann ‚Guten Tag‘ und ‚Auf Wiedersehen‘ sagen kann. Das macht keinen Sinn. Das muss schon fundierter sein und der sich zumindest normal unterhalten können. Der muss nicht verhandlungssicher sein, aber muss schon sagen können, wenn ihm was nicht gefällt und warum es ihm nicht gefällt. Oder mal ein Telefon bei der China Telecom anmelden können. Es erleichtert einfach viele Sachen.“

Auch der Großteil der chinesischen Befragten teilt diese Meinung. Während aber chinesische Angestellte, die in der Regel über ausreichende Englischkenntnisse verfügen, sich von ihren deutschen Kollegen oder Vorgesetzten durchaus Chinesischkenntnisse wünschen, erhoffen sich Arbeiter oftmals die Möglichkeit, Englisch zu erlernen: „Wenn man ein gutes Produkt hat, dann hat man Einnahmen, und erst dann haben auch die Angestellten ein Einkommen und können sich ein Leben aufbauen. Dann kann man andere Sachen dazulernen. Zuerst kommt die Arbeit, um das Leben zu sichern. Erst dann kann man sich weiterbilden. Hat man aber keine Arbeit, dann hat man nichts zu essen. Wie soll man da weiterlernen?! Ich musste immer Arbeit suchen und hatte keine Zeit zu studieren. Der Aus-

28 Auch Konfuzius und Lao-Tse.

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bildungsstand unserer Arbeiter hier ist noch vergleichsweise niedrig. Hat man einen Gaozhong-Abschluss, dann hat man mehr Weiterbildungsmöglichkeiten.29 Deshalb wäre es gut, wenn man uns die Möglichkeit gäbe, Englisch zu lernen. Und danach Computer. Die Wissenschaft ist sehr entwickelt. Xs Technik wird sich langsam weiterentwickeln und erneuern, und die Arbeitsanforderungen werden steigen. Die Maschinen werden sich ändern. Wenn man sich nicht weiterbildet, dann wird man nicht mithalten können. Zum Beispiel sind die Maschinen, mit denen wir zu tun haben, alle Importe aus dem Ausland. Die Bedienungsanleitungen sind aber auf Englisch. Das verstehen wir einfach nicht. Oder die Ingenieure, die aus dem Ausland kommen. Mit ihnen fällt die Kommunikation sehr schwer. Wir wollen deshalb den Manager bitten, da etwas zu unternehmen. Wenn Probleme mit Maschinen auftreten, dann wollen wir verstehen, wie wir das ändern können, und wir wollen auch verstehen, was uns ein Ingenieur oder Techniker dazu sagt, wie wir etwas verbessern können. So könnten wir bessere Arbeit leisten und die Effizienz steigern.“

Die chinesische Geschäftsführerin eines deutschen Unternehmens in Shanghai nennt sprachliche Schwierigkeiten als eine der Ursachen für zahlreiche Missverständnisse und kritisiert die schlechten Englischkenntnisse ihrer deutschen Kollegen im Stammhaus. B: „In vielen Führungsebenen deutscher Unternehmen kann man kein Englisch sprechen, obwohl die Firmensprache oftmals Englisch ist. Ich denke, das ist auch ein Grund, weshalb man mich ausgewählt hat. Ich spreche Deutsch. Allerdings ist das im Wandel begriffen. In der Firma ist der Generationswechsel bald abgeschlossen und die Sprache in der Firma wird allmählich Englisch werden.“ F: „Werden Missverständnisse durch die unterschiedlichen Sprachen hervorgerufen?“ B: „Andauernd. Obwohl es eigentlich Gespräche von Angesicht zu Angesicht sind, ist es dennoch nicht die Muttersprache und damit Grund für viele Missverständnisse und auch Fehler. Dadurch müssen wir weitaus mehr Zeit dafür aufwenden, derartige Missverständnisse zu klären, anstatt uns auf unsere eigentliche Arbeit konzentrieren zu können. Natürlich wäre es von Vorteil, wenn Entsandte Chinesisch sprechen könnten. Doch kann man das wohl derzeit kaum erwarten, da schon mit Englisch zahlreiche Missverständnisse auftauchen.“

Eine chinesische Angestellte berichtet von ihren Erfahrungen mit ihrem deutschen Vorgesetzten, mit dem sie seit zwei Jahren zusammenarbeitet.

29 Gaozhong; chin.: Entspricht in etwa der deutschen gymnasialen Oberstufe.

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B: „Es gibt tatsächlich sehr große Sprachschwierigkeiten. Nehmen wir unseren Chef als Beispiel. Er kann zwar Englisch, aber seine Aussprache ist nicht besonders gut. Wenn er manchmal über etwas spricht, dann ist es eigentlich nicht kompliziert und man könnte es eigentlich einfach verstehen, aber seine Aussprache zu verstehen ist sehr schwer. Es kann sein, dass ich nur fünfzig bis sechzig Prozent verstehe. Zwischen uns gibt es sicherlich Kommunikationsprobleme.“ F: „Können so nicht leicht Missverständnisse auftreten?“ B: „Nein. Wenn der Chef nämlich etwas Wichtiges vermitteln will, dann wird er es nicht direkt an mich weitergeben. Er wird jemanden mit der Übermittlung beauftragen, der sein Englisch versteht. In diesem Fall macht es unser Chef genau richtig. Wenn er weiß, dass deine Fähigkeiten nicht ausreichen, dann wird er dich nicht dazu zwingen.“ F: „Wenn Sie ihn aber nicht richtig verstehen … Was kann man denn dann machen?“ B: „Ich bitte ihn, es nochmals zu wiederholen. Oder ich gehe hinunter zum Computerraum und sehe im Internet nach, ob ich es richtig verstanden habe. Wenn nicht, dann wird er es mir wahrscheinlich angeben. Wenn es richtig ist, dann wird er ‚yes‘ melden.“

Eine Angestellte in einem deutschen Unternehmen, das vor allem Dienstleistungen anbietet, findet die Verständigung auf Englisch mit ihren deutschen Vorgesetzten ausreichend. F: „Wie ist denn das Englisch von Deutschen?“ B: „Die Deutschen, mit denen wir hier zu tun haben, sind alle nicht schlecht. Vor allem die Jüngeren sind gut. Die Deutschen, die nach China kommen, sprechen in der Regel alle nicht schlechtes Englisch, weil die Arbeitssprache hier meistens Englisch ist. Es kommt manchmal vor, dass man jemanden nicht so gut versteht, weil seine Aussprache anders ist als gewohnt. Ich finde, die Leute müssen sich vorher mit der Kultur Chinas auseinander setzen. Chinesischkenntnisse sind bestimmt auch wichtig. Aber man kann auch einen Dolmetscher oder einen Assistenten, der übersetzt, beauftragen, die Verständigungsschwierigkeiten zu überwinden.“

Ein weiterer chinesischer Befragter, der mit 40 Jahren beinahe 14 Jahre älter ist als die zuvor Zitierte, spricht, während wir uns eigentlich über deutsch-chinesische Freundschaften unterhalten, unter anderem die Missverständnisse an, die aufgrund von Übersetzungen entstehen können. B: „Es gibt wohl nur wenige Ausländer, die von sich sagen können, sie hätten chinesische Freunde. Ich meine SEHR gute Freunde. Das ist auf das Sprachproblem zurückzuführen. Es gibt sicher Chinesen, die ebenfalls wünschen, mit Deutschen Freundschaft zu schließen, aber Deutsch und Englisch ist nicht

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leicht. Es ist manchmal auch so: Wenn Deutsche und Chinesen miteinander ein Problem diskutieren, dann kommt es zu sehr vielen Widersprüchen und man fängt an, sich zu streiten. Einer der Gründe dafür ist die Übersetzung. Als ich für X verhandelt habe, habe ich das so erlebt. Die Ausdrucksweise und die Denkweise waren vollkommen unterschiedlich. Bei einer Übersetzung müssen auch die verschiedenen Ausdrucksweisen modifiziert werden. Natürlich dürfen die Inhalte dabei nicht verloren gehen. Übersetzung ist eben auch eine Kunst. Bei X habe ich aus diesem Grund mit den anderen immer lieber Englisch gesprochen. Neben dem kulturellen Unterschied gibt es noch etwas anderes. In der Musik ist der Unterschied zwischen zwei Ländern sehr groß. Die klassische Musik Europas und Chinas zeigt dies sehr deutlich. Haben Sie schon mal Liang Zhu gehört?“ F: „Nein.“ B: „Sie sollten sich das einmal anhören. Das ist sehr chinesische klassische Musik, die aber westliche Musikinstrumente nutzt. Ich schenke allen deutschen Praktikanten, die herkommen, diese CD.“ F: „Was sollten Deutsche, die nach China kommen, Ihrer Meinung nach lernen?“ B: „Zunächst die Sprache. Wenn man die Sprache nicht kann, dann wird man Chinesen nie richtig verstehen. Dann erst kann man mit anderen richtig kommunizieren. Man kann reisen. Man sollte nicht auf die schöne Landschaften achten. Das Wichtigste ist, mit den Menschen aus jeder Gegend zu sprechen. Ich weiß, ihr [Deutschen] mögt sehr gerne Tibet. Nicht nur, weil es in Tibet keine Umweltverschmutzung gibt, sondern auch wegen des Lebens der Menschen dort. Will man Chinesen verstehen, dann beginnt das bei der Sprache. Alles andere wie zum Beispiel den Charakter muss man nicht ändern. Ich kenne einen Deutschen, an seinen Namen kann ich mich nicht mehr erinnern, dessen Chinesisch wirklich gut ist. Er kann sogar alte chinesische Gedichte aufsagen. Ich habe ihn sehr bewundert, denn er machte das sogar noch besser als Chinesen. Ein Ausländer sollte also die Sprache erlernen, sich mit einigen Fundamenten der Kultur auseinander setzen und auch mit den materiellen Rahmenbedingungen, da diese in China einfach nicht so gut sind wie im Westen. Zum Beispiel ist die Situation von Vielen meiner Generation sehr schlecht. Vor allem aufgrund der Kulturrevolution. Das hat zwei oder sogar drei Generationen ein schlechtes Leben beschert. Deshalb setzen wir voll auf die nächste Generation. Ich habe beispielsweise in Deutschland gearbeitet, damit ich meine Kinder ins Ausland schicken kann.“

Mit einer chinesischen Assistentin der Geschäftsführung unterhalte ich mich über die Chinesischkenntnisse ihres deutschen Vorgesetzten, der versucht, sich selbst Chinesisch beizubringen. In vorherigen Gesprächen mit diesem fielen mir immer wieder der häufige Gebrauch und der Fundus chinesischer Sprichwörter auf, auf die er in verschiedenen Situationen oder auch zur Veranschaulichung zurückgriff. Ich selbst hatte den 313

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Eindruck, dass dieser Entsandte zwar in der Lage ist, einfache Sachverhalte auf Chinesisch nach längerer Überlegung zu vermitteln, jedoch kein längeres Gespräch fließend bestreiten könnte. F: „Was benutzen Sie hier [in der Firma] für eine Sprache?“ B: „Englisch. Wir haben hier viele Kollegen, die Englisch sprechen. Also sprechen alle Englisch.“ F: „Treten Missverständnisse auf, wenn Sie eine Fremdsprache benutzen?“ B: „Die anderen chinesischen Kollegen [aus einer anderen Abteilung] benutzen alle Chinesisch, weil Herr X [der deutsche Geschäftsführer] auch sehr viel Chinesisch versteht. Das ist aber nicht unhöflich oder ausgrenzend. Er kann einiges verstehen.“ F: „Sprechen Sie mit ihm Englisch?“ B: „Wir sprechen mit ihm Englisch. Er möchte aber auch Chinesisch sprechen. Wir befürchten aber, dass so Missverständnisse auftreten könnten. Normalerweise gibt es keine Missverständnisse, wenn wir Englisch sprechen. Bei wichtigen Angelegenheiten sprechen wir auf jeden Fall Englisch.“ F: „Wie ist denn sein Chinesisch?“ B: „Nicht schlecht. Ich habe festgestellt, dass er wirklich sprachbegabt ist. Wenn er ein Wort aufschnappt und man später mit ihm spricht, dann kann er es sofort passend benutzen. Er kann viele Idiome, was bei vielen Leuten gut ankommt.“ F: „Mir ergeht es häufig so, dass ich, spreche ich eine Fremdsprache, missverstanden werde. Kennen Sie solche Situationen?“ B: „Natürlich. Eine Sprache ist auch mit den Dingen des Landes verbunden. Chinesen meinen zum Beispiel, dass man etwas auf eine bestimmte Art und Weise sagen kann, aber Ausländer könnten das nicht akzeptieren. Sie finden diese Ausdrucksweise dann unhöflich. So können Missverständnisse auftreten. Das Niveau vieler Wörter ist nicht gleich. Manche sind sehr umgangssprachlich. Es gibt aber auch eine gehobene Ausdrucksweise. Sobald man es übersetzt, verwischt der Unterschied. Englisch ist ja nicht meine Muttersprache, weshalb es natürlich zu Missverständnissen kommen kann. Einige Dinge weiß ich nicht auszudrücken oder manche Dinge kommen einfach nicht richtig rüber. Vor allem, weil Chinesisch so reichhaltig ist. Sagt man ein Wort, dann hat es mehrere Bedeutungen.“ F: „Sind solche Missverständnisse häufig?“ B: „Wenn sich beide Seiten nicht gut kennen und verstehen, dann können solche Missverständnisse schnell auftreten. Wenn sie sich aber besser kennen, dann klappt auch die Verständigung. Das Wichtigste ist, dass man miteinander spricht! Bei zwei unterschiedlichen Sprachen muss man sich gegenseitig Zeit geben. Ein Missverständnis kann immer auftreten. Vor allem, wenn man sich zum ersten Mal sieht. Aber wenn man sich ausreichend Zeit nimmt, dann kann man das auch lösen. Wie unter Freunden. Da werden Missverständnisse so auch aus dem Weg geräumt.“

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4.3 Zusammenfassung Unterschiede zwischen Kommunikationsstilen in Form von Direktheit vs. Indirektheit, Rationalität vs. Emotionalität, Präzision vs. Ganzheitlichkeit und Sach- vs. Personenorientierung werden als Ursachen von Problemen und Konflikten bei der Zusammenarbeit gewertet. Auf die oftmals als unhöflich und verletzend beschriebene „Direktheit“ Deutscher, beispielsweise in Form von Kritik, wird teilweise mit Unverständnis auf chinesischer Seite reagiert. Andere chinesische Befragte, die längere Zeit mit Deutschen zusammenarbeiten oder einen Auslandsaufenthalt hinter sich haben, behaupten von sich selbst, mit dem „westlichen“ Kommunikationsstil umgehen zu können. Oftmals spare es, so insbesondere jüngere chinesische Beteiligte, wertvolle Zeit, doch müsse man äußerst vorsichtig im Umgang mit anderen, insbesondere älteren Chinesen sein, um einen „Gesichtverlust“ zu vermeiden. Befragte Chinesen versuchen sich in der Regel auf die wenigen ausländischen Entsandten einzustellen. Während einige der Deutschen die als ineffizient und manchmal sogar geradezu als hintertückisch bezeichneten chinesischen Umgangsformen rundweg ablehnen und versuchen, sich durch eine entsprechende Personalpolitik einen Raum zu schaffen, der auf ihre Person zugeschnitten ist, versuchen viele andere, sich die fremden Interaktionsweisen mit mehr oder weniger Erfolg anzugewöhnen. Empfinden es deutsche Befragte befremdlich und störend, dass sich chinesische Mitarbeiter bei Problemlösungsprozessen oftmals in nicht auf die Sache bezogenen Debatten verlieren, und ziehen daraus den Schluss, ihre chinesischen Kollegen wären inkompetent, weisen chinesische Befragte darauf hin, dass die ausländischen Entsandten offenbar nicht in der Lage seien, die ausgesandten Signale zu erkennen. Tatsächlich sind viele befragte Deutsche der Auffassung, dass Arbeitsanweisungen und Kritik in China direkter ausgedrückt werden müssten. Chinesen und einige Deutsche betonen in diesem Zusammenhang hingegen die Kunst, Formulierungen zu finden und Zeichen zu setzen, die den Beteiligten einerseits die gewünschte Botschaft vermitteln, andererseits aber, insbesondere bei Kritik, ihre Integrität bewahren. Führungskompetenz müsse also auch die Fähigkeiten umfassen, sich auf die besonderen Gegebenheiten vor Ort einstellen zu können und anderen Kommunikationsstrukturen anzupassen. Oftmals scheitere dies aber, so einige der Beteiligten, an den sprachlichen Limitierungen beider Seiten. Selbst ausreichende Englischkenntnisse könnten auf beiden Seiten nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. Als Mittel zu einem besseren Verständnis chinesischen Denkens halten die meisten der deutschen Befragten es für sinnvoll, Chinesisch zu 315

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erlernen. Neben dem positiven Effekt, sich dadurch leichter in China zurechtzufinden und somit Stresssituationen, ob privater oder arbeitstechnischer Natur, leichter zu bewältigen, könne man auf den informellen Informationsfluss innerhalb eines Unternehmens besser zugreifen und gewinne Unabhängigkeit unter anderem. von den oftmals als unterqualifiziert beschriebenen Dolmetschern. Aufgrund des schlechten Informationsflusses, oftmals hervorgerufen durch eine fehlende Kultur der Rückmeldung, aber auch durch das Machtstreben einzelner chinesischer Mitarbeiter, seien Deutsche, die über keine Chinesischkenntnisse verfügen, in diesem Zusammenhang besonders im Nachteil. Fehlende Sprachkenntnisse könnten aber durch „Intuition“ ausgeglichen werden. Damit ist sowohl die Fähigkeit gemeint, nonverbale Kommunikationssignale, Gemütsstimmungen und Gesamtsituationen einschätzen und deuten zu können, als auch die Annäherung und der persönliche Einsatz auf einer symbolisch-atmosphärischen Ebene.

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Teil IV: Der hybride Raum als Chance

Transkulturalität auf der Metaebene eines theoretischen Ansatzes, der einen „offenen Kulturbegriff“ favorisiert und auf die Darstellung und Erklärung kultureller Gesamtphänomene abzielt, kann bei der Beschreibung von spezifischen bikulturellen Interaktionssituationen als subjektiver Praxis nicht sämtliche Herangehensweisen und Perspektiven der Beteiligten charakterisieren. Sollen die Meinungen, Interpretationen und das Handeln der Akteure im Mittelpunkt einer Untersuchung stehen, reicht der Begriff der Transkulturalität demnach nicht aus. Auf der Ebene der aus Sichtweise des jeweiligen Subjekts gültigen Wirklichkeit, seiner gelebten „Praxis“, konkurrieren unterschiedliche Konzepte um den Anspruch auf Gültigkeit und müssen demnach in den Kontext subjektiver Erfahrung und subjektiven Wissens gestellt werden. Aus diesem Grund bietet sich der Rückgriff auf den Begriff der Interkulturalität als Vor- und bzw. oder Zwischenstufe dessen an, was als Ideal kulturkompetenten Verhaltens mit transkultureller Interaktion bezeichnet werden soll. „Interkulturell“ bezieht sich im Folgenden also auf Situationen, in denen die Akteure deutsch-chinesische Interaktion in einem „zwischen den Kulturen“ ansiedeln bzw. aus der Beobachtung dieser Untersuchung heraus angesiedelt werden müssen. „Transkulturell“ soll hingegen für Situationen stehen, die sich besonders durch eine auf Offenheit gegenüber dem Anderen ausgerichtete gemeinsame Gestaltung des Interaktionsraumes auszeichnen, woraus folgt, dass Transkulturalität in der Praxis deutsch-chinesischer Interaktion in vielen Fällen eher als Ziel denn als Zustand definiert werden muss. Die Beteiligten in bikulturellen Arbeitssituationen befinden sich, ob in inter- oder transkulturellen Situationen, in einem sozialen Raum, der

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durch das Einwirken und selbst die bloße Präsenz des Anderen beeinflusst und geprägt wird und damit hybride Merkmale trägt. Während sich Deutsche allerdings als Gäste, in der Regel in einem überschaubaren Zeitrahmen, in einer ihnen fremden Welt aufhalten, und sich vor allem im Privatleben an die anderen Rahmenbedingungen anpassen müssen, bedeutet der Alltag für Chinesen Normalität, solange sie nicht auf die Interaktion mit Deutschen angewiesen sind oder diese wünschen. Aufgrund der Machtverhältnisse in deutschen WFOEs oder chinesischdeutschen Joint Ventures, in denen Deutsche in den meisten Fällen Positionen mit Führungsverantwortung inne haben oder aber angesichts ihrer Spezialkenntnisse unentbehrlich erscheinen, sind sie in der Lage, maßgeblich eigene Vorstellungen von Verhaltensweisen durchzusetzen. Vor allem in WFOEs werden Chinesen damit zu Gästen im eigenen Land und müssen sich wie die Entsandten mit einem unterschiedlichen Habitus, anderen Werten und Normen, unbekannten Kommunikationsstilen usw. auseinander setzen. Die Qualität der Zusammenarbeit bestimmt sich damit wesentlich über mehrere Faktoren, von denen transkulturelle Kompetenz einen entscheidenden Anteil trägt. Diese setzt sich aus individuellen Fähigkeiten, Schlüsselkompetenzen, zusammen, die es dem Beteiligten erstens ermöglichen, unterschiedliche Handlungs- und Denkmuster zu erkennen und zweitens, daraus situativ angemessene Handlungsstrategien zu entwickeln. Zu diesen Schlüsselfähigkeiten zählen vor allem kommunikative und soziale Kompetenz. Kommunikative Kompetenz umfasst die Wahrnehmung und Deutung unterschiedlicher Kommunikationsstile und das Vermögen, sich auf diese einzustellen. So bleiben Kommunikationssituationen zwischen Chinesen und Deutschen dann problematisch, wenn beide Seiten nicht in der Lage oder auch bereit sind, die Art und Weise, wie Botschaften vermittelt werden, zu erkennen. Als Beispiel soll der Unterschied der viel zitierten „Direktheit“ und „Sachorientierung“ Deutscher und die gegenüberstehende „Indirektheit“ bzw. „Personenorientiertheit“ von Chinesen dienen. Beklagen viele Deutsche die Inkompetenz ihrer chinesischen Mitarbeiter, die sich, beispielsweise zur Lösung eines Problems befragt, in ausschweifenden Diskussionen verlören, empfinden manche Chinesen die Äußerungen Deutscher als unhöflich und manchmal sogar verletzend. Botschaften werden also nicht nur auf unterschiedlichen Ebenen vermittelt und weitergegeben bzw. aufgenommen, sondern sind auch in grundsätzlich andere Kommunikationsstile eingebettet. Bemühen sich Deutsche Beteiligte darum, „sachlich“ zu bleiben, sehen viele Chinesen darin 318

DER HYBRIDE RAUM ALS CHANCE

einen unpersönlichen Appell, der sie auf eine Funktion als Erfüllungsgehilfe reduziert. Umgekehrt sind Deutsche oftmals nicht imstande, aus einer dichten Kombination von sozialen und sachlichen Botschaften die ihnen wichtigen Informationen zu erkennen und herauszufiltern. Soziale Kompetenz1 wird hier als Fähigkeit verstanden, in Interaktionen eigene Interessen zu verfolgen und durchzusetzen, dabei aber nicht die Interessen anderer zu verletzen. Soziale Kompetenz erfordert damit im Wesentlichen auch, als Beteiligter in der Lage zu sein, die Interessen Anderer in Erfahrung zu bringen. Hier ergibt sich also eine wechselhafte Abhängigkeit von kommunikativer und sozialer Kompetenz, da eigene Interessen immer auch vermittelt und dargelegt müssen, um die Zustimmung Anderer zu gewinnen. Über die Interessen wie auch Werte und Normen Anderer im Bilde zu sein, setzt einen stetigen kommunikativen Austausch mit dem sozialen Umfeld voraus. Dass hierbei sprachliche Kompetenz als Grundbedingung betrachtet werden muss, liegt auf der Hand. Können für den Arbeitsalltag je nach Bildungsstand der Belegschaft Englischkenntnisse ausreichen, so eröffnen zusätzliche Chinesischkenntnisse deutschen Entsandten Zugang zu einem breiteren sozialen Umfeld und damit Zugriff auf einen erweiterten Informationspool. Eine weitere von Befragten angesprochene Fähigkeit liegt in „intuitiver Wahrnehmung“, mit der u.a. sprachliche Defizite ausgeglichen werden könnten. „Aus dem Bauch heraus“ bikulturelle Interaktionssituationen einschätzen zu können, werten einige deutsche Befragte als hilfreich. Da sich den Beteiligten auch nonverbale Kommunikationssignale vor allem in der Anfangszeit einer Entsendung, u.a. durch andere Mimik, Gestik und Intonation und deren unterschiedlichen situativen Stimuli, häufig nicht erschließen, ist eine Sensibilisierung für atmosphärische Stimmungen notwendig. Oftmals verbunden mit einer grundsätzlichen Verhaltens- und Deutungsunsicherheit sind die Beteiligten also darauf angewiesen, sich auf die neu erscheinenden Situationen und die teilhabenden Akteure einzulassen. Leibliche Kommunikation, bei der sich Bedeutungen von Situationen durch Einfühlen erschließen, kann sich also bei einer entsprechend vorhandenen Sensibilität des Beteiligten als wichtiges Mittel zur Deutung unbekannter Interaktionsmuster erweisen. Die Reflexion des Wechselspiels personaler Regression und Emanzipation als Zugang zum Verständnis von Vorgängen in bikulturellen Interaktionssituationen zu nutzen, ermöglicht eine vertiefte Einsicht in zunächst un1

K.H. Anton/D. Weiland (1993): Soziale Kompetenz. Vom Umgang mit Mitarbeitern. Zielorientiertes Sprechen, Souveränes Verhalten, Teamfähigkeit, Strategisches Denken, Düsseldorf.

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verständlich erscheinende Vorgänge, womit Kommunikations- und Verhaltensweisen dem kulturell anders geprägten Kontext schneller situationsgerecht angepasst werden können. Neben diesen drei Kompetenzen, die sich auf Kommunikation, Sozialverhalten und Sprache beziehen, sind weiterhin zwei Voraussetzungen zu nennen, die bei wissenschaftlichen Analysen transkultureller Arbeitssituationen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Es handelt sich um Fach- und Führungskompetenzen, deren unmittelbarer Einfluss auf Interaktionssituationen nicht unterschätzt werden darf und insbesondere deutsche Entsandte betrifft, da sie es in der Regel sind, die entsprechende Positionen als Spezialisten und bzw. oder als Führungskräfte innehaben. Sowohl wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Publikationen als auch viele im Rahmen dieser Untersuchung befragte Personen reduzieren häufig die Ursache problematischer Situationen auf unterschiedliche kulturelle Hintergründe, was zur Folge hat, dass andere Problemursachen nicht bedacht oder auch als marginal abgetan werden. Führungskompetenz ist neben der normalerweise vorausgesetzten Sachkompetenz als Qualifikation zu betrachten, die über die weiter oben beschriebene Sozialkompetenz hinausgehen sollte. Sie wird hier allgemein als Fähigkeit verstanden, den spezifischen Anforderungen einer jeweils ausgeübten Führungsposition zu entsprechen. Genauso wie fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten einer Person über deren Eignung für eine Position entscheiden sollten, so gilt dies ebenfalls für Funktionen mit Führungsverantwortung, deren Anforderungen nach Größe eines Betriebes, der Anzahl der zu betreuenden Mitarbeitern und dem Verantwortungsspielraum der Beteiligten differieren kann. Insbesondere Führungserfahrung im Umgang mit Mitarbeitern und eine entsprechende Schulung der Beteiligten kann nicht vorausgesetzt werden. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Blick nach Deutschland: Laut einer Studie des gevaInstituts sind 60% der befragten Mitarbeiter der Auffassung, ihre Vorgesetzten seien inkompetent, während 97% ebendieser Vorgesetzten davon überzeugt sind, ihre Kompetenz würde von den Mitarbeitern geschätzt. 98% der Vorgesetzten fördern nach eigener Aussage die Möglichkeit, Probleme offen anzusprechen, während 85% der Mitarbeiter die Kritikfähigkeit ihrer Führungskräfte bemängeln und 88% ihren Chef für schwierig halten. Nicht verwunderlich erscheint, dass 47% der unzufrie-

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denen Mitarbeiter angeben, auf der Suche nach einem neuen Arbeitsverhältnis zu sein.2 Auffällig sind die Parallelen zu den Stellungnahmen einiger Befragter dieser Untersuchung. So zum Beispiel, wenn von den Ursachen eines fehlenden selbstverantwortlichen Handelns chinesischer Mitarbeiter gesprochen wird. Nicht nur in diesem Kontext führen einige der befragten deutschen Führungskräfte ihre Erfahrungen mit Mitarbeitern in Deutschland als positives Gegenbeispiel an und benennen ausschließlich kulturelle Unterschiede als Ursache für die bemängelte Kompetenz ihrer Mitarbeiter. Die Gegenüberstellung „richtiger“ bzw. „guter“ Arbeitsweise Deutscher und der „falschen“ und „unzulänglichen“ Arbeitsweise von Chinesen führt zu einer Polarisierung, die kulturelle Unterschiede in den Vordergrund rückt und alternative Ursachen gleichzeitig ausschließt. Damit wird der Blick auf Lösungsansätze, die in den Händen der Beteiligten liegen, verstellt. Dies gilt ebenso für chinesische Befragte, die davon ausgehen, dass Differenzen ausschließlich durch mangelnde kulturelle Kenntnisse deutscher Beteiligter hervorgerufen würden. Eine derartige Einstellung beider Seiten, die Differenzen nur auf kulturelle Unterschiede festschreibt, kann zur Folge haben, dass ein gemeinsames Bemühen um die Verbesserung eines als unzulänglich empfundenen status quo nur dann für Erfolg versprechend gehalten wird, wenn der Andere seinen Habitus ablegt und sich stattdessen die Verhaltens- und Sichtweisen seines Gegenübers aneignet. Derartige Auffassungen sehen in einer bikulturellen Zusammenarbeit nicht eine fruchtbare Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten, in deren Vielfalt wichtige Impulse liegen können, sondern vielmehr einen grundsätzlichen Störfaktor. Folgt man der Logik dieser Annahme, so werden die Beteiligten die Ursachen von Problemen zunächst oder auch immer im Verhalten des Anderen suchen, was zur Folge hat, dass eventuelle Defizite in Fach- und Führungskompetenz ignoriert werden. Defizitäre Führungskompetenz kann sich auf zwei Ebenen äußern: Auf einer allgemeinen, mit hoher Wahrscheinlichkeit universellen Ebene, wie sie beispielsweise Dittmer aus der Prämisse nach „Achtung des Menschen“ und der „Beachtung seiner Bedürfnisse“ vorschlägt und einer zweiten, die eine Anpassung an spezifisch kulturelle Rahmenbedingungen eines Raumes vonnöten macht. 3 Sowohl chinesische als auch deutsche Befragte geben zu bedenken, dass in Deutschland bewährte 2

3

Siehe auch G. Dittmer (2001): „Anforderungen an Führung und Management“. In: W. Deppert, D. Mielke, W. Theobald (Hg.): Mensch und Wirtschaft, Leipzig. S. 269ff. Dittmer (2001), S. 290f.

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Führungsinstrumente nicht ohne weiteres in China zu vermitteln wären. Entweder müssen also die Rahmenbedingungen den Führungsinstrumenten oder aber die Führungsinstrumente den Rahmenbedingungen angepasst werden. Obwohl eigentlich letzteres als nahe liegende und höhere Effizienz versprechende Option umsetzbar erscheint, wählen dennoch einige der Befragten den ersten Weg, was zum Teil sicherlich auch auf die begrenzte Entsendungszeit der Expatriates zurückgeführt werden muss. Die Expatriates, die zum Zeitpunkt ihrer Entsendung nicht mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut sind, bedienen sich zunächst also aus den ihnen bekannten Führungsmethoden und vernachlässigen aus Unkenntnis und mangelnder Vertrautheit kulturelle Besonderheiten. Schlussfolgernd ist es sinnvoll, nicht nur kulturspezifisches Hintergrundwissen zu erwerben, um Verstehensprozesse in einen weiten Wissenskontext einbinden zu können, sondern auch, Wissen und Erfahrungen von Repatriates wie auch chinesischen Mitarbeitern und Führungskräften zukünftigen Entsandten zur Verfügung zu stellen. Kommunikative, soziale, Fach- und Führungskompetenz müssen also immer vor dem Hintergrund möglicher kultureller Unterschiede gesehen werden. Die Fähigkeit einer transkulturell kompetenten Person liegt demnach in dem erfolgreichen Bestreben, diese notwendigen Qualifikationen vor dem Hintergrund kultureller Unterschiede zu modifizieren und selbst situativ angepasste Verhaltensstrategien zu entwickeln. Die Vielfalt der Möglichkeiten im Austausch mit dem Umfeld als solche zu erkennen und hieraus gemeinsam einen hybriden Raum zu gestalten, aus dem in einem fortwährenden Prozess Synergien aus dem für wertvoll Befundenen ausgebildet werden, sichert eine nachhaltige Unternehmensentwicklung. Denn erst in der auf Gemeinsamkeit ausgelegten Gestaltung liegt die Chance für Personen wie auch von Systemen, flexibel auf neue Entwicklungen zu reagieren und gleichzeitig den in Befragungen angesprochenen Problemen wie Mitarbeiterfluktuation, mangelnde Einsatzbereitschaft und Initiative, Führungsfehlern, Informationsblockaden usw. zu begegnen. Demnach muss es auch im Interesse beteiligter Unternehmen liegen, die Rahmenbedingungen einer chinesisch-deutschen Kooperationsform so zu gestalten, dass eine Zusammenarbeit im Zeichen transkultureller Vorzeichen ermöglicht wird. Unrealistische Einschätzungen der Situation vor Ort, fehlende vorbereitende und begleitende Unterstützung der Beteiligten und personelle Fehlentscheidungen wirken sich kontraproduktiv und unmittelbar auf Arbeitsleistung und Einsatzbereitschaft der Beteiligten aus. Die positive Auswirkung einer verstärkten Einbeziehung der Erfahrungen von Re322

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patriates, Expatriates und die Ansichten chinesischer Beteiligter in Entscheidungsfindungen kann kaum bestritten werden. Auch hier erwecken manche Untersuchungen den Eindruck, Zusammenarbeit in einem bikulturellen Kontext stehe in keinem Zusammenhang mit vorgegebenen Organisationsstrukturen. Ob es sich um ein Joint Venture oder ein WFOE, einen kleinen, für den Weltmarkt produzierenden Betrieb oder einen Konzern, der auf den Binnenabsatzmarkt abzielt, handelt, sind Faktoren, die wesentlich auf die innerbetriebliche Situation und damit auch auf die Interaktion der Beteiligten Einfluss nehmen. Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist die Bedeutung der individuellen Situation der Beteiligten, speziell die der Entsandten. Zufriedenheit des Partners, Familienplanung, Schulsituation der Kinder usw. sind für den Einzelnen äußerst bedeutsam und wirken sich unmittelbar auf die Zufriedenheit und damit auf die Einsatzleistung wie auch Einsatzbereitschaft der Beteiligten aus. Das Thema Zukunftsangst steht besonders bei chinesischen Befragten im Vordergrund, die am Anfang ihres beruflichen Werdegangs stehen und denen, die über keine besondere Ausbildung verfügen. Andere, besser gestellte chinesische Beteiligte nennen vor allem Entwicklungsmöglichkeiten als wesentliche Anreize. Auch hier haben wir es demnach nicht mit kulturspezifischen Merkmalen zu tun. Doch muss ebenfalls in diesem Zusammenhang beachtet werden, inwieweit sich kulturelle Prägungen wie auch individuelle Präferenzen im Detail auswirken. Ziel muss es also sein, einen angstfreien Raum zu schaffen, in dem alle Beteiligten ihre Persönlichkeit und Fähigkeiten einbringen und neue Fähigkeiten ausbilden wollen. So bestechend das Versprechen auch sein mag, sich mit Hilfe des Erlernens von Kulturstandards andere kulturelle Verhaltensmuster aneignen zu können, so wirkungslos bleibt der Versuch, wenn die Akteure der Komplexität und Vielfalt von Alltagssituationen gegenüberstehen. Viel versprechender erscheinen Ansätze, die das Individuum in den Mittelpunkt stellen und zur Grundlage ethisch begründeten Verhaltens machen. So beispielsweise Wolfgang Deppert, der seinem Konzept einer individualistischen Ethik ein selbstverantwortliches Menschenbild zugrunde legt. Hieraus werden Grundsätze abgeleitet, die ein nach den Eigeninteressen des Individuums geleitetes Handeln in einen ethischen Kontext setzen.4

4

Deppert (2001).

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In diesem Rahmen lassen sich mit einer transkulturellen Kompetenz, die sich an den jeweiligen Rahmenbedingungen ausrichtet und aus der sich eine Entwicklung signifikanter Interaktionsstrategien ermöglicht, die Integration und Kombination aller vorhandenen Leistungspotentiale in einer chinesisch-deutschen Zusammenarbeit realisieren. Zu klären, wie der Praxistransfer dieser theoretischen Überlegungen geleistet werden kann, ist eine weitere Aufgabe des Themenfeldes Transkultureller Kommunikation.

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Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

Sozialtheorie Florian Feuser Der hybride Raum Chinesisch-deutsche Zusammenarbeit in der VR China Oktober 2006, 346 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-581-2

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Christoph Wulf Anthropologie kultureller Vielfalt Interkulturelle Bildung in Zeiten der Globalisierung September 2006, 164 Seiten, kart., 17,80 €, ISBN: 3-89942-574-X

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Sozialtheorie Helen Schwenken Rechtlos, aber nicht ohne Stimme Politische Mobilisierungen um irreguläre Migration in die Europäische Union September 2006, 374 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-516-2

Andrej Holm Die Restrukturierung des Raumes Stadterneuerung der 90er Jahre in Ostberlin: Interessen und Machtverhältnisse September 2006, 356 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-521-9

Ivo Mossig Netzwerke der Kulturökonomie Lokale Knoten und globale Verflechtungen der Film- und Fernsehindustrie in Deutschland und den USA Juli 2006, 228 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-523-5

Ulrich Heinze Hautkontakt der Schriftsysteme Japan im Zeichen der Globalisierung: Geldflüsse und Werbetexte Juli 2006, 208 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-513-8

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Mark Hillebrand, Paula Krüger, Andrea Lilge, Karen Struve (Hg.) Willkürliche Grenzen Das Werk Pierre Bourdieus in interdisziplinärer Anwendung

Wolf-Andreas Liebert, Marc-Denis Weitze (Hg.) Kontroversen als Schlüssel zur Wissenschaft? Wissenskulturen in sprachlicher Interaktion

August 2006, 256 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-540-5

Juli 2006, 214 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 3-89942-448-4

Christian Kellermann Die Organisation des Washington Consensus Der IWF und seine Rolle in der internationalen Finanzarchitektur Juli 2006, 326 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 3-89942-553-7

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